Walther von der Vogelweide und Frauenlob: Beispiele klassischer und manieristischer Lyrik im Mittelalter [Reprint 2015 ed.] 3110995344, 9783110995343

Frontmatter -- VORWORT -- INHALT -- EINLEITUNG -- WALTHER -- ERSTER TEIL -- ZWEITER TEIL -- FRAUENLOB -- ERSTER TEIL --

184 41 9MB

German Pages 344 [348] Year 1966

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Walther von der Vogelweide und Frauenlob: Beispiele klassischer und manieristischer Lyrik im Mittelalter [Reprint 2015 ed.]
 3110995344, 9783110995343

Table of contents :
VORWORT
INHALT
EINLEITUNG
WALTHER
ERSTER TEIL
ZWEITER TEIL
FRAUENLOB
ERSTER TEIL
ZWEITER TEIL
SCHLUSS
LITERATUR

Citation preview

HERMAEA GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN N E U E FOLGE H E R A U S G E G E B E N VON H E L M U T DE UND HERMANN KUNISCH

BOOR

BAND 18 J O E R G SCHAEFER WALTHER VON DER VOGELWEIDE U N D FRAUENLOB BEISPIELE KLASSISCHER UND M A N I E R I S T I S C H E R IM M I T T E L A L T E R

LYRIK

WALTHER VON DER VOGELWEIDE UND FRAUENLOB BEISPIELE KLASSISCHER UND MANIERISTISCHER LYRIK IM M I T T E L A L T E R

VON JOERG SCHAEFER

MAX NIEMEYER V E R L A G TÜBINGEN 1966

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1966 Alle Rechte vorbehalten · P r i n t e d in Germany Satz und Drude: Eridb Spandel, Großdruckerei, N ü r n b e r g

Für Hermann J. Weigand und Peter Heller

VORWORT Diese Arbeit ist eine gründlich revidierte Fassung meiner Ph.D.-Dissertation, die im Juni 1964 von der Graduate Faculty der University of Massachusetts, Amherst, USA, angenommen wurde. Zwei Abschnitte sind, bearbeitet und vorwiegend in den Anmerkungen stark gekürzt, als Aufsätze erschienen: der Beginn des ersten Waltherkapitels als „Die Gestaltung des lyrischen Ich in Walthers ,Under der linden"', Monatshefte 58,1 (University of Wisconsin Press, 1966), S. 33-42, und das vierte Kapitel des zweiten Waltherteils als „Formen der Überlagerung in Metren Walthers von der Vogelweide", Neophilologus 50 (1966), S. 77-95. Ich danke für freundliche Nachdruckerlaubnis den Besitzern des Copyrights: für den Aufsatz in den Monatsheften den Regents der University of Wisconsin, für den im Neophilologus dem Verlag J. B. Wolters, Groningen. Die Widmung dieses Buches enthält zwei Namen. Hermann J. Weigand, Sterling Professor Emeritus der Yale University und Gastprofessor an der University of Massachusetts, war nicht nur Doktorvater; seine großzügige Hilfe förderte diese Arbeit, sein geistiger und menschlicher Reichtum wurde zum Vorbild für den Wissenschaftler und Menschen. Professor Peter Heller, Freund und Kollege an der University of Massachusetts, gab mir in vielen Gesprächen Gelegenheit zur „allmählichen Verfertigung" meiner Gedanken und leistete wertvolle Hilfe bei der kritischen Durchsicht des Manuskripts. Ich danke audi meinen Tübinger Lehrern, vor allem den Herren Professoren Kurt Herbert Halbach, von dem die Arbeit wichtige Anregungen empfing, und Wolfgang Mohr, dessen Formbeobachtungen mir das Verständnis mittelalterlicher Lyrik erschließen halfen. Zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Professor Helmut de Boor für die Aufnahme des Manuskripts in die Reihe „Hermaea" und dem Max Niemeyer Verlag Tübingen, besonders Herrn Robert HarschNiemeyer, für alle Hilfsbereitschaft. Wieviel schließlich die Arbeit, im Geistigen und Praktischen, der liebevollen Geduld meiner Frau verdankt, vermag ein Vorwort nidit gebührend auszudrücken. J. Sch. VII

INHALT Vorwort Einleitung Walther Erster Teil: Lyrische Grundrelation I. Liebe II. Lehre III. Schelte und Burleske IV. Gott V. Tod

VII 1

Zweiter Teil: Weitere Begegnungen I. Bilder, Situationen, Szenen II. Satzführung III. Laute IV. Metren

102 102 128 151 170

Frauenlob Erster Teil: Lyrische Grundrelation I. Minne II. Didaktik III. Groteske und Polemik IV. Theologie V. Tod

204 204 218 237 245 268

Zweiter Teil: Begegnen und Vermeiden I. Bildreihung und Abstraktion II. Satzführung III. Laute IV. Metren Schluß Literaturverzeichnis

277 277 296 308 316 327 330

15 15 48 64 74 91

IX

EINLEITUNG

Das Thema dieser Studie ist weit gefaßt und bedarf klarer Bestimmung und Abgrenzung. Einmal legt das Nebeneinander der beiden Dichternamen die Vermutung nahe, die Arbeit befasse sich außer mit dem Vergleich auch mit dem Studium von Einflüssen; dies ist jedoch nicht der Fall. Was über Walther gesagt ist, gilt mit wenigen Ausnahmen zunächst seinem Werk; bei der Darstellung Frauenlobs kommt der Vergleich zur Geltung, der bestehende Einfluß wird nicht untersucht. Dann folgen die zwei Stilbegriffe. „Klassik" und „Manierismus" sind, obwohl längst vorher aufeinander bezogen, seit Curtius' Gegenüberstellung im fünfzehnten Kapitel seines Buchs „Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter" 1 als polares Begriffspaar für viele zum Schlagwort oder zur Frage geworden. Ich setze midi nicht grundsätzlich mit den Begriffen auseinander, da es mir nicht darum geht, Eigenes über das Wesen der Klassik und des Manierismus zu sagen, ja überhaupt eine Definition im strengen Sinn zu versuchen. Nur einige Grenzlinien möchte ich ziehen. Das Hauptproblem beider Termini ist ihr Auseinanderfallen in Wert- und Wesensbegriffe.2 Curtius vergleicht wertend, auch Halbach in seiner Diskussion grundsätzlicher Fragen der Klassik betont, daß in allem Gebrauch des Begriffs als Wesensurteil die Wertkomponente,

1

8

2. Aufl. Bern 1954, S. 277 ff. Nach Feststellung der „sehr bedingten Tragweite" des Begriffspaars Klassik-Romantik sagt Curtius S. 277: „Die Polarität von Klassik und Manierismus ist als begriffliches Instrument weit brauchbarer und kann Zusammenhänge erhellen, die leicht übersehen werden." Audi der Begriff des Barock wird in Frage gestellt, unter Hinweis auf René Wellek, The Concept of Baroque in Literary Scholarship (Journal of Aesthetics and Art Criticism, vol. V, no. 2, 1946). S. 278 findet sich Curtius' bekannte Unterscheidung von „Idealklassik" (klass. Blütezeit) und „Normalklassik" (korrekte, klare, kunstgemäße Darstellung ohne künstlerische Höchstwerte). Vgl. Kurt Herbert Halbach, Zu Begriff und Wesen der Klassik, in: Festschrift für Paul Kluckhohn und Hermann Schneider, Tübingen 1948, S. 168 ff. Dort audi in Anm. 4 zahlreiche Literaturangaben.

1 1

Sdiaefer, Walther von der Vogelweide .

der ursprüngliche Wortsinn, nicht auszuschalten sei.3 Ich versuche bei der Interpretation der Stile wie der dichterischen Leistung Werturteile so weit wie möglidi hintanzustellen. Die Reihenfolge in der Darstellung bringt es mit sich, daß im Vergleich mit Walther für Frauenlobs Kunst viele „negative" Termini benutzt werden („Fehlen", „Vermeiden", „Diskrepanz" u. dgl.), sie sollen beschreiben, nicht abwerten. Wohl bleibt Walthers Größe unerreicht, doch auch viele Gedichte Frauenlobs besitzen eigene, unübertreffliche Kraft und Expressivität. So wird auch die oft gestellte Frage nach dem Zusammenhang des wie audi immer definierten Wesens „klassisch" mit dem Begriff des Gültigen, Vorbildlichen, Vollendeten ausgeklammert, ebenso das Verhältnis von antik-klassisdi und modern-klassisch 4 . Der Begriff der „Klassik" wird nicht, wie etwa im angelsächsischen Sprachraum, im Sinne von „neo-classical", „klassizistisch", verwendet; dagegen ist der Begriff des „Manierismus" bezogen auf den englischen des „mannerism", wie er für manche Lyrik des siebzehnten Jahrhunderts, vor allem der „Metaphysical Poets", gebraucht wird. 5 Ich muß darauf verzichten, Parallelen zu ziehen zu dieser Dichtung wie auch zum deutschen Barock und zu zahllosen verwandten Formen in der modernen deutschen, französischen und anglo-amerikanischen Lyrik. Vor allem die Moderne wäre einzubeziehen, denn die Faszination, die der historische Manierismus als über die Kunstgeschichte weit hinausreichende Erscheinung im zwanzigsten Jahrhundert in steigendem Maße ausgeübt hat, beruht auf starkem Sichidentifizieren der Gegenwart mit dieser Form, auf einer Haßliebe unserer Zeit zu diesen Extremen wie zu sich selbst.

» A . a . O . S. 169. Eine Auseinandersetzung mit den grundlegenden Untersuchungen über die Möglichkeit staufischer und deutscher Klassik, in Abgrenzung gegen Romanik und Gotik, vorwiegend in der Kunstgeschichte, aber auch der Literaturwissenschaft, also etwa mit Hauttmann, Pinder, Bäumler, Rose, den Polaritäten Wölfflins und Worringers („Abstraktion und Einfühlung") muß in diesem Zusammenhang unterbleiben. Halbach, der schon am Ende seiner Studie „Walther von der Vogelweide und die Dichter von Minnesangs Frühling", Tübinger Germ. Arbeiten 1927, S. 132 auf Grund der Seelenhaftigkeit und „maze" Walthers Verse als „mittelhochdeutsdie Klassik" bezeichnet hatte, gibt in dem oben erwähnten Aufsatz einen Oberblick über die Probleme des antiken, höfisdien und modernen Klassikbegrifïs. 5 Vgl. dazu Wolfgang Iser, Manieristische Metaphorik in der englischen Dichtung, G R M 41 (1960), S. 266—287.

4

2

Es geht um Eigenschaften der Dichtung Walthers und Frauenlobs, um Ausdruckstendenzen und Näherungswerte, nicht um Wesenheiten oder Wesensschau. Jene Tendenzen werden am besten beschrieben durch die Begriffe „klassisch" und „manieristisch", denn diese Begriffe sind angereichert mit Bedeutungsassoziationen, die dem zu Beschreibenden nahe kommen. Welchem Sachverhalt sie im einzelnen Ausdruck geben, müssen die Interpretationen selbst zeigen. Meine Vorstellung der Klassik wurde wesentlich von Strich® bestimmt, mein Manierismusbegriff präzisierte sich in Auseinandersetzung mit Hockes materialreicher, geistvoller, wenn auch in der Betonung des Labyrinthischen für mittelalterliche Weltanschauung nicht in dieser Einseitigkeit verwendbarer Darstellung. 7 Strichs Konzeption läßt sich ebenfalls nicht ohne weiteres auf mittelalterliche Verhältnisse übertragen, zumal die Antithese Klassik-Romantik in vielem eine andere ist als die von Klassik und Manierismus. Auch wird man leicht sehen, daß idi Strichs grundsätzliche Auffassung nicht in allem teile, vor allem nicht seine Überbewertung des Statischen in der Klassik. Dazu kommt ein entscheidender Unterschied: Für Strich sind die beiden Stilbegriffe klassisch-romantisch zwei Grundmöglidikeiten, Mensch zu sein; ich sehe in jenem Gegensatzpaar zwei Stile unter anderen, auch nicht in klarer Ausschließlichkeit verteilt auf die beiden Dichter, und weiß nichts zu sagen über den „Stil an sich". Zu dieser Einschränkung der Stilbegriffe kommt die des Stoffs und des Anwendungsbereichs. Wir behandeln nicht das personale Gesamtwerk Walthers und Frauenlobs, sondern eine für die zu zeigenden Merkmale charakteristische Auswahl. Daß diese Merkmale Wesentliches über das Gesamtwerk aussagen, hoffen wir überzeugend darzulegen, insofern Einzelnes für ein Ganzes relevant zu sein vermag. Auch hier sehen wir vorherrschende Tendenzen und keine Wesenheiten: das eine oder andere Gegenbeispiel, das nicht deshalb weggelassen wurde, weil etwa bequeme Uniformität beabsichtigt gewesen wäre,

• Deutsche Klassik und Romantik, 4. Aufl. Bern 1949. ' Die Welt als Labyrinth. Manier und Manie in der europäischen Kunst, Rowohlts deutsche Enzyklopädie Nr. 50/51, 1957, und: Manierismus in der Literatur. Spradi-Alchimie und esoterische Kombinationskunst, Rowohlts deutsche Enzyklopädie Nr. 82/83, 1959. Vgl. auch Marianne Thalmann, Romantik und Manierismus, Stuttgart 1963 (die sich auf Curtius und Hocke bezieht). Zum Manierismusbegriff s. Hocke an zahlreichen Stellen (vor allem in seinem zweiten Buch) und Thalmann S. 13 ff.

3 1·

stört das Bild im ganzen nicht; wir erwähnen, was dazugehört, und behaupten durch diese Setzung nicht (das pflegt manche Kritik zu unterstellen), alles müsse dazugehören. Was das personale Werk Frauenlobs angeht, so ist in der unzulänglichen Ettmüllerschen Ausgabe Echtes und Unechtes bunt vermisdit; nidit das persönliche Eigentum eines Dichters wird erörtert, sondern eine Stilrichtung. Daher halten wir es im Falle Frauenlobs für gerechtfertigt, ohne Anspruch auf Deutung seines persönlichen Werks „Echtes" und „Unechtes" gleichermaßen einzubeziehen. Zu Beginn des Frauenlobteils versuche ich, dieses Vorgehen zu rechtfertigen.8 Ebensowenig wie das ganze Werk und die Persönlichkeit des dahinterstehenden Menschen erfaßt wird, erheben wir Anspruch darauf, über andere Ganzheiten zu sprechen, die horizontale der Epoche oder die vertikale der Gattung, als Erscheinung oder historisch Gewordenes, wenn Eigenschaften beschrieben und gedeutet werden. Dieser Verzicht auf historische Perspektive wird gerade bei mittelalterlicher Dichtung, bei der man so sehr das Übergewicht des Typischen über das Individuelle betont, vielen problematisch scheinen. Aber gerade da ja nicht das wesentlich Eigene einer Person, sondern eines Stils beschrieben wird, kann der Nachweis, etwas sei nicht charakteristisch für dieses personale Werk, sondern historisch bedingt, die Charakteristik dieses Stils nicht beeinträchtigen. Gerade bei Aussagen über das Werk Frauenlobs, das so fest in der Tradition steht, wendet sich dort, wo das Individuelle sich dem Typischen unterwirft, die Deutung den Eigenarten des typischen Stils zu. Man wird soviel Relativitätsgefühl aufbringen müssen, diese Dichtung einmal als Erscheinung und nicht als historisch Gewordenes zu sehen; die Forderung, eine Erscheinung könne nur im historischen Kontext verstanden werden, läßt sich nicht verabsolutieren 9 . Umgekehrt erlaubt nicht jede Einzelbeobachtung Schlüsse auf den Stil der Gattung oder der Epoche. Wohl ist vieles Beobachtete typisch, insofern Einzelzüge in Einzelwerken charakteristisch für eine Die Bedeutung der Editheitsuntersuchungen wird nicht geleugnet; zweifellos ist in Ettmiillers Ausgabe viel „Unechtes" aufgenommen. Für unsere Untersuchung ist das begrenzte Material dieser Ausgabe jedoch hinreichend. Von der Hagens „Minnesinger" und Frauenlobgedidite in den „Meisterliedern der Kolmarer Handschrift", hrsg. von K a r l Bartsch, die nicht in Ettmiillers Ausgabe stehen, wurden nicht berücksichtigt. • So ist etwa Karl Stackmanns kluge Wesensbestimmung der Gattung, die den Entwicklungsbegriff mit einbezieht (Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln, Heidelberg 1958, S. 18 ff., S. 23 ff.), eben für den Historiker relevant. 8

4

Gattung oder in Einzelmenschen für eine Epoche sein können; wenn wir uns aber oft verallgemeinernd auf vorherrschende Tendenzen in der Geistes- und Formgeschichte jener Zeit beziehen, so behaupten diese Analogien nicht, die Beobachtungen an Walthers oder Frauenlobs Stil charakterisierten in allem Haltung und Stil dieser Zeit. Denn wie gesellschafts- und zeitbewußt beide Dichter auch waren und wie sehr sie ihre Aussage in voller Schärfe auf die Zeit einstellten-wie gut es ihnen gelang und wie sehr sie es im Tiefsten wollten, entzieht sich unserem Wissen, auch aus dem banalen Grunde, daß schwer zu erfassen ist, was „charakteristisch für eine Epoche" in der Vieldeutigkeit beider Begriffe eigentlich bedeutet. Nun zu den Untersuchungen selbst. Sie beabsichtigen keine neue geistesgeschichtliche Deutung. Die Darstellung ist nicht bloß ästhetischformanalytisch, versucht keine Wesensbestimmung der Minne aus der inneren Erlebnisstruktur, 10 erschöpft sich aber auch nicht in der Beschreibung äußerer Formen. Wir wollen die Struktur der Gestaltung von Gedanken und Motiven zeigen, die Gedanken nicht nur in bezug auf die Person des Dichters und auf andere Gedanken, die dann zusammengenommen des Dichters Weltanschauung bilden, nicht vorwiegend in bezug auf die Umwelt, Tradition, Geschichte, Religion, mittelalterliche Denkform, Gesellschaft, sondern die Begegnung eines Zentrums mit einem inneren oder äußeren Gegenstand. Die Darstellung des gestalteten Gedankens - und nur so kennen wir ihn in Gedichten - beleuchtet dann nicht nur die Gestalt, sondern auch die Aussage. So werden die wesentlichen Gehalte und äußeren Formen der Dichtung Walthers und Frauenlobs auch hier zur Sprache kommen, Bekanntes wird referiert, nicht um seiner selbst willen, sondern zur Erhellung des Zusammenhangs von Aussage und Struktur und der Struktur der Aussage selbst. Ich bin mir der Vorbehalte gegenüber der Forminterpretationsmethode bewußt: Subjektivismus, „Pressen", Hineinlesen, Schwelgen in Formulierungen, die das Gedicht zum Thema für eigene Variationen oder gar zum Libretto für eigenen (und meist weniger schönen) Gesang machen, Uberbetonen bequemer Details, einseitiger Formalismus, und, im Falle mittelalterlicher Dichtung, vor allem der Vorwurf des Anachronismus. Die Formanalyse sei aus dem Goethe-

10

Wie neuerdings Hans Furstner, Studien zur Wesensbestimmung der höfischen Minne, Groningen 1956. Vgl. auch die Besprechung von Hugo Kuhn, PBB 80 (1958), S. 3 2 3 — 3 2 7 .

5

sehen und nadi-Goethesdien Formprinzip und Formgefühl entwickelt und sei daher nicht in der Lage, die Form-Gehalt-Beziehungen einer ganz anders empfindenden, denkenden und konstruierenden Zeit zu fassen. Dechiffriert könne nur mit dem Codebudi werden, das auch zum Chiffrieren verwandt wurde. Wir werden am Ende dieser Vorbemerkungen auf die Berechtigung und Beschränktheit der Forderung eingehen, bei der Begegnung mit einem schönen fremden Mädchen es gleich nach seiner Ahnentafel und seiner Schneiderin zu fragen, anstatt durch Erleben seiner Gegenwart und Anschauen seiner Züge und so vielleicht audi durch Wissen um die Seele sein Wesen zu ergründen. Und was die anderen Vorwürfe angeht: ob sie gerechtfertigt sind, muß jede Darstellung für sich selbst zeigen. Es gibt auch für mittelalterliche Gedichte Interpretationen, die beides verbinden: das Wissen um absichtsvoll „Angelegtes" und das Erspüren des — im Geist und Formgefühl jener Zeit oder aber aus des Dichters Instinkt für zeitlos Schönes - ohne erkennbare Absicht Vorhandenen. Wir erwähnen nur zwei meisterhafte Interpretationen: „Muget ir sdiouwen" von Kuhn und Wolframs „Ursprinc bluomen" von Mohr. 11 Ausführliche Einzelinterpretationen bringt unsere Studie allerdings nur wenige; die Strukturen und Gestalten werden unter verschiedenen Blickwinkeln gesehen, die die thematische Gliederung bedingen. So sind die jeweils in sich geschlossenen Teile, die Darstellung Walthers und die Frauenlobs, parallel angelegt, um schon dadurch ohne direkten Vergleich die Gegenüberstellung eindrücklich zu machen. Der erste Hauptteil gilt jeweils der gestalteten Beziehung des lyrischen Ich (oder Wir) zum Anderen, dem Du, zu Personen, Dingen, Ideen, aber auch dem Verhältnis der Motive untereinander, der Motivführung (diese letztere Beziehung ist die einzige in Gedichten ohne Ich oder Wir). Das Verhältnis zwischen dem lyrischen Subjekt und dem Anderen nennen wir „lyrische Grundrelation". Dieser erste Teil zeigt die lyrische Grundrelation in fünf Situationen und Haltungen, ihnen entsprechen die Kapitelüberschriften, bei Walther: Liebe, Lehre, Schelte und Burleske, Gott, Tod; bei Frauenlob, in leichter Abwandlung, Akzentverschiebungen oder innere Unterschiede andeutend: Minne, Didaktik, Groteske und Polemik, Theologie, Tod. Dabei ist wesent11

6

Hugo Kuhns Interpretation in: Wege zum Gedicht, hrsg. von Rupert Hirschenauer und Albrecht Weber, München und Zürich 1956, S. 54—63, und Wolfgang Möhrs in: Die deutsche Lyrik, Bd. I, hrsg. von Benno von Wiese, Düsseldorf 1957, S. 78—89.

lidi die gestaltete Figur der Gegenseitigkeit bei Walther, die Tendenz zu einseitigem Sichverströmen oder Sichverschließen bei Frauenlob. Dieses Muster der Gegenseitigkeit oder Einseitigkeit wird auf verschiedenen Ebenen untersucht: Anordnung und Inhalt der Verbvektoren als Bindeglieder zwischen Ich und Gegenstand, Muster der Abfolge von Idi und Du in ausgewogenem Wechsel oder einseitiger Ballung. Eng verknüpft mit den Begriffen der Gegenseitigkeit und Einseitigkeit sind die der Uberlagerung und des unverbundenen Nebeneinander; die Gestalt der Begegnung in verschiedenen Bereichen. Hier wird das gestaltete Verhältnis zur Natur in der Begegnung von Mensch und Natur beschrieben, aber auch das Zeitverhältnis zwischen erfüllter Gegenwart, erwarteter Zukunft und erinnerter Vergangenheit. Wesentlich sind das Verhältnis von Idee und szenischer Verkörperung, auch die Überlagerung von Ruhe und Bewegung oder das unverbundene Nebeneinander von Starre und Hektik. Das führt zum zweiten Hauptteil beider Darstellungen, bei Walther überschrieben „Weitere Begegnungen", bei Frauenlob „Begegnen und Vermeiden": I. Bilder, Situationen, Szenen (bei Frauenlob: Bildreihung und Abstraktion), II. Satzführung (Art der Begegnung von vorgegebenem Metrum und lebendiger Sprache), III. Laute (die Begegnung von Begriff und Musik in der Sprache), IV. Metren (Überlagerungsmuster oder rhythmische Spannungen innerhalb der Metren selbst). Der einheitliche Nenner dürfte deutlich geworden sein: Begegnung, Überlagerung oder fehlende Uberlagerung, das Verhältnis von Hingabe und Bewahrung, Überspielen und Bewahren fester Konturen oder Verwischen der Konturen in verschiedenen Bereichen. Diese Begriffe sind bekannt; es geht uns darum, sie für die Interpretation Waltherscher und Frauenlobscher Dichtung fruchtbar zu machen. Zum genaueren Verständnis der Gedichte ist daneben auch bekanntes Material vonnöten, das sich nicht direkt auf unsere Methode bezieht. Es wird in den Anmerkungen gegeben, wie überhaupt die Auseinandersetzung mit der Literatur aus Rücksicht auf die Form der Darstellung in den Anmerkungen erfolgt. Auf ein wichtiges Darstellungsprinzip sei hingewiesen: Im Verhältnis von Einzelbeobachtung und daraus abgeleitetem verbindendem „Gesetz" ist das Einzelne genauso wertvoll wie die gewonnene Verallgemeinerung. Vielen Untersuchungen geht es vor allem um das „Ziel": das Erproben der Verwendbarkeit einer Methode oder das Erlangen allgemeiner, gültiger Erkenntnis. In der Dichtung erleben

7

wir bei aller zusammenschauenden Erwartung und Erinnerung, bei allem Dahaben des Andern, des Gemeinsamen und des Bedeutsamen, zu einem Zeitpunkt doch stets nur den kleinen intensiven Teil, den uns die Dichtung gegenwärtig zuwendet, das Bild, den Vers, die Strophe: da ist die Darstellung des Einzelnen auch für sich selbst gerechtfertigt. Wenn wir daher eine Vielzahl von „Beispielen" geben, so benötigen wir sie nicht alle, um ein Allgemeines zu beweisen oder eine Methode zu erproben. Wir benützen vielmehr die Methode, um mit ihrer Hilfe das Einzelne deutlicher zu machen, und lassen die allgemeine Beobachtung audi dem Verständnis der Einzeldinge zugute kommen. Viele Fragestellungen, Themenkreise und methodische Grundsätze müssen unbeachtet bleiben, die bei der Interpretation mittelhochdeutsdier Lyrik üblich sind, zum Teil große Relevanz besitzen, zum Teil jedoch über Gebühr betont werden und manchmal die Bezirke des in mittelalterlicher Literatur und Literaturinterpretation Möglichen dogmatisch und phantasielos eingeengt haben. Viele dieser Gebiete wurden beim Erarbeiten des Materials einbezogen; manches wird in den Anmerkungen gegeben. Ich führe summarisch einige der Bereiche an, die für unsere Untersuchungen selbst ohne Bedeutung sind: Einmal der ganze Komplex der Beeinflussung, des Empfangens und Ausstrahlens12 und die Frage der Entwicklung; 13 Formen und Gehalte sollen direkt so erfaßt werden, wie sie im Werk erscheinen, auch das genetisch Erklärte und Typische soll uns in der Einmaligkeit eben dieser Dichtungen begegnen. Außerdem bleibt der Gegensatz „bewußt hineingelegt" und „Zufall und deshalb irrelevant" entschieden unbeachtet, 14 und zwar werden Ausdrücke wie „bewußter Kunstgriff" nicht 12

15

14

8

Abhängigkeit von anderen Dichterpersönlichkeiten (auch die Frauenlobs von Walther), Abhängigkeit von Strömungen und Schulen, von philosophischen, religionsgeschichtlichen und diditungstheoretisdien Konzeptionen (so findet sich auch keine grundsätzliche Erörterung des Phänomens der Minne, wohl aber wird auf Walthers Eigenart eingegangen), ferner die Abhängigkeit von der lateinischen Dichtung. So die „Herkunft" von Gedanken, ethischen und gesellschaftlichen Konzeptionen, rhetorischen Formen oder Strophenkonstruktionen, audi die Entwicklung innerhalb des einzelnen Werks (etwa die innere und äußere Chronologie Walthers, die Reinmar-Walther-Fehden, aber audi weitgehend jede zusammenhängende Dichterbiographie). Daher werden auch Fragen der stilistischen Tradition, des Verwendens von rhetorischen Formen, von Üblichem, Stereotypem nicht in den Vordergrund gestellt; Stil wird nicht durch Anfertigung von Listen interpretiert.

deshalb vermieden, weil wir die Bewußtheiten und das Vorhandensein der Tradition gering achteten, sondern weil die Unterscheidung von „bewußt" und „unbewußt" zur vergleichenden Beobachtung des Vorhandenen nichts beiträgt und daher für diese Untersuchung fruchtlos bleibt. So stehen audi die mit jenem Problem verbundenen Fragenkomplexe, wie der bewußten zyklischen Verknüpfung von Liedern, der parodistisdien Verwendung von Formen und Strophen, der bewußten Motivresponsion, der Reimornamentik, des „politischen Lieds", auch aller metrischen Verwandtschaftsgrade und Klassifizierungen nicht im Vordergrund. 15 Manches an der Dichtung kann zweifellos nur aus ihren eigenen Wachstumsbedingungen, aus dem Geist und Formbewußtsein ihrer Zeit verstanden werden. Und so folgte denn auch auf die im neunzehnten Jahrhundert vorherrschende frisch-fröhlich „naive" Mittelalterdarstellung, die die Bewußtheit, die Fiktionalität und den Formalismus jener Dichtung übersah und die Aussagen für bare Münze nahm, die „sentimentalische" Reaktion, die begann, der Zeit und dem Dichter in die Karten zu sehen, das raffiniert-geschliffene Gemachtsein und die urbane Luzidität dieser Formkultur aufzudecken. EinenSchritt auf diesem Wege tat Burdach, indem er in seinem Buch über Reinmar und Walther auf die bewußten Beziehungen zwischen den beiden Dichtern hinwies. 16 Weiter ging etwa Günther Müllers Aufsatz „Formprobleme des Minnesangs" in der ersten Nummer der Deutschen Vierteljahrsschrift 1923 oder, in anderer Weise, Hennig Brinkmanns 1928 erschienenes Buch „Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung". 17 Verständnis mittelalterlicher Lyrik war ohne Initiations15

16

17

Ausgeschlossen sind im ganzen weiterhin: Textkritisches, Echtheitsfragen, das Problem der Melodien und die Auseinandersetzung mit musikwissenschaftlichen Theorien, Zahlensymbolik, Zahlenproportionstedinik und -ästhetik, bei Frauenlob die Frage seiner „Ethik", ob höfisch, ob bürgerlich, minnesängerlidi oder meistersingerisch, überhaupt das ganze Problem des Meistersangs. Reinmar der Alte und Walther von der Vogel weide, Leipzig 1880; 2. Aufl. Halle 1928. Das Buch zeigt die Abhängigkeit des frühen Walther von Reinmar; die Chronologie und die Fehden hat vor allem Carl von Kraus untersucht in: Die Lieder Reimars des Alten, Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisdi-philologische und historische Klasse, X X X . Band, Teile I—III, die Beziehungen zu Walther in Teil III. Kraus zeigt, daß viele der von Burdach angeführten Entlehnungen Walthers bei Reinmar sdion aus chronologischen Gründen unmöglich sind. Noch andere grundlegende Darstellungen dieser Art: Eduard Wechssler, D a s Kulturproblem des Minnesangs, Bd. I, Halle 1909; Gustav Ehrismann, Die Grundlagen des ritterlichen Tugendsystems, Z f d A 56 (1919), S. 137—216; Karl

9

ritual unmöglich geworden. Jede Beschreibung, die ohne das Codebuch des typisch Mittelalterlichen auszukommen glaubte, galt als dilettantisch. Anschauen ohne Verständnis des Gewordenen, des Hineingelegten, des genetischen Denkprozesses und ohne die Einsicht in das „ganz Andere" konnte nur zu Falschem führen. Diese Prämisse der totalen Zeitbedingtheit vor allem auch der dichterischen Substanz, d. h. dessen, was das Gedicht zum Kunstwerk macht, ist nun wie jedes Axiom sowenig zu beweisen wie sie zu widerlegen ist. Beweisbar ist, daß nach mittelalterlicher Kunsttheorie das Kunstwerk am vollkommensten Kunst war, das bestimmten Regeln am besten entsprach,18 und wenn wir von der (willkürlichen) Prämisse ausgehen, die Merkmale, die jene Zeit als künstlerisch empfand, seien die einzigen, die über die künstlerische Substanz zu entscheiden hätten, also: etwas sei nur so Kunst, ja existiere überhaupt nur so, wie es damals bewußt als Kunstwerk geschaffen und empfunden wurde, dann müssen wir das Codebuch lesen und uns nicht nur in der exponierten Lage des Wissenschaftlers, sondern auch als Laie hüten, etwas anderes in dem Gedicht schön zu finden als was nach dem Codebuch legitimerweise schön sein darf. Dies ist ein sicherer Weg, unseren modernen Subjektivismus draußen zu lassen. Wenn wir aber (bei aller Einsicht in die Wahrheit dieses Codebuches) neben dieser wichtigen Bewußtheit noch andere Formen und Gestaltungen sehen und sie bei gewissenhaftem Ausschließen subjektiver Willkür als schön und daher für das Wesen des Gedichts bedeutsam empfinden, dann haben wir zwei Möglichkeiten: entweder wir sagen, wir hätten uns getäuscht, solche Modernismen seien nach

18

Vietor, Die Kunstanschauung der höfischen Epigonen, PBB 46 (1922), S. 85—124; Günther Müller, Gradualismus, eine Vorstudie zur altdeutschen Literaturgeschichte, D V j S 2 (1924), S. 681—720; Friedrich Neumann, Hohe Minne, ZfDtsdikde 39 (1925), S. 81—91 (neu abgedruckt in: Der deutsche Minnesang, hrsg. von H a n s Fromm, Darmstadt 1961, unveränderter Nachdruck 1963, S. 180—196); Hans Naumann und Günther Müller, Höfische Kultur, Halle 1929; für die ReinmarWalther-Beziehungen Carl v. Kraus, Reimar Bd. I I I ; für die metrische Form Franz Saran, Hartmann von Aue, PBB 23 (1898), S. 1—108; Kurt Plenio, Bausteine zur altdeutschen Strophik, PBB 42 (1917), S. 411—502 und fortgesetzt PBB 43 (1918), S. 56—99; dann vor allem Andreas Heuslers Versgeschichte. Wenn Hennig Brinkmann, Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung, Halle 1928, S. 1 behauptet, es sei für wahres Verstehen mittelalterlicher Poesie unentbehrlich zu wissen, worin man damals das Wesentliche dichterischer Leistung gesehen habe und worin das spezifische „Mittelalterliche" jener Dichtung bestehe, so implizieren seine Konsequenzen, daß dies „spezifisch Mittelalterliche" für jene Zeit auch das einzig bedeutungsvolle Künstlerische ist.

10

dem gegenwärtigen Stand der Forschung nicht zu erwarten, oder aber wir versuchen, diese Beobachtungen auch wissenschaftlich festzulegen und sie vielleicht sogar in einen Zusammenhang zu stellen, der nicht direkt und bewußt intendiert war. Dabei entscheiden wir uns dann für eine Auffassung, die in der Dichtung nicht nur das jeweils für Kunst Gehaltene und daher Erstrebte für das Künstlerische hält, sondern auch überzeitliche Kunstkriterien anerkennt und dazu unser heutiges Erleben alter Kunst nicht nur als für uns charakteristisch betrachtet, sondern überzeugt ist, dieses Erleben erschließe auch Züge, die dem Kunstwerk als solchem angehören. Kunsttheoretisch stehen wir dabei freilich auf schwankendem Boden, denn wir haben nicht mehr die Sicherheit der mittelalterlichen oder der klassizistischen Ästhetik, die zeitlose, absolute Kriterien zu besitzen glaubte. Wir halten auch als Historiker das andere, relativistische Extrem für fragwürdig, ein Kunstwerk sei das, was es uns bedeutet, und in dem Maße, in dem es uns bedeutsam ist. Die Entscheidung ist nicht kunstphilosophisch zu treffen, sondern durch feinfühliges und nüchternes Abwägen der E x treme, des Codebuchs und dessen, was wir im Vergleich mit anderer Lyrik für dichterischen Ausdruck zu halten gewöhnt sind. Die Einsicht in die Bauhüttengeheimnisse mittelalterlicher Dichtung wird die wichtigste Aufgabe der Forschung bleiben, sie ist von entscheidendem Wert "

D i e Relevanz einer solchen „naiven" Schau bestreitet — wenn wir aus der F o r schung der letzten Jahre eine bedeutende Untersuchung spätmittelalterlicher Spruchdichtung herausgreifen — K a r l Stackmann in seinem Buch über Heinrich von Mügeln. E r warnt vor „Fehlurteilen, wie sie beim Arbeiten mit modernen Kategorien entstehen können" (S. 6 3 ) , vor „bodenlosen Spekulationen": „Sie könnten um nichts näher an die Wahrheit heranführen als die Phantasien über das Aussehen des zukünftigen Hauses, zu denen der Anblick von Steinen und Sand, K a l k und Zement an einem unbebauten Platz den zufälligen, in die Entwürfe des Architekten nicht eingeweihten Spaziergänger locken mag" (S. 63). Wir bezweifeln die Allgemeingültigkeit dieses Axioms. Die Frage ist, welche Wahrheit wir suchen. Stackmann findet einen Weg im Studium der Entwürfe des Architekten, in des Dichters „eigenen Äußerungen über die Aufgabe des Dichters" (ebd.). Aber ist die Gestalt des Werks, um die es uns geht, je wesenseins mit dem theoretischen Bewußtsein des Dichters? Ist der Sdiluß von der Theorie auf die Gestalt, vom Bewußtseinsinhalt des Wollens auf Wesen und Bedeutung des Geschaffenen weniger problematisch als der Ubergang von einem in sich geschlossenen Sprachgebilde zu der beschreibenden und deutenden Sensibilität eines Interpreten? Bei beiden Übergriffen wird Wahrheit erkannt und viel Wahrheit verloren. Das Axiom des Historikers findet eine Teilwahrheit, denn die W a h r heit der dichterischen Gestalt übersteigt jene Bewußtheit um vieles (eine Einsicht, die bei der Behandlung moderner Dichter zum Gemeinplatz geworden ist). Das Axiom des Interpreten, nach dem in der Gestalt überzeitliche Prinzipien dichte-

il

für das Verständnis jener Kunst und ihrer Zeit. Daneben aber sollte auch eine bei allem Anerkennen „sentimentalischer" Bewußtheit wieder „naive" Schau in der Interpretation mittelalterlicher Kunstwerke Raum haben, die mit allgemeineren Kriterien die Fülle des Vorhandenen auf ihre Weise zu begreifen sucht und damit ebenfalls mittelalterliche Kunst begreift.19 Wir zitieren Walther vorwiegend nach der Ausgabe von LachmannKraus, schließen uns aber auch in manchen Fällen der Maurersdien Lesung an. Die Zeichensetzung folgt fast durchweg Maurer, der plastischer interpungiert. Frauenlob wird nadi Ettmüller oder Nagel zitiert, die Stellen aus dem Marienieich nach Pfannmüller. 20 Längenzeichen im mittelhochdeutschen Text wurden weggelassen, auch dann, wenn aus der Sekundärliteratur zitiert ist. In den Gedichttexten ist Hervorhebung durch besonderen Druck immer von mir.

î0

risdien Ausdrucks ermittelt werden können, findet ebenfalls eine Teilwahrheit, denn vieles bewußt Angelegte und historisch R e l a t i v e entgleitet. M a n müßte das Wechsel Verhältnis von R e l a t i v e m und Absolutem in beiden Ansätzen erkennen und nicht die R e l a t i v i t ä t der einen Gleichung als unbedingte W a h r h e i t einem wertlosen Anachronismus entgegenstellen. U m bei Stadimanns B i l d zu bleiben: D e r papierene B a u p l a n des Architekten ist von der Wirklichkeit des Hauses genau so wesensverschieden wie die Steine und der Zement. D e r moderne Interpret sieht aber nidit nur Steine und Zement, er sieht vor sich ein Haus. E r mag nicht wissen, von welcher B a u h ü t t e und mit welchen Werkzeugen es errichtet wurde, k e n n t auch die G e d a n k e n nicht, die der Baumeister beim B a u gedacht hatte — er sieht jedoch die F o r m e n der Struktur und kann ihren Ausdruck deuten, denn er h a t v o r sich zum Vergleich zahllose b e k a n n t e Häuser einer ganzen Stadt, die die Dichtung von fast drei Jahrtausenden verkörpert. D i e Gedichte Walthers von der Vogelweide, 11. Aufl., nach K a r l Lachmann hrsg. von C a r l von K r a u s ; D i e Lieder W a l t h e r s von der Vogelweide, hrsg. von Friedrich Maurer, 1. B ä n d c h e n : Die religiösen und die politischen Lieder, 2. A u f l . Tübingen 1 9 6 0 ; 2. B ä n d c h e n : Die Liebeslieder, 2 . Aufl. Tübingen 1 9 6 2 ; Heinrichs von Meissen des Frauenlobes Leiche, Sprüche, Streitgedichte und Lieder, erläutert und herausgegeben v o n Ludwig E t t m ü l l e r , Bibliothek der gesammten deutschen N a t i o n a l - L i t e r a t u r , B d . 16, Quedlinburg und Leipzig 1 8 4 3 ; Frauenlob. Ausgewählte Gedichte mit versgetreuen Übertragungen von B e r t N a g e l , H e i d e l berg 1 9 5 1 ; Ludwig P f a n n m ü l l e r , Frauenlobs Marienleidi, Quellen und F o r schungen 120, S t r a ß b u r g 1913.

12

WALTHER

ERSTER

LYRISCHE

TEIL

GRUNDRELATION I. Liebe

1 Under der linden an der heide, da unser zweier bette was, Da mugt ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras. Vor dem walde in einem tal, tandaradei, schone sane diu nahtegal. 2 Ich kam gegangen ruo der ouwe, do was min friedel komen e. Da wart ich enpfangen, here frouwe, daz ich bin saelic iemer me. Kust er mich? wol tusentstunt, tandaradei, seht wie rot mir ist der munt! 3 Do het er gemachet also riche von bluomen eine bettestat. Des wirt gelachet innecliche, kumt iemen an daz selbe pfat. Bi den rosen er wol mac, tandaradei, merken wa mirz houbet lac. 4 Daz er bi mir laege, wessez iemen (nu enwelle got!), so schämt ich midi. Wes er mit mir pflaege niemer niemen bevinde daz wan er unde ich, Und ein kleinez vogellin, tandaradei, daz mac wol getriuwe sin.1 1

Ladimann-Kraus 39,11; hier zitiert nadi Maurer Bd. 2, Nr. 68. (Die Druckfehler in Str. I, V. 7 („die nahtegal") und in Str. III, V. 7 („wa miri houbet lac"), die audi in der 2. Aufl. stehen, wurden allerdings korrigiert. 15

Das Ich als Motiv und Gestalt ist ein Brennpunkt der lyrischen Strahlung, hell anwesend in den meisten Gedichten Walthers, Partner, Gedanken und Dinge auf sich beziehend. Figur und Inhalt dieser Beziehung zwischen dem Ich und dem Andern sagt Wesentliches über die Eigenart der Walthersdien Lyrik. In Analogie zur Grundfigur des philosophischen Erkenntnisvorgangs, des Subjekt-Objektverhältnisses oder der „philosophischen Grundrelation", nennen wir diese poetische Figur „lyrische Grundrelation". Gewöhnlich ist die Gestalt, die in Gedichten als „Ich" redet, jene faszinierende Doppelheit von Dichter und Fiktion, von biographischer Identität mit dem, der manchmal seinen Namen nennt, und fiktiver Distanz zu einem Ich, das nur noch im Innenraum des Gedichts existiert, dort aber alle ins Gedicht gelegte und im Gedicht mögliche Subjektivität vertritt. 2 Im Normalfall weist das Ich zumindest in die Richtung des Dichters. In unserem „Rollenlied" läßt der Dichter ein Anderes sprechen, hier das Mädchen. Das rückt die Aussage in die Distanz epischer Erzählung, aber nicht völlig. Ein Spiel von Uberlagerungen dichterischer Intensitäten entsteht, das wir uns vergegenwärtigen wollen. Das Mädchen redet als Ich und erzählt sein vergangenes Erlebnis. Aber dieses Reden steht nicht frei wie im streng epischen Bericht; ein einfühlendes, miterlebendes männliches Ich ist schwebend gegenwärtig, erwünschtes oder gar erlebtes Glück durch das Ich des Mädchens erzählend. Der Zusammenklang von „Mädchenbeidite" und männlicher Sehnsucht und Erfüllung wird in den Innenraum des Gedichts herein%

16

Die Doppelheit von Bekenntnis und Fiktion mit allen Graden des Übergangs ist eine G r u n d f o r m lyrischer Ich-Aussage, zumal in der staufischen Lyrik, in der die höfisdien Spielregeln verlangten, daß gesellschaftsbezogene Minnefiktion und reales Empfinden untrennbar ineinander verwoben -werden. — Daß das „Ich" nicht eins ist mit der biographischen Realität des Dichters, betont C. v. Kraus in: Die Lieder Reimars des Alten, II, S. 3 f., audi in: Walther von der Vogelweide, Untersuchungen, Berlin und Leipzig 1935, S. I X f., führt dann aber jeweils die Punkte an, in denen Ubereinstimmung zwischen Aussage und Biographischem herrschen müsse. — Einen anderen Gesichtspunkt, das psychologisch-soziologisch zu interpretierende Ichbewußtsein des Menschen Walther von der Vogelweide, behandelt Alfred Mundhenk, Walthers Selbstbewußtsein, D V j S 37 (1963), S. 406—438. Der natürlichste G r u n d f ü r Walthers Selbstbewußtsein sei „das Wissen um das eigene Können und um seinen E r f o l g als Sänger" (S. 427). Einige Äußerungen beziehen sich audi auf die Gestalt, so etwa: „Es ist die K r a f t des Idi-sagens, die seine Gedichte auszeichnet. Zahlenmäßig ist das Pronomen ,idi' mit seinen obliquen Kasus das häufigste Wort bei Walther" (S. 412 f.).

genommen. Das uneigentliche Beteiligtsein des Dichter-Ich wird elegant verwirklicht durch den Anfang des Lieds, in dem das Ich noch schwebend unbestimmt bleibt. Das wird deutlich, wenn man, ohne Uberschrift und Anführungszeichen, einen Sänger so beginnen hört: Under der linden an der heide, da unser zweier bette was, Da mugt ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde g r a s . . .

Die ganze erste Strophe bleibt unbestimmt, audi der Anfang der zweiten: Ich kam gegangen zuo der ouwe, do was min friedel komen e . . .

„Friedet" deutet auf den männlichen Partner. Die nächste Zeile: „ D a wart idi enpfangen, here frouwe" könnte noch doppeldeutig sein, mit dem folgenden Vers aber ist der Schwebezustand aufgehoben: „Kust er mich? wohl t u s e n t s t u n t . . D i e s e Überlagerung ist eine ausdrucksvolle Form der Gegenseitigkeit. Was der Liebende ersehnt oder was ihm geschenkt ist, erzählt die Liebste spontan als eigenes Glück. Sie kommt seinem Sehnen entgegen oder kommt seinem Bekennen zuvor, und doch ganz unabhängig nur sie selbst.3 Gegenseitigkeit in Ideal und Wirklichkeit der Liebe, des Herrendienstes, der politischen Forderung, der kirchlichen Funktionen, ja des Verhältnisses zu Gott ist im Inhaltlichen immer wieder herausgestellt worden als Grundelement Walthersdier Forderung und Lebensgestaltung, eine Balance von Hingabe und Bewahrung im ausgewogenen Verhältnis von Ich und Welt. Uns geht es darum, die Gegenseitigkeit und Ausgewogenheit von Erlebniszentrum und Partner in Mustern der Gestaltung zu sehen. Die objektivierende epische Distanz unseres Rollengedichtes wird, außer durch die Gegenseitigkeit von Ich und Du, überspielt durch die lyrische Gegenwart der Rede. Hier und jetzt spricht ein Mädchen. In ein paar Versen wird spielerisch diese Gegenwart der Rede und die fiktive Gegenwart der Zuhörer festgelegt: „ D a mugt ir v i n d e n . . „seht wie rot mir ist der munt!" In diese Gegenwart hinein klingt als wesentliche Zeitschidit die Vergangenheit ihres Erlebnisses und, tändelnd und keusch in Furcht und Freude, ein Element der Zukunft: „ D a mugt ir vinden . . u n d : „Des wirt gelachet innecliche, / kumt iemen an daz selbe pfat. / Bi den rosen er wol m a c . . . merken.. 17 2

S i a e f e r , Walther von der Vogelweide

und in Verknüpfung von vergangenem Erlebnis und süßer Furcht und Hoffnung für Gegenwart und Zukunft die letzte Strophe.4 Das elegante Zusammenspiel der Zeitsdiichten - erinnerte und erzählte Vergangenheit, erzählende, ans Publikum sich richtende Gegenwart und erwartete Zukunft - trägt bei zu der einfachen, lebendigen Plastizität des lyrischen Vorgangs in unserem Lied. Dieser seelisdie Dreiklang ist ja der Grundakkord allen Empfindens.5 Dabei trägt die erinnerte Vergangenheit des Liebesgeschehens die stärkste Intensität, sie überströmt die schlanken Pfeiler angedeuteter Gegenwart und wird in der Erinnerung Gegenwart, indem die intensive Gegenwär-

3

18

Zum Rollenlied vgl. Julius Wiegand, Zur lyrischen Kunst Walthers, Klopstocks und Goethes, Tübingen 1956, S. 3 0 : „. . . (schwache) Episierung" . . . „Rolle, Rückschau und die Ichform"; audi Wapnewskis Interpretation von 74,20, S. 123 (s. unsere A n m . 45 zu diesem Kapitel): „wie . . . das nicht minder .deutliche' ,Under der linden' durch die episch-zeitliche Distanz gedämpft und verklärt wird . . . " . Wolfgang Mohr, Minnesang als Gesellschaftskunst, Deutschunterr. 6, H . 5 (1954) (neu abgedruckt in: D e r deutsche Minnesang, hrsg. v. H . F r o m m , S. 197—228), weist S. 97 f. auf die Doppelheit von episch geschlossenem R a h m e n der dargestellten R o l l e und Publikumsbezogenheit des Bekenntnisses h i n : Man spürt, „wie die Scheidewand zwischen dem Sänger in seiner R o l l e und dem H ö r e r dünn wird. D i e späteren Entwicklungen dieses objektiven Typs spielen immer m e h r mit dem Reiz, die Scheidewand so zerbrechlich wie möglich zu machen; Waither tut es z . B . in seinem MädchenBekenntnis ,Under der l i n d e n ' . . . " . Wir müssen folgendes bedenken: N u r in rein epischer Situation wäre das Mädchen ganz es selbst. (Denn wenn ein E r zähler das Publikum anredet, rückt das die Erzählung nicht näher, sondern erzielt im Gegenteil im Näherkommen zum Publikum zumeist größere D i stanz zum Erzählten.) Wenn aber in der ungebrochenen lyrischen Situation ohne epischen R a h m e n (auch ohne die in neuzeitlicher Leselyrik die F u n k t i o n des epischen Rahmens übernehmenden Titel, wie etwa in Mörikes Rollenlied „Das verlassene Mägdlein") ein Ich als Mädchen zum Publikum redet, so ist dies Reden volle, direkte lyrische Gegenwart. D a es jedoch keine lyrische Gegenwart ohne die Vergegenwärtigungskraft eines Dichter-Ich gibt, k o m m e n sich das männliche Ich und das des Mädchens nahe. (Wenn man als Gegenprobe die vergegenwärtigende und gegenwärtige Ich-Intensität des Dichters wegdenkt oder „wegfühlt", so bleibt nur das epische „Ein Mädchen erzählt", das aber ohne irgendeinen epischen Rahmen nicht möglich ist.) Man darf den Begriff des „Rollenlieds" nicht starr handhaben, er u m f a ß t die verschiedensten Grade lyrischer Vergegenwärtigung und somit der Beziehung zwischen Dichter-Ich (oder überhaupt dem sagenden Repräsentanten lyrischer Gegenwart) und dem Rollen-Ich, dem Träger epischer Situation. Ein Rollenlied steht nicht, wie man oft hört, episch frei; wie abhängig es ist, wird von vielen Faktoren b e s t i m m t : etwa von der Weise, wie sich das Rollenlied als solches ausweist und wie lange der lyrische Vorgang vorher in der Schwebe bleibt, dann von der N ä h e des Publikums, auch v o m Inhalt, wie intensiv er dem Empfinden eines Partners Ausdruck gibt. Mohr weist a.a.O. S. 98 auf mögliche Gegenwart des Dichter-Ich

tigkeit, mit der die Vereinigung einst erlebt wurde, das Vergangensein übertönt. Die Erfüllung solch kostbarer Gegenwart, eines Erlebnisses hier und jetzt, Pfeiler reicher gegenwärtiger Existenz: das ist ein Merkmal der Waltherschen Szenen- und Menschengestaltung.® Kein bloß realistisches Nur-Hier, Nur-Jetzt, Nur-So: Die stilisierten, überpersönlichen Motive der Heide, Blumen und Nachtigall, des

in zwei Kürenberger-Strophen hin, in M F 8,1, »in der er die Fraue bekennen läßt, daß sie von dem Gesang ,in Kürenberges wise* betroffen worden sei"; audi fluktuiert am Ende der Strophe MF 10,17 das Idi zwischen Rolle und Sänger: „als ich daran gedenke, so stet wol hohe min m u o t . " Mohr a . a . O . : „ D a s frühe deutsche Liebeslied scheidet die erzählende Einkleidung ganz oder so gut wie ganz aus und läßt seine Gestalten frei aus der Situation sprechen, d. h. es strebt eine streng lyrische Sagweise an." — Die Gegenseitigkeit unseres Lieds deutet auch Friedrich N e u m a n n an (Walther von der Vogelweide ,Under der linden', in: Die deutsche Lyrik, Bd. I, hrsg. von Benno v. Wiese, S. 71—77, hier S. 72): „Nicht spricht ein Mann, sondern aus Mannes Sicht ein weibliches Wesen"; das Gedicht ist „die vom Sänger erträumte Erinnerung einer Frau". 4 Eine der schönsten Beschreibungen gibt Burdachs Jugendwerk „Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide", 2. Aufl., S. 15 f. Knapp angedeutet werden die Beziehung von N a t u r und Erlebnis, das Verhältnis von ruhiger Erzählung und Erinnerung, das Abschweifen ins Nebensächliche („wie um sich selbst zu beruhigen, zur Fassung herabzustimmen", meint Burdadi), der Ausgleich zwischen Erzählung und Selbstgespräch, und, wichtig f ü r unseren Zusammenhang, „die Ausgleichung . . . zwischen beriditeter Vergangenheit und wieder durchlebter G e g e n w a r t . . . " . 5 Wir verstehen darunter kein generelles, formelhaft-flächiges Umfassen des ganzen Lebens mit Jugend und Alter, wie häufig im Minnesang (vgl. Reinmar, M F 172,11; dazu Furstner im Kapitel über die Zeitstruktur der Minne a.a.O. S. 170). Zwar nicht den Zeitdreiklang, aber auf andere Weise realistisches Zeitbewußtsein und -erleben zeigt Mohr auf (Wolframs Tagelieder, in: Festschrift für P. Kluckhohn und H . Schneider, S. 148—165, hier S. 156): „Die Stimme der Fraue hebt sich aus der Verschwommenheit des Traumes heraus, die Worte des Wächters kennzeichnet Wachheit. Zeichen der Wachheit ist vor allem eine unverschwommene Zeitvorstellung . . . Dem traumhaft undeutlichen Immerdar und Immer-wieder der liebenden Frau setzen die Wäditerstrophen ihr J e t z t des Tagesanbruchs entgegen . . . " . Hermann J . Weigand, Die epischen Zeitverhältnisse in den Graldichtungen Chrestiens und Wolframs, P M L A 53 (1938), S. 917—950, weist auf das eindeutige, wenn audi nicht erlebte und erlebbare, sondern errechnete Zeitgefüge in Wolframs Parzival hin. Beides, klare Zeitvorstellung als psychologisch realistisches Zeichen der Wachheit in den Tageliedern und als reale Klarheit der Zeitkontur im Parzival, sind Merkmale klassischer Bewußtheit, wie ja, von anderen, nicht psychologischen Voraussetzungen ausgehend, die Vorstellung der „apollinischen" Traumklarheit ganz Ähnliches besagt. * Vgl. Burdachs Bemerkungen in: Walther v o n der Vogelweide, Bd. I, Leipzig 1900, S. 36.

19 2·

stereotypen Vorgangs der Liebe spielen das Ganze wie bei aller Minnediditung ins Zerfließend-Allgemeine, sich Wiederholende, ins ideale Überall und Nirgends des „locus amoenus". Dodi ist es entscheidend, daß Walther in diesem Allgemeinen ein Element plastischer Gegenwart wagt. 7 Wie durch den ambivalenten Anfang das Ich des Dichters und das Mädchen-Ich ineinanderklingen, wie nicht sofort eindeutige Personkonturen hingestellt werden (wenn dann auch im Verlauf in einfacher Klarheit die Personen sich identifizieren), so wird das Liebesgeschehen selbst, so glasklar und offen es ist, nicht direkt hinerzählt, sondern in Überlagerung von Bild und Geschehen, von Aussage und Frage, in Spiegelung an Publikum und Szenerie im erwarteten zukünftigen Echo filigranleicht umspielt, nicht schlüpfrig verhüllend, sondern heiter und keusch.8 Szene und Vorgang der Liebe werden zunächst ganz von der Landschaft getragen. Der erste Hauptsatz lautet: „Under der linden an der heide . . . da mugt ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras." Die Blumen und das Grün, dem Sinn nach auf das Lager bezogen, sind noch Teil der Natur, das Motiv des Liebeslagers aber ist leicht und fast beiläufig in den Nebensatz gestellt: „Under der linden an der heide, da unser zweier bette was, da mugt i r . . . " . Der Rest der Strophe enthält Landschaft und Vogelsang. Die zweite Strophe bringt dann im Hauptsatz die Personen, die hineinschreiten in die Naturszene. Das Vorspiel, der Empfang, wird direkt geschildert: „Da wart ich enpfangen...", aber die Wirkung spiegelt sich in der Weite der Gegenwart: „daz ich bin saelic iemer me". Das Detail dieses Empfangs wird durch die Frage an die Zuhörer wieder herausgefangen aus der direkten Szene: „Kust er mich?", die Intensivierung „wol tusentstunt" als Antwort dazugespielt, auf derselben Ebene; so wird das geradlinige „Er küßte midi wohl tausendmal" zu Filigran, weiterhin der Schwere seines bloßen Vorgangscharakters beraubt durch die Hinkehr zu der Gegenwart und zum Publikum: „Seht wie rot mir ist der munt!" 7

8

20

Zur Typik des Natureingangs u n d Walthers Gegenstandsnähe vgl. Ludwig Schneider, Die Naturdichtung des deutschen Minnesangs, Berlin 1938, S. 27 ff.; für Walther speziell S. 53 ff., dort auch Hinweis auf P. Wigand, Der Stil Walthers von der Vogelweide, 1879. S. 57 erwähnt Schneider das realistische Blumenbrechen und die Anordnung der typischen Motive zu einer Landschaft. Im verwandten Lied 74,20 „Nemt, frowe, disen kränz" wird, in ähnlichem Umspielen, die Klarheit der Handlung mit dem Schleier des Traums überdeckt.

Die Vorbereitungen gehen weiter in Strophe III, aber wieder wird direkt nur das von der N a tur szene übergriff ene Blumenbett genannt: „ D o het er gemadiet also ridie / von bluomen eine bettestat", selbst das distanzierend in die Vorvergangenheit gerückt. Aber sogleich wird das Gewicht wieder von der Szene genommen, ins Neckische und Allgemeine gewendet hin zu irgendwann vorbeikommenden Wanderern; das Bett ist leer. Die Gegenwart der Liebesvereinigung selbst ist ausgespart. Der Liebesvorgang wird weiter angedeutet durch das Natur- und Liebesmotiv der Rosen: nur das Haupt mit den Blumen, dieses Motiv getragen von der schon vorausgegangenen Vorstellung des Wanderers, der später vorbeikommen mag: „Bi den rosen er wol mac, / tandaradei, / merken wa mirz houbet lac." Die beiden zentralen „ D a z er bi mir laege" und „Wes er mit mir pflaege" sind wieder, in Strophe IV, in Nebensätze gerückt. Der erste wird vom Hauptsatz durch einen weiteren Nebensatz und einen parenthetischen Einschub zögernd getrennt: „Daß er bei mir war, wüßte es jemand (das verhüte Gott!),so schämte ichmich." (Dieverschränkte und doch schlichte Syntax zeichnet wundervoll den seelischen Vorgang nach: zuerst elementar des Liebsten Nahesein, dann konditional der störende Gedanke an die indiskreten Andern, rasch eingefügt der Wunsch „Gott möge das verhüten!" - und dann die Scham. Verhüllend und dodi Spannung schaffend wird der Abschluß des Gedankens und des Satzes hinausgezögert.) Der zweite der Parallelsätze ist in antwortender Steigerung auf den ersten bezogen: „Wes er mit mir p f l a e g e . . . " (die größere liebende Nähe erfüllt sich durch die völlige Gleichtönigkeit hindurch: daz er — wes er, bi mir - mit mir, laege — pflaege, ein aufflammendes Crescendo innerhalb der Ruhe). So wird denn dieser zweite gesteigerte Nebensatz, der das Liebesgeschehen trägt, von einem weit ausladenden Hauptsatz abgefangen, in zweifacher Negation die Zukunft eröffnet für die Bewahrung des Geheimnisses der beiden, das pathetische „niemer niemen" aber wieder lieblich gelöst durch das Vöglein: spielerisch-pikant und doch schamhaft und keusch wird die Aufmerksamkeit weggelenkt hin zu diesem „Außenstehenden", der das Geheimnis mit sich fortträgt und die Intensität des Vorgangs überspielt. Leise verhüllendes Zögern, das seelisch und gestalterisch der Spannung im jubelnden Verkünden entspricht, ist ein Hauptmerkmal der inneren Form dieses Gedichts. Freudige Ungeduld und Sdiam des Bekenntnisses, psychisch zutiefst eins, drücken sich im Hinauszögern des 21

Folgenden und des abgeschlossenen Ganzen auf verschiedenen Ebenen der Gestaltung aus. Zu dem bisher Erwähnten kommen einige Eigenschaften der Form. Einmal das Verhältnis von Metrum und Syntax. Ob wir das kurzzeilige Schema ansetzen (wie etwa Lachmann-Kraus) oder die längeren, binnenreimenden Zeilen der Maurerschen Ausgabe: in beiden Metren stellt sidi die Strophengeometrie einem ungehemmten Fluß der Sprache entgegen. Im schlanken Metrum bei LachmannKraus verzögern die Kurzzeilen in allen Strophen den syntaktischen Abschluß; immer wieder muß die Sprache über die Verswand und deren Reimwort hinausgreifen, um schließlich zum Ziel zu gelangen. Der Inhalt des Einzelverses ist jeweils nur ein kleiner Schritt hin zu diesem Ziel. Dadurch wird beides betont, Hindern und Strömen: das Strömen der Sprache über die retardierenden Versgrenzen hinweg. Auch bei Maurers Schreibung wird durch die Binnenreime eine ähnliche Wirkung erreicht. Metrisches Zögern im Strömen der Sprache sehen wir besonders deutlich in den vier ausdrucksstarken Enjambements des Lieds. 9 Jedesmal enthüllt da die zweite Zeile das Ziel des Satzes, das Objekt oder das Verb mit Objekt: D a mugt ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras,

wobei die Brücke der b-Alliteration melodisch das drängende Uberspielen der hinhaltenden Versgrenze begleitet, dann: D o het er gemachet also riche von bluomen eine bettestat,

mit dem Objekt, dem Liebeslager, ganz am Ende des enjambierenden Satzes, und, hier wieder mit Alliteration zwischen Versende und Versanfang: Bi den rosen er wol mac, tandaradei, merken wa mirz houbet lac,

wobei die Vollendung des im ersten Verse begonnenen Gedankens außer durch das Enjambement audi durch den Refrain hinausgezögert

• Im Metrum der Lachmann-Kraussdien Ausgabe wären es natürlich mehr Enjambements.

22

wird, in harter Trennung von Hilfsverb und Infinitiv, und schließlich: Wes er mit mir pflaege

niemer niemen

b e v i n d e d a z wan er unde i d i . . . ,

in pathetischer Hemmung des Satzes durch die Trennung des Verbs von der doppelten Negation. In der dritten Strophe steht der Refrain im Enjambement, es vertiefend und musikalisch überspielend. Aber auch in den anderen Strophen ist er von großer Ausdruckskraft. Was immer sein Inhalt sei, jubelnder Ausruf oder Nachahmung des Vogellieds, 10 in der Struktur des Gedichts bedeutet er die schönste Verwirklichung jener Neigung zu schwebender Verhaltenheit und zu frohem Hindrängen zu dem noch Vorenthaltenen. Für Augenblicke werden Vorgang und Bekennen unterbrochen von reiner Musik: jubelnder Ausruf und erinnerndes Zögern, die innerhalb des Redens zu den Andern ganz allein dem Mädchen und seinem Empfinden gehören. Ein weiteres Beispiel organischer Uberlagerung, das die Gestaltung des Verhältnisses zwisdien dem lyrisdien Idi und dem Partner und seiner Umwelt zeigt, ist das Verhältnis von Ruhe und Bewegung. 11 Beide klingen zusammen zur ruhig-bewegten Gestalt, der Naturszene oder des Menschen oder, wie so oft bei Walther, der Menschengestalt in der Natur. 1 2 Zur Ruhe gehören Dauer, Zustand, Sein; zur Bewegung Erscheinung, Wechsel, Werden und Vergehen. Mit einem Naturbild setzt das Lied ein; in Ruhe gegeben ist das Bild des Lagers, das das Menschliche sogleich in die Natur hineinträgt. 10

11

Ein Überblick über die verschiedenen Interpretationen des „tandaradei" findet sich bei Karl Helm, PBB 77 (1955), S. 252 f.: bedeutungsloser Refrain (Paul im Glossar seiner Ausgabe), Jubelruf, aber auch Nachahmung der Nachtigall (Wackernagel, Kraus, Unters. S. 132, Neumann in: Die deutsche Lyrik I, S. 72). Wohin die Phantasie sich jedoch verirren kann, zeigt folgende Erklärung, die Helm referiert: Es handle sich um eine deutsch-englisch-lateinische Sprachmischung (tand are drei: Tand sind die Götter)! Wir können auf die bekannten Stellungnahmen der Gelehrten, Künstler und Dichter (etwa die Goethes und Friedrich Schlegels) zu diesem für klassische Kunst entscheidenden Begriffspaar nicht eingehen und zitieren nur eine berühmte Betrachtung. In Stifters Nachsommer erklärt der Vater dem Sohn Heinrich seine Bilder: „Er zeigte uns, wenn wir spazieren gingen, die Wirkungen von Licht und Schatten, er nannte uns die Farben, welche sich an den Gegenständen befanden, und erklärte uns die Linien, welche Bewegung verursachten, in welcher Bewegung doch wieder eine Ruhe herrsche, und Ruhe in Bewegung sei die Bedingung eines jeden Kunstwerkes." Adalbert Stifter, Der Nachsommer, hrsg. von Max Stefl, Augsburg 1954, S. 12.

23

Da sind Gras und Blumen gebrochen; menschliches Handeln klingt in dem Partizip nach, die Bewegung der Liebesvorbereitung in der Ruhe des Bildes. Die Bewegung wird unterstützt durch das potentielle „Finden". Der Raum der Natur, ruhig sich weitend („vor dem walde in einem tal") trägt als Dauer und Geschehen den Gesang der Nachtigall. Hinein in die Natur kommen Menschen. Das Mädchen bewegt sich zur Aue, der Geliebte war vorausgegangen, in der Ruhe seines Wartens klingt nach die Bewegung seines Gekommenseins. Die Bewegung des Empfangens wird überspielt vom Zustand dauernder Seligkeit, das Küssen von der Beschreibung des roten Munds. Die Ruhe des Lagers trägt in sidi das Bereitetsein aus Blumen und wird überspielt von der Initiative des Daherkommens, Findens und Lachens der Fremden. Bei der Ruhe des „bi mir ligennes" steht die Dynamik des „mit mir pflegennes". So klingt in den Bildern der Ruhe, in der Natur, im Wesen der Menschen und am innigsten im Lager der Liebesvereinigung die schaffende und ändernde Bewegung mit. Bilder und Zustände werden durchwebt von Vorgang und Verlauf, die Landschaft wird von zwei Menschen besucht, die Natur trägt diese Menschen und läßt ihr Bild von ihnen verändern, das Gesetz der Liebe wird im Vorgang Wirklichkeit. Die Natur wird gestaltet wie vom menschlichen Vorgang aus so audi von der menschlichen Schau her, in der ersten Strophe perspektivisch von der Nähe zur Ferne: Linde auf der Heide vor ei12

W. Ganzenmüller, Das Naturgefühl im Mittelalter, Leipzig und Berlin 1914, S. 283 erwähnt das Ineinander von Natureingang und Liebesvorgang: „Der Natur wird hier durchaus ihr Recht; sie erscheint nicht zum Spiegel subjektiven Gefühls h e r a b g e d r ü c k t . . L u d w i g Schneider, Die Naturdichtung des deutschen Minnesangs, gibt S. 11 ff. einen guten kritischen Literaturbericht und weist auf einen typischen methodischen Lapsus hin: manche Untersuchungen zögen allzu vorschnell Parallelen zwischen der dichterischen Gestalt (der Naturdichtung) und der psychologisch realen Auffassung (deim Naturgefühl) des Dichters. Zu unserem Lied Schneider S. 15: nach mittellateinischem Muster typische Landschaft (uns kümmert das nicht, wir betrachten nur das Vorhandene und seine Entfaltung). Zum Menschen in der Natur vgl. Schneider S. 61. — Auch Burdach, Walther I findet in der Dichtung den Dichter, er beschreibt nicht die Gestaltung des Menschen in der Natur, sondern das Verhältnis des Dichters zu ihr; so S. 108: „Aus Natur und Menschenseele hört Walther denselben Laut von Trauer und Freude, spürt er denselben Hauch des Lebens." Wenn Burdach auch Walther zu sehr auf Goethe hinstilisiert (er drückt das selbst S. 114 f. aus, mit Abgrenzung S. 115), so ist doch seine Feststellung über Mensch und Natur zutreffend. (Die Verzeichnung beider Dichter wird allerdings deutlich in: Der mythische und der geschichtliche Walther, Vorspiel I, Halle 1925, 334—400, hier S. 339, etwa: „Beide sind ja sonntägliche Menschen, beide naive Naturkinder der Poesie . . . " . )

24

nem Wald in einem Tal; man sieht die nahen Details des Bettes mit Blumen und Gras, dann hört man die Nachtigall. Menschlicher Vorgang und menschliche Gestalt vermögen die Umwelt auf sich zu beziehen, aber diese Umwelt nicht nur als Cliché, sondern als Welt, die für sich selbst Kontur gewinnt und auch den Menschen, ihn tragend, in sich aufnimmt. Diese Gegenseitigkeit im Gleichgewicht des Sichöffnens und Sichbewahrens von Natur und Mensch sehen wir schön verwirklicht in unserem Lied. 13 Die wichtigste Figur der Gegenseitigkeit ist in einem Liebesgedicht freilich nicht die Beziehung von Mensdi und Natur, sondern die der Liebenden zueinander. Wir nehmen den Begriff der „lyrischen Grundrelation" wieder auf, der immer latent anwesend war, da ja alles bisher Gesagte sich auf das Verhältnis des lyrischen Ich zu den anderen Personen, Gedanken und Dingen bezog. Dabei betrachten wir die Gestaltung der direkten Beziehung der Motive „Ich" und „Er". Eine eigentliche Ich-Du-Relation gibt es hier nicht, die direkte Anrede gilt dem Publikum,14 dessen Anwesenheit die erwähnte vordergründige Gegenwart schafft und beiträgt zu der oft beschriebenen charmanten Ambivalenz des öffentlichen Nennens eines behüteten Geheimnisses, die ein besonderes Charakteristikum der höfischen Liebeslyrik ist. 15 13

14

Wiegand meint a. a. O. S. 31, in dem Lied überwögen die Gefühlsäußerungen die Gegenständlichkeit. Das Gefühl wird jedoch durch eine erlebte Szene ausgedrückt, die als solche, nicht nur als Erlebnisfetzen, Eigengewicht gewinnt (was bloß „erlebte" Gegenständlichkeit ist, die durch den Filter der Psyche entdinglicht und dem Ich anverwandelt wird, sehen wir im modernen Roman). Gegenständliche Welt, der die Natur erlebende Mensch und schließlich die jene Begegnung erinnernde Intensität der Empfindung, gleichsam als neue Begegnung mit der Szene, sind ausgewogen, in der Szene Mensch und Natur, in der Erinnerung Szene und Gefühl. Hennig Brinkmann, Diesseitsstimmung im Mittelalter, DVjS 2 (1924), 721—752, hier S. 743 f. schließt sich, gegen G. Müller DVjS 1, S. 74 f., Ganzenmüller an, der schon bei der Vagantendichtung den Eigenwert der Natur als Gegenüber des Menschen betont. Auch Ganzenmüller deutet a. a. O. auf das jeweilige Sidibewahren und wechselseitige Sichöffnen von menschlichem Gefühl und Naturgefühl, Menschengestalt und Naturbild. Audi im Hinblick auf später zu Erörterndes referieren wir einige Möglichkeiten des Verhältnisses von Ich und Publikum. Mohr, Minnesang als Gesellschaftskunst, vor allem S. 93 ff. und S. 98 ff. zeigt die verschiedenen Grade des Publikumsbezugs. Die Frühen dichten nodi in der Rolle; Hausen redet gern als Ich, aber reflektierend ohne Du und Ihr, redet also weder die Frau noch das Publikum an; ebenso Reinmar. Während die Frau bei vielen zur fernen Idee wird, geht die Distanz zu den Hörern trotz fehlender direkter Anrede immer mehr verloren. Bei Morungen fallen die Schränken. „Er begreift sowohl die Fraue wie die Gesellschaft in das Spiel ein und gewinnt so eine neue Weite und Freiheit des Gegenübers." Walther verbindet alle Formen in überlegener

25

(Das Geheimnis wird ja nicht nur einem lesenden oder hörenden Publikum mitgeteilt - das ist das Paradox alles dichterischen Enthüllens von Geheimnissen — sondern das Publikum wird durch die Anrede als Fiktion in den Innenraum des Gedichts hereingenommen.) Der Partner erscheint in der dritten Person, wird aber durch Inhalt und Form der Gegenseitigkeit eng mit dem Ich verknüpft, so daß das Gefühl der Nähe entsteht ähnlich einer direkten Idi-Du-Relation. Die erste Strophe stellt die Partner in inniger Vereinigung vor, in der ersten Person des Plural. Höhepunkt und Ziel des Gedichts klingen voraus, das Nennen und Fühlen zweier Menschen in einem Wort. Dies Wort („unser") steht stellvertretend für das Geschehen und Empfinden im Gedicht und wird audi nicht mehr wiederholt. In den übrigen Zeilen sind die Personen getrennt, jede wird für sich Gestalt; ihr Zueinander ist keine hektische Liebesmystik, unter dem Bogen des „Wir" stehen

15

26

Freiheit. Möhrs Interpretation des Lieds 65,33 vom Halmmessen (S. 102 f.) schließt m i t den Sätzen: „Trotz der F o r m ist die Distanz aufgehoben, weil sie als Spiel durchsichtig wurde. Alle überlieferten F o r m e n werden bei Walther zweideutig. D a er sich in seiner Ich-Aussage selbst ironisierte, wird audi die Distanz zu den H ö r e r n ironisch." Dieses freie Spiel ist jedodi kein auflösendes Jongleurwesen, keine bodenlose Ironie der Formen und des Idi; Distanz und K o n t a k t werden transparent, verwirklichen sich jedodi zugleidi, Hingabe und Bewahrung überlagern einander in Spiel und E r n s t ; die Gesellschaft wie das jeweilige D u werden in Formen und Gehalten als kostbares Anderes u m w o r ben wie audi überlegen distanziert. M o h r S. 106: „Die Pointe ist auch hier mehr als ein übermütiges Sdilußornament. Wie immer, wenn Walther auf Spielmannsweise den N a r r e n . . . zu spielen scheint, wahrt er auch hier seine menschliche Würde jenseits aller Standesgrenzen . . . D e r Sänger geht in seiner mimischen Spielfreude weit, aber allenthalben ist sittlicher Ernst mit im Spiel." — B e r ü h m t ist Burdachs Formulierung, R e i n m a r und W a l t h e r S. 2 9 : „Nirgends isolirt sidi die Individualität des Dichters, nirgends trennt sie sich von dem Publikum." Vgl. audi Brinkmann, Wesen und Form S. 18, und zum „Du" oder „ I h r " Mundhenk, Walthers Selbstbewußtsein, D V j S 37 (1963), S. 415. Mohr, Gesellschaftskunst S. 93: „Die Gesellschaft verlangt, daß der Ritter als Minnender kenntlich sei und daß er dodi geheimhalte, wem sein Minnen gilt und wie weit er es gebracht hat. Diese Spannung zwischen Offenbaren und Verschweigen bestimmt auch die Form des Minneliedes. Im Grunde hat es damit die fruchtbare und gültige Form der Liebeslyrik schlechthin entdeckt, denn sie ermöglicht es, das Erlebnis zu objektivieren." Und Helmut de Boor, Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang (Geschichte der deutschen Literatur, 2 . B d . , 4. Aufl., München 1960), S . 2 1 8 : „Das zarteste, ursprünglichst ichhafte Erlebnis der Liebe, die sorglich gehütete .heimliche Liebe', wird im Minnesang zu einem gesellschaftlichen Begebnis. Diese erregende Antinomie, diese Öffentlichkeit des Geheimsten gehört zu Wesen und Reiz des Minnesangs. W i r können ihn nur verstehen, wenn wir uns in diese Antinomie einleben."

„ I c h " u n d „ E r " nicht n u r g r a m m a t i k a l i s c h g e t r e n n t . S o u v e r ä n schaltet das M ä d c h e n als erzählerisches Ich, das schon in seiner E r z ä h l e r f u n k tion G e s t a l t g e w i n n t , v e r s c h ä m t u n d s t o l z , in s t r ö m e n d e m d o c h m a ß v o l l e m Glück, in T o n u n d H a l t u n g r u h i g e K l a r h e i t b e w a h r e n d in d e r I n n i g k e i t d e r g a n z e n H i n g a b e . 1 6 E i n M e n s c h stellt sich d a r , d e r als Mädchen

den

Gruß

„here

frouwe"17

verdient,

keine

orientalische

S k l a v i n , s o n d e r n eine F r a u , die sich als reiche G e s t a l t schenkt. D o c h auch d e r P a r t n e r w i r d nicht in m a ß l o s e m S i c h v e r s t r ö m e n gez e i g t , s o n d e r n e n t s t e h t als sicher h a n d e l n d e F i g u r ; nicht d u r c h realistische D e t a i l s , a b e r d u r c h die k n a p p e K l a r h e i t d e r S ä t z e , m i t denen seine H a n d l u n g e n beschrieben sind. D i e r u h i g e F e s t i g k e i t d e r G e s t a l t e n steht u n d g e h t a u f i m Z u e i n a n d e r d e r V e r e i n i g u n g . W e i c h e M e l o d i k u n d feste K o n t u r der S p r a c h e begleiten diese S y n t h e s e . O h n e d a r ü b e r z u t h e o r e t i s i e r e n ( u n d auch d a s t u n die P a r t n e r , w i e viele G e d i c h t e W a l t h e r s z e i g e n ) , d r ü c k t allein d u r c h die G e s t a l t u n g dieses G e d i c h t jene k r a f t v o l l e S y n t h e s e v o n H i n g a b e u n d B e w a h r u n g aus, die f ü r 16

17

Wiegand S. 31 bezieht sich auf Scherers bekannten Einwand, ein solches Mädchen erzähle sein Erleben nicht, und hält das Lied für inneres Alleingespräch mit bloß vorgestelltem Publikum: „Sein Herz ist so übervoll, daß es sein Glück hinausschreien möchte. Es ist so überheblich stolz auf den Geliebten, daß es im Geiste Bekannte sieht. . S o w o h l Scherers Einwand wie Wiegands Gegenargument verkennen das Wesen der Fiktionalität dieses Publikums. Das Publikum ist da, gegenwartschaffend als Empfänger des Bekenntnisses, nicht nur modern psychologisch als Projektion des Innern, dabei braucht man sich andererseits das Mädchen nicht in der Spinnstube vorzustellen, wo es vor neugierigen Mägden von seinem Abenteuer erzählt. Der Ausruf „here frouwe" hat verschiedene Deutungen erfahren; vgl. die Walther-Ausgabe von Wilmanns-Michels, Bd. II, S. 177 ff. Lachmann und Wilmanns hörten einen prädikativen Zusatz „als hehre Frau" (widerlegt von Pfeiffer, Germ. 5, S. 41). Pfeiffer und nach ihm andere halten die Worte für einen Ausruf, aber audi für Mischung von Ausruf und Anruf der heiligen Jungfrau, so Kraus, Unters., S. 131 f., audi Wiegand a . a . O . Roethe, ZfdA 57, S. 132 hält die Wendung ausschließlich für Zitat der Anrede des Mädchens durdi den Geliebten, so Midieis, auch Neumann, Die deutsche Lyrik I, S. 73. Gegen diese Auffassung äußert sidi Brinkmann, PBB 63 (1939), S. 359 f. (Sein Argument überzeugt nicht. Wenn die andern Verse an dieser Stelle nur beschreiben, also keinen Ausruf haben, so muß das dodi nicht für jeden Vers gelten.) Im übrigen ist es jedoch kaum möglich, zu einer eindeutigen Entscheidung zu gelangen. Die Bedenken von Kraus' a.a.O.: „ . . . da komme idi nicht darüber hinweg, daß das, was das Mädchen für immer (iemer me) glücklich gemacht hat, dodi nidit der Empfang mit den Worten .gnädiges Fräulein' gewesen sein kann, sondern nur der stürmische Empfang mit den tausend Küssen, die zu jener vornehmen Anrede wenig passen . . ." erscheinen mir zu eng kausallogisch. Die Anrede ist spielerisch-ernst; durdi das Einbeziehen des Mädchens in die Sphäre, die sonst nur der „frouwe" vorbehalten war, wird die Geliebte geehrt und beglückt; nicht die

27

Walthers dichterische Haltung so wesentlich ist: kein nur dynamisches Ineinanderaufgehen, sondern in der Vereinigung die stolze Bewahrung individueller Gestalt. 18 Diese Entsprechung berührt sich mit der Ruhe und Festigkeit, die wir in den Mustern der Bewegung angetroffen haben. Die Ausgewogenheit von Ich und Partner und das klare Gegenseitigkeitsmuster sehen wir noch besonders deutlich, wenn wir in der Motivführung Anordnung und Verlauf der Ich-Partner-Relation verfolgen. Wir treffen eine fast regelmäßige numerische Balance und Alternation der beiden Motive an, eine eklatante, dabei aber bei Walther nicht seltene Figur. 19 Nach dem Gemeinsamkeitsmotiv in Strophe I beginnt die Alternation der Partner in Strophe II und bestimmt von da an das ganze Lied, sie wird nur vom Motiv der Wanderer und eventuellen Merker unterbrochen, nicht aber als Alternation gestört.

18

19

28

„vornehme Anrede" führt zur „Seligkeit", sondern die Totalität des Erlebnisses von Liebeserfüllung und Erhöhung dieser Liebeserfüllung in jene Welt sittlichen Ernstes, in der das Mädchen so wertvoll ist wie die Herrin. Diese Achtung der Persönlichkeit (ein Grundmotiv der Mädchenlieder Walthers) hört das Mädchen im neckischen, innigen und ernsten Gruß. Alles schwingt mit in dieser Erinnerung: die ersten Worte des Geliebten bei der Begegnung, die Erwartung des Liebeserlebnisses und der Stolz, daß diese Liebe „geadelt" ist. — Diese Interpretation erscheint mir am sinnvollsten, sie behauptet nicht, die anderen Bedeutungen seien unmöglich. Denn das strömende Glücksgefühl würde audi den bloß formelhaften Ausruf verständlich machen: „O G o t t ! " oder die ausrufende Anrede, die die Angeredete deutlicher als Person meint: „Ach du heilige J u n g f r a u ! " Im Hohen Minnesang dagegen häufig Kommunikationslosigkeit (Furstner spricht S. 63 von des Sängers Distanz zu der Geliebten im erlebten Seelenraum) oder einseitiges Verfallensein an die Frau. Herbert K o l b , Der Begriff der Minne und das Entstehen der höfischen Lyrik, Hermaea, N . F., Bd. 4, Tübingen 1958, S. 12: Der Sänger weiß, „daß von nun an sein Leben dem eigenen Wollen und Wählen entzogen sein wird, um der Zwanghaftigkeit eines Nicht-mehr-anders-Könnens zu unterliegen und mit Leib und Seele zu gehören." Den diesen Gestaltungen entsprechenden Gehalt charakterisiert K o l b a. a. O . S. 38: „Sie [die Minne] umgreift beides, Erleiden und Erstreben, Aktivität des Wollens und Passivität des Empfangens, Unruhe und Ruhe gehören gleichermaßen zu ihr; Minne ist Handeln und Leiden zugleich." — Zu der Untersuchung der gestalteten Anordnung von Ich und Partner wurde ich angeregt durdi eine Beobachtung von Wolfgang Mohr (Wolfram von Eschenbach ,Ursprinc bluomen', in: Die deutsche Lyrik I, S. 82): „Es ist bei diesem Werbespiel zwischen ,min' und ,din', ,wie wenn der Falke eine Schwalbe umkreist; sie kommen zusammen und trennen sich wieder, er scheint sich kräftig zu regen, sie schwebt in der Luft.' So beschreibt der Ruodlieb-Dichter den Tanz eines jungen Liebespaares; man fühlt sich bei der Wortornamentik von Wolframs Lied daran gemahnt. Die Worte umkreisen sich wie im Tanz." Mohr selbst hat dann (.Syntaktisches Werbe-

Ich kam gegangen zuo der ouwe, do was min friedel komen e. Da wart ich enpfangen, here frouwe, daz ich bin saelic iemer me. Kust er mich? wol tusentstunt, tandaradei, seht wie rot mir ist der munt! Do het er gemachet also riche

[sein Ausruf]

. . merken wa min houbet lac. Daz er bi mir laege, wessez iemen (ich midi)

Wes er mit mir pflaege niemer niemen bevinde daz wan er unde ich . . Neben dieser weitgehenden Ausgewogenheit in der Motivanordnung spielen die Gegenseitigkeit des Zusammenkommens (Idi kam gegangen - Ich wurde empfangen), dann Formen des Miteinander (unser zweier, er bei mir, er und idi), schließlich Handeln des Mannes allein, denn er ist ja vor allem der Gebende: Er war gekommen, er küßte, und Liebesspiel'. Zu einem sprachlichen Kunstgriff mittelalterlidier Lyrik und Epik, PBB 81, 1959, S. 161—175) diesen Stilzug an anderen Beispielen verfolgt, bei Siegfrieds erster Begegnung mit Kriemhilt, Nibelungenlied Hs.B, Str. 292 f., an der Lucretia-Erzählung der Kaiserdironik (V. 4335 f.), an Stellen aus Veldekes „Eneit" und aus „Tristan und Isolde" (in der Liebestrankszene V. 11678 ff., V. 11705 f., und aus dem Prolog V. 129 f., mit Hinweis auf die berühmte Parodie im „Meier Helmbrecht" V. 1487 ff.). Ich stelle im folgenden einige wesentliche Abweidlungen meiner eigenen Auffassung heraus. Mohr unterscheidet den bewußten „Kunstgriff" vom belanglosen Zufälligen (so kann er z. B. nach der Herkunft dieses Kunstgriffs fragen). Wir klammern diese Unterscheidung aus; uns interessiert bloß das Vorhandensein der Wechselseitigkeit; „zufällige" Gegenseitigkeit steht weit näher bei dem (als solchem sowieso nie beweisbaren) „Kunstgriff" als bei ungegliederter Darstellung ohne Gegenseitigkeit. Hier prägt nicht das Bewußtsein des Dichters die wesentliche Eigenart der Szene, sondern die sprachliche Gegenwart der Figur. Wir modifizieren diese Figur jedoch auf andere Weise, indem wir sie stets im Zusammenspiel mit anderen Gestaltelementen sehen. So beurteilen wir die Tristanformel, die Mohr anführt, trotz ihrer gleichen Anordnung anders als die Ausgewogenheit der Personalpronomina in einem Waltherlied. Nicht nur um Alternation der Reihenfolge, sondern um Ausgewogenheit der Intensitäten und das Verhältnis von Hingabe und Bewahrung geht es uns. Weiterhin beziehen wir die Figur nicht nur auf das Werbe- und Liebesspiel (Mohr gab hier nur Beispiele aus der Epik), sondern ganz allgemein auf die Figur des gestalteten Verhältnisses von Zentrum und Gegenstand, ob Geliebte, Fürst, Papst oder Gott, Person oder Ding. Das Hin- und Widerspiel bezieht sich auch nicht nur auf den Wechsel der Subjekte, sondern auf Verbvektoren, das Muster von Ausstrahlen und Empfangen verbaler Energie.

29

und am Ende zusammenfassend: „Wes er mit mir p f l a e g e . . . " , im Nebensatz, wie schon erwähnt, und leichtschwebend hinausgetragen aus dem Tageslicht der Faktizität ins schöne Geheimnis, das nur „er und ich" und wir alle kennen und der Vogel, der verschweigen wird, was „under der linden" geschehen ist. Fast unmerklich rundet sich das Gedicht und kehrt zum Naturbild des Anfangs zurück, 20 in seiner Geschlossenheit die Plastik der Gestalten und der Natur und das über alles entgrenzende Sehnen erhobene, vollendete Glück dieser Liebeserinnerung widerspiegelnd. 21 Wir sahen Gegenseitigkeit in der Liebeserfüllung und zugleich selbstbewußtes Gestaltwerden des lyrischen Ich. Unser zweites Beispiel (72,31: „Lange swigen des hat ich gedaht") gestaltet das andere Extrem: Schelte und Drohung bei verweigerter Liebeserfüllung, Forderung der Gegenseitigkeit bei kraftvoller Bewahrung des Ich. Hier redet das Ich des Dichters selbst. Angeredet wird, wie in „Under der linden", das Publikum; die Frau erscheint in der dritten Person. Außerdem wird in der dritten Person Plural noch die treue Anhängerschaft des Künstlers einbezogen, die „guoten liute", aber auch die Kritiker, allgemein die an Walthers Kunst Interessierten. Schließlich tritt, in der letzten Strophe, in burlesker Zukunftsvision der junge Nebenbuhler auf, der das altgewordene Weib mit Ruten züchtigen soll. Schweigen wollte der Dichter, nun, auf Geheiß seiner Freunde, will er wieder singen. Die anderen sollen mit ihm seinen Kummer beklagen. Denn die Frau, die durch seine Kunst und Zuneigung erhöht wurde, will nichts mehr von ihm wissen. Sie sollte aber doch merken, wie sehr sie von des Dichters Lob abhängt. Nicht nur, daß sie von der Welt verwünscht werden wird, wenn sie den Dichter auf dem Gewissen hat. Ihre ganze Existenz ist mit der seinigen verknüpft: „Sterbe ich, so ist 20

21

30

K r a u s , Unters. S. 133: „ S o gewinnt ein sinnloser R e f r a i n bei einem Dichter wie Walther tiefsten Sinn, u n d der überraschende Schluß leitet den H ö r e r dodi wieder z u m A n f a n g zurück." V g l . audi Burdach, R e i n m a r und Walther, 2. A u f l . S. 16. F. R . Schröder, D e r Minnesang I, G R M 21 (1933), S. 183 meint, unser Lied gehe auf die ovidsdie Sapphoepistel der H e r o i d e n (V. 143—155) zurück. In A n m . 2, wo er eine umfassende monographische Untersuchung des Liedes fordert, weist er auf weitere Literatur über die H e r k u n f t hin, etwa H . B r i n k m a n n , Gesdiidite der lateinischen Liebesdichtung im Mittelalter, 1925, S. 76; dens., Entstehungsgeschichte des Minnesangs, 1926, S. 158; auf die Lieder 125a und 146 der C a r mina B u r a n a (dagegen K r a u s , Unters. S. 133 f.).

es audi mit ihr vorbei. Wie all dies ausfallen wird, hängt von ihrem Verhalten ab; wie du mir, so idi dir. Läßt sie mich verkommen, so hat sie die Folgen zu tragen. Und während ich in ihrem Dienst alt werde, wird auch sie nicht jünger. Wenn sie dann vielleicht den Grauhaarigen nicht mehr will und nadi Jüngeren sich umsieht, dann soll doch der Junge - das ist des Dichters Wunsch - Rache üben und ihre alte Haut mit Ruten gerben." — Wenn dieses Gedicht auch so ganz verschieden ist von der Liebeserfüllung unter der Linde, so wird doch Wesentliches von denselben Wurzeln gespeist. Es ist bekannt, daß staufische Minnedichtung nicht nur Erlebnisdichtung war, sondern daß eine ideale Minnevorstellung als Wunschziel die stilisierten Erlebnisse oder „Erdenknisse" durchwaltet hat. Rechte verantwortliche Minne ist ein Teil des kleinen Kosmos der höfischen Existenz und des großen Ideenkosmos der mittelalterlichen Welt. Man ringt um ihre ideelle Einordnung und läßt sich tragen von ihrer sittlichen Festigkeit.22 Aber auch in Zeiten stärksten typischen Erlebens empfindet man Liebe nicht nur von der Idee her. Audi in der dichterischen Gestaltung schwingt die realistische Einmaligkeit erlebenden Gefühls mit, 23 und die Begegnung der besonderen, unartikulierten, bedrängend überfüllenden Gewalt mit der allgemeinen, arti-

22

23

Die Zahl der Untersuchungen zur „Wesensbestimmung der Minne" ist beträchtlich. Die reiche Forschung der zwanziger Jahre überblickt der Forschungsbericht von F. R. Schröder, Der Minnesang II, G R M 21 (1933), S. 257—290. Die D a r stellung von Furstner, die dem Phänomen der Minne mit Kategorien des inneren „Erlebnisraums" beizukommen versucht, bespricht neuere Abhandlungen. Hervorzuheben ist der bahnbrechende Aufsatz von Friedrich Neumann, Hohe Minne (s. audi unsere S. 10). Dort finden sich S. 85 die zentralen Sätze: „Man liebt nicht die individuelle Person, man liebt vielmehr ein Wunschbild des Menschen. Man bildet sidi, indem man sehnsüchtig aufblickt zur vollkommensten Gestalt." Vgl. audi Kolb S. 42. Gegen allzu kategorisches Absetzen der ständischen Minnedichtung von erlebter Liebesdichtung wendet sich Mohr, Gesellschaftskunst S. 84 f. (in Auseinandersetzung mit Günther Müllers an Neumann, Hohe Minne anknüpfender A u f f a s sung D V j S 5 (1927), S. 1 1 0 f f . : „Liebe erfüllt sich in der dauernden Vereinigung, Minne lebt in der polaren Spannung, die dem M i n n e s a n g . . . seine geistige Intensität gibt"). Mohr betont, daß nicht nur mittelalterlicher Minnesang, sondern fast alle Liebesdichtung der Weltliteratur in dieser Spannung lebe. Es sei bedenklich, „Liebe" als „dauernde Vereinigung" von der Minne so scharf abzugrenzen. S. 85: „In der Liebe scheint die .polare Spannung* f ü r einen hohen Moment aufgehoben zu sein; aber die Gnade dieses Moments entspringt der Spannung, die vorausging und die immer wieder d r o h t . . A u c h die Erlebnisdichtung der Liebe sei in den Formen des Werbens um „gruoz", „hulde", „genade", „helfe" nicht so verschieden von der ritterlichen Gesellschaftsdichtung der Minne.

31

kulierten, läuternd ordnenden Idee ist audi hier in faszinierender Weise das Thema der Liebesdichtung. Die Grundgedanken — hohe Minne, Mädchenminne, Ideal der „frouwe", Ideal des „wip", Wert des Sehnens oder Wert des Erfüllens, sittliche Läuterung im Minnedienst und sinnlich-sittliche Harmonie der Gegenseitigkeit - begegnen als reine Ideen objektiv dem Menschen und werden dodi gleichzeitig von jenem Spiel der Gefühle geformt. Welcher Idee man huldigt, hängt vom sittlichen Glauben, aber auch vom Spiel des Herzens ab; ein Idealismus, dem das Menschliche nicht fremd ist, dem audi der Wunsch der Vater des Gedankens werden kann, ermöglicht eine Harmonie der Extreme, in der das objektive Ideal sidi nicht weniger rein erhält, wenn es dem Sehnen oder Drängen der Natur entspricht, und in der die Natur sich nicht aufzugeben braucht, wenn sie sich dem Ideal preisgibt. 24 Wenn auch der Leitbegriff der Gegenseitigkeit (dem Walther sein dichterisches Erleben unterwirft, wie der Begriff von jenem Erleben geprägt war) in unserem Gedicht nicht erfüllt ist, so bleibt dodi die klare Forderung. Durch die Schuld der Frau ist die Balance gestört, und das gemäße neue Muster fordert, daß auch der Mann die Frau fallen lasse. Ethik und Gefühle wie „Liebende leben von der Vergebung" sind dem impulsiven Stolz Walthers fremd. Wie dem Ich die Erfüllung verweigert wurde, so verliert die Frau ihr Wesen; in Engführung steht das Muster ganzer Gemeinsamkeit: „Stirbe ab ich, so ist si tot", die selbstbewußte Umkehr der müden, passiven Gemeinsamkeit des Reinmarlieds M F 158,1: „Stirbet si, so bin ich tot". 2 5 Ihr 24

25

Synthese von sinnlicher Erfüllung und ethischer Gebundenheit sieht F r . Neumann, Deutschunterr. 5, H . 2 (1953), S. 55 in „Under der linden", wo die ethische Höhe der Liebesseligkeit aus weiblicher Sicht festgelegt sei. Neumann hält das Lied für einen „vielleicht zu stark beachteten Grenzfall". — F. R . Schröder, Der Minnesang II, G R M 21, S. 274 zieht aus seiner Konzeption des Minnesangs als kirchlich beeinflußter Reaktion auf die verweltlichte Erotik des Adels die Folgerung, der höfische Minnesang stelle keine wahre Synthese dar, sondern eher eine Antithese zur frühen ritterlichen Liebesdichtung; Walther sei dann der Überwinder des Dogmas, der Entdecker der Seele. Goethes naturhafte Liebe zu Friederike, die hohe zu Frau von Stein und die (im edlen Waltherschen Sinne) „niedere" Minne zu Christiane stellt für Schröder einen Dreischritt dar, der der Entwicklung vom frühen über den hohen zum Waltherschen Minnesang entspricht (S. 2 8 2 ff.). Zum parodistisdien Spiel mit diesen Motiven vgl. Mohr, Wolframs „Ursprinc bluomen", S. 85. Das Motiv kommt wohl von Morungen M F 147,4: „vil süeziu senftiu toterinne, / war umbe weit ir toten mir den lip", zu Walther 86,34: „stirbe ab ich, so bin ich sanfte tot", bei Reinmar ernst: „stirbet si, so bin idi

32

Leben wird von seiner Kunst getragen. Als Anderes, als begehrter Mensch, trifft das Du auf das Ich auf, beglückt und gefährdet es. Dieser reale Mensch wird aber im Innern des Gedichts geschaffen und durch das Ich in Gestalt verwandelt, indem er als Fiktion ins Kunstwerk eingeht und vom Kunstwerk verherrlicht wird. 2 6 Diese ernsten Dinge sind hier burlesk und komisch; dadurch gewinnt das Ich noch stärkere regieführende Überlegenheit. Zorn, Komik, Klage und ernstes Anliegen spielen zusammen; dem Ideal überlagert sich, lachend offenbar, das Menschlich-Allzumenschliche. Gekränkte Eitelkeit und Selbstmitleid klingen herein, andererseits sind die F a r ben so dick aufgetragen, daß das Ganze der Theatralik nicht entbehrt. Sittliche Forderung und adoleszente Kleinlichkeit verbinden sich in solch schwebender Eleganz, weil die rüden Ubertreibungen reife Selbstironie in den Ernst der Minnefiktion verfremdend hereinspielen und weil die Idee diesen Grenzfall lächelnd erträgt.

28

t o t " ( M F 158,28), schließlich Walthers freche Umkehr: „stirbe ab ich, so ist si t o t " (und dann bei Wolfram vielleicht: „wan ein helfelichez wort von dir mich sanfte ernert", „Ursprinc bluomen", Str. V ) . Vgl. audi Halbach, Walther und die Dichter von Minnesangs Frühling, S. 63 f., und zur Stellung des Motivs und des ganzen Lieds in der Reinmar-Walther-Fehde besonders Kraus, Reinmar I I I , S. 14 ff. D i e Verknüpfung des Lebens der Geliebten mit ihrer dichterischen Verherrlichung erscheint immer wieder als Topos der Liebesdichtung. In Shakespeares Sonetten, für die j a sonst, dem Muster petrarkistischer Lyrik folgend, eine fast mystische Hingabe an das geliebte D u und an Demutsformeln reiche Selbsterniedrigung charakteristisch ist, findet sich der selbstbewußte Topos an verschiedenen Stellen, etwa im Sonett 55, V. 9 ff., oder im berühmten 18.: „Shall I compare thee to a summer's day?", V . 9 f f . : But thy eternal summer shall not fade / N o r lose possession of that fair thou owest; / N o r shall Death brag thou wander'st in his shade, / When in eternal lines to time thou growest: / So long as men can breathe or eyes can see, / So long lives this and this gives life to thee (The Works of William Shakespeare, Globe Edition, ed. by W . G. C l a r k and W. A. Wright, London 1956). F. R . Schröder, Minnesang I I , G R M 21, S. 264 weist hin auf Werner P . Friederich, Spiritualismus und Sensualismus in der englischen Barocklyrik, Wiener Beitr. z. engl. Philologie, B d . 57, Wien 1932, wo S. 50 f. der Topos „Twas I that gave thee thy renown; / Thou had'st in the forgotten crowd / O f common beauties lived unknown, H a d not my verse exhaled thy name, J And with it imp'd the wings of Fame . . . " von Thomas Carew angeführt wird. Schröder zieht die Parallele zu Walther 72,31. Kraus, Unters. S. 294 f. zitiert Schröder, seltsamerweise mit der „Warnung, arabischen Parallelen zu sehr zu vertrauen". Als ob Carew eine völlig unabhängige T r a d i tion darstellte und nicht ebenfalls über den Petrarkismus vom Minnesang beeinflußt sein könnte! Das Vorhandensein gemeinsamer Topoi widerlegt Einflüsse genau so wenig wie es sie beweist.

33 3

Sdiaefer, W a l t h e r von der Vogelweide .

Uberlagerungen und Gegenseitigkeitsmuster prägen den Gedichtverlauf. Verfolgen wir diese Muster. Strophe I zeigt die Gemeinsamkeit zwischen dem Ich und den Getreuen. 27 Darauf folgt die eigentliche Klage: Hoeret wunder, wie mir ist geschehen von min selbes arebeit. Mich enwil ein wip niht an gesehen, die braht ich in die werdekeit, daz ir muot so hohe s t a t . . . ,

(Passiv) (Aktiv) (sie, Aktiv) (ich, Aktiv) (sie)

und darauf : „ . . . swenn ich min singen laze, daz ir lop zergat" (ich sie); weiterhin: „ ... si flüeche liden s o l . . . " und „.. .ich nu laze minen sane . . . " . Eingeschoben ist, in sich antithetisch, das „loben" und „schelten" der andern. Das Medium der besungenen Frau führt zur Wechselbeziehung zwischen Idi und Publikum: Das Tun des Dichters macht die Frau zum Kunstwerk, antwortend strömt ihm die Freude der andern entgegen; er ist in selbstbewußtem Formen auf die dankbare Umwelt bezogen. Im Muster der Gegenseitigkeit fällt ihre empörte Antwort zurück auf die Frau (vorher, in Strophe I, sind sie zum Mitleiden aufgefordert worden); in der Gegenseitigkeit höfischer Freude und „Minnegerechtigkeit" sind Diditer und Publikum verbunden. Strophen I V und V zeigen völlige Ausgewogenheit der lyrischen Grundrelation, in konsequenter Logik der geforderten Entsprechung von Geben und Empfangen, manchmal in chiastischer Anordnung: Do mich duhte daz sì waere guot, wer was ir bezzer do dann ich? Dest ein ende: swaz si mir getuot, des mac ouch si verwaenen sich: Nimet si mich von dirre not, ir leben hat mines lebennes ere: stirbe ab ich, so ist si tot. Sol ich in ir dienste werden alt, die wile junget si niht vil.

27

34

Auf „swigen" und „singen" in Versen 1 und 2 folgt Aktivität der andern, ebenfalls verdoppelt: „ D a r zuo hant midi guote liute braht, / die mugen mir wol gebieten me". Darauf antwortet, wieder doppelt: „Ich sol singen unde sagen", dann weiteres Gegeneinander: „ . . . swes si gern, daz sol ich tuon", und Gemeinsamkeit: „So suln si minen kumber klagen".

Söst min har vil lihte also gestalt, dazs einen jungen danne wil. Selfiu got, her junger man, so rechet mich und get ir alten hut mit sumerlaten an. Auf die Verknüpfung ihrer Existenz mit der Kunst des Idi folgt in der Schlußstrophe Gegenseitigkeit in burlesker Konzentration. Der Dichter und seine Dame gehören zusammen; sind sie beide alt und schaut die Frau in unhöfischer Weise nach andern Männern, dann möge der Junge extrem an ihr handeln als Stellvertreter des Ich. Das Muster des Wie-du-mir-so-ich-dir spannt einen weiten Bogen vom Anfang der zweiten Strophe, dem Beginn der Haupthandlung, zur Schlußstrophe des Lieds, am Anfang ist das Idi das Leidende, am Ende in grotesker Weise die Frau. Die Ich-Partner-Relation im Hauptteil (Strophen I I - V ) ist auch numerisch genau ausgezirkelt. Zwanzigmal steht das Idi mit seinen Pronomina, zwanzigmal mit Pronomina das Motiv der Frau. Diese Balance ist bezeichnend, obwohl bei weitem nicht allein ausschlaggebend. Wesentlich ist, wie wir zeigten, die Anordnung dieser Motive, dann das Spiel der Aktivitäten, ihr Inhalt und ihre Intensität, um das Verhältnis von Hingabe und Bewahrung, von Gefährdung und Bewahrung des Idi zu beschreiben, schließlich die Rolle des Ich in der Regie des Vorgangs und die Gegenwartsintensität des vom Ich getragenen Geschehens.28 28

Wieder klingt die Dreiheit der Zeiten ineinander. Langes Schweigen in der V e r gangenheit wird abgelöst durdi neue Initiative in der Gegenwart (vgl. zu „Nadidruck und Fülle des Ausdrucks" und dem gegenwartsdiaffenden „nu" WilmannsMichels I, S. 3 5 4 ) ; die Wende „jetzt" in Ankündigung und Durchführung. D i e Freunde haben das Gedicht gewünscht, nun gewährt der Dichter. In die Zukunft deutet die Hoffnung, daß ihr Mitgefühl ihn tragen wird. Im Hauptteil dringt aus der Vergangenheit die Erinnerung an die idealen Zustände besserer Zeiten. Einbrechende Gegenwärtigkeit, die sich nun ganz in den Vordergrund stellt, wird ausgedrückt durch die Wende und dann die Anrede des Publikums: „ H o e r e t . . . " , sie öffnet sich audi in die unmittelbare Zukunft, die von der gegenwärtigen Drohung übergriffen wird: „Swenn idi min singen laze, daz ir lop zergat. / Herre, waz si flüeche liden sol, / swenn idi nu laze minen sane . . . " , „Alle die nu lobent, daz weiz ich wol, / die scheltent d a n n e . . . " , „Tusent herze wurden fro / von ir genaden: dius engeltent, lat si midi verderben so". — U n d nun, als Initiative entsprechend 1,2 („nu wil ich singen aber als e " ) in I V , 3 „Dest ein ende", und als Höhepunkt der aktuellen Zukunft „Stirbe ab ich, so ist si tot." Diese so gegenwärtig erlebte Zukunft weitet sich in Strophe V zu einem Ausblick ins Alter, der im Schlußvers wunschhafte Gegenwartsintensität gewinnt. Weitere Stellungnahmen: Furstner meint S. 193, Walther stelle sich durdi dieses Lied selbst auf die hohe Warte, die die Frau vorher innehatte. „Der Verfechter

35 3»

V e r f o l g e n w i r d i e Gestaltung des Verhältnisses zwischen d e m s e i n e m G e g e n ü b e r u n d seinen I d e e n n o c h i n w e i t e r e n

Ich,

Liebesgedichten

Walthers. In dem großen minnetheoretischen Programmgedicht 4 7 , 3 6 :

„Zwo

f u o g e h a n ich d o c h " s t e h t a m A n f a n g G e g e n s e i t i g k e i t i n d e r

mitfüh-

lenden A n t w o r t des Ich auf das Schicksal der a n d e r n : kein

automa-

tischer K o n f o r m i s m u s , sondern N e h m e n u n d G e b e n i m Glück u n d in d e r V e r p f l i c h t u n g , e i n T e i l des G a n z e n z u s e i n : Ich bin den f r o n bescheidenlicher

f r ö i d e bi,

u n d lache ungerne so m a n bi m i r weinet. D u r c h die liute bin ich f r o , d u r c h die liute w i l ich sorgen . . . ; „bescheidenliche",

teilnehmend.29

Ideal u n d menschlichem

Und

in geforderter

Analogie

von

Verhalten:

H i e v o r , d o m a n so r e h t e minneclidien w a r p , d o w a r e n mine Sprüche f r ö i d e n riche: S i t d a z diu minnecliche m i n n e also v e r d a r p , sit sane ouch ich ein teil unminneclidie. I e m e r als ez d a n n e s t a t , a l s o sol m a n d a n n e singen. s w e n n e unfuoge nu z e r g a t , so sing aber v o n höfschen dingen . . . E s ist dies die klassische F i g u r v o n Sein u n d H a n d e l n d e r W e l t

und

g e m ä ß e r A n t w o r t d e s M e n s c h e n , in v i e r f a c h e r V a r i a t i o n ; k o n s e q u e n t e I n i t i a t i v e , d a s z u t u n , w a s zu t u n ist, freie, realistische E n t s c h e i d u n g

2I>

ethischer und politischer Ideale höfisch-staufischer Ordnung läßt sein Dasein nicht von den Frauen allein bestimmen, er bestimmt es selbst mit." D i e gesellschaftlichen Werte bestünden weiter, noch kein natürliches Verhältnis von Mann und Frau komme zustande (mit Bezug auf Maurer, Leid, S. 241). Furstner betont zu einseitig die errungene Gleichberechtigung des Mannes und geht nicht genügend ein auf die geforderte Gegenseitigkeit von Geben und Empfangen (reale Erfüllung und neuer ethischer Wert), verweilt zu sehr bei Begriffen, wie der Frage nach der Verwendung von „frowe". F r . Neumann, Deutschunterr. 1953, H . 2, S. 54 verweist auf den balladenhaften Zug des Lieds, wodurch es Grundlage des „Volksliedes" vom edlen Moringer werden konnte. Es gehört zu dem Walther, „der sich auf der Höhe seines Könnens eigenste Liedbereiche erschließt". Über die Beziehung zu Reinmar vgl. u. a. Marlene Haupt, Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, Gießener Beitr. z. dt. Phil. 58, Gießen 1938, S. 51 f. Zur doppelten Funktion des Minnesängers in der höfischen Welt, Publikumsbezogenheit wie Minnebindung, vgl. auch Furstner S. 54, und Burdach, Reinmar und Walther, S. 2 8 : „Der mittelalterliche Dichter dichtete, was ihn bewegte und erfüllte, nicht für sich allein, sondern für Andere zum M i t f r e u e n und M i t trauern".

36

für das Gesetz gemäßer ästhetischer Anständigkeit. Kein So-tun-alsob, selbstbewußtes Sichbekennen zu den Tatsachen und zu der Idee, die diese Tatsachen richtet und übergreift. Ein ethisches Ideal ist klare Kontur, Unterscheidung von Gut und Böse. Dieses „Scheiden", 30 als Gegenstück zu konturlosem Verwischen, wird in Strophe III mit der Forderung nach Gegenseitigkeit herausgestellt. Die Frauen sollen unterscheiden und selbst Unterscheidung dulden. Die ethischen Kategorien werden nicht als starre Abstrakta in dogmatischen Schubfächern gegeben, sondern im Vorgang ihrer Verwirklichung gezeigt, mit Tätigkeitsverben: „schaden tuon", „diu wip gelichent uns ein teil ze sere", „nimet u n s . . . " , „scheiden", „liezen scheiden" . . . Das ausgewogene Spiel der Motive von Männern und Frauen kann leidit nachgeprüft werden. Die berühmte vierte Strophe bringt forderndes Gegeneinander und Miteinander von Wesen und Begriff, geforderte Ausgewogenheit von ideellem Gefäß und seiner leiblichen Verwirklichung. Der reinste Begriff ist der, der den Menschen mit begreift, und das ist „wip" und nicht „frouwe". 3 1 Strophe V stellt Gegenseitigkeit in plastischer Szene dar; das Ich zeigt die „kalte Schulter"; aus dem Lob-Dank-Automatismus wölbt sich, ihn erfüllend, das stolze Idi, das den wohlverdienten Dank fordert und sich brüsk abwendet, wenn ihm der verweigert wird. Unter den Topoi des stilisierten Gesellschaftsspiels der Minne und ihrer sittlichen Forderungen, die das Ich als Ideal empfindet, entsteht eine impulsive, individuelle und zugleich so allgemein-verständliche Gebärde, die in ihrer sinnlichen Bildkraft die ganze Gedankenentfaltung krönt. 32

81

S2

Maria Bindschedler, Der Bildungsgedanke im Mittelalter, D V j S 29 (1955), S. 20—36, hier S. 26 setzt das „geliehen" und „scheiden" in Beziehung zur discretio. Zur Frage nach der Lesart in IV, 10 (Kraus' Konjektur „Wip sin alle frowen g a r " oder die Version der Handschriften „sint") nimmt Hermann Schneider Stellung: Drei Waltherlieder, Z f d A 73 (1936), S. 165 f. Schneider liest gegen K r a u s (vgl. Kraus, Unters., S. 163 f.) „sint": „Schwerlich darf sich in diese dialektische Darlegung ein persönlicher Stoßseufzer einmengen; stünde es doch so, daß alle Frauen echt weiblich wären!" (S. 165). Die Antithese „under frowen sint unwip" und „wip sint alle frowen g a r " , die Kraus a.a.O. für unmöglich hält, ist für Schneider ein reizvolles Wortspiel: „Die Damen können sich wehren und sich so fein dünken, wie sie wollen — es gibt kein Entrinnen, sie sind doch einmal Weiber (dem Geschlechte nach)" (S. 165). — Zur Einordnung in die Reinmar-Walther-Fehde vgl. Halbach, Walther und die Dichter von Minnesangs Frühling, S. 75 ff. Vgl. auch Burdach, Walther I, S. 104.

37

Schauen wir das Bild der Gegenseitigkeit in dieser letzten Strophe an. Ich sane hie vor den frowen umbe ir blozen gruoz, den nam ich wider mime lobe ze lone. Swa ich des geltes nu vergebene warten muoz, da lobe ein ander, den si grUezen schone. Swa ich niht verdienen kan einen gruoz mit mime sänge, dar ker ich vil herscher man minen nac ode ein min wange. Daz kit „mir ist umbe dich rehte als dir ist umbe mid)*. Ich wil min lop keren an wip die kunnen danken. waz han ich von den überheren? W i r betrachten dabei den Wechsel der Motive Ich und Frau, zugleich das Spiel von Geben und Empfangen, Aktivität und Passivität, in Verwirklichung und Forderung: Ich sang, die Frauen grüßen, ich nahm den Dank als Lohn meines Lobs. Ich muß vergebens auf Dank warten, da lobe ein anderer, den sie schön grüßen. Wenn mein Sang keinen Gruß verdienen kann, so wende ich mich ab (gestörte Gegenseitigkeit Sang-Gruß; Sichabwenden: ebenfalls Gegenseitigkeitsmuster, hier des Bruches). Und wieder, nun in chiastischer Balance und Analogie: Wie du mir, so ich dir. Weiterhin im H i n und Wider von Tun und Antwort, in Ausgewogenheit von Idi und Frau: Ich wil min lop keren an wip die kunnen danken, abgeschlossen durch die rhetorische Frage: „Waz han ich von den überheren?" Und an exponierten Stellen das Muster Ich-Sie: Ich sang um ihren Gruß; ich nahm ihren Lohn; ich schaue aus nach ihrem Entgelt; ich verdiene ihren Gruß; mir ist um didi wie dir um mich; ich wende mich an sie; was habe ich von den Hochmütigen? 3 3 ss

38

Eines der selbstbewußtesten Gedichte Walthers ist das Preislied auf die deutsche Frau 56,14: „Ir suit sprechen willekomen". Der junge Dichter ist der Welt begegnet, kehrt im Bewußtsein des eigenen Wertes nach Wien zurück und preist nun dem Publikum die deutschen Frauen. Das Publikum wird direkt angeredet, die Frauen erscheinen in der dritten Person; in der Sdilußstrophe konzentriert sich die Rede auf die Eine, die nicht treu gewesen ist. In den Preis, der voll in der Gegenwart steht, klingt die Erzählung von Vergangenem, der Reisen durch die Länder. Durdiklungen von der Bewegung des wandernden Ich, beseelt vom

Die verschiedenen Punkte: Zueinander von Umwelt und Ich, von peripherer Zeit und Gegenwart, von Natur und Mensch, von Idee und Sinnenwesen im Spiel von Ruhe und Bewegung sind wohl als verschiedene Seiten eines umfassenden Problems deutlich geworden: des Verhältnisses von Erlebniszentrum und Peripherie, von Kontur und Weite, von Fixpunkt und Fluß, von Augenblick und Zeit, von Ich und Welt. Wir müssen diese Begriffe im Auge behalten, wenn wir weitere Beispiele der lyrischen Grundrelation aufsuchen. Die Gegenseitigkeit klassischer Minne wird in erlebnisgetragener Programmatik formuliert in der Schlußstrophe des Liedes 5 0 , 1 9 : „Bin idi dir unmaere" : Eines friundes minne diust niht guot, da ensi ein ander bi. Minne entouc niht eine, si sol sin gemeine, so gemeine daz si ge dur zwei herze und dur dekeinez me.

(IV, 3 - 8 )

Diese berühmten Verse drücken aus, was in anderen Gedichten die Gestaltung immer wieder vollzieht. Fest und deutlich entsteht die Figur des Paars; die Gemeinsamkeit umgrenzt die Liebenden und schließt den Rest der Welt aus: „ . . . und dur dekeinez me". Die bestimmte Sprache, die die Begriffe und Herzen zusammenführt, verböte alle strömende, entgrenzende Liebesmystik. Zwar wird im Inhalt Liebesmystik nicht geleugnet, aber die männliche Sicherheit des Tons läßt auch den Geist des Gesagten fühlen. Keiner Sekte von sehnsüchtig sich Verzehrenden wird hier gepredigt, die kraftvoll geforderte Gegenseitigkeit und Gemeinsamkeit ist keine unio mystica. Zwar wirbt das Ich mit ganzer Hingabe, es leidet unter der Gleichgültigkeit der Partnerin, aber die Bitten um Gegenseitigkeit sind nicht sklavisch unterwürfig, Gegenstand des Preises, weitet sich das deutsche Land, erlebter Raum, gestaltet durdi das Medium der in körperlich-seelischer Harmonie gesehenen Frau. Die Liebe zu der Einen läßt den Dichter in der Sdilußstrophe auch an die Zukunft denken. Publikum und Gegenstand des Preises gehen ineinander über, denn der geforderte Lohn wird Minnelohn der Damen und Dichterlohn der durch den Preis beeindruckten Fürsten bedeuten. In der preisenden Hingabe, audi in der Klage der letzten Strophe, bewahrt sich stolze Selbständigkeit des Idi; Ausgewogenheit von Idi und Publikum in Geben und Empfangen (zwischen Idi und Publikum und zugleich zwischen Mann und Frau, da Gegenstand des Preises und Publikum ineinanderklingen) findet sidi besonders in Strophen I - I I I .

39

sondern hell und fest. „Hilf mir tragen, ich bin ze vil geladen.. kein Sich-zu-Füßen-Werfen vor dem Du, sondern Bitte um Gegenseitigkeit in einem schliditen, deutlichen Bild; ferner die spielerisdiernste Ironie, wenn er für ihre Gleichgültigkeit Gründe sucht: „Sind es vielleicht die Merker, die du fürchtest, so sdiau doch einfach auf meine Füße anstatt mir ins Gesicht, das sei dein Gruß." Und im Vergleich mit den anderen Frauen der Preis ihrer Vollkommenheit: „Lihte sint si bezzer, du bist guot" - das schönste Bekenntnis zu einem geliebten Menschen in Harmonie von klarer Urteilskraft und liebender Fraglosigkeit. 34 Vergleichen wir das Gemeinsamkeitsbekenntnis (IV, 3-8) mit den müde kreisenden, hektisch glühenden, magisdi zwingenden Vereinigungsformeln aus Gottfrieds Tristanprolog, wo das Sehnen und Einswerden der Liebenden zur Hostie wird für die Liebessekte der „edelen herzen", die in Sehnsucht sich eint mit dem Einswerden der Liebenden, so spüren wir den Unterschied: ein a n d e r w e r l t die m e i n e idi, d i u samet in eime h e r z e n t r e i t ir süeze sur, ir l i e b e z leit, i r h e r z e l i e p , ir senede n o t , i r liebez leben, i r leiden t o t , i r lieben t o t , ir leidez leben, d e m l e b e n e si m i n l e b e n ergeben.

(56-64)35

Oder sehnendes Kreisen und Verschmelzen der beiden Namen: ein senedaer u n d e ein senedaerin, ein m a n ein w i p , ein w i p ein m a n , T r i s t a n Isolt, Isolt T r i s t a n .

(128-130)3«

®4 Furstners Bemerkung S. 83: „Nicht, weil die Frau .irgendwie' Vertreterin ihres Geschlechts ist, kann der Minnesänger sich in ihren Minnedienst stellen, sondern weil sie eine gute, möglicherweise die beste Frau ist" müßte im Hinblick auf diese Stelle modifiziert werden. Denn da heißt es ja: vielleicht sind die andern besser, du bist „guot"; du bist für midi die Beste, selbst wenn andere (objektiv) vielleicht besser sind. Das ist eine Spitze gegen übertriebenes Werten und ein Bekenntnis zu der Einen als Person. 55 Gottfried von Strassburg, Tristan und Isold, hrsg. von Friedrich Ranke, Berlin 1958. 39 Halbachs Charakterisierung dieser Formel als „zierlidi" (Gottfried von Straßburg und Konrad von Würzburg, „Klassik" und „Barock" im 13. Jahrhundert, Stuttgart 1930, S. 34) scheint mir den magisdi zwingenden Ton dieser Formel zu überhören.

40

Wieder sehen wir, daß nicht nur die Formen der Gegenseitigkeit und Gemeinsamkeit Walthers Haltung und Gestalten kennzeichnen, sondern innerhalb dieser Begegnung mit dem Andern festes Sichbewahren.37 Man sieht in Begriff und Wirklichkeit der „herzeliebe" Walthers Synthese zwischen dem erziehenden Ideal der Hohen Minne, dem verehrenden Aufschauen zur adligen Herrin, und dem vagantisch-ungebundenen Sidiverwirklichen des frei fordernden und empfangenden, sinnlich realen Menschen im Erleben mit der puella, dem Mädchen. Starres Ideal der frouwe,eine vorgegebene sittliche Idee, die die Gesellschaft trägt, der das Ich sich unterordnet, und die puella, jenseits von Gut und Böse, formelhafte Verkörperung der Wünsche des realen sinnlichen Menschen, das Verhältnis zu ihr gleichsam ohne Beziehung zum festen Gefüge der mittelalterlichen Welt, ein Spiel des Lebens ohne Aufblicken zum kühlen Sternenhimmel der Idee. Walther versucht, dieses Drängen menschlicher Realität und individuellen Empfindens mit der überpersönlichen Verbindlichkeit des strengen Ideals zu verschmelzen, er fordert und gestaltet die Gegenseitigkeit von Ich und Du in der Durchdringung, der Balance von Wirklichkeit und Idee, von Wunsch und Gesetz. Nicht die Launenhaftigkeit menschlicher Triebe verherrlicht er, nicht die Vieldeutigkeit der Realität, aber auch nicht die Fremdheit der bloßen Idee. Er öffnet das sittliche Ideal für den Körper des Lebendigen und bändigt die Zügellosigkeit des Lebendigen durch die Klarheit des Ideals. Auch die „herzeliebe" hat ihr Gesetz, der Treue, der Einmaligkeit und der Dauer. Diese Ruhe der Dauer im Spiel der Triebe gehört zur Statik der Idee, das Spiel sinnlicher Erfüllung schenkt die Dynamik des Lebendigen. Diese Gestalt verwirklicht sich in Schönheit; seit Schiller ist uns der Begriff in diesem Sinne vertraut, er beschreibt auch Walthers klassische Gestaltung der „herzeliebe."38 37

38

In diesem programmatischen Gedicht der Gegenseitigkeit sind Ich und D u numeriseli völlig ausgewogen (18:18). — Ebenfalls fast ganz balanciert ist das IdiDu-Verhältnis in 49,25 „Herzeliebez frouwelin" (15:14). Das Hin- und Widerspiel von Ich und D u ist besonders in den Strophen I, IV und V ausgeprägt. Maurer, Leid, S. 241 ff. geht sehr weit und charakterisiert „herzeliebe" im Sinn moderner Liebe als Überwindung der höfischen Minnekonvention, als echte Personenliebe und natürliches Verhältnis von Mann und Frau. Walther habe Gottfrieds Überwindung der Hohen Minne beeinflußt (S. 241). Auch Maurer betont die Synthese von Minneethik und natürlicher Liebeserfüllung, die zur Herzeliebe führt. (Diese Herzeliebe wurde von Walther aber nidit als Kompromiß von hoher Ethik und allzumenschlicher Neigung empfunden, sondern als eigene, in

41

Wir vergegenwärtigen uns diese bekannten Tatsachen, um Walthers große Synthese in Bezug zu setzen zu den beobachteten Gestaltungselementen: Gegenseitigkeit, Uberlagerung, Ausgewogenheit von individuellem Strahlungspunkt und zurückstrahlendem Anderem, Ineinanderklingen von Ruhe und Bewegung in der Gestalt. Das Andere, die überpersönliche Idee, trifft auf das Ich auf. Das Ich strahlt seine lebendige Individualität aus. In der Gestaltung der Liebe und der Gestalt der Liebenden, die getragen werden vom Muster der Gegenseitigkeit, ereignet sich Nehmen und Schenken von Ideal und Wirklichkeit, wobei das Ideal sich öffnet für die Wünsche des Herzens, diese Wünsche aber in Erfüllung läutert und hebt. Wieder steht ein Anderes vor dem Erlebniszentrum, dem Ich, läßt sich tragen und trägt zugleich.39

se

42

„staete" und „triuwe" bewährte sittliche Lebensform.) — H. Naumann dagegen, Höfische Kultur S. 28 f., wertet die Verbindung von Natur und Hoher Minne nicht als beide Ideale verschmelzende Synthese, sondern als Ehrenrettung der „Niederen Minne", die durch Walther „höfisch gemacht" wird. Der Akzent liegt ganz auf dem Höfischen; das Natürliche ist ohne Eigenwert und wird gleichsam erst hier stubenrein. Wie einseitig Naumann im Grunde Geistesgeschichtler ist, zeigt seine Beurteilung von „Under der linden", wo ja die „Veredelung" nicht durch Raisonnement wie in anderen Liedern, sondern allein in der Rede sich verwirklicht, deren Innigkeit deutliches Werturteil ist. „Nur in der leider seltsam überschätzten Pastourelle .Under der linden an der heide* ist dem Dichter trotz aller Grazie der Form der Versuch der Veredelung nicht geglückt" (S. 29). Allerdings nimmt Naumann das Element der Erfüllung stärker in den Begriff der Hohen Minne hinein als andere, die das Werben als das letzte Ziel auffassen. S. 31: „Handelt es sich aber wirklich um die hohe L i e b e . . . [N. zieht eine Parallele zu Piatons Begriff der ,hohen', vergeistigten Knabenliebe] . . . so ist es auch hier nicht unedel, daß der Geliebte dem Liebenden zu willen sei." — Fr. Neumann, Deutsdiunterr. 1953, H. 2, S. 54: Für Walther sei Minnesang stets ein ethisches Anliegen (er singe keine deutschsprachigen Vagantenlieder); „ein beglückendes Vertrautsein der in Minne Verbundenen... in dem sich der Mann mit ritterlicher Gemessenheit, aber ohne quälenden Abstand in freudigem Aufschwung erlebter Anmut hingeben darf." Furstner rät a.a.O. S. 188 ff. zur Vorsicht beim Gebrauch des „gefühlsbetonten Worts" Herzeliebe, das von Walther auch im Sinn von Minne gebraucht werde, und warnt vor Vergleichen mit moderner Liebe. Schließlich setzt Wolfgang Bachofer, Zur Wandlung des Minne-Begriffs bei Walther, in: Festschrift für Ulrich Pretzel, Berlin 1963, S. 139—149, die Herzeliebe mit der Neuen Hohen Minne gleich, als „Endprodukt" einer Entwicklung des Minnebegriffs. Der klassische Begriff der „maze" liegt hier nahe. In 46,32 wird ihre Allegorie angerufen: „Aller werdekeit ein füegerinne, / daz sit ir zeware, frowe Maze . . mit der bekenntnishaften zweiten Strophe. Es geht uns nicht um die umrätselte Faktizität der Aussage, sondern um das Spiel von Handeln und Empfangen, Bedrängtsein und Sichbefreien, Hingabe und Bewahrung, Gefährdung und Bewahrung. Die Maze soll das Idi rechtes Handeln lehren; darum ringt die zweite

Die Wediselrede von Mann und Frau ist ein weiteres Beispiel der Gegenseitigkeit, weniger eng in der alten donauländischen Form, da dort ohne Dialog, ohne Du die Liebenden aus der Einsamkeit ihrer Strophe: „Nideriu minne heizet diu so swachet / daz der lip nach kranker liebe ringet: / diu minne tuot unlobelidie we. / Hohiu minne reizet unde machet / daz der muot nach hoher wirde uf swinget: / diu winket mir nu daz ich mit ir ge." Auf das Gegeneinander von Niederer Minne und lip in Gefährdung durch die Minne: bedrängen-ringen-schaden folgt das der Erhöhung durch die Hohe Minne: reizen-aufschwingen-folgen. Gefährdung und Hingabe überlagern sich der Bewahrung. Es bleibt unbestimmt, was die Maze will, wo die Balance liegt. Am Ende der Strophe heißt es, im Widerspiel von Id» und Frau: „min ougen hant ein wip ersehen, / swie minneclich ir rede si, / mir mac wol schade von ir geschehen." Die Strophe zeigt das Sichöffnen, das Sichverhalten zum Andern, zur Minne und ihrer Trägerin, in Problematik. Nicht nur Geborgenheit schenkt die Kommunikation in Geben und Empfangen, sie kann audi gefahrvolles Wagnis sein. — Die Problematik des Lieds ist ausführlich behandelt bei Günther Schweikle, Minne und Maze, DVjS 37 (1963), S. 498—528 (mit Bibliographie der Untersuchungen seit Kraus' Unters.). Das Gedicht könnte dialektisches Spiel sein. Der Begriff „ebene werben" entstammte nicht der Minnesystematik, sondern den „Bildqualitäten der gesellschaftlichen Sphären, in denen der Dichter verkehrte. Aus dieser Zweiheit ,straze-hof' resultierten die Begriffe ,nideriu' und ,hohiu m i n n e ' . . . " (S. 510). Die „Leiderfahrung" durch niedere wie hohe Minne belegt Walther mit einem Wort, das wieder aus dem vorhandenen Bildstoff des Gedichtes genommen ist: ,Unmaze'. Schweikle kommt S. 513 zu der originellen Folgerung: „Die Antwort auf die Frage, warum die ,Maze' nicht komme, wird also sein: Jede Art Liebesbindung liegt faktisch außerhalb des Bereiches der , M a z e ' . . . , gefährdet damit auch die Erreichung ,aller werdekeit'." Wichtig ist jedoch, daß dieses eine Gedicht, falls die Deutung der Begriffe zutrifft, nicht Walthers Minnekonzeption im ganzen zu charakterisieren braucht (vgl. Schweikle S. 527). In einer pessimistischen Phase kann sehr wohl das Gefühl der Maßlosigkeit aller Minne den Dichter überwältigt haben. Daß aber Walther-Minne überhaupt Verlust der ,Maze' und der .werdekeit* impliziert, kann aus dem einen Gedicht nicht gefolgert werden. Wenn auch in der Minne stets das Bedrängende erlebt wurde, so können die beiden Formkräfte ethischer Idealität, Minne und Maze, im Denken und Fühlen nicht ständig einander ausgeschlossen haben — Walthers Minne wäre sonst stets von erlebten oder zumindest erdachten Schuldkomplexen begleitet gewesen. So beruht die Parallele zu 45,37 „So die bluomea.,.", auch auf Grund formaler Bezüge (SchweikleS. 521 und Anm. 52), auf sekundärer Handschriftenkontamination; die Motivverknüpfung ist mager, und eine Entsprechung zwischen der Frau, um derentwillen der Dichter in 45,37 jubelnd die ganze Naturfreude opfern will, und jener, die ihm in 46,32 Schaden zufügen kann, ist wohl zyklisch (und natürlich auch biographisch) möglich, aber die Gleichsetzung der „resignierenden Skepsis" mit der dichterischen Wirklichkeit jener „freudigen Entschlossenheit" wäre abwegig. Es besteht die Gefahr, einzelne Äußerungen dichtungstheoretisdi und erlebnisgeschichtlich zu verallgemeinern, und, auch auf Grund zyklischer Verknüpfung, mit der einen f ü r dominant gehaltenen Erklärung auch die anderen, entgegengesetzten zu kontaminieren; die Aussage innerhalb eines Gedichts ruht, bei aller Beziehungsfülle, auch in sich selbst und gehört ganz seiner eigenen Immanenz (vgl. Schweikies

43

Liebe sprechen und keine direkte Begegnung zustandekommt. 40 Walthers frühes Gedicht 119, 17 ist z.B. noch in dieser Form, aber 85, 34 ist Dialog, 41 wundervoll ausgewogen in dem fünfstrophigen Lied. Strophen I und III spricht der Mann, Strophen II und IV die Frau, in Strophe V wird in Engführung die erste Strophenhälfte vom Mann, die zweite von der Frau gesprochen. Durch den Dialog erhalten Ich und Du größere Freiheit, dodi ist es kein freistehender dramatischer Dialog, sowenig wie das Rollenlied freistehender Monolog oder Erzählung ist. Das Ich steht für den Dichter in den Männerstrophen; in den Frauenstrophen wird das Du ganz zum Idi, das Ich zum Du. Man kann sich kein schöneres Muster „lyrischer Gleichberechtigung" denken. In der Männerrede sind Ich und Du ausgewogen (11:11), in der Frauenrede überwiegt leicht das Ich.

40

41

abgrenzende Bemerkungen S. 523). Dort und im folgenden äußert sich Sdì. audi kritisch zu der älteren „biographisch-psychologischen Ausdeutbarkeit der Gedichte", vor allem — dies ist wesentlich — zu der von der Biographie losgelösten Systematik (wie etwa die von Kraus angewandte), S. 524: „ . . . für die sachliche Stichhaltigkeit solcher Ausdeutungen ist es zweitrangig, ob die Vorgänge im Gedicht auf ein wirkliches oder nur ein fingiertes Leben bezogen werden. Für die Beurteilung der internen Relationen des Bezogenen ist es nebensächlich, ob der Bezugspunkt fingiert real oder fingiert fiktiv ist. Dieser Unterschied würde erst bei der C. v. Kraus nicht interessierenden Frage nach der psychologischen Wahrscheinlichkeit relevant. Und mit der Grenzüberschreitung von der sachlichen Reihung zur chronologischen, von einer mehr subjektiven zu einer scheinbar objektiven Kategorie, kommen aber auch die sachlichen Reihungen in das Kreuzfeuer schärferer Maßstäbe. . .". Schweikle äußert vernünftige Skepsis gegenüber der biographischen „Entwicklung" und den Methoden zur Bestimmung der Chronologie. Wir führen „Wechsel" und „Dialog" in einem an, da beide Gattungen Formen der Gegenseitigkeit darstellen, sind uns aber natürlich dessen bewußt, daß der eigentliche „Wechsel" kein Zwiegespräch ist. — Einige ältere Darstellungen des Wechsels erwähnt F. R. Schröder: Der Minnesang I, GRM 21 (1933), S. 182, er nimmt kritisch Stellung zu Schwieterings „Versuch, die lyrische Gattung des Wechselliedes, in dem nach Uhlands schönem Worte zwei verwandte Stimmen zusammenhallen wie zwei ferne Abendglocken, als Nachbildung der Liebesepisteln der Ovidschen Heroiden zu erklären . . . " (bezogen auf Schwietering, Einwürkung der Antike auf die Entstehung des frühen deutschen Minnsangs, ZfdA 61, 1924, S. 61—82). Furstner, der vor allem die seelische Raumstruktur untersucht, meint a.a.O. S. 141, die Grundlage für den Wechsel sei Raumüberwindung. S. 142: „Das ,Vorurteil gegen das tatsächliche Gespräch' [zit. aus A. Angermann, Der Wechsel in der mittelhochdeutschen Lyrik, Diss. 1910, S. 139] beruhte auf der Tatsache des inneren und äußeren Ferneseins." Vgl. dazu vor allem Theodor Frings, Walthers Gespräche, in: Festschrift für Dietrich Kralik, Horn 1954, S. 154—162.

44

Der Inhalt des Gedichts ist Werbung und Ablehnung. Das Spiel des Forderns und Sichentziehens ist aber so voll überlegenen, geistreichen Humors, daß nichts Drängendes oder Schroffes aufkommt. Das Sichbewahren der Dame ist liebenswürdig, schnippisch und charmant zugleich, das Werben des Mannes warm und spielerisch brillant, ein urbanes Sidi-nidits-Vergeben auch in der Bitte um Gegenseitigkeit. Geben und Nehmen werden aus dem Ernst des Gefühls und der sittlichen Uberzeugung, beide ernst bewahrend, gehoben in die Heiterkeit der Kunst als Spiel, Heiterkeit und Tiefsinn sind verknüpft mit dem Motivpaar Leben und Sterben; die Tiefe größter Hingabe, die Verbindung von Lieben und Sterben, klingt leise an. „Man soll des Andern Leben nehmen zu eigen, geben das seine", sagt der Mann, die Frau antwortet: „Ich weiß niemanden, dem ich das Leben nehmen wollte, es könnte ihm Schaden tun", darauf der Mann: „Ich wills dodi wagen, bekümmert Euch nicht, sterbe ich, so ist's ein süßer Tod", 42 und das Schlußwort der Frau: „Aber ich möchte doch noch länger leben. Vielleicht ist Euch das Leben zuwider; was brauche ich diese Härte auf mich zu nehmen, daß ich mein Leben um Eures gebe" (wobei im Begriffe „lip" stets der Doppelsinn „Leib" und „Leben" spielt): 43 Hingabe und Sichbewahren in einem Reigen der Gedanken und glitzernden Obertöne, Fülle und Sicherheit in der Heiterkeit der Liebe und der Gefährdung durch sie, ein Lebensgefühl der Distanz bei aller Nähe; die Gesundheit des Spiels. 44 In der Zentralstrophe, Str. III, finden wir Gegenseitigkeit in folgenden Mustern:

42

43 44

Burdadi, Reinmar und Walther S. 1 4 9 : „ . . . zugleich ist nach einem schönen, weit verbreiteten Sprachgebrauch unter dem Sterben der Augenblick der völligen Liebeshingebung gemeint. Diesen Tod will der Ritter gern sterben." Vgl. Burdadi a.a.O. Furstner interpretiert dieses Spiel dodi allzu schwerfällig. S. 6 9 : „Walther f o r dert von der Frau, daß sie sowohl in der Gesellschaft lebt, als auch in der m i n n e . . . Aber die Frau ist nidit imstande, sowohl der Gesellschaft das ihrige zu geben, als mit dem Ritter in der Gemeinschaft der minne zu leben". Gerade das Sichentziehen ist kein Konflikt, sondern charmante Koketterie. „Ich wil noch lenger leben" bedeutet nicht hauptsächlich, wie Furstner meint, Bekenntnis zur Gesellschaft; die Frau verteidigt nicht ihre gesellschaftliche Ehre, sondern ihre gesellschaftliche Überlegenheit als Weltdame mit esprit, die sich gegenüber einem geistreich plänkelnden, mit spielerisch-ernstem Nebensinn seinen Tod androhenden Werber nichts vergeben kann.

45

Frowe, daz wil ich iudi leren,

wie ein wip der Werlte leben sol. guote liute suit ir eren, minneclich an sehen und grüezen wol. Eime suit ir iuwern lip geben für eigen, nement den sinen. frowe, woltent ir den minen, den gaeb idi umb ein so schöene wip.

Ich will eudi lehren, wie eine Frau leben soll — im Widerspiel von Ich und Frau, von Lehren und Verhalten. Dann die Aktivität der Frau in Steigerung vom allgemeinen „Ehren" zum spezifischen Handeln, in natürlichem Vorgang gesehen: Liebendes Anblicken und Grüßen. Darauf die innige Vereinzelung auf den Einen, noch allgemein, im wiegenden Widerspiel (getragen durch das schwebende, doch drängende Enjambement): Eime suit ir iuwern lip geben für eigen, nement den sinen,

und schließlich, anaphorisch die ursprüngliche Anrede aufgreifend (frowe), die Hinwendung zum eigenen Ich im Gegenspiel zu „nement" : „woltent ir den minen, den gaeb ich umb ein so schoene wip". Eine Strophe von wunderbarer Geschlossenheit: im Weg von der allgemeinen Lebenslehre über das — noch allgemein formulierte Ideal der Gegenseitigkeit zu der werbenden Anwendung auf Ich und Du, auf die ja die ganze Lehre hinzielt; eine spitzbübisch-unschuldige Pädagogik zugunsten der Idee und vor allem zugunsten des Lehrers; schwebendes Zusammenspiel von objektiv gültiger Idee und persönlichem Wunsch, im kleinen und ernsten Spiel eines höfischen Flirts. Wir sahen schon im ersten Gedicht, „Under der linden", wie wesentlich der Zeitdreiklang ist. Das rätselhafteste und schönste Spiel der Zeiten bestimmt Walthers Lied 7 4 , 2 0 : „Nemt, frowe, disen kränz". Die Tanzszene spielt in der Vergangenheit, die Rede des Ich (wobei Strophe I I I der Ausgabe von Lachmann-Kraus eventuell Gegenrede des Mädchens ist), erscheint direkt und wird daher Gegenwart. Durch kein Mittel könnte erinnerte Vergangenheit so schön in die Gegenwart hereingetragen werden wie durch dieses Sprechen. Den einzigen Vergangenheitsbezug in den Redestrophen gibt 1 , 2 : „also sprach ich zeiner wol getanen maget", sonst überwiegt die szenische Gegenwärtigkeit des Erzählten. Innerhalb der Gegenwart der vergangenen Szene klingt

46

erwünschte Zukunft an, das Blumenbrechen auf der Heide. Neben den beiden Strophen in direkter Rede stehen I I und I V in der Vergangenheit, die Annahme des Kranzes (wieder mit Zukunftshoffnung: „wirt mirs iht mer"), die angedeutete Liebesszene und dann - das Erwachen. Die erinnerte, vergegenwärtigte Vergangenheit war nur Traum. Dennoch, nun in der Gegenwart und Zukunft dieses Sommers, schaut das Ich allen Mädchen ins Antlitz. Das Gedicht endet mit einer Szene, der Gegenwartsintensität der vergangenen Szene steht nun eine direkt gegenwärtige zur Seite: auf der Suche nach dem Traumbild bittet der Dichter die Mädchen, ihre Hüte abzunehmen, in der Hoffnung, die Eine doch noch zu finden. Das Spiel der Zeitschichten und das Zueinander von Traum und Wirklichkeit gibt dem Erleben Weite, zugleich wird durch die Intensität der Szene die Vergangenheit Gegenwart, der Traum erlebte Wirklichkeit. Das schönste, klarste, reinste Erlebnis ist Traum, aber nicht nur wird der Traum vor der Wirklichkeit in Illusion aufgelöst, sondern die Traumrealität gewinnt eine Klarheit, die „idealer" wirklich ist. Und das Idi sucht ja auch das Traumbild in der Wirklichkeit. Spiel und Ernst, Wunsch und Realität, Traum und Wirklichkeit klingen ineinander, nicht verschwommen, sondern deutlich. Man kann genau trennen und sieht doch zusammen. Gegenwart ist die „reale" zweite Tanzszene mit ihren Sommern, ihren Mädchen und deren Gesichtern. Die eine Vergangenheitsschicht ist die des Erwachtseins, der Realität (im spielerischen Herüberklingen aus dem Traum; der Liebende erwacht ja an seinem Lachen), die tiefere, traumhafte, klare Vergangenheitsschicht die „erste" Tanzszene mit allem darauf Folgenden, bis hin zum Lachen. Zukunft ist die Hoffnung des Ich, die Traumgeliebte zu treffen. Die Trennung ineinander empfundener Zeitschichten, im Überspielen die Kontur bewahrend, steht im Gegensatz zu der modernen „stream-of-consciousness"-Technik, in der ebenfalls Vergangenes und Zukünftiges in Erinnerung und Erwartung in die Gegenwart hereinklingen, in der aber das psychologische Faktum und die entsprechende gestalterische Konsequenz so beschaffen sind, daß die Gegenwart zuweilen ganz überwältigt wird, ja an sich gar nicht mehr existiert, daß im Extremfall keine Trennungslinie mehr wahrzunehmen ist zwischen Peripherie und Zentrum, auch daß Wirklichkeit und Traum, wie in manchen modernen Dichtungen, nidit mehr untersdieidbar sind. In unseren klassischen Gestaltungen lebt schwebend-schönes Ineinander oder Zueinander von Bereichen, aber es werden in Klarheit und Plastik, im Wagnis und Glück der Gegenwart

47

und der Grenze, diese Bereiche dodi als Getrenntes offenbar; das Zueinander führt nicht zum Verlust der Individualität, der Deutlichkeit und der Zugehörigkeit. 45 II. Lehre Wenn wir in Walthers zweitem großem Themenkreis - politische Lehre und Herrendienst - typische Gestaltungen der lyrisdien Grundrelation aufsuchen, so finden wir Zurücktreten der Du-Anrede, wenn auch nicht des direkt erscheinenden lyrischen Idi. Die Spruchdichtung wendet sich belehrend an ein Publikum, sie will nidit nur aussagen, sondern vor allem wirken. Dennodi wird ein beträchtlicher Teil der Lehren getragen von einem erlebend anwesenden Ich, und viele Sprüche reden nidit zu einem weiten Publikum, sondern direkt zu Individuen. Auch viele der allgemein belehrenden Sprüche ohne Idi oder Du werden nicht nur von einem denkend Allgemeines ausdrük-

45

Umstritten sind die Einheit des Lieds, die Strophenfolge und damit der innere Aufbau und die Verteilung der Strophen auf Traum und Wachsein : vgl. Peter Wapnewski, Walthers Lied von der Traumliebe (74,20) und die deutschsprachige Pastourelle, Euph. 51 (1957), S. 113—150, die letzte umfassende Interpretation dieses Lieds. Noch größere Skepsis der Krausschen Reihung gegenüber zeigt Mohr, Vortragsform und Form als Symbol im mittelalterlichen Liede, in: Festschrift für Ulrich Pretzel, Berlin 1963, S. 128—138, hier S. 135 ff., der die Einheit des Lieds bezweifelt. Die Überlieferung deutet nach Mohr auf drei Fassungen: 1. „Pastourelle: Str. I-III, und zwar in der von Kraus abweichenden, von Simrock, Brinkmann (PBB 63, 380 ff.) und in Maurers Ausgabe gewählten Folge Nemt, Ir sit, Si nam, wobei sich Mohr im ganzen der Auffassung Wapnewskis anschließt, Ir sit sei Mädchenstrophe; 2. „Pastourelle" mit einer Zusatzstrophe (L.—Κ. V: Mir ist von ir geschehen: das Suchen der Geliebten in der Wirklichkeit dieses Sommers); und 3. „Pastourelle" mit der Traumstrophe als Zusatz (IV: Mid) duhte daz mir nie / lieber wurde). Mohr sucht die Einheit zu bewahren, indem er mit der charmanten Möglichkeit der „Ringkomposition" spielt (dem Grundexperiment des Aufsatzes: manche Lieder haben keine feste Abfolge, sondern fließende Tanzreihung „da capo ad infinitum"). Neben anderen Möglichkeiten erwägt Mohr nun auch die Kraussche Fassung: „Dann verliefe das .Spiel' so: Das,nur gedichtete' Glück der Pastourelle entlarvt sich als,nur ein Traum' — aber der Dichter sucht seinen Traum in der Wirklichkeit dieses heutigen Sommers, und wieder objektiviert er sich im Da capo als poetisches Spiel, als Traum, und wieder wird er in der Wirklichkeit gesucht" (S. 138) — wobei nur nicht ganz verständlich ist, warum die mir einleuchtende Folge Pastourellenglück-Traumenthüllung-Suchen des Traums in der Wirklichkeit (Enthüllung und Suchen, die nach Mohr einander ausschließenden Geleitstrophen von Fassung 2 und 3) in gewöhnlicher Reihung kein glaubwürdiges Hintereinander ergeben soll und erst als (durchaus mögliche, aber von der Uberlieferung doch ebensowenig gestützte)

48

kenden Lehrer formuliert; der Gedanke verwandelt sich in Szene und Gegenwart, er bleibt kein uneigentliches Bild, das, nur von der Idee gehalten, die Beine nicht auf die Erde bringt, sondern lebt in realen Vorgängen, die sich selbst so treu sind wie der Idee. 1 Das Verhältnis zwischen Ich und Reich ist wesentlich für die lyrische Grundrelation vieler Sprüche. Wir skizzieren die dichterische Verwirklichung am Beispiel des ersten Reichsspruchs (8,4). Der Spruch ist dreigeteilt. Das Ich, bevor es in denkender Auseinandersetzung hinausgreift ins Andere, ins Reich und die Welt, verwirklicht sich selbst in klarer Gestalt. Sein und Denken spielen zusammen in der Plastik des Sinnenden, dem Mann auf dem Steine. Der

1

Ringkomposition Sinn erhält. Wir behandeln das Lied als Einheit. Wenn L . - K . I I I Mädchenstrophe ist (Wapnewski), so würde das Muster der Gegenseitigkeit nodi schöner erfüllt: Ihr Kranzangebot ist „unendlich viel tiefer, ernster, opferungswilliger. Diese ungleichartige Gleichheit der Anreden und Angebote spiegelt die Vereinigung der zueinanderstrebenden ,Ungleichen' wunderbar wieder" (S. 125). — Selbst bei Annahme der Liedeinheit und der Krausschen R e i hung bleibt noch die Frage nach der Verteilung von Traum und Wirklichkeit. Kraus hält Str. I und I I für real, I I I und I V für Traum, Brinkmann (seine abweichende Reihung s. o.) hält nur I V für Traum; H . Schneider, AfdA 55 (1936), S. 128 billigt die Kraussche Reihung, versteht aber die ganze Szene I - I V als Traum. Dieser Auffassung, mit der auch Möhrs „Traumvariante" zu vereinbaren ist, schließen wir uns an. — Ober Minneträume allgemein vgl. K o l b S. 81 ff. Wiegand S. 2 9 f. spricht von „unechtem Traum", da er „real" wirke (vgl. audi Mohr, Wolframs Tagelieder, S. 156). Wir sehen zwei Möglichkeiten „voller" Zeitgestaltung, einmal den Zeitdreiklang in unserem Gedicht mit dem apollinisch klaren Traum der Vergangenheit, mit der Gegenwart und der unmittelbaren Zukunft (realistisch ist hier nicht die Traumauffassung, aber der Trauminhalt), zum anderen die von Mohr dargestellte, tiefgestaffelte Zeit der wachen Klarheit und traumhaften Verschwommenheit (realistisch ist hier die Traumauffassung und deshalb verschwommen das Zeitgefühl des Traums). In anderem Sinne spricht Halbadi, Walther und die Dichter von Minnesangs Frühling, S. 110 und 125 f. von „apollinisch heiterer Traumnatur" bei den Waltherschen Naturschilderungen. Mundhenk, Walthers Selbstbewußtsein, S. 413 betont, daß bei Walther, entgegen dem Gebrauch bei anderen Dichtern, in der Spruchdichtung das Idi noch intensiver hervortritt als in der Minnelyrik; unter etwa 100 Sprüchen sind 50 in der ersten Person, davon gut die Hälfte mit einem in eigener Sache redenden Ich, daneben die andern ohne Ich, aber doch mit Anrede; die rein didaktischen sind selten. D a ß allerdings Walthers Vorliebe für personifizierte Abstrakta ein A n zeichen dafür sei, daß Walther das konkrete Gegenüber suche (Mundhenk S. 4 1 7 ) , überzeugt nicht; die zum Unpersönlichen neigende spätere Sprudididitung benützt dieses Stilmittel noch häufiger. D e r zweifellos bestehende Unterschied liegt nicht im Vorhandensein dieser Figuren, sondern in Walthers lebendiger Ausgestaltung. — Burdach, Walther I, S. 93 charakterisiert die Anwesenheit des Menschen Walther in seiner Sprudididitung; vgl. audi dens., Reinmar und Walther, S. 28 f.

49 4

Sdiaefer, W a l t h e r von der Vogelweide .

Rest des Gedichtes ist Nachdenken, dies aber wieder zweigeteilt: Reflexion über die drei Grundwerte, „ hones tum", „utile" und „summum bonum", 2 und am Ende die allegorische Vision im Großraum des Reichs. So entsteht die Dreiteilung: der Raum des Idi, das sich als Mensch, der mitzureden hat, gleichsam an die Straßen des Reichs setzt und im Denken die Abstraktion und das Reich auf sich bezieht; das abstrakte Denken über die Welt; und schließlich der Raum des Reichs. Das Ich denkt die zerbrochenen Teile und versöhnt denkend und sehnend Gott und die Welt in einer vollen, „gesunden" Gestalt. In der Vorstellung des Herzensschreins am Ende des zweiten Teils konvergiert das Getrennte; die ideale Geschlossenheit der Ethik antwortet gleichsam auf die Geschlossenheit der tragenden Ich-Gestalt am Anfang. Am Ende öffnet sich der Großraum der Wirklichkeit, der die Gestalt und ihr Sehnen drohend überwächst.3 Ich und reale Welt sind nicht immer in Harmonie. Das Ich kann sich wohl als Gestalt verwirklichen, klar und fest die Dinge beim Namen nennen und als Wunsch die Synthese auch in der Welt herbeiführen, es braucht sich 2

3

Auf die Frage des „ritterlichen Tugendsystems" gehen wir nicht ein. Zur Literatur s. de Boor I I , S. 20. Wiegand charakterisiert S. 32 f. die Strophe als kleine Handlung mit sieben Mitspielern, als Wanderung, die ein Ziel fordert. „Das Ziel wird mit einer naheliegenden Metapher als Schrein vorgeführt, zu dem die drei erwähnten Güter (Ehre, Besitz, Gottes Huld) wandern möchten. Aber Untreue und Gewalt (als Straßenräuber gedacht) machen den Wanderweg unsicher, da Untreue und Gewalt ihre Widersacher Friede und Recht schwer verwundet haben." Obwohl die Vereinigung der drei Allegorien in einem Schrein ein Bild ist und audi der H i n terhalt auf den Straßen des Reichs szenisch dargestellt und mit dem ersten Bild verknüpft wird durch das Glied „stic unde wege sint in benomen", verbinden sich die beiden Vorstellungen nicht zu geschlossener Szene. Die Verknüpfung geschieht bloß gedanklidi; wir müssen zwischem allegorischem und sinnlich szenischem Zusammenhang unterscheiden. Das Bild des Wegs ist zunächst nicht gegeben, nur das Vereinigen im Schrein des Herzens. Erst dann wächst sekundär, in typisch mittelalterlicher gedanklich-assoziativer Bildverknüpfung (die wir bei Frauenlob wiederfinden werden), aus der Vorstellung des „in ein Herz K o m mens" und der damit verbundenen Vorstellung des Wegs das Bild von den Wegen im Großraum des Reidis, das mit seinen Wegelagerern und seiner Friedlosigkeit in sidi geschlossen ist. D a s Bild, in dem die drei Gestalten auf dem Weg in ihren Kasten von zwei Wegelagerern belästigt werden, wäre im Sinnlichen absurd und kommt audi nicht zustande; die szenische Bildlichkeit bleibt bei der Dreiteilung: Bild des Sitzenden, weniger szenisch das Bild der Vereinigung im Herzensschrein, und, darüber gewaltig hinauswachsend, die Szene auf den Straßen des Reichs. — Zum Inhaltlichen vgl. nodi Mohr, Der Reichston Walthers von der Vogelweide, Deutsdiunterr. 5 (1953), H . 6, S. 4 5 — 5 6 , hier S. 46 ff.: „Zum Verständnis des Spruches genügt es, zu wissen, daß Walther über etwas

50

nicht hinzugeben an sinnenfremde Abstraktion, sondern gestaltet die Verworfenheit der Realität durch eine sinnlich geschaute Allegorie, die keineswegs abstrakte Gleichung ist; es gibt seiner zeitlosen Vision durch sein plastisches Da-Sein und die mitklingenden historischen Vorgänge im Reich reale Gegenwart. Aber es kann die Gefährdung nicht harmonisierend umgehen. Die Einheit der Temporalia und Spiritualia ist im Ideellen von jeher vorausgedacht und vorausgegeben; die Universalien waren keine Träume, die von dem Geschehen auf dem Markt der Welt hätten widerlegt werden können. So zielt Walthers Synthese auch nicht auf die Versöhnung von Gott und Welt in der Idee; dies Problem ist ein modernes; Walthers Strophe geht aus vom Glauben an jene ideelle Einheit, sein Wunsch zielt weiter nada einem größeren Ideal, der körperlichen Verwirklichung dieser Einheit im Alltag des Empirischen. Das ehrliche „es geht nicht" entwertet nicht das vom Ich getragene Bild der Synthese. Das staufische Menschenbild ist ja ein solcher Wunsch, seine poetische Wirklichkeit wird nidit entwertet durch die Verzweiflung an der empirischen Realität, denn ein gestaltetes Ideal hat seine eigene, in sich selbst ruhende Wirklichkeit und Wahrheit. Das Diesseits und den Menschen ganz ernstzunehmen, sich zu seinem Bild zu bekennen (wie das Walther oft und ergreifend schön getan hat) und deshalb jene ideelle Einheit im Menschen, im Diesseits verwirklicht sehen zu wollen, sich nicht zu begnügen mit dem ideellen Gelöstsein - denn dies Begnügen würde zu Weltfludit und Weltverneinung führen: aus all dem erwächst die Spannung, die manchmal in Glück, manchmal in Verzweiflung endet. Im Wunschbild - des Menschen, des Reichs, der Liebe - besitzt auch die empirische Realität Bildbarkeit für das Ideal. Walthers Haltung, die die Idee unangetastet bewahren kann und dabei das Menschliche ganz so sehen wie es ist, und darüber dennoch den Menschen zum Material für die Synthese wählt, läßt etwas von dem ahnen, was man staufische Klassik der Humanität nennt, 4 in schwer faßbarem Zusam-

4

nadidenkt, worüber ,man* damals nachdachte." Zur Einheit des Tons Mohr S. 48 : „Mir scheint, als Walther begann, diesen Spruch zu dichten, da ahnte er noch kaum, wohin es ihn einmal treiben werde. Der Spruch ist ein Beispiel für .allmähliche Verfertigung der Gedanken' beim — Dichten." Ober die Einheit audi Maurer, DVjS 23 (1949), S. 274—285. Anders gebraucht Hans Naumann den Begriff „klassisch"; für ihn ist er die Vollendung des traditionellen höfischen Kanons. So sagt er (Höf. Kultur S. 19) von der Minnelyrik: „Ihre Klassiker würden dann ihre Erfüller sein, also Reinmar von Hagenau zum Beispiel; Walther wandelt sich zum Durchbrecher.. .".

51 4·

menspiel von Mut und Illusion. Das dichterisch reale Wunschbild ist die reale Welt, nicht die Preisgabe einer hoffnungslosen. Nur wenn das Wissen um die Gefährdung das Menschenantlitz noch ertragen kann, wenn der Dichter das Leben nicht nur „ewigklar und spiegelrein und eben" sieht und fordert, kann er Menschen gestalten und zugleich lieben.5 Die lyrische Grundrelation betrifft in vielen Sprüchen das Verhältnis zwischen dem Ich und dem fürstlichen Gönner. Wie in der Liebe, so ist auch hier die ideale Grundfigur die der Gegenseitigkeit. Vorbildliches Verhalten des Fürsten wird gepriesen, und Preis und Treue darf ideellen und materiellen Dank erwarten. Diese Gnade des Fürsten und der „hohe muot" des Sängers sind in der ideellen Struktur der Gesellschaft wie im realen Alltag des Fahrenden aufeinander bezogen. Der Sänger lebt vom Ertrag seiner Kunst, der Dank bedeutet das tägliche Brot, aber daneben ist Ausgewogenheit von Preis und Dank eine ideelle Form höfischer Schicklichkeit, auch der Fürst steht unter dem ethisch-ästhetischen Comment der höfischen Welt. Andererseits

5

Eine interessante Deutung der geistesgeschichtlichen Zusammenhänge gibt Theo Schumacher, Walthers zweiter Spruch im Reichston, D V j S 36 (1962), S. 179—189. Die alten Interpretationen werden referiert: Die Welt als Gottes Schöpfung ist vollendet und gut; in diesem Paradieszustand gibt es keine sündige EigenWirklichkeit der Schöpfung. An der Wirklichkeit nach dem Fall hat der Mensch schuld, obwohl nichts außerhalb von Gottes Willen geschieht — eines der tiefsten Paradoxe der christlichen Theologie. So bedeutet das paradiesische Verhältnis von Gott und Welt Friede, Gerechtigkeit, Einssein des menschlichen mit dem göttlichen Willen. Die Kluft zwischen der Welt und dieser Ordnung führt Weltflüchtige zur Verachtung des Bestehenden und zur Flucht in die Kontemplation der ideellen Geschlossenheit. Walther erlebt die gefallene Welt, aber er prangert nicht nur an, sondern hofft auf Besserung für den Menschen und sein von Gott gesetztes Reich. Mohr bemerkt Deutschunterr. 5 (1953), S. 51 in seiner Interpretation des zweiten Reichsspruchs, daß hier, entgegen der mittelalterlichen Auffassung, auch die Natur den Paradieszustand verlassen habe. (H. Schneider, Heldendichtung, Geistlichendichtung, Ritterdichtung, 2. Aufl. Heidelberg 1943, S. 259 f. weist ebenfalls auf die in diesem Punkt „übermittelalterliche" Haltung Walthers hin.) Schumacher zeigt dagegen, wie sich auch für die Vorstellung der Natur als Kampf Belege in der theologischen Literatur finden, so bei Augustin, Civ. Dei 12, 4, PL 41, 351 f. (Schum. S. 181 f. und Anm. 15); bei Petrus Lombardus PL. 191, 1444 der Hinweis auf die mit dem Menschen gefallene Natur (Schum. 182 f. und Anm. 23). Auch Beispiele für die hierarchische Ordnung im Tierreich werden gegeben (S. 187 f.). Das zwar gefallene, aber doch noch als gegliederte Einheit intakte Tierreich wird dem Menschen zum Vorbild gesetzt; nach gradualistischem Denken darf das Höhere dem Niedrigeren nichts nachgeben. So will auch der zweite Spruch Einheit und Harmonie schaffen unter den Menschen, für die Walther hofift. — Es ist jedoch ein großer Schritt von der Erkenntnis dieser

52

hat der Herr durchaus auch praktische Vorteile durch den Preis in Liedern eines berühmten Sängers: Sein Handeln wird positiv kommentiert, sein Name ist rühmlich in aller Munde. Auch ideell fundierter Tadel durch den Sänger soll nicht mit Ungnade gelohnt werden; hier fordert die Gegenseitigkeit, daß solchem Tadel Anerkennung, Einsicht und Besserung folgt.® Lehensverhältnis wie Gefolgschaftssängertum, Urformen dieser ideell-materiellen Balance treuer Gegenseitigkeit, sind eine gesellschaftliche Grundgestalt, die nicht nur gedankliche und gefühlsmäßige Kraft besitzt, sondern als ästhetisches Gebilde von klarer Schönheit wirkt. Herzog Friedrich von Österreich war 1198 gestorben; Walther muß sich nach einem andern Gönner umsehen. E r findet ihn „im Reich", im neuen Kaiser Philipp von Schwaben. In Geben und Empfangen,

geistesgeschichtlichen Parallelen zum Nachweis der direkten „Veranlassung". Schumacher geht hier sehr weit und bringt S. 185 das 8. Kap. des Römerbriefs, das „am vierten Sonntag nach Pfingsten verlesen werden konnte" (und der vierte nadipfingstliche Sonntag fiel 1198 auf den 14. Juni, während am 9. der Gegenkandidat Philipps gewählt und proklamiert wurde) mit Walthers Sprudi in Verbindung, wie denn auch die Oratio dieses Sonntags „Ut mundi cursus pacifice nobis tuo ordine dirigatur" zu „Philippe setze en weisen uf" in Beziehung gesetzt wird. Die Frage nach dem gradualistisch-theologischen Gehalt scheint von der Beobachtung grundsätzlidier gedanklicher Übereinstimmung immer wieder zu sehr zur Forderung direkter ursächlicher Bestimmung ausgeweitet zu werden. — Für „fride unde reht" — „pax et iustitia" der Krönungsformel — verweist Schumacher S. 183 auf E. Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Stuttgart 1938, S. 22 f. Vgl. auch Burdach, Walther I, S. 43 ff. • Auf das Menschlich-Allzumenschliche des Verhältnisses weist Halbach im Zusammenhang mit den Milte-Werbungen hin (Waltherstudien II, in: Festschrift für Wolfgang Stammler, Berlin und Bielefeld 1953, S. 45—65). S. 58: „ . . . hier spricht, in tragischer Verflochtenheit in allzu irdisches Bajazzo-Sckicksal des fahrenden Sängers, der Gefolgsmann des Fürsten; ja, der Sänger, .Propagandist' und Publizist (cum grano salis) des dunkelsten Ehrenmannes in der damaligen Fürstengeschichte : der Sänger des Landgrafen Hermann!" — Zu Walthers Begriff der Treue Burdach, Walther I, S. 91 ff. S. 92 f. werden sehr schön beide Aspekte des Treueverhältnisses, der ideelle und der reale, herausgestellt. Zur Doppelheit von Ideellem und Realem im Miltebegriff vgl. auch Stadcmann, Heinrich von Mügeln, S. 57 (dort Hinweis auf Alfons Weber, Studien zur Abwandlung der höfischen Ethik in der Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts, [Bonner] Diss. Würzburg 1936, S. 14—21 u. 54—62, audi Roethe, Reinmar von Zweter, S. 218 f. und H. O. Burger, Die Kunstauffassung der frühen Meistersinger, Neue deutsche Forschungen 75, Berlin 1936, S. 13). Fr. Neumann, Walther von der Vogelweide und das Reich, DVjS 1 (1923), S. 524: „Wenn der .dominus' nicht erfüllt, was als seine Pflicht gilt, so hat der ,subditus* das Recht, ihm zu widerstehn; Herr und Untertan halten sich gegenseitig."

53

Tragen und Getragenwerden wird das Verhältnis zwischen dem Idi und der Idee und Realität des Reichs Gestalt. Diese Begegnung zeigt z. B. der Spruch 19,29. „Als Friedrich von Österreich starb, führte er meinen kranichstolzen Gang mit sich in die Erde. Da schlich ich umher wie ein Pfau und ließ meinen Kopf bis auf die Knie hängen. Nun aber richte ich midi wieder voll auf, denn mich hat das Reich und die Krone zu sich genommen. Nun darf man sich freuen; alle Schwierigkeiten sind überwunden; jetzt will ich wieder ebene Wege gehen und zu ,hohem muot' aufsteigen." 7 In der Gemeinsamkeit des Ich und des Herzogs, dann des Ich und des Kaisers wird die Gegenbewegung deutlich; in der ersten Strophenhälfte, sie fast ganz erfüllend, Tod und Depression, die Bewegung nach unten, in der zweiten das hohe Leitziel des Reichs, das dem Ich seine Gnade zugewendet hat und es wieder emporführt. Der Umschwung liegt in der letzten Zeile des zweiten Terzetts. Großartige Komposition: Der erste Teil der Strophe schließt mit der positiven Note, die dann die gleich lange zweite Hälfte (ebenfalls zwei Terzette) beherrscht; der Aufschwung greift gerade noch in eine Zeile des sonst gleichgewogenen ersten Teils ein und überwiegt.8 In sdiöner Balance von Aktivität und Passivität, Finden und Empfangen, Ich

7

8

54

Vgl. audi F r . Neumann, Der Minnesänger Walther von der Vogelweide, Deutschunterr. 1953, H . 2, S. 4 5 ; zu den biographischen Hintergründen von Walthers Abschied K . K . Klein, Walthers Scheiden aus Österreich, Z f d A 86 (1955/56), für diesen Spruch vor allem S. 217 und 223, dort audi Anm. 1, wo, im Gegensatz zu Wilmanns-Midiels I I , S. 112 und den übrigen Kommentatoren, der Vers 19,32 „do gieng ich slichent als ein pfawe swar ich gie" zu dem stolzen Kranichschritt und nicht zu dem folgenden Kopfhängen gestellt wird. Zwar läßt sich „slichent als ein p f a w e " für sich durchaus als würdevoll gespreizter Pfauengang auffassen, entsprechend dem „slichen" im Spruch von der Magdeburger Weihnacht. Aber sinngemäß kann nach dem vorausgehenden: „da nahm er meinen stolzen Schritt in die E r d e " , das den Zustand nach Friedrichs T o d bezeichnet, der folgende Vers doch nicht plötzlich wieder den Zustand davor, nämlidi breitspuriges Einhersdireiten, meinen, vor allem, da dann V. 5 ganz parallel, mit derselben Zeitstufe (hanht, gieng), eindeutig die Depression ausdrückt. Vgl. audi Friedrich Maurer, D i e politischen Lieder Walthers von der Vogel weide, Tübingen 1954, S. 2 1 ; Burdadi, Walther I, S. 38 und 125 ff. Auf eine Entlehnung durch Frauenlob weist Irmentraud Kern hin: Das höfisdie Gut in den Dichtungen Heinrich Frauenlobs, Berlin 1934, S. 23: „krenedien" und „pfawe" in Frl. 48,17 „den pfawen oft hat überstigen des krenedies vluc". Ober Walthers Auffassung der Reichsidee Burdach, Walther I, S. 69 ff., auch S. 135 ff. E r betont S. 7 2 Walthers impulsive, wenig besonnene Art, die mit Leidenschaft das Richtige tun will. Sdiön charakterisiert bei Rotraut Ruck, Walther von der Vogelweide. Der künstlerische Gedankenaufbau, Basel 1954, S. 15 ff.

und Reich folgt das erste Verspaar des Abgesangs: „Ich bin wol ze fiure komen, / midi hat daz ridie und ouch diu krone an sich genomen". Krone und Reich stehen in geistiger Bildlichkeit leuchtend in der Höhe, Aufschauen und Erhobensein klingen somit schon in Vers 8 an, im „Wohlauf" des Verses 9 dann wörtlich. Dem Schleichen entspricht nun das Tanzen, der „swaere" wird Abhilfe geschaffen, dem Kopfhängen folgt „ . . . wider in ein hochgemüete stigen" : Gemeinsamkeit abwärts, nun Gemeinsamkeit hin zur Krone in jubelndem Aufwärts. Wenn das Ich auch in schicksalhafter Verknüpfung den ihm durch die äußere Welt vorgeschriebenen Linien folgt und in der Gemeinsamkeit nur Mitläufer des Schicksals zu sein scheint, so gestaltet es sich dennoch nicht nur passiv. Gerade im Aufschwung gewinnt es kraftvolle Aktivität; das Sichaufrichten, dann das Gehen und Steigen sind eigenes Tun, als Antwort auf die Gunst der Krone. Die gnädige Hilfe erhöht das Ich, indem sie es zugleich zu sich selbst führt „nach vollem werde". Wieder ist, wie oft auch in der Minnedichtung, dies Erlebnis im Zusammenklang der Zeitschichten gestaltet. Die Gegenwart, scharf konturiert durch das Erlebnis der Wende, setzt sich gegen die Vergangenheit ab, die durch das Glücksgefühl des jetzt so völlig Neuen ganz in der Gegenwart mitklingt. Die Initiative übergreift die unmittelbare Zukunft, im Anruf an die andern: „wol uf, s wer tanzen welle nach der gigen!", und dann im Ausblick auf das bevorstehende Leben. 9 Oft nennt sich das Ich nicht direkt, sondern geht ein in die Gruppe derer, für die es spricht. So in einer Strophe des zweiten Philippstons, der eigentlichen Philippsmahnung 16, 36. 1 0 Huldigung und königliche Gegenleistung klingen widereinander:

9

10

Auf vier Zeitsdiichten weist R. Ruck a.a.O. hin: das Leben Friedrichs, die traurige Zeit nach seinem Tod, die freudige Gegenwart und die freudige Zukunft. Vgl. zu der Strophe audi Halbadi, Waltherstudien II, S. 47 ff., vor allem S. 55 ff.: Die ersten Stollen-Binnen- und die Stollen-Sdilußreime von 19,17 (dich/midi + mere/ere) respondieren diiastisdi (assonierend, bzw. reimend) mit Wiederholung eines Reimworts auf die Anfangs- und Schlußreime von 16,36 (Abgesang-Sdilußreime: -lidie/riche; Anfangsreime der Strophe here/ere), im Abgesang dann in 16,36 a dominierend, mit eingestreutem i (sat-gat-hat-lidie-kan-gewan-versanriche), in 19,17 umgekehrt: Salatin-sin-geminnet-Engellant-hant-gewinnet. D a ß dies bewußt arrangiert sein soll, kann idi nicht glauben.

55

Philippe, künec here, si gebent dir alle heiles wort und wolden liep nach leide. N u hast du guot und ere: daz ist wol zweier kiinege hört, diu gip der milte beide.

Geben-Wünschen

Antwort auf „wollen", Gegenbewegung zu „gebent"

Nun die Figur menschlicher Gegenseitigkeit in einem Bild des organischen Lebens, in schöner Versdimelzung von Natur und Kultur im Vorgang von Saat und Ernte. Im Vergleich („wie") gewinnt das Bild tragende Selbständigkeit, Sinn und Bild klingen kraftvoll ineinander: Der milte Ion ist so diu sat,

milte-lon

diu wünnecliche wider gat dar nach man si geworfen h a t . . .

sat werfen -wider gan

Es überlagern sich Spannung und Parallelität: Milte gehört zu Saat, Saat enthält implizit die Frucht, die aus ihr wächst und die dem Lohn entspräche; das den Analogiepaaren entsprechende, in Gegenbewegung spielende Verbenpaar ist „wider gan" und „werfen". Der pointierte Nachdruck liegt auf dem ersten Subjekt und ersten Verb: lon-wider gat. Parallel folgt der Anruf an den König: „wirf von dir miltecliche!" und nochmals: „Sweldi künec der milte geben kan . . . " , und die Gegenbewegung ebenfalls verdoppelt, in sich selbst im Widerspiel: „si git im daz er nie gewan Und nun ein Beispiel aus der Geschichte, keines der gelehrsam herbeigekramten wie oft in der späteren Spruchdichtung, in der der Dunst des Requisitenkastens die frische Luft gegenwärtiger Lehre und ihrer Situation überdeckt, sondern ein spontan hingespieltes, in kraftvoller Steigerung: wie Alexander sich versan! der gap und gap, und gap sim elliu riche.

Das erste „gap" antwortet auf das „gewan" der drittletzten Zeile, das letzte „gap" trägt strömend die Antwort zurück. Kein kleinmütiges Betteln um Gaben, sondern in der Figur der Gegenseitigkeit audi stolzes Bewußtsein dessen, was die Untertanen für den Fürsten bedeuten. Die Vergangenheit klingt leise herein im antithetischen Nacheinander: liep nach leide; traurige Vergangenheit und erwünschte bessere 56

Gegenwart. Eine andere Vergangenheitsschidit ist die historische Reminiszenz an Alexander. Die Zukunftsdimension öffnet sidi im Gegenpol des Gebens, in der Frucht der „milte" : Sie wird sich lohnen; im naturhaften Bild des Säens, dem die Ernte folgen wird. 11

11

In einer anderen Strophe ohne Ich, dem Spruch 12,18 an Otto, fordert Walther den Kaiser zu strengem innenpolitischem Durchgreifen und zu energischem Vorgehen gegen die Heiden auf. Das Hin und Wider spielt zwischen den Partnern Kaiser und Welt (Deutschland, dem Ausland, den Heiden): Her keiser, swenne ir Tiusdien fride /gemacbet staete bi der wide, / so bietent iu die fremeden Zungen ere (Handeln des Kaisers, Huldigung durch das Ausland) / Die suit ir nemen ane arebeit, / und süenent al die kristenheit: (Aufgreifen; Handeln des Kaisers) / daz tiuret iuch und müet die heiden sere. / Ir tragt zwei keisers eilen: / des aren tugent, des lewen kraft, / die sint des herren zeichen an dem schilte. / Die zwene hergesellen: / wan woltens an die heidenschaft! / waz widerstiient ir manheit und ir milte? (Aktivität gegen die Heiden, negierte Gegenbewegung). Die Zeichen auf dem Schild sind Bilder potentieller Kraft: der Adler und der Löwe (vgl. auch Maurer, Polit. Lieder S. 58). In ihrer heraldischen Ruhe schwingt energische potentielle Aktivität mit, vom Dichter wunschhaft entfaltet in Dynamik: „Die zwene hergesellen: / wan woltens an die heidensdiaft!" Wunsch des Dichters nach rechtem, starkem Handeln des Herrschers, dynamisches Geschehen im Reich und in der Welt, eine Gestalt des Reichs, die durdiklungen ist von in die Wirklichkeit umgesetzter idealer Tat, ein Gefüge der Gerechtigkeit, der Verpflichtung und des Einlösens dieser Verpflichtung, in Balance von Handeln und Anerkennung, durch Handeln und Anerkennung vergrößerter Kraft, die sich gegen die Macht des Feinds der christlichen Idee wendet, und das Ganze getragen vom Bild der Wappentiere, in deren Ruhe Energie der Tat geballt ist. — Rein ideeller Dank für dichterischen Preis, adliger Gegenpreis durch den dichtenden Fürsten, erfolgt in 18,15: Mir hat ein liet von Franken / der stolze Missenaere braht (seine Gabe) / daz vert von Ludewige. / lehn kan ims niht gedanken (mein Dank) / so wol als er min hat gedaht (sein Gedenken) / wan daz ich tiefe nige (mein Neigen). / Künd ich swaz ieman guotes kan, / daz teilte ich mit dem werden man (Gemeinsamkeit) / der mir so hoher eren gan (sein Wirken an mir) / got müeze im ere meren (Gottes Wirken an ihm). Dann kommt der Wunsch, hinströmend zu ihm, formelhaft beschwörend, aber ganz in Bewegung aufgelöst, mit dem impressionistischen Jagdbild und dem klangmalenden Binnenreim im Schlußvers: Zuo flieze im aller saelden fluz, / niht wildes mide sinen schuz, / sins hundes louf, sins homes duz / erhelle im und erschelle im wol nach eren. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft spielen zusammen. Die Gegenwart, die Situation des empfangenen Lieds überwiegt; das Vergangene, das Überbringen, ist in der vollendeten Gegenwart gegeben. Der Wunsch für den Geber führt aus der Gegenwart in die Zukunft. — Gegen die Lesung „lieht" in V. 1 unter Berufung auf Kraus, Unters. Halbach, Waltherstudien II, S. 48 f.; S. 51 ff. Hinweis auf reimornamentale Bindungen mit der Anonymusstrophe 18,1 „Her Wicman, habt irs ere" (nach Pfeiffer, Saran und Maurer unecht). Vgl. auch Maurer, Polit. Lieder, S. 45 ff. für den Zusammenhang mit 17,25, dem „Bohnenspruch", und 17,11, dem „Spießbratenspruch", innerhalb des zweiten Philippstons. Maurer S. 45 läßt die Frage nach „liet" oder „lieht" offen, Brinkmann dagegen ist PBB 63 (1939), S. 349 für „lieht".

57

Einem (wohl vom Kreuzzug heimkehrenden) Fürsten, dem Herzog von Österreich, ist der Spruch 28,11 aus dem „König-Friedrichs-Ton" gewidmet: „Herzoge uz Osterriche, ez ist iu wol ergangen...". Das Idi steht im Kollektiv des Volks und spricht in der ersten Person des Plural. Meinung des Idi und (angenommene oder wirkliche) Volksmeinung vereinen sich in solcher Wir-Fiktion, fühlendes Idi und mitdenkende, mitfühlende Gemeinschaft klingen zu einer großen Gestalt zusammen. 12 Da ist Walther fast immer ein prominentes, tragendes Teil des Ganzen, regieführender Sprecher, pointenschaffender Former, aber auch Gewissen, Schiedsrichter, primus inter pares oder impares im Chor des Volks. Das Pronomen ist kein pluralis majestaticus des Egoismus, zumeist auch keine bloße Formel für lehrhaft Allgemeines. Man fühlt in einer Gestalt Not und Glück des Ganzen, der Provinz, des Stands, des Reichs, der Christenheit. Dies „Wir" wird geformt von Innigkeit und Kraft, von verantwortungsvoller Aggressivität oder froher Bejahung; es klingt in Tragen und Getragenwerden die Synthese von Idi und Umwelt mit. In unserer Strophe umfaßt das Wir, das den Herzog in der H ö f lichkeitsform „ir" anredet, die Zuhausegebliebenen, die Heimat; die Abhängigen und Kritiker, alle die erwartungsvoll ihn Empfangenden. Das Ideal, dessen Verwirklichung der Dichter wünscht, ist eines der Entsprechung und Vollendung. Den edlen Taten in der Fremde sollen ebensolche in der Heimat folgen, vergangenem Ruhm die Bewährung hier und jetzt und in der Zukunft: Muster der Analogie und Harmonie von Gestern, Heute und Morgen, von Fern und Nah, von Außen und Innen, in gefestigter, von edlem Tun getragener Existenz. In die Gegenwart der Rede klingt die erwartete Heimkehr des Fürsten und die Erinnerung an seine Bewährung im fremden Land. Wir sehen das Spiel von Kommen und Empfangen, von Volk und Fürst: Herzoge uz Osterriche, ez ist iu wol ergangen, und also schone daz uns muoz nach iu belangen: sit gewis, swenn ir uns komet, ir werdent hoch enpfangen. Ir sit wol wert, daz wir die gloggen gegen iu Unten, dringen unde schouwen als ein wunder komen si. ir komet uns beide siinden unde schänden fri, des suln wir man iu loben, und die frowen suln iu triuten.

12

58

Vgl. audi Mundhenk, Walthers Selbstbewußtsein, S. 415. Eine schematische Obersicht findet sidi bei Roethe, Reinmar von Zweter, S. 263 ff.

D i z lieh te lop volfiieret

heime u n z an d a z o r t :

sit uns hie biderbe für d a z u n g e f ü e g e w o r t , d a z iemen spreche, ir soldet sin beliben m i t eren dort.

Auf das Sehnen folgt das Kommen, dem antwortet das Empfangen im Widerspiel der Vektoren. Darauf folgt das Glockenläuten ihm entgegen, parallel das Drängen und Schauen, doppelt antwortend das Kommen des Fürsten. Dem folgt doppelte Gegenbewegung, Loben und Lieben durch das Volk, schließlich das Vollenden durch den Fürsten und antithetisch das Fortbleiben. 13 In dieser letzten Antithese steht hoffendes Vertrauen, das auch Skepsis erträgt (man kennt Walthers Ressentiments dem Babenberger gegenüber); die Vollendung jetzt und hier soll Besserung des einst Unvollkommenen sein, die allein des Fürsten Hiersein rechtfertigt. Man könnte sich diese Gestalt der Gemäßheit und Vollendung, der Harmonie von Volk und Herrscher, als Bild denken, auf der einen Seite die jubelnd Wartenden, auf der andern das aus der Ferne hereinziehende Gefolge des Fürsten. Walther überlagert die Gestalt durch einen körperlichen und seelischen Vorgang der Gegenseitigkeit; die schicksalhaft aufeinander bezogenen Teile des Bildes stehen nicht starr nebeneinander, werden aber audi nicht eins, sondern sind in Tun und Empfangen, Abhängigkeit und urteilender Selbständigkeit im Kunstwerk aufeinander zukomponiert wie durch das Gesetz mittelalterlichen Staates und Lebens und die Freiheit des fühlenden Menschen die realen Gestalten, denen das Kunstwerk gilt. Nicht nur an den Herrscher des Volks, auch an den Lehnsherrn des Idi richtet Walther sein Bitten und Mahnen. Draußen im Reich und in den Fürstentümern soll ideale Ordnung sein, aber auch das Idi will teilhaben an der Geborgenheit, die jene Ordnung schenkt. Die hierarchische Stufung des Lehnswesens weist jedem seine ideale Stelle zu, der Besitz befriedigt aber audi die realen Bedürfnisse des Heimatlosen und befreit von alltäglicher Not. So vereinen sich in der Sehnsucht nach Geborgenheit Ideales und persönlich Realistisches: Das unbehauste Fremdsein verträgt sich nicht mit dem Grundgefühl fester Gehörigkeit aller Dinge, Gedanken und Handlungen, das Walthers 13

Kraus, Unters. S. 91: „Die Schlußpointe ist wohl mit Absicht doppeldeutig, indem man ,beliben' entweder in seiner gewöhnlichen Bedeutung (also als Gegensatz zu ,komet' 16) fassen kann, oder aber auch in der prägnanten ,auf dem Schlachtfeld bleiben, fallen'."

59

Dichtung bestimmt. Und nüditern-egoistisch: Not und Entbehrung vertragen sich nicht mit edler Leistung, mit gestalteter Schönheit. Die rastlos bewegte Gestalt des Dichters sehnt sich η ad» übergreifender Ruhe, der von ruheloser Bewegung durchklungene weite Raum seines Lebens sucht Nähe und Grenze der Heimat; kein Pensionärsglück des bei warmem Ofen und sicheren Ideen Zuhausegebliebenen, sondern Heimkehr in die Umhegtheit sicherer Gegenwart, die sich der dynamischen Weite vieler Wagnisse fest überlagert: deren schönstes das Bekenntnis zum Menschen war zwischen den Extremen geglaubter Idealität und illusionslos erlebter Wirklichkeit. So ist das sich nach Heimat sehnende Leben eine ins Große projizierte Gestalt, in der Bewegung und Ruhe zusammenklingen, in der die Weite vergangener Geschehnisse von der Kontur und Grenze gegenwärtiger und zukünftiger Geborgenheit umhegt wird. In den Antithesen von „wirt" und „gast", Heimat und Fremde spielt Strophe 31,23. 1 4 Vergangenheit und Gegenwart des Unbehaustseins stehen der Bitte um geborgene Zukunft gegenüber. 15 Gegenseitigkeit ereignet sich als Willkommen und Dank, in realer Gegenwart: „Sit willekomen, her wirt", dem gruoze muoz ich swigen: „sit willekomen, her gast", so muoz idi sprechen oder nigen,

und in wunschhafter Umkehrung in der Zukunft: Noch müez idi geieben daz idi den gast ouch grüeze, daz er mir same dem wirte danken müeze.

Den peitschenden Imperativen der „gougelfuore" unsteten Orts und unsteter Zeit: „ ,Sit hinaht hie, sit morgen dort' " antwortet Hoffnung in fester Aussage: „ ,Ich bin heime' ode ,ich wil heim' daz troestet baz"; Ruhe und Sehnsucht, Heimkehr und Zuhausesein.

14 15

Vgl. Wiegand, S. 10 f. Fr. Neumann, Deutsdiunterr. 1953, S. 46 weist auf das soziologische Unbehaustsein Walthers hin: „Ein Ritterbürtiger, der vom Ehrgefühl des Ritters getragen wird und nach entsprechendem Ansehn strebt, aber kein Ritter von Beruf. Ein Künstler von der Durchbildung, die man in seiner Zeit als .gelehrt' empfindet, aber kein Kleriker von Beruf. Ein Sänger, der ohne Rücksicht auf ständische Vorstellungen seinen lyrischen Sdiaffensraum weitet und im Zusammenhang damit trotz seines Anspruchs auf rittermäßige Behandlung für mindestens zwei Jahrzehnte immer wieder das Leben der .Vaganten', der .Fahrenden', der außerständisdien Berufskünstler führt!" Vgl. audi Burdach, Walther I, S. 76 f.

60

In bitterem Sarkasmus prangert das Ich die Ungeborgenheit der leidigen Gegenwart an: Man ist der Wandernden überdrüssig, sieht sie so ungern wie das „Schach" im Spiel. Beißender Humor greller Gegenseitigkeit beschließt die Strophe: Befreit mich von der Rolle des Fremden, so möge Gott Euch vor dem „Schach" bewahren. Die Verbindung der ernsten Bitte mit der burlesken Gegenleistung führt die Klage ins Spiel, erhöht aber zugleich den Zynismus, mit dem der Dichter sein Vagantenschicksal charakterisiert. Strophe 28,l 16 redet direkt den König an, der die gestörte Gegenseitigkeit („daz man mich bi so richer kunst lat alsus armen") wieder herstellen soll. Das Wunschbild der Geborgenheit wird verknüpft mit dem Schicksal der Kunst. Ein gemäßer Platz in der Ordnung der Welt kann den Dichter wieder zu gemäßer Kunst führen, und: Am warmen Herd redet sich's leichter von der Schönheit der Welt und der Freude an der Theodizee. In idealistischer und alltäglicher Weise also ist die eine Form der Gegenseitigkeit die Bedingung für die andere. Edle Kunst und Lohn spendender Dank führen zu neuem Spiel der Gegenseitigkeit: Zahiu wiech danne sunge von den vogellinen, von der heide und von den bluomen, als ich wilent sane! sweldi schoene wip mir danne gaebe ir habedanc, der liez ich liljen unde rosen uz ir wengel schinen.

Das alles ist jedoch nur Wunsch; das Ich ist ruheloser Gast: Hausherren mögen eher schöne Dinge singen. In der Sdilußzeile steht, wie in der ersten, Anrede und Bitte, in Entsprechung von Tun und Lohn: „die not bedenkent, milter künec, daz iuwer not zerge!" 17 Die Strophe ist in manchem eine idealistischere Parallele zu der zuvor besprochenen; gleich ist der Begriff „gast", ähnlich sind die Zeilen „ ,Sit hinaht hie, sit morgen dort', waz gougelfuore ist daz!" und „Sus kume ich spate und rite fruo: ,gast, we dir we! ' ", ferner die Bitte der Schlußzeilen, die erste burlesk, die zweite ernst: „Nu büezet mir des gastes, daz iu got des schadies büeze!" und: „Die not bedenkent, milter künec, daz iuwer not zerge!" In der sarkastischen, burlesken Strophe findet das Idi Distanz zu sich selbst, indem es die erwünschte Gegenseitigkeit in Umkehrung 18 17

Vgl. Maurer, Polit. Lieder, S. 74 f.; Burdadi, Walther I, S. 83. Vgl. Wilmanns-Michels I, S. 143; audi Kraus, Unters., S. 90, der auf die „riche kunst" hinweist, die das Selbstgefühl des Lyrikers und Sprudididiters ausdrückt.

61

und Gegenüberstellung von Jetzt und Zukunft arrangiert, sich selbst und andere direkt zitiert und schließlich, in dichter Assonanz, „gast unde schach", Widerwärtigkeit im Leben und im Spiel, ineinanderreimt und herb mit der Not spielt; in der ernsten gewinnt die Schönheit der idealen Situation große Strahlkraft und überlagert die graue Gegenwart. In beiden sehen wir ein Ich, das nicht nur der Gefährdung preisgegeben um Hilfe bittet, sondern in Schelte, Humor, Sarkasmus oder gegenwartschaffender Phantasie der Schönheit die bedrängende Nähe des gegenwärtigen Lebens verfremden und in souveräner Weise sich selbst bewahren kann. Schließlich ist die Geborgenheit nach der Unrast des bewegten Lebens wirklich geworden: „Ich han min lehen, al die werlt, ich han min lehen." 18 Die erwünschte Zukunft der vorigen Strophe ist nun Gegenwart, deren Gegenwart eine böse Vision der Vergangenheit. Die Welt hat dem Idi Raum gegeben in ihrer Ordnung, nun ruft es beglückt hinaus in die Welt: Schenken, Halten und Antwort verbinden Ich und Welt in ruhiger Gegenseitigkeit. Jetzt ist reiche Gegenwart wie eine sichere Straße, die ohne Drängen in die Zukunft führt. Diese Zukunft entsteht im „nicht mehr" der Vergangenheit; unter den lapidaren Sätzen steigt in der Erinnerung eine Fülle von Szenen und Bildern auf: In natürlicher psychologischer Perspektive ist die Vergangenheit auf Gegenwart und Zukunft bezogen. In kaum einem Walthergedicht ist Vergangenheit so plastisch da und wird so befreit zurückgelassen. Die Gegenwart negiert die früheren Zusammenstellungen des Ungemäßen: hornunc an die zehen, boese herren-flehen, und gibt Paare der Harmonie: edel-künec, milte-künec, künec-beraten, dann: sumer-lufl, winter-hitze (Antithesen des Ausgleichs, wie bei Walthers Antithesen so oft nicht in Entweder-Oder trennend, sondern einander addierend zur Harmonie des Ganzen, 19 hier noch in ausdrucksvoller Lautentsprechung u-u, i-i). Den Nachbarn erscheint er jetzt nicht mehr 18

Maurer gibt der Strophe eine Sonderstellung am Ende des König-FriedrichsTons, nicht im selben Lied wie die Bittstrophen 28,1 und 27,7, aber im gleichen Ton gesungen. Vgl. Burdadi, Walther I, S. 83 f. " In der Stilistik wird diese allgemeine Figur oft „unechte Antithese" genannt (vgl. Herbert Kretschmann, Der Stil Frauenlobs, Jena 1933, S. 9; dort audi Hinweis auf Gottfried Weber, Wolfram von Eschenbach, S. 161 und 225); ein Überbegriff wird in zwei Unterbegriffe zerlegt, die gegeben sind. Was wir meinen, deckt sich jedoch nicht völlig mit dieser Stilfigur, denn es handelt sich hier nicht um einen nachträglich dialektisch auseinandergenommenen Überbegriff, sondern um zwei Vorstellungen, die zusammengenommen eine Erfahrungseinheit bilden.

62

als der fragwürdige Fremde; er wird für sie ein normaler Mensch.20 Die Tat des freigebigen Gönners hat das einstige Ausgeliefertsein an böse Herren und an die Launen der Natur beendet. Gerade im Nebeneinander Sommer-Winter, das durch das erwähnte Hinzufügen der Gegensätze (Sommer-Kühle, Winter-Wärme) so geborgen Heimat schenkt, kommt die Überwindung des Einst plastisch nahe. Die Reihung schafft Weite der Zeit, in den glücklichen Sommern und Wintern der Zukunft, die erinnern an die vergangenen der Fremde. Im Schlußterzett gewinnt die Vergangenheit, die sich bisher nur als negativer Gegenpol zur Gegenwart verwirklicht hatte, eigenes Gewicht. Das Ich hatte bisher sein Empfinden in konkreten Szenen und Begriffen ausgesprochen, nun drängt es im Bekenntnis hinaus in eine eisige Weite des Allgemeinen, das so erschütternd direkt und persönlich gesagt ist, daß es über seiner schroffen Realistik tiefe Innerlichkeit gewinnt: 21 Ich bin ze lange arm gewesen an minen danc, ich was so voller scheltens daz min atem stane: daz hat der künec gemachet reine, und dar zuo minen sane. Dem ersten Vers der Strophe mit seiner Summe des Jetzt („Ich han min lehen") antwortet die Summe des Einst, „mon coeur mis à nu". Da steht die Vergangenheit für Augenblicke ganz für sich. Wenn irgendwo die Satzführung dem Ausdruck dient, dann hier. In unverbindlicher Parataxe mit dem Ich als Anapher peitschen die beiden Aussagen hintereinander her, jede ein Vers für sich: zwei einsame Welten des Idi, in der Kälte der Welt verloren, zugleich hart und männlich durchlebt, wie hier klar und fest bekannt: ein Ich ohne Zugehörigkeit, das in Mißtönen herausfällt aus der Harmonie ideell

20

21

Zu „butzen wis" weist Kraus, Unters., S. 94 auf Otto Höfler, Kultische Geheimbünde der Germanen I, Frankfurt 1934, S. 259 f. hin. Andere Akzente setzt Richard Kienast in: Deutsche Philologie im Aufriß, hrsg. von Wolfgang Stammler, Bd. II, Berlin und Bielefeld 1954, Sp. 860: „Eine reizbare und empfindliche Natur, eine starke künstlerische Individualität, ehrgeizig und egoistisch, stolz und eigenwillig, wenig liebenswürdig, eher kühl und abstoßend, nie bis zum letzten hingegeben oder gar entbrannt, mehr aus Feindschaft oder Haß schöpferisch als aus dem ruhigen und sicheren Bewußtsein seiner genialen Begabung, hat Walther seinen Gegensatz zur Adelswelt tief empfunden, um so schmerzlicher, als er mit seinem ganzen Künstlertum und mit seiner menschlichen Existenz auf diese Gesellschaft angewiesen war (ich was so voller scheltens daz min atem stane 29,2)."

63

geborgenen Sanges. Dabei sind die beiden Zeilen deutlich aufeinander bezogen. Der gestörten Ordnung, der Fremdheit und mangelnden Gegenseitigkeit folgt Schelte, die man Proportion der Proportionslosigkeit nennen könnte. Wie die Welt am Idi handelt, so handelt das Ich zurück, der Harmonie von Leistung und Lohn folgt Kunst der Harmonie, der Dissonanz folgt Kunst der Dissonanz; selbst im Widerspiel der Dissonanzen bleibt das Grundprinzip der Gegenseitigkeit bewahrt. Der Gefährdung steht um so klarer die Bewahrung gegenüber, der vergangenen Dynamik des Fürchtens und Flehens die jetzige Ruhe des Habens. Reiche Gegenwart erträgt das Bekenntnis zu einer grauen Vergangenheit. Beide trägt ein starkes Ich, das ohne Du, ohne Publikum in jeder Zeile anwesend ist; das angeredete Publikum ist die ganze Welt. Es ist dies die einfachste lyrische Aussage, in der das Idi ganz frei von jeder anderen persönlichen Relation ist und in wundervollem lyrischem Egoismus, alle Personen und Dinge auf sich beziehend, allein von sich selber reden kann. Dennoch klingt audi hier die Grundform der Gegenseitigkeit an. Über die Balance von Gabe, Halten und Antwort haben wir gesprochen. Aber das Spiel von Aktivität und Passivität geht noch weiter: in den beiden letzten Versen die grelle Aktivität des Idi im Gestank der Schelte, darauf nochmals in endgültigem Perfekt die Hilfe des Königs, die sich schließlich in Engführung auf das schönste Handeln des Ich bezieht und es erst ermöglicht: seine Kunst - „daz hat der künec gemachet reine, und dar zuo minen sane." „Min lehen" und „min sane", Anfang und Ende der Strophe, sind ideell und real miteinander verknüpft: ideelle Heimat und idealistisch preisender Sang, Rettung aus realer Not und neue Lust zu schöner Kunst, eine Gleichung, die Existenz und Ideal umgreift.

III. Schelte und Burleske Der Schelte und Burleske sind wir in Minnegediditen wie in politischen und persönlichen Sprüchen Walthers begegnet. Wir wollen diese Gestaltung des Verhältnisses zu Ideal und Wirklichkeit in der Explosion des Zorns oder in der befreienden Kraft burlesker Komik näher untersuchen. Zorn und Humor sind bei Walther Äußerungen eigen64

williger Vitalität und Mittel, das erlebende oder erleidende Zentrum gegen die Bedrängnis durdi die Welt zu behaupten. 1 Im sogenannten „Unmutston" ist die Scheltsituation in vielerlei Gestalt verwirklicht, in reinem temperamentvollem Aufbegehren, auch verbunden mit Klage oder Bitte um Abhilfe: Protest gegen die „unhöveschen" Parvenus am Hof zu Wien in 31,33: „In nomine dumme idi wil beginnen" ; konsequente Frechheit des Ich als Antwort auf die Frechheit der Welt in 32,7: „Nu wil idi mich des scharpfen sanges ouch genieten"; eine Nachtmütze dem „hohen muot" in 31,13: „Ich han gemerket von der Seine unz an die Muore"; in 33,11 bitterböse Schelte des Papstes, der hier der „junge Judas" genannt wird, als Gegenstück zum alten Verräter: „Wir klagen alle und wizzen doch niht waz uns wirret"; in 34,4 das christliche Grinsen des Papsts, der sein Werk überschaut. Und schließlich - wir greifen nur wenige Beispiele heraus — die Attacke gegen Leopold 35,17: „Liupolt uz Osterriche, la mich bi den liuten", die in der radikalen Zeile gipfelt und endet: „wis du von dan, la mich bi in: so leben wir sanfte beide". Drei dieser Strophen betrachten wir genauer. Gegenseitigkeit in Entsprechung von Ich und Welt, hier in herausfordernder Gleichung von übler Welt und frecher Antwort, kommt radikal in 32,7 zum Ausdruck. Im inchoativen „Nu" und dem klirrenden „wil ich" des Anfangs steht Initiative für Gegenwart und Zukunft der zaghaften Anständigkeit von einst gegenüber: Nu wil idi mich des scharpfen sanges oudi genieten; da ich ie mit vorhten bat, da wil ich nu gebieten. Im Verhältnis zur Umwelt halten sich grelles Äußern und grelles Fordern die Waage, das Ich ruft hinaus und bezieht die Welt herrisch auf sich. In Entsprechung von verachtenswerter Reaktion und verachteter Welt soll, indem das Ich, von den Verhältnissen gezwungen, aus Protest sich die Mittel der Verachteten zu eigen macht, das Ideal erhalten bleiben. Denn die Gegenseitigkeit im Verkehrten ist als Schatten nur durch das Licht des wirklich Geglaubten möglich. Auch hier finden wir Gegenseitigkeitsmuster. Dem Bitten von einst in seiner weichen Passivität entspricht jetzt (auch durch Alliteration verknüpft) herrisches Gebieten. 1

Zur Selbstbehauptung tritt jedodi audi Maßlosigkeit, vor allem in der Schelte. (Zu den Papstschelten vgl. Friedrich Neumann, Walther von der Vogelweide und das Reich, DVjS 1, 1923, S. 503—528, hier S. 522.)

65 5

Schaefer, Walther von der Vogelweide .

Dann: Ich sihe wol daz man herren guot und wibes gruoz gewalteclich und ungezogenlidi erwerben muoz; „gruoz" und „erwerben", „gebieten" und „erwerben" im Widereinander. Weiter das Gegenspiel und die Entsprechung von Handeln und Antwort, Antwort und Reaktion: Singe idi minen höveschen sane, so klagent siz Stollen: deswar ich gewinne ouch lihte knollen, sit si die schalkheit wellen, ich gemache in vollen kragen;2 ich singe - sie klagen - ich werde wütend - sie wollen Narrheit - idi bin ihnen zu Diensten. In Entsprechung von Empfangen und Handeln mildert das Schlußterzett die Schelte in der Hoffnung auf Besserung. Das Land (Österreich) hat das Ich geformt, an dieses Land will das Ich sich audi zuerst um Abhilfe wenden (Akt.) ; findet es dort bei Leopold Trost, dann ist der Zorn zu Ende. Das Ich individuiert sich im Zorn und gibt sich hin an unhöfische Gewalttätigkeit; es gibt scheinbar sein Ideal preis und gewinnt an persönlicher Gestalt, die die Fremdheit der drohenden Wirklichkeit übergreift, indem sie diese Wirklichkeit, sie entschärfend, sich zu eigen macht und zugleich in der Schelte sich von ihr distanziert und dadurch vor ihr sich bewahrt. In Strophe 31,13 entsteht das Land, das Walther erlebend durchwanderte, in der zweimaligen weiten Bewegung von Grenzstrom zu Grenzstrom, „von der Seine unz an die Muore, / von dem Pfade unz an die Traben . . . " . Diese Weite ist durchklungen von der Dynamik des „merkenden" Ich. Wir denken an die freudig erhobene Strophe, die so manche Jahre vorher entstanden ist: „Von der Elbe unz an den Rin / und der wider unz an Ungerlant / mugen wol die besten sin, / die ich in der werke han erkant", dort der Raum des Reichs erfüllt von Schönheit und Tugend, nun die nachklingende Bewegung realistischer Enttäuschung. Wieder wird Entsprechung von Ich und Welt angedeutet: „sol ichz also gewinnen", aber die Konsequenz wäre wie bei den anderen Menschen Preisgabe des höchsten Ideals: „so ganc slafen, hoher muot!" Der Geste des Erwerbens entspricht grelles Hin2

66

Zur Erklärung dieser Verse vgl. Kraus, Unters., S. 106 f.

weg des Verlierens: „so ganc . . . " . Dieses elementare „Gehen" wird variierend durch die Strophe gespielt; einmal, um die Wertstufung einstiger besserer Zeiten zu zeigen: „iedoch so gie diu ere vor dem guote" (in der gliedernden Anordnung klingt Bewegung mit); nun machtvoll gesteigert die Umkehrung: das in der nur halb ansdiaulichen Formel verborgene Bild nimmt Gestalt an und schreitet gewaltig einher: „nust daz guot so here, / daz ez gewaltecliche vor ir zuo den frowen gat"; dann gesteigert: „mit den fürsten zuo den kiinegen an ir rat." Das Gehen klingt zurück auf das „ganc slafen, hoher muot!" - Abtreten des Ideals, Hineinschreiten der Realität in die Welt, beispielhaft hin zu den prominenten Vertretern, den Frauen und dem König. Und am Strophenende der Weheruf für die Schande, in letzter Weitung und Steigerung an das ganze römische Reich gerichtet. Das Ich ist auf seine Umwelt bezogen, es findet die Distanz der Schelte, aber darüber hinaus ist es in Mustern der Entsprechung, wenn audi nur hypothetischer, mit dieser Welt verbunden. Nicht allein die Verkommenheit der Welt wird angeprangert, sondern auch die Verderbtheit des Papsttums, vor allem des einen Vertreters: „Wir klagen alle und wizzen doch niht waz uns wirret" (33, 11). Auch das Verhältnis zum Papst müßte in Balance ethischer Gegenseitigkeit ein Treueverhältnis sein.3 Zwar ist er der Führer der Christenheit, dem der einzelne folgt; diesem Folgen jedoch müßte schenkende Liebe des Hirten antworten, wie überhaupt das Folgen dem Stellvertreter des Höchsten gilt, dessen Liebe und Hilfe aller Kausalität voraus ist. Ideale Gegenseitigkeit ist kein kausales Nacheinander, sondern Füreinander und Zueinander, in dem die Bewegungsrichtungen einander aufheben in Balance der Kräfte und Gestalten. Unsere Strophe verkörpert nicht dieses Gleichgewicht nehmender und schenkender Individuen, sondern sklavisches Angekettetsein einer preisgegebenen Welt an eine unheilvoll starke Kraft. Zwar setzt die Strophe mit einem Muster des Widerspiels ein, aber es ist Perversion der Gegenseitigkeit: * Dazu kommt ein weiterer Aspekt, den Julius Sdiwietering betont (Die deutsche Literatur des Mittelalters, Handbuch der Literaturwissenschaft, Potsdam o. J . [ 1 9 3 2 ] , S. 250 f.): „Die Heftigkeit der damals gegen den Papst gerichteten Strophen Walthers ist nicht nur aus spontaner Leidenschaft zu deuten, sondern aus der Vorstellung des Gegenspiels von Gott und Teufel, Christ und Antichrist, rex iustus und tyrannus in der düstern Stimmung esdiatologischer S i c h t . .

67 5·

Wir klagen alle und wizzen doch niht waz uns wirret, daz uns der babest unser vater alsus hat v e r i r r e t . . . ,

Unwissenheit und Klage der Welt, Irreführen durch den Papst. Statt der idealen Figur der Balance von Vertrauen und Hilfe steht die verkehrte der verwirrten Klage und verwirrenden Führerschaft. Diese Führerschaft wird zur unheimlichen Eingleisigkeit: Welt und geistlicher Führer sind nicht mehr in Ausgewogenheit aufeinander bezogen, sondern er schreitet voran und zieht die Welt hinter sich nach. Eindrucksvoll ist das Bild, das den Individualitätsverlust gestaltet: nu gat er uns doch harte vaterlichen vor: wir folgen ime und komen niemer fuoz uz sinem spor . . .

Wir kommen nicht los von seinen Spuren. Monoton wird das verächtliche Mitläufertum ausgedrückt, Gemeinsamkeit ohne Gegenseitigkeit der Partnerschaft, kein Auge in Auge der Gestalten und der Wirklichkeiten, sondern ein Schwanz schwätzender, leblos nachexistierender Kreaturen. Man beachte die ausdrucksvoll-pathetische Langweiligkeit, mit der in glatter Parallelität drei Gleichungen der Entindividualisierung hintereinander herklappern: gitset er, si gitsent mit im alle, liuget er, si liegent alle mit im sine lüge, triuget er, si triegent mit im sine t r ü g e . . .*

Zu dieser Preisgabe jedes emotionalen und ethischen Eigengewichts paßt als Anfangsglied Judas, das Werkzeug des Teufels. So wird diese Art der negativen Gemeinsamkeit gekrönt durch die Gleichung vom alten und jungen Judas, mit zynischem Doppelsinn im „jung". 5 Wir sehen gleichsam numerische Ausgewogenheit von Welt und Papst, aber in dieser Figur der Gemeinsamkeit der Kräfte zugleich ihre radikale Auflösung durch die Auflösung partnerhafter Individualität. Gegenseitigkeit zwischen Mensch und Welt gewinnt nur dann klassische Kontur, wenn die Partner starke, sich selbst achtende und bewahrende Gestalten sind. So stellt unsere Strophe eine extreme Grenzsituation der negativen Hingabe dar, nicht des Ich, aber der namenlosen Masse. Die Strophe ist wie eine böse Parodie der Gemeinsamkeit. Das Ich selbst versinkt jedoch nicht ganz in den Geleisen der Resignation. Zwar geht es in den ersten vier Versen im Wir der Opfer 4 8

68

Zu den rhetorischen Figuren der Wiederholung vgl. Wilmanns-Midiels I, S. 37 f. S. Burdach, Walther I, S. 73.

auf. Dann aber, in Vers 5, ergreift es eigene Initiative; es tritt aus dem Wir heraus und redet als Ich, es findet ein Du, zu dem es spridit: die Welt; es findet Distanz zu dem klappernden Mitläufertum, indem es urteilt („Merke, weit, waz mir dar ane missevalle"). Es wird grammatikalisch frei von den Opfern, indem es diese Gruppe nun in die verächtliche Distanz der dritten Person rüdst: „si gitsent", „sie liegent", „si triegent"; diese drei Verse werden umgriffen von den einander entsprechenden mit Ich und Publikum: „Merke, weit, waz mir dar ane missevalle", und: „Nu merkent wer mir daz verkeren müge". Auch hier, in dieser Strophe verächtlicher Entpersönlichung, gewinnt das Idi im Hinschauen zu einem wenn auch nodi so weiten Du, und vor allem in der Schlußpointe, regieführende Initiative; aus dem Bogen von Idi und Du fällt die Menge verurteilt heraus. Das Schicksal des Ausgeliefertseins an einen solchen Führer betrifft die ganze Christenheit; Walther stellt sich nicht außerhalb. Die Monotonie der Preisgabe begnügt sich aber nicht mit müder Resignation, sondern in mutiger Initiative verwirklicht sich das Ich auch da, wo das übermächtige Andere es ihm schwer macht, so, wie es möchte, es selbst zu sein. Eine andere Möglichkeit für das Ich, in der Gefährdung sich zu bewahren, ist die Befreiung in der Komik, deren lyrische Grundrelation wir im Atzespruch 104,7 mit einiger Ausführlichkeit betrachten wollen.6 ® Die Begriffe werden nicht eingehend diskutiert. Ich unterscheide im Rahmen dieser Interpretation nicht streng zwischen Komik und Humor, da hier die Komik mit wenn auch scharfem Humor verbunden ist, obwohl idi mir der Verschiedenheiten bewußt bin. — Wesentliches sagt Hans Fromm, Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters, DVjS 36 (1962), S. 321—339; dort audi reiche Literaturangaben (mittelalterliche und moderne Theorie, literargesdiichtliche und phänomenologische Darstellungen, Einzelinterpretationen usw.). Fromm wendet sich gegen die einseitige Behauptung, die mittelalterliche Weltauffassung schließe Humor aus, etwa: Zwar sei „res comica" ein Bestandteil mittelalterlicher Literaturtheorie, Humor dagegen setze ein Verhältnis des Einzelnen zur Welt voraus, für das im Mittelalter die Grundlagen fehlten (S. 321), oder die in Anm. 2 referierte Feststellung von O. Mann, Die kulturgeschiditlidien Grundlagen des Jean Paulsdien Humors, DVjS 8 (1930), S. 660—679, hier S. 661: Es fehlt die Spannung, die durch die menschliche Gebundenheit einerseits und das Verlangen andererseits entsteht, die Schranken des menschlichen So-Seins zu überwinden. Es fehlt der Bezug auf menschliches Maß und eine positive Einstellung gegenüber der Welt. Es ist also das metaphysische System des Mittelalters, welches Humor unmöglich macht. — Fromms Abgrenzung von Komik und Humor: „Komik bedarf nicht des Humors. Doch

69

Mir hat her Gerhart Atze ein pfert erschozzen zlsenache; daz klage idi dem den er bestat: derst unser beider voget. Ez was wol drier marke wert, nu hoerent frömde sache: sit daz ez an ein gelten gat, wa mit er mich nu zöget. Er seit von grozer swaere, wie min pferit maere dem rosse sippe waere, daz im den vinger abe gebizzen hat ze schänden: ich swer mit beiden handen, daz si sich niht erkanden. ist ieman der mir stabe? Dem Ich ist ein Unrecht geschehen: H e r r Atze hat ihm ein Pferd erschossen. Deshalb führt der Dichter nun Klage vor dem gemeinsamen Herrn. Der Grund für die Tötung des Tieres ist absurd: Das integriert umgekehrt eine bestimmte Form der Komik in den Humor, wenn er sich in ihr audi nicht erschöpft. E r ist — als der ,große Humor', wie man ihn getauft hat — ein Grundverhalten des Menschen, das die Disproportion nicht nur aufdecken, sondern besiegen will und dafür auch versöhnende K r ä f t e des Gemüts einsetzt. D i e Form der Überwindung setzt mindestens zweierlei voraus: ein Abstandsbewußtsein zur Wirklichkeit, an die man doch hingegeben ist, und — sagen wir — eine Beurlaubung vom Ernst gegenüber dem Absoluten" (S. 323). Zu Walthers Humor S. 337 f.: „Walthers Humor ist scharf im Zupacken, beißend im T o n und siedelt lieber als beim liebenswürdigen S c h e r z . . . bei den aggressiven Formen der Komik. Keiner hat im deutschen Mittelalter ihre Vielzahl so beherrscht wie er: Witz, Satire, Karikatur, Persiflage und Parodie . . ( S . 337), und: „In Walthers Humor ist eine große Ungeduld. Sein mit Wirklidikeit gesättigter Blick — das, was ihn manchen zu Unrecht als unmittelalterlich erscheinen läßt — ergreift die Disharmonien der Welt schärfer als seine Zeitgenossen . . . " (S. 338). Fromm vergleicht Walther mit W o l f r a m : „. . . auch bei W a l t h e r . . . reizt die Disproportion zwischen der bestehenden und der vorgestellten Welt zum komisierenden Blick. Aber dieser, manchmal fernsdiarf bis nach Rom gerichtet, manchmal übernah am Tegernseer Mittagessen mäkelnd, überbrückt nicht; denn dem cholerischen Lyriker fehlt, was das deutsche Mittelalter nur einmal zu vergeben hatte: die Totalität eines humoristischen W e l t gefühls" (ebd.). — In Anm. 5 verweist Fromm auf berühmte Äußerungen über K o m i k und Humor, so in Kants K r i t i k der Urteilskraft: „Das Lachen ist ein Affect aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in Nichts" (darauf geht auch Staiger, Grundbegriffe S. 194, ein, den Fromm nicht behandelt). Für weitere Literatur vgl. den audi von Fromm Anm. 5 genannten Forschungsbericht von O . R o m m e l : Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Analyse des Komischen, D V j S 21 (1943), S. 1 6 1 — 1 9 5 .

70

Pferd sei verwandt mit einem, das dem Täter den Finger abgebissen habe. Sippenrache in grotesker Form, reine Willkür. Aber das Ich spielt auf der Ebene des Unsinns mit, seine Verteidigung richtet sich nicht gegen die sinnlose Willkür, sondern will feierlich beeiden, daß sich die Tiere nicht einmal gekannt hatten. Wieder einmal also ein Ubergriff der Wirklichkeit, gefährdend hier nicht nur durch den materiellen Verlust, sondern durch die Sinnlosigkeit, mit der sich die Tat rechtfertigt. Walther antwortet nicht mit Schelte, seine Klage erlöst sich in der Komik der gerichtlichen Anklage, die Szene wird zum Tribunal des Witzes. Das Ich bewahrt sich, indem es in selbstsicherer Eleganz das Absurde zur Komik führt. 7 Dieser 7

Wiegand S. 39 f.: „Ein glänzender Einfall ist es, dem Gegner die törichte Ausrede in den Mund zu legen, die auf die germanische Anschauung von der Ersatzpflicht der Sippe zurückgeht, längst veraltet ist und f ü r Tiere nie gegolten hat." (Oder: Fabel vom Wolf und Lamm?). Auf einen ernsten Konflikt mit Atze, auch auf die Schwierigkeiten, die dem süddeutschen Sänger kultivierter Minnelieder an dem mehr an stoffreicher Epik interessierten, auch derberen Thüringer Hof erwachsen sein mochten, weist schon Burdach, Walther I, S. 60 f. hin. Κ. K. Klein, Zur Spruchdichtung und Heimatfrage Walthers von der Vogelweide, Schlern-Schriften 90, Innsbruck 1952, S. 40 ff., betont dann vom Biographischen her den ernsten Konflikt, es sei ein Mißverständnis, hier eine Komödie zu sehen. Sogar das Argument der verwandten (oder gleichgearteten) Pferde sei ernstzunehmen (trotz aller rechtsgeschichtlichen Parallelstellen führt Klein jedodi kein Beispiel der Sippenrache für Tiere an). Klein geht so weit, in Atzes Argument die Anzweiflung von Walthers Standesehre zu sehen, denn (S. 56) : „Walther ist mit einem mehr oder weniger bescheidenen Gaul als ,pferit maere', als reisigem Pferd, als Ritterpferd, dextrarius aufgetreten", das nach Herrn Gerharts Meinung Walther nicht zukomme, weil er eben kein Ritter sei. Die Einseitigkeit von Kleins Interpretation liegt nicht im Aufzeigen der biographischen Hintergründe, die durdiaus stimmen mögen, sondern im Verkennen der Kunstform dieses Gedichts. Welch langweiliges Machwerk wäre der Spruch vom künstlerischen Standpunkt, wenn er nur direkt den Sachverhalt referierte, welch hilfloses, selbstmitleidiges Geschmolle! Wenn Walther Entrüstung und Anklage direkt gestaltet, hat er zum Glück andere Mittel zur Verfügung; man denke an die Papstschelten. Dieser Text kann nur als Komödie dem bösartigen Atze wirkungsvoll begegnen. Und warum soll der ernste Anlaß die komische Form ausschließen? Im Gegenteil: Gerade durch die beißende Komik seines „Xenions" macht sich Waither in seiner Demütigung und Verbitterung Luft. Man könnte sogar so weit gehen: Selbst wenn Atzes Argument „haltbar" wäre und einen wunden Punkt bei Walther träfe, so könnte es Walther nicht wirkungsvoller bekämpfen, als daß er es, wie er tut, ins Lächerliche zieht. — Von geradezu dokumentarischem Wert für die Geschichte der Waltherinterpretation ist die rührende Bemerkung von Elisabet Haakh, Die Naturbetrachtung bei den mittelhochdeutschen Lyrikern, Leipzig 1908, S. 63: „Es berührt uns eigentümlich, daß der sonst so empfindungsreiche Walther nicht den Verlust des vierfüßigen Reisegenossen beklagt, wie ein moderner Lyriker doch wohl täte (,Idi hab mein Roß verloren, mein apfelgraues Roß') sondern nur dessen Wert auf drei Mark angibt."

71

Vorgang, der bei aller Banalität und Spielerei so befreiend wirkt, läßt nach dem tieferen Wesen solcher Komik fragen. Die reine, heitere Komödie ist ja nur dort möglich, wo bei allem lächelnden Infragestellen der Werte eine Norm doch fest erhalten bleibt. Es muß die Sicherheit der bergenden Schale geben, die unser Lachen auffängt, einen Grund, auf dem wir stehen dürfen, wenn wir unsere und anderer Schwächen komisch finden. Wo dieser Grund weicht, wo dem Lächerlichen die Norm geraubt ist, vor der es lächerlich ist, hört die Komödie auf; das Lachen gellt in den Abgrund. Das Herausfallen aus der Norm, das, ernstgenommen, uns bedrängen und vernichten kann, wird entschärft und erlöst, wenn der erlebende und gestaltende Mensch die Kraft findet, dieses bedrängende Anderssein mit der tiefsinnigen Harmlosigkeit der Komik zu umkleiden. Das Unbegreifliche wird zur Narrheit, wird vertraut. Was als ernstes Schicksal fremd ist, wird als Narrheit erträglich. Aber entscheidend bleibt: Wir ertragen uns und das Schicksal nur dann als Narren, wenn wir uns der Narrheit bewußt bleiben; und das ist nur möglich, wenn die Norm bestehen bleibt, wenn der süße oder böse Unsinn Unsinn ist vor einer Norm des Sinns - selbst wenn für die Dauer des komischen Erlebnisses der Unsinn dem Sinn liebenswert überlegen wäre. Wenn das Lächerliche selbst zur Norm wird, wenn es das einzig Bekannte oder gar einzig Existente ist, hört der Spaß auf. 8 8

72

Emil Staiger, Grundbegriffe der Poetik, 3. Aufl. Zürich 1956, S. 192, definiert: „ . . . so gilt vom Komischen, daß es aus dem Rahmen einer Welt herausfällt und außerhalb des Rahmens in selbstverständlicher, fragloser Weise besteht." In unserer Strophe ist die N o r m des Sinnvollen der Rahmen; die Darstellung der Sinnlosigkeit (der Sippenhaft für Tiere) fällt aus dem Rahmen, im Munde des Atze als bedrohlich-sinnlos, im Munde des Sängers jedoch als lächerlich-sinnlos, da das Argument im Entschärfen durch das Idi plötzlich jene Fraglosigkeit der Komik erlangt. Denn der Dichter, in seiner Reaktion „Ich schwöre, daß sie sich nicht kannten", gibt dem absurden Argument die harmlose Richtigkeit des Lächerlichen dadurch, daß er das Argument fraglos bestehen läßt und sich mit seiner Verteidigung in gleicher Fraglosigkeit auf der Ebene des Unsinns ansiedelt. Also ein zweifacher komisdier „Ruck" : einmal das unsinnige Argument, dann die konsequent unsinnige Verteidigung. „Eine apriorische Erwartung wird getäuscht, ein Entwurf braucht plötzlich nicht durchgeführt zu werden" (Staiger S. 192). „Immer gilt es zu fragen, wovon und wohinein das Geläditer entspannt" (S. 197). Wovon: von der Anmaßung des Widersinns, Sinn zu sein; wohinein: in die Geborgenheit sinnvoller Norm dadurch, daß Sinnlosigkeiten im freien Spiel der Erfindungskraft beliebig sich auflösen können. Staiger gegenüber müssen wir jedodi auch die Bedeutung des Bestehens der N o r m betonen, die erhalten bleibt, selbst wenn durch das Komische das „höhere Wesen des Menschen" (S. 196), jener lästige Anspruch fremder und selbstgemachter Normen auf den Menschen, entspannend und befreiend relativiert wird.

In Walthers kleiner Komödie ist alles ganz klar, man erkennt den Unsinn unter einer festen Norm sinnvoller Gerechtigkeit, die durch das Schalten des Ich unterstrichen wird. Das Ich trägt den ganzen Vorgang in souveränem Spiel, es hat in jeder Phase sidi selbst und den Partner in der Hand und auch das Publikum, eine kleine Welt, indem es dessen Rhythmus der Anteilnahme durch den Rhythmus der Gestaltung bestimmt, 9 so daß beide Teile, das Ich und seine Welt, verständnisinnig einander zulachen über den Widersinn des Narren. 10 Das Ich spielt mit dem Gegner, indem es ihn reden läßt. Es spielt mit dem absurden Inhalt der Rede, indem es ihn im Lachen erlöst. Es spielt mit sich selbst, indem es die angefangene Rolle weiterspielt, und mit dem Publikum, indem es ihm die ganze Szene vorspielt und es am Ende auffordert mitzuspielen („ist ieman der mir stabe?").11 Das Publikum wird zum Du, einem respondierenden Pol der Sicherheit. Der Vorgang und das Paradox in ihm verlieren sich nicht fremd und orientierungslos im Allgemeinen, sondern werden eingespannt in die Klammer der personalen Relation von Ich und Publikum. Die gestaltete Gegenwart der Pole, die beide um den Unsinn wissen, trägt bei zu dem sicheren Rahmen des Sinns, aus dem der Unsinn als Unsinn fällt. Innerhalb dieser personalen Relation wird alles in der dritten Person gestaltet, dadurch die überlegene Distanz unterstrichen. Kein Du bringt Gegenstand und Handlung näher zum Ich, es wird über die Personen und Dinge geredet, die Rede läuft vom Ich zum Publikum. Die Gegenseitigkeit von Ich und Ihr vollzieht sich im Arrangieren und Empfangen der Komik und, am Ende, im Mitspielen des Publikums; Spiel und Widerspiel von Ich und Gesellschaft im Wissen um die Geborgenheit der Komik wie der Norm. 9

10

11

Die Situation des souveränen Dichters charakterisiert Burdach in: Der mythische und der geschichtliche Walther, Vorspiel I, Halle 1925, S. 346: „Er ist der Wissende, der alles sieht und vernimmt, der . . . alle Regungen eigner und fremder B r u s t . . . kennt und der mit dieser Allwissenheit einredet auf die Gesichter derer, die spannungsvoll erwartend und erregt an seinen Lippen hängen." Zur Komik als „Produkt einer geschlossenen Gesellschaft" vgl. Fromm S. 326, der auf das Eingeweihtsein in die humorigen Gepflogenheiten der St. Gallener Klostergemeinschaft hinweist und (Anm. 13) die Darstellung von G. Meredith, An Essay on Comedy and the Uses of Comic Spirit, Ithaca 1956, S. 75 f. erwähnt. Diese Responsion der Eingeweihten ist zwar nicht ganz identisch mit der Beziehung zwischen Ich und Publikum, aber schafft dennoch denselben Einklang, den im scharfen Spott der Ausgeschlossene bemerkt und der in milderem Humor alle Beteiligten in gemeinsamer Distanz zu sich selbst und zu der Welt verbindet. Wiegand S. 40: „Daß die Einkleidung mit ihren Anreden an fingierte Zuhörer die Lebhaftigkeit gewaltig steigert, liegt auf der Hand."

73

Wir spüren in dieser poetischen Kleinigkeit die wundervolle K r a f t einer klassischen Lebensmöglichkeit durchschimmern, durch Verwirklichung einer tragenden Idigestalt und durch den Rahmen sinnvoller Kommunikation zwischen Ich und Welt das Böse als Abnormität zu belachen. Eine Haltung, die wir bewundern können, vor allem in einer Zeit, der eine viel spätere Geschichte von Pferden und Gerechtigkeit, Kleists „Michael Kohlhaas", oder das Sichabsolutsetzen des Absurden in Kafkas Prozeßroman nicht selten gemäßer erscheint.

IV. Gott Die gewaltigste Macht, die in der mittelalterlichen Welt in Glauben oder Tradition einem erlebenden Ich begegnet, ist die christliche Gottheit. Wie immer sie empfunden wird, wie „fromm" ein Dichter immer sein möge, ihre selbstverständliche Existenz duldet kein Ignorieren, sie ist ein Thema ebenso nahe wie der Mensch. Und wenn audi zu allen Zeiten der Mensch, unter oder über der Religion oder Philosophie, als Erlebnis und Thema instinktiv sich selbst der Nächste ist, so versteht er im Mittelalter die Zusammenhänge der Welt noch nicht aus dem Beweis seiner selbst, sondern begreift die begrenztere Realität des Geschaffenen und somit auch seiner selbst aus der grenzenlosen Realit ä t des Schöpfers und des Garanten aller Erkenntnis und allen idealen Erlebens. Anselms „Credo ut intelligam" steht dem Cartesianischen Beweis der Wirklichkeit aus der denkenden Existenz des Ich gegenüber. Wir wiederholen diese bekannten Tatsachen, um den Ausgangspunkt zu finden für die künstlerische Gestaltung des Verhältnisses eines lyrischen Idi zu einer außenstehenden Wirklichkeit, die Gott heißt. Alles bisher über die lyrische Grundrelation von Ich und U m welt, von Erlebniszentrum und Umkreis Gesagte bleibt fragmentarisch, wenn wir nidit Klarheit gewinnen über die Gestaltung dieses höchsten Gegenüber. Denn der orthodoxe Glaube macht jedes Ich notwendigerweise zum Sichverlierenden und aus den Händen des Andern sich verwandelt Empfangenden; wie das Weizenkorn in der E r d e muß das Ich als eigene Substanz sterben. Die Grundrelation im orthodoxen Glauben findet ihre reinste Gestalt im W o r t Johannes' des Täufers: „ E r muß wachsen, ich aber muß abnehmen" (Joh. 3,30). Ein

74

Sichbewahren des Idi in eigenwilliger Menschlichkeit ist nicht mehr möglich. Wir lesen, die staufische Klassik sei der Versuch, der diesseitigen Schönheit der Welt und des Menschen das Odium der Fragwürdigkeit zu nehmen, ja das Schöne und das Gute wieder eins werden zu lassen nach dem unbekannten Vorbild der griechischen Klassik, im Wagnis der Kalokagathie. Und nodi mehr: Diese Kalokagathie soll vereinbar werden mit der Verpflichtung gegenüber Gott. Das größte Problem für einen Menschen, der an Gott glaubt und doch die Welt liebt, soll in Harmonie sich lösen. „Gott und der Welt gefallen": das Zentralmotiv des Parzival steht als Wunschtraum über der Zeit in seiner kühnen Schönheit und tiefen Fragwürdigkeit. In dieser Spannung lebt nicht nur der reifende Parzival, sondern fast jeder Dichter, der hineingeboren wurde in jene Insel klassischer Humanität im Meer der mittelalterlichen Transzendenz. 1 Eine Lösung scheint, zumindest für eine Entwicklungsphase dieses Dichters, Hartmanns „höfischer Gott", die so schön sich schenkende und so schwer greifbare Formel der Hingabe und Bewahrung, die schillert zwischen reiner Synthese und grenzenloser Banalität, zwischen gläubigem Übergriffensein der menschlichen Ethik schöner Immanenz durch das göttliche Gebot und einem anthropomorphen Gottesbild als Schutzpatron der wackeren Ritter und sinnlich-übersinnlichen Freier, dem Gott der Minne, dem Gott, der Eisen wachsen ließ - für die Rüstungen in der festlichen Schönheit der hochgemuten Zeit und ihrer ethischen Spielregeln, und für die „gewihten swert" der Kreuzzüge, jener schönsten und fragwürdigsten Synthese zwischen menschlicher Tapferkeit und immanenter ethischer Verpflichtung auf der einen und Gottesdienst auf der anderen Seite. 2 Wir wollen dieses Dilemma nicht aufzulösen versuchen, sondern nachdenklich stehen vor diesem kühnen, banalen, umgreifenden, zutiefst zum Scheitern verurteilten, erregend problematischen und

1

2

D e n einen Pol, den reinen „ D i e s s e i t s t y p u s " , sieht H . B r i n k m a n n , Diesseitsstimmung im Mittelalter, im V a g a n t e n sich entwickeln, den er dem Asketen gegenüberstellt. S. 7 4 9 : » . . . Richtung z u sinnenhafter, unmittelbarer A u f n a h m e v o n Mensch u n d Welt. Nicht mehr e i n jenseits liegender W e r t : G o t t , sondern viele Werte: Mensch, Seele, Genuß, N a t u r , Schönheit, Antike. Sie alle tragen ihren Sinn in sich." Friedrich W a g e m a n n , D i e Religiosität Walthers von der Vogelweide, Diss. H e i delberg 1938, S. 72 f. weist d a r a u f hin, wie im K r e u z z u g der weltliche „ e r e " Begriff ins Religiöse erweitert wird. Vgl. auch S a m u e l Singer, D i e religiöse L y r i k des Mittelalters, Bern 1933, S . 69 ff.

75

unendlich schönen und bezaubernden Versuch, die Gottheit rein auf ihrem Weltenthron zu belassen und sie doch herunterzutragen in die Sphäre des menschlichen Willens und des höfischen Gesetzes.3 Dieses Kapitel behandelt nicht Walthers Religiosität im allgemeinen.4 Es soll an einigen Strophen die lyrisdie Relation eines Idi zu Gott darstellen, vor allem in ihrer Grundform, im Gebet: im „Reden des Herzens mit Gott". Die vorausgegangenen Betrachtungen sollten grundsätzlich auf die Schwierigkeiten hinweisen, die einem Ich jener Zeit begegnen, wenn es, zu Gott redend, sich selbst und die Welt be® Eine brillante, doch vielleicht allzu harmonisierende Darstellung findet sich bei Hans Naumann, Höfische Kultur, in K a p . I V : „Der höfische G o t t " , S. 45 ff. Zu den berühmten Formulierungen in Hartmanns „Erec" V. 3461 (Leitzmanns Ausgabe in der Altdeutschen Textbibliothek) : „ . . . und daz din gotes hövesdieit / ob miner vrouwen swebete" und V . 5 5 1 7 : „ . . . a l s ez der hövesdie got gebot" vgl. Naumann S. 45. Er nimmt hier allerdings die im „Erec" glatt und problemlos erfolgte Synthese als typisch für die ganze Zeit, mit Redit, was den Wunsch zu dieser harmonischen Synthese, meines Erachtens aber zu Unrecht, was die jeweilige Verwirklichung angeht. Denn (wie de Boor I I , S. 13 ff. mit Nachdruck feststellt): das Ideal der Synthese führt auch zu großer Spannung, denn der G o t t , den man verrittern und mit höfischer Sittlichkeit befriedigen will, ist dann doch immer wieder der G o t t der Offenbarung, der sich selbst verwirklicht. Das Problem „überschattet die Freude des höfischen Daseins mit einer Tragik, die man aus seiner festlichen H e l l e nicht wegdiskutieren d a r f " (S. 14). Diese Spannung impliziert eine bei aller christlichen Gebundenheit unruhiger fragende, suchende, vielleicht tiefere Religiosität. Naumann dagegen hält die christliche Dogmatik für so fraglos gesichert, daß sie derart gegensätzlich Neues ebenso fraglos aufnehmen kann (S. 50 f.). Also Kompromiß, Scheinsidierheit in einer verharmlosend mißverstandenen Religion, oder Synthese, die als echtes E r lebnis wirklich ist? — Der folgenden Feststellung Naumanns stimme idi völlig zu, wenn sie audi allem ehrfürchtigen Tiefsinn einer bestimmten A r t deutscher Kulturreligion zu nahe tritt. Naumann spricht von „gewissen tiefsten Ideen über das gottschaffende, g o t t p r ä g e n d e . . . , manchmal gottvergewaltigende Wesen des Menschen, die sidi von der deutschen Mystik in zuweilen ähnlich erschreckenden Wendungen über Angelus Silesius, Rainer Maria Rilke zu M a x Scheler hinziehen . . . " ( H ö f . Kultur S. 47 f.). 4

76

Vgl. dazu Wagemann, Die Religiosität Walthers, 1938. Man erkennt in der Arbeit gewisse dem Abfassungsdatum entsprechende Tendenzen: die Gegenüberstellung von Walthers „Weltfrömmigkeit" und dem „paulinisdi-kirdilichen", „lebensfeindlichen Pessimismus". Allzu harmonisierend wird Walthers Geborgenheitsgefühl in den Vordergrund gestellt. So wird neben dem Gottesglauben auch die „Weltgläubigkeit" behandelt, in N a t u r und Frauenschönheit, dann folgt ein wenig origineller Überblick über Walthers Ethik mit den Begriffen „ordenunge", „guot", „gotes hulde", „ere und guot", „werdekeit", schließlich der Umschlag in die Altersdichtung. Walthers Verhältnis zur Kirche wird bezeichnenderweise im Schlußsatz S. 78 so charakterisiert: „ . . . d a ß nur eine Erkenntnis, die dem lebenden Menschen wirkliche Antwort auf die Fragen des L e b e n s . . . gibt, auf die Dauer vor der Kirche bestehen kann."

wahren will. Nicht immer gestaltet Walthers Idi diese Spannung, manchmal gibt es sich fraglos hin. Aber auch da baut es Dämme der Zurückhaltung und des Maßes, Dämme aus welthaltiger Bildkraft oder menschlicher Festigkeit, Sicherheit und Klarheit. Das betende Idi bewahrt sich als Gestalt in der Hingabe. Es wirft sich nicht in den Staub; wir sehen es gleichsam auf ein Knie niedergelassen, mit leicht geneigtem Haupt. Man denkt sidi das Morgengebet „Mit saelden müeze ich hiute uf sten" (24,18) gerne als Gebet Walthers beim Abschied von Wien, beim Aufbruch zu den Wanderjahren hinein ins Reich.5 Feste Gegenwart des Heute steht am Anfang des weiten Raums, der durdiklungen ist von der Bewegung des Reitens in die Zukunft. Aus der Ruhe des Lagers am Morgen eines Tages und eines Lebens tragen die Gedanken in betender Vorausschau das Idi in die Bewegung ritterlicher Wanderschaft. Im ersten Versterzett verwirklicht sich unter der Geborgenheit in der führenden „saelde" und „huote" die energische Eigenbewegung des Ich. Mit der organischen Folge der Bewegungen weitet sich der Vorgang von innen nach außen zu weitbewegter Peripherie, in der Folge der Verben „aufstehen", „gehen", „reiten" und, verbunden mit dem Bewegungs- und Richtungswort „wohin" und der Weite des Lands, das Sidihinwenden: „keren". In der Gebetsrelation Ich und Du überwiegt in diesem Eingangsterzett das Ich. Im zweiten Terzett, in dem Christus angeredet wird, überwiegt das Du, aber die Verben des vom Du erbetenen Handelns überwältigen das Ich nicht; sie strahlen Milde und Kraft aus und verkörpern Hilfe, kein totales Besitzergreifen. „Zeig mir die große Kraft deiner Güte und nimm dich meiner an, um deiner Mutter Ehre willen." „Pflic min": viermal erscheint dieses Grundwort der Hilfe, ohne zitterndes Farbenspiel mystisdier Hingabe, farblos fest, eindeutig schlicht, je zweimal als Leitmotiv der Grundrelation und der Analogie: Wie sich der Engel der Mutter annahm, wie er sich deiner in der Krippe annahm, so hilf auch mir; ein Muster von Empfangen und Geben, eingeleitet durch das Motiv der Mutter zu Beginn des Abgesangs, nachdem am Aufgesangsende „pflic min" steht, das nach dem Bogen des langen

5

So stellt Maurer die Strophe auch an den Beginn des Wiener Hoftons (Waltherausgabe und Polit. Lieder, S. 30). Für die romantische Vorstellung des Abschiedsgebets gibt es freilidi keinerlei Anhaltspunkt. Vgl. Kraus, Unters. S. 73 (mit Hinweis auf S. Singer, Die religiöse Lyrik des Mittelalters, S 85 f.).

77

Satzes wiederkehrt.6 Die Hilfe des „pflegennes" ist die eines nahen Du, nicht der Feuerstrahl der aus der Ferne hereinbrechenden Gottheit, die Jesaja erlebt. Im ganzen Gedicht ist, wesentlich für die IchDu-Relation, das Erlebnis des nahen Menschen im Gottessohn gestaltet.7 Einmal im Motiv der Mutter: in ihrer knappen Erwähnung, die die Mariengestalt dodi so warm und schlicht erstehen läßt; im Gegensatz zu der aufkommenden Form hektischer Dynamik, Erotik und Metaphysik in der Mariendichtung ist sie hier nur Frau in mütterlicher Weiblichkeit; ihr einziges Attribut ist Ehre, sie ist menschliche Empfängerin der Engelshilfe. Die Erwähnung der Mutter ruft die Szene der Menschwerdung hervor, unter der Gestalt des Engels die Niedrigkeit, die Krippe, die Tiere, in der Analogie des „pflegennes": Wie euer, in eurer Menschlichkeit, der Engel sich annahm, so nimm auch, Gott und Mensch, dich des Menschen an. Die Vergangenheit der Heilsgeschichte wird Szene in menschlich naher Gegenwart, keine dogmatisch-abstrakte Erörterung, sondern plastisches Bild unter der Zeitlosigkeit des Heilsgeschehens. Das Gebet zur Gottheit läßt das menschliche Mittlertum erstehen in dieser Szene vertrauter Natur, die in geborgener Ruhe gegeben ist: „Du lagst in der Krippe vor dem Esel und vor dem Rind"; herein klingt das Handeln der Engelshilfe. Der Empfangende ist der junge Mensch im machtvollen alten Gott. Es ist, als ob dieser ruhende Anfang des Menschen im Gott zurückklänge zu dem ruhenden Morgen des betenden, „huote" empfangenden, dann in Bewegung sich entfaltenden, ausziehenden Menschen. Im letzten Verspaar sind Ich und Du numerisch ausgewogen: So nimm dich auch meiner an, daß dein Gebot auch bei mir seine Kraft nicht verliere. Das Gebot steht mächtig am Ende und trifft auf das Ich; der Aktivität des Ich im Aufbruch in der ersten Zeile antwortet die Aktivität des göttlichen Gebots in der letzten. Das Gebot übergreift das Leben und bildet das Schwergewicht in jeder Grundrelation gestalteten christlichen Glaubens. Aber auch das Ich verwirklicht sich ruhig und fest. Die Hilfe des Herrn, die Voraussetzung für die Fruchtbarkeit des Gebots im Ich, wird ja verknüpft mit der Hilfe, die der menschliche Gott erfuhr. Die starke Gegenwart des Gebets und des Aufbruchs öffnet sich in die Zukunft des Lebens und erinnert die szenisch-zeiterfüllende, 6 7

78

Vgl. audi Kraus, Unters., S. 72. Wagemann S. 15: Gott als naher Helfer; „er hat nichts von jener fernen, herausgehobenen Majestät byzantinischer Kaiser . . .".

nicht nur dogmatisch zeitlose heilsgesdiichtliche Vergangenheit des göttlichen Anfangs. So haben wir auch in diesem Gebet eine Totalität des Zeiterlebnisses. Kein Gebet, sondern Preis Gottes und der Jungfrau und kritische Auseinandersetzung mit den Engeln ist die erste Vierergruppe aus dem sogenannten „Bogenerton". Die Gruppe ist innerhalb der loseren Einheit des Spruchtons besonders eng in sidi verbunden, hier haben wir wirklich ein „Lied" im Maurerschen Sinne.8 Gott wird in der ersten, Maria in der zweiten Strophe gepriesen, die dritte und vierte redet die Engel an, die dritte allgemein, die vierte mit Namen die drei Erzengel Michael, Gabriel und Raphael. Strophen I und II haben kein Du, der Gegenstand des Preises steht in der dritten Person; die vertraulich-unverfrorene Anrede an die Engel benützt die größere Nähe der Ich-Ihr-Relation. Gewaltig öffnen sich in doppelter Unendlichkeit der Zeit, Vergangenheit und Zukunft, die Dimensionen Gottes: 8

Wir können die mit den Begriffen „politisches Lied", „Spruch" und „Sangspruch" verbundene Problematik nicht eingehend diskutieren; vgl. neuerdings die Hinweise bei Halbadi, Walther von der Vogel weide, Sammlung Metzler 1965, vor allem S. 40 ff., mit Literaturübersicht S. 44 f. (auf die ausgezeichnete bibliographische Übersicht über die ganze Waltherforschung in diesem Büchlein mödite idi nachdrücklich hinweisen). Im Rahmen unserer Untersuchung interpretieren wir im allgemeinen Einzelsprüche, ohne die zyklische Bindung zu leugnen. Maurers These von den „politischen Liedern" in Auseinandersetzung mit der traditionellen Auffassung des Einzelspruchs, dem Begriff „Spruch" überhaupt und den Ansätzen zu einer zyklischen Interpretation wird Polit. Lieder S. 1 ff. dargelegt. Obwohl H . Schneider, Reallexikon III (1928/29), S. 287 ff. schon auf die „Unzulänglichkeiten des Ausdrucks ,Spruch'" hingewiesen hatte, „ist es doch bis in die neueste Zeit üblich, Walthers sogen. Sprüche als einstrophige und selbständige Gebilde aufzufassen" (S. 1), so noch Kraus in seiner kleinen Waltherauswahl, Inselbändchen 105 (1947), so Wilmanns-Michels, so auch Böhm in seiner Ausgabe mit Übersetzungen, Berlin 1944. Auch Wapnewskis Auswahl mit Ubersetzungen, Fischer-Bücherei 1962, so müssen wir hinzufügen, ordnet nicht nach „Liedern". Zwar werden da die nächstverwandten Sprüche zusammengenommen, aber sonst stellt Wapnewski „die sachliche Gruppierung über eine vermutbare historische" (S. 284). Hier findet sich auch zurückhaltende Zustimmung der Liederthese gegenüber: „So wenig die Zugehörigkeit mancher Spruchstrophen zu größeren zyklischen Einheiten bezweifelt wird, so wenig ist eine Ordnung und Zusammenstellung nach inhaltlichen und thematischen Gesichtspunkten schlichtweg zu verdammen" (S. 284): gegen Maurers scharfe Kritik (Wirk. Wort, Sonderheft 3, 1961, S. 51—67) an Böhms Anordnung. Maurer referiert weiterhin die Stellungnahmen zu Simrocks Unterscheidung von (gesungenem) Lied und (nur rezitiertem) Spruch; denn es ging ja nicht nur um das Problem Einzelspruch oder Zyklus, sondern auch um das der Vortragsweise: gesungen oder gesprochen (rezitativ oder parlando). Scherer, Roethe, Plenio und Wilmanns-Michels werden als Verfechter mehr oder weniger strikter Sonderung von Lied und Spruch

79

Der anegenge nie gewan und anegenge machen kan, der kan wol ende machen und an ende. Sit daz allez stet in siner hende, wer waere danne lobes so wol wert? Der si der erste in miner wise, sin lop get vor allem prise. daz lop ist saelic, des er gert. (78,24) 9 E r w i r d nicht mit N a m e n genannt, sein Wesen w i r d deutlich in seinem H a n d e l n . Wieder, wie in der vorausgegangenen Strophe im „pflegen", ist hier sein Tun in kraftvoller Farblosigkeit ausgedrückt: „machen", ebenso die N e g a t i o n aller Passivität: „nie g e w a n " . Die Dimensionen stehen als elementare A b s t r a k t a vor uns: A n f a n g , Ende, ohne Ende. D e r ausgesparte N a m e erfüllt sich als K r a f t f e l d ; anstelle der S u b s t a n z steht potentielle Energie: „ D e r . . . anegenge machen kan, der k a n wol ende madien und an ende." In der R u h e dieses unendlichen unbildlichen Bildes klingt die Bewegung der Weitung in Zeit und R a u m nach beiden Richtungen, Vergangenheit und Z u k u n f t ; in der R u h e der Potentialität des Vermögens die D y n a m i k des Schaf-

9

80

zitiert. Maurer jedodi geht es darum, die grundsätzliche „Liedhaftigkeit" der sog. Sprüdie zu erproben (S. 5). Zwar -will nicht jeder Ton als Lied verstanden werden; dennoch soll die Möglichkeit liedhafter Bindung untersucht, auch der gradmäßige Unterschied zwischen Lied und Zyklus erkannt werden. Maurer formuliert seine These S. 6 : „daß sich die Strophen des gleichen Tons mindestens zu einem thematisch nahe verbundenen Kreis zusammenfügen; daß also Einheit der Form und der Melodie zugleich Einheit des Themas und Anlasses des .Tons' bedeuten." Verknüpft mit dem „statischen" Problem der thematischen und formalen Einheit ist das genetische der Datierung und Strophenfolge. Auch für die Form der Einzelstrophen ist liedhafte Gleichheit wesentlich: vor allem hinsichtlich der Fugung und der syntaktischen Gliederung. — Einige kritische Stellungnahmen zu Maurers Liedthese: Gruenter, A f d A 69 (1956/57), S. 61 ff.: „Doch das selbständige Gewicht des einzelnen Spruches läßt uns zögern, seine Autonomie in der ,liedhaften' Einheit der Sprüche aufzuheben" (S. 62), mit Hinweis auf Schwieterings Literaturgeschichte S. 253, der an der „Einstrophigkeit" festhält. De Boor, PBB 78 (1956), S. 160—166; S. 162 etwa die Kritik, Maurer habe eigentlich nicht klar gesagt, was er unter „Lied" und dem Unterschied zwischen „Lied" und „Zyklus" verstehe. S. 165 äußert sich de Boor positiv zu den Formbeobachtungen im Einzelton, skeptisch zur Liedthese. Weitere krit. Auseinandersetzung bei Kracher, P B B 78 (1956), S. 194—225, hier S. 195 ff. Gegen Maurer mit Lachmann-Kraus und Wilmanns-Michels lesen wir Vers 5 auftaktig, folgen also nicht Maurers Emendation von „wer waere" zu „wer waer" zugunsten glatter Verwirklichung des Metrischen. Wenn auch der Ton im ganzen an dieser Stelle auftaktlos ist, so halten wir eine gewisse Freiheit in den Auftakten durchaus für möglich.

fens, die in ihr enthalten ist; in der Grenzenlosigkeit ohne Anfang und Ende des Sdiöpfers stehen die festen Pfeiler von Anfang und Ende, die er schaffend setzt. Die erste Strophenhälfte hat kein Ich. Klar und maßvoll stehen Unendlichkeit und Grenze, wir hören kein Stammeln über das Numinose, Ruhe und Bewegung sind in Balance; übermächtig, vom Ich fraglos hingenommen, überwiegt jedoch das göttliche Andere. Im zweiten Teil der Strophe erscheint das Ich als Preisendes, zugleich als Arrangeur eines Kunstwerks. Der vorausgehende Preis wird vom Idi eingeordnet in den entstehenden Spruchton, in Analogie der „Anfänge", der großen und der kleinen Schöpfung. Spielend wird der Anfang aller Dinge zum Anfang des Spruchtons in Beziehung gesetzt: „Der si der erste in miner wise", 10 dem großen Anderen gegenüber gewinnt das Ich zumindest als bewußter Kunstschöpfer, als wertend Ordnendes, Eigengewicht. Das sichere Setzen von Grenze und Unendlichkeit, die maßvolle Schlichtheit und Entschiedenheit, mit der das Ich sich gibt, unterstreichen das leise, doch bestimmte Sichbehaupten des Ich in der Gestaltung des Preises. Diese so bewußt als Anfang gestaltete Strophe will eine Fortsetzung. Der erste Vers von Strophe II knüpft im Aufgreifen des Wortes „lop", das jeweils in der ersten Hebung steht, direkt an den Schlußvers der vorhergehenden an. Das Lob wird jetzt von einem „Wir" getragen. Elementare Heilstatsachen werden in schlanker Festigkeit, dabei in persönlichem Ton, angeführt zur Begründung des Preises der Fürbitterin. 1 1 Durch ihr Mittlertum entsteht die Relation von Preis und Erlösung, im Muster der Gegenseitigkeit von Preis und Heilstat: Nu loben wir die süezen m a g e t . . . si ist des muoter, der von helle uns loste. Und im Schlußterzett der Strophe wird das Volk zum Marienpreis aufgefordert: „Nu dar, die alten mit den jungen, / daz ir werde lop gesungen". Die Relation zwischen menschlicher Gemeinde und dem

10

11

Diese Gleidisetzung von erster Strophe des Tons und „erstem", höchstem Thema findet sich nicht selten in Spruchzyklen. „Fast noch byzantinisdi starr waltet der dreieinige Gott des Athanasianischen Symbolums, dem sich im 12. Jahrhundert die Gestalt der Fürbitterin entgegenbewegt . . ( H a n s Böhm, Walther von der Vogelweide. Minne, Reich, Gott, Leipzig 1942, S. 24).

81 6

Schaefer, W a l t h e r von der Vogelweide .

Göttlichen ist nahe und vertraut; schmucklos und umfassend ist in der Schlußzeile die Charakteristik der Jungfrau, verbunden damit die begründende Charakteristik des Preises: „sist guot ze lobenne, si ist guot." Der Weg von Strophe I zu Strophe II zeigt, der größeren Nähe der menschlichen Fürbitterin entsprechend, Zunahme der menschlichen Aktivität im Angesicht des Gegenüber, freieres Selbstbewußtsein des Ich und ungezwungenen Volkston. Und nun vollends die Engelstrophen. Hier spricht das Ich (denn das hat wieder die Regie an sich genommen) sich in burlesker Unverfrorenheit aus; es redet mit dem hohen Geisterheer wie mit seinesgleichen. Dem ehrfurchtsvollen Preis der ersten, dem herzlichen der zweiten Strophe folgt in den Strophen III und IV, in denen man den Preis der Engel erwartet, Vorbehalt und Kritik. Das Gegenseitigkeitsmuster, das uns in der menschlichen Partnerschaft, im Verhältnis zur Frau und zu den Herren, als Inbegriff der Balance von idealer Forderung und idealer Wirklichkeit, von Geben und Empfangen entgegentrat, wird nun auf die Engel ausgedehnt und damit, frivol und doch mit sittlichem Ernst, 12 das jenseitige Andere von der Aktivität des unterscheidenden, wertenden, auffordernden, sich selbst überlegen verwirklichenden Ich übergriffen. Der aufschauenden Hingabe der ersten Strophe folgt jetzt kraftvolle Bewahrung der eigenen Substanz des Ich.13 Die ganze Vierergruppe dient, indirekt in den beiden ersten, direkt in den beiden letzten Strophen, der Kreuzzugsidee. 14 In Strophen I und II wird der Gegenstand des christlichen Glaubens ge12

13

14

82

Vgl. auch S. Singer S. 87. Der ernste Ton der 1. und 2. Strophe ist unverkennbar; man darf nicht von Strophe 3 und 4 her das ganze Gedicht als „leichtfertig" bezeichnen. Vgl. Burdach, Walther I, S. 83 f. G. Ehrismann, Gesdiichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters II, 2, S. 252 geht zu weit, wenn er meint, die Kraft des Persönlichen trete in Walthers religiöser Dichtung ganz zurück. Die Vierergruppe ist schon früh als Einheit aufgefaßt worden. Maurer, Polit. Lieder, S. 95 verweist auf Wilmanns-Midiels, S. 294 ff., Burdach, Walther I, S. 83 f., Kraus, Unters., S. 314 ff. Dazu und zu den sonstigen politischen A n spielungen des Lieds vgl. Kraus, Unters., S. 314. Er sieht die tiefere Absicht nicht in Tadel oder Ermahnung an die Fürsten oder die Kirche, sondern in der Verteidigung des Kaisers dem Papst gegenüber: selbst die starken Engel konnten gegen die Heiden nichts ausrichten, wie sollte man da den Kaiser tadeln? Kraus weist Naumanns „modernisierende" Auffassung zurück (Das Bild Walthers, Anm. 44), daß hier Entrüstung über die obersten Lehnsträger Gottes zum Ausdruck komme (S. 314). — Walther hegt keinen Zweifel an der Integrität der göttlichen Welt, aber in humorvoller Weise baut die innere Form der Strophe auf dieser Fiktion.

staltet, in III und IV die widerchristliche Welt als Gegenstand kämpfender Aktivität, als Herausforderung für notwendige ideale Bewährung. Das Ideal will handelnde Verwirklichung, das Leitbild einer christlichen Welt fordert nicht nur Kontemplation der Ideen, sondern ihre Verwirklichung auf der Erde, in der Tat. Die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit soll durch kraftvolle Hilfe der Geister überwunden werden. Dabei erhalten die Engel menschliche Züge, das Ich läßt ihre unsichtbare Jenseitigkeit und ihre ritterliche Anschaulichkeit spielerisch ineinandergleiten. Das Engelheer wird „verrittert", die Gegenseitigkeit von Leistung und Preis verwirklicht in der Strafpredigt an die Engel höfische Religiosität. Strophe III zeigt „Ich" und „Ihr" in Ausgewogenheit (5:6). Im ersten Terzett ist der Preis des Idi auf das Handeln der anderen bezogen, im Widerspiel der Aktivitäten. Das „grüezen" des Ich hängt vom „zerstoeren" der Engel ab. Scherzhaft verärgert hält das Ich, da die Gegenseitigkeit ja nicht erfüllt ist, seinen Preis zurück: Ich bin doch nicht völlig verrückt . . .: Ich solt iuch engele grüezen ouch, w a n d a z ich bin niht g a r ein gouch: w a z habet ir der heiden noch zerstoeret?

Die drei ungeduldigen Fragen, am Ende des ersten Terzetts, am Ende des mittleren Verspaars und in Vers 7, unterstreichen die herausfordernde Selbstsicherheit des Ich: w a z habet ir der heiden nodi zerstoeret? . . . sagent, w a z hant ir noch d a r z u o getan? . . . m i t w e m solt idi mich besprechen? . . .

Die besondere Macht, die den Engeln durch ihre privilegierte Stellung eigen ist - sie sind unsichtbar und können daher heimlich für Gottes Sache eintreten - , veranlaßt das Ich zu einem ungeduldigen Vergleich. Es versetzt sich an die Stelle der Geisterwelt und sagt ihr, was sie tun soll: humorvoll anmaßend lehrt der Mensch die Geister ritterliche Kreuzzugsethik; die Weite zwischen Diesseits und Jenseits wird überbrückt durch das charmante, fast kabarettistische menschliche Verantwortungsbewußtsein für die göttliche Sache. Während Strophe III das Versagen der Engel noch vorwiegend in herausfordernden Fragen anprangert, kommt Strophe IV mit der direkten Forderung hervor. 15 Dabei ist wieder, entsprechend dem 15

Vgl. audi Böhm S. 116.

83 6·

Ideal der Gegenseitigkeit, der Preis des Idi mit dem Tun der Engel verbunden: Welt ir min lop, so sint bescheiden, schadent allererst den heiden. lopt ich iuch e, daz waer ir spot...,

auch im Widerspiel von Wollen und Lob, von Lob und Spott. Die vierte Strophe nennt in differenzierender Reihung (der dritte Name ist mit einem burlesk-ernsten Attribut verbunden: tiufels vient) die Verantwortlichen beim Namen. Es wird ihrer Weisheit, Stärke und Heilkraft ein verpflichtendes Kompliment gemacht. Sie sind die Heerführer der himmlischen Scharen, auf deren Tun und Wollen der Gehorsam der Geister antwortet. Diese ritterliche Kommandeursrolle erhöht ihre ethische Verpflichtung für menschlich-ritterliche Bewährung. Die Anrede „her" charakterisiert sie spielerisch als höfische Wesen: ich wolt iuch herren ruowen lan . . . her Michael, her Gabriel, her tiufels vient R a p h a e l . . .

Saloppe Respektlosigkeit zeigt sich außerdem in Formen wie: iuch engele; sagent, waz hant ir . . . getan; idi wolt iuch herren ruowen lan; so sint bescheiden; lopt ich iuch e, usw. Der Weg von Strophe I bis I V , vom erhebenden Anfang aller Dinge zu dem Dreigestirn der göttlichen Heerführer, ist ein Weg der fortschreitenden Intensivierung der Ich-Du-Relation. In Strophe I ist das Gegenüber noch ohne Namen, aber es ist überwältigende Kraft, vor der das Ich als regieführender Künstler ein wenn audi geringes Eigengewicht gewinnt. In Strophe I I kommt das menschliche Gegenüber näher, wird inniger ergriffen, es ist Name, aber nodi kein Du. In Strophe I I I kommt eine direkte Anrede zustande, aber nodi ganz allgemein wird ein Kollektiv angeredet, dem gegenüber das Ich sich freilich allerlei erlaubt. Strophe I V schließlich nennt die Partner beim Namen, die persönliche Relation ist hier am engsten, das Idi kommt am unverblümtesten zur Sache. Immer mehr läßt sich die Gotteswelt vom Idi ergreifen und nach seinen Ideen formen. Diese Ideen sind aber keine Empfindungen des Ich, sondern objektive Verpflichtung als Antwort auf das heilsgeschichtliche Eingreifen des Göttlichen in die Welt. Die komisch-verärgerte Initiative des Idi wird übergriffen von der göttlichen Idee, die es in der Realität verwirklicht sehen will. Die Forderung an das Andere wird getragen von

84

der Forderung des Andern an das Ich. Auch in burlesker Religiosität kann das große Erlebnis- und Gestaltungsprinzip der Gegenseitigkeit von Zentrum und Umkreis beherrschend sein. Ehrfurchtsvolles Aufschauen und Hinausblicken in die weiten Dimensionen Gottes zeigt die Strophe 10,1: „Mehtiger got, du bist so lane und bist so breit". 1 6 Das Gegenüber wird mit Du angeredet vom lyrischen Ich, das sich nur einmal im Singular nennt, sonst aber im kollektiven Wir aufgeht. Neben der persönlichen Du-Anrede sind die Eigenschaften Gottes in der Aussage objektiviert: dächten wir danach; danach trachten; es ist, wie es immer war; es wird nicht beachtet: ein Narr, der daran seine Tage und Nächte verschwendet; will er wissen, was noch nie gepredigt und nodi nie auf einen klaren Nenner gebradit wurde. In heiliger Nüchternheit steht so das Unaussprechliche im menschlichen Reden mit Gott. Auch die Mitmenschen rücken in die Distanz der dritten Person: der „andere", stellvertretend für die Gottes Geheimnis Ergrübelnden: der Narr. Die Strophe setzt mit einer einfachen Gebetsrelation ein: Anrede und anredende Aussage. Der Blick richtet sich hinauf zu Gott. Im zweiten Vers kehrt er zurück zu den Menschen, um dann im folgenden sich wieder zu Gott zu wenden. Unter der das Ganze überstrahlenden Anrede des Anfangs ereignet sich der Wechsel Du-Wir-Du: Gottes ruhendes Sein, der Menschen vergebliches Mühen, Gottes Unendlichkeit der zeitlichen Ausmaße und der potentiellen Kraft. Mehtiger got, du bist so lane und bist so breit, gedaeht wir da nach daz wir unser arebeit verlüren! dir sint ungemezzen maht und ewekeit.

Im ruhenden Sein Gottes klingt, im Eröffnen der Dimensionen, die Bewegung der Weite mit, im Adjektiv „mehtic" die Potentialität des Handelns an der Welt. Dem folgt, im Ineinander von Anstrengung und zerfließender Vergeblichkeit, im Denken, in der Mühe, im Verlieren, Aktivität des Subjekts, durch das Richtungsadverb „da nach" hineinklingend in die Weite des Du. Dann, in der Negation der Passivität „ungemezzen", die Engführung von Welt und Gott: Gottes Weite und Potentialität, im Ineinander von Ruhe und Bewegung, und die Vergeblichkeit ihres menschlichen Ermessenwerdens. ' · Wir folgen nicht Maurers Vorschlag zu einer Textbesserung (im Ansdiluß an Kralik) in der 2. Aufl. der Religiösen und politischen Lieder. Für die Möglichkeiten der Einordnung ins „Lied" vgl. Maurer, Polit. Lieder, S. 106 f.

85

Dem „ D u " von Vers 3 folgt in Vers 4 das „Ich" und das Trachten der Welt; das unbegreifliche Objekt wird nur nodi vage „dar nach" genannt. Dieses göttliche „Es" antwortet „uns", indem es unseren Sinnen sich verschließt, weiterhin im Gegenseitigkeitsmuster unmöglich gewordener platter, vordergründiger Gegenseitigkeit. Wieder, im folgenden Vers (6), Gottes Sein, und nun, im Geist der im Verlauf der Strophe gefestigten Entsagung, 17 negierte kosmische Neugierde des Menschen: „Du bist ze groz, du bist ze kleine: ez ist ungahtet . . .". Darauf im folgenden Vers noch einmal, nun zur Narrheit gestempelt, die Aktivität menschlichen Grübelns, und im Schlußvers die Antwort darauf in Negation: tumber gouch, der dran betaget oder benahtet: wil er wizzen daz nie wart gepredjet noch gepfahtet. So finden wir auch in dieser Strophe, in der sich das Du machtvoll dem Zugriff des Ich entzieht, Muster des Wechsels zwischen Menschen und ihrem Gegenüber, Widerspiel der Bewegungen, Balance von Bewegung und Ruhe. Trotz der Ubermacht des Du sind die erste und die zweite Person numerisch ausgewogen (5:5). In dieser Form des Gebets vereinen sich Bekenntnis und Lehre. Im Gebet vergewissert sich das Ich seiner Theologie; diese Grundform des Redens mit Gott vereint die Hingabe an das Du mit der Festigkeit der Lehre über das Du: im Gebet steht die Predigt, in der hier das Ich die Sicherheit des sokratischen Wissens um das Nichtwissen gewinnt. Im Zentrum der Strophe steht ein „Ich weiz . . . wol". Während das Ich die Dimensionen Gottes nicht begreifen kann, versteht es die Menschen und verweist die Welt in ihre Grenzen, die es klar, fest und volkstümlich originell in die Unendlichkeit Gottes baut, die Unendlichkeit in raffinierter Treuherzigkeit, die durch die gewaltige Transzendenz klingt: „du bist so lane und bist so breit"; „du bist ze groz, du bist ze kleine"; die Grenzen in einfachem Ernst und spöttisch-mitleidiger Verachtung. Es ist da kein „höfischer Gott", dem man mit menschlichen Spielregeln beikommt. Aber anstatt sich im „desiderium" zu verströmen, anstatt Gottes Distanz vom menschlichen Gehirn mit rastlosen Ketten der Magie, der „coincidentia oppositorum" oder der Ekstase zu durchziehen, bewahrt sich das 17

86

Vgl. auch Wagemann S. 14 f. Der Verzicht entspringt aber einem Ringen mit dem Gottesproblem; es ist keine bloß weltfromme, weltweite Überlegenheit, wie sie Wagemann sehen möchte.

Ich bei allem hingebenden Aufschauen zum D u ; die Negation des Unerreichbaren wird zur Position des Menschlichen in der realistischgesunden, faden und doch ehrfurchtgebietenden Weisheit der Entsagung. Wo das Idi nicht umgreifen kann, rundet es sich in Einsicht in sich selbst. Es wird nicht selbstzerstörerisch getrieben von jenem Ineinander von Totalität und dem Nichts, vom Verzweifeln an der Vergeblichkeit in der Besessenheit nach dem Grenzenlosen, sondern macht aus dem Erreichbaren ein Ganzes und bewahrt sich, das „Unerforschliche ruhig verehrend", in der Initiative der Grenzziehung und dem Umhegtsein durch die Grenze. Ein anderes Sichbewahren des Ich im Angesicht Gottes, entschiedener ausgedrückt, aber auch spannungsvoller, problematischer, finden wir in der Strophe 26,3 im „König-Friedrichs-Ton", das berühmte Bekenntnis „Vil wol gelopter got, wie selten ich dich prise!" 18 Hier bedeutet die Beschränkung auf das menschlich Normale, Menschen-Mögliche nicht Einsicht in die Begrenztheit des Wissens, sie ist keine „Tugend", sondern schuldhaftes Abweichen vom objektiv anerkannten göttlichen Gebot. Die Spannung zwischen menschlichem Instinkt und dem Machtanspruch des Andern wird nicht aufgelöst, beide Pole bleiben rein erhalten: Gottes Anspruch auf menschlichen Gehorsam und der Anspruch des Ich auf seine menschlich erlebte Ethik. 19 Die beiden ersten Teile der Strophe, das Eingangsterzett und das Quartett des Zentrums, gehören dem Bekenntnis der Unzulänglichkeit menschlichen Willens vor dem göttlichen Gebot. Aber das Schlußterzett, die Beichte übertönend, rechtfertigt das menschlich Normale. „Selten hat ein Gebet frommer begonnen und unfrommer geendet." 20 Fromm ist die klare Offenheit des Anfangs; die Beichte ist männlich fest ohne Zerknirschung, elementar werden die Tatsachen freigelegt. Die „unfromme" Selbstbehauptung andererseits ist nicht frech oder 18

Kraus, Unters., S. 77 f. (mit Hinweis auf Rieger, ZfdA 47, S. 226) sieht in diesem Spruch den ersten des Tons; er ist auf die Scheltsprüche zu beziehen, da Walther ja dort seinen Mitchristen (wie z. B. Otto) keine Nächstenliebe bezeigt. (Aber auch für sich, mit allgemeiner Bedeutung, hat der Spruch seinen Sinn, wie bei der Doppelfunktion des Spruchs als selbständiger Strophe und Glied des Ganzen die „gebundene" und die allgemeine, freie Bedeutung einander überlagern.) Maurer S. 74 f., unter Hinweis auf Burdadi: die Strophe begründe den Abfall (von Otto) mit einem Gebet. Gegen den Bezug auf die Scheltstrophen wendet sich Brinkmann, PBB 63, S. 351. Vgl. audi S. Singer, Die relig. Lyrik, S. 86. 19 Vgl. Wagemann S. 18 f. » Böhm S. 128.

87

arrogant; in beiden Polen, der Hingabe und der Bewahrung, steht Überzeugung, aber auch maßvolle Beherrschung. Gott und dem eigenen Herzen zu gehorchen - dieses Dilemma wird weder gelöst nodi führt es zur Verzweiflung, der Mensch wird weder zum M a ß aller Dinge noch wird er vernichtet, das Ich entthront die Gottheit nicht, unterwirft sich ihr aber auch nicht völlig; in kraftvoller Balance stehen starkes Ich und starker Gott. Das theologische und menschliche Problem ist ohne Kompromiß gegenwärtig, aber die Strophe ist nicht von der Ratlosigkeit unvereinbarer Gegensätze zerrissen; die dichterische Gestalt macht das Unmögliche möglich, Gottes Gesetz anzuerkennen und dem Menschen sein Gefühlsrecht zu bewahren und zugleich dies Unvereinbare mit männlicher Festigkeit zu ertragen. 21 Der Vorwurf christlicher Gesinnungslosigkeit läge nahe — jener Grundform egoistischer Buchstabentreue, die in charakterloser Problemlosigkeit Gott die Ehre und den Menschen die Wirklichkeit überläßt wenn nicht die Spannung in so ehrlicher Deutlichkeit erlebt wäre. In diesem Gebet steht mit einer Intensität wie selten je sonst das Ich im Vordergrund. 2 2 Zumindest einmal in jeder Zeile nennt es sich, es überwiegt numerisch gegenüber dem D u ; erst wenn wir die Summe des dem D u Gegenüberstehenden, Gott und die Mitwelt, zusammennehmen, sehen wir Ausgewogenheit (16:16). Der Teil der reuigen Selbstanalyse baut auf dem Gedanken und dem Gestaltungsprinzip der Gegenseitigkeit von göttlichem Handeln und dankbarem menschlichem Preis und gottgefälligem Leben: Mensch und Gott sind in Gegenseitigkeit aufeinander bezogen. Sie ist durch die menschliche Unzulänglichkeit gestört, aber das Ideal leuchtet auf im Muster dieses Zueinander von Schenken und Empfangen. Vil wol gelopter got, wie selten ich dich prise! sit ich von dir beide wort han unde wise, wie getar ich so gefrevein under dime rise? Ich preise dich, da ich von dir meine Kunst habe; wie wage ich zu freveln unter deiner Herrschaft? Völlig regelmäßiger Wechsel von Ich und Du, außerdem von Aktivität und Passivität: preisen-empfangen-mein Frevel-deine Herrschaft. 21 22

88

Böhm S. 127. Vergleichen wir diese Ich-Intensität mit Mundhenks Statistik (Walthers Selbstbewußtsein, S. 413), so sehen wir, daß diese Strophe eine audi für Walthers Verhältnisse extreme Idi-Häufung bringt.

Rechtes Tun und redite Haltung als Konsequenz dieser Gegenseitigkeit werden nun im zentralen Quartett in dessen ersten drei Versen weiter entwickelt, entsprechend der Antwort auf das göttliche Geschenk nun audi in Handeln und Lieben an die Mitmenschen gerichtet: lehn tuon diu rehten were, ichn han die waren minne ze minem ebenkristen, herre vater, noch ze dir; in Gegenbewegung zu der direkt vorangehenden göttlichen Aktivität „under dime rise", um am Ende von Vers 6 sich in Anklage zum eigenen Selbst zurückzubiegen: so holt enwart ich ir dekeinem nie so mir; und nun, im Schlußvers dieses Quartetts, machtvoll von der heilenden, helfenden Gegenbewegung der Trinität übergriffen zu werden. Vorher: „Ich liebte keinen so sehr wie mich selbst", und nun: „Krist, vater unde sun, din geist berihte mine sinne". Dem doppelten Idi von Vers 6, dem Subjekt und Objekt des menschlichen Egoismus, steht in großer Entfaltung das dreifache der Trinität gegenüber, dem egozentrischen „mich lieben" folgt in erneutem Widerspiel das „Du mögest recht machen". „lehn tuon diu rehten w e r e . . . " , und darauf: „din geist berihte mine sinne". „Recht" - dieses Zentralwort des Ordo steht als negierte Aktivität des Ich am Anfang und als erbetene Aktivität des Du am Ende dieser zentralen Vierergruppe. Aber nun wird diese ideale, nicht verwirklichte Gegenseitigkeit von Ich und Gott übergriffen von der realen zwischen Mensch und Mensch. Der alte Stein des Anstoßes, das „Wie wir vergeben unsern Schuldigern" und die Ethik der Bergpredigt wird zum Problem, das Leben lehnt sich auf. 23 Die Grundform des Primitiven und, wie wir an vielen Beispielen gesehen haben, die Ethik des Gefühls, das Ideal des Lebendigen, bricht durch: Wie du mir, so ich dir. Diese vom Ich in Geben und Empfangen erlebbare, nahe Gegenseitigkeit stellt sich neben die erhabene, fernere. Sie beherrscht das Schlußterzett und gewinnt dort in schlichter Form innige Tiefe. Ihr Muster verwirklicht sich deutlich in der Gestaltung:

2

» Böhm S. 127 f.

89

Wie solt idi den geminnen der mir iibele tuotì mir muoz der iemer lieber sin der mir ist guot. . . U n d in der Schlußzeile die Ausgewogenheit von Bitte und Behauptung, von Empfangen u n d Wehren, von Ich und D u . Stellen wir die erste und die letzte Zeile nebeneinander: und:

Vil wol gelopter got, wie selten ich dich prise! vergip mir anders mine schulde, ich wil nodi haben den muot.

Sichöffnen und Sichbehaupten in Gleidigewogenheit; in den ersten Vershälften, dem D u gehörig, Preis und Bitte, in den zweiten Begrenzung des Ich. Die Balance von Hingabe und Bewahrung im Verhältnis zwischen Ich u n d G o t t ist nicht einfach zu erringen. In der Begegnung mit einem ernstgenommenen Gott, der Verkörperung des U r - A n d e r n , gelangt das Wagnis der H u m a n i t ä t , die in H a l t u n g und Gestalt der Gegenseitigkeit u n d im Umgreifen der Peripherie ein wesentliches Grundgesetz aufweist, an eine Grenze. G o t t selbst, sofern er das bleibt, was er in seiner O f f e n b a r u n g ist u n d sein will, geht nicht auf in der Rechnung menschlicher Kräfte. Aber das dichterisch gestaltende Ich findet Wege, sich auch im Angesicht dieses Gottes zu bewahren. Die „erkenntnistheoretische" Frage wird durch Gedanken der „negativen Theologie" 2 4 gelöst im Gedicht, das sagt: „gedaeht wir d a nach daz w i r unser arebeit / verlüren! dir sint ungemezzen m a h t und ewekeit." Im „ethischen" Pendant, der soeben erörterten Strophe, gibt es keine theologische Lösung, sondern nur dichterisches Erlebnis der Spannung. Nicht die dogmatische Unmöglichkeit, sondern die dichterisch erlebte Wirklichkeit ist dabei entscheidend, u n d diese Wirklichkeit gilt f ü r viele Christen, die, das dogmatische Dilemma vergessend, ihrer N a t u r nicht sterben, wenn sie sich Gottes Geist und Gesetz hinzugeben mühen. Die tiefe dogmatische Fragwürdigkeit dieses humanen Gotteserlebnisses bleibt bestehen, dodi auf den schönen Inseln dichterischer Wirklichkeit und Gestalt herrschen eigene Gesetze. Ihnen galt unser Interesse und der Möglichkeit, innerhalb der lyrischen Grundrelation von Idi und Gott auch dem Ich starke Gestalt zu geben.

24

90

Böhm S. 126.

V.Tod Wir haben gesehen, wie in den Situationen der Liebe, der politischen und ethischen Lehre, der Schelte und Burleske und des Gebets bei aller sich wagenden Begegnung mit dem Andern das Idi sich selbst als Schwerpunkt erhält, von seiner Gegenwart her die periphere Zeit umgreift und ein objektives Anderes, den Raum, erfüllt. U m diese gestaltete Grundfigur des Uberlagerns war es uns zu tun, um das Muster der Feldlinien, in dem Gedankenerlebnis und Formerlebnis eins werden. Die Gestaltung des Verhältnisses von Zentrum und Umkreis führt bei Walther audi zur Begegnung mit dem Tod; einer Begegnung mit der äußersten Grenze bei einem Menschen, dessen Dichtung so sehr der vitalen Kraft des lebendigen Individuums gilt. Die Hauptrichtung der mittelalterlichen Tradition hat die Spannung von Leben und Tod in unheimlicher Geborgenheit ins Unendliche erweitert und dadurch in gewissem Sinne aufgehoben: „Media vita in morte sumus". Das geliebte Leben wird entwertet zugunsten des gefürchteten Todes, das unheimliche Andere wird zur Mitte, das Leben hißt die weiße Flagge schon vor dem Kampf, der Feind wird zur ertragbaren Besatzung, zum Hausgenossen. Er ist fraglos im Zentrum. Die Spannung des Kampfes zwischen lebendigem Zentrum und ganz anderer Grenze ist aufgehoben. Nicht so bei Walther, dessen Zentrum ein lebensbejahendes Ich ist. Dies Ich ist nicht „allem Abschied voran", hat nicht, wie in großartiger Morbidität Rilke, den Tod ins Leben hereingenommen, bei ihm ist der Tod ein echter Feind, der sich nicht mystisch versöhnen läßt, sondern als ferne Grenze das Leben zu einer Begegnung zwingt, nicht der böse Dämon, dem man im Stile primitiver Geisterbeschwörung als Freund schmeichelt, um ihm den Schrecken zu nehmen, sondern, wie für alle wahrhaft Lebenden, ein fremdes Du. 1 Und diese Grenze scheint, noch mehr als der große Andere, Gott, sich der tragenden Hand des Idi zu entziehen. Gerade weil 1

Z u der gesamten Fragestellung v g l . Walther R e h m , D e r T o d e s g e d a n k e in der deutschen Dichtung v o m Mittelalter bis zur R o m a n t i k , Deutsche Vierteljahrsschrift, Buchreihe, B d . 14, H a l l e 1928; dort auch reiche Literaturangaben. D i e Darstellung ruht auf der in der R o m a n t i k , d a n n auch in der Lebensphilosophie und vor allem bei Rilke ausgedrückten Einsicht in die tiefe Einheit v o n Leben und T o d . Es gibt zwei Arten des Lebensbegreifens und somit auch des T o d begreifens. D i e beiden H a l t u n g e n werden deutlich durch Goethe und Rilke verk ö r p e r t : „ G o e t h e meinte, T o d sei die Hülle, die das Leben brauche, um zu er-

91

scheinen,... bei Rilke ist es umgekehrt: Leben ist nur die Hülle des Todes, damit der Tod ganz reife" (Rehm S. 465). Oder, mit Hinweis auf Simmel, Rehm S. 5: „Der Tod bleibt stets der gleiche hohe, rätselhafte und unwandelbare: aber den einen, so hat Simmel gewiesen, wohnt der Tod von vornherein im Leben ein, und die tiefe Lebensaufgabe ist hier, nun den eigenen Tod als Frucht zu reifen. Den anderen aber erscheint der Tod als eine ihrem Innern unverbundene, gewalttätige und dem Leben fremde Macht, die den Menschen plötzlich überfällt." Eine wesentliche Einsicht ist die (an sich selbstverständliche, aber hier klar und ausdrücklich formulierte) Tatsache, daß das Todesproblem vor allem ein Lebensproblem ist, und zwar in doppelter Weise: im Unsterblichkeitsgedanken das Leben auch im Tode zu sehen, und umgekehrt die Aussicht des Todes, die ja „erlebt" wird, ob nun als Furcht oder Sehnsucht, im Leben zu bewältigen. Rehms Buch, das ein Jahr nach Heideggers „Sein und Zeit" erschien und dieses Werk nicht einbezog, steht in der Einsicht des Verflochtenseins von Leben und Tod existentialistischer Deutung nahe, obgleich bei ihm andererseits der Begriff der „Sorge" keine wesentliche Rolle spielt. Rehms Prämissen sind einheitliche Typen von Todeserlebnissen, die geschichtlicher Wandlung unterworfen sind, und implizieren vor allem die Möglichkeit der Gleichsetzung von philosophischen und religiös-dogmatischen Lehren mit direktem Erleben (also von Denken und Sein), und dies wiederum mit dichterischer Gestaltung. Beide Gleichungen sind nicht selbstverständlich, ihre Beziehung ist schwer zu fassen. Vor allem f ü r mittelalterliches Dichten, das im Gegensatz zur Moderne viel stärker von überpersönlichen Dogmen bestimmt ist und bei dem man daher um so automatischer die Lehre in der Dichtung wiederfinden und in der Dichtung die Lehre bestätigt sehen will, ist die Gleichung von philosophischem und „existentiellem" Todeserlebnis oft fragwürdig. Mehr als das gedankliche Einzelmotiv sagen hier oft die Dynamik der Form, die Sprachgestalt, der Rhythmus, die Strukturlinien der Motivführung. — Im christlichen Denken weist Rehm auf zwei Grundformen hin: den Tod als der „Sünde Sold", als Strafe (von Paulus über Augustin ins christliche Denken eingegangen) und somit, ohne die Erlösung, Eingang in die Verdammnis (Rehm S. 20 ff.). Neben dieser dogmatisch-katechetisch jüngeren Reihe steht eine ältere Auffassung der allgemeinen Todhaftigkeit des Irdischen und Menschlichen (S. 24 f.), die in der platonischen Auffassung gipfelt: das Leben der Philosophen sei Reifwerden zum Tode. So wird das Gefühl der Todhaftigkeit lebenformend. Und aus Furcht vor dem Tod und dem Wissen um das Leben nach dem Tod entsteht das Bedürfnis nach Rettung und das Wissen um diese Rettung in der Erlösung durch den Auferstandenen. Das führt zur Weltverachtung : „ . . . d a s Leben wird zum Tod und der Tod z u m L e b e n , zum Eingang in das ewige L e b e n . . . " (S. 29). S. 31 f.: „Erst das Christentum läßt den Menschen das Doppelgesicht des Todes in seiner ganzen gegensätzlichen Spannung erleben. Der Tod kehrt ihm die furchtbare Seite zu, und erst der Zerknirschte, der Gläubige darf auch die andere, versöhnliche schauen." Bewundernswert ist die religiöse Kraft, die Umkehr; S. 31 f.: „ . . . weil gerade durch das Schuldbewußtsein, durch den Tod das Leben verdüstert ist, und der Sinn des Lebens erst drüben, in der Rückkehr l i e g t . . . so wird der Tod, der dies todfinstere Leben tötet und endet, zum Leben und das Scheinleben in Wahrheit zum Tod." Grundlage für das Todeserlebnis des Mittelalters ist diese Dreiheit: Tod Sold der Sünde, Tod Eingang zur Verdammnis, Tod Eingang zur ewigen Seligkeit. Wenn wir von der fraternisierenden Geborgenheit des „media vita in morte sumus" sprechen, so meinen wir gerade dieses Umfangensein vom Tod, der, nicht nur dogmatisch, sondern audi psychologisch, in seiner Allgegenwart den Menschen zu einem nahen wenn auch gefürchteten Be-

92

plastisch Individuelles, das die Konturen des Jetzt und des Diesseits liebt, sich dem lösenden, audi erlösenden Sog des Todes widersetzt, kann dies Andere kein Partner werden. Wie sollte da die klassische Grundrelation des gegenseitigen Tragens und Getragenwerdens Zustandekommen? 2

2

griff wird. Anders bei denen, die ganz im Leben als solchem existieren, denen der Tod stets etwas Fremdes bleiben muß (wir schließen hier existentialistische Erwägungen aus); er bezieht sich auf das Leben nur als Gegen-satz, als „die Hülle", die das Leben braucht, um „erscheinen" zu können. Johannes Kleinstück, Zur Auffassung des Todes im Mittelalter, D V j S 28 (1954), S. 40—60, hier S. 53: „Das höfische Mittelalter konnte s i c h . . . deswegen nicht mit dem Tode auseinandersetzen, weil es den Tod als etwas sah, was an sich gar nicht sein sollte: als eine Anomalie." S. 54 wird der Tod als „vilain", als unhöfisch bezeichnet. — Allzu wenig differenziert Rehm in der Darstellung der weltlichen Dichtung der hodistaufischen Epoche. Die Verhältnisse sind dodi komplexer, als daß man schlechthin sagen könnte (S. 41), die weltliche Dichtung hebe sich von der geistlichen nicht durch einen Wesensunterschied, sondern nur durch eine andere, mildere Wertung des Lebens ab. Man darf hier nicht nur allgemeine weltanschauliche Tendenzen betrachten, sondern muß einzelne Werke auch in ihrer für sich geschlossenen Immanenz erfassen, und da steht etwa bei Hartmanns Artusepen das Todesproblem dodi sehr im Hintergrund. Es geht hier nicht darum, daß Hartmann das Todesproblem ein großes Anliegen war, sondern daß in dichterischen Werken versucht wurde, das Leben in seiner traumhaften, überwirklichen Schönheit für sich selbst zu gestalten. Und das tut in vielen Werken die staufische Klassik. D a ß der „Arme Heinrich" und der „Gregorius" echterer Hartmann seien als „Erec" und „Iwein" („hier gibt Hartmann sein ganzes Frömmigkeitsgefühl", bei Rehm S. 44) läßt sich nicht sagen; eine solche Interpretation entwertet die Wirklichkeit einer Entwicklungsphase zugunsten des (vermutlichen) Endpunkts dieser Entwicklung (vgl. Kleinstück S. 41 f.). „Erec", trotz der großen Klage Enites um den scheintoten Gatten, ist letzten Endes ein Triumph des höfischen Lebens; der Beklagte erhebt sich — das ist für die Gestaltung des Romans wichtiger als die (durch das Leben übertönte) Totenklage. Allzu schematisch ist auch Rehms Darstellung von Walthers Todesgedichten. Denn wenn er S. 50 sagt: „seine Gedichte zeigen, daß er dem Tod entgegengegangen ist, daß er weiß: wir sind mitten im Tode", und Walther 77,34 f. zitiert: „der tot hat uns besezzen die veigen ane wer", so wird auch hier das rückblickende Erlebnis des Lebens von der Grenze her gleichgesetzt mit dem Erleben eines Menschen, der in der Mitte steht. Walthers Gedichte des Lebens behandeln den Tod kaum, und wenn man in Todesnähe an den T o d denkt und vom Tod her rückblickend das Leben als nichtig betrachtet, so rechtfertigt dies nicht die Verallgemeinerung, daß Walthers Leben im Bewußtsein „media vita in morte" gelebt sei. Das Problem ist so vielschichtig und psychologisch komplex: das Leben ohne Tod und die verschiedensten Grade der Verdrängung der Todesaussicht, denn ebenso wie man sagen kann: nur in Auseinandersetzung mit dem T o d wird das Leben zum Leben, ist das Umgekehrte wahr: nur in völliger Mißaditung des Todes und seiner vollen Wucht (nicht als der Vorstellung, die sich der Lebendige als Lebendiger vom Tode macht) ist das Leben möglich; nur die Tatsache, daß wir den Tod bloß bei anderen kennen, macht uns lebendig. Diese Dialektik der Akzentsetzung betont beide

93

In einigen Todesgedichten aus der Mitte des Lebens vermag das Idi sich noch in der Hingabe und Gefährdung zu behaupten. Ein Beispiel ist die Reinmarklage 82,24 und vor allem 83,1. 3 Das Idi erlebt die Grenze im Du, dem toten Lehrmeister und Gegner.4

5

4

94

Pole: die Unmöglichkeit des Lebens ohne Tod und, umgekehrt, die Unmöglichkeit des Lebens mit dem Tod. Schließlich sind all dieser geistesgeschichtlichen Einheitlichkeit und Gefühlssystematik, die noch dazu Weltanschauung und wirkliches Erleben, Denken und Sein als Parallelen sieht, die unergründliche Vielzahl von Selbsttäuschungen und die Verbindung von Wunsch- und Angstvorstellungen eigen, die Diskrepanz zwischen bildungsgeschidilichem Todesgefühl und direktem Todeserlebnis, zwischen kitschiger Todesromantik, Gruppenhypnose und Selbstmitleid einerseits und direktem, wahrem Betroffensein andererseits, zwischen Mode und Notwendigkeit, dann audi zwischen dem Verhältnis zum Tode anderer und zur eigenen Todesbetroffenheit, und schließlich zwisdien dem „Todesgedanken" und dem Tod. Rehms schöne Einseitigkeit erfordert unsere Verunklärung des schön Geschiedenen. Wenn in den Ausführungen über die Klassik Goethes und Schillers (S. 328 ff.) von der Einheit von Leben und Tod die Rede ist, die der klassische Goethe empfindet (S. 340: „Goethe hat ein immer stärkeres Ahnen um die innige Einheit von Leben und Tod, von Anfang und Ende, daß Tod zum vollen Mensditum gehöre, weil er Mensdi zu sein lehre"), so muß man sich deutlich machen, daß Goethe den fremden Tod mit Lebensbildern entschärfte. Nicht der Tod gehört zum vollen Menschtum, sondern ein Tod, der keiner mehr ist, der durch die List der Persönlichkeit und des Lebens und durch viel schöne Indirektheit und den Genuß des Worts mit dem Tod nur noch die Buchstabenfolge gemeinsam hat. Denn wenn auch der Tod zu neuem Leben nötig ist, so liegt der Nachdruck auf dem Leben, der Tod verliert sein Eigenrecht. Daß dem klassischen Goethe der Gedanke an den Tod existentiell unangenehm war, daß er eine hypochondrische Abneigung gegen alles Kranke hatte (und Krankheit ist der Weg zum wirklichen Tod), ist bekannt, darüber hilft kein geistesgeschichtliches Schönreden hinweg. — Kleinstück modifiziert Rehm, indem er S. 41 f. darauf hinweist, daß die klassische Zeit das diesseitige Leben zu formen wußte. Die Kritik an Rehm bei Kleinstück S. 42, er sei der kirchlichen Lehre des Mittelalters nicht in ihrem ganzen Umfang gerecht geworden, ist nicht berechtigt, denn Rehm erwähnt ja nicht nur den Strafgedanken, sondern S. 24 die Todhafligkeit des Irdischen, und gibt S. 32 die Dreiheit: Tod als Sold der Sünde, als Eingang in die Verdammnis, als Eingang in die ewige Seligkeit. Zur Einordnung der beiden zusammengehörigen Sprüche ins Ganze des Leopoldstons s. Maurer, Polit. Lieder, S. 52. Unter Hinweis auf Wilmanns-Michels II, S. 309 meint Maurer, der Tod Reinmars sei ein Grund für Walthers Rückkehr nach Wien gewesen. Gegen Uberbewertung der Reinmar-Walther-Fehde wendet sich Neumann, Deutschunterr. 1953, S. 52 f. Sie hat „.. . für uns Nachfahren nur soweit Bedeutung, als [sie] ahnen läßt, wie sich zwei in ihrer Natur verschiedene Dichter gegenseitig steigern." Für K. K. Klein, Walthers Scheiden aus Österreich, S. 224 ff. ist die Fehde eine todernste Sache. Weitere Literatur: C. von Kraus, Die Lieder Reimars des Alten; Bertha Wagner, Vom Verhältnis Walthers von der Vogelweide zu Reimar, ZfdA 62 (1925), S. 67—75; Marlene Haupt, Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, Gieß. Beitr. z. dt. Phil. 58, Gießen 1938;

Die erste Strophe des Nachrufs nennt kein Idi. Walther wird zum Sprecher für die Erben von Reinmars Kunst, 5 alle, die von ihr beglückt worden sind: die Kunstsinnigen und die am meisten verpflichteten Empfänger seiner Dichtung, die Frauen. Sie alle sollen durch Fürbitte danken für die Verherrlichung, die ihnen aus dem Mund des Dichters zuteil geworden ist. Die Grundrelation von Lob und Dank verbindet in Gegenseitigkeit die Lebendigen mit dem Toten. Die Kunst des einst lebenden Du und das antwortende Tun der Lebenden läßt den Toten sich nicht in die Ferne des Todes verlieren. In der zweiten Strophe ist die Menge der andern zum Einzel-Ich geworden. Die Grundrelation betrifft nun das lebendige Ich und das tote Du (mit dem durch das Possessivpronomen seine Kunst verbunden ist) ; in dreimaligem Durchgang wendet sich das Idi in der Anrede vom Du zur Kunst: . . . du r i u w e s mich . . . dich selben w o l t ich lützel klagen, ich k l a g e din edelen k u n s t . . . , dann:

D u kündest al der w e r k e f r ö i d e m e r e n mich r i u w e t din w o l redender m u n t u n d din v i l süezer sane,

und schließlich (hier wird die Kunst zusammen mit der christlichen Substanz des Dichters, seiner Seele, genannt): d a z du n i h t eine w i l e mohtest biten . . . din sele müeze w o l g e v a r n , u n d h a b e din z u n g e d a n c !

5

H. W . Nordmeyer, Der Ursprung der Reinmar-Walther-Fehde, Journ. of Engl, and Germ. Phil. 28 (1929), S. 2 0 3 — 2 1 4 ; ders., Fehde und Minne bei Reinmar von Hagenau, Journ. of Engl, and Germ. Phil. 29 (1930), S. 16; K . H. Halbadi, Walther von der Vogelweide und die Dichter von Minnesangs Frühling, Tübingen 1927; ders., Walther-Studien, ZfdPh 65 (1940), S. 1 4 2 — 1 7 2 ; Dietrich Kralik, Walther gegen Reinmar, Sitzungsber. d. österr. Ak. d. Wiss., Phil.-hist. K l . 230, 1, Wien 1955; audi Halbadi, Walther, Sammlung Metzler. Im Text hat „kunst" die spezifisch mittelalterliche Bedeutung; wir übersetzen den Begriff dennoch mit dem modernen. Im übrigen gebrauchen wir „Kunst" im modernen Sinn. (Vgl. auch Brinkmann, Wesen und Form, S. 13 f.). Zu Gehalt und Form dieses Sprudis vgl. audi meine Master's Thesis: Die Reinmarklage Walthers von der Vogelweide (L.-K. 83,1), University of Massachusetts 1962; die Gestaltung des Todes vor allem S. 21 ff. und S. 38 ff.

95

Zum Ich gehören Leben, Welt und Freude;® zur Welt und Freude gehört die Kunst, die Kunst zum Du, das Du zum Tod. Wieder baut durch die Motive der Kunst, der Freude, der Welt und des Lebens das Zentrum des Ich eine Brücke hin zum toten Du. Die andere Seite jedoch ist die starke Wirklichkeit des Todes. Über dem Lebendigen und seinen Attributen liegt das „Verdorben", als Bewegung und als Faktum. Es entspricht seinem Reimwort „erstorben", entspricht dem „riuwen" und „klagen" und in seiner Bewegung des Vergehens der des „Gesellschaftleistens", des Fahrens, in Antithese zu dem wunschhaft beschworenen irrealen Warten (V. 11-13). Die Weile, die Zeit diese den Vorgang des Gedichts entscheidend bestimmende Kategorie bezieht alle anderen Motive auf sich und setzt sie in Relation zu ihren Polen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die vergangene Wirklichkeit des Du war das Leben, seine Gegenwart ist der Tod. Die Gegenwart des Ich ist das Leben, seine Zukunft wird der Tod sein. Idi und Du sind in dieser existenziellen Analogie miteinander verknüpft. Das Ich behauptet sich klar und voll in seiner Hingabe. Die eklatante Ausgewogenheit von Ich und Du im ersten Terzett, dann aber auch weiterhin in der ganzen Strophe, gibt dafür Zeugnis. Dreizehnmal erscheint das Du in der Strophe, also im Durchschnitt einmal pro Vers, elfmal das Idi. Exakt ausgezirkelt ist das zahlenmäßige Verhältnis von Ich und Du im Anfangsterzett, auch in der Reihenfolge: Deswar, Reimar, du riuwes mich michels harter danne idi dich, ob du lebtes und ich waer erstorben.

Dann ergreift das Ich die Initiative, sein Überwiegen entspricht seiner Selbstbehauptung in der unerhörten und ehrlichen Unterscheidung zwischen dem Du und dem Werk, 7 in dem der Lebendige Distanz schafft zum Toten, alle sentimentale Überlegenheit des Todes verβ

7

96

Die höfische F r e u d e charakterisiert sehr schön, wenn auch etwas einseitig stilisiert, H . N a u m a n n , Höfische K u l t u r , S . 5: jene ewige „ H e i t e r k e i t der Seele und Gebärde, welche der höfischen K u l t u r fast etwas U n b e r ü h r b a r - G ö t t l i d i e s gibt, und die sich umsetzt in jene schöne, ewige Festlichkeit der N a t u r , den ewigen Ostertag, das ewige P f i n g s t e n . . Z u m Verhältnis von höfischer F r e u d e und N a t u r vgl. L u d w i g Schneider, Naturdichtung, S.101 ff., für Walther vor allem S. 112 ff. S. aber auch W a p n e w s k i in den Anmerkungen z u seiner Walther-Auswahl (Fischer 1962), S . 2 2 4 : „Doch hat die Offenheit des Bekenntnisses etwas von der aufhebenden und das Gegenteil bezweckenden Technik des B r u t u s - L o b e s . "

neinend. Die beiden Schlußverse des Terzetts (5 und 6) zeigen wieder Ausgewogenheit : Ich wilz bi minen triuwen sagen, dich selben wolt ich lützel klagen: ich klage din edelen kunst, daz sist verdorben.

Der Abgesang gehört aber um so überwältigender dem Du, so daß innerhalb der Ausgewogenheit dodi noch leichtes Uberwiegen des Du zustandekommt, dem die Klage gilt. Der statischen, distanzierenden Reflexion des Aufgesangs folgen im Abgesang intensive, drängendere Zeit, drängendere Bewegungsverben, intensivere Idi-Du-Relation. Wir sehen bei aller Behauptung des Ich eine Wandlung vom ersten Terzett zum letzten. Beide Terzette entsprechen einander, die Strophe rundend und schließend, in der Verknüpfung des Todes von Idi und Du. Das erste Terzett zeigt die kühne reflektierende Umkehrung, das Ressentiment gegen den personhaften Charakter des Lebenden; das letzte die Gemeinsamkeit im Gedanken des baldigen Todes. In der ersten Hälfte der Strophe steht das Ich, in der Wahl frei schaltend, gleichsam nodi fester in der Welt, in der zweiten wird der Sog des Todes stärker. Der Weg der Strophe geht vom inneren Übergewicht des lebenden Ich zu dem des toten Du. Der Weg ist nicht einbahnig; die von Anfang bis Ende gegenwärtige Haltung der Klage des Lebendigen überlagert jene Bewegung. Wenn auch die Zeit des Lebens drängend zum Tod führt, so ist doch ein unendlicher Unterschied zwischen beiden. Die Distanz des Lebendigen vom Toten schafft wieder Ruhe, die Klammer, die jene strömende Bewegung einfängt. Wer den Tod des andern beklagt, lebt. Diese Geborgenheit schenkende elementare Tatsache rückt das Ich voll ins Leben und hinweg vom Du und vom Tod. Die sichere Achse des lebendigen Idi hält die Strophe zusammen. So wird diese Tatsache bedeutsam für die innere Gestalt des Gedichts. Dazu kommt die Schönheit der Klage, die frei von jeder Monotonie mit dem sprachlichen Material schaltet und neben das tote Du den Reichtum des Idi stellt. Gefährdung und Bewahrung, Hingabe und Bewahrung überlagern sich in dieser Begegnung des Zentrums mit der Grenze. Man kann im Innern bleiben, wenn der andere hinausgeht. Die Kunst, in der Schönheit des lebendigen Vermäditnisses des Toten wie in der beredten Schönheit der Klage, verteidigt die Schwerkraft der Mitte ge-

97 7

Sdiaefer, W a l t h e r von der Vogelweide .

gen die Fliehkraft der Peripherie. Reinmars Kunst und Walthers Dank bilden die Grundfigur der Gegenseitigkeit, die das Leben triumphieren läßt und den Toten bei den Lebenden hält: ein tröstlicher Versuch des Ich, das Fremde und Ferne mit Händen zu greifen. Eine andere Begegnung mit dem Tod aus der Mitte des Lebens sei kurz erwähnt. Sie ist lebendig, ungestüm und leidenschaftlich extrem, die Totenklage auf den Bischof Engelbert von Köln: „Swes leben ich lobe, des tot den wil ich iemer klagen" (85,9). 8 In dieser starken Zeile überlagern sich Leben und Tod in seltsamer Weise. Zwar ist der Gedanke einfach. Der Nachdruck liegt auf der Realität des Todes: „Er war ein großer preisenswerter Mann, deshalb beklage idi seinen Tod." Aber auch die erste Hälfte hat eigenes Gewicht: „Ich preise sein Leben." Leben und Preis werden dem Tod und der Klage gegenübergestellt. Dann, in Schmerz und befreiender Wut, folgt die Antwort des Ich auf die Tat des Mörders, im Crescendo der Rache eine natürliche instinktgemäße Antwort auf den Tod. Keine von Menschen erdenkbare Marter ist groß genug, das Ich fordert die höchste: „Ich will warten, bis ihn die Hölle lebendig verschlingt." Dieser Art des Todes, dem Mord eines geschätzten Menschen, kann das Idi mit erhobener Stirn begegnen; die Verzweiflung erlöst sich in Aktivität der Leidenschaft. Das Grauen wird durchtönt vom Zorn des Ich, das in diesem läuternden Sturm des eigenen Lärms sich vor der Fremdheit des Todes bewahrt. Diese kraftvoll-naive Möglichkeit des Ertragens steht jedoch allein unter den Gestaltungen von Waithers Todeserlebnissen. An der Grenze von Waithers Leben selbst, in der Altersdichtung, scheint die Wirklichkeit des Todes die klassische Kunst der Mitte zu überwältigen. 9 Weltverachtung und Todesgedanken gehören in einer Zeit objektiver Traditionen zum Repertoire alternder Dichter, denen die Schicklichkeit andere Themen, vor allem das Minnethema, ver-

8

6

98

Für die geschichtlichen Hintergründe vgl. Maurer, Polit. Lieder, S. 105 ff.: Ermordung des Bischofs 7. November 1225, Hinrichtung des Mörders, des Grafen Friedrich von Isenburg, 13. November 1226. Zu Waithers Wende von der „Weltfrömmigkeit" zur Altersdichtung vgl. auch Wagemann, S. 56 ff. Allzu vereinfachend charakterisiert er die klassische Phase als „gar nicht religiöses Weiterleben" und empfindet das Verhältnis von Christentum und ritterlicher Ethik in der Blütezeit nicht als Problem.

bietet. (Eine „Marienbader Elegie" dürfen wir also nicht erwarten.) 10 Doch treffen sich Tradition und Erlebnis; elementar finden Krankheit und Tod die Menschen in einer Lage, in der die Synthese von humanem Ideal und banger Wirklichkeit allzuschwer geworden ist, oder (und sind nicht beide Alternativen eins und dasselbe?) in der die Schicklichkeit der Tradition dem Ich die Selbstbehauptung verbietet, weil sie den Menschen kennt. Die „Elegie", 11 die nicht vom Tod redet, aber das verflossene Leben beklagt, zeigt Walther zwar noch auf der Höhe seiner Kraft organisch zusammenhängender Bildlichkeit, die in erlebbarem Vorgang geschaut ist, so in der ersten Strophe: Erwachen, Sicherinnernwollen, dann Hinausgehen in die Stadt und vor die Stadt in die Natur, in Feld und Wald und zum Fluß und dessen Wellen, denen die Gedanken folgen bis hin zum Meer: keine unorganisch wirre oder bloß vom Denken geprägte Bildfolge, sondern ein Vorgang, der von 10

11

Zumindest Zurücktreten der Minnediditung und Vorherrschen der Zeitklage, des Abschieds und der Todesdichtung kann man beobachten; die Minnelieder sind resignierter, weniger stürmisch und fordernd. Walthers Rückblick auf vierzig Jahre Minnesang in 66,21 deutet allerdings auf ein beachtliches Alter, aber die Resignation wird nicht von einem Tag auf den andern eingesetzt haben. Vgl. auch Mundhenk, Walthers Selbstbewußtsein, S. 435, der (mit vollem Recht, selbst wenn sein Argument die Liedstelle nicht erklären sollte) im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Absdiiedslied betont, daß „die ritterlichen Zuhörer das MißVerhältnis zwischen Altsein und Singen von M i n n e im besonderen als ärgerlich empfunden und gerügt haben." Man kann sich bei der Gesellschaftsbezogenheit des Vortrags von Minnesang und bei dem Gefühl jener Zeit für ästhetische Schicklichkeit nicht vorstellen, daß schlotternde Greise am Hof Minnelieder vortrugen, die sich gar an bestimmte (anwesende) Damen richteten. Eine andere Frage, verschieden von der nach dem realen Alter des vortragenden Dichters, ist die nach der Dauer der Minne. Da kann durchaus von alten Minnenden die Rede sein oder davon, daß die Minne das ganze Leben und somit auch bis ins Alter währen werde. Furstner führt S. 170 ff. Beispiele an für seine Feststellung: „Audi der minne des Minnesängers kann das Altern nichts anhaben." Hier ist nirgends von greisen Dichtern die Rede, wohl aber von der Macht der Minne auch über das Alter, der verjüngenden Kraft usw. Auch das Beispiel von Reinmar (MF 172,11) meint doch nicht: „Ich bin ein alter Sänger", sondern: „Ich bekomme noch graue Haare vor lauter Kummer." Bei Furstners Beweisführung könnte der Eindruck entstehen, er handle auch vom Alter des Singenden (wie wenn er S. 171 Walther 54,31 zitiert: „so mac ein wunder wol geschehen: ich j u n g e . . . " — als ob dieser Topos der Freude notwendigerweise auf einen alten Mann schließen ließe). Vgl. vor allem J . A. Huisman, Neue Wege zur dichterischen und musikalischen Technik Walthers von der Vogelweide, Studia Litteraria Rheno-traiectana I, Utrecht 1950; auch Dietrich Kralik, Die Elegie Walthers von der Vogelweide, Sitzungsber. d. österr. Ak. d. Wiss., Phil.-hist. K l . 228, 1, Wien 1952.

99 7*

einem anwesenden Ich in natürlich geschautem Ablauf getragen wird. Oder am Ende der Aufschwung, der das Leid überwindet und, zumindest in Wunsch und Aufforderung, im Kreuzzug hoffnungsvoll zur Tat führt. Dennoch ist in dieser Grenzsituation des „so weit im Leben und zu nah am Tod" das Zerfließen mächtiger als die Ruhe, das Vergangensein stärker als das Sein, die hinwegströmende Zeit lauter als die Gegenwart, die Welle gewaltiger als die Hand, die einst Wasser ballen konnte zur Gestalt. Und am deutlichsten im Reuegedicht 122,24: „Ein meister las, troum unde spiegelglas / daz si zem winde bi der staete sin gezalt", das in nackter Deutlichkeit in den Zeilen gipfelt: „ . . . nu fürhte ich siecher man den grimmen tot. / D a z er mit swaere mir geswaere, / vor vorhten bleichent mir die wangen rot." 1 2 Hier überwiegt der Sog des Todes die Plastik des Lebens. Traum, Spiegeltrugbild und Wind lösen als Inbegriff des Nebligen und Flächigen die feste Gestalt; Welt und Ende umspielen einander als Leitmotive, „wan" und „buoze" vernichten das Ich und eröffnen die Bewegung hinaus in die Todeszeit. Die Bitte überwiegt die Substanz des Ich; die Andern, beide das Ich übersteigend, der grausame Tod und der helfende Christus, beherrschen die Todeszeit, die als nahe Zukunft die Gegenwart übergreift. Die Rettung ist Geschenk, in Bitte und erhoffter Erfüllung gleitet das Ich aus der Angst in die Geborgenheit, die es von der Größe und Last seiner Individualität befreit. In der Furcht des Todes und der Bitte um Erlösung ist Walther gläubig sich hingebender Christ, die Welt und ihre Wirklichkeit sind gewaltiger als das humane Ich. Eine zum Idi gehörige Kraft stellt sich allerdings auch hier der Angst und dem Schrecken entgegen und behauptet das Lebendige gegen den Tod: die Schönheit der blühenden Sprache. Die ruhige Entfaltung reicher Sinnlichkeit, volltönender, doch keineswegs hektischer oder schwüler Musik, gibt dem verlorenen Ich und der entwerteten Welt in der Sprache zurück, was die Gedanken ihr entreißen. Schön gestaltetes Grauen (nicht die lauernd-nervöse, subtil gespannte, glutvoll farbige Schönheit von Baudelaires „Fleurs du mal", sondern eine direkte, naive, unverstellte): eines der Paradoxe, in die sich die Kunst vor der Wirklichkeit rettet, oder in denen sie 12

Zur Textgestaltung vgl. vor allem Hans Naumann, Ein Meister las, troum unde spiegelglas, Dichtung u. Volkst. 43 (1943), S. 220—224; dort auch positiver Entscheid in der Echtheitsfrage.

100

die Wirklichkeit überwindet? Die Sprache schafft noch klassische Fülle und Bändigung, wo die Gedanken und Gefühle das Ich und die Welt preisgeben. Die Kunst findet noch Wohlklang und Schönheit, wo das Leben verzweifelt. Die Frage nach Recht und Sinn dieser Rettung schenkenden unmöglichen Möglichkeit muß ohne Antwort bleiben.

101

ZWEITER

WEITERE

TEIL

BEGEGNUNGEN

I. Bilder, Situationen, Szenen Das Verhältnis von Idi und Welt in Walthers Dichtung baut auf die Pfeiler der Gegenwart. Auch dort, wo Vergangenes oder Zukünftiges anklingt, übergreift in Erinnerung und Erwartung die zentrale Situationsintensität des Geschehenden zumeist die Peripherie und das nur Zuständliche. Oft haben wir im Zeitdreiklang und der auf das Zentrum bezogenen Perspektivität der peripheren Zeit in anderer Weise dieses Bekenntnis zur gegenwärtigen Situation gesehen. Diese Haltung ist nicht selbstverständlich. Wir kennen Dichtungen, die das Immer und Nie dem Einmal vorziehen, den vage unverbindlichen Zustand der fordernden Plastik des Augenblicks, die Dauer dem begrenzten, intensiven Geschehen, die fließende Zeit der punktuellen, Sein und Vergehen gleichermaßen wagenden Begegnung, den unberührten weiten Raum einer umgrenzten Gestalt. Das Bekenntnis des Ich zum Augenblick ist immer auch Wagnis seiner selbst. Fausts „Dasein ist Pflicht, und wär's ein Augenblick" fordert diese Begegnung mit dem Jetztpunkt, dem unheimlichsten und gewaltigsten Augenblick der Zeit 1 . Walther gestaltet das Jetzt, ohne darüber die Dauer aufzugeben. Im Augenblick der Hingabe soll zeitlose Minne, dauernde Treue sich erfüllen; die edle menschliche Tat wird bedeutend für das ethische Gefüge des Reichs und der Welt; ein Akt soll getragen werden von Haltung und Sein. Das Dauernde soll, ohne sich zu verlieren, sich hineinwagen in die gefährdende und beglückende Situation des Augenblicks. Diese Uberlagerung ist eine Grundfigur in Walthers Gestaltung. Situationen, Bilder und Szenen sind daher von großer Bedeutung für seine Dichtung. Die Uberlagerung von zuständlicher Ruhe und Bewegung des Geschehens ist wesentlich für die Gestalt dieser Situatio1

Vgl. auch Burdach, Walther I, S. 102 ff.

102

nen. Eine Szene ist Synthese von ruhig dauernder Identität und bewegter Veränderung; nur im Zusammenspiel beider kommt die innige Begegnung der Dauer mit dem Augenblick zustande. Eine solche Begegnung erfüllt den Raum; in der Begegnung eignet sich das Ich oder der in der Situation Handelnde in bewegtem Sichverwirklichen den von ihm unabhängigen Raum an und wird von ihm getragen 2 . In den Bildern und Szenen, die die Situation der Begegnung der Menschen darstellen, spielt daher auch im Räumlidien die Uberlagerung von Ruhe und Bewegung. Unter „Bild" verstehen wir nicht nur eine Figur im Sinne der Poetiken, sondern ganz vordergründig das „Schaubare", insofern es nicht überwiegend Vorgang ist und dann eine Szene wäre. Der Begriff „Situation" versteht sich von selbst. Wir haben Walther im ersten Reichsspruch (8,4) in der Gestalt des Denkenden auf dem Steine gesehen, die die Reflexion auf ihre anwesende körperliche Gegenwart bezieht. Ich saz uf eime steine und d a h t e bein mit beine, dar uf satzt idi den eilenbogen, idi hete in mine h a n t gesmogen d a z kinne und ein min w a n g e .

Das Bild ist in ruhiger Körperlichkeit gegeben und mit detaillierter Anschaulichkeit beschrieben 3 : ruhig-plastische Erfüllung des Raums. Und dodi ist diese Plastik nicht in beschreibenden Verben zuständlicher Dauer da, sondern baut sich aus Verben des Handelns auf. Außer dem statisch-intransitiven „sitzen" sind da die Transitiva „decken" und „setzen", und audi im Verb „schmiegen" klingt Bewegung an. In der Ruhe der Plastik klingt erinnernd die Bewegung ihres Entstehens mit: das Sichsetzen, das Übereinanderschlagen Bein über Bein, das Aufsetzen des Ellbogens, das Aufstützen des Kinns und der Wange auf die Hand. Diesem Nachklingen des Vorgangs in der Statik der Gestalt, der Bewegung in der Zeit, entspricht aber auch 2

3

Die gegenseitige Durchdringung von Mensch und Raum geht natürlidi in der staufischen Klassik nicht so weit wie beim „erlebten R a u m " moderner Dichtung (man denke etwa an den „Natureingang" von „Mrs. Dalloway", dessen Wirklichkeit nur im Augenblick des erlebenden Gedankens existiert, den Augenblick dieses Empfindens, einen Augenblick des Lebens, jedoch ganz erfüllt) — aber im Gegensatz zu rein sdiematisdiem Nebeneinander von Natur und Mensch in mancher traditionellen Lyrik sind die Ansätze bei Walther bedeutsam und beachtenswert. So genau, daß die Miniaturmaler danach Walther abbildeten; vgl. auch Wiegand S. 33.

103

eine räumlidie Bewegung entlang der Figur: die Beschreibung führt vom leblosen Stein dem Körper entlang empor bis zum Haupt, dem Sitz der Gedanken, die von der Gestalt umgriffen werden. Dieser Aufwärtsbewegung ist das denkende Haupt leise entgegengeneigt. Man fühlt sich an Lessings „Laokoon" erinnert: Die räumliche Figur entsteht, wenn auch nur im Nachklang, in der zeitlichen Bewegung des Vorgangs (der dadurch auch ihrer Räumlichkeit gerecht wird). Diese ruhige Bewegtheit des Denkenden greift hinaus in den Vorgang des Denkens. Die Dynamik der in diesem Denken aufsteigenden Begriffe und Gestalten, das Erwerben, das Verderben, das „schaden tuon", das Zusammenkommen, der Hinterhalt, die auf den Straßen des Reichs daherfahrende Gewalt, wird eröffnet von der mitklingenden Bewegung der Plastik; an das „dahte" klingt an das „dähte", das Denken als Initiative, als Prozeß, dem das bewegte Spiel der allegorischen Geister entspringt, aber auch als ruhige Dauer, der ruhigen Statue entsprechend, die groß und unbeweglich im Vordergrund des Bildes bleibt, während, von ihrer Ruhe übergriffen, die von ihr beschworenen Gestalten wie bei einer Doppelaufnahme im Film als Vision lebhaft die Mitte, den Hintergrund und die Ferne füllen 4 . 4

Schumacher, Walthers zweiter Spruch im Reichston, S. 180 f. und Anm. 11: Die Pose des apokalyptischen Sehers, in der Offenbarung des Johannes: „audivi et vidi", in Bildwerken Darstellungen von Ezechiel und Amos, die Visionen Abrahams, Jakobs und Josephs; außerdem eine Stuttgarter Miniatur und ein Email der Reichskrone, die zeigen, daß nicht nur visionäre Schau, sondern auch „Hören" und „Sehen" übernatürlicher Wahrheit damit verbunden ist (Hiskia vernimmt in der gleichen Haltung Gottes Wort). Zwei genetisch verschiedene Topoi klingen in dem Bild zusammen: der das Gesicht in die H a n d stützende Seher und das Motiv der übereinandergeschlagenen Beine, wie die „poetae vel magi" im „Hortus deliciarum" der Herrad von Landsberg (vgl. Schwietering S. 248). Es ist bezeichnend, wie somit in doppelter Weise Ruhe und Bewegung einander überlagern: einmal im bewegten Entstehen der ruhenden, plastisch anwesenden Gestalt, dann in der Begegnung der ideellen, statischen Bildtradition mit dieser lebendig gegenwärtigen, ruhig-bewegten Verwirklichung: ein typischer Akt staufischer Neuformung des Gegebenen. Walther übernimmt die in Bildern überkommene symbolische Geste nicht statisch beschreibend, wie er dies hätte tun können, sondern baut die Gestalt auf und stellt sie in dieser Situation neu in die Dynamik seines Reichs und seiner Person. Denn er hört und sieht nicht nur, sondern ruft auch zum Handeln hier und jetzt, wie er nicht ewig hier gesessen, sondern die Plastik seiner Person in gestalteter Bewegung hingeführt hat an die Straßen des Reichs, dessen Raum, der ihn bedrängt, er denkend übergreift. — Stets wird nur der Sinnende auf dem Stein und die Bedeutung beschrieben, nicht aber die Gestaltung. So auch in älteren Darstellungen, etwa bei E. H a a k h S. 24. Über die Gestalt auf dem Steine und ihre typische Bildlichkeit vgl. auch Burdach, Walther I, S. 102 f.

104

Ein großes symbolisches Bild ist die Kaiserkrone auf dem H a u p t des Jünglings Philipp (18,29). Das Symbol drückt die Dauer der Tradition, des Reichs, der Idee aus. Dies Symbol wird zum gegenwärtig geschauten Bild, indem es zusammengeführt wird mit dem menschlichen Träger, dem jungen König, dem die Krone paßt, der der Richtige ist 5 . Das Wunder ist die Harmonie von Krone und Haupt, Tradition und Verwirklichung, Idee und Realität, Zeitlosigkeit und personhafter Begegnung mit der Gegenwart. Szene und Zustand überlagern sich in dieser Schau: Der Kaiser, den der Dichter sieht, erscheint greifbar in der gegenwärtigen Szene, und doch weitet sich die Szene ins bedeutungsvoll Dauernde: so erscheint der Kaiser jetzt, und: so ist das Bild des wahren Kaisers. Der Ruhe der Dauer (die Krone ist) überlagert sich die Bewegung ihres Entstehens: als ob sie der Schmied für den Kaiser gemacht habe. Zur Begegnung des Symbols mit der bewegten Gegenwart führt der Dichter die Krone durch dieses Verb zum Kaiser. Und nun im Muster der Gegenseitigkeit das gemäße Zueinander: eine der schönsten Gestaltungen der Balance in Walthers Lyrik. Sin keiserlichez houbet zimt ir also wol, daz si ze rehte nieman guoter scheiden sol : ir dewederz daz ander niht enswachet.

Die Figur der Gegenseitigkeit wird weitergeführt im folgenden Terzett; im letzten Vers des Terzetts strahlt das Bild hinaus zu den Fürsten des Reichs: Si liuhtent beide ein ander an, daz edel gesteine wider den jungen süezen man: die ougenweide sehent die fiirsten gerne.

In der Statik des Kaiserbilds kommt im gegenseitigen Leuchten von H a u p t und Krone Bewegung auf, die Richtung „wider" unterstreicht diese leichte dodi eloquente Dynamik, deren Strahlkraft als Vorgang 5

Vgl. Maurer, Polit. Lieder, S. 20, und vor allem R. Ruck S. 7 f. • Gruenter kritisiert in seiner Besprechung von R. Ruck, AfdA 69 (1956), S. 68: „,die ougenweide sehent die fürsten gerne' (L. 19,1) heißt nidit ,mit Bewunderung sehen die Fürsten (von unten) zu ihr [der Krone] auf', [weil die Verfasserin das ,Aufsdiauen' darin sehen will] . . . Der Waise als ,leitesterne' schwebt ja nicht über den Häuptern der Fürsten ...". Es handelt sidi aber sehr wohl um geistiges „Aufschauen" zu dem erhabenen Königsstern; der Sinn der Strophe geht ja gerade auf dies Anerkennen der kaiserlichen Hoheit; und die Kraft des Bilds, das sich im Sinn-Bild verwirklidit, leitet den Blick hinauf zum Sternenhimmel.

105

und Zustand die Synthese von Idee und Wirklichkeit begleitet. Dies ruhig-bewegte Bild weitet sich zur Gegenseitigkeit von Kaiser und Reich. Die Fürsten schauen 6 , die Zweifelnden werden zur Klarheit geführt: S w e r nu des riches irre ge, d e r schouwe w e m der weise o b sime nacke ste : d e r stein ist aller f ü r s t e n leitesterne.

Statuarisch das Stehen, und wieder, als Inbegriff bewegter Ruhe, das Leuchten. Dem Hinschauen der Menschen antwortet leuchtendes Leiten und Geleitetwerden durch das S y m b o l 7 . Oft pflegt man zusammen mit dem Kronenspruch die „Magdeburger Weihnacht" (19,5) zu nennen, eine weitere Szene, die den Kaiser Philipp zeigt 8 . Wieder klingen in der bedeutungsvollen, gemessenen Bewegung szenisch Gegenwärtiges und rituell Zeitloses ineinander. Der weihnachtliche Gang des Kaisers, der angetan ist mit den Reichsinsignien und dem seine Gemahlin folgt, besitzt die Weihe eines Aktes, der mehr als menschliche Zeiterfüllung einer bloß wirklichen H a n d lung und dennoch auch gerade dieser reale geschaute Vorgang ist. Ruhige Verben der Bewegung „ez gienc", „ d a gienc", „er truoc", „er trat vil lise, im was niht gach, / im sleich ein hohgeborniu küneginne nach" belasten den Vorgang nicht realistisch aktualisierend, sondern erhalten ihn transparent für seine symbolische Bedeutsamkeit. Das Kleid wird zum Gefäß für die Dreiheit intensiver Kaiserwürde: D a gienc eins keisers b r u o d e r u n d eins keisers k i n t in einer w a t , swie doch d i e n a m e n d r i g e s i n t . . . , 7

8

Zum „weisen": Schumacher S. 186 f., der auf H . Decker-Hauff bei P. E. Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik, Bd. 2, S. 596 ff. und P. E. Schramm Bd. 3, S. 803 ff., Decker-Hauff ebd. S. 610, hinweist. Auf rein ornamentale Beziehungen zwischen 19,5 und 18,29, dem Kronenspruch, weist Halbach in Waltherstudien II, S. 56 f., hin (aber auch im folgenden dann auf 19,29 und 19,17), vor allem in Anm. 6: 18,29: si/bi + wol/sol; 19,5: geborn/erkorn + kint/sint; ferner gemachet/enswachet + an/man, und die durchgehende Reimlinie im Abgesang von 19,5: gadi/nach/gallen/anderswa/da/gevallen. Dazu kommen nodi andere Lautentsprechungen innerhalb der einzelnen Strophen, auf die Halbach nicht eingeht, da sie im Stropheninnern liegen und bewußtornamental nicht relevant sind: die erweiterten Reime wart geborn, hat erkorn; was niht gádi, anderswa, also da; dann tages-maget, muoter Megdeburc; erkornkünec-keisers-keisers kint ; er truoc des r i c h e s . . . er trat vil lise (und audi die Doppelungen in 18,29: Philippes si—wol ein wunder—ime der smit — habe gemadiet, des riches irre, wem der weise; fürsten gerne—fürsten leitesterne; stern ist aller fürsten leitesterne). Die Reimlinie nur auf o und a und der durchgehende a-Abgesang werden audi von R . Ruck erwähnt.

106

Kaiserbruder, Kaisersohn und Kaiser selbst 9 ; in die Bewegung seines Gangs geht diese Beschreibung seines Wesens ein, sein Schreiten trägt die Zuständlidikeit dieser wesenhaften Gestalt. Ganz ähnlich bei der Königin: im sleich ein hohgeborniu küneginne nach, ros ane dorn, ein tube sunder gallen.

Der anmutig schwebenden Bewegung der königlichen Frau überlagert sich, umfassend, bei ihrem Wesen verweilend und aus der Bewegung hinausführend hin zu ihrer inneren Gestalt, die doppelte Metapher, die an Marienpreis anklingt 1 0 und somit zurückdeutet auf die zweite Zeile der Strophe und diesen Gang verknüpft mit dem Tage, an dem er sich ereignet. Auch das Weihnachtsgeschehen ist eine Begegnung der Idee mit der Zeit, des Logos mit der Gestalt, mit dem Menschen Maria und ihrem menschlichen Sohn, eine Verkörperung im Geschehen, wie in Analogie die Gestaltwerdung der Kaiseridee in dem am Weihnachtstag zu Magdeburg einherschreitenden Menschenpaar 11 . In dezenter Zurückhaltung deutet Walther die Parallele an: . . . eins tages als unser herre w a r t geborn v o n einer m a g e t dier im ζ e muoter h a t erkorn . . . :

An einem Tag, der einmal Gegenwart war, trat Gott in die Zeit ein. Warm ist das menschliche Kleid: „maget", „muoter", „geborn". Das Paradox der Begegnung ist Balance der Gegenseitigkeit: Der Herr wählt sich die Mutter; die Mutter gebiert ihn. Und an diesem Tag, an dem das Einmalige und das Dauernde sich begegnen, an dem auch Geschehen zur Tradition geworden ist und die Tradition das Geschehen erinnert, „gienc . . . ze Megdeburc der künec Philippes schone". Die „Ungenauigkeit" des Ausdrucks „am Tage, als unser Herr geboren wurde, ging . . . " unterstreicht die schwebende Verknüpfung des aktuellen Weihnachtsgeschehens mit dem Weihnachtsgang des Kaiserpaars. Dieser zeitlichen Fixierung des Geschehens (es ging, eines Tages, wurde geboren) überlagert sich aber, parallel dem Weihevollen, symbolisch Bedeutsamen, dem Namen, dem Wesen, der dauernden Ge-

9

10

R. Rudi S. 11 ff.; Maurer S. 20: „ . . . i n der angeführten Dreiheit (Kaiser, Kaisersbruder, Kaiserskind) in e i n e m Gewand [wird] eine bewußte Parallele zur Dreiheit und Einheit der Trinität gebracht, wie sie sich Walther audi im Lied auf Otto bis zur Grenze des Möglichen erlaubt." 11 Vgl. Rude S. 11. Vgl. Maurer S. 21.

107

stalt, das zeitlich Unbestimmte, das im periodiseli Wiederkehrenden dieses Feiertages begründet ist 1 2 . Dichterische Bilder im allgemeinen geben Ideen anschauliche Gestalt. Eine bestimmte Art der Bildlichkeit beläßt dabei der Sinnkomponente wie der Bildkomponente ihre Eigenart; das Bild bleibt auch im Sinnbild schaubar und sich selber treu und wird nicht von der Intensität der Bedeutung überwuchert, wie andererseits der Sinn von der realistisch einmaligen Gegenständlichkeit des Bildes nicht ins nur Eidetische verdrängt wird. Die beiden Kaiserszenen stellen einen höchsten Grad der Symbolkraft dar: Die Begegnung von Idee und Gestalt vollzieht sich ohne ausdrückliches Predigen des Gedankeninhalts, die Verschmelzung ist so innig, daß erst im Erlebnis des Vorgangs die eigentliche Tiefe der Idee erschlossen wird. In anderen Gedichten Walthers bleibt der Gleichungscharakter von Sinn und Bild deutlich erhalten; beide Pole, abstrakte Bedeutung und dafür gesetztes versinnlichendes Sinn-Bild, sind außerhalb der Zone ihrer Begegnung auch getrennt anwesend, die Bildlichkeit nähert sidi der Allegorie. Die mittelalterliche Tradition ist auch bei Walther unverkennbar. Dennoch ist die Motivführung nicht von der Tyrannis des Gedanklichen bestimmt; die Bilder sind keine unter sich unverbundene Gleichungen, zusammenhanglose Farbflecke am Gedankengebäude. Die organische Stimmigkeit auf der Bildseite ist ebenso bewahrt wie die gedankliche auf der Seite des Sinns. Bei Walther ist die sinnliche Welt nicht nur geistgeschaffene Kulisse für Gedanken und Gefühle, aber auch nicht das übermächtig Andere, nur sich selbst gehörige Fremde realistischen Erlebens; die Begegnung bewahrt der Natur ihre Eigenkraft des echten Gegen-stands und dem Ich die Initiative des gestaltend Erlebenden 13 . 12

Der Zusammenklang von einstigem Geschehen, dauernder Wirksamkeit und ständig neuem Vergegenwärtigen im Fest gehört zum Rätsel des Mythos und zu der eigenartigen, gegenwärtigen und dauernden Zeitstruktur der Wiederkehr. Thomas Mann drückt das in den Josephsromanen aus: „Denn es ist, ist immer, möge des Volkes Redeweise audi lauten: Es war. So spricht der Mythus, der nur das Kleid des Geheimnisses ist; aber des Geheimnisses Feierkleid ist das Fest, das wiederkehrende, das die Zeitfälle überspannt und das Gewesene und Zukünftige seiend madit für die Sinne des Volks" (Joseph und seine Brüder, Erster Band, Stodiholm 1948, S. 59).

13

So betont etwa H . Kuhns Interpretation von „Muget ir schouwen" (Wege zum Gedicht, S. 54—63), wie die freudige Verkörperung der N a t u r in diesem Lied zwar eigenes Gewicht besitzt, aber dennoch keine unabhängig fremde, den Men-

108

Die innige Verschmelzung von Gedankenweg und sinnbildlichem Naturgeschehen, wie wir sie in Goethes Lyrik sehen, erwarten wir bei Walther nicht. Dennoch vollzieht sich in dieser „mittleren" Weise eine Begegnung von Mensch und Sinnenwelt, die sich auch zur Welt außerhalb des Zerebralen bekennt und nicht die greifbare Natur, ihr Wesen übersehend oder verneinend, in Stücke schlägt, die Stücke durcheinander wirft und als „Exempel" reiht am Rande des Wegs gedanklicher Systematik oder des gedanklichen Chaos. Beispiele für solch abstrakte, von Vorgegeben-Systematischem bestimmte Motivführung wird die Lyrik Frauenlobs geben. In der Strophe 20,31 des Wiener Hoftons „Mir ist verspart der saelden tor" bittet Walther um größere Freigebigkeit des Fürsten. Der Gedankengang ist simpel: „Ich werde vernachlässigt und kann nichts dagegen tun. Rings umher teilt der freigebige Fürst von Österreich Gaben aus. Wenn von diesem Reichtum mir auch nur eine Kleinigkeit abfallen würde, so könnte ich all diese Pracht preisen. Mögen diese Worte ihn an midi erinnern." Diese einfach und logisch verknüpfte Aussage wird verbildlicht in drei zunächst voneinander unabhängigen Situationen, die nur durch den zu illustrierenden Sinn miteinander verbunden scheinen. In allen dreien müht sich das Ich und geht leer aus. Im ersten Bild steht es arm und verlassen vor dem Tor des Glücks, das sich nicht öffnet, wie sehr das Ich auch klopft. Dann: Uberall regnet es, nur nicht, wo das Ich steht. Und schließlich: Der Fürst ist eine bunte Wiese, auf der man wunderschöne Blumen pflückt. Wenn er dem bittenden Ich davon auch nur ein Blatt bräche, so würde es den strahlenden Anblick preisen. In der Verknüpfung von Sinn und Bild sieht man die auffälligen Gleichungszeichen: das Tor zum Glück, den Regen, dessen Simile fast überdeutlich wird (die Freigebigkeit des Fürsten gleich dem Regen), schließlich die handfeste Metapher: Er ist eine schöne Wiese. Aber wenn auch die Entsprechungen von Sinn und Einzelszene zu keiner einheitlichen Parallele von Sinnablauf und Gesamtbild führen (der Fürst ist eine Wiese; eine Wiese, oder ihr Attribut, regnet nicht; auch pflückt die Wiese nicht ihre eigenen Blumen), sehen bestimmende Macht ist (ganz zu schweigen von der Verfallenheit des Menschen an die Natur und ihre Gesetze in späteren Epochen). Kuhn S. 5 9 : „Die M a i - F r e u d e . . . versichert sich, bloß durch die Nennung der .dörperheit' als Gegentyp, all der höfischen Freiheit und Würde, der Selbst-Wahl, des Adels durch Minnedienst und Minnesehnsudit, die das höfische Lied bisher ausgebildet hatte. Nicht dumpfe Lust, nur im Rhythmus der Jahreszeiten lebend, wie es noch die Maitanzstrophe der Carmina Burana z e i g t . . . (Nr. 149,11)."

109

so fügen sich dodi die Einzelbilder zu einem zusammenhängenden Gesamtbild, das als Ganzes den Gedankenablauf ausdrückt und auch dem Ich natürlichen Raum gibt. Der locus amoenus, die paradiesische, üppig grüne Wiese, der Ort des Glücks, ist durch die Paradiespforte dem Ich verschlossen. Der Regen, nach dem das Idi sich sehnt, erreicht es nicht, aber er fällt in die reiche Vegetation und gehört zu der blühenden Wiese; ohne Zweifel eine durch Topoi geprägte Natur, aber doch nicht bloß formelhaft wie etwa der Natureingang. Das Klopfen, der Regen, und am Ende das weiter ausgesponnene, selbständig werdende Bild auf der Wiese werden zu einer organisch lebendigen Szene, zwar erdacht, aber audi im Zusammenhang gesehen. Dabei überlagern sich Vorgang und Zuständlichkeit; das Handeln überwiegt, wird aber immer wieder durch Beschreibung abgefangen 14 . Wir vergleichen damit die Polyperspektive 15 einer Strophe Frauenlobs (Ettm.226): Ein paradis der reinekeit, der zuht ein garte süezer tat, Ein schilt vür allez herzenleit, der anders niht wan guotes hat, D a z bistu, frouwe, saelic wip, ja wol ein rieh gedanc ist daz: jan wart nie manne uf erden baz wan swenn er lit bi ir wizen lip. 14

15

Die Hauptverben der Bewegung sind: klopfen, regnen, brechen; die Ruhepole: ich stehe, dann: „Er ist e i n . . . heide", und: „die liehten ougenweide". Der Spruch ist ausführlich dargestellt mit scharfsinnigen Vermutungen hinsichtlich der Biographie bei K. K. Klein, Walthers Scheiden aus Österreich, S. 216 ff. „Weise" ist nadi Klein wirklich „Waise", Walther bittet um Wiederaufnahme in das „ingesinde"; „saelden tor" ist, wie audi Schönbach feststellt, die „porta paradisi", der selten geöffnete Haupteingang von Domen, königlichen und fürstlichen Pfalzen; hier ist eine bestimmte Palastpforte gemeint. Zur Einordnung in den Wiener Hofton vgl. Maurer, Polit. Lieder, S. 29 f. Mit Bezug auf Kraus Brinkmann, PBB 63, S. 349 f.; er verweist audi auf H . Schneider, AfdA 55, S. 127, der 21,4 „ez ist" für „er ist" vorschlägt: resultierende einheitliche Bildvorstellung. — Die „Uneinheitlidikeit" des Bildes ist immer wieder herausgestellt worden, so bei Kraus, Unters., S. 62 ff.: „Dergleichen ist dem gedankensdiarfen und ausdrucksidieren Dichter ganz gewiß nicht zuzutrauen" (S. 62). H. O. Burger, Die Kunstauffassung der frühen Meistersinger, S. 63 f. stellt dieses dodi mit jedem seiner Teile sich zu einer Bildeinheit fügende Gedicht zu Unrecht in eine Linie mit der Bildtechnik der Meistersinger, die ohne sinnlichen Zusammenhang völlig Disparates reihen. Ich übernehme das sprachlich etwas unglückliche Wort, das oft zur Beschreibung der Bildtechnik moderner Lyrik benützt wird, aus: Kurt Leonhard, Silbe, Bild und Wirklichkeit, Eßlingen 1957.

110

Eine Ich-Du-Relation fehlt (der Partner ist verallgemeinert, so auch durch das „swenn" die Situation); die Gedankenseite zeigt extreme Begrifflichkeit; reinekeit, zuht, herzenleit, guot. Auf der Bildseite passen zwar Paradies und Garten zusammen, audi der „wize lip" fügt sich zur Not noch ins Bild (obwohl der Dichter nicht den Eindruck erwecken will, das Beilager vollziehe sich in einem Garten!), der Schild aber gehört schwerlich dazu, außerdem ist keinerlei die Metaphern verbindender Vorgang vorhanden. Die Bildseite ist punktuelles Exemplifizieren, auf geschlossenen Naturvorgang wird verzichtet. Es gehört zum Wesen der didaktischen Dichtung, daß ihr geistiger Gehalt letzten Endes die Verbildliciiung überwiegt 1 6 . Nicht das Bild schafft die Lehre, sondern der auszudrückende Gedanke sucht Verdeutlichung. Wir behaupten nicht, Walthers Spruchdichtung sei Naturlyrik! Dennoch ist der natürliche Zusammenhang auf der Seite des Konkret-Bildlichen wesentlich, wie abhängig dies Bildliche auch immer sei von dem Abstrakten, dem es dient 1 7 .

16

17

18

Schwietering S. 247 vergleicht die Spruchdichtung mit der geistlichen Predigt, die ebenfalls über alle Verbildlichung die Wirkkraft der Lehre stellt. So wird die Strophe 103,13: „Swa guoter hande würzen sint" (zum Ersten Atzeton gehörig; vgl. zur „Liedeinheit" Maurer S. 40 f.) die Lehre „Wenn du etwas Kostbares besitzst, so behüte es vor aller Gefahr und laß es nicht verderben" durch das Bild eines grünen Gartens wiedergegeben, in dem edle Kräuter wachsen, die der Mensch als Gärtner vor Unkräutern und Dornen bewahren soll. Das Bild wird vom Handeln des Gärtners belebt: „Er sol si schirmen als ein k i n t " , und, auf das Unkraut bezogen: „daz breche er uz besunder . . . und merke ob sich ein dorn / mit kündekeit dar breite, / daz er den furder leite / von siner a r e b e i t e . . . " . Bild und Geschehen verbinden sich zu einer kleinen lebendigen Naturszene. — A u f das plastisch ausgeführte Naturbild in 16,36 als den Inbegriff organischer Gegenseitigkeit von Saat und Ernte haben wir hingewiesen: „Der milte Ion ist so diu sat, / diu wünneclidie wider gat / dar nach man si geworfen hat . . . " , das Bild ist als Vergleich dem Sinn beigefügt. — I m „Spießbratenspruch" 17,11 überwächst der konkrete Vorgang den versteckten bösartigen Sinn; die burleske Freude am Vorgang täuscht aber nicht darüber hinweg, daß diese verschlüsselte Handlung um der Pointe willen abrollt, der Anprangerung eines Skandals im griechischen Kaiserhause (die Frau Philipps war die Schwester des griechischen Kaisers). Zur Einordnung in den Zweiten Philippston vgl. Maurer S. 46 ff., mit Erörterung der von Burdach, Historische Zeitschrift 145 (1932), S. 20 ff. versuchten Datierung im Zusammenhang mit dem Tod der V e r wandten von Irene, später Maria, der griechischen Kaiserstochter und Gemahlin Philipps von Schwaben, und der Darlegungen von K u r t Mackensen i n : Studien zur deutschen Philologie des Mittelalters (Panzerfestschrift) 1950, S. 48 ff., und von Huisman, Neue Wege, S. 140. Zur Einordnung in den „Ottenton" vgl. Maurer S. 60.

111

Im Gegensatz zu vielen biblisdien Lehrstrophen der späteren Spruchdichtung wird in Strophe 11,18 „Do gotes sun hie in erde gie" 1 8 bedeutungsvolles biblisches Geschehen in kraftvoller Situationsintensität dargestellt, die in direkter Rede, Frage und Antwort gipfelt. Die verfängliche Frage der Juden an Jesus, ob man dem Kaiser Steuern schulde, und die Antwort Jesu: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" wird in dramatischer Anschaulichkeit vorgeführt. Die dogmatische Wirklichkeit, einst lebendiges Geschehen, später jedoch vor allem in der Zeitlosigkeit geistiger Bedeutung erlebt und gestaltet, wird hier wieder zu voller Gegenwart. Ihre Intensität steigert sich in perspektivischem Verdichten von der weiten, unbestimmten Zeit der beiden ersten Zeilen zu der starken Gegenwärtigkeit der direkten Rede. Die erste Zeile: „Als Gottes Sohn hier auf Erden wandelte" drückt zwar Geschichte aus, aber noch kein direktes Geschehen. Die zweite: „Da versuchten ihn die Juden ständig" ist Handlung, aber noch nicht zeitlich fixiert; Haltung und Zustand überlagern das Tun. Der dritte Vers: „So taten sie es dann auch eines Tages mit folgender Frage" führt zu szenischem, einmaligem Geschehen. Verse 4 und 5 bringen dann, aktualisierend, aber noch indirekt, die Frage selbst. Vers 6 zeigt, als Gegenbewegung, Jesus in einem kraftvollen Verb des Handelns, dessen Situationsintensität jedoch gemildert wird durch das allgemein das Wesen der Szene charakterisierende doppelte Objekt: „ D a zerbrach er ihnen die Masken und ihre hinterhältige Verschanzung." Und nun in Vers 7 direkt gegenwärtiges Reden und Handeln: „Er verlangte eine Münze" 1 9 , darauf in den Versen 8 und 9 direkte Frage und Antwort der „merkaere" (Walther benützt hier den sonst für die Schnüffler und Ausspürer von Minneheimlichkeiten gebräuchlichen Ausdruck). Dies Hin und Wider der Rede ist der Höhepunkt der schaubaren Szene. Im Schlußterzett, Höhepunkt und Pointe des geistigen Gehaltes, überlagert sich der handelnden Verwirklichung die bedeutsame Lehre, die Rede ist wieder indirekt, beschreibende Charakteristik stellt der Handlung Zuständlichkeit und Wesen gegenüber. Die Weite der Lehre überlagert die Plastik ihres szenischen Entstehens 20 . "

20

„Münizisen" bedeutet eigentlich „Prägeeisen". So übersetzt Böhm auch „Prägestempel" (S. 138), Wapnewski „Münzstempel" (S. 153). In den Evangelien nimmt Jesus bekanntlich eine Münze. Vgl. R . Rude S. 35 f. und ihren Hinweis auf die Unterschiede zum biblisdien Bericht der Synoptiker Matth. 22, 15—22; Mark. 12, 13—17; Luk. 20, 20—26:

112

Es ist bezeichnend, wie Walther, der sich hier an den biblischen Bericht hält, eine Szene auswählt, die seiner Gestaltungsweise besonders entgegenkommt. Im Verhältnis von Vorbild und Gestaltung finden wir immer wieder: Walther übernimmt nur Fremdes, das ihm gemäß ist, oder prägt dem Fremden sein Eigenes auf. Das viele unverwechselbar Eigene, das wir bei Walther kennen, berechtigt zu dieser Feststellung. Durch diese Tatsache wird audi zumeist das Argument entkräftet, etwas könne, da man ja um die fremde Quelle wisse, nicht „typisch Waltherisch" sein. Reicher als in der Spruchdichtung ist die Bildlichkeit in der Minnelyrik. Naturhafte Sinnlichkeit im Fühlen des Ich fordert kraftvoller erlebte Plastizität im Gegenüber, im Du und in der Natur, um die Balance von Ich und Welt ausgewogen zu erhalten. In wundervoller Durchdringung von Fühlen und Handeln, Ruhe und Dynamik, Zustand und Veränderung, Wesen und Offenbarwerden dieses Wesens in Bewegungen des Körpers und der Seele gestaltet sich die vielbesprochene Mädchenszene in Walthers Lied von der Traumliebe (74,20), vor allem aber in der Strophe „Si nam daz ich ir b o t . . . " . In vollendeter Balance von Geben und Empfangen gestaltet sich das Bild der Gegenseitigkeit. Schauen wir in der Szene, die sich eigentlich an und in dieser Mädchenplastik ereignet, auf das Spiel von Ruhe und Bewegung. Si nam daz ich ir bot einem kinde vii gelidi daz ere hat. Ir wangen wurden rot, direkte Rede der Evangelien wird, mit Ausnahme des Höhepunkts, in H a n d lung oder indirekte Rede verwandelt. Außer mit den Bemerkungen „variiert" und „bewußt gestaltet" interpretiert R. Ruck die großartige allmähliche K o n zentration jedoch nidit. Sie weist auf den Aufbau hin: „Ein Mittelteil von acht Zeilen ist von zwei Anfangszeilen (allgemeine Hinleitung) und zwei Schlußzeilen (sprichwörtlich gewordenes Bibelzitat) eingerahmt" (S. 36). Die Strophe ist darüber hinaus jedodi ein schönes Beispiel der Überlagerung: Aufgesang und Abgesang werden (was auch Ruck erwähnt) durch die direkte Handlung überspielt; zugleich überspielt die inhaltliche Gliederung 2 + 8 + 2 elegant die metrischen Dreiergruppen. V. 3 wird durch das „sam" inhaltlich an das Terzett gebunden, gehört aber zugleich zu der szenischen Gegenwart des zentralen Geschehens und wird durch die Wiederholung „frageten" zu V. 4 gerückt. Ähnlich am Strophenende. Hier ist der Inhalt der Rede eng an den Vers des Redens gebunden (V. 10), dennoch gehört dieser Vers noch zum Zentralblock der Szene, während das Verspaar am Ende sich aus dem Geschehen wieder ins Allgemeine weitet.

113 8

Sdiaefer, Walther von der Vogelweide .

same diu rose, da si bi der liljen stat. Do erschampten sich ir liehten ougen: dodi neic si vil schone. daz wart mir ze lone: wirt mirs iht mer, daz trage ich tougen. Wie bei den Philippsprüchen sind die Verben leicht und elementar, das Handeln ist so traumhaft schwebend, daß es keine eigenwilligen Verben duldet. Der erste Vers trägt Bewegung in der Geste von Bieten und Nehmen, die im zweiten sogleich federleicht sich in die Beschreibung ihres Wesens erlöst. Handeln und Sein durchdringen einander, eins steht für das andere. Und nodi einmal dasselbe Wiegen zwischen Vorgang und verweilendem Vergleich, nun als Farbe und mit dem Blumenbild. Der Vorgang spielt im Antlitz des Mädchens, der Vergleich verwandelt das Werden in ruhiges Beieinandersein von Blumen: „Ir wangen wurden rot, / same diu rose, da si bi der liljen stat." 2 1 Der geläufige Topos wird einzigartig neu. Verse 5 und 6 bringen wieder leise Bewegung: durch die Scham, die in ihre doch strahlenden Augen kommt, und im anmutigen Neigen des Haupts. Nun erscheint die Geste in ihrer Wirkung auf das Ich, der Vorgang wird aufgefangen in seiner Reaktion: „daz wart mir ze lone: / wirt mirs iht mer, daz trage ich tougen." Wenn das Auge dem ganzen Vorgang folgt, so gleitet der Blick von den Händen, die den Kranz empfangen, empor zu den Wangen, dann zu den Augen, und leise neigt das Haupt sich dieser Bewegung entgegen. (Wir erinnern uns an einen ähnlichen Bewegungsakkord im ersten Reichsspruch.) Das Neigen wendet sich zum Ich, das damit belohnt wird und den Lohn empfängt in hoffender Erwartung des reicheren, den es heimlich trägt. Vorher Bieten und Nehmen, nun Neigen-Lohnen-Tragen : wiegendes Widereinander der Gegenseitigkeit. Auch in anderen Strophen des Liedes, wie immer seine Strophenfolge sein möge, finden wir Gegenseitigkeit und Zusammenklang von Ruhe und Bewegung, Wesen und Handeln. So in Strophe III: 2 2 21

22

Die Rosenbilder in Walthers Dichtung zählt E. H a a k h auf (S. 33 ff.) und vermißt (eine für diese ältere Methode typische Reaktion) die Gestaltung der Rose an sich; sie werde nur als Bild gebraucht. S. auch Burdach, Walther I, S. 104; Wapnewski, Euph. 51, S. 125; und Wiegand S. 30. Str. I I I nach Lachmann-Kraus (von Wapnewski als Mädchenstrophe aufgefaßt). Die Gegenseitigkeit von Ich und D u ist unabhängig davon, ob der Mann oder das Mädchen spricht.

114

Ir sit so wol getan, daz ich iu min schapel gerne geben wil, so ichz aller beste han: wizer unde roter bluomen weiz idi v i i . . . Dem charakterisierenden Preis in Vers 1 (in dem in der Redewendung „wol getan" das Gestaltetsein der inneren und äußeren Gestalt mitklingt) folgt in Vers 2 die Ankündigung der schenkenden Geste, die in Vers 3 wieder, entsprechend dem Vers 1, im Werturteil abgefangen wird. Vers 4 verknüpft das Kranzmotiv und das angekündigte Schenken (und das leise mitklingende Sichschenken) mit der Szene seiner Verwirklichung. Die Wiese erscheint in den Gedanken des Schenkenden, zunächst das Schönste an ihr, die weißen und roten Blumen. Die Vorstellung des Ich schafft sich eine den Gefühlen antwortende Natur, die vom Fühlen übergriffen und dennoch, bei aller Typik, lebendig sich ereignend sie selbst ist. Die Begegnung von Menschenpaar und Natur führt zur letzten Zeile der Strophe, dem Blumenbrechen zum Kranz. In ihm berühren sich körperlich die geschaute, ichgeschaffene Natur, die doch in eigenem Vorgang Gestalt gewinnt, und die beiden Menschen, sie auch in ihrer eigenen Begegnung, im Schenken des Kranzes. Die Ruhe der Blumenwiese in V. 5: „Die stent so verre in jener heide" führt zum leise bewegten Vorgang der Natur (Verse 6 und 7): „da si schone entspringent / und die vogele s i n g e n t . . . " und zum Handeln der beiden, das Natur mit Händen greift und formt zum Sinnbild der naturhaften Vereinigung: „da suln wir si brechen beide." 23 Das Blumenmotiv in V.4 entspricht dem in derselben Zeile der ersten Strophe: „mit den schoenen bluomen, als irs uffe traget" und der (bei L.-K.) zweiten: „same diu rose, da si bi der liljen stat." In der letzten Entsprechung sind selbst die Farben gleich, in umgekehrter Reihenfolge: wizer unde roter bluomen weiz ich vil, und: same diu rose, da si bi der liljen stat. Audi Strophe IV hat in den Versen 3 und 4 das Blumenmotiv: „Die bluomen vielen ie / von dem boume bi uns nider an daz gras." Diese vierte Strophe bringt wieder, in der Begegnung von Denken und Fühlen mit naturhaftem Geschehen, Balance von Ruhe und Bewegung: 23

Vgl. L. Schneider, Naturdichtung, S. 58.

115 8·

Mich duhte daz mir nie lieber wurde, danne mir ze muote was. Die bluomen vielen ie von dem boume bi uns nider an daz gras.

In diesem denkenden Beschreiben des Gefühls wird die Intensität der Gegenwart reich und groß, das Jetzt ist erfüllt gegenüber aller andern peripheren Zeit. Dieses Jetzt verwirklicht sich in Bewegung: Die Blüten fallen hin zu dem liebenden Paar, dem zeitlichen Jetzt entspricht das räumliche Hier, auf das die Natur die schwebende Bewegung ihrer Blüten zuführt. Durch das „ie", „stets", des Fallens liegt märchenhafte Dauer in der erfüllten Gegenwart. Dann zerbricht das Erwachen diese allzu schöne und klare Wirklichkeit, ohne ihr die Realität des Erlebnisses zu nehmen.24 Die im antiken Sinn klassischste Gestalt Walthers ist der Frauenakt im Liede 53,25: „Si wunderwol gemachet wip". Nirgends sonst wird bei Walther die sinnliche Schönheit einer Frau so gefeiert und im Detail beschrieben wie hier, dabei mit burleskem Humor das Wagnis umspielt und dennoch mit Ergriffenheit Gottes irdisches Meisterstück geschaut.25 24 25

Vgl. zu der ganzen Interpretation die Darstellung Wapnewskis. „Dieses Lied ist nidit so sehr eine verzückte Lobpreisung von Lidit und Schönheit, sondern eine Schularbeit aus gelehrter Dichtungstradition" schreibt Wapnewski in den Anmerkungen zu seiner Ausgabe S. 220. Diese Antithese ist zu hart; das Handwerkliche wird überstrahlt vom Lebendigen. Audi die Tatsache der ererbten Beschreibungstechnik tut der Originalität und Gegenwärtigkeit keinen Abbruch. Es ist entscheidend, wie Walther mit Hilfe der traditionellen Rhetorik seine eigenen Gestalten schuf. Wenn die Hilfslinien der Skizze ausradiert und schließlich der Steinstaub und die Brocken zusammengekehrt sind, dann fesselt uns vor allem die Statue; wir kümmern uns beim Anblick ihres kühnen Lebens nicht um die Metalldrähte, die sie im Innern zusammenhalten. N u r in einem gewissen Stadium der Untersuchung interessiert uns die Technik des Drahtziehens. Wir leugnen keinesfalls den entscheidenden Einfluß der Tradition, aber bei unserer Betrachtung des Endprodukts interessiert uns nur dieses. Es ist ein Gemeinplatz, daß das dichterische Endprodukt etwas anderes ist als die Summe der beteiligten Faktoren. Wenn Walther den Gegenstand von oben bis unten mustert, so ist das bekannte handwerkliche Tradition. Zugleich aber ist es ein geschehender Vorgang in diesem einmaligen Gedicht, brillant modifiziert und von der Zuständlichkeit der Gestalt in szenisches Geschehen verwandelt, das dann der „schulmäßigen" Beschreibung erst ihre erlebnismäßige Bedeutung gibt. — Überinterpretierend ins andere Extrem geht Wagemann S. 21 : „ D a s Leben in dieser Welt wird mit einer Freude am Sein bejaht, wie sie niemals dem mit der Erbsünde belasteten Christen zu eigen werden kann, weil ihm diese Welt den Einklang unmöglich m a c h t . . . E s ist gleichsam die Welt vor dem Sündenfall, vor der Erfahrung."

116

Das schauende Idi und die geschaute lebende Statue sind die beiden Pole des Gedichts. Die Begegnung beider ist in subtiler Uberlagerung von Beschreibung und Geschehen, von Situation und Wesen verwirklicht. Phantasie, fiktive (oder reale) Schau und Erinnerung klingen zusammen in der plastisch tiefgestaffelten Erscheinung dieses Gegenüber und seiner Fiktionalität, in dem das Ich die bezaubernde Gewalt eines in sich geschlossenen, auf das Ich auftreffenden und doch vom Ich in regieführender Gestaltung vorgestellten Andern erlebt. Die erste Strophe spricht allgemein vom Verhältnis zwischen dem Ich und der Frau. Die erste Zeile charakterisiert in unbestimmtem, doch höchstem Preis ihre Schönheit, im Partizip „gemachet" klingt im Zustand ihres Seins das Geformtsein der Gestalt mit. Vers 2 wünscht den Dank dieser Frau. Der Preis, dem in Gegenseitigkeit dieses „habedanc" antworten soll, kommt in den Versen 3 und 4 zu Wort. In Versen 5-10 konvergiert das Lob aller zu der einen; der Preis der Gattung verwirklicht sich in der Gestalt, die der Dichter nun beschwören will. Mögen andere mit gleicher Kunst die Ihre preisen: „Ich lobe hier." Das Allgemeine wird fest umrissene Gegenwart. 28 Die weiteren 4 Strophen handeln vom Betroffensein des Ich durch diese Eine. Ihre Statue, so plastisch sie sich selbst gehört, steht nicht frei im Raum. Zug um Zug spiegelt sie sich in der Wirkung auf das Ich. Strophe II beginnt mit der detaillierten feiernden Beschreibung der Körperlichkeit, jeder Stridi ist begleitet vom emotionalen Edio, den „Körperteilglossen", des Idi. Die Beschreibung ist systematisch und beginnt oben, mit dem Haupt. Dann schweift der Blick in die Tiefe. Dieser Vorgang verläuft aber ohne Eile, er dauert, mit allen anklingenden Reflexionen, 4 Strophen lang. Wieder wird, um mit Lessing zu reden, Räumliches in Zeitliches verwandelt, der Raum der Gestalt in den Vorgang ihrer bewegten Begegnung mit ihren Teilen übertragen. Ir houbet ist so wiinnenrich, als ez min himel welle sin . . . (Ruhe des Zustandes, Wirkung auf das Ich) wem solde ez anders sin gelidi? ez hat oudi himelesdien sdiin. 88

Kraus, Unters., S. 197: „ D a ß das Lied im Wettstreit gesungen ist, zeigt nicht nur der Vers ,lob ich hie, so lob er dort', sondern wohl audi der Wunsch ,daz mir noch werde ir habedanc!', denn das Wort bezeichnet den Siegespreis im Turnier."

117

Dem Zustand folgt im Leuchten Bewegung. In verstärkter Bewegung wird die Statue belebt, zugleich in charmantem Spiel der Gegenseitigkeit die Plastik wunschhaft zur Großaufnahme nahe gebracht, im alten Motiv des Sichbespiegeins in den Augen der Liebsten:27 Da liuhtent zwene Sternen abe, da müeze ich midi noch inne ersehen, daz si mirs also nahen habe! Darauf die emotionale Bewegung in der Reaktion des Idi: idi junge, und tuot si daz, und wirt mir gernden siechen seneder siihte baz. Dem räumlichen Nahekommen der Frau antwortet also ein wunderbar gedrängtes Hin- und Widerspiel, die leidenschaftlich sehnende Bewegung des Ich hin zum Du fände Erlösung und Ruhe: all dies ereignet sidi in einem Vers. Strophe II hat begonnen, die Plastik zu beleben. Strophe III verstärkt das Handeln in der „allmählichen Verfertigung" der Gestalt, die doch in Ruhe ganz und vollendet anwesend ist. Vom Haupt im allgemeinen und von den Augen sind wir nun bei den Wangen, ihre Farben werden mit Fleiß vom Maler Gott aufgetragen. Und wieder die Reaktion des Ich, humorvoll-ernst: Dies Werk des himmlischen Bildners schau ich lieber an als Himmel oder Himmelswagen. Nach den Wangen müßte eigentlich der Mund kommen. Walther erlebt diesen Teil der Gestalt mit einem Wortspiel. Er verlebendigt nun die Frauenplastik, nachdem er sie im Leuchten der Augen und im nahen Spiegeln der Pupillen, dann durch Gottes eifriges Malen in Bewegung gesetzt hatte, durch einen Gegenstand, der in innigen Kontakt mit dem Antlitz kommt: ein rotes Kissen, dessen Klang audi „Küssen" suggeriert.28 „Gewünne ich daz für minen munt" - hier wird der 27

28

Vgl. Furstner S. 62, außerdem S. 131 (verallgemeinernd, denn was geschähe denn in 74,20?) : „In der Nähe der Frau gibt es für Walther nicht Glück und Wonne des Beisammenseins, sondern nur Sieg und Überwältigung." Kolb S. 21 zitiert als frühes Beispiel für das Spiegelmotiv eine Strophe von Bernart von Ventadour (XLIII, 17—24 in der Ausgabe von Carl Appel, Halle 1915). Zum Kußdiebstahlmotiv in der Fehde vgl. Halbadi, Walther und die Dichter von Minnesangs Frühling, S. 57 f.: aus Morungen 141,37 nach Reinmar 14 und Walther 111,23, aber in unserem Lied wohl direkt aus Morungen; vgl. auch Kraus, Reimar III, S. 10 und Brinkmann, PBB 63, S. 367 gegen Kraus, Unters. S. 194 ff., der „küssen" einseitig als „Kissen" auffaßt; Brinkmann dagegen sieht den Doppelsinn.

118

Mund durch den des Partners ersetzt. Alle Sinne erleben diesen Ich und Du verbindenden Gegenstand: Gesicht, Gefühl, Geruch, Geschmack. „daz sol si lihen mir. / swie di die so siz wider wil, so gibe ichz ir." Parodistisch auf Reinmars Gedicht vom Kußraub bezogen (MF 159,1), drücken diese Zeilen schelmisch-innige Gegenseitigkeit aus. Der erborgte Gegenstand, der, die Gestalten verbindend, von Hand zu Hand geht, ist klangeins mit dem Inbegriff von Nehmen und Geben, dem Kuß, der, ihn in Geschehen verwandelnd, stellvertretend für den zu behandelnden Teil der Frauenplastik steht. Am Anfang von Strophe V wird die preisende Beschreibung weitergeführt zu Hals, Händen und Füßen. Was dazwischen liegt, verschweigt des Sängers Höflichkeit. Er erwähnt nur, er habe mehr gesehen und hätte mehr sagen können. Das führt zur Szene, deren Geschehen die Ruhe der Gestalt übertönt. Die Verlebendigung war, wie wir zeigten, immer intensiver geworden, und doch ist dieser Ubergang in die Szene, wie spielerisch er audi ausgeführt wird, überraschend. Die Statue tritt von ihrem Podest, die Allgemeinheit der preisenden Beschreibung führt zur Situationsintensität gegenwärtig geschehender Handlung. Die Spannung zwischen Beschreibung und Szene ist raffiniert; im Rückblick gewinnt die Beschreibung das Leben, das die bewegte Gestalt besitzt. Der Ausruf ist der spielerische Höhepunkt der Situationsintensität. Das Betroffensein des Ich durch die Schönheit des Du wird, in Entsprechung zu Amors Pfeil, durch das Bild des Schusses ausgedrückt. Die letzten Zeilen führen von der Situation zur Dauer: So ist er ihr immer verfallen, wenn er an sie denkt; oder genauer: an die liebe Stätte, da sie, die Reine, aus dem Bade trat. Diese Zeilen führen Dauer und Geschehen zusammen; die betroffene Erinnerung umgreift das einmalige Nennen des Vorgangs, ruhiges Schreiten des geschauten Frauenakts. 29 Die fluktuierende Fiktionalität dieses Gedichts wird also geschaffen durch eine Synthese von Erinnerung und Geschehen, von stetig mehr bewegtem allgemein geschautem Bild

29

Zur Sdilußszene vgl. auch L. Schneider S. 58, mit Hinweis auf H . Brinkmann, Entstehungsgeschichte des Minnesangs, 1926: „Ansatz zum Genrebild". Zu den Beziehungen dieses Liedes zu Reinmar 14 und 15 vgl. Marlene H a u p t S. 12, Halbach S. 57 f. und S. 73, Anm. 2. Über die Körperlichkeit Halbach S. 114. Wenn Halbach S. 122 f. dieses Lied als Beispiel für die Frömmigkeit der „wip"Minne anführt, verkennt er doch das Leichtfüßig-Frivole, das ebenso ausgeprägt ist wie die Feier der Frau.

119

und gegenwärtiger Szene, von A u f b a u und Rückschau, von R a u m und Vorgang. 3 0 Die schönste gegenseitige Erfüllung von Mensch und N a t u r in Dauer und Ereignis ihres Wesens finden wir, außer in den „Mädchenliedern", in den Gedichten 45,37: „ S o die bluomen uz dem grase dringent" und 51,13: „Muget ir schouwen". In der gestuften Hierarchie der Schöpfung wie im unmittelbaren menschlichen Erleben leuchtet herrlich ein schöner T a g , herrlicher strahlt eine menschliche Gestalt. D a s sagt das erste Gedicht. 31 Die Naturszene der Anfangsstrophe ist typisch für irgendeinen Frühlingstag, ein Inbegriff des Maientags, wie der Mai typisch f ü r den Frühling ist und für alles frühlingsoffene, festliche Sein. Dennoch kondensiert so

31

Wir erwähnen andere Szenen, Bilder und Situationen kursorisch. Im Lied 118,24 (zum Bild unter Morungens Einfluß vgl. Halbach S. 109) stellt das Idi sich am Anfang in die Gegenwart: „Ich bin nu so rehte fro, / d a z idi vil schiere wunder tuon beginne". Die Zukunft erwartet in groß bewegtem Bild die Gunst der Frau: „Seht, so stigent mir die sinne / wol hoher danne der sunnen schin: genade, ein küneginne!" Strophe II formt den traditionellen Natureingang originell um. Die Formel „trotz Winter Liebesfreude" wird auf den Augenblick des Anschauens der Geliebten bezogen. D a vergaß der Minnende den Winter: „Ander liute duhte er swaere: / mir was die wile als ich mitten in dem meien waere." — Traditionelle Naturrequisiten wie Reif, Vögel und Blumen benutzt Walther anschaulich, so die lebendige kleine märchenhafte Szene des Streits zwisdien Blumen und Grün, welches länger sei, in 114,23 wie auch im Mailied 51,13; oft angeführte Bilder, die wir nur zur Abrundung des Gesagten erwähnen. — Auf das große Bild des Raums, das von der Zeit erlebenden Wanderns durdiklungen ist und hinführt zu der selbstbewußten Geste des lohnfordernden Boten, in 56,14, haben wir hingewiesen: „Von der Elbe unz an den Rin / und der wider unz an Ungerl a n t . . .". Es klingt ähnlich wie das andere Bild deutschen Großraums, in 31,13: „Ich han gemerket von der Seine unz an die Muore, ! von dem P f a d e unz an die Traben erkenne idi al ir fuore". Raum, diesmal durditönt von der Bewegung skepsiserfüllter, desillusionierter Erfahrungszeit, die konvergiert in der harten Aktualität der resultierenden Lehre. — Im Lied 72,31 sahen wir den szenisdiburlesken, gegenwartsintensiven Zukunftswunsch des Idi, ein künftiger Geliebter möge die abtrünnige Alte mit Ruten züchtigen: „so rechet midi und get ir alten hut mit sumerlaten an", Sdilußpointe, Katharsis aller aufgestauten Gefühle in gegenwärtig gefühlter explosiver Handlung. — Inbegriff anschaulicher Verwirklichung von Haltung und Gefühl in Geste und Handlung ist die Zeile in 49,25: „Herzeliebez frowelin": . . ich bin dir holt / und nim din glesin vingerlin für einer küneginne golt". — Abwendung von undankbaren Edelfrauen drückt sich in 47,36 in eloquent-anschaulicher Geste aus: „Swa idi niht verdienen kan / einen gruoz mit mime sänge, / dar ker idi vil herscher man / minen nac ode ein min wange", eine kraftvolle kleine Szene als Geschehen und Sinnbild. Vgl. Burdach, Walther I, S. 105 ff., auch L . Wolff, Von der lyrischen Bedeutung der Strophenform bei Walther von der Vogelweide, Neuphil. Mitt. 53 (1952), S. 355.

120

sich das Typische zum Individuellen; die Anschaulichkeit des Geschehens „in einem meien an dem morgen fruo" führt das Maienhafte zu einer Begegnung mit voller Gegenwart. Die Naturszene bewegt sich und ruht zunächst für Augenblicke ganz in sich selbst. Der Natureingang wird trotz der Formelhaftigkeit zu einem lebenstrotzenden Bild: die im Grase sprießenden Blumen, ihr lachendes Leuchten der leuchtenden Sonne entgegen, die singenden Vögel; Bewegung des Wachstums, Bewegung des Leuchtens, und in der Gegenrichtung antwortend die leuchtende Sonne, dann die Aktivität der Vögel: all dies Handlung im Zustand des Maienbilds. Die Zeilen der Bewegung werden immer wieder abgefangen von Feststellungen, so von der zeitlichen Fixierung in Vers 3, der modalen in Vers 5. Trotz seiner szenischen Einmaligkeit wird das Naturbild übergriffen von erlebendem menschlichem Denken. Die Naturszene der ersten Strophe ist eingespannt in einen weiten Satzbogen, der hinführt auf die Frage in Vers 6: „waz wünne mac sich da geliehen zuo?" Dem folgt in Vers 7 der jubelnd umfassende Ausruf: „Ez ist wol halb ein himelriche!" Die Hypotaxe des langen Satzes, auch der Vergleich „als ob" machen die selbständige Natur schon rein grammatikalisch zum Gegenstand menschlicher Perspektive. Dazu das Wachsen der Blumen als ein Geschehen, das nur vom distanzierenden Erlebnis der Dauer her wirkliche Bewegung ist. Immer wieder finden wir bei Walther Willen und Kraft zu dieser Synthese: Selbständigkeit und Bezogensein auf das Andere oder den Typus so zu gestalten, daß Individualität und Bindung, Bewahrung und Hingabe, gleich rein erhalten bleiben. Die fühlende und zugleich denkend weiterdrängende Dynamik führt zur zweiten Strophe, einer der schönsten Gestaltungen der höfischen Frau in der deutschen Lyrik des Mittelalters. Form, Gehalt und tiefere Bedeutung dieser Erscheinung - als Szene Symbol für eine Kultur, die in Schönheit den Menschen und eine menschliche Gesellschaft erlebte - sind oft besprochen worden. Wir rufen das Wesentliche ins Gedächtnis. Schönheit und vollendete Tugend klingen zusammen im Ideal der Kalokagathie. Der Schönheit des Menschen entspricht die Schönheit der Kleidung, dem Innen das Außen. Nicht allein kommt der höfische Mensch zur Vollendung, sondern in der Gesellschaft, hier keiner Gruppe von Gleichen, sondern der Goldfassung für den Edelstein. „Kurzewile" und „hoher muot" drücken die Stimmung des einzelnen aus, die ihn hinträgt zur Gesellschaft, spielerisdi erhoben die heitere, 121

an Mozarts Musik erinnernde, allen Pomp in gelassene und dodi warme Freude verwandelnde Festlichkeit. Die Gestalt ist in Bewegung, keiner realistisch abgegafften, minuziös dargestellten, es sind die elementaren Bewegungen einer höfischen Frau: Schreiten und Schauen. Wenn irgend bei einer Gestalt, so fühlen wir uns hier an Schillers Konzeption der Anmut erinnert: Schönheit in Bewegung. Diese Szene wird, wie die Naturszene, von einem langen hypotaktischen Satzbogen getragen, der länger ist als in Strophe I, entsprechend der größeren Intensität der Szene und der schärferen Pointe am Ende: „wir lazen alle bluomen stan und kapfen an daz werde wip." Auch hier übergreift arrangierend die von den Schauenden getragene Hypotaxe das Geschehen. Die Verallgemeinerung „swa" hebt den Vorgang aus dem bloß Gegenwärtigen in ein bedeutendes Immer. Die Syntax bewirkt eine vollendet schöne Durchdringung szenischer, naher Wirklichkeit und leiser Entgrenzung in ein märchenhaftes Uberall und Immer; der Nebensatz ist am Anfang nodi deutlich als solcher spürbar, wird aber im Verlauf des Bildes mehr und mehr selbständig und überläßt sich der Szene. 32 Die dritte Strophe spielt mit Freude an der Variation die beiden Motive, Maiennatur und Frauengestalt, zusammen. Wie in einem Musikstück gibt hier der dritte Teil die Durchführung der beiden Themen. Dabei hält auch in dieser Strophe das unterscheidende Ich „des meien hohgezite" und die „schoenen frowen" klar auseinander; es geht ja um die Wahl der Vortrefflicheren. Anders als etwa in Goethes „Mailied", in dem Naturgefühl und Liebesgefühl sich völlig einen, eins für das andere steht, herrscht hier ein spielerischer Dualismus von Maiennatur und Menschengestalt, von Natur und Kultur. Die gebildete Anmut des schönen Kulturgeschöpfs, 33 zu dem das Ich auch nicht in Liebe, sondern mit verehrungsvoller Bewunderung aufblickt, besitzt zwar alle naturhaft-lebendige Schönheit, ist aber zugleich mehr. Trotz des Entweder-Oder der Strophe finden beide Rivalen lebendige Verwirklichung: im Wettspiel um die Gunst des Ich und des 32

3S

Wir erinnern uns, auch im Vergleich mit der F r a g e , an das syntaktische U m spielen des szenisch Wirklichen in „ U n d e r der linden". S. W a g e m a n n S. 21. E i n weltanschaulicher G r u n d s a t z kann aber d a r a u s nicht abgeleitet werden ( „ d a ß diese andere Bildsprache Gottes erhaben ist über der Schönheit der nichtbewußten N a t u r " , unter H i n w e i s auf M a t h i l d e L u d e n d o r f f , D a s G o t t l i e d der Völker. Eine Philosophie der Kulturen, München 1936, S. 17 ff.). V g l . auch H a l b a c h S. 114 f.

122

Publikums sieht man Gewinner und Verlierer in schönster Kraft. Keine mystische Einheit von Liebe und Naturseligkeit, oder von „ N a turschönem" und „Kulturschönem", sondern klare, feste Trennung im Einklang und im Bewahren beider. Das Spiel der Bewegungen zwischen den Rivalen und dem Publikum ist sehr lebendig. Wir gehen hinein in die Feier des Mai. Dem klingt entgegen: Der ist mit ganzer Macht gekommen. Dann wieder die Aktivität des Publikums: „Seht an in und seht an schoene fro wen", und deren Wettstreit: „wederz da daz ander iiberstrite." Im weiteren Widerspiel der Tätigkeiten und Richtungen: welen-lieze-kiir-verlür. Die Schlußpointe, die hier nodi prägnanter ist als in den vorausgehenden Strophen, bringt das endgültige Urteil: „her Meie, ir miieset merze sin, e ich min frowen da verlür." Lebendiger und reicher ist der Anteil der Natur an dieser Schlußstrophe, um so schöner ist der Sieg der Frau. Der Natureingang hat sich in diesem Lied zu einem fast gleichwertigen Partner verselbständigt. Wenn wir zum Mailied 51,13 „Muget ir schouwen" übergehen, so sehen wir, daß dieses intensive, bildkräftige Naturpanorama kaum mehr als „Natureingang" bezeichnet werden kann. Hier ist die Szene keine abstrakte Gleichung oder Ungleichung, die bloß zum Zwecke der Minnedialektik ausgedacht wurde, 34 sondern aus der von Menschen, Tieren und Pflanzen belebten Natur tritt das Menschenpaar mit seinem in spielerischem Ernst vom Ich diskutierten Konflikt hervor. „Trotz Sommerfreude Liebesleid" 35 34

85

Z u m N a t u r e i n g a n g : L . Schneider, N a t u r d i c h t u n g , S. 24 kritisiert G a n z e n m ü l l e r s Feststellung S. 265, der deutsche N a t u r e i n g a n g sei mit dem provenzalischen identisch, und verweist auf Scheludko (Zs. f ü r f r a n z . Sprache und Lit. 60, S. 257-334). Charakteristik des traditionellen N a t u r e i n g a n g s bei SchneiderS. 28 f f . : Stilisierte N a t u r , doppeltes Wesen v o n Wirklichkeit und Bild, G e g e n s t a n d und B e d e u t u n g ; Gedachtes und Wahrgenommenes sind auf einer Linie, N a h e s und Fernes mit einem Blidt u m f a ß b a r ( d a s trifft aber o f t nicht auf Walther zu), die Gegenständlichkeit der N a t u r ist verhältnismäßig undifferenziert. Wir k l a m m e r n die F r a g e der F o r m e l h a f t i g k e i t aus; es zeigt sich, daß Walthers syntaktische und rhythmische Gestaltung auch die Formel eigen umgestaltet. — Vgl. E . H a a k h , D i e Naturbetrachtung bei den mittelhochdeutschen Lyrikern, L e i p z i g 1908, S. 9 ff.; noch naiv-direkt S. 1 3 : „ D i e stehende Vermischung der N a t u r b e t r a c h tung mit der Minne wirkt auf uns M o d e r n e leicht e r m ü d e n d ; andererseits beweist es eine echte und tiefe N a t u r l i e b e , d a ß f ü r den Edelstein der Minne keine schönere u n d würdigere Fassung gefunden wird als der R e i z der N a t u r . " Z u m Ineinander v o n N a t u r und H a n d l u n g in 45,37 und 39,11 ebd. S. 13, auch Burdach, Walther I, S. 106. Ganzenmüller S . 110 ff. erörtert die Beziehung von N a t u r und menschlichen Schicksalen und zeigt vier H a u p t f o r m e n auf, p a r a l l e l : dem Winter entspricht

123

und die Folgerung, die Bitte an die Frau: „Schließt Euch der Freude der N a t u r a n " - diese alte Formel des Natureingangs beherrscht zwar das Gedicht, wird aber ganz in Geschehen aufgelöst. Weit mehr als in 45,37 ist das Naturgeschehen des Anfangs selbständig und geschlossen; mit gleichem Recht könnte man die zweite Hälfte, das Minnewerben, als Episode der Naturszene bezeichnen wie die Naturszene nur als Vorspiel der Minneszene. Das Naturgeschehen besitzt größere Situationsintensität, die Minnerede gewinnt am Anfang von Strophe IV, dann aber vor allem in der Schlußstrophe, Gegenwart durch die Verknüpfung mit der freudig schönen Gegenwart der Natur. In diesem Lied ist der Einklang von N a t u r und Liebesgefühl gestaltet, aber nicht in ungebrochen strömender Aussage, sondern in spielerisch-überlegener Forderung, nicht in distanzloser Naturmystik, sondern in bewußtem Erleben der N a t u r und bewußtem Übertragen dieses Erlebnisses auf die Forderung an die Frau. Es gibt an sich kein rationaleres, weniger emotionales Argument als das in Strophe VI gebrauchte: Alles ist glücklich, also mach auch mich glücklich. Und dennoch: in dieser selbstsicheren, trotz aller ländlich freien Natur so Urbanen Szene wirkt das Argument als Teil einer arkadisch heiteren, klagend-spielenden Minneanalyse brillant und innig zugleich. Kaum ein Gedicht vereint Wärme und liebenden Ernst, überlegen tändelnde Selbstbewahrung und treffend empfindende Artistik so schön wie dieses. Die emotional ehrliche Nähe von Mensch zu Natur und von Mensch zu Mensch und andererseits die tänzerische, gestochen klare Sicherheit der Schritte und Worte widersprechen einander nicht: leidenschaftliche Präzision und Beherrschung, eine Synthese von jubelnder Farbigkeit und strenger Graphik, von Instinkt und intensivster Bewußtheit. 38

36

Leid, dem S o m m e r entspricht Freude, und antithetisch : trotz Sommer L e i d , trotz Winter Freude. Diese Beobachtungen behalten ihre Gültigkeit, auch wenn man nicht G a n z e n m ü l l e r s K o n z e p t i o n der gefühlsmäßigen V e r k n ü p f u n g v o n N a t u r und Liebe teilt, sondern N a t u r wie Minne als dialektische Funktion der Gesellschaftsbezogenheit des Dichters a u f f a ß t . Durch Ganzenmüllers Buch sind die genannten Formeln p o p u l ä r geworden, sie finden sich jedoch schon etwa bei E . H a a k h , S . 14 f. Allgemein ist zu diesen Darstellungen zu sagen: Sie erörtern im Geiste v o n „Erlebnis und Dichtung" die Dichtungen als D o k u m e n t e der „ N a t u r b e t r a c h t u n g " und des „ N a t u r e r l e b n i s s e s " , nicht eigentlich unter dem A s p e k t der N a t u r g e s t a l t u n g . Vgl. K r a u s , Unters., S. 187, auch H . K u h n , Wege zum Gedicht, S. 5 8 : „ . . . d i e bewußte Absicht in all d e m : Spiel im Ernst, E r n s t im Spiel, U n t e r h a l t u n g und Weltbild in E i n e m . .

124

In diesem Lied überwiegt die Dynamik. Doch vor allem in der schlanken Architektonik der Strophe wird die Bewegung immer wieder abgefangen, vor allem durch die duftig hingehauchten „stumpfen" Kadenzen in Verbindung mit den weiblich vollen. Der Terminus „stumpf" tut hier weh. Der Weg von einer stumpfen Kadenz zur andern ist wie das Schweben eines Schmetterlings von Blume zu Blume und das leise vibrierende Sichniederlassen auf dem blühenden Ruhepunkt. Aber audi die Bildlichkeit selbst schafft immer wieder Ruhe. Syntaktisch wird am Anfang der ersten Strophe Bewegung erzeugt durch die Frage und den doppelten Imperativ, inhaltlidi durch die Verben: Hineinschauen in die Natur und Hinschauen zu aller Welt, die in der Bewegung ihres Sichaufführens, „Fahrens", die Maiennatur erfüllt. Vers 5 gibt ein statisches Wesensurteil: „Groz ist sin gewalt", dessen potentielle Dynamik im folgenden Vers weiter ausgebreitet wird („Ine weiz obe er zouber künne") und in Vers 7 in direkte Bewegung übergeht, welche schließlich in einer beschreibenden Feststellung sich aufhebt: swar er vert in siner wünne, dan ist niemen alt. Eine anschauliche Maienszene hier und jetzt, und dennoch zugleich ein typischer Frühlingstag mit typischen Menschen in der Natur. Auch die übrigen Strophen des Liedes haben diese Eigenschaft: Allgemeine Stimmung und wiederholtes maienhaftes Tun werden impressionistisch zu lebendigen Bildern verdichtet, die in ihrer Frische und ihrer Typik das Jetzt und das Immer gleichermaßen erfüllen: Uns wil schiere wol gelingen: wir suln sin gemeit, Tanzen, lachen unde singen ane dörperheit! We wer waere unfro? Sit die vogele also schone singent in ir besten done, tuon wir ouch also. Dann die bunten Verben des Handelns, die Bewegungen und Szenen: der die Natur bekleidende Frühling, der Streit des Bunten und Grünen auf der Wiese, der lachende rote Mund, schließlich, nach dem Minneräsonnement, wieder das Hinschauen der Menschen in die N a tur: „Muget ir umbe sehen? / Sich fröit al diu weit gemeine . . . " , und, 125

ihrem Schauen entsprechend, der Wunsch nach Erfüllung schenkendem Handeln: „Möhte mir von iu ein kleine / fröidelin geschehen!" Mit großer Eleganz werden die Bewegungselemente aber immer wieder in rhythmischer Regelmäßigkeit durch distanzierende Beschreibungen und Abstraktionen, denkendes Eingreifen des beschreibenden Ich in den Vorgang, aufgefangen: „Groz ist sin gewalt"; „dan ist niemen alt"; „wir suln sin gemeit"; ane dörperheit"; „We wer waere unfro?"; wie du scheidest/allez ane haz"; durch die Vergleiche „und die heide baz"; „Diu hat varwe me"; Fragen „Ist daz wol getan?" und Klagen „Owe so verlorner stunde", um nur einige zu nennen.37 Das Typische, Dauernde, von der Zeit Freie ereignet sich in einer Gestalt und erfüllt plastische Gegenwart. Dies Sichüberlagern von punktueller Intensität und genereller Weite, von scharfer Kontur und ihrer Entgrenzung, von realer Begegnung und idealer Bedeutung, von Handeln und Wesen ist verbunden mit einer Uberlagerung von Ruhe und Bewegung. Das bedeutet nicht, daß stets die Bewegung dem Begegnen mit der Wirklichkeit, die Ruhe der zeitlosen Dauer entspräche: Die Uberlagerung von realer Kontur und öffnender Weitung sieht die Bewegung im Entgrenzen. In Gedichten wie der „Magdeburger Weihnacht" oder „So die bluomen uz dem grase dringent" begegnen und umschlingen sich zwei Arten des Sehnens, die zu verschiedenen Stunden denselben Menschen oder dieselbe Kultur gebieterisch ergreifen können: die kühle Ruhe einer überlieferten, im ordo gefestigten Idee, wie das Idealbild des Kaisers oder der Frau, für das pulsierende, nahe Leben zu gewinnen und nichts zu verlieren, oder dann, in anderem Impuls, das rein durch die Tatsache seiner Realität durch Konturen begrenzte und gefesselte Gegenwärtige in Bewegung zu entgrenzen, in Freiheit zu setzen, so daß es sein ersehntes ideales Ziel erreicht. Diese Vereini37

Wiegands M e t h o d e (S. 21) weiß mit d e m L i e d wenig a n z u f a n g e n . D a s Lied ist in 3 + 3 Strophen gegliedert; W i e g a n d weist auf H o r a z „Integer v i t a e " (2 + 2 + 2) und als etwas bombastische Parallele der „ M a ß ä s t h e t i k " auf D a n t e s „Göttliche K o m ö d i e " hin (1 + 33 + 33 + 33). D i e vermuteten mittelhochdeutschen V o r b i l d e r ergäben nur stoffliche und metrische, nicht technische Parallelen. Ganzenmüller S. 280 stellt das antike Vorbild des Streits v o n Blumen und K l e e heraus: Sedulius Scottus läßt Lilie und R o s e streiten ( V e r k n ü p f u n g des reinen Lilien-Rosenmotivs mit dem Streitmotiv). Über d a s Verhältnis zu 114,2 vgl. H . Schneider, D r e i Waltherlieder, Z f d A 73, S. 172 ff., in Auseinandersetzung mit K r a u s , Unters., S. 409 ff. Siehe zum L i e d auch Burdach, Walther I, S. 107 und L u d w i g Wolff a. a. O . S. 351.

126

gung von Vollendung und Unendlichkeit ist das Wesentliche der klassischen Gestalt. 38 Parzival erreicht seine Vollendung, als er das höchste Ziel seines Sehnens, den Inbegriff alles im Diesseits und Jenseits Wünschbaren, gefunden hat. 39 Es kann aber nur deshalb menschliche Vollendung sein, weil das göttliche Symbol der Hut eines reichen, kraftvollen Menschen anvertraut wird. Der Bamberger Reiter ist eine klassische Statue, weil zwei Arten menschlichen Sehnens in seiner Plastik zusammenklingen: dem Ideal (des Königs) mensdiliche Gestalt zu verleihen und andererseits einer menschlich begrenzten plastischen Kontur den Blick in die Ferne zu geben. Ruhe und Bewegung klingen zusammen in diesem schönsten Beispiel für Entgrenzung in sich vollendeter Kontur, dem Blick, der die Demarkationslinie zwischen Existieren und Nichtexistieren einer begrenzten Gestalt überschreitet und der greifbaren Plastik etwas Traumhaft-Uberwirkliches gibt. 40 Das Spiel von Ruhe und Bewegung, Begegnung von Dauer und Ereignis, findet im großen in einer Kultur statt wie der staufisdien, in der Menschen in erregter Entdeckerfreude ethische und ästhetische Ideale schaffen und finden - und doch glauben, daß sie in Gottes Ordnung ewig schon Dagewesenes gefunden haben. Sie tun in der Bewegung des Werdens das, was bei Hölderlin „der Vater liebt" (bei diesem Dichter, dem sich keine Harmonie von Sein und Werden mehr schenkte): nämlich „daß gepfleget werde der feste Buchstab und Bestehendes gut gedeutet." Der „feste Buchstab" meint keine schon bestehende Kunst, die wurde in der Bewegung des Findens neu geschaffen. Aber die zu jener Zeit noch tragkräftige Uberzeugung, daß das Bestehende in Gottes Gedanken fest gegeben ist, stellt der handelnden Verwirklichung, sie überlagernd, die Ruhe einer dauernden Wirklichkeit gegenüber. 38

39

40

Stridi betont den einen Aspekt, den der Vollendung; aber audi das Entgrenzen der festen Kontur ist von entscheidender Bedeutung für die klassische Gestalt. „Erdenwunsches überwal" - Sdiwietering S. 161 übersetzt „das was hinausgreift über alles Wählen irdischen Wunsches". Den einen Aspekt, den Zusammenklang von Körperlichkeit und Bedeutung beim Bamberger Reiter, betont H . Naumann, H ö f . Kultur S. 51. Vgl. audi allgemein Halbadi S. 131, der hier auf Wilhelm Pinders berühmte Formulierung des „geschichtlichen, griechischen Augenblicks" hinweist, in dem im Bamberger Dom Europa der klassischen Antike nahegekommen ist. S. 132 wird Alfred Bäumler zitiert (Zeitwende I, 462 ff.), der seine Beobachtung an den Statuen in dem bekannten Satz zusammenfaßt: „Wenn in der Geschichte der deutschen Kunst die Forderungen der Klassik einmal erfüllt worden sind, dann war es kurz vor der Mitte des 13. Jahrhunderts in Franken."

127

II. Satzführung Im metrisch gebundenen Gedicht begegnet der Fluß der lebendigen Sprache der Architektonik des Strophenbaus. Das metrische Gefäß ist für die Strophe vorgegeben, vor allem wenn, wie im mittelalterlidien Spruchton oder Lied, jede Strophe gleich gebaut ist. Dennoch ist das Verhältnis von Gefäß und Füllung bei den einzelnen Dichtern verschieden. Bei manchen dominiert die starre Intensität der Strophengeometrie, der Diditer gibt sich hin an die Tragkraft des objektiven, bändigenden Gefäßes. Andere Dichter vermögen das zwar selbstgebaute, aber dann zu einem begrenzenden, objektiv Anderen werdende Korrektiv durch die freie Dynamik der Sprache so zu erfüllen und zu umspielen, daß das Gefäß nicht mehr wie ein Gipsverband den Körper trägt, sondern daß, wie bei einem der Körperform angepaßten Kleidungsstück, der Körper umschlossen wird und zugleich trägt. Die Freiheit des sprachlichen Vorgangs überlagert sich der Bindung des metrischen Gesetzes in solcher Weise, daß das Metrum von innen heraus für diese sich ereignende Sprache geschaffen scheint und umgekehrt die Sprache sich einfügt in das Metrum, so daß man sich wundert, „wies ime der smit so ebene habe gemachet". Die Verszeile, dann die Versgruppe sind Grundeinheiten graphisch-geometrischer Kontur. Sie werden durch die Spradie respektiert oder umgangen. Das Enjambement hat eine entscheidende rhythmische Funktion in diesem Spiel von Erfüllung und Entgrenzung der festen Kontur. Die Sprache als zeitbestimmter Vorgang überfließt in ihrer von innen heraus drängenden Eigendynamik die starr konturierten Zeitblöcke des Metrums. Wir haben hier gleichsam eine umgekehrte Situation wie im Räumlichen. Dort wird die begrenzte Kontur des individuellen Körperlichen überspielt von der Weite und Dauer der objektiven Idee, hier der fest komponierte Block objektiv geometrischer Form von der strömenden Bewegung der zwar vom Metrum vorgeformten, aber dennoch individuell pulsierenden Sprache. 1

1

Das Eigengewicht der Strophe beachten Darstellungen wie die von L. Wolff (Strophenform bei Waither) nicht genügend; das Metrum wird hier zu sehr in Stimmungseinheit mit dem Gehalt gesehen. Die Begegnung von Sprache und Metrum ist, gerade in der so anspruchsvoll konstruierenden, vielgestaltigen mittelalterlichen Strophik, eine Uberlagerung gleichwertiger Partner, ein gegenseitiges plastisches Sidiformen und Sichauswölben.

128

Der Fluß der Sprache hängt ab vom Inhalt und Satzbau, von der syntaktischen Spannung, der Wortanordnung, der Lautstruktur, dem Rhythmus des Satzes und der Satzkola, vom Drängen und Halten der Wörter, vor allem der Verben, ferner auch von der Anordnung des Enjambements, der Frage, an welcher Stelle des Verses der Satz beginnt, wie weit er führt und wo er endet, ob er ganze Verse umfaßt und, wenn nicht, ob er weit ins Versinnere hineinreicht oder nur knapp und hart am Ende oder Anfang dieses Verses „verhakt" ist. 2 Die Art dieser Begegnung von individuellem Formen und objektiver Form, Bewahrung sprachlicher Eigendynamik und Hingabe an das Gefäß, charakterisiert die Ausdruckshaltung des Dichters. Bewahren lebendig pulsierender Substanz und zugleich Sidiöfinen dem An-

2

Für eine nicht nur grammatikalisch klassifizierende Behandlung des Enjambements in einem mittelhochdeutschen Werk verweise idi auf Blanka Horacek, Die Kunst des Enjambements bei Wolfram von Eschenbach, Z f d A 85 (1954), S. 210-229. Die Doppelfunktion des Enjambements wird hier herausgestellt: „ . . . was für den enjambierenden Satz eine syntaktisch unbegründete Trennung bedeutet, ist für die Verse eine rhythmusstörende Bindung" (S. 212); ferner die Unterscheidung zwischen Langzeilen- und Kurzzeilenenjambement, von Hakenstil und Zeilenstil (Heusler 263, Beyschlag, PBB 56, S. 226) und die zwiespältige Beurteilung des Enjambements nach syntaktischen Gesichtspunkten. Die Hauptfrage ist, ob Nebensatzanschluß Enjambement bedeutet oder nicht (vgl. Beyschlag S. 235; nach Paul, Deutsche Grammatik, 3, 10 oder Behagel, Deutsche Satzlehre, 1926, S. 6 gehören Nebensätze zum Satz, stellen also Enjambement dar). Neckel dagegen (Beitr. z. Eddaforschung, 1908, S. 22 ff.) setzt Nebensätze den Hauptsätzen metrisch gleich. Audi „Übergreifen" wird verschieden verstanden. Behagel: „Jeder Widerspruch zwischen sprachlicher und metrischer Gliederung, zwischen den sprachlichen und metrischen Pausen" (Besprechung von M. Borheck, Über Strophen- und Versenjambement im Mittelhochdeutschen, in: Literaturblatt f ü r germ, und rom. Philologie 10, 1889, Sp. 373); Heusler (Versgesch. I, 40): „Ubergreifen des Satzes in die nächste Zeile"; Fr. Wahnsdiafie, Die syntaktische Bedeutung des mittelhochdeutschen Enjambements, Palaestra 132, Berlin 1919, S. 1: jedes „Aufhören oder Beginnen eines Satzes im Inneren des Verses". B . Horacek klassifiziert die Enjambements (S. 213 ff.): metrisch hinsichtlich der Ausdehnung des Satzes über die Verse, hinsichtlich der Taktzahl der durch das Enjambement in den Nadibarvers verwiesenen Satzpartien, gefugte und nicht gefugte Enjambements; dann hinsichtlich der Reimbindung, ob der Sprung innerhalb des Reimpaares erfolgt oder darüber hinausführt; schließlich syntaktische Klassifizierung: hauptsatzspaltendes, nebensatzspaltendes Enjambement, Verssdiluß trennt einen Nebensatz vom Hauptsatz, Verssdiluß fällt zwischen zwei Satzglieder oder mitten ins Satzglied, Enjambement schließt den Satz oder schneidet in ihn ein; endlich Klassifizierung nach der Abtrennung der verschiedenen Satzteile. Der Hauptteil des Aufsatzes wendet jedoch nicht diese Kategorien an, sondern untersucht zahlreiche Einzelstellen aus Wolframs Parzival auf die inhaltliche Begründung des Enjambements (S. 221 ff.). Rhythmisch-

129 9

Sdiaefer, Walther von der Vogelweide .

deren, Bewahren und Uberspielen der Grenze: dies sind Vorstellungen, die uns bei Walther in verschiedenem Zusammenhang begegnet sind. W i r klassifizieren nidit systematisch, wenn wir die rhythmischen Eigenschaften mancher Enjambements bei Walther untersuchen. Der Versuch zu klassifizieren ist allgemein und auch im Hinblick auf einzelne Dichter gemacht worden; 3 eine Skala wurde gegeben vom komischen Enjambement bis zum Enjambement als Ausdruck des drängenden, durch metrische Grenzen nicht mehr zurückzuhaltenden Sprachflusses. Wir behandeln jeden Zeilensprung für sich und untersuchen, welche syntaktischen, rhythmisch-melodischen oder gehaltlichen Kräfte den Satz über das Zeilenende hinwegdrängen oder welche Spannung des Satzes durch den Bruch unterstrichen wird, allgemein: wie die Sprache und ihre treibenden Kräfte sich einschmiegen oder eindrängen in das vorgegebene Gefäß und es sich neu aneignen: also wieder ein Prozeß der Umformung vorgegebener Form.

8

klangliche Kriterien schließt Horacek aus, auch geht sie nicht auf das Verhältnis von Synaphie und Enjambement ein (S. 217). Sie unterscheidet separatives und kommunikatives Enjambement und behandelt S. 218 das Enjambement als Hervorhebungstendenz (s. auch Beyschlag S. 257). Diese Systematik hat gegenüber unserem absichtlich nicht klassifizierenden Verfahren den Vorzug der methodischen Eindeutigkeit und größeren Objektivität: vor allem der Begriff des „kommunikativen" Enjambements wäre bei Walther oft anwendbar. Unsere Methode der Einzelbetrachtung, die als einzige durchgängige Kategorie die der rhythmischen Ausgewogenheit von sprachlicher Schubkraft und metrischer T r e n nung verwendet, besitzt dagegen Beweglichkeit und wird einer größeren Anzahl von Erscheinungen gerecht: lautlichen, rhythmischen, metrischen und syntaktischen neben den gehaltlichen, nicht generell, aber jeweils im Hinblick auf den Einzelfall. Wolfram benützt vorwiegend das harte Enjambement mit schwerem Aufprall, dagegen werden wir bei Walther durch die sanghaft-lyrische Sprache bedingtem weicherem Durchfließen begegnen. — Unsere eigene Definition des Enjambements: Wir behandeln auch den Nebensatz als Satz und betrachten daher hypotaktische Verknüpfung zwar als engere „Kohärenz", nicht aber als Enjambement; Hinausgreifen über das Zeilenende innerhalb des Haupt- oder Nebensatzes gilt als Enjambement. Und selbst da werden manche loser angefügten Satzteile, wie gewisse adverbiale Bestimmungen, nicht als Träger eines Zeilensprungs empfunden. Wir unterscheiden nicht zwischen „regelgerechtem" und „fehlerhaftem" Uberfließen, beschäftigen uns auch nidit, wie Wahnschaffe a. a. O . (übrigens im großen und ganzen mit negativem Ergebnis), mit der Frage, inwieweit die Verwendung des überraschenden Enjambements auf syntaktische Eigenarten der Sprache zurückzuführen sei. Als Beispiel einer modernen, die Beziehung von Form und Gehalt berücksichtigenden Untersuchung der Satzführung vgl. C . Wittlinger, Die Satzführung im deutschen Sonett vom Barock bis zu R i l k e , Untersuchungen zur Sonettstruktur, Masch. Diss. Tübingen 1956.

130

Das Mailied 51,13 besitzt nicht viele Enjambements. 4 Der spielerische Wechsel der Klangfarbe, die Fragen und Imperative, die Aufforderungen, der reihende Ausruf, die aquarellfrisdie Pinselführung im ganzen Lied erlauben Überwiegen des Zeilenstils. Die Sätze oder Teilsätze, die eine versfüllende Einheit bilden, rasten nicht schwer und knackend am Versende ein, sondern ermöglichen frischen Fluß, der vor allem durch die Synaphie zwischen den weiblich vollen Kadenzen und den folgenden auftaktlosen Zeilen unterstützt wird. Von den fünf Enjambements des Lieds stehen vier an prominenter Stelle, im ersten oder letzten Verspaar. Alle Zeilensprünge füllen zwei ganze Verse, Anlauf und Ziel. Der spielerisch-kühnste Zeilensprung, selbst krönende Schlußpointe der Satzführung, begleitet die Schlußpointe des Lieds, humorvoll nonchalant, innig und zugleich raffiniert, fast kabarettistisch bewußt: Sich fröit al diu w e i t gemeine: m ö h t e mir v o n iu ein kleine \ fröidelin geschehen!

/

Die Trennung des direkt Zusammengehörigen, verbunden mit dem Diminutiv, ist komisch; das Adjektiv, das sich so kläglich und harmlos stellt, kommt im Reim zu großem Nachdruck; die Trennung von Personen einerseits und Infinitiv und Objekt andererseits schafft komischinnige Spannung, die der fließende Satz durch seine Lebendigkeit erlöst. Ohne daß man eine Regel aufstellen könnte, spürt man, daß hier wie in vielen der folgenden Beispiele die dynamische Energie des Satzschwunges und der hemmende, zu überspringende metrische Einschnitt am Versende, den wir „statische Begrenzungsenergie der Verswand" nennen könnten, so aufeinander abgestimmt sind, daß beide Prinzipien sich verwirklichen, ohne einander zu behindern. Die übrigen Enjambements des Lieds sind weniger spektakulär, aber auch nicht glatt oder banal, sie trennen und verbinden mit schwebender Selbstverständlichkeit.5 4

5

Auf seine Satzführung (leichtes Durchfließen innerhalb der Stollen, Isolierung des ersten Abgesangsverses) geht L. Wolff S. 351 f. ein. Dieses Durchfließen ist aber oft glatte syntaktische Verknüpfung, nicht Enjambement. „Muget ir sdiouwen waz dem meien / Wunders ist beschert?" (Weite und Fülle des dem Mai Bescherten wird unterstrichen durch das Auseinanderziehen von „Waz wunders" — das zweite Wort erhält am Versbeginn besondere Kraft — und durch die Trennung des „meien" von seinem Verb, die die Bewegungskomponente betont.) — „Sit die vogele also schone / singent in ir besten

131 9*

Das Lied 109,1: „Ganzer fröiden wart mir nie so wol ze muote",6 das mit sprachmusikalischer und rhythmischer Eleganz die Allegorie der Minne anredet, verwendet einige Enjambements. Das Metrum zeigt eine Finesse, die man von der Satzführung her „Reimenjambement" nennen könnte: das Ende der vorletzten Zeile reimt mit dem zweiten Takt der letzten. Diese kleine Kostbarkeit wirkt, im Gegensatz zum Gebrauch bei späteren Dichtern,7 durchaus nicht bombastisch, sondern rokokohaft verspielt und sehr melodisch. Um der Ballung gleitend ihre Schwere zu nehmen, hilft in fast allen Strophen an dieser Stelle ein Enjambement oder zumindest enge syntaktische Verknüpfung nach. Str. I :

D i u min i e m e r h a t g e w a l t , diu mac m i r w o l truren w e n d e n \ u n d e senden

vröide manicvalt. /

Die Trauer wird zur Freude, „wenden" drängt hin zum Neuen; in chiastischer Stellung von Verb und Objekt und in der doppelten Lautentsprechung „truren wenden unde senden" spielen die Reimwörter zusammen. Auch Strophe II hat enge syntaktische Bindung an dieser Stelle: E was mir gar unbekant d a z diu m i n n e t w i n g e n solde s w i e si w o l d e ,

\

u n z i d i z a n ir b e v a n t . . . /

(wieder die doppelte Lautentsprechung "twingen s o l d e swie si wolde" ; „twingen" drängt hin zu seiner emphatischen adverbialen Bestimmung), ebenfalls Strophe III. Die Zeile vorher hat enges Enjambement: D u kanst fröidenrichen m u o t \ so verworrenlich verkeren, d a z din seren

/

sanfte unsanfte tuot.

Syntaktische Spannung entspricht dem „verworren" und „verkeren", done . . . " ( N a d i der Trennung vom prominenten „schone" eröffnet das Verb strahlend den neuen Vers.) — „Wol dir, meie, wie du scheidest/ allez ane h a z ! " (Dem „scheiden" entspricht die metrische Trennung von Verb und Objekt.) — „ . . . s o l von minneclichem munde/solch unminne ergan." (Das Hervorgehen des Lachens aus dem Munde wird metrisch verdeutlicht, ebenso wird die Antithese verstärkt.) • Vgl. zur Beziehung von Metrum und Gehalt L. Wolff S. 345 ff. 7 Vgl. etwa de Boor III, S. 47.

132

dem „seren" und dem Oxymoron „sanfte unsanfte"; „verkeren" wird im Bruch durch das Enjambement unterstrichen. Strophe IV hat Enjambement direkt am Strophenbeginn: Süeze Minne, sit nach diner siiezen lere \ midi ein w i p also betwungen h a t . . .

/

Wieder treibt „betwungen" den Satz über die Versgrenze hinweg. Wenden, zwingen, verkehren, nun bezwingen: diese Verben dynamischer Wende greifen Raum, Sinn und Spannung der Sätze formen die Strophe von innen heraus. 8 Im Terzett, das den Binnenreim enthält, liegt in dieser Strophe das Enjambement nicht beim Binnenreim, sondern eine Zeile früher: D u r ir liehten ougen schin

\

w a r t idi also wol e n p f a n g e n , / gar z e r g a n g e n

w a s d a z truren min.

Sie und Ich stehen in verschiedenen Zeilen, Leuchten und Empfangen sind in Gegenbewegung: das Empfangen bildet die Brücke, die durch das Enjambement unterstützt wird. Expressiv ist das Enjambement am Anfang der fünften Strophe: M i d i fröit iemer d a z i d i also guotem w i b e \ dienen sol uf minneclichen danc. /

Durch den starken Bruch werden die Zentralwörter „wibe" und „dienen" herausgewölbt; über den Bruch hinweg drängt eifrig der Satz zum Verb. Typisch für Walther ist die Vermeidung des bloß harten Enjambements, des nur knappen Einhakens im neuen Vers. Der Satz wird hinübergezogen und besitzt genügend Auslauf im neuen Vers. 8

Audi körperliches oder geistiges Hinwenden wird oft durch Ejambement getragen, so in 47,36 in der szenischen Schlußstrophe zwei Enjambements. (Überhaupt finden wir häufig, daß bei der größeren emotionellen, künstlerischen Intensität, die nicht selten Schlußstrophen eigen ist, auch die Zahl und Schubkraft der Enjambements zunimmt.) „Swa ich niht verdienen kan / einen gruoz mit mime sänge, dar ker idi vil herscher man / minen nac ode ein min w a n g e . . . Ich wil min lop keren / an wip die kunnen danken . . P r o g r a m m a t i s c h - i d e e l l e Wende im Enjambement steht in 49,25 („Herzeliebez frowelin"), Str. II: „Sie verwizent mir daz ich / so nidere wende minen sane". Empfangen, Widerfahren, Bewegung vom Du zum Ich in der letzten Strophe dieses Lieds: „ . . . d a z mir iemer herzeleit / mit dinem willen wider var". Metrisches Hinwenden findet sich auch in 110,13, Str. II: „Ich han den muot und die sinne gewendet/an die vil reinen, die lieben, die guoten".

133

M i d i fröit iemer d a z idi also g u o t e m wibe dienen s o l . . . :

hart und ohne federndes Ausrollen schlägt hier der Block ein. Der Vers wird aber nicht nur formelhaft aufgefüllt, um weiches Gleiten auf fester Bahn zu gewährleisten, sondern mit reidiem Material; dem Dienen antwortet in Gegenseitigkeit und Alliteration der Dank. Wir haben das Lied 85,34, ein Minnegesprädi, schon bei der Behandlung der lyrischen Grundrelation angeführt und dabei auf das wunderschöne Enjambement hingewiesen, das das Darreichen des Lebens über die Grenze hinweg, die Menschen trennt, in metrischer Geste untermalt: E i m e suit ir iuwern lip

\

geben f ü r eigen, nement den sinen. /

Im Pendelschwung der Gegenseitigkeit greift die zweite Satzhälfte des zweiten Verses das Verb auf: geben-nehmen, und trägt durch diese Bewegung das Enjambement zum Ende des Ziel verses. Entgrenzen und Rundung vorgegebener Kontur überlagern einander in vollendeter Weise; die kleine Spannung im zweiten Vers, die durch das zunächst harte Springen geschaffen ist, wird, ehe sie eigentlich entsteht, in die Energie des Gegenschwunges hineingenommen und damit gelöst. Ähnlich expressiv, mit paralleler Satzführung, wird am Ende der vierten Strophe das Rauben des Lebens metrisch nachvollzogen: I d i weiz nieman d e m idi welle

\

nemen den lip, ez taete im lihte we. /

„Geben für eigen" - „nemen den lip": beidemal erhält das Verb durch die metrische Trennung Nachdruck, im zweiten Fall wird die Geste des Trennens durch das Enjambement unterstrichen. Auch hier wird durch das eng angefügte, begründende „ez taete im lihte we" der kurze Ansatz zum Ende des neuen Verses getragen. 9 Der Charakter dieser von innen formenden, zum Andern des Metrums sich selbständig und doch flexibel verhaltenden Sprache wird nodi deutlicher, wenn wir eine Ausdrucksweise danebenhalten, in der die Sprache sich ohne Enjambement ganz den vorgegebenen Konturen hingibt, 10 etwa Frauenlobs Spruch im „Kurzen Ton" (Ettm. 218): • Ähnlich audi Str. I : „Frowe, enlat iudi niht verdriezen / miner rede, ob si gefüege si". 10 Wir redinen diese Satzführung zum „Zeilenstil", schließen also audi hypotaktisch Verbundenes ein, in dem der Einzelvers nicht enjambiert. Herbert Kretsdimann,

134

D i u liebe ouch m u o z verscheiden sin, d a vreude swindet ane not. Mir jach mins herzen keiserin, diu triuwe diu w a e r nahen tot, D a sich diu minne het enzunt. untriuwe hat des w a r genomen, wie b a l d e ein zwivelaer ist k o m e n : des v a l w e t m a n e e roter munt.

Zwar wird die Satzführung leicht differenziert durch die verschiedene Anordnung und Kohärenz der Haupt- und Nebensätze, aber die Hingabe an das Metrum ist so eindeutig, die Strophengeometrie setzt sich so ganz durch, daß die Begegnung von lebendiger Sprache und objektivem Anderem zu keiner Spannung führt. Auch härtere Enjambements können eingeschmolzen werden in den sprachlichen Vorgang, wenn größere emotionale Dynamik dem metrischen Hemmen die Waage hält. So führt in M F 214,34, Str. IV die Satzführung zu dramatischer Spannung, die die emotionale Erregung widerspiegelt. Sit deich ir eigenlichen sol,

\

die wile idi lebe, sin u n d e r t a n , / und si mir m a c gebüezen w o l

\

den kumber, den ich durch si han /

\

geliten nu l a n g e und iemer also liden m u o z , / d a z mich enmac getroesten nieman, si entuoz, so sol si nemen den dienest min . . .

Der weite Kausalsatz, der mit dem „sit" beginnt und sieben Zeilen später mit dem „so" des Folgesatzes endet, vollzieht syntaktisch diese Spannung nach; verstärkt wird die Wirkung durch die Weise, wie der Nebensatz sich durch das hemmende Metrum schiebt, dessen Friktion dem inhaltlichen Vorgang entspricht. Die Trennung von Hilfsverb und Infinitiv in Versen 1 und 2, durch die das eingeschobene „die wile ich lebe" nodi größeren Raum erfüllt, betont metrisch die völlige unterwerfende Hinwendung. Der Fluß des Satzes wendet sich nun nach dem Muster der Gegenseitigkeit zur Frau; ihr Verb und das zum Ich gehörige Objekt sind durch Enjambement getrennt: „gebüezen den kumber" ; die Versgrenze ist eine Wand, an der sich seelische und syntaktische Spannung staut, die im Motiv „büezen" und im syntaktischen Der Stil Frauenlobs, Jena 1933 redinet zum Zeilenstil allerdings nur das syntaktisdi Unverknüpfte.

135

Hinüberfließen diastolisch sich löst. Das knappverhakte „den kumber" wird weitergezogen durch den Relativsatz, der, seiner emotionalen Spannung entsprechend, hart gebrochen wird zwischen Hilfsverb und Partizip: . . . den ich durch si han geliten...

Diese Härte wird aber wieder überwunden, die Vereinzelung aufgefangen im Ausblick in die Zukunft: „geliten nu lange und iemer also liden muoz . . . " n Das Lied 42,31: „Wil ab iemen wesen fro" richtet sidi gegen die „angry young men" oder die kopfhängerische Jugend der ausgehenden Stauferzeit 12 und fordert „Gemäßheit" von Schicksal und Haltung, von Außen und Innen: auf Jugend und Reichtum sollte freudige, dankbare Haltung antworten. Andererseits passen beim Ich Armut und Fröhlichkeit ebensowenig zusammen wie beim Reichen Güter und Verdrießlichkeit. Frau Saelde geht da seltsame Wege: So gits einem riehen man

\

ungemüete: owe waz sol dem selben guot? /

Das grell antithetische Auseinanderklaffen wird durch das harte Enjambement metrisch nachgezeichnet. Der ernstgemeinte burleske Humor des Widersinns wird durch die Betonung des abgetrennten Wortes „ungemüete" verstärkt; man kann sich denken, wie audi der musikalische Vortrag dieses Wort grotesk hervorkehrt. Dennoch steht es durch die Elision im rhythmischen Fluß zum Versende: „ungemüetowe waz sol dem selben guot?" 13 Abhilfe für allen Unmut schafft eine edle Frau: das sagen die dritte 11

12

13

Mehrfaches Enjambement steht gleich am Anfang des Lieds: „Dir hat enboten, frowe guot, / sin dienest der dir es wol gan, / ein ritter, der vil gerne tuot / daz beste daz sin herze kan . . . " (am Anfang der angesprungenen Zeile das sinnbetonte "Wort, von dem jeweils Relativsätze zum Zeilenende führen). Kräftiger wird das Zentralwort durch das Enjambement herausgestellt: „Der wil dur dinen willen disen sumer sin/vil hohes muotes verre uf die genade din". Und im selben Lied, in Str. II, ein weiteres Enjambement des Hinwendens: „Und bite in daz er wende sinen stolzen lip / da man im lone . . . " . Die berühmteste Parallele zu diesem Gedicht ist der Beginn der zweiten Strophe der „Elegie" : „Ouwe wie jaemerlidie junge liute tuont, / den e vil hovelichen ir gemüete stuont!/ die kunnen niuwan sorgen, ouwe wie tuont si so?" Die (leider negierte) Verneinung des Gemäßen wird betont durch die drängende Überwindung des metrischen Hindernisses: „ . . . d a z si mir sin guot ze minem muote / niene schriet, si guote!"

136

und vor allem die vierte Strophe, die eines der schönsten schwebenden und drängenden Enjambements enthält. Das Ich redet zur Frau; es gedenkt ihrer Eigenschaften und fährt dann fort: S o la s t a n ; d u riierest mich

\

mitten a n d a z herze, d a d i u liebe liget.14 /

In der Sinnbildlichkeit wird das bewegte Bild, die drängende Geste lebendig: die Bewegung führt ins Innere und erlöst sidi in der Ruhe der Anwesenheit und der Dauer. Das Hingreifen zum Herzen fordert geradezu die metrische Geste des Hinausgreifens über die Grenze; durch die Trennung erhält das „mitten" großen Nachdruck, die starke Alliteration unterstreicht das Weiterfließen, das in einer zweiten, ebenfalls mit i verbundenen Alliteration zur Ruhe kommt: . . . du rüerest mich mitten an d a z herze, d a diu liebe liget.

Noch einmal, in 112,17, wird die Geste des Ans-Herz-Greifens im Metrum nachvollzogen: Ir vil minneclidien ougenblidce

\

r ü e r e n t m i c h a l h i e , s w a n n i d i si s i h e , , in m i n h e r z e , o w e s o l d i d i si d i c k e

/

s e h e n , d e r ich m i d i f ü r e i g e n g i h e !

)

Der weite Bogen beginnt mit dem Schauen des Mädchens und endet mit der Hingabe des Mannes. Zunächst das ergreifende Strahlen der Augen, dann im zweiten Enjambement, durch das eingeschobene „swann ich si sihe" weniger hart getrennt und dennoch spannungsvoll hinausgezögert, das Betroffensein: „in min herze" wird stark pointiert durch den Sprung und steht am Ende des Satzes, fließt durch die Elision „in min herz-owe sold ich si d i c k e . . . " jedoch rhythmisch weiter. Das letzte Enjambement ist das stärkste, dem sehnend-emphati14

Mit B e z u g auf diese Zeile bejaht Furstner die F r a g e , ob das H e r z in mittelalterlicher Dichtung als dreidimensional e m p f u n d e n wurde (S. 134 f.), unter H i n w e i s auf andere Beispiele wie M F 3,3 „ d u bist beslozzen / in minem herzen . . oder auf den ersten Reichsspruch : „zesamene in ein herze k o m e n " , gegen H a n n e s M a e d e r , der (Versuch über den Z u s a m m e n h a n g von Sprachgeschichte und Geistesgeschichte, Zürich 1945, S . 16, 40 u n d 57) zu zeigen versuchte, d a ß die mittelalterliche R a u m e r f a h r u n g nur flädienhaft sei, während Luther eine dreidimensionale R a u m a u f f a s s u n g gehabt habe. S . 135: „Dieses H e r z als R a u m ist nun nidit Metapher f ü r die H e i m a t der Liebe, sondern f ü r den besdiränkten E i g e n r a u m des in minne lebenden Menschen."

137

sehen Hinströmen entsprechend. Beide getrennten Wörter, „dicke" und „sehen", erhalten starken Akzent, die Unerfüllbarkeit des Wunsches wird metrisch deutlich, so seufzend schwer drängt sich das „oft" zum Verb. Das knapp eingehakte „sehen" drängt aber hin zum direkt angeschlossenen Relativsatz, der Hingabe des Ich. In 50,19, Str. I V führt die Figur der Gegenseitigkeit der Liebe in kraftvoller Forderung durch das Ich die Liebenden zusammen. Zuerst kommt die Mahnung an die Frau mit einem der härtesten Enjambements, die Walthers Dichtung kennt, härter, als es die Dynamik des Inhalts erforderte; aber audi hier fließt der zweite Vers nach dem Einhaken zum Versende, den begonnenen Vers durch den eigentlichen Höhepunkt abschließend: F r o w e , des versinne

\

dich, ob idi dir zihte m a e r e si./

Dann folgen Enjambements drängender Vereinigung der Liebe, zuerst nodi abgefangen durch die Wiederholung des Artikels im zweiten Vers: Eines friundes minne

\

diust niht guot, da ensi ein ander bi,/

schließlich jedoch strömend die Minne auf dem Wege von Herz zu Herz: (Minne entouc niht eine, si sol sin gemeine,) so gemeine d a z sie ge

\

dur zwei herze und d u r dekeinez me. /

Die Bewegung schwingt weiter durch den Schlußvers und endet an der ruhigen Grenze der Vollendung: „und dur dekeinez me". Ein reines Naturgedicht, das Winterlied 39,l 1 5 , bringt in seiner ersten Strophe in metrisch ausdrucksvoller, sinnbetonender Geste ein schönes, berühmt gewordenes Enjambement: S a e h e idi die m e g d e a n der straze den bal \ w e r f e n : so k a e m e uns der v o g e l e schal.

/

Dieses impressionistische Bild des Sehnens, aquarellfrisch hingehaucht, läßt spielerisch-kapriziös den Ball über die Versgrenze hinüberfliegen 15

Es ist darauf hingewiesen worden, daß dieses Gedicht eines der wenigen reinen Naturlieder ist (Kraus, Unters., S. 130 f.; L. Wolff a . a . O . S. 349 f., dort audi Behandlung des Verhältnisses von Metrum, Rhythmus und Gehalt).

138

und wiegend die nächste Zeile ihn fangen. Die Verknüpfung des Wunschbilds mit den Tönen des Frühlingsboten, des Konjunktivs „saehe" mit der Folge „so kaeme" trägt auch hier wieder das an sich harte Enjambement schwerelos zum Zeilenende. 16 Raumgreifende Enjambements finden wir im Preislied 56,14. 17 Machtvoll weitet sich der Satz am Anfang der zweiten Strophe zur Botschaft an die deutsche Frau. In doppeltem Enjambement greift die metrische Geste hin zu den Wörtern der Fülle und Weite: „solhiu maere", „al der werlte": I d i wil duschen f r o w e n sagen \ solhiu maere d a z si deste b a z ; al der Werlte suln behagen . . . /

Ähnlich wuchtige Dynamik besitzt ein vierzeiliger Satz in der dritten Strophe, in dem sich das Idi verflucht, wenn es je das Fremde preisen sollte. Diese Spannung findet ein Pendant in der Satzführung: übel m ü e z e mir geschehen, k ü n d e ich ie min herze bringen d a r d a z im wol gevallen \ w o l d e fremeder site./

Die Weitung des deutschen Raumes, der durdiklungen ist von geschauter weiblicher Tugend und Schönheit, vollzieht sich in einem vierzeiligen Satz am Anfang der vierten Strophe: V o n der Elbe unz a n den R i n und der wider unz an U n g e r l a n t \ mugen wol die besten sin,

/

die idi in der w e r l t e han erkant.

Und in doppeltem Zeilensprung, einmal in schauendem Hindrängen 16

17

Wiegand S. 9: „Überraschende Einfalle fehlen, bis auf die hübsche Vorstellung von den Ball spielenden Mädchen", ohne Erwähnung des ebenso überraschenden Enjambements. Dagegen charakterisiert er das Metrum: die Doppelsenkung mit dem hüpfenden Rhythmus malt die hoffende Vorfreude auf den Frühling. L. Wolff will in dem spielenden Enjambement „das ungestillt ausgreifende Sehnen" empfinden und verweist auf Wolframs Titurel Str. 117 als Sprachgebärde des Sehnens, außerdem für neuere Dichtung auf K . May, Faust II. Teil. In der Sprachform gedeutet, Berlin 1936, S. 194. Wenn audi das Gedidit im ganzen Frühlingssehnsucht ausdrückt, so wird doch hier direkt die muntere, leichte Bewegung unterstrichen. Zur metrischen Form, der Überlieferung und der Frage der Schlußstrophe vgl. Kraus, Unters., S. 218 ff.

139

zum Positiven, dann im pointierten Schwur, in dem die Zentralworte in der Trennung hervorgehoben und verbunden sind (wip-bezzer) : Kan idi rehte s chou wen \ guot gelaz unt lip, / sem mir got, so swüere ich wol daz hie diu wip bezzer sint danne ander frouwen.

)

)

Das Lied von der Frauenschönheit 53,25 „Si wunderwol gemadiet wip" konzentriert seine Enjambements in der ersten und letzten Strophe. Str. I ich setze ir minneclichen lip \ vil werde in minen hohen sane, / und am Strophenende: hab ime wis unde wort \ mit mir gemeine: lob ich hie, so lob er dort./ Hier wird der Sprung durch das pointierte Ziel der Gedanken zum Versende weitergetragen; der Doppelpunkt ist gerechtfertigt. Die beiden ausdrucksvollsten Zeilensprünge stehen jedoch in der Mitte und am Ende der letzten Strophe. Der Ausruf wird burlesk pointiert durch das grelle Enjambement: Ich hete ungerne „decke bloz'."λ gerüefet, do idi si nacket sach. / Das ist kein Vollstopfen des Gefäßes auf Biegen oder Brechen; die hemmende Energie der Verswand wirkt bauend im inneren Vorgang. Einmal hat der Ruf nur am Versende den richtigen Knalleffekt, zum andern muß der Satz weiterdrängen zur erklärenden Pointe, der Nacktheit. Und in eindeutiger Parallelität dazu das Liedende, Ziel eines größeren syntaktischen Bogens: si sach mich niht, do si mich sdioz, daz midi noch sticht als ez do stach, swann ich der lieben stat gedenke, da si reine uz einem bade trat. Beides, Substantiv und zugehöriges Verb, Szene und Erinnerung, erhält durch die metrische Trennung kräftigen Nachdruck. In beiden Fällen: „decke bloz!" gerüefet . . . 140

und gedenke . . 18

der lieben stat

greift das Enjambement nur mit einem Wort in den neuen Vers ein, und in beiden wird es durch den Konjunktionalsatz der Pointe, im zweiten gesteigert und umfassend in der bewegten Szene ihres Sdireitens und der Charakteristik der Reinheit ihres Wesens, zum Versende geführt. Die burleske und dodi feiernde Dramatik des Vorgangs, die die Beschreibung der vorausgegangenen Strophen nun rückgreifend von der geschauten Szene her rechtfertigt, macht die größere Dynamik der Satzführung, ihre Spannung und Lösung, in dieser Schlußstrophe verständlich.19 In 74,20 „Nemt, frowe, disen kränz" sind die Enjambements ebenfalls in den beiden Schlußstrophen zu finden. Mich duhte daz mir nie lieber wurde danne mir ze muote was.

Die beiden aufeinanderfolgenden und lautlich eng verknüpften, über die harte Trennung hinweg musikalisch miteinander verbundenen Zentralworte „nie lieber" werden prominent; die Bewegung des Empfangens in „mir wurde", das unter seiner abstrakten Bedeutung die vektorielle Dynamik des erlebenden „Widerfahrens" beibehält, wird durch das Hinübergreifen über die metrische Grenze unterstrichen. Auch das zweite Verspaar dieser Strophe ist durch Enjambement verbunden, das wundervoll schwebend die schwebende Bewegung der Blüten zur Erde begleitet: Die bluomen vielen ie von dem boume bi uns nider an daz gras.

Das Adverb entgrenzender Dauer im Vorgang des Erlebnisses wirkt stärker in seiner Stellung am Versende, um unbestimmte Weite im unvollendeten Satz auszudrücken.

Zwei völlig parallele expressive Enjambements auch am Anfang der beiden ersten Strophen im Sdieltlied und idealistischen Preislied 44,35: „Die herren jehent, man sülz den frowen / wizen daz diu weit so ste", und „Min frouwe wil ze frevelliche / schimpfen, idi habe uz gelobet". Beidemal erhält das zentrale Verb als Ziel des energischen Zeilensprungs auf militante Weise Nachdruck. " Zu den Erklärungen von „decke bloz" s. Wapnewskis Ausgabe, Anm. S. 220.

18

141

Nach dieser Szene der Erfüllung kommt das Erwachen, zuerst das frohe Lachen im Traum, das den Träumenden weckt. Der Bogen der Erwartung spannt sich vom überraschenden Lachen bis zum Ende des Traums und zum Erwachen. Die Spannung des Enthüllens wird durch das Enjambement erhöht, hinhaltend verweilt der Sagende noch einmal auf dem Wort, das die Seligkeit umschließt: „wünnecliche", bevor er die Grenze der Zeile überschreitet und über zwei Stufen heraustritt aus dem Glück: es war nur Traum, und der ist nun zu Ende:

)

d o idi so wünnecliche\ w a s in t r o u m e riche, /

d o t a g e t ez u n d m u o s idi wachen.

Wenn man auf die Stimmung achtet, der in dieser Strophe die Satzführung Schritt um Schritt Ausdruck verleiht, so ist es, als wollte sie „zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön." N u r zögernd gibt die Sprache und ihr Gefäß diese schönste Wirklichkeit preis. Sowohl Halten wie Strömen können im Enjambement betont werden, das metrische Hindernis wie der überwindende Fluß der Sprache, der zum Andern sich wendet und Neues enthüllt. Die letzte Strophe bringt, 20 entsprechend dem steten Suchen des Erwachten nach seinem Traumbild, ein starkes vektorielles Enjambement: M i r ist v o n ir geschehen, d a z i d i disen sumer allen m e i d e n m u o z v a s t unter d o u g e n sehen . . .

Die Trennung von Hilfsverb und Infinitiv erhöht den Ausdruck des Eifers, so audi der Nachdruck, den das Adverb „vast" an der „Aufsprungstelle" des Enjambements erhält. Die Bewegungsrichtung des Hinschauens wird durch die Bewegung des Zeilensprungs nachvollzogen. Bei den religiösen Gedichten und den Sprüchen Walthers beschränken wir uns auf wenige Beispiele.

20

Sie ist offensichtlich Realität, während bei den übrigen vier Strophen Unstimmigkeit herrscht über die Verteilung von Wachsein und Traum. D a s eifrige Suchen des Wachseins steht der ruhig-bewegten Klarheit der Traumstrophen gegenüber.

142

Im Reuegedicht 122,24: „Ein meister l a s . . . " , 2 1 in dem die Bewegung hinein in den Tod ständig zunimmt, gewinnen in der zweiten Liedhälfte, vor allem aber in der Schlußstrophe, die Enjambements überragende Bedeutung. In Strophe I sind sie noch verhalten, sie werden beidemal abgefangen durch das Wiederaufgreifen des Subjekts durch ein Pronomen in der zweiten Zeile des Enjambements: Ein meister las, troum unde spiegelglas \ daz si zem winde bi der staete sin gezalt. / Loup unde gras, daz ie min fröide was, \ swiedi nu erwinde, iz dunket mich also gestalt./ Die unheimlich schöne Windstille vor dem Sturm, die noch im Zeichen des Gestern, der Welt und des Traumes steht, hält, durch das wiegende Einschalten der Pronomina, die drängende Bewegung zurück. Der Wind, der die Glut entfacht, beginnt erst in Strophe I I I in der Syntax sich auszuwirken. Das erste Enjambement dieser Strophe ist noch gemildert durch den eingeschobenen Relativsatz: Wie sol ein man der niuwan Sünden kan \ zer werlt gedingen oder gewinnen hohen muot? / Das Hilfsverb drängt hin zu den zwei Infinitiven. Dann aber: Sit ich gewan den muot daz idi began \ zer Werlte dingen merken übel unde guot:/ Do greif ich, als ein tore tuot, \ zer winstern hant reht in die gluot/ und merte ie dem tiefei sinen schal. 21

Die Echtheit bezweifelt (meiner Meinung nach sehr zu Unrecht) Kraus, Unters., S. 458 ff.; dort findet sich die Literatur pro und contra: Die meisten Interpreten (Bartsch, Simrock, Plenio, Singer, H . Schneider, Halbach) erklärten sich für die Echtheit. Die Argumente, nach denen die sprachlichen Schwächen dieses Gedichts Walther nicht zuzutrauen seien, scheinen (ganz im Gegensatz zu Kraus' sonstiger Argumentierweise) von der Tendenz bestimmt, dem „Waltherbild" keinen A b bruch zu tun. S. 4 6 3 : „Die mönchische Demut, die zitternde Angst vor dem Ende, die Selbsterniedrigung und die Furcht vor dem Teufel: wie tief steht auch das unter Walther, der die männliche Würde selbst als Greis im Angesicht des Todes nicht verliert" (67,14 ff.). Aber selbst wenn das Gedicht nicht von Walther sein sollte, so ändert auch das nichts an der Ausdrucksgewalt, die Kraus hier mit beckmesserischen Argumenten dem Lied absprechen möchte. Vgl. dagegen Naumann, Ein Meister las, troum unde spiegelglas, Dichtung und Volkst. 4 3 (1943), S. 2 2 0 — 2 2 4 ; dort Textrekonstruktion und entschiedenes Eintreten für den Wert des Lieds.

143

Die vergangene Geschichte des Lebens wird erinnernd in Handlung nacherlebt, drängend der Beginn (gewan, began) und die Bewegung hinein ins Leben (merken, greif): sie entspricht der Erkenntnis des Verderbens. Die Satzführung ist hier wie selten sonst Abbild des inneren Vorgangs. In peinvoller Unruhe zwängt sich der Satz über die Vershindernisse hinweg zum Bekenntnis. Die zu überwindende Grenze des Binnenreims, selbst eine Art inneren Enjambements, erhöht diese Wirkung. Die beiden durch den Binnenreim begrenzten Kurzverse stehen in ausdrucksvollem Verhältnis zueinander durch das asymmetrische Anschwellen des zweiten, des Dreitakters (oder stumpfen Viertakters) gegenüber dem vorausgehenden Zweitakter; der zweite Versteil wirkt wie ein machtvolles Crescendo des ersten und nimmt einen zweiten Anlauf, um die Versgrenze zu überwinden: Sit idi gewan // den muot d a z ich began . . .

x/x

x/x /

X II χ

x/x

x/x

Das Richtungswort „zer", das das Enjambement trägt, entspricht dem vorausgehenden Trägerwort: „zer werlt gedingen" und dem folgenden: „zer winstern hant reht in die gluot", hier verstärkt durch das Richtungswort „in". Wieder ein wuchtiger Satzbogen eröffnet die vierte Strophe, die Hinkehr zu Christus. Diese Enjambements gehören zu den eindrucksvollsten in Walthers Dichtung: Heiliger Krist, sit du gewaltic bist \ der weit gemeine die nach dir gebildet sint,/ G i p mir die list daz ich in kurzer frist \ alsam gemeine dich sam din erweiten vint. /

Das Genitivobjekt der zweiten Zeile fängt die Energie, die das Adjektiv enthält und entfaltet. Der Relativsatz „die nach dir gebildet sint" trägt den Schwung des Enjambements zum Ende des Verses. Im zweiten Zeilensprung antwortet der Dynamik des Du das Drängen des Ich. Das Subjekt steht in der ersten Zeile, am Versende das hinwegstrebende Zeitadverb „in kurzer Frist", am Beginn des zweiten Verses das Ziel des Lieds, Gemeinsamkeit mit Christus. Das Du, die Erwählten und dann das Verb tragen den Vers zum Ende. Und endlich im letzten Verspaar des Lieds die abschließende Bitte: Mach e mich reine, e min unreine \ versenke mich in d a z verlorne tal. /

144

Die ruhelose Wiederholung des „e", 2 2 die die Zeit der Rettung mit der Zeit des Verderbens streiten läßt, verleiht diesem Spannungsbogen größte Intensität. Die Vision des „Tals der Todesschatten" übergreift das Ende des Gedichts und macht die Not-Wendigkeit der Hilfe um so dringender. Die „unreine", die in starkem Crescendo sich von ihrem Gegenteil in der Versmitte abhebt, hallt wie ein Schrei über den Vers hinaus, zu dem im neuen Vers direkt folgenden „versenken" und in die Endgültigkeit des „verlornen tals". Im „Kreuzlied" 76,22 weitet sich ein syntaktisch und rhythmisch farbig differenzierender Zeilenstil immer wieder zu ausdrucksvollen Enjambements: Vil siieze w a e r e minne, berihte k r a n k e sinne, got, dur din a n b e g i n n e \ b e w a r die kristenheit! / Din k u n f t ist fronebaereN übr al der weite swaere, I der weisen barmenaere, hilf rechen disiu leit! Loeser uz den sünden, wir gern z e den swebenden ünden, uns mac din geist enzünden, wirt riuwic herze erkant: D i n bluot hat uns begozzen, den himel uf geslozzen, nu loeset u n v e r d r o z z e n \ d a z herebernde lant!

I

Verzinset lip u n d eigen, got sol uns helfe erzeigen

\

uf den der manegen veigeni der sele h a t g e p f a n t .

/

Dieser Wechsel von Zeilenstil und weitenden Enjambements ist hier wesentlich. Im ersten Zeilensprung werden die Begriffe des Anfangs und des Bewahrens herausgewölbt durch die metrische Trennung, die 22

Kraus S. 462: „Die Sdiluß worte haben auch ihre Mängel, denn die Bitte ist schlecht formuliert: es müßte heißen: ,madi midi rein, damit ich nidit in die Hölle sinke'; statt dessen erwecken die beiden ,e' den Eindruck, der Diditer wolle, e h e er in die Hölle falle, entsündigt werden. ,daz verlorne tal' klingt mystisch, aber das Mystische beruht nur darauf, daß man nicht recht weiß, was gemeint ist: ,das (Gott) verloren gegangene T a l ' . . . o d e r aber ,das Tal der verlorenen'. . . " . Prosaischer geht es dodi wohl nicht mehr.

145 10

Sdiaefer, Walther von der Vogelweide .

Bewegung der Hilfe wird unterstrichen. Im zweiten weitet sidi der Raum der bedrängten Welt; die Dynamik des Kommens hinein in die Welt wird unterstützt. Der dritte eröffnet die Dynamik des Aufrufs an die Kreuzritter und beginnt somit, sich vom Vorhergehenden audi rhythmisch leise absetzend, etwas Neues; das Erlösen drängt hin zu dem weit ausgreifenden „herebernden lant". Im vierten, doppelten Enjambement führt Gottes Hilfe hin zum Motiv des Teufels, dessen Tun weiterdrängt zur Menschenseele. Raumgreifendes Wirken drückt sich in den Sprüngen in Strophe III aus: Sin kriuze vil geheret \ hat maneges heil g e m e r e t . . . . , }

und weiter Aufschwung, Aufforderung zur Tat: N u hellent hin geliche da wir d a z himelriche \ erwerben sicherliche / bi dulteclidier zer!

Und Gottes machtvolles Tun, gefolgt vom Sichscharen der Gottesstreiter: got wil mit heldes handen \ dort rechen sinen anden, / sidi schar von manegen landen \ des heilegeistes her! !

Dann in Strophe IV, in weitgespanntem Satzbogen:

und weiter:

Got, dine helfe uns sende, mit diner zesewen hende\ bewar uns an dem ende, / so uns der geist verlat, vor helleheizen wallen, daz wir da in iht vallen; ez ist wol kunt uns allen wie jamerlich ez stat, daz here lant vil reine gar helfelos und eine, Jerusalem, nu weine, wie din vergezzen ist! Der heiden überhere hat dich verschelket sere dur diner namen ere la dich erbarmen, K r i s t .

146

Die gesteigerte Dynamik der Not und der Not-Wende in dieser Schlußstrophe bringt mit sich die längeren Satzbögen und die drängenderen Enjambements. 23 In der Gebetsstrophe 10,1 „Mehtiger g o t . . . K finden wir einen der grellsten Zeilensprünge in Walthers Lyrik: Mehtiger got, du bist so lane und bist so breit, gedaeht wir da nadi, daz wir unser arebeit \ verlüren! dir sint ungemezzen maht und ewekeit.24/ In greller Rhetorik ordnen sich die beiden Motive, Mühe-Vergeblichkeit, vor und nach der Versgrenze an. Die pathetische Bewegung des Vereiteins bildet sich im metrischen Drängen ab. Der Satz endet mit dem eingehakten Wort, eine bei Walther ganz seltene Erscheinung. Dennoch drängt der Sinn des folgenden Satzes, der eng mit dem Motiv des Vereiteins verknüpft ist, auch dieses einzelne Wort weiter und mildert die Härte. In 26,3: „Vil wol gelopter got, wie selten ich dich prise" steht ein Enjambement, das mit seiner Richtungspräposition Hinwenden unterstreicht.

lehn tuon diu rehten were, ichn han die waren minne \ ze minem ebenkristen, herre vater, nodi ze dir . . .

/

Die erste Strophe der Reinmarklage, 82,24, verbindet ihre ersten drei Verse mit Zeilensprung. Die beklagte Trennung von Lebenden und Toten wird in der metrischen Trennung nachvollzogen: Owe daz wisheit unde jugent \ des mannes schoene nodi sin tugent / niht erben sol, so ie der lip erstirbet!/ Das Ende der Strophe mit dem Zitat des berühmten Reinmarschen Frauenpreises enthält wieder ein Richtungsenjambement: hetst anders niht wan eine rede gesungen: „so wol dir, wip, wie reine ein nam!", du hetest also gestriten \ an ir lop daz elliu wip dir genaden solten biten. / 28

84

Charakterisierung des Rhythmus (des seelischen Rhythmus „eines langen, gleichartigen Wanderns einem Ziel entgegen, das doch immer in weiter Ferne bleibt") bei L . Wolff S. 360 (entspricht den Darlegungen A. Hübners, Geißlerlieder S. 250 ff., der das Lied in die Tradition des religiös-volkstümlichen Pilgerliedes stellt). In der zweiten Auflage der „Religiösen und politischen Lieder" 1960, deren Lesung wir uns hier nicht anschließen, mildert Maurer die Schroffheit des Enjambements, indem er mit Kralik die Verse 2 und 3 so liest: „gedaehten wir d a nach, die unser arebeit/ verlürn wir, dir sint ungemezzen maht und ewekeit".

147 10*

Die Satzführung der zweiten Strophe weist einen Zug auf, der bei Walther gelegentlich vorkommt: völlig regelmäßige Lockerung der „syntaktischen Dichte" im Verlauf der Strophe. 25 Der regelmäßig fortschreitenden Weitung auf allen Ebenen des Metrums überlagert sich als Gegenbewegung die ebenso konsequente Verengung, die Isolierung der Sätze. Das erste Terzett ist eine hypotaktisch verknüpfte Periode, die ersten zwei Verse sind gar durch Enjambement verbundener Einzelsatz: Deswar, Reimar, du riuwes mich michels harter danne idi dich, ob du lebtes und ich waer erstorben.

Das zweite Terzett ist zwar noch eine einzige Periode, deren Teile logisch miteinander verknüpft sind, aber für sich jeweils eine syntaktische und eine Verseinheit bilden: Ich wilz bi minen triuwen sagen, dich selben wolt ich lützel klagen: ich klage din edelen kunst, daz sist verdorben.

Die nächste Periode umgreift nur noch zwei Verse, deren jeder einem Satz Raum gibt: Du kündest al der werlte fröide meren, so duz ze guoten dingen woltes k e r e n . . .

Alle übrigen Verse enthalten Einzelsätze. Vers 9 („mich riuwet din wol redender munt und din vil süezer sane") ist noch enger mit dem Vorausgehenden verknüpft, so daß in Maurers Ausgabe der Doppelpunkt nach „keren" berechtigt ist. Verse 10—13 sind syntaktisch völlig isoliert; die Auflockerung ist in den beiden Schlußversen, die jeweils in Hauptsätze aufgelöst sind, am stärksten. 26 25

26

Vgl. dazu auch meine Master's Thesis (Die Reinmarklage Walthers von der Vogelweide, Univ. of Massachusetts 1962), hier S. 44 Ein anderes Beispiel für solche syntaktische Lockerung ist die erste Strophe des „Bogenertons", 78,24: erstes Terzett eine Satzperiode, Verse 1 und 2 durch „und" verknüpft: „Der anegenge nie g e w a n / u n d anegenge machen kan, / der kan wol ende machen und an ende", dann folgt hypotaktisch verbundenes Verspaar: „Sit d a z allez stet in siner h e n d e , / w e r waere danne lobes so wol wert?", die restlichen drei Verse parataktisch, die beiden ersten jedoch enger verknüpft, wie in Maurers Ausgabe audi durch das Komma angedeutet ist: „Der si der erste in miner wise, / sin lop get vor allem prise. / daz lop ist saelic, des er gert." Dem weiten Bogen, der die Dimensionen umgreift, folgt in der zweiten Strophenhälfte das Motiv des Ich und sein Preis. Dieser Vereinzelung von der Unendlichkeit zum Idi gibt audi die Satzführung Ausdrude.

148

Im Reichston fallen einige Enjambements auf; das schönste gleich gegen Anfang im Bild des Sitzenden, in dem es in der Bewegung des Anschmiegens Haupt und stützende Hand zusammenführt: • 1

1

·

·

1

Aber auch die Bewegung des Vereinens der Werte besitzt eine syntaktische Parallele: ja leider desn mac niht gesin, d a z guot und weltlich ere und gotes hulde mere zesamene in ein herze komen.

Das Größte, die Gotteshuld, füllt weitend („mere") einen eigenen Vers, alle drei konvergieren, die metrische Grenze überwindend und Richtung und Vereinigung betonend („zesamene i n . . . " ) . In der dritten Strophe schließlich wird Trennen metrisch gestützt: d o sich begunden zweien die pfafFen unde leien.

Wir beschließen die Untersuchung des Enjambements mit einer Betrachtung des burlesken Atzesprudis 104,7. Die Satzführung zeigt hier große Meisterschaft. Die komische Dramatik, das Drängen der Rede hin zur grotesken Enthüllung, zwängt die Sprache durch das schlanke Strophengefäß hindurch, das hier Hindernisse baut, die die Spannung erhöhen und die Enthüllung hinauszögern. Das ist vor allem im Abgesang der Fall. Im Aufgesang, gleich im ersten Verspaar, treten Tat und Objekt grell in den Vordergrund durch ein farbiges Enjambement, das diese beiden Wörter burlesk trennt: Mir hat her Gerhart A t z e ein pfert erschozzen zlsenache.

Der Tatbestand ist nun gegeben, die referierende Darstellung von Atzes Gründen folgt im Abgesang: E r seit von grozer swaere, wie min pferit maere dem rosse sippe waere, d a z im den vinger abe gebizzen hat ze schänden . . .

149

Die weiblich-klingenden Verse, deren pathetischer Block den Sprachfluß zäh hemmt, werden, einer nadi dem andern, mit einer neuen Enthüllung dieser „swaere" befrachtet, ohne daß innerhalb des weiten Satzbogens an einem Versende irgendwie ein sinnvoller Zusammenhang erratbar wäre; die Enthüllung der „frömden sache" schiebt sich Vers um Vers hinaus, bis über das (stumpfe!) Ende der Versgruppe hinweg. Erst nach diesem überaus kühnen und bizarren, doch vom inneren Vorgang her großartig gerechtfertigten Sprung: daz im den vinger abe gebizzen hat ze sdianden . . ist der Zirkel zwischen Sippe und Tat geschlossen. Die körperliche Trennung des Abbeißens, durch das lächerliche Referat nodi spitzer grotesk, ereignet sich in der harten metrischen Trennung in pointierter Weise, unterstützt durch den lautlichen Anprall der phonetisch so verschiedenen Vokale: „abe gebizzen", a - i . Dieses lautliche Widerspiel beherrscht die beiden Verse: daz im den vinger abe gebizzen hat ze schänden, iia i a a. Auch hier, wie in so vielen Fällen in Walthers Dichtung, belassen die metrischen Bande der Sprache ihre von innen blühende, drängende Freiheit. Die Grenzen, die die vorgegebene und doch jeweils von innen neugeschaffene Kontur setzt, muten an wie das Leitziel, das die vorgegebene Pflanzenform ihrer lebendig wachsenden Substanz vorhält, um, geformt und begrenzend, deren Leben dann zu halten und selbst gehalten zu werden. Dies alte Bild organischer Wechselbeziehung von Innen und Außen, Quellen und Grenze, Vorgang und Kontur, Werden und Sein kennzeichnet das Verhältnis von Sprache und Metrum auch in Walthers Dichtung, obwohl eine solche organische Dichtungskonzeption nicht bestimmend war für die Poetiktraktate jener Zeit 27

Maurer weist im Vorwort zu den Religiösen und den Politischen Liedern S. I X auf die „höchst wirkungsvolle Spannung" des durch die stumpfe Kadenz erhöhten Enjambements hin. — Der Zeilensprung ist audi im Mittelhochdeutschen grell-expressiv, allerdings ist das „abe" durchaus nodi Adverb und nicht wie im Neuhochdeutschen Präfix; wir haben also kein ganz so groteskes Enjambement wie in Büschs klassischem Beispiel: „Jeder weiß, was so ein M a i - / K ä f e r für ein Vogel sei".

150

oder der Tradition, an der jene Zeit sich orientierte. Andere Untersuchungen betonen andere Aspekte der Satzführung; 2 8 wir versuchen gerade auch bei diesem Formelement dem nahezukommen, was bei Walther immer wieder bewundernd genannt wird, in einer nur „zeitgetreuen" Interpretation aber schwer sich fassen läßt: das Leben einer plastischen Gestalt, das auch in dieser Formschicht in der Begegnung von Zentrum und Peripherie, von Ich und Grenze in Hingabe und Bewahrung sich ereignet.

III. Laute Der Sprachkörper offenbart sich in Klängen, die bei dichterischer Sprache nicht nur Bedeutung vermitteln, sondern ästhetischen Wert besitzen. Lautmuster sind architektonische Gebilde, die gliedernd wirken können oder als reine Muster schön sind. Dabei stellen die Klänge, für sich oder in ihrem Zusammenspiel, als rhythmische Ordnung oder als Wohllaut oder expressiver Extremlaut, eine Schicht dar, die die Sprache über das bildliche oder abstrakte Denken hinaushebt. Ohne uns mit dem Gebiet der Sprachpsychologie und Sprachphilosophie zu befassen, das von der Beziehung zwischen Denken, Vorstellen und Sprechen handelt, halten wir doch fest, daß, wenn auch Denken vorwiegend sprachlich geformt ist, der Klang der Sprache im Sprachdenken nicht zur Entfaltung kommt, sondern blaß, gerafft und verkümmert nur einzelnen Begriffen Körper gibt, bei denen das Denken intensiver verweilt. Während nun die Musik eine besondere Schicht der ausgedrückten Sprache darstellt, ist sie doch als Bedeutungsträger an die Bedeutungen der Begriffe gebunden. 1 Manche Spekulationen messen bekanntlich den Lauten selbst die Kraft bei, Stimmungen oder gar Bedeutungen

28

1

Etwa die klaren gedanklichen, formalen und syntaktischen Entsprechungen zwischen den Strophen und innerhalb der Spruchtöne, die bewußte Anwendung der rhetorischen Formen, die rationale Helle, die luziden Gleichungen der sprachlichen und metrischen Architektonik. Vgl. Wolfgang Kayser, D a s sprachliche Kunstwerk, 3. Aufl. Bern 1954, S. 159, und seinen Hinweis auf Charles Bally, Le langage et la vie, S. 117: „C'est que — on l'a déjà dit — les effets phoniques ne se manifestent que s'ils sont favorisés par les facteurs sémantiques".

151

zu suggerieren.2 Wohl kann die Lautmusik Stimmungen erhöhen oder die Ausdruckskraft von Vorstellungen unterstützen, aber doch nur, wenn die Sinnkomponente der Sprache schon die Richtung gewiesen hat; freie „Musikbedeutung" gibt es nicht. Die reine ästhetische Ausdruckskraft der Sprachmusik, von der wir redeten, ist keine „programmusikalische", keine begrifflich oder bildlich zu fassende. Dennodi interessiert uns die Beziehung zwischen Begriff und Musik, den beiden extremsten Polen der Sprache. Wir fragen nicht nach der platonischen Beziehung zwischen Idee, Ding und Wort oder nach dem metaphysischen Verhältnis zwischen universalia und res.3 Uns fesselt ein anderes Problem, das sich beim Studium der Gedichte Walthers und Frauenlobs, aber auch anderer klassischer und manieristischer Dichtungen immer wieder stellt. Ein Merkmal vieler Gedichte Frauenlobs ist die extreme Lauthäufung. Die Sprachmusik drängt sich in den Vordergrund, vor allem in der Lautwiederholung und klangspielenden Wortwiederholung. 4 Zwar zeigen auch viele Gedichte Walthers dichte Orchestrierung, nur fällt sie hier nicht so sehr ins Ohr. Die Lauthäufung wird aufgesogen von der bunten, differenzierten Fülle alles Andern: der Rhythmen, der plastischen Bilder, der ausgewogenen Kraft von Ruhe und Bewegung, der sinnlichen Greifbarkeit des Gedachten und Geschehenden. Bei Frauenlob ist die hochgradige Begrifflichkeit der Hauptgrund für die geringere sinnlich-klangliche Fassungskraft der Sprache, für das grelle Hervorstechen und Aus-dem-Rahmen-Fallen der sinnlichen Komponente, die hier als aufgesetzter brokatschwerer Schmuck und nidit als organisch integrierte Plastik wirkt. 5 Diese Charakteristik 2

9

4 5

Berühmte Spielereien oder Metaphysiken dieser Art sind etwa Rimbauds „Voyelles" oder Ernst Jüngers „Lob der Vokale". Vor allem die „Lautsymbolik" wäre zu behandeln (vgl. Kayser S. 102 ff., mit Hinweis auf Piatos Überlegungen). Zu Abaelards Unterscheidung von vox (Lautkomplex) und sermo (Wortbedeutung) vgl. Karl Vorländer, Gesdiidite der Philosophie, 1. Bd.: Altertum und Mittelalter, 9. Aufl. von Erwin Metzke, Hamburg 1949, S. 319. S. auch Kretsdimann, Der Stil Frauenlobs, S. 53 ff., vor allem S. 73 ff. Freilich versuchen wir hier nicht, den „Geist des Dichters" zu erfassen, für den der Klang mit dem Begriff wesenseins gewesen sein mag und dem dann „tiefe" Begrifflichkeit zu „üppiger" Musik führen mußte, ja dem alle Formeln und Künstlichkeiten eins wurden mit der Tiefe des Begriffes, „ad majorem dei gloriam". Von seiner Theorie her modite der Dichter durchaus in Analogien, nicht in Diskrepanzen gestaltet haben. Dennoch ist es wesentlich, im Hinblick auf das Gegenbild Walther die sinnliche Diskrepanz innerhalb dieser gedanklichen Analogie zu betonen als symptomatisch für das Wesen dieser Analogie selbst.

152

schließt auch Frauenlobs Bilderfülle ein, die keine eigentliche, Sinn und Bild gleichermaßen erhaltende Versinnlichung der Gedanken darstellt, sondern, die Gesetze plastischer Zusammenhänge verneinend, allein die abstrakten Zusammenhänge bestehen läßt und die Bilder zu einer Serie in sich punktueller, untereinander polyperspektivischer oder völlig zusammenhangloser Exemplifikationen der Gedanken macht. Diese Abstraktion entspricht der mittelalterlichen Denkweise, wenn sie das Allgemeine über das Individuelle stellt, sie bedeutet aber nach der dem Individuellen wertvollen Raum gebenden Synthese in Walthers Dichtung einen großen Schritt wieder hin zum „damals Üblichen" und zeigt, im Vergleich mit Walthers „Natürlichkeit", die extreme Grenzsituation der mittelalterlichen „Norm". 6 - Das „Fassungsvermögen" der Sprache für sinnliche Klangfülle läßt sich gewiß nicht statistisch nachweisen. Es wird aber in vielen Beispielen deutlich. Dabei kommt es nicht nur auf den Abstraktionsgrad der Sprache an, sondern ganz allgemein auf das Vorherrschen der objektivierenden, geometrischen, „anorganischen" Elemente des Gedichts, das Überwiegen der rationalen Formeln über die individuell differenzierte, organische Formung. Dies ist der Fall, wenn der metrische Bau die lebendige Sprache in strenger Zucht hält, das Repertoire der rhetorischen Figuren das Pulsieren des jeweils Neuen im sprachlichen Vorgang überragt, die Wiederholung identischer Elemente das differenzierende Andere übertönt (und der Hauptträger der Lautmusik bei Frauenlob ist gerade die Wort- und Begriffswiederholung, ein solches stereotyp-ornamentales Prinzip), wenn kein subjektives Zentrum den Vorgang regieführend schafft, sondern die Sprache von einer Kette überpersönlicher Begriffe getragen wird. 7 Wenn in einem solchen Gebäude eine Fülle von Musik erklingt, so ist es, wie wenn ein Marmortempel mit Blumen geschmückt ist; niemand denkt, sie seien aus dem

6

Dieses A r g u m e n t ist nicht stichhaltig, wenn man an kulturgeschichtliche Relativismen glaubt. Ich bin jedoch d a v o n überzeugt, d a ß alle Epochen und ihre Menschen v o r d e r g r ü n d i g eine vorwiegend realistische Erlebnisweise besaßen u n d d a ß die „ N o r m " der A b s t r a k t i o n eine sekundäre Erscheinung ist: A b s t r a k t i o n von schaubarer, greifbarer, sinnlich zusammenhängender Wirklichkeit (was auch immer die G r ü n d e gewesen sein mochten: Furcht, Flucht, Vertiefung, „Wesensschau", V e r w a n d e l n des Seins in Bedeutung, U b e r w i n d u n g der beschränkten oder bedrängenden, verachteten oder gefürchteten Gegenständlichkeit).

7

Diese geometrische Starre muß betont werden als Gegenpol zu der elementaren, ekstatischen Musikalität, die N a g e l , Frauenlob, S . 59 ff., allzu einseitig hervorhebt.

153

Stein gewachsen. Anders bei Walther. Hier baut die Versinnlichung auf vielen Ebenen des dichterischen Vorgangs Brücken zwischen den Extremen, Begriff und Geometrie einerseits und Musik andererseits: die Verwandlung des biegsamen Metrums durch die biegkräftige Sprache, die Balance von individueller Differenzierung und objektiver Formelhaftigkeit, die Aktualität und sinnliche Gegenwartsintensität der Situationen und Szenen, die Frische und Lebendigkeit der persönlichen Grundrelation, die subjektive Teilnahme des gestaltenden Ich, die Erdhafligkeit und natürliche Perspektivik der Bilder und Vorgänge, und schließlich die funkelnde, vielgestaltige Rhythmik, in der farbige Musik sich harmonisch löst. Oder um bei unserem alten Bild zu bleiben: Keinen starren Marmortempel schmücken die Blumen, sondern sie wachsen auf einer Wiese an einem von buntem Leben erfüllten Sommertag. Die Diskrepanz zwischen Architektonik und Abstraktion einerseits und Lauthäufung andererseits ruft ein faszinierendes Schillern von Strenge und Fülle, starrer Kühle und glühender Dynamik hervor. Das Bombastische einer Sprache wird ja vorwiegend nicht durch anschauliche Fülle hervorgerufen, sondern durch Überwiegen der stereotypen Figuren, des Abstrakten und Fremden, und all dies läßt reiche Lautfülle noch auffälliger tönen.8 Halten wir zwei Strophen nebeneinander, eine aus Ettmüllers Frauenlobsammlung (Strophe I aus Lied V, nach Thomas nicht von Frauenlob) und eine von Walther (Strophe IV aus dem Lied 74,20). Zunächst Ettm. V,I: Wip, reiner kiusche ein ingesigel, wip, lieber liebe ein voller schrin, wip, milte ein übervlüzzic bach; Wip, staeter staete ein vester rigel, wip, süezer lust ein lustec schin, wip, aller saelde ein überdach; Wip, kraft der krefte, aller krefte gar, wip, aller güete ein brunne klar, wip, edeler würze ein garte vin: nie wiser munt hie wider sprach.

8

Der B o m b a s t , der durch F r e m d w o r t h ä u f u n g , A b s t r a k t a und Intensivierung paralleler Glieder etwa in einer P r u n k r e d e z u s t a n d e k o m m t , ist ein Beispiel f ü r Überwiegen des Stereotypen.

154

U n d Walther

75,17S.: Midi duhte daz mir nie lieber wurde, danne mir ze muote was. Die bluomen vielen ie von dem boume bi uns nider an daz gras. Seht do muost idi von fröiden lachen. do idi so wünnecliche was in troume riche, do taget ez und muos idi wachen.

Es ist beim ersten Anhören offenbar, daß die Frauenlobstrophe stärkere Lauthäufungen besitzt als die Strophe Walthers, vor allem eine größere Anzahl direkter Reihungen. Aber audi die Strophe W a l t hers ist, weniger auffällig, weniger ornamental, von intensiver Musik erfüllt. 9 Sie steht vor allem im Aufgesang kaum hinter der Frauenlobstrophe zurück. D e r Unterschied erklärt sich nicht allein durch die Mengendifferenz, sondern durch die verschiedene dichterische Gestalt der Strophen, durch die starre Abstraktheit u n d gefäßbetonende, rhetorikgetragene Sprache Frauenlobs. Wir hören in Walthers Strophe das intensive Spiel der i, u und a in den beiden ersten Versen, verbunden mit den d - und m-Alliterationen: mich duhte daz mir nie lieber wurde, danne mir ze muote was, „daz m i r nie lieber", f e r n e r die doppelte R e i h u n g i u a: „lieber w u r d e , danne mir ze m u o t e was". Dasselbe Spiel ereignet sich noch intensiver im zweiten Stollen m i t ausgeprägter b-Alliteration: Die bluomen vielen ie von dem boume bi uns nider an daz gras, „bluomen vielen ie" — „boume bi uns nider".

9

Mit Ausnahme der Analyse „bewußter Ornamentalik", vor allem im Reim, und der Aufzählung stilistischer Figuren sind Walthers Lautmuster meines Wissens nodi nicht systematisch untersucht worden. Die Ergebnisse der Tübinger Dissertation von Martha Heeder (Ornamentale Bauformen in hochmittelalterlicher deutschsprachiger Lyrik, 1964, veröffentlicht 1966), die nach meiner Dissertation abgeschlossen wurde und deren veröffentlichte Version mich während des Korrekturlesens erreichte, können nicht einbezogen werden. — Wortdoppelungen wurden schon von den alten Stilisten ausführlich dargestellt, so bei Wilmanns-Michels I

155

D e r Abgesang ist lautlich weniger intensiv. Dennoch gibt es einige schöne Alliterationen: lachen-wünnecliche, wiinnecliche-was-wachen; t r o u m e (zurückklingend auf „ b o u m e " ) — taget; die Assonanz tagetwadien; das Wort „ d o " : Seht do muost ich . . . do ich so wünnecliche . . . do taget ez . . . 10 Hinzuweisen ist auch auf die Reimlinie, 1 1 die hier ganz auf die i-Gruppe und a gestellt ist: ie-a-ie-a-a-i-i-a, wie audi in Strophe I I I (bei Lachmann-Kraus) : a-i-a-i-ei-i-i-ei. Die Frauenlobstrophe will keine einheitliche Bildlichkeit. Die abstrakten Attribute, die der Substanz „ w i p " gegeben werden, addieren sich und charakterisieren die Frau, auf die alle preisende Intensität hinströmt, als einen überall und nirgends anwesenden, geistgetragenen

10

11

unter „Parallelismus" und „antithetischem Parallelismus" usw., S. 357 ff. Wir schlüsseln die Wiederholungen nicht in dieser Weise auf, sondern erwähnen einfach Laut- und Wortwiederholungen, die damit natürlich auch Lauthäufung implizieren. Die Figuren erklären jeweils nur einen kleinen Teil des Lautfelds. Die Strophe 75,17 ζ. B. verdankt ihre reiche Lautlichkeit keinen rhetorischen Figuren. Das konjunktionale und adverbiale „ d o " hat hier eine ganz ähnliche Wirkung wie das zweimalige „ d a " in der ersten Strophe von „Under der linden". Die Reimornamentik und die Erscheinung der Reimresponsion ist vor allem von C . von Kraus (Reimar I-III) beschrieben worden. Bei Halbach (vor allem Waltherstudien I und II) wird die Erscheinung gründlich untersucht und in den Vordergrund gestellt (vgl. auch die Literaturübersicht bei Halbach, Walther, Sammig. Metzler, S. 33). Vokal- und Konsonantenresponsionen (im Reim) werden für Fragen der Zyklenbildung, der bewußten Parodie in der Fehde, ja sogar bei Lesartenentscheidungen herangezogen. In Waltherstudien II geht es Halbach vor allem um den Nachweis der Bindung einzelner Sprüche zur Spruchkette. Die Ergebnisse empirischer Beobachtung der Lautentsprechungen als architektonischer Gebilde mache ich mir zu eigen; an eine vollbewußte Entsprechung kann ich nicht glauben. Es ist schade, daß in diesen Dingen unter Hinweis auf das Wesen mittelalterlicher bewußter Formung nur die Alternative bewußt gleich relevant und unbewußt gleich irrelevant zu bestehen scheint und daß Skepsis der „bewußten Konstruktion" gegenüber gerne mit „Mißachtung des Formalen" gleichgesetzt wird; auch bei Maurer spürt man diese Tendenz hinsichtlich der Frage der Synaphie und der syntaktischen Strophengliederung. Wohl ist viel K r y p tisches in den Strophen wirksam (man formte nicht nur für den Menschen, sondern für den lieben Gott, wie Halbach unter Hinweis auf den Engel hoch oben an der Kathedrale von Chartres und die nicht nur anthropozentrische Hörerbezogenheit dieser Kunst sehr treffend bemerkt: Waltherstudien II, Anm. 1); dennoch wirken diese Beobachtungen extrem, wenn sie sich auf bewußt Konstruiertes beziehen sollen. Ein ausführlicher Überblick auch über die Forschungsgeschichte findet sich bei M. Heeder (s.o.).

156

unbildlichen Begriff. 12 Die Monotonie der Satzführung ist eklatant, das Metrum beherrscht die Spradie völlig. Wir sehen extreme Parallelität der Glieder; 1 3 audi über die wip-Anaphernreihe hinausgehend verwirklicht sich starr das Prinzip der Wiederholung des Gleichen, das jede Einzelgestalt übertönt. reiner kiusche

ein ingesigel

lieber liebe

ein voller schrin

staeter staete süezer lust

ein vester rigel

aller saelde

ein überdach

aller giiete

ein b r u n n e klar

edeler w ü r z e

ein garte v i n 1 4

Die differenzierenden Elemente verschwinden neben der Geometrie der Tempelsäulen. Es gibt keinen Vorgang, nur statische Bilder, 13 es gibt keine Subjektivität, kein Ich als Zentrum, das in erlebter Perspektive die Peripherie auf sich bezieht, trägt und sich tragen läßt, und kein personhaftes Du, das in Geben und Empfangen einem Ich die Hände reicht. Der einzige Fluchtpunkt ist weder Person noch gegenwärtiges Ding, sondern der gestaltlose Begriff, in dem Linien eines gedanklichen Kraftfeldes konvergieren. Der Bilderkatalog und der Attributenkatalog addieren sich jeweils zu einer verschiedenen Serie. Die bildliche Wirklichkeit hat keinen Zusammenhang, die menschliche nur begrifflichen, der vom unbildlichen, gestaltlosen Andern getragen wird. Zwischen dieser Reihung von Identitäten, dem mathematischen Bau also, und den Einzelstücken besteht keine organische Verbindung. Man kann sich kein eindrucksvolleres Beispiel für das 12

13

14

15

Oskar Saechtig, Über die Bilder und Vergleiche in den Sprüchen und Liedern Heinrichs von Meißen genannt Frauenlob, Diss. Marburg 1930, S. 11 tadelt, noch naiv von naturalistischen Normen ausgehend, die mangelnde Anschaulichkeit. Über Parallelität allgemein Kretschmann S. 20 ff., Satzparallelität mit Anapher S. 40 ff. Die erregenden Elemente der direkten Anapher werden betont (S. 3 6 ) ; dagegen (S. 40) bei der Reihung längerer Sätze das Zurücktreten des Erregenden. Der „parallelismus membrorum" ist als Grundprinzip monotoner Wiederholung identischer Elemente wesentlich in der Form der Psalmen (vgl. den Hinweis auf Bernhard Duhm, Die Psalmen, 2. Aufl. Tübingen 1922, S. X X V I I , in S. Singer, Die religiöse Lyrik des Mittelalters, S. 7). Es geht uns dabei nicht so sehr um die für den „geblümten Stil" entscheidende Stilfigur der Genitivumschreibung an sich (vgl. Kibelka passim, Stackmann S. 153 ff.), sondern um die (ebenfalls traditionelle) Blockhaftigkeit der Anordnung. Kibelka S. 223: „metaphernreicher Nominalstil".

157

Nebeneinander von flackernder Bewegung und strenger Starrheit denken. Die Musik hallt um so lauter in diesem Marmor. Die Strophen Frauenlobs und die Waithers sind Prototypen manieristischer und klassischer Dichtung. Behalten wir das über Frauenlob Gesagte als Gegenbild im Auge, wenn wir Lautmuster an weiteren Gedichten Walthers aufzeigen. Das Wesentliche sei nochmals zusammengefaßt. Es gibt keine „klassischen" Lautstrukturen. Aber es ist ein Merkmal klassischer Dichtung, daß bei der Begegnung von Begriff und Musik, von Gedanken und Sinnlichkeit, der Gedanke durch die Gestaltung transformiert und sinnlich tragkräftig gemacht ist, um die Sinnlichkeit der Musik ohne grelle Spannung zu tragen. Reiches, maßvolles Spiel der Laute finden wir in „Under der linden", so in Versen 1 und 2 das Spiel von u und ei; den Anklang von „under" und „unser", „heide" und „zweier": U n d e r der linden an der heide, da unser zweier bette was, D a mugt ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras.

Dann wird der Binnenreim erweitert durch u: Under der linden mugt ir vinden. Die weite b-Alliteration verbindet die Stollen: bettebeide-gebrochen-bluomen. Das Schlußterzett wird von a erfüllt, das meist durch folgenden Nasal oder Liquid weicher, verschleierter wirkt: V o r dem walde in einem tal, tandaradei, schone sane diu nahtegal.

Direkte Lautwiederholungen charakterisieren die zweite Strophe: kam gegangen und wart enpfangen (durch Assonanz erweiterter Binnenreim), ich bin saelic iemer . . . und melodisch das dreimalige u, dem dreimaligen a des „tandaradei" vorausklingend: „kust er mich? wol tusentstunt". Dichte Alliterationen verbinden zentrale Motive: friedel-frouwe, kommen-küssen, und das t, spielend mit dem d: tusen tstunt-tandaradei. Im ersten Stollen der dritten Strophe dominiert die Alliteration auf b : bluomen-bettestat, im zweiten das Spiel von i und a: „Des wirt gelachet innecliche / kumt iemen an daz selbe pfat." Am Ende spielt die m-Alliteration kraftvoll über das Versende hinweg: „mac merken", mit verlängertem Vokalspiel e-a: „er wol mac / 158

merken wa mirz houbet lac". Das erweiterte Vokalspiel klingt zurück zur erweiterten Assonanz: bettestat-selbe pfat-er wol mac. Weitere Alliterationen: gelachet innecliche; bi den bluomen. Der Aufgesang der vierten Strophe klingt hell mit i-Lauten: „bi mir laege wessez iemen . . . so schämt ich midi. Wes er mit mir pflaege niemer niemen bevinde daz wan er unde idi". Die Parallelität der ersten Verse beider Stollen unterstreicht die spielerische Verknüpfung der Stollen, Liebeslager und Liebesgeschehen: D a z er bi m i r laege . . . Wes er mit mir p f l a e g e . . .

Die w-Alliteration und erweiterte Vokale verbinden Wörter, die Nachdruck tragen: wessez iemen - nu enwelle got - wes er mit mir pflaege. Drängend stehen ie/i im dritten und vierten Vers: „niemer niemen bevinde daz wan er unde idi". Die Reimlinien der einzelnen Strophen sind, mit Ausnahme der zweiten, ganz auf das Spiel der i-Klänge gestellt. Die Sciilußstrophe wird von hellen i-Lauten erfüllt. I : ei-a-ei-a-a-ei-a I I : ou-e-ou-e-u-ei-u I I I : i-a-i-a-a-ei-a I V : ie-i-ie-i-i-ei-i l e

Wie selten ein anderes Lied bei Walther ist 49,25: „Herzeliebez frowelin" 1 7 von i-Tönen durdiklungen, vor allem die Strophen II und V. Wir geben das Schema der Hebungsvokale in Strophe II:

16

17

ie

i

i

i

i

e

i

a

a

i

i

i

ie

i

a

a

ie

a

ie

ie

a

uo

a

oe

i

e

i

ie

Wir gehen dabei von der Maurersdien Schreibung aus. Wenn die Binnenreime (die übrigens auch in hohem Grad zu der Musikalität des Liedes beitragen) Endreime wären, dann verschöben sidi die Reimlinien nur wenig. Strophen I und III blieben beim i-a-Spiel, Strophe II fügte seiner bunten Reimlinie noch ein a ein, IV unterbräche seine reine i-Linie mit einem ae und bliebe somit phonetisch auch in der i-a-Gruppe. Über Verdoppelungen Wilmanns-Michels I, S. 365, audi S. 373.

159

Der erste Stollen ist aber darüber hinaus durch sich überkreuzende Alliterationen schwebend gegliedert: verwizen-wende; sie-sanc; mirminen. Der zweite Stollen setzt die s-Alliteration fort: si-versinnen tsich-si. Eine sechsfache Reihung von i umgibt eine Klammer von a: „Daz si niht versinnent sich / waz liebe si, des haben undanc". Doppeltes i und a steht in Vers 4: „waz liebe si, des haben undanc". Schließlich haben wir den intensiven Reim der ersten und letzten Hebungen in den Versen 5 und 6 : Sie getraf diu liebe nie, die nach dem guote und nach der schoene minnent, we wie minnent die?

Auch Strophe V ist reich an i-Lauten. Auf dreifaches i folgt dreifaches a in Vers 2: „ so bin ich din an angest gar", die beiden folgenden Verse sind stark auf i gestellt: daz mir iemer herzeleit mit dinem willen wider var. 1 8

In der ersten Strophe des Lieds 53,25 wird der feiernde Preis der Frau von üppiger Musik begleitet: 19 Si wunderwol gemachet wip, daz mir noch werde ir habedanc!

Viermal die samtene Alliteration der w: wunderwol, wip, werde; die Alliteration der m: gemachet, mir, das doppelte a: habedanc, zurück-

18

Reiche i-Klänge finden sich auch in der ersten Strophe von 50,19: „Bin ich dir unmaere, / des enweiz idi niht: ich minne dich. / Einez ist mir swaere, / du sihst bi mir hin und über mich. / Daz solt du vermiden. / ine mac niht erliden / seihe liebe an grozen schaden. / hilf mir tragen, ich bin ze vil geladen." Alliterierende m verbinden die Gegensätze unmaere-minne und min-mich-vermiden; im Abgesang alliteriert 1: erliden-liebe. Schließlich im letzten Vers das i-a-Muster in schöner Steigerung: „hilf mir tragen, idi bin ze vil geladen". Und das Spiel der i und o in Strophe II: „Sol daz sin din huote, / daz din ouge an midi so selten siht? / Tuost du daz ze guote, / sone wize ich dir dar umbe niht. / So mit mir daz houbet / (daz si dir erloubet) / und sidi nider an minen fuoz, / so du baz enmiigest: daz si din gruoz." In Versen 1 und 2 s-Alliterationen: „sol daz sin" und „so selten siht." Hier wird die Klangkette nach vorn erweitert: „midi so selten sieht". Die o/u-Laute, die (mit Ausnahme des einen i) die ganze Reimlinie beherrsdien: uo-i-uo-i-ou-ou-uo-uo, reimen in Vers 3 audi Anfang und Ende: „Tuost du daz ze guote". „Ouge" und „houbet" klingen aneinander an.

19

Die reiche Lautlichkeit steht in einem gewissen Gegensatz zu der schlichten Glätte des Metrums.

160

klingend auf „gemachet"; raffinierte Parallelität von Vokal- und Konsonantenwiederholung: wunderwol, habedanc . . . Ich setze ir minneclidien lip vil werde in minen hohen sane,

fünfmal das i in Vers 3, dreimal in Vers 4, dann die m-Alliteration, die aus Vers 2 weiterklingt: minneclichen-min. Der Kette der i folgt, sie überlagernd, die Alliteration der 1: ir minneclidien lip. Reich entsprechen sich die reimenden Endzeilen der Stollen auch in Klängen außerhalb des Endreims: . . . noch werde ir habedanc . . . . . . vil werde in minen hohen sane.

Der Rest der Strophe wird durch die einheitliche Reimlinie zusammengeschlossen: sol-erkorn-wol-zorn-wort-dort. Die doppelte w-Alliteration steht jeweils an derselben Stelle im Vers: ein ander weiz die sinen w o l . . . hab ime wis unde w o r t . . . ,

ferner alliterieren m: minen-mit-mir-gemeine. In Strophe II dominieren die doppelten Alliterationen an verschiedenen Stellen: houbet-himel, wünne-welle, solde-sin; nochmals w: „so mac ein wunder wol geschehen" (anklingend an 1,1: „Si wunderwol gemachet wip"), und in der sehnend ausgreifenden und sich erlösenden Zeile: und wirt mir geraden siechen seneder sühte baz.

In Strophe III sind Lautverdoppelungen, überhaupt Verdoppelungen 20 häufig, welche die Antithesen unterstützen. Der heilige Eifer des schaffenden Gottes kommt in diesen wiegenden Doppelformen schön zum Ausdruck: G o t hat ir wengel hohen fliz, er streich so tiure varwe dar, so reine rot, so reine wiz, hie roeseloht, dort liljenvar.

Deutlich ist die zweimalige Farbantithese und das zweifache „reine"; die Verdoppelung wird unterstützt von den Lauten: so tiure varwe dar, so reine rot, so reine wiz. 20

Wilmanns-Midiels I, S. 263 über anaphorisdie Wiederholung in diesem Lied.

161 11

Schaefer, Walther von der Vogel weide .

Das doppelte r wird dann von alliterierendem 1 abgelöst: „hie roeseloht, dort liljenvar". Die Farbgegensätze addieren sich, wie so oft bei Walthers Antithetik — und dies ist bedeutsam für Walthers Ganzheitskonzeption — zur Harmonie. Das Verschiedene fällt nicht, sich gegenseitig ausschließend, auseinander, sondern fügt sich zu einer ganzen Gestalt, dem Antlitz des Mädchens. Die Doppelungen gehen weiter: „Ob ichz vor sünden tar gesagen" (doppeltes s und a), „so saehe ichs iemer gerner an / dan himel oder himelwagen". Schließlich gehäuftes i und alliterierendes 1 und m : „vil lihte wirt mins mundes lop mins herzen ser". Ausdrucksvoll ist das letzte Verspaar von Strophe IV. Es ist von Küssen und Kissen die Rede: daz sol si lihen mir. swie dicke so siz wider wil, so gibe ichz ir.

Im Schlußvers hat nur das zweimal auftretende Wörtchen „so" kein i; nur zwei Wörter, die lautlich aufeinander bezogenen „dicke" und „gibe", haben keinen Alliterationspartner. Strophe V, Vers 2 hat Alliteration: „daz ist ze wünsche wol getan" (zurückklingend zum Leitmotiv „wunderwol gemachet"). Burlesk ausdrucksstark ist die Doppelung der a in „do ich si nacket sach", die weitergeführt wird, auch mit s und i: si sach midi niht, do si midi sdioz, daz midi noch sticht als ez do stach . . .

si sach, mich niht, si mich, midi nodi sticht, sadi-stadi, das weiterklingt zu „stat", und schön in der Schlußzeile der doppelte Binnenreim, ohne Pomp sdiwebend gemildert durch die verschieden starke Akzentuierung: „ . . . da si reine uz einem bade trat". 2 1 Im Reichston 22 drücken sich Klage, Verkündigung und Schmerz in scharf konturierter Sprache aus, die von klaren Lautkonturen getragen 21

22

Stereotyp, dodi mit blühender Melodik sdiwebend zwisdien typisch Schönem, für das Banale und Närrische Offenem, und innig Erlebtem, ist die Eingangsstrophe von 94,11: „Do der sumer komen was, / und die bluomen dur daz gras / wünneclichen Sprüngen, / aida die vogele sungen, / do kam idi gegangen / an einen anger langen. / Da ein luter brunne entspranc: / vor dem walde was sin ganc, / da diu nahtegale sane." Schöne Entsprechungen: sumer komen, sumer-bluomensprungen, gegangen an einen anger langen; ein luter brunne, die a in „vor dem walde was sin ganc" (mit w-Alliteration), und nochmals vierfaches a: „da diu nahtegale sane". Wortverdoppelungen (Parallelismus) bei Wilmanns-Midiels I, S. 361 ff.

162

ist. Weniger eklatant im ersten Spruch. Eindrucksvoll ist da das erste Verspaar: Idi saz uf eime steine und dahte bein mit beine . . .

Dann die h-Alliteration in Vers 4, schwerelos durch die verschiedene Betonung der beiden Wörter: Ich hete in mine hant gesmogen . . .

Eine Klammer von a-Lauten steht um die drei geballten i: „do dahte ich mir vil ange . . I n den Versen 11 und 12 findet sich der erweiterte Reim varnde guot-schaden tuot. Stark bindet die doppelte Alliteration, g und h, die drei zentralen Verse zusammen: daz guot und weltlich ere und gotes hulde mere zesamene in ein herze komen.

Stärker ist die lautliche Dynamik in Strophe I I : Ich horte ein wazzer diezen und sach die vische fliezen

a a

ie i

ie;

ν

f

„Und sach" drängt weiter zum dritten Vers: ich sach swaz in der weite was, velt, wait, loup, ror unde gras, swaz kriuchet unde fliuget und bein zer erde biuget.

Die beiden letzten Verse werden rhythmisch gleichgeordnet durch die jeweilige Doppelung an metrisch entsprechender Stelle, die Vokalwiederholung iu, die Alliteration b. Die bewegte Strophe reiht weiterhin dynamisch die Laute: daz sach ich unde sage iu daz: der keinez lebet ane haz.

Ebenso wuchtig dann die w- und st-Alliterationen: daz wilt und daz gewürme die stritent starke stürme. 2 3

23

In den knappen Andeutungen über „Klangeffekte" weisen schon Wilmanns-Midiels I, S. 387 auf diese auffällige Alliteration hin.

163 II1

Weitere Lautmuster: V. 13 : si duhten sich ze nihte V. 15 : si kiesent künege . . . V. 17/18: so we dir, tiusdiiu zunge, wie stet din ordenunge V. 19 : daz nu diu mugge ir kiinec hat V. 22/24: die cirkel sint ze here, die armen künege dringent dich. Philippe setze en weisen uf, und heiz si treten hinder sich!

Strophe III kann leicht auf ähnliche Muster nachgeprüft werden. 24 Bemerkenswert sind unter anderem die erweiterten Reime, so in Versen 9/10: do sich begunden zweien die pfaffen unde leien

und in Versen 11/12: daz was ein not vor aller not, lip unde sele lac da tot

(in Vers 12 auch die 1-Alliteration). Auffällig ist der Zeilenanfangsreim in Versen 19/20: do storte man diu goteshus. ich horte verre in einer klus vil michel ungebaere.

Und in plastischer, von innerer Dynamik getragener Gestaltung der Schluß: da weinte ein klosenaere, er klagete gote siniu leit : „Owe der habest ist ze june; hilf, herre, diner kristenheit!"25

Ärgerliches Abschütteln der Merker wird im Lied 63,32 ausgedrückt: „Si fragent unde fragent aber alze vil". Die polemisdie Ungeduld wird durch die drängenden Lautverdoppelungen verstärkt, denen Wortwiederholungen und antithetische Zweigliedrigkeit entsprechen.26 24 85

2e

Doppelungen Wilmanns-Midiels I, S. 359. Eine andere lautlich expressive „Papstzeile" ist 34,4: „Ahi, wie kristenliche nu der habest lachet.. Oft audi „Zwillingsformeln" ; wir zitieren nadi Kretsdimann S. 9 die Definition von R. M. Meyer, Altgerm. Poesie, S. 240: „stehende, durch eine Partikel ver-

164

Während wir nicht die Stimmungs- und direkten Bedeutungswerte der Lautmusik diskutieren, sehen wir doch in Lautmustern nicht nur gefälligen Schmuck. Wenn in den folgenden Beispielen Ernst, Schmerz, Zynismus, Wut, Humor, Weisheit, Sehnsucht, Hoffnung und Bitte mitklingen, so kann die Lautstruktur solche Stimmungsgehalte nicht einfangen. Aber Ungeduld, Emphase und gedrängte Zeiterfüllung werden deutlich von der Lautmusik unterstützt. Si f r a g e n t u n d e f r a g e n t aber alze vil v o n m i n e r f r o w e n , wer si si.

Nach der Wortwiederholung wird derselbe Vokal nochmals als Paar wiederholt: „fragent unde fragent aber alze vil", dann das i: „vil von miner frowen". „Frowen" antwortet in Alliteration auf „fragent". Eine weitere Verdoppelung steht am Versende: „wer si si". Dann: D a z miiet mich so d a z idis in allen n e n n e n w i l : so lant si mich doch d a n n e fri . .

außer „müet mich" die Doppelung von a-i: „so lant si mich doch danne fri", daneben noch doppeltes i: sì mich, und d: doch danne. Weiterhin: G e n a d e und ungenade, dise zwene namen h a t m i n f r o w e beide, u n d sint ungelich . . . ,

Doppelung in der Antithese, eine weitere in der Wiederholung der Vorsilbe: ungenade-ungelich. Am intensivsten ist die Doppelung im Schlußvers: „der mich des riehen irre, der müez sich des armen schämen", verstärkt durch das „mich" und „sich". Auch Strophe II zeigt ähnliche Muster: D i e schamelosen, liezen si mich ane n o t . . .

mittelte Verbindungen zweier Worte gleidier grammatischer Kategorie, die einen einheitlichen Sinn ergeben und audi durch ein einzelnes Wort der gleichen Kategorie . . . wiedergegeben werden könnten" ; außerdem gepaarte Synonyme, direkte Antithesen und unedite (die sich zu einem Begriff ergänzen); die Termini bei Kretschmann S. 9 mit Hinweis auf Literatur in den Anmerkungen. Zu diesen Paaren, grammatischen Reimen und Wortresponsionen stellen wir bei Walther die Lautverdoppelungen, die oft die erwähnten Doppelungen erweitern und über das Rhetorische hinausführen ins Lautrhythmische.

165

sdiamelosen-ane not, dazwischen dreifaches i und 1-Alliteration: -losen liezen si mich. Zeile 2 hat ihre Verdoppelung im „weder-noch" von „haz" und „nit", Zeile 4 in: „ich laze in laster unde strit". Strophe III: „Ich wil der guoten niht vergezzen noch ensol" (wilensol); „diu mir so vil gedanke nimet". Die i-Häufung wird auf intensivste Weise im folgenden Vers weitergeführt: Die wile idi singen wil, so vinde ich iemer wol ein niuwe lop daz ir gezimet. Im Enjambement drängt der o-Laut in „wol" zu „lop" durch die i, mit denen auch der Aufgesang schließt: ir gezimet. Verse 6ff.: ez tuot in den ougen wol daz man si siht, und daz man ir vil tugende giht, daz tuot in oren wol, so wol ir des und we mir, we! Syntaktisch fällt die zweifache Verdoppelung auf, die chiastisch angeordnet ist (AB-BA): A ez tuot in den ougen wol Β daz man si siht Β und daz man ir vil tugende giht A daz tuot in oren wol.. . Wortverdoppelungen und Antithesen unterstützen diese Anordnung, auch Lautpaare: zweimal „tuot wol" und „daz man", ferner „ougenoren", dann: tuot-ougen-wol; daz man si siht, daz man ir vil tugende giht, daz tuot in oren wol. Der letzte Vers schwingt aus: „daz tuot in oren wol, so wol ir des und we mir, we!" Die Antithese von „wol" und „we" fügt sich an, „wol" und „we" weiter verdoppelt. Schließlich bringt auch Strophe I V Lauthäufungen und -muster. ν, a w; a—e a—e

Swie wol diu heide in manicvalter varwe stat, so wil idi doch dem walde jehen daz er vii mere wünneclicher dinge hat: nodi ist dem velde baz geschehen.

Und das Verspaar am Strophenende: din trost nu troeste mine klage, ich sage dir waz mir wirret: daz mirst liep, dem bin ich leit. In ähnlicher Weise wird im Spruch 20,4 Zorn und polternd-kraftvolle Bewegung durch Wort- und Lautverdoppelungen getragen. Be166

wegte Schelte und gescholtene Bewegung klingen ineinander. Es ist dies der Spruch von der tollen Hofhaltung beim Landgrafen von Thüringen, an den auch Wolframs Passage im „Parzival" anklingt. 27 Der in den oren siedi von ungesühte si, daz ist min rat, der laz den hof ze Dürengen fri, wan kumet er dar, deswar er wirt ertoeret. Im ersten Vers viermal die i/ü-Laute, dreimal mit geballter s-Alliteration, und in der zweiten Zeile die Doppelung der i und a; intensiver in der dritten Zeile der Binnenreim „kumet er dar, d e s w a r . . . " , verstärkt durch w-Alliteration: deswar-wirt. Dann der zweite Stollen: Ich han gedrungen unz idi niht me dringen mac: ein schar vert uz, diu ander in, naht unde tac; groz wunder ist daz iemen da gehoeret. Sehr eloquent sind hier die Doppelungen; Lauthäufungen, die nicht als prunkender Schmuck aufgesetzt sind, sondern funktionell das wirre Aus und Ein dieses fürstlichen Taubenschlages und zugleich die Erregung der Schelte auszudrücken helfen. 28 In Vers 4 steht zunächst die Verdoppelung des „dringen", dann die drängende Reihung der u und i in der Hebung: „gedrungen unz ich niht me dringen mac", das a von „ m a c " aufgenommen in „schar". Die Dreigliedrigkeit des zweiten Verses im zweiten Stollen bedeutet in "Wirklichkeit eine zweifache Doppelung, da das dritte Glied „naht unde tac" das Spiel dynamischer Antithesen wuchtig zusammendrängt. Das Schema der Hebungsvokale zeigt die Lautwiederholungen: a u a i u a, wobei aber die schwebende Betonung des Schlußglieds eine drängende Wiederholung des a-Vokals fordert, anstatt „naht únde tac" „náht unde tac". Das „unde" klingt weiter zu „wunder" im nächsten Vers. Vers 8 bringt Alliteration des h: „mit stolzen helden sine habe vertuot". Im Schlußterzett mit seiner hyperbolischen Pointe peitschen zornig die Lautbündel hintereinander her: Mir ist sin hohiu fuore kunt: und gulte ein fuoder guotes wines tusent pfunt, da stüende ouch niemer ritters becher laere. 27

28

297,16 ff. Ob nun Wolfram direkt auf diesen Spruch anspielt (was Kraus, U n ters., S. 60 bezweifelt), steht hier nicht zur Diskussion. Vgl. R. Ruck S. 17 f.; sie weist allerdings nur auf einige Wortpaare, nidit auf die Doppelung der Laute hin.

167

Dem dreifachen i folgt doppeltes u: „Mir ist sin hohiu fuore kunt", das im nächsten Vers sofort aufgenommen und weitergeführt wird, verstärkt durch die Alliteration fuore-fuoder: „und gulte ein fuoder guotes wines tusent pfunt". Innerhalb des Verses wirkt die g-Alliteration: gulte-guotes. Der Schlußvers hat nochmals intensive Lautwiederholung: dreimal ü/i-Klänge, zweimal e/ae: da s t ü e n d e ouch niemer ritters becher laere. 2 9

Die Ruhelosigkeit des Fahrenden, wie sie in Strophe 31,23 deutlich wird, vor allem durch die burlesk hingespielten direkten Grußformen und Aussagen, findet ebenfalls eine Parallele in der Lautstruktur. „ S i t w i l l e k o m e n , her w i r t " , d e m g r u o z e m u o z ich s w i g e n : „ S i t w i l l e k o m e n , her g a s t " , so m u o z ich sprechen o d e r nigen.

Abgesehen von dem doppelten Parallelismus der Anreden und des Hilfsverbs ihrer Konsequenz („muoz") spielen Lautverdoppelungen und -häufungen vor allem im ersten Vers. Der i-Vokal steht dreimal in der Hebung, wird außerdem von vorausgehenden Senkungs-i unterstützt. Zweimal, in deklamatorisch herausgewölbten Wörtern, ist dieser Stammvokal mit alliterierendem w-Anlaut verbunden, im dritten Fall („swigen") mit ebenfalls prominentem w. Eine ausdrucksvolle Doppelung auf engem Raum ist die des uo mit folgendem z: „dem gruoze muoz ich swigen". Vers 2 wiederholt, durdi die parallele Anordnung der Sätze, einige Lautmuster, weniger intensiv. „Gast" alliteriert mit „gruoz" in Vers 1.

28

Preis üppiger Freigebigkeit und festlicher Verschwenderfreude, Erinnerung an gliiddidiere Zeiten von einst, findet sich im Spruch 25,26. Auch hier wird die Dynamik der unbesonnenen, spontanen Vitalität in einem Wirbel gehäufter Laute ausgedrückt: „Ob ieman spreche, der nu lebe,/ daz er gesaehe iegroezer gebe,/ als wir ze Wiene haben dur ere enpfangen?" Der zweite Stollen: „Man sadi den jungen fürsten geben, / als er niht lenger wolte leben: / da wart mit guote Wunders vil begangen"; audi im Reim geben-leben zum ersten Stollen zurückklingend. „Man gap da niht bi drizec pfunden, / silber, als ez waere funden, / gap man hin und riche wat." Drängend wirken die direkte Wiederholung von „man gap" und der sehr ähnliche Reim pfunden-funden, außerdem die dreifachen a und i im ersten Vers: „man gap da niht bi drizec pfunden"; das i wird in „silber" noch einmal klingend aufgegriffen. Das letzte Verspaar der Strophe spielt nochmals intensiv mit i und a: „ezn galt da nieman siner alten schulde. / daz was ein minneclidier rat."

168

Verse 3—4: wirt unde heim sint zwene unschameliche namen, gast unde hereberge muoz man sich vil dicke schämen.

In Vers 3 ist auffällig die Erweiterung des Endreims: „unschameliche namen", dem Muster der Hebungsvokale i-a am Versende antwortet Vers 4 mit Anschwellen der i-Komponente: . .

. .

.

unschamelidie namen. . . muoz man sich vil dicke schämen.

„Hereberge" ist durch Alliteration mit dem Gegenmotiv im vorhergehenden Vers verknüpft: „heim". Noch müez ich geieben daz ich den gast ouch grüeze, daz er mir same dem wirte danken müeze . . . ,

müez-grüeze, gast-griieze, same-danken, mir-wirt. „sit hinaht hie, sit morgen dort", waz gougelfuore ist daz! „ich bin heime" ode „idi wil heim" daz troestet baz . . .

Die erregt hingeworfenen direkten Reden mit ihren Begleitworten zeigen wieder dynamische Lautwiederholungen, am stärksten bei der zweifachen Entsprechung von Zeit und Ort in der Bewegung unbehauster Ortlosigkeit: „hinaht hie — morgen dort". Die enge Verknüpfung von Zeit und Ort in dieser Redeformel und Lautgleichung scheint das Gesetz der Heimatlosigkeit nodi unerbittlicher zu machen. Wie dem Heute zwingend ein Morgen folgt, so folgt dem Hier die Fremde. Diese Formel wird von anderen Doppelungen umspielt: „sit h i n a h t . . . sit morgen", und: „waz gougelfuore ist daz". Den Alliterationen in heim, hereberge, hinaht antwortet in Vers 8 doppeltes „heim": „ich bin heime" und „ich wil heim", und in der Fortsetzung des Verses nochmals ein Spiel auf „daz": „waz gougelfuore ist daz", nun: „daz troestet baz". Und schließlich in der burlesken Pointe nochmals virtuoses Lautspiel: gast unde schach kumt selten ane haz. nu büezet mir des gastes, daz iu got des schaches büeze!

Im vorletzten Vers das a dreimal in der Hebung, einmal — „gast" — in starker schwebender Betonung: gast-schach-ane-haz, dreimal in aggressiven Einsilbern. 169

Schließlich der letzte Vers, der drängende Lautverdopplungen besitzt. Die Wiederholung von „büeze" umklammert den Vers, „gastes" und „schaches" sind sich lautlich nahe, burlesk alliterieren „got" und „gast". Dem vierfachen a von Vers 9 antwortet dreifaches im Schlußvers: „ . . . des gastes daz iu got des schaches büeze!" 3 0 Die Zahl der Beispiele für Lautmuster, die den inneren Vorgang direkt und deutlich unterstreichen oder für sich selbst als Musik Ausdruckswert besitzen, ließe sich noch beliebig vergrößern. U m zu zeigen, wie eine plastische Sprache genug Fassungskraft besitzt, um tektonische oder rein klangliche Lauteffekte zu „absorbieren", die immer wieder seltsam faszinierende Brücke vom Begriff zur Musik zu schlagen, den Begriff und die Musik in die ruhig bewegte Gestalt eingehen zu lassen — um dies zu zeigen, waren der Beispiele jedoch mehr als genug. Die entgegengesetzte Tendenz, die durch alle ihre Bestandteile zu einer Diskrepanz von Geometrie und Sinnlichkeit, Begriff und Musik führt, müssen wir im Auge behalten, wenn wir das ganz andere Wesen dieser Kunst der Synthese voll erfassen wollen.

IV. Metren Bei der Analyse der Satzführung wurde deutlich, wie in vielen Strophen Walthers die Begegnung von Sprache und Metrum diese Partner zu gegenseitigem plastischem Formen führt. Unser letztes Kapitel des Waltherteils will zeigen, wie in gewissen Fällen vor aller 30

Die Totenklage auf den Bisdiof Engelbert von Köln (85,9) mit ihrer Verdammung des Mörders ist ein weiteres Beispiel für stürmisch bewegte Wellen der Laute: „Swes leben idi lobe, des tot den wil idi iemer klagen: / so we im der den werden fürsten habe erslagen / von Kölne! owe des daz in diu erde mac getragen! / Ine kan im nach siner schulde keine marter vinden: / im waere alze senfte ein eichin wit umb sinen kragen. / In wil sin ouch niht brennen noch zerliden noch sdiinden / noch mit dem rade zerbrechen noch ouch dar uf binden, / ich warte allez ob diu helle in lebende welle slinden." Im letzten Vers, der aus der schmerzerfüllten Folterwut der vorausgehenden in unheimlicher Totalität heraustritt, weht, nicht zuletzt durch seine unerbittliche Lautfolge, etwas von der klirrenden Eisigkeit und drohenden Glut des steinernen Gasts und der sidi öffnenden Hölle. Außer den dominierenden 1 hämmern nodi andere Laute: „idi warte allez", dem in Steigerung drei e-Laute antworten: „ob diu helle in lebende welle slinden", mit dem die Schlußpointe herauswölbenden Binnenreim helle-welle.

170

sprachlichen Erfüllung im Metrum selbst durch Bewahren und Überlagern der beteiligten Bauelemente jenes Oszillieren zustande kommt, das die Strophe dann offen macht f ü r die Energien der Sprache, wie das Gehäuse nicht starr den eigenwilligen Vorgang der Sprache hindert. Diese Überlagerungsmuster 1 kommen besonders deutlich im Verhältnis zwischen Aufgesang und Abgesang zum Ausdruck. Ein mehrstrophiges Lied oder ein aus gleich gebauten Einzelsprüchen bestehender Zyklus wird, wenn wir von gehaltlichen und anderen tektonischen Bezügen absehen, zur Einheit geformt durch den Nenner des für jede Strophe gleichen Metrums. Die Bedeutung dieses klar festgelegten, aus der Überlieferung oft mühevoll rekonstruierten metrischen Gefäßes darf nicht gering geachtet werden. Dennoch würde man den Generalnenner überbewerten, empfände man die Individualität der Einzelstrophe nur als generelles Gefäß mit individueller Füllung. Audi der metrische Bau selbst, vor aller Füllung, vermag in seinen Kohärenzen so schwebend vieldeutig zu sein, daß jede Strophe sich wieder anders öffnen kann für innere Gruppierungen. Denn das Metrum eines Tons oder Lieds hat zwei wesentliche Funktionen: die eine, durch die gleiche gebundene Form verschiedene Strophen zusammenzuschließen, die andere, für die Einzelstrophe, der sich der Erlebende jeweils zuwendet, Gefäß und kunstvolles Baugesetz zu sein. N u r in der Begegnung mit der einzelnen Strophe kommt die architektonische Schönheit des Metrums voll zur 1

Andere Bereiche metrischen Studiums, wie etwa Entstehungsfragen, Beeinflussung, Entwicklung und Kategorisierung, werden ausgeklammert. Strophentypen und -familien als Addition von Einzelversen untersucht Heuslers Versgeschichte, eine Methode, die die Strophe jedoch zu sehr vom Einzelvers her begreift. Hugo Kuhn, Minnesangs Wende, Hermaea, Germ. Forschungen, N . F. 1, Tübingen 1952 betreibt allerdings Klassifizierung nicht als Selbstzweck, sondern als Grundlage subtiler strophenrhythmischer Studien. Beide Werke untersuchen metrische Einflüsse. Auf Grund der Taktzahlenverhältnisse in Zeilen und Strophen kategorisiert Karl-Heinz Schirmer, Die Strophik Walthers von der Vogelweide, Halle 1956, und: Zum Aufbau des hochmittelalterlichen deutschen Strophenlieds, Deutschunterr. 11 (1959), H. 2, S. 35—59. Auftaktregelung hat in Maurer einen konsequenten Verfechter. Auf Formentwicklung der Strophik eines Dichters ging schon Plenio ein (PBB 42, 1917, S. 436 f. und Anm. 3), referierend WilmannsMichels S. 130 f. und Maurer, Polit. Lieder, S. 129. Plenio unterscheidet bei Walther eine frühere Gruppe, die nur Vierer und Sechser, von einer späteren, die auch längere Verse benutzt; dazu kritisch Maurer a. a. O. S. 129 f. wie auch zu der interessanten Theorie von Hatto, Walther von der Vogelweide's Ottoman Poems, Speculum 24 (1949), S. 542 ff., der meint, die Töne, die sich an Könige richten, würden vielzellig und aus vielhebigen Zeilen gebaut, Fürstentöne dagegen aus Vierern oder höchstens Sechsern.

171

Entfaltung; der Überblick über das ganze Lied erinnert und erwartet vor allem die Identität des Metrums und stellt das Erleben des metrischen Zusammenspiels innerhalb der Strophe zurück. Dieses Zusammenspiel ist freilich auch in der Einzelstrophe eine Folge klar umrissener Teile und Gruppen, daneben aber bieten sich die Teile in immer wieder anderem Oszillieren, jeder fest er selbst und doch offen für manche schwebende Verbindung. Diesem grundsätzlich doppeldeutigen Wesen eines Metrums sollte man beim Interpretieren von strophischer Dichtung ebenso bewußt Rechnung tragen, wie man beides beim Erleben unbewußt in sich aufnimmt: Vom Ganzen des Lieds oder des Zyklus her gesehen wirkt das Metrum einigend und kehrt daher seine Eindeutigkeit hervor; von der Einzelstrophe her gesehen hat es keine Identität zu betonen, da kann dasselbe Metrum seine Vieldeutigkeit entfalten. Wenn fünf gleiche Dome nebeneinander stünden, so erlebten wir die fünf als Reihe vorwiegend in ihrer Gleichheit (selbst wenn wir die Formen vorher analysierten, um uns der Gleichheit zu vergewissern). Beim Betrachten des einzelnen jedoch werden die Baugesetze offen für das Spiel der Kohärenzen, die starre Identität gibt schwebender Gruppierung Raum. Diese Vieldeutigkeit ist nicht nur nachträgliches impressionistisches Umspielen eines festen Gesetzes, sondern eine Eigenart vieler Strukturen selbst. Es ist daher richtig, beim Uberblicken des Ganzen bloß die eindeutigen Bauformen im Auge zu behalten, bei der Betrachtung des Einzelnen sollte, gerade bei der Interpretation Waltherscher Metren, diese Starre weichen. So wird Maurer in seiner Ausgabe wie in seinem Buch über die „politischen Lieder" im Bemühen, die Einzelstrophen radikal dem Schema anzupassen und die Gruppierung innerhalb der Strophen, durch Heranziehen der Fugung und Satzführung, einer starren Gleichheit zu unterwerfen, 2 dem eigenartigen 2

Maurer, Polit. Lieder, S. 10 ff. geht von der Prämisse fast eindeutiger Regelmäßigkeit der Auftaktverhältnisse einer Strophe innerhalb des Tones aus. Walthers Verwendung der Fugung und der sprachlich-gedanklichen Gliederung als Kunstmittel bestärkt ihn in dieser Überzeugung. Wenn regelmäßige Satzführung und Fugung in den meisten Strophen eines Tons ein Metrum vorschlagen, so emendiert Maurers Ausgabe weitgehend audi an den anderen Stellen. C. von Kraus wird für seine Zurückhaltung in der Auftaktregelung kritisiert, obwohl andererseits Roethes radikale Regelung des Wiener Hoftons ( Z f d A 57, S. 130 ff.) zu weit gehe. S. 11: „ . . . man wird Walther zutrauen dürfen, ja müssen, daß er da, wo die Fugung der Zeilen und die metrische Gliederung der Strophen die Gedankenführung unterstreicht und mit dem Sprachlich-syntaktischen zusammenklingt, diese Fugung und diese Gliederung auch wirklich gewollt und erstrebt

172

Wesen der Strophe ebensowenig gerecht wie Vertreter des anderen Extrems, die, moderne Diditung weit eher als mittelalterliche damit kennzeichnend, den Strophenvorgang nur als innere Dynamik der Sprache, der Rhythmen und der Laute sehen wollen. 3 So nehmen wir bei Walthers „Bogener-Ton" die verschiedenen Interpretationen des Strophenbaus nicht als Anzeichen dafür, daß manche Interpreten sich irren und nur einer recht hat. 4 Zweifellos gibt Maurer das Metrum, das für das Ganze des Tons bestimmend ist, das auch wohl von Walther als „das Metrum" intendiert war, aber innerhalb der Einzelstrophen kommen andere Gliederungsmöglichkeiten, wie ζ. B. die Heuslersche, ebenfalls ins Spiel. Das metrische Schema dieses nicht-stolligen Tons sieht so aus: A 4 mv a A 4 mv a A 6 wk b 6 wkb 6 st

c

A 4 wv d 4 wv d A 4 mv c5

3

4

5

h a t . . . " . Dem stimmen wir zu, nur ist die Auffassung gekoppelt mit der Prämisse durchgängiger bewußter Eindeutigkeit. Wenn eindeutige Fugung und Satzführung in vielen Fällen künstlerisch relevant sind, so berechtigt das noch nicht zum Schluß auf ihre Relevanz in jeder Strophe. Es gibt nicht nur die Extreme: Gleichgültigkeit der Fugung und der gegliederten Satzführung gegenüber und andererseits radikale Forderung der Identität. Zu weit in dem für Walther an sich richtigen Gedanken der prästabilierten Harmonie von Metrum, Rhythmus und Gehalt geht, trotz schöner Einzelbeobachtungen, L. Wolff, Von der lyrischen Bedeutung der Strophenform bei Walther. Maurer referiert die Interpretationen kritisch (Polit. Lieder, S. 96). Michels (Wilmanns-Michels II, S. 293) erinnert an die „gespaltene Weise" des König-Friedrichs-Tons und des Kaiser-Friedrichs-Tons. Heusler bringt § 790 unter unstolligen Tönen mit drei Sechstaktern noch ein paar „rhythmisch mehrdeutige" (er meint aber nicht „mehrdeutig", sondern „nicht eindeutig bestimmbar", denn er gibt eine „eindeutige" Interpretation: 4 mv a / 4 mv a / / 6 wk b / 6 wk b / 6 st c / / 4 wv d / 4 wv d / 4 mv c. Vgl. auch Plenio PBB 42, S. 475. Maurer verwirft diese Interpretationen unter Hinweis auf die gedanklich-syntaktische Gliederung der Engelstrophen. Manche Strophen des Tons fügen sich nicht klar ein, lassen sich aber emendieren; einige Strophen widersprechen der vorgeschlagenen Gliederung, so die von Kraus der Uneditheit verdächtigten 81,31 und 82,3, weiterhin 79,25 und 79,33, alle entsprächen der Gliederung 2 + 2 + 4. Maurer führt sie in seiner Ausgabe unter den Unechten auf. Ich gebe das Schema im Gegensatz zu Maurers gegliederter Anordnung absichtlich neutral durchlaufend. Maurer setzt den Schluß vers noch weiter ab (S. 97).

173

D u r d i die Satzführung in den meisten Strophen eindeutig unterstützt, ergibt sich als Hauptgliederung die Dreiteilung 3 + 2 + 3. Diese Gliederung beruht auf der Parallelschaltung von Satzführung und metrischem Grundschema, die Walther im großen und ganzen einhält. Dennoch verstößt diese Forderung nach Eindeutigkeit gegen das Freiheit schenkende Gesetz der Uberlagerung. Das durch die Sprache noch nicht festgelegte M e t r u m enthält eine andere Gliederungsmöglichkeit, v o m reinen M e t r u m her näher liegend, Zweiteiligkeit und Vierteiligkeit unterstreichend: ( 2 + 2) + 4 . Diese Gliederung wird v o r allem v o m Reimschema getragen (a a b b / c d d c), aber auch v o n der Kadenzenanordnung, die m i t Ausnahme der u m a r m e n den Verse (5 und 8) dem Reimschema folgt, 6 und in der ersten Strophenhälfte von den Vçrslângen ( 4 — 4 , 6 — 6 . . . ) . Die Gruppierungen nach Verslängen innerhalb der Gesamtstrophe überspielen beide anderen Gliederungen und bilden eine dritte, die Heuslersche: 2 + 3 + 3. Alle diese Gliederungsprinzipien sind wirksam im Gewebe des Metrums. U n d wenn nun das metrisch dominierende, das Zweier- bzw. Viererschema, einem Satzbau begegnet, der das Dreierschema unterstützt (3 + 2 + 3), so reicht es nicht hin zu sagen, dies letztere sei das einzig richtige M e t r u m . Vielmehr macht das Spiel der Überlagerungen der Zweier- und Dreierelemente, das nun, über die metrische „Immanenz" hinausgehend, auch in der Begegnung m i t der Sprache stattfindet, den R e i z des Strophenvorgangs aus. Ü b e r diese Schicht der Begegnung der Sprache mit der Strophengeometrie lagert sich zum Beispiel in der ersten Strophe die regelmäßig verlaufende syntaktische Lockerung v o m Satzbogen des Anfangs bis z u m in H a u p t - und Nebensatz aufgelösten Schlußvers. Die Fugung unterstützt, wie Maurer zeigt, vorwiegend seine Dreiteilung. Jedoch die anaphorische Klammer am Strophenbeginn und am Strophenende z . B . : der anegenge nie gewan und anegenge machen kan und sin lop get vor allem prise. daz lop ist saelic, des er gert b e t o n t in dieser Strophe die Verspaare. Bei tiefergehender Interβ

Hinsichtlich der Sprachqualität sind ja männliche und stumpfe Kadenzen gleich, der Unterschied liegt in der Quantität, in der verschiedenen Erfüllung der metrischen Zeit.

174

pretation ließe sich das Spiel der Überlagerungen anderer Elemente, jene metrischen Grenzen nachvollziehend oder verwischend, noch weiter verfolgen. Dies Spiel sagt nichts über das „richtige" Metrum, es sagt aber Wesentliches über das wirkliche. Auch in Strophen, in denen die metrische Gestalt nicht umstritten ist, spielen in verschiedenen Kohärenzen die Bauelemente. Betrachten wir eines der schönsten Beispiele, das Lied 51,13: „Muget ir schouwen." 7 Wir verdeutlichen zunächst das Offensichtliche. Das Metrum ist einfach: es weist stolligen Bau auf, zwei Verspaare mit alternierenden Reimen und alternierenden weiblich-vollen und stumpfen Kadenzen bilden die beiden Stollen, der Abgesang ist ebenfalls vierzeilig, mit umarmendem Reim, dessen stumpfe Kadenzen das mittlere Reimpaar und seine weiblich-vollen Kadenzen flankieren. Alle Verse sind auftaktlos, das bedeutet Synaphie jeweils zwischen den weiblich-vollen Kadenzen und dem folgenden Vers, also zwischen den Versen 1 und 2, 3 und 4, dann 6, 7 und 8. 4 wv a 4 st b 4 wv a 4 st b 4 4 4 4

st wv wv st

c d d

c

Die Eintönigkeit der Viertakterstrophen und der durchgängigen Auftaktlosigkeit wird durch das Kadenzenspiel, das Binden und Trennen der Synaphien, den Wechsel von Reimalternation zu umarmendem Reim aufgelockert, wobei aber wieder das Kadenzen7

Zum Verhältnis dieses Lieds zu zwei lateinischen der Carmina Burana (114 und 131) vgl. Kraus, Unters., S. 183 ff. Beide Lieder haben dasselbe Metrum wie 51,13; dazu noch an manchen Stellen endreimerweiternde Zäsurreime. Kraus zeigt, daß Walther hier der Nachahmer gewesen sein muß, denn der Weg führt von der raffinierten Form zu der „behelfsmäßigen" Nachahmung und nicht umgekehrt. Gegen Kraus' Darlegungen Brinkmann, PBB 63, S. 366 f. - Plenio, PBB 42, S. 487 erwähnt, die Strophe sei innerhalb Walthers Strophik ein „Fremdkörper", da alle Stollenperioden bei Walther mindestens adit, diese aber nur sieben sprachlich ausgefüllte Takte hätten. Dies besagt wenig, wenn man nicht metrische Statistik treibt; die rhythmische Erfüllung ist ganz Waltherisdi. Walther imitiert nur, was seinem Ausdruckswillen entspricht. Der fehlende Takt wiegt im Negativen nicht so schwer wie die sonstige Ähnlichkeit mit anderen Walthergedichten in der inneren Form.

175

schema dem Reimschema folgt ( a b a b / c d d c ; wv st wv st / st wv wv st) und der Veränderung ein Element der Entsprechung entgegensetzt. Wie bei allen Metren spielen ineinander: Durchgängiges, die Einheit der Strophe Betonendes, dann Gruppenbildendes, ferner Variation, hier vor allem im Gegeneinander von Aufgesang und Abgesang, schließlich Parallelität der Variation, indem verschiedene Schichten dieselbe Variation mitmachen. Die durchgängige Stropheneinheit wird betont durch die Viertaktigkeit und regelmäßige Auftaktlosigkeit, Gruppen bilden die Verspaare, deren Alternation in den Reimen und den Kadenzen erfolgt, gruppenbildend wirkt audi die Variation dieser Gruppen im Abgesang. Die Variation wird von Reimen und Kadenzen parallel durchgeführt. Zweizahl und Vierzahl dominieren. Zwei Vierergruppen bilden die Strophe, sie besteht ganz aus Viertaktern, vier verschiedene Reime erscheinen, jeder doppelt, in zwei Alternationspaaren und einem Umarmen eines Paars, zwei verschiedene Kadenzarten sind parallel zum Reimschema angeordnet und sind zahlenmäßig gleich, doch in verschiedener Reihenfolge, auf die beiden Strophenhälften verteilt. Der Nachdruck, der auf der Zweizahl liegt, unterstreicht auch die Symmetrie der Strophe im ganzen. Ihr überlagert sich die Variation, die nicht willkürlich extrem, sondern ein gebändigtes Spiel der Veränderung ist. Diese Variation innerhalb der Entsprechung 8 ist das ausdrucksvollste Element des durch das Metrum getragenen Anteils am Strophenrhythmus: der Übergang von den alternierenden zu den umarmenden Reimen und Kadenzen. Der Ausgleich der gegenläufigen Elemente, vor allem zwischen der statischen Achse von Identitäten und der Dynamik der Variationen, hier auch im Spiel von Zweizahl und Vierzahl und im Zusammenklang von Wiederholung und maßvoller, das Identische nicht zerstörender Umstellung, gehören zu den „klassischen" Eigenschaften dieser schlanken, elastischen Architektur. Die Kehre der Alternation zu umarmendem Reim und, bedeutsamer für den Rhythmus, von alternierenden zu umarmenden Ka8

Der Ausdruck „Spiegelstollen" bei W. Fischer, Der stollige Strophenbau im Minnesang, Göttingen 1932 — vgl. Wolff S. 352 — weist in die Richtung dieses Gedankens. Vgl. auch Halbach, Walther (Sammig. Metzler), S. 34, der die Umkehrung des Stollens zu Beginn des Abgesangs und die Variation durch den Reim erwähnt, aber auf Überlagerungen nicht eingeht (auch nicht in den S. 34 ff. angeführten Beispielen metrischer Variation in einigen Strophensippen der Lieddichtung und in den allgemeinen Charakteristiken der rhythmischen Ausdruckskraft der Spruchtöne).

176

denzen, bringt mit sich die Verdoppelung der stumpfen Kadenz in der Strophenmitte: wv st

wv

wv wv st und damit die Zauberformel für den ganzen Strophenrhythmus. Nach der eingeschwungenen Alternation wirkt dieses verdoppelnde Aufgreifen der Schlußzeile des Aufgesangs ungemein musikalisch und tänzerisch (man kann sich das außerhalb der schönen Sprache deutlich machen, indem man durch Klopfen nur das Metrum skandiert): Es ist, wie wenn ein Ballettrock in der Drehung wirbelt, zur Ruhe k o m m t und in völlig gleicher Gegendrehung wieder fliegend sich ausbreitet. Durch diesen starken Gleidiklang der stumpfen Zeilen fügen sich Verse 4 und 5, über die Aufgesangsgrenze und Asynaphie hinweg, zum Paar, oder besser zum Zweiklang von Ruf und Edio, und dieses Echopaar überlagert sich kraftvoll der symmetrischen Gliederung. Es ist dies keine feste metrische Bauform, sondern eine Gliederungsnuance, eine Kohärenz, die im Strophenvorgang sdiwebend entsteht und sich der vorgegebenen Strophengeometrie überlagert. Vers 4 ist Schlußvers des Verspaares und des Stollens und zugleich das erste Glied des Echopaars. 9 Der Sprung von einem weiblich-vollen zu einem folgenden reduzierten, stumpfen Vers ist ein anderer rhythmischer Vorgang als die Umkehrung. 1 0 Diese metrische Einheit: XX

I X X I X X I X XI

XX

I X X I X

• Kuhn in seiner Interpretation dieses Lieds in: Wege zum Gedicht, S. 57: „Zweimal die anschwingende und wieder absetzende Periode (Aufgesang), dann als Drehpunkt ihre Schlußzeile wiederholt, der, mit doppeltem Anschwingen, nochmals die Periode wie eine Pointe folgt (Abgesang)." 1 0 Vgl. zum Rhythmus von langer und kurzer Zeile und deren Umkehrung audi Herman Meyer, Vom Leben der Strophe in neuerer deutscher Lyrik, D V j S 25 (1951), S. 436—473, hier S. 452. Die Abhandlung jetzt audi in Meyers Aufsatzsammlung „Zarte Empirie. Studien zur Literaturgeschichte", Stuttgart 1963, S. 113—159.

177 12

S d i a e f e r , W a l t h e r v o n der V o g e l w e i d e

bildet leicht ein rhythmisch zusammenhängendes Verspaar, nicht aber das Spiegelbild: XXIXXIX XX I XX I XX I XX I, schon auch wegen der Synaphie im einen, der Asynaphie im andern Fall. So sind die Gruppen 3/4 und 5/6 zwar spiegelbildlich, aber nur metrisch, nidit rhythmisch. Daher tritt Vers 5 als Echo zu Vers 4, von dem er durch Asynaphie genügend getrennt ist, um eben Echopartner und nicht Teil eines gebundenen Verspaares zu sein, während die Verse 6—8 sich zu einer Dreiergruppe zusammenschließen. Diese Dreiergruppe, nach der abgerückten Einzelzeile 5 neu einsetzend, ist rhythmisch ebenfalls sehr bedeutsam. Sie nimmt den Strophenbeginn wieder auf, dessen erstes Element spielerisch verdoppelnd: wv st, nun wv wv st, entsprechend der Verdoppelung, die der zweite Stollen durch Vers 5 erfahren hatte: wv st st, nun wv wv st. Die Satzführung hat die rhythmische Funktion des Verses 5 in allen sechs Strophen unterstrichen und ihn nirgends syntaktisch an das Folgende angebunden, in jedem Fall ist er ein Satz für sich („Groz ist sin gewalt." „We wer waere unfro?" „Diu hat varwe me." „Ist daz wol getan?" „Wa nemt ir den muot?" „daz ir saelic sit!"). Maurer drückt diese Funktion auch durch die Großschreibung der Zeile und der folgenden aus. (Diese automatisch aus der metrischen Anlage sich ergebende Sonderstellung des Verses als vordergründig-eindeutiges Gliederungsprinzip aufzufassen, hieße jedoch das Metrum allzu starr handhaben; der vierzeilige Abgesang verwirklicht sich ebenso geschlossen.) So überlagert sich der „offiziellen" und in der inneren Form des Gedichts vorherrschenden Zwei- und Vierteilung die rhythmisch wirksame Dreiteilung (1—4, 4—5, 6—8), oder: 1—2, 3—5, 6—8. Das Dreierelement ist gegenwärtig (außer in der stolligen Dreiteilung) in der dreimaligen Wiederholung des einen Grundelements wv st (1—2, 3—4, 7—8), dann in der Schweifreimgruppe 6—8 und dem erweiterten Stollen 3—5. (Eine Gruppe 1—3 kommt nicht zustande, da im Gegensatz zu dem von seiner Versgruppe rhythmisch abgetrennten Vers 5 der Vers 4 stets eng an seine Vierergruppe gebunden bleibt.) Das paarige Element wird betont in den Stollen, dann in den Versen 4—5 und 7—8, überschneidet also mit diesen beiden letzten Gruppen ebenfalls die dominante Strophengeometrie. 178

Das Aufzeigen dieser Gliederungen ist keine arithmetische Spielerei, sondern Feststellung des den Rhythmus bestimmenden Sachverhalts. Jedermann hört die musikalische, schwerelose Eleganz dieses Metrums. Er muß sich aber auch über die Gründe für diesen Eindruck im klaren sein. Sie liegen in eben diesen Überlagerungen, variierenden Wiederholungen und Umkehrungen, dem Entstehen und Zerfließen von Gruppen und Grenzen. Die Bedeutung der Verdoppelung des stumpfen Verses im Stropheninnern für die tänzerische Kehre des Rhythmus, die Variation der Kadenzenanordnung und somit auch der Fugung wird noch eindrücklicher, wenn wir eine Strophe mit völlig gleicher Reimanordnung dagegenhalten, in der aber außer dieser Reimvariation die linear durchgängigen Elemente gegenüber der Differenzierung stark betont sind. Es ist dies der „Kurze T o n " Frauenlobs, typisch für die starre Monotonie vieler nachklassischer Strophen: Ein bere Etna genennet wirt durchliuhtec unde flammen ridi. In krefteclichiu gluot verbirt, unt brinnt niht wan in seiden tich. Dem berge gelidie ich einen man, der haz in sinem herzen treit: da von er selbe trinket leit unt vürbaz schaden niht enkan. 11 Walther: 4 4 4 4

wv st wv st

a b a b

4 4 4 4

st wv wv st

c d d c

Frauenlob:

A A A A

4 4 4 4

mv mv mv mv

a b a b

A A A A

4 4 4 4

mv mv mv mv

c d d c

Vieles ist gleich: die Verszahl, die durchgehende Viertaktigkeit, das Versverhältnis Stollen:Stollen:Abgesang 2:2:4, die Reimanordnung, ferner das lineare Moment der durchgängigen Auftaktigkeit im einen, Auftaktlosigkeit im andern Falle. Der einzige, jedoch entscheidende Unterschied liegt bei den Kadenzen und daher auch den Fugungen. Neben Walthers „ausgewogenem" Metrum, in dem 11

Ettmüller 203. 179

12'

Gleichheit und Variation einander die Waage halten, dringt in Frauenlobs „glattem", starrem Metrum die Linearität des Identischen stark in den Vordergrund. Neben den genannten Identitäten sind auch die Kadenzenlinie und die Fugung durchgängig, es entsteht daher glatter metrischer Fluß. Auch 39,11: „Under der linden" hat eine schwebende Kehre zu Beginn des Abgesangs. Das echoartige Wiederaufgreifen betrifft hier allerdings keine stumpfe, sondern eine männlich-volle Kadenz, aber derselbe Wechsel von alternierenden zu gepaarten Reimen und Kadenzen findet statt. Wir lesen den Aufgesang mit Maurer als durchgehende Viertakter mit Binnenreim in den Versen 1 und 3: 12 A 4 wv a A 4 mv b A 4 wv a A 4 mv b I 4 st

w

4 mv c 12

Wir schließen uns Maurers metrischer Fassung an (Die Liebeslieder, 2. Aufl. Tübingen 1962, N r . 68). Gewöhnlich werden sonst Maurers erste Stollenverse in zwei Kurzverse aufgelöst, mit drei- bzw. viertaktiger Rhythmisierung. Hier muß man sich freilich für den einen oder den anderen Rhythmus entscheiden, da es sich bei den verschiedenen Deutungen nicht um sich überlagernde Gliederungsprinzipien, sondern um völlig verschiedene Sprachrhythmen handelt. Wir sind uns der Problematik der Maurerschen Lesung bewußt. Kraus (Unters., S. 131) wird durch Paul (PBB 8, S. 198), Wilmanns und Heusler (§ 711) gestützt. Klingende Lesung: „ùndèr der lindèn" in den umstrittenen ersten beiden Stollen versen, so Michels S. 176 f. und neuerdings Fr. Neumann in: Die deutsche Lyrik I, S. 72, wird abgelehnt; Kraus etc. lesen weiblich-voll, um Fugung zwischen 1/2 und 4/5 zu erhalten: „ùndèr der linden". Maurer nimmt den Saranschen Vorschlag der Zweitaktigkeit des Kurzverses (Verslehre S. 288 f.) wieder auf. Das macht, wenn man die ersten Stollenverse auftaktig liest, Schwierigkeiten in II, 3 (nach Maurers Lesung), ferner in I I I und IV, jeweils Versen 1 und 3. Kraus meint, bei all diesen Versen seien aufgrund dieses Sprachmaterials „drei Takte mit fallendem Rhythmus gesichert". N u n ist in den ersten drei Fällen, „enpfangen", „gemachet" und „gelachet", die überzählige proclitische Silbe unbetontes „ e " und kann leicht synkopiert werden. Maurer hat das bei „g(e)machet" angedeutet, in III, 3 hat er „noch", das in Lachmann-Kraus und Wilmanns-Michels den Handschriften entsprechend gegeben ist, allerdings stillschweigend verschwinden lassen. Die entsprechenden Fälle in Strophe IV „ d a z er" und „wes er" haben hier enclitisches, unbetontes „ e " und lassen sich als zweisilbiger Auftakt oder mit Krasis einsilbig lesen. All das ist in frühhöfischer Lyrik möglich — und sollte dieses archaisierende Lied, das sogar im „friedel" ein Wort aus dieser Sphäre gebraucht, nicht auch in leichtem Maße deren freiere Füllung verwenden? (Vgl. auch Saran a. a. O.) Auf jeden Fall sind diese Unebenheiten wahrscheinlicher als

180

Der Wechsel von binnenreimenden und daher zögernden, verweilend voller klingenden Versen (1 und 3) mit den durchfließenden einfachen (2 und 4) unterstreicht die Alternation von Verschiedenem und läßt daher das Echopaar mit gleichen Kadenzen, die Verse 4 und 5, näher zusammenrücken. Der eingeschobene Refrain „tandaradei" trennt und verbindet. E r hält das Verspaar 5 und 7 zögernd auseinander und spannt es dennoch in Erwartung des Reimworts zusammen, es schiebt Vers 5 näher zu seinem Echopartner Vers 4, zieht diesen dabei aber zugleich herein in die schwebend entstehende Gruppe der männlichen Kadenzen, Verse 4—7. 1 3 So überlagern sidi der vordergründigen, dominanten Gliederung 2 + 2 + 3 andere Möglichkeiten: V. 1—4, V. 4 — 7 , wobei die Gruppe 4/5 als Paar zusammenklingt, andererseits aber 5 und 7 mit dem Refrainvers 6. Metrische Uberlagerungen spielen in noch subtilerer, zugleich geometrisch eindeutiger Weise in der Fugung der Strophe. Die zeigt hier höchste Kunst. Fließen und Ruhen werden eins, Grenzen werden leicht überspielt, zwischen Bindungen schiebt sich leichtes Trennen. So wird der Fluß innerhalb der Verspaare 1/2 und 3/4 durch Asynaphie gehemmt, 14 entsprechend dem schönen Spiel von strömendem Bekennen und keuscher Zurückhaltung, die den Liebesvorgang verhüllend enthüllt. Der Nebensatz in I, 2 mit dem korrelativen „da" und dessen verschiedener Betonung und dem Hindrängen zum Hauptsatz wird durch die Anapher geradeso leicht zögernd zurückgehalten wie der seelische und sprachliche Vorgang es will: Under der linden an der heide, da unser zweier bette was, Da mugt ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras.

" 14

die unschönen Konvulsionen und Verzerrungen des zerdehnten Rhythmus. Die Musik kann zerdehnen, aber es fügt sich dann unter der Melodie der Sprachkörper nadi den Möglichkeiten seines eigenen Sprachrhythmus. Hier wieder im Hinblick auf die Spradiqualität männlich gleich stumpf. Wenig überzeugend ist Sdiirmers Versudi (Zum Aufbau des hochmittelalterlidien deutschen Strophenlieds, Deutschunterr. 11, 1959, H. 2, S. 35—59, hier S. 51 f.), durch Annahme von Daktylen am Anfang und Ende der ersten Stollenverse (der Enddaktylus schließe den Auftakt des zweiten Stollenverses ein : „ . . . heide / der . . . " χ χ x ) innerhalb des ganzen Aufgesanges durchlaufende Synaphie zu erzielen. Mit diesen entgegengesetzten Mitteln (normale Synaphie beizubehalten und klarste Asynaphie durch Daktylen in Synaphie zu überführen) kann man bei jeder durdi weiblich-volle Kadenz und folgenden Auftakt entstehenden Asynaphie Einheitlichkeit erreichen.

181

Dem Hindrängen auf den Hauptsatz folgend, überspielt jedoch Synaphie (2/3) die Grenze zwischen den Verspaaren, 15 während das starke, das Verspaar betonende Enjambement zwischen den Versen 3 und 4 durch die Asynaphie leise hingehalten wird. Alle weiteren Verse sind durch Asynaphie voneinander abgesetzt und bilden somit ihre Gruppen über diese gleichmäßige Trennung hinweg. Im „Leopoldston" finden wir weitere Uberlagerungsmuster. Das metrische Schema sieht hier so aus: A 4 mv a A 4 mv a A 6 wkb A 4 mv c A 4 mv c A 6 wk b I A 6 wk d I A 6 wk d A 8 st e A A A A

6 wk f 6 wk f 8 st e 8 st e l e

Der Grundbaustein ist das Terzett von der Form χ χ y. Die viermalige Reihung dieses Elements, zweimal im Aufgesang, zweimal im Abgesang, trägt zum Parallelbau von Aufgesang und Abgesang bei. Auch die Schweifreimbindung ist bei den Terzetten des Aufgesangs und Abgesangs gleich. Diesem vereinheitlichenden Prinzip überlagert sich als Veränderung die stetige Weitung der Strophe. In strenger Klarheit spielen Identität und Veränderung ineinander, beide sich bewahrend und doch gegenseitig einander durchdringend; die Identitäten sind nicht starr, die Veränderungen nicht grell. Die Weitung beginnt im Terzett, das im dritten Vers jeweils um zwei Takte an15

18

Audi in den anderen Strophen ist der zweite Stollen mit dem ersten verknüpft, diese Synaphie unterstreichend: in II durch die Parallele „do-da", in III durdi die genitivische Anknüpfung mit dem demonstrativen „des", in I V durch die Parallele „daz er bi mir laege" — „wes er mit mir pflaege". Maurer, Polit. Lieder, S. 53 f. setzt in der Schreibung die Sdilußzeile noch besonders ab.

182

wächst. Sie wirkt aber vor allem im Widereinander von Aufgesang und Abgesang. Hier werden die Vier- zu Sechstaktern, die Sechs- zu Achttaktern. Außerdem wird das Sdilußterzett zum Quartett erweitert, der einzelne Schweifreim zum Paar verdoppelt. Neben der Weitung kommt als Variation die Umkehrung der Kadenzenanordnung im Abgesang ins Spiel. Der Aufgesang ordnet die Kadenzen m m kl, der Abgesang umgekehrt kl kl m. Das bedeutet wiederum echoartiges Aufnehmen des letzten Aufgesangsverses als ersten des Abgesangs. Dieses Wiederaufnehmen des gleichlangen Verses mit gleicher weiblich-klingender Kadenz überspielt die Grenze zwischen Aufgesang und Abgesang, die Dreiergruppe der klingenden Sechstakter (Verse 6—8) überlagert sich der dominanten Gliederung. Am Strophenende fluktuieren Terzett und Reimpaargruppen. Durch den dreimaligen Vorgang sind die Terzette eingesdiwungen, man erwartet also auch hier Terzett, aber das Schlußelement wird weitend wiederholt, so daß das Ganze zwischen Terzett mit Schlußecho und doppeltem Reimpaar spielt. Immer wieder sehen wir, wie, vor allem im Verhältnis von Aufgesang und Abgesang, vereinheitlichende Achse und Variationen in maßvoll ausgewogener Identität wirksam sind und wie die Veränderungen zwischen Aufgesang und Abgesang in gegenläufigem Spiel sich die Waage halten. 17 In unserer Strophe steht dem durchgängigen Terzettmuster die Weitung gegenüber. Eine Umkehrung davon ist ζ. B. der „Erste Atzeton". 1 8 Hier wirkt vereinheitlichend die durchgehende Viertaktigkeit, dagegen ist das Reim- und Kadenzschema im Abgesang ganz anders als im Aufgesang. Die acht Aufgesangsverse haben ein a b e d — a b c d — Reimmuster, das die Vierzahl betont, ein m kl m kl-Kadenzschema, das Zweiergruppen unterstützt. Dem schlanken Wechsel und der Alternation im Aufgesang stehen im Abgesang Reim- und Kadenzenblöcke entgegen: e e e f — g g g f und parallel kl kl kl st — kl kl kl st. Das „Andere" des Abgesangs ist 17

18

Ein Beispiel für das rhythmische Verhältnis von Aufgesang und Abgesang bei einem Waltherlied gibt H. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 60. Es wird aber hier nur vom Nebeneinander von Variation und Angliederung gesprochen, die Ausgewogenheit von Angliederung und Differenzierung vieler Metren wird dadurch nicht berührt. An Hand der Strophik Neifens wird allerdings sehr tiefgehend das Wesen metrischer Monotonie im Gegensatz zur (nur angedeuteten) Ausgewogenheit bei anderen Dichtern erörtert. Wir beziehen uns nachdrücklich auf die Andeutungen dieser Darstellung. Maurer S. 4 1 .

183

nicht willkürlich verschieden, sondern diametral entgegengesetzt und daher „bezogen", völlige Ballung neben klarstem Wechsel, diese Verschiedenheit aber überlagernd angegliedert durch völlige Gleichheit der Verslängen. Betrachten wir dies Verhältnis von Aufgesang und Abgesang in den übrigen stolligen Spruchtönen Walthers. 19 Im „Ersten Philippston" findet sich, rein im Metrischen, noch wenig Differenzierendes.20 Seinem Reimschema a a b / c c b // d d e / f f e entspricht das Kadenzenschema m m k l / m m k l / / m m k l / m m kl, also im Aufgesang wie im Abgesang dieselbe Art der Terzette mit derselben Kadenzenabfolge. Aber die Verslänge differenziert den 19

Der „Reidiston" scheidet aus, da er „sprachmetrisch" nicht stollig ist und die durchgehende Gleichtönigkeit der klingend und voll alternierenden Reim- und Kadenzenpaare das Metrum an sich weder monoton nodi reich macht: audi ein Versepos ist nodi nicht monoton durch die metrische Gleichtönigkeit seiner Verse — dieses „unverbindliche", besdieidene Metrum überläßt sich ganz dem Geformtwerden durch die Sprache. Die Melodie allerdings könnte den Ton eindeutig, etwa stollig, gliedern, während spradimetrisdi die episdie Reihung fast die Grenzen des als Strophe Umgreifbaren sprengt (im Gegensatz zu Frauenlobs Strophen, die metrisch durchkonstruiert und geschlossen sind). Man sollte die Begriffe der musikalischen und spradimetrisdien Stolligkeit auseinanderhalten. Gegen die Textmetrik wendet sidi Gennridi, Deutsdiunterr. 1959, H . 2, S. 61: „ . . . [die Dreiteilung] i s t . . . kein Konstruktionsprinzip des Textdichters, sondern eine — oft sinnlos — übernommene musikalische Gliederung, die auf der Wiederholung des ersten Melodieteils beruht. Die Wiederholung aber gehört zu den fundamentalen Kunstmitteln der Musik, nicht der Dichtkunst." Aber wenn auch die Melodie die „ideelle Struktur" und somit den „eigentlichen" Bau bestimmt: wirksam im Zusammenspiel von Metrum und Melodie ist auch die durch Verslänge, Reim- und Kadenzenschema bestimmte Stolligkeit oder Nichtstolligkeit des Sprachmetrums. Schon durch die Tatsache, daß wir im bloßen Text den Unterschied zwischen struktureller Wiederholung des Stollens und neutraler Reihung aufnehmen, wird die Behauptung widerlegt, für die Frage der Stolligkeit sei nur die Melodie von Bedeutung. Es handelt sich im Grunde um ein Spiel mit Begriffen. Heuslers Feststellung (§ 723), daß musikalische Gleichheit die metrische einschließe, mit metrischer Gleichheit sich jedodi musikalische Ungleichheit vertrage, ist zwar richtig, und die allgemeine Definition der „Stolligkeit" oder „Nidit-Stolligkeit" mag ruhig „musikalische Gleichheit" oder „Ungleichheit" meinen. Man darf jedoch darüber nicht das Vorhandensein expliziter sprachmetrischer Gleichheit, Ungleichheit oder Neutralität ignorieren. In einem „stolligen" Lied kann sprachmetrische „Gleichgültigkeit", bei einem „nichtstolligen" die sprachmetrische „Stolligkeit" im Spiel der Überlagerungen von Bedeutung sein. Und wie unrichtig die generalisierende Feststellung ist, die Wiederholung sei nur Kunstmittel der Musik, nicht aber der Dichtkunst, zeigen Staigers Darlegungen (Grundbegriffe, S. 27 ff.), der in der Wiederholung auf jeder Ebene gerade ein Grundelement des Lyrischen sieht. Die Parallele zur Musikwiederholung ist nicht nur, wie Gennridi meint, „Textwiederholung", son-

184

Abgesang und überlagert sidi dem Gleichklang, im Aufgesang haben wir durchgehend Sechstakter, im Abgesang spielende Variation: 4—6—6 / 4—6—6. Das Metrum ist sehr schlicht; die Veränderung nicht grell, aber genügend, um die Monotonie zu erlösen. Der „Wiener H o f t o n " ist der hinsichtlich des Reimschemas komplizierteste Spruchton Walthers; die Reimanordnung im zweiten Teil des Abgesangs widersetzt sich jeder klaren Gruppenbildung und steht bei Walther einmalig d a : d d e f g g e f e. 21 Klar gegliedert sind jedoch der Aufgesang und der Beginn des Abgesangs, der wesentlich den Strophenrhythmus bestimmt. Die Stollen und der erste Teil des Abgesangs werden von Terzetten gebildet, das Reimschema ist a a b / c c b // d d e . . . , aber die Verslängen entsprechen dem Abgesangsterzett nicht: 4—4—6 / 4—4—6 //4—4—4 . . ., und vor allem wird die Kadenzenanordnung vertauscht. Vertauschung ist eleganteste Uberlagerung, Kehre bei gleichem Muster, Begegnung von Identischem und Anderem in harmonischer Ausgewogenheit: m m w / m m w //, dann aber w w m (wobei die Differenzierung nodi verfeinert ist: im Aufgesang sind die weiblichen Kadenzen klingend, im ersten Abgesangsterzett voll): M i t saelden m ü e z e idi hiute ufsten, got herre, in diner huote gen und riten s w a r ich in dem l a n d e kere. K r i s t herre, l a z mir werden sdiin die grozen k r a f t der güete din, und pflic min wol dur diner muoter ere.

Dann aber gleich und neu: A l s ir der heilig engel pflaege, u n t din, der in der k r i p p e n laege, junger mensch und alter g o t . . .

81

dem ganz allgemein die Wiederholung einer Struktur, und warum soll nicht solche Wiederholung auch dem Wortkunstwerk angehören? — Die Möglichkeit musikalischer Stolligkeit ist im „Reichston" nach Heusler (§ 751) und WilmannsMichels (S. 71) gegeben. Gennrich versuchte die Rekonstruktion einer stolligen Melodie (Melodien Walthers von der Vogelweide, ZfdA 79, 1942, S. 24—48, hier S. 43 ff.); Mohr ist nicht überzeugt (Deutsdiunterr. 5, 1953, H. 6, S. 46). Vgl. dazu auch Maurer, Polit. Lieder, S. 4 und Anm. 12. — Plenio, PBB 42, S. 477 weist auf die 100 Takte des Tons hin. Zur Form Maurer S. 21 f., Schema S. 22. R. Ruck S. 19 gibt das Metrum nach Wilmanns mit jeweils weiblich-vollen statt klingenden Terzettschlußreimen. Maurer ordnet S. 26 ff. den Abgesang 3 + 1 + 3 + 2. Vgl. audi Schirmer, Strophik, S. 129 ff. 185

Durch diesen Beginn gliedert sich der Abgesang an den Rest an, auch die übrigen komplizierten Gruppierungen werden von dieser Angliederung übergriffen. Auf die Überlagerungen im „Ersten Atzeton" haben wir hingewiesen: Kadenzenalternation und a b cd-Reimwirbel im Aufgesang, Blöcke im Abgesang, bei durchgehender Viertaktigkeit. Ein ähnliches Prinzip herrscht im „Zweiten Philippston". Mit Ausnahme der sechstaktigen Schlußbeschwerung ist die Strophe durchgehend viertaktig. Der Aufgesang ist, wie der des Atzetons, durch Reimwirbel gekennzeichnet, hier nur dreifachen: a b c / a b c, der Abgesang ebenfalls durch Blöcke: d d d e / f f f e , nur daß hier der Aufgesang weiblich-klingend beginnt und die d-Blöcke männlich-voll und der lösende vierte Vers (e) weiblich-klingend sind (beim Atzeton umgekehrt: da beginnt der Aufgesang männlich, die Blöcke sind klingend, der lösende Vers ist stumpf; auch hierin sehen wir klare Balance). 22 Audi der „Ottenton" 2 3 zeigt Ausgewogenheit der beiden Strophenhälften. Wie im „Leopoldston" bilden Terzette von der Form χ χ y das gleichschaltende Element, außerdem sind sie bezüglich der Verslängen gleich: 4—4—6 / 4—4—6 // 4—4—6 / 4—4—6. Dagegen unterstützt das Reim- und Kadenzenschema nur im Aufgesang diese Gliederung a a b / c c b : m m w / m m w , im Abgesang haben wir Reimwirbel: d e f / d e f, und weiter überspielend die Kadenzenfolge w m w / w m w, so daß trotz anderer Anordnung in der Strophe die Zahl der männlichen und weiblichen Kadenzen gleich ist, mit umgekehrtem Verhältnis für Aufgesang und Abgesang und für jedes Terzett im Aufgesang und Abgesang: in der ganzen Strophe 6:6; m:w im 22

23

D a s Schema bei Maurer S. 44. Maurer geht nicht auf die offensichtliche V e r w a n d t schaft dieses Tones mit dem „ A t z e t o n " ein, sondern vergleicht mit dem „Ersten P h i l i p p s t o n " ; die bauliche wie rhythmische Verwandtschaft mit dem „ A t z e t o n " ist aber viel enger. Der S a t z f ü h r u n g der meisten Strophen entsprechend setzt Maurer S. 61 im A b gesang die Zeilen 1 und 4 etwas ab. In A n m . 59 bezweifelt er die Richtigkeit von M ö h r s Beobachtung, im Abgesang gruppierten sich die Melodie und die S a t z f ü h r u n g gegen das Sprachmetrum eher 1 + 3 + 2 (Deutsdiunterr. 1953, H . 2, S. 73 f.). D i e K o h ä r e n z e n fluktuieren in der T a t . M a n ist geneigt, M ö h r s Beobachtung zumindest im Syntaktischen mehr Gewicht beizulegen (wenn audi von eindeutiger 1 + 3 + 2-Gliederung keine R e d e sein kann), denn Möhrs K o n z e p tion der Elastizität ist überzeugender als M a u r e r s starre Parallelitäten. In einigen Fällen (außer dem eindeutigen 11,6, den auch M a u r e r zugesteht) ist die RoetheMohrsche G l i e d e r u n g schwebend möglich, so 11,30; 12,6; 12,18 und 12,30. D i e Mehrdeutigkeit der syntaktischen G l i e d e r u n g über die strengen metrischen G r u p p e n hinweg gehört zu Walthers Stil, der Grenzen setzt und überspielt.

186

Aufgesang 4:2, in jedem Terzett 2:1, im Abgesang 2:4, also in den Abgesangsterzetten 1:2. Das Grundprinzip klassisdier Form, Balance von Identität und Veränderung und gleichsam Affinität zwischen Gleichschaltendem und Variierendem, ist auch hier deutlich sichtbar.24 Die „Umkehrung" der Kadenzen im Terzett zu Beginn des Abgesangs wird klar und einfach im „Meissnerton" erfüllt. 25 Durchgehende Viertaktigkeit schafft eine einheitliche Linie innerhalb der Strophe, außerdem ist wieder das Terzett χ χ y gereiht, zweimal im Aufgesang, zweimal im Abgesang (dort noch mit einem zusätzlichen Reimpaar am Ende). Aber metrische Monotonie wird vermieden, indem der Abgesang wieder die Kadenzenordnung umkehrt: a a b / c c b // d d e / f f e (gg), aber: w w m / w w m // m m w / m m w (ww). Bei den späten nichtstolligen Spruchtönen Walthers tritt auf dem Wege vom König-Friedrichs-Ton zum Kaiser-Friedrichs-Ton elegante Straffung der metrischen Ökonomie ein.2® Symmetrie und gedrängte Verschränkung der Strophe zeigen verschiedene Überlagerungen schon im Metrum. Das ungewöhnliche Reimschema des Kaiser-Friedrichs-Tons27 a a a b a b b b deutet auf symmetrische Dreiteilung 3 + 2 + 3; die Satzführung erweist diese Einteilung als dominant. Dreizahl und Zweizahl spielen ineinander: zwei Reime und drei Gruppen, zwei Dreiergruppen, eine alternierende Zweiergruppe in der Mitte. Es läßt sich die Strophe aber auch als zwei ineinander verhakte Viererblöcke auffassen, außerdem als zwei periphere Verspaare a a, b b mit alternierender Vierergruppe im Zentrum: a a / a b a b / b b. Das rhythmische Prinzip der Strophe ist jedenfalls zentrale alternierende Auflockerung peripherer Blöcke, in großartigem rhythmischem Ineinanderspielen von Block und Alternation, diesmal nicht in der Form AB, sondern ABA. Auch die Gruppierung der Verse nach Taktzahlen unterstützt die Dreiteilung 3 + 2 + 3; da haben wir die Gruppen 6, 6, 8 / 8, 8 / 6, 6, 8. Jedoch auch hier bietet sich die Zweiteilung an: 6, 6, 8, 8 / 8, 6, 6, 8. Die Kadenzenanordnung trägt wenig Selbständiges zur Gruppenbildung bei, sie ist Bindeglied zwischen Reimanordnung und Gliederung nada Verslänge. Qualitativ folgen die Kadenzen dem Reimschema (hier ist männlich gleich stumpf; der erste Reim ist männlich oder stumpf, 24 25 28 27

Schirmer, Strophik, S. 24 f. weist auf die strenge Geschlossenheit des Baus hin. Maurer S. 66. Vgl. Maurer S. 133 f., unter Hinweis auf Plenio und vor allem Heusler, § 798. Ebd. S. 103 f.; zum Schema S. 104.

187

der zweite weiblich) und unterstreichen das Spiel des Reimschemas von Block und übergreifender Uberlagerung, in wiegendem Verwischen der Grenze. Quantitativ folgen sie der Verslänge; die Sechstakter sind männlich oder weiblich voll, die gedehnten oder unterfüllten Achttakter stumpf oder weiblich klingend. Auch hierin wird der Sdiritt vom Sechs- zum Achttakter zur Mitte geführt; wie zumeist bei Walther erfolgt das Ausgreifen, die Differenz mildernd, von der vollen kurzen zur unterfüllten langen Zeile.28 Wir stellen der maßvollen Balance von Identität und Veränderung und den schwebenden Uberlagerungen als extremes Gegenbeispiel nochmals ein Metrum Frauenlobs zur Seite, den „Langen Ton". Während der „Kurze Ton" die monotone Reihung des Gleichen betonte, begegnet uns hier das radikale Gegenteil: das Prinzip greller Überraschung. Beide Töne Frauenlobs, im Vergleich miteinander und mit Walthers Metren, kennzeichnen eine Grundeigenschaft „manieristischer" Form: das Vermeiden der Mitte und das Suchen des Extrems, hier der Säule starrer Identität und der Akrobatik ruheloser Veränderung. 28

Auch der „König-Friedrichs-Ton" balanciert seine Teile, wie die symmetrische Reimanordnung aaa bccb ddd, die Taktzahlen 6-6-8 / 6-8-6-8 / 6-6-8 und die Kadenzengruppe wv wv kl / wv st mv kl / mv mv s t ( w w w / w m m w / m m m ) zeigen. Zur Form Midieis (II, S. 131): Teile 1 und 3 Stollen, der Mittelteil Abgesang, das Ganze nach dem Meistersingerterminus „Gespaltene Weise". Für Heusler, der den Ton als Steigerung des Kaiser-Friedridis-Tons auffaßt (§ 798), sind Teile 1 und 3 für „umgeordnete Stollen" zu ungleich. Maurer zeigt S. 70 f. gegen Heusler und Michels, wie durch gefugte Einheit der „Ketten" aus drei Versen sich musikalische Gleichheit des Anfangs- und Schlußteils ergibt (wieder: das ist musikalische, aber keine sprachmetrische Identität), weist S. 71 auf die großartige Gestaltung von Variation und Verknüpfung im Mittelstück und deren Verwandtschaft mit dem späteren Kaiser-Friedrichs-Ton hin, gegen Heuslers Argument der Steigerung: es handle sich um geniale Vereinfachung! „Alle vier Kadenzarten sind hier in vier Zeilen verwandt; die Reime ineinander verschränkt, der männliche wie der weibliche doppelt (wv. und kl. bzw. v. und st.) verwertet, wie das auch in dem Vorder- und dem Schlußteil geschieht." — Der „Unmutston" ist, seinem dynamischen Inhalt entsprechend, der am unruhigsten gereimte unter den nicht-stolligen, wie der „Wiener Hofton" (im Abgesang) der komplizierteste unter den stolligen ist. Eine gewisse rhythmisch balancierte Gliederung entsteht: aa / bb / / ccd / ddc, mit Überlagerung durch die Paare und den Dreierblock mit einzelnem Schlußvers: aa bb cc / ddd (c). Maurer S. 85 f. hält den Ton für stollig, wie auch Heusler § 799, wendet sich jedoch gegen Heuslers Bemerkung, Walther breche die Gleichheit der Stollen. Im Sprachmetrischen bezeichnen wir den Ton als nicht-stollig, denn V. 1 ist wv bzw. mv, V. 2 kl bzw. st. Maurer zeigt, wie für die Melodie die Fugung wv / auftaktlos

188

Ettm. 1 :

Idi sihe dich, schepfer aller schaffenunge, got, heil, Sabaot, trost bernde himelspise, herzen andaht wise, du mannabrot, du lebende kost, die der alte grise wol vierzic jar mit willen bot der Israelis diete. Für alliu dine almehtic künic der midi geschuof, min sündenruof dich, vater, sun, anschriet. warer got gedriet, din ewikeit genade mir, din süez vleisdi gewiet hie vür mich in ein lebendez brot hie mir genade erbiete. Ein ewic hodigelopter list, der ie was got und immer ist, hilf schepfer, Krist, der zit, der vrist, daz mich dins geistes mitewist twa von der kranken sünden mist. hilf, lebender got, daz sich min leben eins guoten endes niete.

Und das metrische Schema: A 6 mv A 2 mv A 4 wk 4 wk A 8 wk A 8 wk

a a b b b c

A 6 mv A 2 mv A 4 wk 4 wk

d d e e

im ersten Stollen identisch ist mit mv / auftaktig im zweiten, die Gliederung sei also (S. 86) aa / bb (die zwei Stollen) und ccd / ddc (Abgesang), wobei der Schlußvers (c), wie so häufig, syntaktisch und gedanklich unabhängiger und daher weiter abgesetzt ist. — Zu dem von uns nidit behandelten späten „König-Heinridis-Ton", dessen drei Strophen in ihrer Reimordnung schon manieristische Züge tragen, vgl. Maurer S. 112 f. Dort Auseinandersetzung mit Plenio (PBB 42, S. 436, Anm. 3), der auf Grund des Verwendens kürzerer Zeilen an einen frühen Ton denkt, und Heusler (§§ 645 und 647), der fünfzeilige Stollen aus Viertaktern, unter Umständen mit Dreiern und Fünfern gemisdit, ansetzt, Maurer dagegen Langzeilen 4 + 4, 6, 4 + 4 als dreiversige Stollen, dann vierzeiligen Abgesang. Nur im Falle der Richtigkeit dieser Lesung können wir von manieristisdier Form sprechen.

189

A 8 wk e A 8 wk c A 4 mv f A 4 mv f A 2 mv f A 2 mv f A 4 mv f A 4 mv f A 8 wk c29 Hier sind Längendifferenzen von Vers zu Vers extrem und finden sich häufig. Kadenzen und Reime bilden Blöcke, oder aber sind die Reime so weit entfernt voneinander, daß man sie kaum mehr zusammenhören kann. Mit Ausnahme der Verse 3/4 in den Stollen herrscht glatt durchfließende Synaphie, da alle Kadenzen entweder männlich-voll oder klingend sind und alle Verse mit Ausnahme des vierten Stollenverses Auftakt haben. Die Strophe ist länger als alle Waltherstrophen (nur der 24zeilige „Reichston", der mit seinen Viertakterpaaren sowieso keine eigentliche Strophe ist, macht eine Ausnahme; abgesehen davon ist die längste Spruchstrophe die im „Atzeton" mit 16 Versen, die übrigen Metren sind kürzer). Die Schlußzeilen der Stollen und des Abgesangs sind durch gleiche Taktzahl, gleichen Reim und gleiche Kadenz verbunden und umspannen Blöcke und Klüfte des weiten Innenraums. N u n kann man auf dem Papier freilich auch in diesem Ton Uberlagerungen von Gliederungselementen feststellen. Aber ein wesentlicher Unterschied wird sofort deutlich. Es soll hier, besonders innerhalb der Stollen, gar keine feste Grundeinheit zustande kommen, die dann in leichter Eleganz überlagert werden könnte. Die Veränderung übertönt jede klare Setzung. So folgen auf den Sechstakter und Zweitakter wohl ein Verspaar aus Viertaktern und ein weiteres aus Achttaktern, jedesmal mit gleicher Kadenz, im ersten Fall sogar als Reimpaar, wohl „überlagert" der dreifache b-Reim die Gliederung 2 + 2 dieses Paars, aber diese Variation ist als Differenzierung nicht nötig, weil diese Gruppen gar nicht Zeit haben, als eingeschwungene 29

37 Strophen, die bei v. d. Hagen und Ettmüller im „Langen Ton" stehen, sind nach Thomas S. 148 ff. unecht (vgl. auch Übersichtstabelle Thomas S. 230 f.), da bei ihnen der vorletzte Vers des Langen Tons fehlt. Bartsch, Die Meisterlieder der Kolmarer Handschrift, S. 169 erwähnt, Wagenseil zerlege die Langzeilen in zwei kurze und erhalte 24 statt 19 Verse.

190

Größen sich zu verwirklichen. Die Freude am extremen immer Andern steht im Vordergrund. Sechstakter, Zweitakter, Viertakter, Achttakter bilden die sechs Stollenverse. D e r Sechstakter schrumpft hart zum Zweier, die gleiche Differenz wird bei der Diastole z u m Viertakter jedoch nicht wiederholt. Aber auch der rhythmische Vorgang dieser Dreiergruppe kann sich nicht einschwingen; ein neues Element k o m m t auf: die Verdoppelung, jedoch mit Auftaktlosigkeit. Doch audi dieses Reimpaar kann nicht weiterspielen, sofort k o m m t ein neuer Sprung, doppelt so groß wie 2/3. Daraus wird nun zwar wieder ein Verspaar (5/6), aber im Gegensatz z u m vorigen kein Reimpaar. Alles ist auf Überraschung eingestellt: starkes Schrumpfen, schwaches Ausdehnen, Wiederholung ohne R e i m folgen aufeinander. 3 0 Bei diesem zuckenden H i n und H e r ist audi die Reimbindung kein nahes Beisammen mehr, sondern eine Klammer, an der vor allem der weit hinausstoßende Partner zerrt. Besonders der Reimsprung v o m kurzen z u m langen Vers ist hart, zumal, wenn der kurze Vers soeben nodi im R e i m glatt mit seinesgleichen verbunden war, auch in diesem Detail hartes Nebeneinander von Identität und Diskrepanz: . . . trost bernde himelspise, herzen a n d a h t wise, du m a n n a b r o t , d u lebende kost, die der alte g r i s e . . . 30

Anderen Charakter haben Längensprünge von der Art: „Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer / Vom Meere strahlt; / Idi denke dein, wenn.sich des Mondes Flimmer / In Quellen m a l t . . .", in dem von H . Meyer, Leben der Strophe, S. 450 ff. behandelten Goethegedidit „Nähe der Geliebten". Meyer zeigt verschiedene Verwirklichungen dieses Metrums, das er so charakterisiert: „Der starke Unterschied von Langzeile und Kurzzeile und die hierdurch bedingte innige Responsion der letzteren auf die erstere bewirkt einen flutenden Wechsel von Diastole und Systole, der zum angemessenen Eidos des ungreifbar webenden Gefühls wird" (S. 473). Die Sprünge sind hier nidit wirr, sondern regelmäßig, auch bindet der alternierende Reim nicht die verschieden langen Zeilen, sondern kurz mit kurz und lang mit lang; das von Meyer in Gedichten dieser Art nachgewiesene Motiv der Ferne und Nähe erfüllt organisch das Metrum, so im Goethegedicht, wo der sehnenden Weite der langen die innige Nähe der kurzen Zeile folgt (Sonne Schimmer — vom Meere strahlt; sich des Mondes Flimmer — in Quellen malt, und in der Schlußstrophe: ferne — du bist mir nah; leuchten die Sterne — wärst du da); Monotonie wird vermieden, indem die Satzführung (Enjambement zwischen langer und kurzer Zeile) gegen Ende stetig sich lockert: in den ersten zweieinhalb Strophen nodi Enjambement, in den folgenden Paaren noch syntaktische Anknüpfung des Kurzverses, im letzten Paar Freistehen; vgl. dagegen die Monotonie der regelmäßigen Enjambements in Theodor Körners Variation, die Meyer S. 472 zitiert. Dies Metrum ist von innen heraus formbar, denn ein gleiches Element schwingt sich ein und kann überlagert werden.

191

So wirkt der Block aus drei Reimen und Kadenzen (Verse 3—5) nicht eigentlich vereinheitlichend, zumindest nicht für sinnlich nahes Dahaben der Rhythmen, denn der Block und der harte Sprung sind zu extrem verschieden, um einander ausbalancieren zu können. Identität und Veränderung müssen offen sein füreinander, sonst laufen sie fremd nebeneinander her, gleichsam wie ö l und Wasser. So geht audi der Einzelvers oft nicht harmonisch ins Strophenganze ein, zumindest nicht für das sinnliche Aufnehmen, 3 1 der extrem lange wie der extrem kurze Vers ist exponiert und stellt für das Erleben grell Isoliertes dar innerhalb der geometrischen Struktur. Den großen Taktdifferenzen gereimter Zeilen entsprechen die fernen Reime, sie verkörpern in noch stärkerem Maße dies Prinzip vordergründig erlebnismäßiger Isolierung des strukturell und abstrakt Gebundenen. Die fernen c-Reime am Ende der Stollen und des Abgesangs verbinden im abstrakten geistigen Bauplan der Strophe alle Peripherie fest und klar, aber dem sinnlichen Erlebnis ist, da man die Reime nicht mehr „dahat", diese Gliederung keine Geschlossenheit. 32 Bei Walther ist geistige Konstruktion auch sinnlich näher, in zusammenhängender Apperzeption umgreifbar, die Welt ist bei geistiger Geschlossenheit audi sinnlich verfügbar. Bei Frauenlob sind diese fernen Reime ein nahezu kryptisches Prinzip, das an moderne Musik erinnert. Sinnlich steht das Einzelne da, geistig das Geschlossene. Diesen fernen Reimen stehen die Reimblöcke gegenüber; wieder haben wir keine Ausgewogenheit von Konzentration und Lockerung. Während die Stollen vorwiegend Überraschung und Veränderung betonen, herrscht im Abgesang der Block vor. 3 3 Sechsmal reiht sich der f-Reim in männlich-voller Kadenz. Die Gruppierung ist hier starr und nicht sprunghaft, drei Paare von vier, zwei und wieder vier SI

82

ss

Sinnliches Aufnehmen und Dahaben ist trotz der vielbesprochenen „ideellen Struktur" mittelalterlicher Dichtung audi hier von entscheidender Bedeutung. Dies wird einem besonders bei der Lektüre von Schirmers Buch über Walthers Strophik deutlich, da hier zugunsten der nur ideell konstruierenden Taktzahlenverhältnisse andere für Walthers Strophenbau entstheidende Elemente ausgeschlossen sind. De Boor III, S. 461 weist auf die kompositorische Bedeutung der fernen Reime hin: sie bewirkten Geschlossenheit. Das ist für die abstrakte Strophengliederung wichtig, nicht aber für das sinnliche Dahaben; es muß zwischen nur geometrischer und auch sinnlich nachvollziehbarer Geschlossenheit unterschieden werden. Zu der rhythmischen Funktion der Blöcke bei Neifen s. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 60 f. und an anderen Stellen.

192

Takten. Die Dichte der Reim- und Kadenzenlinie wird zwar lockernd überlagert durch diese Gruppen, aber während die Differenzierung in den Stollen zu grell war, ist sie hier so korrekt ausgezirkelt, daß der Block stark überwiegt. Vor allem jedoch überwiegt in der Beziehung zwischen Aufgesang und Abgesang das radikal Verschiedene über das Angliedernde, nur die Klammer des fernen c-Reimes hält den Abgesang fest. Die Reim- und Kadenzenhäufungen wirken gruppenbildend und verbinden Verschiedenartiges. Wenn sie aber ein bestimmtes Maß überschreiten, drängt sich der Block aus Identischem in den Vordergrund und übertönt alle Überlagerung. So verbindet sich der Block zwar in der Vertikalen mit seinesgleichen, wirkt aber im Sprachfluß der Horizontalen wie ein Fels im Wasser und betont ebenfalls die Isolation von Einzelnem innerhalb des rhythmischen Ereignisses der Strophe. Dieser „inneren Häufung" (von Reimen, Kadenzen, Anaphern, aber auch in anderen Schichten von Bildern, Lauten, Fakten, Namen und Einzeldingen einer kataloghaft zusammengerafften Welt) entspricht im Ganzen die endlose Häufung der Strophen im gleichen Ton. Bei Walther finden wir keine strophenreichen Töne, auch ist hier im Zyklus Individuelles oft schön eingeordnet, es herrscht eine überschaubare Balance zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen. Bei Frauenlob haben wir ein gewaltiges Ausmaß des Überpersönlichen, Geometrischen, dann aber eine im Sinnlichen wirre Fülle von Welt. Wie durch intensive Ballung die organische Kohärenz der Bilder und Sätze im Stropheninnern beeinträchtigt wird, so wird durch extensive Ballung, durch lange Strophenreihung, die organische Kohärenz des ganzen Tons beeinträchtigt. Es müßte in jeder Strophe die innere sprachliche Erfüllung individuell so stark sein, um die äußere Hülle differenzierend zur Individualität zu formen, die sich dann organisch zu anderen Individualitäten und damit zum Ganzen verhalten könnte. Wenn ein Gefäß transparent wird für das individuell je andersartige Leuchten des Innern, kann aus dem Chor der Farben sich eine Farbharmonie ergeben, wenn auch das transparente Gefäß jeweils gleich ist. Wenn aber die Wände des Gefäßes so starr und dick sind und das an sich schon schwache individuelle Leuchten des Innern ersticken, so reiht sich nur der Marmor der identischen, wenn auch höchst kunstvollen Gefäße. Während in der hochhöfischen Dichtung im Metrum selbst eine schwebende Balance von Einzelteil und Versgruppe und Strophe, 193 13

Sdiaefer, W a l t h e r von der Vogelweide . . .

von Teil und Ganzheit wirkt, entsprechend der erlebten Harmonie von Individuellem und Ganzem, Teil und Welt, prägt sich in vielen dieser späten Riesenformen neben Summierung audi Vereinzelung aus. Viele der Elemente des „Langen Tons" entziehen sich der Balance von Teil und Ganzem, wenn man nicht nachredinet, sondern natürlich die Abfolge der Teile erklingen läßt. In klassischen Metren wie Gehalten finden wir eine geschlossene, in den Bildern nach menschlicher Perspektive und in menschlichem Zeiterleben vollziehbare, in den Metren für unser normales gegenwärtiges Zusammenhören erlebbare Verfügbarkeit, ein Feld, das zu überschauen man keiner Mathematik bedarf (selbst wenn audi hier, nach mittelalterlidiem Brauch, noch viel mehr „Kryptisches" hineingelegt sein mag als es neuzeitliche Dichtung gestalten würde oder modernes Empfinden aufnehmen könnte). 34 Diese Oberschaubarkeit und Verfügbarkeit, die wir bei Walther sehen, wirkt nicht nur in der anthropozentrischen Moderne. Das Greifen und Halten der Grenzen von menschlicher Mitte her und das Getragensein der Mitte von den Grenzen her ist eine Grunderfahrung dieses Lebens und der klassischen Form seiner Dichtung. Später ist das Dahaben der Welt und des Jenseits durch das erlebende Ich in Harmonie von Sinnlichkeit und Geist objektiv verloren und subjektiv fragwürdig geworden; die von einem menschlichen Zentrum her erfahrene Einheit ist aufgegeben, die Teile werden selbständig; und auch die Architektonik der Metren ist so beschaffen, daß die wirren Grenzbezirke für direktes Erleben isoliert sind und nur vom abstrakten Formgesetz der Metren zusammengehalten werden — wie die unerreichbaren Grenzbezirke gotischer Architektur übergriffen sind allein vom spirituellen Plan. Ein Vergleich zwischen Frauenlobs zerklüfteten Strophen und hochgotischer Architektur ist naheliegend — wie auch, wenn wir spielen und die Buchseite drehen, im Druckbild der Strophen aus dem Block der kurzen Zeilen immer wieder grell die Fialen oder gar Türme der langen Zeilen aufsteigen und das Ganze gotischer Architektur zu gleichen scheint.35 Audi bei 84

35

Für manieristische Dichtung vgl. etwa Hockes „Manierismus I I " . Aber auch in der hochhöfisdien Dichtung sieht man viel Kryptisches: Zahlensymbolisches oder bloße Zahlenproportion (ich nenne nur die Darstellungen von Schirmer und Huisman für die Lyrik und von Eggers für die Epik). In etwas anderem Sinne charakterisiert Margarete Lang, Der Minnesinger Frauenlob, Mainzer Druck Nr. 4, Mainz 1951 ein Metrum, im Vorwort zu dieser Auswahl mit Übersetzung. S. 10: „Rede und Antwort fügt der Dichter zu verschie-

194

der gotisdien Kathedrale ist die Harmonie zwischen dem Ganzen und den Teilen nicht mehr sinnlich nachvollziehbar: In der Nähe ahnt man das Ganze, erkennt aber nur nahe Details; aus der Ferne gewahrt man nichts Einzelnes, doch sieht man die geistige Weite des Ganzen. 36

86

den langen Verszeilen und wechselt oft mitten in der Zeile. Es entstehen durchbrochene Linientürmchen, die an gotische Bauten erinnern." Nichtssagend ist allerdings die weitere Beschreibung (ebd.): „Dabei bewundern wir den dennoch festgefügten Bau von zwei gleichartigen Stollen, deren Zeilen durch Reime verbunden sind, und den darauf ruhenden Abgesang, der aus drei Zeilen mit gleichem Reim besteht. U n d wir lassen uns tragen von Rhythmus und Versmaß in ihrer spätmittelalterlichen Gleichmäßigkeit" (wo ist bei den meisten Frauenlobmetren Gleichmäßigkeit?). Am Ende dieser Metrikstudie ist ein Exkurs über das ausgeklammerte Problem der Melodien am Platze. Zu den Oberlagerungen der Gliederungsprinzipien innerhalb des Metrums selbst und den Überlagerungen, die sich bei der Begegnung von Sprache und Metrum ergeben, kommt die (parallele oder überlagernd verschobene) Begegnung beider mit der Melodie. Alle drei Einheiten, Sprache, Metrum und Musik, sollten zunächst einmal als gleichwertige, ihre eigene Rhythmik und Gliederungsmöglichkeiten bewahrende Partner betrachtet werden, selbst wenn dann im gegebenen Fall eine von den dreien oder auch zwei zusammen durdi ihre vorherrschende Gliederungsintensität „den Ton angeben" sollten. Idi betrachte mit Skepsis die einseitige, das Wesen eines Sprachgebildes verkennende Betonung des Primats der Melodie in mittelhochdeutscher Lyrik: vgl. auch Burkhard Kippenberg, Der Rhythmus im Minnesang. Eine Kritik der literar- und musikhistorischen Forschung, Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bd. III, München 1962, und Wilhelm-Horst Brunner, Walthers von der Vogelweide Palästinalied als Kontrafaktur, Z f d A 92 (1963), S. 195—211. Eine falsche Oberbetonung der Metrik forderte falsche Gegenargumente heraus. Die Heuslersche (oder irgendeine bessere oder gar ideale) Methode, das „richtige" Metrum zu ermitteln, sollte einerseits das dem Sprachrhythmus und dem Sprachverlauf entsprechende „Zeitgrüst" für die sprachliche Komponente des Lieds gewinnen, mit dem nur sprachlich auszudrückenden Reimschema, der Taktzahl, den Kadenzen usw., andererseits aber die folgenden drei Fehler vermeiden: einmal, dieses so gewonnene Metrum und seine Bauglieder als in sich eindeutiges und starres System anzusehen, das keine Überlagerung seiner eigenen Gliederungsprinzipien zuläßt, zum andern, dieses Metrum von vornherein parallel der syntaktischen Gliederung zu sehen und somit umgekehrt das Metrum aus der syntaktischen Gliederung abzulesen, und schließlich — dies ist der verhängnisvollste Fehler — gar von der Gliederung der Musik zu verlangen, sie müsse sich dem Sprachmetrum unterordnen, oder zu behaupten, die beiden seien notwendig identisch. Dieser letztere Irrtum hat mit Recht z. B . Gennrichs, des besten Kenners von Minnesangmelodien, Protest hervorgerufen: „Mit dem Zählen der Verszeilen, ihrer Silben oder Versfüße sowie der Angabe der Reime und deren Anordnung und der Aneinanderreihung dieser Angaben zu einem Strophenschema i s t . . . [für die Erfassung der „inneren Gliederung der Strophe" und somit ihrer „ideellen Konzeption"] . . . nichts gewonnen; denn die Zeilenzahl der Strophe ist kein Merkmal eindeutig bestimmter Strophentypen, und das Zählen der Verszeilen ist nur ein ganz äußerliches Einteilungsprinzip . . .

195 13·

Der Reim als soldier ist kein formbildender F a k t o r . . . ob mit oder ohne Reim, die Form der Strophe bleibt die gleiche. Der Reim schließt sich als Schmuck dem Vers an, während die musikalische Gliederung die Struktur, den ideellen Aufbau verrät." (Die musikalischen Formen des mittelalterlichen Liedes, Deutsdiunterr. 11, 1959, H.2, S. 65). Wenn wir die Frage nach dem ideellen Aufbau beiseitelassen und nadi vorhandenen Gliederungsprinzipien fragen (ein Unterfangen, das keineswegs subjektiv und anachronistisch das „typisch Mittelalterliche" verkennt, das aber gewisse zeitlose Charakteristika eines Sprachkunstwerks postuliert), so sehen wir, daß, wenn auch nicht nach den Poetiktraktaten, so doch in der Wirklichkeit jeder Sprache, Reime gliedernd wirken; sie und die anderen sprachlichen Bauelemente geben vielleicht nicht den „ideellen Aufbau", aber ein als Sprache gegliedertes Gebilde, das nach seinen metrischen, wenn auch nicht kosmischen, Gesetzen als gebundene Sprache für sich Gestalt gewinnt. Denn Musik und Sprache sind zwei verschiedene Sphären, die sidi nie völlig durchdringen können; die Sprache schließt ihre eigenen Elemente zusammen; sie geht nicht in der Musik auf, sondern muß zuerst für sich etwas sein, um als Partner sich zu der Musik verhalten zu können. Auch wenn die Sprache von Musikrhythmen zerdehnt oder gerafft wird, formt sich unter der Musik die eigentliche poetische Sprachgestalt, die durch das Metrum und das Verhältnis der freien Sprache zu dieser Bindung entsteht. Das Zusammenspiel, in Parallelität und Überlagerung, aller dreier Komponenten, die ihrer Eigenart entsprechend jeweils andere Gliederungsmöglichkeiten und -kräfte besitzen, ist an die Stelle der Dominanz eines Elements zu setzen. Vgl. dazu W. Mohr, Zur Form des mittelalterlichen deutschen Strophenliedes, Deutsdiunterr. 5 (1953), H.2, S. 62—82, hier S. 67 (der Aufsatz jetzt auch in: Der deutsche Minnesang, hrsg. von Fromm, S. 229—254). Nachdem Mohr auf die geringen Beziehungen zwischen dem Gehalt des Gedichts und der Melodie hingewiesen hat, fährt er fort: „Um so enger und vielfältiger sind sie zwischen der Form der Dichtung und der Melodie. Die Melodie ist ein Stück der Gesamtform der Strophe; sie ist nicht ,Vertonung' des Gedichts im modernen Sinn. Die Form des mittelalterlichen Liedes verwirklicht sich erst in dem Zusammenspiel von Satz, Vers, Reimbau, Weise. Die Wechselwirkung, die dazwischen vor sich geht, ist unser wichtigstes und interessantestes Beobachtungsgebiet." Möhrs Aufsatz, der sich besonnen sowohl gegen metrische wie musikwissenschaftliche Apriorismen wendet und, mit umfassendem Uberblick über die vom mittelalterlichen Strophenlied handelnde musikwissenschaftliche Literatur, grundsätzliche Fragen über den Aufbau nach Metrum, Sprachsyntax und „Melodiesyntax" stellt, ist in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben. S. 73 f.: „Die mittelalterliche Strophe entsteht aus einem Zusammenwirken verschiedener Ordnungsgrundsätze, die sich mitunter decken, mitunter einander widersprechen. Oft wird gerade der Widerspruch der Ordnungen und damit die Mehrdeutigkeit der Form gesucht." Verglichen werden an einigen Beispielen Versschema und Textsyntax vorwiegend in Beziehung zum Melodieschema. Die „Vorgangsform", das überraschende Entstehen von Rhythmen im Verlauf der Strophe, wird im Metrischen am schönen Beispiel einer Strophe von Kaiser Heinrich (MF 4,17) gezeigt und starren, eindeutigen „Bauformen" gegenübergestellt. Dieser Grundgedanke des metrischen „Beziehungsreichtums" liegt auch unseren „Uberlagerungen" zugrunde; bei Walther jedoch steht nicht rhythmische Überraschung im Vordergrund, sondern Uberlagerung fester, gerundeter Bauelemente. (Möhrs Beispiel zeigt nicht eigentlich Überlagerung, die verschiedene Gruppierung zuläßt, sondern Variation, die zwar im Vorgang überrascht, für den Rückblickenden aber fest dasteht und andererseits in der Variation nicht zur Balance der Teile führt, wie wir es in manchen Tönen Walthers gesehen haben: im „Abgesang" häufen sich in MF 4,17 durch die Va-

196

riation die klingenden Kadenzen, außerdem wird durch zwei Waisen das beziehungslose Andere betont. Klare Überlagerung fände man dagegen in der Nibelungenstrophe, die Mohr ebenfalls anführt: durch die Variation der vierten Zeile überlagert sidi der im Reimschema stark sich verwirklichenden Gliederung 2 + 2 eine Gliederung 3 + 1 , die Gruppe mit stumpfen Kadenzen gegenüber der vollen Schlußzeile. Beide Gliederungsprinzipien sind eindeutig, die Überlagerung führt feste Gruppen ineinander, Fluktuieren entsteht nur im Zusammenklang.) — S. 71 f. weist Mohr auf die Tatsache hin, daß im Palästinalied Walthers, dessen metrischer Bau Stolligkeit zeigt, erst durch die Melodie erwiesen wird, daß es sich um eine Rundkanzone handelt. (Muß jedoch die Frage nach dem metrischen Bau so völlig nur von der Melodie her beantwortet werden? Kann man nicht sagen, daß eine sprachmetrisch — im Hinblick auf die Rundkanzone — neutrale Form von einer musikalisch eindeutigen überlagert wird? Entsprechendes gilt für die Stolligkeit des „Reichstons". Sprachmetrisdi ist er neutral — hier nicht-stollig; was die Melodie aus diesem neutralen Metrum macht, ist eine andere Sache.) Mohr weist in seinem Aufsatz „Zu Waithers ,Hof weise' und .Feinem Ton' ZfdA 85 (1954), S. 38—43 auf Parallelen zwischen Melodieführung und Syntax im Widerspiel zum Metrum hin, in Waithers „Wiener Hofton", dem die „Hofweise", und dem (zweiten) „Ottenton", dem der „Feine Ton" der Meistersingerüberlieferung entspricht. S. 43: „Die Bauidee, die solche komplexen Bildungen entstehen ließ, ist die, aus dem Zusammenwirken möglichst vieler verschiedenartiger Ordnungsprinzipien eine vollkommene Einheit entstehen zu lassen. Man wird sie wiederfinden können in den Brechungssystemen der Erzählungen jener Zeit und in größeren Maßen sowohl in der Komposition von Epen von der Art des Parzival wie in der damaligen Architektur." Gennrich nimmt bald darauf zu Möhrs Aufsatz Stellung in: Zur Liedkunst Waithers von der Vogelweide, ZfdA 85 (1954), S. 203—209, und modifiziert und ergänzt Möhrs Beobachtungen hinsichtlich der Melodie der beiden Töne. — In Analogie zum Begriffspaar „Bauform" und „Vorgangsform" benützen wir die Begriffe „Gefäßstrophe" und „Vorgangsstrophe", nämlich bei der Begegnung von Metrum und Sprache. In der „Gefäßstrophe" übertönt der metrische Bau die sprachliche Füllung, im Zeilenstil und im harten Brechen der Sprache (denn da wird das Gefäß nicht verwischt, sondern es macht sidi als sprachbrechendes Element besonders bemerkbar); in der „Vorgangsstrophe" entsteht durch die Überlagerung von Sprache und Metrum und durch die jeweils andere sprachliche Erfüllung der metrischen Kohärenzen selbst die eindeutige, wenig metrische Überlagerung zeigende vorgegegebene Strophe ständig neu; nicht das vorgegebene Gefäß wird betont, sondern sein Entstehen in der Begegnung mit der umformenden Sprache.

197

FRAUENLOB

W i r wenden uns den Gedichten zu, die in der 1843 erschienenen Ausgabe Ludwig Ettmüllers unter dem Namen Heinrichs von Meissen, des Frauenlobes, vereinigt sind. Helmuth Thomas hat in den textkritischen Voruntersuchungen zu einer neuen Frauenlobausgabe, die nach Thomas' Tod nicht vollendet wurde, viele Gedidite dieser in Text und Anmerkungen unzureichenden Sammlung für unecht erklärt. 1 Spätere Darstellungen bezogen sich auf seine Entscheidungen, die dennoch bisher ohne eigentliche Wirkung geblieben sind. Sowohl Nagels Auswahl mit Ubersetzungen wie auch Krayers Analyse naturallegorischer Motive 2 geben „unechtes" neben „echtem" Material und leisten daher mit den Anmerkungen „nach Thomas unecht" jener textkritischen Unterscheidung nur Lippendienst. Man könnte sagen, damit werde die persönliche Substanz des Heinrich von Meissen genannten Dichters vergewaltigt. Wir wollen jedoch nicht Frauenlobs Werk als unvertausdhbares Eigentum seiner Persönlichkeit erörtern. 3 So kann, wenn das Interesse einem Corpus weitgehend homogener Dichtung gilt, persönliche Zugehörigkeit geopfert werden. Bei Walthers Stil allerdings, der einzigartig mit der Ichgestalt verknüpft ist, wäre diese Preisgabe nicht möglich. Man mag einwenden, auch Frauenlobs Eigenwilligkeit sei unverwechselbar, er besitze scharfes persönliches Profil, 4 und nur aus Mangel an Einsicht könne man Pseudo-Frauenlob und Frauenlob in einem Untersuchungen zur Überlieferung der Sprudididitung Frauenlobs, Palaestra 217, Leipzig 1939. Wir setzen uns nidit mit seinen Kriterien auseinander und geben audi nicht in jedem Fall seine Entscheidung an, die aus der Obersichtstabelle S. 228 ff. leicht ersichtlich ist. Im Vorwort S. V I I ff. bespricht Thomas eingehend die Literatur über Frauenlob. Zum Biographischen vgl. auch Pfannmüller, Frauenlobs Begräbnis, PBB 38, S. 548—559. * Rudolf Krayer, Frauenlob und die Natur-Allegorese, Heidelberg 1960. 3 Daher setzen wir uns audi nidit, wie es etwa für Stadtmanns Darstellung Heinrichs von Mügeln nötig war, eine differenzierende Untersuchung der „gattungshaften" und „individuellen" Züge zum Ziel (Stackmann S. 15). — Audi Stackmann (wie Kibelka in seinem Buch über H . v. Mügeln) behandelt Gedidite von Pseudo-Frauenlob; diese Darstellungen, da sie sich ja nicht mit dem persönlichen Werk Frauenlobs befassen, können bedenkenlos „Unechtes" verwenden. * Vgl. Krayer S. 15.

1

201

Atem nennen. Im Vergleich zu Walthers Personalstil jedoch werden Meister, Nachahmer und selbst zufällig als „Frauenlob" in die Handschriften Geratene eins in der großen Monotonie einer stilistischen Grundhaltung, auch deshalb, weil in der Lyrik des späten Mittelalters das Individuelle übertönt wird vom Wirbelsturm der Stückchen Welt oder von der Formelhaftigkeit des Objektiven und sich ein Name und eine Identität eher opfern lassen.5 Viele Entscheidungen von Thomas sind willkürlich und extrem; dem Ausschluß von Gedichten aus thematischen und stilistischen Gründen stehe ich häufig mit Skepsis gegenüber.6 Auch ist es (von einem ganz anderen Gesichtspunkt her) schade, daß die zahllosen Nagel betont S. 56 die weitgehende Obereinstimmung zwischen den Nachahmern und dem Meister und sieht den Grund dafür vorwiegend in Frauenlobs Strahlkraft; er berücksichtigt die Tatsache zu wenig, daß auch die überpersönliche Monotonie des Stils Meister und Nachahmer zusammenklingen läßt. M a n könnte daher außer Frauenlob und den Unechten noch viele andere Dichter jener Zeit und Stilrichtung anführen, um den Gegensatz zu Walther herauszuarbeiten. • Der hermeneutische Zirkel scheint da nicht selten zum anfechtbaren Zirkelschluß zu werden. Ein bestimmter Kreis „gut" überlieferter Strophen wird zum inhaltlichen und stilistischen Prüfstein, an H a n d dessen „Anstößigkeiten" und Frauenlob nicht „Zutraubares" dann ein wesentlicher Faktor des Ausschlusses werden; diese Reduktion des Materials zieht weitere Strophen in die Verbannung. Diese klassische Methode der Textkritik müßte allgemein mit größerer Vorsicht und Zurückhaltung gehandhabt werden. So wird — um nur ein paar Beispiele zu nennen — von Thomas S. 68 die ohne Parallelüberlieferung stehende Strophe Ettm. 3 auf Grund der Anordnung für unecht erklärt: die rein erzählende Einleitung, Marienklage, die Worte Christi, die freie Erfindung der Szene und die irrtümliche Bezeichnung jener Antwort als Christi letzten Ausspruch (was übrigens gar nicht in der Strophe steht; der Satz „do starp Krist für uns alle" als allgemeines F a k t u m braucht nicht zu heißen: sofort darauf) seien Frauenlob nicht zuzutrauen. „Erzählstil und breit ausgeführter Dialog stehen beide im Gegensatz zu seiner Sprudididitung." Oder man vergleiche die Argumentation, die zum Ausschluß der Strophe Ettm. 6 führt (S. 110 f . ) : „zerfallender A u f b a u . . . Der anspruchslose Stil weist keine frauenlobisdien Eigenheiten auf." (Wie kann man die frauenlobisdien Eigenheiten wirklich bestimmen, wenn man alles ausschließt, was sich mit einem bestimmten Stilkanon nicht deckt?) — dies trotz Thomas' Feststellungen S. 1 0 8 : „Den sichersten Anhalt [für die Echtheit] bieten die Wahl und Gestaltung des Themas; denn an dem für Frauenlob gesicherten Gut kann man nachweisen, daß er sich an den überkommenen Stoff- und Motivkreis der Spruchdichtung hält, und daß innerhalb der einzelnen Gattungen der Herrenund Lobsprüche, der didaktischen, politischen und geistlidien Sprüche wiederkehrenden Formen des Aufbaus spürbar werden." S. 222 f. werden nochmals die „meistersingerischen" Stilmerkmale angeführt, die vorwiegend in unechten Sprüchen anzutreffen sind; dadurch wird nach Thomas „der Anschauung von der meistersingerischen Haltung Frauenlobs eine der Hauptstützen entzogen" (S. 223). 5

202

„Unediten", selbst die wertvollen, wenn sie nicht von autorisierter Hand wieder in Ehren aufgenommen sind, eine klägliche Rolle spielen, da sie nicht den romantischen Reiz der Namenlosen haben, sondern „gewogen und zu leicht befunden" in Ausgaben eines „personalen" Werks gar nicht erscheinen oder bestenfalls im Anhang stehen. Selbst wenn der Ausschluß nicht aus Qualitätsgründen erfolgt, wird das Niemandsland dieser toten Dichtung kaum mehr besucht: eine verständliche Reaktion entlarvten Hochstaplern gegenüber, man achtet sie am Ende nicht einmal mehr für ihre eigenen Qualitäten. 7 Unangenehm ist die Textgestalt der Gedichte. D a wäre die neue kritische Ausgabe mit verläßlichem Apparat dringend vonnöten. 8 D a diese Untersuchung jedoch viele Gedichte behandelt und nicht Entscheidendes aus umstrittenen Einzelstellen herleitet, wird sie, so hoffen wir, durch die neue Ausgabe nicht ganz erschüttert werden. Wir gliedern die Darstellung Frauenlobs ähnlich wie die Walthers, um in der Parallelität die Verschiedenheit der dichterischen Gestaltung eindrücklicher machen zu können. So behandelt der erste Teil wieder die lyrische Grundrelation, den gestalteten Bezug zwischen lyrischem Zentrum und Peripherie, dem Ich und dem Andern.

7

8

Pseudo-Reinmar und Pseudo-Rugge etwa werden allerdings in der Forschung trotz ihrer Unechtheit weiterhin beachtet. Wie mir Herr Dr. Bradcert, Heidelberg, freundlidierweise mitteilte, bereitet Professor K a r l Stackmann, Bonn, eine neue kritische Frauenlobausgabe vor.

203

ERSTER

TEIL

LYRISCHE GRUNDRELATION I. Minne Frauenlob ist nicht vorwiegend Minnedichter; 1 nur etwa ein Dutzend Lieder erscheinen in Ettmiillers Ausgabe. In den Sprüchen jedoch finden sich „Frauenlob", Minnelehre und Wesensbestimmung des Weiblichen, auch werden der Minneleich und der Marienieich getragen von erotischer Terminologie. 2 Das Überwiegen der Lehre über die Gestaltung des Minneerlebnisses ist typisch für die Entwicklung hin zur Didaktik, die den Weg von der staufischen Klassik zum späten Mittelalter wesentlich bestimmt. 3 Wir betonen, daß wir unter dem Begriff des „Erlebnisses" hier nicht biographisch Erlebtes verstehen. Dichterisches und biographisches Erleben sind zu trennen; ob und wann sie sich decken, ist von psychologischem oder anthropologischem Interesse, berührt jedoch unsere Fragestellung nicht. Unter Erlebnisdichtung verstehen wir eine Schöpfung, deren Intensität der Gegenwart, Erinnerung oder Erwartung äußeres oder inneres Geschehen so dicht und lebendig beschwört, daß es „erlebt" wirkt. Dichterisches Geschehen kann von realem Vorgang oder theoretischer Überzeugung in schöpferischen Augenblicken ganz unabhängig sein; ein nur erfundenes Liebeserlebnis wird durch den Dichter dichterisches Ereignis; dagegen kann stark und echt erlebtes reales Geschehen in stümperhafter Gestaltung armselig wirken, wobei dann der Kritiker, mit Recht, was die künstlerische, zu Unrecht, was die menschliche Erlebnistiefe angeht, von „anempfunden" redet. Wir benutzen den durch einseitigen Gebrauch und einseitige Widerlegung anrüchig gewordenen Begriff der „Erlebnisdichtung" bewußt auch

1 2 3

Margarete Lang, Der Minnesinger Frauenlob, S. 8 if., audi Roethe S. 246. S. dazu unser Kap. 4 des ersten Frauenlobteils. Vgl. de Boor III, Einleitung, vor allem S. 17 f.

204

für mittelalterliche Lyrik, für die er in seiner biographischen Relevanz am stärksten bestritten worden ist.4 Beginnen wir mit Frauenlobs Lied Ettm. I: „Got grüeze mines herzen wirt". Es redet ein lyrisches Ich, die Frau erscheint in der dritten Person (wie in Frauenlobs Liedern die geliebte Frau fast nie als Du dem Ich begegnet), 5 das einzige D u ist bezeichnenderweise allegorische Anrede: „her Muot". Das Ich spielt mit sich selbst, das einzige Du ist kein Partner, sondern anwortende Projektion. Dieses zahlenmäßig übermächtig anwesende Ich verwirklicht sich nicht im Handeln, sondern umkreist die Frau mit der fein ziselierten Subtilität seines Denkens in einsamer, wenig kommunikationsfroher Innerlichkeit, dabei gibt es sich ohne Bewahren strömend hin an das Andere. Diese Preisgabe auf Grund der Kraft der Frau wird deutlich in den Mustern ihres Tuns. Alle Intensität konzentriert sich auf den Partner, der das Ich überwältigt und mit sich trägt:6 Got grüeze mines herzen wirt unt miner hohen saelden minneclichen gast, der alle stunde mit niuwen siiezen aventiuren mir ze wernden vreuden kumt; D a z ist ein wip, diu hat gevrumt den sinnen min so iiberkrefticlichen last mit minneclidier lustgrunt suochender lieben liebe, da von ofte mich verbirt Min selbes kraft; 4

Bei mittelalterlicher Dichtung kümmern sich die meisten Forscher um die biographische Antithese „erlebt" oder „fiktiv". So stellt L. Sdineider, Naturdichtung, S. 20 ff. die Frage, wie weit die Verhältnisse der Wirklichkeit hereinreichten in die dichterische Gestaltung, und bezweifelt die Berechtigung einer glatten Gleichung. Gegen Überbetonung des „Gemachten" Fr. Neumann, DVjS 1 (1923), S. 508 : „ . . . man darf und soll nicht irgendeine Dichtungsart irgendeiner Zeit und irgendeines Volkes vom Erleben als solchem abtrennen." — Audi die Kategorie der gestalteten Erlebnisintensität ist heikel, da zwischen Scharlatanerie und echt Gestaltetem zu entscheiden unserem subjektiven Feingefühl überlassen bleibt, und auch der wirkliche Grad biographischer Erlebnis- oder Denkintensität nidit aus der Dichtung ablesbar, in ihr aber audi nicht entsdieidend ist. s Auch im traditionellen Hohen Minnesang wird die Frau weniger oft direkt angeredet als bei Walther. • Wir vernachlässigen im folgenden die Frage nach dem Formelhaften (vgl. dazu etwa de Boor III, S. 298 ff.) und betrachten nur die Vektoren der gestalteten Begegnung von Ich und Frau.

205

sus sigehafl ist si gen mir:

wol midi der reinen, senften, süezen meisterschaft! Strophe II gestaltet die Hingabe des Besiegten: Nu merket wunder, daz ein wip mich mit mir selber überwindet. M i n n e idi klage, d a z min gedanke vertribent mir min selbes witze: sus kans an ir d a n c gesigen.

Seine einzige Aktivität ist Klage. Nun extrem das Folgen des Ich: Idi priieve an ir ougen ligen min sterben unt min uf ersten von tode, ich sage: m i n gerndez hoffen m i n senftez troesten u n t m i n wünschen eine ist ir lieber lip.

Das an eigener Substanz leere Idi wird getragen von ihrer Güte: Swie gar mich lat der sinne rat, mins herzen wert,

dodi vröuwe ich midi, daz si so staete g Hete hat. Die Übermacht des Du und die intensive Anwesenheit des Klagenden verhindern im Gehalt wie in den Strukturlinien der Gestaltung jegliche Ausgewogenheit zwischen dem Ich und dem Andern. Es ereignet sich auch keine szenisch geschaute oder schaubare Begegnung, zumal nicht im Dialog eines Ich mit sich selbst, der sich mit der Realitätsfrage beschäftigt, ob die beschworene Frau nur im Gemüte des Mannes oder auch vor Augen existiere. Zustand und Haltung überwiegen den Vorgang, die Handlung ist aus dem ungreifbaren Material des Seelischen gemacht (der Gast oder der Fremde, der zu jeder Stunde mir zur Freude mich neu besucht; die Frau, die meinem Fühlen so große Lust geschaffen hat; die Lustgrund suchende liebe Liebe, das Uberwinden, das Begegnen, das Hoffen), audi die flächige Veransdiaulidiung seelischer Vorgänge in der Allegorie. Dauer überwiegt das Jetzt: „Wenn immer ich allein bin, so frage ich mein Inneres", zu allen Stunden, dauernde Freude, meine Kraft verläßt mich oft: iteratives Reihen und Kreisen der Dialektik, Zuständlichkeit der Sehnsucht, dann der entgrenzende, hoffende Ausblick auf Tod und

206

Auferstehung; schließlich das Zen trai wort der spätmittelalterlichen Spruchdichtung, das gegenwartvernichtende „swenne", 7 das der einmaligen Begegnung mit der Zeit die Wiederholung und die Regel, der Plastik die Linie entgegenstellt. Filigran, Sehnsucht und Weite überwiegen Gestalt, Instinkt und Erfüllung. Dynamik übertönt die Ruhe: alles ist Tun des Andern und Sehnen des Idi, das dieses Tun des Andern nur in lustvoller Klage fühlend und denkend erwidert, ohne Wagnis eines schauenden Gegenüber, im sicheren Umhegtsein des stillen Kämmerleins der Gedanken (alles noch bewegter durch das unruhige Metrum mit sprunghaft kurzen und langen Zeilen). Wir sehen keine Balance mehr von Ausstrahlen und Empfangen, Ich und Umwelt, Erscheinung und Dauer, sondern Selbstgespräch und Sichverströmen, Kreisen tief im Innern und zentrifugale Bewegung zum Du. Ähnliches findet sich in Lied II. Der Monotonie seines Metrums und der Satzführung entspricht die Einsträngigkeit der Linien, die in Bedrängnis und erflehter Hilfe von der Peripherie zum passiven Zentrum führen. Owe herzelicher leide, die ich sender tragen muoz;

(seine einzige Aktivität besteht in Sehnen und Leidtragen) Owe liehter ougenweide, wenne wird mir sorgen buozf

(passiv die Abhilfe von Sorgen) Wenne sol din roter munt mió lachen an, unde sprechen: „saelic man, swaz du wilt daz si getan?"

Das einzige Muster der Gegenseitigkeit „swaz du wilt daz si getan" ist bezeichnenderweise nur Gegenstand formelhaften, unerfüllten Flehens. Man halte dagegen Walthers Gegenseitigkeitsbild: swa ich niht verdienen kan einen gruoz mit mime sänge, dar ker idi vil hersdier man minen nac ode ein min wange.

7

„Swenne", „swa" und ähnliche generalisierende Formen schaffen das lehrhafte „Immer" und „Überall" dieser Diditung.

207

Audi in den folgenden Strophen überwiegt das Tun der Frau: Ja mein ich den munt so losen, an dem al min troesten ligt.

Sprechet alle, rote rosen, d a z ein munt m i t roete sigt.

Baz dem munde zaeme ein liljenwizez ja denne ein nein von jamer bla: daz wort tuot mió jungen

gra.

Strophe III redet Frau Minne an: M i n n e , kanstu fröide

borgen?

des gih ich dir niemer tac. Swem du lachest gen dem m o r g e n , z w a r dem wirt ein aflerslac. D i n e r liiste rosen hegent scharpfen leide ist liebe zuo geborn: solhen wuocher treit din korn.

dorn;

In Strophe IV vertritt ein Beispiel aus Hartmanns „Iwein" die Stelle des Ich und setzt somit das Muster der Passivität fort: Minne, wiltu solhen jamer uf mid> erben mine zit? Diner lüste saelden amer mir deheine stiure git. N i e dem hern Iwane wirs kein maget tet, w a n diu schoene vrou Lunet half: da Iwan trost an het.8

N u r die fünfte Strophe stellt das machtlose Ich in rachefreudiger Aktivität dar, die allerdings von wunschhafter Irrealität getragen ist. Hier sieht sich das Ich als der große klassisdie Schiedsrichter (eine weitere literarische Anspielung nach der in Strophe IV; wir bewegen uns auf typisch Frauenlobsdhem Terrain). 9 Seine Entscheidung würde anders ausfallen als die des Paris; all die Leiden, die ihm die Liebesgöttin bereitete, würde er rächen, indem er Pallas oder Juno den Preis zuerkennte. Audi in diesem formelhaften kleinen Gedicht überwiegt die „condition humaine" die Begegnung anwesender Gestalten mit der Zeit. Das rhetorisch wiederholte „wenne" am Anfang des Gedichts umfaßt 8

Text auch bei Nagel, S. 6. • Zu den literarischen Anspielungen vgl. Saeditig, S. 30 f.

208

in unbeantworteter Frage die offene Zeit des Leids und der unerfüllten Liebe, bis zur letzten Strophe, wo im Immer und Nie des mythologischen Wunsches und seiner Irrealität der einzige Akt des Ich sich vollzieht: Wenn ich Paris wäre. Anstelle fester Zeitkonturen in schwebender Uberlagerung steht die Weite eines grenzenlosen, doch ebenso machtlosen Gefühls der Liebesknechtschaft. Zudem sind die Vorgänge nicht in zusammenhängenden Bildern gegeben. Zwar wird das Du, das in den ersten beiden Strophen der Geliebten gilt (es wird da nur einmal angesprochen) und in den drei letzten der Frau Minne, zuerst durch den roten Mund verbildlicht, das weiße Ja und das blaue Nein jedoch durchbrechen jede sinnliche Bildeinheit. Audi in Strophe III, die die Frau Minne anredet, zerstört punktuelle Bildlichkeit alle einheitliche Perspektive: 10 „Diner lüste rosen hegent scharpfen dorn" und „solhen wuocher treit din korn". Schließlich machen die literarischen Anspielungen geschlossene Szenik unmöglich, denn die Gelehrsamkeit wird nicht Bild (die Geste des Apfelreichens, die sich zu schaubarer Szenik vorzüglich eignet, wäre in einem auf Gegenwartsintensität angelegten Stil auch als Zukunftswunsch dramatisch vergegenwärtigt worden, wie etwa Walthers Zukunftswunsch: „und get ir alten hut mit sumerlaten an"). In Frauenlobs Lied übertönt das Beispiel die Bildkraft; wieder stehen Sinnlichkeit und Klugheit, Sehnsucht und Begriff seltsam nebeneinander. 11 Lied V, dessen erste Strophe wir als Beispiel manieristischer Gestaltung neben die Lautstrukturen Waltherscher Gedichte gestellt hatten, nennt in dieser ersten Strophe weder Ich noch D u ; schwebend zwischen Anrede und magischem Nennen der drei Buchstaben „wip" hämmert die Anaphernreihe den Begriff und seine Eigenschaften in O h r und Auge. 12 Dies seltsam gespannte Oszillieren zwi10

11

14

Dazu H . O. Burger, Die Kunstauffassung der frühen Meistersinger, und Bert Nagel, Das Stoff-Form-Problem des frühen Meistersangs, DVjS 17 (1939), S. 345 ff. Der traditionelle Minnesang, besonders Reinmarsdier Prägung, an den Frauenlobs Lieder sich anschließen, lebt ja audi von dieser Spannung. Dennoch sind dort die monotonen Muster der Preisgabe nidit so extrem. So sehr sich Reinmar der Dame unterwirft, beweist er dodi audi energische Standhaftigkeit etwa vor der Gesellschaft, seine Diditung ist nicht nur weiches Verströmen. — Nebeneinanderstehen und Diskrepanzen anstelle von Überlagerung, bauendem Ineinander und Balance werden uns in Frauenlobs Diditung auf den verschiedensten Ebenen begegnen. Wir verstehen unter Anapher lediglich den gleichen Anfang verschiedener Sätze oder paralleler Satzteile, nicht, wie Roethe S. 295, alle Erscheinungen der Wortwiederholung (vgl. Kretschmann S. 45).

209 14

Sdiaefer, Walther von der Vogelweide .

sehen Anrede und Aussage gibt den Ellipsen stärkste Intensität und zugleich vage Unpersönlidikeit. Die Strophe ist nicht nur rhetorisches Kuriosum, sondern besitzt große Ausdruckskraft; Tiefsinniges und bizarr Verspieltes berühren sich. Fluktuierend zwischen Abstraktion und flächiger Bildlichkeit einerseits und bohrender Wortkraft andererseits umgeht diese Sprache auf zwei Wegen das Zentrum natürlicher Plastizität: durch nervöses, ekstatisches, besessenes Beschwören und ziselierte Gleichungen: Litanei, Rosenkranz und Lineal, ruhelos monotone Dynamik und starre luzide Struktur. Diese Strophe ist das extremste Gegenteil personhafter, zeitlicher oder räumlicher Fixierung, keine Struktur des Hin- und Widerspiels, sondern ein mächtiges körperloses Kraftzentrum draußen, in dem alle Linien sich schneiden und alle Energie sich vereinigt. In Strophe II wird das Fluktuieren von Anrede und Nennen aufgehoben durch ein eindeutiges Du, das in Strophe III noch intensiver verwirklicht ist: „ O wip, du hoher eren k r ä n z . . . " . Das Andere ist nun zumindest zu einer angeredeten Person geworden. Auch die Subjektseite ist jetzt durch Personalpronomina vertreten, fast immer im Plural „wir", einem weiten, flächigen, unindividuellen, keiner Pluralität energisch profilierter Ich-Gestalten, sondern einer allgemeinchristlichen, passiven, vom „prineipium individuationis" weich erlösenden Menge. Das einzige Ich des Lieds, im achten Vers der zweiten Strophe, drückt den Inbegriff der Rezeptivität aus: „daz han ich in der sdirifte wol vernomen", Gelehrsamkeit und Offenbarung. Da wird der religiöse Aspekt, der in jeder Zeile spürbar ist, deutlich ausgesprochen. Vermischung von Marienkult und weltlicher Liebesdichtung ist ein wesentliches Element bei vielen Minnesängern, die religiöse Komponente der weltlichen Minne klingt immer wieder an. Doch finden wir im klassischen Minnesang nicht dieses Fluktuieren zwischen intensivster Jenseitigkeit und hektischer Diesseitsfreude; da wird die irdische Frau als geliebtes Wesen irdisch Gestalt, und in den Gefühlen, die der Mann für sie empfindet, klingt die Göttlichkeit jeder Liebe mit, die im Falle der Frauenliebe besonders zu der göttlichen Jungfrau in Beziehung gebracht wird. Die irdische Liebe steht im Mittelpunkt und deutet, sich selbst erfüllend, symbolisch auf die himmlische.13 13

Umgekehrt hat die spätere Mariendichtung Vorstellungen der weltlichen Liebeslyrik benützt, nur daß hier das emotionale Schwergewicht beim Religiösen liegt. In Morungens Minnedichtung hört man religiöse Töne, ohne daß dabei die Intensität der irdischen Liebe aufgegeben wäre. Vgl. de Boor II, S. 281 f., S. 282

210

Frauenlobs Preis gilt keiner individuellen mensdilidien Frau, viel weniger nodi als die „allgemeinen" Minnedichtungen der klassischen Sänger, sondern dem Ewig-Weiblichen und seinem Inbegriff, Maria. Das einzige Personhafte in diesem Gedicht ist religiös. 14 Uberblicken wir den weiteren Verlauf der Grundrelation. Die ersten vier Verse von Strophe I I setzen die Anaphernreihe fort, Vers 4 verdoppelt sie sogar innerhalb der Zeile: O wip, du hoher eren kränz, wip, aller zuht ein werder stam, wip, rehter maze ein blüender ast; wip sunder brudi, wip sunder schranz . . . Zwar wird später die Anapher an exponierten Stellen wieder aufgenommen, so in Strophe I I zu Beginn des Abgesangs und in Strophe I I I am Anfang beider Stollen, in der zweiten Hälfte des Lieds überwiegen jedoch differenziertere Sätze. Auch hier stehen kraftvoll H a n deln und Schenken des Du, gleich nach der Anaphernreihe ein umfassendes, der ganzen Welt zugutekommendes Schenken: von dir al wunne uf erden kam und alles Wunsches überlast15 Das Tun des Ich oder Wir ist Erlöstwerden und Reinigung: „von dir müezen wir ze himelen komen" (11,7) und „des müezen wir in tugenden weben" (111,6): bezeichnenderweise die einzige Aktivität des Wir. Dagegen: sit din gebenedeiter nam erglenzet unt git glänzen glast, und: Zwar wip, du bist ein vrideschilt vor sender not, des wol uns, wol,

14

15

zu Morungens Lied MF 147,4: „ . . . d i e s e s Beschauen wird in den seligen Sphären geschehen, wo sie als ,ein reinez wip' im Chor der seligen Frauen und Jungfrauen schweben wird, und wo, endlos jetzt und von aller Zeitlidikeit befreit, ihre Seele die ,frouwe' seiner Seele sein wird. Sein Dienst, und das heißt seine Liebe, wird im Himmel weiterdauern; sie erst macht den Himmel für ihn zur Seligkeit." Das Fluktuieren zwischen erotischer Glut und begrifflich kühler Theologie kommt hier jedodi kaum zum Ausdruck, da dieses Gedicht mehr der Geist- und Tugendgestalt des Weiblichen gilt. Jenes Nebeneinander von Sinnlichkeit und Abstraktion wird uns vor allem beim Marienleidi begegnen. „Wunsch" hat hier, ähnlich wie bei der Gralsdefinition im „Parzival", den Sinn von „Erfüllung alles Wünschbaren": 235,24: „erden Wunsches überwal".

211 14·

daz du uns wurde hie gegeben. Wip dir diu meiste menege zilt, du sist ein schuole tugende vol: des miiezen wir in tugenden weben. Suln wir erwerben immer an dir heil, so erwerbe wir ouch des himeles teil; des ist din triuwe an meiles zol: sus heiligt uns din reinez leben. Die Gegenseitigkeit, die im tugendhaften Nachleben ihrer Tugend anklingt, ist nachahmende Hingabe. Dem Idi öffnet sich eine trostvolle Zukunft im Jenseits. Diese Entgrenzung ins absolut Andere entspricht dem Handeln des Du, das in der weiten Schlußzeile mit seinem Leben das menschliche Leben übergreift, und der Anaphernreihe des Du, deren Fluchtlinie den Blick hinwegführt. Von Liebessehnen und Liebessdimerz, Krankheit, Trübsinn und spielerischer Besessenheit singen die meisten dieser Minnelieder, die Tradition aufnehmen und larmoyant übersteigern. 16 Stets übertönen Hingabe, Sehnen, Formelhafligkeit und intellektuelle Spitzfindigkeit die Bewahrung, Erfüllung und Natur. Pose oder Erlebnis der Preisgabe wiederholt sich ohne Dämme des Stolzes für das Ich. Wenn wir uns auch der Formelhafligkeit bewußt sind, 17 so müssen wir doch eben diese im Gedicht gegenwärtigen Züge sehen. Beide Arten der Hingabe an das Gegebene, begegnend AuftrefFende: Sichunterwerfen des Dichters unter die Konvention und, innerhalb dieser Konvention, Sichunterwerfen des lyrischen Idi unter das Du, sind miteinander ver-

16

17

De Boor III, S. 307 über Neifen und seine Schule: „ . . . nicht mehr Erschütterung oder Ergriffenheit aus der Tiefe, sondern die angenehme und interessante Blässe der Sentimentalität, echt genug, um nodi zu interessieren, aber nicht tief genug, um zu erschrecken." Die Formelhafligkeit „war für die Zeit die gewollte Norm, von der abzuweichen ein Verstoß war" (de Boor III, S. 298), und ebd.: „Es ist eine falsche, von modernen Vorstellungen ausgehende Fragestellung, die notwendig zu falschen Antworten führt, wenn wir an die Lyrik des späten 13. Jahrhunderts mit der Forderung der Originalität herangehen." Wenn wir v o n „formelhaft" sprechen, so werten wir nidit ab, sondern versuchen, diese Hingabe an die Tradition zu andern Zügen in der Diditung jener Zeit in Beziehung zu setzen. Man macht es sich zu leicht, wenn man Stereotypes nur als Cliché abtut, aber auch, wenn man ohne Erstaunen dies Stereotype eben als die Norm ausgibt.

212

wandt. Der humorlose Mangel an Selbstdistanz 18 erhöht die Intensität dieser Hingabe. 19 Noch ein Lied betrachten wir seiner allegorisdien Anspielungen wegen, Ettm. IV, Str. III-V. Si tuot mir als daz pantel bi den tieren; dem volgents nach durch siiezen smac in bitter not. Ir spilndez angesihte kan si zieren: der schoene vröuwe ich midi: diu vreude treit den tot. Ich mac niht vollecliche sehen in so trost gebende schoene, ez enmiieze geschehen ein vallen, sam des aren kint der sunnen brehen durch weichen blic tuot sterben: solh verderben git si mir, des muoz ich jehen.

Frauenlob nimmt die berühmte Stelle eines andern Manieristen vorweg: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode sdion anheimgegeben", wie überhaupt in Hektik, Sehnen und kühler Glut Platen, Wagner und das Tristanmotiv wesensverwandt sind und in den Motiven von Schönheit, Liebe und Tod sehnendes Entgrenzen sidi ausdrückt. 20 Auch die nächste Strophe bringt typisdie Motive dieser Dichtungsart, Schwanengesang und Phönix: 2 1 J a singe ich als der swan der gen dem ende so süezen sane gewinnet; welch ein swindez vro! Si tuot mir als dem fenix, den sin brende in lust verbrennet: min gemüete lebt also. Swie we mir ie von ir geschach und noch geschieht, doch ist si miner vreuden dach, min balsamtror, min edeler stein vür ungemach. ei minneclichez toeten! mit den noeten si min herze alrerst durch brach,

18 Vgl. Kretschmann, S. 249. ' · Außer an Walthers humorvolles Sichbewahren denken wir an Beispiele bei Goethe, etwa die Rettung aus Liebesverfallenheit in „Lilis P a r k " . Audi in Goethes ernsten Gedichten stand immer wieder die Bewahrung mäßigend in der Hingabe. 1 0 Hier haben wir freilich nicht die intensive Kraft des Liebestod-Motivs. ! 1 Vgl. Saeditig, S. 24 und S. 54 (mit Hinweis auf K . Müllenhoffs „Deutsche Altertumskunde", 1890, I, 1). Das Phönixsymbol ist eingehend besprochen bei Krayer, S. 80 ff.

213

und ein weiteres Bild aus der religiösen Allegorik des „Physiologus" 22 in der letzten Strophe: Kaem uz ir süezen munde ein wort gevlozzen, daz taete midi von todes banden komen wider. Reht als der leu, der in des todes slozzen sin weif ersehnet, daz si lebendic werden sider: So mac si midi erquicken wol. ei saelic wip, nu tuon idi allez daz idi sol: mac niht vervahen staetez herze triuwen vol, wie sol ich denne gebaren? junger jaren erbe idi alter angest zol. Den „Minneleich" besprechen wir nicht in Einzelheiten. E r ist ein naturmythischer Preis der Frau, des Worts, der Idee, der Wirkkraft: Wip schribet sich mit drin buodistaben: w wiinne wil ze diute haben, i irdisch in im hat begraben, ρ paradis gesprochen. (23,1-4) 23 Für die Untersuchung der lyrischen Grundrelation bietet die zelebrierende Großform des Leidis kein allzu relevantes Material, da hier das lyrische Ich sowieso zurücktritt hinter dem Gegenstand, audi in Walthers Leich.24 Dennodi spüren wir den Unterschied, wenn wir neben Walthers liebevoller Gelassenheit den von schweren Wehen einer Begriffsgeburt durchpulsten Minneleich hören, der die Begriffe der Gott-Natur, des Weiblichen und des Schöpferischen zueinander in Beziehung setzt. 25 Wir fragen nicht nach dem Gehalt, sondern nach eä

25

84 25

Zu Frauenlobs Physiologusbilder vgl. Saeditig S. 54, mit Hinweis auf Konrad von Megenbergs „Buch der Natur". Ausführlich werden Physiologusbilder bei Krayer an verschiedenen Stellen untersucht. Für Frauenlobs Wortspiele vgl. Kretsdimann S. 71 ff., das vorliegende Beispiel s. S. 73. Vgl. S. Singer, Die religiöse Lyrik des Mittelalters, S. 89 ff. Heinrich Lütcke, Studien zur Philosophie der Meistersänger, Berlin 1911, S. 37 ff. betont die Einheit von Wort und Begriff: der Name bedeutet das Ding (Gottes Schöpferwort, Logos). In Frauenlobs großem Spruchzyklus, dem Disput zwischen Minne und Welt (424—444), sehen wir eine andere Ausprägung derselben Tendenz von Gegensätzen: die Bereiche bleiben in der Begegnung miteinander in der Hingabe nicht mehr fest sie selbst, sondern fließen gedanklich und sehnend erlebnismäßig ineinander: die Minne und das Göttliche und somit audi das Göttliche und die Welt. Etwas extrem formuliert es Lütcke S. 74: „ . . . er [Frl.] führt uns in der symbolischen Art des Mittelalters buchstäblich die Uberwindung

214

der Technik des Nennens, das alle zum Begriff gehörigen Eigenschaften aktiviert. In überpersönlichem, weder zeitlich noch räumlich fixiertem Ritual wird durch Intensivschaltungen wie Anaphernreihen und Reihung naturphilosophischer Begriffe ein Zentralbegriff im Reaktor wortmagischer Rhetorik so lange mit Vergleichen beschossen, bis er selbst diese Begriffsenergien in sich trägt. Personen, Gegenstände und Bilder sind durch objektive Quellen 2 6 bestimmte Zeichen, eine körperhaft gegenwärtige Frauengestalt verwirklicht sich nicht. Es läßt sich der poetische Vorgang dieses Gedichts sinnvoll mit der Begrifflichkeit des Zyklotrons vergleichen, dessen Realität sich in papierenen Formeln und ungeheuren Energien äußert, und nicht mit der Begegnung von Gestalten in schaubarer Natur. Wir geben die Feldlinien der Hochspannung: Das „wip" ist: nodi süezer denne der forme ir understende, nodi süezer denne der dürre ein regen, noch süezer denne der vorhte ein segen, ouch denne der ger ir ende; Noch süezer denne ein küeler wint dem heizen pilgerine, nodi süezer denne dem durstendigen ackermanne ein kalt ursprinc; Nodi süezer denne in's lewen hitziger sunne ein sdiate schine, nodi süezer denne dem niuwen leben der süezen armonien klinc; Noch süezer denne des lewen weif ir vaters quickendiger gelf, noch süezer denne ein stolze meit in vluht dem eingehürne; N o d i süezer denne dem adelar in siner muze ein brunne ciar,

nodi süezer denne dem fenice ein wandel nach der bürne . . . und noch viele Anaphern. Daneben theoretisiert und lehrt Frauenlob in seinen Minnesprüchen,27 sieht also auch hier, auf ganz andere Weise, den Gegenstand in

26 27

der dualistischen Welt durch die Liebe, als Prinzip einer energetischen Weltanschauung, vor." Wesentlich ist die Tendenz, Brücken zu bauen, die aus dem Erlebnis viel weiter getrennter Extreme entspringt, als sie die klassische Zeit empfunden hatte (wie ja auch die Extreme Minne und Welt sidi hier zunächst in hartem Disput gegenüberstehen). — Neuerdings hat Helmut de Boor eine kritische Ausgabe dieses Textes mit Erläuterungen besorgt: Frauenlobs Streitgespräch zwischen Minne und Welt, P B B 85 (1963), S. 383—409. Alanus, Physiologus (vgl. Krayer, etwa S. 30 ff.). Die Liebe als lehrbare Kunst oder lehrbare Ethik: vgl. zu dem ganzen Fragenkomplex auch Maria Bindschedler, Der Bildungsgedanke im Mittelalter, D V j S 29 (1955), S. 20—36.

215

der distanzierenden Gebrochenheit der Abstraktion. Wir geben ein Beispiel aus dem „Kurzen Ton" (Ettm. 228): E i n rehter minner der sol han z u h t unt d a bi Bescheidenheit; E r sol ouch staete u n d e r t a n sin einer minneclicher meit, D i u im erhoehe sinen m u o t m i t rehter liebe sunder pin, so wirt im minne unt v u o g e sdiin o b er ez tougenlichen tuot.

Das Idi erscheint vorwiegend in Formeln wie: das sage ich, das lehre idi, und verkörpert sich nicht im Vorgang szenisch gegenwärtiger Lehre. Diese Tatsache charakterisiert das Wesen der Grundrelation. Das dynamische Gestaltwerden der statisch dauernden Idee bei Walther, die geschaute Begegnung des Ideals mit lebendigen Menschen, die Balance von Dauer und Verwirklichung, ist bei Frauenlob ersetzt durch Predigt eines dauernden ethischen Kanons mit punktuellem Exemplifizieren durch Erfahrungsstücke, 28 die zeitlich ebensowenig bestimmt sind. Ein schönes Beispiel für den Unterschied zwischen Waltherscher und Frauenlobsdier Gestaltung ist der Disput über „wip" und „vrouwe", an dem Frauenlob, Regenbogen und Rumezlant beteiligt sind. Der Disput knüpft an Walthers berühmte Unterscheidung im Lied 47,36 an. 29 Walther eröffnet sein fünfstrophiges Gedicht mit dem persönlichen Erlebnis der Mitmenschlichkeit, in Mitleid und teilnehmender Freude, und führt zum höfischen Erlebnis gestörter Harmonie von dichterischem Preis und menschlichem Wesen, von Verdienst und Anerkennung, um dann die Unterscheidung der Begriffe notwendig dem Erlebnis menschlicher Gegenseitigkeit und sinnvoller Entsprechung folgen zu lassen, das in der Szene des Sichabwendens bei fehlender Zuneigung kulminiert. Für Walther, das zeigt seine Gestaltung, ist die Unterscheidung von „frowe" und „wip" kein Spiel mit Begriffen, sondern Wir sehen von der Frage des ethischen Systems ab. Walthers Lebensphilosophie mag konsequenter gewesen sein, sie wirkt jedoch in vielen Begegnungen reicher individualisiert. In Frauenlobs Ethik dominiert die abstrakte Lehre selbst, ihrer Lehrintensität wird durch Versinnlidiung keine Energie entzogen, hier wittert man eher den Philosophen und das System. 2 * M. Lang S. 11 über die Form dieses und des Minne-Welt-Disputs. 28

216

die Vollendung seines in vielen Szenen verkörperten Ideals der Gegenseitigkeit. So wächst auch die programmatische vierte Strophe des Lieds aus dieser erlebten Dynamik heraus. Keine Autoritäten stützen die Richtigkeit; in ergriffenster Auseinandersetzung, nicht in spitzfindiger Definitionsfreude, entstehen die Begriffe im Rahmen des Gedichts wie im Rahmen von Walthers Gesamtwerk. Frauenlob verteidigt wieder Begriff und Wesen der „vrouwe", der höfischen Herrin; audi bei ihm mag die Diskussion Wesentliches bedeuten und keine Wortspielerei sein. Aber Voraussetzungen und Durchführung sind völlig anders. Für Frauenlob sind die Begriffe, wie überhaupt das Erbe der staufischen Kultur, keine Synthese von dynamischer Schöpfung und statischem Da-Sein, wie sie von den abenteuernden Neuschöpfern vorhandener Ordnungen erlebt wurde, sondern, selbst wenn die Begriffe wahr empfunden wurden, fest definierte, verkrustete Tradition. 30 So werden sie nicht in erlebnisgetragener Problematik diskutiert, sondern wie Schachfiguren hin- und hergeschoben. Im Spiel mit Walthers Zeile „wip dest ein name ders alle kroenet" wird gestritten darüber, welcher Name den besseren Klang habe, und — das ist entscheidend — welcher Begriff von den Autoritäten mit größerer Ehrfurcht genannt worden sei (Christus redete Maria auf der Hochzeit von Kana mit „Weib" an, dagegen sagt Frauenlob: „er sprach ,du vröulich künne'", und dergl.). Phantastische Etymologien und symbolische Deutungen werden im Stil der Zeit versucht;31 anstelle der Vergegenwärtigung steht zeitlose Autorität oder traditionelle Wortalchimie: Begegnung in Diskussion und Definition, nicht in der Schau, Meiden des menschlichen Antlitzes und Hingabe an Papierweisheiten und kosmische Geheimnisse.32

30

Gerade im Gehaltlidien waren „Traditionsgebundenheit" oder „Neuerertum" zentrale Themen der Frauenlobforschung (vgl. den ausführlichen Forsdiungsbericht in der Einleitung zu Krayers Buch, und de Boor III, S. 466 ff.). " Dazu Kretsdimann S. 72. 32 Freilidi spiegeln auch diese Deutungen aus dem Geist des Mittelalters tief sinnvolle Problematik wider und sind keineswegs Spielereien, das Problem ist aber eines der Einordnung in Kanon und Kosmos, kein Wagnis eines Ich, das dem Gefühl wie dem Ordo gerecht werden möchte.

217

II. Didaktik Es ist eigentlich inkonsequent, gerade dieses Kapitel mit „ D i d a k t i k " zu überschreiben, denn Lehre findet sidi in der ganzen Spruchdichtung Frauenlobs. Wir untersuchen hier jedoch einige thematisch verschiedene Gedichte, die nicht vorwiegend von Liebe, Polemik, Gott oder T o d handeln, sondern allgemeiner, auch höfischer, Morallehre gewidmet sind. Es ist darauf hingewiesen worden, daß in der nachklassischen Zeit die ängstliche, krampfhafte Kodifizierung der einst so lebendigen Regeln einsetzt 1 und daß der nicht mehr jene im Wagnis sich bewahrende innere Sicherheit des Schauenden und Gestaltenden besitzt, der mit dem Ton intellektueller Sicherheit den Kanon predigt, den andere für ihn geschaut und gewonnen haben. J e lauter in der Kunst Ethik theoretisch vorgetragen wird, desto weniger instinktsicher ist die Zeit. D a s Sichfestklammern am Sittenkodex und an der Lehre, die direkte oder allegorisch verschleierte Gedanklichkeit der Aussage ohne das Wagnis eines gestalteten Menschenbildes, die Flucht in die Abstraktion, die die unheimlich vieldeutig gewordene Sinnenwelt entschärft, indem sie diese Welt Stückchen um Stückchen zum Exempel macht und bändigt all diese Erscheinungen kennzeichnen die Hingabe Frauenlobs an die Didaktik. 2

1

2

Zu dem Unterschied zwischen hochhöfischer und spätmittelalterlicher Didaktik s. audi de Boor III, vor allem S. 16 ff.; er stellt die ständische Idealität hodihöfischer Weltbetrachtung dem Nebeneinander von Pessimismus und Erziehungsoptimismus der Spätzeit gegenüber. Ober den Dichter als Lehrer und die Verschiedenheit dieses Verhältnisses in hoch- und späthöfischer Zeit vgl. Brinkmann, Wesen und Form, S. 19 ff. Ob Frauenlob „höfischer" oder schon „bürgerlicher" Ethiker war und ob er ein ethisches System besaß, bleibt in diesem Zusammenhang zunächst unwesentlich. Entscheidend sind die gestalterischen Komponenten seines Verhältnisses zur Tradition. Für Helmut Kißling, Die Ethik Frauenlobs, Halle 1926, ist das zentrale Problem: Minnesänger oder Meistersinger (S. 1 ff.), damit verknüpft er die Frage nach der höfischen oder bürgerlichen Ethik. Rehm, Todesgedanke, hält S. 56 in Anlehnung an Kißling Frauenlob eher für bürgerlich als höfisch: „ . . . ein dogmatisches, ein schon meistersingerlich enges, kleines, aber um so selbstbewußteres W e s e n . . I r m e n t r a u d Kern, Das höfische Gut in den Dichtungen Heinrich Frauenlobs, Germ. Studien 147, Berlin 1934, betont die höfischen Elemente. S. 7: Frauenlobs höchstes Ziel sei es, die alten Meister in ihrem Eigenen noch zu übertreffen. Daher empfindet sie es als Ironie, daß er als der erste Vertreter des Meistersanges angesehen wurde. Dann aber betont sie S. 98: „Er pendelte selbst zu haltlos hin und her zwischen den beiden Geistes-

218

Dabei besitzt Frauenlob großes, f ü r manchen Geschmack sogar abstoßendes Selbstbewußtsein. 3 Wenn wir von Unsicherheit reden, widersprechen wir dem nicht. D a s langsam erstarrende unheimlich Schöne und Große der klassischen Zeit lastet auf den Späteren. Die vollendete klassische Kunst reizt zu wildem, überbietenwollendem Experimentieren. Die späteren Besitzer und kühnen Variationenerfinder verlieren über allem Kunstbewußtsein des Eingeweihten jene K r a f t der Geborgenheit, die bei aller Gefahr und Bedrängnis aus der Erde kommt und aus der naturhaften Begegnung mit den Dingen.

3

Strömungen, die sich in seiner Zeit begegneten; zu der einen durch Bewunderung und N e i g u n g gezogen, zu der anderen durch Geburt und Zeitstellung gezwungen." Thomas wendet sich S. 222 ff. gegen die Auffassung der „meistersingerischen H a l t u n g " Frauenlobs, vor allem, d a er glaubt, das meiste „Meistersingerische" als unecht erwiesen zu haben. D e Boor III, S. 20 betont Frauenlobs Protest gegen epigonales Unterlegenheitsgefühl. Frauenlobs Selbsteinschätzung r u f t die Frage nach der Einschätzung durch die andern wach. K r a y e r erwähnt in seinem Überblick über die Geschichte der Frauenlobforschung (S. 13 ff.) die beiden Tendenzen der Reaktion „auch außerhalb der strengen Grenzen literarischer Forschung" (S. 14): Gegnerschaft und leidenschaftliche Verehrung. Pfannmüllers angeekelte Ablehnung ist ein E x t r e m , aber audi Scherer, R . M. Meyer, N a d l e r und Ehrismann begegnen Frauenlob mit kühler Kritik. (Vgl. dagegen die abwägende, von Enthusiasmus wie von hochmütiger Abwertung freie H a l t u n g Stackmanns Heinrich von M ü geln gegenüber, S. 10.) Unsere Neigung, jeder Erscheinung gerecht werden zu wollen und sie aus sich selbst zu verstehen (Krayer zitiert S . 14 Schelling: „. . . wohin müssen u n s e r e Gedanken sich erweitern, um mit dem Phänomen in Verhältniß zu stehen") birgt jedoch die G e f a h r des relativistischen „tout comprendre c'est tout p a r d o n n e r " und des besonders unserer Zeit eigenen Fasziniertseins mit jedem Extrem. K r a y e r s Feststellung S . 14: „ D a s Ringen um neue Ausdrucksformen in der modernen Kunst spiegelt eine auf die Prinzipien zurückgreifende radikale Auseinandersetzung um das Wesen des künstlerischen Gestaltens überhaupt" zeigt, wie wir, im Glauben, fremde Individualitäten zu verstehen, vor allem gerne jene Gestalten und Prinzipien verstehen, die unseren E x t r a v a g a n z e n und unserem (eingebildeten oder wahren) Kunst- und Lebensdilemma entsprechen. Ich warne midi hier selbst: unsere „ O b j e k t i v i t ä t " ist nicht immer lauter; einer K u n s t wie der manieristischen gegenüber ist die Tendenz, alles E x t r a v a g a n t e für expressiv und bedeutend zu halten, ebenso bedenklich wie die andere, die aus rationalistischer Enge und bürgerlichem Biedersinn d a f ü r kein Verständnis aufbringt. K r a y e r charakterisiert Frauenlob S. 15: „ D i e Schar seiner Nachahmer bewies, wie unnadiahmlidi er w a r : eigenständige, starke Persönlichkeit, nicht nur spielend mit dem Anspruch, durch dichterisches Wort der eigenen Zeit Prägung und Deutung zu geben: ,Idi gibe der zit ir wise unt wort, idi undersdieide ir lieb unt leit'." Weder auf G r u n d seiner unnachahmlichen Diditung nodi seines Nachruhms ist die Charakteristik „starke Persönlichkeit" gerechtfertigt. Audi der Filmstar R u d o l f Valentino ist von den weinenden Anhängerinnen eines ganzen Landes zu Grabe getragen worden: die Nachahmung von Frauenlobs Dichtung galt nicht so sehr seiner persönlichen

219

Wir begannen d e n entsprechenden Abschnitt bei Walther m i t einer Interpretation des ersten Reichsspruchs „Ich s a z uf eime steine"

und

stellen d e m eine I m i t a t i o n Frauenlobs gegenüber, den Spruch E t t m . 263 : Ich saz uf einer g r ü e n e u n t dahte m a n e g e r h a n d e dine, w i e idi die w e r l t behielte u n d ouch gen g o t e iht w u r d e line: d o k ü n d e i d i nie e r d e n k e n d a z , d a z o u d i iht töht z e solher h a n d e ger. M i n bloedekeit w a r t k ü e n e v o n gedanken, der idi v i l verschriet; al nach der w e r l d e zucke m i n kintheit mir d i e w i t z e riet, d a z niemen uf d e r eren s a z k u m ane schaz : des w a r t mins L e b e n s swer. Ich strafte v r o u w e n E r e n , i d i sprach, ,ir sit ein swache meit, l a t ir iudi schaz v e r k e r e n . ' si siufte unt s p r a c h : ,du t u m b e r , schaz het mich leider Ü b e r w e g e n ; m a n m a c m i n w o l mit schätze pflegen, schaz ane tugent ist gen m i r ein k u m b e r . 4 S c h o n d e r B e g i n n ist bezeichnend. H a l t e n w i r W a l t h e r s u n d lobs Strophen

Frauen-

nebeneinander:

Aussage als seiner expressiven Manier: Popularität und Extravaganz der Aussage können nicht unbesehen mit starker Persönlichkeit des Menschen gleichgesetzt werden. Uns geht es jedoch nidit um die Person Frauenlobs, sondern um die Idikraft der Aussage und der Tradition, die diese Dichtung verkörpert, unser „Urteil" versucht, die überpersönliche Haltung dieses Stils zu charakterisieren. Innere Stärke besaß die Diditung Walthers, der sich nicht als Pontifex Maximus oder Oberküchenmeister der Kunst gebärdete, sondern der sidi selbst gestaltete und sich von der Welt, sie gestaltend, begrenzen ließ. Wie wenig die Nachwirkung mit der Stärke der Persönlichkeit in Einklang steht, zeigt Wolfram, dessen Ruhm sich nicht so sehr auf die Plastik der Ichfigur im Parzival mit ihrer Fülle weltumgreifenden, audi zu sich selbst Distanz gewinnenden Humors gründete, sondern auf die unpersönliche Goldschmiedekunst, die ihm nicht einmal gehörte, den „Jüngeren Titurel". Wie wenig Wirkung mit Persönlichkeit zu tun hat, zeigt unsere eigene Zeit, in der Exzentrizität kein persönliches Wagnis, sondern das Alltägliche ist, das imitiert wird. 4

Bei Nagel S. 44. Wir behandeln nur den ersten Spruch der zusammengehörigen Zweiergruppe 263 und 264.

220

Ich saz uf eime steine und dahte bein mit beine. dar uf satzt idi den ellenbogen . . . Walther gestaltet seine mächtige, in ihrem gegenwärtigen Sein Gedanken tragende Plastik. Dagegen Frauenlob: „Ich saz uf einer grüene / unt dâhte maneger hande d i n e . . . " . Schon in der zweiten Zeile ergreift er durch die Assoziation „dahte" und „dâhte" die Gelegenheit, aus dem Bilde in die Spekulation auszubrechen. Die Gedankenfolge wird nicht von einer am Wege sitzenden Gestalt getragen, denn die müßte, wie bei Walther, Raum und Zeit zur Entfaltung haben. Aus dem fest umgrenzten Stein wird, flächig den einzigen räumlichen Fixpunkt entgrenzend, eine Wiese, aus der markanten Kontur eine weicher zerfließende Impression: gewiß keine tiefsinnige Absicht, sondern die Notwendigkeit, die Waltherzeile zu belassen, um die Anspielung deutlich zu machen, und ein wesentliches Wort differenzierend zu ändern; in diesem Zufall aber eine interessante Neubildung der inneren Form. Auch die Gegenwart, die durch die Anwesenheit der Figur und durch die politische Aktualität bei Walther die Zeitlosigkeit der Lehre überlagert, löst sich bei Frauenlob durch das sofortige Verflüchtigen der schaubaren Figur, durch das allegorische Gespräch, das wiederholende Ausbreiten des Denkprozesses und die Betonung der Zuständlichkeit in flache, weite Dauer. Während Walthers Gedicht in den von der Plastik getragenen Gedanken sich ausweitet zu den geschauten Straßen im Großraum des Reichs, bleibt das Idi in Frauenlobs Strophe bei sich und seinem gestaltlos gegebenen denkenden Selbst. Da ist es intensiv anwesend, aber sein Handeln besteht nur aus Denken und Reden. Die einzige Begegnung mit einer Gestalt ist die mit Frau Ehre, also keine Gegenseitigkeit, sondern wieder ein allegorischer Diskurs im Innenraum des Zerebralen. Die einzige Gegenwartsintensität ist die einer ausgedehnten Überlegung, die Allegorien sind nicht in lebendiger Szenik gegeben, das Denken nicht in harter Konzentration „do dahte ich mir vil ange, / wie man zer weite solte leben", sondern, der ausgedehnteren Weite der „grüene" entsprechend, in weiterem, flächigerem Schweifen: „unt dahte maneger hande dine, / wie idi die werlt behielte / und ouch gen gote iht wurde l i n e . . . " . Vor allem diese in der Negation gegebene Alternative ist zaghafter als Walthers energische Position. Um uns den abstrakten Wortschatz deutlich zu machen, 221

gehen wir zunächst die Substantive im Frauenlobgedicht der Reihe nach durch: grüene, dine, wer It, got, ger, bloedekeit, gedanken, werlt, zucke, kintheit, witze, eren, saz, schaz, leben, vrouwe Ere, meit, schaz, schaz, schaz, tugent, kumber. Bei den Verben ist es ähnlich: sitzen, denken, behalten, werden, können, denken, taugen, werden, zergrübeln (eig. zerkleinern), raten, kommen, werden, tadeln, sprechen, sein, lassen, verkehren, seufzen, sprechen, überwiegen, sich widmen, sein.5 Wenn wir uns kurz den Inhalt der Sprüche vor Augen führen, so merken wir, daß schon Frauenlobs Fragestellung anders ist als die Walthersche.6 Zwar deutet die erste Problemstellung („wie ich die werlt behielte / und ouch gen gote iht wurde line") auf Walthers Frage nach der Totalität der „spiritualia" und „temporalia" (er zunächst allgemeiner: „wie man zer weite solte leben", dann speziell in bezug auf die Einheit der drei Werte). Frauenlob hält jedoch den gewaltigen Spannungsbogen, unter dem bei Walther die Visionen der Wirklichkeit sich hineindrängen in die total geforderte, große Synthese von Ideal und Wirklichkeit, nicht durch. Walther ehrt den Menschen, indem er die schlechte Welt zumindest in Gedanken dieser Synthese wert hält und sich nicht in Resignation einer reinen Jenseitsmystik hingibt. Frauenlob verengt die Frage nach Gott und der Welt, die er, das Vorbild nachahmend, zu behandeln versprochen hatte, auf das eigentlich innerweltliche Verhältnis zwischen Gütern und Ehre, dem „utile" und dem „honestum". Das „summum bonum" klingt vielleicht noch leise an im tugendhaften und somit gottgefälligen Erwerben von Ehre, verschwindet aber sonst am Horizont. So verweilt das Denken, das über das gewaltigste Problem nachzusinnen anhebt, bei einem interessanten, aber immanenten Teilgebiet. Intensivierung der rationalen Schärfe, Hingabe an vorgezeichnete Bahnen, Vermeiden des Hinausgreifens in die Welt plastischer Dinge, Beschränkung auf das Gefahrlose oder, in anderen Gedichten, Ausdeh5

6

Bei Walther: Stein, Bein, Bein, Ellbogen, Hand, Kinn, Wange, Welt, Rat, Ding, Ehre, Güter, Schaden, Gotteshuld, Vergoldung, Schrein, Güter, Ehre, Gotteshuld, Herz, Stege, Wege, Untreue, Hinterhalt, Gewalt, Straße, Friede, Recht, Geleit; sitzen, decken, setzen, schmiegen, denken, leben, geben, erwerben, verderben, sein, tun, sein, wollen, können, kommen, nehmen, sein, fahren, haben, werden; also vor allem bei den Substantiven konkreteres Vokabular. Vgl. audi I. Kern S. 9. Ob der Hinweis auf den Anklang von 323,1: „Ich prüeve uf miner straze dri vinde . . . daz erste ist, werlt, din saze" an Walther 8,4 gerechtfertigt ist, bleibe dahingestellt.

222

nen auf das Vermessene, Bizarre, magisch und wortaldiimistisch Zwingbare: all diese Elemente begegnen uns in Frauenlobs Gestaltung. Er ist Kleinbürger oder Magier; Predigt des Überschaubaren oder Hingabe an intellektuell geschlossene Geometrie bei sinnlich grellem Auseinanderklaffen stehen einander entgegen.7 Unsere Strophe ist ein Beispiel der Reduktion eines kühnen, sinnlich und geistig geschauten Problems auf „einfache Sittlichkeit" und auf eine blasse, wehmütige, subtile Geistigkeit. Wendungen wie: „des wart mins Lebens swer" 8 und „schaz ane tugent ist gen mir ein kumber", die an prominenter Stelle am Aufgesangs- und Strophenende stehen, dann das Seufzen der Frau Ehre, geben dem Ganzen trotz seiner Deutlichkeit etwas Resignierendes. Der erste Reichsspruch Walthers endet, trotz seiner dunkeln Visionen, mit dem Wort, das die Möglichkeit aller klassischen Hoffnung umschließt: „gesunt", der letzte Reichsspruch endet mit dem energischen, schmerzvoll trotzigen Klagen des Klausners: „ O w e der babest ist ze june; hilf, herre, diner kristenheit!"', Frauenlobs Strophe verklingt mit Kummer und Bedrücktsein. Es steht in dieser Müdigkeit die Resignation einer späteren Zeit, 9 die sich der Diskrepanz von ererbtem Ideal und empfundener Wirklichkeit schmerzlich bewußt ist, aber nichts mehr von den Funken spürt, die sprühen, wenn in einem heroisch-schöpferischen Akt diese Ideen zum erstenmal auf die Wirklichkeit aufprallen. Während die besprochene Strophe ein allgemein ethisches Thema behandelte, setzen sich die folgenden mit Fragen höfischer Ethik auseinander. Milte, maze, staete, zuht und viele der andern Leitbegriffe der staufischen Klassik, die einst in Balance von dynamischer Neugestaltung und statischem Stellenwert in deutscher Sprache morgenfrische Schöpfungen waren, sind nun zu einem Katalog ethischer Werte geworden, deren man sidi wie heimischer Geldmünzen bedient: unproblematisch in dem Sinne, in dem sicher Ererbtes in einer gefährdenden, zweifelnden Gegenwart erlösend und geradezu obstinat unproblematisch ist; sie wurden zu einem ethischen Naturschutzgebiet 7

8

9

Das Nebeneinander von Glattem und Bizarrem ist zu betonen, da sonst immer der Wortmagier Frauenlob einseitig in den Vordergrund gestellt wird. Wir lesen 263,12 nach N a g e l : „des wart mins Lebens swer", nach C und J (von Ettmiiller A und Β genannt). Ettmiiller folgt der Weimarer Hs. „des gienc min leit entwer". Dies trotz Frauenlobs stolzem Verteidigen des Eigenrechts der späteren Kunst (vgl. de Boor III, S. 20).

223

am Rande einer gefahrvollen, unerforschten Wildnis.10 Das Problem war die intellektuelle Definition der Begriffe und die Diskrepanz zwischen der idealen und der wirklichen Welt; diese Diskrepanz wurde aber nicht in dramatischen Begegnungen gestaltet, sondern die Formeln der ererbten Ethik wurden glatt, schön und widerspruchslos in endlosem Nacheinander in diese Welt hineingesprochen. Eine heile, vorgegebene Welt von Begriffen, der die Dichter sich ohne Wagnis dankbar hingaben, ein Gebäude aus vertrauten Tönen und rettend stereotypen Vorstellungen wurde ins Offene hineingestellt, ohne Warten auf Antwort, in der Geborgenheit schenkenden Monotonie eigenen steten Sprechens. Worte und Traditionen wurden zur Litanei, die man aufsagt, wenn man im Dunkel seine Stimme feste Dinge will reden hören. Unter diesem Katalog verstehen wir zunächst nicht die Ballung innerhalb eines einzelnen Gedichts, sondern allgemein den Gebrauch der formelhaften Begriffe, ihr Verkünden innerhalb des ausgedehnten Spruchwerkes eines spätmittelalterlichen Dichters oder gar der gesamten spätmittelalterlichen didaktischen Dichtung. In Konzentration finden wir dann in einzelnen Strophen diese Hingabe an den Katalog vorgelebter Wirklichkeiten, vorwiegend in Serien von Namen und Begriffen.11 Es ist dies eine Spielart des in manieristischer Lyrik so vielgebrauchten Prinzips der Reihung,12 das uns in den Anaphernreihen begegnet ist und das wir noch in manchen andern Varianten 10

Vgl. Wolfgang Stammler, Ideenwandel in Sprache und Literatur des deutschen Mittelalters, DVjS 2 (1924), S. 753—769. Stammler weist auf Dvoraks epochemachende kunstgeschichtliche Interpretation des „gotischen Stils" hin: „Idealismus" und „Naturalismus" in Spannung und Synthese. (Audi Dvorak hat den Ausgleich von Naturalismus und Idealismus zu sehr und die unvereinbare Spannung zu wenig betont. Vgl. dagegen die Konzeption von Günther Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, Handbuch der Literaturwissenschaft, Potsdam o. J. [1927], S. 10 f. und passim.) Zur Problematik der Erforschung des späten Mittelalters s. Hanns Fischer, Probleme und Aufgaben der Literaturforschung zum deutschen Spätmittelalter, GRM 40 (1959), S. 217—227. Zur „Übergangszeit": Kretschmann S. I f f . In seiner berühmten Abhandlung von 1811 „Uber den altdeutschen Meistergesang" will Jakob Grimm die organische Einheit von Minnesang und Meistersang aufweisen. Meistersang sei die gealterte, verholzte Form der Pflanze Minnesang. Diese Auffassung vom Gealterten, ins Philosophische Verkrusteten macht sidi auch Lütcke zu eigen (S. 3 ff.). S. auch de Boor III, S. 20ff.

11

Zur Substantivreihung Kretschmann S. 27 ff. Vgl. Kretschmann S. 9 f f . „Serien beispielhafter Gestalten": Kibelka S. 316ff., „negative imagines": S. 318ff.

12

224

antreffen werden. Im Gedicht ist die Serie beliebig fortsetzbar; wie in der Zahlenreihe folgt hier n + 1 auf n. Ihr Aufhören bedeutet nicht Vollendung und Erfüllung, sondern zufälliges Abbrechen am Ende des metrischen Gefäßes. So zum Beispiel im Spruch 248: Man sagt von Parcivale, von Titurel unt Gamuret, von Hector und Achille, v o n Gawein, der daz beste ie tet, von Walban unde Lanzilot, Ibanes kriege unt von Wilhalmes tat. Die worhten heldes male: daz schuof der vürsten miltiu hant; ir tugent und ir giiete, ir staeter muot was wol erkant, daz er mit tugende waer ir bot gen mannes muot nach siner sinne rat. Swie hohe ir muot do swebte, unt waer noch Artus solher tugent, als er d o milte lebte mit siner tavelrunde, man vünde noch wol Parcival und alle herren in dem gral, swenn nach in durste und in der eren gunde.

Diese bezüglich der Reihenfolge wahllos aufgehäufte Masse wird nur von einem Begriff zusammengehalten, dem des Helden. Es genügt nidit, hier und bei den andern Katalogen verschiedensten Inhalts zu sagen, das sei bloß prunkendes Zurschaustellen von Gelehrsamkeit.13 Die Suche nach lehrbarer Wahrheit und die Unzufrie13

Zu Frauenlobs Gelehrsamkeit vgl. Krayer S. 18 ff. Saeditig bemängelt das geschmacklose Zurschaustellen von Belesenheit und Gelehrsamkeit in Verknüpfung mit lebendigen Szenen (S. 85); Pfannmüller spricht S. 18 ff. dem Dichter wirkliche Einsicht ab; er weist verderbte Zitate und allerhand Mißverstandenes nach: seine Bildung bestehe aus Schulreminiszenzen. (Entscheidend ist für uns jedoch nicht die Richtigkeit der Anspielungen, sondern ihr Vorhandensein und ihre Anordnung.) Joseph Krön, Frauenlobs Gelehrsamkeit, Beiträge zu seinem Verständnis, Diss. Straßburg 1906 versuchte Frauenlobs Bildungsstand zu ermitteln. Audi Krön kommt, nadi manchen naiven Untersuchungen, zum Sdiluß, Frauenlob sei ein gelehrter, wenn audi nidit über den Horizont einer Dom- und Klosterschule hinausreichender Mann gewesen (S. 66 f.). Thomas setzt sich S. 223 ff. vor allem mit dem „meistersingerischen" Aspekt der Gelehrsamkeit auseinander und weist darauf hin, daß im Gegensatz zu den Meistersingern Frauenlob nidit mit Gelehrsamkeit prunkt, sondern damit seiner Dichtung größere Relevanz verleiht:

225 15

Schaefer, Walther von der Vogelweide .

denheit mit bloßer Phantasie und dichterisdier Traumgestalt, ja überhaupt mit der Gestalt, ist typische Eigenart des suchenden anstelle des sdiauenden und gestaltenden Dichters. Bei Walther, obgleich audi ihm das Wahre und (daher) Sittliche am Herzen liegt, spürt man, wie ihn neben der Bedeutung auch das bloße sinnlich geformte und geschauten Da-sein beglückt — einer Landschaft, eines Menschen und seines Handelns, rein als schöner oder, eine Stufe weiter, als wirkender, im Positiven oder Negativen zu anderen in Beziehung tretender Vorgang: eben als Gestalt, während bei Frauenlob alle Figuren nur in ihrem zu ergründenden Wahrheitsgehalt existieren. Dies ist nicht nur „Didaktik", sondern eine Grundform geistigen Erlebens, die stets das Wahr-sein über das bloße Da-sein stellt. 14 Die Lehrbesessenheit in raffendem Reihen von Beispielen für eine Wahrheit ist nur ein Aspekt eines größeren Phänomens, das wir nochmals zusammenfassend charakterisieren: Hingabe an eine nicht zu individueller Begegnung und Differenzierung in antwortender Gegenseitigkeit zwingende Masse, an dargereichte Sicherheit, Ausfüllen von leerem Raum, Häufung zahlloser Stützen für einen Gedanken in der Unsicherheit, die im Oftsagen zum Ausdruck kommt, Rausch der Ballung, Flucht vor der Grenze und Hingabe an die Linie, in jedem Fall aber die Preisgabe eines Idi an ein sicher sich selbst reihendes Prinzip. Dies Prinzip - und das ist wesentlich - drängt in doppelter Weise das Individuelle von sich: Einmal ist schon die leere Form der Reihung von Gleichartigem ein mathematisches Prinzip, das, sich selber reihend, ohne Differenzierung auskommt, zum andern ist der Inhalt der Reihung in diesen Gedichten vorgegeben, etwa, wie hier, die Personenwelt literarischer Tradition. Gerade das Nebeneinander von endloser, rauschhafter und geometrischer Entfaltung und Benützung er singt ja vor gebildetem Publikum. Im Anschluß an Roethe betont Thomas Frauenlobs höfische Traditionsgebundenheit, er steigere, erfinde jedoch wenig Neues. Vgl. auch die kritischen Bemerkungen Kibelkas S. 11 f.: „Muß aber ein Dichter, der Körnchen scholastischer Gelehrsamkeit — dazu in deutscher Sprache und sehr sporadisch — verstreut hat, sich schon deshalb den Titel eines Gelehrten verdient haben?" — im Hinblick auf H . v. Mügeln, aber audi Anm. 3 mit Skepsis über Frauenlobs Gelehrsamkeit. 14

Krayer schreibt in etwas anderem Zusammenhang S. 1 8 : „Jetzt gewinnen gerade die Kennzeichen eines persönlichen Gestaltungswillens auffallend an Bedeutung: das unbefriedigte Grübeln, die sprengende Ekstase; und das Gelehrte, Gedankliche und Konstruktive ist nur das andere Ende desselben spannungsreichen Bogens." In diesem Sinne der Spannung kann man durchaus von „persönlich" sprechen.

226

von Formeln, „Memorialstoff", 1 5 ist typisch für die geistige Haltung dieser Dichtung. Es ist eine memorierte Geistigkeit, die dennoch in steter Wiederholung aus sich selbst heraus sich eine phantastische Welt aufbauen kann; die Krücken des Gedächtnisses bewahren vor dem vieldeutigen, Gestalten formenden und fordernden Leben. So braucht unsere Strophe kein Idi. Die Personen sind in einbahniger Linienführung gegeben. Ihre Verben drücken Sein oder durch die Leitidee bestimmtes generelles Handeln aus: heldenhaftes Tun, ehrenvolles Wesen; eintönig also die Verbvektoren wie die Liste der N a men. Diese Monotonie orientierender Vergangenheitswerte mit ihrem einhelligen Tun stellt eine feste, wenn auch sterbenslangweilige Struktur dar, die den höfischen Grundgedanken ausdrückt: Edles Tun der Helden wird durch die Freigebigkeit der Fürsten ermöglicht. Frauenlobs Spruch 50 ist kein Namenkatalog, sondern eine Aufzählung von Eigenschaften, die der Ritter, dem alten Kanon zufolge, besitzen muß; 16 eine andere Spielart des Aufsagens von Dargereichtem und Bekanntem. Kein orden herter mac gesin dan ritterschaft. seht an ir haft: ein ritter drizic jaren rilich mac gebaren, swie hohen pris er hat bejagt, stolz in wirden klaren, ein val nimt im den namen alsam er nie si ritter worden. Ein ieslidi orden hat gemach bi eren wol: ein ritter sol gemach durch ere miden, sol in ere liden in ritterlicher wirdigkeit, sit daz im versniden ein zit verlegen sin wirde mac, daz ist ein swinder horden. Driu dine ein ritter alle tage lege uf diu wage, als ich iu sage: den lip er trage niht als ein zage; den sdiaz durch ere von im jage; swie wol der sele andaht behage, dick uf die wage lege er sich durdi ritterlichen orden.

15

"

Wie Pfannmüller S. 26 Frauenlobs Gelehrsamkeit treffend charakterisiert. Zur Ritterlehre vgl. audi de Boor III, S. 430 ff.

227 15·

Das Ich tritt zurück, es erwähnt sich nur einmal in der Lehrformel „als ich iu sage" (V. 14). Sonst liegt alle Intensität bei der Lehre selbst. Sie ist allgemein und gegenwartslos. Die präzise Zeitangabe „ein ritter drizic jaren / rilich mac gebaren" steht formelhaft für die Vorstellung der Generation. Der erste Stollen sagt: Kein Stand ist so schwer wie der des Ritters. Der Ruf eines edlen Lebens kann durch einen einzigen Fehler („Fall") zerstört werden. Der zweite Stollen führt diese Idee weiter aus: Jeder andere Stand hat Muße neben hochgespannten Forderungen. Der Ritter - das ist hier Frauenlobs gepredigter ethischer Imperativ - soll stets rastlos nach Ehre streben und die Muße meiden (sich nicht „verligen": das berühmte Motiv aus dem „Erec" klingt an), denn - nochmals wird dieser Gedanke aufgenommen — ein einziges Versagen zerstört seinen Ruf. Der Abgesang zieht mit einem detaillierten, dreifachen Imperativ die Folgerungen: „Driu dine ein ritter alle tage / lege uf die wage, als ich iu sage"; erstens soll er tapfer sein („den lip er trage / niht als ein zage"), dann soll er sich nicht durch weltliche Güter von der Ehre abbringen lassen („den schaz durch ere von im jage"), schließlich soll er sich stets in Ritterdingen prüfen („dick uf die wage lege er sich durch ritterlichen orden"). Reihung und logische Verknüpfung, Seinsaussagen und Imperative bestimmen also diese Lehre. Handeln und Bildlichkeit sind formelhaft und wollen nicht durch Greifbarkeit das Überall und Immer ihrer Geltung beeinträchtigen. So die Formelbilder der Ritterschaft als Band (V. 2), des Falls (V. 6), wo schon seit dem Bild des Sündenfalls der Sinn die Bildkomponente verdrängt hat, dann das „Zerschneiden des Ansehens" (werdekeit), wo das anschauliche Verb durch das abstrakte seine Bildkraft verliert; schließlich zweimal formelhaft die Waage: Drei Dinge lege ein Ritter täglich auf die Waage. Diese „Dinge" werden jedoch nur als Imperative gegeben mit dem Konjunktiv der Aufforderung. Am deutlichsten wird der Verzicht auf Anschaulichkeit im Schlußvers, wo der Ritter sich selbst auf die Waage legen soll. Die Allgemeinheit der Lehre wird durch die iterativen Zeitangaben unterstrichen; das Handeln des Ritters sein ganzes Leben lang, die Wendung „alle tage" in Vers 13, und im Schlußvers: oft prüfe er sich selbst. Die Verben drücken Gleichungen von Subjekt und Sein und Handeln aus; nichts einmalig Neues, kein Hinausgreifen aus dem geschlossenen Netz des Vorgegebenen, keine „synthetischen" Urteile, 228

in denen das Verb etwas dazutut, was nicht schon per definitionem in dem immer fraglos so existierenden Subjekt enthalten ist, sondern in einem weiteren Sinne „analytische" Urteile, eine „analytische" Welt des Vorgedachten und Vorgelebten. Dabei braucht dies Bekannte nicht undramatisch zu sein. „Ein Ritter kann ein ehrenhaftes Leben geführt haben. Wie hoch er auch stehe, eine einzige Verfehlung raubt ihm seinen guten Namen, als hätte er ihn nie besessen" — diese Tatsache ist erschütternd. Hier jedoch wird sie in lehrhaften Definitionen und Folgerungen dargestellt; die aufklärerische Helle ist stärker als das drohende Unheil, die Ritterlehre übertönt das Ritterschicksal. Nur indem es zum Ausgangspunkt einer positiven Lehre gemacht wird, kann dies tragische Faktum so kaltblütig hingesagt werden. Etwas von der holzschnittartigen unheimlich-didaktischen Grausamkeit des späten Mittelalters schwingt in diesen Zeilen; die Beziehung zwischen grellem Realismus und Abstraktion wird deutlich.17 Die Dinge liegen hinter der kühlen Glaswand der Begriffe, sind nicht weniger real, aber in eine andere, von Glas umhegte Wirklichkeit verfremdet, dadurch gleichsam akustisch und optisdi gedämpft und ohne seelischen Verschleiß erlebbar. Die Ethik selbst strahlt in ihrer a priori analytischen Selbstverständlichkeit große Sicherheit aus, gleicht aber als Lehre in einer Zeit der sich wandelnden ritterlichen Wirklichkeit eher dem Gerüst, das das Gebäude trägt, als dem sich tragenden Gebäude selbst. Der Ritter ist hier Typus. Die Abstrakta Ritterschaft und Ritterstand stehen in der ersten und letzten Zeile der Strophe. Dieser Gestaltung entspräche nicht das Ritterbild des Bamberger Reiters, in dem das Typische und das Einmalige, jedes rein verwirklicht, einander begegnen, sondern eher die stereotypen Elemente der Gesichter und Gestalten der gotischen Kunst. Betrachten wir einen andern Spruch aus der höfischen Sphäre, den Fürstenpreis auf Otto, den Grafen von Ravensberg (Ettm. 129): In s u n n e n v a r w e z l o p ein g r a v e ist gekleit, den schirm er treit des krisemes unt der toufe. uz der schänden t r o u f e viel im nie t r o p f e a n sinen lip. s w a erz vint z e k o u f e , 17

Die Antithese Realismus-Abstraktion deckt sich nicht ganz mit der geläufigen von Realismus und Spiritualismus oder Naturalismus und Idealismus, die vor allem Dvorak betont. Vgl. audi Burger S. 62.

229

daz im zen eren nuzlich ist, daz mac im niht ze tiure. Diu Saelde ir balsem streich an sinen werden lip: Unsaelde blip, du maht bi im niht schaffen; segen der hohen pfaffen von kindes jugent in nie vermeit. lügelichez klaffen von disem lobe gesunden ist. diu hohe gotes stiure Wibt ez in miner witze hamen, daz idi in nennen muoz bi namen. sin eren samen die schände lamen tuot. kund idi baz H e r m a n der Damen ein lobes vaz mit sänge amen: grav Otte waer sin wirdic wol von Ravensberc der gehiure. 18

Das Auffallendste ist der schwere Prunk. 19 Die Gedanken werden einer nach dem andern in verschiedene Gewänder, teils sprachliche Prachtgewänder, gehüllt. Der Aufgesang handelt nur von dem zu preisenden Herrn, der Abgesang führt das Ich ein, wieder, diesmal in etwas verschnörkelter Form, in der Form des „Ich singe, idi lobe". Der Gegenstand des Preises wird nicht zu gegenwärtiger Gestalt; der Brokat preisenswerter Akzidenzien verdeckt den Körper. Das wird durch den Aufbau der Strophe unterstützt. Sie benützt die Technik, die mit allgemeinem Preis beginnt („ein grave") und erst am Ende in wuchtiger Pointe den Namen nennt. 20 Dies Hinauszögern der Substanz legt den Nachdruck auf die Reihung der Akzidenzien; so entsteht keine Harmonie von Summierung der Eigenschaften und ganzer Gestalt (man denke dagegen an Walthers Beschreibung des Frauenaktes). Nirgends ereignet sich Gegenseitigkeit zwischen dem Ich und dem Fürsten (der in der dritten Person gegeben ist), auch nicht Gegenseitigkeit der Dinge oder Balance von Ding, Person und Idee. Der Preis ist nicht vom Tun des Andern abhängig, die Strophe wird nicht von Geben und Empfangen, Forderung und Verwirklichung getragen. In ferner, fragloser Herrlichkeit leuchtet ein Graf, den der Glanz seiner Eigenschaften am Ende als Otto von Ravensberg offenbart. In tief sich 18 19

20

Text auch bei Nagel S. 26. Zum „geblümten Stil" Saeditig S. 83 ff., vgl. allgemein Otto Mordhorst, Egen von Bamberg und die ,geblümte Rede', Berliner Beitr. z. germ. u. rom. Phil. 43, Germ. Abt. 30, Berlin 1911. Diese Technik des raffinierten Effekts charakterisiert Roethe S. 226. Walther wende diese Technik nur einmal an (81,6). Vgl. audi Kretsdimann S. 162 ff.

230

verbeugender Demut und selbstgefälliger Prunkentfaltung preist das Ich das hohe Du und erhöht sich selbst in der Musik und Rhetorik seiner Ehrfurcht. Stolz und Demut stehen nebeneinander, doch anders als die fordernde und gewährende, warm sich hingebende und stolz sich bewahrende Menschlichkeit Walthers. Hier herrscht zeremonielle Kühle bei flackernder Intensität. Auch der Gegenstand tut nichts, um dem Ich oder einer gegenwärtigen Situation näher zu kommen. Er ist nur, und es ist an ihm gehandelt worden. Die Einsträngigkeit dieses Empfangenhabens und Tragens reicher abstrakter Vollendung macht ihn zu dem fernen Unbewegten, der die Wirklichkeit nicht teilnehmen läßt an dieser Vollendung; eine Gestalt, die man feiert, der man schmeichelt, die man aber nicht haßt oder liebt. Ein solch fernes, geschmücktes Vollendetsein gehört zum Kanon schön und unbeteiligt vorgetragener Werte, zur Abstraktion, zur Preisgabe an das Andere, zum Ornament, zum reihenden Katalog. Wir gehen die grundlegenden Abstrakta der Reihe nach durch: Charisma, Taufe, Schande, Ehre, Saelde, Unsaelde, Segen. Und weitere Abstrakta, die zum Preis gehören: einmal das Wort „lop" selbst, das dreimal genannt ist, dann der „schirm", der hier ganz abstrakt gemeint ist, ferner die Jugend, Gottes Geleit, der Witz, der Name, der Sang. Viele dieser Abstrakta sind nun im gewohnten Stil direkt und prunkvoll verbildlicht, im Ineinander von Starre und unruhigem Pointillieren, der Starre des ständig wiederholten Gleichungsmusters und der flackernden Bildlichkeit. Wir schauen die Einzelbilder der Reihe nach an. Dabei beachten wir die Eintönigkeit der Bewegung der Abstrakta aus der Vergangenheit hin zum Fürsten und die Eigenschaftsgleichungen, vor allem aber das Fehlen eigener Aktivität, die zu der eintönigen Statuarik beitragen: Er ist in sonnenfarbiges Lob gekleidet, er trägt den Schutz, kein Tropfen der Schandentraufe fiel je an seinen Körper; er kauft stets, war er an Ehren findet; die Saelde strich Balsam an seinen Leib; lügnerisches Kläffen erreicht ihn nicht; Gottes Steuer webt in das Kleid meines Geistes; der Same seiner Ehre läßt die Schande erlahmen; wenn ich besser als Herman der Damen ein Gefäß des Lobs mit Sang erfüllen könnte - Graf Otto wäre dessen würdig. 21 Ferner, z. T. ohne Bildlichkeit: Unsaelde kann bei ihm nichts ausrichten, Priestersegen erreichte ihn, Gottes Kraft wirkt, daß ich seinen Namen nenne. Die einzige Aktivität geht nicht von seiner Person aus, sondern 21

Bilder der Herrenlobsprüdie zusammengestellt bei Kretschmann S. 162 ff.

231

von einem Bildabstraktum eines seiner Attribute, ist daher auch keine Bewegung der Gestalt: „sin eren samen / die schände lamen / tuot". Der große Unterschied zu Walther wird uns deutlich, wenn wir neben diese Gestaltung den Kronenspruch 18,29 halten, auch einen Fürstenpreis: ruhig-bewegtes Ineinander von plastischem Geschehen und ideeller Dauer, von Mensdi und Kaiser; balancierte Gegenbewegung von Haupt und Krone, Mensch und Symbol, Offensein des Vollendeten für das Wirkliche. Typisch für die Spruchdichtung Frauenlobs und des späten Mittelalters überhaupt ist audi die Strophe 242: „Ein wesen in lüfte schiffet", 2 2 eine Allegorie des menschlichen Lebens, seiner Gefahr und Rettung. Dem Lobpreis des Ritters lassen wir am Ende dieses Kapitels eine Lehre über Tod und Teufel folgen, die holzschnittartig zusammengestellt sind mit Christus, dem Retter, im Kampf um die menschliche Seele. Das Ich tritt stark zurück, es äußert sich wieder im „Ich nenne", außerdem in der religiösen Wahl des Retters („den dritten idi vür mich kiesen wil"). Die Seite der Welt, des Menschen, wird durch die vagste, undifferenzierteste und umfassendste Vorstellung vertreten: „ein wesen". Dazu bewegt sie sich im flüchtigsten aller Medien: „Ein wesen in lüfte schiffet". Was da in der Luft fliegt, ist ein gestaltloses Phantom, ausgeliefert an die Dreiheit der Wirkkräfte Teufel, Tod und Erlöser. Die Anderen überwiegen gewaltig den Menschen. Sie werden zunächst als Gruppe gegeben; im Verb drückt sich der Sog des Anderen aus: „dri wirte im lockent naht unt tac". Dann wird die Dreiheit in die Einzelgestalten aufgelöst, noch unheimlich und ungenannt ganz im Stil dieser Art allegorischer Dichtung, auch noch ohne Aktivität, mit den Verben „haben" und „sein" verknüpft. Verse 3 - 6 :

der der der unt

eine wirt hat gallen, ander einen vedersac, dritte süezer spise vil guot gemach; er ist ein richer wirt.

Lapidar die Totalität der Bezirke und ihrer Herrscher: Hölle, Welt, Himmel; eine Begrifflichkeit jenseits aller Einschränkung durch anschauliche Plastik; die Attribute sind typisch, mit Ausnahme vielleicht des Federsacks, aber auch hier wird, bei der näheren Deutung dieser bekannten und doch rätselhaften Gestalten, der Federsack zu einer

22

Text bei Nagel S. 42.

232

Chiffre, er hat keine plastische Funktion. D a s zeigt sich in der unbildlichen Vorstellung des Leibes, der federleicht wird, wenn er in die E r d e sinkt: es ist dies kein greifbarer Vorgang, sondern v o n der Deutung vorgeprägtes Vorstellen; das Leben, das v o m Tode beherrscht wird und seine Substanz in Nichts auflöst. Der zweite Durchgang, der mit dem zweiten Stollen beginnt und bis zur drittletzten Zeile des Gedichts führt, deutet die Gestalten: Verse 7 - 1 7 :

Daz wesen dich, mensche, triff et. Unt der des wesens hat gewalt, ist jener mit der gallen: des triegen ist so manecvalt; den dritten ich viir mich kiesen wil: so nenne ich den valant, heil verbirt, Der mit dem sadte uns winket: so vederlestic wirt der lip, swenn in die erde er sinket. der dritte wirt so wise, der kan wol riche spise geben.

Zuerst die Auslegung des Wesens: „ D a z wesen dich, mensche, triffet", zurückklingend

auf

den ersten Vers

der Strophe. D a s

Phantom

„trifft" auf seine Bedeutung, den Menschen, auf: T u a res agitur. B e troffensein, Ausgeliefertsein ist das Geschick des Menschen in diesem Gedicht, nicht Handeln und Formen. Die Gewalt der Andern trifft monoton: „der des wesens hat g e w a l t " ; „des triegen ist so manecv a l t " ; „der mit dem sacke uns winket" (neben dem Locken der stärkste Ausdruck für den Sog des Andern), schließlich: „der kan wol riche spise geben". 2 3 23

Diese Verben verkörpern

die Reihung

einseitiger

Saeditig erklärt S. 19 den einen Wirt, der den federleichten Sack hat, als den irdischen Leib. Krön S. 12 f. hält ebenfalls den zweiten W i r t für den Leib, den dritten jedoch für die Welt (mundus). E r läßt sich jedoch durch die Strophe 323 verleiten, in der wirklich drei Feinde genannt sind: die Welt, der Teufel und der eigene Leib. Aber hier sind alle drei ganz eindeutig mit negativen Attributen versehen: „Min vleisch mich machet broede, / diu werlt in tugenden snoede, / der tiefei gen gote b l o e d e . . . " . In 2 4 2 jedoch sind die Objekte des ersten und dritten Wirts eindeutig antithetisch (gallen — süeze spise), und da die parallele Anordnung der Subjekte keine antithetische Beziehung suggeriert (etwa: wenn auch die Welt Süße bietet, bekommt ihr doch des Teufels Galle zu kosten), müssen die Subjekte den Objekten entsprechend antithetisch sein. Auch im weiteren Verlauf der Strophe kommt keine subtile Problematik auf (etwa: ich wähle mir die schöne, verlockende Welt und bete dennoch zu Gott um seine wahre Speise), im Gegenteil: das Strophenende setzt wörtlich und ohne Differenzierung den dritten Wirt und seine reiche Speise parallel zu der im letzten

233

Aktivität und Passivität. Die einzige Aktivität des Menschen ist sein Ende, das Sinken des Leibs, federleichtes Ent-werden. Dieser Tod ist Inbegriff der Negation und Lösung aller Schwerkraft und plastischen Substanz, indem das letzte natürliche Sinken des Leibs ins Grab ins Federgewicht des Nichts verwandelt wird. Von der Textverwirrung in den Versen 11 und 12 abgesehen24 folgt dieser zweite Durchgang der Reihenfolge des ersten: der Mensch, dann die Wirkkräfte Teufel, Tod und Christus. Wie am Ende des ersten Stollens der Retter an Intensität gewinnt, indem seine Attribute auf zwei Verse ausgedehnt werden, so wird auch am Ende des zweiten Durchgangs die rettende Kraft weiter ausgespannt als die gefährdenden Mächte: das Gedicht endet mit einem Gebet um Rettung und Stärkung. Verse 1 8 - 1 9 :

Krist, vater, sinem geiste eneben, hilf uns zu dir, sterk uns mit diner spise.

Die Dreiheit der wirkenden Gestalten wird nun ersetzt durch die göttliche Trini tat: der mythischen Raumlosigkeit des Großraums von Gefährdung und Rettung, Hölle, Erde und Himmel, folgt die Beschränkung und Hinwendung zum Rettenden allein; eine überindividuelle Formel wird durch eine andere ersetzt. So sehen wir wieder doppelte Preisgabe des Formens von innen und des Handelns: an das Du und an die Abstraktion. Das Lebensgefühl dieses Menschen ist Bedrohtsein von überhängenden Felsen. Die Lehrhafligkeit der Strophe läßt keine Verzweiflung entstehen, sie zeichnet aber eine faszinierende geistige Landschaft monotoner Öde und flächiger, preisgegebener Passivität. Das Leben gestaltet nichts aus sich selbst und trägt nichts. Die einzige Hilfe kommt von außen, vom Jenseits, im tröstlichen Ende, in der Hingabe an die dogmatische Aussage und in der persönlichen religiösen Bindung, die zu dem Anderen Du sagt, und in all den geheimnisvollen Bezügen, die zwischen der heilig-festen Formel und der individuellen Betroffenheit bestehen. Wie wenig ausgeprägt

24

Verspaar Angerufenen: stärke uns mit (dieser) deiner Speise; eine Antithese (stärke uns dagegen mit deiner Speise) ist syntaktisch und sinngemäß unmöglich. Die andere Frage („Leib" oder „Tod") ist weniger entscheidend, da die beiden sich nicht ausschließen und der Leib ja per definitionem das Sterbliche bedeutet. Kretsdimann führt S. 173 unter „Allegorien ohne die fingierte Mitwirkung des Dichters" für 242 „die drei Wirte Gott, Tod und Teufel" an. Die Verse geben in Ettmüllers Version offenbar keinen Sinn, aber audi Nagels Besserungsversudi überzeugt nicht.

234

die Subjektseite audi sei, ihre Betroffenheit wird durch alle Starre hindurch deutlich. Sie charakterisiert das Wesen dieses Gedichts; das Fluktuieren von klarer Begrifflichkeit und holzschnittartiger Unheimlichkeit, die den Menschen betrifft, ohne ihn deutlich und lebendig bewegt zu zeigen. So klingt der Ruf nach Rettung edit und tief. Das sehnende Hinweg ist tröstlidier als das Hier, das Du strahlkräftiger als das Idi. Die Zeit, die in dieser Strophe gestaltet wird, ist ohne Beziehung zu einem Fixpunkt des Jetzt. Die unheimliche Dauer des menschlichen Zustands und die Sehnsucht nach Rettung bauen ihre dunkeln Gewölbe und ziehen ihre lichten Strahlen ohne Anfang und Ende. Die Faktizität der Lehre, die alle umrissenen Bildvorstellungen zur Dauer entgrenzt, vernichtet die Einmaligkeit, die selbst das schrecklichste Geschehen erlöst; immer drohen Phantome, immer besteht die Möglichkeit des Heils. Besonders in einer Strophe wie dieser wird der seltsame Geschehnis- und Zeitcharakter eines Lehr„Vorgangs" deutlich, diese Verwandlung allgemeiner Lehre in Lyrik, das eigenartige, bedrängende und beglückende Fluktuieren von Immer und Nie, Überall und Nirgends, das dem Allgemeinen innewohnt, indem es das Einzelne betrifft und beherrscht, stets droht oder verspricht und doch nie sich ereignet, aber in der Gültigkeit der Lehre doch alles Individuelle bestimmt. Es sind dies sdiwierige Probleme, schwer genug zu definieren audi ohne die dichterische Komponente, rein von der Frage der Realität des umfassenden Begriffs her gesehen. Die Allgemeingültigkeit und daher Zeitlosigkeit und daher auch die Abwesenheit räumlicher Gegenwartsintensität in der Lehrdichtung ist, jenseits der banalen Selbstverständlichkeit dieser Tatsache, von größter Bedeutung für die dichterische Funktion und die innere Form. Die Grenzenlosigkeit des Mediums gibt schon der ersten Zeile und ihrem Verb zeitliche und räumlidie Unbestimmtheit: „Ein wesen in lüfte schiffet". Der Vorgang in Vers 2 wird ebenso geweitet zur Dauer: „dri wirte im lockent naht unt tac". Audi die folgenden Verse schaffen keine Gegenwart. Verse 3-6 sind allgemeine Aussagen mit „haben" und „sein"; Vers 7 ist eine Interpretation: „Daz wesen dich, mensche, triff et." Auch die folgenden Zeilen drücken ständige Dauer aus: die Gewalt, der mannigfache Trug. Selbst das Winken des Todes ist kein einmaliges Geschehen, der Relativsatz macht den Vorgang zur Definition: „der, welcher...". Das Versinken des Leibs in die Erde ist verknüpft mit dem Zauberwort „swenn" und wird da235

durch zur Definition des Typischen: „ s wenn in die erde er sinket". Das Gottesgeschenk ist durch das Hilfsverb „kan" von aller Geschehensintensität befreit. Nur die Bitte am Ende hat direkte Gegenwartsenergie. Der Vorgang aber, den sie betrifft, geschieht nicht jetzt, er ist offene, glaubend erfüllte Zukunft, strömende Zeit der Hoffnung. 25

25

Didaktische Sprüche, die stofflich in der klassischen Tradition stehen und, wenn auch in der breiteren Neuformung oft auf schwer erkennbare Weise, sich zum Teil auf Walthers Vorbild beziehen, sind für uns kaum ergiebig. Sie imitieren selbst in ihrer speziellen Problemstellung oft direkt das Original (etwa Papstund Pfaffenschelten, Kaisermahnungen, Bekenntnisse zum Reidi), enthalten also Walthersche Gedanken, werden aber in der Gestaltung zumeist nicht von Walthers Gegenseitigkeitsformen bestimmt. Zahlreiche direkte Waltherimitationen Frauenlobs sucht I. Kern a.a.O. nachzuweisen (Imitationen Walthers S. 9 ff.). Oft sind Entlehnungen und selbst gehaltliche Bezüge eindeutig, manche Parallelität der Formulierung scheint aber dodi so sehr Allgemeingut zu sein, daß die Behauptung nicht überzeugt, es handle sich um direkte Anlehnung (vgl. zu dem ganzen Problem audi Stackmann S . 50 ff.). Und was ist gewonnen, wenn gezeigt wird, wie irgendwelche von überragenden Gestalten geprägte Ausdrücke unbewußt übernommen sind? Epigonen verwenden audi im 19. Jahrhundert ständig den Wortsdiatz der Klassiker, ohne daß dieser Gebrauch auf geistige Verwandtschaft oder innere Bezugnahme hindeuten muß. Man könnte (und es ist getan worden) mit höfischen Floskeln durchaus unhöfische Gehalte ausdrücken. Das Gleichsetzen von Übernahme höfischer Formulierungen und bewußter Bezugnahme und gar geistiger Abhängigkeit (über jene Abhängigkeit hinaus, die automatisch mit der Tatsache des Nachgeborenseins gegeben ist) ist eine Schwäche dieser so gehandhabten Methode. Wir verweisen nur auf einige überzeugende Anlehnungen, die I. Kern aufzeigt: Walther 8,4 und Frauenlob 263 „Ich saz uf einer grüene" (es wäre auch zu nennen der sicherlich unechte Spruch 273 „Ich saz uf einem bourne"). Kern S. 1 0 : Walthers 2 3 , 2 6 ; 2 4 , 3 f f . ; 9 8 , 1 ; 1 2 4 , 1 7 f . (die Klage über die Jugend bei Frauenlob 330 „Ach wie tuont nu die jungen"); Walther 64,31, Frl. 52,1 ff. (Klage über dörperlidie Ritterschaft); S. 12: Walther 31,17, Frl. 330,2 (Oberhandnehmen des Materialismus); S. 1 2 f f . : Tadel der kirchlichen Mißstände (Simonie Walther 33,5 und 6,39, Frl. 2 5 5 ; 3 3 5 ; 337; 338; 343). F ü r weitere Anlehnungen vgl. S. 14 ff. — Saechtigs Entlehnungsstatistik führt S. 6 5 Walther nach Reinmar von Zweter an zweiter bzw. (wenn alle Werke Konrads v. Würzburg zusammengerechnet werden) an dritter Stelle auf. Kern nennt S. 9 Walther als Hauptlieferanten: kein Widerspruch, denn Saechtig bezieht sich nur auf Bilder, nidit auf allgemeine Formulierungen, und Kern hält den Umweg der Beeinflussung über Konrad v. Würzburg oder Reinmar von Zweter für möglich. Roethe meint, S. 350, bei Frauenlobs Verachtung für Walther müßten die vielen Reminiszenzen unbewußt gewesen sein; de Boor I I I , S. 471 betont dagegen Frauenlobs bewußtes Anknüpfen an Walther und die Denkweise der Stauferzeit, audi an die Wiener Schule, wie überhaupt de Boor den „höfischen" stark gegen den „gelehrten" Frauenlob hervorhebt.

236

III. Groteske und Polemik Dieses Kapitel soll ein Spiegelbild des Abschnitts „Schelte und Burleske" bei Walther sein. Der Vergleich zeigt eine charakteristische Tatsache: Der oder die Dichter der Frauenlobsammlung haben keinen Humor.1 Der sdiönste Ausdruck der Bewahrung in Gefährdung und Hingabe, die erlösende Distanz zum Andern bei sicherem, geschlossenem Dahaben des Fremden, ist in dieser Dichtung nicht verwirklicht und vielleicht auch nicht möglich. Nicht einmal müde Schulmeisterscherze finden wir in der großen Lehre über Gott und Welt. Ungeheurer Ernst erfüllt Dogmatik, Ethik, Logik und Geometrie; Inbrunst und Monotonie liegen auf dem Marmor, dem Holzkatheder und dem „horror vacui". Der Mangel an Komik hängt zusammen mit dem Verzicht auf Situationen, das Fehlen beider scheint sich aus einem tieferen Grunde zu erklären. Gesunde Komik setzt voraus ein Bekenntnis zum Menschenantlitz und somit zu geschehender Gegenwart, 2 sie ist vorwiegend plastischer Ausdruck, der das Hier dem Nirgends und Überall, das Jetzt dem Immer und Nie vorzieht. Dagegen entsprechen ernste Ekstase und Didaxe durchaus der monotonen Intensität und dem bewegten Faltenwurf der manieristisdien Formen, die zumeist mit Preisgabe individueller Differenzierung verbunden sind und somit audi jeder dem Ich zulachenden Komik die Grundlage nehmen. Während der Manierismus direkt eher ernster Aussage entspricht, eignet er sich vorzüglich zu parodierender Komik. Beispiele dafür sind die grell manieristischen Gedichte Walthers, entweder bewußte Spielereien mit der barocken Form, um sich darüber lustig zu machen, oder direkter Gebrauch solcher Formelemente, um die Komik des Inhalts noch kräftiger hervortreten zu lassen. Die „tour de force" 47,16: „Ich minne, sinne, lange zit" ist zweifellos Parodie des aufkommenden preziösen Stils, wobei der parodistische Gebrauch direkte Akrobatik nicht ausschließt: Walther zeigt, wie vollendet er audi einen ihm ungemäßen Stil beherrscht, wenn er will.3 Das Vokalspiel

Vgl. Kretsdimann S. 249. Selbst menschenfeindliche Komik kommt nicht ohne das „nil humani" der Menschengestalt aus. ' Huisman S. 35 ff. versucht, dies „technische Glanzstück" als parodierende, überbietende Kontrafaktur des Reinmartons M F 160,6 zu erweisen. 1

2

237

auf a, e, i, o, u (75,25: „Diu welt was gelf, rot unde bla"), 4 in dem jede Strophe die sieben Zeilen jeweils auf denselben auslautenden Vokal reimt und die fünf Strophen die Vokale durchgehen (also: bla, anderswa, da, nebelkra, ja, übergra, bra; dann le, kle, se, me, e, sne, we usw.) ist ein scherzhaftes, heiteres Spiel mit der Wirklichkeit. Viele komische Effekte gehen in dieselbe Richtung: das preziose oder bizarre Enjambement, die Spannung zwischen üppiger Sprachmusik und dünner Abstraktion oder bewußter Banalität, überhaupt die zahllosen Beispiele komisch-feierlichen Schwulsts. Sie bewirken manieristische Komik, Parodie manieristisdier Ausdrucksmittel, komische Diskrepanz zwischen Inhalt und Form. Diese parodistische Spannung zeigt den gebrochenen Charakter jener Komik und beweist um so deutlicher, daß die manieristisdien Formen, direkt und ungebrochen gebraucht, ernstem Ausdruck dienen. So finden wir eine merkwürdige Antithese: während die manieristischen Epigonen vom T y p Frauenlobs die klassische Tradition, wie wir gesehen haben, imitieren und ballen und sich an ihr festhalten, spielen die klassischen Dichter mit den manieristischen Formen in der Freiheit der Komik. Der Manierismus findet hingegen Raum für das Groteske. 5 Durch die Fremdheit des Andern, das sich dem Ich entzieht, unterscheidet sich das Groteske von der Komik, die der Mensch im Griff behält, überschaut und löst. Das Groteske droht wie der Eisberg, dessen Untergrund sich mit unbekannten Formen ins gefährlich Unbekannte verliert; das Komische erlöst von der Bedrohung, es ist wie gefahrvoller Auszug mit geborgener Heimkehr. Wir stellen Polemik und Groteske zusammen, weil beide Haltungen aufeinander bezogene Extreme verkörpern. Die Groteske ist extrem in der Bedrohung durch das Andere; die Polemik, die wir betrachten, ist es in der Ubersteigerung durch das Idi. Die Balance von Hingabe und Bewahrung, von Gefährdung und Bewahrung wird hier in entgegengesetzter Weise umgangen: in Selbstübersteigerung und Lebensangst. Diese Extreme sind symptomatisch, wie denn Extrempaare die manieristische Dichtung entscheidend bestimmen. Wir wiederholen schon genannte und deuten voraus auf nodi zu behan4 5

Zum Einfluß Morungens auf dieses L i e d vgl. Halbach, Walther, S. 65 f. Wir versuchen keine grundsätzliche Diskussion des Grotesken. Einen Uberblick über Gebrauch und Wirklichkeit dieses in moderner K u n s t - und Literaturwissenschaft vielbesprochenen Begriffs gibt W o l f g a n g K a y s e r , D a s Groteske in Malerei und Dichtung, R o w o h l t N r . 107, 1960, S . 14 ff.

238

delnde: Abstraktion und Musik, Begriff und Sinnlichkeit, Didaktik und Ekstase, Ballung und Monotonie, Imitation und Überraschung; im Strophenbau ausladende Paläste oder schlichte Hütten, harte und glatte Enjambements, Reimballung und ferne Reime, Nebeneinander von extrem kurzen und langen Zeilen, Starre und Dynamik, Identität und Punktualität (so in der Reihung zusammenhangloser Bilder), geistige Geschlossenheit und sinnliche Isolation. 6 Der Spruch Ettm. 447: „Wa von ist daz? man siht min niht" ist eine Klage über mangelnde Freigebigkeit. Dem Sänger wird nicht der verdiente Lohn; ihm ist, als wäre er unsichtbar und unhörbar. Wenn man Notiz von ihm nähme, fände er Auskommen und Anerkennung. Diese Klage wird in ihrer Unmittelbarkeit gebrochen durch ein Mittel, das wie Galgenhumor oder unbeholfene Geistreichelei klingt, dabei aber keine Heiterkeit schafft, sondern trotz seiner Umständlichkeit etwas Bedrängendes besitzt. W a v o n ist d a z ? m a n siht min niht, nieman ouch midi erkennet, d a hat nigromantia pfliht mit mir, ein kunst genennet, d a z m a n mich niht erkennen sol, unt niht gesehen mac.

Schwarze Magie hat das Ich verwandelt. 7 Soweit ist die Groteske noch offen, noch kann sie sich in einen J u x verkehren. Der zweite Stollen legt jedoch die Stimmung fest: D e s sliche ich n a den liuten bi mit slihte unt mit der k r u m b e , nieman envraget, wer ich si; se, sus g a t mit mir u m b e din hohiu kunst, V i r g i l i u s : diu vinstert mir den tac . . .

Der große Zauberer des Mittelalters hat seine Hand im Spiel: 8 das Ich hat seine Gestalt verloren. Selbst wenn Komik beabsichtigt ge6

7

8

Die Extreme der Epoche hat besonders eindrücklich (um nur ein Werk unter vielen zu nennen) J . Huizinga gezeigt, etwa im ersten Kapitel „Die Spannung des Lebens". Lütcke weist S. 9 auf die Nigromantia hin, während Philosophia als Gestalt bei Frauenlob nirgends erscheine. Die beherrschende Stellung Virgils (und seiner Zerrbilder) in mittelalterlidier Geistesgeschichte ist bekannt (vgl. Curtius' Darstellung in „Europäische Literatur und

239

wesen wäre, so würde sie am Ende des zweiten Stollens kläglich und makaber: „din hohiu kunst, Virgilius: / diu vinstert mir den tac . . . " . Es klingt in der lapidaren Monotonie der holprigen Verse die Traurigkeit eines Picasso'schen Harlekins, etwas fast kafkaesk Unheimliches. Der Käfer Gregor und Peter Sdilemihl sind nicht weit von dieser Verwandlung, einem Extremfall zerstörter Kommunikation. Der erste Stollen zeigt in dieser Abwesenheit der Kommunikation Passivität des Ich ( „ . . . man siht min niht, / nieman ouch mich erkennet") und in der Wirkung des Zaubers auf das Ich, Ausdruck der Entindividualisierung und des Ausgeliefertseins an überpersönliche Kräfte („da hat nigromantia pfliht / mit m i r . . . " ) , und nochmals das Nichterkanntwerden („ein kunst genennet, / daz man midi niht erkennen sol / unt niht gesehen mac"). Der zweite Stollen bringt kommunikationslose Aktivität des Ich: Des slidie ich na den liuten bi mit slihte unt mit der krumbe,

dann das passive Ich in der negierten Kommunikation: „nieman envraget, wer ich si", und weitere Passivität gegenüber dem starken Handeln der Magie, mit niederdrückender Wirkung im letzten Vers der Gruppe: se, sus gat mit mir umbe din hohiu kunst, Virgilius: diu vinstert mir den tac.

Im Abgesang wird der Märchentrick der Tarnkappe noch deutlicher zum Ausdruck der Einsamkeit: Daz man mir keine helfe tuot, swa man die gäbe teilet; saeh man midi, so gaeb man mir guot; ine laz niht ungemeilet vil manee laster, daz ich sihe in miner nebelkappen, swaz ich gesinge, sprich, vergihe, min kunst ist tot erblappen unt get in maneges oren niht: Saelde kert mir den nac. lateinisches Mittelalter", vor allem auch John Webster Spargo, Virgil the Necromancer, Cambridge 1934).

240

Man findet wenige mittelalterliche Gedichte, die unter dem - vielleicht - beabsichtigten Spiel eine solche Fremdheit zwischen Welt und Idi gestalten. Das Ich redet seine Warnung ins Leere, man bemerkt es nicht, als Partner existiert es überhaupt nicht. Die Kunst ist vergeblich und das Glück wendet sich ab. Von Balance zwischen Idi und Welt kann keine Rede sein, es kommt nicht einmal zur Begegnung, die sonst durch jede körperliche Thesis herbeigeführt würde. Die Linien von Handeln und Empfangen laufen aneinander vorbei. Nicht nur das Handeln des Ich wird negiert, sondern auch das Tun der Umwelt, das in der Negation überwiegt, so daß das Ich mit Mustern der Passivität überströmt wird:

Passivität

Aktivität

D a z man mir keine hilfe tuot, swa man die gäbe teilet; saeh man mich, so gaeb man mir guot;

ine laz niht ungemeilet vil manee laster daz ich sihe in miner nebelkappen, swaz ich gesinge, sprich,

vergihe,

min kunst ist tot erblappen u n t get in maneges oren niht:

Passivität

Saelde kert mir den nac.

Nirgends sehen wir Gegenseitigkeitsmuster. Auf das Ich wirkt die Magie, ferner treffen Verben des Nichterkennens und Nichtbegegnens auf das Ich. Die wenigen Verben des Handelns auf der Seite des Idi stoßen ins Leere. Die Möglichkeit der Kommunikation zwischen Menschen ist Voraussetzung aller klassischen Kunst. Geheimnis und Klarheit müssen einander die Waage halten. Die staufische Zeit ermöglichte Kommunikation durch den höfischen Kanon, aber audi durch die Begegnung lebendiger Gestalten, in denen das Geheimnis des Individuellen und Andern und das Nahsein des sinnlich Schaubaren und geistig Verstehbaren ineinander standen. Die spätere Zeit besaß nodi Werte und Regeln, aber nicht mehr die geheimnisvolle doch selbstverständliche, aus lebendigen Gestalten ablesbare Klarheit des Verkündens und Verstehens. Strophe 448, auf die vorhergehende bezogen und voll ähnlicher Expressivität, wächst allerdings über die Groteske hinaus in unverhohlene Verzweiflung. Groteske Gestaltung besitzt noch ein gewisses 241 16

Schaefer, W a l t h e r von der Vogelweide

Maß der Distanzierung, sie läßt nodi Raum für Staffage und Tricks, für Verfremdung und „uneigentlichen" Ausdruck. Wenn das Idi in direkter Verzweiflung ruft, hört alle einfallsreiche Gestaltung auf. Lyrik steht da in einer Grenzsituation, in der die Kunst im Begriffe ist, alle gestaltete Schönheit an nackte Expressivität preiszugeben und keine Kunst mehr, sondern nur noch Wahrheit zu sein. Wer bin idi, wer mac ich gesin? ich valle in sünden glüete. idi tuon reht als ein ä f f e sdiin, daz idi mich ir niht hüete. seht, swaz der ä f f e vor im siht, daz tuot er allez nach.

Die einzige indirekte Ausdrucksform, der Vergleich mit dem Affen, ist noch grotesk. Der Rest des Gedichts ist direkteste Aussage. Der Kommunikationslosigkeit in der vorigen Strophe folgt hier Verzweiflung im Innenraum des Ich. Ähnlich wie dort beginnt Strophe 448 mit einer Frage, die aber hier Orientierungslosigkeit und Substanzverlust ausdrückt. Wenn irgendwann der Mensch Mitte war, hier löst sie sich auf und strömt in monotoner, verzweifelter Hektik zur Peripherie, dem Tod: Sus tuon ich nach der werlde gar, unt bin doch von der erden; ich weiz oudi sicherlich vür war, ze erden m u o z idi werden, diz weiz idi wol, iedoch ist mir ze sünden staete gach, U n t weiz niht, ob ich morne lebe , aid noch ein einec stunde, nach minem tode ich sere strebe: kein wiser nie sich künde behiieten des, im waere alsam, der tot der twunge in sere, idi mac mir selben wol sin gram, d a z idi mich niht bekere von sünden, der geladen ist uf midi ein swaerez dach.

In diesen kunstlosen, poetisch oft schwachen, stereotypen und doch seltsam expressiven Versen überwiegen Strom und Entwerden alle Grenzen und alles Sein: Fallen, Nadiäffen, Sididrängen, Sichsehnen, 242

Sichauflösen, reißende Zeit hin zum Tod und Überwältigtwerden von ihm, und schließlich, als überhängende Last, die Sünde, die Lawine der Welt und des Todes, über dem Haupt des machtlosen Ich. Neben dem Preisgegebensein des Idi in der letzten und seiner Einsamkeit in der vorletzten Strophe steht, in Gegensatz und Entsprechung, die maßlose Selbstüberschätzung in der vielzitierten und vielgescholtenen Strophe 165: „Swaz ie gesanc Reinmar unt der von Eschenbach". 9 Zwar muß man die Kampf situation im Auge behalten, in der die Strophe entstand. Im Sängerwettstreit über das Thema „wip" und „vrouwe", der Frauenlob als Bannerträger der traditionellen Minnedame zeigt, hat sein Gegner Regenbogen herausfordernd die Namen Reinmars und Walthers genannt; sie hätten weit schöner den Frauenpreis gesungen (164, Verse 13-19): Si hant mit sänge vrouwen baz gelobt, daz rede ich ane haz. din lop was laz do ich ez maz algegen ir lobe; gekroenet baz ir lop do stuont in, wizze daz; si hant mit sange in eren hove dem vrouwen lobe gebenket.

Darauf antwortet die Strophe Frauenlobs mit pointierter Polemik. Er steigert die Erwiderung, indem er den vom Gegner Genannten einen dritten Großmeister, Wolfram, hinzufügt und somit den ganzen Dichterolymp in einem abtut. Trotz der Einordnung in die polemische Situation von Schlag und Gegenschlag im dichterischen Gefecht, die der Strophe etwas von der Unverfrorenheit nimmt, welche sie isoliert in einer Anthologie besitzt - sie wirkt nicht so krass, als wenn jemand unvermittelt von sich sagt, er sei der größte aller Dichter - trotz dieser Milderung ist sie extrem genug. Während in der Strophe, in der das Ich verkannt und unsichtbar durch die Menge schleicht, die Kommunikation durch Verlust der sinnlichen Substanz zerstört wird, geschieht dies in der prahlerischen durch einseitige Nahaufnahme, durch Aufschwellen des Ich. Dort ist die Welt ein weiter grauer Raum, der das Ich verdrängt hat in kommunikationslose Unsiditbarkeit; Verständigung ist unmöglich, denn der einzige sichtbare Maßstab, die einzige sichtbare Wirklichkeit ist das • Krön erwähnt S. 53, Frauenlob habe beide Reinmare gekannt (Spr. 168,7: „Her Walther unde zwen Reinmar"), es sei daher nidit zu entscheiden, auf welchen

243 16·

Andere. Hier ist umgekehrt das ganze Bild erfüllt mit einem schreiend roten Ich, dessen verzerrter Maßstab der einzig gegenwärtige ist. So versinkt alles Andere - die große Kunst, das Urteil der normalen Welt - hinter der grellen Intensität des Ich. Swaz ie gesanc Reinmar unt der von Eschenbach, swaz ie gesprach der von der Vogelweide, mit vergoltem kleide idi Frouwenlop vergulde ir sane, als ich iueh bescheide: si hant gesungen von dem veim, den grünt hant si verlazen. U z kezzels gründe gat min kunst, so giht min munt, idi tuon iu kunt mit Worten unt mit doenen ane sunderhoenen: noch sol te man mins sanges sdirin gar rilichen kroenen; si hant gevarn den smalen stic bi künsterichen strazen! Swer ie gesanc und singet noch bi grüenem holze ein vulez biodi, so bin idiz dodi ir meister noch.

der sinne trage oudi ich ein joch, da zuo bin ich der kiinste ein koch: min wort min doene traten nie uz rehter sinne sazen.19 Gegenseitigkeit der Kommunikation und Begegnung mit plastisch geschauter, für normalen Instinkt sinnvoller Wirklichkeit sind aufgegeben. Die Funktion des Ich besteht Zug um Zug in übertrumpfendem Auslöschen des Andern: kein Tun kommt an gegen die Töne des Idi. Die aperspektivische Bildlichkeit gibt dem Ganzen seinen flackernden Charakter: Gold, Kessel, Schrein, Krone, Weg, grünes und faules Holz, Joch, Koch. All diese diffusen Vorstellungen sind mit der Kunst verknüpft; Frauenlob übertönt alles: Er vergoldet

10

Reinmar, von Hagenau oder von Zweter, sich der erste Vers der Strophe bezieht. Roethe nimmt (S. 351) Reinmar von Zweter an; dieses Argument hat die Tatsadie für sich, daß Frauenlob stark durch diesen Dichter beeinflußt ist. Andererseits steht die Strophe im Zusammenhang mit der Diskussion wip-frouwe, der Auseinandersetzung Walthers und Reinmars des Alten, so daß, wenn das Wissen dieser berühmten Fehde und der Verfechter der Standpunkte noch vorhanden war, durchaus auch dieser Reinmar gemeint sein kann. Oder ist der N a m e des alten Reinmar als Walthers Fehdegegner nicht mehr bekannt? Oder aber: war die Fehde doch noch an den Namen Reinmar geknüpft, den man nun jedoch mit dem zeitlich näheren Reinmar von Zweter verband? Text Nagel S. 20.

244

allen Glanz; sein Sang geht aus Kessels Grund, der Sang der andern ist nur Schaum. Man sollte seines Sanges Schrein prachtvoll krönen. Ihr Sang ist wie ein fauler Klotz neben grünem Holz; er ist ihr Meister. Er ist der Gipfel der Vernunft, der wahre Koch der Kunst. 1 1 Ein fast manisdi-depressiver Zug erfüllt diese Doppelheit des dichterischen Ausdrucks und ihre Extreme des Kommunikationsverlusts. Wir benützen den Begriff nicht zu vordergründig psychologischem Urteil und schließen uns keineswegs Pfannmüller an, der meinte, Frauenlob müsse geistesgestört gewesen sein. 12 Aber insoweit Analogien Ausdruckskraft besitzen, können wir in der ganzen Kultur, der diese manieristische Dichtung angehört, die extrem auseinanderklaffenden und sidi doch zutiefst entsprechenden Gegensatzpaare finden, die jenes Begriffspaar suggeriert. In beiden Fällen, als greller Farbfleck und als verpuffendes Nichts, ist das Ich allein mit sich selbst. Der Isolation entspricht das andere Extrem, die Hingabe und die Ubermacht des Du. Dieses doppelte Sichüberkreuzen der Gegensätze bildet den Gegenpol zu der Balance von Hingabe und Bewahrung.

I V . Theologie Während Walthers religiöse Strophen teils selbstbewußtes Sichbewahren, selten aber strömende, bedingungslose Hingabe gestalteten, sind in Frauenlobs religiösen Gedichten die Linien der Hingabe ohne Widerspiel. Intensives Nennen schafft große Du-Intensität, in monotoner Reihung und Häufung scheint die Wortmagie eine Brücke zu schlagen zu der Gottheit, die nicht mehr als „höfischer Gott" nahe verfügbar ist. 1 Seelische Magnetkräfte werden entfesselt, wo zur Zeit 11

12

1

Saechtig weist darauf hin, daß für Frauenlobs geblümten Stil freilich alles normale Andere dürr sein mußte. Pfannmüllers vielzitierte Äußerung im Vorwort zur Marienieichausgabe S. VII f.: „ . . . die offenkundig pathologischen Züge des Dichters" und die „Ideen und Gedankenassoziationen eines nicht völlig normalen Gehirnes". Zu Frauenlobs Auffassung vom Wort vgl. Lütcke, S. 37 ff.: das W o r t ist mit der Idee gleichzusetzen, der Klang faßt das Wesen, das Ding selbst. Wenn Lütcke S. 131 vom „anthropomorphen Wesen, dem persönlichen Gotte" spricht und mit Recht die Begriffe des Vaters, des Greises, gar die Kosenamen aus dem Marienieich anführt, so besagt das nur, daß der personale christlidie Gott ge-

245

des anthropomorphen höfischen Gottes eine elegante Geste genügte. In diesen Litaneien hört man die Trommeln endloser kultischer Tänze. Faszinierende Ambivalenz von kühler Abstraktion, Dogma, Pergament und Gelehrsamkeit einerseits und von hämmernden, stumpfsinnig-leidenschaftlichen Rhythmen andererseits erfüllt weite Strecken dieser Dichtung. Die Begegnung mit der Gottheit wird nicht vom Idi als dem Erlebniszentrum arrangiert; die Motivführung folgt nicht den Gesetzen natürlicher Anschaulichkeit und Perspektive, sondern wird audi hier vorwiegend von objektiven Kriterien bestimmt: dogmatischen Vorstellungen und Formeln, fixierter biblischer Überlieferung, Festigkeit der Litanei. Das Idi wird zu keiner umgestaltenden Gestaltung veranlaßt und fügt sich ein wie in die Geometrie der Metren und rhetorischen Formen so in den vorgegebenen Gedankenweg. Seine Hingabe ist also zweifach: im magisch-rhythmischen Beschwören an das Du, und im ausgezirkelten Gedankenweg an die Entfaltung dieses Du - eine mystisch strömende und eine zerebrale Hingabe. 2 Daher audi das Nebeneinander von Abstraktion und Rhythmik. In Ettm. 1: „Ich sihe dich, schepfer aller schaffenunge, got" kommt das Wirken der Trinität und die Hilfe für das Ich zum Ausdruck. Die Zeit spannt sich von der Schöpfung bis zum Tode, von Zebaoth zur diristlidien Trinität, dann zur Eudiaristie und zu des Heilands Erlösertat, in dessen Händen auch das Ende des Lebens steht. Durch diese Motivführung, die dem objektiven Weg der Heilsgeschichte folgt, und das mit ihr verbundene Zeiterlebnis werden ungeheure Zeitspannen zusammengerafft in wenige begrenzende Begriffe zu hochgradiger Gedanklichkeit und Totalität der Zeit. Wenn auch gestaltete und reale Zeit sich stets voneinander unterscheiden, so sind diese rapiden und weiten Sprünge doch nur solchem Denken möglich, das von der Fülle plastischer Wirklichkeit abstrahiert und sich ganz den Begriffen überläßt. Die Aktivität des Idi, das hier als Nennendes anwesend ist, beschränkt sich auf Anschauen Gottes und Flehen; sie äußert sich ferner im Sterben: „hilf, lebender got, daz sidi min leben eins guoten endes

2

meint ist. Ein inniges Verhältnis wie etwa in Walthers Reden mit Gott kommt nicht zustande, Gott ist kein Du; Marias Liebesakt soll die ins Dogma gefaßte, fernere Gottheit nahebringen. Keine philosophische Ambivalenz (vgl. Liitcke S. 37 ff.), sondern eine gestalterische. Die glatte begriffliche Aussage und das Begriffstrommeln meinen dasselbe.

246

niete." Dagegen strömt die Aktivität Gottes, der nichts entgegensteht, in vielen Linien hin zum Ich: schepfer aller sdiaffenunge trost bernde himelspise für alliu dine almehtic künic der mich geschuof din ewikeit genade mir din siiez vleisch gewiet / hie . . . mir genade erbiete hilf schepfer, K r i s t . . . daz mich dins geistes mitewist twa von der kranken Sünden mist hilf, lebender got

Es gibt keine Balance von Ich und Du; am Anfang („Ich sihe dich") drängt sogleich feiernde Wortmagie fort: Idi sihe dich, schepfer aller schaffenunge, got, heil, Sabaot, trost bernde himelspise, herzen andaht wise, du mannabrot, du lebende kost, die der alte grise wol vierzic jar mit willen bot der Israelis diete.

Typisch ist dies sofortige Auswachsen des Andern zu intensivster Ballung; 3 eine Setzung folgt ihrem Trägheitsmoment und fügt sich zu Einseitigkeiten und Einsamkeiten: ein ganz anderes Gestaltungsprinzip als Walthers schlanke Thesis, die den sprachlichen Raum so bald wie möglich zum Widerspiel der Begegnung und in der Begegnung zur Ganzheit führt, während Frauenlobs Additionen das Grenzenlose andeuten. Die heilsgeschichtlich wesentlichen Stationen des Marienlebens stellt der Spruch Ettm. 2 dar: „Maria, gotes tohter, muoter, lebende brut". 4 Die Motivführung folgt auch hier biblischer Erzählung (Verkündigung und Marias Gehorsam, Empfängnis und Geburt, Darstellung im Tempel, Kreuz, Auferstehung, Himmelfahrt), nachdem die Eingangszeile das in mittelalterlicher Dichtung häufig gestaltete Paradox von Marias Wesen als Gottes Geschöpf, Gottes Mutter und Gottes 3

4

Im „Stilistischen" gibt Kretsdimann Beispiele für die Reihungstendenz, etwa S. 37 ff., audi S. 26, unter Hinweis auf Halbach, Gottfried und Konrad, S. 47: „pathetische Schwellung" bei Konrad hinsichtlich der Doppelformen; Frl. steigere eher durch Reihung. Vgl. auch Kretsdimann S. 138 ff.

247

Geliebter und somit auch das Wunder der Trinität hervorgekehrt hatte. Die Grundrelation der Strophe wird bestimmt durch die fünfmal gereihte Formel „Ich man dich", die zwar dem Ich keine szenische Gegenwart, der Erzählung der überlieferten Geschichte jedoch größere Du-Intensität gibt. Diese rhetorische Formel erinnert Maria an sich selbst, das Du wird aus der bloßen Geschichte herausgehoben zum Hilfespender für das Ich. Diese Bitte wird am Strophenende ausgerufen: „Hilf mir von sünden pine!" Die Unmittelbarkeit der Geschichte wird durch dogmatische Auslegung gebrochen, einmaliger Vorgang wird zu dauernder Bedeutung. Die Monotonie des „Ich man dich" löst alle szenische Gegenwartsintensität auf; starre Pfeiler gliedern und stilisieren die Geschichte; jede Phase kehrt die theologische Betroffenheit des Menschen und das stete helfende Handeln des Du hervor. Neben dem Handeln steht auch hier die Bewegung hinweg: „do dir sin himelvart wart schin, / unt daz dich got oudi nam dar i n . . . " : in der Peripherie der Strophe auch die zentrifugale Tendenz des Menschlichen, Entgrenzung und Erlösung. 5 Die Grundrelation des „Ich mahne dich" und „Ich bitte dich" hat audi der Spruch 421 (bei Nagel S. 38): I d i m a n dich, goteS s u n , J e s u s , d e r t i e f e n w u n d e n r o t , d e r v ü n v e d u erliten h a s t a l d u r c h d e s s ü n d e r s n o t , u n d u n s e r l o s t h a s t v o n d e r helle s m e r z e n . Durch diner wunden willen vünf genaden midi gewer; d a z erste ist w a r i u r i u w e , d e r idi innecliche g e r ; d a z a n d e r luter bihte uz g a n z e m h e r z e n ; D a z d r i t t e si d i n l i d i a m h e r , d e r mich beleite uz d i s e m enelende;

5

E t t m . 389 ist ein A v e an die G o t t h e i t : „ G e g r ü e z e t si din vaterlich persone" (Text auch bei N a g e l , S. 34). Beschwörend wirkt auch in dieser S t r o p h e ohne Ich die Anaphernreihe der Du-Intensität, der des A v e , das vorwiegend M a r i a gilt, d a ihr T u n weitend den größten Teil der S t r o p h e erfüllt. (Auf die offensichtliche A b h ä n g i g k e i t von lateinischen Vorbildern gehen wir nicht ein.) In Steigerung von den nodi statisch gesehenen Personen des Vaters und des Sohnes über den schaffenden Geist führt die Reihe zu ihrem N a m e n und T u n , die die weitere Strophenentfaltung bis z u m Strophenende umgreift: den heilsgeschichtlichen H i n t e r g r u n d , das Königsgeschlecht, dann noch einmal das Wort, dem sie Gestalt gab. Anders als bei Walther bleibt die Begrifflichkeit des D o g m a s ohne K ö r p e r ; die Fleischwerdung des L o g o s ereignet sidi nicht in der anmutigen Fraulidikeit und Menschlichkeit der Mutter. Frei von Erlebniszeit des erfahrenden Subjekts und ohne sinnliche G e g e n w a r t ereignet sich dogmatische Heilszeit.

248

daz vierde, herre, mir bescher; die heilic olunge an mim lesten ende; daz vünfte laz ouch, herre, din heilic barmunge sin. ein rehten tot verlieh mir durch die lieben muoter din, sit viir den sünder hast erliten du die wunden rot, vergip mir ouch die sünde min durch dinen bitterlichen tot. Den fünf Wunden des Gekreuzigten entsprechen fünf vom Idi erflehte Gaben. Bestimmtsein durch Zahl und feste Bedeutung, 6 Sicherheit desDurchnumerierten, numerisch Umgriff enen, zahlenmäßigGanzes im Gegensatz zur ganzen Gestalt, gerade in der Zeit der Gefährdung im späten Mittelalter um so intensiver festgehalten: diese Struktur aus numerierten Gleichungen ist charakteristisch f ü r jene Dichtung der Hingabe an starre Arrangements des Wirklichen. Immer wieder finden wir auch numerierende Kataloge in den verschiedensten Bereichen. Die Strophe vermengt „Ich" und ein generelles „Wir" mit dem allgemeinen Begriff des Sünders in einem Bild der „condition humaine". Das Ich ist tief betroffen, ist aber keine Gestalt, sondern eine preisgegebene Kreatur, die von allen Linien des erflehten göttlichen Tuns überströmt wird. Das Handeln des Ich ist: Sündigen, Mahnen, Bitten, Bereuen, Beichten und Sterben, das Handeln des Du: Erlösen, Gewähren, Führen, Bescheren, Erbarmen, Verleihen, Vergeben. Die Reihung der Gnaden mit Zahlennennung erhöht die intellektuelle Monotonie des Strophenverlaufs. Die erschütternd ausgedrückte persönliche Betroffenheit widerspricht nicht der Hingabe an objektive Schemata. Diese Ich-Intensität hat jedoch nichts zu tun mit plastischer Selbstbehauptung. Dem klassischen Ich gab ein Gott auch im Schmerz zu sagen, was es leidet, und es schön zu sagen. Einem andern verschlägt es die Stimme, und wenn Menschen trotzdem in Verzweiflung reden, dann geben sie sich hin an helfend Anderes, religiöse Formeln und Stoßgebete, wiederholen dieselben Begriffe, Wörter, Töne, greifen zum Rosenkranz; alles Monotone, Stereotype, Feste, Vorgegebene schenkt Geborgenheit, alles, dem sie nicht formend begegnen oder dem gegenüber sie kein eigenes Ich behaupten müssen. In unserer Strophe gehen die Gedanken den Weg christlicher Todesvorbereitung: Reue, Beichte, Eucharistie, Ölung, und als letzte Bitte 6

Dazu audi Schirmer, Die Strophik Walthers. Vgl. Stadimann, S. 43 f. über die 72 Sprachen der Welt (Anm. 67—70 weitere Hinweise und Literaturangaben).

249

ein gnädiges Ende. Lösung, Wende, Entwerden bestimmen die Dynamik des Gedichts, die in der Starre der Parataxe und der Reihung mächtig wirkt. Die Linien des Lebens führen hinweg: Opfertod und Erlösung, in der Reue und Beichte Verleugnung des Bisherigen, der „Gravitation", und Lösung im Vergeben, die drängende Zeit des „letzten Endes", und, mit starker Bewegungskomponente: „der mich beleite uz disem enelende". Die Strukturlinien der ganzen Dichtungsgattung, wenn wir sie addieren, ziehen machtvoll hinweg vom Zentrum. Die Bewegung des Aufbruchs und der Hingabe ist eines der wesentlichsten Elemente christlicher Haltung, die innere Form einer Weltanschauung und daher auch immer wieder die ihrer dichterischen Gestaltung. Bei der Baukunst wird der reißende Zug der Vertikalen gezeigt, der hinwegführt, alle anderen Tendenzen einbahnig übertönend; auch in der Dichtung sollte man diese Strukturen hören und schauen. Die Formen einseitiger Häufung, Einbahnigkeit und Isolation öffnen die Sprache für den Ausdruck der Lösung und Hinwendung. Die Glätte der Satzführung und des Sprachrhythmus und die Wiederholung des Anfangs am Ende („Ich man dich, gotes sun, Jesus, der tiefen wunden rot, / der vünve du erliten hast aldurch des sünders not" und „sit vür den sünder hast erliten du die wunden rot, / vergip mir ouch die sünde min durch dinen bitterlichen tot") in Verbindung mit den lang und schwer dahinschreitenden Versen tragen zu der monoton expressiven Müdigkeit und Intensität der Strophe bei. Der einlullende, doch hektische Rhythmus in Verbindung mit dem Gehalt, der Todesnähe, gibt das Gefühl des Trosts und der Verlorenheit. Den Gebetsstrophen folgt eine theologische Lehre und Bußpredigt. 7 Sie handelt von der rechten Vorbereitung auf das Abendmahl und wendet sich mit dem Formelwort „swer" an alle Christen: „Swer gotes brot wil niezen und sin bluot dar zuo" (Ettm. 5). 8 Das Handeln dieses allgemeinen Christenmenschen erfüllt den Katalog der dogmatischen Begriffe: Eucharistie, Beichte, reine Gesinnung und reines Leben, Gottesfurcht und Liebe, Begraben der Weltlichkeit, Feindesliebe, kein Sichverlieren an die äußere Welt, Versenkung ins Innere, Vergeben der Schuld anderer, Leben in Heiligkeit. Die Gliederung dieser

7

8

Im Bekenntnis verbinden sich beide Elemente, die Lehre (das Aufsagen dogmatischer Tatsachen) und das Reden mit Gott. Auch Nagel S. 30.

250

Reihe ist einfach: der erste Teil enthält die Beziehung des Menschen zu Gott und zu sich selbst, der zweite das Verhältnis zur Außenwelt. Auch hier ist die Zeit situationslos, der Raum gehört dem Dogma: „sin herze ist gotes tempel eben. / Krist kan in solhen himeln sweben", Verse 17 und 18. Diese dogmatische Räumlichkeit, formelhaft vorgeprägtes abstraktes Raumerleben, 9 ist typisch für die Preisgabe des plastischen Raums, der in klassischer Dichtung in Durchdringung von erlebendem Ich und selbständiger Eigenwirklichkeit gestaltet ist. Auch diese Strophe drückt Wende und Fortstreben aus, zugleich Festhalten an der strengen Lehre. So bleibt das „Liebet eure Feinde!" feste Regel. Walther dagegen hatte seine lebendige Individualität diesem Gesetz entgegengestellt in 26,10 ff.: Wie solt idi den geminnen der mir übele tuot? mir muoz der iemer lieber sin der mir ist guot: vergib mir anders mine schulde, ich wil nodi haben den muot.

Diese seltsame Lyrik kann nicht als unanschaulich-formelhaft, inspirationslos und langweilig abgetan werden. 10 Große sprachliche Musikalität umspielt scharfgeschliffene Begrifflichkeit ethischer Kategorik, die unverstellt ist von andeutender Symbolik oder anschaulicher Plastik, in streng gemeißelter metrischer Architektur, deren bizarrer Schmuck nicht „lebt", sondern raffiniert künstlich wirkt. Das Begriffliche ist scharf belichtet, die Lebenssubstanz dagegen bleibt dünn und nebelhaft. Das abstrakte Ganze des Lebens („so mac er weben / ein heilec leben") und andererseits seine begrifflichen Teile, die Heilstatsachen, sind gegeben; lebendige, sinnlich erlebte Harmonie von Ganzem und Einzelnem ist nicht angestrebt. Künstlich spielt der Rhythmus im Wechsel von überlangen und kurzen Zeilen, in Sprüngen, die von organischer Sprache nicht mit gleicher Ruckartigkeit mitgemacht werden können und somit die Dominanz des Metrischen betonen. 9

10

Auch im Kirchenlied gibt es anschauliche oder aber rein begriffsgeprägte Raumvorstellungen. Wir wollen jedoch nicht gleich mit Nagel, im Hinblick auf die expressive Dichtung, von dem „symbolgewaltigen Urlaut" reden. Nagel geht allzusehr von der modernen Parallele des Symbolismus und Expressionismus aus (vgl. audi Krayers Kritik an Nagel, S. 21) und betont nicht genügend die Spannung von Banalität und Explosion, Langweiligkeit und Erregung, urtümlicher Archaik und blasierter, spätzeitlicher Glätte im Innersten der Dichtung, die wohl genetisch, nicht aber, wenn das Wesen des Werks selbst zu charakterisieren ist, als Nebeneinander von formalistischer Tradition und realistisch Neuem beschrieben werden kann.

251

Wie schwere Nebelschwaden wallt das Sprachmaterial durch die klar ziselierte Architektur der metrischen Zinnen. Der Spruch 231: „Wer kante gotes krefte, / do er was in des vater geist?" zeigt eindringlich Frauenlobs Theologie und Naturphilosophie. 11 Er ist nicht nur durch Reihung gekennzeichnet, sondern auch durch Häufung und Ballung. Konzentration und Wirkkraft der sinnschweren Begriffe, Hochspannung der rhetorischen Fragen und Zahlenmanipulationen tragen zu dem wortmagischen Charakter des Gedichts bei; alle Intensität liegt bei den überpersönlichen Zusammenhängen. Aber der Bombast der Entfaltung des Andern, in der Gelehrsamkeit und religiöse Ergriffenheit einander die Waage halten, wirft audi Licht auf den Sagenden. Die Natur 12 ist nur abhängige 11

12

Krayer S. 34 zeigt, audi unter Hinweis auf Ettm. 391, wie Frauenlob den entscheidenden Gedanken des Alanus ausdrückt: „. . . Gott ist die ,prima causa', aber .Natura* hat als seine Vikarin teil an der fortgesetzten göttlichen Schöpfungstat." Die Erörterung des Begriffs und der Realität der „Natur" bei mittelalterlichen Dichtern erfordert eine doppelte Akzentuierung. Einmal ist der Naturbegriff zu betrachten in seiner jeweiligen Anwendung bei mittelalterlichen Philosophen, zum andern aber in einem allgemeinen Sinne. Wir sagen bewußt nicht: im modernen, denn obwohl der Naturbegriff in der nachgoetheschen Naturphilosophie und gar der modernen Naturwissenschaft andere Realitäten und Vorstellungen meint und das mit diesem so verstandenen Begriff verknüpfte Erleben andere Bereiche umfaßt, etwa die Naturwirklichkeit des Zyklotrons, der Raumfahrt oder des strahlengeschädigten Chromosoms, gibt es dodi zu allen Zeiten eine gegenständlich schaubare natürliche Außenwelt, die hier mit dem Begriff „Natur" bezeichnet wird, ohne die Behauptung, das Mittelalter habe den Begriff in demselben Sinne verwendet. Wir stellen immer wieder jene Einseitigkeit fest, die dagegen polemisiert, wenn man von „moderner Natur" im Mittelalter redet. Wo das gestaltet ist, was wir als „Natur" zu bezeichnen gewohnt sind, da benutzen wir registrierend und interpretierend den uns geläufigen Begriff, anstatt einen neuen zu erfinden. Das „Bildungserlebnis" der Natur weicht von der Schau realer Szenen ab, und die Tatsache, daß etwa bei Walther auch reale Szenen gestaltet sind, gestattet es, die Abweichung des (traditionellen, typischen) Bildungserlebnisses von realer Schau zu betonen und nicht Walthers Natürlichkeit als Abweichung von dem zu Erwartenden seltsam zu finden. Die gebrochene, filtrierte Naturauffassung und -darstellung, wie „typisch" audi immer, ist die Sonderentwicklung. Wenn das Direkte und Schaubare im Erlebnis umgangen wird, dann ist diese abstrahierende oder deutende Erlebnisweise zwar die zu dieser Zeit bestimmende psychologische Realität, aber eine durch den Einzelnen und noch mehr durch die Epoche anerzogene. Krayer charakterisiert S. 33 Frauenlobs Haltung zur Natur: „Frauenlob war kein Naturdichter im heutigen Sinn. Es geht ihm nicht um die Naturwirklichkeit der Landschaft, nicht um den Naturaugenblick in Wald und Wiese, Frühling oder Winter, nicht um Tiere oder Blumen. Wenn er das Wort Natur ausspricht, so denkt er als Mensch des Mittelalters und zudem als philosophischer Kopf, dessen Geist auf Ursprung,

252

Potenz, hat zwar Gewalt über alle Dinge ( „ W a wont nature in hefte / sit si aller dinge walte h a t ? " ) , waltet aber als Gottes Werkzeug mit ihm, in ihm, durch ihn, auf sein Geheiß. Keinen Tag stand sie außerhalb seines Gebots. Sie ist die Untergeordnete, denn sie ist nur Einheit, während die Gottheit durch Maria zur Vierheit wurde, 1 3 die Überlegenheit der transzendenten Gottheit über die nicht neuschaffende, sondern nachschaffend multiplizierende Gott-Natur kommt deutlich zum Ausdruck. Dieses Gedicht zeigt, daß panentheistische Vorstellungen, so sehr sie sich aufdrängen, nicht Frauenlobs eigentliche Antwort darstellen. 14 Unser Thema bezieht sich nicht auf Frauenlobs Theologie und Philosophie im ganzen. Ein widerspruchsfrei geschlossenes System dürfen wir nicht erwarten; innerhalb der künstlerischen Einheit des Gedidits jedoch herrscht oft eine geschlossene abstrakte Vorstellungswelt. Immer wieder wird auf Frauenlobs „Ideenrealismus" hingewiesen, der sich in der Zeit beginnender Auflösung der Gedankenwirklichkeit in nomina, nachträgliche Begriffe, und somit der Welt in Einzeldinge, selbstbewußt behauptet. 1 5 Der Wirbel der Stückchen Welt, die imZiel und Sinn gerichtet ist, nicht an jeweilige Naturzustände oder Naturdinge, sondern an den dauernden und wirkenden Grund, dessen flüchtiger und wandelbarer Ausdruck sie sind, dessen Fließen sie durchströmt, schafft und vergehen läßt. Natur ist ihm die nicht zu durchbrechende Ordnung der Schöpfung, das unwandelbare, von der allgemeinen Lebenserfahrung immer wieder bestätigte Gesetz. Die Metaphysik der Natur interessiert ihn, und eine Kunstform der Metaphysik ist die Allegorie" (S. 32 f.). 13

14

15

D e r Begriff der Quaternität im Zusammenhang mit Frauenlob bei Brunhilde Peter, Die theologisch-philosophisdie Gedankenwelt des Heinrich Frauenlob, Quellen und Abhandlungen zur mittelalterlichen Kirchengeschichte B d . 2, Speyer 1957. Krayer weist auf die Gefahr hin, die auf Grund der philosophischen Beziehung der „natura" zu der platonischen Weltseele für christliches Denken sich ergeben könnte: „ . . . der Schöpfer kann mit dem Naturwesen identisch werden, oder dieses kann ihn aus der einmal geschaffenen Welt hinausdrängen, d. h. entweder pantheistisdie oder deistisdie Anschauungen können hier ihren Ansatzpunkt finden . . . " Siger von Brabant leugnete die „creatio prima", dann bei Giordano Bruno echter Pantheismus (Krayer S. 31). K r a y e r S. 3 5 : „Frauenlob bekennt sich wie Alanus zum philosophischen Realismus. Die Vorstellung, daß die zeitliche Welt ein (schattenhaftes) Abbild einer geistigen sei und demnach der ganze Naturprozeß sich im Sinne des Praeformismus vollziehe, führte bei Alanus zur Metaphysik der Idee-Form-Entsprediungen." Und ebd.: „Die Realität der Universalien ist demnach Prinzip der ganzen Naturidee." Vgl. audi Lütcke S. 37 ff. Kibelka dagegen referiert S. 12, Anm. 6 die einander widersprechenden Stellungnahmen hinsichtlich Frauenlobs „Realismus" oder „Nominalismus".

253

pressionistisch in Frauenlobs Dichtung funkeln und flackern, ist jedoch ebenso deutlich verwirklicht. Man spürt nicht mehr die selbstverständliche Geborgenheit in einem alles durchwaltenden ruhenden Ideenkosmos; die Dynamik der neuen Zeit, die nicht mehr in der Statik der analogia entis die Wesensverschiedenheit der Dinge fraglos hinnimmt, sondern entlang den neuplatonischen Strahlungsbahnen in der Rastlosigkeit des desiderium nach dem Nieerreichbaren drängt, diese Dynamik wartet nicht ruhig auf Erleuchtung, sondern experimentiert magisch mit dem Wort, das dem Ding entspricht. Einerseits scheint der Ideenkosmos zumindest nodi gewohnheitsmäßig eine feste, ewige Welt, andererseits aber beginnen Einzeldinge und Individuen, oft in bewegter Sehnsucht auf Gott bezogen, zum Problem zu werden. So ist Frauenlob kein Mystiker, dazu ist sein dogmatisches Gehäuse zu starr, aber auch kein Hochscholastiker mehr, denn die sichere Ortsbestimmtheit innerhalb der Seinspyramide scheint bei ihm vom Sturm des Neuen erregt. Dies geschieht vielleicht nicht so sehr im Philosophischen, ganz entschieden aber im Dichterischen. „ [ F r a u e n l o b ] . . . ist Dichter, nicht Denker." 1 β Dieser Satz mag in seinem negativen Teil zu schroff sein, in seinem positiven deutet er jedenfalls darauf hin, daß neben aller zeitlich fixierten gedanklichen Festlegung das Unter- und Überbewußte dichterischer Sprache und Form Seismograph für andere Schwingungen als direkt Gedachtes sein kann. Frauenlob mag als Denker Ideenrealist sein; wer darüber urteilt, muß ihn im Zusammenhang mit der mittelalterlichen Philosophie verstehen. 17 Die dichterische Gestaltung jedoch zeigt, daß sein Weltgefühl nicht mehr die Ruhe einer fraglos die geometrischen ö r t e r des Lebens akzeptierenden analogia entis besaß. Diese Gestaltung, deren Interpretation weit über äußerlich Formales hinausreichen sollte, kann auch nach Kriterien beurteilt werden, die sich nicht auf mittelalterliche Praktiken, Bewußtheiten und Stilistikbücher beschränken. Panentheistisch gefärbte naturphilosophische Vorstellungen klingen bei Frauenlob immer wieder an, vor allem in der Konzeption der 16

17

De Boor III, S. 472. — Krayer kritisiert S. 19 f. Lütckes Versuch, Frauenlobs Aussagen als System in den Bau der scholastischen Philosophie hineinzustellen. Vernünftige Skepsis hinsichtlich der Möglichkeit, beim gegenwärtigen Forschungsstand die spätmittelalterlichen Spruchdichter philosophischen Systemen zuzuordnen, äußert Kibelka S. 11 ff., vorwiegend im Hinblick auf H . v. Mügeln, aber auch auf Frauenlob: „Ohne intimere Kenntnis der Entwicklung von Wissenschaft und Philosophie ist keine adäquate Einordnung der entsprechenden Einzelaussagen des Dichters in den Zeitstil der Epoche möglich" (S. 12 f.).

254

Gott-Natur als Creatrix, weibliche Schöpferkraft. Frauenlobs Teilhabe an der neuplatonischen Tradition macht das verständlich. Trotzdem wird diese göttliche Natur nie als Emanation, sondern als Schöpfung aufgefaßt. 1 8 Die Sehnsucht des religiösen Menschen, zwischen sich und dem fernen Gott Brücken zu bauen, wird in unserer Strophe durch wirkkräftige naturphilosophische Wörter und Begriffe erfüllt, jedoch nicht mit der Radikalität des Panentheismus, der eine totale Lösung der Spannung zwischen hier und dort bedeutet. 19 Immer nodi ist die gewaltige Übermacht des Andern über das Idi erlebt und gestaltet. Der Umfang seiner Kraft ist unbekannt und wird nur durch die Unendlichkeit gefaßt: a i d a kein mensche v ü r b a z mac! wer k a n , wer tar, wer sol? wist m a n ez w o l ?

Und Gottes Überlegenheit über die Natur: W a n got si bestuont selpvierde: er ein und ouch sin ewikeit unt sin majestas-wierde, d a z u o so half diu reine, M a r i a , vleisches bleiche v r i : si spielt uz eim personen dri: vier mohten m e d a n n a t u r alters eine.

Grenzenlose Kraft und Ausdehnung kennzeichnen die Wirkkraft des transzendenten Andern. Auch manche von Walthers Strophen über Gott gestalten diese Kräfte und Dimensionen. Aber da klingt, wenn audi entschieden zugunsten des großen Du, doch nodi das Wechselspiel von Tragen und Getragenwerden mit. D a reden die Strophen die Sprache eines gestaltend anwesenden Idi; menschliche Resonanz 18

19

Krayer S. 32: „Als .vicaria Dei' und ,domina mundi' nimmt sie [die Natur bei Alanus] die untere Stufe einer innergöttlichen Hierarchie ein, in der sie in ihrer Ganzheit als vom Göttlidien durchdrungene Schöpfung erkannt und anerkannt wird. D a sie zwar nicht aus sich selbst, aber ,Imperantis imperio', also ,iussu' alle Dinge hervorbringt, ist sie gleichsam eine zweite Gottheit." Vgl. auch Lütcke S. 82 ff. Walter Schulz zeigt in seinem Kapitel „Cusanus und die Geschichte der neuzeitlichen Metaphysik", in: Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, Pfullingen 1957, S. 25 bei G. Bruno, wie im Gegensatz zu Cusanus Gott nicht mehr der ferne „deus absconditus" ist: „ . . . die Spannung, in der Cusanus Gott als das begrenzende Maß der endlichen Subjektivität entgegensetzt, ist bei Bruno aufgehoben. An ihre Stelle tritt das pantheistische Weltgefühl..

255

klingt kraftvoll in der Hingabe. Bei Frauenlob ist die Form hineinstilisiert in den Raum und die Feier des Andern. Für die Motivführung vieler Gedichte ist, wie wir sahen, der Katalog und der Ablauf nach starr vorgezeichnetem Muster kennzeichnend: Geschichte und biblisches Geschehen, Ideengesdiichte, christliche Heilsgeschichte, literarische Vorbilder, dogmatische Systematik, oft in völlig undifferenzierter Hingabe an das Schema. Weitere Beispiele sind die Lehrdichtung über die Zehn Gebote, die ohne Umgestaltung und Begegnung dem Dekalog folgt (361: „Got soltu inneclichen minnen" und auch 362), oder 350 und 351, primitiv und bestimmt nicht von Frauenlob selbst, eine katalogartige Revue der bedeutendsten Gestalten des Alten und Neuen Testaments, einschließlich der Apokryphen, beginnend mit der rhetorischen Frage: „Wer half Adame uz not in viure?", in intensivster Reihung der „wer half"-Anaphern, jeweils verbunden mit andern Namen und ihren wesentlichsten Eigenschaften, bis dann am Ende der zweiten Strophe dieser Gruppe die Antwort kommt: . . . deist mir worden kunt: got der half in an allen haz unt hilfet uns ouch spate unt da zuo vruo. Wir könnten noch viele Einzelbeispiele anführen. Ganz allgemein bildet die Geometrie des Katalogs und des Anaphernblocks einen gehaltlichen und formalen Grundpfeiler diristlidier Liturgik und Dogmatik, in überindividueller, Geborgenheit schenkender, verpflichtender Eindeutigkeit sich selber reihend: neben dem „Du sollst" des Dekalogs z. B. die Anaphern in den Seligpreisungen und in „dein Name, dein Reich, dein Wille" des Vaterunsers.20 Walthers „Palästinalied" (14,38) z. B. stellt dagegen wohl das Geschehen im Heiligen Lande dar, der biblischen Überlieferung entsprechend, die durch das Credo ergänzt ist: die Geburt Jesu und die Engelscharen, Taufe, Kreuzigung, Höllenfahrt, Auferstehung, die vierzig Erdentage als Auferstandener, Himmelfahrt, Sendung des Heiligen Geistes, Ankündigung der Wiederkunft als Richter, aber die Reihung objektiver Heilsgeschichte wird ausbalanciert durch die Vorgangsintensität des Ereignisses, um dessentwillen die Geschichte er20

Die alttestamentlidien Häufungen erwähnt Halbach, Gottfried und Konrad, S. 32. Idi verweise auf diese Arbeit für interessante Beobachtungen am „klassischen" und „barocken" Stil.

256

innert wird, des Kreuzzugs, der (wenn audi nur in der Phantasie) körperlich und gegenwärtig geschehenden Ankunft des Ich im Heiligen Land. 2 1 Das Lied beginnt mit einem vergegenwärtigenden „ N u n " . Die Dreiheit Idi, Land und Gott ist eng verknüpft; das Ich erreicht das Land, dessen greifbare Realität die heilsgeschichtliche Wirklichkeit wachruft: Nu alrest lebe idi mir werde, sit min siindic ouge siht daz reine lant und ouch die erde den man vil der eren giht. Mirst geschehen des idi ie bat, ich bin komen an die stat, da got mennischlichen trat. Auf die erste Strophe folgt in sechs weiteren die Entfaltung der Heilsgeschichte, dann in der Schlußstrophe die Rückkehr zur Kreuzzugssituation. Erlebnis durchdringt die Geschichte. Die Frage stellt sich hier immer wieder, ob all die Unterschiede zwischen Durchdringung, Vergegenwärtigung, Überlagerung einerseits und Ballung, Addition, schematisch objektiver Darstellung und Fehlen umgestaltender Stellungnahme andererseits (nun ganz unabhängig von der „Traditionsbetontheit" mittelalterlicher Dichtung) nicht ausschließlich auf den Unterschied in der dichterischen Begabung zurückzuführen sei. Nachschwätzen ist leichter als Erfinden, Gestal21

G. Jungbluth, DVjS 32 (1958), S. 385 ff. stellt im Zusammenhang mit seiner Interpretation von 66,21 die Frage nach „Rollenlied" oder „Erlebnisdichtung" (audi unter Hinweis auf Naumann, Diditg. und Volkst. 43, 1943, S. 223). Jungbluth will die Ankündigung einer Pilgerfahrt und den Bericht aus dem heiligen Lande als biographisch erlebt, „persönliche Ausdruckskunst", „Erlebnisdichtung" sehen, wendet sich audi mit Recht gegen die Auffassung, das Vorkommen von Topoi müsse aus dem Gedicht etwas „Erdichtetes", „nicht Erlebtes" machen. Wir nehmen den Begriff der „Erlebnisdichtung", der ja vor allem für die durch die Lebensphilosophie geprägte geistesgesdiiditlidie Schule als Gleichung von editem geistigem Erleben und „Dokumentardichtung" von Bedeutung ist, in die Gestalt der Dichtung selbst herein. — Zum Palästinalied vgl. weiterhin Singer S. 87 f., Hugo Kuhn, Walthers Kreuzzugslied (14,38) und Preislied (56,14), Diss. Tübingen .1935, und Maurer, Zu den religiösen Liedern Walthers von der Vogelweide, Euph. 49 (1955), S. 29—49, zu diesem Lied S. 42 ff., mit Hinweis auf den Erlebnischarakter. Arthur Hübner, Die deutschen Geisslerlieder, Berlin und Leipzig 1931, betont das Epische. Dagegen leitet er das hymnische „Kreuzlied" aus dem Pilgerlied her. Burdadi, Walther I läßt S. 3 die Frage offen, ob Erlebnis oder Fiktion, und referiert die Stellungnahmen der älteren Interpreten. Für Fiktion halten das Lied Ladimann, Pfeiffer, Wilmanns, für erlebt Simrock, Wackernagel, Rieger und Paul.

257 17

Schaefer, W a l t h e r von der Vogelweide . . .

tung theologischer Linientreue bequemer als individuelle Neubegegnung, Reihung und Häufung erfordert weniger Umsicht als elegante Differenzierung, Unanschaulichkeit als runde Plastik, Stereotypes ist geläufiger als Originelles. Über den Unterschied der dichterischen T a lente besteht kein Zweifel. Andererseits haben Frauenlob und die Pseudo-Frauenlobschen Dichter unübertrefflich ausdrucksstarke Gedichte verfaßt. Auch wird man einer Stilrichtung nicht gerecht, wenn man sie nur wertend beurteilt, welche Urteilskriterien man immer benutzt. Vielleicht gehen erschütterte Ratlosigkeit und lehrhaft-aufdringliche Uberdeutlichkeit, der Drang nach Imitation von Gleichem, der Verzicht auf maßvolles, das Andere übergreifendes Exponieren des Ich, die Flucht vor fest begrenzter plastischer Kontur, die Hingabe an Zahlen und Geometrie und vorgedachte abstrakte Schemata (wobei all dies verbunden ist oder abwechselt mit epigonaler, überbietenmüssender Grelle, Eklat, Extrem des Ich und der Form, Artistik) vielleicht gehen diese Elemente und das Erleben, für das sie symptomatisch sind, zusammen mit einem im Grunde weniger gestaltungskräftigen, zugleich weniger ich-kräftigen Menschen. Vielleicht erfordert die Synthese, welche Hingabe und Gefährdung und Bewahrung, Geben und Empfangen, Systole und Diastole gleich stark und gleich schwerelos erhält und überspielt und all dies zum dichterischen Ausdruck formt, soldi große Erlebniskraft, menschliches Gleichgewicht, Leidens- und Hingabefähigkeit und psychische Ichkraft, zugleich solch großes bewußtes und unbewußtes Formtalent, daß klassische Dichtung sich so selten ereignet. 22 Vielleicht entsprechen die vielen manieristischen Ausdrucksformen eher dem Sichgehenlassen, der Ichmüdigkeit und Hingabesehnsucht, der Geborgenheit schenkenden vagen Flächigkeit der „paradis artificiels" rauschhafter und monotoner Rhythmen, Schematen und Ornamenten. So ist diese Dichtung einlullend und aufpeitschend zugleich, mit einem rhythmischen Gehäuse, in dem das Einzelne sich löst und das ein Kollektives steigern kann zu leidenschaftlicher Dynamik. Wir denken an die ekstatische Monotonie der Geißlerlieder, 23 an Kultgesänge der Primitiven, an Jazz mit seinem 22

23

Halbach, Zu Begriff und Wesen der Klassik, Anm. 1 nimmt kritisch Stellung zu Kurt Bauch, Klassik, Klassizität, Klassizismus, in: Werk des Künstlers 1 , 1 9 3 9 / 4 0 , S. 429 f., und leugnet die Seltenheit der Klassik: „Auch ist .Klassik' nicht so fremd und fern, die .Klassizismen* nicht so einmalig und ichverhaftet, wie es Bauchs anregendem, leidenschaftlichem Blick auf das F l i e ß e n d e der Geschichte sich darstellt." Zum Typus vgl. vor allem Hübner, Geisslerlieder.

258

orgiastischen Drang nach Preisgabe der Individuation und hektisch gesteigerten rhythmischen Hochgefühl im Einklang der Massen, an Nietzsches Begriff des Dionysischen. Ein Extrem abstrakt-dogmatischen Kulttrommeins ist die Strophe 288: Sun, du bist sun, sun, erbes kint, sun strie, sun bint, sun got, sun geist, sun mensche in got gemint, sun schepfer dines stammes, geist der in der megede libe lac, drildi, ein volleist; sun vor, sun sint kam uz der porten golt. Sun touf enpfienc, win, wazzer, trehen; vünf blinden sehen; sun, diniu wunder ane zal geschehen; sun liez den tiuvel sich bekorn, sun leit, sun schrei Heli uz grimmes todes zorn, sun starp, sun nehen wolt sich der helle solt. Sun von dem grabe zer helle ist gescheiden, sun vater was: der strie lac zwischen beiden; sun drin vrowen in leiden erschein und oudi den zwelven sin. sun gotes schrin, sun erbe ist din, mensch, ist dir Krist iht holt. 24

Diese Dichtung kann kaum mehr überboten werden. Dreiundzwanzigmal wird das Anredewort „sun", Gottessohn, wiederholt, mehr als einmal pro Vers in den teilweise recht kurzen Zeilen. Dreimal ist das Wort im ersten Vers, einem Viertakter, geballt. Die Anredeintensität übertönt alle Sätze des Geschehens, keuchend werden die kurzen Satzstöße hingestammelt hin zum beschworenen Du. Mandie der Manierismen sind geradezu expressionistisch; die Diskrepanz zwischen 24

Thomas S. 76 erklärt den Spruch mit ungerecht abwertenden Äußerungen für unecht: „ . . . mit sinnlos übertriebener Anapher von ,sun' „Schwächen sind im übrigen das wiederholende ,sun strie, sun bint' 2, das gewundene ,sun mensche in got gemint' 3, und die eigentümlich assoziierende Reihung ,sun touf enpfienc, win, wazzer, trahen' 6 . . . " . Unecht mag das Gedicht sein; ihm jedoch die dichterische Kraft abzusprechen hieße sich auf einen Geschmack beschränken, der wenig über das 19. Jahrhundert hinausreicht.

259 17*

der Überfülle der „ sun"-Wiederholungen und den knappen, nur angedeuteten Sätzen und Ellipsen prägt wesentlich den Charakter der Strophe. Die Wunder werden angedeutet: vünf blinden sehen . . .

Ergreifend in aller Knappheit ist die Darstellung der Passion: sun leit, sun schrei Heli uz grimmes todes zorn, sun starp, sun nehen wolt sidi der helle solt.

Audi hier, durch das Hämmern des Du hindurch, wird die Geschichte Christi erzählt: Geburt, Taufe, Wundertaten, Versuchung, Leiden und Tod, Höllenfahrt, Auferstehung, Erscheinung nach dem Tod. Daneben steht, durch die Worte beschworen, das dogmatisdie Paradox der Trinität. Wieder klingen hochgradige Abstraktion und Unpersönlichkeit, flächige Weite und gegenwartslose Allgemeinheit und andererseits jener monoton mitreißende, dunkel kultische Rhythmus und die Intensitätsverdichtung im Du seltsam ineinander, außerdem wogendes Anbranden der Anaphernserien mit dem stoßweisen Atem der kurzen Sätze und andererseits die anspruchsvolle, strenge Architektonik der Strophe. Preisgabe an eine Kultgemeinschaft wird suggeriert, andererseits aber auch hochgradig bewußte Künstelei. Eine solche „sentimentalische" Sprache fluktuiert, wie auch ihr „naives" Pendant, die primitive Verzückung, für den Erlebenden zwischen Faszination und Groteske. Ein Kulttanz verzückter Eingeborener spielt für den Bewohner gemäßigter Zonen zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen, und so auch diese epigonale Variante. 25 Der Höhepunkt von Frauenlobs religiöser Dichtung ist der Marienieich. Er ist des Dichters längstes Werk und, wenn auch vom Kreuzleich durch sprachalchimistische Bizarrerien und vom Minneleich durch Anaphernsalven überboten, sein intensivstes und reichstes. Die Jungfrau ist Frauenlobs religiöse Lieblingsgestalt, auch durch die oszillierenden Beziehungen, die sie mit den Ideen der Natur-Creatrix und des weiblichen „forme"-Prinzips verbinden. 26 Allegorik des Hohenliedes, der Offenbarung des Johannes, des Physiologus, Vorstellungen des Minnesangs und naturallegorische Symbolik, vor allem durch 25

25

Inwieweit das Gedicht „naive" Ursprünglichkeit oder stilisierende Gebrochenheit aufweist, läßt sich schwer feststellen. Vgl. Krayer S. 64 ff.

260

Alanus beeinflußt, bestimmen die Dichtung. 27 Sie steigert sich in ihrem Verlauf mehr und mehr, in länger dahinrollenden Versen, in geradezu dithyrambischer Intensität zur Erhöhung Marias. Wir haben an sich nicht die Berechtigung, die Betrachtung in das Kapitel der Grundrelation einzureihen. Z w a r beginnt der Leidi mit der Erwähnung eines lyrischen Ich: „Ei ich sach in dem trone / ein vrouwen, diu was swanger", 2 8 es kommt auch noch ein paarmal vor, verliert sich aber bald völlig und gibt dem andern Ich Raum, Maria, das ohne Gegenüber in der zweiten Hälfte des Leichs ihr göttliches Empfangen und Handeln verkündet. Wir versuchen keine eingehende Interpretation des Marienieichs und verweisen f ü r die Motivik vor allem auf Krayers hervorragende Darstellung der Naturallegorese 2 9 und auf Pfannmüllers sorgfältigen Kommentar. Uns geht es um ein Charakteristikum der inneren Form. D a s Nebeneinander auf engstem R a u m von deutend abstrakten dogmatischen Begriffen, Allegorien und sinnlichen Bildern ist ein hervorstechender Zug. D a s Fluktuieren zwischen Folianten und Blumenwiesen ist auffällig. Keine Versinnlichung abstrakter Ideen findet statt, sondern absichtsvolles Nebeneinanderführen dogmatischer Vorgänge

27

28

19

Zum Phönixsymbol Krayer S. 37: das Auferstehungssymbol wird auf die Natur bezogen. Über die Bilder höfischer Liebesdiditung vgl. I. Kern S. 97 f., vor allem den Begriff des „vriedel", der aus der frühhöfischen Sphäre stammt und den Kern S. 19 f. auf Walthers „Under der linden" zurückführt; ebenfalls wird erwähnt der „amis curteis" und der „goteliche minnediep". Uber Quellen Pfannmüller S. I f f . : Altes und Neues Testament, vor allem das Hohelied; spezielle dogmatische Elemente: Inkarnationslehre, „Gnadenfülle und Privilegien der Gottesmutter", Mitwirkung Marias an der Erlösung der Menschheit. Zur Hoheliedauslegung, allerdings nur bis um 1200, vgl. das bedeutende Budi von Friedrich Ohly: Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200, Wiesbaden 1958. Wir zitieren den Marienieich nach Pfannmüller. Die zunehmende Steigerung charakterisiert Pfannmüller S. 13, unter Hinweis auf das Vorwort der englischen Übersetzung durch den Amerikaner Α. E. Kroeger (The Lay of Our Lady. Translated from the German of Frauenlob, with explanatory Notes, by A. E. Kroeger. Respectfully dedicated to Henry W. Longfellow, by the Translator. St. Louis 1877). Krayer zeigt an H a n d vieler Beispiele den Umkreis der Inkarnationssymbolik — von spätrömischer Naturallegorese (ζ. B. das Prägebild: Idee ist Prägeform, Stoff das Geprägte) bis zu Ausläufern in neuester Zeit. Der natura-Begriff, der sich mit dem forma-Begriff des Weiblichen verbindet, wirkt als Form der ungeformten Materie. Krayer stützt sich auf Curtius, der Wesentliches zur Entdeckung des Alanus beigetragen hatte. N a t u r a (Kr. S. 30) als mater generationis, artifex mundi, parens omnium rerum, domina omnium rerum, formatrix hominum.

261

und sinnlicher Szenen. 30 Beide Pole sind gedanklich aufeinander bezogen, wollen einander aber nicht organisch durchdringen. Die Raumgestaltung der Offenbarung des Johannes, in der die prophetische Bedeutung alle natürliche Räumlichkeit übertönt und der Raum und die Szenerie flackernd surrealistisch werden, gestattet kein Sichausruhen in lebendigen Szenen. So ist es auch hier. Immer wieder werden Szenen angefangen, aber sofort von der bedeutungstragenden surrealistischen Schau oder der Interpretation selbst unterbrochen.31 Die Allegorie wird vom Sinn so übertönt, daß ihre Bildkomponente nicht die Illusion erweckt, sie sei auch um der Erdhaftigkeit des Bildes willen vorhanden. Tiere und Pflanzen sind gleichungshafte, statische Symbole; viele Gegenstände gehören einer anorganischen, künstlichen Sphäre an, wie die Edelsteine, typisch für diese Art von Dichtung (Konrads „Goldene Schmiede"32 hat ja ein solches Kunstprodukt zum Thema). Das Thema des Leichs ist das allergeistigste, geistig-paradoxeste der religiösen Dogmatik, die Inkarnation. Das Paradox und der Liebesakt Gottes haben es immer wieder nahegelegt, den Vorgang in Bildern der irdischen Liebe auszudrücken.33 Theologische Deutung wertet diese Bilder als Zeichen, als Versuche, das Unbegreifliche in Sprache wenn nicht Vorstellung zu übersetzen. Nur vom Sinn her

80

31

32

38

Frauenlobs erotische „Geschmacklosigkeiten" paraphrasiert Pfannmüller S. 10 ff. auf bösartig-ergötzliche Weise. So etwa S. 11: „Der Friedel (Christus) stellt seit geraumer Zeit einem jungen Ding (Maria) nach, das bereits eine leise Angst vor ihm hegt. Als er einst an dem braunen Mädchen vorbei geht, sagt er zu den Umherstehenden: ,Schwesterchen ist nodi so jung und unentwickelt, wer möchte schon um sie werben?' Dadurch wird die Kleine wieder gänzlich arglos. Darauf war seine Äußerung berechnet. Denn habt acht, was er damit wollte! Als sie einst sorglos vor der Haustür eingeschlafen war, vom Duft der Mandragoragehänge betäubt, überwältigt er sie und genießt — ganz ,gegen die Natur' — die Reize der Schlafenden. Diese bedenkliche Verführungsgeschichte, der Verführten in den Mund gelegt, steht 10,16 ff., Zeile für Zeile gedeckt durch lateinischen Wortlaut der Vulgata oder der scholastischen Dogmatik", und dergleichen mehr. So kommt auch in der Offenbarung vom himmlischen Jerusalem keine gegenständliche Schau zustande. Pfannmüller erwähnt S. 9, daß ernste Dogmatik in ihren mariologischen Stellen sich das Poetische vom Leibe halte, wie umgekehrt die Marienpoesie gewinne, je weniger sie mit der Dogmatik kokettiere. Ein Beispiel solcher reinen, vom Dogma nicht allzusehr kontaminierten Dichtung sieht P f . in Konrads „Goldener Schmiede", die gleichwohl stark auf Frauenlobs Dichtung eingewirkt hat. K r a y e r S. 41 ff. bringt außerdem das Bild des Kleidens und des Webens, mit einem weiten Kreis verwandter Vorstellungen. Vgl. auch Lütcke S. 156 ff.

262

könnten die Bilder verstanden werden. 34 Dennoch führt in unserer Dichtung der Versuch, das Paradox deutlich zu machen, zu jenem Fluktuieren zwischen Erotik und Abstraktion. Gerade weil der Gehalt in seiner extremsten Geistigkeit gestaltet ist, weil Maria hier nicht die natürlich liebende Mutter ist, sondern die mystische Geliebte Gottes und somit ein in Harmonie von Sinnlichkeit und Geistigkeit nicht Greifbares, Unmögliches, fallen die beiden Pole auseinander. Sinnlichkeit, der keine Synthese mit den Symbolen möglich ist, die sie verkörpern soll, verliert die erdhafte Natürlichkeit, wirkt hektisch und schwül. Je weiter vom tragenden Grund der Natur die geistige Spekulation oder Ekstase sich entfernt, je unanschaulicher und raffinierter sie also Geist wird, und je intensiver diese Geistigkeit in erotischen Bildern sich verständlich machen will, die sie mit sich in ihr Extrem zieht, desto bewußter, intellektueller und flackernder erotisch wirken diese Vorgänge. Eine Durchdringung unschuldig natürlicher Vitalität und klarer Bewußtheit ist nicht möglich, da die dargestellten erotischen Szenen ja nur Vergleiche sind und die Geistigkeit des religiösen Geschehens eine andere Berührung mit der Versinnlichung als eben die des uneigentlichen Vergleichs nicht gestattet. Die Spannung zwischen Begriff und Musik, zwischen hochgradiger Abstraktion und hochgradiger Sinnlichkeit ist uns auf der Ebene der Sprache begegnet, sie gehört zu den Merkmalen dieser Dichtung. Die eben beschriebene, vom Gehalt ausgehende, aber auch den Stil entscheidend beeinflussende Variante fügt sich in diesen größeren Zusammenhang ein. Unergiebig sind zwei extreme Stellungnahmen, denen man oft begegnet. Die eine betont in dieser Gattung der religiösen Erotik, beginnend mit ihrer Hauptquelle und schönsten Gestaltung, dem Hohenlied, lediglich die allegorische Seite. Die Dichtung sei theologische Begrifflichkeit, rein geistiges Erleben, die Bilder seien bloße Exemplifikationen des Wunders. Dies Argument ist richtig, was den theologischen Sinn angeht, aber nicht zureichend in bezug auf die Immanenz der dichterischen Gestalt (selbst wenn die Dichtung nichts als jenen Sinn gestalten wollte!). In der Gestalt ist die ausgeklügelte, anorganisch-sterile intensive Erotik deutlich als solche anwesend. Ein eventuelles Unvermögen für plastische Bildkraft und vergegenwärti34

Singer S. 11 weist auf Parallelen in der dogmatischen Ausdeutung des Hohenlieds schon im Talmud hin. Vgl. über Frauenlobs Trinitätsvorstellungen Lütcke S. 132 ff.

263

gende Vorstellungsintensität, das der Abstraktion entspricht, sie begünstigt und von ihr begünstigt wird, ändert nichts an der Tatsache des gestalteten Vorhandenseins; die psychologisch-genetische Frage, ob die Erotik direkt erlebt oder nur hinkomponiert sei, ist für die Betrachtung des Endprodukts belanglos.35 Das andere Extrem der Interpretation neben dem allegorischen ist das psychologische. Da wird dann, wie bekannt, von Mönchserotik und Komplexen geredet, auch von der Urverwandtschaft des religiösen und erotischen Empfindens; man mag dabei vielleicht psychologisch Richtiges treffen, die Ganzheit der dichterischen Gestalt entgleitet. Wenn man auf diese Gestaltung sieht, so ist wesentlich eben die im Gedicht wirksame ausdrucksstarke Spannung36 zwischen religiösdogmatischer Abstraktion und uneigentlicher Versinnlichung, die sich in intensiver, drängend dynamischer Erotik offenbart. In der Lyrik des Pietismus sind die stark erotischen, „geschmacklosen" Bilder aufgefallen, und es ist ζ. B. bei Zinzendorf gezeigt worden, daß ihm bildliche Vorstellungskraft in extremer Weise abgegangen ist (Hans-Günther Huober, Zinzendorfs Kirchenlieddichtung, Berlin 1934). Frauenlob ist ein anderes Temperament, wir bestreiten bei ihm nicht das vorstellende Erleben dessen, was er gestaltet, sondern beziehen nur generell die Möglichkeit mit ein, die Frauenlobs Kühnheiten durch das Fehlen einer plastischen Apperzeption ebenfalls sinnvoll erklären könnte. s® Das im Innern des Gedichts existierende Nebeneinander von Erotik und Spiritualität läßt sich auch nicht ausschließlich durch gradualistische Argumente erklären, ebensowenig wie durch Pfannmüllers subjektives Geschmacksurteil. (In der psychologischen und in der Geschmacksfrage setzt übrigens Singer andere Akzente, mit Hinweis auf Roethe S. 2 3 8 , der die religiös-erotische Motivik bei Muskatblut bespricht. Singer verteidigt diese Dichtweise S. 106 mit dem Argument: „Es s c h e i n t . . . , daß, je religiöser die Menschen, um so weniger empfindlich gegen Vermenschlichung des Göttlichen sie sind. Gerade in unserer religionsschwachen Zeit ist man so viel wehleidiger in dieser Beziehung als im religionskräftigen Mittelalter.") Audi Krayers „verfremdende" und dadurch eben letztlich doch nur der Allegorie und ihrer Sinnkomponente gerecht werdende Auffassung erhellt nicht die ganze Erscheinung. W i r haben in diesem Nebeneinander eine Grundform der Gestaltung, die sich weder mit theologisch-philosophischen noch allegorisch-technischen noch mit psychoanalytischen oder geschmackskritischen Urteilen ganz erfassen läßt. Dem vernünftigen Nebeneinander widerspricht das dynamische Fluktuieren von Trennung und Verschmelzung in der dichterischen Gestalt, der „Geschmacklosigkeit" die unbestreitbare eigenartige Schönheit, der bloßen Allegorik die dichterische Gegenwart der intensiven sinnlichen K o m ponente, der psychoanalytischen Deutung das undurchdringliche Geheimnis dichterischen Empfindens und das Fehlen völliger Kongruenz von psychologischem Grund und dichterischer Gestalt. Man muß auch bei diesem so „typisch mittelalterlichen" Gedicht dem Grundgesetz aller Poesie Rechnung tragen, daß selbst das Verständnis aller Einzelfaktoren noch nicht das Geheimnis ihrer simultanen Gegenwart durchleuchtet. 85

264

Wir stellen die wesentlichen Passagen heraus, die sich auf die sinnliche Liebe beziehen: 3, 9-18: die bliienden winrebe diner vruht sint vollen smachaft worden. Des soltu gen (din vriedel ruofet) arten (dir zarten:) in dem heil win tragenden garten (,kum, liep, kum!'): sus wirt sin warten dort uf dem lewenberg von mirren! kein virren sol irren dich, wan er wil erkosen sich mit dir in den rosen. des soltu, tohter, muoter, meit, mit liebe liebe im losen. 5, 6-18 : der künc durch iuwer porten quam uz und in nach willen sin, diu da beslozzen was und ist an allen iren orten. Davit der seit ir stíiendet zuo der zeswen hant. goltvar bekleidet iuch künc Salomon bevant. gar überlut er giht daz iuwer locke gestalt sin sam rechböcke, und iuwer huf da seit er uf daz die niur guldin vürspan sin. wol sten der kiuschen ir röcke! 8, 1-9, 13:

Ei welch ein lebendez minnewort: meit, alles hords ein Überhort! wan din gestalt, din sdioene durchschoenet alle troene. ir gelf, ir lut ist: ,kroena, künic, kroene!' din richsen wol zimt, als ez sol, ze siner zeswen siten, der aphel den du treist beginnet ziten. die bluomen lachen beidenthalp der liten, ir mündel hat der tou getwagen, sie tuon rehte als si wellen sagen: ,diu meit ob allen meiden muoz uns wol behagen'. Künc Salomon, der wisheit selch, der giht ir nabel, ein guldin kelch, si voller edeler steine,

265

fin, luter unde reine: die sint jacint genennet, ob ich meine den keldi des suns dar uz er uns her sinem vater brahte? wie wol diu zarte tohter uns bedahte, daz sie den val des alten swinden schahte! vil sdioene ob allen vrouwen, spridi: der schoenen liebe ein muoter ich, der heilikeit ein hofienunge nennet midi! Ich binz diu groze von der kür, min wille ist kreftic unt ouch miir. gen liebem liebe ich mich erbür. daz venster miner klosentür, da gienc min liep so triutlich vür. sin hant mich ruorte, daz idi spür, diu was von süezem touwe naz, ez duhte mich ein honicvaz. idi az den veim und tranc den seim, sus quam idi heim, des wart mir baz. waz wirret daz? 10, 1-15, dann aber vor allem 10, 16-30: Swenne er midi vester swester sagt, er giht idi si so june betagt. ,wie woll wir daz sie sich gerüste bar brüste zuo der lüste durch die man sie sprechen solde?' nu merket waz min vriedel wolde! er warte siner lunen, daz mich brunen von senfte der alrunen wart slafen durch so süezen smac in unser porten leisten durch so rieh bejac. die wile und ich des slafes phlac, gen der naturen min behuren muoste er vlehten unde zunen. Und, nach dem Hammersymbol, 11, 10-21: min alter vriedel kuste midi,

266

daz si geseit. ich sach in an, do wart er june, des vröute sich diu massenie da ze himel alle. wie zühtic stolzer meide ruom idi schalle! doch hoffe idi daz ez ieman missevalle. er jach min brüstel waeren süezer danne der win: da bare er sich mit vuogen in. Wie wol er mich erkande, der sich so vaste in mich versloz! wer ledt midi in der liljen tal da min amis kurtois sich tougen in verstal? Ferner 15, 16-30, vor allem die ersten vier Verse: Vil lieben, tuot mir ouch ein liep und merket wie der göteliche minnendiep sleich mitten in die sele min und tranete die mit süezekeit der süeze sin. Schließlich rausdihafter, drängender 18, 1-14: Wie die doene loene schoene schenken uz der armonien, die sich modeln, dries drien, wie die steige, velie schrien mac man hoeren in niun koeren (den schal nieman mac zerstoeren), da min vriedel, der vil süeze, schaffet unser beider dine. Balde kroene, troene, vroene mir ein küssen, sun der gerten! miner menscheit schiltgeverten mich dem künge Jesse zerten. sus in troume wer min goume! under einem apfelboume wart erwecket ich so suozlich: seht, daz tet ein jungelinc. Wenn wir manche der gotisdien Plastiken betrachten, so finden wir, daß in ihnen eine ähnliche Spannung lebt. Sie sind stilisierte, idealisierte, typisierte Geistgestalten; der verzückte oder sehnend schauende, verinnerlichte Mensch übergreift alles Individuelle und Gegenwärtige. Vergeistigte Dauer, hingegebene Zeitlosigkeit beherrscht die Gesichter. Und dennoch klingt in der weichen Schönheit, der Sehnsucht, der dynamischen S-Linie der Gestalt, der zarten und doch ausgeprägten Körperlichkeit, dem körperbetonenden und zart ver267

wischenden Faltenspiel ein erotisches Moment. Die Haltung mancher dieser Frauengestalten besäße, wenn sie nicht von der Geistigkeit der Verklärung überstrahlt wäre, bei anderen Figuren oder gar Lebenden etwas geradezu Unanständiges. So ist diese Haltung verschleiert und doch vorhanden; in der Spiritualität ihrer Unpersönlichkeit und in ihrer unerlösten Körperlichkeit liegt eine Glut, die über das rein Geistige hinausgeht, die aber in der kraftvollen, erlösten, offenen Sinnlichkeit eines Akts aus der Zeit der griechischen Klassik fehlt. Wir hoffen, daß diese Beobachtung nicht bestimmt ist durch des Ruchlosen unheiliges Fasziniertsein vom Heiligen, und sind überzeugt, daß sie auf eine im Wesen dieser Kunst selbst begründete Spannung hindeutet. 37

V.Tod In Walthers Dichtung sind wir der Gestaltung des Todes als einer Grenzsituation begegnet, die nicht mehr durch Bewahrung des Zentrums klassisch zu meistern war; die „Linien des Lebens" wurden von dem aus der Peripherie hereinreichenden Magnetfeld zumeist verwischt. Dennoch behauptete in manchen Gedichten das Ich seine eigene Kraft, und in allen überwand oder übermalte es das Grauen des Todes durch die sinnlich reiche, bunt variierte Schönheit und Balance der Form. Ein Beispiel soll Frauenlobs Gestaltung zeigen. Auch in manchen der religiösen Lehrgedidite stand, zumindest am Ende der Strophe als Ziel des Heilswegs, der Tod, hier aber bildet er das zentrale Thema und rechtfertigt ein eigenes Kapitel.

87

Vgl. in anderem Zusammenhang S. Singer S. 64 f., der auf die Problematik in manchen Mariendichtungen hinweist (in Auseinandersetzung mit dem am 29. Okt. 1931 im Berliner Tagblatt erschienenen Aufsatz von Max Unold: Kitsch, der in dieser Kunst Pubertätsmerkmale sehen will). Singer S. 64 f.: „ J a man wäre versucht, die ganze Periode der Hochgotik mit ihren S-förmig geschwungenen Leibern und dem gefrorenen liebenswürdigen Lächeln auf ihren Zügen . . . als eine Pubertätsperiode der Menschheit zu bezeichnen, die an der Grenze des Kitsches steht." Dann jedoch fährt er fort: „Aber jede Periode wird an jene Grenze gelangen, die die Form vollständig bewältigt hat, sodaß audi das Schwierigste ihr kein Hindernis mehr bietet, sodaß die freigewordene Energie sich auf Anderes, Niditformales werfen muß."

268

Es ist bezeichnend für das menschliche Empfinden, daß zwar oft die Allegorie des Todes, selten aber die des Lebens dargestellt wird. Wir sind als Lebendige im Leben zuhause, die Allegorie des Todes ist fremd, und selbst das Vertraulichtun mit dem Tod oder die Geborgenheit des „media vita in morte sumus" ist nur ein tastendes Fraternisieren mit dem Feind, um so ängstlicher und bei erreichtem Waffenstillstand nach psychischem Grauen um so erleichterter, weil der Feind so mächtig ist. Diesem personifizierten Andern begegnet das Idi in der Strophe 283. 1 In ihr ist der Dualismus von Leben (Schönheit, Freude, Kraft der Gedanken) und Tod als gestaltete Begegnung von lebendigem Ich und kommendem, das Ich ergreifendem und dahinführendem Tod bewahrt. 2 Min vreude ist gar zegangen; nu hoeret jamerliche klage: mich riuwent mine sünde, die ich begangen han min tage: der ist nu leider also vil! nu wil der Tot midi bringen gar ze nihte. Min leben wert niht langen, der T o t min ende hat gesworn; swaz ich an in gesende adi, daz ist allez gar verlorn, wan er mich mit im nemen wil: owe der jamerlidien zuoversihte! Mich hilft niht vri gemüete, noch kiindekeit noch übermuot, nodi aller vrouwen giiete; 1

2

Die ganze Strophengruppe 280—285 behandelt das Todesthema. Unser Text auch bei Nagel S. 48. Auf die traditionellen Elemente des Gedichts, die schon tausendmal vorher gestaltet wurden, vor allem in der kluniazensisdien Epoche, brauchen wir nicht einzugehen. Rehm, Todesgedanke handelt S. 55 ff. über Frauenlobs Todesgedidite, denen er „persönlichen und fast rührenden Ausdruck" zugesteht, vor allem in der Verzweiflung über die Zerstörung des großen Könnens, das Frauenlob von Gott gegeben ist und vor dem der Tod keinen Respekt hat. Die Untreue gegen Gott bedeutet ewigen Tod im Jenseits und hier, also auch ewigen Tod des Ruhms; dieses Bekenntnis wird von Rehm als starke Profanierung empfunden. Dieses kleinlich-egoistische „eigene Todesgefühl" jedoch, von dem hier die Rede ist — ist es nicht bei aller naiven Überheblichkeit ehrlicher und echter als manche gebrochene, ins Verantwortliche und Allgemein-Mensdilidie umstilisierte Todespathetik, die nidit vom Tod, sondern von der Bedeutsamkeit des Todes redet? Jeder erlebt seinen eigenen Tod; ein kleinerer Geist kann eben, wenn er ehrlich ist, nur seinen kleineren und geschmackloseren Tod sterben!

269

min tugent, min kraft, min sinnen, daz ist nu allez gar verlorn; der midi ze gesellen hat erkorn, daz ist der Tot, mit dem muoz idi von hinnen.

Das Idi drückt in dieser Strophe eine seelische Situation aus. Aber diè Intensität der Ichaussage hat den Charakter der überindividuellen christlichen Lebensbeichte und Todesfurcht, die im Dogma und Empfinden begründete Furcht vor dem letzten Feind; 3 die Ambivalenz von Ichkraft und überindividueller Flächigkeit bestimmt den eindringlichen Charakter der Strophe. Monotone Gedanken und Rhythmen klingen zusammen. Die Gedanken sind holzschnittartig einfach und verlaufen ohne Geformtwerden gleichsam von selbst. Das Grundthema wird gegeben: Meine Freude ist vergangen. Daraus folgt die Klage. Für den Christen gibt es nur eine zentrale Klage, aus der sich alle andern erklären: die Klage über die Sünde und deren Herrschaft über das Leben. Und in dogmatischer Verknüpfung dann ganz selbstverständlich als der „Sünde Sold": der Tod. 4 Er macht das sündenbeladene Leben zunichte. Klage, Sünde, Tod - ein durch die christliche Tradition vorgeprägter Gedankenweg, der dieses gleichwohl erschütternd gestaltete individuelle Gefühl trägt. In der Todeszeit steigen die Werte des Lebens auf, sie sind alle verloren. Endgültig schließt der Tod die Strophe, er löst die Vision des Lebens auf. — Der Gedankenweg ist in nahem Zusammenstehen von glatter Vordergründigkeit und roh geschnittener, müder, tiefer Simplizität typisch für diese Art der religiösen Aussage. Gestalterischer „Substanzverlust" des Idi prägt die Strophe. All sein Tun und seine Attribute, in der Bewegung des Wegströmens vom Hier und Jetzt, zeigen Auflösung, einmal in der Negation positiver Äußerungen und Handlungen: die Freude ist vergangen; das Leben währt nicht lange; was ich an ihn wende, ist verloren; nichts hilft, alles ist verloren; dann die übrigen Linien der Aktivität des Idi, in 3

4

Der Tod, der freisetzt zum Heil oder hinführt zur Verdammnis (vgl. Rehm S. 20). Vgl. Rehm S. 20 ff.: bei Paulus Römer 5,12 „Propterea sicut per unum hominem peccatum in hunc mundum intravit, et per peccatum mors, et ita in omnes homines mors pertransiit, in quo omnes peccaverunt." Rom. 6,23: „Stipendia enim peccati: Mors; gratia autem Dei: Vita aeterna, in Christo Jesu Domino nostro." Weiterhin Rehm passim, vor allem S. 30 ff.

270

sich Negatives ausdrückend: Klage, Reue, Begehen der Sünden, Fortgehen. Dem Idi gegenüber steht der Tod, der übermächtig die auflösende Bewegung bewirkt. In vier knappen Sätzen ist sein Handeln ausgedrückt: „nu wil der Tot mich bringen gar ze nihte"; „der Tot min ende hat gesworn"; „wan er mich mit im nemen w i l " ; „der mich ze gesellen hat erkorn, / daz ist der T o t . . . " . Eine Modifizierung oder gar Steigerung dieser schon am Anfang herb ausgesprochenen Beziehung gibt es nicht, die Strophe kreist um dieselbe Tatsache in monotoner Wiederholung. Beide Stollen und der Abgesang beginnen mit dem Zunichtemachen einer dem Leben zugehörigen Wirklichkeit, in allen drei Fällen dem im ersten Wort ausgesprochenen Idi zugeordnet: „Meine Freude - ist vergangen"; „mein Leben - währt nicht lange"; „mir hilft nicht". Dieselbe Struktur wird so am Anfang aller drei Strophenteile wiederholt, in der Parataxe des ersten Satzes, bis zum anaphorischen Gleichklang und der Alliteration (min, min, mich). Am Ende der beiden Stollen und des Abgesangs ist das am Anfang immer wieder neu aufgenommene Leben jedes Mal hoffnungsloser vernichtet: „nu wil der Tot mich bringen gar ze nihte"; „owe der jamerlichen zuoversichte" ; „daz ist der Tot, mit dem muoz ich von hinnen". So verläuft der Weg der ganzen Strophe, von „min vreude" bis „von hinnen", in dreimaligem Durchgang auch jeweils in den kleineren Stropheneinheiten, im großen und dreimal im kleinen von der Freude, dem Leben, der lebendigen Seele hin zum Tod. Im Abgesang, im letzten Anklammern, wird das Leben in verzweifelter Inbrunst noch einmal intensiv umfaßt und intensiver vernichtet: Mich hilft niht vri gemüete, noch kündekeit noch übermuot, noch aller vrouwen güete; min tugent, min kraft, min sinnen, daz ist nu allez gar verlorn . . . ; die Fallhöhe wird vergrößert durch die Schau des zu Verlierenden. Die in den Stollen vollzogene Trennung wird verschärft und endgültig. Denn im Aufgesang ist noch Zukünftiges da: „nu wil der T o t . . . " ; „der T o t . . . hat gesworn"; „er midi mit im nemen w i l " ; am Ende ist die Zeit reißender geworden, der Aufbruch steht unmittelbar bevor. Dem weiten Satzbogen des Lebens im Abgesang folgt atemlos das Verspaar am Strophensdiluß, hindrängend zum Zentralmotiv Tod, zur Preisgabe und der Gemeinsamkeit hinweg: 271

der midi ze gesellen hat erkorn, daz ist der Tot, mit dem muoz idi von hinnen. D i e Ausweitung des Lebens z u Beginn des Abgesangs w i r d aber schon vorgreifend beschränkt durch die S y n t a x — eine wirkungsvolle N u a n c e — denn diese erinnerten Güter des Außen u n d Innen werden entwertet, ehe sie genannt sind. In den Stollen k o m m t der Wert mit seiner positiven Beziehung zum Ich wenigstens syntaktisch zustande, ehe er vernichtet w i r d : Meine Freude ist — vergangen Mein Leben währt - nicht lange. I m Abgesang steht die Vergeblichkeit da, bevor ihr Inhalt gegeben ist: Midi hilft nicht.. . D i e Zeit der A u f l ö s u n g ist aber keine v o m Ich getragene, die T o d e s zeit gehört dem Andern. D a s Gedicht ist eine passio, die wollende F o r m u n g der Zeit v o m Diesseits her und d a m i t eine H a r m o n i e von überindividuell Gegebenem u n d individuell Geleistetem ist zurückgelassen. D e r gegenwärtige Augenblick hat keine f ü r sich wertvolle Bedeutung; alle Fülle ist der Leere gewichen, dem Leben tritt das Gelebtwerden im S o g des Todes entgegen. In Walthers R e i n m a r k l a g e hatten wir diese drängender werdende Todeszeit gestaltet gesehen, der zentrifugalen K r a f t hielt aber das im Zentrum, im Leben bleibende, wertende u n d denkende Ich die Waage. D e r innere Weg dieser Strophe ist nur Weggehen, Weitung ins Unbekannte. M a n kann sich kein eindringlicheres Beispiel offener F o r m denken. In dem „ v o n hinnen" k a n n m a n den wörtlichen Ausdrude der Grundhaltung lesen, die zu dieser Gestaltung drängt. N e b e n der geschlossenen F o r m , die den T o d ruhig u n d geborgen als rundenden Abschluß des Lebens gestaltet, oder der offenen, die d a s Leben als wertlos in den wertvollen T o d verströmt, f ü r die der Sinn allein im T o d liegt, existiert diese andere offene F o r m , die in S p a n n u n g zwischen Leben und T o d v o m T o d als dem letzten Feind überwunden wird. 5 D e r Z u g der Toten 5

Vgl. Rehm, Todesgedanke, S. 364. Klassik will die geschlossene Form, und die Gestaltung sinnvollen Todes ist es, die in einer letzten und symbolischen Weise solche schließende Begrenzung verleiht und die Grenzen des Lebens zieht, innerhalb derer der Mensch sich zu verwirklichen hat: „Einheit von Leben und Tod, aber vom Leben her g e s e h e n . . ( B e i Walther gibt es im Tod nicht mehr diese Klassik, da der Tod als Anderer sich dem Gestaltetwerden durch das Leben

272

beim Totentanz, der die Szene verläßt, ist das gewaltigste Beispiel dieser offenen Form.® Nirgends bedeutet die Begegnung zwischen dem Idi und dem Andern und die daraus sich ergebende Gemeinsamkeit soldi eindeutige Preisgabe des Menschen wie im Schlußbild: das Ich als Wandergeselle des Todes. In dieser Auflösung aller Gegenseitigkeit sehen wir einen extremen Grenzfall des Gemeinsamkeitsmusters, in dem der eine Partner zu Null und der andere zur unendlichen Größe geworden ist, eine geradezu mathematische Darstellung dieser Grundfigur menschlicher Begegnung mit dem Andern. Damit hängt zusammen das dröhnende Perfekt als Schlußpunkt einer in die Gegenwart hereinreichenden Vergangenheit. Das Gedicht ist ein einziges Perfektum: „ist zegangen", „han begangen", „hat gesworn", zweimal „ist gar verlorn", mit der monotonen Wiederholung des „völlig", und schließwidersetzt. Das Leben als solches hält sich frei vom Tod, solange es Leben ist: wie auf dem Meer der Transzendenz einer Epoche eine Insel der Humanität möglich ist, so ist im Meer des an der Peripherie ganz von der Transzendenz überströmten Lebens wenigstens in seiner Mitte eine Insel vollen Seins in H a r monie von Idee und Dasein möglich. An der Grenze sinken die Schiffe, die zurückführen, das Ich hat nur das Offene vor sich. Was ihm bleibt, ist allein die plastisch-sinnliche Form der Mitte.) A m Ende seines Romantikkapitels S. 4 5 6 zitiert Rehm das Gedicht „Todeslust" von Eichendorff, das die andere Haltung verkörpert, die offene Form, die die Vollendung erst im wertvollen T o d

findet,

zugleich im letzten Aufflammen der schönen Welt ein Pendant zu der entgegengesetzten Gestaltung dieses Motivs in Frauenlobs Gedicht (wir sehen den Frauenlobstrophen entsprechende Kunstmittel, etwa die durchgehenden weiblichen K a denzen, eine andere Ausprägungsform derselben linear fortziehenden Form): bei Eichendorff geborgenes wollüstiges Sichverströmen, bei Frauenlob verzweifelt sich losreißendes Hinstürzen:

6

Bevor er in die blaue Flut gesunken, Träumt nodi der Schwan und singet todestrunken; Die sommermüde Erde im Verblühen L ä ß t all ihr Feuer in den Trauben glühen; Die Sonne, Funken sprühend im Versinken, Gibt noch einmal der Erde Glut zu trinken, Bis, Stern auf Stern, die Trunkne zu empfangen, Die wunderbare Nacht ist aufgegangen. Ich denke an szenische Darbietung und das Abgehen von der Bühne, das endgültigen Abschied bedeutet. Vorwiegend ist jedoch das Motiv des Totentanzes in der bildenden Kunst gestaltet, auch gibt es zahlreiche lyrische Texte. In den bildlichen Darstellungen ist die an Wänden angebrachte lange Streifenkomposition typisch, die das lineare Sichhinziehen der Reihe kennzeichnet (vgl. darüber Hellmut Rosenfeld, D e r mittelalterliche Totentanz, Münster und Köln 1954). Vgl. auch Rehm S. 77; S. 84 ff. glaubt er, mir scheint zu Unrecht, die monotone stereotype Wiederholung des Themas bedeute Abstumpfung und mangelnden Ernst.

273 18

S A a e f e r , W a l t h e r von der Vogelweide .

lieh: „der midi ze gesellen hat erkorn"; alle mit der Gegenwart beginnende Zukunft endet in Nichts. Der glatte Rhythmus erleichtert das „Hinweg" der offenen Form. Keine schwebende Auswölbung ruhender Elemente hält die lineare Bewegung auf. Gleichmäßig durchzieht die Monotonie des Zeilenstils das Gedicht, nirgends wird das Versende von seiner in der Reihung eintönigen Schwere erlöst. Weder der weitgespannte Satzbogen am Anfang des Abgesangs nodi der knappe am Ende, der hindrängt auf „daz ist der Tot", besitzt ein Enjambement; der lange Bogen des Anfangs reiht, zunächst parataktisch hämmernd, zweifaches „noch", dann wird das Enjambement, wie auch im Schlußpaar, umgangen durch die drängendere, stoßweise keudiende Demonstrativkonstruktion: „daz ist nu allez gar verlorn", und: „daz ist der Tot, mit dem muoz idi von hinnen". 7 Die Parallelität der Satzführung in den Stollen ist offensichtlich und erhöht die Monotonie der Wiederholung; die Gleichheit überwiegt über jede individuell einfühlende Verschiedenheit: Die beiden peripheren Verse jedes Stollens, also 1 und 2 und dann 5 und 6, ebenso 7 und 8, dann 11 und 12, sind syntaktisch in sich geschlossen; das zentrale Verspaar ist syntaktisch, allerdings nicht durch Enjambement, verknüpft: 1 2 3/4 5 6 7 8 9 / 10 11

12.

Diese Monotonie wird unterstützt durch die Parallelität der erwähnten Demonstrativkonstruktionen in der ganzen Strophe, entweder nur hinweisend oder aber korrelativisdi verspannt: der ist nu leider also v i l . . . swaz ich an in gesende adi daz ist allez gar verlorn . . .

und in Reihung, wie erwähnt: min tugent, min kraft, min sinnen, daz ist nu allez gar verlorn; der mich ze gesellen hat erkorn, daz ist der Tot, mit dem muoz idi von hinnen.

7

Vgl. Roethe S. 293 f.: „Rekapitulation durch den demonstrativen Artikel."

274

Der gesteigerten Ungeduld des Aufbruchs im Abgesang entspricht die rastlose Reihung, einmal der drei parataktischen Zeilen und des doppelten Demonstrativs, dann der vier Wörter „gemüete", „kündekeit", „übermuot", „güete" innerhalb der drei Verse, denen in Crescendo die Engführung in einer Zeile folgt: „min tugent, min kraft, min sinnen". Das Demonstrativpronomen bestimmt mit gutem Grund die Strophe, das monoton und ruhelos starrende Hinweisen auf das Andere entspricht dem Grundgefühl ruheloser Hinkehr, das verspannte Wiederaufgreifen des Demonstrativs (swaz-daz; min t u g e n t . . .-daz ist; mit dem . . . ) der Qual dieser Hinkehr. Entweder haben wir elementare Aussagen, wie „Min vreude ist gar zegangen"; „mich riuwent mine sünde"; „Min leben wert niht langen", oder dann diese Hypotaxe der Monotonie der Demonstrative, keine ausgewogene Form, die, wie bei Walther, das Metrum durch ausgreifende Verben im Enjambement erlöst. Wenn wir ζ. B. die Sdilußstrophen des in vielem verwandten Walther lieds 122,24 dem Abgesang unserer Strophe entgegenhalten, wird dieser Unterschied nochmals deutlich. Heiliger Krist, sit du gewaltic bist der weit gemeine die nach dir gebildet sint, Gip mir die list daz idi in kurzer frist alsam gemeine dich sam din erweiten vint. Ich was mit sehenden ougen blint und aller guoten sinne ein kint, swiech mine missetat der weite hai. Mach e mich reine, e min unreine versenke mich in daz verlorne tal.

Und Frauenlob: Mich hilft niht vri gemüete, nodi kündekeit nodi übermuot, noch aller vrouwen güete; min tugent, min kraft, min sinnen, daz ist nu allez gar verlorn; der mich ze gesellen hat erkorn, daz ist der Tot, mit dem muoz idi von hinnen.

Bei Walther hält die eigengewichtige Sdiönheit der Sprache, vor allem in ihrer ausgewogenen Begegnung mit dem Metrum, die plastische Substanz fest, die die Gedanken dem Leben rauben; die Sätze rinnen nidit wie Sand im Stundenglas durdi die Strophe. Bei Frauen275 18·

lob hat das Ich audi formal in der Strophe „keine bleibende Statt", an der es sidi, sich entfaltend und einfühlend, ansiedeln könnte; die Verben tragen es fort, die Attribute des Idi geben keine Kontur ab. Die Linien der Bewegung und der einen Richtung ziehen sich schneidend gerade und ungebrochen durch die Strophe, keine sinnlidie Statik bietet Widerpart, keine bunte Welt hält den Strom zurück. Auch hier muß man sich erinnert fühlen an die gotische Linienbewegung des Hinweg. Die Strophe bringt nur den Tod, also nur einen Teil, den dunkelsten, der christlichen Todeserfahrung, und wirkt durch diese Vereinzelung besonders erschütternd und trostlos. Die fade Monotonie ohne Erhebung und Erbauung kommt der müden, faden Langweiligkeit wirklicher Verzweiflung sehr nahe. Vom lebendigen Erleben her ist diese Strophe wahr und echt. Wenn manche Themenkreise, vor allem die des Schmerzes und des Todes, „klassisch" gestaltet werden, blutvoll, gerundet und einfühlend und gar in „Überwindung" und „Entsagung", so mögen zwar das Leben, die Überwindung oder die schöne Idee zu ihrem Rechte kommen, nicht aber der Schmerz oder der Tod. Den Schmerz „schön", selbst „ausdrucksvoll" zu dichten ist ein Widerspruch in sich, eine List der Kunst oder des Lebens. Zum mindesten wird in jeder Form von Wohllaut und einfühlendem Rhythmus seine Macht seltsam verstümmelt. Wie reich und schön sind Bachs Passionen, und wie sang- und klanglos hing der Erlöser am Kreuz. Die Trostlosigkeit des Todes, wie er in unserer Strophe erlebt ist, will in keiner Form gestaltet sein, die von einer Individualität im Vorgang geformt ist, die wird, während sie verläuft, und so wird, wie die differenzierende Kraft des Ich von Moment zu Moment sie eigen biegt. Trostlosigkeit will nicht den bergenden Trost dieser ichhaften, organischen Vorgangs- und Wadistumsform, sondern fremde, nüchterne Sprödheit des Gehalts und der Form. Freilich besteht auch hier zwischen der klassischen und der manieristischen Gestaltung nur ein Unterschied des Grades und nicht der Art. Denn auch in Frauenlobs Strophe ist der Tod und seine „zuoversihte" und damit der Schmerz Gegenstand eines Gedichts — also jener charakteristischen Überwindung des Schmerzes durch den Kunstgenuß des Sagens.

276

ZWEITER TEIL BEGEGNEN UND VERMEIDEN I. Bildreihung und Abstraktion Während das entsprechende Kapitel bei Walther von „Bildern, Situationen und Szenen" handelte, beschränken wir uns bei Frauenlob vorwiegend auf Bilder, da Situationen und Szenen in der Allgemeinheit dieser Aussage geringe Bedeutung besitzen. Dialogpartner oder szenisch auftretende Gestalten sind fast immer Allegorien, Herr Muot, Frau Ehre, Herr Hof, Frau Ritterschaft, Frau Welt, Frau Minne und andere; ihr Sinn übertönt die Einmaligkeit gegenwärtigen Geschehens. Stärker als die Versinnlidiung wirkt die Subsumierung des Einzeldings unter die allegorisch vorgestellte Idee. Anstelle von lebendigen Personen begegnen wir Personifikationen: ein tiefgehendes Unterscheidungsmerkmal Walthersdier und Frauenlobscher Gestaltung.1 Manchmal wird der Dialog der Allegorie frei vom Ich, wie 1

Ich trenne nicht scharf zwischen ausgeführter, handelnder Allegorie und Personifikation (vgl. Saechtig S. 83 f., Kretschmann S. 103 ff.). Zur Wesensbestimmung vgl. Krayers Einleitung. Für das genauere Verständnis der Denkschematen und der Sdiematen mittelalterlicher Stoffbehandlung sind präzise Unterscheidungen unerläßlich, wie sie ζ. B . Kibelka im Kapitel „Typologie, Allegorese und Allegorie" (S. 261 ff.) gibt, etwa: Typologie: „ausschließlich die Realprophetie heilsgeschichtlidier Fakten durch das Alte Testament, also .biblische Typologie', nicht aber ,außerbiblische T y p o l o g i e ' . . . " (S. 2 6 5 ) ; Allegorese: „heilsgeschichtliche D e u tung eines biblischen Textes" (S. 2 6 6 ) ; „Ausdeutung nach Art der geistlichen Allegorese" : „ . . . bibelferne Ausdeutung von Geschehnissen, Gestalten oder G e genständen innerhalb der Dichtung selbst" (ebd.); schließlich Allegorie: personifizierte Begriffe, mit deren Hilfe Seelisches oder Geistiges dargestellt wird (S. 2 7 0 ) . S. 271 f. wird neuere Literatur genannt, u. a. H . Kreisselmeier, Der Sturm der Minne auf die Burg, Beiträge zur Interpretation der mhd. Allegorie „Die Minneburg", Meisenheim am Glan 1957, und die Besprechung von R . Gruenter, Euph. 51 (1957), S. 4 7 5 — 4 8 2 . — Für den Vergleich zwischen Walther und Frauenlob wollen wir solche Unterscheidungen nicht benutzen, wesentlich ist hier die gestalterische Tatsache, daß bei Walther Personen audi ungebrochen der Welt begegnen und der Mensch ohne das N e t z spätmittelalterlicher Indirektheiten hell und fest sich selber stellt, während die Personifikation eine Puppe vorschiebt, die den Aufprall mit der Wirklichkeit abfängt. Vordergründig soll die Allegorie

2 77

im Welt-Minne-Disput; 2 kein Ich führt Regie, in langer Reihung zieht sich der Dialog hin. Die Untersuchung der Bilder gibt nur einige Beispiele, um den Unterschied zu Walther deutlich zu machen. Manches ist über Frauenlobs Bildtechnik gesagt worden; in vorausgehenden Kapiteln haben wir auf einige Züge hingewiesen. Eine umfassende Untersuchung müßte systematisch die Bildbereiche nach Wesen und Herkunft ordnen und ihre Wahl zu dem Ausgesagten in Beziehung setzen,3 ferner Bilder, Strophentypen und Sprachrhythmen in ihrer Wechselwirkung verstehen lernen und vor allem die gedrängten Bilder in den kurzen, reimhäufenden Zeilen betrachten, in denen Reim- und Klangassoziation auch die Bildwahl zu bestimmen scheint.4 All dies würde im Rahmen unserer Arbeit zu weit führen. Bei der „punktuellen", nur auf der Sinnebene intellektuell, nicht aber auf der Bildebene organisch zusammenhängenden Bilderfolge5 freilich dazu dienen, Gedanken zu „versinnlidien", dies geschieht aber nur unvollständig und nicht aus Freude am Gegenständlichen (vgl. dazu audi Kibelka S. 2 8 8 ) ; genau so wichtig ist es, die Sinnenwelt in lehrhafter Distanz zu halten und sie mit stereotypen „Menschen" zusammentreffen zu lassen, die bequem zu handhaben sind, eine Marionettenwelt der Gedanken, gedämpft, „gefiltert" und verfremdet. 2 S. die neue Ausgabe dieses Disputs von de Boor, P B B 85, S. 3 8 3 — 4 0 9 . 3 Ein nath Sachgebieten geordnetes Verzeichnis der Bilder Frauenlobs gibt Saeditig, mit den typischen Vor- und Nachteilen dieser Methode: Übersichtlichkeit und Vollständigkeit, dabei aber Herauslösen der Bilder aus dem entscheidenden rhythmischen, melodischen Zusammenhang und Vernachlässigung der Bildführung (Ähnliches gilt für die weit gründlichere und umfassendere Arbeit von Kretschmann; vgl. auch Stackmann S. 6 3 : „im Besitz eines ebenso sauber rubrizierten wie unverarbeiteten Materials"). 4 Vgl. Nagels Ausgabe S. 60. 5 ' P f a n n m ü l l e r spricht S. 15 ff. abwertend von der „Unfähigkeit, im Bilde zu bleib e n " . S. 16: „Diese halb beabsichtigten Zerrspiegelungen, als theologische Lizenzen übernommen, kommen seinem Grundmangel, der Blödigkeit seines inneren Auges, der fehlenden Plastik seiner Vorstellungen zu Hilfe . . .". S. 17: „Ideenflucht". Audi die einheitliche Szene, auf die K r a y e r S. 42 hingewiesen hat („eine kurze allegorische Handlung, die für sich genommen ein von zwei Figuren dargestelltes Verwandlungs- und Zauberspiel darstellt": Str. 14, 1 — 2 0 ; vor allem 1 0 — 1 5 ) , ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie der gedankliche Vorgang die Anschaulichkeit übertönt: D a s Austauschen des Kleides ist noch realistisch, aber das Anfertigen eines Kleids aus dem andern, „ohne daß das erste zu Schaden kommt" (Krayer S. 43) ist nicht vorstellbar. D i e einheitliche Sinnebene schließt nicht aus das mystische Verschwimmen der Grenzen. Zur Bildlichkeit dieser Dichtung vgl. audi Burger S. 60 ff. mit Hinweis auf die an sich naturalistische, aber doch in der Vorstellung ganz unrealistische bildliche Darstellung. Nicht Wirklichkeitsfreude drückt sich aus. Wenn allerdings S. 62 die Gotik (als Stilbegriff für diese

278

müssen wir zwei Ausprägungsformen unterscheiden. Die eine verdeutlicht einen abstrakten Begriff durch eine Serie von Metaphern, die andere sucht durch Sammeln verschiedener Stückchen Welt einen Lehrsatz zu illustrieren oder umgekehrt diese Stückchen Welt unter die Lehre zu subsumieren. Wir zeigen die beiden Typen zunächst an je einer Strophe. 310:

Und 303 :

Wip, saelden hört, der wunnen spil, wip vreuden zil, ein Spiegel zart der süeze, ich sprechen wil, wip wurzel aller saelikeit, wip aller güete ein viol, der nie kraft vermeit, wip, rügende vil hat, sich, got dir gegeben. Wip werdeclidier eren dadi, wip triuwen bach, wip, senfteclicher hoehe ein prisgemadi, wip mannes liep geselleschaft, wip aller siiene ein segenriche magenkraft, wip milde ein vach, dar nach die werden streben. Wip reiner tugent ein triutelicher garte, wip aller eren überliuhtic warte, wip, din lop nie scharte gewan, des wol dir iemer, wip, wip, leitvertrip, hoch gerter lip trac, wip, wiplidi din leben.6 Swa man ze hoenen kunst hat wert unt narren gert vür rehte kunst, ez si ein hunt, ein pfert, waz sol da sunnen glastes me? waz sol des himelszirkels snelles loufes e? waz sol ein swert, den vlühtic tuot ein rouch? Waz sol ein krone uf ein kaptil? uf haz ein spil? waz sol der erge jesen, der maze ein zil?

Zeit) „Synthese von Naturalismus und Idealismus" sein soll, so müssen wir widersprechen; wir sehen eher grelles Nebeneinander. • Ober Aussagesätze mit Anapher Kretsdimann S. 42 f.

279

waz sol der armen werlde ein zemen? waz sol dem wibel ein lasurvaz, der scheine ein lernen, der muggen swil? waz sol dem baisam louch? Waz sol dem blinden spaeher varwe diezen? waz sol dem äffen wiser kiinste vliezen? waz sol Sathanus niezen? waz sol dem esel tollentranc? waz sol dem sane unt Seiten klanc,

der lieber hoert den gouch? Der Frauenpreis mit seiner Metaphernmagie benützt die bekannten Gestaltungsmittel, Anaphernsäule am Zeilenbeginn, Mischung von Bild und Abstraktum, Überwuchern verbalen Satzgeschehens durdi elliptische Gleichungen. Über allem Geschehen steht nominale Dauer. Zwar enthalten die Substantive viel geballte verbale Energie, sie sind häufig Verbalabstrakta, aber alles emotional beschworene Geschehen ist erstarrt und entfaltet sich nicht. 7 Wenn wir die Metaphern hintereinander nennen, sehen wir, wie wenig ein einheitliches Bild zustandekommt: hört, spil, Spiegel, Wurzel, viol, dadi, bach, prisgemach, vach, garte, warte, scharte. Wahllos eingestreut sind Abstrakta: zil, geselleschaft, magenkraft, leitvertrip; daneben steht die Säule der Abstrakta, die zumeist durch Genitiv auf die Metaphern bezogen sind: der saelde ein hört, der wunnen spil, der vreuden zil usw. Auf die drei Säulen, die Grundstruktur dieser Gedichte, haben wir hingewiesen: die anaphorische Begriffssäule, dann die aus abstrakten Attributen, schließlich die Säule metaphorischer Verknüpfung: wip, saelden h ö r t . . . Begriff und Attributenreihe sind als apriorische Aussagen statisch aufeinander bezogen, die Eigenschaften gehören in Ewigkeit dem „wip" an. Die Verknüpfung mit der Welt in der Metaphernreihe ist ein Akt, die zerstückelte Welt dient dabei aber nur dem Begriff und gewinnt nicht selbst Gestalt. Im Gegensatz zum Beschwören eines Begriffs wird im zweiten Beispiel eine Lehre illustriert: Wenn man die Kunst vernachlässigt und Narren das Feld überläßt, dann verschiebt sich die Ordnung der Dinge. Durch eine Fülle ebensolcher Sinnlosigkeiten wird die eine zentrale Sinnlosigkeit erläutert. Die Parallele zu der Technik der Begriffsbeschwörung ist deutlich. In beiden Fällen werden konkrete 7

Ober Frauenlobs Nominalstil Kretsdimann S. 192 fi.

280

Vorstellungen, greifbare Stückchen Welt, herangezogen, um ein Abstraktum zu erläutern. Im Falle des Preises jedoch ist alle Intensität bei dem Begriff und seinen Attributen, der Zusammenhang der Bilder wird übertönt von der Einheit des Begriffs. Die Einzelbildchen blitzen kurz auf, während sie genannt werden, und verschwinden wieder. Die andere Grundform, die Illustration der Lehre, benützt zumeist keine Metaphern, sondern freistehende Bilder und kleine Szenen, wieder bunt vermischt mit Abstrakten. Beim Preis wird der Begriff nur mit leichten Schnitzeln Gegenständlichkeit behängt. Die Lehre scheint den umgekehrten Weg zu gehen. Die Dinge scheinen frei zu werden und eigene Gegenständlichkeit zu entwickeln, enthalten auch mehr sprachliches Material als der Preis. Durch die jeweils stärkere Belichtung der Einzelgestalten wird die wirre Vielfalt, der wahllose Impressionismus greller deutlich als beim Preis, wo die Schablonenbilder sich gar nicht bemühen, die Beine auf die Erde zu bringen. Hier sdieint die Welt Gewicht zu erhalten und die Wirklichkeit den Anstoß zu geben, der Weg scheint vom realen Einzelding zum abstrakten Überbegriff zu gehen. Dieser Realismus ist noch stärker in der auf diese Strophe bezogenen folgenden, der Strophe 304: D u merke, tunkel biderber m a n , wilt duz v e r s t a n : din eren henne kraet, so k r o t z t din han. m a u k a t z e ; esel rauwest iht? . . .

Aber trotz freibeweglicher Gegenständlichkeit wird diese Welt nicht um ihrer selbst willen erzählt. Die Strophe ist keine Beschreibung, die sich der Wirklichkeit hingibt und sie dann, wie zufällig, symbolisch transparent macht für einen mitschwingenden Sinn, sondern die Einzeldinge sind auch hier von vornherein vom dominanten Gedankenmuster übergriffen; die freiere Gegenständlichkeit ist von vornherein Illusion, die sich auflöst, sobald die Lehre den Schleier fallen läßt. Realismus gibt den Dingen Eigenwert; hier ist die wenn auch in Einzeldinge zerfallende Welt nodi immer mit einem didaktischen Netz überzogen.8 8

Den beiden eben besprochenen so verschiedenen Haltungen wird Saeditig nicht gerecht, wenn er von der äußeren Bildtechnik her S. 7 als Hauptunterscheidungsmerkmal „Umschreibungen" und „ausgeführte Bilder und Vergleiche" trennt. Das andere Gliederungskriterium Saechtigs „anschaulich-unanschaulich" ist ebenfalls unergiebig, denn audi ein an sich „anschauliches" Bild kann völlig

281

Die Gruppe der metaphorischen Begriffsentfaltung und -beschwörung umfaßt zahlreiche Gedichte. Manche haben wir schon in anderem Zusammenhang erwähnt, wir geben hier eine Ubersicht: das Lied V : „Wip, reiner kiusche ein ingesigel", die Strophe 349: „Vil reine magt, du sdiin der engel", 326: „Des himels arzenie / du bist, diu wandels vrie", 2 2 6 : „Ein paradis der reinekeit", die Gruppe 2 5 6 - 2 5 8 : „Wadurch ist, werlt, din wiinne?", „Wa lust, wa wünne spaehe?", „Wie toetet man die sorgen?", die Gruppe 143-147, ferner einige Lobsprüche: 128-138 (den Spruch auf Otto, den Grafen von Ravensberg, haben wir untersucht), schließlich auch der vielleicht bekannteste Spruch Frauenlobs, auf Konrad von Würzburg (313). Betrachten wir diesen Preis zuerst. Im Aufgesang wird an den Begriff „kunst" Hochspannung angelegt mit kaum zu überbietender Intensität: Geviolierte blüete kunst, dins brunnen dunst u n t din geroeset

flammenriche

brunst

diu hate wurzelhaftez obez; gewidemet in dem boume künsteriches lobes hielt wipfels gunst sin list, durdililjet kurc.

Die Bildersprache zwingt extreme Gegensätze zusammen in sprachalchimistischer „coincidentia oppositorum". Daneben werden zusammenhanglose Vorstellungen aufgesammelt. Der zweite Stollen lautet so: Durchsternet was sins sinnes himel, glänz alse ein vimel,

zusammenhanglos gegeben sein. D a drängt sich dann die über die Frage der Gestaltung hinausgehende psychologische Frage nadi der Vorstellungsintensität auf. Abstrakter Zusammenhang kann mit oder ohne Vorstellungsintensität exemplifiziert werden (vgl. Nagel). Saechtigs einseitige Haltung wird vor allem im vierten Teil deutlich, der die Ansdiaulichkeit noch besonders untersucht (S. 72 ff.), „weil man cum grano salis sagen kann, daß bei Wahrung der Anschaulichkeit die künstlerische Wirkung am stärksten ist". S. 79 wird Bilanz gezogen: 80 Prozent der Bilder sind unanschauliche Umschreibungen, nur 20 Prozent sind ausgeführt, davon wieder nur ein Teil anschaulidi. Dem folgt der (katastrophale, aber typische) Schluß, Frauenlobs Denken sei unanschaulich. Wenn nur nicht vom Kunstprodukt sofort auf die menschlichen Gehirnfunktionen gefolgert würde! Saechtigs Beurteilung ist audi insofern inkonsequent, als er einerseits Frauenlob mit dem (scheinbar alleingültigen) Wertmaßstab der Ansdiaulichkeit mißt, ihn aber andererseits aus dem Kunstverständnis seiner Zeit begreifen will und Pfannmüllers anachronistisches Urteil ablehnt.

282

durchkernet luter golt nach Wunsches stimel w a s al sin bluot, geveimt uf lop, gevult uf m a r g a r i t e n niht ze klein unt g r o p ; sins silbers schimel g a p gimmen Velsen schurc.

Der Abgesang macht diese Begriffsmagie zur Totenklage. Der Kosmos, die Dreiheit von Sphärenharmonie, Planeten und Polen, beklagt den Verlust von Kunst und Künstler: Ach kunst ist t o t ! N u klage, armonie, planeten tirmen, k l a g e niht verzie, polus, jamers drie . . . ,

dieser leidtragenden Trinität steht, durch das nur am Ende einmal sich nennende Ich erfleht, die Gnade der göttlichen Trinität gegenüber und als Höhepunkt gnädiges Empfangenwerden durch die Jungfrau: genade im, süeze trinität, m a g e t reine, e n p f a t , ich mein K u o n r a t den helt v o n Wirzeburc.

Auch hier ist weder die Person des Idi nodi des Empfängers (die, der Technik dieser Preisstrophen entsprechend, erst am Ende genannt wird), 9 plastisch anwesend, der Raum wird durch flackernde Polyperspektive aller natürlichen Anschaulichkeit beraubt und am Ende zum Gedankenraum des Kosmos und zum Himmel des christlichen Glaubens geweitet. (Der durch punktuelle Bilder flackernd zerrissene Raum, der zumeist nur in der Abstraktheit dogmatischer, biblischer oder geschichtlicher Vorstellungen gedankliche Geschlossenheit erlangt, ist von größter Bedeutung für das Raumerlebnis und die innere Form dieser Dichtung.) Gehen wir den Sprüngen der Bilder nach, die das Auge ruckartig von Extrem zu Extrem reißen und ihm im Zusammenzwingen der Gegensätze ganz entgleiten: Kunst, veilchenfarbige Blüte, dein brunnenfrischer Dunst und dein rosig flammenreiches Brennen trugen würzig-wurzelhaftes Obst, 10 der Wipfel lilienhaft bekannt; Sternen» Vgl. Roethe S. 226 f. D i e direkte Bedeutung ist „wurzelhaltig" („wurzelecht", wie neuerdings de Boor übersetzt in der Anthologie „ D i e deutsche Literatur", Mittelalter, Bd. 1, München 1965, S. 693). N a g e l gibt die übertragene Bedeutung: „ w ü r z i g " . Saechtig

10

283

himmel, durdikernt mit Gold und Blüten, Perlen, Silberschimmer, Felsenkraft. Wohl dominieren zwei Vorstellungsbereiche, der Baum und der Himmel, aber das Fluktuieren zwischen beiden Extremen und das Einschieben anderer Bilder (Brunnen, Brand, Silbersdiimmer, Edelstein, Felsen) verhindert bildliche Geschlossenheit. Vor allem die in dieser Art von Dichtung so häufig vorkommenden kunsthandwerklichen Bilder 11 (Gold, Perlen, Silber, Edelsteine, aber auch das Feuer) betonen die stark anwesenden anorganischen Elemente dieser Dichtung. Man hat auf Parallelen zu der künstlichen, menschengeschaffenen Natur bei Rilke hingewiesen.12 Neben der auf der Ebene sinnlicher Anschauung fluktuierenden Bildlichkeit der Strophe steht der klare Gedankenweg von lebendiger Kunst zum Tod, vom Blütenbaum zum Sternenhimmel, und weiter zum Kosmos der Sphären und zur Gottheit. Auch im Verlauf der ganzen Strophe, wie bei der Verknüpfung einzelner Bilder, ist der gedankliche Zusammenhang klar gegeben; eine perspektivisch erlebte, schaubare und greifbare Welt ist nicht gestaltet; geistige Eindeutigkeit und Zerrissenheit der sinnlichen Perzeption laufen nebeneinander her. Die Marienstrophe 349 bringt stereotype Metaphern: schin der engel, werder liljenstengel, balsams smac, trones glast, lebendes touwes Sprengel, zuckersüeze vin des himels klosen (hier vermischen sich Abstraktum und Sinnliches, wie denn, ganz im Stil dieser Litaneien, Bilder und Abstrakta abwechseln, also: du Wunsches wünsch, du eren wunne) und weiter in Bildern: vroner gotes tempel, liehtiu sunne, übervlüzzic brunne, Spiegel, eren kleit. 13 Die elliptischen Anapherngleichungen überwiegen auch hier verbales syntaktisches Handeln; Definition, Sein und Dauer, eine geschlossene, zurechtgelegte Welt, übertönen das Geschehen. Auch im Mariengebet 326 ist es ähnlich; die Verben, mit Ausnahme der dogmatisch bestimmten (heilen V. 3, anrufen V. 9, erben V. 21) und eines schmückenden (schimmern V. 10) sind farblos (sein, können, meinen, haben, tragen). Andere,

11 12

13

wertet den Spruch ab: „Seinen Gipfel erreicht das ,Blümen' in dem Spruch auf Konrad von Würzburg, in dem die heterogensten Bilder und Vorstellungen zu einem ungenießbaren Durcheinander verarbeitet sind . . .". Wie Konrads „Goldenes Geschmeide" und die vielen verwandten Bilder. Vgl. Nagel S. 60, audi Alois Rummel, Manieristische Dichtung im dreizehnten und neunzehnten Jahrhundert. Ein Vergleich dargestellt an Frauenlob und Rilke, Masch. Diss. Tübingen 1950. Kretschmann stellt S. 126 ff. die religiösen Bilder Frauenlobs zusammen, Marienbilder S. 131 ff., Bilder des vorliegenden Gedichts S. 132.

284

reichere Verben sind in adjektivisch gebrauchte participia perfecti verwandelt, betonen also den Zustand und nicht den Vorgang. Die Bilder sind folgendermaßen gereiht: des himels arzenie, vriihtic vreude, balsamie, apoteca, dann durdi Verben mit dem Zentralbegriff verbunden, nicht anaphorisch: mit aromat gezieret..., wan dir der nardus durch den flor gesmieret. Weiter mit den Anaphern: sunnen schin, Sternen glast. Der Abgesang läßt dann, wie andere Strophen (etwa 313), auf die Begriffsballung des Aufgesangs das geistige, hier theologische Geschehen folgen: „Diu kefse din beslozzen hat / die ewigen gotheit" usw. Es herrscht eine gewisse bildliche Einheit durch die Vorstellung der „apoteca" und des Heilens, aber auch hier übertönt der Sinn den sinnlichen Zusammenhang, denn ein Wesen ist ja nicht zugleich „arzenie", „balsamie" und „apoteca". Und die folgenden Bilder (Sonnenschein, Sternenglanz und Kapsel) lösen jede plastische Einheit. 14 Die Gruppe 256-258 ist ein Frauenpreis. 15 Alle drei Strophen besitzen am Versbeginn Anaphernsäulen, in 256 „wadurdi", in 257 „wa", in 258 „wie". Diese Gruppe gehört zwar durch die Beschwörung eines Begriffes in die erörterte erste Unterabteilung, der Begriff selbst, „wip", steht jedoch nicht in der Anaphernreihe. So erhalten, durch die rhetorische Frage,16 die alle Einzelteile auf das erst am Ende genannte Zentralwort hinspannt, die Einzelstückchen größere Selbständigkeit, ähnlich wie in der zweiten Unterabteilung, die eine Lehre illustriert. Wir sehen das leicht, wenn wir beide Typen nebeneinanderstellen: Lied V:

14

15

16

Wip, reiner kiusdie ein ingesigel, wip, lieber liebe ein voller sdirin, wip, milte ein übervlüzzic bach;

Wobei Sonnenschein und Sternenglanz nodi zu einem einheitlichen Vorstellungsbereich gehören; es ist typisch, daß irgendwelche „zusammenhängenden" Vorstellungen sofort durch kraß Anderes unterbrochen werden. Roethe S. 246: „Erst Frauenlobs wahllose Aneignungssucht verleitet ihn zu wenigen . . . Gedichten minniglichen Inhalts ( 2 5 6 — 2 5 8 ) . . . " . Vgl. audi Kretschmann S. 41. Wenn audi (nach Roethe S. 246 ff., vgl. auch Stackmann S. 57) diese Gedichte mit Frageanapher auf die Form des Rätselgedichts zurückgehen mögen, so übertönt die Lehre, die stets bekannte Lösung eines Scheinrätsels, jede Rätselintention. Die „uneigentlidie" Rätselspannung wird, wie in der uneigentlidien Frage, der rhetorischen, zur Emphase benutzt; diese Gedichte sind von der inneren Form des Rätsels so weit entfernt wie die rhetorische Frage von der wirklichen, offenen: ein Beispiel für die Unzulänglichkeit der bloß genetischen Erklärung.

285

w i p , staeter staete ein vester rigel, w i p , siiezer lust ein lustec schrin . . . , und 2 5 6 :

W a d u r c h ist, w e r l t , d i n w i i n n e ? w a d u r c h ist menschlich v r e u d e gar? w a d u r c h ist Seiten síieze? w a d u r c h ist schellen ü b e r v a r , t a m b u r zitol u n d orgel k l a n c , w a d u r d i diu l u f t in r o r gedrücket w i r t ? . . .

Im ersten Fall absorbiert der anaphorische Zentralbegriii mit der zweiten Säule, den abstrakten Attributen, die meiste Energie; im zweiten dagegen sind durch die anfängliche Aussparung des Zentralbegriffs, des Grundes für all die angegebenen Dinge, diese Dinge einzeln stärker belichtet. Sie werden aber unter den Zentralbegriff subsumiert, um dessentwillen sie allein existieren; und ebenso wenig wie bei der Ballung des Begriffs gehen beim anderen Extrem, dem (scheinbaren) Hinspannen zum Ende, Begriff und sinnliche Verbildlichung in Balance ineinander auf. Wir nennen die Begriffe und Abstrakta von 256: wünne der werlt, menschen vreude, seiten süeze, schellen übervar, tambur, zitol und orgel klanc, luft in ror gedrücket, pfaffen künne, ritterschaft, turnei und stechen, meisterschaft, pfifen unde sane, zuht in tugenden, prises doene, minneclicher gruoz, vriuntschaft, schoene, Schmuck der Jugend, Liebe im Alter, reine vruht. Allerdings ist hier einmal ein dominantes Bild gegeben, das des Festes, das sich innerhalb der Freude der Welt und menschlicher Freude als Inbegriff des Hochgefühls, besonders als weibliches Geschenk, offenbart, und mit Musik, Turnier, Preis und Gruß klingt der Verlauf eines solchen Festes in der Strophe an. Aber dennoch gewinnen die Stückchen keine szenische Geschlossenheit. In Strophe 257 und vor allem 258 tritt die Bildlichkeit stark zurück, die abstrakten Metaphern nehmen überhand. In Strophe 257 finden wir noch mehr Bilder: hört, viuwer, violriche, gruntvest; in Strophe 258 ganz wenige: die Sonne, die Luft und Finsternis erleuchtet; das Tauen und Regnen süßer Lust in des Mannes Herz. 17 17

Das Lied V »Wip, reiner kiusdie ein ingesigel" haben wir besprochen, audi Spruch 226 mit der Reihung paradis, garte, schilt, die durch das letzte Bild uneinheitlich wird. Die Gruppe 143—145, die von Thomas als „Unechtes unter des jungen Meißners Namen" klassifiziert wird, zeigt größere Ansdiaulichkeit. So finden wir z. B. in 143 ein Frauenbild, das nicht die Technik der manieristischen Polyperspektive zeigt.

286

Wir geben einige Beispiele für die zweite Gruppe, in der ein Lehrsatz durch konkrete Einzelheiten erläutert wird, und beginnen mit Strophe 402, 18 den Niederungen der Platitüde. Die Anaphernserie „swer" leitet Beispiele ein für die Lehre, man müsse Glück haben, wenn man das Unwahrscheinliche verwirklichen will, oder, anders gesagt: Laß dich auf keine Extravaganzen ein! Swer zeiget kunst, da man ir niht erkennet, swer ungezemtiu jungiu ros unkunde vürte rennet, swer lange krieget wider reht, swer vil verstolnes koufet; Swer vil mit nachgeburen sich gebaget, swer ungewizzenlichen gar die ungezogenen vraget, swer streichet dicke fremden hunt, swer alte juden toufet; Swer dienet da man sin niht gert, swer sich mit lügen wil machen wert, swer spotten wil der alten; swer uf die verre vriunt sich sere fidet, swer sin getriuwe saelic wip durch valsche minne midet: sol dem ez allez wol ergan, des muoz gelücke walten.

Wahllos zusammengerafft werden Dinge und Menschen, ohne sichtbare Gliederung stehen Roß und Hund beim Nachbarn, Eheweib und Juden; dieser Sack voll kunterbunter Welt erinnert uns an Büschs humorvolle Didaktik und Homiletik wie: Hier Romane, dort Gedichte, Malzextrakt und Kursberichte, Näh- und Mäh- und Waschmaschinen, Klauenseuche und Trichinen Dieses druckt man groß und breit Aber wo bleibt Frömmigkeit???,

wie denn die Stilmittel der wahllos und ohne sinnliche Perspektive reihenden Didaktik in der neuern Literatur bei parodistisch-komischer Didaktik häufig verwandt werden, da für uns bei dem krampfhaften Übergreifen einer realen und daher vieldeutigen Welt mit einhellig18

Roethe S. 246, Anm. 303: „Die von Sdierer, DSt. I, 346 als Muster einer strengen Priamel citierte Strophe Frauenlobs 402 gehört diesem Dichter gar nicht, ist nicht einmal in einem seiner Töne verfaßt."

287

didaktischen Kategorien das ernste Anliegen und die groteske Komik der Sinnlosigkeit dieses Subsumierens nahe beisammenstehen: Es ist zwar vielleicht bedauernswert, daß nicht alle Welt, fremde Hunde, alte Juden und treue Eheweiber, mit einer einfachen Geste zum Material für dieselbe einhellige Regel gemacht und einer simplen Ordnung unterworfen werden können; wenn es dennoch geschieht, so wirkt diese Sinnlosigkeit komisch.19 Ebenso ist es wohl traurig, daß Klauenseuche und Waschmaschinen die Welt von ihrer tieferen Bestimmung abhalten, aber die Forderung, all diese Stückchen Welt, die nun einmal da sind, irgendwie mit der Frömmigkeit in Zusammenhang zu bringen, ist unsinnig; unsere moderne Welt hat einen Platz für Waschmaschinen und einen für Frömmigkeit; es klingt für uns grotesk, weil unerwünscht und unmöglich, die sittliche Kategorie und die beziehungslose Masse von Einzeldingen in einem Atem zu nennen. Die Sätze hören sich in der Gestaltung des Skeptikers und Spötters an wie die Parodie dummen, heuchlerischen Eiferertums; im Geiste Heinrichs von Melk hätte die Klage über die Diskrepanz zwischen Kategorien und Dingen anders geklungen.20 Eine weitere Mahnung gilt den Männern und den Frauen (318): „Ez waent ein narre unwise", den Männern, sie sollen nicht jedes freundliche Entgegenkommen der Frauen zu einem Abenteuer ausnutzen, und den Frauen, sie sollten sich nicht mit jedem Leichtfuß abgeben. Die Bilder sind folgendermaßen gereiht: der Minne Frucht 19

20

Das Zusammenstellen von inhaltlich völlig Unverbundenem ist oft als eine Grundform des Grotesk-Komischen empfunden worden (so etwa bei den berühmten Fischartschen Worthäufungen). Bloße komische Reihung und reihende komische Subsumierung unter einen (didaktischen) Allgemeinbegriff leiten jedoch ihre absurde Komik zum Teil von derselben Ursache her. In beiden Fällen wird für normales Empfinden Unmögliches versucht: Unvereinbares wird zur Einheit gefügt. Im Fall der bloßen Reihung, also der syntaktischen Subsumierung, werden Bereidie, denen unsere Vorstellung eigenen Stellenwert in der Skala des Schaubaren einräumt, zusammengezwungen, bei der Subsumierung unter eine allgemeine Regel wird das von uns als selbstverständlich empfundene Eigenrecht des Verhaltens der Einzeldinge mißachtet, beidemal wird Vielheit und Vieldeutigkeit zu lächerlicher Einheit. Eine systematische Untersuchung der Verwendung traditioneller und vor allem wahllos häufender Didaxe als eines parodistischen Kunstmittels in der realistischen und modernen Literatur müßte reizvoll sein. Wie ja, in anderer Weise, die Diskrepanz von Norm und Wirklichkeit tragisch oder komisch sein kann, je nachdem, ob der innere Nachdruck bei der Norm liegt oder die Sympathie bei der Abweichung (vgl. Staiger, Grundbegriffe, S. 192 ff.).

288

wächst auf seiner Wiese; die Frau soll die Speise zuchtvoller Worte genießen; dann folgt die Warnung: flieh den spritzigen Stutzer, er trägt den Kranz des Hohns in seines Herzens Kleid, bringt er didi zum Tanz mit seiner List, so bist du ruiniert. „Selbst ist der Mann" - diese Lehre illustriert Strophe 72 mit zwei verschiedenen Bildern: dem Blinden, dem ein Stab, ein Kind oder ein Hund helfen muß, den Weg zu finden, und, da das eine Bild nicht genügt, dem vom Brunnen, der von fremder Quelle gespeist wird. Die gedankliche Parallele ist ganz klar; bildliche Geschlossenheit kommt nicht zustande. Eine Fülle kleiner Stückchen Wirklichkeit zeigen die Strophen 54-57. 2 1 54 fordert in der klassischen Tradition die gemäße Übereinstimmung von Sein und Tun und häuft Beispiele, diesmal nicht wahllos, aber auch nicht in organischer Bildlichkeit, sondern nach einem intellektuellen Gliederungsprinzip. Zuerst kommen die Tiere, dann die Berufe und Stände der Menschen. Ein Hahn soll krähen, ein Hund soll bellen, ein Schwein grunzen, der Löwe brüllen, der Bär brummen, der Ochse muhen, das Pferd wiehern, der Esel schreien, der Kuckuck seinen Kuckucksruf erschallen lassen; der Schmied soll schmieden, der Bader badern, der Jäger jagen, der Träger tragen, der Maler Bilder malen, der Waffenschmied Rüstungen machen, der Knecht dienen, der Mönch im Kloster sein, der Priester im Priesterstand leben, der Ritter Ritter sein, der Weber soll weben. Wir empfinden Walthers maßvoll schlanke Prägung desselben Themas um so deutlicher, wenn wir sie neben diese Schwemmlandebene stellen, so etwa 80,19: Unmaze, nim dich beidiu an, manlichiu wip, wipliche man, pfaflidie ritter, ritterliche pfaffen. Mit den solt du dinen willen sdiaffen: ich wil dir si gar ze stiure geben; Und alte jungherren für eigen, ich wil dir junge altherren zeigen; daz si dir twerhes helfen leben!

Strophe 55 spricht von der Gefährdung des Schönen und Guten durch das Häßliche und Gemeine und warnt die Edlen vor dem Fall. Ihre Bilder sind: Krähe und Rabe gegen den edlen Jagdvogel; edler Wein 21

Vgl. Saechtig S. 14.

289 19

Sdiaefer, W a l t h e r von der Vogelweide .

nimmt den Geschmack des schlechten Fasses an; Unkraut überwuchert edles Kraut, wenn man im Garten nicht jätet; faules Obst verderbt das frische; der Fürsten edle Tat steht wie Gold bei Seide; an guter Kleidung stört die schlechte Naht; vermeidet enge Wege, denn der Wolf lauert im Gebüsch. In Strophe 5622 ist das Thema: Zu gewissen Dingen braucht man gute und richtige Mittel, die man in Ehren halten muß. Der Jäger muß seine Hunde treu pflegen, Pferde müssen edel behandelt werden, Edelsteine, Gold und kostbare Kleidung schätzt man, um den Körper zu verschönern. Jagdvögel und Fische züchtet man, den Priester braucht man zur Absolution, den Bischof zur Kirchweihe; wenn ein Schuß gelingen soll, muß man den Bogen richtig spannen, für ein Schloß braucht man den rechten Schlüssel. Zur Rittertat bedarf es des Ritters, in der Gefahr des Helden. Strophe 57 schließlich (wir verzichten hier auf das Nennen der Bilder) kulminiert in dem Satz: „Ich spür daz wol, der hof nimt abe von tage ze tage" — all die vorausgegangenen Strophen waren gute Ratschläge für den dekadenten Hof und wohl auch für die in Auflösung begriffene höfische Welt und ihre Ethik. Wir haben die Beispiele angeführt, um von den Wagenladungen von Einzeldingen, die hier zusammengekarrt worden sind, einen Eindruck zu geben und sie in ihrer jeweiligen Anordnung im Gedicht zu zeigen, so daß wir nicht nur allgemein auf diese Art von Bildlichkeit hinweisen, sondern zumindest einen kleinen Teil dieser Reihen an uns vorüberziehen sehen. Die Reihung der nur gedanklich, nicht aber sinnlich zusammenhängenden Bilder enthält die beiden Grundelemente, auf die es uns immer wieder ankam: in der geometrischen Form der Reihung χ + χ + χ ein Muster der Folge von Identitäten, im sinnlich unverbundenen Inhalt der Reihen ein dissoziatives, isolierendes Element, oft in greller Überraschung von Bild zu Bild. Das Nebeneinander begrifflicher Geschlossenheit und sinnlicher Isolation, ein unorganisches Nebeneinander von einzelnen Steinen und gedanklicher Fassung, charakterisiert auch diese Bildlichkeit. Eine von organisch bestimmter Zeitfolge und Raumordnung gelöste Verschiebbarkeit, Verfügbarkeit der Welt für das Exempel, für die Lehre, ferner die Grenzenlosigkeit, Unerschöpflichkeit und von aller an Gegenwart gebundenen Situation freie Anwendbarkeit der Reihe gibt dieser Haltung 22

Saednig S. 12.

290

ihre Dynamik, die Subsumierung unter die ethische Regel gibt ihr ihre krampfhafte, mühevolle Starre. Die geistige Situation dieser Dichtung ist die eines Übergangs. Noch stellt der Begriffsrealismus der Hochscholastik den Kosmos der „realeren" Ideen über die Fülle der individuellen Ausprägungen, aber mit dem beginnenden Nominalismus zerfällt die Welt in eine unüberschaubare Fülle von Einzeldingen, zwar noch bezogen auf das theologische System und die ritterliche Ethik, aber nicht mehr mühelos und selbstverständlich. Ein erstarrtes System und eine unheimlich bedrängende Fülle von Empirischem stehen einander gegenüber. Diese Fülle des Einzelnen kommt in Frauenlobs Dichtung überwältigend zum Ausdruck. Es ist aber nicht die reiche Fülle der Welt eines poetischen Realismus, die objektiv abgemalt oder freudig gefeiert wird, sondern wir finden jene doppelte Tendenz, einmal, die abstrakte Regel durch eine Menge von Beispielen zu stützen, und zum andern, die wogende Vielheit der Dinge unter das Gesetz zu subsumieren. In beiden Fällen, der Welt als Beispiel für die Lehre oder als eine das Gesetz bedrängende Masse, kommt in diesem Erlebnis atomistischer Einzeldinge nicht „Wirklichkeitsfreude" zum Ausdruck. 23 Während die klassischen Idealisten der Fülle der Dinge mit der Kraft ihrer Person die Waage hielten, auch die zerstreuten Stückchen Welt übersichtlich und maßvoll stilisierend begrenzten, so daß die Welt einerseits genug Material lieferte, um gegenüber der Idee die Sinnenwelt zu repräsentieren, andererseits aber mit der Fülle der Teilchen nicht die harmonische Gestaltbarkeit durch das Ich und die Deutbarkeit durch die Idee zu gefährden, verloren die Späteren sich einerseits in den Ozean der Dinge und retteten sich zugleich in die Tradition der ethischen und religiösen Wirklichkeiten, gestaltende Individualität auf beiden Seiten aufgebend. 24 Die Polyperspektive der verstreuten Bilder gestattet, wie wir gesehen haben, keine gegenwärtige, sinnlich geschlossen erlebbare Raumapperzeption. Die einzige Geschlossenheit, so sahen wir, entsteht in 2S

24

Auf den zunehmenden differenzierenden Realismus in der Naturdichtung weist L. Schneider S. 87 hin. Er stellt sich aber auch die Frage, ob diese Dinge wirklich Vorgestelltes bedeuten oder nur Stereotypes. Zu dem Nebeneinander von Abstraktion und Dingfülle vgl. audi Bert N a g e l , Das Stoff-Form-Problem des frühen Meistersangs, D V j S 17 (1939), S. 370: „ D a s a l l g e m e i n e Weltbild zerstreut sich in die tausend S o n d e r f ä l l e sinnlichen Einzelschauens und -begreifens."

291 19·

einem gleichsam uneigentlichen, von Symboldenken durchdrungenen Raum, zumeist in biblischen, theologischen Vorstellungen, wie ja audi die einzigen zusammenhängenden Zeitabläufe vorgegebene Heilsgeschichte, nidit aber die Zeit bedeutungsfreier, einfach und einmal sich ereignender Dinge sind.25 Wir wollen diese Tatsache noch an einigen Strophen illustrieren. Ein häufiges Beispiel für die geistgeprägte Räumlichkeit ist der Tempel Gottes, wie denn auch die Offenbarung des Johannes eine Fülle solcher rein als Symbol existierender, traumhaft-surrealistischer, geistiger Räume enthält. 26 In Strophe 234 gewinnt dieser Tempel Gestalt: Der heilic gotes tempel, dar in sin geist gewidemet was, der was alschon gezieret.. Ρ Geisterfüllter Raum umgreift die folgenden Teile des Tempels, die zum anorganischen Kunstgebilde geformt sind. Die wahre Liebe hatte ein Licht entzündet, vor dessen Schein selbst die Sonne dunkel war. Schon das zeigt, daß kein realer Tempel, sondern ein symbolischer Innenraum erlebt wird. Mitten im Tempel stand erhaben ein Schrein mit einer Inschrift, der Sdirein war aus rotem Marmor, die Gravur golden, mitten im Schrein ein Hostientuch, dreigefaltet, darinnen lag das lebende Brot, ungeteiltes Manna. Die Inschrift war der griechische Buchstabe Tau, rot von des Lammes Blut, er glich dem Holze, an dem der Gottessohn frei von aller Sünde den Tod erlitt. Die anorganischen Materialien ruhen, trotz des erzählenden Imperfekts, in zuständlicher Starre, außer dem Wehen des Geistes und dem Entzünden des Lichts, beide dazu noch im Perfekt, geschieht im Raum nichts. Die Perspektive des Raums existiert in der geistigen Gliederung durch das Symbol; die Weite des Raums führt zum Zentrum des Tempels und der Welt, dem kreuzförmigen, blutfarbenen Tau, ein geistiger Zentralbau, dessen wirkliche Form nicht beschrieben ist; dieses theologische Raumerlebnis genügt. Der Weg zum Kreuz führt über die Eucharistie, in dreifaltigem Tuch liegt das lebende Brot, ganz 25 ae

27

Wie etwa die dogmatisch bestimmten Zeitabläufe im Credo. Aber auch viele „Räume" in symbolistischer Dichtung sind ähnlidi unanschaulich und beherbergen lediglich Ideen. Kretschmann S. 130.

292

und heil. Die leuchtenden Farben sind Rot und Gold, mit dem Motiv des Brots und des Leibs vereinigt sidi das des Weins und Bluts. Am Ende führt das Gedicht über seinen Tempelraum hinaus zu unverhüllter biblischer Aussage, im Vergleich des Buchstaben Tau mit dem Kreuzesholz: „dem holze glich, dar an den tot / got sun erwarp; er starp vri aller sünde". 28 Die vorausgegangene Strophe (233) „Got, sit din ewic immer / in spiegeis spriezen hat geberlt / manlidier formen zunder" drückt das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in der Bilderfülle etwa nach der Art des Marienleiches aus. Gottes Ewigkeit träuft das Feuer der Mensdienform in den Spiegel; da schien Licht aus ganzer Süßigkeit; der Jungfrau Zimmer wurde in zuckersüßem Duft mit Geistigkeit geweiht, erfüllt wurde des Wortes Haus; ihr Brand wird entzündet mit dreifach glänzendem Funken. Sein väterliches Umhüllen bezwang mit Süßigkeit den Ungehorsam der schwachen Natur. Und nun kommt das Bild, das sich auf das Tempelbild der anderen Strophe bezieht: die Hostie, die rote Farbe: er gruop in oblatisen sich selben lamp, des vane ist r o t . . .

Das apokalyptische Bild des Lammes mit der Fahne am Ende dieser Reihe von Empfängnisbildern ist ein weiteres Beispiel für die geistige Bildlichkeit dieser Dichtung. 29 Wie im vorhergehenden Gedicht der Raum des heiligen Geistes, so ist in der folgenden Strophengruppe der Raum der Astronomie und Geometrie gestaltet, also gleichsam reiner Raum. 3 0 So in Strophe 364: Die siben sphaeren sol man mezzen; in zwelif himelzeichen sint gesezzen ir genge, ir wege an u n d e r s d i e i t . . .

In der Aufzählung der Erscheinungen kommt der ungreifbare und doch geistig reale Raum riesiger Dimensionen zustande, den man nur mit mathematischen Begriffen und Ahnungen ermißt und nur in dieser Abstraktheit erlebend erträgt. Ebenso ist die Zeit mathematisch gebändigt, als Umlaufzeiten von langer Dauer, die man nicht erlebnishaft „dahaben", die man nur in der Abstraktion aussprechen kann. Ebd. Vgl. Saechtig S. 12. »® Zu 364 s. Krön S. 48 f.

28

28

293

Ähnlich stellen Strophen 365 rein geometrisches, 366 arithmetisches, 367 tonkundliches Geschehen dar. Freilich ist vieles in dieser Art von Dichtung skurrile, pseudophilosophische und wichtigtuerische Lehre, freilich ist all das „typisch" für diese Geisteshaltung; dennoch sollte man sich auch über die Gemeinplätze Gedanken machen und, sich über ihre „bekannte" Eigenart wundernd, ihre Eigenart erleben. Entscheidend ist das kühle oder erhabene Wirklichkeitsgefühl, das in solchen abstrakten Vorstellungen lebt und in Fremdheit und Klarheit ohne das menschliche Antlitz oder die menschliche Stimme auskommt. 31 Audi hier könnten wir die Beispiele fast beliebig fortsetzen. Wir beschließen die Andeutungen über Frauenlobs Verwendung der Bilder und die Technik manieristischer Bildreihung mit dem Hinweis auf ein ganz anderes, von der mittelalterlichen Szene weit abliegendes Dokument, keine Dichtung, sondern einen Brief, der, ob wir ihn nun als ergreifendes Zeugnis einer seelischen Grenzsituation oder als Geschmacklosigkeit betraditen, ein später Ausdruck manieristischer Tradition ist. Es handelt sich um den bekannten Brief Henriette Vogels an Kleist vom November 1811, dem Monat ihres gemeinsamen Todes: 3 2 Mein Heinrich, mein Süßtönender, mein Hyazinthenbeet, mein Wonnemeer, mein Morgen- und Abendrot, meine Äolsharfe, mein Tau, mein Friedensbogen, mein Schoßkindchen, mein liebstes Herz, meine Freude im Leid, meine Wiedergeburt, meine Freiheit, meine Fessel, mein Sabbath, mein Goldkelch, meine Luft, meine Wärme, mein Gedanke, mein teurer Sünder, mein Gewünschtes hier und jenseit, mein Augentrost, meine süßeste Sorge, meine schönste Tugend, mein Stolz, mein Beschützer, mein Gewissen, mein Wald, meine Herrlichkeit, mein Schwert und Helm, meine Großmut, meine rechte Hand, mein Paradies, meine Träne, meine Himmelsleiter, mein Johannes, mein Tasso, mein Ritter, mein Graf Wetter, mein zarter Page, mein 81

32

Z u m philosophischen „Weltbild" und „ H i m m e l s b i l d " vgl. Lütcke S. 96 ff. D a s meinen wir jedoch nicht, wenn wir von d e r Gestaltung dieses Raumerlebens sprechen. — Auch die Elementenlehre in S t r o p h e 240 ist eine H i n g a b e an V o r gegeben-Objektives. D a s Spiel dieser Elemente schafft ein Welt-Bild, eine WeltSzene, abstrakte V o r g ä n g e , die in den R e a l i t ä t e n Feuer, Wasser, L u f t und E r d e sich ereignen ( K r ö n weist S. 41 f . auf die P a r a l l e l i t ä t dieses Spruchs mit der aristotelischen Elementenlehre hin. Zur Frauenlobschen Elementenlehre vgl. auch Lütcke S. 110 ff.). Heinrich von Kleists Lebensspuren, hrsg. von H e l m u t Sembdner, Bremen 1957, 2. A u f l . , 1964, S . 466 f .

294

Erzdichter, mein Kristall, mein Lebensquell, meine Rast, meine Trauerweide, mein Herr Schutz und Schirm, mein Hoffen und Harren, meine Träume, mein liebstes Sternbild, mein Schmeichelkätzchen, meine sichre Burg, mein Glück, mein Tod, mein Herzensnärrchen, meine Einsamkeit, mein Schiff, mein schönes Tal, meine Belohnung, mein Werther, meine Lethe, meine Wiege, mein Weihrauch und Myrrhen, meine Stimme, mein Richter, mein Heiliger, mein lieblicher Träumer, meine Sehnsucht, meine Seele, meine Nerven, mein goldner Spiegel, mein Rubin, meine Syringsflöte, meine Dornenkrone, meine tausend Wunderwerke, mein Lehrer und mein Schüler, wie über alles Gedachte und zu Erdenkende lieb ich Dich. Meine Seele sollst Du haben. _T Henriette. Mein Schatten am Mittag, mein Quell in der Wüste, meine geliebte Mutter, meine Religion, meine innere Musik, mein armer kranker Heinrich, mein zartes weißes Lämmchen, meine Himmelspforte. H. Freilich ist die Summe dieser Metaphern kein Begriff, kein Dogma, kein ethisches Gesetz, sondern ein ekstatisches, subjektives Gefühl, etwas Krankes, Mitreißendes, Befremdendes, Affektiertes und Inniges, etwas aus Büchern — pietistischen oder barocken Liedern, eben unserer manieristischen Tradition - und doch auch vieles aus dem Herzen. Es wäre müßig und geschmacklos, die vibrierende Seltsamkeit und platte Deutlichkeit des Grenzsteins eines wenn auch geistig noch so unbedeutenden Lebens im Detail zu analysieren, die Gesetze und Zufälle soldier Wortfolge im Psychologischen, Logischen, Assoziativen, Rhythmischen, Lautlichen erraten zu wollen. Manches ist offensichtlich: sprachlich die Komposita, die gelegentlichen Oxymora und Antithesen, überhaupt die Doppelung, vor allem bei steigerndem Schwellen, teils durch Adjektiv und Substantiv, teils durch Verbindung mit „und", teils durch Subjekt mit adverbialer Bestimmung, schließlich hier und da eine Alliteration. Inhaltlich fällt das Bildungsgut auf, jenseits von Klug und Einfältig werden schöne Gemeinplätze aneinandergereiht zum Ausdruck einer nicht erschöpfbaren Totalität. Wenn ein wenig schöpferischer, aber in Unruhe hektisch getriebener Mensdi die Allheit irgendeines Gefühls und Gedankens oder Dings umfassen will, dann kommt diese endlos reihende Flucht vor aller 295

Grenze, aller sich bescheidenden Kontur zustande. Die biographische Situation dieses Briefs erhellt die psychologische Seite. Der zentrifugale Zug, das stete Weitergehen der Annäherung, der Preisgabe an das Andere, an das Du und den Tod, wird deutlich; wie in vielen Liebesbriefen ist audi der Sdiluß kein Ende, ein Postskript nimmt wieder auf und führt weiter, wie denn manche verzweifelte oder glückliche Stunde die begrenzende Kontur des Zurruhekommens scheut, der Veränderung und der Neubegegnung, der Plastik des balancierten Zu-sich- und Zu-andern-Kommens. Dieser „Stil" bedeutet Hingabe an eine in Einzelstückchen sich bietende, kein Geformtwerden fordernde Welt und vor allem an die sich selber reihende Sprache mit ihrer weich umfangenden Musik, Erlösung in der Freiheit des Sichgehenlassens, die auch hier an vielen Stellen Hinkehr zu Vorgegeben-Formelhaftem bedeutet. Strömen aus vollem Herzen und angstvolles Erfüllen leerer Stille bedingt solches Reden, die die entschlossene Grenze zwischen Reden und Stille scheut wie auch die Grenze zwischen einer Gestalt und dem Raum, in dem die Gestalt nicht mehr ist. Diese Weitung ins Unendliche, die Hoffnung auf eine Fortdauer im Tod spricht aus anderen Briefen, vor allem Henriettes - diese Weitung umgeht die großen Wagnisse, die wir hier rein als Formen, als Gestalten sehen möchten, nämlich das Bekenntnis zu einem kraftvoll Seienden und an anderem Ort und zu anderer Zeit noch nicht oder nicht mehr Seienden, und zu der Grenze zwischen beidem in Raum und Zeit.

II. Satzführung Die Begegnung der Sprache mit dem metrischen Gefäß weist, grob gesehen, drei Haupttypen auf. 1 Entweder unterwirft sich die Syntax der Strophengeometrie, der Satz richtet sich nach dem Vers, und es entsteht „Zeilenstil"; oder vergewaltigt das Metrum die Sprache und die Sprache das Metrum, beim Vollstopfen des Gefäßes werden Sätze hart abgebrochen, die Zeile wird mit weiteren Satzstücken aufgefüllt; oder schließlich eine dritte Möglichkeit: die Hemmung, die die Verswand der Sprache und ihrem Hinüberfließen entgegensetzt, wird 1

Wir verweisen auf d a s Waltherkapitel u n d seine grundsätzlichen Bemerkungen über S a t z f ü h r u n g .

296

auf gewogen durdi das Drängen der Sprache. In Analogie zur „glatten", „harten" und „ausgewogenen" Fügung benützen wir dafür die Ausdrücke „glatte", „harte" und „ausgewogene" Satzführung. Bei Walther herrscht die ausgewogene vor, bei Frauenlob hingegen ist wieder doppeltes Umgehen der „mittleren" Balance charakteristisch; entweder gibt sich die Sprache hin an das objektive Metrum, oder aber läßt sie sich exzentrisch vom Metrum brechen.2 Wieder ist bei Walther die Balance von Identität und Abweichung charakteristisch, von starrer Mitte und Entgrenzen, während bei Frauenlob die Extreme auseinanderklaffen: Geometrie und Extravaganz, Glätte und Härte. Es handelt sich dabei freilich um dominante Tendenzen und nicht um absolute Gesetze, wie denn in realen Gestaltungen die zugrundeliegenden Gesetze sich nur als Tendenzen ausprägen. Selbstverständlich finden wir auch bei Frauenlob ausgewogene Enjambements, wie es bei Walther glatte und harte gibt. Die Art der Satzführung steht in Beziehung zu dem Wesen des jeweils sich Begegnenden, außer zu der Sprache selbst und ihrer Aussage also zum Strophenbau. Schlichte Strophen zeigen allerdings keine Affinität zu irgendeiner besonderen Art der Satzführung, vom klapperndsten Zeilenstil über ruhiges Fließen zu raffiniertestem Auflösen des Metrums gibt es alle Grade und Übergänge (die verhältnismäßig schlichte Strophik der neueren Lyrik ist Gefäß für Gedichte wie „Nun ruhen alle Wälder" und für das gleitende Verwischen oder harte Brechen bei Rilke). Dagegen scheinen sehr kunstvolle, unruhig zerklüftete Strophen nur schwer zur Balance von Sprache und Metrum zu finden; das grellbunte Gefäß überwältigt das Innere. Zumeist finden wir harte Enjambements, manchmal auch einfachen Zeilenstil. Die sprunghaft variierenden Zeilenlängen können durch Einzelverse befriedigt werden, dagegen fällt es einer nach eigenen Gesetzen wachsenden Sprache schwer, ihren Rhythmus nach den Konvulsionen oder Ballungen des Äußern zu formen und dazu noch zu einem bauenden Verhältnis von metrischem Gesetz und Sprachvorgang zu kommen. So sind gebrochene Zeilen am häufigsten. Dabei spielt natürlich das Handwerkliche eine große Rolle; ein anspruchsvolles Metrum absorbiert viel Energie, von außen wirkt die Suche nach Sätzen von passender Länge und nach Reim Wörtern, die die Ballungen befriedigen; 2

Kretschmanns Kategorien können „ausgewogene" Satzführung nicht feststellen, da sie bloß die Syntax einbeziehen. Die zahlreichen Enjambements (S. 252) und der Zeilenstil der Anaphernstrophen (S. 251) werden besprochen.

297

so ist vieles Ungeschicklichkeit, Notlösung, „Leimen"; Gesetz und Freiheit zu vereinen ist dann schwierig, wenn das Gesetz nicht Beschränkung, sondern ausgreifende Arabeske ist. Das rätselhafte Verhältnis von technischer Möglichkeit und Kraft der Inspiration im Produkt, in der inneren Form des Gedichts, wirkt auch hier in der Beziehung von Vorgegebenem und Erfüllung. Im Gegensatz zu der ausführlichen Behandlung der Satzführung bei Walther geben wir hier nur einige Proben. Interessante Beispiele für Enjambements gibt Rummel in seiner Arbeit über den Manierismus bei Frauenlob und Rilke, 3 obwohl die harten Enjambements bei Frauenlob sich häufig nicht mit dem seidenweichen, oft gar glitschigen Durch-die-Zeilen-Fließen der Sprache vieler Rilkegedichte vergleichen lassen. Rummel nimmt Häufigkeit exponierter Enjambements als Kriterium für manieristischen Stil und versäumt dabei, die verschiedenen rhythmischen Qualitäten dieser Erscheinung genügend zu differenzieren. Außerdem fassen wir extremen Zeilenstil ebenso als Kriterium des Manierismus auf wie harte Enjambements. 4 Der „Kurze Ton" Frauenlobs enthält viele Beispiele glattester Monotonie. Zu dem eintönigen Metrum tritt, wie schon erwähnt, Vorherrschen des Zeilenstils. Natürlich erscheinen audi Enjambements, sie formen aber den Charakter dieser sprachlidien Vorgänge nicht. Strophen wie die folgenden sind die Regel: 5 220:

Wolveile untiuwert alliu dine, d a z m a n si r i n g e s k o u f e s g i t ; Wolveile treit d e r schände ursprinc, wolveil treit aller eren nit. N i e dine so tiure w a r t gesehen, m a n möhte ez s o w o l v e i l e geben, d a z ez g e w ü n n e ein s w a c h e z leben: d e s siht m a n l e i d e r v i l g e s c h e h e n .

3 4

Masch. Diss. Tübingen 1950. N i d i t nur die durch Wiederholung des A n f a n g s g l i e d s sowieso „manieristischen" A n a p h e r n s t r o p h e n (vgl. Kretschmann S . 251), sondern auch etwa hypotaktisch v e r k n ü p f t e r Zeilenstil stellen die Wiederholung des Identischen in den V o r d e r g r u n d , den durch direkten Sprachfluß unerlösten, daher vereinzelten Vers. Wir wiederholen, d a ß wir audi hypotaktische V e r k n ü p f u n g zweier auf Einzelverse verteilter Zeilen z u m Zeilenstil redinen, denn die weiterführende H y p o t a x e wirkt auf die rhythmischen Verhältnisse der V e r s w a n d viel sdiwädier als direktes Überspielen. — A u f den vorherrschenden Zeilenstil in den ambrosianischen H y m n e n weist Singer S. 23 hin.

298

194:

Ich singe unt sage iu immer me: we iuch, ir kargen argen zagen! Wie mac daz guot iuch tuon so we, da mit ir möhtet pris bejagen? Ir soldet immer danken gote daz er daz guot bescherte iu ie, da mit ir möht erwerben hie, daz man iuch hiez „vroun Eren bote".

217:

Swie kiusche ein frouwe muotes si, sint ir gebaerde wilder site, Man waenet, da si wandel bi: dem reizel volget läge mite. Sus ieslich dine sin zeichen hat. zuht decket dicke swachen grünt: daz ist vil manegem wisen kunt: ein guot gebaerde wol an stat.

In den meisten Strophen dieses Tons hat der Zeilenstil etwas Schlaffes, Abgeklärt-Unenergisches. Ganz anders in den Magnetfeldern der Strophen mit Anaphernserien, in denen Zeilenstil vorherrscht. In diesem auffälligsten Strophentypus ist er auch am meisten beachtet worden. Extrem ist auch hier unser vielzitiertes Beispiel, Lied V: Wip, reiner kiusche ein ingesigel, wip, lieber liebe ein voller schrin . . . In dem ganzen dreistrophigen Lied kommen nur zwei Enjambements vor, am Ende der zweiten Strophe: sit din gebenediter nam erglenzet unt git glänzen glast,, und am Anfang der dritten: Zwar wip, du bist ein vrideschilt vor sender not, des wol uns, w o l . . alle übrigen der im ganzen dreißig Zeilen sind unverbunden.

5

Im Verhältnis von stolligem Metrum und Satzbau erwähnt Kretsdimann S. 263, der „Kurze Ton" stehe mit 36 „Verstößen" in 58 Strophen an erster Stelle hinsichtlich der syntaktischen Zeilenverunklärung. Dies widerspricht nicht unserer Feststellung des „Zeilenstils" (s. o.).

299

Durchgehenden Zeilenstil sehen wir in der Anaphernstrophe 402: „Swer zeiget kunst, da man ir niht erkennet", 6 oder 303 (hier steht nur am Anfang ein Enjambement): Swa man ze hoenen kunst hat wert unt narren gert \ viir rehte kunst, ez si ein hunt, ein pfert, / waz sol da sunnen glastes me? waz sol des himelzirkels snelles loufes e? waz s o l . . .

Die vereinzelten Zeilen, die sich addieren zur Strophe, betonen die Vereinzelung der Bilder und Dinge in der Strophe und in der Welt. Vorwiegend Zeilenstil mit eingestreuten harten Enjambements zeigt 288, die stärkste Anaphernhochspannung, die man sich denken kann: Sun, du bist sun, sun, erbes kint, sun strie, sun bint, sun got, sun geist, sun mensdie in got g e m i n t . . .

Neben einem gemäßigten in V. 6/7 kommen zwei harte Enjambements vor, wie denn grelles Nebeneinanderstehen von harter und glatter Satzführung in derselben Strophe nicht selten ist: V. 13/14: und V. 17/18:

sun starp, sun nehen \ wolt sidi der helle solt, / sun drin vrowen in leiden \ erschein und ouch den zwelven sin. I

Ungebrochen ist die Versisolation im Anapherngedicht 256: „Wadurch ist, werlt, din wünne?", mit neunzehn Einzelversen. In den beiden folgenden Strophen der Gruppe (257: „Wa lust, wa wünne spaehe?" und 258: „Wie toetet man die sorgen?") stehen in dem vorherrschenden Zeilenstil einige Enjambements. 7 Die Leithe verkörpern natürlich den Zeilenstil am extremsten,8 Anaphernserien, verbunden mit Zeilenisolation, vor allem im Minneleich. Wir zitieren aus jedem Leidi eine Passage. β 7 8

Kretschmann S. 41, Anm. 92, unter Hinweis auf Roethe S. 171. Kretsdimann S. 251, zu den Anaphern S. 41. Also zweifellos echte Frauenlobtexte — falls daran Anstoß genommen werden sollte, daß mit den meisten Anaphernstrophen von Thomas für unedit erklärtes Material benutzt wurde.

300

Marienieich 12,11-22: idi binz der lebende leitestern des nieman sol nodi mac enbern. min muot guot vruot tuot. idi binz diu stimme die der alte leo luot diu sinen kint uf von des alten todes vluot. ich binz diu gluot da der alte fenix inne sich erjungen wolde. ich binz des edelen tiuren pellicanus bluot, und han daz allez wol behuot. Ich binz ein wurzenricher anger, min bluomen die sint alle swanger, ir saffes brehender smac vil gelwer v a r w e treit. 9 Kreuzleich 7,1-8,2: Wer nerte, Jonas, dich in visdies wamme? wer half uz hungrigen lewen weifen Daniel? wer sande bi dem raben spise Elias zwir? Wer sluoc Egypten kumber tragender flamme? wer gap, verkoufter Joseph, heil der triuwen sei? Isaak sprich: vater, wer half wider din mortswert mir? Isaías, wer was der seraph, der sich dir erscheinte, ouch uf dem berge Sinai mit Moise vereinte? 1 0 Minneleich 34,1-36,4: W a lit touwic vriuntlich meie, w a lit reiner minne goltgesmide? Wa lit triuwer raete sdireie, w a lit ziihtic purpur, artic side? W a lit hört der hohsten ere, w a lit glestic rubin richer glüete? W a lit salbe senfter sere, w a lit minnen golt in wernder flüete? Wa lit liep liebes, liep der tougenlichen liebe, w a lit diu lustlidi lust der hodigelobten lüste? Wa lit naturlich boum, geblüet gen lobes diebe. wa, daz vier ougen zücken herze uz herzen brüste? 1 1 * Zitiert nadi Pfannmüller. Nadi Ettmüller, da uns die Ausgabe von Kirsch, Frauenlobs Kreuzleich, Diss. Bonn 1928 nicht zugänglich war. 11 Vgl. Roethe S. 247 und Kretsdimann Anm. 93, der auf die Behandlung der Anapher in der Musik hinweist, unter Bezugnahme auf H. Rietsdi (Denkmäler der Tonkunst in Österreich, hrsg. von G. Adler, X X . Jahrgang, 2. Teil, 41. Bd., bearb. von Heinridi Rietsdi). Der Steigerung durch die Anapher entspricht Steigerung in der Musik. 10

301

und so nodi viele parataktische Anaphern, bis zu der Antwort: „sprich, froulich munt: ,in mines herzensdirines saft'". In allen drei Beispielen unterstützt die syntaktische Vereinzelung den Wirbel der Einzeldinge, im Marienieich und Kreuzleich der Einzelbilder, die, wie wir es audi vielfach sonst gesehen haben, nur durch eine geistige Klammer zusammengehalten sind, im ersten Fall vorwiegend durch die überlieferte Allegorik des Physiologus, im zweiten durch die Bibel, 12 im Minneleich, flatternder und bunter zerstückelt, nur durch die Anaphern, die bezogen sind auf den erst am Ende sich enthüllenden und doch stets gegenwärtigen Begriff der Frau. Die Anaphernblöcke, die die Satzführung so wesentlich bestimmen, erfordern nähere Betrachtung. Es genügt nicht, sie, wie Rummel, einfach als Charakteristika manieristischen Stils zu kennzeichnen oder auf den rhetorischen Prunk und Schwulst hinzuweisen, dem sie Ausdruck geben. Ihre rhythmische Funktion kann deutlicher beschrieben werden. Wir haben in manieristischem Stil immer wieder ein exzentrisches Verhältnis festgestellt, eine fehlende Balance zwischen blockhafter Starre und flackernder Bewegung. Zentrum und variierend Zentrifugales, fester Kern und zerklüftete Peripherie, auch abstraktes Ganzes und punktuell realistisch Einzelnes befinden sich nicht im Verhältnis organischer Durchdringung, sondern stehen oft unverbunden nebeneinander. Die Anaphernblöcke sind ein solcher Fremdkörper in der lebendigen Sprache. Ihre ständig wiederholte hämmernde Identität läßt sich nicht weich differenzieren und bindet sich nicht mühelos an Anderes. So sticht der Block aus dem Ganzen hervor; der horizontalen Geometrie der strengen Zeilen begegnet eine vertikale, ein anderes isolierendes Prinzip. Wesentlich ist die Verknüpfung dieser Anaphern, die ja zumeist Begriffe oder auf Begriffe hinzielende rhetorische Fragen sind, mit Bildern. In unserem letzten Beispiel ist das schwer monotone „wa lit" durch die Wiederholung, die Frage und die implizierte Antwort „hier, in der Frau" in sich als Begriff geschlossen, stets sich zurückbeziehend auf das Abstraktum „wip"; es fängt die disparaten Bilder und Vorstellungen zwar syntaktisch hin zum Begriff, rhythmisch, bildlich und lautlich jedoch lösen sie sich in vielschichtig unbestimmte Felder von Dingen, Tönen, Gefühlen und Gedanken auf. Das Entscheidende ist hierbei nicht einmal die Bildlosigkeit der Bilder, sondern das durch 12

Vgl. Krayer passim.

302

Laut, Rhythmus und Stellung im Vers so gewalttätige Anfangsglied, unerlöste, von der lebendigen Sprache und ihren Bildern nicht erreichte Formel. Der Anaphernblock ist wie eine hart und starr sich gleichbleibende Steinsäule, von bunten Vögeln umflattert. So bilden alle maßlosen Reihungen und Ballungen in der Wiederholung ihrer Identität für lebendige Sprache einen Fremdkörper: außer den Anaphernreihen auch die Reim- und Kadenzhäufungen, die Laut- und Wortwiederholungen, ja selbst die zahllosen Strophen im Ton. Es ist einseitig, von Reimen oder Anaphern nur als von verbindenden Elementen zu sprechen. Verbindend wirken diese Formen nur in schlankem Maß; wenn dies Maß überschritten wird, verselbständigen sie sich und werden nicht mehr aufgesogen. Konzentration verhindert dann die organische Harmonie zwischen dem Ganzen und den Teilen. Außerhalb des „Kurzen Tons" und neben den Anaphernstrophen haben auch Gedichte anderer Töne glatten, monotonen Zeilenstil. Wir haben auf seine Ausdruckskraft in der Todesstrophe 283 hingewiesen: Min vreude ist gar zegangen; nu hoeret jamerliche klage: mich riuwent mine sünde, die ich begangen han min tage: der ist nu leider also vil! nu wil der Tot mich bringen gar ze nihte . . .

Keine der neunzehn Zeilen wird in ihrer Einsamkeit durch Enjambement erlöst. Auch andere Strophen dieser Gruppe von Todesgedichten haben Zeilenstil, so 280: Künc Artus der was riche, kein edeler künic wart nie genant; Asverus was gewaltec, dem dienten me wan hundert lant; künc Alexander tet noch mer, er het die weit gar schier alein betwungen . . .

Mit einer Ausnahme sind alle Zeilen der Strophe isoliert, das eine Enjambement ist sehr hart: ein weiteres Beispiel für das Nebeneinander von glatter und harter Satzführung (so audi 310). 280, V. 11/12:

swaz kiinege, vürsten, graven her \ was, wa sint si mit ir gelenken Zungen?/

303

In 281 herrscht durchweg Zeilenstil: hier unterstreicht die Isolierung die Vereinzelung des Katalogs: Adi got, nu wiste ich gerne, war komen sint die starken man, Wolfhart, Witeche und Heime, Hilbrant und ouch der herre Ilsan, war kam her Iwein unt Gawin, Egge unde Hagen die helde ouch allesande . . .

Dagegen betont die andere Strophe dieser Gruppe, 284, in unruhig verspannten Enjambements drängende Bewegung: Der Tot wil hie verdringen \ von mir min leben; des bin ich/ gar trurec in dem muote: j ei, herre got, erbarme dich, nim hin die sele! ich wil den lip \ der erden unt den würmen lan ze teile . . , 13 /

Auch manche der sakralen Strophen erhalten starre Feierlichkeit durch Zeilenstil, so z. B. „Ich man dich, gotes s u n . . Wenden wir uns den Strophen mit vorwiegend harter Satzführung zu. Eine Materialsammlung liegt bei Kretschmann vor, der klassifiziert, dabei aber, dem Wesen seiner Untersuchung entsprechend, keine rhythmischen Kriterien aufzeigt. 14 So verhält sich, um uns gleich in seiner ersten Abteilung umzusehen (Abtrennung des Subjekts, Vorwegnähme) 15 ein ausgebreitetes Subjekt rhythmisch anders als ein nur aus einem Wort bestehendes, also: — . gar unlitlich liden ist in der tiefen helle grünt dem, der da hinderkoset

(16,5/6)

S. Kretschmann S. 253 unter „Nachschleppen des Objekts". In seiner Gesamtcharakteristik weist Kretschmann bei Frauenlob auf das Neue (vor allem Dynamik S. 265 ff., subjektive Erregung, H ä u f u n g , Reihung, Leidenschaft) hin, dennodi ist die Bezeichnung „Ausgleich der Gegensätze" verfehlt. Denn ein Nebeneinander (des Höfischen, des Bürgerlichen, des Geistlich-Mystischen) bedeutet nodi lange nicht Ausgleich. Das Nebeneinander von Glattem und Hartem ist keine „Fülle der Möglichkeiten", sondern ein H a n g zum Extrem. — Audi unterscheiden wir nicht zwischen dem kunstvollen „rime brechen" (das manieristisch extremste Beispiel dafür Konrads „Goldene Schmiede") und dem von manchen als Fehler angekreideten Enjambement. » S. 253. 15 14

304

völlig anders als is gesmalz ie uf ir wazzers naz (Minneleich 3,7/8).

Die grammatikalische Parallelität tritt hinter der dichterisch wirksamen rhythmischen Verschiedenheit zurück.16 Wir halten uns nicht an diese grammatikalischen Unterscheidungsmerkmale und geben zum Absdiluß dieses Kapitels einige Beispiele für harte Enjambements, um die dynamische Spannung zwischen Strophengefäß und Füllung zu zeigen. So finden wir in 89: Swelch vürste welle vürsteclidien namen tragen, daz er behagen \ müg got und allen liuten, / der sol ere triuten. unvuoge und ouch unstaetikeit sol er selbe riuten \ vii vaste al uz sins reinen milten vesten herzen gründe./

Frau Ehre sagt in Strophe 264, V. 17/18/19: „ . . . wan waer ich staet son hiez ich niht \ gelücke; von unstaeter pfliht / heiz idi also." diu wort sint niht gespalten. /

Ähnlich hart in 235, V. 2/3: lop, ere, pris! gebenedit \ sist du ! genade ich suoche . . . /

An Otto, den Grafen von Ravensberg, ist die von uns besprochene preziös zerklüftete Preisstrophe 129 gerichtet. Die Monotonie der Wiederholung von Identischem wird in dieser Strophe erhöht durch die Parallelität der exzentrischen Satzführung an jeweils entsprechender Stelle: Enjambement jeweils zwischen dem ersten und zweiten Vers der Stollen, enge syntaktische Bindung bzw. Enjambement zwischen dem zweiten und dritten, starker syntaktischer Einschnitt, dem Metrum dieses Tons entsprechend, in der ersten der beiden langen Zeilen am Stollenende: uz der schänden troufe \ viel im nie tropfe an sinen lip. swa erz vint ze koufe, / daz im zen eren nuzlidi ist, daz mac im niht ze tiure . . . , / 18

Diese rhythmische Verschiedenheit entsteht vor allem durch den völlig anderen Satzschwung, der durch den verschiedenen „Anlauf" bedingt ist.

305 20

Sdiaefer, Walther von der Vogelweide .

und an entsprechender Stelle im zweiten Stollen: segen der hohen pfaffen von kindes jugent in nie vermeit. von disem lobe gesunden i s t . . .

\ lügelichez klaffen; /

Besonders grell ist das Enjambement in V. 16/17: sin eren samen die schände lamen > tuot... / Das unruhige H i n und Her der Zeilen, das gerade dem „Langen Ton" eigen ist, wird durch anders gestaltetes Fließen und Verszerbrechen verstärkt: ein „Hakenstil" ganz besonderer Art entsteht, 17 nicht der auf regelmäßigem, sich gleichbleibendem Metrum aufbauende des Epos, sondern ein Stil doppelter Unruhe. 27:

Und 91 :

17

Ouch wart Adam von dem gewalt niht gar genomen, im selbe vromen χ moht er, schaden erzeigen; / vri willekür sin eigen \ bleip ie und ist der kinder sin; iedoch nider stigen c man siht ein ieslich mensche wol an tugent und an eren./ Nu minnet ere: got ist ere und ere ist got. swer sin gebot χ beheldet, wie er ridiet!... / Ir werden ritter, swa ir in den landen sit, zuo aller zit \ suit ir iudi warheit vlizen, / daz iuch itewizen \ iht durfte kranker hande barn; iuwer nam sol glizen ' alsam der morgensterne tuot vor liehtes tages wunne. Ritter, din eilen daz sol sin unmazen ganz; din ritterkranz χ sol schoene sin geverwet; / sam sol ouch gegerwet \ sin din vil unverzagter lip, so daz niht entnerwet / gar mit unvuoge werd din nam; swa man dich, helt, erkunne, /

Kretsdimann S. 252. Besonders in den beiden Langzeilen (V. 5 f., V. 9 f.) dieses Tons und in einigen Liedern entstehe „Hakenstil". — Audi die Enjambements unserer folgenden Beispiele sind bei Kretsdimann verzeichnet.

306

D a soltu solhes rehtes pflegen, daz du behaltest swertes segen Die sedis darauffolgenden Verse der Strophe haben Zeilenstil. Ä h n lich v e r h a k t ist Strophe 9 2 : Wol uf, ir werden helde küen und unverzagt, al durch die magt, die Jesus muoter nennet, so daz an gerennet \ iht werden witwen, weisen iht. iuwer helfe erkennet ( sol in sin naht und ouch den tac vor aller hande noeten. / Swelch vrouwe in jamer unt da bi in sorgen kilt, der vridesdiilt \ ir weset zallen stunden, / so daz si enbunden \ wol werde gar mit ganzer wer von den schurpfehunden, / die dar uf gahent naht unt tac, daz si mit vreise toeten \ Die armen miieter und ihr kint. / swa uz erweite helde sint, daz vole so blint \ si als ein wint; / manlichez swert, si alle slint, die sus die erde sunder not mit reinem bluote roeten. Z w a r drängen audi manche dieser harten Enjambements mit innerer N o t wendigkeit, der wirre F a l t e n w u r f der Strophe u n d die H ä r t e des metrisdien Bruchs sind jedoch stärker als das G e f o r m t w e r d e n

des

einzelnen Zeilensprungs v o n innen. D i e große Stauung e t w a : so daz an gerennet \ iht werden witwen, weisen iht. iuwer helfe erkennet ; sol in sin naht und oudi den tac vor aller hande noeten ) ist grundverschieden v o n der B a l a n c e v o n H e m m e n und F l u ß in W a l t h e r s Zeilen: Eime solt ir iuwern lip \ geben für eigen, nement den sinen,/ oder: Sich fröit al diu weit gemeine: möhte mir von iu ein kleine\ fröidelin geschehen! / 307 20·

Jedoch sind die Enjambements in den Frauenlobstrophen in ihrer Gesamtheit sehr ausdrucksstark, ihre addierten Wirkungen bestimmen die allgemeine Spannung und Unruhe der Gedichte.

III. Laute Die grundsätzlichen funktionellen Unterschiede in der Lautmusik Walthers und Frauenlobs sind im entsprechenden Kapitel über Walther erörtert worden. Dort zeigten wir, wie hochgradig abstrakte oder artifizielle Sprache in starren, die geometrische Form in den Vordergrund stellenden Gefäßen weniger „Fassungskraft" für Lautfülle besitzt als organisch bewegte, plastisch volle, sinnlich blühende Sprache, also im bombastischen Teil des Manierismus die Musik besonders stark in den Vordergrund tritt. 1 Hören wir auf diese Musik bei einigen Gedichten Frauenlobs und betrachten ihre Strukturen. Wir beginnen bei einem der raffiniertesten Musikwerke, der Strophe 313: „Geviolierte blüete kunst" (Text s. S. 282 f.). Wesentlich für die Lautstruktur und ihre Musik sind die Reimhäufungen dieser üppigen Form (aaabbac dddeedc fffgggc). Die Stollen und der Abgesang werden von einem Block aus drei Reimen eingeleitet, die in den Stollen von einem Reimpaar abgelöst und dann durch ein viertes Glied fortgeführt, im Abgesang durch einen weiteren Dreierblock ersetzt sind. Der Schlußreim verbindet alle drei Teile. Die sieben Reime werden von vier Vokalen getragen, so daß weitere lautliche Ballung eintritt; u, o und i/ie sind je in zwei Reimen vertreten, nur a steht allein. So bilden sich über die Ballungen hinaus reiche Responsionen; u und i sind am prominentesten (kunst, dunst, brunst, gunst, kurc, schurc, Wirzeburc; obez, lobes, lop, grop; himel, vimel, stimel, sdiimel, armonie, verzie, drie). Uberhaupt ist das Spiel der i und u prominent:

1

Audi in der Behandlung der Laute zeigen sich deutlich die Grenzen der katalogisierenden Methode. Kretschmanns Listen besagen nidits weiter, als daß Frl. eben Alliterationen benutzte, ihr Zusammenspiel mit anderen Lauten und Motiven und die Frage nach der musikalischen Didite wird nidit berührt. Dazu kommt das alte, nichtssagende Argument des Bewußten: „Freilich i s t . . . die bewußte Anwendung oft f r a g l i c h . . . meist instinktiv-zufällig und nur zum kleinen Teil als bewußtes Kunstmittel" (S. 74).

308

Geviolierte blüete kunst, (mit ü als Ubergang) dins brunnen dunst (mit den Nasalen) unt din geroeset flammenriche brunst. . .

Dieses Spiel wird am Stollenende wieder aufgenommen: hielt wipfels gunst sin list, durchliljet kurc.

Daneben sind Alliterationen und vokalisch erweiterte Alliterationen wirksam: blüete-brunnen-brunst-boume;(sehr stark in brunnen dunst -brunst); dunst-din; geroeset-flammenriche-künsteriches; hate -wurzelhaftez-hielt; gewidemet-wipfel; lobes-list-durchliljet. Eine Klammer zwischen den Stollen entsteht in dem Wiederaufnehmen der „durch"-Verbindung (die mit Binnenreim im dritten Vers des zweiten Stollens fortgesetzt wird): durchliljet durdisternet durchkernet.

Brücke ist auch der i-Laut mit lautlichem und motivischem Anklang von „sin list" und „sin sinnes himel", dessen dreifachem i doppeltes a folgt: „glänz alse ein vimel". Dann: „sins silbers schimel gap gimmen velsen schurc" ; im ersten Fall Reim himel-vimel, im zweiten an entsprechender Stelle Alliteration schimel-schurc; außerdem, wenn wir beide Stollen in Beziehung zueinander setzen: die g-Alliteration glanz-gap-gimmen, und die v-Alliteration vimel-velsen. Die v-Alliteration ist stark in diesem ganzen Stollen: vimel-geveimt-gevultvelsen, außerdem die st-Alliteration durchsternet-stimel. Der u-Vokal als letzte Hebung des Aufgesangs und erste des Abgesangs bildet eine Brücke. Das Zentralwort „kunst" wird von der ersten Gedichtzeile auch in die zweite Zeile des Abgesangs hereingenommen. Die drei Hauptmotive des Gedichts sind durch die k-Alliteration verbunden: kunst-klage (in V . 15 und 16) und Kuonrat, die Person, der die Klage gilt. Der Abgesang benutzt vorwiegend das Gegeneinander von i und a, das auch in der Reimlinie zum Ausdruck kommt: klage, armonie, klage niht verzie; jamers drie, genade im, süeze trinitat; maget reine enpfat. Stark ist die p-Alliteration: planeten-polus, auch die Responsion der langen o: tot-polus. Am Ende klingt der Binnenreim weich von Vers zu Vers: 309

maget reine enpfat, ich mein Kuonrat den helt von Wirzeburc. Wir sehen, daß außer direkter Lautwirkung auf engem Raum ein Netz von Beziehungen über die Strophe verteilt ist, die nicht dem simultanen Dahaben der Musik dienen, sondern in abstrakter Konstruktion ferne, doch durdi die Wortverwandtschaft deutlich aufeinander bezogene Lautverbindungen darstellen. Dies Spiel mit Verwandtschaften und Analogien, das typisch für mittelalterliche Strophik ist, wird in unseren späten manieristischen Dichtungen ins Extrem geführt. Diese Technik trägt dazu bei, das artifizielle Gemachtsein völlig bewußt werden zu lassen; anders als bei Walther, der sie durchaus auch benutzt, 2 der aber das Leben seiner Kunst die Waage halten und dadurch die handwerklichen Bewußtheiten wie zufällig spielen läßt. So sind folgende Wörter in der Frauenlobstrophe klar aufeinander bezogen: geviolieret, geroeset, gewidemet, geveimt, gevult; auch flammenrich, wurzelhaft, künsterich und die andere Dreiheit: durchliljet, durchsternet, durdikernet. Auch 129, das Preisgedicht auf den Grafen von Ravensberg, ist voll orchestriert (Text s. S. 229 f.). Der Reim mit erweiternder Assonanz klingt vom langen ersten Vers als Echo zum kurzen zweiten herüber, i—ei: ist gekleit, schirm er treit. Alliterationen sind wesen tlich, auch in Kombination: schirm er treit-schanden troufe. Die Alliterationskette der t ist prominent: treit-toufe-troufe-tropfe-tiure, von Vers zu Vers. Dann die k: gekleit-krisemes-koufe, und v: vielvint. Die Reihe der Parallelitäten (ist gekleit-schirm er treit) wird im dritten Vers fortgesetzt mit i-t: schirm er treit-des krisemes und der toufe; Vers 4 wird an Vers 2 angebunden durch die erwähnte doppelte Alliteration an entsprechender Stelle: schirm er treit-schanden troufe. In Vers 5 stechen i hervor: „viel im nie tropfe an sinen lip. swa erz vint ze koufe . . Vers 7 bringt die Doppelung des s und des i: „diu saelde ir balsem streich an sinen werden lip" ; beides wird im kurzen Echovers wieder aufgenommen, dazu die b-Alliteration aus „balsem": saelde-balsem8

Responsion ist ein wichtiges tektonisches Prinzip nicht nur innerhalb der Strophe, sondern auch in der S t r o p h e n v e r k n ü p f u n g .

310

lip, unsaelde blip. Die s-Alliteration dehnt sich aus bis zu „segen". In Vers 9 wird ein Block von i-Lauten durch a flankiert: „du maht bi im niht schaffen". In Vers 11 drängen die gehäuften 1 zum Motiv der Antithese in Vers 12: „lügelichez klaffen / von disem lobe gesundert ist", gleichzeitig das Enjambement unterstreichend. Vers 13 ballt i zusammen mit der w-Alliteration: wibt ez in miner witze hamen", Vers 14 bringt starke n-Alliteration: „daz ich in nennen muoz bi namen". Α-Laute mit Nasalen verbunden sind konzentriert in den folgenden Versen (die Reimhäufung wird somit auch im Versinnern lautlich unterstützt): sin eren samen die schände lamen tuot. kund ich baz Herman der Damen ein lobes vaz mit sänge amen . .

wobei vor allem der erweiterte Reim auffällt: schände lamen-sange amen. „Samen" alliteriert über den Block hinweg mit „sänge": eren samen-schande lamen-sange amen. L alliteriert: lamen-lobe. Die a der Reime spielen noch weiter ins Versinnere hinein: dreimal in Versen 17 und 18, am Anfang sogar mit Binnenreim: baz Herman der Damen vaz mit sänge amen.

Die o des Preisworts und des Gepriesenen klingen zusammen als erste Hebung der beiden letzten Verse: lobes-Otte. Der Schlußvers hat nochmals starke Alliteration und Lauthäufungen: w und i, „grav Otte waer sin wirdic wol", und die Lautbeziehung von Titel und Namen: „grav von Ravensberc". Musikalisch nodi weit üppiger ist die Demonstration der Meisterschaft, die Reinmar, Wolfram und Walther in den Schatten stellen will. Mit dieser Strophe beweist Frauenlob, daß er sie alle überbieten kann — wenn das die höchste Kunst ist, was in der Strophe verwirklicht wird 3 (Texts.S.244). Ein Teil der Lauthäufung ist natürlich dadurch bedingt, daß die Strophe dem „Langen T o n " mit seinen massierten Reimen angehört. Aber auch diese Reime sind noch lautlich erweitert; außer dem reim-

* Die Forderungen des geblümten Stils ließen Frauenlob alles Vorhergehende blaß erscheinen.

311

bewirkenden Schlußvokal haben wir häufig noch Assonanzen der vorletzten Hebung. So ζ. B. in Versen 3 und 4 o-ei: Vogelweide-vergoltem kleide, in Versen 9 und 10 u—oe, aber noch stärker konsonantisch ausgebaut: unt mit doenen-sunderhoenen, und im Reimblock des Abgesangs i—o: Vers 13 „singet noch", Vers 15 „bin ichz doch", Vers 17 „ouch ich ein joch". Die drei fernen Reime sind alle durch diese erweiternde Assonanz verstärkt: i—a, Vers 6: „si verlazen", Vers 12: „riche strazen", Vers 19: „sinne sazen". In Vers 1 sind die a prominent: „swaz ie gesanc Reinmar unt der von Eschenbadi"; die beiden ersten Takte klingen im kurzen Vers als Edio weiter: „Swaz ie gesanc" — „swaz ie gesprach". Wortwiederholungen aller Art (gleicher, grammatikalisch verwandter und ähnlich klingender Wörter, audi innerhalb von Motivpaaren) wirken tektonisch und fügen die Sprache zum Motivgewebe. So wird dieses Leitmotiv durch die ganze Strophe gespielt: gesanc-gesprachgesungen-sanges-gesanc-singet. In Vers 3 wird neben dem alliterierenden ν auch das o verdoppelt: „der von der Vogelweide"; beides wird in Vers 4 aufgegriffen: „mit vergoltem k l e i d e . . . " . In Wiederholung ist Vers 5 auf die Verse 4 und 1 bezogen: „ich Frouwenlop vergulde ir sane". Die folgenden Zeilen sind lautlich sehr reich. Es dominieren die u-Laute in Verbindung mit Nasal: „si hant gesungen von dem veim, den grünt hant si verlazen. / U z kezzels gründe gat min kunst, so giht min munt, / ich tuon iu kunt / mit worten unt mit doenen / ane sunderhoenen . . . " . Stark sind audi manche Alliterationen, so das g: vergoltem-vergulde-grunt-grunde-gat-giht, das s: sanc-gesungen, und gegen Ende des zweiten Stollens: sunderhoenen- solte- sanges, das k: kezzel-kunst-kunt. Der ausgespannte Klang grunde-kunst-munt wird in Vers 8 enggeführt: „ich tuon iu kunt", wobei „kunt" zum ersten Teil des erweiterten Reims der beiden folgenden Verse hinüberklingt: kuntunt mit doenen-sunderhoenen. In Vers 11 sind, außer der erwähnten s-Alliteration, nodi andere Laute wirksam, vor allem in Verbindung mit anderen Lautwiederholungen, wie o und m: noch solte man mins sanges sdirin gar rilichen kroenen. Vers 12 häuft a und, entsprechend dem vorhergehenden Vers, i: si hant gevarn den smalen stic bi kiinsterichen strazen. 312

Vers 13 bringt den grammatischen Reim von „singen", überkreuzt von der i-Doppelung: „Swer ie gesanc u n d singet noch . . . " . Auf die erweiterten Reime haben w i r hingewiesen: „singet noch", bin idtiz doch", „ich ein joch", sie alternieren m i t einfachen Reimen. In den beiden Schlußversen w i r k t parallele Alliteration in den zwei letzten T a k t e n : „künste ein koch" — „sinne sazen". Verse 17 und 19 sind v e r b u n d e n durch die Wiederholung von „sinne", ferner die alliterierende u n d vokalische Beziehung v o n „trage" u n d „trat e n " . So folgt im Schlußvers der asyndetischen Doppelung am A n fang eine starke Doppelung des a u n d eine schwächere des i—ie u n d schließlich Alliteration: min wort min doene traten nie uz rehter sinne sazen. Die Lauthäufungen, die durch Anaphernreihen, Binnenreime und Wortwiederholungen Zustandekommen, sind plumper und daher auch auf den ersten Blick ersichtlich oder beim ersten Anhören deutlich.4 D e r Kreuzleich geht hierin vielleicht am weitesten. 1,1—8:

O wunderwernder süeze ursprinc, hodiswebendes vluzzes nam, so willeclich begin, der ersten sache sechic dine, ir wesen, ir ewic und ir immer wegender sin! Wie tirmic spiegelsehender kunft gruntsippic blic, der sit gewegen in geschiht ! mit im wart bündic sigenunft in dir, du griffic, sihtic immer gebendez iht! 5

Auch die Reimlinie wird, selbst bei ungleichen Reimen, von i bestimmt: ursprinc, begin, dine, sin, (kunft), geschiht, (sigenunft), iht, auch Erweiterungen der Reimlinie: sechic dine, wegender sin, gewegen in geschiht, gebendez iht. Binnenreime und Alliterationen beherrschen z. B. die dritte Strophe desselben Leichs: Sam von der sunnen tuot der sdiin, ouch sam von dem brunnen schiuzet, diuzet, vliuzet ein rinne, diu die würze ergiuzet runsic, seffic unde vin; 4 5

Sie werden z. T. bei Kretschmann als Stilfiguren katalogisiert. Text nach Ettmüller.

313

Wie biltsam uz des herzen schrin sich daz wort mit willen dringet, swinget, slinget, swenn ez diu zunge luftic twinget, sus gebar der vater sin Den sun . . .β In Strophe 4, Versen 5—12 heißt es: min wunder, munder sunder zunder, under ordenlicher Stift Melchisedech. Min ewikeit, majestas, sprich: du min Vernunft, ich din, du ich! min geist entsproz von dir, do mich din minne twanc, min minne dich, ich niure, tiure, stiure, hiure, viure da nach, des min wort din alter zech.7 Strophe 5 ballt Alliterationen und i vor allem durch seine mystische Grammatik: Sprich, vaterlidi persone: mich, min, mir, sun: dich, din, dir, geist: er, sin, im: nu merket, daz ich allez bin. Der sun uz kindes frone: vater min, in dir ich din, in mir du min: din erbe ja ich, du vatersin. Der geist uz beider done: er, du, ich, uz dir in dich, idi beiden zim, drivaltec got dodi ein begin. Auch hier haben vier der fünf Reime i: mir, dir, bin, sin, min, din, idi, dich. Alle erdenkbaren Reimtricks werden der Reihe nach angewandt, ganz im Stile dieser Dichtweise (man vergleiche Konrads von Würzburg, des gepriesenen Meisters, Lyrik): 8 neben Binnenreimen und

® Vgl. Kretschmann S. 73. Ebd.: „Das sind reine Klangspiele, denen nur schwer ein verständlicher Sinn abzugewinnen ist, da man nicht weiß, ob der Dichter in diesem Falle überhaupt auf solchen Wert legte." 8 S. auch de Boor III, S. 320. 7

314

Schlagreimen Kettenreime, die vom Versende zum folgenden Versbeginn reichen: 9,12—13:

wer schuof, daz diu brunst der gluote fruote dich niht muote,

usw. (außer den regelmäßigen Reimen nodi weiter uo/u-Responsionen), ferner Reimsäulen am Versanfang und am Versende: 14,1—7:

Geliehen sich des slangen slingen, winden er hie wolde,

do er sich twingen, binden

lie, der holde,

durch unser ringen vinden liez er sich in jamers solde: er siane sich an des kriuzes boum alsam der siange het getan . . . Konzentriert ist diese Form, wenn beide Säulen denselben Reim haben: 15,11—13:

Doch hiez heilvliez not iez durch niez. Set stiez

daz ris uf sines grabes griez . . . ,

und so noch an vielen anderen Stellen. In den Leichen Frauenlobs ist die Musik weit üppiger als bei aller klassischen Dichtung. Zwischen manchen seiner reichklingenden Spruchstrophen und Walthers Dichtung besteht jedoch keine Mengendifferenz; dort verhindert, wie erwähnt, die abstrakte Sprödigkeit der Sprache und die Starre des Gefäßes völlige Synthese von Begriff und Musik, die bei Walther durch die Elastizität und sinnliche Farbigkeit der Sprache möglich ist und die, im Falle objektiv gleichen Lautreichtums, die Farben der Töne nicht so grell aufleuchten läßt wie eine unruhige Flamme vor einem bleichen Hintergrund aus Marmor. In diesem Sinne müssen wir das Nebeneinander von Abstraktion und Musik verstehen wie audi den extremen Gegenpol: Abstraktion und farbarme Tonlosigkeit, der viele der Frauenlobschen Gedichte charakterisiert. Wir sehen auf der anderen Seite Wagnis und Sicherheit der Mitte: wie viel es ist, zwischen Allem und dem Nichts Etwas zu behaupten, den Raum nicht ganz auffüllen zu wollen und doch auch nicht leerzulassen, und wie schwer es ist, zwischen dumpfer, nichts fordernder Lethargie und lauter Phantasie stark und doch 315

leicht, aufrecht selbst wenn beladen mit Gedanken und Dingen, eine fest begrenzte Wegstrecke zu gehen.

IV. Metren Audi bei Frauenlob wollen wir keinen Überblick über die Töne geben, Entwicklungen zeigen oder Strophengruppen und -familien klassifizieren; 1 durch Analyse weiterer Metren soll lediglich das bei der vergleichenden Interpretation des „Langen Tons" im Waltherkapitel Begonnene fortgesetzt werden. Im überbietenwollenden Suchen nach neuen Metren wie im Formwillen, dem diese ausgeklügelt reichen Goldschmiedewerke entgegenkommen, beginnt das strophengeometrische Denken und das Füllen der Strophen mehr denn je in zwei getrennte Akte zu zerfallen. 2 Ein Dichter, der die Strophe vom inneren Vorgang her wachsen läßt, würde keine solchen Metren bauen. J e bizarrer zerklüftet und edelsteinbesetzt ein Metrum ist, desto starrer und eigenwilliger drängt es sich, tragend oder brechend, dem Innern auf. 3 Während bei leichten, eleganten Strophen das Paradox möglich ist, daß Vorgegebenes von innen neu geformt wird, übertönt bei Frauenlob die Strophengeometrie die innere Individualität. 4 Gleichwohl entstehen seltsam fesselnde Rhythmen, wenn die Gefäße die Sprache in sich hineinsaugen oder brechen.

1 2

3

4

Vor allem nicht im Hinblick auf den Meistersang. N a g e l , Frauenlobausgabe, S . 58: „Dieses MißVerhältnis v o n transzendierender F o r m u n d rein stofflichem Sehen e r l a u b t e nur ein z w a n g h a f t e s Z u s a m m e n k o p peln b e i d e r . . . " ; er vereinfacht jedoch z u sehr, wenn er das N e u e des Inhalts den bloß traditionellen höfischen Formen entgegenstellt. Auch das Schwellen und Ballen im Strophenbau enthält Neues, maßlos Unhöfisches, aus demselben Impuls wie das ballende Sammeln der Dinge. So auch die Strophe des „ J ü n g e r e n T i t u r e l " (durch ihren zusätzlidien R e i m noch stärker als W o l f r a m s Titurelstrophe). Wenn de B o o r I I I , S. 461 d a r a u f hinweist, d a ß im Spruch der Sinn v o m K l a n g nicht übertönt werden soll, so stimmt dies hinsichtlich der Lieddichtung, nicht aber im Vergleich mit Walther. D i e Reimblöcke ζ. B. sind lauttönende Musik. Übertönend, selbst wenn nicht lautlich, wirken die zerklüfteten Strophen, die nicht nur „Breite und Pracht", sondern vor allem Unruhe und S p a n n u n g schaffen.

316

Diese Gefäßstrophen 5 unterscheiden sich von den Gedichten der durchschnittlichen Meistersinger. D a sehen wir Vollstopfen auf Biegen oder Brechen, da zählt nur noch die Strophe als perfekte Schreiner-, Schuster- oder Handschuhmacherarbeit; mit welchem Geriimpel sie angefüllt wird, ist im Grunde einerlei. Daher sind beim Meistersang Untersuchungen über das innere Verhältnis von Form und Gehalt absurd, die über diese grundsätzliche Feststellung hinausgehen. Bei Frauenlob dagegen, trotz des Primats der Strophengeometrie, ist deren Verhältnis zur Sprache von Interesse, denn diese dichterische Sprache ist anspruchsvoll genug, um sich zum Metrum in Beziehung zu setzen. Die Mehrzahl der Meistersinger erfüllt sich selbstbewußt in den Handwerkerstrophen und sammelt ohne Scheu eine unverstandene, im Grunde auch unproblematische Welt in sie hinein; Frauenlob besitzt zwar weder den Willen noch die Ich-Intensität zur Gestaltung der Welt und der metrischen Gebäude von innen, aber seine Strophengebäude helfen ihm, eine in Einzelstücke zerfallende, doch erlebte Welt zu tragen. Bei vielen Strophen Walthers hatten wir gesehen, wie ein dominantes Grundmuster überlagert wird von Variationen, so, daß die Prinzipien der Identität und der Veränderung einander die Waage halten, daß aber der zu variierende Baustein sich fest und stets gleich behauptet. Bei den meisten Metren herrscht da, im Vergleich von Aufgesang und Abgesang, Balance von vereinheitlichenden und kontrastschaffenden Elementen; ein Neues beginnt im Abgesang, das aber durch die Achse von Identitäten am Alten festgehalten und so mit ihm zum Ganzen geformt wird. Im Zusammenhang mit diesen Prinzipien ist die horizontale Zerklüftung maßvoll, von schlußbeschwerendem Aufschwellen abgesehen ist die Taktdifferenz benachbarter und sogar aller in einer Strophe vorkommender Verse selten größer als zwei, und auch da wird der Sprung zumeist gemildert, indem er von der vollen kurzen zur unterfüllten langen Zeile geht und nicht umgekehrt. Außerdem haben wir gesehen, wie Uberlagerungen der metrischen Gruppen so Zustandekommen, daß ein Hauptgliederungsprinzip sich verwirklicht und, ohne Spannung und Faltenwurf, überspielt wird von anderen Gliederungsmöglidikeiten. In Frauenlobs „Langem Ton" dagegen fanden wir große Längendifferenzen zwischen den Versen und Nebeneinander von Uber6

Den Walthertypus nannten wir in Analogie zu dem Mohrsdien Terminus „Vorgangstrophe".

317

raschung und Ballung; im Aufgesang überwiegt das stets Andere, im Abgesang Kadenzen- und Reimblock. Identität und Variation sind nicht in Ausgewogenheit offen füreinander. Ferne Reime über dichte Blöcke hinweg bleiben abstrakte Konstruktionsprinzipien und sind nicht mehr sinnlidi nachvollziehbar; die Teile bilden für sinnliches Dahaben keine geschlossene Harmonie. Diese metrischen Erscheinungen lassen sich beziehen auf Gehaltlidies. Auch dort finden wir Nebeneinander von geistiger Geschlossenheit und einer unverbundenen Fülle des Einzelnen. Die Balance von geistiger Kontur und sinnlicher Erfüllung ist aufgegeben, das Einzelne wird selbständiger, die geistige Kontur starrer geschlossen. Wir verglichen die Metren mit dem Verhältnis von Detail und Peripherie in gotischer Architektur; in der Nähe entgleitet der geistige Plan des Ganzen, man erkennt aber Einzelnes; dem Blick, der das Ganze umfaßt, entgeht das greifbare Detail. Das simultane Dahaben beider Pole, des Einzeldings und des Ganzen, ist aufgegeben. Der spätmittelalterliche Realismus, dessen Besessenheit von jener punktuellen Dinglichkeit in Formen, Lehren und Weltkatalogen audi bei Frauenlob spürbar wird, existiert und wird verstanden nur im Schatten der Kathedrale. Er ist zumeist weder nüchterne Weltbeobachtung noch naiv oder bewußt genießende Weltfreude, kein „Trinken . . . was die Wimper hält von dem goldnen Uberfluß der Welt", keine harmlos am Idealismus vorbeilebende Lust an den Dingen. Dieser Realismus ist fast wesenseins mit seinem Gegenpol, der gefährdeten und von vielen um so leidenschaftlicher festgehaltenen geistigen Einheit. Je bedrängender die Masse der Dinge in Sein und Vergehen wird und je weniger sie ideell gebändigt scheint, desto tiefer sind beide Extreme aufeinander bezogen, als Antithese und Sehnsucht im Einzelnen und in der Epoche.® Dem „Langen Ton" mit seinen metrischen Überraschungen neben blockhafter Monotonie und seiner Wiederholung des bizarr Zerklüfteten steht als anderes Extrem der „Kurze Ton" gegenüber. Im Stollen des „Langen Tons" überwiegt Variation über Identität, im „Kur6

Grellste E n g f ü h r u n g von geistlicher Lehre und radikalstem Realismus illustriert R e h m , T o d e s g e d a n k e , S. 7 8 : Der Prediger zeigte zuerst die Pracht des Lebens und wies d a n n „horribilem imaginem mortis, c u m diversis vermibus, cum bufone in capite et serpentibus in oculis, auribus et n a r i b u s " vor, dies B i l d t r u g in der H a n d ein B a n d mit der A u f s c h r i f t : „ Q u i d e g o sum, tu statim eris; quid ego superbis de tua pulchritudine, divitiis et potentiis: pulvis et cinis" (aus Schönbach, Sitzungsberichte 156, 1907, S . 23).

318

zen" ist es umgekehrt. Wir stellten dieses glatte Gefäß, das durcii vorwiegend glatte Satzführung noch monotoner wird, dem im groben ähnlich und doch im Rhythmischen völlig anders gebauten Metrum des Waltherschen Mailiedes gegenüber und zeigten, wie das manieristische Prinzip der Imitation des Identischen hier besonders krass verwirklicht ist. Dem einzigen variierenden Element des Abgesangs, der anderen Reimanordnung, stehen als gleichschaltende Elemente entgegen: 1. dieselbe Taktzahl in allen Versen, 2. die gleichartigen (männlich vollen) Kadenzen, 3. durchgehende Auftaktigkeit und, damit verbunden, 4. durchlaufende Synaphie. Hier braudit keine Peripherie umgriffen, kein Anderes gehalten zu werden, denn sicher und stumpf wiederholt alles nur sich selbst. Wir stellen noch einmal die Extreme der ausgewogenen Mitte entgegen: zwei Stollen des „Langen Tons" und eine Strophe des „Kurzen" neben eine Strophe aus Walthers Mailied. Dabei soll nur das Metrische sprechen. Ettm. 150 Magt, wip unt vrouwe, da lit aller saelden gom. magt ist ein bom der ersten kiusche blomen. von einer maget komen heilrich ursprinc, des Wunsches wesen. aller sinne gomen die künden niht die süezen art volloben der kiuschen megede. Swenn aber der süezen blomen lust durch menlich list gevallen ist, wip nennet man si denne; ob idi rehte erkenne, den namen Wunn Ird'sch Paradis von schulden nenne: lop si dir, wip, durch vröuden namen, unt, durch din bilde, behegede. Ettm. 212: Wip, sit du loser blicke bist, als dich von art ist angeborn, Ich wil dich leren einen list, daz wandel wirt an dir verkorn: Wis diner blicke niht ze bait, wan da du spürest zuht der jugent od ritterliches herzen tugent, da wis mit blicken wol gestalt. Walther 52,7: Daz midi, frowe, an fröiden irret,

319

daz ist iuwer lip. An iu einer ez mir wirret, ungenaedic wip! Wa nemt ir den muot? Ir sit dodi genaden riche: tuot ir mir ungenaedecliche, so sit ir niht guot. Freilich sind nicht alle Töne Frauenlobs so extrem wie der „Lange" und der „Kurze Ton". Über die Hälfte der in Ettmüllers Ausgabe verzeichneten Sprüche gehört jedoch diesen beiden Tönen an. Die meisten der übrigen dreizehn teils editen, teils zweifelhaften Töne 7 sind nach denselben Prinzipien gebaut wie der „Lange Ton", jedoch nicht so radikal. Die Strophen- und dadurch zumeist die Stollenlänge und die metrische Zeit bis zur Wiederkehr des zweiten Stollens sind bei allen beträchtlich, auch sind fast überall ferne Reime entscheidend am Strophenbau beteiligt. Nur sind die Schwankungen in der Zeilenlänge gewöhnlich nicht so stark wie im „Langen Ton", auch findet sich sonst keine sechsfache Reimhäufung. Dagegen haben die „Tageweise" teils Reim am Zeilenbeginn, teils Kettenreim, der „Neue Ton" zu Beginn des Abgesangs diesen Zeilenanfangsreim, außerdem „Diagonalreim" (das erste Wort der Strophe reimt mit dem letzten; der vorletzte Reim der Strophe antwortet auf den Zeilenanfangsreim am Abgesangsbeginn), 8 also weitere Vertreter unserer zwei Prinzipien der Ballung und extremer Fernresponsion. Hinter dem „Langen Ton" steht der „Zarte" nur wenig zurück. Obgleich er es nur auf vier zusammengereimte Verse bringt, so weist dodi auch er vier Takte weite Sprünge auf, außerdem ist er zwei Verse länger als der „Lange Ton", seine Stollen umfassen sieben statt sechs Zeilen, so daß die Reimantworten und die metrische Wiederkehr des zweiten Stollens nodi weiter hinausgeschoben sind. Wir geben das metrische Schema (zum Text vgl. etwa 313: „Geviolierte blüete kunst"): A 4 mv a A 2 mv a A 6 st a 7

8

Vgl. Ettmüllers Vorrede und seine Anmerkungen, Thomas' Diskussion der Handschriftenüberlieferung und Bartsch, Meisterlieder, S. 168 ff. Über „Reimspielereien" F. R. Schröder, Minnesang II, GRM 21, S. 263 (in grotesk-virtuoser Steigerung bei Konrad von Würzburg, dem „Tieck des deutschen Minnesangs"). S. auch de Boor III, S. 3 2 0 f.

320

A4 A6 A2 A4

mv mv mv st

b b a c

A 4 mv A 2 mv A 6 st A 4 mv A 6 mv A 2 mv A 4 st

d d d e e d c

A6 A6 4 A4 A2 A2 A4

wk f wk f wk f mv g mv g mv g st c»

Audi hier kommt, zumindest im Aufgesang, kein Grundmuster zustande, das sich einschwingt und durch Überlagerung differenziert werden könnte. Im Reimschema sind die fernen, Stollen- und Abgesangsende verknüpfenden c-Reime charakteristisch; in den Stollen gibt es keine Gruppen, alles ist Vorwärtsdrängen und keine Geschlossenheit, ein in sich verspanntes und flimmerndes „perpetuum mobile"; keine Symmetrie, sondern stets asymmetrische Überraschung. Dem Dreierblock folgt ein Verspaar, dann kommt ein weiteres Element des Blocks und schließlich ein Einzelvers, dem erst viel später Antwort folgt. (Man vergleiche damit die Ausgewogenheit des Reimsdiemas in Walthers „Kaiser-Friedrichs-Ton", in dem Blöcke symmetrisch ineinander verschränkt sind: aaababbb.) Dieser Heterogenität wird in den Verslängen ebenfalls ungegliederte Vielfalt gegenübergestellt. Die beiden sdieinbar willkürlichen Abfolgen xyz xzyx(4 2 6 4 6 2 4 ) - w o bei die ersten beiden χ männlich voll und daher Vierheber, das letzte stumpf und Dreiheber, das erste ζ stumpf und Fünfheber, das zweite voll und Sechsheber sind - und die Reimanordnung stützen sich nicht gegenseitig; sie greifen nicht ineinander ein, sondern laufen fremd nebeneinander her und haben darin ihren seltsamen Reiz. » Thomas S. 126; Bartsdi S. 174.

321 21

SAaefer, Walther von der Vogelweide .

Der Abgesang zeigt eher Uberlagerungen. Die durdi die Verslängen bedingte Gliederung 2 + 2 + 2 wird von der Zweiteilung 3 + 3 überspielt, die durch die Kadenzenanordnung und das Reimschema gestützt ist. Aber auch hier dringt der angehängte ferne Reim als Fremdkörper ein. Der „Flugton", obwohl etwas kürzer (nur 17 Verse), verhält sich ähnlich: A A A A A A A A A A

4 wk 4 mv 2 mv 6 st 2 mv 4 wk 4 mv 2 mv 6 st 2 mv

a b b b c a d d d c

A A A A A A A

4 wk 4 wk 4 wk 4 wk 2 mv 6 st 2 mv

e e e e f w f

Wieder stehen Reimblöcke fernen Reimen gegenüber. Zwar könnte man den Aufgesang einen von zwei alleinstehenden Versen umrahmten Dreierblock nennen, aber das ist keine nennenswerte Gliederung, und die Tatsache, daßdie a-c-Reime im zweiten Stollen aufgenommen werden, kommt nur als fernes Edio ins Spiel. Auch bringen die weiten Sprünge in den Taktzahlen (2-6-2) Spannung in die Reimbindung, so daß die Gruppenbildung 2 + 3 (zwei Vierer plus 2-6-2), die sich zur N o t anböte, durch die unruhige Zerklüftung nicht wirksam wird; wir haben keine leichte Uberlagerung, sondern scharfes Zerreißen des Blocks. Wie schon erwähnt, fügt sidi das Nebeneinander von starren Blöcken und greller Dynamik nicht zu harmonischer Synthese. Anmutiges Gleiten eines rhythmisch maßvoll bewegten Körpers wirkt organisch, nicht aber fahrig ruckartige Bewegung eines starren. Der Abgesang, in seiner Blodkhaftigkeit vom zerklüfteten Aufgesang verschieden, reiht vier in Reim, Kadenzen, Taktzahl und Auf322

t a k t i g k e i t gleiche Verse, ein weiteres Beispiel m o n o t o n e r

Identität

i n n e r h a l b eines T o n e s u n d schließlich i n n e r h a l b des W e r k s . A m E n d e s e t z t sich ein ü b e r a u s zerklüftetes D r e i e r p a a r ( w i e d e r 2 - 6 - 2 u n d s o m i t die einzige, w e n n auch k e i n e s w e g s organische V e r b i n d u n g m i t d e m A u f g e s a n g ) v o n diesem V i e r e r b l o c k a b . D i e v i e r m a l i g e H ä u f u n g eines R e i m s m i t gleicher K a d e n z

und

T a k t z a h l geht ü b e r d a s M a ß des rhythmisch g l a t t „ E r l ö s b a r e n " h i n a u s . 1 0 W a l t h e r s M a x i m u m ist d r e i f a c h e H ä u f u n g m i t d a r a u f f o l g e n d e r sacht lösender gleichtaktiger, s t u m p f e r K a d e n z : Er seit von grozer swaere, wie min pferit maere dem rosse sippe waere, daz im den vinger abe gebizzen hat ze schänden: ich swer mit beiden handen, daz si sich niht erkanden, ist ieman der mir stabe? Dagegen Ettm. 316: Der tugent ist als dem viure, dem ofte waere tiure sin melden ungehiure, niur daz der rouch sin stiure tuot offenbar . . . A u ß e r d e m sahen w i r , w i e W a l t h e r s A b g e s a n g einem a n d e r s a r t i g e n A u f g e s a n g gegenübersteht u n d w i e beide T e i l e durch d i e G l e i c h t a k tigkeit

(4) z u s a m m e n g e h a l t e n

werden,

während

hier

verschiedene

R e i m a n o r d n u n g und T a k t z a h l einander entgegenstehen.11 10

11

Kuhn, Minnesangs Wende, S. 62 hebt bei klingenden Vierern und ihren vielen dicht hintereinanderstehenden Kadenzen die schwer erträgliche Monotonie hervor; er vermutet musikalisch anderen Rhythmus. Schlichter gebauten Aufgesang besitzt der „Neue Ton": A X 4 wv a / A 6 wk a/A4mvb/A4wka/A6wkc//A4wvd/A6wkd/A4mvb/ A4wkd/A6wkc//AY4mve/AY4mve/A4mve/A4mve/ A 4 mv e / A 4 mv Y / A 6 st X. Zwei ferne Reime (b und c) bilden scharfen Kontrast zu dem hier noch umfangreicheren Reim- und Kadenzenblock des Abgesangs, der mit fünf gleichen Elementen den sechs hinsichtlich der Länge differenzierten Versen des „Langen Tons" nichts nachgibt. Auch hier ist der blockhafte, taktgleiche Abgesang versdiieden von dem allerdings maßvoll Verslänge und Reimschema variierenden Aufgesang. Neben der Ballung stehen weitere Ballung oder extreme Fernreime, Ballung im Zeilenanfangsreim Y-Y zu Beginn des Abgesangs, Weitung im doppelten Diagonalreim, dem X - X vom ersten zum letzten 323

21»

Der nach dem „Langen" und „Kurzen" strophenreidiste, der „Grüne Ton", ist im Vergleich zu den genannten Beispielen nicht grell, sondern neigt, obwohl auf ganz andere Weise als der „Kurze Ton", zur Monotonie: 231 : Wer kante gotes krefte, do er was in des vater geist? niur ewikeit aleine kant in unt siner kraft volleist. aida kein mensche viirbaz mac! wer kan, wer tar, wer sol? wist man ez wol?

A4wka

A 4 mv b A 4 wk w A 4 mv b A 4 mv c A 6 st d

Wa wont nature in hefte sit si aller dinge walte hat? mit gote durch got si tirmet in gote swaz er tirmen lat; uz sime bote kam si nie tac: si was niur ein: des muost si liden dol,

A 4 wk A 4 mv A 4 wk A 4 mv A 4 mv A 6 st

Wan got si bestuont selpvierde: er ein und oudi sin ewikeit unt sin majestas-wierde, da zuo so half diu reine, Maria, vleisches bleiche vri: si spielt uz eim personen dri: vier mohten me dan natur alters eine.12

A4 wlf A 4 mv g A 4 wkf A 4 wkh A 4 mv i A 4 mv i A 6 wkh

a e w e c d

Durchgehende Synaphie fließt von Vers zu Vers und stützt somit keine Gruppierungen. Hinsichtlich der Taktzahl dominiert der Viertakter (zweimal in fünffacher, einmal in sechsfacher Reihung) so stark, daß die leichten stumpfen und klingenden Schlußbeschwerungen kaum ins Gewicht fallen. Hierin sind also Aufgesang und Abgesang monoton identisch. Der Identität der Stollen dient die ferne Wiederholung der Reimklammer, durch welche Peripherie und Ballung respondieren: a . . . cd, a . . . cd. Entscheidend für die müde Monotonie dieses Strophenbaus ist aber, daß zusätzlich zu der Identität der Taktzahlen der Abgesang am Anfang undifferenziert in demselben Muster weiterschwingt. Das Reimmuster der Stollen ist Alternation, Wort der Strophe, und dem näheren Y - Y vom zweitletzten Reim zum Abgesanganfangsreim. Zahlreiche Beispiele dieser manieristischen Form sind, außer bei Konrad von Würzburg (vgl. audi de Boor III, S. 320 f.) in Bartsdis Ausgabe der Kolmarer Meisterlieder zu finden. " Vgl. Thomas S. 126 und Bartsch S. 174.

324

wenn audi durch die Waisen nicht rein verwirklicht, mit angehängtem unverbundenem Paar ferner Reime. Das Kadenzenmuster ist ebenfalls Alternation (kl-m), die dann am Stollenende zum Block erweitert wird. Mit demselben Muster beginnt auch der Abgesang; diese dritte Wiederholung bestimmt die Monotonie der Strophe: gleiche Verszahl und Auftakte, Synaphie, gleiche Reim- und Kadenzenalternation in derselben Reihenfolge kl-m. Nun überlagert sich jedoch diesem Muster, nachdem es in intensiver Gleiditönigkeit eingeschwungen ist, im Abgesang eine andere Gruppierung. Die erwartete Alternation und Sättigung zur Vierergruppe kl m kl (m), in den Reimen f g f (g), wird nach dem dritten Vers abgeschnitten von der Schlußgruppe der Strophe, dem umarmenden Vierer kl m m kl, h i i h. Diese Uberlagerung kommt jedoch nach dem Eingeschwungenen überraschend, sie ist eher rhythmisdie Zerrung und Verspannung; Identität und Neuerung sind nicht ausgewogen. Die Stelle mit ihrem unruhigen Neueinsetzen unterbricht die Schläfrigkeit des Strophenmetrums 13 durch die unerwartete Verdoppelung der K a denz bei noch nicht gerundeter erwarteter Vierergruppe; ruckartig springt die Strophe auf das rhythmische Geleise der neuen Gruppe über, auf dem das Metrum zunächst monoton weiterrollt. Wir stellen neben diese Passage die rhythmische Doppelung in Walthers Mailied, die wir untersuchten: M u g e t ir s d i o u w e n w a z d e m meien Wunders ist beschert. seht a n p f a f f e n , seht an leien, wie d a z allez vert. G r o z ist sin g e w a l t . . . und W a n g o t si b e s t u o n t s e l p v i e r d e : er ein u n d o u d i sin ewikeit unt sin m a j e s t a s - w i e r d e , d a z u o so h a l f diu reine, M a r i a , vleisdies bleidie v r i . . .

ls

Monotone Wiederaufnahme des undifferenzierten Blocks im Abgesang stellt Kuhn, Minnesangs Wende, S. 59 f. bei Neifens Strophik heraus. Dort reihen sich jedoch glatte Blöcke vom Aufgesang in den Abgesang hinein, es gibt nicht dieses verspannte Neueinsetzen, das in den unerfüllten Viererblock einen anderen Viererblock einschiebt.

325

Frauenlobs Terzett wirkt, zumal nach der vorausgegangenen zweimal gereihten Vierergruppe, wie eine ungesättigte diemische Substanz oder eine Frage ohne Antwort; Walthers Vierergruppe ist erfüllt und wird jener geistgetragenen Form gerecht, die Gruppen und Einheiten rundet, bevor sie sie als Partner zu Überlagerung und Begegnung führt.14

14

Einige späte Gedichte Walthers zeigen im Metrum schon manieristischen Einfluß (wir sehen von schwer zu datierenden Spielereien wie 47,16 „Ich minne, sinne . . o d e r dem Vokalspiel 75,25 ab) : Diagonalreime im „Alterston" 66,21 „Ir reinen wip, ir werden man"; Reichtum an Binnenreimen in 122,24 „Ein meister las" (Kraus, Unters., S. 462: gekünstelte Strophenform, die eher an die Meistersinger erinnert); und fünffache Reihung des (an sich rhythmisch erlösten) Blocks im „Kreuzlied" 76,22 „Vil siieze waere minne". Kuhn, Minnesangs Wende, S. 63 weist auf die Ähnlichkeit dieses letzteren Metrums mit einem Neifenschen hin. Bei der Lektüre von H . Meyers Aufsatz „Vom Leben der Strophe in neuerer deutscher Lyrik", D V j S 25 fiel mir S. 444 f. die dort in ganz anderem Zusammenhang zitierte Strophe von Novalis auf (Schriften, hrsg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel, 1. Bd., S. 354): Was paßt, das muß sich runden, Was sich versteht, sich finden, Was gut ist, sidi verbinden, Was liebt, Zusammensein. Was hindert, m u ß entweichen, Was krumm ist, muß sich gleichen, Was fern ist, sich erreichen, Was keimt, das muß gedeihn. Der Block, der in Waithers Kreuzlied f ü n f m a l gereiht ist, findet sich hier in zweimaliger Reihung. D a bei Novalis weitere Strophen folgen, entsteht jedoch dieselbe metrische Wirkung; die verschiedene Satzführung bewirkt freilich anderen Rhythmus.

326

SCHLUSS

Wir blicken zurück und fassen zusammen. Es sollen keine Einzelheiten wiederholt, jedoch die Prägungen des Hauptgedankens nochmals dargelegt werden. Der Grundbegriff dieser Studie war der der Begegnung. Ein Zentrum begegnet einem Andern, der Peripherie, einem Gegen-stand. Gestalt und Form dieser Begegnung zeigten Unterschiede zwischen Walthers und Frauenlobs Dichtung, die wir, ohne erschöpfende Behandlung jener Stilbegriffe, „klassisch" und „manieristisch" nannten. Die jenen Unterschied betreffenden Merkmale wurden besprochen, beiden Dichtern Gemeinsames blieb unbeachtet. Der erste Teil handelte jeweils von der „lyrischen Grundrelation", dem Verhältnis des lyrischen Ich zu seinem Gegenüber, dem Du, allgemein dem Partner, der Szene, der Natur und den gestalteten Gegenständen, in fünf Grundsituationen: der Liebe, der Lehre, der Schelte und Burleske bzw. der Groteske und Polemik, der religiösen Haltung und der Situation des Todes. In Walthers Gestaltung dominiert Ausgewogenheit von Selbstbewahrung des Ich und Hingabe an das Andere, von Konzentration und Verströmen, das Prinzip der Gegenseitigkeit: eine gleichgewogene Setzung des zum Ich und zur Welt Gehörigen, manchmal sogar in Anzahl und Reihenfolge in schöner Balance von Ich und Du. In Uberlagerung von Zentrum und Peripherie klingen oft plastisch die Zeitschichten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander. Die Linien der Aktivität und Passivität in den Verbvektoren sind weithin ausgewogen. In der Didaktik begegnen sich Lehrintensität und szenisch erfüllte Gegenwart, Dauer und Augenblick, Sein und Geschehen, Idee und Verwirklichung, in der Schelte Hingabe an das Ideal und starke Bewahrung des eigenen Temperaments und Wesens; in der Komik wird Bedrängendes und Fremdes entschärft durch die dem Publikum und dem Andern begegnende, regieführende Ichgestalt. In der Begegnung mit der Gottheit und dem Tod ist die Gestalt gleichgewogener Bewahrung des Ich nicht mehr möglich, und dodi zeigt der Vergleich mit Frauenlob den 327

Reichtum der Welt und des Ich, beide zwar überwunden vom stärkeren Du, dennoch kraftvoll und in sprachlicher Schönheit im Angesicht des Andern sich behauptend. Bei Frauenlob dominieren Einseitigkeit und Verströmen; das Andere wird übermächtig, Linie, Fläche und Monotonie verdrängen Fülle und Plastik, überheblich ballt sich das Ich oder gibt sich ganz hin, übermächtig ballen sich die Dinge; die Zeit ist allgemein und meidet Situationen im Hier und Jetzt, die Verbvektoren sind vorwiegend einbahnig, Abstraktion und Dingwelt stehen nebeneinander, Dauer und Sein überwiegen das Wagnis der Einmaligkeit; der befreienden Komik steht die kommunikationsgefährdende Groteske gegenüber; in der Begegnung mit der Gottheit überwiegt gewaltig die Du-Intensität und die Abstraktion, im Erlebnis des Todes überwältigt der Sog alle Dämme des Lebens. Auch der zweite Teil der Untersuchungen über Walther und Frauenlob stand, in anderer Weise, unter dem Grundbegriff des Begegnens oder Vermeidens. Die Interpretation der Bildlichkeit führte Ansätze des ersten Teils weiter und verfolgte das Verhältnis von Mensch und Natur, die Begegnung von Kontur und Entgrenzung, die Balance von ideeller Dauer und gegenständlicher Verwirklichung, hier unter dem Nenner des Verhältnisses von Ruhe und Bewegung. Oft schwingt bei Walther in der Szene und ihrer Plastik die Bewegung des Entstehens oder Zusammenführens mit; durch die Ruhe der dauernden Idee und des Systems klingt bewegte Veränderung und Vergegenwärtigung; in kraftvoller Dynamik erfüllte sich die klassische Epoche, indem sie das ewig Vorgegebene mittelalterlicher Tradition neu erfüllte. Bei Frauenlob dagegen klaffen Starre und Hektik auseinander, Natur und Tradition sind vielfach Formel, Dauer überwiegt die Gegenwart, und vor allem stehen sich abstrakte Lehre und unverbundene Bildstückchen gegenüber. Eine weitere Begegnung von individuellem Formen und objektiv Vorgegebenem ereignet sich in der Satzführung; die lebendige Sprache begegnet dem metrischen Schema. Walthers Satzführung ist zumeist „ausgewogen"; die rhythmischen, lautlichen, gehaltlichen Elemente der Sprache formen im Enjambement, das häufig durch den Sinn gerechtfertigt ist, die Strophe von innen, ohne sie aufzulösen; das Metrum bewahrt sich und gibt sich hin an die Sprache. Bei Frauenlob dagegen überwiegt glatter Zeilenstil oder hartes Enjambement, die 328

Extreme der Hingabe an das „Andere" des objektiven Gefäßes oder unbalanciertes Bredien. In jedem Spradigebilde, vor allem im dichterischen, begegnen sich die Extreme Bedeutung und Sprachleib, Begriff und Musik. Bei Walther baut die Plastik und Vielgestaltigkeit des sprachlichen Vorgangs Brücken zwischen Begriff und Musik; die auch in Bildern, Szenen und Rhythmen versinnlichte Sprache trägt mühelos den sinnlich reichen Klang der Laute. Bei Frauenlobs spröderer, abstrakterer, auffälliger vom Regelbuch der Rhetorik bestimmter Sprache entsteht eine Diskrepanz zwischen sinnlicher Lautfülle und Abstraktion. Schließlich „begegnen" sich die Teile des Strophenmetrums. Bei Walther sehen wir Balance von Identität und Variation, Überlagerung von Blöcken, Ausgewogenheit von Setzen und Uberspielen der Kontur. Das Metrum wird leidit und transparent und ist dodi auch kräftig und plastisch. Bei Frauenlobs Metren dagegen findet sich entweder starke Betonung des Identischen, in unerlösten Blöcken und Parallelitäten, oder aber Überraschung in unruhigen Sprüngen. Und in den fernen Reimen und den Blöcken sehen wir geometrische Geschlossenheit, die von der Sprache nicht in organischem Dahaben umgriffen wird: die Begegnung von Geometrie und sinnlich simultan Umgreifbarem führt audi hier zur Diskrepanz. Die Details sind dichterischer Ausdruck; daher versuchten wir, sie zu beschreiben und zu deuten. Sie entsprechen bekannten Vorstellungen von klassischem und manieristischem Stil. In der Begegnung betont die klassische Kunst Ausgewogenheit von Bewahrung und Hingabe, von Identität und Variation. Die Elemente des Manierismus sind, Formen und Gehalte umgreifend, Monotonie und Eklat, Überraschung durch das unerwartet und unverbunden Andere oder Reihung des Einseitigen und mit sich selbst Identischen, das jede Harmonie von buntem Zufall und klarer Ordnung starr überdeckt.

329

LITERATUR

Ausgaben Heinrichs von Meissen des Frauenlobes Leithe, Sprüche, Streitgedichte und Lieder, erläutert und herausgegeben von LUDWIG ETTMÜLLER. Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur, Bd. 16, Quedlinburg und Leipzig 1843. Frauenlob. Ausgewählte Gedichte mit versgetreuen Übertragungen von BERT NAGEL, H e i d e l b e r g 1 9 5 1 .

Die Gedichte Walthers von der Vogelweide. Urtext mit Prosaübersetzung von H A N S BÖHM, B e r l i n

1955.

Die Gedichte Walthers von der Vogel weide, 11. Aufl., nach KARL LACHMANN hrsg. v o n CARL VON KRAUS, B e r l i n 1 9 5 0 .

Die Lieder Walthers von der Vogelweide, hrsg. von FRIEDRICH MAURER. 1. Bänddien: Die religiösen und die politischen Lieder, 2. Aufl. Tübingen 1960; 2. Bändchen: Die Liebeslieder, 2. Aufl. Tübingen 1962. Walther von der Vogelweide, Gedichte. Mittelhochdeutscher Text mit Übertragung. Ausgewählt und übersetzt von PETER WAPNEWSKI, Fischer-Bücherei Frankfurt und Hamburg 1962. Walther von der Vogelweide, hrsg. von W. WILMANNS. 1.Bd.: Leben und Dichten Walthers von der Vogelweide, 2. Aufl. von VICTOR MICHELS, H a l l e 1 9 1 6 ;

2. Bd.: Lieder und Sprüche Walthers von der Vogelweide, 4. Aufl. von VICTOR MICHELS, H a l l e 1 9 2 4 .

Darstellungen Meisterlieder der Kolmarer Handschrift, hrsg. von KARL BARTSCH, Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, Stuttgart 1862 (unveränderter reprographisdier Nachdruck Hildesheim 1962). BINDSCHEDLER, MARIA: Der Bildungsgedanke im Mittelalter, DVjS 29 (1955), S. 20—36. BÖHM, HANS: Walther von der Vogelweide, Minne, Reich, Gott, Leipzig 1942. DE BOOR, HELMUT: Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 2: Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang, 1170—1250, 4. Aufl. München 1960. — Bd. 3: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn, Erster Teil, München 1962. — Frauenlobs Streitgespräch zwischen Minne und Welt, PBB 85 (1963), S. 383 bis 409. BRINKMANN, HENNIG: Diesseitsstimmung im M i t t e l a l t e r , D V j S

2

(1924), S.

721

bis 7 5 2 . — Entstehungsgeschichte des Minnesangs, Buchreihe der Deutschen Vierteljahrsschrift, Bd. 8, Halle 1926.

330

— Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung, Halle 1928. — Studien zu Walther von der Vogelweide, PBB 63 (1939), S. 346—398. — Erbe und Abendland. Die deutsche Ritterdiditung in der geschichtlichen Welt, DVjS 21 (1943), S. 154—176. — Ein ritterliches Credo. Zu einem Lied Walthers von der Vogelweide, Wirkendes Wort 1 (1950/51), S. 145—148. B U R D A C H , K O N R A D : Walther von der Vogelweide, Bd. I , Leipzig 1 9 0 0 . — Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, 2. Aufl. Halle 1928. — Der mythische und der geschichtliche Walther, in: Vorspiel, Bd. I (Buchreihe der Deutschen Vierteljahrsschrift, Bd. 1), Halle 1925, S. 334—400. B U R G E R , H E I N Z O T T O : Die Kunstauffassung der frühen Meistersinger, Neue deutsche Forschungen 75, Berlin 1936. C U R T I U S , E R N S T R O B E R T : Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2. Aufl. Bern 1954. E H R I S M A N N , G U S T A V : Die Grundlagen des ritterlichen Tugendsystems, ZfdA 5 6 (1919), S. 137—216.

— Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, Zweiter Teil (Schlußband), München 1935. (Unveränderter Abdruck München 1959.) F I S C H E R , H A N N S : Probleme und Aufgaben der Literaturforschung zum deutschen Spätmittelalter, GRM 40 (1959), S. 217—227. F R I N G S , T H E O D O R : Walthers Gespräche, in: Festschrift f ü r Dietrich Kralik, H o r n 1954, S. 154—162. F R O M M , H A N S : Komik und H u m o r in der Dichtung des deutschen Mittelalters, DVjS 36 (1962), S. 321—339. F U R S T N E R , H A N S : Studien zur Wesensbestimmung der höfischen Minne, Groningen 1956. G A N Z E N M Ü L L E R , W I L H E L M : Das Naturgefühl im Mittelalter, Leipzig und Berlin 1914. G E N N R I C H , F R I E D R I C H : Melodien Walthers von der Vogelweide, ZfdA 7 9 ( 1 9 4 2 ) , S.

24—48.

— Zur Liedkunst Walthers von der Vogelweide, ZfdA 85 (1954), S. 203—209. — Die musikalischen Formen des mittelalterlichen Liedes, Deutschunterr. 11 (1959), H . 2, S. 60—80. H A A K H , E L I S A B E T : Die Naturbetrachtung bei den mittelhochdeutschen Lyrikern, Teutonia, Heft 9, Leipzig 1908. H A L B A C H , K U R T H E R B E R T : Walther von der Vogelweide und die Dichter von Minnesangs Frühling, Tübinger Germanistische Arbeiten, Bd. 3, Stuttgart 1927. — Gottfried von Straßburg und Konrad von Würzburg, „Klassik" und „Barock" im 13. Jahrhundert, Tübinger Germanistische Arbeiten, Bd. 12, Stuttgart 1930. — Walther-Studien, ZfdPh 65 (1940), S. 142—172. — Zu Begriff und Wesen der Klassik, in: Festschrift für Paul Kluckhohn und Hermann Schneider, Tübingen 1948, S. 166—194. — Waltherstudien II, in: Festschrift f ü r Wolfgang Stammler, Berlin und Bielefeld 1953, S. 45—65. — Walther von der Vogelweide, Sammlung Metzler, Stuttgart 1965. H A U P T , M A R L E N E : Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, Gießener Beiträge zur deutschen Philologie, Bd. 58, Gießen 1938. H E L M , K A R L : Tandaradei, P B B 7 7 ( 1 9 5 5 ) , S . 2 5 2 — 2 5 3 . H E U S L E R , A N D R E A S : Deutsche Versgeschichte, Grundriß der German. Philologie, Berlin 1956, Bde. I—III (Nachdruck der Ausgabe von 1925—1929). H O C K E , G U S T A V R E N É : Die Welt als Labyrinth. Manier und Manie in der europäischen Kunst, Rowohlts deutsche Enzyklopädie N r . 50/51, 1957.

331

— Manierismus in der Literatur. Spradi-Alchimie und esoterische Kombinationskunst, Rowohlts deutsche Enzyklopädie Nr. 82/83, 1959. HORACEK, BLANKA: Die Kunst des Enjambements bei Wolfram von Eschenbach, ZfdA 85 (1954), S. 210—229. HÜBNER, ARTHUR: Die deutschen Geisslerlieder, Berlin und Leipzig 1931. HUISMAN, JOHANNES ALPHONSUS: N e u e W e g e zur dichterischen und musikalischen

Technik Walthers von der Vogelweide (Studia Litteraria Rheno-Traiectana, ed. H. Sparnaay et W. A. P. Smit, Bd. 1), Utrecht 1950. HUIZINGA, J . : Herbst des Mittelalters, 7. Aufl. der deutschen Übersetzung von Kurt Köster, Stuttgart 1953. ISER, WOLFGANG: Manieristische Metaphorik in der englischen Dichtung, G R M 41 (1960), S. 2 6 6 — 2 8 7 . JUNGBLUTH, G Ü N T H E R : W a l t h e r s A b s c h i e d , D V j S 3 2 ( 1 9 5 8 ) , S .

372—390.

KLEIN, KARL K U R T : Z u r

Walthers

KAYSER, WOLFGANG: Das sprachliche Kunstwerk, 3. Aufl. Bern 1954. — Das Groteske in Malerei und Dichtung, Rowohlts Enzyklopädie Nr. 107, 1960. KERN, IRMENTRAUD: Das höfische Gut in den Dichtungen Heinrich Frauenlobs, Berlin 1934. KIBELKA, JOHANNES: Der ware meister. Denkstile und Bauformen in der Dichtung Heinrichs von Mügeln, Philolog. Studien und Quellen, H. 13, Berlin 1963. KISSLING, HELMUT: Die Ethik Frauenlobs (Heinrichs von Meißen), Halle 1926. Spruchdichtung

und H e i m a t f r a g e

von

der

Vogelweide, Schiernschriften, Bd. 90, Innsbruck 1952. — Walthers Scheiden aus Österreich, ZfdA 86 (1955/56), S. 215—230. KLEINSTÜCK, JOHANNES: Zur Auffassung des Todes im Mittelalter, D V j S 28 (1954), S. 40—60. KOLB, HERBERT: Der Begriff der Minne und das Entstehen der höfischen Lyrik, Hermaea, N . F., Bd. 4, Tübingen 1958. KRACHER, ALFRED: Beiträge zur Walther-Kritik, PBB 78 (1956), S. 194—225. KRALIK, DIETRICH: Die Elegie Walthers von der Vogelweide, Sitzungsber. d. österr. Ak. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., 228. Bd., 1. Abh., Wien 1952. KRAUS, CARL VON: Die Lieder Reimars des Alten, Abh. d. Bayer. Ak. d. Wiss., Phil.-philol. u. hist. KL, X X X . Bd., Teile I—III, München 1919. — Walther von der Vogelweide, Untersuchungen, Berlin und Leipzig 1935. KRAYER, RUDOLF: Der smit von oberlande. Motivgeschichtlicher Versuch zu Frauenlobs Marienieich II 1—5, Annali Istituto Universitario Orientale, Sezione Germanica, Vol. II, S. 51—81, Neapel 1959. — Frauenlob und die Natur-Allegorese, Germ. Bibliothek, 3. Reihe, Heidelberg 1960. KRETSCHMANN, HERBERT: Der Stil Frauenlobs, Jena 1933. KRÖN, JOSEPH: Frauenlobs Gelehrsamkeit. Beiträge zu seinem Verständnis, Diss. Straßburg 1906. KUHN, HUGO: W a l t h e r s Kreuzzugslied ( 1 4 , 3 8 ) und Preislied (56,14), Diss. T ü b i n -

gen 1 9 3 5 . — Minnesangs Wende, Hermaea, N. F., Bd. 1, Tübingen 1952. — Walther von der Vogelweide: „Muget ir sdiouwen", in: Wege zum Gedicht, hrsg. von Rupert Hirschenauer und Albredit Weber, München und Zürich 1956, S. 54—63. LANG, MARGARETE: Der Minnesinger Frauenlob, Mainzer Druck Nr. 4, Mainz 1951. LÜTCKE, HEINRICH: Studien zur Philosophie der Meistersänger, Palaestra, Bd. 107, Berlin 1911.

332

MACKENSEN, LUTZ: ZU Walthers Spießbratenspruch, in: Festschrift für Friedrich Panzer, Heidelberg 1950, S. 48—58. MAURER, FRIEDRICH: D a s r i t t e r l i c h e T u g e n d s y s t e m , D V j S 2 3 ( 1 9 4 9 ) , S.

274—285.

— Zum ritterlichen „Tugendsystem", DVjS 24 (1950), S. 526—529. — Leid. Studien zur Bedeutungs- und Problemgeschichte, besonders in den großen Epen der staufischen Zeit, Bibliotheca Germanica, Bd. 1, Bern 1951. — Die politischen Lieder Walthers von der Vogelweide, Tübingen 1954. — Zu den religiösen Liedern Walthers von der Vogelweide, Euphorion 49 (1955), S. 29—49. MEYER, HERMAN: Vom Leben der Strophe in neuerer deutscher Lyrik, DVjS 25 (1951), S. 436—473. (Neu abgedruckt in: Zarte Empirie. Studien zur Literaturgeschichte, Stuttgart 1963, S. 113—159.) MOHR, WOLFGANG: Wolframs Tagelieder, in: Festschrift für Paul Kludkhohn und Hermann Schneider, Tübingen 1948, S. 148—165. — Zur Form des mittelalterlichen deutschen Strophenliedes, Deutsdiunterr. 5 (1953), H. 2, S. 62—82. (Neu abgedruckt in: Der deutsche Minnesang, Aufsätze zu seiner Erforschung, hrsg. von Hans Fromm, unveränderter Abdruck der Ausg. von 1961, Darmstadt 1963, S. 229—254.) — Minnesang als Gesellschaftskunst, Deutsdiunterr. 6 (1954), H. 5, S. 83—107. (Neu abgedruckt in: Der deutsche Minnesang, Aufsätze zu seiner Erforschung, hrsg. von Hans Fromm, unveränderter Abdruck der Ausg. von 1961, Darmstadt 1963, S. 197—228.) — Der „Reichston" Walthers von der Vogelweide, Deutsdiunterr. 5 (1953), H. 6, S. 45—56. — Zu Walthers „Hofweise" und „Feinem Ton", ZfdA 85 (1954), S. 38—43. — Wolfram von Eschenbach „Ursprinc bluomen", in: Die deutsche Lyrik, Bd. I, hrsg. von Benno von Wiese, Düsseldorf 1957, S. 78—89. — „Syntaktisches Werbe- und Liebesspiel". Zu einem sprachlichen Kunstgriff in mittelalterlicher Lyrik und Epik, PBB 81 (1959), S. 161—175. — Vortragsform und Form als Symbol im mittelalterlichen Liede, in: Festschrift für Ulrich Pretzel, Berlin 1963, S. 128—138. MORDHORST, OTTO: Egen von Bamberg und die „geblümte Rede", Berliner Beitr. z. germ. u. rom. Phil., Bd. 43, Germ. Abt. 30, Berlin 1911. MOSER, HUGO: Dichtung und Wirklichkeit im Hochmittelalter, Wirk. Wort 5 ( 1 9 5 4 / 5 5 ) , S. 7 9 — 9 1 .

— Minnesang und Spruchdichtung? Euph. 50 (1956), S. 370—387. — „Sprüche" oder „politische Lieder" Walthers? Euph. 52 (1958), S. 229—246. MÜLLER, GÜNTHER: F o r m p r o b l e m e des M i n n e s a n g s , D V j S 1 ( 1 9 2 3 ) , S. 6 1 — 1 0 3 .

— Gradualismus. Eine Vorstudie zur altdeutschen Literaturgeschichte, DVjS 2 (1924), S. 681—720. — Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, Handbuch der Literaturwissenschaft, Potsdam o. J . (1927). MUNDHENK, ALFRED: W a l t h e r s S e l b s t b e w u ß t s e i n , D V j S 3 7 ( 1 9 6 3 ) , S . 4 0 6 — 4 3 8 .

NAGEL, BERT: Das Stoff-Form-Problem des frühen Meistersangs, DVjS 17 (1939), S.

343—370.

— Der Bildausdruck der Meistersinger, ZfdPh 65 (1940), S. 34—50. — Der deutsche Meistersang. Poetische Technik, musikalische Form und Sprachgestaltung der Meistersinger, Heidelberg 1952. NAUMANN, HANS: Walther von der Vogelweide, ZfDtschkde 1930, S. 305—316. — Ein Meister las, troum unde spiegelglas, Dichtg. u. Volkst. 43 (1943), S. 220 bis 224.

333

— und GÜNTHER MÜLLER: Höfische Kultur, Buchreihe der Deutschen Viertel jahrssdirift, Bd. 17, Halle 1929. NEUMANN, EDUARD: Zum „ritterlichen Tugendsystem", Wirk. Wort 1, Sonderheft (1953), S. 49—61. NEUMANN, FRIEDRICH: Hohe Minne, ZfDtschkde 39 (1925), S. 81—91. (Neu abgedruckt in: Der deutsche Minnesang, hrsg. von Hans Fromm, unveränderter Abdruck der Ausg. von 1961, Darmstadt 1963, S. 180—196.) — Der Minnesänger Walther von der Vogelweide, Deutschunterr. 5 (1953), H. 2, S. 43—61. — Walther von der Vogelweide „Nemt, frouwe, disen kränz!", in: Die deutsche Lyrik, Bd. I, hrsg. von Benno von Wiese, Düsseldorf 1957, S. 62—70. — Walther von der Vogelweide „Under der linden", ebd. S. 71—77. PETER, BRUNHILDE: Die theologisch-philosophische Gedankenwelt des Heinrich Frauenlob, Speyer 1957. PFANNMÜLLER, LUDWIG: Frauenlobs Begräbnis, PBB 38 (1913), S. 548—559. — Frauenlobs Marienieich, Quellen und Forschungen 120, Straßburg 1913. PLENIO, K U R T : B a u s t e i n e z u r altdeutschen S t r o p h i k , P B B 4 2 ( 1 9 1 7 ) , S. 4 1 1 — 5 0 2 ,

und PBB 43 (1918), S. 56—99. REHM, WALTHER: Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik. Buchreihe der Deutschen Vierteljahrsschrift, Bd. 14, Halle 1928. Die Gedichte Reinmars von Zweier, hrsg. von GUSTAV ROETHE, Leipzig 1887. ROSENFELD, HELLMUT: Der mittelalterliche Totentanz. Entstehung — Entwicklung — Bedeutung. Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, H. 3, Münster und Köln 1954. RUCK, ROTRAUT: Walther von der Vogelweide. Der künstlerische Gedankenaufbau, Basel 1954. RUMMEL, ALOIS: Manieristische Dichtung im dreizehnten und neunzehnten Jahrhundert. Ein Vergleich dargestellt an Frauenlob und Rilke, Masch. Diss. Tübingen 1950. SAECHTIG, OSKAR: Uber die Bilder und Vergleiche in den Sprüchen und Liedern Heinrichs von Meißen genannt Frauenlob, Diss. Marburg 1930. SCHIRMER, KARL-HEINZ: Die Strophik Walthers von der Vogelweide, Halle 1956. — Zum Aufbau des hochmittelalterlichen deutschen Strophenlieds, Deutschunterr. 11 (1959), H. 2, S. 35—59. SCHNEIDER, H E R M A N N : D r e i W a l t h e r l i e d e r , Z f d A 7 3 ( 1 9 3 6 ) , S .

165—174.

SCHNEIDER, LUDWIG: Die Naturdichtung des deutschen Minnesangs, Neue deutsche Forschungen, Bd. 6, Berlin 1938. SCHRÖBLER, INGEBORG: Von den Grenzen des Verstehens mittelalterlicher Dichtung, G R M 44 (1963), S. 1—14. SCHRÖDER, FRANZ ROLF: D e r M i n n e s a n g I, G R M 2 1 ( 1 9 3 3 ) , S. 1 6 1 — 1 8 7 .

— Der Minnesang II, G R M 21 (1933), S. 257—290. SCHULZ, WALTER: Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, Pfullingen 1957. SCHUMACHER, THEO: Walthers zweiter Spruch im Reichston, DVjS 36 (1962), S.

179—189.

SCHWEIKLE, GÜNTHER: Minne und Maze, DVjS 37 (1963), S. 498—528. SCHWIETERING, JULIUS: Die deutsche Dichtung des Mittelalters, Handbuch der Literaturwissenschaft, Potsdam o. J. (1932). SIEBERT, JOHANNES: Die Astronomie in den Gedichten des Kanzlers und Frauenlobs, ZfdA 75 (1938), S. 1—23. — Der Spruch Frauenlobs von der Astronomie, ZfdA 83 (1951/52), S. 185—188. SINGER, SAMUEL: Die religiöse Lyrik des Mittelalters, Bern 1933.

334

STACKMANN, KARL: Der Sprudididiter Heinridi von Mügeln, Heidelberg 1958. STAIGER, EMIL: Grundbegriffe der Poetik, 3. Aufl. Zürich 1956. STAMMLER, WOLFGANG: Die Wurzeln des Meistergesangs, DVjS 1 (1923), S. 529—556. - Die bürgerliche Dichtung des Spätmittelalters, ZfdPh 53 (1928), S. 1—24. STRICH, FRITZ: Deutsche Klassik und Romantik, 4. Aufl. Bern 1949. THALMANN, MARIANNE: Romantik und Manierismus, Stuttgart 1963. THOMAS, HELMUTH: Untersuchungen zur Überlieferung der Sprudididitung Frauenlobs, Palaestra 217, Leipzig 1939. WAGEMANN, FRIEDRICH: Die Religiosität Walthers von der Vogelweide, Diss. Heidelberg 1938. WAHNSCHAFFE, FRIEDRICH: Die syntaktische Bedeutung des mittelhochdeutschen Enjambements, Palaestra 132, Berlin 1919. WAPNEWSKI, PETER: Walthers Lied von der Traumliebe (74,20) und die deutschsprachige Pastourelle, Euph. 51 (1957), S. 113—150. WEIGAND, HERMANN J . :

Die

epischen

Zeitverhältnisse

in

den

Graldichtungen

Chrestiens und Wolframs, PMLA 53 (1938), S. 917—950. WIEGAND, JULIUS: Zur lyrischen Kunst Walthers, Klopstocks und Goethes, Tübingen 1956. WITTLINGER, ERNST C.: Die Satzführung im deutschen Sonett vom Barock bis zu Rilke. Untersuchungen zur Sonettstruktur, Masch. Diss. Tübingen 1956. WOLFF, LUDWIG: Von der lyrischen Bedeutung der Strophenform bei Walther von der Vogelweide, Neuphil. Mitt. 53 (1952), S. 338—361. ZITZMANN, RUDOLF: Der Ordo-Gedanke des mittelalterlichen Weltbildes und Walthers Sprüche im ersten Reichston, DVjS 25 (1951), S. 40—53.

335