Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im Steuerstrafrecht [1 ed.] 9783428477944, 9783428077946

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Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im Steuerstrafrecht [1 ed.]
 9783428477944, 9783428077946

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JOCHEN BACHMANN

Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen. Strafrecht und im Steuerstrafrecht

Schriften zum Strafrecht Heft 95

Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im Steuerstrafrecht Von Jochen Bachmann

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Bachmann, Jochen:

Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im Steuerstrafrecht / von Jochen Bachmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Strafrecht; H. 95) Zug!.: Kiel, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07794-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-07794-6

Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 1992/93 von der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel als Dissertation angenommen. Das Manuskript habe ich im Mai 1992 abgeschlossen. Bis November 1992 erschienene Rechtsprechung und Literatur konnten noch in den Anmerkungen berücksichtigt werden. Besonders danken möchte ich meinem akademischen Lehrer, Professor Dr. Erich Samson. Er hat mich seit den letzten Jahren des Studiums besonders betreut und gefördert. Es würde mich freuen, wenn sein Vorbild in der Arbeit erkennbar wäre. Zu Dank verpflichtet bin ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Umweltschutz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht der Universität Kiel. Sie haben nicht nur durch Diskussionen, sondern auch durch Freundschaft zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Dieser Dank gilt vor allem Britta Gustafsson, die das Manuskript sehr sorgfältig und kritisch gelesen hat. Kiel, im Dezember 1992

Jochen Bachmann

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Teil Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht

13

17

A. Begriffliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Die Bedeutung des Rechtsguts für das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . ..

17

11. Der Begriff der Nonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

18

III. Der Begriff des nonnativen Tatbestandsmerkmals . . . . . . . . . . . . . .

20

IV. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

23

1. Das Auseinanderfallen von Blankettnonn und Ausfüllungsnonn ....

23

I.

2. Das Auseinanderfallen von strafgesetzsetzender und blankettausfüllender Instanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 24 3. Die Bedeutung der Abgrenzung der Blankettmerkmale von den Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

a. Die Bedeutung der Abgrenzung für den objektiven Tatbestand ..

25

b. Die Bedeutung der Abgrenzung für die Irrtumsproblematik ....

26

c. Die Bedeutung der Abgrenzung im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG und § 2 Abs. 4 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4. Die Abgrenzung im Hinblick auf die Irrtumsproblematik

28

a. Abgrenzungsfonneln der herrschenden Meinung ....

28

b. Weiterführung dieser Fonneln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

30

B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

34

Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale . . . . . ..

34

1. Vorsatz und Bedeutungskenntnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

35

I.

8

Inhaltsverzeichnis

a. Die Parallelbeurteilung in der Laiensphäre

36

b. Die Reduktion des Vorsatzes auf Tatsachenkenntnis: Kindhäuser und Dopslaff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 39 (1) Kindhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

40

(2) Dopslaff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

42

2. Vorsatz und Tatsachenkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

43

3. Vorsatz und Unrechtsbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

46

4. Vorsatz und Subsumtionsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

47

5. Vorsatz und Rechtsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

a. Kuhlens Unterscheidung von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

49

(1) Die Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum . . . . . . . . . .

50

(2) Die Unterscheidung von strafrechtlichem und außerstrafrecht-

c.

lichem Rechtsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

57

b. Der Rechtsirrtum im Vorfeld des Tatbestandes: Blei und Herzberg

64

c. Hafts Unterscheidung zwischen gegenstandsbezogenem und begriffsbezogenem Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

d. Zusammenfassung

68

11. Der Vorsatz bezüglich der Blankettausfüllungsnormen . . . . . . . . . . ..

69

Der umgekehrte Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

73

Der Umkehrschluß als formales Argument in der Diskussion um den Irrtum zuungunsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

1. Der logische Gehalt des Umkehrschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

2. Die Reichweite des Umkehrschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

3. Die Anwendung des Umkehrschlusses auf § 16 StGB . . . . . . . . . .

78

a. Die Argumentation des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . ..

79

b. Spendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

c. Sax. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

84

d. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

86

I.

Inhaltsverzeichnis

11. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

9 89

1. Umkehrprinzip und Tatirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

91

2. Umkehrprinzip und Rechtsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

91

a. Die strikte Anwendung des Umkehrprinzips . . . . . . . . . . . . . .

94

b. Die Ablehnung des Umkehrprinzips beim Rechtsirrtum . . . . . . ..

95

(1) Burkhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

97

(2) Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

100

(3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

101

c. Differenzierende Lösungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107 (1) Schlüchters Argument der mangelhaften Sachverhaltssicht . . .. 107 (2) Das Argument der "sozialen Erfahrungsbeziehung" - Probst.. 111 (3) Heidingsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

114

(a) Die Unterscheidung zwischen normbereichsbestimmenden und normbereichsneutralen Vorfeldnormen . . . . . . . . . . . . . 114 (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

118

d. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

123

III. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Der Begriff des Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

2. Der Strafgrund des Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127 a. Objektive Versuchstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b. Die subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c. Vermittelnde Auffassungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 130 (1) Die dualistische Theorie ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 130 (2) Die Eindruckstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131 (3) Die Kritik an der Eindruckstheorie durch Zaczyk und seine interpersonale Versuchstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (4) Kritik und ModifIzierung der Eindruckstheorie . . . . . . . . . . 137 3. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs. . . . . . . . . . . . . . . .. 138

10

Inhaltsveneichnis

a. Die Untauglichkeit des Subjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 138 b. Der absolut untaugliche Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Folgerungen für den umgekehrten Rechtsirrtum . . . . . . . . . . . . .. 141 5. Die Vereinbarkeit der Lösung mit den §§ 22, 23 StGB . . . . . . . . . 142 D. Ergebnisse des ersten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

2. Teil

Vorsatz und Recbtsirrtum im Steuerstrafrecbt

145

A. Die Entwicklung der Irrtumslehre bei der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . 145 I.

Die Entwicklung vor Einführung der RAO . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145

11. Die Entwicklung nach Einführung der RAO . . . . . . . . . . . . . . . . .. 147 1. Die Irrtumsregelungen der RAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 148 3. Der Meinungsstand in der älteren Literatur. . . . . . . . . . . . . . . .. 149 4. Die Rechtsprechung nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 150 B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . 151 I.

Der objektive Tatbestand des § 370 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Das Rechtsgut der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

2. Die Merkmale des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

. . . . . . . . . . . . . . . . 154

a. Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen . . . . . . . . . . . . . 154 (1) Der Begriff der Tatsache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 154 (2) Steuerlich erhebliche Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 155 b. Die Steuerverkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

156

11. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Welzels Begründung der Steueranspruchstheorie . . . . . . . . . . . . .. 160

2. In der Literatur erhobene Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 160 a. Warda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

Inhaltsverzeichnis

11

b. Maiwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

163

c. Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

164

d. Meyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

165

3. Die Blanketteigenschaft des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . .. 167 a. Die formelle Blanketteigenschaft des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO .... 167 b. Die materielle Blanketteigenschaft des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . 168 (1) Das Merkmal der "steuerlichen Erheblichkeit" als Blankettbegriff 168 (2) Das Merkmal "Steuerverkürzung" als Blankettbegriff . . . . . .. 169 (3) Andere Anknüpfungspunkte der Blanketteigenschaft . . . . . . . 172 (4) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

173

4. Schlußfolgerungen ffir den subjektiven Tatbestand . . . . . . . . . . . . 173 a. Verkürzungsvorsatz und Anspruchskenntnis . . . . . . . . . . . . . .. 173 b. Die Steuerverkürzung als Rechtspflichtmerkmal .. . . . . . . . . .. 175 c. Verkürzungsvorsatz und Tatsachenkenntnis . . . . . . . . . . . . . .. 177 d. Steueranspruchstheorie und Kompensationsverbot . . . . . . . . . .. 178 e. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

180

III. Der Verbotsirrtum im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . 181 IV. Der umgekehrte Irrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . .. 182 C. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ..... 186 I.

Die Unterscheidung von Handeln und Unterlassen bei § 370 Abs. 1 AO. 186 1. Lütts normlogische Bedenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

187

2. Das Machen unvollständiger Angaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 189 3. Das Machen unrichtiger Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a. Unrichtige Angaben über steueranspruchsbegrundendeTatsachen .. 189 b. Unrichtige Angaben über steuermindemde Tatsachen. . . . . . . .. 190 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

193

11. Vorsatz und Rechtsirrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . .. 194

12

Inhaltsverzeichnis III. Der umgekehrte Irrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196 196

2. Die Entscheidung des Kammergerichts vom 9. September 1981 .... 197 D. Der Bannbruch. § 372 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I.

199

Der Tatbestand des § 372 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

11. Vorsatz und Rechtsirrtum bei § 372 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 E. Ergebnisse des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 202

Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

204

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

205

Einführung Die Behandlung des Irrtums im Strafrecht ist auch nach der Grundsatzentscheidung des BGH vom 18. März 1952 1 und der Neuregelung der §§ 16, 17 StGB umstritten geblieben. Die "herrschende Meinung" stimmt zwar weitgehend darin überein, das Unrechtsbewußtsein vom Vorsatz zu unterscheiden und daher vom Vorsatztäter nur die Kenntnis der Tatumstände und, bei den sog. normativen Tatbestandsmerkmalen, zusätzlich eine "Parallelwertung in der Laiensphäre" zu verlangen. Allerdings bestehen erhebliche Differenzen bei der Bestimmung des "Normativen" der normativen Tatbestandsmerkmale. Daher wird auch die Frage, worauf sich der Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen zu beziehen habe, letztlich uneinheitlich beantwortet. Dieselbe Streitfrage eröffnet sich beim Irrtum zuungunsten des Täters, wenn es gilt, den Versuch vom Wahndelikt zu unterscheiden. Gilt hier ein Umkehrprinzip, so daß der "umgekehrte Tatumstandsirrtum" stets einen strafbaren Versuch begründet? Der Überblick über das Meinungsbild wird durch unterschiedliche Herangehensweisen, zum Teil aber auch durch terminologische Unklarheiten erschwert. So wurde zwar mit der Hinwendung des BGH zur Schuldtheorie der Untergang der reichsgerichtlichen Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum proklamiert. Doch erlebt diese Rechtsprechung des Reichsgerichts heute eine Renaissance: Kuhlen behauptet, die Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum stelle in Wahrheit eine Fortführung der reichsgerichtlichen Jurisprudenz dar. 2 Während die Differenzen beim "einfachen Irrtum" vor allem in der Begriffsverwendung und in der dogmatischen Begründung, kaum aber in den Ergebnissen feststellbar sind, gehen die Auffassungen beim umgekehrten Irrtum weit auseinander. Insbesondere Burkhardt wendet sich gegen ein Umkehrverhältnis von Tatbestands- und Verbotsirrtum einerseits, Versuch und Wahndelikt andererseits, da nach seiner Ansicht ein Rechtsirrtum niemals zum Versuch

1

BGHSt 2, 194.

2 Kuhlen (1987), S. 147 Cf., 157 Cf.

14

Einführung

führen kann. 3 Ihm sind einige gefolgt, wobei allerdings Streit darüber besteht, ob in diesen Fällen der Versuchsvorsatz fehle, der objektive Tatbestand nicht erfüllt oder nur die Strafbarkeit des Versuchs nicht gegeben sei. Diese allgemeinstrafrechtlichen Probleme führen zu um so größerer Unsicherheit, wenn sie in einem Bereich bedeutsam werden, in dem die Anwendung des Allgemeinen Teils des StGB ohnehin problematisch ist. Dies ist im Steuerstrafrecht aus zwei Gründen der Fall. Zum einen wirkt auch heute, nachdem gemäß § 369 AO der Allgemeine Teil des StGB im Steuerstrafrecht anzuwenden ist, eine vom Kernstrafrecht abweichende Dogmatik immer noch fort. So werden Grundsätze, die für ältere Steuergesetze mit einer speziellen Irrtumsregelung entwickelt wurden, aufrechterhalten, obwohl diese Irrtumsregelungen mit der allgemeinen Akzeptanz der Schuldtheorie gegenstandslos geworden sind. Schließlich ist es bemerkenswert, wenn in einem grundlegenden und anerkannten Steuerstrafrechtskommentar der Vorsatz nach wie vor als Teil der Schuld kommentiert4 oder der Irrtum über die Garantenpflicht bei der Steuerhinterziehung ohne jede Begründung bewußt anders als im Kernstrafrecht behandelt wird5• Allerdings wirft die Anwendung des § 370 AO selbst unter Beachtung der allgemeinstrafrechtlichen Dogmatik Probleme auf. Dabei geht es vor allem um die Behandlung des Merkmals "Steuerverkürzung " . Obwohl ganz überwiegend als Blankettbegriffbezeichnet, wollen es Rechtsprechung und h. L. in Vorsatzund Irrtumsfragen als normatives Tatbestandsmerkmal behandeln. Hier besteht also entweder Unsicherheit über den Begriff des Blankettstrafgesetzes oder aber eine bewußte Abweichung von der im Kernstrafrecht herrschenden Dogmatik. In Frage steht dabei das Sachproblem, ob der Steueranspruch oder aber die diesen begründenden tatsächlichen Umstände Gegenstand des Hinterziehungsvorsatzes sind. Weitere Besonderheiten bestehen bei der Abgrenzung der Steuerhinterziehung durch Handeln von derjenigen durch Unterlassen. Lütt stellt die These auf, daß die Steuerhinterziehung nur durch Unterlassen begehbar sei, 6 was selbstverständlich Konsequenzen für den subjektiven Tatbestand hätte.

3

Burkhardt, JZ 1981,681 ff.

4 Kohlmann § 370

Rn. 201.

5 Kohlmann § 370 Rn. 228.

6 Lütt (1988), S. 46 ff.

Einführung

15

Da diese steuerstrafrechtlichen Probleme nur gelöst werden können, wenn zuvor geklärt ist, welche allgemeinen Grundsätze anzuwenden sind, wurden die Erörterungen zur allgemeinen Vorsatz- und Irrtumsproblematik dem steuerstrafrechtlichen Teil geschlossen vorangestellt. Dabei ergibt sich, daß alle Fragen der Einordnung und Behandlung von Irrtümern in erster Linie die Frage betreffen, wie sich der Irrtum auf den Vorsatz des Täters auswirkt. Den Kern der Untersuchung im ersten Teil bildet also die Erörterung des Vorsatzgegenstandes. Da sich der Vorsatz auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes zu beziehen hat, bedarf es jedoch zunächst der Klärung, welche Merkmale zum Tatbestand des Gesetzes gehören. Es ist dies die Frage nach der Abgrenzung des Tatbestandsmerkmals vom Blankettbegriff, des Vollstrafgesetzes vom Blankettstrafgesetz. Der Untersuchung über den Vorsatz und der damit verbundenen Einordnung von Irrtümern als vorsatzausschließend bzw. vorsatzirrelevant folgt eine Erörterung, welche Fehlvorstellungen den Vorsatz begründen können. Es handelt sich um die Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt sowie um die Prüfung der Stratbarkeit und Strafwürdigkeit des untauglichen Versuchs. Mit den Ergebnissen des ersten Teils ist ein Fundament für die Hinwendung zu den steuerstrafrechtlichen Problemen geschaffen: Schwerpunkt dieses zweiten Abschnitts bildet, nach einem Überblick über die Entwicklung der steuerstrafrechtlichen Irrtumslehre und einer Einführung in den objektiven Tatbestand des § 370 AO, die Untersuchung der Blanketteigenschaft dieser Vorschrift und der Konsequenzen für die Behandlung des Irrtums über den Steueranspruch. Die Behandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit der These Lütts, § 370 AO sei ein reines Unterlassungsdelikt. Anschließend gilt es, die Anforderungen an den Vorsatz in Bezug auf die Steuer- und Steuererklärungspflicht zu klären. Auch bei der Anwendung des Bannbruchs gemäß § 372 AO ergeben sich Widersprüche zwischen der Behandlung von Irrtümern und der allgemeinen Irrtumsdogmatik. Erforderlich ist also eine Untersuchung der Struktur des Tatbestandes und die Anwendung der im allgemeinen Teil erarbeiteten Grundsätze.

16

Einführung

Der Gegenstand des Vorsatzes wird also umfassend untersucht. Demgegenüber werden die Vorsatzformen nicht behandelt. Insofern wird nachfolgend beim Irrtum zugunsten Unkenntnis, beim Irrtum zuungunsten positive FehIvorstellung unterstellt. Es bleiben also das Problemfeld des dolus eventualis und damit vor allem zwei Punkte ausgegrenzt, die jeweils einer eigenständigen Untersuchung bedürfen: Im Allgemeinen Strafrecht ergibt sich das Problem, ob ein Versuch schon immer dann vorliegt, wenn der Täter den Eintritt der tatbestandsmäßigen Situation nur für möglich hält. Dieses Problem wird verschärft, wenn einem Rechtsirrtum auch bei unklarer Rechtslage vorsatzbegrüDdende Kraft beigemessen wird. Dies hätte eine erhebliche Weite der Versuchsstratbarkeit zur Folge. Auch dies spricht für die wachsende Meinung, die - vor allem wegen der Probleme beim Rücktritt vom Versuch - eine Beschränkung des Versuchs auf direkt vorsätzliches Verhalten befürwortet. 7 In erhöhtem Maße gilt dies im Steuerstrafrecht, ist doch das Steuerrecht weitgehend von rechtlicher Unsicherheit geprägt. Allerdings geben diese Unsicherheiten - man denke nur an die Anwendung der Umgehungsvorschrift des § 42 AO - Anlaß zu der Überlegung, im Rahmen des § 370 AO grundsätzlich dolus directus zu verlangen. 8

7 Bauer, wistra 1991, 168 fT.; Henberg, JZ 1989,478; ders., NStZ 1990,314 fT.; Puppe, NStZ 1984,491; Schmidhäuser, AT (1975), 15/25; Streng, JZ 1990,219 f.; weitere Nachw. bei Puppe a.a.O. Fn. 18; ablehnend Jakobs, ZStW 104 [1992], 96.

8 Vgl. zur Beschränkung des dolus eventualis bei § 370 AO Mielicke, BB 1984, 1887; kritisch auch Samson F/G/S § 370 Rn. 1898.

1. Teil

Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht A. Begrimiche Grundlagen J. Die Bedeutung des Rechtsguts für das Strafrecht Jede Erörterung dogmatischer Fragen des Strafrechts hat sich an dessen Sinn zu orientieren. Das Strafrecht hat die Aufgabe, die soziale Ordnung, die Geltung der unserer Gesellschaft zugrundeliegenden Normen zu garantieren. Diese Normen haben die Funktion, das friedliche Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Die Gemeinschaftsmitglieder manifestieren in ihnen die Übereinkunft darüber, in welcher Weise die Freiheiten der Individuen in für die Mitmenschen zumutbarer Weise gelebt werden können. Das Strafrecht dient dem Schutz dieses Zusammenlebens in der Gemeinschaft, nämlich dem Schutz der Freiheiten des Einzelnen in der Gemeinschaft. Die individuellen Freiheiten konstituieren sich durch ihre gesellschaftliche Anerkennung als Rechtsgüter .1 Der Einzelne hat den Anspruch, daß seine Rechtsgüter vom Mitmenschen respektiert werden. Die Aufgabe der rechtlichen Ordnung ist es, diesen Geltungsanspruch der Rechtsgüter zu schützen. Damit steht auch das Strafrecht vor der Aufgabe, Rechtsgüter zu schützen. 2 Das Strafrecht schützt die Rechtsgüter jedoch nicht gegen jede Beeinträchtigung. Deren Achtungsanspruch wird nämlich nicht etwa durch eine zerstörerische Naturgewalt verletzt. Ebensowenig verbietet das Strafrecht die Gefähr-

1 Zum philosophischen Nachweis dieser Konstitution der Freiheit bei Kant und Fichte vgl. Zaczyk (1989), S. 128 ff.

2 Hassemer AKRn. 252 vor § 1; Jescheck (1988), S. 6; Anhur Kaufinann. Unrechtsbewußtsein (1949), S. 119; Maurachl7ipj. AT/I (1992), § 19 Rn. 4; Rudolphi SK Rn. 2 vor § 1; ders., Maurach-FS (1972), S. 60 ff.; Sch/SchrlLencknerRn. 10 vor § 13; Wolter (1981), S. 24; ähnlich Amelung (1972), S. 330 ff.; kritisch Jakobs. AT (1991),2/7 ff., zu Jakobs noch unten, S. 100 f. 2 BachmaM

18

1. Teil, A. Begriffliche Grundlagen

dung oder Verletzung durch Menschen an sich. 3 Vielmehr knüpft es an zurechenbares menschliches Verhalten an, das gegen die Regeln friedlichen Zusammenlebens verstößt. Damit gerät der Begriff der Norm zu einem Zentralbegriff des Strafrechts.

11. Der Begriff der Nonn Der Begriff der Norm wird mehrdeutig verwendet. Teilweise wird damit ein Gesetz im formellen Sinne, d. h. im Sinne eines geschriebenen Rechtssatzes, bezeichnet. Die Bedeutung eines Gesetzes liegt jedoch nicht schon in der Tatsache, daß es einen Rechtssatz manifestiert. Die eigentliche Bedeutung liegt in dem Rechtssatz selbst. Daher ist beim Gesetzesbegriff zwischen der Regelung und der Verkörperung dieser Regelung zu unterscheiden. Als Gesetz im formellen Sinne verstanden, erfaßt der Begriff der Norm also auch den Rechtssatz, der in dem geschriebenen Gesetz verkörpert ist. Im Strafrecht wird der Begriff der Norm aber zumeist im Sinne einer Verhaltensregel verwendet. Dabei ist zu bedenken, daß nicht jedes Gesetz auch eine Verhaltensregel enthält. Eine solche fehlt zum Beispiel Kompetenznormen, die Rechte verleihen, ohne damit Verhaltensregeln zu verbinden. Daher stellen nicht alle Gesetze auch Normen in diesem Sinne dar. Handelt der Täter einem Strafgesetz zuwider, dann verletzt er nicht dieses Gesetz, sondern er erfüllt dessen Tatbestand. Verletzt wird vielmehr der dem Gesetz zugrundeliegende Rechtssatz, der ein Sollensurteil ausdrückt. 1 Diesen Rechtssatz nennt Binding "Norm". Norm ist danach ein Rechtssatz, der den Normadressaten zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet. 2 Das Strafgesetz richtet sich an verschiedene Adressaten. Die Formulierung "Wer einen Menschen tötet, wird bestraft" enthält eine Verpflichtung, den Täter zu bestrafen. Dieser Teil des Strafgesetzes richtet sich nicht an den Täter, sondern an den Richter, den es zur Sanktionierung des tatbestandsmäßigen Verhaltens verpflichtet. Dieses im Strafgesetz enthaltene Sollensurteil,

3

Annin Kaufmann, Nonnentheorie (1954), S. 105 ff.; Wolter (1981), S. 25.

t

Binding, Nonnen Bd. 1 (1922), S. 4 ff.

2 Vgl. Binding, Nonnen Bd. 1 (1922), S. 7; Annin Kaufmann, Nonnentheorie (1954), S. 54 f.

n. Der Begriff der Norm

19

die Sanktionsnorm, betrifft den Täter also nur mittelbar und kommt erst nach dem entsprechenden Verhalten zur Geltung. Damit ist die Sanktionsnorm zur Beeinfluss,ung des Täters vor dem Geschehen ungeeignet. Dennoch wird dem Täter ein Normverstoß vorgeworfen. Er hat nämlich eine Verhaltensregel verletzt, die der Sanktionsnorm vorgelagert ist. Der Erlaß einer Sanktionsnorm setzt nämlich die Wertung voraus, daß das zu sanktionierende Verhalten verboten ist. Der Sanktionsnorm des § 212 StGB liegt das Sollensurteil "Du sollst nicht töten" zugrunde. Diese Norm richtet sich an das Individuum, sie ist es, die das Individuum verpflichtet, den Tatbestand des Gesetzes nicht zu velWirklichen. Diese Bestimmungsnorm richtet sich also an jedermann mit dem Ziel, seinen Willen zu beeinflussen. 3 Der Verstoß gegen die Bestimmungsnorm wird durch das Strafgesetz als sozial unerwünscht bewertet - es enthält damit zugleich eine Bewertungsnorm -, und deshalb der Sanktion untelWorfen. Ein Verhalten kann aber nur dann negativ bewertet werden, wenn wirklich ein Verstoß gegen die Bestimmungsnorm vorliegt. Ein vOlWerfbarer Verstoß gegen einen Befehl setzt jedoch voraus, daß das Verhalten steuerbar ist. Daher erfaßt Weizei als strafrechtlich relevantes Verhalten nur zweckgerichtete Handlungen, also Handlungen, bei deren Vornahme der Täter in der Lage war, sich an dem Normbefehl zu orientieren. 4 Die Bestimmungsnorm richtet sich somit nicht gegen "blinde"5 Kausalprozesse, sondern nur gegen final steuerbare Handlungen: "[Das Recht] kann nicht gebieten, ursächlich zu werden, sondern nur verbieten, willentlich zu handeln, [mal zu handeln. "6 Demzufolge ist die finale Handlung, die gegen die Bestimmungsnorm verstößt, Grundlage der Strafbarkeit. Dadurch gerät die Bestimmungsnorm zum Maßstab der strafrechtlichen Bewertung des Verhaltens.

3 Annin Kaufmann, Normentheorie (1954), S. 123 ff.; Sch/SchrlLenckner Rn. 49 vor § 13 m.w. Nachw. 4

Welzel (1969), S. 3 ff.

s Welzel (1969), S. 3. 6 Annin Kaufmann, Strafrechtsdogmatik (1982), S. 18 (Hervorhebung im Original); ebenso Welzel (1969), S. 37. 2·

20

I. Teil, A. Begriffliche Grundlagen

m. Der Begriff des nonnativen Tatbestandsmerkmals Üblicherweise werden normative Tatbestandsmerkmale von deskriptiven Tatbestandsmerkmalen unterschieden. Vom Wortsinn ausgehend, versteht man herkömmlich unter deskriptiven Tatbestandsmerkmalen solche, die sinnlich wahrnehmbare Umstände beschreiben, so daß das Vorliegen dieser Umstände kognitiv festgestellt werden kann. Demgegenüber soll das Vorliegen normativer Tatbestandsmerkmale eine Wertung verlangen, die rechtlicher (z. B. beim Merkmal "fremd" im Rahmen der Eigentumsdelikte) oder kultureller (z. B. beim Merkmal "pornographisch" in § 184 StGB) Art sein kann} Gegen diese Unterscheidung werden jedoch Einwände erhoben. Zunächst könnten dadurch, daß jedes Strafgesetz eine Bewertung des dort beschriebenen Sachverhalts enthält und dadurch auch die Subsumtion eines jeden Sachverhalts unter das Gesetz eine Wertung verlangt, alle Tatbestandsmerkmale als normativ bezeichnet werden: Jedes Merkmal ist wertbezogen, undjede Anwendung verlangt eine Wertung. 2 Andererseits beschreiben alle Tatbestandsmerkmale Umstände, sei diese Beschreibung wertgefüllt oder nicht. Daher könnten auch alle Tatbestandsmerkmale ebensogut als deskriptiv bezeichnet werden. 3 Wenn sich also normative Tatbestandsmerkmalen durch eine besondere Qualität auszeichnen sollen, dann kann dies nicht der für jedes gesetzliche Merkmal geltende Wertbezug sein. Schließlich wird die Bewertung des Sachverhalts als sozial unerwünscht auch nicht vom Täter, sondern vom Richter verlangt. Es müßten daher andere Eigenschaften sein, durch die sich normative von deskriptiven Tatbestandsmerkmalen unterscheiden. Herrschend ist heute die Auffassung, daß der Vorsatz bezüglich eines Tatbestandsmerkmals immer dann einen über die kognitive Erkenntnis hinausgehen-

I Vgl. Roxin, AT!I (1992), § 10 Rn. 58.

Erik Wolf(1929), s. 59 f.; Engisch, Mezger-FS (1954), S. 142; Goldschmidt, Frank-Festg. (1930), Bd. I, S. 448; Schröder, ZStW 65 [1953], 186; 7iedemann (1969), S. 90. 7iedemann unterscheidet dabei im Anschluß an Begier, Frank-FG Bd. 1(1930), S. 272 Fn. 2, 275 Fn. 3, zwischen unechten normativen Tatbestandsmerkmalen, bei denen eine anderenorts vorgenommene Wertung des Gesetzgebers zu übernehmen ist, und echten, die eine eigene Wertung des Rechtsanwenders verlangen. 2

3

Vgl. Kunert (1958), S. 93.

DI. Der Begriff des nonnativen Tatbestandsrnerkmals

21

den Akt erfordert, wenn dieses Merkmal einen Bezug auf eine andere Norm enthält, die allerdings nicht rechtlicher Natur sein muß. 4 Normativ sind also alle Tatbestandsmerkmale, deren Vorliegen erst durch die Anwendung einer außerhalb des Tatbestandes liegenden Norm, einer gesellschaftlichen Regel feststellbar ist. Daher bezeichnet Darnstädt im Anschluß an Searle5 normative Tatbestandsmerkmale treffend als jene Tatbestandsmerkmale, "deren Designate institutionelle Tatsachen sind. Institutionelle Tatsachen sind genau jene, die mindestens eine gesellschaftlich verliehene Eigenschaft haben"6. Schlüchter wendet gegen diese Definition ein, daß sich eine Norm nicht in Tatsachen erschöpfen könne, und daher die Normativität nicht durch einen Bezug auf bestimmte Tatsachen erklärt werden könne. 7 Dieser Einwand greift jedoch nicht durch. Wie Schlüchter nämlich selbst einräumt, dienen die durch das Tatbestandsmerkmal in Bezug genommenen Normen nicht der Ausfüllung des gesetzlichen Tatbestandes, sondern nur dessen Auslegung.8 Es kommt also nicht auf eine normierende Funktion der in Bezug genommenen Vorschriften, sondern nur auf den Normbezug der Tatbestandsmerkmale an. Dieser Normbezug wird aber auch durch Darnstädts Definition richtig erklärt. Daher ergeben sich keine inhaltlichen Unterschiede zwischen Darnstädts und Schlüchters Ansichten. Damit ergibt sich, daß normative Tatbestandsmerkmale genau solche sind, die einen Bezug auf eine andere Norm enthalten. Diese Merkmale sind jedoch auch deskriptiv, denn sie beschreiben - institutionelle - Tatsachen. Daher erhebt sich die Frage, ob in der Behandlung normativer und deskriptiver Tatbestandsmerkmale ein Unterschied besteht, ob es also auf diese Unterscheidung überhaupt ankommt.

4 Engisch, Mezger-FS (1954), S. 147; Jescheck (1988), S. 243; Kuhlen (1987), S. 187; Roxin, AT/I (1992), § 10 Rn. 60; Schluchler (1983), S.23; SchlSchrlCramer, § 15 Rn. 19 rn.w. Nachw.; Sleininger, JurBI. 1987,206 rn. Nachw. der österreichischen Lehre.

S Searle (1974), S. 78 ff.

6 DarnsliJdl, JuS 1978, 443; ebenso Burkhardl, JZ 1981, 683; Eser, Strafrecht n (1980), S. 138. Ähnlich definiert Kindhituser (Jura 1984, 474) nonnative Tatbestandsrnerkmale als solche, die sich auf konventionelle Eigenschaften beziehen, also auf Eigenschaften, "die ihre Existenz einer sozialen Regel verdanken" (a.8.0., S. 471). 7

SchlUchzer (1983), S. 25.

8 SchlUchzer

(1983), S. 23.

22

1. Teil, A. Begriffliche Grundlagen

Die Abgrenzung ist für den objektiven Tatbestand irrelevant,9 Bedeutung wird ihr ausschließlich für den subjektiven Tatbestand zugewiesen. 10 Bei normativen Merkmalen soll es nicht genügen, wenn der Täter die Sachverhaltselemente erfaßt hat, die das Vorliegen des Merkmals ausmachen, vielmehr soll er auch die Bedeutung des Sachverhalts erfaßt haben müssen. Demnach besteht der Unterschied zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand darin, daß bei diesen nicht wie bei jenen mit der Kenntnis der Tatsachen auch notwendig die Bedeutungskenntnis verbunden ist. Das bedeutet allerdings nicht, daß bei deskriptiven Merkmalen keine Bedeutungskenntnis erforderlich wäre. 11 Da jedoch mit der Kenntnis der Tatsachen regelmäßig auch die Kenntnis ihrer Bedeutung verbunden ist, bereitet ihre Feststellung meist keine Schwierigkeit. 12 Daraus folgt aber, daß an den Vorsatz bezüglich deskriptiver Merkmale im Hinblick auf die Bedeutungskenntnis die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an den Vorsatz bezüglich normativer Merkmale. In beiden Fällen muß der Täter die Bedeutung des Sachverhalts erfaßt haben. 13 Normative Tatbestandsmerkmale zeichnen sich nur dadurch aus, daß die Bedeutungskenntnis nicht zwingend mit der Tatsachenkenntnis verbunden ist. Daraus folgt wiederum, daß die Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Merkmalen keine für die Anwendung von Vorsatz- bzw. Irrtumsregeln konstitutive Bedeutung hat. 14 Von Bedeutung ist der Normbezug normativer Tatbestandsmerkmale jedoch im Hinblick auf die Abgrenzung des Vollstrafgesetzes vom Blankettstrafgesetz. Da normative Tatbestandsmerkmale wie Blankettbegriffe einen Normbezug enthalten, gilt es zu untersuchen, ob und welcher qualitative Unterschied zwischen beiden Merkmalen besteht.

9

Umfassend dazu Dopslajf, GA 1987,3 ff., 19.

10

Sch/Schr/Cramer § 15 Rn. 20.

11

1ischler (1984), S. 37 m.w. Nachw.

12

So auch Eser, Strafrecht 1(1980), S. 164.

13

Zum Inhalt dieser Bedeutungskenntnis unten, S. 35.

14

Ebenso Blei, AT (1983), S. 80; Dopslajf, GA 1987,24; Stratenwerth, AT (1981), Rn. 269.

IV. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes

23

IV. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes Als Blankettgesetze wurden von Binding Gesetze bezeichnet, die eine Strafregelung für Verstöße gegen Verbote enthalten, die selbst von einer anderen (untergeordneten) Institution erlassen wurden. 1 Die wesentlichen Charakteristika des Blankettstrafgesetzes waren danach für Binding das Auseinanderfallen von Sanktions- und Bestimmungsnorm und die Beteiligung verschiedener Rechtssetzungsinstanzen. Der Grund für diese Gesetzgebungstechnik wird zum einen in der dadurch möglichen Vereinfachung gesehen, da es genügt, eine einheitliche Sanktionsnorm für verschiedene, auch in unterschiedlichen Gesetzen enthaltene Verhaltensvorschriften zu schaffen. 2 Vor allem aber besteht durch diese Auslagerung der Tatbestandsregelung in andere Vorschriften, unter Umständen auch anderer Instanz, die Möglichkeit, den Strafschutz zeitlich flexibler zu gestalten und auch örtlich unterschiedlich zu regeln. Es zeigt sich aber, daß Bindings Defmition in zweierlei Hinsicht zu eng ist. Zum einen werden heute nicht nur solche Gesetze als Blankettgesetze angesehen, deren Ausfüllung durch eine andere Institution vorgenommen wird, zum anderen liegt unter Umständen auch dann ein Blankettgesetz vor, wenn sich die strafrechtliche Vorschrift nicht auf die Formulierung der Sanktionsnorm beschränkt. 1. Das Auseinanderfallen von Blankettnorm und Ausftillungsnorm

Wesentliches Merkmal des Blankettgesetzes ist, daß es unvollständig ist und daher durch eine andere Vorschrift, die Ausfüllungsnorm, ergänzt werden muß. Erst Blankettgesetz und Ausfüllungsnorm ergeben das vollständige Strafgesetz. Das Blankettgesetz zeichnet sich also zunächst dadurch aus, daß es auf eine andere Rechtsvorschrift Bezug nimmt. Schwierigkeiten bereitet aber die Beantwortung der Frage, welche Qualität dieser Bezug auf andere Normen haben muß, damit von einer Ausfüllung gesprochen werden kann. Einerseits werden

1 Binding,

Nonnen1, S. 74.

2 Backes (1981), S. 56 rn.w. Nachw.; Warda (1955), S. 11.

24

1. Teil, A. Begriffliche Grundlagen

nicht nur solche Gesetze als Blankettgesetze angesehen, die sich auf die Formulierung der Sanktionsnorm beschränken, wie dies Binding noch angenommen hat. Andererseits nehmen aber viele Strafgesetze auf externe rechtliche Regelungen Bezug, ohne als Blankettgesetze angesehen zu werden. So verweisen die Eigentumsdelikte durch das Merkmal "fremd" auf die Eigentumsregeln des BGB. Dennoch wird das Merkmal übereinstimmend als normatives Tatbestandsmerkmal bezeichnet, während niemand § 242 oder § 303 StGB als Blankettgesetz versteht. Insofern gilt es die Frage zu klären, wie Blankettverweisungen von normativen Tatbestandsmerkmalen abzugrenzen sind. Es scheint nämlich, als bestehe ein qualitativer Unterschied zwischen Vollstrafgesetzen mit normativen Tatbestandsmerkmalen, die auf andere Rechtsvorschriften verweisen, und Blankettstrafgesetzen, die ebenfalls andere Vorschriften einbeziehen. Allerdings setzt hier von einem Teil der Literatur Kritik ein: Zum einen wird ein nur gradueller Unterschied postuliert, so daß eine Abgrenzung nicht möglich sei,3 zum anderen wird einer solchen Unterscheidung jeder Sinn abgesprochen, da beide Merkmale gleich zu behandeln seien. 4 Diese Einwände können nur entkräftet werden, wenn die Unterscheidung nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll ist. Dazu ist es erforderlich festzustellen, welche Bedeutung eine solche Abgrenzung haben kann. Damit kann zunächst festgehalten werden: Blankettstrafgesetze zeichnen sich dadurch aus, daß sie unvollständig sind und einer Ausfüllung durch weitere Normen bedürfen. Worin diese Unvollständigkeit besteht, bedarf einer genaueren Untersuchung, die die Bedeutung der Abgrenzung des Blankettgesetzes vom Vollstrafgesetz berücksichtigt.

2. Das AuseinanderfaUen von strafgesetzsetzender und blankettausmUender Instanz Blankettgesetze können auch danach unterschieden werden, welche Instanz zur Ausfüllung der unvollständigen Norm berufen ist. Zum Teil werden nur

3

Volk, DStZ 1983,229.

4

Lüderssen, wistra 1983,225.

IV. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes

25

diejenigen Vorschriften als echte Blankettgesetze bezeichnet, in denen der Bundesgesetzgeber die Ausfüllung an eine andere Instanz delegiert hat. 5 Dabei kann die Ausfüllung durch ein formelles Gesetz anderer Instanz (Landesgesetz) oder durch eine Bundes- oder Landesverordnung erfolgen. Ein Beispiel hierfür bietet § 184a StGB, der auf die gemäß Art. 297 EGStGB erlassenen landesrechtlichen Sperrbezirksverordnungen verweist. Umstritten ist, ob auch die Ausfüllung einer Norm durch Verwaltungsakte eine Blankettausfüllung darstellt. 6 Dieser Frage soll hier jedoch nicht nachgegangen werden, da sie für das Verhältnis der Steuerstraftatbestände zu den materiellen Steuergesetzen irrelevant ist.

3. Die Bedeutung der Abgrenzung der Blankettmerkmale von den Tatbestandsmerkmalen Die Frage, ob eine Abgrenzung zwischen Blankettbegriffen und normativen Tatbestandsmerkmalen sinnvoll ist, kann ebenso wie die Frage, ob eine Unterscheidung zwischen der Blankettausfüllung gleicher bzw. verschiedener Instanzen geboten ist, nur im Hinblick auf die Bedeutung des Blankettbegriffs beantwortet werden.

a. Die Bedeutung der Abgrenzung fiir den objektiven Tatbestand Da Blankettgesetz und Ausfüllungsnorm nach einer von Welzel 7 begründeten Formel "zusammengelesen" werden, ändert sich an der objektiven Rechtslage, also für die Frage, welches Verhalten objektiv rechtswidrig ist, durch die Art der gesetzestechnischen Konstruktion nichts. Die Abgrenzung zwischen Blankettbegriff und normativem Tatbestandsmerkmal hat daher für den objektiven Tatbestand keine Bedeutung.

s BaumannIWeber (1985), S. 139; Ensenbaeh (1989), S. 231 ff.; Engelhardt H/H/Sp § 370 Rn. 15 (Blankettgesetz im weiteren Sinne); Ku.eher (1969), S. 43 f. 6 Siehe dazu Lohberger (1968), S. 37 ff.; Oetker, GS 64 [1904], 160 ff.; Sch/Sehr/Cramer § 15 Rn. 102; Warda (1955), S. 15 ff.; Winkelbauer (1985), S. 13 f.

7 Welzel, MDR 1952, 586.

26

1. Teil, A. Begriftliche Grundlagen

b. Die Bedeutung der Abgrenzung .rar die Irrtumsproblematik Nach heute vorherrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur orientieren sich die Anforderungen an den subjektiven Teil des Straftatbestandes daran, ob die Strafnorm als Voll- oder als Blankettstrafgesetz einzuordnen ist. Werden Blankett- und Ausfüllungsnorm zusammengelesen, dann müssen die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausfüllungsnorm ebenso wie die der Blankettnorm gemäß §§ 15, 16 StGB vom Vorsatz umfaßt sein. Da aber nach der von dieser Meinung vertretenen Schuldtheorie die Verbotskenntnis, also die Kenntnis der Norm selbst, nicht Teil des Vorsatzes ist (vgl. § 17 StGB), wird weder die Kenntnis der Blankettnorm noch die Kenntnis der Ausfüllungsnorm als Teil des subjektiven Tatbestandes angesehen. 8 Demgegenüber kommt es bei normativen Tatbestandsmerkmalen nicht auf die Kenntnis der Voraussetzungen der Merkmale der in Bezug genommenen Norm an. Es genügt, wenn der Täter das Vorliegen des normativen Tatbestandsmerkmals in laienhafter Parallelbeurteilung erfaßt. 9 Bei einem Streit um die Blanketteigenschaft des § 292 StGB ginge es also um die Frage, ob der Täter der Wilderei erfaßt haben muß, daß das von ihm erlegte Tier einer bestimmten Art angehört (die in § 2 BJagdG genannt ist), oder ob er wissen muß, daß das Tier jagdrechtlich geschützt ist. Handelte es sich bei § 292 StGB um ein Blankettstrafgesetz, wäre der Irrtum über den jagdrechtlichen Schutz lediglich Verbotsirrtum. Stellte das Merkmal "dem Jagdrecht unterliegend" ein Tatbestandsmerkmal dar, so wäre die korrekte Zuordnung des Tieres zu seiner Art für den Vorsatz irrelevant.

c. Die Bedeutung der Abgrenzung im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GO und § 2 Abs. 4 StGB Schließlich ist der Begriff des Blankettgesetzes auch in einem ganz anderen Bereich von erheblicher Bedeutung, nämlich bei der Frage der Tatbestandsbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) sowie des Zeitgesetzes (§ 2 Abs. 4 StGB). Während das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG ganz unstreitig nicht nur für die Blankettstrafnorm, sondern auch für die Ausfüllungsnorm gilt,

8 Näher dazu unten, S. 69 ff. 9

Dazu unten, S. 36 ff.

IV. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes

27

soll dies nach h. M. für normative Tatbestandsmerkmale nur mit Einschränkungen der Fall sein. 10 Hierzu sei nur angemerkt, daß eine Begründung für die unterschiedliche Behandlung der Verweisung durch Blankett bzw. durch normative Tatbestandsmerkmale nicht ersichtlich ist. 11 Die Anforderungen an die Tatbestandsbestimmtheit des § 292 StGB können nicht dadurch niedriger sein, daß das Merkmal "dem Jagdgesetz unterliegend" als Tatbestandsmerkmal und nicht als Blankettbegriff qualifiziert wird. Daher erfaßt auch Weidenbach in seiner Arbeit über die verfassungsrechtliche Problematik der Blankettstrafgesetze alle Normen als Blankettnormen, die durch eine andere Norm in irgendeiner Weise ergänzt werden, sei es auch durch die Verweisung durch ein normatives Tatbestandsmerkmal. 12 Es zeigt sich auch, daß die Anforderungen, die die Verfassung an das Strafgesetz stellt, nicht davon abhängen, welche Anforderungen durch die Irrtumslehren an den subjektiven Tatbestand gestellt werden. Daher empfiehlt es sich, die Einordnung der Strafgesetze in "Voll-" und "Blankettstrafgesetze" im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG anders vorzunehmen als im Hinblick auf die Irrtumsprobleme. 13 So bietet es sich an, im Irrtumsbereich, bei dem es um die Abgrenzung von Blankettbegriffen und normativen Tatbestandsmerkmalen geht, von Blankettgesetzen im materiellen Sinne zu sprechen. Bei der Frage der Bestimmtheitsanforderungen an Strafgesetze, die auf andere Rechtssätze (und zwar nicht nur durch Blankettbegriffe) verweisen, sollte dagegen von Blankettbegriffen im formellen Sinne die Rede sein.

10

Vgl. Pohl (1990), Rn. 834 m.w. Nachw.

11 Ebenso Schulze-Osterloh (1983), S. 53; 7iedemann (1969), S. 316; Wenderorh (1990), S. 55 ff. 12 Weidenbach (1965), S. 24. Unklar ist, ob auch Frees (1991), S. 59, 131, und Maiwald (1984), S. 15, diesen sehr weiten Blankettbegriffvertreten; beide machen im Rahmen des § 370 AO die Blanketteigenschaft offenbar nur davon abhängig, daß überhaupt andere (hier: Steuer-) Normen herangezogen werden müssen, um die Erfüllung des Tatbestandes feststellen zu können. Dafür spricht jedenfalls, daß Maiwald den Steueranspruch als normatives Tatbestandsmerkmal des § 370 AO ansieht und die Vorschrift dennoch als Blankettgesetz bezeichnet (a.a.O., S. 16 ff.). Zu Maiwald noch unten, S. 163, 175 ff. 13 Daher triffi der Vorwurf Pohls «1990), Rn. 873), die Beachtung allein der Irrtumsfragen verenge den Blick, nicht zu.

28

1. Teil, A. Begriffliche Grundlagen

4. Die Abgrenzung im Hinblick auf die Irrtumsproblematik

Fraglich ist also, wie eine Definition des Blankettstrafgesetzes in Bezug auf die Irrtumsproblematik: vorzunehmen ist. Wie gezeigt, sind die Kriterien, die die Blanketteigenschaft im formellen Sinne begründen, für diese Frage nicht interessant. Es geht vielmehr darum, materielle Kriterien zu finden, durch die sich die Blankettverweisung von der Verweisung durch normative Tatbestandsmerkmale abgrenzen läßt. a. AbgrenzungsJormeln der herrschenden Meinung

Die herrschende Meinung nimmt an, daß es für die Blanketteigenschaft nicht genüge, wenn der ergänzende Rechtssatz "nur beschreibenden Inhalts" sei. 14 Zu klären bleibt aber, wann die Ergänzung nicht nur beschreibenden Inhalts ist. Meist ist davon die Rede, daß der Tatbestand 15 bzw. die Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens 16 erst in der Ausfüllungsnorm enthalten sei. Andere meinen, die Ausfüllungsnorm sei dadurch gekennzeichnet, daß sie das strafrechtliche Ge- oder Verbot, die (Bestimmungs-) Norm, enthalte, 17 während sich im Strafgesetz selbst nur die Sanktionsnorm befmde. 18 Da das Verbot das normwidrige Verhalten beschreibt, besagen beide Ansätze dasselbe: Die Ausfüllungsnorm enthält die Bestimmungsnorm, die das strafrechtlich relevante Verhalten beschreibt.

14 v.d. Heide (1986), S. 175; Lohberger(1968), S. 17 f.; Seume (1969), S. 75; Warda (1955), S. 6 f.; Weidenbach (1965), S. 22; Winkelbauer (1985), S. 15.

15 Engelhardt H/H/Sp § 370 Rn. 15; Jescheck (1988), S. 99; Kerscher (1969), S. 43; v. Liszf (1891), S. 82; Lohberger (1968), S. 4; MaurachlZipJ AT/I (1992), § 8 Rn. 30; RUping, NStZ 1984,451; SchlUchter(1983), S. 23; Sch/Schr/EserRn. 3 vor § 1. 16 BaumannIWeber (1985), S. 139; Koch/Zeller § 369 Rn. 27; Kohlmann, Teil B, Rn. 12; Krümpelmann (1978), S. 21; Netzler (1961), S. 21; Rudolphi SK § 16 Rn. 18; Schröder, MDR 1951,389; TIedemann (1969), S. 316. 17 Binding, Nonnen Bd. 1 (1922), S. 161 f.; DreherfIriJndle § 1 Rn. 5; v. Liszr (1884), S. 73 f.; Lohberger (1968), S. 16 f.; Neumann (1908), S. 20; Wach, VDA Bd. 6 (1908), S. 47; Winkelbauer (1985), S. 14.

18

Roxin, AT/I (1992), § 12 Rn. 94.

IV. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes

29

Samson spricht von Blankettgesetzen, soweit sie "durch die Verweisung dazu zwingen, die gesamte Rechtswidrigkeit der Ausfüllungsnorm zu entnehmen" .19 Die Rechtswidrigkeit ergebe sich aus dem Verstoß gegen das Verbot, das in der Ausfüllungsnorm enthalten sei und damit der Strafnorm zugrundeliege. 20 Auch nach dieser Auffassung zeichnet sich die Ausfüllungsnorm also dadurch aus, daß sie das in der Blankettnorm sanktionierte Verbot enthält. Die dargestellten Formeln beruhen im wesentlichen auf einer Arbeit von Warda. Dieser hat auch die Formel geprägt, daß Rechtssätze nur beschreibenden Inhalts keine Blankettergänzung darstellen. Ihnen müsse vielmehr die tatbestandliche Umschreibung des unter Strafe gestellten Verhaltens überlassen bleiben. 21 Es fehlt aber an einem brauchbaren Kriterium, anband dessen die Umschreibung des tatbestandlichen Verhaltens von der sonstigen ("bloßen") Umschreibung abgegrenzt werden kann. Denn die in der angeführten Literatur beschriebenen Fälle, in denen das Blankett nur die Sanktionsnorm enthält, das Verbot aber vollständig der Ausfüllungsvorschrift zu entnehmen ist, bereiten keine Abgrenzungsprobleme. Problematisch sind vielmehr diejenigen Vorschriften, die neben normativen Tatbestandsmerkmalen einzelne Begriffe enthalten, deren Funktion nicht eindeutig ist. Dabei zeigen insbesondere die jeweiligen Erörterungen zur Blanketteigenschaft des § 370 A0,22 daß die zur Definition des Blankettgesetzes genannten Kriterien bei der konkreten Einordnung einer Norm häufig nicht verwendet werden: So hält Warda § 369 RAO (§ 370 AO 77) für ein Blankettgesetz, weil den Gegenstand der Verkürzung das bilde, "was die Steuer nach den bestehenden Bestimmungen einnehmen soll. "23 Nicht die Steuerpflicht, sondern der Tatbestand, an den das Steuergesetz im einzelnen Falle die Steuerpflicht knüpfe, bilde die tatbestandliche Ergänzung des § 369 RAO. 24 Warda versäumt aber zu begründen, inwieweit die Steuergesetze das nach § 369 RAO verbotene Verhalten umschreiben, und nicht nur - in gleicher Weise wie die Eigentumsvor-

369 Rn. 94. 20 Vgl. Samson, Grundfragen (1983), S. 109. 21 Warda (1955), S. 6 f. 22 Dazu ausführlich unten, S. 167 ff. 23 Warda (1955), S. 47. 24 Warda (1955), S. 48. 19

Samson F/G/S §

30

1. Teil, A. Begriffliche Grundlagen

schriften die Fremdheit ten. 25

eine bloße Beschreibung des Tatobjekts enthal-

Erforderlich sind also Kriterien, die diese Abgrenzung leisten. b. Weiteifahrung dieser Formeln Auch Backes hat hervorgehoben, daß die Abgrenzung zwischen Blankettgesetzen und normativen Tatbestandsmerkmalen nicht nach formalen, sondern nach materiellen Kriterien erfolgen müsse. Da die Abgrenzung für die Behandlung des Irrtums maßgeblich sei, könnten nur diejenigen Kriterien den Ausschlag geben, nach denen sich die Natur des Irrtums richte. 26 Da der Tatbestand eines Strafgesetzes, so Backes, die Beschreibung einer Rechtsguts- und Pflichtverletzung darstelle, müsse sich der Vorsatz auf alle Merkmale erstrecken, die zur Beschreibung der Rechtsguts- und Pflichtverletzung erforderlich seien. Daher handele es sich bei einem RechtsvelWeisungsbegriff um ein Tatbestandsmerkmal, wenn die Rechtsvorschrift selbst zur Beschreibung dieser Rechtsguts- und Pflichtverletzung erforderlich sei. Dementsprechend liege ein Blankettbegriff vor, wenn die Ausfüllungsnorm nicht zur Beschreibung der Rechtsguts- und Pflichtverletzung erforderlich sei. 27 Backes könnte jedoch ein Zirkelschluß vorgeworfen werden. Da er einerseits der Abgrenzung von Blankettbegriff und normativem Tatbestandsmerkmal grundlegende Bedeutung beimißt, 28 andererseits aber diese Abgrenzung von den Irrtumsfragen abhängig machen will, scheint seine Argumentationskette zirkulär zu verlaufen. Im Ergebnis sollen aber wohl die Irrtumskriterien ausschlaggebend sein, so daß die Blanketteigenschaft gerade nicht konstitutiv für die Irrtumsfrage wäre. Schwerer wiegt jedoch ein Vorwurf, den v. d. Heide erhoben hat. Backes versteht den Tatbestand als die Beschreibung deliktstypischen Unrechts. 29 Ob eine in der Ausfüllungsnorm enthaltene Pflicht zum Tatbestand der strafrecht-

2.5 Vgl. zu einer - ebenfalls unrichtigen - Begründung der Blanketteigenschaft des § 370 AO durch Warda noch unten, S. 169 ff. 26

Bac1ces (1981), S. ll8 f.

27

Bac1ces (1981), S. 143.

28

Baclces, StuW 1982,266.

29 Baclces (1981), S. 125.

N. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes

31

lichen Norm zu rechnen sei, entscheide sich danach, ob sie den Charakter bzw. das Typische des Delikts (mit-) präge. 30 Diese Frage kann aber nicht anders als danach beantwortet werden, ob die Pflicht in den Tatbestand zu lesen ist es besteht also erneut eine Zirkelargumentation. 31 Damit verbleibt also nach wie vor die Aufgabe, festzulegen, wann eine Ausfüllungsnorm in das Strafgesetz hineinzulesen ist oder, nach Backes, zur Beschreibung der Rechtsgut- oder Pflichtverletzung erforderlich ist. Hierbei ist die Funktion des Tatbestandes zu beachten. Diesen Schritt hat v. d. Heide unternommen. Erstaunlicherweise ist ihre These wie auch deren Herleitung in Wahrheit aber nur eine Formulierung dessen, das - unausgesprochen - offenbar auch den Vorstellungen der h. M. zugrundeliegt. v. d. Heide betont ebenfalls das Erfordernis einer materiellen Unterscheidung von Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen. Wie schon Warda32 will sie die Unterscheidung tatbestandsbezogen treffen, indem "bei jeder einzelnen gesetzlichen Vorschrift zu klären ist, welche Merkmale den spezifischen strafrechtlichen Unrechtsgehalt des Delikts begründen·.33 Ergebe sich der Unrechtstatbestand vollständig aus dem Strafgesetz, so müsse es sich bei jedem darin enthaltenen Merkmal um ein normatives Tatbestandsmerkmal handeln. Verweise das Gesetz aber bezüglich der Formulierung des Tatbestandes auf eine ausfüllende Norm, die für den Unrechtsgehalt dieses Delikts konstitutiv sei, so liege ein Strafblankett vor. 34 Zum Tatbestand gehöre alles, was das pönalisierte Verbot ausmache. Eine Ausfüllungsnorm könne daher nur dann konstitutiv für den Straftatbestand sein, wenn sie selbst auf eine Verhaltenslenkung ausgerichtet sei. Alle anderen Vorschriften seien daher von vornherein nur beschreibend. 35 Verhaltenslenkende Bedeutung auch im Straftatbestand habe die Ausfüllungsnorm aber nur, wenn sie die gleiche Schutzrichtung wie der Straftatbestand

30

Backes (1981), s. 159.

s.

31

v.d. Heide (1986),

32

Warda (1955), S.43 und Jura 1979,295.

177 Fn. 22.

33

v.d. Heide (1986), S. 173.

34 v.d. Heide (1986), S. 175 f.; vgl. auch Backes, StuW 1982, 255; Lange, JZ 1956, 75; Warda (1955), S. 6 f.

35 v.d. Heide (1986), S. 174 f. unter Verweis aufWarda (1955), S. 6 f.; Seume (1969), S. 75.

32

1. Teil, A. Begriffliche Grundlagen

habe. Denn nur bei einer Korrespondenz dieser Schutzrichtungen sei das in der Ausfüllungsnorm enthaltene Verbot auch konstitutiv für das Strafgesetz. 36 Daher erfolgt nach v. d. Heide die Abgrenzung danach, ob sich die strafbewehrte und die in der Ausfüllungsvorschrift enthaltene Schutzrichtung entsprechen. Damit hat v. d. Heide einen überzeugenden Weg entwickelt, anband dessen echte Blankettergänzungen von nur beschreibenden Vorschriften unterschieden werden können. Ihre Aussagen lassen sich jedoch um einen Schritt weiterführen. Blankettergänzungsnorm und Straftatbestand weisen nämlich nicht nur die gleiche Schutzrichtung auf. Mit diesem Kriterium lassen sich zwar die beschreibenden Verweisungsnormen ausscheiden. Denkbar sind aber auch Strafvorschriften, die ein anderweitig bestehendes Verbot vollständig wiederholen. In diesem Fall besteht zwar eine Identität der Schutzrichtungen, dennoch handelt es sich bei dem Strafgesetz nicht um ein Blankett, weil es nicht unvollständig ist. Das Wesen der Blankettausfüllung besteht gerade darin, die Verhaltensregel, die Bestimmungsnorm, zu enthalten. Ein Strafgesetz ist immer dann unvollständig und daher ein Blankettgesetz, wenn es nicht selbst die strafbewehrte Verhaltensnorm enthält und die Bestimmungsnorm daher ohne Ergänzung des im Strafgesetz enthaltenen Tatbestandes nicht formuliert werden kann. 37 Die Blankettausfüllungsnorm ist also deshalb nicht nur beschreibenden, weil sie strafrechtlich normierenden Inhalts ist. Normative Tatbestandsmerkmale bedürfen der Ergänzung durch Ausfüllungsvorschrift dagegen nicht, um die Norm zu vervollständigen. In der Ausfüllungsvorschrift wird das Merkmal nur beschrieben. Das bedeutet allerdings nicht, daß ein Blankettgesetz nur dann vorliegt, wenn die Ausfüllungsnorm alle Merkmale des Tatbestandes enthält. Das Strafblankett kann durchaus weitere Tatbestandsmerkmale enthalten. Das wird immer dann der Fall sein, wenn nur bestimmte, besonders schwerwiegende Verstöße gegen die externe Verbotsnorm strafrechtlich sanktioniert werden

36 v.d. Heide (1986), S. 175 f. 37

Ebenso Puppe, GA 1990, 162.

IV. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes

33

sollen. Auch in diesem Fall erfolgt aber die Formulierung der Verhaltensnorm erst in der Ausfüllungsvorschrift. Eine Ausfüllungsnorm ist als Blankettergänzung heranzuziehen, wenn sie, wie v. d. Heide es formuliert, die gleiche Schutzrichtung hat, d. h. diejenige Verhaltensnorm enthält, die vom Strafgesetz pönalisiert wird. Die Prüfung der Korrespondenz der Schutzrichtungen, die v. d. Heide vorschlägt, stellt in der Tat ein zutreffendes Abgrenzungskriterium zwischen Blankettbegriff und normativem Tatbestandsmerkmal dar. Bei der Prüfung, ob eine Strafvorschrift einen Blankettbegriff enthält, ist also folgendermaßen vorzugehen: - Zunächst ist die der Vorschrift zugrundeliegende Bestimmungsnorm zu formulieren. Beispielsweise lautet diese Norm für § 184a StGB: "Du sollst nicht beharrlich am Ort X der Prostitution nachgehen. " Für § 242 StGB lautet sie: "Du sollst nicht in der Absicht rechtswidriger Zueignung Sachen wegnehmen, die nicht Dir allein gehören. " - Nun ist zu untersuchen, ob sich die Bestimmungsnorm aus dem Strafgesetz oder aus einer Ausfüllungsnorm ergibt. Sowohl § 184a als auch § 242 StGB nehmen Bezug auf fremde Rechtssätze. Dennoch besteht offenbar ein Unterschied: In § 184a StGB ist die Bestimmungsnorm nicht enthalten; die Vorschrift lautet lediglich: "Du sollst nicht beharrlich einem Verbot zuwiderhandeln" . Die Verhaltensnorm, an einem bestimmten Ort nicht der Prostitution nachzugehen, kann erst einer anderen Vorschrift, der Sperrbezirksverordnung, entnommen werden. Daher handelt es sich bei § 184a StGB um eine Blankettstrafnorm.

Anders liegt es bei § 242 StGB. Auch hier verweist ein Begriff auf andere Rechtsvorschriften, die Ausfüllung des Begriffs "fremd" erfolgt durch die Übereignungsvorschriften des BGB. Diese Vorschriften enthalten aber nicht die Bestimmungsnorm, die § 242 StGB zugrundeliegt: § 242 StGB verbietet, fremde Sachen in Zueignungsabsicht wegzunehmen. Die Übereignungsregeln enthalten keine Vorschriften, wie mit fremden Sachen zu verfahren ist, ihnen ist nur zu entnehmen, wie eine Sache fremd wird, wie sie also taugliches Tatobjekt wird. Die Bestimmungsnorm ist daher nicht im BGB, sondern voll3 Bachmann

34

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

ständig in § 242 StGB enthalten. "Fremd" ist ein normatives Tatbestandsmerkmal, § 242 StGB ein Vollstrafgesetz. 38 Insgesamt hat sich gezeigt, daß eine Definition des Blankettgesetzes nur in Bezug auf den Sachzusammenhang möglich ist. Es gibt Blankettstrafgesetze im formellen Sinne, das sind solche, zu deren Anwendung das Heranziehen anderer Rechtsvorschriften erforderlich ist. Bei allen diesen Gesetzen ergeben sich Probleme hinsichtlich der Bestimmtheit der Ausfüllungsgesetze, und zwar unabhängig davon, ob Blankettbegriffe im materiellen Sinne oder normative Tatbestandsmerkmale ausgefüllt werden. Blankettstrafgesetze im materiellen Sinne sind solche Strafgesetze, bei denen die Bestimmungsnorm nicht ohne Heranziehung einer externen Verhaltensnorm formuliert werden kann. Derartige Ausfüllungsnormen zeichnen sich dadurch aus, daß sie die gleiche Schutzrichtung aufweisen wie das Strafgesetz. Dann beschreiben sie nämlich nicht nur die von normativen Tatbestandsmerkmalen erfaßten Umstände, sondern stellen selbst einen Teil des Strafgesetzes dar. Die Unvollständigkeit der Blankettgesetze erfordert ein Zusammenlesen von Blankett und Blankettausfüllungsnorm. Daher sind die Merkmale der Ausfüllungsnorm zugleich Tatbestandsmerkmale des Strafgesetzes. Ob sich damit allerdings Unterschiede in der Behandlung von Irrtümern bei Blankett- und Vollstrafgesetzen ergeben, wird die Untersuchung der Anforderungen an den Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettbegriffen ergeben.

B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale Üblicherweise werden Irrtumsprobleme erörtert, indem die verschiedenen Irrtumsarten definiert und Kriterien gesucht werden, um sie voneinander zu unterscheiden. Dieses Vorgehen verdeckt jedoch, daß der Irrtum im Strafrecht keine selbständige Bedeutung hat. Obwohl § 16 StGB als Irrtumsvorschrift tituliert ist,

38 Eine umfangreiche Darstellung dieser Regeln bei v.d. Heide (1986), S. 180 ff.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkrnale

35

regelt er doch nur, welche Anforderungen an den Vorsatz zu stellen sind} Auch der Verbotsirrtum ist kein Strafmilderungsgrund sui generis, § 17 StGB stellt nur - wie auch §§ 20, 21 StGB - eine spezielle Regelung eingeschränkter oder fehlender Schuld dar. Demzufolge geht es bei der Abgrenzung von Irrtumsarten in Wahrheit um die Feststellung, welche Irrtumsarten den Vorsatz berühren und welche nicht. Eine solche Abgrenzung kann daher nur sinnvoll vorgenommen werden, wenn feststeht, welche Anforderungen an den Vorsatz zu stellen sind. Ein Tatumstandsirrtum liegt genau dann vor, wenn aufgrund dieses Irrtums die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes nicht vorliegen. Eine Abhandlung über die Abgrenzung von Tatumstands- und Verbots- bzw. Subsumtionsirrtum ist daher nur ein Ausschnitt der Definition des Vorsatzbegriffes. Der Vorsatz wird überwiegend in eine intellektuelle und eine voluntative Komponente unterteilt. 2 Im Rahmen der Irrtumsprobleme, bei denen es um die Kenntnisse des Täters geht, ist jedoch ausschließlich die intellektuelle Vorsatzseite in~ressant. Sie allein soll hier untersucht werden. 1. Vorsatz und Bedeutungskenntnis

Die intellektuelle Komponente des Vorsatzes soll dem Täter die Bedeutung seines Verhaltens vor Augen führen, ihm einen Impuls zur Unterlassung des Tatentschlusses vermitteln.3 Erst durch diese Kenntnis wird das Verhalten steuerbar4 , stellt es sich als Ausübung der Zwecktätigkeit'i, als Entscheidung für die Realisierung tatbestandlichen Unrechts6 dar. Das intellektuelle Moment des Vorsatzes besteht somit in der Erkenntnis der Bedeutung der Handlung. Die Bedeutung ist naturgemäß an der Bestimmungsnorm zu messen, dessen Verstoß dem Täter vorgeworfen wird. 1 Vgl. die Regelung in § 5 österr. StGB (österr. BGBI. 1974, S. 60), in der der Vorsatz positiv formuliert ist.

2

SchlSchrlCramer § 15 Rn. 9; Rudolphi SK § 16 Rn. 4.

3 lündhlJuser, GA 1990, 415; Platzgummer (1964), S. 63; SchlSchrlCramer § 15 Rn. 47; ähnlich Jakobs, AT (1991), 6/24 ff.; ders. ZStW 101 [1989],518 f.

4

Schroeder LK § 16 Rn. 2.

s Jescheck (1988), S. 201; MaurachfZipf,

AT/I (1987), § 16 Rn. 73; Welzel, (1969), S. 33.

6 Rudolphi SK § 16 Rn. 2; Frisch, Irrtum (1991), S. 265 ff.; Stratenwerth, AT (1981), Rn. 255.

36

I. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände

a. Die Parallelbeurteilung in der Laiensphäre Da vorsätzliches (wie fahrlässiges) Verhalten die Steuerungsfähigkeitdes Täters voraussetzt, ist man sich heute mit Binding7 und Mezger8 weitgehend9 darüber einig, daß die nach § 16 StGB für den Vorsatz erforderliche "Kenntnis der zum Tatbestand gehörenden Umstände" sich nicht in der Kenntnis der den Tatbestand verwirklichenden Tatsachen erschöpft. Ebenso anerkannt ist andererseits, daß die Subsumtion des Sachverhalts unter den Tatbestand des Gesetzes nicht Gegenstand des Vorsatzes lO , sondern des Unrechtsbewußtseins ist. Erforderlich ist vielmehr, daß der Täter die soziale Bedeutung des Sachverhalts erkannt hat. 11 Da das Strafrecht die Aufgabe hat, konkrete Rechtsgüter zu schützen,12 ist dabei allein die soziale Bedeutung für das jeweils geschützte Rechtsgut maßgebend. Daher muß der Täter stets die soziale Bedeutung erfaßt haben, die die Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung ausmacht. 13 Gegen diesen Rechtsgutsbezug des Vorsatzes ist verschiedentlich l4 vorgebracht worden, daß das geschützte Rechtsgut nicht immer leicht zu bestim-

7

Binding, Nonnen, Bd. 3 (1918), S. 148 ff.

8

Mezger, JW 1927,2007.

9

Zu neuesten gegenläufigen Tendenzen s. unten, S. 39.

10

So noch v. Iisz? (1884), § 39.

BGHSt 3,248 (255); 4, 347 (352); Busch, Mezger-FS (1954), S. 169 ff.; Dreher, Heinitz-FS (1972), S. 209 f.; Dreherffröndle § 16 Rn. 11; Jakobs, AT (1991), 8!49; Jescheck (1988), S. 236; Arthur Kaufmann, Laclmer-FS (1987), S. 188, 192; ders., Parallelwertung (1982), S. 32; KriJmpelmann (1978), S. 15; Lackner § 15 Rn. 14; MaurachlZipf, AT!1 (1992), § 22 Rn. 49 f.; Nowakowski, ZStW 65 [1953],387; 0110, Karlheinz Meyer-GS (1990), S. 587; Roxin, ZStW 74 [1962], 548; ders., AT!I (1992), § 12 Rn. 85; Rudolphi SK § 16 Rn. 23; Schaffslein, OLG Celle-FS (1961), S. 188; Sch/SchriCramer § 15 Rn. 43; Siratenwenh, AT (1981), Rn. 260; Warda, Jura 1979,80. 11

12

S. oben, S. 17.

Vgl. auch Frisch, Irrtum (1991), S. 286 f.; Anhur Kaufmann, Lackner-FS (1987), S. 188; Puppe, GA 1990, 157; Roxin, AT!I (1992), § 12 Rn. 101; Sch/SchrlEser § 15 Rn. 39; Schroeder LK § 16 Rn. 43; ebenso Olto. ZStW 87 [1975],590 f. und AT (1992), S. 84 ff., vom Boden sei13

ner modifIZierten Vorsatztheorie (s. unten, S. 46 Fn. 56).

14 TIschler (1984), S. 369; ebenso Heidingsfelder (1991), S. 39; Kuhlen (1987), S. 443; Maurach/Gössel, ATI2 (1989), § 40 Rn. 159.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale

37

men sei, und deshalb die Vorsatz- und Irrtumsdiskussion noch zusätzlich mit weiteren Problemen "belastet" werde. Wenn jedoch das Wesen des Strafrechts in dem Schutz der Rechtsgüter besteht, dann kann die für das Strafrecht relevante soziale Bedeutung doch auch nur die Bedeutung für das Rechtsgut sein. Die mögliche Existenz von Strafgesetzen, bei denen die Bestimmung des Rechtsguts nicht möglich ist, sollten nicht Anlaß für geringere Anforderungen an den Vorsatz, sondern Anlaß zur Kritik an den betreffenden Strafgesetzen sein. 15 Schlüchter fordert darüber hinaus auch die Kenntnis der Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung selbst, "geht es doch darum, ob der Täter sich gegen das Rechtsgut entschieden hat" .16 Damit trennt Schlüchter allerdings den Vorsatz nur ungenügend vom Unrechtsbewußtsein. 17 Zwar behauptet sie einen Unterschied zwischen der Kenntnis der Rechtsgutsverletzung und dem Unrechtsbewußtsein, was in dem von ihr erwähnten Fall des gerechtfertigten Eingriffs in ein Rechtsgut auch plausibel ist. Problematisch wird ihre Ansicht aber bei abstrakten Gefährdungsdelikten. Diese sind immerhin dadurch gekennzeichnet, daß die Rechtsgutsgefährdung gerade nicht Tatbestandsmerkmal ist. 18 Daher kann für den Vorsatz auch nicht das Bewußtsein verlangt werden, eine Gef"ahrdung zu verursachen, wohl aber die Kenntnis der Bedeutung des Sachverhalts, die den Gesetzgeber veranlaßt hat, eine abstrakte Gefährdung anzunehmen. 19 Kommt es also nur auf die Kenntnis der Bedeutung des Sachverhalts für das Rechtsgut, nicht aber auf die Kenntnis der Rechtsgutsverletzung selbst an, gilt es zu klären, wie diese Bedeutungskenntnis des Täters festgestellt werden kann.

15

Vgl. auch unten, S. 72 f.

Schlachter, luS 1985, 375, vgl. auch dies. (1983), S. 100 ff.; ebenso MeIWetberg, lura 1985,241; im Kern auch Otto, NlW 1984,2686; ähnlich bereits Frank, § 59 ß; GlÜnhut, FrankFestg., Bd. I (1930), S. 24; Köhler (1917), S. 292 ff.; v. lisztlSchmidt (1927), S. 256 Fn. 6. 16

17

Ebenso TIschler (1984), S. 369; Steininger, lurBI. 1987,290.

18

SchlSchrlCramer Rn. 3 vor § 306.

diesem Punkt ist Schlachters Definition andererseits auch zu eng. Sie reduziert den Vorsatz nämlich zugleich auf die Verletzungsbedeutung. Diese allein ist aber zu unbestimmt, um in ihr bereits eine gemäß § 16 StGB erforderliche Kenntnis der Tatumstände zu erblicken. (Ebenso Jakobs, AT (1991), 8/49 Fn. 109; Steininger, lurBI. 1987,289 f., vgl. auch Puppe, GA 1990, 157 f.) 19 In

38

I. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

Wie Herberger 20 zutreffend herausgearbeitet hat, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der sozialen Bedeutung des Sachverhalts und der sozialen Bedeutung, die in dem jeweiligen Tatbestandsmerkmal beschrieben ist. "Daher wird ein Irrtum über die 'soziale Bedeutung' einer Handlung", so Herberger, "regelmäßig auch ein Irrtum über mindestens ein Merkmal des zugehörigen Begriffs sein. "21 Wie kann dann aber der Irrtum über den Begriff sinnvoll von dem Irrtum über die soziale Bedeutung unterschieden werden? Die soziale Bedeutung kann mit den im Tatbestand enthaltenen Begriffen beschrieben werden. Sie wird aber auch korrekt mit anderen Begriffen beschrieben, wenn beide Beschreibungen den gleichen Sinn haben. 22 Der Täter hat die soziale Bedeutung erfaßt, wenn sich seine Beschreibung des Sachverhalts inhaltlich mit der gesetzlichen Beschreibung deckt, so daß seine Beschreibung auch das Zutreffen der gesetzlichen Beschreibung impliziert.23 Ein Irrtum über den Begriff des Gesetzes liegt vor, wenn der Täter trotz der übereinstimmenden Sachverhaltsbeschreibung das Tatbestandsmerkmal nicht anwenden würde. 24 Eine zutreffende Beschreibung des Sachverhalts ist dem Täter aber nur möglich, wenn er auch diejenigen Eigenschaften erfaßt hat, die die soziale Bedeutung kennzeichnen. Daher stellt sich die subjektive Tatseite bei normativen Tatbestandsmerkmalen - nicht anders als bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen - als Erfassen detjenigen Eigenschaften dar, die die von dem Tatbestandsmerkmal verlangte soziale Bedeutung ausmachen. Dann besteht dieser Vorgang aber nicht in einem Akt des Wertens, sondern in einem Akt des Verstehens, der Erkenntnis. Daher handelt es sich auch nicht um eine Parallelwertung in der Laiensphäre25 in dem Sinne, daß der Täter die Bewertung des Strafgesetzes nachzuvollziehen hätte - dies ist Gegenstand

20

Herberger (1976), S. 134 ff.

21 Herberger (1976),

S. 135.

22 Zwei Sätze haben den gleichen Sinn, wenn sie immer zugleich wahr oder falsch sind. Es besteht dann L-Äquivalenz (Patzig (1980), S. 29; Puppe, GA 1990, 150).

23 Vgl. Herberger (1976), S. 137 f.; Arthur Kauftnann, Parallelwertung (1982), S. 37; Puppe, GA 1990, 150 f.; sachlich folgt diesem Verfahren weitgehend Dopslaff, GA 1987, 22 f., ohne sich allerdings auf Herberger zu berufen. Dopslaffverzichtet aber auf das Kriterium der sozialen Bedeutung. Zu den sich daraus ergebenden Konsequenzen s. unten, S. 39 ff. 24 Vgl. auch Dreher, Heinitz-FS (1972), S. 209 f. 2S Mezger, JW 1927,2007.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale

39

des Unrechtsbewußtseins und daher vorsatzirrelevant. 26 Treffender wird dieser Akt als Parallelbeul1eilung im Täterbewußtsein bezeichnet. 27 Obgleich die Diskussion in der Literatur den Eindruck erheblicher Differenzen erweckt, kann insgesamt doch eine weitgehende Einigkeit in der Sache festgestellt werden. Es herrscht offenbar im Kern kein Zweifel darüber, daß der Täter die Bedeutung des Sachverhalts in bezug auf das geschützte Rechtsgut erkennen muß, um vorsätzlich zu handeln. Die Parallelbeurteilung kann als gelungen angesehen werden, wenn er eine Sachverhaltsbeschreibung abgeben würde, die der Tatbeschreibung in der Bestimmungsnorm entspricht. Das bedeutet, daß der Täter eines Eigentumsdelikts erkannt haben muß, daß das Tatobjekt nicht ihm allein gehört, er daher nicht allein darüber verfügen darf; der Täter eines Urkundendelikts muß erkannt haben, daß er den Beweisverkehr stört; der Täter einer Wilderei muß wissen, daß das Tier fremdem Aneignungsrecht unterliegt; der Täter einer Strafvereitelung muß wissen, daß er einen Strafanspruch verletzt. b. Die Reduktion des Vorsatzes auf Tatsachenkenntnis: Kindhiiuser und Dopslaff Gegen diese Lehre von der Parallelbeurteilung in der Laiensphäre ist in jüngster Zeit Kritik geübt worden. Kindhäuser und Dopslaff halten diese Lehre für überflüssig28 bzw. unzulässig und unbrauchbar29 . Der Grund für diese abweichende Auffassung liegt in einem anderen Verständnis des Verhältnisses von Vorsatz und Bedeutungskenntnis. Beide Autoren behaupten, daß die Feststellung des Vorsatzes, also des Impulses zur Ver-

26

Treffend Schroeder LK § 16 Rn. 41; Eser, Strafrecht 1(1980), S. 165.

27 Burkhardt, JZ 1981, 684; Frisch, Irrtum (1991), S. 227 f.; Horn, LdRlStrafR (1989), S. 399; Hardwig, GA 1956,369 f.; Jakobs, AT (1991), 8/49; Anhur Kauftnann, Parallelwertung (1982), S. 19 Fn. 57; KImm (1958), S. 108; Puppe, GA 1990, 157; Rudolphi SK § 16 Rn. 23; Welzel, JZ 1954,279. 28

Dopslalf, GA 1987,25.

29

Kindhltuser, GA 1990,417.

40

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

meidung der TatbestandsvelWirklichung, nicht ohne Unterstellung voller Normkenntnis möglich sei. 30

(1) Kindhäuser Wer einen markierten Bierfilz nicht für eine Urkunde halte, habe, so Kindhäuser, notwendigelWeise keinen Anlaß zu alternativem Verhalten um der Vermeidung einer Urkundenfälschung willen. Die Parallelwertung sei dann, bezogen auf das zur Vermeidung der TatbestandsvelWirklichung erforderliche Wissen, keine parallele, sondern eine schlicht falsche Wertung. 31 Zu trennen sei hingegen der Irrtum über die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, von dem Irrtum über Umstände, die den gesetzlichen Tatbestand verwirklichen. Nur die letzte, in § 16 Abs. 2 StGB enthaltene Formulierung sei angemessen. 32 Es komme also allein auf die Kenntnis derjenigen Umstände an, die den gesetzlichen Tatbestand velWirklichen. Wer für den Vorsatz die Kenntnis der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände verlange, verlange die Kenntnis des Tatbestands, also des Normsinns. Ein Irrtum hierüber sei aber ein bloßer Ge- oder Verbotsirrtum. 33 Zur Feststellung des Vorsatzes sei vielmehr zu prüfen, ob der Täter aufgrund seiner Einschätzung der Sachlage das Motiv zur Unterlassung der Straftat hätte bilden müssen, wenn ihm der Inhalt der Verbotsnorm bekannt gewesen wäre. 34 Diese Formulierung hilft jedoch noch nicht weiter. Es ist nämlich noch nicht geklärt, was Kindhäuser unter der "Einschätzung der Sachlage" versteht. Der Begriff "Einschätzung" deutet daraufhin, daß hierfür bloße Tatsachenkenntnis nicht genügt. Muß also der Täter im Bierfilzfall die Sachlage auch derart einschätzen, daß die Manipulation des Bierfilzes dessen Beweisfunktion beein-

30 DopslaJl, GA 1987,20 f.; Kindhlluser, GA 1990,416 f. 31 Kindhlluser, GA

1990,418.

32 Kindhäuser, GA

1990,408.

33 Kindhlluser, GA

1990, 414.

34

Vgl. Kindhäuser. GA 1990, 418.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale

41

trächtigt? Dann wäre dies nur eine andere Formulierung der Parallelbeurteilung in der Laiensphäre. Kindhäuser gibt auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Soweit er unter "Einschätzung" auch die Kenntnis der sozialen Bedeutung des Sachverhalts versteht, gerät seine Kritik an der herrschenden Lehre zum Streit um Worte. Denkbar ist aber auch, daß Kindhäuser auf die Bedeutungskenntnis ganz verzichten will. Hinweise dafür ergeben sich jedenfalls aus seiner Stellungnahme zum "Mauswieselfall" . In diesem vom Baumann35 gebildeten Fall erlegt der Täter ein Mauswiesel in der Annahme, eine Maus vor sich zu haben. Irrtümlich hält er aber auch Mäuse für jagdbare Tiere. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Täter vorsätzlich handelt, wenn er einem Irrtum über den Begriff des fremden Jagdrechts oder über die Erfassung eines Tieres vom Jagdrecht irrt, unterstellt Kindhäuser die Kenntnis der gesetzlichen Regelung. Vorsatzrelevant ist dann nur die Einordnung des Tieres zu einer Art, die tatsächlich jagdrechtlich geschützt ist. Die Annahme, Mäuse seien jagdbare Tiere, soll also keinen Vorsatz begründen. 36 Dies ist ein Indiz dafür, daß Kindhäuser auch dann Vorsatz annehmen würde, wenn der Täter aus rechtlichen Fehlannahmen einen Umstand nicht kennt, der den gesetzlichen Tatbestand erfüllt. Diese Position ist aber, wie erörtert, unhaltbar. Vorsatz als Bildung des Vermeidemotivs erschöpft sich nicht in der Kenntnis von Tatsachen. Erst wenn der Täter dem Sachverhalt einen Sinn gegeben hat, der dem des Verbotstatbestandes entspricht, kann der Vermeideimpuls aktualisiert werden. Hierfür ist keineswegs, wie Kindhäuser behauptet, die Kenntnis des Sinns des Tatbestandes und damit Tatbestandskenntnis erforderlich. 37 Das Vermeidemotiv kann bereits dann gebildet werden, wenn der Sachverhalt eine Bedeutung hat, die dem des Tatbestandes entspricht.

35 Baumann/Weber, AT (1985), S. 422. 36 Jündhiluser, GA 1990,421 f. Eine andere Beurteilung ergibt sich offenbar auch nicht daraus, daß Jündhiluser § 292 StGB - zu Unrecht - als Blankettgesetz bezeichnet. Jündhällser erklärt nämlich auch den Streit über den außeratrafrechtlichen Irrtum für erledigt (1.1.0., Fn. 39). Daher unterstellt er offenblr luch bei nonnativen Tltbestandsmerkrnalen die Kenntnis außerstrafrechtlicher Nonnen. 37

Vgl. Jündhiluser, GA 1990,414.

42

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstinde

Wer in dem von Kindhäuser zitierten Bierfilzfall den Bierfilz nicht für eine Urkunde hält, erf"ahrt nicht deshalb keinen Impuls, eine Urkundenfälschung zu vermeiden. Sobald er erkennt, daß der Filz eine dem Wirt zurechenbare und Beweiszwecken dienende Erklärung enthält, hat er Anlaß, daran keine Änderungen vorzunehmen, da er weiß, daß der Wirt damit die Zeche abrechnet. Um dies zu erkennen, bedarf es weder der Vorstellung, es handele sich bei dem Bierfilz um eine Urkunde, noch, wie Kindhäuser behauptet, der Kenntnis des § 267 StGB.

(2) Dopslaff

Auch Dopslaff weist die Lehre von der Parallelbeurteilung zurück. Da vom Täter keine Kenntnis der Bedeutung der Tatbestandsbegriffe gefordert werde, müsse er eine derartige Kenntnis überhaupt nicht, also auch nicht nach Laienart erlangen. 38 Der Täter habe die erforderliche Kenntnis von der Tat, wenn er eine Sachverhaltsbeschreibung kenne, die sich mit einer konkreten Tatbestandsformulierung deckte. 39 Dopslaff hat sich bereits mit zu erwartenden Einwänden der Lehre von der Parallelbeurteilung auseinandergesetzt. Die Forderung, der Täter müsse den sozialen Bedeutungsgehalt des jeweiligen normativen Tatbestandsmerkmals kennen, könne aber allenfalls zum Inhalt haben, daß er alle juristisch relevanten Merkmale dieses Begriffs kennen müsse. Eine solche Kenntnis habe der Täter aber, wenn er die Sachverhaltsbeschreibung kenne. 40 Dann stellt sich jedoch die Frage, wie diese Sachverhaltsbeschreibung formuliert ist,41 ob sie nämlich die Komponente der sozialen Bedeutung enthält. Die Sachverhaltsbeschreibung kann sich nämlich auf die "sinnlich wahrnehmbaren" Umstände beschränken: "Bierfilz mit Strichen", sie kann aber bereits die soziale Bedeutung mitenthalten: "Bierfilz, den der Wirt mit Strichen versehen hat, anhand derer er die Zeche berechnet und begründet. "

1987,25. 39 Dopslalf, GA 1987, 22 f. 40 Dopslalf, GA 1987, 22 f.

38

Dopslalf, GA

41

Diese Frage Slellt auch Puppe, GA

1990, 152, Fn. 13.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale

43

Dopslaff äußert sich hierzu nicht ausdrücklich. Rückschlüsse können aber aus seiner Stellungnahme zum untauglichen Versuch der Unterschlagung einer tätereigenen Sache gezogen werden. Hierfür fordert er nämlich (allein) die Kenntnis der Tatsachen, die die Voraussetzungen der zivilrechtlichen Übereignung darstellen, nicht aber die Kenntnis des Eigentumsübergangs: "Kennt der Täter diesen Sachverhalt, ... dann gehören zusätzliche Überlegungen über die Bedeutung des Normbegriffs 'fremd' nicht mehr zum Vorsatz. "42 Daraus muß gefolgert werden, daß nach Auffassung Dopslaffs für den Vorsatz stets nur die Kenntnis der Tatsachen gefordert wird, Vorsatz also auch dann vorliegen soll, wenn der Täter die rechtliche Bedeutung dieser Tatsachen nicht kennt. Die Unhaltbarkeit dieser Ansicht, die sich insoweit mit Kindhäusers Meinung deckt, ist mit den Überlegungen zu der Funktion des Vorsatzes und den diesbezüglichen Schlußfolgerungen der Lehre von der Parallelbeurteilung in der Laiensphäre hinreichend dargelegt. Kindhäusers und Dopslaffs Ausführungen müssen also sowohl in den Prämissen als auch in den Schlußfolgerungen zurückgewiesen werden. Die Feststellung des Vorsatzes ist auch ohne eine Unterstellung der Normkenntnis möglich. Beide Autoren unterscheiden nicht hinreichend zwischen dem Sinn des Tatbestandes und der Bedeutung des Sachverhalts. Soweit Kindhäuser und Dopslaff auf die Parallel beurteilung des Täters verzichten wollen, lassen sie eindeutige Erklärungen darüber vermissen, wodurch diese ersetzt werden soll. Wenn dies durch die "Einschätzung des Sachverhalts" bzw. durch die "Sachverhaltsbeschreibung" geschehen soll, handelt es sich nur um eine abweichende Begriffsbildung, sachlich aber um das gleiche Phänomen. Wenn auf die Parallelbeurteilung ersatzlos verzichtet werden soll, genügen die Anforderungen an den Vorsatz nicht, um dessen Funktion, Bildung eines Vermeidemotivs, zu erfüllen.

2. Vorsatz und Tatsacbenkenntnis Der Vorsatz verlangt Kenntnis der Tatumstände, und zwar Kenntnis in der Weise, daß der Täter daraus einen Impuls zur Unterlassung des Tatentschlusses

erlahrt.

42

Dopslaff, GA 1987,26.

44

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände

Hierzu ist regelmäßig die Kenntnis derjenigen Tatsachen erforderlich, die den Sachverhalt zu einem tatbestandsmäßigen Geschehen machen. Das ist für deskriptive Merkmale des Tatbestandes ganz selbstverständlich. Nur wer weiß, daß er einen Menschen vor sich hat, kann vorsätzlich töten. Bei den deskriptiven Tatbestandsmerkmalen führt die Kenntnis der Tatsachen also unmittelbar zur Kenntnis der sozialen Bedeutung des Geschehens, ohne daß es einer besonderen Parallelbeurteilung in der Laiensphäre bedürfte. Auch bei vielen normativen Tatbestandsmerkmalen ist diese Kenntnis der zugrundeliegenden Tatsachen erforderlich, nämlich dann, wenn die Beurteilung des Geschehens gerade aufgrund der Tatsachenkenntnis erfolgt und ohne diese gar nicht möglich ist. Die Einordnung eines Schriftstücks als Urkunde ist auch nach laienhafter Beurteilung nicht möglich, wenn der Täter sich nicht auch die Erkennbarkeit des Ausstellers vorstellt. Die irrige Annahme, eine Urkunde zu fälschen, enthält nicht die erforderliche Bedeutungskenntnis, wenn nicht auch die Tatsache irrig angenommen wurde, ein Aussteller sei erkennbar. Demnach erfordert der Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen immer dann die Kenntnis von Tatsachen, wenn dies für die Erlangung der Bedeutungskenntnis unverzichtbar ist. Das ist immer dann der Fall, wenn die Tatsachen definitionsgemäß Bestandteil des normativen Tatbestandsmerkmals sind. 43 Darüber hinaus wird jedoch zum Teil stets kumulative Kenntnis der Bedeutung und der zugrundeliegenden Tatsachen verlangt. 44 Interessanterweise wird diese Tatsachenkenntnis ausschließlich bei der Frage der Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt erörtert, wenn nämlich die soziale Bedeutung nur irrig angenommen wurde. Es sind jedoch zwei Positionen zu unterscheiden. Soweit für den Vorsatz verlangt wird, daß die Bedeutungskenntnis aus geeigneten Umständen geschlossen wurde, handelt es sich in der Tat um ein Sonderproblem des umgekehrten Irrtums, das nichts über die allgemeinen Voraussetzungen an den Vorsatz aussagt. Diese Position wird daher an anderer Stelle erörtert. 45

43

Ebenso Hridingsfelder (1991), S. 150.

44 BGHSt 1,13 (16); Reiß, wistra 1986, 198; Schumann, JZ 1987,526; Stratenwerth, JZ 1958, 545 f.; TISchler (1984), S. 269 Fn. 13; v. Weber, GA 1953, 164 ff.

45 Unten, S. 96.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnltiven) Tatbestandsmerkmale

45

Soweit allgemein immer auch die Tatsachenkenntnis gefordert wird, so liegt dem offenbar wenigstens zum Teil eine mehrdeutige Verwendung des Begriffs "Tatsache" zugrunde. Wenn der BGH einen untauglichen Versuch der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung nur dann für möglich hält, wenn der Täter" Tatsachen angenommen hätte, die den dargelegten Inhalt des Begriffes der zuständigen Behörde ausmachen·46 , dann verwendet er den Begriff der Tatsache nicht im Sinne "sinnlich wahrnehmbarer Tatsachen", sondern im Sinne eines Tatumstands. Denn die irrige Annahme einer Bedeutung bei reinen Rechtsbegriffen darf, wie Jescheck zutreffend feststellt, nicht inhaltsleer sein, sondern muß "diejenigen (tatsächlichen oder rechtlichen) Umstände umfassen, die den Rechtsbegriff ausmachen". 47 Der Rückgriff auf die zugrundeliegenden Tatsachen ist also ein Hilfsmittel zur Feststellung, ob der Täter den Begriff oder die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals irrig annahm. 48 Dies deckt sich jedoch inhaltlich mit dem hier Gesagten: Der Täter muß eine Sachverhaltsbeschreibung abgeben, die mit dem Sinn des Tatbestandes übereinstimmt. Die hierfür erforderliche Kenntnis der Eigenschaften, die die soziale Bedeutung ausmachen, ist aber nicht notwendig mit der Kenntnis der zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände verbunden. Anschaulich zeigt dies ein vom BGH angeführtes Beispiel: 49 Niemand verlangt vom Dieb, daß er sich Gedanken darüber macht, wie der Bestohlene das Eigentum an der Sache erworben haben mag. Das gleiche gilt etwa für die Amtsträgereigenschaft, bei der es ebenfalls nicht darauf ankommt, wie sie entstanden ist, sondern allein, ob sie vorliegt. Weder der Erwerb des Eigentums noch der Erwerb der Amtsträgereigenschaft sind nämlich Gegenstand der betreffenden normativen Tatbestandsmerkmale. Das Beispiel zeigt, daß die Tatsachenkenntnis für den Vorsatz nur erforderlich ist, wenn nur durch sie die nötige Bedeutungskenntnis erlangt werden kann. Das ist bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen stets, bei normativen

46 BGHSt I, 13 (\6) (Hervorhebung im Original). 47

Jescheck, GA 1955, 109.

48 Daher werden Jescheck (a.a.O.), Blei (JA 1973,603) und Krümpelmann «1978), S. 57) von 7ischler «1984), S. 269 Fn. 13) zu Unrecht zu den Autoren gezählt, die die Tatsachenkenntnis unabhängig von der Bedeutungskenntnis fordern. 49

8/58.

BGHSt 3, 248 (255); auch bei Samson, Grundfragen (1983), S. 111; Jakobs, AT (1991),

46

I. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der T8tumslände

Merkmalen nur ausnahmsweise der Fall. Damit hat die Tatsachenkenntnis bei normativen Tatbestandsmerkmalen aber keine eigenständige Bedeutung. 50 3. Vorsatz und Unrechtsbewußtsein Das Unrechtsbewußtsein, also die Erkenntnis, Verbotenes zu tun, wird seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 18. März 195~1 einhellig der Schuld zugeordnet. Damit war die Auffassung des Reichsgerichts, die Unkenntnis der Rechtswidrigkeit sei auch für die Schuld ohne Relevanz,52 endgültig aufgegeben. In diesem Beschluß schloß sich der BGH zugleich der Schuldtheorie an,53 er ordnete den Vorsatz dem Unrechtstatbestand und nicht erst der Schuld zu. Die damit verbundene Akzeptanz subjektiven Unrechts ist für eine final orientierte Handlungslehre unverzichtbar. 54 Auch die Tatbestandsmäßigkeit der Versuchshandlung läßt sich ohne die Beachtung subjektiven Unrechts nicht bestimmen. 55 Aus diesen Gründen wird der schuldtheoretische Ansatz heute auch in der Literatur fast ausschließlich vertreten. 56 Der Gesetzgeber hat ihn durch die Einführung des § 17 in das StGB57 manifestiert. Demnach ist der Vorsatz als der subjektive Teil des Tatbestandes, das Unrechtsbewußtsein als Teil der Schuld anzusehen.

so Ebenso HeidingsJelder(1991), S. 150; Schaffsrein, OLG Celle-FS (1961), S. 188; Schroeder LK § 16 Rn. 45; SchiJnemann, GA 1986,313 Fn. 96; SUJger (1961), 27. ~l BGHSt 2, 194. ~2 Vg!. nur RGSt 2, 268 (269); 15, 158 (159) m.w. Nachw.; so auch v. Liszr (1884), S. 152. ~3 BGHSt 2, 194 (209). 54 Rudolphi SK Rn. 4 f. vor § 32; Welzel (1969), S. 60 f. ~~ Welzel (1969), S. 61. 56 Umfassende Nachw. bei Tischler (1984), S. 104 ff. Die Vorsatztheorie vertreten heute, nach Einführung des § 17 StGB, noch Langer, (1972), S. 356 ff. ders., GA 1976,208 ff.; Schmidhlluser, JZ 1979, 368 f.; ders., StudB (1984), S. 82 ff. Auch Duo, AT (1992), S. 84 ff., 248 ff.; Jura 1990, 647 und Karlheinz Meyer-GS (1990), S. 583 ff., bezeichnet seine Position als eine eingeschränkte Vorsatzthcoric, ihm folgt Geerds, Jura 1990,427 ff. ~7 BGB!. I 1975, S. 12.

I. Der Vorsatz bezüglich der (normativen) Tatbestandsmerkmale

47

4. Vorsatz und Subsumtionsirrtum Unklar ist, ob dem Begriff des Subsumtionsirrtums heute noch eine eigenständige Funktion zukommt. Als Subsumtionsirrtum wird der Irrtum bezeichnet, bei dem der Täter trotz hinreichender Kenntnis der Tatumstände und der entsprechenden Parallelbeurteilung in der Laiensphäre sein Tun nicht für stratbar hält, weil es nicht von einem Tatbestand erfaßt sei. Gemeinhin wird dieser Definition hinzugefügt, daß der Subsumtionsirrtum zum Verbotsirrtum führen könne, wenn dem Täter dadurch die Einsicht fehlt, mit der Tat Unrecht zu tun (§ 17 StGB). Während der Täter also beim Subsumtionsirrtum den Normbereich der Strafgesetze zu eng faßt, wird von einem umgekehrten Subsumtionsirrtum gesprochen, wenn der Täter den Normbereich überdehnt und daher objektiv strafloses Verhalten, das er in seiner Bedeutung auch richtig erfaßt hat, dennoch für stratbar hält. Da aber nach heute eindeutiger Gesetzeslage und auch einhelliger Überzeugung das Bewußtsein, eine Straftat zu begehen, für das Unrecht und die Schuld irrelevant ist, so daß der Subsumtionsirrtum zugunsten wie zuungunsten völlig belanglos ist, solange kein Verbotsirrtum vorliegt, hat auch die Verwendung des Begriffs keine eigenständige Bedeutung mehr. So meint Baumann, daß dieser Begriff besser verschwunden wäre. 58 Heidingsfelder hingegen stellt den (umgekehrten) Subsumtionsirrtum in den Mittelpunkt seiner Untersuchung des Irrtums zuungunsten. 59 Er sieht in der Einordnung der Fehlvorstellung als Subsumtionsirrtum "eine entscheidende Weichenstellung für die Stratbarkeit des Täters"60; er will "die Rechtsfigur des umgekehrten Subsumtionsirrtums rechtsmethodisch für die schwierige Feinabstimmung des Vorsatzgegenstandes" einsetzen. 61 Dies kann aber nur dadurch geschehen, daß der Vorsatzgegenstand selbst festgelegt wird, so daß die Reichweite des Subsumtionsirrtums nach wie vor durch die Grenzen des Vorsatzes bestimmt wird und nicht umgekehrt. Im Strafrecht kann es nur darum gehen, das stratbare Verhalten festzustellen; das

.58 Baumann, NJW

1962, 17.

.59 Heidingsfelder, Der umgekehrte Subsumtionsirrtum (1991). 00

Heidingsfelder (1991), S. 25.

61

Heidingsfelder (1991), S. 28.

48

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

straflose Verhalten bedarf keiner eigenständigen Bestimmung.62 Daher können Überlegungen zum Begriff des Subsumtionsirrtums und des Wahndelikts allenfalls Hilfsmittel für die Definition des Vorsatzbegriffs sein. 5. Vorsatz und Rechtsirrtum Mit der Übernahme der Schuldtheorie hatte sich offenbar eine völlig neue Struktur der Irrtumsunterscheidung ergeben. Das Reichsgericht hatte Vorsatz und Unrechtsbewußtsein der Schuld zugeordnet; innerhalb der Schuld unterschied es Irrtümer danach, ob sie vorsatzrelevant waren. Dies sollte bei tatsächlichen Irrtümern stets, bei rechtlichen Irrtümern jedoch nur dann der Fall sein, wenn sie nicht das Strafgesetz, sondern außerstrafrechtliche Vorschriften, etwa des Zivilrechts, betrafen. Daher wurden Rechtsirrtümer in strafrechtliche und außerstrafrechtliche Irrtümer unterteilt. 63 Nach der Schuldtheorie ist nun zwischen Irrtümern zu unterscheiden, die bereits das tatbestandliche Unrecht ausschließen, und solchen, die nur für die Tatschuld von Bedeutung sind. Die Irrtumsunterscheidung betrifft nicht mehr nur die Schuldebene (und ist also, nach Kuhlens64 Diktion, nicht mehr nur horizontal ausgerichtet), sondern schon die Einordnung der Fehlvorstellung in die verschiedenen Ebenen des Tatbestandes als Tatbestands- bzw. Verbotsirrtum (und ist also vertikal ausgerichtet). Es hat sich jedoch herausgestellt, daß mit der Einordnung des Vorsatzes in den Tatbestand und des Unrechtsbewußtseins in die Schuld die Differenzierung im Bereich des Rechtsirrtums keineswegs obsolet geworden ist, existieren doch Rechtsirrtümer, die bereits den Vorsatz ausschließen. Überhaupt ist die Einordnung des Irrtums in den Systemtatbestand nicht möglich, bevor nicht die Art des Irrtums festgestellt wurde. Ein Irrtum, der den Tatbestand betrifft, kann schließlich sowohl Tatumstands- als auch Verbotsirrtum sein. Diese Erkenntnis hat Kuhlen Anlaß zu der Überprüfung der bereits von Hellmuth Mayer65 geäußerten These gegeben, daß die Irrtumsunterscheidung des

62 In

diesem Sinne Schumann, JZ 1987,527.

63 Vgl. zur Irrtumsrechtsprechung des Reichsgerichts Tischler (1984), S. 40 ff. 64 Kuhlen (1987), S. 122 ff. 6S

Hellmuth Mayer, MDR 1952,392.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkrnale

49

BGH in Wahrheit eine Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichts darstelle. Kuhlen hat in einer umfangreichen Untersuchung nachgewiesen, daß die Irrtumsunterscheidung auch nach den Prämissen des BGH horizontal strukturiert - nämlich auf der Ebene des Tatbestandes angesiedelt - ist und daher, soweit es die Entscheidungen zum Tatbestandsvorsatz angeht, durchaus eine Kontinuität in der Rechtsprechung zu beobachten ist. 66 Dies stellt jedoch keine Kritik an der Rechtsprechung des BGH dar, vielmehr bemüht sich Kuhlen, wie schon andere vor ihm, die von der damaligen Literatur einhellig abgelehnte67 Orientierung des RG an dem Begriffspaar außerstrafrechtlicher und strafrechtlicher Irrtum erneut fruchtbar zu machen. Das Ziel dieser Arbeiten liegt darin, zu zeigen, daß der systematische Ansatz des Reichsgerichts durchaus seine Berechtigung hatte und daher die Kritik an der reichsgerichtlichen Rechtsprechung nicht deren Ansatz trifft, sondern Einzelfallentscheidungen, die offenbar von anderen als dogmatischen Gesichtspunkten geleitet waren. Dies gilt vor allem für die oft nicht nachvollziehbare Einordnung von Rechtsirrtümern als strafrechtlich oder außerstrafrechtlich. 68 a. Kuhlens Unterscheidung von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum

Kuhlen hält eine Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsirrtum für geboten, da der tatsächliche Irrtum im Gegensatz zum Rechtsirrtum das Sanktionsbedürfnis regelmäßig entfallen lasse. Das liege daran, daß bei einem Rechtsirrtum die Strafnormen mit den rechtlichen Beurteilungen des Handelnden konkurrierten und gegen diesen durchzusetzen seien. Bei einem tatsächlichen Irrtum käme es gar nicht zu dieser Konkurrenz, da die Strafnormen scheinbar unanwendbar seien. 69 Im folgenden stellt Kuhlen ein logisch orientiertes Kriterium zur Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum vor. Er widerspricht damit einer einer in der

66

Kuhlen (1987), S. 145 tT.; 157 tT.

67 Binding, Normen Bd. 3 (1918), S. 121 tT.; v. Hippel Bd. 2 (1930), S. 343; Kohlrausch (1903), S. 119; und die Nachw. bei Trschler (1984), S. 43 Fn. 17. 68 S. dazu die Beispiele bei Kohlrausch (1903), S. 119 tT.; Schlüchter, (1983), S. 40 f. und bei TISchler (1984), S. 45. 69

Vgl. Kuhlen (1987), S. 346.

4 Bachmann

50

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände

Literatur vertretenen Ansicht, die eine Abgrenzung beider Irrtumsarten nicht für möglich hält. 70 Da jedoch auch Kuhlen eine Gleichbehandlung von Irrtümern über die Strafnorm und Irrtümern im außerstrafgesetzlichen Bereich nicht befüJWortet, versucht er, die Eigenschaften herauszustellen, die strafrechtliche und außerstrafrechtliche Normen unterscheiden, um einen Gradmesser zu finden, mit dem sich der vorsatzausschließende außerstrafrechtliche von dem unbeachtlichen strafrechtlichen Irrtum trennen läßt. (1) Die Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum

Sowohl der Tat- wie der Rechtsirrtum beruhen auf Fehlannahmen in Bezug auf die Erfassung oder Bedeutung des Sachverhalts. Beide lassen sich durch die Formulierung von Aussagen darstellen, die der Täter über den Sachverhalt oder über dessen Bedeutung machen würde. Kuhlen bemüht sich nun um ein Kriterium, anband dessen diese Aussagen daraufhin überprüft werden können, ob ihnen ein Tat- oder ein Rechtsirrtum zugrundeliegt. Zu diesem Zweck bedient sich Kuhlen neuerer Erkenntnisse der juristischen Argumentation. Sein Augenmerk richtet sich auf die Prämissen der internen Rechtfertigung. Die interne Rechtfertigung betrifft die Frage, ob das juristische Urteil aus den Prämisl,len, auf die es gestützt ist, also aus den rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben, logisch folgt. 71 Beispielsweise beruht das Urteil, der Täter werde wegen Totschlag bestraft, weil er das Opfer vorsätzlich getötet habe, auf den Prämissen des Todes des Opfers, der Verursachung des Todes durch den Täter, dessen Vorsatz und der Vorschrift des § 212 StGB. Gegenstand der externen Rechtfertigung ist demgegenüber die Wahrheit, Richtigkeit und Akzeptabilität jener Prämissen,72 sie betrifft also im wesentli-

70 Herdegen, BGH-FS (1975), S. 197; Kohlrausch (1903), S. 84 ff.; MaurachlZipf, AT!1 (1992), § 37 Rn. 8; vgl. auch BGHSt 2, 194 (203). 71 Alexy (1978), S. 273. 12 Alexy (1978), S. 283 ff.; den., ARSP Beiheft 14 [1980],185 f.; zum Ganzen auch Schwintowsld, JA 1992, 104 ff.

I. Der Vorsatz bezüglich der (normativen) Tatbestandsmerkmale

51

ehen die Anwendbarkeit und richtige Auslegung von Normen SOWle die Richtigkeit der Beweiserhebung. Im obigen Beispiel ist die Feststellung der Ursachen für den Tod des Opfers Gegenstand der externen Rechtfertigung. Die Prämissen der internen Rechtfertigung bestehen aus singulären (im Einzelfall wahren) Sätzen (Sachverhaltsbeschreibungen) und mindestens einem universellen (allgemein gültigen) Rechtssatz: 73 PI: P2: P3 : P 4:

Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird wegen Totschlag bestraft. Das Opfer ist tot. Der Täter hat diesen Tod verursacht. Er handelte vorsätzlich.

Die interne Rechtfertigung ist gelungen, wenn die singulären Sätze alle Bedingungen erfüllen, die der allgemeine Rechtssatz an den Eintritt der Rechtsfolge knüpft. Die Aufgabe dieses Justizsyllogismus besteht also darin, von den singulären Sätzen (Sachverhaltsfeststellungen) mit Hilfe des allgemeinen Rechtssatzes auf die Rechtsfolge zu schließen. Die interne Rechtfertigung stellt also, kurz gesagt, den Subsumtionsvorgang unter die Prämissen dar. Hier setzt nun Kuhlen mit einer Theorie zur Abgrenzung von Rechts- und Tatirrtum an. 74 In Anlehnung an Rüßmanns Abgrenzungsformel von Rechtsund Tatfrage im Revisionsrecht75 schlägt er folgende Definitionen vor: "Die Annahme eines Handelnden ist rechtsirrig (stellt einen Rechtsirrtum dar), wenn sie von einer allgemeinen Prämisse der internen Rechtfertigung 76 eines Strafurteils abweicht.

73

Vgl. Alay (1978), S. 275.

74 Kuhlen

(1987), S. 347 ff.

75 Rüßmann (1976), S. 250 ff. Rüßmann bezeichnet die interne Rechtfertigung als logischen, die externe als außerlogischen Beweis, S. 250.

76 Für dieses Vorgehen ist nur die interne, nicht die externe Rechtfertigung interessant. Beurteilt werden die Beschreibungen der Handlungen durch den Täter. Wie der Täter zu der Auffassung gelangt, daß etwa der Totschlag strafbar ist - was einem Problem der externen Rechtfertigung entsprechen würde -, ist unerheblich. 4"

52

I. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

Die Annahme eines Handelnden ist tatirrig (stellt einen Tatirrtum dar), wenn sie von einer singulären Prämisse der internen Rechtfertigung abweicht. "77 Diese Vorgehensweise wird von Kuhlen am Beispiel einer Entscheidung des Reichsgerichts78 zum "falschen Schlüssel" i. S. d. § 243 Nr. 3 StGB a. F. (§ 243 Abs. 1 Nr. 1 n. F.) erläutert. Am Anfang der Beschäftigung mit der Frage, ob ein Rechtsirrtum vorliegt, steht die Feststellung, daß der Täter überhaupt einem Irrtum unterliegt, die Vorstellung des Täters also nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. In der Entscheidung handelte es sich um einen falschen Schlüssel. Der Täter hatte dies nicht erkannt. Damit kann ein Irrtum festgestellt werden. Unklar bleibt aber, ob es sich um einen Tat- oder Rechtsirrtum handelt. Hierzu sind weitere Feststellungen erforderlich.

Zu diesem Zweck werden die Prämissen der Entscheidung zusammengestellt. Sodann wird untersucht, welche dieser Prämissen vom Täter verkannt wurde. Kuhlen stellt folgende Prämissen des Reichsgerichts zusammen. 79 PI: Ein Schlüssel, der nicht vom Berechtigten zur ordnungsgemäßen Eröffnung eines Schlosses bestimmt ist, ist falsch. P 2 : Ein Schlüssel, dessen Bestimmung nachträglich entfällt, ist nicht vom Berechtigten zur ordnungsgemäßen Eröffnung eines Schlosses bestimmt. P3 : Die Bestimmung eines Schlüssels zur ordnungsgemäßen Eröffnung eines Schlosses entfällt nachträglich, wenn er ursprünglich zur ordnungsgemäßen Eröffnung bestimmt war und wenn der Berechtigte sie dem Schlüssel durch nach außen erkennbare Willenserklärung vor dem Diebstahl entzieht. P4: Der hier verwendete Schlüssel war ursprünglich zur ordnungsgemäßen Öffnung des betreffenden Schlosses bestimmt und ihm wurde diese Be77 Kuhlen (1987), S. 350. Ein Tatirrtum kann allerdings auch bei einem Irrtum über allgemeine Sätze vorliegen, z.B. über Kausalgesetze. Dieses Problem löst Kuhlen, indem er allgemeine empirische Gesetze und Naturgesetze der externen Urteilsrechtfertigung, also der Beweiserhebung, zuordnet (S. 352 f.). Ein Fehler in diesen externen Sätzen führt stets zu der falschen Formulierung einer singulären Prämisse und damit zum Tatirrtum. Zur internen Rechtfertigung gehören nach Kuhlen (a.a.O., S. 353) alle allgemeinen Sätze, die man als Normkonkretisierung auffassen kann.

78 RGSt 52, 84.

79 Kuhlen (1987), S. 350.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale

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stimmung vor dem Diebstahl von dem Berechtigten durch nach außen erkennbare Willenserklärung entzogen. Bei PI bis P3 handelt es sich um allgemeine Sätze, bei P4 um einen singulären Satz. Diesen Prämissen lassen sich entsprechende (fiktive) Handlungsbeschreibungen des Täters gegenüberstellen: BI: Der verwendete Schlüssel war falsch. B2 : Der verwendete Schlüssel war nicht vom Berechtigten zur ordnungsgemäßen Öffnung eines Schlosses bestimmt. B3 : Die Bestimmung des verwendeten Schlüssels zur ordnungsgemäßen Öffnung des betreffenden Schlosses entfiel nachträglich. B4 : Der hier verwendete Schlüssel war ursprünglich zur ordnungsgemäßen Öffnung des betreffenden Schlosses bestimmt und ihm wurde diese Bestimmung vor dem Diebstahl von dem Berechtigten durch nach außen erkennbare Willenserklärung entzogen. Unterliegt der Täter einem Irrtum, so würde er der Beschreibung BI nicht zustimmen. Dies kann sowohl an der bereits fehlerhaften Beschreibung auf der Ebene B2 oder an der Verkennung der (allgemeinen) Prämisse PI liegen. Daher wird geprüft, ob ~ richtig formuliert würde. In diesem Fall läge nämlich ein Rechtsirrtum über die Prämisse PI' ein Subsumtionsirrtum, vor. Ein Tatirrtum läge also nur vor, wenn auch die letzte Beschreibung, P4 , nicht gelingen würde. Dieses Vorgehen ist in allen Irrtumsfällen, also auch beim umgekehrten Irrtum möglich. Im Bezugskartenfa1l80 hielt der Täter ein Schriftstück irrig für eine Urkunde. In Betracht kam ein Irrtum über die allgemeine Prämisse: "Urkunden lassen den Aussteller erkennen", oder aber über eine singuläre Prämisse: "Dieses Schriftstück läßt keinen Aussteller erkennen". Wie der BGH richtig feststellte, häUe ein Irrtum über den letzten Satz zum Versuch geführt. Der Täter haUe jedoch erkannt, daß der Aussteller nicht erkennbar war. Er irrt also

80

BGHSt 13, 235.

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1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

nicht über eine singuläre, sondern über die allgemeine Prämisse, daß Urkunden den Aussteller erkennen lassen müssen, so daß ein Rechtsirrtum vorlag. Dieses recht aufwendige Verfahren, das man als fiktiven Dialog zwischen Rechtsanwender und Täter bezeichnen kann, führt nun noch nicht zu neuen Erkenntnissen. Es ist aber immerhin geeignet klarzustellen, wo genau der "Sprung" vom Rechtsirrtum zum Tatirrtum liegt. Dieses Verfahren bietet die Möglichkeit, Behauptungen zu verifizieren. Zu klären ist aber noch die Frage, wie die Prämissen der internen Rechtfertigung formuliert werden müssen, um die Abgrenzung zwischen Tat- und Rechtsirrtum zu leisten. Die Prämissen lassen sich nämlich prinzipiell beliebig zergliedern. Auch der als singulär bezeichnete Satz P4 in Kuhlens Beispiel ließe sich durch einen weiteren allgemeinen und einen singulären Satz ersetzen, indem etwa die Definition des Begriffs "Schlüssel" als P 4 und die Feststellung der entsprechenden Voraussetzungen als Ps formuliert würde. Es muß also eine Stufe festgelegt werden, auf der der fiktive Dialog abgebrochen werden soll oder kann. Dafür bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Die Stufe kann absolut, bezogen auf den Tatbestand, oder relativ, bezogen auf die Sprecher, also auf den Täter und den Rechtsanwender, bestimmt werden. Kuhlen bestimmt die Stufe, auf der die Konkretisierung zu beenden ist, relativ. Die Prämissen seien soweit zu untergliedern, bis sie informativ seien, bis man wisse, was geschehen ist. 81 Die unterste Stufe sei auf der Sprachebene erreicht, auf der ein einverständlicher Sprachgebrauch von Urteilendem und Handelndem herrsche. 82 Nur dann lasse sich eine irrige Annahme des Handelnden nicht durch seinen von dem Urteilenden abweichenden Sprachgebrauch erklären und könne als tatsächlicher Irrtum angesehen werden. Demnach sei "die Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatirrtum relativ, auf die Sprachverwendung des Handelnden" bezogen. 83

81

Kuhlen (1987), S. 348 nach Raßmann (1976), S. 258.

82

Kuhlen (1987), S. 353.

83

Kuhlen (1987), S. 353.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale

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Kuhlen hat auch diesen Gedanken aus der revisionsrechtlichen Abhandlung Rüßmanns übernommen. Die Abgrenzung von Rechts- und Tatfrage ist nämlich im Revisionsrecht, wie Rüßmann gezeigt hat, nicht abstrakt möglich. So kann in einem Fall, in dem es um den Fehlerbegriff des § 459 BGB geht, die Frage des Kaufvertragsschlusses Tatfrage, in einem anderen Fall, in dem die Wirksamkeit des Vertrages im Streit steht, Rechtsfrage sein. Und so konnte der BGR die Frage, ob ein Angeklagter zu einer Tat angestiftet worden sei, "bei einem einfachen Sachverhalt" als Tatfrage ansehen. 84 "Somit hängt", so Kuhlen, "die Trennung von Rechts- und Tatfrage davon ab, an welcher Stelle wir bereit (oder praktisch gezwungen) sind, eine der unseren gleiche Sprachverwendung durch andere zu unterstellen. -85 Diese Schlußfolgerung ist allerdings im Ergebnis wie in der Begründung überraschend. Über die Einordnung einer Fehlvorstellung als Tat- oder Rechtsirrtum soll offenbar nicht mehr diskutiert werden können, ohne daß das Sprachniveau des Täters bekannt ist. Dieser - kaum akzeptable - Befund folgt aber gar nicht aus den Vorgaben Rüßmanns. Die Bestimmung der Grenze der Normkonkretisierung ist nämlich in Wahrheit nicht konstitutiv für die Feststellung eines Tatirrtums. 86 Rüßmann kann den fIktiven Dialog vielmehr deshalb an der beschriebenen Grenze abbrechen und der BGR die Frage, ob eine Anstiftung vorliegt, im einfachen Fall als Tatfrage behandeln, weil sie sicher sein können, daß eine weitere Konkretisierung nicht zu einem anderen Ergebnis führen würde. Der Revisionsrichter kann, wenn er sich des einheitlichen Sprachgebrauchs sicher ist, auf dieser Stufe ausschließen, daß der Fehler in einer Prämisse jetzt noch auf einem Rechtsirrtum beruht. Bei einem einfachen Sachverhalt darf er davon ausgehen, daß der Tatrichter die Regeln der Teilnahme richtig angewandt haben wird, ein dennoch bestehender Fehler also nur auf einer Tatsachenverkennung beruhen würde. Dies ist auch der Grund dafür, warum Kuhlen in dem Beispiel des falschen Schlüssels nicht auch den Begriff des Schlüssels defInieren mußte: Er ging wie das Reichsgericht zu Recht davon aus, daß in diesem Fall ein Irrtum über diese allgemeine Prämisse nicht in Betracht kam.

84

BGHSt 1, 137 (138).

85 Kuhlen (1987), S. 349. 86

Vgl. auch Puppe, GA 1990, 152 f., insb. Fn. 14.

56

I. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände

Eine Weiterführung des Dialogs hätte diese Vermutung bestätigt, an dem Ergebnis - Tatirrtum - aber nichts geändert. Die Festlegung der Abbruchsgrenze des Dialogs ist also nicht konstitutiv für die Abgrenzung von Rechts- und Tatirrtum. Der Dialog darf beendet werden, wenn Irrtümer über Begriffe auf der erreichten Stufe ausgeschlossen werden können, unterhalb dieser Stufe ist er sinnlos, aber nicht schädlich. Die logisch orientierte Irrtumsunterscheidung führt also keineswegs zu einer relativen, sondern zu einer absoluten Abgrenzung. Sie ist allerdings insofern konkret und nicht abstrakt, als, wie das Kaufvertragsbeispiel zeigt, die erforderliche Konkretisierung davon abhängt, in welchem Kontext ein Begriff verwendet wird. Dies hat aber mit dem Sprachverständnis des Täters nichts zu tun. Diese Kritik erfolgt unbeschadet der grundsätzlichen Richtigkeit der Abgrenzungsformel. Es kann festgehalten werden, daß der Rechtsirrtum ein Irrtum über eine allgemeine, ein Tatirrtum der Irrtum über eine singuläre Prämisse der internen Rechtfertigung ist. An dieser Stelle ist auch auf den Einwand Puppes einzugehen, Kuhlen könne den Fall nicht erfassen, daß der Täter sich sowohl in einem Tatsachen- als auch in einem Subsumtionsirrtum befinde, da der Dialog bei einem Rechtsirrtum nicht mehr bis zum singulären Satz gelange. 87

Als Beispiel könnte man den Fall bilden, in dem der Täter nur notariell beglaubigte Schriftstücke als Urkunden i. S. d. § 267 StGB ansieht, zugleich aber verkennt, daß das von ihm gefälschte Schriftstück keinen Aussteller erkennen läßt. Der Täter würde schon die allgemeine Prämisse, die den Begriff der Urkunde erklärt, falsch formulieren, so daß nach Puppe nur der Subsumtionsirrtum festgestellt werden könnte. Dieser Einwand trifft jedoch nicht zu. Der Dialog wird nicht schon dann beendet, wenn eine falsche allgemeine Prämisse festgestellt wurde. Welche Prämisse falsch ist, kann nämlich nur bestimmt werden, wenn die Richtigkeit der nächstniedrigeren Stufe feststeht. Bei einem Tatirrtum sind alle Handlungsbeschreibungen feststellbar falsch. Der Subsumtionsirrtum ist es, der nicht festgestellt werden kann, da auch die folgenden Prämissen, bis hin zur singulä-

87

Puppe, ZStW 102 [1990), 895 f.

I. Der Vorsatz bezüglich der (normativen) Tatbestandsmerkmale

57

ren Prämisse, falsch sind. Das ist jedoch unschädlich, da der Tatirrtum bereits den Vorsatz ausschließt. Probleme könnten sich allerdings beim Doppelirrtum, wie in dem Mauswieselfall, 88 ergeben: Ein umgekehrter Rechtsirrtum würde zur richtigen Formulierung der abstraktesten Prämisse führen, obwohl die Sachverhaltsbeschreibung falsch ist. Eine vorschnelle Schlußfolgerung - Vorsatz, da der Obersatz richtig formuliert wurde - kann nur vermieden werden, wenn stets auch die Richtigkeit der singulären Prämissen überprüft wird. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die logisch orientierte Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsirrtum durchführbar ist. Sie führt allerdings nicht, wie Kuhlen behauptet, zu einer relativen, sondern zu einer absoluten Abgrenzung. (2) Die Unterscheidung von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum Nach der gelungenen Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum hat sich Kuhlen nun mit der Abgrenzung von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum auseinanderzusetzen. Nur letzterer soll vorsatzausschließende Wirkung haben. Es hätte nahe gelegen, diese Abgrenzung am gesetzlichen Tatbestand zu orientieren. Als strafrechtlicher Irrtum hätte sich dann der Irrtum über eine allgemeine Prämisse erwiesen, die den gesetzlichen Tatbestand betrifft. Der Irrtum über eine allgemeine Prämisse, die nicht dem gesetzlichen Tatbestand entstammt, wäre demgegenüber ein außerstrafrechtlicher Irrtum. Kuhlen ist diesen Weg nicht gegangen. Er bezeichnet den Bezug der Tatbestandselemente auf andere Normen als Normkonkretisierungen. 89 Er untersucht, bei welcher Art von Konkretisierungen ein Austausch des Tatbestandselementes durch die Konkretisierung möglich ist, ohne dessen Inhalt zu verändern. Dabei unterscheidet er bewußt nicht zwischen Verweisungen durch normative Tatbestandsmerkmale und durch BlankettbegriffeYO

88

Vgl. oben, S. 41.

89

Kuhlen (1987), S. 370 f.

90 Kuhlen

(1987), S. 420 f.

58

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände

Ein Austausch sei immer dann möglich, wenn die Verweisung statischer Natur, jedoch nie, wenn sie dynamischer Natur sei. Demnach treffe Burkhardts im Anschluß an Kohlrausch91 formulierte Substituierbarkeitsthese, ein Merkmal des Tatbestandes könne stets durch die das Merkmal ausfüllende Vorschriften ersetzt werden, ohne den Inhalt der Norm zu verändern,92 nur für statische Normverweisungen zu. 93 Die Verweisungen seien also auf ihre "Zeitstruktur" zu untersuchen. 94 Als statische Normverweisungen bezeichnet Kuhlen die Bezugnahme auf Normen, die im Zeitpunkt der Strafgesetzsetzung gegolten haben. Eine dynamische Normverweisung sei die Bezugnahme auf Regeln, die im Zeitpunkt der Handlung gelten. 95 Der Irrtum über Verweisungsnormen statischer Natur wirke aufgrund der Substituierbarkeitsthese wie der Irrtum über die Strafrechtsnorm selbst, er sei als strafrechtlicher Irrtum für den Vorsatz irrelevant. Der Irrtum über eine dynamische Normverweisung sei als außerstrafrechtlicher Irrtum vorsatzausschließend. 96 Normverweisungen dynamischer Art aufzufmden, fällt nicht schwer. Da § 2 Abs. 1 StGB vorschreibt, daß das Gesetz anzuwenden ist, das zur Zeit der Tat gilt, ist es selbstverständlich, daß auch die in Bezug genommenen Normen in der Tatzeit gelten Fassung anzuwenden sind. Insofern überrascht Kuhlens - nicht näher begründete - These, der Gesetzgeber könne, "vom Zeitpunkt der Normsetzung gesehen, den jetzigen Zeitpunkt festschreiben. Er kann also, um beim Beispiel 'fremd' zu bleiben, eine Normierung treffen, in der das Merkmal gleichgesetzt wird mit: 'fremd nach den Regeln des Bürgerlichen Rechts, die im Zeitpunkt der Normsetzung gel-

(1903), S. 179 f. 1981, 687. Eingehend zur Substituierbarkeitsthese unten, S. 98 f. 93 Kuhlen (1987), S. 369. 94 Kuhlen (1987), S. 370. 95 Kuhlen (1987), S. 369. 96 Kuhlen (1987), S. 370 ff. Kuhlen bezeichnet allerdings den Irrtum über die Anwendbarkeit 91

Kohlrausch

92

Burkharth, JZ

der dynamischen Normen als strafrechtlich. Dies deckt sich mit der allgemeinen Auffassung - wer nicht weiß, daß sich die Fremdheit einer Sache nach den Regeln des Zivilrechts richtet, hat den Begriff der Fremdheit mißverstanden. Daher soll dieser Aspekt der dynamischen Normverweisung nicht näher erörtert werden.

I. Der Vorsatz bezüglich der (normativen) Tatbestandsmerkrnale

ten'. "97 § 2 Abs. 1 StGB gibt Anlaß weise nicht gibt.

ZU

59

der Behauptung, daß es solche Ver-

Kuhlen scheint im Bereich des heute geltenden Strafrechts keine statische Normverweisung festgestellt zu haben, jedenfalls führt er als Beispiele allein § 27 Postgesetz a. F. vom 28.10 .187198 und § 26 WeinG a. F. vom 25.7.193099 an. Im ersten Beispiel stellt er zwei Strafbestimmungen aus § 27 PostG gegenüber, eine enthalte eine dynamische, die andere eine statische Normverweisung. § 27 Nr. 2 PostG stellte die Deklaration einer portopflichtigen Sendung als portofrei unter Strafe. Ein solcher Fall lag der Entscheidung des Reichsgerichts vom 24. November 1898 100 zugrunde; die Angeklagten hatten Einladungsschreiben zur Abschiedsfeier ihres Vorgesetzten zu Unrecht als "Militaria" beschriftet und somit portofrei befördern lassen.

Gemäß § 27 Nr. 1 PostG machte sich strafbar, wer politische Zeitungen entgegen einem in § 1 PostG enthaltenen Verbot auf andere Weise als durch die Post entgeltlich beförderte. In dem in RGSt 37, 389 verhandelten Fall hatten zwei Ehepaare die Auslieferung von politischen Zeitungen in der irrigen Annahme besorgt, als Expreßboten i. S. d. § 2 PostG zu fungieren und deshalb nicht gegen das Verbot des § 1 PostG zu verstoßen. Kuhlen bezeichnet die Verweisung des § 27 Nr. 2 PostG bezüglich der Portofreiheit als dynamische Normverweisung. § 27 Nr. 2 PostG nimmt auf das Gesetz betreffend die Porto freiheiten im Gebiet des Norddeutschen Bundes vom 5. Juni 1869101 Bezug. Es sei, so Kuhlen, "ohne weiteres" davon auszugehen, daß § 27 Nr. 2 PostG nicht etwa einen bestimmten Stand der Vorschriften über Portopflicht und -freiheit habe festschreiben wollen, sondern an die jeweilige Portopflicht angeknüpft habe. 102 Dagegen lasse sich der Verweis des § 27 Nr. 1 auf §§ 1,2 PostG "angemessen nur statisch verstehen". Deutete man ihn dynamisch, d. h. auf diejewei/s

97

Kuhlen (1987), S. 369.

98

RGBl., S. 347.

99 RGBl. I, S. 356. 100 RGSt 31,344. 101 BGBl., S. 141. 102

Kuhlen (1987), S. 422.

60

I. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

geltenden §§ 1 und 2 PostG, so würde er allein an den Umstand anknüpfen, daß eine Regelung eben in §§ 1 und 2 PostG enthalten sei, egal welchen Inhalt diese Regelung habe. Eine bestimmte Paragraphenziffer als "sachlichen" Anknüpfungspunkt im Wandel des Rechts konstanthalten zu wollen, sei offenkundig absurd. 103 Ein solcher Verweis wäre in der Tat absurd. Das begründet jedoch keine statische Verweisung: § 27 Nr. 1 PostG verweist nämlich nicht auf die §§ 1, 2 PostG. Es heißt in der Vorschrift: "Wer den Bestimmungen der §§ 1, 2 zuwider politische Zeitungen ... befördert." Der Verweis erfolgt also gerade nicht auf "bestimmte Paragraphenziffern", sondern auf die Bestimmungen in §§ 1 und 2 PostG, die das Verbot regeln, politische Zeitungen anders als beschrieben zu befördern. In § 27 Nr. 1 PostG wird also ebenso, wie Kuhlen dies für § 27 Nr. 2 PostG feststellt, das Regelungsthema bezeichnet, dies sogar ausdrücklich, da auf das in § 1 PostG enthaltene Verbot verwiesen wird.

Ein Unterschied der Verweisungen des § 27 PostG in Bezug auf das "Zeitstrukturkriterium" kann also nicht festgestellt werden. Schließlich wird auch Kuhlen nicht bestreiten, daß eine etwaige Änderung des § 1 PostG auf den Anwendungsbereich des § 27 Nr. 1 PostG von Bedeutung sein konnte. Dem gleichen Einwand ist auch die Bezeichnung des § 26 WeinG a. F. als statische Verweisung lO4 ausgesetzt. Auch dort wird mit der Formulierung "Wer den Vorschriften des § 2 Abs. 2 ... zuwiderhandelt ... " nicht auf eine Paragraphenziffer, sondern auf ein in der Vorschrift enthaltenes Verbot verwiesen. Kuhlen scheint die Bezeichnung einer Verweisung als statisch davon abhängig zu machen, daß die Norm, auf die verwiesen wird, ausdrücklich genannt wird. Es wäre aber absurd anzunehmen, der Gesetzgeber habe sich durch die Nennung der Paragraphenziffer entschieden, die Ausfüllungsnorm in Zukunft nicht mehr - jedenfalls nicht in ihrer strafrechtlichen Relevanz - zu ändern. Damit konnten auch Kuhlens Beispiele die These nicht entkräften, daß Strafgesetze ausschließlich auf Normen in ihrer jeweils geltenden Fassung

103

Kuhlen (1987), S. 423 (Hervorhebungenim Original).

104

Kuhlen (1987), S. 542.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkrnale

61

verweisen (können). Anderes wäre mit dem Grundsatz des lege scripta sowie des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren. Demzufolge ist aber auch eine Abgrenzung des strafrechtlichen vom außerstrafrechtlichen Irrtums nach dem "Zeitstrukturkriterium" nicht haltbar. Bezeichnenderweise findet sich aber zwischen den Verweisungen des § 27 Nr. 1 und 2 PostG durchaus ein struktureller Unterschied, wenngleich nicht "zeitstruktureller" Art. Betrachtet man nämlich beide Vorschriften nach den hier entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettbegriffen, so ergibt sich Folgendes: § 27 Nr. 2 PostG verbietet, sich bei portopflichtigen Sendungen einer portobefreienden Bezeichnung zu bedienen. Das Gesetz über die Portobefreiung regelt, welche Sendungen von der Portopflicht befreit sind. Die in Bezug genommene Norm regelt also allein die Vergünstigung; die stratbewehrte Verhaltensnorm, in den übrigen Fällen keine entsprechenden Beschriftungen aufzutragen, enthält sie jedoch nicht. Es handelt sich daher um eine beschreibende Norm und nicht um eine Blankettausfüllung. Anders liegt es bei § 27 Nr. 1 PostG. Danach wird bestraft, wer politische Zeitungen den Bestimmungen der §§ 1, 2 PostG zuwider anders als durch die Post befördert. § 27 Nr. 1 PostG verbietet also nicht selbst die Beförderung. Welche Beförderung erlaubt und welche verboten ist, ergibt sich vielmehr erst aus den §§ 1 und 2 PostG. Diese Vorschriften müssen herangezogen werden, um die Bestimmungsnorm formulieren zu können. § 27 Nr. 1 PostG ist demnach ein Blankettgesetz. Auch § 26 WeinG stellt, wie Kuhlen ebenfalls feststellt,105 ein Blankettgesetz dar, da die Bestimmungsnorm erst durch Hinzunahme des § 2 Abs. 2 WeinG vollständig formuliert werden kann. Diese Erkenntnis hat Auswirkungen auf die Richtigkeit von Kuhlens Thesen. Er behauptet, seine Irrtumsunterscheidung sei von der Einordnung als normatives oder Blankettmerkmal unabhängig. Soweit er die Ausführungen zum PostG als Beleg für die These anbietet, auch bei Blankettgesetzen sei allein nach dem Zeitstrukturkriterium vorzugehen, bleibt er eine Begründung

105

KJj,len (1987), S. 55.

62

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände

schuldig: Die von ihm als dynamisch bezeichnete Normverweisung hat sich als normatives Tatbestandsmerkmal erwiesen, die angeblich statische als (dynamische) Blankettverweisung. Ursache für diese fehlerhafte Einordnung ist das Versäumnis Kuhlens, den strukturellen Unterschied zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettbegriffen zu berücksichtigen. Die These, Irrtümer über beide seien gleichzubehandeln, wäre nur stichhaltig gewesen, wenn Kuhlen nachgewiesen hätte, daß eine Gleichbehandlung trotz der Unterschiede geboten wäre. Zu vermuten ist aber, daß die Unterschiede zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettbegriffen nicht nur beim Zeitstrukturkriterium, sondern auch bei der logischen Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum hätten berücksichtigt werden müssen. Nach Kuhlen "sollten" alle allgemeinen Sätze, "die man plausiblerweise als Normkonkretisierungen auffassen kann, der internen Rechtfertigung zugewiesen werden".16 Er fordert dies, um rechtliche von naturgesetzlichen allgemeinen Sätzen zu unterscheiden. Es wäre aber geboten gewesen, auch die von ihm pauschal der internen Rechtfertigung zugewiesenen Rechtssätze daraufhin zu untersuchen, ob "man sie plausiblerweise als Normkonkretisierungen auffassen kann" . Kuhlen behauptet stillschweigend, indem er alle Verweisungen der internen Rechtfertigung zuordnet, daß ein Verweisungsbegriff stets durch die in Bezug genommene Norm konkretisiert werde. Dies ist bei Blankettverweisungen auch zweifellos der Fall. In dem von ihm angeführten § 27 Nr. 1 PostG wird die Formulierung "den Bestimmungen der §§ 1, 2 zuwider" konkretisiert durch "entgegen dem Verbot, politische Zeitungen ... auf andere Weise als durch die Post zu befördern". Der Inhalt der Blankettvorschrift vor und nach dem Zusammenlesen mit der Ausfüllungsvorschrift sind in ihrer Aussage identis:ch. Kuhlen behandelt aber auch die durch normative Tatbestandsmerkmale in Bezug genommenen Vorschriften als Konkretisierungen der Strafnorm. Puppe hat nachgewiesen, daß dies nicht korrekt ist. 107 Es ist nämlich zwischen der konkretisierenden Norm und der Norm, die zur Konkretisierung nur beiträgt, zu unterscheiden.

106

Kuhlen (1987), S. 353.

107

Puppe, ZStW 102 [19901, 896 f.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale

63

Wenn ein Begriff durch eine Konkretisierung ersetzbar (substituierbar) ist, dann muß die in Bezug genommene Vorschrift, um Konkretisierung zu sein, den Begriff ersetzen können. Wenn also die Eigentumsregeln des BGB den Begriff der Fremdheit konkretisieren sollen, dann müßte dieser gegen jene austauschbar sein. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Begriff "fremd" ist ersetzbar durch die Formulierung "im Eigentum (auch) eines anderen stehend". Das BGB regelt in den §§ 929 ff. jedoch nicht, wann eine Sache im Eigentum eines anderen steht. Es regelt vielmehr, unter welchen Voraussetzungen Eigentum übergehen, also fremd werden kann. Das stellt jedoch keine Konkretisierung des Begriffs "fremd" dar. Dies zeigt eine Konkretisierung des Merkmals "fremd" im Sicherungsübereignungsfall. In diesem Fall war eine Sicherungsübereignung des Fahrzeugs des Täters unerkannt fehlgeschlagen. Der Täter, der sich nicht mehr für den Eigentümer hielt, veräußerte das Fahrzeug an einen Dritten. 108 Die Konkretisierung des Merkmals "fremd" lautet also: "Die Sache ist fremd, wenn der ursprüngliche Eigentümer mit dem Erwerber den Eigentumsübergang und ein konkretes Besitzmittlungsverhältnis vereinbart hat. " Die Regeln des BGB (§§ 929 S. 1, 930) sind geeignet, die Richtigkeit dieses allgemeinen Satzes zu begründen. Als Begründung einer allgemeinen Prämisse gehören sie aber definitionsgemäß nicht zur internen, sondern zur externen Rechtfertigung. Dieses für die Fremdheit gefundene Ergebnis läßt sich verallgemeinern. Wir hatten normative Tatbestandsmerkmale definiert als Merkmale, deren Designate institutionelle Tatsachen sind. Institutionelle Tatsachen haben eine gesellschaftlich (d. h. durch Normen) verliehene Eigenschaft. 109 Die von normativen Tatbestandsmerkmalen in Bezug genommenen Normen begründen also die Entstehung einer institutionellen Eigenschaft. Sie sind folglich nicht die Eigenschaft selbst. Daher sind diese Normen stets die Entstehungsvoraussetzungen für institutionelle Tatsachen, nicht aber ihre Konkretisierung. Damit gehören sie, als Begründung der internen Rechtfertigung, der externen Rechtfertigung an. 110

108

Vgl. zu diesem Fall noch unten, S. 92.

109

S. oben, S. 21.

HO

Ebenso Puppe, ZStW 102 [1990], S. 896.

64

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände

Gehören sie aber der externen Rechtfertigung an, so ist ein Irrtum hierüber nach Kuhlens Definition als Tat- und damit als vorsatzausschließender Irrtum zu behandeln. Nimmt man also Kuhlens Prämissen ernst, so führt die logische Unterscheidung des Irrtums über singuläre und allgemeine Sätze der internen Rechtfertigung bereits zur Abgrenzung zwischen strafrechtlichem Irrtum (nämlich dem Irrtum über die Strafnorm und Blankettausfüllungsnorm) und außerstrafrechtlichem Irrtum (nämlich dem Irrtum über Tatsachen und über VelWeisungsnormen von normativen Tatbestandsmerkmalen). Dies hat allerdings zur Folge, daß das Zeitstrukturkriterium ohnehin als falsch elWiesen hat - auch überflüssig ist.

das sich

Es hat sich aber gezeigt, daß Kuhlens logisch orientiertes Kriterium die Möglichkeit bietet, zwischen Tat- und Rechtsirrtum zu unterscheiden, und zwar nicht, wie Kuhlen vermutet, relativ zur Sprachebene des Täters, sondern absolut. Unter korrekter Beachtung der Regeln der Rechtstheorie zur internen Rechtfertigung stellt es sogar ein Abgrenzungskriterium zwischen außerstrafrechtlichen und strafrechtlichen Irrtum dar. Um die Fehlannahmen Kuhlens bereinigt, ist diese logisch orientierte Methode also erheblich ergiebiger, als Kuhlen es selbst vermutet hatte. Sie ermöglicht nämlich einerseits die Beurteilung abstrakter Aussagen über das Geschehen, ohne die Fähigkeiten des Täters berücksichtigen zu müssen. Andererseits erlaubt sie eine abschließende Klärung der Einordnungsprobleme, ohne daß es auf das - ohnehin nicht plausible - Zeitstrukturkriterium ankäme.

b. Der Rechtsimum im Vorfeld des Tatbestandes: Blei und Herzberg Eine Anlehnung an die reichsgerichtliehe Rechtsprechung findet sich auch in der Irrtumsunterscheidung von Blei 111 , die Herzberg 112 aufgegriffen hat. Zwar befassen sich beide Autoren mit dem umgekehrten Irrtum, da sie sich jedoch prinzipiell zum Umkehrprinzip bekennen,113 können die von ihnen aufgestellten Thesen auch für den Irrtum zugunsten angewendet werden.

111

Blei, JA 1973,604; Mezger/Blei, ATI4 (1970), S. 24l.

112

Henberg, JuS 1980,469 ff.

113

Blei, JA 1973,602; Henberg, JuS 1980,479.

I. Der Vorsatz bezüglich der (nonnativen) Tatbestandsmerkmale

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Der Rechtsirrtum ist nach Auffassung Bleis dann für den Vorsatz beachtlich, wenn er im Vorfeld des Tatbestandes angesiedelt ist und daher die Parallelbeurteilung in der Laiensphäre heeinflußt. 114 Herzberg liefert für die sachliche Unterscheidung von außertatbestandlichem und tatbestandlichem Rechtsirrtum eine Begründung. Er bezeichnet normative Tatbestandsmerkmale, die auf eine andere Rechtsnorm verweisen, als Verweisungsbegriffe. 1l5 Er unterscheidet diese Verweisungen jedoch nicht danach - und hier behauptet Herzberg einen Unterschied zum RG -, ob auf eine andere Strafnorm oder auf eine nichtstrafrechtliche Norm verwiesen wird. Entscheidend sei allein, daß der Irrtum das Feld außerhalb der maßgeblichen Strafnorm betreffe. 116 Herzberg zeigt, daß em Rechtsirrtum im Vorfeld des Tatbestandes kein Irrtum über die Reichweite dieses Tatbestandes ist, wie es bei einem Verbotsirrtum bzw. Wahndelikt der Fall ist. Er stellt die Fehlbeurteilung des Täters einer gedachten gesetzlichen Änderung der externen Rechtsnorm gegenüber. In beiden Fällen würden, so Herzberg, Wortlaut und Auslegung des Straftatbestandes nicht verändert. 117 Hiergegen ließe sich einwenden, daß durch die Gesetzesänderung im Vorfeld auch die Reichweite des Strafgesetzes verändert würde. Durch eine Änderung der zivilrechtlichen Übereignungsvorschriften würde schließlich auch der Anwendungsbereich der Eigentumsdelikte heeinflußt. Es würden andere Sach-

114

Blei, lA 1973,604; den., AT (1983), S. 220 f.; zust. Herdegen, BGH-FS (1975), S. 206.

Henberg, luS 1980,473. Henberg bezeichnet mit diesem Begriff ausschließlich normative Tatbestandsmerkmale, auf Blankettbegriffe geht er nicht ein. Daher ist die von Gössel (Maurachl Gössel, AT/2 (1989), § 41 Rn. 92) geäußerte Kritik und seine Bewertung der dort zitierten Aussage von Burkhardt verfehlt. Bezüglich der normativen Tatbestandsmerkmale schließt sich nämlich auch Glissel der Auffassung von Henberg an, vgl. a.a.O., Rn. 89. 115

116 Henberg, luS 1980,473. Die Bezeichnung als außerstrafrechtlichen Irrtum ist mindestens irreführend. Entscheidend kann - wenn man diese Unterscheidung übemaupt akzeptiert - nur sein, ob der Rechtsirrtum den anzuwendendenStraftatbestand betrim. Ob dieser "externe" Rechtsirrtum eine andere strafrechtliche oder eine sonstige Rechtsnorm beruhrt, muß unerneblich sein. Daher wäre hier der Begriff "außerstrafgesetzlicher Irrtum" treffender, wobei als Strafgesetz der einschlägige Tatbestand zu verstehen wäre. Der Begriff außerstrafrechtlicher Irrtum ist jedoch allgemein üblich. Daß auch der Irrtum über ein Strafgesetz ein außerstrafrechtlicher Irrtum sein kann, übersieht Heidingsfelder «1991), S. 118 f.) in seiner Kritik an Haft.

117 Henberg, luS 1980,472 f. 5 BachmalUl

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1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

verhalte mit dem Begriff "fremde Sache" erfaßt, der Begriff hätte einen anderen Anwendungsbereich. Die Bedeutung des Begriffs "fremd" bliebe jedoch gleich: er würde nach wie vor Sachen bezeichnen, die im Eigentum eines anderen stehen. Ebenso führt der Rechtsirrtum über eine Vorfeldnorm zu einer falschen Bezeichnung mit dem Merkmal "fremd" bzw. "nicht fremd". Dies liegt jedoch nicht an einer Verkennung der Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals. Wer aufgrund eines solchen Irrtums eine Sache für die eigene hält, dem fehlt die Parallelbeurteilung, die für den Fremdheitsvorsatz erforderlich ist. Mithin entspricht die Lehre vom Vorfeldirrtum den zur Parallelwertung festgestellten Kriterien. Sie entspricht aber auch der Abgrenzung des Reichsgerichts, wenn, wie es das Reichsgericht bisweilen getan hat,118 nicht nur der nichtstrafrechtliche, sondern auch der außertatbestandliche strafrechtliche Rechtsirrtum als außerstrafrechtlich bezeichnet wird. 119 Es zeigt sich aber auch eine Übereinstimmung mit der (korrigierten) logisch orientierten Methode: Der Rechtsirrtum im Vorfeld des Tatbestandes ist nämlich ein Irrtum über einen allgemeinen Satz der externen Rechtfertigung, da die Vorfeldnorm keine Konkretisierung der Bestimmungsnorm ist. Nach beiden Vorgehensweisen gelangt man also zum Vorsatzausschluß. c. Hafts Unterscheidung zwischen gegenstandsbezogenem und begriffsbezogenem Irrtum Während Herzberg bei seiner Erörterung von Irrtümern im Vorfeld des Tatbestandes offenbar nur Rechtsirrtümer im Auge hat, stellt Haft zeitgleich ein Begriffspaar vor, anband dessen sich der im Vorsatzbereich unbeachtliche strafrechtliche Rechtsirrtum vom außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum und zugleich auch vom Tatirrtum trennen läßt.

118 Vgl. RGSt 8, 81 (83 f.); 55, 234, wo die Kenntnis des Täters von der Strafbarkeit der Vortat für die §§ 257, 259 verlangt wurde, obwohl die Unkenntnis der Strafbarkeit zweifellos einen Irrtum über das Strafrecht darstellt. (Vgl. dazu auch Kohlrausch (1903), S. 169 ff.; TIschler (1984), S. 45). 119

Ebenso TIschler

(1984), S. 335.

I. Der Vorsatz bezüglich der (normativen) Tatbestandsmerkmale

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Haft unterscheidet Irrtümer danach, ob sie sprachlicher oder vorsprachlicher Natur sind. 120 Dabei kennzeichnet er den strafrechtlichen Irrtum dadurch, daß dieser Begriffe des Strafgesetzes betrifft: Haft nennt diesen den begriffsbezogenen Irrtum. Der Tatsachen- wie der außerstrafrechtliche Rechtsirrtum beträfen hingegen den Gegenstand der Strafnorm, sie seien als gegenstandsbezogene Irrtümer zu bezeichnen. 121 Um Irrtümer, die außerstrafrechtliche Begriffe betreffen, und solche, die strafrechtliche Begriffe betreffen, voneinander zu trennen, definiert Haft den begriffsbezogenen Irrtum als solchen, der sich nur ~t Blick auf den gesetzlichen Tatbestand verständlich darstellen läßt. Als Beispiel führt Haft den Hühnerdieb an, der erklärt, ein Huhn sei keine Sache: Dieser Irrtum könne nur verständlich mitgeteilt werden, wenn man auf den Sachbegriff des § 242 StGB verweise. Es liege hier ein sprachlicher Fehler vor, nämlich über die richtige Verwendung eines Begriffs. Haft stellt selbst fest, daß seine der von Herzberg vorgeschlagenen Abgrenzung "nahe komme". Beide sind aber, sieht man von der Beschränkung Herzbergs auf rechtliche Irrtümer ab, deckungsgleich. 122 Da die Einordnung des tatsächlichen Irrtums unproblematisch ist, hat Herzberg auf sie verzichten können. Die Identität der Abgrenzungsformeln überrascht nicht, wenn sie anband der logisch orientierten Methode analysiert werden. Hafts begriffsbezogener Irrtum ist genau wie Herzbergs Irrtum über den Tatbestand der Irrtum über allgemeine Sätze der internen Rechtfertigung; der gegenstandsbezogene Irrtum ist wie der Irrtum im Vorfeld des Tatbestandes ein Irrtum über singuläre Sätze der internen Rechtfertigung oder ein Irrtum über allgemeine Sätze der externen Rechtfertigung.

120

Haft, JA 1981,284.

121

Haft, JuS 1980,591; den., JA 1981,284.

122 So auch TIschler (1984), S. 339. Diese Kongruenz übersieht Heidingsfelder (1991), 117

ff. bzw. 128 ff., wenn er beide Ansätze unter völlig verschiedenen Aspekten behandelt; sie beruht wohl vor allem auf dem Mißverständnis, der Irrtum über strafrechtliche Normen könne nicht als Gegenstands- bzw. Vorfeldirrtum angesehen werden (Vgl. oben, Fn. 116).

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I. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumstände

d. Zusammenfassung Die Erörterungen haben gezeigt, daß die Behandlung von RechtsiITtümern nach einer konsequenten Anwendung des reichsgerichtlichen Ansatzes nicht zu einer Korrektur der Lehre von der Parallelbeurteilung in der Laiensphäre führt. Vielmehr stellt die Unterscheidung von Tatumstands- und Verbotsirrtum, wie Kuhlen festgestellt hat, eine Fortführung der reichsgerichtlichen Unterscheidung von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum dar. Beide Ansätze stimmen bei konsequenter Anwendung nicht nur strukturell, sondern auch inhaltlich überein. Auch zwischen den neuesten Ansätzen zur Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nicht vorsatzausschließendem Irrtum hat sich eine bemerkenswerte Übereinstimmung ergeben. Einwände, die gegen die Figur des begriffsbezogenen Irrtums erhoben werden, da die Abgrenzung durch die Verwendung synonymer Begriffe manipulierbar sei,123 können dadurch entkräftet werden, daß das Verfahren in Zweifelsfällen formalisiert wird. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß der Vorfeldirrtum Bleis und Herzbergs bzw. der Gegenstandsirrtum Hafts stets einen Irrtum bezeichnet, der eine singuläre Prämisse der internen Rechtfertigung betrifft. Der Irrtum über den Tatbestand, der begriffsbezogene Irrtum, betrifft hingegen eine allgemeine Prämisse der internen Rechtfertigung. Diese Erkenntnis erlaubt es, Zweifelsfälle durch die Verwendung eines - recht aufwendigen - formalisierten Verfahrens eindeutig und, vor allem, begründbar zu lösen. Dieses Verfahren, das Kuhlen nur zur Abgrenzung von Tat- und Rechtsirrtum vorgeschlagen hat, hat sich darüber hinaus als sicheres Verfahren herausgestellt, den vorsatzrelevanten vom vorsatzirrelevanten Irrtum zu unterscheiden. Die argumentations theoretische Vorgehensweise bestätigt wiederum die Richtigkeit der Ansätze von Blei, Herzberg und Haft. Damit hat sich gezeigt, daß die Unterscheidung des Reichsgerichts von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum, wird sie korrekt vorgenommen, der auch heute noch richtige Weg ist, um die Abgrenzung des vorsatzrelevanten vom vorsatzirrelevanten Irrtum durchzuführen.

123 Puppe, GA

1990, 152 Fn. 13.

11. Der Vorsatz bezüglich der Blankettauslül1ungsnonnen

69

Die Anwendung dieser Kriterien führt zu Ergebnissen, die der Rechtsprechung zur Einordnung von Fehlvorstellungen als Tatumstands- oder Verbotsirrtum entspricht. Insoweit ergibt sich zwar in den Resultaten nichts Neues. Es bietet sich aber die Möglichkeit, Urteile besser begründen oder stichhaltig widerlegen zu können. Die bisherigen Ausführungen betrafen die allgemeinen Voraussetzungen an den Vorsatz. Damit konnten auch Aussagen über die Abgrenzung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum getroffen werden. Ein abschließendes Urteil über die Behandlung des "umgekehrten" Irrtums ist an dieser Stelle jedoch noch nicht möglich. Das setzte nämlich voraus, daß die Anwendung gleicher Regeln auf den "einfachen" wie auf den "umgekehrten" Irrtum anerkannt wäre. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Vielmehr mehren sich Stimmen in der Literatur, die an den Vorsatz beim umgekehrten Irrtum erhöhte Anforderungen stellen. Beim umgekehrten Irrtum stellt sich also die Frage, ob er nach den gleichen Regeln zu behandeln ist wie der einfache Irrtum, oder ob die Behandlung des umgekehrten Irrtums eigenen Regeln folgt. Es ist dies die Frage, ob und in welchem Umfang ein Umkehrverhältnis zwischen einfachem und umgekehrtem Irrtum besteht. Zunächst sollen die hier für den Vorsatz bei Voll strafgesetzen entwickelten Anforderungen aber noch auf die Frage übertragen werden, worauf sich der Vorsatz bei den Blankettgesetzen zu beziehen hat.

ll. Der Vorsatz bezüglich der Blankettausfüllungsnonnen Die Untersuchung hat ergeben, daß der Täter nur, aber auch immer dann vorsätzlich handelt, wenn er die in den Tatbestandsmerkmalen beschriebenen Tatumstände kennt, d. h. die Bedeutung des Sachverhalts erfaßt hat. Blankettstrafgesetze zeichnen sich dadurch aus, daß das Strafgesetz selbst keine vollständige Formulierung der Bestimmungsnorm enthält. Es wird ergänzt durch verhaltenslenkende Ausfüllungsvorschriften, so daß nur das Zusammenlesen beider die vollständige Formulierung des Tatbestandes ermöglicht. Da also die Merkmale der Ausfüllungsvorschrift zur Normformulierung erforderlich sind, läßt sich auch allein mit ihrer Hilfe das verbotene Verhalten

70

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumslände

beschreiben. Diese Merkmale stellen daher in gleicher Weise wie die Merkmale der Blankettnorm Tatbestandsmerkmale dar. Der Täter muß daher, um vorsätzlich zu handeln, nicht nur die im Blankettgesetz, sondern auch die in der Ausfüllungsvorschrift beschriebenen Tatumstände in ihrer rechtsgutserheblichen Bedeutung kennen. 1 Zur Formulierung der Bestimmungsnorm sind nur die in der Ausfüllungsvorschrift enthaltenen Tatbestandsmerkmale, nicht aber die Ausfüllungsvorschrift selbst erforderlich. Diese Vorschrift ist daher nicht Gegenstand des Vorsatzes, der Täter muß sie, um vorsätzlich zu handeln, nicht kennen. Die Unkenntnis der Ausfüllungsvorschrift ist daher nur erheblich, wenn dem Täter dadurch die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun (§ 17 StGB). Daher wird die Ausfüllungsvorschrift, als Teil des Strafgesetzes, insgesamt genauso behandelt wie das Strafgesetz selbst: Der Irrtum über einen Tatumstand der Blankettausfiillung ist Tatumstandsirrtum, der Irrtum über die Existenz der Ausfüllungsvorschrift Verbotsirrtum. 2 Häufig wird darauf hingewiesen, daß die Auslegung im Einzelfall ergeben könne, daß die positive Kenntnis des in der Ausfüllungsnorm enthaltenen Verbots erforderlich sei. 3 In diesem Fall ergibt dann aber die Auslegung, daß das Verbot auch Teil der Formulierung der Bestimmungsnorm ist: es handelt sich dann um ein normatives Tatbestandsmerkmal, das nach den allgemeinen Grundsätzen zu behandeln ist. 4 Eine Gegenauffassung fordert bei Blankettstrafgesetzen über die Kenntnis der in der Ausfüllungsnorm beschriebenen Tatumstände hinaus die Kenntnis von der Existenz des dort enthaltenen Verbots. 5

1 Allg. M., vgl. nur Jescheck (1988), S. 277; Lange, lZ 1956,75; Rudolphi SK § 16 Rn. 18; Samson F/G/S § 369 Rn. 94.

2 Jakobs, AT (1991),8/47; Maurach/Zipf, ATll (1992), § 23 Rn. 9, § 37 Rn. 12; Roxin, ATll (1992), § 12 Rn. 95; Rudolphi SK § 16 Rn. 19; SchroederLK § 16 Rn. 39; Sch/Schr/Cramer§ 15 Rn. 100; 1iedemann, ZStW 81 [1969],879; Warda (1955), S. 36 ff.; den., IR 1950,551; Welzel (1969), S. 168; den., MDR 1952,586; Zielinsld AK §§ 15, 16 Rn. 52. 3 Jakobs, AT (1991), 8/47; Jescheck (1988), S. 413 f.; Rudolphi SK § 16 Rn. 19; Sch/Schrl Cramer § 15 Rn. 100.

4

Jakobs, AT (1991), 8/47; Jescheck (1988), S. 413 f.; Lang-Hinrichsen, GA 1957,231.

5 Bockelmann/Vol/c, AT (1987), S. 76 f.; Arthur Kaufinann, Unrechtsbewußtsein (1949), S. 53 f.; KohlrauschlLange § 59 Anm. V 3 d und VI; Lange, lZ 1956,73 ff.; den., lZ 1957, 233; Schröder, MDR 1951,389; 1iedemann (1969), S. 387 f.; Ziegen (1987), S. 156 ff.; vgl. auch Kuhlen (1987), S. 420 ff.; Puppe, GA 1990, 166 ff.

D. Der Vorsatz bezüglich der Blankettausfiillungsnonnen

71

Diese Auffassung wird allerdings weniger mit der Blankettechnik begründet als mit dem Umstand, daß Blankettgesetze, die sich überwiegend im Nebenstrafrecht befänden, auf unbekanntere Rechtsmaterien verwiesen, die vor allem wertneutrale Verwaltungsvorschriften beinhalteten. 6 Damit werden Bedenken erhoben, die auch von den Vertretern der herrschenden Meinung als gewichtig bezeichnet werden. 7 Die Schuldtheorie, die den Vorwurf vorsätzlichen Handelns unabhängig von der Verbotskenntnis erhebt, kann dies nur unter der Voraussetzung tun, daß dem Bürger die Kenntnis der als gesellschaftlich verbindlich verstandenen Normen unterstellt wird. Die im StGB mit Sanktionen bewehrten Verhaltensweisen gelten also als Grundbestand der gemeinsamen Rechtsüberzeugung der Gesellschaft, 8 so daß zu erwarten ist, daß dem Täter bereits die Erkenntnis der tatbestandlichen Situation einen Impuls gibt, den Eintritt des unerwünschten Erfolges zu vermeiden. Daher ist die Ablehnung der Schuldtheorie in diesem Bereich folgerichtig, wenn es zutrifft, daß Blankettstrafgesetze die Kenntnis von Normen unterstellen, die dem Adressaten gerade nicht unterstellt werden kann. 9 Hiergegen ist jedoch zu Recht eingewandt worden, daß diese Normen in der Regel nicht für jedermann, sondern nur für bestimmte Fachkreise relevant sind, daß aber in solchen Fachkreisen auch eine erhöhte Erkundigungspflicht besteht und daher vom betroffenen Täter auch die Kenntnis der Verhaltensnormen erwartet werden kann. lO Die Ablehnung der Schuldtheorie und die Befürwortung der Vorsatztheorie im Blankettstrafrecht sieht sich aber vor allem dem Einwand ausgesetzt, gegen § 17 StGB zu verstoßen. 11

6 Lange, JZ 1956, 75 ff.; Anhur Kaufmann, Unrechtsbewußtsein (1949), S. 553 f.; Ziegen (1987), S. 157.

7 Vgl. Rudolphi SK § 16 8

Rn. 19.

Puppe, GA 1990, 167 m.w. Nachw.

9 Für die Anwendung der Vorsatztheorie im Nebenstrafrecht daher Hardwig, ZStW 78 [1966], 21 Fn. 27; Anhur Kaufmann, Schuldprinzip (1976), S. 136 f.; ders., Parallelwertung (1982), S. 32 f.; ders., Lackner-FS (1987), S. 190; Lange, JZ 1956, 73 ff.; ders., JZ 1956,519; Maihofer, ZStW 70 [1958], 193 f.; Noll, ZStW 77 [1965],6; ders., Hellmuth Mayer-FS (1966), S. 229; Roxin, ZStW 74 [1962], 560 f.; ders., ZStW 96 [1984],658 (de lege ferenda); SchmidhlJuser, AT (1975), S. 423; ders., Hellmuth Mayer-FS (1966), S. 329 ff.; 1iedemann (1969), S. 389 ff.; ders., ZStW 81 [1969],876 ff. und Schaffstein-FS (1975), S. 209 f. 10

Jescheck (1988), S. 414; Schroeder LK § 16 Rn. 38; vgl. auch Welzel, JZ 1956, 24l.

11

Roxin, ZStW 96 [1984], 658; Rudolphi SK § 16 Rn. 19; Sch/SchriCramer § 15 Rn. 99.

72

1. Teil, B. Der Vorsatz als Kenntnis der Tatumsländc

Puppe hat diesen Einwand mit der Begründung zurückgewiesen, daß sich dies nur aus einem Umkehrschluß aus § 17 StGB ergeben könne, der aber nicht zwingend sei. 12 Ihre Argumentation ist jedoch nicht überzeugend. Puppe zeigt auf, daß auch andere Irrtümer über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens über § 17 StGB hinausgehende Rechtsfolgen hätten, insbesondere sei dies beim vorsatzausschließenden Irrtum nach § 16 StGB der Fall. Dies ist sicher richtig. Die Rechtsfolge liegt aber ja gerade darin begründet, daß § 16 erfüllt ist. Und wenn auch die Unkenntnis einer Einzelanordnung, die Puppe beispielhaft heranzieht, den Vorsatz ausschließt, dann genau deshalb, weil die Einzelanordnung ein Tatumstand i. S. d. § 16 StGB ist. §§ 16 und 17 StGB sehen folgende Irrtumsregelung vor: Jeder Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens schließt den Vorsatz aus, wenn er das Vorliegen der den Tatbestand erfüllenden Umstände betrifft. Bezieht er sich nicht auf diese Umstände, dann liegt nur ein Verbotsirrtum mit den Rechtsfolgen des § 17 StGB vor.

Die Forderung nach der Verbotskenntnis entspricht dieser Rechtslage nur, wenn sich die Existenz des Verbots als Tatumstand i. S. d. § 16 StGB erweist. Das ist aber, wie erwähnt, nur ausnahmsweise der Fall. Die Forderung, die Vorsatztheorie auf alle Blankettstrafgesetze anzuwenden, verstößt daher ohne Zweifel gegen die §§ 16, 17 StGB. Die geäußerten Bedenken sollten jedoch nicht beschränkt auf die Blankettgesetze, sondern viel grundsätzlicher Beachtung finden. Wenn nämlich die Behauptung richtig ist, daß Blankettstrafgesetze jedenfalls zum Teil auf wertneutrale Verwaltungsvorschriften verweisen, dann hat das zur Folge, daß die Verletzung einer bloßen Ordnungsvorschrift zum Anlaß strafrechtlicher Sanktionierung genommen wird. Es muß bezweifelt werden, daß dies mit der Aufgabe des Strafrechts vereinbar ist. Besteht die Aufgabe des Strafrechts im Rechtsgüterschutz, 13 dann ist damit zugleich gesagt, daß die Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften gerade nicht die Verhängung von Strafe rechtfertigt. Die Durchsetzung dieser Ordnungsvorschriften mag für die Gesellschaft sinnvoll sein, ihr Verstoß kann aber, wenn

12

Puppe, GA 1990, 166 f.

13

S. oben, S. 17.

D. Der Vorsatz bezüglich der Blankenausfüllungsnormen

73

dadurch kein Rechtsgut beeinträchtigt wird, für die Gesellschaft nicht derart empfindlich sein, daß dies die Verhängung einer Strafe rechtfertigt. Diesen Grundsatz hat auch der Gesetzgeber erkannt. Daher wurden zahlreiche Strafgesetze zu Ordnungswidrigkeitentatbeständen herab gestuft , dies gilt bezeichnenderweise auch für in der Literatur vieldiskutierte Fälle, vor allem für § 2 VViStG I4 .

c. Der umgekehrte Irrtum Als umgekehrter Irrtum oder als Irrtum zuungunsten wird derjenige Irrtum bezeichnet, bei dem der Täter sich seine Lage strafrechtlich ungünstiger vorstellt, als sie tatsächlich ist. Ebenso wie der einfache Irrtum kann sich die Fehlvorstellung auf Tatumstände oder auf das Bewußtsein, Unrecht zu tun, beziehen, so daß auch beim umgekehrten Irrtum zwischen vorsatzrelevanten und vorsatzirrelevanten Irrtümern zu unterscheiden ist. VVährend aber beim einfachen Irrtum zu klären ist, ob der Irrtum den Vorsatz ausschließt, ist beim Irrtum zuungunsten zu fragen, ob die Fehlvorstellung den Vorsatz des Täters begründet. Liegt ein vorsatzbegründender Irrtum vor, kommt, da der objektive Tatbestand nicht erfüllt wurde, eine Bestrafung wegen Versuchs in Betracht. Der Versuch aufgrund eines umgekehrten Irrtums ist stets untauglich, d. h. aus exante-Sicht nicht geeignet, zum Erfolg zu führen, da mindestens ein Tatbestandsmerkmal nur nach der Vorstellung des Täters vorliegt. Handelt der Täter trotz seiner Vorstellung ohne Vorsatz, so liegt, da weder der objektive noch der subjektive Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt ist, ein strafloses VVahndelikt vor. Daraus ergibt sich aber auch, daß dem Begriff des VVahndelikts nur eine sekundäre Bedeutung zukommt. Der umgekehrte Irrtum

14 BGBI. 19541, S. 175; vgl. jetzt BGBI. 1975 I, S. 1313; herangezogen von Lange, JZ 1956, 73 und 7iedemann (1969), S. 92 ff. Gleiches gilt für §§ I, 3 des Gesetzes über den Verkehr mit Edelmetallen (RGBI. 1 1926, S. 321), jetzt § 147a GewO, angeführt bei Samson, Grundfragen (1983), S. 104.

74

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

ist also nicht daraufhin zu untersuchen, ob ein Wahndelikt vorliegt, sondern allein daraufhin, ob ein Versuch gegeben ist oder nicht. 1 Während also der Irrtum zugunsten zum Tatumstandsirrtum oder zum Verbotsirrtum führen kann, führt der umgekehrte Irrtum zum Versuch oder zum Wahndelikt. Zwischen diesen Irrtümern wird daher ein Umkehrverhältnis behauptet. Ein umgekehrter Tatumstandsirrtum soll zum Versuch, ein umgekehrter Verbotsirrtum zum Wahndelikt führen. Dies ist allerdings nur im Grundsatz unumstritten. Fraglich ist einerseits, welche Qualität dieses Umkehrverhältnis hat, ob es sich dabei um eine logisch zwingende Regel, die sich aus einem Umkehrschluß der Irrtumsregel des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB ergibt, um ein strukturelles Prinzip oder aber um eine reine Merkregel handelt. Andererseits ist die Stringenz des Umkehrverhältnisses strittig. Es werden nämlich systematisch vielschichtige Einwände erhoben. Insbesondere in neuester Zeit wird von einigen Autoren bereits der Vorsatz verneint, wenn der Täter sich aufgrund eines Rechtsirrtums das Vorliegen normativer Tatbestandsmerkmale vorstellt. Vertreter einer objektiv orientierten Versuchstheorie verneinen beim untauglichen Versuch, also auch beim umgekehrten Irrtum, den objektiven Tatbestand des Versuchs. Schließlich wird die Strafwürdigkeit und damit die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs generell verneint. Letzteres wird vor allem für den Fall der irrigen Annahme, tauglicher Täter der Straftat zu sein, vertreten. Es gilt nun aber zunächst festzustellen, ob zwischen der Behandlung des einfachen und des umgekehrten Irrtums ein formallogischer Zusammenhang besteht. Dadurch wird sich erweisen, ob der Umkehrscbluß als logisches Argument herangezogen werden kann. Sodann ist zu prüfen, welche Reichweite das Umkehrverhältnis hat, ob es sich also nur auf den Tatbestand oder auch auf die Strafbarkeit des Verhaltens bezieht und ob gegebenenfalls Ausnahmen von diesem Verhältnis bestehen, wie sie, wie erwähnt, beim umgekehrten Rechtsirrtum geltend gemacht werden.

1 Vgl. auch Henberg, luS 1980,479; Schumann, lZ 1987, 527; Struensee, ZStW 102 [1990], 41 f.; vgl. auch oben, S. 47.

I. Der Umkehrschluß als formales Argument

75

I. Der Umkehrschluß als fonnales Argument in der Diskussion um den Irrtum zuungunsten 1. Der logische Gehalt des Umkehrschlusses

Der Umkehrschluß - auch als argumentum e contrario bezeichnet - ist ein logisches Argument, mit dessen Hilfe aus einer Regel, die für bestimmte Voraussetzungen eine bestimmte Folge festlegt, auch eine Folge für den Fall des Nichtvorliegens dieser Voraussetzungen abgeleitet wird. Der Umkehrschluß wird insbesondere angewendet, um aus dem Vorhandensein eines Gesetzes zu schließen, daß die Rechtsfolge für andere als die geregelten Fälle gerade nicht gelten soll. 1 So wurde beispielsweise aus der Zulässigkeit mehrerer Wohnsitze natürlicher Personen gemäß § 7 BGB und dem Fehlen einer entsprechenden Regelung für juristische Personen gefolgert, daß juristische Personen nur einen Sitz haben könnten. 2 Der Umkehrschluß ist jedoch nicht bei jeder Regel als logisch richtiges Argument anwendbar. Es kommt nämlich auf die Ausgestaltung der einzelnen Voraussetzungen der Regel an, ob aus ihrem Fehlen Schlüsse gezogen werden können. So läßt sich aus § 211 StGB die Regel entnehmen, daß, wer Mörder ist, bestraft wird. Es wäre angesichts der übrigen Straftatbestände offensichtlich unsinnig, dieser Regel auch zu entnehmen, daß, wer nicht Mörder ist, nicht bestraft würde. Zu unterscheiden ist zwischen zwingenden Voraussetzungen, ohne deren Vorliegen die Rechtsfolge nicht eintritt, und Voraussetzungen, die zwar nicht zwingend sind, deren Vorliegen aber die Rechtsfolge auslöst. Die erste Art der Voraussetzungen wird als notwendige Bedingung bezeichnet. Eine Bedingung ist notwendig, wenn ohne ihr Vorliegen die Folge nicht eintritt. Die Einordnung als notwendig bedeutet jedoch nicht, daß es sich um die einzige erforderliche Bedingung handelt, so daß allein aus ihrem Vorliegen noch nicht auf den Eintritt der Rechtsfolge geschlossen werden kann.

1 Als Umkehrschluß kann auch der Schluß von dem Vorliegen der Rechufolge zurück auf das Vorliegen der Voraussetzungen bezeichnet werden. Dieser Schluß interessiert im vorliegenden Zusanunenhangjedoch nicht.

2 Vgl. MaKolReUler § 24

Rn. 3.

76

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Nach § 22 StGB versucht die Tat. wer nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt. Ohne das unmittelbare Ansetzen liegt also noch kein Versuch vor. Es handelt sich um eine notwendige Bedingung. Andererseits genügt deren Vorliegen noch nicht. um einen strafbaren Versuch anzunehmen. da auch der subjektive Tatbestand erfüllt und der Versuch des Delikts strafbar sein muß. Den Gegensatz zur notwendigen bildet die hinreichende Bedingung. Auch ohne ihr Vorliegen kann die Rechtsfolge eintreten. sie ist also keine notwendige Bedingung. Liegt sie vor. tritt aber stets die Folge ein. ohne daß weitere Voraussetzungen erfüllt sein müßten. So ist in § 211 StGB (unter Außerachtlassung des Allgemeinen Teils des StGB) eine hinreichende Bedingung formuliert. wenn es heißt. daß jeder Mörder bestraft wird. Eine hinreichende Bedingung liegt vor. wenn es heißt: "Immer wenn ...• dann ... ". Eine notwendige Bedingung läßt sich durch die Formulierung charakterisieren: "Nur wenn ...• dann ... " . Aus diesen Grundsätzen ergibt sich auch der Anwendungsbereich des Umkehrschlusses. Da eine hinreichende Bedingung nicht vorliegen muß. um die Folge auszulösen. die Folge also auch eintreten kann. wenn an ihrer Stelle eine andere Voraussetzung erfüllt ist. kann aus dem Nichtvorliegen einer hinreichenden Bedingung kein Urteil über den Eintritt oder Nichteintritt der Folge abgeleitet werden (ex falso quodlibet). Der Umkehrschluß ist hier also als logisches Argument unzulässig. Die notwendige Bedingung ist demgegenüber als Bedingung definiert. ohne deren Vorliegen die Folge ausbleibt. Daher ist der Umkehrschluß aus dem Nichtvorliegen der Bedingung bei einem Satz. der eine notwendige Bedingung enthält. zulässig. Demnach muß vor jeder Anwendung des Umkehrschlusses geprüft werden. welche Art von Bedingung in Rede steht. Nur wenn sie sich als notwendige Bedingung erweist. ist der Umkehrschluß als logisches Argument haltbar. So verhält es sich bei § 22 StGB. weil das unmittelbare Ansetzen zur Tat. wie gezeigt wurde. eine notwendige Bedingung ist.

I. Der Umkehrschluß als formales Argument

77

Bei der Frage, ob § 7 BGB eine Aussage über die Zulässigkeit von mehreren Sitzen juristischer Personen zuläßt, war zweifelhaft, ob die Eigenschaft "natürliche Person" als notwendige Bedingung mehrerer Sitze zu verstehen ist. Da das Gesetz hierfür keine eindeutige Antwort gibt, kann auch ein Umkehrschluß nicht mit dem Anspruch logischer Wahrheit vorgenommen werden. In diesem Fall kann ein Ergebnis nur im Wege der Rechtsfortbildung gefunden werden, und zwar entweder durch eine Analogie - juristische Personen werden wie natürliche Personen behandelt - oder durch eine Umkehrung - juristische Personen werden nicht wie natürliche Personen behandelt. Beide Lösungen lassen sich jedoch nicht mit logischen, sondern nur mit sachlichen Argumenten begründen. 3 2. Die Reichweite des Umkehrschlusses

Um einen Umkehrschluß korrekt anzuwenden, muß zunächst festgestellt werden, welcher Satz umgekehrt angewendet werden soll. Die Reichweite des Umkehrschlusses richtet sich nämlich nach der Reichweite des Ausgangssatzes. Zu beachten ist, daß die notwendige Bedingung einer Rechtsfolge R I nicht auch stets notwendige Bedingung der aus R I folgenden Rechtsfolge R2 sein muß. Das ist nämlich nur dann der Fall, wenn auch R I eine notwendige Bedingung für R2 darstellt. Aus den Sätzen: (1) Nur wenn T, dann R I und (2) Nur wenn R I , dann R2 läßt sich nämlich :.(3) Nur wenn T, dann R2

schließen. 4 In diesem Fall folgt nämlich aus dem Nichteintritt von T das Ausbleiben von R 2 • § 22 StGB formuliert die Anforderungen an den objektiven Tatbestand des Versuchs. Dabei stellt das "unmittelbare Ansetzen" eine notwendige Bedingung für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes dar.

3 Vgl. zum Ganzen 4 • : ••

Klug (1982), S. 137 ff.

zeigt an, daß der Satz aus den vorhergehenden Sätzen folgt.

78

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Die Erfüllung des objektiven Tatbestandes ist zugleich auch notwendige Bedingung des Versuchstatbestandes: "Einen Versuch begeht, wer ...• heißt es in § 22 StGB. Damit ist das unmittelbare Ansetzen zugleich auch notwendige Bedingung des Versuchs. Der Eintritt in das Versuchsstadium ist aber auch notwendige Voraussetzung für die Vollendung einer Straftat. Wer nämlich nicht einmal unmittelbar zur Tat angesetzt hat, hat sie nicht vollendet. Daher darf formuliert werden: "Wer zu einer Tat noch nicht einmal angesetzt hat, kann wegen dieser Tat nicht bestraft werden. " Die Formulierung "Wer zu keiner Tat unmittelbar angesetzt hat, wird nicht bestraft" wäre jedoch unzulässig. Denn die - auch nur versuchte - Erfüllung eines Straftatbestandes ist nicht notwendige Voraussetzung der Strafbarkeit; bei Verbrechen ist gemäß § 30 Abs. 2 StGB bereits die Verabredung strafbar. Ein Umkehrschluß ist also nur insoweit zulässig, als sich die Bedingung gerade in Bezug auf die untersuchte Rechtsfolge als notwendig darstellt.

3. Die Anwendung des Umkehrschlusses auf § 16 StGB Bei der Gegenüberstellung von Tatumstandsirrtum bzw. Verbotsirrtum einerseits und Versuch bzw. Wahndelikt andererseits kann ein strukturelles Umkehrverhältnis festgestellt werden. Heidingsfelder hat dies anschaulich dargestellt: 5

Verhältnis Tatumstandsirrtum - Versuch: Tatumstandsirrtum objektiver Tatbestand subjektiver Tatbestand Unrechtsbewußtsein

s Heidingsfelder (1991), S.

109.

+

Versuch

+ +

79

I. Der Umkehrschluß als formales Argument

Verhältnis Verbotsirrtum - Wahndelikt: Verbotsirrtum objektiver Tatbestand subjektiver Tatbestand Unrechtsbewußtsein

Wahndelikt

+ +

+

Fraglich ist aber, ob diese faktisch bestehende Umkehrung der Phänomene auch logisch begründet werden kann. Als gesetzlicher Anknüpfungspunkt eines Umkehrschlusses vom einfachen auf den umgekehrten Irrtum kommt § 16 Abs. 1 S. 1 StGB in Betracht. Zu untersuchen ist also, ob und gegebenenfalls welche Schlüsse als argumentum e contrario aus § 16 Abs. 1 StGB gezogen werden können. 6 Nun ist di~ Norm negativ formuliert. Die Formulierung "Wer die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, nicht kennt, handelt nicht vorsätzlich" entspricht genau der Definition einer notwendigen Bedingung. Demnach ließe sich § 16 Abs. 1 StGB inhaltsgleich formulieren mit: "Nur wer alle Umstände des gesetzlichen Tatbestandes kennt, handelt vorsätzlich" . Diese Umformulierung ist bereits eine Umkehrung des Gesetzeswortlauts. Sie stellt jedoch noch keinen Fortschritt dar, da die Aussagekraft beider Formulierungen identisch ist. Ein Fortschritt ergäbe sich erst, wenn aus der Kenntnis aller Tatumstände weiterreichende Schlüsse möglich wären. Nach dem Vorgesagten müßte dann aber auch der Ausgangssatz weiterreichend formuliert werden können. a. Die Argumentation des Reichsgerichts Das Reichsgericht hat eine solche Umformulierung des § 59 StGB a. F. vorgenommen. § 59 lautete: 7

6 Schließlich ließe sich der Umkehrschluß auch umgekehrt, nämlich für den Schluß aus der Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt auf das Vemältnis von Tatumstandsirrtum und Verbotsirrtum, einsetzen; vg!. dazu Scluiffstein, OLO Celle-FS (1961), S. 181 f.

7 ROB!. 1871, S. 138.

80

I. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

"Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Tatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestand gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese nicht zuzurechnen."

In der Entscheidung vom 3. Dezember 1909l! argumentierte das Reichsgericht in der Diskussion um die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs erstmals mit einer Umkehrung des § 59 StGB a. F.: "Wie der tatsächliche Irrtum nach § 59 StGB die Schuld ausschließt, so fmdet er auch umgekehrt zu Ungunsten des Täters Beachtung, wenn er zur Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Tatbestandserfordernisses ruhrt. ,,9 Diese Entscheidung wurde mehrmals bestätigt,lO allerdings wurde auf den Umkehrschluß nicht ausdrücklich Bezug genommen. Erst in der Entscheidung vom 5. Februar 193211 wurde der Umkehrschluß erneut formuliert: "§ 59 [hat] aber auch nach der umgekehrten Richtung seine Bedeutung ... wenn der Täter ein von einem Strafgesetz verlangtes Tatbestandserfordernis irrtümlich rur vorliegend erachtet; dann ist ihm dieses nur in seinem Irrtum vorhandene Tatbestandserfordernis in Umkehr des § 59 StGB zuzurechnen. Hier liegt ein Versuch der Tat vor. ,,12

In der Entscheidung vom 3. März 193813 heißt es schließlich: "Wie nach dem § 59 StGB die Nichtkenntnis vorhandener Tatumstände zu Gunsten, so wirkt umgekehrt die irrige Annahme nicht vorhandener Tatumstände zu Lasten des Täters. ,,14 Somit wurde aus § 59 StGB a. F. nicht nur geschlossen, daß die Kenntnis aller Tatumstände Vorsatz bedeutet. Die Argumentation reicht erheblich weiter: Aus § 59 StGB a. F. - ftUmstände, die der Täter nicht kennt, werden ihm nicht zugerechnet ft - wird:

8

RGSt 42, 92.

9

RGSt 42, 92 (94).

10

RGSt 47, 189 (191); 55, 138 (142); 56, 316 (318); 64, 130 (132).

11

RGSt 66, 124.

12

RGSt 66, 124 (126).

13

RGSt 72, 109.

14

RGSt 72, 109 (112).

I. Der Umkehrschluß als fonnales Argument

81

W Alle Umstände, die der Täter kennt, werden ihm zugerechnet. W WKennt der Täter alle Umstände, handelt er vorsätzlich. W WNimmt der Täter alle Umstände an, handelt er auch dann vorsätzlich, wenn nicht alle Umstände auch objektiv vorliegen. W WWegen Versuchs wird bestraft, wer alle Umstände kennt und unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt, und zwar auch dann, wenn objektiv ein Mangel am Tatbestand vorliegt. w15 Mit Hilfe der wUmkehrung Wdes § 59 StGB a. F. wurden also nicht nur wie es nahegelegen hätte - Schlüsse bezüglich des Vorsatzes gezogen, sondern auch die Strafbarkeit einer Tat begründet, die auf einem wumgekehrten Tatumstandsirrtum wberuht. Es wurde also auf diesem Wege versucht, die Richtigkeit einer subjektiven Versuchstheorie zu begründen. Dies wird zwar von Sax 16 bestritten, ergibt sich aber insbesondere aus der oben zitierten Entscheidung RGSt 66, 124 (126) eindeutig. Indessen 'ist die Argumentation des Reichsgerichts zahlreichen Einwänden ausgesetzt worden. Die zeitgenössische Kritik bestand im wesentlichen aus inhaltlichen Argumenten gegen eine subjektive Versuchstheorie. Doch wurde zugleich die logische Richtigkeit dieses Umkehrschlusses bestritten, der als wWunder wl7 , wgänzlich verkehrt wl8 , wTrugschluW 19 und "willkürlicher Schluß"20 bezeichnet wurde. v. HippeI wies darauf hin, daß die Irrtumsvorschrift nichts über die Strafbarkeit des Versuchs aussage. 21 Die erste ausführliche Arbeit, die sich mit der formalen Richtigkeit des Umkehrschlusses aus § 59 StGB a.F auseinandersetzt, stammt von Spendel22 .

15 Zur Lehre vom Mangel am Tatbestand näher unten, S. 16

126.

Sax, lZ 1964,243.

85 [1917],322 f.

17

Binding, GS

18

M.E. Mayer (1923), S. 346 Fn. 6.

19

v. LisV/Schmidl

(1927), S. 299 Fn. 4.

43 Anm. 11 b. 2 (1930), S. 422 Fn. 2. 22 Spendei, ZStW 69 [1957],441; ders., NIW 1965, 1885 tT.

20 Lobe LKS § 21

v. Hippel, Bd.

6 Bachmann

82

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

b. Spendei Spendel untersucht zunächst die Qualität der Bedingung "Unkenntnis der vorhandenen Tatumstände". Wie eingangs erörtert, kann die Einordnung einer Bedingung als notwendig oder hinreichend nur im Hinblick auf die im Satz enthaltene Rechtsfolge erfolgen. Spendel versteht dabei den Begriff "zurechnen" im Sinne von "als vorsätzliche Straftat zurechnen". 23 Unter dieser Prämisse läßt sich die Kenntnis der vorhandenen Tatumstände eindeutig als notwendige Voraussetzung der Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat kennzeichnen. Spendel weist zu Recht darauf hin, daß die Kenntnis der vorhandenen Tatumstände aber nicht hinreichende Bedingung der Strafbarkeit ist, da etwa Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe die Strafbarkeit ausschließen können. 24 Mit dieser Argumentation ist der Umkehrschluß, soweit mit seiner Hilfe die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs begründet werden soll, als logisches Argument widerlegt. Da § 59 StGB a. F. - wie § 16 Abs. 1 StGB n. F. keine Aussage über die Strafbarkeit eines Verhaltens, sondern nur über die Nichtzurechenbarkeit von Kenntnissen, also subjektiven Aspekten, trifft, kann ein Umkehrschluß als logisches Argument allenfalls Erkenntnisse über die Zurechnung von Kenntnissen in subjektiver Hinsicht eröffnen. § 59 StGB a. F. ist daher in seiner Umkehrung ebenso wie der heutige § 16 Abs. 1 StGB zu lesen, "Zurechnung" kann sich innerhalb der Irrtumsvorschrift nur auf den Vorsatz beziehen.

Läßt sich also § 59 StGB a. F. (§ 16 Abs. 1 StGB) immerhin dahingehend umkehren, daß, wer alle zum Tatbestand gehörenden Umstände kennt bzw. irrig annimmt, vorsätzlich handelt? Spendel hat auch einen derartigen Umkehrschluß zurückgewiesen. In § 59 StGB a. F. ist vom Vorhandensein von Tatumständen, die der Täter nicht kennt, die Rede. Die korrekte Umkehrung lautet also: "Wenn jemand alle vorhandenen Tatumstände kennt ... ". Spendel hält aber die "Kenntnis der vor-

23 So ausdriicklich Spendei ZStW 69 [1957],450; vgl. auch sein Beispiel a.a.O., S. 449.

24 Spendei, ZStW 69 [1957], 450.

I. Der Umkehrschluß als fonnales Argument

83

handenen Tatumstände" und die "irrige Annahme nicht vorhandener Tatumstände" für "zwei ganz verschiedene Begriffe". 25 Es ist zwar möglich, die irrige Annahme nicht vorhandener Umstände in subjektiver Hinsicht ebenso zu behandeln wie die Kenntnis vorhandener Umstände. Dies ergibt sich jedoch nicht aus dem Wortlaut der Irrtumsvorschrift. Spendel kann also darin zugestimmt werden, daß bezüglich § 59 StGB a. F. auch dieser Umkehrschluß nicht eindeutig möglich und daher der Umkehrschluß als logisches Argument unzulässig ist. Dieser Einwand trifft aber nicht ohne weiteres auch auf den Wortlaut des § 16 Abs. 1 StGB zu. § 16 StGB bezieht sich nämlich nicht auf die vorhandenen, sondern auf die zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände, so daß es insoweit nicht auf ihr tatsächliches Vorliegen ankommt. Auch der Umkehrschluß aus § 16 Abs. 1 StGB ist aber im Rahmen des subjektiven Tatbestandes aus logischen Gründen nicht zulässig. Innerhalb der subjektiven Tatseite stellt die Kenntnis der Tatumstände nach der Formulierung des § 16 Abs. 1 StGB nämlich nur eine notwendige Bedingung dar. Aus dem Satz "Wer nicht ... , handelt nicht ... " folgt "Nur wer ... , handelt ... ". § 16 Abs. 1 StGB sagt nichts darüber aus, ob die Kenntnis der Tatumstände hinreichende Bedingung des Vorsatzes ist. Möglicherweise ergibt sich, daß an den Vorsatz in der Tat keine weiteren Voraussetzungen zu stellen sind. Aus § 16 Abs. 1 StGB allein folgt dies jedoch nicht. Damit ist der Umkehrschluß aus § 16 StGB als logischer Schluß nicht zulässig. Demnach läßt sich mit dem Umkehrschluß aus § 16 StGB nicht begründen, daß der Vorsatz bezüglich der Tatumstände unabhängig davon gegeben ist, ob die Tatbestandsmerkmale objektiv erfüllt sind. Dies ist vielmehr davon abhängig, wie der Vorsatzbegriff zu definieren ist. Läßt sich eine derartige Selbständigkeit von subjektivem Tatbestand und objektiven Gegebenheiten nachweisen, so hätte dies zur Folge, daß die irrige Annahme, alle Tatumstände lägen vor, Vorsatz begründete. Es bestünde also ein Umkehrverhältnis von einfachem und umgekehrtem Tatumstandsirrtum.

2S

Spendei, ZStW 69 [1957],458; zustimmend Engisch, Heinitz-FS (1972), S. 187.

84

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

c. Sax Diesen Weg hat Sax26 verfolgt. Sax räumt gegenüber Spendel ein, daß sich aus § 59 StGB a. F. auch im Umkehrschluß keine Aussage über die Rechtsfolge der Annahme nichtvorhandener Tatumstände treffen lasse. § 59 a. F. enthalte aber einen allgemeinen Rechtsgedanken:

(la) "Stets wenn Nichtannahme vorhandener Tatumstände, so keine verbrecherische Gesinnung. " Dem stehe als argumentum a fortiori der Satz zur Seite: (Ib) "Stets wenn Nichtannahme nichtvorhandener Tatumstände, so [erst recht] keine verbrecherische Gesinnung." Beide Urteile ließen sich dann aber, zusammengefaßt, verallgemeinernd formulieren: (I) "Stets wenn Nichtannahme von Tatumständen, so keine verbrecherische

Gesinnung. "

Daraus folge nun aber: (11) "Stets wenn Annahme von Tatumständen, so verbrecherische Gesinnung. " Hieraus lasse sich wieder spezifizieren: (lIa) "Stets wenn Annahme vorhandener Tatumstände, so verbrecherische Gesinnung" und (IIb) "Stets wenn Annahme nichtvorhandener Tatumstände, so verbrecherische Gesinnung. "27 Keinen Bedenken begegnet die Formulierung von (Ih) unter der Verwendung des argumentum a fortiori, wenngleich es sich dabei, wie Sax zu Recht feststellt,28 nicht um einen formallogisch gültigen Schluß, sondern um eine teleo-

26

Sax, JZ 1964,241 ff.

27

Sax, JZ 1964,244 f.

28

Sax, JZ 1964,244 Fn. 27.

I. Der Umkehrschluß als fonnales Argument

85

logische Argumentation handelt. 29 Auch läßt sich aus (la) und (Ib) zwanglos (I) formulieren, da aus den beiden Sätzen folgt, daß es für die Feststellung fehlender verbrecherischer Gesinnung nicht auf das Vorhandensein von Tatumständen ankommt. Unzulässig ist jedoch der Schluß von (I) auf (11). Sax begründet die Zulässigkeit dieses Schlusses damit, daß die Nichtannahme "die einzige, ausschließliche Bedingung für die notwendige Folge" setze. 30 Damit stellt Sax die Voraussetzungen für seinen Umkehrschluß richtig fest. Die Formulierung "Stets wenn ... , dann ... " folgt nur dann aus dem Satz "Stets wenn nicht ... , dann ... ", wenn die Bedingung nicht nur notwendig oder nur hinreichend, sondern äquivalent mit der Folge verbunden ist: "Immer und nur, also genau dann, wenn ... , dann ... " . Sax muß also, um von (I) auf (11) schließen zu können, nachweisen, daß das Vorliegen einer verbrecherischen Gesinnung ausschließlich durch die Kenntnis der Tatumstände bedingt ist. Dies unternimmt Sax, indem er im Rahmen seiner Untersuchung den Tatwillen stets unterstellt und nur das Tatwissen zum Gegenstand der Bedingung erklärt. 31 Mit diesem Begründungsversuch verläßt Sax jedoch den Bereich logischer Schlüsse. Sax behauptet zwar die Zulässigkeit eines Umkehrschlusses. Die von ihm gewählte Formulierung des Umkehrsatzes ist jedoch nur zulässig, wenn Äquivalenz zwischen Bedingung und Rechtsfolge besteht. Ob dies der Fall ist, ergibt sich jedoch weder aus § 59 StGB a. F., noch aus dem von Sax behaupteten allgemeinen Rechtssatz. Daher ist die Umkehrung auch mit diesem Rechtssatz allein nicht als logisch eindeutig richtig zu begründen. Das Ergebnis folgt auch nicht aus einem logischen Schluß, sondern aus einer auf inhaltlicher Plausibilität beruhenden Argumentation, so daß nicht von einem Umkehrschluß, sondern - wenn man Sax' Prämissen akzeptieren will - nur von einem Umkehrverhältnis gesprochen werden kann, das auf sachlicher, nicht aber auf formallogischer Argumentation beruht. Daher ist mit dem Rückgriff auf den "allgemeinen Rechtsgedanken" nichts gewonnen. Vielmehr ergeben sich zusätzliche Probleme. Sax müßte nämlich

29 Vgl.

Klug (1982), S. 151 m.w. Nachw.

30

Sax, JZ 1964, 245. Hervorhebung im Original.

31

Sax, JZ 1964,245.

86

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

darlegen, in welcher Beziehung die verbrecherische Gesinnung zum Vorsatz steht. Nach Sax' Ausführungen können verbrecherische Gesinnung und Vorsatz nicht identisch sein, sonst ergäben sich seine Schlüsse bereits aus § 59 StGB a. F. und nicht erst aus dem Rückgriff auf einen dem zugrundeliegenden Rechtsgedanken. Die verbrecherische Gesinnung soll jedoch Voraussetzung für die Versuchsstrafbarkeit sein. 32 Da die verbrecherische Gesinnung aber jedenfalls keine über den Vorsatz hinausgehende Strafbarkeitsvoraussetzung ist, stellt sie offenbar einen notwendigen Teil des Vorsatzes dar. Dann aber ließe sich, wenn der Umkehrschluß bezüglich dieses Ausschnitts gültig wäre, wiederum kein Urteil über das Vorliegen des gesamten Vorsatzes fällen. Sax' Berufung auf einen allgemeinen Rechtssatz bringt also in der Diskussion um die formale Gültigkeit des Umkehrschlusses keine sachlichen Fortschritte. Durch die Übertragung der Argumente vom Wortlaut des § 59 StGB a. F. auf einen - angeblichen - allgemeinen Rechtssatz entstehen vielmehr neue Probleme.

d. Ergebnis Seit diesen Erörterungen herrscht heute darüber Einigkeit, daß der Umkehrschluß aus § 59 a. F. bzw. § 16 StGB als logisches Argument nicht die Ergebnisse liefert, die von ihm zum Teil erwartet worden waren. So hatte schließlich schon Sax selbst eingeräumt, daß § 59 StGB a. F. nicht den Gehalt hat, der es ermöglicht, eine Aussage über die Rechtsfolge der Annahme nichtvorhandener Tatumstände zu treffen. 33 Für die Anwendung des Umkehrschlusses auf § 16 Abs. 1 S. 1 StGB ergibt sich demgegenüber folgendes: § 16 Abs. 1 S. 1 StGB lautet:

"Wer einen Tatumstand nicht kennt, handelt nicht vorsätzlich."

32

Sax, JZ 1964,244.

Daher war die Einschätzung Traubs (JuS 1967, 115), die "wohl immer noch herrschende Lehre" begründe die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs mit dem Umkehrschluß, schon damals unzutreffend. Einen logischen Umkehrschluß lehnen ab: Hall, Maurach-FS (1972), S. 112; Hardwig, GA 1957, 172; Heidingsfelder (1991), S. 50; Hemerg, JuS 1980,479; Probst (1969), S. 45; Stratenwerth, AT (1981), Rn. 686; Traub, NJW 1960,349; vgl. auch die Nachw. bei Heidingsfelder (1991), S. 50 Fn. 10. 33

I. Der Umkehrschluß als fonnales Argument

87

Die einfache Umkehrung hat zum Inhalt: "Nur wer alle Tatumstände kennt, kann vorsätzlich handeln. " Damit ist klargestellt, daß die Kenntnis der Tatumstände notwendige Bedingung des Vorsatzes ist. Ob sie hinreichend ist, läßt sich der Vorschrift nicht entnehmen. Es ist auch klargestellt, daß § 16 StGB nur Aussagen über den Vorsatz und nicht über die Strafbarkeit trifft, also auch nicht über die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs. 34 Bei § 16 StGB handelt es sich um eine allgemeine Vorsatzregel, nicht um eine spezielle Irrtumsregel. Irrtum ist das Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit. Ein Satz kann daher nur dann etwas über Irrtümer aussagen, wenn er sowohl auf die Vorstellung als auch auf die Wirklichkeit Bezug nimmt. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, der nur auf die Kenntnis, also auf die Vorstellung abstellt, müßte also um eine objektive Komponente ergänzt werden, wie sie § 59 StGB a. F. enthielt, um zur (reinen) Irrtumslehre zu werden:

"Wer die vorhandenen Tatumstände nicht kennt, handelt nicht vorsätzlich. " Wie ist nun aber dieser Satz umzukehren? Zwei Möglichkeiten stehen zur Verfügung: "Nur wer alle vorhandenen Tatumstände kennt, kann vorsätzlich handeln." oder: "Nur wer sich alle nichtvorhandenen Tatumstände vorstellt, kann vorsätzlich handeln. " bzw. besser, sinnvoller formuliert: "Vorsätzlich kann nur handeln, wer sich alle, auch die nichtvorhandenen Tatumstände vorstellt. " Daraus ergibt sich zweierlei: Da ein Irrtum das Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit ist, gelangt man nur dann zum umgekehrten Irrtum, wenn nicht nur die Vorstellung, sondern auch die Wirklichkeit umgekehrt wird. Eine einfache Umkehrung führt zur Übereinstimmung von Vorstellung

34

Vgl. Puppe, Laclmer-FS (1987), S. ~lS.

88

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

und Wirklichkeit, also gerade nicht zum Irrtum. Erforderlich ist also stets eine doppelte Umkehrung. 35 Fraglich ist jedoch, ob die Umkehrung von § 16 StGB bei nichtvorhandenen Tatumstände erlaubt ist. Spendel hält die Kenntnis vorhandener und die irrige Annahme nichtvorhandener Tatumstände für zwei ganz verschiedene Begriffe, weshalb dieser doppelte Umkehrschluß unzulässig sei. 36 Sax hat hingegen keine Bedenken. 37 Da § 16 Abs. 1 S. 1 StGB die Kenntnis der Tatumstände aber nur als notwendige, nicht als hinreichende Bedingung des Vorsatzes formuliert, also nichts darüber aussagt, ob diese Umstände vorliegen müssen, kann der Vorschrift weder eine Beschränkung der erforderlichen Kenntnis auf vorhandene noch eine Erstreckung auf nichtvorhandene Tatumstände entnommen werden. Es sind also beide Positionen logisch mit § 16 StGB vereinbar. Daher ergibt sich: § 16 Abs. 1 S. 1 StGB läßt sich kein logisches Argument dafür entnehmen, ob der Vorsatz an das tatsächliche Vorliegen der Tatumstände geknüpft ist. Der Umkehrschluß aus § 16 Abs. 1 S. 1 StGB erlaubt für oder gegen die Annahme des Vorsatzes ebensowenig eine Aussage wie für die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs. Damit steht fest, daß andere als formallogische Kriterien herangezogen werden müssen, um über den Vorsatz beim umgekehrten Irrtum zu entscheiden. Wenn sich dann ergäbe, daß die objektiven Gegebenheiten für den Vorsatz ohne Belang sind, so daß Vorsatz stets vorliegt, wenn der Täter sich alle zum Tatbestand gehörenden Umstände vorstellt, dann besteht zwar nicht in logisch zwingender, wohl aber in systematischer Hinsicht ein Umkehrverhältnis zwischen der Unkenntnis von Tatumständen und der irrigen Annahme von Tatumständen. Dann bestünde also auch zwischen dem "einfachen" und dem "umgekehrten" Tatumstandsirrtum ein systematisches U mkehrverhältnis.

3S Daher unterscheidet Puppe (Lackner-FS (1987), S. 204) zwischen umgekehrter Vorstellung und umgekehrten Irrtümern; bei ersteren wird nur die Vorstellung umgekehrt. Vg1. auch Henberg, JuS 1980,479.

36

Spendei, ZStW 69 [1957], 458.

37

Sax, JZ 1964,245.

D. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

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ll. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argwnent Wenn also keine formallogischen Argumente für eine eindeutige Beurteilung des Umkehrprinzips sprechen, gilt es, sachliche Gründe für oder gegen eine - strenge - Anwendung des Umkehrprinzips zu benennen. Offenbar reduziert sich das Problem auf die von Spendel und Sax diskutierte Frage, ob die Kenntnis der vorhandenen und die irrige Annahme nichtvorhandener Tatumstände gleichzubehandeln ist oder nicht. Die herkömmliche Dogmatik behandelt beide Vorstellungen des Täters grundsätzlich gleich. Die irrige Annahme, einen Menschen vor sich zu haben, während er auf eine Schaufensterpuppe schießt, wird geradezu selbstverständlich ebenso als Tötungsvorsatz angesehen wie die Kenntnis, wirklich auf einen Menschen zu zielen. Dennoch sind von diesem Grundsatz, daß der Vorsatz unabhängig von den objektiven Gegebenheiten zu beurteilen sei, stets auch Ausnahmen gemacht worden. Dies gilt zunächst für den Versuch des untauglichen Täters, der von einer beachtlichen, wenn auch nicht als herrschend zu bezeichnenden Meinung für straflos gehalten wird, und zwar zum Teil auch mit der Begründung, das untaugliche Subjekt könne gar keinen relevanten Tatvorsatz bilden. 1 Die Lehre vom Mangel am Tatbestand2 sah im Versuch ohnehin allein die Fälle des ausgebliebenen Erfolges, während beim Fehlen sonstiger Tatbestandselemente nicht einmal der objektive Tatbestand des Versuchs erfüllt sei. Dies ist jedoch nur die extreme Formulierung einer objektiv ausgerichteten Versuchstheorie, die heute keineswegs nur noch historischen Charakter hat. Schließlich errahrt die Auffassung, wonach der Vorsatz immer dann ausscheide, wenn der Täter aufgrund eines Rechtsirrtums meint, alle Tatbestandsmerkmale zu verwirklichen, in neuester Zeit immer größere Beachtung. Es mehren sich Stimmen, die annehmen, in diesen Fällen liege eine für das Wahndelikt typische Überdehnung der Reichweite des Strafgesetzes vor. Bereits die Benennung dieser Positionen zeigt, daß vor der Lösung des Problems zunächst seine Einordnung in den Tatbestand erfolgen muß. Es sind

1 S. dazu unten, S. 138 ff. 2 Dazu noch unten, S. 126.

90

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Vorsatzfragen von Fragen über die Anforderungen an den objektiven Versuchstatbestand und an die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zu trennen. Neben der sachlichen Einordnung ist aber auch eine eindeutige Begriffsverwendung erforderlich. Das hier zu behandelnde Problem wird üblicherweise als Abgrenzungsproblem zwischen Versuch und Wahndelikt gekennzeichnet. Dies impliziert, daß ein Sachverhalt nur entweder Versuch oder Wahndelikt, nicht aber beides zugleich sein kann. Allerdings besteht über diesen Sprachgebrauch keine Einigkeit. So bezeichnet Kuhlen sowohl den strafbaren untauglichen Versuch als auch das Wahndelikt als untauglichen Versuch. 3 Dieses Verständnis des untauglichen Versuchs ist jedoch wenig glücklich, da eine strukturelle Unterscheidung der verschiedenen Sachverhalte mit dieser Begriffsbildung nicht möglich ist. Als Versuch soll hier, allgemeiner (und gesetzlicher) Übung folgend, jedes Verhalten bezeichnet werden, das den subjektiven Tatbestand eines Strafgesetzes und die objektiven Anforderungen des § 22 StGB erfüllt, ohne daß damit etwas über die Strafbarkeit des Verhaltens ausgesagt wird. Es gibt also nach dieser Definition strafbare und straflose Versuche, wovon nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 StGB auch ausgegangen werden kann. Als Wahndelikt wird demgegenüber ein Verhalten bezeichnet, bei dem der Wille gerade nicht auf die Verwirklichung eines Straftatbestandes gerichtet ist, bei dem also kein Tatvorsatz vorliegt, der Täter aber dennoch an die Strafbarkeit seines Verhaltens glaubt. 4 Ein Wahndelikt liegt also nur vor, wenn kein Vorsatz gegeben ist. Daher ist ein Wahndelikt nicht eine straflose Erscheinungsform des Versuchs, sondern etwas ganz anderes. Ist der Vorsatz gegeben, fehlt es aber am objektiven Versuchstatbestand, sollte ebenfalls nicht von einem Wahndelikt gesprochen werden. Es handelt sich dann um den einfachen Fall bösen Vorsatzes, der - wie beispielsweise bei der Vorbereitungshandlung nur strafbar ist, wenn bestimmte objektive Bedingungen hinzutreten. Die Anforderungen, die an den Vorsatz zu stellen sind, entscheiden also darüber, ob ein (untauglicher) Versuch oder ein Wahndelikt vorliegt. Fragen

3 Kuhlen (1987), S. 562 Fn. 154. 4

Vgl. Jakobs, AT (1991),25/37; Sch/SchrlEser § 22 Rn. 78; Rudolphi SK § 22 Rn. 30.

D. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

91

des objektiven Tatbestandes und der Strafbarkeit des Versuchs sind demnach für die Abgrenzung unerheblich. Sie sind erst bedeutsam, wenn der Vorsatz positiv festgestellt werden konnte. 5

1. Umkehrprinzip und Tatirrtum Obwohl die logische Begründbarkeit des Umkehrschlusses, wie festgestellt wurde, nicht mehr behauptet werden kann und - soweit ersichtlich - auch nicht mehr behauptet wird, kann doch die faktische Beachtung des Prinzips festgestellt werden. Jedenfalls steht außer Zweifel, daß die irrige Annahme von Tatsachen Vorsatz begründet, wenn ihre fehlende Kenntnis umgekehrt zum Vorsatzausschluß führt. So wird niemand bezweifeln, daß der Schuß auf die Schaufensterpuppe ein versuchtes Tötungsdelikt darstellt, wenn der Täter einen Menschen vor sich zu haben glaubt. Soweit es also um Tatsachen, d. h. um das Vorliegen deskriptiver Tatbestandsmerkmale geht, kann von einem Umkehrverhältnis von Tatumstandsirrtum und irriger Annahme der Tatumstände gesprochen werden. Das Umkehrprinzip ist insofern zumindest als "Faustregel"6 anerkannt. 7 Damit erweist sich auch, daß die Bezeichnung der irrigen Annahme von Tatumständen als umgekehrter Tatumstandsirrtum berechtigt ist. 8 2. Umkehrprinzip und Rechtsirrtum

Diese Gleichbehandlung der Kenntnis vorhandener und irriger Annahme nichtvorhandener Tatumstände begegnet aber Bedenken, wenn die irrige Annahme von Tatumständen nicht auf tatsächlicher Fehlvorstellung, sondern auf rechtlicher Fehlbeurteilung beruht. Im Streit steht die Behandlung derjenigen Fälle, in denen der Täter einem tatsächlichen oder vorgestellten Sachverhalt eine rechtliche Bedeutung zuweist, die dieser Sachverhalt in Wahrheit nicht hat. Fraglich ist nämlich, ob eine

S Treffend daher schon der Titel der Arbeit von Fabian, Abgrenzung von untauglichem Versuch und Putativdelikt, und Erörterung der Stratbarkeit, Breslau 1905. 6

Kuhrt (1968), S. 83.

7 Bruns, GA 1979, 188; Jakobs, AT (1991),25152; Puppe, Lackner-FS (1987), S. 244 f.; Schi Schrl&er § 22 Rn. 69; Traub, NJW 1960,349. 8

Ebenso Heidingsfelder (1991), S. 109.

92

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

solche Fehlbeurteilung als eine, wenn auch falsche, Parallelbeurteilung in der Laiensphäre zu bewerten ist. Dann läge der typische Fall des Vorsatzes beim untauglichen Versuch vor. Andererseits könnte dieser Irrtum des Täters auch als eine Überdehnung der Reichweite von Rechtsnormen, wie sie für das Wahndelikt kennzeichnend ist, beurteilt werden. Für den einfachen Irrtum wurde festgestellt, daß ein Rechtsirrtum dann vorsatzrelevant, also vorsatzausschließend ist, wenn er eine Parallelbeurteilung in der Laiensphäre verhindert. Das ist, so das Ergebnis der Untersuchung, immer dann der Fall, wenn der Rechtsirrtum eine singuläre Prämisse der internen Rechtfertigung betrifft, oder, mit den Worten Bleis und Herzbergs gesprochen, im Vorfeld des Tatbestandes angesiedelt ist. Eine Umkehrung dieser Regel hätte zur Folge, daß ein Rechtsirrtum immer dann zum Vorsatz führte, wenn er das tatbestandliche Vorfeld betrifft, ein Wahndelikt läge bei einem Irrtum über eine allgemeine Prämisse der internen Rechtfertigung, also über einen Begriff des Tatbestandes, vor. In der Literatur werden in diesem Zusammenhang vor allem zwei Fälle diskutiert, die den BGH und das OLG Stuttgart beschäftigt haben:

- Der "Sicherungsübereignungsfall " A hatte ein Fahrzeug veräußert, obwohl dessen Sicherungsübereignung an eine Bank vereinbart war. Diese Übereignung war jedoch, was A nicht wußte, unwirksam, da kein wirksames Besitzkonstitut vereinbart worden war. Das OLG Stuttgart verurteilte den A daraufhin wegen versuchter Unterschlagung.9 - Der "Begünstigungsfall " Der Polizei beamte P glaubte, sein Schwiegervater habe eine Straftat begangen, und verhinderte deren Verfolgung. In Wahrheit handelte es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit. Der BGH erkannte auf versuchte Begünstigung Im Amt (§ 346 StGB a. F.).10

9

OLG Stuttgart, NIW 1962,65; vgl. aber BayObLG IR 1981,296.

10

BGHSt 15, 210.

D. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

93

Im wesentlichen werden in der Literatur zwei Grundpositionen zur Lösung dieser Fälle vertreten: - Entscheidend sei allein, ob der Täter einem Sachverhalt eine Bedeutung zumesse, die sich mit dem Straftatbestand decke. Halte der Täter eine Sache für fremd, sei für den Vorsatz unerheblich, ob dies tatsächlich zutreffe, oder ob er, aus welchen Gründen auch immer, irrig fremdes Eigentum angenommen habe. Demzufolge sei im Sicherungsübereignungsfall Unterschlagungsvorsatz gegeben, gleich, ob der Täter aus rechtlichen oder tatsächlichen Fehlannahmen eine Übereignung angenommen habe. Ebenso komme es beim Begünstigungsfall nicht darauf an, ob der Täter aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen irrig eine geeignete Vortat angenommen habe. 11 Da der rechtliche Irrtum in diesen Fällen stets eine Rechtsnorm außerhalb des einschlägigen Straftatbestandes betrifft, führt dies zu einer Gleichbehandlung von außerstrafgesetzlichem und tatsächlichem Irrtum und damit zu einer strikten Anwendung des Umkehrprinzips. - Die Gegenmeinung behandelt den umgekehrten außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum nicht wie einen tatsächlichen, sondern wie einen strafrechtlichen Rechtsirrtum. Die Reichweite des Straftatbestandes werde nicht nur durch die Strafnorm, sondern durch alle einschlägigen Gesetze bestimmt. Der strafrechtliche Schutz des Eigentums werde bereits durch die Eigentumsregeln des Zivilrechts begrenzt. Wer also eine Sache irrig gegen Unterschlagung für geschützt hält, weil er einen nicht existierenden Übereignungstatbestand annimmt, überdehnt nach dieser Ansicht die Reichweite des Strafgesetzes ebenso wie derjenige, der eine bloße Sachentziehung für strafbar hält. Vorsatz liegt danach also nur vor, wenn der vorgestellte Sachverhalt tatsächlich den Tatbestand erfüllen würde. 12

11 BGHSt 15, 210 (213); BayObLG NJW 1963,310; Baumann, NJW 1962, 16 ff.; Blei, JA 1973,603 f.; Eser, Strsfrecht D (1980), S. 140 (vgl. aber unten, Fn. 12); Haft, JA 1981,284 f.; Henberg, JuS 1980,472 f.; Maurach, NJW 1962,720; Puppe, GA 1990, 154 ff.; Rudolphi SK § 22 Rn. 32a; SchroederLK § 16 Rn. 46; SchiJnemann, GA 1986,312 f.; Stree, IR 1981,297 ff.; ders. in Sch/Schr, § 258 Rn. 31; vgl. auch Stratenwenh, JZ 1958, 546.

12 Burkharrh, JZ 1981, 686; Bindolcat, NJW 1963,747; Dencker, NStZ 1982,459; Dopslalf, GA 1987, 26; Frisch, Irrtum (1991), S. 283 Fn. 192; Jalcabs, AT (1991), 8/59; 25/42; ders., Annin Kaufmann-GS (1989), S. 279; ders., IR 1984, 386; Kuhlen (1987), S. 564 ff.; Maurach/ Gössel, AT/2 (1989), § 40 Rn. 155 ff.; Otto, AT (1992), S. 237; ders., JZ 1984, 144; Schumann, JZ 1987,526; Sch/Schr/Eser§ 22 Rn. 89; § 246 Rn. 25; Sreininger, JurBI. 1987,303; Vogler LK § 22 Rn. 148; Weber, MDR 1961,427; wohlauchJ(jndhlJuser, GA 1990,420, insb. Fn. 39.; im Ergebnis, nicht in der 8egriindung ebenso BayObLG IR 1981, 296.

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1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Demnach besteht nach dieser Auffassung nur zwischen dem einfachen und dem umgekehrten Tatsachenirrtum ein Umkehrverhältnis. Andere Autoren bemühen sich, differenzierende Lösungen zu entwickeln. Dieser Weg liegt nahe, da das Rechtsgefühl diese Fälle des Rechtsirrtums zuungunsten offenbar nicht eindeutig zu beurteilen'vermag. Probst will die Einordnung der rechtsirrigen Annahme normativer Tatumstände von Fall zu Fall entscheiden. Das einschlägige Kriterium sei die soziale Erfahrungsbeziehung des Täters zum normativen Tatbestandsmerkmal. 13 Schlüchter unternimmt eine differenzierende Unterscheidung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt, indem sie grundsätzlich auch den Rechtsirrtum als vorsatzbegrüDdend ansieht, dies jedoch dann ablehnt, wenn der Täter im Einzelfall die rechtsgutsbezogene Bedeutung einem Tatbild zuweist, das "extensional völlig aus dem Rahmen des Tatbestandes herausfällt" .14 Danach führt also nicht jeder, sondern nur ein schwerwiegender Rechtsirrtum zum Vorsatzausschluß . Neuestens hat Heidingsfelder versucht, diesen differenzierenden Lösungen ein objektivierendes Fundament zu geben, um damit Einzelfallentscheidungen zu vermeiden. Sein Weg besteht darin, die Funktion der Verweisungsnorm eines normativen Tatbestandsmerkmals zu untersuchen. Der Irrtum über "merkmalumschreibende" Normen kann nach seiner Auffassung grundsätzlich zum Vorsatz führen, der Irrtum über "merkmalausfüllende" Normen stelle demgegenüber ein Wahndelikt dar. 15 Die verschiedenen Ansätze sollen nun eingehend dargestellt und kritisch gewürdigt werden. a. Die strikte Anwendung des Umkehrprinzips Die strikte Anwendung des Umkehrprinzips beruht auf der Prämisse, daß die Anforderungen an den Vorsatz allein durch den Normbefehl, die Bestimmungsnorm, festgelegt würden und daher von den objektiven Gegebenheiten unab-

13 Probst

(1969), S. 207 ff., nach einem entsprechenden Ansatz von Mezger, JZ 1951, 180.

14 Schlachter (1983), S. 116. Parallelen finden sich im Ergebnis wie in der Begründung bei Zaczyk (1989), S. 265 ff., dazu unten, S. 135.

lS Heidingsfelder

(1991), S. 152 ff.

D. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

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hängig seien. Daher habe der Vorsatz beim Versuch den gleichen Inhalt wie bei der Vollendung. Eine unterschiedliche Behandlung außerstrafrechtlicher Rechtsirrtümer zugunsten und zuungunsten führte dagegen zu einem unterschiedlichen Inhalt des Vorsatzes beim Versuch und bei der Vollendung. 16 Beim Versuch wie bei der Vollendung komme es aber nicht darauf an, die irrigen Vorstellungen des Täters einzuordnen, sondern allein darauf, festzustellen, ob er den Vorsatz hatte, ein Delikt zu begehen. 17 Unter diesen Prämissen ist auch der Irrtum des Täters zu seinen Ungunsten allein danach zu beurteilen, ob er die Norm oder deren Voraussetzungen betrifft. Dies führt zu einer Unterscheidung, wie sie eingangs allgemein für die Abgrenzung von vorsatzrelevantem und vorsatzirrelevantem Irrtum erörtert wurde: Der Irrtum ist vorsatzrelevant (vorsatzbegcüodend), wenn er - als tatsächlicher oder rechtlicher Irrtum - im Vorfeld des Tatbestandes angesiedelt ist, also den Gegenstand der Norm betrifft. Er ist vorsatzirrelevant (nicht vorsatzbegcüodend), wenn er die Norm selbst, ihre Begriffe betrifft. 18 Diese Gleichstellung der Kriterien beim einfachen und umgekehrten Irrtum führt dazu, daß die Grenze zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum detjenigen zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt entspricht. Es bestünde also ein striktes Umkehrverhältnis von einfachem und umgekehrtem Irrtum. b. Die Ablehnung des Umkehrprinzips beim Rechtsimum Für die These, ein umgekehrter Rechtsirrtum könne niemals zum Versuch führen, da stets ein Element des Vorsatzes fehle, bieten sich zwei mögliche Ansatzpunkte. Einerseits könnten für den Vorsatz bezüglich normativer Tatbestandsmerkmale - also detjenigen Merkmale, bei denen ein rechtlicher Vorfeldirrtum möglich ist - stets Bedeutungskenntnis und Tatsachenkenntnis kumulativ verlangt werden. Beruhte die Bedeutungskenntnis dann auf einem Rechtsirrtum, so fehlte für den Vorsatz immer noch eine geeignete Tatsachenkenntnis. Die für das Wahndelikt typische Überdehnung der Reichweite des Tatbestandes zeigte sich dann in dem Auseinanderfallen von Tatsachenkenntnis und zuge16 Rudolphi

SK § 22 Rn. 32s f.

17

Herzberg, JuS 1980,479.

18

Blei, JA 1973,604; Haft, JA 1981,284 f.; Herzberg, JuS 1980,472 ff.

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1. Teil, C. Der umgekehrte In1um

wiesener Bedeutung. Wer also nach einer unwirksamen Sicherungsübereignung irrig annimmt, die Sache gehöre einem anderen, hat zwar die für die Fremdheit erforderliche Bedeutungskenntnis, ihm fehlt aber die Kenntnis von Tatsachen, die die Fremdheit begründen würden, und daher der Vorsatz. 19 Gegen diese Auffassung sprechen allerdings ,schon die allgemeinen Ausführungen zum Erfordernis der Tatsachenkenntnis beim Vorsatz. 20 Soweit der Täter Tatsachen, deren Kenntnis für den Vorsatz erforderlich ist, eine falsche rechtliche Bedeutung zuweist, liegt nach einhelliger Auffassung ein Wahndelikt vor. Wer also - in Anlehnung an die Bezugskartenentscheidung des BGH21 - eine Bezugskarte für eine Urkunde hält, weil er meint, der auf ihr befindliche Name der Druckerei genüge dem Merkmal der Ausstellererkennbarkeit, hat eben keine erforderliche Bedeutungskenntnis, wenn er gleichzeitig erkannt hat, daß niemand für das Bezugsrecht einstehen will. Ist aber die Bedeutungskenntnis auch ohne Konkretisierung der zugrundeliegenden Tatsachen möglich, wie dies bei der Fremdheit der Fall ist, ist nicht zu begründen, weshalb die Tatsachenkenntnis bei irriger Annahme der rechtlichen Bedeutung erforderlich sein kann, bei richtiger rechtlicher Bewertung jedoch nicht. Dies würde nämlich dazu führen, daß beim Versuch höhere Anforderungen an den Vorsatz gestellt würden als bei der Vollendung.22 Da diese Tatsachen nicht Gegenstand des Tatbestandes sind, ist ihre Kenntnis auch nicht Bestandteil des Vorsatzes. Aus diesem Grund muß, wenn eine Einschränkung des Vorsatzes erfolgen soll, die Bedeutungskenntnis selbst der Anknüpfungspunkt sein. Eine plausible Begrenzung des Vorsatzes beim umgekehrtem Rechtsirrtum verlangt, daß dargelegt wird, warum in diesen Fällen bereits eine rechtlich relevante Bedeutungskenntnis und daher auch ein relevanter Vorsatz fehlt. Diesen Weg, den man als Unterscheidung zwischen strafrechtlich relevanter und strafrechtlich irrelevanter Bedeutungskenntnis bezeichnen kann, wird vor allem von Burkhardt23 und Jakobs24 begangen und eingehend begründet. 25

19 In

diesem Sinne Schunumn, JZ 1987,526.

20 Oben, S. 43 ff. 21

BOHSt 13, 235.

22

Rudolphi SK § 22 Rn. 314.

23

Burkhardt, JZ 1981,681 ff.

11. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

97

(1) Burkhardt Burkhardt stellt semer Abhandlung über Rechtsirrtum und Wahndelikt26 die Bemerkung voran, objektiv tatbestandsloses Verhalten könne nicht dadurch zum stratbaren Versuch werden, daß es vom Täter infolge mangelnder Rechtskenntnis als verboten und stratbar angesehen werde. Deshalb entwickelt er unter Berufung auf Häberlin27 und Kriegsmann28 die These, jeder Rechtsirrtum des Täters zu seinen Ungunsten führe zum Wahndelikt, nicht zum untauglichen Versuch. 29 Zur Begründung führt Burkhardt an, daß die - auch seiner Ansicht nach für den Vorsatz erforderliche30 - Parallelwertung in der Laiensphäre beim umgekehrten Rechtsirrtum gerade nicht geleistet werde, es handle sich vielmehr um eine der richtigen entgegengesetzte Wertung des Täters. 31 Der Täter unterliege einem Bedeutungsirrtum, der schwerlich vom Wahndelikt abzugrenzen sei. Es sei auch nicht einzusehen, warum das auf einem Rechtsirrtum beruhende Verhalten bestraft werden solle, denn mit dem richterlichen Urteil werde dem Täter schließlich nur mitgeteilt, daß sein Verhalten objektiv erlaubt war. 32 Burkhardt sieht in jedem Rechtsirrtum zuungunsten eine Überdehnung des strafrechtlichen Schutzbereiches, wie sie auch von der herrschenden Doktrin als für das Wahndelikt typisch angesehen werde. 33 Der Täter weise nämlich dem betreffenden Tatbestandsmerkmal eine Extension zu, die es objektiv nicht habe. Die Extension34 werde nämlich nicht allein durch das Tatbestands-

24 Jakobs, AT (1991), 8/48 ff., 25/37 ff. 25

Vgl. im übrigen die Nachw. in Fn. 12.

26

Burkhardt, lZ 1981,681 ff.

27

Hliberlin, GA 13 [18651, 233 ff.

28

Kriegsmann (1904), S. 51 ff.

29

Burkhardt, lZ 1981,681 f.

30

Burkhardt, lZ 1981,684.

31

Burkhardt,lZ 1981,684; so auch Probst (1969), S. 206 f.: "Fehlparallelwertung" .

32

Burkhardt, lZ 1981,685.

33

Burkhardt, JZ 1981,685 f.; ebenso Bindokat, NlW 1963,747.

34 Tatbestandsmerkmale sind Begriffe, also Zeichen, die auf Gegenstände hinweisen. Der Begriff ist also vom bezeichneten Gegenstand zu trennen. So werden die Begriffe des Tatbestandes als Tatbestandsmerkmale, die bezeichneten Gegenstände als Tatumstände bezeichnet. 7 Bachmarm

98

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

merkmal selbst bestimmt, sondern auch durch die dieses Merkmal konstituierenden Rechtsnormen: "Die Extension (rechts-)normativer Tatbestandsmerkmale hängt von den dafür konstitutiven Rechtsnormen ab. Ein Irrtum über diese Rechtsnormen betrifft deshalb eo ipso die Extension der normativen Tatbestandsmerkmale und damit auch den Anwendungsbereich des jeweiligen Straftatbestandes. "35 Damit wendet sich Burkhardt gegen die von Blei und Herzberg vertretene Lehre vom Vorfeldirrtum, die danach unterscheidet, ob der Rechtsirrtum im Tatbestand selbst oder in dessen Vorfeld angesiedelt ist. 36 Zur Begründung behauptet er mit Kohlrausch37 eine "prinzipielle Substituierbarkeit" des Tatbestandsmerkmals durch die das Merkmal konstituierenden Rechtsnorm. 38 Die Entscheidung des Gesetzgebers, in einen Straftatbestand nicht eine konkretisierte Regelung, sondern nur einen abstrakten Begriff aufzunehmen, bezüglich der Ausfüllung dieses Begriffes aber auf andere Rechtsnormen zu verweisen (wie dies etwa bei dem Merkmal "fremd" der Fall ist), sei allein gesetzestechnisch begründet, habe aber keinen sachlichen Gehalt: "Die Wahl der Darstellungsart kann den Umkreis der strafbaren Fälle nicht berühren, weder objektiv noch subjektiv. "39 Wenn diese These Kohlrauschs und Burkhardts, daß die Gesetzestechnik nicht für die Natur des Irrtums aus-

Die Summe der Gegenstände, die mit einem Begriff bezeichnet werden, wird Extension dieses Begriffes genannt. Die Extension ist also der Begriffsumfang, der Anwendungsbereich des Begriffs. Davon zu unterscheiden ist die Intension des Begriffs. Das ist der Sinn, die Bedeutung des Begriffs, also die Summe der Eigenschaften, die ein Sachvemalt aufweisen muß, um mit diesem Begriff bezeichnet werden zu können (Camap (1956), S. 21; Herberger (1976), S. 126 f.; Kochl Rüßmann (1982), S. 128 ff.; Puppe, GA 1990, 147 f.; Schlüchter (1983), S. 6 f.; vgl. auch Frege (1892, Nachdruck 1962), S. 38 ff., der allerdings unter der Bedeutung des Begriffs seine Extension versteht). Der Begriff "Urkunde" hat also die Intension "verkörperte Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen läßt und zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist". Zur Extension gehören alle Erklärungen, die diese Eigenschaften aufweisen. 35 Burkhardt, lZ 1981,686. 36

S. oben, S. 64 ff.

37

Kohlrausch (1903), S. 179 f.

38

Burkhardt, lZ 1981,687.

39 Kohlrausch (1903), S. 180.

n. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

99

schlaggebend sein kann, richtig ist, dann wäre Herzbergs Lehre vom Vorfeldirrtum bzw. Hafts Lehre vom Gegenstandsirrtum widerlegt. 40 Aufgrund dieser Substituierbarkeitsthese von normativen Tatbestandsmerkmalen und Ausfiillungsnormen gehört nach Burkhardt die Ausfiillungsnorm selbst zum Tatbestand. Dann fehlte, wenn der Täter nicht den Vorsatz hat, die Merkmale der Ausfiillungsnorm zu erfüllen, der Vorsatz deliktischen Handelns. Daher sei ein Irrtum über Normen außerhalb des Tatbestandes genauso zu behandeln wie ein Irrtum über den Tatbestand, eine Überdehnung der außerstrafrechtlichen Norm sei ebenso wie die Ausdehnung des Straftatbestandes als Wahndelikt anzusehen. 41 Der Täter manifestiere in diesen Fällen, so Burkhardt, eine üble Gesinnung, diese allein reiche jedoch nicht aus, um die Strafe zu begründen. 42 An anderer Stelle43 pointiert Burkhardt seine Position: Der Täter müsse sich, um vorsätzlich zu handeln, einen Sachverhalt vorstellen, der, läge er vor, die geforderte rechtliche Bedeutung hätte, und er müsse diesem Sachverhalt auch die entsprechende rechtliche Bedeutung beimessen. 44

Zusammenfassend kann die Position folgendermaßen dargestellt werden: Während Haft, Blei und Herzberg jeden Irrtum im rechtlichen und tatsächlichen Vorfeld des Tatbestandes als vorsatzrelevant ansehen, gilt dies nach Burkhardt nur fiir das tatsächliche Vorfeld. Ein Rechtsirrtum könne hingegen niemals den Vorsatz begründen.

40 So auch Heidingsfelder (1991), S. 131; Reiß, wistra 1986, 197; Roxin ESI (1984), S. 172; Sch/SchrlEser § 22 Rn. 87; urs., 21. Aufl. (1982), § 22 Rn. 87. 41 Hieraus zu schließen, Burkhardl müsse dann auch umgekehrt die einfachen Irrtümer gleichbehandeln, so daß ein Irrtum über außertatbestandliche Normen nur ein Verbotsirrtum wäre (so Schanemann, GA 1986, 315; Tischler (1984), S.347 f.), ist allerdings nicht korrekt. Burkhardt behauptet nur, daß die irrige Annahme einer Bedeutung nicht ausreicht, um Vorsatz zu begründen; auch für ihn stellt die Bedeutungskenntnis eine notwendige Bedingung des Vorsatzes dar (Burkhardt, wistra 1982, 181). Burkhardt bekennt sich ausdrücklich zur Lehre von der Parallelbeurteilung in der Laiensphäre. Ein Verstoß gegen das Umkehrprinzip liegt darin nicht, wenn es, wie von Jakobs (AT (1991),25/37 a.E.), entsprechend (einschränkend) formuliert wird.

42

Burkhardl, IZ 1981,688.

43

Burkhardt, wistra 1982, 181.

44 Hieraus kann wohl nicht geschlossen werden, daß Burkhardt stets auch Tatsachenkenntnis fordert. Das Zitat bezieht sich auf die Steuerpflicht, die der Täter stets an konkrete Umstände anknüpfen wird.

7'

100

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

(2) Jakobs Zu den gleichen Ergebnissen gelangt Jakobs, wenn er für die Annahme eines Tatumstandes verlangt, daß sie aus einem geeigneten Substrat45 geschlossen wird: ·Wenn der Täter von bestimmten Tatsachen her die parallele Beurteilung erschließt, führt dies zum Vorsatz nur dann, wenn Tatsachen der vorgestellten Art auch objektiv eine entsprechende Beurteilung auslösen. Ansonsten verbindet der Täter die Tatsachen mit einer Bedeutung, die ihnen nach der gegebenen Ordnung nicht zukommt, d. h., er greift nicht die bestehende, sondern nur eine vorgestellte Ordnung an: Wahndelikt .•46 Damit deckt sich Jakobs' Position mit derjenigen Burkhardts, denn der Schluß von einem ungeeigneten Substrat liegt genau dann vor, wenn der Täter aufgrund eines Rechtsirrtums dem Sachverhalt eine rechtliche Bedeutung zuweist. Jakobs weist jedoch ergänzend darauf hin, daß die Kenntnis der zugrundeliegenden Tatsachen nicht erforderlich sei. So verlange der Fremdheitsvorsatz nicht, daß der Täter sich Gedanken mache, wie das fremde Eigentum entstanden sei. Schließe der Täter allerdings aus einem ungeeigneten Substrat auf die Bedeutung, dann ergebe dies auch dann keinen Vorsatz, wenn der Schluß aus tatsächlichen, dem Täter aber nicht bekannten Gründen richtig gewesen wäre. 47 Die Thesen Jakobs' werden erst unter Berücksichtigung der von ihm vertretenen Straftheorie in ihrem vollen Umfang verständlich. Für Jakobs besteht die Aufgabe des Strafrechts nicht im Rechtsgüterschutz: Rechtsgüter sind die von der Gesellschaft positiv bewerteten Gegenstände. Sie werden auf verschiedenste Weisen beeinträchtigt, doch wird nur ein Bruchteil der Beeinträchtigungen strafrechtlich erfaßt. Erfaßt werden nämlich allein diejenigen Verhaltensweisen, die sich nicht nur gegen das Gut, sondern auch gegen die positive Bewertung dieses Guts richten. Strafrechtsgutsverletzung ist daher nicht die Verursachung des Todes, sondern der in der vermeidbaren Tötung liegende Normwiderspruch. Das durch das Strafrecht geschützte Gut ist

45 Jakobs, AT (1991), 8/59. 46 Jakobs, AT (1991), 25/42. 47 Jakobs, AT (1991), 8/59.

11. Der Umkchrschluß als inhaltliches Argument

101

also nicht das Rechtsgut, sondern die Geltung des Norminhalts, dieses Gut zu achten. 48 Nicht jeder Widerspruch zu einer Norm ist jedoch strafrechtlich relevant. Da das Strafrecht die Normen garantieren soll, die zum Funktionieren des sozialen Lebens unabdingbar sind,49 sind auch nur solche Normbrüche relevant, die dieses soziale Leben stören, mithin nur sozialschädliche Normbrüche. Wenn geschütztes Strafrechtsgut die faktische Geltung der Normen ist, dann stellt auch schon der imperfekte Angriff eine Straftat dar, da sich in ihm bereits die Nichtachtung der Norm manifestiert. Erforderlich ist aber, daß ein Normbruch expressiv wird: Strafbar ist nur der kommunikativ relevante Normbruch. Es genügt demnach nicht, daß der Täter Tatvorsatz hat, er muß auch eine Handlung vornehmen, die es erlaubt, sein Verhalten verbindlich als Normbruch zu beurteilen. 50 Aus dem gleichen Grunde muß der Täter den Bruch einer wirklich vorhandenen Norm expressiv machen. 51 Erforderlich ist also stets, daß der Täter eine gegebene Ordnung angreift. Greift er nur eine vorgestellte Ordnung an, liegt ein Wahndelikt vor, und zwar nicht nur dann, wenn die angegriffene Norm gar nicht existiert, sondern auch dann, wenn er einem Sachverhalt eine Bedeutung zumißt, die ihm nicht zukommt: denn auch dann meint er, der Entstehungsgrund der Pflichten sei weiter, als es die gegebene Ordnung vorsieht - es fehlt an der Desavouierung einer Norm der gegebenen Ordnung. 52

(3) Stellungnahme Zunächst muß Burkhardts These zurückgewiesen werden, objektiv tatbestandsloses Verhalten könne nicht dadurch zum strafbaren Versuch werden, daß es vom Täter infolge mangelnder Rechtskenntnis als verboten und strafbar eingestuft werde. Es handelt sich nämlich bei jedem Versuch um objektiv tatbestandsloses Verhalten. 53 Und schließlich behaupten auch Burkhardts

48

Jakobs, AT (1991), 2/5; ders., ZStW 101 [1989],517.

49

Jakobs, AT (1991), 2/2.

so Jakobs, ZStW 97 [1985], S. 764; ders., Armin Kaufmann-GS (1989), S. 279,282 f. Si Jakobs, AT (1991), 25/21 f. S2

Jakobs, AT (1991), 25/42.

S3 Ebenso Heidingsfelder

(1991), S. 123 f.; Rudolphi SK § 22 Rn. 32b.

102

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Kritiker nicht, daß allein die Einschätzung des Täters, sein Verhalten sei verboten, einen strafbaren Versuch darstellt. So einfach liegen die Dinge also nicht. Wenn Burkhardt sodann die schwierige Abgrenzbarkeit von Bedeutungsirrtum und Wahndelikt bemängelt, so sind die Schwierigkeiten allein in seiner Verwendung des Begriffs des Bedeutungsirrtums begründet. Burkhardt bezeichnet offenbar jeden Irrtum, aufgrund dessen der Täter ein Tatbestandsmerkmal für gegeben hält, als Bedeutungsirrtum, also auch den - eindeutigen - Subsumtionsirrtum, der auf einem Fehlverständnis des gesetzlichen Begriffs beruht. Fehlt dem Täter hier aber gerade die Kenntnis der rechtlichen Bedeutung des Begriffs, ist es verfehlt, wenn Burkhardt einen solchen "Benennungsirrtum"54 als Bedeutungsirrtum bezeichnen will.55 Demgegenüber beweisen insbesondere die zitierten Ansätze von Haft und Herzberg, daß eine Abgrenzung des Irrtums über die rechtliche Bedeutung von dem Irrtum über den Begriff prinzipiell möglich ist. Daher steht allein in Frage, ob es richtig ist, beide Irrtumsarten in verschiedener Weise zu behandeln. Träfe Burkhardts These der Substituierbarkeit zu, wäre die Ungleichbehandlung unverständlich. Könnte ein normatives Tatbestandsmerkmal durch das Einfügen der entsprechenden Verweisungsnorm ersetzt werden, ohne den Inhalt der Strafnorm zu verändern, dann müßte auch der Irrtum über die Verweisungsnorm mit dem Irrtum über das Strafgesetz sachlich identisch sein. Daher steht und fällt Burkhardts Ansatz mit der Richtigkeit der Substituierbarkeitsthese. Im Hinblick auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes ist Burkhardt und Kohlrausch nicht zu widersprechen. Für die Reichweite der Eigentumsdelikte macht es in der Tat keinen Unterschied, ob über das Merkmal "fremd" auf das Zivilrecht verwiesen wird oder aber die dort enthaltenen Regeln (auf freilich höchst komplizierte Weise) in das Strafgesetz geschrieben würden. Das bedeutet jedoch noch nicht, daß dies auch für den subjektiven Tatbestand gilt.

54 TIschler

(1984), S. 345.

55 Ebenso TIschler,

8 ••• 0.

U. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

103

Gehört nämlich zum Vorsatz auch die Kenntnis der sozialen Bedeutung des Sachverhalts, richtet sich der Inhalt der Bedeutungskenntnis nach den Anforderungen, die die Tatbestandsmerkmale stellen. Definiert man das Tatobjekt der Unterschlagung als fremd, so genügt nach allgemeinem - und auch Burkhardts - Verständnis die Kenntnis der Voraussetzungen einer Übereignung an einen anderen nicht, um den Fremdheitsvorsatz zu begründen. Erforderlich ist vielmehr die Kenntnis des "Regelungseffekts"56, nämlich das Wissen, daß die Sache infolge der Übereignung nicht mehr dem Täter gehört. Würden anstelle des Merkmals "fremd" die einzelnen Übereignungstatbestände enumerativ aufgezählt, würde nur noch die Kenntnis der Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen zum Vorsatz gehören. Das wesentliche Merkmal der Eigentumsdelikte, das fremde Eigentum, wäre dann aber nicht mehr Tatbestandsinhalt und somit auch nicht mehr Bezugspunkt für den Vorsatz. Der Grund für den inhaltlichen Unterschied zwischen dem Tatbestandsmerkmal und der Verweisungsnorm liegt in der Funktion des Strafgesetzes. Wenn Burkhardt behauptet, der Austausch von Tatbestandsmerkmal und Verweisungsnorm verändere den Inhalt des Strafgesetzes nicht, da der strafrechtliche Schutzbereich derselbe bleibe, dann beschränkt er seinen Blick auf die Extension des Gesetzes, also auf die Sachverhalte, die von dem Gesetz erfaßt werden. Damit verkennt er jedoch den Sinn des Strafgesetzes. Der Inhalt der Norm ist mit ihrem Schutzbereich nicht identisch. Sie enthält mehr als nur die Beschreibung strafbarer Sachverhalte, nämlich auch eine Verhaltensregel, die Bestimmungsnorm. 57 Wenn aber die Aufgabe des Vorsatzes darin besteht, dem Täter einen Impuls zur Vermeidung des rechtlich unerwünschten Erfolges zu geben, dann ist der Vorsatz die Erkenntnis der Voraussetzungen dieser Bestimmungsnorm. Der Vorsatz muß also genau den Inhalt der Bestimmungsnorm umfassen. Alles, was Gegenstand der Bestimmungsnorm ist, gehört daher auch zum Gegenstand des Vorsatzes. Nach der Substituierbarkeitsthese müßte auch die substituierende Verweisungsnorm Gegenstand der Bestimmungsnorm sein. Die Substituierbarkeitsthese trifft damit auf alle diejenigen Verweisungsnormen zu, die Gegenstand

S6 Jakobs, AT (1991), 8/53. 57

S. oben, S. 18 f.

104

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

der Bestimmungsnorm sind, also auf jene, die selbst wenigstens einen Teil der Bestimmungsnorm selbst normieren. . Das ist jedoch bei Gesetzen, auf die normative Tatbestandsmerkmale verweisen, niemals der Fall. Vorschriften, die selbst strafrechtlich normieren und daher Bestandteil der Bestimmungsnorm sind, sind vielmehr blankettausfüllende Normen. Die Merkmale, die auf sie verweisen, sind Blankettbegriffe, nicht normative Tatbestandsmerkmale. Verweisungsnormen normativer Tatbestandsmerkmale sind dagegen solche, die den Inhalt normativer Tatbestandsmerkmale beschreiben, ohne selbst strafrechtlich zu normieren. 58 Daher ergibt sich, daß die Ersetzung normativer Tatbestandsmerkmale durch ihre Verweisungsnorm nicht möglich ist, ohne den Inhalt des Strafgesetzes zu verändern. 59 Es bliebe zwar die Extension des Strafgesetzes identisch, die Bestimmungsnorm, der Normbefehl, würde jedoch verändert. Die Bestimmungsnorm würde einerseits eingeschränkt, weil der Täter die Voraussetzungen der Verweisungsnorm kennen müßte, andererseits würde sie auch erweitert, weil der Regelungseffekt des normativen Tatbestandsmerkmals, also seine Bedeutung, aus dem Tatbestand herausfallen würde. Puppe hat demzufolge durchaus recht, wenn sie feststellt: "Der Strafgesetzgeber war gut beraten, als er in den § 242 den Ausdruck "fremde Sache" hineinschrieb statt irgendwelcher tatsächlichen Voraussetzungen des Eigentumserwerbs. "60 Damit ist die Substituierbarkeitsthese entkräftet. 61 Die normativen Tatbestandsmerkmale sind also "bewußt" von den sie konstituierenden Rechtsnormen "abzukoppeln" . 62 Die Substituierbarkeitsthese ist somit zur Begründung der Gleichbehandlung von Irrtümern über Tatbestandsmerkmale und Irrtümern im Verweisungsbereich nicht geeignet.

58 S. oben, S. 32. Diesen Unterschied zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettbegriffen verkennt offenbar GiJssel (Maurach/Gössel, AT/2 (1989), § 40 Rn. 167) wenn er Henbergs Lehre vom Vorfeldirrtum auf Blankettbegriffe bezieht. Über die Behandlung von Irrtümern über Blankettbegriffe dürften zwischen Burkhardl und Henberg kaum Differenzen bestehen. 59

Ebenso Puppe, GA 1990, 154 f.

ro Puppe, GA 1990, 157. 61 Kuhlen (S. 369) wendet sich gegen die Substituierbarkeitsthese nur bei "dynsmischen Normverweisungen". S. dazu oben, S. 58.

62

Vgl. Burkhardt, lZ 1981,686.

11. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

105

Es ist aber auch die Behauptung entkräftet, die rechtsirrtümliche Annahme der Voraussetzungen eines Tatbestandes stelle eine Ausdehnung der Tatbestandsmerkmale dar. Burkhardt hält die irrige Annahme, ein Verhalten sei strafbar, für eine Verkennung der Extension des Ausdrucks "rechtswidrige Tat" im Rahmen des § 346 StGB a. F. Das ist jedoch nicht richtig. Die Extension dieses Merkmals umfaßt jedes Verhalten, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Der Täter im "Begünstigungsfall" hatte dies sehr wohl erkannt. Er glaubte nämlich, daß das Vorverhalten einen Straftatbestand erfüllt habe. Damit hat er jedoch die Extension des Tatbestandsmerkmals genausowenig verkannt wie deljenige, der irrig tatsächliche Voraussetzungen eines Tatbestandes annimmt, etwa eine Schaufensterpuppe für einen Menschen hält. 63 Er wußte nämlich ebenso, daß Ordnungswidrigkeiten keine Straftaten im Sinne des § 346 StGB a. F. sind, wie der vermeintliche Mörder weiß, daß man Schaufensterpuppen nicht töten kann. Hier liegt nämlich genau die Grenze zwischen Vorsatz und Wahn: Der Wahn täter überdehnt die Extension eines Tatbestandes, der Vorsatztäter schreibt einem Sachverhalt eine Bedeutung zu, die der Intension64 des Tatbestandes entspricht, und daher, im Falle der Richtigkeit seiner Vorstellung, auch zur Extension des Tatbestandes gehören würde. Es verbleibt das Argument Burkhardts und Jakobs', es würde ein Verhalten bestraft, das gar nicht gegen die gegebene Rechtsordnung verstoße; das Unrecht des Versuchs liege nicht vor, da die rechtliche Relevanz der Ausführungshandlung nicht allein von der Vorstellung des Täters abhänge. 65 Es ist aber daran zu erinnern, daß es an dieser Stelle allein um die Frage geht, ob die rechtsirrige Annahme der sozialen Bedeutung Vorsatz begründet. Davon sind Fragen der Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Verhaltens zu trennen. Die These, der Täter greife nicht die gegebene Ordnung an,66 ist aber auch nicht hinreichend konkretisiert. Soweit darin zum Ausdruck kommen soll, daß das strafrechtlich geschützte Rechtsgut nicht gefährdet würde, verlangt sie

63.

63

Vgl. auch Puppe, GA 1990, 175 Fn.

64

Zum Begriff der Intension s. oben, S. 97, Fn. 34.

6S Jakobs, Armin Kaufmann-GS (1989), S. 279; vgl. auch Frisch, Irrtum (1991), S. 283 f., Fn.192. ti6

Jakobs, AT (1991),25/42.

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1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

nach einer objektiv orientierten Versuchstheorie. Soweit damit jedoch behauptet werden soll, der Täter wende sich nicht gegen die Bestimmungsnorm, so trifft die These nicht zu: Derjenige, der eine fremde Sache wegnehmen will, erfährt einen Vermeideimpuls ganz unabhängig davon, ob die Sache tatsächlich fremd ist oder der Täter dies aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Fehlvorstellungen nur irrig annimmt. In jedem Fall hat er Anlaß, die Sache nicht wegzunehmen. Die Aufgabe des Vorsatzes, Steuerbarkeit aufgrund der Bedeutungskenntnis, ist also von den objektiven Bedingungen ganz unabhängig. 67 Auch bei der rechtsirrigen Annahme von Tatumständen richtet sich der Vorsatz des Täters auf ein Verhalten, das von einem Straftatbestand erfaßt wird. 68 Daß es bei der Feststellung des Vorsatzes nicht auf die kommunikative, d. h. soziale Relevanz des Verhaltens ankommen kann, ist auch ein zwingendes Gebot der Logik. Bestraft wird ein Verhalten, das vom Vorsatz getragen ist, final gesteuert wird. Diese Steuerung liegt also der fraglichen Handlung notwendig zeitlich voraus. Dann kann die Wirkung der Handlung, ihre soziale Relevanz, nicht ihrerseits Voraussetzung des Vorsatzes sein. Auch ein Blick auf Irrtümer, die nur mittelbar zu einer Fehlannahme des normativen Tatumstandes führen, zeigt, daß zwischen einem Rechtsirrtum und einem Tatirrtum im Vorfeld des Tatbestandes keine qualitativen Unterschiede bestehen. Mag das Bild der Überdehnung der Reichweite des Tatbestandes noch naheliegen, wenn der Täter einen nicht existierenden Übereignungstatbestand annimmt, so wird die Unterscheidung doch jedenfalls zweifelhaft, wenn eine Unterscheidung darin gemacht wird, ob der Täter aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die Geschäftsunfähigkeit des Voreigentümers verkennt und aus diesem Grund die Sache irrig für fremd hält. Ein ähnliches Beispiel läßt sich für den Betrug formulieren: Verschleiert der Schuldner dem Gläubiger das Bestehen einer Forderung, obwohl diese wegen Verjährung und der mangelnden Zahlungswilligkeit des Schuldners ohnehin wertlos ist, dann erleidet jener keinen Schaden. 69 In diesem Fall einen untauglichen Versuch anzunehmen, wenn der Täter sich über das Alter der Forderung irrt, ein Wahndelikt aber dann, wenn er eine falsche Verjährungsfrist unterstellt, kann nicht überzeugen.

67

Vgl. auch Schilnemann, GA 1986,313.

68

Ebenso Tischler (1984), S. 347.

(f}

Samson SK § 263 Rn. 119; Sch/SchriCramer § 263 Rn. 91 f.

D. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

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Die Gründe, in den in Rede stehenden Fällen einen Versuch abzulehnen, mögen kriminalpolitisch überzeugend sein. Sie können aber nicht belegen, warum ein Täter nicht vorsätzlich handelt, der einem Sachverhalt gerade die Bedeutung zuweist, die der Wertung des Strafgesetzes entspricht. Schließlich scheint Burkhardt dies im Kern selbst erkannt zu haben, wenn er meint, die "Manifestation einer üblen Gesinnung" reiche allein nicht aus, um Strafe zu begründen. 70 Burkhardt versäumt es aber darzulegen, worin dann die üble Gesinnung besteht, wenn nach seiner Ansicht kein Vorsatz vorliegt. Daß auch Jakobs' Thesen zum Vorsatz in Wahrheit nicht den subjektiven Tatbestand betreffen, zeigen seine Formulierungen in der Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann. Dort stellt er nämlich in den fraglichen Fällen auf das Ansetzen zur Tat, also auf den objektiven Tatbestand ab. 71 Die Auffassung, den relevanten Vorsatz auf zurechenbare Bedeutungskenntnis zu beschränken, vermag nach alledem nicht zu überzeugen. Die Substituierbarkeitsthese konnte widerlegt werden. Das Argument, der Täter dehne den strafrechtlichen Schutzbereich aus, konnte für den subjektiven Tatbestand entkräftet werden. Somit besteht zwischen tatsächlichem und rechtlichem Irrtum über die Tatbestandsvoraussetzungen in Bezug auf den Vorsatz des Täters kein Unterschied.

c. Differenzierende Lösungen (1) Schlüchters Argument der mangelhaften Sachverhaltssicht Während Burkhardt seine Begründungen vor allem aus einem Vergleich mit der unstreitig irrelevanten Annahme der Stratbarkeit des Verhaltens herleitet, grenzt Schlüchter die Fälle des rechtlichen Vorfeldirrtums durch die Unterschiede zum tatsächlichen Irrtum ab. So führt bei ihr nicht jeder rechtliche Irrtum zum Wahndelikt, sondern nur deljenige, durch den die Sachverhaltssicht "extensional völlig aus dem Rahmen fällt". 72 Damit kommt Schlüchter dem Rechtsgefiihl entgegen, das sich sträuben mag, verschiedene rechtliche Vorfeldirrtümer der gleichen Rechtsfolge zu unter-

'70 Burkhardt, IZ 1981,688. 11

Jakobs, Armin Kaufmann-GS (1989), S. 279.

72 Schlachter (1983), S. 142 und passim.

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1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

werfen, nämlich entweder stets Versuch oder stets Wahndelikt anzunehmen. Es dürfte nämlich leichter fallen, ein strafwürdiges Verhalten in der Veräußerung eines Fahrzeugs, dessen Sicherungsübereignung zuvor unerkannt gescheitert ist, zu erblicken, als in der "Begünstigung" eines anderen, der in Wahrheit nur eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Zu untersuchen ist aber, ob Schlüchter ein geeignetes Kriterium zur Abgrenzung relevanter und irrelevanter Fälle gefunden hat. Auch Schlüchter fordert für den Vorsatz allein die Kenntnis der sozialen Bedeutung - nämlich der Bedeutung für das Rechtsgut. 73 Ein Irrtum zuungunsten sei hier grundsätzlich nicht vorsatzausschließend. Wer ein vermeintlich übereignetes Fahrzeug veruntreuend veräußere habe ebenso Vorsatz wie derjenige, der in einem Schriftstück einen Aussteller zu erblicken glaube und dieses verfälsche. Der Rechtsirrtum, der zur Annahme einer relevanten sozialen Bedeutung führt, ist nach Schlüchter nur, aber auch immer dann vorsatzausschließend, wenn dadurch die teleologisch reduzierte Sachverhaltssicht, also die Kenntnis der Bedeutung des Sachverhalts in Bezug auf die Verletzung des geschützten Rechtsguts, 74 mit einem erheblichen Mangel belastet ist. Ein Mangel sei erheblich, wenn sich der vorgestellte Sachverhalt auch "unter Hinzufügen weiterer Mosaiksteine (Sachverhaltselemente) nicht unter die jeweilige Strafbestimmung subsumieren" lasse. 75 In diesem Fall nämlich weise "der Täter die rechtsgutsbezogene Komponente einem Tatbild [zu], das extensional völlig aus dem Rahmen des Tatbestandes" herausfalle. 76 Die Argumentation ähnelt detjenigen Burkhardts und Jakobs', die auf die Überdehnung des Straftatbestandes abstellen. Während diese jedoch eine konsequente und nach allgemeinen Kriterien überprutbare Unterscheidung zwischen Versuch und Wahndelikt vornehmen, fehlt es bei Schlüchters Ansatz an verallgemeinerungsfähigen Kriterien. Heidingsfelder77 hält Schlüchters Ansatz für so unbestimmt, daß er mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar sei.

73

S. oben, S. 37.

74

Schlüchler (1983), S. 100 ff.

7S

Schlüchler (1983), S. 114 f.

76

Schlüchter (1983), S. 116.

77

Heidingsfelder (1991), S. 38.

n.

Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

109

Die Frage, ob Vorsatz vorliegt, soll nach Schlüchters Auffassung davon abhängen, ob die Elemente, um die der vom Täter vorgestellte Sachverhalt ergänzt werden müßte, noch als bloße Mosaiksteine bezeichnet werden können. Diese Entscheidung hängt aber offenbar von dem empfundenen Strafbedürfnis ab. Zur Verdeutlichung seien einige Beispiele Schlüchters skizziert. In dem Bezugskartenfall des BGH78 hatten die Täter falsche Bezugskarten hergestellt und gebraucht, die ohne Unterschrift des zuständigen Offiziers keinen Aussteller erkennen ließen. Dies war den Angeklagten auch bewußt. Schlüchter hält dieses Verhalten - wie auch einhellig Rechtsprechung und Literatur - für ein Wahndelikt. Interessant ist jedoch die Begründung: "Das Ausfüllen und Unterschreiben der Bezugskarten bildet nämlich keinen bloßen Sachverhaltsmosaikstein, sondern den entscheidenden Schritt von der strafrechtlichen Unbeachtlichkeit in die strafrechtliche Relevanz. Stellen sich doch die noch nicht ausgefüllten Bezugskarten als auch nach sonstigen Bestimmungen (§§ 146 ff., 268 StGB) untaugliche Handlungsobjekte dar. "79 Damit ist die Bezeichnung als "Mosaikstein " aber eine petitio principii: Immer dann, wenn ein Sachverhaltsausschnitt den Schritt zur strafrechtlichen Relevanz darstellt, handelt es sich nicht bloß um einen Mosaikstein. Das liegt in Wahrheit aber daran, daß ein Schritt zur strafrechtlichen Relevanz überhaupt nur möglich ist, wenn vorher keine Strafbarkeit gegeben war - also ein Wahndelikt vorliegt. Die Entscheidung über die Strafbarkeit ist also derjenigen, ob eine Sachverhaltsergänzung durch "Mosaiksteine" möglich ist, logisch vorgelagert. Damit trägt das "Mosaiksteinargument" allerdings nichts zur Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt bei. Auch die Untersuchung, ob das Verhalten im übrigen strafbar war, hilft nicht weiter. Wenn man wie Schlüchter auf eine teleologisch reduzierte Sachverhaltssicht abstellt, also auf die Bedeutung, die das Verhalten für dasjeweilig geschUtzte Rechtsgut hat, kann es auf dessen Bedeutung in Bezug auf andere Strafvorschriften und deren Schutzgüter nicht ankommen. Besonders deutlich wird der Mangel in Schlüchters Begründung in dem Sicherungsübereignungsfall. Sie stellt hier nämlich darauf ab, daß die Parteien sich wegen der Übereignungsverhandlungen nicht mehr im rechtsfreien Raum

78

BGHSt 13,235.

79 Schlüchter

(1983), S. 115, ebenso S. 160 f.

110

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

befunden hätten. "Eine so spezielle Abmachung wie die des Besitzkonstituts hat man also als bloßen Sachverhaltsmosaikstein zu werten. "80 Wie aber zu entscheiden wäre, wenn die Parteien sich lediglich schuldrechtlich geeignet hätten, ohne über die Übereignung zu sprechen, läßt die Argumentation offen: Befänden sie sich dann noch im rechtsfreien Raum? Ähnlich entscheidet Schlüchter auch im Begünstigungsfall: Der Schritt von der Ordnungswidrigkeit, die tatsächlich vorlag, zur Straftat, wie der Täter sie angenommen hatte, sei nicht erheblich, weil auch die vorliegende Ordnungswidrigkeit bereits Unrecht darstelle und daher nur ein quantitativer, nicht ein qualitativer Unterschied im Unrecht bestehe. 81 - Dies steht allerdings im Widerspruch zu den Ausführungen zum Bezugskartenfall, entscheidet doch das eingefügte Sachverhaltsmoment in beiden Fällen über die Stratbarkeit des Verhaltens. Einen beachtlichen Mangel im Falle eines rechtlichen Irrtums sieht Schlüchter im "Mauswieselbeispiel" . Dort hält der Täter ein Mauswiesel - also Wild i. S. d. § 292 StGB - für eine Maus und erschießt es in der irrigen Annahme, auch Mäuse seien Wild. Die teleologisch reduzierte Sachverhaltssicht sieht Schlüchter hier nicht schon dann als gelungen an, wenn der Täter das Tier für einem anderen gehörig, also fremdem Jagdrecht unterliegend, hält. Sie meint nämlich, die Verweisung des § 292 StGB auf das BJagdG enthalte nicht nur diese rechtsgutsbezogene, sondern zusätzlich eine stratbarkeitseinschränkende Komponente, da nur bestimmte Tiere - hier: bestimmte Raubtierarten - erfaßt seien. Dies habe der Täter verkannt, als er die vermeintliche Maus erschoß. 82 Schlüchter übersieht jedoch, daß die Einschränkungen auf bestimmte Tierarten zugleich die Beschränkung des Jagdrechts betrifft. Es handelt sich nicht um eine zusiitzliche, stratbarkeitseinschränkende Komponente. Daher ist auch nicht ersichtlich, warum der Täter des § 292 StGB ein Tier auch einer bestimmten Familie zuordnen müßte. Schlüchter sieht aber auch dann, wenn man die teleologisch-reduzierte Sachverhaltssicht als gelungen erachten wollte, noch einen erheblichen Mangel. Aus

80

Schlachter (1983), S. 162.

81

Schlachter (1983), S. 161.

82

Schlachter (1983), S. 123.

n. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

111

der Maus werde nämlich durch Hinzufügen einzelner Sachverhaltselemente kein Mauswiesel. 83 Diese Formulierung zeigt deutlich, daß das "Mosaiksteinargument" keinen hohen sachlichen Gehalt hat. Damit sind aber die von HeidingsfeiderB 4 geäußerten rechtsstaatlichen Bedenken gerechtfertigt: Die Entscheidung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt ist zugleich die Entscheidung zwischen Stratbarkeit - mit fakultativer Milderung der Vollendungsstrafe, §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB - und Straflosigkeit. Im Extremfall hat der Richter also zwischen lebenslänglicher Freiheitsstrafe und Freispruch zu entscheiden. 85 Eine derart schwerwiegende Entscheidung muß überprütbar sein. Dann muß das Urteil aber auch objektive und damit überprütbare Kriterien als Begründung enthalten, um rechtsstaatlichen Anforderungen zu entsprechen. Dem genügt die Einordnung eines "Sachverhaltssplitters" als "Mosaikstein" nicht. Das Abgrenzungskriterium Schlüchters vermag daher insgesamt nicht zu überzeugen. Es ist ihr auch nicht gelungen, hinreichend bestimmte Kriterien zwischen beachtlichen und unbeachtlichen Irrtümern zu finden. 86 Die Entscheidung darüber, ob ein Sachverhaltsmangel Vorsatzrelevanz hat oder nicht, wird zur petitio principii. (2) Das Argument der "sozialen Erfahrungsbeziehung" - Probst Probst bezweifelt, daß Vorsatz und Unrechtsbewußtsein bei allen normativen Tatbestandsmerkmalen voneinander getrennt werden könnten. 87 Das Unrechtsbewußtsein gehe häufig mit der Parallelwertung in der Laiensphäre einher. Für diese Auffassung kann sich Probst auf einschlägige Äußerungen auch von Vertretern der Lehre von der Parallelbeurteilung in der Laiensphäre berufen. 88

83

Schlachter (1983), S. 123 f.

84

S. oben bei Fn. 77.

85 Ein solcher Extremfall lag dem Urteil des BGH v. 26.2.1958 (BGHSt 11, 226) zugrunde; der Täter nahm möglicherweise rechtsirrig eine Straftat an, die er mittels einer Tötung verdecken wollte. Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen vollendeten Mordes. 86

Ebenso Heidingsfelder (1991), S. 38; Kuhlen (1987), S. 436 ff.; Tischler (1984), S. 369 ff.

87 Probst 88

(1969), S. 193.

Probst (1969), S. 194 ff.

112

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Folgerichtig stellt Probst die Frage: "Wenn die 'Parallelwertung in der Laiensphäre' notwendigerweise zusammenfällt mit dem Unrechtsbewußtsein, - muß dann nicht auch ihre Umkehrung injedern Fall zum Wahndelikt führen? "89 Anschließend stellt er aber fest, daß das Unrechtsbewußtsein nicht an dem einen Tatbestandsmerkmal, sondern am ganzen Tatbestand hängt, so daß die "Mißbilligung des auf die Verletzung oder Gefährdung des Rechtsgutes gerichteten Verhaltens in diese Merkmale noch keinen Einfluß gefunden hat. "90 Damit hat Probst nachgewiesen, daß die Parallelbeurteilung in der Laiensphäre bezüglich eines normativen Tatbestandsmerkmals jedenfalls nicht stets mit dem Unrechtsbewußtsein einhergeht, so daß beides prinzipiell voneinander getrennt werden und diese Abgrenzung daher auch die Grenze zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt bilden kann. 91 Nun sucht Probst nach Bereichen, in denen diese Unterscheidung nicht gilt. Dazu knüpft er an den Begriff der Parallelwertung in der Laiensphäre an, die er im Fall des umgekehrten Irrtums als "umgekehrte Fehl-Parallelwertung" bezeichnet. 92 Er meint, die Antwort auf die Abgrenzungsfrage "im Wesen des Irrtums zu Gunsten" zu finden: Der Irrtum müsse, "um als Tatbestandsirrtum beurteilt werden zu können, in einem Bereich liegen, der dem Täter zugänglich, d. h. einer Laienwertung erreichbar" sei. 93 Daher könne auch eine auf ein normatives Tatbestandsmerkmal bezogene Fehlwertung nur dann als untauglicher Versuch qualifiziert werden, wenn sie "in einem der Parallelwertung in der Laiensphäre vernünftiger Weise adäquaten Bereich" liege. Werde dieser Bereich überschritten, so schlage der Tatbestandsbezug der Fehlwertung in einen Normbezug um: der Täter begehe ein Wahnverbrechen. 94 Die Adäquanz dieses Bereiches bestimmt Probst nach der "sozialen Erfahrungsbeziehung"95 des Täters zu den einzelnen normativen Merkmalen: "Je (1969), S. 196. (Hervorhebung im Original). 90 Probst (1969), S. 198. 91 Probst (1969), S. 199. 92 Probst (1969), S. 206 f. 93 Probst (1969), S. 207. 94 Probst (1969), S. 207. 9S Probst (1969), S. 208 f. 89 Probst

ß. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

113

geringer diese Erfahrungsbeziehung des Täters zu dem von dem jeweiligen 'Tatumstand' umschriebenen sozialen Lebenssachverhalt ist, desto eher wird beim Irrtum 'zu Gunsten' der Umschlag zum Subsumtionsirrtum, beim Irrtum 'zu Ungunsten' der Umschlag zum umgekehrten Subsumtionsirrtum eintreten. "96 Probst zieht demnach die Grenze zwischen vorsatzrelevantem und vorsatzirrelevantem Irrtum bewußt nicht abstrakt, sondern in Beziehung zur konkreten Norm und, vor allem, zum Täter. Dies gestatte eine problemorientierte Anwendung der Irrtumssystematik auf alle normativen Tatbestandsmerkmale. 97 Damit geht Probst bei dem Versuch, für das Abgrenzungsproblem von vorsatzrelevantem und nicht vorsatzrelevantem Irrtum eine differenzierende Lösung zu finden, über den von Schlüchter eingeschlagenen Weg hinaus, da er sich ausdrücklich zu einer Entscheidung im Einzelfall bekennt, die zwar mit dem Kriterium der "sozialen Erfahrungsbeziehung" begründet, aber wohl doch allein nach dem Rechtsgefühl des Urteilers gefällt werden kann. Dem liegt die Auffassung zugrunde, daß an den Vorsatz des "Laien" beim umgekehrten Irrtum um so höhere Anforderungen zu stellen seien, je komplizierter die Rechtsmaterie ist, in der der Laie sich bewegt. Darin sieht Probst98 Parallelen zu der Auffassung, im Nebenstrafrecht sei die Vorsatztheorie anzuwenden. 99 Bemerkenswert an Probsts Ansatz ist seine ausdrückliche Bekräftigung des Umkehrschlusses. 1OO Während Schlüchter in den problematischen Fällen vom Umkehrprinzip abrückt, um beim umgekehrten Irrtum auch dann Vorsatz abzulehnen, wenn der entsprechende einfache Irrtum den Vorsatz ausschließt, führt bei Probst die Entlastung des Täters beim Irrtum zuungunsten zu seiner Belastung beim Irrtum zugunsten: Einen Umstand, der jenseits seiner sozialen Erfahrung liegt, muß der Täter nicht kennen, um vorsätzlich zu handeln. Dieses Ergebnis steht nicht nur der Forderung entgegen, im Nebenstrafrecht die Vorsatztheorie anzuwenden, sie verlangt für den Vorsatz auch weniger als die herrschende Schuldtheorie.

96

Probst (1969), S. 209.

97

Probst (1969), S. 210.

98

Probst (1969), S. 210 Fn. 749.

99

S. oben, S. 70 f.

100

Probst (1969), S. 209.

8 ßachmann

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

114

Dogmatisch schwerwiegender dürfte aber der Einwand wiegen, der bereits gegen Schlüchter erhoben wurde: 101 Probst bietet keinerlei Kriterien an, anband derer die Entscheidung für oder gegen die Annahme einer Straftat rational begründet und daher auch überprüft werden könnte. Die Begründung der Rechtsfolge mit der nicht näher verifizierbaren Behauptung einer sozialen Erfahrungsbeziehung des Täters zum normativen Tatbestandsmerkmal genügt rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls nicht. (3) Heidingsfelder (a) Die Unterscheidung zwischen normbereichsbestimmenden und normbereichsneutralen Vorfeldnormen Den Versuch, eine differenzierende Lösung zu bieten, ohne dem Vorwurf der Unbestimmbarkeit ausgesetzt zu sein, unternimmt neuestens Heidingsfelder. Heidingsfelder lehnt die Lehre vom Vorfeldirrtum ab - Haft bringe neue Begriffe, aber wenig Klarheit,102 Herzberg sei, wie Burkhardt belege, den Zufälligkeiten des Gesetzgebers ausgeliefert, wenn er zwischen Strafrechtsnormen und Vorfeldnormen strikt unterscheide. 103 Burkhardt sei aber nicht in vollem Umfang zuzustimmen. Es gebe Fälle, in denen eine unterschiedliche Behandlung von Tat- und Rechtsirrtum nicht gerechtfertigt sei. Nicht jeder Rechtsirrtum habe nämlich die von Burkhardt behauptete normüberdehnende Wirkung. 104 Es ist danach, so Heidingsfelder, zwischen RechtsirrlÜmem über Verweisungsnormen, bei denen eine Überdehnung des Normbereichs stattfindet, und solchen RechtsirrlÜmem zu unterscheiden, bei denen dies nicht der Fall ist. Dies hänge von der Qualität der Verweisungsnorm ab. Damit rezipiert Heidingsfelder ausdrücklich einen Ansatz von Reiß: Die Entscheidung hänge

101

Oben, S. 111.

102

Heidingsfelder (1991), S. 118 ff.

103

Heidingsfelder (1991), S. 131.

104

Heidingsfelder (1991), S. 124 ff.

11. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

115

davon ab, ob und wie das normative Tatbestandsmerkmal durch Rechtsnormen auszufüllen sei.l°S Reiß stimmt den Ausführungen Burkhardts und auch dessen Substituierbarkeitsthese grundsätzlich zu. 106 Ein Rechtsirrtum führe jedoch nicht stets, sondern nur dann zum Wahndelikt, wenn die sich dadurch ergebende Täterwertung im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung stehe, die dem normativen Tatbestandsmerkmal einschließlich seines Verweisungsbereiches beizumessen sei. 107 Dann nämlich fehle es an der erforderlichen Erstreckung des Vorsatzes auf die dem Merkmal und dem Verweisungsbereich zugrundeliegende Grundentscheidung. 108 Reiß hat jedoch nicht näher ausgeführt, wie die offenbar unterschiedlich zu behandelnden Rechtsirrtümer im Verweisungsbereich voneinander abzugrenzen selen. Heidingsfelder hält diesen Ansatz für richtig, aber nicht für hinreichend konkretisiert und begründet. 109 Da die Substituierbarkeitsthese Burkhardts auf der Prämisse beruht, daß der Irrtum über eine Vorfeldnorm ebenso einen Irrtum über den Normbereich darstelle wie der Irrtum über das Strafgesetz selbst, untersucht Heidingsfelder, ob und gegebenenfalls bei welchen Verweisungsnormen dies tatsächlich der Fall ist. Seine These lautet, daß der Irrtum über eine Vorfeldnorm immer dann dem Irrtum über das Strafgesetz gleichzustellen ist, wenn er eine Norm betrifft, die den Normbereich des Strafgesetzes bestimmt. Dagegen führe ein Irrtum über Vorfeldnormen, die nicht den Normbereich des Strafgesetzes regeln (normbereichsneutrale Normen), nicht zu einer Überdehnung des Normbereichs. Insofern sei der Rechtsirrtum hier genau wie ein Tatirrtum zu behandeln. Normbereichsbestimmende Funktion kommt einer Verweisungsnorm zu, wenn sie die Reichweite eines Tatbestandsmerkmals regelt. Dies kann durch eine Regelung der Intension oder der Extension des Tatbestandsmerkmals

lOS Heidingsfelder (1991), S. 140 f.; Reiß, wistra 1986, 199. 106 Reiß, wistra 1986, 197. 107

Reiß, wistra 1986, 199.

108

Reiß, wistra 1986, 198.

109 Heidingsfelder (1991), S. 140 f. 8'

116

I. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

geschehen. Daher behandelt Heidingsfelder solche Nonnen, die entweder die Intension oder die Extension eines Tatbestandsmerkmals regeln, genauso wie das Strafgesetz selbst. 110 Nonnen, die einen Begriff beschreiben, betreffen die Intension dieses Begriffes: Heidingsfelder nennt sie merkmalumschreibende Nonnen. Eine solche Umschreibung kann entweder dadurch erfolgen, daß der im Tatbestand verwendete Begriff selbst definiert wird, oder dadurch, daß der Inhalt eines Definitionsmerkmals des Begriffs umschrieben wird. Als Beispiele für merkmalumschreibende Nonnen nennt Heidingsfelder § 90 BGB, der das Tatbestandsmerkmal "Sache" definiere, und § 903 BGB, der mittelbar die Fremdheit umschreibe, indem er das Eigentum definiere. 111 Heidingsfelder ordnet Irrtümer über diese definierenden Nonnen als vorsatzirrelevante Subsumtionsirrtümer ein. Dies entspricht auch einhelliger Auffassung: Ein Irrtum über die Definition eines Merkmals stellt zugleich einen Irrtum über das Merkmal selbst dar, einerlei, ob diese Definition im Strafgesetz selbst, im Vorfeld des Tatbestandes oder gar nicht gesetzlich normiert ist. Daher bringt Heidingsfelder insoweit nichts Neues, er wird aber auch von niemandem Widerspruch erfahren. Interessant ist jedoch die Klassifizierung der zweiten Art nonnbereichsregelnder Nonnen, nämlich detjenigen, die die Extension eines Tatbestandsmerkmals betreffen, indem sie nicht das Tatbestandsmerkmal, sondern die Designate des Tatbestandsmerkmals bestimmen, also die Sachverhalte, die von dem Tatbestandsmerkmal erfaßt werden. Heidingsfelder bezeichnet diese Klasse von Vorfeldnonnen als merkmalausfüllende Nonnen. Diese kämen dann zur Geltung, wenn Tatbestandsmerkmale eine bestimmte rechtliche Qualität umschrieben. Die Designate dieser Tatbestandsmerkmale seien dem Recht nicht vorgegeben und ließen sich deshalb auch nicht mit Hilfe der Definition des Tatbestandsmerkmals ermitteln. Ihre Extension werde vielmehr durch die Verleihung der rechtlichen Qualität an bestimmte Sachverhalte bestimmt. Soweit eine gesetzliche Verleihung dieser Qualität erfolge, geschehe dies durch merkmalausfüllende Nonnen. 112

110 Heidingsfelder (1991), S. 152 f. Zu den Begriffen Intension und Extension oben, S. 97 Fn.34. 111

Heidingsfelder (1991), S. 154 f.

112

Heidingsfelder (1991), S. ISS.

D. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

117

Als Beispiele werden u. a. die Ausfüllungsnormen der Tatbestandsmerkmale "zuständig", "jagdbare Tiere" und die "Pflicht zur Steuerzahlung" genannt. Den Irrtum über diese Normen behandelt Heidingsfelder wie den Irrtum über das Strafgesetz selbst: Ein Irrtum über ihre Voraussetzungen führt zum einfachen bzw. umgekehrten Tatumstandsirrtum. Ein Irrtum über den Inhalt der Ausfüllungsnorm führt jedoch zum Subsumtionsirrtum, der für den Vorsatz irrelevant ist. Wer also, so Heidingsfelder, eine Maus für ein jagdbares Tier hält, begeht wie deljenige, der den Begriff "jagdbares Tier" verkennt, ein Wahndelikt. 113 Insofern befürwortet Heidingsfelder die Substituierbarkeitsthese für alle diejenigen Normen, die den Normbereich des Strafgesetzes bestimmen. Dies sei bei merkmalumschreibenden und bei merkmalausfüllenden Normen der Fall. 114 Demgegenüber lehnt er die Substituierbarkeitsthese bezüglich der sogenannten normbereichsneutralen Normen ab. Um normbereichsneutrale Normen handele es sich etwa bei den Übereignungsvorschriften des BGB in Bezug auf die Fremdheit, sie regelten nicht die Fremdheit selbst, sondern nur, wie eine Sache fremd werde. Daher seien sie für den Normbereich und daher auch für den Vorsatzgegenstand bei Eigentumsdelikten ohne Bedeutung. 115 Entsprechendes führt Heidingsfelder für diejenigen Normen aus, die Ansprüche regeln: Sie seien zwar für den Schaden beim Betrug bestimmend, aber dennoch normbereichsneutral, da sie nur Sachverhaltsbedingungen schafften, an die sich eine tatbestandsmäßige Täterhandlung anschließen könne. Eine Aussage über den Normbereich setze jedoch voraus, daß den Gesetzgeber der Vorfeldnorm die Kompetenz übertragen sei, abschließend für das ganze Tatbestands- bzw. Definitionsmerkmal oder jedenfalls für einen abgrenzbaren eigenständigen Bereich die in Betracht kommenden Designate zu bestimmen. 116

113

Heidingsfelder (1991), S. 157.

114 Heidingsfelder nenntals Unterfall der merkmalausfüllendenNormen noch die sog. merkmalbegrenzenden Normen. Diese zeichneten sich dadurch aus, daß sie die Extension des Tatbestandsmerkmals negativ durch Ausfüllung der Merkmale wie "rechtswidrig", "unbefugt", "widerrechtlich" begrenzen, soweit sie nicht allgemeine Rechtswidrigkeitsmerkmale darstellten (a.a.O., S. 159 f.). Da diese merkmalbegrenzendenNormen dieselbe Struktur aufweisen wie merkmalausfüllende, werden sie hier nicht gesondert behandelt. 11S Heidingsfelder (1991), S. 162.

116 Heidingsfelder (1991), S. 161 (Hervorhebung im Original).

118

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

(b) Stellungnahme Wie bereits angedeutet, setzt sich Heidingsfelder für seine Behandlung der von ihm als merkmal umschreibend bezeichneten Vorfeldnormen keinem Widerspruch aus. Da er diese als Normen definiert, die die Definition eines Tatbestandsmerkmals ganz oder zum Teil enthalten, stellt ein Irrtum über diese Normen immer einen Irrtum über den Begriff des Tatbestandsmerkmals selbst dar, der nach einhelliger Auffassung nicht vorsatzrelevant ist. Bedeutsam ist jedoch Heidingsfelders Hervorhebung der von ihm sogenannten merkmalausfüllenden Normen. Mit der Behauptung der Existenz solcher Normen behauptet er die Existenz von normativen Tatbestandsmerkmalen, die den Normbereich nicht abschließend regeln, sondern diesbezüglich durch Ausfüllungsnormen ergänzt werden. Damit käme den Ausfüllungsnormen normativer Tatbestandsmerkmale nicht nur beschreibende, sondern auch normierende Bedeutung zu. Aus diesem Umstand folgt zunächst nur, daß Heidingsfelder einen Begriff des normativen Tatbestandsmerkmals verwendet, der mit dem hier zugrundegelegten Begriff nicht übereinstimmt. Denn nach der hier erarbeiteten Definition müßten alle diejenigen Normen, die Heidingsfelder als merkmalausfüllend bezeichnet, als blankettausfüllende Normen bezeichnet werden. Dies würde an der Behandlung dieser Normen aber nichts ändern, da Heidingsfelder, wie er selbst feststellt, den Irrtum über merkmalausfüllende Normen genauso behandelt wie dies üblicherweise mit dem Irrtum über Blankettgesetze geschieht. 117 Heidingsfelders und die hier vertretene Position unterscheiden sich jedoch nicht etwa nur in der Terminologie. Heidingsfelder trifft nämlich eine Abgrenzung zwischen normbereichsbestimmenden und normbereichsneutralen Vorschriften, die nicht der hier vorgenommenen Unterscheidung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettbegriffen entspricht. Der Grund hierfür liegt in der unterschiedlichen Einschätzung, wann eine Normbereichsbestimmung vorliegt. Dem liegt vermutlich ein unterschiedliches Verständnis des Begriffs der Norm zugrunde, was sich allerdings nicht nachweisen läßt, da Heidingsfelder weder den Begriff der Norm noch den Begriff des normativen Tatbestandsmerkmals definiert. Dies mag für den Begriff des normativen Tatbestandsmerkmals entbehrlich erscheinen, da er bei Heidings111 Heidingsfelder (1991), S. 157.

11. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

119

felder nicht zur Abgrenzung von den Blankettbegriffen verwendet wird. Unentbehrlich wäre jedoch eine Klärung des Normbegriffs gewesen. Wir haben die strafrechtliche Norm in die Bestimmungsnorm und die Sanktionsnorm unterteilt. Während sich die Bestimmungsnorm an den Täter richtet, richtet sich die Sanktionsnorm an den Richter. ll8 Um die vorgesehene Sanktion zu verhängen, muß der Richter überprüfen, ob das dem Täter vorgeworfene Verhalten vom Tatbestand des Gesetzes erfaßt wird. Es handelt sich also um die Feststellung, ob die im Tatbestand enthaltene Sachverhaltsbeschreibung auch auf den Sachverhalt zutrifft. Der Richter überprüft also, ob das Täterverhalten zur Extension des Tatbestandes gehört. In diesem Fall sind die Voraussetzungen zur Verhängung der Sanktion erfüllt. Allerdings erfolgt dieser Vorgang nicht dadurch, daß der Richter den Sachverhalt als einen Fall der explizit bestimmten Extension erkennen könnte. Die Feststellung der Erfassung des Sachverhalts durch das Gesetz kann nur durch eine Anwendung der Beschreibung des Gesetzes, seiner Intension, erfolgen. Die Intension ist also das Mittel zur Feststellung der Extension. Für den Täter hat die Strafnorm jedoch eine ganz andere Funktion. Sie soll ihm nicht verdeutlichen, daß er ein strafbares Verhalten an den Tag gelegt hat und deshalb eine Sanktion gegen ihn zu verhängen ist: die Kenntnis der Strafbarkeit ist nicht Voraussetzung der Strafbarkeit. Die Strafnorm richtet an den Täter vielmehr einen Befehl, dieses Verhalten nicht zu zeitigen. Dies geschieht nicht dadurch, daß dem Täter die strafrechtliche Bedeutung des Verhaltens bewußt gemacht wird, er muß vielmehr den Sinn der Bestimmungsnorm verstanden haben, um sein Verhalten danach ausrichten zu können. Aufgabe der Bestimmungsnorm ist es also, dem Täter den Sinn des Strafgesetzes nahezubringen, und nicht die Anzahl der Sachverhalte, die unter den Tatbestand fallen. Daher ist die Bestimmungsnorm immer intensional formuliert und nie extensional. I19 Aus diesem Grund sind die von Heidingsfelder als merkmalausfüllend bezeichneten Normen, da als extensional normbestimmend qualifiziert, aus der Bestimmungsnorm und auch aus dem Vorsatzgegenstand herauszunehmen. Die Feststellung, daß ein Gesetz den Bereich einer Strafnorm nur extensional und

118

S. oben, S. 18.

119

Vgl. Puppe, GA 1990, 160 und passim.

120

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

nicht intensional bestimmt, hat zwingend den Schluß zur Folge, daß dieses Gesetz nicht Teil der Bestimmungsnorm und daher auch nicht Gegenstand des Vorsatzes ist. Vorschriften, die den Normbereich bereits intensional bestimmen, gehören hingegen zur Bestimmungsnorm. Daher sind deren Merkmale auch Bezugspunkte des Vorsatzes. Da diese Vorschriften jedoch die Merkmale der Strafnorm nicht nur beschreiben, sondern Gegenstand der Bestimmungsnorm sind, also selbst normieren, wurden sie hier als blankettausfüllende Normen bezeichnet. Sie sind als Bestandteil der Strafnorm anzusehen. Damit hat sich Heidingsfelders Definition merkmal ausfüllender Normen, die nur die Extension des Merkmals betreffen, als unhaltbar erwiesen, soweit diese Normen Gegenstand der Bestimmungsnorm sein sollen. Heidingsfelder verkennt die Aufgabe der Bestimmungsnorm, worin sich sein Fehler zeigt, den verwendeten Normbegriff nicht untersucht zu haben. Ist also Heidingsfelders Prämisse zur Behandlung merkmalausfüllender Normen mit der Normentheorie unvereinbar, so ist immerhin denkbar, daß seine Ergebnisse dennoch richtig sind. Das wäre nämlich der Fall, wenn sich herausstellte, daß die von ihm als extensional normbestimmend erkannten Normen in Wahrheit bereits die Intension der Norm beeinflussen. Dies soll anband von Heidingsfelders Beispiel der ftdem Jagdrecht unterliegenden Tiere ft nach § 292 StGB untersucht werden. Heidingsfelder ordnet die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BJagdG als merkmalausfüllend ein, da die rechtliche Qualität der Jagdbarkeit, die § 2 Abs. 1 BJagdG den dort aufgezählten Tierarten verleiht, nicht dem Merkmal ftdem Jagdrecht unterliegend ft entnommen werden kann. § 2 Abs. 1 BJagdG bestimme also die Extension des § 292 StGB, indem er die beschriebene rechtliche Eigenschaft bestimmten Tatumständen verleihe. 120 Wenn die These richtig ist, daß § 2 BJagdG nur den Anwendungsbereich, die Extension des § 292 StGB bestimmt, ohne die Intension, den Sinn der Bestimmungsnorm zu verändern, dann müßte sich nach dem Vorhergesagten der Vorsatz des Täters nicht darauf beziehen, ein Tier nach § 2 Abs. 1 BJagdG zu wildem. Möglicherweise bestimmt § 2 Abs. 1 BJagdG aber doch bereits den Sinn des § 292 StGB.

120 Vg!. Heidingsfelder (1991), S. 155.

ß. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

121

Dann müßte der Befehl: "Du sollst keine dem Jagdrecht unterliegenden Tiere erlegen" mit dem Befehl identisch sein: "Du sollst keine Mauswiesel.. . erlegen". Beide Befehle erfassen extensional dieselben Sachverhalte - wer ein Mauswiesel wildert, wildert ein dem Jagdrecht unterliegendes Tier. Dennoch haben beide Befehle einen unterschiedlichen Sinn: Der erste Befehl verlangt vom Täter die Erkenntnis, daß das von ihm erlegte Tier fremdem Jagdrecht unterliegt, von ihm also nicht erlegt werden darf. Er verlangt jedoch nicht die Erkenntnis, daß es sich dabei um ein Mauswiesel oder um ein anderes Tier nach § 2 Abs. 1 BJagdG handelt. Der zweite Befehl knüpft demgegenüber nicht an das Jagdrecht an. Es genügte also die Kenntnis, daß es sich bei dem Tier um ein Mauswiesel handelt. Diese Kenntnis wäre allerdings auch erforderlich. Damit würde die Bestimmungsnorm einerseits eingeschränkt, andererseits aber ausgedehnt. Erforderlich wäre die Einordnung des Tieres in seine Art, nicht jedoch die Kenntnis der Rechtsgutsverletzung, der Verletzung fremden Jagdrechts. D~m letzteren Einwand ließe sich entgehen, indem die Kenntnis der Jagdrechtsverletzung kumulativ gefordert würde, wie dies Schlüchter tut, um ihrer Forderung nach der teleologisch-reduzierten Sachverhaltssicht zu entsprechen. 121 Ob sich Heidingsfelder dem anschließt, läßt sich seinen Ausführungen nicht entnehmen, da er zu dieser Frage nicht Stellung nimmt.

Welchen Sinn sollte es aber haben, vom Täter eine korrekte Einordnung des Tieres in seine Art zu verlangen? Für den Sinn der Strafnorm, die das Aneignungsrecht des Jagdrechtsinhabers schützt, kommt es auf die Zugehörigkeit des Tieres zu einer bestimmten Art gar nicht an. Daher läßt sich feststellen, daß eine Substitution des Begriffs "dem Jagdrecht unterliegend" durch eine Aufzählung der Begriffe des § 2 Abs. 1 BJagdG den Tatbestand des § 292 StGB intensional verändern würde. Das hat Heidingsfelder richtig erkannt. Damit hat § 2 Abs. 1 BJagdG aber auch seine Bedeutung für die Bestimmungsnorm des § 292 StGB und somit auch für dessen Vorsatzgegenstand verloren. Den unterschiedlichen Inhalt von Legaldefinitionen für normative Tatbestandsmerkmale, an den Heidingsfelder anknüpft, verdeutlicht Puppe in sehr anschaulicher Weise am Beispiel des § 326 StGB.

121

Vg!. oben, S. 110 f.

122

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Diese Vorschrift enthält an zwei Stellen das Merkmal "Abfall", das in anderen Vorschriften näher bestimmt wird. Der Begriff "Abfall" wird in § 1 AbfG als "bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will oder deren geordnete Entsorgung zur Wahrung des Wohles der Allgemeinheit, insbesondere des Schutzes der Umwelt geboten ist", definiert. "Hier haben wir es", so Puppe, "mit einer näheren Bestimmung des Sinns des Ausdrucks Abfall (Intension) und nicht nur seines Anwendungsbereichs (Extension) zu tun. Diese Definition kann also zur Auslegung des Begriffs Abfall in § 326 StGB herangezogen werden. "122 Nach herrschender Auffassung sind Abfälle im Sinne des Absatzes 1 Nr. 3 jedenfalls diejenigen Stoffe, die in Anlage 1 der Sondermüllverordnung aufgeführt sind. 123 "Aber sie bestimmt diesen Begriff nur extensional, indem sie bestimmte Arten chemischer Stoffe ... aufzählt. Die in dieser Aufzählung verwendeten Begriffe bestimmen zwar nach herrschender Meinung die Extension des Begriffs 'umweltgetährdender Abfall' mit, sie enthalten aber nicht seine Intension. Sie sind nicht Unterbegriffe des Begriffs 'umweltgetährdender Abfall', wie er in § 326 Abs. 1 Nr. 3 bestimmt ist. Wenn ich weiß, daß eine bestimmte Substanz, die ich vor mir habe, ein schwermetallhaltiger Katalysator ist, weiß ich noch nicht, daß sie 'geeignet ist, ein Gewässer, die Luft oder den Boden nachhaltig zu verändern'. Dieser tatbestandliche Begriff ist kein Blankettbegriff, sondern hat selbst unabhängig von der Bestimmungsnorm des § 326 einen Sinn. Es ist unzulässig, diesen Sinn durch einen anderen, etwa den 'schwermetallhaltiger Katalysator', zu ersetzen ... Das würde vielleicht nicht den Anwendungsbereich, aber den Sinn des objektiven Tatbestandes verfälschen und damit auch den der vorsatzbegründenden Tätervorstellung. "124 Heidingsfelders Abgrenzungskriterium fiir die Irrtumsproblematik, das diese Unterschiede zwischen intensionaler und extensionaler Normbereichsbestimmung ignoriert, kann also nicht akzeptiert werden. Seine Auffassung beruht auf einer Verkennung der Bedeutung der Bestimmungsnorm fiir den Vorsatz. 125

122 Puppe, GA 1990, 160. 123

Sch/SchrlLenckner § 326 Rn. 6 m.w.N.

124

Puppe, GA 1990, 160 f.

Zu den Konsequenzen seiner These, es sei auch zwischen abschließend und nur teilweise extensional normbereichsbestimmenden Ausfiillungen zu unterscheiden, unten, S. 184 f. 125

ß. Der Umkehrschluß als inhaltliches Argument

123

d. ZusanunenJassung Die Untersuchung hat gezeigt, daß die Überlegungen, den Rechtsirrtum zuungunsten nach anderen Regeln zu behandeln als denjenigen zugunsten, nicht haltbar sind. Der Zweck der Abgrenzung der verschiedenen Irrtümer besteht darin, festzustellen, ob eine bestimmte Vorstellung des Täters Vorsatz begründet oder nicht. Der Vorsatz ist die Kenntnis derjenigen Umstände, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. Weist der Täter diese Kenntnis auf, hatte er aufgrund dessen die Möglichkeit, die Herbeiführung des unerwünschten Erfolges zu vermeiden. Dann hat er sich bewußt für die Verwirklichung dieses Unrechts entschieden. Die Entscheidung für das Unrecht ist aber nur dann relevant, wenn sie tatsächlich gegen ein Verbot, gegen die dem Straftatbestand zugrundeliegende Bestimmungsnorm verstößt. Die Entscheidung des Täters ist dagegen irrelevant, wenn nur eine Überdehnung der Norm zu seiner Annahme geführt hat, Unrecht zu tun. Eine solche Überdehnung der Norm liegt vor, wenn der Täter aufgrund eines Rechtsirrtums ein in Wahrheit strafloses Verhalten für strafbar hält. Jedoch führt nicht jeder Rechtsirrtum zu einer Überdehnung der Norm. Normüberdehnende Rechtsirrtümer sind von solchen Rechtsirrtümern zu unterscheiden, die zur Annahme von Tatumständen einer wirklich existierenden Norm führen. Der für den Vorsatz relevante Normbereich wird, wie sich herausgestellt hat, ausschließlich durch die Intension, den Sinn des Tatbestandes bestimmt. Daher sind für den Vorsatz auch nur solche Normen relevant, die den Normbereich intensional und nicht nur extensional beeinflussen. Vorschriften, die den Sinn der Norm beeinflussen, also nicht nur die Merkmale des Tatbestandes beschreiben, gehören aber selbst zum Tatbestand der Norm. Bei ihnen handelt es sich um blankettausfüllende Normen. Der Normbereich eines normativen Tatbestandsmerkmals wird dagegen durch dieses Merkmal abschließend definiert. Vorschriften im Verweisungsbereich normativer Tatbestandsmerkmale bestimmen zwar deren Anwendungsbereich, ihre Extension, nicht aber ihren Sinn. Sie gehören daher nicht zum Tatbestand, sondern zu dessen Vorfeld. Deshalb führt die Überdehnung einer solchen Vorfeldnorm auch nicht zu einer Überdehnung der Bestimmungsnorm.

124

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Aus diesem Grunde hat sich die Substituierbarkeitsthese Burkhardts und Kohlrauschs als unrichtig erwiesen. Ein Austausch des normativen Tatbestandsmerkmals durch die in Bezug genommenen Rechtsnormen würde zwar nicht die Extension, den Anwendungsbereich, wohl aber die Intension, den Sinn des Tatbestandes, verändern. Daher können auch Rechtsirrtümer, die das Vorfeld des Tatbestandes betreffen, nicht denjenigen gleichgestellt werden, die den Tatbestand selbst betreffen. Im ersten Fall gibt der Täter dem Sachverhalt einen Sinn, der demjenigen der Strafnorm entspricht, im zweiten Fall gibt er ihm einen Sinn, der von keinem Straftatbestand erfaßt wird. Deshalb begründet jeder Irrtum, der dazu führt, daß der Täter alle Umstände des Tatbestandes für gegeben hält, den Vorsatz, ohne daß es darauf ankommt, ob er rechtlicher oder tatsächlicher Natur ist. Kriterien wie die von Schlüchter und Probst entwickelten, die berücksichtigen sollen, in welcher Weise der Täter in seinen Vorstellungen von der Realität abgewichen ist, sind mögliche Anhaltspunkte bei der Beurteilung der Strafwürdigkeit des Verhaltens. Dennoch hindert weder der "Mangel der Sachverhaltssicht" noch die Erfahrungsbeziehung des Täters zum Tatbestandsmerkmal die Feststellung, daß der Täter sich alle Umstände vorgestellt hat, die den Tatbestand des Gesetzes erfüllen. Auch Heidingsfelders Vorschlag konnte nicht überzeugen. Den Irrtum über eine von ihm sogenannte merkmalumschreibende Norm ordnet er zwar zu Recht als vorsatzirrelevant ein, dies liegt aber daran, daß dieser Irrtum bereits einen Irrtum über einen Begriff der Norm selbst darstellt. Dagegen beruht Heidingsfelders Behauptung, der Irrtum über eine Vorschrift, die den Normbereich nur extensional betreffe, führe zu einer Überdehnung der Norm, auf einem fehlerhaften Verständnis der Bedeutung der Norm für den Vorsatz. Da die Bestimmungsnorm nur intensional beeinflußbar ist, können extensionale Regelungen des Normbereichs auf den Vorsatzgegenstand keinen Einfluß haben. Somit konnten weder die Auffassung, jeder umgekehrte Rechtsirrtum führe zum Wahndelikt, noch die differenzierenden Lösungen überzeugen. Jeder Irrtum im Vorfeld des Tatbestandes, also auch der Irrtum über sogenannte außerstrafrechtliche Vorschriften, führt zum Vorsatz, wenn er bewirkt, daß der sich Täter alle Umstände des Tatbestandes vorstellt. Daher ist die Grenze zwischen vorsatzrelevantem und vorsatzirrelevantem Irrtum beim umgekehrten Irrtum die gleiche wie beim einfachen Irrtum.

ID. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

125

Nach alledem hat sich das Umkehrprinzip zwar nicht aus logischen, wohl aber aus sachlichen Gründen als zwingend erwiesen. Die irrige Vorstellung nichtvorhandener Tatumstände begründet den Vorsatz ebenso wie die Kenntnis vorhandener Tatumstände, gleichviel, ob es sich dabei um tatsächliche oder rechtliche Umstände handelt.

ill. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums Die Untersuchung hat ergeben, daß jede, sei es auch rechtsirrige, Annahme der Tatumstände den Vorsatz begründet. Soweit der Täter auch alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Verwirklichung des Tatbestandes erforderlich war, kann sein Verhalten insgesamt als strafbarer Versuch subsumiert werden. Die Fülle der zuvor geschilderten Ansätze, deren Anliegen es ist, die strafrechtliche Irrelevanz aller oder bestimmter rechtlicher Vorfeldirrtümer aufzuzeigen, erwecken aber Bedenken, ob in allen Fällen des rechtlichen Vorfeldirrtums ein strafbarer Versuch angenommen werden kann. Die Ansätze konnten zwar wegen ihrer dogmatischen Anknüpfungspunkte nicht überzeugen, da sich der Vorsatz als unabhängig von den objektiven Gegebenheiten im Vorfeld der Norm erwiesen hat. Beachtung muß aber der Umstand finden, daß alle zitierten Erörterungen im Kern dieselbe Aussage treffen: Es wird die Strafwürdigkeit eines Verhaltens bezweifelt, das objektiv auch dann nicht von einem Straftatbestand erfaßt würde, wenn der vom Täter vorgestellte Sachverhalt tatsächlich vorläge. Um die Strafwürdigkeit dieser Fälle zu untersuchen, ist es erforderlich, den Strafgrund des Versuchs überhaupt zu ermitteln. Dies setzt allerdings zunächst die KlarsteIlung des Begriffs des Versuchs voraus. 1. Der Begriff des Versuchs Heute wird der Versuch einhellig definiert als "die begonnene, aber unvollendet gebliebene Tat", bei der der vollständigen Erfüllung des subjektiven Tatbestandesi ein Mangel im objektiven Tatbestand gegenübersteht. 2

1 Zum· Inhalt des Vorsatzes beim Versuch und zur Frage, ob dieser sich vom Vollendungsvorsatz unterscheidet vgl. Struensee, Armin Kaufmann-GS (1989), S. 523 ff.

126

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Damit ist anerkannt, daß jedes Verhalten als Versuch einzuordnen ist, das ein bestimmtes tatbestandsnahes Stadium erreicht hat, so daß es gleichgültig ist, ob die Vollendung wegen fehlenden Erfolgseintritts oder aus anderen Gründen ausgeblieben ist. Anders sah dies die sogenannte Lehre vom Mangel am Tatbestand. Auch ihr zufolge stellte sich der Versuch zwar als Mangel am (objektiven) Tatbestand im weiteren Sinne dar. 3 Als Versuch wurden jedoch nicht alle Fälle mangelnder Deliktsvollendung angesehen, sondern nur diejenigen, "wo das Manko die eigentliche Handlung trifft".4 Als Versuch gelten danach nur Handlungen, die als eine "Konkretisierung des im Tatbestand abstrakt gekennzeichneten Tätigkeitswortes" bezeichnet werden kann,5 also nur jenes Verhalten, bei dem allein der tatbestandsmäßige Erfolg ausgeblieben ist. Jeder andere Mangel (Mangel am Tatbestand im engeren Sinne), wie die Untauglichkeit des Täters oder des Objekts, verhindere schon einen Anfang der Ausführung, da die im Tatbestand beschriebene Handlung ja gerade nicht ausgeführt werde. 6 Dieser Lehre wird vor allem vorgeworfen, daß sie die Gleichwertigkeit der objektiven Bedingungen verkennt. So ist der Erfolg des § 303 StGB nicht als die Beschädigung einer Sache beschrieben, sondern als die Beschädigung einer fremden Sache. 7 Daher ist eine Unterscheidung des Verhaltens danach, ob der Erfolg oder ein anderes Merkmal des Tatbestandes ausbleibt, gar nicht möglich. Aus diesem Grund wird die Lehre vom Mangel am Tatbestand heute zu Recht allgemein abgelehnt und nicht mehr vertreten. 8

2 DreherlTröndle § 22 Rn. 2; Sch/SchrlEserRn. 12 vor § 22; VoglerLKRn. 12 vor§ 22 m.w. Nachw. 3

Frank, § 43 Anm. I.

4

Dohna (1947), S. 56 f.

5

Dohna (1947), S. 58.

Beling (1906), S. 328; Dohna (1947), S. 56; ders., Güterbock-FG (1910), S. 35 ff.; Frank, § 43 Anm. I m.w. Nachw.; ders., VDA Bd. 5 (1908), S. 253 ff.; Kohn (1904), S. 5 ff.; v. Lisv/ Schmidt (1927), S. 311; Mezger (1949), S. 396 ff. m.w. Nachw.; Pusinelli, lR 1951, 196 f.; ders., lR 1951, 197 f. 6

7 Jakobs, AT (1991), 25/16; Maurach/Gössel, AT/2 (1989), § 40 Rn. 130. B Zur Kritik eingehend Alwart (1982), S. 197 ff.; Kriegsmann (1904), S. 33 ff.; Stopj1wchen (1972), S. 15 ff. Parallelen ziehen allerdings Burlchardt (JZ 1971,356 f.) und Fincke «1975), S. 54 f.) für ihre Auffassung, das Unternehmen einer Tat LS.d. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB erfasse nicht den untauglichen Versuch. HiergegenAlwart (1982), S. 100 ff.

m. Rechtsfolgen des umgekehrten Intums

127

Es kann also die Richtigkeit des heute herrschenden Versuchsbegriffs festgehalten werden: Versuch ist immer dann gegeben, wenn die vom Vorsatz getragene Tat begonnen, aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht vollendet wurde. 2. Der Strafgrund des Versuchs Die Strafbarkeit des Versuchs kann im wesentlichen auf zwei Wegen begründet werden: subjektiv durch die Feststellung des verbrecherischen Willens oder objektiv durch die Gefährdung des geschützten Rechtsguts. Beide Ansätze sind in reiner Form jedoch nicht geeignet, alle Fragen der Versuchsstrafbarkeit hinreichend zu erklären.

a. Objektive Versuchstheorien Objektive Versuchstheorien erblicken den Strafgrund des Versuchs in der Gefährdung des geschützten Rechtsguts. 9 Dabei bestimmte die sogenanntelO ältere objektive Theorie die Gefahr ex post; als ungefährlich und daher straflos wurde der absolut untaugliche Versuch bezeichnet, also diejenige Handlung, "aus welcher gar nie, unter keinen Umständen das beabsichtigte Verbrechen entstehen kann, und man muß daher wohl von unzweckmäßigen straflosen Handlungen die bloß unzulänglichen, welche an sich zweckmäßig sind, aber in concreto den Erfolg nicht hervorbrachten, trennen" .11 Die sogenannte12 neuere objektive Theorie hat dagegen eingewandt, daß die Gefahr nicht nachträglich danach bestimmt werden könne, ob ein Kausalverlauf überhaupt, unter irgendeiner Bedingung, zum Erfolg hätte führen

9 Feuerbach (1847), S. 71, der allerdings bereits den Begriff des Versuchs an diese Voraussetzung knüpft; v. Hippel, Bd. 2 (1930), S. 418 f., 427 ff.; v. liszr (1884), S. 191; in neuerer Zeit Dicke, JuS 1968, 157 ff.; SchiJnwandt (1975), S. 94, 132 ff.; Spendel, ZStW 65 [1953), 522 ff.; ders., NJW 1965, 1888; ders., Stock-FS (1966), S. 93; ders., JuS 1969, 314 ff.; w. Nachw. bei Zaczyk (1989), S. 451 Fn. 1.

10

v. Hippel, Bd. 2 (1930), S. 417; Jakobs, AT (1991), 25/13.

11 Millemraier, Neues Archiv des Criminalrechts, 1816/17, S. 194 (zitiert nach Zaczyk (1989), S.43).

12

Jakobs, AT (1991), 25/14.

128

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

können; dadurch werde das Urteil in unzulässiger Weise vom Einzelfall abstrahiert. 13 Entscheidend müsse vielmehr sein, ob das Rechtsgut im Einzelfall konkret gefährdet war. Dies lasse sich aber nicht nachträglich dadurch feststellen, ob der Erfolg eingetreten ist oder unter welchen (anderen) Bedingungen er hätte eintreten können: "Ungefährlich nennen wir den Versuch, wenn, wie die nachträgliche Prognose ergibt, die Möglichkeit des Eintrittes des vorgestellten Erfolges eine verschwindend kleine gewesen ist. Bei dieser Beurteilung haben wir abzusehen von all dem, was der konkrete Verlauf uns gelehrt hat, und uns zurückzuversetzen in jene Umstände, unter welchen die Versuchshandlung vorgenommen worden ist. "14 Bestraft wird nach dieser objektiven Sichtweise also der drohende Eintritt des Erfolgsunwerts. 15 Bis heute ist es allerdings nicht gelungen, eine überzeugende objektive Abgrenzung zwischen strafwürdigem und straflosem Versuch zu formulieren. Ein strafloser absolut untauglicher Versuch 16 soll nach einer ex-post-Betrachtung vorliegen, wenn der Erfolg unter keinen Umständen eintreten konnte, ein strafbarer relativ untauglicher, wenn der Erfolg nur zufällig ausgeblieben ist. 17 Niemand kann aber begründen, ob der Schuß mit einem ungeladenen Gewehr relativ untauglich ist, weil es nur zufällig ungeladen ist, oder absolut, weil man mit einem ungeladenen Gewehr unter keinen Umständen einen Schuß abgeben kann. 18 Die Gefährlichkeit des Verhaltens ist hingegen nach einer nachträglichen exante-Prognose präziser zu bestimmen. Die Beurteilungskriterien, die heute hierfür vorgeschlagen werden, entstammen den auch sonst für den objektiven Tatbestand diskutierten Theorien: Schönwandt rezipiert den Gedanken der

13

v. Hippel, Bd. 2 (1930), S. 418.

14

v. liszil (1884), S. 191.

15 Ausführlich zur Entwicklung der objektiven Theorien ZIlczyk (1989), S. 41 ff. 16 Die Verwendung des Begriffs "absolut" bzw. "relativ untauglicher Versuch" erfolgt nicht einheitlich. Z. T. werden als absolut untauglich nur die ex post als nicht vollendbar erkannten Fälle bezeichnet (Stratenwenh, Schweizerisches Strafrecht ATII (1982), § 12 Rn. 45 f.), z.T. auch die aus ex-ante-Sicht ungetihrlichen Versuche (Triffterer, Österreichisches Strafrecht AT (1985), S. 361). 17 Mi"ennaier, Neues Archiv des Criminalrechts 1816f17, S. 194 (zitiert nach ZIlczyk (1989), S.43). 18

Stratenwenh, Schweizerisches Strafrecht, ATII (1982), § 12 Rn. 46.

m. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

129

Risikoerhöhung,19 Stratenwerth denjenigen der Adäquanz,20 Triffterer will die Grundsätze der objektiven Zurechnung anwenden21 . Demnach ist ein Versuch als gefährlich und daher strafwürdig anzusehen, wenn der Erfolgseintritt nach dem verständigen Urteil eines objektiven Beobachters voraussehbar war bzw. dieser den Erfolgseintritt nicht ausschließen konnte. Stratenwerth fällt jedoch selbst das Urteil über die Unschärfe auch dieser Abgrenzungsformeln: Es hängt nämlich vom Standpunkt des Beobachters ab, ob er einen Versuch als gefährlich beurteilen würde. Den Einbruch in einen leeren Tresor hält nur derjenige für ungefährlich, der weiß, daß er leer ist. 22 Insgesamt hat sich das Bemühen, eine sichere Formel für die Abgrenzung des ungefährlichen vom gefährlichen, des absolut untauglichen vom relativ untauglichen Versuch zu finden, als offenbar unmöglich erwiesen. Wenn aber diese Grenze nicht hinreichend bestimmt werden kann, dann kann das Kriterium der Rechtsgutsgefährdung den qualitativen Sprung von der absoluten Straflosigkeit zur Strafbarkeit nicht erklären. Es vermag nicht zu begründen, warum im ersten Fall stets, im zweiten Fall aber nie strafwürdiges Unrecht verwirklicht wird.

b. Die subjektive Theorie Die subjektive Theorie knüpft demgegenüber an den - vollständig erfüllten - subjektiven Tatbestand an: Bestraft werde der verbrecherische Wille des Täters, der sich in der äußeren Handlung manifestiere. 23 Strafgrund ist danach also der dem Verhalten innewohnende Handlungsunwert.

19

ScMnwandt (1975), S.

147 ff.

20

Stratenwerth, SchweizcrischesStrafrecht, AT/I

TriJfierer, Österrcichisches Strafrecht, AT Kaufmann-OS (1989), S. 271 ff. 21

(1982), § 12 Rn. 47. (1985), S. 360 f.; vgl. auch Jakobs, Annin

22 Vgl. Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, AT/l

(1982),

§

12 Rn. 47.

23 Seit ROSt (VS) 1, 439 (440 f.) und BOHSt 11,324 (327 f.) std. Rspr.; v. Buri, OS 19 [1867],60 ff.; ders., OS 20 [1868], 325 ff.; ders., GA 25 [1877],265 ff.; ders., OS 32 [1880], 321 ff.; ders., ZStW 1 [1881], 185 ff.; im neueren Schrifttum vor allem BaumannlWeber, AT (1985), S. 470 f.; DreherffriJndJe, § 22 Rn. 24; Gennann (1914), S. 146 ff.; Stop}kuchen (1972), S. 79 ff. (mit Kriterien der Eindruckstheorie); Weizei (1969), S. 192 f. Zahlr. Nachw. des älteren und neueren Schrifttums bei Zaczyk (1989), S. 77 Fn. 9.

9 BachmatUl

130

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

Da es nach dieser Theorie allein auf den Vorsatz des Täters und nicht auf die Gefährlichkeit der Handlung ankommt, hat sie die Strafbarkeit jedes, auch des ungefährlichen bzw. absolut untauglichen Versuchs zur Konsequenz. Die subjektive Theorie hat gegenüber den objektiven Theorien den Vorzug, daß sie erklären kann, warum der Versuch nicht nur die drohende, aber ausgebliebene Vollendung, sondern bereits ein - vollendeter - Normbruch ist: das Verhalten stellt einen Angriff gegen eine Verhaltensnorm dar, auch wenn der unerwünschte Erfolg ausgeblieben ist. Dieser Normbruch geschieht auch unabhängig davon, ob der Erfolg überhaupt nicht oder nur mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten konnte. Dennoch kann auch eine rein subjektive Theorie eine Abgrenzung zwischen strafwürdigen und straflosen Versuchen nicht liefern: Käme es nämlich allein auf die verbrecherische Gesinnung des Täters an, dann ließe sich die Straflosigkeit der Vorbereitungshandlung sowie des irrealen Versuchs nur schwerlich erklären. 24 Da aber der bloße böse Wille die Strafbarkeit nicht begründen kann, müssen objektive Kriterien hinzutreten, die eine Bestrafung rechtfertigen. 25

c. Vermittelnde Auffassungen Daher werden heute überwiegend Auffassungen vertreten, die subjektive und objektive Kriterien kombinieren, um die Strafbarkeit des Versuchs zu begründen. (1) Die dualistische Theorie

Alwart und Schmidhäuser wollen bei intentionalen (absichtlichen) Versuchen auf den Vorsatz des Täters,26 ansonsten auf die Gefährlichkeit des Verhaltens abstellen,27 so daß der ex post28 ungefährliche untaugliche Versuch nur bei absichtlichem Verhalten strafbar sein soll. Damit kombinieren sie jedoch nicht

(1991), 25/17. 21 vor § 22. 26 Alwart (1982), S. 163 ff., 185 ff.; Schmidhlluser, StudB (1984),11134 ff. 21 Alwart (1982), S. 172 ff.; Schmidhlluser, StudB (1984), 11/27 ff. 28 Alwart (1982), S. 175 ff.; Schmidhäuser, StudB (1984),11/29.

24

Jakobs, AT

2S Sch/SchrlEserRn.

m. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

131

nur die Vorzüge der jeweiligen Theorie, sie setzen sich auch den dagegen jeweils erhobenen Einwänden aus. Wenn nämlich einerseits "die Intention als essentielles Merkmal des "Versuchens " bezeichnet wird,29 dann ist nicht erklärbar, warum darauf beim "Gefährdungsversuch" verzichtet werden kann. 30

(2) Die Eindruckstheorie

Die heute herrschende Meinung basiert auf der subjektiven Theorie, wenn sie den rechtsfeindlichen Willen des Täters als Strafgrund des Versuchs ansieht, dies allerdings nur, soweit er sich derart manifestiert hat, daß dadurch das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Geltung der Rechtsordnung erschüttert zu werden drohe, das Gefiihl der Rechtssicherheit und der Rechtsfriede beeinträchtigt werden könne. 31 Bemerkenswert ist bei dieser sogenannten Eindruckstheorie, die von ihren Vertretern selbst als vermittelnd bezeichnet wird, daß sie keineswegs eine Kombination der subjektiven und der objektiven Lehren darstellt. Sie verknüpft nämlich nicht den subjektiven verbrecherischen Willen mit einem Aspekt der objektiven Rechtsgutsgefährdung, sondern löst sich in objektiver Hinsicht ganz vom Tatbestand, indem sie einen Strafgrund in der Störung des Rechtsfriedens sieht. Dieses erstaunliche Abweichen von üblichen Begründungsmustern wird heute offenbar nicht als begründungsbedürftig angesehen. 32 (3) Die Kritik an der Eindruckstheorie durch Zaczyk und seine interpersonale Versuchstheorie

Zaczyk hat darauf hingewiesen, daß dieser Weg eine fundamentale Neubestimmun~3 des Versuchsunrechts darstellt: Während beim vollendeten Delikt

29 Alwart

(1982), S. 168.

Gössel, GA 1984,45; Jakobs, AT (1991), 25/18; Sch/SchrlEser, Rn. auch Rudolphi SK Rn. 14 vor § 22 und Zaczyk (1989), S. 27 Fn. 41. 30

31 Mezger (1949), S. m.w. Nachw.

24 vor § 22; kritisch

396 f.; Sch/SchrlEser Rn. 22 vor § 22; Vogler LK Rn. 52 vor § 22, jew.

32 Zur Kritik des vereinzelt gebliebenen Begründungsversuchsvon v. Gemmingen Zaczyk (1989), S. 24 ff. 33 Zaczyk 9'

(1989), S. 23.

(1932) vgl.

132

I. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

das Unrecht der Grund dafür ist, daß ein entsprechender Eindruck in der

Allgemeinheit besteht, soll beim Versuch der Eindruck der Grund dafür sein,

daß die Tat Unrecht darstellt. 34

Zaczyk meint, durch die Eindruckstheorie werde die Bestrafung nicht durch eine rechtsgutsverletzende oder -gefährdende Tat gerechtfertigt, sondern mit einer (behaupteten) Haltung der Bevölkerung, die gar nicht auf das betroffene Rechtsgut bezogen sei, sowie mit der befürchteten Gefährlichkeit des Täters, die sich aber nicht notwendig in der vergangenen Tat, sondern erst in möglichen späteren Taten offenbare. 35 Da Zaczykalso die Eindruckstheorie ebensowenig für plausibel hält wie die subjektiven und objektiven Versuchstheorien, bemüht er sich, eine eigene Begründung des Versuchsunrechts zu finden. Während sowohl die objektive als auch die subjektive Theorie den Versuch als Vorstadium der Vollendung und daher das Versuchsunrecht als Bruchteil des Unrechts der vollendeten Tat begreifen, versucht Zaczyk, das Unrecht des Versuchs selbständig zu bestimmen. Er betont, daß das Unrecht genau wie das Recht nur in seiner Bedeutung in der Gesellschaft begriffen werden könne. Unter Berufun~6 auf Kant und Fichte definiert er das Rechtsgut als die gegenseitige Anerkennung von Freiheit. Daher verdanke ein Rechtsgut seine Existenz nur der Anerkennung der Mitmenschen: - Persönliche Rechtsgüter sind Freiheiten, die durch die wechselseitige Anerkennung konstituiert werden. Dies geschieht nicht einmalig, sondern durch die dauernde Bewährung im Verhältnis der Individuen zueinander, im Interpersonalverhältnis. So gerät jeder einzelne zum Konstituenten der Rechtsgüter anderer. 37 - Dieses direkte Gegenüber zweier Individuen, des Rechtsgutsträgers und des Konstituenten, fehlt bei Rechtsgütern der Gesellschaft. Diese gewinnen ihre Bedeutung erst durch die Anerkennung vieler anderer. So hat das Rechtsgut

34

Zaczyk (1989), S. 26.

Vgl. auch die Begr. zu § 25 Abs. 3 Nr. 2 AE; kritisch gegen diese Ansätze der Eindruckstheorie auch Alwan (1982), S. 208 ff. 35

36 Zaczyk (1989), S. 128 ff. 37

Zaczyk (1989), S. 165 ff.

ill. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

133

der Urkundenfälschung nicht nur Bedeutung für den Aussteller und den Empfänger der Urkunde. Kennzeichnend für die Urkunde sei ja gerade die Verkörperung der Erklärung, ihre Verfestigung für den Rechtsverkehr: für die anderen, dessen Teilnehmer. 38 Damit unterscheidet sich die Konstituierung der gesellschaftlichen Rechtsgüter von solchen der Person dadurch, daß sie nur durch die Anerkennung vieler entstehen. Sie gleichen sich aber darin, daß sie auf persönlicher Anerkennung beruhen. - Den Staat begreift Zaczyk als konstituierte Allgemeinheit. Das Recht konstituiert Freiheiten auf dieser allgemeinen Stufe und ersetzt dadurch die Funktion des Einzelnen als Konstituent der persönlichen und gesellschaftlichen Rechtsgüter. 39 Die Freiheit des Einzelnen betreffen diese Rechtsgüter nur, aber auch stets mittelbar, wobei allerdings danach zu unterscheiden ist, ob das Individuum als Amtsträger oder als "gewöhnlicher" Staatsbürger zu diesem Rechtsgut in Beziehung steht. 40 Mit dieser Gegenüberstellung betont Zaczyk die Rolle des Einzelnen und der Kommunikation zwischen den Individuen. Da die Art und Weise der Entstehung von Rechtsgütern aber sowohl vom Rechtsgutsträger als auch von der jeweils geschützten Freiheit abhängt, geschieht nach Zaczyks Auffassung auch deren Verletzung ganz unterschiedlich. Daher könne das Unrecht der vollendeten wie das der versuchten Tat nicht allgemein, sondern nur in Bezug auf das geschützte Rechtsgut, den Rechtsgutsträger und die Beziehung des Täters zum Rechtsgut bestimmt werden. Aus diesem Grund entwickelt Zaczyk eine sehr differenzierte Lösung für die Einordnung der verschiedenen Verhaltensweisen als Versuch. Eine pauschale Beschreibung des von Zaczyk für strafbar gehaltenen Versuchs ist deshalb nicht möglich. Dennoch soll versucht werden, die wesentlichen Kriterien herauszustellen, da sie für das Gesamtkonzept Zaczyks kennzeichnend sind. Da die Existenz sowohl der persönlichen als auch der gesellschaftlichen Rechtsgüter von der Anerkennung durch den oder die Einzelnen abhängig sei,

38

Zaczyk (1989), S. 174 f.

39

Zaczyk (1989), S. 185 ff.

40

Zaczyk (1989), S. 191 f.

134

I. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

sei auch der Wille dieses Einzelnen für die Beeinträchtigung des Rechtsguts entscheidend. Beruhe die Existenz persönlicher Rechtsgüter auf der gegenseitigen Anerkennung der Freiheit, so stelle sich der Versuch als dessen Gegenteil dar: Wie das Recht, so sei auch das Unrecht ohne willentliches Handeln des Einzelnen nicht begreifbar. Wenn das Rechtsgut sein Dasein nur der Anerkennung durch die Anderen verdanke, dann werde ihm mit der Wandlung des anerkennenden zum verletzenden Willen die Basis entzogen. Der Versuchsvorsatz enthalte also nicht nur generellen bösen Willen, der sich äußerlich gegen die Rechtsordnung wende, sondern sei als Verletzungswille Negation dessen, was das Rechtsgut überhaupt hervorbringe. 41 Das Verständnis des Versuchsunrechts als Verletzung des Anerkennungsverhältnisses setzt nach Zaczyk aber voraus, daß ein solches Anerkennungsverhältnis überhaupt besteht und daß der Täter auch die Möglichkeit hat, es zu verletzen, also Verletzungsmacht hat. Lägen diese Merkmale nicht vor, so habe das Verhalten nicht die für das Unrecht erforderliche gesellschaftliche Relevanz. An einem Anerkennungsverhältnis fehle es insbesondere, wenn der Täter diese Tat nicht ausführen könne (untaugliches Subjekt) oder das Tatobjekt offensichtlich untauglich sei, da die vom Täter vorgenommene Konkretisierung des Opfers mißlungen ist: Der Schuß auf einen Toten sei keine versuchte Tötung. Auch der Schuß auf einen Baumstamm in der Annahme, einen Menschen vor sich zu haben, sei daher straflos. 42 Anders liege es jedoch, wenn das Verhältnis dem Grunde nach bestehe, denn dann könnten "zumindest manche" Mängel in der Sphäre des Opfers ausgeglichen werden. Stets komme es nämlich darauf an, ob die Innensicht des Täters auch äußerlich relevant sei. Daher stelle der Schuß auf einen Baumstamm in der Annahme, es sei der X, einen Versuch dar. 43 Jakobs nennt diese Differenzierungen Äußerlichkeiten. 44 Man könnte gegen Zaczyks Ansicht auch folgendes Zitat anführen: "Schon auf den ersten

41

Zoczyk (1989), S. 233 f.

42 Zoczyk

(1989), S. 255.

43

Zoczyk (1989), S. 255 f.

44

Jakobs, AT (1991),25/36 Fn. 57.

m. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

135

Blick ist es merkwürdig, daß ein bloßer Vorstellungswechsel (bei sonst gleichbleibender Intention) solche gravierenden Folgen haben kann (Strafbarkeit/ Nichtstrafbarkeit). " Es stammt allerdings von Zaczyk selbst und kritisiert die Unterscheidung von Gegenstands- und Begriffsirrtum bei normativen Tatbestandsmerkmalen. 45 Nach Zaczyk kommt es darauf an, ob die Tat nicht nur nach dem Täterinneren, sondern auch äußerlich als relevant eingestuft wird. Der Streit, der um die Behandlung des umgekehrten Rechtsirrtums geführt wird, müßte also ebenso bei tatsächlichen Irrtümern erörtert werden: "als wäre es leichter, in der Vorstellung einen Toten zum Leben zu erwecken als eine eigene Sache zur fremden zu machen."46 "Bleibt die wirklich vorgenommene Handlung ihrer äußeren Erscheinung nach so weit hinter dem von Tatbestand und jeweiligem Rechtsgut geforderten Tatbild zurück, daß sie nur noch durch die Innensicht des Täters ihren deliktischen Charakter erhalten kann, liegt kein versuchtes Unrecht vor. "47 Mit dieser Rekursion auf das äußerliche Bild der Tat und seiner Nähe zum gesetzlichen Leitbild erinnert Zaczyk an Schlüchters teleologisch-reduzierte Sachverhaltssicht. 48 Es ergeben sich aber auch dieselben Einwände: Zaczyk kann kaum begründen, worin der Schuß auf den Baumstamm äußerlich anders wirkt, die Verletzungsmacht so unterschiedlich zu beurteilen ist, wenn der Täter das Holz für einen bestimmten statt für einen beliebigen Menschen hält. Dies läßt sich auch kaum mit den gar nicht so weitgehenden Forderungen an den Vorsatz vereinbaren: auch sonst wird ja nicht verlangt, daß der Täter das Tatobjekt über seine Zugehörigkeit zur Klasse hinaus konkretisiert - wie wollte Zaczyk den Schuß des Amokläufers auf einen Unbekannten in subjektiver Hinsicht qualifizieren? Zaczyks Versuch, das Unrecht der versuchten Tat originär und daher unabhängig von den Kriterien der vollendeten Tat zu bestimmen, hat zur Folge, daß die Strukturen des Tatbestandes, die Unterschiede und die Gemeinsamkei-

45

Zoczyk (1989), S. 277.

46

Zoczyk (1989), S. 254.

(1989), S. 274. Dabei findet die Außensicht bei gesellschaftlichen Rechtsgütern bereits bei der Handlungsbestimmung Berücksichtigung (a .•. O., S. 274), bei persönlichen Rechtsgütern soll sie erst über § 23 Abs.3 StOB zur Einschränkung der Strafbarkeit ruhren (a.a.O., S. 250 f.). 47 Zoczyk

48

So auch Zoczyk selbst (a.a.O., S. 266 f.), allerdings unter Betonung der Differenzen.

136

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

ten des versuchten und des vollendeten Delikts zu wenig Beachtung finden: Eine Theorie, die subjektiv orientiert ist, bemißt das Unrecht des Versuchs am Handlungsunrecht; eine objektive Theorie hält den Erfolgsunwert für ausschlaggebend. Eine Theorie, die sich von beiden Ansätzen zu lösen versucht, kann dennoch nicht auf die Bestimmung des konkreten Unwerts verzichten. Und so, wie dies unmöglich ist, läßt sich auch eine neue, vom vollendeten Delikt unabhängige Unrechtsbegründung nicht formulieren, wenn doch alle wesentlichen Kriterien genannt sind und allein deren Bewertung im Streit liegt. Aus diesem Grund fußt Zaczyks Theorie nicht nur auf Elementen der subjektiven und der objektiven Theorien, es finden sich auch Argumente der Eindruckstheorie. Insgesamt reduzieren sich seine Überlegungen daher auf eine neue, weil verschiedentlich abweichende Bewertung von Einzelfragen, wobei allerdings die Begründungen hierfür keineswegs überzeugen können. Grundlage der Unrechtsbegründung ist auch bei Zaczyk - entsprechend der subjektiven Theorie - der Wille des Täters. Dies kann auch gar nicht anders sein, wenn man einen final ausgerichteten Handlungsbegriff zugrundelegt, denn dann ist jedes Verhalten ganz wesentlich nach dem zugrundeliegenden Willen zu bewerten. Schon die Beurteilung der Willensseite muß aber Widerspruch erfahren. Wenn Zaczyk die Meinung des BGH ablehnt, daß die irrtümliche Vorstellung der Voraussetzungen einer Urkunde Versuch, die irrige Bezeichnung einer Nichturkunde als Urkunde aber ein Wahndelikt darstellt,49 dann müßte er jedenfalls begründen, warum er es als irrelevant ansieht, ob bei einem Verhalten der subjektive Tatbestand erfüllt ist, was im ersten Fall zweifellos der Fall wäre. Eine Theorie, die einerseits den Unterschied zwischen Tatumstandsvorsatz und Wahnvorstellung ignoriert, andererseits aber - im Baumstammbeispiel Unterscheidungen trifft, die im Rahmen des Vorsatzes bislang unstreitig ohne Belang waren, wird mit dem Rückgriff auf die Existenz eines Anerkennungsverhältnisses noch nicht überzeugend begründet. Denn ebenso, wie Zaczyk die Rechtsordnung durch bloßen verbrecherischen Willen für nicht erschütlerbar hält,50 müßte er den Einwand zulassen, daß das Rechtsgut Leben des Men-

49

BGHSt 13, 235 (239).

50 ZLlczyk

(1989), S. 105.

m. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

137

schen X nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß jemand auf einen Baumstamm schießt. Zaczyk verlangt aber für das strafwürdige Verhalten ebenfalls eine objektive Komponente: Die Außensicht soll stets stratbarkeitseinschränkende Funktion haben. Allerdings erstaunt an dieser Stelle die vehemente Ablehnung der Eindruckstheorie, denn die wesentlichen Unterschiede zwischen Zaczyks Kriterium der "ernstzunehmenden Intention" einerseits und dem "rechtserschütternden Eindruck des manifestierten Willens" andererseits werden nicht deutlich. Daher kann Zaczyks Versuch einer neuen Bestimmung des Unrechts der versuchten Tat nicht überzeugen. Den von ihm erhobenen Einwänden setzt er sich selbst aus, wenn er die kritisierten Modelle teilweise selbst rezipiert. Im Vergleich zu den herkömmlichen Theorien leidet diejenige Zaczyks zudem an einem unbestreitbaren Makel der Komplexität: Sie ist praktisch unanwendbar. Eine Theorie, die den Mangel der Undifferenziertheit durch eine unüberschaubare Vielfalt an Einzelwertungen ersetzt,51 kommt damit den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht näher. 52

(4) Kritik und Modifizierung der Eindruckstheorie

Dennoch ist Zaczyks Kritik an der Eindruckstheorie zum Teil zuzustimmen: Diese ist nur haltbar, wenn sie ausreichend an das Rechtsgut des Tatbestandes anknüpft. Der Einwand ist allerdings nicht neu. Auch Jakobs hatte bereits geäußert, daß es beim Versuch nicht um die "Erschütterung irgendwelcher Allgemeinheiten " gehe. 53 Der als "Eindruck" benannte Aspekt bedarf in der Tat einer Konkretisierung. Es kann nicht genügen, daß der Täter mit seinem Verhalten seinen mangelnden Willen zur Rechtstreue manifestiert. Dann wäre nämlich auch die Straflosigkeit des unverständigen Versuchs nicht ohne weiteres erklärbar. Erforderlich ist vielmehr, daß sich das Verhalten als "ernstzunehmender" Angriff auf das

.51 Vgl. zusammenfassendZac4)'k (1989), S. 328 ff. .52 Im gleichen Sinne Sch/SchrlEserRn. 24 vor § 22 . .53 Jakobs, AT (1991),25120.

138

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

geschützte Rechtsgut darstellr 4 bzw. "kommunikative Relevanz" hat. 55 Dann nämlich weist das Verhalten - und dies unterscheidet es von der bloßen Vorbereitungshandlung - bereits einen Handlungsunwert auf, der sich von dem des vollendeten Delikts nicht qualitativ unterscheidet.

3. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs Ungeklärt ist allerdings noch, wann ein Verhalten als "ernstzunehmend" und "kommunikativ" relevant zu qualifizieren ist. Einigkeit besteht offenbar allein darüber, daß eine konkrete Gefährdung des Rechtsguts nicht zu verlangen ist, daß also der untaugliche Versuch prinzipiell strafbar sein soll. Die heute herrschende Meinung sieht jeden untauglichen Versuch grundsätzlich als strafwürdig an. Einschränkungen ergeben sich dann allein aus § 23 Abs. 3 StGB, wonach nur die Fälle von der Bestrafung ausgenommen sind, in denen das Tatobjekt oder das Tatmittel gar nicht zur Vollendung geeignet sind, so daß weder eine konkrete noch eine abstrakte Gefährdung besteht,56 und der Täter dies aus grobem Unverstand verkannt hat. Alle anderen Fälle, also auch der des untauglichen Täters, sind nach dieser Auffassung strafbar. 57

a. Die Untauglichkeit des Subjekts Heute wird die Meinung, welche den Versuch des untauglichen Täters58 als strafbar ansieht, als herrschend bezeichnet. 59

54

Rudolphi SK Rn. 13, 14 vor § 22.

ss Jakobs, AT (1991), 25/22 f. S6

Begr. zu § 23 Abs. 3, BT-Dr. V/4095, S. 12.

SK § 22 Rn. 23,27; Sch/SchrlEser § 22 Rn. 60, 75,jew. m. Nachw. S8 Hierbei geht es ausschließlich um die Delikte, die an Sonderpflichten des Täters anknüpfen. Beruht die Untauglichkeit des Subjekta auf einem Mangel des Mittels oder des Objekta (Abbruch der Nichtschwangeren, Verkehr mit der vermeintlichen Tochter), so liegt nach allgemeiner Auffassung ein strafbarer untauglicher Versuch vor (vgI. nur Vogler LK § 22 Rn. 153 m.w. Nachw.). S9 Vertreten von RGSt 72, 109 (112); Blei, AT (1983), S. 231 f.; Bruns (1955), passim; ders., DStR 1938, 161; ders., GA 1979, 161 ff.; Busch I.K? § 43 Rn. 49; DreheriIriJndle § 22 Rn. 28; Jescheck (1988), S. 482 f.; lAckner § 22 Rn. 13; Maurach/Gössel, AT/2 (1989), § 41 Rn. 169 ff.; Rudolphi SK § 22 Rn. 26 ff.; Sch/SchrlEser § 22 Rn. 75; Wessels, AT (1991), S. 187 f. S7 Rudolphi

m. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

139

Nach der Gegenmeinung, die früher die herrschende war, sind die Sonderdelikte nur an einen bestimmten Personenkreis gerichtet, so daß der Extraneus auch aufgrund seines Irrtums nicht durch die Norm verpflichtet werden kann. 60 In der Sache handelt es sich bei dieser Auffassung allerdings um eine Fortführung der Lehre vom Mangel am Tatbestand. 61 Denn ebenso wie jeder andere "Mangel am Tatbestand" ist auch die Täterqualifikation ein Tatbestandsmerkmal, das mit allen anderen Tatbestandsmerkmalen gleichwertig ist. Daher stellt zwar der Versuch des Extraneus nicht den Versuch eines Sonderpflichtigen, wohl aber eine versuchte Sonderpflichtverletzung dar62 : "Der Irrtum des vermeintlichen Beamten liegt nicht darin, daß er den Bereich der Amtsdelikte auch auf Nichtbeamte ausdehnen will, sondern einzig und allein darin, daß er das Tatbestandselement Beamter bei sich als vorliegend betrachtet. "63

Einige Autoren stimmen der dogmatischen Einordnung des Versuchs des untauglichen Subjekts als Versuch grundsätzlich zu, lehnen dessen Bestrafung aber aus Strafwürdigkeitserwägungen ab. 64 Begründet wird dies mit einer dem Wahndelikt65 bzw. dem irrealen Versuch66 vergleichbaren Situation, eine Bestrafung sei weder aus general- noch aus spezial präventiven Gründen erforderlich. Auch diese eindeutige Einschätzung des Versuchs durch den untauglichen Täter kann nicht überzeugen. Die irrige Annahme der Reinigungsfrau, verbeamtet worden zu sein, mag keinen Anlaß für die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion geben, wenn sie daraufhin das Vorliegen der Voraus-

60 RGSt 8, 198 (199); 29, 419 (420 f.); OLG Kiel SchlHA 1949, 297 f.; BaumannIWeber (1985), S. 498; Hardwig, GA 1957, 175; v. Hippel, Bd. 2 (1930), S. 437; Jakobs, AT (1991), 25!45 ff.; Armin Kaufinann, Klug-FS Bd. ß (1983), S. 286; Langer (1972), S. 496 ff.; Schmidhliuser, StudB (1984) 1l!59; SUJger (1961), S. 40 ff., 68; Stralenwerth, AT (1981), Rn. 699; ders., Bruns-FS (1978), S. 59 ff.; Welzel (1968), S. 194 f.; Woller (1981), S. 306; vgl. auch § 25 Abs. 3 Nr. 1 AE. 61 Ähnlich Bnms (1955), S. 13; Maurach/Gössel, AT!2 (1989), § 40 Rn. 130; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, AT!1 (1982), § 12 Rn. 57.

62 Rudolphi SK § 22

Rn. 28; Schönwandt (1975), S. 20 f.; Stopjkuchen (1972), S. 78 f.

63 Stopjkuchen (1972), S. 78. 64

Foth, JR 1965,371; Schünemann, GA 1986,318; Vogler LK § 22 Rn. 158.

6S

Vogler LK § 22 Rn. 158.

66

Foth, JR 1965,371; SchlJnemannGA 1986,318.

140

I. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

setzungen eines Amtsdelikts annimmt. Diese Beurteilung ist aber, wenn die Verbeamtung nur aus formalen Gründen unwirksam war,67 nicht ohne weiteres zutreffend. Daher ist die Beurteilung der Strafwürdigkeit beim untauglichen Täter nicht einfacher als in anderen Fällen des untauglichen Versuchs. Einschränkungen der Strafbarkeit sollten deshalb nach verallgemeinerbaren Kriterien erfolgen.

b. Der absolut untaugliche Versuch Ein häufig genanntes Kriterium bei der Feststellung der Strafwiirdigkeit des untauglichen Versuchs ist die Gefährlichkeit des Verhaltens. Dies gilt nicht nur für die Vertreter der objektiven Versuchstheorie, auch bei einer subjektiven Strafbegründung wird der objektive Gefährdungsaspekt strafbarkeitseinschränkend herangezogen. So sieht das österreichische StGB, dem, da der Versuch wie die Vollendung bestraft wird (§ 15 Abs. 1 österr. StGB), eine subjektive Versuchstheorie zugrundeliegt, die Straflosigkeit des absolut untauglichen Versuchs vor (§ 15 Abs. 3). Art. 23 Abs. 1 schweiz. StGB beinhaltet eine besondere Strafmilderungsmöglichkeit beim absolut untauglichen Versuch; beim grob unverständigen Versuch besteht fakultative Straflosigkeit. Der Versuch des untauglichen Täters wird in der Schweiz einhellig als straflos angesehen,68 im Gesetz ist er nicht geregelt. Der absolut untaugliche Versuch zeichnet sich dadurch aus, daß nicht einmal eine abstrakte Gefahr für das Rechtsgut bestand, da das Verhalten unter keinen Umständen zum tatbestandlichen Erfolg führen konnte. Da das Verhalten also stets ungefährlicher ist als beim tauglichen oder relativ untauglichen Versuch, kann eine Reduzierung des Strafmaßes beim absolut untauglichen Versuch durchaus gerechtfertigt werden. Wie gezeigt, ist es aber bis heute nicht gelungen, eine sichere Formel zur Abgrenzung des gefährlichen vom ungefährlichen Versuch zu finden. Daher ist das Kriterium der Rechtsgutsgefährdung weder zur Begründung der Versuchsstrafe noch umgekehrt, als obligatorischer Strafausschluß , geeignet. Eine

61

Vgl. den vom OLG Kiel (SchIHA 1949,297) behandelten Fall des Wiegemeisters.

Srralenwerth, Schweizerisches Strafrecht, AT!I (1982), § 12 Rn. 55 m. Nachw. aus Rspr. und Lit. 68

m. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

141

Regelung wie die österreichische, nach der eine Grenze zwischen absoluter Straflosigkeit (§ 15 Abs. 3) und der Vollendungsstrafe ohne Strafmilderungsmöglichkeit (§ 15 Abs. 1 österr. StGB) zu ziehen ist, ist also nicht vertretbar. Denkbar ist demgegenüber, beim ungefährlichen Versuch die Sanktion fakultativ zu mildem, wegen der unsicheren Abgrenzung aber dem Richter die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung einzuräumen, wie dies in der Schweiz durch Art. 23 Abs. 1 schweiz. StGB geschehen ist. Die in der Literatur diskutierten Fälle zeigen, daß insbesondere beim Versuch des untauglichen Täters häufig überhaupt kein Strafbedürfnis besteht. Dies gilt ebenso für einige Fälle des Versuchs am untauglichen Objekt oder mit einem untauglichen Mittel, ohne daß stets ein grob unverständiger Versuch i. S. d. § 23 Abs. 3 StGB vorliegen müßte. Der dann zur Verfügung stehende Strafrahmen von der Vollendungsstrafe bis zur Straflosigkeit führte damit allerdings zu einer erheblichen Unbestimmtheit (die beim grob unverständigen Versuch auch heute in § 23 Abs. 3 StGB hingenommen wird). Dem Bestimmtheitsgrundsatz würde aber gleichwohl entsprochen, da das Absehen von Strafe nur beim absolut untauglichen Versuch ermöglicht werden sollte, die Vollendungsstrafe aber in diesen Fällen ohnehin nicht in Betracht käme. Die Vorzüge einer solchen Behandlung des untauglichen Versuchs gegenüber der österreichischen Handhabung wurden erwähnt. Der schweizerischen hätte eine solche Regelung voraus, daß in den Fällen des absolut untauglichen Versuchs auch dann Straflosigkeit möglich wäre, wenn kein grober Unverstand festgestellt wurde. Diese Lösung würde aber auch Forderungen der Literatur gerecht. Der Versuch des untauglichen Täters, der in der Regel absolut untauglich ist, müßte nicht bestraft werden. Er könnte es aber, wenn besondere Umstände des Einzelfalles dies gebieten.

4. Folgerungen für den umgekehrten Rechtsirrtum Der Versuch aufgrund eines umgekehrten Rechtsirrtums ist stets untauglich. Nicht eindeutig zu beantworten ist aber, ob er auch stets absolut untauglich ist. Der Versuch, ein eigenes Fahrzeug zu unterschlagen, ist stets unvollendbar,

142

1. Teil, C. Der umgekehrte Irrtum

allerdings zeigt der Sicherungsübereignungsfall des OLG Stuttgarf9 , daß der Rechtsmangel das äußere Bild der Tat nicht notwendig kennzeichnet, weshalb das Verhalten dem objektiven Beobachter trotz der Untauglichkeit des Tatobjekts durchaus gefährlich erscheinen kann. Eine flexible Behandlung des Versuchs aufgrund umgekehrten Rechtsirrtums entspricht offenbar auch dem Meinungsspektrum der Literatur. Die Vielzahl der aufgezeigten Lösungsversuche sind ein sicheres Indiz dafür, daß das Rechtsgefühl für die Behandlung dieser Fälle keine eindeutige Antwort geben kann. Dann ist es aber richtig, dies auch durch die Flexibilität der Reaktion zu dokumentieren und nicht durch eine - dogmatisch nicht begründbare Ablehnung des Versuchs zu verschleiern. S. Die Vereinbarkeit der Lösung mit den §§ 22, 23 StGB

Die Formulierung des § 22 StGB zeigt, daß auch dem deutschen StGB eine subjektive Begründung der Versuchsstrafe zugrundeliegt, die, wie die fakultative Strafmilderung nach § 23 Abs. 1 sowie die Regelung des § 23 Abs. 3 StGB belegen, durch objektive Kriterien korrigiert wird. Die Behandlung des Versuchs des untauglichen Täters ist nicht ausdrücklich geregelt. Zwar läßt sich § 23 Abs. 3 StGB entnehmen, daß der untaugliche Versuch, soweit er nicht auf grobem Unverstand beruht, grundsätzlich strafbar sein soll.70 Der Gesetzgeber verzichtete jedoch deshalb auf eine Regelung des Versuchs des untauglichen Täters, da er vermutete, daß die Rechtsprechung in diesen Fällen ohnehin Straflosigkeit annehmen werde. 71 Diese Ansicht vermag die Gerichte allerdings nicht zu binden,72 so daß die Vorschrift heute jede der beiden Auslegungen zuläßt. Die hier vorgeschlagene besondere Behandlung des absolut untauglichen Versuchs kann jedoch nicht auf das geltende Recht gestützt werden. Da § 23 Abs. 3 StGB nur den Versuch aufgrund groben Unverstandes erfaßt, muß vielmehr im Umkehrschluß zugrundegelegt werden, daß es auf die Tauglichkeit nicht ankommen soll. Die - gebotene - Ausdehnung der erweiterten Straf-

(:I}

OLG Stuttgart NJW 1962, 65.

10

Begr. zu § 23, BT-Dr. V/4095, S. 11 f.; Begr. E 62, BT-Dr. IV/650, S. 143.

71

Begr. zu § 23, BT-Dr. V/4095, S. 11.

72

Rudolphi SK § 22 Rn. 28; Wolter (1981), S. 307.

m. Rechtsfolgen des umgekehrten Irrtums

143

milderung nach § 23 Abs. 3 StGB auf alle Fälle des absolut untauglichen Versuchs sollte daher gesetzlich geregelt werden. § 22 Abs. 3 StGB sollte demnach lauten: (3) Ist der Versuch in der irrigen Annahme einer besonderen Ptlichtenstellung begründet oder konnte er nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildem (§ 49 Abs. 2).

D. Ergebnisse des ersten Teils Die Untersuchung hat gezeigt, daß eine Bestimmung des vorsatzausschließenden und des vorsatzbegründenden Irrtums mit der Lehre von der Parallelbeurteilung widerspruchsfrei möglich ist, wenn sie sich streng am gesetzlichen Tatbestand orientiert. Der Tatbestand enthält zugleich die Formulierung der Bestimmungsnorm. Daher gehören Ausfüllungsnormen, die zur Formulierung der Bestimmungsnorm erforderlich sind, als Blankettausfüllungsvorschriften zum Tatbestand. Vorschriften, die nur einzelne Merkmale des Tatbestandes beschreiben, dienen allein der Auslegung des Tatbestandes, sind also nicht selbst Teil dieses Tatbestandes. Daher müssen zwar die Merkmale von Blankettausfüllungen, nicht aber die Merkmale beschreibender Vorschriften vom Vorsatz umfaßt sein. Durch den Eingang in den Tatbestand werden auch außerstrafrechtliche Vorschriften zu Strafgesetzen im materiellen Sinne. Beschreibende Normen sind aber im Hinblick auf den in Frage stehenden Tatbestand auch danp nicht strafrechtlicher, d. h. bestimmender Natur, wenn sie formell ein Strafgesetz darstellen. Diese Analyse führt zu der Erkenntnis, daß die Unterscheidung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum eine Fortführung der reichsgerichtlichen Lehre vom strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Irrtum darstellt. Dies belegt auch eine normentheoretische Untersuchung unter Weiterführung der Formeln Rüßmanns und Kuhlens. Der strafrechtliche Rechtsirrtum ist ein Irrtum über eine allgemeine Prämisse der internen Rechtfertigung und für den

144

1. Teil, D. Ergebnissc des ersten Teils

Vorsatz bedeutungslos. Der tatsächliche und der außerstrafrechtliche Rechtsirrtum sind vorsatzrelevant, beide bewirken einen Irrtum über eine singuläre Prämisse der internen Rechtfertigung. Dieser Irrtumsunterscheidung entspricht auch Herzbergs Lehre vom Vorfeldirrtum bzw. Hafts Dichotomie von gegenstands- und begriffsbezogenem Irrtum. Damit erweist sich die Rechtsprechung des Reichsgerichts als prinzipiell richtig. Die gegen sie erhobene Kritik ist allerdings insoweit gerechtfertigt, als die Abgrenzung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum inkonsequent und offenbar jeweils ergebnisorientiert vorgenommen wurde. Der Vorsatz hat sich auf diejenigen Umstände zu beziehen, die in der Bestimmungsnorm beschrieben sind. Dabei ist bei deskriptiven wie bei normativen Tatbestandsmerkmalen erforderlich, daß der Täter die Bedeutung erfaßt hat, die der Sachverhalt für das Rechtsgut hat. Dies setzt eine Beurteilung, nicht aber eine Bewertung des Sachverhalts voraus, letztere wird allein vom Richter verlangt. Da somit an den Vorsatz bezüglich deskriptiver Tatbestandsmerkmale grundsätzlich dieselben Anforderungen zu stellen sind wie an den Vorsatz bezüglich normativer Tatbestandsmerkmale, erübrigt sich insofern eine Unterscheidung zwischen ihnen. Die Kenntnis der Tatsachen, die dem Sachverhalt seine Bedeutung verleihen, ist nur erforderlich, soweit sie für die Erlangung der Bedeutungskenntnis unverzichtbar ist. Hat der Täter die im Tatbestand - intensional- beschriebene Bedeutung erfaßt, kommt es nicht darauf an, ob er sie aus einem geeigneten oder ungeeigneten Substrat geschlossen hat. Das führt dazu, daß der umgekehrte Irrtum den Vorsatz auch dann begründet, wenn er auf einer rechtlichen Fehlvorstellung im Vorfeld des Tatbestandes angesiedelt ist. Auffassungen, die die Vorstellung des Täters an den tatsächlichen Gegebenheiten messen wollen, sind aus logischen Gründen nicht haltbar. Nach dem geltenden Strafrecht hat dies zur Folge, daß jedes Verhalten, daß von einer derartigen Fehlvorstellung getragen ist, einen strafbaren untauglichen Versuch begründet. Bedenken, die sich hiergegen aus Strafwürdigkeitserwägungen ergeben, gleichen aber denjenigen, die gegen die Strafbarkeit des untauglichen Täters erhoben werden. Dies gibt Anlaß, für diese Fälle de lege ferenda eine fakultative Strafmilderung und einen fakultativen Strafverzicht zu erwägen.

2. Teil

Vor-satz und Rechtsirrtum im Steuerstrafrecht Die Darlegung der Grundsätze von Vorsatz und Irrtum im Allgemeinen Strafrecht hat ein Fundament für die Erörterung der Irrtumsprobleme im Steuerstrafrecht geschaffen. Gemäß § 369 Abs. 2 AO gilt der Allgemeine Teil des StGB auch für Steuerstraftaten. Daher mag es befremden, dem Steuerstrafrecht eine besondere Untersuchung zu widmen. Dennoch besteht hierfür durchaus Anlaß. Das Steuerstrafrecht hat sich stets neben und zum Teil auch unabhängig vom Kernstrafrecht entwickelt. Befindet sich der Hinterziehungstatbestand auch heute noch im Nebenstrafrecht, so ist er immerhin für alle Bundes- und die meisten Landessteuern einheitlich in § 370 AO geregelt. Das war jedoch nicht immer so: Vor Einführung der RAO enthielten die materiellen Steuergesetze eigene Strafvorschriften, die teilweise auch unterschiedlichen Inhalts waren. Auch die RAO wich von der Irrtumsregelung im StGB ab. Dies hat dazu geführt, daß sich im Steuerstrafrecht eine eigenständige Dogmatik entwickelt hat, auf die auch in der heutigen Argumentation immer wieder zurückgegriffen wird. Daher ist es zum besseren Verständnis der heutigen Diskussion geboten, in einem kurzen historischen Überblick die Entwicklung der Irrtumslehre bei der Steuerhinterziehung nachzuzeichnen.

A. Die Entwicklung der Irrtumslehre bei der Steuerhinterziehung J. Die Entwicklung vor Einführung der RAO Vor dem Erlaß der RAO im Jahre 1919 war die Steuerhinterziehung in den einzelnen Steuergesetzen geregelt. Dabei wurde der jeweilige Straftatbestand regelmäßig durch folgende oder ähnliche Regelungen ergänzt: 10 ßachmann

146

2. Teil, A. Die Entwicldung der Irrtumslehre bei der Steuerhinterziehung

"Das Dasein der in Rede stehenden Vergehen und die Anwendung der Strafe derselben wird in den in § 136 angeführten Fällen lediglich durch die daselbst bezeichneten Tatsachen begründet. Kann jedoch ... der Angeschuldigte nachweisen, daß er eine Konterbande [Bannbruch] oder Defraudation [Hinterziehung] nicht habe verüben können, oder eine solche nicht beabsichtigt gewesen sei, so ftndet nur eine Ordnungsstrafe nach Vorschrift des § 152 statt." 1

Diese Regelungen enthielten also Schuldvermutungen,2 bei deren Widerlegung (durch den Angeschuldigten oder von Amts wegen) nur noch eine Ordnungsstrafe in Betracht kam. Das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, daß für die Absicht der Steuerhinterziehung das Bewußtsein der Steuerpflicht erforderlich sei,3 fehlte dieses Bewußtsein, kam nur noch eine Ordnungsstrafe zur Anwendung. Dabei sollte es nicht darauf ankommen, ob dem Angeschuldigten die Steuerpflicht wegen eines Irrtums tatsächlicher oder strafrechtlicher, entschuldbarer oder unentschuldbarer Art verborgen blieb. 4 Dennoch sah das Gericht den Irrtum über die Steuerpflicht als strafrechtlichen Irrtum an: Soweit das Steuergesetz strafrechtlicher Natur war (weil es nämlich den Straftatbestand enthielt), gehörte die Frage, ob eine Steuerpflicht bestand, "zu dem unmittelbaren Inhalte des Strafgesetzes als solchem". 5 Damit hat das Reichsgericht erstmals anerkannt, daß der strafrechtliche Irrtum beachtlich sein kann. 6 Backes7 sieht darin sogar eine (zeitweilige) Anerkennung der Vorsatztheorie, da der strafrechtliche Irrtum die Absicht und nicht, wie nach der Schuldtheorie, nur die Schuld ausschließen sollte. Dieser Schluß ist aber zu weitge-

1 § 137 Vereinszollgesetz v. 1.7.1869, BOBt. S.59; ähnlich § 13 Salzabgabengesetz v. 12.10.1867, BOBt. S. 41; § 23 S. 2 RStempelabgabengesetzv. 1.7.1881, ROBt. S. 185; bayr. Häusersteuergesetzv. 15.8.1888,OVBt. S. 698; § 48 pr. ErbStO v. 30.5.1973, OS S. 329.

2 v. UsziZ

(1884), S. 149 f.

ROSt 9, 255 (256); 11, 426 (435 f.); 19, 302 (307); 22, 427 (428); 28, 195 (198); 30, 49 (52 f.); 31, 415 (419); 40, 373 (374 f.); 42, 253 (259 f.); RO JW 1909,524. 3 4

ROSt 11, 426 (435 f.); 28, 195 (198 f.); 30, 49 (42 C.); 40, 373 (374 f.); 42, 253 (260); RO

JW 1909,524.

5 ROSt 11, 426 (435). 6 Entgegen der seit ROSt 1,368 (369 f.) std. Rspr. 7 Backes

(1981), S. 63 f.

11. Die Entwicklung nach Einfiihrung der RAO

147

hend: Das Gericht hat stets darauf hingewiesen, daß es die steuerrechtlichen Regelungen als Spezialbestimmungen ansah, die über den § 59 StGB a. F. hinausgingen und daher eine Ausnahme von der Regel enthielten, daß der strafrechtliche Irrtum unbeachtlich sei. 8 Von dem Irrtum über die Steuerpflicht bleibe der Vorsatz der Tat aber unberührt. 9 Da auch die von Backes zitierte Entscheidung lO ausdrücklich auf die Sonderbestimmung des § 13 Abs. 2 SalzabgabenGll Bezug nimmt, die nicht auf den Vorsatz, sondern auf die Absicht der Abgabenhinterziehung abstellt, kann darin eine Anerkennung der Vorsatztheorie trotz der zweideutigen Formulierungen12 nicht festgestellt werden.

n. Die Entwicklung nach Einführung der RAO 1. Die Irrtumsregelungen der RAO Mit § 358 RAO trat 1919 erstmals eine einheitliche Irrtumsregelung für das in Kraft. Sie lehnte sich an die sogenannte Irrtumsverordnung, die Bundesratsverordnung vom 18.1.1917" an. Diese Verordnung war erlassen worden, um Härten zu vermeiden, die sich daraus ergaben, daß offenbar zahlreiche während des Krieges erlassene Wirtschaftsstrafvorschriften nicht hinreichend bekannt waren. 2 § 358 RAO übernahm den Inhalt der Verordnung nahezu im Wortlaut und lautete: Steuerstraf~ht

"Straffrei bleibt, wer in unverschuldetem Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit steuerrechtlicher Vorschriften die Tat für erlaubt gehalten hat." Eine Regelung des verschuldeten Irrtums enthielt diese Vorschrift zunächst nicht, hier trat nach wie vor Vorsatzstrafe ein. 3

8

RGSt 22, 427 (430); 30, 49 (52 f.); 40, 373 (374).

9

RGSt 8, 182 (183); 11,426 (435); 22, 427 (429 f.); 42, 253 (260); RG IW 1909,524.

10

RGSt 40, 373 (374 f.).

11

BGB!. 1867, S. 41.

12 RGSt 40, 374: "Nur wer sich bewußt ist, daß eine Salzabgabe nach dem Gesetze zu entrichten ist, kann eine Salzabgabendefraudation wollen, kann seinen unbedingten oder bedingten Vorsatz auf eine Salzsteuerhinterziehung richten." 1

RGB!. S. 58.

2

Binding, Normen Bd. 3 (1918), S. 387.

3 Becker (1928), § 358 Anm. 3.

148

2. Teil, A. Die Entwicklung der Irrtumslehre bei der Steuerhinterziehung

§ 358 RAD i. d. F. vom 1919 folgte also der Schuldtheorie. Der vermeidbare Verbotsirrtum schloß den Vorsatz und damit die Vorsatzstrafe nicht aus. Erst 1934 wurde ein Abs. 2 in die Vorschrift (jetzt: § 395 RAD) eingeführt, der lautete: 4

"(2) Wer aus Mangel an Sorgfalt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen persönlichen Verhältnissen fähig war, die Tat für erlaubt gehalten hat, wird wegen Fahrlässigkeit bestraft." Mit dem Vorsatzausschluß beim vermeidbaren Verbotsirrtum folgte diese Regelung nun also der Vorsatztheorie. Die Änderungen der Irrtumsregelungen in der RAD spiegeln die Diskussion im Allgemeinen Strafrecht wieder: So folgten die Entwürfe zum StGB von 1913 und 1919 der Schuldtheorie, § 13 E 1925 der Vorsatztheorie, § 17 E 1927 der Schuldtheorie, E 1936 schließlich wieder der Vorsatztheorie. 5 2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

Die Befürchtung, mit der Neuregelung der Steuerhinterziehung in der RAD, die nicht mehr als Absichtsdelikt formuliert war, würde der Irrtum über die Steuerpflicht als nunmehr unbeachtlicher strafrechtlicher Irrtum angesehen werden, erwies sich als unbegründet. Das Reichsgericht stellte nämlich zunächst fest, daß der Irrtum über materiell steuerliche Vorschriften ein dem Tatumstandsirrtum gleichstehender außerstrafrechtlicher Irrtum sei - Steuertatbestand und Straftatbestand waren ja nun in verschiedenen Gesetzen geregelt. Damit führte der Steuerrechtsirrtum entsprechend der allgemeinen Irrtumsrechtsprechung des Reichsgerichts bereits nach § 59 StGB zum Vorsatzausschluß. 6 In der dann folgenden Entscheidung wurde diese formalistische Argumentation auch inhaltlich begründet: § 359 RAD erfordere nämlich, wie schon früher entschieden, ein fraudulöses (betrügerisches) Verhalten, das nur vorliegen könne, wenn dem Steuerpflichtigen die Verkürzung der Steuereinnahmen bewußt sei. 7 Der Vorsatz der Steuerhinterziehung erfordere also die Kenntnis des Täters, daß Steuern geschuldet seien.

4

RGBI. I, S. 936.

5

Vgl. Hartung § 395 Anm.

6

RG JW 1928, 965 (966).

7

RGSt 60, 182 (185).

n 5 b bb; Lange JZ 1956,73.

D. Die Entwicklung nach Einführung der RAO

149

Der Irrtum über die Steuerpflicht sei folglich ein Tatumstandsirrtum i. S. d. § 59 StGB. 8 Damit stand das Reichsgericht aber vor der Frage, wie § 59 StGB von § 358 RAO abzugrenzen sei. Die Abgrenzung wurde dahingehend getroffen, daß § 358 RAO, der nach seiner Entstehungsgeschichte § 59 StGB nicht einschränken solle, nur zur Anwendung komme, wenn nicht bereits nach § 59 StGB der Vorsatz ausgeschlossen sei. § 358 RAO beinhalte einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der dem Täter über die Regelung des StGB hinaus auch dann Straffreiheit zukommen lasse, wenn er sich über steuerstrafrechtliche Vorschriften geirrt habe. 9 Seit Bestehen der RAO sah die Rechtsprechung also die Vorstellung des Täters von der Steuerpflicht als unbedingtes Vorsatzerfordernis an. Dies wurde zwar mit dem Wesen der Steuerhinterziehung als fraudulöse Tat begründet, im Ergebnis gehörte damit aber der Steueranspruch selbst zum Tatbestand der Steuerhinterziehung: Ohne dessen Vorliegen schied die Vollendung aus, ohne dessen Kenntnis fehlte der Vorsatz der Tat. 3. Der Meinungsstand in der älteren Literatur Auch das Schrifttum setzte sich jetzt vermehrt mit dem Irrtum im Steuerstrafrecht auseinander. Mittelpunkt der Diskussion war das Vernältnis von § 59 StGB und § 358 (§ 395 neuere Fassung) RAO zueinander. Ein Teil der Lehre sah in § 358 RAO die Bestätigung der Reichsgerichtsrechtsprechung, wonach der strafrechtliche Irrtum im Rahmen des § 59 StGB ohne Bedeutung war. Da aber eine Unterscheidung von materiell-steuerrechtlichem und steuerstrafrechtlichem Irrtum als unmöglich angesehen wurde, habe der Gesetzgeber mit § 358 RAO eine Vorschrift geschaffen, die den Rechtsirrtum umfassend und abschließend regele. § 358 RAO betreffe also den Rechtsirrtum, § 59 StGB allein den Tatirrtum. § 358 RAO schränke daher den Anwendungsbereich des § 59 StGB im Steuerstrafrecht ein. 10

8

RG JW 1928,967; RGSt 61,259 (263).

9

RGSt 61, 259 (263); 61, 238 (239); 64, 25 f.; 72, 86.

Heinrichs (1923), § 358 Anm. 3; LeIewer (1925), S. 66 f.; Mrozek (1924), § 358 Anm. 3; Schmalz (1926), S. 39; Wilhelm (1938), S. 18 ff. 10

150

2. Teil, A. Die Entwicklung der Irrtumslehre bei der Steuerhinterziehung

Die Gegenauffassung hielt an der Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum fest, die zwar schwierig, aber nicht unmöglich sei. Der Irrtum über materiell-steuerrechtliche Vorschriften sei auch weiterhin nach § 59 StGB zu behandeln. § 358 RAO stelle also eine über § 59 StGB hinausgehende und dessen Anwendungsbereich unberührt lassende Spezialvorschrift für den steuerstrafrechtlichen Irrtum dar. II Schließlich faßten Cattienl2 und Goetzeler13 § 358 RAO als Spezialvorschrift für den unverschuldeten Steuerrechtsirrtum auf. 14 Tatumstandsirrtum und verschuldeter Rechtsirrtum seien nach § 59 StGB zu beurteilen, so daß bei verschuldetem Steuerrechtsirrtum nur Fahrlässigkeitsstrafe in Betracht komme. Das Bewußtsein der Steuerpflicht sei allerdings stets Voraussetzung des Vorsatzes, so daß es bei dessen Fehlen nicht auf ein Verschulden ankomme. 15 Im Ergebnis stimmt diese Auffassung im Bereich der Steuerhinterziehung mit detjenigen von Becker16 überein, die wiederum zusammen mit der Rechtsprechung als vorherrschende Meinung bezeichnet werden kann. Sie ist durch die Ansicht gekennzeichnet, daß eine vorsätzliche Steuerhinterziehung nur begehen kann, wer weiß, daß er Steuern schuldet. 4. Die Rechtsprechung nach 1945

Die Rechtsprechung des BGH zur Behandlung des Irrtums über den Steueranspruch ist bemerkenswert geradlinig. Nach einer Entscheidung vom 29. November 1951,17 in der die Frage, ob § 59 StGB a. F. oder § 395 RAO anzuwenden sei, offengelassen wurde, und einer Entscheidung vom 1. Oktober 1953, nach der § 395 RAO als Spezialvorschrift anzuwenden war,18 erging

11 Becher (1932), § 395 Anm. 3; Becker (1938), § 358 Anm. 4; Peschke, Zeitgemäße Steuerfragen 1922, 23, 25; Ronsiek (1940), S. 26; wohlauch Juliusberger(1923), S. 40, der § 358 RAO offenbar ebenfalls nur auf den steuerstrafrechtlichen Irrtum beziehen will.

(1929), S. 168 ff. 13 Goetzeler (1934), S. 87 f. 14 Die Regelung des § 395 Abs. 2 über den vermeidbaren Irrtum war noch nicht in Kraft. 15 Cattien (1929), S. 168. 16 S. oben bei Fn. 11. 12

Cartien

17

BGH, Sammlung Henneberg, Stw. "Irrtum, Tatbestandsirrtum", S. 1.

18

BGH StP

1954, 135 (136).

ß. Die Entwicklung nach Einführung der RAO

151

am 13. November 1953 ein Urteil des 5. Strafsenats,19 das im Ergebnis wie in der Begründung bis heute Gültigkeit hat. Der Senat erklärte in ausdrücklicher Anlehnung an Welzel 20 den Steueranspruch zum Tatbestandsmerkmal der Steuerhinterziehung, so daß ein Irrtum hierüber, d. h. die Unkenntnis des Steueranspruchs, gemäß § 59 a. F. (§ 16 n. F.) StGB zum Vorsatzausschluß führe. Damit wurde § 395 RAO praktisch unbedeutend und im Jahre 1968 folgerichtig aufgehoben. 21 Bemerkenswert ist allerdings, daß der BGH mit der gleichen Kontinuität die Blanketteigenschaft des Hinterziehungstatbestandes betont. 22 Es wird zu überprüfen sein, ob zwischen dieser Einordnung und der Iritumsrechtsprechung ein Widerspruch besteht.

B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO I. Der objektive Tatbestand des § 370 AO Wie sich im ersten Teil der Arbeit gezeigt hat, ist die Frage nach der Abgrenzung von vorsatzausschließendem und nicht vorsatzausschließendem Irrtum in Wahrheit die Frage nach dem notwendigen Inhalt des V:.;rsatzes. Dieser richtet sich wiederum nach der der Strafvorschrift zugrundeliegenden Bestimmungsnorm. Die Irrtumsfragen können also nicht beantwortet werden, ohne daß zunächst ein Blick auf das Rechtsgut und die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 370 AO geworfen wird. Die gewonnenen Ergebnisse werden ausschlaggebend für die Einordnung des § 370 AO als Blankettvorschrift bzw. Voll strafgesetz und für die Beantwortung der Vorsatz- und Irrtumsfragen sein. 1. Das Rechtsgut der Steuerhinterziehung

Grundlage für die Auslegung des Straftatbestandes hat stets das durch die Vorschrift geschützte Rechtsgut zu sein. So bestehen bei der Auslegung des

19

BGHSt 5,

90.

1953,486 f. 953. 22 Seit BGHSt 5, 90 (91) std. Rspr., vg!. unten, S. 167 Fn. 37.

20

Wel1.el, NJW

21

BGB!. I, S.

152

2. Teil, B. Die Steuerhintel"Liehung durch Handeln

objektiven Tatbestandes des § 370 AO noch erhebliche Probleme, die ohne ein rechtsgutorientiertes Verständnis der Norm nicht sinnvoll gelöst werden können. Das Rechtsgut entscheidet über die Frage, ob § 370 AO ein Vermögensdelikt darstellt, ob also wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Anwendung zu berücksichtigen sind, und ob es sich bei der Vorschrift um ein Verletzungs- oder um ein Gefährdungsdelikt handelt. Erst mit der Beantwortung dieser Fragen kann etwa entschieden werden, ob die unrichtige Festsetzung bei einem vermögenslosen SchuldnerIoder eine unterbliebene Nullfestsetzung2 zur vollendeten Steuerhinterziehung führt. Auch der immer noch nicht abschließend geklärte Problemkreis des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO hat sich am Rechtsgut zu orientieren. 3 Diese Fragen im objektiven Tatbestand sind selbstverständlich auch für den Vorsatz entscheidend. Schließlich bezieht sich auch die Parallelbeurteilung in der Laiensphäre auf die Kenntnis der Tatumstände in ihrer Bedeutung für das Rechtsgut. 4 All dies erfordert zunächst die Bestimmung des durch § 370 AO geschützten Rechtsguts. Wie schon bei § 392 RAO, so ist auch bei § 370 AO über die Bestimmung des geschützten Rechtsguts keine Einigkeit erzielt worden. Die wohl h. M. sieht als Schutzgut das Vermögen des Staates an, nämlich sein Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen der Steuern. Innerhalb dieser Auffassung bestehen allerdings Differenzen, ob das Aufkommen im ganzen5 oder in jeder Steuerart6 geschützt werden soll.

1 Vgl. Göggerle, BB 1982, 1851 ff.; GiJggerlelMUller (1987), S. 12 f.; Samson F/G/S § 370 Rn. 28; Suhr (1989), S. 129 ff.

2

Vgl. Göggerle, BB 1982, 1851 ff.; Suhr (1989), S. 103 f., 140 f.

3

Vgl. Meine (1984), S. 54 ff. und unten, S.- 178 ff.

4

S. oben, S. 36 ff.

s Monem

(1949), S. 36; urs., ZStW 67 [l955j, 367 mit Fn. 16; urs., lZ 1954,255.

6 RGSt 59, 258 (262); BGHSt 36, 100 (102); BGH StRK § 370 AO R. 9; BGH wistra 1982, 29 (31); BayObLG wistra 1982,198 (199); w. Nachw. d. Rspr. bei Suhr (1989), S. 12 f.; Danzer, AG 1982,62; Göggerle BB 1982, 1854; Hartung § 396 Anrn. ß 2; HUbner H/H/Sp § 370 Rn. 9; Kirchhof, NJW 1985,2981; Kohlmann § 370 Rn. 9.6; LeiselDietz § 370 Rn. 14; Meine (1984), S. 45 ff.; Samson F/GtS § 370 Rn. 10a; Schwan, NJW 1956, 1906; Suhr (1989), S. 32 m. w. Nachw. aufS. 14.

I. Der objektive Tatbestand des § 370 AO

153

Terstegen hält das Vermögen der einzelnen Steuerzahler,7 Backes nicht den wirtschaftlichen Wert, sondern den formalen Bestand der Steueransprüche für geschützt. 8 Eine Gegenauffassung erkennt in § 370 AO eine formale Vorschrift, die die steuerlichen Offenbarungspflichten schützt,9 oder gar überhaupt keinen Rechtsgüterschutz leistet, sondern allein die Zuwiderhandlung gegen Gesetzesbefehle unter Strafe stellt. lO Suhr hat sich mit diesen Ansichten eingehend auseinandergesetzt. 11 Dabei hat er überzeugend dargetan, daß weder die Gesetzesbefehle noch die Steuerpflichten als Selbstzweck schützenswert sind und geschützt werden, da auch sie ausschließlich der Sicherung des Steueraufkommens dienen. 12 Käme es schließlich auf die Beeinträchtigung des Steueraufkommens nicht an, so wäre das Merkmal der Steuerverkürzung in § 370 AO überflüssig. 13 Damit erweist sich § 370 AO als Vermögensdelikt. Geschützt wird also das Interesse des Staates am vollständigen und rechtzeitigen Steueraufkommen. 14 Der Streit um die Frage, ob das Steueraufkommen in der jeweiligen Steuerart oder insgesamt geschützt wird, hat Suhr im letzteren Sinne entschieden, weil keine Argumente für die gegenteilige Annahme sprächen. 15 Diese Frage ist jedoch nur für die Konkurrenzlehre interessant und bedarf daher hier nicht der Erörterung.

7 Terstegen (1956), S. 81. 8 Backes (1981), S. 149 f. Hiergegen Kohlmann, § 370

Rn. 9.5 und Suhr (1989), S. 25 f.

9 Ehlers, FR 1976, 505; ders. in EhlerslLohmeyer (1982), S. 4; Franzen F/G 1 Ein!. Rn. 8; Möllinger (1977), S. 380; Pfaff, Steuel'Z\lwiderhandlungen(1979), S. 50 f.; Schulze, DStR 1964, 419; 1iedemann, ZStW 82 [1970], 976, 979; TroegerlMeyer (1957), S. 8; vgl. auch Bilsdorfer, DStZ 1983,448 und Kribs-Drees, DB 1978, 181. 10

lsensee, NJW 1985, 1008; Kohlmann, Grundfragen (1983), S. 19.

11

Suhr (1989), S. 18 ff.

12

Suhr (1989), S. 23; ebenso Schlüchter, wistra 1985,46.

13

Suhr (1989), S. 22 f.

14 Bilsdorfer (DStZ 1983,448) und Kribs-Drees (OB 1978, 181) halten diese Position jedenfalls im Rahmen der Anwendung des § 370 Abs. 4 S. 3 AO nicht für vertretbar. Das Kompensationsverbot spricht aber nicht gegen die Einordnung des § 370 AO als Vermögensdelikt, vgl. Hübner H/H/Sp§ 370 Rn. 17b;Meine(1984),S. 57 ff.;ders., wistra 1982, 131 ff.; Samson F/G/S § 370 Rn. 46g ff. und unten, S. 178 ff.

15 Suhr (1989), S. 28 ff.

154

2. Teil, B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln

2. Die Merkmale des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

Gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO macht sich strafbar, wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch eine Steuerverkürzung bewirkt. a. Angaben aber steuerlich erhebliche Tatsachen

(1) Der Begriff der Tatsache Der Täter muß unrichtige oder unvollständige Angaben über Tatsachen gemacht haben. Tatsachen sind konkrete vergangene oder gegenwärtige Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Innenlebens. 16 Tatsachen sind daher dem Beweis zugänglich. 17 Von Tatsachen zu unterscheiden sind Werturteile, die naturgemäß dem Beweis unzugänglich sind. Werturteile können aber einen Tatsachenkern enthalten, auf dem das Urteil gegründet ist. Schwierigkeiten bereitet im Steuerstrafrecht die Behandlung von Angaben über Rechtsauffassungen. Obwohl sie ebenfalls Werturteile darstellen, erfordert vor allem die Steuererklärung mittels amtlichem Vordruck häufig eine rechtliche Subsumtion. Da die Steuer häufig vom Erklärungspflichtigen selbst zu berechnen ist (§ 150 Abs. 1 S. 2 AO), setzt auch die Angabe von Beträgen zuvor die Anwendung des Steuerrechts voraus. 18 Da diese Angaben einen Tatsachenkern enthalten, wird teilweise auch die aufgrund unrichtiger Rechtsauffassung falsche Erklärung als unrichtige Tatsachenerklärung i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO angesehen. 19 Auch wenn die steuerrechtliche Praxis vom Erklärenden eine Rechtsanwendung verlangt, verbietet doch der Wortlaut des § 370 AO die Pönalisierung der Erklärung aufgrund unrichtiger Rechtsauffassung. Eine Strafbarkeit könnte sich

16

Sch/Schr/Cramer § 263 Rn. 8.

17 Samson SK § 263 Rn. 10 m. Nachw. 18

Samson F/G/S § 370 Rn. 94b.

Grundfragen (1983), S. 94 ff.; !.eimer (1980), S. 111 f.; Lohmeyer, GA 1972, 306 f.; den., GA 1973, 106. 19 Danzer,

I. Der objektive Tatbestand des § 370 AO

155

nur dann ergeben, wenn der Erklärende zur Aufdeckung des Umstandes verpflichtet wäre, daß er einen abweichenden Rechtsstandpunkt zugrundegelegt hat. Dem widerspricht aber die - wenn auch kaum praktizierte - Idee des Steuerrechts, vom Erklärungspflichtigen reine Tatsachenangaben zu verlangen. Eine andere Auslegung ist innerhalb der durch Art. 103 Abs. 2 GG vorgeschriebenen Wortlautgrenze nicht möglich. 20 Als Tatsachen sind also auch im Rahmen des § 370 AO nur dem Beweis zugängliche Umstände anzusehen. Angaben, die eine Rechtsauffassung kundtun, sind nur dann Tatsachenangaben, wenn sie einen Tatsachenkem enthalten; sie sind nur dann unrichtig, wenn sie auf einer unvertretbaren Rechtsauffassung beruhen. (2) Steuerlich erhebliche Tatsachen Tatsachen sind steuerlich erheblich, wenn sie zur Ausfüllung des Besteuerungstatbestandes heranzuziehen sind, so daß sie die Entstehung, Höhe oder Fälligkeit der Steuer beeinflussen. 21 Das Machen der Angaben muß eine Steuerverkürzung verursachen. Daher sind für die Steuerhinterziehung nur Angaben über solche Tatsachen relevant, die auf die Besteuerung von Einfluß sind. Eine unrichtige Angabe über Tatsachen, die nicht steuerlich erheblich sind, kann keine Steuerverkürzung verursachen. Durch das weitere Merkmal der Steuerverkürzung wird also der Kreis der relevanten Tatsachen ohnehin auf die steuerlich erheblichen eingeschränkt. Das Merkmal der steuerlichen Erheblichkeit hat daher im Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO keine Funktion. Kohlmann sieht dennoch eine Bedeutung, und zwar darin, daß sich die steuerliche Erheblichkeit aus einem Steuergesetz ergeben müsse. 22 Daher schieden solche Fälle aus (und dies scheint der einzige überhaupt relevante Bereich zu sein), in denen der zuständige Finanzbeamte seine Amtspflichten

20 Vgl. eingehend Hanßen (1984), S. 145 f.; Kohlmann § 370 Rn. 30; Krieger (1987), S. 32 ff.; Samson F/G/S § 370 Rn. 94 ff. 21 Erbs/KohlhaaslMeyer § 370 AO Anm. 3 b; v.d. Heide '(1986), S. 65; Samson F/G/S § 370 Rn. 96. 22 Kohlmann § 370 Rn. 32; ihm folgend Giemulla (1979), S. 93 ff.

156

2. Teil, B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln

"nicht 'steuerlich erheblich', sondern 'beamtenrechtlich erheblich,"23 verletzt und entgegen den gesetzlichen Bestimmungen Steuern zu niedrig festsetzt oder ungerechtfertigt Steuervorteile gewährt. Kohlmann übt seine Kritik jedoch an falscher Stelle. Soweit der Finanzbeamte durch Tatsachenangaben Steuern verkürzt, beruht auch deren steuerliche Erheblichkeit stets auf den einschlägigen Steuergesetzen. Zweifelhaft ist in diesen Fällen vielmehr, ob die Steuerverkürzung überhaupt auf dem Machen von Tatsachenangaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) bzw. auf dem In-Unkenntnis-Lassen über Tatsachen (Nr. 2) beruht, wenn der Finanzbeamte die Steuer selbst festsetzt. Dies ist jedoch kein Problem der steuerlichen Erheblichkeit. Demnach kann kein Fall aufgezeigt werden, in dem dem Merkmal der steuerlichen Erheblichkeit tatbestandliehe Bedeutung zukommt. Es ist überflüssig.

b. Die Steuerverkürzung Der Erfolg der Steuerverkürzung ist eingetreten, wenn aufgrund eines in § 370 Abs. 1 Nm. 1 bis 3 AO beschriebenen Verhaltens des Täters Steuern verkürzt werden. § 370 Abs. 4 S. 1 AO enthält eine Legaldefinition des Verkürzungserfolges. Danach tritt die Steuerverkürzung namentlich in dem Zeitpunkt ein, in dem die Steuer nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig24 festgesetzt wird. Die Vorschrift verdeutlicht, in welcher Phase der Realisierung des Steueraufkommens § 370 AO ansetzt: Der Steueranspruch entsteht gemäß § 38 AO bereits mit der Erfüllung des Tatbestandes des Steuergesetzes. Die Festsetzung durch Steuerbescheid (§ 155 AO) oder die in § 370 Abs. 4 S. 1, 2. Hs. AO genannten Verwaltungsakte bewirken also nicht die Entstehung, sondern die Titulierung des Steueranspruchs; der Steuerbescheid ist gemäß § 249 AO vollstreckbar. § 370 AO knüpft also nicht an Handlungen an, die das Entstehen des Steueranspruchs berühren, aber auch nicht erst an solche, die die Erfüllung dieser Ansprüche betreffen. Die Vorschrift erfaßt vielmehr diejenigen Handlungen, die die Titulierung der dem Steuergläubiger zustehenden Ansprüche beeinträchtigen. Anknüpfungspunkt des § 370 AO ist daher auch nicht der rechtliche

23 Kohlmann §

370 Rn. 15.6.2.

Das Merkmal "nicht rechtzeitig" erfaßt sowohl die verspätete als auch die ganz ausgebliebene Festsetzung, vgl. Samson F/G/S § 370 Rn. 31. 24

I. Der objektive Tatbestand des § 370 AO

157

Bestand des Steueranspruchs, sondern die Sicherung seiner Durchsetzbarkeit durch Titulierung. Als Steuerhinterziehung werden mithin solche Handlungen erfaßt, die bewirken, daß die Titulierung der gesetzlich entstandenen Steueranspruche nicht rechtzeitig oder nicht in voller Höhe erfolgt. Eine Steuerverkürzung kann jedoch auch außerhalb des Festsetzungsverfahrens eintreten. Dies ist zum einen bei den sogenannten Fälligkeitssteuern der Fall, also bei Steuern, die ohne vorherige Festsetzung zu bestimmten Terminen fällig werden,25 aber auch bei den Veranlagungssteuern, wenn die Steuer nämlich nach erfolgter Festsetzung nicht rechtzeitig gezahlt wird. 26 Demnach liegt eine Steuerverkürzung insgesamt immer dann vor, wenn: die Steuer entweder zu niedrig oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder der Steueranspruch nicht vollständig oder nicht rechtzeitig durchgesetzt wird. Damit klärt sich auch der lange währende Streit um das Tatobjekt des § 370 AO. Der These, Gegenstand der Steuerverkürzung sei der konkrete Steueranspruch, 27 wurde entgegengehalten, daß dieser in seinem rechtlichen Bestand nicht beeinträchtigt werden könne; der gegenteiligen Auffassung, es ginge um die Steuereinnahmen28 - so auch der Wortlaut von § 392 RAO warf man vor, diese Definition erfasse allein Unterschlagungen aus der Finanzamtskasse. In der neueren Literatur setzt sich nunmehr die Einsicht durch, daß hier nie ein Streit in der Sache herrschte. 29 Die Steuerverkürzung beeinträchtigt den Steueranspruch nicht in seinem rechtlichen, sehr wohl aber in seinem wirtschaftlichen Bestand: ein nicht titulierter Anspruch ist weniger wert als ein titulierter, eine trotz Fälligkeit nicht befriedigte Steuerforderung weniger als die

2S

Vgl. Fran'l.en F/G/S Einl. Rn. 92.

26 Zur Anwendbarkeit des § 370 AO in diesen Fällen utid der diesbezüglichen Abgrenzung zu § 263 StGB Grote (1989), S. 6 ff. 27

So grundlegend BGHSt 5, 90 (92) im Anschluß an Wel'l.el, NJW 1953,486 f.; Hanung n 1; Hübner H/H/Sp § 370 Rn. 10; Schleeh, NJW 1971,739 f.

§ 396 Anm.

28 Henke, FR 1966, 191 f.; Kohlmanrf- § 392 RAO Rn. 38. Weitere Nachw. zu beiden Auffassungen bei Suhr (1989), S. 34.

29 Buschmann/Luthmann (1969), S. 11; Kohlmann § 370 Rn. 107.2; Samson F/G/S § 370

Rn. 14.

158

2. Teil, B. Oie Steuerninterziehung durch Handeln

rechtzeitige Erfüllung. Dieses Defizit wirkt sich natürlich auch auf die Steuereinnahmen aus, dem Gläubiger droht ein Steuerausfall. Tatobjekt der Steuerhinterziehung ist also der Steueranspruch in seinem wirtschaftlichen Bestand. Die Steuerverkürzung stellt demnach eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Wertes des rechtlich bestehenden Steueranspruchs dar. 30

ll. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung Gemäß §§ 15, 16 StGB (i. V. m. § 369 Abs. 2 AO) muß der Täter der Steuerhinterziehung vorsätzlich handeln. Er muß also diejenigen Umstände kennen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Fraglich und umstritten ist aber, welche Umstände dies sind. Behandelt man § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als Vollstrafgesetz, so muß der Täter wissen, daß er dadurch, daß er der Finanzbehörde unrichtige oder unvollständige Angaben macht, Steuern verkürzt. Da Steuern dann verkürzt sind, wenn der bestehende Steueranspruch wirtschaftlich beeinträchtigt wurde, setzte dies voraus, daß der Täter den Steueranspruch kennt. Der Steueranspruch wäre also als Tatbestandsmerkmal zu behandeln, das der Täter der Steuerhinterziehung kennen muß. 1

30 Im einzelnen verbleiben freilich noch emebliche Probleme, insbesondere die Frage, ob die Steuerverkürzung den Eintritt eines Schadens voraussetzt. Eingehend zu diesen Fragen Samson F/G/S § 370 Rn. 22 ff. 1 BGHSt 5, 90 (92); BGH GA 1977,343(344); OB 1977, 1776; NJW 1980, 1005 (1006); wistra 1983, 113 (114); wistra 1986, 174; StRK § 370 AO R. 4; StRK § 370 R. 9 (S. 23); BayObLGStI975, 109 (111); BayObLG NJW 1964,2171 f.; OB 1981,874 (875); wistra 1990, 202 f.; wistra 1992,312 (313); OLG Celle OStR 1956,443; OLG Hamm BB 1957,395; BB 1964,871; OLG Karlsruhe BB 1979, 1134; StRK § 370 R. 7; OLG Köln ZfZ 1981,342 f.; KG ZfZ 1958,218 (219); Backes (1981), S. 158 ff.; Burkhardt, wistra 1982, 180; Danzer, AG 1982, 65; Ehlers, FR 1976, 505; EhlerslLohmeyer (1982), S. 25 f.; Engelhardt HIH/Sp § 370 Rn. 114; Erbs/KohlhaaslMeyer § 370 AO Anm. 8 a aa; Frisch, Irrtum (1991), S. 286 f.; GribbohmlUtech, NStZ 1990,210; Hartung § 395 Anm. m; ders., JR 1954, 112; v.d. Heide (1986), S. 204 ff.; Habner H/H/Sp § 370 Rn. 113; Jakobs, AT (1991), 8/56; ders., Annin Kaufmann-GS (1989), S. 274 f.; Klein/Orlopp § 370 Anm. 21; KochlZeller § 370 Rn. 46; Kohlmann § 370 Rn. 224; Kottke (1984), S. 368 f.; KiJhn/Kutter/Hojmann § 370 Anm. 8 a; Lange, JZ 1956, 79 Fn. 62; Leise, ZfZ 1964, 76; LeiselDietz § 370 Rn. 62; Lohmeyer, OStZ 1963,107; ders., GA 1964, 17; ders., OB 1965,49 f.; Lüderssen, wistra 1983,225; Mattem, JZ 1954, 2S5; Mielicke, BB 1984, 1887; Lutz Maller, LdRlStratR. (1989), S. 756; PfaJl, Handbuch (1974), § 392 Rn. 27; Roxin, AT/I (1992), § 12 Rn. 91 (anders noch Rechtspflichtmerkmale (1959), S. 147); Rudolphi SK § 16

ß. Der Vorsatz der Steueminterziehung

159

Es könnte sich bei § 370 AO aber auch um ein Blankettstrafgesetz im materiellen Sinne handeln, dessen Bestimmungsnorm der Ergänzung durch die materiellen Steuergesetze bedarf, da erst diesen der maßgebliche Steuertatbestand entnommen werden kann. Die Norm wäre um den Steuertatbestand zu ergänzen, so daß das Vorliegen der Merkmale des Besteuerungstatbestandes vom Vorsatz umfaßt sein müßte. Während der Täter also die steueranspruchsbegründende Tatsache kennen müßte, wären die Kenntnis des Steuergesetzes sowie die Kenntnis des Steueranspruchs für den Vorsatz des Täters unerheblich. 2 Die Konsequenzen dieser Auffassungen seien an folgendem Beispiel verdeutlicht: Gemäß §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. Ib EStG sind Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren als Spekulationsgewinne einkommensteuerpflichtig, wenn Erwerb und Veräußerung der Papiere innerhalb von sechs Monaten erfolgen. Der Steuerpflichtige gibt die aus derartigen Geschäften erzielten Gewinne in seiner Einkommensteuererklärung nicht an, weil er: a) Die Steuerpflicht bei derartigen Geschäften nicht kennt, b) nur gewerbsmäßige Spekulationsgeschäfte für steuerpflichtig hält, c) meint, Spekulationsgewinne seien nur solche innerhalb von drei Monaten, d) das Geschäft vergessen hat, e) glaubt, es hätten mehr als sechs Monate zwischen An- und Verkauf gelegen.

In jedem der Fälle liegt objektiv eine Steuerhinterziehung vor: aufgrund der unvollständigen Tatsachenangaben, und zwar der Angaben über die Tatsache, daß Gewinne aus kurzfristigen Wertpapierverkäufen erzielt wurden, wird die Einkommensteuer zu niedrig festgesetzt, also verkürzt. Nach der Steueranspruchstheorie müßte der Täter aber auch gewußt haben, daß er Steuern verkürzt, er müßte also gewußt haben, daß bezüglich der

Rn. 17; Rüping, Felix-FG (1989), S. 363; Samson F/G/S § 370 Rn. 185; den., Grundfragen (1983), S. 105 f.; Schlüchter, wistra 1985,47; Schulze, DStR 1964,422; Stieler, SIZ 1950, 528; SudaulLammerding/Hackenbroch (1988), S. 32 f.; Suhr/Naumann/Bilsdotjer (1986), Rn. 89; Terstegen (1956), S. 99; TroegerlMeyer (1957), S. 229; Welzel, NIW 1953,486 f. 2 Brötz (1951), S. 47; Frees (1991), S. 134 ff.; Glöggler, NIW 1953,489; HlJlbig, ZfZ 1952, 300 ff.; Kratz (1953), S. 101 f.; Maiwald (1984), S. 21 ff.; Meyer, NStZ 1986,445; den., NStZ 1987,501; Netzler (1961), S. 39; Schwan, NIW 1956, 1906 f.; 1ipkelLang (1991), S. 770 f.; Warda (1955), S. 48.

160

2. Teil, B. Die SteuerhintelZiehung durch Handeln

Spekulationsgeschäfte ein Steueranspruch bestand, der nicht geltend gemacht wird. Fehlt dieses Bewußtsein, handelt er ohne Vorsatz, gleichviel, ob sein Irrtum auf tatsächlichen oder steuerrechtlichen Fehlannahmen beruht. In keinem der Unterfälle läge also eine vorsätzliche Steuerhinterziehung vor. Nach der Gegenauffassung handelt vorsätzlich, wer die steueranspruchsbegründenden Umstände kennt. Daher wäre in den Fällen a) bis c) trotz der Unkenntnis der Steuerpflicht Vorsatz gegeben, nur in den Fällen d) und e) läge ein Tatumstandsirrtum vor.

1. Welzels Begründung der Steueranspruchstheorie Den Grundstein für die heute als Steueranspruchstheorie bezeichnete Ansicht, der Täter der Steuerhinterziehung müsse den Steueranspruch kennen, hat WeIzei gelegt. Seine 1953 veröffentlichte Argumentation3 trägt nach wie vor die Begründungen der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre. Weizei stellt zunächst fest, daß entgegen dem Wortlaut des § 392 RAO nicht die Steuereinnahmen, sondern der Steueranspruch des Staates Gegenstand der Steuerverkürzung sei. Steuerverkürzung sei daher diejenige irreführende Handlung, die den objektiv bestehenden Steueranspruch als geringer oder als noch nicht fällig erscheinen lasse. 4 Nun führt WeIzeI aus: "Ist aber das Objekt der Verkürzungshandlungnicht die tatsächliche Steuereinnahme, sondern der objektiv bestehende Steueranspruch. so schält sich damit erst das richtige Tatobjekt der Steuerhinterziehung heraus: eben der konkrete Steueranspruch des Staates gegen den Steuerpflichtigen. Dadurch wird auch der Inhalt des Vorsatzes der Steuerhinterziehung erst bestimmbar: der Täter muß den bestehenden konkreten Steueranspruch kennen und ihn gegenüber der Steuerbehörde in der oben angegebenen Weise verkürzen wollen. Wer aber den konkreten Steueranspruch nicht kennt, der befmdet sich im Tatbestandsirrtum, der seinen Tatbestandsvorsatz ausschließt. ,,5

2. In der Literatur erhobene Einwände Gegen die Steueranspruchstheorie sind verschiedentlich Einwände erhoben worden. Sie wenden sich vor allem gegen die These, der Vorsatz müsse stets

3

Weizei. NJW 1953, 486 ff.

4

Welzel. NJW 1953, 486; vgl. auch schon oben, S. 157.

S Welzel. NJW 1953,486 f.

D. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung

161

das Tatobjekt umfassen, und begründen ihre gegenteilige Auffassung mit der Fassung des § 370 AO als Blankettgesetz. Maiwald lehnt das Vorsatzerfordernis ab, da nur ein Verbotsirrtum gegeben sei, dies liege daran, daß der Steueranspruch ein Rechtspflichtmerkmal darstelle. Meyer schließlich sieht keine Gründe für die Richtigkeit der Steueranspruchstheorie, dagegen spreche vielmehr das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO.

a. Warda In seiner Abhandlung über die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei Blankettstrafgesetzen definiert Warda zunächst Blankettstrafgesetze als Normen, bei denen sich die Beschreibung der ge- oder verbotenen Handlung wenigstens zum Teil in einer ergänzenden Norm befindet. 6 Sodann schließt er sich der Schuldtheorie an, wonach der Vorsatz nicht die Kenntnis der ausfüllenden Norm, sondern nur das Wissen um die Verwirklichung ihrer einzelnen Merkmale umfassen muß. 7 Zur Steuerhinterziehung schreibt Warda: .. Aus der Tatsache, daß das Tatobjekt der staatliche Steueranspruch ist, folgt nicht, daß die Existenz dieses Anspruchs ein vom Vorsatz zu umfassendes Tatbestandsmerkmal ist. Sie ist es jedenfalls dann nicht, wenn § 396 RAO ein Blankettgesetz ist. Das ist aber der Fall ... Sieht man aber mit Hartung und der hier vertretenen Auffassung in § 396 RAO ein Blankettstrafgesetz, so folgt daraus, daß zum Tatbestandsvorsatz die Kenntnis des Steueranspruchs (bzw. von der Seite des Täters gesehen: der Steuerpflicht) nicht erforderlich ist. Denn nicht die durch die Steuergesetze festgelegte Steuerpflicht, sondern 'der Tatbestand, an den das Steuergesetz im einzelnen Falle die Steuerpflicht knüpft', bildet nach der zutreffenden Feststellung Hartungs die tatbestandliche Ergänzung des § 396 RAO ... 8

Warda schließt also folgendermaßen: Da bei Blankettgesetzen die Existenz der Ausfüllungsnorm kein vom Vorsatz zu umfassendes Merkmal ist und da § 396 RAO ein Blankettgesetz ist, ist die Existenz der steuerrechtlichen Ausfüllungsnorm kein vom Vorsatz des § 396 RAO zu umfassendes Merkmal. Da die Kenntnis des Steueranspruchs die Kenntnis der Steuergesetze voraussetzen würde, diese aber nicht erforderlich ist, kann auch die Kenntnis des Steueranspruchs nicht verlangt werden.

6

Warda (1955), S. 5.

7 Warda (1955), S. 37. 8

Warda (1955), S. 47 f. Warda zitiert Hanung' (1950), § 396 Anm. I 4 b.

11 Bachmann

162

2. Teil, B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln

Wardas Argumentation ist also durchaus folgerichtig, wenn es stimmt, daß § 396 RAO (§ 370 AO) ein Blankettgesetz ist. Er liefert eine Begründung, die mit der hier vorgestellten Definition des Blankettgesetzes im Einklang steht: die Steuertatbestände bildeten die tatbestandliche Ergänzung der Steuerhinterziehung. Zuzustimmen ist Warda dahingehend, daß aus dem Umstand, daß der Steueranspruch das Tatobjekt der Steuerhinterziehung darstellt, noch nicht folgt, daß er auch vom Vorsatz umfaßt sein müßte. 9 Denn ob dieses Tatobjekt Gegenstand der Bestimmungsnorm ist, steht ja gerade in Frage. 10 Nicht korrekt ist allerdings seine Berufung auf Hartung. Dieser schreibt nämlich im Anschluß an die von Warda zitierte Stelle: "Der Täter muß ferner wissen oder mindestens für möglich halten, daß sein Verhalten bestimmte Wirkungen auf die Entstehung oder die Höhe des Steueranspruchs hervorruft, und diese Wirkungen in seinen Willen aufnehmen .• 11 Hartung hat also nicht, wie Warda behauptet,12 seine Meinung erst nach dem Urteil des BGH vom 13. November 1953 13 geändert. Seinen Standpunkt begründet Hartung allerdings mit einem Argument, das der zu § 396 RAO herrschenden Meinung entspricht und dem auch Warda folgt: Da die Tatbestandshandlung in § 396 RAO (im Gegensatz zu § 370 AO) nicht näher umschrieben war, wurde das ungeschriebene Merkmal der Steuerunehrlichkeit hineingelesen. Die Steuerhinterziehung erforderte also eine Täuschung über das Bestehen oder die Fälligkeit des Steueranspruchs. Jedenfalls für die Steuerunehrlichkeit war also die Kenntnis des Steueranspruchs erforderlich. 14

9 Vgl. auch Schwarz, NIW 1953, 1906. 10 Vgl. zum Begriff des Tatobjekts und seiner Bedeutung im Rahmen des § 370 AO Suhr (1989), S. 33 ff. 11

Hartung 1 § 369 Anm.

12

Warda (1955), S. 30.

13

BGHSt 5, 90.

m 4 b a.E.

14 Seit RGSt 60, 182 (185) std. Rspr.; BGHSt 2,338 (340 f.); 23,319 (323 f.); BGH NIW 1953,1841; Becker § 359 Anm. 2; Hartung § 396 Anm. m 5; den., IR 1954, 112; den., Schuldprobleme (1957), S. 35; Peschke, Zeitgemäße Steuerfragen 1922, 25; Stieler, BB 1953, 434; Warda (1955), S. 49; vgl. dazu eingehend Samson/Hom, NIW 1970,593 ff. m.w. Nachw.

n.

Der Vorsatz der Steueminterziehung

163

Da die Steuerunehrlichkeit nicht auch für § 370 AO gefordert wird, werden die Argumente Wardas und Hartungs bezüglich des Blankettcharakters des Steuerhinterziehungstatbestandes zu überprüfen sein.

b. Maiwald In seiner Abhandlung über die Unrechtskenntnis und den Vorsatz im Steuerstrafrecht weist Maiwald zunächst das Vorgehen zurück, aus der Blanketteigenschaft des § 370 AO Schlußfolgerungen für die Vorsatzfragen zu ziehen. Die Blankettechnik sei eine Formalität und rein zweckbegründet, nur sachliche Gründe könnten aber darüber entscheiden, ob die Unkenntnis der Steuerpflicht Tatbestands- oder Verbotsirrtum sei. 15 Eine "formale" Begründung läßt Maiwald aber auch mit der Klassifizierung eines Merkmals als Tatbestandsmerkmal nicht zu. Denn für ihn hat die Einordnung eines Tatbestandselements als Tatbestandsmerkmal nicht die zwingende Folge, daß sich auch der Vorsatz darauf beziehen müßte: "Folgt man nun dem Gedankengang Weizeis, der Vorsatz des Täters müsse sich auf alle Tatbestandsmerkmale des § 370 AO beziehen ... "16. Das Vorsatzerfordernis folgt also nach Maiwaids Ansicht offenbar nicht bereits aus § 16 StGB. Diese Begriffsverwendung ist bedauerlich, widerspricht sie doch der ganz allgemeinen Übung und ist daher geeignet, Mißverständnisse hervorzurufen. Es bleibt auch unklar, welche Rechtsfolge Maiwald mit der Qualifizierung eines Merkmals als Tatbestandsmerkmal verbindet. Den Grund dafür, den Steueranspruch als normatives Tatbestandsmerkmal zu qualifizieren,17 ihn aber dennoch vom Vorsatz auszunehmen, sieht Maiwald darin, daß bei der Steuerhinterziehung die Prämissen der Schuldtheorie nicht vorlägen. Während bei normativen Tatbestandsmerkmalen üblicherweise der Bewußtseinsinhalt zwei stufig sei, so daß die soziale Bedeutungskenntnis das Unrechtsbewußtsein hervorrufen könne, aber nicht mit ihm identisch sei,18 funktionie-

15

Maiwald

16 Maiwald 17

(1984), S. 17.

So Maiwald (1984), S. 16 f.

18 Maiwald

•• 0

(1984), S. 15 f.

(1984), S. 19 f .

164

2. Teil, B. Die Steuemintel"Liehung durch Handeln

re dieses Zweistufenmodell bei der Steuerhinterziehung nicht: "Wer weiß, daß er zur Zahlung einer bestimmten Steuer verpflichtet ist und deren 'Verkürzung' bewirkt, hat zugleich auch das Unrechtsbewußtsein. "19 Der Fall, daß der Täter vorsätzlich, aber ohne Unrechtsbewußtsein handelt, sei also nicht denkbar. Die Konsequenzen, die aus dieser Erkenntnis zu ziehen sind, sind für Maiwald eindeutig: "Ist sich der Täter nicht bewußt, daß er überhaupt Steuern schuldet, so irrt er über das Verbotensein der Tat als ganzer. Es läßt sich nämlich auch in umgekehrter Hinsicht die Kenntnis der Steuerpflicht von der Verbotskenntnis nicht trennen, so daß die Unkenntnis des einen Merkmals, Steuern zu schulden, stets auch zwingend die Annahme einschließt, 'überhaupt' kein (steuerlich20 relevantes) Unrecht zu tun. Das ist aber die Situation des Verbotsirrtums, denn der Täter weiß in diesem Fall nicht, daß sein Verhalten insgesamt einer Rechtsnorm widerspricht."21

Als "dogmatischen Hintergrund" dieser These nennt Maiwald Roxins Lehre von den Rechtspflichtmerkmalen, ohne dem allerdings zusätzliche Argumente zu entnehmen. 22 Roxin hat seine Meinung, der Steueranspruch stelle ein Rechtspflichtmerkmal im Tatbestand des § 370 AO dar, inzwischen aufgegeben. 23 Da sie aber von Maiwald als Begründung herangezogen wird, soll sie dennoch kurz dargestellt werden.

c. Roxin Roxin hat Weizeis Lehre von den Rechtspflichtmerkmalen24 aufgenommen und modifiziert; die von ihm noch als Rechtspflichtmerkmale bezeichneten Merkmale sind heute als gesamttatbewertende Merkmale anerkannt. 25 Zusammenfassend charakterisiert Roxin die Rechtspflichtmerkmale als "rechtswidrigkeitsumschließende Umstände, die der Unrechtsbegründung dienen und gleichzeitig immer oder im Regelfall die gesamte formelle Rechts-

19

Maiwald (1984), S. 21.

20

Gemeint ist wohl: strafrechtlich.

21

Maiwald (1984), S. 22 f. Hervomebungendort.

22

Maiwald (1984), S. 23 f.

23

Roxin, AT!1 (1992), § 12 Rn. 91 mit Fn. 146.

24

Von Welzel entwickelt in JZ 1952, 19 f.; 133 ff.; 208 f.; 340 ff.; JZ 1953, 119.

2S Jescheck (1988), S. 15; den. LK Rn. 43 vor § 13; Roxin, ATIl (1992), § 10 Rn. 45 ff.; Rudolphi SK § 16 Rn. 17; Samson SK Rn. 18 vor § 32; Sch/SchrlLencknerRn. 66 vor § 13.

n. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung

165

widrigkeit in sich bergen. -26 Daher seien diese Merkmale in die zum Tatbestand gehörenden unrechtsbestimmenden Bestandteile einerseits und in das zur Rechtswidrigkeit gehörende gesamttatbewertende Moment andererseits zu zerlegen. 27 Für die Irrtumslehre hat dies folgende Konsequenzen: Der Irrtum über ein Rechtspflichtmerkmal ist Tatumstandsirrtum, wenn sich die Fehlvorstellung auf das Vorliegen der unrechtsbestimmenden Merkmale erstreckt. Verbotsirrtum ist er dann, wenn der Täter sich bei Kenntnis dieser Umstände über das Verbotensein der Handlung, also über die Gesamtbewertung der Tat irrt. 28 Roxin zählte29 auch den Steueranspruch zu den Rechtspflichtmerkmalen: "Wenn einer weiß, daß der Staat einen konkreten Steueranspruch gegen ihn hat, kann er nicht der Meinung sein, die ihm bekannte Zahlungsverpflichtung nicht erfüllen zu müssen. ,,30

Daher stellte nach Roxins früherer Ansicht der Irrtum über die unrechtsbegründenden, d. h. steueranspruchsbegründenden Umstände einen Tatumstandsirrtum dar. Wenn der Täter -bei voller Kenntnis der die Steuerpflicht begründenden Voraussetzungen glaubt, er brauche keine Steuern zu zahlen, so ist dieser Irrtum über den Steueranspruch ein bloßer Pflichtirrtum, der nach den Regeln des Verbotsirrtums zu behandeln ist. -31

d. Meyer Der jüngste Angriff gegen die Steueranspruchstheorie wurde von Meye~2 unternommen. Meyer schließt sich grundsätzlich Warda an. Er untersucht, ob der Steueranspruch dergestalt Bestandteil eines geschriebenen Tatbestands-

26 Roxin, Rechtspflichtmerkmale (1970), S.

188. 27 Roxin, Rechtspflichtmerkmale (1970), S. 135; ebenso Jescheck (1988), S. 223; den. LK Rn. 43 vor § 13; Rudolphi SK § 16 Rn. 17; Samson SK Rn. 18 vor § 32 Sch/SchrlLenckner Rn. 66 vor § 13. 28 Roxin, Rechtspflichtmerkmale (1970), S. 135; Rudolphi SK § 16 Rn. 17; Sch/SchrlLenckner Rn. 66 vor § 13. 29 Vgl. jetzt aber Roxin, AT/I (1992), § 12 Rn. 91. 30 Roxin, Rechtspflichtmerkmale (1970), S. 85. 31 Roxin, Rechtspflichtmerkmale (1970), S. 147. 32 Meyer, NStZ 1986,443; den., NStZ 1987,500.

166

2. Teil, B. Die Steueminterziehung durch Handeln

merkmals des § 370 AO ist, daß der Vorsatz bezüglich dieses Merkmals die Kenntnis des Steueranspruchs voraussetzt. Meyer verneint dies. Zum Merkmal der Steuerverkürzung heißt es: "Ferner wird man nicht in Zweifel ziehen können, daß die Festlegung des Umfangs der Steuerverkürzung eine Berechnung der dem Fiskus zustehenden Steuer erforderlich macht. Aus alledem folgt indes nicht, daß das Bestehen des Steueranspruchs oder die Steuerpflicht ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal ist und sich der Vorsatz hierauf beziehen muß. ,,33

Meyer geht allerdings nicht auf die Frage ein, wie dann die Kenntnis der Steuerverkürzung möglich ist, da die Feststellung der Verkürzung die Berechnung des Anspruchs voraussetzt. Einen Anknüpfungspunkt zur Steueranspruchstheorie lehnt Meyer auch bei der "steuerlichen ErhebIichkeit" der Tatsachen i. S. v. § 370 AO ab. Dabei verwendet er ein systematisches Argument: Diesem Merkmal komme die Aufgabe der Einbeziehung der blankettausfüllenden Normen zu. Diese Ausfüllungsfunktion werde aber zugleich wieder eingeschränkt, wenn dadurch der Steueranspruch zur selbständigen Tatbestandsvoraussetzung würde. Die Zweckbestimmung der Ausfüllung würde also "weitgehend aufgehoben" .34 Schließlich meint Meyer, die Steueranspruchstheorie sei mit dem Kompensationsverbot unvereinbar. § 370 Abs. 4 S. 3 AO greife nämlich auch ein, wenn der Täter sich insgeheim vorbehalten habe, nachträglich Gegenanspcüche zu stellen, so daß eine Steuerverkürzung selbst dann vorliege, wenn in Wahrheit gar kein Steueranspruch bestehe. Dann könne aber der Täter auch gar nicht die Vorstellung haben, daß dem Staat ein Steueranspruch zustehe. 35 Diesen Einwänden soll nun nachgegangen werden. Es gilt festzustellen, ob der Vorsatz auf das Merkmal Steuerverkürzung, d. h. auch auf den Steueranspruch und dessen Beeinträchtigung, oder auf die anspruchsbegCÜDdenden Umstände bezogen sein muß. Diese Frage entspricht der Frage nach der Einordnung des § 370 AO Abs. 1 Nr. 1 AO als Blankett- oder Vollstrafgesetz.

33 M~er. NStZ 1986,444. 34 M~er.

NStZ 1986,445.

35 M~er. NStZ 1987,501.

ß. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung

167

Sodann ist der These Maiwaids nachzugehen, der Steueranspruch stelle ein gesamttatbewertendes Merkmal dar. Von den Argumenten Meyers ist besonders dasjenige interessant, die Steueranspruchstheorie sei mit dem Kompensationsverbot unvereinbar. Diese These hat jüngst durch eine Entscheidung des BGH36 besonderes Gewicht erhalten. 3. Die Blanketteigenschaft des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wird ganz überwiegend als Blankettstrafgesetz angesehen. 37 Nur wenige Gegenstimmen haben sich, vor allem neuerdings, erhoben. 38

a. Die formelle Blanketteigenschaft des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

Zu beachten ist allerdings, daß die Blanketteigenschaft des § 370 AO im allgemeinen nicht in Bezug auf ihre jeweilige Bedeutung untersucht wird, wie dies hier vorgeschlagen wird. Daher wird sie, wenn sie allgemein erörtert wird, aber auch im Zusammenhang mit Erörterungen zu den Vorsatz- und Irr-

36

BGH wistra 1991, 107.

37 BVertUE 37,201 (204); BVertU wistra 1991, 175; BGHSt 5,90 (91); 20, 177 (180); 23, 319 (322); 34, 272 (282); BGH StRK § 370 AO R. 9 (S. 23); wistra 1982,108 (109); wistra 1990 (202); wistra 1991,29; jetzt ausdlÜcklich offengelassen von BGH NJW 1991, 1306; BFHE 108, 286 (288); BayObLG DB 1981,874 (875); wistra 1990, 202; wistra 1992,312 (313); AG DüsseldorfNJW 1985, 1971; Blumers, Grundfragen (1983), S. 318; ders., StbJb 1986/87,355; Erbsl KohlhaaslMeyer § 370 Anm. 1; Ehlers, FR 1976,504; Ehlers/Lohmeyer (1982), S. 22; Framen F/G/S Ein!. Rn. 5; Franzheim, NStZ 1982, 138; Frees (1991), S. 59; Frisch, Irrtum (1991), S. 256; Gast-de Haan, BB 1991,2491; Hartung § 395 Anm. m; ders., JR 1950,546; Hübner H/H/Sp § 370 Rn. 15, 113; Isensee, NJW 1985, 1008; Kirchhof, NJW 1985,2982; KleinlOrlopp § 370 Anm. 2; Koch!Zeller § 369 Rn. 27; Kohlmann § 370 Rn. 220; ders., Grundfragen (1983), S. 15; KrekelerlGöggerle (1990), Stw. Steuerhinterziehung, S. 11; KühnIKunerlHojmann § 370 Anm. 8 a; Kunert, NStZ 1982,278 f.; Leise, ztz 1964, 76; ders., DStR 1972,556; LeiselDietz § 369 Rn. 18, § 370 Rn. 16; Lohmeyer, GA 1964, 12, 14; Maiwald (1984), S. 15; Meyer, NStZ 1986, 445; Lutz Maller, LdRlStratR (1989), S. 756; Netzler (1961), S. 39; PfaJ[. Handbuch (1974), § 392 Rn. 28; Pohl (1990), S. 375 ff.; Rüping, NStZ 1984,451; Schafer, wistra 1983, 168; Schreiber (1989), S. 16; Schwan, NJW 1956, 1907; Strickstrock, WPg 1968,314; Suhrl NaumannlBilsdoifer (1986), Rn. 89; Terstegen (1956), S. 20; 7homas, NStZ 1987,261; Trpkel lAng (1991), S. 769; Vogel, NJW 1985; 2987; Volk, DStZ 1983,227; Warda (1955), S. 48. 38 Backes (1981), S. 152 ff.; v.d. Heide (1986), S. 203; Samson F/G/S § 370 Rn. 105a; ders., wistra 1983,237; Schleeh, BB 1971,817; Tredemann, ZStW 82 [1970], 979 (anders noch Tatbestandsfunktionen (1969), S. 327); vgl. auch GribbohmlUtech, NStZ 1990,210.

168

2. Teil, B. Die Steuerhinteniehung durch Handeln

tumsproblemen, meist mit der knappen Bemerkung begründet, die Steuerverkürzung lasse sich nicht ohne Heranziehung der Steuergesetze feststellen. Der Umstand, daß zur Feststellung der Steuerverkürzung die Anwendung der Steuergesetze erforderlich ist, begründet nach dem eingangs39 Gesagten die formelle Blanketteigenschaft. Dies führt dazu, daß die anspruchsbegründenden Steuergesetze dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgehot entsprechen müssen. Die formelle Blanketteigenschaft des § 370 AO bedeutet jedoch noch nicht, daß die Vorschrift auch in Bezug auf die Vorsatzanforderungen als Blankettgesetz zu behandeln ist. Nur selten wird aber auf diese Unterschiede hingewiesen. 40 Auf die Diskrepanzen zwischen materieller Definition des Blankettbegriffs, aber formeller Begründung der Blanketteigenschaft des § 396 RAO (§ 370 AO) durch Warda wurde bereits hingewiesen. Es gilt also nun, die materielle Beschaffenheit des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu untersuchen.

b. Die materielle Blanketteigenschaft des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Blankettgesetz im materiellen Sinne, wenn es Begriffe enthält, zu deren Ausfüllung es Vorschriften nicht nur beschreibenden, sondern strafrechtlich normierenden Inhalts bedarf.

(1) Das Merkmal der "steuerlichen Erheblichkeit" als Blankettbegriff Meyer41 knüpft die Blanketteigenschaft an das Merkmal der "steuerlichen Erheblichkeit" der Tatsachen. Dies begründet er zunächst damit, daß durch die blankettausfüllenden Normen festgelegt werde, welche Angaben steuerstrafrechtlich erheblich seien. Dabei handelt es sich allerdings um die Begründung der formellen Blanketteigenschaft. Meyer argumentiert jedoch auch materiell, da er darlegt, warum der Steueranspruch nicht Vorsatzgegenstand sein könne:

39

S. oben, S. 27.

So sind wohl BVerfUE 37,201 (208) und BVerfU wistra 1991, 175 ("Insoweit handelt es sich um ein Blankettgesetz") sowie Habner HlH/Sp § 370 Rn. 15 ("Blankettgesetz i.e.S.") zu verstehen. 40

41

Meyer, NStZ 1986,444 f.

ß. Der Vorsatz der Stcueminterzichung

169

Käme dem Merkmal der steuerlichen Erheblichkeit nicht allein die Aufgabe der Einbeziehung der blankettausfüllenden Normen zu, sondern daneben auch die Bedeutung einer selbständigen Tatbestandsvoraussetzung des Bestehens des Steueranspruchs, so würde die Ausfüllungsfunktion in einem entscheidenden Punkt zugleich wieder eingeschränkt werden. Die Zweckbestimmung würde also zugleich wieder aufgehoben. "Macht man die Verurteilung zusätzlich davon abhängig, daß er [der Täter] das Bewußtsein vom Bestehen des konkreten Steueranspruchs oder von der entsprechenden Steuerpflicht hatte, dann wird der Tatbestand wesentlich eingeengt. "42 Diesen Ausführungen kann im Ergebnis nicht mehr als die Erkenntnis entnommen werden, daß jedes Tatbestandsmerkmal den Tatbestand wesentlich einengt. Das ist allerdings auch die einzige Aufgabe von Tatbestandsmerkmalen, denn wenn sie den Tatbestand nicht einengen würden, wären sie funktionslos. Meyer übersieht jedoch, daß dies in gleicher Weise für Blankettbegriffe gilt: durch die Heranziehung der Ausfüllungsnormen werden doch ebenfalls zusätzliche Merkmale in den Tatbestand eingefügt, ohne die der Tatbestand erheblich weiter gefaßt wäre. An Argumenten ist also nichts gewonnen. Meyer zeigt jedoch, daß auch er das Merkmal der steuerlichen Erheblichkeit allein auf die Erheblichkeit für die Verkürzung bezieht. Dies bestätigt unsere Annahme, daß die steuerliche Erheblichkeit keine eigenständige Bedeutung hat und daher überflüssig ist. Doch auch dann, wenn man dem Merkmal mit Kohlmann eine eigenständige Funktion zuspricht,43 ergibt sich nichts anderes. Dann bleibt es nämlich bei dessen Funktion, die erheblichen Tatsachen zu beschreiben, also die relevanten von den irrelevanten Tatsachen zu unterscheiden. Eine verhaltenslenkende, normierende Funktion geht von den Steuergesetzen jedenfalls nicht in Bezug auf die Tatsachen aus, über die Angaben gemacht werden.

(2) Das Merkmal "Steuerverkürzung" als Blankettbegriff

Einen möglichen Anknüpfungspunkt zur Qualifizierung des § 370 AO als Blankettgesetz stellt aber das Merkmal der Steuerverkürzung dar.

42

Meyer. NStZ 1986,445.

43

Kohlmann § 370 Anrn. 32.

170

2. Teil, B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln

Warda begründet die Einordnung der Steuerhinterziehung als Blankettstrafgesetz u. a. damit, daß der Straftatbestand und das Steuergesetz zusammengelesen werden müßten. 44 § 392 RAO sei also folgendermaßen zu lesen: "Wer bewirkt, daß die nach den Steuergesetzen zu entrichtenden Steuern nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig entrichtet werden .. "45 Damit hat Warda jedoch noch nicht begründet, daß die Steuergesetze eine weitergehende Aufgabe haben als die der Beschreibung des Tatobjekts. Zudem ist die Formulierung des so vervollständigten Tatbestandes auch unrichtig. § 392 Abs. 1 RAO hatte nämlich einen anderen Wortlaut: "Wer ... vorsätzlich bewirkt, daß Steuereinnahmen verkürzt werden, wird . .. bestraft. "46 § 392 Abs. 3 S. 1 RAO lautete:

"Es genügt, daß infolge der Tat ein geringerer Steuerbetrag festgesetzt ... ist. "47 Daher lag auch damals das Wesen der Steuerhinterziehung im Festsetzungsverfahren nicht darin, daß die geschuldete Steuer nicht vollständig oder nicht rechtzeitig entrichtet wurde, sondern darin, daß die Steuer unrichtig festgesetzt wurde. Das "äußere Merkmal der Steuerhinterziehung" sollte dann gegeben sein, "wenn der Täter in hinterhältiger Weise die zuständige Steuerbehörde über das Bestehen des Steueranspruchs zu täuschen unternommen hat ... Das bloße Unterlassen der (Lohn-) Steuerabführung ist auch bei erwiesener Böswilligkeit keine Steuerhinterziehung. "48 Auf die Entrichtung der geschuldeten Steuer kam es also gerade nicht an. Die von Warda formulierte Norm hätte also lauten müssen: "Wer bewirkt, daß die nach den Steuergesetzen zu entrichtenden Steuern nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitigJestgesetzt werden".

44

Vgl. auch achon oben, S. 29 f.

4~ Warda (1955), S. 14. 46

§ 392 RAO Ld.F. v. 22.5.1931, RGBI. I, S. 211.

47 A.a.O. 48

BGHSt 2, 338 (340 f.).

D. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung

171

Diese Formulierung zeigt, daß zwischen den Verhaltensnormen der Steuergesetze ("zu entrichten") und dem Verbot des § 392 RAO ("bewirken, daß unrichtig festgesetzt wird") ein Unterschied besteht. 49 Anderes könnte allerdings bei der Steuerhinterziehung außerhalb des Festsetzungsverfahrens gelten. Hier knüpft die Steuerverkürzung ja in der Tat an die rechtzeitige Steuerzahlung an. 50 Auch im Steuererhebungs- bzw. Beitreibungsverfahren begeht jedoch nicht jeder, der die geschuldete Steuer nicht zahlt, eine Steuerhinterziehung. Stets muß das Machen unrichtiger Angaben (bei § 370 AO), die Steuerunehrlichkeit (bei § 392 RAO), die Steuerverkürzung verursachen. Die Steuerunehrlichkeit bewirkt in diesen Fällen, daß der Schuldner nicht zur Zahlung gedrängt wird. Dies kann dadurch geschehen, daß der Täter durch Täuschung, etwa über seine wirtschaftliche Lage, eine Stundung oder einen Erlaß der Steuer erwirkt, oder dadurch, daß er vorspiegelt, schon gezahlt zu haben, etwa durch Vorlage einer gefälschten Quittung. Der Erfolg ist stets derselbe: Der Täter bewirkt durch Täuschung, daß die Finanzbehörde eine vollständige oder rechtzeitige Steuererhebung bzw. Beitreibung unterläßt, den Steueranspruch also nicht durchsetzt. 51 Demnach zielt der Hinterziehungstatbestand auch bei der Steuerhinterziehung außerhalb des Festsetzungsverfahrens nicht auf die Entrichtung der geschuldeten Steuer. Die Norm lautet vielmehr: "Wer bewirkt, daß die nach den Steuergesetzen zu entrichtenden Steuern nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig durchgesetzt werden. " Auch hier besteht also ein Unterschied zwischen den Verhaltensnormen der Steuergesetze und dem Verbot des § 392 RAO (§ 370 AO). Die Steuergesetze enthalten Tatbestände, an deren Erfüllung eine Steuerpflicht anknüpft. Sie enthalten also Normen, die eine Steuerzahlungspflicht zum Inhalt haben.

49 Derselben Fehlinterpretation des Tatbestandes erliegt auch Backes «1981), S. 159), wenn er meint, die Rechtsgutverletzung bei § 370 AO werde dadurch beschrieben, daß der Täter zur Steuerentrichtung verpflichtet sei. Auch sein weiterer Gedanke, daß nur deIjenige, der wisse, wie die Steuern richtig entrichtet werden müßten, die Steuerverkürzung erkennen kÖMe (a.a.O.), führt nicht weiter - ob er sie kennen muß, steht ja gende in Fnge.

~ Vgl. oben, S. 157. SI

Zur Steuerhinterziehung außerhalb des Festsetzungsverfahrens Grate (1989), S. 30 ff.

172

2. Teil, B. Die Steuerllinterziehungdurch Handeln

§ 370 AO sieht Sanktionen für den Fall vor, daß aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben gegenüber Steuern verkürzt, also ein Steueranspruch beeinträchtigt wird. Dieser Begriff nimmt also durchaus Bezug auf die steuerrechtlichen Tatbestände.

Wie wir gesehen haben, genügt dies aber nicht für die Begründung der materiellen Blanketteigenschaft. Denn materielle Blankettgesetz.e wurden nicht als Rechtssätze definiert, die auf in anderen Rechtssätzen enthaltene Normen Bezug nehmen, sondern als Rechtssätze, deren Bestimmungsnorm andeIWeitig (mit-) geregelt sind. Auf dieser Grundlage kann ein Steuergesetz, das eine Steuerzahlungspflicht begründet, nicht Ausfüllungsnorm des § 370 AO sein. § 370 AO enthält nicht das Gebot, einer Steuerzahlungspflicht nachzukommen. Die Steuerhinterziehung wird nicht dadurch charakterisiert, daß zu wenig Steuern gezahlt werden, sondern dadurch, daß ein Steueranspruch bzw. seine Durchsetzbarkeit durch falsche oder unvollständige Angaben verschleiert wird. Die Steuergesetze haben also im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO die Aufgabe, zu beschreiben, ob und in welcher Höhe ein Steueranspruch besteht, dessen Verkürzung durch unrichtige Angaben bewirkt wurde. Die Ausfüllung durch das Steuergesetz dient damit allein der Beschreibung des Tatobjekts und ist nicht normierender, verhaltenslenkender Natur. Infolgedessen stellt auch das Merkmal "Steuerverkürzung" keinen Blankettbegriff, sondern ein normatives Tatbestandsmerkmal dar. 52 (3) Andere Anknüpfungspunkte der Blanketteigenschaft Somit könnte § 370 AO nur dann als Blankettvorschrift gelten, wenn die Pflicht, die Angaben richtig und vollständig zu machen, nicht originär in dieser Vorschrift, sondern in anderen Gesetzen begründet würde. In § 90 AO wird die Pflicht des Steuerpflichtigen zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen ausdrücklich geregelt. Allerdings erschöpft sich hierin der inhaltliche Gehalt des § 90 AO, der insoweit aber auch mit den in § 370 AO genannten Anforderungen identisch ist. Daher ist § 90 AO für die Formulierung der in § 370 AO

52 Ebenso

Backes (1981), S. 158 f.; v.d. Heide (1986), S. 201 ff.

ll. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung

173

sanktionierten Norm nicht erforderlich. Auch hierbei handelt es sich also nicht um eine Ausfiillungsnorm. (4) Ergebnis Somit kann festgehalten werden: § 370 AO sanktioniert die unwahre oder unvollständige Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen, soweit dadurch Steuern verkürzt werden. Ein Ge- oder Verbot in Bezug auf die eigentliche Steuerpflicht, die Steuerzahlungspflicht, enthält diese Vorschrift auch im Zusammenhang ("Zusammenlesen") mit anderen Rechtssätzen nicht. Sanktioniert wird nur das Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben, nicht die Verletzung der Steuerpflicht selbst. § 370 AO enthält also eine vollständige Formulierung dieser Norm.

Der Bezug, den § 370 AO auf steuerrechtliche Vorschriften nimmt, erschöpft sich in einer inhaltlichen Konkretisierung des Merkmals "Steuerverkürzung" . Da diese Vorschriften also nur den Eintritt des Taterfolges beschreiben, nicht aber ein Ge- oder Verbot formulieren, handelt es sich um einen Verweis auf "Normen nur beschreibenden Inhalts". Das Merkmal Steuerverkürzung ist folglich ein normatives Tatbestandsmerkmal. Bei § 370 AO handelt es sich somit um ein vollständiges, nicht um ein Blankettstrafgesetz. 4. Schlußfolgerungen für den subjektiven Tatbestand

Die Kategorisierung des Merkmals "Steuerverkürzung " als normatives Tatbestandsmerkmal bedeutet nach Ansicht einiger Autorenjedoch noch nicht, daß auch der Steueranspruch vom Vorsatz des Täters umfaßt sein muß. a. Verkürzungsvorsatz und Anspruchskenntnis

Meyer vertritt die Auffassung, die Kenntnis von der Steuerverkürzung sei unabhängig von der Kenntnis des Steueranspruchs: S3

53 Vgl. schon das Zitat oben, S. 166.

174

2. Teil, B. Die Steueminterziehung durch Handeln

"Bezieht sich der Irrtum allein auf den Steueranspruch, so scheidet nach der herrschenden Auffassung eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung aus, obwohl der Steuerpflichtige bewußt unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht bzw. die zuständige Behörde bewußt über solche Tatsachen in Unkenntnis gelassen hat und obwohl er vor allem weiß, daß er hierdurch Steuern verkürzt hat. ,,54 Die These, daß der Steueranspruch nicht zum Vorsatz des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gehöre, bekräftigt Meyer durch einen Vergleich mit dem ähnlichen55 Tatbestand des Betruges: "Dem Betrugsschaden entspricht bei der Steuerhinterziehung allein die Steuerverkürzung. Dem Steueranspruch selbst kommt insoweit keine Bedeutung zu. ,,56 Offenbar will Meyer damit zum Ausdruck bringen, daß auch beim Betrug nur der Schaden, nicht aber die beeinträchtigte Vermögensposition des Opfers zum Vorsatz des § 263 StGB gehöre. Diese Auffassung wäre jedoch ebenso abwegig wie Meyers These zum Verkürzungsvorsatz. Ein Schaden liegt im Rahmen des Betruges vor, wenn die vom Opfer vorgenommene (vermögensbeeinträchtigende) Vermögensverfügung nicht durch den Zugang einer gleichwertigen Vermögensposition kompensiert wird. 57 Damit setzt aber nicht nur die objektive Schadensbeurteilung durch den Richter die Feststellung voraus, daß das Opfervermögen negativ beeinflußt wurde. Auch der Täter muß, um vorsätzlich zu handeln, wissen, daß die Verfügung eine Vermögensminderung zur Folge hat. Anders ist der Schadensvorsatz nicht denkbar. Besteht also, um einen Beispielsfall zu nennen, der Betrugsschaden darin, daß der Täter das Opfer durch Täuschung dazu veranlaßt, eine Forderung nicht geltend zu machen, dann ist der Schadensvorsatz nicht vorstellbar, wenn der Täter den Anspruch des Opfers nicht kennt. Das gleiche gilt aber auch für den Verkürzungsvorsatz bei § 370 AO. Wenn, was auch Meyer nicht bestreitet, die Steuerverkürzung in der Beeinträchtigung des Steueranspruchs bestehf 8 , und daher das Ergebnis des Vergleichs von

54 Meyer, NStZ 1987,501. ~~ Hierzu noch unten, S. 184 f.

56 Meyer, NStZ 1986,445. ~7 Vgl. nur Samson SK § 263 Rn. 127. ~8 Meyer, NStZ 1986,444.

D. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung

175

Soll- und Ist-Steuer ist,59 wie entsteht dann nach Meyer ein Verkürzungsvorsatz, ohne daß eine Vorstellung von der Soll-Steuer besteht? Kurz: Wer verkürzen will, muß auch wissen, was er verkürzt. Es ist damit festzuhalten: Wenn die Steuerverkürzung ein normatives Tatbestandsmerkmal darstellt, und wenn sich dann gemäß § 16 StGB der Vorsatz auch auf die Steuerverkürzung beziehen muß, so ist mit logischer Notwendigkeit auch der Vorsatz bezüglich des Steueranspruchs notwendiger Bestandteil des subjektiven Tatbestandes des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.

b. Die Steuerverkürzung als Rechtspflichtmerkmal Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn man, wie Maiwald, auch den Vorsatz bezüglich der Steuerverkürzung nicht für erforderlich hält. Maiwald hat dies, wie ausgeführt, damit begründet, daß der Irrtum über den Steueranspruch stets zum Verbotsirrtum führe. Daher sei der Steueranspruch im Rahmen des § 370 AO als Rechtspflichtmerkmal anzusehen. Allerdings hat Maiwald die Steueranspruchstheorie schon mit der Begründung abgelehnt, der Irrtum über den Steueranspruch führe stets zu einem Irrtum über das Verbotensein der Tat als ganzer und sei deshalb Verbotsirrtum. 60 Diese Begründung ist jedoch weder hinreichend noch dogmatisch haltbar. Immer dann nämlich, wenn der Täter über das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals irrt, liegt darin auch ein Irrtum über das Verbotensein der Tat als ganzer: Wer nicht weiß, daß eine Sache fremd ist, irrt sich bei deren Wegnahme immer auch über das Verbotensein der Tat. Wenn also schon der Tatvorsatz fehlt, kann auch kein (für den Tatbestand relevantes) Unrechtsbewußtsein vorhanden sein.

Jeder Tatumstandsirrtum nach § 16 StGB impliziert also einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB. 61 Der Verbotsirrtum nach § 17 StGB ist demnach nur bedeutsam, wenn dem Täter das Unrechtsbewußtsein fehlt, obwohl er vorsätzlich handelt.

S9

370 Rn. 15. das Zitat oben, S. 164.

Samson F/G/S §

(]() Vgl.

Arthur Kaufmann, Laclcner-FS (1987), S. 190; Ouo, Karlheinz Meyer-GS den., Iura 1990,646; Puppe, GA 1990, 167; Roxin, ATII (1992), § 21 Rn. 3. 61

(1990), S. 584;

176

2. Teil, B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln

Aus diesem Grund ist es erstaunlich, daß Maiwald das Vorliegen des Verbotsirrtums feststellt, obgleich er nicht untersucht hat, ob überhaupt Vorsatz gegeben ist. Wenn er nämlich tatsächlich den Steueranspruch als Tatbestandsmerkmal behandeln würde,62 dann wäre die Feststellung, daß der Täter bei dessen Unkenntnis (d. h. ohne Tatvorsatz) ohne Unrechtsbewußtsein handelt, trivial. 63 MaiwaIds Ansicht, der Irrtum über den Steueranspruch sei (nur) Verbotsirrtum, wäre also nur dann richtig, wenn auch der Vorsatz bezüglich der Steuerverkürzung nicht die Kenntnis des Steueranspruchs voraussetzte. Dies ist, wie gezeigt, nicht möglich, wenn man die Steuerverkürzung als Tatbestandsmerkmal ansieht. Sie wäre aber zutreffend, wenn (da auch die Behandlung als Blankettmerkmal ausscheidet) die Steuerverkürzung als gesamttatbewertendes Merkmal anzusehen wäre, so daß vom Täter nur die Kenntnis der unrechtsbestimmenden, d. h. hier: der steueranspruchsbegründenden Umstände, nicht aber die Gesamtbewertung, also der Schluß auf das Bestehen eines Steueranspruchs, erwartet würde. 64 Maiwald vertritt diese Ansicht im Anschluß an Roxin. Auch Roxin hatte seine Auffassung jedoch allein damit begründet, daß die Unkenntnis des Steueranspruchs immer auch einen Irrtum über die Steuerzahlungspflicht und damit einen Verbotsirrtum begründe. 65 Bezeichnenderweise stellen aber Roxin und Maiwald den Inhalt der Gesamtbewertung des § 370 AO unrichtig dar, wenn sie auf die Steuerzahlungspflicht des Täters abstellen. Schließlich geht es doch nicht um die bloße Nichtzahlung der Steuer,66 sondern um die Vermeidung einer unrichtigen Festsetzung bzw.

62 Vgl. Maiwald

(1984), S. 16 f.

Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn es richtig wäre, daß ein isolierter Verbotsirrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr vorkäme (so Meyer, NStZ 1986,445 f.; Maiwald (1984), S. 42 f.). Aus § 17 folgt nicht, daß es keine Tatbestände geben könnte, in denen neben dem vorsatzausschließendenlrrtum kein Raum für einen Verbotsirrtum bleibt, vgl. Kuhlen (1987), S. 427 f. Zum Verbotsirrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 s. unten, S. 181 f. 63

64 Es genügte nicht, nur den Steueranspruch als ein solches Merkmal anzusehen, da für den Verkürzungsvorsatz immer noch die Kenntnis des Anspruchs erforderlich wäre. 6S

Vgl. das Zitat oben, S.

165.

Daher ist auch das (von Kohlmann § 370 Rn. 234 übernommene) Beispiel MaiwaIds (1984, S. 28), in dem sich der Steuerpflichtige aus wirtschaftlichen Gründen für berechtigt hält, die Steuerzahlung einzustellen, für die irrige Annahme eines Rechtfertigungsgrundesunrichtig gewählt. Solange er nicht auch unrichtige Angaben macht bzw. richtige Angaben pflichtwidrig unterläßt, um 66

ß. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung

177

um die vollständige Beitreibung. Die Feststellung, daß ein Steueranspruch besteht, ist jedoch nicht identisch mit der "Gesamtbewertung " , daß die Steuer aufgrund falscher Angaben zu niedrig festgesetzt wird, sondern dessen notwendige Voraussetzung. 67 Der Umstand, daß auch die laienhafte Parallelbeurteilung eine juristische Bewertung des steuerbegfÜndenden Sachverhalts voraussetzt, um zu erkennen, daß das Tatobjekt gegeben ist, macht also ein Tatbestandsmerkmal noch nicht zum gesamttatbewertenden Merkmal. 68 Daher stellt selbst dann, wenn man Roxin grundsätzlich bei der Behandlung gesamttatbewertender Merkmale zustimmen will, jedenfalls der Steueranspruch bzw. die Steuerverkürzung kein gesamttatbewertendes Merkmal dar. Der Umstand, daß das Unrechtsbewußtsein von der Kenntnis des Steueranspruchs abhängig ist, unterscheidet die Steuerverkürzung nicht von anderen Tatbestandsmerkmalen.

c. Verkarzungsvorsatz und Tatsachenkenntnis Nach gelegentlich geäußerter Auffassung erfordert der Vorsatz des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO über die Kenntnis des Steueranspruchs hinaus auch die Kenntnis der anspruchsbegfÜndenden Tatsachen. 69 Da es sich bei der Steuerverkürzung aber um ein Tatbestandsmerkmal handelt, die Steuergesetze also nicht in den Tatbestand hineinzulesen sind, ist über die Bedeutungskenntnis - Kenntnis der Beeinträchtigung des Steueranspruchs - hinaus keine Tatsachenkenntnis erforderlich. Ebenso wie etwa beim Schadensvorsatz des § 263 StGB ist zwar die Kenntnis des Steueranspruchs kaum denkbar, ohne daß der Täter sich auch Tatsachen vorstellt, an die seiner Meinung nach die Entstehung der Steuer anknüpft. Für den Vorsatz hat dies jedoch keine Bedeutung. 70

die Beitreibung der Steuer zu venneiden, liegt keine Steuerhinterziehung vor. Die bloße Nichtzahlung der Steuer ist tatbestandslos, so daß es auf Rechtfertigungsgrunde gar nicht ankommt. 67

Ebenso 7homas, NStZ 1987,262.

68 So jetzt auch deutlich Roxin, ATIl (1992), § 12 Rn. 91; vgl. auch Engisch. Mezger-FS (1954), S. 158; Rudolphi SK § 16 Rn. 17.

m OLG Bremen StRK § 370 AO R. 77; EhlerslLohmeyer (1982), S. 22; Frisch (1991), S. 283 Fn. 192; Har1Ung § 396 Anm. m 4 b; KochlZelier § 369 Rn. 27 f.; 35; Kohlmann § 370 Rn. 202. 10

Vgl. oben, S. 43 ff.

12 Bachmann

178

2. Teil, B. Die Steuerhinteniehung durch Handeln

d. Steueranspruchstheorie und Kompensationsverbot Nach Meyer widerspricht die Steueranspruchstheorie jedoch der Regelung des Kompensationsverbots in § 370 Abs. 4 S. 3 AO. Das Kompensationsverbot führe nämlich dazu, daß objektiv eine Steuerverkürzung eintrete, obwohl aus anderen Gründen kein Steueranspruch bestehe. Dann könne der Täter, der dies wisse, aber gar keinen Vorsatz bezüglich eines Steueranspruchs haben. Das Ergebnis wäre also, um Meyers Gedanken weiterzuführen, daß aufgrund des Kompensationsverbots eine vorsätzliche Steuerverkürzung immer dann ausschiede, wenn der Täter zur Tatzeit die anderen steuermindemden Gründe kennt. Dieser Einwand scheint berechtigt zu sein, wie ein Urteil des BGH vom 24. Oktober 199071 zeigt. Der BGH bestätigt dort seine Rechtsprechung, daß eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug in Bezug auf die Umsatzsteuerverkürzung "andere Gründe" i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 3 AO seien, die nicht geltend gemachte Vorsteuer also nicht bei der Berechnung der (objektiv) verkürzten Steuer zu berücksichtigen sei. Da aber der Steuerpflichtige möglicherweise die berechnete Umsatzsteuer und die diesbezüglich angefallene Vorsteuer saldiere, liege es nahe, daß ihm der Vorsatz bezüglich der Steuerpflicht und damit gemäß § 16 StGB der Tatvorsatz fehle. 72 Diese Rechtsprechung führt offenbar dazu, daß aufgrund von § 370 Abs. 4 S. 3 AO in Höhe der dem Täter bekannten "anderen" steuermindemden Umstände niemals eine vorsätzliche Steuerverkürzung vorliegt. Dies widerspricht der bisherigen objektiv orientierten Rechtsprechung des BGH zum Kompensationsverbot. 73 Die Folge dieser Rechtsprechung wäre, daß im Rahmen des § 370 Abs. 4 S. 3 AO nur diejenigen Gründe (objektiv und subjektiv) als andere Gründe anzusehen wären, die der Täter im Zeitpunkt der Tathandlung noch nicht kannte. Nur in diesem Fall wären die Gründe nämlich objektiv auszuscheiden und würden auch subjektiv den Verkürzungsvorsatz nicht beeinträchtigen.

71

BGH wistra 1991, 107.

n

BGH wistra 1991, 108 rn.w. Nachw.

73

Vgl. zur Entwicklung dieser Rechtsprechung Meine, wistra 1982, 130.

n. Der Vorsatz der SteuemintelZiehung

179

Diese subjektive Sichtweise des Kompensationsverbots, wonach andere Gründe solche sind, die der Täter zur Tatzeit nicht kannte, wurde vom Reichsgericht und neuerdings wieder von Meine vertreten. 74 Sie wurde bisher allerdings sowohl vom BGR als auch von der herrschenden Lehre abgelehnt. § 370 Abs. 4 S. 3 AO enthielte dann nämlich eine Regelung ausschließlich für diejenigen Fälle, in denen der Täter zur Tatzeit den Steueranspruch für höher hält, als er tatsächlich ist. Erfaßt würden also ausschließlich Fälle des untauglichen Versuchs. Somit bestünde die Funktion des § 370 Abs. 4 S. 3 AO darin, für diese Art des untauglichen Versuchs die Vollendungsstrafe vorzuschreiben. 75

Diese Auffassung ist jedoch kaum vertretbar. Dagegen spricht nämlich nicht nur, daß der Gesetzgeber die fakultative Strafmilderung in § 23 Abs. 2 StGB ausdrücklich vorgesehen hat und daß die Strafmilderung gerade beim untauglichen Versuch angezeigt ist.16 Auf diese Weise werden auch besonders gefährliche Verhaltensweisen aus § 370 AO ausgegrenzt: Behält sich der Täter nämlich ganz bewußt Ermäßigungsgründe vor, um den Eintritt einer objektiven Steuerverkürzung durch die unrichtige Erklärung zu vermeiden, sie dann aber (wahrheitsgemäß!) in einer späteren Steuererklärung geltend zu machen, so wird dieser Fall der Gefährdung des Steueranspruchs vom Kompensationsverbot gerade nicht mehr erfaßt. 77 Gegen die subjektive Sichtweise spricht aber auch § 378 Abs. 1 S. 2 AO, wonach das Kompensationsverbot auch auf die leichtfertige Steuerverkürzung Anwendung findet. Da dort kein Vorsatz erforderlich ist, kann es auch beim Kompensationsverbot auf die Kenntnis des Täters nicht ankommen. 78 Die "anderen Gründe" sind also objektiv zu bestimmen, nämlich danach, ob ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den angegebenen und den "anderen Gründen" besteht. Besteht ein solcher Zusammenhang, so ist die Annahme, der Täter wolle diese steuermindemden Umstände nachschieben, wegen des Entdeckungsrisikos unrealistisch. Das Kompensationsverbot muß vielmehr solche Gründe erfassen, in denen der Zusammenhang mit dem in Frage stehen-

74 Meine (1984), S. 54 ff. mit Nachw. der Rspr. des Reichsgerichts auf S. 10 ff. 75

Meine (1984), S. 77; ebenso Baas, BB 1980, 1855 f.

76

Vgl. oben, S. 140 ff.

77

Vgl. Samson F/G/S § 70 Rn. 46k; Suhr (1989), S. 144.

78

Suhr (1989), S. 144 f.

12"

180

2. Teil, B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln

den Steuervorgang nicht besteht, so daß die Steuerminderung nach erfolgreicher Verschleierung des Steueranspruchs nachgeholt werden kann. 79 Durch das Kompensationsverbot besteht die Möglichkeit, bereits die erste Tathandlung, die die spätere Nachmeldung ermöglichen und daher eine schadensgleiche Vermögensgefährdung bewirken soll, als Verkürzungshandlung zu erfassen. § 370 Abs. 4 S. 3 AO enthält damit eine Regelung, die eine sonst nicht von § 370 AO erfaßte Verletzung des geschützten Rechtsguts in den Tatbestand der Steuerhinterziehung aufnimmt. Wenn aber die "anderen Gründe" objektiv zu bestimmen sind, dann muß dies auch in subjektiver Hinsicht Auswirkungen haben. Gegenstand des Vorsatzes sind immerhin die Merkmale des objektiven Tatbestandes. Auch der Verkürzungsvorsatz ist also nicht unabhängig von der objektiv festgestellten Verkürzung zu bestimmen, sondern muß sich gerade darauf beziehen. Daher muß die durch § 370 Abs. 4 S. 3 AO vorgenommene Korrektur auch im subjektiven Tatbestand berücksichtigt werden. Bei der Frage, ob der Täter Vorsatz bezüglich der Steuerverkürzung hatte, sind also ebenfalls die "anderen Gründe" auszunehmen. Vorsätzlich handelt demnach derjenige, der sich den durch die falschen Angaben verkürzten Steueranspruch vorgestellt hat, und zwar auch #dann, wenn er wußte oder glaubte, daß die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden können. 80 Mithin hätte der BGH die Möglichkeit, der Steuerpflichtige habe sich wegen der Berechtigung zum Vorsteuerabzug keine Beeinträchtigung des Steueranspruchs vorgestellt, wegen § 370 Abs. 4 S. 3 AO auch im Rahmen des Vorsatzes nicht berücksichtigen dürfen. Damit hat sich aber auch gezeigt, daß die These Meyers, das Kompensationsverbot verstoße gegen die Steueranspruchstheorie, nicht zutrifft.

e. Ergebnis § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein vollständiges Strafgesetz. Es enthält mit dem Merkmal "Steuerverkürzung" ein Tatbestandsmerkmal, so daß nach § 16 StGB erforderlich ist, daß der Täter diejenigen Umstände kennt, die die Steuerverkürzung ausmachen. Der Täter der Steuerhinterziehung muß daher wissen, daß

79 Samson F/G/S § 80

370 Rn. 46k f.

Zum Irrtum über das Kompensationsverbotunten, S. 181 f.

m. Der Verbotsirrtum im Rahmen des § 370 Abs.

1 Nr. 1 AO

181

er durch seine unrichtigen oder unvollständigen Angaben bewirkt, daß die Durchsetzung des gesetzlich entstandenen Steueranspruchs beeinträchtigt wird. Die Unkenntnis des Steueranspruchs führt daher stets zur Unkenntnis der Steuerverkürzung und damit zu einem gemäß § 16 StGB vorsatzausschließenden Irrtum über Tatumstände.

ill. Der Verbotsirrtum im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO Es wird gelegentlich behauptet, daß durch die Bedeutung des Steueranspruchs für den Vorsatz ein Verbotsirrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO praktisch nicht mehr vorkomme. In der Tat wird deIjenige, der weiß, daß ein Steueranspruch besteht, in der Regel auch wissen, daß er die diesbezüglichen Angaben auch richtig und vollständig zu erklären hat.

In Betracht kommen von vornherein nur diejenigen Fälle, in denen der Täter trotz der Kenntnis der Steuerpflicht nicht auch die Kenntnis der Wahrheitspflicht hat. 1 Als Beispiel werden in der Literatur Irrtümer über die Wahrheitspflicht vor allem Dritter (also nicht selbst Steuerpflichtiger) genannt,2 aber auch Irrtümer über die Existenz oder die Reichweite eines Rechtfertigungsgrundes. 3 Wer weiß, daß eine Steuerpflicht besteht, wird allerdings in der Regel auch wissen, daß ihn auch eine wirtschaftliche Notlage nicht berechtigt, unwahre Angaben zu machen, daß er vielmehr gehalten ist, auf Stundung (§ 222 AO) oder Erlaß (§§ 163, 227 AO) der Steuer hinzuwirken. Ein besonderer Anwendungsbereich des § 17 StGB ergibt sich aber nach der hier vertretenen Auffassung von § 370 Abs. 4 S. 3 AO im Rahmen des Kompensationsverbots. Der Täter hat zwar, wie festgestellt, auch dann Verkürzungsvorsatz, wenn er weiß, daß die Steuer aus anderen Gründen hätte ennäßigt werden können. Denkbar ist aber, daß er entweder diese Vorschrift nicht kennt oder aber die ihm bekannten Gründe nicht für andere und daher für aus-

1 Zur Kenntnis der Erklärungspflicht überhaupt und der daraufbegrundetenSteuerhinterziehung durch Unterlassen unten, S. 194 ff.

2

Reiß. wistra 1987, 164.

3

Kohlmann § 370 Rn. 232 ff.

182

2. Teil, B. Die Steuerhinterziehung durch Handeln

gleichsfähig hält. Glaubte er aus diesen Gründen, zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Erklärung nicht verpflichtet zu sein, so liegt darin ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat. Der Irrtum über das Eingreifen des Kompensationsverbots ist daher Verbotsirrtum i. S. d. § 17 StGB.

IV. Der umgekehrte Irrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO Während es beim Irrtum zugunsten des Täters um die Frage ging, ob der Täter der vorsätzlichen Steuerhinterziehung den Steueranspruch kennen muß, um vorsätzlich zu handeln, stellt sich im umgekehrten Fall die Frage, ob er auch schon immer dann vorsätzlich handelt - und daher einen untauglichen Versuch der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO) begeht -, wenn er sich das Bestehen des Steueranspruchs irrig vorstellt, ohne sich auch diejenigen Umstände vorzustellen, die einen Steueranspruch begründen würden. Ist es also strafbar, unrichtige Angaben in der irrigen Annahme zu machen, die richtigen Angaben hätten eine (höhere) Steuerfestsetzung zur Folge? Das Reichsgericht sah in der rechtsirrigen Annahme des Täters, es bestehe ein Steueranspruch, zunächst ein Wahndelikt. Begründet wurde dies damit, daß ein Irrtum über die Reichweite "steuerrechtlicher Strafvorschriften" als Strafrechtsirrtum stets zum Wahndelikt führe. 1 Diese Rechtsprechung konnte sich allerdings nicht auf das Umkehrprinzip berufen, wirkte doch umgekehrt die Unkenntnis des Steueranspruchs "entlastend". Das Reichsgericht begründete seine Ansicht jedoch auf eine pragmatische Weise, die auch heute noch Zustimmung findet: "Angesichts der Unübersichtlichkeit der Pflichten, die in den Steuergesetzen um der Besteuerung willen auferlegt sind, angesichts des weiten Raumes, der sich für einen Irrtum über das Bestehen und die Anwendbarkeit steuerrechtlicher Pflichten eröffnet, würde es unerträgliche Folgen nach sich ziehen, wenn zugelassen würde, daß jeder nach § 360 RAO [§ 370 Abs. 2 AO] verantwortlich zu machen sei, in dem Rechtsunkenntnis die Vorstellung hervorruft, daß sein Verhalten, daß mangels des Bestehens des vermeintlichen Steueranspruchs steuerrechtlich belanglos ist, die Verkürzung eines Steueranspruchs zur Folge haben werde ... 2

1 RGSt

2

64, 229 (238); 65,165 (172); RG 1W 1931,317 f.; vgl. auchRGSt 56,316 (318).

RGSt 65, 165 (172).

IV. Der umgekehrte Irrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

183

Diese Rechtsprechung wurde jedoch aufgegeben. Nunmehr wurde mit der Begründung, der Irrtum über steuerrechtliche Vorschriften sei ein außerstrafrechtlicher Irrtum, sowie unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung zum Umkehrprinzip ein untauglicher Versuch angenommen. 3 Auch der BGH und die Obergerichte sehen heute in der irrigen Annahme eines Steueranspruchs die Grundlage eines strafbaren Versuchs, ohne daß es auf die Vorstellung entsprechender Tatsachen ankäme. 4

In der Literatur läßt sich eine herrschende Meinung nicht ausmachen. Zu nennen sind einerseits Autoren, die entsprechend der im Allgemeinen Strafrecht herrschenden Irrtumsdogmatik und aufgrund der Klassifizierung der Steuerverkürzung als Tatbestandsmerkmal bei deren irriger Annahme untauglichen Versuch annehmen. 5 Die Gegenauffassung nimmt mit unterschiedlicher Begründung ein Wahndelikt an. 6 Bei Maiwald und Tipke/Lang ergibt sich dies konsequent aus der Annahme, der einfache Irrtum sei Verbotsirrtum. Da sich diese Annahme jedoch nicht als haltbar erwiesen hat, läßt sich mit ihr auch nicht begründen, daß der umgekehrte Fall ein Wahndelikt ist. Die übrigen Auffassungen folgen in der Argumentation der Darstellung Burkhardts, der seine zum Allgemeinen Strafrecht vertretene f.uffassung konsequent auch im Steuerstrafrecht anwendet. Gleiches gilt für Jakobs und Heidingsfelder, der Reiß' Thesen aufgenommen und fundamentiert hat. Schlüchter schließlich will im Einzelfall danach differenzieren, ob sich der Täter objektiv noch im strafrechtlich irrelevanten Raum bewegt und seine rechtsgutsbezogene Sachverhaltssicht daher mit einem erheblichen Mangel belastet ist. 7

3

(57).

RGSt 68, 45 (53 f.); RG JW 1931,317 f.; HRR 1938, 131.; vgl. auch schon RGSt 58, 54

4 BGHSt 16, 282 (285); BayObLGSt 1955, 132 (137); OLG Hamm ZfZ 1961, 89 (90); zu § 370 Abs. 1 Nr. 2: KG wistra 1982, 196.

S Hübner H/H/Sp § 370 Rn. 124; Pfaff, Praxis (1971), S. 43; Rudolphi SK § 22 Rn. 32a; Samson F/G/S § 370 Rn. 196; ders., Grundfragen (1983), S. 110 tT. 6 BlumerslGöggerle (1989), Rn. 339; Burkhardt, wistra 1982, 180 f.; Jakobs, AT (1991), 25/42; Hanung § 395 Anm. V; Heidingsfelder (1991), S. 157; Kohlmann § 370 Rn. 226, 271 tT.; Maiwald (1984), S. 29 f.; Reiß, wistra 1986, 195 tT.; 1iplcelLang (1991), S. 772.

7 Schlüchter, wistra 1985,95.

184

2. Teil, B. Die Steuerhinteniehung durch Handeln

Alle diese Argumente wurden im ersten Teil der Arbeit dargestellt und diskutiert. Dabei hat sich erwiesen, daß die These, allein die Rechtsauffassung des Täters könne nicht darüber entscheiden, was im Sinne des § 370 AO Steuerverkürzung sei,8 nicht stichhaltig ist. Da der Vorsatz des Täters allein in dessen Psyche angesiedelt ist, entsteht und besteht er völlig unabhängig von der sozialen Relevanz des objektiven Geschehens. Diese kann demnach nur im objektiven Tatbestand berücksichtigt werden, was de lege lata jedoch nur in besonderen Fällen (vgl. § 23 Abs. 3 StGB) hinreichend möglich ist. Daß auch im Steuerstrafrecht nichts anderes als im Kemstrafrecht gelten kann, zeigt die Gegenüberstellung der Thesen Heidingsfelders zum Betrug und zur Steuerhinterziehung. Heidingsfelder sieht, wie geschildert, 9 anspruchsregelnde Vorschriften nicht als merkmalausfüllende Normen des Schadensbegriffs an. Dies entspricht der Lehre vom Vorfeldirrtum, die ebenfalls den Rechtsirrtum über das Bestehen eines Anspruchs als vorsatzrelevant behandeln würde. Demgegenüber hält Heidingsfelder die Steuergesetze für merkmalausfüllende Normen der Steuerzahlungspflicht. 10 Nun enthält der Tatbestand des § 370 AO allerdings den Begriff der Steuerzahlungspflicht nicht. Es kann aber unterstellt werden, daß Heidingsfelder die Steuergesetze, anders als die Ausfüllungsnormen beim Betrug, als merkmalausfüllende Vorschriften des Tatbestandsmerkmals "Steuerverkürzung" in § 370 Abs. 1 AO ansieht. Dem Steuergesetzgeber wurde nämlich die Kompetenz übertragen, die für das Tatbestandsmerkmal in Betracht kommenden Designate, nämlich die Steueransprüche, abschließend zu bestimmen. 11 Obwohl diese Argumentation in sich schlüssig ist, da die Steueransprüche in der Tat ausschließlich aufgrund Gesetzes entstehen, kann doch die dadurch entstehende unterschiedliche Behandlung des Rechtsirrtums beim Betrug und bei der Steuerhinterziehung nicht sachlich begründet werden. Die weitgehenden Parallelen von Betrug und Steuerhinterziehung sind nicht bestreitbar.

8

Reiß, wistra 1986, 197.

9

Oben, S. 117.

10

Heidingsfelder (1991), S. 155.

11

Vgl. Heidingsfelder (1991), S. 161.

IV. Der umgekehrte Irrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

185

Auch wenn umstritten ist, ob die Steuerhinterziehung einen täuschungsbedingten 12 Irrtum innerhalb der Finanzbehörde13 und den Eintritt eines Vermögensschadens 14 verlangt, so führt doch jedenfalls im Regelfall das Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben zu einer Fehlvorstellung des zuständigen Sachbearbeiters und die daraufhin zu niedrige Festsetzung wiederum zu einer Vermögenseinbuße des Fiskus. Demnach erfüllt jedenfalls der typische Fall der Steuerhinterziehung zugleich die Merkmale des Betruges, da der Täter auch in Bereicherungsabsicht handeln wird. Aus diesem Grund besteht auch seit langem ein Streit um die Abgrenzung zwischen § 263 StGB und § 370 AO. Während ein Teil der Literatur § 370 AO als abschließende Spezialvorschrift für Steueransprüche ansieht,15 nahm die Rechtsprechung mit einem anderen Teil der Literatur jedenfalls dann § 263 StGB an, wenn der gesamte Steuervorgang erfunden ist, um sich Steuervergünstigungen zu erschleichen. 16 Erst neuerdings scheint der BGR von dieser Rechtsprechung abzurücken, hat er doch nun ausdrücklich offengelassen, wie zu entscheiden sei, wenn überhaupt kein Steuerschuldverhältnis bestand. 17 Nimmt der Täter aber rechtsirrig Ansprüche des Staates oder das Fehlen eigener Vergütungsansprüche an, ist nicht begründbar, daß die Strafbarkeit davon abhängen könnte, ob es sich dabei um Steuer- oder sonstige Ansprüche handelt, und ob der Vorgang schließlich im Rahmen eines bestehenden oder nur vermeintlich bestehenden Steuerverhältnis stattfindet. Der Abgrenzungsformel des BGR hat bisher wohl niemand diese Auswirkung auf die Abgrenzung zwischen Wahndelikt und untauglichem Versuch beigemessen. Demnach kann eine unterschiedliche Behandlung des Irrtums beim Betrug und bei der Steuerhinterziehung grundsätzlich nicht überzeugen.

12 Zur Frage, ob die Steuerhinterziehung, insbesondere diejenige durch Unterlassen, eine Täuschung voraussetzt Samson/Hom, NJW 1970,593 ff.; Schulze, DStR 1964,417 ff. 13

Dazu Samson F/O/S § 370 Rn. 167 m. Nachw.

14

Dazu Samson F/O/S § 370 Rn. 27 ff.

15 Felix, NlW 1968,1222; KralZ$ch. IR 1990,250 f.; Erich Maller, NJW 1977,747; Samson F/O/S § 370 Rn. 61 f.; Würthwein. wistra 1986,259. 16 BOR NJW 1972, 1288; ztZ 1974, 149; wistra 1986, 172; wistra 1987, 177; BayObLO, NJW 1988,2550; Engelharrh RlHlSp § 370 Rn. 27; Fuhrhop (1979), S. 70; Herdemerren, NJW 1962,782; Kohlmann § 370 Rn. 131.2,171; Lackntr LK § 263 Rn. 332; Liln (1988), S. 116 f.

17

BORSt 36, 100 (102 ff.); BOR wistra 1990,58.

186

2. Teil, C. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen

Die Untersuchung im ersten Teil hat vielmehr gezeigt, daß sich die Einordnung des Irrtums allein danach richtet, ob er dazu führt, daß sich der Täter das Vorliegen aller Tatumstände vorgestellt hat. Demnach begeht einen strafbaren Versuch der Steuerhinterziehung, wer in der irrigen Annahme, dadurch eine Steuer zu verkürzen, unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber der Finanzbehörde macht.

c. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

I. Die Unterscheidung von Handeln und Unterlassen bei § 370 Abs. 1 AO § 370 Abs. 1 AO enthält nicht nur einen Handlungs-, sondern auch einen Unterlassungstatbestand. Da in Nr. 1 das Machen unrichtiger und unvollständiger Angaben erfaßt ist und in Nr. 2 das pflichtwidrige In-Unkenntnis-Lassen, wird allgemein Nr. 1 angewendet, wenn der Täter irgendeine, und Nr. 2, wenn er gar keine Erklärung abgegeben hat. I Eine genaue Betrachtung zeigt jedoch, daß die Abgrenzung von Nr. 1 und Nr. 2 so einfach nicht ist. Wenn nämlich der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung sein Einkommen mit 50.()()() DM statt wahrheitsgemäß mit 60.()()() DM angibt, so macht er zwar unvollständige Angaben. Ist ihm aber vorzuwerfen, daß er 50.()()() DM angab, oder bezieht sich der Vorwurf vielmehr auf die unterlassene Erklärung der weiteren 10.()()() DM? Diese Frage ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Unterscheidung von Handeln und Unterlassen zu entscheiden. Dabei kann heute als anerkannt gelten, daß die Unterscheidung nicht nach dem "Schwerpunkt der Vorwertbarkeit"2 zu treffen ist, denn da der rechtliche Vorwurf gerade das Ergebnis der Prüfung sein soll, kann er nicht Prämisse der Prüfung sein.3 Dem Täter ist vielmehr dann ein Handeln vorzuwerfen, wenn seine zurechenbare Handlung den rechtswidrigen Erfolg verursacht hat, während dem Unterlassenden vor-

1 Vgl. nur Kohlmann § 370 Rn. 70. 2 So aber BGHSt 6, 46 (59). 3 Vgl.

Roxin, ZStW 74 [1962), 417.

I. Die Unterscheidung von Handeln und Unterlassen

187

geworfen wird, keine Einwirkung auf das Kausalgeschehen vorgenommen zu haben, um den Erfolgseintritt zu verhindern. Der Handlungstäter nimmt also eine das Rechtsgut schädigende Handlung vor, der Unterlassungstäter unterläßt eine dem Rechtsgut nützliche Handlung. Entscheidend ist also das Kriterium der Kausalität. 4 Wendet man diese Grundsätze auf die Steuerhinterziehung an, so ergibt sich, daß immer dann eine Handlung vorliegt, wenn durch die Angaben des Täters die Steuer niedriger oder später festgesetzt wird, als sie festgesetzt worden wäre, wenn der Täter keine Angaben gemacht hätte. Ein Unterlassen liegt vor, wenn der Täter entweder pflichtwidrig gar keine Angaben macht oder die gemachten Angaben zwar noch keine verminderte oder verspätete Festsetzung bewirken, er aber weitere Angaben hätte machen müssen, um eine vollständige und rechtzeitige Festsetzung zu bewirken. Nach Lütt führt eine konsequente Anwendung der Unterlassungsdogmatik zu der Erkenntnis, daß die Steuerhinterziehung praktisch nur durch Unterlassen begehbar ist. Die einzige Ausnahme sei der Sonderfall, in dem der Täter einen rettenden, also die Festsetzung bewirkenden Kausalverlauf abbricht. 5 § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wäre also fast unanwendbar und jede Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu beurteilen. Die Folge wäre, daß § 370 AO ein nur vom Garanten begehbares echtes Sonderdelikt wäre.

1. Lütts normlogische Bedenken

Lütt sieht bereits in der Existenz der § 370 Abs. 1 Nm. 1 und 2 AO einen normlogischen Widerspruch: "Bei § 370 beziehen sich Verbot und Gebot auf die identische Handlung, auf das Machen von Angaben. Im Deckungsbereich beider Nonnen ergibt sich damit ein Verstoß gegen die Sollenslogik. Dem aus § 370 Abs. 1 Nr. 1 resultierenden Appell kann man genüge tun, indem man jegliche Handlung unterläßt. § 370 Abs. 1 Nr. 2 fordert hingegen eine Handlung. Pointierend: Eine durch § 370 Abs. 1 Nr. 1 motivierte (Nicht-)Handlung ist dennoch nicht rechtmäßig, sie verstößt nämlich gegen

4 GriJnwald (1957), S. 21 ff.; Jakobs, AT (1991),28/3; Jescheck (1988), S. 543 ff.; ders. LK Rn. 83 vor § 13; Lütt (1988), S. 44 f.; Roxin, ZStW 74 [19621. 415 f.; Rudolphi SK Rn. 6 f. vor § 13; Samson, Welzel-FS (1974), S. 589 ff. 5 Vgl. zusammenfassend Lütt (1988), S. 127 ff. Der Sonderfall ist vorliegend nicht interessant. er wird daher nicht näher behandelt.

188

2. Teil, C. Die SteuerhintelZiehung durch Unterlassen

§ 370 Abs. 1 Nr. 2. Dieser Widerspruch, der auf einer gegensätzlich wirkenden Motivation beruht, kann unter sollens/ogischen Aspekten nicht aufgelöst werden ... 6

Lütt formuliert jedoch ungenau. Verbot und Gebot beziehen sich zwar auf das Machen von Angaben. Allein deshalb handelt es sich aber noch nicht um identische Handlungen, sondern um die identische Art von Handlungen: Verboten ist nach Nr. 1 das Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben. Gerade darauf bezieht sich Nr. 2 jedoch nicht. Gefordert sind nämlich richtige und vollständige Angaben, die die Unkenntnis der Behörde beseitigen. Ein sollenslogischer Widerspruch besteht dann, wenn eine Norm eine bestimmte Handlung verbietet, eine andere Norm aber dieselbe Handlung gebietet. Beispiele hierfür bieten die bekannten Fälle der Interessenkollision, in denen etwa die zur Rettung eines Menschen erforderliche Handlung den Tod eines anderen Menschen zur Folge hätte. 7 Darum geht es hier jedoch nicht. Wenn verboten wird, bestimmte Angaben zu machen, dann kLznn der Täter dem Appell genüge tun, indem er jegliche Handlung unterläßt. Er kann aber auch eine andere als die verbotene Handlung vornehmen. Der Täter hat also die Auswahl, entweder andere oder aber gar keine Angaben zu machen. Das gleichzeitig geltende Gebot, Angaben zu machen, schränkt zwar die Verhaltensalternativen ein, führt jedoch nicht zum Normenkonflikt. Entsprechende Kumulationen von Handlungs- und Unterlassungspflichten lassen sich im übrigen bei einer Vielzahl anderer Delikte finden, etwa bei der Untreue, bei der die Vermögensbetreuungspflicht schädigende Handlungen verbietet, gleichzeitig aber vermögensmehrende Handlungen gebietet; die Aussagedelikte verbieten falsche, gebieten aber vollständige Aussagen; § 223 StGB gebietet dem Chirurg (i. V. m. § 13), eine Operation durchzuführen, verbietet aber auch, einen Kunstfehler zu begehen. In all diesen Fällen stehen ein Verbot und ein Gebot nebeneinander, ohne daß deshalb ein normenlogischer Widerspruch bestünde. Aus der Widerlegung dieser Prämisse Lütts folgt allerdings nicht, daß die Folgerungen unrichtig wären. Zu überprüfen ist daher die These, es gebe keine Steuerhinterziehung durch Handeln.

6

LA" (1988), S. 9 f. (Hervorhebungendort).

7

Vgl. Samson SK § 34 Rn. 26.

I. Die Unterscheidung von Handeln und Unterlassen

189

2. Das Machen unvollstJindiger Angaben Zuzustimmen ist Lütt dahingehend, daß immer dann, wenn der Täter steueranspruchsbegrundende Umstände nicht vollständig offenbart, in Wahrheit kein Handeln, sondern ein Unterlassen vorliegt. In diesen Fällen wäre nämlich, denkt man sich die Erklärung hinweg, die Steuer ebenfalls nicht richtig, sondern gar nicht festgesetzt worden. Die unvollständige Erklärung führt demnach nicht zu einer Beeinträchtigung des Rechtsguts. Vorzuwerfen ist dem Täter vielmehr, daß er durch das Fortlassen der weiteren Tatsachen eine vollständige Festsetzung gehindert hat. Damit stellt sich das Machen unvollständiger Angaben als ein Unterlassen der vollständigen Erklärung dar. Immer dann, wenn der Täter unvollständige Angaben macht, läßt er die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis, so daß, wenn dieses Unterlassen pflichtwidrig ist, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO einschlägig ist. 8

3. Das Machen unrichtiger Angaben Fraglich ist aber, ob dies auch gilt, wenn der Täter unrichtige Angaben macht. Dabei ist zwischen dem Fall, daß der Täter unrichtige Angaben über steueranspruchsbegrundende Tatsachen macht, und dem Fall, daß die unrichtigen Angaben steuermindernde Tatsachen betreffen, zu unterscheiden.

a. Unrichtige Angaben aber steueranspruchsbegrandende Tatsachen Der Täter kann einerseits steueranspruchsbegrundende Tatsachen falsch darstellen, so daß sie als steuerfrei oder steuerbegünstigt erscheinen. Das wäre etwa der Fall, wenn er Einkünfte tälschlich als Aufwandsentschädigungen i. S. d. § 3 Nr. 26 EStG deklariert, obwohl sie einer hauptberuflichen Tätigkeit entstammen.

In diesem Fall wäre, hätte der Täter die Angaben nicht gemacht, die Steuer in gleicher Weise festgesetzt worden. Der Vorwurf richtet sich also nicht dagegen, daß er Angaben über steuerfreie Einkünfte gemacht hat. Anknüpfungspunkt muß vielmehr sein, daß er die richtigen steuerlich relevanten Angaben nicht gemacht hat. Diese Art der falschen Angabe steuerbegrundender Um-

8

Lütt (1988), S. 46 ff.

190

2. Teil, C. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen

stände steht also der unvollständigen Angabe gleich und ist daher als Steuerhinterziehung durch Unterlassen zu bewerten.

b. Unrichtige Angaben aber steuermindernde Tatsachen Anders liegt aber offenbar der Fall, in dem der Täter unwahre Angaben macht, die eine Steuerminderung zur Folge haben, etwa, indem er in Wahrheit nicht entstandene Betriebsausgaben geltend macht. Eine isolierte Betrachtung des Kausalverlaufs bezüglich dieser Angaben fällt eindeutig aus: Hätte der Täter diese Angaben nicht gemacht, wäre die Steuer aufgrund der übrigen Angaben höher festgesetzt worden. Die unrichtigen Angaben verursachen also eine Steuerverkürzung. Es ist jedoch zweifelhaft, ob eine solche isolierte Betrachtung zulässig ist. Lütt führt hierzu aus: "Unter Rechtsgutsgesichtspunktenist das Verbot, unrichtige Angaben zu machen, fir sich betrachtet sinnlos. Dem Schutz des Steueraufkommens kann das Verbot, unrichtige Angaben zumachen, allein nicht dienen; dem staatlichen Vermögen dient es nur, weil zunächst die Pflicht besteht, die steuerbegründenden Tatsachen anzugeben. Das ergibt sich einmal schon daraus, daß eine Geltendmachung von steuermindernden Umständen ohne die Erklärung von steuerbegründendenTatsachen nicht denkbar ist. Außerdem - und das ist das. Entscheidende - kann der staatliche Steueranspruch nicht ohne einen steuerbegründendenSachverhalt verkQrzlwerden. Grundlage für die Steuerbemessung ist der Saldo aus Einnahmen und Ausgaben. Ausgaben sind immer nur Abzugsposten von den Einnahmen ...9

Lütt wendet diese Grundsätze nicht nur dann an, wenn der Saldo einen Steueranspruch ergibt, sondern auch dann, wenn die Ausgaben die Einnahmen übersteigen. 10 Nach Lütt ist also grundsätzlich die Frage unzulässig, ob die Steuer bei richtiger Erklärung in gleicher Weise festgesetzt worden wäre. Interessant sei allein der Vergleich zwischen unrichtiger und unterlassener Erklärung. Diese Ansicht Lütts beruht auf den folgenden Überlegungen:

9

Lau (1988), S. 52 f. (Hervorhebungendort).

10

Lau (1988), S. 53.

I. Die Unterscheidung von Handeln und Unterlassen

191

Immer dann, wenn der Täter eine gebotene Handlung vornimmt, deren Wirksamkeit aber gleichzeitig durch eine weitere, gegenläufige Handlung einschränkt, bewertet Lütt beide Handlungen nicht isoliert, sondern zusammengenommen. Der Erfolg liegt demnach stets darin, daß der Täter nicht die Wirkung erzielt hat, deren Herbeifiihrung von ihm erwartet wurde: "Für einen Gebotsverstoß ist es vollkommen unerheblich, ob die Handlungen diesen oder jenen Inhalts vorgenommen werden, solange nicht die "Erfiillungshandlung" erbracht wird. "11 Dies erläutert Lütt an zwei Beispielen. Im ersten Fall hatte ein Arzt der indizierten Insulinspritze ein Mittel beigemengt, das deren Wirksamkeit herabsetzte. 12 In der Tat ist in diesem Fall eine isolierte Betrachtung beider Handlungen - des Beimengens einerseits und des Spritzens andererseits - gar nicht mehr möglich. Die konträre Handlung hat die Wirkung der gebotenen Handlung im wahren Sinne des Wortes neutralisiert, das gespritzte Insulin hat die gleiche Wirkung, als wenn der Arzt eine reine Insulinspritze mit entsprechend unzureichender Wirkung injiziert hätte. Gefordert ist nach wie vor die Vornahme der (vollkommenen) "Erfüllungshandlung" . Der Normbefehl lautet: "Du sollst (noch mehr) Insulin spritzen. " Anders liegt es in dem von Lütt gebildeten Betrugsfall. Dort hatte der Täter im Rahmen eines Kontokorrentvertrages dem Gläubiger neben den bestehenden Posten eine nicht bestehende Forderung zur Saldierung vorgelegt. Lütt sieht hierin (ohne dies zu begründen) einen Betrug durch Unterlassen. 13 Wenn dies richtig wäre, wie sollte dann aber die an den Täter gerichtete Gebotsnorm lauten? Die "Erfüllungshandlung" ,das Vorlegen aller den Gläubiger begünstigenden Buchungen, hat der Täter vorgenommen. Von ihm wird nicht erwartet, daß er weitere (das hieße nämlich: falsche) vermögensmehrende Buchungen in den Saldo einstellt. Die vorwertbare Unterlassung könnte allein darin bestehen, daß er den Gläubiger nicht darüber aufklärt, daß die schädigende Forderung gefälscht ist: "Du hast nicht erklärt, daß Du falsch erklärt hast." Dieser Normbefehl ist offensichtlich sinnlos. Er verlangt nämlich vom Täter nur, daß er die Folgen seines Verhaltens vermeidet. Dies wird zwar von jedem

11

Lütt (1988), S. 55.

12

La" (1988), S. 55.

13

La" (1988), S. 55.

192

2. Teil, C. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen

Täter verlangt. Doch folgt dies bereits aus dem Verbot, die schädigende Handlung selbst vorzunehmen. Die von Lütt unterstellte Gebotsnorm ist also in Wahrheit nur die (bei jedem Verbot mögliche) Umkehrung der Verbotsnorm. Das zeigt auch eine Kontrollüberlegung: Fiele der Saldo für positiv aus, könnte auch Lütt ein Unterlassen kaum begründen, könnte nur im Unterlassen einer Vermögensminderung bestehen. aber ein Unterlassen im strafrechtlichen Sinne sehen wollte, gibt scheidung von Handeln und Unterlassen preis.

den Täter denn dies Wer darin die Unter-

Bezieht sich der Appell an den Täter also allein darauf, die Folgen der schädigenden Handlung zu vermeiden, so stellt dies in Wahrheit das Verbot der Vornahme der Handlung dar. Eine Gesamtbetrachtung der gebotenen und verbotenen Handlungen, wie Lütt sie vorschlägt, ist nur dann vorzunehmen, wenn die Handlungen derart ineinander verwoben sind, daß auch ihre Wirkungen nicht mehr voneinander getrennt werden können. Es geht dann auch nicht darum, die Wirkung der schädlichen Handlung zu vereiteln, sondern durch eine weitere Handlung den erwünschten Erfolg herbeizuführen. Das Verhalten ist insgesamt so zu beurteilen, als wäre nur eine, in gleicher Weise beschränkt wirkende Handlung vorgenommen worden. Daß eine derartige Verschmelzung anspruchsbegründender und steuermindernder Tatsachenangaben nicht eintritt, erweist die Subsumtion der fraglichen Fälle unter § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Der Täter müßte die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben. Hat der Täter alle anspruchsbegründenden Tatsachen erklärt und darüber hinaus nicht bestehende steuermindernde Umstände angegeben, so erstreckt sich die Unkenntnis der Finanzbehörde allein auf die Tatsache, daß die Angaben über die Steuerminderung falsch sind. Der Vorwurf der Unterlassung lautete also wiederum: "Du hast nicht erklärt, daß Du falsch erklärt hast." Er beschränkt sich also auf die vorgenommene verbotene Handlung. Eine isolierte Betrachtung der schädigenden Handlung ist also nicht nur möglich. Sie ist auch erforderlich, da das Verhalten gar nicht als Verstoß gegen ein sinnvoll formuliertes Gebot bewertet werden kann.

I. Die Unterscheidung von Handeln und Unterlassen

193

Dies gilt um so mehr, wenn ein entsprechendes Gebot gar nicht existiert. So werden im Lohnsteuerverfahren keinerlei Erklärungen des Steuerpflichtigen gefordert. Wird der Steuerpflichtige zur Lohnsteuer veranlagt, dann hat das Jahresausgleichsverfahren stets eine Festsetzung zur Folge, die entweder der abgeführten Lohnsteuer entspricht oder aber niedriger ausfällt. Die Festsetzung führt demnach niemals zu einer Mehrung des Steueraufkommens. Daher kann ein Vergleich der Festsetzung aufgrund der Steuererklärung mit dem Vermögensstand ohne Festsetzung niemals eine Vermögensmehrung des Staates ergeben. Aus diesem Grund kann die Verursachung der Steuerverkürzung durch das Machen unrichtiger Angaben nicht nur im Vergleich mit der richtigen, sondern auch im Vergleich mit dem Unterlassen der Erklärung festgestellt werden. Ein Gebot kann demgegenüber nicht formuliert werden, da eine Pflicht zur Abgabe eines Antrags auf Lohnsteuerjahresausgleich gar nicht besteht. /'

Aus alledem ergibt sich, daß die These Lütts, jedes Machen unrichtiger Angaben stelle eine Steuerverkürzung durch Unterlassen dar, nicht zutreffend ist. Es ist vielmehr zwischen Angaben über anspruchsbegrundende und Angaben über steuermindernde Tatsachen zu unterscheiden. 4. Ergebnis

Als Ergebnis ist daher festzuhalten: Jedes Verhalten des Täters, das bewirkt, daß die Finanzbehörde nicht von allen anspruchsbegrundenden Tatsachen Kenntnis erlangt, stellt kein Handeln, sondern ein In-Unkenntnis-Lassen der Behörde i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Täter überhaupt keine, unrichtige oder unvollständige Angaben macht. Steuerhinterziehung durch Handeln nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO liegt demgegenüber vor, wenn der Täter unrichtige Angaben über steuermindernde Tatsachen macht und dadurch Steuern verkürzt. Das hat zur Folge, daß die Täuschung über steueranspruchsbegrundende Tatsachen nur dann strafbar ist, wenn der Täter zu deren Offenbarung verpflichtet ist. Die unrichtige Erklärung steuermindernder Tatsachen ist hingegenjedermann verboten.

13 Bacl1mann

194

2. Teil, C. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen

11. Vorsatz und Rechtsirrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Der Täter der Steuerhinterziehung durch Unterlassen muß wissen, daß dadurch, daß er die Finanzbehörde über bestimmte Tatsachen in Unkenntnis läßt, Steuern zu niedrig oder verspätet festgesetzt werden. Er muß sich also vorstellen, daß die Angabe dieser Tatsachen bewirkt hätte, daß die Steuer höher oder rechtzeitig festgesetzt worden wäre. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfaßt jedoch nicht jede, sondern nur die pflichtwidrige Unterlassung. Fraglich ist also, ob der Täter auch die Pflicht zur Offenbarung der Tatsachen kennen muß, oder ob es genügt, wenn er die Umstände kennt, die diese Pflicht begründen.

Die Beantwortung dieser Frage richtet sich danach, ob es sich bei dem Merkmal "pflichtwidrig" um ein Tatbestandsmerkmal oder um einen Blankettbegriff handelt. Es stellt ein Tatbestandsmerkmal dar, wenn die Bestimmungsnorm mit diesem Begriff, also ohne Hinzunahme von ausfüllenden Normen, vollständig formuliert werden kann. Die Norm "Du sollst nicht pflichtwidrig in Unkenntnis lassen und dadurch Steuern verkürzen" wäre vollständig, wenn ihr die Handlungspflicht entnommen werden könnte. Da der Begriff "pflichtwidrig" selbst aber nichts darüber aussagt, worin die Pflicht begründet ist, müßte man dann jedes Unterlassen als pflichtwidrig ansehen, das eine Steuerverkürzung bewirkt. Das Unterlassen soll aber gerade nicht jedem vorgeworfen werden, der die Möglichkeit hat, durch Tatsachenangaben eine höhere oder frühere Festsetzung zu ermöglichen. Die Bestimmungsnorm ist deshalb mit dem Merkmal "pflichtwidrig" noch nicht vollständig formuliert. Sie muß um die Bestimmung, zu welchem Verhalten der Täter verpflichtet ist, ergänzt werden. Der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist also unvollständig. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO muß durch Normen ergänzt werden, die die Pflicht zum Handeln beschreiben. Dabei verlangt das Kriterium, wonach die Blankettausfüllungen die gleiche Schutzrichtung haben müssen wie die Strafnoim selbst, l daß die Ausfüllungsnormen etwas anderes regeln als die Pflicht, Steuern zu zahlen. Es müssen vielmehr Normen sein, die die Pflicht regeln, eine richtige Festsetzung der Steuer zu bewirken bzw. die korrekte Durchsetzung

1

S. oben, S. 32 ff.

11. Vorsatz und Rechtsirrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

195

des Steueranspruchs ZU ermöglichen. Es sind dies die im allgemeinen Steuerrecht sowie in den einzelnen Steuergesetzen geregelten Erklärungs- und Mitwirkungspflichten, aber auch außersteuerrechtlich geregelte Pflichten, etwa die handelsrechtlichen Buchführungspflichten. 2 Nach den allgemeinen Grundsätzen über den Vorsatz bei Blankettstrafgesetzen muß sich der Vorsatz also auch auf die in den Straftathestand hineinzulesenden Merkmale der die Erklärungspflicht begründenden Norm beziehen. Die Kenntnis dieser Norm oder der Handlungspflicht selbst ist jedoch nicht erforderlich. 3 Denn wer etwa nachträglich feststellt, daß er eine unrichtige Steuererklärung abgegeben hat, die eine Steuerverkürzung bewirkt (§ 153 Abs. 1 Nr. 1 AO), so daß die Richtigstellung auch eine vollständige Festsetzung bewirken würde, der sollte auch dann einen Impuls zur Richtigstellung erfahren, wenn er die Berichtigungspflicht aus § 153 AO nicht kennt. Die Pflicht zur Erklärung gegenüber der Finanzbehörde soll sich jedoch nicht nur aus gesetzlichen Regelungen, sondern auch aus den allgemeinen, ungeschriebenen GarantensteIlungen ergeben können. 4 Insoweit hat das Merkmal "pflichtwidrig" nicht die Funktion eines Blankettbegriffs, da es dann nicht auf gesetzliche Vorschriften verweist. Für den Vorsatz ergibt sich dadurch jedoch nichts anderes. Denn auch bei den allgemeinen strafrechtlichen Garantenpflichten ist nicht die Kenntnis der Garantenpflicht selbst, sondern nur die Kenntnis der die Pflicht begründenden Umstände, der Garantenstellung, erforderlich. 5 Wendet man also die allgemeinen Grundsätze auf den Vorsatz des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO an, so ergibt sich folgendes: Der Täter muß wissen, daß die unterlassenen Angaben eine Steuerverkürzung bewirken, daneben muß er aber auch diejenigen Umstände kennen, die die Pflicht zur Aufklärung der Finanzbehörde begründen. Diese Pflicht selbst muß der Täter hingegen nicht kennen, um vorsätzlich zu handeln. 6

2 Einen Überblick über diese Pflichten gibt v.d. Heide (1986), S. 84 ff., zusammenfassend Kohlmann § 370 Rn. 70.

3 S. oben, S. 69 ff. 4 Kohlmann §

370 Rn. 79 f.; einschr. Samson F/G/S § 370 Rn. 129.

5 Vgl. SchlSchrlCramer § 15 Rn. 96 m.w. Nachw. 6 Vgl. zur gleichen Bedeutung des Merkmals "pflichtwidrig" im Tatbestsnd des § 356 StGB v.d. Heide (1986), S. 189 f.; Seume (1968), S. 139 ff. 13°

196

2. Teil, C. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen

Hiergegen werden in der Literatur scheinbar Einwände erhoben, wenn die Unkenntnis der Pflichtwidrigkeitdann den Vorsatz ausschließen soll, wenn mit diesem Irrtum ein Irrtum über den steuerverkürzenden Erfolg verbunden ist. 7 Schlüchter bezeichnet die Pflichtwidrigkeit insoweit sogar als Tatbestandsmerkmal. 8 Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Problem des Vorsatzes bezüglich der Pflichtwidrigkeit. Denn immer dann, wenn der Irrtum über die Pflicht mit einem Irrtum über den steuerverkürzenden Erfolg einhergeht, fehlt bereits der Vorsatz bezüglich der Steuerverkürzung. Auf die Kenntnis der Erklärungspflicht kommt es dann also gar nicht mehr an. Wie beim Handlungsdelikt, so ist auch beim Unterlassungsdelikt der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens nur von Bedeutung, wenn der Tatvorsatz gegeben ist. Demnach ergibt sich: Vorsätzlich handelt, wer in Kenntnis der die Erklärungspflicht begründenden Umstände die gebotenen Angaben nicht macht und weiß, daß er dadurch die vollständige und rechtzeitige Durchsetzung des staatlichen Steueranspruchs verhindert. Wer sich in Kenntnis dieser Umstände nicht für verpflichtet hält, die Erklärungen vorzunehmen, befindet sich im Verbotsirrtum nach § 17 StGB. 9 Vorsatzausschließend wirkt also nur der Irrtum über die Steuerpflicht (im Sinne der Pflicht zur Erfüllung des Steueranspruchs), nicht der isolierte Irrtum über die Erklärungspflicht.

ID. Der wngekehrte Irrtwn bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1. Grundsätze Für den umgekehrten Irrtum ergibt sich, daß ein untauglicher Versuch vorliegt, wenn sich der Täter irrig das Bestehen eines Steueranspruchs vor-

7 v.d. Heide (1986), S. 209 fT.; Samson, Grundfragen (1983), S. 108; Schlachter, wistra 1955, 49. Nach Kohlmann § 370 Rn. 228, ihm folgend OLG Bremen StRK § 370 R. 77 (S. 177), Blumers/Göggerle (1989), Rn. 331 und 1homas, NStZ 1987,263 f., schließt jeder Irrtum über die Garantenpflicht den Vorsatz aus; gegen Kohlmann jedoch schon überzeugend Samson a.a.O.

8

Schlachter, wistra 1985, 50.

BGH wistra 1986, 219 (220); BayObLGSt 1975, 109 (111); Backes (1981), S. 162; EngelhardJ HlH/Sp § 370 Rn. 116; Erbs/KohlhaaslMeyer § 370 Anm. 8 b; v.d. Heide (1986), S. 216 f.; Leise, DStR 1972, 558; LeiselDietz § 370 Rn. 63; Reiß, wistra 1987, 163; Samson F/G/S § 370 Rn. 188; ders., Grundfragen, (1983), S. 106. 9

m. Der umgekehrte Irrtum bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

197

gestellt hat und sich deshalb für verpflichtet hält, sich der Finanzbehörde zu erklären, dies aber gleichwohl unterläßt. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß eine entsprechende Pflicht auch tatsächlich existiert. Die bloße Annahme einer Erklärungspflicht ohne die Vorstellung der die Pflicht begründenden Umstände ist, ebenso wie die irrige Annahme einer Straf- oder Blankettnorm, Wahndelikt. Gleiches gilt für die irrige Annahme der Garantenpflicht ohne die Vorstellung der GarantensteIlung} Ebenso wie beim Handlungsdelikt kann demnach die Einordnung beim Unterlassen als Versuch oder Wahndelikt nicht schon dann vorgenommen werden, wenn nur darauf abgestellt wird, ob der Täter irrig eine Erklärungspflicht angenommen hat. Entscheidend ist, ob er sich auch die diese Pflicht begründenden Umstände vorgestellt hat. Anderenfalls handelt es sich um eine Überdehnung der Strafnorm, also um ein strafloses Wahndelikt.

2. Die Entscheidung des Kammergerichts vom 9. September 1981 Diesen Grundsätzen widerspricht eine Entscheidung des Kammergerichts vom 9. September 1981.2 Dies ist deshalb besonders bemerkenswert, da sich das Kammergericht auf dieselben Prämissen beruft, denen auch die hier vollzogene Argumentation folgt. Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte hatte bewußt Einkünfte aus dem Jahr 1976 nicht erklärt, obwohl er sich hierzu verpflichtet glaubte. Eine vollendete Steuerhinterziehung durch Unterlassen schied allerdings aus, da durch ein Versehen des Gesetzgebers für die Veranlagungszeiträume 1976 bis 1978 keine wirksamen Fristen für die Abgabe der Steuererklärung bestanden und daher die Nichtabgabe nicht pflichtwidrig war. 3 Dies war dem Angeklagten jedoch nicht bekannt. Das KG sah darin einen untauglichen Versuch. Ein Wahndelikt hätte nur vorgelegen, wenn der Täter sich über die Gültigkeit des § 370 AO geirrt oder in seiner Vorstellung dessen Anwendungsbereich überdehnt hätte.

1

Dazu BGHSt 16, 155 (160); Rudolphi SK § 22 Rn. 33; Sch/SchrlEser § 22 Rn. 91.

2

KG wistra 1982, 196.

3 Vgl. dazu im einzelnen KG wistra 1982, 196 f. und BilstÜJljer, BB 1983,960 ff.

198

2. Teil, C. Die Steuerbinteniehung durch Unterlassen

Hier sei er aber einen Rechtsirrtum im Vorfeld der Norm unterlegen. Das Merkmal "pflichtwidrig", über das der Angeklagte irrte, enthalte eine Verweisung auf spezielle, außerhalb des eigentlichen Straftatbestandes liegende Rechtsvorschriften, es sei daher genauso zu behandeln wie etwa das Merkmal der Fremdheit der Sache bei § 246 StGB. Hierfür spreche auch die Rechtsprechung des BGH, der den Irrtum über den Steueranspruch als Tatumstandsirrtum ansehe: "Was für den Irrtum über den Steueranspruch gilt, muß auch für die irrtümliche Annahme einer Steuererklärungspflicht und erst recht für den hier vorliegenden Irrtum über den vorgeschriebenen Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung gelten. "4 Das Kammergericht beruft sich dabei auf Herzberg; dieser habe dargelegt, daß die Kenntnis der Garantenpflicht im Rahmen des § 13 StGB eine andere Bedeutung habe als bei Verweisungen auf außerstrafrechtliche Handlungspflichten. 5 Dies ist allerdings so nicht richtig. Herzberg hält für den Vorsatz bei unechten Unterlassungsdelikten nur die Kenntnis der GarantensteIlung für erforderlich. 6 An anderer Stelle kritisiert er zwar das Umkehrprinzip, das sich leicht widerlegen lasse. 7 Wie aber die irrige Annahme der Garantenpflicht zu beurteilen sei, stellt er nicht dar. Dem KG kann jedoch schon aus anderen Gründen nicht gefolgt werden. Zwar bewertet es den Irrtum über den Steueranspruch richtig als vorsatzrelevanten Irrtum. Daraus folgt jedoch noch nichts für den Irrtum über die Erklärungspflicht. In beiden Fällen handelt es sich zwar um Verweisungen auf steuerrechtliche Vorschriften. Die Verweisungen sind jedoch unterschiedlicher Natur: Während die anspruchsbegründenden Vorschriften ein Tatbestandsmerkmal beschreiben - also Vorfeldnormen im Sinne Herzbergs sind -, sind die Normen über die Erklärungspflicht Teil des strafrechtlichen Gebots. Sie befin-

4

KG wistra 1982, 196 (198), zustimmend Bilsdoifer, BB 1983,962.

5 KG wistra 1982, 196 (198). 6

Herzberg, JuS 1980,474.

7 Herzberg, JuS 1980, 479. Die Widerlegung des Umkehrprinzips durch das dort angeführte Beispiel übeneugt allerdings nicht, es bestätigt es sogar: ·Wer rcchtsirrig das Produkt seiner Fälschung für eine Urkunde hält, begeht gleichfalls ein Wahndelikt. Ist deshalb ·Urkunde· in § 267 kein Tatbestandsmerkmal?· - Henberg verkennt, daß der Täter nur über den Begriff der Urkunde irrt. Die erforderliche Parallelbeurteilung leistet er nicht, weiß er doch, daß die Fälschung den Aussteller nicht erkennen läßt.

m. Der umgekehrte Irrtum bei § 370 Abs.

I Nr. 2 AO

199

den sich also gerade nicht im Vorfeld der Strafnorm. Die irrige Annahme einer pflichtbegrundenden Norm stellt daher eine Überdehnung des Strafgesetzes dar. Die irrige Annahme einer Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung ist also, beruht sie auf einer solchen, nur in der Tätervorstellung existierenden Norm, strafloses Wahndelikt. 8

D. Der Bannbruch, § 372 AO I. Der Tatbestand des § 372 AO Dieselben Diskrepanzen, die bei § 370 AO zwischen der Einordnung als Blankettgesetz und der Anwendung der Vorsatz- und Irrtumsregeln festgestellt wurden, bestehen auch beim Bannbruch gemäß § 372 AO. Obwohl die Vorschrift, die auf anderweitig geregelte Ein-, Aus- und Durchfuhrverbote (Verbringungsverbote) Bezug nimmt, einhellig als Blankettgesetz qualifiziert wird, I fordert die ganz herrschende Meinung vom Täter die Kenntnis des jeweiligen Verbringungsverbots. 2 Zu untersuchen ist, ob diese Auffassung durch die Natur des Tatbestandes bestätigt werden kann. Gemäß § 372 AO wird bestraft, wer Gegenstände entgegen einem Verbot einführt, ausführt oder durchführt, ohne sie der zuständigen Zollbehörde anzuzeigen. Zweck des § 372 AO ist die Durchsetzung der Verbringungsverbote. Geschützt wird daher das in dem jeweiligen Verbot geschützte Rechtsgut. 3 Obwohl zahlreiche Verbringungsverbote existieren,4 ist die praktische Bedeutung des § 372 AO gering. Gemäß § 372 Abs. 2 AO werden nämlich nur diejenigen Verbote erfaßt, die nicht anderweitig straf- oder ordnungswidrigkei-

8 Vgl. auch Burkhardt. wistra 1982,178 tT., der allerdings auch die irrige Annahme der Steuerpflicht als Wahndelikt ansieht.

1 Bockes (1981), S. 168; Fran'l.en F/G/S Ein!. Rn. S; Kohlmann § 372 Rn. 3 m.w. Nachw.; Samson F/G/S § 369 Rn. 94.

2 Franzen F/G/S § 372 Rn. 26; Habner H/H/Sp § 372 Rn. 60; Kohlmann § 372 Rn. 24; Martin Maller (1983), S. 37; Samson F/G/S § 369 Rn. 94; anders nur Bockes (1981), S. 168 tT. 3 Bockes (1981), S. 166. 4

Vgi. die Aufzählung bei Franzen F/G/S § 372 Rn. 20.

200

2. Teil, D. Der Bannbruch

tenrechtlich geschützt sind. Daher beschränkt sich der Anwendungsbereich heute auf Verstöße gegen § 3 BranntwMonG.5 Diese Subsidiaritätsklausel gilt jedoch nicht für den Qualiflkationstatbestand des § 373 AO, so daß der bandenmäßige oder bewaffnete Bannbruch auch dann stratbar ist, wenn der einfache Bannbruch nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt. 6 Der Tatbestand des § 372 AO knüpft an zwei Verhaltensweisen des Täters an. Zunächst muß dieser den betreffenden Gegenstand einem Verbot zuwider verbringen. Nicht jedes Verbringen von Gegenständen ist also verboten, sondern nur ein Verbringen, das gegen ein besonders geregeltes Verbringungsverbot verstößt. Daraus folgt, daß die Bestimmungsnorm diesbezüglich nicht formuliert werden kann, ohne daß der jeweilige Verbotstatbestand herangezogen wird. § 372 AO ist also ein Blankettstrafgesetz im materiellen Sinne, das durch die Verbotsgesetze, die dieselbe Schutzrichtung aufweisen, ausgefüllt wird. Allerdings stellt § 372 AO nicht jedes verbotene Einführen von Gegenständen unter Strafe. Stratbar ist nur die Einfuhr ohne Anzeige des betreffenden Gegenstandes. Fraglich ist, welche Funktion dieses Merkmal im Tatbestand hat. Franzen sieht die Anzeige als negatives Tatbestandsmerkmal an. Tathandlung des § 372 AO sei das Verbringen, die Strafdrohung greife nur dann nicht ein, wenn das Verbringen angezeigt worden ist. 7 Abweichend bezeichnet Hübner den Bannbruch als kombiniertes Begehungsund Unterlassungsdelikt, 8 Klein/Orlopp sehen darin ein echtes Unterlassungsdelikt, 'so daß die Tathandlung im Unterlassen der Anzeige bestehe. 9 Die Einordnung des Tatbestandes als Begehungs- oder Unterlassungsdelikt ist auch hier nach dem Kriterium der Kausalität zu bestimmen. 10 Demnach

5 Fran7.en F/G/S § 372 Rn. 41; Kohlmann § 372 Rn. 2. 6 Franzen F/G/S § 372 Rn. 40; Kohlmann § 372 Rn. 49; a.A. Hübner H/H/Sp Rn. 34 ff. vor, Rn. 99 zu § 372.

7 Fran7.en F/G/S §

372 Rn. 22.

8 Hübner HlHlSp § 9

372 Rn. 1.

Klein/Orlopp § 372 Anm. 3.

10

Vgl. oben, S. 186 f.

I. Der Tatbestand des § 372 AO

201

handelt es sich um ein Begehungsdelikt, wenn der Täter für die Beeinträchtigung des Rechtsguts ursächlich wird, und um ein Unterlassungsdelikt, wenn er es unterläßt, auf das Kausalgeschehen einzuwirken, um den Eintritt der Rechtsgutsverletzung zu verhindern. Allerdings kann dem Täter des § 372 AO sowohl vorgeworfen werden, daß er den Bruch des Verbringungsverbotes verursacht hat, als auch, daß er die unrechtsbegrundende Anzeige unterlassen hat. Erforderlich ist also eine genauere Betrachtung des Geschehens. Erblickt man im Zweck des § 372 AO die Durchsetzung des Verbringungsverbots, dann liegt es nahe, das unrechtsbegrundende Verhalten allein in der Einfuhr zu erblicken. Die Anzeigepflicht erschiene allein als Mittel, der Zollbehörde die Überprüfung der Verbringung zu ermöglichen. 11 Diese Auffassung läßt jedoch außer acht, daß der Verstoß gegen das Verbringungsverbot selbst gar nicht unter Strafe steht. Auch derjenige, der verbotswidrig einen Gegenstand einführt, dies aber anzeigt, verletzt das Verbringungsverbot - bestraft wird er dafür aber nicht. Daher verstößt zwar nur derjenige gegen § 372 AO, der einen Gegenstand verbotswidrig verbringt, so daß diese Handlung auch kausal für den Unrechtseintritt wird. Der Verstoß gegen die Bestimmungsnorm kann ·damitjedoch noch nicht festgestellt werden. § 372 AO ist nämlich enger gefaßt als das Verbringungsverbot. Daher tut der Täter der Strafvorschrift schon genüge, indem er die Verbringung anzeigt. Daher schützt § 372 AO das Verbringungsverbot in Wahrheit nur mittelbar, nämlich durch die Stratbewehrung des Verstoßes gegen die Anzeigepflicht. Damit stellt sich § 372 AO als Unterlassungsdelikt dar. Die Beschreibung der tatbestandsmäßigen Situation setzt jedoch zugleich eine Handlung voraus, das verbotswidrige Verbringen von Gegenständen. Insofern bezeichnet Hübner den Tatbestand zu Recht als kombiniertes Handlungs- und Unterlassungsdelikt. Die Frage, ob dies eine besondere Deliktsart oder einen Unterfall des Unterlassungsdelikts darstellt, kann allerdings auf sich beruhen, da sich dadurch für die Anwendung des Tatbestandes nichts ändert.

11

So Backes (1981), S. 166 f.

202

2. Teil, E. Ergebnisse des zweiten Teils

ll. Vorsatz und Rechtsirrtum bei § 372 AO Für den subjektiven Tatbestand ergibt sich damit folgendes. Der Täter muß wissen, daß er einen Gegenstand ein-, aus- bzw. durchführt. Er muß auch diejenigen Umstände kennen, die Voraussetzung des Verbringungsverbotes sind. Im Fall des § 3 BranntwMonG muß er also wenigstens laienhaft erkennen, daß er Branntwein verbringt. Darüber hinaus muß er diejenigen Umstände kennen, die seine Anzeigepflicht begründen. Dazu ist es erforderlich, daß er das Verbringungsverbot selbst kennt, denn gerade dies begründet die Anzeigepflicht. 1 Die Kenntnis der Anzeigepflicht selbst ist nicht erforderlich, ihre Unkenntnis würde einen Verbotsirrtum begründen. Die Kenntnis des Verbringungsverbots dürfte allerdings stets die Vorstellung indizieren, daß eine Anzeigepflicht besteht. Da der Täter sowohl das Verbot als auch die das Verbot begründenden Umstände kennen muß, ist in gleichem Maße wie bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ein untauglicher Versuch des Bannbruchs aufgrund Rechtsirrtums nicht denkbar: Stellt der Täter sich ein Verbringungsverbot vor, das nicht existiert, so fehlt ihm die Kenntnis wirklich verbotsbegründender Umstände. Das Verbringen von Gegenständen in der irrigen Annahme, gegen ein Verbringungsverbot zu verstoßen, stellt daher ein strafloses Wahndelikt dar.

E. Ergebnisse des zweiten Teils Die Untersuchung hat ergeben, daß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zwar im formellen, nicht aber im materiellen Sinne ein Blankettstrafgesetz darstellt. Der Tatbestand ist vollständig formuliert, so daß es der Heranziehung der materiellen Steuergesetze zwar zu seiner Auslegung, nicht aber zu seiner Ausfüllung bedarf.

1 Im Ergebnis weicht auch die Auffassung Backes' (oben, S. 199 Fn. 2) kaum von der herrschenden Meinung ab. Nach seiner Ansicht muß der Täter nämlich erkennen, daß er eine Anzeige unterläßt. Hierfür hält Backes aber die Kenntnis des Verbringungsverbotes für praktisch unentbehrlich.

E. Ergebnisse des zweiten Teils

203

Aus diesem Grund stellt auch die Steuerverkürzung ein Tatbestandsmerkmal dar. Daher muß der Täter der Steuerhinterziehung wissen, daß er durch sein Verhalten Steuern verkürzt. Dazu ist es erforderlich, daß er den beeinträchtigten Steueranspruch kennt. Daher schließt der Irrtum über den Steueranspruch den Vorsatz aus. Die irrige Annahme, es bestehe ein Steueranspruch, führt dementsprechend zum untauglichen Versuch, wenn der Täter daraufhin unrichtige Angaben gegenüber der Finanzbehörde macht. Dem Verbotsirrtum verbleibt danach kein erheblicher Anwendungsbereich. Als Beispiel hierfür hat sich aber der Irrtum über das Kompensationsverbot erwiesen. Die Steuerverkürzung durch Unterlassen, die entgegen bisheriger Praxis auch immer dann vorliegt, wenn der Täter unrichtige oder unvollständige Angaben über steueranspruchsbegründende Tatsachen macht, ist demgegenüber in einer Blankettvorschrift geregelt. Da die Vorschriften über die Erklärungspflicht zur Formulierung der Bestimmungsnorm herangezogen müssen, gehören sie zur Strafvorschrift selbst. Daher muß der Täter auch die Umstände kennen, die diese Pflicht begründen. Daneben ist jedoch, wie bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, die Kenntnis des Steueranspruchs erforderlich. Ein Versuch der Steuerhinterziehung durch Unterlassen liegt also nur dann vor, wenn der Täter sich die Beeinträchtigung des Steueranspruchs und darüber hinaus auch diejenigen Umstände vorstellt, die nach den bestehenden Steuergesetzen eine Steuererklärungspflicht begründen. Die irrige Annahme der Erklärungspflicht begründet allein keinen Versuch, sondern stellt ein Wahndelikt dar. Dieselben Grundsätze gelten für den Bannbruch nach § 372 AO. Die Vorschrift ist ein Blankettstrafgesetz im materiellen Sinne, die das Unterlassen der Anzeige einer Verbringung erfaßt. Der Täter muß die verbotsbegründenden Umstände, aber auch das Verbringungsverbot selbst kennen. Daher führt auch die irrige Annahme, gegen ein Verbringungsverbot zu verstoßen, nicht zum Versuch, sondern stellt ein strafloses Wahndelikt dar.

Schlußbetrachtung Die Untersuchung hat gezeigt, daß ein großer Teil der heute in der Irrtumslehre diskutierten Probleme allein auf begrifflichen Unklarheiten beruht. Dies zeigt vor allem die grundsätzliche Entsprechung der Lehre vom Tatumstandsund Verbotsirrtum mit der - gleichwohl scharf kritisierten - Lehre vom außerstrafrechtlichen Irrtum. Gleiches verdeutlicht aber auch die uneinheitliche Verwendung des Begriffs des Blankettstrafgesetzes, die insbesondere im Steuerstrafrecht zu einem Manko an sachlicher Begründung führt. Diese Unklarheiten lassen sich allerdings beseitigen, wenn zwischen formellen und materiellen Blankettstrafgesetzen unterschieden wird. Die Erörterungen zum Vorsatz haben gezeigt, daß eine kategorische Abgrenzung des vorsatzrelevanten vom vorsatzirrelevanten Irrtum möglich ist und daher die Unterscheidung zwischen dem strafrechtlichen Irrtum und dem Irrtum im VQrfeld auch logischen Untersuchungen standhält. Dabei konnten die Ergebnisse auch auf den umgekehrten Irrtum übertragen werden, so daß ein zwar nicht logisch, wohl aber materiell zwingendes Umkehrverhältnis zwischen vorsatzausschließendem und vorsatzbegründendem Irrtum festzustellen ist. Die Einschränkungen, die von einem wachsenden Teil der Literatur beim Vorsatz aufgrund umgekehrten Rechtsirrtums vorgenommen werden, hielten einer kritischen Betrachtung nicht stand. Gleichwohl sind die Bedenken in der Sache berechtigt, wenn sie an richtiger Stelle, nämlich bei der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, fruchtbar gemacht werden. Eine konsequente Anwendung dieser allgemeinstrafrechtlichen Überlegungen führte auch bei der Steuerhinterziehung und beim Bannbruch zu Ergebnissen, die denen von Rechtsprechung und herrschender Lehre weitgehend entspricht. Geboten war eine genaue Betrachtung der Tatbestände der §§ 370, 372 AO und die Orientierung des Vorsatzes an der Bestimmungsnorm. Es hat sich insgesamt kein Anlaß ergeben, in diesem nebenstrafrechtlichen Bereich von der allgemeinen Dogmatik abzuweichen.

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v. Weber, Hellmuth: Vom Subsumtionsirrtum, GA 1953, 161 Weber, Ulrich: Anm. zu BGH MDR 1961, 245, MDR 1961, 426 Weidenbach, Peter: Die verfassungsrechtliche Problematik der Blankettstrafgesetze, Diss. Tübingen 1965 Welz.el, Hans: Zur Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum, MDR 1952, 584 Anm. zu BGHSt 2, 194, JZ 1952, 340 Anm. zu BGHSt 3, 249, JZ 1953, 119 Der Irrtum über die Amtspflicht, JZ 1952, 208 Der Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung, JZ 1952, 19 Der Irrtum über die Zuständigkeit einer Behörde, JZ 1952, 133 Irrtumsfragen im Steuerstrafrecht, NJW 1953, 486 Der Parteiverrat und die Irrtumsprobleme (Tatbestands-, Verbots- und Subsumtionsirrtum), JZ 1954, 276 Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., Berlin 1969 Der Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, JZ 1956,238

Wenderoth, Dieter: Die Steuerhinteniehung durch Steuerumgehung im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG, München 1990

Literatutverzeichnis

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WesseLs-, Johannes: Strafrecht, Allgemeiner Teil, 21. Aufl., Heidelberg 1991 Wilhebn, Fritz: Schuld und Irrtum im Steuerstrafrecht, Diss. Halle-Wittenberg 1938 Winkelhauer, Wolfgang: Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, Berlin 1985

Wolf, Erik: Der Sachbegriff im Strafrecht, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Berlin, Leipzig 1929, Band V, S. 44 Waller, Jürgen: Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, Berlin 1981 Warthwein, Martin: Anm. zu BGH wistra 1986, 172, wistra 1986,258 Zaczyk, Rainer: Das Unrecht der versuchten Tat, Berlin 1989 Ziegert, Ulrich: Vorsatz, Schuld und Vorverschulden, Berlin 1987