Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten: Eine Untersuchung zum Allgemeinen Teil im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht [1 ed.] 9783428537358, 9783428137350

Die Strafbarkeit bestimmter Verhaltensweisen hängt vielfach nicht nur von den einschlägigen Strafvorschriften, sondern a

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Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten: Eine Untersuchung zum Allgemeinen Teil im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht [1 ed.]
 9783428537358, 9783428137350

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 235

Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten Eine Untersuchung zum Allgemeinen Teil im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht

Von

Frank Peter Schuster

Duncker & Humblot  ·  Berlin

FRANK PETER SCHUSTER

Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 235

Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten Eine Untersuchung zum Allgemeinen Teil im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht

Von

Frank Peter Schuster

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Volker Erb, Mainz Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Universität Mainz gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13735-0 (Print) ISBN 978-3-428-53735-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83735-9 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen lieben Eltern zum Gedenken

Vorwort Vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2010 vom Fachbereich Rechtsund Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Habilitationsschrift angenommen. Schrifttum und Rechtsprechung konnten größtenteils für die Druckfassung noch bis Juli 2011 berücksichtigt werden. Ganz besonderer Dank gilt meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Volker Erb, der mir an seinem Lehrstuhl alle Freiräume zur Anfertigung der Arbeit gewährt hat und mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Professor Dr. Michael Hettinger, der nicht nur die Mühen des Zweitgutachtens übernommen hat, sondern mir ebenfalls ein wichtiger, jederzeit zugänglicher Gesprächspartner war. Sehr positiv in Erinnerung bleiben wird mir darüber hinaus die angenehme Zusammenarbeit mit Professor Dr. Dr. Michael Bock und Professor Dr. Jan Zopfs im Rahmen des strafrechtlichen Schwerpunkts. Erwähnung finden muss zudem mein Doktorvater, Herr Professor Dr. Walter Perron, auf dessen Unterstützung ich auch nach seinem Wechsel an die AlbertLudwigs-Universität Freiburg immer zählen konnte. Mit meinen ehemaligen Mainzer Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl verbinden mich Freundschaft und viele fröhliche Momente. Auch ihnen sei dafür gedankt! Besonderer Dank gebührt auch meinen Eltern Hans Karl Schuster, Vorsitzender Richter am Landgericht a. D. und Rechtsanwalt, und Renate Schuster, die mich immer und in jeder Hinsicht unterstützt haben. Leider sind beide kurz vor Erscheinen dieser Arbeit verstorben. Ich werde sie in liebevoller Erinnerung behalten. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Ganz herzlich danken möchte ich zudem meiner Freundin, Frau Staatsanwältin Dr. Geraldine Morguet, die mir nicht nur eine fach- und praxiskundige Gesprächspartnerin war, sondern mich stets in meinen wissenschaftlichen Vorhaben bestärkt hat. Sie hat neben meinen Eltern die Hauptlasten des Korrekturlesens getragen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses, meiner Sekretärin Frau Tanja Houle und meinen weiteren Mitarbeitern an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg für ihr großes Engagement beim Aufbau des neuen Lehrstuhls. Würzburg, im August 2011

Frank Peter Schuster

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Teil Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

26

A. Praktische Bedeutung – forensischer und kriminologischer Hintergrund . . . . . . . .

26

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

II. Täterpersönlichkeit, einschlägige Strafnormen und sonstige gewissensprägende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

III. Tataufklärung, Rolle der Verteidigung und Sonderfall der unternehmensinternen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

IV. Abschließende Einschätzung und weitere Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

B. Historische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

I. Irrtum und umgekehrter Irrtum in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . .

42

1. Tatirrtum und Rechtsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

2. Untauglicher Versuch und Wahndelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

II. Gegenmodelle aus dem damaligen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

1. Tatbestands- und Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

a) Vorsatztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

b) Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

2. Untauglicher Versuch und Wahndelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

a) Objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Subjektive Theorie – Keine Weiterentwicklung im System von Vorsatzbzw. Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

C. Moderne Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Ausgangspunkt – Grundsätzliche Weichenstellungen der Rechtsprechung und des bundesdeutschen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

1. Tatbestands- und Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

a) Aufgabe der reichsgerichtlichen Irrtumslehre und Zugrundelegung der Schuldtheorie durch BGHSt 2, S. 194 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

10

Inhaltsverzeichnis b) Einführung der §§ 16, 17 StGB im Zuge des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

c) Feststellung der Verfassungsmäßigkeit durch BVerfGE 41, S. 121 . . . . . . . .

60

d) Zwischenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

e) Abgleich mit anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

aa) Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

cc) Österreich und Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

dd) Frankreich, Italien und Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

ee) England / Wales und USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

ff) Europäisches Kartellordnungswidrigkeitenrecht de lege lata und Corpus Juris zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

gg) Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Untauglicher Versuch und Wahndelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

a) Einführung der §§ 22, 23 StGB im Zuge des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

b) Zwischenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

c) Abgleich mit anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

bb) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

cc) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

dd) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

ee) Frankreich, Italien und Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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ff) England / Wales und USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

gg) Europäisches Kartellordnungswidrigkeitenrecht, Corpus Juris und Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Spezielle Ansätze zur Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt bei Bezugnahme auf andere Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

a) Tatsubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

c) Tathandlung und -modalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

d) Taterfolg und angestrebter Erfolg bei überschießenden Innentendenzen . . .

94

Inhaltsverzeichnis

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2. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a) Zusammenlesen von Blankett und Ausfüllungsnorm nach Warda . . . . . . . . .

95

b) Unrechtsbestimmende und gesamttatbewertende Merkmale nach Roxin . . .

96

c) Gleichbehandlung von Strafblankett und normativem Merkmal nach Tiedemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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d) Gegenstandsbezogener Irrtum oder begriffsbezogene Fehlvorstellung nach Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 e) Relevanz der rechtsgutsbezogenen Komponenten nach Schlüchter . . . . . . . . 100 f) Statische oder dynamische Normierung nach Kuhlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 g) Partielle Anwendung der Vorsatztheorie nach Puppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 h) Bestrafung von Ungehorsam oder Sicherung des Regelungseffekts nach Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 i) Reichweite und Vorfeld des Verweisungsbegriffs nach Herzberg (früher) . . 106 j) Modifizierte Vorsatztheorie nach Otto und nach Herzberg (heute) . . . . . . . . 108 k) Restriktive Anwendung der Schuldtheorie de lege lata und modifizierte Vorsatztheorie de lege ferenda nach T. Walter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 l) Loslösung aller rechtlichen Wertungen aus dem Vorsatzbereich nach Safferling und B. Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 m) Irrelevanz jedweder extensiv normativer Fehlannahmen nach Burkhardt . . 113 n) Normbereichsbestimmende und normbereichsneutrale Vorfeldnormen nach Heidingsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 D. Entwicklung des eigenen Standpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Aufbereitung des aktuellen Meinungsstands und Schlussfolgerungen für die weitere Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Untersuchung des Zusammenhangs der Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Beschränkung der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs als faktische Annäherung an die objektive Versuchstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Problem der Vereinbarkeit strafbarkeitsbeschränkender Ansätze mit §§ 22, 23 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Identität der inhaltlichen Anforderungen an Vorsatz und Tatentschluss . . . . . . . 125 4. Fehlende Durchschlagskraft kriminalpolitischer Argumente – mangelnde Trennbarkeit tatsächlicher und rechtlicher Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5. Das untaugliche Subjekt – ein Sonderfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. Zur Anwendung der Schuldtheorie im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und eventuellen Restriktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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Inhaltsverzeichnis a) Beschränkung der Vorsatzhaftung als partielle Anwendung der Vorsatztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Generelle Geltung der Vorsatztheorie als Ausdruck einer imperativen Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 c) Ergebnis und weitere Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Geringere Vorwerfbarkeit von Rechtsirrtümern – alleinige Grundlage für eine partielle Anwendung der Vorsatztheorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Keine Trennbarkeit von Kern- und Nebenstrafrecht – geringe Bedeutung des Standorts der Sanktionsnorm für die Vorwerfbarkeit von Rechtsirrtümern . . 146 b) Berücksichtigung des Adressatenkreises und der Blanketttechnik . . . . . . . . . 149 c) Abgleich mit „Blanketten“, die auf Einzelakte Bezug nehmen, sowie rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 d) Folgen der Annahme von § 16 StGB und § 17 StGB – Kriterien für Fahrlässigkeit und Vermeidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Begründung des antisozialen Charakters von Verstößen gegen (blankettausfüllende) Normen des Wirtschafts- und Steuerrechts – Folgen für die Irrtumslehre 157 4. Begründung des antisozialen Charakters der Verwirklichung von „Blanketten“, die auf strafbarkeitsbegründende Einzelakte Bezug nehmen – Folgen für die Irrtumslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Unkenntnis des Einzelaktes als Tatbestandsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Mögliche Ausnahmen – insbesondere der Irrtum über die Vollziehbarkeit . . 166 c) Der umgekehrte Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5. Begründung des antisozialen Charakters von Verstößen gegen Strafnormen mit rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen – Folgen für die Irrtumslehre . . . 169 a) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Merkmal der Fremdheit und der Rechtswidrigkeit des erstrebten Vorteils bei den Eigentums- und Vermögensdelikten in §§ 242, 246, 253, 263, 289 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Merkmal der strafbaren Vortat bei den Anschlussdelikten der §§ 257, 258, 259, 261 StGB und § 374 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 d) Merkmal der Pflichtwidrigkeit bei der Untreue gem. § 266 StGB und ähnlichen Delikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 e) Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses beim Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gem. § 266a Abs. 1, 3 StGB 176 f) Merkmal der Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung bei der Amtsträgerbestechung gem. §§ 332, 334 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 g) Merkmal der Unrichtigkeit bei Buchführungs- und Bilanzdelikten in §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 und 7, 283b Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StGB, §§ 331 ff. HGB, §§ 399 ff. AktG sowie § 313 ff. UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 h) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Inhaltsverzeichnis

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6. Die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO – ein Sonderfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Anwendungsbereich und Aufbau des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Irrtum über den Steuerverkürzungserfolg bzw. die ungerechtfertigte Vorteilserlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Umgekehrter Irrtum – eigenständige Relevanz des Merkmals der steuerlichen Erheblichkeit bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO? – Vergleich mit §§ 264, 264a, 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 d) Irrtum über Erklärungspflichten bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . 193 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 7. Verstoß gegen Genehmigungs- und Anzeigepflichten – ein Sonderfall? . . . . . . . 196 a) Tatbestands- oder unrechtsausschließende Wirkung der Genehmigung? – Abgrenzung zwischen präventiven und repressiven Verboten . . . . . . . . . . . . . 197 b) Irrtum über das Vorliegen einer Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Irrtum über die Genehmigungs- oder Anmeldepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 IV. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Teil Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten und Gebot des positivierten Strafgesetzes

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A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot – Fragen des intertemporalen Strafanwendungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 II. Allgemeines zum Rückwirkungsverbot – Gesetzeshistorischer Überblick und heutige Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Allgemeines zum Rückwirkungsgebot – Gesetzeshistorischer Überblick und heutige Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV. Mögliche Besonderheiten bei Änderung von Bezugsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Rechtsprechung zum Rückwirkungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Ansätze im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Bestrafung von Ungehorsam oder Sicherung des Regelungseffekts nach Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Blankett oder Bezugnahme auf außerstrafrechtliche Regelungseffekte nach Rudolphi und Gribbohm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Prinzipielle Geltung des neuen Rechts nach Tiedemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 d) Prinzipielle Geltung des neuen Rechts nach Hassemer und Kargl . . . . . . . . . 229

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Inhaltsverzeichnis e) Fehlen einer Eingriffsermächtigung bei Außerkrafttreten blankettausfüllender Normen nach Dannecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Stellungnahme und eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) § 2 Abs. 3 und 4 StGB bei blankettausfüllenden Rechtsnormen . . . . . . . . . . . 232 b) § 2 Abs. 3 StGB bei Änderung des strafbarkeitsbegründenden oder -ausschließenden Einzelakts oder zugehöriger Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) § 2 Abs. 3 StGB bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen und Änderung der vorgelagerten Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 d) Die Anschlussdelikte – ein Sonderfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 e) § 2 Abs. 3 und 4 StGB bei der Steuerhinterziehung – kein Sonderfall . . . . . 247 V. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

B. Bestimmtheitsgebot, Analogieverbot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen der Bezugnahme auf andere Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 II. Heutige Bedeutung und allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 III. Art. 103 Abs. 2 GG, 104 Abs. 1 S. 1 GG, 20 Abs. 3 sowie Art. 70 ff., 80 Abs. 1 GG bei Blankettmerkmalen, die auf inländische Rechtsnormen verweisen . . . . . . . 258 1. Ausfüllung durch parlamentarische Bundes- oder Landesgesetze . . . . . . . . . . . . . 258 a) Allgemeine Grundsätze – insbesondere Ausfüllung durch Bundesrecht . . . 258 b) Mögliche Besonderheiten bei der Ausfüllung durch Landesrecht . . . . . . . . . 261 2. Ausfüllung durch administrative Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Keine Beschränkung von Art. 103 Abs. 2 GG auf parlamentarische Gesetze 264 b) Eigenständige Bedeutung des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG bei Straftatbeständen? 267 c) Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bei blankettausfüllenden Rechtsverordnungen – Zusammenspiel mit Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Historischer Hintergrund von Art. 80 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 bb) Inhalt von Art. 80 GG – Bedeutung für den Gesamttatbestand . . . . . . . 271 cc) Schlussfolgerungen für ein allgemeines Gesamtanforderungsprofil aus Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 dd) Der Gebrauch von Rückverweisungsklauseln – ein Vorteil? . . . . . . . . . . 274 d) Übertragbarkeit der für Rechtsverordnungen geltenden Grundsätze auf Satzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 aa) Allgemeine Beschreibung und Erscheinungsformen des Verweisungstyps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 bb) Ausfüllung durch Ausübung autonomer Rechtssetzungsgewalt . . . . . . . 281 cc) Gefahren und Grenzen der Verleihung autonomer Rechtssetzungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 dd) Gesamtanforderungsprofil aus Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 20 Abs. 3 GG 284

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IV. Art. 103 Abs. 2 GG bei Tatbeständen, die auf Einzelakte Bezug nehmen . . . . . . . . 287 1. Mindestanforderungen an den Einzelakt – Unanwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG, Bestimmtheitserfordernis des Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 2. Mindestanforderungen an den gesetzlichen Tatbestand – Gesamtprofil aus Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 V. Art. 103 Abs. 2 GG bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Merkmal der Fremdheit und des Vermögensschadens bei den Eigentums- und Vermögensdelikten in §§ 242, 246, 253, 263, 289 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Merkmal der Pflichtwidrigkeit bei der Untreue gem. § 266 StGB . . . . . . . . . . . . 296 3. Weitere rechtsnormative Merkmale bei sonstigen Wirtschaftsdelikten . . . . . . . . 298 4. Verkürzungserfolg bei der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO – Gestaltungsmissbrauch, Analogie und teleologische Reduktion im materiellen Steuerrecht 299 VI. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 3. Teil Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

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A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht . . . . 304 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 II. Strafrechtliche Anweisungskompetenzen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . 305 1. Anweisungskompetenzen vor und nach Inkrafttreten des Reformvertrags von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Kompetenz zum Erlass unmittelbar geltender europäischer Straftatbestände zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union? . . . . . . . . . . . . . 313 3. Anwendung nationaler Straftatbestände im Lichte europäischer Grundlagen – Grenzen und Bedeutung von Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 III. Ausfüllung durch unmittelbar inhaltsbestimmendes Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1. Einleitung und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 2. Europarechtliche Vorgaben für eine Strafbewehrung europarechtlicher Normen 325 3. Innerstaatliche Vorgaben bei Strafbewehrung europarechtlicher Normen . . . . . 327 a) Grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 b) Art. 103 Abs. 2 GG beim gemischt nationalstaatlich-europäischen Gesamttatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 c) Statische und dynamische Verweisungen auf genau bezeichnete Verordnungen – Folgen und Frage ihrer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit . . 329 IV. Strafbarkeitsbegrenzendes Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2. Grundfreiheiten als strafbarkeitsbeschränkendes Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

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Inhaltsverzeichnis 3. Verordnungen als strafbarkeitsbeschränkendes Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 339 4. Richtlinien als strafbarkeitsbeschränkendes Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 V. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 II. Ausländisches Recht im nationalen Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 1. Ebene des internationalen Strafanwendungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2. Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 a) Vorfrage der tatbestandlichen Erfassung von Auslandssachverhalten . . . . . . 352 b) Ausländisches Zivilrecht bei den rechtsnormativen Merkmalen der Fremdheit und der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung gem. §§ 242, 246 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 c) Ausländische Kapitalgesellschaften beim rechtsnormativen Merkmal der Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 d) Ausländische Kapitalgesellschaften und der Verstoß gegen Buchführungsund Bilanzierungspflichten bei §§ 283, 283b StGB – Blankettverweis auf ausländisches Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 e) Amtsträgereigenschaft und Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung bei §§ 332, 334 StGB i.V. m. EU-BestG, IntBestG sowie § 335a StGB-E – Blankettverweise und rechtsnormative Tatbestandsmerkmale? . . . . . . . . . . . . 367 f) Insiderstraftaten gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 5 WpHG sowie Kursund Marktpreismanipulation gem. § 38 Abs. 2 und 5 WpHG – Blankettverweis auf ausländisches Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 g) Hinterziehung ausländischer Steuern gem. § 370 Abs. 6 AO . . . . . . . . . . . . . . 373 h) Bezugnahme auf ausländische Einzelakte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 III. Internationale Rechtshilfe in Strafsachen – insbesondere Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 IV. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432

Einleitung Das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ist noch kein „ausgewachsenes Rechtsgebiet“1. Erst in den letzten Jahrzehnten erfährt es eine immer breitere Aufmerksamkeit in der Strafrechtswissenschaft2. Dabei wurden Steuern und Abgaben schon im Altertum erhoben, auch bewehrt der Staat seine Interventionen in den Wirtschaftsablauf schon seit langem mit Sanktionen3. So sah etwa in der frühen Neuzeit Art. 113 der Constitutio Criminalis Carolina (1532) harte Bestrafungen für denjenigen vor, der Maße, Gewichte, Gewürze oder andere Waren fälscht4. Die Reichspolizeiordnung (1548) enthält ein Kapitel, das von den „verdorbenen Kauffleuthen“ handelt und Formen des betrügerischen Bankrotts beschreibt5. Selbst die Untreue findet ihren Vorläufer in der Reichspolizeiordnung (1577)6, wenn demnach die vor1 Müller-Gugenberger, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, Handbuch des Wirtschaftsstrafund -ordnungswidrigkeitenrechts, § 1, Rn. 1. 2 Vorher wurde die Tätigkeit des Gesetzgebers und der Justizpraxis nur von wenigen Vertretern der Wissenschaft in aller Breite theoretisch begleitet. Zu nennen ist insofern natürlich die Habilitationsschrift von Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969. Bedeutung kommt auch dem 49. Deutschen Juristentag im Jahre 1972 zu, dem zahlreiche Publikationen nachfolgten. Dass die Situation heute dennoch eine andere ist, zeigt sich schon dadurch, dass mittlerweile mehrere Handbücher und Lehrbücher zum Teil in fortgesetzter Auflage erschienen sind: Achenbach / Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl., Heidelberg 2008; Graf / Jäger / Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, München 2011; MüllerGugenberger / Bieneck, Handbuch des Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts, 5. Aufl., Köln 2011; Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl., München 2007; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT und BT, 3. bzw. 2. Aufl., Köln u. a. 2010 bzw. 2008; Hellmann / Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl., Stuttgart 2010; Rönnau / Saliger, Wirtschaftsstrafrecht (angekündigt); Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, München 2010; Rolletschke, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., Köln 2009. 3 Vgl. Tiedemann, Entwicklung und Begriff des Wirtschaftsstrafrechts, GA 1969, S. 71 ff. 4 Geerds, Warenfälschung – Sammelbezeichnung oder einheitliche Wirtschaftsstraftat, ZStW 74 [1962], S. 245 (248 f.). 5 Titel XXII, abgedruckt in Weber, Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577, S. 198 ff. Dies führte auch zu entsprechender Landesgesetzgebung. Vorbild moderner Regelungen sind allerdings die Art. 586 ff. des napoleonischen Code de commerce, zunächst für das Preußische StGB von 1853 und die §§ 281 ff. RStGB (RGBl. 1871, S. 127), welche jedoch wenig später in die §§ 239 ff. der Konkursordnung (KO a. F.) überführt wurden (RGBl. 1877, S. 390). Vgl. Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, § 97, S. 423 ff.; Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, Vor § 283 StGB, Rn. 36 ff. 6 Titel XXXII, abgedruckt in Weber, Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577, S. 260 f. Unterschiedliche Verwalter fremden Vermögens zählt dann schon § 266 RStGB von 1871 auf, während die heutige, noch allgemeinere Fassung aus dem Jahre 1933 (RGBl. I, S. 295) stammt.

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sätzliche Benachteiligung der Pflegebefohlenen unter Strafe zu stellen ist. Nach Industrialisierung und Liberalisierung im 19. Jahrhundert, mit der die Entwicklung einer kaufmännischen Buchführung und eines industriellen Rechnungswesens einherging7, führte der Erste Weltkrieg zu einer wahren „Blüte“ des Wirtschafts(verwaltungs)strafrechts. Gestützt auf ein Ermächtigungsgesetz aus dem Jahre 19148 wurden vom Bundesrat9 bis Kriegsende um die 40 000 sanktionsbewehrte Normierungen erlassen, die der Bewirtschaftung und Preiskontrolle dienten10. Auch in der Weimarer Republik versuchte man die Krisenzeiten durch Preisregulierung11 und Kapitalfluchtbekämpfung12 zu überwinden – allerdings unter grundsätzlicher Geltung einer liberalen Wirtschaftsordnung. Ändern sollte sich dies wiederum durch die „Kommandowirtschaft“ im Nationalsozialismus, wo bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wirtschaftsordnende Maßnahmen mit drakonischen Strafdrohungen flankiert wurden13. Die Rechtsmaterie, um die es in dieser Arbeit gehen 7 Richter, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, Handbuch des Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts, § 2, Rn. 9. 8 Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse, RGBl. 1914, S. 327. Vgl. auch Richter, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, Handbuch des Wirtschaftsstraf- und ordnungswidrigkeitenrechts, § 2, Rn. 18. 9 Der Bundesrat (1871–1918) setzte sich aus zuletzt 61 instruierten Bevollmächtigten der Einzelstaaten (seit 1911 auch Elsass-Lothringen) zusammen, welche den deutschen Gesamtstaat bildeten. 10 Tiedemann, GA 1969, S. 71 (74); Achenbach, Zur Problematik „großer“ WirtschaftsOrdnungswidrigkeiten, GA 2008, S. 1 (2 f.). Diese verteilten sich wohl auf 825 Bundesratsverordnungen (vgl. Bauer, in: Dreier, Art. 80 GG, Rn. 2, Fn. 13). 11 Die Vierte Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaftskraft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens (Erster Teil), RGBl. 1931 I, S. 699 war ein Versuch der Regierung Brüning, die Folgen einer massiven Kürzung der Rentenbezüge und Gehälter durch eine schlagartige, fühlbare Senkung möglichst aller Preise für Waren, gewerbliche und industrielle Leistungen sowie Mieten und Zinsen abzumildern. Die Regelungen wurden durch verschiedene Sanktionsvorschriften flankiert. 12 Ebenfalls in der Vierten Notverordnung (Siebenter Teil, Kapitel III) findet sich eine Regelung, nach der man bei Wohnsitzverlegung ins Ausland eine Reichsfluchtsteuer in Höhe von 25% des eigenen Vermögens zu entrichten hatte. Bei Nichtzahlung drohte eine steuersteckbriefliche Ausschreibung für den Fall, dass man doch wieder im Inland angetroffen wird, und eine Gefängnisstrafe wegen Steuerflucht von nicht unter drei Monaten. 13 Das Gesetz gegen Wirtschaftssabotage, RGBl. 1936 I, S. 999 sah etwa für das „wissentliche und gewissenlose“ Verschieben oder Stehenlassen von Vermögen im Ausland „aus grobem Eigennutz“ die Verhängung der Todesstrafe bei zusätzlicher Einziehung des Vermögens vor. Die erneute Waren- und Materialverknappung im Zweiten Weltkrieg führte dann natürlich abermals zum explosionsartigen Anstieg von Preis- und Bewirtschaftungsvorschriften [Achenbach, GA 2008, S. 1 (3)]. Schon vorher und insgesamt über einen weit größeren Zeitraum hinweg galt auch im Sowjetkommunismus ein ausgewuchertes Wirtschaftsstrafrecht (vgl. F.-C. Schroeder, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, S. 8); auch dort wurde der Schutz der Volkswirtschaft als Teil des Staatsschutzes verstanden (Maurach, in: Maurach / Rosenthal, Der strafrechtliche Staatsschutz in der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen, S. 10 f.). Dem Grunde nach ähnlich angelegt waren die §§ 157 ff. bzw. §§ 165 ff. des StGB der DDR, welche Straftaten gegen das sozialistische Eigentum und solche gegen die Volkswirtschaft regelten.

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wird, ist also keineswegs in jeder Hinsicht „modern“, sondern hat durchaus weit zurückreichende historische Wurzeln14. So kann auch eine Entscheidung des Reichsgerichts dazu dienen, in die eigentliche Problemstellung einzuführen. Bereits im Jahre 1880 hatte es darüber zu befinden, ob „der Irrtum über das Vorhandensein eines zum gesetzlichen Thatbestande gehörenden Thatumstandes dem Thäter zuzurechnen“ ist, „wenn derselbe durch Unkenntnis einer dem Civilrecht angehörenden Rechtsnorm veranlaßt“ wurde15. Im konkreten Fall hatte der Eigentümer eines im Wege der Zwangsvollstreckung in Beschlag genommenen Grundstücks zugehörige Inventarienstücke und Bodenerzeugnisse veräußert. Dass dies im Glauben geschehen war, bewegliche Zubehörteile seien von der Beschlagnahme nicht umfasst, hielt die Tatinstanz für rechtlich unerheblich und verurteilte den Angeklagten wegen Arrestbruchs gem. § 137 RStGB. Das Reichsgericht jedoch verneinte den Vorsatz. Nur auf die Unkenntnis des einschlägigen Strafgesetzes könne sich der Angeklagte nicht berufen. Der erste Teil 16 dieser Untersuchung widmet sich eben dieser Problematik. Die meisten Tatbestände des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts sind nämlich gleichsam akzessorisch, also abhängig von außerstrafrechtlichen Regelungen17. Die rechtliche Komplexität verschiedener zivil-, öffentlich- und europarechtlicher Vorfragen bietet dann selbst bei weniger entlegenen Straftatbeständen – wie den Betrugsdelikten der §§ 263 ff. StGB, der Untreue gem. § 266 StGB, dem Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gem. § 266a StGB oder der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO – ein unerschöpfliches Reservoir für wirkliche und angebliche Irrtümer18, die den Täter meistens entlasten, aber unter Umständen auch belasten können. Hinsichtlich des Steuerrechts gilt sogar, dass selbst die Mitarbeiter der Finanzbehörden reichlich irren; etwa die Hälfte der Steuerbescheide soll Fehler enthalten19. Im Vorschriftengestrüpp des echten Nebenstrafrechts, das heute wohl „aus annähernd 1000 Gesetzen“ besteht20 und wo einzelne Sachmaterien manchmal gleich auf zwei oder drei Normenwerke verteilt sind, kann der Bürger dann erst recht einmal den Überblick verlieren. Schließlich hat sich dort sogar der Gesetzgeber schon das eine oder andere Mal verfangen, wenn man etwa an die illegale Beschäftigung von Ausländern und die inzwischen korrigierten Fehlverweisungen in § 406 Abs. 1 SGB III i. d. F. vom 23. Dezember 200221 sowie §§ 10, 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG i. d. F. Vogel, Glückwunsch – Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag, JZ 2008, S. 353 (354). RGSt 1, S. 368. 16 Siehe Seiten 26 ff. 17 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 2. 18 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 219. 19 Tipke, Über Abhängigkeiten des Steuerstrafrechts vom Steuerrecht, Festschrift-Kohlmann, S. 555 (569). 20 Tiedemann, Zum Stand der Irrtumslehre, Festschrift-Geerds, S. 95 (96). 21 BGBl. 2002 I, S. 4607. Die Vorschrift entspricht § 10 SchwarzArbG n. F., der neu eingeführte Verweis zielte auf den damals nicht existenten § 4 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes. Der 14 15

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vom 23. Juli 200422 denkt, welche jeweils zu absurden Strafbarkeitslücken geführt hatten23. Hinsichtlich der praktischen Bedeutung von Vorsatzfragen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht werden zunächst im Rahmen einer kleinen Einführung zum Irrtum in der Prozesswirklichkeit einige forensische und kriminologische Hintergründe aufgezeigt24. Historische Ansätze zur Abgrenzung des Tatirrtums vom Rechtsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt bilden dann den Einstieg ins materielle Recht, wobei insofern sowohl die Rechtsprechung des Reichsgerichts als auch Alternativansätze des früheren Schrifttums Berücksichtigung finden25. Daran schließt sich eine Darstellung der grundsätzlichen Weichenstellungen des bundesdeutschen Gesetzgebers für die moderne Irrtumslehre an26, wie sie vorgeprägt von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs27 im Wege des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes28 Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden haben. Die heutigen Regelungen in den §§ 16, 17 StGB sowie den §§ 22, 23 StGB werden dann jeweils einem Abgleich mit anderen vornehmlich europäischen Rechtsordnungen unterworfen29. Das so gewonnene Material wird bei der Bewertung speziell wirtschafts- oder steuerstrafrechtsbezogener Lösungsvorschläge, die zum Teil Ähnlichkeiten mit einzelnen historischen oder ausländischen Ansätzen aufweisen, eine wichtige Rolle spielen. Auf dieser Grundlage kann dann das eigentliche Ziel des ersten Teils angegangen werden: Für das deutsche Wirtschafts- und Steuerstrafrecht soll ein berechenbares Modell zur Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt erarbeitet werden, das auch materiell in der Lage ist, bei Anwendung auf einzelne Tatbestände zu sachgerechten Ergebnissen zu führen. Denn die Abgrenzung des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale vom VerFehler stand im Zusammenhang mit dem nicht wirksamen Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes im Jahre 2002, vgl. BVerfGE 106, S. 310 (uneinheitliche Stimmenabgabe des Landes Brandenburg im Bundesrat). 22 BGBl. 2004 I, S. 1842. Bis zum 17. März 2005 verwiesen die Vorschriften auf § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III, der jedoch seit dem 1. Januar 2005 nur noch eine Übergangsregelung für Staatsangehörige der neuen EU-Mitgliedstaaten trifft, die bis zum 30. April 2011 bzw. 31. Dezember 2013 (Bulgarien und Rumänien) ihre Gültigkeit behalten hat bzw. wird. Für Drittstaatenausländer gilt dagegen seitdem § 4 Abs. 3 AufenthaltsG. Dies hatte bis zur Anpassung der Vorschriften zur Folge, dass nur die illegale Beschäftigung von Ausländern der EU-Beitrittsstaaten tatbestandlich erfasst war. 23 Dies gilt nicht nur für Taten in den einschlägigen Zeiträumen, sondern gem. § 2 Abs. 3 StGB möglicherweise auch für Altfälle. Siehe dazu Mosbacher, Straffreie illegale Ausländerbeschäftigung (und andere Überraschungen zum neuen Jahr), wistra 2005, S. 54 (55) sowie Seiten 235 ff. 24 Siehe Seiten 26 ff. 25 Siehe Seiten 42 ff. 26 Siehe Seiten 57 ff. 27 BGHSt 2, S. 194. 28 BGBl. 1969 I, S. 717 ff. 29 Siehe Seiten 61 ff., 80 ff.

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botsirrtum stellt sich bisher nach Zipf als das „derzeit am wenigsten gelöste Problem der gesamten Irrtumslehre“30 dar, Jakobs bescheinigt dem Streitstand eine „konfuse Lage“31 und selbst der Bundesgerichtshof wollte sich im Mannesmann-Verfahren nicht festlegen, inwiefern etwaige Fehlvorstellungen, nicht pflichtwidrig zu handeln, im Rahmen von § 266 StGB zum Vorsatzausschluss führen oder als Verbotsirrtum zu werten sind32. Die Entwicklung des eigenen Standpunktes geschieht in intensiver Auseinandersetzung mit der gesammelten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung33, der zumindest eine gewisse „Alltagsplausibilität“34 bescheinigt wird. Ferner finden verschiedenste Ansätze des modernen Schrifttums (die einschlägigen Forschungsarbeiten an dieser Stelle im Einzelnen aufzuzählen, wäre ein aussichtsloses Unterfangen35) Beachtung, die zum Teil an der gerichtlichen Entscheidungspraxis anknüpfen, aber auch alternative Lösungswege vorschlagen. Dabei wird die Diskussion auf der einen Seite schwerpunktmäßig durch die Unterscheidung zwischen rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettverweisungen bestimmt. Obwohl letztere schon vor fünfzig Jahren von Warda36 beschrieben wurden, sind die maßgeblichen Kriterien in vielen Bereichen noch relativ unscharf. Ob etwa bei der Steuerhinterziehung wirklich pauschal von „Blankettstrafrecht“37 die Rede sein kann, wurde schließlich schon von Warda selbst bezweifelt. Auch stellt sich die Frage, was für die tatbestandliche Bezugnahme auf justizielle und behördliche Einzelakte gilt, die vielfach ebenfalls (aber der Sache nach vielleicht zu Unrecht) unter dem Blankettbegriff geführt werden. Auf der anderen Seite halten namhafte Vertreter des Schrifttums den Streit um die Abgrenzung der genannten Phänomene im Hinblick auf Vorsatzfragen ohnehin für überflüssig und schlagen eine weitgehende Gleichbehandlung vor. Der zweite Teil der Arbeit betrifft die Seite des objektiven Tatbestands und gliedert sich in zwei Abschnitte. In Abschnitt A38 wird es darum gehen, welches Recht Maurach / Zipf, Strafrecht AT 1, § 37, Rn. 48. Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschn., Rn. 52. 32 BGH NJW 2006, S. 522 (531), in BGHSt 50, S. 331 soweit nicht abgedruckt. 33 Siehe Seiten 88 ff. 34 Haft, Grenzfälle des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale, JA 1981, S. 281 (282 f.). 35 Siehe aber Seiten 95 ff. 36 Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei Blankettgesetzen, S. 5 („Blankettstrafgesetze sind solche Strafgesetze, die ihre Strafdrohung auf ein ganz oder teilweise durch andere Rechtsquellen tatbestandlich umschriebenes Verhalten beziehen.“). Der Begriff selbst findet sich allerdings auch schon bei Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band I, § 26, S. 185 f. 37 So BVerfGE 37, S. 201 (204); BVerfG vom 16. Juni 2011, Az. 2 BvR 542 / 09; BGH NStZ 2007, S. 595; BGH NStZ 2008, S. 408 (409); BFH DStR 2000, S. 2128 (2129); BayObLG wistra 1992, S. 312; BayObLG wistra 1990, S. 202; LG Augsburg wistra 2007, S. 272; nicht jedoch in BGHSt 5, S. 90 (92); BGHSt 29, S. 152; BGH wistra 1986, S. 174; BGH wistra 1986, S. 220; BGH wistra 1989, S. 263; offengelassen in BVerfG vom 29. April 2010, Az. 2 BvR 871 / 04, 2 BvR 414 / 08. 38 Siehe Seiten 212 ff. 30 31

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in zeitlicher Hinsicht anzuwenden ist, wenn außerstrafrechtliche Normen oder sonstige in Bezug genommene Rechtsverhältnisse nach der Tat, aber vor Rechtskraft des Urteils geändert werden. Insofern kollidieren, wie sonst auch im Strafrecht, die Prinzipien von Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit. Zum einen gilt das strafrechtliche Rückwirkungsverbot als Ausdruck des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“. Andererseits stellt sich die Frage, ob vielleicht auch hier im Hinblick auf das Milderungsgebot gem. § 2 Abs. 3 StGB die Unterscheidung zwischen rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettverweisungen eine Rolle spielen könnte. Zu denken wäre z. B. an Fälle wie den der §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 und 283b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 StGB, wenn die Einführung eines neuen Überschuldungsbegriffs in § 19 InsO39 oder die Befreiung von Buchführungspflichten gem. § 241a HGB40 dem Täter möglicherweise auch im Nachhinein zu Gute kommen könnten. Zu einer Klärung wird man sich ebenfalls mit einer umfangreichen Kasuistik in der Rechtsprechung (auch dieses Problem ist also äußerst praxisrelevant) auseinandersetzen müssen, wenngleich sich der zugehörige Streitstand im Schrifttum41 weit übersichtlicher als bei der Irrtumslehre darstellt. Steht fest, welche Normen in zeitlicher Hinsicht Anwendung finden dürfen, gilt es in Abschnitt B 42 zu prüfen, welche Qualitätsanforderungen an sie zu stellen sind. Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 Abs. 2 GG richtet sich in erster Linie an den Gesetzgeber43, der verpflichtet ist, hinreichend bestimmte Strafnormen aufzustellen. Für die Gerichte folgt aus dem Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit das Verbot der strafbarkeitsbegründenden und strafverschärfenden Analogie44. Ein Problem liegt nun darin, inwieweit all dies auch für außerstrafrechtliche Bezugsnormen und Rechtsverhältnisse zu gelten hat. Hier wird man sich unter anderem die Frage stellen, inwiefern bei Blankettverweisungen Art. 103 Abs. 2 GG auch auf die Ausfüllungsnormen anzuwenden ist und gleichwohl vom Bild eines allzu streng verstandenen Gewaltenteilungsprinzips abgewichen werden darf45. Aufzuschlüsseln ist ferner, was für die tatbestandliche Bezugnahme auf justizielle und behördliche Einzelakte gilt46, die ja ganz unstreitig (auch in Form einer Allgemeinverfügung) keinen Normcharakter aufweisen. Für rechtsnormative Tatbestandsmerkmale47 wiederum ist in diesem Zusammenhang zu klären, ob z. B. eine außer39 Vgl. Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. 2008 I, S. 2026; Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG), BGBl. 2008 I, S. 1988. 40 Vgl. Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), BGBl. 2009 I, S. 1102. 41 Umfassend zum Thema etwa die Habilitationsschrift von Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, Tübingen 1993. 42 Siehe Seiten 252 ff. 43 BVerfGE 47, S. 109 (120); BVerfGE 75, S. 329 (340 f.); BVerfGE 92, S. 1 (11 f.). 44 BVerfGE 4, S. 261 (265); BVerfGE 92, S. 1 (12). 45 Siehe Seiten 258 ff. 46 Siehe Seiten 287 ff. 47 Siehe Seiten 294 ff.

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strafrechtlich übliche analoge Rechtsanwendung, aber auch Fiktionstatbestände, Normierungen wie die des Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 AO oder der Verweis auf Regelwerke nichtstaatlicher Urheber im Rahmen einer strafrechtlichen Beurteilung übernommen werden können. Im dritten Teil sollen (wiederum in jeweils einem eigenen Abschnitt) zwei weitere Problemkreise angegangen werden, die mit dem deutschen Wirtschafts- und Steuerstrafrecht in seinen europäischen und internationalen Bezügen zusammenhängen. Der Einfluss des europäischen Integrationsprozesses ist bei der hier behandelten Materie angesichts eines gemeinsamen Binnenmarktes weit stärker als anderswo im Strafrecht und wird in Zukunft noch weiter zunehmen. Darüber hinaus kommt man durch die internationalen Verflechtungen der Wirtschaft schon rein faktisch mit ausländischen, gegebenenfalls auch außereuropäischen Rechtsordnungen in Berührung. Selbst die OECD, die UNO und andere internationale Organisationen sind deshalb bemüht, einheitliche Standards zu schaffen, wenn man etwa an Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung oder der Harmonisierung von Buchführungsregeln denkt. Hinsichtlich der Bedeutung des Europarechts, das in Abschnitt A48 abgehandelt werden soll, kann der Verfasser bereits auf einige umfassende Untersuchungen aus jüngerer Zeit zurückgreifen, die das Phänomen der Europäisierung des deutschen Strafrechts erstmals beleuchtet haben49. Nur des besseren Verständnisses wegen wird einleitend kurz dargestellt, welche strafrechtlichen Anweisungskompetenzen die Europäische Union bisher für sich in Anspruch genommen hat. Größere Aufmerksamkeit gebührt dann der Frage, wie sich das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 mit den Regelungen in Art. 83 Abs. 1 und 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV-Lissabon) auswirkt und welche verfassungsrechtlichen Grenzen sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Reformvertrag ergeben50. Dabei wird auch zu klären sein, ob weiterhin das Prinzip gilt, dass der Europäischen Union keine originären Strafrechtssetzungskompetenzen zukommen51. Für die praktische Rechtsanwendung ist anschließend der Problematik nachzugehen, in welcher Form nationale Straftatbe-

Siehe Seiten 304 ff. Beispielhaft genannt seien: Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, Köln u. a. 2001; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002; Hecker, Strafbare Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts, Tübingen 2001; Braum, Europäische Strafgesetzlichkeit, Frankfurt am Main 2003; die Lehrbücher von Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl., München 2011; Hecker, Europäisches Strafrecht, 3. Aufl., Berlin u. a. 2010; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2010; Corstens / Pradel, European Criminal Law, Den Haag 2002; Mitsilegas, EU Criminal Law, Oxford u. a 2009; sowie das Handbuch Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, Baden-Baden 2011. 50 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09. 51 Siehe Seiten 313 ff. 48 49

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stände im Lichte des zugrundeliegenden europäischen Richtlinienrechts auszulegen sind und inwiefern sie ansonsten von ihren europäischen Grundlagen abhängen52. Den insoweit relevanten Rechtsakten wird man allerdings in gewisser Weise selbst strafrechtliche Natur zusprechen müssen. Im Anschluss daran wird aber auch die Ausfüllung deutscher Blanketttatbestände durch unmittelbar inhaltsbestimmendes Europarecht behandelt werden53. Die als Ausfüllungsobjekt geeigneten europäischen Verordnungen stammen insofern wiederum aus vornehmlich anderen Rechtsgebieten. Diesbezüglich wird unter anderem auf bisher offen gebliebene Fragen der Einhaltung des deutschen Bestimmtheitsgebots gem. Art. 103 Abs. 2 GG (etwa der Zulässigkeit bloß statischer oder auch dynamischer Verweisungen) einzugehen sein. Als weiterer Punkt sind unterschiedliche strafbarkeitsbegrenzende Wirkungen von Europarecht zu betrachten54, für den Fall, dass deutsche Straftatbestände mit Grundfreiheiten, europäischen Verordnungen oder Richtlinien kollidieren. Insofern treten auch wieder Fragen der zeitlichen Rückwirkung von Rechtsnormen auf, wenn z. B. die Umsetzungsfrist einer der Strafbarkeit entgegenstehenden Richtlinie erst nach der Tat, aber vor Rechtskraft des Urteils abgelaufen ist, ohne dass der nationale Gesetzgeber tätig geworden wäre. Da in Wirtschaftsstrafsachen internationale Verflechtungen besonders häufig vorkommen, können unter Umständen auch ausländische Normen Bedeutung erlangen, was Thema des Abschnitts B55 sein soll. Behandelt werden zwei unterschiedliche Verfahrenskonstellationen. In erster Linie ist zu prüfen, inwieweit in einem nationalen Erkenntnisverfahren die Fremdrechtsanwendung auf Strafanwendungs- und Tatbestandsebene eine Rolle spielt. Zu denken ist etwa an die Frage, ob es bei Kapitalgesellschaften mit ausländischer Rechtsform im Rahmen der Prüfung von § 266 StGB auf ausländisches Gesellschaftsrecht oder der Prüfung von § 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 und § 283b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 StGB auf ausländische Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften ankommen kann. Entsprechende Probleme treten in der Praxis seit der Inspire Art-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Jahre 200356 schließlich selbst in Fällen ausschließlicher Geschäftstätigkeit im Inland auf. Insofern wird man möglicherweise wieder auf die Unterscheidung zwischen Blankettverweisungen und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen abzustellen haben. Darüber hinaus soll als weitere verfahrensrechtliche Konstellation der Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen57 Berücksichtigung finden, wo es – sei es im Auslieferungsverfahren, bei der Vollstreckungsübernahme oder bei der Leistung sonstiger Rechtshilfe – verschiedene Beispiele gibt, in denen ähnliche Problemstellungen zu bewältigen sind. 52 53 54 55 56 57

Siehe Seiten 319 ff. Siehe Seiten 323 ff. Siehe Seiten 335 ff. Siehe Seiten 348 ff. EuGH NJW 2003, S. 3331. Siehe Seiten 380 ff.

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Diese Untersuchung erfasst damit alle möglichen Folgen der Abhängigkeit wirtschafts- und steuerstrafrechtlicher Tatbestände von außerstrafrechtlichen Regelungen, die es nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen zu lösen gilt. Da es dem Verfasser darauf ankommt, dass die hier erarbeiteten Lösungsvorschläge auch einen „Praxistest“ bestehen würden, ist es unvermeidbar, den Leser mit einer Fülle von unterschiedlichen Tatbeständen nicht nur aus dem StGB und der AO, sondern auch den einschlägigen Spezialgesetzen (AktG, AufenthaltsG, AWG, HGB, InsO, KWG, LFGB, SGB III, UWG, WpHG etc.) zu konfrontieren. Dort, wo Zusammenhänge zwischen den einzelnen Problemkreisen vorhanden sind, sollen diese soweit wie möglich herausgearbeitet werden. All dies geschieht in der Hoffnung, dass durch eine problemübergreifende Herangehensweise ein Beitrag dazu geleistet werden kann, dass sich die verschiedenen Abgrenzungsfragen in Zukunft leichter in berechenbarer Art und Weise lösen lassen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht, das sich aus dem Strafrecht im herkömmlichen Sinne zu einem besonderen Rechtszweig entwickelt hat, aber sich hinsichtlich seines Allgemeinen Teils weitestgehend am Strafrecht orientiert, wird dabei mitberücksichtigt.

1. Teil

Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre A. Praktische Bedeutung – forensischer und kriminologischer Hintergrund I. Einleitung Schon das Alte Testament unterscheidet zwischen bewussten und unbewussten Verstößen gegen die „Gebote“. Erstere sind wegen „Verachtung der Worte des Herrn“ als „Sünde“ zu bestrafen, letztere bedürfen nur der Versöhnung mittels Darbringung eines Opfers1. Auch in heutigen durchweg säkularen Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren spielen wirkliche und angebliche Irrtümer als Verteidigungsvorbringen eine sehr große Rolle2. Ziel ist es, den Schuld- oder Vorsatzvorwurf ganz oder zumindest teilweise zu entkräften, möglicherweise gewinnt man so auch Verhandlungsmasse für strafprozessuale Absprachen3. Den Betroffenen würden entsprechende Einlassungen in der Prozesswirklichkeit freilich wenig nutzen, wenn sich diese ebenso leicht wie in anderen Verfahren als „bloße Schutzbehauptung“ abtun ließen. Natürlich trägt der Beschuldigte zunächst einmal keinerlei Beweislast4 dafür, dass er sein Tun im Tatzeitpunkt entgegen dem 1 Vgl. 3. Buch Mose (Leviticus), Kapitel V, Verse 17 – 18; 4. Buch Mose (Numeri), Kapitel XV, Verse 22 – 31. Siehe auch Ryu / Silving, Error Juris: A Comparative Study, The University of Chicago Law Review, Vol. 24, No. 3 [1957], S. 421 (424 ff.); Garvey, Two Kinds of Criminal Wrongs, Punishment & Society, Vol. 5, No. 3 [2003], S. 279 (282). 2 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 219. 3 Voraussetzung einer Verständigung ist nämlich, dass alle Beteiligten etwas zum Tauschen vorweisen können. Vgl. Hettinger, Von der Gleichheit vor dem Gesetz zur Ungleichheit vor Gericht?, Festschrift-E. Müller, S. 261 (267). 4 Meyer-Goßner, § 261 StPO, Rn. 30; Schoreit, in: Karlsruher Kommentar, § 261 StPO, Rn. 39, 58. Anders ist dies interessanterweise auch heute noch im katholischen Kirchenstrafrecht. Eine Beweislastumkehr (praesumtio doli) ist sowohl in Can. 2200 § 2 Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917 als auch in Can. 1321 § 3 CIC von 1983 enthalten; vgl. auch Arthur Kaufmann, Die Parallelwertung in der Laiensphäre, S. 14. Kritisch zu dieser Regelung Eser, Strafrecht in Staat und Kirche, Festschrift-Mikat, S. 493 (503). Nach Sebott, Das kirchliche Strafrecht, S. 50 f. ist die aktuelle Regelung allerdings nur noch (aber auch immerhin) als Schuld- und nicht als Vorsatzvermutung zu verstehen. Siehe zu weiteren (historischen) Beispielen Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 398 ff., 565 ff., 593.

A. Praktische Bedeutung – forensischer und kriminologischer Hintergrund

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ersten Anschein für nicht rechtswidrig hielt, der Zweifelssatz kommt insofern voll zur Anwendung. Ein revisibler Verstoß gegen den Grundsatz in dubio pro reo liegt aber erst dann vor, wenn das Gericht selbst Zweifel am Vorhandensein von Vorsatz oder Unrechtsbewusstsein erkennen lässt5, was kaum einmal der Fall sein wird, wenn letztendlich eine Verurteilung erfolgt. Auch ist die Beweiswürdigung (als weiterer potentieller Angriffspunkt) nur dann „lückenhaft“, wenn trotz eines naheliegenden Irrtums des Angeklagten jede Auseinandersetzung mit dieser Möglichkeit fehlt6. Die Aufklärungsrüge verspricht ebenfalls nur dann Erfolg, wenn greifbaren Anhaltspunkten, die gegen einen bewussten Rechtsverstoß sprechen, nicht nachgegangen wird7. All dies kann im Allgemeinen die Chancen auf einen Freispruch oder eine mildere Strafe deutlich verringern, sofern das äußere Tatgeschehen erst einmal nachgewiesen ist. In Wirtschafts- und Steuerstrafsachen jedoch erscheinen mögliche Fehlannahmen des Angeklagten nicht nur weitaus häufiger als nicht völlig unplausibel, sie kommen, seien sie echt oder nur vorgeschoben, in der forensischen Lebenswirklichkeit auch deutlich öfter vor. Die Gründe dafür liegen freilich nicht nur in den komplizierten und damit tatsächlich irrtumsanfälligeren gesetzlichen Regelungen selbst, wie sie bereits in der Einleitung beschrieben wurden8. Sie ergeben sich auch aus den besonderen Schwierigkeiten der Ermittlungsführung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen sowie den Eigenheiten des betroffenen, oft gut verteidigten9 Personenkreises. All dem wird im Folgenden weiter nachzugehen sein.

II. Täterpersönlichkeit, einschlägige Strafnormen und sonstige gewissensprägende Umstände Bei Wirtschafts- und Steuerstraftätern hat man es typischerweise mit Menschen zu tun, welche sich signifikant von den Tätern aus dem Spektrum der Elends- und Straßenkriminalität unterscheiden10, auch wenn sie selbst keine völlig einheitliche 5 Vgl. BVerfG, MDR 1975, S. 468; BVerfG NJW 1988, S. 477; Meyer-Goßner, § 261 StPO, Rn. 26, 39; Schoreit, in: Karlsruher Kommentar, § 261 StPO, Rn. 4, 59. 6 Vgl. Meyer-Goßner, § 261 StPO, Rn. 39; Schoreit, in: Karlsruher Kommentar, § 261 StPO, Rn. 50; Dahs, in: Widmaier, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, Rn. 252. Bei der Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Tat müssen die inneren Tatsachen, die den Vorsatz des Täters ausmachen, in den Urteilsgründen natürlich auch dann festgestellt werden, wenn in der Hauptverhandlung kein Tatbestandsirrtum behauptet worden ist, vgl. BGHSt 5, S. 143. 7 Vgl. Meyer-Goßner, § 244 StPO, Rn. 12, 80; Fischer, in: Karlsruher Kommentar, § 244 StPO, Rn. 32 ff., 215; Volk, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 2, Rn. 80. 8 Siehe oben Seite 19. 9 Schwind, Kriminologie, § 21, Rn. 25 / 26. 10 Schneider, Das Leipziger Verlaufsmodell wirtschaftskriminellen Handelns, NStZ 2007, S. 555 (558); ders., in: Göppinger, Kriminologie, § 25, Rn. 9; Knecht, Das Persönlichkeits-

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Gruppe bilden. Die Steuerhinterziehung ist ein Massenphänomen11, das in unterschiedlichsten Varianten sowohl im Rahmen unternehmerischer Tätigkeit als auch im Privatbereich auftritt. Als Privatperson kann sie allerdings in der Regel, solange es um das schlichte Verschleiern von Einnahmen geht, fast nur von demjenigen begangen werden, der überhaupt in nennenswertem Umfang Steuern zahlt. Selbst beim durchschnittlichen Arbeitnehmer mit überschaubaren Kapitaleinkünften sind die Möglichkeiten für eine Straftat nach § 370 AO begrenzt12. Jemand, der in größerem Umfang privat Steuern hinterzieht, wird deshalb meist der oberen Mittel- oder Oberschicht angehören13. Unternehmensbezogene Steuerstraftaten, die sowohl bei Klein- als auch bei Großbetrieben vorkommen und teilweise sogar einen hohen Organisationsgrad aufweisen (Umsatzsteuerkarusselle14), gehören dagegen strukturell zur Wirtschaftsdelinquenz. Die Gruppe der Wirtschaftsstraftäter stellt sich dabei in der Praxis weit heterogener dar15, als sie oft holzschnittartig mit dem überholten Bild des „kriminellen Kapitalisten“ oder des „Kriminellen der Oberwelt“16 gezeichnet wird: Schließlich umfasst sie den Kapitalanlagebetrüger, den allzu optimistischen Unternehmensgründer, den finanziell in die Krise geratenen Einzelkaufmann, den betrügerischen Kassenarzt, den skrupellosen Vertriebsprofi und den korrumpierbaren Einkäufer17 sowie das untreue Vorstandsmitglied. Trotzdem lässt sich zuprofil des Wirtschaftskriminellen, Kriminalistik 2006, S. 201 (202 f.); Albrecht, Forschungen zur Wirtschaftskriminalität in Europa: Konzepte und empirische Befunde, in: Albrecht / Entorf (Hrsg.), Kriminalität, Ökonomie und europäischer Sozialstaat, S. 37 (60); Gobert / Punch, Rethinking corporate crime, S. 21 f. 11 Vgl. etwa Franzen, Was wissen wir über die Steuerhinterziehung, Teil 2, NK 2008, S. 94. 12 Dies liegt u. a. an der Abführung von Lohnsteuer durch den Arbeitgeber (§ 41a EStG) und der Abführung von Kapitalertrags- als Quellensteuer gem. § 45a EStG. Zu verschiedenen Studien, die (auch in anderen Ländern) eine signifikant höhere Hinterziehungsquote bei Selbständigen festgestellt haben vgl. Franzen, NK 2008, S. 94 (95). 13 Aus der Reihe fallen insofern die Zolldelikte, welche gleichermaßen von Angehörigen aller Schichten begangen werden können und sowohl als Bagatelldelikt (vgl. dazu § 32 ZollVG) als auch als Form organisierter Kriminalität – etwa beim internationalen Zigarettenschmuggel (§ 373 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AO und § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 S. 1 AO) – auftreten. 14 Strafbar gem. § 370 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2, Abs. 3 Nr. 5 AO bzw. §§ 26b, 26c UStG. Vgl. dazu etwa Muhler, Die Umsatzsteuerhinterziehung, wistra 2009, S. 1 (2 ff.); Rolletschke, in: Rolletschke / Kemper, § 370 AO, Rn. 234 ff.; ders., Steuerstrafrecht, Rn. 183 ff. 15 Vgl. auch Bock, Kriminologie, Rn. 903 ff.; Schwind, Kriminologie, § 21, Rn. 19 ff. 16 Der erste Begriff stammt aus dem Jahre 1872 von Edwin C. Hill, der zweite aus dem Jahre 1935 von Albert Morris. Der Begriff der „Weißen Kragen“-Kriminalität stammt bekanntermaßen von Sutherland, White-collar criminality, American Sociological Review, Vol. 5 [1940], S. 1. Zu verschiedenen anderen früheren Beschreibungen des idealtypischen Wirtschaftsstraftäters vgl. Schneider, Wirtschaftskriminalität in kriminologischer und strafrechtlicher Sicht, JZ 1972, S. 461 (464 ff.). 17 Zu den Erscheinungsformen von Korruption und den Tätern vgl. die Habilitationsschrift von Bannenberg, Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle, S. 96 ff., 209 ff., 216 ff., 340 ff.

A. Praktische Bedeutung – forensischer und kriminologischer Hintergrund

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mindest die Gemeinsamkeit feststellen, dass die Täter in der Regel sozial unauffällig18, wenn auch bisweilen „großspurig“19 auftreten, häufig den „Erfolgstypen“20 verkörpern, sozial integriert sind – und älter als gewöhnliche Kriminelle21 – sowie meist aus der bürgerlichen oder oberen Mittelschicht stammen22. Nicht selten verfügen sie über ein besonderes gesellschaftliches Ansehen23. Das Unrechtsbewusstsein bzw. die Bereitschaft, ein solches zu bilden, ist dagegen oft schwächer ausgeprägt als bei gewöhnlichen Kriminellen24. Es wird deshalb – wenn überhaupt vorhanden – in einem geringeren Maße in verwertbarer Weise nach außen getragen oder dokumentiert. Ein reduziertes, wenn nicht gar fehlendes Unrechtsbewusstsein erklärt sich natürlich zum Teil schon daraus, dass es sich jedenfalls bei den in Frage kommenden Wirtschaftsstraftaten oft um Sonderdelikte handelt, welche nur von Personen begangen werden können, die eine bestimmte berufliche Position inne haben. Wer kein fremdes Vermögen betreut, kann sich nicht nach § 266 StGB strafbar machen. Ein Privatmann ist nicht gezwungen, bei Zahlungsunfähigkeit oder Verschuldung wegen § 15a Abs. 1 und 4 InsO einen Insolvenzantrag zu stellen, er muss auch keine Bücher führen und kann deshalb nicht nach den §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 StGB, 283b StGB, §§ 331 ff. HGB oder §§ 399 ff. AktG belangt werden. Die Sonderpflichtigen stehen freilich in einer besonders engen Beziehung zu den jeweils geschützten Rechtsgütern, deshalb sind entsprechende Tatbestände grundsätzlich auch gerechtfertigt25. Die im Rahmen der Primärsozialisation erworbenen Moralvorstellungen dürften aber in solchen Fällen eine geringere Rolle spielen26. Die Reichweite Bussmann, Kriminalprävention durch Business Ethics, zfwu 5 [2004], S. 35 (40 f.). Man denke etwa an „Betrügerpersönlichkeiten“, die natürlich zum Teil durchaus einen auffälligen oder „exotischen“ Lebensstil pflegen können. Vgl. Bock, Kriminologie, Rn. 903; Schneider, in: Göppinger, Kriminologie, § 25, Rn. 12; Bannenberg, Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle, S. 211 ff. 20 Bussmann, zfwu 5 [2004], S. 35 (40). 21 Gobert / Punch, Rethinking corporate crime, S. 21. 22 Vgl. Schwind, Kriminologie, § 21, Rn. 22. 23 Besonderes gesellschaftliches Ansehen wird bei der Tat unter Umständen sogar gezielt eingesetzt. Man denke nur an den Milliardenbetrüger Bernard L. Madoff, ehemals hochangesehener Börsenmakler, Pionier des elektronischen Wertpapierhandels, zeitweise sogar Verwaltungsratschef der Technologiebörse NASDAQ sowie medienwirksamer Förderer zahlreicher wohltätiger und kultureller Einrichtungen. Er hatte einen Investmentfond mit einem angeblichen Anlagevermögen von zuletzt 64,8 Milliarden Dollar nach dem Schneeballsystem betrieben, das erst nach Jahrzehnten kollabierte. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Juni 2009 („150 Jahre Haft für Bernie Madoff“). 24 Vgl. PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, Eine Analyse der Motivstrukturen, S. 29 ff.; Schwind, Kriminologie, § 21, Rn. 23; Grunst / Volk, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 1, Rn. 111 m. w. N. 25 Vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 56. 26 Vgl. Schünemann, Alternative Kontrolle der Wirtschaftskriminalität, GedächtnisschriftArmin Kaufmann, S. 629 (630); Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 342. Anders ist dies z. B. beim Diebstahl gem. § 242 StGB. 18 19

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

einiger (sozialethisch indifferenter27) Strafnormen ist darüber hinaus selbst in der Kriminalpolitik nicht unumstritten, auch ihre konkrete Auslegung sorgt zumindest ab und an für Streit in Literatur und Rechtsprechung. Manch einer mag es z. B. für menschlich sehr gut nachvollziehbar halten, wenn sich ein Unternehmer in der Krise moralisch verpflichtet fühlt, etwa entgegen § 266a Abs. 1 StGB (statistisch eines der bedeutendsten Wirtschaftsdelikte28) und § 283 Abs. 1 Nr. 7 lit. b StGB die letzten Geldmittel nicht für die Sozialkassen29 und den Steuerberater30, sondern für die Löhne der Arbeitnehmer und die Bezahlung der Warenlieferanten aufzuwenden. Gegen eine völlige ethische Fehlleitung des primär Lohn oder Abfindungen zahlenden Schuldners spricht jedenfalls, dass die Insolvenzverwalter erfahrungsgemäß in solchen Fällen gegenüber den Arbeitnehmern äußerst zurückhaltend von den Möglichkeiten der Insolvenzanfechtung gem. den §§ 129 ff. InsO Gebrauch machen (es zu tun, führt vielmehr regelmäßig zu einem Aufschrei in der Öffentlichkeit31), die Sozialkassen dagegen zwecks Masseanreicherung bisher32 durchaus häufig in Anspruch genommen werden33. So können sich im Vorfeld auch leicht Irrtümer über die gesetzliche Rangfolge der Verpflichtungen einschleichen. Noch nicht einmal berücksichtigt ist dabei der Umstand, dass selbst Straf- und Zivilsenate des Bundesgerichtshofes zu § 266a Abs. 1 StGB für verschiedene Zeiträume im Umfeld der Unternehmenskrise uneinheitlich judizieren34 und der Bundesfinanzhof 35 unter Umständen auch Lohnsteuer abgeführt sehen will. Allgemein (d. h. auch bei anderen Taten) sollen die Ursachen für ein geringeres Unrechtsbewusstsein aber darin zu finden sein, dass bei Wirtschaftsstraftätern in einem besonderen Maße Neutralisierungstechniken eingreifen, und zwar bereits vor der Tat. Diese werden – jedenfalls nach dem US-amerikanischen Soziologen J. W. Coleman – zum Bestandteil der Willensbildung, dienen also nicht nur dazu, Ähnlich aus englischer Sicht Joyce, Criminal Justice, S. 74. Die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2007 weist 20.051 Fälle aus. 29 Vgl. BGHSt 47, S. 318 (320), dazu Anmerkung Radtke, NStZ 2003, S. 154; BGHSt 48, S. 307; BGH NStZ 2006, S. 223. 30 Vgl. BGH NStZ 2003, S. 546 (548). 31 Vgl. etwa Süddeutsche Zeitung vom 29. Mai 2007 („Teures Nachspiel – BenQ-Mitarbeiter sollen Millionen zurückzahlen“). 32 Die Anfechtung der Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen scheidet für Insolvenzverfahren aus, die nach dem 1. Januar 2008 eröffnet wurden. Gem. § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV n. F. gelten die Beiträge als vom Arbeitnehmer geleistet. 33 Vgl. BGHZ 149, S. 100, BGH(Z) NJW 2005, S. 2546. Hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge änderte dies nach BGHSt 48, S. 307 (312 f.) bisher nichts an der Strafbarkeit gem. § 266a StGB für Versäumnisse im Vorfeld der Insolvenz, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar ist, ob es überhaupt zu einem solchen Verfahren kommt. Vgl. aber auch oben Fußnote 32 zu § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV n. F. 34 Vgl. oben Nachweise in Fußnote 29 sowie BGHZ 149, S. 100; BGHZ 146, S. 264 (274 f.); BGH(Z) NJW 2005, S. 2546; BGH(Z) NJW 2007, S. 2118 (2120). Näheres siehe auch auf Seiten 147 f., Fußnoten 977 und 978. 35 Vgl. BFH NZI 2007, S. 599. 27 28

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im Nachhinein eine deliktische Handlung vor sich selbst zu rechtfertigen36. Dementsprechend weiß man im Zeitpunkt der Tat vielleicht um einen „Regelverstoß“, empfindet diesen jedoch nicht als kriminelles Unrecht37. Auf tatsächlicher Ebene wird ein Schaden, der bei Handeln zum Nachteil großer Unternehmen, der öffentlichen Hand, der Umwelt, der Außen- und Sicherheitspolitik oder gar des Wettbewerbs ohnehin sinnlich in einem geringeren Maße wahrnehmbar ist38, entweder ganz abgestritten39 oder auf unglückliche Begleitumstände40 zurückgeführt. Ansonsten beruft man sich auf allgemein akzeptierte Praktiken oder wirtschaftliche Überlebenszwänge41. Selbst nach einer Verurteilung reagiert man gekränkt auf die fehlende Anerkennung der wirtschaftlichen Leistung und neigt zur Kritik am verhängten Strafmaß42. Bei der Tat spielen auch subkulturelle Verhaltensmodelle eine Rolle; diese finden sich nicht nur bei der sprichwörtlichen street gang oder in der Drogenszene, sie können gerade auch im Leistungsbereich Fuß fassen43. Die meisten Wirtschaftsdelikte beruhen dabei auf Formen kollusiven Handelns innerhalb eines Betriebes44. Zum Teil sind die Straftaten dann trotzdem gegen das eigene Unternehmen gerichtet, häufiger jedoch nach außen. Viele Delikte – und dies ist ein neueres Phänomen – sind sogar, wie etwa im Fall der durch die „Schmiergeldaffaire“ in Verruf 36 Coleman, Toward an Integrated Theory of White-Collar Crime, American Journal of Sociology 93 [1987], S. 406 (410 ff.); Schneider, NStZ 2007, S. 555 (558); ders., in: Göppinger, Kriminologie, § 25, Rn. 24. 37 Vgl. Coleman, Am. J. Soc. 93 [1987], S. 406 (411). Zu Nachahmungseffekten beim Normalbürger vgl. Neubacher, Zur „Kriminalität der Normalen“, in: Festschrift-Kreuzer, S. 514 (522 ff.). 38 Schünemann, Gedächtnisschrift-Armin Kaufmann, S. 629 (630). Samson / Langrock, Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität im und durch Unternehmen, DB 2007, S. 1684 (1685) sprechen von „diffusen Rechtsgütern“. 39 Vgl. Schneider, in: Göppinger, Kriminologie, § 25, Rn. 24. 40 Pathologisch sind Aussprüche wie: „Es wäre alles gut herausgekommen, wenn die Bankenkommission nicht eingegriffen hätte.“, „Niemand hat wegen mir sein Geld verloren, erst durch das Eingreifen der Justiz sind massive Schäden entstanden.“ (zitiert nach Knecht, Kriminalistik 2006, S. 201). 41 Vgl. Coleman, Am. J. Soc. 93 [1987], S. 406 (412 f.). 42 PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, Eine Analyse der Motivstrukturen, S. 29 f. 43 Vgl. Coleman, Am. J. Soc. 93 [1987], S. 406 (422); Bussmann, zfwu 5 [2004], S. 35 (44 f.); Schünemann, Gedächtnisschrift-Armin Kaufmann, S. 629 (638); Ostendorf, Korruption in Deutschland, in: Kaatsch / Rosenau, Wirtschaftsethik, S. 105 (119); Schneider, in: Göppinger, Kriminologie, § 25, Rn. 24; siehe auch Vaughan, Beyond Macro- and Micro-Levels of Analysis, Organizations and the Cultural Fix, in: Pontell / Geis (Hrsg.), International Handbook of White-Collar and Corporate Crime, S. 1 (10 ff.) mit einer Analyse wohl eigentlich strafrechtlich relevanter Versäumnisse bei der „Challenger“-Katastrophe. Eher kritisch dagegen Theile, Unternehmensrichtlinien − Ein Beitrag zur Prävention von Wirtschaftskriminalität?, ZIS 9 / 2008, S. 406 (410, Fn. 37), der geltend macht, dass Haupt- und Subkultur vergleichsweise konform seien. 44 Vgl. PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität 2007, S. 40.

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geratenen Siemens AG45, „altruistisch“ motiviert; sie sollen in erster Linie der Firma und nur mittelbar den einzelnen Tätern Vorteile bringen46. In all den genannten Konstellationen bedarf kollusiv delinquentes Verhalten natürlich zunächst einer gemeinsamen Vertrauensbasis47. Deren Entstehung wird in der modernen Arbeitswelt wesentlich im Rahmen einer steten Entgrenzung der Arbeit, d. h. einer dauernden Ausdehnung des Leistungs- in den Freizeitbereich, und durch stark berufsbezogenes Kontaktverhalten erleichtert48. Deutlichste Ausprägung davon ist die moderne Erscheinung des sogenannten „Extremjobbers“, der fast völlig auf Erholung und berufsferne Aktivitäten verzichtet49. Wenn sich dann im jeweils maßgeblichen Umfeld auch ein gewisser Rechtszynismus50 breit macht, Arbeit und Erfolg dagegen geradezu zwanghaft „Eventcharakter“51 zugeschrieben wird, ist dies ein ausgezeichneter Nährboden für subkulturelle Milieus52, in denen bestimmte Gesetzesnormen als weniger wichtig oder gar als unverbindlich erachtet werden. Dabei spielt neben dem direkten Arbeitsumfeld natürlich die „Wertekultur“53 der Unternehmensleitung eine ganz wesentliche Rolle. Auch wenn heutzutage die „Ethik der Unternehmen“ nicht mehr allein darin liegen soll, „den Profit zu steigern“54, sondern von dieser Siehe dazu Seite 34, Fußnote 62. Samson / Langrock, DB 2007, S. 1684. 47 Gobert / Punch, Rethinking Corporate Crime, S. 22. 48 Schneider, NStZ 2007, S. 555 (562); vgl auch ders., in: Göppinger, Kriminologie, § 25, Rn. 29. 49 Ein solcher arbeitet nach der Definition des New Yorker Center for Work-Life Policy (CWLP) meist deutlich mehr als 60 Stunden pro Woche, ist rund um die Uhr erreichbar, trägt hohe Verantwortung, steht unter enormem Zeitdruck, ist meist gleichzeitig mit mehreren, oft nicht vorhersehbaren Projekten befasst und verdient weit über dem Durchschnitt. Auch in einer Umfrage des Deutschen Manager-Verbands (DMV) waren Wochenarbeitszeiten von 70 Stunden keine Seltenheit. Als „gewünschte Änderungen“ nannten die Befragten allerdings vor allem „effizientere Kommunikation“ und „weniger Informationsüberflutung“, kaum einer verlangte „weniger Arbeit“. Vgl. manager-magazin, Heft 2 / 2007 („Motivation – Ausweitung der Arbeitszone“); Hewlett / Luce / Southwell / Bernstein, Seduction and Risk: The Emergence of Extreme Jobs, New York 2007. 50 Karstedt / Farrall, The Moral Economy of Everyday Crime, British Journal of Criminology 46 [2006], S. 1011 (1021 f.). Pathologisch sind etwa folgende Aussagen: „People who obey rules often disadvantage themselves.“; „It feels good to bend the rules and get away with it.“; „Sometimes you need to ignore the law and do what you want to.“; „I do not care too much if other people think that I sometimes bend the rules.“ (zitiert nach Karstedt / Farrall, a. a. O., S. 1021, Fn. 12). 51 Vgl. manager-magazin, Heft 2 / 2007, Interview mit G. Günther Voß („Arbeit hat Eventcharakter“). 52 Bussmann, zfwu 5 [2004], S. 35 (44). 53 Thomé, Normen, Werte, Orientierung, zfwu 5 [2004], S. 51 (53). 54 Ein solches Verständnis wird dem Nobelpreisträger für Wirtschaft Milton Friedman zugeschrieben. Vgl. dazu The New York Times Magazine vom 13. September 1970 („The social responsibility of business is to increase its profits“), wo er allerdings die klare Einschränkung macht, dass im Rahmen der Profitmaximierung die Regeln des freien Wettbewerbs selbstverständlich einzuhalten, Täuschung und Betrug zu unterlassen sind. 45 46

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Seite aus durchaus versucht wird, kriminalpräventiv tätig zu sein, bei größeren Gesellschaften „Compliance-Officers“, „Codes of Conduct“ und sonstige Verhaltensrichtlinien zum guten Ton gehören, bietet dies keine sichere Gewähr dafür, dass die kodifizierten Werte tatsächlich auch gelebt werden. Für den leitenden Mitarbeiter dürften jedenfalls weiterhin als Einstellungs-, Karriere- und Aufstiegsfaktor weniger Tugendhaftigkeit, Normorientierung und Gesetzestreue, sondern vor allem maximale Flexibilität, Einsatzbereitschaft und wirtschaftliche Ergebnisse zählen. Auch sonstige positive Leistungsanreize, wie Bonus-Zahlungen, werden fast ausschließlich für betriebsökonomisch messbare Faktoren wie Umsatz, Gewinn- oder Kurssteigerung gesetzt55. Schlechte Kennzahlen gehen umgekehrt mit der Gefahr des Verlusts des Arbeitsplatzes einher56; sehr häufig wird deshalb statt „Gier“ auch die „Angst vor dem Fall“ eigentliche Motivationsfeder für objektiv delinquentes Verhalten sein57. Bei solchen beruflichen (Über)lebensbedingungen, die allein die Bindung („commitment “) an ökonomische Erfolgsziele58 und damit die Verfestigung rein ergebnisorientierter Management-Logiken59 fördern, wirken manch herkömmliche Compliance-Programme fast wie scheinheilige „ethische Lyrik“60. Mit ihnen erreicht man schlimmstenfalls nicht mehr als eine Delegation von strafrechtlicher Verantwortung nach unten61. Eine weitere Vertiefung der Problematik würde den Rahmen dieser Arbeit freilich sprengen. Mit Blick auf das einzelne Unternehmen kann an dieser Stelle aber mit Sicherheit festgehalten werden, dass das, was außerhalb des Betriebes ohne Frage als illegal angesehen wird, im Arbeitsalltag durchaus Samson / Langrock, DB 2007, S. 1684 (1686). Gerade „altruistisch“ motivierte Straftaten werden dagegen von den Arbeitgebern recht leicht verziehen oder sogar bewusst einkalkuliert, vgl. Coleman, Am. J. Soc. 93 [1987], S. 406 (412 ff.); Schneider, NStZ 2007, S. 555 (561); Joyce, Criminal Justice, S. 75 f. Maßnahmen nach § 73 Abs. 3 StGB oder § 30 Abs. 1 OWiG ggf. i.V. m. § 130 Abs. 1 OWiG können natürlich auch zu einem nachträglichen Sinneswandel führen, vgl. Samson / Langrock, DB 2007, S. 1684 (1685). 57 Spektakuläre Beispiele grenzenloser „Gier“ spielen in der öffentlichen und journalistischen Wahrnehmung von Wirtschaftskriminalität ohne Frage die Hauptrolle. Für entsprechende Beispiele vgl. etwa Leyendecker, Die große Gier – Korruption, Kartelle, Lustreisen: warum unsere Wirtschaft eine neue Moral braucht, Berlin 2007. Laut Wheeler, The Problem of White-Collar Crime Motivation, in: Schlegel / Weisburd (Hrsg.), White-Collar Crime Reconsidered, S. 108 (113 ff., insb. 117) soll die „Angst vor dem Fall“ („fear of falling“) jedoch eine praktisch größere Bedeutung haben. Das genaue statistische Verhältnis sei dahingestellt. Da sich der Betroffene im letztgenannten Fall in einer Art Pflichtenkollision wähnt, wird er dann besonders häufig geneigt sein, sein an sich delinquentes Verhalten letztendlich als rechtmäßig und geboten anzusehen. 58 Vgl. Burkatzki, Wirtschaftskriminalität als Folge wertbezogener Orientierungen, Forum Wirtschaftsethik, 2007, S. 25 (35). 59 Vgl. Hülsmann / Cordes, Dominante Management-Logiken, ZRFC 2009, S. 108 (111 f.). 60 Vgl. PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, Eine Analyse der Motivstrukturen, S. 42. 61 Vgl. Hefendehl, Corporate Governance und Business Ethics, JZ 2006, 119 (124 f.); Theile, ZIS 9 / 2008, S. 406 (417). Ein Beispiel ist auch die strafrechtliche Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe gegen die Siemens AG, vgl. dazu Fußnote 62 auf S. 34. 55 56

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häufig und gegebenenfalls trotz entgegenstehender Richtlinien62 auf Billigung und Zustimmung stößt63. Kommt es darüber hinaus zum unternehmensübergreifenden Abdriften ganzer Wirtschaftszweige64, ist der Grund für die Entstehung subkultureller Verhaltensmodelle nicht selten darin zu sehen, dass zunächst bestimmte staatliche Regulierungen oder auch die konkrete steuerliche und soziale Abgabenlast als illegitim empfunden werden. Dies kann dann effektiv daran liegen, dass eine bestimmte Branche in Deutschland der Höhe von Steuern und Beiträgen nicht mehr gewachsen ist, sei es aufgrund von Konkurrenzdruck aus dem Ausland oder aus der Schattenwirtschaft. Hier müsste der Staat eigentlich entweder für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen oder sich offen zum Strukturwandel bekennen und ein Ausscheiden der betroffenen Unternehmen aus dem Markt entsprechend abfedern. Unabhängig von fiskalischen Aspekten sind viele Bereiche auch tatsächlich überreguliert, einzelne überambitionierte Tatbestände ziehen zudem den Kreis der möglichen Täter viel zu weit65. Die gemeinsame Missachtung bestimmter Vorschriften wird dann als mehr oder minder legitimer Akt des Widerstandes zugunsten einer ungebremsten Marktwirtschaft verstanden66. Aber auch bei völlig ausgewogenen und der Sache nach sinnvollen Regelungen sind entsprechende Entwicklungen zu beobachten: Kaum ein Wettbe62 Selbst die Siemens AG verfügte jedenfalls seit 1998 über kodifizierte Verhaltensregeln, nach denen es den Mitarbeitern, die bei der Vergabe von Aufträgen mitwirken, verboten ist, „Personen, mit denen [sie] in Geschäftsbeziehungen stehen, Vorteile in Aussicht [zu] stellen oder [zu] gewähren“ (vgl. LG Darmstadt vom 14. Mai 2007, Az. 712 Js 5213 / 04 – 9 KLs). Der mäßige Erfolg dieser Richtlinien ist bekannt (siehe ebenda bzw. BGHSt 52, S. 323; vgl. auch Leyendecker, Die große Gier – Korruption, Kartelle, Lustreisen: warum unsere Wirtschaft eine neue Moral braucht, S. 59 ff.). Im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung spielten die kodifizierten Verhaltensregeln aber insofern eine Rolle, als man deren Missachtung letztendlich als Pflichtverletzung i. S. d. § 266 StGB ansah und die Siemens AG so zum Opfer von Einzeltätern wurde. Dieses Ergebnis erscheint angesichts eines allgemein etablierten Schmiergeldsystems doch eher unbefriedigend. Bei einem mutmaßlichen Gesamtvolumen i. H. v. 1,3 Milliarden Euro wirkt schon die angebliche Unkenntnis des Zentralvorstands lebensfremd. Ob insofern dem Bundesgerichtshof, der im Rahmen der Sachrüge freilich an rechtsfehler-, aber auch widerspruchfrei getroffene Feststellungen der Tatinstanz gebunden ist, ein Vorwurf gemacht werden kann, sei speziell für BGHSt 52, S. 323 (335 f.) dahingestellt [zum Einverständnis bei Aktiengesellschaften vgl. auch ohnehin BGHSt 50, S. 331 (342 f.)]. Fragwürdig erscheint in jedem Fall die Begründung des Vermögensnachteils und des zugehörigen Schädigungsvorsatzes, siehe dazu etwa Satzger, „Schwarze Kassen“ zwischen Untreue und Korruption, NStZ 2009, S. 297 (302 ff.), auch wenn die Siemens-Entscheidung durch BVerfG 2 BvR 2559 / 08 u. a. vom 23. Juni 2010, Rn. 117 ff. inzwischen bestätigt wurde. 63 Bussmann, zfwu 5 [2004], S. 35 (44), der allerdings selbst den Nutzen kriminalpräventiver Strategien als relativ hoch einschätzt (S. 45 ff.). Vgl. auch PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, Eine Analyse der Motivstrukturen, S. 42 ff. 64 Man denke etwa an den Abrechungsbetrug im Gesundheitswesen, Absprachen und Korruption sowie Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung in der Bauwirtschaft. 65 Vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, Einl., Rn. 12 ff. 66 Vgl. Albrecht, in: Albrecht / Entorf (Hrsg.), Kriminalität, Ökonomie und europäischer Sozialstaat, S. 37 (59); Coleman, Am. J. Soc. 93 [1987], S. 406 (411 f.).

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werber wird auf die Chancen, die Normabweichungen bieten, verzichten, wenn es seine Konkurrenten nicht ebenfalls tun, ohne gravierende Folgen befürchten zu müssen. So kann, wie schon vom Freiburger Soziologen Popitz anschaulich beschrieben, das Wissen um eine kaum stattfindende „Realisierung“ (d. h. Durchsetzung) bestimmter Normen Auslöser dafür sein, dass niemand derjenige sein möchte, der quasi als letzter „auf der Norm sitzen“ bleibt67 (so legitim sie auch sein mag). Sehr häufig führt deshalb allein eine zu geringe Kontrolldichte – wenn branchenbekannt68 – dazu, dass bestimmte Normen von konkurrierenden Unternehmen letztendlich kollektiv nicht eingehalten werden69. Das allgemeine und gegenseitige, nicht zwingend verabredete Dulden von Normbrüchen, was von den Betroffenen langfristig als normal empfunden wird, ist ebenfalls Abbild von kartellähnlichen, subkulturellen Verhältnissen. Entsprechende Strukturen zeichnen sich damit wie die Unterkulturen der street gang, der Drogenszene etc. durch „Corps-Geist“70 und einen eigenen Wertekanon aus, dessen abweichender Charakter von den handelnden Individuen selbst bisweilen kaum noch wahrgenommen wird71. Innerhalb der beschriebenen arbeitsplatz-, unternehmens- oder branchenbezogenen Subkulturen ist – wie sonst auch – der „Denunziant“ (neudeutsch „Whistleblower“) geächtet72, delinquentes Verhalten stößt dagegen selbst bei Entdeckung durch Dritte nicht mehr auf Ablehnung73, allenfalls die beschämende und mit hohen Kosten verbundene Tatsache „ertappt“ worden zu sein. All dies kann ein Gefühl der Harmlosigkeit oder gar Angemessenheit gesetzlich verbotener Verhaltensweisen extrem begünstigen und schließlich auch zu wirklichen Bewertungsfehlern führen. Traditionell galten in einem solchen Leistungsumfeld Juristen, die ja meist außerhalb der einschlägigen sozialen Netzwerke stehen, nur als berufsmäßige Bedenkenträger und lästige Neinsager; strafrechtliche Präventivberatung wurde insbesondere von weniger versierten Tätern schon aus finanziellen oder zeitlichen Erwägungen 67 Popitz, Die normative Konstruktion von Gesellschaft, S. 23, 35, 64 ff. Die Norm gelte nur in dem Grade, in dem sie eingehalten oder durch Sanktionen bekräftigt wird (S. 35). 68 Nach Popitz ist es nämlich auch eine denkbare Erhaltungsstrategie für Normhüter, ein Abnehmen des Durchsetzungsgrades bestmöglich zu verschleiern (a. a. O., S. 23). Kein System sozialer Normen könne einer perfekten Verhaltenstransparenz ausgesetzt werden, ohne sich zu Tode zu blamieren (Popitz, Über die Präventionswirkung des Nichtwissens, S. 10, 18). Dass das Dunkelfeld im Dunklen bleibt, hat demnach also auch einen positiven, entlastenden Effekt. 69 Ein Beispiel wären etwa die Lenk- und Ruhezeiten im Transportgewerbe. Vgl. auch Erb, in: Münchener Kommentar, § 34 StGB, Rn. 174. 70 Samson / Langrock, DB 2007, S. 1684 (1686). 71 Schneider, NStZ 2007, S. 555 (559). 72 Hoffmann von Fallerslebens (1798 – 1874) Spottvers („Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“) genießt insofern weiterhin Popularität. Vgl. dazu auch Sack / Treiber, in: Popitz, Über die Präventionswirkung des Nichtwissens, Neudruck, Einführung, S. XIX. 73 Schneider, NStZ 2007, S. 555 (561).

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nicht in Anspruch genommen. Das „Nicht-so-genau-wissen-Wollen“, welches im späteren Strafverfahren natürlich auch bewiesen werden muss, steht freilich der Annahme von dolus eventualis bzw. eines bedingten Unrechtsbewusstseins nicht entgegen, sofern beim Täter zumindest eine irgendwie geartete Möglichkeitsvorstellung vorhanden ist. Findigere unternehmerisch Verantwortliche holen deshalb heute oft schon begleitend zu bestimmten zweifelhaften, aber lukrativen Vorhaben Rechtsgutachten ein74, die allerdings auch Quelle für potentielle Bewertungsfehler sein können. Schließlich wird sich nicht jeder Hausanwalt oder eigens beauftragte Gutachter ganz von den mehr oder minder unausgesprochenen Wünschen seines Mandanten frei machen können. Während im Normalfall durch die Beratungsleistung Straftaten gerade vermieden werden75, wird, wenn sich der Gutachter die Sache des Auftraggebers allzu sehr zueigen macht, der Blick auf die Rechtslage sogar getrübt76. Die Beantwortung der Frage, ob die Unzuverlässigkeit der unrechtsverneinenden Rechtsauskunft dem Täter letztlich bekannt war oder ob es ausreicht, dass die Unzuverlässigkeit von ihm hätte erkannt werden müssen, wirft dann in späteren Strafverfahren zusätzliche Probleme auf.

III. Tataufklärung, Rolle der Verteidigung und Sonderfall der unternehmensinternen Untersuchung Im Bereich des Kernstrafrechts ist es häufig der Beschuldigte selbst, der mit einem Geständnis sein Gewissen erleichtert oder unbeabsichtigt durch sonstige Äußerungen auch hinsichtlich der inneren Tatseite im Rahmen einer asymmetrischen Vernehmungssituation77 zu seiner Überführung beiträgt. Beliebte Suggestivfragen aus der polizeilichen Verhörspraxis, die darauf abzielen, dass man also doch nicht mit Absicht, sondern „nur“ mit dolus eventualis gehandelt habe78, werden vom unverteidigten Beschuldigten nicht selten mit einer gewissen Erleichterung, auf Verständnis gestoßen zu sein, aufgenommen und in Unkenntnis der Bedeutung voreilig bejaht. Unabhängig vom zweifelhaften Beweiswert gelangt die so gewonnene Einlassung dann in das ohnehin schon von der Ermittlungshypothese79 des Verneh74 Kirch-Heim / Samson, Vermeidung der Strafbarkeit durch Einholung juristischer Gutachten, wistra 2008, S. 81. 75 Dies gilt gerade auch für den Hausjuristen, der das Unternehmen sehr gut kennt und in der Regel alles versuchen wird, dieses vor Schadensersatzansprüchen zu bewahren (Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 17 StGB, Rn. 87). 76 Vgl. Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 17 StGB, Rn. 87; zum Rechtsrat als Beihilfehandlung siehe Müller, in: Widmaier, Strafverteidigung, § 55, Rn. 88 ff. 77 Glatzel, Die Ermittlungsvernehmung aus psychologisch-psychopathologischer Sicht, StV 1982, S. 283 (284 f.). 78 Ausformuliert könnte eine entsprechende Frage etwa so aussehen: „Sie wollten ihn also nicht verletzen, Sie haben es nur in Kauf genommen?“ 79 Vgl. dazu Deckers, in: Widmaier, Strafverteidigung, § 44, Rn. 52 ff. m. w. N.

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mungsbeamten beeinflusste Protokoll80. Formuliert in direkter Rede wirkt es besonders authentisch. Dessen vorgreifliche, wenn nicht gar prägende Wirkung81 für die spätere Hauptverhandlung kann deshalb kaum geleugnet werden, obgleich Wortwahl, Grammatik und Ausdrucksweise sehr häufig eklatant von den normalen Sprachgewohnheiten des Beschuldigten abweichen82. Zwar sind natürlich auch in Wirtschafts- oder Steuerstrafsachen ungeschickte Einlassungen denkbar, z. B. die schon angesprochene und für Laien durchaus naheliegende Berufung auf wirtschaftliche Überlebenszwänge, die allerdings nicht das erhoffte Verständnis oder gar die Berücksichtigung als Rechtfertigungsgrund gem. § 34 StGB zur Folge hat, sondern den Strafverfolgungsbehörden ebenfalls den Vorsatznachweis wesentlich erleichtert. Gerade Beschuldigte in Wirtschaftsstrafsachen lassen sich jedoch weitaus seltener zu solch unbedarften Äußerungen hinreißen, am ehesten noch in der emotional aufgeladenen Atmosphäre einer Durchsuchung oder Verhaftung83. In aller Regel üben sie aber im Ermittlungsverfahren größere Vorsicht als gewöhnliche Beschuldigte und nehmen früher die Hilfe qualifizierter Verteidiger in Anspruch. Beim verteidigten Beschuldigten werden Einlassungen zur Sache gründlich vorbereitet84, häufig auch nicht persönlich, sondern schriftlich und durch den Verteidiger abgegeben85. Ohne selbst die Grenzen des § 258 StGB zu überschreiten86, wird der versierte Verteidiger dabei die bewusste Nichteinhaltung gesetzlicher Vorschriften durch den Täter oder etwaige Rechtmäßigkeitszweifel für den Tatzeitpunkt zweckmäßigerweise nur dann offenbaren, wenn es unausweichlich erscheint. Das objektive Tatgeschehen bleibt deshalb allzu oft, wenn nicht gerade eindeutige Rückschlüsse etwa aus beschlagnahmten Unterlagen gezogen werden können, das einzige Indiz für die innere Tatseite87. Gerade bei Wirtschafts- und Steuerstraftaten ist das objektive Tatverhalten allerdings meist mehrdeutig und besteht nicht immer aus einer einzig klar umrissenen Handlung88, was die Beweisführung im Vergleich zu normalen Kriminalfällen zusätzlich erschwert. 80 Beim verteidigten Beschuldigten wird das Protokoll dagegen regelmäßig geprüft, bevor es vom Beschuldigten – gegebenenfalls nach Vornahme der angebrachten Änderungswünsche – unterschrieben wird (vgl. Schlothauer, in: Widmaier, Strafverteidigung, § 3, Rn. 63). 81 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 502. 82 Glatzel, StV 1982, S. 283 (286 f.). 83 Vgl. Schlothauer, in: Widmaier, Strafverteidigung, § 3, Rn. 67. 84 Vgl. Schlothauer, in: Widmaier, Strafverteidigung, § 3, Rn. 63. 85 Vgl. BGH NStZ 1990, S. 447 (448); BGH NStZ 2000, S. 439; BGH NStZ 2005, S. 703 (704); BGH vom 27. März 2008, Az. 3 StR 6 / 08. Schlothauer, in: Widmaier, Strafverteidigung, § 3, Rn. 62 bezeichnet dies aus Verteidigersicht in aller Regel als das Mittel der (ersten) Wahl. 86 Müller, in: Widmaier, Strafverteidigung, § 55, Rn. 18 ff.; Knierim, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 7, Rn. 338 ff. 87 Vgl. Volk, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 2, Rn. 47 ff. 88 Ideal ist dagegen für den Beweis von Vorsatz und Unrechtsbewusstsein, wenn der Täter offensichtliche Verschleierungshandlungen vorgenommen hat, vgl. etwa BGH NStZ 1986, S. 455 (456).

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Manchen Ermittlungsverfahren in Wirtschaftsstrafsachen gehen zudem „unabhängige“ unternehmensinterne Untersuchungen durch darauf spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (bzw. speziell deren „Forensic Services“-Abteilungen) voraus89. Anders als normale Wirtschaftsdetekteien unterliegen diese nämlich der Verschwiegenheit, was insbesondere durch § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB90 gewährleistet wird. Am Ende einer solchen Untersuchung erhalten die Strafverfolgungsbehörden dann „ein fertig geschnürtes Paket“91, welches natürlich anders aussehen kann, als wenn die Ermittlungen von vornherein durch staatliche Stellen erfolgt wären. Insbesondere besteht insofern die Gefahr, dass Verantwortlichkeiten des Top-Managements – in objektiver und subjektiver Hinsicht – heruntergespielt werden. Alles andere geht schließlich mit einer besonders starken Publizität und Rufschädigung für die Firma einher92 und kann viel stärkere Reaktionen nationaler und ausländischer Aufsichtsbehörden93 nach sich ziehen, was sich bei börsennotierten Unternehmen jeweils auch negativ auf den Aktienkurs auswirken wird94. Wegen handfester finanzieller Interessen wird sich der Auftraggeber also eher ein Ermittlungsergebnis wünschen, bei dem das Verschulden ausschließlich auf das mittlere Management oder einzelne Mitarbeiter in Unterabteilungen abgewälzt werden kann95. Er sieht in der Untersuchung schließ89 Vgl. dazu etwa Salvenmoser / Schreier, in: Achenbach / Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Kap. XV. 90 Vgl. ferner §§ 53 Abs. 1 Nr. 3, 53a StPO; § 43a Abs. 2 BRAO; § 43 Abs. 1 WPO. Siehe allerdings auch LG Hamburg NJW 2011, 942 zur Zulässigkeit der Beschlagnahme von Interviewprotokollen bei einschränkender Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Nach Ansicht des Verfassers ist diese Entscheidung jedenfalls wegen § 160a Abs. 1 StPO n. F. jedoch überholt. 91 Wessing II, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 11, Rn. 36. 92 Laut der von Bussmann betreuten Studie von PricewaterhouseCoopers sahen in solchen Fällen über die Hälfte der deutschen Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen erheblich beeinträchtigt, sie berichteten ferner über einen erheblichen finanziellen oder zeitlichen Aufwand für PR zur Wiederherstellung der Reputation. Vgl. PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität 2007, S. 21. 93 Besonders groß ist offenbar die Angst der Unternehmen, die den US-amerikanischen Kapitalmarkt nutzen und an dortigen Börsen zugelassen sind, vor der Wertpapieraufsichtsbehörde SEC (United States Securities and Exchange Commission). Eine SEC-„Anfrage“ ist sehr häufig sogar Anlass für die Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung. „Vorauseilender Gehorsam“ wirkt sich nämlich erfahrungsgemäß erheblich strafmildernd bei der Bemessung von Unternehmensstrafen aus, kann unter Umständen sogar zu einem gänzlichen Absehen von Sanktionen führen. Vgl. dazu Wastl / Litzka / Pusch, SEC-Ermittlungen in Deutschland – eine Umgehung rechtsstaatlicher Mindeststandards!, NStZ 2009, S. 68; Wybitul, Interne Ermittlungen auf Aufforderung von US-Behörden – ein Erfahrungsbericht, BB 2009, S. 606; manager-magazin, Heft 7 / 2008 („Leistungsabfall: Siemens – Die Korruptionsaffäre nimmt kein Ende“); siehe auch 9-28.700 des United States Attorneys’ Manual („Principles of Federal Prosecution of Business Organizations“). 94 Vgl. PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität 2007, S. 21. 95 Vgl. PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität 2007, S. 51; Schneider, in: Göppinger, Kriminologie, § 25, Rn. 35; siehe auch Hefendehl, Instrumentarien zur Eindämmung der Wirtschaftskriminalität, ZStW 119 [2007], S. 816 (841 f.).

A. Praktische Bedeutung – forensischer und kriminologischer Hintergrund

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lich vor allem eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber Behörden und Bevölkerung, die zwar Einzelfälle durchaus aufklären aber keinesfalls eine „kriminelle Verbandsattitüde“96 des Unternehmens zu Tage bringen soll. Für die ermittelnde Kanzlei setzt es deshalb ein hohes Maß an Professionalität voraus, sich trotz Beauftragung durch die Unternehmensspitze von solchen (selbstverständlich in aller Regel unausgesprochenen) Zielvorgaben freizumachen. Nicht jede Kanzlei wird diesen Anforderungen vollumfänglich gerecht werden und die internen Untersuchungen so konsequent und unabhängig führen, wie es staatliche Ermittlungsbehörden tun würden, gerade wenn sich Leitung und Aufsichtsgremien in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ahnungslos geben97. Eine unmittelbare Pflicht zur Objektivität98, vergleichbar mit § 160 StPO, gibt es für private Ermittler jedenfalls nicht. Sie bleiben zur Verschwiegenheit verpflichtete Sachwalter des Unterneh96 Eine solche spielt laut Schünemann, Gedächtnisschrift-Armin Kaufmann, S. 629 (638) aber gerade bei nach außen gerichteten, rechtsgüterverletzenden Verhaltensweisen von Betriebsangehörigen regelmäßig eine Rolle. 97 Im Gegensatz zur Führungsebene können sich für die Mitarbeiter des mittleren Managements und einzelner Unterabteilungen Privatuntersuchungen, bei denen die Teilnahme nicht erzwingbar ist, aber auch strafprozessuale Garantien und Rechte nicht gelten, oft als durchaus nachteilig erweisen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass angesichts aufgebauter arbeitsrechtlicher Drohkulissen (im Verweigerungsfalle) bei gleichzeitigem Versprechen der Übernahme von Verteidigerkosten (im Kooperationsfalle) die Inanspruchnahme der Selbstbelastungsfreiheit [zur Geltung im Zivilrecht vgl. BGH NJW-RR 1989, S. 614 (615)] im Rahmen durchgeführter „Interviews“ vielen Betroffenen äußerst schwer fallen wird – insbesondere wenn sie vorab über den Gesprächszweck nicht eindeutig informiert wurden und beim Gespräch weder ein Verteidiger noch der Betriebsrat anwesend sind. Auf die Verschwiegenheit der Rechtsanwälte brauchen die Betroffenen nur beschränkt zu hoffen, da § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB in dem Umfang leer läuft, wie das Unternehmen die Kanzlei von der Schweigepflicht entbindet. Kritisch diskutiert wurde die Etablierung solcher unternehmensinternen Verfahren z. B. auf der 7. NStZ-Jahrestagung in Frankfurt am Main (2008) nach Referaten von Jahn und Hohmann, vgl. dazu den Veranstaltungsbericht von A. Schmitz, NJW-aktuell 35 / 2008, S. XVI (XVIII). Anschaulich auch Knierim, Das Verhältnis von strafrechtlichen und internen Ermittlungen, StV 2009, S. 324; Schulz, Globalisierungstendenzen im deutschen Wirtschaftsstrafrecht, StV 2009, S. 332 (334 f.). Auf die Verwertbarkeit entsprechend erlangter Informationen in Deutschland hat all dies nach Ansicht des Verfassers jedoch in der Regel keinen Einfluss [a. A. Wastl / Litzka / Pusch, NStZ 2009, S. 68 (70 ff.)], auch unter Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Anders als beim Gemeinschuldnerbeschluss (BVerfGE 56, S. 37 zur Situation des heutigen § 97 Abs. 1 S. 3 InsO; siehe auch BGHSt 37, S. 340 zu § 807 ZPO) besteht insofern zwar eine Drucksituation, aber kein Zwang zur Selbstbezichtigung (erst recht kein staatlicher). Die Verfassung garantiert nicht gleichzeitig die Möglichkeit des Entziehens vor der Gefahr einer Bestrafung und die optimale Durchsetzung privater Rechte [vgl. BVerfG NStZ 1995, S. 599 (600) zu § 31 Abs. 1 VVG n. F. i. V. m. § 7 AKB]. Den Betroffenen ist zu raten, gegebenenfalls den Schutz der Arbeitsgerichte in Anspruch zu nehmen (allgemein zu arbeitsrechtlichen Aspekten vgl. Mengel / Ullrich, Arbeitsrechtliche Aspekte unternehmensinterner Investigations, NZA 2006, S. 240). Im Strafverfahren selbst wird man als Verteidiger vor allem den Beweiswert privater Ermittlungsberichte angreifen müssen [Knierim, StV 2009, S. 324 (330)]. Bei besonderen Auswüchsen zu Lasten der Mitarbeiter wird ggf. auch eine Strafbarkeit der Vorgesetzten oder der Vernehmungspersonen nach § 240 StGB in Betracht zu ziehen sein. 98 Knierim, StV 2009, S. 324 (325).

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

mens99. Trotzdem finden sich die Ergebnisse solcher Untersuchungen später allzu oft in den staatlichen Verfahrensakten.

IV. Abschließende Einschätzung und weitere Vorgehensweise Entsprechend hat sich die Praxis mit einer Vielzahl von echten und in dubio pro reo zu unterstellenden Fehlannahmen zu beschäftigen, die den Täter potentiell entlasten. Entscheidend ist insofern freilich weniger der Entstehungsgrund des Irrtums als seine rechtliche Einordnung100. Wenn nicht gerade die auch als Beweiserleichterung gemeinten101 §§ 261 Abs. 5 StGB oder 264 Abs. 4 StGB greifen, geht es um viel, namentlich um die Frage der Strafbarkeit oder Straflosigkeit des in Frage stehenden Verhaltens. Dreh- und Angelpunkt ist die Abgrenzung von § 16 StGB und § 17 StGB, die sich besonders schwierig gestaltet, wenn der Täter über Rechtsnormen irrt, die nicht unmittelbar in der Sanktionsnorm enthalten sind. Das Problem des untauglichen Versuchs in Abgrenzung zum Wahndelikt bei belastenden Fehlannahmen stellt sich dagegen im Alltag weitaus seltener. Strafverfolgung in diesem Bereich setzt schließlich überhaupt erst einmal Versuchsstrafbarkeit gem. § 23 Abs. 1 StGB voraus. Diese ist jedoch regelmäßig gerade bei den für das Wirtschaftsstrafrecht typischen Gefährdungsstraftatbeständen102, welche ohnehin die strafrechtliche Verantwortung vorverlagern, aber auch bei der Untreue gem. § 266 StGB oder dem nach offizieller Fallzahl103 noch relevanteren Vorenthalten und Ver99 Dies gilt auch für Rechtsanwälte, die nach Aufforderung durch US-Behörden mit der Ermittlung beauftragt wurden (vgl. Fußnote 93, S. 38). Die Tatsache, dass ein Unternehmen sich weigert, diese von ihrer Schweigepflicht zu entbinden, darf nach 9-28.710 des United States Attorneys’ Manual („Principles of Federal Prosecution of Business Organizations“) von den US-Behörden auch nicht mehr als mangelnde Kooperation (und damit als strafschärfend) gewertet werden. Vgl. Wybitul, BB 2009, S. 606 (607). 100 Volk, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 2, Rn. 58. 101 Vgl. BT-Drucksache 12 / 989, S. 27 zu § 261 StGB; Fischer, § 264 StGB, Rn. 2; jeweils m. w. N. Roxin, AT I, § 2, Rn. 78 und Hefendehl, Enron, Worldcom und die Folgen: Das Wirtschaftsstrafrecht zwischen kriminalpolitischen Erwartungen und dogmatischen Erfordernissen, JZ 2004, S. 18 (21) bezeichnen entsprechende Regelungen im Vermögensstrafrecht aus der materiell-rechtlichen Perspektive als Fremdkörper. Weniger kritisch ist allerdings Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 62, der darauf hinweist, dass auch in anderen Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts (insbesondere im Insolvenzstrafrecht) durchaus eine lange Tradition der Inkriminierung von Fahrlässigkeitstaten besteht. Lenckner / Perron, in: Schönke / Schröder, § 264 StGB, Rn. 2 rechtfertigten die Strafbarkeit des leichtfertigen Subventionsbetrugs mit der erhöhten Verantwortung dessen, der öffentliche Mittel in Anspruch nimmt. 102 Beim gewerbsmäßigen Banden-Subventionsbetrug ist allerdings eine Strafbarkeit des untauglichen Versuchs über §§ 264 Abs. 3, 263 Abs. 5 StGB denkbar, da es sich dabei um ein Verbrechen handelt. 103 Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für das Jahr 2007 gegenüber den 20.051 Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gem. § 266a StGB (vgl. schon Seite 30, Fußnote 28) nur 12.761 Fälle der Untreue gem. § 266 StGB aus. Allerdings dürfte bei § 266a StGB die Dunkelziffer weitaus niedriger liegen als bei § 266 StGB, da insbesondere die Sozial-

A. Praktische Bedeutung – forensischer und kriminologischer Hintergrund

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untreuen von Arbeitsentgelt gem. § 266a StGB nicht gegeben. Dort wo Versuchsstrafbarkeit vorliegt, etwa beim Betrug gem. § 263 Abs. 2 StGB, der bekanntermaßen auch als Wirtschaftsdelikt auftritt104, bei Straftaten nach § 34 Abs. 1, 2, 4 und 6 Außenwirtschaftsgesetz (AWG), nach § 38 Abs. 1, 3 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) oder bei der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 2 AO, setzt die potentielle Ahndung eines untauglichen Versuchs zudem eine äußerst ungeschickte Einlassung des Beschuldigten voraus105, was – insbesondere bei rechtlicher Unmöglichkeit des Unterfangens – in der forensischen Lebenswirklichkeit kaum vorkommt. Trotz der andersgearteten Praxisrelevanz von ent- bzw. belastenden Irrtümern ist jedoch ein rechtsdogmatischer Zusammenhang zwischen der Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt zu vermuten, weshalb sie im ersten Teil dieser Arbeit gemeinsam behandelt werden. Bestimmt wird die Irrtumsproblematik im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht durch das regelmäßige Vorhandensein von Blankett- und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen. Schon in der klassischen Imputationslehre hat der Grundsatz, dass jeder verantwortliche Bürger die Strafrechtsordnung kennen muss, nicht jedoch zwingend das, was außerhalb des Strafrechts geregelt ist, ein durchaus festes Fundament106. Auch nach Hegel spräche jede auf das Strafrecht bezogene Forderung, „die [dem Täter] das Recht seiner moralischen Subjectivität zu bewahren scheint, […] ihm vielmehr [seine] innewohnende intelligente Natur ab“107. Die Weiterführung entsprechender Argumentationslinien soll gleich, beginnend bei der reichsgerichtlichen Rechtsprechung108, verdeutlicht werden. Für Binding als prägende Figur der sogenannten Vorsatztheorie galt dagegen: „Schwer werden alte Irrtümer überwunden, fast am schwersten scheint es Irrtümern über den Irrtum“109. Und noch früher monierte in England Justice Maule110 vom ehemaligen Court of Common Pleas111, dass kassen eine relativ hohe Anzeigebereitschaft aufweisen, Fälle der Untreue dagegen häufig gar nicht erst entdeckt werden oder nur zivil- und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. 104 Vgl. § 74c Abs. 1 Nr. 6 lit. a GVG. 105 Vgl. Hellmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 370 AO, Rn. 262; Zaczyk, in: Nomos-Kommentar, § 22 StGB, Rn. 49; siehe auch Fuchs, Österreichisches Strafrecht, AT I, 30. Kap., Rn. 7. 106 Arthur Kaufmann, Einige Anmerkungen zu Irrtümern über den Irrtum, Festschrift-Lackner, S. 185; ders., Die Parallelwertung in der Laiensphäre, S. 4 ff., 13 ff. 107 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 132 (S. 129). Vgl. auch § 117 (S. 113) zum zugrundeliegenden Vorsatzverständnis. Siehe ferner erläuternd Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 7 ff., 22. 108 Zu früheren Perioden der Dogmengeschichte kann insbesondere auf den Anhang der Habilitationsschrift von Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 501 ff. verwiesen werden. 109 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, S. 96. 110 William Henry Maule (1788 – 1858). 111 Der Court of Common Pleas war das zweitälteste Common Law-Gericht, 1873 wurde er Teil des High Court of Justice und verschmolz dort wenig später mit der Queen’s Bench Division.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

anscheinend von jedem Gesetzeskenntnis erwartet werde, außer von den Richtern selbst, denen schließlich ein Appellationsgericht übergeordnet sei112. Entsprechend soll auch die Weiterentwicklung des von Binding vertretenen Alternativansatzes beschrieben und dem die grundsätzlichen Weichenstellungen des bundesdeutschen Gesetzgebers gegenübergestellt werden. Darüber hinaus wird zwecks Feststellung internationaler Tendenzen ein Blick auf andere Rechtsordnungen geworfen. Dies ermöglicht dann speziell bezogen auf das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht eine intensive Auseinandersetzung mit der modernen deutschen Rechtsprechung, solchen Modellen des Schrifttums, die diese berechenbarer machen wollen, sowie aktuellen Alternativansätzen.

B. Historische Ansätze I. Irrtum und umgekehrter Irrtum in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung 1. Tatirrtum und Rechtsirrtum113 Das Reichsgericht unterschied in seiner ständigen, quantitativ kaum überschaubaren Rechtsprechung zwischen vorsatzausschließendem Tatirrtum gem. § 59 RStGB114 und unbeachtlichem Irrtum über Strafrechtssätze115. Die Unerheblichkeit des strafrechtlichen Subsumtionsirrtums wurde vor allem gesetzespositivistisch begründet, da das RStGB von 1871, genau wie das vorgehende Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1870 und das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 – 112 „Everybody is presumed to know the law except His Majesty's judges, who have a Court of Appeal set over them to put them right.“, zitiert nach Ryu / Silving, Error Juris: A Comparative Study, The University of Chicago Law Review, Vol. 24, No. 3 [1957], S. 421. 113 Siehe dazu auch Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 287 ff.; Tischler, Verbotsirrtum und Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, S. 40 ff.; Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 601 f.; Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 155 ff.; Endrulat, Der „umgekehrte Rechtsirrtum“, Rn. 55 ff.; Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum, S. 79 ff.; Achenbach, Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, S. 171 ff., 201 ff.; Bettendorf, Der Irrtum bei den Urkundendelikten, S. 89 ff. 114 § 59 RStGB hatte folgenden Wortlaut: „(1) Wenn Jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestand gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen. (2) Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist.“ Diese Fassung galt abgesehen von orthografischen Anpassungen bis zum Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes (1969) im Jahre 1973. 115 RGSt 2, S. 268 (269); RGSt 8, S. 182 (183); RGSt 34, S. 418 (420); RGSt 53, S. 237 (240); RGSt 54, S. 152 (162).

B. Historische Ansätze

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im Gegensatz zu den Bestimmungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts116 und dem heutigen § 17 StGB – keine diesbezügliche Regelung enthielt117. Der Sache nach lag der damaligen Judikatur die Überlegung zugrunde, dass der Staat vom Einzelnen erwarten könne, sich „über seine formellen und materiellen Obliegenheiten zu unterrichten“118. Was nach staatlichem Strafgesetz verboten ist, widerspreche „in der Regel auch dem allgemeinen Sittengesetz oder doch derjenigen Denkweise, die im staatlichen Leben jeweils richtungsgebend und als solche allgemein bekannt ist.“119 Da der Rechtsirrtum insofern zu Lasten des Handelnden ging, ihm also schadete, ließ sich dies – in Anlehnung an den gängigen römisch-rechtlichen Grundsatz aus den Digesten120 – in die Formel error iuris (criminalis) nocet fassen, die im klassischrömischen Strafrecht so allerdings wohl gar keine Anwendung gefunden hatte121. Generell unbeachtlich war – wie angedeutet – nur die Unkenntnis von Strafnormen (nach Vorbild von Art. 95 Abs. 2 des sächsischen Strafgesetzbuches von 1855122). Einen nicht dem Strafrecht angehörigen Rechtssatz hingegen behandelte das Reichsgericht grundsätzlich als Tatumstand i. S. d. § 59 RStGB: So führten etwa Irrtümer über die Frage, ob die Beschlagnahme eines Grundstückes sich auch auf abgesonderte Früchte bezieht123, über die zivilrechtliche Zulässigkeit der bevorzugten Befriedigung eines bestimmten Gläubigers124, über die Reichweite jagdrechtlicher Vorschriften125, die rechtlichen Voraussetzungen für den Verlust der 116 Vgl. Einleitung § 13 ALR: „Nur in dem Falle, wo vorhin erlaubte, oder als gleichgültig angesehene Handlungen durch Strafgesetze eingeschränkt, oder verboten worden, soll der Uebertreter mit dem Einwande: daß er, ohne Vernachläßigung seiner Pflichten, vor der vollbrachten That, von dem Verbote nicht unterrichtet gewesen, annoch gehört werden.“ und Teil II, 20. Titel, § 10 f. ALR: „§ 10: Eine absichtliche Verletzung der öffentlichen oder Privatsicherheit kann durch die Unwissenheit der Gesetze nicht entschuldigt werden. § 11: Sonst trifft die Strenge der Gesetze nur den, welcher das Strafgesetz zu wissen schuldig, und im Stande gewesen ist.“ 117 Vgl. RGSt 2, S. 268 (269); RGSt 8, S. 182 (183). 118 RGSt 7, S. 240 (242); vgl. auch RGSt 5, S. 407 (410). 119 RGSt 57, S. 404 (408). 120 Digesten 22.6.9 (Paulus): „Regula est iuris quidem ignorantiam cuique nocere, facti vero ignorantiam non nocere.“ („Es ist eine Regel, dass Rechtsunkenntnis schadet, die Unkenntnis über Tatsachen schadet hingegen nicht.“). 121 Vgl. Seite 50 sowie Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 511 ff. m. w. N. 122 Dort heißt es: „Durch Unbekanntschaft mit dem Gesetze, welches die Handlung mit Strafe bedroht, wird ein begangenes Verbrechen ebenso wenig, als durch den Wahn, als ob dieselbe nach dem Gewissen oder der Religion erlaubt oder verdienstlich sei, entschuldigt“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 123 RGSt 1, S. 368 (370). Ähnlich zu Pfändung und Beschlagnahme: RGSt 10, S. 425; RGSt 26, S. 308. Der irrtümliche Glaube, als oder für den wahren Eigentümer eine mittels Drittwiderspruchsklage anfechtbare Pfändung nicht beachten zu müssen, wurde dagegen als unbeachtlicher Strafrechtsirrtum aufgefasst (RGSt 1, S. 272; RGSt 19, S. 287). 124 RGSt 17, S. 220 (223). 125 RGSt 10, S. 234 (236).

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deutschen Staatsangehörigkeit126, Ausführungsvorschriften zum Waffengesetz127, blankettausfüllende Vorschriften zur kriegsbedingten Brennstoffverordnung128 oder über Ausführungsvorschriften zur ebenfalls kriegsbedingten Zuckerverkaufsverordnung129 jeweils zur Verneinung der Vorsatzstrafbarkeit. Beispielhaft sei auch die Argumentation des Reichsgerichts hinsichtlich eines Irrtums über die Beamteneigenschaft eines öffentlichen Fleischbeschauers angeführt: „Es widerstreitet der Billigkeit und dem praktischen Bedürfnisse, auf einem derartig bestrittenen und wechselnden Gebiete des öffentlichen Rechts und noch in der Entwicklung begriffener behördlicher Organisation die unvermeidlichen Irrtümer und Mißverständnisse der einzelnen strafrechtlich anders zu behandeln, als dies rein thatsächlichen Irrtümern zukommt.“130

Die Abgrenzung zwischen unbeachtlichem strafrechtlichen und beachtlichem außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum war jedoch nicht immer eindeutig und oft nur schwer berechenbar131: So wurde das Tatbestandsmerkmal der Schwägerschaft in § 173 Abs. 2 RStGB132 zum eigenständig strafrechtlichen (gleichwohl mit dem Zivilrecht übereinstimmenden) Rechtsbegriff erklärt, mit der Folge, dass ein diesbezüglicher Irrtum sich nicht vorsatzausschließend auswirkte133. Ähnliche Argumentationsmuster finden sich beispielsweise auch – im Ergebnis durchaus überzeugend – in späteren Entscheidungen zum Beamtenbegriff134 oder zum Begriff derselben Rechtssache nach § 356 RStGB135. Ebenso wurde der Irrtum über die Reichweite des im Reichspostgesetz geregelten Postzwangs136 als strafrechtlich und damit nicht vorsatzausschließend eingeordnet, da hier die Zuwiderhandlung im selben Gesetz mit Strafe bedroht war. Die Trennung von Verhaltensnorm und Sanktionsnorm beruhe hier nur „auf Rücksichten der formellen Gesetzesökonomie“137. RGSt 42, S. 26 (27). RGSt 54, S. 4 (5). 128 RGSt 56, S. 337 (339). 129 RGSt 57, S. 15 (16). 130 RGSt 23, S. 374 (377). In späteren Entscheidungen wurde die Beamteneigenschaft als eigenständiger strafrechtlicher Begriff behandelt (vgl. Fußnote 134 auf dieser Seite). 131 Vgl. von Hippel, Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, S. 5: „Auch der beste Jurist kann heute nicht voraussagen, ob das Reichsgericht irgend einen Irrtum für einen strafrechtlichen oder außerstrafrechtlichen erklären wird.“. Selbst heute herrscht noch Uneinigkeit über die Interpretation der reichsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum, S. 161 ff.). 132 Der Beischlaf zwischen Verschwägerten in auf- und absteigender Linie war bis zum Inkrafttreten des 4. Strafrechtsreformgesetzes (1973) strafbar. 133 RGSt 5, S. 159; RGSt 5, S. 613; RGSt 10, S. 302; RGSt 12, S. 275; RGSt 34, S. 418. Der Rechtsirrtum über das Fortbestehen bzw. die vermeintlich erfolgte Auflösung einer Ehe war demgegenüber wieder vorsatzrelevant (RGSt 9, S. 84). 134 RGSt 53, S. 131; RGSt 73, S. 169 (171); RGSt 74, S. 105 (109). 135 RGSt 58, S. 247; RGSt 60, S. 298 (300 ff.). 136 RGSt 3, S. 300 (303); RGSt 37, S. 389. 137 RGSt 37, S. 389 (392). 126 127

B. Historische Ansätze

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Gleiches galt für die fehlerhafte Annahme des Täters, er sei kein Kaufmann im Sinne des HGB138, der Besitz von Dynamit bedürfe keiner speziellen Genehmigung139, das Grundkapital einer Aktiengesellschaft sei bei nur minimalen Fehlbeständen im Sinne des Gesetzes voll eingezahlt140, die Stammeinlage einer GmbH könne an Zahlung statt auch mittels Wechsel geleistet werden141, die sogenannte kriegsbedingte Höchstpreisverordnung beträfe keine Importwaren142 oder die Absatzbeschränkungen nach der Brandweinverordnung beträfen keine Kleinbrennereien143. Auch in diesen Fällen wurde die Verhaltensnorm sachlich als Teil der Sanktionsnorm, der Irrtum darüber lediglich als das Strafgesetz betreffend verstanden. Dies führte insbesondere aufgrund der Expansion des Nebenstrafrechts zur Zeit des Ersten Weltkriegs zu nicht unwesentlichen Härten, da die Fülle der kriegsbedingten Verordnungen für die Wirtschaftstreibenden kaum noch zu überschauen war144. Die Situation wurde teilweise vom Gesetzgeber durch die Irrtumsverordnung des Bundesrates von 1917, wonach speziell ein unverschuldeter Irrtum über bestimmte kriegswirtschaftliche Strafnormen je nach Verfahrensstadium die Einstellung des Strafverfahrens bzw. den Freispruch des Angeklagten zur Folge hatte, entschärft. Die IrrtumsVO kann deshalb als spezialgesetzliche Vorläufernorm des heutigen § 17 StGB angesehen werden145. Auf ähnlichen Überlegungen fußten die Sondervorschriften der §§ 358 ReichsabgabenO (1919) und 395 ReichsabgabenO (1931, 1934) für das Steuerstrafrecht146. Deren praktische Bedeutung wurde jedoch RGSt 8, S. 147 (149). RGSt 12, S. 398 (400). 140 RGSt 14, S. 36 (45). Im konkreten Fall hatten die Angeklagten als Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft anlässlich einer geplanten Kapitalerhöhung unrichtigerweise erklärt, dass das Grundkapital voll eingezahlt sei. Diese Erklärung war insofern falsch, als ein mit 12  300 Mark beteiligter, später in Insolvenz geratener Aktienzeichner seinen Beitrag zum Grundkapital von 404.700 Mark nicht geleistet hatte. 141 RGSt 36, S. 185 (187). 142 RGSt 50, S. 77 (78). 143 RGSt 52, S. 99 (100). 144 Siehe bereits oben Seite 18. 145 Vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 96; Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 153. Die relevanten Vorschriften der IrrtumsVO von 1917 (RGBl. I, S. 58) hatten folgenden Wortlaut: „§ 1: Bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften, die […], kann die Staatsanwaltschaft bei dem Gerichte die Einstellung des Verfahrens beantragen, wenn der Beschuldigte in unverschuldetem Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit der übertretenen Vorschrift die Tat für erlaubt gehalten hat. § 2: Ist die öffentliche Klage erhoben und erachtet das Gericht die Voraussetzungen des § 1 für gegeben, so hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen oder, wenn Voruntersuchung geführt ist, den Angeschuldigten außer Verfolgung zu setzen; ist Strafbefehl beantragt, so hat das Gericht den Antrag abzulehnen. Ergibt die Hauptverhandlung, daß die Voraussetzungen des § 1 vorliegen, so ist der Angeklagte freizusprechen.“ 146 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 299 sieht in diesen Vorschriften eine Kodifizierung der sogenannten Vorsatztheorie (siehe Seiten 50 ff.). Zum rechtshistorischen Hintergrund vgl. auch Fissenewert, Der Irrtum bei der Steuerhinterziehung, S. 156 ff. Der 138 139

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dadurch beeinträchtigt, dass die Gerichte vom Zusatzerfordernis eines subjektiv gefärbten ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der „Steuerunehrlichkeit“ ausgingen, dessen Vorhandensein jedenfalls bei fehlender Kenntnis des Steueranspruches zu verneinen war147. Sonderirrtumsvorschriften mit unterschiedlicher Praxisrelevanz gab es ferner in § 36a DevisenVO (1932), § 44 DevisenVO (1935) und § 71 DevisenG (1938) für das frühere Devisenstrafrecht sowie in § 31 WiStG (1949)148. Abgesehen von Spezialfällen blieben der strafrechtliche Subsumtionsirrtum und der Irrtum, der mit Blick auf das gewünschte Ergebnis dazu gemacht wurde, jedoch unabhängig von ihrer individuellen Vermeidbarkeit unbeachtlich149.

2. Untauglicher Versuch und Wahndelikt150 Bereits in RGSt 1, S. 439 stellte das Reichsgericht im Einklang mit der sogenannten subjektiven Theorie151 klar, was heute in Deutschland als durchaus selbstverständlich angesehen wird152: Auch der untaugliche Versuch unterliegt der Strafbarkeit. Die damalige Regelung des Versuchs in § 43 RStGB153 war insofern im Wortbis 1968 gültige § 395 AO (RGBl. 1931, S. 212 und RGBl. 1934, S. 936) hatte beispielsweise folgenden Wortlaut: „(1) Straffrei bleibt, wer im unverschuldeten Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit steuerrechtlicher Vorschriften die Tat für erlaubt gehalten hat. (2) Wer aus Mangel an der Sorgfalt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen persönlichen Verhältnissen fähig war, die Tat für erlaubt gehalten hat, wird wegen Fahrlässigkeit bestraft.“ 147 Vgl. RGSt 71, S. 216 (217); BGHSt 2, S. 338 (340). Siehe dagegen noch RGSt 7, S. 240 (241 f.); RGSt 11, S. 426 (335); allerdings bereits auch RGSt 42, S. 253 (260); RGSt 42, S. 376 (380 f.); RGSt 45, S. 97 (105). RGSt 72, S. 86; BGHSt 5, S. 90 gelangten im gleichen Fall dadurch zum Freispruch, dass sie von einem außerstrafrechtlichen Tatirrtum gem. § 59 RStGB ausgingen. 148 Die Irrtumsvorschrift des § 31 Wirtschaftsstrafgesetz von 1949 orientierte sich an der Schuldtheorie. 149 Eine Diskussion von welchen apokryphen Beweggründen sich das Reichsgericht im Einzelnen leiten ließ, muss hier unterbleiben. 150 Siehe dazu auch Endrulat, Der „umgekehrte Rechtsirrtum“, Rn. 206 ff.; Heidingsfelder, Der umgekehrte Subsumtionsirrtum, S. 48 ff.; Lauhöfer, Die Abgrenzung zwischen Wahndelikt und untauglichem Versuch, S. 48 ff. 151 Danach ständige Rechtsprechung: RGSt 8, S. 198; RGSt 17, S. 158; RGSt 42, S. 92 (94); RGSt 50, S. 35; RGSt 70, S. 199 (200). 152 Kritisch allerdings auch in jüngerer Zeit z. B. Spendel, Zur Neubegründung der objektiven Versuchstheorie, in Festschrift-Stock, S. 89; Hirsch, Die subjektive Versuchstheorie, ein Wegbereiter der NS-Strafrechtsdoktrin, JZ 2007, S. 494 (502); siehe weitere Nachweise auf Seite 79, Fußnote 391. 153 § 43 RStGB hatte folgenden Wortlaut: „(1) Wer den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, bethätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuchs zu bestrafen. (2) Der Versuch des Vergehens wird jedoch nur in Fällen bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich

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laut nicht ganz eindeutig. Nach Ansicht des Gerichts erweise sich jedoch im Einzelfall jede Handlung, die nicht zum Erfolg führt, als ungeeignet. Auf den Unterschied von Handlungen mit absolut untauglichen und nur relativ untauglichen Mitteln könne die Strafbarkeit oder Straflosigkeit des Versuchs deshalb nicht gegründet werden154. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuches machte freilich dessen Abgrenzung zum straflosen Wahndelikt notwendig. Dies erwies sich wiederum bei Irrtümern über Gesetzesnormen als besonders schwierig, also in Fällen, in denen wegen der objektiven Rechtslage eine Vollendung unmöglich war. Die fehlerhafte Annahme eines die Strafbarkeit bedingenden, aber nicht dem Strafrecht angehörigen Rechtssatzes führte in der Regel zur Bejahung eines Versuchs. Dies galt beispielsweise für die durch Täuschung erschlichene Auflösung eines ohnehin anfechtbaren Vertrages155, die unnötig falsche Darstellung des Sachverhalts bei Geltendmachung eines nach Versicherungsrecht sowieso zustehenden Anspruchs156, den Verkauf einer unterschlagenen Sache bei fehlender Kenntnis der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb157, Fehlvorstellungen über die Zuständigkeit von Vernehmungspersonen bei Aussagedelikten158 und in einigen Entscheidungen des ersten und fünften Strafsenats auch für die eingebildete Verkürzung eines in Wahrheit nicht bestehenden Steueranspruchs159. Dabei ging das Gericht jeweils von der doppelten Wirksamkeit der Unterscheidung von tatsächlichen und strafrechtlichen (bzw. denen jeweils gleichgestellten) Irrtümern aus, was folgendermaßen auch ausformuliert wurde: „Wie der tatsächliche Irrtum nach § 59 StGB die Schuld ausschließt, so findet er auch umgekehrt zu Ungunsten des Täters Beachtung, wenn er zur Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Tatbestandserfordernisses führt.“160

bestimmt.“ Diese Fassung galt abgesehen von orthografischen Anpassungen bis zum Inkrafttreten des 2. Strafrechtsreformgesetzes (1969) im Jahre 1973. Heute stellt der § 22 StGB ausdrücklich auf die Vorstellung des Täters ab, die grundsätzliche Strafbarkeit ergibt sich ferner aus einem Umkehrschluss zu § 23 Abs. 3 StGB. 154 RGSt 1, S. 439 (442). 155 RGSt 11, S. 72 (77). Durch die ohnehin gegebene Anfechtbarkeit entfiel objektiv der Vermögensschaden. 156 RGSt 42, S. 92 (94). Hier hatten die Angeklagten über den Zeitpunkt der Erkrankung und des Todes eines versicherten Pferdes in der Annahme getäuscht, erst mit der – zum wirklichen Zeitpunkt der Erkrankung tatsächlich noch nicht bewirkten – Aushändigung der Police beginne der Versicherungsschutz. 157 RGSt 49, S. 16 (20). Hier hatte der Angeklagte ein Fahrrad unterschlagen und weiterveräußert mit der Vorstellung, der gutgläubige Käufer erwerbe kein Eigentum. Im Gegensatz zur später vertretenen Makeltheorie (vgl. RGSt 73, S. 61; BGH 15, S. 83) verneinte das Reichsgericht einen vollendeten Betrug mangels Vermögensschadens, nahm jedoch einen Versuch an. 158 RGSt 58, S. 302; RGSt 60, S. 25 (27); RGSt 65, S. 206 (208); RGSt 72, S. 80 (82). 159 RGSt 68, S. 45 (53 ff.). Hier wurde darauf abgestellt, dass es sich um einen Irrtum über nicht dem Steuerstrafrecht angehörige Vorschriften handele. 160 RGSt 42, S. 92 (94). Ferner sei erwähnt, dass das Reichsgericht den Umkehrschluss auch zur Begründung der heute nicht mehr problematischen Strafbarkeit des untauglichen Versuchs heranzog.

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Dass Fehlvorstellungen über die Grenzen des positiven Strafrechts niemals von Bedeutung seien, Fehlvorstellungen über Tatsachen und diesen gleichstellte außerstrafrechtliche Normen jedoch schon, wurde aber auch hier – im Rahmen der Abgrenzung von Wahndelikt und untauglichem Versuch – nicht in letzter Konsequenz durchgehalten: Beispielsweise führte die irrige Annahme einer strafbaren Vortat zur Bejahung der versuchten gewerbsmäßigen Hehlerei161, obwohl dieser Irrtum eindeutig dem Strafrecht zuzuordnen war. Andererseits wurde zum Teil bei Überdehnung nicht dem Strafrecht angehöriger Normen ein Wahndelikt angenommen: So führte die Angabe erdichteter Forderungen unter der (damals noch fehlerhaften) Vorstellung, ein Offenbarungseid nach § 711 ZPO i. d. F. von 1898162 beziehe sich nicht nur auf die Vollständigkeit, sondern auch auf die Richtigkeit des Vermögensverzeichnisses, nach einer später allerdings aufgegebenen Rechtsprechung nicht zur Bestrafung wegen versuchtem Meineids163. Schaurig und abstoßend liest sich eine im Jahre 1938 ergangene Entscheidung u. a. zur Frage, ob bei rechtsirriger Annahme eines Angeklagten, er sei Jude i. S. d. Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz, der Versuch der sogenannten Rassenschande nach §§ 2, 5 Abs. 2 BlutschutzG möglich sei164. Obgleich die unterstellte Fehlvorstellung des Angeklagten formal die Verordnung und nicht das in Frage stehende Strafgesetz betraf, ging das Gericht für diese Sachverhaltsvariante vom Wahndelikt aus, was allerdings dann auch mit der repressiven systemgefälligen Rechtsprechung zu umgekehrten Sachlagen vereinbar war165. RGSt 64, S. 130; vgl. auch RGSt 52, S. 197. Nach heutiger Rechtslage hat der Schuldner gem. § 807 ZPO an Eides statt sowohl die Richtigkeit als auch die Vollständigkeit des Vermögensverzeichnisses zu versichern. Die Erweiterung des Offenbarungseides auf die Richtigkeit erfolgte durch Gesetz vom 20. 8. 1953, BGBl. I, S. 952. Der Offenbarungseid selbst wurde mit Gesetz vom 27. 6. 1970, BGBl. I, S. 911 durch die Eidesstattliche Versicherung ersetzt. 163 RG JW 1928, S. 1865; aufgegeben wurde diese Ansicht in RG JW 1931, S. 2128. 164 RGSt 72, S. 109 (112 f.); siehe zum Tatbestand selbst auch Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 197. 165 Zur Vermeidung von Missverständnissen sei deshalb darauf hingewiesen, dass die Ablehnung eines untauglichen Versuchs in RGSt 72, S. 109 für den Fall, dass sich der Angeklagte aufgrund rechtlicher Fehlvorstellungen für einen Juden i. S. d. Verordnung hielt, wohl eindeutig nicht in der Absicht geschah, die Nürnberger Rassengesetze besonders milde auszulegen. Vielmehr unterbreitet das Revisionsgericht der Tatinstanz zahlreiche Vorschläge, den nicht der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörigen Angeklagten doch noch der im konkreten Fall unklaren „volljüdischen Abstammung“ zu „überführen“. So lasse die mangelnde Mitwirkung des Angeklagten bei der Erforschung seiner Herkunft Schlussfolgerungen auf seine Persönlichkeit zu, auch eine „rassenkundliche Untersuchung“ verspreche „wertvolle“ Erkenntnisse [RGSt 72, S. 109 (111 f.)]. Ferner sei der Angeklagte, wenn man ihm wenigstens die umstandsbezogene Vorstellung, von drei jüdischen Großeltern abzustammen, nachweisen könne, wegen Versuchs zu bestrafen. Entscheidendes Motiv für die Annahme eines Wahndelikts im Fall eines bloßen Rechtsirrtums dürfte deshalb in der Tat eher die Vermeidung von Widersprüchen zu Entscheidungen hinsichtlich umgekehrter Konstellationen gewesen sein. Schließlich hatte das Reichsgericht den „Rechts“-begriff des Juden für die Frage des Vorsatzes bereits zum strafrechtlichen erklärt – mit der Begründung, dass der äußere Umstand einer 161 162

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Selbst die Doktrin vom Umkehrschluss wurde nicht immer eingehalten: So wurde der Versuch der Steuerhinterziehung bei bloß vorgestellter Steuerverkürzung in einigen Entscheidungen des zweiten Strafsenats166 verneint – dort mit der eher schlichten Begründung, dass ansonsten angesichts der Unübersichtlichkeit steuerrechtlicher Pflichten ein zu weiter Raum für mögliche Strafbarkeiten eröffnet werde167. Hingenommen wurde hier ausdrücklich, dass im entgegengesetzten Fall die fehlende Kenntnis des Steueranspruchs zum Freispruch führen würde168. Der Unterschied zu den kernstrafrechtlichen Entscheidungen entschärft sich jedoch insofern, als das damalige Steuerstrafrecht – wie oben gezeigt – in umgekehrten Konstellationen ebenfalls eigene Wege ging169.

II. Gegenmodelle aus dem damaligen Schrifttum 1. Tatbestands- und Verbotsirrtum Im damaligen Schrifttum stieß die reichsgerichtliche Rechtsprechung zur Abgrenzung von Tatirrtum und Rechtsirrtum – von wenigen Ausnahmen170 abgesehen – auf deutlich ablehnendes Echo. Bereits im Jahre 1903 hatte Kohlrausch in einer breit angelegten und einflussreichen Untersuchung zahlreiche Widersprüche geltend gemacht, welche nahezu einmütig von der übrigen Literatur aufgegriffen wurden171. Die lebhaft und nicht ohne Polemik172 ausgetragene Kritik an der höchstRegelung außerhalb des Strafgesetzes hier nur formaler Natur sei, und der Konsequenz, dass für die Verfolgung die reine Umstandskenntnis beim Täter ausreichte [RGSt 70, S. 353 (354 f.)]. 166 RGSt 64, S. 229 (238 f.); RGSt 65, S. 165 (172); RGSt 66, S. 194 (201). Vgl. dagegen Fußnote 159 (S. 47). 167 RGSt 65, S. 165 (172). 168 RGSt 65, S. 165 (171). 169 Siehe oben Seite 45. 170 Sympathien zeigt Lucas, Der Rechtsirrtum, Deutsche JZ 1914, Sp. 249 (251 ff.), der betont, dass das Problem nicht aus „wissenschaftlichen Erwägungen, sondern hauptsächlich aus staatsmännischen Rücksichten zu lösen“ sei. Vgl. auch Tischler, Verbotsirrtum und Irrtum, S. 45 ff. m. w. N. 171 Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff im Strafrecht, Berlin 1903, insb. S. 118 ff.; Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, § 202, S. 348 ff., 364 ff.; von Hippel, Deutsches Strafrecht, Band 2, § 25, S. 343 ff. Ausführlich dogmengeschichtlich nachgezeichnet wird die Entwicklung von Tischler, Verbotsirrtum und Irrtum, S. 43 ff., 50 ff. m. w. N. 172 Vgl. z. B. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, § 202, S. 361: „Das Gericht bleibt aber charaktervoll seinem Fanatismus treu: der Irrtum bleibt unbeachtlich, insbesondere schliesst er nie den Vorsatz aus.“ und § 204, S. 384: „Der Rückblick zeigt: die Rechtsprechung unseres höchsten Gerichts und aller Gerichte, die ihm auf dem Irrtumsgebiet folgen, ist durch und durch krank: sie widerspricht dem Gesetz, der Vernunft, wie der Gerechtigkeit.“ Etwas vorsichtiger formulierte von Hippel, Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, S. 5: „Der Standpunkt des Reichsgerichts, das übrigens hier in der Wissenschaft so einsam und verlassen

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richterlichen Rechtsprechung wandte sich sowohl gegen die generelle Unbeachtlichkeit des strafrechtlichen Subsumtionsirrtums als auch speziell gegen die Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum. Unter den Kritikern bildeten sich bekanntermaßen zwei Gegenmodelle, die später Vorsatztheorie und Schuldtheorie genannt werden sollten173. a) Vorsatztheorie Binding174, den man wohl als einen der Begründer, in jedem Fall als nachhaltigsten Vertreter der Vorsatztheorie bezeichnen darf, erschien die reichsgerichtliche Fiktion einer Allgemeinkundigkeit und Allgemeinverständlichkeit von Strafgesetzen als völlig lebensfremd175. Als „gewissenhafter Rechtsdogmatiker“176 versuchte er zunächst nachzuweisen, dass der Grundsatz error iuris nocet jedenfalls im klassisch-römischen Strafrecht niemals Geltung besaß, die Berufung auf jene „rhetorische Floskel“ also jeder Grundlage entbehrte; so sei unter anderem der Begriff ius zivilrechtlich als ius suum, d. h. als ein dem Rechtssubjekt zukommendes Recht zu verstehen, was nicht auf das Strafrecht übertragen werden könne177. Der strafrechtliche Vorsatz setzte vielmehr für den Gesetzespositivisten Binding notwendigerweise das Bewusstsein der Gesetzeswidrigkeit178 voraus. Unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit gebe es gar keinen tiefer greifenden Gegensatz als den zwischen bewusster und unbewusster Auflehnung gegen das Recht179. Ein unbewusst rechtswidriger Wille sei deshalb eine wesentlich andere Schuldform als der dolus malus180; jeder Irrtum181 über das Verbotensein des Verhaltens sollte vorsatzausschließend wirken. Im System dieser Vorsatztheorie erübrigt sich die Unterscheidung zwischen Irrtümern auf strafrechtlicher und außerstrafrechtlicher dasteht, wie in keiner andern wichtigen Frage, ist nicht geeignet, uns für die Gegenwart und Zukunft etwas zu nützen …“. 173 Die Begriffsbildung geht auf Welzel, Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, Süddeutsche JZ 1948, Sp. 368 (369) zurück. 174 Vgl. Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts, S. 116, 118 ff.; ders., Normen und ihre Übertretung, Band II 2, § 111, S. 803, §§ 125 ff., S. 935 ff. Zur historischen Entwicklung vgl. auch Tischler, Verbotsirrtum und Irrtum, S. 52 ff., 71, 87 ff., 91 ff., 104 ff., 135 ff., 171 ff., 199 ff. 175 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, § 204, S. 385. 176 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, § 149, S. 30. 177 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, §§ 150 – 154, S. 33 ff. (insb. 53 ff.); vgl. ferner Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 511 ff. m. w. N.; aber auch Löffler, Schuldformen des Strafrechts, S. 93 ff. 178 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band II 2, § 127, S. 958. 179 Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts, S. 116. 180 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band II 1, § 82, S. 326. 181 Kein Irrtum liegt freilich auch nach Binding dann vor, wenn der Täter hinsichtlich des Verbotenseins seines Verhaltens mit dolus eventualis handelte (Die Normen und ihre Übertretung, Band II 1, § 68, S. 141).

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Ebene182. Selbstverständlich um den Preis, dass man Schutzbehauptungen Tür und Tor öffnet und selbst den ethisch völlig fehlgeleiteten, rechtsabgewandten Täter nur im Falle einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit belangen kann. Nach späteren Varianten der Vorsatztheorie sollte deshalb im Falle eines auf Rechtsblindheit oder -feindschaft beruhenden Irrtums die Vorsatzstrafe bestehen bleiben, zudem war es ein Anliegen, Lücken bei der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit zu schließen. Repräsentatives Beispiel dafür ist der von der amtlichen Strafrechtskommission von 1933 bis 1936 erarbeitete (aufgrund von Differenzen mit der NSDAP-Führung183 aber nie umgesetzte) Entwurf für ein Deutsches Strafgesetzbuch, welcher anders als das alte RStGB184 nicht mehr an den Problemen des Rechtsirrtums vorübergehen wollte185. Im Rahmen eines neuen „Willensstrafrechts“ sollte gem. § 15 Abs. 1 E 1936186 der Vorsatz generell das Unrechtsbewusstsein mit umfassen, gerade in der „Auflehnung gegen den Volkswillen“ lag der „Kern“ des neuen Vorsatzbegriffs187. In § 16 Abs. 2 E 1936188 waren daneben insbesondere im Hinblick auf das Nebenstrafrecht189 für die einfache Rechtsfahrlässigkeit allgemeine Strafbarkeiten vorgesehen. Ein Irrtum, der mit dem „gesunden Volksempfinden über Recht und Unrecht“ unvereinbar erschien, sollte aller182 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, § 203, S. 368 ff.; vgl. auch LangHinrichsen, Zur Problematik der Lehre von Tatbestands- und Verbotsirrtum, JR 1952, S. 184 (192). 183 Letztlich führte das Reformprogramm nur in den Teilen, die zur Sicherung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft notwendig waren, zur Novellierung des RStGB. Insbesondere Hans Frank, Leiter des Reichsrechtsamts der NSDAP und Reichsminister ohne Geschäftsbereich, erwies sich als „Störfaktor“. Vgl. dazu Gruchmann, Justiz im dritten Reich 1933 – 1940, S. 753 ff. 184 Siehe oben Seite 42. 185 Vgl. Schäfer, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, S. 62 ff.; siehe auch Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 198 ff. 186 § 15 Abs. 1 E 1936 hatte folgenden Wortlaut: „Vorsätzlich handelt, wer die Tat mit Wissen und Willen begeht und sich dabei bewusst ist oder in Kauf nimmt, Unrecht zu tun oder gegen das Gesetz zu verstoßen.“; zitiert nach Schubert / Regge / Rieß / Schmid (Hrsg.), Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, II. Abt., Band 1, 1. Teil, S. 411 f.; siehe auch Schäfer, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, S. 65 f. 187 Vgl. Amtliche Begründung zu § 15 E 1936, zitiert nach Schubert / Regge / Rieß / Schmid (Hrsg.), Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, II. Abt., Band 1, 2. Teil, S. 22. Interessant dazu auch die Sicht eines Emigranten: Mannheim, Mens Rea in German and English Law II, Journal of Comparative Legislation and International Law, Vol. 17 [1935], No. 4, S. 236 (244 f., 250). 188 § 16 Abs. 2 E 1936 lautete wie folgt: „Fahrlässig handelt auch, wer die Tat mit Wissen und Willen begeht, aber pflichtwidrig nicht erkennt, daß er damit gegen ein Gesetz verstößt oder sonst Unrecht tut. Ist fahrlässiges Verhalten nicht mit Strafe bedroht, so kann der Richter gleichwohl nach freiem Ermessen auf Strafe erkennen; jedoch darf die Strafe nach Art und Maß nicht schwerer sein als die Strafe, die für die vorsätzliche Begehung der Tat angedroht ist; auch darf sie Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft nicht übersteigen […]“. 189 Vgl. Amtliche Begründung zu § 16 E 1936, zitiert nach Schubert / Regge / Rieß / Schmid (Hrsg.), Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, II. Abt., Band 1, 1. Teil, S. 24.

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dings gem. § 15 Abs. 3 E 1936 ganz unbeachtlich bleiben190. Dies entsprach auch dem Ansatz von Mezger, ebenfalls herausragender Vertreter der Vorsatztheorie, dessen Beispiele, welche er damals entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie zur Veranschaulichung des Vorschlags lieferte, freilich durchweg abstoßend wirken191. So seien Homosexualität, Abtreibung und Rassenschande als sogenannte crimina odiosa (verhasste Verbrechen) einzustufen, ein Irrtum über die Strafbarkeit zeuge von einer Grundeinstellung des Täters, die keine Nachsicht verdiene. Von Mezger „chamäleonartig“192 angepasst an veränderte politische Verhältnisse überdauerte der Ansatz mit neuen unverfänglichen Erläuterungen die Nachkriegszeit193. Alternativ zum Konzept der Rechtsfeindschaft schlugen andere Vertreter der Vorsatztheorie – wie Lang-Hinrichsen194 – bei groben Rechtsirrtümern die Verhängung von Maßregeln der Besserung und Sicherung vor oder strebten wiederum de lege ferenda die Einführung eines Sammeltatbestandes der Rechtsfahrlässigkeit an195. All dies macht allerdings die Ergebnisklarheit der Vorsatztheorie wiederum zunichte und erfordert dann doch eine Grenzziehung bei rechtsbezogenen Irrtümern196.

190 In § 15 Abs. 3 E 1936 hieß es: „Der Täter wird nicht mit der Behauptung gehört, er habe angenommen, daß seine Tat nicht gegen ein Gesetz verstoße und er kein Unrecht tue, wenn dieser Irrtum auf einer Einstellung beruht, die mit dem gesunden Volksempfinden über Recht und Unrecht unvereinbar ist.“ 191 Mezger, Rechtsirrtum und Rechtsblindheit, in: Festschrift-Kohlrausch (1944), S. 180 (183 f.); vgl. dazu auch Muñoz Conde, Edmund Mezger und das Strafrecht seiner Zeit, JoJZG 2007, S. 9 (10). 192 Vgl. Muñoz Conde, JoJZG 2007, S. 9 (12). 193 Mezger, Unrechtsbewußtsein im Strafrecht, NJW 1951, S. 500 (502); ders., Fiktion und Analogie beim sog. Verbotsirrtum, NJW 1951, S. 869 (870); ders., Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 2. Band, S. 19 (24 f.). 194 Lang(-Hinrichsen), Zur Frage des Unrechtsbewußtseins, ZStW 63 [1951], S. 332 (348 f.). 195 Lang(-Hinrichsen), ZStW 63 [1951], S. 332 (348 f.); Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, S. 247; vgl. auch Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum, S. 3, Fn. 7 m. w. N. Aus jüngerer Zeit T. Walter, Der Kern des Strafrechts (2006), S. 440 ff., insb. S. 446 mit Vorschlag für einen neuen § 17 StGB. 196 So zutreffend: BGHSt 2, S. 194 (207); Welzel, Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, Süddeutsche JZ 1948, Sp. 368 (370), Fn. 6; ders., Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, in Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, S. 250 (253, Fn. 6); Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum, S. 4. Anders ist dies wohl nur beim Ansatz von T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 443, der de lege ferenda eine Gleichbehandlung der Rechtsirrtümer (vgl. § 15 Abs. 3 StGB-E) im Rahmen eines neu zu schaffenden Tatbestandes der Irrtumsfahrlässigkeit anstrebt und dort (§ 17 Abs. 2 S. 2 StGB-E) nur Irrtümer aufgrund falscher Wahrnehmung privilegieren möchte (a. a. O., S. 446; siehe auch oben Fußnote 195).

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b) Schuldtheorie Die ersten Ansätze der Schuldtheorie, also einer Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum, sind unter anderen Graf zu Dohna197und von Hippel 198 zuzuschreiben. Auch sie waren entgegen dem Reichsgericht der Ansicht, dass das Kennenmüssen des Gesetzes nicht davon abhängen könne, ob das fragliche Merkmal systematisch im selben oder in einem anderen Gesetz steht199. Ihrer Meinung nach dürfe man den Irrtum über das Verbotensein der Tat auch nicht völlig ignorieren, er sei jedoch zugleich anders zu behandeln als der Tatirrtum200. Wenn der „Verbotsirrtum“ unentschuldbar sei, erlaube dies unter keinen Umständen einen Freispruch201. Nur schuldlos rechtswidriges Verhalten dürfe ohne Strafe bleiben, bei vorwerfbaren Verbotsirrtümern bleibe die Möglichkeit einer durchgreifenden Strafmilderung202. Man dürfe den Täter schließlich nicht so behandeln, als ob er sich überhaupt nicht um die staatliche Gesetzgebung zu kümmern brauche203. Insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg trat unter anderen Welzel, Begründer des finalen Verbrechensbegriffs204, als überzeugter Verfechter der Schuldtheorie auf. Das Konzept einer nunmehr auch aufbaumäßigen Trennung von Tatbestandsvorsatz und Unrechtsbewusstsein sollte die überholte reichsgerichtliche Rechtsprechung ablösen205. Insbesondere vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Verbrechen und dem Beginn ihrer Aufarbeitung konnte er dabei (allerdings ohne, dass er sich schon vor Kriegsende sonderlich kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt hätte206) den Thesen der Vorsatztheorie wirkungsvoll entGraf zu Dohna, Recht und Irrtum, S. 17 ff. von Hippel, Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, S. 12 ff.; ders., Deutsches Strafrecht, Band 2, § 25, S. 337 ff. 199 von Hippel, Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, S. 5. 200 Graf zu Dohna, Recht und Irrtum, S. 19; von Hippel, Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, S. 13. 201 Graf zu Dohna, Recht und Irrtum, S. 18 f. 202 Graf zu Dohna, Recht und Irrtum, S. 19; von Hippel, Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, S. 13. 203 von Hippel, Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, S. 15. 204 Welzel, Kausalität und Handlung, ZStW 51 [1931], S. 703 (711); ders., Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 [1939], S. 491 (502 ff., 522). Zu den verschiedenen Entwicklungsstufen vgl. auch Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre, ZStW 74 [1962], S. 515 (531 ff.). 205 Welzel, Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, Süddeutsche JZ 1948, Sp. 368; ders., Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, in Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, S. 250; ders., Zur Abgrenzung des Tatbestandsirrtums vom Verbotsirrtum, MDR 1952, S. 584; ders., Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 2. Band, S. 5 ff. 206 Der Fairness halber sollte deshalb nicht der Eindruck entstehen, Welzel habe in jeder Hinsicht das krasse Gegenbild zu Mezger verkörpert (vgl. Seite 52). Vielmehr machte auch Welzel durchaus gewisse „Zugeständnisse“, die heute vielleicht sogar mehr als „irritierend“ 197 198

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

gegentreten. So habe der an der Tötung von Geisteskranken oder der Erschießungen von Zivilpersonen beteiligte Täter nun mal vorsätzlich gehandelt, auch wenn er unwiderlegbar an die Rechtfertigung seines Tuns durch Führererlass oder sonstigem Befehl geglaubt haben mag207. Fehlvorstellungen des Täters über die rechtliche Bewertung änderten an der grundsätzlichen Qualität seines Verhaltens, das „final“ auf die Tötung von Menschen gerichtet war, nichts. Entsprechende Fälle seien mit keiner Variante der Vorsatztheorie zu bewältigen, auch nicht in der Weise, dass man für Fälle der Rechtsblindheit, also auch bei Missachtung „evidenter“ Naturrechtssätze, ein Unrechtsbewusstsein fingiert, um so doch zur Vorsatzstrafbarkeit zu kommen208. Die Notwendigkeit von Fiktionen im Zentralgebiet der strafrechtlichen Schuld sei vielmehr ein untrügliches Zeichen dafür, dass das sachliche Problem so nicht bewältigt werden könne. Auch ein allgemeiner Aushilfstatbestand der Rechtsfahrlässigkeit stelle als tatbestandsloses delictum culpae mit willkürlichem Strafrahmen keine denkbare Lösung dar. Der vermeidbare Verbotsirrtum sei deshalb lediglich (zwingender) Schuldmilderungsgrund innerhalb der vorsätzlichen Tatbestände, nur der unvermeidbare Verbotsirrtum schließe Schuld und Strafe aus209. Konsequenz dieses Ansatzes für Tatbestände mit hoch normativen Merkmalen ist freilich die komplizierte Abgrenzung von umstandsbezogenen und verbotsbezogenen Irrtümern, also die Frage, der später im Detail nachgegangen werden soll.

2. Untauglicher Versuch und Wahndelikt Die reichsgerichtliche Differenzierung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt bei Irrtümern über straf- bzw. außerstrafrechtliche Normen fand deutlich geringere Beachtung in der damaligen Literatur. Dies lag vor allem daran, dass sich weite Teile des Schrifttums auf die viel allgemeinere Frage, ob denn der untaugliche Versuch überhaupt strafbar sei, konzentrierten210. Dies verneinend brauchte man zur Lösung von Abgrenzungsproblemen der Gegenauffassung des Reichsgerichts nichts weiter beizutragen.

wirken mögen [vgl. Loos, Hans Welzel (1904 – 1977), JZ 2004, S. 1115 (1118); siehe auch folgende Fußnote 207]. 207 Welzel, Süddeutsche JZ 1948, Sp. 368 (370). Anders lesen sich freilich Ausführungen aus Vorkriegszeiten, wonach Tötungen im Kriege oder Hinrichtungen „unzweifelhaft“ sozialadäquat und somit nicht einmal tatbestandsmäßig seien [ders., Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 [1939], S. 491 (529)]. 208 Welzel, Süddeutsche JZ 1948, Sp. 368 (370). 209 Welzel, Süddeutsche JZ 1948, Sp. 368 (372). 210 Siehe dazu auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 41 ff.; Endrulat, Der „umgekehrte Rechtsirrtum“, S. 182 ff.; Roxin, Strafrecht AT II, § 29, Rn. 25 ff.; Eser, in: Schönke / Schröder, Vorbem § 22 StGB, Rn. 17 ff.

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a) Objektive Theorie Die Vertreter der objektiven Theorie und verwandter Konzepte211 verlangten als Voraussetzung für die Strafbarkeit einer Handlung als Versuch zumindest den Eintritt einer objektiven Gefahr für ein Rechtsgut oder Interesse, da die Gefährdung den eigentlichen Strafgrund des Versuchs darstelle; alles Subjektive wurde dagegen im Sinne des klassischen Verbrechensbegriffs der Schuld zugeordnet. Auch wenn sich jede Handlung, die nicht zum Erfolg führt, letztendlich als ungeeignet erweise, lasse dies nicht den Schluss auf eine generelle Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zu. Vielmehr müsse man – wie auch heute noch die Gesetzeslage in Österreich212 – zwischen „absolut“ und „relativ“ untauglichen Mitteln unterscheiden213. Nur solche Handlungen, die potentiell für die Erfolgsherbeiführung geeignet sind, seien der letzteren, strafbaren Kategorie zuzuordnen. Die Abgrenzung zwischen den beiden Kategorien war jedoch nicht unproblematisch: So wurde für die Prüfung einer irgendwie mittels allgemeiner Erfahrungssätze zu bestimmenden Geeignetheit sowohl eine ex post-214 als auch eine ex ante-Betrachtung215 vorgeschlagen. Aus ex post-Sicht absolut untauglich war etwa der Abtreibungsversuch an einer NichtSchwangeren216. Mit einer ex ante-Beurteilung vermochte man dagegen in einem solchen Fall durchaus zur Strafbarkeit gelangen, wenn die Schwangerschaft dem Täter objektiv als nicht unwahrscheinlich erscheinen musste217. In Fällen, in denen die objektive Rechtslage eine Vollendung unmöglich machte, war jedoch auch aus ex ante-Sicht von einer absoluten Untauglichkeit der Handlung und damit von einer generellen Straflosigkeit auszugehen. Nach einem weiteren Konzept, der Lehre vom „Mangel am Tatbestand“218, sollte der untaugliche Versuch wiederum nur dann strafbar sein, wenn lediglich das tatbestandliche Schlussstück, namentlich der Erfolg, ausblieb. Der Versuch mit untauglichen Mitteln war demnach strafbar, insoweit dieser auf einem „ontologischen Irrtum“, also auf Fehlvorstellungen über Tat211 Feuerbach, Lehrbuch des Peinlichen Rechts, § 42, insb. Abs. 3; von Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 23. Aufl., § 47, S. 208 ff.; Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, § 214, S. 438 ff., § 223, S. 507 ff.; Frank, § 43 RStGB, Anm. III (S. 88 ff.); Mezger, Strafrecht, S. 395 ff.; von Hippel, Deutsches Strafrecht, Band 2, § 30, S. 417 ff.; ders., Lehrbuch des Strafrechts, § 46. 212 Vgl. Hager / Massauer, in: Wiener Kommentar, § 15, 16 StGB, Rn. 70 ff.; siehe auch Seite 82. 213 Diese Differenzierung geht auf Mittermaier, Der Versuch von Verbrechen, Der Gerichtssaal, Jg. 11 [1859], S. 403 (437 ff.) zurück. 214 So zu verstehen die Beispiele bei Mittermaier, Der Gerichtssaal, Jg. 11 [1859], S. 403 (443 ff.). 215 von Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 23. Aufl., § 47, S. 209; von Hippel, Deutsches Strafrecht, Band 2, § 30, S. 418 f., 425 ff. 216 Mittermaier, Der Gerichtssaal, Jg. 11 [1859], S. 403 (443 f.). 217 von Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 23. Aufl., § 47, S. 209. 218 Graf zu Dohna, Der Aufbau der Verbrechenslehre, S. 56 f.; Frank, § 43 RStGB, Anm. III (S. 91) m. w. N.

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sächliches beruhte219. Für einen „nomologischen Irrtum“, gemeint ist ein solcher über Gesetzmäßigkeiten, galt dies jedoch nicht220. Mangelte es sogar an der rechtlichen oder tatsächlichen Tauglichkeit des Täters oder des Tatobjekts, lag ebenfalls schon kein „Anfang der Ausführung“ vor, eine Strafbarkeit war durchgängig zu verneinen. Die im Rahmen dieser Untersuchung interessierenden Fälle rechtlich hoffnungsloser Unterfangen blieben damit nach allen Spielarten der objektiven Theorie straflos. Auf Abgrenzungsfragen war somit nicht weiter einzugehen, unabhängig davon, ob hinsichtlich der umgekehrten Konstellation Vorsatz- oder Schuldtheorie vertreten wurde. b) Subjektive Theorie – Keine Weiterentwicklung im System von Vorsatz- bzw. Schuldtheorie Die subjektive Theorie fand dagegen fast keine Anhänger im damaligen Schrifttum. Deshalb wurden von dieser Seite aus auch keine Versuche unternommen, Alternativmodelle zur reichsgerichtlichen Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt im System von Vorsatz- bzw. Schuldtheorie zu entwickeln. Nur der bereits oben erwähnte Gesetzesentwurf der amtlichen Strafrechtkommission221 ging im Rahmen seines „Willensstrafrechts“222 mit § 7 E 1936223 selbstverständlich von der subjektiven Theorie aus. Aber auch insofern fehlte jede Auseinandersetzung mit den bekannten Abgrenzungsproblemen. Dies ist erstaunlich, weil bei Gesetzwerdung des E 1936 angesichts der Tatsache, dass grundsätzlich für alle Delikte Versuchsstrafbarkeit vorgesehen war224, sich die Probleme noch weiter verschärft hätten. Gerade in Bezug auf die Vorsatztheorie wäre ein solches Gedankenspiel freilich auch aus heutiger Sicht, vor allem im Hinblick auf später zu besprechende moderne Ansätze, nicht uninteressant. Denn wenn man unterstellt, dass Umstandskenntnis und Unrechtsbewusstsein kumulativ den Vorsatz bzw. Tatentschluss begründen225, Frank, § 43 RStGB, Anm. III (S. 91). So konnte z. B. auch der abergläubische Versuch von der Strafbarkeit ausgenommen werden. 221 Siehe oben Seite 51. 222 Vgl. Freisler, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, S. 18 ff. Der Versuch sollte fortan für alle Delikte strafbar sein. 223 In § 7 E 1936 lautete es wie folgt: „(1) Als Täter wird schon bestraft, wer eine Straftat beginnt mit dem Vorsatz, sie selbst auszuführen […]. (2) Beginn der Tat ist jede Handlung, die sich, wenn auch nur in der Vorstellung des Täters vom Sachverhalt, unmittelbar auf die Verwirklichung des Tatbestandes richtet.“, zitiert nach Schubert / Regge / Rieß / Schmid (Hrsg.), Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, II. Abt., Band 1, 1. Teil, S. 410; siehe auch Freisler, in: Gürtner, Das kommende deutsche Strafrecht, S. 35 f. 224 Vgl. § 7 Abs. 1 E 1936; siehe auch Freisler, in: Gürtner, Das kommende deutsche Strafrecht, S. 22 ff. 225 Siehe oben Seite 50. 219 220

C. Moderne Ansätze

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könnte die reichsgerichtliche Doktrin vom Umkehrschluss keinen Bestand haben226. Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass das fehlende Unrechtsbewusstsein zwar nach der Vorsatztheorie – gleich dem Irrtum über Tatumstände – den Vorsatz entfallen lässt. Dennoch begründet ein fälschlicherweise vorhandenes Unrechtsbewusstsein für sich allein noch keinen Tatentschluss. Solange sich der Täter nicht zusätzlich auch die erforderlichen deliktsspezifischen Tatumstände einbildet, ist von einem Wahndelikt auszugehen. Damit ließe sich auch unter der Prämisse einer grundsätzlichen Strafbarkeit des untauglichen Versuches der Satz, dass alles was im Bereich des Tatirrtums entlastet, beim Versuch belastend wirkt, so nicht aufrechterhalten. Eine weitere Konsequenz ist, dass auch die Vorsatztheorie um eine Abgrenzung von rein verbotsbezogenen zu tatumstands- und verbotsbezogenen Fehlvorstellungen, auf die in der umgekehrten Konstellation im Regelfall verzichtet werden konnte227, nicht mehr herum käme. All dies sprach wohl auch dafür, der objektiven Versuchslehre im damaligen Schrifttum den Vorzug zu geben228. Damit bleibt die objektive Versuchstheorie das einzige historisch bedeutsame Gegenmodell zur reichsgerichtlichen Rechtsprechung.

C. Moderne Ansätze I. Ausgangspunkt – Grundsätzliche Weichenstellungen der Rechtsprechung und des bundesdeutschen Gesetzgebers 1. Tatbestands- und Verbotsirrtum a) Aufgabe der reichsgerichtlichen Irrtumslehre und Zugrundelegung der Schuldtheorie durch BGHSt 2, S. 194 In BGHSt 2, S. 194 aus dem Jahre 1952, der zweiten Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen überhaupt, hatte der Bundesgerichtshof darüber zu befinden, welche Auswirkungen einem Irrtum des Täters über die Rechtswidrigkeit einer Nötigung zukommen. Im konkreten Fall hatte ein Rechtsanwalt nach Übernahme eines Strafmandates in unstatthafter Weise sein Honorar eingetrieben; er glaubte aber, dazu berechtigt zu sein. Der Große Senat für Strafsachen nutzte die Gelegenheit, nachdem sich die Oberlandesgerichte schon zuvor von der reichsgerichtlichen Rechtsprechung weitgehend abgewandt hatten229, für die Zukunft der Irrtumslehre Vgl. auch Puppe, Tatirrtum, Rechtsirrtum, Subsumtionsirrtum, GA 1990, S. 145 (169). Vgl. oben Seiten 50 f. 228 Vgl z. B. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, § 214, S. 438 ff., § 223, S. 507 ff.; Mezger, Strafrecht, S. 395 ff.; siehe allerdings Mezger, Anmerkung zu BGH vom 5. Januar 1951, JZ 1951, S. 179, wo er seinen Ausführungen die subjektive Theorie zugrunde legt. 226 227

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wesentliche Weichenstellungen vorzunehmen. In einem eindeutigen Bekenntnis zum Schuldprinzip erklärte er dieses zum unantastbaren Grundsatz allen Strafens230. Voraussetzung für die Strafbarkeit sei, dass der Mensch sich in freier, verantwortlicher, sittlicher Selbstbestimmung für das Recht und gegen das Unrecht entscheide. Im Falle schicksalhafter, unvermeidbarer Unkenntnis des Rechts, könne dem Täter kein Vorwurf gemacht werden. Das überkommene reichsgerichtliche Prinzip, dass sich ein Irrtum über das Strafgesetz niemals strafbarkeitsausschließend auswirken kann, wurde damit aufgegeben. Gleichzeitig setzte sich der Bundesgerichtshof detailliert mit Vorsatztheorie und Schuldtheorie auseinander231 und entschied sich für letztere. Dabei ließ er sich vor allem von kriminalpolitischen Erwägungen und Effektivitätsgesichtspunkten leiten232. Nur mit der Schuldtheorie sei gewährleistet, dass kein Strafwürdiger frei ausgehe, da der vermeidbare Verbotsirrtum so auch ohne Strafdrohung für Fahrlässigkeit sanktioniert werden könne. Zur Abgrenzung von Verbotsirrtum und Tatbestandsirrtum in Problemfällen brauchte das Gericht nicht detailliert Stellung zu nehmen. Es beschränkte sich vielmehr auf folgenden Leitgedanken: Beim Irrtum über Tatumstände, mögen diese auch in Rechtsbeziehungen oder Rechtsverhältnissen bestehen, wisse der Täter nicht, was er tut, sein Wille sei nicht auf die Verwirklichung eines Tatbestandes ausgerichtet. Beim Irrtum über die Rechtswidrigkeit der tatbestandsmäßigen Handlung wisse der Täter, was er tut, er handele lediglich im Verbotsirrtum233.

b) Einführung der §§ 16, 17 StGB im Zuge des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes Der heute gültige Allgemeine Teil des StGB ist bekanntermaßen das Ergebnis der ersten beiden Strafrechtsreformgesetze aus den Jahren 1969234. Jedoch stellt schon das Jahr 1953 den eigentlichen Beginn der ursprünglich vom damaligen Bundesjustizminister Thomas Dehler initiierten Gesamtreform des bundesdeutschen Strafrechts dar235. Grundlage war die Arbeit der aus insgesamt 24 Strafrechtslehrern, 229 OLG Kiel, DRZ 1946, S. 126; KG DRZ 1947, S. 198 (199); OLG Frankfurt, Süddeutsche JZ 1947, Sp. 621 (626 ff.); OLG Bremen, NJW 1949, S. 436; OLG Tübingen, DRZ 1950, S. 211. Noch dem reichsgerichtlichen Ansatz folgend: OLG Hessen, StS Kassel, NJW 1948, S. 699. 230 BGHSt 2, S. 194 (200 ff.). 231 BGHSt 2, S. 194 (204 ff.). 232 BGHSt 2, S. 194 (208 ff.). 233 BGHSt 2, S. 194 (196 f.). Hirsch, in: Hilgendorf (Hrsg.), Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, S. 133 erzählt die schöne Anekdote, dass Welzel den Erfolg seiner Lehrmeinung (siehe oben Seiten 53 f.) gleich am darauffolgenden Tag mittels handgeschriebenem Zettel an der Tür des Juristischen Seminars bekanntmachte. 234 BGBl. 1969 I, S. 645 ff. und 717 ff. 235 Einen Überblick dazu bieten z. B. Roxin, Strafrecht AT I, § 4, Rn. 15 ff.; Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 232 ff.

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Richtern, Staats- und Rechtsanwälten sowie Ministerialbeamten und Bundestagsabgeordneten bestehenden Großen Strafrechtskommission, welche in den Jahren 1954 – 1959 tagte, und in der die Position der Schuldtheorie von Welzel 236 und die der Vorsatztheorie von Mezger237 vertreten wurde. Aus den Beratungen sind zahlreiche Teil- und Vorentwürfe hervorgegangen und schließlich auch der Gesamt-Entwurf 1962 (E 1962)238. Unter Abwägung der bekannten Argumente schloss man sich in § 21 E 1962 im Ergebnis der Schuldtheorie und damit auch der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an239. Die bewusste Verwirklichung eines Tatbestandes ohne Unrechtsbewusstsein, wohl aber mit der Möglichkeit dieses Bewusstseins, sei zwar eine Art Zwischenform zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Sie müsse jedoch zur Vermeidung von unerträglichen Strafbarkeitslücken und aufgrund von Praktikabilitätserwägungen, die gegen andere Lösungsmodelle sprechen, im Vorsatz aufgehen240. Erwähnenswert ist auch die ausdrückliche Regelung des Irrtums über rechtfertigende oder entschuldigende Umstände im Sinne der eingeschränkten Schuldtheorie in § 20 E 1962241, wobei für den Putativnotstand strengere Regeln gelten sollten242. Keine insofern wesentlichen Unterschiede bei den Irrtumsregeln wies auch der von 14 Strafrechtslehrern erarbeitete und 1966 veröffentlichte Alternativentwurf eines StGB (AE)243 auf. Damit konnte die vom Bundesgerichtshof vorweggenommene und von den Entwürfen aufgenommene Grundentscheidung für die Schuldtheorie schließlich Gesetz werden. Auf eine ausdrückliche Regelung des Irrtums über rechtfertigende oder gar entschuldigende Umstände wie in § 20 Abs. 1 Alt. 1 und 2 E Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 2. Band, S. 5 ff. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 2. Band, S. 19 ff. 238 BT-Drucks. IV / 650; auch abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuches, Band 3, S. 247 ff. 239 § 21 E 1962 hatte folgenden Wortlaut: „Wer bei Begehung der Tat irrig annimmt, kein Unrecht zu tun, handelt ohne Schuld, wenn ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen ist. Ist ihm der Irrtum vorzuwerfen, so kann die Strafe nach § 64 Abs. 1 gemildert werden.“ 240 Vgl. E 1962, Begründung, S. 141. 241 § 20 E 1962 hatte folgenden Wortlaut: „(1) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche die Tat rechtfertigen oder entschuldigen würden, wird nicht wegen vorsätzlicher Begehung bestraft. (2) Er wird jedoch wegen fahrlässiger Begehung bestraft, wenn ihm der Irrtum vorzuwerfen ist und das Gesetz auch fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht.“ 242 Vgl. für den rechtfertigenden Notstand § 39 Abs. 2 E 1962, für den entschuldigenden Notstand § 40 Abs. 2 E 1962. Die zweite Sonderregel war Vorbild für den heutigen § 35 Abs. 2 StGB, durch den die subjektive Notstandstheorie und die mildere Fahrlässigkeitslösung der damals gängigen Rechtsprechung für den entschuldigenden Notstand verworfen wurde, vgl. BGHSt 5, S. 371 (374); BGHSt 18, S. 311 (312). Für andere Fälle des Irrtums über tatsächliche Merkmale eines Entschuldigungsgrundes (insb. die irrtümliche Annahme eines Befehls in der Konstellation des § 5 Abs. 1 WehrStG) siehe Fischer, § 16 StGB, Rn. 25; vgl. zudem Schuster, Der Doppelirrtum auf Rechtfertigungsebene, JuS 2007, S. 617 (619 ff.) zur Konstellation des auf tatsächlicher Ebene unsorgfältigen, auf rechtlicher Ebene unvermeidbaren Doppelirrtums. 243 Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuches, Band 3, S. 371 ff. 236 237

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1962 bzw. § 19 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AE verzichtete man allerdings. Die Lösung dieses Problems sollte, abgesehen vom Fall des § 35 Abs. 2 StGB244, der Wissenschaft überlassen bleiben. Für den unvermeidbaren Verbotsirrtum setzte sich die fakultative Strafmilderung des § 21 S. 2 E 1962245 gegenüber der regelmäßigen des § 20 S. 2 AE246 durch. Die §§ 16, 17 StGB nach heutiger Fassung traten 1975 im Rahmen des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes in Kraft. Die §§ 16, 17 StGB gelten gem. Art. 1 Abs. 1 EGStGB auch für das Nebenstrafrecht sowie gem. § 369 Abs. 2 AO für das Steuerstrafrecht. Im Ordnungswidrigkeitenrecht finden sich in § 11 Abs. 1 und 2 OWiG inhaltsgleiche Vorschriften. Eine besondere, hier zunächst der Vollständigkeit halber zu nennende Privilegierung gegenüber § 17 S. 1 StGB bringt § 5 Abs. 1 Wehrstrafgesetz (vgl. auch § 7 Abs. 2 S. 2 UZwG, § 30 Abs. 3 ZDG), nach dem bei Handeln aufgrund eines nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehls die Schuld stets zu verneinen ist247. Dies geschieht mit Rücksicht auf die besondere Situation des Untergebenen, der unter Umständen auch wegen Ungehorsams gem. §§ 19 ff. WehrStG strafbar sein kann und sich insofern sogar mit einer im Vergleich zu § 17 S. 1 StGB ungünstigeren Irrtumsvorschrift (§ 22 Abs. 2 und 3 WehrStG248) konfrontiert sieht. Die genannten Vorschriften haben freilich im Rahmen dieser Arbeit nur eine untergeordnete Bedeutung, dienen unter Umständen aber als Vergleichsmaßstab.

c) Feststellung der Verfassungsmäßigkeit durch BVerfGE 41, S. 121 Die neuen Regelungen in §§ 16, 17 StGB wurden kurz nach Inkrafttreten einer konkreten Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterzogen. Die Vorlage stammte vom AG Pinneberg, welches zusammen mit einigen wenigen verbliebenen Vertretern der Vorsatztheorie249 der Meinung war, die unterschiedliche Behandlung von Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hielt diese Bedenken jedoch für offensichtlich unbegründet. Es sei Sache des Strafgesetzgebers, darüber zu entscheiden, welche der beiden Theorien aus der Strafrechtsdogmatik er der gesetzlichen Regelung zuSiehe dazu Seite 59, Fußnote 242. Für den Wortlaut siehe oben Seite 59, Fußnote 239. 246 § 20 AE hatte folgenden Wortlaut: „Wer bei Begehung der Tat über ihre Rechtswidrigkeit irrt, handelt ohne Schuld, wenn ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen ist. Ist ihm der Irrtum vorzuwerfen, so ist die Strafe in der Regel nach § 61 Abs. 1 zu mildern.“ 247 In anderen Fällen lässt § 5 Abs. 2 WehrStG bei Verbrechen Strafmilderung, bei Vergehen auch Absehen von Strafe zu. Dazu muss sich der Untergebene bei Befehlsausführung in einer besonderen Lage befunden haben. 248 Wohl im Interesse der Disziplin ist der vermeidbare Irrtum überhaupt nicht privilegiert. Vgl. Schölz, Zur Verbindlichkeit eines Befehls, Festschrift-Dreher, S. 479 (486 f.). Vgl. auch § 54 ZDG Abs. 4 und 5 sowie § 113 Abs. 4 StGB. 249 Vgl. etwa Schmidhäuser, Der Verbotsirrtum und das Strafgesetz (§ 16 I Satz 1 und § 17 StGB), JZ 1979, S. 361 m. w. N. 244 245

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grunde legen wollte250. Sich für die Schuldtheorie zu entscheiden, lag demnach im Gestaltungsbereich des Gesetzgebers, ohne dass ihm Willkür251 vorgeworfen werden konnte. Dass jede Strafe Schuld voraussetze, sei durch § 17 S. 1 StGB gewährleistet. Für den Fall, dass der Täter zwar ohne Unrechtsbewusstsein gehandelt hat, ihm dies aber vorzuwerfen ist, trage § 17 S. 2 StGB dem Gebot der Schuldangemessenheit des Strafens, wie es aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird252, ausreichend Rechnung253. Mehr könne dem Schuldgrundsatz als Verfassungsprinzip nicht entnommen werden. d) Zwischenbewertung Damit scheinen sich die Ideen der Vorsatztheorie in Deutschland zumindest im Bereich des Kernstrafrechts mehr oder minder erledigt zu haben254, auch wenn im Schrifttum jüngst eine gewisse Renaissance beobachtet werden kann, auf die noch an späterer Stelle einzugehen sein wird255. Eine Gesetzesänderung zugunsten einer Vorsatztheorie ist aber auf absehbare Zeit kaum zu erwarten, jedenfalls wenn die Initiative dazu von deutscher Seite ausgehen müsste.

e) Abgleich mit anderen Rechtsordnungen Theoretisch denkbar wäre allenfalls, dass die Grundsätze der Vorsatztheorie im Rahmen europäischer oder noch weitergehender internationaler Rechtsangleichung wieder an praktischer Bedeutung gewinnen könnten. Impulse dazu wären aber nur von Rechtsordnungen zu erwarten, in denen der Rechtsirrtum den Ausschluss der Vorsatzstrafbarkeit zur Folge hat. Um diesbezüglich eine realistische Einschätzung treffen zu können, soll nun ein kurzer Abgleich mit anderen Rechtsordnungen erfolgen256. Das so gewonnene Material wird auch noch bei der Bewertung speziell wirtschafts- oder steuerstrafrechtsbezogener Lösungsansätze, die teilweise dann doch der Vorsatztheorie nahekommen, eine wichtige Rolle spielen.

BVerfGE 41, S. 121 (124 f.). Vgl. BVerfGE 3, S. 58 (135 f.). 252 BVerfGE 20, S. 323 (331). 253 BVerfGE 41, S. 121 (125 f.). 254 Anders schon immer Schmidhäuser, Der Verbotsirrtum und das Strafgesetz (§ 16 I Satz 1 und § 17 StGB), JZ 1979, S. 361; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 15, Rn. 4 ff. (siehe dazu Seiten 108 f.); Freund, Strafrecht AT, § 4, Rn. 75 ff.; vgl. auch Geerds, Der vorsatzausschließende Irrtum, Jura 1990, S. 421 (429 ff.). 255 Vgl. T. Walter, Der Kern des Strafrechts, Tübingen 2006 (siehe dazu Seiten 110 f.); Herzberg, Fahrlässigkeit, Unrechtseinsicht und Verbotsirrtum, in: Festschrift-Otto, S. 265 (siehe dazu Seiten 108 f.). 256 Siehe dazu auch den Überblick bei Vogel, in: Leipziger Kommentar, Vor § 15 StGB, Rn. 76 ff. 250 251

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aa) Portugal Zu beginnen ist mit Portugal, für dessen Strafrechtswissenschaft das deutsche Recht zum entscheidenden Orientierungsgegenstand geworden ist257. Entsprechendes war bereits in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zu beobachten, ganz entscheidend für eine Hinwendung zur deutschen Systematik war jedoch die Überwindung der Diktatur des Estado Novo durch die Nelkenrevolution im Jahre 1974, in dessen Anschluss mit der Abarbeitung des aufgestauten Modernisierungsbedarfs begonnen werden musste. Die portugiesische Strafrechtstradition weist daneben schon immer einen durchaus zurückhaltenden Charakter auf258, wenn man etwa an die frühe Ablehnung der Todes-259 und der lebenslangen Freiheitsstrafe260 oder an das bereits 1911 auf 16 Lebensjahre heraufgesetzte Strafmündigkeitsalter261 denkt. Sie reagiert wohl auch weniger empfindlich gegenüber dem wiederkehrenden Vorwurf der „Laxheit“262, der von nichtjuristischen Kreisen wohl fast überall erhoben wird. Entsprechend lässt sich vermuten, dass die Ideen der Vorsatztheorie hier am ehesten auf fruchtbaren Boden stoßen könnten. Und auch tatsächlich gehört immerhin im portugiesischen Ordnungswidrigkeitenrecht nach Art. 8º, nº 2 und 9º Decreto-Lei nº 433 / 82 die Verbotskenntnis generell zum Vorsatz263, wohl aus der Idee heraus, dass ordnungswidriges Verhalten an sich wertphilosophisch („axiologisch“) neutral sei264 und deshalb generell ohne Verbotskenntnis kein Vor257 Figueiredo Dias, Das portugiesische Strafgesetzbuch von 1982 in der Bewährung, ZStW 105 [1993], S. 77 (93); siehe auch im Detail Hünerfeld, Strafrechtsdogmatik in Deutschland und Portugal, S.143 ff. 258 Vgl. Figueiredo Dias, ZStW 105 [1993], S. 77 (88 f.). Ausblenden muss man dabei selbstverständlich die gravierenden Exzesse der Staatsschutzpolizei, die zur Zeit der Diktatur weitreichende und von gerichtlicher Kontrolle freigestellte Möglichkeiten der Inhaftierung von Regimegegnern besaß. 259 Im Jahre 1867 wurde die Todesstrafe für nichtmilitärische Straftaten abgeschafft, die letzte bekannte Hinrichtung fand im Jahre 1849 statt. 260 Im Jahre 1884 wurde die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft. Heute ist dieser Grundsatz durch Art. 30º, nº 1 der Constituição da República Portuguesa sogar verfassungsrechtlich garantiert. Aus Rücksicht auf Portugal enthält auch Art. 5 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses Nr. 2002 / 584 / JI über den Europäischen Haftbefehl die Regelung, dass eine Überstellung nur dann erfolgen muss, wenn im anderen Mitgliedstaat bei Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ein Anspruch auf Überprüfung nach spätestens 20 Jahren Haftverbüßung besteht. 261 Siehe heute Art. 19º Código Penal, der allerdings in die Diskussion geraten ist. Möglich sind freilich erzieherische Maßregeln der Jugendwohlfahrt, die bis zur Unterbringung in Erziehungsanstalten reichen können. 262 Figueiredo Dias, ZStW 105 [1993], S. 77 (92). 263 Figueiredo Dias, Vom Verwaltungsstrafrecht zum Nebenstrafrecht, Festschrift-Jescheck, S. 79 (91 f., insbesondere Fn. 36); Tiedemann, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, S. 23 (29). Die allgemeinen Strafvorschriften kommen gem. Art. 32º Decreto-Lei nº 433 / 82 nur subsidiär zur Anwendung. 264 Figueiredo Dias, Festschrift-Jescheck, S. 79 (91 f.); ders., ZStW 105 [1993], S. 77 (85); Hünerfeld, Strafrechtsdogmatik in Deutschland und Portugal, S. 198, 240 f.; siehe auch die Einleitung zu Decreto-Lei nº 433 / 82, Ministério da Justiça, S. I, DR n.º 249, S. 3552.

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satz gebildet werden könne. Für das portugiesische Kriminalstrafrecht findet sich die maßgebliche Irrtumsvorschrift dagegen in Art. 16º, nº 1 Código Penal von 1982: Demnach negiert grundsätzlich nur der Irrtum über Tatumstände den Vorsatz. Fehlende Rechtskenntnis wirkt sich auf Vorsatzebene lediglich – aber auch immerhin – bei solchen Straftatbeständen aus, bei denen die Verbotskenntnis „vernünftigerweise unerlässlich“ ist, um Unrechtsbewusstsein zu entwickeln265. Die nicht vollständig schuldtheoretische Ausrichtung geht auf Figueiredo Dias zurück, der danach unterscheidet, ob das Handeln trotz Kenntnis der natürlichen Umstände auf einer schlichten (ggf. fahrlässigen) Kenntnislücke oder auf einer unzulänglichen rechtsethischen Gewissensbildung beruht266. Dem entsprach auch schon seit den sechziger Jahren (also bereits vor 1982) die portugiesische Rechtsprechung für den Teilbereich des Nebenstrafrechts267. Der heutige Art. 16º, nº 2 Código Penal regelt zudem (vergleichbar mit § 20 des deutschen E 1962268) die vorsatzausschließende Wirkung der fehlerhaften Annahme eines rechtfertigenden oder entschuldigenden Sachverhalts. Ansonsten kommt die Schuldtheorie voll und mit den aus Deutschland bekannten Rechtsfolgen zur Anwendung: Art. 17º, nº 1 Código Penal führt bei Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums zum Schuldausschluss, Art. 17º, nº 2 Código Penal sieht für den „tadelswerten“ Irrtum eine fakultative Strafmilderung vor269. bb) Spanien In Spanien spielte die Vorsatztheorie sogar im Kriminalstrafrecht zeitweilig bis zur Reform des Strafgesetzbuches im Jahre 1983 eine ganz beachtliche Rolle270. 265 Vgl. Figueiredo Dias, Der Irrtum als Schuldausschließungsgrund im portugiesischen Strafrecht, in: Eser / Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 201 (201, 206 ff.); Roxin, Zur Problematik des Schuldstrafrechts, ZStW 96 (1984), S. 639 (658); Tiedemann, Zum Stand der Irrtumslehre, Festschrift-Geerds, S. 95 (97, 109). 266 Siehe etwa Figueiredo Dias, Schuld und Persönlichkeit, ZStW 95 [1983], S. 220 (246) und auch Hünerfeld, Strafrechtsdogmatik in Deutschland und Portugal, S. 190 ff., 199, der die grundlegende Monographie von Figueiredo Dias, O problema da consciência da ilicitude em direito penal, Coimbra 1969 ausführlich nachzeichnet. 267 Supremo Tribunal de Justiça de 7 de julho de 1965, BMJ n.º 149, S. 169; Supremo Tribunal de Justiça de 6 de dezembro de 1967, BMJ n.º 172, S. 131; Hünerfeld, Strafrechtsdogmatik in Deutschland und Portugal, S. 97. Dies galt, obwohl Art. 29º Código Penal a. F. die generelle Unbeachtlichkeit der Unkenntnis des Strafgesetzes („ignorância da lei penal “) und von Fehlvorstellungen über die Kriminalität („ilusão sobre a criminalidade“) der Tat anordnete. Siehe auch Figueiredo Dias, in: Eser / Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 201 (203 ff.). 268 Siehe oben Seite 59, Fußnote 241. 269 Figueiredo Dias, in: Eser / Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 201 (202); Cancio Meliá, Rechtsvergleichende Bemerkungen zum Allgemeinen Teil des portugiesischen Strafgesetzbuches aus spanisch-deutscher Sicht, GA 1998, S. 118 (120). Hinsichtlich der Rechtslage vor 1982 siehe oben Fußnote 267 a. E. sowie im Detail Hünerfeld, Strafrechtsdogmatik in Deutschland und Portugal, S. 97 ff.

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Insbesondere hatte auch der Tribunal Supremo in den sechziger Jahren – also bereits in der spätfranquistischen Ära – den althergebrachten271 Grundsatz error iuris nocet 272 aufgegeben und stattdessen zumindest fragmentarisch die im damaligen spanischen Schrifttum273 herrschende „teoría del dolo“ angewandt274. Kriminalpolitisch tragbar war dies nicht nur deshalb, weil das spanische Strafgesetzbuch in Art. 1.2 Código Penal a. F. eine (widerlegbare) Vorsatzvermutung enthielt, wodurch sich in der Praxis das Problem einfacher Schutzbehauptungen und besonders grober Irrtümer lösen ließ275. Vor allem aber gab es auch sogenannte offene Fahrlässigkeitstatbestände, namentlich Art. 565 und Art. 586, 3º Código Penal a. F., die auf alle Delikte des Besonderen Teils anwendbar waren276, wenn diese im Einzelfall ohne Böswilligkeit („malicia“) begangen worden waren. Auch aus dem Übergang Spaniens in eine Demokratie ergab sich, was die Anwendung der Vorsatztheorie anbelangte, kein unmittelbarer Änderungsbedarf, da die „transición“ fast gänzlich ohne juristische Aufarbeitung des vorangegangenen Systemunrechts erfolgte, vielmehr von verschiedenen Amnestien begleitet wurde. Anders als in Deutschland fehlte also das Anliegen der Bestrafung derjenigen, die unwiderlegbar an die Rechtfertigung ihres Tuns durch staatlichen Erlass oder sonstigen Befehl geglaubt haben mochten277. 270 Vgl. die Darstellung bei Cerezo Mir, Die Regelung des Verbotsirrtums im spanischen Strafgesetzbuch, Gedächtnisschrift-Armin Kaufmann, S. 473 (474, 479 f.); siehe auch ders., Die Auseinandersetzung um die finale Handlungslehre in der spanischen Strafrechtswissenschaft, ZStW 84 [1972], S. 1034 (im Detail zum früheren Meinungsstand in der spanischen Literatur). Großen Einfluss in der Wissenschaft hatte offenbar schon im Jahre 1935 eine Übersetzung von Mezgers Lehrbuch durch Rodriguez Muñoz. Der spanische Finalist Cerezo Mir ist selbst freilich seit jeher Anhänger der Schuldtheorie. 271 Siehe auch oben Seite 43. 272 Die Anwendung des Grundsatzes error iuris nocet erfolgte in Spanien entsprechend dem Rechtsgedanken von Art. 2 Código civil a. F. (heute Art. 6.1 Código civil), vgl. Tribunal Supremo, sentencia de 16 de marzo de 1871. 273 Siehe Nachweise bei Cerezo Mir, Gedächtnisschrift-Armin Kaufmann, S. 473 (474, Fn. 2); Gimbernat Ordeig, in: Mezger / Schönke / Jescheck (Hrsg.), Das ausländische Recht der Gegenwart VI, S. 329, Fn. 93. 274 Vgl. Tribunal Supremo, sentencia de 19 de diciembre de 1962; Tribunal Supremo, sentencia de 3 de abril de 1974 (A. 1677); Tribunal Supremo sentencia de 30 de marzo de 1976 (A. 1355); Tribunal Supremo, sentencia de 30 de enero de 1979 (A. 277). Siehe weitere Nachweise bei Cerezo Mir, Gedächtnisschrift-Armin Kaufmann, S. 473 (474, Fn. 2); Gimbernat Ordeig, in: Mezger / Schönke / Jescheck (Hrsg.), Das ausländische Recht der Gegenwart VI, S. 329, Fn. 93; Mir Puig, Derecho Penal, Parte General, Lec. 21, Rn. 33. 275 Mir Puig, Derecho Penal, Parte General, Lec. 21, Rn. 32; Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung im deutschen und spanischen Recht, S. 186. Vgl. auch oben Seite 51 zur historischen Vorsatztheorie in Deutschland. 276 Nach Art. 565.1 und 565.2 Código penal a. F. konnte für grobe Fahrlässigkeit „einfaches Gefängnis“, bei gleichzeitigem Verstoß gegen eine Verordnung für einfache Fahrlässigkeit oder Nachlässigkeit „strenge Haft“ verhängt werden, die Strafe musste aber niedriger ausfallen als bei einer entsprechenden Vorsatztat. Der Übertretungstatbestand des Art. 586, 3º Código penal a. F. sah für schlichte Fahr- oder Nachlässigkeit Geldstrafe vor. 277 Siehe dagegen oben Seiten 53 f.

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Eine spätere Gesetzwerdung der Vorsatztheorie im demokratischen Spanien scheiterte vor allem daran, dass das reformierte Strafgesetzbuch fortan neben der Aufhebung der Vorsatzpräsumtion278 vom Grundsatz ausgehen sollte, fahrlässiges Verhalten nur ausnahmsweise zu bestrafen (vgl. Art. 12 Código penal n. F.)279. Entsprechend der Schuldtheorie unterscheiden deshalb heute Art. 14.1 und Art. 14.3 Código penal 280 zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum281, wobei der unvermeidbare Verbotsirrtum Straflosigkeit, der vermeidbare Irrtum eine obligatorische Strafmilderung zur Folge hat, und zwar wahlweise um „einen“ oder „zwei Grade“. Die nach Art. 70 Código penal vorzunehmende Strafmilderung kann durchaus beachtlich ausfallen, was möglicherweise als Tribut an die zeitweise herrschende Vorsatztheorie282 verstanden werden könnte. Insofern stimmt die Regelung aber auch mit der Variante der Schuldtheorie überein, wie sie von Welzel ursprünglich entwickelt worden war283. cc) Österreich und Schweiz Die §§ 5, 9 des österreichischen StGB 284 und die Art. 13, 21 des schweizerischen StGB 285 entsprechen weitestgehend der deutschen Schuldtheorie. Dabei ist für den 278 Mit Art. 24.2 der neuen spanischen Verfassung (Constitución Española) von 1978, der unter anderem die Unschuldvermutung als Justizgrundrecht regelt, wurde die Gültigkeit von Art. 1.2 Código Penal a. F. schon vorher in Frage gestellt. 279 Cerezo Mir, Gedächtnisschrift-Armin Kaufmann, S. 473 (474 ff.). 280 In der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 1983 fand sich die Regelung in Art. 6 bis a) Código penal. 281 Vgl. Arroyo Zapatero, Grunderfordernisse des Allgemeinen Teils für ein europäisches Sanktionenrecht, ZStW 110 [1998], S. 438 (450 f.); Manso Porto, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung III, S. 780 ff.; Mir Puig, Der Irrtum als Unrechts- und / oder Schuldausschließungsgrund im spanischen Strafrecht, in: Eser / Perron, (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, Deutsch-italienisch-portugiesisch-spanisches Strafrechtskolloquium 1990, Freiburg im Breisgau 1991, S. 291 (299 ff.) sieht entgegen der h. Lit. auch in der heutigen Regelung keine zwingende Festschreibung der Schuldtheorie. Siehe aber auch die Urteile des Tribunal Supremo, sentencia de 1 de febrero de 1986 (A. 522); Tribunal Supremo, sentencia 26 de mayo de 1987 (A. 3131). Speziell zum Wirtschaftsstrafrecht vgl. Bajo Fernandez, El error de prohibición en el derecho penal económico, FestschriftSánchez Calero, S. 5489. Im Steuerstrafrecht verlangt die Rechtsprechung die gewollte und beabsichtigte Beeinträchtigung eines Steueranspruchs. 282 Dass das Bekenntnis zur Schuldtheorie bei der Formulierung der Norm nicht klarer ausgefallen ist, kritisiert Suárez Gonzáles, Rechtsvergleichende Bemerkungen zum Allgemeinen Teil des spanischen Strafgesetzbuches, GA 1998, S. 111 (113). 283 Welzel, Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, Süddeutsche JZ 1948, Sp. 368 (371); siehe auch oben Seite 53; ähnlich auch die Regelmilderung bei § 20 S. 2 AE (oben Seite 60, Fußnote 246). Laut Cerezo Mir, Der Einfluss von Welzel und der finalen Handlungslehre, ZIS 5 / 2009, S. 212 (223) kam es dem spanischen Strafgesetzgeber vor allem darauf an, zu verhindern, dass die Gerichte Verbotsirrtümer fast immer als vermeidbar und eine Strafmilderung fast immer als nicht angebracht betrachten würden, was der Wiederherstellung des Grundsatzes error iuris nocet gleichkäme. 284 Vgl. Hager / Massauer, in: Wiener Kommentar, § 5 StGB, Rn. 12 ff., 51 ff.; § 9 StGB, Rn. 1 ff.

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vermeidbaren Rechtsirrtum286 in Österreich gem. § 34 Abs. 1 Ziffer 12 ÖStGB nur ein Milderungsgrund innerhalb des normalen Strafrahmens vorgesehen. Diesbezüglich ist allerdings zu beachten, dass die gesetzlichen Strafdrohungen im österreichischen Strafgesetzbuch ohnehin ein erheblich geringeres Höchstmaß aufweisen als vergleichbare Straftatbestände in Deutschland; für einen einfachen Diebstahl gem. § 127 ÖStGB bzw. Betrug gem. § 146 ÖStGB 287 ist z. B. Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen vorgesehen288. Das schweizerische StGB bietet dagegen mehr Spielraum für die Absenkung von Strafrahmen, diese liegen regelmäßig weitaus näher an der deutschen Größenordnung. Dennoch privilegierte der bis Ende 2006 gültige Art. 20 SchweizStGB ausschließlich den Rechtsirrtum, der auf „zureichenden Gründen“ basierte; dieser sah vom Wortlaut her auch nur fakultative Strafmilderung nach freiem Ermessen oder Strafbefreiung vor. Das Bundesgericht ging beim entschuldbaren Irrtum allerdings stets von Straflosigkeit aus289. Dies ist seit dem 1. Januar 2007290 mit Art. 21 S. 1 SchweizStGB auch gesetzlich so vorgesehen. Für den vermeidbaren Verbotsirrtum schreibt Art. 21 S. 2 SchweizStGB eine obligatorische Strafrahmenmilderung nach Art. 48a SchweizStGB vor. Die Regelungen im österreichischen291 und schweizerischen Verwaltungsstrafrecht292 folgen ebenfalls der Schuldtheorie. Eine interessante Sonderregelung trifft 285 Vgl. dazu Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht AT I, § 11, Rn. 53 ff., § 9, Rn. 58 f.; Jenny, in: Basler Kommentar, Art. 21 StGB, Rn. 5 ff. Bis zum Inkrafttreten des schweizerischen StGB im Jahre 1942 forderte allerdings Art. 11 des nur bestimmte Teilbereiche betreffenden BG vom 4. Februar 1853 über das Bundesstrafrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BStR) im Gegensatz zu den kantonalen Regelungen (Stratenwerth, a. a. O., § 11, Rn. 40) einen „rechtswidrigen Vorsatz“. Dies spielte wohl vor allem bei „polizeiwidrigem“ Verhalten eine Rolle. Vgl. dazu BGE 60 I [1934], S. 412 (418 f.) zum Verstoß gegen Aufenthaltsbestimmungen; BGE 62 I [1936], S. 46 (51) zum Verstoß gegen das Lotteriegesetz; BGE 66 I [1940], S. 107 (112 ff.) zur politischen Verdächtigung nach dem Spitzelgesetz. Bei alltäglichen Delikten, wie Vermögensdelikten (sofern diese überhaupt unter das Bundesstrafrecht fielen), war das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit auch demnach bereits dann gegeben, wenn dem Täter bewusst war, dass er in fremde Rechte eingriff, vgl. BGE 60 I, S. 412 (418). 286 Der Begriff des „Rechtsirrtums“ wird zum Teil kritisiert, da eigentlich der „Verbotsirrtum“ gemeint sei [vgl. Triffterer, Platzgummers Stellungnahme zu den „Allgemeinen Bestimmungen“ des Entwurfs für ein „Neues StGB“, Festschrift-Platzgummer, S. 3 (22 f.)]. Die Strafrechtskommission hatte den Begriff des „Verbotsirrtums“ allerdings nur deshalb vermieden, weil sie ihn nicht in Bezug auf die (hier nicht relevante) Konstellation des Erlaubnistatbestandsirrtums im Sinne der „strengen Schuldtheorie“ verstanden wissen wollte (vgl. Höpfel, in: Wiener Kommentar, § 9 StGB, Rn. 3). Vielmehr folgt § 8 ÖStGB der „eingeschränkten Schuldtheorie“. 287 Kein schwerer Diebstahl bzw. Betrug liegt dann vor, wenn der Schaden unter 3000 Euro liegt und keine anderen Erschwerungsgründe greifen. 288 Siehe auch Hettinger, Die Strafrahmen des StGB nach dem Sechsten Strafrechtsreformgesetz, Festschrift-Küper, S. 95 (116 ff.). 289 Vgl. BGE 120 IV, S. 313 (316 f.). 290 Vgl. Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002, Amtliche Sammlung 2006, S. 3459. 291 Beachtlich und aus deutscher Sicht äußerst bedenklich ist allerdings die teilweise Umkehrung der Darlegungs- bzw. Beweislast in § 5 Abs. 1 S. 2 ÖVStG und § 5 Abs. 2 ÖVStG. 292 Vgl. Art. 2 SchweizVStR, der auf das SchweizStGB verweist.

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allerdings § 9 des österreichischen Finanzstrafgesetzes: Beim unentschuldbaren Irrtum über das Unrecht der Tat wird dem Täter bei Fiskaldelikten anders als im allgemeinen Strafrecht stets nur Fahrlässigkeit zugerechnet293. Die Vorschrift kommt jedoch wie § 395 ReichsabgabenO (1931, 1934)294 nur dann zum Tragen, wenn die falsche Vorstellung vom Recht nach allgemeinen Grundsätzen (§ 8 FinStrG) nicht bereits den Vorsatz ausschließt. Ein solcher isolierter Verbotsirrtum kommt wohl äußerst selten vor295, da das gesetzliche Tatbild der österreichischen Finanzdelikte fast durchgehend von normativen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Kommt § 9 FinStrG doch einmal zur Anwendung, lässt er die Vorwerfbarkeit der Willensbildung (also den Vorsatzschuldvorwurf) entfallen296. dd) Frankreich, Italien und Türkei In Frankreich ist das allgemeine Vorsatzerfordernis in Art. 121-3 (1) Code Pénal geregelt, manche Delikte fordern einen dol spécial, der sich z. B. beim Diebstahl gem. Art. 311-1 Code Pénal (wie in Deutschland) auch darauf beziehen muss, dass durch die Tat die Eigentumsordnung verletzt wird297. Der normale Rechtsirrtum war bis 1994 dagegen völlig unbeachtlich. In der Tradition, dass dem Gesetz – im Sinne von Rousseau Ausdruck des einheitlichen Volkswillens298 – ein besonders hoher Stellenwert zugeschrieben wird, ist der mündige citoyen nämlich generell verpflichtet, dieses zu kennen. Heute führt gem. Art. 122-3 Code Pénal aber immerhin der unvermeidbare Irrtum zur Straflosigkeit299. Unvermeidbarkeit ist allerdings nur im äußersten Ausnahmefall, z. B. bei mangelhafter Verkündung des Gesetzes oder unrichtiger Behördenauskunft anzunehmen300, der Irrtum ist zudem vom Beschuldigten zu beweisen301. Für den vermeidbaren Irrtum sieht die Vorschrift keine Milderung vor. Das französische Übertretungsstrafrecht ist sogar noch repressiver, es verlangt selbst auf tatsächlicher Ebene weder Fahrlässigkeit noch Vorsatz, gem. Art. 121-3 (5) Code Pénal entfällt eine Verantwortlichkeit nur bei höherer Gewalt („ force majeure“). 293 Scheil, Dogmatische Probleme aus dem Finanzstrafrecht, JBl 1998, S. 353; Leitner / Toifl / Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht, Rn. 134 ff., 313 ff. Nur der Irrtum über die Strafbarkeit an sich bleibt generell unbeachtlich (OGH JBl 1988, S. 800, 801). 294 Siehe oben Seiten 45 f. 295 Leitner / Toifl / Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht, Rn. 136, 319; Scheil, JBl 1998, S. 353 (355). 296 Leitner / Toifl / Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht, Rn. 321. 297 Ein Diebstahl ist die „frauduleuse“ Wegnahme einer fremden Sache. 298 Rousseau, Du contrat social ou Principes du droit politique, Buch 2, Kapitel 3 und Kapitel 6; vgl. auch Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 457. 299 Vgl. Lelieur / Pfützner / Volz, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung III, S. 691; Vogel, in: Leipziger Kommentar, Vor § 15, Rn. 79. 300 Vgl. Lelieur / Pfützner / Volz, a. a. O., S. 691; Vogel, in: Leipziger Kommentar, Vor § 15, Rn. 79 Fn. 167, Rn. 80. 301 Vgl. Vogel, in: Leipziger Kommentar, Vor § 15, Rn. 79.

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In Italien regelt Art. 47 (1) Codice Penale den vorsatzausschließenden Tatirrtum, wobei dieser gem. Art. 47 (3) Codice Penale ausdrücklich auch den außerstrafrechtlichen Irrtum umfasst302. Ansonsten ist der Rechtsirrtum nach dem Wortlaut des Art. 5 Codice Penale von 1930 – Codice „Rocco“ – generell unbeachtlich. Im Hinblick auf Art. 27 der italienischen Verfassung von 1947, welche das Schuldprinzip regelt303, kann diese Norm jedoch gemäß einer historischen Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichts aus dem Jahre 1988304 nur noch auf vermeidbare Rechtsirrtümer angewendet werden305. Ein offizieller Entwurf für ein neues italienisches Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1992306 unterscheidet nun sogar ausdrücklich zwischen dem „Irrtum über die Tat“ und dem „Irrtum über das Verbot“307. Bei letzterem sollte nur die Unvermeidbarkeit des Irrtums die Strafbarkeit ausschließen, ist er dagegen vermeidbar, soll ein Strafmilderungsgrund gegeben sein. Eine Umsetzung des Entwurfs ist jedoch bisher nicht erfolgt. In der Türkei, dessen altes Strafgesetzbuch von 1926 weitestgehend auf einer Übersetzung des italienischen Codice „Zanardelli“ von 1889 beruhte308, herrschte – sogar noch bis vor kurzem – der Grundsatz error iuris nocet. Das neue – grundlegend reformierte und am 1. Juni 2005 in Kraft getretene – türkische Strafgesetzbuch309 bricht weitgehend mit der italienisch-französischen Tradition und ist Ausdruck eines stärkeren deutschen Einflusses310. Entsprechend weist das Reformwerk 302 Vgl. Jarvers, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung III, S. 707; Vogel, in: Leipziger Kommentar, Vor § 15, Rn. 81. 303 Art. 27 (1) Costituzione della Repubblica Italiana lautet: „Die strafrechtliche Verantwortung ist persönlich.“ 304 Corte costituzionale, sentenza 24 marzo 1988, n. 364. Vgl. dazu Paliero, Grunderfordernisse des Allgemeinen Teils für ein europäisches Sanktionenrecht, ZStW 110 [1998], S. 417 (430); Stile, Der Irrtum als Unrechts- und / oder Schuldausschließungsgrund im italienischen Strafrecht, in: Eser, Albin / Perron, Walter (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 311 (319 ff.). 305 Unvermeidbar ist ein Irrtum allerdings nur dann, wenn es sich bei der Tat um ein Delikt handelt, bei dem der soziale Unwert des Verhaltens nur bei Kenntnis der Norm erkennbar ist, und der Irrtum auf der Unklarheit des Gesetzes, widersprüchlichen Auslegungen durch die Rechtsprechung etc. beruht sowie den Täter auch sonst kein Vorwurf der mangelnden Sorgfalt trifft. Vgl. Stile, in: Eser, Albin / Perron, Walter (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 311 (321 f.). 306 Schema di delega legislativa per l’emanazione di un nuovo codice penale, Doc. Giustizia 3 / 1992, S. 305. 307 Mezzeti, Perspektiven eines neuen italienischen Strafgesetzbuches, ZStW 105 [1993], S. 625 (628 f.). 308 Roxin / İsfen, Der Allgemeine Teil des neuen türkischen Strafgesetzbuchs, GA 2005, S. 228. An einigen Stellen erschien das italienische Recht allerdings als nicht streng genug. Die Todesstrafe etwa, im Codice „Zanardelli“ (für nichtmilitärische Straftaten) bereits abgeschafft, blieb in der Türkei bis 2004 anwendbar, wurde allerdings 1984 das letzte Mal vollstreckt. 309 Resmi Gazete Nr. 25611 vom 12. September 2004; Resmi Gazete Nr. 25869 vom 8. Juli 2005. 310 Roxin / İsfen, GA 2005, S. 228 (229).

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einen Allgemeinen Teil auf und trifft mit Madde 30 (1 – 4) Türk Ceza Kanunu eine den §§ 16, 17 StGB vergleichbare Regelung311. Interessanterweise normiert die Vorschrift auch den Erlaubnistatbestandsirrtum, und zwar im Sinne der „strengen Schuldtheorie“312. ee) England / Wales und USA Weder vorsatzausschließend noch sonst entschuldigend wirkt der Rechtsirrtum in England / Wales313, 314 und den Vereinigten Staaten315, es sei denn, ein jeweils in Frage kommendes Strafgesetz schreibt ausnahmsweise etwas anderes vor. Die Grundregel „ignorantia legis neminem excusat “316 korreliert mit dem Umstand, dass das common law317 mit seinen ungesetzten Tatbeständen und auch denen, die mittlerweile in Gesetzesform gebracht wurden, traditionell als Ausdruck des natürlichen, im Bewusstsein des Volkes verankerten Rechts verstanden wird318, so dass jeder Versuch, dieses Strafrecht quasi durch Unkenntnis außer Kraft setzen zu wollen, als geradezu abwegig und sozialgefährlich erscheint319. Entsprechend zu verstehen sind die Überlegungen von Hobbes in seinem Leviathan („Ignorance of the law of nature excuseth no man“), dass von jedem, der im Gebrauch seiner Vernunft ist, angenommen werden könne, dass er die Naturgesetze kennt320. Bei legislativen 311 Sözüer, Die Reform des türkischen Strafrechts, ZStW 119 [2007], S. 717 (722, 728 f.); Tellenbach, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung III, S. 794 f. Ursprünglich sollte Madde 4 (2) Türk Ceza Kanunu den unvermeidbaren Verbotsirrtum regeln. Diesen Gesetzesstand legen Roxin / İsfen, GA 2005, S. 228 (229, 233) zugrunde. Die Erfassung gemeinsam mit den anderen Irrtumsvorschriften erfolgte erst nachträglich und kurz vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes durch Einfügung von Madde 30 (4) Türk Ceza Kanunu, vgl. Resmi Gazete Nr. 25869 vom 8. Juli 2005. 312 Madde 30 (3) Türk Ceza Kanunu; siehe dazu Sözüer, ZStW 119 [2007], S. 717 (722); kritisch dazu Roxin / İsfen, GA 2005, S. 228 (239). Zur „strengen Schuldtheorie“ in Deutschland vgl. Paeffgen, in: Nomos-Kommentar, Vor § 32 ff., Rn. 108 ff. m. w. N. 313 Vgl. Hooper / Ormerod, Blackstone’s Criminal Practice, Rn. A3.6; Jefferson, Criminal Law, S. 285 ff.; Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 384 ff., 386 ff. 314 Schottland und Nordirland haben jeweils eigene Rechtssysteme mit vergleichbaren strafrechtlichen Regelungen. 315 Weaver / Abramson / Burkoff / Hancock, Criminal Law, Ch. 3, Sec. E; Simons, Mistake and Impossibility, Journal of Criminal Law and Criminology, Vol. 81 (1990), S. 447; Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 88. 316 Vgl. R. vs. Bailey [1800], English Reports, Vol. 168, S. 651 (653); R. vs. Esop [1836], English Reports, Vol. 173, S. 203; R. vs. Barronet and Ailaln [1852], English Reports, Vol. 169, S. 633 bzw. Shevlin-Carpenter Co. vs. Minnesota, United States Reports, Vol. 218, S. 57 (68). 317 Das sich seit dem 13. Jahrhundert entwickelnde Fallrecht basiert bekanntermaßen auf dem Prinzip bindender Präzedenzfälle, der doctrine of binding precedent. 318 Hall, General Principles of Criminal Law, S. 386 f. spricht von „objektiver Moral“; siehe auch Germann, Imperative und autonome Rechtsauffassung, ZfSchR 46 [1927], S. 185 (186). 319 Hall, a. a. O., S. 382 f., 386, 413 f. befürchtet bei Abschaffung der ignorantia legisDoktrin gar den Untergang des Gesetzlichkeitsprinzips („rule of law“). 320 Hobbes, Leviathan, Abschnitt XXVII, S. 265.

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Eigenschöpfungen gilt allerdings auch nichts anderes. Angewandt wurde die Maxime selbst in R. vs. Bailey321, wo ein Seemann auf hoher See gegen ein Strafgesetz verstoßen hatte, von dem er nachweislich keine Kenntnis haben konnte322. Insofern wird noch heute argumentiert, dass es dem Gesetzgeber nach dem Prinzip der supremacy of parliament 323 unbenommen bleiben muss, auch neue Verhaltensregeln schnell und rasch durchzusetzen324. Wenn auch der, der das Gesetz nicht kennt, unter keinem Gesichtspunkt eine Strafbefreiung zu erwarten hat, sei die pädagogische Wirkung neuer Gesetze schließlich besonders hoch. „Ignorantia legis neminem excusat“ bleibt allerdings, wie schon angedeutet, nicht ganz ohne Ausnahme. Da das Parlament im angloamerikanischen Rechtskreis eben weitestgehende legislative Freiheit genießt (wovon es nach den Bedürfnissen des Einzelfalls regelmäßig auch Gebrauch macht325), besteht die Möglichkeit, Rechtsirrtümern per Gesetz Vorsatzbedeutung zuzusprechen326. Ein Beispiel dafür ist etwa s. 2 (1) Theft Act 1968, wonach der Täter nicht als „unehrlich“ i. S. d. englischen Diebstahlstatbestandes gilt, wenn er sich eine Sache in dem Glauben aneignet, er habe ein Recht dazu327. In vergleichbarer Weise schließt die Unkenntnis der maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften nach Cheek vs. United States328 den Vorwurf aus, „willfully“ i. S. d. Steuerhinterziehungstatbestände des US-amerikanischen Bundesrechts, namentlich der 26 U.S.C. (Internal Revenue Code) §§ 7201 ff., gehandelt zu haben329. Allgemein läuft der legislative Trend aber weniger in Richtung Entkriminalisierung des irrenden Täters durch Aufstellung besonderer Anforderungen an die Rechtskenntnis im Tatbestand, sondern ganz im Gegenteil werden R. vs. Bailey [1800], English Reports, Vol. 168, S. 651 (653). Die gesetzliche Vorschrift, gegen die Bailey verstoßen hatte, wurde erst nachdem er in See gestochen war, erlassen. Siehe aber auch Fußnote 337 (Seite 72). 323 Der Ausspruch „Parliament can do anything“ des englischen Juristen Sheldon Amos (1835 – 1886) gehört in Großbritannien zu den geflügelten Worten jeder Anfängervorlesung im Öffentlichen Recht. 324 Vgl. Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 388. 325 Der weite Beurteilungsspielraum wird auch insofern genutzt, dass im Besonderen Teil neben den klassischen mens rea-Formen „intention“ bzw. „purpose“, „knowledge“, „recklessness“ und „negligence“ nunmehr auch Begriffe wie „deliberately“, „willfully“, „maliciously“, „fraudulent“ „dishonestly“, „corruptly“, „believing“, „suspecting“ oder „having reason to suspect“ auftreten (vgl. Hooper / Ormerod, Blackstone’s Criminal Practice, Rn. A2.1. ff.; Weaver / Abramson / Burkoff / Hancock, Criminal Law, Ch. 3; Vogel, in: Leipziger Kommentar, Vor § 15, Rn. 86). 326 Vgl. auch § 2.02 (9) Model Penal Code. 327 Dies entspricht freilich auch dem Ergebnis der ständigen deutschen Rechtsprechung, vgl. etwa den „Moos raus“-Fall BGHSt 17, S. 87 (90 f.). 328 Cheek vs. United States [1991], United States Reports, Vol. 498, S. 192 (203). Siehe auch Singer, The Proposed Duty to Inquire, Buffalo Criminal Law Review, Vol. 3 [2000], S. 701 (718 ff.). 329 Siehe auch Ratzlaf vs. United States [1994], United States Reports 510, S. 135 zu 31 U.S.C. § 5322. Die Vorschrift stellt ebenfalls nur „willfully“ begangene Gesetzesverstöße gegen Anmeldepflichten im Rahmen der Geldwäschebekämpfung unter Strafe. 321 322

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immer mehr „strikte“ – d. h. auch hinsichtlich der Tatsachenseite verschuldensunabhängige – Verantwortlichkeiten geschaffen330. Außerstrafrechtliche Rechtsirrtümer331, wie z. B. über das fremde Eigentum bei der Sachbeschädigung332 oder das Eingreifen eines Berufsverbotes333, schließen aber auch ohne ausdrückliche gesetzgeberische Intervention die Strafbarkeit aus. Strafrechtliche Fehlvorstellungen demgegenüber, etwa über die Tatsache, dass in England / Wales vom Begriff „property“ i. S. von s. 4 (4) Theft Act 1968 auch wilde Tiere umfasst sind, oder dass der Begriff des „gestohlenen Gutes“ gem. s. 24 (4) Theft Act 1968 im Hinblick auf die Hehlerei auch auf durch Betrug erlangte Sachen anzuwenden ist, sind dagegen fast durchweg irrelevant334. Nur nach s. 3 (2) des englischen Statutory Instruments Act 1946 kann die unzureichende Veröffentlichung einer im Verordnungswege aufgestellten Strafnorm als defence mit strafbarkeitsausschließender Wirkung geltend gemacht werden. Vergleichbares für parlamentarische Gesetze gilt in zahlreichen US-amerikanischen Einzelstaaten, in denen nach Vorbild von § 2.04 (3) des vom American Law Institute vorgelegten Model Penal Code335 die Unkenntnis der Strafnorm dann die Strafbarkeit ausschließt, wenn ein Publikationsmangel vorliegt oder der Irrtum auf einer amtlichen Rechtsauskunft, einem gerichtlichen Urteil etc. beruht336. Greift keine entsprechende Vorschrift, bleibt wie 330 Vgl. Ashworth, Grunderfordernisse des Allgemeinen Teils für ein europäisches Sanktionenrecht, ZStW 110 [1998], S. 461 (467); Jefferson, Criminal Law, S. 134 ff. Dies wird regelmäßig mit dem Interesse an einem effektiven „law enforcement“ und einem höheren Abschreckungseffekt begründet (vgl. Vogel, in: Leipziger Kommentar, Vor § 15, Rn. 88). Bei Tatbeständen, die keine Schuldform angeben, wird in den USA die gesetzgeberische Absicht, eine „strikte“ Verantwortung zu begründen, zum Teil (insbesondere bei sogenannten public welfare offences) sogar vermutet (vgl. zur Abgrenzung etwa Shevlin-Carpenter Co. vs. Minnesota, United States Reports, Vol. 218, S. 57; Morisette vs. United States, United States Reports, Vol. 342, S. 246; United States vs. Freed, United States Reports, Vol. 401, S. 601; Staples vs. United States, United States Reports, Vol. 511, S. 600; anders das House of Lords, in: Gammon (Hong Kong) Ltd vs. Attorney-General of Hong Kong [1984], All England Law Reports, Vol. 2, S. 503). Siehe auch Bähr, Strafbarkeit ohne Verschulden (Strict Liability) im Strafrecht der USA, S. 101 ff., 129 ff.; Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 448 ff. 331 Ryu / Silving, Error Juris: A Comparative Study, The University of Chicago Law Review, Vol. 24, No. 3 [1957], S. 421 (435); Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 384 ff. 332 Vgl. R. vs. Smith (David), Law Reports (Queens Bench Division) 1974, S. 354; vgl. auch die zivilrechtliche Entscheidung Cooper vs. Phibbs [1867], Law Reports (House of Lords) 2, S. 149 (170). 333 Vgl. Secretary of State for Trade and Industry vs. Hart, Weekly Law Reports 1, S. 481. 334 Vgl. Hooper / Ormerod, Blackstone’s Criminal Practice, Rn. A3.6. 335 Der Model Penal Code (MPC) wurde zwischen 1952 und 1962 vom American Law Institute unter Leitung von Herbert Wechsler (vorher u. a. Assistant Attorney General bei den Nürnberger Prozessen) als Musterstrafgesetzbuch ausgearbeitet. Der MPC hat als solches seit seiner Veröffentlichung zur grundlegenden Kodifizierung und Standardisierung des US-amerikanischen Strafrechts geführt. 336 Vgl. Vogel, in: Leipziger Kommentar, Vor § 15, Rn. 91. Siehe auch etwa State of Hawai’i vs. DeCastro, Pacific Reporter 2nd 913, S. 558 (App. 1996) zu § 702 – 220 Hawai’i

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

in England / Wales theoretisch nur der Gnadenweg337, wobei die Anklagebehörden schon von vornherein aufgrund des allgemein geltenden Opportunitätsprinzips eine Filterfunktion ausüben können. ff) Europäisches Kartellordnungswidrigkeitenrecht de lege lata und Corpus Juris zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union de lege ferenda Das Sanktionenrecht der Europäischen Union ist unterhalb der kriminalstrafrechtlichen Eingriffschwelle angesiedelt, kann jedoch zu empfindlichen, strafähnlich wirkenden Maßnahmen führen. Geldbußen für Wettbewerbsverstöße nach Art. 23 der Kartellverfahrensverordnung (EG) Nr. 1 / 2003338 oder auch Art. 14 der Fusionskontrollverordnung (EG) Nr. 139 / 2004339 erreichen bis zu 1% oder auch 10 % des im vorangegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes. Sie werden gegenüber den Unternehmen sowohl für vorsätzliches als auch fahrlässiges Verhalten festgesetzt. An die Fahrlässigkeit sind dabei nach Abschaffung von Einzelfreistellungsentscheidungen, Negativattests und comfort letters, die dem Betroffenen eine Vorabklärung ermöglichten, höhere Anforderungen zu stellen als es unter dem Regime der Kartellverordnung (EWG) Nr. 17 / 62 der Fall war340. Durch die gleichzeitige Erfassung von Vorsatz und Fahrlässigkeit relativiert sich freilich die Bedeutung einer Abgrenzung zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtum; Feststellungen hierzu wurden in der Vergangenheit auch nicht immer getroffen341. Nach den Leitlinien der Kommission für die Bemessung von Bußgeldern wirkt sich unvorsätzliches Verhalten allerdings ausdrücklich bußgeldmindernd aus, so dass die Unterscheidung nicht völlig bedeutungslos sein kann342. Vorsatzausschließende Wirkung kommt dabei dem Revised Statutes; Kipp vs. State of Delaware, Atlantic Reporter 2nd 704, S. 839 (Del. 1999) zu 11 Delaware Code § 1448. 337 Begnadigt wurde auch der in R. vs. Bailey, English Reports 168, S. 651 verurteilte Seemann. 338 Verordnung (EG) Nr. 1 / 2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 oder 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003, Nr. L 1 / 1. Vgl. dazu auch Achenbach, in: Achenbach / Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Kap. III 6, Rn. 10 ff.; Dannecker / Biermann, in: Immenga / Mestmäcker, Art. 23 VO 1 / 2003, Rn. 1 ff.; Dannecker, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 16, Rn. 132 ff.; ders., in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, § 38, Rn. 9 f. 339 Verordnung (EG) Nr. 139 / 2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 Nr. L 24, S. 1. Vgl. Achenbach, in: Achenbach / Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Kap. III 6, Rn. 20 ff. 340 Vgl. dazu Dreher / Thomas, Rechts- und Tatsachenirrtümer unter der neuen VO 1 / 2003, WuW 2004, S. 8 (12 ff.). 341 Vgl. Achenbach, in: Achenbach / Ransiek, Kap. III 6, Rn. 24; Dannecker / Biermann, in: Immenga / Mestmäcker, Art. 23 VO 1 / 2003, Rn. 182. 342 Vgl. die „Mildernden Umstände“ in Ziffer. 3 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 II der VO Nr. 17 und gemäß Art. 65 V EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. 1998 Nr. C 9, S. 4.Vgl. auch Köhler, Strafrecht AT, S. 416 f.

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Tatsachenirrtum zu343, darunter fällt bei normativen Tatbestandsmerkmalen auch die fehlende Bedeutungskenntnis – etwa über das Vorhandensein einer marktbeherrschenden Stellung344. In der Bagatellbekanntmachung der Kommission345, welche anhand von Marktanteilsschwellen quantifiziert, wann keine spürbare Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 EGV a. F. bzw. Art. 101 AEUV-Lissabon vorliegt, die Voraussetzung für eine Ahndung wäre, findet sich noch eine Sonderregelung: Gem. Ziffer 4 S. 2 soll gegen ein Unternehmen, welches gutgläubig davon ausgegangen ist, dass eine Vereinbarung in den Anwendungsbereich der Bagatellbekanntmachung fällt, keine Geldbuße verhängt werden. Ansonsten wird der Irrtum über das Verbotensein des Verhaltens regelmäßig als unbeachtlich angesehen, für eine vorsätzlich begangene Zuwiderhandlung ist es nicht erforderlich, dass sich das Unternehmen des Verstoßes gegen europäische Wettbewerbsregeln bewusst gewesen ist346. Das sogenannte Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union wurde im Auftrag des Europäischen Parlaments unter Leitung von Delmas-Marty erarbeitet und liegt mittlerweile in einer zweiten Fassung vor347. Die Zielsetzung dieses Entwurfes bezieht sich auf die gleichwertige Verfolgung von Straftaten zu Lasten der Finanzinteressen der Europäischen Union. Er enthält auch einen Allgemeinen Teil, wobei Art. 10 S. 1 Corpus Juris 2000 den Irrtum über „straftatbegründende Merkmale“ regelt, welchem vorsatzausschließende Wirkung zukommt. Beim unvermeidbaren Irrtum über das gesetzliche Verbot entfällt nach Art. 10 S. 2 Corpus Juris die Verantwortlichkeit, beim vermeidbaren Irrtum kann gem. Art. 10 S. 3 Corpus Juris die Strafe gemildert werden.

343 Generalanwalt Mayras, in: EuGH („General Motors vs. Kommission“), Slg. 1975, S. 1367 (1382 ff.). 344 Entscheidung der Kommission („Michelin Niederlande“), ABl. 1981 Nr. L 353, S. 33, Rn. 56. 345 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Art. 81 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001 Nr. C 368, S. 13. 346 EuGH („Miller vs. Kommission“), Slg. 1978, S. 131 (151), Rn. 18; EuGH („NV IAZ International Belgium u. a. vs. Kommission“), Slg. 1983, S. 3369, Rn. 42 ff.; EuGH („Michelin vs. Kommission“), Slg. 1983, S. 3461 (3523), Rn. 107; EuGH („Belasco u. a. vs. Kommission“), Slg. 1989, S. 2117 (2191), Rn. 41; EuGH („Tipp-Ex vs. Kommission“), Slg. 1990 I, S. 261; EuG („Dansk Pelsdyravlerforening vs. Kommission“), Slg. 1992 II, S. 1931, Rn. 157; EuG („Ferriere Nord vs. Kommission“), Slg. 1995, S. 917 (935), Rn. 41; EuG („Volkswagen vs. Kommission“), Slg. 2000 II, S. 2707, Rn. 334; EuG („Vereniging van Samenwerkende Prijsregelende Organisaties u. a. vs. Kommission“), Slg. 1995, II, 289 (402), Rn. 356; vgl. auch Vogel, in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 51. 347 Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union; dies. / Vervaele (Hrsg.), Strafrechtliche Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Corpus Juris 2000 (Fassung von Florenz), deutsche Übersetzung von T. Walter, im Internet unter: http://ec.europa.eu/ anti_fraud/green_paper/corpus/de.doc; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Anhang: Rechtstexte II.1, siehe dort auch Rn. 70.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

gg) Völkerstrafrecht Die Statuten der Ad hoc-Tribunale der Vereinten Nationen, namentlich des Jugoslawien-Strafgerichtshof (JStGH)348 und des Ruanda-Strafgerichtshof (RStGH)349, enthalten keine allgemeinen Irrtumsvorschriften, wobei Art. 7 Abs. 4 JuStGH-Statut und Art. 6 Abs. 4 RStGH-Statut ausdrücklich ein Handeln auf Befehl als Straffreistellungsgrund ausschließt. Die Verfolgung beschränkt sich grundsätzlich auf vorsätzlich begangene Völkerrechtsverbrechen. Hinzu kommt teilweise das Erfordernis einer überschießenden Innentendenz350 (specific intent oder dolus specialis) – etwa Zerstörungsabsicht351 beim Völkermord gem. Art. 4 Abs. 2 JStGH-Statut352 bzw. Art. 2 Abs. 2 RStGH-Statut353. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) findet seine Rechtsgrundlage im IStGH-Statut354, welches mit seinem Art. 30 Abs. 1355 das Erfordernis der vorsätzlichen Begehungsweise aufstellt und in Abs. 2 und 3 den Vorsatz („intent and knowledge“) näher definiert. Irrt der Täter über strafbegründende Tatsachen (hält er etwa ein Rotes-Kreuz-Fahrzeug für einen feindlichen Panzer356), ist die Verantwortung gem. Art. 32 Abs. 1 IStGH-Statut ausgeschlossen357. Um verantwortlich zu handeln, muss der Täter auch die typischen kollektiven Begehungszusammenhänge erfassen358. Der 348 Vgl. Resolution 827 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1993 samt Annex. Die Zuständigkeit umfasst Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ab dem 1. Januar 1991 auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien begangen wurden, sowie Delikte gegen die Rechtspflege des Gerichtshofes selbst. 349 Vgl. Resolution 955 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1994 samt Annex. Der Untersuchungsauftrag bezieht sich auf den Bürgerkrieg in Ruanda, der 1994 im Zeitraum von wenigen Monaten bis zu einer Million Menschen das Leben gekostet hat. 350 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 350 ff. 351 Grundlegend RStGH, Prosecutor vs. Akayesu, Case No. ICTR-96-4-T, Rn. 497 ff.; vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 711 ff. m. w. N. 352 In der geltenden Fassung auch abrufbar im Internet unter: http://www.un.org/icty/legal doc-e/basic/statut/statute-feb08-e.pdf. 353 In der geltenden Fassung auch abrufbar im Internet unter: http://69.94.11.53/ENGLISH/ basicdocs/statute/2007.pdf. 354 Die Zuständigkeit umfasst nach Art. 4, 11 und 12 IStGH-Statut Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen der Aggression, sofern der Tatortstaat oder der Heimatstaat des Beschuldigten das Statut zum Zeitpunkt der Tat ratifiziert hat. Dieses sind zur Zeit 110 Staaten (der aktuelle Stand findet sich im Internet unter: http:// www2.icc-cpi.int/Menus/ASP7states+parties/). 355 Vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 357 ff.; Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 15 f. 356 Vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 530. Maßgebliche Strafvorschrift wäre hier Art. 8 Abs. 2 lit. b Ziff. iii IStGH-Statut. 357 Diese Regelung soll allerdings nicht für den Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Straffreistellungsgrundes gelten (vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 532; a. A. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 98). 358 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 65.

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Rechtsirrtum (etwa die Vorstellung man dürfe Rotes-Kreuz-Fahrzeuge angreifen) ist dagegen gem. Art. 32 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut unbeachtlich359. Zwar fallen Fehlvorstellungen über normative Tatbestandsmerkmale gegebenenfalls unter Art. 32 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 IStGH-Statut, diese heben allerdings auch die für den Verbrechenstatbestand maßgeblichen subjektiven Tatbestandsmerkmale i. S. d. Art. 30 Abs. 3 IStGHStatut auf360. Darüber hinaus entfällt die strafrechtliche Verantwortung gem. Art. 32 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut nur bei Handeln aufgrund eines nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehls gem. Art. 33 IStGH-Statut361, was im Ergebnis nur bei Kriegsverbrechen zum Tragen kommt. Die Rechtswidrigkeit eines Befehls zum Völkermord oder zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist gem. Art. 33 Abs. 3 IStGHStatut dagegen stets offensichtlich. Allerdings werden nicht alle Völkerstraftaten nach vorgenannten Grundsätzen abgeurteilt. Zwar besitzen der JStGH und der RStGH für ihren Aufgabenbereich die primäre Zuständigkeit362, die Strafgewalt des IStGH jedoch steht mit nationalen Strafgewalten in einem Verhältnis sogenannter Komplementarität. Die nationale Strafverfolgung hat dementsprechend grundsätzlich Vorrang, es sei denn, der jeweilige Staat ist nicht willens oder nicht in der Lage, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen363. Erfolgt eine Aburteilung in Deutschland, gilt gem. § 2 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs, namentlich sind dies die etwas großzügigeren §§ 16, 17 StGB, sowie bei Handeln auf Befehl ergänzend § 3 VStGB.

f) Ergebnis Die Berücksichtigung internationaler Bezüge hat das oben gefundene Ergebnis, dass für Deutschland auf absehbare Zeit keine Gesetzesänderungen zugunsten einer Vorsatztheorie zu erwarten sind364, sogar bestärkt. Die Vorsatztheorie spielt bei den hier untersuchten Rechtsordnungen nur im portugiesischen Ordnungswidrigkeitenrecht365 eine tragende Rolle. Dessen Ausstrahlungswirkung auf andere (Straf-) Rechtsordnungen dürfte aber begrenzt sein. Selbst die zugehörige, eng auf Bußgeldtatbestände beschränkte Grundprämisse einer generellen Wertneutralität von ordnungswidrigem Verhalten366 kann keine allseitige Akzeptanz beanspruchen, auch Vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 530, 533 ff. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 98. 361 Vgl. auch oben Seite 60 zu § 5 WehrStG. 362 D. h., die Gerichtshöfe können in jeder Phase ein Verfahren übernehmen. 363 Dabei entscheidet der IStGH selbst, ob Unwilligkeit oder Unfähigkeit vorliegt, vgl. Art. 17, 19 IStGH-Statut. 364 Siehe oben Seite 61. 365 Siehe oben Seite 62. 366 Figueiredo Dias, Vom Verwaltungsstrafrecht zum Nebenstrafrecht, Festschrift-Jescheck, S. 79 (91, insb. Fn. 36); ders., Das portugiesische Strafgesetzbuch von 1982 in der Bewäh359 360

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wenn dieser Ansatz ebenso in Deutschland – etwa von James Goldschmidt 367, Arthur Kaufmann368 und Eberhard Schmidt369– vertreten wurde. Nach dem inzwischen herrschenden (und nach Ansicht des Verfassers richtigen) Verständnis sind aber auch Ordnungswidrigkeiten durchaus sozialwidrig370, lediglich der Grad ihres Unwertgehaltes ist nach Einschätzung des Gesetzgebers371 so gering, dass sie nicht die Schwelle eines strafbedürftigen Verhaltens überschreiten. Auf Rechtsfolgenebene reicht damit eine schlichte Geldbuße als nicht ehrenrührige Pflichtenmahnung aus; eine zusätzliche Belastung des Täters mit dem Ausspruch eines sozialethischen Unwerturteils ist dagegen nicht erforderlich372. Darüber hinaus sind gerade im Ordnungswidrigkeitenrecht fast durchgehend Bußgelddrohungen für Fahrlässigkeit vorhanden373, so dass Vorsatz- und Schuldtheorie in diesem Bereich in einem weit geringeren Maße zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Im Kriminalstrafrecht ist die Vorsatztheorie dagegen selbst in Portugal bei Art. 16º, nº 1 Código Penal nur ein die Schuldtheorie einschränkender Faktor374. Alle anderen Rechtsordnungen haben sich dagegen ohnehin entweder wie Spanien375, Österreich (sieht man einmal vom wohl nicht allzu praxisrelevanten § 9 FinStrG ab)376, die Schweiz377 rung, ZStW 105 [1993], S. 77 (85); Hünerfeld, Strafrechtsdogmatik in Deutschland und Portugal, S. 198, 240 f. (siehe bereits oben Seite 62). 367 Goldschmidt, Das Verwaltungsstrafrecht, S. 548, 560 f., 577. 368 Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, S. 183 ff. 369 Eberhardt Schmidt, Das neue westdeutsche Wirtschaftsstrafrecht, S. 38, 48. 370 Mattes, Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten, Zweiter Halbband, S. 199 ff., 230 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 422 f.; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 3, Rn. 9 f.; Gürtler, in: Göhler, Vor § 1 OWiG, Rn. 2 ff.; Rebmann / Roth / Herrmann, Vor § 1 OWiG, Rn. 9; Dannecker / Biermann, in: Immenga / Mestmäcker, Vor § 81 GWB, Rn. 21 ff.; Weber, Die Überspannung der staatlichen Bußgeldgewalt, ZStW 92 [1980], S. 313 (315 ff.); Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 7 V 3b; eingehend dazu auch die (zum Teil kritische) Darstellung von Bohnert, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, Einleitung, Rn. 80 f., 82 ff., 89 ff., 108 ff. 371 Wenn es ausschließlich auf die Einschätzung des Gesetzgebers ankommt, muss man freilich damit leben, dass zum Teil auch substanziell sozialschädliches Verhalten „nur“ mit (durchaus empfindlichen) Bußgeldern geahndet wird. Vgl. dazu Achenbach, Zur Problematik „großer“ Wirtschafts-Ordnungswidrigkeiten, GA 2008, S. 1 (5 f., 12 ff., 16 f.); Dannecker / Biermann, in: Immenga / Mestmäcker, Vor § 81 GWB, Rn. 23 f. 372 Siehe BVerfGE 22, S. 49 (80); BVerfGE 27, S. 18 (29 ff.); BVerfGE 45, S. 272 (288 f.). 373 Vgl. Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 10, Rn. 16. Das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 10 OWiG hat sich insofern faktisch umgedreht [vgl. auch schon Weber, Konzeption und Grundsätze des Wirtschaftsstrafrechts (einschließlich Verbraucherschutz), ZStW 96 [1984], S. 376 (389)] und unterscheidet sich insofern nicht wesentlich von § 5 Abs. 1 des österreichischen VStG, der von der prinzipiellen (Verwaltungs-)Strafbarkeit fahrlässigen Verhaltens ausgeht. 374 Siehe oben Seite 62. 375 Siehe oben Seiten 63 ff. 376 Siehe oben Seiten 65 ff. 377 Siehe oben Seite 65.

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sowie jüngst die Türkei378 verschiedenen Spielarten der Schuldtheorie zugewandt oder verharren sogar beim Grundsatz error iuris nocet, der im Hinblick auf den Schuldgrundsatz – etwa wie Frankreich und Italien379 – allenfalls kleinere Einschränkungen erfährt. Europäische oder internationale völkerstrafrechtliche Regelungen nehmen dabei – nicht zuletzt aufgrund des noch strikteren angloamerikanischen Standpunkts380 – bestenfalls eine zwischen error iuris nocet und Schuldtheorie angesiedelte Position ein381. Damit ist für die weitere Untersuchung, jedenfalls soweit sie zu praktisch verwertbaren Ergebnissen führen soll, zweckmäßigerweise von der grundsätzlichen Geltung der Schuldtheorie in Deutschland (§§ 16, 17 StGB, Art. 1 Abs. 1 EGStGB, § 369 Abs. 2 AO, § 11 Abs. 1 und 2 OWiG) auszugehen. Interessant war weiter zu beobachten, dass in allen Rechtsordnungen ein außerhalb des strafrechtlichen Verbots angesiedelter Irrtum trotz unterschiedlicher Terminologien eine Sonderrolle einnimmt. Wie in Art. 47 (3) des italienischen Codice Penale sogar ausdrücklich bestimmt382, wirkt er sich regelmäßig – obwohl Rechtsirrtum – vorsatzausschließend aus. Letzteres führt auch im Ausland zu den Abgrenzungsschwierigkeiten, mit denen sich der erste Teil dieser Arbeit anhand des modernen deutschen Wirtschafts- und Steuerstrafrechts näher beschäftigen wird. Dies erfordert allerdings zunächst noch einen Blick auf die grundsätzlichen Weichenstellungen des bundesdeutschen Gesetzgebers für den untauglichen Versuch und das Wahndelikt. 2. Untauglicher Versuch und Wahndelikt a) Einführung der §§ 22, 23 StGB im Zuge des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes Bei den Beratungen zum E 1962383 wurde das klare Ziel formuliert, im bundesdeutschen Strafrecht nicht mehr mittels einer neutralen Fassung des Gesetzes der Entscheidung zwischen objektiver und subjektiver Theorie auszuweichen384. Vielmehr sollten durch eine eindeutige Festlegung des Gesetzgebers die Kontroversen in Rechtsprechung und Literatur ein Ende finden385. Die Anhänger der subjektiven Theorie, welche mittlerweile auch im Schrifttum an Einfluss gewonnen hatte, sowie verwandter Konzepte drängten mehr oder weniger darauf, das vom Reichsgericht Siehe oben Seite 68. Siehe oben Seiten 67 f. 380 Siehe oben Seite 69. 381 Siehe oben Seiten 72 und 74. 382 Zum vergleichbaren Art. 95 Abs. 2 des sächsischen StGB von 1855 siehe auch Seite 43, Fußnote 122. 383 Vgl. Seite 58. 384 Bockelmann, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 2. Band, S. 171. 385 Siehe oben Seite 54. 378 379

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geschaffene Gewohnheitsrecht gesetzgeberisch zu legalisieren386. Demgegenüber sahen die verbliebenen Anhänger der objektiven Theorie in der Strafbarkeit des untauglichen Versuches weiter den Ausdruck eines Gesinnungsstrafrechts, welches keine widerspruchsfreie Abgrenzung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt liefern könne387. Darüber hinaus musste man sich ferner über die Abgrenzung von reinen Vorbereitungshandlungen zum Versuch einigen. Ergebnis der Beratungen waren die §§ 26 f. E 1962, welche von einer grundsätzlichen Strafbarkeit des untauglichen Versuchs ausgingen, bei grober Unverständigkeit jedoch die Möglichkeit des Absehens von Strafe einräumten und für die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch auch ein objektives Element enthielten388. Der Alternativentwurf unterbreitete mit den §§ 24 f. AE ähnliche Vorschläge, insbesondere verwendete er in § 24 AE den Begriff des „unmittelbaren Ansetzens“389. Nicht durchsetzen konnte sich allerdings die generelle Straflosigkeit des untauglichen Tatsubjekts nach § 25 Abs. 3 Nr. 1 AE und des Handelns aus grobem Unverstand nach § 25 Abs. 3 Nr. 2 AE390. Mit den §§ 22, 23 StGB ist also ein Kompromiss aus E 1962 und AE Gesetz geworden. Diese Vorschriften haben wiederum gem. Art. 1 Abs. 1 EGStGB und § 369 Abs. 2 AO sowohl im Neben- als auch im Steuerstrafrecht ihre Gültigkeit. § 13 Abs. 1 und 2 OWiG treffen inhaltsgleiche Regelungen für das Ordnungswidrigkeitenrecht.

b) Zwischenbewertung Moderne Ansätze müssen damit angesichts der Tatsache, dass § 22 StGB auf „Vorstellung von der Tat“ abstellt und § 23 Abs. 3 StGB lediglich eine Sonderregelung trifft, von der grundsätzlichen Strafbarkeit des untauglichen Versuches ausgehen391. Die Begründung der Versuchsstrafbarkeit erfolgt allerdings immer noch in 386 Bockelmann, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 2. Band, S. 171 ff.; Schwalm, ebenda, S. 187 ff. Im Ergebnis genauso, wenn auch teilweise kritischer: Jescheck, ebenda, S. 194; Gallas, ebenda, S. 194 ff.; Welzel, ebenda, S. 198. Für grundsätzliche Strafbarkeit des untauglichen Versuchs mit genereller Möglichkeit des Absehens von Strafe: Lange, ebenda, S. 192; Sieverts, ebenda, S. 197. 387 Freiherr von Stackelberg, ebenda, S. 181 (182); ausführlich auch Spendel, Zur Neubegründung der objektiven Versuchstheorie, in: Festschrift-Stock, S. 89. 388 § 26 E 1962 hatte folgenden Wortlaut: „(1) Eine Straftat versucht, wer den Vorsatz, die Tat zu vollenden, durch eine Handlung betätigt, die den Anfang der Ausführung bildet oder einen nach seiner Vorstellung von den Tatumständen bilden würde, jedoch nicht zur Vollendung führt. (2) Den Anfang der Ausführung bildet eine Handlung, durch die der Täter mit der Verwirklichung des Tatbestandes beginnt oder unmittelbar dazu ansetzt.“ § 27 Abs. 3 E 1962 entspricht fast wörtlich dem heutigen § 23 Abs. 3 StGB. 389 § 24 AE hatte folgenden Wortlaut: „Den Versuch einer Straftat begeht, wer nach seinem Tatplan zu ihrer Verwirklichung unmittelbar ansetzt.“ 390 § 25 Abs. 3 AE lautete: „Der Versuch bleibt straflos, 1. wenn er in der irrigen Annahme einer besonderen Pflichtenstellung begründet ist, 2. wenn er auf groben Unverstand beruht und deshalb von vornherein ungefährlich ist.“

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verschiedenen Varianten392, von denen nunmehr die vermittelnde, d. h. von der subjektiven Versuchstheorie ausgehende, jedoch ergänzend auf deren sozialpsychologische Wirkung der Tat auf die Allgemeinheit abstellende Eindruckstheorie am meisten vertreten wird. Es wird demnach nicht nur der rechtsfeindliche Wille als Erscheinung an sich bestraft393, als zusätzliches Merkmal muss die Betätigung dieses Willens den Rechtsfrieden dadurch beeinträchtigen, dass sie das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung erschüttert. Anders als im „Willensstrafrecht“ des E 1936394 kommen dafür nur die in § 23 Abs. 1 StGB genannten Delikte – insbesondere alle Verbrechen395 – in Frage. Die Ansatzformel des § 22 StGB bindet das Stadium des Versuchs zudem zeitlich eng an die geplante Verwirklichung des Tatbestandes396. Eine wirkliche Gefährdung des geschützten Rechtsgutes wird aber nicht verlangt, was kriminalpolitisch durchaus sinnvoll ist. Dies zeigt sich am Beispiel des Tötungsversuchs an einer Leiche397. Die gerichtliche Feststellung, dass das Opfer im Tatzeitpunkt bereits tot war, beruht in der Praxis selten auf echtem Unvermögen des Täters, sondern weit häufiger auf der Anwendung des Zweifelssatzes398. Wenn sich nicht nachweisen lässt, an welcher Handlung das Opfer (etwa eines Konvoluts von Schlägen, Tritten und Messerstichen) letztendlich gestorben ist und ab wann der Täter wirklich Tötungsvorsatz entwickelt hatte, ist nur eine Bestrafung wegen eines versuchten Tötungsdelikts möglich. Es lässt sich dann nicht einmal belegen, dass das Rechtsgut Leben durch eine mit Tötungsvorsatz begangene Handlung überhaupt gefährdet wurde. Trotzdem geht von solchen Taten eine viel größere sozialpsychologische Wirkung aus, als von einem einmaligen Fehlschuss auf ein Opfer, das unverletzt überlebt.

Für andere Fälle trägt § 23 Abs. 3 StGB dem Umstand Rechnung, dass ein untauglicher Versuch auch einmal nicht das Mindestmaß an Eignung zur Erschütterung des Vertrauens in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung erreichen kann. Dies ist nach der gesetzgeberischen Entscheidung dann der Fall, wenn neben der Ungeeignetheit der Tathandlung die Erfolgserwartung des Täters als völlig abwegig 391 Kritisch allerdings immer noch Hirsch, Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht, Festschrift-Roxin (70. Geb.), S. 711 (719, 727); ders., Die subjektive Versuchstheorie, ein Wegbereiter der NS-Strafrechtsdoktrin, JZ 2007, S. 494 (502). Bottke, Untauglicher Versuch und freiwilliger Rücktritt, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band IV, S. 135 hält § 22 StGB in der Form sogar für verfassungswidrig. Spendel dagegen verfolgte seine vor Inkrafttreten der §§ 22, 23 StGB vertretene Auffassung (vgl. oben Seite 78, Fußnote 387) wohl nur noch rechtspolitisch weiter [so jedenfalls, in: ders., Action libera in causa und kein Ende, Festschrift-Hirsch, S. 379 (385, Fn. 21)]. Zu modernen Formen einer Annäherung an die objektive Theorie siehe auch Seiten 121 ff. 392 Vgl. Hillenkamp, in: Leipziger Kommentar, Vor § 22 StGB, Rn. 77 ff.; Eser, in: Schönke / Schröder, Vorbem § 22 StGB, Rn. 17 ff.; jeweils m. w. N. 393 Vgl. Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 49 II 3, § 50 I 4. 394 Siehe oben Seite 56. 395 Vgl. Krey, Deutsches Strafrecht AT 2, Rn. 405. 396 Gropp, Strafrecht AT, Rn. 37. 397 RGSt 1, S. 451. 398 Vgl. etwa BGHSt 35, S. 305; BGH NStZ 1992, S. 277; BGH NStZ-RR 1999, S. 101.

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erscheint399. Eine Erweiterung dieser Ausnahmen oder gar eine Gesetzesänderung zugunsten einer rein objektiven Theorie ist aus deutscher Perspektive dagegen eher unwahrscheinlich400. c) Abgleich mit anderen Rechtsordnungen Denkbar bleibt wiederum allenfalls, dass sich die prinzipielle Strafbarkeit des untauglichen Versuchs in Zukunft im Rahmen einer europäischen oder gar internationalen Rechtsangleichung ändern könnte. Impulse dazu wären aber nur von Rechtsordnungen zu erwarten, in denen die objektive Theorie eine maßgebliche Rolle spielt. Deshalb soll hier wiederum ein kurzer Abgleich401 erfolgen, wobei das so gewonnene Material ebenfalls bei der Bewertung speziell auf das deutsche Wirtschafts- oder Steuerstrafrecht bezogener Lösungsansätze noch eine wichtige Rolle spielen wird. Der Übersichtlichkeit halber kann im Wesentlichen die bei der Abgrenzung von vorsatz- und nichtvorsatzausschließendem Irrtum verwendete Reihenfolge beibehalten werden. aa) Portugal Das allgemein ausgesprochen „entscheidungsfreudige“402 portugiesische Strafgesetzbuch trifft in seinen Artigos 21º ff. Código Penal die detailreichsten Regelungen zum Versuch. Der Versuch ist gem. Art. 23º, nº 1 Código Penal in der Regel nur dann strafbar, wenn die Tat beim vollendeten Delikt mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht ist403. Die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen wird durch Art. 21º Código Penal ausgeschlossen. Nach Art. 22º, nº 1 Código Penal muss der Täter vielmehr bereits Ausführungshandlungen zu der Straftat vorgenommen haben, zu deren Begehung er sich entschlossen hat. Art. 22º, nº 2 Código Penal kennt drei mögliche Varianten solcher Ausführungshandlungen, namentlich sind dies a) Handlungen, die die Verwirklichung eines Straftatbestandes darstellen, b) solche, die zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges geeignet sind oder c) solche, denen (nach allgemeiner Erfahrung und abgesehen von unvorhersehbaren Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 23 StGB, Rn. 38. Siehe auch oben Seite 61 zur Vorsatztheorie. 401 Siehe dazu auch den Überblick bei Jescheck, Versuch und Rücktritt bei Beteiligung mehrerer Personen an der Straftat, ZStW 99 [1987], S. 111 (118 ff.); Cancio Meliá, Überlegungen zu einer gemeineuropäischen Regelung des Versuchs, in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 169 (175 ff.); Jung, Zur Strafbarkeit des untauglichen Versuchs – ein Zwischenruf aus rechtsvergleichender Sicht, ZStW 117 [2005], S. 937. 402 Cancio Meliá, Rechtsvergleichende Bemerkungen zum Allgemeinen Teil des portugiesischen Strafgesetzbuches aus spanisch-deutscher Sicht, GA 1998, S. 118 (123). Siehe dazu auch oben Seite 62. 403 Der Diebstahl ist z. B. in Portugal mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht, unterfiele deshalb nicht der Versuchsstrafbarkeit. Art. 203.2 Código Penal ordnet die Versuchsstrafbarkeit jedoch wie in Deutschland ausdrücklich an. 399 400

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Umständen) Akte, der unter a) oder b) genannten Art, folgen werden404. Der untaugliche Versuch ist gem. Art. 23º, nº 3 Código Penal bei Verwendung offensichtlich ungeeigneter Tatmittel oder bei Nichtvorhandensein eines wesentlichen Tatobjektes ausdrücklich von der Strafbarkeit ausgenommen, was wiederum den zurückhaltenden Charakter des portugiesischen Strafrechts bestätigt405.

bb) Spanien In Spanien, wo der Versuch außer bei Übertretungstatbeständen generell strafbar ist, folgt Art. 16.1 Código penal 406 dem Gesetzesmodell des „Beginns der Ausführung“. Bis 1995 war nach dem alten Art. 52 Código penal der untaugliche Versuch eindeutig strafbar407. Heute ist nach dem Wortlaut des Art. 16.1 Código penal für den Versuch zumindest „ein Teil der Handlungen“ vorzunehmen, die „objektiv“ („objetivamente“) den Erfolg herbeiführen „sollten“ („deberían“408). Die Bezugnahme auf tatsächliche Maßstäbe führte in Literatur und Rechtsprechung zu einer gewissen Verunsicherung, ob der untaugliche Versuch nun überhaupt noch oder alternativ nur bei aus ex ante-Sicht bestehender Gefährlichkeit strafbar sei409. Schließlich existiert noch die Lesart, man habe mit der Wendung nur klarstellen wollen, dass der Versuch ein rationales Fundament haben muss, also, dass lediglich die Strafbarkeit des irrealen oder abergläubischen Versuchs ausscheidet. Der Tribunal Supremo hat inzwischen jedenfalls im Falle des relativ untauglichen Versuchs410 die Strafbarkeit bejaht. Cancio Meliá, GA 1998, S. 118 (121). Siehe oben Seite 62. 406 Siehe dazu auch oben Seite 65. 407 Vgl. Gimbernat Ordeig, in: Mezger / Schönke / Jescheck (Hrsg.), Das ausländische Recht der Gegenwart VI, S. 372 f. 408 In Hoffmann / Cancio Meliá, Das spanische Strafgesetzbuch, Código Penal, S. 23 wird „deberían“ mit „würden“ übersetzt, was das objektive Moment betont. Einer wörtlichen Übertragung entspricht jedoch das doppelsinnige „sollten“ oder „müssten“. Siehe dazu auch Cancio Meliá, in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 169 (177 f.); Mir Puig, Untauglicher Versuch und statistische Gefährlichkeit im neuen Strafgesetzbuch, Festschrift-Roxin (70. Geb.), S. 729 (730); ders., Derecho Penal, Parte General, Lec. 13, Rn. 82 ff.; Suárez González, Zum Allgemeinen Teil des spanischen Strafgesetzbuches, GA 1998, S. 111 (116); Caballero Brun, Sobre los límites a la punibilidad de la tentativa en el De– recho español, Revista penal 2009, S. 3 ff. m. w. N. 409 Vgl. Arroyo Zapatero, Grunderfordernisse des Allgemeinen Teils für ein europäisches Sanktionenrecht, ZStW 110 [1998], S. 438 (454 f.); Bacigalupo Zapater, in: Hoffmann / Cancio Meliá, Das spanische Strafgesetzbuch, Código Penal, S. 12 f.; Cancio Meliá, in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 169 (177); Manso Porto, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung III, S. 938 f.; Mir Puig, Festschrift-Roxin (70. Geb.), S. 729 (730 ff.); ders., Sobre la punibilidad de la tentativa inidónea en el nuevo Código penal, Revista Electrónica de Ciencia Penal y Criminología 03 [2001], Artículo 6; Suárez González, GA 1998, S. 111 (116); jeweils m. w. N. 410 Tribunal Supremo, sentencia de 10 de noviembre de 1997, núm. 1388 / 1997; Tribunal Supremo, sentencia de 21 de junio de 1999, núm. 1000 / 1999; Tribunal Supremo, sentencia de 404 405

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cc) Österreich 411

In Österreich , wo sich die Versuchsstrafbarkeit ebenfalls auf alle Vorsatzdelikte erstreckt412 und auch für den Versuch lediglich eine Strafmilderung innerhalb des normalen Strafrahmens vorgesehen ist413, schließt – wie bereits oben angedeutet414 – § 15 Abs. 3 ÖStGB die Strafbarkeit des absolut untauglichen Versuchs aus. Die Zurückhaltung bei der Bestrafung des untauglichen Versuchs kann sich in Österreich auf eine über hundertjährige Tradition in der Rechtsprechung stützen415. Im Hinblick auf die heutige Regelung ist allerdings – wie im ehemaligen deutschen Schrifttum – streitig, ob die Abgrenzung zum relativ untauglichen Versuch (nach der Lehre vom begleitenden Beobachter416) mittels einer ex ante- oder (nach der Lehre von der objektiven Untauglichkeit417) mittels einer ex post-Beurteilung erfolgen solle418. In der Tendenz werden recht hohe Anforderungen an die absolute Untauglichkeit gestellt419: Etwa wird ein Versuch nicht dadurch absolut untauglich, dass sich das potentielle Opfer in einem anderen Haus aufhält und der Täter an einer falschen Adresse Einlass begehrt420, bei einem Einbruch bloß wertlose (oder überhaupt keine stehlbaren) Gegenstände vorgefunden werden421 oder ein Beamter sich als unbestechlich422 erweist. Allerdings gilt dies nur bei tatsächlich aussichtslosen Unterfangen. Bei rechtlicher Unmöglichkeit, die für diese Arbeit eine besondere Rolle spielt, ist regelmäßig von Straflosigkeit auszugehen, da selbst vom begleitenden Beobachter außerstrafrechtliche Rechtskenntnis durchaus erwartet werden kann.

dd) Schweiz Auch nach dem modernisierten schweizerischen Strafrecht423 sind gem. Art. 22 Abs. 1 SchweizStGB alle Vergehen und Verbrechen gleichermaßen von der Ver20 de enero de 2003, núm. 2122 / 2002 (zur Abgrenzung von relativer und absoluter Untauglichkeit); vgl. auch Caballero Brun, Revista penal 2009, S. 3 (4 f.) m. w. N. 411 Siehe dazu auch oben Seite 65. 412 Vgl. Hillenkamp, in: Leipziger Kommentar, Vor § 22 StGB, Rn. 150. Anders ist dies nur im Verwaltungsstrafrecht; nach § 8 Abs. 1 VStG muss dort die Versuchsstrafbarkeit im Übertretungstatbestand ausdrücklich erklärt werden. 413 Siehe zu den österreichischen Strafrahmen allerdings oben Seite 66. 414 Siehe oben Seite 55. 415 Vgl. Fuchs, Österreichisches Strafrecht, AT I, 30. Kap., Rn. 15. 416 Vgl. Burgstaller, Der Versuch nach § 15 StGB, JBl 1976, S. 113 (122). 417 Vgl. OGH EvBl 1987, Nr. 5; Fuchs, Österreichisches Strafrecht, AT I, 30. Kap., Rn. 24 ff. 418 Vgl. Hager / Massauer, in: Wiener Kommentar, §§ 15, 16 StGB, Rn. 70 ff. m. w. N. 419 Siehe Überblick bei Hager / Massauer, in: Wiener Kommentar, §§ 15, 16 StGB, Rn. 87 ff. 420 OGH EvBl 1999, Nr. 61. 421 OGH JBl 1989, S. 192 (193). 422 OGH EvBl 1982, Nr. 200. 423 Siehe dazu auch oben Seite 65.

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suchsstrafbarkeit erfasst. Die Untauglichkeit eines Versuchs ändert an der grundsätzlichen Strafbarkeit nichts424. Bis Ende 2007 gab es allerdings bei sogenannter absoluter Untauglichkeit des Mittels oder des Objekts gem. Art. 23 Abs. 1 SchweizStGB a. F. die Möglichkeit einer Strafmilderung nach freiem Ermessen (theoretisch bis zu einem Franken Buße), so z. B. bei vermeintlicher Veruntreuung von in Wahrheit im Eigentum des Täters stehenden Sachen425. Heute nimmt der Normalfall des untauglichen Versuches keine Sonderstellung mehr ein, es gilt die einheitliche, fakultative Milderung des § 48a SchweizStGB. Nur wenn die absolute Untauglichkeit vom Täter aus grobem Unverstand verkannt wurde, ist gem. Art. 22 Abs. 2 SchweizStGB – jetzt zwingend – ganz von Strafe abzusehen. Beim untauglichen Subjekt wird dagegen wohl weiter von genereller Straflosigkeit ausgegangen, weil der Täter nicht die Sonderpflichten besitze, die das Tatunrecht erst begründen würden426, die Abgrenzung ist dabei allerdings nicht immer eindeutig427.

ee) Frankreich, Italien und Türkei In Frankreich428, dessen Regelung für Spanien und auch Italien Vorbild gewesen ist, ist gem. Art. 121-4 (2) Code pénal der Versuch bei Verbrechen generell, bei Vergehen nur in speziell angeordneten Fällen strafbar. Nach Art. 121-5 Code pénal muss der Versuch durch den „Beginn der Ausführung“ („ par un commencement d’exécution“) des Tatbestandes nach außen kundgetan worden sein. Er ist dann mit derselben Strafdrohung wie die vollendete Tat bewehrt. Ähnlich wie beim früheren § 43 Abs. 1 RStGB429 sagt der Wortlaut der Vorschriften allerdings nichts über die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs430. Die französische Rechtsprechung hat diese jedoch anerkannt – mit der Begründung, dass die die Untauglichkeit begründenden Umstände vom Willen des Täters unabhängig seien („cette circonstance étant indépendante de la volonté de l’auteur“)431. Die Entscheidung stößt allerdings im französischen Schrifttum durchaus auch auf Kritik432. 424 Vgl. Hillenkamp, in: Leipziger Kommentar, Vor § 22 StGB, Rn. 150; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht AT I, § 12, Rn. 16, 41 ff. 425 BGE 90 IV, S. 190 (194); BGE 106 IV, S. 254 (256) zu Art. 23 StGB a. F. 426 Vgl. Stratenwerth, Zum Versuch des untauglichen Subjekts, Festschrift-Bruns, S. 59 (63 ff.). 427 Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht AT I, § 12, Rn. 47 ff.; Jenny, in: Basler Kommentar, Art. 22 StGB, Rn. 31 ff. 428 Siehe dazu auch oben Seite 67. 429 Siehe oben Seite 46, Fußnote 153. 430 Lelieur / Pfützner / Volz, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung III, S. 837, 840 f. 431 Vgl. Cour de Cassation, Chambre criminelle, Arrêt „Perdereau“, 16 janvier 1986, D. 1986, S. 265 (zur „Sterbehilfe“ für einen Toten). 432 Näheres bei Cancio Meliá, in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 169 (177); Jung, ZStW 117 [2005], S. 937 (942 f., 947).

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Art. 56.1 des italienischen Codice Penale433 verlangt für den Versuch dagegen eine geeignete und unmissverständlich auf die Verwirklichung einer Straftat gerichtete Handlung434. Ausdrücklich von der Strafbarkeit ausgenommen sind nach Art. 49.1 das Wahndelikt, aber auch nach Art. 49.2 Codice Penale der untaugliche Versuch435. Art. 49.4 Codice Penale sieht für letzteren jedoch die Möglichkeit vor, mit Sicherungsmaßnahmen, namentlich der libertàvigilata, zu reagieren436. Auch hinsichtlich des Versuchs hat sich die Neuorientierung der Türkei437 in der Formulierung der maßgeblichen Vorschriften im Strafgesetzbuch niedergeschlagen. Madde 35 Türk Ceza Kanunu stellt auf das „unmittelbare Ansetzen“ des Täters ab. Dabei verlangt das Gesetz allerdings unmittelbares Ansetzen mit „tauglichen Handlungen“438. Von der italienischen Rechtslage wohl weiterhin beeinflusst gilt also die objektive Theorie – diese allerdings in ihrer verfolgungsfreundlicheren Variante: Verlangt wird eine konkrete, tatbestandsnahe Gefahr, deren Vorliegen aufgrund einer ex-ante-Betrachtung zu bestimmen ist439. ff) England / Wales und USA Im angloamerikanischen Rechtskreis440 war man mit der Bestrafung des untauglichen Versuchs traditionell sehr zurückhaltend. Im common law galt die sogenannte defence of impossibility441, welche selbst dann zur Straflosigkeit führte, wenn sich erst im Nachhinein (ex post) herausstellte, dass die betreffende Handlung ungefährlich war. In England / Wales wurde diese Verteidigungsmöglichkeit allerdings durch den Criminal Attempts Act 1981 stark eingeschränkt bzw. ganz aufgehoben442. Siehe dazu auch oben Seite 68. Jarvers, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung III, S. 851. 435 Jarvers, a. a. O., S. 853 ff.; Cancio Meliá, in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 169 (177). 436 Jarvers, a. a. O. S. 854. „Primo capoverso“ bezieht sich wohl auf den ersten Folgeabsatz – also Art. 49.2 Codice Penale, so dass entgegen Jung, ZStW 117 [2005], S. 937 (939) nicht das Wahndelikt gemeint ist. Vgl. auch Riz / Bosch, Italienisches Strafgesetzbuch, zweisprachige Ausgabe, S. 60 f. 437 Siehe dazu auch oben Seite 68. 438 Sözüer, Die Reform des türkischen Strafrechts, ZStW 119 [2007], S. 717 (733 f.); Roxin / İsfen, GA 2005, S. 228 (239). 439 Sözüer, ZStW 119 [2007], S. 717 (734). 440 Siehe dazu auch oben Seite 69. 441 Vgl. R. vs. Williams [1893], Law Reports (Queens Bench Division), Vol. 1, S. 320 (321) zur versuchten Vergewaltigung durch ein 13-jähriges Kind; R. vs. Percy Dalton (London) Ltd. [1949], Criminal Appeal Reports, Vol. 33, S. 102 zur vermeintlichen Preisüberhöhung; Haughton vs. Smith [1975], Law Reports (Appeal Cases), S. 476 (506) zum untauglichen Hehlereiobjekt, m. w. N. 442 Vgl. Hooper / Ormerod, Blackstone’s Criminal Practice, Rn. A 6.45, A 6.63; Jefferson, Criminal Law, S. 416; Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 424 ff.; Ashworth, Grunderforder433 434

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Nach s. 1 (2) ist nunmehr ein Versuch ausdrücklich auch dann strafbar, wenn Tatsachen („ facts“) die Vollendung von vornherein unmöglich machen. Diese Bestimmung wurde zwar vom House of Lords zunächst sehr eng ausgelegt, etwa in der Entscheidung Anderton vs. Ryan443, wonach es jedenfalls beim untauglichen Tatobjekt bei Straflosigkeit bleiben sollte, da man niemanden wegen eines Verhaltens bestrafen könne, welches „objectively innocent “ sei444. Diese Entscheidung entfaltet jedoch keine Bindungswirkung mehr, seitdem sie durch R. vs. Shivpuri 445 ausdrücklich verworfen wurde. Beim Wahndelikt greift s. 1 (2) Criminal Attempts Act 1981 dagegen nicht446. Ob dies auch für die fehlerhafte Annahme eines außerstrafrechtlichen Rechtsverhältnisses gilt oder ein Rechtsverhältnis dieser Art unter den Begriff „ facts“ subsumiert werden kann, ist wohl noch nicht geklärt447. In den Vereinigten Staaten448 wurde die defence of impossibility schon deutlich früher und zwar durch die Rechtsprechung eingeschränkt, ein Beispiel ist der Fall State of Missouri vs. Mitchell 449, nach dem Untauglichkeit keine Verteidigung darstellt, wenn lediglich dem Täter unbekannte Umstände eine Vollendung verhindern. Auch die detaillierte Regelung des § 5.01 Model Penal Code450 beurteilt den Täter auf Grundlage seiner tatsächlichen Vorstellungen („under the circumstances as he believes them to be“)451. Sie sieht einen Versuch dann als gegeben an, wenn der Täter Ausführungshandlungen vornimmt, die ein Verbrechen begründen würden, wenn sein Vorstellungsbild der Wirklichkeit entspräche bzw. die nach seiner Vorstellung ohne weitere Zwischenschritte zum tatbestandlichen Erfolg führen sollen. nisse des Allgemeinen Teils für ein europäisches Sanktionenrecht, ZStW 110 [1998], S. 461 (471); Brockhaus, Die inchoate offences im englischen Strafrecht, ZStW 119 [2007], S. 153 (159 ff.); Forster, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung III, S. 825 f. 443 Anderton vs. Ryan [1985], All England Law Reports, Vol. 2, S. 355 zum untauglichen Hehlereiobjekt. 444 Vgl. auch Brockhaus, ZStW 119 [2007], S. 153 (160); Jung, ZStW 117 [2005], S. 937 (943). 445 R. vs. Shivpuri [1986], All England Law Reports, Vol. 2, S. 334 zum Schein-Betäubungsmittel (getrocknete Tabak- oder Gemüseblätter statt Cannabis). 446 R. vs. Taafe [1984], Law Reports (Appeal Cases), S. 539. 447 Williams, The Lords Achieve the Logically Impossible, New Law Journal 1985, S. 502 (505); Jefferson, Criminal Law, S. 428. 448 Vgl. Weaver / Abramson / Burkoff / Hancock, Criminal Law, Ch. 6, Sec. D; Elkind, Impossibility in Criminal Attempts, Virginia Law Review 54 [1968], S. 20; Simons, Mistake and Impossibility, Journal of Criminal Law and Criminology, Vol. 81 (1990), S. 447, jeweils m. w. N. 449 State of Missouri vs. Mitchell [1902], Missouri Reports, Vol. 170, S. 633 (Schuss ins Leere); vgl. auch People of California vs. Lee Kong [1892], California Reports, Vol. 95, S. 666 (Schuss ins Leere); United States vs. Thomas [1962], United States Court of Military Appeals Reports, Vol. 13, S. 278 (versuchte Vergewaltigung einer vermeintlich bewusstlosen, in Wahrheit toten Frau). 450 Siehe auch oben Seite 71, insbesondere Fußnote 335. 451 Vgl. Jung, ZStW 117 [2005], S. 937 (941 f.); Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 122.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

gg) Europäisches Kartellordnungswidrigkeitenrecht, Corpus Juris und Völkerstrafrecht Im Europäischen Kartellordnungswidrigkeitenrecht452 ist der Versuch generell nicht unter Sanktionsandrohung gestellt453, da es sich bei den maßgeblichen Bußgeldtatbeständen ohnehin um vorverlagernde Gefährdungsdelikte handelt. Im Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union454 gab es zunächst keine Vorschrift, die die Strafbarkeit des Versuchs regeln sollte, sie wurde erst nachträglich durch Art. 11 bis Corpus Juris eingeführt455. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs ist darin nicht explizit festgelegt, für den Versuchsbeginn wird die Vornahme einer Handlung verlangt, „die den Beginn der Tatausführung bedeutet“, was sowohl objektiv als auch subjektiv verstanden werden kann456. Eine Interpretation zugunsten der subjektiven Theorie scheint sich aber durchzusetzen457. Im Völkerstrafrecht kodifizieren die Statuten der Ad hoc-Tribunale der Vereinten Nationen mit Art. 4 Abs. 3 lit. d JSGH-Statut458 und Art. 2 Abs. 3 lit. d RStGH-Statut459 die Strafbarkeit des Versuchs. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der Gerichtshöfe liegt jedoch bestimmungsgemäß bei der Aburteilung schwerster Verbrechen, die die Völkergemeinschaft insgesamt berühren und deshalb regelmäßig auch vollendete sind460, so dass insbesondere über die Strafbarkeit des untauglichen Versuches bisher noch nicht entschieden zu werden brauchte. Auch der Versuchstatbestand des Art. 25 Abs. 3 lit. f IStGH-Statut461 ist sowohl in Richtung Strafbarkeit als auch in Richtung Straflosigkeit des untauglichen Versuchs interpretierbar, wobei vieles für die Bejahung von ersterem spricht462. Bei einem Verfahren in Deutschland kommen freilich über § 2 VStGB ohnehin die §§ 22, 23 StGB zur Anwendung463.

Siehe dazu auch oben Seite 72. Vogel, in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 57; Dannecker / Biermann, in: Immenga / Mestmäcker, Kapitel VI, Sanktionen, Rn. 127. 454 Siehe oben Seite 73, insbesondere Fußnote 347. 455 Safferling, Die Abgrenzung zwischen strafloser Vorbereitung und strafbarem Versuch im deutschen, europäischen und im Völkerstrafrecht, ZStW 118 [2006], S. 682 (704). 456 Vgl. Safferling, ZStW 118 [2006], S. 682 (705 ff.). 457 Vgl. Brockhaus, Die Europäisierung des Versuchs und Rücktritts im Wirtschaftsstrafrecht, ZIS 10 / 2006, S. 481 (484 f.). 458 Siehe dazu oben Seite 74, Fußnote 352. 459 Siehe dazu oben Seite 74, Fußnote 353. 460 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 592. 461 Siehe dazu auch oben Seite 74. 462 Safferling, ZStW 118 [2006], S. 682 (712); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 590. 463 Vgl. oben Seite 75. 452 453

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d) Ergebnis Die Weichenstellungen des bundesdeutschen Gesetzgebers sind eindeutig, kriminalpolitisch so jedoch nicht zwingend. Der Vergleich mit anderen Rechtsordnungen führt jedenfalls nicht zu der Bekräftigung der deutschen Rechtslage, wie es oben bei der Abgrenzung von vorsatz- und nichtvorsatzausschließenden Irrtümern der Fall war464. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs ist im Ausland nach wie vor noch keine Selbstverständlichkeit, auch wenn die Vorbehalte gegen eine Bestrafung eher schwinden, wenn man etwa an Frankreich465 oder den angloamerikanischen Rechtskreis466 denkt. Das deutsche Strafrecht zählt aber sicher zu den Spitzenreitern, was das Bestrafungsbedürfnis beim untauglichen Versuch anbelangt467. Daneben spielt vor allem auch in der Schweiz468 die subjektive Einstellung des Täters zur Tat eine besonders große Rolle, insbesondere seitdem dort die speziellen Milderungsmöglichkeiten für den absolut untauglichen Versuch weggefallen sind. Nur die wohl eher seltene Konstellation des untauglichen Tatsubjekts spielt dort, wie bei § 25 Abs. 3 Nr. 1 des deutschen AE469, weiterhin eine Sonderrolle; sie bleibt in jedem Fall straflos. Gleiches gilt, wie bei § 25 Abs. 3 Nr. 2 AE, für den grob unverständigen Versuch. Unter einem anderen Gesichtspunkt ist allerdings das schweizerische Strafrecht neben anderen Rechtsordnungen deutlich verfolgungsfreundlicher als das deutsche Strafgesetzbuch, und zwar indem es in Art. 22 Abs. 1 SchweizStGB alle Vergehen und Verbrechen der Versuchsstrafbarkeit unterwirft. Anders als dort oder auch in Spanien470 und Österreich471 fallen in Deutschland von vornherein eine ganze Reihe von typischen wirtschaftsstrafrechtlichen Gefährdungsdelikten, vor allem die §§ 266, 266a StGB, schon gem. § 23 Abs. 1 StGB472 bei der Versuchsstrafbarkeit heraus. Als weiterer Ertrag des rechtsvergleichenden Überblicks war zu beobachten, dass in den Staaten, in denen die objektive Theorie tonangebend bleibt, wie etwa in Österreich473, der Türkei474 und tendenziell auch Portugal475, die Auseinandersetzung über die Grenzen von Tauglichkeit und Untauglichkeit (relativ oder absolut, ex ante oder ex post) regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Einschränkungen der Strafbarkeit erfolgen dabei generell auf objektiver Ebene, nicht auf der des subjektiven Versuchstatbestands. 464 465 466 467 468 469 470 471 472 473 474 475

Siehe oben Seite 75. Siehe oben Seite 83. Siehe oben Seite 84. Vgl. Jung, ZStW 117 [2005], S. 937 (948). Siehe oben Seite 82. Siehe oben Seite 78. Siehe oben Seite 81. Siehe oben Seite 82. Siehe auch oben Seiten 40 f. Siehe oben Seite 82. Siehe oben Seite 84. Siehe oben Seite 81.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

International völlig einheitliche Tendenzen sind also nicht vorhanden476. Abschließend lässt sich aber auch nicht die Behauptung aufstellen, dass die deutsche Regelung im Rahmen internationaler Rechtsangleichung vor der Ablösung stehen müsste. Supranationale Regelwerke477 schweigen zum Problem bisher nämlich nur deshalb, weil der Versuch dort ganz allgemein aufgrund der erfassten Sachmaterien praktisch keine Rolle spielt. Angesichts im Ausland eher schwindender Vorbehalte und erheblicher Abgrenzungsprobleme derer, die die objektive Theorie weiter anwenden, bleibt es auf der Basis der §§ 22, 23 des deutschen StGB dabei, dass für die weitere Untersuchung die grundsätzliche Strafbarkeit des untauglichen Versuchs nicht mehr in Frage gestellt zu werden braucht. Neben diesem eher verfolgungsfreundlichen Aspekt ist allerdings auch zu verzeichnen, dass die Regelung des deutschen § 23 Abs. 1 StGB, was die Versuchsstrafbarkeit an sich anbelangt, vergleichsweise zurückhaltend ist.

II. Spezielle Ansätze zur Abgrenzung des Tatbestandsvom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt bei Bezugnahme auf andere Rechtsgebiete 1. Rechtsprechung Die anspruchsvolle Aufgabe, entsprechend den Vorgaben des bundesdeutschen Gesetzgebers478 bei Fehlvorstellungen über außerstrafrechtliche Normen zwischen dem Irrtum über Tatumstände gem. § 16 StGB und dem Verbotsirrtum i. S. d. § 17 StGB bzw. zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt abzugrenzen, hat zu einer kaum überschaubaren und noch wenig systematisierten Kasuistik geführt. Ein Überblick soll hier grob geordnet nach Tatsubjekt, Tatobjekt, Tathandlung bzw. -modalitäten und Taterfolg bzw. angestrebtem Erfolg bei überschießenden Innentendenzen erstellt werden. Eine klare unangreifbare Eingruppierung bestimmter Sonderfälle479 ist dabei nicht immer möglich. Etwa werden Fehlvorstellungen über die Arbeitnehmereigenschaft von Beschäftigen, man könnte auch behaupten über das „Tatobjekt“ des § 266a StGB, bereits auf der Ebene der Tauglichkeit des Täters als „Tatsubjekt“, namentlich als „Arbeitgeber“, erscheinen. Eigentumsdelikte, die den Angriff auf eine fremde Sache unter Strafe stellen, werden dagegen nicht in Sonderdelikte für Nichteigentümer umdefiniert480, das Problem der FremdSo auch Jung, ZStW 117 [2005], S. 937 (947). Siehe oben Seite 86. 478 Siehe oben Seiten 58 ff., 77 ff. 479 Diesbezüglich ist z. B. an die straf- bzw. bußgeldbewehrten Zuwiderhandlungen gegen Einzelanordnungen (hier unter Tatobjekt) oder gegen gesetzlich geregelte Genehmigungspflichten (hier unter Tathandlung und -modalitäten) zu denken. 480 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 44 ff. Ein weiteres Beispiel ist die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO, welche auch als Sonderdelikt für Steuersäumige bezeichnet werden könnte. 476 477

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heit wird vielmehr unter „Tatobjekt“ behandelt. Die eine oder andere Zuordnung kann also auf Widerspruch stoßen, auch wird es zu einigen Überschneidungen kommen.

a) Tatsubjekt Über seine Tauglichkeit als Tatsubjekt kann sich der Täter bei sogenannten Sonderdelikten irren, etwa über die Amtsträgereigenschaft gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB bei Amtsdelikten481, die Garantenstellung gem. § 13 StGB bei unechten Unterlassungsdelikten oder die Stellung als Adressat einer Vermögensbetreuungspflicht bei der Untreue gem. § 266 StGB482. Bedarf es bei der Bestimmung des Täterkreises eines Rückgriffs auf außerstrafrechtliche Normen, deren gesetzliche Wertung der Täter aber nicht nachvollzogen hat, nimmt die Rechtsprechung teilweise einen Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB an: Konkret geschieht dies z. B. im Zusammenhang mit § 266a StGB wenn der Täter rechtsirrig davon ausgeht, er sei wirksam als Geschäftsführer abberufen worden und in der Konsequenz für die Abführung von Sozialbeiträgen durch das Unternehmen nicht mehr verantwortlich483. Besteht die Haftung eines Unternehmers für Sozialabgaben nur aufgrund eines gesetzlich fingierten Arbeitsverhältnisses, so z. B. im Falle des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG, muss der Vorsatz ebenfalls die Rechtsfolge, konkret den Fiktionstatbestand nach seinem ungefähren rechtlichen Inhalt, umfassen484. Andere sozial- bzw. arbeitsrechtliche Fehlvorstellungen, aufgrund derer ein Unternehmer meint, kein Arbeitgeber i. S. d. § 266a StGB zu sein, begründen dagegen nach wohl überwiegender Ansicht der Gerichte nur einen Verbotsirrtum485. Gleiches gilt bei anderen Straftaten, wenn sich etwa ein Täter nicht für den Halter eines Fahrzeugs i. S. d. § 31 Abs. 2 StVZO486 oder der Projektleiter einer gentechnischen Anlage nicht für den Normadressaten des § 38 Abs. 1 Nr. 8 GenTG hält487. Die Kenntnis der Pflichten, die sich aus der Zugehörigkeit zum tauglichen Täterkreis ergeben, ist ebenfalls für die Annahme von Vorsatz nicht erforderlich488. Besonders anschaulich zeigt sich dies anhand der 481 Vgl. BGHSt 8, S. 321 (323 f.); vgl. auch OLG Schleswig-Holstein, Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1949, S. 297 f. zum nicht wirksam ernannten (Schein-)Beamten. Siehe auch oben Seite 44. 482 Vgl. Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 16 StGB, Rn. 43. 483 BGH NJW 2003, S. 3787 (3790). 484 BGHR, § 9 AÜG, Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung 1, S. 4. 485 BGH NStZ 2000, S. 364 f. (scheinselbständige Bauarbeiter); FG Köln, NJW 1986, S. 2529 (umsatzbeteiligte Bardamen); vgl. auch BGHZ 133, S. 370 (381). Allerdings anders die jüngere Entscheidung des LG Ravensburg, StV 2007, S. 412 (scheinselbständiger Fuhrunternehmer). 486 BayObLG VRS 69, S. 70 (71). Vgl. auch OLG Düsseldorf, NVwZ-RR 1994, S. 436 (437) zum Begriff des Halters bei kennzeichnungspflichtigen Tieren. 487 BayObLG, NJW 1997, S. 1020 (1021). Vgl. auch Thüringer OLG, VRS 110, S. 143 (147 f.) zur Verantwortlichkeit von Verlader und Fahrzeugführer für Gefahrgut. 488 BGH NJW 1981, S. 354 (355) und BGH StV 1984, S. 461 zur fehlerhaften Annahme, als Kaufmann bzw. faktischer Geschäftsführer keine Handelsbücher führen zu müssen; BGH

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Unterlassungsdelikte, bei denen sich ein Angehöriger des tauglichen Täterkreises der Garanten seiner Rechtspflicht, zur Erfolgsabwendung tätig zu werden, nicht bewusst sein muss, um wegen vorsätzlichem Unterlassen bestraft werden zu können489.

b) Tatobjekt Bei Irrtümern außerhalb der eigentlichen Strafnorm, die die Tauglichkeit des Tatobjekts betreffen, wird ebenfalls in vielen Fällen ein Tatbestandsirrtum angenommen. So wirkt sich ein zivilrechtlicher Irrtum hinsichtlich der Fremdheit einer Sache i. S. d. §§ 242, 249, 246, 303 StGB vorsatzausschließend aus490. Hält der Täter eine Sache für fremd, wird weitere Umstandskenntnis über die tatsächlichen Gegebenheiten beim Wechsel der Eigentumsverhältnisse – z. B. die Durchführung von Einigung und Übergabe i. S. d. § 929 S. 1 BGB – nicht gefordert491. Die Zueignung einer fälschlicherweise für fremd gehaltenen Sache begründet spiegelbildlich den Versuch492. Auch im Rahmen der §§ 257, 258, 259, 261 StGB wirkten sich in mehreren Entscheidungen Irrtümer über die Strafbarkeit des Vorverhaltens bzw. dessen Rechtswidrigkeit in Bezug auf fremde Vermögensinteressen negativ wie positiv auf Vorsatz bzw. Tatentschluss aus, speziellere tatsachenbezogene Kenntnisse zu den Vortaten wurden hingegen wiederum nicht verlangt493. Bei den §§ 26, 27 StGB kommt es beim Teilnehmer dagegen auf seine Umstandskenntnis an, die Strafbarkeit der Haupttat muss jedoch nicht bekannt sein494. Außerhalb des Wirtschaftsstrafrechts – auch im weitesten Sinne – muss nach der Rechtsprechung die Zuständigkeit der Stelle zur Abnahme von Eiden bei Aussagedelikten gem. §§ 153 ff. StGB495, NJW 1997, S. 130 (133); BGH NJW 2001, S. 969 zum Irrtum des Geschäftsführers über den Umfang seiner Pflicht zur Überwachung der pünktlichen Zahlung fälliger Arbeitnehmerbeiträge. 489 BGHSt 16, S. 155 (158); BGHSt 19, S. 295 (298); vgl. auch BayObLG, NJW 1976, S. 635. Der Irrtum hierüber ist Verbotsirrtum. 490 OLG Celle NdsRpfl 1985, S. 148. 491 BayObLG NJW 1963, S. 310. Das Wissen, dass die Sachen im fremden Eigentum standen, ließ der entscheidende Senat zur Annahme des Vorsatzes genügen. Irrelevant sei hingegen, aufgrund welcher Gedankengänge der Angeklagte zu dieser im Ergebnis zutreffenden, jedoch durch die ihm bekannten Tatsachen möglicherweise nicht gedeckten Erkenntnis gelangt ist. 492 OLG Stuttgart NJW 1962, S. 65 zum Verkauf eines unwirksam sicherungsübereigneten Kraftfahrzeugs; vgl. allerdings auch OLG Bamberg, NJW 2008, S. 1543 (1547); LG Nürnberg-Fürth vom 17. Februar 2009, Az. 10 Ns 802 Js 21506 / 2006, Rz. 418 ff.; jeweils zur Wegnahme von Zahngold aus der Asche von Verstorbenen. 493 BGHSt 15, S. 210 (213); BGH NStZ 1983, S. 264; BGH NStZ 1992, S. 84; BGHRStGB § 261, Vortat 1; BGHSt 43, S. 158 (165); vgl. auch BGHSt 4, S. 222 (223). Abweichend BayObLG, NJW 1981, S. 772. 494 Vgl. RG HRR 1934, Nr. 835. 495 Vgl. BGHSt 3, S. 248 (253); BGHSt 10, S. 272 (275 f.) zum untauglichen Versuch; vgl. auch BGHSt 25, S. 244 (245).

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aber auch die Untergebeneneigenschaft bei Delikten nach dem Wehrstrafgesetz496 vom Vorsatz umfasst sein. Andererseits würde kein Gericht den Vorsatz verneinen, wenn der Angeklagte sich unwiderlegbar dahingehend einlässt, er sei davon ausgegangen, der von ihm gestohlene, unterschlagene oder beschädigte Gegenstand sei keine Sache i. S. d. § 90 BGB497. Genauso wie bei einer Fehlsubsumtion innerhalb der Straf- bzw. Bußgeldnorm liegt hier nur ein Verbotsirrtum vor. Entsprechend gerichtlich entschieden wurde dies z. B. für die Frage, ob bestimmter Wohnraum der Bewirtschaftung unterliegt498, ein Sparbuch unter den Begriff des deklarationspflichtigen Bargelds oder dem gleichgestellter Zahlungsmittel nach §§ 12a Abs. 1 Satz 1, 31a ZollVG fällt499. Steht die Zuwiderhandlung gegen eine Verwaltungsanordnung oder einen Rechtsakt der Justiz – wie in §§ 145a, 145c, 184d, 327 StGB – unter Strafe, bilden jene also quasi das Tatobjekt, dann soll der Irrtum über die Existenz500, die Vollziehbarkeit oder den Inhalt der Anordnung – beispielsweise hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung eines Sperrbezirks501 oder der Rechtskraft eines Berufsverbots502 – Tatbestandsirrtum sein. Entsprechendes gilt auch im Verkehrsstraf- und Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht, wo völlig unbestritten bei Übersehen eines Verkehrszeichens nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf erhoben wird503. Die falsche rechtliche Auslegung eines optisch richtig wahrgenommenen Zeichens sei dagegen Verbotsirrtum504. Auch sehen sich Verkehrsteilnehmer, die sich über den rechtlichen Geltungsumfang einer Fahrerlaubnis505, die Wirksamkeit ihrer Entziehung506 oder die BGH NJW 1977, S. 1974. Zum Teil geht man sowieso nur noch von einer zufälligen Parallelität des straf- und zivilrechtlichen Sachbegriffs aus (vgl. Fischer, § 242 StGB, Rn. 3), um nach Einführung von § 90a S. 1 BGB die §§ 242 ff. StGB weiterhin auf Tiere anwenden zu können. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch auch durch Übernahme der gesetzlichen Fiktion des § 90a S. 3 BGB erreichen (Eser / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 242 StGB, Rn. 9; Lackner / Kühl, § 242 StGB, Rn. 2; Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 242 StGB, Rn. 6). Die insofern im Hinblick auf das Analogieverbot geäußerten Bedenken sind unbegründet, da die gesetzliche Regelung des § 90a S. 3 BGB den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG entspricht. 498 BGHSt 9, S. 358 (360); KG NJW 1958, S. 921 (923). 499 OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, S. 310 (311). 500 Vgl. BayObLG NJW 1997, S. 1020 (1021) zu § 38 Abs. 1 Nr. 8 GenTG. 501 BGHSt 23, S. 167 (175). Vgl. auch BayObLG, NStZ-RR 2002, S. 187 (188) zur Ausdehnung eines Jagdgebietes. 502 BGH NStZ 1989, S. 475. 503 OLG Köln VRS 26, S. 107 f. Vgl. auch OLG Koblenz NJW 1995, S. 2302 für den Fall, in dem der Fahrer ein Verkehrszeichen irrig für durch Urteil aufgehoben hält. 504 BayObLG NJW 2003, S. 2253; KG VRS 53, S. 303 (305); KG NZV 1992, S. 162 (163); KG NZV 1994, S. 159; OLG Düsseldorf NZV 1991, S. 204 (205); vgl. auch BGH VRS 14, S. 30 (31). 505 OLG Karlsruhe NJW 2003, S. 1061 (1062). 506 OLG Düsseldorf VerkMitt 1976, Nr. 38; offengelassen von BayObLG NStZ-RR 2000, S. 22. 496 497

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Unwirksamkeit der Wiedererlangung im europäischen Ausland507 irren, mit dem Vorwurf eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 21 Abs. 1 StVG konfrontiert.

c) Tathandlung und -modalitäten Auch die tatbestandsmäßige Beschreibung der Tathandlung und anderer Tatmodalitäten kann mit oder ohne ausdrückliche Verweisung einen Rückgriff auf außertatbestandliche Normen notwendig machen. In vielen Fällen ohne ausdrückliche Verweisung muss der Vorsatz des Täters die zutreffende zivil-, verwaltungsoder sozialrechtliche Wertung seines Verhaltens umfassen. So muss der Täter die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nach § 266 StGB508, bei § 266a StGB zumindest nach Ansicht der Zivilgerichte auch die Fälligkeit der nicht abgeführten Sozialabgaben509, bei § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Unwirtschaftlichkeit seiner Ausgaben510, bei § 399 Abs. 1 Nr. 1 AktG die Unrichtigkeit seiner Angaben511 erkannt haben, um wegen vorsätzlichem Handeln bestraft werden zu können. Außerhalb des Wirtschaftsstrafrechts gilt dies ebenso für die Reichweite der prozessualen Wahrheitspflicht bei Aussagedelikten gem. §§ 153 ff. StGB512 oder für die Fehlerhaftigkeit der Rechtsanwendung im Rahmen der Rechtsbeugung gem. § 339 StGB513. In Bezug auf § 170 StGB unterschiedlich beurteilt wird die Frage, was bei einem Irrtum über den geschuldeten Unterhalt gilt514. Bei Blankettstraftatbeständen mit ausdrücklicher Verweisung hat die Unkenntnis der verbots- bzw. gebotsbegründenden Ausfüllungsnorm hingegen regelmäßig keinen Einfluss auf den Vorsatz, so z. B. bei § 34 Abs. 4 Außenwirtschaftsgesetz, wenn dem Täter die ein bestimmtes Land betreffende UN-Embargonorm nicht bekannt gewesen ist515. Ebenfalls nur als Ver- bzw. Gebotsirrtum behandelt wird im Rahmen eines Vorwurfs nach den §§ 283, 283b StGB die Vorstellung, gar keine Handelsbücher führen oder Bilanzen aufstellen zu müssen516. Gleiches gilt für FehlOLG Stuttgart, StV 2008, S. 193; OLG Celle, NStZ-RR 2009, S. 110. BGHSt 34, S. 370 (380); BGH wistra 1986, S. 25; OLG München NJW 2006, S. 2278 (2279); offengelassen von BGH NJW 2006, S. 527 (531) („Mannesmann“). 509 OLG Frankfurt(Z) ZIP 1995, S. 213; siehe auch BGH(Z) NJW 1992, S. 177 (178); BGH(Z) NJW 1997, S. 130 (133). 510 BGH MDR 1981, S. 510; vgl. auch BGH NJW 1954, S. 1480 (1481). 511 BGH NStZ 1993, S. 442. 512 KG JR 1985, S. 161; BayObLG wistra 1993, S. 73; jeweils zur Falschen Versicherung an Eides Statt. Zum untauglichen Versuch: BGHSt 25, S. 244 (246); anders BGHSt 14, S. 345 (350). Siehe ferner oben Seite 48, Fußnote 162. 513 BGHSt 32, S. 357 (360); OLG Düsseldorf NStZ 1990, S. 284 (285). 514 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1962, S. 1631; BayObLG StV 1994, S. 429. Siehe aber auch LG Berlin NStZ 2006, S. 294. 515 Vgl. BGH NStZ-RR 1996, S. 24 (25); vgl. auch BGH NStZ 2007, S. 644. 516 BGH NJW 1981, S. 354 (355). 507 508

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annahmen über die Pflichtenstellung eines „faktischen“ Geschäftsführers einer GmbH517 und das Nichterkennen, dass das eigene Geschäftsmodell Glücksspielcharakter i. S. d. § 284 StGB hat518. Schließlich ist auch der Irrtum des Täters über seine Anzeigepflicht gegenüber der Zollbehörde Verbotsirrtum519. Voreilig wäre aber der Schluss, dass Kenntnis der Ver- bzw. Gebote, also der positiven wie negativen Pflichten an sich, generell nicht vorsatzrelevant sein sollen520. Nicht dazu passt nämlich die Annahme, dass bei Nichterfüllung vermeintlicher Erklärungspflichten eine versuchte Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bejaht werden könne521. Einen Bereich mit besonders umfangreicher Kasuistik bilden straf- bzw. bußgeldbewehrte Verstöße gegen Genehmigungspflichten. Bei Unkenntnis der Genehmigungspflichtigkeit eines bestimmten Verhaltens sei danach zu differenzieren, ob die Genehmigung nur der Kontrolle eines im allgemeinen sozialadäquaten Verhaltens dienen soll und die Tat ihren Unwert erst aus dem Fehlen der Genehmigung herleitet oder ob es sich um ein grundsätzlich wertwidriges Verhalten handelt, das im Einzelfall aufgrund der Genehmigung erlaubt ist522. Im ersten Fall (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) soll, wenn dem Täter die Genehmigungspflichtigkeit nicht bekannt war, ein Tatbestandsirrtum vorliegen, so z. B. beim Betreiben einer nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftigen Anlage entgegen § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB523, der Durchführung einer Spendensammlung ohne Beachtung landesrechtlicher Vorschriften524, der Vornahme von Rechtsberatung entgegen Art. 1 §§ 1, 8 Abs. 1 Nr. 1 RechtsBerG a. F. (§§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 RDG)525, dem Betreiben eines Bewachungsgewerbes entgegen §§ 144 Abs. 1 Nr. 1 lit. f, 34a Abs. 1 GewO526, oder dem Führen einer Gaspistole ohne sogenannten „kleinen Waffenschein“527. Im zweiten Fall (repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt) wird dagegen ein Verbotsirrtum angenommen, beispielsweise bei unbefugter Einleitung von Schadstoffen in ein Gewässer entgegen § 324 StGB528, der Durch517 BGH StV 1984, S. 461 für den Fall, dass der Angeklagte glaubte, ohne formelle Bestellung zum Geschäftsführer sei er für die ordnungsgemäße Buchführung und die rechtzeitige Bilanzerstellung überhaupt nicht verantwortlich. 518 OLG Hamm, GewArch 2004, S. 208. 519 BayObLG NJW 1976, S. 635. 520 Siehe oben Seiten 89 f. 521 KG NStZ 1982, S. 73. 522 Vgl. BGH NStZ-RR 2003, 55 (56) [nicht tragend]. 523 OLG Braunschweig, NStZ-RR 1998, S. 175 (177). 524 BayObLG vom 27.02.1992, Az. 3 ObOWi 11 / 92. 525 OLG Celle NJW 2004, S. 3790 (3791); anders OLG Oldenburg, NJW 1992, S. 2438. 526 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, S. 211 (212). 527 OLG Frankfurt StV 2006, S. 191. In Betracht kam ein Verstoß gegen §§ 2 Abs. 2, 52 Abs. 3 Nr. 2, 54 nebst Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 S. 1 WaffG. Vgl. auch BayObLG NJW 1997, S. 1319 (Kampfhundhaltung ohne die erforderliche Erlaubnis). 528 OLG Braunschweig ZfW 1991, S. 61; vgl. auch OLG Düsseldorf, NStZ 1981, S. 444 (Unerlaubtes Fällen von Bäumen).

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fuhr von Kriegswaffen durch das Bundesgebiet entgegen § 22a KrWaffKG529, der Vornahme von genehmigungspflichtigen Zahlungen in ein Embargogebiet entgegen § 34 Abs. 4 AWG i.V.m. § 69e Abs. 2 c AWV530 oder auch bei Betäubungsmitteldelikten gem. §§ 29 ff. BtMG531. Gleiches soll allerdings auch im Falle eines Irrtums über die Erlaubnispflichtigkeit des Betreibens von Geschäften eines Kreditinstituts im Rahmen von § 54 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 32 Abs. 1 S. 1 KWG532 oder über die Erforderlichkeit einer Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Rahmen von § 92 Abs. 1 Nr. 1, 6 AuslG a. F. (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthaltsG) i.V. m. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 12 Abs. 1 AuslGDVO a. F. (§§ 15, 17 AufenthaltsVO)533 gelten, wobei in diesen Fällen eine Bezugnahme auf das Kriterium der „grundsätzlichen Wertwidrigkeit“ glücklicherweise vermieden wurde. d) Taterfolg und angestrebter Erfolg bei überschießenden Innentendenzen Auch das Vorliegen des tatbestandsmäßigen Erfolgs lässt sich unter Umständen nur unter Zuhilfenahme außerhalb des Tatbestands liegender Normen bestimmen. Zum Beispiel kann das Vorliegen eines Vermögensschadens bei den §§ 253, 263, 266 StGB auch unter Anwendung eines wirtschaftlichen Vermögensbegriffs von zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vorfragen abhängen. Der Irrtum darüber wirkt sich positiv wie negativ auf den Vorsatz aus534. Wegen der Anwendung des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs535 durch die Rechtsprechung wird das Problem bei Delikten mit überschießender Innentendenz, also etwa bei §§ 253, 263 StGB – aber auch in die Frage der Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung verlagert. Gleiches gilt für die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten bzw. erfolgten Zueignung in §§ 242, 246 StGB, da Wegnahme und Zueignung in jedem Fall vom Zivilrecht unabhängige, rein faktische Merkmale sind. Ist der angestrebte Erfolg objektiv rechtswidrig, glaubt der Täter jedoch, objektiv einen Anspruch auf den erstrebten Vermögensvorteil oder die zuzueignende Sache zu haben, kommt eine Bestrafung 529 BGH NStZ 1993, S. 594; vgl. auch BayObLG NStZ-RR 2001, S. 281 (Durchfuhr von Schusswaffen). 530 BGH NStZ-RR 2003, S. 55 (56); BGH NStZ 2007, S. 644 zum sog. „Hawala“-Banking. 531 BGH NStZ 1996, S. 338; anders LG Ravensburg NStZ 1998, S. 306 (307). 532 BGHSt 4, S. 347 (352); OLG Stuttgart, NJW 1960, S. 2158 (2160); LG Berlin vom 30. November 2005, Az. 83 Js 86 / 02 KLs (14 / 05) zum sog. „Hawala“-Banking (nachgehend BGH NStZ 2007, S. 644). 533 BayObLG NJW 2002, S. 1282 (1283). 534 BayObLG NJW 1955, S. 1567 (1668) zum Irrtum über den Gebührenanspruch eines Notars bei zu niedrig beurkundetem Kaufpreis; vgl. auch BGHSt 20, S. 136 (138), kumulativ auf Vermögensschaden und Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung abstellend. 535 Anders war dies noch unter der Prämisse des (durch RGSt 44, S. 230 aufgegebenen) juristischen Vermögensbegriffs (vgl. RGSt 19, S. 186). Siehe dazu Seite 47.

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wegen vorsätzlicher Begehung nach ständiger Rechtsprechung nicht in Betracht536. Das bösgläubige Anstreben eines objektiv nicht rechtswidrigen Vermögensvorteils begründet im Gegenzug den Versuch537. Auch der Irrtum über die Existenz eines staatlichen Steueranspruchs, denknotwendige Voraussetzung eines Steuerverkürzungserfolgs i. S. d. § 370 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 AO, ist laut Rechtsprechung Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB und schließt die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung aus538. Die irrige Annahme eines Steueranspruchs ist im Gegenzug Grundlage eines strafbaren Versuchs539.

2. Literatur Im modernen Schrifttum wurden unzählige Ansätze formuliert, um die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bzw. untauglichem Versuch und Wahndelikt auf eine dogmatisch klare und berechenbare Basis zu stellen. Zum Teil sollen auch von der Rechtsprechung abweichende Ergebnisse erreicht werden. Um nicht den Rahmen eines Überblicks zu sprengen, musste hier jedoch angesichts der Masse der einschlägigen Literatur eine exemplarische Auswahl einflussreicher oder besonders origineller Ansätze getroffen werden, die ihrerseits wiederum nur verkürzt wiedergegeben werden können. a) Zusammenlesen von Blankett und Ausfüllungsnorm nach Warda Warda beschreibt in seiner Arbeit über die Abgrenzung von Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum540 das Zusammenspiel von Blankettstrafgesetzen und deren Ausfüllungsnormen. Blankettstrafgesetze haben die Eigenart, dass sich die Beschreibung der ver- oder gebotenen Handlung nicht oder zumindest nicht vollständig in der Strafnorm selbst, sondern außerhalb in anderen ergänzenden Rechtsquellen befindet541, wobei die Verweisung ausdrücklich oder konkludent erfolgen kann542. Die 536 BGHSt 3, S. 99 (101); BGHSt 4, S. 105 (106 f.); BGHSt 17, S. 87 (90 f.) („Moos raus“Fall); BGH StV 1984, S. 422; BGH StV 1988, S. 529; BGHR-StGB, § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 7; BGH NStZ-RR 1998, S. 235 (236); BGH NStZ-RR 1999, S. 6; BGH StV 2000, S. 79; BGH vom 15. Mai 2001, Az. 3 StR 153 / 01; BGH NStZ 2002, S. 481 (482); BGH NStZ 2003, S. 663 (664); BGH NStZ 2004, S. 37 (38); BGH NStZ-RR 1997, S. 257; BGH StV 2004, S. 207. 537 BGHSt 42, S. 268 (272 f.); LG Mannheim, NJW 1995, S. 3398 (3399). 538 BGHSt 5, S. 90 (91 f.); BGH NJW 1980, S. 1005 (1006); BGH wistra 1983, S. 113 (114); BGH wistra 1986, S. 174; BGH wistra 1989, S. 263; BayObLG NJW 1976, S. 635; BayObLG wistra 1990, S. 202. 539 BGHSt 16, S. 282 (285) [obiter dictum]. 540 Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei Blankettstrafgesetzen, Berlin 1955. 541 Warda, a. a. O., S. 5 f. 542 Warda, a. a. O., S. 43.

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Inhalte der Straf- und der Ausfüllungsnorm seien zusammenzulesen und bilden einen einheitlichen Tatbestand543, auf den die allgemeinen Irrtumsregeln anzuwenden sind. So erklärt Warda in wechselseitiger Anknüpfung an Welzel 544, dass die Kenntnis der Existenz des ausfüllenden Ge- oder Verbots kein notwendiges Element des Vorsatzes sei. Als ausfüllende Normen kämen jedoch nur solche in Betracht, die eine Verpflichtung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen aufstellen. Rechtssätze nur beschreibenden Inhalts – so z. B. die zivilrechtlichen Vorschriften zur genaueren Bestimmung des Begriffs der „fremden Sache“ in § 242 StGB – seien keine Blankettergänzungen545. Auch Strafgesetze, die auf Einzelanordnungen Bezug nehmen, seien nur unter bestimmten Voraussetzungen Blankettgesetze, und zwar dann, wenn sie nicht bereits selbst die Zuwiderhandlung in ihren Merkmalen bezeichnen, sondern gleichzeitig auch auf generelle Anordnungen verweisen546. b) Unrechtsbestimmende und gesamttatbewertende Merkmale nach Roxin Roxin hat sich schon früh mit Irrtumsproblematiken, monographisch vor allem in Auseinandersetzung mit Welzels547 Begriffen der „Offenen Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale“548, beschäftigt, was unter anderem auch zur Vervollständigung des vorgenannten Ansatzes549 fruchtbar gemacht wurde. Sogenannte „Rechtspflichtmerkmale“ – klassische Beispiele sind die Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 StGB, die Garantenpflicht i. S. d. § 13 StGB, die Pflichtwidrigkeit in § 356 StGB, die Rechtswidrigkeit der Zueignung bzw. Bereicherung in §§ 242, 253, 263 StGB oder das Merkmal „ohne vernünftigen Grund“ in § 17 Nr. 1 TierSchG550 – lassen sich in unrechtsbestimmende und gesamttatbewertende Elemente zerlegen551. Soweit der Irrtum einen zum sachlichen Substrat des Unwerturteils gehörenden Umstand beWarda, a. a. O., S. 36 ff. Vgl. Welzel, Zur Abgrenzung des Tatbestandsirrtums vom Verbotsirrtum, MDR 1952, S. 584 (586), siehe auch oben Seite 53. 545 Warda, a. a. O., S. 6 f.; siehe auch oben Seite 90. 546 Warda, a. a. O., S. 15 ff., 20. 547 Vgl. Welzel, Der Irrtum über die Rechtsmäßigkeit der Amtsausübung, JZ 1952, S. 19; ders., Der Irrtum über die Zuständigkeit einer Behörde, JZ 1952, S. 133 (135); ders., Der Irrtum über die Amtspflicht, JZ 1952, S. 208 (209); ders., Anmerkung zu BGH vom 18. März 1952, JZ 1952, S. 340 (343 f.); ders., Anmerkung zu BGH vom 28. Oktober 1952, JZ 1953, S. 119 (120); siehe auch oben Seite 53. 548 Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, Dissertation Hamburg 1957, 2. Aufl., Berlin 1970; vgl. später auch ders., Zur Kritik der finalen Handlungslehre, ZStW 74 [1962], S. 515; ders., Die Behandlung des Irrtums im Entwurf 1962, ZStW 76 [1964], S. 582. 549 Bei Blankettstrafgesetzen kommt parallel zu Warda und der Rechtsprechung i. E. grundsätzlich die Methode des Zusammenlesens zur Anwendung, vgl. Roxin, Strafrecht AT 1, § 12, Rn. 110 ff. 550 Roxin, Offene Tatbestände, S. 139 ff., 146 ff.; ders., Strafrecht AT I, § 10, Rn. 45, 49. 551 Roxin, Offene Tatbestände, S. 135, 188; ders., Strafrecht AT I, § 10, Rn. 43 ff. 543 544

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trifft, sei er vorsatzrelevant552. Zu den Voraussetzungen täterschaftlicher Pflichten zählt Roxin etwa die Eigenschaft als Zeuge, Arzt oder Rechtsanwalt, welche jeweils in laienhafter Form bekannt sein muss553. Entsprechend bejaht er – gleich der Rechtsprechung – die Absicht einer rechtswidrigen Zueignung nur dann, wenn der Täter nicht an einen zivilrechtlichen Anspruch auf Übereignung glaubt554. Wo ein Irrtum dagegen die Rechtswidrigkeit der Tatbestandshandlung in ihrer Gesamtheit betrifft, habe er keinen Einfluss auf den Vorsatz; er sei lediglich Verbotsirrtum555. Dies gelte auch dann, wenn sich der Irrtum auf einen Tatumstand bezieht, der im Gewande eines Einzelmerkmals das Rechtswidrigkeitsurteil in sich schließt556. So handele der, der die Wegnahme von Sachen zur Befriedigung von Schadensersatzansprüchen für zulässig erachtet, dennoch vorsätzlich557; entsprechend gehören bei Unterlassungsdelikten nur die pflichtbegründenden Umstände, nicht jedoch die Garantenpflicht selbst zum Tatbestand558. Gleiches gelte für das Wort „unbefugt“ in §§ 132a, 201 StGB559. Heute erkennt Roxin allerdings auch die Existenz nicht zerlegungsfähiger gesamttatbewertender Merkmale an. So müsse der Täter etwa hinsichtlich des Bestehens einer Steuerschuld bei § 370 AO oder einer Unterhaltspflicht bei § 170 StGB560 die juristische Wertung mitvollzogen haben, um den sozialen Sinn seines Verhaltens zu verstehen; die Wertung gehöre auch dann zum Vorsatz, wenn sie mit dem Rechtswidrigkeitsurteil identisch ist. Wo die soziale und rechtliche Missbilligung eines Verhaltens erst durch die Verletzung eines außertatbestandlichen Gebots oder Verbots konstituiert wird, gehöre die Kenntnis zum Vorsatz, weil ohne sie der Vorsatz überhaupt keinen rechtlich relevanten Gegenstand hätte561. Insofern gelte das Gleiche wie bei Tatbeständen, die auf rechtlich-institutionelle Tatsachen Bezug nehmen. Erst der Rechtsverstoß begründe den sozialen Unwert des Verhaltens562. Seit neuerem überträgt Roxin dies ausdrücklich auch auf solche Blankettmerkmale, bei denen erst der Ausfüllungsnorm die Funktion der Unrechtstypisierung zukommt563. Ansonsten verweist Roxin darauf, dass sich eventuelle Härten der Schuldtheorie mittels einer 552 Roxin, Offene Tatbestände, S. 135, 188; ders., Strafrecht AT I, § 10, Rn. 50; § 12, Rn. 106. 553 Roxin, Offene Tatbestände, S. 156 f.; vgl. auch ders., Strafrecht AT I, § 12, Rn. 113. 554 Roxin, Offene Tatbestände, S. 146 f.; siehe auch oben Seiten 94 f. 555 Roxin, Offene Tatbestände, S. 188; ders., Über Tatbestand- und Verbotsirrtum, Festschrift-Tiedemann, S. 375 (382 ff.). 556 Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rn. 105; Festschrift-Tiedemann, S. 375 (386). 557 Roxin, Offene Tatbestände, S. 146 f. 558 Roxin, Offene Tatbestände, S. 142 f. 559 Roxin, Festschrift-Tiedemann, S. 375 (386, insb. Fn. 40). 560 Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rn. 107 f.; ders., Festschrift-Tiedemann, S. 375 (378 ff.); anders früher ders., Offene Tatbestände, S. 147. 561 Roxin, Festschrift-Tiedemann, S. 375 (378). 562 Roxin, Festschrift-Tiedemann, S. 375 (380). 563 Roxin, Festschrift-Tiedemann, S. 375 (381) unter Bezugnahme auf Tiedemann, Zum Stand der Irrtumslehre, Festschrift-Geerds, S. 95 (106).

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„weicheren“ Handhabung des Vermeidbarkeitsbegriffs in § 17 S. 1 StGB ausgleichen lassen564. Eine reziproke Übertragung all dieser Grundsätze auf die Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt gestattet Roxin nur mit Einschränkungen565, denn das Bedürfnis nach einem harmonischen Systemaufbau ist für ihn nicht das maßgebliche Moment566. Deshalb sei insbesondere der von der Rechtsprechung postulierte Umkehrschluss kein taugliches Kriterium der Abgrenzung, vielmehr müsse sich dieses aus der Versuchslehre selbst ergeben567. Entsprechend differenziert Roxin heute zwischen in Bezug genommenen Begriffen, bei denen es nicht auf die Entstehungsgeschichte eines bestimmten Rechtsverhältnisses ankommt568, und reinen Sammelbegriffen für Einzelgegebenheiten im Bereich der Strafnorm569.

c) Gleichbehandlung von Strafblankett und normativem Merkmal nach Tiedemann Nach Tiedemann sind Strafblankett und normative Merkmale für die Irrtumsfrage in der Regel gleich zu behandeln; der Streit um die Abgrenzung beider Phänomene sei für Vorsatzfragen weitgehend überflüssig. Auch bei Blankettnormen gehöre das abstrakte Ver- oder Gebot zum Tatbestand, wenn der Tatbestand ohne diesen Normbezug unrechtsneutral wäre. Nach diesem Modell, welches er in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1969 entwickelt hat570, muss der Vorsatz auch die Existenz und den Inhalt der Ausfüllungsnorm umfassen571. Bei Tatbeständen außerhalb des Kernstrafrechtes gehe es in der Regel nur um die Versäumnis von Nebenpflichten aus Anlass völlig sozialadäquater Tätigkeiten, die – für sich gesehen – keinen Unrechtsimpuls vermitteln572. Das geschützte Rechtsgut diene lediglich der LegitiRoxin, Strafrecht AT I, § 21, Rn. 39 ff.; ders., Festschrift-Tiedemann, S. 375 (388 ff.). Roxin, Offene Tatbestände, S. 163 ff., 188. 566 Roxin, Offene Tatbestände, S. 158. 567 Roxin, Offene Tatbestände, S. 158 ff.; ders., Die Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt, JZ 1996, S. 981; ders., Strafrecht AT II, § 29, Rn. 347 ff., 388 ff., 404. 568 So begründet etwa die fehlerhafte Annahme fremden Eigentums oder eines Vermögensschadens den Versuch [Roxin, JZ 1996, S.981 (986); ders., Strafrecht AT II, §29, Rn. 411 ff.]. 569 Damit läge z. B. bei selbstbelastenden Vorstellungen eines statusbedingt untauglichen Täters nur ein Wahndelikt vor (Roxin, Strafrecht AT II, § 29, Rn. 354 ff.). Gleiches gilt für die irrtümliche Annahme, eine bestimmte staatliche Stelle sei zur Abnahme von Eiden zuständig oder eine Handlung eines anderen, deren Ahndung vereitelt wird, sei eine Straftat, aber auch für das Einbilden eines in Wahrheit nicht bestehenden Steueranspruchs [ders., JZ 1996, S. 981 (986); ders., Strafrecht AT II, § 29, Rn. 407, 410, 417 f.]. 570 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Wirtschaftsstrafrecht, Tübingen 1969. 571 Tiedemann, a. a. O., S. 315 ff., 388 ff.; ders., Zur legislatorischen Behandlung des Verbotsirrtums, ZStW 81 [1969], S. 869 (874 ff.); ders., Wirtschaftsstrafrecht – Einführung und Übersicht, JuS 1989, S. 689 (695); ders., Zum Stand der Irrtumslehre, Festschrift-Geerds, S. 95 (99 f., 108 f.); ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 220 ff.; vgl. auch ders., in: Leipziger Kommentar, § 283 StGB, Rn. 188 ff. 572 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 329 f. 564 565

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mierung einzelner Rechtspflichten und trete sonst in den Hintergrund573. Erst die Pflicht an sich bringe den Unrechtsbezug der Tat unmittelbar zum Ausdruck, genauso wie ohne Kenntnis der Fremdheit kein Unrechtsappell im Hinblick auf einen Diebstahl besteht574. Der gesetzgeberische Soll-Maßstab müsse also bekannt sein. Dies gelte allerdings nicht, wenn die in demselben Gesetz befindliche Ausfüllungsnorm zum unmittelbaren Bestandteil einer Strafnorm werde, welche eigenständig die Unrechtsmaterie beschreibt. Dies war nach Tiedemann z. B. bei den §§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1 GmbHG a. F. (vgl. § 15a Abs. 4, 1 InsO n. F.) i. V. m. §§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO der Fall, da die Trennung hier, anders als bei der Binnenverweisung des § 54 Abs. 1 KWG, nur technischer Natur sei575. In den anderen Fällen aber verfälsche ein Zusammenlesen von Sanktions- und Ausfüllungsnorm zwecks Bildung eines Gesamttatbestandes den Sinn der Ausgangsnormen, da auf diese Weise normative Begriffe in rein deskriptive Elemente aufgelöst würden576. Für seine der „Vorsatztheorie nahestehende Konzeption“577 führt Tiedemann weiter an, dass den diversen Fahrlässigkeitsstrafdrohungen des Nebenstrafrechts, z. B. § 54 Abs. 2 KWG, nur dann ein sinnvoller Anwendungsbereich zukommen könne578, wenn diese auch Fälle der Rechtsfahrlässigkeit erfassen sollen. Die Vereinbarkeit dieser Lösung mit § 17 StGB, Art. 1 Abs. 1 EGStGB, also der grundsätzlichen Geltung der Schuldtheorie im Nebenstrafrecht, wird dadurch hergestellt, dass ein Verbotsirrtum dann zum Tragen kommen soll, wenn die abstrakten Maßstäbe fehlerhaft auf den konkreten Sachverhalt angewendet wurden, der Täter sich also in Kenntnis des abstrakten Rechtssatzes über das konkrete Verbotensein seiner Tat irrt579. Der unter Leitung von Tiedemann von einer Gruppe von europäischen Wissenschaftlern entwickelte Entwurf für eine europäische Harmonisierung der Wirtschaftsstraftatbestände enthält mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 a. E. entsprechend auch eine ausdrückliche Regelung, dass der Vorsatz bei Blankettvorschriften die Kenntnis der ausfüllenden Norm voraussetzen soll580. Der reziproken Frage, welche Auswirkungen sein Ansatz für den untauglichen Versuch hat, geht Tiedemann im Rahmen der Diskussion nicht weiter nach, wobei er der üblichen Annahme eines Umkehrverhältnisses zwischen Tatbestandsirrtum und untauglichem Versuch wohl eher skeptisch gegenüber steht581.

Tiedemann, a. a. O., S. 126. Vgl. Tiedemann, Festschrift-Geerds, S. 95 (107). 575 Tiedemann, in: Scholz, § 82 GmbHG, Rn. 8; ders., in: Scholz, 9. Aufl., § 84 GmbHG a. F., Rn. 5, 99. 576 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 92 f. 577 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 402. 578 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 223. 579 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 385 ff.; ders., Festschrift-Geerds, S. 95 (99 f.). 580 Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 453 ff. 581 Vgl. Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 390 f.; siehe allerdings auch ders., in: Scholz, § 82 GmbHG, Rn. 171. 573 574

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

d) Gegenstandsbezogener Irrtum oder begriffsbezogene Fehlvorstellung nach Haft Haft hält dagegen die Ergebnisse, welche die Rechtsprechung erzielt, für größtenteils plausibel. Um ihnen eine dogmatische Grundlage zu geben, unterscheidet er zwischen gegenstandsbezogenen und begriffsbezogenen Fehlvorstellungen582. Der gegenstandsbezogene Irrtum, egal ob er vorsprachlicher oder sprachlicher Natur ist583, ziele auf Gegenstände deskriptiver oder normativer Art außerhalb des strafrechtlichen Tatbestands ab. Ein solcher Irrtum lasse sich ohne Verweis auf den strafrechtlichen Tatbestand verständlich mitteilen und führe je nach Fallkonstellation zu Tatbestandsirrtum, untauglichem Versuch oder Erlaubnistatbestandsirrtum. Der Begriff Gegenstand umfasse dabei anders als der Begriff Tatsache alles, was mit einem inhaltsbefrachteten Wort des Tatbestandes bezeichnet werden kann, ohne selbst diesem anzugehören. Ein Rechtsanwalt handele damit nicht vorsätzlich i. S. d. § 356 StGB, wenn er nicht merkt, in derselben Rechtssache pflichtwidrig – d. h. trotz Interessengegensatz i. S. d. § 45 BRAO – tätig geworden zu sein584. Begriffsbezogene Irrtümer liegen dagegen im Bereich des innerstrafrechtlichen „Dürfens“ oder „Nichtdürferns“. Sie zielen auf die „Begriffe des strafrechtlichen Tatbestandes“585 ab und führen deshalb zu Verbotsirrtum, Wahndelikt oder Erlaubnisirrtum, so z. B., wenn der Rechtsanwalt denkt, ein Einverständnis schließe per se den Tatbestand des § 356 StGB aus586.

e) Relevanz der rechtsgutsbezogenen Komponenten nach Schlüchter Schlüchter beschreibt in ihrer Habilitationsschrift587 den Tatbestandsvorsatz hinsichtlich normativer Tatbestandsmerkmale dergestalt, dass der Täter in einer „teleologisch-reduzierten Sachverhaltssicht“ die Verletzungsbedeutung seines Verhaltens zumindest bedingt vorsätzlich erkannt haben muss588. Von dem Konzept der Parallelwertung in der Laiensphäre soll sich dieser Ansatz insofern unterscheiden, dass es nicht auf die Erfassung der gesamten sozialen Relevanz, sondern nur des rechtsgutsbezogenen Kerns eines Tatbestandsmerkmals ankomme589. Das Erkennen Haft, Grenzfälle des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale, JA 1981, S. 281 (284). Haft, JA 1981, S. 281 (284); anders noch ders., Der doppelte Irrtum im Strafrecht, Jus 1980, S. 588 (591). 584 Vgl. BGHSt 15, S. 332; BGHSt 18, S. 192. 585 Haft, JA 1981, S. 281 (284). 586 Vgl. BGHSt 7, S. 17; BGHSt 7, S. 261; BGHSt 15, S. 332. 587 Schlüchter, Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, Tübingen 1983; vgl. auch dies., Grundfälle zum Bewertungsirrtum des Täters im Grenzbereich zwischen §§ 16 und 17 StGB, JuS 1985, S. 373, 527 und 617; dies., Irrtumslehre im Steuerstrafrecht, wistra 1985, S. 43. 588 Schlüchter, Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, S. 100 ff., 115 f. 589 Schlüchter, a. a. O., S. 143. 582 583

C. Moderne Ansätze

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der Verletzungsbedeutung deckt sich freilich nicht mit dem Unrechtsbewusstsein590, denn der Täter begreift den rechtsgutsbezogenen Bedeutungsgehalt nach Schlüchter bereits dann, wenn ihm z. B. bei einem Diebstahl oder einer Unterschlagung bewusst wird, dass er mit seinem Verhalten die Eigentumsordnung verletzt591. Subsumtionserhebliche Einzeltatsachen, die einem Merkmal „extensional“ zugeordnet sind, gemeint sind z. B. die Umstände beim Eigentumsübergang592, seien dagegen für den Vorsatz irrelevant, es sei denn, die Fehlvorstellung fiele völlig aus dem Rahmen des Tatbestands593. Dagegen soll es bei gesamttatbewertenden Merkmalen auf die Kenntnis der Einzelmerkmale ankommen594. Die Unterscheidung zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen spielt nach Schlüchters Konzept – was Irrtümer anbelangt – nur eine untergeordnete Rolle595. Zwar bilde die Existenz der Ausfüllungsnorm an sich keinen Tatumstand, dem Täter müssen jedoch auch hier die rechtsgutsbezogenen Komponenten der Ausfüllungsnorm und nicht nur die in ihr beschriebenen Sachverhaltsausschnitte bewusst geworden sein.

f) Statische oder dynamische Normierung nach Kuhlen Kuhlen stellt in seiner Habilitationsschrift nach einer umfangreichen Exegese der Rechtsprechung die These auf, es bestehe eine Kontinuität zwischen der reichsgerichtlichen Irrtumsabgrenzung und der des Bundesgerichtshofs596, eine systematische Änderung sei abseits der Formulierungsebene und neuer Begrifflichkeiten nicht eingetreten597. Die althergebrachte Abgrenzung nach außerstrafrechtlichem Irrtum als Tatirrtum und strafrechtlichem Irrtum als Rechtsirrtum598 sei auch vorzugswürdig, solange man sie normanwendungsrelativ, also abhängig von den Strafnormen, die es zu konkretisieren gilt599, deute. Wesentliches Kriterium der Unterscheidung sei das der „Zeitstruktur“600. Bei sogenannten „statischen Normierungen“ haben Ausgangsnorm und Konkretisierung die gleiche „Zeitstruktur“; was Irrtümer anbelangt, sind diese einheitlich zu behandeln601. Die (partielle) HandlungsbeschreiSchlüchter, a. a. O., S. 106. Schlüchter, a. a. O., S. 119 ff. 592 Schlüchter, a. a. O., S. 120 f. 593 Schlüchter, a. a. O., S. 114 ff., 124, 193. 594 Schlüchter, a. a. O., S. 94 f., 179 ff. 595 Schlüchter, wistra 1985, S. 43, 45. 596 Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum, S. 161 ff. 597 Kuhlen, a. a. O., S. 181. 598 Siehe dazu oben Seiten 42 ff. 599 Kuhlen, a. a. O., S. 176 f. 600 Kuhlen, a. a. O., S. 370 ff. Hinsichtlich einzelner Beispielsfälle vgl. S. 519 ff. 601 Kuhlen, a. a. O., S. 371. 590 591

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

bung beruhe auf einer allgemeinen Prämisse der Urteilsrechtfertigung602, sie sei rechtlicher Art. Die gleiche „Zeitstruktur“ liegt nach Kuhlen dann vor, wenn so auf Normen außerhalb des Straftatbestands Bezug genommen wird, dass für die inhaltliche Konkretisierung eines Merkmals diejenigen Normen entscheidend sind, die im Zeitpunkt der Strafgesetzgebung ihre Gültigkeit hatten – ein bestimmter Stand der Rechtsmaterie also quasi festgeschrieben werde603. Ob ein solches Festschreiben mit § 2 Abs. 1 StGB überhaupt vereinbar wäre, ist freilich zweifelhaft und bedarf später noch einer Überprüfung604. Zum Teil wird deshalb auch angenommen, dass Kuhlens Ausführungen eher in dem Sinne zu verstehen sind, dass eine Umgestaltung der ausfüllenden Norm zwar möglich, aber als Änderung des Strafgesetzes zu verstehen ist605. Unabhängig davon scheint der praktische Anwendungsbereich dieses Verweisungstyps aber ohnehin heute sehr klein zu sein606. Blankettverweisungen sind nämlich nur ausnahmsweise „statisch“ zu deuten, und zwar dann, wenn die Trennung von Straf- und Ausfüllungsnorm „rein gesetzestechnischer Art“ sei607. Als konkretes Beispiel für eine „statische Normierung“ nennt Kuhlen die historische Vorschrift des § 27 Nr. 1 Reichspostgesetz von 1871608. „Dynamische Normierungen“609 im Sinne Kuhlens kommen dagegen weitaus häufiger vor und stellen auf Anknüpfungsnormen ab, die zum Handlungszeitpunkt gültig sind. Die (partielle) Handlungsbeschreibung sei tatsächlicher Art und beruhe auf einer singulären Prämisse der Urteilsrechtfertigung610. Eine solche bejaht er etwa im Falle eines Irrtums über die Frage, ob eine bestimmte Sache im Eigentum Vgl. Kuhlen, a. a. O., S. 351. Vgl. Kuhlen, a. a. O., S. 369. 604 Vgl. Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im Steuerstrafrecht, S. 58; Bettendorf, Der Irrtum bei den Urkundendelikten, S. 228, Fn. 68. Ein modernes Beispiel könnte man möglicherweise in Blankettverweisungen nach § 58 Abs. 2 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) erblicken, wo explizit auf die Verordnung (EG) Nr. 178 / 2002 (ABl. EG Nr. L 31 S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1642 / 2003 vom 22. Juli 2003 (ABl. EU Nr. L 245 S. 4) geänderten Fassung Bezug genommen wird. Aber auch hier hätte eine Änderung der Verordnung ein Leerlaufen der Strafvorschrift zur Folge; vgl. BayObLGSt 1992, S. 121 zu § 67 WeinG a. F. 605 So interpretiert ihn Puppe, ZStW 102 [1990], S. 892 (899). 606 Dies bemängeln auch Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 59; Bettendorf, Der Irrtum bei den Urkundendelikten, S. 224 ff.; Puppe, ZStW 102 [1990], S. 892 (899). 607 Kuhlen, a. a. O., S. 425 f. 608 Kuhlen, a. a. O., S. 421 ff. unter Bezugnahme auf RGSt 37, S. 389; siehe dazu auch oben Seite 44. Der ebenfalls historische § 26 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 3 des Weingesetzes von 1930 (Zuckerungsverbot) müsste nach den allgemeinen Grundsätzen seiner Irrtumslehre eigentlich auch „statisch“ zu verstehen sein. Dieses Ergebnis korrigiert er jedoch angesichts § 26 Abs. 3 WeinG a. F., der auch fahrlässige Verstöße unter Strafe stellt und der sonst keinen Sinn ergeben würde (Kuhlen, a. a. O., S. 541 ff.). Etwas versteckt findet sich aber auch ein Hinweis auf moderne statische Normierungen in §§ 327 ff. StGB (Kuhlen, a. a. O., S. 428, Fn. 45). Siehe aber auch oben Fußnote 604. 609 Kuhlen, a. a. O., S. 381 ff., 399. 610 Vgl. Kuhlen, a. a. O., S. 351. 602 603

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eines anderen steht611, ob ein bestimmtes Verhalten als Betreiben eines Kreditinstitutes anzusehen ist612 oder ob die beabsichtigte Zueignung der Rechtsordnung widerspricht613. Auch der Irrtum über blankettausfüllende Normen soll regelmäßig als außerstrafrechtlicher Irrtum gelten614. Interessanterweise sei allerdings ein Irrtum über den Begriff der Sache in §§ 242, 246, 303 BGB nach § 17 StGB zu beurteilen. Dass es sich hierbei um keine „dynamische“ Anknüpfung an §§ 90, 90a BGB handele, begründet Kuhlen damit, dass der strafrechtliche Begriff der Sache völlig selbstständig sei, auch wenn er keine wesentlichen Abweichungen zum zivilrechtlichen Gegenstück aufzeige615. Eine ähnliche Argumentation findet sich zur Sondermülleigenschaft von Abfällen i. S. d. § 326 Abs. 1 Nr. 3 StGB616. Die sonst freilich sehr weitreichende Annahme einer Vorsatzrelevanz führt bei Kuhlen in der umgekehrten Konstellation zu keiner Ausweitung der Versuchsstrafbarkeit, da er das Umkehrprinzip ablehnt. Auch der außerstrafrechtlich untaugliche Versuch gefährde nur eine hypothetische Rechtsordnung und sei deshalb straflos617. Die Strafbarkeit möchte er trotz Bejahung des Vorsatzes wohl am Tatentschluss (dafür spricht die Bezeichnung als Wahndelikt618) und nicht am unmittelbaren Ansetzen scheitern lassen.

g) Partielle Anwendung der Vorsatztheorie nach Puppe Puppe619 unterscheidet zwischen Blankettmerkmalen und rechtlich-institutionellen Merkmalen620. Bei einem Blankettmerkmal müsse sich der Vorsatztäter sowohl dessen tatsächliche als auch (entgegen der herkömmlichen Auffassung) dessen

611 Kuhlen, a. a. O., S. 371 f. Richtigerweise stellt er noch klar, dass ein Irrtum darüber, dass alle Sachen fremd sind, welche (auch) im Eigentum eines anderen stehen, und dass für die Bestimmung der Eigentumsverhältnisse die Normen des Bürgerlichen Rechts maßgeblich sind, strafrechtlicher Natur ist (S. 373). 612 Kuhlen, a. a. O., S. 534 ff.; a. A. die Rechtsprechung (siehe dazu oben Seite 94, Fußnote 532). 613 Kuhlen, a. a. O., S. 536 ff.; siehe auch oben Seite 95. 614 Kuhlen, a. a. O., S. 386, 420 ff. 615 Kuhlen, a. a. O., S. 528 ff. Es liegt demnach allerdings keine „statische“, sondern überhaupt keine Verweisung vor. Siehe dazu auch Seite 91, Fußnote 497; Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rn. 120; vgl. ferner oben Seite 44 zur ähnlichen Argumentation des Reichsgerichts beim Tatbestandsmerkmal der Schwägerschaft in § 173 Abs. 2 RStGB. 616 Kuhlen, a. a. O., S. 549 ff. 617 Kuhlen, a. a. O., S. 558 ff., insb. S. 565. 618 Kuhlen, a. a. O., S. 566. 619 Puppe, Tatirrtum, Rechtsirrtum, Subsumtionsirrtum, GA 1990, S.145; dies., in: NomosKommentar, § 16 StGB, Rn. 18 ff. 620 Der Begriff wurde von Darnstädt, Der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, JuS 1978, S. 441 (443) übernommen und geht ursprünglich auf John R. Searles Klassifikation von Sprechakten zurück.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

rechtliche Voraussetzungen, kraft deren das Merkmal erfüllt ist, vorstellen621. Der Vorwurf der Gleichgültigkeit gegenüber dem Recht, den man einem Täter, der es versäumt, sich über die für ihn geltenden blankettausfüllenden Normen zu erkundigen, machen kann, stehe dem Fahrlässigkeitsvorwurf näher als dem Vorsatzvorwurf gegenüber einem Täter, der sich gegen eine elementare allgemeingültige Verhaltensnorm vergeht622. Im umgekehrten Fall der Verletzung einer eingebildeten Ausfüllungsnorm begründet auch dieser Ansatz keine Ausweitung der Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs, da für die Annahme eines Tatentschlusses kumulativ die tatsächlichen Voraussetzungen einer gültigen Ausfüllungsnorm in der Tätervorstellung vorhanden sein müssen. Damit lässt sich im System von Puppe durchaus folgerichtig der von ihr als „Symmetriepostulat“623 bezeichnete Satz, dass alles was im Bereich des Tatbestandsirrtums entlastet, beim Versuch belastend wirkt, bei Blankettnormen nicht aufrechterhalten624. Insgesamt könne man deshalb für den Bereich der Blankettmerkmale von einer partiellen Anwendung der Vorsatztheorie sprechen625. Anders verfährt Puppe jedoch mit rechtlich-institutionellen Merkmalen, z. B. dem Merkmal „fremd“ bei § 242 StGB, bei denen sie (vergleichbar mit der herkömmlichen Auffassung) die schlichte Kenntnis des Rechtsverhältnisses beim Täter ausreichen lässt626. Zum Sinn des Begriffs der Fremdheit gehöre schließlich nicht, dass sich der Täter irgendwelche Vorstellungen darüber gemacht hat, wie der Eigentümer an sein Eigentum gekommen ist. Abstriche an den Wissensgehalt des Vorsatzes, die mit dem Stichwort der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ umschrieben werden627, hält sie nicht für erforderlich, da es sich bei der Feststellung, ob ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht, um keinen Akt der Wertung, sondern um einen der Kognition handele628. Der Täter irre nicht über Rechtsnormen, sondern über Rechtsverhältnisse, die er vorfindet629. Weitere Folge des eigenständigen Sinns von 621 Puppe, GA 1990, S. 145 (168); dies., Vorsatz und Rechtsirrtum, Festschrift-Herzberg, S. 275 (290); dies., in: Nomos-Kommentar, § 16 StGB, Rn. 60 ff., 67. Ein Blankettmerkmal zeichne sich dadurch aus, dass es auf positive Gesetze verweise, die die strafbewehrte Pflicht selbst inhaltlich bestimmen und nicht nur deren rechtliche Voraussetzungen [dies., GA 1990, S. 145 (163)]. 622 Puppe, GA 1990, S. 145 (168); vgl. auch dies., in: Nomos-Kommentar, § 16 StGB, Rn. 63 ff. 623 Puppe, Die logische Tragweite des sog. Umkehrschlusses, Festschrift-Lackner, S. 201 (212); dies., GA 1990, S. 153 (169). 624 Vgl. auch oben Seiten 56 f. zur Kombinierbarkeit von historischer Vorsatztheorie und subjektiver Versuchstheorie. 625 Puppe, GA 1990, S. 145 (170). 626 Puppe, GA 1990, S. 145 (157); dies., in: Nomos-Kommentar, § 16 StGB, Rn. 45 ff., 61; dies., Vorsatz und Rechtsirrtum, Festschrift-Herzberg, S. 275 (277). 627 Vgl. BGHSt 4, S. 347 (352). Die Parallelwertung in der Laiensphäre ist nach Puppe, GA 1990, S. 145 (176) ein bloßes Lippenbekenntnis. 628 Puppe, GA 1990, S. 145 (153, 157 ff.); dies., Festschrift-Herzberg, S. 275 (281); dies., in: Nomos-Kommentar, § 16 StGB, Rn. 48 ff., 146. 629 Puppe, Festschrift-Herzberg, S. 275 (277).

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solchen Tatbestandsmerkmalen ist die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, auch wenn der Täter zu seinen Ungunsten nur über das Recht irrt630. Für die Abgrenzung zwischen Blankett- und rechtlich-institutionellen Merkmalen geht Puppe grundsätzlich vom reichsgerichtlichen Ansatz – trotz dessen „unglückseliger Terminologie“ – aus631. Die Bedeutung der Unterscheidung reduziert sich beim vollendeten Delikt aber ohnehin auf die Frage, ob der Vorsatztäter neben den rechtlichen auch die tatsächlichen Voraussetzungen, kraft deren das Merkmal erfüllt ist, kennen muss632. Bei der weniger praxisrelevanten Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt spielt dieser Aspekt dann allerdings die entscheidende Rolle633. h) Bestrafung von Ungehorsam oder Sicherung des Regelungseffekts nach Jakobs Jakobs634 stellt darauf ab, ob die ausfüllende Norm lediglich auf eine Verhaltenslenkung gegenüber einem bereits bestehenden Angriffsobjekt abzielt oder das Angriffsobjekt erst durch die Ausfüllungsnorm geschaffen wird. Im ersten Fall, wenn lediglich der „Ungehorsam“ gegenüber einer ausfüllenden Norm bestraft werden soll, müsse der Täter nur die dem Tatbestand der Blankettnorm und dem Tatbestand der ausfüllenden Norm unterfallenden Merkmale kennen. Die Unkenntnis der ausfüllenden Norm selbst oder auch das Nichtbegreifen des Regelungsergebnisses ist dann lediglich Verbotsirrtum. Dass Jakobs hier auf den „Ungehorsam“ und nicht auf die durch die Ausfüllungsnorm geschützten Rechtsgüter abstellt, erklärt sich daraus, dass seine Lesart der positiven Generalprävention, die Einübung in Normanerkennung, im sogenannten „Bürgerstrafrecht“ den einzigen Strafzweck bildet635. Im zweiten Fall geht es um die Absicherung von Rechten, die erst durch die ausfüllende Norm konstruiert werden. Soll dieser Regelungseffekt durch die Strafnorm in seinem Bestand gesichert werden, müsse dem Täter dieser Effekt bekannt sein, wenn man Vorsatz annehmen wolle636. Andernfalls liege ein Tatbestandsirrtum vor. Auf diese Weise erklärt Jakobs, dass dem Regelungseffekt der §§ 903, 929 ff. BGB bei Eigentumsdelikten637, aber auch der aktienrechtlichen Pflichtwidrigkeit im HinPuppe, Festschrift-Herzberg, S. 275 (297). Puppe, GA 1990, S. 145 (154 f., 159 f., 180 f.); dies., Festschrift-Herzberg, S. 275. 632 Puppe, GA 1990, S. 145 (168). 633 Puppe, Festschrift-Herzberg, S. 275 (297). 634 Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschn., Rn. 47. Vgl. auch Laaths, Das Zeitgesetz, S. 109 ff. 635 Jakobs, Über die Behandlung von Wollensfehlern und von Wissensfehlern, ZStW 101 (1989), S. 516 (517); ders., Strafrecht AT, 2. Abschn., Rn. 1 ff.; ders., Staatliche Strafe, S. 32, 47; vgl. auch Lesch, Sinn und Zweck staatlichen Strafens (2. Teil), JA 1994, S. 590 (598); Paeffgen, in: Nomos-Kommentar, Vor §§ 32 ff. StGB, Rn. 217; Schneider / Morguet, Gefährliches Strafrecht, in: Uwer (Hrsg.), Bitte bewahren Sie Ruhe, S. 335 (343). 636 Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschn., Rn. 47, 53. 637 Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschn., Rn. 47, 56 ff. Siehe auch oben Seite 90. 630 631

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blick auf § 266 StGB638 sowie dem Steueranspruch im Rahmen von § 370 AO639 Vorsatzrelevanz zukommt. Im Falle eines umgekehrten Irrtums, konkret bei nur vermeintlicher Fremdheit der Sache oder eingebildeter Steuerschuld, soll allerdings nur ein Wahndelikt vorliegen, es sei denn, zugehörige Tatsachen der vorgestellten Art ließen objektiv eine entsprechende zivil- oder steuerrechtliche Bewertung zu640. Immer zum Wahndelikt führe die irrige Annahme des Ausführenden, er sei tauglicher Täter eines Sonderdelikts, selbst wenn er zur Statusbegründung an sich geeignete Umstände annimmt, denn der Kreis der Normadressaten könne durch einen Irrtum nicht erweitert werden641. Damit nähert sich Jakobs im Ergebnis an die objektive Versuchstheorie an, was wiederum mit seinem Verständnis vom „Bürgerstrafrecht“ zusammenhängt. In diesem legt er auch im Übrigen ein besonders restriktives Verständnis vom Versuchsbeginn zugrunde, weil nur dann ein ausgleichsbedürftiger Normgeltungsschaden eintreten könne, wenn der Täter nicht bloß „nach seiner Vorstellung“, sondern auch „nach seinem externen Verhalten“ zu einer Störung außerhalb seines eigenen Organisationskreises unmittelbar angesetzt hat642. i) Reichweite und Vorfeld des Verweisungsbegriffs nach Herzberg (früher) Herzberg643 bekannte sich nach seinem ursprünglichen Konzept zu einem „auf seinen berechtigten Kern streng begrenztes Umkehrprinzip“644. Die „Gegenstücke“ Tatbestandsirrtum und untauglicher Versuch sowie Verbotsirrtum und Wahndelikt stünden nämlich strenggenommen in einem „zweifachen Umkehrverhältnis“, schließlich werde jeweils sowohl der objektive Sachverhalt als auch die subjektive Vorstellung des Täters entgegengesetzt. Für die Irrtumslehre sei allein die subjektive Seite der Umkehrung und insofern auch nur der Gegensatz von Vorsatz und Nichtvorsatz relevant645. 638 Jakobs, Anmerkung zu LG Düsseldorf vom 22. 7. 2004 (Fall „Mannesmann“, veröffentlicht in NJW 2004, S. 3275), NStZ 2005, S. 276 (277 f.). 639 Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschn., Rn. 47, 56. Siehe oben Seite 95. 640 Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 42. Siehe dagegen oben Seite 90, Fußnote 492 und Seite 95, Fußnote 539. 641 Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 43 ff. Ebenso auch die Regelung in § 25 Abs. 3 Nr. 1 AE (siehe oben Seite 78). Jakobs beschränkt diese Aussage freilich auf Sonderdelikte im engeren Sinne, da sich alle Tatbestände mehr oder weniger zwanglos in scheinbare Sonderdelikte umformen lassen (siehe auch oben Seite 88, Fußnote 480). 642 Jakobs, Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985), 751 ff., 764 f. Zur objektiven Theorie und ihren Varianten siehe oben Seiten 55 ff. 643 Herzberg, Das Wahndelikt in der Rechtsprechung des BGH, JuS 1980, S. 469; ders., Tatbestands- oder Verbotsirrtum, GA 1993, S. 439; ders., Zur Eingrenzung des vorsatzausschließenden Irrtums (§ 16 StGB), JZ 1993, S. 1017; vgl. auch Blei, Das Wahnverbrechen, JA 1973, S. 389 (392), S. 529 (532), S. 601 unter Bezugnahme auf Engisch, Der umgekehrte Irrtum und das „Umkehrprinzip“, Festschrift-Heinitz, S. 185 (192). 644 Herzberg, JuS 1980, S. 469 (479). 645 Herzberg, JuS 1980, S. 469 (479).

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Zur Bestimmung der Vorsatzrelevanz eines Rechtsirrtums kam es nach dem an Begrifflichkeiten von Blei 646 anknüpfenden, von Herzberg aber inzwischen aufgegebenen647 Ansatz wesentlich auf die gesetzgeberische Formulierung des einzelnen Straftatbestandes an. Zu den Verweisungsbegriffen zählte er Tatbestandsmerkmale wie „fremd“ in §§ 242, 246 StGB oder „dem Jagdrecht unterliegend“ in § 292 StGB648. Demnach schließt, soweit der ent- bzw. belastende Rechtsirrtum den Verweisungsbereich, also das rechtliche Vorfeld betrifft, der Irrtum den Vorsatz aus bzw. begründet den Tatentschluss649. Dies sei Folge eines gewollt akzessorischen Strafrechts, was auch dadurch zum Ausdruck komme, dass eine Gesetzesreform oder Rechtsfortbildung im Verweisungsbereich, z. B. bei den §§ 929 ff. BGB, zwar den faktischen Anwendungsbereich der Strafvorschrift verschieben würde, eine Neufassung oder Neuinterpretation der Strafnorm selbst deshalb jedoch nicht nötig sei. Unter diese Begriffskategorie fielen auch „offen“ formulierte „Blankettmerkmale“: Darunter fasste Herzberg Fälle, in denen eine Rechtsvorschrift „nur durch ihren Schutzsinn eingerahmt“ zum Bestandteil des Tatbestandes gemacht werde; gemeint waren z. B. der Begriff der „rechtswidrigen Tat“ in §§ 26(!), 27, 257, 258, 259 StGB oder der Verweis auf § 22 Abs. 2 Satz 1 BJagdG (Schonzeiten) in § 38 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG650. Die Einbeziehung von § 26 StGB war freilich nicht unproblematisch: Folgerichtig erschiene insofern bei Anwendung eines Umkehrschlusses, dass die „Anstiftung“ zu einem in Wahrheit straflosen Verhalten, welches jedoch fälschlicherweise als Verbrechen eingestuft wird, eine Strafbarkeit gem. § 30 Abs. 1 StGB begründen müsste. Da § 30 Abs. 1 StGB erst zusammen mit einer existenten Strafnorm einen Tatbestand bilden kann, wird eine solche Folge von Herzberg jedoch heute ausdrücklich abgelehnt651. Gleiches gilt für § 258 StGB, wo ansonsten ein Widerspruch zu Abs. 3 entstehen würde652. Der Begriff des „Verbrechens“ oder der „rechtswidrigen Tat“ diene insofern nur als Sammelbezeichnung653.

Verbotsirrtum oder Wahndelikt sind nach dem ursprünglichen Ansatz dann anzunehmen, wenn das Rechtsverständnis des Täters im Widerspruch zu der mit der Blei, JA 1973, S. 601 (604). Vgl. jüngst Herzberg, Fahrlässigkeit, Unrechtseinsicht und Verbotsirrtum, in: FestschriftOtto, S. 265, wo er seine Thesen in Frage stellt und sich der Vorsatztheorie annähert. Dazu auch gleich Seiten 108 f. 648 Herzberg, JuS 1980, S. 469 (473); ders., GA 1993, S. 439 (446 ff.). 649 Herzberg, JuS 1980, S. 469 (473); vgl. ders., in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 69 ff. zur Strafbarkeit des untauglichen Versuchs bei Rechtsirrtümern im Vorfeld. 650 Herzberg, GA 1993, S. 439 (457 ff.); ders., JZ 1993, 1017 f. 651 Herzberg, Rechtsirrige Annahme einer Straftatbegehung, Gedächtnisschrift-Schlüchter, S. 189 (191); ders., in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 91. Die Frage, welche Norm den Strafrahmen für eine versuchte „Anstiftung“ zum Scheinverbrechen (z. B. Ehebruch, Gotteslästerung) denn festlegt, ließe sich schließlich nicht beantworten. Der Laienvorstellung des Täters kann er zweifellos nicht auch noch entnommen werden. 652 Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 93. Unproblematisch ist wiederum § 258a StGB wegen dessen Abs. 3; vgl. dazu Schmitz, Die Abgrenzung von strafbarem Versuchen und Wahndelikt, Jura 2003, S. 593 (599). 653 Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 91 ff. 646 647

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Setzung des Verweisungsbegriffs getroffenen Grundentscheidung steht, so z. B. wenn der Täter denkt, die Fremdheit entfalle bereits aufgrund des eigenen Miteigentums654. In einem solchen Fall kenne der Täter alle das Deliktsunrecht begründenden Umstände, im fehle nur die Einsicht, Unrecht zu tun655. Genauso sollte die Verkennung derjenigen gesetzlichen Begriffe keine Vorsatzrelevanz haben, die besagen, „daß dann, wenn sie nicht erfüllt sind, das Unrecht, d. h. zumindest das spezifische des jeweiligen Delikts, entfällt“656. Gemeint waren Merkmale wie „rechtswidrig“, „unbefugt“, „pflichtwidrig“, „ohne die erforderliche Genehmigung“ etc. So handelte nach Herzbergs ursprünglichem Ansatz i. S. d. § 132a StGB auch der vorsätzlich, welcher nach Verlust der Promotionsurkunde den Doktortitel guten Gewissens weiterführt, wenn die Führung des Titels nach dem jeweils einschlägigen Landesrecht nicht nur den Erhalt, sondern auch die weitere Innehabung der Verleihungsurkunde voraussetzt657. Gleiches gilt selbstverständlich, wenn gar keine akzessorische Bindung an außertatbestandliche Rechtspflichten besteht, wie es z. B. bei § 13 StGB der Fall sei. Hier sei die Sonderverantwortlichkeit für ein Rechtsgut nach einer tatbestandsimmanenten Wertung zu bestimmen658.

j) Modifizierte Vorsatztheorie nach Otto und nach Herzberg (heute) Jüngst hat sich Herzberg von den eben beschriebenen Grundsätzen distanziert und sich der Vorsatztheorie in der von Otto659 vertretenen modernen Variante angenähert660, nach der § 16 StGB generell schon dann greifen soll, wenn der Täter irrig sein Tun für nicht „sozialschädlich“661 hält. Otto nimmt davon allerdings ausdrücklich den Überzeugungstäter aus: Keinen den Vorsatz ausschließenden Irrtum zubil654 Herzberg, JuS 1980, S. 469, (473); ders., GA 1993, S. 439 (448). Vgl. allerdings auch jetzt ders., Festschrift-Otto, S. 265. 655 Vgl. Herzberg, GA 1993, S. 439, 449. 656 Herzberg, GA 1993, S. 439 (450). Vgl. allerdings jetzt ders., Festschrift-Otto, S. 265 (282). 657 Herzberg, GA 1993, S. 439 (446) zu BGH NJW 1960, S. 1308, welcher auf Grundlage des Gesetzes über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 und der DVO vom 21. Juli 1939 (RGBl. I 1326) entschieden hatte. Naheliegender dürfte heute der Fall des Führens nach bestandenem Rigorosum aber vor Erhalt der Urkunde sein, vgl. Herzberg, Festschrift-Otto, S. 265 (269 f., 284). 658 Herzberg, JuS 1980, S. 469 (474). 659 Otto, Grundkurs Strafrecht, § 15, Rn. 4 ff., § 13, Rn. 41 (vgl. auch oben Seite 50, Fußnote 174; Seite 61, Fußnote 254). Siehe auch schon Schmidhäuser, Der Verbotsirrtum und das Strafgesetz (§ 16 I Satz 1 und § 17 StGB), JZ 1979, S. 361; Geerds, Der vorsatzausschließende Irrtum, Jura 1990, S. 421 (429 ff.); Freund, Strafrecht AT, § 4, Rn. 75 ff. 660 Herzberg, Festschrift-Otto, S. 265 (siehe auch oben Fußnoten 647 [Seite 107], 654 [Seite 108]); ders., JuS 2008, Vorsatzausschließende Rechtsirrtümer, S. 385. 661 Ähnlich interessanterweise Art. 8 des Strafgesetzbuches der Russischen SFSR (Уголовный кодекс-РСФСР) von 1961. Siehe dazu auch Seite 141 sowie F.-C. Schroeder, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, S. 58 f.

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ligen möchte er demjenigen, dessen Irrtum lediglich in einer Auffassung begründet ist, er könne die Grenzen des sozialangemessenen oder nützlichen Verhaltens sachgerechter bestimmen als die anderen Mitglieder der Gesellschaft662. Darüber hinaus sei der „Rechtsblinde“ oder „Rechtsfeind“ aber keine problematische Figur663. Herzberg möchte sogar ganz konsequent bleiben und insofern überhaupt keine Ausnahmen zulassen664. Allgemein wird geltend gemacht, dass die gesetzgeberische Formulierung des einzelnen Straftatbestandes oftmals zufällig sei665. Alle Versuche, auf dem Boden der Schuldtheorie in umstrittenen Fällen ein „Ja“ oder „Nein“ zum Vorsatz rational zu begründen, seien als gescheitert anzusehen666. Es könne z. B. im Hinblick auf die Vorsatzverneinung bei § 246 StGB keinen Unterschied machen, ob der Finder einer Sache glaubt, sie sei durch den Verlust herrenlos geworden, oder er denkt, er könne sie ohne Fundanzeige behalten, weil er die Wertgrenzen des § 965 Abs. 2 S. 2 BGB falsch einschätzt667. Dennoch verbleibt auch bei Otto und Herzberg für § 17 StGB ein Anwendungsbereich. Er habe dann eine Bedeutung, wenn der Täter die Sozialschädlichkeit erkennt, aber glaubt, nicht gegen eine Vorschrift i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG zu verstoßen668. Darüber hinaus komme die Vorschrift bei der Fahrlässigkeitshaftung – sofern gegeben – ins Spiel, bei unbewusster Fahrlässigkeit könne die Strafe nach § 17 S. 2 StGB gemildert werden669. Otto geht anders als die historischen Vertreter der Vorsatztheorie670 von der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs aus671; bei irriger Einbildung einer Sonderpflichtenposition möchte er davon wohl nur de lege ferenda eine Ausnahme machen672. Herzberg hat dagegen sein ursprüngliches Konzept zur Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt trotz Neuausrichtung zugunsten der Vorsatztheorie noch nicht in Frage gestellt.

Otto, Grundkurs Strafrecht, § 15, Rn. 7 f. Vgl. zu anderen Lösungsansätzen der historischen Vorsatztheorie auch oben Seite 52. 664 Herzberg, Festschrift-Otto, S. 265 (278). 665 Herzberg, Festschrift-Otto, S. 265 (281) unter Bezugnahme auf Lackner / Kühl, § 17 StGB, Rn. 22. 666 Herzberg, Festschrift-Otto, S. 265 (282). 667 Herzberg, JuS 2008, S. 385 (387). Siehe für weitere Exempel Herzberg, FestschriftOtto, S. 265 (280 ff.). 668 Otto, Grundkurs Strafrecht, § 13, Rn. 41. 669 Herzberg, Festschrift-Otto, S. 265 (266). 670 Vgl. oben Seiten 56 ff. 671 Otto, Grundkurs Strafrecht, § 18, Rn. 58. 672 Otto, Grundkurs Strafrecht, § 18, Rn. 74 ff. 662 663

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

k) Restriktive Anwendung der Schuldtheorie de lege lata und modifizierte Vorsatztheorie de lege ferenda nach T. Walter In jüngerer Zeit hat sich auch Tonio Walter in seiner Habilitationsschrift eingehend mit Irrtumsproblematiken beschäftigt673. Die Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum auf dem Boden der Schuldtheorie hält auch er im Ganzen für nicht sachgerecht674, was er anhand einer umfassenden systematischen Untersuchung unzähliger Fallbeispiele zu belegen versucht. Die Regelung des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB sei, was die Irrtumsfahrlässigkeit anbelangt, im Ergebnis dann zu mild675, wenn für grob fahrlässige Verhaltensweisen nur die unangemessen niedrigen Strafdrohungen der Fahrlässigkeitsdelikte zur Verfügung stünden676. § 17 StGB sei dagegen zu streng677, da das Kriterium der Unvermeidbarkeit in der Praxis faktisch auf ein eigentlich überwunden geglaubtes „error iuris nocet “ hinauslaufe678. Die Lösung der Problematik sieht er in einer gesetzlichen Neufassung der §§ 15 ff. StGB679. In Überwindung des bisherigen Verbrechensaufbaus soll das Unrechtsbewusstsein de lege ferenda ausdrücklich dem Vorsatz zugerechnet werden680, als kriminalpolitischer Ausgleich wird, vergleichbar mit § 16 Abs. 2 E 1936681 oder den Art. 565 und Art. 586, 3º des alten spanischen Código Penal 682, ein eigener Tatbestand der Irrtumsfahrlässigkeit vorgeschlagen, welcher allerdings an den Strafrahmen der Vorsatzdelikte orientierte, gemilderte Strafrahmen vorsieht683. Doch auch bereits de lege lata plädiert T. Walter für eine restriktive Anwendung der Schuldtheorie. So seien Blankette und rechtsnormative Tatbestandsmerkmale gleich zu behandeln684. Die Tatsache, dass die §§ 16, 17 StGB nach Willen des historischen Gesetzgebers auch im Nebenstrafrecht zu gelten haben685, zwinge nicht zu T. Walter, Der Kern des Strafrechts, Tübingen 2006. T. Walter, a. a. O., S. 393 ff. 675 T. Walter, a. a. O., S. 408 ff. 676 T. Walter, a. a. O., S. 410. Vgl. dagegen ausführlich Gaede, Auf dem Weg zum potentiellen Vorsatz?, ZStW 121 [2009], S. 239 (251 ff., 273 ff.), der die Tatsachenblindheit de lege ferenda richtigerweise allenfalls deliktsspezifisch als leichtfertiges Fahrlässigkeitsunrecht erfasst sehen will. 677 T. Walter, a. a. O., S. 410 ff., siehe auch S. 307 ff. 678 T. Walter, a. a. O., S. 417. Siehe zur Rechtsprechung des Reichsgerichts oben Seiten 43 ff., zu deren Überwindung Seiten 57 ff. 679 T. Walter, a. a. O., S. 438 ff. 680 § 15 Abs. 2 StGB-E (T. Walter, a. a. O., S. 443). 681 Siehe oben Seite 51, Fußnote 188. 682 Siehe oben Seite 64, Fußnote 276. Für eine Wiederbelebung auch Fakhouri Gómez, Vorsatztheorie vs. Schuldtheorie, GA 2010, S. 259 (272). 683 § 17 StGB-E (T. Walter, a. a. O., S. 446). Siehe auch oben zur historischen Vorsatztheorie Seiten 50 ff. 684 T. Walter, a. a. O., S. 358 ff. 685 Vgl. Art. 1 Abs. 1 EGStGB; § 369 Abs. 2 AO; § 11 Abs. 1 und 2 OWiG; siehe oben Seiten 58 ff. 673 674

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einer ausnahmslosen Anwendung der Schuldtheorie, auch nicht vor dem Hintergrund von BVerfGE 41, S. 121686. Vielmehr bestehe dort Korrekturbedarf, wo eine zu weite Anwendung dem Verfassungsrang genießenden Schuldgrundsatz widerspreche687. Dass ein Irrtum über sogenannte normative Tatbestandsmerkmale als vorsatzrelevant eingestuft wird, wenn die in Bezug genommenen Vorschriften schon vortatbestandliche Rechtsfolgen haben, sei eine (im Ergebnis sachrichtige) kriminalpolitische Entscheidung688. Gleiches müsse aber auch für Blankette gelten, da vom reinen Subsumtionsstoff der ausfüllenden Norm genauso wenig ein Unrechtsappell ausgehe, so dass die Anwendung von § 17 StGB zu unbilligen Härten führe, etwa beim Betreiben einer GmbH ohne die Kenntnis, dass neben der Steuer- auch eine Handelsbilanz zu erstellen sei689. Dies gelte umso mehr, als dass die Einstufung als Blankett häufig willkürlich sei. Nicht die normbezogene Frage, ob ein Blankett vorliege, bestimme die Folgen des Irrtums, sondern die Folgen des Irrtums seien oft dafür maßgeblich, ob eine Norm als Blankett behandelt werde690. Zudem lasse die Rechtsprechung selbst dann, wenn sie eine Norm als Blankett bezeichnet, vielfältig Ausnahmen zu, etwa bei § 370 AO, wo ein Zusammenlesen mit dem materiellen Steuerrecht im Ergebnis unterbleibt691. Dort, wo die Schuldtheorie im Rahmen des herrschenden Verbrechensmodells angewendet wird, hält T. Walter im Hinblick auf die Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt das umstrittene Umkehrprinzip für sachlogisch zwingend692. De lege ferenda verabschiedet er sich jedoch von diesem Modell und fordert in seinem Gesetzesvorschlag für die Annahme eines untauglichen Versuchs, dass sowohl der Subsumtionsstoff der maßgeblichen Vorfeldnorm als auch deren Rechtsfolge gleichzeitig im Vorstellungsbild des Täters vorhanden seien693. Er strebt also die Kombination einer modernisierten Vorsatztheorie mit der Prämisse der grundsätzlichen Strafbarkeit des untauglichen Versuchs an und unterscheidet sich auch so von den Ansätzen des historischen Schrifttums694.

Siehe oben Seite 60. T. Walter, a. a. O., S. 366. 688 T. Walter, a. a. O., S. 254, 256. 689 T. Walter, a. a. O., S. 366. Das Fallbeispiel (BGH NJW 1981, S. 354, 355) findet sich auf S. 362. Siehe dazu auch oben Seite 92. 690 T. Walter, a. a. O., S. 365, unter Bezugnahme auf Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 92 f., 100. 691 T. Walter, a. a. O., S. 365. Siehe oben Seite 95. 692 T. Walter, a. a. O., S. 366 ff., 379 ff. 693 T. Walter, a. a. O., S. 450 ff. Zum Ansatz von Puppe vgl. Seite 104. 694 Einzige Ausnahme war wiederum der E 1936. Zu historischen Ansätzen vgl. Seiten 56 ff. 686 687

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

l) Loslösung aller rechtlichen Wertungen aus dem Vorsatzbereich nach Safferling und B. Heinrich Safferling spricht sich dagegen in seiner das deutsche und englische Strafrecht vergleichenden Habilitationsschrift695 für eine „Verschlankung“ des Vorsatzbegriffes aus. Alle rechtlichen Wertungen seien aus dem Vorsatzbereich herauszulösen, unabhängig davon, ob diese die Gesamtbewertung der Tat, einzelne Tatbestandsmerkmale oder eine außerstrafrechtliche Situation betreffen696. Das Wissen und Nachvollziehen der juristischen Wertung sei in allen Fällen eine Frage der Schuld und nicht des Unrechtstatbestands. Heutzutage sei man nicht mehr wie zu Zeiten, als noch der Grundsatz „error iuris non nocet “ galt697, gezwungen, ausschließlich über das Instrument eines außerstrafrechtlichen Irrtums auf rechtliche Fehlvorstellungen angemessen zu reagieren698. Das gelte natürlich erst recht für Blankettnormen, aber auch für „normgefüllte Merkmale“699, so dass sich eine Abgrenzung, für die es bisher ohnehin an handfesten Kriterien fehle700, hier (allerdings unter anderem Vorzeichen) ebenfalls erübrigen würde. So soll es auch für den Vorsatz hinsichtlich der Fremdheit einer Sache darauf ankommen, dass der Täter sämtliche die Eigentumssituation begründenden Umstände kennt701. Ziehe er daraus nicht die richtigen zivilrechtlichen Schlüsse, sei sein Irrtum nach § 17 StGB zu beurteilen702. Entsprechendes gelte für Unterhaltspflichtverletzungen nach § 170 StGB703 und die Steuerhinterziehung nach § 370 AO704. Hinsichtlich der Anforderungen an die Vermeidbarkeit nach § 17 StGB nimmt er dazu allerdings eine umfassende Neudefinition vor705. Unabhängig von Safferling kommt wohl nur Bernd Heinrich zum selben Ergebnis706. Lediglich Irrtümer im Bereich des tatsächlichen Erkennens und nicht im Bereich der rechtlichen Wertung seien als Tatbestandsirrtum i. S. d. § 16 Abs. 1 StGB anzuerkennen707, wofür er ebenfalls vor allem die Abgrenzungsschwierigkeiten der herrschenden Meinung ins Feld führt. Bei der Vermeidbarkeitsprüfung im Rahmen Safferling, Vorsatz und Schuld, Tübingen 2008. Safferling, a. a. O., S. 146. 697 Siehe oben Seiten 42 ff., 46. 698 Safferling, a. a. O., S. 135 f. 699 Safferling, a. a. O., S. 144 f. 700 Safferling, a. a. O., S. 129. 701 Safferling, a. a. O., S. 148. 702 Safferling, a. a. O., S. 147 f. 703 Safferling, a. a. O., S. 149 f. 704 Safferling, a. a. O., S. 150 ff. 705 Vgl. Safferling, a. a. O., S. 224 ff. 706 B. Heinrich, Strafrecht AT II, Rn. 1087. Eine ausführliche Begründung liefert er erst jüngst in seinem Beitrag zum Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, Festschrift-Roxin (80. Geb.), S. 449 ff., ohne allerdings auf Safferling Bezug zu nehmen. 707 B. Heinrich, Festschrift-Roxin (80. Geb.), S. 449 (465). 695 696

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von § 17 StGB möchte er allerdings bei außerstrafrechtlichen Irrtümern großzügiger verfahren. Der Frage der Abgrenzung des Wahndelikts vom untauglichen Versuch in der umgekehrten Situation, d. h. bei täterbelastenden Fehlannahmen, gehen beide Autoren nicht näher nach. Bei rein rechtlichen Fehlvorstellungen wird man demnach aber wohl generell von einem Wahndelikt ausgehen müssen, da diese im Rahmen eines insofern708 „verschlankten“ Vorsatzbegriffes keinen Tatentschluss begründen können.

m) Irrelevanz jedweder extensiv normativer Fehlannahmen nach Burkhardt Burkhardt hat sich dagegen in zwei Beiträgen709 explizit mit dem Problem des umgekehrten Irrtums beschäftigt. Er stuft den belastenden Rechtsirrtum ebenfalls generell als Wahndelikt ein und hat dabei zumindest der Sache nach zahlreiche Anhänger im Schrifttum gefunden710. Burkhardt unterscheidet dabei zwischen der „Extension“ und der „Intension“ von Tatbestandsmerkmalen. Mit „Extension“ ist die „Menge der Gegenstände, Zustände und Sachverhalte“, auf die sich ein Ausdruck bezieht, oder anders der Begriffsumfang eines Merkmals gemeint711. Die rechtsirrige Vorstellung, eine fremde Sache zu unterschlagen, vor einer zuständigen Stelle auszusagen oder die Verfolgung einer Straftat zu vereiteln, resultiere unterschiedslos aus der Tatsache, dass dem Tatbestand ein anderer Begriffsumfang zugesprochen werde, als der, den er in Wirklichkeit hat, er betreffe damit nur den Anwendungsbereich des Tatbestands712. Auch die Vorstellung, dass etwa ein konkreter Steueranspruch bestehe, sei zwar notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für vorsätzliches Handeln713. Die Strafverfolgungsbehörden hätten besseres zu tun, als gegen solche Personen vorzugehen, die nur aufgrund mangelnder Rechtskenntnis glaubten, ihr Verhalten verwirkliche einen Tatbestand714. Das Strafrecht verliere sonst seinen fragmentarischen Charakter. Zudem verbiete das Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 Abs. 2 GG eine Subsumtion unter den 708 Insgesamt „schlanker“ wird der Vorsatz nicht unbedingt, wenn man z. B. bei der Fremdheit zwar nicht das Erfassen ziviler Rechtsfolgen, dafür jedoch die Kenntnis der die Eigentumssituation begründenden Umstände fordert. Vgl. dazu Seite 126. 709 Burkhardt, Rechtsirrtum und Wahndelikt, JZ 1981, 681; ders., Zur Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt im Steuerstrafrecht, wistra 1982, S. 178. 710 Eser, in: Schönke / Schröder, § 22 StGB, Rn. 84 ff.; Dencker, Besprechung von Aufsätzen und Anmerkungen zum Straf- und Strafprozeßrecht, NStZ 1982, S. 458 (459); Lauhöfer, Abgrenzung zwischen Wahndelikt und untauglichem Versuch, S. 124 ff., 145 f., 228 ff.; Endrulat, Der „Umgekehrte Rechtsirrtum“: untauglicher Versuch oder Wahndelikt, S. 174 ff., 207 ff., 282 ff. 711 Burkhardt, JZ 1981, 681 (685). 712 Burkhardt, JZ 1981, 681 (686). 713 Burkhardt, wistra 1982, S. 178. 714 Burkhardt, JZ 1981, 681 (688).

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Versuchstatbestand715. Nur der gesetzestechnischen Einfachheit halber habe der Gesetzgeber die Eigentumslehre, das Handels- oder Steuerrecht etc. nicht mit in die maßgeblichen Tatbestände aufgenommen, die einzelnen Merkmale seien aber substituierbar716.

n) Normbereichsbestimmende und normbereichsneutrale Vorfeldnormen nach Heidingsfelder Nach Heidingsfelder717 kann dagegen zumindest in einigen Fällen auch ein Rechtsirrtum vorsatzbegründend wirken. Er unterscheidet zwischen merkmalumschreibenden, -ausfüllenden, -begrenzenden und normbereichsneutralen Rechtssätzen, wobei es im Ergebnis wohl nur auf die Unterscheidung zwischen den ersten drei Kategorien und der letzten ankommt. „Merkmalumschreibende“ Normen718, wie etwa § 90 BGB bezüglich „Sache“719 oder auch § 903 BGB bezüglich „fremd“720, weisen bestimmten Tatumständen, denen eine eigene qualitative Bedeutung fehlt, eine tatbestandsadäquate rechtliche Eigenschaft zu und bestimmen so den Anwendungsbereich der Norm. Fehlvorstellungen darüber seien nicht vorsatzrelevant, denn es könne keinen Unterschied machen, ob sich der Täter über eine gesetzliche oder eine von Rechtsprechung und Literatur entwickelte Definition irrt. Das Gleiche gelte auch für Irrtümer bezogen auf Tatbestandsmerkmale mit eigener qualitativer Komponente, so z. B. „dem Jagdrecht unterliegend“ oder die Pflicht zur Steuerzahlung721 bzw. „widerrechtlich“, „unbefugt“ oder „rechtswidrig“, welche von „merkmalausfüllenden“722 oder „merkmalbegrenzenden“723 Normen flankiert werden, da auch hier Verweisungsadressat nicht jedermann sondern allein der Gesetzgeber sei. Umstritten sei dieser Bereich deshalb, weil der Täter insofern doppelt irre, über rechtliche Eigenschaften im Vorfeld und die quantitative Grenze des Normbereichs724. Die zweite Fehlvorstellung führe aber dazu, dass der Täter im Ergebnis nicht vorsätzlich handelt, denn er wende sich nicht gegen objektiv gegebene Strafgesetze725. Einige Vorfeldnormen gehörten allerdings keiner der drei 715 Burkhardt, Zur Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt im Steuerstrafrecht, wistra 1982, S. 178 (181); so auch Endrulat, Der „Umgekehrte Rechtsirrtum“, S. 276 ff. 716 Burkhardt, JZ 1981, 681 (687). 717 Heidingsfelder, Der umgekehrte Subsumtionsirrtum, Berlin 1991. 718 Heidingsfelder, a. a. O., S. 154 f. 719 Vgl. dazu auch Seite 91, Fußnote 497. 720 Gemeint ist, dass entsprechend § 903 BGB beim Merkmal der Fremdheit auf das Alleineigentum abzustellen ist (nicht etwa auf Miteigentum, Besitz etc.). 721 Heidingsfelder, a. a. O., S. 158. 722 Heidingsfelder, a. a. O., S. 155 ff. 723 Heidingsfelder, a. a. O., S. 159 f. 724 Heidingsfelder, a. a. O., S. 160. 725 Heidingsfelder, a. a. O., S. 163 f.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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vorgenannten Kategorien an und seien deshalb „normbereichsneutral“726: Auf sie bezögen sich Tatbestandsmerkmale wie „fremd“ oder „Vermögensschaden“. Insofern habe der Gesetzgeber keine abschließende Definitionsmacht, ihm wird lediglich die Schaffung von Sachverhaltsbedingungen überlassen, an die sich tatbestandsmäßige Bedingungen anschließen können. So regelten die Übereignungsvorschriften der §§ 929 ff. BGB nur das „Wie“ der Übereignung, das „Ob“ bleibe dem Bürger kraft Privatautonomie überlassen727. Halte der Täter die Sache für fremd, sei diese Fehlvorstellung versuchsbegründend, keine Rolle spiele dagegen die Kenntnis, wie man eine eigene Sache zur fremden macht. Das beschriebene Schema kann nach Heidingsfelder auch auf die Ebene des einfachen Irrtums übertragen werden, um dort eine exakte Abgrenzung zwischen Tatbestandsirrtum gem. § 16 StGB und Subsumtionsirrtum gem. § 17 StGB zu ermöglichen728.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts I. Aufbereitung des aktuellen Meinungsstands und Schlussfolgerungen für die weitere Vorgehensweise Zur Entwicklung eines eigenen Standpunkts gilt es zunächst, den zuvor beschriebenen aktuellen Meinungsstand aufzubereiten, Gemeinsamkeiten zwischen Rechtsprechung und Literatur aufzuzeigen, aber auch die entscheidenden Streitfragen herauszuarbeiten, um dann Schlussfolgerungen für die weitere Vorgehensweise ziehen zu können. In der modernen Rechtsprechung729, die als erstes einer Wertung unterzogen werden soll, wird die gesetzgeberische Entscheidung für die Schuldtheorie in den §§ 16, 17 StGB, welche gem. Art. 1 Abs. 1 EGStGB auch für das Nebenstrafrecht, gem. § 369 Abs. 2 AO für das Steuerstrafrecht sowie kraft der eigenständigen Regelung in § 11 Abs. 1 und 2 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt730, als selbstverständlich vorausgesetzt. Klare allgemeingültige Abgrenzungskriterien, wann bei Fehlvorstellungen über außerstrafrechtliche Normen ein Tatbestandsirrtum gem. § 16 StGB oder Verbotsirrtum i. S. d. § 17 StGB greift, wurden jedoch trotz einer umfangreichen Kasuistik noch nicht ausformuliert. Unabhängig davon, ob das Tatsubjekt731, das Tatobjekt732, die Tathandlung oder deren sonstige Modalitäten733, 726 727 728 729 730 731 732 733

Heidingsfelder, a. a. O., S. 160 ff. Heidingsfelder, a. a. O., S. 162. Heidingsfelder, a. a. O., S. 166. Siehe oben Seiten 88 ff. Siehe oben Seiten 58 ff. Siehe oben Seiten 89 f. Siehe oben Seiten 90 ff. Siehe oben Seiten 92 ff.

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der Taterfolg oder der angestrebte Erfolg734 von nichtstrafrechtlichen Bezugsnormen beschrieben werden, finden sich jeweils beide Varianten. Die rechtliche Behandlung hängt also nicht von der Zuordnung unter eine bestimmte Kategorie ab. Da alle Tatbestandsmerkmale gleichwertig sind, schadet es auch nicht weiter, dass die Einordnung nicht immer eindeutig zu vollziehen war735; den Merkmalen kommt eher ordnende Funktion zu. Sachlicher Ertrag der Untersuchung auf verschiedenen Ebenen ist aber die Erkenntnis, dass sich ein Straftatbestand nicht immer homogen verhalten muss. So ist im Rahmen von § 242 StGB in Bezug auf die Regelungstechnik das Merkmal „fremd“ anders als das Merkmal „Sache“736, aber gleich wie „rechtswidrig“ bezogen auf die Zueignung737 zu verstehen. Bei § 370 AO unterscheiden sich die Ergebnisse, was den isolierten Irrtum über Anzeigepflichten738 und den Steuerverkürzungserfolg739 anbelangt. Dort, wo die Rechtsprechung beim Irrtum über ausfüllende abstrakte Rechtssätze einen Verbotsirrtum gem. § 17 StGB für gegeben ansieht, wird oft zur Begründung herangezogen, dass es sich bei der Strafnorm um ein „Blankettstrafgesetz“740 handele, welches im Sinne von Warda741 mit der Ausfüllungsnorm zusammen zu lesen ist. Meist sind die Ausfüllungsnormen verhaltenslenkend, zwingend ist dies jedoch nicht, was sich etwa beim Merkmal „Sache“ und § 90 BGB zeigt742. Auf den durch Blankett- und Ausfüllungsnorm gebildeten, i. E. eher deskriptiven Gesamttatbestand wird dann die Schuldtheorie angewendet. In den anderen Fällen ist regelmäßig davon die Rede, dass das durch außerstrafrechtliche Normen beschriebene Merkmal „zum Tatbestand gehöre“ und deshalb § 16 StGB zur Anwendung komme743. Da ein und derselbe Straftatbestand – wie oben gezeigt – sowohl Blankettmerkmale als auch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale enthalten kann, Auffüllungsnormen manchmal sogar ihrerseits ausgefüllt werden oder auf normative Tatsachen Bezug nehmen744, mag die pauschale Bezeichnung eines Straftatbestandes als Siehe oben Seiten 94 ff. Siehe oben Seite 88. 736 Siehe oben Seite 90. 737 Siehe oben Seite 95. 738 Siehe oben Seite 93. 739 Siehe oben Seite 95. 740 Vgl. als aktuelles Beispiel etwa BGH NStZ 2007, S. 644; siehe auch Seite 92, Fußnote 515; Seite 94, Fußnote 529. 741 Siehe oben Seite 95. 742 Zum Teil geht man (wegen § 90a BGB) zwar nur noch von einer zufälligen Parallelität des straf- und zivilrechtlichen Sachbegriffs aus. Siehe dazu aber Eser / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 242 StGB, Rn. 9; oben Seite 91, Fußnote 497. 743 Vgl. als aktuellere Beispiele etwa BGH StV 2000, S. 79; BGH NStZ-RR 1999, S. 6; BGH NStZ-RR 1997, S. 257; siehe auch Seite 95, Fußnote 536. 744 Vgl. etwa § 10 Abs. 1 SchwarzArbG i.V. m. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III i.V. m. § 284 Abs. 1 AufenthaltsG i.V. m. dem EU-Beitrittsvertrag vom 16. April 2003 (BGBl. 2003 II, S. 1408) oder § 4 Abs. 3 S. 2 AufenthaltsG. 734 735

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„Blankettstrafgesetz“ im Einzelfall freilich unglücklich sein. Für weitere begriffliche Unklarheiten sorgt (was auch schon Warda745 kritisiert hat), dass bei den durch Einzelakt auszufüllenden Tatbestandsmerkmalen ebenfalls von „Blanketten“746 die Rede ist, wenngleich insofern kein Zusammenlesen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Sanktionsnorm und des Subsumtionsstoffs der Ermächtigungsgrundlage stattfindet. Vielmehr wird dort regelmäßig ein Tatbestandsirrtum angenommen, wenn der Täter die konkrete für ihn bestimmte Einzelverfügung nicht kennt747. Das Steuerstrafrecht fällt darüber hinaus ganz allgemein aus der Reihe, es wird nämlich ebenfalls regelmäßig als „Blankettstrafrecht“ bezeichnet, obwohl, wie von mehreren Vertretern des Schrifttums zu Recht herausgestellt748, man für den Vorsatz, jedenfalls was den Steuerverkürzungserfolg bei § 370 AO anbelangt, generell die Kenntnis steuerlicher Rechtsfolgen verlangt749. Auch wenn der Gebrauch von Begrifflichkeiten also nicht ausnahmslos zweckmäßig und folgerichtig erscheint, ist die Irrtumsrechtsprechung hinsichtlich einzelner Tatbestände und Tatbestandsmerkmale durchaus berechenbar, aus der Sicht der Wissenschaft wird ihr sogar „Alltagsplausibilität“ bescheinigt750. Ebenfalls lässt es eine gewisse Stringenz vermuten, dass sich die Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt – bis auf wenige Ausnahmen751 – spiegelbildlich zu den zu §§ 16, 17 StGB gefundenen Ergebnissen verhält. Natürlich spielt diese in der forensischen Praxis, wie schon eingangs erwähnt752, aufgrund nicht immer vorhandener Versuchsstrafbarkeiten und eines generell reduzierten Strafverfolgungsinteresses kaum eine Rolle. 745 Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei Blankettstraftaten, S. 19; siehe auch oben Seite 95. 746 Vgl. Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei Blankettstraftaten, S. 6; Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rn. 110; Fischer, § 1 StGB, Rn. 5a; Buddendiek / Rutkowski, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Lexikon des Nebenstrafrechts, Stichwort: Blankettvorschriften; siehe allerdings Dannecker / Biermann, in: Immenga / Mestmäcker, Vor § 81 GWB, Rn. 36. 747 Siehe oben Seite 91, insbesondere Fußnoten 501 ff. 748 Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei Blankettstraftaten, S. 49 (vgl. auch oben Seite 95); T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 365 (vgl. auch oben Seite 111); Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 150 ff. (vgl. auch oben Seite 112); Tipke, Über Abhängigkeiten des Steuerstrafrechts vom Steuerrecht, Festschrift-Kohlmann, S. 555 (569). 749 Siehe oben Seite 95, insbesondere Fußnote 538. Von Blankettstrafrecht ist etwa die Rede in BVerfGE 37, S. 201 (204); BVerfG vom 16. Juni 2011, Az. 2 BvR 542 / 09; BGH NStZ 2007, S. 595; BGH NStZ 2008, S. 408 (409); BFH DStR 2000, S. 2128 (2129); BayObLG wistra 1992, S. 312; BayObLG wistra 1990, S. 202; LG Augsburg wistra 2007, S. 272; nicht jedoch in BGHSt 5, S. 90 (92); BGHSt 29, S. 152; BGH wistra 1986, S. 174; BGH wistra 1986, S. 220; BGH wistra 1989, S. 263; offengelassen in BVerfG vom 29. April 2010, Az. 2 BvR 871 / 04, 2 BvR 414 / 08. 750 Haft, Grenzfälle des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale, JA 1981, S. 281 (282 f.). 751 Siehe etwa oben Seite 93. 752 Siehe schon Seite 40.

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Im Schrifttum werden Begrifflichkeiten noch uneinheitlicher verwendet, als es bei den Gerichten der Fall ist, was zu erheblichen Unsicherheiten führt. Haft konstatiert deshalb völlig zu Recht, wenn auch selbstkritisch, es bestehe in der Irrtumslehre Bedarf an vielem, nicht jedoch an einer neuen Terminologie753. Regelmäßig gebraucht wird zwar auch hier der Begriff des „Blanketts“754, der sich meist mit dem der Rechtsprechung deckt. Von normalen Blankettengesetzen abzugrenzen sind nach einer Meinung allerdings solche, die der Gesetzgeber „offen“755 formuliert hat, nach einer anderen Meinung die, bei denen erst der Ausfüllungsnorm die Funktion der Unrechtstypisierung zukommt756. Dem „Blankett“ ansonsten gegenübergestellt wird das „rechtlich-institutionelle Merkmal“757, welches dem „rechtsnormativen Tatbestandsmerkmal“ entspricht. Dieses nimmt – durchaus treffend – auf einen außerstrafrechtlichen „Regelungseffekt“758 Bezug oder unter der Bezeichnung „Verweisungsbegriff“ auf „Vorfeldnormen“759. Kennengelernt haben wir des Weiteren „unrechtsbestimmende“ und „gesamttatbewertende Merkmale“760, „reine Sammelbegriffe“761, die „teleologisch-reduzierte Sachverhaltssicht“762 sowie – ebenfalls ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung vorwegnehmen zu wollen – „gegenstandsbezogene“ und „begriffsbezogene Fehlvorstellungen“763, „statische“ und „dynamische Normierungen“764 sowie „normbereichsbestimmende“ und „normbereichsneutrale Vorfeldnormen“765. Durchgängig ist also zu beobachten, dass es an eigens eingeführten und dennoch zum Teil synonymen Terminologien nicht mangelt. Der Sache nach besteht hinsichtlich rechtsnormativer Tatbestandsmerkmale mit der Rechtsprechung weitestgehend (sieht man von Safferling und B. Heinrich766 ab) Haft, JA 1981, S. 281 (285). Siehe etwa oben Seiten 95, 98, 103. 755 Siehe oben Seite 107. 756 Siehe oben Seiten 97 f. 757 Siehe oben Seite 103. 758 Siehe oben Seite 105. 759 Siehe oben Seite 107. 760 Siehe oben Seite 96. 761 Siehe oben Seiten 98 und 107. 762 Siehe oben Seite 100. 763 Siehe oben Seite 100. 764 Siehe oben Seite 101. 765 Siehe oben Seite 114. 766 Siehe oben Seiten 112 f. Dem insofern m. E. entscheidenden Problem, inwieweit es z. B. bei den §§ 242 ff. StGB überhaupt realistisch erscheint, dass der Täter über die notwendigen Tatsachenkenntnisse (Umstände des Eigentumserwerbs etc.) verfügt, welche für eine zutreffende außertatbestandliche Subsumtion erforderlich sind (eine solche wäre nach den Lösungsmodellen Safferlings und B. Heinrichs doch konsequenterweise zu fordern), gehen beide Autoren nicht nach. Zudem dürften sich die Ansätze bei Tatbeständen mit einem doch eindeutigen Ungehorsamsmoment, wie der Strafvereitelung im Amt gem. §§ 258a, 13 StGB oder der 753 754

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Einigkeit, dass der Täter die außertatbestandliche Rechtsfolge mit in seinen Vorsatz aufgenommen haben muss. Besondere Kenntnisse, wie man z. B. zivilrechtlich zu dieser Rechtsfolge gelangt, sind dagegen nach der ganz herrschenden Meinung nicht notwendig. Auch Kenntnisse der zugrundeliegenden Tatsachen – etwa die Umstände beim Eigentumserwerb gem. § 929 BGB – werden nicht gefordert767, jedenfalls solange es um die Prüfung eines vollendeten Delikts geht768. Bei Blankettstraftatbeständen ist man sogar ausnahmslos mit der Rechtsprechung einer Meinung, dass belastende Fehlvorstellungen über Ausfüllungsnormen auf keinen Fall eine Versuchsstrafbarkeit begründen können, sondern zum Wahndelikt führen769. Dort, wo man zu anderen Ergebnissen als die Rechtsprechung kommen möchte, neigt das Schrifttum fast durchgehend zu strafbarkeitseinschränkenden Lösungen: Dies zeigt sich zum einen beim Irrtum des Täters, der objektiv tatbestandsmäßig handelt. Rechtliche Fehlbewertungen zu seinen Gunsten sollen beim Irrtum über blankettausfüllende Normen weit häufiger, sei es nach Tiedemann770, Puppe771, T. Walter772, aber auch Dannecker773, Jenny (aus schweizerischer Sicht)774, Enderle775, Dietmeier776 und jüngst Fakhouri Gómez (aus spanischer Sicht)777 sowie mit Einschränkungen auch Kuhlen778, zum Vorsatzausschluss führen, als es nach der Rechtsbeugung gem. § 339 StGB, kaum durchhalten lassen (den Staatsanwalt oder Richter, der rechtsirrig von der Verjährung einer Straftat ausgeht und deshalb das Verfahren einstellt, wird man wohl kaum einen Vorsatzvorwurf machen wollen, um ihn dann auf Schuldebene auf § 17 StGB zu verweisen). Zu diesen Punkten siehe Seiten 126, 163 ff., 169 ff. (insb. 170, 171, 175, 180), 183 ff. 767 So ausdrücklich etwa bei Schlüchter, Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, S. 119 ff. (vgl. oben Seite 101); Puppe, GA 1990, S. 145 (157, 168); dies., Vorsatz und Rechtsirrtum, Festschrift-Herzberg, S. 275 (277) (vgl. auch oben Seite 104); Schmitz, Die Abgrenzung von strafbarem Versuchen und Wahndelikt, Jura 2003, S. 593 (597); Streng, Das „Wahndelikt“ – ein Wahn?, GA 2009, S. 529 (530 f.); ausdrücklich anders wohl nur Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 148. 768 Nach Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 42 setzt dagegen bekanntermaßen der untaugliche Versuch eines Eigentumsdelikts sowohl die fehlerhafte Annahme der Fremdheit der Sache als auch die Vorstellung von Tatsachen, die auch objektiv eine entsprechende Bewertung zulassen, voraus (vgl. oben Seite 106). Für gegenteilige Rechtsprechungsbeispiele vgl. oben Seite 90, Fußnote 492 und Seite 95, Fußnote 539. 769 Vgl. Schmitz, Jura 2003, S. 593 (599). 770 Siehe oben Seite 98. 771 Siehe oben Seite 103. 772 Siehe oben Seite 111. 773 Dannecker, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 1. Kap., Rn. 39 f. 774 Jenny, Tatbestands- und Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, SchwZStr 107 [1990], S. 241. 775 Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 340 ff. 776 Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 239. 777 Fakhouri Gómez, Vorsatztheorie vs. Schuldtheorie, GA 2010, S. 259. 778 Siehe oben Seite 101.

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Rechtsprechung der Fall ist. Erst recht gelangt man zu diesem Ergebnis, wenn man wie Otto und Herzberg779 generell eine modifizierte Vorsatztheorie anwenden möchte. Übrig bleibt nach all diesen Ansätzen ein bloßer Fahrlässigkeitsvorwurf, der meistens jedoch keiner Strafbarkeit unterliegt. Zum anderen spricht man – hier allen voran Burkhardt780, im Ergebnis aber auch Jakobs781, Zaczyk782, Streng783 und andere – belastenden rechtsnormativen Fehlannahmen des objektiv nicht tatbestandsmäßig Handelnden tendenziell jegliche Vorsatzrelevanz ab und gelangt so in Ablehnung des untauglichen Versuchs zum Wahndelikt. Eine faktische Meistbegünstigung der Betroffenen trägt sicherlich dem ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts vollauf Rechnung. Den genannten strafbarkeitsbeschränkenden Lösungsansätzen oder einer Kombination derselben vermag man aber vor allem auch deshalb Vorschusssympathien entgegenbringen, weil sie die Abgrenzungsprobleme der Rechtsprechung vermeiden und scheinbar in der Lage sind, eindeutigere Ergebnisse zu liefern. Bietet sich also prima facie die Chance, auf eine komplizierte Unterscheidung zwischen Blankett- und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen nahezu gänzlich verzichten zu können, ohne dass sich dies zu Lasten der Betroffenen auswirkt, soll all diesen Ansätzen die erste Aufmerksamkeit gehören. Scheitert dieses Anliegen, wird zu prüfen sein, ob sich nicht doch handfeste Kriterien zur Abgrenzung finden lassen. Als alleiniges Argument für eine in beiderlei Hinsicht tätergünstige Lösung werden Schlagwörter wie „in dubio pro libertate“ oder „in dubio mitius“ allerdings nicht genügen, insbesondere da es hier um Rechtsfragen geht784. Damit bedarf vor allem das bereits angedeutete Problem, ob tendenziell strafbarkeitsverneinende Lösungsansätze überhaupt logisch miteinander kombinierbar sind, einer eingehenden Klärung. Erzielt etwa Kuhlen seine die „Härten der Schuldtheorie“ abmildernden Ergebnisse dadurch, dass er den Irrtum über blankettausfüllende Normen regelmäßig als außerstrafrechtlich bezeichnet785, entlastenden Irrtümern also meist Vorsatzrelevanz zuspricht, indem er die zugehörigen Blankettverweisungen „dynamisch“ und nur ausnahmsweise „statisch“ deutet, müsste dies nach herkömmlichem Verständnis im umgekehrten Fall zu einer (hier unerwünschten) Erweiterung der Versuchsstrafbarkeit führen. Fraglich ist deshalb zunächst, ob es gelingt, einen solchen Zusammenhang der Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des unSiehe oben Seite 108. Siehe oben Seite 113. 781 Siehe oben Seite 106. 782 Zaczyk, in: Nomos-Kommentar, § 22 StGB, Rn. 37, 48 f. 783 Streng, Das „Wahndelikt“ – ein Wahn?, GA 2009, S. 529. 784 Vgl. Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 1 StGB, Rn. 51; von Heintschel-Heinegg, in: von Heintschel-Heinegg, § 1 StGB, Rn. 24; siehe dagegen Dubber, Einführung in das USamerikanische Strafrecht, S. 15 f. zu entsprechenden Ansätzen im US-amerikanischen Strafrecht. 785 Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum, S. 386, 420 ff.; siehe oben Seite 103. 779 780

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tauglichen Versuchs vom Wahndelikt zu widerlegen – etwa durch zusätzliche objektive Wertungskriterien im Rahmen der Versuchsstrafbarkeit786. Dann wäre der Weg für versuchs- bzw. vollendungsspezifische Lösungen offen, die Ansätze ließen sich frei und asymmetrisch miteinander kombinieren. Bestätigt sich dagegen die herkömmliche gegenteilige Auffassung, kommen nur problemübergreifende Ansätze in Betracht.

II. Untersuchung des Zusammenhangs der Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt 1. Beschränkung der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs als faktische Annäherung an die objektive Versuchstheorie Auf Basis der §§ 22, 23 StGB wird die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, abgesehen vom Fall mangelnder Tätereigenschaften787, nur von sehr wenigen788 grundsätzlich bestritten, ebenso die Straflosigkeit des Wahndelikts in Bezug auf blankettausfüllende Normen. In den Fällen jedoch, bei denen die Rechtsprechung allein deshalb vom Vorhandensein eines Tatentschlusses ausgeht, weil sich der Täter Rechtsfolgen einbildet, die das Vorliegen eines rechtsnormativen Tatbestandsmerkmals begründen würden789, stellt sich bei gewichtigen Vertretern des Schrifttums „Unbehagen“ ein, wenn Handlungen bestraft werden sollen, die zur Tatbestandserfüllung schlechthin untauglich sind790. Dies drückt Burkhardt besonders pointiert aus, indem er die Strafverfolgungsbehörden eben mit „wichtigeren Aufgaben“ betraut sehen will als der Verfolgung von Rechtsirrenden791. Ein Bestrafungsbedürfnis sei nicht vorhanden, schließlich lerne der Täter so nichts über die Strafnorm792. Kuhlen vermeidet eine erweiterte Versuchsstrafbarkeit bei „dynamischen 786 Auch Kuhlen, a. a. O., S. 558 ff., insb. S. 565 f. spricht zwar beim belastenden Irrtum vom Wahndelikt, diese Qualifikation macht er jedoch am objektiven Wertungskriterium der „rechtlichen“ Untauglichkeit fest. So auch die Analyse von Endrulat, Der „Umgekehrte Rechtsirrtum“, S. 182. 787 Vgl. etwa oben Seite 106; siehe ferner die Nachweise bei Eser, in: Schönke / Schröder, § 22 StGB, Rn. 75. 788 Bottke, Untauglicher Versuch und freiwilliger Rücktritt, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band IV, S. 135 hält § 22 StGB allerdings in der Form für verfassungswidrig. Siehe für weitere Kritiker auch die Nachweise auf Seite 79, Fußnote 391 sowie die folgenden Ausführungen. 789 Vgl. etwa oben Seite 90, Fußnote 492 und Seite 95, Fußnote 539. 790 So die zutreffende Beobachtung von Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 68, 77 und Schmitz, Die Abgrenzung von strafbarem Versuchen und Wahndelikt, Jura 2003, S. 593 (598). 791 Burkhardt, JZ 1981, S. 681 (688), siehe oben Seite 113. Auch Fuchs, Österreichisches Strafrecht, AT I, 30. Kap., Rn. 7 betont, dass durch eine zu weite Umschreibung der Versuchsstrafbarkeit in der Praxis lediglich das Dunkelfeld unentdeckter Delikte vergrößert werde. 792 Burkhardt, JZ 1981, S. 681 (685).

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Normierungen“ mit dem Hinweis, dass der außerstrafrechtlich untaugliche Versuch mangels Gefährdung der wirklichen Rechtsordnung straflos sei793. Was rechtliche Fehlvorstellungen im Vorfeld des Tatbestandes anbelangt, findet also eine Annäherung an die für Deutschland historische, im Ausland durchaus noch relevante objektive Versuchstheorie794 statt. Das kriminalpolitisch erwünschte Ergebnis wird allerdings dadurch erreicht, dass man schon den Tatentschluss verneint. So geschieht es bei Burkhardt, der in der rechtsirrigen Annahme eines normativen Tatumstandes keinen „deliktischen“ Vorsatz erkennt. Auch Jakobs verlangt für den Versuchsvorsatz eines Eigentumsdelikts sowohl die fehlerhafte Annahme der Fremdheit der Sache als auch die Vorstellung von Tatsachen, die auch objektiv eine entsprechende Bewertung zulassen795, da sonst kein Normgeltungsschaden eintrete. Zaczyk hält es zwar durchaus für denkbar, bei Eigentums- und Vermögensdelikten irrtümlichen Sachverhaltsannahmen Unrechtsrelevanz zuzusprechen796, möchte aber – damit das Ergebnis nicht allzu sehr vom Aussageverhalten des Beschuldigten abhängt797 – vom Wahndelikt ausgehen, wenn kein konkretes Rechtsverhältnis zur angegriffenen Person besteht798. Auch Streng verlangt für den Tatentschluss die rechtliche „Vollendbarkeit der vorgestellten Tat“799. Eser hält Strafbarkeitsbegrenzungen ebenfalls für sinnvoll und führt den Vorzug der Einfachheit und Klarheit bei genereller Annahme eines Wahndeliktes an800. Der wesentliche Unterschied zu den historischen und den ausländischen Lehren besteht also darin, dass die objektiven Theorien des deutschen historischen Schrifttums beim absolut untauglichen Versuch den Vorsatz keinesfalls verneint haben, sondern die Strafbarkeit am objektiven Versuchselement, etwa am „Anfang der Ausführung“ gem. § 43 RStGB, scheitern ließen801. Ebenfalls nicht am Fehlen des Vorsatzes, sondern an objektiven Maßstäben liegt es, wenn im Ausland etwa nach Art. 49.2 Codice Penale802 der untaugliche Versuch gar nicht strafbar ist, nach 793 Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum, S. 558 ff., insb. S. 565. Siehe dazu oben Seite 103. 794 Siehe oben Seiten 55 f. 795 Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 42 (vgl. oben Seite 106). 796 Zaczyk, in: Nomos-Kommentar, § 22 StGB, Rn. 37, 49; ders., Das Unrecht der versuchten Tat, S. 256 ff., 261 ff. Auf S. 265 bejaht er sogar noch für OLG Stuttgart NJW 1962, S. 65, wo es um den Verkauf einer unwirksam sicherungsübereigneten Sache ging (siehe oben Seite 90, Fußnote 492), den Versuch, da der Sachverhalt auf einem Sachverhalt, der äußerlich dem Merkmal „fremd“ angeglichen ist, „aufruht“. 797 Siehe dazu schon oben Seite 41. 798 Zaczyk, in: Nomos-Kommentar, § 22 StGB, Rn. 37, 49. 799 Streng, Das „Wahndelikt“ – ein Wahn?, GA 2009, S. 529 (534). Für faktisch Unmögliches soll demnach § 23 Abs. 3 StGB seinen Anwendungsbereich behalten. 800 Eser, in: Schönke / Schröder, § 22 StGB, Rn. 89. 801 Siehe oben Seiten 55 f.; vgl. auch Herzberg, Das Wahndelikt in der Rechtsprechung des BGH, JuS 1980, S. 469 (479). 802 Siehe oben Seite 84.

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§ 15 Abs. 3 ÖStGB 803 oder Madde 35 Türk Ceza Kanunu804 zumindest bei rechtlicher Aussichtslosigkeit des Unterfangens und der damit zweifelsfrei feststehenden805 absoluten Untauglichkeit des Versuchs die Strafbarkeit gänzlich ausscheidet oder bis Ende 2007 nach Art. 23 Abs. 1 SchweizStGB a. F.806 die Strafe nach freiem Ermessen gemildert wurde. Der untaugliche Versuch wird dadurch aber nicht zum Wahndelikt, wie Hager und Massauer zu Recht herausstellen807; beide Konstellationen laufen nur auf das gleiche Ergebnis und zwar Straflosigkeit hinaus, so dass es in Italien808, Österreich und der Türkei eben keiner Abgrenzung bedarf. Gleiches gilt im Übrigen auch in Deutschland für die Fälle, in denen nach § 23 Abs. 1 StGB keine Versuchsstrafbarkeit gegeben ist809. Dennoch würde niemand die versuchte Untreue als Wahndelikt bezeichnen, nur weil sie vom Gesetzgeber für nicht strafwürdig befunden wurde.

2. Problem der Vereinbarkeit strafbarkeitsbeschränkender Ansätze mit §§ 22, 23 StGB Für die unter § 23 Abs. 1 StGB fallenden Delikte gibt die deutsche Rechtsordnung vor, dass es nach § 22 StGB allein auf die „Vorstellung“ des Täters „von der Tat“ ankommt. Der untaugliche Versuch ist also generell strafbar; nur im Sonderfall des § 23 Abs. 3 StGB kann von Strafe abgesehen werden. Dies ist der Grund für das Anliegen in der Literatur, nicht jedem Vorfeldirrtum eine vorsatzbegründende Wirkung beizumessen, also das kriminalpolitisch erwünschte Ergebnis der Straflosigkeit wenigstens bei außertatbestandlichen Rechtsirrtümern durch Verneinung des Tatentschlusses zu erreichen. Zurückzuführen ist dies aber auf die allgemeine Unzufriedenheit mit der umfassenden Strafbarkeit des untauglichen Versuchs in der Bundesrepublik810, die so, wie oben anhand der Darstellung ausländischer Rechtsordnungen gezeigt811, kriminalpolitisch keinesfalls zwingend ist. Die Unzufriedenheit manifestiert sich auch in verschiedenen weitergehenden Überlegungen aus dem modernen Schrifttum, wie denen von Hirsch, der generell für ein „unmittelbares AnSiehe oben Seite 82. Siehe oben Seite 84. 805 Insofern erzielt man keine unterschiedlichen Ergebnisse, egal ob man die Untauglichkeit aus der ex ante- oder ex post-Perspektive bestimmt. Siehe oben Seiten 55 und 82. 806 BGE 90 IV, S. 190 (194); BGE 106 IV, S. 254 (256). 807 Hager / Massauer, in: Wiener Kommentar, §§ 15, 16 StGB, Rn. 125. 808 Die Verhängung von Sicherungsmaßnahmen nach Art. 49.4 Codice Penale (siehe oben Seite 84) dürfte bei wirtschafts- und steuerstrafrechtlichen Angelegenheiten regelmäßig ohnehin nicht in Betracht kommen. 809 Siehe auch schon oben Seite 40. 810 So auch Schmitz, Die Abgrenzung von strafbarem Versuchen und Wahndelikt, Jura 2003, S. 593 (598). 811 Siehe oben Seiten 80 ff. und das Zwischenfazit auf Seite 87. 803 804

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setzen“ über den Wortlaut von § 22 StGB hinaus konkrete Gefährlichkeit812 verlangt und in § 23 Abs. 3 StGB nur den Sinn sieht, „ärgerlichsten Konsequenzen“ einer subjektiven Auslegung vorzubeugen813. Zu nennen sind auch Köhler, der für den aus ex ante-Sicht untauglichen Versuch das Versuchsunrecht verneint814, freilich aber einräumt, dass die positivrechtliche Regelung davon abweicht815, oder Zaczyk, wenn er etwa bei Delikten gegen die Person für den Versuch ein wirkliches und nicht nur eingebildetes Interaktionsverhältnis mit dem Opfer verlangt816. Letztere berufen sich dabei wiederum auf Kants Autonomie des Einzelnen817 und die darauf aufbauenden Einsichten Fichtes zum Selbstbewusstsein818, welches sich erst dann realisiert, wenn mehrere wechselseitig als autonome Individuen in Kontakt treten. Entsprechend geht es auch Jakobs819 eigentlich vor allem um die Rehabilitation der „übereilt“ verabschiedeten Lehre vom Mangel am Tatbestand820. Das geltende Recht sei insofern zu weit, als dass die Versuchsformel des § 22 StGB ein unmittelbares Ansetzen des Täters „nach seiner Vorstellung“ ausreichen lasse821. Was sich allein im Internbereich des „Bürgers“ abgespielt habe, stelle die Normgeltung nicht öffentlich in Frage und müsse deshalb im „Bürgerstrafrecht“ unbeachtet bleiben, solange es zu keinem extern störenden, „sich fremde Organisation anmaßenden“ Verhalten gekommen sei822. Soweit die genannten Ansätze für sich in Anspruch nehmen, auch eine Aussage über die Strafbarkeit nach bestehender Rechtslage treffen zu wollen, müssen sie 812 Siehe auch die rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Beispiele auf Seiten 55 f., 82 und 84 sowie Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 135 ff. 813 Hirsch, Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht, Festschrift-Roxin (70. Geb.), S. 711 (719, 727); vgl. auch ders., Die subjektive Versuchstheorie, ein Wegbereiter der NS-Strafrechtsdoktrin, JZ 2007, S. 494 (502). Siehe dazu auch oben Seite 79, Fußnote 391. Roxin, Strafrecht AT II, § 29, Rn. 57 bemerkt dazu zu Recht, dass der von Hirsch mit Abscheu zurückgewiesene Standpunkt der des Gesetzes ist. Vgl. allerdings wiederum Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 148 ff. 814 Köhler, Strafrecht AT, S. 456 ff. Siehe auch schon oben Seiten 55 f., 82 und 84. 815 Köhler, Strafrecht AT, S. 462 f. Im Ergebnis bezweifelt auch Roxin, Strafrecht AT II, § 29, Rn. 23 f., 53 die Strafwürdigkeit, er unterscheidet nur deutlicher zwischen tatsächlicher und anzustrebender Rechtslage. 816 Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 255; ders., in: Nomos-Kommentar, § 22 StGB, Rn. 37, 48 f. Der Schuss auf einen Toten ist demnach keine versuchte Tötung. So auch Rath, Grundfälle zum Unrecht des Versuchs, JuS 1998, S. 1106 (1112). Siehe auch schon oben Seite 122. 817 Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 130 ff.; Köhler, Strafrecht AT, S. 458. 818 Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 154 ff.; Köhler, Strafrecht AT, S. 458. 819 Vgl. auch oben Seiten 106 und 122. 820 Jakobs, Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung, ZStW 97 [1985], S. 751 (759). Siehe zur historischen Lehre oben Seite 55. 821 Jakobs, ZStW 97 [1985], S. 765. 822 Jakobs, ZStW 97 [1985], S. 751 (755, 765, 784 f.). Auch den Schlag ins leere Gebüsch, um ein Kind zu treffen, den Versuch jemanden mit Kochsalz zu vergiften etc. hält er für nicht strafwürdig (ders., a. a. O., S. 764). Zum Konzept des „Bürgerstrafrechts“ nach Jakobs vgl. auch Morguet, Feindstrafrecht – eine kritische Analyse, S. 23 ff.

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sich allerdings vorwerfen lassen, dass im Wortlaut des § 22 StGB weder konkrete Gefährlichkeiten823 oder echte Interaktionsverhältnisse (in Abgrenzung zu den bloß eingebildeten) noch die ex ante-Sicht eines verständigen Dritten824 als Wertungskriterium genannt werden, sondern eben nur die ex ante-Sicht des Täters825.

3. Identität der inhaltlichen Anforderungen an Vorsatz und Tatentschluss Vor allem ist jedoch das Ziel, generelle Straflosigkeit für die Fälle zu erreichen, bei denen der Versuch wegen der der Strafnorm vorgelagerten Rechtslage aussichtslos ist, auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes nicht zu erreichen. Alle Ansätze, die auf das angebliche Nichtvorliegen eines vollständigen Tatentschlusses rekurrieren, laufen nämlich darauf hinaus, dass man den Kreis der Merkmale, die der subjektive Tatbestand für vollendete und versuchte Delikte voraussetzt, unterschiedlich weit ziehen müsste. Die inhaltlichen Anforderungen an den Tatentschluss des versuchten Delikts sind jedoch mit denen, die an den Vorsatz des vollendeten Delikts zu stellen sind, identisch. Sie werden durch das maßgebliche Strafgesetz und seine Auslegung bestimmt und müssen für alle Anwendungsfälle gleich sein826. Die vollendete Tat und der Versuch unterscheiden sich also nicht von der inneren, sondern ausschließlich von der äußeren Tatseite her, indem das den Vorsatz bzw. Tatentschluss konstituierende Vorstellungsbild des Täters einmal in vollem Umfang und einmal nicht (oder nur teilweise) den realen Gegebenheiten entspricht. Andernfalls würde sich schon bei einem erfolgstauglichen Verhalten die ungereimte Konsequenz einstellen, dass das Delikt aufgrund einer Differenzierung im subjektiven Tatbestand in eine im Versuch strafbare und eine im Versuch straflose Variante aufgespalten würde. Im ersten Fall wäre die Schwelle der Strafbarkeit schon beim „unmittelbaren Ansetzen“ i. S. d. § 22 StGB überschritten, im zweiten Fall erst bei Vollendung. Dass dies nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand. Für die im Rahmen dieser Arbeit zu diskutierenden Sachverhalte, bei denen der Versuch von vornherein aussichtslos ist, kann aber auch nichts anderes gelten als der für alle Anwendungsfälle einheitliche Maßstab.

Siehe auch oben Seite 79. Roxin, Strafrecht AT II, § 29, Rn. 57. 825 Herzberg, Zur Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, GA 2001, S. 257 (258) bemerkt dazu etwas überspitzt, dass „es die geltenden Gesetze und nicht Kant und Fichte sind, die über Recht und Unrecht entscheiden“. Dieser Vorwurf ist natürlich dann ungerecht, wenn die Autoren klar zwischen Strafbarkeit nach geltendem Recht und Strafwürdigkeit nach eigener Überzeugung unterscheiden. Ohne dass das positive Recht immer wieder in Frage gestellt würde, gäbe es schließlich keinen rechtspolitischen Fortschritt. 826 Puppe, Vorsatz und Rechtsirrtum, Festschrift-Herzberg, S. 275 (288). Siehe auch schon oben Seiten 103 f. Vgl. auch Weidemann, Der Irrtum über die Steuerrechtslage, FestschriftHerzberg, S. 299 (304). 823 824

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Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen kommt es nach zutreffender und im Falle des vollendeten Delikts ganz herrschender Ansicht827 darauf an, dass der Täter die jeweils maßgebliche außerstrafrechtliche Rechtsfolge kennt oder zumindest billigend in Kauf nimmt. Er muss bei Eigentumsdelikten wissen, dass die Sache zumindest auch einem anderen gehört828. Irrelevant sind dagegen die genauen zivilrechtlichen Grundlagen für den Eigentumserwerb829 einschließlich des Wissens um das Abstraktionsprinzip. Der Täter braucht auch nicht die zugehörigen tatsächlichen Vorgänge in irgendeiner Weise, wenn auch nur in der Laiensphäre, nachvollzogen haben. Es wäre sogar völlig lebensfremd, entsprechende Kenntnisse zu fordern830. Die tatsächlichen Umstände beim Eigentumserwerb, die wie auch immer gearteten „Übereignungsriten“831, spielen für die soziale Wirklichkeit des Eigentums schließlich keine Rolle. Sie dürften dem Täter in den seltensten Fällen bekannt sein. Deshalb können doch einmal vorliegende, aber fehlerhafte Vorstellungen von der diesbezüglichen Faktenlage auch nicht schaden, selbst wenn sie hypothetisch einer Fremdheit entgegenstünden832. Aus diesem Grund geht auch die Substituierbarkeitsthese von Burkhardt fehl, nach der die gesamte Eigentumslehre blankettartig in das Merkmal „fremd“ hineinzulesen wäre833. Beim Versuch kann man im Rahmen des Tatentschlusses zwar nicht von „Kenntnissen“ sprechen834, da die innere Tatseite gerade von der Wirklichkeit abweicht. Ansonsten wäre es aus den genannten Gründen aber unzulässig, etwa bei unvollendet gebliebenen Eigentumsdelikten mehr zu verlangen als die Vorstellung, die Sache gehöre einem anderen. Entsprechend muss sich der Täter bei einem erfolgsuntauglichen Verhalten, wenn der Versuch wegen der der Strafnorm vorgelagerten Rechtslage aussichtslos ist, keine Vorstellungen darüber machen, wie das vom ihm fälschlicherweise angenommene, tatbestandlich aber relevante Rechtsverhältnis anSiehe oben die Zusammenfassungen auf Seiten 116, 118 f. Vgl. Schmitz, in: Münchener Kommentar, § 242 StGB, Rn. 104; Wessels / Hillenkamp, Strafrecht BT 2, Rn. 124; siehe auch oben Seite 119. 829 Puppe, Festschrift-Herzberg, S. 275 (288). 830 Anders aber Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 148; siehe bereits oben Seite 112. 831 Vgl. Jakobs, Bemerkungen zur subjektiven Tatseite der Untreue, Festschrift-Dahs, S. 49 (53). 832 Man denke etwa an das Beiseiteschaffen (§ 246 StGB) eines wirksam sicherungsübereigneten Fahrzeugs: Wenn der Täter weiß, dass der Wagen „der Bank gehört“, ist dies völlig ausreichend, auch wenn er glaubt, dass relevanter Umstand für den Eigentumsübergang die Übergabe der Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) gewesen sei. Irrelevant ist dagegen, wenn er das Vertragsdokument nicht richtig gelesen hat und fest davon ausgeht, dort sei ausschließlich von „Übereignung“ die Rede gewesen (in Wahrheit aber zusätzlich Vereinbarung des erforderlichen Besitzmittlungsverhältnisses nach § 930 BGB). Anders wohl Streng, Das „Wahndelikt“ – ein Wahn?, GA 2009, S. 529 (537), jedenfalls für den Fall des Versuchs. 833 Burkhardt, Rechtsirrtum und Wahndelikt, JZ 1981, S. 681 (687); siehe auch oben Seite 114. Zur zutreffenden Annahme eines Wahndelikts bei Blankettnormen siehe dagegen oben Seite 119. 834 Vgl. Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 36. 827 828

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geblich begründet wurde. Woraus sich der belastende Irrtum des Täters speist, ob ihm rechtliche oder tatsächliche Fehlannahmen vorgelagert sind, ist also völlig irrelevant. Auch Art. 103 Abs. 2 GG hindert die Annahme eines tatbestandsmäßigen Vorsatzes nicht835, denn die Verfassungsnorm bezieht sich nicht auf das Vorfeld der Strafnorm836, was in Abschnitt B des zweiten Teils dieser Arbeit noch zu vertiefen sein wird837. 4. Fehlende Durchschlagskraft kriminalpolitischer Argumente – mangelnde Trennbarkeit tatsächlicher und rechtlicher Vorfragen Es macht zudem auch wertungsmäßig keinen Unterschied, aus welchem Grund der Täter etwa eine Sache irrig als fremd bezeichnet. Ob er aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen zum Schluss kommt, die Sicherungsübereignung eines in Wahrheit noch ihm gehörenden Kraftfahrzeugs sei wirksam vollzogen838, sei es, weil er das Abstraktionsprinzip nicht kennt oder weil er sich tatsächlich einbildet, man habe ein Besitzmittlungsverhältnis nach § 930 BGB vereinbart, ändert nichts an der Qualität seines Tatentschlusses. Das Gleiche gilt, wenn er – aus welchen Gründen auch immer – den Voreigentümer fälschlicherweise für geschäftsunfähig839 oder den Vermächtnisnehmer für den Miterben840, einen Vermögensschaden841 für eingetreten oder die beabsichtigte Zueignung oder Bereicherung842 für rechtswidrig hält. Jenseits der Eigentums- und Vermögensdelikte ist es ebenso bei der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten gleichbedeutend, ob man die Freibetragsgrenzen der Erbschaftssteuer oder den wirtschaftlichen Wert des Nachlasses falsch einschätzt843. Entsprechend zu beantworten ist die Frage der zu berücksichtigenden Aktiva und Passiva für die Überschuldung beim Bankrott gem. § 283 StGB, dessen Versuchsstrafbarkeit wegen § 283 Abs. 6 StGB vor allem dann relevant wird, wenn der wirtschaftliche Zusammenbruch zwar eingetreten ist, 835 So Burkhardt, Zur Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt im Steuerstrafrecht, wistra 1982, S. 178 (181); Endrulat, Der „Umgekehrte Rechtsirrtum“, S. 276 ff.; vgl. auch Streng, GA 2009, S. 529 (539 f.); siehe ferner oben Seiten 113 f. 836 BVerfGE 78, S. 205 (Uracher Hortfund). 837 Siehe Seiten 294 ff. 838 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1962, S. 65 (siehe oben Seite 90, Fußnote 492), wo es – anders als im in Fußnote 832 (S. 126) genannten Beispiel – wirklich an der Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses nach § 930 BGB fehlte. 839 Vgl. Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im Steuerstrafrecht, S. 106. 840 Vgl. Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 67, 69. 841 BayObLG NJW 1955, S. 1567; siehe oben Seite 94, Fußnote 534. 842 BGHSt 42, S. 268 (272 f.); LG Mannheim NJW 1995, S. 3398 (3399); siehe auch oben Seite 95, Fußnote 537. 843 Vgl. Herzberg, Rechtsirrige Annahme einer Straftatbegehung, GedächtnisschriftSchlüchter, S. 189 (199).

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eine Krise im Tatzeitpunkt aber nicht beweisbar ist, obwohl der Täter sie damals schon billigend in Kauf nahm. Tatsächliche und rechtliche Vorfragen lassen sich dann nicht einmal klar voneinander abgrenzen; so ist der wirtschaftliche Wert eines Nachlasses oder der eines Betriebsvermögens wiederum von rechtlichen Gesichtspunkten abhängig, wenn es z. B. um die richtige Behandlung von streitigen Verbindlichkeiten, Pensionsrückstellungen und immateriellen Gütern, die Tatsache der Vereinbarung einer wirksamen Rangrücktrittserklärung bei Gesellschafterdarlehen844 oder allgemein die Verität und Durchsetzbarkeit ausstehender Kunden-, Versicherungs- oder Schadensersatzforderungen bzw. all deren Beurteilung nach den §§ 252 ff. HGB und den sonstigen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) geht845. Eine Bestrafung des Täters wegen untauglichen Versuchs ist in den oben genannten Fällen kriminalpolitisch sicherlich nicht dermaßen zwingend, wie es etwa beim Tötungsversuch an einer Leiche846 regelmäßig der Fall ist. Bei dem lehrbuchmäßigen Schuss auf eine Vogelscheuche oder eine Schaufensterpuppe847 dürfte das Urteil schon weniger eindeutig ausfallen. Der Sache nach völlig unangemessen ist die Bestrafung untauglicher Handlungen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht im Vergleich dazu jedenfalls nicht. Vor allem aber hängt das Strafbedürfnis bzw. die Beantwortung der Frage, inwieweit die aus dem Wirtschafts- und Steuerstrafrecht stammenden Beispiele geeignet sind, das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung zu erschüttern848, nicht davon ab, ob die dem belastenden Irrtum vorgelagerten Fehlannahmen rein rechtlich-institutioneller oder rein tatsächlichgegenstandsbezogener (bzw. gar gemischt rechtlich-tatsächlicher) Natur sind, zumal eine Verneinung des Tatentschlusses vorsatzdogmatisch ohnehin folgewidrig wäre. Alles Weitere unterliegt der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. § 23 Abs. 3 StGB, meist bloßes „Trottelprivileg“, hätte sicherlich auch großzügiger ausfallen können; man sollte sich aber nicht zu sehr davor scheuen, die Vorschrift auch im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht anzuwenden. De lege lata spricht z. B. nichts dagegen, § 23 Abs. 3 StGB anzuwenden, wenn etwa der Insiderhandel gem. §§ 38 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG deshalb nur versucht ist, weil die Information (die für eine Großbank völlig belanglose Abschreibung eines einstelligen Millionenbetrages849) offensichtlich nicht i. S. d. § 13 Abs. 1 WpHG geeignet war, den Börsenpreis zu beeinflussen. 844 Der Glauben, ein Gesellschafterdarlehen mit wirksamer Rangrücktrittserklärung gem. § 39 Abs. 2 InsO sei bei den Verbindlichkeiten i. S. d. § 19 Abs. 2 InsO zu berücksichtigen, begründet allerdings nur ein Wahndelikt, da § 283 StGB insofern blankettartig auf den Überschuldungsbegriff von § 19 Abs. 2 InsO verweist. 845 Vgl. auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 446 ff. 846 RGSt 1, S. 451; BGHSt 35, S. 305; BGH NStZ 1992, S. 277; BGH NStZ-RR 1999, S. 101; siehe dazu oben Seite 79. 847 Vgl. Roxin, Strafrecht AT II, § 29, Rn. 347; Samson, Strafrecht I, Fall 19. 848 Siehe oben Seite 79. 849 Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 324.

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Viele Fälle, in denen der Täter zwar mit objektiv rechtsfeindlichem Willen handelt, dadurch aber das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsordnung nicht beeinträchtigt wird, sind in der Bundesrepublik zudem nach § 23 Abs. 1 StGB als bloße Vergehen gar nicht erst strafbar. Insofern hat der deutsche Gesetzgeber (anders als die anderer Staaten850) gerade bei Tatbeständen des Wirtschaftsstrafrechts851 von seinem Gestaltungsspielraum im Sinne des ultima-ratio-Gedankens Gebrauch gemacht, was in der kriminalpolitischen Diskussion oft unterschlagen wird. Wenn dann einige wenige fragwürdige Entscheidungen zugunsten eines strafbaren untauglichen Versuchs als Negativbeispiele übrig bleiben, beruhen diese meist auf einer fehlerhaften Analyse der maßgeblichen Normen852.

5. Das untaugliche Subjekt – ein Sonderfall? Fraglich ist jedoch, ob das untaugliche Subjekt einen Sonderfall darstellt. Wie oben gesehen, geht zum Beispiel das schweizerische Recht von genereller Straflosigkeit aus, weil der Täter nicht die Sonderpflichten besitze, die das Tatunrecht erst begründen würden853. Auch für das deutsche Recht möchten Jakobs und Zaczyk die Strafbarkeit ausschließen, selbst wenn der Täter zur Statusbegründung geeignete Umstände annimmt, denn der Kreis der Normadressaten könne durch einen Irrtum nicht erweitert werden854, „für das Recht [sei] man der, der man ist“855. Dies sei zudem laut Zielinski keine alleinige Frage der Vorsatzrelevanz bestimmter Fehlvorstellungen, vielmehr gehe es um ein eigenständiges Problem der Versuchsdogmatik856. Zwar konnten sich im Zuge des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes die Verfasser des Alternativentwurfs mit ihrem Vorschlag für einen entsprechenden gesetzlichen Ausschluss der Strafbarkeit des untauglichen Tatsubjekts gem. § 25 Abs. 3 Nr. 1 AE nicht durchsetzen857. Immerhin jedoch können die Schrifttumsvertreter, die heute noch von einer generellen Straflosigkeit ausgehen, für ihre Position geltend Siehe oben Seite 87. Siehe oben Seite 40. 852 Vgl. insofern KG NStZ 1982, S. 73 zur Annahme eines Versuchs bei objektiv fehlenden steuerlichen Erklärungspflichten (so auch nicht mit BayObLG NJW 1976, S. 635 vereinbar; siehe auch Seiten 193 ff.). 853 Siehe oben Seiten 83, 87. Vgl. Stratenwerth, Zum Versuch des untauglichen Subjekts, Festschrift-Bruns, S. 59 (63 ff.). 854 Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 43 ff. (siehe auch oben Seite 106). 855 Zaczyk, in: Nomos-Kommentar, § 22 StGB, Rn. 39; ders., Das Unrecht der versuchten Tat, S. 251 f. m. w. N. (siehe auch oben Seite 124). 856 Zielinski, in: Alternativkommentar, §§ 15, 16, Rn. 35. Den Versuch des untauglichen Subjekts verneinen ferner: Armin Kaufmann, Rechtspflichtbegründung und Tatbestandseinschränkung, Festschrift-Klug, S. 277 (283 ff., 287); Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 11, Rn. 65; Hirsch, Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht, Festschrift-Roxin (70. Geb.), S. 711 (728). Sympathien zeigt auch Endrulat, Der „Umgekehrte Rechtsirrtum“, S. 204 ff. m. w. N. 857 Siehe oben Seite 78. 850 851

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machen, dass damals vom Gesetzgeber auch keine anderslautende Regelung getroffen wurde. Zudem nennt § 23 Abs. 3 StGB, der schließlich sonst als argumentum e contrario für die grundsätzliche Strafbarkeit des untauglichen Versuchs herhalten muss858, nur das ungeeignete Tatobjekt sowie Tatmittel, nicht jedoch das untaugliche Tatsubjekt. Eine ganze Reihe von Sonderdelikten, die als Beispiel für mangelnde Strafwürdigkeit des untauglichen Täters herangezogen werden, fallen allerdings auch hier – anders als in der Schweiz859 – schon gar nicht unter die Versuchsstrafbarkeit. Hat ein Verkehrsunfall nicht stattgefunden, kann es allein deshalb nicht zu einer Bestrafung des Putativbeteiligten wegen § 142 StGB (gem. § 23 Abs. 1 StGB ein im Versuch strafloses Vergehen) kommen860. Das Gleiche gilt für den ins Feld geführten unwilligen Testamentsvollstrecker, der sein Amt noch nicht nach § 2202 BGB angenommen hat861. Er wird in keinem Fall wegen § 266 StGB belangt werden können, selbst wenn er glaubt, er habe bereits mit Ernennung fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Ebenfalls geht derjenige straflos aus, der sich wie ein Arbeitgeber fühlt (§ 266a StGB), oder der, der sich einbildet, Mitglied des Vertretungsorgans oder Abwickler einer zahlungsunfähigen oder überschuldeten juristischen Person zu sein (§ 15a InsO). Nur in Fällen des nichtig ernannten, aber faktischen Organs ist dies anders, insofern gelangt man aber heute sogar zur Vollendungsstrafbarkeit862. Einer Sonderregelung für den Versuch des untauglichen Tatsubjektes bedarf es zur Erzielung dieser Ergebnisse nicht. Trotz Versuchsstrafbarkeit scheidet eine Sonderbehandlung von vornherein auch dort aus, wo die Klassifizierung als Sonderdelikt nicht allein von einer bestimmten Eigenschaft des Täters, sondern von dessen Beziehung zu einem Tatobjekt oder der Existenz eines Tatobjekts abhängt. Klassisches Beispiel, jedoch wegen § 218 Abs. 4 S. 2 StGB ebenfalls überholt, ist der Versuch der Nichtschwangeren863, entgegen § 218 StGB eine Abtreibung vornehmen zu lassen864. Insofern lässt sich schon gar keine für die Versuchsdogmatik brauchbare Abgrenzung zu den Normaldelikten treffen865. Ansonsten wäre es ebenso zulässig, Eigentumsdelikte, die den Angriff auf eine fremde Sache unter Strafe stellen, in „Sonderdelikte für Nichteigentümer“866 Siehe oben Seiten 79 f. Siehe oben Seiten 82 und 87. 860 Vgl. Stratenwerth, Festschrift-Bruns, S. 59 (69). 861 Vgl. Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT I, § 8, Rn. 65. 862 BGHSt 21, S. 101; BGHSt 31, S. 118; vgl. Radtke, in: Münchener Kommentar, § 14 StGB, Rn. 113 ff. 863 Vgl. RGSt 8, S. 198. 864 Hier ließe sich beliebig auf das Nichtschwangersein oder das Fehlen der Leibesfrucht abstellen. 865 Hillenkamp, in: Leipziger Kommentar, § 22, Rn. 232. 866 Siehe auch schon oben Seite 88. Das Beispiel stammt von Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 44. 858 859

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umzudefinieren, was letztendlich auf die Anwendung der objektiven Theorie auf untaugliche Tatobjekte hinauslaufen würde867. Zu der Gruppe, bei der die Subjekttauglichkeit vom Tatobjekt abhängt, gehören auch die unechten Unterlassungsdelikte, wenn sich der Täter Umstände einbildet, die ihn zum Garanten machen würden. Der Vater, welcher zu Unrecht glaubt, sein Kind ertrinken zu sehen, und dennoch nicht hilft, ist in diesem Moment nur deshalb ungeeigneter Täter eines §§ 212, 13 StGB, weil das von ihm beobachtete (untaugliche) Objekt gar nicht sein Kind ist. Zur Straflosigkeit kann dies jedoch nicht führen. Dass immerhin eine Gefährdung eines fremden Kindes vorlag, kann dem Vater schließlich nicht zu Gute kommen868, 869. Ebenfalls unter diese Kategorie fällt bei Bankrottstraftaten der (in dubio pro reo) zunächst nur in die Scheinkrise Geratene870, wenn er später wenigstens wegen eines versuchten Delikts nach den §§ 283, 283b oder 283c StGB belangt werden soll, nachdem er nun wirklich zahlungsunfähig geworden ist871. Fraglich ist jedoch, ob für sich „reine“ Sonderdelikte (wenn es diese überhaupt gibt), gemeint sind solche, die sich nicht ohne weiteres umdeuten lassen, Besonderheiten aus der Tatsache ergeben, dass das Tatsubjekt in § 23 Abs. 3 StGB nicht genannt wird. Insofern gilt zunächst, dass die fehlende Bezugnahme auf den untauglichen Täter natürlich nicht zwingend auf generelle Straflosigkeit hindeuten muss. Nach normalen Auslegungsgrundsätzen würde dies dem ersten Anschein nach sogar eher dafür sprechen, dass der Gesetzgeber den untauglichen Täter strenger behandelt sehen will, ihm also die Möglichkeit eines Absehens von Strafe vorenthalten möchte. Es ist aber wohl so, dass der Wortlaut von § 23 Abs. 3 StGB die prinzipielle Strafbarkeit des untauglichen Subjekts weder leugnen noch anerkennen mag872. Der Sache nach wäre eine strengere Behandlung auch unangemessen, so dass dies vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt sein kann. Vielmehr wird es gerade auch beim grob unverständigen untauglichen Täter so sein, dass durch die Tat das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung regelmäßig kaum erschüttert wird. Den Gesetzesmaterialien ist zudem trotz der Absage an § 25 Abs. 3 Nr. 1 AE die unverbindliche Erwartung zu entnehmen, die Rechtsprechung werde Vgl. schon oben Seite 124. Wäre überhaupt niemand in Gefahr gewesen, hätte er etwa nur eine schwankende Boje als sein Kind wahrgenommen, wäre der Versuch schließlich ohne weiteres zu bejahen gewesen. Vgl. Hillenkamp, in: Leipziger Kommentar, § 22 StGB, Rn. 232 mit weiteren Beispielen. Zum gleichen Ergebnis kommt hier auch Armin Kaufmann, Festschrift-Klug, S. 277 (285 f.). Anders (zugunsten von Straflosigkeit) möchte er jedoch entscheiden, wenn sich der Täter eine Ingerenz-Situation vorstellt. 869 Kommt man bei den Unterlassungsdelikten zu einem Irrtum über die Rechtspflichten, die sich aus der Garantenstellung ergeben, sind diese dagegen schon nach den normalen Grundsätzen gar nicht erst Gegenstand des Tatbestandsvorsatzes (vgl. oben Seite 89). Ihre Überdehnung begründet so oder so nur ein Wahndelikt. 870 Siehe bereits oben Seite 128. 871 Letzteres ist objektive Strafbarkeitsbedingung, vgl. § 283 Abs. 6 StGB. 872 Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 62. 867 868

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regelmäßig ohnehin von Straflosigkeit ausgehen873. Die Gründe für die explizite Nichtnennung des untauglichen Tatsubjekts sind also eher darin zu sehen, dass diese Konstellation bei Anwendung normaler Grundsätze weit seltener vorkommt, als es von den Anhängern der objektiven Versuchstheorie suggeriert wird. Dem wird im Folgenden weiter nachzugehen sein. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist wieder § 22 StGB, nach dem es allein auf die „Vorstellung“ des Täters „von der Tat“ ankommt. Die Versuchsstrafbarkeit bei „reinen“ Sonderdelikten würde von vornherein auszuschließen sein, wenn bei diesen die Tätereigenschaften als objektive Strafbarkeitsbedingungen zu verstehen wären874. Definitiv irrelevant (im positiven wie im negativen Sinne) ist schließlich auch die auf das Strafanwendungsrecht bezogene Fehlvorstellung, Deutscher i. S. d. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu sein. Was den Tatbestand anbelangt, ist heute jedoch unbestritten, dass Tätereigenschaften genauso wie andere Merkmale Bezugspunkt des Vorsatzes sind875. Dabei sind die Anforderungen an Vorsatz und Tatentschluss, unabhängig von der Frage inwieweit im Einzelfall Umstands- oder Rechtskenntnis zu verlangen ist, auch für das Tatsubjekt identisch876. Im Regelfall sind rechtliche Fehlvorstellungen, die allein die Tauglichkeit als Tatsubjekt anbelangen, aber nicht vorsatzrelevant, sie können den Täter deshalb auf der Ebene des Tatentschlusses auch nicht belasten. In diesen Fällen wirkt der untaugliche, besser wahnhafte Täter in der Tat eher „lächerlich“ als „gefährlich“: So ist es bei der von den Lehrbüchern häufig bemühten Behördenputzfrau, die sich im Glauben, Amtsträgerin zu sein, „bestechen“ lässt. Zwar liegt in diesem Fall gem. § 332 Abs. 1 S. 3 StGB grundsätzlich Versuchsstrafbarkeit vor. Die Definition des Amtsträgers in § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. a – c StGB wird jedoch in § 332 StGB hineingelesen; das Vorsatzerfordernis bezieht sich auf die Einzelmerkmale, aber nicht auf die Rechtsfolge des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB877. Deshalb muss im umgekehrten Fall für die vollendete Tat des §§ 331 oder 332 StGB der Amtsträger, z. B. als Angestellter der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GmbH (GTZ), nicht rechtlich nachvollzogen haben, dass er i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB dazu bestellt ist, bei einer „sonstigen Stelle“ Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen878. Das Gleiche gilt im Übrigen auch auf der aktiven Seite für §§ 333, 334 BT-Drucksache 5 / 4095, S. 11. So noch Welzel, Das deutsche Strafrecht, § 13 I 5. Siehe dazu auch T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 249 f. 875 Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 16 StGB, Rn. 43; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 15 StGB, Rn. 16, 42; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, 29 II 3 a; Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rn. 133; Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT I, § 8, Rn. 77. 876 Siehe oben Seiten 125 f. 877 Vgl. auch RGSt 53, S. 131; RGSt 73, S. 169 (171); RGSt 74, S. 105 (109); BGHSt 2, S. 119 (120); BGHSt 8, S. 321 (323 f.); Hilgendorf, in: Leipziger Kommentar, § 11 StGB, Rn. 60; Radtke, in: Münchener Kommentar, § 11 StGB, Rn. 78; siehe auch oben Seiten 44 und 89. 878 BGHSt 43, S. 370 (376 ff.). 873 874

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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StGB, wenn der Vorteilsgeber in diesem Fall glaubt, keinen Amtsträger im strafrechtlichen Sinne vor sich zu haben. Die Behördenputzfrau, die sich zu ihren Lasten irrt, begeht spiegelbildlich nur ein Wahndelikt879. Allein deshalb, weil sie nach den allgemeinen Grundsätzen überhaupt keinen Vorsatz hat, ist ihr Verhalten nicht geeignet, das Vertrauen in die Geltung amtsbezogener Sondernormen zu erschüttern. Eine Besonderheit des untauglichen Subjekts liegt darin jedoch nicht880. Das Gleiche würde selbstverständlich auch auf aktiver Seite für den Vorteilsgeber gelten, der einer Reinigungskraft – im Glauben sie sei Amtsträgerin – Geld zusteckt, damit sie ihm etwa pflichtwidrig in der Nacht Einlass in die Behördenräume gewährt oder zu Spionagezwecken den Inhalt der Papierkörbe überlässt. Auch das Tatbestandsmerkmal des Beamten in § 11 Abs. 2 Nr. 2 lit. a StGB wird wiederum durch die entsprechenden öffentlich-rechtlichen Normen ausgefüllt. Erst ein Irrtum über die Wirksamkeit der Begründung oder Beendigung des Beamtenverhältnisses gem. §§ 6 ff. BBG bzw. §§ 5 ff. BRRG könnte das tatbestandliche Vorfeld betreffen und damit vorsatzrelevant sein. Weniger „lächerlich“ wirkt dann auch der von einer unzuständigen Stelle ernannte Wiegemeister, über dessen Strafbarkeit wegen Falschbeurkundung im Amt im Jahre 1949 das Schleswig-Holsteinische OLG881 zu befinden hatte, weil er unter Verwendung des Dienstsiegels vorsätzlich falsche Gewichtsbescheinigungen ausgestellt hatte. Hier hätte das Gericht bei Anwendung herkömmlicher Grundsätze kein Wahndelikt882, sondern einen untauglichen Versuch annehmen müssen. Nach heutigem Verständnis liegt in solchen Fällen sogar Vollendung vor, denn der Ernannte bleibt bis zur Feststellung der Nichtigkeit Amtsträger, sei es nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB, weil die Nichtigkeitsfeststellung erst einer entsprechenden Entschließung durch den Dienstvorgesetzten bedarf und die von dem nichtig Ernannten vorgenommenen Amtshandlungen gültig bleiben (§§ 13, 14 BBG)883, oder nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB als sonstig Bestellter884. Entsprechend kann beim vollendeten Delikt die eingebildete Nichtigkeit des Vorsatztäters nicht entlasten. Damit lassen sich auch die Amtsdelikte mittels der herkömmlichen Irrtumsregeln bewältigen. Nach all dem nimmt das untaugliche Subjekt unter keinem Gesichtspunkt eine Sonderstellung ein885, eine sorgfältige Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom So auch Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT I, § 8, Rn. 63. Anders Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 43, der im konkreten Fall freilich zum gleichen Ergebnis kommt. 881 Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1949, S. 297 f. Siehe dazu auch Schlüchter, Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, S. 165 ff. 882 Schlüchter, a. a. O., S. 166; a. A. Jakobs, Strafrecht AT, 25. Abschn., Rn. 43. 883 Vgl. Radtke, in: Münchener Kommentar, § 11 StGB, Rn. 24. 884 Fischer, § 11 StGB, Rn. 14, 17 ff. 885 Ebenso Hillenkamp, in: Leipziger Kommentar, § 22, Rn. 232; Eser, in: Schönke / Schröder, § 22 StGB, Rn. 76; Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 61 ff.; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 22 StGB, Rn. 28; Fischer, § 22 StGB, Rn. 55; Lackner / Kühl, § 22 StGB, Rn. 13. 879 880

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Wahndelikt bei streng zivil- oder verwaltungsrechtsakzessorischen Tatbeständen ist natürlich trotzdem erforderlich. Sollte man nach herkömmlichen Grundsätzen zum untauglichen Versuch kommen, ist aber auch beim grob unverständig untauglichen Täter § 23 Abs. 3 StGB entsprechend anwendbar. In einigen Fällen ist der Täter aber auch nur scheinbar untauglich, denn dort, wo die maßgeblichen Tatbestände auf faktische Verhältnisse abstellen, ist unter Umständen sogar Vollendungsstrafbarkeit gegeben. 6. Ergebnis Damit besteht ein Zusammenhang zwischen der Abgrenzung des Tatbestandsvom Verbotsirrtum und der Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt. Auch ein rechtlich untaugliches Unterfangen kann als Versuch strafbar sein. Die Anforderungen an Vorsatz und Tatentschluss sind identisch886, zusätzliche objektive Wertungskriterien stellen sich als eindeutig contra legem (§§ 22, 23 StGB) dar887. Auch kriminalpolitisch ist es nicht überzeugend, entsprechende Taten, sofern sie der Versuchsstrafbarkeit nach § 23 Abs. 1 StGB unterfallen, generell von einer Ahndung auszuschließen888. Fragen, die das rechtliche und tatsächliche Vorfeld rechtsnormativer Tatbestandsmerkmale betreffen, lassen sich sehr häufig nicht einmal sauber voneinander trennen. Das untaugliche Tatsubjekt nimmt insofern keine Sonderrolle ein, was natürlich nicht an der Annahme eines Wahndelikts nach herkömmlichen Grundsätzen hindert. Kommt man also zur grundsätzlichen Möglichkeit der Bestrafung rechtlich untauglicher Unterfangen, ist auch die eingangs gestellte Frage beantwortet: Die strafbarkeitsbeschränkenden Ansätze zu be- und entlastenden Irrtümern über Bezugsnormen sind nicht frei und asymmetrisch miteinander kombinierbar. Jeder Lösungsentwurf zur Abgrenzung von vorsatz- und nichtvorsatzrelevanten Irrtümern muss in der Lage sein, problemübergreifend in sich widerspruchsfreie Ergebnisse zu liefern.

III. Zur Anwendung der Schuldtheorie im Wirtschaftsund Steuerstrafrecht und eventuellen Restriktionen Damit stellt sich nun die Frage, wie ein solcher problemübergreifender Ansatz bei grundsätzlicher Geltung der Schuldtheorie auszusehen hat. Für den, der weiterhin ein Ergebnis weitestgehender Straflosigkeit889 erreichen und Abgrenzungsprobleme insbesondere zwischen Blankett- und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen bestmöglich vermeiden möchte, bliebe wohl nur ein partiell der Vorsatztheorie angenähertes Modell. Ein solches erscheint insofern vielversprechend, dass es trotz 886 887 888 889

Siehe oben Seiten 125 ff. Siehe oben Seiten 123 f. Siehe oben Seiten 127 ff. Siehe oben Seiten 120 f.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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identischer Anforderungen an Vorsatz und Tatentschluss eine großzügige Anwendung des § 16 StGB erlaubt, ohne dass dies strafbarkeitserweiternde Folgen für den umgekehrten Fall des untauglichen Versuchs hat890. Dagegen wird sich ein solcher Ansatz natürlich an den gesetzgeberischen Entscheidungen der §§ 16, 17 StGB, Art. 1 Abs. 1 EGStGB, § 369 Abs. 2 AO, § 11 Abs. 1 und 2 OWiG891 messen lassen müssen. Auch wird zu prüfen sein, inwieweit sachliche Gesichtspunkte vielleicht doch gegen eine Gleichbehandlung von Blankett- und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen und eine nebenstrafrechtliche Sonderdogmatik sprechen. Dazu müssen jedoch zunächst einige Vorüberlegungen angestellt werden, die für die weitere Vorgehensweise maßgeblich sind. 1. Vorüberlegungen a) Beschränkung der Vorsatzhaftung als partielle Anwendung der Vorsatztheorie Selbst wenn sich in jüngerer Zeit die durchaus kunstgerechten Versuche mehren, jedem Satz und Absatz der §§ 16, 17 StGB auch unter dem Regime einer modifizierten Vorsatztheorie einen Sinn zu geben892, ziehen für den Bereich des Kernstrafrechts nur wenige Vertreter des Schrifttums die Anwendung der Schuldtheorie in Zweifel. Im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht jedoch, wo Blankettgesetze nicht – wie sonst – die Ausnahme, sondern fast die Regel darstellen, wird die Unkenntnis bestimmter Verhaltensregeln aus der schon in der Einleitung erwähnten Erkenntnis, dass das Nebenstrafrecht „aus annähernd 1000 Gesetzen gebildet wird“893, regelmäßig als deutlich verzeihlicher angesehen. Aus der unstreitigen Tatsache894, dass es sich bei wirtschafts- und steuerrechtlichen Pflichten nicht immer um elementare soziale Verhaltensregeln handelt, folgern nun viele Vertreter des Schrifttums, wie Tiedemann895, Puppe896, Dannecker897, Jenny 898, Enderle899, Dietmeier900und T. Walter901, dass das von der Rechtsprechung Siehe schon oben Seiten 57 und 104. Siehe oben Seiten 58 und 75. 892 Siehe oben Seiten 108 ff. 893 Siehe bereits oben Seite 19 [nach Tiedemann, Zum Stand der Irrtumslehre, FestschriftGeerds, S. 95 (96); vgl. auch oben Seiten 98 ff.]. 894 Roxin, Über Tatbestand und Verbotsirrtum, Festschrift-Tiedemann, S. 375. 895 Siehe oben Seite 98. 896 Siehe oben Seite 103. 897 Dannecker, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 1. Kap., Rn. 39 f. 898 Jenny, Tatbestands- und Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, SchwZStr 107 [1990], S. 241. 899 Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 340 ff. 900 Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 239. 901 Siehe oben Seite 111. 890 891

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

praktizierte Zusammenlesen der Tatbestandsmerkmale von Blankett und Ausfüllungsnormen nach Warda902 sowie die Anwendung der Schuldtheorie auf den so gebildeten Gesamttatbestand nicht zulässig sei. Diese Schrifttumsvertreter behandeln Blankettmerkmale aber auch nicht wie rechtsnormative Tatbestandsmerkmale oder interpretieren erstere in letztere um, was sich je nach Strafnorm mit der gesetzgeberischen Wertung in §§ 16, 17 StGB unter Umständen leichter vereinbaren ließe. Vielmehr wird ein Vorsatz verlangt, der sich sowohl auf die Existenz der Ausfüllungsnorm, also die rechtlichen Voraussetzungen kraft derer das Blankettmerkmal erfüllt ist, als auch auf die in der Ausfüllungsnorm beschriebenen tatsächlichen Umstände bezieht903. Faktisch handelt es sich hierbei also um eine partielle Anwendung der Vorsatztheorie auf Blankettmerkmale, was jeweils auch mehr oder minder offen ausgesprochen wird904. Unter der Prämisse der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs vermeidet man aber eben nur so widerspruchsfrei, trotz Begrenzung der Vorsatzstrafbarkeit bei vollendeten Taten, eine spiegelbildliche Ausweitung der Versuchsstrafbarkeit. Schließlich setzt demnach auch der Tatentschluss, für den inhaltlich die gleichen Anforderungen gelten wie für den Vorsatz des vollendeten Delikts, kumulativ eine tatbestandsmäßige Rechts- und Tatsachenvorstellung voraus905. Weder einfache Tatsachenkenntnis noch die schlichte Annahme des Vorliegens der einschlägigen Rechtsfolge reichen damit aus, einen Tatvorsatz zu begründen.

Hinter der modernen Forderung nach einer partiellen Anwendung der Vorsatztheorie steht, wie bereits angedeutet, ein besonderes Einfühlungsvermögen und Verständnis für den Bürger, der sich im „Normengestrüpp“906 des Nebenstrafrechts verfangen hat. Das „Warnschild der sozialen Irregularität“ komme nur im Kernstrafrecht zum Tragen, die schlichte Kenntnis nackter Tatsachen übe in den ethisch farblosen Nebengebieten, wenn der Täter das maßgebliche Verbot nicht kennt, keinen Impuls in Richtung einer drohenden Rechtsgutsverletzung aus907. Aufgrund der deswegen anzunehmenden größeren Verzeihlichkeit eines Irrtums soll den Täter deshalb nur der milde Tadel einer Ahndung wegen Fahrlässigkeit treffen, sofern überhaupt eine entsprechende Strafbarkeit oder Bußgeldbewährung vorhanden ist. Argumentativ ins Feld geführt werden abermals der Gleichheitssatz908 sowie der Grundsatz des schuldangemessenen Strafens909, also eigentlich Grundwahrheiten, die Siehe oben Seiten 95 ff. Vgl. etwa Puppe, GA 1990, S. 145 (168); siehe auch oben Seite 104. 904 Besonders deutlich bei Puppe, GA 1990, S. 145 (170); siehe aber auch Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 387, 402; ders., Festschrift-Geerds, S. 95 (106); T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 366. Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 345, 352 f. spricht dagegen von der „Überwindung der Positionen von Schuld- und Vorsatztheorie“. 905 Siehe bereits oben Seiten 56 f., 104. 906 Siehe schon oben Seite 19. 907 Jenny, SchwZStr 107 [1990], S. 241 (242). Vgl. auch Weber, Konzeption und Grundsätze des Wirtschaftsstrafrechts (einschließlich Verbraucherschutz), ZStW 96 [1984], S. 376 (392 f.). 908 Siehe schon oben Seite 60. 902 903

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wohl jeder, der Strafrechtsdogmatik betreibt, für sich in Anspruch nehmen möchte. Auch diejenigen, die die Vorsatztheorie heute sogar gänzlich favorisieren, haben durchweg rechtsstaats- und menschenfreundliche Anliegen, sie sehen sogar eine generelle (d. h. nicht nur auf Blankettnormen begrenzte) Missachtung von Art. 3 Abs. 1 GG910, der es entgegenzuwirken gilt, und wollen flächendeckend übertriebene Härten des Gesetzes911 für den rechtsunkundigen Täter überwinden. Fraglich ist allerdings, ob neben dem Aspekt der geringeren Vorwerfbarkeit von Irrtümern im Nebenstrafrecht, welcher Argument für eine partielle Anwendung sein könnte, und dem durchaus sympathischen Bedürfnis nach einem möglichst rücksichtsvollen Einsatz des Strafrechts auch andere Begründungsansätze für die Vorsatztheorie denkbar sind und welche davon bisher am ehesten eine reale Rolle gespielt haben. b) Generelle Geltung der Vorsatztheorie als Ausdruck einer imperativen Rechtsauffassung Manch einen mag es überrascht haben, dass die für den Täter günstigere Vorsatztheorie in Deutschland gerade in dem von 1933 bis 1936 erarbeiteten, amtlichen Entwurf für ein „kommendes deutsches Strafrecht“ eine gewisse offizielle Anerkennung erfahren hat, auch wenn die Umsetzung letztlich wohl daran scheiterte, dass der E 1936 dem Totalitätsanspruch des an sich rechtsfeindlichen912 NS-Regimes noch nicht vollauf genügte913. Dagegen spielte die Vorsatztheorie bei den oben untersuchten ausländischen Rechtssystemen weder in den klassisch liberalen angelsächsischen Systemen914 je ein Rolle noch kam sie dem mündigen französischen Bürger915 zu Gute, sondern wurde wiederum ausgerechnet im konservativ-autoritären Spanien der späten Franco-Zeit praktisch angewendet916. Sicherlich bewirkte die Vorsatzvermutung des Art. 1.2 Código Penal a. F. sowie die offenen Fahrlässigkeitstatbestände der Art. 565 und Art. 586, 3º Código Penal a. F.917, dass damals keine allzu großen 909 Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 342 ff.; T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 366 f.; vgl. auch Tiedemann, Zum Stand der Irrtumslehre, Festschrift-Geerds, S. 95 (106). 910 Herzberg, Vorsatzausschließende Rechtsirrtümer, JuS 2008, S. 385 (387 f.). 911 T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 410 ff.; siehe auch schon Schmidhäuser, Der Verbotsirrtum und das Strafgesetz (§ 16 I Satz 1 und § 17 StGB), JZ 1979, S. 361. 912 Radbruch, Anmerkung zu OLG Frankfurt am Main vom 12. August 1947, Süddeutsche JZ 1947, Sp. 633 (633) spricht von der „Zweispurigkeit“ des nationalsozialistischen Gewaltregimes, welches in sowohl äußeren Formen des Rechtsstaates als auch durch Rechtsbruch seine Ziele verfolgte. 913 Siehe oben Seite 51. 914 Siehe oben Seite 69. 915 Siehe oben Seite 67. 916 Siehe oben Seite 64. 917 Siehe oben Seite 64, Fußnote 276.

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Strafbarkeitslücken aufkamen. Dennoch ist es doch durchaus bemerkenswert, dass gerade dort der Frage, ob sich der Täter bewusst oder unbewusst gegen das Gesetz aufgelehnt hat, auch in der Rechtsprechung eine durchaus nicht unwesentliche Bedeutung eingeräumt wurde. Mit einem gewissen Entgegenkommen mag man dies für Spanien damit erklären, dass nach Jahren der Despotie, als es durch den Beginn des „Kalten Krieges“ und der Annäherung an den Westen eines etwas tugendhafteren Deckmantels bedurfte, sich die katholisch-paternalistische Prägung des Regimes durchsetzen sollte. Paternalistisch herrschte das Regime, indem es gewissermaßen vormundschaftlich den Handlungsrahmen der Bevölkerung zu ihrem vermeintlich Guten regelte. Normen wurden kraft einer angemaßten Führungsautorität nun nachlassend willkürlich (dafür scheinbar „väterlich“), aber weiterhin ohne Mitwirkung der Herrschaftsunterworfenen gesetzt. Letztere schuldeten vor allem Gehorsam. Einen solchen kann man freilich nur denjenigen abverlangen, die vermeintlich noch nicht in der Lage sind, die Fragen des eigenen Wohls selbst zu regeln. Immerhin folgerichtig war es deshalb, bei einem unbewussten Gesetzesverstoß (jedenfalls gegenüber Verfehlungen normaler Bürger, nicht jedoch gegenüber „Staatsfeinden“) Nachsicht zu üben. Außerdem wird in Spanien auch die katholische Prägung des Systems zum Tragen gekommen sein, wenn man wieder an das am Anfang dieses Teils der Untersuchung erwähnte Alte Testament und den Begriff der „Sünde“ als bewusste „Verachtung der Worte des Herrn“ denkt918. So bezeichnete auch Papst Pius XII. in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts bei einer Ansprache an den 6. Kongress für Internationales Strafrecht den „Kern der Schuld“ als „freie Auflehnung gegen die erkannte bindende Norm“, als „bewußte und gewollte Durchbrechung und Verletzung der rechten Ordnung“919. Gleichzeitig verlangte jedenfalls das damals maßgebliche Kirchenstrafrecht gem. Can. 2195 § 1 Codex Iuris Canonici i. d. F. von 1917 für die Deliktsverwirklichung neben der äußeren Rechtsverletzung moralische Zurechenbarkeit („externa et moraliter imputabilis“), Can. 2200 § 1 CIC a. F.920 definierte entsprechend den dolus als bewusste Rechtsverletzung. Ob dies nach dem heute gültigen und vom Wortlaut nicht ganz eindeutigen Can. 1321 §§ 1 und 2 Codex Iuris Canonici i. d. F. von 1983 auch noch gilt, ist wohl zum Teil umstritten921. 918 Vgl. 3. Buch Mose (Leviticus), Kapitel V, Verse 17 – 18; 4. Buch Mose (Numeri), Kapitel XV, Verse 22 – 31. Siehe oben Seite 26. 919 Pius XII., Grundlagen eines Internationalen Strafrechts, in Europa und der Friede, Vier Botschaften Papst Pius XII, S. 14 (23). 920 Der erste Halbsatz der Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: „Dolus heic est deliberata voluntas violandi legem“ („Vorsatz bedeutet hier der freie Wille, das Recht zu verletzen“). 921 Bejahend Sebott, Das kirchliche Strafrecht, S. 43 ff., insb. 46, 49; vgl. aber auch Pahud des Mortanges, in: Müller u. a. (Hrsg.), Strafrecht in einer Kirche der Liebe, S. 77 (80 f.), der ein der Schuldtheorie entsprechendes Vorsatzverständnis bevorzugt. Bemerkenswert ist allerdings die Tatsache, dass es nach Can. 2200 § 2 CIC (1917) bzw. Can. 1321 § 3 CIC (1983) weiter dem Täter obliegt, den Mangel von Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit nachzuweisen. Siehe dazu schon oben Seite 26, Fußnote 4.

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Nicht einmal dem Anschein nach „väterlich“ unterdrückte das Apartheid-Regime in der Republik Südafrika (welche beim obigen rechtsvergleichenden Überblick mangels Einfluss auf europäische Rechtsordnungen vernachlässigt wurde) die schwarze Bevölkerungsmehrheit unter missbräuchlicher Berufung auf die calvinistische Prädestinationslehre922. Der Strafjustiz kam insbesondere mit Beginn der sechziger Jahren bei der Bekämpfung der organisierten923 Widerstandsbewegung eine ganz bedeutende Rolle zu, wenn man etwa an die Prozesse gegen Nelson Mandela und andere führende Mitglieder des African National Congress denkt924. Allgemein im Strafrecht925 galt am Anfang dieser politischen Phase noch die angelsächsische ignorantia iuris-Regel926. Nach Austritt aus dem Commonwealth kam es aber auch insofern927 zu einer bewussten Abgrenzung zum englischen Recht: In der Grundsatzentscheidung State vs. De Blom928 aus dem Jahre 1977 verwarf der oberste Gerichthof die bisherige Irrtumsrechtsprechung und schloss sich unter Berufung auf das damals kapholländisch-geprägte südafrikanische Schrifttum der Vorsatztheorie an, so wie sie in Deutschland ursprünglich in unmodifizierter Form vertreten wurde929. Die Verwirklichung eines Delikts, für das – als Schuldform930 – Vorsatz 922 Landis, South African Apartheid Legislation I, The Yale Law Journal, Vol. 71, No. 1 [1961], S. 1 (2). 923 Der spätere südafrikanische Präsident Pieter Willem Botha stellte dazu fest: „Wer die Vorherrschaft der Weißen in Südafrika sichern will, muss alles staatliche Handeln diesem Ziel unterordnen“, zitiert nach Fernandez / Nerlich, Die Entwicklung der Strafjustiz in Südafrika seit 1994, ZStW 117 [2005], S. 966. Unorganisierter Widerstand wurde vor allem durch paramilitärische Einsätze der Polizei bekämpft. Diese konnte „politisch verdächtige“ Personen auch ohne richterliche Anordnung inhaftieren. Vgl. Fernandez / Nerlich, ZStW 117 [2005], S. 966 (967, 969). 924 Vgl. Fernandez / Nerlich, ZStW 117 [2005], S. 966 (968 f.). 925 Normale Straftaten in den von der schwarzen Bevölkerungsmehrheit bewohnten townships wurden dabei kaum verfolgt. Die Bekämpfung von Kriminalität wurde auf die „weißen“ Gebiete konzentriert, die durch strikte Zugangskontrollen, rigide Passgesetze [vgl. Blacks (Abolition of Passes and Co-ordination of Documents) Act No 67 von 1952] und hohe Polizeipräsenz von Kriminalität abgeschirmt wurden. Vgl. Fernandez / Nerlich, ZStW 117 [2005], S. 966 (967 f.). Laut Parker / Mokhesi-Parker, In the Shadow of Sharpeville, S. 90 f. soll es um die 17 Millionen Verfahren und Verhaftungen wegen Verstößen gegen die Passgesetze gegeben haben. 40 – 50 Prozent aller abgeurteilten Straftaten standen im Zusammenhang mit rassendiskriminierenden Strafgesetzen. 926 Siehe zum englischen Recht oben Seite 69 f. Südafrikanische Leitentscheidung der Appellate Division des obersten Gerichthofes war R. vs. Werner, South African Law Reports 1947(2), S. 828 (835). In dem Fall ging es um einen durch deutsche Kriegsgefangene an einem Mithäftling (wegen mutmaßlicher Spionage) begangenen (Auftrags-)Mord. 927 Zum Einfluss des Afrikaner-Nationalismus siehe Leistner, Der Irrtum über das Verbotensein der Tat im südafrikanischen Strafrecht, S. 15 f., 18 ff. 928 Supreme Court of Appeal, State vs. De Blom, South African Law Reports 1977(3), S. 513 (529, 532 f.). In dem Fall ging es um einen Verstoß gegen Devisenbestimmungen. Ausführlich dazu Leistner, a. a. O., S. 71 ff. 929 Siehe oben Seite 50. Das südafrikanische Recht gehört zu den gemischten Rechtsordnungen: Es setzt sich aus dem unkodifizierten römisch-holländischen Gemenereg (ius commune), dem ebenfalls unkodifizierten englischen common law, aber auch aus afrikanischem Gewohn-

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erforderlich ist, sollte fortan nur noch dann möglich sein, wenn neben Tatsachenkenntnis auch sogenanntes „Wederregtelikheidsbewussyn“931 (zumindest in Form von dolus eventualis) vorhanden war932. Rechtsunkenntnis, auch wenn sie „onredelik“933 erscheint, wurde (nach den heute noch gültigen Grundsätzen934) allenfalls zum Gegenstand eines Fahrlässigkeitsvorwurfs935. Ein vergleichbares Vorsatzverständnis findet sich schließlich auch in einem betont antiklerikalen, diktatorischen System: Die wohl stärkste Polarisation zwischen ausgesprochener Milde und schonungsloser Härte zeigt sich im historischen Strafrecht der Sowjetunion, welches analog zur politischen Entwicklung mehrere Phasen durchgemacht hatte936. Nachdem der Rechtsnihilismus (die Marxsche Endvision vom „Absterben des Rechts“ sollte zunächst so schnell wie möglich umgesetzt werden937) der Revolutionszeit, in der nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten von Revolutionstribunalen und Staatsverwaltung judiziert wurde, überwunden war, kam es zu verschiedenen Kodifizierungen938, die teilweise offen als Terrorinstrument gegen „Klassenfeinde“ (mit martialischen Strafen für Täter und deren Angehörige939) dienheitsrecht und natürlich moderner Gesetzgebung zusammen. Alle Rechtsbereiche müssen sich zudem heute an einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassung messen lassen. 930 Leistner, Der Irrtum über das Verbotensein der Tat im südafrikanischen Strafrecht, S. 23 ff., 73 ff., 76. 931 Afrikaans für „Rechtswidrigkeitsbewusstsein“. 932 Siehe auch Supreme Court of Appeal, State vs. Magua, South African Law Reports 1978(2), S. 513(T); State vs. Sayed, South African Law Reports 1982(1), S. 289(T); State vs. Magidson, South African Law Reports 1984(3), S. 825 (830); State vs. Hlomza, Case No. 268 / 84, ZASCA [1986] 130, Rz. 11 ff.; Leistner, a. a. O., S. 81 ff. m. w. N.; Snyman, Entwurf eines StGB für Südafrika, ZStW 109 [1997], S. 434 (441 f.). In Zeiten der Apartheid allerdings soll davon die schwarze Bevölkerungsmehrheit jedenfalls in Bezug auf die nur für sie maßgeblichen Straftatbestände wenig profitiert haben. Zwar sah man sich mit einem „bulk“ von diskriminierenden, die Bewegungsfreiheit und allgemeine Lebensführung extrem einschränkenden Gesetzen konfrontiert (vgl. etwa Seite 139, Fußnote 925). Dennoch habe eher der (angebliche) Irrtum eines Polizisten über die Rechtmäßigkeit eines Arrestes oder eines Schusswaffengebrauchs zum Freispruch geführt als der eines Schwarzen über seine Passpflicht. Vgl. Parker / Mokhesi-Parker, In the Shadow of Sharpeville, S. 90 ff. 933 Afrikaans für „unvernünftig“. 934 Vgl. etwa Supreme Court of Appeal, Hoho vs. State, Case No. 493 / 05, ZASCA [2008] 98, Rz. 26. 935 Leistner, a. a. O., S. 72 f. 936 Schittenhelm, Strafe und Sanktionensystem im sowjetischen Recht, S. 14 ff. 937 Vgl. F.-C. Schroeder, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, S. 6. Später wurde der Plan zurückgestellt. 938 F.-C. Schroeder, in: Maurach / Rosenthal, Der strafrechtliche Staatsschutz in der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen, S. 30 ff.; ders., Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, S. 7 ff. 939 Für Staatsverbrechen sah das Strafgesetzbuch der RSFSR i. d. F. vom 25. Februar 1927 im ersten Kapitel etwa die Erschießung des Täters verbunden mit Konfiskation des gesamten Vermögens vor. Für Angehörige, die das Verbrechen gefördert oder davon gewusst hatten, galt ein Strafrahmen von 5 bis 10 Jahren Freiheitsentziehung verbunden mit völliger Vermögens-

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ten, aber zugleich für die Verfehlungen des delinquenten „Werktätigen“ durchaus Verständnis aufbringen konnten. So war ein tatbestandsmäßiges, aber nicht sozialgefährliches Verhalten regelmäßig nicht strafbar940. Nach Art. 8 des Strafgesetzbuches der Russischen SFSR (Уголовный кодекс-РСФСР) von 1961 musste der Täter zudem den sozialgefährlichen Charakter seines Tuns erkennen941, um vorsätzlich zu handeln. Dabei wurde allerdings sowohl das vorsätzliche als auch das fahrlässige Verbrechen gem. Art. 3 Abs. 1 des Strafgesetzbuches der RSFSR generell als schuldhaft angesehen942. So problematisch die Gesetzesanalyse bei autoritären Staaten ist, denn oft unterscheidet sich das geschriebene Recht von seiner Anwendung, so bemerkenswert ist doch, dass anscheinend bei gefestigten post- oder unvollständig totalitären Systemen durchaus eine gewisse Berechenbarkeit und Selbstbindung durch Gesetzesnormen entstehen kann. Das Strafrecht bleibt freilich dort einerseits immer noch Mittel der oft schonungslosen Unterdrückung von echten und vermeintlichen „Staats“-, „Volks“- oder „Klassenfeinden“943. Der an sich Gehorsame, der durch konfiskation. Für die übrigen volljährigen Familienmitglieder war – ohne Rücksicht auf ihre Beteiligung oder Kenntnis – die Verschickung in „entlegene Bezirke Sibiriens“ vorgesehen (nach Maurach / Rosenthal, Der strafrechtliche Staatsschutz in der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen, S. 78 f.). 940 Vgl. auch § 3 StGB-DDR. 941 Darüber hinaus musste er die sozialgefährlichen Folgen voraussehen, diese wollen oder deren Eintritt bewusst zulassen. Zur heutigen Rechtslage siehe unten Fußnote 942. Zur entsprechenden Auslegung der anderslautenden §§ 6, 13 StGB-DDR im DDR-Schrifttum vgl. Hohoff, Vorsatz und „Unrechtsbewußtsein“ im Strafrecht der DDR als Problem aktueller Rechtsanwendung, DtZ 1997, S. 308 (311 f.) m. w. N.; siehe aber auch BGHSt 39, S. 1 (35); BGHSt 39, S. 168 (190 f.) m. w. N., wonach sich aus der Praxis der DDR-Gerichte nicht schließen lasse, dass nach DDR-Recht die irrige Vorstellung über die Rechtmäßigkeit einer Tötungshandlung der Annahme eines vorsätzlichen Handelns entgegengestanden hätte. 942 Vgl. dagegen Art. 24 Abs. 2 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation (Уголовный кодекс-РФ), nach dem es für die Strafbarkeit von Fahrlässigkeit – wie beim deutschen § 15 StGB – einer ausdrücklichen Anordnung im Tatbestand bedarf (vgl. F.-C. Schroeder, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, S. 58). Die heutige Vorsatzregelung des Art. 25 Abs. 2 und 3 Russisches StGB, die weiterhin das Kriterium der Sozialgefährlichkeit enthält, wird aber wohl insofern entschärft, dass Fälle der Leichtfertigkeit gem. Abs. 1 als vorsätzliche Begehung angesehen werden. Ausgelegt im Lichte von Art. 15 Abs. 2 der Verfassung der Russischen Föderation (Конституция-РФ), nach dem auch die Bürger Verfassung und Gesetze zu beachten (und deshalb auch zu kennen) haben, ist es in der Praxis wohl kaum möglich, sich erfolgreich darauf zu berufen, man habe die Tat für angemessen und nicht sozialgefährlich gehalten. 943 Regelmäßig erfolgt die Rechtfertigung mit dem Argument der spezialpräventiven „Unschädlichmachung“. Die abschreckende Wirkung von Staatsterror wird freilich fast noch entscheidender sein, so formuliert auch Lenin: „Das Gericht soll den Terror nicht beseitigen, sondern ihn prinzipiell begründen und in Gesetzesform bringen, klar ohne Unaufrichtigkeit und ohne Beschönigung“ (zitiert nach Maurach, in: Maurach / Rosenthal, Der strafrechtliche Staatsschutz in der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen, S. 13). Zum „Feindstrafrecht“ in Diktaturen vgl. auch die aus der deutschen Geschichte stammenden Beispiele bei Morguet, Feindstrafrecht – eine kritische Analyse, S. 228 ff. (zum DDR-Strafrecht) und S. 265 ff. (zur Zeit des Nationalsozialismus).

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

sein Tun die bestehenden Herrschaftsverhältnisse nicht in Frage gestellt hat, wird andererseits aber oftmals als weniger gefährlich und weniger strafwürdig angesehen, als es in den westlichen Rechtsordnungen der Fall ist. In einer konsolidierten Diktatur kann man wohl am ehesten das Risiko einer zu geringeren „Realisierung“944 von politisch weniger bedeutsamen Normen eingehen. Schließlich lässt sich ein Absehen von Verfolgung nach Belieben entweder bestens verschleiern, so dass dies nicht zwingend zu einer Reduktion des empirischen Geltungsgrades kommen muss945, oder das Absehen wird als besondere Barmherzigkeit oder Fortschrittlichkeit des Regimes öffentlichkeitswirksam946 nutzbar gemacht. Dem Vorwurf der „Laxheit“ dagegen wird sich solch ein System regelmäßig ohnehin nicht stellen müssen. Nun mag man den eben getroffenen Feststellungen und ihrer Bedeutung für aktuelle Fragestellungen entgegenhalten, dass es in der Tat völlig verfehlt wäre, allen Vertretern der Vorsatztheorie Sympathien für autoritäre Regimes zu unterstellen. Derjenige, der in einer konsolidierten Diktatur Rechtswissenschaft betreibt, will als Vertreter der Vorsatztheorie vielleicht gerade ganz im Gegenteil die Folgen des ein oder anderen willkürlichen oder schikanösen Strafgesetzes abmildern. Auch den modernen westlichen Vertretern der Vorsatztheorie geht es – wie oben gezeigt – eindeutig um menschenfreundliche und achtbare Anliegen947. Genauso soll der katholischen Kirche mit ihrem Codex Iuris Canonici hier nichts anderes unterstellt werden948, sie steht als Glaubensgemeinschaft mit einem entsprechenden Vorsatzverständnis nicht alleine. So privilegiert auch das jüdische Strafrecht, was aufgrund der gemeinsamen Glaubensgrundlagen nicht sonderlich überrascht, den Schogeg (‫)שוגג‬, d. h. den unvorsätzlichen Sünder949. Fairerweise muss man darüber hinaus zugeben, dass nicht nur der E 1936950, sondern – politisch völlig unverdäch944 Popitz, Die normative Konstruktion von Gesellschaft, S. 23, 35, 64 ff. Die Norm gelte nur in dem Grade, in dem sie eingehalten oder durch Sanktionen bekräftigt wird (S. 35). 945 Vgl. Popitz, a. a. O., S. 23. Siehe oben Seite 35. 946 So war es wohl bei Art. 8 des Strafgesetzbuches der Russischen SFSR von 1961, welches als große Errungenschaft gegenüber westlichen Rechtsordnungen verkauft wurde (vgl. oben Seite 141, insb. Fußnote 941). In Südafrika kam noch ein weiterer Aspekt zum Tragen, dort versuchte man die (durch mangelnde Strafverfolgung entstandene) hohe Kriminalitätsrate innerhalb der „schwarzen“ (quasi im Hobbesschen Naturzustand befindlichen) townships im Sinne der Apartheidsideologie zu instrumentalisieren (vgl. oben Seite 139, Fußnote 925). 947 Siehe oben Seite 137. 948 Siehe oben Seite 138. Die evangelischen Landeskirchen kennen dagegen gar kein eigenes Strafrecht, wohl aber das Mittel der Kirchenzucht und ein Disziplinarwesen für Pfarrer und Kirchenbeamte. 949 Vgl. dazu Enker, Error Juris in Jewish Criminal Law, Journal of Law and Religion, Vol. 11, No. 1 [1994 – 1995], S. 23 (27 ff., insb. 28). Dies hilft dem Strenggläubigen sogar dabei, am Sabbat zumindest teilweise von den Segnungen der Elektrizität profitieren zu können (solange er selbst keinen Schalter bedient). Schließlich müsse man davon ausgehen, dass selbst die jüdischen Mitarbeiter von Kraftwerken sich ihrer fortwährenden Verletzung der Feiertagsgesetze nicht bewusst seien. Damit wird der (eigentlich bösgläubige) Endverbraucher nicht zum Nutznießer einer vorsätzlichen Rechtsverletzung. 950 Siehe oben Seite 51.

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tig – auch Gustav Radbruchs nichtamtlicher Entwurf von 1922 für ein allgemeines deutsch(österreichisch)es Strafgesetzbuch von der Vorsatztheorie ausging951. Dieser Entwurf war ein durchaus klares Bekenntnis zu einem humanen Strafrecht für ein Land, das sich Radbruch als sozialen Volksstaat und als Rechtsstaat in einem wünschte952. Nur helfen selbst heute noch durchaus anerkennenswerte Motive nicht darüber hinweg, dass eine wirklich praktische Erprobung der Vorsatztheorie auf staatlicher Ebene bisher vorrangig in autoritären Systemen im Rahmen eines an die jeweiligen Verhältnisse angepassten „Bürgerstrafrechts“953 stattgefunden hat. Dabei ist in der Diktatur der an sich gehorsame „Bürger“ freilich nicht wirklich „Bürger“, sondern vielmehr „Untertan“, dem die Staatsführung aber im Rahmen einer eher utilitaristischen Herangehensweise gerade deshalb nichts Böses wollen muss. Im Jahre 1947 lieferte dafür wiederum Radbruch, der inzwischen seine Meinung zugunsten der Schuldtheorie geändert hatte, eine höchst treffende Analyse, die sich damals selbstverständlich nicht auf das spätfranquistisch-spanische, südafrikanische und sowjetische Strafrecht bezog, aber mit der hier gemachten Beobachtung in Einklang steht. So formuliert er, dass vor allem derjenige genötigt sein muss, den Vorsatz als „bewußten Ungehorsam“ aufzufassen, der „die Urform des Rechts in Befehlen, in Geboten oder Verboten erblickt“954. Die Vorsatztheorie ist also vor allem Ausdruck (oder zumindest Folge) einer „imperativen Rechtsauffassung“955, nach der das Gesetz allein auf dem freien schöpferischen Willen des Gesetzgebers beruht. Einer Kirche oder sonstigen Gemeinschaft mag man eine sol951 Vgl. § 13 Abs. 1 des Entwurfes lautete: „Ein Irrtum, der den Täter das Unrecht seiner Tat nicht erkennen läßt, schließt die Bestrafung wegen vorsätzlicher Begehung aus.“ Zitiert nach Dehler / Eb. Schmidt (Hrsg.), Gustav Radbruchs Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches, S. 3, 61. Der Entwurf wurde von Radbruch nach Ernennung zum Reichsminister der Justiz (1921 – 1923) in politisch turbulenten Zeiten vorgelegt. Er war Teil einer geplanten deutsch-österreichischen Rechtsangleichung. Vgl. dazu auch Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 169 ff. 952 Eb. Schmidt, in: Dehler / Eb. Schmidt (Hrsg.), a. a. O., S. VII. Der Entwurf kennt nur Freiheits- und Geldstrafen (§ 29), wobei erstere nunmehr vorrangig der Besserung des Täters dienen sollten. Verzichtet wurde dagegen auf die Todesstrafe und alle Ehrenstrafen. Auch der Besondere Teil (§§ 85 ff.) war für die damalige Zeit ausgesprochen fortschrittlich. Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 159, 169 ff. betont allerdings, dass der Entwurf durchaus auch massive Verschärfungen strafrechtlicher Sanktionen enthielt. 953 Zum „Bürgerstrafrecht“ nach Jakobs im demokratischen Rechtsstaat, vgl. dagegen oben Seite 105. 954 Radbruch, Anmerkung zu OLG Frankfurt am Main vom 12. August 1947, Süddeutsche JZ 1947, Sp. 633 (634); vgl. auch Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, S. 132 ff.; Welzel, Die Regelung von Vorsatz und Irrtum, ZStW 67 [1955], S. 196 (200 ff.); Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, S. 116; Husak / von Hirsch, Culpability and Mistake of Law, in: Shute / Gardner / Horder (Hrsg.), Action and Value in Criminal Law, S. 157 (163); Löffler, Schuldformen des Strafrechts, S. 31; Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 420. 955 Der Begriff stammt von Germann, Imperative und autonome Rechtsauffassung, ZfSchR [46] 1927, S. 185.

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che in Bezug auf die eigene von Gott abgeleitete Moral- und Glaubenslehre zwar auch heute noch zugestehen, selbst wenn sie dabei – durchaus autoritär – Gefügigkeit als Wert an sich einfordert956. Die Missachtung eines göttlichen Willens als Kernvorwurf sollte in einem säkularen Strafrecht aber keine Entsprechung finden957. Schlichtweg anmaßend ist es vielmehr, als moderner Staat quasi selbstzweckhaft aufzutreten und weltliche Gesetze wie ein „launischer Despot“958 ausschließlich mit der eigenen Herrschafts- und Befehlsgewalt und losgelöst von jeder ethischen Rechtfertigung zu legitimieren. Ebenso darf sich auch die Strafrechtswissenschaft nicht allein auf einen allgemeinen staatlichen Gehorsamsanspruch und den positiven Befund einer erfolgten Rechtssetzung fixieren959. Bereits direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs galt es dann auch nach Radbruch, ein solches überkommenes Rechtsverständnis zu Fall zu bringen sowie von der akritischen und damit politisch wehrlosen Fokussierung auf Gesetzlichkeit Abstand zu nehmen. Zwar war der Rechtspositivismus in der Weimarer Zeit960 wohl noch taugliches Mittel, vor allem die widerstrebende Richterschaft zur Treue gegenüber Gesetzen sozialliberalen Inhalts zu bewegen961. Auch danach habe der Positivismus immerhin für sich gehabt, der „Tyrannenmacht“ in gewisser Weise Grenzen zu setzen962, da sich selbst im Nationalsozialismus nicht jeder beliebige Willkürakt zum Gesetz erheben ließ. Nach dessen Überwindung war aber klar, was eigentlich zu gelten hat, nämlich, dass „Unrecht […] nicht darum Unrecht [ist], weil es verboten ist, sondern es wird verboten, weil es Unrecht ist“963. Für das Kernstrafrecht bestreiten das heute freilich nur wenige. Mit den Anhängern einer partiellen Anwendung der Vorsatztheorie könnte man aber argumentieren, dass dies im Nebenstrafrecht – insbesondere bei Blankettnormen – anders sei964.

956 Den Mitgliedern bleibt es schließlich seit der Abschaffung von cuius regio, eius religio unbenommen, die Gemeinschaft zu verlassen (ohne dafür emigrieren zu müssen). 957 Enker, Journal of Law and Religion, Vol. 11, No. 1 [1994 – 1995], S. 23 (29). 958 Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, S. 116. 959 Zur Verwandtschaft von Vorsatztheorie und Gesetzespositivismus vgl. auch Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, S. 132 ff.; Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, S. 116. 960 Insbesondere aus dem Blickwinkel eines Reichsministers der Justiz (1921 – 1922, 1923). 961 Bekannt ist der Ausspruch: „Wir verachten den Pfarrer, der gegen seine Überzeugung predigt, aber wir verehren den Richter, der sich durch sein widersprechendes Rechtsgefühl in seiner Gesetzestreue nicht beirren lässt.“ Vgl. Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 160. 962 Radbruch, Süddeutsche JZ 1947, Sp. 633. Nicht wenige nationalsozialistische Strafrechtslehrer befürworteten deshalb auch einen materiellen Verbrechensbegriff, der nach Abschaffung des Analogieverbotes (siehe dazu Seite 215) strafschärfend wirkte. Vgl. Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 186 f. m. w. N. 963 Radbruch, Süddeutsche JZ 1947, Sp. 633 (634). 964 Vgl. etwa Schroth, Vorsatz und Irrtum, S. 37.

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c) Ergebnis und weitere Vorgehensweise Für eine partielle Anwendung der Vorsatztheorie im Rahmen einer sonst herrschenden Schuldtheorie wären damit zwei Begründungsansätze denkbar, die sich freilich gegenseitig nicht unbedingt ausschließen: Zum einen könnte allein der Aspekt einer faktisch geringeren Vorwerfbarkeit von Rechtsirrtümern als Grundlage genügen, die Schuldtheorie auf dem Gebiet des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts sowie des übrigen Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrechts restriktiver anzuwenden965. Dies wird als erste Fragestellung zu überprüfen sein. Schließlich wurde die Schuldtheorie ursprünglich eher mit Blick auf die Tatbestände des Mordes und der Körperverletzung entwickelt als für das „Weinrecht der Europäischen Union“ oder das „Parken im Straßenverkehr“966. Sollte dies nicht ausreichen, eine nebenstrafrechtliche Sonderdogmatik vollumfänglich zu rechtfertigen, wird als zweite Fragestellung zu untersuchen sein, ob den Strafnormen außerhalb des Kernbereichs, insbesondere solchen mit Blankettcharakter, ein „imperativer“ Charakter zugesprochen werden kann. Wenn sich der antisoziale Charakter eines bestimmten Verhaltens mehr oder minder ausschließlich aus der gesetzlichen Regelung selbst ergibt, ginge dies nicht nur mit einer geringeren Vorwerfbarkeit einher, vielmehr käme auch ein ganz wesentlicher qualitativer Aspekt hinzu, der für eine großzügigere Anwendung des § 16 StGB sprechen könnte. Dann läge es nämlich durchaus nahe, ausnahmsweise den abstrakten Gesetzesgehorsam in den Vordergrund zu rücken und nur der bewussten Auflehnung gegen das Recht eine besondere Strafwürdigkeit zuzusprechen967. Fällt jedoch auch dieses Ergebnis negativ aus, muss als dritte Fragestellung zumindest eine Erklärung für unstreitige Abweichungen von der allgemeinen Zuordnung des Rechtsirrtums als Verbotsirrtum gem. § 17 StGB gefunden werden, so wie es insbesondere bei „Blanketten“, die auf Einzelakte verweisen, und bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen der Fall ist. Dadurch ließe sich auch die umfangreiche Kasuistik zu außerstrafrechtlichen Fehlvorstellungen in klarere allgemeingültige Bahnen lenken, um wenigstens so die Abgrenzung des Irrtums über Tatumstände gem. § 16 StGB vom Verbotsirrtum gem. § 17 StGB und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt in Zukunft zu erleichtern.

Siehe oben Seite 136. Tiedemann, Zum Stand der Irrtumslehre, Festschrift-Geerds, S. 95 (103). Siehe auch oben Seiten 53 f. 967 Siehe oben Seiten 143 f. 965 966

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2. Geringere Vorwerfbarkeit von Rechtsirrtümern – alleinige Grundlage für eine partielle Anwendung der Vorsatztheorie? Fraglich ist also zunächst, ob allein eine typisch geringere Vorwerfbarkeit eine großzügigere Behandlung aller Rechtsirrtümer auf einem Gebiet rechtfertigen kann. Da nebenstrafrechtliche Tatbestände sozialethisch oft farbloser sind und Regelungsmaterien häufig gleich auf mehrere Normen oder gar Gesetze verteilt werden, erscheint es zumindest gesichert968, dass diese Normen meist eine höhere Irrtumsanfälligkeit aufweisen. Verzeihliche Fehlannahmen kommen also auf dem Gebiet des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts in der Praxis weitaus häufiger vor. a) Keine Trennbarkeit von Kern- und Nebenstrafrecht – geringe Bedeutung des Standorts der Sanktionsnorm für die Vorwerfbarkeit von Rechtsirrtümern Eine saubere Trennung zwischen Kern- und Nebenstrafrecht969 ist jedoch kaum zu leisten970. Würde man die Anwendung von Schuld- und Vorsatztheorie etwa allein am Standort der Strafnorm innerhalb oder außerhalb des Strafgesetzbuches festmachen, wäre dies angesichts Art. 1 Abs. 1 EGStGB, § 369 Abs. 2 AO und auch § 11 Abs. 1 und 2 OWiG eindeutig contra legem. Es wäre im Einzelfall aber auch sachwidrig: So sind etwa die Tatbestände des Subventionsbetruges als § 264 StGB, des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt als § 266a StGB in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden, während die geradezu klassische Steuerhinterziehung in der Abgabenordnung (§ 370 AO) verblieben ist971. Trotzdem ergeben sich bei allen Tatbeständen ähnlich vorwerfbare Irrtumskonstellationen972. Besonders plastisch zeigt sich die IrrtumsanfälSiehe schon oben Seite 29. Siehe oben Seiten 98, 111 und 135; Arthur Kaufmann, Einige Anmerkungen zu Irrtümern über den Irrtum, Festschrift-Lackner, S. 185 (189 f.); Maihofer, Zur Systematik der Fahrlässigkeit, ZStW 70 [1958], S. 159 (193 f.); Jenny, Tatbestands- und Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, SchwZStr 107 [1990], S. 241 (251 ff.); Tiedemann, Zur legislatorischen Behandlung des Verbotsirrtums, ZStW 81 [1969], S. 869 (871, 884); Weber, Die Überspannung der staatlichen Bußgeldgewalt, ZStW 92 [1980], S. 313 (340); ders., Konzeption und Grundsätze des Wirtschaftsstrafrechts (einschließlich Verbraucherschutz), ZStW 96 [1984], S. 376 (392 ff.); vgl. auch Figueiredo Dias, Vom Verwaltungsstrafrecht zum Nebenstrafrecht, Festschrift-Jescheck, S. 79 (86). 970 Welzel, Der Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, JZ 1956, S. 238 (240); Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, S. 119; Jakobs, Strafrecht AT, 19. Absch., Rn. 19; Maiwald, Unrechtskenntnis und Vorsatz im Steuerstrafrecht, S. 43. 971 Buddendiek / Rutkowski, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stichwortband, Einführung in das Nebenstrafrecht I erscheint dies als widersprüchlich. 972 Man könnte allenfalls behaupten, dass man nicht gezwungen ist, Subventionen in Anspruch zu nehmen, so dass einem deshalb höhere Sorgfaltspflichten treffen als bei § 370 AO. Dieser Einwand träfe bei § 266a StGB aber nicht mehr zu. 968 969

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ligkeit von § 266a Abs. 1 StGB973 (aber auch des Bankrotts gem. § 283 Abs. 1 Nr. 7 lit. b StGB974 oder der Gläubigerbegünstigung gem. § 283c Abs. 1 StGB) im ganz zu Anfang dieses Teils975 erwähnten Fall, bei dem in der Unternehmenskrise mit dem letzten Geld aus persönlicher Verbundenheit vorzugsweise Arbeitnehmer und Warenlieferanten bedient werden, die Sozialkassen jedoch leer ausgehen (und deshalb auch ein Steuerberater nicht mehr bezahlt werden kann). Eine solche Tat in dem Glauben, korrekt gehandelt zu haben, ist wohl regelmäßig deutlich verzeihlicher als ein als Nebenstrafrecht zu bezeichnendes Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG oder ohne Versicherungsschutz gem. § 6 Abs. 1 PflVG. Auch wenn letztgenannte Strafbarkeiten im Gegensatz zur erstgenannten außerhalb des Strafgesetzbuches normiert sind, wird jedem laienhaft bekannt sein, dass zum Autofahren auf öffentlichen Straßen „Führerschein“976 und „Haftpflichtversicherung“ gehören. Dagegen wird die Lage bei § 266a Abs. 1 StGB richtig kompliziert, wenn selbst Straf- und Zivilsenate des Bundesgerichtshofes uneinheitlich judizieren bzw. zwischen verschiedenen Zeiträumen im Umfeld der Unternehmenskrise977 und der Fälligkeit der Beitragszahlungspflicht978 unterscheiBGHSt 47, S. 318; BGHSt 48, S. 307; BGH NStZ 2006, S. 223. BGH NStZ 2003, S. 546 (548). 975 Siehe oben Seite 30. 976 Der „Führerschein“ ist eigentlich nur die Verkörperung der „Fahrerlaubnis“ (vgl. § 2 Abs. 1 S. 3 StVG), auf letztere kommt es an. 977 BGHSt 47, S. 318; BGHSt 48, S. 307; BGH NStZ 2006, S. 223 sehen die Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen grundsätzlich als primäre an. Dies gilt, obwohl Forderungen der Sozialversicherung im Insolvenzverfahren seit 1998 nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger (anders als bei § 59 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und § 61 Abs. 1 Nr. 1 der alten Konkursordnung) nicht mehr vorrangig zu befriedigen sind. Zahlungen an die Sozialversicherung, die in der Unternehmenskrise vorgenommen werden, unterliegen unter Umständen sogar der Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO, vgl. BGHZ 149, S. 100, BGH(Z) NJW 2005, S. 2546. Gem. § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV n. F. gilt dies allerdings nicht mehr für die Arbeitnehmerbeiträge bei Insolvenzverfahren, die nach dem 1. Januar 2008 eröffnet wurden. Aber auch vorher änderte die Möglichkeit der Anfechtung nach BGHSt 48, S. 307 (312 f.) bekanntermaßen nichts an der Strafbarkeit. Die Interessenlage im Vorfeld sei eine andere, abhängig davon, ob es überhaupt zu einem Insolvenzverfahren kommt. Im 3-WochenZeitraum des § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. (§ 15a Abs. 1 InsO n. F.) jedoch galt laut BGHZ 146, S. 264 (274 f.), dass sich der GmbH-Geschäftsführer bei Einhaltung der eben genannten Pflichten, also der masseverkürzenden Abführung von Sozialbeiträgen, gem. § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG (für das Vorstandsmitglied vgl. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG i.V. m. § 92 Abs. 3 S. 1 AktG) persönlich ersatzpflichtig macht. Deshalb soll nach BGHSt 48, S. 307 (309 f.) für diesen Zeitraum § 64 S. 1 GmbHG n. F. (§ 92 Abs. 3 S. 1 AktG) als Rechtfertigungsgrund greifen. Nunmehr hat aber wiederum BGH(Z) NJW 2007, S. 2118 (2120) mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung und das Strafbarkeitsrisiko entschieden, dass Zahlungen an die Sozialversicherung i. S. d. § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG (§ 92 Abs. 2 S. 2 AktG n. F.) mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind, also doch keine Ersatzpflicht nach sich ziehen. Wird über die 3-Wochen-Frist hinaus kein Insolvenzantrag gestellt (strafbar gem. § 15a Abs. 4 InsO n. F.), greift dann in jedem Fall wieder § 266a StGB, vgl. BGHSt 48, S. 307 (313). 978 § 266a Abs. 1 StGB ist ein echtes Unterlassungsdelikt, so dass bei tatsächlicher oder rechtlicher (z. B. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) Unmöglichkeit der Pflichterfüllung im Fälligkeits973 974

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den sowie grundsätzlich auch Lohnsteuer angemeldet und abgeführt werden muss979. Verhältnismäßig leicht zu verstehen ist dagegen wiederum die in einer solchen Situation ebenfalls relevante Strafvorschrift der Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 4 InsO n. F. Gleiches ließe sich selbst für Ordnungswidrigkeiten beliebig fortsetzen: Weder verdienen sie als Ganzes – etwa wegen ihrer angeblichen Wertneutralität980 – eine Sonderdogmatik981, noch stellt sich der Standort eines Bußtatbestandes als sachlich überzeugendes Differenzierungskriterium dar. So finden sich allseits bekannte „Kern“-Bußgeldtatbestände, falls es solche überhaupt gibt, doch viel eher in § 24 StVG i.V. m. § 49 StVO, § 75 FeV oder § 69a StVZO als im Dritten Teil des Ordnungswidrigkeitengesetzes, also in den §§ 111 ff. OWiG. Selbst der seitens der Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (GEZ) in den Medien reichlich beworbene Bußgeldtatbestand des § 9 Rundfunkgebührenstaatsvertrags dürfte bekannter sein als das unbefugte Benutzen des Wappens der Schweizerischen Eidgenossenschaft gem. § 125 Abs. 2 OWiG oder das unbefugte Tragen von Ordensgewändern gem. § 126 Abs. 1 Nr. 2 OWiG.

Der Standort der Straf- oder Bußgeldnorm hat also nicht zwingend etwas mit der Verzeihlichkeit bestimmter Irrtümer zu tun. Auch im Strafgesetzbuch gibt es Normen, deren zutreffende Interpretation durch den Bürger allein im Wege der Überlegung und intensiven Gewissensanspannung nicht sicher zu bewältigen ist. Selbst bei den Tötungsdelikten, wohl zentralster Bestandteil eines jeden Strafgesetzbuches, gibt es heikle Randbereiche, wenn man etwa an Grenzfälle der Sterbehilfe denkt982. Dagegen kann man auch außerhalb des Strafgesetzbuches oder des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten auf Vorschriften treffen, die relativ eindeutige Vorgaben machen983.

zeitpunkt (§ 23 Abs. 1 SGB IV) der Tatbestand eigentlich nicht mehr erfüllt werden kann. Nach dem Rechtsgedanken der omissio libera in causa lässt sich aber für das zeitliche Vorfeld der Fälligkeit eine Pflicht zur Liquiditätsvorsorge konstruieren, vgl. BGHSt 47, S. 318 (320); Radtke, Anmerkung zu BGH vom 28. Mai 2002, NStZ 2003, S. 154 (156); Perron, in: Schönke / Schröder, § 266a StGB, Rn. 10 m. w. N. 979 Vgl. BFH NZI 2007, S. 599 mit Einschränkungen allenfalls zum 3-Wochen-Zeitraum des § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. bzw. § 15a Abs. 1 InsO n. F. Dass all dies den Bürger u. U. überfordern kann, gerade wenn er sich als Gewerbetreibender in der psychisch nicht einfach zu bewältigenden Situation befindet und Beratungsleistungen nicht mehr bezahlen kann, dürfte auf der Hand liegen. 980 Siehe bereits oben Seite 75; zum gegenteiligen portugiesischen Verständnis und Art. 8º, nº 2 und 9º Decreto-Lei nº 433 / 82 vgl. auch Seite 62. 981 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 10, Rn. 16; Rebmann / Roth / Herrmann, § 11 OWiG, Rn. 29. 982 Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 17 StGB, Rn. 39. 983 Welzel, JZ 1956, S. 238 (241).

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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b) Berücksichtigung des Adressatenkreises und der Blanketttechnik Ausnahmslose Kenntnis von „annähernd 1000 Gesetzen“984 kann vom Bürger freilich nicht verlangt werden985. Dies wird aber auch von niemandem gefordert; Spezialnormen des Nebenstrafrechts werden nicht für jedermann relevant, sie sind jeweils auf Angehörige besonderer Berufsgruppen und bestimmte Lebenskreise zugeschnitten986. Entsprechend betreffen die Regeln des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) nur denjenigen, der mit entsprechenden Produkten zu tun hat987, das Weingesetz (WeinG) nur Weinbaubetriebe, Kellereien und den Fachhandel988, das Außenwirtschaftsgesetz (AWG), die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) sowie unmittelbar geltende EU-Vorschriften nur exportierende Unternehmen989, das Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKG) nur Waffenfabrikanten und -händler990 und das Bauforderungssicherungsgesetz (BauFordSiG) nur Baugeldempfänger991. Gastwirte müssen sich nicht mit Vorschriften über den Umgang mit Gefahrstoffen im Sinne des Chemikaliengesetzes (ChemG)992 auseinandersetzen. Für sie sollte aber das Verbot des Ausschanks von Alkohol an Kinder und Brandwein an Jugendliche gem. § 9 Abs. 1 JuSchG993 zu den Grundlagen der Berufstätigkeit gehören. Gleiches gilt für die Arbeitgeber bzw. für Verantwortliche der Personalabteilungen, wenn man allgemein an die Pflicht zur Abführung von Sozialabgaben gem. §§ 28e Abs. 1, 28g SGB IV oder der Lohnsteuer gem. § 41a EStG994 oder die Regelungen zum Schutz sozialstaatlicher Arbeitsbedingungen etwa in den §§ 3 ff. Arbeitszeitgesetz (ArbZG)995 und den §§ 5 ff., 8 ff. Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG)996 denkt. 984 Vgl. oben Seite 19 [nach Tiedemann, Zum Stand der Irrtumslehre, Festschrift-Geerds, S. 95 (96)]. 985 Vgl. Müller-Magdeburg, Die Abgrenzung von Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei Blankettnormen, S. 95. 986 Müller-Magdeburg, Die Abgrenzung von Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei Blankettnormen, S. 97; Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 17 StGB, Rn. 39. 987 Straf- und Bußgeldvorschriften finden sich in den §§ 58 ff. LFBG. 988 Straf- und Bußgeldvorschriften finden sich in den §§ 48 ff. WeinG. 989 Straf- und Bußgeldvorschriften finden sich in den §§ 33 f. AWG. 990 Straf- und Bußgeldvorschriften finden sich in den §§ 19 ff. KrWaffKG. 991 Ein Straftatbestand befindet sich in § 2 BauFordSiG. 992 Straf- und Bußgeldvorschriften finden sich in § 328 Abs. 3 StGB und den §§ 26 ff. ChemG. 993 Der Verstoß ist bußgeldbewehrt durch § 28 Abs. 1 Nr. 10 JuSchG. 994 Ein Verstoß ist u. U. strafbar gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO oder kann gem. §§ 378, 380 AO als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. 995 Verstöße sind bußgeld- bzw. strafbewehrt in §§ 22, 23 ArbZG (siehe dazu Schlottfeld, in: Ignor / Rixen, Handbuch Arbeitsstrafrecht, § 9, Rn. 148 ff.). 996 Verstöße sind bußgeld- bzw. strafbewehrt in den §§ 58, 59 JArbSchG. Vgl. auch §§ 25, 26 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und § 21 Mutterschutzgesetz (MuSchG). Siehe allgemein zum Arbeitsschutz Rixen, in: Ignor / Rixen, Handbuch Arbeitsstrafrecht, § 10.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Die Einholung entsprechender Informationen wird für die Betroffenen auch nicht dadurch erschwert, dass der Gesetzgeber bestimmte Normen als „Blankettgesetze“997 formuliert hat. Die Unkenntnis etwa des Verbots von Kinderarbeit ist nicht deshalb entschuldbarer, weil dieses nicht unmittelbar in der Sanktionsnorm des § 58 Abs. 1 Nr. 1 (gegebenenfalls i.V. m. Abs. 5) JArbSchG, sondern mit gemeinsamer Wirkung für das Öffentliche und Bürgerliche Recht998 vorab in § 5 Abs. 1 JArbSchG geregelt ist. Es besteht auch keine Grundlage dafür, dem Gesetzgeber zu unterstellen, er wolle so im Wege der Gesetzestechnik eine verstärkt täterentlastende Handhabung von Irrtümern erreichen999. Gleiches gilt auch in anderen Bereichen, etwa im Insiderstrafrecht, wo die einzelnen verwaltungsrechtlichen Verbote in § 14 WpHG1000, Strafbarkeiten und Ordnungswidrigkeiten aber erst in den §§ 38 Abs. 1, 39 Abs. 2 Nr. 3 und 4 WpHG zu finden sind, sowie überall dort, wo Sanktionen für die Verletzung spezialgesetzlicher Pflichten als Schlussvorschriften – wie bei den §§ 104a, 130b, 331 ff., 340m ff., 341m ff., 342e HGB oder den §§ 399 ff. AktG – jeweils übersichtlich am Ende des Gesetzes oder des Abschnittes zusammengefasst werden. Denkt man an die Insolvenzverschleppung, zeigt sich die fehlende Irrtumsrelevanz der Blanketttechnik auch daran, dass die Gesetzesänderung durch das MoMiG1001 keinen Wandel der darauf bezogenen Abgrenzung von § 16 StGB und § 17 StGB bewirken sollte, obwohl Sanktionsnorm und Antragspflicht nun nicht mehr wie bei § 64 Abs. 1 und § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG a. F.1002 getrennt, sondern zusammen in § 15a Abs. 1 und 4 InsO (jeweils i.V. m. §§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO) enthalten sind. Dass auch dann nichts anderes gilt, wenn Blankett- und Ausfüllungsnorm in unterschiedlichen Gesetzen zu finden sind, offenbart sich im Umweltstrafrecht (§§ 324 ff. StGB): Die wichtigsten Tatbestände wurden bekanntermaßen im Jahre 1980 im Wege des Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes1003 mit erheblichen Strukturveränderungen und Erweiterungen ins Strafgesetzbuch überführt1004. Begriffliche Bezugnahmen Zur Kritik an einer allzu pauschalen Verwendung des Begriffs siehe oben Seiten 116 f. Schlachter, in: Erfurter Kommentar, § 5 JArbSchG, Rn. 12. 999 Dies tut etwa Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 338, obwohl sie zuvor zutreffend erkennt, dass die Verwendung von Blankettmerkmalen aus gesetzesökonomischen Gründen geschieht und die Kompetenz zur Beschreibung strafbaren Verhaltens auch hinsichtlich des Irrtums allein beim Gesetzgeber liegt. 1000 Schwark, in: Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 14 WpHG, Rn. 1 f. 1001 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008, BGBl. I, S. 2026. Siehe dazu auch Bittmann, Strafrechtliche Folgen des MoMiG, NStZ 2009, S. 113. 1002 Selbst Tiedemann, in: Scholz, 9. Aufl., § 84 GmbHG a. F., Rn. 5, 99 verlangte für die vorsätzliche Verwirklichung von § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG a. F. keine Kenntnis von § 64 GmbHG a. F. i.V. m. §§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO (siehe auch oben Seite 99; zu § 15a InsO vgl. ders., in: Scholz, 10. Aufl., Vor §§ 82 ff. GmbHG, Rn. 57). Vgl. ferner §§ 401 Abs. 1 Nr. 2, 92 Abs. 2 AktG, §§ 130b, 177a, 130a Abs. 1 HGB und §§ 148 Abs. 1 Nr. 2, 99 Abs. 1 GenG jeweils in a. F. 1003 BGBl. 1980 I, S. 373. 1004 Lackner / Kühl, Vor § 324 StGB, Rn. 1. 997 998

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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auf Verwaltungsnormen außerhalb des Strafgesetzbuches blieben dabei bei allen Tatbeständen des 29. Abschnitts als sachimmanent erhalten1005. Auch wenn damit eine standortmäßige Trennung der Straf- von den zugehörigen verwaltungsrechtlichen Normen einherging, war es keinesfalls ein Anliegen der Reform, eine Privilegierung der vermeidbaren Rechtsunkenntnis von Betreibern bestimmter Anlagen etc. zu bewirken. Vielmehr wollte man ganz im Gegenteil mit der Überführung der zentralen Straftatbestände ins Strafgesetzbuch das Bewusstsein für die Sozialschädlichkeit von Umweltbelastungen schärfen1006. Insgesamt lässt sich damit beobachten, dass die Betroffenen von Normen des sogenannten Nebenstrafrechts in einer besonders engen Beziehung zu den jeweils geschützten Rechtsgütern stehen. Jakobs betont deshalb völlig zu Recht, dass für den Fachmann eine Vielzahl von sozialethisch angeblich neutralen Regelungen in ihrer Notwendigkeit evident sein dürfte1007. Selbst dort wo dies nicht der Fall ist, ist vom Neuling zu erwarten, dass er sich über die für ihn geltenden Vorschriften informiert. Auch die Anwendung der Blanketttechnik als solche lässt entgegen der verbreiteten Ansicht im Schrifttum keine Konsequenzen zugunsten einer restriktiveren Anwendung der Schuldtheorie zu1008, jedenfalls, wenn man diese mit einer angeblich geringeren Vorwerfbarkeit von Irrtümern über abstrakte Ausfüllungsnormen begründen möchte. c) Abgleich mit „Blanketten“, die auf Einzelakte Bezug nehmen, sowie rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen Auch ein Abgleich mit den Konstellationen, in denen die Rechtsunkenntnis einen Vorsatzausschluss nach sich zieht, führt zu keinem anderen Ergebnis. So wirkt sich bei Bezugnahme auf behördliche oder justizielle Einzelakte durch einen Straf- oder Bußgeldtatbestand die fehlende Kenntnis der strafbegründenden Anordnung unstreitig nicht nur auf das Unrechtsbewusstsein aus, sondern führt stets zu einem Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB1009. Dass insofern kein Zusammenlesen von Sanktionsnorm und der Anordnung zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlage stattfindet, sondern auf die Existenz der konkreten Verfügung als Tatumstand abgestellt wird, kann aber nicht an einer besonderen Verzeihlichkeit denkbarer Unachtsamkeiten liegen. Ein Verkehrsschild oder eine persönlich zugestellte Einzelverfügung dürfte nämlich in der Regel viel leichter wahrnehmbar sein und normalerweise Vgl. Matejko, Der Irrtum über Verwaltungsnormen, S. 22 ff. Heine, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 324 ff., Rn. 1 ff. 1007 Jakobs, Strafrecht AT, 19. Abschn., Rn. 19; vgl. auch Welzel, JZ 1956, S. 238 (241). 1008 Siehe etwa oben Seiten 98 f., 103 f., 111. Auch de lege ferenda erscheint eine andere Regelung entgegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 a. E. des unter Leitung von Tiedemann erstellten Entwurfs für eine europäische Harmonisierung der Wirtschaftsstraftatbestände nicht wünschenswert (vgl. Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 453 ff.). 1009 Siehe oben Seite 91 (insbesondere Fußnoten 501 ff.) und Seite 117. 1005 1006

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

auch weit stärker ins Bewusstsein des Bürgers dringen als ein im Bundesgesetzblatt verkündetes Gesetz1010. Die Orientierungssicherheit des Bürgers wird insofern also „aufs Beste“1011 gewahrt. Eine entsprechende Verfügung aus Achtlosigkeit zu übersehen, dürfte deshalb meist vorwerfbarer sein als fehlende Gesetzeskenntnis – und dennoch ist erste im Vergleich zur letzteren privilegiert. Dieser vermeintliche Wertungswiderspruch1012 wird allerdings auch von den Gegnern der Schuldtheorie gern aufgegriffen: So zieht Herzberg das Beispiel des Verkehrszeichens im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG als Argument für eine generelle Anwendung der Vorsatztheorie heran1013. Die Anwendung der Schuldtheorie führt allerdings auch in diesem Fall nicht zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes1014. Schließlich sind gerade bei Verkehrsordnungswidrigkeiten fahrlässige und vorsätzliche Verstöße ohnehin gleichermaßen mit Bußgeld bedroht (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 StVG i.V. m. § 49 StVO). Es schadet also nicht weiter, dass der Betroffene eine noch so offensichtliche Allgemeinverfügung, die er übersieht, trotzdem nur fahrlässig missachtet, ein durch Rechtsverordnung bestimmtes Gebot aber, obwohl er es nicht kennt, vorsätzlich nicht einhält, soweit ihm die maßgeblichen tatsächlichen Umstände bekannt sind1015.

Kommt man zurück zum Aspekt der Vorwerfbarkeit, dürften auch Fehlinterpretation der zur Verfügung stehenden Rechtsquellen insbesondere bei schriftlichen Verfügungen seltener vorkommen als bei ausschließlich durch abstrakte Rechtsnormen geregelten Sachverhalten, da die Behörde gegenüber dem einzelnen Bürger bei konkreten Anordnungen keine unbestimmten Rechtsbegriffe verwenden muss, sondern regelmäßig konkret gestaltende und somit leicht verständliche Anordnungen treffen wird1016. Trotzdem führt ein Missverständnis ebenfalls zum Vorsatzausschluss1017. Eine mögliche Besserstellung kann daher auch hier nicht an einer besonderen Verzeihlichkeit denkbarer Missverständnisse liegen. Hinsichtlich rechtsnormativer Tatbestandsmerkmale besteht ebenfalls nahezu Einigkeit, dass der Täter die außertatbestandliche Rechtsfolge mit in seinen Vorsatz aufgenommen haben muss1018. Die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts etwa da1010 Vgl. Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 86; ähnlich Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 204. 1011 Vgl. Schünemann, Die Regeln der Technik im Strafrecht, Festschrift-Lackner, S. 367 (372). 1012 Ein solcher ist allerdings auch dann nicht gegeben, wenn man davon ausgeht, dass die typische Vorwerfbarkeit als Wertungskriterium für die Beurteilung der Vorsatzrelevanz eines Irrtums im Rahmen der Schuldtheorie gerade keine Rolle spielt. 1013 Vgl. Herzberg, Fahrlässigkeit, Unrechtseinsicht und Verbotsirrtum, Festschrift-Otto, S. 265 (282); ders., Vorsatzausschließende Rechtsirrtümer, JuS 2008, S. 385 (389). 1014 Siehe bereits oben Seiten 60 f. und 136 f. 1015 Siehe oben Seite 91. 1016 Siehe oben Seite 91. 1017 Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 15 StGB, Rn. 102; Heine, in: Schönke / Schröder, § 325 StGB, Rn. 26; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 346. 1018 Siehe die Beispiele auf Seiten 43 f., 90, 92 und 94 sowie zusammenfassend die Seiten 118 f. und 125 f.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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rüber, welche Voraussetzungen für eine wirksame Übereignung nach den §§ 929 ff. BGB zu erfüllen sind oder wie sich die gesetzliche Erbfolge nach den §§ 1924 ff. BGB bestimmt, sind dem Bürger aber genauso zugänglich wie die des Strafgesetzbuches. Auch wenn es sich für den Laien vielleicht unübersichtlicher darstellen mag, gilt gleiches auch für das Steuerrecht. Allein Billigkeitserwägungen mit Blick auf die Ermittelbarkeit oder ethische Beliebigkeit der anzuwendenden Gesetze1019 machen deshalb die – der Sache nach richtige – Privilegierung sogenannter außerstrafrechtlicher Irrtümer nicht plausibel. Man kann insofern im Rahmen einer Gesamtschau nicht einmal von einer reinen Begünstigung sprechen, da sich die Klassifizierung als rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal für den Täter auch nachteilig erweisen kann, wenn etwa anders als beim Blankettmerkmal Irrtümer über den Subsumtionsstoff der vorgelagerten Bezugsnorm (z. B. die tatsächlichen Umstände bei der Übereignung) unbeachtlich bleiben, weil dieser für die soziale Realität einer bestimmten Rechtsfolge oder rechtlichen Eigenschaft (z. B. Eigentum) irrelevant ist1020. Insgesamt spricht damit auch der Abgleich mit den genannten unstreitig vorsatzrelevanten Irrtumskonstellationen gegen die Annahme, dass eine geringere oder größere Vorwerfbarkeit der maßgebliche Gesichtspunkt für die Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum ist. d) Folgen der Annahme von § 16 StGB und § 17 StGB – Kriterien für Fahrlässigkeit und Vermeidbarkeit Abschließend soll aber noch ein Blick auf die Rechtsfolgen der §§ 16 und 17 StGB geworfen werden. Das Bedürfnis, allein im Hinblick auf die typische Verzeihlichkeit von Irrtümern im Rahmen einer bestimmten Regelungsmaterie abweichende Abgrenzungsregeln aufstellen zu wollen, scheint mit einem zu restriktiv gehandhabten § 17 StGB im Zusammenhang zu stehen. Zunächst darf weder im Kern- noch im Nebenstrafrecht per se Rechtskenntnis unterstellt werden. Keine Vorschrift rechtfertigt es zudem, mit irgendwie gearteten Vorsatz- oder Schuldpräsumtionen zu arbeiten, der Grundsatz in dubio pro reo gilt gleichermaßen für den vorsatzausschließenden Irrtum wie den, der nur das Unrechtsbewusstsein betrifft1021. Der im Einzelfall nicht vorwerfbare Irrtum führt zudem sowohl bei Anwendung von § 16 Abs. 1 StGB als auch von § 17 S. 1 StGB zur Straflosigkeit. Der oft bemühte Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG1022 kann insofern also gar nicht betroffen sein. Nur für den bösgläubigen Teilnehmer macht es wirklich einen Unterschied, ob der gutgläubige Haupttäter ohne Vorsatz oder 1019 1020 1021 1022

Siehe oben Seite 44 zu RGSt 23, S. 374 (377). Siehe oben Seiten 90, 104, 118 f. und 126. Zu Irrtümern in der forensischen Praxis siehe auch Seiten 26 ff. Siehe bereits oben Seiten 60 f. und 136 f.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

ohne Schuld gehandelt hat1023. Für den nicht rechtstreuen Anstifter oder Gehilfen Straflosigkeit zu erreichen, wird jedoch niemandes vordringliches Anliegen sein. Die wichtigste Ursache für die Forderung, in Teilbereichen (über den unstreitig fälligen Freispruch bei schuldlosem Verhalten im Einzelfall hinaus) generell die Vorsatztheorie anzuwenden, sei es im Nebenstrafrecht, im Ordnungswidrigkeitenrecht oder bei Blankettnormen, dürfte dagegen auf der allzu strengen Handhabung des Begriffs der Vermeidbarkeit in der Praxis beruhen1024. Die Kriterien für die zumutbare (Rechts-)Sorgfalt im Sinne der Fahrlässigkeitstatbestände und die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums sollten sich aber eigentlich nicht unterscheiden1025. Beide Irrtumsarten können im Einzelfall gleichermaßen unvermeidbar, mehr oder minder fahrlässig wie vorwerfbar sein1026. Dass die Schuldtheorie in der forensischen Lebenswirklichkeit zum Teil aber sogar auf ein eigentlich überwunden geglaubtes „error iuris nocet“ hinausläuft1027, die Tatgerichte also häufig zu hohe Anforderungen an den Begriff der Unvermeidbarkeit stellen1028, lässt sich trotzdem nicht leugnen. Die Gründe dafür sind jedoch schlicht in überspannten generalpräventiven Rücksichten zu sehen1029, die sich weder durch Schuld- noch durch Vorsatztheorie allzu leicht überwinden lassen. Es besteht nämlich wohl noch immer die Befürchtung, dass jeder auf fehlende Rechtskenntnis gestützte Freispruch das Eingeständnis mangelnder Evidenz und Effizienz der Norm enthält1030, schlimmstenfalls sogar dem Signal gleichkomme, das entsprechende Verhalten sei erlaubt. Insofern unterscheidet sich der deutsche Praktiker nicht vom utilitaristisch denkenden, angloamerikanischen Juristen, der seine Besorgnisse nur offener zum Ausdruck bringt1031.

1023 Bei Sonderdelikten dürfte der bösgläubige Teilnehmer nicht nur als Gehilfe, sondern auch mal als Anstifter gem. § 26 StGB eine praktische Rolle spielen. Während sonst in Anstifterkonstellationen bei Gutgläubigkeit des Haupttäters natürlich ohnehin i. d. R. mittelbare Täterschaft i. S. d. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB vorliegt, kann es bei Sonderdelikten dafür an den notwendigen Tätereigenschaften fehlen. Zu dem praktischen Beispiel des „Krisenberaters“ vgl. Wessing, Insolvenz und Strafrecht, NZI 2003, S. 1 ff. 1024 Rengier, in: Karlsruher Kommentar, § 11 OWiG, Rn. 7; ders., Strafrecht AT, § 31, Rn. 17. 1025 Duttge, in: Münchener Kommentar, § 15 StGB, Rn. 23 ff.; Lackner / Kühl, § 17 StGB, Rn. 7; Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 17 StGB, Rn. 39; Roxin, Strafrecht AT I, § 21, Rn. 45 ff. 1026 Vgl. auch BGHSt 3, S. 105 (107). 1027 T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 417 (siehe bereits oben Seite 110); Duttge, in: Münchener Kommentar, § 15 StGB, Rn. 29; Zabel, Aktuelle Begründungs- und Anwendungsprobleme in der Dogmatik zu § 17 StGB, GA 2008, S. 18 (43). 1028 Vgl. Arzt, Zum Verbotsirrtum beim Fahrlässigkeitsdelikt, ZStW 91 [1979], S. 857 (861). 1029 Jenny, Tatbestands- und Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, SchwZStr 107 [1990], S. 241 (249). 1030 Neumann, in: Nomos-Kommentar, § 17 StGB, Rn. 5; Joecks, in: Münchener Kommentar, § 17 StGB, Rn. 6; Schöneborn, Grenzen einer generalpräventiven Rekonstruktion, ZStW 92 [1980], S. 682 (686). 1031 Vgl. Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 391; siehe dazu oben Seiten 69 ff.

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Aus soziologischer Sicht sind diese schließlich auch gar nicht einmal so leicht von der Hand zu weisen, wenn man abermals an die Einleitung des ersten Teils1032, namentlich daran denkt, dass das Wissen um eine geringe „Realisierung“1033 einer Norm (jenseits von autoritären Regimes1034) wohl regelmäßig ihren Geltungsgrad reduziert1035. Die deutsche Strafrechtsordnung ist dem Gedanken der positiven Generalprävention allerdings nicht dermaßen verhaftet, dass dem alles andere unterzuordnen wäre. Kein Fehler ist es zwar, wenn die Tatinstanzen dazu neigen, einen scheinbar strengeren Gradmesser anzuwenden als bei normaler Tatfahrlässigkeit. So liegt auch nach BGHSt 3, S. 105 „die Erkennbarkeit eines Rechtsverstoßes hier im allgemeinen näher, als beim Irrtum über Tatsachen“1036. Auch ist gem. BGHSt 4, S. 236 die „Anspannung des Gewissens […] etwas anderes als die Beobachtung der Sorgfalt, die vom Einzelnen verlangt wird, damit er Gefährdungen oder Verletzungen von Rechtsgütern vermeide“1037. Als Vergleichsmaßstab dient insofern jedoch die Erfolgsfahrlässigkeit, welche sich, insbesondere wenn sie auf alltäglichen Wahrnehmungsfehlern beruht, in der Schnelligkeit des Augenblicks nie völlig vermeiden lässt1038. Bei der Rechtssorgfalt kann es entsprechend kein aus ex ante-Sicht vertretbares, erlaubt riskantes Verhalten geben1039. Es überrascht also nicht, wenn insofern wohl zurückhaltender von einer strafrechtlich relevanten Sorgfaltswidrigkeit ausgegangen wird, als es im Rahmen von § 17 StGB beim Begriff der Vermeidbarkeit der Fall ist. Daneben bleibt auch aus prozessualen Gründen weit häufiger eine Bestrafung von Fahrlässigkeitstaten aus1040. Dies liegt aber eben nur daran, dass ein andersartiger Sachverhalt zu beurteilen ist1041. Bei achtloser Verkennung einer vollziehbaren Untersagungsverfügung wird man den Weiterbetrieb einer Abfallentsorgungsanlage dagegen trotz Einschlägigkeit von § 16 StGB genauso häufig wegen Fahrlässigkeit nach § 327 Abs. 3 Nr. 2 StGB ahnden, wie es bei einer vorsätzlichen

Siehe oben Seite 35. Popitz, Die normative Konstruktion von Gesellschaft, S. 23, 35, 64 ff. 1034 Vgl. oben Seite 142, insb. Fußnote 945. 1035 Jakobs, Strafrecht AT, 19. Abschn., Rn. 11 ist hinsichtlich unvermeidbarer Verbotsirrtümer hier weniger pessimistisch. Der Unwissende stelle durch sein Verhalten den Geltungsgrund der Norm schließlich nicht in Frage, ein Freispruch bei Unvermeidbarkeit schwäche nicht die Notwendigkeit der höchstmöglichen Beachtung positiven Rechts. 1036 BGHSt 3, S. 105 (107). 1037 BGHSt 4, S. 236 (243). Vgl. auch BGHSt 21, S. 18 (20). 1038 Vgl. auch T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 404 f. 1039 Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 17 StGB, Rn. 39. 1040 Gerade beim Massenphänomen des Verkehrsunfalls mit Verletzten dürfte das Strafantragserfordernis nach § 230 Abs. 1 StGB sowie die Möglichkeit der Verweisung auf den Privatklageweg gem. § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO i.V. m. Nr. 87 Abs. 1 S. 1, 89 Abs. 2 S. 3 RiStBV eine wesentliche Rolle spielen. 1041 Vgl. Duttge, in: Münchener Kommentar, § 15 StGB, Rn. 27, der betont, dass dennoch vom selben Bewertungsmaßstab auszugehen ist wie bei der Tatfahrlässigkeit. 1032 1033

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Straftat nach § 327 StGB verbunden mit einem ähnlich vorwerfbaren Irrtum auf der gesetzlichen Verbotsebene der Fall wäre. Auf der anderen Seite ist aber auch im Rahmen der geltenden Schuldtheorie eine Verurteilung wegen eines Rechtsverstoßes, der für den Täter nicht als solcher erkennbar war, ohne Frage unzulässig. Unvermeidbarkeit kann nicht im Sinne einer absoluten Unmöglichkeit (vgl. § 7 Abs. 2 StVG1042 oder den französischen Art. 122-3 Code Pénal1043) der Erlangung von Verbotskenntnis verstanden werden, die es in Deutschland bei einer ordnungsgemäß verkündeten und dem Art. 103 Abs. 2 GG entsprechenden Strafnorm gar nicht geben kann1044. Der Begriff der Vermeidbarkeit ist vielmehr ebenso wie bei der Tatfahrlässigkeit individualisiert nach den Kenntnissen und Fähigkeiten des konkreten Täters zu bestimmen1045. Eine Verurteilung trotz Unvermeidbarkeit im Einzelfall widerspricht nicht nur dem verfassungsrechtlich garantierten Schuldprinzip, sie ist angesichts § 17 S. 1 StGB1046 auch eindeutig contra legem. Einer Vorsatztheorie (oder einer an diese angenäherte Variante der Schuldtheorie) bedarf es zur Erzielung eines Freispruches nicht – auch keiner nebenstrafrechtlichen Sonderdogmatik. Praktisch wird der unvermeidbare Verbotsirrtum i. S. d. § 17 S. 1 StGB doch ohnehin gerade im Nebenstrafrecht bedeutsam1047. e) Ergebnis Damit ist die erste Fragestellung dieses Abschnitts1048 beantwortet: Allein die Tatsache, dass im Nebenstrafrecht Irrtümer über gesetzliche Ver- und Gebote häufig (wenn auch nicht immer) verzeihlicher sein mögen als im Kernstrafrecht, rechtfertigt es nicht, dass man abweichende Irrtums- und Abgrenzungslehren für § 16 und § 17 StGB aufstellt. Man ist schließlich nicht gehindert, den § 17 S. 1 StGB im Bereich des Nebenstrafrechts angepasst an die jeweilige Sachlage großzügiger anzuwenden. Wirkliche Unterschiede zwischen der Schuld- und Vorsatztheorie ergeben sich nur bei fraglos vorwerfbaren Verhaltensweisen. Die Schuldtheorie ahndet wegen Vorsatz (mit einem gegebenenfalls nach §§ 17 S. 2, 49 Abs. 1 StGB gemil1042 Bis 2002 galt für die zivilrechtliche Haftung des Fahrzeughalters der (bereits durchaus strenge) Maßstab des „unabwendbaren Ereignisses“ als alleiniger Ausschlussgrund. Zur abermaligen Stärkung der Position von nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern (und der Sozialkassen) wurde insbesondere im Hinblick auf von Kindern verursachten Unfälle das Kriterium der „höheren Gewalt“ eingeführt. 1043 Siehe oben Seite 67. 1044 Roxin, Über Tatbestand- und Verbotsirrtum, Festschrift-Tiedemann, S. 375 (389). 1045 BGHSt 3, S. 357 (366); Vogel, in: Leipziger Kommentar, § 17 StGB, Rn. 40; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 17 StGB, Rn 30a; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 41 II 2 b; Kühl, Strafrecht AT, § 13, Rn. 61. 1046 Siehe oben Seiten 58 ff. 1047 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 13, Rn. 51a. 1048 Siehe oben Seite 145.

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derten Strafrahmen), die Vorsatztheorie allenfalls wegen Fahrlässigkeit, sofern überhaupt eine entsprechende Strafdrohung vorhanden ist.

3. Begründung des antisozialen Charakters von Verstößen gegen (blankettausfüllende) Normen des Wirtschaftsund Steuerrechts – Folgen für die Irrtumslehre Eine Einschränkung der Schuldtheorie zugunsten einer partiellen Anwendung der Vorsatztheorie wäre damit nur mit einem wesentlichen qualitativen Unterschied von unbewussten und dennoch vorwerfbaren Rechtsverstößen im Kern- und Nebenstrafrecht zu rechtfertigen. Der unvermeidbare Irrtum darf dagegen argumentativ keine Rolle spielen. Wenn man sich nun in Erinnerung ruft, dass jedenfalls bisher eine generelle praktische Anwendung der Vorsatztheorie (sei es im paternalistisch säkularen oder kirchlichen Recht) regelmäßig mit einer Art „imperativen“ Rechtsauffassung einhergegangen ist1049, könnte der Schlüssel für eine mögliche partielle Anwendung im modernen deutschen Strafrecht darin liegen, dass der antisoziale Charakter von Verstößen gegen (blankettausfüllende) Normen des Wirtschafts- und Steuerrechts zwingend erst durch die Setzung des jeweiligen Ver- oder Gebots zum Ausdruck kommt. Fraglich ist also, ob insbesondere das Wirtschaftsstrafrecht im Gegensatz zum Kernstrafrecht als „imperatives Recht“1050 anzusehen, Unrecht auf diesem Gebiet also allein als Verstoß gegen gesetzliche Normen zu verstehen ist1051. Den delicta mala per se des fast zum Naturrecht erhobenen Kernstrafrechts wären die (blankettmäßig ausgestalteten) delicta mere prohibita1052 des Nebenstrafrechts gegenübergestellt. Bei ihnen läge der eigentliche Strafgrund speziell in der bewussten Missachtung der maßgeblichen Regelwerke (bzw. auch des Staates als deren Urheber), nicht jedoch in der Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern – sei es von individuellen oder solchen der Allgemeinheit. Schon die vorangegangenen Überlegungen zur fehlenden Relevanz der typischen Vorwerfbarkeit von Irrtümern1053 haben jedoch gezeigt, dass auch das Nebenstrafrecht einschließlich der blankettausfüllenden Vorschriften keine „despotischen Befehle“1054 enthält, deren sachlicher Hintergrund selbst für Angehörige der einschläSiehe oben Seiten 137 ff. Der Begriff stammt von Germann, Imperative und autonome Rechtsauffassung, ZfSchR 46 [1927], S. 185 (195). Siehe oben Seite 143. 1051 Vgl. Schroth, Vorsatz und Irrtum, S. 37. 1052 Vgl. Tiedemann, Festschrift-Geerds, S. 95 (105); Puppe, Tatirrtum, Rechtsirrtum, Subsumtionsirrtum, GA 1990, S. 145 (181); Dannecker, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 1. Kap., Rn. 39. Die Unterscheidung zwischen den „delicta mala per se“ (Verbrechen, die in sich schlecht sind) und den „delicta mere prohibita“ stammt dagegen von Raffaele Garofalo (1851 – 1934) mit seinem im Jahre 1885 vorgestellen „natürlichen Verbrechensbegriff“. 1053 Siehe oben Seiten 149 ff. 1054 Welzel, Der Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, JZ 1956, S. 238 (240). 1049 1050

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

gigen Berufsgruppen nicht eigenständig erfassbar wären. Anders als der legendäre „Gesslerhut“ sind sie auch nicht „zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen“1055, vielmehr sollen sie genauso wie die Normen des Kernstrafrechts den Einzelnen oder die Allgemeinheit vor empfindlichen Schäden schützen. Dies zeigt sich bereits beim nicht allzu spektakulären „Formaldelikt“1056 des § 15a Abs. 1 und 4 InsO i.V. m. §§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO: Sobald sich die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eines Unternehmens abzeichnet, wäre es für die Altgläubiger zwar regelmäßig durchaus vorteilhaft, wenn sich die Insolvenz innerhalb der Maximalfrist von drei Wochen doch noch abwenden ließe. Ein unbegrenztes notdürftiges Weiterwirtschaften wird aber meist dazu führen, dass am Ende überhaupt keine Masse mehr vorhanden ist. Zudem können durch ein Verschleppen des Insolvenzantrages bisher gar nicht betroffene Unternehmen durch den Vertragsabschluss mit der notleidenden Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein endloses Weiterwirtschaften ist damit jedenfalls in einer Rechtsordnung, die juristische Personen mit beschränkter Haftung kennt, per se sozialschädlich. Möglicherweise geraten Alt- und Neugläubiger in Folge sogar selbst in die Schieflage. Dies galt selbstverständlich schon vor dem 2008 in Kraft getretenen MoMiG1057 auch für im Inland aktive Auslandsgesellschaften, obwohl diese damals, was die Insolvenzverschleppung anbelangt, von keiner Strafnorm erfasst waren1058. Praktisch relevante Strafbarkeitslücken ergaben sich insbesondere hinsichtlich der englischen Private Company Limited by Shares (Ltd.), die sich seit der Inspire Art-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Jahre 20031059 auch in Fällen ausschließ1055 Nach Friedrich Schiller fragt der habsburgische Landvogt Gessler den Wilhelm Tell im gleichnamigen Schauspiel: „Verachtest du so deinen Kaiser, Tell, / Und mich, der hier an seiner Statt gebietet, / Daß du die Ehr versagst dem Hut, den ich / Zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen? / Dein böses Trachten hast du mir verraten.“ 1056 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 445. Konkret bei den §§ 82 ff. GmbHG a. F. handelte es sich nach Tiedemann nicht um Blankettnormen, da hier die Trennung anders als etwa bei der Binnenverweisung in § 54 KWG rein technischer Natur sei (ders., in: Scholz, 9. Aufl., § 82 GmbHG, Rn. 8; § 84 GmbHG, Rn. 5, 69, 99). Deshalb geht er mit der h. M. (zu § 15a InsO vgl. ders., in: Scholz, 10. Aufl., Vor §§ 82 ff. GmbHG, Rn. 57; Otte, in: Graf / Jäger / Wittig, § 15a InsO, Rn. 143) davon aus, dass Rechtskenntnis hinsichtlich der Antragspflicht nicht erforderlich ist. Siehe auch schon oben Seite 99, Fußnote 575. Anders BGH GA 1959, S. 87 (89); wohl auch Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 340. 1057 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008, BGBl. I, S. 2026. 1058 Bittmann, Strafrechtliche Folgen des MoMiG, NStZ 2009, S. 113 (114); Schlösser, Die Strafbarkeit des Geschäftsführers einer private company limited by shares in Deutschland, wistra 2006, S. 81 (84) zur Rechtslage vor dem MoMiG; Radtke / Hoffmann, Die Anwendbarkeit von nationalem Insolvenzstrafrecht auf EU-Auslandsgesellschaften, EuZW 2009, S. 404 (407 f.), dort auch zu Art. 3, 4 Insolvenzverfahrensverordnung (EG) Nr. 1346 / 2000, nach dem sich das anwendbare Insolvenzrecht auch bei Auslandsgesellschaften nach dem „Mittelpunkt“ ihrer „hauptsächlichen Interessen“ richtet. 1059 EuGH NJW 2003, S. 3331. Vgl. dazu auch Rönnau, Haftung der Direktoren einer in Deutschland ansässigen englischen Private Company Limited by Shares, ZGR 2005, S. 833

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licher Geschäftstätigkeit in Deutschland ausgesprochener Beliebtheit erfreute, da sie kein Mindeststammkapital kennt1060. Hier zeigt sich also besonders plastisch, dass die Sozialschädlichkeit der strafrechtlichen Erfassung vorgelagert ist. Natürlich spielt auch deshalb die Gesetzestechnik, ob also Sanktionsnorm und Antragspflicht wie früher bei § 64 Abs. 1 und § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG a. F.1061 getrennt oder wie jetzt zusammen in § 15a Abs. 1 und 4 InsO (jeweils i. V. m. §§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO) enthalten sind1062, keine Rolle. In diesem Zusammenhang stehend und ebenfalls sozialschädlich ist die gem. § 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 StGB bzw. § 283b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 StGB strafbare Nichtbeachtung der nach den §§ 238 ff. HGB bestehenden Buchführungs- und Bilanzierungspflichten1063. Durch die Bilanzierungspflicht wird beispielsweise im Hinblick auf § 15a Abs. 1 InsO sichergestellt, dass der Gewerbetreibende rechtzeitig seinen Überschuldungsstatus erkennt. Handelsbücher einschließlich Bilanz und Inventar sind später auch für den Insolvenzverwalter eine fast unverzichtbare Informationsquelle; ohne diese lässt es sich nämlich – jedenfalls bei größeren Unternehmen – kaum ein Überblick über das Schuldnervermögen verschaffen und auch schwer nachvollziehen, ob Vermögenswerte beiseite geschafft oder nach den §§ 129 ff. InsO anfechtbare Rechtshandlungen vorgenommen wurden. Inwieweit sich die schon zu Anfang benannte Konfliktlage eines Schuldners, der den Arbeitnehmerlöhnen gegenüber dem Steuerberaterhonorar Vorrang einräumt, bei § 283 Abs. 1 Nr. 7 lit. b StGB zumindest strafmildernd auswirken muss, ist davon natürlich unabhängig zu beantworten1064. Die dem Verbot vorgelagerte Sozialschädlichkeit lässt sich auch bei anderen (Blankett)normen nachweisen, etwa bei den erst seit 1994 bestehenden Insiderstraftaten gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG und §§ 38 Abs. 1 Nr. lit. a – d, 39 Abs. 2 Nr. 3 – 4 i.V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 – 3 WpHG1065 oder selbst (835 ff.); Bittmann, Strafrecht und Gesellschaftsrecht, ZGR 2009, S. 931 (950 ff.); Otte, in: Graf / Jäger / Wittig, § 15a InsO, Rn. 2; Waßmer, in: Graf / Jäger / Wittig, § 266 StGB, Rn. 24. 1060 Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) i. S. d. § 5a Abs. 1 GmbHG als deutsches Konkurrenzprodukt gibt es erst seit dem 1. November 2008. 1061 Vgl. ferner §§ 401 Abs. 1 Nr. 2, 92 Abs. 2 AktG, §§ 130b, 177a, 130a Abs. 1 HGB und §§ 148 Abs. 1 Nr. 2, 99 Abs. 1 GenG jeweils in a. F. 1062 Siehe bereits oben Seite 150. 1063 Das „Ob“ der Verpflichtung zur Führung von Handelsbüchern ist deshalb als Blankett zu verstehen, welches durch die §§ 238 ff. HGB ausgefüllt wird. So auch BGH NJW 1981, S. 354 (355), vgl. auch oben Seite 92; a. A. Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, § 283 StGB, Rn. 188a; Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 283 StGB, Rn. 109. Anders verhält es sich, wenn es um die materielle Richtigkeit einzelner Buchungssätze oder Bilanzpositionen geht, vgl. dazu Seiten 181 ff. 1064 Siehe bereits oben Seite 30. 1065 Das Insiderhandelsverbot schützt die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes und das Vertrauen der Anleger in die Chancengleichheit und ordnungsgemäße Preisbildung beim Börsenhandel. Vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 356; Zimmer, in: Schwark, § 38 WpHG, Rn. 1; Benner, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstraf-

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

bei der illegalen Beschäftigung von Ausländern nach § 10 Abs. 1 SchwarzArbG i.V. m. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III1066. Ganz offensichtlich gravierende Folgen haben natürlich Rechtsgleichgültigkeit und -missachtung bei Vorschriften, die bestimmten physischen Gefahren vorbeugen sollen, sei es hinsichtlich der Herstellung von gesundheitsschädlichen Lebensmitteln gem. § 58 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 S. 1 LFGB i.V. m. Art. 14 Abs. 2 lit. a der Lebensmittel-Basisverordnung (EG) Nr. 178 / 20021067, hinsichtlich der Kinderarbeit gem. § 58 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 i.V. m. § 5 Abs. 1 JArbSchG, dem Exportverbot von Abfällen in Entwicklungsländer gem. § 326 Abs. 2 StGB i.V. m. Art. 40 der Verordnung (EG) Nr. 1013 / 20061068 oder gar dem nach § 19 KrWaffKG verbotenen Umgang mit Atomwaffen. Auch beim nach § 34 Abs. 4 und 6 AWG strafbaren Verstoß gegen Embargo-Vorschriften steht unter Umständen nicht weniger auf dem Spiel als die äußere Sicherheit oder die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik sowie das friedliche Zusammenleben der Völker. Dass Embargos, wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen, Ausfuhrverbote etc. durch Rechtsverordnung geregelt werden, macht sie nicht weniger verbindlich. Die Regelungstechnik hat den Grund, dass flexibel und schnell auf neue politische Sachverhalte reagiert werden muss. Gleiches gilt für den Bannbruch gem. § 372 AO1069. Veränderliche Normen sind jedoch – wie schon Luhmann in einem allgemeineren Zusammenhang festgestellt hat1070 – nicht zwingend schlechter oder unwichtiger als beständige. Eine stärkere Veränderlichkeit kann allenfalls im Einzelfall eine großzügigere Handhabung von § 17 S. 1 StGB zur Folge haben. Hinsichtlich der Straf- und Bußgeldtatbestände des AWG ist dabei allerdings auch die Möglichkeit für Unternehmen zu berücksichtigen, zu exportkontrollrechtlichen Fragestellungen beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle formlos Auskünfte einzuholen1071. rechts, 9. Kap. Rn. 9; zum Teil kritisch Hilgendorf, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Vor § 12 WpHG, Rn. 6 ff.; für Vermögen der Anleger als Schutzgut Hellmann / Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 30. 1066 Die Vorschriften der §§ 10 f. SchwarzArbG und § 404 SGB III dienen dem Schutz des inländischen Arbeitsmarktes sowie der Verhinderung unkontrollierter Einwanderung zu Erwerbszwecken. In Betracht kommen in diesem Zusammenhang regelmäßig auch ausländerrechtliche Straf- und Bußgeldbestimmungen wie die der §§ 95 ff. AufenthaltsG und §§ 85 ff. AsylVfG. 1067 Vgl. Puppe, in: Nomos-Kommentar, § 16 StGB, Rn. 18, 67. 1068 Vgl. Dieckmann, Die neue EG-Abfallverbringungsverordnung, ZUR 2006, S. 561 (566); siehe auch Alt, in: Münchener Kommentar, § 329 StGB, Rn. 76 zu Art. 18 der alten Abfallverbringungsverordnung (EG) Nr. 259 / 93. Dieser basierte auf Art. 39 des 4. Abkommens von Lomé vom 15. Dezember 1989 und erfasste bereits 79 Entwicklungsländer des afrikanischen, karibischen und pazifischen Raums („AKP-Staaten“). 1069 Zur Anwendung von § 17 StGB: Scheel, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Stichwort: Bannbruch, Rn. 3; Samson, Irrtumsprobleme im Steuerstrafrecht, in: Kohlmann (Hrsg.), Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, S. 99 (108 f.), der der Sache nach die Schuldtheorie insofern allerdings für wenig plausibel hält. 1070 Luhmann, Positives Recht und Ideologie, ARSP 53 [1967], S. 531 (540). 1071 Zudem sind alle maßgeblichen Informationen abrufbar unter: http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/.

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Von „schlichten Nebenpflichten“1072 oder Bagatellkriminalität kann bei all den genannten Beispielen nicht die Rede sein1073. Auch hier gilt Radbruchs Ausspruch, dass „Unrecht“ nicht nur „darum Unrecht [ist], weil es verboten ist, sondern es wird verboten, weil es Unrecht ist“1074. Der vielfach erhobene Einwand, dass von bestimmten vom Nebenstrafrecht erfassten Situationen ohne Verbotskenntnis kein Unrechtsappell1075 ausgehe, kann zu keiner anderen Bewertung führen, wenn man eben an das endlose Weiterwirtschaften bei Zahlungsunfähigkeit, das Ausnutzen von Insiderinformationen, den Müllexport nach Westafrika1076 oder die Einfuhr von Edelsteinen aus Myanmar (Burma)1077 denkt. Zwar steckt dieser Gedanke auch hinter Art. 16º, nº 1 des portugiesischen Código Penal1078, der – ohne selbst frei von Abgrenzungsschwierigkeiten zu sein1079 – von Teilen des deutschen Schrifttums als besonders gelungene gesetzliche Regelung herausgestellt wird1080. Ferner wurde de lege ferenda für eine europäische Harmonisierung der Wirtschaftsstraftatbestände eine vergleichbare gesetzliche Regelung vorgeschlagen1081. Ist im Einzelfall die Unkenntnis des Verbotes (unter anderem vielleicht aufgrund einer gewissen sozialethischen Farblosigkeit) für den Unternehmer unvermeidbar, führt aber auch schon der deutsche § 17 S. 1 StGB richtigerweise (trotz Bejahung des Vorsatzes) zur Straflosigkeit1082. Stellt sich Unkenntnis Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 329 f. (siehe auch schon oben Seite 98). Vgl. auch schon Welzel, Der Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, JZ 1956, S. 238 (240). 1074 Radbruch, Süddeutsche JZ 1947, Sp. 633 (634). Siehe bereits oben Seite 144. 1075 Allgemein insbesondere Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 281 ff., 329 f. (siehe oben Seite 98); Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 21, Rn. 41 m. w. N. 1076 Zur Strafbarkeit siehe oben Seite 160, Fußnote 1068. 1077 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 194 / 2008, Abl. der EU, L 66 / 1. 1078 Figueiredo Dias, Schuld und Persönlichkeit, ZStW 95 [1983], S. 220 (246), siehe dazu oben Seiten 62 f., ferner zum portugiesischen Ordnungswidrigkeitenrecht auch Seiten 62, 75 f. 1079 Schließlich lässt sich bei sehr vielen Straftatbeständen die Frage, ob Verbotskenntnis „vernünftigerweise unerlässlich“ ist, um Unrechtsbewusstsein zu entwickeln, in die eine oder andere Richtung beantworten. Angesichts vieler Einzelfragen ergibt sich deshalb selbst in Bezug auf Blankettgesetze genügend Stoff für eingehende dogmatische Untersuchungen. Vgl. Pizarro Beleza / Lacerda da Costa Pinto, O regime legal do erro e as normas penais em branco, S. 53 ff. m. w. N. Bei Strafblanketten wie Art. 279º, nº 1 Código Penal, der verschiedene Formen der Umweltverschmutzung unter Verletzung einschlägiger Rechtsvorschriften oder behördlicher Anordnungen unter Strafe stellt, geht man dann allerdings wirklich von der Vorsatzrelevanz jedes darauf bezogenen Irrtums aus. Art. 279º, nº 2 Código Penal sieht dabei allerdings eine gesonderte Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vor. 1080 Vgl. Tiedemann, Zum Stand der Irrtumslehre, Festschrift-Geerds, S. 95 (97, 109). 1081 Vgl. Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 455 f., dort Art. 5 Abs. 1 S. 2 des Entwurfes sowie die Begründung von Vogel, ebenda, S. 142 f.; siehe auch oben Seite 99. 1082 Auch Roxin, Zur Problematik des Schuldstrafrechts, ZStW 96 (1984), S. 639 (658); ders., Über Tatbestands- und Verbotsirrtum, Festschrift-Tiedemann, S. 375 (376) hält Art. 16º, nº 1 Código Penal i. E. zwar für „richtig“, plädiert aber angesichts der deutschen Gesetzeslage 1072 1073

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dagegen als individuell vermeidbar dar, liegt es eben beim Unternehmer, die Verbindung von Tatsachen- und Unrechtskenntnis herzustellen1083, also dafür zu sorgen, dass von den maßgeblichen Umständen für ihn ein Unrechtsimpuls ausgeht und dass er zutreffend subsumiert1084. Dass der Gesetzgeber den Wirtschaftstreibenden eine eigenständige Subsumtion grundsätzlich durchaus zutraut, sieht man auch daran, dass die bisher genannten Rechtsgeschäfte und Handlungen keinem allgemeinen Genehmigungs- oder sonstigen Verwaltungsvorbehalt unterliegen. Durch Rechtsverstöße werden aber ebenso wie im Kernstrafrecht bedeutende Rechtsgüter beeinträchtigt oder zumindest gefährdet. Ist dies bei einzelnen Blankettvorschriften vielleicht ausnahmsweise einmal nicht der Fall, sollte statt über besonders großzügige Irrtumsdogmatik über eine Entkriminalisierung nachgedacht werden; ganz in diesem Sinne haben sich etwa das BilMoG und § 241a HGB n. F. bei kleineren Einzelkaufleuten1085 oder der Wegfall der Baubuchführungspflicht nach dem FoSiG1086 ausgewirkt.

Damit ist auch die zweite Fragestellung für diesen Abschnitt1087 beantwortet: Auch im Nebenstrafrecht einschließlich seiner Blanketttatbestände gilt, dass in erster Linie an der Missachtung von Rechtsgütern und nicht bloß an der illoyalen Gesinnung desjenigen, der sich bewusst zum Normbruch entschließt, Anstoß zu nehmen ist. Alles andere würde – frei nach Hegel – bedeuten, den Unternehmern oder sonstigen Normadressaten generell ihre „innewohnende intelligente Natur“1088 absprechen zu wollen. Auch aus diesem Gesichtspunkt verbietet sich eine Sonderdogmatik, was die Abgrenzung von § 16 und § 17 StGB anbelangt. in diesen Fällen für eine „weichere“ Anwendung der Schuldtheorie und des § 17 S. 1 StGB. Zum Vermeidbarkeitsmaßstab siehe auch oben Seiten 153 ff. 1083 Jakobs, Strafrecht AT, 19. Absch., Rn. 21, Fn. 32. 1084 Gleiches wird doch auch vom Verkehrsteilnehmer bei § 142 StGB, wenn er an einem Unfall beteiligt ist, oder vom normalen Bürger bei § 323c StGB, der Zeuge eines Unglücksfalls wird, verlangt. Dass im Einzelfall auch insofern Irrtümer nach § 17 S. 1 StGB denkbar sind, zeigt OLG Koblenz vom 16. Dezember 1985, Az. 2 Ss 514 / 85; AG Pinneberg ZfSch 2000, S. 415 sowie LG Mannheim NJW 1990, S. 2212. 1085 Nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), BGBl. 2009 I, S. 1102 wurde die Buchführungs- und Bilanzierungspflicht von der Vollkaufmannseigenschaft abgekoppelt. Unter 0,5 Million Umsatz und unter einem Gewinn von 50 000 Euro gibt es für Einzelkaufleute keine Buchführungspflichten mehr; Strafbarkeiten nach den §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 StGB, 283b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 StGB entfallen. Die Schwellenwerte des § 241a HGB sind freilich nicht frei von Manipulationsgefahren. Kritisch dazu Bittmann, BilMoG: Bilanzmodernisierung oder Gesetz zur Erleichterung von Bilanzmanipulationen?, wistra 2008, S. 441 (444 f.); Ebner, Insolvenzstrafrechtliche Konsequenzen der Einführung der §§ 241a, 241 Abs. 4 HGB, wistra 2010, S. 92. 1086 Vgl. Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG), BGBl. 2008 I, S. 2022. Siehe dagegen § 6 i.V. m. § 2 Bauforderungssicherungsgesetz i. d. F. vor dem 1. Januar 2009 (GSB). 1087 Siehe oben Seite 145. 1088 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 132 (S. 129). Siehe bereits oben Seite 41.

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Offen bleibt aber, was nun bei sogenannten „Blanketten“, die auf Einzelakte Bezug nehmen, bei Strafnormen mit rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen wie § 242 StGB, aber auch § 266 StGB und gewissen Sonderkonstellationen – wie z. B. dem Bereich des Steuerstrafrechts (hier stellt sich etwa die Frage, ob der Rückgriff auf das materielle Steuerrecht bei der Ermittlung eines Verkürzungserfolges i. S. d. § 370 Abs. 1, 4 AO anders bewertet werden muss als der schlichte Verweis auf einzelne Erklärungspflichten bei der Unterlassensalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) und dem Verstoß gegen Genehmigungspflichten – gilt. Dem wird nunmehr weiter nachzugehen sein, da jedenfalls insofern scheinbar abweichende Regeln Anwendung finden. 4. Begründung des antisozialen Charakters der Verwirklichung von „Blanketten“, die auf strafbarkeitsbegründende Einzelakte Bezug nehmen – Folgen für die Irrtumslehre a) Unkenntnis des Einzelaktes als Tatbestandsirrtum Anders als bei den eben abgehandelten Blankettgesetzen muss es sich bei denen verhalten, die nicht auf abstrakte Rechtssätze, sondern auf behördliche oder justizielle Einzelakte Bezug nehmen. Bei diesen führt nämlich völlig unstreitig die Unkenntnis der strafbarkeitsbegründenden Anordnung stets zu einem Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB1089. Die bisherigen Überlegungen haben auch bereits gezeigt, dass diese Privilegierung nicht mit einer größeren Verzeihlichkeit der Unkenntnis einer hoheitlichen Verfügung erklärt werden kann. Ob eine solche überhaupt anzunehmen ist, ist nämlich äußerst zweifelhaft und im Ergebnis sogar zu verneinen1090. Da der im Einzelfall nicht vorwerfbare Rechtsverstoß sowohl nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB als auch nach § 17 S. 1 StGB zum Freispruch führt, ist dieser aber ohnehin nicht der entscheidende Gesichtspunkt. Gradmesser ist vielmehr auch hier der unbewusste und dennoch schuldhafte Rechtsverstoß. Fraglich ist also, warum der Unterschied zwischen bewusster und unbewusster Auflehnung gegen das Recht hier mit Vorsatz und Nichtvorsatz gleichzusetzen ist, ein Zusammenlesen von Sanktionsnorm und der der Anordnung zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlage dagegen nicht stattfindet. Behördliche und justizielle Einzelakte entfalten anders als blankettausfüllende abstrakte Rechtssätze wohl tatsächlich eine Art „imperatives“ Rechtsverhältnis1091. Eine eigenständige Subsumtion des jeweiligen Sachverhalts unter die Ermächtigungsgrundlage möchte man dem Bürger jedenfalls nicht aufbürden1092, sei es weil er dazu ohnehin nicht in der Lage wäre oder weil seitens des Staates ein Ermessensgebrauch stattfinden soll. 1089 1090 1091 1092

Siehe oben Seiten 91 (insbesondere Fußnoten 501 ff.) und 117. Siehe oben Seite 151. Siehe oben Seiten 143 f. Siehe im Gegensatz dazu oben Seite 162.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Nimmt der Staat die Subsumtion für den Bürger vor1093, trägt letzterer für diese auch keine Verantwortung, schuldet im Gegenzug aber Gehorsam hinsichtlich der festgelegten Rechtsfolge. Dies lässt sich anhand des Verkehrsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts wiederum recht gut veranschaulichen: So wird dem Bürger als Kraftfahrer zwar durchaus zugetraut, die zulässige Höchstgeschwindigkeit gem. § 3 Abs. 3 StVO für den gerade befahrenen Straßentyp selbst zu bestimmen. In der Schnelligkeit des Augenblicks ist er aber nicht durchgehend in der Lage, die jeweilige Straßenführung einwandfrei zu beurteilen, um seine Geschwindigkeit auch den Anforderungen des § 3 Abs. 1 StVO entsprechend anzupassen. Es kann von ihm auch nicht erwartet werden, dass er sich vor jeder Fahrt über die entsprechenden Streckenabschnitte informiert. Deshalb postuliert § 39 Abs. 3 StVO den Vorrang von Verkehrszeichen; durch das Zeichen 274 können nach § 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO von einer Behörde andere, an die konkreten Verhältnisse angepasste Höchstgeschwindigkeiten vorgeschrieben werden. Die richtige Interpretation des Verkehrszeichens anhand § 49 StVO ist dabei wieder dem Verkehrsteilnehmer überlassen, was später noch zu vertiefen sein wird. Gerade um des Einzelaktes willen drosselt man bei lebensnaher Betrachtung die Geschwindigkeit, die materielle Grundlage seines Erlasses ist einem schließlich – zumindest als Ortsfremder – regelmäßig unbekannt. Gleiches gilt für ein Stoppschild1094 oder eine Ampelanlage1095. Unabhängig von der tatsächlichen Verkehrslage an einer Kreuzung wird der Kraftfahrer zunächst einmal halten. Nun mag man speziell im Hinblick auf den Straßenverkehr zu bedenken geben, dass die bewusste, wie die unbewusste Missachtung von Verkehrszeichen gleichermaßen gefährlich sein kann, so dass eine allzu starke Privilegierung eines unbewussten „Ungehorsams“ nicht angemessen erscheint. Dem trägt das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht aber gerade dadurch Rechnung, dass es bekanntermaßen gem. § 24 Abs. 1 S. 1 StVG i.V. m. § 49 StVO sowohl fahrlässige als auch vorsätzliche Verstöße mit Bußgeld bedroht. In anderen Fällen spiegelt sich der Unterschied zwischen bewusstem und unbewusstem Ungehorsam noch deutlicher in der Straffolge wieder, gerade wenn es zwar auch um Gefahrenabwehr, aber noch viel mehr um die Bewahrung der Autorität gerichtlicher oder behördlicher Entscheidungen geht, die unter Ausnutzung eines tatbestandlichen Beurteilungsspielraums und in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens getroffen werden. So kann man es dem Bürger selbstverständlich nicht überlassen, in eigener Sache zu prüfen, ob ihm die Berufsausübung gem. § 70 StGB oder § 132a StPO strafrechtlich verboten bzw. verwaltungsrechtlich gem. § 35 GewO untersagt werden muss. Deshalb knüpfen auch § 145c StGB bzw. § 146 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 148 Abs. 1 Nr. 1 GewO ausschließlich an die Existenz einer gerichtlichen Entscheidung bzw. einer vollziehbaren Anordnung als Tatbestandsmerkmal 1093 1094 1095

Vgl. Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 35 VwVfG, Rn. 31. Vgl. § 41 Abs. 2 Nr. 1 lit. b StVO, Zeichen 206. Vgl. § 37 StVO.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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an, nur die vorsätzliche (und gegebenenfalls beharrliche) Missachtung ist eine Straftat1096. Auch bei anderen Tatbeständen bedeutet bewusster oder unbewusster Ungehorsam nicht weniger als den Unterschied zwischen Strafbarkeit oder Straflosigkeit, zumindest jedoch eine erhebliche Herabsetzung des Strafrahmens, gegebenenfalls auch eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit, unabhängig davon wie achtlos das Verhalten des Täters gegenüber der jeweiligen Verfügung gewesen sein mag. Dies gilt im Umweltstrafrecht bei den §§ 327 ff. StGB, bei § 1 Abs. 1 Nrn. 1 – 4 WiStG i.V. m. den im Verteidigungsfall relevanten § 18 WiSG, § 26 VSG, § 22 ESG und § 28 WaSG1097, soweit jeweils der Verstoß gegen vollziehbare behördliche Verfügungen unter Strafe gestellt wird, und außerhalb des Wirtschaftsstrafrechts besonders augenfällig beim militärischen Ungehorsam gem. §§ 19 f. WehrStG, aber auch bei § 4 GewaltschutzG. Bei all den genannten Beispielen betrachtet der Gesetzgeber den Bürger aus seiner Position heraus als unmündig, sei es, weil dieser die objektiven Gegebenheiten (z. B. als Verkehrsteilnehmer, im Verteidigungsfall als Wirtschaftsteilnehmer, als Soldat etc.) typischerweise nicht überblicken kann (auf die Übersichtlichkeit der Rechtslage kommt es dagegen bekanntermaßen nicht an1098) oder er in eigener Sache befangen erscheint (z. B. als Betreiber einer Anlage, als unzuverlässiger Gewerbetreibender, als gewalttätiger Ehemann etc.). Allein deshalb wird ihm anders als sonst vom Staat die Subsumtion im konkreten Einzelfall abgenommen, ohne ihm aber generell seine „innewohnende intelligente Natur“1099 absprechen zu wollen. In der sozialen Wirklichkeit besitzen die so gebildeten konkreten Ge- und Verbote einen eigenständigen Stellenwert. Gesetzlicher Ausdruck davon ist auch die Wirksamkeit eines Einzelakts trotz Rechtswidrigkeit gem. § 43 Abs. 2 VwVfG, die restriktive Handhabung der Nichtigkeit (nur in Evidenzfällen) gem. § 44 VwVfG und seine Titelfunktion gem. §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 VwVG. Trägt der Bürger für die sachliche Richtigkeit keine Verantwortung, kann er obendrein den Staat sogar für Fehlentscheidungen haftbar machen1100, ist die Forderung nach Gehorsam als Wert an sich, also eine Art „imperative“ Rechtsauffassung, ausnahmsweise gerechtfertigt1101. Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht wird die konkrete hoheitliche Einzelanordnung so zum Tatumstand i. S. d. § 16 Abs. 1 StGB bzw. § 11 Abs. 1 S. 1 1096 Vgl. auch Zopfs, in: Münchener Kommentar, § 145c StGB, Rn. 12. BGH NStZ 1989, S. 475 (siehe auch oben Seite 91) betrifft den Sonderfall, dass der Täter den Einzelakt, aber nicht seine Vollziehbarkeit kennt. Dieses Problem wird im Anschluss zu behandeln sein. 1097 Vgl. Achenbach, Das Strafrecht als Mittel der Wirtschaftslenkung, ZStW 119 [2007], S. 789 (791 f.). 1098 Hierfür wäre die Regelung des § 17 S. 1 StGB ausreichend. Siehe oben Seiten 146 ff., 153, 157. 1099 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 132 (S. 129). Siehe bereits oben Seite 41. 1100 So z. B. bei einem Verkehrsunfall aufgrund fehlerhafter Ampelschaltung („feindliches Grün“). Vgl. BGHZ 99, S. 249. 1101 Siehe zur „imperativen“ Rechtsauffassung dagegen allgemein Seiten 137 ff., 143.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

OWiG. Die Unkenntnis, die fehlerhafte inhaltliche Wahrnehmung, aber auch das Missverstehen1102 eines Einzelaktes schließen den Vorsatz aus. b) Mögliche Ausnahmen – insbesondere der Irrtum über die Vollziehbarkeit Soweit der Einzelakt selbst keine Regelung trifft und die Rechtsanwendung dem Bürger überlassen bleibt, greift allerdings § 17 StGB bzw. § 11 Abs. 2 OWiG. Dies gilt nicht nur dann, wenn sich der Bürger über seine Gehorsamspflicht an sich irrt. Bereits angesprochen1103 wurde das Beispiel, dass standardisierte Verwaltungsakte, insbesondere in Form einer Allgemeinverfügung (z. B. Verkehrszeichen), vom Bürger anhand gesetzlicher Vorgaben (etwa § 49 StVO) interpretiert werden müssen. Der Glaube, ein optisch richtig wahrgenommenes Stoppschild gewähre Vorfahrt, ist aufgrund der Tatsache, dass der Täter insofern eigenverantwortlich subsumieren soll, vermeidbarer Verbotsirrtum1104. Freilich spielt diese Form von Verwaltungsakt im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht kaum eine Rolle. Ein besonders problematischer Grenzbereich ist aber dann betroffen, wenn der Bürger in Kenntnis des Einzelaktes lediglich über seine Vollziehbarkeit irrt. Ganz allgemein und nicht nur dort, wo die Vollziehbarkeit wie etwa in § 330d Nr. 4 lit. c StGB, § 95 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AufenthaltsG oder § 146 Abs. 1 Nrn. 1 – 2 GewO1105 ausdrücklich genannt wird, gilt, dass das, was nicht vollstreckt werden kann, auch nicht auf dem Umweg über Straf- bzw. Bußgeldbewehrung durchgesetzt werden darf1106. In Irrtumsfällen kommt § 16 Abs. 1 StGB zweifellos dann zur Anwendung, wenn dem Täter ein tatsächlicher Umstand, wie die Nichteinlegung eines Rechtsbehelfs1107, der allgemein der Vollstreckung1108, aber auch der Wirksamkeit etwa 1102 Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 15 StGB, Rn. 102; Heine, in: Schönke / Schröder, § 325 StGB, Rn. 26; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 346; siehe aber gleich zur Ausnahme, wenn standardisierte Verwaltungsakte anhand gesetzlicher Vorgaben interpretiert werden sollen. 1103 Siehe oben Seite 164. 1104 Richtig insofern BayObLG NJW 2003, S. 2253; BayObLG NZV 2004, S. 263 (264); siehe zahlreiche weitere Nachweise auf Seite 91, Fußnote 504; ebenso Heß, in: Burmann / Heß / Jahnke / Janker, § 39 StVO, Rn. 23; a. A. Rengier, in: Karlsruher Kommentar, § 11 OWiG, Rn. 109 ff. 1105 Vgl. auch §§ 327 Abs. 1, 2, 328 Abs. 1 Nr. 1 – 2, 329 Abs. 2, 3 StGB; § 1 Abs. 1 Nrn. 1 – 4 WiStG i.V. m. § 18 WiSG, § 26 VSG, § 22 ESG oder § 28 WaSG; § 81 Abs. 1 Nr. 5 GWB; § 13 BÄO; § 59 Abs. 1 Nrn. 20 – 21 LFGB; § 23 VersG; Buddendiek / Rutkowski, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Lexikon des Nebenstrafrechts, Stichwort: Anordnung. 1106 BGHSt 23, S. 86 (91 f.); OLG Karlsruhe NJW 1978, S. 116; Wüterich, Die Bedeutung von Verwaltungsakten für die Strafbarkeit wegen Umweltvergehen (§§ 324 ff. StGB), NStZ 1987, S. 106 (107); Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 307 f. m. w. N.; vgl. auch Regierungsentwurf eines EGStGB, BT-Drucksache 7 / 550, S. 194. 1107 So z. B., wenn der Verteidiger vergessen hat, ein solches einzulegen oder ohne Kenntnis seines Mandanten auf ein Rechtsmittel verzichtet. Die in der Praxis üblichen Standardvoll-

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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eines Berufsverbots gem. § 69 Abs. 3 S. 11109 entgegenstehen würde, oder die ausdrückliche Anordnung des Sofortvollzuges gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO (sei es auch durch unaufmerksames Lesen1110) unbekannt geblieben ist1111. Glaubt der Täter aber, die Beschwerde gegen ein vorläufiges Berufsverbot gem. § 132a StPO1112 habe entgegen § 307 Abs. 1 StPO aufschiebende Wirkung1113 oder sind ihm die Folgen von § 80 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 – 3 VwGO1114 unbekannt, stellt sich das Problem, ob eine gesetzlich angeordnete Vollziehbarkeit ebenfalls vom Vorsatz umfasst sein muss. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Vollziehbarkeit als solche ein (ggf. ungeschriebenes) rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal darstellen würde. Die wohl h. M. bejaht dies1115. Konsequenterweise müsste dann allerdings fast jeder Irrtum über gesetzliche Folgepflichten Vorsatzrelevanz haben. So irrt der, der annimmt, ein vermeintlich rechtswidriger Hoheitsakt sei unverbindlich, auch über die Vollziehbarkeit1116. Wer § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO nicht kennt, könnte geltend machen, machten erlauben entsprechendes (vgl. etwa das Muster bei Richter II / Tsambikakis, in: Widmaier, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 2, Rn. 31). Bei der Rücknahme im Hinblick auf § 302 Abs. 2 StPO strenger allerdings BGH NStZ 2000, S. 665; KG NJW 2009, S. 1686. Das Einlegen und die spätere Rücknahme eines Rechtsmittels sind dabei keinesfalls so praxisfern, wie man vielleicht annehmen möchte. Die „Befriedungsgebühr“ nach § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV-RVG schafft in dieser Hinsicht nämlich zum Teil sehr fragwürdige Anreize (deshalb richtigerweise einschränkend OLG Bamberg, NJOZ 2006, S. 2519). 1108 Vgl. § 449 StPO, § 89 OWiG, § 167 VwGO i.V. m. § 704 ZPO etc. 1109 Gleiches gilt, wenn er meint, ein Aussetzungsbeschluss gem. § 70a StGB sei ergangen. Siehe auch § 44 Abs. 2 S. 1 StGB (vgl. dazu die Belehrungspflicht nach § 268c StPO) und § 25 Abs. 2 S. 1 StVG zum Fahrverbot und § 69 Abs. 3 S. 1 StGB zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Vgl. dazu OLG Hamm NZV 2001, S. 224, wo die Ehefrau des Betroffenen seinen Führerschein ohne dessen Kenntnis gem. § 25 Abs. 2a StVG in Verwahrung gegeben hatte, was zum Wirksamwerden des Fahrverbotes führte. Insofern war dann nur von einem fahrlässigen Fahren ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 Abs. 2 Nr. 1 StVG auszugehen. 1110 Meist wird der Verwaltungsakt und die Anordnung der sofortigen Vollziehung in einem Bescheid stehen. 1111 BayObLG, NStZ-RR 2000, S. 122. 1112 Siehe auch § 111a StPO zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis. 1113 Vgl. BGH NStZ 1989, S. 475 (siehe auch oben Seite 91). 1114 § 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VwGO findet auf Verkehrszeichen analoge Anwendung (vgl. BVerwG NJW 1978, S. 656), wobei dies der Sache nach zweifellos richtig, im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG aber nicht unproblematisch erscheint. Politisch brisant ist § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i.V. m. § 84 AufenthaltsG oder § 75 AsylVfG. Siehe aber auch § 49 KWG. 1115 BGH NStZ 1989, S. 475; Odenthal, Strafbewehrter Verwaltungsakt und verwaltungsrechtliches Eilverfahren, NStZ 1991, S. 418 (419); Puppe, in: Nomos-Kommentar, § 16 StGB, Rn. 62; Rengier, in: Karlsruher Kommentar, § 11 OWiG, Rn. 18; Zopfs, in: Münchener Kommentar, § 145c StGB, Rn. 1; Fischer, § 145c StGB, Rn. 10; i. E. offen BayObLG NStZ-RR 2000, S. 122 (123). 1116 Auf die Rechtmäßigkeit eines strafbarkeitsbegründenden Einzelakts kommt es jedenfalls nach h. M. nicht an, vgl. BGHSt 23, S. 86 (91 ff.); Fischer, § 330d StGB, Rn. 8; Heine, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 324 ff. StGB, Rn. 16a ff.; Rogall, Die Verwaltungsakzesso-

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

er habe geglaubt, ein kürzlich aufgestelltes Verkehrsschild erst in einem Jahr, nach Ablauf einer verlängerten Widerspruchsfrist (§ 58 Abs. 2 VwGO1117), beachten zu müssen. Ein Verstoß gegen § 4 S. 1 GewaltschutzG würde möglicherweise straffrei bleiben, obwohl der Täter genau weiß, dass eine (einstweilige) gerichtliche Schutzanordnung gegen ihn ergangen ist. Überzeugend ist dies nicht1118. In den problematischen Fällen ist dem Bürger die Existenz des belastenden hoheitlichen Akts schließlich vollauf bewusst, er hat genügend Anlass, sich darüber zu informieren, inwieweit ihn zum maßgeblichen Zeitpunkt Gehorsamspflichten treffen. Auch verfügt er insofern regelmäßig über die für die Rechtsanwendung notwendigen Tatsachenkenntnisse1119, um eine eigenverantwortliche (jenseits von § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ermessensunabhängige1120) Subsumtion vorzunehmen. Die Vollziehbarkeit an sich ist damit nur Blankettmerkmal, irrt der Bürger über die ausfüllenden Vorschriften, kommt § 17 StGB zur Anwendung. Dieses Ergebnis erscheint auch im Vergleich zu ähnlichen Irrtumskonstellationen im Wehrstrafrecht als durchaus billig: So muss schließlich auch der Soldat eigenständig prüfen, ob ein Befehl gem. § 22 Abs. 1 WehrStG verbindlich ist. Geht er aufgrund einer fehlerhafter Bewertung der Rechtslage von Unverbindlichkeit aus, handelt er im Sinne vom §§ 19 f. WehrStG vorsätzlich1121, ihm kommt lediglich die im Vergleich zu § 17 StGB sogar ungünstigere Irrtumsregelung des § 22 Abs. 2 oder 3 WehrStG zu Gute1122.

c) Der umgekehrte Irrtum Wird der Einzelakt – wie oben gezeigt1123 – zu einem Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, ist (theoretisch) auch ein untauglicher Versuch denkrietät des Umweltstrafrechts – Alte Streitfragen neues Recht, GA 1995, S. 299 (307); a. A. Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 312 ff.; Schmitz, in: Münchener Kommentar, Vor § 324 StGB, Rn. 76 ff.; Horn, in: Systematischer Kommentar, Vor § 324 StGB; siehe auch Seite 240 (m. w. N. in Fußnote 225). 1117 Hessischer VGH NZV 2008, S. 423. 1118 Ebenfalls a. A. OLG Düsseldorf VerkMitt 1976, Nr. 38 zur Entziehung der Fahrerlaubnis; Dölp, Anmerkung zu BGH vom 26. Januar 1989 (vgl. Seite 167, Fußnote 1115), NStZ 1989, S. 475; Berz, in: Rüth / Berr / Berz, § 21 StVG, Rn. 33; Wolters / Horn, in: Systematischer Kommentar § 145c StGB, Rn. 10; Senge, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 95 AufenthaltsG, Rn. 16; vgl. auch OLG Köln VRS 15, S. 115 (116); OLG Koblenz, NJW 1995, S. 2302. 1119 Vgl. dagegen auch zum Verwaltungsakt selbst Seite 164. 1120 Insofern unterscheidet sich die Situation von § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO und dem Verwaltungsakt selbst (oben Seite 164). 1121 Schölz, Zur Verbindlichkeit eines Befehls, Festschrift-Dreher, S. 479 (486 ff.). Anders wird man es möglicherweise bei einem Sachverhaltsirrtum sehen müssen (a. A. jedoch Schölz, a. a. O., S. 488). 1122 Siehe bereits oben Seite 60. 1123 Siehe oben Seiten 165 f.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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bar1124. Entscheidungen sind dazu bisher jedoch nicht ergangen. Der Eintritt eines Lebenssachverhalts, bei dem sich der Täter einen strafbarkeitsbegründenden Hoheitsakt bloß einbildet, erscheint auch wenig naheliegend. Selbst dann wird für den vorgestellten Einzelakt meist keine passende Sanktionsvorschrift vorhanden sein1125. Allenfalls, wenn dem Täter eine aufhebende Entscheidung unbekannt geblieben ist oder er sich fälschlicherweise für den Adressaten eines Bescheides hält, kann, sofern der Versuch strafbar ist1126, der untaugliche Versuch einmal eine Rolle spielen. Die etwas lebensnähere Annahme einer gesetzlichen Folgepflicht vor Eintritt der Vollziehbarkeit ist nach der hier vertretenen Auffassung dagegen nur Wahndelikt1127.

5. Begründung des antisozialen Charakters von Verstößen gegen Strafnormen mit rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen – Folgen für die Irrtumslehre a) Vorüberlegungen Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen spielen abstrakte Rechtssätze scheinbar wieder eine weit stärkere Rolle, da die jeweilige Verhaltenspflicht schließlich nicht einzeln und ausdrücklich auf administrativem Wege festgestellt wird. Trotzdem verhält es sich bezüglich der Irrtümer ähnlich wie beim Einzelakt. Tatbestandlich in Bezug genommen wird im Unterschied zum Normenblankett jeweils eine bestimmte, meist außerstrafrechtliche Rechtsfolge bzw. ein konkretes Rechtsverhältnis, das der Täter dann entsprechend § 16 Abs. 1 StGB mit in seinen Vorsatz aufnehmen muss1128. Kenntnisse der – der Rechtsfolge vorgelagerten – tatsächlichen Umstände sowie der zugehörigen zivil- oder verwaltungsrechtlichen Grundlagen sind dagegen nicht erforderlich1129. Obwohl die dafür notwendigen Rechtsnormen dem Bürger meist genauso zugänglich sind wie die des Strafgesetzbuches1130, wird vom Täter – wie bei der Bezugnahme auf Einzelakte – keine selbständige Subsumtion erwartet, entscheidend ist vielmehr das Ergebnis, was nun an einzelnen Beispielen verdeutlicht werden soll.

1124 Vgl. Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 346; Matejko, Der Irrtum über Verwaltungsnormen, S. 257 f. 1125 Ohne passende Sanktionsnorm liegt zweifellos nur ein Wahndelikt vor. 1126 Vorstellbar sind Konstellationen mit § 19 Abs. 2 WehrStG, aber auch §§ 324a Abs. 2, 328 Abs. 4 StGB. § 1 Abs. 2 WiStG im Zusammenhang mit angeblichen Verfügungen gem. § 18 WiSG, § 26 VSG, § 22 ESG bzw. § 28 WaSG wird dagegen, solange kein Verteidigungsfall eintritt, nicht ernsthaft in Betracht kommen. 1127 In Umkehrung zum auf Seiten 167 f. Gesagten; a. A. wohl Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 346; Matejko, Der Irrtum über Verwaltungsnormen, S. 259 f. 1128 Siehe bereits oben Seiten 118 f. 1129 Siehe bereits oben Seite 126. 1130 Siehe oben Seiten 152 f.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

b) Merkmal der Fremdheit und der Rechtswidrigkeit des erstrebten Vorteils bei den Eigentums- und Vermögensdelikten in §§ 242, 246, 253, 263, 289 StGB Wie bereits festgestellt, spielen die Umstände beim Eigentumserwerb für die soziale Wirklichkeit des Eigentums keine Rolle. Eigentum tritt vielmehr durch unmittelbare oder mittelbare Besitzverhältnisse1131, Urkunden (z. B. Fahrzeugbrief1132), Grundbucheinträge1133 etc. nach außen in Erscheinung. Die §§ 242, 246, 303 StGB schützen die faktische Möglichkeit der Ausübung des Eigentumsrechts1134: Nicht jeder, aber auch nicht irgendjemand bestimmtes, sondern nur der durch die Eigentumsordnung Berechtigte (wer immer es auch ist) soll mit der Sache gem. § 903 S. 1 BGB nach Belieben verfahren können. An den Hintergründen des Eigentumserwerbs durch einen anderen (Voraussetzung des Merkmals „fremd“) hat dagegen selbst der Täter regelmäßig kein Interesse, er wird sie meist nicht einmal faktisch in Erfahrung bringen können. Anders als beim Merkmal „Sache“, in welches (egal ob man es nun als Blankett-, Sammel- oder Gattungsbegriff 1135 bezeichnet) der Wortlaut von § 90 BGB hineinzulesen ist1136, ist hinsichtlich des Merkmals „fremd“ sogar typischerweise eine eigenständige Subsumtion anhand der §§ 929 ff. BGB unmöglich, selbst wenn der Täter über noch so detailreiche Kenntnisse im Sachenrecht verfügen würde. Er wird sich stattdessen eher an aktuellen, objektiven Gegebenheiten (die Sache liegt im Tresor des Opfers, also wird sie ihm gehören und nicht etwa herrenlos sein) orientieren. Geht es um die Frage, ob die Zueignung oder bei § 253 und § 263 StGB der Vermögensvorteil rechtswidrig war1137, sind die für eine zivilrechtliche Subsumtion notwendigen Umstandskenntnisse zwar in der Regel eher gegeben. Zumindest wird der Täter wissen, ob er mit dem Opfer einen Vertrag abgeschlossen hat1138. Trotzdem ist hier nicht anders zu entscheiden; auch insofern kommt es allein auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses an, der Vorsatz muss sich ausschließlich darauf beziehen. Hinter dem Merkmal der Rechtswidrigkeit im Rahmen Vgl. auch § 1006 Abs. 1 – 3 BGB. Ohne Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II ist der gutgläubige Erwerb eines Fahrzeugs nicht möglich, vgl. BGH(Z) NJW 1996, S. 2226 (2227); OLG Koblenz, r + s 1997, S. 370. 1133 Vgl. auch § 891 Abs. 1 – 2 BGB. 1134 Vgl. Schmitz, in: Münchener Kommentar, § 242 StGB, Rn. 4. 1135 Siehe oben Seite 118. 1136 Zum Teil geht man (nach Einführung von § 90a BGB) nur noch von einer zufälligen Parallelität des straf- und zivilrechtlichen Sachbegriffs aus. Siehe dazu aber Eser / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 242 StGB, Rn. 9 sowie oben Seite 91, Fußnote 497. 1137 Siehe oben Seite 94. 1138 Anders als bei § 433 Abs. 1 S. 1 BGB kann es sich dagegen bei § 328 Abs. 1 BGB (echter Vertrag zugunsten Dritter), § 681 S. 2, 667 BGB (Herausgabepflicht nach Geschäftsführung ohne Auftrag) oder § 1939 BGB (Vermächtnis) verhalten. 1131 1132

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der überschießenden Innentendenzen steht nämlich der Gedanke, dass eine fremde Eigentums- oder Vermögensposition gegenüber dem Täter nur dann eines besonderen strafrechtlichen Schutzes bedarf1139, wenn das Opfer diese Position nicht ohnehin im Zeitpunkt der Tat zugunsten des Täters wegen eines einredefreien Anspruchs aufgeben müsste1140. Wie der Täter den Anspruch erworben hat, ob es ein schuldrechtlicher Anspruch ist, der auf einem Vertrag oder einem Vermächtnis beruht, oder er gar öffentlich-rechtlicher Natur ist, ist dabei völlig irrelevant. Die Vorschriften schützen den „Imperativ“ der Eigentums- und Vermögensordnung als solchen, ohne welchen den jeweiligen Tathandlungen auch nicht die Bedeutung eines sozialschädlichen Tuns zukommen würde.

c) Merkmal der strafbaren Vortat bei den Anschlussdelikten der §§ 257, 258, 259, 261 StGB und § 374 AO Im Rahmen der Begünstigung und Strafvereitelung gem. §§ 257, 258 StGB, der Hehlerei, Geldwäsche und Steuerhehlerei gem. §§ 259, 261 StGB und § 374 AO kann ein strafrechtsbezogener Irrtum die gleichen Folgen nach sich ziehen, wie man sie sonst nur von außerstrafrechtlichen Irrtümern kennt. Bei lebensnaher Betrachtung wird der Täter eines der genannten Anschlussdelikte die Strafbarkeit des Vorverhaltens bzw. dessen Rechtswidrigkeit in Bezug auf fremde Vermögensinteressen nämlich ebenfalls nicht mittels eigener Subsumtion bestimmen können. Er wird anders als der Teilnehmer oder Mittäter regelmäßig weder unmittelbar zur Vortat Anstoß gegeben haben, in die Planung involviert worden oder gar bei der Ausführung zugegen gewesen sein. Vielmehr sind es bei der Hehlerei die Umstände des Ankaufs, etwa der ungewöhnlich günstige Preis, die Person des Verkäufers1141, unübliche Verkaufsmen1139 Zwar spielen im Vergleich dazu im Rahmen der verbotenen Eigenmacht gem. §§ 858 ff. BGB schuldrechtliche Ansprüche gem. § 863 BGB keine Rolle, insbesondere ist auch die dolo agit-Einrede unstatthaft. Wegen der Möglichkeit einer petitorischen Widerklage gegen eine auf § 861 BGB gestützte Klage kommt man jedoch praktisch zu keinem anderen (End-)Ergebnis. Dem Anspruch aus § 861 BGB kommt deshalb auch im Zivilrecht eher im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes Bedeutung zu. 1140 Eser / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 242, Rn. 59; Schmitz, in: Münchener Kommentar, § 242 StGB, Rn. 147; Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 242 StGB, Rn. 102 jeweils m. w. N.; vgl. auch BGHZ 53, S. 166 (168 f.); BGHZ 73, S. 355 (357). Gropp, Der „MoosRaus-Fall“ und die strafrechtliche Irrtumslehre, Festschrift-Ulrich Weber, S. 127 (129 ff.) spricht insofern anschaulich vom „Ist-“ und „Soll-Eigentümer“. Beim Betrug spielt die Rechtswidrigkeit vor allem bei Anwendung eines wirtschaftlichen Vermögensbegriffs eine Rolle (siehe oben Seite 94). Nach dem juristisch-ökonomischen Begriff stellen sich die gleichen Probleme zum Teil schon vorher beim Schaden, vgl. Cramer / Perron, in: Schönke / Schröder, § 263 StGB, Rn. 170 ff. Besteht ein Anspruch, kann der Einsatz des unerlaubten Mittels insb. bei §§ 249, 253, 255 StGB freilich als Nötigung gem. § 240 StGB strafbar sein (Wessels / Hillenkamp, Strafrecht BT 2, Rn. 187). 1141 Etwa Jugendliche, die einem Händler Goldschmuck anbieten.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

gen1142 etc., die den Täter erkennen lassen, dass die Sache aus einer gegen fremdes Vermögen gerichteten Straftat stammt1143. Dies ist aber auch der entscheidende Punkt, denn wäre dies nicht der Fall, hätte man das Geschäft regelmäßig unter ganz anderen Bedingungen stattfinden lassen können. Auch als Begünstigung oder Strafvereitelung1144 erhält eine bestimmte Handlung gerade dadurch ihren Sinn, dass sich die Vortat von der Rechtsfolge her als strafbares Verhalten darstellt. Schließlich gäbe es sonst keinen Straf- oder Verfallsanspruch1145, auch keine sonstigen Restitutionsinteressen1146, deren Durchsetzung der Anschlusstäter hemmen könnte. Entsprechend ist die Strafbarkeit der Vortat rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal; sie muss als Rechtsfolge bekannt sein, spezielle tatsachenbezogene Kenntnisse sind dagegen nicht unbedingt erforderlich1147. Zusätzliche Tatsachenkenntnisse schaden freilich nicht. Solche oder ein Kennenmüssen können zudem auch Grundlage eines Fahrlässigkeits- bzw. Leichtfertigkeitsvorwurfs im Rahmen des § 261 Abs. 5 StGB (Geldwäsche) oder auch § 148b GewO (Hehlerei von Edelmetallen und Edelsteinen) sein.

d) Merkmal der Pflichtwidrigkeit bei der Untreue gem. § 266 StGB und ähnlichen Delikten Hinsichtlich Untreue setzte selbst der Bundesgerichtshof im Mannesmann-Verfahren, wie bereits in der Einleitung erwähnt, ein „Fragezeichen“1148, inwiefern etwaige Fehlvorstellungen, nicht pflichtwidrig zu handeln, zum Vorsatzausschluss führen oder als Verbotsirrtum zu werten sind1149. § 266 StGB stellt die bestimmungswidrige Ausübung einer auf fremdes Vermögen bezogenen Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis sowie die allgemeine Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht unter Strafe. Grundsätzlich hat sich der Treupflichtige in Ausübung seiner Tätigkeit an die Vorgaben des Vermögensträgers zu halten1150. Ähnlich augenEtwa zehn neue Armbanduhren, die von einer Privatperson angeboten werden. Vgl. RGSt 64, S. 130; BGH NStZ 1983, S. 264; BGH NStZ 1992, S. 84; BGHSt 43, S. 158 (165). 1144 Vgl. BGH JR 1954, S. 349 (350); BGHSt 15, S. 210 (213) zum untauglichen Versuch bei der Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB). Abweichend wurde in BayObLG, NJW 1981, S. 772 die Falschbeurteilung einer Ordnungswidrigkeit als Straftat im Rahmen des einfachen § 258 StGB als Wahnvergehen angesehen. Einen strafbaren untauglichen Versuch wird man aber i. E. nur deshalb nicht bejahen können, weil wegen § 258 Abs. 3 StGB (siehe dagegen § 258a Abs. 3 StGB) eine Strafrahmenbildung unmöglich ist (vgl. Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 93 und bereits oben Seite 107). 1145 Vgl. Altenhain, Das Anschlußdelikt, S. 339 ff., 346 ff. 1146 Vgl. Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 257 StGB, Rn. 1. 1147 RGSt 55, S. 234. 1148 Volk, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 2, Rn. 69. Siehe auch oben Seite 21. 1149 BGH NJW 2006, S. 522 (531), in BGHSt 50, S. 331 soweit nicht abgedruckt. 1142 1143

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fällig wie beim Einzelakt liegt auch hier eine Art „imperatives“1151 Rechtsverhältnis vor. Dies rechtfertigt sich nun daraus, dass es bei § 266 StGB ausschließlich um die Vermögensinteressen des Treugebers geht, die bestmöglich und seinen Vorgaben entsprechend von einem anderen wahrgenommen werden sollen. Das Versprechen des Treuhänders, sich daran zu halten, ist regelmäßig sogar Voraussetzung dafür, dass man ihm überhaupt Zugriffsmöglichkeiten auf fremdes Vermögen gewährt1152. Häufig kann der Vermögensträger selbst allerdings keinen eigenen Willen formulieren, nicht nur weil es ihm als natürliche Person z. B. gem. § 104 BGB an der Geschäftsfähigkeit mangelt oder dies zu umständlich wäre, es können vielmehr auch eine Vielzahl von Personen – etwa bei verselbständigten Vermögensmassen – Vermögensträger sein, sehr häufig sogar in Form einer Kapitalgesellschaft1153. Zum Teil spricht man zudem einer juristischen Person als solcher ein von den Anteilseignern losgelöstes Eigeninteresse zu. Soweit man in der existenzgefährdenden Schädigung des Gesellschaftsvermögens auch bei Zustimmung aller Gesellschafter eine Straftat nach § 266 StGB sehen möchte1154, ist diese Annahme jedenfalls hinsichtlich des Stammkapitals sogar zwingend1155. In all den genannten Fällen muss ein mutmaßlicher Wille1156, gegen den der Täter durch Missbrauch oder Treubruch pflichtwidrig verstößt, objektiv anhand gesetzlicher Bestimmungen, aber auch der 1150

Radtke / Hoffmann, Gesellschaftsrechtsakzessorietät bei der Untreue, GA 2008, S. 535

(537). Siehe oben Seiten 143 f., 163. Vgl. Jakobs, Bemerkungen zur subjektiven Tatseite der Untreue, Festschrift-Dahs, S. 49 (62). 1153 Gem. § 13 GmbHG, § 1 AktG besitzen Kapitalgesellschaften bekanntermaßen eine eigene Rechtspersönlichkeit. Nach Nelles, Untreue zu Lasten von Gesellschaften, S. 494 ff. bleiben die Anteilseigner allerdings im strafrechtlichen Sinne Vermögensträger. Die h. M. sieht dagegen die Kapitalgesellschaft als Vermögensträger an. Vgl. BGHSt 34, S. 379 (384 f.); BGHSt 35, S. 333 (336); Lackner / Kühl, § 266 StGB, Rn. 3; Dierlamm, in: Münchener Kommentar, § 266 StGB, Rn. 25; Kindhäuser, in: Nomos-Kommentar, § 266 StGB, Rn. 30. Als Verletzte einer Straftat nach § 266 Abs. 2 StGB i.V. m. § 247 StGB sind laut BGH NJW 2003, S. 2924 (2926) allerdings auch die Gesellschafter anzusehen. 1154 BGHSt 9, S. 203 (216); BGHSt 35, S. 333 (337); BGHSt 49, S. 147 (157 f.); BGH 2 StR 95 / 09 vom 31. Juli 2009, Rz. 24; a. A. Nelles, Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, S. 547 ff., 550 ff.; Fischer, § 266 StGB, Rn. 99 m. w. N.; für die GmbH jüngst auch Rönnau, Untreue zu Lasten juristischer Personen, Festschrift-Amelung, S. 247 (259 ff.). Stattdessen käme eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 2 i.V. m. § 14 StGB in Betracht, die die Rechtsprechung bisher aber ablehnt, wenn der Geschäftsführer nicht auch im Interesse der Gesellschaft handelte. Gegen die „Interessenformel“ allerdings BGH NStZ 2009, S. 437 (439) [obiter dictum]. Auswirkungen auf die Strafbarkeit wegen § 266 StGB soll dies allerdings nicht haben. Vgl. dazu auch Bittmann, Das Ende der Interessentheorie, wistra 2010, S. 8 (9 ff.). 1155 Vgl. auch BGH NStZ-RR 2005, S. 86, nach dem § 266 Abs. 2, 247 StGB bei einer GmbH, deren Gesellschafter ausschließlich Familienmitglieder sind, nicht zur Anwendung kommt, wenn die Tat existenzgefährdend war. Ein darüber hinaus gehendes Eigeninteresse wird heute jedoch regelmäßig verneint, vgl. BGHSt 9, S. 203 (216); BGHSt 30, S. 127; BGHSt 34, S. 379 (386, 388 f.). Anders noch RGSt 42, S. 278; RGSt 71, S. 353 (355 f.). 1156 Vgl. auch Perron, Probleme und Perspektiven des Untreuetatbestandes, GA 2009, S. 219 (225 ff.). 1151 1152

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

frei zu vereinbarenden Unternehmensverfassung, der maßgeblichen Gesellschafterverträge, Satzungen und Beschlüsse zuständiger Gremien (etwa der Hauptversammlung), anhand interner Richtlinien sowie allgemeiner Verkehrsmaßstäbe wie den ungeschriebenen Regeln des sorgfältigen Treuhänders und Geschäftsmannes (vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG oder § 93 Abs. 1 AktG) ermittelt werden. Die eben erwähnten Bestimmungen sollten nach richtiger Ansicht grundsätzlich dem Schutz des Vermögens dienen1157. § 266 StGB darf nicht dazu „missbraucht“ werden, mit seiner Hilfe die Verletzung beliebiger Interessen, auch der Allgemeinheit zu pönalisieren1158. Ein Verstoß etwa gegen die Regeln der dem öffentlichen Interesse dienenden (und damit an sich nicht schutzzweckkonnexen) §§ 13 ff. KWG durch einen Bankmitarbeiter1159 oder die Missachtung der §§ 97 ff. GWB durch den Einkäufer eines Energieunternehmens i. S. d. § 98 Nr. 4 GWB ist damit nicht ohne weiteres untreuerelevant. Mittelbar werden entsprechende Vorschriften allerdings dann bedeutsam, wenn dem Unternehmen durch einen Verstoß vermögensnachteilige Sanktionen drohen. Das Gleiche gilt aber auch, wenn entsprechende Vorschriften quasi umgewidmet werden, indem man etwa durch Satzungen, interne Richtlinien, individuelle Arbeitsverträge etc. den Mitarbeiter im Interesse des eigenen Unternehmens auf Einhaltung entsprechender Vorgaben verpflichtet1160. Die Regeln der §§ 13 ff. KWG oder der §§ 97 ff. GWB lassen sich schließlich auch im Sinne des Vermögensschutzes nutzbar machen; eine Orientierung an § 18 KWG bei der Prüfung von Kreditunterlagen1161 oder die Vergabe von Aufträgen nach den in § 101 GWB genannten Verfahrensarten kann auch aus kaufmännischer Sicht schließlich durchaus sinnvoll sein.

Soweit sich ein Irrtum auf diese (Gesamt-)Interpretation des § 266 StGB bezieht, ist er nicht vorsatzrelevant. Dies gilt auch für die wenig glaubwürdige Einlassung, man habe in der Vorstellung gehandelt, als Vertretungsorgan das verwaltete Vermögen nach Belieben (allein aufgrund der eingeräumten Entscheidungskompetenz) ohne Rücksicht auf das Interesse des Vermögensträgers verausgaben zu dürfen1162. Entsprechend wären auch allgemeine Irrtümer über die Zweckentfremdungsverbote bei untreueähnlichen Tatbeständen wie z. B. § 2 i.V. m. § 1 Bauforderungssicherungsgesetz1163 oder § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu beurteilen.

1157 Perron, in: Schönke / Schröder, § 266 StGB, Rn. 19a m. w. N.; vgl. auch Knauer, Anmerkung zu BGH vom 29. August 2008, NStZ 2009, S. 151 (152); Brammsen, Vorstandsuntreue, wistra 2009, S. 85 (86 ff.). 1158 Schünemann, Der Bundesgerichtshof im Gestrüpp des Untreuetatbestandes, NStZ 2006, S. 196 (198). 1159 Vgl. BGHSt 46, S. 30 (32 ff.); BGHSt 47, S. 148 (150 ff.). 1160 Vgl. Knauer, Die Strafbarkeit der Bankvorstände für missbräuchliche Kreditgewährung, NStZ 2002, S. 399 (401 f.); Perron, GA 2009, S. 219 (226). 1161 Sind die Entscheidungsträger ihrer Prüfungs- und Informationspflicht bezüglich der Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers allerdings anderweitig und insgesamt ausreichend nachgekommen, ist der Schaden aber dennoch nicht zurechenbar. So im Ergebnis auch BGHSt 46, S. 30 (32). 1162 Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (529, 531). Vorher i. E. anders Jakobs, Festschrift-Dahs, S. 49 (62). 1163 BGH(Z) NJW 1985, S. 134. Siehe auch bereits oben Seite 149.

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Betrifft der Irrtum bei § 266 StGB jedoch nicht die Pflicht als solche, ausschließlich entsprechend dem Interesse des Vermögensträgers (als „Gutsverwalter“ und nicht wie ein „Gutsherr“1164) handeln zu dürfen, sondern berührt er einen der oben genannten tatsächlichen und rechtlichen Aspekte, die dem Ergebnis der Ermittlung eines konkreten mutmaßlichen Willens des Vermögensträgers vorgelagert sind, kann dies zu einem vorsatzausschließenden Irrtum führen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter annimmt, das betreute Unternehmen sei zu einer bestimmten nachteiligen Vermögensdisposition verpflichtet bzw. die von ihm veranlasste Zahlung führe zur Befreiung von einer entsprechenden Verbindlichkeit1165 oder ein bestimmtes (z. B. wettbewerbswidriges) Verhalten sei gesetzmäßig und biete deshalb risikolos gute Gewinnchancen oder ein bestimmtes Geschäftsmodell1166, Art des Sponsorings1167 etc. bewege sich im Rahmen der Zweckbestimmung der Gesellschaft. Insofern ist der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit nicht anders zu behandeln als der im Fall einer tatsächlich missverstandenen Vorgabe1168 oder der fehlerhaften Annahme eines ausdrücklichen Einverständnisses1169. Im Rahmen der Untreue geht es schließlich nicht darum, schlechte kaufmännische oder zivilrechtliche Fähigkeiten zu bestrafen. Vergleichbares wurde bisher (ohne Erfolg) allenfalls in Systemen wie dem der Sowjetunion versucht1170. Beim deutschen § 266 StGB richtet sich der Vorwurf nicht gegen die Schlechtleistung an sich, der antisoziale Charakter liegt vielmehr in der vorsätzlichen vermögensnachteiligen Missachtung des ausdrücklichen oder fiktiv zu bestimmenden Willens des Treugebers.

1164 Auf diese anschauliche Unterscheidung stellte der 3. Strafsenat in der mündlichen Urteilsbegründung zum Mannesmann-Verfahren ab (vgl. Seite 174, Fußnote 1162); zur Entscheidung der Vorinstanz siehe LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275). 1165 Vgl. BGH 2 StR 95 / 09 vom 31. Juli 2009, Rz. 21. 1166 BGH wistra 1986, S. 25. 1167 Vgl. BGH NJW 2002, S. 1585 (1588). Bei BGHSt 47, S. 187 soweit nicht abgedruckt. 1168 Vgl. Perron, in: Schönke / Schröder, § 266 StGB, Rn. 49; Fischer, § 266 StGB, Rn. 171; Dierlamm, in: Münchener Kommentar, § 266 StGB, Rn. 239 jeweils m. w. N. Schünemann, in: Leipziger Kommentar, § 266 StGB, 11. Aufl., Rn. 153 fasst dagegen die Pflichtwidrigkeit als gesamttatbewertendes Merkmal auf (siehe bereits oben Seite 97). Vorsatz ist demnach die Kenntnis der pflichtwidrigkeitsbegründenden Tatsachen. Vgl. auch Roxin, Strafrecht AT I, § 21, Rn. 24; Kindhäuser, in: Nomos-Kommentar, § 266 StGB, Rn. 122; Puppe, Vorsatz und Rechtsirrtum, Festschrift-Herzberg, S. 275 (295). 1169 Vgl. BGHSt 3, S. 23 (25). 1170 So beschreibt Alexander Solschenizyn in seinem „Archipel Gulag“ (1974) einen Mitarbeiter im Volkskommissariat für Verkehrswesen, der anregte, Güterzüge (bei Nichtbeachtung der Höchstbeladungsgrenzen) zu verlängern und deshalb wegen Sabotage am Gleiskörper erschossen wurde. Als nun ein neuer Volkskommissar kurze Zeit später die Weisung gab, abermals solche Schwerlastzüge zusammenzustellen (und dafür den Leninorden verliehen bekam), waren es Ingenieure, die eine geringere Belastung forderten, um dafür nun als Saboteure des Fortschritts liquidiert zu werden. Allgemein hatten in den zwanziger und dreißiger Jahren jede Industriesparte, jede Fabrik und jede Handwerkergenossenschaft mit Hilfe der Staatspolizei GPU (ГПУ) nach einschlägigen „Saboteuren“ zu suchen.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Entsprechend ist im Rahmen von § 2 i.V. m. § 1 Bauforderungssicherungsgesetz ein vorsatzrelevanter Irrtum denkbar, wenn der Täter glaubt, in Wahrheit nicht bestehende werkvertragliche Ansprüche befriedigen zu müssen. Insofern versteht er nicht, dass er die schutzwürdigen Interessen der Baugläubiger beeinträchtigt. Bei § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB greift § 16 Abs. 1 StGB, wenn der Täter eine bestimmte Verwendungsbeschränkung, sei sie durch Gesetz, Verordnung oder Satzung (auch der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten), vertragliche Vereinbarung oder Verwaltungsakt begründet, nicht kennt1171. Hier tritt eben im Vergleich zur Untreue an die Stelle des Willens eines Vermögenstreugebers der eines Subventionsgebers.

e) Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses beim Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gem. § 266a Abs. 1, 3 StGB Noch schwieriger zu beurteilen ist der ausgesprochen irrtumsanfällige Tatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt1172. § 266a Abs. 1 StGB ist ebenfalls untreueähnlich1173 ausgestaltet, hier geht es um die pflichtwidrige Nichtzahlung der nach §§ 28e Abs. 1, 28g SGB IV vom Arbeitgeber abzuführenden Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung. § 266a Abs. 3 S. 1 StGB enthält eine ähnliche Regelung für freiwillige Versicherungs, Renten- oder Pensionskassen, vermögenswirksame Leistungen und auch den Fall der Lohnpfändung1174. Der betrugsähnliche1175 und ausschließlich die Arbeitgeberbeiträge betreffende § 266a Abs. 2 StGB ist dagegen der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 AO nachgebildet und soll erst zusammen mit dieser behandelt werden1176. Voraussetzung einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB ist, dass ein (im Inland1177) der Sozialversicherungspflicht unterliegendes Beschäftigungsverhältnis Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., Nachtrag, § 264 StGB, Rn. 8. Siehe bereits oben Seiten 89, 92, 146 f., insb. Fußnoten 977 (S. 147) und 978 (S. 147). 1173 Perron, in: Schönke / Schröder, § 266a StGB, Rn. 2. Der Arbeitnehmer erleidet durch die Nichtabführung „seiner“ Beiträge keine Nachteile, entscheidend ist hier vielmehr Beziehung zum Sozialversicherungsträger. Zu diesen ergibt sich eine Art Treueverhältnis aus dem Recht zum Lohnabzug § 28g SGB IV. 1174 Die nach § 41a EStG abzuführende Lohnsteuer wird von der Vorschrift gem. § 266a Abs. 3 S. 2 StGB allerdings nicht erfasst, hier greift ggf. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO oder §§ 378, 380 AO. § 266a Abs. 3 S. 1 ist allerdings weit weniger irrtumsanfällig als § 266 Abs. 1 StGB. Wenn der Arbeitgeber die Beitragspflicht des Arbeitnehmers zu einer freiwilligen Pensionskasse nicht kennt, hat er nämlich konsequenterweise keinen Grund, Teile des Lohns einzubehalten. 1175 Perron, in: Schönke / Schröder, § 266a StGB, Rn. 1. 1176 Siehe Seite 189. 1177 Sozialversicherungspflichtig sind gem. § 3 SGB IV auch Ausländer, die im Inland eine Beschäftigung aufnehmen, gem. § 5 SGB IV jedoch nicht bei nur vorübergehender Beschäfti1171 1172

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i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV vorliegt1178, da sonst überhaupt keine materielle Beitragsschuld des Arbeitnehmers bestehen würde. Meist wird trotz Kenntnis der Beitragsschuld aufgrund einer knappen Kassenlage nicht gezahlt. Gerade im Falle von Grenzfragen der Scheinselbständigkeit oder wenn ein Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG1179 oder den § 78a Abs. 2 BetrVG, § 16 TzBfG etc. gesetzlich fingiert wird, kann die Nichtzahlung aber auch auf rechtlichen Fehlvorstellungen des Arbeitgebers beruhen. Während im Falle von fingierten Arbeitsverhältnissen bei Unkenntnis der Rechtsfolge des Fiktionstatbestandes § 16 Abs. 1 StGB zur Anwendung kommt1180, will man in der Rechtsprechung bei Scheinselbständigkeit (wenn die Parteien etwa im Rahmen eines Werk-, Geschäftsbesorgungs- oder Dienstvertrages „freie“ Mitarbeit vereinbart haben) wohl zum Teil die Vorsatzrelevanz verneinen, sofern dem Arbeitgeber1181 der Subsumtionsstoff der maßgeblichen sozialrechtlichen Normen bekannt ist1182. Im Rahmen von § 17 S. 1 StGB würde man dann meist zur Vermeidbarkeit kommen; unter anderem wäre zu berücksichtigen, dass der Täter gem. § 7a SGB IV ein Anfrageverfahren zur Statusklärung hätte durchführen können1183. gung im Inland aufgrund eines ausländischen Beschäftigungsverhältnisses. Inländer, die im Rahmen eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses in das Ausland entsandt werden, bleiben dagegen gem. § 4 SGB IV versicherungspflichtig. Gem. § 6 SGB IV gehen in bestimmten Fällen Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts vor, z. B. bei Art. 14 Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71. Vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar, § 6 SGB IV, Rn. 3 ff. Die Frage, ob § 266a StGB tatbestandlich etwa aufgrund der Verknüpfung der europäischen Sozialsysteme ggf. auch ein ausländisches Beitragsaufkommen schützt, ist noch nicht geklärt, BGHSt 51, S. 124 (135) lässt sie offen. Zur „E101“-Entsendebescheinigung siehe auch Seite 378. 1178 Perron, in: Schönke / Schröder, § 266a StGB, Rn. 6. 1179 Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als geschlossen. 1180 BGHR, § 9 AÜG, Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung 1, S. 4. 1181 In der Praxis dürfte auch oft ein Mitarbeiter der Lohn- und Personalabteilung für die Abführung verantwortlich sein. Bei diesem greift dann § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB. 1182 So z. B. BGH NStZ 2000, S. 364 f. im Falle scheinselbständiger Bauarbeiter (die Einordnung war hier allerdings nicht ergebnisrelevant, da sich der angenommene Verbotsirrtum i. S. von § 17 S. 1 StGB als unvermeidbar erwies); AG Biberach vom 23. Januar 2006, Az. 6 Cs 24 Js 22865 / 03; Schulz, Die Strafbarkeit des Arbeitgebers nach § 266a StGB bei der Beschäftigung von Scheinselbstständigen, NJW 2006, S. 183 (186). Die in diesem Zusammenhang ebenfalls zitierte Entscheidung BGHZ 133, S. 370 (381) betrifft dagegen einen anderen Sachverhalt: Hier bestand unstreitig ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, der Geschäftsführer glaubte lediglich, durch Delegation auf die Prokuristen sich seiner Pflichten vollständig entledigt zu haben. 1183 Vgl. Wiedner, in: Graf / Jäger / Wittig, § 266a StGB, Rn. 80; Schulz, NJW 2006, S. 183. Prozessual interessant ist dabei die strafprozessuale Verwertbarkeit der im Statusfeststellungsverfahren gem. § 7a Abs. 3 SGB IV zu machenden Angaben [vgl. Schulz, NJW 2006, S. 183 (184 ff.)]. Fraglich ist auch hier (siehe bereits oben Seite 39, Fußnote 97), ob entsprechend BVerfGE 56, S. 37 und BGHSt 37, S. 340 (343) von einem selbständigen Beweisverwertungsverbot auszugehen ist, was davon abhängt, ob die Offenbarungspflichten mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden können (dann selbständiges Beweisverwertungsverbot) oder sich der Betroffene durch Verzicht auf die optimale Durchsetzung eigener Rechte wie in BVerfG NStZ

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Richtig erscheint dies jedoch nicht: Geht der Täter unwiderlegbar vom Nichtbestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses aus, ist der Fall nicht anders zu beurteilen als bei einem Irrtum über die Fremdheit einer Sache oder die Pflichtwidrigkeit einer Untreuehandlung. Fehlt ihm nämlich in der untreueähnlichen Konstellation des § 266a Abs. 1 StGB die Vorstellung, dass überhaupt Sozialbeiträge geschuldet sind, kann er sich für deren Abführung nicht verantwortlich fühlen; einen Anspruch, den es nach der eigenen Vorstellung gar nicht gibt, kann man den Sozialkassen nicht vorsätzlich vorenthalten1184. Ebenso wenig wäre doch auch das Nichteintreiben einer unbekannten Forderung als vorsätzlicher Treubruch i. S. d. § 266 StGB zu bewerten1185, denn der antisoziale Charakter wird erst durch den Anspruch selbst bedingt. Kriminalpolitisch sollte dieses Ergebnis auch für die Praxis akzeptabel sein: Sozialrechtlich trägt der Arbeitgeber ohnehin, wenn er zumindest fahrlässig1186 einen Beschäftigten als nicht sozialversicherungspflichtig behandelt, das Risiko einer unter Umständen ausgesprochen kostspieligen Nacherhebung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages1187. Eine in der Praxis gelegentlich anzutreffende 1995, S. 599 (600) und BGHSt 36, S. 328 (332 ff.) der Selbstbelastung entziehen könnte. Zur Vollstreckbarkeit einer Aufforderung gem. § 7a Abs. 3 SGB IV nach § 66 SGB X und §§ 6 ff. VwVG vgl. deshalb Seewald, in: Kasseler Kommentar, § 7a SGB IV, Rn. 15. 1184 So auch LG Ravensburg StV 2007, S. 412 beim scheinselbständigen Fuhrunternehmer; Perron, in: Schönke / Schröder, § 266a, Rn. 17; Lackner / Kühl, § 266a StGB, Rn. 16; Tag, in: Nomos-Kommentar, § 266a StGB, Rn. 81; Fischer, § 266a StGB, Rn. 23; Saliger, in: Satzger / Schmitt / Widmaier, § 266a StGB, Rn. 24; Bente, in: Achenbach / Ransiek, Handbuch des Wirtschaftsstrafrechts, XII 2, Rn. 37. Der Subsumtionsstoff sozialrechtlicher Vorschriften muss dagegen nicht bekannt sein. Beim Mitarbeiter der Personalabteilung aus Fußnote 1181 (Seite 177) dürfte dieses Wissen sogar regelmäßig fehlen, da er nicht jeden Beschäftigten und seine Einbindung in den Betrieb persönlich kennen wird. Entsprechend zum Irrtum über die Fälligkeit nicht abgeführter Sozialabgaben OLG Frankfurt(Z) ZIP 1995, S. 213; siehe auch BGH(Z) NJW 1992, S. 177 (178); BGH(Z) NJW 1997, S. 130 (133). 1185 Richtig wohl auch OLG Stuttgart NJW 1962, S. 1631 und BayObLG StV 1994, S. 430, nachdem es bei § 170 Abs. 1 StGB am Vorsatz fehlt, wenn der Täter seine Unterhaltspflicht nicht kennt. Siehe allerdings auch oben Seite 92, Fußnote 514. 1186 Ins Feld geführt werden kann insofern lediglich, dass fahrlässig (statt vorsätzlich) vorenthaltene Beiträge gem. § 25 Abs. 1 SGB IV einer wesentlich kürzeren Verjährungsfrist (von vier statt dreißig Jahren) unterliegen. 1187 Gem. § 28g S. 2 SGB IV kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmeranteil nur durch Lohnabzug (maximal bei den drei nächsten Entgeltzahlungen) geltend machen (vgl. BAG NZA 2007, S. 1105). Nur wenn der Arbeitgeber von einer zuständigen Stelle unrichtig beraten wurde, greift ggf. § 28g S. 3 Hs. 2 SGB IV. Hinzu kommen auch bei Fahrlässigkeit Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV. Was das Kostenrisiko weiter in die Höhe treibt, ist, dass bei „illegalen Beschäftigungsverhältnissen“ gem. § 14 Abs. 2 S. 1 i.V. m. S. 2 SGB IV ein fiktiver Bruttolohn, der zur Erzielung eines entsprechenden Nettoarbeitsentgelts notwendig gewesen wäre, als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Beiträge dient, ohne dass feststeht, dass der Arbeitgeber überhaupt bereit gewesen wäre, einen solchen Lohn zu zahlen. Die Fiktion des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV setzt dabei wohl nicht einmal voraus, dass der Arbeitgeber vorsätzlich gehandelt hat (Seewald, in: Kasseler Kommentar, § 14 SGB IV, Rn. 142). Oft wird dann das (ggf. wegen § 39c EStG unter Zugrundelegung von Lohnsteuerklasse VI) hochgerechnete Bruttoarbeitsentgelt den Wert der Arbeitsleistung deutlich übersteigen [vgl. BGH wistra 2008, S. 107 (108 ff.); SG Dortmund vom 8. September 2008, Az. S 25 R 129 / 06]. Der

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Nebenabrede, nach der sich der Beschäftigte verpflichtet, im Innenverhältnis die Arbeitnehmerbeiträge auch im Nachhinein zu übernehmen, falls im Rahmen einer sozialrechtlichen Überprüfung ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt wird, ist dagegen unwirksam, spricht sogar strafrechtlich in Bezug auf § 266a Abs. 1 StGB für die Annahme von dolus eventualis1188. Andere Rechtsirrtümer – etwa darüber, dass ein Arbeitgeber überhaupt nach den blankettmäßig in § 266a StGB hineinzulesenden §§ 28e Abs. 1, 28g SGB IV für die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen zu sorgen hat1189, oder hinsichtlich dessen, dass einem als Geschäftsführer die Pflichten eines Arbeitgebers gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB persönlich treffen1190 und dass im Falle der Delegation eine Überwachung zu erfolgen hat1191 – sind dagegen nach § 17 StGB zu beurteilen. Das Gleiche gilt für die Unkenntnis, dass das Nichtabführen auch dann strafbar ist, wenn kein Lohn gezahlt wird1192 und dass die Pflichten zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge allgemein wohl Vorrang genießen1193. Insofern sollte § 17 S. 1 StGB aber häufiger zum Tragen kommen. f) Merkmal der Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung bei der Amtsträgerbestechung gem. §§ 332, 334 StGB Der Ungehorsamsaspekt, so wie er besonders anschaulich bei der Untreue eine Rolle gespielt hat1194, kommt nun auch bei der Amtsträgerbestechung gem. §§ 332 und 334 StGB1195 zum Tragen, wenn es um die Pflichtwidrigkeit einer Diensthandlung geht. Insofern ist abgesehen von der Sonderkonstellation der §§ 332 Abs. 3 Nr. 2, 334 Abs. 3 Nr. 2 StGB1196 ebenfalls Bedeutungskenntnis erforderlich1197. Arbeitgeber haftet gem. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG freilich auch für die Lohnsteuer, die er hätte einbehalten müssen. Insofern hat er aber einen Erstattungsanspruch (vgl. BAG NZA 1981, S. 121); hinsichtlich der Höhe kommt es zudem gem. § 38a EStG nur auf das tatsächlich gezahlte Entgelt an. 1188 Tag, in: Nomos-Kommentar, § 266a StGB, Rn. 81. 1189 Siehe bereits oben Seite 149. 1190 BGHZ 133, S. 370 (381). Vorsatzrelevant ist dagegen die Vorstellung, durch wirksame Abberufung die Geschäftsführerfunktion verloren zu haben, vgl. BGH NJW 2003, S. 3787 (3790). 1191 BGH(Z) NZA 2001, S. 392 (394). 1192 OLG Naumburg (Z) vom 15. Oktober 2002, Az. 11 U 22 / 02. 1193 Siehe bereits oben Seiten 30 und 146 f., insb. Fußnoten 977 (S. 147) und 978 (S. 147). 1194 Siehe oben Seite 173. 1195 Siehe oben zum Vorsatzerfordernis beim Merkmal „Amtsträger“ Seiten 132 ff. 1196 Insofern wird schließlich nicht auf eine außertatbestandliche Pflichtwidrigkeit abgestellt. Der zur Ermessensausübung befugte Beamte handelt daher vorsätzlich, wenn er sich bewusst ist, er erwecke nach außen hin den Eindruck, sich bei seiner Entscheidung durch die Zuwendung mitbestimmen zu lassen. Vgl. Heine, in: Schönke / Schröder, § 332 StGB, Rn. 22. 1197 RGSt 77, S. 75 (77); BGHSt 15, S. 352 (356); BGH NStZ 1984, S. 24 (25); Korte, in: Münchener Kommentar, § 332 StGB, Rn. 41; Sowada, in: Leipziger Kommentar, § 332 StGB,

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Gegen welches Gesetz, welche Rechtsverordnung, Verwaltungsvorschrift, Dienstanweisung oder Einzelweisung des Vorgesetzten1198 die pflichtwidrige Handlung genau verstoßen hat oder verstoßen wird, muss dagegen vom Vorsatz nicht umfasst sein, ebenso wird keine eigenständige Subsumtion anhand dieser Normen erwartet1199. Die wesentliche Strafschärfung1200 und auch Tatbestandserweiterung1201 gegenüber den §§ 331 und 333 StGB rechtfertigt sich nämlich daraus, dass (neben der Tatsache, dass sich die Vorteilsgewährung auf eine bestimmte Diensthandlung beziehen muss) bewusst eine unrechtmäßige Entscheidung getroffen wird. Neben den negativen Folgen der Fehlentscheidung im Einzelfall wiegt der Vertrauensverlust gegenüber staatlichen Stellen dann besonders schwer. Insoweit spricht nichts dagegen, von einem Amtsträger bei der Dienstausübung, der wie der Treuhänder bei § 266 StGB freiwillig einen entsprechenden Beruf ergriffen hat, Gehorsam bzw. loyale Gesinnung gegenüber Gesetz als Wert an sich einzufordern1202. Gleiches gilt besonders augenfällig bei der Rechtsbeugung gem. § 339 StGB, wo die Rechtswidrigkeit der Entscheidung selbstverständlich vom Vorsatz umfasst sein muss1203. Entsprechend müsste man auch beim jedenfalls früher einmal geplanten § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB-E1204 verfahren, der durch Schmiergeldzahlungen erkaufte Pflichtverletzungen auch außerhalb von Wettbewerbslagen unter Strafe stellen wollte, sofern die Tatsache der Pflichtwidrigkeit von rechtlichen Vorfragen abhängt. Inwieweit für die genannten Vorschriften wirklich ein Bedürfnis besteht, ist allerdings äußerst fraglich1205. Rn. 25 f.; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 1118. Fehlt eine entsprechende Kenntnis, kommt eine Bestrafung wegen §§ 331, 333 StGB in Betracht. 1198 Vgl. Sowada, in: Leipziger Kommentar, § 332 StGB, Rn. 9. 1199 Dem Täter auf aktiver Seite (§ 334 StGB) wird dies regelmäßig nicht möglich sein, im Zeitpunkt der Tat wird sich aber auch der Amtsträger (und Täter eines § 332 StGB) darüber weniger Gedanken machen als über die Pflichtwidrigkeit an sich. 1200 Vgl. insbesondere auch § 335 StGB. Zudem besteht die Möglichkeit der Anordnung eines erweiterten Verfalls gem. §§ 338, 73d StGB. 1201 Dies gilt insbesondere für Auslandstaten: Art. 2 § 1 EUBestG und Art. 2 § 1 IntBestG bzw. § 335a Abs. 1 StGB-E (Regierungsentwurf, BT-Drucksache 16 / 6558) erfassen nicht die schlichte Vorteilsnahme. Vgl. dazu Schuster / Rübenstahl, Praxisrelevante Probleme des internationalen Korruptionsstrafrechts, wistra 2008, S. 201 (202 f., 207). Der genannte Gesetzesentwurf wurde in der 16. Wahlperiode dem Bundestag zur Beratung zugeleitet, ist aber wohl dem Diskontinuitätsprinzip (§ 125 GOBT) zum Opfer gefallen. 1202 Siehe zur „imperativen“ Rechtsauffassung dagegen allgemein Seiten 137 ff., 143. 1203 Vgl. BGHSt 32, S. 357 (360); OLG Düsseldorf NStZ 1990, S. 284 (285); Wessels / Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 1138; siehe auch Seite 92. 1204 BT-Drucksache 16 / 6558, vgl. oben Fußnote 1201. 1205 Neben den (den Wettbewerb betreffenden) § 299 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB-E (§ 299 Abs. 1 und 2 der bisherigen Fassung) sowie § 266 StGB (welcher im Falle eines Vermögensnachteils auch außerhalb von Wettbewerbskonstellationen greift) sind schließlich auch noch arbeits- und zivilrechtliche Reaktionsmöglichkeiten vorhanden. Auch europarechtlich ist die Regelung nicht zwingend. Zwar soll Art. 2 des EU-Rahmenbeschlusses 2003 / 568 / JI zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor insofern umgesetzt werden, nach Abs. 3 wäre aber auch eine Beibehaltung der Beschränkung auf Wettbewerbslagen möglich. Kritisch dazu auch Rönnau, Alte und neue Probleme bei § 299 StGB, StV 2009, S. 302 (305 ff.).

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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g) Merkmal der Unrichtigkeit bei Buchführungsund Bilanzdelikten in §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 und 7, 283b Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StGB, §§ 331 ff. HGB, §§ 399 ff. AktG sowie § 313 ff. UmwG Auch bestimmte Fälschungs- und Täuschungsdelikte1206 enthalten der Sache nach ein Merkmal der Pflichtwidrigkeit, so etwa die Buchführungs- und Bilanzdelikte in §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 und 7, 283b Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StGB, §§ 331 ff. HGB, §§ 399 ff. AktG oder § 313 ff. UmwG. Das „Ob“ der Buchführungs- und Bilanzierungspflicht ist – wie oben gezeigt1207 – Blankettmerkmal; ein Irrtum darüber betrifft nur das strafrechtliche Verbot (§ 17 StGB) und dürfte regelmäßig vermeidbar sein. Das „Wie“, das heißt die materielle Richtigkeit einzelner Buchungssätze oder Bilanzpositionen ist dagegen ähnlich wie der fiktive Wille eines Treugebers bei der Untreue sowohl von tatsächlichen als auch rechtlichen Vorfragen abhängig. Bei Fehlern richtet sich der Vorwurf nicht gegen die Schlechtleistung als solche1208. Der antisoziale Charakter liegt vielmehr darin, dass durch im Ergebnis fehlerhafte und damit objektiv missverständliche Aufzeichnungen, Abschlüsse, Bilanzen etc. es insbesondere einem Insolvenzverwalter erschwert wird (anders als in § 238 Abs. 1 S. 2 HGB vorgesehen), Übersicht über den wahren Vermögensstand zu nehmen. Auch vor einer Insolvenz können einzelne Gesellschafter, Gläubiger und andere Beteiligte, die mit einer juristischen Person in irgendeiner Geschäftsbeziehung stehen1209, durch falsche Bücher in die Irre geführt werden. Glaubt der Kaufmann oder der sonst (etwa nach § 14 StGB) Verantwortliche aber, materiell pflichtgemäß Buch geführt zu haben, ist ihm das verschleiernde bzw. irreführende Moment seiner Handlung nicht bewusst. Allein deshalb schließt der Irrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB den Vorsatz aus1210, unabhängig davon, ob er auf tatsächlichen oder rechtlichen Fehlvorstellungen beruht. Darüber hinaus geht es hier auch wieder um Gesetzesloyalität als solche1211, denn das Vertrauen in die Richtigkeit der Aufzeichnungen als Ganzes wird bei bewusster Missachtung von Rechnungslegungsvorschriften natürlich in einem besonderen Maße erschüttert1212. Greifen können allerdings bei bloßer Sorgfaltswidrigkeit die Fahrlässigkeitstatbestände der §§ 283 Abs. 5, 283b Abs. 2 StGB. 1206 Vgl. auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 231 ff. Zum Begriff der „Erheblichkeit“ bei den §§ 264, 264a, 265b StGB siehe Seiten 191 ff. 1207 Siehe Seite 159. 1208 Siehe auch oben Seite 175. 1209 Vgl. Südbeck, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, § 331 HGB, Rn. 9. 1210 Quedenfeld, in: Münchener Kommentar, § 331 HGB, Rn. 81, § 332 HGB, Rn. 35 f.; Kropff, in: Münchener Kommentar, § 399 AktG, Rn. 108, 125; Spatscheck / Wulf, Straftatbestände der Bilanzfälschung nach dem HGB, DStR 2003, S. 173 (176, 179). Vgl. auch Seite 128 zum untauglichen Versuch. 1211 Vgl. etwa Seiten 179 f.; zur „imperativen“ Rechtsauffassung allgemein Seiten 137 ff., 143. 1212 Vgl. sonst zu ordnungsgemäß geführten Büchern Merkt, in: Baumbach / Hopt, § 238 HGB, Rn. 3.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Wenn der Täter weiß, dass bestimmte Werte in den Handelsbüchern, der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung etc. im Ergebnis falsch sind, ist es für den Vorsatz dagegen nicht zwingend erforderlich, dass der Täter sich bei der Tat konkrete Vorstellungen über die tatsächlich erfolgten Geschäftsvorgänge, die im Einzelnen wirklich vorhandenen einzelnen Vermögensgegenstände, Vorräte, Forderungen, tatsächlich geleistete oder erhaltene Anzahlungen etc. macht. Dies wäre gerade in größeren Betrieben, bei denen Zahlen aus verschiedenen Abteilungen zusammengetragen werden, insbesondere im Hinblick auf Straftatbestände wie die Unrichtige Darstellung gem. § 331 HGB auch völlig lebensfremd.

h) Zusammenfassung Anhand zahlreicher Strafnormen konnte gezeigt werden, wie rechtsnormative Tatbestandsmerkmale und die in Bezug genommenen (d. h. für die Bestimmung von Eigentum, schuldrechtlichen Ansprüchen, dem mutmaßlichen Willen des Vermögensträgers, der Sozialversicherungspflichtigkeit von Beschäftigungsverhältnissen, der Rechtswidrigkeit der Diensthandlung etc. maßgeblichen) Rechtsfolgen und Rechtsverhältnisse zusammenwirken. Letztere führen in der sozialen Wirklichkeit ein eigenständiges Dasein1213, der Subsumtionsstoff der vorgelagerten Rechtsnormen und diese selbst treten in ihrer Bedeutung dahinter mehr als minder deutlich zurück. So erklärt sich nebenbei, dass rechtsnormative Merkmale niemals ausdrücklich, wie es bei Blankettnormen regelmäßig der Fall ist, auf andere Gesetze verweisen. Insofern dreht sich die Argumentation von Puppe1214 für Blankettgesetze um, dass die ausdrückliche Bezugnahme auf die ausfüllenden Normen für die Vorsatzrelevanz eines Rechtsirrtums spreche.

Die vorgelagerten Rechtsnormen werden auch, anders als blankettausfüllende abstrakte Rechtssätze, nicht in die Strafnorm hineingelesen. Die genannten Beispiele schützen vielmehr, wie Tatbestände, die auf Einzelakte Bezug nehmen1215, eine bestimmte durch einen zivil-, verwaltungs- oder sozialrechtlichen „Imperativ“1216 begründete und an sich wertindifferente Position. Damit der Täter versteht, was er tut, muss er diese kennen, ansonsten greift § 16 Abs. 1 StGB. Stellt er sich eine solche nur vor, gelangt man gegebenenfalls zum untauglichen Versuch, aber nur, wenn Tatentschluss hinsichtlich aller anderen Merkmale gegeben ist und auch die sonstigen Versuchsvoraussetzungen einschließlich § 23 Abs. 1 StGB vorliegen1217.

Vgl. auch BGHSt 9, S. 358 (360). Puppe, in: Nomos-Kommentar, § 16 StGB, Rn. 64; siehe auch oben Seiten 103 ff. 1215 Siehe oben Seiten 165, 170. 1216 Dieser ordnet z. B. das Eigentum, einen zivilrechtlichen Anspruch etc. einer bestimmten Person zu. Siehe dagegen allgemein zur „imperativen“ Rechtsauffassung Seiten 137 ff., 143. 1217 Siehe oben Seiten 121 ff., 134. 1213 1214

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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6. Die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO – ein Sonderfall? Der Irrtum im Steuerstrafrecht (respektive der Steuerhinterziehung1218) ist Gegenstand zahlreicher Einzelbeiträge1219 und Monographien1220 und soll deshalb, auch wenn bereits mehrfach mitberücksichtigt, zusammenfassend und ergänzend unter einem eigenen Punkt behandelt werden. Dies ist auch deshalb notwendig, weil im Hinblick auf die §§ 370 AO ff. regelmäßig von „Blankettstrafrecht“1221 die Rede ist, die Irrtumsrechtsprechung jedoch nicht den sonst dafür aufgestellten Regeln folgt1222. Dies erscheint insofern verwunderlich, als dass im deutschen Steuerstrafrecht be1218 Der Bannbruch gem. § 372 AO wurde vor allem aus praktischen und verfahrensrechtlichen Überlegungen in den Kreis der Steuerstraftaten einbezogen (Harder, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 20. Kap., Rn. 102). Siehe dazu bereits oben Seite 160. 1219 Welzel, Irrtumsfragen im Steuerstrafrecht, NJW 1953, S. 486; Tiedemann, Zur legislatorischen Behandlung des Verbotsirrtums im Ordnungswidrigkeiten- und Steuerstrafrecht, ZStW 81 [1969], S. 879; Backes, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum im Steuerstrafrecht, StuW 1982, S. 253; Burkhardt, Zur Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt im Steuerstrafrecht, wistra 1982, S. 178; Lüderssen, Die Parteispendenproblematik im Steuerrecht und im Steuerstrafrecht, wistra 1983, S. 223; Samson, Irrtumsprobleme im Steuerstrafrecht, in: Kohlmann (Hrsg.), Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, S. 99; Schlüchter, Zur Irrtumslehre im Steuerstrafrecht, wistra 1985, S. 43; dies., Zur Irrtumslehre im Steuerstrafrecht (2. Teil), wistra 1985, S. 94; Reiß, Zur Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt am Beispiel der Steuerhinterziehung, wistra 1986, S. 193; ders., Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei der Steuerhinterziehung, wistra 1987, S. 161; Meyer, Der Verbotsirrtum im Steuerstrafrecht, NStZ 1986, S. 443; ders., Enthält der Tatbestand der Steuerhinterziehung ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, das jeglichen Verbotsirrtum ausschließt?, NStZ 1987, S. 500; Thomas, Die Steueranspruchstheorie und der Tatbestandsirrtum im Steuerstrafrecht, NStZ 1987, S. 260; Gribbohm / Utech, Probleme des allgemeinen Steuerstrafrechts, NStZ 1990, S. 209 (210 f.); Meine, Der Irrtum über das Kompensationsverbot, wistra 2002, S. 361; Lang, Steuerrecht und Tatbestand der Steuerhinterziehung, StuW 2003, S. 289 (293 f.); Weidemann, Ist der Steuerhinterziehungstatbestand ein Blankettgesetz?, wistra 2006, S. 132; ders., Der Irrtum über die Steuerrechtslage, in: Festschrift-Herzberg, S. 299. 1220 Maiwald, Unrechtskenntnis und Vorsatz im Steuerstrafrecht, Heidelberg 1984; von der Heide, Tatbestandsprobleme und Vorsatzprobleme bei der Steuerhinterziehung nach § 370 AO, Bochum 1986; Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im Steuerstrafrecht, Berlin 1993; Fissenewert, Der Irrtum bei der Steuerhinterziehung, Frankfurt 1993; Müller, Vorsatz und Erklärungspflicht im Steuerstrafrecht, Hamburg 2007. Vgl. auch Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 116a ff., 122 ff.; Senge, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 370 AO, Rn. 66 ff.; Dannecker, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- u. Steuerstrafrechts, 1. Kap., Rn. 39; Kummer, ebenda, 18. Kap., Rn. 35 ff.; Nolte, Hinterziehung verfassungswidriger und „verfassungswidrig“ genannter Steuern, S. 79 ff. 1221 Vgl. etwa BVerfGE 37, S. 201 (204); BVerfG vom 16. Juni 2011, Az. 2 BvR 542 / 09; BGH wistra 2005, S. 307; BGH NStZ 2007, S. 595; BGH NStZ 2008, S. 408 (409); BFH DStR 2000, S. 2128 (2129); Senge, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 370 AO, Rn. 1; siehe auch bereits oben Seite 117, insbesondere Fußnote 749 m. w. N. Zu einer Unterscheidung zwischen (nur) formellen und auch materiellen Blankettgesetzen vgl. Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 167 ff. 1222 Siehe Nachweise auf Seite 95, Fußnoten 536 und 537; vgl. auch Seite 93, Fußnote 521. Gleiches gilt auch im Hinblick auf § 2 Abs. 3 StGB (dazu Seiten 247 ff.).

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

kanntermaßen anders als früher in Deutschland1223 und noch heute in Österreich1224 keine Sonderirrtumstatbestände bestehen, sondern § 369 Abs. 2 AO auf die allgemeinen Irrtums- und Versuchsvorschriften der §§ 16, 17 StGB bzw. §§ 22, 23 StGB verweist1225. Entsprechend sieht Maiwald in der Unkenntnis der Steuerpflicht einen Verbotsirrtum1226. Wer nicht wisse, dass er seinen Pflichten aus den Steuergesetzen nicht nachgekommen sei, irre über ein „Rechtspflichtmerkmal“1227 und damit über das Verbotensein der Tat als Ganzes1228. Auch der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Fritz Meyer reklamiert, dass die Kenntnis der steuerschuldbegründenden Umstände für den Vorsatz eigentlich ausreichen müsste1229. Es sei nicht einzusehen, warum der Steuerschuldner besser gestellt werde als derjenige, von dem man die Beachtung anderer nebenstrafrechtlicher Vorschriften verlangt. Das gleiche Ergebnis erzielt man mit Safferling, der den Vorsatz ganz generell von rechtlichen Wertungen befreien möchte1230, und wohl auch mit B. Heinrich, der ebenfalls nur Irrtümer im Bereich des tatsächlichen Erkennens als vorsatzrelevant anerkennen will1231. Durchsetzen konnte man sich damit jedoch bisher nicht. Den Gründen dafür1232 wird nun unter anderem nachzugehen sein. 1223 Vgl. § 358 ReichsabgabenO (1919) und § 395 ReichsabgabenO (1931, 1934), siehe bereits oben Seite 45, Fußnote 146 (dort auch der bis 1969 gültige § 395 ReichsabgabenO im Wortlaut). Die betreffenden Bestimmungen waren allerdings später kaum mehr von praktischer Bedeutung. Zum rechtshistorischen Hintergrund vgl. auch Fissenewert, Der Irrtum bei der Steuerhinterziehung, S. 156 ff. 1224 Vgl. § 9 Finanzstrafgesetz. Siehe dazu auch Seiten 66 f. 1225 Siehe oben Seiten 60 und 78. Sehr deutlich auch Lüderssen, wistra 1983, S. 223 (224). 1226 Maiwald, Unrechtskenntnis und Vorsatz im Steuerstrafrecht, S. 15 ff. Ihm folgt Müller, Vorsatz und Erklärungspflicht im Steuerstrafrecht, S. 139 ff., 414 f., der es für dogmatisch zwingend hält, nach der Schuldtheorie den Irrtum über die Steuerpflicht als Verbotsirrtum zu beurteilen. Dem auch seiner Ansicht nach „unbefriedigenden“ Ergebnis, dass dem Steuerpflichtigen so eine praktisch unrealistische Gesetzeskenntnis abverlangt werde, könne man im Rahmen von § 17 S. 1 StGB bei der Vermeidbarkeit Rechnung tragen. 1227 Siehe dazu auch oben Seite 96. 1228 Maiwald, a. a. O., S. 21. 1229 Meyer, NStZ 1986, S. 443 (445); zustimmend jetzt auch Allgayer, in: Graf / Jäger / Wittig, § 369 AO, Rn. 28. Selbst nach Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei Blankettnormen, S. 47 ff. (siehe bereits oben Seite 95) braucht sich der (nach dem klassischen Verbrechensaufbau in der Schuld angesiedelte) Vorsatz bei der Steuerhinterziehung gem. § 396 RAbgabenO nicht auf die Steuerpflicht zu beziehen, was aber nicht missverstanden werden darf. Er ging nämlich wie die Rechtsprechung von einem subjektiv gefärbten (ausnahmsweise im Tatbestand angesiedelten) ungeschriebenen Merkmal der Steuerunehrlichkeit aus. Dieser Unterschied hat nach dem heutigen Verbrechensaufbau keine Bedeutung mehr, sein Ansatz unterscheidet sich i. E. nicht von der heute h. M. 1230 Safferling,Vorsatz und Schuld, S. 150 ff. Siehe oben Seiten 112 f. 1231 B. Heinrich, Der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, Festschrift-Roxin (80. Geb.), S. 449 (465); siehe oben Seite 112. 1232 Originell ist die Vermutung von Safferling,Vorsatz und Schuld, S. 152 die nachhaltige Unbeliebtheit der Steuerpflicht sei wohl der wahre Grund dafür, dass die Rechtsprechung hier großzügiger verfahre.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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a) Anwendungsbereich und Aufbau des Tatbestandes Die Steuerhinterziehung ist in § 370 AO geregelt. Der sachliche Anwendungsbereich ist gem. § 1 Abs. 1 S. 1 AO grundsätzlich nur für Steuern (einschließlich Zöllen) i. S. d. § 3 AO eröffnet, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union1233 festgelegt sind. Art. 4 Abs. 3 EGStGB gibt den Landesgesetzgebern aber die Möglichkeit, bei landesrechtlich geregelten Steuern und anderen Abgaben entweder die Straf- und Bußgeldvorschriften der Abgabenordnung für anwendbar zu erklären1234 oder selbst entsprechende Straf- und Bußgeldtatbestände zu schaffen, wie z. B. durch § 15 Abs. 1 KAG (Rheinland-Pfalz)1235 geschehen. Auf § 370 AO verweisen ferner die §§ 8 Abs. 2, 12 Abs. 1 S. 1 MOG1236 hinsichtlich der Hinterziehung von Abgaben zu Marktordnungszwecken. § 266a Abs. 2 StGB1237 ist ebenfalls der Steuerhinterziehung nachgebildet und betrifft die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung. Die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO enthält in Abs. 1 eine Täuschungskomponente1238, ähnelt insofern dem Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB, den sie als lex specialis verdrängt1239. Die Tat kann dabei durch aktives Tun gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO oder Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begangen werden1240. Die jeweiligen Tathandlungen müssen sich auf steuerlich erhebliche Tatsachen beziehen. Dieses Merkmal spielt jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die Steuerhinterziehung ist nämlich wie § 263 StGB und anders als der Subventionsbetrug gem. § 264 StGB1241 ein Erfolgsdelikt, sie setzt eine tatsächlich eingetretene Steuerverkürzung oder eine nicht gerechtfertigte Erlangung eines Steuervorteils voraus; die 1233 Dies betrifft vor allem auch Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i. S. von Art. 4 Nrn. 10 und 11 Zollkodex [Verordnung (EWG) Nr. 2913 / 92] bzw. Art. 4 Nrn. 15 und 16 des Modernisierten Zollkodex [Verordnung (EG) Nr. 450 / 2008]. 1234 Vgl. etwa § 1 Nr. 1 Hamburgisches AbgabenG; § 3 Abs. 1 Nr. 1 Bremisches AbgabenG. Siehe auch § 6 Abs. 1 KirchensteuerrahmenG (Niedersachsen); in den meisten anderen Ländern ist die Kirchensteuerhinterziehung dagegen nicht als solche strafbar, vgl. BGH NStZ 2009, S. 157 (159). 1235 Siehe auch § 7 Abs. 1 KAG (Baden-Württemberg); Art. 14 Abs. 1 KAG (Bayern); § 14 Abs. 1 KAG (Brandenburg); § 5 Abs. 1 KAG (Hessen); § 16 Abs. 1 KAG (Mecklenburg-Vorpommern); § 16 Abs. 1 NKAG (Niedersachsen); § 17 Abs. 1 KAG (Nordrhein-Westfalen); § 13 Abs. 1 KAG (Saarland); § 5 Abs. 1 SächsKAG (Sachsen); § 15 Abs. 1 KAG (Sachsen-Anhalt); § 16 Abs. 1 KAG (Schleswig-Holstein); § 16 Abs. 1 KAG (Thüringen). 1236 Achenbach, Das Strafrecht als Mittel der Wirtschaftslenkung, ZStW 119 [2007], S. 789 (798). 1237 Zu § 266a Abs. 1 StGB siehe bereits oben Seite 176. 1238 Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 106. 1239 Vgl. BGHSt 36, S. 100 (101); BGHSt 40, S. 109 (110 f.). 1240 § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO betrifft den Sonderfall der pflichtwidrigen Nichtverwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern und setzt kein Handeln gegenüber den Finanzbehörden voraus. Die Verwendung von Steuerzeichen schreibt § 17 TabakStG vor. Sonst gibt es derzeit wohl keine Anwendungsfälle mehr. 1241 Vgl. Perron, in: Schönke / Schröder, § 264 StGB, Rn. 5.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

steuerliche Erheblichkeit der falsch oder nicht gemachten Angaben wird damit regelmäßig einhergehen1242. Allenfalls in Fällen, in denen sich der zuständige Finanzsachbearbeiter zwar von irrigen, aber sachfremden1243 Erwägungen zu einer fehlerhaften Entscheidung verleiten lässt, wird dem Merkmal im objektiven Tatbestand eine eigenständige strafbarkeitsbegrenzende (vergleichbar mit der Fallgruppe der bewussten Selbstschädigung bei § 263 StGB1244) Funktion zukommen. Als maßgeblicher Taterfolg sind in § 370 Abs. 4 S. 1 und 2 AO die Steuerverkürzung und die ungerechtfertigte Erlangung eines Steuervorteils definiert. Der Steuerverkürzungserfolg gem. § 370 Abs. 4 S. 1 AO unterscheidet sich dabei insofern vom Vermögensschaden des § 263 Abs. 1 StGB, als dass eine unzureichende oder verspätete Steuerfestsetzung ausreicht1245, aber keine effektive Vermögensminderung beim Steuerfiskus eintreten muss. Im Steuerstrafverfahren bedarf es auch nicht des Nachweises, dass der verkürzte Steueranspruch nach wirtschaftlichen Kriterien überhaupt werthaltig war1246. Der genaue Zeitpunkt der Tatvollendung ist dafür bei § 370 AO nicht immer ganz einfach zu ermitteln1247. Im Regelfall der Veranlagungssteuern ist bei der Variante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf die Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheids abzustellen1248. Im Rahmen von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, z. B. bei Nichtanzeige eines Erbfalls, kommt es dagegen auf den fiktiven Zeitpunkt der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung der zu erwartenden Bearbeitungsdauer,

1242 Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 155; Schmitz, Die Abgrenzung von strafbarem Versuch und Wahndelikt, Jura 2003, S. 593 (601). 1243 Der Begriff der steuerlichen Erheblichkeit ist allerdings recht weit zu verstehen. Steuerlich erhebliche Tatsachen sind etwa auch Umstände, die im Beitreibungsverfahren für die Entscheidung des Finanzamts, ob und welche Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden sollen, von Bedeutung sind (BGH NStZ 1992, S. 599). 1244 Bei § 263 StGB fehlt es dann an der objektiven Zurechenbarkeit des Vermögensschadens (so etwa Hefendehl, in: Münchener Kommentar, § 263 StGB, Rn. 662; zu anderen Erklärungsmodellen siehe dort Rn. 659 ff.). Bei § 370 AO wäre z. B. eine Konstellation denkbar, in der der Steuerpflichtige durch eine (erlogene) eventuell rührige (aber selbst im Hinblick auf die §§ 163, 227 AO rechtlich irrelevante) Geschichte einen gesetzlich nicht vorgesehenen Aufschub der Steuerfestsetzung o.ä. erwirkt. Die Zweckverfehlungslehre (als Ausnahme zur straflosen bewussten Selbstschädigung; vgl. Cramer / Perron, in: Schönke / Schröder, § 263 StGB, Rn. 101 f.) kann hier nicht entsprechend zur Anwendung kommen, da der Finanzbeamte ohnehin nicht von den gesetzlichen Vorgaben abweichen darf. 1245 Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 10, 60 ff. 1246 Unbeachtlich für eine Steuerverkürzung i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 2 AO ist es damit, wenn der Steuerpflichtige z. B. nicht über ausreichende Mittel verfügt, die Steuerschuld zu begleichen (vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 10). Auch beim subsidiären § 370 Abs. 4 S. 2 AO (relevant etwa bei der täuschungsbedingten Erstattung von Vorsteuer) wird schon die unrichtige Erlangung eines Festsetzungsbescheides als tatbestandsmäßiger Erfolg angesehen (Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 100; Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 104). Dieser dürfte aber nach wirtschaftlicher Betrachtung regelmäßig werthaltig sein und damit auch immer einer schadensgleichen Vermögensgefährdung i. S. d. § 263 StGB entsprechen. 1247 Vgl. Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 36 ff. 1248 Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 61 ff.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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der üblichen Fristverlängerungspraxis etc. an1249. Bei sogenannten Fälligkeitssteuern wiederum, praktisch bedeutsamster Fall ist die Umsatzsteuer, wird gem. § 167 Abs. 1 S. 1 AO nur dann ein Steuerbescheid erlassen, wenn von der Anmeldung der durch den Steuerpflichtigen berechneten Steuer abgewichen wird. Die Steueranmeldung gilt dann grundsätzlich gem. § 168 S. 1 AO als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung, was gem. § 370 Abs. 4 S. 1 2. Hs. AO zu einem besonders frühen Verkürzungserfolg führen kann. Im Fall einer angemeldeten Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder einer Steuervergütung ist allerdings auf die Bekanntgabe der Zustimmung gem. § 168 S. 2 AO abzustellen1250. Wird dagegen überhaupt keine Umsatzsteuer erklärt, ist die Tat mit Ablauf des letzten Tages der Abgabefrist gem. § 18 Abs. 1 bzw. 3 UStG vollendet, wenn auf eine fiktive Erklärung zu diesem Zeitpunkt § 168 S. 1 AO anzuwenden gewesen wäre1251.

Als weiterer wichtiger Unterschied zu § 263 Abs. 1 StGB ist bei der Bestimmung des Verkürzungsbetrages das (nicht unumstrittene) Kompensationsverbot1252 zu beachten. Nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO kann sich der Täter nicht im Nachhinein darauf berufen, dass der Verkürzungserfolg statt durch Täuschung hypothetisch auch bei Geltendmachung gesetzlich vorgesehener Ermäßigungsgründe, die mit den falschen Angaben in keinem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen1253, eingetreten wäre. All die genannten Punkte werden folgend mit Blick auf die innere Tatseite zu vertiefen sein.

b) Irrtum über den Steuerverkürzungserfolg bzw. die ungerechtfertigte Vorteilserlangung Der Steuerverkürzungserfolg und die ungerechtfertigte Vorteilserlangung spielen für den subjektiven Tatbestand des § 370 AO eine entscheidende Rolle1254. Objektiv ist eine Verkürzung dann gegeben, wenn die festgesetzte Steuer (Steuer-Ist) täuschungsbedingt unter der – kraft Gesetzes – durch die Erfüllung eines steuerbaren Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 157. Diese kann auch konkludent durch Auszahlung der angemeldeten Erstattung oder Vergütung erteilt werden. Vgl. BFH, DStR 1996, S. 747. 1251 Näher dazu Muhler, Die Umsatzsteuerhinterziehung, wistra 2009, S. 1 (2). In den praktisch hier wohl weniger relevanten Fällen des § 168 S. 2 AO, die bei unterbliebener Erklärung nur wegen § 370 Abs. 4 S. 3 AO strafbar sind, denn der Steuerpflichtige hat schließlich i. E. einen Erstattungsanspruch, kommt es dagegen darauf an, wann das Finanzamt bei gerade noch rechtzeitiger Abgabe seine Zustimmung erteilt hätte (zu möglichen Irrtümern vgl. allerdings auch Seite 190). 1252 Vgl. Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 63 ff. 1253 BGH wistra 1984, S. 183; BGH NStZ 2004, S. 579. Wegen dieser Einschränkung hinterzieht der Autohändler, der ein Fahrzeug für 10 000 Euro erwirbt, um es „schwarz“ für 15 000 Euro weiterzuverkaufen, nur hinsichtlich der 5 000 Euro Gewinn Einkommens- und Gewerbesteuer (vgl. Kummer, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 18. Kap., Rn. 34). 1254 Wenn es um dessen Verneinung geht, ist die Rechtsprechung an eine bestimmte Prüfungsreihenfolge schließlich nicht gebunden. 1249 1250

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Tatbestandes verwirkten Steuer (dem Steuer-Soll) liegt1255. Das Steuer-Soll ergibt sich also aus dem materiellen Steuerrecht; es wird im Rahmen des Besteuerungsverfahrens gem. § 85 AO grundsätzlich von den Finanzbehörden „nach Maßgabe der Gesetze“ bestimmt1256. Der Bürger muss dabei in der Regel, z. B. durch Abgabe einer Steuererklärung gem. § 149 AO, nur einen Beitrag zur Sachaufklärung leisten1257. Eine Subsumtion in eigener Sache wird vom ihm nicht verlangt, was ähnlich den oben genannten Fällen1258 bereits für eine tatbestandliche Bezugnahme auf steuerliche Rechtsfolgen und gegen ein Hineinlesen des materiellen Steuerrechts in § 370 AO als Blanketttatbestand spricht. Auch in den Ausnahmefällen, in denen der Steuerpflichtige die verwirkte Steuer selbst zu berechnen hat, so z. B. bei der bereits erwähnten Umsatzsteuer1259, steht das Resultat immer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durch die Finanzbehörden. Das Steuer-Soll führt darüber hinaus als wertindifferenter Geldanspruch1260 des Staates – wie das Eigentum oder auch schuldrechtliche Ansprüche – ein eigenständiges Dasein1261. Die „Höhe“ i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO der gesetzlich geschuldeten Steuer, also der Steueranspruch, aber auch der „nicht gerechtfertigte Steuervorteil“ i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 2 AO weisen damit die typischen Eigenschaften eines rechtsnormativen Tatbestandsmerkmals auf. Richtig ist es deshalb, sie auch als solche und nicht als durch das materielle Steuerrecht auszufüllende Blankettverweisungen zu verstehen1262. Es ist damit völlig zutreffend und (auch für den Gegner einer nebenstrafrechtlichen Irrtumssonderdogmatik) keinesfalls folgewidrig, dass bei § 370 AO zum Inhalt des Vorsatzes die Kenntnis oder – genauer – zumindest 1255 Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 72, 98. Ein Steuervorteil i. S. d. § 370 Abs. 1 S. 2 AO ist dann nicht gerechtfertigt, wenn der Täter keinen Anspruch auf ihn hatte. 1256 Beim Regelfall der Veranlagungssteuern wird der Steueranspruch gem. § 155 AO durch förmlichen Bescheid bekanntgegeben. Vgl. auch schon Seite 186. 1257 Lang, Steuerrecht und Tatbestand der Steuerhinterziehung, StuW 2003, S. 289 (294). 1258 Vgl. oben Seite 165. Siehe aber auch Seite 162. 1259 Siehe schon oben Seite 187. Die Berechnung der geschuldeten Umsatzsteuer für die Voranmeldung (§ 18 Abs. 1 UStG) und die Jahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) kann dem Bürger grundsätzlich überlassen werden, weil sie natürlich ungleich leichter durchzuführen, aber auch nachzuprüfen ist als z. B. die Berechnung der Einkommenssteuer, bei der verschiedene Einkunftsarten, Steuerermäßigungen und Abschreibungsmöglichkeiten, Werbungskosten, Sonderausgaben etc. zu berücksichtigen sind und der Steuersatz einer Progression unterliegt. 1260 Vgl. Thomas, NStZ 1987, S. 260 (262). 1261 Vgl. auch oben Seiten 170 ff., 182. 1262 So auch Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 180 f.; von der Heide, Tatbestandsprobleme und Vorsatzprobleme, S. 202, 218 f.; Fissenewert, Der Irrtum bei der Steuerhinterziehung, S. 221 f.; Weidemann, Ist der Steuerhinterziehungstatbestand ein Blankettgesetz?, wistra 2006, S. 132 (133); Hellmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 370 AO, Rn. 47; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 27; Rolletschke, in: Rolletschke / Kemper, § 370 AO, Rn. 144; ders., Steuerstrafrecht, Rn. 122 ff.; Schmitz / Wulf, in: Münchener Kommentar, § 370 AO, Rn. 327; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 113; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 6, Rn. 168.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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die Inkaufnahme eines nicht in gesetzlicher Höhe festgesetzten Steueranspruchs gehört1263. Entsprechendes gilt für den nicht gerechtfertigten Steuervorteil. Parallel beurteilt sich auch die Unkenntnis einer Beitrags-, Abgaben-, Gebühren- oder Kostenschuld im Rahmen von § 266a Abs. 2 Nrn. 1 und 2 StGB1264, §§ 8 Abs. 2, 12 Abs. 1 S. 1 MOG i.V. m. § 370 AO oder den Hinterziehungstatbeständen verschiedener Landesgesetze, wie z. B. § 15 Abs. 1 KAG (Rheinland-Pfalz)1265, § 25 Abs. 1 Landesgebührengesetz (Baden-Württemberg) und Art. 26 Abs. 1 Kostengesetz (Bayern). Die Unkenntnis der steuerlichen Erheblichkeit der unrichtigen, unvollständigen oder gänzlich unterlassenen Angaben spielt bei der Steuerhinterziehung1266 auch für die innere Tatseite keine eigenständige Rolle, denn sie geht regelmäßig mit der Unkenntnis des Steueranspruchs als geschütztes Tatobjekt einher1267. In diesem Fall greift § 16 Abs. 1 StGB, unabhängig davon, ob die Fehlannahme auf Verkennung des vorgelagerten tatsächlichen Sachverhalts oder dessen richtigen steuerrechtlichen Bewertung beruht. Die Möglichkeit der Ahndung als Ordnungswidrigkeit wegen leichtfertiger Steuerverkürzung gem. § 378 AO bleibt davon freilich unberührt. Der Vorwurf, dass insofern kaum noch Anwendungsbereich für § 17 StGB bleibe1268, kann aber keine Rolle spielen, er müsste schließlich ebenso die §§ 242 und 263 StGB treffen. Fraglich ist jedoch, wie es sich verhält, wenn der Täter über steuermindernde Umstände, die mit den falschen oder fehlenden Angaben in keinem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen1269, bzw. über das Kompensationsverbot in § 370 Abs. 4 S. 3 AO an sich irrt. Der Unternehmer, der es beispielsweise entgegen § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V. m. § 18 UStG böswillig unterlässt, Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben, kann sich (jedenfalls nach der Rechtsprechung1270) nicht im Nachhinein darauf berufen, dass dem Steuerfiskus gar kein Schaden entstanden sei, weil er im gleichen Zeitraum zum Vorsteuerabzug in entsprechender Höhe berechtigt gewesen wäre. Selbst wenn der Täter die Möglichkeit eines Vorsteuerabzugs im 1263 Ständige Rechtsprechung BGHSt 5, S. 90 (91 f.); BGH NJW 1980, S. 1005 (1006); BGH wistra 1983, S. 113 (114); BGH wistra 1986, S. 174; BGH wistra 1989, S. 263; BayObLG, NJW 1976, S. 635; BayObLG wistra 1990, S. 202; OLG Bremen StV 1985, S. 282 (283); vgl. auch Kohlmann, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 676 ff. m. w. N. 1264 Zu § 266a Abs. 1 StGB siehe oben Seite 176. 1265 Vgl. für die entsprechenden Hinterziehungstatbestände anderer Länder oben Seite 185, Fußnote 1235. 1266 Gleiches gilt selbstverständlich entsprechend für die sozialversicherungs-, (marktordnungs)abgaben-, gebühren- oder kostenrechtliche Erheblichkeit bei den eben genannten § 370 Abs. 1 AO nachgebildeten Tatbeständen. 1267 Reiß, wistra 1987, S. 161 (163). Ein isolierter Irrtum über die steuerliche Erheblichkeit wird also kaum vorkommen, so dass hier auch nicht entschieden werden braucht, ob sich dieser nach § 16 Abs. 1 StGB oder § 17 StGB beurteilen würde. 1268 Meyer, NStZ 1986, S. 443 (445). 1269 Vgl. Seite 187, Fußnote 1253. 1270 BGH vom 31. Januar 1978, Az. 5 StR 458 / 77. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Umsatzsteuer und Vorsteuer wird dabei verneint.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Tatzeitpunkt gar nicht kannte, gelangt man so zur Vollendungsstrafbarkeit und nicht etwa zum untauglichen Versuch1271. Erst recht leerlaufen würde die Schutzbehauptung, der Täter habe irrig irgendwelche Umstände als steuermindernd angesehen, die es in Wahrheit gar nicht sind. Besteht jedoch wie im Ausgangsfall die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug, ist auch die Konstellation denkbar, dass der Täter diese kennt und trotzdem keine Voranmeldungen abgibt. Motivation für ein solches Verhalten wäre z. B., dass der Täter in einem Voranmeldungszeitraum in einem größeren Umfang Waren erwirbt, durch deren Verkauf er auch in den nächsten Zeiträumen erhebliche Gewinne erwirtschaften möchte1272. Diese späteren Umsätze und Gewinne plant er, überhaupt nicht zu versteuern, weshalb er seine gewerbliche Tätigkeit an sich bzw. eine gewerbliche Tätigkeit über die Umsatzgrenzen des § 19 Abs. 1 UStG (Kleinunternehmer) hinaus schon jetzt besser geheim halten möchte.

Hält sich der Täter nun im vermeintlichen „Vorbereitungs“-stadium in Bezug auf die Umsatzsteuer noch für straflos, weil er entgegen § 370 Abs. 4 S. 3 AO davon ausgeht, eine Kompensation wäre dennoch möglich, betrifft sein Irrtum nur das strafrechtliche Verbot und müsste deshalb eigentlich nach § 17 S. 1 StGB behandelt werden1273. In BGH NStZ 1991, S. 89 wurde jedoch geradezu zielstrebig ein Fall konstruiert, dessen Nicht-Vorliegen in entsprechenden Fällen von den Tatinstanzen überprüft werden müsse: Gehe der Täter davon aus, die Abzugsberechtigung negiere den Steueranspruch quasi „automatisch“1274, sei von einem Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB auszugehen, denn der Täter irre dann bereits über das Bestehen des Steueranspruchs. All dies lässt eine gewisse Skepsis gegenüber dem Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO vermuten. Bei entsprechend geschickter, vom Bundesgerichtshof quasi vorformulierter Einlassung relativiert sich so jedenfalls zum Teil dessen Bedeutung1275.

Hellmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 370 AO, Rn. 245. Vgl. auch Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 107. 1273 Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 178 ff., 181 f. 1274 Völlig abwegig wäre eine solche Vorstellung freilich in der Tat nicht. Ob nun zuerst die Ausgaben von den Einnahmen abgezogen und davon die Steuer errechnet wird (vgl. das Beispiel in Fußnote 1253, Seite 187) oder gem. § 16 Abs. 2 S. 1 UStG die einzelnen berechneten Steuer- und Vorsteuerbeträge saldiert werden, macht der Sache nach eigentlich keinen großen Unterschied. Kritisch dagegen Muhler, Die Umsatzsteuerhinterziehung, wistra 2009, S. 1 (2). 1275 Vgl. auch Meine, wistra 2002, S. 361 (362, 364). Aber auch ohne Irrtum führt ein nicht geltend gemachter Vorsteuerabzug immerhin zu einer Minderung der nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu beachtenden Auswirkungen der Tat, vgl. BGHSt 47, S. 343 (351); BGH NStZ 2004, S. 579 (580); BGH wistra 2008, S. 153. 1271 1272

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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c) Umgekehrter Irrtum – eigenständige Relevanz des Merkmals der steuerlichen Erheblichkeit bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO? – Vergleich mit §§ 264, 264a, 265b StGB Kommt man zurück zum Normalfall, stellt sich nun das Problem, inwieweit die umgekehrte Variante, d. h. die schlichte Einbildung eines Steueranspruchs, zum untauglichen Versuch insbesondere einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V. m. §§ 22, 23 StGB, § 370 Abs. 2 AO führen kann. Wenn man – wie hier – das Bestehen eines Steueranspruchs als rechtsnormatives Merkmal versteht, muss (aufgrund der identischen inhaltlichen Anforderungen an Vorsatz und Tatentschluss) hinsichtlich dieses Merkmals die schlichte Einbildung eines Steueranspruches für den Tatentschluss genügen, egal ob der Irrtum auf vorgelagerten tatsächlichen oder rechtlichen Fehlvorstellungen beruht1276. Korrespondierende Vorstellungen über Umstände, die tatsächlich zur Verwirkung einer Steuer führen würden, sowie über einschlägige steuerrechtliche Vorschriften sind insofern nicht erforderlich1277. Der Umstand, dass der Täter die Verkürzung des Anspruches nicht nur irgendwie bewirken, sondern dass dies (jedenfalls nach seinem Tatplan) durch unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen geschehen muss, könnte nun aber eine wesentlichere Rolle spielen, wenn sich die steuerliche Erheblichkeit anders als der Verkürzungserfolg als Blankettmerkmal darstellen würde. Trotz Vorstellung eines verkürzten Steueranspruches käme man im Falle rechtlich bedingter Fehlvorstellungen zum Wahndelikt, denn ein Blankettmerkmal kann auch in der Versuchskonstellation nicht durch bloß eingebildete Vorschriften des materiellen Steuerrechts ausgefüllt werden1278. Um welche Form der Verweisung es sich handelt, war allerdings für die bisher abgehandelten Konstellationen, da § 370 Abs. 1 AO ein Erfolgsdelikt ist, nicht entscheidungsrelevant1279. Aufschlussreich ist deshalb insbesondere der Gefährdungstatbestand des Subventionsbetruges, bei dem in § 264 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 StGB1280 von „subventionserheblichen Tatsachen“ die Rede ist1281. Der Begriff ist in § 264 Abs. 8 Nrn. 1 und 2 StGB näher definiert. Subventionserheblich ist demnach eine Tatsache, wenn sie gem. Nr. 1 durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes von dem Subventionsgeber als solches bezeichnet wird (vgl. § 2 SubvG) oder gem. Nr. 2 von ihr sonst (etwa bei europäischen Subventionen) die Bewilligung, Gewährung, Rückforderung, Weitergewährung oder das Belassen einer Subvention gesetzlich abhängig ist. Ist dem Täter nicht bekannt, dass eine Tatsache i. S. d. Siehe bereits oben Seite 127. Vgl. auch Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 177; Samson, in: Kohlmann (Hrsg.), Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, S. 99 (111). Siehe ferner bereits oben Seiten 126 und 169. 1278 Siehe bereits oben Seite 119. 1279 Siehe oben Seite 189. 1280 § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB betrifft dagegen eine untreueähnliche Konstellation. 1281 Siehe oben Seite 185. 1276 1277

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

§ 264 Abs. 8 Nr. 1 StGB als subventionserheblich bezeichnet wurde und ging er auch nicht von einem sonstigen gesetzlichen Abhängigkeitsverhältnis i. S. d. § 264 Abs. 8 Nr. 2 StGB aus, so ist von einem Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB auszugehen1282. Die Möglichkeit der Ahndung wegen Leichtfertigkeit gem. § 264 Abs. 4 StGB bleibt davon freilich unberührt. Die Annahme eines vorsatzrelevanten Irrtums ist aber zutreffend. Die Bezeichnung als subventionserheblich durch den Subventionsgeber gem. § 2 SubvG stellt sich ohnehin als Einzelakt dar und folgt schon deshalb den dafür aufgestellten Irrtumsregeln1283. Aber auch ein gesetzliches Abhängigkeitsverhältnis führt als wertindifferente Position ein eigenständiges Dasein außerhalb des Strafrechts und ist deshalb als rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal zu verstehen1284. So wäre schließlich auch bei einer strukturell gleichgelagerten Betrugskonstellation1285, wenn der Täter glaubt, eigentlich über sachfremde Umstände zu täuschen, der Vorsatz bezüglich § 263 StGB, und zwar hinsichtlich der Bewirkung einer Vermögensverfügung durch Täuschungshandlung und Irrtum, zu verneinen1286. Dieses Ergebnis deckt sich aber auch mit anderen Strafvorschriften, in denen vom Begriff der Erheblichkeit Gebrauch gemacht wird. So sind die „rechtlich erheblichen Tatsachen“ bei § 271 Abs. 1 StGB und § 348 Abs. 1 StGB ebenfalls Tatbestandsmerkmale1287. Ferner gilt nichts anderes bei den thematisch näheren §§ 264a und 265b Abs. 1 StGB, wenn es um für eine Anlage- oder Kreditentscheidung „erheblichen“ Umstände geht1288, nur dass diese – anders als bei staatlichen Entscheidungsträgern – eben weniger rechtlich geprägt sind. Es spricht also alles dafür auch das Merkmal der steuerlichen Erheblichkeit bei § 370 Abs. 1 AO als rechtsnormatives Merkmal zu begreifen1289. Dies führt dazu, dass in der Situa1282 Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 264, Rn. 120; Wohlers, in: Münchener Kommentar, § 264 StGB, Rn. 109; Perron, in: Schönke / Schröder, § 264 StGB, Rn. 62; Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 264 StGB, Rn. 81; Hellmann, in: Nomos-Kommentar, § 264 StGB, Rn. 122. 1283 Siehe oben Seiten 163 ff. 1284 Siehe oben Seiten 169 ff., 182. 1285 Bei Subventionen geht nach der h. M. § 264 StGB allerdings dem § 263 StGB vor. Vgl. BGHSt 32, S. 202 (208); BGHSt 34, S. 265 (272); Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 264 StGB, Rn. 161; Lackner / Kühl, § 264 StGB, Rn. 30; Perron, in: Schönke / Schröder, § 264 StGB, Rn. 87; Fischer, § 264 StGB, Rn. 5; a. A. Hellmann, in: Nomos-Kommentar, § 264, Rn. 172 ff.; Wohlers, in: Münchener Kommentar, § 264 StGB, Rn. 124 m. w. N. 1286 Vgl. auch oben Seite 186, insbesondere Fußnote 1244. 1287 Cramer / Heine, in: Schönke / Schröder, § 271 StGB, Rn. 27; Cramer / Sternberg-Lieben / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 348 StGB, Rn. 13. 1288 OLG Hamburg WM 1998, S. 522 (523); Perron, in: Schönke / Schröder, § 264a StGB, Rn. 36, § 265b StGB, Rn. 48 m.w. N. 1289 So u. a. auch Fissenewert, Der Irrtum bei der Steuerhinterziehung, S. 220 f.; von der Heide, Tatbestands- und Vorsatzprobleme, S. 199 f.; Backes, StuW 1982, S. 253 (261 f.); Samson, in: Kohlmann (Hrsg.), Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, S. 99 (105), der einer Versuchsstrafbarkeit de lege ferenda freilich skeptisch gegenüber steht; vgl. auch Lüderssen, wistra 1983, S. 223 (225), welcher dennoch vom Wahndelikt ausgehen möchte (S. 227, Fn. 38). Dem Merkmal jede eigenständige Bedeutung absprechend, dann aber –

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tion der schlichten Einbildung eines Steueranspruchs die Vorstellung ausreicht, durch Täuschung über steuerlich erhebliche Tatsachen eine Steuerverkürzung zu bewirken oder ungerechtfertigte Steuervorteile zu erlangen1290. Bereits dann macht man sich durch die (eigentlich unerheblichen) Falschangaben wegen Versuchs gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. §§ 22, 23 StGB, § 370 Abs. 2 AO strafbar. Korrespondierende Fehlvorstellungen über wirklich steuerlich erhebliche Umstände sind dagegen nicht erforderlich.

d) Irrtum über Erklärungspflichten bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Bei der Unterlassensalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verweist der Hinterziehungstatbestand dagegen blankettartig auf die Erklärungspflichten der §§ 139, 149, 153, 200 AO, §§ 41a, 45a EStG, § 18 UStG, §§ 30 ff. ErbStG, § 18 GrEstG und Art. 40 Zollkodex1291 bzw. Art. 95 Modernisierter Zollkodex1292. Dies wird bedeutsam, wenn der Täter z. B. bei Aufnahme eines Gewerbes, bei Anfall einer Erbschaft, bei der „Verdieselung“ von Heizöl1293, dem Verbringen von Tabakwaren aus anderen EU-Staaten ins deutsche Steuergebiet1294 oder der Einfuhr von Textilprodukten aus Asien1295 etc. zwar weiß, dass er an sich gewerbesteuer-, umsatzsteuer, erbschaftssteuer-, verbrauchssteuer- oder zollpflichtig ist, aber meint, dies erst einmal bis zu einer Aufforderung durch die Finanz- oder Zollverwaltung verheimlichen zu können. Da die Erklärungspflichten in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hineinzulesen sind, kann er sich in diesem Fall nicht im Hinblick auf § 16 Abs. 1 StGB darauf berufen, dass ihm diese unbekannt gewesen seien. Genauso wie sonst der Irrtum über eine Handlungspflicht die Vorsatzstrafe nicht ausschließt1296, liegt auch wie hier – die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich bejahend Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum, S. 182 ff., 186. A. A. wiederum Burkhardt, wistra 1982, S. 178 (siehe bereits oben Seite 113); Reiß, wistra 1986, S. 193 (198 f.); kritisch auch Kohlmann, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 731. 1290 Vgl. RGSt 68, S. 45 (53 ff.); BGHSt 16, S. 282 (285) [obiter dictum]; siehe auch Seiten 47, 49 und 95. 1291 Verordnung (EWG) Nr. 2913 / 92. 1292 Verordnung (EG) Nr. 450 / 2008. Zur Anwendbarkeit vgl. Art. 188 Modernisierter Zollkodex. 1293 Die Verwendung von Heizöl als Dieselkraftstoff, der einer höheren Energiesteuer unterliegt, ist gem. § 21 Abs. 2 S. 4 EnergieStG (als Spezialnorm zu § 153 Abs. 3 AO) anmeldepflichtig. 1294 Erfolgt die Einfuhr zu Wiederverkaufszwecken gilt die Anzeigepflicht nach § 23 Abs. 1 S. 3 TabakStG. Ebenfalls Verbrauchssteuern betrifft § 144 Abs. 4 S. 1 BranntweinmonopolG. 1295 Zolldelikte werden freilich häufig auch durch positives Tun begangen (etwa durch Passieren des grünen Durchgangs am Flughafen) und sind dann gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO strafbar (vgl. zum Reiseverkehr allerdings auch § 32 ZollVG). 1296 Samson, in: Kohlmann (Hrsg.), Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, S. 99 (106).

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hier lediglich ein Verbotsirrtum gem. § 17 StGB vor1297, sieht man einmal von dem Fall ab, in dem der Steuerpflichtige ein Schreiben des Finanzamtes als Fristverlängerung durch Einzelakt gem. § 109 Abs. 1 S. 1 AO missversteht1298. Gleiches gilt, wenn die Pflichten gem. § 34 AO auf einen gesetzlichen Vertreter übergewälzt werden, dieser sich aber persönlich nicht für verantwortlich hält. Anders ist dies nur, wenn die Unkenntnis der Erklärungspflicht mit der Unkenntnis des Steueranspruchs verbunden ist. Dann greift wiederum vorrangig § 16 Abs. 1 StGB1299. Dies wäre etwa im Rahmen kommunalabgabenrechtlicher Hinterziehungstatbestände1300 dann der Fall, wenn in einem Heilbad ein Vermieter von Fremdenzimmern nichts von der von seinen Gästen geschuldeten Kurtaxe1301 weiß oder dem Bordellbetreiber die ihn betreffende Ausweitung der örtlichen Vergnügungssteuer entgangen ist1302 und er deshalb natürlich auch nicht in Erwägung zieht, dass ihn diesbezügliche Erklärungspflichten treffen könnten. Im umgekehrten Fall eines eingebildeten Steueranspruchs und einer eingebildeten Erklärungspflicht gelangt man hier jedoch nicht zum untauglichen Versuch, denn es fehlt der Vorsatz hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale, die eine existente Erklärungspflicht begründen würden. Das „Verheimlichen“ von Tatsachen im Hinblick auf eine überhaupt nicht existente Abgabe, eine vor Ort nicht bestehende Kurtaxe1303 oder gar eine staatliche „Bartsteuer“1304 oder „Tür- und Fenstersteuer“1305, 1297 BayObLG NJW 1976, S. 635; BGH wistra 1986, S. 219 (220); vgl. zu dieser Entscheidung auch Reiß, wistra 1987, S. 161 (164 f.); siehe auch Backes, StuW 1982, S. 253 (264); von der Heide, Tatbestandsprobleme und Vorsatzprobleme, S. 211 ff.; Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 237; Senge, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 370 AO, Rn. 67; Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 122d; Möller / Retemeyer, in: Bender / Möller / Retemeyer, Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht, B I, Rn. 94; Schmitz / Wulf, in: Münchener Kommentar, § 370 AO, Rn. 329; a. A. Kohlmann, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 630, 691 ff. 1298 Vgl. Hellmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 370 AO, Rn. 261; zum Irrtum über das Vorliegen einer Genehmigung siehe Seiten 199 ff. 1299 Samson, in: Kohlmann, Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, S. 99 (108); Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 237; von der Heide, Tatbestandsprobleme und Vorsatzprobleme, S. 210, 216 f. 1300 Siehe oben Seite 185, insb. Fußnote 1235. 1301 Nach § 12 KAG (Rheinland-Pfalz) können (wie in anderen Ländern auch) Kurorte für die Fremdenverkehrswerbung, für die Herstellung und Unterhaltung von Einrichtungen etc. Fremdenverkehrs- und Kurbeiträge erheben. Die Aufzeichnungs- und Meldepflichten für Hoteliers, Pensionsbesitzer etc. ergeben sich regelmäßig aus den kommunalen Satzungen, die wiederum den Unterlassenstatbestand der Abgabenhinterziehung in § 15 Abs. 1 Nr. 2 KAG ausfüllen. 1302 Vgl. etwa § 2 der Vergnügungssteuersatzung der Stadt Köln vom 19. Dezember 2003, welche als „Kölner Sexsteuer“ für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt hat (siehe auch VG Köln NWVBl 2007, S. 491). In § 14 enthält die Satzung Erklärungspflichten, die den Unterlassenstatbestand des § 17 Abs. 1 lit. b KAG (Nordrhein-Westfalen) ausfüllen. 1303 Siehe oben Fußnote 1301. 1304 Mit einer solchen Lenkungssteuer belegte bekanntermaßen Zar Peter I. (der Große) in Russland seine Bürger im Zuge der Einführung westeuropäischer Mode.

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ist deshalb immer Wahndelikt1306. Besteht dagegen eine Erklärungspflicht, etwa gem. § 30 Abs. 1 i.V. m. § 1 ErbStG1307, ist die Situation eine andere: Kommt der Täter dieser, in dem irrigen Glauben dadurch Erbschaftssteuer zu verkürzen, nicht fristgerecht nach, macht es keinen Unterschied, ob er die Freibetragsgrenzen der Erbschaftssteuer oder den wirtschaftlichen Wert des Nachlasses falsch einschätzt1308. In beiden Fällen gelangt man zum untauglichen Versuch gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. §§ 22, 23 Abs. 1 StGB, § 370 Abs. 2 AO1309. Bei einer existierenden Abgabe liegt dagegen wiederum nur ein Wahndelikt vor, wenn der Steuerpflichtige, der bisher keine Erklärung abgegeben hat, lediglich annimmt, die Frist des § 149 Abs. 2 S. 1 AO sei bereits nach drei (statt fünf) Monaten abgelaufen1310. Fehlerhaft ist auch die Entscheidung des KG NStZ 1982, S. 731311, in der wegen Nichterfüllung vermeintlicher Erklärungspflichten, welche für die Veranlagungszeiträume 1976 – 1978 aufgrund eines Versehens des Gesetzgebers gar nicht bestanden, eine versuchte Steuerhinterziehung angenommen wurde1312.

e) Ergebnis Die Steuerhinterziehung ist damit kein Sonderfall. Alle Irrtumskonstellationen lassen sich in Einklang mit den bisher gefundenen Ergebnissen bewältigen. Nur die pauschale Bezeichnung als „Blankettstrafrecht“ ist irreführend. Die „Höhe“ (§ 370 Abs. 4 S. 1 AO) des verwirkten Steueranspruchs bzw. der „nicht gerechtfertigte Steuervorteil“ (§ 370 Abs. 4 S. 2 AO)1313, aber auch die steuerliche Erheblichkeit 1305 In England wurde die verhasste Herdsteuer, bei der es nötig war, dass der Steuerbeamte das Haus betritt, im Jahre 1696 unter König William (Orange) III. durch die Fenstersteuer ersetzt, die bis 1851 zur Anwendung kam. Im revolutionären Frankreich wurde nach englischem Vorbild eine Tür- und Fenstersteuer im Jahre 1798 vom Direktorium eingeführt und erst 1926 wieder abgeschafft. Die Steuer hatte in beiden Ländern eine unbeabsichtigte Lenkungswirkung; um Geld zu sparen, mauerten immer mehr Hauseigentümer die Fenster ihrer Häuser zu. 1306 Weidemann, Der Irrtum über die Steuerrechtslage, Festschrift-Herzberg. S. 299 (301). 1307 Die Anzeigepflicht besteht bei jedem Erbfall. Sie entfällt im Wege der teleologischen Reduktion nur dann, wenn zweifelsfrei feststeht, dass eine Steuerpflicht nicht besteht (vgl. BFH BStBl. 1958 III, S. 339; Jülicher, in: Troll / Gebel / Jülicher, § 30 ErbStG, Rn. 8). 1308 Vgl. Herzberg, Rechtsirrige Annahme einer Straftatbegehung, Gedächtnisschrift-Schlüchter, S.189 (199). Siehe bereits oben Seite 127. Zweifelnd Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 259. 1309 Oft wird eine Verfolgung insofern freilich an der Nachweisbarkeit des Tatentschlusses scheitern, wenn sich der Täter nicht völlig ungeschickt einlässt (siehe bereits oben Seite 41). 1310 Er gelangt deshalb nicht mit Ablauf des 31. März, sondern erst mit Ablauf des 31. Mai ins Versuchsstadium. 1311 Siehe bereits oben Seite 93. 1312 So auch Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im Steuerstrafrecht, S. 197 ff.; Schmitz, Jura 2003, S. 593; Kohlmann, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 738. 1313 Siehe oben Seiten 187 ff.

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von Tatsachen (§ 370 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO)1314 sind rechtsnormative Tatbestandsmerkmale, auf die sich der Vorsatz beziehen muss. Blankettmerkmal ist dagegen der Verweis auf steuerliche Erklärungspflichten im Rahmen der Unterlassensalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO1315.

7. Verstoß gegen Genehmigungsund Anzeigepflichten – ein Sonderfall? Der Irrtum über oder in Zusammenhang mit Genehmigungspflichten i. w. S. ist – wie oben gezeigt1316 – Gegenstand einer umfangreichen Kasuistik. Der Verstoß gegen ganz unterschiedliche behördliche Zulassungserfordernisse im Umwelt-, Verkehrs-, Gewerbe-, Außenhandels- oder Aufenthaltsrecht wird durch zahlreiche Straf- und Bußgeldtatbestände etwa als Handeln „ohne (die erforderliche) Erlaubnis“1317, „ohne (die erforderliche) Genehmigung“1318, „ohne die erforderliche Registrierung“1319, „ohne Berechtigung“1320 oder „ohne (den) erforderlichen Aufenthaltstitel“1321, auch als „Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“ i. S. d. § 330d Nr. 4 StGB1322 oder schlicht als „unbefugtes“1323 oder „unerlaubtes“1324 Verhalten geahndet1325. Eine Genehmigung selbst ist im Gegensatz zu den bereits behandelten strafbarkeitsbegründenden Einzelakten1326 negatives Tatbestands- bzw. Unrechtsmerkmal, je nach dem, ob man ihr tatbestandsausschließende oder nur rechtfertigende Wirkung zusprechen möchte. Daneben gibt es auch Tatbestände, die nur eine fehlende Anmeldung oder Anzeige unter Strafe stellen1327. Da sie bei an sich Siehe oben Seiten 191 ff. Siehe oben Seiten 193 ff. 1316 Siehe oben Seiten 45, 93 f. 1317 Vgl. etwa § 284 StGB; § 96 Abs. 1 Nrn. 4, 4a, 14, 18a AMG; § 15 Abs. 1 AÜG; § 29 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 11 BtMG; § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG; § 40 Abs. 1 SprengG; § 21 Abs. 1 StVG; § 52 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nrn. 2 – 4 WaffG. 1318 Vgl. etwa §§ 326 Abs. 2, 327 Abs. 1 und 2, 328 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 96 Abs. 1 Nrn. 5, 5a, 19 AMG; §§ 15 Abs. 1, 15a AÜG; § 34 Abs. 1 AWG; § 22a Abs. 1 Nrn. 1 – 7 KrWaffKG; § 404 Abs. 2 Nr. 3, 4 SGB III i.V. m. § 284 Abs. 1 AufenthaltsG; § 10 SchwarzArbG; § 40 Abs. 2 Nr. 2 SprengG. 1319 §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 RDG. 1320 § 40 Abs. 2 Nr. 2 SprengG. 1321 § 95 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 1a AufenthaltsG; § 404 Abs. 2 Nr. 3, 4 SGB III i.V. m. § 4 Abs. 3 S. 1 bzw. 2 AufenthaltsG, § 10 SchwarzArbG. 1322 Vgl. §§ 311, 324a, 325, 325a, 326 Abs. 3, 328 Abs. 3 StGB. 1323 Vgl. §§ 324 Abs. 1, 326 Abs. 1 StGB. 1324 Vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. 1325 Vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 141; Matejko, Der Irrtum über Verwaltungsnormen, S. 19. 1326 Siehe oben Seiten 163 ff. 1314 1315

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bestehender Zulassungsfreiheit lediglich die Chance zur eigenständigen Verbotssetzung durch die Behörde eröffnen1328, sollen diese jedoch zunächst zurückgestellt werden. a) Tatbestands- oder unrechtsausschließende Wirkung der Genehmigung? – Abgrenzung zwischen präventiven und repressiven Verboten Die tatbestandsausschließende oder rechtfertigende Wirkung einer Genehmigung soll nach herkömmlichem Verständnis davon abhängen, ob das erlaubnispflichtige Verhalten an sich sozialadäquat oder grundsätzlich unerwünscht erscheint1329. Im ersten Fall hat die Genehmigungspflicht den Zweck, einer Behörde eine präventive Kontrolle über potentielle Gefahren für Dritte, die öffentliche Sicherheit und Ordnung etc. zu ermöglichen. Eine Prüfung in eigener Sache anhand der materiellen Zulassungsvoraussetzungen traut der Gesetzgeber dem Bürger – sei es aufgrund mutmaßlicher Befangenheit oder unzureichender Sachkunde – nicht zu1330. Sie werden damit auch nicht in die Sanktionsnorm hineingelesen. Analog zu Strafnormen, die ein willensbrechendes Element enthalten, wird der Genehmigung in etwa die Funktion eines „Einverständnisses“ oder auch einer „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ zugesprochen1331. Entsprechend begründet im Falle der Nichteinholung weniger die Tätigkeit als solche, sondern die Missachtung der staatlichen Kontrollprärogative1332 das strafwürdige Unrecht. Konsequenterweise kann deshalb die schlichte Genehmigungsfähigkeit auch nicht zum Strafausschluss führen1333. Einen Rechtfertigungsgrund soll die behördliche Erlaubnis dagegen dann darstellen, 1327 Vgl. etwa § 16 Abs. 1 Nrn. 2a, 4 und 7 i.V. m. §§ 1a, 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 AÜG; §§ 62 Abs. 2 Nr. 7, 67 Abs. 2 BImSchG §§ 146 Abs. 2 Nr. 2, 14 GewO; §§ 81 Abs. 2 Nrn. 3 und 4, 39 GWB; § 56 Abs. 2 Nrn. 1, 4, Abs. 3 Nr. 1a KWG; §§ 26 Nr. 2, 14 VersammlungsG; §§ 31a Abs. 1, 12a Abs. 2 S. 1 ZollVG. 1328 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 142. 1329 Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 32 ff. StGB, Rn. 61; Lenckner, Behördliche Genehmigungen und der Gedanke des Rechtsmissbrauchs im Strafrecht, Festschrift-Pfeiffer, S. 27; Paeffgen, in: Nomos-Kommentar, Vor §§ 32 ff. StGB, Rn. 201; Rönnau, in: Leipziger Kommentar, Vor § 32 StGB, Rn. 274; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 33 VI 1; Rengier, in: Karlsruher Kommentar, Vor §§ 15, 16 OWiG, Rn. 15; Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 59 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 206; jeweils m. w. N. 1330 Vgl. oben Seiten 163 ff., 165; siehe dagegen aber auch Seite 162. 1331 Winkelbauer, Die behördliche Genehmigung im Strafrecht, NStZ 1988, S. 201 f. m. w. N. 1332 Zur Kontrollfunktion vgl. Rengier, Die öffentlich-rechtliche Genehmigung im Strafrecht, ZStW 101 [1989], S. 874 (875 ff.); Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 167 ff., 173; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 33 VI 2. 1333 Vgl. BGHSt 37, S. 21 (28 f.); Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 237 ff.; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 32 ff. StGB, Rn. 62; Schlehhofer, in: Münchener Kommentar, Vor § 32 StGB, Rn. 159 ff.; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 1062.

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wenn der Tatbestand unabhängig vom Genehmigungsmerkmal einen ausreichenden Unrechtssachverhalt umschreibt1334. Das grundsätzlich wertwidrige oder schädliche Verhalten ist demnach an sich untersagt, das Verbot kann aber im Einzelfall aufgrund einer Interessensabwägung aufgehoben werden1335. Wie bei § 34 StGB könnte dies theoretisch einfach durch Gesetz geschehen1336. Die Abwägung bzw. die Subsumtion anhand der jeweiligen materiellen Rechtfertigungsvoraussetzungen soll aber auch insofern nicht vom Bürger selbst vorgenommen werden, sondern wiederum von einer Behörde, die durch Verwaltungsakt eine Art „Einwilligung“ erteilt. Da es dem Gesetzgeber zumindest auch auf die Einhaltung eines formellen Genehmigungsverfahrens ankommt – unter Umständen stehen nämlich fundamentale Ordnungsprinzipien auf dem Spiel1337 – kann die schlichte Genehmigungsfähigkeit auch hier nicht zum Strafausschluss führen1338. Wegen vieler Gemeinsamkeiten ist die Abgrenzung zwischen sogenannten präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt nicht immer eindeutig zu vollziehen, was sich später noch deutlich zeigen wird. Auch scheint es nicht zwingend, im zweiten Fall ausschließlich „nur“ von einer Rechtfertigung auszugehen. Insbesondere wird der Gesetzgeber bei repressiven Verboten zum Teil auch deshalb Befreiungsvorbehalte vorsehen, weil es in bestimmten Fällen Verhaltensweisen gibt, die atypischerweise entgegen einer generalisierenden Vermutung das jeweilige Schutzgut nicht beeinträchtigen1339. Inwieweit die Zuordnung für die im Rahmen dieser Untersuchung abzuhandelnden Fragestellungen überhaupt eine Rolle spielt1340, ist jedoch eine andere, vordringlich zu klärende Frage. Rengier, ZStW 101 [1989], S. 874 (878). Tiedemann / Kindhäuser, Umweltstrafrecht – Bewährung oder Reform?, NStZ 1988, S. 337 (342 f.); Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 33 VI 3. 1336 Jakobs, Strafrecht AT, 16. Absch., Rn. 29. 1337 Vgl. Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 StGB, Rn. 41. So soll etwa der Obdachlose nicht einfach eine leerstehende Wohnung besetzen, sondern muss sich von der zuständigen Behörde einweisen lassen. Gerade in Zeiten der Sozialnot kann dies eine ganz erhebliche Bedeutung für den sozialen Frieden haben, wird doch nur so eine gleichmäßige Belastung (ggf. auch Entschädigung) aller leistungsfähigen Bürger gewährleistet. 1338 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 237 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 66; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 32 ff. StGB, Rn. 62; Schlehhofer, in: Münchener Kommentar, Vor § 32 StGB, Rn. 159 ff.; jeweils auch zu eventuell denkbaren Ausnahmen, die hier nicht näher diskutiert werden können. 1339 Vgl. Winkelbauer, NStZ 1988, S. 201 (202 f.); Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 61; Schlehofer, in: Münchener Kommentar, Vor § 32 StGB, Rn. 150; letztere sehen freilich auch die Einwilligung als negatives Tatbestandsmerkmal (Roxin, a. a. O., § 12, Rn. 12 ff.; Schlehhofer, a. a. O., Rn. 104 ff.). 1340 Ob die Einordnung (parallel zur Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung) bei Willensmängeln der Behörde Auswirkungen auf die Strafbarkeit hat, ist wohl weiter umstritten (siehe dazu Seite 221, insb. auch Fußnoten 70 und 71), auch wenn der Streit angesichts der Missbrauchsklauseln in § 330d Nr. 5 StGB, § 34 Abs. 8 AWG oder § 95 Abs. 6 AufenthaltsG heute eine weit geringere Rolle spielt. 1334 1335

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b) Irrtum über das Vorliegen einer Genehmigung Folgt man nicht gerade der „strengen Schuldtheorie“1341, hat die Unterscheidung zwischen einer den Tatbestand ausschließenden und einer rechtfertigenden Genehmigung jedenfalls bei täterentlastenden Irrtümern keine praktische Bedeutung: Nimmt der Täter irrig an, er verfüge aktuell über die tatsächlich erforderliche behördliche Erlaubnis, die ihm auch nicht auf irgendeine Weise wieder entzogen wurde1342, liegt parallel zu den oben aufgestellten Grundsätzen für strafbarkeitsbegründende Einzelakte1343 im Ergebnis immer ein Tatbestandsirrtum (bzw. Erlaubnistatbestandsirrtum) vor1344, sei es in direkter1345, analoger1346 oder nur den Rechtsfolgen entsprechender1347 Anwendung des § 16 Abs. 1 StGB. Das Gleiche gilt, 1341 Vgl. etwa Paeffgen, in: Nomos-Kommentar, Vor §§ 32 ff. StGB, Rn. 108 ff. m. w. N.; siehe auch Seite 69, Fußnote 312 zu Madde 30 (3) Türk Ceza Kanunu. Der deutsche Gesetzgeber wollte im Hinblick auf den sog. Erlaubnistatbestandsirrtum keine Entscheidung treffen (vgl. oben Seiten 59 f.). Neben dem bekannten Sachargument des an sich rechtstreuen Täters [vgl. BGHSt 3, S. 105 (107); siehe auch unten die Nachweise in Fußnoten 1345 – 1347] spricht allerdings auch die Tatsache, dass § 35 Abs. 2 S. 2 StGB eine zwingende Strafmilderung vorsieht, § 17 S. 2 StGB dagegen nur eine fakultative, eher gegen die Anwendung von § 17 StGB (derjenige, der sich einen rechtfertigenden Sachverhalt vorstellt, hat schließlich keine schlechtere Behandlung verdient als der, der bloß von einem entschuldigenden Sachverhalt ausgeht). Ungerechtfertigt erscheint allerdings die Kritik von Puppe, in: Nomos-Kommentar, § 16 StGB, Rn. 130 f., dass die strenge Schuldtheorie im umgekehrten Fall des fehlenden subjektiven Rechtfertigungselements zwingend von Straflosigkeit ausgehen müsste. Wenn man als Vertreter der strengen Schuldtheorie das vorsätzliche Unrecht nur dann entfallen lässt, wenn die objektiven und subjektiven Elemente eines Rechtfertigungsgrundes kumulativ gegeben sind, ist es durchaus folgerichtig sowohl beim vermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum als auch bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselementes wegen vorsätzlich vollendetem Delikt zu bestrafen, vgl. auch Schuster, Der Doppelirrtum auf Rechtfertigungsebene, JuS 2007, S. 617 (619, Fn. 15). 1342 Sehr häufig wird der Irrtum auf der Unkenntnis eines Aufhebungsbescheides, aber auch des Ablaufs einer befristeten Genehmigung, des Nichteintritts einer Bedingung etc. beruhen. Denkbar ist auch, dass eine (dem Täter unbekannte) Anfechtung durch belastete Dritte aufschiebende Wirkung entfaltet. 1343 Siehe oben Seiten 163 ff. 1344 BayObLG VRS 58, S. 458 (459); Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, S. 153 f.; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 273 f.; T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 275; Heine, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 324 ff. StGB, Rn. 23; Rengier, in: Karlsruher Kommentar, § 11 OWiG, Rn. 38, 108; Körner, § 29 BtMG, Rn. 91. 1345 Dies ist nach allen Ansichten dann der Fall, wenn man der Genehmigung tatbestandsausschließende Wirkung zuspricht. Die „Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen“ [vgl. etwa Schünemann, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft, GA 1985, S. 341 (351 ff.)] macht insofern auch bei Rechtfertigungsgründen keinen Unterschied. 1346 Dies wäre der Fall, wenn man einer Genehmigung bloß rechtfertigende Wirkung zukommen lässt und gleichzeitig der „eingeschränkten Schuldtheorie“ folgt. Vgl. dazu etwa Roxin, Strafrecht AT 1, § 14, Rn. 64, m. w. N.; siehe auch oben Seite 59 zu § 20 E 1962, Seite 63, Fußnote 268 zu Art. 16º, nº 2 des portugiesischen Código Penal sowie Seite 66, Fußnote 286 zu § 8 ÖStGB. 1347 Dies wäre dann der Fall, wenn man einer Genehmigung wiederum bloß rechtfertigende Wirkung zuspricht und gleichzeitig der „rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie“ folgt. Vgl.

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wenn sich der Täter über eine einem Dritten erteilte Genehmigung irrt, etwa bei einem Arbeitgeber, der im Rahmen von § 404 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB III1348 an das tatsächliche Vorliegen eines Aufenthaltstitels oder einer EU-Arbeitsgenehmigung1349 glaubt, oder für einen Fuhrunternehmer, dem in Bezug auf § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG unbekannt ist, dass einem seiner Fahrer die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit bleibt davon gem. § 16 Abs. 1 S. 2 StGB natürlich unberührt. Bereits insofern erhalten zahlreiche Fahrlässigkeitsstrafbarkeiten wie § 327 Abs. 3 StGB, § 34 Abs. 7 AWG1350, § 54 Abs. 2 KWG1351, § 21 Abs. 2 Nr. 1 StVG1352 oder die in § 404 SGB III1353 einen Anwendungsbereich. Anders sieht es aus, wenn die Fehlvorstellung, über eine Genehmigung zu verfügen, überhaupt keinen faktischen Hintergrund hat, sondern sich auf Bereiche bezieht, für die der Staat eine eigenständige Subsumtion des Bürgers vorsieht1354. Dies ist insbesondere bei standardisierten Verwaltungsakten der Fall: So kann der Kraftfahrer selbst prüfen, ob seine Fahrerlaubnis der Klasse B (vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 FeV) auch das Führen eines bestimmten Lastkraftwagens1355 erlaubt. Bei unzureichender Rechtskenntnis greift § 17 StGB in der Form eines Verbots- oder Erlaubnisirrtums1356. Das Gleiche gilt, wenn sich der Irrtum auf die Vollziehbarkeit bzw. Rechtskraft der Entziehung bezieht1357. Auch die fehlerhafte Vorstellung eine ausdazu etwa Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 478 f.; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 41 IV 1 d, m. w. N. 1348 § 404 SGB III ist ein Bußgeldtatbestand, i.V. m. § 10 Abs. 1 SchwarzArbG kann auch eine Straftat vorliegen. 1349 Eine solche benötigen gem. § 284 Abs. 1 SGB III bis zum 30. April 2011 die Staatsangehörigen von Tschechien, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien und der Slowakei, für Bulgaren und Rumänen gilt die Vorschrift voraussichtlich bis zum 31. Dezember 2013. 1350 Vgl. auch die Beispiele bei Deiters, Inlandsgeschäfte als außenwirtschaftsstrafrechtliches Risiko, ZIS 6 / 2009, S. 306 (309). 1351 Siehe im Gegensatz dazu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 223, vgl. auch oben Seite 99. 1352 Der Halter, der einem anderen ein Kraftfahrzeug zum Führen überlasst, ist grundsätzlich verpflichtet, sich den Führerschein zeigen zu lassen, darf dann aber bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte vom Fortbestehen der Fahrerlaubnis ausgehen, vgl. KG NZV 2006, S. 487. Die Vorschrift wird natürlich auch beim bloß fahrlässigen Ermöglichen der Benutzung, z. B. durch Steckenlassen eines Zündschlüssels etc., relevant. 1353 Vorsätzliches Handeln des Arbeitgebers ist in der Praxis oft schwer nachweisbar, der Verstoß gegen Prüfpflichten wie § 4 Abs. 3 S. 4 AufenthaltsG begründet aber einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Vgl. auch BayObLG NStZ-RR 2000, S. 339. 1354 Siehe oben Seiten 166 ff. 1355 Zulässig ist lediglich das Führen eines Kleinlasters mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 3 500 kg. 1356 OLG Karlsruhe NJW 2003, S. 1061 (1062). Vgl. auch OLG Hamm DAR 57, S. 25; siehe auch oben Seite 91. 1357 Richtig insofern OLG Düsseldorf VerkMitt 1976, Nr. 38; offengelassen von BayObLG NStZ-RR 2000, S. 122 (123); siehe dazu (auch zur Gegenansicht) oben Seiten 166 ff. Ebenso

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ländische Genehmigung, z. B. ein Waffenschein1358 oder eine Fahrerlaubnis1359, gelte immer auch in Deutschland, fällt nicht unter die obengenannte Kategorie, sondern ist bestenfalls ein Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit an sich, welcher im nächsten Unterabschnitt zu behandeln ist1360. Selbst bei tatsächlichen Fehlvorstellungen fallen unter § 16 Abs. 1 StGB freilich nur Fälle, in denen der bloß in der Tätervorstellung vorhandene Einzelakt zumindest hypothetisch, d. h. bei tatsächlichem Vorliegen, einen Rechtfertigungsgrund darstellen würde. Anders verhält es sich etwa beim repressiven Verbot ohne Befreiungsvorbehalt: Handelt der Täter rechtswidrig und glaubt dabei, über eine Erlaubnis zu verfügen, die es so oder in dieser Reichweite gesetzlich gar nicht gibt1361, ist weder ein Tatbestands- noch ein Erlaubnistatbestandsirrtum gegeben, sondern ein Doppelirrtum, mit dem nach allgemeinen Grundsätzen gem. § 17 StGB zu verfahren ist. Wenn selbst eine wirklich erteilte „Erlaubnis“ den Täter nicht rechtfertigen, sondern nur im Rahmen von § 17 StGB eine Rolle spielen kann, darf ihn schließlich ein zusätzlicher Irrtum über die tatsächliche Erteilung nicht privilegieren1362. nur Verbotsirrtum ist die Vorstellung die „Entziehung“ einer ausländischen Fahrerlaubnis sei entgegen § 3 Abs. 2 S. 2 StVG wirkungslos (OLG Hamm vom 14. April 2009, Az. Ss 105 / 09). 1358 Vgl. BayObLG NStZ-RR 2001, S. 281 zum Verbotsirrtum bei Durchfuhr von Schusswaffen durch den Inhaber einer österreichischen Landesjagdkarte. 1359 Besonders praxisrelevant war bis EuGH NJW 2009, S. 207 der Irrtum über die Ungültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis in Deutschland, welche während des Laufs einer inländischen Sperrfrist gem. § 69a StGB erworben wurde. Vgl. dazu etwa OLG Stuttgart, StV 2008, S. 193 und OLG Celle, NStZ-RR 2009, S. 110 (siehe bereits oben Seite 93), die beide von einem Verbotsirrtum gem. § 17 StGB ausgehen. In der letztgenannten Entscheidung ist dieser vermeidbar. Diesbezüglich hätte man angesichts OLG Nürnberg, NStZ-RR 2007, S. 269 und OLG München, NJW 2007, S. 1152, die im Hinblick auf Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 4 der Zweiten Führerschein-Richtlinie (EG) Nr. 91 / 439 von der Gültigkeit der Fahrerlaubnis ausgingen, wohl auch anders entscheiden können. Nach der klärenden Entscheidung des EuGH und Inkrafttreten von Art. 11 Nr. 4 der Dritten Führerschein-Richtlinie (EG) Nr. 2006 / 126 ist deren Ansicht allerdings überholt. 1360 Hier weiß der Täter freilich, dass man grundsätzlich eine Genehmigung braucht. Er hat also mehr als ein schlicht sozialadäquates Verhalten vor Augen, so dass selbst die wohl h. M., welche den Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit bei präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt nach § 16 Abs. 1 StGB behandeln will (vgl. Seiten 93, 203 ff.), von einem Verbotsirrtum gem. § 17 StGB ausgehen müsste. Umgekehrt wäre die Vorstellung, eine dem § 28 Abs. 1, 4 FeV entsprechende EU-Fahrerlaubnis sei nicht ohne weiteres in Deutschland gültig (vgl. oben Fußnote 1359), zweifellos ein Wahndelikt, wobei § 21 StVG ohnehin keine Versuchsstrafbarkeit kennt. 1361 Vgl. Rengier, in: Karlsruher Kommentar, § 11 OWiG, Rn. 38; siehe auch OLG Hamburg VRS 31, S. 136 (138) zur Fehlvorstellung, das Dulden verbotswidrigen Parkens schaffe einen Rechtfertigungsgrund; BGH NJW 1996, S. 1604 (1606) zur Fehlvorstellung eines Journalisten, seine Einbindung in eine „Polizeiaktion“ berechtige ihn zum Ankauf und zur kurzfristigen Inbesitznahme von Betäubungsmitteln. 1362 Schuster, Der Doppelirrtum auf Rechtfertigungsebene, JuS 2007, S. 617 (619).

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Allenfalls in der (in der Lebenswirklichkeit seltenen) Konstellation, dass die rechtliche Komponente des Doppelirrtums i. S. d. § 17 S. 1 StGB unvermeidbar erscheint1363, hinsichtlich der tatsächlichen Fehlvorstellung aber ein Fahrlässigkeitsvorwurf erhoben werden muss (z. B. „Führerscheinausstellung“ im Ausland durch offensichtlich nichtstaatliche Stelle1364), könnte man über das schlichte Wegfallen des Vorsatzschuldvorwurfes und eine Bestrafung wegen Tatfahrlässigkeit (statt Vorsatz) nachdenken1365.

Liegt dagegen eine wirksame Erlaubnis vor, handelt der Täter aber in Unkenntnis derselben, gelangt man, sofern ihr tatbestandsausschließende Wirkung zugesprochen wird, gegebenenfalls zum untauglichen Versuch1366. Oft dürfte allerdings keine Versuchsstrafbarkeit gegeben sein1367. Im Falle einer rechtfertigenden Wirkung kommt es für die Frage von Vollendung oder Versuch darauf an, welche Folgen man an das Fehlen eines subjektiven Rechtfertigungselements knüpfen möchte1368. Siehe etwa das in Fußnote 1359 (S. 201) genannte Beispiel. Im Zusammenhang mit dem „Führerscheintourismus“ gibt es wohl einige betrügerische Anbieter in Osteuropa, die gegenüber den Betroffenen die deutsche Rechtslage (vgl. dazu Fußnote 1359, S. 201) nicht nur fehlerhaft darstellen, sondern darüber hinaus eine bloße Phantomprüfung durchführen lassen, um dann ein gefälschtes Führerscheindokument auszuhändigen. Jedenfalls lassen sich entsprechende Einlassungen der Betroffenen regelmäßig (mögen sie vielleicht auch ganz bewusst nur ein gefälschtes Dokument erworben haben) von der Staatsanwaltschaft nicht widerlegen. Meistens sind die Dokumente aber so schlecht gefälscht, dass den Betroffenen allein deshalb zumindest ein Fahrlässigkeitsvorwurf i. S. d. § 21 Abs. 2 Nr. 1 StVG gemacht werden muss. 1365 Schuster, JuS 2007, S. 617 (620). So würde ein unvermeidbarer Rechtsirrtum im Hinblick auf die Rechtsfolgen zu keinem Nachteil für den Täter führen. Diesem Fall entspricht in etwa die gesetzlich ebenfalls nicht geregelte Konstellation, in der ein Soldat irrig an einen Befehl glaubt (z. B. Befehlsgeber ist erkennbar nicht der Vorgesetzte) sowie nicht erkennt, dass der vermeintliche Befehl eine rechtswidrige Tat darstellt. Auch hier wird man trotz Tatbestandsvorsatz i. E. nur einen Fahrlässigkeitsvorwurf (wegen sorgfaltswidriger Annahme eines Befehls) erheben können (vgl. Fischer, § 16 StGB, Rn. 25), obwohl bei Vorliegen eines echten Befehls der Untergebene gem. § 5 Abs. 1 WehrStG (siehe auch oben Seite 60) auch nur entschuldigt wäre. Herzberg, der zwar auf dem Boden der Vorsatztheorie (siehe bereits oben Seiten 108 f.) zu dem gleichen Ergebnis kommen möchte, hat in einem Briefwechsel mit dem Verfasser gegen diese eher an Strafwürdigkeitsaspekten orientierte Begründung § 35 Abs. 2 StGB ins Feld geführt. Der Rechtsgedanke dieser Vorschrift (bei Vermeidbarkeit Strafbarkeit wegen Vorsatz) wird aber wohl nur auf notstandsähnliche Konstellationen (etwa § 258 Abs. 6 StGB) übertragbar sein. 1366 Siehe oben Seite 134. 1367 Ein Beispiel, bei dem dies der Fall ist, ist § 52 Abs. 2 WaffG oder § 34 Abs. 5 AWG, wobei man insofern darüber streiten kann, ob es sich jeweils um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt oder ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt (jedenfalls nach herkömmlichem Verständnis hätte die Genehmigung dann nur rechtfertigende Wirkung, siehe dazu unten Fußnote 1368) handelt. 1368 Für Vollendungsstrafbarkeit z. B.: BGHSt 2, S. 111 (114 f.); Paeffgen, in: Nomos-Kommentar, Vor §§ 32 ff., Rn. 128; für eine (entsprechende) Anwendung der Versuchsregeln z. B.: BGHSt 38, S. 144 (155); Roxin, Strafrecht AT 1, § 14, Rn. 104; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 31 IV 2; Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 279. Siehe ferner Spendel, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 32 StGB, Rn. 138 ff., der das Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselementes gänzlich verneint (a. A. jetzt Rönnau / Hohn, in: Leipziger Kommentar, Rn. 262 ff.). 1363 1364

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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Inwieweit entsprechende Fälle in der forensischen Praxis überhaupt vorkommen, sei freilich dahingestellt. c) Irrtum über die Genehmigungs- oder Anmeldepflicht Die Abgrenzung zwischen präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt soll allerdings bei Irrtümern über die Erlaubnispflicht eine ganz entscheidende Rolle spielen. In diesen Fällen weiß der Täter zwar, dass er über keine Genehmigung verfügt, irrt aber darüber, dass er überhaupt eine solche benötigt. In Konstellationen, die sich als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt darstellen, geht man bei Unkenntnis des grundsätzlichen Verbotes und des damit einhergehenden Erfordernisses einer Ausnahmegenehmigung nahezu einmütig von einem Verbotsirrtum gem. § 17 StGB aus1369. Bei präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt dagegen wurde in zahlreichen obergerichtlichen Entscheidungen die Erlaubnispflicht als vom Vorsatz zu umfassendes rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal verstanden1370. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes deutet in diese Richtung1371. Eingehend begründet wird dies jedoch vor allem im Schrifttum: Gedanke dabei ist, dass eine zutreffende Parallelwertung bei Missachtung staatlicher Kontrollrechte nur dann möglich sei, wenn die Kontrollrechte dem Täter auch bekannt sind1372. Bei Unkenntnis der Genehmigungspflicht habe der Täter da1369 Vgl. BGH NJW 1994, S. 61 (62) zur Durchfuhr von Kriegswaffen; BGH NStZ 2007, S. 644; BGH NStZ-RR 2003, S. 55 (56) zum Verstoß gegen ein UN-Embargo; BayObLG NJW 2002, S. 1282 (1283) zum Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung; OLG Düsseldorf NStZ 1981, S. 444 zum Verstoß gegen eine Baumschutzsatzung; LG Essen vom 25. Januar 2008, Az. 56 KLs 31 / 07 zu § 34 Abs. 1 AWG; Rengier, in: Karlsruher Kommentar, § 11 OWiG, Rn. 42 m. w. N. Für weitere Beispiele, bei denen die Rechtsprechung von einem Irrtum nach § 17 StGB ausgeht, siehe unten Fußnote 1370 a. E. 1370 BayObLG vom 27. Februar 1992, Az. 3 ObOWi 11 / 92; BayObLG NJW 1997, S. 1319; OLG Braunschweig NStZ-RR 1998, S. 175 (177); OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, S. 211 (212); OLG Düsseldorf BauR 2000, S. 123; OLG Celle NJW 2004, S. 3790 (3791); OLG Frankfurt StV 2006, S. 191. Dagegen ohne weitere Abgrenzung von einem Verbotsirrtum ausgehend: OLG Düsseldorf VRS 56, S. 365 (368); OLG Düsseldorf ZfZ 1984, S. 24 (25); OLG Düsseldorf NVwZ 1995, S. 727 f.; BayObLG VRS 58, S. 458 (459); BayObLG wistra 1991, S. 191 (192); BayObLG GewArch 2003, S. 119 f.; OLG Celle NJW 1987, S. 1563; OLG Oldenburg NJW 1992, S. 2438; OLG Hamm JR 2004, S. 479. 1371 Wohl zustimmend, aber insofern nicht tragend: BGH NJW 1994, S. 61 (62); BGH NStZ-RR 2003, S. 55 (56); wohl eher ablehnend: BGH NJW 1996, S. 1604 (1606). 1372 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 321 ff., 354; Steindorf, Verbote und behördliche Gestattungen im deutschen Waffenstrafrecht, Festschrift-Salger 1995, S. 167 (185); Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 17 StGB, Rn. 12a; Heine, ebenda, Vorbem §§ 324 ff. StGB, Rn. 23; Fischer, § 17 StGB, Rn. 11a; Lackner / Kühl § 325 StGB, Rn. 16; Momsen, in: Satzger / Schmitt / Widmaier, § 17 StGB, Rn. 19; Rengier, in: Karlsruher Kommentar, § 11 OWiG, Rn. 41a; Rebmann / Roth / Herrmann, § 11 OWiG, Rn. 29; Diemer, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 34 AWG, Rn. 28; Cornelius, in: Graf / Jäger / Wittig, § 34 AWG, Rn. 119.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

gegen allein ein (angeblich) völlig sozialadäquates Verhalten vor Augen, von dem selbst kein Unrechtsappell ausgehe1373. Demnach könne in einem solchen Fall kein Vorsatzvorwurf erhoben werden, unabhängig davon, wie vorwerfbar die Unkenntnis auch sein mag. Erst recht müsste dies natürlich für die Tatbestände gelten, die bei an sich bestehender Zulassungsfreiheit nur eine fehlende Anmeldung oder Anzeige unter Strafe stellen1374. In diesen Fällen kann schließlich sogar ganz auf eine förmliche Vorabkontrolle verzichtet werden; eine eigenständige Verbotssetzung erfolgt nur als absolute Ausnahme. Erstaunlich ist es deshalb, dass etwa in Bezug auf §§ 31a Abs. 1, 12a Abs. 2 S. 1 ZollVG1375 oder §§ 146 Abs. 2 Nr. 2, 14 GewO1376 bei Unkenntnis der Anzeigepflicht § 17 StGB bzw. § 11 Abs. 2 OWiG zur Anwendung kommen soll. Sollte sich die grundsätzliche Sozialadäquanz bzw. Sozialwidrigkeit des Verhaltens wirklich als das ausschlaggebende Unterscheidungskriterium bestätigen, wäre insofern in jedem Fall Korrekturbedarf gegeben. Die Abgrenzung von präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt überzeugt jedoch in der Praxis nicht1377. Manches Mal erscheint sie gar willkürlich: Der Versuch in der heutigen Zeit plausibel zu erklären, warum etwa die Rechtsberatung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 RDG)1378 oder die Kampfhundhaltung1379 grundsätzlich sozialadäquat sein soll, nicht jedoch das Betreiben einer Bank (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG)1380, wird selbst angesichts einiger das Zinsnehmen ablehnender Bibelstellen1381 oder eines bekannten BrechtRengier, ZStW 101 [1989], S. 874 (884). Siehe die Beispiele auf Seite 197, Fußnote 1327. 1375 OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, S. 310 (Verbringen von Zahlungsmitteln in die Bundesrepublik Deutschland). 1376 OLG Köln vom 5. Mai 1987, Az. Ss 570 / 86 (Z) – 175 / 87 zur Verlegung eines Gewerbebetriebes; siehe auch KG NJW 2003, S. 528 (529) zum anzeigepflichtigen Besitz von StasiUnterlagen gem. §§ 45 Abs. 1, Nr. 1, 7 Abs. 3 StUG; Altenhain, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 26 VersammlungsG, Rn. 19 zu § 26 Nr. 2 VersammlungsG. Vollauf konform sind die Entscheidungen freilich mit BGHSt 19, S. 295 (Irrtum über die Anzeigepflicht bei § 138 StGB), was eigentlich für die sachliche Richtigkeit sprechen könnte. Siehe auch Seiten 193 ff. zum Irrtum über Erklärungspflichten bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. 1377 Kritisch auch T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 275. 1378 OLG Celle NJW 2004, S. 3790 (3791). 1379 BayObLG NJW 1997, S. 1319 (1320). 1380 BGHSt 4, S. 347 (352); OLG Stuttgart, NJW 1960, S. 2158 (2160); LG Berlin vom 30. November 2005, Az. 83 Js 86 / 02 KLs (14 / 05) zum sog. „Hawala“-Banking, nachgehend BGH NStZ 2007, S. 644; insofern wohl offen BGH NStZ-RR 2003, S. 55 (56). Auch beim sog. Phishing wird § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG hinsichtlich des Finanzagenten neben §§ 263a, 27 StGB oder § 261 Abs. 5 StGB relevant, vgl. AG Überlingen vom 1. Juli 2006, Az. 1 Cs 60 Js 26466 / 05. 1381 So heißt es etwa im 5. Buch Mose (Deuteronomium), Kapitel XXIII, Vers 20: „Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder Geld noch mit Speise noch mit allem, womit man wuchern kann.“ Allerdings heißt es weiter in Vers 21: „Von den Fremden magst du Zinsen nehmen, …“. 1373 1374

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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Zitats1382 kaum gelingen. Das jeweilige Ergebnis einer entsprechenden Abgrenzung hängt vor allem davon ab, an welchem Punkt man mit seinen Überlegungen beginnt: Im Rahmen der Tatbestände des Außenwirtschaftsrechts könnte man z. B. entweder vom Grundsatz des freien Warenverkehrs gem. § 1 AWG ausgehen1383. Die durch § 34 Abs. 1 AWG sanktionierten Genehmigungspflichten und eventuell auch die durch § 34 Abs. 4 AWG abgesicherten Ausfuhrverbote1384 erschienen dann als von Vorsatz zu umfassende Sonderfälle1385. Genauso ist es jedoch auch möglich, das Ausfuhrverbot an sich als Ausgangspunkt zu nehmen, wie es die Rechtsprechung1386 handhabt. Der Handel mit einem bestimmten Staat oder mit bestimmten Gütern ist dann grundsätzlich wertwidrig, eine Genehmigung der Sonderfall. Ebenso beliebig erscheint das Kriterium auf einem anderen Feld: Selbstverständlich ist die Beschäftigung von Arbeitnehmern grundsätzlich sozial erwünscht, auch von EU-Ausländern, welche gem. Art. 45 AEUV-Lissabon (Art. 39 EGV a. F.) uneingeschränkte Freizügigkeit genießen. Ob nun aber diejenigen osteuropäischen EU-Ausländer, die als neu Hinzugekommene den Beschränkungen des § 284 SGB III1387 unterfallen, eine Ausnahme von der Regel oder eine Regel mit Ausnahme darstellen, ist nach dem oben genannten Unterscheidungsmerkmal kaum zu bestimmen. Bei allen anderen Ausländern, für die § 4 Abs. 3 AufenthaltsG zur Anwendung kommt, geht die Rechtsprechung jedenfalls vom prinzipiellen Schutz des inländischen Arbeitsmarktes durch § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III1388 und einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt aus. Zumindest setzt sie bei Irrtümern über die Erforderlichkeit eines Aufenthaltstitels, der auch zur Ausübung von Erwerbstätigkeit berechtigt, § 17 StGB bzw. § 11 Abs. 2 OWiG ein1389. Selbst bei 1382 „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ fragt bekanntermaßen Macheath, genannt Mackie Messer, in der Dreigroschenoper auf dem Gang zum Galgen. Überliefert ist auch die Version: „Der Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank.“ 1383 So anscheinend Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 206; Diemer, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 34 AWG, Rn. 28. 1384 Siehe dazu allerdings bereits Seiten 149 und 160. 1385 Was bliebe, wäre dann freilich die Möglichkeit einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 34 Abs. 7 AWG. Zum sonstigen Anwendungsbereich vgl. folgende Fußnote 1386. 1386 So etwa BGH NStZ-RR 2003, S. 55 (56); BGH NStZ 2007, S. 644 zu § 34 Abs. 4 AWG und einem Irrtum über ein UN-Embargo; LG Essen vom 25. Januar 2008, Az. 56 KLs 31 / 07 zu § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AWG und dem Irrtum darüber, dass Stromgeneratoren als Ziffer 0017 k unter Teil I, Abschnitt A der Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung (AWV) fallen. § 34 Abs. 7 AWG kommt dann nur zur Anwendung, wenn der Täter über das tatsächliche Vorliegen einer Genehmigung (siehe dazu oben Seite 201) oder sonstige Tatbestandsmerkmale (auch der ausfüllenden Verordnung) irrt. Vgl. auch Röhring, in: Achenbach / Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Kap. IV 3, Rn. 3. 1387 Siehe bereits Seite 200, Fußnote 1349. 1388 Siehe auch oben Seite 160, Fußnote 1066. Neben § 404 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB III ggf. i.V. m. § 10 Abs. 1 SchwarzArbG kommt auch Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt gem. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthaltsG, § 27 StGB in Betracht.

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

Einreise zu Besuchszwecken und Unkenntnis der Visumspflicht gem. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthaltsG kommt in Bezug auf § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthaltsG nur § 17 StGB zur Anwendung1390. Da es noch heute nahezu weltweit eine gesetzliche Regel darstellt, dass der legale Aufenthalt von Ausländern der Zustimmung des Gastlandes bedarf, besteht auch kein Bedürfnis diesen Irrtum anders zu handhaben als den beim Aufenthalt zu Erwerbszwecken. Gerade zu abwegig und xenophob erscheint es aber dennoch, die Anwesenheit von ausländischen Touristen oder Geschäftsleuten im Bundesgebiet als prinzipiell „wertwidrig“ zu bezeichnen1391. Nur beim Einschleusen von Ausländern gem. § 96 AufenthaltsG wird man wirklich § 16 Abs. 1 StGB anwenden müssen, wenn der Täter (auch aufgrund eines vorgelagerten Rechtsirrtums) die Einreise- oder den Aufenthalt des Ausländers für erlaubt hält. Insofern liegt allerdings eine Sonderkonstellation vor, die sich parallel zu den Anschlussdelikten der §§ 257, 258, 259, 261 StGB und § 374 AO1392 beurteilt. Wie dort hat die Tat aus der Sicht des Schleusers nämlich als solche nur dann einen Sinn, wenn der Geschleuste nicht ohne weiteres in das Bundesgebiet (bzw. andere Mitgliedstaaten der EU) einreisen darf1393.

Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Unterscheidung von präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt im Rahmen der Irrtumslehre kein überzeugendes Kriterium darstellt. Schon die Grundprämisse, dass der Täter im Falle des präventiven Verbotes bei Unkenntnis der Geneh1389 Vgl. BGH NStZ 2000, S. 364 (365) zum Verbotsirrtum bei der illegalen Beschäftigung von türkischen Bauarbeitern; BayObLG NJW 2002, S. 1282 (1283) zu einem Staatsangehörigen der Republik Polen, vor deren Beitritt zur Europäischen Union; OLG Köln NStZ-RR 2003, S. 184; vgl. auch oben Seite 94. Siehe allerdings auch OLG Celle vom 7. April 2003, Az. 21 Ss 17 / 03 zu § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a. F., § 27 StGB (Arbeitsaufnahme eines Touristen, Tatbestandsirrtum des Arbeitgebers gem. § 16 StGB bei Unkenntnis der Illegalität des bis dahin genehmigungsfreien Aufenthalts); kritisch dazu Mosbacher, in: Achenbach / Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Kap. XII 4, Rn. 131. 1390 Vgl. BayObLG NStZ-RR 2002, S. 249; BayObLG NStZ-RR 2002, S. 342 (343); jeweils zum Transitverkehr; siehe auch Senge, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 95 AufenthaltsG, Rn. 16. 1391 Insofern zutreffend Mosbacher, in: Achenbach / Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 1. Aufl., Kap. XII 4, Rn. 86. Ein solches nicht allzu gastfreundliches Verständnis wird sicherlich im völlig abgeschotteten Japan während der Edo-Periode unter dem TokugawaShōgunat vorherrschend gewesen sein. Als einzigen Europäern war der Aufenthalt nur einigen wenigen Niederländern auf einer kleinen künstlichen Insel vor Nagasaki erlaubt. Das Ende der Periode wurde bekanntermaßen durch die Ankunft eines US-amerikanischen Flottengeschwaders unter Kommodore Matthew C. Perry und den Vertrag von Kanagawa im Jahre 1854 eingeläutet. 1392 Siehe oben Seite 171. 1393 Die Staatsbürgerschaft des Ausländers und die tatsächlichen Hintergründe des Unerlaubtseins der Einreise (Fehlen des nach § 4 AufenthaltsG erforderlichen Aufenthaltstitels, Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 AufenthaltsG) werden den Schleuser in der Regel dagegen nicht interessieren. Zudem ist auch der im Vergleich zu § 95 AufenthaltsG i.V. m. §§ 26, 27 StGB deutlich gesteigerte Strafrahmen nur zu rechtfertigen, wenn der Täter bewusst die Einhaltung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen der Bundesrepublik oder anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union vereitelt.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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migungspflicht ein angeblich völlig sozialadäquates Verhalten vor Augen habe, ist fehlerhaft. Wenn eine behördliche Kontrolle für nötig gehalten wird, kann das Verhalten nämlich erst nach erteilter Genehmigung sozialadäquat sein1394. Handelte es sich etwa beim Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr oder gar beim Steuern eines Flugzeugs im Luftverkehr um gänzlich risikolose Tätigkeiten, würde es gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen, diese vom Besitz einer Fahr- oder Flugerlaubnis1395 und dem Bestehen einer theoretischen und praktischen Prüfung abhängig zu machen. Selbst eine völlig unkontrollierte Einreise von Ausländern birgt gewisse Gefahren für die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, denen damit begegnet wurde, dass Staatsangehörige bestimmter Länder immer noch uneingeschränkt visumpflichtig sind1396, so sozial erwünscht ihr Aufenthalt im Einzelfall auch sein mag. Auch beim durch § 34 Abs. 1 AWG unter Strafe gestellten Verstoß gegen Genehmigungspflichten geht es wiederum um nicht weniger als die äußere Sicherheit und die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland sowie das friedliche Zusammenleben der Völker1397. Ob es vertretbar ist, einen Generator – ursprünglich dafür bestimmt, Abschussrampen von Flugabwehrraketen mit Strom zu versorgen, aber auch für zivile Zwecke einsetzbar1398 – in ein Krisengebiet zu liefern, soll die zuständige Behörde entscheiden. Die Rede vom „bloßen Verwaltungsungehorsam“1399 verharmlost hier wiederum das verwirklichte Unrecht1400. Einen staatlichen Genehmigungsvorbehalt für an sich risikolose Tätigkeiten darf es in einem demokratischen Rechtsstaat erst gar nicht geben; er wäre vielmehr Ausdruck eines autoritären und schikanösen Gemeinwesens1401. Sollte dies doch einmal anders sein, wäre Entbürokratisierung, d. h. die Abschaffung des Genehmigungsvorbehaltes, sei es gänzlich oder in Grenzfällen zugunsten einer schlichten Anzeigepflicht1402, nicht jedoch eine abweichende IrrtumsVgl. Jakobs, Strafrecht AT, 16. Absch., Rn. 29. Vgl. § 2 StVG; § 4 LuftverkehrsG. 1396 Grundsätzlich gilt gem. § 4 Abs. 1 AufenthaltsG das Erfordernis eines Aufenthaltstitels (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit vgl. BVerfGE 76, S. 1). Die Vorschrift findet bei sog. Negativstaatlern generelle Anwendung. Für sog. Positivstaatler hat die Europäische Gemeinschaft die Visumpflicht für Aufenthalte unter drei Monaten, die nicht Erwerbszwecken dienen, aufgehoben. 1397 Vgl. bereits oben Seite 160. 1398 Vgl. LG Essen vom 25. Januar 2008, Az. 56 KLs 31 / 07 (siehe bereits Seite 205, Fußnote 1386). 1399 Vgl. Tiedemann / Kindhäuser, NStZ 1988, S. 337 (342 f.). 1400 Rengier, ZStW 101 [1989], S. 874 (880 f.). 1401 Dort haben der Vorsatztheorie angenäherte Konzepte auch eher ihre Berechtigung. Siehe oben Seiten 137 ff., 143. 1402 Dies findet immer wieder statt. Gem. § 62 LBauO (Rheinland-Pfalz) sind mittlerweile eine Reihe von Bauvorhaben von der Genehmigungspflicht ausgenommen. Beim vereinfachten Genehmigungsverfahren gem. § 66 LBauO findet nur eine Überprüfung der Zulässigkeit des Vorhabens nach dem BauGB statt. Da die materiellen Bauvorschriften natürlich trotzdem 1394 1395

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

dogmatik die richtige Antwort1403. Dort wo es aber um gewichtige Ordnungs-, Sicherheits- und damit auch Kontrollinteressen geht, wird es für den Bürger in der Regel erkennbar sein, dass der Staat ihm eine Subsumtion in eigener Sache1404 anhand der jeweils einschlägigen materiellen Genehmigungsvoraussetzungen wegen mangelnder eigener Sachkunde, mutmaßlicher Befangenheit etc. nicht überlassen kann. Andernfalls greift § 17 S. 1 StGB. Nur die Unkenntnis der die Genehmigungs- oder Anmeldepflicht begründenden Tatsachen führt damit zu einem Irrtum nach § 16 Abs. 1 StGB. Ansonsten lässt auch eine präventive Zielrichtung des Genehmigungsvorbehalts keine Konsequenzen zugunsten einer restriktivere Anwendung der Schuldtheorie zu1405. d) Ergebnis Auch im Hinblick auf staatliche Genehmigungs- und Anzeigepflichten weist die Irrtumslehre keine Besonderheiten auf. Unabhängig davon, ob von einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt oder einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt ausgegangen werden muss, wirkt sich die fehlerhafte Annahme eines genehmigenden Einzelakts gem. § 16 Abs. 1 StGB auf Vorsatzebene aus1406. § 17 StGB greift in diesem Zusammenhang allerdings dann, wenn der Täter aufgrund einer gesetzesbezogenen Fehlsubsumtion meint, mit Genehmigung zu handeln1407. Wiederum vorsatzrelevant sind dagegen die eine Genehmigungs- oder Anmeldepflicht begründenden Tatsachen. Der Täter muss daraus jedoch nicht die richtigen Schlüsse ziehen. Die Unkenntnis der Genehmigungs- oder Anzeigepflicht als solche berührt generell nur die Verbotsebene (§ 17 StGB)1408.

IV. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Ergebnisse des ersten Teils lassen sich damit wie folgt zusammenfassen: – Die Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt hängen voneinander ab1409, da die inhaltlichen Anforderungen an den Vorsatz beim vollendeten Delikt und den Tatentschluss beim Vereinzuhalten sind, ist dies für den Bürger gar nicht immer von Vorteil. Der Verstoß gegen Anzeigepflichten ist zudem natürlich oft selbst straf- oder bußgeldbewehrt. 1403 Siehe insofern auch bereits oben Seite 162. Ein Strafgericht müsste das Verfahren eigentlich sogar aussetzen und eine Entscheidung nach Art. 100 Abs. 1 GG einholen. 1404 Vgl. bereits oben Seiten 163 ff., 165, 197; aber auch Seite 162. 1405 So i. E. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 272 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschn., Rn. 47; Horn, in: Systematischer Kommentar, § 325 StGB, Rn. 11. 1406 Siehe oben Seiten 199 f. 1407 Siehe oben Seiten 200 f. 1408 Siehe oben Seiten 203 ff. 1409 Siehe oben Seiten 121 ff., 134.

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

209

such identisch sind1410 und über §§ 22, 23 StGB hinausgehende objektiv strafbarkeitsbeschränkende Wertungskriterien (auch für das Tatsubjekt1411) in Deutschland keine gesetzliche Grundlage haben1412. Jeder Lösungsentwurf zur Abgrenzung von vorsatz- und nichtvorsatzrelevanten Irrtümern muss damit in der Lage sein, problemübergreifend in sich widerspruchsfreie Ergebnisse zu liefern. – Die Vorsatztheorie hat vor allem in Rechtsordnungen ihren Platz, in denen ein „imperatives“ Rechtsverständnis vorherrschend ist1413. Ein solches ist der heutigen deutschen Rechtsordnung fremd. Jede Form der restriktiven Anwendung der Schuldtheorie muss sich deshalb nicht nur an den gesetzlichen Vorgaben in §§ 16, 17 StGB, Art. 1 Abs. 1 EGStGB, § 369 Abs. 2 AO und § 11 Abs. 1 und 2 OWiG messen lassen, sie bedarf auch der Sache nach einer besonderen Rechtfertigung1414. – Allein die Tatsache, dass in bestimmten Bereichen Rechtsunkenntnis typischerweise verzeihlicher sein mag als im Kernstrafrecht, rechtfertigt es nicht, dass man abweichende Abgrenzungslehren für § 16 und § 17 StGB aufstellt1415. Vielmehr lassen sich entsprechende Konstellationen mit einer gesetzestreuen Anwendung des § 17 S. 1 StGB1416 sachgerecht lösen. § 16 Abs. 1 StGB kommt dagegen dort zur Anwendung, wo der Gesetzgeber dem Bürger selbst bei optimaler Rechtskenntnis eine zutreffende eigenständige Subsumtion nicht zutrauen würde. – Eine partielle Anwendung der Vorsatztheorie lässt sich nicht mit dem Blankettcharakter einer Strafnorm begründen1417. Die Ausfüllungsvorschriften sind in das jeweilige Blankettmerkmal hineinzulesen. Die Subsumtion eines Lebenssachverhalts unter den so gebildeten Gesamttatbestand soll vom Bürger selbständig vorgenommen werden. Geht diese aufgrund unzureichender Rechtskenntnis fehl, findet nach allgemeinen Grundsätzen § 17 StGB Anwendung. Im umgekehrten Fall liegt ein Wahndelikt vor1418. – Bei „Blankett“-tatbeständen, die auf einen staatlichen Einzelakt Bezug nehmen1419, muss sich der Vorsatz dagegen auf die durch den Einzelakt ausgesprochene Rechtsfolge beziehen, ansonsten greift § 16 Abs. 1 StGB. Ein ZusammenSiehe oben Seiten 125 ff. Siehe oben Seiten 129 ff. 1412 Siehe oben Seiten 123 ff., 127 ff. 1413 Siehe oben Seiten 137 ff., 143, 145. 1414 Siehe oben Seite 145. 1415 Siehe oben Seiten 146 ff., 156. 1416 Siehe oben Seiten 153 ff. 1417 Siehe oben Seiten 157 ff. 1418 Siehe oben Seite 119. 1419 Siehe oben Seiten 163 ff. Zu Tatbeständen, bei denen der Einzelakt negative Tatbestands- oder Unrechtsvoraussetzung ist, vgl. die Verweise in Fußnote 1440 (Seite 211). 1410 1411

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1. Teil: Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten in der Irrtumslehre

lesen der Sanktionsnorm mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des Einzelakts findet nicht statt, da insofern die Subsumtion von staatlichen Stellen aufgrund mangelnder Sachkenntnisse des Bürgers bzw. seiner mutmaßlichen Befangenheit in eigener Sache übernommen wird. Soweit der Hoheitsakt allerdings keine Einzelregelung trifft und die Rechtsanwendung Sache des Bürgers bleibt, kommt § 17 StGB zur Anwendung1420. – Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen1421 wird ebenfalls auf eine konkrete Rechtsfolge Bezug genommen, die in der sozialen Wirklichkeit ein eigenständiges Dasein1422 führt. Der Täter muss das maßgebliche Rechtsverhältnis als solches in seinen Vorsatz aufnehmen, ansonsten greift § 16 Abs. 1 StGB. Im umgekehrten Fall reicht es aus, dass der Täter dieses, um einen untauglichen Versuch zu begehen, irrtümlich als gegeben ansieht1423. Wie er zu einer entsprechenden Einschätzung gelangt, ob er insoweit eine eigenständige Subsumtion unter die vorgelagerten Rechtsnormen vornehmen konnte oder dies z. B. wegen fehlender Kenntnis des zugehörigen Lebenssachverhalts unmöglich war, ist dagegen in beiden Fällen irrelevant1424. – Einzelne Strafnormen und Ordnungswidrigkeiten können sowohl Blankett- als auch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale enthalten1425. Die Abgrenzung im Einzelfall ließ sich an zahlreichen Tatbeständen wie §§ 242, 246, 249, 253, 263, 289 StGB1426, §§ 257, 258, 259, 261 StGB1427, §§ 264 ff. StGB1428, § 266 StGB1429, § 266a StGB1430, §§ 283 ff. StGB1431, §§ 331 bis 335 StGB1432, § 34 AWG1433, § 2 BauforderungssicherungsG1434, §§ 331 ff. HGB, §§ 399 ff. AktG, §§ 313 ff. UmwG1435 oder § 15a Abs. 4 InsO1436 verdeutlichen und führte auch materiell zu sachgerechten Ergebnissen. Siehe oben Seiten 166 ff. Siehe oben Seiten 169 ff. 1422 Siehe z. B. oben Seiten 170 f., 171 f., 182, 188. 1423 Siehe oben Seiten 121 ff., 134, 182. 1424 Siehe oben Seiten 126, 169. 1425 Siehe oben Seiten 116 f. 1426 Siehe oben Seiten 170 f. 1427 Siehe oben Seiten 171 f. 1428 Siehe oben Seiten 174, 176, 191 ff. 1429 Siehe oben Seiten 172 ff., vgl. auch Seite 130. 1430 Siehe oben Seiten 176 ff., 189. 1431 Siehe oben Seiten 127 f., 131, 159, 181 f. 1432 Siehe oben Seiten 132 ff., 179 f. 1433 Siehe oben Seite 160; zu § 34 Abs. 1 AWG siehe aber vor allem auch den Verweis in Fußnote 1440 (Seite 211). 1434 Siehe oben Seiten 149, 174. 1435 Siehe oben Seiten 181 f. 1436 Siehe oben Seiten 158 f. 1420 1421

D. Entwicklung des eigenen Standpunkts

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– Auch die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO1437 fällt nicht aus dem Rahmen und enthält beide Verweisungsformen1438. Ihre pauschale Bezeichnung als „Blankettstrafrecht“1439 erwies sich dagegen als irreführend. – Tatbestände, welche i. w. S. den Verstoß gegen Genehmigungs- und Anzeigepflichten unter Strafe stellen1440, wie etwa § 34 Abs. 1 AWG im Außenwirtschaftsstrafrecht, § 404 Abs. 2 Nr. 3, 4 SGB III1441 bei der illegalen Beschäftigung von Ausländern oder § 16 Abs. 1 AÜG im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung, folgen ebenfalls allgemeinen Irrtumsregeln1442. Die Unterscheidung zwischen präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt erwies sich dagegen als wenig fruchtbar.

Die Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum sowie die des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt hängen also davon ab, ob ein bestimmtes Merkmal als durch abstrakte Rechtsnormen auszufüllendes Blankett oder als rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal zu klassifizieren ist. Der „Blankett“-Verweis1443 auf einen staatlichen Einzelakt verhält sich dabei wie letzteres. Insofern erscheint die Bezeichnung als „Blankett“ eigentlich als irreführend. Da sie sich aber eingebürgert hat1444 und neue Terminologien so weit wie möglich zu vermeiden sind1445, soll sie dennoch beibehalten werden. Folgend werden nun die Auswirkungen der Verwendung eines bestimmten Verweisungstyps durch den Gesetzgeber jenseits der Irrtumslehre untersucht. Sollte auch hier ein Zusammenhang mit der Klassifizierung als Blankettverweisung oder als rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal festzustellen sein, wird dies die Anwendung der eben ausformulierten Abgrenzungskriterien nochmals erleichtern.

Siehe oben Seiten 183 ff. Zu rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen siehe oben Seiten 187 ff., 191 ff., zu Blankettmerkmalen Seiten 193 ff. 1439 Vgl. oben Seite 117. 1440 Siehe oben Seiten 196 ff. 1441 Siehe oben Seiten 159 f. § 404 SGB III ist eine Ordnungswidrigkeit, i.V. m. § 10 Abs. 1 SchwarzArbG kann aber auch ein Straftatbestand vorliegen. 1442 Siehe oben Seiten 199 ff., 203 ff. 1443 Vgl. Nachweise auf Seite 117, Fußnote 746. 1444 Vgl. Seite 118. 1445 Siehe oben Seite 118. 1437 1438

2. Teil

Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten und Gebot des positivierten Strafgesetzes A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot – Fragen des intertemporalen Strafanwendungsrechts I. Einleitung Die Einschätzung, ob ein bestimmtes Verhalten als sozialschädlich anzusehen ist und deshalb verboten werden sollte, unterliegt stetem gesellschaftlichen Wandel. Auch im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ist dabei die Erkenntnis über die Sozialschädlichkeit regelmäßig der strafrechtlichen Erfassung durch den Gesetzgeber vorgelagert – wie schon im ersten Teil gezeigt1. Geläuterte Moralvorstellungen, bessere Erkenntnisse über volks- oder betriebswirtschaftliche Zusammenhänge, die Wirkweise einzelner gesetzlicher Vorschriften etc. können aber auch zur Entkriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen führen2. Bei der Änderung von Strafbarkeitsvoraussetzungen streiten dann die Prinzipien von Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit, die es im Rahmen eines intertemporalen Strafanwendungsrechts zu vereinbaren gilt: Zum einen gilt das strafrechtliche Rückwirkungsverbot der §§ 1, 2 Abs. 1 StGB als Ausdruck des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“, auf der anderen Seite das Rückwirkungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB, dass – von Ausnahmen wie § 2 Abs. 4 StGB abgesehen – bei Gesetzesänderungen nach der Tat die Anwendung des mildesten Gesetzes vorschreibt. Änderungen der Strafbarkeit kann der Gesetzgeber natürlich auch dadurch herbeiführen, dass er nicht die Straf- oder Bußgeldnorm selbst, sondern die von ihr in Bezug genommenen Vorschriften modifiziert3. In Abschnitt A des zweiten Teils der Arbeit soll nun im Einzelnen untersucht werden, welche Folgen die Umgestaltung blankettausfüllender Normen haben kann und wie sich entsprechende Änderungen bei strafbarkeitsbegründenden oder ausschließenden Einzelakten einschließlich zugehöriger Rechtsnormen sowie bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen und den ihnen vorgelagerten Rechtsnormen auswirken.

1 2 3

Siehe bereits oben Seiten 157 ff., vgl. allgemein auch Seite 144. Siehe bereits oben Seite 162. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 461.

A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot

213

II. Allgemeines zum Rückwirkungsverbot – Gesetzeshistorischer Überblick und heutige Bedeutung4 Eine ausdrückliche Regelung des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“ findet sich in § 2 Abs. 1 des Reichsstrafgesetzbuches von 1871; auch das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1870, das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 und sogar schon das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 17945 enthielten entsprechende Vorschriften6. Diese wiederum fanden wohl ihr Vorbild in den nordamerikanischen Verfassungen, insbesondere in Art. I section 9, 10 der Bundesverfassung von 17877 und in Art. VIII der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Die weitere Herkunft ist umstritten: Als früheste Vorläufer diskutiert werden unter anderem der babylonische Codex Hammurapi (ca. 1700 v. Chr.), das Kommentierungsverbot im Corpus Iuris Civilis des oströmischen Kaisers Justinian I. (534 n. Chr.) und Abschnitt 39 der Magna Charta Libertatum von 1215, entstanden zur Regierungszeit des englischen Königs John Lackland 8. Auch Hobbes schreibt in seinem Leviathan aus dem Jahre 1651, dass das, „was vor Gebung eines Gesetzes geschah, […] nachher nicht als Verbrechen angesehen werden“9 könne. Die eingängige lateinische Formel selbst stammt aber bekanntermaßen von Feuerbach10 und steht im Zusammenhang mit 4 Umfassende philosophie- und rechtshistorische Darstellungen beginnend beim römischen Recht bieten Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 27 – 184; ders., in: Leipziger Kommentar, § 1, Enstehungsgeschichte; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz; siehe auch die kompakteren Darstellungen bei Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 172 – 183; Sommer, Das „mildeste Gesetz“ im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, S. 5 – 33. 5 § 2 Abs. 1 StGB des Norddeutschen Bundes wurde wörtlich übernommen, welcher wiederum sinngemäß dem § 2 Preußisches StGB entsprach. II. Teil, 20. Titel, § 9 ALR lautete wie folgt: „Handlungen und Unterlassungen, welche nicht in den Gesetzen verboten sind, können als eigentliche Verbrechen nicht angesehen werden, wenn gleich Einem oder dem Andern daraus ein wirklicher Nachtheil entstanden seyn sollte.“ Vgl. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 99. 6 Vgl. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 91 ff. 7 Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 41 betont allerdings, dass die nordamerikanischen Verfassungen zwar bereits vom aufklärerischen Gedanken des Schutzes des Einzelnen vor obrigkeitlicher Willkür geprägt war, Gewohnheitsrecht bzw. ungeschriebenes Recht jedoch weiterhin strafbegründend wirkt – richterliche Willkür also nicht ausgeschlossen sei. Dies wird vielleicht dem angelsächsischen Recht nicht ganz gerecht, unterscheidet man doch auch dort zumindest zwischen customary law oder customs (dem einfachen Gewohnheitsrecht) und common law (dem sich seit 1189 auf Grundlage des stare decisis-Prinzips entwickelndem Richterrecht), welches aufgrund der jeweiligen Bindungswirkung eben keine richterliche Willkür erlaubt. 8 Siehe Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 4 ff., 41 mit den entsprechenden Nachweisen; vgl. auch Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 15 II; Hassemer / Kargl, in: Nomos-Kommentar, § 1 StGB, Rn. 4 ff. 9 Hobbes, Leviathan, Abschnitt XXVII, S. 266 („No law, made after a fact done, can make it a crime“). 10 Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts, § 20.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

seiner psychologischen Zwangstheorie; sie ist also nicht etwa römisch-antiken Ursprungs. Durch Art. 116 der Weimarer Reichsverfassung11, fast gleichlautender Vorläufer von Art. 103 Abs. 2 GG, wurde dem Prinzip im Jahre 1919 erstmals Verfassungsrang verliehen12. Dabei war es damals aufgrund der Verwendung des Begriffs „Strafbarkeit“ umstritten13, ob Art. 116 WRV wie § 2 Abs. 1 RStGB auch ein Verbot der nachträglichen Strafschärfung enthielt14 oder ob der Verfassungsgrundsatz nur die in § 2 Abs. 1 RStGB enthaltende nachträgliche Strafbegründung untersagte15 bzw. die einfachgesetzlichen Garantien des § 2 Abs. 1 RStGB gar in diesem Sinne beschränkt habe16. Insofern versuchte man sich teilweise auch auf Autoritäten wie Hobbes zu berufen, nach dem rückwirkende Strafbestimmungen nicht generell ausgeschlossen sind17. Letztgenannte Ansichten spielten dann auch später im Fall „Marinus van der Lubbe“ eine unrühmliche Rolle. Das Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe vom 29. März 1933 (sog. „Lex van der Lubbe“)18 wurde eigens nach dem Reichstagsbrand verabschiedet, um den mutmaßlichen Täter mit der Todesstrafe aburteilen zu können. Zur vermeintlichen Vereinbarkeit mit Art. 116 WRV bediente man sich der Argumentation, dass „Strafbarkeit“ schließlich schon zum Tatzeitpunkt bestanden habe19. Den ganz groben legislativen Einschnitt brachten die rechtsstaatswidrigen Maßnahmen des nationalsozialistischen Gesetz11 Wörtlich lautete Art. 116 WRV wie folgt: „Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.“ 12 Durch Art. 227 des Versailler Vertrages wurde das Deutsche Reich im selben Jahr gleich wieder genötigt, diesen Grundsatz hinsichtlich seines vormaligen Staatsoberhauptes insofern aufzugeben, als dass es eine Anklage Wilhelm II. „wegen schwerer Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge“ vor einem alliierten Sondergerichtshof, dem auch auf Grundlage der „erhabensten Grundsätze der internationalen Politik“ die Festlegung einer angemessenen Strafe obliegen sollte, zu dulden und auch durch Maßnahmen der sonstigen Rechtshilfe zu unterstützen hatte. Die Niederlanden verweigerten jedoch bekanntermaßen die Auslieferung. 13 Siehe dazu auch Frank, § 2 RStGB, Anm. I – III (S. 20 ff.) m. w. N.; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 162 ff. 14 So von Liszt / Eb. Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 26. Aufl., Band I, § 18, S. 107 ff. 15 So Frank, § 2 RStGB, Anm. I (S. 20). 16 So RGSt 56, S. 318 f. 17 Hobbes, Leviathan, Abschnitt XXVII, S. 266 f. Dies gilt bei Hobbes allerdings nicht in den Fällen, in denen bereits vorher eine (zu geringe) Strafe bestimmt war, dann liege der Fehler nämlich beim Gesetzgeber. Auch sonst darf die nachträglich bestimmte Strafe nicht ungewöhnlich hoch sein. 18 RGBl I 1933, S. 151; siehe auch Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 194. 19 RG vom 23. Dezember 1933, zitiert bei Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1 StGB, Entstehungsgeschichte. Vgl. auch Werber, Analogie- und Rückwirkungsverbot im Dritten Reich, S. 9 ff., 18 ff., 25 ff.; Sommer, Das „mildeste Gesetz“ im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, S. 23 f.; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 174 ff.

A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot

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gebers im Jahre 193520, welche durch einen neuen § 2 RStGB die Anwendung des Gesetzlichkeitsprinzips dem berüchtigten Vorbehalt des „gesunden Volksempfindens“ unterwarfen, was wohl auch nach außen einen klaren Bruch mit dem „liberalistischen“ Rechtsstaat demonstrieren sollte21. Sonst blieb es aber nach § 2a Abs. 1 RStGB bei der grundsätzlichen Geltung des Tatzeitrechts22 – oft allerdings spezialgesetzlich durchlöchert23. Zur symbolträchtigen Aufhebung des Analogieverbots, die übrigens so bereits 1922 auch in der Sowjetunion vollzogen worden war24, kamen die generalklauselartig gestalteten Tatbestände des NS-Strafrechts25, Sonderverordnungen mit zum Teil brachialen Strafdrohungen26 sowie eine allgemein um sich greifende staatliche Willkür27. Angesichts dessen soll – jedenfalls in der Praxis der ordentlichen Gerichte – die strafbegründende28 und strafschärfende29 analoge

RGBl. I 1935, S. 839. Vgl. Werber, Analogie- und Rückwirkungsverbot, S. 92 ff. 22 Hintergrund waren wohl vor allem Praktikabilitätserwägungen; vgl. Werber, Analogieund Rückwirkungsverbot, S. 42, 46 ff. 23 Die sog. „Lex van der Lubbe“ (Seite 214, Fußnote 18) blieb nicht der einzige Fall der nachträglichen Anordnung der Todesstrafe, bekannt ist z. B. das Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen (RGBl. 1938 I, S. 651, sog. „Lex Goetze“) oder die Verordnung gegen Gewaltverbrecher (RGBl. 1939 I, S. 2378). Für weitere Beispiele vgl. Werber, Analogie- und Rückwirkungsverbot, S. 51 ff. 24 Siehe Art. 10 des Strafgesetzbuches der RSFSR (Уголовный кодекс-РСФСР) von 1922, vgl. dazu Maurach, in: Maurach / Rosenthal, Der strafrechtliche Staatsschutz in der Sowjetunion, S. 9; F-C. Schroeder, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, S. 7. Zum sowjetischen Strafrecht vgl. auch oben Seiten 140 f. 25 Gribbohm, Nationalsozialismus und Strafrechtspraxis, NJW 1988, S. 2842 (2843); Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1, Entstehungsgeschichte m. w. N. Unrechtsgeneralklauseln, die selbst die Heranziehung der Analogie überflüssig machten, gab es auch im sowjetischen Strafrecht in fast noch vollkommenerer Form (vgl. Maurach, in: Maurach / Rosenthal, Der strafrechtliche Staatsschutz in der Sowjetunion, S. 9; F-C. Schroeder, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, S. 7). 26 Vgl. §§ 1 – 4 der sog. Verordnung gegen Volksschädlinge, RGBl. I 1939, S. 1679, welche für die Tatbegehung unter Ausnutzung des Kriegszustandes – z. B. bei Plünderung (worunter je nach „Tätertyp“ selbst die Zueignung einer Schachtel Zigaretten oder die eines Stück Kupferdrahts fallen konnte, sofern der Täter eben „seinem Wesen nach“ ein „Plünderer“ war) oder bei sog. „Rassenschande“ (vgl. BGH NJW 1971, S. 571 zum Fall „Leo Katzenberger“) – teilweise die zwingende Verhängung der Todesstrafe oder erhebliche Strafschärfungen bis hin zur Todesstrafe vorsahen. 27 Der Großteil des NS-Staatsterrors fand schließlich nicht im Gerichtssaal statt. Auch wenn das Strafrecht in bestimmten Fällen bewusst als politisches Mittel eingesetzt wurde (vgl. Werber, Analogie- und Rückwirkungsverbot, S. 7), kam es, sofern man so nicht zu den gewünschten Ergebnissen gelangte, oft zur nachträglichen „Korrektur“ gerichtlicher Entscheidungen mittels SA- bzw. Gestapo-„Schutzhaft“, Verschleppung in Konzentrationslager (vgl. Werber, a. a. O., S. 8) oder unmittelbarer polizeilicher Exekution [vgl. Gribbohm, NJW 1988, S. 2842 (2845)]. 28 Vgl. z. B. RGSt 71, S. 135 (137) zum Kaviar-Import in Fässern zwecks Umgehung damaliger Zollvorschriften; RGSt 72, S. 146 (147) zur Strafbarkeit der Ersatzhehlerei; RGSt 75, S. 60 (61) zum Versicherungsbetrug. Nach RGSt 70, S. 218 (220); RGSt 70, S. 360 (362 f.); 20 21

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Gesetzesanwendung auf althergebrachte Strafnormen gar nicht mehr die entscheidende Rolle gespielt haben30. Nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ wurde der nationalsozialistisch geprägte § 2 RStGB dennoch durch Art. I des 11. Kontrollratsgesetzes unmittelbar aufgehoben; die Anwendung durch Art. VI sogar unter Strafe gestellt31. Der alte Zustand wurde durch eine weitere besatzungsrechtliche Maßnahme32 neubelebt. In der Bundesrepublik erhielt das Gesetzlichkeitsprinzip durch Art. 103 Abs. 2 GG schließlich auch wieder Verfassungsrang und findet sich seit dem zweiten Strafrechtsänderungsgesetz33 in § 1 StGB und § 2 Abs. 1 StGB. Gem. Art. 1 Abs. 1 EGStGB gelten diese auch für das Nebenstrafrecht sowie gem. § 369 Abs. 2 AO für das Steuerstrafrecht. Im Ordnungswidrigkeitenrecht finden sich in den §§ 3, 4 Abs. 1 OWiG inhaltsgleiche Vorschriften. Die meisten europäischen Staaten haben den Grundsatz ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt, so z. B. durch Art. 29º, nº 1 und 4.1 der Constituição da República Portuguesa, Art. 25.1 der Constitución Española, Art. 25.2 der Costituzione della Repubblica Italiana oder in Frankreich durch die Präambel der Verfassung, die auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 Bezug nimmt34. Auch im common law-Rechtskreis haben es die Gerichte mehr oder minder aufgegeben, neue Strafbarkeiten zu „entdecken“35. Mit RGSt 71, S. 390 (391) sollte die analoge Strafbegründung jedoch nur dann möglich sein, wenn unmittelbar kein Strafgesetz eine „angemessene“ Bestrafung erlaubt hätte. 29 Vgl. z. B. RGSt 70, S. 355 (356); RGSt 72, S. 50 (52 f.); RGSt 75, S. 43 (45 f.), siehe auch Fußnote 19 (Seite 214). 30 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 1 StGB, Entstehungsgeschichte; Hassemer / Kargl, in: Nomos-Kommentar, § 1 StGB, Rn. 4 ff. jeweils m. w. N. Siehe allerdings auch die Beispiele in Fußnoten 28, 29; vgl. zudem Werber, Analogie- und Rückwirkungsverbot im Dritten Reich, S. 119 ff. mit einigen Beispielen aus der tatrichterlichen Praxis. Kritisch zur herkömmlichen rechtshistorischen Deutung auch Dannecker, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 1 StGB, Entstehungsgeschichte; vgl. auch Vogel, Einflüsse des Nationalsozialismus auf das Strafrecht, ZStW 115 [2003], S. 638 (652). 31 Was die Vorschriften des 10. Kontrollratsgesetzes zur Aburteilung von Kriegsverbrechen anbelangt, bediente man sich dagegen selbst – als Alliierter Kontrollrat Träger uneingeschränkter Staatsgewalt – rückwirkend gefasster Tatbestände (vgl. Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 64 ff.; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 14 II). Der absolute Ausnahmecharakter der Verbrechen sowie die Tatsache, dass die angeklagten Taten auch zur Tatzeit zweifelsfrei schwerstes Unrecht darstellten [vgl. OGHSt 1, S. 1 (5)] und nach deutschem Recht (abgesehen vom Verbot des Angriffskrieges) bereits damals strafbar waren (vgl. dazu auch Seite 220, Fußnote 67), lassen heute freilich darüber hinwegsehen. Siehe auch Seite 217, Fußnote 38 und die abweichende Einschätzung zu Art. 227 des Versailler Vertrages auf Seite 214, Fußnote 12. 32 Art. II Nrn. 2 – 4 Kontrollratsproklamation vom 20. 10. 1945, KRABLl. 1945, S. 22; vgl. Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1 StGB, Entstehungsgeschichte. 33 BGBl. I 1969, S. 717; siehe auch oben Seite 58. 34 Siehe weitere Nachweise bei Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1 StGB, Rn. 43. Eine andere Frage ist natürlich immer, inwieweit verfassungsrechtliche Garantien auch durchsetzbar sind (zu Frankreich vgl. etwa Seite 254, Fußnote 341). 35 Vgl. Jefferson, Criminal Law, S. 4 ff., 23 ff. Aus angelsächsischer Sicht war darin aber ohnehin kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot zu sehen. Schließlich habe auch das un-

A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot

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dem (notstandsfesten36) Art. 7 Abs. 1 EMRK und Art. 15 Abs. 1 S. 1 – 2 IPBPR hat das Rückwirkungsverbot im Jahre 1950 bzw. 1966 in kodifizierter Form auch erstmals37 allgemeine internationale Anerkennung erfahren38. Auch der mit Art. 6 Abs. 1 EUV-Lissabon verbindlich gewordene Art. 49 Abs. 1 S. 1 und 2 der Grundrechtecharta der Europäischen Union39 schützt das Prinzip mit Wirkung für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung europäischen Rechts40. Wegen Art. 52 Abs. 3 der Grundrechtecharta kann der Grundsatz insofern uneinschränkbare Geltung beanspruchen41. Prozessual begründet die Missachtung des Grundsatzes durch ein deutsches Gericht auf Sachrüge gem. § 337 StPO die Revision, bei willkürlicher Abweichung vom Gesetzeswortlaut käme auch eine Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Betracht. Der Verstoß durch den Gesetzgeber ist ebenfalls im Wege der Verfassungsbeschwerde bzw. schon während des Strafverfahrens durch Anregung einer Vorlage nach Art. 100 GG zu rügen42. Darüber hinaus kommt nach Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges gem. Art. 34, 35 EMRK eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzung von Art. 7 Abs. 1 EMRK in Betracht43, die eventuelle Feststellung eines Konventionsverstoßes würde dann einen Wiederaufnahmegrund gem. § 359 Nr. 6 StPO darstellen. Der Rechtsschutz im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 S. 1 – 2 IPBPR tritt demgegenüber zurück44. geschriebene common law die Fähigkeit sich im Lichte des sozialen, ökonomischen und kulturellen Fortschritts zu entwickeln, so Lord Keith in der Entscheidung R. vs. R. [1991] zum Wegfall des Eheprivilegs bei Vergewaltigungen (zitiert nach Jefferson, a. a. O., S. 5). EGMR („S.W. vs. Vereinigtes Königreich“) vom 22. November 1995, Az. 20166 / 92 hat diese Sichtweise sogar bestätigt. 36 Vgl. Art. 15 Abs. 2 EMRK. 37 Zwar urteilte der Internationale Gerichtshof schon deutlich vorher zugunsten des Gesetzlichkeitsprinzips, als er im Jahre 1935 über die Zulässigkeit der Übernahme der reichsdeutschen Strafrechtsnovellen in das Strafgesetzbuch der Freien Stadt Danzig zu entscheiden hatte. Maßstab war damals allerdings die Verfassung des durch den Versailler Vertrag geschaffenen Freistaates, der unter dem Schutz des Völkerbundes stand. Vgl. Werber, Analogie- und Rückwirkungsverbot, S. 100 ff. 38 Die „Nürnbergklausel“ des Art. 7 Abs. 2 EMRK hatte die Bundesrepublik ursprünglich nicht ratifiziert (vgl. Seite 216, Fußnote 31); Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 15 II 4, Fn. 25). Diesen Vorbehalt hat Deutschland jedoch inzwischen zurückgenommen. 39 Siehe dazu Eser, in: Meyer, Art. 49 EU-Grundrechtecharta, Rn. 9 ff. 40 Vgl. Art. 51 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta. 41 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Art. 52 EU-Grundrechtecharta, Rn. 14a; Folz, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. II-110, Rn. 5. 42 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 GG, Rn. 193. 43 (Erfolglose) Beispiele sind etwa EGMR NJW 2001, S. 3035 zu Schießbefehl, Minen und Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze und EGMR NJW 2001, S. 3042 zu den Mauerschützen. 44 Zwar besteht die Möglichkeit der Individualbeschwerde beim Ausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN-AMR) für Personen, die von einer Maßnahme eines Mit-

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

III. Allgemeines zum Rückwirkungsgebot – Gesetzeshistorischer Überblick und heutige Bedeutung45 Auch der „lex mitior“-Grundsatz, welcher bei Änderung des Gesetzes nach der Tat die Anwendung des mildesten Gesetzes vorschreibt, findet sich bereits in § 2 Abs. 2 RStGB und ging auf Vorbilder im Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes, im Preußischen Strafgesetzbuch und auch im Allgemeinen Landrecht zurück46. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde dessen Anwendung durch § 2a Abs. 2 RStGB zwischenzeitlich in das richterliche Ermessen gestellt47, wobei auch erstmals der Gedanke des Zeitgesetzes eine Kodifizierung erfuhr. Die Nichtanwendung des Milderungsgebotes auf Zeitgesetze, heute § 2 Abs. 4 StGB, ist allerdings nicht spezifisch nationalsozialistisch, sondern entsprach schon vorher der reichsgerichtlichen Rechtsprechung48; der Entschluss zur gesetzlichen Regelung wurde auch schon vor 1933 gefasst49. Nach Kriegsende und Abschaffung des Ermessensvorbehalts, also der vollständigen Wiederherstellung des „lex mitior“-Grundsatzes, hat er in der Bundesrepublik – wie in den meisten europäischen Staaten (anders jedoch in Portugal50) – keinen Verfassungsrang erlangt51. Er ist auch nicht durch die EMRK, wohl aber durch Art. 15 Abs. 1 S. 3 IPBPR international anerkannt (wobei die Vorschrift vom Wortlaut her nur die Höhe der Sanktion betrifft). Die Bundesrepublik hat sich dabei allerdings vorbehalten, in Ausnahmefällen vom Milderungsgliedstaates betroffen sind, welcher dem ersten Fakultativprotokoll zum IPBPR beigetreten ist. Dies ist bei der Bundesrepublik Deutschland seit 1993 der Fall. Verfahren vor anderen internationalen Institutionen – vor allem vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – sind jedoch gem. Art. 5 Abs. 2 lit. a des Fakultativprotokolls vorrangig. Die Bundesrepublik Deutschland hat darüber hinaus den Vorbehalt erklärt, dass eine vormalige Prüfung durch eine solche Institution die Zuständigkeit des Ausschusses für Menschenrechte für eine weitere Prüfung ausschließt. 45 Interessante und umfassende philosophie- und rechtshistorische Darstellungen, beginnend beim römischen Recht, bieten Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 27 – 184 und Krey, Keine Strafe ohne Gesetz; siehe auch die kompakteren Darstellungen bei Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 172 – 183 und Sommer, Das „mildeste Gesetz“ im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, S. 5 – 33. 46 Wiederum stellt § 2 Abs. 2 RStGB eine wörtliche Übernahme der entsprechenden Vorschrift des Norddeutschen Bundes dar, welcher sinngemäß dem Art. IV S. 2 des Einführungsgesetzes zum Preußischen StGB entsprach. Zu §§ 18 – 20 Einleitung ALR vgl. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 100 f. 47 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Vorschrift niemals zur Anwendung gekommen wäre (vgl. RGSt 77, S. 175). 48 Vgl. RGSt 56, S. 419 (425 f.); RGSt 57, S. 209; RGSt 59, S. 90 (96 ff.); RGSt 59, S. 125. 49 Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 434 f. 50 Vgl. Art. 29º, nº 4.2 der Constituição da República Portuguesa (siehe auch Seite 219, Fußnote 59). Weitere Ausnahmen sind Estland, die Slowakei und Slowenien. 51 Vgl. BVerfGE 81, S. 132. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 407 ff. sieht ihn dagegen im Rechtsstaatsprinzip verankert.

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gebot abzuweichen52. Der fast wortgleiche Art. 49 Abs. 1 S. 3 der Grundrechtecharta der Europäischen Union schützt den Grundsatz53 ebenfalls – mit Wirkung für die Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union sowie für die Mitgliedstaaten bei Durchführung europäischen Rechts54. Er kann jedoch nach Art. 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta wohl einfachgesetzlich eingeschränkt werden55. Rechtsänderungen sind von den deutschen Gerichten nach § 2 Abs. 3 StGB bis zur vollständigen Rechtskraft des Urteils zu berücksichtigen. Auch das Revisionsgericht hat auf Sachrüge56 in Anwendung von § 354a StPO selbst Änderungen, die erst nach der letzten tatrichterlichen Entscheidung in Kraft getreten sind, zu beachten. Anders sah dies noch die reichsgerichtliche Rechtsprechung, die darauf abstellte, dass das Revisionsgericht nur eine fehlerhafte Rechtsanwendung zu berücksichtigen habe und deshalb der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung der maßgebliche sei57. Die heutige weitergehende Auffassung gilt bei kompletter Streichung der Strafnorm selbst dann, wenn der Schuldspruch bereits rechtskräftig ist, da kein aktueller Strafrahmen mehr zur Verfügung steht, aus dem die Strafe entnommen werden könnte58. Nach vollständiger Rechtskraft werden Änderungen allerdings nicht mehr relevant, eine Milderung des Gesetzes stellt insbesondere keinen Wiederaufnahmegrund i. S. d. § 359 Nr. 5 StPO dar59. Nur wenn eine Norm nachträglich mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder für nichtig erklärt wird und das Strafurteil auf dieser Norm beruht, ist eine Wiederaufnahme gem. § 79 BVerfGG zulässig60. Ein allgemeines Vollstreckungsverbot existiert insofern aber nicht61. Rechts-

Vgl. Art. 1 Nr. 4 des Zustimmungsgesetzes, BGBl. 1973 II, S. 1533. Auch hier spricht der Wortlaut lediglich davon, dass, wenn „eine mildere Strafe eingeführt“ wird, „diese zu verhängen“ sei. Fällt die Strafbarkeit allerdings ganz weg, könnte man dies jedoch durchaus als Absenkung des Strafrahmens „auf Null“ verstehen. Vgl. Eser, in: Meyer, Art. 49 EU-Grundrechtecharta, Rn. 6, 34 f. 54 Vgl. Art. 51 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta. 55 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Art. 52 EU-Grundrechtecharta, Rn. 14a, 15; Folz, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. II-110, Rn. 6. Siehe dagegen oben Seite 217 zu Art. 52 Abs. 3 EU-Grundrechtecharta. 56 BGHSt 26, S. 94. 57 RGSt 22, S. 347 (351). 58 BGHSt 20, S. 116 (119). 59 BVerfGE 12, S. 338 (340); BGHSt 39, S. 75 (79) [„Carl von Ossietzky“]; BGHSt 42, S. 314 (316); kritisch Sommer, Das „mildeste Gesetz“ im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, S. 100 ff. Anders ist dies wiederum (vgl. bereits Seite 218, Fußnote 50) in Portugal, wo Art. 371º – A Código de Processo Penal i.V. m. Art. 2º, nº 4 Código Penal seit dem Jahre 2007 auch einem rechtskräftig Verurteilten die Möglichkeit der Wiederaufnahme („reabertura da audiência“) einräumt. Allgemein zur portugiesischen Strafrechtstradition vgl. auch oben Seite 62. 60 § 359 Nr. 6 StPO kommt bei Verstößen gegen die EMRK im Gegensatz zu § 79 BVerfGG nur den Verurteilten zugute, die in eigener Person vor dem EGMR ein obsiegendes Urteil erstritten haben (vgl. Schmidt, in: Karlsruher Kommentar, § 359 StPO, Rn. 40). 61 BVerfGE 15, S. 309 (312). 52 53

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

schutz auf UN-Ebene im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 S. 3 IPBPR dürfte dagegen weitgehend leerlaufen62.

IV. Mögliche Besonderheiten bei Änderung von Bezugsnormen 1. Vorüberlegungen Grundsätzlich gilt damit gem. § 1 StGB i.V. m. § 2 Abs. 1 StGB für die Beurteilung der Strafbarkeit das zur Tatzeit geltende Recht63. Die an einen Tatbestand geknüpfte Rechtsfolge tritt schon dann ein, wenn ein dem Tatbestand entsprechender Sachverhalt verwirklicht wurde64. Auch wenn der Gesetzeswortlaut insofern eigentlich eindeutig ist65, favorisieren einige Autoren unter Hinweis auf das staatsrechtliche Prinzip „lex posterior derogat legi priori“ einen umgekehrten Ansatz, der von der allgemeinen Geltung neuen Rechts ausgeht. § 1 StGB und § 2 Abs. 1 StGB stellen demnach Meistbegünstigungsklauseln dar66. Als Begründung wird angeführt, dass bei Ausspruch einer belastenden Rechtsfolge ansonsten „Nichtrecht“ angewandt würde. Einen praktischen Unterschied dürfte dies zunächst einmal nur bei Gestaltung der Urteilsformel insbesondere im Hinblick auf § 260 Abs. 5 S. 1 StPO machen.

In jedem Fall darf eine bislang nicht strafbare Handlung weder durch Schaffung neuer Tatbestände noch durch gesetzgeberische Einbeziehung in einen bereits bestehenden Tatbestand, auch nicht durch Aufhebung von rechtsgültigen67 StrafausSiehe bereits oben Seite 217, Fußnote 44. Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 2 StGB, Rn. 2; Lackner / Kühl, § 2 StGB, Rn. 1; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 2 StGB, Rn. 3; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 2 StGB, Rn. 1; Fischer, § 2 StGB, Rn. 2; Schröder, Tatzeitrecht trotz Rechtsänderung, ZStW 112 [2000], S. 44 (47 ff.) m. w. N. 64 Vgl. von Liszt / Eb. Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Band I, § 19, S. 112 f. 65 Neutral sind dagegen die Formulierungen in § 1 ÖStGB und § 2 Abs. 2 SchweizStGB. Vgl. dazu Höpfel, in: Wiener Kommentar, § 1 StGB, Rn. 2; Popp / Levante, in: Basler Kommentar, Art. 2 StGB, Rn. 3. 66 Tiedemann, Zeitliche Grenzen des Strafrechts, Festschrift-Peters, S. 193 (196 f.); Sommer, Das „mildeste Gesetz“ im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, S. 62 ff., 65, 73; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 228, 243 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, § 2 StGB, Rn. 16 ff. Siehe auch Jakobs, Strafrecht AT, 4. Abschn., Rn. 52. 67 So kommt z. B. einem NS-Tötungserlass keine Rechtsnatur zu (erst Recht nicht dem bloßen Umstand, dass Tötungsexzesse an bestimmten Bevölkerungsgruppen zur Tatzeit nach der NS-Staatspraxis nicht verfolgt wurden), mit der Folge, dass auch für den damaligen Zeitpunkt von einer Strafbarkeit wegen §§ 211, 212 StGB auszugehen ist [OGHSt 1, S. 321 (324); OGHSt 2, S. 271; BGHSt 2, S. 234 (239); ebenso BGHZ 3, S. 94; vgl. auch BVerfGE 3, S. 226 (232) unter Bezugnahme auf Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche JZ 1946, S. 105 (107); BVerfGE 23, S. 98 (106)]. Auch bei den Mauerschützenprozessen und der Aufarbeitung sonstigen DDR-Unrechts kam die Radbruchsche Formel zur Anwendung [BGHSt 39, S. 1 (15 ff., 29 f.); BGHSt 41, S. 101 (106 f.); BGHSt 41, S. 157 (164); BGHSt 41, S. 247 (255 ff.) jeweils m. w. N.]. Vgl. dazu auch Erb, Art. 103 Abs. 2 GG bei Rechtfertigungsgründen, ZStW 108 [1996], S. 265 (267 f., 282 f.). 62 63

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schlussgründen, im Nachhinein kriminalisiert werden68. Nachträgliche Gesetzesänderungen, welche sich unmittelbar oder auch nur mittelbar strafschärfend auswirken, bleiben außer Betracht. Irrelevant ist dabei, ob es sich um eine Änderung der Sanktionsnorm selbst, blankettausfüllender Vorschriften oder anderweitig in Bezug genommener Rechtssätze handelt. Nicht einmal der rückwirkende Wegfall von Rechtspositionen kann eine Strafbarkeit begründen. So macht man sich bei Gebrauch eines Fahrzeugs, für welches Haftpflichtversicherungsschutz nur auf Grund einer vorläufigen Deckungszusage besteht, nicht gem. § 6 PflVG strafbar, wenn die vorläufige Deckung später infolge der Nichteinlösung des Versicherungsscheins rückwirkend wegfällt69. Gleiches muss bei Anfechtung eines Übereignungsgeschäfts nach § 929 S. 1 BGB gelten; die Rückwirkungsfiktion des § 142 Abs. 1 BGB bewirkt nicht die Strafbarkeit des Erwerbers wegen § 246 StGB, wenn er die Sache zwischenzeitlich wie ein Eigentümer benutzt hat. Auch die spätere Aufhebung einer Genehmigung wirkt selbstverständlich nicht strafbarkeitsbegründend. Umstritten ist in diesem Zusammenhang lediglich, was unabhängig von einem Aufhebungsakt bei Willenmängeln der Behörde zu gelten hat70; dieser Streit spielt heute angesichts der Missbrauchsklauseln in § 330d Nr. 5 StGB, § 34 Abs. 8 AWG oder § 95 Abs. 6 AufenthaltsG aber eine weitaus geringere Rolle71. Hinsichtlich des Rückwirkungsverbots treten also bei Änderung von Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten oder auch durch sonstige Veränderung der Rechtslage keine Besonderheiten auf, da bei täterungünstiger Veränderung der materiellen Rechtslage in jedem Fall auf den Tatzeitpunkt abzustellen ist. Auf eine Unterscheidung zwischen Blankettmerkmalen und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Hinsichtlich des Rückwirkungsgebots hat sich in der Kommentarliteratur die im hier relevanten Kontext leicht misszuverstehende72 pauschale Eingangsformel durch68 Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 15 IV 1; Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 2 StGB, Rn. 3. 69 BGHSt 33, S. 172 (176). 70 Zum Teil wird vertreten, dass es insofern auf die Unterscheidung zwischen Erlaubnisoder Befreiungsvorbehalt bzw. tatbestandsausschließenden und rechtfertigenden Genehmigungen (siehe bereits oben Seiten 197 ff.) ankommen soll, andere wollen in beiden Konstellationen nur auf die Wirksamkeit abstellen. Vgl. zum Streit Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 209 ff.; Lagodny, Tagungsbericht, Diskussionsbeiträge der Strafrechtslehrertagung 1989 in Trier, S. 908 (934 ff.); Lenckner, Behördliche Genehmigungen und der Gedanke des Rechtsmissbrauchs, Festschrift-Pfeiffer, S. 27; Rengier, Die öffentlich-rechtliche Genehmigung im Strafrecht, ZStW 101 [1989], S. 885 ff.; Rogall, Die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, GA 1995, S. 299 (311 ff.); Rudolphi, Primat des Strafrechts im Umweltschutz?, 1. Teil, NStZ 1984, S. 193 (196 f.); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 206; Roxin, Strafrecht AT I, § 17, Rn. 63; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 1061 f. jeweils m. w. N. 71 Dass es solche gibt, spricht dafür, sonst ausschließlich auf die Wirksamkeit abzustellen, vgl. im Einzelnen die Nachweise oben in Fußnote 70 sowie BGHSt 50, S. 105 (112 ff.). 72 Siehe auch die Kritik bei Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum, S. 392 ff., insb. S. 394.

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gesetzt, dass das mildere Gesetz unter Berücksichtigung des „gesamten Rechtszustandes“ zu bestimmen sei, von dem das „Ob und Wie“ der Strafbarkeit abhängt73. Gemeint ist meist allein das gesamte materielle Strafrecht, einschließlich der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, des Strafanwendungs-74 und Strafzumessungsrechts75, welches jeweils angewendet auf den konkreten Fall unter Beachtung des Grundsatzes strikter Alternativität76 einem Gesamtvergleich zu unterwerfen ist77. Schwieriger ist und weiterhin differenziert beurteilt wird die Frage, wann unmittelbar bzw. mittelbar die Strafbarkeit beeinflussenden, jedoch außerhalb der Sanktionsnorm liegenden Gesetzesänderungen eine Rückwirkung nach § 2 Abs. 3 StGB zuzubilligen ist, was nun Thema der folgenden Ausführungen sein soll. Insofern wird möglicherweise die Unterscheidung zwischen Blankettmerkmalen und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen erneut eine Rolle spielen.

2. Rechtsprechung zum Rückwirkungsgebot Bereits im Jahre 1881 hatte das Reichsgericht darüber zu entscheiden, ob die Aufhebung einer sogenannten landespolizeilichen Aufsichtsmaßregel, die bestimmte Viehtransporte betraf und gegen die der Angeklagte verstoßen hatte, im Hinblick auf § 2 Abs. 2 RStGB (§ 2 Abs. 3 StGB in der heutigen Fassung) die Strafbarkeit wegen § 328 RStGB, der solche Verstöße unter Strafe stellte, entfallen ließ78. Dies wurde mit der Begründung verneint, dass die zur Anwendung gebrachte Strafbestimmung von keiner Veränderung betroffen sei79. Ähnlich ist die Argumentation in einer Entscheidung aus dem Jahre 1895 zur Frage, ob gegenüber der Anschuldigung, gem. § 289 StGB eigene Sachen dem Pfandgläubiger weggenommen zu haben, eine inzwischen in Kraft getretene Norm des bürgerlichen Rechts, welche die weggenommenen Sachen von dem bisher darauf lastenden gesetzlichen Pfand73 Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 2 StGB, Rn. 18; Lackner / Kühl, § 2 StGB, Rn. 4; Ruldophi, in: Systematischer Kommentar, § 2 StGB, Rn. 8; Schmitz, in: Münchener Kommentar, § 2 StGB, Rn. 20; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, § 4 OWiG, Rn. 29; meist unter Berufung auf BGHSt 20, S. 177 (181), siehe dazu unten Seite 224; aber auch BGH NStZ 1983, S. 268 zu § 11 BtMG a. F.; BGHSt 37, S. 320 (322) zu § 223 a StGB a. F.; BGH NStZ 1998, S. 354 zu § 250 Abs. 1 a. F. 74 BGHSt 20, S. 22 (25); OLG Düsseldorf NJW 1979, S. 59 (61). 75 BGH NStE Nr. 6 zu § 2 StGB. 76 BGH NStZ 1983, S. 268; Fischer, § 2 StGB, Rn. 9 m. w. N.; a. A. Schmitz, in: Münchener Kommentar, § 2 StGB, Rn. 35. 77 Vgl. Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 2 StGB, Rn. 18 ff.; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, Rn. 8a; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, Rn. 8, 9, 10 ff.; siehe auch die letztgenannten Entscheidungen oben in Fußnote 73. 78 RGSt 16, S. 171. Vgl. auch RGSt 4, S. 4 zur Unabhängigkeit des strafrechtlichen Urkundenbegriffs. 79 RGSt 16, S. 171 (172); vgl. auch RGSt 31, S. 225 (227) zur Ersetzung einer (die Schifffahrt betreffenden) kaiserlichen Verordnung. Zur Änderung des Anwendungsbereichs der Sanktionsnorm vgl. allerdings RGSt 46, S. 307 (310); RGSt 46, S. 393 (396).

A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot

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recht befreit, als das „mildeste Gesetz“ Anwendung findet80. Auch insofern könne der einmal entstandene Strafanspruch nicht durch die Umgestaltung des Zivilrechts im Hinblick auf § 2 Abs. 2 RStGB (§ 2 Abs. 3 StGB in der heutigen Fassung) entfallen, ähnlich wie das nachträgliche Erlöschen eines vertraglichen Pfandrechts keine entsprechende Bedeutung hätte81. Gleiches galt laut Reichsgericht für die Ablösung von Einfuhr- oder Aufenthaltsverboten82. Auch die Aufhebung späterer Preisverordnungen stand der Aburteilung von Höchstpreisüberschreitungen, die während ihrer Geltungsdauer begangen worden sind, nicht entgegen. Dies wurde zum Teil mit dem generellen Zeitcharakter von Kriegsverordnungen, deren Änderung nicht Ausdruck geläuterter strafrechtlicher Anschauungen sei83, begründet. In den Fällen jedoch, in denen die unberührt bleibenden Sanktionsnormen außerhalb der Preisverordnung geregelt waren, reichte allein letzteres zur Ablehnung von § 2 Abs. 2 RStGB84. Der Einführung von § 4 HGB a. F. im Jahre 1900, die den Kreis der sogenannten Minderkaufleute, welche von Buchführungspflichten befreit waren, erweiterte, wurde dagegen die Bedeutung der eines milderen Gesetzes zugesprochen85. Dies geschah mit der Begründung, dass in den maßgeblichen Bankrottstraftatbeständen (welche bis zum Ersten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität aus dem Jahre 197686 in den §§ 239 ff. der Konkursordnung angesiedelt waren) auf die Vorschriften des Handelsrechts verwiesen werde, was mit der Einordnung des Kaufmannsbegriffs als strafrechtlichem Terminus bei der Abgrenzung von Tat- und Rechtsirrtum korrespondierte87. RGSt 27, S. 98. RGSt 27, S. 98 (99). Siehe auch zur Einordnung des Irrtums über das Bestehen eines Pfandrechts in RGSt 1, S. 368 (370) als Tatirrtum oben Seite 43, insb. Fußnote 123. 82 RGSt 46, S. 337 (338 ff.); RGSt 49, S. 410 (413 ff.). 83 RGSt 50, S. 398 (401). Interessant an diesem Fall ist auch, dass die zum Tatzeitpunkt gültige Preisverordnung selbst entsprechende Strafvorschriften enthielt, was die Irrelevanz von entsprechenden Rechtsirrtümern zur Folge hatte [RGSt 50, S. 398 (401)]. Bei den im Zeitpunkt der Verurteilung gültigen Preisverordnungen befand sich die Strafdrohung in einem allgemeinen Höchstpreisgesetz, so dass sich nach reichsgerichtlicher Rechtsprechung der Vorsatz auch auf die Existenz der Verordnung selbst beziehen musste (siehe oben, hier insb. Seite 44). Diese „zufällige“ Folge der Gesetzestechnik [RGSt 50, S. 398 (405)] hielt man im Hinblick auf § 2 Abs. 2 RStGB jedoch ebenfalls für irrelevant. Die noch später (d. h. erst nach der Verurteilung durch das Tatgericht) in Kraft getretene IrrtumsVO von 1917 (vgl. Seite 45) brauchte entgegen dem heutigen § 354a StPO nicht berücksichtigt werden [RGSt 22, S. 347 (351)]. Allgemein zum Zeitgesetz vgl. auch RGSt 56, S. 419 (425 f.); RGSt 57, S. 209; RGSt 59, S. 90 (96 ff.); RGSt 59, S. 125. 84 RGSt 51, S. 150 (153); vgl. demgegenüber RGSt 53, S. 78 (79) zur geänderten Sanktionsnorm. 85 RGSt 33, S. 184 (186 f.); RGSt 33, S. 187 (189); vgl. ferner RGSt 34, S. 37 zur rechtzeitigen Bilanzierung. 86 BGBl 1976 I, S. 2034. 87 Siehe oben Seite 45 zur Verneinung eines dem Tatirrtum gleichgestellten außerstrafrechtlichen Irrtums in RGSt 8, S. 147 (149). 80 81

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

In der Nachkriegszeit konnte an die weitgehend vornationalsozialistische Rechtsprechung zum Rückwirkungsgebot angeknüpft werden, eine mit BGHSt 2, S. 194 vergleichbare Zäsur blieb aus88. So wurde einer allgemeinen Genehmigung, nach der die Verbringung deutscher Geldsorten in das Bundesgebiet ab sofort uneingeschränkt zulässig sein sollte, nicht die Bedeutung einer Gesetzesänderung im Sinne des § 2 Abs. 2 StGB a. F. in Bezug auf das damalige Devisenstrafrecht beigemessen89. Anders lag es freilich bei der Umwandlung der jeweiligen Straftatbestände in Ordnungswidrigkeiten durch Inkrafttreten des Außenwirtschaftsgesetzes90. Einen wesentlichen Bruch mit der vorangegangenen Rechtsprechung soll allerdings die Mineralölsteuerentscheidung von 196591 darstellen. Darin stellte das Gericht fest, dass das Rückwirkungsgebot grundsätzlich auch für Blankettgesetze einschließlich zugehöriger Ausfüllungsnormen gilt, und meinte sich diesbezüglich, da es nach eigenem Begriffverständnis auch den Tatbestand der Steuerhinterziehung gem. § 396 AO a. F. (§ 370 AO n. F.) für ein solches hielt92, von vorgenannten Entscheidungen abgrenzen zu müssen93. Für die Frage des milderen Gesetzes kommt es nach Auffassung des Gerichts auf den „gesamten Rechtszustand an, von dem die Strafe abhängt“94, so dass auch geänderten Steuervorschriften die Bedeutung einer Milderung zukommen könne. Im konkreten Fall hätte der hinterzogene Steueranspruch nach Veränderung der Steuersätze und teilweiser Steuerfreistellung bestimmter Verwendungsarten zum Zeitpunkt der Verurteilung nicht mehr bestanden. Dennoch führte dies nicht zum Freispruch; das Mineralölsteuergesetz wurde vielmehr mit größtem Begründungsaufwand und unter Bezugnahme auf dessen Entwicklung in der jungen Bundesrepublik zum Zeitgesetz i. S. d. § 2 Abs. 3 StGB a. F. (§ 2 Abs. 4 StGB n. F.) erklärt95. Mittlerweile ist es in der steuerstrafrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass nachfolgende Steuersenkungen oder anderweitige Änderungen generell nicht zum Wegfall eines einmal entstandenen Strafanspruchs führen. Zum Teil wird noch auf § 2 Abs. 4 StGB Bezug genommen96, in der Regel wird dies jedoch damit erklärt, dass § 2 Abs. 3 StGB schon deshalb nicht eingreife, weil trotz nachträglicher Änderungen das Steuerrecht für die maßgeblichen Veranlagungszeiträume gleich bleibt, der diesbezügliche Steueranspruch also nicht wegfällt97. Stellt man also auf den staatlichen Steueranspruch ab, zeigt sich auch hier Siehe oben Seite 57. BGHSt 7, S. 294 (295 f.). 90 BGHSt 18, S. 12, vgl. BGBl. 1961 I, S. 481. 91 BGHSt 20, S. 177. 92 Siehe dagegen die hier vertretene Auffassung Seiten 187 ff. 93 BGHSt 20, S. 177 (181). 94 BGHSt 20, S. 177 (181). 95 BGHSt 20, S. 177 (182 f.). 96 AG Düsseldorf NJW 1985, S. 1971; AG Köln NJW 1985, S. 1037 (1040); AG Bochum NJW 1985, S. 1968; BGH 1 StR 217 / 10 und 1 StR 218 / 10 vom 27. August 2010 (zu Antidumpingzöllen). 88 89

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wieder ganz deutlich eine Parallele zur Irrtumslehre, wo dessen Existenz vom Vorsatz umfasst sein muss98. Auch sonst ist zu beobachten, dass ein Eingreifen von § 2 Abs. 3 StGB dann verneint wird, wenn ein Irrtum über die außertatbestandlichen Normen Vorsatzrelevanz hat, das Milderungsgebot jedoch dann greift, wenn sich ein Irrtum über die entsprechenden Normen lediglich als Verbotsirrtum darstellen würde. So ließ die Ersetzung des Offenbarungseides durch die eidesstattliche Versicherung gem. § 807 ZPO n. F. die Strafbarkeit wegen § 154 StGB für Altfälle unberührt99. Genauso ist die Erweiterung der gesetzlich festgelegten Aufgaben einer Körperschaft öffentlichen Rechts und damit der Einsatzmöglichkeiten vorhandener Mittel für die Strafbarkeit früherer Taten gem. § 266 StGB ohne Einfluss100. Der Wegfall eines sanktionsbewehrten Justizakts schließt ebenfalls nicht die Ahndung einer zuvor begangenen Zuwiderhandlung aus101. Auch das nachträgliche Entfernen eines Verkehrszeichens ist für vergangene Verstöße ohne Relevanz; dies gilt selbst dann, wenn die Entfernung aufgrund einer gerichtlichen Aufhebung der zunächst vollziehbaren, aber rechtswidrigen Allgemeinverfügung geschehen würde102. Keine Straffreiheit wurde auch für Altfälle des Einschleusens von Ausländern gewährt, die durch Beitritt osteuropäischer Länder zur Europäischen Union nun ohne Aufenthaltstitel einreisen dürfen103. Keine Kompatibilität besteht insofern allerdings bei bestimmten Anschlussdelikten: Bei der Strafvereitelung gem. § 258 StGB muss z. B. die Haupttat nicht nur zur Zeit der Vereitelungshandlung, sondern auch noch bei deren Aburteilung als Verbrechen oder Vergehen strafbar sein104, obwohl für den Vorsatz ein Nachvollziehen der strafrechtlichen Bewertung 97 BGHSt 34, S. 272 (282, 284) [„Parteispenden“], so zuvor auch LG Hamburg, NStZ 1986, S. 416 (417); zur Vermögensteuer OLG Frankfurt NJW 2000, S. 2368; auf beide Kriterien abstellend BGHSt 47, S. 138 (140, 143); OLG Hamburg NStZ-RR 2001, S. 147; der Sache nach a. A. LG München II, NStZ 2000, S. 93. 98 Siehe oben Seiten 46 und 95 (zur Rechtsprechung) sowie Seiten 187 ff. 99 BGH bei Holtz, MDR 1978, S. 280; vgl. oben Seite 48, insb. Fußnote 162 sowie Seite 92. 100 LG Marburg NVwZ 2000, S. 353 (zweckfremde Verwendung von Haushaltsmitteln der Studentenschaft durch AStA-Mitglieder). 101 OLG Frankfurt am Main(Z) WRP 1980, S. 270 zum Wegfall mit ex tunc-Wirkung; OLG Frankfurt am Main(Z) WRP 1992, S. 717 zum Wegfall mit ex nunc-Wirkung; OLG Stuttgart(Z) InVo 2001, S. 382 (383). 102 OLG Hamm NJW 1954, S. 1735 für Wegfall mit ex nunc-wirkung; BGHSt 23, S. 86 (91, 93 f.) für Wegfall mit ex tunc-Wirkung; OLG Koblenz DAR 1999, S. 419; siehe auch OLG Hamburg NJW 1980, S. 1007; BGH NJW 1982, S. 189 (für sofort vollziehbar erklärtes, mittels Verwaltungsakt erlassenes Hausverbot); vgl. Meyer-Goßner, § 262 StGB, Rn. 8 m. w. N. Zum Irrtum vgl. oben Seiten 91, 163 ff. 103 BGH NStZ 2005, S. 408; OLG Bamberg vom 20. September 2005, Az. 2 Ss 35 / 05; vgl. auch BGHSt 50, S. 105 (109); a. A. zuvor AG Bremen StV 2005, S. 218; LG Bremen StV 2005, S. 219; StA Dresden StV 2005, S. 220; AG Bayreuth StV 2005, S. 217. Siehe zur Einordnung eventueller Irrtümer oben Seite 206. 104 Vgl. BGHSt 14, S. 156 (158) zur Begünstigung nach dem damaligen § 257 StGB, der allerdings Verhaltensweisen, die heute unter § 258 StGB fallen, mitumfasste.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

des Vorverhaltens105 verlangt wird. Hier scheint jedoch eine Sonderkonstellation vorzuliegen, der später ebenfalls noch näher nachzugehen sein wird106.

Die Aufhebung von Ausfuhrbeschränkungen des Außenwirtschaftsgesetzes – z. B. des Serbien-Embargos – führen wiederum nicht zur Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB, obwohl entsprechende Irrtümer in der Rechtsprechung nach § 17 StGB behandelt werden107. Hier ist allerdings § 2 Abs. 4 StGB das entscheidende Argument108. Ansonsten ist die Änderung blankettausfüllender Normen regelmäßig eine solche i. S. d. § 2 Abs. 3 StGB: So sind bei Aufhebung einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung oder anderer Straßenverkehrsnormen Altfälle nach § 4 Abs. 3 OWiG nicht mehr mit einem Bußgeld gem. § 24 StVG zu ahnden109. Gleiches gilt für den Wegfall der Verpflichtung zur Eintragung in die Handwerksrolle110. § 2 Abs. 3 StGB bewirkt bei Änderung des Begriffs des Kreditinstitutes den Wegfall einer Strafbarkeit nach § 54 KWG111, bei Aufhebung lebensmittel-112 oder weinrechtlicher113 europäischer Verordnungen Straflosigkeit nach den §§ 58 ff. LFGB und §§ 48 ff. WeinG, aber auch für die Lockerung von Aufenthaltsbeschränkungen den Entfall einer Strafbarkeit nach § 85 Nr. 2 AsylVfG114.

3. Ansätze im Schrifttum Die Ansätze im Schrifttum zum Problem des § 2 Abs. 3 StGB gestalten sich weit übersichtlicher als es bei der Abgrenzung des § 16 Abs. 1 StGB von § 17 StGB bzw. des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt der Fall war115. Dennoch muss Vgl. Seiten 90, 171. Siehe Seite 246. 107 Vgl. Seiten 92, 94 und 160. 108 BGH StV 1999, S. 26; BGH NStZ 2007, S. 644; OLG Koblenz ZfZ 1991, S. 86. Vgl. auch OLG München NStZ-RR 2006, S. 376. Zur Fortgeltung der Strafbarkeit verbotener Geschäfte im innerdeutschen Handel nach der Wiedervereinigung vgl. KG Berlin, NStZ 1994, S. 244; BGH NStZ 1996, S. 42. 109 BGHSt 6, S. 30 (40 f.); zum Irrtum vgl. oben Seite 91. Vgl. auch OLG Köln NJW 1988, S. 657; BayObLG VRS 74, S. 227; OLG Düsseldorf VRS 74, S. 45; OLG Düsseldorf VRS 74, S. 202 (203); Hanseatisches OLG, DAR 1988, S. 29 (jeweils zu Lenk- und Ruhezeiten und zum Problem der zwischenzeitlichen Ahndungslücke); OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, S. 152 (Belüftung beim Gefahrguttransport). Vgl. auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, S. 276 (gelockerter Maulkorbzwang). 110 OLG Bamberg, GewArch 2006, S. 33. 111 LG Frankfurt NJW 1965, S. 264; zum Irrtum vgl. oben Seite 94. 112 BGH NStZ 1992, S. 535 (536); siehe auch OLG Celle LRE 28, S. 228. 113 OLG Stuttgart, NStZ 1990, S. 88 (89); OLG Koblenz, NStZ 1989, S. 188 (189); LG Bad Kreuznach, ZLR 2001, S. 898. 114 OLG Düsseldorf NJW 1991, S. 710. Siehe zur Irrtumslehre und Anwendung von § 17 StGB im Aufenthaltsrecht oben Seiten 94 und 205 f. 115 Siehe oben Seiten 95 ff. 105 106

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auch hier eine weitgehende Beschränkung auf Arbeiten und Beiträge erfolgen, die sich eigens mit der Problematik beschäftigt oder originär einen besonderen Aspekt aufgeworfen haben.

a) Bestrafung von Ungehorsam oder Sicherung des Regelungseffekts nach Jakobs Nach Jakobs116 kommt § 2 Abs. 3 StGB dann zur Anwendung, wenn ein Blankettgesetz nur den „Gehorsam“ gegenüber der ausfüllenden Norm sichern soll. Damit wirkt in den Fällen, in denen er bei Unkenntnis der Ausfüllungsnorm von einem Verbotsirrtum ausgeht, eine Änderung der Ausfüllungsnorm so zurück, wie es auch sonst bei der Aufhebung eines strafrechtlichen Verbots der Fall wäre117. Dies gilt auch dann, wenn der Gesetzgeber durch die Aufhebung der Ausfüllungsnorm keinen größeren, sondern nur einen anders zugeschnittenen Verhaltensspielraum einräumen will – z. B. durch Aufhebung einer Geschwindigkeitsbegrenzung bei gleichzeitiger Schaffung neuer Sicherheitsmaßnahmen. Wenn der Gesetzgeber in diesen Fällen eine Rückwirkung vermeiden möchte, müsse die ausfüllende Norm vor ihrer Aufhebung zum Zeitgesetz umformuliert werden118. Sichert eine Strafnorm dagegen den Regelungseffekt, den die ausfüllende Norm erzielt, komme § 2 Abs. 3 StGB gar nicht zur Anwendung. Zwar werde durch die Aufhebung der ausfüllenden Norm die weitere Erzeugung dieser Regelungseffekte ausgeschlossen, alte Regelungseffekte würden dadurch aber nicht hinfällig. Als Beispiel nennt Jakobs die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ nach § 8 Abs. 1 S. 1 StVO119, deren Änderung keinen Einfluss auf das Vorfahrtsrecht des seinerzeit von rechts Kommenden hätte. Entsprechendes gelte für die Fälschung zwischenzeitlich außer Kraft getretener Banknoten120. Gleichermaßen seien bei den §§ 145d, 164 StGB das Strafrecht, bei Eigentumsdelikten das Zivilrecht, bei Steuerdelikten die steuerschuldbegründenden Vorschriften der Tatzeit heranzuziehen121.

Jakobs, Strafrecht AT, 4. Abschnitt, Rn. 70 ff. Vgl. auch Laaths, Das Zeitgesetz, S. 112. Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschn., Rn. 47; siehe auch oben Seite 105 (dort u. a. auch zum Jakobsschen Verständnis des Strafzwecks im sog. „Bürgerstrafrecht“). 118 Jakobs, Strafrecht AT, 4. Abschnitt, Rn. 71. 119 Vgl. auch Meyer, Anmerkung zu BayObLG vom 20. März 1974, JR 1975, S. 69 (70); Mazurek, Zum Rückwirkungsgebot gem. § 2 Abs. 3 StGB, JZ 1976, S. 233 (237). 120 So schon Mezger, Die zeitliche Herrschaft der Strafgesetze, ZStW 42 [1921], S. 348 (375 f.). 121 Jakobs, Strafrecht AT, 4. Abschnitt, Rn. 72. Siehe auch Samson, Legislatorische Bewältigung der Parteispendenproblematik, wistra 1983, S. 235 (237). 116 117

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

b) Blankett oder Bezugnahme auf außerstrafrechtliche Regelungseffekte nach Rudolphi und Gribbohm Auch Rudolphi122 und Gribbohm123 vertreten einen differenzierenden Ansatz, der bei leicht modifizierter Argumentation im Wesentlichen zu den gleichen Resultaten wie der von Jakobs führt. § 2 Abs. 3 StGB soll nur auf die Änderung blankettausfüllender Normen anwendet werden, wobei jeweils von einem restriktiven Blankettbegriff ausgegangen wird, der nur solche Fälle umfasst, in denen ein bestimmtes Ver- oder Gebot außerhalb der Sanktionsnorm aufgestellt wurde und die Aufgabe der „ersichtlich unvollständigen Strafnorm“124 sich darauf beschränkt, die Beachtung des gewünschten Verhaltens zu sichern125. Bei Bezugnahme auf einen außerstrafrechtlichen Regelungseffekt – wozu auch der Fall des § 370 AO und die anderen bei Jakobs genannten Beispiele gezählt werden126 –, komme dagegen eine Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB nicht in Betracht. Die Änderung der dem Regelungseffekt zugrunde liegenden Normen wirke generell nur mittelbar auf das Strafrecht zurück127, sie führe lediglich dazu, dass sich die Tat unter gegenwärtigen gesetzlichen Voraussetzungen in der Form nicht wiederholen kann128. Für die Strafbarkeit von Altfällen sei dies jedoch ohne Einfluss, unabhängig davon, ob es sich (z. B. bei Steuervorschriften) um Zeitgesetze i. S. d. § 2 Abs. 4 StGB handele oder nicht. Auch Eser und Hecker129 gelangen im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen, wenn sie die Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB für solche Rechtsänderungen ausschließen, die „den Schutzzweck und die Angriffsrichtung des (Blankett-)Tatbestandes und damit auch das verwirklichte Unrecht unberührt lassen, also gleichsam nur das vom Rechtsgut zu unterscheidende Tatsubstrat oder sonstige auswechselbare Tatumstände betreffen“130.

c) Prinzipielle Geltung des neuen Rechts nach Tiedemann Nach Tiedemann131 gilt das neue Recht dagegen prinzipiell für alle Änderungen außerstrafrechtlicher Normen, unabhängig davon, um welche Art der Bezugnahme Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 2 StGB, Rn. 8a ff. Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 2 StGB, Rn. 29 ff. 124 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 2 StGB, Rn. 34. 125 Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 2 StGB, Rn. 8b; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 2 StGB, Rn. 34. 126 Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 2 StGB, Rn. 8c; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 2 StGB, Rn. 37. 127 Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 2 StGB, Rn. 8c. 128 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 2 StGB, Rn. 30. 129 Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 2 StGB, Rn. 24 f. 130 Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 2 StGB, Rn. 24. 131 Tiedemann, Zeitliche Grenzen des Strafrechts, Festschrift-Peters (1974), S. 193; ders., Das Parteienfinanzierungsgesetz als strafrechtliche lex mitior, NJW 1986, S. 2475; ders., Die 122 123

A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot

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es sich handelt. So könnte etwa die Abschaffung des Privateigentums, wie sie in der westlichen Hemisphäre im Spanischen Bürgerkrieg insbesondere in den von anarcho-syndikalistischen Gruppen kontrollierten Regionen132 betrieben wurde133, aber auch weniger drastische Maßnahmen wie die Absenkung des Volljährigkeitsalters134 im Hinblick auf Sexualdelikte135 oder selbst ex nunc wirkende Steuersenkungen136 als gesetzgeberische Neubewertung nicht ohne Einfluss auf ein noch ausstehendes Strafurteil sein, möge die Tat zeitlich auch vor dieser Änderung liegen. Auch die für das Steuerstrafrecht relevante Tatsache, dass die Abgaben immer nach Zeitabschnitten zu entrichten sind, mache die zugrundeliegenden Steuervorschriften nicht zu Zeitgesetzen i. S. d. § 2 Abs. 4 StGB. Dabei zieht er eine Parallele zur Änderung von Buchführungsvorschriften137, die ja schon nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts138 als beachtlich angesehen wurde.

d) Prinzipielle Geltung des neuen Rechts nach Hassemer und Kargl Auch Hassemer und Kargl 139 kritisieren die Jakobssche Differenzierung nach „Sicherung des Gehorsams“ und „Sicherung des Regelungseffektes“. Sie betonen dabei insbesondere eine mangelnde Trennschärfe des Kriteriums, da es in beiden Parteispenden-Entscheidung des BGH, NJW 1987, S. 1247; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 157 ff. Vgl. auch schon ders., Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 244 f. Zu Tiedemanns grundsätzlichem Verständnis des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei §§ 1, 2 StGB siehe Seite 220, Fußnote 66. Zur Irrtumsproblematik bei Tiedemann siehe Seite 98. 132 Teilweise kam es sogar zum Verbot des Geldes. Andere die Volksfrontregierung stützende Kräfte, interessanterweise u. a. auch die von der Sowjetunion gesteuerten Kommunisten, wollten dagegen sozialrevolutionäre Maßnahmen auf die Zeit nach dem Kriege verschieben. Bekanntermaßen kam es dazu dann nicht mehr, siehe oben Seite 138. 133 Tiedemann, NJW 1986, S. 2475 (2476). 134 Das Beispiel ist freilich nicht ganz glücklich gewählt, da die Tatbestände der §§ 174 ff. StGB die Altersgrenzen eigenständig, d. h. ohne Bezugnahme auf andere Gesetzesnormen, festlegen, so dass jede Änderung völlig unstreitig das Strafgesetz betrifft. Vgl. Schröder, Tatzeitrecht trotz Rechtsänderung, ZStW 112 [2000], S. 44 (74). 135 Tiedemann, NJW 1986, S. 2475 (2476). Tiedemann räumt an dieser Stelle auch ein, dass die zivilrechtliche Unwirksamkeit gem. § 2247 Abs. 4 BGB eines privatschriftlichen Testaments, welches ein 19jähriger vor dem 1. Januar 1975 errichtet hat, auch für das Strafrecht von Bedeutung bleibe, wenn es z. B. im Rahmen des Betrugstatbestandes darauf ankommt, ob eine Erbeinsetzung wirksam ist. Das Beispiel wird an anderer Stelle jedoch, soweit ersichtlich, nicht wieder aufgegriffen. 136 Tiedemann, NJW 1986, S. 2475 (2476 ff.); ders., NJW 1987, S. 1247 f.; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 164. Vgl. auch Rüping, Blankettnormen als Zeitgesetze, NStZ 1984, S. 450 (451). 137 Tiedemann, NJW 1986, S. 2475 (2477); ders., NJW 1987, S. 1247 f.; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 164. 138 Siehe oben Seite 223. 139 Hassemer, in: Alternativkommentar, § 2 StGB, Rn. 33 ff.; ders. / Kargl, in: NomosKommentar, § 2 StGB, Rn. 33 ff. Zustimmend auch Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 146 f.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Fällen letztlich um Gesetzesgehorsam gehe und die Regelungsabsicht des Gesetzgebers nur schwer zu ermitteln sei140. Gegenstand der Prüfung von § 2 Abs. 3 StGB sei deshalb der „gesamte Rechtszustand“, „von dem die Strafe abhängt“141, wobei er sich im konkreten Fall auch wirklich „günstiger“ darzustellen habe. Bei bloßer Ersetzung von Regelungen durch andere, wie etwa die Einführung neuen Geldes oder andersartiger Vorfahrtsregeln, läge keine gesetzliche Milderung vor142. In den einschlägigen Fällen jedoch bildete einzig § 2 Abs. 4 StGB eine Ausnahme vom lex mitior-Prinzip, wobei der Begriff des Zeitgesetzes im Hinblick auf die damit einhergehende Verkürzung von Rechtspositionen restriktiv auszulegen sei. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber dazu neigt, kriminalpolitische Bedürfnisse funktionalisierend zu befriedigen143. Im Ergebnis sei deshalb idealerweise eine ausdrückliche kalendarische Bestimmung, zumindest jedoch eine exakte Bestimmbarkeit des Außerkrafttretens zu fordern144. e) Fehlen einer Eingriffsermächtigung bei Außerkrafttreten blankettausfüllender Normen nach Dannecker Dannecker145 wählt dagegen als Ausgangspunkt wiederum die Differenzierung, wie sie sich bei Jakobs findet146. Auf blankettausfüllende Normen sei das Milderungsgebot schon deshalb anzuwenden, weil das Blankettstrafgesetz für sich gesehen unvollständig sei und im Falle der Aufhebung der Ausfüllungsnorm – folgend aus seinem grundsätzlichen Verständnis vom Regel-Ausnahme-Verhältnis bei §§ 1, 2 StGB147 – allein keine ausreichende Eingriffsermächtigung für eine Verurteilung darstelle148. Auch entspreche es materiellen Gerechtigkeitsüberlegungen, wenn man den Ausfüllungsnormen keine höhere Bestandsgarantie einräume als klassischen Strafrechtsregeln. Als Beispiele für diese Kategorie nennt er auch solche Gesetze, 140 Hassemer, in: Alternativkommentar, § 2 StGB, Rn. 36; ders. / Kargl, in: Nomos-Kommentar, § 2 StGB, Rn. 36. 141 Hassemer, in: Alternativkommentar, § 2 StGB, Rn. 3; ders. / Kargl, in: Nomos-Kommentar, § 2 StGB, Rn. 37 unter Berufung auf BGHSt 20, S. 177 (181); siehe auch oben Seite 224. 142 Hassemer, in: Alternativkommentar, § 2 StGB, Rn. 38 ff.; ders. / Kargl, in: NomosKommentar, § 2 StGB, Rn. 38. 143 Hassemer, in: Alternativkommentar, § 2 StGB, Rn. 49; ders. / Kargl, in: Nomos-Kommentar, § 2 StGB, Rn. 37. 144 Hassemer, in: Alternativkommentar, § 2 StGB, Rn. 50 ff.; ders. / Kargl, in: NomosKommentar, § 2 StGB, Rn. 50 ff. 145 Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 462 ff., 535 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 2 StGB, Rn. 77 ff.; siehe auch ders. / Biermann, in: Immenga / Mestmäcker, Vor § 81 GWB, Rn. 184 ff.; Dannecker, Nullum crimen, nulla poena sine lege und seine Geltung im Allgemeinen Teil des Strafrechts, Festschrift-Otto, S. 25. 146 Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 484. 147 Siehe oben Seite 220, Fußnote 66. 148 Dannecker, a. a. O., S. 492.

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auf die nicht ausdrücklich in der Sanktionsvorschrift verwiesen wird, so etwa die Zuständigkeitsvorschriften für Eidesabnahmen im Hinblick auf Aussagedelikte, die handelsrechtlichen Buchführungspflichten in Bezug auf §§ 283, 283b StGB oder steuerrechtliche bzw. subventionsrechtliche Offenbarungspflichten im Hinblick auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO bzw. § 264 Abs. 1 Nr. 3 StGB149. In Fällen, in denen rechtsnormative Tatbestandsmerkmale eine außertatbestandliche Rechtsfolge in Bezug nehmen und die Rechtsfolge für Altfälle trotz Aufhebung der zugrunde liegenden Normen erhalten werden soll, bleibe § 2 Abs. 3 StGB dagegen grundsätzlich unangewendet, da die strafrechtliche Eingriffsermächtigung davon nicht berührt werde150. Dies sei z. B. bei konstitutiven Verwaltungsakten im Verkehrs- oder Umweltrecht der Fall151. Bei Beseitigung des Regelungseffekts aus Gerechtigkeitserwägungen (z. B. der Fremdheit, der Minderjährigkeit etc.) greife jedoch wiederum das Milderungsgebot, dann allerdings aufgrund des ultima-ratio-Gedankens und des Verhältnismäßigkeitsprinzips152: Würde etwa der Gesetzgeber die Übereignung mittels Besitzkonstitut nicht mehr zulassen oder die Vorschriften zum Gutglaubenserwerb ändern, könnte dies im Hinblick auf Art. 14 GG und das Rechtsstaatsprinzip zwar zivilrechtlich keine Rückwirkung haben153. Daraus ergebe sich aber nicht, dass der einstige Eigentümer, der dies nach neuem Recht auch geblieben wäre, weiterhin tauglicher Täter eines Eigentumsdelikts bleiben müsse154. Das Gleiche gelte für Steueransprüche aus vergangenen Veranlagungszeiträumen, die so nun nicht mehr Geltung erlangen würden,155 oder die Außerstrafestellung einer Bezugstat von §§ 145d, 164, 258 StGB156. Die wirksam entstandenen Rechtspositionen seien aus strafrechtlicher Sicht nicht mehr schutzwürdig.

4. Stellungnahme und eigener Ansatz Wenn hinsichtlich des Rückwirkungsverbots die Unterscheidung zwischen Blankettmerkmalen und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen unstreitig keine Rolle spielt157, stellt sich natürlich die Frage, ob nicht auch beim Rückwirkungsgebot gem. § 2 Abs. 3 StGB eine Gleichbehandlung im Sinne einer Meistbegünstigung Dannecker, a. a. O., S. 494. Dannecker, a. a. O., S. 479, 484, 537. 151 Dannecker, a. a. O., S. 536. 152 Dannecker, a. a. O., S. 486, 491, 537; ders., in: Leipziger Kommentar, § 2 StGB, Rn. 87. 153 Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 486, 490. 154 Dannecker, a. a. O., S. 485. 155 Dannecker, a. a. O., S. 488 und 536, vgl. auch S. 211 und 480; ders., in: Leipziger Kommentar, § 2 StGB, Rn. 86. 156 Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 498 ff., 537 f.; ders., in: Leipziger Kommentar § 2 StGB, Rn. 95. 157 Siehe oben Seite 221. 149 150

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

möglich ist. Ähnlich wie beim Irrtum158 ist man schließlich durchaus geneigt, entsprechenden Ansätzen allein aufgrund ihrer scheinbaren Einfachheit in der Anwendung sowie im Hinblick auf den ultima-ratio-Gedanken vorab gewisse Sympathien entgegenzubringen. Allerdings wird man der Rechtsprechung auch hier zumindest eine gewisse „Alltagsplausibilität“159 bescheinigen müssen. Die Analyse der zu § 2 Abs. 3 StGB ergangenen Entscheidungen deutet eher auf einen Gleichklang mit der Irrtumslehre hin, die letztendlich nicht – wie im ersten Teil der Arbeit gezeigt – ohne eine Abgrenzung zwischen Blankett- und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen auskommt.

a) § 2 Abs. 3 und 4 StGB bei blankettausfüllenden Rechtsnormen Bei Tatbeständen mit Blankettverweisungen besteht im hiesigen Zusammenhang weitestgehende Einigkeit zwischen Rechtsprechung und Schrifttum. Schließlich wirkt sich das Zusammenlesen160 von Sanktions- und Ausfüllungsnorm sowie die Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB auf den so gebildeten Gesamttatbestand insgesamt positiv für den Täter aus. Dies ist auch sachgerecht: In Ablehnung einer „imperativen“ Rechtsauffassung (die „bewussten Ungehorsam“ selbst dann bestrafen müsste, wenn das eigentliche Verbot schon aufgehoben ist161) sollte der Gesamttatbestand auch im Nebenstrafrecht162 ein für sich gesehen sozialwidriges Verhalten beschreiben. Ist dies nicht der Fall, muss über eine Entkriminalisierung nachgedacht werden163. Geläuterte Moralvorstellungen können dann zur Abschaffung ganzer Tatbestände führen, bessere Erkenntnisse über volks- oder betriebswirtschaftliche Zusammenhänge oder die Wirkweise einzelner gesetzlicher Vorschriften164 erfordern jedoch manches Mal nur Änderungen im Detail. Dies geschieht vor allem auch durch Umgestaltung von Ausfüllungsvorschriften. Ein entsprechendes Beispiel ist die Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 1 und 4 InsO i.V. m. §§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO. Ihre grundsätzliche Sozialwidrigkeit wurde bereits oben bei der Irrtumslehre ausführlich erläutert165. Der seit dem Jahre 1999 gültige Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO166 hatte sich jedoch zum Teil als zu streng erwiesen. Ein Weiterwirtschaften muss nämlich nicht unbeSiehe bereits oben Seite 120. Siehe bereits oben Seite 117. Siehe selbst Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 166, der an dieser Stelle einräumt, dass das Rechtsgefühl in der Tat nicht immer eine Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB nahelege. 160 Siehe oben Seiten 95, 157 ff., 209. 161 Vgl. Seiten 137 ff. 162 Siehe oben Seiten 157 ff., 162. 163 Siehe oben Seiten 162 und 207. 164 Vgl. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 493. 165 Siehe oben Seite 158. 166 BGBl 1994 I, S. 2866 (2868). 158 159

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dingt sozialschädlich sein, wenn sich der Überschuldungsstatus nur aus der Berücksichtigung von nachrangigen Gesellschafterdarlehen ergibt. Die Interessen der außenstehenden Gläubiger sind schließlich bereits durch einen Rangrücktritt hinreichend gewahrt167. Der durch das MoMiG168 eingeführte § 19 Abs. 2 S. 2 InsO (ab 2014 § 19 Abs. 2 S. 3 InsO169) trifft nunmehr eine Regelung, die solche NegativForderungen von der Passivierungspflicht ausnimmt170. Altfällen kommt § 2 Abs. 3 StGB zu Gute171. Noch einschneidender ist die zeitweilige Einführung eines zweistufigen Überschuldungsbegriffs durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG)172. Nach dem mittlerweile bis zum 31. Dezember 2013173 befristeten § 19 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 InsO174 braucht kein Insolvenzantrag gestellt werden, wenn die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist. Hintergrund ist unter anderem, dass ansonsten Maßnahmen wie staatliche Bürgschaften und Garantien zur Abmilderung der Folgen der seit Ende 2008 herrschenden Finanzkrise leerlaufen würden, denn diese ändern schließlich nichts am Überschuldungsstatus einer juristischen Person175. Problematisch ist, inwiefern auch dieser Regelung für Fälle vor dem 18. Oktober 2008 die Wirkung des § 2 Abs. 3 StGB zugute kommen kann. Altfälle der Überschuldung sind selbstverständlich nicht der vorübergehenden Ausnahmesituation einer Finanzkrise geschuldet, auch die zugehörigen „Rettungsmaßnahmen“ nach dem FMStG konnten insofern natürlich ohnehin keine Wirkung entfalten. § 19 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 InsO ist zudem ohne Frage als Zeitgesetz gemeint. Vor dem Hintergrund, dass ab 2014 wieder der alte Rechtszustand gilt, wird man also annehmen 167 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung (MoMiG), BR-Drucksache 354 / 07, S. 129; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 16 / 9737, S. 58. 168 Siehe bereits oben Seiten 150 und 158. 169 Der bis 2014 gültige § 19 Abs. 2 S. 2 InsO wird zu S. 3 und fällt nicht etwa weg. So bereits Bittmann, Neufassung des § 19 Abs. 2 InsO, wistra 2009, S. 138; anders zunächst Schönfelder, Ergänzungslieferung Nr. 138; klarstellend jedoch Art. 4 des Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes vom 7. April 2009, BGBl. I, S. 725. 170 Vgl. auch bereits BGH NZI 2001, S. 196; siehe auch Bittmann, Strafrechtliche Folgen des MoMiG, NStZ 2009, S. 113 (116). 171 Vgl. auch Seite 128, Fußnote 844. 172 BGBl. 2008 I, S. 1988. Vgl. dazu Ahrendt / Plischkaner, Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff, NJW 2009, S. 964; Bittmann, Strafrecht und Gesellschaftsrecht, ZGR 2009, S. 931 (971 f.). 173 Durch Art. 1 des Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 24. September 2009, BGBl. I, S. 315 wurde die ursprünglich bis 31. Dezember 2010 befristete Änderung des Überschuldungsbegriffs in der Insolvenzordnung um drei Jahre verlängert. 174 § 19 Abs. 2 S. 1 InsO hat danach folgenden Wortlaut: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“ 175 Ahrendt / Plischkaner, NJW 2009, S. 964 (965). Das Gleiche gilt für Darlehen, es sei denn, sie werden mit einer qualifizierten Rangrücktrittserklärung i. S. d. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO versehen.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

müssen, dass Altfälle der Sache nach durchaus strafwürdig bleiben. Dennoch kommt man um eine Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB nicht umhin176: § 2 Abs. 4 StGB gilt seinem eindeutigen Wortlaut nach nämlich nur dann, wenn das Zeitgesetz das schärfere ist und die Tat „während seiner Geltung“ begangen wurde177. Durch das Zwischenschalten eines milderen Gesetzes wird die strengere Alt- und Neuregelung aber nicht selbst zum Zeitgesetz. Als Lösung zum Erhalt der Strafbarkeiten bei Altfällen wäre nur eine gesonderte gesetzliche Übergangsregelung denkbar gewesen, deren Zulässigkeit und mögliche Ausgestaltung es gleich noch näher zu diskutieren gilt178. § 2 Abs. 3 StGB kommt auch in Bezug auf die Änderungen des BilMoG zur Anwendung, welches mit einem neuen § 241a HGB die Buchführungs- und Bilanzierungspflichten von der Vollkaufmannseigenschaft abkoppelt179. Da für kleinere Einzelkaufleute solche nicht mehr für erforderlich gehalten werden, entfällt insofern auch die Strafwürdigkeit eines vorangegangenen Verstoßes gegen die § 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 StGB bzw. § 283b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 StGB180. Ebenso beurteilt sich die Rechtslage, jedenfalls nach der hier vertretenen Auffassung, wenn im Zuge allgemeiner Entbürokratisierungsmaßnahmen bisherige Anzeige- und Genehmigungspflichten wegfallen, weil ein bestimmtes Verhalten nach gesetzgeberischer Neubewertung von nun an auch ohne ein förmliches Zulassungs- oder Kontrollverfahren als gefahrlos eingestuft wird181. Das Gleiche gilt, wenn bestimmte ausländische Genehmigungen (etwa Führerscheine anderer EU-Mitgliedstaaten182) ab einem be176 Zum gleichen Ergebnis kommt Adick, Die Änderung des Krisenmerkmals der Überschuldung in § 19 Abs. 2 InsO, HRRS 4 / 2009, S. 155 (157); Bittmann, wistra 2009, S. 138 (140); Bach, Noch einmal: Neufassung des § 19 Abs. 2 InsO, StraFo 2009, S. 368 (370); vgl. auch Wegner, Aktuelle Entwicklungen im Insolvenzstrafrecht, HRRS 1 / 2009, S. 32 (34). 177 Dies übersehen Dannecker / Hagemeier, in: Dannecker / Knierim / Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, Rn. 55; Fromm / Gierthmühlen, Zeitliche Geltung des neuen Überschuldungsbegriffs, NZI 2009, S. 665 (667 ff.); Tiedemann, in: Scholz, Vor §§ 82 ff. GmbHG, Rn. 43. Zutreffend dagegen Schmitz, Die Neufassung des § 19 Abs. 2 InsO durch das FMStG und seine Bedeutung für strafrechtliche „Altfälle“, wistra 2009, S. 369 (372). 178 Siehe zur Zulässigkeit Seite 237. 179 Siehe zum BilMoG bereits oben Seite 162, Fußnote 1085. Vgl. auch Seite 223 zu einer vergleichbaren Reform im Jahre 1900. 180 So i. E. auch (obwohl der Sache nach kritisch) Ebner, Insolvenzstrafrechtliche Konsequenzen der Einführung der §§ 241a, 241 Abs. 4 HGB, wistra 2010, S. 92 (94 f.); vgl. ferner Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 494. Parallel dazu ist der Irrtum über das „Ob“ der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten Verbotsirrtum i. S. d. § 17 StGB. Siehe dazu oben Seite 159. 181 Siehe oben Seiten 203 ff., 207. 182 EU-Führerscheine sind seit Inkrafttreten von Art. 1 Abs. 2 der Zweiten FührerscheinRichtlinie (EG) Nr. 91 / 439 [vgl. auch Art. 2 Nr. 1 der Dritten Führerschein-Richtlinie (EG) Nr. 2006 / 126] bzw. § 28 Abs. 1 FeV ohne Umtausch anzuerkennen. Personen, die vor Inkrafttreten des blankettausfüllenden § 28 Abs. 1 FeV trotz Wohnsitz im Inland (vgl. § 29 FeV) ausschließlich mit ihrer nationalen Fahrerlaubnis gefahren sind, sind in Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB nicht mehr wegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG zu bestrafen. Zu § 2 Abs. 3 StGB bei

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stimmten Zeitpunkt für anwendbar erklärt werden, ohne dass es noch eines innerstaatlichen Anerkennungsakts bedarf. Der gesetzgeberischen Entscheidung, entsprechendes Verhalten zu entkriminalisieren, ist jeweils bessere Erkenntnis über die wirkliche Sozialschädlichkeit vorangegangen. Eine Ahndung von Altfällen könnte dann nur noch mit der illoyalen Gesinnung desjenigen, der sich zum Gesetzesverstoß entschließt, begründet werden. Insofern gilt jedoch wieder das Argument, dass blankettausfüllende Vorschriften keine „despotischen Befehle“ darstellen183, die um ihrer selbst Willen aufgestellt und sanktioniert würden. Ebenfalls im Rahmen der Irrtumslehre als Blankett eingeordnet wurden allerdings auch § 34 Abs. 4 und Abs. 6 AWG184, soweit sie auf Embargotatbestände der AWV oder entsprechende europäische Rechtsakte verweisen. Klar erkennbar sollen Embargos immer nur für zeitlich begrenzte Ausnahmesituationen gelten185. Die spätere Aufhebung ist nicht Ausdruck besserer Erkenntnis über die Sozialschädlichkeit z. B. der Lieferung einer bestimmten Ware nach Serbien oder in den Irak, sondern eher ein Zeichen dafür, dass ein Embargo seinen Zweck erfüllt hat oder jedenfalls sonst überflüssig geworden ist. Gerade weil es absehbar ist, dass Embargos auch wieder aufgehoben werden und die Regelungstechnik es ermöglicht, besonders flexibel auf neue politische Sachverhalte zu reagieren, liefe man bei Anwendung des Milderungsgebots Gefahr, dass § 34 Abs. 4 und 6 AWG ihre Autorität und Abschreckungswirkung verlieren186. Deshalb ist es vollkommen zutreffend, wenn die Rechtsprechung insofern § 2 Abs. 4 StGB anwendet187. Auch im Zusammenhang mit gem. § 370 AO wurde § 2 Abs. 4 StGB häufiger ins Spiel gebracht188. Da der Tatbestand der Steuerhinterziehung nach der hier vertretenen Auffassung in weiten Teilen aber keine Blanketteigenschaften aufweist189, soll er erst später als eigener Punkt behandelt werden190.

Blanketttatbestände sind natürlich auch besonders anfällig für die Folgen von „hektischem legislatorischen Aktionismus“191. Sowohl bei Änderung von Sanktions- als auch von Ausfüllungsvorschriften ist es jedenfalls schon öfters einmal zu Fehlverweisungen gekommen. Wenn unterschiedliche Normgeber beteiligt sind, Überschreitung der Umsetzungsfrist einer Richtlinie siehe Seiten 342 ff.; zur entsprechenden Irrtumskonstellation oben Seiten 201 f. 183 Siehe oben Seite 157. 184 Siehe oben Seite 160. Siehe jenseits der Irrtumslehre auch BGHSt 41, S. 127. 185 Schmitz, in: Münchener Kommentar, § 2 StGB, Rn. 47. 186 Vgl. BGHSt 6, S. 30 (38); Laaths, Das Zeitgesetz, S. 68 f. 187 BGH StV 1999, S. 26 („Serbien-Embargo“); BGH NStZ 2007, S. 644 („Irak-Embargo“); OLG Koblenz ZfZ 1991, S. 86; vgl. auch BGH NStZ 1996, S. 42; KG Berlin, NStZ 1994, S. 244 („innerdeutscher Handel“). 188 Siehe oben Seite 224. 189 Siehe oben Seiten 183 ff., 195 f. 190 Siehe Seiten 247 ff. 191 Achenbach, Aus der 1991 / 1992 veröffentlichten Rechtsprechung, NStZ 1993, S. 427.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

können freilich erst recht Abstimmungsfehler entstehen. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Strafbarkeit in dem Zeitraum, in dem kein gültiger Gesamttatbestand gebildet werden kann. Wegen § 2 Abs. 3 StGB hat der zeitweilige Wegfall von Strafbarkeit möglicherweise auch Folgen für die Bestrafung von Altfällen, selbst wenn im Nachhinein eine Korrektur erfolgt. Bereits eingeführtes Beispiel sind die fehlenden steuerlichen Erklärungspflichten für die Veranlagungszeiträume 1976 – 1978 (insofern hat § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bekanntermaßen Blankettcharakter192). Zu Fehlverweisungen kam es auch später bei der Änderung von EGRechtsakten über die Weinherstellung193, den Artenschutz194 oder mehrfach im Zusammenhang mit den §§ 8, 8a FahrpersonalG und §§ 22 ff. FahrpersonalV, welche in den Jahren 1986 und 2007, nachdem jeweils eine neue EG-Verordnung über Lenkzeiten für Lastkraftwagen ersetzt worden war195, nicht rechtzeitig angepasst wurden196. Hinsichtlich der illegalen Beschäftigung von Ausländern wurden ebenfalls bereits in der Einleitung197 gleich zwei weitere besonders Aufsehen erregende Beispiele genannt: So ging § 406 Abs. 1 SGB III i. d. F. vom 23. Dezember 2002 (entspricht § 10 SchwarzArbG n. F.) mit seinem Verweis auf den damals aus formellen Gründen verfassungswidrigen198 § 4 Abs. 3 AufenthaltsG ins Leere. Die §§ 10, 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG i. d. F. vom 23. Juli 2004 wiederum verwiesen bis zum 17. März 2005 ausschließlich auf § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III, der jedoch seit dem 1. Januar 2005 nur noch eine Sonderregelung für Staatsangehörige der EU-Beitrittsstaaten trifft. Dies hatte bis zur Anpassung der Vorschrift die absurde Folge, dass nur die illegale Beschäftigung von EU-Ausländern, nicht jedoch die von Drittstaatlern, für die § 4 Abs. 3 AufenthaltsG gilt, den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllte199. Für die Zwischenzeit bis zur jeweiligen Korrektur ist § 2 Abs. 3 StGB (bzw. § 4 Abs. 3 OWiG) ohne Frage auch für Altfälle anwendSiehe oben Seite 195. OLG Stuttgart NStZ 1990, S. 88; LG Bad Kreuznach ZLR 2001, S. 898. Vgl. auch BayObLG ZLR 1993, S. 404; OLG Koblenz, NStZ 1989, S. 188 (189). 194 OLG Stuttgart NStZ-RR 1999, S. 379. 195 Mit Wirkung vom 11. April 2007 ersetzte die Verordnung (EG) Nr. 561 / 2006 die Verordnung (EWG) Nr. 3820 / 85. 196 Siehe dazu BVerfG NJW 2008, S. 3769; AG Itzehoe NZV 2007, S. 373; auch schon BVerfGE 81, S. 132; OLG Köln NJW 1988, S. 657; OLG Köln NJW 1988, S. 657; BayObLG VRS 74, S. 227; OLG Düsseldorf VRS 74, S. 45; OLG Düsseldorf VRS 74, S. 202 (203); Hanseatisches OLG, DAR 1988, S. 29. 197 Siehe oben Seite 19. 198 Der Fehler stand im Zusammenhang mit dem nicht wirksamen Zustandekommens des Zuwanderungsgesetzes im Jahre 2002, vgl. BVerfGE 106, S. 310 (uneinheitliche Stimmenabgabe des Landes Brandenburg im Bundesrat). 199 Siehe dazu Mosbacher, Straffreie illegale Ausländerbeschäftigung (und andere Überraschungen zum neuen Jahr), wistra 2005, S. 54 (55). Eine Diskriminierung der Beschäftigung von EU-Ausländern gegenüber der straflosen Beschäftigung von Drittausländern dürfte europarechtswidrig sein, so dass letztendlich eine Strafbarkeit in den genannten Zeiträumen ganz ausscheidet. Der Bußgeldtatbestand des § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III ist aber in beiden Fällen anwendbar. 192 193

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bar200. Auf einen „wirklichen“ Willen des Normgebers zur Entkriminalisierung, der hier wohl jeweils fehlte, kann es wegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht ankommen; es muss vielmehr unterstellt werden, dass es zu einer Neubeurteilung der Strafwürdigkeit gekommen ist. Fraglich ist jedoch, ob dies auch noch nach einer gesetzgeberischen Korrektur gilt, wenn die Tat also sowohl zum Tat- als auch zum Verurteilungszeitpunkt strafbar ist, dazwischen jedoch eine Phase der Straflosigkeit, wenn auch nur von wenigen Wochen oder Tagen, liegt. Das Bundesverfassungsgericht machte in BVerfGE 81, S. 132 insofern keine eindeutigen Vorgaben, was nicht erstaunt, weil das Rückwirkungsgebot, wie oben gezeigt, keinen Verfassungsrang besitzt201. Der einfache Wortlaut des § 2 Abs. 3 StGB (bzw. § 4 Abs. 3 OWiG) spricht aber dafür, auch mildere Zwischenrechtslagen zu berücksichtigen202. Immerhin wurde die Norm „vor der Entscheidung geändert“ und das verunglückte Zwischengesetz ist nunmal das „mildeste“203. Dem Gesetzgeber steht es allerdings frei, im Einzelfall einfachgesetzlich etwas anderes zu bestimmen, so wie es etwa in § 69 Abs. 2 S. 2 BNatSchG a. F.204 oder § 8 Abs. 3 FahrpersonalG, dessen Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde205, geschehen ist. Auch der hier wohl einschlägige206 Art. 49 Abs. 1 S. 3 der EUGrundrechtecharta steht aufgrund des Schrankenvorbehalts der Einschränkung des Milderungsgebots in Art. 52 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta207 nicht entgegen. Einer ausdrücklichen Regelung bedarf es aber in jedem Fall, selbst wenn der straflose Zwischenzustand, wie bei den vorgenannten Tatbeständen, im Ergebnis mit

BGH NStZ 1992, S. 535 (536). Siehe oben Seite 218. 202 So im Ergebnis die ganz h. M.: BGH NStZ 1992, S. 535 (536); siehe ferner die Rechtsprechungsnachweise oben Seite 236, Fußnote 196; Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 2 StGB, Rn. 27; Hassemer / Kargl, in: Nomos-Kommentar, § 2 StGB, Rn. 22 f.; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 2 StGB, Rn. 6; Satzger, in: Satzger / Schmitt / Widmaier, § 2 StGB, Rn. 15; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, § 4 OWiG, Rn. 30; Jakobs, Strafrecht AT, 4. Abschn., Rn. 68; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 15 IV 5; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 431 ff. 203 Das Sachargument, dass die Zufälligkeit des Zeitpunkts der Aburteilung nicht darüber entscheiden dürfe, ob der Täter in den Genuss einer für ihn günstigeren Gesetzeslage kommt, überzeugt dagegen nicht ganz. Entsprechend müsste dann § 2 Abs. 3 StGB auch als Wiederaufnahmegrund gelten (siehe dagegen oben Seite 219). 204 BGBl. 2002 I, S. 1193; vgl. dazu OLG Stuttgart, NStZ-RR 1999, S. 379 (380). Seit dem 1. März 2010 gilt ein neugefasstes BNatSchG, dass keine entsprechende Übergangsvorschrift mehr enthält. 205 BVerfG NJW 2008, S. 3769; vorher auch OLG Düsseldorf, NJW 2008, S. 930 (931); kritisch Rogall, in: Karlsruher Kommentar, § 4 OWiG, Rn. 20; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 274. 206 Immerhin geht es auch um die Anwendung von Europarecht. Voraussetzung ist allerdings, dass man Art. 49 Abs. 1 S. 3 EU-Grundrechtecharta über den Wortlaut hinaus nicht nur auf die Strafhöhe, sondern auch auf den Wegfall von Strafbarkeitsvoraussetzungen anwenden möchte. Siehe oben Seite 219, Fußnote 53. 207 Vgl. Seite 219, insb. Fußnote 55. 200 201

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europarechtlichen Mindestvorgaben unvereinbar wäre208. Dies wird allerdings erst im dritten Teil dieser Arbeit zu vertiefen sein209.

b) § 2 Abs. 3 StGB bei Änderung des strafbarkeitsbegründenden oder -ausschließenden Einzelakts oder zugehöriger Rechtsnormen Die nachträgliche Aufhebung oder Außervollzugsetzung eines strafbarkeitsbegründenden justiziellen oder behördlichen Einzelakts, sei es nach den §§ 111a Abs. 2, 132a Abs. 2, 306 Abs. 2, 307 Abs. 2, 309 Abs. 2, 373 StPO, den §§ 48, 49, 51 VwVfG oder den §§ 72, 73, 80 Abs. 5, 113 Abs. 1 VwGO, wird in der Regel wie die Änderung blankettausfüllender Rechtsnormen auf besserer oder gewandelter Erkenntnis über die wirkliche Gefährlichkeit eines bestimmten ursprünglich verbotenen Verhaltens beruhen. Deshalb könnte man durchaus darüber nachdenken, ob der straf- oder bußgeldbewehrte Verstoß gegen eine wirksame und zunächst vollziehbare Anordnung (ohne Vollziehbarkeit wäre er bekanntermaßen gar nicht ahndungsfähig210) bei späterer Aufhebung entsprechend dem Rechtsgedanken211 von § 2 Abs. 3 StGB einer Neubewertung unterworfen werden muss. Prozessual könnte dagegen zwar bereits geltend gemacht werden, dass die entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB zu Unzulänglichkeiten führen würde, wenn eine Aufhebung unter Umständen erst nach Rechtskraft des Strafurteils erfolgt. Nicht immer wird es schließlich dem Gericht opportun erscheinen, dies etwa durch Aussetzung des Verfahrens gem. § 262 StPO zu verhindern. Die Probleme ließen sich aber wohl einigermaßen widerspruchsfrei bewältigen: Entweder würde man das gelten lassen, was auch bei Gesetzesänderungen nach Rechtskraft gilt, nämlich dass sie unbeachtlich bleiben212, oder man sieht in der Aufhebung des Einzelakts eine neue Tatsache i. S. d. § 359 Nr. 5 StPO213. An strafprozessualen Gründen wird eine entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB also nicht scheitern.

Ruft man sich allerdings die Ergebnisse der Irrtumslehre zum straf- oder bußgeldbewehrten Einzelakt in Erinnerung, spricht dies auch hier eher gegen eine Gleichbehandlung mit blankettausfüllenden Normen. So wurde im ersten Teil dieser Arbeit festgestellt, dass dem Hoheitsakt sogar unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit (und damit auch der tatsächlichen Gefährlichkeit des verbotenen Verhaltens) in der sozia208 Vgl. dazu EuGH, JZ 2005, S. 997 („Berlusconi“) mit kritischer Anmerkung Satzger; siehe auch Dannecker, Der zeitliche Geltungsbereich von Strafgesetzen und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts, Festschrift-F.-C. Schroeder, S. 761 (765 ff.). Zu weit gehend dagegen Harms / Heine, EG-Verordnungen und Blankettgesetz, Festschrift-Amelung, S. 393 (402), die in jedem Verweis auf europäische Verordnungen ein Zeitgesetz gem. § 2 Abs. 4 StGB sehen möchten. 209 Zur europarechtskonformen Auslegung und ihren Grenzen siehe Seiten 319 ff. 210 Siehe bereits oben Seite 166. 211 Ein „Gesetz“ wird bei Aufhebung eines Einzelaktes schließlich nicht geändert. 212 Siehe oben Seite 219. 213 Vgl. Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 342.

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len Wirklichkeit ein eigener Stellenwert214 zukommt. Da die Rechtsanwendung nicht durch den Bürger erfolgen soll, darf er den Einzelakt auch bei echten oder vermeintlichen Fehlentscheidungen nicht eigenmächtig missachten. Will er sich mit der Bindungswirkung nicht abfinden, obliegt ihm vielmehr eine Anfechtungslast215. Die Korrektur staatlicher Einzelentscheidungen erfolgt dann mittels der eingangs angeführten geordneten Verfahren (gegebenenfalls auch des vorläufigen Rechtsschutzes). Vom Bürger als Adressaten einer wirksamen und vollziehbaren Einzelanordnung wird also zunächst einmal Loyalität und Gehorsam als solche gefordert216. Auch wenn es in gewisser Hinsicht Ausdruck einer „imperativen“ Rechtsauffassung217 ist, muss dies ausnahmsweise hingenommen werden: Der Gesetzgeber wird den Einzelakt schließlich nur dann einer Strafbewehrung und (gegebenenfalls vorzeitigen) Vollziehbarkeit unterwerfen, wenn das Interesse an einer verbindlichen Regelung situationsbedingt als höherrangig einzustufen ist als private Freiheitsinteressen. Insofern hat der Betroffene kein wie auch immer geartetes Widerstandsrecht218. Gleichzeitig können die Argumente, die für die Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB auf blankettausfüllende Rechtsnormen sprachen219, hier keine Gültigkeit beanspruchen, da sie ja gerade auf der Ablehnung der Bestrafung von schlichtem Ungehorsam basierten. Sind es hier aber die Vollziehbarkeit an sich und auch die Pflicht zur Einhaltung geordneter Verfahren, die den eigentlichen strafrechtlichen Schutz genießen220, kann § 2 Abs. 3 StGB bei Aufhebung der Einzelanordnung weder direkt noch analog zur Anwendung kommen. Dies gilt unabhängig von einer eventuellen Rückwirkungsfiktion der Aufhebung221, also davon, ob sie ex tunc- oder ex nunc-Wirkung entfaltet222. Darüber hinaus darf aber auch die nachträgliche tätergünstige Änderung der Ermächtigungsgrundlage in Bezug auf § 2 Abs. 3 StGB keine Rolle für die StrafbarSiehe oben Seite 165; vgl. auch Seiten 167 f., Fußnote 1116. Vgl. Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 35 VwVfG, Rn. 4. 216 Siehe oben Seite 165. Wenn die Befolgung einer vollziehbaren (aber rechtswidrigen) Anordnung zu einer Existenzfrage (Versagung der Aufenthaltserlaubnis; vgl. OLG Frankfurt NVwZ 1988, S. 286) wird, wird man für den Zeitraum bis zur Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eine Rechtfertigung nach § 34 StGB annehmen müssen. 217 Siehe oben Seite 163. 218 Erb, Notwehr gegen rechtswidriges Verhalten von Amtsträgern, Festschrift-Gössel, S. 217 (228 f.). 219 Siehe oben Seiten 232 ff. 220 Vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 340. 221 Insofern gilt also nichts anderes wie oben auf Seite 221. 222 Richtig insofern BGHSt 23, S. 86 (91, 93 f.); BGH NJW 1982, S. 189; OLG Hamm NJW 1954, S. 1735; OLG Hamburg NJW 1980, S. 1007; OLG Frankfurt am Main(Z) WRP 1980, S. 270; OLG Frankfurt am Main(Z) WRP 1992, S. 717; OLG Koblenz DAR 1999, S. 419; OLG Stuttgart(Z) InVo 2001, S. 382 (383); siehe bereits oben Seite 225, insbesondere Fußnoten 101, 102. Vgl. auch Meyer-Goßner, § 262 StPO, Rn. 8 m. w. N.; a. A. wohl Laaths, Das Zeitgesetz, S. 112; diff. Heine, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 324 ff. StGB, Rn. 22; auch OLG Frankfurt NVwZ 1988, S. 286 (für den heute nicht mehr aktuellen Sonderfall des § 21 Abs. 3 AuslG i. d. F. vom 28. April 1965; siehe dazu allerdings Fußnote 216 auf dieser Seite). 214 215

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keit spielen223. Damit wird zwar immerhin ein „Gesetz“ geändert. Anders als blankettausfüllende Vorschriften wird dieses aber niemals in die Sanktionsnorm hineingelesen224. Im Allgemeinen folgt daraus zumindest nach h. M., dass der Einzelakt nicht einmal mit der materiellen Rechtslage übereinstimmen muss, die zum Zeitpunkt des Erlasses gilt225. Nachträgliche Rechtsänderungen können dann erst recht keine Rolle spielen. Ein unanfechtbarer Einzelakt hat zudem gerade auch den Sinn, die bestehende Rechtslage – abgesehen von einigen Durchbrechungen wie §§ 49 Abs. 1, 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG – festzuschreiben226. Zur Anwendung käme § 2 Abs. 3 StGB allerdings dann, wenn sich die gesetzgeberische Grundentscheidung über die Vollziehbarkeit und Dringlichkeit bestimmter Einzelentscheidungen ändern würde, etwa bei Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses und Einführung eines allgemeinen Suspensiveffektes bei § 307 StPO oder bei Abschaffung von § 80 Abs. 2 VwGO. Die gesetzliche Vollziehbarkeit wurde aber auch schon oben im Rahmen der Irrtumslehre als Blankettmerkmal qualifiziert227, so dass dieses im Hinblick auf die vorangegangenen Ergebnisse keine Besonderheit darstellt. Insofern kann eben nichts anderes gelten, als wenn der Gesetzgeber die Strafbarkeit ganz wegfallen ließe228. Bei Einzelakten, die die Strafbarkeit ausschließen, kommen die eben aufgestellten Regeln spiegelbildlich zur Anwendung: Dass die spätere Aufhebung einer Genehmigung zweifelsfrei nicht retroaktiv strafbarkeitsbegründend wirkt, wurde bereits in den Vorüberlegungen festgestellt229. Ebenfalls von selbst verstehen dürfte Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 468 ff., 536. Siehe oben Seiten 163 ff., hier dagegen Seite 232. 225 BGHSt 23, S. 86 (91 ff.); OLG Celle NJW 1967, S. 743; OLG Celle NJW 1967, S. 1623 (1624); OLG Karlsruhe NJW 1967, S. 1625; OLG Karlsruhe NJW 1978, S. 116; OLG Karlsruhe NStZ 1988, S. 416 (417); OLG Stuttgart NJW 1989, S. 1870 (1871); OLG Hamm vom 14. April 2009, Az. Ss 105 / 09; Fischer, Vor § 324 StGB, Rn. 7, § 330d StGB, Rn. 8; Heine, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 324 ff. StGB, Rn. 16a ff. (siehe dort aber auch Rn. 22); Meyer-Goßner, § 262 StPO, Rn. 8; Rogall, Die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, GA 1995, S. 299 (307) jeweils m. w. N.; vgl. auch oben Seiten 165, 167 f.; a. A. Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 312 ff.; Schmitz, in: Münchener Kommentar, Vor § 324 StGB, Rn. 76 ff.; Horn, in: Systematischer Kommentar, Vor § 324 StGB, Rn. 11a; OLG Frankfurt NJW 1967, S. 262; zu §§ 4, 1 GewaltschutzG mit Einschränkungen vgl. auch OLG Celle NStZ 2007, S. 485 (486) und OLG Hamm, NStZ 2007, S. 486 (allerdings mit Hinweis auf die Gesetzgebungsgeschichte des Tatbestandes, vgl. BT-Drucksache 14 / 5429, S. 32). Ausdrückliche gesetzliche Ausnahmen zur h. M. sind in § 113 Abs. 3 StGB oder § 22 Abs. 1 WehrStG zu sehen. Straflos ist der Täter natürlich auch, wenn die Rechtswidrigkeit der strafbarkeitsbegründenden Anordnung damit einhergeht, dass es an einem tatbestandlich geforderten objektiven (Gefährdungs-)Erfolg fehlt (vgl. etwa § 325 StGB). Ansonsten ist die Rechtswidrigkeit ein wesentlicher Strafzumessungsfaktor. Zum rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsakt siehe dagegen Seite 221. 226 Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 469. 227 Siehe Seiten 166 ff. 228 Vgl. Seiten 232 ff. 229 Siehe oben Seite 221. 223 224

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sich, dass im umgekehrten Fall ein Fahren ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 StVG nach (Wieder)erlangung derselben weiter bestraft werden kann230. Dies gilt grundsätzlich für alle Tatbestände, die ein Handeln ohne Genehmigung im weiteren Sinne unter Strafe stellen, solange die Genehmigungspflichtigkeit als solche nicht durch Gesetzesänderung weggefallen ist231. Wenn nämlich selbst die Genehmigungsfähigkeit bei Straf- und Bußgeldtatbeständen (abgesehen von der Strafzumessung) keine Rolle spielt, weil es dem Gesetzgeber vielmehr – wie im Rahmen der Irrtumslehre gezeigt232 – vor allem auch auf die Einhaltung eines formellen Verfahrens mit seiner Kontroll-, aber auch Informationsfunktion ankommt, kann eine Nachholung nicht zum Strafausschluss führen233. Ein zulassungspflichtiges Verhalten ist schließlich erst mit erteilter „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ wirklich sozialadäquat234. In bestimmten Fällen muss auch verhindert werden, dass derjenige der für sein Vorhaben einer Genehmigung bedarf, vorab gezielt „Fakten schafft“, um eine spätere ablehnende behördliche Entscheidung zu erschweren235. Auch in Extremfällen, wenn die Behörde etwa grob rechtswidrig die Genehmigung verweigert, wird man selbst über § 34 StGB236 in aller Regel zu keiner Straflosigkeit kommen können, da vorrangig die Möglichkeiten der Einlegung von Rechtsbehelfen237 und der Erlangung von vorläufigem Rechtsschutz (§ 123 VwGO)238 genutzt werden müssen239. Ausnahmen bei der Strafbarkeit sind lediglich dann zu machen, wenn der jeweils maßgebliche Tatbestand wie etwa in §§ 331 Abs. 3, 333 Abs. 3 StGB240 ausdrücklich etwas anderes vorschreibt. Ansonsten wird die nachträgliche, eventuell gerichtlich erstrittene Genehmigung lediglich für eine großzügige Anwendung der §§ 153 ff. StPO (bzw. des § 47 OWiG) sprechen241. Siehe zum Tatbestandsirrtum oben Seite 199. Siehe dazu bereits oben Seite 234. 232 Siehe oben Seite 198. 233 So mit wenigen Einschränkungen auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 240 f.; Rengier, Die öffentlich-rechtliche Genehmigung im Strafrecht, ZStW 101 [1989], S. 874 (902 ff.) jeweils m. w. N.; siehe ferner BayObLG NJW 1994, S. 2103. 234 Siehe bereits oben Seiten 206 f. 235 Man denke etwa an einen Bauwilligen, der zunächst ohne die erforderliche Genehmigung zu bauen beginnt [ordnungswidrig etwa gem. § 89 LBauO (Rheinland-Pfalz)] und später gegenüber Behörde und Nachbarn geltend macht, dass es unverhältnismäßig sei, wegen kleinerer Abweichungen z. B. von zulässigen Abstandsflächen und der erlaubten Gebäudehöhe den Abriss zu verlangen. 236 Vgl. Erb, in: Münchener Kommentar, § 34 StGB, Rn. 176 ff. 237 Hier §§ 68 Abs. 2, 81, 124, 132 VwGO. 238 Für den Zeitraum bis zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz kann in existenziellen Ausnahmefällen (vgl. etwa Seite 239, Fußnote 216) freilich nach allgemeinen Grundsätzen auch einmal § 34 StGB greifen. 239 Rengier, ZStW 101 [1989], S. 874 (883 f., 902 f.). Dagegen sieht Horn, in: Systematischer Kommentar, Vor § 324 StGB, Rn. 20 im späteren Erstreiten einer Genehmigung einen Strafaufhebungsgrund. 240 Vgl. dazu Heine, in: Schönke / Schröder, § 331 StGB, Rn. 49 f.; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 1113. 230 231

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c) § 2 Abs. 3 StGB bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen und Änderung der vorgelagerten Rechtsnormen Fraglich ist nun, welche Auswirkungen die Änderung von Rechtsnormen hat, wenn sie – wie etwa im Rahmen der Irrtumslehre festgestellt242 – rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen vorgelagert sind. Der Versuch, jeder Form der Änderung des Rechtszustandes Relevanz im Hinblick auf § 2 Abs. 3 StGB zuzubilligen243, wird wohl auf keinen Fall gelingen. Dies hat sich schon beim strafbarkeitsbegründenden oder ausschließenden Einzelakt angedeutet. Völlig unbestreitbar ändert der nachträgliche Erwerb einer gestohlenen Sache durch den Täter zwar den Rechtszustand. Er sollte jedoch nicht die Strafbarkeit wegen eines Eigentumsdeliktes entfallen lassen – genauso wenig wie dies beim nachträglichen Untergang einer Sache, bei Entlassung aus dem Dienstverhältnis bezüglich bereits verwirklichter Amtsdelikte oder gar bei Ausheilen der Verletzung hinsichtlich § 223 StGB der Fall wäre. Es werden also, unabhängig davon, ob man sich an den Abgrenzungskriterien für Irrtümer orientiert oder einen anderen Maßstab wählt, immer problematische Randbereiche bleiben. Für eine Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB auf die Änderung von blankettausfüllenden Rechtsnormen sprach einerseits, dass diese durch Hineinlesen formal Teil des gesetzlichen Tatbestandes werden, aber auch der Sache nach, dass hinter fast jeder Rechtsänderung eine gesetzgeberische Neubewertung der Sozialwidrigkeit bestimmter Verhaltensweisen steht244. Insofern lässt sich durchaus eine gewisse Parallele zu rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen ziehen: Ändert der Gesetzgeber etwa die Vorschriften über die Übereignung nach den §§ 929 ff. BGB, über den Gutglaubenserwerb nach den §§ 932 ff. BGB oder § 366 HGB245, den Umfang des Vermieterpfandrechts gem. § 562 BGB oder über die gesetzliche Erbfolge nach den §§ 1924 ff. BGB oder gar der (wohl in der Tat nicht mehr ganz zeitgemäßen) Höfeordnung246, stünden dahinter in der Regel natürlich genauso gewandelte gesell241 Auch die von Rengier, ZStW 101 [1989], S. 874 (903 f.) genannten Grenzfälle (Handeln bei bereits ergangenem verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteil, Fahren nach bestandener Führerscheinprüfung, aber vor Aushändigung des Führerscheins etc.), für die er Straflosigkeit fordert, wird man ebenfalls so lösen können. 242 Siehe Seiten 169 ff. 243 Auf diese Idee könnte man etwa bei Fehldeutung der Formel, dass das mildere Gesetz unter Berücksichtigung des „gesamten Rechtszustandes“ zu bestimmen sei, von dem das „Ob und Wie“ der Strafbarkeit abhängt (siehe bereits oben Seiten 221 f.), kommen. 244 Siehe oben Seite 232. 245 Vgl. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 486 (auch oben Seite 231). 246 In den Ländern Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (ehemals britische Zone) belegene land- oder forstwirtschaftliche Besitzungen gehen gem. § 4 der bundesgesetzlichen HöfeO, da es dort traditionell keine Realteilung gibt, als Ganzes an den Hoferben über, die Miterben werden gem. § 12 HöfeO (eher dürftig nach dem Einheitswert) abgefunden. In einigen anderen Ländern gibt es vergleichbare Landesgesetze, in Bayern, im Saarland und in Ostdeutschland dagegen keine höfeerbrechtlichen Besonderheiten.

A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot

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schaftliche Vorstellungen, sei es über die Risikoverteilung beim Erwerb beweglicher Sachen247, den Mieter- bzw. Vermieterschutz, die Interessenlage von Hofund Miterben oder – wie tatsächlich schon geschehen – von nichtehelichen Kindern im Vergleich zu den ehelichen248. Mittelbar haben diesbezügliche Änderungen für die Zukunft in jedem Fall Auswirkungen auf Strafbarkeiten etwa nach den §§ 242, 246, 263 oder 289 StGB, so dass zumindest überlegenswert erscheint, ob nicht bestimmten gesetzgeberischen Neubewertungen zugunsten des Täters eine gewisse strafrechtliche Rückwirkung zugebilligt werden muss. Dies könnte durch entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB geschehen249 oder durch Rückgriff auf den ultima-ratio-Gedanken und das Verhältnismäßigkeitsprinzip250. Ein Beispiel wäre etwa, den einzigen, allerdings nichtehelichen Sohn des vor über vierzig Jahren251 verstorbenen Erblassers straffrei ausgehen zu lassen, wenn er dem Neffen und damals gesetzlichen Erben seines Vaters familiäre Erinnerungsstücke, ein Fotoalbum, alte Briefe oder ähnliches weggenommen hat. Insofern erscheint das Eigentumsrecht des Neffen in der Tat – jedenfalls dem ersten Anschein nach – weniger schutzwürdig, da der nichteheliche Sohn nach heutigem Recht gesetzlicher Alleinerbe wäre252.

Fragen müsste man sich dann freilich, wo eine zeitliche Grenze der Aufarbeitung historischer zivilrechtlicher Ungerechtigkeiten gezogen werden soll253. Zu befürchten steht zudem, dass bei Berücksichtigung von Rechtsänderungen zu den im Rahmen der Irrtumslehre gefundenen Ergebnissen Wertungswidersprüche entstehen könnten: Jedenfalls kann sich zugunsten desjenigen, der sich die Fremdheit einer Sache (aufgrund fehlerhafter Rechts- oder Tatsachenkenntnis) bloß einbildet und deshalb wegen untauglichen Versuchs strafbar ist254, das Zivilrecht gar nicht zum Positiven wenden. Wer dagegen im Zeitpunkt der Tat sowohl im objektiven wie im subjektiven Sinne tatbestandsmäßig handelt, sollte dann aber nicht besser dastehen und durch Anwendung des Rechtsgedankens von § 2 Abs. 3 StGB oder des ultimaratio-Prinzips ganz straffrei ausgehen. 247 Im Handelsverkehr sieht man etwa eine gesteigerte Schutzwürdigkeit des Erwerbers, was durch § 366 HGB zum Ausdruck kommt. Vgl. Welter, in: Münchener Kommentar, § 366 HGB, Rn. 22 f. 248 Vgl. Nichtehelichengesetz, BGBl 1969 I, S. 1243 (u. a. Aufhebung von § 1589 Abs. 2 BGB a. F.); Erbrechtsgleichstellungsgesetz, BGBl 1997 I, S. 2968. 249 In diesem Sinne wohl Tiedemann (siehe oben Seiten 228 f.) und Hassemer (siehe oben Seiten 229 f.). 250 In diesem Sinne Dannecker (siehe oben Seiten 230 f., insb. 231). 251 Also vor Inkrafttreten der in Fußnote 248 genannten Gesetze. 252 Bis 2011 allerdings nur dann, wenn er nach dem 1. Juli 1949 geboren wurde (vgl. Art. 12 § 10 NichtehelichenG a. F., dazu auch BVerfG DNotZ 2004, S. 471). Eine Gleichstellung der nichtehelichen Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren sind, ist erst dieses Jahr erfolgt. 253 Der Erblasser oder dessen Vorfahre könnte ja auch sonst auf irgendeine Weise zu Vermögen gekommen sein, die so nicht mehr zulässig wäre. Erben von Adels- und Rittergütern z. B. profitieren mittelbar auch heute von der bis Anfang des 19. Jahrhunderts vorhandenen Leibeigenschaft und damals zu erbringenden Frondiensten. 254 Siehe oben Seiten 121 ff. (insb. 126).

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Indem ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal im Gegensatz zum Blankettmerkmal gerade nur auf eine bestimmte Rechtsfolge verweist, werden die gesellschaftlichen Vorstellungen, die hinter dem zivilrechtlichen Regelungseffekt stehen, bei der strafrechtlichen Bewertung aber völlig ausgeblendet. So muss auch der Täter eben nur diese eine Rechtsfolge kennen, deren rechtlicher und tatsächlicher Hintergrund spielt für ihn dagegen keine Rolle255. Bestraft wird – wie im Rahmen der Irrtumslehre gezeigt – der bewusste Verstoß gegen den „Imperativ“ der Eigentums- und Vermögensordnung256 als solchen. Warum eine bestimmte Sache einer bestimmten Person gehört, sei sie Ertrag der eigenen Arbeitskraft oder geerbt, hat hierauf keinen Einfluss. Ist die Rechtsfolge im strafrechtlichen Sinne wertneutral257, können zivilrechtliche Neuregelungen, auch wenn sie heute zu einer anderen Güterverteilung führen würden, keine Bedeutung i. S. d. § 2 Abs. 3 und 4 StGB für in der Vergangenheit liegende Rechtsverstöße haben. Allenfalls die von Tiedemann258 ins Spiel gebrachte völlige Abschaffung von Eigentum und Vermögen würde eventuell eine solche Folge nach sich ziehen, weil es dann überhaupt nichts „Fremdes“ mehr gäbe, dem ein strafrechtlicher Schutz zukommen könnte259. Dem als Beispiel genannten nichtehelichen Sohn260 ist indessen entgegenzuhalten, dass der Erblasser auch damals nicht gehindert gewesen war, ihn mittels letztwilliger Verfügung zum Alleinerben zu machen. Vielleicht hat er gerade im Hinblick auf die zu jener Zeit gültige Rechtslage auf ein Testament zugunsten seines Neffen verzichtet261.

Die Unbeachtlichkeit von Rechtsänderungen mit Bezug auf rechtsnormative Tatbestandsmerkmale setzt sich bei allen anderen oben im Rahmen der Irrtumslehre genannten Fällen262 weiter fort: Änderte der Gesetzgeber bei § 266 StGB die Pflicht, ausschließlich im Interesse des Vermögensträgers zu handeln, als solche ab, müsste man dem im Hinblick auf Altfälle gem. § 2 Abs. 3 StGB durchaus Bedeutung zumessen263. Sonderlich wahrscheinlich erscheint eine Reform des Tatbestandes, die z. B. „Gutsverwalter“ faktisch zu „Gutsherren“264 machen würde, allerdings Siehe oben Seiten 126 und 170 f. Siehe oben Seite 171. 257 Siehe auch oben Seite 182. 258 Siehe dazu oben Seite 229. 259 Jakobs, Strafrecht AT, 4. Abschn., Rn. 72, Fn. 106; Schmitz, in: Münchener Kommentar, § 2 StGB, Rn. 32. 260 Siehe Seite 243. 261 Ebenso haben diejenigen, die im Beispiel von Dannecker (siehe oben Seite 231) eine Übereignung mittels Besitzkonstitut vorgenommen haben, auf die Wirksamkeit vertraut. Hätte es diese Möglichkeit nicht gegeben, hätte man die Übereignung wahrscheinlich anders vorgenommen. Selbst wenn § 930 BGB im Nachhinein abgeschafft würde, bleibt ein Eigentumsdelikt des früheren Eigentümers damit strafwürdig. 262 Siehe Seiten 170 ff. 263 Vgl. oben Seite 174. 264 Siehe oben Seite 175, Fußnote 1164. 255 256

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nicht265. Sonst kann ein vermögensnachteiliges Verhalten, was im Tatzeitpunkt dem Interesse des Treugebers widerspricht, aber weiterhin bestraft werden, auch wenn sich sein ausdrücklicher oder fiktiv zu bestimmender Wille im Nachhinein ändert. Unbeachtlich ist also, wenn der Geschädigte nachträglich sein Einverständnis erteilt266, aber auch wenn man nach zweckfremder Verwendung von Haushaltsmitteln die gesetzlichen Aufgaben einer Körperschaft erweitert267 oder wenn das Verbot zur Rückgewähr von eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen gem. §§ 30 Abs. 1 i.V. m. 32a GmbHG a. F. durch das MoMiG gestrichen wurde268. Genauso würde die Amtsträgerbestechung gem. §§ 332, 334 StGB oder die Rechtsbeugung gem. § 339 StGB als solche strafwürdig bleiben269, wenn die Diensthandlung oder die Entscheidung der Rechtssache mit einer im Nachhinein geänderten Gesetzeslage übereinstimmt. Auch werden Handelsbücher nicht rückwirkend richtig, wenn bei hypothetischer Anwendung jüngst z. B. durch das BilMoG270 reformierter Rechnungslegungsvorschriften zufälligerweise bestimmte Einträge heute gerade so zu vollziehen wären. Das verschleiernde oder irreführende Moment der Handlung bleibt schließlich erhalten, da Insolvenzverwalter, Gesellschafter, Gläubiger und andere Beteiligte beim Lesen der Handelsbücher, der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung etc. davon ausgehen müssen, dass die damals gültigen Maßstäbe angewandt wurden271. Überall dort, wo bei den genannten Fällen im Rahmen der Irrtumslehre einem Irrtum über die vorgelagerte Rechtslage Vorsatzrelevanz zugesprochen wurde, ist die nachträgliche Änderung der Rechtslage also im Hinblick auf § 2 Abs. 3 StGB irrelevant.

265 Am ehesten steht bei § 266 StGB zu befürchten, dass man den „Gutsverwalter“ zum „Statthalter“ des Allgemeininteresses machen möchte. 266 BGH 50, S. 331 (343); OLG Hamm NStZ 1986, S. 119; Perron, in: Schönke / Schröder, § 266 StGB, Rn. 21. 267 LG Marburg NVwZ 2000, S. 353 (355) zur zweckfremden Verwendung von Haushaltsmitteln der Studentenschaft durch AStA-Mitglieder, wenn durch Änderung des Hochschulgesetzes die Aufgaben des AStA erweitert werden (siehe bereits oben Seite 225). 268 OLG Stuttgart StV 2010, S. 80 (81 f.) überzeugt insofern nicht, wenn der Senat davon ausgeht, §§ 30 Abs. 1, 32a GmbHG a. F. seien blankettausfüllende Normen. Im Ergebnis gelangt das Gericht aber dennoch zu einer Untreuestrafbarkeit, da sich die Pflichtwidrigkeit der Zahlung im konkreten Fall trotz § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG n. F. auch aus § 64 S. 3 GmbHG n. F. ergab. Zur alten Rechtslage vgl. BGH NStZ 2009, S. 153 (154); BGH wistra 2006, S. 309. Anwendbar ist § 2 Abs. 3 StGB dagegen beim ebenfalls durch das MoMiG eingeführten § 19 Abs. 2 S. 2 InsO in Bezug auf den Tatbestand der Insolvenzverschleppung (vgl. dazu oben Seite 233). 269 Vgl. oben Seiten 179 f. 270 Siehe allgemein zum BilMoG bereits oben Seite 162, Fußnote 1085 (dort allerdings zum „Ob“ der Buchführungspflicht). 271 Zum „Wie“ der Buchführung vgl. auch Seiten 181 ff.

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d) Die Anschlussdelikte – ein Sonderfall? Bei den Delikten, die im weitesten Sinne als Anschlussdelikte bezeichnet werden können, erscheint es dann allerdings auf den ersten Blick widersprüchlich, wenn man für den Vorsatz ein Nachvollziehen der strafrechtlichen Bewertung des Vorverhaltens verlangt272, die Strafbarkeit der Bezugstat also rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal ist, zumindest die Strafvereitelung gem. § 258 StGB jedoch in Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB nur dann bestraft wird, wenn die Bezugstat auch noch bei Aburteilung als Verbrechen oder Vergehen strafbar ist273. Die Besonderheit dürfte hier jedoch nicht nur darin liegen, dass die effektive Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruches alleiniges Schutzgut ist und ein Tätigwerden nach Streichung der Strafbarkeit überhaupt nicht mehr in Betracht kommt. Vor allem wäre eine Strafrahmenbildung im Hinblick auf § 258 Abs. 3 StGB unmöglich, da die Strafe nicht schwerer ausfallen darf als die für die Vortat angedrohte274. Das Gleiche muss angesichts § 257 Abs. 2 StGB auch für die Begünstigung gelten275. Wenn dann verschiedentlich auch bei § 145d StGB276 und § 164 StGB277 die Anwendbarkeit von § 2 Abs. 3 StGB bejaht wird, erscheint dies aber nicht richtig: Eine fehlgerichtete Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden kann in diesen Fällen schließlich bereits angefallen sein. Besonders schwer wiegen würde es, wenn gegenüber einem Unschuldigen bereits belastende Maßnahmen ergriffen wurden, unter Umständen sogar schon eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt. Selbst wenn die Strafbarkeit der Bezugstat später wegfällt, bleiben bereits verwirklichte Taten nach §§ 145d, 164 StGB also strafwürdig278. Bei allen anderen Anschlussdelikten sollte es ebenso bei der Strafbarkeit bleiben. Allerdings finden sich für die §§ 259, 261 StGB und § 374 AO keine entsprechenden Beispiele aus der Praxis, da es zu einer Entkriminalisierung von Eigentumsund Vermögensdelikten oder der Steuerhinterziehung bisher noch nicht gekommen Siehe Seiten 90, 171. Vgl. BGHSt 14, S. 156 (158), siehe bereits oben Seiten 225 f.; a. A. Ruß, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 258 StGB, Rn. 4; Stree, in: Schönke / Schröder, 27. Aufl., § 258 StGB, Rn. 11 (anders nun Stree / Hecker in der 28. Aufl., Rn. 10). 274 Vgl. zur Parallelproblematik beim untauglichen Versuch Seite 172, Fußnote 1144; Herzberg, in: Münchener Kommentar, § 22 StGB, Rn. 93 (auch bereits oben Seite 107). 275 Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 257 StGB, Rn. 10 (auch bereits in der Vorauflage, vgl. aber oben Fußnote 273); Ruhmannseder, in: von Heintschel-Heinegg, § 257 StGB, Rn. 5. 276 OLG Düsseldorf, NJW 1969, S. 1679 (1680). 277 BayObLG JZ 1974, S. 392 mit Anmerkung Meyer, JR 1975, S. 69. 278 Rudolphi / Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 145d, Rn. 15, § 164 StGB, Rn. 20; Ruß, in: Leipziger Kommentar, § 145d StGB, Rn. 8; Schild, in: Nomos-Kommentar, § 145d, Rn. 10; Fischer, § 145d StGB, Rn. 5, § 164 StGB Rn. 5; Valerius, in: von Heintschel-Heinegg, § 164 StGB, Rn. 6; a. A. Zopfs, in: Münchener Kommentar, § 145d StGB, Rn. 17, § 164 StGB, Rn. 30; vgl. auch Stübinger, Die Vortäuschung einer Straftat (§ 145d StGB), GA 2004, S. 338, der die Legitimität von § 145d StGB gänzlich bezweifelt. 272 273

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ist. Relevant wurde dies aber beim Schleusertatbestand des § 96 AufenthaltsG, für den der Beitritt osteuropäischer Staaten zur Europäischen Union im Hinblick auf § 2 Abs. 3 StGB zutreffenderweise keine Rolle gespielt hat279. e) § 2 Abs. 3 und 4 StGB bei der Steuerhinterziehung – kein Sonderfall Im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung stellte sich bislang vor allem die Frage, wie sich eine wie auch immer geartete Steuersenkung280, aber auch die Feststellung der Unvereinbarkeit bestimmter Steuergesetze mit dem Grundgesetz281 auf vergangene Steuerstraftaten auswirkt. Beide Probleme – für die Praxis dürften sie zugegebenermaßen schon als ausgestanden gelten282 – lassen sich in Fortführungen der eben zu Blankett- und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen aufgestellten Grundsätze lösen. Für die einfache Steuersenkung muss man sich zunächst in Erinnerung rufen, dass die „Höhe“ i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO der gesetzlich geschuldeten Steuer (also der Steueranspruch) sowie der „nicht gerechtfertigte Steuervorteil“ i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 2 AO, aber auch das Merkmal der steuerlichen Erheblichkeit, wie im Rahmen der Irrtumslehre festgestellt, richtigerweise keine Blankettverweisungen, sondern rechtsnormative Tatbestandsmerkmale darstellen283. Die spätere Senkung von Steuersätzen oder Erweiterung von steuerlichen Abzugsmöglichkeiten kann damit jedenfalls bei der Begehensvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO keinen Einfluss auf die Strafbarkeit haben284. Insofern gilt nichts anderes als bei der täter279 BGH NStZ 2005, S. 408; OLG Bamberg vom 20. September 2005, Az. 2 Ss 35 / 05; vgl. auch BGHSt 50, S. 105 (109); siehe bereits oben Seite 225, Fußnote 103 m. w. N.; zum Irrtum nach § 16 Abs. 1 StGB siehe oben Seite 206. Wenn dagegen bei der Lockerung von Aufenthaltsbeschränkungen nach dem AsylVfG laut OLG Düsseldorf NJW 1991, S. 710 § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung kommt, ist dies ebenfalls zutreffend. Entsprechendes müsste sogar auch beim einfachen § 95 AufenthaltsG gelten, es sei denn, man behandelt Aufenthaltsbestimmungen als Zeitgesetz i. S. d. § 2 Abs. 4 StGB. Siehe zur Irrtumslehre und Anwendung von § 17 StGB oben Seiten 94 und 205 f. 280 Vor allem in den 1980er Jahren wurde dies unter dem Stichwort „Parteispendenproblematik“ diskutiert. 281 Bekanntestes Beispiel ist die Entscheidung BVerfGE 93, S. 121 zur Vermögensteuer, die letztendlich zu ihrem Auslaufen geführt hat. 282 Vgl. etwa Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 158. 283 Siehe oben Seiten 188 f. und 192. 284 Im Ergebnis damit richtig: BGHSt 20, S. 177; BGHSt 34, S. 272 (282, 284); siehe bereits oben Seiten 224 f. Vgl. auch Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 2 StGB, Rn. 8c (siehe auch oben Seite 228); Hellmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 370 AO, Rn. 49; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 75 ff.; jeweils m. w. N.; Samson, Legislatorische Bewältigung der Parteispendenproblematik, wistra 1983, S. 235 (237 f.); Franzheim, Parteispenden – Steuerhinterziehung – Straffreiheit?, NStZ 1982, S. 137 f. (allerdings auf § 2 Abs. 4 StGB abstellend); a. A. Tiedemann, Das Parteienfinanzierungsgesetz als strafrechtliche lex mitior, NJW 1986, S. 2475 (2476), zu seinem Ansatz siehe auch schon Seiten 228 f. Differenzierend nun auch Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 2 StGB, Rn. 21, 25 (vgl. auch oben Seite 228).

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

günstigen nachträglichen Änderung zivilrechtlicher Vorschriften im Rahmen der Eigentums- und Vermögensdelikte285. Da der Steueranspruch für frühere Veranlagungszeiträume nicht untergeht, wäre es der Sache nach sogar äußerst problematisch, die Berechtigung, Steuern festzusetzen, und die Strafbarkeit einer Verkürzung voneinander zu trennen286. Ohne Strafdrohung hätte der Steuerpflichtige nicht einmal Hinterziehungszinsen gem. § 235 AO zu befürchten287. Dementsprechend hinge die Erhebung nur noch von seiner freiwilligen, ökonomisch eher unklugen Erklärungsbereitschaft ab. Dies wiederum könnte als ein im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG dringend zu vermeidendes Vollzugsdefizit verstanden werden288. Da es beim Nichtentfallen der Strafbarkeit dogmatisch auf § 2 Abs. 3 oder 4 StGB gar nicht ankommt, war der großräumige Begründungsaufwand im Rahmen der Mineralölsteuerentscheidung289 hinsichtlich der Qualifizierung von Steuergesetzen als Zeitgesetze überflüssig. Probleme unterbreitet allenfalls die Unterlassensvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO: Sie verweist zusätzlich auf die Erklärungspflichten etwa in §§ 139, 149, 153, 200 AO, §§ 41a, 45a EStG, § 18 UStG, §§ 30 ff. ErbStG, § 18 GrEstG, Art. 40 Zollkodex290 bzw. Art. 95 Modernisierter Zollkodex291 etc., wobei die Steuerhinterziehung insoweit, wie im ersten Teil gezeigt292, Blankettcharakter hat. Deshalb wäre die Abschaffung einer Erklärungspflicht nach den für Blankettmerkmale aufgestellten Grundsätzen293 im Hinblick auf § 2 Abs. 3 StGB durchaus bedeutsam294. Sollte eine Steuerart für die Zukunft gänzlich abgeschafft werden, so wie es z. B. bei der Erbschaftssteuer immer mal wieder diskutiert und auch wieder verworfen wird295, dürfte dies deshalb nicht

285 Siehe oben Seite 244. So explizit auch Nolte, Hinterziehung verfassungswidriger und „verfassungswidrig“ genannter Steuern, S. 116 ff. 286 Vgl. BFH DStR 2000, S. 1139 (1141) zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen. 287 Zu den Voraussetzungen vgl. Pahlke, in: Pahlke / Koenig, § 235 AO, Rn. 5 ff. 288 Siehe dazu BVerfGE 84, S. 239 (Kapitalertragssteuer); BVerfGE 110, S. 94 (Spekulationssteuer). 289 BGHSt 20, S. 177 (182 f.); siehe bereits oben Seiten 224 f. Das Gleiche gilt für BGH 1 StR 217 / 10 und 1 StR 218 / 10 vom 27. August 2010 zu Antidumpingzöllen der Europäischen Union. 290 Verordnung (EWG) Nr. 2913 / 92. 291 Verordnung (EG) Nr. 450 / 2008. Zur Anwendbarkeit vgl. Art. 188 Modernisierter Zollkodex. 292 Siehe oben Seiten 193 ff. 293 Siehe oben Seiten 232 ff. (insb. 236) . 294 So auch Wulf, Strafbarkeit der Vermögensteuerhinterziehung und § 370 AO als Blankettgesetz, wistra 2001, S. 41 (44); Nolte, Hinterziehung verfassungswidriger und „verfassungswidrig“ genannter Steuern, S. 119. 295 Von liberaler und zum Teil auch konservativer Seite wurde dies seit BVerfGE 117, S. 1 schon mehrfach vorgeschlagen. Die Große Koalition schaffte jedoch bekanntermaßen gerade noch rechtzeitig eine Neuregelung zum 1. Januar 2009 (BGBl. 2008 I, S. 3018).

A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot

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durch Streichung des ganzen Gesetzes geschehen. Vielmehr müsste man für die in der Vergangenheit liegenden Zeiträume die Erklärungspflichten bestehen lassen, wenn man entsprechende Altfälle weiter besteuern und strafrechtlich verfolgen will296. Von einer weniger spektakulären, schlichten Senkung von Steuersätzen bleiben Erklärungspflichten dagegen regelmäßig ohnehin unberührt. Stellt sich ein materielles Steuergesetz dagegen als verfassungswidrig dar und wird es vom Bundesverfassungsgericht im Nachhinein gem. §§ 78 S. 1, 82 Abs. 1 oder 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG für nichtig erklärt, besteht bereits im Tatzeitpunkt keine Steuerpflicht. Der gesetzlich vorgesehene Taterfolg, namentlich eine Steuerverkürzung i. S. d. § 370 Abs. 4 AO, ist zu keinem Zeitpunkt eingetreten. Eines Rückgriffs auf § 2 Abs. 3 StGB bedarf es nicht. Zu einer solch „radikalen“ Lösung entschließt sich das Bundesverfassungsgericht im Steuerrecht allerdings selten297. Da es auch bei den materiellen Steuergesetzen meist um einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG geht, will man dem Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten offenhalten, den Verfassungsverstoß zu beseitigen298. Bei fiskalisch bedeutenden Normen wird regelmäßig nicht einmal eine rückwirkende Nachbesserung verlangt, da dies im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung kaum zu bewerkstelligen wäre299. Typischerweise – wie etwa bei der Entscheidung zur Vermögensteuer300 – erklärt das Gericht deshalb nach § 31 Abs. 2 BVerfGG den bisher gültigen Steuersatz (hier: § 10 Nr. 1 VStG) erst ab einem bestimmten Zeitpunkt (hier: 1. Januar 1997) für unanwendbar und gibt dem Gesetzgeber auf, bis dahin eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen. Für das Strafrecht ergibt sich daraus die Frage, welche Auswirkungen es für Altfälle hat, wenn der Gesetzgeber auf diese Aufforderung nicht reagiert und – so wie bei der Vermögensteuer geschehen – die Steuer auslaufen lässt. Das Auslaufen der Steuer lässt wie bei der Steuersenkung die Berechtigung unberührt, für vergangene Veranlagungszeiträume Steuern zu erheben. Hat der Bürger aus übergeordneten Gesichtspunkten die Besteuerung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken hinzunehmen301, gibt es aber auch keinen Grund, einer entsprechenden Steuerschuld den strafrechtlichen Schutz zu entziehen302 (oder gar gem. § 79 Abs. 1 BVerfGG303 Zur Zulässigkeit von Übergangsvorschriften siehe auch oben Seite 237. Vgl. Lang, Steuerrecht und Tatbestand der Steuerhinterziehung, StuW 2003, S. 289 (295). 298 BVerfGE 87, S. 153 (177 ff.); BVerfG NJW 2009, S. 48 (54). 299 BVerfGE 93, S. 121 (148) zur Vermögensteuer; BVerfGE 105, S. 73 (134) zu Beamtenpensionen; BVerfGE 117, S. 1 (70) zur Erbschaftsteuer. 300 Vgl. Fußnote 299. Nachdem der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 1996 keine verfassungskonforme Neuregelung geschaffen hat, wird keine Vermögensteuer in Deutschland mehr erhoben. 301 OLG Frankfurt NJW 2000, S. 2368. 302 Im Ergebnis deshalb richtig: BGHSt 47, S. 138 (140, 143); OLG Frankfurt NJW 2000, S. 2368; OLG Hamburg NStZ-RR 2001, S. 147; vgl. auch Hellmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 370 AO, Rn. 53 f.; Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 233a f.; Schmidt, Ist die Hinterziehung von Vermögensteuer weiterhin strafbar?, wistra 1999, S. 121 296 297

250

2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

bereits erfolgte rechtskräftige Verurteilungen wieder aufzuheben). Die Berechtigung, weiterhin Steuern fest- sowie Ansprüche durchzusetzen, ist auch hier mit der Strafbarkeit einer Verkürzung untrennbar verbunden304. Ein sonst drohendes Vollzugsdefizit wäre vielmehr seinerseits im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG305 äußerst problematisch. Ist Steuer weiterhin i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO gesetzlich geschuldet, ergibt sich auch bei der Unterlassensvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nichts anderes daraus, dass die Vorschrift zusätzlich blankettartig auf einzelne steuerliche Erklärungspflichten verweist. Die Erklärungspflichten bleiben nämlich von verfassungsrichterlichen Änderungen des materiellen Steuerrechts regelmäßig unberührt. So geschah es auch in Bezug auf die Vermögensteuer: § 19 VStG ist weiterhin geltendes Recht, wenn auch zur Zeit (bis zur durchaus denkbaren Schaffung eines neuen, verfassungsgemäßen) § 10 VStG306 praktisch bedeutungslos307. Unabhängig von diesen beiden bereits mehr oder minder geklärten Fragen würde § 2 Abs. 3 StGB allerdings sehr wohl eine Rolle spielen, wenn der Gesetzgeber etwa die Suspendierung von steuerlichen Erklärungspflichten in § 393 Abs. 1 S. 2 und 3 AO308 im Hinblick auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit auf zusätzliche Fälle erweitern oder auch das Bundesverfassungsgericht bestimmte Erklärungspflichten im Zusammenhang mit Art. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG teilweise für unanwendbar erklären würde. Gänzlich abwegig wäre beides nicht: Was die Selbstbelastungsfreiheit309 anbelangt, steht es dem Gesetzgeber allerdings grundsätzlich frei, entweder gesetzliche Offenbarungspflichten bei Gefahr einer strafrechtlich relevanten Selbstbelastung einzuschränken oder durch selbständige Beweisverwertungsverbote einen rechtsstaatlichen Ausgleich zu schaffen310. Das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 AO bietet insofern allerdings keinen vollständigen Schutz311. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 393 Abs. 2 S. 2 AO wurde deshalb vom LG Göttingen312 gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht (125 f.); Allgayer, in: Graf / Jäger / Wittig, § 369 AO, Rn. 44; a. A. LG München II, NStZ 2000, S. 93; Kohlmann, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 1485; Degenhard, Kann die Hinterziehung verfassungswidriger Steuern strafbar sein?, DStR 2001, S. 1370 (1373 ff.); Ulsamer / Müller, Steuerstrafrechtliche Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995, wistra 1998, S. 1 (6); Nolte, Hinterziehung verfassungswidriger und „verfassungswidrig“ genannter Steuern, S. 126, 137. 303 Siehe oben Seite 219. 304 BFH DStR 2000, S. 1139, 1141 (zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen). 305 Siehe oben Seite 248. 306 Auch dies wird immer wieder gefordert, hier jedoch eher von linker, gewerkschaftlicher und zum Teil sozialdemokratischer Seite (vgl. dagegen Seite 248, Fußnote 295). 307 A. A. Wulf, wistra 2001, S. 41 (47); Nolte, Hinterziehung verfassungswidriger und „verfassungswidrig“ genannter Steuern, S. 122. 308 Vgl. dazu BGHSt 47, S. 8 (12 ff.). 309 Vgl. dazu auch Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 163 ff. 310 BVerfGE 56, S. 37 (46). 311 Siehe auch Hellmann bei Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 393 AO, Rn. 180 m. w. N. 312 LG Göttingen, wistra 2008, S. 231.

A. Rückwirkungsverbot und Rückwirkungsgebot

251

zur Entscheidung vorgelegt. Die Vorlage wurde jedoch für unzulässig erachtet313. Sollte das Bundesverfassungsgericht bei anderer Gelegenheit zur Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz kommen, wird es dem Gesetzgeber auch hier einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Lösung der Konfliktlage zubilligen müssen.

Bei Einschränkung von Erklärungspflichten würde dann das allgemein zu Blankettmerkmalen Gesagte zur Anwendung kommen314, insofern kann eben nichts anderes gelten, als wenn der Gesetzgeber in bestimmten Fällen (Selbstbelastung oder Belastung von Angehörigen) die Strafe etwa nach Vorbild der §§ 133, 258 Abs. 5 StGB oder auch § 157 StGB entfallen ließe. Auch das Kompensationsverbot könnte theoretisch Gegenstand künftiger Reformen sein. Da § 370 Abs. 4 S. 3 AO die Begriffe der Steuerverkürzung und des nicht gerechtfertigten Steuervorteils bei § 370 Abs. 1 AO mit ausfüllt315, käme bei dessen Abschaffung ebenfalls § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung. Der Sache nach wäre das dann auch gerechtfertigt, denn hinter einer solchen Gesetzesänderung stünde schließlich ganz offensichtlich eine kriminalpolitische Neubewertung.

V. Zusammenfassung der Ergebnisse Im zweiten Teil lassen sich die Ergebnisse des Abschnitts A wie folgt zusammenfassen: – Eine zum Tatzeitpunkt straffreie Handlung kann gem. § 2 Abs. 1 StGB weder durch Verschärfung blankettausfüllender Normen noch durch Änderung anderweitig in Bezug genommener Rechtsverhältnisse im Nachhinein kriminalisiert werden316. – Die Abgrenzungsfrage, wann eine Rechtsänderung zugunsten des Beschuldigten im Hinblick auf § 2 Abs. 3 StGB relevant ist, lässt sich dagegen größtenteils parallel zur Irrtumslehre317 beantworten. – Ist ein bestimmtes Merkmal als durch abstrakte Rechtsnormen auszufüllendes Blankett318 zu qualifizieren, greift bei Milderung der Ausfüllungsnormen grundsätzlich § 2 Abs. 3 StGB. Besonderheiten ergeben sich nur dann, wenn § 2 Abs. 4 StGB zur Anwendung kommt319, sofern im Tatzeitpunkt ein schärferes Zeitgesetz galt320 oder der Gesetzgeber eine andere von § 2 Abs. 3 StGB abweichende Vorschrift geschaffen hat321. 313 314 315 316 317 318 319 320 321

BVerfG vom 27. April 2010, Az. 2 BvL 13 / 07. Siehe oben Seiten 232 ff. (insb. 236). Siehe oben Seite 187. Siehe oben Seiten 220 ff. Siehe dazu die Zusammenfassung auf Seiten 208 ff. Siehe oben Seiten 232 ff., 248 f. Siehe oben Seite 235. Siehe oben Seite 234. Siehe oben Seite 237.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

– Beim „Blankett“322-Verweis auf einen strafbarkeitsbegründenden oder ausschließenden staatlichen Einzelakt323 ist die nachträgliche Änderung der Rechtslage durch Aufhebung des Einzelakts oder durch Änderung zugehöriger Rechtsnormen dagegen grundsätzlich irrelevant. Ausnahmen sind allerdings dann zu machen, wenn der jeweils maßgebliche Tatbestand etwas anderes vorschreibt324. – Für rechtsnormative Tatbestandsmerkmale325 wird die nachträgliche Änderung der vorgelagerten Rechtsnormen ebenfalls nicht relevant. Besonderheiten ergeben sich nur dann, wenn bei den Anschlussdelikten auf den Strafrahmen der Bezugstat verwiesen wird326. – Beim Tatbestand der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO ergeben sich keine dogmatischen Eigenheiten327, wenn man – wie im Rahmen der Irrtumslehre – beachtet, dass der Tatbestand größtenteils keinen Blankettcharakter besitzt328. – Das Gleiche gilt für den Verstoß gegen Genehmigungs- und Anzeigepflichten329; auch hier330 kommt es auf eine Unterscheidung zwischen präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt nicht an.

Im Folgenden sollen nun die Auswirkungen der unterschiedlichen Verweisungstypen jenseits der Irrtumslehre und des intertemporalen Strafanwendungsrechts untersucht werden. Sollte auch hier ein Zusammenhang festzustellen sein, wird dies die Anwendung der bisher ausformulierten Kriterien abermals erleichtern.

B. Bestimmtheitsgebot, Analogieverbot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen der Bezugnahme auf andere Rechtsgebiete Steht nun fest, welche Normen in zeitlicher Hinsicht überhaupt Anwendung finden dürfen, gilt es nun zu prüfen, welche Qualitätsanforderungen an diese zu stellen sind. Als Ausfluss des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“ richtet sich das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 Abs. 2 GG vornehmlich 322 Zur Beibehaltung der üblichen (vgl. Nachweise auf Seite 117, Fußnote 746), freilich eher irreführenden Terminologie siehe Seite 211. 323 Siehe oben Seiten 238 ff. 324 Siehe oben Seite 241. 325 Siehe oben Seiten 242 ff. 326 Siehe oben Seite 246. 327 Siehe oben Seiten 247 ff. 328 Vgl. zur Irrtumslehre auch oben Seiten 211. 329 Siehe oben Seiten 234 f., zur Genehmigung als Einzelakt Seiten 240 f. 330 Siehe zur Irrtumslehre oben Seiten 199 ff., 203 ff., 211.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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an den Gesetzgeber331, der verpflichtet ist, hinreichend bestimmte Strafnormen auszustellen. Für die Gerichte folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit das Verbot strafbegründender und strafverschärfender Analogie332. Inwieweit all dies nun auch für außerstrafrechtliche Bezugsnormen und Rechtsverhältnisse gelten muss, soll nun im Einzelnen untersucht werden. Denn auch hier liegt es nahe, dass für blankettausfüllende Normen, strafbarkeitsbegründende oder -ausschließende Einzelakte (einschließlich der zugehörigen gesetzlichen Ermächtigungs- und Anspruchsgrundlagen) und rechtsnormative Tatbestandsmerkmale (bzw. die ihnen vorgelagerten Rechtsnormen) unterschiedliche Maßstäbe zu gelten haben.

I. Historische Entwicklung Die gesetzeshistorische Entwicklung des von Feuerbach formulierten Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“ wurde bereits oben in Abschnitt A dargestellt333. Vernachlässigt wurde aber auch insofern der Gesichtspunkt der lex certa. Dieser wird jedoch mittlerweile als Kern des Art. 103 Abs. 2 GG aufgefasst334, auch zu Recht, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die allgemeine Aufhebung des Analogieverbotes durch den NS-Strafgesetzgeber trotz der enormen, gegen den liberalen Rechtsstaat gerichteten Symbolkraft in der Praxis wohl fast in den Hintergrund getreten war gegenüber den damals neuen generalklauselartig gestalteten Tatbeständen, welche mit ihren brachialen Strafrahmen ohnehin genügend Spielraum für staatliche Willkür mit justizförmigem Antlitz boten335. Im Umkehrschluss dazu ist auch heute – selbst bei eindeutiger Geltung des Analogieverbotes – das Gesetz nur dann eigentliche Grundlage der Strafbarkeit, wenn es bereits selbst sowohl die kriminalisierte Tat wie auch deren Folgen mit hinreichender Bestimmtheit umschreibt336. Ursprünglich, als diese Erkenntnis noch nicht dermaßen in den Vordergrund gerückt war, verstand man unter „bestimmt“ dagegen in erster Linie die bloße Zugehörigkeit der Norm zum geschriebenen Recht, ohne über sonstige Qualitätsanforderungen und -kontrollen nachzudenken337, wohl in der Annahme die inhaltliche Bestimmtheit einer Gesetzesnorm sei mehr oder minder selbstverständlich. Eine richterliche Kontroll- und Verwerfungskompetenz hätte selbstverständlich auch nicht in Montesquieus populäres Bild vom Richter als „Mund des Gesetzes“, als „Wesen ohne Seele“, welches „weder die Stärke noch die Strenge des Gesetzes mä331 332 333 334 335 336 337

BVerfGE 47, S. 109 (120); BVerfGE 75, S. 329 (340 f.); BVerfGE 92, S. 1 (11 f.). BVerfGE 4, S. 261 (265); BVerfGE 92, S. 1 (12). Siehe oben Seiten 213 ff. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 GG, Rn. 178. Siehe oben Seiten 215 f., siehe dort allerdings auch Fußnoten 28, 29 und 30. Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 1 StGB, Rn. 16. Vgl. von Olshausen, § 2 RStGB, Abs. 6.

254

2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

ßigen“ kann338, gepasst. Ausdruck eines entsprechenden gesetzgeberischen Selbstbewusstseins, das wohl selbst dem Urheber des nulla poena-Satzes nicht ganz fremd war, sind auch die heute eher „naiv“339 anmutenden Auslegungs- und Kommentierungsverbote, wie sie selbst noch zum modernen Bayerischen StGB von 1813 durch königliches Publikationspatent erlassen wurden340. Auch im deutschen Kaiserreich gab es (ähnlich wie bis vor kurzem noch in Frankreich341) kein richterliches Prüfungsrecht gegenüber einem ordnungsgemäß ausgefertigten und verkündeten Gesetz, nicht einmal hinsichtlich seines verfassungsmäßigen Zustandekommens342. Solange der nulla poena-Grundsatz lediglich einfachgesetzlich in § 2 Abs. 1 RStGB geregelt war, hätte eine inhaltliche Bestimmtheitskontrolle der Strafvorschriften des Besonderen Teils ohnehin – allein wegen der Gleichrangigkeit in der Normenhierarchie – nicht stattfinden können. Immerhin im positiven Sinne anerkannt und auch durch die §§ 2 ff. des Einführungsgesetzes zum RStGB bekräftigt wurde aber schon damals, dass landesrechtliche Strafvorschriften in jedem Fall keine „willkürlichen“, d. h. unbestimmten Strafdrohungen enthalten durften343. Dem Reichsstrafgesetzgeber wäre es dagegen, jedenfalls solange der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege keinen Verfassungsrang besaß344, nach dem Prinzip der lex posterior wohl theoretisch möglich gewesen, sich über den § 2 RStGB hinwegzusetzen345.

338 Montesquieu, De L’Esprit des loix, Buch XI, Kap. VI („De la constitution d’Angleterre“). 339 Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 17 III 1, S. 154. Vgl. auch Germann, Imperative und autonome Rechtsauffassung, ZfSchR [46] 1927, S. 185 (201). 340 Vgl. Anmerkungen zum Strafgesetzbuche für das Königreich Baiern, Band 1 (1813), S. II f. Die Anmerkungen stammen freilich nicht aus Feuerbachs Feder, sondern aus der seines Widersachers Gönner. Das grundsätzliche Verbot von Privatkommentaren hatte aber wohl auch Feuerbach gebilligt (vgl. Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 267; Scheffler, Strafgesetzgebungstechnik in Deutschland und Europa, S. 17 f.). Zu Kommentierungsverboten siehe selbstverständlich vorher schon Einl. § 6 PreußALR („Auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bey künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden“), von dessen kasuistischem Konzept sich das bayerische StGB aber doch gerade abhob (vgl. Scheffler, a. a. O., S. 10 ff.). 341 Der Conseil constitutionnel nahm bis zur Reform von 2008 nur Präventivkontrollen bei noch nicht verkündeten Gesetzen vor. Dies geschieht auch heute noch gem. Art. 61 Constitution française bei Organgesetzen, bei normalen Gesetzen nur bei Anrufung durch den Präsidenten, den Premierminister, den Präsidenten der Nationalversammlung, den Präsidenten des Senats oder durch sechzig Abgeordnete oder sechzig Senatoren. Nunmehr sieht Art. 61-1 Constitution française allerdings für den Bürger die Möglichkeit vor, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens geltend zu machen, ein bestehendes Gesetz verstoße gegen die von der Verfassung garantierten Rechte und Freiheiten. Über die Anrufung des Verfassungsrates entscheidet dann das Hauptsachegericht sowie der Staatsrat bzw. der Kassationsgerichtshof. Vgl. zum traditionellen französischen Gesetzesverständnis auch Seite 67. 342 Vgl. Art. 2, 17 der Reichsverfassung; von Olshausen, § 2 RStGB, Abs. 6. 343 Vgl. von Olshausen, § 2 RStGB, Abs. 7; Frank, § 2 RStGB, Anm. II (S. 21 f.). 344 Siehe oben Seite 214.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

255

Dass inhaltliche Bestimmtheitsanforderungen kaum thematisiert wurden, heißt allerdings nicht, dass man dem Gesetzgeber hier völlige Beliebigkeit zugebilligt hätte. So trat natürlich schon Feuerbach für klare, präzise Strafgesetze346 ein, auch Beling verlangte „fest umrissene Tatbestände“347 und bezeichnete dies als „Hauptsache“. Zudem findet sich im von Lisztschen Lehrbuch der Hinweis, dass „nur die im Gesetze ausdrücklich mit Strafe bedrohten Handlungen“ strafbar sind348. Zwar galt dies anscheinend nicht für das skandalös rechtsstaatswidrige Kolonialstrafrecht, dem man seitens der deutschen Strafrechtswissenschaft völlig gleichgültig gegenüber stand349. Jedoch löste nach Untergang des Kaiserreiches eine Verordnung der Bayerischen Räterepublik von 1919 uneingeschränktes Entsetzen aus, welche – im wahrsten Sinne das realsatirische Gegenteil einer rechtsstaatlichen Regelung – jeden „Verstoß gegen revolutionäre Grundsätze“ unter Strafe stellte350. Wenn dazu auch noch Art und Höhe der Strafe bei Unzulässigkeit der Berufung im „freien Ermessen des Richters“ lagen, sah wiederum Beling darin völlig zu Recht „fundamentalste Gesetzgebungsgrundsätze“ preisgegeben, was dann auch vom Standpunkt des Reichsrechts aus selbstverständlich keine Gültigkeit haben konnte351. 345 Vgl. Frank, § 2 RStGB, Anm. II (S. 22) zur Zulässigkeit unbestimmter Strafdrohungen durch Reichsrecht. Aus rechtsgeschichtlicher Sicht so auch Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 94. 346 So heißt es in einem Vortrag zum Geist des Bayerischen StGB von 1813, gehalten im Plenum des königlich Geheimen Raths: „Begriffe, welche die Merkmale jeder gesetzlichen Voraussetzung mit Klarheit und erschöpfender Präcision zusammenfassen, sind die Hauptfäden welche eine Gesetzgebung tragen. Wo sie fehlen, wo sich der Gesetzgeber begnügt, das Verbrechen nur mit seinem Namen zu nennen, oder allenfalls durch bloße Beispiele zu bezeichnen, oder wo die von ihm aufgestellten Begriffe in vager Allgemeinheit ohne scharf bezeichnete Grenzen hin und her schwanken: da fehlt es dem Gebäude nicht nur an Licht, sondern auch an Grund und Haltung, da schwankt der Gegenstand des Gesetzes, folglich auch der Umfang der Gültigkeit desselben mit den unbestimmten Vorstellungen des Volkes und seiner Richter…“ (zitiert nach Anselm Ritter von Feuerbach’s Biographischer Nachlaß, Band 1, S. 216). In seinem Strafgesetzbuch sah er diese Bestimmtheitsanforderungen wohl als optimal verwirklicht an, denn seiner Meinung nach machte es „jeden Commentar überflüssig“ (vgl. Anselm Ritter von Feuerbach’s Biographischer Nachlaß, Band 1, S. 240 f.). Zum Bayerischen StGB siehe auch Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 17 ff., 43, 57 f., 90 f.; Scheffler, Strafgesetzgebungstechnik, S. 16 ff.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 261 ff. 347 Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 22. 348 von Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 16. / 17. Aufl., § 17, S. 87; vgl. auch Ehret, Franz von Liszt und das Gesetzlichkeitsprinzip, S. 73 f. 349 Für „Eingeborene“ der Kolonien diente das StGB dem „Richter“ (meist Beamter der Kolonialverwaltung) allenfalls als Anhaltspunkt. Zugunsten einer „freien Entfaltung der Praxis“, auch was strafwürdige Verhaltensweisen anbelangt, kam der Grundsatz nullum crimen sine lege nicht zur Anwendung. Siehe dazu Naucke, Deutsches Kolonialstrafrecht, 1886 – 1918, RJ 1988, S. 297 (304 ff.). 350 In der Bayerischen „Verordnung über die Einsetzung von Revolutionstribunalen“ hieß es u. a. wörtlich: „10. Jeder Verstoß gegen revolutionäre Grundsätze wird bestraft. 11. Die Art der Strafe steht im freien Ermessen des Richters. … 12. Berufung ist unzulässig.“; vgl. ZStW 40 [1919], S. 511 f. 351 Siehe Anmerkung Beling, ZStW 40 [1919], S. 512.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Die Schaffung von Art. 116 WRV352 hätte dann eigentlich auch in der Praxis einen offensiveren Umgang mit dem Bestimmtheitsgebot erwarten lassen – zumal sich das Reichsgericht in anderen Fällen durchaus für berechtigt hielt, Reichsgesetze am Maßstab der Verfassung zu überprüfen353. Die Chance, welche sich aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Bestimmtheitsgrundsatzes ergab, wurde jedoch nicht genutzt354. Art. 116 WRV wurde allenfalls im Zusammenhang mit unbestimmten Strafandrohungen, also unter dem damals bestrittenen Erfordernis der Rechtsfolgenbestimmtheit diskutiert355.

II. Heutige Bedeutung und allgemeine Grundsätze Erst in der Bundesrepublik erlangte das Bestimmtheitsgebot durch Art. 103 Abs. 2 GG als individuell durchsetzbares, in Art. 93 Nr. 4 a GG ausdrücklich genanntes Justizgrundrecht356 praktische Bedeutung. Art. 103 Abs. 2 GG wird sowohl eine freiheitsgewährleistende (d. h. Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit für den Bürger) als auch eine kompetenzwahrende (d. h. Entscheidung über die Strafbarkeit durch den Gesetzgeber und nicht den Richter) Funktion zugesprochen357. Die Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG umfasst sämtliche Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes aus dem Besonderen Teil, die relevanten Vorschriften des Allgemeinen Teils, einschließlich der Rechtswidrigkeit und Schuld, sowie Strafbarkeitsbedingungen, Strafausschließungsgründe358 und nach heutigem Verständnis unstreitig – freilich für diese Arbeit von geringerer Relevanz – die Strafdrohung359. Das Grundrecht gilt auch für Bußgeldtatbestände360, welche schließlich erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes formal aus dem Strafrecht ausgegliedert wurden361. Siehe oben Seite 214. Vgl. RGZ 111, S. 320 (322 f.). 354 Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 94. 355 Vgl. RGSt 56, S. 318 f., nach dem eine unbestimmte Strafdrohung bei Reichsgesetzen nicht gegen Art. 116 WRV verstoßen soll. Siehe dazu auch oben Seite 214. Anders heute BVerfGE 105, S. 135. 356 Siehe oben Seiten 216 f. 357 BVerfGE 47, S. 109 (120); vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 179 f. 358 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 GG, Rn. 197; siehe auch oben Seite 221. 359 BVerfGE 105, S. 135. Siehe dagegen oben Seite 214. 360 BVerfGE 38, S. 348 (371 f.); BVerfGE 41, S. 314 (319); BVerfGE 42, S. 261 (263); BVerfGE 55, S. 144 (152); BVerfGE 71, S. 108 (114); BVerfGE 81, S. 132 (135); BVerfGE 87, S. 363 (391); BVerfGE 87, S. 399 (411); BVerfG 1 BvR 2717 / 08 vom 17. November 2009. 361 Vgl. OWiG vom 25. März 1952, BGBl. I, S. 174; OWiG vom 24. Mai 1968, BGBl. I, S. 481 und Neufassung vom 2. Januar 1975, BGBl. I, S. 80, 520; siehe dazu auch Seite 267, insb. Fußnote 433. Vgl. aber auch bereits § 6 des Gesetzes zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 26. Juli 1949, Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (WiGBl.), S. 193. Siehe auch Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, Rn. 3 ff. 352 353

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

257

Das Bundesverfassungsgericht hat unzählige Strafnormen auf ihre Bestimmtheit untersucht – meist jedoch mit positivem Ergebnis362. Fälle, in denen es dann wirklich zu einer Unvereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG gelangte, sind dagegen äußerst selten363. Auch wenn das strafrechtliche Schrifttum mit entsprechenden Vorwürfen schnell bei der Hand ist364, werden in der Praxis also keine „übersteigerten“365 Anforderungen an die Bestimmtheit gestellt. Zwar müsse der Einzelne im Regelfall366 von vornherein ermitteln können, was strafrechtlich verboten ist367. Jedoch stehe der Gesetzgeber auch im Strafrecht vor der Notwendigkeit, bei der Ausgestaltung der Straftatbestände der Vielfalt der zu erfassenden Sachverhalte Rechnung zu tragen368. Er sei deshalb nicht gezwungen, sämtliche Tatbestände ausschließlich mit „rein deskriptiven, exakt fassbaren“ Merkmalen zu umschreiben369. Unklarheiten, die deshalb in Grenzfällen über die Reichweite eines Strafgesetzes bestehen, machen dieses nicht ungültig, vielmehr müssen solche Unklarheiten durch die Rechtsprechung behoben werden370. Bei der Prüfung darf auch der Adressatenkreis eine Rolle spielen371. Der Gesetzgeber müsse zudem die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso präziser bestimmen, je schwerer die angedrohte Strafe ist372, so dass im Bagatellbereich selbst die ehemalige Übertretung des § 360 StGB Nr. 11 362 BVerfGE 20, S. 162; BVerfGE 21, S. 239 („Staatsgeheimnis“ in §§ 99 ff. StGB); BVerfGE 26, S. 41 („grober Unfug i. S. d. § 360 StGB a. F.); BVerfGE 45, S. 363 („Staatsgeheimnis“ und „schwerer Nachteil“ in § 94 StGB); BVerfGE 47, S. 109 (Verbreitung pornographischer Schriften i. S. d. § 184 StGB); BVerfGE 57, S. 250 („geheimdienstliche Tätigkeit“ in § 99 StGB); BVerfG NJW 1995, S. 1883 (§ 370 AO); siehe auch den Überblick bei Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1 StGB, Rn. 74 ff. 363 BVerfGE 14, S. 174 (zu § 71 StVZO i. d. F. vom 13. November 1937); BVerfGE 14, S. 254 (zu § 49 StVZO); BVerfGE 23, S. 265 (zur Ausfüllung von § 366 Nr. 10 StGB a. F. durch eine Polizeiverordnung); BVerfGE 78, S. 374 (zu § 15 Absatz 2 lit. a FernmeldeanlagenG i. d. F. vom 17. März 1977); BVerfG NStZ 1990, S. 394 (unklarer Bußgeldtatbestand einer Gemeindesatzung); BVerfGE 105, S. 135 (zur Vermögensstrafe nach § 43a StGB i. d. F. vom 15. Juli 1992); siehe auch den vollständigen Überblick bei Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1 StGB, Rn. 72 f. 364 So die Beobachtung von Fischer, Strafbarer Gefährdungsschaden oder strafloser Untreueversuch, StV 2010, S. 95, dass kaum ein neuer Tatbestand ins StGB oder Nebenstrafrecht eingeführt werden könne, ohne dass dieser nicht alsbald deswegen kritisiert werde, er sei zu unbestimmt. 365 BVerfGE 14, S. 245 (251); BVerfGE 48, S. 48 (56). 366 BVerfGE 92, S. 1 (12). 367 BVerfGE 25, S. 269 (285); BVerfGE 26, S. 41 (42); BVerfGE 37, S. 201 (207). 368 BVerfGE 75, S. 329 (341); BVerfGE 92, S. 1 (12); siehe auch bereits BVerfGE 11, S. 234 (237). 369 BVerfGE 45, S. 363 (371). 370 BVerfGE 14 S. 245 (253); BVerfGE 51, S. 60 (73 f.); BVerfGE 75, S. 329 (341 f.); BVerfGE 92, S. 1 (12). Kritisch dazu Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 187. 371 BVerfGE 26, S. 186 (204); BVerfGE 48, S. 48 (57). 372 BVerfGE 14, S. 245 (251); BVerfGE 105, S. 135 (155 f.); vgl. auch BGH NJW 2004, S. 2990 (2992).

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Alt. 2 a. F., die denjenigen, der „groben Unfug verübt“, mit Geldstrafe oder Haft bedrohte, noch den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts genügte373. Zu den essentialia des Art. 103 Abs. 2 GG werden dennoch die Erkennbarkeit des geschützten Wertes und des Verbots bestimmter Verhaltensweisen sowie die Voraussehbarkeit der staatlichen Reaktion374 gezählt. Inwieweit nun neben der Sanktionsnorm Ausfüllungs- oder sonstige Bezugsnormen diesen Anforderungen entsprechen müssen, wird in den folgenden Unterabschnitten zu prüfen sein. Dort werden möglicherweise auch Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 70 ff. GG sowie Art. 80 Abs. 1 GG eine zusätzliche Rolle spielen.

III. Art. 103 Abs. 2 GG, 104 Abs. 1 S. 1 GG, 20 Abs. 3 sowie Art. 70 ff., 80 Abs. 1 GG bei Blankettmerkmalen, die auf inländische Rechtsnormen verweisen Bei Tatbeständen mit Blankettmerkmalen ist der Strafgesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht seiner Aufgabe zur Umschreibung des Tatbestandes nicht vollständig nachgekommen375. Die unvollkommene Darstellung wird jedoch durch Normen im gleichen oder in einem anderen Gesetz oder auch einer Rechtsverordnung vervollständigt376. Darüber hinaus existiert insbesondere im Ordnungswidrigkeitenrecht auch der Verweis auf Satzungen. Alle Verweisungstypen sollen nun einer Würdigung unterzogen werden.

1. Ausfüllung durch parlamentarische Bundes- oder Landesgesetze a) Allgemeine Grundsätze – insbesondere Ausfüllung durch Bundesrecht Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist die Blanketttechnik im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG an sich unproblematisch, wenn Sanktions- und Ausfüllungsnorm vom selben Normgeber stammen377. Relativ typisch für Blankettstrafgesetze ist, dass die Strafdrohungen für die Verletzung spezialgesetzlicher Pflichten – wie bei den §§ 331 ff. HGB oder §§ 399 ff. AktG378 – als Schlussvorschriften des jeweiligen Gesetzes übersichtlich zusammengefasst wer373 BVerfGE 26, S. 41 (43). Nachfolgevorschrift ist der etwas präzisere § 118 OWiG („Belästigung der Allgemeinheit“). 374 BVerfGE 45, S. 363 (372); BVerfGE 48, S. 48 (56 f.). 375 Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 129. 376 BVerfGE 14, S. 245 (252). 377 BVerfGE 75, S. 329 (342). 378 Vgl. Seiten 29, 92, 181.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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den. Diese Technik der Sanktionierung im gleichen Gesetz aufgestellter Ver- und Gebote tut der Gesetzesklarheit keinen Abbruch, sie ist ihr in aller Regel sogar eher dienlich379. Auch im Insiderstrafrecht umschreiben die verwaltungsrechtlichen Verbote in § 14 WpHG i.V. m. §§ 12, 13 WpHG das sozial unerwünschte Verhalten. Strafbarkeiten und Ordnungswidrigkeiten sind erst in den §§ 38 Abs. 1, 39 Abs. 2 Nr. 3 und 4 WpHG zu finden, wobei sich insofern allerdings schon die Frage stellt, ob manche Verweisungskette nicht hätte kürzer gefasst werden können. So wird z. B. der strafbare Insiderhandel gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1 WpHG durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG ergänzt, nach dem es für jedermann verboten ist, unter Verwendung einer Insiderinformation Insiderpapiere zu erwerben oder zu veräußern. Das Insiderpapier ist wiederum in § 12 WpHG, die Insiderinformation in § 13 Abs. 1 WpHG definiert, letztere als konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen380. § 38 Abs. 1 Nr. 2 lit. a – d WpHG verweist für das nur für Primärinsider strafbare Verwenden von Insiderinformationen zunächst auf § 39 Abs. 2 Nr. 3 und 4 WpHG, dieser wiederum auf § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG, nach dem es verboten ist, anderen Insiderinformationen unbefugt mitzuteilen oder auf Grundlage einer Insiderinformation den Erwerb oder die Veräußerung von Insiderpapieren zu empfehlen. Die zugehörigen Definitionen finden sich wiederum in den §§ 12, 13 WpHG.

Auch die Bezugnahme durch das Strafblankett auf andere Gesetze ist durchaus gebräuchlich: Bei den §§ 283, 283b StGB nehmen die „handelsrechtlichen Buchführungspflichten“ laut Bundesverfassungsgericht auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG den „Charakter einer Strafnorm“ an381. Häufig wird auch gerade dort, wo Tatbestände zur Betonung ihrer besonderen Bedeutung382 aus den Nebengesetzen ins Strafgesetzbuch gelangt sind, von dieser Normierungstechnik Gebrauch gemacht, so z. B. bei den § 324 ff. StGB383, welche wiederholt auf das Bundesimmissionsschutzgesetz und andere Umweltgesetze verweisen. Auch hier reicht es aus, dass Sanktions- und Ausfüllungsnorm „summativ“384 den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen, wenn die Verknüpfung des Blanketts mit der Ausfüllungsnorm eindeutig ist. Letzteres ist nicht nur dann der Fall, wenn die Ausfüllungsvorschriften durch das Blankettmerkmal exakt mit Paragraph und Absatz genannt werden. So ist eben auch der Verweis in §§ 283, 283b StGB auf „handelsrechtliche Buchführungspflichten“, gemeint sind die §§ 238 ff. HGB, völlig ausreichend. Auch die Einbeziehung 379

Kühl, Probleme der Verwaltungsakzessorietät im Strafrecht, Festschrift-Lackner, S. 815

(820). Vgl. auch bereits oben Seite 128. BVerfGE 48, S. 48 (57) zu § 240 Abs. 1 Nr. 4 KO a. F. (vgl. oben Seite 223). Siehe auch oben zum Irrtum Seite 159 und zu § 2 Abs. 3 StGB Seite 234. 382 Vgl. BVerfGE 75, S. 329 (342). 383 Siehe auch oben Seiten 150 f. 384 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 208. Siehe zur Technik des „Zusammenlesens“ nach Warda bereits oben Seite 95. 380 381

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

der steuerlichen Erklärungspflichten, namentlich §§ 139, 149, 153, 200 AO, §§ 41a, 45a EStG, § 18 UStG, §§ 30 ff. ErbStG, § 18 GrEstG, Art. 40 Zollkodex bzw. Art. 95 Modernisierter Zollkodex385, in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch das Merkmal „pflichtwidrig … in Unkenntnis lassen“ genügt Art. 103 Abs. 2 GG. Unschädlich ist es schließlich auch, dass § 11 Abs. 1 Nrn. 2 – 4 StGB als Definition des Amtsträgers bei den §§ 331 ff. StGB nicht ausdrücklich genannt wird. Zu unbestimmt ist eine Verknüpfung nur dann, wenn sich nicht ermitteln lässt, welche gesetzlichen Vorschriften gemeint sein könnten. Dies käme etwa dann in Betracht, wenn eine Norm schlicht den Verstoß gegen „gesetzliche Pflichten als Arbeitgeber“ pönalisieren würde. Auch lassen sich etwaige Fehlverweisungen, wie § 406 Abs. 1 SGB III i. d. F. vom 23. Dezember 2002 oder §§ 10, 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG i. d. F. vom 23. Juli 2004386, die auf einem Versehen des Gesetzgebers beruhen387, wegen Art. 103 Abs. 2 GG selbstverständlich nicht in sinnvolle Regelungen umdeuten. Bezieht sich die Prüfung anhand des Art. 103 Abs. 2 GG auch auf die Ausfüllungsnorm388, führt dies allerdings auch dazu, dass z. B. bei den §§ 311, 324a, 325, 325a, 326 Abs. 3, 328 Abs. 3 StGB, soweit ein Verstoß gegen durch Gesetz begründete verwaltungsrechtliche Pflichten i. S. d. § 330d Abs. 1 Nr. 4 lit. a StGB unter Strafe gestellt wird, nicht jede gültige Rechtsvorschrift zugleich als unmittelbarer Anknüpfungspunkt strafrechtlicher Pflichten in Betracht kommt389. Programmsätze oder nicht näher spezifizierte Betreiberpflichten (so z. B. §§ 5, 22 BImSchG390) genügen den Anforderungen ganz offensichtlich nicht. Der Normadressat muss der Ausfüllungsvorschrift eine hinreichend konkrete Verhaltensanweisung entnehmen können391. Einen Hinweis auf die Strafbewehrung selbst müssen die ausfüllenden Vorschriften dagegen (abgesehen vom Sonderfall der Rückverweisungsklausel392) nicht enthalten393.

385 Zur Anwendbarkeit vgl. Art. 188 Modernisierter Zollkodex. Zur Eigenschaft als blankettausfüllende Vorschriften siehe oben Seiten 193 und 248. 386 Vgl. oben Seiten 19 f. und 236 sowie ausführlich Mosbacher, Straffreie illegale Ausländerbeschäftigung (und andere Überraschungen zum neuen Jahr), wistra 2005, S. 54. 387 Siehe für weitere Beispiele oben Seiten 235 ff. 388 BVerfGE 23, S. 265 (270). 389 Heine, in: Schönke / Schröder, § 330d StGB, Rn. 13 m. w. N.; Lackner / Kühl, § 325 StGB, Rn. 6; Fischer, § 330d StGB, Rn. 6. 390 Vgl. BT-Drucksache 12 / 192, S. 18 f. Insofern kann eine Strafbarkeit aber an die Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben durch sonstige Rechtsvorschriften und Einzelakte anknüpfen (Cramer / Heine, in: Schönke / Schröder, § 330d StGB, Rn. 13, siehe auch Seiten 292 f.). 391 Beispiele aus dem Umweltstrafrecht wie § 7 BImSchG i.V. m. den dazu erlassenen Rechtsverordnungen fallen unter die nächste Kategorie der Ausfüllung durch administrative Gesetze. 392 Diese kommt allerdings wohl nur bei Ausfüllung durch administrativ gesetzte Rechtsnormen vor, siehe dazu gleich allgemein Seiten 263 ff. sowie speziell Seiten 274 ff. 393 BVerfGE 75, S. 329 (343).

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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Wie sich die Gewichte der Tatbestandsbeschreibung im Einzelnen auf beide Normen verteilen, steht zur Disposition des Gesetzgebers394. Teilweise sogar befindet sich die Handlungsbeschreibung – wie z. B. bei § 54 Abs. 1 Nr. 1 KWG oder § 334 Abs. 1 Nrn. 1 – 5 HGB395 – nahezu komplett außerhalb der Sanktionsnorm, in anderen Fällen – wie in § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG – wird dagegen nur auf einzelne Merkmale verwiesen. b) Mögliche Besonderheiten bei der Ausfüllung durch Landesrecht Landesrecht kann gleichermaßen bundesrechtliche Strafvorschriften ergänzen, auch dergestalt, dass erst durch das Hineinlesen von Landesrecht eine insgesamt den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügende Strafnorm entsteht. Entsprechende Konstellationen sind heute etwa bei § 329 Abs. 2 und 3 StGB, soweit er auf Landeswasser- oder Naturschutzgesetze verweist396, oder allgemein bei § 330d Nr. 4 lit. a StGB denkbar. Auch stellt die gesetzlich angeordnete Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes, die bei allen straf- oder bußgeldbewehrten Hoheitsakten eine Rolle spielt, nach der hier vertretenen Auffassung ein Blankett- und kein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal dar397. Dieses wiederum wird in bestimmten Fällen auch von dem jeweils einschlägigen Landesrecht ausgefüllt398. Prominentestes und anschaulichstes Beispiel für die Ausfüllung einer bundesgesetzlichen Strafnorm durch Landesrecht war schließlich der den unerlaubten Umgang mit gefährlichen Hunden betreffende § 143 Abs. 1 StGB i. d. F. vom 12. April 2001399. Dieser Tatbestand wurde allerdings im Jahre 2004 durch BVerfGE 110, S. 141 für verfassungswidrig erklärt, worauf gleich noch näher einzugehen ist. 394 Vgl. BVerfGE 75, S. 329 (342); Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 208. 395 § 334 Abs. 1 Nr. 6 HGB fällt unter die nächste Kategorie des Verweises auf Rechtsverordnungen. 396 Alt, in: Münchener Kommentar, § 329 StGB, Rn. 28, 40. Vgl. für weitere Beispiele auch Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 65 ff. 397 Siehe oben Seiten 166 ff., 240. 398 Wohl umstritten ist zwar, ob der bundesrechtliche § 80 Abs. 2 VwGO bei einem durch eine Landesbehörde oder Kommune erlassenen Verwaltungsakt nur deshalb gilt, weil die Landesverwaltungsverfahrensgesetze (§ 79 VwVfG) auf ihn verweisen, so dass quasi die bundesrechtliche Sanktionsvorschrift durch Landesrecht und dieses wiederum durch Bundesrecht ausgefüllt würde, oder ob dem jeweiligen landesrechtlichen § 79 VwVfG nur deklaratorische Bedeutung zukommt (vgl. auch Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 79 VwVfG, Rn. 2, 28). Auf jeden Fall aber kann gem. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO auch durch Landesrecht bestimmt werden, dass überhaupt kein Vorverfahren (mit gegebenenfalls aufschiebender Wirkung) statthaft ist. Auch § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kann eindeutig sowohl durch Bundes- als auch Landesrecht ausgefüllt werden. 399 Die Vorschrift lautete wie folgt: „Wer einem durch landesrechtliche Vorschriften erlassenen Verbot, einen gefährlichen Hund zu züchten oder Handel mit ihm zu treiben, zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ [vgl. BGBl. 2001 I, S. 530 (532)].

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Dass sich der Bundesgesetzgeber in bestimmten Fällen einer vollständigen Regelung enthält und teilweise die Bestimmung der Strafbarkeit den Landesparlamenten überlässt, ist aufgrund der Tatsache, dass das Strafrecht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG sogar Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung ist, an sich unbedenklich400. Schließlich gibt es unzählige landesrechtliche Bußgeldtatbestände und landesrechtliche Strafvorschriften, letztere z. B. im Kommunalabgabenrecht401 oder im Presserecht402. Der Bundesgesetzgeber ist aus diesem Grund auch nicht auf den Erlass statischer Verweisungen beschränkt403, da insofern eine unzulässige Verschiebung von Gesetzgebungskompetenzen gar nicht erst in Betracht kommt404. Bis zur „Föderalismusreform“405 spielte bei bundesrechtlichen Strafnormen, die auf Landesrecht verweisen, allerdings Art. 72 Abs. 2 GG insofern eine wichtige Rolle, als er die Bundeskompetenz in allen Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebung unter den Vorbehalt der Erforderlichkeit zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit stellte. Dieser Vorbehalt führte auch zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit von § 143 Abs. 1 StGB i. d. F. vom 12. April 2001, da dieser bloß ein Sanktionsblankett für die Nichteinhaltung landesrechtlicher Vorschriften, kaum jedoch eigene Elemente der Tatbestandsbeschreibung enthielt406. Das Bundesverfassungsgericht stellte in der Begründung im Wesentlichen auf die höchst unterschiedliche Ausgestaltung der Landesgesetze ab und kam zur Schlussfolgerung, dass die bloße Strafbewehrung landesrechtlicher Vorschriften hier keinesfalls geeignet sei, Bundeseinheitlichkeit zu erreichen. Vielmehr würden ganz im Gegenteil die Folgen des divergierenden Landesrechts durch die Sanktionierung noch verstärkt407. Insofern wäre also mit einer weitreichenderen Tatbestandsbeschreibung durch den Bundesgesetzgeber eine grundgesetzkonforme Lösung möglich gewesen. 400 BVerfGE 13, S. 367 (373); BVerfGE 23, S. 113 (125); BVerfGE 26, S. 246 (257 f.); BVerfGE 110, S. 141 (174). Vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht und Verwaltungshandeln, S. 99; Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, Vorbem § 1 StGB, Rn. 47; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, § 2 OWiG, Rn. 6; Gürtler, in: Göhler, § 2 OWiG, Rn. 10; Schmid-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 207. 401 Vgl. § 15 KAG (Rheinland-Pfalz); siehe für entsprechende Tatbestände anderer Länder Seite 185, Fußnote 1235. 402 Vgl. Art. 20 LPresseG (Rheinland-Pfalz). 403 Vgl. dagegen BVerfGE 47, S. 285 (311 ff.) zu unzulässigen dynamischen Verweisen auf Landesrecht beim Gebührenrecht der Notare. 404 Siehe auch Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 181 ff. 405 Vgl. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143), BGBl. 2006 I, S. 2034. 406 Vgl. Seite 261, Fußnote 399. 407 BVerfGE 110, S. 141 (174 ff., insb. 176), so bereits von Coelln, Keine Bundeskompetenz für § 143 StGB, NJW 2001, S. 2834 (2836); Tröndle / Fischer, 51. Aufl., § 143 StGB, Rn. 9.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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Im neu gefassten Art. 72 Abs. 2 GG bezieht sich das sonst inhaltlich unverändert gebliebene Erforderlichkeitskriterium aber nur noch auf die in Art. 74 Abs. 1 Nrn. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 GG erwähnten Sachmaterien408. Das Strafrecht fällt nicht mehr darunter409. Wenn Art. 72 Abs. 2 GG nun unanwendbar ist, dürfte es im Rahmen der Tatbestandsbeschreibung auch keine verfassungsrechtlichen Vorgaben für die gewichtsmäßige Verteilung auf Bundes- und Landesrecht mehr geben. Was bleibt, ist freilich das Problem, dass für die kompetenzmäßige Zuordnung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG eigentlich nur der Umstand maßgeblich ist, dass überhaupt ein bestimmtes Verhalten unter Strafe gestellt werden soll410. Darauf, welche Lebensbereiche betroffen sind, kommt es jedenfalls nach dem Wortlaut nicht an, obwohl die Schaffung eines Straftatbestandes für eine bestimmte Materie natürlich immer auch einen sachregelnden Effekt hat. Dieser wiederum kann Länderkompetenzen verletzen411. Bei Blankettstrafgesetzen, die wenigstens zum Teil dynamisch auf Landesrecht verweisen, werden entsprechende Effekte allerdings sogar abgeschwächt.

2. Ausfüllung durch administrative Gesetze Besonderheiten sind jedoch zu vermuten, wenn die Ausfüllungsnorm aus einem nichtparlamentarischen Gesetz stammt. Die vor Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Blankettgesetze waren nicht in irgendeiner Form besonders strukturiert, wenn sie auf administrativ gesetzte Normen verwiesen. So bestimmte etwa die Übertretung des § 366a RStGB i. d. F. vom 26. Februar 1876412 schlicht: „Wer die zum Schutze der Dünen und der Fluß- und Meeresufer sowie der auf denselben vorhandenen Anpflanzungen und Anlagen erlassenen Polizeiverordnungen übertritt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft.“413 Heute stellt sich aber die Frage, ob und inwieweit insbesondere Art. 103 Abs. 2 GG, aber auch Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 80 Abs. 1 GG hier höhere Anforderungen an den durch parlamentarisches Gesetz geregelten Teil des Gesamttatbestandes stellen.

408 Vgl. auch Kotulla, Umweltschutzgesetzgebungskompetenzen und „Föderalismusreform“, NVwZ 2007, S. 489 (491). 409 C. Maiwald, Die Gesetzgebungszuständigkeit im Strafrecht, ZRP 2006, S. 18. 410 BVerfGE 13, S. 367 (371 ff.); BVerfGE 23, S. 113 (124 f.). 411 Deshalb zu den Grenzen BVerfGE 26, S. 246 (258); siehe dazu auch von Coelln, NJW 2001, S. 2834 (2835); Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, Vorbem § 1 StGB, Rn. 47. 412 RGBl. 1876, S. 39. Siehe aber auch noch die Neubekanntmachung vom 1. September 1969, BGBl. 1969 I, S. 1445. 413 Vgl. Schneider, Gesetzgebung, § 4, Rn. 75.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

a) Keine Beschränkung von Art. 103 Abs. 2 GG auf parlamentarische Gesetze Problematisch ist zunächst, ob allein Art. 103 Abs. 2 GG bestimmte Mindestanforderungen an das stellt, was durch den parlamentarischen Gesetzgeber zu regeln ist, indem er die gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit verlangt414. Die entscheidende Frage ist dabei zunächst, wie der Gesetzesbegriff des Art. 103 Abs. 2 GG zu verstehen ist. Schließlich ist im Vergleich mit Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG bei Art. 103 Abs. 2 GG nicht ausdrücklich von „förmlichen Gesetzen“ die Rede. Dies legt durchaus nahe, dass der Verfassungsgeber insofern unterschiedliche Regelungen treffen wollte. Unter den Begriff des Gesetzes zählt das Bundesverfassungsgericht auch tatsächlich in zahlreichen Entscheidungen ausdrücklich nicht nur förmliche Gesetze i. S. d. Art. 76 ff. GG, sondern auch Rechtsverordnungen. Diese müssen allerdings im Rahmen einer dem Art. 80 Abs. 1 GG entsprechenden Ermächtigung ergangen sein415. Ebenfalls unter den Gesetzesbegriff des Art. 103 Abs. 2 GG fallen demnach auch Satzungen von Gemeinden, Landkreisen und anderen Körperschaften öffentlichen Rechts416. Konsequenz ist einerseits, dass sich der administrativ gesetzte Ausfüllungssatz im Zusammenspiel mit dem Blankettgesetz auch an Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen muss417. Andererseits wird damit unter gewissen Beschränkungen, die noch näher zu erläutern sein werden, vom Bild eines allzu streng verstandenen Gewaltenteilungsprinzips abgewichen418. Mehrere Vertreter des verfassungsrechtlichen Schrifttums lassen dagegen in Bezug auf Art. 103 Abs. 2 GG nur parlamentarische Gesetze genügen419. Die Verfassungsnorm habe auch die Aufgabe, die Bestimmungsmacht des Parlaments zu garantieren, weil die Entscheidung über die Beschränkung von Grundrechten nach dem Verteilungsprinzip des Grundgesetzes der Legislative und nicht den anderen 414 Zur Bedeutungserlangung des Bestimmtheitsgrundsatzes in der Bundesrepublik siehe oben Seiten 256 ff. 415 BVerfGE 14, S. 174 (185); BVerfGE 14, S. 245 (251); BVerfGE 14, S. 254 (257); BVerfGE 22, S. 21 (25); BVerfGE 38, S. 348 (371 f.); BVerfGE 51, S. 60 (73); BVerfGE 75, S. 329 (342); BVerfG NJW 1992, S. 2624; BVerfG NStZ-RR 2002, S. 22. 416 BVerfGE 32, S. 346 (362); BVerfG, NStZ 1990, S. 394; Vgl. BGHSt 42, S. 84; OLG Köln NVwZ 1994, S. 935 (936); OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, S. 246 f.; OLG Braunschweig NStZ-RR 2004, S. 52 (53). 417 Siehe oben Seite 260. 418 Vgl. Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80 GG, Rn. 1. 419 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 103 II GG, Rn. 28; Degenhardt, in: Sachs, Art. 103 GG, Rn. 63; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, Art. 103 GG, Rn. 26; SchmidtAßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 183. Letzterer beruft sich auch auf Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 248 ff., 253 f., der einerseits im Kontext von Art. 103 Abs. 2 GG ein förmliches Gesetz verlangt, auf S. 254 allerdings ausdrücklich die Konkretisierung durch Rechtsverordnung zulässt. In diesem „endgültigen, konkretisierten Sinne“ sei „Strafgesetz“ dann das gesamte geschriebene Recht.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

265

staatlichen Gewalten obliege420. Für die gesamte Breite des Garantietatbestandes gelte deshalb ein Parlamentsvorbehalt421, wobei das die Möglichkeit einer „näheren Ausformung“ durch Rechtsverordnungen wohl dennoch nicht ausschließen soll422. Interessanterweise versucht man sich dabei gar nicht erst von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes abzugrenzen, vielmehr kann man sich zum Teil sogar auf einzelne missverständliche, in der Form aber nicht tragende verfassungsrichterliche Formulierungen berufen423. Gänzlich von der Rechtsprechung abweichende Ergebnisse möchte man mit diesem systematischen Ansatz ohnehin nicht erreichen. Ein strenges Verständnis vom „Gesetz“ i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG als förmliches i. S. d. Art. 76 ff. GG hätte aber bei konsequenter Beachtung empfindliche Auswirkungen, welche so sicherlich von niemanden ernsthaft gewollt sind424. Alltägliches und damit anschaulichstes Beispiel ist wiederum der Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten: Relativ offensichtlich bildet der Bußgeldtatbestand des § 24 StVG mit der blanken Verordnungsermächtigung in § 6 StVG ohne die dazu erlassenen Ausführungsvorschriften der Fahrerlaubnisverordnung (FeV), der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) und der Straßenverkehrsordnung (StVO) nach allgemeinen Maßstäben keinen den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG entsprechenden Gesamttatbestand. Die Ermächtigungsnorm regelt hier nur die Verbotsmaterien – wie z. B. die „Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen“ in § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG425. Konkrete Handlungs- oder Unterlassungspflichten werden erst in der jeweiligen Rechtsverordnung aufgestellt, so z. B. welche Geschwindigkeiten einzuhalten sind (§ 3 StVO) oder wer Vorfahrt (§ 8 StVO) hat. Nur durch die Rechtsverordnung entsteht im Zusammenspiel mit der Blankettnorm des § 24 StVG ein ausreichend bestimmter Gesamttatbestand. Ohne § 3 StVO oder § 8 StVO wäre es schließlich für den Bürger völlig unmöglich zu erkennen, ob er durch Fahren mit einer bestimmten Geschwindigkeit oder durch Überqueren der Kreuzung Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 180. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 183. 422 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 210; Degenhardt, in: Sachs, Art. 103 GG, Rn. 64; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, Art. 103 GG, Rn. 28. Andere folgern aus Art. 103 Abs. 2 GG zumindest die Notwendigkeit einer „grundsätzlichen“ Bestimmung im Parlamentsgesetz (vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 103 II, Rn. 28, 31 ff.). Nolte, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Art. 103 Abs. 2, Rn. 152 geht von einem Vorbehalt des förmlichen Gesetzes aus, der jedoch durch Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG konkretisiert wird. 423 Vgl. BVerfGE 78, S. 374 (382), welches auf S. 383 dann allerdings in Übereinstimmung mit den in Fußnote 415 (Seite 264) genannten Entscheidungen nur die hinreichende Umschreibung der „Verbotsmaterie … in ihren Grundzügen“ verlangt. Siehe auch BVerfGE 47, S. 109 (120); BVerfG NJW 1992, S. 107. Die Berufung auf BVerfG, NJW 1992, S. 35 (vgl. SchmidtAßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 183, Fn. 87) erscheint allerdings nicht gerechtfertigt. 424 Dies zeigt auch die Kommentierung von Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 209 ff. 425 Vgl. dazu auch BVerfGE 26, S. 259, wo festgestellt wird, dass § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügt. 420 421

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

verkehrsgerecht, d. h. im Sinne von „Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen“, oder ganz im Gegenteil ordnungswidrig handelt. Entsprechendes gilt im Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrecht beispielsweise für § 34 Abs. 1 AWG, wo die ausfuhrbeschränkten Güter erst durch die Anlage AL der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) bestimmt werden, welche gem. §§ 2 ff., 26 ff. AWG durch die Bundesregierung erlassen wird. Diese Regelungstechnik hat bekanntermaßen den Grund, dass gegebenenfalls flexibel und schnell auf neue politische Sachverhalte reagiert werden muss426. Der Wirtschaftstreibende kann gleichzeitig jedoch ohne die Anlage AL nicht ermitteln, ob die genehmigungslose Ausfuhr einer Muskete, die vor 1938 hergestellt wurde, oder die eines gepanzerten Geländewagens der Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AWG unterfällt427. Auch werden betreffend das Kreditwesen bezüglich § 56 Abs. 2, 3 KWG bestimmte Anzeigepflichten erst durch Rechtsverordnungen hinreichend konkretisiert428, die aufgrund der Ermächtigungen der §§ 2c, 22 ff., 47 f. KWG erlassen wurden. Für das gesamte Betäubungsmittelstrafrecht gilt ebenfalls, dass die Strafbarkeit nach § 29 BtMG davon abhängt, ob eine bestimmte Substanz unter die Anlagen I-III zum BtMG fällt, welche gem. § 1 Abs. 2 BtMG durch Rechtsverordnung ergänzt und geändert werden können429. Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG wird trotzdem niemand behaupten wollen. Die formalgesetzlich festgelegten Merkmale genügen bei all den beschriebenen Straf- und Bußgeldtatbeständen allein nicht dem Bestimmtheitsgebot. Verstünde man Art. 103 Abs. 2 GG als Parlamentsvorbehalt, wäre nach real existierender Gesetzeslage die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, Ausfuhrverstößen, BtM-Delikten usw. unzulässig430, denn es mangelt ganz eindeutig an einer Umschreibung konkreter Handlungspflichten durch die Legislative. Wer anderes behauptet, nutzt den Verfassungsgrundsatz hier unnötig ab. Der Gesetzesbegriff von Art. 103 Abs. 2 GG umfasst deshalb richtigerweise auch Rechtsverordnungen und Satzungen431. Spezielle Mindestanforderungen an den durch parlamentarisches Gesetz geregelten Teil des Gesamttatbestandes können sich damit aber nicht allein aus Art. 103 Abs. 2 GG ergeben.

Siehe bereits oben Seite 160. Siehe dazu Anlage AL, Teil I, Abschnitt A, Nr. 0001a und Nr. 0006a. Vgl. auch Seite 160, Fußnote 1071. 428 Vgl. Verordnung über die Anzeigen und die Vorlage von Unterlagen nach dem KWG. 429 Siehe dazu BVerfG NJW 1998, S. 669. 430 Dagegen richtigerweise BVerfGE 14, S. 245 (253) zu Verkehrsordnungswidrigkeiten; BVerfG NJW 1992, S. 2624 zu Ausfuhrverstößen. 431 Neben Bundesverfassungsgericht (vgl. Entscheidungen in Fußnoten 415, 416 [Seite 264] und 430) so ausdrücklich auch Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 1 StGB, Rn. 8; Fischer, § 1 StGB, Rn. 3; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 15 III m. w. N. 426 427

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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b) Eigenständige Bedeutung des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG bei Straftatbeständen? Fraglich ist allerdings, ob speziell aus Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG Beschränkungen an das hergeleitet werden können, was durch Rechtsverordnung geregelt werden darf. Die Vorschrift stellt zumindest Freiheitsbeschränkungen ausdrücklich unter den Vorbehalt des „förmlichen Gesetzes“432. In Anbetracht der Tatsache, dass alle ausschließlich mit Geldstrafe belegten Strafnormen, früher sogenannte Übertretungen i. S. d. § 1 Abs. 2 StGB a. F., begleitend zum Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes433 in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt wurden, könnte dies alle heute existierenden Straftatbestände betreffen434. Für Bußgeldtatbestände allerdings hätte eine eigenständige Bedeutung im Umkehrschluss wohl die Konsequenz, dass für sie im Vergleich zu Strafnormen erleichterte Anforderungen an den durch förmliches Gesetz zu regelnden Teil des Gesamttatbestandes gelten. Vom Grundgesetzgeber jedoch war mit Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG wohl vordringlich der schlichte Schutz vor willkürlicher Verhaftung intendiert435. Dies ergibt sich unter anderem aus den übrigen in Art. 104 GG geregelten Sachmaterien. Auch das heutige Schrifttum versteht die Norm noch vielfach als bloße Verfahrensgarantie, welche als Kontrollmaßstab sowohl für Strafgesetze als auch Bußgeldtatbestände ausscheide436. So sei weder in einer Strafdrohung noch im Strafurteil als solches ein Freiheitsentzug zu sehen. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG als spezielle Ausprägung von Art. 2 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG437 komme erst bei den Vollstreckungsmaßnahmen, die in den §§ 449 ff. StPO geregelt sind, und im Strafvollzug (sowie dann wohl auch im Ordnungswidrigkeitenrecht bei den §§ 96 f., 98 Abs. 2 OWiG) zum Tragen438. Dagegen beschränke eine Strafnorm selbst zunächst einmal nur die Handlungsfreiheit439. Das Bundesverfassungsgericht leitet dagegen in einigen Entscheidungen explizit aus Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG her, dass „Art und Maß der Freiheitsstrafe“ in einem BVerfGE 14, S. 174 (186 f.); BGHZ 15, S. 61 (64). Vgl. Art. 13 EGStGB i. d. F. von 1974, BGBl. I 1974, S. 469. Art. 13 EGStGB wurde aufgehoben durch Gesetz vom 13. Dezember 2001, BGBl. I, S. 3574. Siehe auch BGBl. 1969 I, S. 717 und oben Seite 58. 434 Selbst Tatbestände wie § 184e StGB, § 285 StGB, § 23 ApothekenG, § 23 Abs. 2 ArbeitszeitG oder § 21 Abs. 2 StVG, § 25 VersammlG drohen neben einer Geldstrafe von maximal 180 Tagessätzen immer auch Freiheitsstrafe an. Wegen § 47 StGB wird sie freilich nur sehr selten verhängt werden. 435 Dürig, in: Maunz / Dürig, Art. 104 GG, Rn. 2. 436 Dürig, in: Maunz / Dürig, Art. 104 GG, Rn. 1; Rüping, in: Bonner Kommentar, Art. 104 GG, Rn. 30; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, § 104 GG, Rn. 1; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 252 f.; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht und Verwaltungshandeln, S. 92 ff. Vgl. auch Degenhart, in: Sachs, Art. 104 GG, Rn. 4. 437 Dürig, in: Maunz / Dürig, Art. 104 GG, Rn. 1. 438 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 252 f. 439 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 93. 432 433

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Parlamentsgesetz festgelegt sein müssen440. Zudem ergebe sich speziell aus dieser Verfassungsbestimmung, dass der parlamentarische Gesetzgeber mit „hinreichender Deutlichkeit“ selbst bestimmen müsse, was strafbar sein soll441. Diese Aussagen des Bundesverfassungsgerichts stehen freilich in einem Kontext, in dem es allein um die Überprüfung konkreter Straf tatbestände ging. Ob die aufgestellten Kriterien wirklich ausschließlich dem Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG zu entnehmen sind und deshalb für Ordnungswidrigkeiten (bzw. Übertretungen442) nicht gelten, wurde in keiner Form auch nur andiskutiert. Gegen eine solche Annahme spräche jedenfalls die allgemeine Gesetzespraxis, nach der sowohl bei Strafnormen als auch bei Ordnungswidrigkeiten die Sanktion in förmlichen Gesetzen geregelt ist. Zudem war in den genannten Entscheidungen gleichzeitig immer auch davon die Rede, dass selbst bei Strafnormen dem Verordnungsgeber „Spezifizierungen“ überlassen bleiben dürfen443, wofür der Wortlaut des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG eigentlich keine Grundlage bietet. Deshalb wird im Anschluss zu klären sein, ob nicht Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für Straf- und Bußgeldnormen gleichermaßen die entscheidende Verfassungsnorm dafür darstellt, welche Mindestanforderungen für den durch förmliches Gesetz geregelten Teil des Gesamttatbestandes gelten. Nur, was die Bemessung der Sanktion anbelangt, scheint es einen wirklichen Unterschied zwischen Strafnormen und Bußgeldtatbeständen zu geben: Für die Höhe eines Bußgeldes oder auch die Angemessenheit anderer Maßnahmen (wie Fahrverbote), ist im gesetzgeberisch gesteckten Rahmen (vgl. § 17 OWiG und z. B. § 25 StVG) die Aufstellung von Bußgeldkatalogen im Verordnungswege (vgl. § 26a StVG und BKatV) üblich und mit dem Grundgesetz vereinbar444. Auch für Gerichte haben die dort enthaltenen Regelsätze als solche durchaus Bindungswirkung445. Im Strafrecht sind mit der BKatV vergleichbare Ver440 BVerfGE 14, S. 245 (251); BVerfGE 14, S. 254 (257 f.); BVerfGE 75, S. 329 (342); BVerfG NVwZ 2009, S. 239. Vgl. zudem BVerfGE 14, S. 174 (187), siehe dort jedoch auch S. 185 f. In BVerfGE 22, S. 21 (26) wird anhand des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG geprüft, ob die Verpflichtung der Teilnahme am Verkehrsunterricht durch Verordnung ausgesprochen werden darf. Auch wenn das Gericht hier eine Freiheitsbeschränkung verneint und einen Schutzbereich des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG nicht betroffen sieht, billigt es doch auf diese Weise der verfassungsrechtlichen Vorschrift eine eigenständige Bedeutung zu. 441 BVerfGE 14, S. 174 (187); BVerfGE 14, S. 245 (251); BVerfGE 14, S. 254 (257 f.); BVerfGE 75, S. 329 (342); wobei jeweils einschränkend davon die Rede ist, dass unter dem Aspekt des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG „Spezifizierungen“ dem Verordnungsgeber überlassen bleiben dürfen. 442 Siehe oben Seite 267, insbesondere Fußnote 433. 443 BVerfGE 14, S. 174 (187); BVerfGE 14, S. 245 (251); BVerfGE 14, S. 254 (257 f.); BVerfGE 75, S. 329 (342). Alles andere hätte ja auch wieder das absurde Ergebnis, dass etwa der Verstoß gegen § 34 AWG nicht mehr geahndet werden könnte (vgl. oben Seite 266). 444 BVerfG NJW 1996, S. 1809 (1810); BGH NZV 1992, S. 117 (118). 445 Gürtler, in: Göhler, § 17 OWiG, Rn. 31; Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, § 17 OWiG, Rn. 94 ff.; Janker, in: Burmann / Heß / Jahnke / Janker, Straßenverkehrsrecht, § 26a StVG, Rn. 3 ff. Bußgeldkatalogen außerhalb des Straßenverkehrsrechts, die in Form von Verwaltungsrichtlinien ergangen sind, kommt dagegen keine Rechtssatzqualität zu. Vgl. Gürtler, a. a. O., Rn. 32; Mitsch, a. a. O., Rn. 101 ff., 109. Völlig ignorieren kann der Richter diese insbesondere bei Katalogen mit einem weiten Anwendungsbereich allerdings auch nicht. Je stär-

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ordnungen dagegen gänzlich unbekannt446. Sie werden de lege ferenda nicht diskutiert und wären wohl auch nicht verfassungsgemäß. Die Frage, ob dies ausschließlich Folge von Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG ist oder sich angesichts der Bedeutung einer strafrechtlichen Verurteilung auch aus Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG ergeben würde oder ob sogenannte „sentencing guidelines“, selbst wenn sie vom parlamentarischen Gesetzgeber stammten, sich nicht mit dem Schuldprinzip vereinbaren ließen447 (da es sich bei Straftaten nur selten um leicht typisierbare Massenerscheinungen handelt448), soll hier offen bleiben.

c) Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bei blankettausfüllenden Rechtsverordnungen – Zusammenspiel mit Art. 103 Abs. 2 GG In zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes spielte neben Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG auch Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG eine ganz wesentliche Rolle, wenn es um die Formulierung von Mindestanforderungen an den Teil des aus Blankett- und Ausfüllungsnorm gebildeten Gesamttatbestandes ging, der durch förmliches Gesetz zu regeln ist449. Die Verfassungsnorm, nach der Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Verordnungsermächtigung vom parlamentarischen Gesetzgeber festgelegt sein müssen, regelt ganz allgemein die Grenzen administrativer Gesetzgebung. Sie ist dabei Ausprägung des aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Parlamentsvorbehaltes450, nach dem alle wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst zu treffen sind451. Soll folgend das Zusammenspiel von Art. 80 Abs. 1 ker er von den Orientierungssätzen abweicht, desto höher sind die Begründungsanforderungen bei der Bußgeldbemessung. 446 Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich für bestimmte Gerichtsbezirke nicht typische Straftaxen bezüglich einzelner Delikte empirisch ermitteln ließen. Im Bereich der Bagatellkriminalität wird vor allem die Einstellungspraxis (§§ 153 ff. StPO) zwecks Gleichbehandlung aller Beschuldigten durch allgemeine Weisungen gegenüber den Staatsanwaltschaften gesteuert. Im Bereich des Steuerstrafrechts existieren sogar Richtlinien, die als Orientierungshilfe dienen (vgl. Schäfer / Sander / van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rn. 1032 ff., 1046 ff.). 447 Seit der Entscheidung United States vs. Booker [2005], United States Reports, Vol. 543, S. 220 des Supreme Court sind selbst in den Vereinigten Staaten Strafmaßrichtlinien nur noch als Empfehlung und nicht mehr als absolut bindend anzusehen, da ansonsten das Recht auf Verurteilung durch eine Jury nach dem 6. Zusatzartikel zur Verfassung verletzt werde. 448 Im Bereich der alltäglichen Massenvergehen wie Verkehrsstraftaten, BtM-Delikte oder Diebstahl wird man dies nicht einmal behaupten können, siehe auch Fußnote 446 (auf dieser Seite). Die derzeitigen Strafrahmen und die sich daraus ergebenden richterlichen Strafzumessungsspielräume (welche in der Praxis kaum ausgeschöpft werden) erscheinen insofern sogar eher zu hoch; zur Verhängung schuldangemessener Strafen sind sie in der Breite jedenfalls nicht notwendig. Vgl. näher Hettinger, Die Strafrahmen des StGB nach dem Sechsten Strafrechtsreformgesetz, Festschrift-Küper, S. 95. 449 BVerfGE 14, S. 174 (185); BVerfGE 14, S. 245 (251); BVerfGE 14, S. 254 (257); BVerfGE 22, S. 21 (25); BVerfGE 51, S. 60 (73); BVerfGE 75, S. 329 (342). 450 BVerfGE 41, S. 251 (265 f.); BVerfGE 49, S. 89 (127); BVerfGE 58, S. 257 (277). 451 Bereits der von der Ewigkeitsklausel umfasste Art. 20 Abs. 2 GG verbietet eine Übertragung der gesamten Gesetzgebung oder wesentlicher Teile davon auf die Exekutive (Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80 GG, Rn. 6). Parallel dazu ist die Notstandsgesetzgebung anders als in

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

S. 2 GG und Art. 103 Abs. 2 GG bei Straf- und Bußgeldtatbeständen näher präzisiert werden, erfordert dies jedoch zunächst eine kurze generelle Auseinandersetzung mit Art. 80 GG, auf die auch später beim Vergleich mit sanktionsbewehrten Satzungen und Verordnungen der Europäischen Union Bezug genommen werden soll. aa) Historischer Hintergrund von Art. 80 GG Administrative Verordnungsgebung hat durchaus geschichtliche Tradition, die zum Verständnis der genauen Zielsetzung von Art. 80 GG, der kein historisches Vorbild hatte, hier kurz zu skizzieren ist: Die Unterscheidung zwischen förmlichen Gesetzen und Verordnungen in der Rechtsquellenlehre lässt sich bis in den Frühkonstitutionalismus zurückverfolgen452. Gesetze einerseits betrafen die Rechte der Bürger und bedurften ständischer Zustimmung. Verordnungen andererseits konnten damals noch als Rest absolutistischer Rechtssetzungsbefugnisse vom Monarchen erlassen werden. Das früher selbständige Verordnungsrecht ging dann im Jahre 1871 mit Schaffung des Deutschen Reiches in einem gesetzlich delegierten Verordnungsrecht auf. Entsprechend dem heutigen Verständnis – allerdings ohne, dass dies verfassungsrechtlich geregelt gewesen wäre – konnte der Gesetzgeber, d. h. der Reichstag mit Zustimmung des Bundesrats, die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, was dann insbesondere in den Kriegsjahren bekanntermaßen eine ganz große Rolle spielte453. Verfassungsrechtliche Einschränkung gab es nach damaliger Staatspraxis nicht, „die schrankenlose Delegationsbefugnis des schrankenlosen Gesetzgebers stand außer Zweifel“454. Auch die Weimarer Reichsverfassung hatte auf eine ausdrückliche und allgemeine Regelung des Rechts der Rechtsverordnungen verzichtet. Für den nun demokratisch voll legitimierten parlamentarischen Gesetzgeber bestanden weiterhin keine materiellen Grenzen bei der Abtretung von Verordnungsrechten455, wovon im (von Ruhrkampf und Hyperinflation geprägten) Krisenjahr 1923 erstmals im ganz globalen Sinne durch zwei große Ermächtigungsgesetze Gebrauch gemacht wurde456 – hier noch mit durchaus positiven Resultaten. Art. 48 Abs. 2 WRV, der dem Reichspräsidenten weitreichende Möglichkeiten des Erlasses von Notverordnungen mit Gesetzeskraft einräumte, auf den Gesetzgebungsnotstand gem. Art. 81 GG und den Verteidigungsfall gem. Art. 115e GG beschränkt, wobei im ersten Fall der mittelbar demokratisch legitimierte Bundesrat im zweiten Fall der Gemeinsame Ausschuss von Bundestag und Bundesrat zum Legislativorgan wird. 452 Vgl. Bauer, in: Dreier, Band II, Art. 80 GG, Rn. 1 ff. 453 Siehe bereits oben Seite 18. 454 Carl Schmitt, Vergleichender Überblick über die neueste Entwicklung des Problems der gesetzgeberischen Ermächtigungen, ZaöRV 6 [1936], S. 252 (261, Fn. 21). 455 Vgl. Busch, Das Verhältnis des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 126. 456 Vgl. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 192. Zum historischen Hintergrund siehe auch die geschichtswissenschaftliche Habilitationsschrift von Raithel, Das schwierige Spiel des Parlamentarismus, S. 237 ff.

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So wurde der Regierung der Großen Koalition unter der Kanzlerschaft von Stresemann durch Gesetz vom 13. Oktober 1923457 gestattet, auch unter Abweichung von den Grundrechten „die Maßnahmen zu treffen, welche sie auf finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Gebieten für erforderlich und dringend erachtet“. Zugunsten der bürgerlichen Minderheitsregierung Marx nach Ausscheiden der Sozialdemokraten, die parlamentarisch aber weiter kooperierten, erfolgte dann sogar durch Gesetz vom 8. Dezember 1923458 eine vorübergehende Ermächtigung bezogen auf schlechthin alle Maßnahmen, die ihr „im Hinblick auf die Not von Volk und Reich“ unaufschiebbar erschienen. Nach Einführung einer neuen Währung, Niederschlagung von Putschversuchen und separatistischen Bewegungen, Ende des Ruhrkampfes sowie der Anpassung von Reparationsleistungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Deutschen Reiches begannen die sogenannten „goldenen Zwanziger“.

Der leichtfertige Umgang mit Rechtssetzungsbefugnissen bereitete allerdings zehn Jahre später den Weg für das Ende der Weimarer Republik durch das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. März 1933459, wonach durch die Regierung nunmehr auch Reichsgesetze unter Abweichung von der (formell nie außer Kraft gesetzten) Weimarer Reichsverfassung beschlossen werden konnten. Dies460 war bekanntermaßen der entscheidende Schritt zur Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur und des Führerprinzips461. Das Ermächtigungsgesetz wurde 1937 und 1939 vom Reichstag verlängert462, 1943 geschah dies ein letztes Mal – auf unbestimmte Zeit – durch „Führererlass“463. Unter diesem Eindruck sollte nach Ende des Zweiten Weltkriegs bei Schaffung des Grundgesetzes durch Art. 80 GG der Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen auf die Exekutive eindeutige Grenzen gesetzt werden464. Auch im heutigen, gefestigten demokratischen Staat trägt die Verfassungsnorm dem Bedürfnis Rechnung, „eine Macht zu zügeln, die versucht sein könnte, praktisch-effiziente Regelungen auf Kosten der Freiheit der Bürger durchzusetzen“465. bb) Inhalt von Art. 80 GG – Bedeutung für den Gesamttatbestand An die durch Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG aufgestellten Mindestanforderungen ist die Legislative gebunden, die von ihr geschaffene gesetzliche Ermächtigungsnorm hat RGBl. 1923 I, S. 943. RGBl. 1923 I, S. 1179. 459 RGBl. 1933 I, S. 141. Siehe dazu auch Bickenbach, Vor 75 Jahren: Die Entmächtigung der Weimarer Reichsverfassung durch das Ermächtigungsgesetz, JuS 2008, S. 199. 460 Darauf, dass Hitler nicht aufgrund des ebenfalls äußerst zweifelhaften Art. 48 Abs. 2 WRV (Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten) „an die Macht“ gekommen ist, verweist zu Recht Schneider, Gesetzgebung, § 8, Rn. 192, Fn. 9. 461 Aus damaliger Perspektive Carl Schmitt, ZaöRV 6 [1936], S. 252 (266 f.). 462 Vgl. RGBl. 1937 I, S. 105; RGBl. 1939 I, S. 95. 463 Vgl. RGBl. 1943 I, S. 295. 464 Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80 GG, Rn. 2; Bauer, in: Dreier, Art. 80 GG, Rn. 1. 465 BVerfGE 33, S. 125 (157). 457 458

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den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen466. Sie muss allgemein zum Ausdruck bringen, was geregelt werden soll, innerhalb welchen Rahmens sich die Rechtsverordnung bewegen muss und welchem Ziel die Regelung zu dienen hat467. Die Exekutive wiederum muss sich bei der Ausübung der erteilten Rechtssetzungsbefugnis an die Vorgaben des Gesetzgebers halten und Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG beachten. Legt der Ermächtigungssatz Inhalt, Zweck und Ausmaß der Rechtsverordnung nur unzureichend fest, kann er keine wirksame Grundlage für eine Rechtsverordnung bilden. Existiert ein wirksamer Ermächtigungssatz, lässt sich die Verordnung davon aber nicht legitimieren, hat dies ebenfalls, wie vom Bundesverfassungsgericht etwa für die vom damaligen § 21 StVG468 nicht gedeckte Strafdrohung des § 71 StVZO i. d. F. vom 6. September 1960469 (Trunkenheit am Steuer) entschieden470, deren Nichtigkeit zur Folge. Die Ausfüllung eines Blankettgesetzes, welches ja gerade allein dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht genügt471, durch einen wegen Art. 80 Abs. 1 S. 2, 3 GG oder auch sonst (etwa wegen fehlender Verkündung gem. Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG) nichtigen Rechtssatz scheidet selbstredend aus472. Im Ergebnis kann dann mangels wirksamer Ausfüllungsnorm auch kein dem Art. 103 Abs. 2 GG genügender Gesamttatbestand gebildet werden473. Art. 103 Abs. 2 GG allein setzt der Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen also noch keine Grenzen. Die Nichtigkeit nach Art. 80 Abs. 1 S. 2, 3 GG bewirkt vielmehr den Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. cc) Schlussfolgerungen für ein allgemeines Gesamtanforderungsprofil aus Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Über das allgemeine Gesamtanforderungsprofil474, welches sich nach der hier vertretenen Auffassung aus dem Zusammenspiel von Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ergibt, wird trotz systematischer Ungereimtheiten475 überraschenderweise wenig gestritten. Die Festlegung von Art und Maß der Sanktion 466 Vgl. BVerfGE 1, S. 14 (60), BVerfGE 2, S. 307 (334); BVerfGE 5, S. 71 (76); BVerfGE 7, S. 282 (302); BVerfGE 8, S. 274 (307 ff.); BVerfGE 10, S. 251 (258); Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80 GG, Rn. 3. 467 Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80 GG, Rn. 27. 468 BGBl. 1957 I, S. 897. 469 BGBl. 1960 I, S. 897. 470 BVerfGE 14, S. 174 (187 f.); siehe auch BVerfGE 14, S. 254 (259) zu § 49 StVO i. d. F. vom 24. August 1953, BGBl. 1953 I, S. 1131; BVerfGE 23, S. 265 (270) zu § 366 Nr. 10 RStGB und § 2 bayerische PlakatVO, BayGVBl. 1952, S. 246. 471 Siehe oben Seite 258. 472 Vgl. auch Kühl, Probleme der Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts, FestschriftLackner, S. 815 (830). 473 Vgl. BVerfGE 14, S. 174 (188 f.). 474 Vgl. Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 214. 475 Siehe oben Seite 264.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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sind im oben beschriebenen Sinne dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten. Auf Tatbestandsebene muss das Parlament die Grundentscheidung476 darüber treffen, welche Rechtsgüter geschützt und welche Verhaltens- und Schuldformen geahndet werden sollen477. Dem Verordnungsgeber dürften lediglich sogenannte „Spezifizierungen“478 des Tatbestandes überlassen bleiben, wobei die Anforderungen dafür weniger hoch sind, als es die Formulierung nahelegt. Eine Beschränkung der administrativen Regelungskompetenz auf „Spezifizierungen“ bedeutet in der Praxis nämlich nicht, dass der parlamentarische Gesetzgeber schon aus sich heraus verständliche Ge- und Verbote setzen müsste479. Ein solches Kriterium wäre vielleicht gerade noch bei Tatbeständen wie § 39 Abs. 1 Nrn. 1 – 2, Abs. 2 Nr. 11 WpHG i.V. m. § 20a Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 – 3, Abs. 5 WpHG ggf. i.V. m. § 38 Abs. 2 WpHG480 – trotz berechtigter Bedenken gegen die Normen an sich481 – erfüllt, jedenfalls dann, wenn durch die Marktmanipulations-Konkretisierungsverordnung482 nur näher definiert wird, welche Umstände für die Bewertung von Finanzinstrumenten erheblich sind oder welche sonstigen Täuschungshandlungen geeignet sind, auf Marktpreise einzuwirken483. In aller Regel aber entsteht ganz ein476 BVerfGE 14, S. 174 (185 ff.); BVerfGE 14, S. 245 (251); BVerfGE 14, S. 254 (257); BVerfGE 22, S. 21 (25); BVerfGE 23, S. 265 (269); BVerfGE 75, S. 329 (342); BVerfG NJW 1992, S. 2624; BVerfG NStZ-RR 2002, S. 22; BVerfG NVwZ 2009, S. 239. 477 Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 46; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 103. 478 Vgl. etwa in BVerfGE 14, S. 174 (187); BVerfGE 75, S. 329 (342); BVerfG NJW 1998, S. 669 (670); BVerfG NVwZ 2009, S. 239 (240). 479 In diese Richtung dagegen Moll, Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettgesetzgebung?, S. 146 f.; Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 125. 480 Strafbarkeit tritt erst dann ein, wenn tatsächlich eine Einwirkung auf den betreffenden Börsen- oder Marktpreis erfolgt, dies lässt sich in der Praxis freilich kaum beweisen. Selbst wenn sich der Kurs in die gewünschte Richtung verändert hat, kann die Veränderung auf anderen Faktoren beruhen. Ein gleichgebliebener Kurs dagegen spricht an sich gegen eine Beeinflussung, kann jedoch auch nur infolge der Tathandlung stabil geblieben sein. Vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 353. 481 Schmitz, Der strafrechtliche Schutz des Kapitalmarkts in Europa, ZStW 115 [2003], S. 501 (523 ff.). 482 BGBl. 2005 I, S. 515; vgl. auch Benner, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 9. Kap, Rn. 150. 483 Laut BGHSt 48, S. 373 (383 f.) wirkt die Rechtsverordnung hier nicht strafbarkeitsbegründend. Moosmayer, Straf- und bußgeldrechtliche Regelungen im Entwurf eines Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes, wistra 2002, S. 161 (167 ff.) und Gaede / Mühlbauer, Wirtschaftsstrafrecht zwischen europäischem Primärrecht, Verfassungsrecht und der richtlinienkonformen Auslegung, wistra 2005, S. 9 (13 f.) stellen insofern wohl zu hohe Anforderungen. Jedenfalls ist die Situation bei vielen anderen Tatbeständen deutlich schlechter. Kritisch äußert sich auch Schmitz, Der strafrechtliche Schutz des Kapitalmarkts in Europa, ZStW 115 [2003], S. 501 (519, 528), der jedoch auf die Verabschiedung der Marktmissbrauchs-Richtlinie (EG) Nr. 2003 / 6 und die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung verweist. Im Wortsinne „spezifizierend“ tätig ist der Verordnungsgeber vielleicht auch noch beim Bußgeldtatbestand der §§ 39 Abs. 1 Nrn. 5 – 6, 34b Abs. 1 und 2 i.V. m. Abs. 8 WpHG, hinsichtlich derer

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

deutig erst mit der Ausfüllung des parlamentarischen Blankettgesetzes durch eine wirksame administrative Rechtsnorm ein Gesamttatbestand, der in allen seinen Teilen (einschließlich der Verknüpfung selbst484) dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG genügen muss. Dürfte die Straf- bzw. Ordnungswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens allenfalls in völlig untergeordneter Weise von der Rechtsverordnung abhängen, ergäbe die Delegation meist auch keinen Sinn. Der Gesetzgeber würde den Gesamttatbestand besser gleich komplett in eigener Kompetenz formulieren485. Die administrative „Spezifizierung“ ist also regelmäßig für die Festlegung der konkreten Verhaltenspflicht durchaus wesentlich. Die Fragen, wie schnell man innerorts nun fahren darf, ob Vorfahrt zu gewähren ist (vgl. §§ 3, 8 StVO), wann ein gepanzerter Geländewagen genehmigungsfrei ins Ausland geliefert werden darf (§ 6a Abs. 1 AWV i.V. m. der Ausfuhrliste – Anlage AL)486, welche Anlagen bei § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB einer Genehmigung bedürfen (§ 1 BImSchV i.V. m. dem Anhang)487 oder ob der Handel mit „Ecstasy“-Tabletten (vgl. Anlage I zum BtMG)488 strafbar ist, lässt sich ohne Blick in die maßgeblichen Rechtsverordnungen nicht beantworten. Rechtsverordnungen tragen manches Mal sogar die Hauptlast der Normsetzung489, auch wenn die kriminalpolitische Grundentscheidung490 pflichtgemäß durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen wurde. dd) Der Gebrauch von Rückverweisungsklauseln – ein Vorteil? Fraglich ist nun, wie der Gebrauch von Rückverweisungsklauseln – inzwischen eine ständig angewandte Regelungstechnik – im vorgenannten Zusammenhang zu bewerten ist. Rückverweisungsklauseln treten vor allem dann auf, wenn dem Verordnungsgeber besonders weitreichende Kompetenzen eingeräumt werden, ihm also erlaubt wird, Ge- und Verbote mehr oder minder eigenständig zu formulieren491. Die Blankettnorm selbst legt dann natürlich, wie sonst auch, die Schuldform und die Bewehrung mit Strafe oder Geldbuße fest. Die Sanktionierung wird allervon der Finanzanalyseverordnung (BGBl. 2004 I, S. 3522) geregelt wird, wann genau keine sachgerechte Erstellung und Darbietung von Finanzanalysen mehr vorliegt. 484 Siehe dazu oben Seite 259. Wird ein Gesetz gleich durch mehrere Rechtsverordnungen ergänzt, kann es erforderlich sein, die maßgeblichen Rechtsverordnungen durch ihre gesetzliche Ermächtigungsnorm zu bezeichnen („Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Rechtsverordnung nach § x […] zuwiderhandelt, indem er …“). 485 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 90. 486 Siehe oben Seite 266. Vgl. auch BGHSt 41, S. 348; BGHSt 51, S. 262. 487 Vgl. dazu auch BVerfGE 75, S. 329 (344 f.). 488 Vgl. BVerfG NJW 1998, S. 669 zur Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 2 BtMG. 489 Vgl. Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 87 ff. 490 Vgl. Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 128. 491 Vgl. Kast, Zur Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldvorschriften im Nebenstrafrecht, Beilage Nr. 42 / 83 zum BAnz., S. 20.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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dings zusätzlich davon abhängig gemacht, dass die blankettausfüllende administrative Rechtsnorm ausdrücklich auf die Sanktionsvorschrift verweist492. Von der Rückverweisungstechnik wird verstärkt seit den siebziger Jahren – beginnend mit der BtMG-Novelle – Gebrauch gemacht493. Vereinzelt angewandt wurde die Technik allerdings schon vorher494: So enthielt bereits § 2 Abs. 2 WiStG i. d. F. von 1954495 (entspricht § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 WiStG n. F., auf den § 10 der Preisangabenverordnung Bezug nimmt) einen solchen Vorbehalt. Wohl prominentestes Beispiel ist heute der Bußgeldtatbestand des § 24 Abs. 1 S. 1 StVG. Aber auch unzählige weitere Ordnungswidrigkeiten zu verschiedensten Sachmaterien enthalten Rückverweisungsklauseln496. Straftatbestände finden sich nicht nur im Betäubungsmittelstrafrecht497, sondern auch im Außenwirtschaftsrecht498 sowie im Arznei- und Lebensmittel-, Wein- und Markenrecht499. Ursprünglich sollte durch die Rückverweisungstechnik vor allem im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG eine bessere Überschaubarkeit von Blankettgesetzen für den Bürger gewährleistet werden500. Wenn man dem Verordnungsgeber aufgibt, seinen Willen zur Blankettausfüllung ausdrücklich erkennen zu lassen, trägt dies ohne Frage zur Rechtsklarheit bei501. Dem Verordnungsgeber wird dadurch aber auch faktisch die endgültige Entscheidung darüber überlassen, welche der von ihm (mit) definierten Verhaltenweisen geahndet werden sollen. Dies ist auch durchaus erwünscht, denn so sollen nicht hinreichend bestimmte502, nicht sanktionswürdige oder schon anderweitig abgesicherte Ver- bzw. Gebote leichter von einer SanktioVgl. Göhler, Vor § 1 OWiG, Rn. 18. Vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 9 lit. b, Nr. 10 lit. b BtMG i.d.F. von 1971 (BGBl. I, S. 2092). Ausdruck davon ist auch die wenig später geschaffene Übergangsvorschrift des Art. 321 EGStGB. 494 Entgegen Schneider, Gesetzgebung, Rn. 77. 495 BGBl. 1954 I, S. 175. 496 Vgl. z. B. § 56 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 13 KWG; §§ 144 Abs. 2 Nrn. 1, 6, 146 Abs. 2 Nrn. 11 – 11a GewO; § 145 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG; § 62 Abs. 1 Nrn. 2, 7, 8 BImSchG; § 61 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 14 KrW- / AbfG; § 26 Abs. 1 Nr. 5 lit. c, Nrn. 6b – 8, Nrn. 10a – 11 ChemG; § 97 Abs. 2 Nr. 31 AMG; § 26 Abs. 1 Nr. 1 BBodSchG; §§ 53 Abs. 2, 54, 60 Abs. 2 Nr. 26, Abs. 4 LFGB; § 50 Abs. 2 Nrn. 4, 5, 12 WeinG; § 53 Abs. 1 Nr. 23 WaffG. 497 Vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 14 BtMG. 498 Vgl. §§ 34 Abs. 2 i.V. m. 33 Abs. 1 und 4 AWG, § 34 Abs. 4 Nr. 1 AWG. 499 Vgl. § 144 Abs. 2 MarkenG; §§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 96 Nr. 1 AMG; §§ 58 Abs. 1 Nr. 18, 59 Abs. 1 Nr. 21, Abs. 3 LFGB; §§ 48 Abs. 1 Nrn. 2 – 3, 49 Nr. 3, 6 und 7 WeinG; §§ 51 Abs. 1 Nr. 6, 52, 56 Abs. 1, 57 Nr. 2 VTabakG. 500 Vgl. Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, Vorbemerkungen, Rn. 17; Göhler, Vor § 1 OWiG, Rn. 18; Freund, in: Münchener Kommentar zum StGB, Vor § 95 AMG, Rn. 48; Buddendiek / Rutkowski, Lexikon des Nebenstrafrechts, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stichwort: Rückverweisung; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 267; Kühl, Probleme der Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts, Festschrift-Lackner, S. 815 (820 f.); Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 129. 501 Zwingend erforderlich sind Rückverweisungsklauseln deshalb aber nicht, siehe bereits oben Seite 260; BVerfGE 75, S. 329 (343). 502 Siehe zum Problem der Bestimmtheit von Ausfüllungsnormen bereits oben Seite 260. 492 493

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

nierung ausgenommen werden können503. Fraglich ist allerdings, ob dies nicht gerade die Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers sein sollte. Die Verfassungsmäßigkeit der Rückverweisungstechnik wird allerdings nur von wenigen in Frage gestellt504, manche halten sie sogar für unbedenklicher als normale Blankettgesetze505. Eine solch weite Delegation auf den Verordnungsgeber könnte aber mit Art. 80 Abs. 1 GG unvereinbar sein. Im Bereich des Verkehrsordnungswidrigkeitenrechts enthält z. B. § 24 Abs. 1 S. 1 StVG selbst überhaupt keine eigene Handlungsbeschreibung, so dass der Verordnungsgeber mit den §§ 49 StVO, 75 FeV und 69a StVZO scheinbar einen ganz erheblichen Gestaltungsspielraum nutzen konnte, wenn auch nur in Bezug auf Bußgelder bis zu einer Höhe von zweitausend Euro. Die formalgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen des § 6 Abs. 1 StVG sind allerdings heute recht detailliert gefasst506. Auch bei der Frage, wie sich die „Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen“ i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG am zweckmäßigsten regeln lassen, geht es nicht um grundsätzliche Wertentscheidungen. Des Weiteren enthalten durch Parlamentsgesetz ratifizierte internationale Übereinkommen insofern genaue Vorgaben507. Kontroversere Tatbestände wie die 0,5-Promille-Grenze für Atemalkohol in § 24a StVG, denen eine gewisse Risikoabwägung und kriminalpolitische Ermessensentscheidung zugrunde liegt, sind dagegen direkt durch förmliches Gesetz geregelt. Insgesamt wird man deshalb davon ausgehen müssen, dass der parlamentarische Gesetzgeber bei § 24 StVG i.V. m. § 6 Abs. 1 StVG Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung noch ausreichend vorgegeben hat508. Was für entscheidende kriminalpolitische Gestaltungsspielräume den Verordnungsgebern gerade bei Rückverweisungsklauseln zum Teil zukommen und in welchem 503 Vgl. Regierungsentwurf eines EGStGB, BT-Drucksache 7 / 550, S. 194; Göhler, Vor § 1 OWiG, Rn. 18; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, Vor § 1 OWiG, Rn. 17; zu weiteren Anforderungen Kast, Zur Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldvorschriften im Nebenstrafrecht, Beilage Nr. 42 / 83 zum BAnz., S. 13 (20). 504 Volkmann, Qualifizierte Blankettnormen, ZRP 1995, S. 220; Freund, Täuschungsschutz im Lebensmittelstrafrecht, ZLR 1994, S. 261 (286 f.); ders., in: Münchener Kommentar zum StGB, Vor § 95 AMG, Rn. 47 ff.; Moll, Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, S. 174 ff.; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 258 ff.; Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 129 ff. 505 So anscheinend Kast, Zur Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldvorschriften im Nebenstrafrecht, Beilage Nr. 42 / 83 zum BAnz., S. 13 (20); vgl. auch Janker, in: Burmann / Heß / Jahnke / Janker, § 24 StVG, Rn. 3; Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 187. 506 Vgl. auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 103. 507 Vgl. Gesetz zu dem Übereinkommen vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr und über Straßenverkehrszeichen, zu den Europäischen Zusatzübereinkommen vom 1. Mai 1971 zu diesen Übereinkommen sowie zum Protokoll vom 1. März 1973 über Straßenmarkierungen, BGBl. 1977 II, S. 809; siehe auch BT-Drucksache 8 / 178, S. 5. 508 Warum man die StVO, FeV und StVZO nicht besser durch parlamentarisches Gesetz geregelt hat, ist dennoch nicht ganz einsichtig. Schließlich sind die dort geregelten Sachmaterien keinen ständigen Veränderungen unterworfen.

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Umfang sie diese in der Praxis nutzen, zeigt sich aber an einem Beispiel aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelikte: So belegt § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 BtMG mit einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe das nicht näher bestimmte Zuwiderhandeln gegen Rechtsverordnungen, die aufgrund § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 5 BtMG ergangen sind, sofern letztere für einen bestimmten Tatbestand auf die Strafvorschrift verweisen. Allerdings macht davon nur die nach § 13 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BtMG ergangene Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) mit ihrem § 16 für dort bestimmte Verhaltensweisen Gebrauch509. Der Verweis auf eine die Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr betreffende Verordnung nach § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BtMG läuft dagegen leer510. Für den Bußgeldtatbestand des § 32 Abs. 1 Nr. 6 BtMG511 finden sich indessen entsprechende Rückverweisungen nicht nur bei § 17 BtMVV, sondern auch in § 16 der Betäubungsmittel-Außenhandelsverordnung (BtMAHV) und § 7 der BetäubungsmittelBinnenhandelsverordnung (BtMBinHV). Im Bereich des Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts gibt es ebenfalls verfassungsrechtlich durchaus bedenkliche Beispiele: Während der vorhin genannte § 34 Abs. 1 AWG relativ klar eine bestimmte Tätigkeit beschreibt (Ausführen von Waren ohne Genehmigung)512, werden durch § 33 Abs. 1, 3, 4 und 5 Nr. 2 AWG, der i.V. m. § 34 Abs. 2 AWG unter Umständen sogar eine Straftat darstellt, ganz verschiedene, hier nicht näher beschriebene Pflichten der Außenwirtschaftsverordnung erfasst. Verstöße werden aber nur dann sanktioniert, wenn die Verordnung – wie in §§ 70, 70a AWV geschehen – für den fraglichen Tatbestand auf das förmliche Blankettgesetz verweist. Der Verordnungsgeber hat also ein nicht unerhebliches Auswahlermessen. Hinsichtlich der Rechtsfolge gehen die Gestaltungsmöglichkeiten heute immerhin nicht mehr so weit, dass dem Verordnungsgeber zusätzlich die Wahlmöglichkeit eingeräumt wird, nach seinem Belieben entweder auf ein Strafblankett oder ein Bußgeldblankett zu verweisen513. Die Umstände, die eine Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 1, 4 AWG zur Straftat gem. § 34 Abs. 2 AWG aufwerten514, sind gesetzlich definiert515. Im Zusammenhang mit Embargos der Ver-

Vgl. Volkmann, ZRP 1995, S. 220 (221). Weber, § 11 BtMG, Rn. 31. 511 Dieser nimmt auf Rechtsverordnungen nach §§ 11 Abs. 2 S. 2 Nrn. 2 bis 4, 12 Abs. 4, 13 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2 bis 4, 20 Abs. 1, 28 Abs. 2 BtMG Bezug. 512 Siehe oben Seiten 266, 274. 513 Bei § 33 Abs. 2 AWG und § 34 Abs. 1 AWG in ihrer Erstfassung von 1961, BGBl. I, S. 481, 495, 1555 war dies bei vorsätzlichen Verhaltensweisen der Fall. 514 Vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 66. 515 Auch beim nur im Verteidigungsfall relevanten Mischtatbestand der §§ 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4, 2 WiStG, welcher grundsätzlich den Verstoß gegen rückverweisende Sicherstellungsvorschriften (vgl. dazu § 18 WirtschaftssicherstellungsG, § 26 VerkehrssicherstellungsG, § 22 ErnährungssicherstellungsG und § 28 WassersicherstellungsG) unter Strafe stellt, ist heute durch förmliches Gesetz bestimmt, wann wegen minder schweren Folgen privilegierend nur ein Bußgeld greifen soll. 509 510

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einten Nationen oder der Europäischen Union, die durch nationale Rechtsverordnung in den §§ 69a ff. AWV umgesetzt wurden, besteht aber immer noch die Möglichkeit entweder, wie meist in § 70a AWV geschehen, einen Verweis auf die Strafvorschrift des § 34 Abs. 4 Nr. 1 AWG mit der Folge der Androhung von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorzunehmen, oder es – wie beim speziell die Elfenbeinküste betreffenden § 69j Abs. 5 S. 2 AWV i.V. m. § 70 Abs. 1 Nr. 12 AWV – bei einer Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 1 AWG zu belassen. Darüber hinaus erhält das zuständige Bundesministerium bei § 34 Abs. 4 Nrn. 2, 3 AWG und § 34 Abs. 6 Nr. 3 AWG – letzterer betrifft Waffenembargos und sieht Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vor – weitere Steuerungsmöglichkeiten, indem es entscheiden kann, bestimmte Maßnahmen der Vereinten Nationen oder der Europäischen Union mit konstitutiver Wirkung für eine Strafbarkeit nach den genannten Vorschriften im Bundesanzeiger zu veröffentlichen516. Zugegebenermaßen bleibt es dem Verordnungsgeber auch jenseits von Rückverweisungsklausel unbenommen, ein Blankett durch schlichte Nichtausfüllung ganz leerlaufen zu lassen517. Von einer generellen Unvereinbarkeit der Rückverweisungsklausel mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG wird man deshalb, wie auch am Beispiel des § 24 StVG gesehen, wohl nicht ausgehen können. In all den genannten Fällen stellen Rückverweisungsklauseln sicher, dass keine unsinnigen, allzu unbestimmten518 oder unverhältnismäßigen519 Strafbarkeiten bzw. Bußgeldtatbestände entstehen. Dies hat sich allerdings im Ergebnis eher als Nachteil denn als Vorteil erwiesen: Dem parlamentarischen Gesetzgeber fehlt es nämlich anscheinend gerade deshalb an der Disziplin, selbst eine klare Grundentscheidung darüber zu treffen, welche Verhaltens- und Schuldformen er inwiefern für sanktionswürdig hält520. Dies gilt in einem ganz besonderen Maße dort, wo der Exekutive sogar die Wahl zwischen Bußgeld und Freiheitsstrafe bleibt. Spätestens hier müsste eigentlich die Grenze des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG überschritten sein521. Aber auch bei den anderen Beispielen 516 Vgl. BGHSt 41, S. 127 (132) zu Embargoverstößen im Fall des ehemaligen Jugoslawiens. Die Bekanntmachungen enthalten dann jeweils auch Rückverweisungen auf die genannten Strafnormen, siehe Harder, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 21. Kap., Rn. 37, 42; Bieneck, Die Außenwirtschaftsstrafrechts-Novelle, NStZ 2006, S. 608 (612 f., 613). 517 Vgl. Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 187. Von einer generellen Unvereinbarkeit mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG wird man deshalb nicht ausgehen können. 518 So ist für jeden Rechtsanwender von vornherein klar, dass der Verstoß gegen schlichte Programmsätze (wie etwa § 1 Abs. 1 StVO; siehe dazu auch oben Seite 260) wegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht strafbar sein kann. 519 Unverhältnismäßig wäre es z. B. in der Tat den Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nach § 69j Abs. 5 S. 2 AWV i.V. m. § 70 Abs. 1 Nr. 12 AWV mit Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu ahnden. 520 Vgl. dagegen Seite 273. 521 Selbst laut Kast, Zur Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldvorschriften im Nebenstrafrecht, Beilage Nr. 42 / 83 zum BAnz., S. 20 (vgl. Seite 276, Fußnote 505) ist eine solche Wahlmöglichkeit unzulässig.

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aus dem BtMG und AWG kann, selbst wenn die geschützten Rechtsgüter weitestgehend klar sind, jedenfalls nur noch mit sehr viel Mühe davon die Rede sein, dass das Parlament hier Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Sanktionierung ausreichend vorgegeben hat, geschweige denn, dass dem Verordnungsgeber nur „Spezifizierungen“ überlassen wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat entsprechende Bedenken im Hinblick auf Kompetenzfragen aber gar nicht erst aufgegriffen und Verfassungsbeschwerden hinsichtlich entsprechender Tatbestände nicht zur Entscheidung angenommen522. d) Übertragbarkeit der für Rechtsverordnungen geltenden Grundsätze auf Satzungen Wie oben gezeigt, umfasst der Gesetzesbegriff des Art. 103 Abs. 2 GG neben formellen Gesetzen und Rechtsverordnungen auch Satzungen523. Diese haben ebenfalls einen abstrakt-generellen Inhalt524. Im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spielen sanktionsbewehrte Satzungen freilich eher eine geringe Rolle. Dennoch soll der Vollständigkeit halber auf die Übertragbarkeit der eben anhand von Rechtsverordnungen entwickelten Grundsätze eingegangen werden. Dies hat auch den Vorteil, dass die Satzung, wenn es später um europäische Verordnungen gehen wird, als weiterer Vergleichsmaßstab dienen kann. aa) Allgemeine Beschreibung und Erscheinungsformen des Verweisungstyps Im weitesten Sinne noch dem Wirtschaftsstrafrecht zugehörig sind Tatbestände wie § 209 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, welcher im Rahmen des Arbeitsschutzes den Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften (UVV) mit einem Bußgeld belegt525. Letztere sind für Unternehmer und Versicherte verbindliches Satzungsrecht, denn sie werden nach § 15 SGB VII von den Berufsgenossenschaften (den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung) als autonomes und verbandsintern gültiges Recht erlassen526. Was das Steuerstrafrecht anbelangt, kann man auf die landesgesetzlichen 522 Vgl. BVerfG NJW 1992, S. 2624; BVerfG NJW 1993, S. 1909; jeweils zu § 33 Abs. 1 AWG. 523 BVerfGE 32, S. 346 (362) mit Anmerkung Geitmann NJW 1972, S. 1856; BVerfG NStZ 1990, S. 394; Vgl. BGHSt. 42, S. 84; OLG Köln NVwZ 1994, S. 935 (936); OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, S. 246 f.; OLG Braunschweig NStZ-RR 2004, S. 52 (53); vgl. auch bereits oben Seite 264. 524 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 249. Eine Ausnahme können einzelne Bestimmungen von Bebauungsplänen bilden, welche gem. § 10 BauGB als Satzung beschlossen werden. 525 Vgl. auch Schneider, Gesetzgebung, Rn. 289; Rixen, in: Ignor / Rixen, Arbeitsstrafrecht, § 10, Rn. 20. 526 Ricke, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 15 SGB VII, Rn. 2 f.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Kommunalabgabengesetze verweisen. Dort gibt es Tatbestände, die Blankettmerkmale enthalten, welche durch gemeindesteuer- bzw. abgabenrechtliche Satzungen auszufüllen sind. Im Rahmen der Abgabenhinterziehung gilt dies etwa für die Unterlassensvariante des § 15 Abs. 1 Nr. 2 KAG (Rheinland-Pfalz)527, welche der Regelung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO entspricht. Die maßgeblichen Erklärungspflichten ergeben sich dabei aus kommunalem Satzungsrecht. Auch bei den Bußgeldtatbeständen der Abgabengefährdung (entspricht §§ 379 ff. AO), wie etwa § 16 Abs. 2 Nr. 2 KAG (Rheinland-Pfalz), finden sich Blankettverweise auf Satzungen528. Ungleich weiter gefasst sind natürlich die allgemeinen Vorschriften der Gemeinde- und Landkreisordnungen, so z. B. § 24 Abs. 5 GemO (Rheinland-Pfalz)529. Typischerweise sind sie als Bußgeldblankett mit Rückverweisungsklausel ausgestaltet530. Durch sie lassen sich dann z. B. Verstöße gegen Anzeigepflichten bei Anschluss- und Benutzungsverhältnissen, gegen Abfall-, Hundehalter- oder Friedhofssatzungen etc. mit einen Bußgeld bewehren. Einige Normen wie § 7 Abs. 2 GO (Nordrhein-Westfalen) wurden auch als Ermächtigung formuliert, erst in der Satzung selbst Zuwiderhandlungen als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße zu bedrohen531. Sie haben jedoch die gleiche Funktion. Besondere Bußgeldbewehrungen wiederum erfolgen durch Spezialtatbestände; für die nicht unumstrittenen Baumschutzsatzungen finden sich diese z. B. in den Landesnaturschutzgesetzen532. 527 Zu den Hinterziehungstatbeständen der anderen Länder vgl. Seite 185, Fußnote 1235. Zum Blankettcharakter der Unterlassensvariante Seiten 193 ff. 528 Vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 2 KAG (Baden-Württemberg); § 15 Abs. 2 lit. b KAG (Brandenburg); § 5a Abs. 2 Nr. 2 KAG (Hessen); § 17 Abs. 2 Nr. 2 KAG (Mecklenburg-Vorpommern); § 16 Abs. 2 Nr. 2 NKAG (Niedersachsen); § 20 Abs. 2 lit. b KAG (Nordrhein-Westfalen); § 14 Abs. 2 Nr. 2 KAG (Saarland); § 6 Abs. 2 Nr. 2 SächsKAG (Sachsen); § 18 Abs. 2 Nr. 2 KAG (Sachsen-Anhalt); § 18 Abs. 2 Nr. 2 KAG (Schleswig-Holstein). In Art. 16 Nr. 2 KAG (Bayern) und § 18 Nr. 2 KAG (Thüringen) ist allgemein von Vorschriften die Rede. 529 Vgl. § 142 Abs. 1 GemO, § 61 Abs. 1 LKrO (Baden-Württemberg); Art. 23, 24 Abs. 2 S. 2 GO; Art. 17 S. 2, 18 Abs. 1 BezO; Art. 26 Abs. 2 KommZG (Bayern); § 5 Abs. 2 GO, § 5 Abs. 2 LKrO (Brandenburg); Art. 1 BrOWiGAusfG (Bremen, für Ortsgesetze der Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven); § 5 Abs. 2 HGO, § 5 Abs. 2 HKO (Hessen); § 5 Abs. 3 KV (Mecklenburg-Vorpommern); § 6 Abs. 2 NGO, § 7 Abs. 2 NLO, § 18 Abs. 2 Region-Hannover-Gesetz (Niedersachsen); § 7 Abs. 2 GO, § 5 Abs. 2 KrO (Nordrhein-Westfalen); § 17 Abs. 5 LKO (Rheinland-Pfalz); § 12 Abs. 3 KSVG (Saarland); § 124 SächsGemO; § 66 SächsLKrO (Sachsen); § 6 Abs. 7 GO, § 6 Abs. 4 LKO (Sachsen-Anhalt); § 134 Abs. 5 GO, § 72 Abs. 5 KrO, § 17b Abs. 3 GkZ, § 25 Abs. 5 AmtsO (Schleswig-Holstein); §§ 19, 98 ThürKO (Thüringen). 530 Siehe zu Rückverweisungsklauseln oben Seiten 274 ff., speziell bei sanktionsbewehrten Satzungen vgl. auch Kast, Zur Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldvorschriften im Nebenstrafrecht, Beilage Nr. 42 / 83 zum BAnz., S. 24 f.; Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 200 f. 531 Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 203 f. 532 § 80 Abs. 1 Nr. 2 NatSchG (Baden-Württemberg); § 73 Abs. 2 Nr. 2 Brandenburgisches NatSchG; § 57 Abs. 3 Nr. 9 lit. b Alt. 2 Hessisches NatG; § 69 Abs. 2 Nr. 1 LNatG (Mecklenburg-Vorpommern); § 70 Abs. 1 Nr. 17 Alt. 1 LandschaftsG (Nordrhein-Westfalen); § 61 Abs. 1 Nr. 1 SächsNatSchG; § 65 Abs. 1 Nr. 1 NatSchG (Sachsen-Anhalt); § 51 Abs. 1 Nr. 2 LNatSchG (Rheinland-Pfalz); § 67 Abs. 1 Nr. 1 LNatSchG (Schleswig-Holstein); § 54 Abs. 1

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bb) Ausfüllung durch Ausübung autonomer Rechtssetzungsgewalt Satzungen werden vom öffentlichen Rechtsträger kraft der Verleihung autonomer Rechtssetzungsgewalt beschlossen533. Für Gemeinden wird dies aus der Garantie kommunaler Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 GG hergeleitet534. Das Selbstverwaltungsprinzip hat eine lange Tradition und ist im Grunde Gegenentwurf zur oben behandelten hierarchisch exekutiven Rechtssetzung im Verordnungswege. Dies soll zunächst anhand eines kurzen historischen Abrisses verdeutlicht werden, um dann einen Abgleich mit der Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zugrundeliegenden Sachlage vorzunehmen. Art. 11 Abs. 2 S. 1 der Bayerischen Verfassung spricht von den Gemeinden als den „ursprünglichen Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts“535. Sie sind zumindest älter als der Staat selbst: Die kommunale Selbstverwaltung geht bis auf die dörflichen Siedlungsgemeinschaften der Germanen zurück, die sich genossenschaftlich auf der Grundlage des sesshaften Ackerbaus ausgebildet hatten536. Nach den Umbrüchen der Völkerwanderung und Entstehung der Grundherrschaft fand die gemeindliche Autonomie im Mittelalter ihren Höhepunkt bei den – je nach Oberherrschaft – freien Reichs- oder Landstädten, die sich zum Teil sogar unumschränkt selbst verwalteten537. Nach weitgehender Beschneidung im Absolutismus (abgesehen von den verbliebenen Reichs- und Hansestädten)538, wurde das Selbstverwaltungsprinzip etwa in Preußen durch die Freiherr vom Stein’schen Reformen unter Rezeption des alten Genossenschaftsgedankens wiederbelebt539. Ziel war es, das bürgerliche Element enger mit dem Staate zu verbinden, den Gegensatz zwischen Obrigkeit und UnterNr. 1 ThürNatG. In Niedersachen verweisen die Baumschutzsatzungen auf § 6 Abs. 2 NGO (vgl. Seite 280, Fußnote 529). In Bayern, Berlin, Bremen und Hamburg erfolgt der durch Art. 52 Abs. 1 Nr. 3 BayNatSchG, § 49 Abs. 1 Nr. 18 Berliner NatSchG, § 49 Abs. 1 Bremisches NatSchG und § 49 Abs. 1 Nr. 1 Hamburgisches NatSchG bußgeldbewehrte Baumschutz jeweils durch Rechtsverordnung. 533 BVerfGE 12, S. 319 (325 f.). 534 Die Geschäftsordnungen des Bundestages, des Bundesrates, des Gemeinsamen Ausschusses, der Bundesregierung und des Vermittlungsausschusses haben ebenfalls Satzungscharakter und finden ihre Grundlage in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 52 Abs. 3 S. 2 GG, Art. 53a Abs. 1 S. 4 GG, Art. 65 S. 4 GG bzw. Art. 77 Abs. 2 GG. Andere ausdrückliche Regelungen für autonome Satzungen finden sich im Grundgesetz nicht (vgl. Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80 GG, Rn. 52, 56). 535 Vgl. Bussalb, Gilt der Vorbehalt des Gesetzes auch für die Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinden?, S. 28. 536 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 1 ff. 537 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 3. 538 Eine gesellschaftliche Gestaltungsfreiheit war mit dem absolutistischen Staatsverständnis nicht vereinbar, die Gemeinde sollte zur „Staatsanstalt“ gemacht werden (Vgl. Bussalb, a. a. O., S. 22). 539 Vgl. § 108 der Preußischen Städteordnung vom 19. November 1808, welche auch als „Geburtsurkunde des neuzeitlichen Kommunallebens“ bezeichnet wird.

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tan zu mildern und durch selbstverantwortliche Beteiligung der Bürgerschaft an der öffentlichen Verwaltung den Gemeinsinn und das politische Interesse des Einzelnen neu zu beleben und zu kräftigen540. Später wurde das Selbstverwaltungsprinzip in verschiedene Verfassungen deutscher Staaten541 aufgenommen und erfuhr schließlich auch eine Garantie durch Art. 127 WRV542, um dann wiederum im Nationalsozialismus durch Gleichschaltung der Gemeinden und Vollzug des Führerprinzips bis auf wenige Elemente beseitigt zu werden543. Nach neuerlicher Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung durch Art. 28 Abs. 2 GG gehört nun auch das Recht zur Satzungsgebung zu ihrem unantastbaren Kernbereich544. Die nicht gebiets- sondern personenbezogenen, funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften der berufsständischen Kammern545 entstanden ebenfalls als Gegenmodell zum absolutistisch regierten Staat, wurden im Nationalsozialismus gleichgeschaltet546 und danach in ihrer ursprünglichen Form wiederbelebt. Sie werden von ihren Mitgliedern verwaltet und sind jeweils (in unterschiedlichem Ausmaß) mit Satzungsautonomie ausgestattet. Unter die funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften fallen auch die Wasser- und Bodenverbände, welche etwa der Unterhaltung von Deichen, Be- und Entwässerungsanlagen dienen (und deren Satzungen über die Kommunalabgabengesetze zum Teil bußgeldbewehrt sind), sowie die nach Abschaffung der landesherrlichen Regalien entstandenen Jagdgenossenschaften, welche von den jeweiligen Grundstückseigentümern gebildet werden. Allgemeine Bedeutung haben natürlich vor allem die durch die Bismarcksche Sozialgesetzgebung ins Leben gerufenen gesetzlichen Krankenkassen, Rentenversicherungen und die anfangs erwähnten Berufsgenossenschaften sowie später entstandene kassenärztliche Vereinigungen und berufsständische Versorgungskassen. Abgesehen von den Berufsgenossenschaften spielen diese als Satzungsgeber, die Bußgeldblankette ausfüllen, freilich keine Rolle. Vom Wortlaut des heutigen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bzw. den entsprechenden Vorschriften in den Landesverfassungen547 sind Satzungen der SelbstverwaltungsVgl. BVerfGE 11, S. 266 (274 ff.). § 62 Verfassung des Königreiches Württemberg. Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 33. 542 Zu Art. 127 WRV als institutionelle Garantie vgl. Bussalb, a. a. O., S. 47 ff. 543 BVerfGE 11, S. 266 (275). 544 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 248. 545 So z. B. die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und Innungen, die Rechtsanwalts- und Notarkammern, die Steuerberater- und Wirtschaftsprüferkammern, Architekten- und Ingenieurskammern sowie die Ärzte- und Apothekerkammern etc. Einzigartig sind die Arbeitnehmerkammer Bremen und die Arbeitskammer des Saarlandes. Verfasste Studierendenschaften gibt es wiederum in allen Ländern außer Bayern und Baden-Württemberg. 546 So wurde die ärztliche Selbstverwaltung durch die Reichsärzteordnung vom 13. Dezember 1935 (RGBl. 1935 I, S. 1433) aufgehoben und der Reichsärzteführung unterstellt. Gleiches geschah den Rechtsanwälten durch die am selben Tag beschlossene Reichsrechtsanwaltsordnung (RGBl. 1935 I, S. 1470). 540 541

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körperschaften nicht betroffen. Dieser Sachverhalt unterscheidet sich auch von den Umständen und historischen Erfahrungen, die dem Verfassungsgeber Anlass zur Begrenzung der Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen auf die Exekutive gegeben hatten548. Es macht nämlich einen Unterschied, ob der Gesetzgeber Befugnisse an hierarchisch organisierte Stelle weitergibt oder für einen bestimmten Bereich, sei er gebiets- oder personenbezogen, die Bürger ermächtigt, durch demokratisch gebildete Organe (für Kommunen ergibt sich das aus Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln549. Der letztgenannte Fall birgt nicht die Gefahr einer parlamentarischen Kapitulation zugunsten der Exekutive, er dient vielmehr dazu, die gesellschaftlichen Kräfte zu aktivieren, welche ihren eigenen überschaubaren Bereich am sachkundigsten beurteilen können. Die Selbstverwaltung ergänzt und verstärkt also grundsätzlich das demokratische Prinzip550. Gleichzeitig wird der Abstand zwischen Normgeber und Normadressat verringert551. Anders als bei einseitig erlassenen Rechtsverordnungen besteht somit ein weit geringeres Bedürfnis, einer Macht, „die versucht sein könnte, praktisch-effiziente Regelungen auf Kosten der Freiheit der Bürger durchzusetzen“552, Zügel anzulegen. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG soll deshalb auch nicht analog zur Anwendung kommen553. cc) Gefahren und Grenzen der Verleihung autonomer Rechtssetzungsgewalt Der Begriff der „Verleihung“ autonomer Rechtssetzungsgewalt zeigt aber auch, dass sie weder bei funktionalen Körperschaften – hier versteht sich dies von 547 Art. 61 Abs. 1 S. 2 Landesverfassung Baden-Württemberg, Art. 64 Abs. 1 S. 2 Verfassung von Berlin, Art. 80 S. 2 Landesverfassung Brandenburg, Art. 53 Abs. 1 S. 2 Hamburgische Verfassung, Art. 57 Abs. 1 S. 2 Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommern, Art. 53 Abs. 1 S. 2 Niedersächsische Verfassung, Art. 70 S. 2 Verfassung Nordrhein-Westfalen, Art. 110 Abs. 1 S. 2 Rheinland-Pfälzische Verfassung, Art. 104 Abs. 1 S. 2 Saarländische Verfassung, Art. 75 Abs. 1 S. 2 Sächsische Verfassung, Art. 70 Abs. 1 S. 2 Landesverfassung Sachsen-Anhalt, Art. 38 Abs. 1 S. 2 Schleswig-Holsteinische Verfassung, Art. 84 Abs. 1 S. 2 Thüringische Verfassung sind vom Wortlaut her mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG identisch. Art. 55 Nr. 2 Bayerische Verfassung, Art. 124 Bremische Verfassung und Art. 107 Hessische Verfassung bleiben etwas dahinter zurück. 548 BVerfGE 12, S. 319 (325); BVerfGE 19, S. 253 (267); BVerfGE 21, S. 54 (62 f.); BVerfGE 32, S. 346 (361); BVerfGE 33, S. 125 (157 ff.); BVerwGE 6, S. 247 (249); Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80 Rn. 47 m. w. N. Siehe zum historischen Hintergrund von Art. 80 GG oben Seiten 270 ff. 549 Vgl. BVerfGE 33, S. 125 (157). 550 BVerfGE 107, S. 59. 551 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 249. 552 Vgl. BVerfGE 33, S. 125 (157); siehe auch bereits oben Seite 271. 553 BVerfGE 12, S. 319 (325); BVerfGE 19, S. 253 (267); BVerfGE 21, S. 54 (62 f.); BVerfGE 32, S. 346 (361); BVerfGE 33, S. 125 (157 ff.); BVerwGE 6, S. 247 (249); Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80 Rn. 47 m. w. N.

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selbst554 – noch bei Gemeinden als „originär“ anzusehen ist. Sie ist nach heutigem Verständnis kein vorstaatlicher oder ursprünglicher, vom Staat allenfalls anerkannter Freiraum, sondern von diesem abgeleitet555. Die kompetenzrechtlich institutionelle Garantie des Art. 28 Abs. 2 GG erfolgt „im Rahmen der Gesetze“ und stellt auch keine Freizeichnung von der Grundrechtsbindung aller öffentlichen Gewalt und damit auch keine Freistellung von den grundrechtsspezifischen Sicherungselementen dar556. Dass deshalb auch das autonome Satzungsrecht von Selbstverwaltungskörperschaften den Kriterien des Parlamentsvorbehalts unterliegt, hat das Bundesverfassungsgericht für die berufsständische Satzungsautonomie in seinem bekannten Facharztbeschluss557 entschieden. Der Gesetzgeber darf sich seiner Rechtssetzungsbefugnis nicht gänzlich entäußern, was konkret aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitet wurde558. Die selbstverantwortliche Regelung eigener Angelegenheiten innerhalb bestimmter Gruppen birgt nämlich – ungeachtet demokratisch gebildeter Organe – die Gefahr der Benachteiligung von Außenseitern, bei berufsständischen Kammern etwa von Berufsanfängern, insbesondere bei statusbezogenen Entscheidungen. Ferner können die Belange des Volkes als Gesamtheit durchaus vom Gruppeninteresse abweichen559. Der Staat muss deshalb durch seine gesetzgebende Gewalt die Freiheit des Einzelnen vor der Übermacht gesellschaftlicher Gruppen schützen und ist gleichzeitig Hüter des Gemeinwohls. Entsprechend müssen auch im Bereich der untergesetzlichen Normsetzung durch Satzung die „wesentlichen Entscheidungen“560 durch ein Parlament getroffen werden. dd) Gesamtanforderungsprofil aus Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 20 Abs. 3 GG Eine Bußgeld- oder sogar Strafbewehrung von satzungsbedingten Verhaltenspflichten ist damit grundsätzlich möglich561. Die Satzung muss zusammen mit dem 554 Bussalb, Gilt der Vorbehalt des Gesetzes auch für die Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinden?, S. 75. 555 Busch, Das Verhältnis des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 57 f. m. w. N.; Bethge, Parlamentsvorbehalt und Rechtssatzvorbehalt für die Kommunalverwaltung, NVwZ 1983, S. 577 (579); vgl. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 277. 556 Bethge, NVwZ 1983, S. 577 (579). 557 BVerfGE 33, S. 125 (157 ff.). 558 Davon ist der auf Rechtsverordnungen direkt anwendbare Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG letztendlich nur eine speziellere Ausprägung. 559 Vgl. BVerfGE 33, S. 125 (159 f.). 560 Vgl. BVerfGE 49, S. 89 (126 f.). 561 BVerfGE 32, S. 342 (363). Die Entscheidung bezog sich auf eine sogenannte Übertretung i. S. d. § 1 Abs. 2 StGB a. F. Zu deren Umwandlung in Ordnungswidrigkeiten siehe oben Seite 267, Fußnote 433. Zur Zulässigkeit von Satzungen als Ausfüllungsnorm vgl. auch: Krey, Zur Verweisung auf EWG-Verordnungen, EWR 1981, S. 109 (184).

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Bußgeldblankett einen dem Art. 103 Abs. 2 GG genügenden Gesamttatbestand bilden562. Wenn der Akt der Verleihung von Satzungsgewalt jedoch nichtig ist, weil in der Breite nicht mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar, so schlägt dies selbstverständlich auch auf die aufgrund dieses Aktes erlassene Satzung durch563. Übrig bleibt ein Blankett, das ins Leere geht. Zu den wesentlichen Aufgaben des parlamentarischen Gesetzgebers gehört zunächst die Festlegung, inwiefern eine Sanktionierung stattfinden soll564. Dies ist bei allen Bußgeldblanketten der Gemeinde- und Landkreisordnungen565 geschehen, sei es durch allgemeine Androhung eines Bußgelds in der Sanktionsnorm, was die Geltung des Regelrahmens in § 17 OWiG von bis zu 1000 Euro zur Folge hat, oder durch Festlegung eines anderen Höchstmaßes566. Im Fall des § 7 Abs. 2 GO (Nordrhein-Westfalen) handelt es sich zwar strenggenommen um kein Blankett, sondern um die Ermächtigung an den Satzungsgeber, eine vollständige Sanktionsregel zu erlassen. Dennoch ergibt sich dort Art und Maß der Sanktion ebenfalls aus formalgesetzlichen Regelungen, hier aus der Kombination der Ermächtigung und § 17 OWiG567. Nähere Vorgaben zu tatbestandlichen Inhalten finden sich meist nur in spezialgesetzlichen Blankettnormen, sei es im oben genannten § 209 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, den Tatbeständen der Kommunalabgaben568-, der Naturschutz569-, der Bau-, Straßen-, Denkmalschutz- und sonstigen Landesgesetzen. Bei den allgemeinen Blanketten der Gemeinde- und Landkreisordnungen werden den kommunalen Körperschaften solche Vorgaben dagegen nicht gemacht, so z. B. bei § 24 Abs. 5 GemO (Rheinland-Pfalz)570. Für Selbstverwaltungsaufgaben, für die den Kommunen durch Gesetz regelmäßig eine umfassende Rechtssetzungsbefugnis eingeräumt wird (und bei denen sie auch sonst weisungsfrei handeln), besteht in der Folge eine relativ breite inhaltliche Gestaltungsfreiheit571. Dies kann aber deshalb hingenommen werden, weil immerhin demokratisch gewählte Beschlussorgane entscheiden und über den Zweck der Autonomie bereits deutliche Einschränkungen erfolgen. Zudem kommen bei Kommunen die oben beschriebenen Gefahren der selbstverantwortlichen Rechtssetzung kaum zum Tragen: Diskrepanzen zwischen einem übergeordneten Vgl. oben Seiten 264 ff. Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 80, Rn. 55. 564 Siehe oben Seiten 268 f.; Schneider, Gesetzgebung, Rn. 285. 565 Siehe oben Seite 280, Fußnote 529. 566 So z. B. sieht § 24 Abs. 5 S. 3 GemO (Rheinland-Pfalz) eine Geldbuße von bis zu 5000 Euro vor. 567 Vgl. Kast, Zur Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldvorschriften im Nebenstrafrecht, Beilage Nr. 42 / 83 zum BAnz., S. 25. 568 Siehe oben Seite 185, Fußnote 1235; Seite 280, Fußnote 528. 569 Siehe oben Seite 280, Fußnote 532. 570 Zur ausreichenden Bestimmtheit OLG Koblenz OLGSt, Art. 103 GG, Nr. 2. 571 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 249, 255. 562 563

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Gemeinwohl und dem Gruppeninteresse dürften kaum auftreten. Die Gemeindemitglieder und die im Rahmen der Selbstverwaltung betroffenen Teile der Personengemeinschaft „Volk“ sind schließlich nahezu identisch. Kommunen treffen in der Regel auch keine statusbezogenen Entscheidungen oder solche, welche zur Benachteiligung von Außenseitern oder Neuankömmlingen führen könnten572. Allgemein gehaltene Bußgeldblankette wie § 24 Abs. 5 GemO (Rheinland-Pfalz) lassen sich natürlich auch durch Satzungen ausfüllen, die in Auftragsangelegenheiten ergangen sind573. Satzungen über Auftragsangelegenheiten, d. h. staatliche Aufgaben, die den Kommunen oder auch anderen Körperschaften durch einfaches Gesetz übertragen wurden, benötigen jedoch regelmäßig an sich, d. h. unabhängig von einer Bußgeldbewehrung, eine spezifische formalgesetzliche Ermächtigung574. Der parlamentarische Gesetzgeber kann auf diesem Wege seine im Vergleich zu Selbstverwaltungsaufgaben erhöhte Gestaltungspflicht wahrnehmen. Geht man davon aus, dass die Satzungsermächtigung wie auch die Satzung den eben genannten Vorgaben entsprechen, muss letztere selbstverständlich zusammen mit dem Bußgeldblankett einen i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG ausreichend bestimmten Gesamttatbestand bilden. Es darf nicht dem Belieben der Verwaltungsbehörde überlassen bleiben, was sie im Einzelfall als Rechtsverstoß ahnden will575. Darunter lei572 Allenfalls abgabenrechtliche Satzungen – wie z. B. über Zweitwohnungssteuern – sind insofern nicht ganz unproblematisch. Personen, die in der Gemeinde einen Zweitwohnsitz unterhalten, sind schließlich nicht Mitglieder der Gemeinde und haben insoweit auf kommunaler Ebene keine Möglichkeit der demokratischen Mitwirkung. Allgemein gehaltene Blankette der Gemeindeordnungen werden durch diese aber regelmäßig nicht ausgefüllt, detailliertere Tatbestände finden sich vielmehr in den förmlichen Kommunalabgabengesetzen. 573 Der Grundtatbestand des Art. 23 S. 1, 24 Abs. 2 GO (Bayern) ist dagegen schon von vornherein auf Fälle der Benutzung öffentlicher Einrichtungen und des Anschluss- und Benutzungszwanges beschränkt. 574 Dies gilt auch deshalb, weil durch die Übertragung das kommunale Selbstverwaltungsrecht eingeschränkt wird und die Kommune regelmäßig nicht weisungsfrei handelt (Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 237, 246). 575 Vgl. OLG Köln NVwZ 1994, S. 935 (936). Im Einzelnen darf z. B. durch die Satzung nicht nur auf die Möglichkeit der Bewehrung eines Verhaltens verwiesen werden. Dies stellt nämlich nur eine inhaltliche Wiederholung der Ermächtigungsnorm dar (BVerfG NStZ 1990, S. 394 mit Anmerkung Mertens, NStZ 1991, S. 288). Die Satzung muss vielmehr klarstellen, dass von der Ermächtigung, typischerweise in Gestalt eines Bußgeldblanketts mit Rückverweisungsklausel, auch Gebrauch gemacht werden soll. Bei der Formulierung von Tatbestandsvoraussetzungen ist es dann auch dem Satzungsgeber nicht grundsätzlich verwehrt, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, so z. B. darf sich eine Baumschutzsatzung auf die „im Zusammenhang bebauten Ortsteile“ und den „Geltungsbereich der Bebauungspläne“ erstrecken [BGHSt 42, S. 79 (83 ff.); OLG Hamm NJW 2008, S. 453; OLG Düsseldorf NVwZ-RR 1996, S. 18; OVG Münster NVwZ-RR 1993, S. 613; dagegen früher strenger OLG Hamm NVwZ-RR 1993, S. 615]. Die Grenze ist jedoch überschritten, wenn sich der Inhalt erst nach eingehender juristischer Auswertung von in Bezug genommenem Landes- und Ortsrecht erschließt, etwa wenn die Satzung dem Bürger aufgibt, „das Vorliegen, den Umfang sowie jede Veränderung … [einer] … Anschluss- und Benutzungspflicht … anzuzeigen“ (OLG Braunschweig, NStZ-RR 2004, S. 52). Nicht untypisch ist auch die pauschale Androhung einer

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den Satzungen in der Praxis anscheinend häufiger576, was mit der personellen Ausstattung der Körperschaften zusammenhängen mag577.

IV. Art. 103 Abs. 2 GG bei Tatbeständen, die auf Einzelakte Bezug nehmen Bei Bezugnahme auf behördliche oder justizielle Einzelakte durch Straf- oder Bußgeldtatbestände ist bekanntermaßen ebenfalls von „Blanketten“578 die Rede, obwohl sich diese Verweisungsform im ersten Teil (im Rahmen der Irrtumslehre)579 und in Abschnitt A dieses Teils (beim intertemporalen Strafanwendungsrecht)580 ähnlich dem rechtsnormativen Tatbestandsmerkmal verhalten hat. So liegt z. B. Ungehorsam – und zwar vorsätzlicher gem. § 19 WehrStG – nur dann vor, wenn dem Soldat die Existenz des an ihn gerichteten Befehls bewusst ist581. Der Wegfall einer vollziehbaren Anordnung etwa im Umweltstrafrecht führte anders als die nachträgliche Änderung blankettausfüllender Normen abstrakt-generellen Inhalts nicht zur Anwendung des Milderungsgebotes gem. § 2 Abs. 3 StGB582. Bei Einzelakten mit strafbarkeitsausschließender Wirkung583, bei denen gerade das durch Gesetz beschriebene Nichtvorliegen einer Genehmigung die Strafbarkeit begründet, kann von einem „Ausfüllen“ eines „Blanketts“ ohnehin nicht die Rede sein. Fraglich ist nun, wie sich diese beiden Verweisungsformen im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz verhalten. Insofern ist zwischen dem Verwaltungsakt selbst und der gesetzlichen Sanktionsnorm zu unterscheiden.

Geldbuße für Verstöße gegen „Bestimmungen der Satzung“. Auch dies genügt dem Erfordernis von Art. 103 Abs. 2 GG nicht, wenn die Satzung Normen mit mannigfachem Regelungscharakter, d. h. unterschiedliche Ge- und Verbote, enthält [OLG Frankfurt, NStZ-RR 2000, S. 246 zur Marktordnung der Stadt Frankfurt am Main; vgl. auch OLG Zweibrücken NStZ 1982, S. 209 (210) zur Abfallsatzung der Stadt Ludwigshafen; OLG Köln NVwZ 1994, S. 935 (936) zum Anschluss- und Benutzungszwang]. 576 Vgl. die Beispiele auf Seiten 286 f., Fußnote 575. 577 Dieser Umstand sollte freilich durch Bereithaltung von Mustersatzungen ausgeglichen werden können. 578 Siehe oben Seite 117, Fußnote 746. 579 Siehe oben Seiten 163 ff., 209. 580 Siehe oben Seiten 238 ff., 252. 581 Siehe oben Seite 165. 582 Siehe oben Seite 239. 583 Siehe dazu Seiten 196 ff., 211 sowie Seiten 240 f., 252.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

1. Mindestanforderungen an den Einzelakt – Unanwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG, Bestimmtheitserfordernis des Art. 20 Abs. 3 GG Einzelakte, auch in der Form von Allgemeinverfügungen, sind mangels Normcharakter eindeutig keine materiellen Gesetze i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG584. Insofern kann sich die Verfassungsnorm anders als bei blankettausfüllenden Bundesoder Landesgesetzen, Verordnungen und Satzungen nur auf die Sanktionsnorm selbst und nicht auf den Inhalt des Einzelakts beziehen. Dass die Befolgung einer mittels eines Verwaltungsakts geschaffenen, aber völlig unbestimmten Handlungsanweisung im Ergebnis nicht straf- oder bußgeldbewehrt sein kann, dürfte im Ergebnis aber trotzdem feststehen. So darf eine Strafbarkeit wegen § 327 Abs. 2 Nr. 3 StGB bei Weiterbetrieb einer Abfallanlage trotz Untersagung nur dann greifen, wenn die Untersagungsverfügung selbst bestimmten Qualitätsanforderungen entspricht, also gegenüber dem Adressaten verständlich definiert, welche Anlage und welche Betriebsart künftig nicht mehr erlaubt sein sollen585. Entsprechende Mindestanforderungen an einen Verwaltungsakt sind aber ganz unabhängig von der Sanktionsbewehrung zu stellen. Sie sind Folge des allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis aus Art. 20 Abs. 3 GG, welches für Verwaltungsakte nochmals einfachgesetzlich in § 37 Abs. 1 VwVfG konkretisiert wird586. Die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes erfordert grundsätzlich Klarheit darüber, zwischen wem eine Rechtsbeziehung geregelt werden soll587, wobei bekanntermaßen im Einzelfall gem. § 35 S. 2 VwVfG auch die Allgemeinheit als Adressat eines Verwaltungsaktes in Betracht kommt588. Darüber hinaus muss deutlich werden, welche Rechtsbeziehung geregelt wird und wie die Regelung aussehen soll589. Welches Maß an Konkretisierung notwendig ist, hängt von der Art des Verwaltungsaktes, den Umständen seines Erlasses und seinem Zweck ab590. Bei einem Verwaltungsakt, dessen Nichtbeachtung bußgeld- oder strafbewehrt ist, muss – gleich allen vollstreckungsfähigen Verwaltungsakten – das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt sein, dass sie nicht einer unterschiedlichen subjektiven Bemessung zugänglich ist591. Der Adressat muss in die Lage versetzt werden zu erkenHeghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 283. Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 285; siehe auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 219; Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1, Rn. 136. 586 Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 37 VwVfG, Rn. 10 ff. 587 Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 37 VwVfG, Rn. 10 a. 588 Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 37 VwVfG, Rn. 15 b. Es reicht aus, wenn die Adressaten nach allgemeinen Merkmalen gattungsmäßig (dies., a. a. O., § 35 VwVfG, Rn. 211 ff.) oder durch ihre Beziehungen zu einer konkreten Sache (dies., a. a. O., § 35 VwVfG) bestimmt sind. 589 Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 37 VwVfG, Rn. 20. 590 Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 37 VwVfG, Rn. 12. 584 585

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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nen, was konkret von ihm gefordert wird592. Dabei liegen die Anforderungen tendenziell über denen, die an eine abstrakte Rechtsnorm gestellt werden, da die Behörde – anders als der Gesetz- oder Normgeber – nur für einen einzelnen Sachverhalt eine Regelung zu treffen hat593. Problematisch ist jedoch, ob die Verhängung einer Strafe oder eines Bußgeldes angesichts der grundsätzlichen Rechtsbeständigkeit von Verwaltungsakten gem. § 43 Abs. 2 VwVfG594 tatsächlich auch immer von diesen Mindestanforderungen abhängt. Ohne Begründungsaufwand zu bejahen ist diese Frage beim gegenüber dem Adressaten nicht wirksam bekannt gemachten Verwaltungsakt (sogenannter Nicht-Akt), dieser wird nicht einmal existent (§ 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG) und kann damit auch keine Rechtswirkung entfalten595. Die strafrechtliche Unbeachtlichkeit eindeutig gegenüber dem Betroffenen bekannt gemachter, aber nichtiger Verwaltungsakte ist ebenfalls nahezu unbestritten596. Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot aus § 37 Abs. 1 VwVfG allerdings macht den Verwaltungsakt nach allgemeinen Prinzipien nicht schlechthin unwirksam, sondern lediglich anfechtbar597. Nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 44 VwVfG ist die Nichtigkeit als gesteigerte Fehlerfolge vorgesehen. Die hier in Erwägung zu ziehende Generalklausel des § 44 Abs. 1 VwVfG verlangt dafür einen besonders schwerwiegenden Fehler, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Dies wird bei innerer Widersprüchlichkeit und Unverständlichkeit lediglich dann der Fall sein, wenn dem Verwaltungsakt überhaupt kein objektiver Erklärungswert mehr innewohnt598. 591 Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 37 VwVfG, Rn. 23; vgl. auch dies., a. a. O., § 36 VwVfG, Rn. 8 b; BVerwGE 84, S. 335 (338); VGH Mannheim DVBl 1965, S. 776; OVG Lüneburg NVwZ 1985, S. 355 (356); OVG Berlin NuR 1986, S. 256; OVG Bremen NVwZ-RR 2001, S. 157 (158). 592 BVerwGE 31, S. 15 (18); BVerwGE 84, S. 335 (338). Bei umfangreichen Anordnungen bezieht sich dieses Erfordernis primär auf den Entscheidungssatz als maßgeblichen Regelungsinhalt [BGH (Kartellsenat) WRP 1984, S. 463; Dannecker / Biermann, in: Immenga / Mestmäcker, § 81 GWB, Rn. 167, 210 m. w. N.]. Nicht notwendig ist allerdings, dass der Inhalt der Regelung dort vollumfänglich zusammengefasst wird, zur Konkretisierung ist die Begründung heranzuziehen, vgl. BGHZ (Kartellsenat) 110, S. 371 (377); BVerwG NVwZ-RR 1992, S. 472. 593 Siehe dagegen oben Seite 257. 594 Siehe bereits oben Seite 165. 595 BGHSt 23, S. 86 (91); Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 41 VwVfG, Rn. 28; Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1 StGB, Rn. 139; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 304 f. 596 BGHSt 23, S. 86 (91); BayObLG, NJW 1965, S. 1973 (1977); Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 277; Heghmanns, a. a. O., S. 305 f., m. w. N.; Rudolphi, Primat des Strafrechts im Umweltschutz?, NStZ 1984, S. 248 (252); Schall, Umweltschutz durch Strafrecht: Anspruch und Wirklichkeit, NJW 1990, S. 1263 (1266); Dannecker, in: Leipziger Kommentar, § 1 StGB, Rn. 139. Vgl. BGH NJW 2005, S. 2095 (2097) zum begünstigenden Verwaltungsakt. 597 Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 37 VwVfG, Rn. 31. 598 VGH Mannheim DVBl 1965, S. 776; OVG Münster NVwZ 1989, S. 1081; vgl. Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 44, Rn. 110a m. w. N.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Ein Hoheitsakt, dem die Unbestimmtheit nicht auf der Stirn geschrieben steht, da z. B. lediglich Einzelaspekte betroffen sind, ist dagegen nur rechtswidrig599. Schlichte Rechtswidrigkeit stünde der Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung grundsätzlich – wie oben gezeigt600 – nicht entgegen. Bei Verwaltungsakten, die nicht den Anforderungen des § 37 Abs. 1 VwVfG entsprechen, gilt allerdings die Besonderheit, dass diese, soweit die Unbestimmtheit reicht, darüber hinaus als nicht vollzugsfähig angesehen werden601. Dies hat entscheidende Auswirkungen auf die Sanktionierbarkeit von Zuwiderhandlungen, da bekanntermaßen das, was die Behörde nicht vollstrecken kann, auch nicht auf dem Umweg über Straf- bzw. Bußgeldbewehrung durchgesetzt werden darf602. Insgesamt hängt damit die Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen durch Verwaltungsakt begründete Pflichten von der Einhaltung des durch § 37 VwVfG konkretisierten, allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis aus Art. 20 Abs. 3 GG ab (obgleich ein Verstoß die Verfügung nicht zwingend unwirksam macht).

2. Mindestanforderungen an den gesetzlichen Tatbestand – Gesamtprofil aus Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 20 Abs. 3 GG Steht der Verstoß gegen einen existierenden Einzelakt unter Strafe, gilt selbstverständlich wie bei Verordnungs- und Satzungsblanketten, dass die Festlegung von Art und Maß der Sanktion dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten bleibt603. Teilweise wird noch verlangt, dass bewehrte Verwaltungsakte den maßgeblichen Sanktionsrahmen ausreichend benennen604. Eigene Entscheidungsmacht darf die Behörde dadurch aber nicht erhalten605. Eine ausführlichere Prüfung erfordert jedoch die Frage, wieviel auf Tatbestandsebene einer Regelung durch Einzelakt überlassen werden darf. Im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit für den Bürger bringt es eigentlich sogar Vorteile, wenn der Gesetzgeber, statt unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, soweit wie möglich gestaltende verwaltungsrechtliche Anordnungen zum Tatbestandsmerkmal einer gesetzlichen Strafvorschrift erklärt. Eine an den Bürger gerichtete Einzelverfügung lässt sich bekanntermaßen konkreter fassen606 und dringt in der Regel weit stärker Vgl. etwa BGH (Kartellsenat) WRP 1999, S. 200. Siehe oben Seite 240, insb. die Nachweise in Fußnote 225. 601 Stelkens / Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 37 VwVfG, Rn. 31; App, in: Engelhardt / App, § 6 VwVG, Rn. 1. 602 Siehe dazu Seite 166, insb. dort die Nachweise in Fußnote 1106. 603 Siehe oben Seiten 272 f.; Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 262. 604 OLG Saarbrücken NStZ 1988, S. 368; dazu ablehnende Anmerkung von Steubner, NStZ 1989, S. 30. 605 Siehe Seiten 274 ff. zu sog. Rückverweisungsklauseln. 606 Siehe oben Seite 289. 599 600

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ins Bewusstsein als ein im Bundesgesetzblatt verkündetes Gesetz607. Daneben trägt aber auch das Vorsatzerfordernis zu seinem Schutz bei, wenn ihm selbst bei verschuldeter Unkenntnis der Anordnung nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann608. Der Umstand, dass der Einzelakt selbst dem (durch § 37 VwVfG konkretisierten) allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis aus Art. 20 Abs. 3 GG genügen muss, stellt also, was die Vorhersehbarkeit anbelangt, eine vollumfängliche Kompensation für die Nichtgeltung von Art. 103 Abs. 2 GG hinsichtlich des Inhalts des Einzelakts dar. Abgesehen von der Vorhersehbarkeit wäre es jedoch ein Problem der rechtsgültigen Delegation609, wenn der Gesetzgeber einen allgemeinen Gehorsamstatbestand schaffen könnte, der sich dann mehr oder weniger beliebig durch verhaltensregelnde Einzelverfügungen ausfüllen ließe. Negativbeispiel ist etwa das britische610 Instrument der Anti-Social Behaviour Order611: Nach section 1 (1) (a) (b) Crime and Disorder Act 1998 612 können gegen jede (über zehnjährige) Person, die durch „antisoziale“ Verhaltensweisen auffällig wurde, verhaltensregelnde Verfügungen erlassen werden, wenn dies zum Schutz vor weiteren Handlungen gleicher Art notwendig erscheint. Der bloße Erlass einer Verfügung stellt zwar noch keine strafrechtliche Maßnahme dar613. Eine nachfolgende Zuwiderhandlung kann jedoch mit bis zu fünf (bei Minderjährigen bis zu zwei) Jahren Freiheitsentzug geahndet werden. Unter den Begriff der „antisozialen Verhaltensweisen“ fallen solche, die Ursache für „Belästigung, Schrecken oder Bedrängnis“ haushaltsfremder Dritter geworden sind oder zumindest hätten werden können. Die mögliche Ausgestaltung denkbarer Verbote ist vielfältig, künftig zu unterlassende Handlungen dürfen nämlich selbst durchaus sozialadäquat sein. Typisch ist etwa die Untersagung, bestimmte Gegenden zu betreten oder mit bestimmten namentlich genannten Personen zu sprechen. Pressewirksame Auswüchse waren dagegen ein gegenüber einem 87-Jährigen aus Merseyside verhängtes Verbot, „sarkastische Bemerkungen“ zu machen, und die Haftdrohung gegenüber einer 27-jährigen Schottin, weil sie innerhalb ihrer Wohnung nur in Unterwäsche bekleidet umherlief und von den Nachbarn durch das Fenster beobachtet werden konnte614. Als zu unbestimmt und damit unvollstreckbar angesehen wurde aber immerhin eine Klausel, die es dem Betroffenen ganz allgemein verbot, „Straftaten zu begehen“615. 607 608 609 610

Siehe bereits oben Seiten 151 f. Siehe oben Seiten 163 ff. Vgl. Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 264. Ausnahmsweise trifft das Gesetz gleichzeitig Regelungen für England / Wales und Schott-

land. 611 Vgl. im Detail Thommen, Toleranz & Anti Social Behaviour, in: von Hirsch / Seelmann / Wohlers, Mediating Principles, S. 109; Hooper / Ormerod, Blackstone’s Criminal Practice, Rn. D 24.1 ff. 612 In der durch den Police Reform Act 2002 gegebenen Fassung. 613 Hooper / Ormerod, Blackstone’s Criminal Practice, Rn. D 24.3. 614 The Guardian vom 18. Februar 2006 („War of the words – The government is making a habit of hiding its policy behind its language“).

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Für die deutsche Rechtsordnung wurde die Unzulässigkeit einer vergleichbaren pauschalen Anknüpfung an Verstöße gegen inhaltlich nicht oder kaum näher bestimmte Einzelakte schon verfassungsgerichtlich formuliert – und zwar durch BVerfGE 78, S. 374. Im konkreten Fall ging es um den für nichtig befundenen § 15 Abs. 2 lit. a Fernmeldeanlagengesetz (FAG) a. F., der zu Zeiten des Fernmeldemonopols die Zuwiderhandlung gegen sogenannte „Verleihungsbedingungen“ mit Strafe bedrohte. Gemeint waren mit einer fernmelderechtlichen Genehmigung verbundene Nebenbestimmungen, deren konkrete Ausgestaltung weitestgehend in der Gestaltungsmacht der damaligen Deutschen Bundespost lag. Das Bundesverfassungsgericht befand eine solch ausgedehnte Delegation im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 S. 1 GG für unzulässig. Der Gesetzgeber müsse „grundsätzlich selbst festlegen“, welches Verhalten sanktioniert werden soll616. Gemeint ist die Festlegung der zu schützenden Rechtsgüter und eine hinreichend verlässliche sowie rechtsstaatlicher Gewichtung entsprechende Beschränkung der mit Strafe oder Bußgeld bedrohten Verhaltensweisen617. Im vorgenannten Sinne optimal verhält sich der Gesetzgeber, wenn er die strafbare Handlung an sich vollumfänglich umschreibt, so wie z. B. bei Verstoß gegen ein Berufsverbot gem. § 145c StGB oder § 146 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 148 Abs. 1 Nr. 1 GewO618, beim Fahren trotz Fahrverbot gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 und 3 StVG oder auch bei der Regelung in §§ 95 Abs. 2 Nr. 1 lit. a und b, 11 Abs. 1 S. 1 AufenthaltsG, durch die das Einreisen und der Aufenthalt im Bundesgebiet unter der Voraussetzung, dass der Ausländer zuvor ausgewiesen (und damit mit einem Wiedereinreiseverbot belegt) wurde, unter Strafe gestellt wird619. Dass die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit letztendlich von der Existenz eines Einzelakts als Tatbestandsmerkmal abhängig gemacht wird, liegt – wie oben im Rahmen der Irrtumslehre ausführlich dargestellt620 – schlicht daran, dass man dem situationsbedingt unmündigen Bürger eine eigene Subsumtion anhand der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen nicht überantworten will, sei es, weil er die objektiven Gegebenheiten nicht überblicken kann oder er in eigener Sache befangen erscheint621. Bei einer Norm wie § 327 Abs. 2 Nr. 3 StGB, soweit sie den Weiterbetrieb einer Abfallanlage trotz umweltrechtlicher Untersagung unter Strafe stellt, ist der Spielraum für die Behörde, was die Mitgestaltung der konkret strafbaren Handlungen an615 R (on the application of W) vs. Director of Public Prosecutions [2005], Justice of the Peace and Local Government Law Reports 169, S. 435; siehe auch Hooper / Ormerod, Blackstone’s Criminal Practice, Rn. D 24.15. 616 BVerfGE 78, S. 374 (383). 617 Vgl. auch BVerfGE 80, S. 244 (256) zur Verfassungsmäßigkeit von § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG. 618 Siehe dazu bereits oben Seite 164. 619 Vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 283 ff. 620 Siehe oben Seiten 163 ff. 621 Siehe oben Seite 165.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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belangt, freilich schon größer, denn sie kann festlegen, welche Anlage und welche Betriebsart ganz oder teilweise künftig nicht mehr erlaubt sein soll (vgl. § 20 BImSchG)622. Auf die gleiche Ebene wird man z. B. auch § 4 i.V. m. § 1 Abs. 1 S. 3 Nrn. 1 – 5 GewaltschutzG623 oder § 95 Abs. 1 Nr. 4 i.V. m. §§ 46 Abs. 2 S. 1 – 2, 47 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AufenthaltsG stellen können. Hier kann das jeweils zuständige Organ zwischen verschiedenen recht konkret beschriebenen Handlungsanweisungen wählen. Ein Grenzbereich ist dort betroffen, wo es gar nicht mehr um gesetzlich standardisierte Verbote, sondern um durch Einzelakt geschaffene positive Verhaltenspflichten geht, z. B. solche gem. § 330d Abs. 1 Nr. 4 lit. b – e StGB, deren Nichtbeachtung in den §§ 311, 324a, 325, 325a, 326 Abs. 3, 328 Abs. 3 StGB unter Strafe gestellt wird bzw. als Ordnungswidrigkeit etwa nach § 62 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG geahndet werden kann. So ermächtigt § 24 S. 1 BImSchG die zuständige Behörde schlicht dazu, im Einzelfall Anordnungen zu treffen, welche zur Durchsetzung der sehr allgemein gehaltenen Pflichten des § 22 BImSchG und der auf das gleiche Gesetz gestützten Rechtsverordnungen erforderlich sind. Namentlich liegen die Pflichten des § 22 BImSchG dabei in der Verhinderung bzw. der bestmöglichen Beschränkung schädlicher Umwelteinwirkungen nach dem „Stand der Technik“ sowie in der ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung. Sie genügen für sich gesehen – wie bereits oben gezeigt624 – nicht dem Art. 103 Abs. 2 GG625. Eine Verfassungswidrigkeit der genannten Strafbestimmungen626 wird man daraus aber wohl nicht herleiten können. Gerade der „Stand der Technik“ ist ständigen Veränderungen unterworfen. Würde man ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzgeberisch festschreiben, hätte man es schnell mit obsoleter „Ladenhütertechnik“627 zu tun. Um mit entsprechenden Entwicklungen Schritt zu halten, muss es dem Gesetzgeber erlaubt sein, auch verwaltungsrechtliche Anordnungen, deren mögliche Ausgestaltung er nur ungenau antizipieren kann, zum Tatbestandsmerkmal einer Strafvorschrift zu bestimmen, solange klar ist, auf welchen Typus von Verwaltungsakt mit welchem übergeordneten Regelungszweck verwiesen wird. Die Schaffung allgemeiner legislatorisch ungebundener Gehorsamstatbestände628 nach Vorbild des britischen Crime and Disorder Act 1998 629 lässt sich so jedoch keinesfalls rechtfertigen. 622 623 624 625

Vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 284 f. Vgl. auch oben Seiten 165, 168, 240, Fußnote 225. Siehe dazu auch oben Seite 260. Kühl, Probleme der Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts, Festschrift-Lackner, S. 815

(837). So Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik, S. 298. Vgl. Schünemann, Die Regeln der Technik im Strafrecht, Festschrift-Lackner, S. 367 (395 f.). 628 Die wohl am weitesten gehende Regelung in Deutschland ist der militärischen Ungehorsam nach den §§ 19 f. WehrStG. Aus der Natur der Sache heraus wäre eine präzisere Regelung aber auch hier kaum praktikabel. 629 Vgl. oben Seite 291. 626 627

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

Ist die Straf- oder Bußgelddrohung wie bei § 34 Abs. 1 AWG, § 404 Abs. 2 Nr. 3, 4 SGB III, § 16 Abs. 1 AÜG oder auch § 24 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StVG an die Vornahme einer Handlung ohne Einholung des erforderlichen genehmigenden Verwaltungsakts geknüpft, ist die Situation deutlich einfacher: Da Strafbarkeit dann gegeben ist, wenn kein Einzelakt vorliegt, ist Art. 103 Abs. 2 GG ohne Besonderheiten auf den gesetzlichen Tatbestand anzuwenden. Der Bestimmtheitsgrundsatz bezieht sich im Einzelnen auf die Beschreibung des genehmigungspflichtigen Verhaltens630 sowie auf den Typus und Regelungsinhalt der verlangten Genehmigung631; eine Unterscheidung zwischen präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt ist dabei auch hier nicht zu machen632.

V. Art. 103 Abs. 2 GG bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen wird dagegen eine bestimmte Rechtsfolge oder ein bestimmtes Rechtsverhältnis zum Tatumstand633. Welche Folgen dies für die Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes und des Analogieverbotes hat, soll nun anhand konkreter Straftatbestände und Merkmale, die bei den vorangegangen Problemstellungen schon eine Rolle gespielt haben, erläutert werden.

1. Merkmal der Fremdheit und des Vermögensschadens bei den Eigentums- und Vermögensdelikten in §§ 242, 246, 253, 263, 289 StGB Sehr anschaulich ist wiederum das Beispiel des Eigentums – speziell dazu die Entscheidung BVerfGE 78, S. 205 zum „Uracher Hortfund“. Verfahrensgegenstand war die Verurteilung eines Hobbyarchäologen wegen Unterschlagung gem. § 246 StGB, weil er kulturhistorisch bedeutsame Stücke mittels Metalldetektor geortet, ausgegraben und in sein Fahrzeug verbracht hatte. Nach § 23 des einschlägigen baden-württembergischen Denkmalschutzgesetzes werden entsprechende Entdeckungen Alleineigentum634 des Landes, wenn sie „einen hervorragenden wissen630 Siehe dazu auch oben Seiten 203 ff. Für den Fall, dass sich die Genehmigungspflicht (wie so oft) aus einer Rechtsverordnung ergibt, siehe auch Seiten 263 ff., 273 f. 631 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 219. 632 Siehe oben Seite 208. 633 Siehe dazu bisher oben Seiten 169 ff. zur Irrtumslehre; Seiten 242 ff. zum milderen Gesetz. 634 Insofern besteht im Hinblick auf § 984 BGB, nach welchem dem Finder und dem Grundstückseigentümer jeweils die Hälfte zusteht, eine landesrechtliche Sonderregelung. Die Zulässigkeit einer solchen folgt aus Art. 1 Abs. 2, 73 EGBGB (damals Art. 3, 73 EGBGB). Da der Täter im konkreten Fall den Schatz nicht auf dem eigenen, sondern auf einem städtischen Grundstück gefunden hatte, wäre die Sache freilich auch ohne ein Schatzregal „fremd“ gewesen.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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schaftlichen Wert“ besitzen. Die dem Verfahren zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde stütze sich unter anderem auf die Verletzung von Art. 103 Abs. 2 StGB durch § 23 LDenkmalSchG. Sie blieb jedoch ohne Erfolg. Die Vorschrift, nach der fremdes Eigentum an einer ursprünglich herrenlosen Sache begründet wurde, brauchte nach zutreffender Ansicht des Gerichts nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG zu entsprechen, da es sich bei den §§ 242 ff. StGB um keine Blankettgesetze handelt, die einer Ausfüllung bedürften. Vielmehr beschreiben die Eigentumsdelikte „ohne Bezugnahme auf andere Bestimmungen“ das „mit Strafe bedrohte Verhalten vollständig“635. Alles andere wäre in der Lebenswirklichkeit auch kaum praktikabel, wenn durch unterschiedliche Anforderungen an die Bestimmtheit zwischen strafrechtlich geschütztem und nur zivilrechtlich anerkanntem (aber eben nicht diebes- und unterschlagungssicherem) Eigentum unterschieden werden müsste. Wegen der Nichtanwendung von Art. 103 Abs. 2 GG auf vorgelagerte Rechtsnormen benötigen auch die Vermögensgegenstände, welche von den §§ 253, 263, 266 StGB erfasst sind, keiner exakten gesetzlichen Grundlage. Selbst ein Anwartschaftsrecht als verkehrsfähige Vorstufe des Eigentums ist insofern geschützt, obwohl es als solches überhaupt nicht im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist636. Das Gleiche gilt für eine schuldrechtliche Forderung, auch wenn ihre Entstehung auf analoger Gesetzesanwendung beruht. All dies ist möglich, weil das jeweils in Bezug genommene Rechtsverhältnis – hier das Eigentum, ein sonstiges Recht, ein schuldrechtlicher Anspruch etc. – in der sozialen Wirklichkeit ein eigenständiges Dasein führt637. Der Subsumtionsstoff der vorgelagerten Rechtsnormen und diese selbst treten, wie im ersten Teil gezeigt, dahinter zurück638. Da vom Täter also ohnehin keine eigene Subsumtion anhand der maßgeblichen zivilrechtlichen Vorschriften erwartet wird639, kann auf die Einhaltung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes verzichtet werden. Auch für den Richter entfällt insofern die zwingende Bindung an den Gesetzeswortlaut. Die dadurch entstehenden größeren richterlichen Entscheidungsspielräume wirken sich aber nicht zu Lasten des Täters aus. Bei Fehlbewertungen, mögen sie auch auf fehlender Rechtskenntnis beruhen, wird der Betroffene durch das Vorsatzerfordernis640 ausreichend geschützt. Die Nichtanwendung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes auf vorgelagerte Rechtsnormen ist im Übrigen Voraussetzung dafür, dass man bei den genannBVerfGE 78, S. 205 (213). Ein Anwartschaftsrecht auf Eigentum an einer Sache entsteht z. B., wenn eine Einigung nach § 929 BGB von einer Bedingung gem. § 158 Abs. 1 BGB abhängig gemacht wird; für Vorbehaltskäufer gilt insofern die Vermutung des § 449 Abs. 1 BGB. Gesichert wird der Anspruch u. a. durch § 161 BGB. Zum Anwartschaftsrecht des Vormerkungsempfängers vgl. entsprechend § 883 Abs. 2 BGB. 637 Siehe z. B. oben Seiten 170, 171, 182, 188 und 210. 638 Diesbezügliche Kenntnisse sind deshalb auch nicht gefordert. Siehe oben Seiten 126, 169. 639 Siehe z. B. wieder oben Seiten 126, 170 f., 182, 188 und 210. 640 Siehe oben Seiten 170 f., 182. 635 636

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

ten Delikten auch einen untauglichen Versuch641 bestrafen kann, wenn der Täter aufgrund rechtlicher Fehlvorstellungen zur Überzeugung gelangt ist, das tatbestandlich geforderte Rechtsverhältnis läge vor642. Die Normen, die nach Ansicht des Täters fremdes Eigentum oder das Bestehen einer zivilrechtlichen Forderung begründen, existieren schließlich in Wahrheit nicht. Als Nichtrecht könnten sie keinesfalls Art. 103 Abs. 2 GG genügen.

2. Merkmal der Pflichtwidrigkeit bei der Untreue gem. § 266 StGB Kommt man nun zu spezifischen Wirtschaftsdelikten, so ist der Unrechtsgehalt der Untreue gem. § 266 StGB – das Verschleudern fremden anvertrauten Vermögens gegen die Interessen des Treugebers – bereits vom Straftatbestand vollständig erfasst643. Wenn die Pflichtwidrigkeit z. B. davon abhängt, ob das betreute Unternehmen zu einer bestimmten nachteiligen Vermögensdisposition verpflichtet war644, ist man bei Klärung dieser zivilrechtlichen Vorfrage nicht an die Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG gebunden. Ebenfalls ist es in anderen Fällen möglich, zwecks Bestimmung des mutmaßlichen Willens einer juristischen Person die doch eher unbestimmten § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 AktG645, aber auch die privatautonom vereinbarte Unternehmensverfassung, Gesellschafterverträge, Satzungen und Beschlüsse etc. heranzuziehen, denen insofern die gleiche Bedeutung zukommen kann wie dem ausdrücklich formulierten Willen des Treugebers646. Auch Compliance-Regeln sind trotz der in der Einführung zum ersten Teil geäußerter Bedenken – was ihre Wirkung in der Praxis anbelangt647 – grundsätzlich geeignet, untreuetaugliche Pflichten aufzustellen648, wobei der Täter natürlich auch hier nur bestraft werden kann, wenn er verstanden hat, dass die Richtlinien ernst gemeint sind, er also den Interessen der Treugeberin tatsächlich zuwider gehandelt hat. Gerade bei eigentlich „altruistisch“ motivierten Taten, wie sie eingangs beschrieben wurden649, kann letzteres durchaus einmal zweifelhaft erscheinen650. Siehe oben Seiten 121 ff. Siehe bereits oben Seite 126 f. 643 Vgl. jüngst auch BVerfG vom 23. Juni 2010, Az. 2 BvR 2559 / 08 u. a., Rz. 85 ff. und 96 f. zur Pflichtwidrigkeit als rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal. 644 Vgl. oben Seite 175. 645 Siehe oben Seite 174. Kritisch Brammsen, Vorstandsuntreue, wistra 2009, S. 85 (87). 646 Siehe oben Seite 173. 647 Vgl. oben Seiten 32 ff. 648 Rönnau, Einrichtung „schwarzer“ (Schmiergeld-)Kassen in der Privatwirtschaft, Festschrift-Tiedemann, S. 713 (721); Saliger / Gaede, Rückwirkende Ächtung der Auslandskorruption und Untreue als Korruptionsdelikt, HRRS 2008, S. 57 (68). 649 Siehe dazu oben Seiten 32 ff. 650 Dies gilt z. B., wenn selbst die durch die „Schmiergeldaffaire“ in Verruf geratene Siemens AG seit 1998 über kodifizierte Verhaltensregeln verfügte, durch die entsprechende Zah641 642

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

297

Darüber hinaus können auch allgemeine nichtstaatliche Regelwerke Bedeutung erlangen, wenn der Mitarbeiter im Hinblick auf die Vermögensinteressen des eigenen Unternehmens auf die Einhaltung verpflichtet wurde. Zu denken ist dabei auch an den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK)651, welcher von einer Regierungskommission erarbeitet wurde und allgemein anerkannte Standards „guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung“ zusammenstellt652. Soweit der Kodex lediglich geltendes Gesetzesrecht wiederholt, dürfte er allerdings keine eigene Bedeutung haben653. Sonst ist die Einhaltung zwar nicht unmittelbar verbindlich, gem. § 161 AktG haben börsennotierten Gesellschaften aber jährlich nach dem Prinzip des „comply or explain“ zu erklären, ob den im Kodex bekannt gemachten Empfehlungen entsprochen wurde654. Da der Kapitalmarkt ein solches Verhalten honorieren wird, steht es einer Gesellschaft natürlich frei, ihre Mitarbeiter auf die Einhaltung des Kodex zu verpflichten. Dies bedeutet dann natürlich nicht, dass allein wegen möglicher Reaktionen des Aktienmarktes jeder bekanntzugebende Verstoß gegen den Kodex eine Untreue darstellen würde; der Aktienkurs wirkt sich schließlich nur auf das Vermögen der Anleger aus655. Verlangen jedoch z. B. Ziffer 5.2 Abs. 3 DCGK im Rahmen des Risikomanagements einen regelmäßigen Kontakt von Aufsichtsrat und Vorstand oder Ziffer 5.3.2 DCGK die Einrichtung eines Prüfungsausschusses, dienen diese Sorgfaltspflichten durchaus dem Schutz des Gesellschaftsvermögens656. Der vorsätzliche Verstoß, der nachweisbar zu einer Schädigung der Gesellschaft geführt hat, kann dann als Treubruch gem.

lungen ausdrücklich verboten wurden (vgl. bereits oben Seite 34, Fußnote 62). Angesichts der Tatsache, dass sich dennoch ein allgemeines (dem Zentralvorstand angeblich unbekannt gebliebenes) Schmiergeldsystem mit einem mutmaßlichen Gesamtvolumen i. H. v. 1,3 Milliarden Euro etablieren konnte, muss die Bedeutung der Regeln den Mitarbeitern aus dem mittleren Management zumindest nicht ausreichend kommuniziert worden sein. Vor diesem Hintergrund ist das Ergebnis der juristischen Aufarbeitung [BGHSt 52, S. 323 (335 f.)], nach dem das Unternehmen nur Opfer von Einzeltätern war, die vorsätzlichen Treubruch begangen haben sollen, doch eher unbefriedigend. 651 Veröffentlicht ist dieser im Amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers, Fundstelle AT79 2009 B1 (http://www.ebundesanzeiger.de). Speziell im Zusammenhang mit § 266 StGB vgl. dazu Schlösser / Dörfler, Strafrechtliche Folgen eines Verstoßes gegen den Deutschen Corporate Governance Kodex, wistra 2007, S. 326. 652 Die Kommission wurde gebildet aus Vertretern der Wirtschaft, der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens. 653 Semler, in: Münchener Kommentar, § 161 AktG, Rn. 55; Schlösser / Dörfler, wistra 2007, S. 326 (328). Dies gilt auch dann, wenn die nicht wörtliche Wiedergabe zum Teil sinngemäß von gesetzlichen Regelungen leicht abweicht. Kritisiert wird zudem, dass es nicht immer einfach ist, Gesetzesregeln, von der Kommission vorgenommene Rechtsauslegung, Empfehlungen und Anregungen sauber voneinander zu trennen. Vgl. Semler, in: Münchener Kommentar, § 161 AktG, Rn. 26, 56. 654 Vgl. Semler, in: Münchener Kommentar, § 161 AktG, Rn. 46 ff. Bei einer falschen Entsprechungserklärung kommen auch Strafbarkeiten nach § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG in Betracht. 655 Schlösser / Dörfler, wistra 2007, S. 326 (329). Ob sich ein Aktienkurs aufgrund der Tatsache, dass bestimmte Empfehlungen nicht angewendet wurden, tatsächlich nach unten verändert hat, wird sich in einem Strafverfahren ohnehin kaum nachweisen lassen. Jede Kursveränderung kann schließlich auch auf anderen Faktoren beruhen. 656 Schlösser / Dörfler, wistra 2007, S. 326 (330).

298

2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

§ 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar sein, ohne dass dies im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG problematisch wäre.

3. Weitere rechtsnormative Merkmale bei sonstigen Wirtschaftsdelikten Auch bei den weiteren Wirtschaftsdelikten, wie sie in der Irrtumslehre abgehandelt wurden, wirkt sich der Umstand, dass ein bestimmtes Merkmal als rechtsnormatives anzusehen ist, entsprechend aus. So brauchen beim Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gem. § 266a Abs. 1 und 2 StGB657 der § 7 Abs. 1 SGB IV und die Fiktionstatbestände der § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG, § 78a Abs. 2 BetrVG und § 16 TzBfG nicht an Art. 103 Abs. 2 GG gemessen werden, da sie dem Tatumstand der Sozialversicherungspflichtigkeit eines Beschäftigungsverhältnisses nur vorgelagert sind658. Sie würden eine entsprechende Überprüfung wohl auch nicht bestehen. Ebenso ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Subventionserheblichkeit von Tatsachen nach § 264 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB i.V. m. § 2 SubvG bei gesetzesfreien Subventionen durch den Subventionsgeber bestimmt werden kann659. Dienstpflichten i. S. d. §§ 332 und 334 StGB660, gegen die wegen einer Schmiergeldzahlung verstoßen wurde, müssen ebenfalls nicht zwingend kodifiziert sein, damit nicht nur eine Verurteilung wegen schlichter Vorteilsnahme, sondern auch wegen Bestechungsdelikten erfolgen kann. Auch für Buchführungs- und Bilanzdelikte in den §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 und 7, 283b Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StGB, aber auch §§ 331 ff. HGB, §§ 399 ff. AktG oder § 313 ff. UmwG661 wird man annehmen müssen, dass zwar das „Ob“ der Buchführungspflicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG entsprechend durch die §§ 238 ff. HGB geregelt wurde662, hinsichtlich des „Wie“ es aber nicht schadet, dass die §§ 238 Abs. 1, 239 Abs. 4 S. 1, 241 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2, 243 Abs. 1, 256 HGB etc.663 auf die zum Teil ungeschriebenen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) oder § 315a HGB für Konzernabschlüsse auf die internationalen Rechnungslegungsstandards IAS / IFRS664 verweisen. Siehe oben Seiten 176 ff. und 189. Anders verhält es sich bei den Pflichten der §§ 28e Abs. 1, 28g SGB IV selbst, die ja blankettmäßig in § 266a StGB hineingelesen werden (siehe oben Seite 179). 659 Perron, in: Schönke / Schröder, § 264 StGB, Rn. 3; zum Begriff der Subventionserheblichkeit bei § 264 StGB siehe auch oben Seiten 191 f. Zum Gestaltungsmissbrauch gem. § 4 Abs. 2 SubvG bzw. Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988 / 95 vgl. die Ausführungen zu § 42 AO auf Seiten 299 f. 660 Siehe oben Seiten 179, 245. 661 Siehe oben Seite 181. 662 Insofern ist das HGB blankettausfüllend (vgl. oben Seite 159) und muss Art. 103 Abs. 2 GG genügen, wenn es strafbegründend wirken will. 663 Weitere Beispiele bei Ballwieser, in: Münchener Kommentar, § 238 HGB, Rn. 20. 664 Die International Financial Reporting Standards (IFRS) sind internationale Rechnungslegungsvorschriften für Unternehmen, die vom International Accounting Standards Board, 657 658

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

299

Das kompetenzbezogene Problem, inwieweit die Delegation der Beschreibung strafbaren Verhaltens gehen kann, welches beim Verweis auf strafbarkeitsbegründende Verwaltungsakte665 eine ganz wichtige Rolle spielte, stellt sich in diesem Zusammenhang kaum. Hier kann der Normadressat nicht vorab mittels Einzelakt auf eine bestimmte Auslegung oder Anwendung außertatbestandlicher Normen festgelegt werden. Der Gesetzgeber wird zudem nicht geneigt sein, allgemeine Gehorsamstatbestände zu schaffen, die an nichthoheitliche Anweisungen von Privatpersonen anknüpfen. Allenfalls bei § 266 StGB666 ist dies ansatzweise geschehen, lässt sich aber aufgrund des Vermögensbezugs der Tat und des dem Treupflichtigen vom Geschäftsherrn entgegengebrachten Vertrauens durchaus rechtfertigen. Insofern kriminalpolitisch fragwürdig wären dagegen § 299 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 StGB-E, durch die durch Schmiergeldzahlungen erkaufte Pflichtverletzungen auch außerhalb von Wettbewerbslagen unter Strafe gestellt werden sollen667.

4. Verkürzungserfolg bei der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO – Gestaltungsmissbrauch, Analogie und teleologische Reduktion im materiellen Steuerrecht Im Rahmen der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 AO kann unter anderem das Problem auftreten, dass sich trotz Verletzung von Erklärungspflichten der Verkürzungserfolg nur über einen Gestaltungsmissbrauch begründen lässt. Dies wäre etwa bei Stornierung und Neuabschluss eines Vertrages der Fall, wenn dies allein dem Ziel dient, doch noch in den Genuss einer neu geschaffenen Steuersubvention zu kommen. Die gesetzliche Regelung des § 42 AO, die dazu führt, dass die steuerliche Rechtsfolge, die bei wortgetreuer Anwendung der unangemessenen Gestaltung einträte, ersetzt wird durch die Rechtsfolge, die dem angestrebten wirtschaftlichen Ziel entspricht668, dürfte Art. 103 Abs. 2 GG eindeutig nicht genügen. Demnach liegt nämlich bereits dann ein Gestaltungsmissbrauch vor, wenn eine „unangemessene rechtliche Gestaltung“ gewählt wurde, die im Vergleich zu einer „angemessenen Gestaltung“ zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Eine zur Begründung der Steuerschuld erforderliche Anwendung des § 42 AO steht einer Strafbarkeit aber dennoch nicht entgegen669. Hinsichtlich der Existenz einem Gremium mit Sitz in London, herausgegeben werden. Trägerorganisation ist die International Accounting Standards Committee Foundation (IASCF), eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz im US-Bundesstaat Delaware. Durch europäische Verordnung werden die Vorschriften allerdings regelmäßig bestätigt; vgl. z. B. IFRS-Übernahmeverordnung (EG) Nr. 1126 / 2008. 665 Siehe oben Seiten 291 ff. 666 Siehe oben Seiten 173, 296 f. 667 BT-Drucksache 16 / 6558; vgl. schon oben Seite 180. Selbst im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG erscheint die Norm nicht ganz unproblematisch, da der Wortlaut jedes denkbare, auch affektive Interesse des Geschäftsherrn beim Bezug von Waren und Dienstleistungen umfasst. Jede Form der Pflichtverletzung, sei sie gesetzes-, vertrags- oder allgemein „loyalitäts“bezogen, kann aber kaum gemeint sein, auch wenn ein Vermögensbezug wie bei § 266 StGB nicht gefordert wird. 668 Vgl. Koenig, in: Pahlke / Koenig, § 42 AO, Rn. 28.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

des verkürzten Steueranspruchs bzw. der fehlenden Rechtfertigung des erlangten Steuervorteils weist § 370 Abs. 4 AO nämlich – jedenfalls nach der hier vertretenen Auffassung – keine Blanketteigenschaften auf, vielmehr liegt insofern ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal vor670. Der oben beschriebene Sachverhalt ist also strafbar, wenn er dem Finanzamt vom Steuerpflichtigen nur unvollständig mitgeteilt wurde671 und der Täter es für möglich gehalten hat, dass trotz der äußeren Gestaltung Steuern geschuldet sind672. Auch die analoge Anwendung und teleologische Reduktion steuerlicher Vorschriften ist bei Bestimmung des verwirkten Steueranspruchs nicht ausgeschlossen. So ist die Versagung der Steuerfreiheit bei missbräuchlichen innergemeinschaftlichen Lieferungen zwar steuer- und europarechtlich noch nicht abschließend geklärt673. Die Annahme einer Strafbarkeit wegen Hinterziehung inländischer Umsatzsteuer wäre auf dieser Grundlage jedoch mit Art. 103 Abs. 2 GG durchaus vereinbar, obwohl das Gesetz keine ausdrückliche Missbrauchsklausel enthält674. Subjektive Voraussetzung ist dabei natürlich wiederum, dass der Täter eine Steuerschuld gegenüber dem deutschen Fiskus zumindest billigend in Kauf genommen hat. Das Bundesverfassungsgericht geht dagegen in einem Kammerbeschluss vom 16. Juni 2011, Az. 2 BvR 542 / 09 davon aus, dass es sich bei § 370 Abs. 1 AO um eine Blankett669 So im Ergebnis BGH NStZ 1982, S. 206 (mit allerdings unbefriedigendem theoretischen Ansatz); mit überzeugender Begründung dagegen Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 140; Fischer, in: Hepp / Hübschmann / Spitaler, § 42 AO, Rn. 55 ff.; Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 26 ff., insb. 27.1; ders., § 370 AO und Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen, HRRS 2009 / 10, S. 421 (424). 670 Siehe oben Seiten 187 ff., 247 ff. Als durch Täuschung bewirkte Steuerverkürzung ist § 370 Abs. 1 AO schon für sich gesehen i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG ausreichend bestimmt. Ergänzungsbedürftig ist lediglich § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich einzelner Erklärungspflichten, nur insofern ist das materielle Steuerrecht als blankettausfüllend anzusehen (vgl. oben Seiten 193 ff., 248). 671 Ohne Verletzung von Erklärungspflichten stellt der Gestaltungsmissbrauch als solcher natürlich keine Straftat dar. Wenn der steuerlich relevante Sachverhalt umfassend und rechtzeitig offenbart wird, ist dem Steuerpflichtigen kein Vorwurf zu machen, der zutreffenden Festsetzung des Steueranspruchs durch das Finanzamt steht nichts entgegen. Vgl. Koenig, in: Pahlke / Koenig, § 42 AO, Rn. 9. 672 Entsprechendes gilt für den Gestaltungsmissbrauch gem. § 4 Abs. 2 SubvG bzw. § 4 Abs. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988 / 95 und § 264 StGB. Vgl. oben Seite 298. 673 Vgl. EuGH („Halifax“) DStR 2006, S. 420 (425); EuGH („Kittel“) DStR 2006, S. 1274 (1278); aber auch den Schlussantrag des Generalanwalts Cruz Villalón vom 29. Juni 2010, C-285 / 09; näher dazu Ransiek, § 370 AO und Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen, HRRS 2009 / 10, S. 421 f.; Bülte, in: Graf / Jäger / Wittig, § 370 AO, Rn. 375 ff.; ders., Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld zwischen der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH und dem Grundsatz nullum crimen sine lege, BB 2010, S. 1759 (1760 ff.). 674 Vgl. jeweils zu §§ 4 Nr. 1 lit. b, 6a UStG: BGH NJW 2009, S. 1516 (diesbezüglich war das Verfahren BVerfG 2 BvR 542 / 09 anhängig); BGH DStR 2009, S. 1689 (1690 ff.); ebenso Ransiek, HRRS 2009 / 10, S. 421 (424); dagegen zweifelnd Bülte, BB 2010, S. 1759 (1767 f.). Für künftige Fälle wurden mögliche Strafbarkeitslücken durch Änderung des § 370 Abs. 6 AO geschlossen (vgl. dazu Seiten 375 f.).

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

301

strafnorm handle675, bei der auch die „ausfüllenden Vorschriften“ des materiellen Umsatzsteuerrechts „am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen“ seien. Um wie hier die Strafbarkeit des Verhaltens dennoch aufrecht erhalten zu können, muss es bei der Betrachtung des Wortlauts von § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG ausgesprochen großzügig verfahren676. So nutzt das Gericht den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz bzw. das strafrechtliche Analogieverbot an der falschen Stelle unnötig ab. Jedes andere Ergebnis hätte schließlich die ungereimte Konsequenz, dass zwischen strafrechtlich geschützten und nur materiell anerkannten677 Steueransprüchen unterschieden werden müsste. Die Berechtigung, Steuern festzusetzen, sollte jedoch immer mit der grundsätzlichen Strafbarkeit einer Verkürzung einhergehen, da bei einer „gespaltenen“ Auslegung (weite Interpretation im materiellen Steuerrecht, enge Interpretation im Steuerstrafrecht) regelmäßig ein nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbarendes Vollzugsdefizit zu befürchten wäre678.

VI. Zusammenfassung der Ergebnisse Im zweiten Teil lassen sich die Ergebnisse des Abschnitts B wie folgt zusammenfassen: – Bei Tatbeständen mit Blankettmerkmalen entsteht erst durch deren Ausfüllung durch Rechtsnormen ein dem Art. 103 Abs. 2 GG entsprechender Gesamttatbestand679. Blankett- und Ausfüllungsnorm müssen deshalb insgesamt dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen. – Der Gesetzesbegriff des Art. 103 Abs. 2 GG umfasst auch nichtförmliche Gesetze680. Mindestanforderungen an den durch förmliches Gesetz geregelten Teil des Gesamttatbestandes ergeben sich bei der Ausfüllung durch Rechtsverordnung aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG681, bei der Ausfüllung durch Satzungen aus Art. 20 Abs. 3 GG682. Wird diesen Anforderungen nicht genügt, kann mangels wirksamer Ausfüllungsnorm kein dem Art. 103 Abs. 2 GG entsprechender Gesamttatbestand gebildet werden683. 675 Vgl. zu weiteren und auch abweichenden Beispielen in der Rechtsprechung Seite 117, Fußnote 749. 676 Nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG muss der Gegenstand „in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung“ unterliegen, um gem. § 4 Nr. 1 lit. b UStG im Inland umsatzsteuerfrei zu sein. Dass eine Besteuerung im Ausland auch tatsächlich stattfinden muss (die Norm also im Falle des Missbrauchs keine Anwendung findet), gibt der exakte Wortlaut nur schwerlich her. Kritisch auch Bülte, in: Graf / Jäger / Wittig, § 370 AO, Rn. 384; vgl. allerdings dort auch Rn. 392. 677 Zur Auslegung des materiellen Steuerrechts allgemein vgl. BVerfGE 13, S. 331 (345). 678 Siehe dazu bereits oben Seite 248. 679 Siehe oben Seiten 258 ff. 680 Siehe oben Seiten 264 ff. 681 Siehe oben Seiten 269 ff. 682 Siehe oben Seiten 279 ff. 683 Siehe oben Seite 272.

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2. Teil: Bezugsnormen und Gebot des positivierten Strafgesetzes

– Rückverweisungsklauseln684 tragen zwar im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG zur besseren Überschaubarkeit von Blankettgesetzen bei685, bergen aber die Gefahr, dass der parlamentarische Gesetzgeber seiner Aufgabe nicht gerecht wird, selbst die Grundentscheidung darüber zu treffen, welche Verhaltens- und Schuldformen inwieweit sanktionswürdig sind686. – Bei Tatbeständen, die auf Einzelakte Bezug nehmen687, ist der Einzelakt als solcher am (ggf. durch § 37 VwVfG) konkretisierten, allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis aus Art. 20 Abs. 3 GG zu messen. Die Anforderungen liegen insoweit sogar über denen, die an eine abstrakte Rechtsnorm gem. Art. 103 Abs. 2 GG gestellt werden688. – Aus kompetenzrechtlichen Gründen689 müssen die zu schützenden Rechtsgüter und die mit Strafe oder Bußgeld bedrohten Verhaltensweisen allerdings vom Gesetzgeber hinreichend abstrakt beschrieben werden. Die Schaffung allgemeiner, legislatorisch ungebundener Gehorsamstatbestände ist dagegen unzulässig690. – Ist die Straf- oder Bußgelddrohung an die Vornahme einer Handlung ohne Einholung eines genehmigenden Einzelakts geknüpft, ist Art. 103 Abs. 2 GG ohne Besonderheiten auf den gesetzlichen Tatbestand einschließlich der Beschreibung des genehmigungspflichtigen Verhaltens sowie Typus und Regelungsinhalt der verlangten Genehmigung anzuwenden691. – Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen692 muss das Merkmal selbst Art. 103 Abs. 2 GG genügen, nicht jedoch die Vorschriften die dem jeweils geforderten Rechtsverhältnis vorgelagert sind, da vom Täter diesbezüglich ohnehin keine eigenständige Subsumtion verlangt wird693. Insofern ist auch eine analoge Gesetzesanwendung möglich. Selbst Regelwerke nichtstaatlicher Urheber können Bedeutung erlangen694.

Auch in diesem Abschnitt konnten jeweils Zusammenhänge zu den im Rahmen der Irrtumslehre695 und des intertemporalen Strafanwendungsrechts696 gewonnenen Ergebnissen festgestellt werden. Die Abgrenzung der Blankettverweisung vom 684 685 686 687 688 689 690 691 692 693 694 695 696

Siehe oben Seiten 274 ff. Siehe oben Seite 275. Siehe oben Seite 278. Siehe oben Seiten 287 ff. Siehe oben Seite 289. Siehe oben Seiten 290 ff. Siehe oben Seite 293. Siehe oben Seite 294. Siehe oben Seiten 294 ff. Siehe bereits oben Seite 210. Siehe oben Seite 297. Siehe oben Seiten 208 ff. Siehe oben Seiten 251 ff.

B. Bestimmtheitsgebot und sonstige verfassungsrechtliche Grenzen

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rechtsnormativen Tatbestandsmerkmal hat damit problemübergreifend für die Irrtumslehre, das intertemporale Strafanwendungsrecht und für Fragen des Bestimmtheits- und Analogieverbotes stattzufinden. Im nächsten Teil der Arbeit sollen nun zwei weitere Problemkreise untersucht werden, die mit dem Wirtschafts- und Steuerstrafrecht in seinen europäischen internationalen Bezügen zusammenhängen.

3. Teil

Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht I. Einleitung Zusammen mit den Gesetzen des Bundes und der Länder bildet das Europarecht die Gesamtrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Tatbestände, die an Europarecht anknüpfen oder durch Europarecht ausgefüllt werden, wurden deshalb im ersten Teil dieser Arbeit, also im Rahmen der Irrtumslehre1, und auch im zweiten Teil hinsichtlich des intertemporalen Strafrechts2 ohne Unterschied mitbehandelt. Aspekte, die speziell mit europarechtlichen Besonderheiten zusammenhängen, sollen nun jedoch in einem gesonderten Abschnitt abgehandelt werden. Zunächst wird es darum gehen, welche strafrechtlichen Anweisungskompetenzen der Europäischen Union bisher zukamen und wie es nunmehr nach dem Scheitern des Vertrags über eine Verfassung für Europa3, aber dem Inkrafttreten des Reformvertrages von Lissabon am 1. Dezember 20094 aussieht. Entsprechende Kompetenzen sind natür1 Siehe oben Seiten 26 ff. (speziell z. B. Seiten 92, 145, 149 f., 159, 160, 176, 189, 191, 201 und 205). 2 Siehe oben Seiten 212 ff. (speziell z. B. Seiten 225, 234 f., 235 ff.). 3 Nach etwa zwanzigjähriger Diskussion hatten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union am 29. Oktober 2004 in Rom zunächst mit dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, EU-Amtsblatt 2003, C 169, S. 1 das bislang umfassendste und anspruchsvollste Reformprojekt des europäischen Integrationsprozesses unterzeichnet (vgl. Mickel / Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, Stichwort: Verfassungsvertrag). 16 Mitgliedstaaten sowie Bulgarien und Rumänien (als Teil der Verhandlungen zu ihrem EU-Beitritt) hatten das Vertragswerk ratifiziert; durch das französische und niederländische Volk wurde es jedoch in nationalen Referenden mit Mehrheiten von 54,7% bzw. 61,6% bei hoher Wahlbeteiligung abgelehnt. Dänemark, Großbritannien, Irland, Polen und Portugal sagten daraufhin ihre ebenfalls geplanten Referenden ab. 4 Der Vertrag von Lissabon, EU-Amtsblatt 2007, C 306, S. 1, welcher wesentliche Reformvorhaben des Verfassungsvertrages übernommen hat, wurde bereits am 13. Dezember 2007 unter portugiesischer Ratspräsidentschaft unterzeichnet. Wegen eines ablehnenden ersten Referendums in der Republik Irland musste das beabsichtigte Inkrafttreten zum 1. Januar 2009 zunächst verschoben werden. Ein zweites Referendum brachte jedoch am 2. Oktober 2009 die notwendige Mehrheit.

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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lich zum Teil selbst strafrechtlicher Natur. Im Anschluss wird aber auch die Ausfüllung deutscher Blanketttatbestände durch unmittelbar inhaltsbestimmendes Europarecht aus anderen Rechtsgebieten behandelt werden. In beiden Fällen wird unter anderem auf bisher offen gebliebene Fragen der Einhaltung des deutschen Bestimmtheitsgebots gem. Art. 103 Abs. 2 GG einzugehen sein. Unproblematisch ist dagegen, dass ein von einem rechtsnormativen Tatbestandsmerkmal beschriebenes Rechtsverhältnis nicht nur von inländischem, sondern auch von europäischem Recht abhängen kann, so dass dieser Punkt keiner eigenen Betrachtung bedarf. Als weiteres Thema sind jedoch mögliche strafbarkeitsbegrenzende Wirkungen von Europarecht zu erörtern, wenn deutsche Straftatbestände mit Grundfreiheiten, europäischen Verordnungen oder Richtlinien kollidieren. Prozessual hat jeder Zusammenhang mit Europarecht die Folge, dass bei Zweifeln über eine entscheidungserhebliche europarechtliche Frage unter den in Art. 267 AEUV-Lissabon (Art. 234 EGV a. F.5) genannten Voraussetzungen eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes eingeholt werden darf bzw. letztinstanzlich sogar eingeholt werden muss6. Eine willkürliche Missachtung kann vom Angeklagten beim Bundesverfassungsgericht als Verstoß gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG geltend gemacht werden7. Ansonsten können Vertragsverletzungen allerdings nur von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat in einem Vertragsverletzungsverfahren gerügt werden8.

II. Strafrechtliche Anweisungskompetenzen der Europäischen Union 1. Anweisungskompetenzen vor und nach Inkrafttreten des Reformvertrags von Lissabon Die Europäische Union hatte bisher grundsätzlich keine originäre Strafrechtssetzungskompetenz9, sieht man einmal von Geldbußen für Wettbewerbsverstöße nach Art. 23 der Kartellverfahrensverordnung (EG) Nr. 1 / 2003 und Art. 14 der Fusionskontrollverordnung (EG) Nr. 139 / 200410, Geldbußen und Strafgeldern der Euro5 Bei Rechtinstrumenten der „Dritten Säule“ bisher i.V. m. Fakultativklausel des Art. 35 EUV a. F. Vgl. Dannecker, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, § 38, Rn. 145 ff. 6 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 6, Rn. 1 ff. 7 BVerfGE 75, S. 223 (245); BVerfGE 82, S. 159. 8 Dannecker, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, § 38, Rn. 81. 9 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4, Rn. 101; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 90 ff., 143 f.; Vogel, in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 1; Dannecker, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, § 38, Rn. 4 ff. Vgl. auch BGHSt 25, S. 190 (193 f.); BGHSt 41, S. 127 (131 f.). 10 Siehe oben Seiten 72 f., 86.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

päischen Zentralbank nach Art. 1 Nr. 5, 6, Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2532 / 9811 oder vergleichbaren Sanktionsmöglichkeiten12 unterhalb der kriminalstrafrechtlichen Eingriffsschwelle ab. Lange Zeit galt das Strafrecht deshalb als „letzte Bastion“ nationalstaatlicher Souveränität13. Dennoch wurde das nationale Strafrecht durch das Gemeinschaftsrecht – bisher die sogenannte „Erste Säule“ der Europäischen Union – und Rechtsdokumente der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen – bisher die sogenannte „Dritte Säule“ – in vielfältiger Weise beeinflusst14. Eine praktisch wichtige Form war zum einen die sekundärgemeinschaftsrechtliche Harmonisierung nationaler Strafnormen durch Richtlinien15, wie es etwa bei der Geldwäsche gem. § 261 StGB16, den §§ 38, 39, 14, 20a WpHG zu Insiderhandel und Marktmanipulation17 oder dem sogenannten Bilanzeid nach § 331 Nr. 3a HGB18 geschehen ist. Die gemeinschaftsrechtliche Anweisungskompetenz wurde in 11 Verordnung (EG) Nr. 2532 / 98 des Rates vom 23. November 1998 über das Recht der Europäischen Zentralbank, Sanktionen zu erlassen, ABl., Nr. L 318, S. 4. 12 Man denke auch an Geldbußen des Europäischen Gerichtshofes oder des Europäisches Gerichts erster Instanz gegen ausgebliebene Zeugen nach Art. 27 der EuGH-Satzung, verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen (mit oder ohne Punitivcharakter) nach den Art. 4 ff. der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988 / 95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Zwangsmaßnahmen nach Art. 83 Abs. 1 des EuratomVertrags, Strafzuschläge, Kautionsverfall, Kürzungen, Sperren und Abzüge im Agrar- und Fischereibereich etc. Siehe allgemein Vogel, in: Sieber / Brüner / Satzger / von HeintschelHeinegg, Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 9 ff.; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 58 ff.; Dannecker, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, § 2, Rn. 80 ff.; Valls Prieto, Die juristische Natur der Sanktionen der Europäischen Union, ZStW 120 [2008], S. 403 ff. 13 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 55; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 157 ff. 14 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., § 11, Rn. 14 ff., § 12, Rn. 5 ff.; Corstens / Pradel, European Criminal Law, S. 512 ff.; Kühl, Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, ZStW 109 [1997], S. 777 (780 ff.); Dieckmann, Europäische Kooperation im Bereich der Strafrechtspflege, NStZ 2001, S. 617 ff. 15 Ambos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., § 11, Rn. 30 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 8, Rn. 2, 9 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 39; Vogel, Harmonisierung des Strafrechts in der Europäischen Union, GA 2003, S. 314 (322 ff.). 16 Vgl. Richtlinie (EWG) Nr. 91 / 308 des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, Amtsblatt Nr. L 166 vom 28. Juni 1991, S. 77; Richtlinie (EG) Nr. 2001 / 97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 12. 2001 zur Änderung der Richtlinie (EG) Nr. 91 / 308, Amtsblatt L 344 vom 28. Dezember 2001, S. 76; Richtlinie (EG) Nr. 2005 / 60 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, Amtsblatt L 309 vom 25. 11. 2005, S. 15. 17 Richtlinie (EWG) Nr. 89 / 592, Amtsblatt 1989, Nr. L 334, S. 30; Richtlinie (EG) Nr. 2003 / 124 zur Durchführung der Richtlinie (EG) Nr. 2003 / 6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insiderinformationen und die Begriffsbestimmung von Marktmanipulation, ABl. 2003, Nr. L 339, S. 70. 18 Richtlinie (EG) Nr. 2004 / 109 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten

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den genannten Fällen aus Art. 95 EGV a. F. hergeleitet. Die Vorschriften sollten also im Rahmen der „Ersten Säule“ dem Zweck der Verwirklichung des Binnenmarktes dienen, welcher selbst für die Richtlinie (EG) Nr. 2006 / 24 über die Vorratsdatenspeicherung als Kompetenztitel herhalten musste19. Auf die Zuständigkeit für Asyl und Einwanderung gem. Art. 61, 63 EGV a. F. ließ sich eine Richtlinie zur Beihilfe zum illegalen Aufenthalt stützen20. Aufgrund der Art. 70 ff. EGV a. F. zur gemeinsamen Verkehrspolitik konnten die Mitgliedstaaten zum Erlass von Bußgeldvorschriften verpflichtet werden, die unter anderem den Verstoß gegen durch EG-Verordnung21 geregelte Lenk- und Ruhezeiten ahnden, was z. B. in Deutschland durch die bereits oben erwähnten §§ 8, 8a FahrpersonalG und §§ 22 ff. FahrpersonalV geschehen ist22. Sogar hinsichtlich sanktionsrechtlicher Regelungen zum Umweltschutz leitete der Europäische Gerichtshof in einer Aufsehen erregenden Entscheidung eine Annexkompetenz der Gemeinschaft aus den Art. 174 ff. EGV a. F. her23, was die Nichtigkeit eines diesbezüglichen Rahmenbeschlusses24 (als Instrument der „Dritten Säule“) begründete und den Erlass der bis Ende 2010 umzusetzenden Umweltstrafrecht-Richtlinie25 (als Instrument der „Ersten Säule“) nach sich zog. Auch die Meeresverschmutzung durch Schiffe durfte nicht durch Rahmenbeschluss geregelt werden, hier begründete laut Europäischem Gerichtshof die gemeinsame Verkehrspolitik und Art. 80 Abs. 2 EGV a. F. eine Gemeinschaftskompetenz26. Ob all Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie (EG) 2001 / 34, ABl. 2004, Nr. L 390, S. 38. 19 Vgl. EuGH JZ 2009, S. 466, mit kritischer Anmerkung Ambos. Die Richtlinie war erlassen worden, nachdem sich ein Rahmenbeschlussentwurf einiger Mitgliedstaaten als nicht mehrheitsfähig erwiesen hatte. 20 Richtlinie (EG) Nr. 2002 / 90 vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt. Siehe allerdings auch den auf Seite 308 in Fußnote 30 genannten Rahmenbeschluss. 21 Verordnung (EWG) Nr. 3820 / 85 vom 20. Dezember 1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 561 / 2006. 22 Siehe oben Seiten 236 ff. 23 EuGH NStZ 2008, S. 702. Vgl. dazu Böse, Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft für das Strafrecht, GA 2006, S. 211; Braum, Europäische Strafgesetzgebung – Demokratische Strafgesetzlichkeit oder administrative Opportunität?, wistra 2006, S. 121; Hefendehl, Europäischer Umweltschutz: Demokratiespritze für Europa oder Brüsseler Putsch?, ZIS 4 / 2006, S. 161; Kubiciel, Grund und Grenzen strafrechtlicher Anweisungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft, NStZ 2007, S. 136; Rackow, Verfasst der EuGH die Union?, ZIS 11 / 2008, S. 526 (532 ff.); Zöller, Europäische Strafgesetzgebung, ZIS 7 / 2009, S. 340 (344 f.). Aus öffentlich-rechtlicher Sicht Wegener / Greenawalt, (Umwelt-)Strafrecht in europäischer Kompetenz!, ZUR 2005, S. 585. 24 Rahmenbeschluss Nr. 2003 / 80 / JI vom 27. Januar 2003 über den Schutz der Umwelt, ABl. Nr. L 29, S. 55. 25 Richtlinie (EG) Nr. 2008 / 99 vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, Abl. Nr. L 328, S. 28. 26 Vgl. EuGH NStZ 2008, S. 703 zur Nichtigkeit des Rahmenbeschlusses Nr. 2005 / 667 / JI vom 12. Juni 2005 zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Ver-

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dies noch mit dem Willen der Vertragsparteien in Einklang stand, ist freilich durchaus zweifelhaft. Schließlich verlieh der Wortlaut des EG-Vertrags keinerlei strafrechtliche Zuständigkeiten. Er enthielt vielmehr dort, wo eine Anweisungskompetenz der Gemeinschaft noch am ehesten nahegelegen hätte, ausdrückliche Ausschlussklauseln – namentlich in Art. 135 S. 2 EGV a. F. (Zollwesen) und Art. 280 Abs. 4 S. 2 EGV a. F. (Bekämpfung von Betrug zum Nachteil der EG)27. Im Rahmen der „Dritten Säule“ der Europäischen Union war deshalb (also gerade wegen Art. 280 Abs. 4 S. 2 EGV a. F.) auch das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 26. Juli 199528 entstanden und für die heutige Fassung von § 264 StGB mitverantwortlich. Einen ganz beachtlichen Harmonisierungsschub auf Grundlage der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen brachte ab dem Jahre 1999 allerdings erst die Schaffung des bereits erwähnten Instituts des Rahmenbeschlusses in Art. 34 Abs. 2 lit. b EUV a. F. durch den Vertrag von Amsterdam29. Die maßgebliche Kompetenznorm des Art. 31 Abs. 1 lit. e EUV a. F. führte zwar nur die Bereiche organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel auf, diese wurden jedoch ebenfalls durchaus expansiv interpretiert. So ließen sich Rahmenbeschlüsse hinsichtlich unterschiedlichster Sachmaterien (Bekämpfung von Geldfälschung, Kinderprostitution und -pornografie, Bestechung im privaten Sektor, Computerkriminalität etc.) rechtfertigen30; auch das Erfordernis der Einstimmigkeit schmutzung durch Schiffe. Siehe dazu auch Zimmermann, Mehr Fragen als Antworten: Die 2. EuGH-Entscheidung zur Strafrechtsharmonisierung mittels EG-Richtlinien, NStZ 2008, S. 662. 27 Zimmermann, NStZ 2008, S. 662 (663); Zöller, ZIS 7 / 2009, S. 340 (347); vgl. allerdings auch Tiedemann, EG und EU als Rechtsquelle des Strafrechts, Festschrift-Roxin (70. Geb.), S. 1401 (1406 ff.), nach dem die Ausnahmeklausel eng auszulegen sei. 28 ABl. 1995, Nr. C 316, S. 49. Dies geschah parallel zur Verordnung (EG, Euratom) 2988 / 95 vom 18. Dezember 1995. Vgl. Dannecker, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, § 2, Rn. 51 ff. 29 Vgl. Schünemann, Kampf ums europäische Strafrecht, Festschrift-Szwarc, S. 109 (110). 30 Vgl. Rahmenbeschluss Nr. 2001 / 413 / JI vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln; Rahmenbeschluss Nr. 2000 / 383 / JI vom 29. Mai 2000 und 2001 / 888 / JI vom 6. Dezember 2001 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro; Rahmenbeschluss Nr. 2001 / 500 / JI vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten; Rahmenbeschluss Nr. 2002 / 475 / JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung; Rahmenbeschluss Nr. 2002 / 629 / JI vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels; Rahmenbeschluss Nr. 2002 / 946 / JI vom 28. November 2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt; Rahmenbeschluss Nr. 2003 / 568 / JI des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor; Rahmenbeschluss Nr. 2004 / 68 / JI vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie; Rahmenbeschluss Nr. 2004 / 757 / JI vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels;

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im Rat bei intergouvermentaler Gesetzgebung stellte hierfür anscheinend kein Hindernis dar. Der Vertrag von Lissabon31 lässt die bisherige Drei-Säulen-Struktur entfallen. Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV-Lissabon)32, der dem fast inhaltsgleichen Art. III-271 Abs. 1 des gescheiterten Verfassungsvertrags33 nachgebildet ist, sieht nun die Möglichkeit vor, durch Richtlinien Mindestvorschriften für „besonders schwere Kriminalität“ mit „grenzüberschreitender Dimension“ festzulegen34. Dadurch von vornherein erfasst sind nach Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV-Lissabon: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität sowie organisierte Kriminalität. Je nach Entwicklung der Kriminalität können durch einstimmigen Beschluss im Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments weitere Kriminalitätsbereiche bestimmt werden, welche die erstgenannten allgemeinen Kriterien erfüllen35. Für die Richtlinie selbst gilt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 294 AEUV-Lissabon; auf Vorschlag der Kommission wird der Rechtsakt durch Beschluss mit qualifizierter Mehrheit36 im Rat bei Zustimmung bzw. bloßer Untätigkeit37 des Europäisches Parlaments erlassen. Art. 83 Abs. 2 AEUV-Lissabon, welcher Art. III-271 Abs. 2 des VerfasRahmenbeschluss Nr. 2005 / 222 / JI vom 24. Februar 2005 über Angriffe auf Informationssysteme; Rahmenbeschluss Nr. 2008 / 841 / J1 vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität; Rahmenbeschluss Nr. 2008 / 919 / JI vom 28. November 2008 zur Änderung des Rahmenbeschlusses (2002 / 475 / JI) zur Terrorismusbekämpfung. Siehe auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 11, Rn. 10; Kretschmer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. III-271, Rn. 5; Vogel, GA 2003, S. 314 (322 ff.). 31 Siehe oben Seite 304, Fußnote 4. Zu den strafrechtlichen Auswirkungen vgl. auch Zöller, ZIS 7 / 2009, S. 340 (343 f.). 32 Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV-Lissabon) entspricht Teil III des gescheiterten Verfassungsvertrags. Er ersetzt unter anderem den EG-Vertrag. 33 Siehe oben Seite 304, Fußnote 3. 34 Hecker, in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 10, Rn. 28 ff. 35 Der deutsche Vertreter im Rat unterliegt insofern bei seiner Zustimmung nach § 7 IntVG dem Gesetzesvorbehalt des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG. Vgl. BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 363, 419. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit einer geradezu expansiven Auslegung von Art. 31 Abs. 1 lit. e EUV a. F. stellt sich natürlich die Frage, wann der Rat eine ausdrückliche Ausdehnung überhaupt für nötig befinden wird. Kritisch dazu BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 359. 36 Vgl. Art. 16 Abs. 3 EUV-Lissabon. Ab dem 1. November 2014 gilt demnach als qualifizierte Mehrheit eine Doppelmehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die Bevölkerung dieser Mitgliedstaaten mindestens 65% der der Union ausmachen. Bis 31. Oktober 2014 kommen allerdings übergangsweise weiter die Regeln des Art. 205 Abs. 2 EGV zur Anwendung. 37 Vgl. Art. 294 Abs. 7 lit. a AEUV-Lissabon, nach dem der Rechtsakt in der Fassung des Standpunktes des Rates als erlassen gilt, wenn sich das Parlament binnen drei Monaten nach der Übermittlung nicht geäußert hat.

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sungsvertrags nachgebildet ist, regelt die Annexkompetenzen, die bisher in der „Ersten Säule“ angesiedelt waren38. Demnach können strafrechtliche Rechtsvorschriften angeglichen werden, wenn sich dies für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf einem Gebiet, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, als unerlässlich erweist. Die Richtlinie wird gem. Art. 83 Abs. 2 Satz 2 AEUV-Lissabon nach dem gleichen Verfahren wie die betreffenden Harmonisierungsmaßnahmen selbst erlassen. Geht es nach dem deutschen Bundesverfassungsgericht und seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon, sollen beide vertraglichen Kompetenzgrundlagen wegen der besonders empfindlichen Berührung der demokratischen Selbstbestimmung „strikt“ und „keinesfalls extensiv“ ausgelegt werden; ihre Nutzung bedürfe besonderer Rechtfertigung39. Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon könne nur nach dieser Maßgabe als verfassungskonform beurteilt werden40. Insbesondere im Fall des Art. 81 Abs. 2 AEUV-Lissabon müsse ein „gravierendes Vollzugsdefizit“41 nachweisbar sein, das nur durch Strafandrohung beseitigt werden kann. Dies steht freilich nicht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der das Strafrecht vornehmlich als funktionales Steuerungsinstrument42 begreift und bereits dann eine Gemeinschaftskompetenz bejaht, wenn dies nach „Meinung“ des Gemeinschaftsgesetzgebers erforderlich ist, um die „volle Wirksamkeit der von ihm […] erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten“43. Ob es aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Praxis nun wirklich zu einer Verengung des Anwendungsbereichs der Kompetenznormen kommen wird, erscheint deshalb äußerst zweifelhaft44. Die Richtlinien nach Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV-Lissabon können nicht nur Mindestvorgaben hinsichtlich der Tatbestandsseite, sondern auch bezüglich der 38 Vgl. Kretschmer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. III-271, Rn. 16; Hecker, in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 15 ff.; ders., Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 2 ff., 36 ff. 39 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 358. 40 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 361. 41 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 362. 42 Hefendehl, ZIS 4 / 2006, S. 161; Satzger, Der Mangel an Europäischer Kriminalpolitik, ZIS 12 / 2009, S. 691 (692 f.); ebenso, aber weniger kritisch Kubiciel, NStZ 2007, S. 136 (137). Allgemein zur Punitivität der europäischen Strafrechtspolitik siehe Frisch, Konzepte der Strafe und Entwicklungen des Strafrechts in Europa, GA 2009, S. 385 (402 ff.). 43 Kritisch dazu Ambos, Anmerkung zu EuGH vom 10. Februar 2009, Rs. C-301 / 06, JZ 2009, S. 468; vgl. auch ders. / Rackow, Erste Überlegungen zu den Konsequenzen des Lissabon-Urteils des Bundesverfassungsgerichts für das Europäische Strafrecht, ZIS 8 / 2009, S. 397 (403). 44 Meyer, Die Lissabon-Entscheidung des BVerfG und das Strafrecht, NStZ 2009, S. 657 (660) betont zu Recht, dass sich selbst die erhöhten Begründungsanforderungen des Bundesverfassungsgerichts in formal wenig angreifbarer Weise bewältigen lassen würden, sollten sie überhaupt Beachtung finden. Ebenso zweifelnd Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 41.

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strafrechtlichen Rechtsfolgen machen. Bei EG-Richtlinien war dies – wie vom Europäischen Gerichtshof entschieden45 – bislang nicht möglich. Die bisherigen Rahmenbeschlüsse enthalten zum Teil auf Basis von Art. 31 Abs. 1 lit. e EUV a. F. Mindesthöchstmaße46, jedoch keine Mindeststrafen47. Vorgaben, was die Sanktionshöhe anbelangt48 – und dies wird bei Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV-Lissabon nun besonders zu beachten sein – sind freilich ohnehin äußerst vorsichtig zu handhaben: Angesichts höchst ungleicher Strafrahmen für Allgemeindelikte und sonstiger sanktionsrechtlicher Unterschiede innerhalb der Mitgliedstaaten können sie – allzu eng gefasst – zu nicht unerheblichen „Binnendissonanzen“49 führen. Genannt sei wieder das Beispiel Österreich50, wo für den einfachen Diebstahl gem. § 127 ÖStGB oder den einfachen Betrug gem. § 146 ÖStGB, bei dem der Schaden unter 3000 Euro liegt und keine anderen Erschwerungsgründe greifen, jeweils Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen vorgesehen ist. Mit den größenordnungsmäßig völlig anders gelagerten Strafrahmen der deutschen §§ 242 und 263 StGB von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (ganz zu schweigen vom englischen Höchstmaß von bis zu sieben Jahren in section 7 Theft Act 1968) gelangt man dennoch in der Strafzumessungspraxis nicht zu grob abweichenden Ergebnissen. Ein einheitlicher europäischer Strafrahmen für bestimmte Delikte hat daher in Deutschland und Österreich, wo gesetzliche Strafrahmen entweder weit oder vergleichsweise eng gefasst sind und damit ganz unterschiedlich verstanden und ausgeschöpft werden müssen, eine andere, kaum noch „harmonisierende“ Wirkung. Auch die tatsächlich ausgeworfenen Strafen können angesichts der Frage, wann z. B. mit einer Strafrestaussetzung zu rechnen ist, ein ganz unterschiedliches Strafübel darstellen. Neben ungleichen materiellen Voraussetzungen (positive Individualprognose oder fehlende Negativprognose) spielen insofern divergierende Mindestverbüßungszeiten eine Rolle, wenn z. B. in Belgien eine Freiheitsstrafe nach einem Drittel51 zur Bewährung ausgesetzt wird sowie in anderen Ländern die Halbstrafenentlassung die Regel und nicht etwa die Ausnahme darstellt52. EuGH NStZ 2008, S. 703 (705). Gefordert werden zum Teil nur „wirksame, angemessene und abschreckende Strafen“. Weitere Vorgaben machen etwa Art. 4 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses Nr. 2003 / 568 / JI zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor (Mindesthöchststrafe zwischen einem Jahr und drei Jahren Freiheitsstrafe) oder Art. 4 Abs. 1 – 4 des Rahmenbeschlusses Nr. 2004 / 757 / JI zum illegalen Drogenhandel (Mindesthöchstmaße von einem bis drei, fünf bis zehn Jahren, mindestens zehn Jahren). 47 Dies scheiterte bislang am Einstimmigkeitskriterium, vgl. Wasmeier, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 31 EUV, Rn. 77. 48 Zur Strafrahmenharmonisierung vgl. auch Vogel, GA 2003, S. 314 (329 ff.). 49 Vgl. Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 116 [2004], S. 276 (286 f.); siehe auch Frisch, GA 2009, S. 385 (405); Satzger, Das „Manifest zur Europäischen Kriminalpolitik“, ZRP 2010, S. 137 (140). 50 Vgl. bereits oben Seite 66; Zeder, Mindestvorschriften der EU im materiellen Strafrecht, ERA Forum 2008, S. 209 (216); allgemein auch Hettinger, Die Strafrahmen des StGB nach dem Sechsten Strafrechtsreformgesetz, Festschrift-Küper, S. 95 (116 ff.). 51 Vgl. Art. 25 § 1 de la Loi relative au statut juridique externe des personnes condamnées à une peine privative de liberté et aux droits reconnus à la victime dans le cadre des modalités d’exécution de la peine vom 17. Mai 2006. 45 46

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Für Richtlinien nach Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV-Lissabon enthält Art. 83 Abs. 3 AEUV schließlich eine Art „Notbremse“-Mechanismus für den Fall, dass grundlegende Aspekte der Strafrechtsordnung eines Mitgliedstaats berührt werden53. Im Vergleich zur Strafrechtsharmonisierung mittels EG-Richtlinien werden so die Rechte der Mitgliedstaaten merklich gestärkt54 (natürlich unter der Voraussetzung, dass Art. 83 Abs. 2 AEUV eine abschließende Regelung für die Strafrechtsangleichung in Bereichen, die außerhalb von Titel V des AEUV geregelt sind, darstellt55). Um das Gesetzgebungsverfahren vorerst bzw. sogar gänzlich zu stoppen, reicht gem. Art. 83 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV-Lissabon sogar die bloße Behauptung des Vertreters eines Mitgliedstaates aus, dass ein solcher Konflikt mit der eigenen Rechtsordnung besteht56. Wird der Einwand erhoben, hat sich folgend der Europäische Rat mit der Sache zu befassen. Sofern dort kein Einvernehmen erzielt wird, haben die übrigen Mitglieder gem. Art. 83 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV-Lissabon nur noch die Möglichkeit einer Verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 20 Abs. 2 EUVLissabon und Art. 329 Abs. 1 AEUV-Lissabon. Interessant ist allerdings die Frage, wie die nationalen Parlamente einen entsprechenden Verstoß geltend machen sollen. Schließlich sind gerade die nationalen Regierungen beizeiten geneigt, dasjenige, was im Inland parlamentarisch nicht durchsetzbar zu sein scheint, auf dem „Umweg über Brüssel“ einzuführen57. Deren 52 Siehe dazu die Tabelle bei Dünkel, in: Nomos-Kommentar, § 57 StGB, Rn. 91. Die Halbstrafenentlassung gilt als Regelfall z. B. in Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Polen. Die deutsche Zweidrittelgrenze des § 57 Abs. 1 StGB (mit § 57 Abs. 2 StGB als Ausnahme) ist also vergleichsweise streng. 53 Vgl. Kretschmer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. III-271, Rn. 22; Sieber, Die Zukunft des Europäischen Strafrechts, ZStW 121 [2009], S. 1 (56 f.); Hecker, Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 56 ff. 54 Heger, Perspektiven des Europäischen Strafrechts nach dem Vertrag von Lissabon, ZIS 8 / 2009, S. 406 (413); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 46. 55 Im Rahmen einer Anhörung vor dem European Union Committee des britischen House of Lords im Jahre 2007 / 2008 gaben sich die Vertreter des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission und des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments insofern noch erstaunlich unentschlossen: „[We] are still in the process of analysing this particular legal question“; „We are discussing it in the Legal Affairs Committee and we do not yet know the answer“. Vgl. European Union Committee, House of Lords (Hrsg.), 10th Report of Session 2007 – 08, The Treaty of Lisbon: an impact assessment, Band I, S. 148, Rn. 6.184. Etwas anderes erscheint aber kaum vertretbar. So auch die Schlussfolgerungen des britischen European Union Committee selbst, a. a. O., S. 149, Rn. 6, 187 ff. 56 Heger, ZIS 8 / 2009, S. 406 (414). Hecker, in: Sieber / Brüner / Satzger / von HeintschelHeinegg, Europäisches Strafrecht, § 10, Rn. 47 geht ebenfalls von einer grundsätzlich nicht überprüfbaren Einschätzungsprärogative aus, möchte aber Ausnahmen machen, wenn der betreffende Staat sein Veto aus anderen als den in § 83 Abs. 3 AEUV genannten Gründen einlegt. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 48 hält sogar generell eine Missbrauchskontrolle durch den Europäischen Gerichtshof für unverzichtbar. 57 Man denke etwa an so unterschiedliche Sachmaterien wie die Vorratsdatenspeicherung [Richtlinie (EG) Nr. 2006 / 24] oder das Glühbirnenverbot [Richtlinie (EG) Nr. 2005 / 32; Verordnung (EG) Nr. 244 / 2009]. Vgl. auch Vogel, GA 2003, S. 314 (319 f.); Ambos / Rackow, ZIS 8 / 2009, S. 397 (405, Fn. 88).

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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Vertreter im Rat eignen sich deshalb oft gerade nicht als Wächter (national-)rechtsstaatlicher Fundamentalprinzipien. Gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon muss das notwendige Maß an demokratischer Legitimation nun aber dadurch gewährleisten werden, dass jedenfalls der deutsche Vertreter die in Art. 83 Abs. 3 AEUV genannten mitgliedstaatlichen Rechte nur nach Weisung des Deutschen Bundestages und, soweit die Regelungen über die Gesetzgebung dies erfordern, des Bundesrates ausübt58. Problematisch ist dabei freilich, dass der deutsche Vertreter im Rat i. S. d. Art. 16 Abs. 2 EUV-Lissabon (Art. 203 Abs. 1 EGV a. F.) auch dann nach außen verbindlich handelt, wenn er Interpretationsspielräume übermäßig ausschöpft oder gar – mehr oder minder offen – von Weisungen abweicht. Im Extremfall bleibt den nationalen Parlamenten aber darüber hinaus wie bisher die Möglichkeit – unter Inkaufnahme eines Vertragsverletzungsverfahrens nach den Art. 258 ff. AEUV-Lissabon (Art. 226 ff. EGV a. F.59) – sich der Umsetzung zu verweigern60. Selbst die Verurteilung eines Mitgliedstaates ersetzt nicht den notwendigen Umsetzungsakt, dieser bleibt in jedem Fall eine unvertretbare Handlung des nationalen Gesetzgebers. Einmal geschaffenen nationalen Straftatbeständen wird man aus diesem Grund aber auch nie die notwendige demokratische Legitimität absprechen können61, selbst wenn sich das „Umsetzen“ ab und an auf schlichtes „Übersetzen“ oder „Abschreiben“62 beschränkt.

2. Kompetenz zum Erlass unmittelbar geltender europäischer Straftatbestände zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union? Eine Kompetenz zum Erlass unmittelbar geltender europäischer Straftatbestände – begrenzt auf den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union – soll sich nach der wohl herrschenden Meinung im einschlägigen deutschen Schrifttum aus Art. 325 Abs. 4 AEUV-Lissabon ergeben63, welcher Art. III-415 Abs. 4 des 58 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 365. Ähnlich auch schon Schünemann, Grundzüge eines Alternativ-Entwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 116 [2004], S. 376 (393). Umgesetzt wurde dies durch § 9 IntVG. 59 Die Art. 226 ff. EGV a. F. galten bisher nur für EG-Richtlinien, nicht jedoch für Rahmenbeschlüsse. 60 Vgl. BVerfGE 113, S. 273 (300 f.). 61 Auch sonst können nationale Parlamente gerade kleinerer Länder seitens internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen oder der OECD nicht unerheblichem Druck ausgesetzt sein. Vgl. auch Sieber, ZStW 121 [2009], S. 1 (56). Dies erscheint in bestimmten Bereichen wie z. B. der Geldwäsche oder der Rechtshilfe in Steuerstrafsachen sogar legitim. 62 Vgl. T. Walter, Inwieweit erlaubt die Europäische Verfassung ein europäisches Strafgesetz?, ZStW 117 [2005], S. 912 (932). 63 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8, Rn. 24 ff.; ders., Der Mangel an Europäischer Kriminalpolitik, ZIS 12 / 2009, S. 691 (692); ders., in: Satzger / Schmitt / Wid-

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Verfassungsvertrags nachgebildet ist. Demnach beschließen Europäisches Parlament und der Rat der Europäischen Union gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des Rechnungshofs die „erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien“. Dass dies auch die Schaffung von Straftatbeständen umfassen soll, wird nun damit begründet, dass die Norm anders als Art. 280 Abs. 4 S. 2 EGV a. F. keine ausdrückliche Ausschlussklausel hinsichtlich der „Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten“ und ihrer „Strafrechtspflege“64 mehr enthält. Eine solche Auslegung wäre ohne Frage ein „Durchbruch für ein Europäisches Strafrecht im engeren Sinn“65. So ließen sich mittels Verordnung gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV-Lissabon materiellrechtliche Regelungen z. B. nach Vorbild des Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union66 tatsächlich umsetzen. Diese würden – was die Europäische Union betrifft – nicht nur für den Betrug und Subventionsbetrug die §§ 263, 264 StGB, sondern auch für Steuerstraftaten die §§ 370 ff. AO, für Submissionsabsprachen § 298 StGB sowie für die jeweils einschlägigen Anschlussdelikte die §§ 259, 261 StGB und § 374 AO ersetzen. Die Verfolgung könnte langfristig von einer Europäischen Staatsanwaltschaft67 übernommen werden, die zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union allerdings nicht aufgrund Art. 325 Abs. 4 AEUV-Lissabon, sondern nur maier, Vor §§ 1 ff. StGB, Rn. 19; Ambos, Internationales Strafrecht, § 9, Rn. 8; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 14, Rn. 43 ff.; ders., Der Vertrag von Lissabon und das Europäische Strafrecht, Iurratio 2 / 2009, S. 81 (85); Vogel, in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 4 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 85b; ders., Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 37; Fromm, Der strafrechtliche Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, HRRS 2 / 2008, S. 87 (94); Wahl, Die geltenden primär- und sekundärrechtlichen Rahmenbedingungen des EG-Finanzschutzes, eucrim 2008, S. 120 (123); T. Walter, Inwieweit erlaubt die Europäische Verfassung ein europäisches Strafgesetz?, ZStW 117 [2005], S. 912 (917 ff.). Ebenso (wenn auch der Sache nach eher kritisch) Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 116 [2004], S. 276 (288); Rosenau, Zur Europäisierung im Strafrecht, ZIS 1 / 2008, S. 9 (16). Sieber, ZStW 121 [2009], S. 1 (59) betont, dass jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes nur Richtlinien in Betracht kommen. Nach Heger, Perspektiven des Europäischen Strafrechts nach dem Vertrag von Lissabon, ZIS 8 / 2009, S. 406 (415 f.) würde eine europäische Strafrechtssetzung zunächst die einstimmige Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft erfordern. Implizit gegen eine unmittelbare Strafrechtssetzungskompetenz: Zeder, Mindestvorschriften der EU im materiellen Strafrecht, ERA Forum 2008, S. 209 (221, 223); Zöller, Europäische Strafgesetzgebung, ZIS 7 / 2009, S. 340 (343 f.). Zweifelnd: Mitsilegas, EU Criminal Law, S. 109. Das European Union Committee des britischen House of Lords (10th Report of Session 2007 – 08, The Treaty of Lisbon: an impact assessment, Band I, S. 149, Rn. 6.187 ff.) sieht in Art. 83 AEUV eine abschließende Regelung der Strafrechtsangleichung (siehe dazu bereits oben Seite 312, Fußnote 55) und wird deshalb ebenso die Schaffung von europäischen Straftatbeständen mittels Verordnung für unzulässig erachten. 64 Siehe oben Seite 308. 65 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8, Rn. 27. 66 Siehe oben Seiten 73 und 86. Vgl. auch den allgemeineren Entwurf bei Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 453 ff. (dazu auch bereits oben Seite 99). 67 Vgl. Sieber, ZStW 121 [2009], S. 1 (48 f.).

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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nach dem speziell dafür geschaffenen Art. 86 AEUV-Lissabon durch einstimmigen Beschluss im Rat und Zustimmung des Europäischen Parlaments eingesetzt werden kann. Die Aburteilung müsste dagegen gem. Art. 86 Abs. 2 S. 2 AEUV-Lissabon weiterhin durch nationale Gerichte erfolgen68. Eine Kompetenz zum Erlass unmittelbar geltender europäischer Straftatbestände würde allerdings bedeuten, dass bestimmte Sachverhalte, bei denen die Europäische Union zudem über ein massives Eigeninteresse verfügt, größtmöglich und lückenlos kriminalisiert werden könnten – ganz ohne Mitwirkung aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgegangener Volksvertretungen. Die Zustimmung oder gar bloße Untätigkeit69 des Europäischen Parlaments kann diese nicht ersetzen; bleibt es doch vor dem Hintergrund der mitgliedstaatlichen Kontingentierung der Sitze und des Prinzips der degressiven Proportionalität70 (entgegen dem Anspruch von Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 EUV-Lissabon) eine Vertretung der Völker der Mitgliedstaaten, nicht jedoch die eines europäischen Volkes71. Bei knapper Entscheidung zwischen politischen Richtungen besteht keine Gewähr dafür, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auch eine Mehrheit der Unionsbürger repräsentiert72. Das aus deutscher Sicht notwendige Maß an demokratischer Legitimation ließe sich hier, wo eine qualifizierte Mehrheit im Rat ausreicht und eigene „Notbremse“-Mechanismen fehlen, auch nicht über eine Weisungsgebundenheit des deutschen Regierungsvertreters gegenüber dem Deutschen Bundestag73 erreichen. Dies wiegt besonders schwer, weil schon das Corpus Juris eine eindeutige Tendenz zur Ausdehnung des Strafrechts bei Unterbelichtung gegenläufiger Freiheitsinteressen aufweist74. Insofern braucht man nur an Tatbestände wie den der Betrügerei („fraude“)75 zu denken, der auf dem Gebiet der Ausgaben und Einnahmen verschieVgl. auch Art. 26 ff. Corpus Juris 2000. Vgl. Art. 294 Abs. 7 lit. a AEUV-Lissabon. Kritisch dazu Rosenau, ZIS 1 / 2008, S. 9 (19). 70 Vgl. Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon. 71 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 280, 284 ff. Anders Böse, Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon, ZIS 2 / 2010, S. 76 (84), der betont, dass eine Sitzkontingentierung auch bei Nationalstaaten keine Seltenheit sei. Die von ihm angeführten Beispiele sind jedoch nicht mit dem Wahlsystem für das Europäische Parlament vergleichbar. Wenn z. B. in der Schweiz jeder Kanton gem. Art. 149 Abs. 4 der Bundesverfassung mit mindestens einem Sitz im 200 Mitglieder zählenden Nationalrat repräsentiert ist, führt dies nur zu einer ganz geringfügigen Verzerrung (den Wahlberechtigten des Kantons Appenzell Innerrhoden stünde rechnerisch nur ein halber Sitz zu). 72 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 281; Schünemann, Grundzüge eines Alternativ-Entwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 116 [2004], S. 376 (393). 73 Vgl. oben Seite 313. 74 Weigend, Europäisches Strafrecht, Juridica International 2003, S. 36 (40). Allgemein zur Punitivität der europäischen Strafrechtspolitik vgl. Frisch, Konzepte der Strafe und Entwicklungen des Strafrechts in Europa, GA 2009, S. 385 (402 ff.). 75 Vgl. Art. 1 und 2 Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union 2000. Dazu auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 44 ff. 68 69

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

denste Formen der vorsätzlichen und leichtfertigen Gefährdung der finanziellen Interessen der Europäischen Union (durch Tun und Unterlassen) enthält, oder den Tatbestand der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung76, der völlig unabhängig von einer möglichen Schadenshöhe eine massive Vorverlagerung der Strafbarkeit bewirken würde. Selbst das Schuldprinzip77, das laut Bundesverfassungsgericht als Teil der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG wegen Art. 79 Abs. 3 GG auch vor Eingriffen durch supranational ausgeübte öffentliche Gewalt absoluten Schutz genießt78, scheint ohne „Notbremse“-Mechanismen keinesfalls für alle Zeit gesichert. In Mitgliedstaaten wie Frankreich79 oder Großbritannien80 gibt es schließlich „strikte“ strafrechtliche Verantwortlichkeiten. Auch bestehende europäische Rechtsinstrumente erwähnen zumindest die Möglichkeit81 oder ordnen solche für bestimmte Verwaltungssanktionen bereits an82. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte will insofern wohl nur Fälle „höherer Gewalt“ („force majeure“) zwingend von einer Strafbarkeit ausgenommen wissen83. Ferner wird die Selbstbelastungsfreiheit, die im Zusammenhang mit strafbewehrten Erklärungspflichten auch im materiellen Strafrecht eine Rolle spielen kann84, im europäischen Ausland und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte keinesfalls so umfassend garantiert85, wie es bei uns wegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG 76 Vgl. Art. 4 Corpus Juris 2000; ähnlich auch Art. 2 lit. a des Rahmenbeschlusses Nr. 2008 / 841 / JI zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität; dazu kritisch Satzger, Das „Manifest zur Europäischen Kriminalpolitik“ – Eine Antwort auf die (selten gestellte) Frage nach einer vernünftigen Kriminalpolitik der Europäischen Union, ZRP 2010, S. 137 (138). 77 Nach den Art. 9 ff. Corpus Juris 2000 ist es allerdings Voraussetzung von Strafbarkeit. Vgl. auch Tiedemann, Grunderfordernisse des Allgemeinen Teils für ein europäisches Sanktionenrecht, ZStW 110 [1998], S. 497 (499, 507). 78 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 364; vgl. auch BVerfGE 45, S. 187 (228); BVerfGE 50, S. 205 (214); BVerfGE 57, S. 250 (275); BVerfGE 80, S. 244 (255); BVerfGE 80, S. 367 (378); BVerfGE 90, S. 145 (173); BVerfGE 95, S. 96 (140) jeweils m. w. N. 79 Siehe oben Seite 67. 80 Siehe oben Seiten 70 f. 81 Vgl. Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1997, Nr. C 191, S. 1. Dort heißt es u. a.: „Schließlich hindert Artikel 3 [des Übereinkommens] die Mitgliedstaaten nicht, eine objektive strafrechtliche Verantwortung der Unternehmensleiter und Entscheidungsträger für Handlungen Dritter vorzusehen, ohne daß ein Verschulden, fahrlässiges Handeln oder mangelnde Überwachung seitens des Unternehmensleiters oder Entscheidungsträgers nachgewiesen werden muß.“ 82 Vgl. Erwägungsgrund 35 und Art. 48 der Verordnung (EG) Nr. 612 / 2009 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen. 83 EGMR („Salabiaku vs. Frankreich“) vom 7. Oktober 1988, Az. 10519 / 83, Rz. 27; EGMR („Pham Hoang vs. Frankreich“) vom 25. September 1992, Az. 13191 / 87, Rz. 34; dazu aus englischer Sicht Jefferson, Criminal Law, S. 135. 84 Siehe z. B. oben Seite 250 f. 85 Siehe etwa EGMR („John Murray vs. Vereinigtes Königreich“), EuGRZ 1996, S. 587 zum Schweigen als Schuldindiz [vgl. ss. 34 – 39 Criminal Justice and Public Order Act 1994

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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der Fall ist. Eine Interpretation von Art. 325 Abs. 4 AEUV-Lissabon zugunsten einer unmittelbaren Strafrechtssetzungskompetenz, die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon gar nicht erst erwogen wurde, würde nach all dem die Verfassungsmäßigkeit des deutschen Zustimmungsgesetzes wieder in Frage stellen86. Vertragsbezogene Überlegungen sprechen jedoch ohnehin gegen eine entsprechende Auslegung. Dies liegt nicht nur daran, dass im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 EUV-Lissabon kaum der Nachweis gelingen wird, dass das Instrument der Angleichung mittels Richtlinien in der Praxis zum Scheitern verurteilt sei87. Für eine solch tiefgreifende Erweiterung europäischer Kompetenzen im Bereich des materiellen Strafrechts88 hätte es einer eindeutigeren Grundlage bedurft89 als die eher unscheinbare Modifikation des alten Art. 280 Abs. 4 EGV mittels eines Halbsatzes im Änderungsvertrag („und der letzte Satz wird gestrichen“90). Dies zeigt auch der Vergleich mit den Art. 101 ff. AEUVLissabon (Art. 81 ff. EGV a. F.), wo für den Bereich des Kartellrechts im Sinne des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung die Kompetenz zur Festlegung von Geldbußen und Zwangsgeldern mittels Verordnung explizit in Art. 103 Abs. 2 AEUV-Lissabon (Art. 83 Abs. 2 EGV a. F.) genannt wird91. Gleiches gilt für Strafgelder der Europäischen Zentralbank und Art. 132 Abs. 3 AEUV-Lissabon (bisher Art. 34.3 des primärrechtlichen EZB-Satzungsprotokolls). Mit einem Vorschlag aus dem Jahre 2001 für einen Art. 280a EGV92, der zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union auch eine Kompetenz zum Erlass von unmittelbar gültigen Straftatbeständen mit entsprechender Eindeutigkeit geregelt hätte, ist die (CJPOA) bzw. das nordirische Pendant]; EGMR („O’Halloran u. Francis vs. Vereinigtes Königreich“), NJW 2008, S. 3549 zur strafbewehrten Pflicht des Halters nach s. 172 Road Traffic Act 1988 bei Geschwindigkeitsübertretungen den Namen des Fahrers zu nennen; EGMR („Weh vs. Österreich“), ÖJZ 2004, S. 853 zur entsprechenden Regelung in § 103 Abs. 2 Kraftfahrgesetz. 86 Vgl. nur BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 361 zu § 83 Abs. 2 AEUVLissabon. 87 Vgl. Sieber, ZStW 121 [2009], S. 1 (59). 88 So Rosenau, Zur Europäisierung im Strafrecht, ZIS 1 / 2008, S. 9 (16). 89 Vgl. insofern bereits Jescheck, Neuere Entwicklungen im nationalen, europäischen und internationalen Strafrecht, Festschrift-Eser, S. 991 (998). 90 Vgl. Art. 2 Abs. 276 lit. b a. E. des Vertrags von Lissabon, Amtsblatt 2007, Nr. C 306, S. 127. 91 Siehe dazu auch bereits oben Seiten 305 f. 92 In diesem Vorschlag für einen Art. 280a EGV hieß es in Abs. 3: „Der Rat legt nach dem Verfahren des Artikels 251 die Bedingungen für die Ausübung des Amtes des Europäischen Staatsanwalts fest und erlässt insbesondere (a) Vorschriften zur Festlegung der Tatbestandsmerkmale von Betrug und jeder anderen rechtswidrigen Handlung, die gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichtet ist, sowie der Strafen für alle Straftatbestände; […]“. Vgl. Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endgültig, Anhang 1.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Kommission dagegen gescheitert. Eigens umgesetzt wurde davon nur die bereits erwähnte prozessual-organisatorische Seite des Finanzschutzes in Art. 86 AEUV-Lissabon. Wenn es bei Art. 325 Abs. 4 AEUV-Lissabon um die Schaffung von echtem europäischen Kriminalstrafrecht gehen würde, hätte es zudem nahegelegen, die Vorschrift mit einem eigenen „Notbremse“-Mechanismus zu versehen, wie er sich nicht nur bei Art. 83 Abs. 3, sondern auch bei Art. 82 Abs. 3 und in leicht veränderter Form bei Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 Abs. 3 AEUV-Lissabon findet93. Der Wegfall der in Art. 280 Abs. 4 S. 2 EGV a. F. enthaltenen Regelung bei Art. 325 Abs. 4 AEUV-Lissabon ist deshalb allein dem Abriss der Säulenstruktur und der Schaffung der oben beschriebenen, speziell die Strafrechtsangleichung betreffenden Regelungen des Art. 83 AEUV-Lissabon geschuldet. So ist klar, dass über Art. 83 Abs. 2 AEUV den EU-Finanzschutz betreffende Richtlinien nach dem in Art. 325 Abs. 4 AEUV genannten Verfahren erlassen werden können – aber eben auch nur solche und keine Verordnungen94. Dass die Kommission (unterstützt vom Parlament) hinsichtlich des letzten Punktes zugunsten größtmöglicher europäischer (und damit eigener) Zuständigkeiten95 zu einer anderen „integrationsfreundlicheren“ Auffassung gelangen wird, steht dennoch zu befürchten96. Die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ sollten dann einem entsprechenden Druck entschieden entgegentreten. Geschieht dies nicht, bliebe aber auch die vom Bundesverfassungsgericht zuletzt wieder in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon genannte Möglichkeit, entsprechende Strafverordnungen in Deutschland für verfassungswidrig und damit unanwendbar zu erklären97.

93 Anders Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 56, welcher selbst eine Analogiefähigkeit des „Notbremse“-Mechanismus für die von ihm befürwortete Strafgesetzgebung der Europäischen Union zum Schutz ihrer Finanzinteressen (vgl. oben Seite 313, Fußnote 63) verneint. Ebenso Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 52 mit der Begründung, dass das Interesse des nationalen Gesetzgebers, die Integrität und Kohärenz seiner eigenen Strafrechtsordnung zu wahren, nicht in vergleichbarer Weise betroffen sei. Für eine Übertragung auf entsprechende (ebenfalls für zulässig erachtete) Strafrechtssetzungsakte dagegen Heger, ZIS 8 / 2009, S. 406 (416). 94 Vgl. Zeder, ERA Forum 2008, S. 209 (223); Böse, ZIS 2 / 2010, S. 76 (87); siehe auch House of Lords, European Union Committee (Hrsg.), 10th Report of Session 2007 – 08, The Treaty of Lisbon: an impact assessment, Band I, S. 149, Rn. 6.187 ff. (dazu auch oben Seite 312, Fußnote 55, Seite 313, Fußnote 63). 95 Vgl. bereits oben Seiten 306 ff. 96 Vgl. allerdings Seite 312, Fußnote 55 zu noch eher unentschlossenen Äußerungen von Vertretern des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission und des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments. 97 Vgl. BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 240 f.; vgl. auch BVerfGE 75, S. 223 (235, 242); BVerfGE 89, S. 155 (188); Ambos / Rackow, ZIS 8 / 2009, S. 397 (401).

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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3. Anwendung nationaler Straftatbestände im Lichte europäischer Grundlagen – Grenzen und Bedeutung von Art. 103 Abs. 2 GG Ist eine Richtlinie erlassen und auch vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt, bestehen gewisse Besonderheiten bei der Gesetzesanwendung. Bei der Auslegung spielen im Rahmen von Systematik, Teleologie und Gesetzgebungsgeschichte die europarechtlichen Grundlagen einer Strafnorm eine ganz entscheidende Rolle. Diese müssen nach normalen Grundsätzen Berücksichtigung finden98, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass vom Gesetzgeber eine europarechtskonforme Regelung angestrebt wurde99. Deshalb ist es völlig zutreffend, wenn der Bundesgerichtshof bei Bestimmung des Abfallbegriffs in § 326 Abs. 1 StGB – wenn auch noch recht zaghaft – europäische Richtlinien berücksichtigt100, in seinem „Scalping“-Urteil101 sogar ganz entscheidend auf den europäischen Hintergrund102 der Straf- und Bußgeldvorschriften des WpHG103 abstellt und ebenso bei der Beurteilung des Verhältnisses von leichtfertiger Geldwäsche gem. § 261 Abs. 5 StGB und Hehlerei gem. § 259 StGB104 verfährt. Europäische Rechtsakte sind dabei regelmäßig recht aussagekräftig: Neben den Einzelbestimmungen sind auch der Einleitungssatz, einschließlich der dort angegebenen primärrechtlichen Grundlagen105, sowie die übrigen Erwägungsgründe von besonderer Bedeutung. Wegen der Begründungspflichten des Art. 296 Abs. 2 AEUV (Art. 253 EGV a. F.106) werden diese sogar vom europäischen Gesetzgeber mitbeschlossen107 und stammen nicht 98 Vgl. Dannecker, Strafrecht in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1996, S. 869 (872 f.). Bei Schwierigkeiten der Auslegung von Europarecht gilt das auf Seite 305 Gesagte. 99 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 339. 100 Vgl. BGHSt 37, S. 333 (336). Siehe dazu auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 55 ff.; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 322 ff.; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 545 ff. Da der Bundesgerichtshof die Richtlinien genaugenommen nur zur Bestätigung eines schon zuvor feststehenden Auslegungsergebnisses heranzog, sieht letzterer die dogmatische Bedeutung der Entscheidung allerdings als begrenzt an. 101 Vgl. BGHSt 48, S. 373 (378 ff.). 102 Siehe oben Seite 306. 103 Problematisch war, ob sogenanntes „Scalping“, d. h. der Erwerb von Wertpapieren in der Absicht, sie anschließend zum Erwerb zu empfehlen, um sie danach zum so in die Höhe getriebenen Kurs wieder zu verkaufen, als Insiderhandel gem. §§ 38 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG oder als Kurs- und Marktpreismanipulation gem. §§ 39 Abs. 1 Nr. 1, 38 Abs. 2, 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG strafbar bzw. bußgeldbewehrt ist. 104 BGHSt 50, S. 347 (355 ff.). 105 So macht es schließlich einen Unterschied, ob die Richtlinie in erster Linie der Verwirklichung des Binnenmarktes oder der Terrorbekämpfung dienen soll. 106 Der EUV enthielt bisher keine dem Art. 253 EGV a. F. entsprechende Vorschrift. Praktisch wurde jedoch nicht anders verfahren. 107 Siehe im Detail Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 403 ff., 437 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

wie eine amtliche Begründung eines inländischen Gesetzes108 nur vom federführenden Ministerium. Darüber hinaus erfolgt die Anwendung nationaler Normen aber unabhängig von den europäischen Grundlagen. Dies liegt daran, dass die Strafnorm i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG eine vollständige Regelung darstellt, für die der nationale Gesetzgeber letztendlich selbst verantwortlich ist109. Damit hat sogar die Nichtigkeitserklärung eines europäischen Rechtsaktes durch den Europäischen Gerichtshof, wie etwa bei den oben erwähnten, das Umweltstrafrecht bzw. die Meeresverschmutzung betreffenden Rahmenbeschlüssen geschehen110, keine Auswirkungen auf die Anwendbarkeit nationaler Tatbestände. Auch, dass das Strafgesetz in der irrigen Annahme beschlossen wurde, als nationaler Gesetzgeber dazu europarechtlich verpflichtet zu sein, muss nach dem Prinzip der „Unverrückbarkeit parlamentarischer Beschlüsse“111 außer Betracht bleiben. Schließlich spielen auch andere Willensmängel der Abgeordneten – sei es Trunkenheit, Übermüdung oder Befangenheit, Ausübung von unzulässigem Fraktionszwang, Täuschung oder Bestechung etc. – für die Wirksamkeit formell rechtmäßiger Parlamentsentscheidungen keine Rolle112. Aber auch der Auslegung im Lichte wirksamen Europarechts sind Grenzen gesetzt: Für den Fall gewollt oder ungewollt113 unzureichender Umsetzung hindert Art. 103 Abs. 2 GG die deutschen Gerichte daran, über den Wortlaut der nationalen Strafnorm hinaus Europarecht zu Lasten des Bürgers zu berücksichtigen114. Das Gesetzlichkeitsprinzip wurde dabei auch vom Europäischen Gerichtshof in mehreren Entscheidungen ausdrücklich anerkannt115. Die europarechtskonforme Auslegung Vgl. dazu Schneider, Gesetzgebung, Rn. 130. Dies gilt auch, wenn sich das „Umsetzen“ auf schlichtes „Übersetzen“ oder „Abschreiben“ beschränkt hat. Siehe oben Seite 313. 110 EuGH NStZ 2008, S. 702 zur Nichtigkeit des Rahmenbeschlusses Nr. 2003 / 80 / JI vom 27. Januar 2003 über den Schutz der Umwelt. ABl. Nr. L 29, S. 55; EuGH NStZ 2008, S. 703 zur Nichtigkeit des Rahmenbeschlusses Nr. 2005 / 667 / JI vom 12. Juni 2005 zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe. Siehe bereits oben Seite 307. 111 Vgl. Maunz, Unverrückbarkeit parlamentarischer Beschlüsse, Festschrift-Werner Weber, S. 299; siehe auch BVerfGE 16, S. 82 (88). 112 Siehe auch Schneider, Gesetzgebung, Rn. 128 f. 113 Siehe dazu auch bereits im Zusammenhang mit § 2 Abs. 3 StGB Seiten 235 ff. 114 Vgl. OLG Stuttgart, NStZ-RR 2000, S. 25 (26) zu §§ 143 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 3 Nr. 4 MarkenG; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 557; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 367, 379; Dannecker, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, § 2, Rn. 121 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 11, Rn. 51; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10, Rn. 33 f. 115 EuGH („R. vs. Kirk“) Slg. 1984, S. 2689; EuGH („Kolpinghuis Nijmegen BV“), Slg. 1987, S. 3969; EuGH („Telecom Italia“) Slg. 1996, S. I-6609; Gleß, Zum Begriff des milderen Gesetzes (§ 2 Abs. 3 StGB), GA 2000, S. 224 (227 ff.) m. w. N. Auch nach der „Pupino“-Entscheidung darf auf bloßer Grundlage eines Rahmenbeschlusses weder strafrechtliche Verantwort108 109

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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finde „ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil des Gemeinschaftsrechts sind, […] insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot“, so der Europäische Gerichtshof in „Kolpinghuis Nijmegen BV “116. Spektakuläres weiteres Beispiel ist der Fall „Berlusconi“117, wo es um die Abmilderung der italienischen Strafvorschriften zur Bilanzfälschung118 während eines laufenden Strafverfahrens gegen den Ministerpräsidenten ging. Auch hier konnte die Tatsache eines (möglicherweise) europarechtswidrigen Vorgehens die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten entgegen der Auffassung der Generalanwältin Kokott119 weder festlegen noch wiederherstellen. Eventuelle Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten wirken sich nicht zu Lasten des Beschuldigten aus, sie müssen vielmehr in den dafür vorgesehenen Verfahren gem. Art. 258 ff. AEUV-Lissabon (Art. 226 ff. EGV a. F.) geltend gemacht werden. Selbst innerhalb der Wortlautgrenze dürfen bei völliger Untätigkeit des deutschen Gesetzgebers alte Tatbestände nicht ohne weiteres extensiv europarechtskonform (d. h. strafbarkeitserweiternd) ausgelegt werden120. Zwar mag das bestehende Recht vielleicht nach Verständnis des gegenwärtigen Gesetzgebers, wenn anders als bisher ausgelegt, bereits europäischen Mindestvorgaben entsprechen, so dass es seiner Meinung nach einer Änderung gar nicht bedürfe121. Auch wäre ein bloßer Rechtsprechungswandel zu Lasten des Beschuldigten im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG an sich unbedenklich. Die Vorschrift schützt schließlich nicht das Vertrauen in eine bestimmte (mildere) Auslegungspraxis122. Der Rechtsprechungswandel muss aber auf geläuterter Rechtsansicht bzw. neuer Erkenntnis über den mutmaßlichen Willen des historischen Gesetzgebers beruhen. Da dieser natürlich nicht alle künftigen Sachverhalte im Detail voraussehen konnte, ist es insofern zwar durchaus möglich, moderne Entwicklungen daraufhin zu untersuchen, ob sie von der ursprünglichen Regelungsabsicht mit umfasst sein könnten123. Allein die Tatsache, dass ein später erlassener und nicht umgesetzter europäischer Rechtsakt nunmehr eine Sanktionierung eines bestimmten Verhaltens vorschreibt, ist jedoch kein zulässiges Argument der Strafbegründung. Eine unerwünschte Rechtsprechungspraxis lässt sich von außen eben nur durch erneutes gesetzgeberisches Tätigwerden nach den dafür lichkeit begründet noch verschärft werden, vgl. EuGH NJW 2005, S. 2839 (2841). Siehe zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung allgemein Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10, Rn. 77 ff. 116 EuGH Slg. 1987, S. 3969 (3986).Vgl. dazu auch Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 362 ff. 117 EuGH, JZ 2005, S. 997 mit Anmerkung Satzger. 118 Art. 2621 f. Codice civile. 119 Schlussanträge vom 14. Oktober 2004, Slg. 2005, S. I-3565, Rz. 165. 120 Vgl. bereits Heise, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, S. 113 ff. 121 Ist dies wirklich der Fall, müsste er tatsächlich nicht handeln. Vgl. Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 339. 122 Vgl. BGHSt 41, S. 101 (111). In solchen Fällen wird allerdings die Anwendung von § 17 S. 1 StGB naheliegen. 123 Vgl. Heise, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, S. 114 f.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

vorgesehenen Verfahren korrigieren124. Ansonsten ist weder der nationale noch der europäische Normgeber dazu berufen, den Gerichten eine bestimmte Interpretation bereits bestehender Rechtsnormen vorzugeben125. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in der Siemens-Entscheidung126 völlig zu Recht eine Strafbarkeit der Beteiligten nach § 299 Abs. 2 StGB, welcher in der bis zum 29. August 2002 geltenden Fassung (also vor Schaffung von § 299 Abs. 3 StGB) gemäß der h. M.127 nicht auf reine Auslandssachverhalte anwendbar war, abgelehnt128 – auch für den Zeitraum nach Inkrafttreten der Gemeinsamen Maßnahme 98 / 742 / JI129. Dies geschah, obwohl schon der damalige Wortlaut des Gesetzes durchaus eine anderweitige „europarechtsfreundlichere“ Rechtsanwendung zugelassen hätte. Die Gesetzgebungsgeschichte des § 299 StGB a. F. sprach jedoch dafür, dass ursprünglich Auslandssachverhalte gerade nicht erfasst werden sollten. Eine gegenteilige Deutung der Vorschrift im Nachhinein hätte die Grenzen der zulässigen Rechtsfortbildung überschritten130. Auch innerhalb des Normtextes gibt es keine Grundlage 124 Verweigert sich ein nationales Parlament dann doch, bleibt wieder nur der Weg nach den Art. 258 ff. AEUV-Lissabon (Art. 226 ff. EGV a. F.). 125 Andernfalls könnte man auch gleich dem Institut einer beim Gesetzgeber angesiedelten Gesetzeskommission nach Vorbild von § 47 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 zu einer Neuauflage verhelfen. Dort hieß es: „Findet der Richter den eigentlichen Sinn des Gesetzes zweifelhaft, so muß er, ohne die prozeßführenden Parteien zu benennen, seine Zweifel der Gesetzcommißion anzeigen, und auf deren Beurtheilung antragen.“ Die richterliche Anfragepflicht wurde allerdings bereits durch Kabinettsorder vom 8. März 1798 wieder abgeschafft, da sie sich praktisch nicht bewährt hatte. 126 Siehe dazu bereits oben Seiten 32 und 34, insb. Fußnote 62. 127 BGH(Z) NJW 1968, S. 1572; BGHZ 40, S. 391; vgl. auch Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage von B’90 / Grünen, BT-Drs 13 / 642, S. 4; BMF-Schreiben vom 10. Oktober 2002, DStR 2002, S. 1990 (1993) zur steuerlichen Abzugfähigkeit; Rönnau, Angestelltenbestechung in Fällen mit Auslandsbezug, JZ 2007, S. 1084 (1087 f.) m. w. N.; a. A. Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, § 299 StGB, Rn. 64. 128 Vgl. BGH 52, S. 323 (340 ff.). 129 Gemeinsame Maßnahme 98 / 742 / JI betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998. Diese wurde mittlerweile durch den auf Seite 308, Fußnote 30 genannten Rahmenbeschluss abgelöst. 130 Entscheidend war, dass die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr erst 1997 im Wege des Korruptionsbekämpfungsgesetzes – in Kenntnis der in Fußnote 127 genannten Rechtsprechung – ins Strafgesetzbuch verlagert wurde, ohne dass inhaltliche Änderungen zu § 12 UWG a. F. beabsichtigt waren [BGHSt 52, S. 323 (339 ff.)]; vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 13 / 5584, S. 9, 15; Saliger / Gaede, Rückwirkende Ächtung der Auslandskorruption und Untreue als Korruptionsdelikt, HRRS 2008, S. 57 (63 f.); Schuster / Rübenstahl, Praxisrelevante Probleme des internationalen Korruptionsstrafrechts, wistra 2008, S. 201 (205 f.). Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 555 ff., 704 f. steht der europarechtskonformen Auslegung bei Einhaltung der Wortlautgrenze dagegen grundsätzlich positiv gegenüber. Er spricht sogar vom „Scheinproblem“ der strafbarkeitserweiternden Auslegung. Für den konkreten Fall kommt er jedoch zu keinem anderen Ergebnis, da sich selbst aus der im Tatzeitpunkt noch nicht umgesetzten Gemeinsamen Maßnahme 98 / 742 / JI keine verpflichtende Wirkung im innerstaatlichen Bereich herleiten ließ, vgl. ders., „Schwarze Kassen“ zwischen Untreue und Korruption, NStZ 2009, S. 297 (305). Nach der hier vertretenen

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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dafür, dass die vom nationalen Gesetzgeber getroffenen rechtspolitischen Wertungen fortlaufend im Sinne von nachfolgendem europäischen Richtlinienrecht zu Lasten des Bürgers korrigiert und verfremdet werden dürften131. Andernfalls wäre die Verantwortlichkeit für die Strafbewehrung eines bestimmten Verhaltens nicht mehr klar zuzuordnen.

III. Ausfüllung durch unmittelbar inhaltsbestimmendes Europarecht 1. Einleitung und Erscheinungsformen Unmittelbar inhaltsbestimmend für einen Straf- oder Bußgeldtatbestand wird das Europarecht dann, wenn nationale Blanketttatbestände direkt auf dieses verweisen132. Geeignete Ausfüllungsobjekte sind vor allem Verordnungen im Sinne von Art. 288 Abs. 2 AEUV-Lissabon (Art. 249 Abs. 2 EGV a. F.), wie man sie bisher nur aus dem Gemeinschaftsrecht (der bislang „Ersten Säule“ der Europäischen Union) kennt. Sie sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Darüber hinaus denkbar, wenn auch wenig praxisrelevant, ist ein Verweis auf europäisches Primärrecht bzw. die im Rahmen der Europäischen Union geschlossenen Übereinkommen. Betroffen von einer Ausfüllung durch Europarecht sind insbesondere das Lebensmittel- und Weinstrafrecht, das Steuer- und Zollstrafrecht, das Naturschutz- und Markenstrafrecht sowie das Außenwirtschaftsstrafrecht: Bereits bekannt sind etwa § 58 LFGB i.V. m. der Lebensmittel-Basisverordnung (EG) Nr. 178 / 2002133, §§ 48 Abs. 1 Nr. 3, 4, 49 Nr. 6, 7, 50 Abs. 2 Nr. 12, 51 WeinG i.V. m. den in der nationalen EU-Weinrecht-Durchsetzungsverordnung genannten europäischen Verordnungen134, Auffassung wäre die Rechtslage im Fall Siemens dagegen nur dann anders zu beurteilen gewesen, wenn zum Zeitpunkt der Schaffung von § 299 StGB a. F. Entwicklungen wie „Binnenmarkt“ oder „freier Welthandel“ noch überhaupt nicht absehbar gewesen wären, der historische Gesetzgeber vielleicht aber schon damals eine Regelung für alle Märkte schaffen wollte, an denen deutsche Kaufleute partizipieren. 131 Ähnlich Heise, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, S. 110 ff., 114 ff., 150, der neben dem „möglichen Wortsinn“ auch den „eindeutig feststellbaren Willen des Gesetzgebers“ als Grenze der europarechtskonformen Auslegung sieht. Vgl. jüngst auch BGH 3 StR 277 / 09 vom 03. Dezember 2009, Rn 24 ff. zu § 129 StGB und den Rahmenbeschluss 2008 / 841 / JI zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. 132 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 210 ff.; ders., in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 20 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 7, Rn. 76. 133 Siehe oben Seite 149. 134 Namentlich sind dies neben der Verordnung (EG) Nr. 1493 / 1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein die Verordnungen (EG) Nr. 1601 / 91; Nr. 122 / 94; Nr. 1227 / 2000; Nr. 1607 / 2000; Nr. 884 / 2001; Nr. 1282 / 2001; Nr. 753 / 2002; Nr. 423 / 2008. Siehe auch bereits oben Seiten 149, 226, 236 und 275.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

§ 326 Abs. 2 StGB i.V. m. Abfallverbringungsverordnung (EG) Nr. 1013 / 2006135, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V. m. Art. 40 Zollkodex (EWG) bzw. Art. 95 Modernisierter Zollkodex (EG)136, §§ 8, 8a FahrpersonalG und §§ 22 ff. FahrpersonalV i.V. m. den Verordnungen (EWG) Nr. 3820 / 85 und (EG) Nr. 561 / 2006137. In letzterem Kontext stehen auch § 19 Abs. 2 – 4 GüKG und die dort genannten Verordnungen. Die §§ 71 Abs. 1, 2, 69 Abs. 4 BNatSchG nehmen auf die Verordnung (EG) Nr. 338 / 97 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten Bezug; erst durch deren Art. 4 und den Anhang A ergibt sich der jeweilige, unterschiedlich streng ausgestaltete Schutz bestimmter Tiere, dass z. B. die genehmigungslose Einfuhr eines Zottelhasen-Kängurus (lagorchestes hirsutus) in die Europäische Union strafbar ist138. Entsprechendes gilt für § 95 Abs. 1 Nr. 11 AMG i.V. m. Verordnung (EWG) Nr. 2377 / 90 und §§ 39 Abs. 1 Nr. 2, 40 Abs. 1 Nr. 3 SortenschutzG i.V. m. Verordnung (EG) Nr. 2100 / 94. Praxisrelevanz hat insofern aber auch das Ausländerstrafrecht, wenn etwa § 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 und Abs. 1a i.V. m. § 4 Abs. 1 AufenthaltsG i.V. m. §§ 15 ff. AufenthaltsV durch das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) und die Drittländervisum-Verordnung (EG) Nr. 539 / 2001 ausgefüllt wird139. Auf vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (bisher „Zweite Säule“ der Europäischen Union) beschlossene wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen kann dagegen nicht direkt Bezug genommen werden, da insofern die Handlungsform der Verordnung (vgl. Art. 25 EUV-Lissabon bzw. Art. 12 EUV a. F.) nicht statthaft ist. § 34 Abs. 4 Nr. 1 AWG140 verweist deshalb auf zwischengeschaltete nationale Rechtsverordnungen. Die Umsetzung in unmittelbar geltendes Recht kann allerdings auch durch Europarecht erfolgen. Für diesen Fall nehmen § 34 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 AWG direkt auf europäische Rechtsakte Bezug141. Die Ausfüllung nationaler Tatbestände durch unmittelbar inhaltsbestimmendes Europarecht gilt es im Folgenden auf ihre europarechtliche und verfassungsrechtliche Zulässigkeit sowie weitere Besonderheiten zu untersuchen.

Siehe oben Seite 160. Verordnung (EWG) Nr. 2913 / 92 bzw. Verordnung (EG) Nr. 450 / 2008. Zur Anwendbarkeit vgl. Art. 188 Modernisierter Zollkodex. Ansonsten siehe auch bereits oben Seiten 193 und 248. 137 Siehe oben Seiten 236 und 307. 138 Zum Verweisungs-„Dschungel“ des Artenschutz-Strafrechts vgl. Pfohl, ArtenschutzStrafrecht, wistra 1999, S 161. 139 Zur aufenthaltsrechtlichen Genehmigungspflicht als Blankettmerkmal siehe bereits oben Seiten 205 ff., 236, 247 (dort Fußnote 279 a. E.). 140 Siehe oben Seite 278. 141 Siehe oben Seiten 149 und 235. 135 136

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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2. Europarechtliche Vorgaben für eine Strafbewehrung europarechtlicher Normen Dass der nationale Gesetzgeber europarechtlich befugt ist, durch Verordnung aufgestellte Verhaltensnormen mit nationalen Straf- oder Bußgelddrohungen zu versehen, ist weitgehend geklärt142. Die grundsätzliche Zulässigkeit hatte der Europäische Gerichtshof bereits im Jahre 1976 in der „Amsterdam Bulb BV “-Entscheidung143 festgestellt. Eine nationalstaatliche Sanktionierung von Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht kann sogar europarechtlich geboten sein144, da eine unmittelbare Strafrechtssetzung bekanntermaßen auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon145 allein den Mitgliedstaaten vorbehalten ist. Richtungsweisend war insofern die Entscheidung zum „Griechischen Maisskandal “146, in der der Europäische Gerichtshof eine Vertragsverletzung Griechenlands daraus herleitete, dass der Mitgliedstaat entgegen dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 10 EGV a. F.) keine ausreichenden Maßnahmen getroffen hatte, um die Geltung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Für die Missachtung von Europarecht sollen demnach in den Mitgliedstaaten ähnliche Regeln gelten wie für gleichartige Verstöße gegen nationales Recht. Die gewählte Sanktion müsse in jedem Fall wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein147. Meist wird dies heute für den Einzelfall ausdrücklich in der Verordnung selbst148, die insofern als „hinkend“149 bezeichnet wird, oder durch gesonderte Richtlinie eingefordert. Aber auch dann, wenn keine Sanktionierung vorgeschrieben ist und sich eine solche Verpflichtung auch nicht aus allgemeinen Loyalitätsgrundsätzen ergibt, steht dies einer Straf- oder Bußgeldbewehrung nicht entgegen. Zwar wurde etwa von Oehler für den Fall, in dem nur einzelne Mitgliedstaaten Normbrüche unter Strafe stellen wollen, die Befürchtung formuliert, dass so eine den Zielen der Gemeinschaft zuwiderlaufende Ungleichbehandlung der Normadressaten entstehen Siehe etwa Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 210 ff. EuGH Slg. 1977, S. 137. 144 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 330 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 11, Rn. 37 ff. 145 Siehe oben Seiten 305 ff., 313 ff. 146 EuGH NJW 1990, S. 2245. 147 EuGH NJW 1990, S. 2245 (2246). 148 Vgl. etwa Art. 16 Artenschutz-Verordnung (EG) Nr. 338 / 97; Art. 19 Verordnung (EG) Nr. 561 / 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr; Art. 32 Verordnung (EG) Nr. 1371 / 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste; Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 689 / 2008 über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien; Art. 98 Verordnung (EG) Nr. 555 / 2008 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein. 149 Vgl. Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV, Rn. 21. Soweit die Verordnung nationale Durchsetzungsvorschriften einfordert, hat sie eher den Charakter einer Richtlinie. Vgl. Eisele, Einflußnahme auf nationales Strafrecht durch die Richtliniengebung der Europäischen Gemeinschaft, JZ 2001, S. 1157 (1159 f.). 142 143

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

könnte150. Nationalstaatliche Unterschiede bei der Sanktionierung sind aber gerade Folge einer bewussten Entscheidung der Mitgliedstaaten, die unmittelbare Strafrechtssetzung weiterhin in ihrer Kompetenz zu belassen151. Es kann auch nicht behauptet werden, dass sich der Nationalstaat bei einer Strafbewehrung aus eigenem Ermessen fremde Kompetenzen anmaßen würde. Der Inhalt der auf europäischer Ebene aufgestellten Verhaltensnormen bleibt schließlich unberührt152. In der vorgenannten „Amsterdam Bulb BV“-Entscheidung153 machte der Europäische Gerichtshof allerdings eine (für den konkreten Fall jedoch nicht entscheidungserhebliche) Einschränkung, dass die Verordnung nicht bereits selbst eine Sanktionierung vorsehen dürfe. Nach einem späteren Urteil des Europäischen Gerichtshofes154 muss eine europarechtliche Reaktion auf einen Rechtsverstoß155 aber nicht unbedingt abschließend sein, eine ergänzende strafrechtliche Sanktionierung, die eben nur die Mitgliedstaaten verhängen können, wird dadurch nicht ausgeschlossen. Hinsichtlich der bei der Sanktionierung zu verwendenden Gesetzestechnik steht jedoch das Gebrauchmachen von Blanketttatbeständen – anders als bei rein nationalen Sachverhalten156 – nicht im Ermessen des Strafgesetzgebers. Sie ist vielmehr europarechtlich eine Notwendigkeit: Regelte der nationale Gesetzgeber die Verhaltensnorm im Tatbestand nämlich noch einmal selbst, würde er in einem Bereich tätig werden, den der europäische Gesetzgeber bereits besetzt hat. Selbst bei einer wortgetreuen Wiederholung der Verordnung, aber ohne deren Nennung, bestünde, da der europäische Ursprung der Norm so verschleiert würde157, die Gefahr einer europaweit unterschiedlichen Interpretation. Die unmittelbar gültige europäische Verhaltensnorm darf also nicht in einen nationalen Kontext und damit in eine scheinbare Abhängigkeit vom nationalen Gesetzgeber gebracht werden158. Europäische Ausfüllungsnormen bleiben auf diese Weise trotz Hineinlesen in den deutschen Tatbestand europäisches Recht. Bei der Beurteilung von Inkrafttreten und 150 Oehler, Fragen zum Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft, Festschrift-Jescheck, S. 1399 (1405, Fn. 10); ders., Der Europäische Binnenmarkt und sein wirtschaftsstrafrechtlicher Schutz, Festschrift-Baumann, S. 561 (568) für den Fall, dass der nationale Gesetzgeber ohne ausdrückliche Ermächtigung handelt. Vgl. zum strukturell umgekehrten Fall des Verweises von Bundes- auf Landesrecht (§ 143 Abs. 1 StGB i. d. F. vom 12. April 2001) oben Seiten 261 f. 151 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 211; Ambos, Internationales Strafrecht, § 11, Rn. 27. 152 So Generalanwalt Capotorti, in: EUGH Slg. 1977, S. 152 (155). 153 EuGH Slg. 1977, S. 137. 154 EuGH („Nunes u. a.“) Slg. 1999, S. I-4883. 155 Denkbar ist eine solche rein zivilrechtlicher Natur; siehe aber auch oben Seiten 305 f. 156 Vgl. zu möglichen Motiven oben Seiten 258 ff. 157 So jedenfalls EuGH („Variola vs. Amministrazione italiana delle finanze“) Slg. 1973, S. 981 (990); EuGH („Zerbone Snc vs. Amministrazione delle finanze dello Stato“) Slg. 1978, S. 99 (115 f.); Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 199 f.; Nettesheim, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der Europäischen Union, § 249 EGV a. F., Rn. 121 m. w. N. 158 Generalanwalt Capotorti, in: EuGH Slg. 1977, S. 152 (153 f.).

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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Wirksamkeit sowie der Auslegung gelten europarechtliche Grundsätze unmittelbar159, gegebenenfalls ist sogar der Wortlaut der Norm in sämtlichen Amtssprachen zu berücksichtigen160. 3. Innerstaatliche Vorgaben bei Strafbewehrung europarechtlicher Normen a) Grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit Das deutsche Verfassungsrecht steht einer Straf- oder Bußgeldbewehrung europarechtlicher Verhaltensnormen durch nationale Blankettgesetze ebenfalls nicht entgegen. Laut BVerfGE 29, S. 198 stellen europäisches und nationales Recht zwar verschiedene Rechtsordnungen dar, diese stehen jedoch nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind vielfältig ineinander verschränkt. Damit gebe es auch keinen Anlass, die Verweisung auf Europarecht hinsichtlich ihrer Zulässigkeit anders zu beurteilen als die auf Bundes- oder Landesrecht161. Dabei ist aus innerstaatlicher Sicht Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG die Grundlage dafür, dass die Europäische Union gemäß den Verträgen im Inland unmittelbar gültiges Rechts setzen kann. Jedes andere Ergebnis hinsichtlich der Zulässigkeit von Europarechtsblanketten wäre auch angesichts der Notwendigkeit einer Sanktionierung durch die Mitgliedstaaten unter zwingender Verwendung der Blanketttechnik höchst problematisch. Fraglich ist jedoch, wie sich bisher aufgestellte Grundsätze auf quasi „janusköpfige“162 nationalstaatlich-europäische Gesamttatbestände übertragen lassen.

b) Art. 103 Abs. 2 GG beim gemischt nationalstaatlich-europäischen Gesamttatbestand Bei rein innerstaatlichen Blanketten ist der Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG, wie bereits dargelegt163, nicht nur auf die Sanktions-, sondern auch auf die Ausfüllungsnorm anzuwenden. Aufgrund eines materiellen Gesetzesbegriffs gilt dies nicht nur für Ausfüllungsnormen, die von einem parlamentarischen Gesetzgeber stammen, sondern auch für Rechtsverordnungen und sogar Satzungen164. Bei strafbewehrten europäischen Verordnungen, die trotz Hineinlesens in den deutschen Tatbestand europäisches Recht bleiben, stellt sich allerdings die Frage, inwieweit hier der deutsche Art. 103 Abs. 2 GG überhaupt Anwendung finden kann oder ob 159 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 232 ff. Vgl. dagegen oben Seiten 319 ff. zur Auslegung von auf Richtlinien beruhendem nationalen Recht. 160 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 233. 161 BVerfGE 29, S. 198 (210); vgl. auch BVerfG RIW / AWD 1979, S. 132. 162 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 233. 163 Siehe oben Seiten 258 ff., 301. 164 Siehe oben Seiten 264 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

insofern ein vergleichbarer europarechtlicher Maßstab165 gefunden werden muss166. Auch innerhalb der deutschen Jurisdiktion wird schließlich nicht in Frage gestellt, dass bei der Beurteilung der Gültigkeit von Verordnungen ausschließlich europarechtliche Grundsätze gelten167, sieht man einmal von den besonderen Vorbehalten des Bundesverfassungsgerichts ab, die es hinsichtlich der Kontrolle von Grenzüberschreitungen der Europäischen Union bei Inanspruchnahme von Zuständigkeiten und zur Wahrung des unantastbaren Kerngehalts der Verfassungsidentität des Grundgesetzes geltend gemacht hat168. Andererseits ist die Strafgesetzgebung an sich weiterhin in der Souveränität der Mitgliedstaaten verblieben; für diese gilt in Deutschland ganz ohne Frage Art. 103 Abs. 2 GG. Ein Blanketttatbestand genügt naturgemäß allein diesen Anforderungen nicht, er ist vielmehr ergänzungsbedürftig. Bei rein nationalen Blanketten, jedenfalls solchen die auf Rechtsverordnungen verweisen, werden die Ausfüllungsvorschriften häufig erst nach der Sanktionsvorschrift geschaffen, so dass praktisch der Verordnungsgeber darauf achten muss, dass die von ihm geschaffene Ergänzung für eine ausreichende Bestimmtheit des Gesamttatbestandes sorgt. Bei Europarechtsblanketten ist die zeitliche Reihenfolge dagegen (fast169) immer umgekehrt: Vorhandene europäische Verhaltensnormen werden erst im Nachhinein vom nationalen Gesetzgeber mit Strafen oder Bußgeldern versehen. Insofern kann der Sanktionsgesetzgeber recht einfach selbst dafür sorgen, dass das Bestimmtheitsdefizit der von ihm geschaffenen Strafblankette ausgeglichen wird: Dies geschieht entweder dadurch, dass er nur solche Normen in Bezug nimmt, welche die Funktion als Ausfüllungsobjekt i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG zufriedenstellend erfüllen. Wenn dies nicht möglich ist, muss er selbst für eine Präzisierung auf nationaler Ebene sorgen, indem er das strafbare Verhalten als Handeln „entgegen“ einer bestimmten europäischen Verhaltensnorm nochmals selbst beschreibt170. Da sich der Vorwurf der Nichteinhaltung damit in allen Fällen171 allein gegen den nationalen Gesetzgeber richten lässt, 165 Siehe etwa oben Seite 321 zum europäischen Grundsatz der Rechtssicherheit in der Entscheidung „Kolpinghuis Nijmegen BV“, EuGH Slg. 1987, S. 3969 (3986). 166 Vgl. Dannecker, Die Dynamik des materiellen Strafrechts unter dem Einfluss europäischer und internationaler Entwicklungen, ZStW 117 [2005], S. 697 (739). 167 Siehe oben Seite 326. 168 Vgl. BVerfGE 73, S. 339 (375 f.); BVerfGE 75, S. 223 (235, 242); BVerfGE 89, S. 155 (188); BVerfGE 113, S. 273 (296); BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 240 f. 169 Gegenbeispiele sind § 34 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 AWG (vgl. dazu aber Seiten 278, 331) oder § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, soweit die Erklärungspflichten z. B. durch Art. 40 Zollkodex [Verordnung (EWG) Nr. 2913 / 92] bzw. Art. 95 des Modernisierten Zollkodex [Verordnung (EG) Nr. 450 / 2008] ausgefüllt werden. 170 Vgl. etwa die §§ 23 ff. Fahrpersonalverordnung, wo jeweils der Verstoß gegen die maßgeblichen europäischen Verhaltensnormen nochmals präzisiert wird, so z. B.: „Ordnungswidrig handelt […], wer entgegen Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 [der Verordnung (EWG) Nr. 3821 / 85] ein Schaublatt aushändigt, das sich für das eingebaute Kontrollgerät nicht eignet“. Probleme bei unzulässiger Verschleierung des europäischen Ursprungs der Verhaltensnorm (vgl. dazu oben Seite 326) werden so ebenfalls vermieden.

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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kann der deutsche Bestimmtheitsgrundsatz auch bedenkenlos (ohne dafür den Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes bemühen zu müssen) auf den gemischt nationalstaatlich-europäischen Gesamttatbestand angewendet werden. Die außerstrafrechtliche Geltung der europäischen Verhaltensnorm wird bei einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG selbstverständlich nicht in Frage gestellt172.

c) Statische und dynamische Verweisungen auf genau bezeichnete Verordnungen – Folgen und Frage ihrer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit Wie man an den eingangs173 genannten Beispielen erkennen konnte, beziehen sich Europarechtsblankette in aller Regel auf genau bezeichnete Verordnungen. Die Verweise sind sogar oft „statisch“ formuliert, so nimmt § 58 Abs. 2 LFGB ausdrücklich auf eine bestimmte Fassung der Lebensmittel-Basisverordnung (EG) Nr. 178 / 2002 Bezug174 – mit Fundstelle im offiziellen Publikationsorgan. Die Technik kommt bei rein inländischen Blanketten kaum noch vor175, musste deshalb bisher auch nicht vertieft behandelt werden. Statische Verweisungen werden aber vielfach, wenn wie bei Europarechtsblanketten Strafgesetz und Ausfüllungsnorm von unterschiedlichen Urhebern stammen, im Hinblick auf den Aspekt der strafrechtlichen Kompetenzwahrung als vorzugswürdig angesehen. Der statische Verweis kommt fast einer Wortlautwiederholung gleich176, der Strafgesetzgeber „adoptiert“ schließlich eine ihm vollauf bekannte Norm. Der Normgeber der Ausfüllungsnorm dagegen kann die Strafbarkeit im Nachhinein nur dadurch beeinflussen, dass er durch Streichung oder Änderung der Norm ein Leerlaufen des Blanketts bewirkt (der statische Verweis hat ja nicht die Wirkung, dass die Ausfüllungsnorm in ihrer alten Fassung allein im Blankettgesetz fortlebt177). Wenn auf eine Verordnung in ihrer jeweils gültigen Fassung Bezug genommen wird (die Zulässigkeit des dynamischen Verweises wird 171 Dies gilt selbst dann, wenn die Verordnungsgebung ausnahmsweise doch einmal (vgl. Fußnote 169, Seite 328) der Schaffung des Blankettgesetzes nachfolgt. Dann muss der nationale Strafgesetzgeber eben nachbessern. 172 Nichts anderes gilt schließlich auch, wenn der Strafgesetzgeber bei rein innerstaatlichen Kodifikationen, schlichte Programmsätze (oder allgemeine Betreiberpflichten wie §§ 5, 22 BImSchG) in Bezug nehmen würde. Vgl. oben Seite 260. 173 Siehe Seiten 323 f. 174 Gelangt man z. B. bei § 58 Abs. 1 Nr. 1 LFGB über § 5 Abs. 1 S. 1 LFBG in die Lebensmittel-Basisverordnung (EG) Nr. 178 / 2002 dürfte wohl nichts anderes gelten, vgl. § 1 Abs. 3 LFBG. 175 Selbst bei Kuhlen finden sich fast nur historische Beispiele, siehe oben Seite 102 f., insb. Fußnote 608. 176 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 242; Moll, Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, S. 73; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 249; vgl. auch Krey, Zur Verweisung auf EWG-Verordnungen, EWR 1981, S. 109 (176). 177 Vgl. BayObLGSt 1992, S. 121; Schneider, Gesetzgebung, Rn. 386. Siehe auch schon oben Seite 102 zum Ansatz von Kuhlen.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

gleich noch zu prüfen sein), ist die Situation aber in der Regel ebenfalls eine andere als bei nationalen Blanketten, da der europäische Gesetzgeber alte Verordnungen sehr häufig gar nicht erst abändert, sondern komplett durch neue ersetzt. Die bei der Strafbewehrung von Europarecht verwendete Gesetzestechnik hat – insbesondere bei statischen Verweisungen – den Nachteil, dass Änderungen beim Verweisungsobjekt immer wieder ein erneutes Tätigwerden des nationalen Gesetzgebers („Verweisungsverjüngungen“178) erfordern. Auch die durch den europäischen Normgeber vielfach gesetzten Anpassungsklauseln179, nach denen die Bezugnahme auf eine aufgehobene Verordnung auch für die neue zu gelten hat, helfen insofern nicht weiter; sie erstrecken sich nur auf das Europarecht selbst180. Wird im Inland auf Änderungen von Europarecht nicht rechtzeitig reagiert, entstehen Fehlverweisungen und (zum Teil der Sache nach völlig absurde) Ahndungslücken – historische Beispiele aus dem Wein- und Artenschutzrecht oder bei den Lenkzeiten sind bereits bekannt181. Diese lassen dann, selbst innerhalb von Tagen bereinigt, sogar die Strafbarkeit von Altfällen entfallen, es sei denn, dass zusätzlich eine spezielle von § 2 Abs. 3 StGB abweichende Regelung getroffen wird182. Um die Entstehung solcher Strafbarkeitslücken zu vermeiden, hat der deutsche Strafgesetzgeber die Aufgabe, Normen des aktuell maßgeblichen Europarechts näher zu bezeichnen, zum Teil an nationale Verordnungsgeber delegiert, da diese auf Änderungen im Europarecht schneller und flexibler reagieren können183. Dies geschieht in der Regel durch ein vorgeformtes Blankett mit Rückverweisungsklausel, so z. B. bei § 382 Abs. 1, 4 AO i.V. m. § 30 Abs. 4 – 6 ZollV, § 33 Abs. 4 AWG i.V. m. § 70 Abs. 4 – 5u AWV, § 34 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 bis 6 AWG i.V. m. § 70a AWV, § 8 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 lit. b FahrpersonalG i.V. m. den §§ 22 ff. FahrpersonalV, § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB i.V. m. lebensmittelrechtlichen Straf- und Bußgeldverordnungen oder §§ 48 Abs. 1 Nr. 3, 4, 49 Nr. 6, 7, 50 Abs. 2 Nr. 12, 51 WeinG i.V. m. der EU-Weinrecht-Durchsetzungsverordnung jeweils i.V. m. den dort genannten, in den europäischen Publikationsorganen veröffentlichten Verordnungen. Seltener ist die Variante des § 1 Abs. 3 Handelsklassengesetz, durch die der Verordnungsgeber ohne gesetzlich vorgeformtes Blankett ermächtigt wird, Zuwiderhandeln gegen bestimmte europarechtliche Ge- oder Verbote mit Geldbuße bis zu einem gesetzlich bestimmten Höchstmaß zu bedrohen184. Aus Sicht der ZollSchneider, Gesetzgebung, Rn. 386. So heißt es in Art. 4 S. 2 der Agrarerzeugnisse-Wettbewerbs-Verordnung (EG) Nr. 1184 / 2006: „Verweisungen auf die aufgehobene Verordnung gelten als Verweisungen auf die vorliegende Verordnung und sind nach der Entsprechungstabelle in Anhang II zu lesen.“ 180 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 271; Schneider, Gesetzgebung, Rn. 388. 181 Siehe oben Seiten 236 ff. 182 Siehe oben Seite 237. 183 Schneider, Gesetzgebung, Rn. 388. 184 Siehe dazu die Bußgeldtatbestände in § 6 Bananen-Qualitätsnormverordnung, § 4 Bruteier-Kennzeichnungsverordnung, § 4 Qualitätsnormenverordnung-Blumen und § 7 Eier-Vermarktungsnormenverordnung. 178 179

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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pflichtigen, der Ex- und Importeure, Händler und Winzer wird in allen Fällen durch Einführung eines weiteren Gliedes in der Verweisungskette die Nachvollziehbarkeit des vollständigen Inhalts des Gesamttatbestandes allerdings nicht gerade erleichtert185. Rückverweisungsklauseln haben sich zudem als durchaus fragwürdig erwiesen, wenn dort, wo von ihnen Gebrauch gemacht wird, den nationalen Verordnungsgebern allzu große Entscheidungsspielräume zufallen186. Die Grenzen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG werden wohl dann überschritten, wenn ihnen faktisch sogar die Wahl zwischen Bußgeld- und Strafbewehrung bleibt187. Dies gilt bekanntermaßen auch in den Fällen, in denen die Entscheidungsbefugnis der Exekutive wie bei § 34 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 AWG verschleiert wird188, indem man zwar vom förmlichen Gesetz direkt auf unbenannte europäische Verordnungen verweist, die Sanktionierung aber nur dann wirksam wird, wenn das zuständige Bundesministerium sich – gerade im Hinblick auf diese Folge189 – zu deren zusätzlichen Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt oder Bundesanzeiger entschließt, was faktisch einem statischen Verweis durch Rechtsverordnung gleichkommt (und nicht etwa dazu dient, dem Bürger bei der Normrecherche zu helfen190). Dabei kommen die nationalen Verordnungsgeber ihrer Aufgabe gar nicht immer vorbildlich nach: So enthält § 10 Abs. 2 S. 1 der EU-Weinrecht-Durchsetzungsverordnung eine Art „automatische“ Verjüngungsklausel, nach der die Bezugnahme auf europäische Vorschriften nach deren Aufhebung auch für neue, diese ersetzende Vorschriften fortgelten sollen. Eine solche Regelung hätte der parlamentarische Gesetzgeber dann noch besser selbst in Form eines dynamischen Verweises treffen sollen. Dies wirft allerdings die Frage nach seiner grundsätzlichen Zulässigkeit auf: Vielfach wurde nämlich im Schrifttum, aber auch von Obergerichten die doch eher pauschale Behauptung aufgestellt, ein Verweis eines nationalen Blanketttatbestandes auf eine jeweils in Kraft befindliche europäische Verordnung verstoße generell gegen Art. 103 Abs. 2 GG191. Krey differenziert zwischen normergänzenden und normkonkretisierenden Verweisen; Einschränkungen folgen demnach nicht aus Moll, Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, S. 78, 181 ff. Siehe dazu oben Seiten 274 ff. 187 Vgl. oben Seiten 278 f. 188 Vgl. oben Seite 278. 189 Vgl. BGHSt 41, S. 127 (132) zu Embargoverstößen im Fall des ehemaligen Jugoslawiens. Insofern hatte man bewusst auf eine pauschale Publikation der Verordnung (EWG) Nr. 1432 / 92 verzichtet und im damaligen § 69h AWV eine differenzierende Regelung getroffen. 190 Das Auffinden einer Norm im jeweiligen europäischen Amtsblatt dürfte schließlich auch gegenüber dem Auffinden einer Norm im Bundesgesetzblatt oder Bundesanzeiger nicht mit Mehraufwand verbunden sein. Vgl. schon BVerfG RIW / AWD 1979, S. 132 (133). 191 Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 198 ff., 266; Hohmann, Gedanken zur Akzessorietät des Strafrechts, ZIS 1 / 2007, S. 38 (45); OLG Koblenz NStZ 1989, S. 188 (189) [obiter dictum]; wohl auch Fischer, § 1 StGB, Rn. 5b; Dannecker, Die Dynamik des materiellen Strafrechts, ZStW 117 [2005], S. 697 (738); a. A. Schmitz, in: Münchener Kommentar, § 1 StGB, Rn. 51. 185 186

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Art. 103 Abs. 2 GG, sondern aus dem Demokratieprinzip192. Satzger wiederum hält dynamische Verweise auf Europarecht grundsätzlich für verfassungswidrig, macht aber Ausnahmen für „Ordnungswidrigkeitentatbestände und Straftatbestände mit geringer Strafdrohung […], die sich an eine klar abgegrenzte Berufsgruppe wenden“193. Auch im Rahmen dieser Arbeit wurde die „dynamische“ Berücksichtigung europäischer Richtlinien bei Auslegung nationaler Volltatbestände (selbst innerhalb der Wortlautgrenze) durchaus kritisch gesehen194. Gegen den pauschalen Vorwurf der Verfassungswidrigkeit eines dynamischen Verweises auf europäische Verordnungen können allerdings als Gegenbeispiele Normen wie § 326 Abs. 2 StGB, der durch verschiedene Vorschriften der Abfallverbringungsverordnung (EG) Nr. 1013 / 2006 ausgefüllt wird, dienen, oder § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, soweit sich bei Zollvergehen die Gestellungspflicht aus Art. 40 Zollkodex (EWG)195 bzw. Art. 95 Modernisierter Zollkodex (EG)196 ergibt. Auch der Verweis in § 95 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 1a und § 4 Abs. 1 AufenthaltsG sowie §§ 15 ff. AufenthaltsV auf das maßgebliche Europarecht ist dynamischer Natur197. Es wäre kaum sinnvoll, insofern eine andere Regelung zu treffen. Wenn der Bundesgesetzgeber in all den genannten Fällen i. S. d. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung eindeutig Hoheitsrechte (der Rechtsetzung198) übertragen hat, ist das daraufhin geschaffene unmittelbar geltende Europarecht aber auch kein Recht zweiter Klasse, das in seiner Legitimität im Inland irgendwie beschränkt wäre. Wenn bei rein nationalen Blanketten dynamische und konkludente Verweise möglich sind199, gibt es keinen Grund bei vergleichbaren europäischen Normen, nur weil sie vom europäischen Verordnungsgeber stammen, höhere Anforderungen zu stellen200. Auch wenn man Verordnungen nicht mit nationalen parlamentarischen Gesetzen gleichsetzen kann, aufgrund des auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestehenden Demokratiedefizits (jedenfalls gemessen an staatlichen Anforderungen)201, haben sie doch Vgl. Krey, EWR 1981, S. 109 (144 f., 149 f., 158 f., 169). Vgl. Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 263f., 270, 286; ders., in: Satzger / Schmitt / Widmaier, § 1 StGB, Rn. 57; ders., in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 33; ders., Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 68. 194 Siehe oben Seiten 319 ff., 321. 195 Verordnung (EWG) Nr. 2913 / 92. 196 Verordnung (EG) Nr. 450 / 2008. Zur Anwendbarkeit vgl. Art. 188 Modernisierter Zollkodex. 197 Zur aufenthaltsrechtlichen Genehmigungspflicht als Blankettmerkmal siehe bereits oben Seiten 205 ff., 236, 247 (dort Fußnote 279 a. E.) und 324. 198 Kompetenzmäßig umfaßt der Begriff der „Hoheitsrechte“ Befugnisse aller drei Staatsgewalten. 199 Vgl. oben Seiten 259, 274. 200 So auch Harms / Heine, EG-Verordnungen und Blankettgesetz, Festschrift-Amelung, S. 393 (396). 201 BVerfG vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., Rz. 248 ff., 271, 281, 295 ff.; siehe oben Seite 315. 192 193

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unbestreitbar eine höhere demokratische Eigenlegitimation als nationale Rechtsverordnungen202, auf die sogar typischerweise dynamisch verwiesen wird. Wem das nicht reicht, der müsste auch die außerstrafrechtliche Geltung europäischer Verordnungen und Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV-Lissabon an sich (Art. 249 Abs. 2 S. 2 EGV a. F.) in Frage stellen. Trotzdem lässt sich natürlich die Tatsache nicht leugnen, dass dynamisch-konkludente Verweise auf Europarecht bisher die Ausnahme geblieben sind. Sie sind als generelles Modell wohl auch nicht zu empfehlen. Warum die genaue Benennung der maßgeblichen europäischen Verordnungen im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG meist vorzugswürdig erscheint, liegt jedoch nicht an der europäischen Urheberschaft an sich, sondern eher an dem auf Unionsebene üblichen Normsetzungsstil: Sieht man einmal von Verordnungen wie der Abfallverbringungsverordnung (EG) oder dem (Modernisierten) Zollkodex (EG / EWG) ab, welche Gesetzen und Kodifikationen kontinentaleuropäischen Typs schon sehr nahe kommen, erweist sich das Auffinden der maßgeblichen Verhaltensnormen sonst in einem Konglomerat von europäischen Einzelverordnungen doch meist als weitaus schwieriger, als es bei Blanketttatbeständen mit reinem Inlandsbezug der Fall ist. So werden die Bußgeldtatbestände in §§ 8 und 8a FahrpersonalG von vier verschiedenen Verordnungen und einem Abkommen ausgefüllt203. Hier dürfte die genaue Benennung hinsichtlich einer eindeutigen Verknüpfung von Blankett- und Ausfüllungsnorm204 als zwingend zu erachten sein. Dies wäre allerdings bei einem nationalen Blankettgesetz, welches von ebenso vielen nationalen Gesetzen oder Rechtsverordnungen ausgefüllt würde, nicht anders205. Ist der Verweis auf eine genau bezeichnete europäische Verordnung obendrein statischer Natur, wobei man insofern darauf achten muss, dass das statisch in Bezug genommene Verweisungsobjekt keinen dynamischen Unterverweis in eine weitere Verordnung enthält206, bringt dies vor allem eine gewisse Skepsis gegenüber dem europäischen Gesetzgeber zum Ausdruck, von dem man sich nichts „unterjubeln“ lassen will207. Die Gesetzestechnik hat aber auch in Bezug auf Art. 103 Abs. 2 GG durchaus einen Vorteil: Wie oben gezeigt, erfolgt die Straf- oder Bußgeldbewehrung in der Regel im Hinblick auf bereits vorhandene europäische Verhaltensnormen. 202 Siehe dazu oben Seiten 270 ff. Zu sanktionsbewehrten Satzungen und den Folgen ihrer ebenfalls höheren demokratischen Eigenlegitimation vgl. auch Seiten 281 ff., 283. 203 Namentlich sind dies die Verordnung (EWG) Nr. 3820 / 85, die Verordnung (EWG) Nr. 3821 / 85, die Verordnung (EG) Nr. 2135 / 98, Verordnung (EG) Nr. 561 / 2006 und das Europäische Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR). 204 Vgl. oben Seite 259. 205 Vgl. oben Seite 274, Fußnote 484. 206 Vgl. Krey, EWR 1981, S. 109 (130). 207 Bei reinen Inlandssachverhalten verzichtet man in diesen Fällen meist ganz auf die Verwendung der Blanketttechnik, was bei europarechtlich mitbestimmten Sachmaterien allerdings, wie auf Seite 326 gezeigt, nicht möglich ist.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Insofern hat es der nationale Gesetzgeber selbst in der Hand, dass durch Bezugnahme auf bereits bekanntes Europarecht ein ausreichend bestimmter Gesamttatbestand entsteht, obwohl die von ihm geschaffene Regelung in diesem Sinne unvollständig ist208. Sicher gehen, dass dies auch so bleibt, kann er aber nur, wenn er auf eine bestimmte Fassung Bezug nimmt. Anders als bei rein innerstaatlichen Blanketten lässt sich diese Pflicht nämlich nicht auf einen Verordnungsgeber abwälzen, der Ausfüllungsvorschriften erst später erlässt oder ändert. Von einem europäischen Normgeber kann man schließlich nicht erwarten, dass er Art. 103 Abs. 2 GG und entsprechende Grundsätze aller anderen Mitgliedstaaten berücksichtigt. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass Blankettverweisungen hier nur statisch ergehen dürften. Vielmehr ist der nationale Gesetzgeber bei dynamischen Verweisen gezwungen, auch im Nachhinein durchgehend zu prüfen, ob nach Änderung der Ausfüllungsvorschriften der Gesamttatbestand weiterhin dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt oder ob Nachbesserungsbedarf vorhanden ist209. Solange die ausfüllende Vorschrift zum Zeitpunkt ihrer Anwendung vom Bürger mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden kann, genügt dies dem Art. 103 Abs. 2 GG210. Unwirksam wird der Gesamttatbestand nur dann, wenn er sich nach einer Neuregelung tatsächlich als zu unbestimmt herausstellt211. Welche Verweisungstechnik sich im konkreten Fall anbietet, hängt damit immer von der zu regelnden Sachmaterie ab: Im Hinblick auf den deutschen Bestimmtheitsgrundsatz bietet der statische Verweis durch parlamentarisches Gesetz auf genau bezeichnete Verordnungen sicherlich das höchste Schutzniveau. Hier ist jedoch die Gefahr der Entstehung von Strafbarkeitslücken bei noch so unbedeutenden Änderungen des Verweisungsobjekts besonders hoch. Diese Verweisungstechnik dürfte sich also aufgrund recht umständlicher förmlicher Gesetzgebungsverfahren nur bei sehr stabilen oder sehr sensiblen Rechtsgebieten, bei denen der nationale Gesetzgeber um jeden Preis (auch im Detail) die Kontrolle behalten will, anbieten. Die Delegation der Anpassung von Rechtsvorschriften an nationale Verordnungsgeber dagegen, die mittlerweile am häufigsten anzutreffen ist, funktioniert in der Praxis auch nicht immer und schafft im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG eigene verfassungsrechtliche Probleme. Die nationale Exekutive erhält nämlich auf diese Weise faktisch mehr Entscheidungskompetenzen, als man dem europäischen Normgeber bei unmittelbaren dynamischen Verweisungen zubilligen würde. Eine entsprechende Einbeziehung von Europarecht setzt natürlich die Bereitschaft des nationalen Strafgesetzgebers voraus, der Union auch für modifizierbare Verhaltenspflichten Siehe Seiten 328 f. Dies stellt gegenüber der Alternative eines statischen Verweises, bei dem auf jede Gesetzesänderung reagiert werden muss, nicht einmal einen Mehraufwand dar. 210 Vgl. Krey, EWR 1981, S. 109 (144); Niehaus, Blankettnormen und Bestimmtheitsgrundsatz vor dem Hintergrund zunehmender europäischer Rechtsetzung, wistra 2004, S. 206 (208 f.). 211 Allzu groß sind die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an Normen im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG stellt, ohnehin nicht. Vgl. oben Seite 257. 208 209

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ein Sanktionsblankett zu bieten. Ungewollte Strafbarkeitslücken sind dabei aber auch bei dieser Variante nicht völlig ausgeschlossen: Sie können dann auftreten, wenn eine genau bezeichnete Verordnung, auf die in ihrer jeweils gültigen Fassung verwiesen wird, vom europäischen Normgeber nicht bloß abgeändert, sondern – wie häufig – komplett durch eine neue ersetzt wird. Als Lösung dieses Problems dürfte sich die verfolgungsfreundlichste Variante, der dynamische Verweis auf unbenannte europäische Regelungen, aber nur in Ausnahmefällen anbieten: Zwar ist diese Variante nicht per se verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Aufgrund der Unübersichtlichkeit des europäischen Normbestandes wird sich in dieser Form jedoch meist keine dem Art. 103 Abs. 2 GG genügende Verknüpfung von Blankett- und Ausfüllungsnormen herstellen lassen.

IV. Strafbarkeitsbegrenzendes Europarecht 1. Einleitung Stellt ein nationaler Tatbestand ein bestimmtes Verhalten unter Strafe, hat dies bekanntermaßen in aller Regel auch jenseits des Strafrechts einen sachregelnden Effekt. Finden sich für den selben Lebensbereich auch unmittelbar anwendbare europarechtliche Regelungen, kann es vorkommen, dass diese im Einzelfall ein Verhalten erlauben oder gar vorschreiben, welches vom nationalen Strafgesetzgeber verboten wurde. Insofern stellt sich die Frage, wie mit einer Kollision umzugehen ist. Nach allgemeinen Grundsätzen, die grundlegend in der „Costa vs. ENEL“-Entscheidung212 des EuGH formuliert wurden, dürfen auf innerstaatlicher Ebene gegen die auf Grundlage der Gegenseitigkeit von allen Mitgliedstaaten angenommene europäische Rechtsordnung keine Maßnahmen ins Feld geführt werden, die ihre Geltung wieder in Frage stellen würden. Deshalb genießt sowohl das europäische Primärrecht aus den Verträgen als auch das unmittelbar anwendbare Sekundärrecht gegenüber nationalem Recht, welches für denselben Lebenssachverhalt eine andere Regelung trifft, Anwendungsvorrang. Das Strafrecht kann bei all dem keine Ausnahme bilden, denn europäische Regelungen können gerade auch dadurch faktisch außer Kraft gesetzt werden, dass der einzelne Nationalstaat entgegenstehendes Strafrecht schafft. Nationales Recht wird dabei nicht aufgehoben, sondern fallbezogen neutralisiert, da bereits dadurch dem europarechtlichen Primat Genüge getan wird213. Im Rahmen dieser Arbeit kann freilich nur ein Überblick über die wichtigsten Konstellationen gegeben werden, ansonsten muss auf Arbeiten und Beiträge verwiesen werden, die sich eigens mit der Problematik beschäftigen214. EuGH Slg. 1964, S. 1251 (1269); siehe auch EuGH („Van Gent en Loos“) Slg. 1963, S. 1. Vgl. EuGH („Jongeneel Kaas“) Slg. 1984, S. 483; EuGH („Nimz“) Slg. 1991, S. I-297 (321); BVerfGE 31, S. 145 (174); BVerfGE 75, S. 223 (244). 214 Vgl. etwa Satzger, Die Europäisierung des Strafrecht, S. 478 ff.; ders., in: Sieber / Brüner / Satzger / von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 39 ff.; Schröder, Euro212 213

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2. Grundfreiheiten als strafbarkeitsbeschränkendes Primärrecht Nationale Straftatbestände sind unanwendbar, soweit durch ihre Anwendung europäische Grundfreiheiten, namentlich die Warenverkehrs-, Personenverkehrsund Dienstleistungsfreiheit, unzulässig beschränkt würden. So stellte der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache „Sagulo“215 fest, dass es die Arbeitnehmerfreizügigkeit – Art. 45 Abs. 1 und 2 AEUV (Art. 39 Abs. 1 und 2 EGV a. F.) – verbiete, von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten eine allgemeine Aufenthaltserlaubnis zu verlangen. Wegen Fehlens einer Erlaubnis, der bei EG-Bürgern als bloße Aufenthaltsbescheinigung allenfalls deklaratorische Wirkung zukomme, durften deshalb auch keine Sanktionen gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG i. d. F. vom 2. März 1974 (entspricht § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthaltsG) verhängt werden. Die Warenverkehrsfreiheit gem. Art. 34 AEUV (Art. 28 EGV a. F.) stand z. B. im Fall „Prantl“216 der Anwendung des deutschen Verbots entgegen, andere als Frankenweine in Bocksbeutel-Flaschen abzufüllen. Schon in den grundlegenden Entscheidungen „Dassonville“217 und „Cassis de Dijon“218 hatte der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass entsprechenden Maßnahmen die gleiche Wirkung zukommen könne wie unzulässigen mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen, was im Fall „Prantl “ schließlich zum Freispruch eines Südtiroler Getränkehändlers wegen des Vorwurfs einer Straftat nach dem WeinG219 führte. Auch in anderen Fällen, die mit dem strafrechtlichen Täuschungsschutz zu tun haben, wie z. B. § 16 Abs. 1 UWG, kann die Warenverkehrsfreiheit Strafbarkeiten begrenzen, wenn man sich bei der Auslegung des Merkmals „irreführend“ am Europäischen Gerichtshof und seinem weniger strengen Leitbild eines „verständigen Verbrauchers“ orientieren muss220. Die Grundfreiheiten erfassen dabei allerdings nur grenzüberschreitende Phänomene221, was in den genannten Fällen zu einer Inländerdiskriminierung führen kann, wenn für rein inländische Sachverhalte strengere Regeln ihre Gültigkeit behalten. päische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 249 ff.; Hecker, Strafbare Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts, Tübingen 2001; ders., Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 10 ff.; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 28 ff.; Dannecker, Die Dynamik des materiellen Strafrechts, ZStW 117 [2005], S. 697 (701 ff.); ders., in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Kap., Rn. 110 ff. Siehe auch Seite 23, Fußnote 49. 215 EuGH Slg. 1977, S. 1495. 216 EuGH NJW 1984, S. 1291. 217 EuGH LMRR 1974, S. 24. 218 EuGH NJW 1979, S. 1766; einschränkend im Hinblick auf „bestimmte Verkaufsmodalitäten“ dagegen die „Keck“-Entscheidung, EuGH NJW 1994, S. 121. 219 Vgl. § 67 Abs. 5 Nr. 2 WeinG i.d.F. vom 16. Juli 1971. 220 So zu § 5 UWG etwa EuGH („Mars“), NJW 1995, S. 3243; EuGH („Clinique“), GRUR 1994, S. 303; vgl. auch Dannecker, Die Dynamik des materiellen Strafrechts, ZStW 117 [2005], S. 697 (704 ff.); kritisch zur Übertragbarkeit auf das Strafrecht allerdings Vergho, Das Leitbild eines verständigen Durchschnittsverbrauchers und das Strafrecht, wistra 2010, S. 86. 221 Dannecker, Die Dynamik des materiellen Strafrechts, ZStW 117 [2005], S. 697 (706 f.).

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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Das Europarecht steht dem neutral gegenüber222. Auch aus Sicht des nationalen Verfassungsrechts verstößt die Inländerdiskriminierung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG: Für die Ungleichbehandlung lässt sich schließlich der vorhandene bzw. fehlende grenzüberschreitende Charakter als sachliche Rechtfertigung anführen. Zudem sind im einen Fall zwei, im anderen nur ein Hoheitsträger involviert; es liegt in der Natur der Sache, dass dann auch unterschiedliche Regelungen getroffen werden können223. Aber auch ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG geraten entsprechende inländische Verbote im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Rechtfertigungsdruck224, da die europarechtlich bedingten Regelungen für Ausländer gerade demonstrieren, dass es auch ohne das jeweilige Verbot geht. Dies hat beim letztgenannten Beispiel von § 16 Abs. 1 UWG dazu geführt, dass der Bundesgerichtshof von seinem ursprünglich sehr strengen Leitbild eines „flüchtigen Betrachters“225 abgerückt ist und nunmehr auch bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Inlandssachverhalten von einem „situationsadäquat aufmerksamen“, „durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher“226 ausgeht. Speziell im Rahmen des Täuschungsschutzes interessant ist natürlich die Frage, inwieweit Grundfreiheiten auch Einfluss auf mögliche Betrugsstrafbarkeiten gem. § 263 StGB haben. Insbesondere Dannecker227 und Hecker228 haben hierzu bereits grundlegende Beiträge geliefert. Der europäische Verbraucherbegriff könnte insofern sogar nicht nur bei der Produktwerbung229, sondern auch in grenzüberschreitenden Fällen der Übersendung rechnungsähnlicher Angebote230, verschiedenen Varianten der „Kölner Masche“231, bei Internet-Abofallen232 etc., auf die jeweils ein EuGH („Saunders“), NJW 1979, S. 1763; EuGH („Moser“), NJW 1985, S. 540. Vgl. Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 516. 224 Vgl. Streinz, in: Zipfel / Rathke, Lebensmittelrecht, Einführung, Rn. 56. 225 BGHSt 2, S. 139 (145); BGH(Z) GRUR 1959, S. 365 (366); BGH(Z) GRUR 1968, S. 702 (703); BGH(Z) GRUR 1969, S. 415 (416); BGH(Z) GRUR 1970, S. 425 (426); BGH (Z) NJW 1980, S. 886. 226 BGH(Z) GRUR 2000, S. 619 (621); BGH(Z) NJW 2001, S. 3262 (3263); BGH(Z) NJW 2004, S. 1163 (1164); BGH(Z) GRUR 2005, S. 438 (440). 227 Dannecker, Einfluß des EG-Rechts auf den strafrechtlichen Täuschungsschutz im Lebensmittelrecht, WiVerw 1996, S. 190 (205 f.); ders., ZStW 117 [2005], S. 697 (711 ff.). 228 Hecker, Strafbare Produktwerbung, S. 282 ff., 320 ff. 229 Vgl. etwa BGHSt 34, S. 199 (200) zu § 263 StGB beim „Hollywood-Lifting-Bad“ mit „100 %iger Figurgarantie“ und der „Schlank-Pille M-E-D 300“ mit „ungeheurer Fettabschmelzkraft“. 230 BGHSt 47, S. 1; BGH NStZ-RR 2004, S. 110; OLG Frankfurt NJW 2003, S. 3215. Laut Dannecker ist diese Rechtsprechung im Falle grenzüberschreitender Täuschungen nicht europarechtskonform und sollte deshalb auch im rein nationalen Bereich aufgegeben werden [so auf der 7. NStZ-Jahrestagung in Frankfurt am Main (2008); vgl. dazu den Veranstaltungsbericht von A. Schmitz, NJW-aktuell 35 / 2008, S. XVI (XVIII)]. 231 Vgl. LG Köln WRP 1997, S. 883; LG Köln(Z) NJOZ 2008, S. 854; Solf, in: Wabnitz / Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 14. Kap., Rn. 85, 91 ff. 222 223

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

„verständiger Verbraucher“ wohl nicht hereinfallen würde, relevant werden. Einer allzu weitgehenden Einschränkung des Betrugstatbestands bei den vorgenannten Machenschaften werden Anhänger der herrschenden Betrugsdogmatik233 allerdings entgegenhalten, dass es bei § 263 StGB im Gegensatz zum abstrakten Gefährdungstatbestand des § 16 Abs. 1 UWG nicht um eine bloße Eignung zur Irreführung geht, die durchaus unterschiedlich beurteilt werden kann. Vielmehr ist in Betrugsfällen nachgewiesen, dass sich ein bestimmtes Opfer entsprechend dem Tatplan des Täters tatsächlich geirrt und aufgrund des Irrtums eine vermögensschädigende Verfügung (Erwerb von fast nutzlosen und völlig überteuerten Waren und Dienstleistungen) getroffen hat. Nur weil sich das Opfer dabei vielleicht als unaufmerksam oder naiv erwiesen hat, entfällt auch nicht der Zurechnungszusammenhang, jedenfalls dann nicht, wenn es der Tatplan gerade darauf anlegte. Stünde Art. 34 AEUV (Art. 28 EGV a. F.) oder Art. 56 AEUV (Art. 49 EGV a. F.) in Fällen mit grenzüberschreitendem Charakter einer Strafbarkeit zwingend entgegen, wäre diese am nationalen Strafrecht orientierte Argumentation zwar irrelevant. Diesbezüglich erscheint aber zweifelhaft, ob die genannten Grundfreiheiten die im Einzelfall erfolgreiche Irreführung (welche vielleicht gerade auf die 1– 5 % besonders unaufmerksamen Adressaten abzielte) überhaupt erfassen234; jedenfalls hat der Europäische Gerichtshof dazu wohl noch keine Aussage getroffen235. Ebenso darf z. B. in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestelltes Bier nicht deshalb als gesundheitsgefährdend angesehen werden, weil es nicht nach deutschem Reinheitsgebot gebraut wurde236. Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass man wegen Art. 34 AEUV (Art. 28 EGV a. F.) einem Allergiker gezielt ausländisches Bier mit solchen Zusatzstoffen (z. B. Fischgelatine als Klärhilfsmittel) verabreichen dürfte, die dieser nicht verträgt, ohne dass man sich deshalb wegen §§ 223, 224 oder gar §§ 211, 212 StGB strafbar machen würde.

Hinsichtlich des Verbots der Beschränkung von Grundfreiheiten durch nationales Strafrecht gibt es allerdings auch sonst vielfältige Ausnahmen: In bestimmten Fällen können nationale Strafvorschriften anwendbar bleiben, weil das Europarecht selbst ausdrückliche Vorbehalte, namentlich Art. 36, 45 Abs. 4, 51, 52, 62 AEUV (Art. 30, 39 Abs. 4, 45, 46, 55 EGV a. F.), vorsieht. Auch akzeptiert die europäische Rechtsprechung Einschränkungen, die auf „zwingende Gründe des Allgemeininte232 Vgl. OLG Frankfurt(Z) GRUR-RR 2009, S. 265 (268) zu §§ 5, 10, 4 Nr. 11 UWG, § 123 BGB; AG Karlsruhe(Z) GRUR-RR 2009, S. 398 zu § 823 Abs. 2 StGB i.V. m. § 263 StGB; fragwürdig dagegen zunächst die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch LG Frankfurt am Main MMR 2009, S. 421; siehe nun aber OLG Frankfurt am Main NJW 2011, S. 398. 233 Vgl. etwa Cramer / Perron, in: Schönke / Schröder, § 263 StGB, Rn. 6 ff. m. w. N. 234 So i. E. auch Vergho, wistra 2010, S. 86 (91 f.), wobei dieser sogar § 16 Abs. 1 UWG bejaht sehen will. Hecker, Strafbare Produktwerbung, S. 341 f. differenziert immerhin danach, ob eine individuell festgelegte Täter-Opfer-Beziehung vorlag. 235 Anders könnte es aber dort aussehen, wo die berechtigte Verbrauchererwartung im Detail sekundärrechtlich geregelt wird, was es gleich noch näher zu untersuchen gilt. 236 EuGH NJW 1987, S. 1133 (1135).

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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resses“ gestützt werden, wie z. B. in der Rechtssache „Schindler“237: Zwar gehört demnach eine in einem anderen Mitgliedstaat veranstaltete Lotterie zu den „Dienstleistungen“ i. S. d. Art. 57 AEUV (Art. 50 EGV a. F.) und fällt folglich in den Anwendungsbereich des Art. 56 AEUV (Art. 49 EGV a. F.). Nationale Beschränkungen sind hier jedoch, wenn mit ihnen z. B. Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung verfolgt werden, ausnahmsweise zulässig238. Für den deutschen § 287 StGB bedeutet dies, dass der inländische Genehmigungsvorbehalt auch für Lotteriegesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten anwendbar bleibt239. Voraussetzung solcher Ausnahmebestimmungen ist allerdings, dass sie in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden und auch sonst im Hinblick auf die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles geeignet und verhältnismäßig sind240. Das bayerische Staatsmonopol für Sportwetten241, mit dem auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts vornehmlich fiskalische Interessen verfolgt wurden242, erfüllte diese Voraussetzungen wohl nicht243, so dass eine Strafbarkeit nach § 284 StGB wegen Vermittelns von Sportwetten an britische Buchmacher ohne verwaltungsrechtliche Erlaubnis zu verneinen war244. Als per se unverhältnismäßig wird die Vergabe von Monopolen aber nicht angesehen, so jedenfalls der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung „Bwin International Ltd.“245. Solange das Wett- und Lotteriewesen noch nicht durch europäisches Sekundärrecht geregelt ist, bleibt damit ein relativ großer Handlungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber erhalten.

3. Verordnungen als strafbarkeitsbeschränkendes Sekundärrecht Kommt man nun zu den Bereichen, in denen eine Harmonisierung durch Sekundärrecht bereits stattgefunden hat, sind es zunächst vor allem europäische Verordnungen, denen eine strafbarkeitsbegrenzende Wirkung zukommen kann. Da diese in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung entfalten, können sie nationale Blanketttatbestände nicht nur mit strafbarkeitsbegründender Wirkung ausfüllen246. 237 EuGH NJW 1994, S. 2013.Vgl. auch Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 89 ff. 238 EuGH NJW 1994, S. 2013 (2016); vgl. auch EuGH EuZW 2000, S. 148 („Läärä“); EuGH („Zenatti“) EuZW 2000, S. 151. 239 BGH NJW 2002, S. 2175 (2176); Satzger, Die Europäisierung des Strafrecht, S. 494. 240 Vgl. etwa EuGH („Kraus“) NVwZ 1993, S. 661 (662); EuGH („Gebhard“) NJW 1996, S. 579 (581). 241 GVBl. 1999, S. 226. 242 BVerfGE 115, S. 276. 243 Vgl. EuGH („Gambelli “) NJW 2004, S. 139; EuGH („Placanica“) EuZW 2007, S. 209 (212). 244 OLG München, NJW 2006, S. 3588. 245 EuGH, EuZW 2009, S. 689. Anders könnte es aber auch hier aussehen, wenn in diesem Bereich speziell eine Harmonisierung durch europäisches Sekundärrecht stattgefunden hätte. 246 Siehe oben Seiten 323 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Vielmehr sorgt der Normanwendungsbefehl des Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV-Lissabon (Art. 249 Abs. 2 S. 2 EGV a. F.) auch dafür, dass für die Lebenssachverhalte, für die eine europäische Verordnung eine Regelung trifft, entgegenstehendes nationales Strafrecht unanwendbar bleiben muss. Die Spielräume für den nationalen Strafgesetzgeber sind entsprechend enger als in den Fällen, in denen es ausschließlich um Grundfreiheiten geht. Dies zeigt sich z. B. im europarechtlich durchdrungenen Lebensmittelstrafrecht, wo die sehr umfassende Lebensmittel-Basisverordnung (EG) Nr. 178 / 2002247 und weitere europäische Rechtsakte einerseits die Strafund Bußgeldtatbestände der §§ 58 ff. LFGB vervollständigen, andererseits beim Schutz vor Gesundheitsgefährdung und Irreführung auch strafrechtliche Obergrenzen ziehen248. Was etwa im Sinne von § 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB gesundheitsschädlich ist und nicht in den Verkehr gebracht werden darf, richtet sich nach Art. 14 Abs. 1 und 2 lit. a i.V. m. Abs. 3 – 7, 9 der Lebensmittel-Basisverordnung (EG). Wenn ein Lebensmittel spezifischen europäischen Bestimmungen zur Lebensmittelsicherheit entspricht, gilt es nach Art. 14 Abs. 7 Lebensmittel-Basisverordnung (EG) hinsichtlich der durch diese Bestimmungen abgedeckten Aspekte als sicher. Dies führt z. B. dazu, dass ein Lebensmittel, bei dem die europäischen Höchstmengen eines bestimmten Zusatzstoffes eingehalten sind, wegen seines Gehaltes an diesem Stoff (abgesehen von der Möglichkeit eines Verfahrens nach Art. 14 Abs. 8 Lebensmittel-Basisverordnung) nicht als gesundheitsschädlich beanstandet werden kann249. Ähnliche Konstellationen gibt es auch beim lebensmittelrechtlichen Täuschungsschutz nach § 59 Abs. 1 Nrn. 7 – 9 i.V. m. § 11 LFGB. Demnach ist es verboten, ein Lebensmittel unter einer irreführenden Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung etc. in den Verkehr zu bringen. Für die Frage, ob eine Irreführungsgefahr vorliegt, gilt wieder das Leitbild eines „verständigen Verbrauchers“250. Darüber hinaus ist hier zum Teil aber auch die berechtigte Verbrauchererwartung sekundärrechtlich geregelt251, was dann nicht nur bei § 59 Abs. 1 Nrn. 7 – 9 i.V. m. § 11 LFGB, sondern auch im Rahmen von § 263 StGB eine Rolle spielen muss: So bestimmt etwa die Ökoerzeugnisse-Verordnung (EG) Nr. 834 / 2007, welche Produktionsverfahren und zugehörigen Bezeichnungen für ökologische und biologische Produkte erlaubt sind. Das schließt zwar nicht aus, dass einzelne Verbraucher vielleicht dennoch höhere Erwartungen haben und sich z. B. über die Anbau- und Haltungsweise oder be247 Dannecker, in: Zipfel / Rathke, Lebensmittelrecht, Vorbemerkung §§ 58 – 62 LFBG, Rn. 17. 248 Vgl. Streinz, in: Meyer / Streinz, LFBG – BasisVO, Einführung, Rn. 51; Hecker, Strafbare Produktwerbung, S. 78 f., 88 ff. 249 Zipfel / Rathke, Lebensmittelrecht, Art. 14 Verordnung (EG) Nr. 178 / 2002, Rn. 28; vgl. auch VG Köln, LMRR 2003, S. 66. 250 Siehe oben Seiten 336 f., insb. Fußnoten 220, 226. 251 Vgl. die Beispiele bei Dannecker, WiVerw 1996, S. 190 (199 ff.); Hecker, Strafbare Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts, S. 65 ff., 83; siehe auch EuGH („Sauce Hollandaise“) LMRR 1995, S. 47.

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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stimmte Toleranzwerte irren könnten. Die Ökoerzeugnisse-Verordnung (EG) bleibt schließlich hinter den Anforderungen vieler privater Öko-Anbauverbände zurück. Wird ein Produkt unter der europarechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung vermarktet, wird man jedoch auch bei § 263 StGB eindeutig eine Täuschungshandlung verneinen müssen. Selbst wenn der Verkäufer den Irrtum einzelner Verbraucher billigend in Kauf nimmt, scheidet eine Betrugsstrafbarkeit aus252.

4. Richtlinien als strafbarkeitsbeschränkendes Sekundärrecht Europäische Richtlinien wirken dagegen – anders als das Primärrecht und Verordnungen – nicht unmittelbar; sie bedürfen vielmehr gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV (Art. 249 Abs. 3 EGV a. F.) eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes. Bei der Auslegung nationaler Tatbestände spielen dann jedoch – wie bereits gezeigt253 – die europarechtlichen Grundlagen einer Strafnorm eine ganz entscheidende Rolle, da davon ausgegangen werden muss, dass der nationale Gesetzgeber eine mit europäischen Vorgaben zu vereinbarende Regelung schaffen wollte. Eine solche europarechtskonforme Auslegung kann natürlich auch zugunsten des Beschuldigten ausfallen, so dass Richtlinien bereits insofern strafbarkeitsbegrenzende Wirkung zukommen kann. In diesem Fall stellt aber auch die Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG254 kein Problem dar; der Bürger wird bei einer europarechtskonformen Verneinung der Strafbarkeit nicht für Versäumnisse seines Heimatstaates verantwortlich gemacht, was unzulässig wäre, sondern profitiert davon, dass der Anwendungsbereich des Tatbestands im Lichte der Richtlinie reduziert wird. Andere Grundsätze gelten auch, wenn der nationale Gesetzgeber nachfolgendes Richtlinienrecht gar nicht oder nur unzureichend umgesetzt hat. Zu Lasten des Bürgers durften nach der hier vertretenen Auffassung255 selbst innerhalb der Wortlautgrenze die rechtspolitischen Wertungen des nationalen Gesetzgebers nicht im Sinne späteren Richtlinienrechts verfremdet werden, da ansonsten die Verantwortlichkeit für die Sanktionsbewehrung eines bestimmten Verhaltens nicht mehr klar zuzuordnen wäre256. Wirkt das neue Richtlinienrecht strafbarkeitsbegrenzend, wäre es dagegen rechtsmissbräuchlich257, wenn der säumige Mitgliedstaat weiterhin gegenüber dem Bürger einen Strafanspruch geltend machen würde: So durfte laut Europäischem Gerichtshof in der Rechtssache „Ratti “258 der Verstoß gegen nationale 252 Siehe auch Dannecker, WiVerw 1996, S. 190 (202 f.); Hecker, Strafbare Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts, S. 166 ff., 289 ff. Vgl. dagegen auch oben Seiten 337 f. 253 Siehe oben Seiten 319 ff. 254 Siehe oben Seiten 320 f. 255 Siehe oben Seiten 321 ff. 256 Siehe oben Seite 323. 257 Vgl. Generalanwalt Lenz, in: EuGH Slg. 1989, S. 1839 (1855). 258 EuGH Slg. 1979, S. 1629.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Kennzeichnungspflichten für Lösemittel nicht geahndet werden, weil sich die Bestimmungen europäischer Anpassungsrichtlinien259 im konkreten Fall als milder erwiesen. Auch im Fall „Auer“260 durfte ein Veterinärmediziner nicht wegen unbefugter Ausübung des Tierarztberufes belangt werden, da sein italienischer Abschluss gemäß der Richtlinie (EWG) Nr. 78 / 1027261 ohne weitere Prüfung anzuerkennen gewesen wäre und der französische Staat es lediglich versäumt hatte, die Richtlinie rechtzeitig in nationales Recht umzusetzen. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist muss also noch nicht angepasstes innerstaatliches Recht bei einem Bürger unangewendet bleiben, der den Vorgaben der Richtlinie im Einzelnen nachgekommen ist. Soweit die ihn berechtigenden Vorgaben hinreichend genau sind und nicht von einer gestalterischen Entscheidung des Mitgliedstaates abhängen, kann sich der Bürger faktisch auf eine „vertikale“ Direktwirkung der Richtlinie berufen262. Der säumige Mitgliedstaat darf dagegen aus der Nichtbeachtung von Europarecht keinen Nutzen ziehen263. Problematisch ist jedoch, was gilt, wenn im Zeitpunkt der Tat die Umsetzungsfrist für die Richtlinie noch nicht abgelaufen ist. In der Rechtssache „Awoyemi “264 wurde dem Europäischen Gerichtshof eine entsprechende Konstellation zur Vorabentscheidung vorgelegt265: Der wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis Angeklagte war Inhaber eines britischen Führerscheins, hatte es aber versäumt, diesen anlässlich seines Umzugs nach Belgien in einen dortigen umzutauschen, was nach damaligem belgischen Recht und der Ersten Führerscheinrichtlinie (EWG) Nr. 80 / 1263 noch erforderlich gewesen wäre. Zum Tatzeitpunkt im Jahre 1993 war allerdings bereits die Zweite Führerscheinrichtlinie (EWG) Nr. 91 / 439 angenommen, die eine solche Verpflichtung nicht mehr vorsah; deren Umsetzungsfrist lief jedoch erst im Jahre 1996 ab. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes stand die Existenz der neuen Richtlinie zwar der Anwendung der alten Rechtslage nicht entgegen266, aus europarechtlicher Sicht bestünden aber auch keine Bedenken wegen eines nationalen Rückwirkungsgebots (nicht alle Mitgliedstaaten kennen ein solches) auf den Sachverhalt bereits die neue Richtlinie anzuwenden267. Aus der bisherigen RechtNamentlich war dies die Richtlinie (EWG) Nr. 73 / 173. EuGH, NJW 1984, S. 2022. 261 Vgl. heute Art. 38, 39 der Berufs-Anerkennungsrichtlinie (EG) Nr. 2005 / 36. 262 Siehe auch EuGH („Grad“) Slg. 1970, S. 825; EuGH („Van Duyn“) Slg. 1974, S. 1337; EuGH („Becker“) NJW 1982, S. 499; BVerfGE 75, S. 223 (237 ff.); Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 9 ff. Eine „horizontale“ Direktwirkung zwischen den Bürgern insbesondere im Privatrecht ist dagegen abzulehne; insofern sind jedoch Staatshaftungsansprüche denkbar, vgl. EuGH („Francovich“) NJW 1992, S. 165. 263 Vgl. EuGH („Marshall“) NJW 1986, S. 2178 (2180). 264 EuGH EuZW 1999, S. 52 (54 ff.). 265 Vgl. auch schon vorher EuGH („Bordessa“) Slg. 1995, S. I-361 (382) zu bestimmten Anzeigepflichten bei der Devisenausfuhr; EuGH („Ratti “) Slg. 1979, S. 1629 (1645) in Bezug auf die Richtlinie (EWG) Nr. 7 / 728. 266 EuGH EuZW 1999, S. 52 (54, Rz. 31). 267 EuGH EuZW 1999, S. 52 (54, insb. Rz. 36, 38); i. E. ebenfalls offen EuGH („Bordessa“) Slg. 1995, S. I-361 (380, 382). 259 260

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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sprechung des Europäischen Gerichtshofs lassen sich also keine verbindlichen Vorgaben herleiten268. Nunmehr ins Feld geführt werden kann jedoch der mit Art. 6 Abs. 1 EUV-Lissabon verbindlich gewordene Art. 49 Abs. 1 S. 3 der EU-Grundrechtecharta269, wenn man ihn über den Wortlaut hinaus nicht nur auf die Strafhöhe, sondern auch auf den Wegfall von Strafbarkeitsvoraussetzungen anwenden möchte270. Was das deutsche Rückwirkungsgebot anbelangt, wird die Änderung von Strafgesetzen und blankettausfüllenden Normen271 bis zur vollständigen Rechtskraft der Verurteilung272 berücksichtigt. Dies gilt in Bezug auf § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG auch für die §§ 28 f. FeV, welche die Gültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland regeln273. Fraglich ist jedoch, ob auch der Ablauf einer Umsetzungsfrist oder gar die bloße Annahme einer Richtlinie vor Rechtskraft der Verurteilung als Rechtsänderung im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB anzusehen gewesen wäre. Ein die Rechtslage unmittelbar ändernder Legislativakt ist in beiden Konstellationen noch nicht ergangen, was Schröder274 insofern zu Recht herausstellt. Da das europäische Richtlinienrecht für Sachverhalte vor Ablauf der Umsetzungsfrist keinen Vorranganspruch erhebe275, dürfe man aber auch sonst der endgültigen Entscheidung des nationalen Gesetzgebers nicht vorgreifen. Die Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB auf unmittelbar wirksam gewordene Richtlinien sei deshalb abzulehnen, es sei denn, durch Richtlinie werde das „Ob“ der Strafbarkeit komplett beseitigt276. Gleß277, Dannecker278 und Satzger279 dagegen bejahen sogar dann die Anwendbarkeit des Rückwirkungsgebots, wenn die Umsetzungsfrist selbst bei der Verurteilung noch nicht abgelaufen ist. Bereits durch die Annahme einer Richtlinie erkenne der europäische Gesetzgeber die neue Regelung als bessere an280. Diese trete zudem bereits mit Veröffentlichung gem. Art. 297 AEUV (Art. 254 EGV a. F.) in Kraft281. Ab die268 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 260 ff. Anders die Interpretation von Dannecker, Festschrift-F.-C. Schroeder, S. 761 (771, 774). 269 Siehe oben Seite 219. 270 Siehe oben Seite 219, Fußnote 53. 271 Siehe dazu oben Seiten 232 ff. 272 Siehe oben Seite 219. 273 Siehe oben Seiten 234 f., vgl. auch Seite 201. 274 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 289; zum Ganzen S. 254 ff., 288 ff. 275 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 297. 276 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 299. 277 Gleß, Zum Begriff des milderen Gesetzes (§ 2 Abs. 3 StGB), GA 2000, S. 224 (230 ff.). 278 Dannecker, Festschrift-F.-C. Schroeder, S. 761 (772 ff.); ders., Die Dynamik des materiellen Strafrechts unter dem Einfluss europäischer und internationaler Entwicklungen, ZStW 117 [2005], S. 697 (740 f.). 279 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 636 ff. 280 Gleß, GA 2000, S. 224 (235). 281 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 638.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

sem Zeitpunkt sei die Anwendung des richtlinienwidrigen Gesetzes nicht mehr erwünscht282; von den Mitgliedstaaten dürften keine Maßnahmen mehr ergriffen werden, die geeignet sind, das in dieser Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen283. In der Tat stellt der europäische Normgeber bereits mit Annahme der Richtlinie die wesentlichen Weichen; er bestimmt, dass innerhalb einer bestimmten Zeit auf nationaler Ebene eine Neuregelung der Strafbarkeit der von der Richtlinie erfassten Konstellationen erfolgen muss. Wenn später wirklich eine Entkriminalisierung durch den nationalen Gesetzgeber erfolgt, muss man ohne Frage unterstellen, dass dem wohl bessere Erkenntnis über die wirkliche Sozialschädlichkeit des maßgeblichen Verhaltens vorangegangen ist284. Letzteres hat gem. § 2 Abs. 3 StGB grundsätzlich auch für Altfälle zu gelten. Der europäische Gesetzgeber jedoch bringt selbst durch das Einräumen von Umsetzungsfristen, die im Übrigen ab und an auch verlängert werden285, zum Ausdruck, dass er für Fälle in Vergangenheit und näherer Zukunft gerade keine Aussage treffen kann oder möchte. Ansonsten würde er schließlich für eine sofortige Entkriminalisierung sorgen. Deshalb darf der nationale Gesetzgeber die Umsetzungsfrist durchaus ausschöpfen. Es sind auch nur solche Maßnahmen verboten, die es verhindern würden, dass das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel nach Ablauf der Frist erreicht wird286. Dem Strafgesetzgeber bliebe es demnach sogar unbenommen, für den Zeitraum bis zum Ende der Umsetzungsfrist zwecks Erhaltung der verhaltenssteuernden Wirkung der nationalen Strafnorm noch ein Zeitgesetz i. S. d. § 2 Abs. 4 StGB oder eine spezielle von § 2 Abs. 3 StGB abweichende Regelung (wie § 69 Abs. 2 S. 2 BNatSchG a. F. oder § 8 Abs. 3 FahrpersonalG) zu schaffen. Selbst Art. 49 Abs. 1 S. 3 der EU-Grundrechtecharta stünde dem wohl nicht entgegen, unterliegt dieser doch einem einfachen Schrankenvorbehalt287. Bleibt der nationale Gesetzgeber allerdings vollkommen untätig, wäre es jedoch unzulässig, zu seinen Gunsten zu unterstellen, er hätte zwecks längstmöglich effektiver Wahrung des strafbewehrten Zustands288 vorbenannte Maßnahmen zur Einschränkung des Rückwirkungsgebots ergriffen. Aufgrund des Missbrauchsgedankens289 gibt es keinen Anlass dafür, dem gesetzgeberischen Unwillen bestmögliche Geltung zu verschaffen, indem man ihn auf das gerade noch Zulässige zurückführt. Kommt der Ablauf der Umsetzungsfrist einer Entkriminalisierung durch Dannecker, Festschrift für F.-C. Schroeder, S. 761 (774). Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 640 unter Berufung auf EuGH („InterEnvironnement Wallonie ASBL vs. Région wallonne“), Slg. 1997, S. I-7411 (7449). 284 Siehe dazu oben Seiten 232 ff. Dies gilt bekanntermaßen auch für versehentliche und noch so kurzzeitig behobene Strafbarkeitslücken (oben Seite 237). 285 Vgl. Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 270 ff. 286 EuGH („Inter-Environnement Wallonie ASBL vs. Région wallonne“), Slg. 1997, S. I-7411 (7449 f.). 287 Siehe oben Seiten 219, 237. 288 Vgl. Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 299. 289 Siehe oben Seite 342. 282 283

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

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den nationalen Gesetzgeber gleich und befürwortet die europäische Rechtsordnung neuerdings mit Inkrafttreten von Art. 49 Abs. 1 S. 3 der EU-Grundrechtecharta die grundsätzliche Geltung eines Milderungsgebots, wird man vielmehr – bei Fristablauf vor Rechtskraft des Urteils – zu einer analogen Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB kommen müssen.

V. Zusammenfassung der Ergebnisse Im dritten Teil lassen sich die Ergebnisse des Abschnitts A zunächst hinsichtlich strafbarkeitsbegründenden Europarechts wie folgt zusammenfassen: – Die Europäische Union verfügt auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon über keine originäre Strafrechtssetzungskompetenz290. Dies gilt auch für den Sonderfall des Schutzes ihrer finanziellen Interessen; Art. 325 Abs. 4 AEUV-Lissabon bildet insofern keine eigenständige Grundlage291. – Die Europäische Union kann jedoch die Mitgliedstaaten anweisen, nationale Straftatbestände zu schaffen292. Nach Wegfall der Drei-Säulen-Struktur geschieht dies einheitlich durch Richtlinien293. Art. 83 Abs. 1 AEUV betrifft Fälle „besonders schwerer Kriminalität“ mit „grenzüberschreitender Dimension“ und stellt damit eine Nachfolgeregelung für die Strafrechtsharmonisierung durch Rahmenbeschlüsse auf Grundlage der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen dar. Art. 83 Abs. 2 AEUV trifft eine Regelung für strafrechtliche Annexkompetenzen, die bisher im Gemeinschaftsrecht angesiedelt waren. – Wurde eine entsprechende Richtlinie erlassen und vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt, spielen bei der Auslegung der Strafnorm die europarechtlichen Grundlagen (einschließlich des Einleitungssatzes, der dort angegeben primärrechtlichen Grundlagen sowie der übrigen Erwägungsgründe) eine entscheidende Rolle294, da davon ausgegangen werden muss, dass der deutsche Gesetzgeber eine europarechtskonforme Regelung schaffen wollte. – Darüber hinaus erfolgt die Anwendung nationaler Normen aber unabhängig von den europäischen Grundlagen; die Nichtigkeit einer Richtlinie lässt die Gültigkeit des der Umsetzung dienenden Strafgesetzes unberührt295. – Der Auslegung im Lichte wirksamen Europarechts sind durch Art. 103 Abs. 2 GG Grenzen gesetzt296. Für den Fall unzureichender Umsetzung darf strafbarkeits290 291 292 293 294 295 296

Siehe oben Seiten 305 ff. Siehe oben Seiten 313 ff. Siehe oben Seiten 305 ff. Siehe oben Seiten 309 ff. Siehe oben Seiten 319 f. Siehe oben Seite 320. Siehe oben Seiten 320 f.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

erweiterndes Richtlinienrecht über den Wortlaut der nationalen Strafnorm hinaus nicht zu Lasten des Bürgers berücksichtigt werden. – Bleibt der nationale Gesetzgeber völlig untätig, scheidet selbst innerhalb der Wortlautgrenze die Berücksichtigung von neuem strafbarkeitserweiterndem Richtlinienrecht aus297. Eine schärfere Auslegung nationaler Strafnormen kann nur auf geläuterter Rechtsansicht bzw. neuer Erkenntnis über den mutmaßlichen Willen des historischen Gesetzgebers beruhen. – Unmittelbar inhaltsbestimmend wird das Europarecht dann, wenn nationale Blanketttatbestände auf dieses verweisen298. Geeignete Ausfüllungsobjekte sind vor allem Verordnungen im Sinne von Art. 288 Abs. 2 AEUV. – Die Verwendung der Blanketttechnik ist dann sogar zwingend, da der europarechtliche Hintergrund der mittels Verordnung aufgestellten Verhaltensnorm selbst bei deren wortgetreuer Wiederholung im nationalen Straftatbestand verschleiert würde299. – Der gemischt nationalstaatlich-europäische Gesamttatbestand muss insgesamt den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen300. Der Vorwurf der Nichtbeachtung lässt sich dabei allein gegen den nationalen Gesetzgeber richten, der es in der Hand hat zu prüfen, ob die in Bezug genommene Verordnung ihre Funktion als Ausfüllungsobjekt ausreichend erfüllt oder ob weitere Präzisierungen im nationalen Strafblankett erforderlich sind. – Verweist das nationale Strafblankett als parlamentarisches Gesetz statisch auf genau bezeichnete Verordnungen, bietet dies in Bezug auf die Bestimmtheit der Verknüpfung das höchste Schutzniveau301. Es besteht jedoch die Gefahr, dass bei nachträglichen Änderungen des Verweisungsobjekts – auch mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 2 Abs. 3 StGB) – unbeabsichtigte Strafbarkeitslücken entstehen. – Wird die Aufgabe, Normen des maßgeblichen Europarechts näher zu bezeichnen, durch vorgeformtes Blankett mit Rückverweisungsklausel an nationale Verordnungsgeber delegiert, schafft dies im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG eigene Probleme, wenn dadurch den nationalen Verordnungsgebern faktisch allzu große Entscheidungsspielräume eingeräumt werden302. Dennoch ist diese Verweisungsform mittlerweile am häufigsten anzutreffen. – Strafblankette, die unmittelbar dynamisch auf europäische Verordnungen verweisen, kommen ebenfalls vor und verstoßen nicht per se gegen Art. 103 Abs. 2 297 298 299 300 301 302

Siehe oben Seiten 321 ff. Siehe oben Seiten 323 ff. Siehe oben Seiten 325 ff., insb. 326. Siehe oben Seiten 327 ff. Siehe oben Seiten 329 ff. Siehe oben Seiten 330 ff.; siehe auch im zweiten Teil Seiten 274 ff., 302.

A. Besonderheiten der Anknüpfung an und der Ausfüllung durch Europarecht

347

GG303. Gegen diese Regelungstechnik ist nichts einzuwenden, sofern die ausfüllende Vorschrift zum Zeitpunkt ihrer Anwendung vom Bürger mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden kann. Dies kann Probleme bereiten, sofern der europäische Normgeber den entsprechenden Lebenssachverhalt durch ein Konglomerat von Einzelverordnungen geregelt hat. Ansonsten weist europäisches Verordnungsrecht aber sogar eine höhere demokratische Eigenlegitimation als nationale Rechtsverordnungen auf 304. Europäisches Recht kann jedoch auch strafbarkeitsbegrenzend wirken: – Nationale Straftatbestände sind unanwendbar, soweit unmittelbar anwendbare europarechtliche Regelungen das maßgebliche Verhalten im Einzelfall erlauben oder sogar vorschreiben305. – Dies gilt für den Fall, dass bei grenzüberschreitenden Sachverhalten durch den Straftatbestand Grundfreiheiten, namentlich die Warenverkehrs-, Personenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit, unzulässig beschränkt würden306. Was faktische Eingriffe anbelangt, sind allerdings auch Ausnahmen möglich, wenn sie in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden und sonst im Hinblick auf die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles geeignet und verhältnismäßig erscheinen307. – Bei Lebenssachverhalten, die durch europäische Verordnungen geregelt sind, muss entgegenstehendes nationales Strafrecht ebenfalls fallbezogen unanwendbar bleiben308, wobei die Spielräume für den nationalen Strafgesetzgeber enger sind als in den Fällen, in denen es ausschließlich um Grundfreiheiten geht. – Europäische Richtlinien können sich im Rahmen der normalen europarechtskonformen Auslegung auch zugunsten des Beschuldigten auswirken; in diesem Fall stellt die Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG kein Problem dar309. – Bei fehlender oder unzureichender Umsetzung von nachfolgendem strafbarkeitsbegrenzendem Richtlinienrecht darf der säumige Mitgliedstaat nach Ablauf der Umsetzungsfrist seinen Strafanspruch nicht mehr geltend machen310. – Der Ablauf der Umsetzungsfrist ist grundsätzlich auch rückwirkend entsprechend § 2 Abs. 3 StGB bis zur vollständigen Rechtskraft der Verurteilung zu berücksichtigen311. Irrelevant ist dagegen die schlichte Annahme einer Richtlinie bei 303 304 305 306 307 308 309 310 311

Siehe oben Seiten 332 ff. Siehe oben Seite 332. Siehe oben Seiten 335 ff. Siehe oben Seiten 336 ff. Siehe oben Seiten 338 f. Siehe oben Seiten 339 ff. Siehe oben Seite 341. Siehe oben Seiten 341 ff. Siehe oben Seite 343 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

noch laufender Umsetzungsfrist312. Dem nationalen Gesetzgeber bliebe es insofern sogar unbenommen, zwecks längstmöglich effektiver Wahrung des strafbewehrten Zustands eine von § 2 Abs. 3 StGB abweichende Regelung zu treffen313.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht I. Einleitung Ausländische Rechtsnormen oder nach ausländischem Recht begründete Rechtsverhältnisse können auch im deutschen Strafrecht eine Rolle spielen. Untersucht werden sollen folgend zwei unterschiedliche verfahrensrechtliche Konstellationen: In erster Linie ist zu prüfen, inwieweit in einem nationalen Erkenntnisverfahren auf Strafanwendungs- und Tatbestandsebene materielles ausländisches Recht zum Zuge kommt. Insofern wird möglicherweise wieder die Unterscheidung zwischen Blankettverweisungen und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen bedeutsam werden. Darüber hinaus finden sich aber auch im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen – sei es im Auslieferungsverfahren, bei der Vollstreckungsübernahme oder bei der Leistung sonstiger Rechtshilfe – verschiedene Konstellationen, in denen ausländisches Recht Berücksichtigung findet.

II. Ausländisches Recht im nationalen Strafverfahren 1. Ebene des internationalen Strafanwendungsrechts Die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts (bzw. die damit verbundene deutsche Strafgewalt314) ist Prozessvoraussetzung. Ihr Fehlen, sofern es nicht behoben werden kann, führt in jedem prozessualen Stadium – sei es nach den §§ 170 Abs. 2 S. 1, 204, 206a, 260 Abs. 3 oder 354 Abs. 1 StPO – zur Beendigung des Verfahrens315. Wann deutsches Strafrecht in persönlicher und räumlicher Hinsicht zur Anwendung kommt, ist in erster Linie in den §§ 3 – 7 und 9 StGB geregelt. Nur zum Teil nehmen diese auch auf ausländische Normen Bezug. Knüpft man wie § 3 StGB an einen Tatort an, der im Inland liegt, ist dies z. B. nicht der Fall: Alle Handlungen, die i. S. d. § 9 Abs. 1 StGB auf deutschem Territorium begangen wurden, sind (sieht man einmal von Sonderregelungen wie den Siehe oben Seite 343 f. Siehe oben Seite 344. 314 Vgl. Ambos, in: Münchener Kommentar, Vor §§ 3 ff. StGB, Rn. 2. 315 Vgl. BGHSt 34, S. 1 (3 f.); BGH NJW 1995, S. 1844 (1845); BGH bei Miebach NStZ 1997, S. 119. 312 313

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

349

§§ 18 ff. GVG oder Art. VII des NATO-Truppenstatuts ab316) uneingeschränkt der deutschen Strafgewalt unterworfen. Selbst für bloße Teilnahmehandlungen im Inland ist die Strafbarkeit der ausländischen Haupttat nach dortigem Recht gem. § 9 Abs. 2 S. 2 StGB irrelevant. Gleiches gilt für alle Auslandstaten, die sich gegen in § 5 StGB, § 1a Abs. 2 WehrStG, § 370 Abs. 7 AO317 etc. genannte inländische Rechtsgüter wenden, die vom Recht des Tatorts oft gar nicht geschützt werden318, und für Sonderfälle wie Art. 2 § 2 EU-BestG und Art. 2 § 3 IntBestG319 (§ 5 Nr. 15 StGB-E320), die auf bestimmten internationalen Übereinkommen beruhen. Auch für die Delikte, welche dem Weltrechtsprinzip unterliegen und deshalb von § 1 VStGB oder § 6 StGB umfasst sind, verlangt man keine Tatortstrafbarkeit, da sie – jedenfalls der Idee nach – gemeinsame, in allen Kulturstaaten anerkannte Rechtsgüter betreffen321. Ist die deutsche Strafgewalt demnach eröffnet, kann man sich direkt auf die Tatbestandsebene begeben, wo weitere Fragen zu klären sein werden. Im Rahmen des für alle anderen Fälle geltenden § 7 Abs. 1 und 2 StGB jedoch ist jeweils zu prüfen, ob die Tat auch am Tatort „mit Strafe bedroht“ ist. So schützt der deutsche Staat gem. § 7 Abs. 1 StGB seine eigenen Bürger extraterritorial nur insoweit vor Taten von Nichtdeutschen, als er sich dadurch nicht den kriminalpolitischen Wertentscheidungen des Tatortstaates, ein bestimmtes Verhalten straffrei zu lassen, entgegenstellt322. Die verhaltenssteuernde Wirkung deutscher Strafnormen soll nicht über das hinausgehen, was auch im Tatortstaat als unerwünscht gilt. Hinzu kommen individualrechtsschützende Überlegungen, bei Straflosigkeit am Tatort muss der Täter schließlich im Zeitpunkt der Tat mit keiner Bestrafung rechnen. Entsprechendes gilt im Rahmen von § 7 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 – 2 und Nr. 2 StGB. Hier übt der deutsche Staat seine Strafgewalt mehr oder minder in Vertretung des Tatortstaates aus, da der Täter, sei es als eigener Staatsbürger (Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG) oder aus 316 Vgl. dazu Werle / Jeßberger, in: Leipziger Kommentar, Vor § 3 StGB, Rn. 368 ff.; Hoyer, in: Systematischer Kommentar, § 3 Rn. 7 f. Für die Betroffenen greift dabei ein Prozesshindernis, ohne dass dies mit einer Befreiung von der sachlichrechtlichen Geltung des deutschen Strafrechts einhergeht. 317 Da der Verkürzungserfolg bei den § 370 Abs. 1 – 5 AO gem. §§ 3, 9 Abs. 1 StGB regelmäßig im Inland eintritt, hätte es des § 370 Abs. 7 AO insofern freilich gar nicht zwingend bedurft. Vgl. auch §§ 373 Abs. 4, 374 Abs. 4 AO. 318 Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 18 II 4. Siehe spiegelbildlich zum Schutz ausländischer Rechtsgüter im Inland auch Seite 353. 319 Siehe dazu Schuster / Rübenstahl, Praxisrelevante Probleme des internationalen Korruptionsstrafrechts, wistra 2008, S. 201 sowie Seiten 367 ff. 320 Vgl. BT-Drucksache 16 / 6558. Der genannte Gesetzesentwurf wurde in der 16. Wahlperiode dem Bundestag zur Beratung zugeleitet, ist aber wohl dem Diskontinuitätsprinzip (§ 125 GOBT) zum Opfer gefallen. 321 Vgl. Eser, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 3 – 9 StGB, Rn. 19. Ob nun § 6 Nr. 5 (unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln) oder Nr. 8 StGB (Subventionsbetrug) zwingend dazugehören müssen, sei freilich dahingestellt (dazu kritisch Ambos, Internationales Strafrecht, § 3, Rn. 107, 115 bzw. 110). 322 Vgl. Werle / Jeßberger, in: Leipziger Kommentar, § 7 StGB, Rn. 18 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

anderen Gründen, an diesen nicht ausgeliefert werden kann. Dabei entspricht es natürlich auch dem legitimen Interesse der Bundesrepublik, nicht zum sicheren Aufenthaltsort von Straftätern zu werden; die stellvertretende Strafrechtspflege setzt deshalb keinen ausdrücklich geäußerten Verfolgungswillen des Tatortstaates voraus323. Dennoch kann auch sie nicht über das hinausgehen, was im Tatortstaat strafbar ist. Die Strafbarkeit von Auslandstaten gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB könnte man zwar auch mit einer besonderen Treuepflicht deutscher Staatsbürger gegenüber der eigenen Rechtsordnung begründen. Von 1940 bis 1974 war ein so verstandenes aktives Personalitätsprinzip mit § 3 Abs. 1 RStGB i. d. F. vom 6. Mai 1940324 sogar leitender Gesichtspunkt325. Die Norm war aber Ausdruck eines eher autoritären Rechtsverständnisses; bei den Vorarbeiten sprach man von der Rückkehr zum germanischen Grundsatz der „Treue und Gehorsamspflicht des einzelnen Volksgenossen [seinem] Verband gegenüber“326. Heute lassen sich derartige Treuepflichten gegenüber einer Rechtsordnung als solchen, solange es nicht um den Schutz inländischer Rechtsgüter geht327, guten Gewissens nur im Rahmen besonderer Dienstverhältnisse328 oder in Sonderfällen wie Art. 2 § 2 EU-BestG und Art. 2 § 3 IntBestG, § 35 AWG, § 21 KrWaffKG etc. begründen. Auch bei § 7 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB erscheint es deshalb als vorzugswürdig, die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts (wie bei Neubürgern gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 und Ausländern gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB) aus dem Gedanken der „internationalen Solidarität“ herzuleiten329. Flüchtet der eigene Staatsbürger nach einer Auslandstat ins Inland, kann der deutsche Staat dies nicht tatenlos hinnehmen, wenn er am Grundsatz der Nichtauslieferung (Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG)330 festhält.

In allen Fällen des § 7 Abs. 1 und 2 StGB erfordert die Überprüfung der Strafbarkeit die Anwendung des ausländischen Strafrechts und stellt damit eine erste Form der Fremdrechtsanwendung dar. Gegebenenfalls muss sich ein deutsches Gericht dafür sachverständigen Rat einholen331. Außerdem relevant werden kann das Europarats-Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht332, welches 323 BayObLG NJW 1998, S. 392 (395); Werle / Jeßberger, in: Leipziger Kommentar, § 7 StGB, Rn. 115. Dies zeigt sich auch daran, dass § 7 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB auf die Nichtstellung eines Auslieferungsersuchens abstellt, was ja eher gegen einen Verfolgungswillen spricht. Etwas anderes gilt dagegen im Sonderfall des § 104a StGB, wonach für die Verfolgung von Straftaten nach den §§ 102 ff. StGB ausdrücklich ein Strafverlangen der ausländischen Regierung verlangt wird. 324 Vgl. RGBl. 1940, S. 754. 325 Mangelnde Tatortstrafbarkeit führte nach § 3 Abs. 2 RStGB nur dann zur Straflosigkeit, wenn die Tat „nach dem gesunden Empfinden des deutschen Volkes wegen der besonderen Verhältnisse am Tatort kein strafwürdiges Unrecht ist“. 326 Vgl. Reimer, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, S. 221; zum E 1936 auch oben Seiten 51 und 137. 327 Diese Fälle sind aber ohnehin von anderen Vorschriften erfasst, siehe oben Seite 349. 328 Vgl. z. B. für Amtsträger auf Dienstreisen § 5 Nr. 12 StGB, für deutsche Soldaten im Auslandseinsatz § 1a Abs. 2 WehrStGB. 329 Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 18 I 3; vgl. auch Fuchs, Österreichisches Strafrecht, AT I, 5. Kap., Rn. 25, 30 ff. 330 Zum Europäischen Haftbefehl vgl. allerdings § 80 IRG, siehe dazu auch Seite 381. 331 Werle / Jeßberger, in: Leipziger Kommentar, § 7 StGB, Rn. 21.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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die Mitgliedstaaten verpflichtet, Anfragen von Gerichten und Staatsanwaltschaften zu beantworten. Untersucht wird dann der tatsächliche historische Vorgang i. S. d. § 264 StPO. Es findet also eine konkrete Betrachtung statt, die neben der Tatbestandsmäßigkeit, z. B. auch Fragen der Strafbarkeit des (untauglichen) Versuchs333, ausländische Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe334 etc. mit einschließt. Das ausländische Recht braucht aber nicht Art. 103 Abs. 2 GG zu genügen, was bei Tatbeständen etwa des angelsächsischen common law auch nicht der Fall wäre335; geahndet wird die Auslandstat schließlich nach deutschem Strafrecht. Insofern gleicht die Voraussetzung der Strafbarkeit nach ausländischem Recht rechtsnormativen Merkmalen336. Sie wird dabei allerdings nicht zum Tatbestandsmerkmal, sondern bleibt objektive Strafbarkeitsbedingung, so dass sich der Vorsatz des Täters (bei Einhaltung der ausländischen und inländischen Anforderungen an den inneren Tatbestand) nicht noch zusätzlich auf diese Rechtsfolge beziehen muss337. Genauso irrelevant ist schließlich auch im Fall des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB die Fehlvorstellung, kein Deutscher zu sein, auch ein sonstiger Irrtum über den Umfang der deutschen Gerichtsbarkeit bleibt unbeachtlich338. Eine Überlegung wert ist noch die Frage, wie es sich auswirken würde, wenn die Tat im Tatzeitpunkt im Ausland strafbar ist, dort jedoch später entkriminalisiert wird: Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen (abgesehen vom Sonderfall der §§ 257, 258 StGB339) war davon auszugehen, dass einer Änderung vorgelagerter Bezugsnormen regelmäßig keine Wirkung nach § 2 Abs. 3 StGB zukommt340. Wenn die deutsche Rechtsordnung das Verhalten immer noch für strafwürdig hält, gibt es aus Gründen des Individualrechtsschutzes auch 332 BGBl. 1974 II, S. 938. Fast alle Mitgliedstaaten des Europarats, die Nichtmitglieder Weißrussland (Belarus), Costa Rica und Mexiko sowie bald auch Marokko gehören diesem Übereinkommen an. Allgemein dazu vgl. auch: Geimer, Rechtsauskünfte über ausländisches Recht auch in Strafsachen, NJW 1987, S. 2131. 333 Siehe dazu auch den Überblick auf Seiten 80 ff. 334 Vgl. Werle / Jeßberger, in: Leipziger Kommentar, § 7 StGB, Rn. 37 ff. Straffreistellungsgründe, die im Widerspruch zu „universell anerkannten Rechtsgrundsätzen“ [BGHSt 42, S. 275 (279); OLG Düsseldorf NJW 1979, S. 59 (63)] stehen, werden allerdings als unbeachtlich angesehen. 335 Ambos, in: Münchener Kommentar, Vor § 7 StGB, Rn. 6. Das US-amerikanische Strafrecht ist dagegen mittlerweile ohnehin größtenteils kodifiziert. 336 Siehe oben Seiten 294 ff. 337 Auf die Kenntnis des Verstoßes gegen ausländisches Recht kommt es deshalb nur an, wenn die ausländische Rechtsordnung der Vorsatztheorie folgt. Dies ist heute – wie oben gezeigt (siehe Seiten 61 ff.) – kaum der Fall, sieht man von der Republik Südafrika (siehe oben Seite 139) ab. 338 BGHSt 27, S. 30 (34). Fehlt jedoch deshalb gänzlich das Unrechtsbewusstsein, ist dies ein normaler Verbotsirrtum [BGHSt 44, S. 52 (60)]. Anders ist die Rechtslage wohl in der Schweiz, wo die Irrtumsregeln der Art. 13, 21 SchweizStGB auch auf Strafanwendungsebene greifen sollen, vgl. Popp / Levante, in: Basler Kommentar, Vor Art. 3 StGB, Rn. 7. Differenzierend zum deutschen Recht Böse, Die Stellung des sog. Internationalen Strafrechts, FestschriftMaiwald, S. 61 (72 ff.). 339 Siehe oben Seiten 246 f. 340 Siehe oben Seiten 242 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

hier eigentlich keine Veranlassung, dies dem Täter zu Gute kommen zu lassen; auf die Straflosigkeit seines Verhaltens konnte der Täter schließlich nicht vertrauen. Wenn man die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ausschließlich aus dem Stellvertretungsgedanken herleitet, ergibt es allerdings der Sache nach wenig Sinn, durch die deutsche Justiz einen ausländischen Strafanspruch durchzusetzen, der wegen eines ausländischen Milderungsgebots (nicht überall gibt es ein solches) bereits weggefallen ist. Verfolgt die Bundesrepublik bei der stellvertretenden Strafrechtspflege allerdings zum Teil auch Eigeninteressen341, erscheint dieser Schluss nicht für alle Fälle als zwingend (zumal ausländische Prozesshindernisse jedenfalls nach der Rechtsprechung ebenfalls unbeachtet bleiben342). Eine Lockerung des Verfolgungszwangs ergibt sich jedoch in jedem Fall aus § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO.

2. Tatbestandsebene Ist die deutsche Strafgewalt gegeben, gilt auf Tatbestandsebene der Grundsatz, dass deutsche Justizorgane grundsätzlich nur deutsches Recht anzuwenden haben343. Sogleich wird jedoch anhand einzelner praxisrelevanter Beispiele zu prüfen sein, ob und inwieweit es vielleicht teilweise doch auf ausländisches Recht ankommen kann.

a) Vorfrage der tatbestandlichen Erfassung von Auslandssachverhalten Vorab ist allerdings zu klären, inwieweit die Tatsache, dass eine Straftat Auslandsbezug aufweist, auf Tatbestandsebene nochmals zu Einschränkungen führt. Bei Strafnormen, die dem Schutz von Individualrechtsgütern dienen, darf allgemein vermutet werden, dass es auf die Belegenheit des Gutes oder die Nationalität des Inhabers nicht ankommt344. Ist für eine Körperverletzung gem. § 223 StGB oder einen Totschlag gem. § 212 StGB die deutsche Strafgewalt eröffnet, ergeben sich sonst keine weiteren Besonderheiten. Nichts anderes darf für einen Diebstahl gem. § 242 StGB, eine Unterschlagung gem. § 246 StGB oder eine Untreue gem. § 266 StGB gelten. Anders ist dies nur bei einigen wenigen Individualrechtsgütern, die an nationale, dem Territorialitätsprinzip folgende Regelungen anknüpfen, durch die vom Siehe oben Seite 350. BGHSt 2, S. 160 (161); BGH NJW 1954, S. 1086; BGH NStZ 1992, S. 508; BGH NStZ-RR 2000, S. 208 (zu § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, offengelassen zu § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB); KG JR 1988, S. 345, kritisch und differenzierend dagegen Ambos, in: Münchener Kommentar, § 7 StGB, Rn. 12 f. Für einen länderübergreifenden ne bis in idem bedarf es in jedem Fall einer Sonderregelung wie Art. 54 SDÜ bzw. Art. 50 der Grundrechtecharta der Europäischen Union, obwohl auch eine Aburteilung im außereuropäischen Ausland dort zu einem Prozesshindernis führen dürfte. Insofern greift aber lediglich die Anrechnungsregelung des § 51 Abs. 3 StGB. 343 Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 18 I 1. 344 Werle / Jeßberger, in: Leipziger Kommentar, Vor § 3 StGB, Rn. 274; Hoyer, in: Systematischer Kommentar, Vor § 3 StGB, Rn. 33. 341 342

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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Ausgangspunkt her also keine einheitlichen, universell zu achtenden Rechtspositionen geschaffen werden345. Ein Beispiel ist das urheberzivilrechtsakzessorische Urheberstrafrecht der §§ 106 ff. UrhG346: Uneingeschränkten Werkschutz genießen nach den §§ 120 ff. UrhG nur Inländer und ihnen gleichgestellte Staatsangehörige anderer EU / EWR347-Staaten sowie Flüchtlinge und Staatenlose mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik. Bei Ausländern wird der urheberrechtliche Schutz ohne weiteres nur unter den Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 UrhG gewährt, ansonsten hängt er gem. § 121 Abs. 4 UrhG vom Inhalt einzelner Staatsverträge bzw. dem Grundsatz der Gegenseitigkeit ab. Entsprechende völkerrechtliche Vereinbarungen sind allerdings mittlerweile vielfach vorhanden: Im praxisrelevanten Bereich der Musikpiraterie spielt z. B. das Genfer Tonträgerabkommen348 eine entscheidende Rolle – auch im Zusammenhang mit dem inhaltsgleichen, die Leistungsschutzrechte der Hersteller betreffenden § 126 Abs. 4 UrhG.

Wo es um fremde überindividuelle, insbesondere staatlich institutionsbezogene Interessen geht, ist dagegen regelmäßig davon auszugehen, dass diese grundsätzlich nicht unter dem Schutz des deutschen Strafrechts stehen. Spiegelbildlich sind das all diejenigen Deliktsformen, die, sofern sie gegen den deutschen Staat gerichtet sind, von § 5 StGB, aber auch § 1a Abs. 2 WehrStG, § 370 Abs. 7 AO etc. unabhängig von der Tatortstrafbarkeit erfasst werden349. Klassische Fälle, bei denen die Verletzung ausländischer Interessen nicht tatbestandsmäßig ist, sind die Staatsschutzdelikte der §§ 81 ff. StGB350, wobei sich in den §§ 102 ff. StGB einige Sonderregelungen finden351. Umstritten ist die Einordnung von Straftaten gegen die Rechtspflege im weiteren Sinne, je nachdem inwieweit auch Individualinteressen als berührt angesehen werden352. Für internationale Gerichtshöfe353 und den Euro345 Vgl. Haft / Schwoerer, Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr, in: FestschriftWeber, S. 367 (377). 346 Vgl. Sternberg-Lieben, Internationaler Musikdiebstahl und deutsches Strafanwendungsrecht, NJW 1985, S. 2121 (2124); Weber, Zur Anwendbarkeit des deutschen Urheberstrafrechts auf Rechtsverletzungen mit Auslandsberührung, Festschrift-Stree / Wessels, S. 613 (620 ff.). 347 Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) dehnt den Europäischen Binnenmarkt auf die EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen aus (vgl. auch Seite 354, Fußnote 362). 348 BGBl. 1973 II S. 1670. Dem Abkommen gehören aktuell 77 Staaten an. Der jeweilige Stand ist abrufbar im Internet unter: http://www.wipo.int/treaties/en/ip/phonograms/index. html. Vgl. dazu auch BGH NJW 2004, S. 1674 (1675). 349 Siehe oben Seite 349. 350 Werle / Jeßberger, in: Leipziger Kommentar, Vor § 3, Rn. 295 ff.; vgl. auch BGHSt 22, S. 282 (285). Auch § 113 StGB schützt nur die deutsche Staatsgewalt (OLG Hamm JZ 1960, S. 576; KreisG Dresden MDR 1991, S. 659). 351 Gem. § 104a StGB setzt die Strafverfolgung allerdings voraus, dass mit dem anderen Staat diplomatische Beziehungen bestehen und Gegenseitigkeit verbürgt ist. 352 Zu den §§ 145 d, 153 ff., 164 StGB vgl. RGSt 3, S. 70 (72) (Meineid auch vor ausländischen Stellen als Delikt gegen die Religion bzw. öffentlichen Treu und Glauben); BGH LM Nr. 2 zu § 3 StGB (Falschaussage auch vor einem ausländischem Gericht zum Schutz des Einzelnen vor ungerechtfertigter Strafverfolgung); BGH NStZ 1984, S. 360 (Vortäuschen einer Straftat nur bei inländischen Stellen); genauso Werle / Jeßberger, in: Leipziger Kommentar,

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

päischen Gerichtshof 354 gibt es allerdings Spezialvorschriften, welche die nationalen Regelungen ausdrücklich für anwendbar erklären. Bei der Amtsträgerbestechung gem. §§ 331 ff. StGB ergibt sich wiederum ganz eindeutig aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass grundsätzlich nur deutsche Amtsträger auf Empfängerseite in Betracht kommen. Mit den Gleichstellungsklauseln in Art. 2 § 1 EUBestG und Art. 2 § 1 IntBestG355 (bzw. § 11 Abs. 1 Nr. 2a und § 335a StGB-E356) wurde die Strafbarkeit allerdings in unterschiedlichen Abstufungen auf die Bestechung von Amtsträgern der Europäischen Union357, anderer EU-Mitgliedstaaten358 sowie, soweit der internationale geschäftliche Verkehr betroffen ist, auch auf die Bestechung von Amtsträgern sonstiger Staaten359 erweitert. Das überindividuelle Rechtsgut des Wettbewerbs hat für den privatgeschäftlichen Verkehr bekanntermaßen in § 299 Abs. 3 StGB sogar eine lückenlose Erweiterung auf Auslandssachverhalte erfahren360. Bei der Steuerhinterziehung wiederum gelten die § 370 Abs. 1 – 5 AO grundsätzlich nur für Steuern, die aufgrund deutscher Steuergesetze geschuldet werden361. Eine Erweiterung findet sich allerdings in § 370 Abs. 6 AO für Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, die von anderen EU-Mitgliedstaaten verwaltet werden (bzw. einzelnen EFTA-Staaten362 zustehen), sowie für bestimmte ausländische Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchssteuern363. In all den genannten Fällen, in denen ausländische Rechtsgüter tatbestandlich miterfasst sind, stellt sich nun die Vor § 3, Rn. 301 ff.; vgl. auch Ambos, in: Münchener Kommentar, Vor §§ 3 – 7 StGB, Rn. 81; Satzger, in: Satzger / Schmitt / Widmaier, Vor §§ 3 – 7 StGB, Rn. 9 jeweils m. w. N. 353 Vgl. etwa Art. 70 Abs. 4 des IStGH-Statuts, BGBl. 2000 II, S. 1393. Dieser völkerrechtlichen Vereinbarung hat der Bundestag gem. Art. 59 Abs. 2 GG in der Form eines Bundesgesetzes zugestimmt. 354 Vgl. Art. 30 des EuGH-Satzungsprotokolls und Art. 72 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz, demzufolge § 154 StGB auch für einen Falscheid vor den Europäischen Gerichten Anwendung findet. 355 Vgl. dazu Schuster / Rübenstahl, Praxisrelevante Probleme des internationalen Korruptionsstrafrechts, wistra 2008, S. 201 (202 f.). 356 BT-Drucksache 16 / 6558. Auch wenn der genannte Gesetzesentwurf wohl dem Diskontinuitätsprinzip (§ 125 GOBT) zum Opfer gefallen ist, ist die Bundesrepublik zum gesetzgeberischen Tätigwerden völkerrechtlich verpflichtet (siehe dazu Seiten 367 ff.). Die Regelungen im Entwurf gehen allerdings teilweise über das Erforderliche (und Sinnvolle) hinaus [vgl. Schuster / Rübenstahl, wistra 2008, S. 201 (207)], was die Umsetzung wohl verzögert hat. 357 Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Nr. 2 lit. b-c EUBestG bzw. § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB-E. 358 Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und Nr. 2 lit. a EUBestG i.V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB bzw. § 335a StGB-E. 359 Art. 2 § 1 Nrn. 1 – 3 IntBestG bzw. § 335a StGB-E. 360 Siehe dazu bereits Seite 322. 361 Hellmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 370 AO, Rn. 24. 362 Die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) umfasst, nachdem die meisten Gründungsmitglieder der Europäischen Union beigetreten sind, nur noch vier Staaten, nämlich Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein. 363 Joecks, in: Franzen / Gast / Joecks, § 370 AO, Rn. 24 ff.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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Frage, inwieweit die Strafbarkeit im Inland von zugehörigen ausländischen Rechtsverhältnissen abhängen kann.

b) Ausländisches Zivilrecht bei den rechtsnormativen Merkmalen der Fremdheit und der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung gem. §§ 242, 246 StGB Schon bei den recht einfach gelagerten §§ 242, 246 StGB gelangt man beim Merkmal der Fremdheit zum Problem, dass dieses von ausländischem Zivilrecht abhängen kann. Nach deutschem internationalen Privatrecht gilt insofern, dass sachenrechtliche Vorgänge und Verhältnisse gem. Art. 43 Abs. 1 EGBGB dem Recht des Staates unterliegen, in dem sich die Sache zum jeweils einschlägigen Zeitpunkt befindet („lex situs“)364. Wechselt die Sache später in ein anderes Belegenheitsstatut, übernimmt dieses Statut nach dem Trägheitsprinzip gem. Art. 43 Abs. 2 EGBGB die Sache mit der sachenrechtlichen Prägung, die ihr das bisherige Statut verliehen hat365. Bei einem Schatzfund in Griechenland und späterer Verbringung der Fundstücke nach Deutschland kommt es damit für die Frage einer Strafbarkeit nach § 246 StGB entscheidend darauf an, dass das griechische Recht ein Schatzregal für archäologische Funde vorsieht366. Im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG ist dies unproblematisch, da es sich bei § 246 StGB, wie auch bereits beim „Uracher Hortfund“ gesehen367, um kein Blankettgesetz handelt. Die Fremdheit ist vielmehr ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal, bei dem es hinsichtlich der vorgelagerten Rechtslage nicht auf die Einhaltung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes ankommt. Bei Fehlbewertung der Eigentumslage wird der Betroffene durch das Vorsatzerfordernis368 ausreichend geschützt. In anderen Fällen mit Auslandsbezug kann deshalb unter Umständen auch die ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB Beachtung finden369, obwohl sie den strafrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit ebenfalls nicht genügt. Demnach ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Prüfungsgegenstand ist also nicht die abstrakte ausländische Norm, denn es geht nicht darum, belehrend gegenüber andeVgl. Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 43 EGBGB, Rn. 3. BGHZ 39, S. 173; vgl. auch Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 43 EGBGB, Rn. 119 ff., 131. 366 OLG Schleswig NJW 1989, S. 3105; vgl. auch Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 82 ff., 98 f. 367 Siehe oben Seiten 294 f. 368 Siehe oben Seiten 170 f., 182, 210. 369 Vgl. Eser, in: Schönke / Schröder, Vorbem §§ 3 – 9 StGB, Rn. 41; Altenhain / Wietz, Die Ausstrahlungswirkung des Referentenentwurfs zum Internationalen Gesellschaftsrecht, NZG 2008, S. 569 (573) mit ihrem Vorschlag für einen § 14a Abs. 2 S. 2 StGB-E. 364 365

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

ren Staaten aufzutreten oder deutsche Grundrechte zu exportieren. Vielleicht schafft der ausländische Staat ja auch an anderer Stelle einen Ausgleich. Die Frage ist vielmehr, ob das Ergebnis der Rechtsanwendung im Inland zu einem Grundrechtsverstoß führen würde. Bei einem ausländischen Schatzregal370, sonstigen Nutzungsund Aneignungsrechten (z. B. für Rohstoffe), der Ermöglichung eines gutgläubigen Erwerbs gestohlener Sachen371 etc. ist dies sicherlich – wie bei den meisten anderen sachenrechtlichen Regelungen – nicht der Fall. Die Hinnahme einer fremdstaatlichen Enteignung (etwa rassistischen oder ethnischen Hintergrunds) sollte aber Grenzen haben, wenn sie im Hinblick auf Art. 14 GG als schlechthin untragbar erscheint sowie einen gewissen Inlands- und Gegenwartsbezug aufweist372. Ansonsten bildet hypothetisch angewendetes deutsches Recht, wie es für andere Fälle zum Teil im Schrifttum vorgeschlagen wird373, aber keine wie auch immer geartete Obergrenze der Strafbarkeit. Irrelevant für die Strafbarkeit ist es also, wenn der Täter nach deutschem Sachenrecht eventuell Eigentümer geworden wäre, hätten die letzten sachenrechtlichen Vorgänge statt im Ausland im Inland stattgefunden (hypothetischer Schatzfund in Bayern, Hessen oder Nordrhein-Westfalen, wo es keine Schatzregalien gibt374). Insofern gilt nichts anderes wie bei innerstaatlichen Rechtsänderungen, eine Aufarbeitung sämtlicher historischer und internationaler Ungerechtigkeiten bei der Eigentumsverteilung kann die deutsche Rechtsordnung nicht leisten375.

Die weitergehende Frage, ob der Täter vielleicht trotz Fremdheit einen Anspruch auf Übereignung genau dieser Sache hatte, was bei den §§ 242, 246 StGB die 370 OLG Schleswig NJW 1989, S. 3105 (3106). In dreizehn deutschen Ländern (außer Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen) bestehen schließlich ebenfalls Schatzregalien. 371 Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 43 EGBGB, Rn. 80. Entsprechendes kennt die deutsche Rechtsordnung schließlich auch bei § 935 Abs. 2 BGB. 372 Vgl. OLG Hamburg(Z) vom 7. Januar 2005, Az. 1 W 78 / 04 („wilde“ Enteignung eines Kaffeefarmers aus Simbabwe), wobei hier keine genügende Inlandsbeziehung vorlag, da der ordre public-widrige Zustand ausschließlich im Ausland begründet wurde. Zurückhaltend auch BVerfGE 84, S. 90 (123 ff.) zu entschädigungslosen Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone (1945 – 1949). Art. 6 EGBGB wäre aber wohl dann einschlägig, wenn der von einer willkürlichen Enteignungsmaßnahme Betroffene bestimmte Gegenstände (etwa eine Kaffeeladung) noch selbst außer Landes schaffen konnte. Hier würde er sich nicht gem. § 246 StGB strafbar machen, wenn er diese dann in der Bundesrepublik verkauft, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Entsprechendes dürfte gelten, wenn er nach Konfiskation einer ihm gehörenden Auslandsgesellschaft in Deutschland belegene Vermögensgegenstände der Gesellschaft veräußert. Abgesehen davon muss es einem fremden Staat aber unbenommen bleiben, seine gesellschaftlichen Verhältnisse etwa durch Nationalisierungen und Verstaatlichungen im Sinne eines sozialistischen Systems umzugestalten. 373 In diese Richtung: Mankowski / Bock, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, ZStW 120 [2008], S. 704 (718 ff.). Sofern die fremde Rechtsordnung „zur Bestimmung von Verhaltensanforderungen im Inland berufen“ ist, auch Altenhain / Wietz, NZG 2008, S. 569 (573) mit seinem Vorschlag für einen § 14a Abs. 3 StGB-E. 374 Siehe Fußnote 370 auf dieser Seite. 375 Siehe oben Seiten 242 ff.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

357

Rechtswidrigkeit der Zueignung entfallen lassen würde, beurteilt sich unter Umständen ebenfalls nach ausländischem Zivil- und Handelsrecht. So unterliegen z. B. Kaufverträge über bewegliche Sachen gem. Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 593 / 2008 (Rom I), die Ende des Jahres 2009 anstelle der Art. 27 ff. EGBGB getreten ist376, grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies muss nicht zwingend Deutschland sein. Gem. Art. 3 der Rom I-Verordnung könnten die Parteien aber auch jede andere auf dieser Welt vorhandene Rechtsordnung ohne Nachweis eines anerkennenswerten Interesses zur Grundlage eines vertraglichen Schuldverhältnisses machen. Da die Rechtswidrigkeit der Zueignung ebenfalls rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal ist377, ist dies wiederum unproblematisch.

c) Ausländische Kapitalgesellschaften beim rechtsnormativen Merkmal der Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 266 StGB Der Gedanke der Beurteilung zivilrechtlicher Vorfragen nach ausländischem Recht lässt sich ferner auf die Untreue gem. § 266 StGB übertragen. Da dieser Tatbestand Individualinteressen schützt, ist er ebenfalls, sofern strafanwendungsrechtlich eine der Voraussetzungen von §§ 3 – 7 und 9 StGB greift378, auf ausländische Vermögensträger einschließlich ausländische Kapitalgesellschaften379 anwendbar. Auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug geht es um die bestimmungswidrige Ausübung einer auf fremdes Vermögen bezogenen Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis bzw. die allgemeine Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht, welche jeweils zu einem Vermögensnachteil geführt haben muss. Beim schlichten Verschleudern fremden Vermögens ohne Einverständnis des Treugebers ergeben sich deshalb keine Besonderheiten. Anders sieht es aus, wenn sich die Frage stellt, ob das betreute Unternehmen zu einer bestimmten nachteiligen Vermögensdisposition verpflichtet war380. Eine vom Täter veranlasste Zahlung, die zur Befreiung von einer Verbindlichkeit geführt hat, wäre in aller Regel schon nicht pflichtwidrig (selbst bei einer gegenteiligen Anweisung des Treugebers fehlte es an einem Vermögensnachteil). Ob eine entsprechende Verbindlichkeit bestand, kann dann unter Umständen nur nach ausländischem Zivilund Handelsrecht beurteilt werden, wogegen seitens des deutschen strafrechtlichen Schrifttums auch bei § 266 StGB wohl keine Einwände erhoben werden. 376 Gesetz vom 25. Juni 2009 zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593 / 2008, BGBl. 2009 I, S. 1574. 377 Siehe oben Seite 170. 378 BGH NStZ-RR 2007, S. 48 (50); OLG Frankfurt, NJW 1989, S. 675. 379 Vgl. BGH NStZ-RR 2007, S. 48; BGH wistra 2010, S. 268 (269); AG Stuttgart wistra 2008, S. 226. 380 Vgl. oben Seite 175.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Da es um alle möglichen Ansprüche gehen kann, sind die denkbaren Anknüpfungspunkte noch vielfältiger als im Rahmen der §§ 242, 246 StGB: Vergleichbar mit Kaufverträgen kommt es gem. Art. 4 Rom I-Verordnung bei Dienstleistungsverträgen auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Dienstleisters, bei Mietverträgen mit über sechs Monaten Laufzeit auf die Belegenheit des Grundstücks, bei Franchiseverträgen auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Franchisenehmers, bei Vertriebsverträgen auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Vertriebshändlers etc. an. Sonderregelungen gibt es unter anderem in Art. 5 Rom I-Verordnung für Verbraucher, deren gewöhnlicher Aufenthalt unter Umständen vorrangig ist, oder in Art. 7 Rom I-Verordnung für Versicherungsverträge, wo es zum Teil auch auf die Belegenheit des Risikos, die Staatsangehörigkeit des Versicherungsnehmers etc. ankommt. Gerade bei langfristigeren Vertragsverhältnissen wird man ferner vermehrt von der Wahlmöglichkeit des Art. 3 Rom I-Verordnung Gebrauch machen. Darüber hinaus können Verbindlichkeiten auch außervertraglich begründet werden, sei es aus unerlaubter Handlung, ungerechtfertigter Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag oder culpa in contrahendo. Das anwendbare Recht beurteilt sich dann nach den Art. 4 ff. und 10 ff. der Verordnung (EG) Nr. 864 / 2007 (Rom II).

Stärker umstritten sind die Fälle, in denen im Rahmen der Pflichtwidrigkeit bei § 266 StGB das Interesse des Treugebers unter anderem anhand gesetzlicher (dem Vermögensschutz dienender) Bestimmungen ermittelt werden muss, weil der Treugeber selbst keine Vorgaben gemacht hat oder machen kann381. Letztgenanntes wird insbesondere dann relevant, wenn einer juristischen Person als solcher ein von den Anteilseignern losgelöstes Eigeninteresse zugesprochen wird und es z. B. um Probleme wie die existenzgefährdende Schädigung des Gesellschaftsvermögens bei Zustimmung aller Gesellschafter geht. Bei der Frage, auf welches Gesellschaftsrecht es ankommt, streiten Gründungs- und Sitztheorie382: Letztere ist in Deutschland gewohnheitsrechtlich anerkannt383 und lässt den Registrierungsort und den in der Satzung angegebenen Sitz außer Betracht, was z. B. dazu führen kann, dass eine ausländische Gesellschaft mit dort beschränkter Haftung im Inland nur als Personengesellschaft behandelt wird. Für Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen EU-Mitgliedstaates (bzw. insofern assoziierten Hoheitsgebieten und EWRStaaten) gegründet worden sind und dort ihren Satzungssitz haben, ergibt sich jedoch aus mehreren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes384, dass wegen der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV (Art. 43, 48 EGV a. F.) auch nach Sitzverlegung ins Inland weiterhin das Recht des Gründungsstaates Anwendung

Vgl. oben Seiten 173 f. Vgl. Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 5; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 1, Rn. 2 ff., § 4, Rn. 1 ff. 383 BGHZ 53, S. 181; BGH(Z) NJW 2009, S. 289. 384 EuGH („Centros Ltd“) NJW 1999, S. 2027; EuGH („Überseering BV “) NJW 2002, S. 3614; EuGH („Inspire Art “) NJW 2003, S. 3331; siehe dazu bereits oben Seite 158; Bittmann, Strafrecht und Gesellschaftsrecht, ZGR 2009, S. 931 (950 ff.). Allgemein zu den Grundfreiheiten siehe auch oben Seiten 336 ff.; zum vereitelten Wegzug vgl. allerdings EuGH („Cartesio“) NJW 2009, S. 569. 381 382

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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finden muss385. Entsprechendes gilt interessanterweise aufgrund des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrags auch für US-amerikanische Gesellschaften386. Nach einem Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für einen neuen Art. 10 EGBGB-E soll die Gründungstheorie künftig sogar zur allgemeinen Regel werden387. Wird nun im Rahmen von § 266 StGB die Unbeachtlichkeit der Zustimmung aller Gesellschafter in existenzvernichtende Eingriffe aus § 30 GmbHG (Erhaltung des Stammkapitals) hergeleitet388, stellt sich die Frage, inwieweit dies auf eine in Deutschland ansässige, jedoch in England registrierte Private Company Limited by Shares (Ltd.) übertragbar ist389. Die Limited kennt schließlich überhaupt kein Stammkapital; nach der hier maßgeblichen Gründungstheorie kommt § 30 GmbHG auch bei Sitzverlegung ins Inland eindeutig nicht zur Anwendung. Die Unwirksamkeit der Zustimmung in existenzvernichtende Eingriffe kann aber, wenn es um die Strafbarkeit eines oder mehrerer Direktoren („directors“390) geht, dem englischen Gesellschaftsrecht entnommen werden391. Nach section 172 (1) Companies Act 2006 sollen finanzielle Vorteile für die Gesellschafter („shareholder“) ausschließlich durch den Erfolg der Gesellschaft erreicht werden392. Auszahlungen an die Gesellschafter können deshalb gem. section 830 (1) CA 2006 nur dann vorgenommen werden, wenn Gewinne in entsprechender Höhe vorhanden sind393. Der Erwerb eigener Anteile, der eine verdeckte Dividendenzahlung darstellt, ist entsprechend gem. section 672 (2) (a) CA 2006 nur mit ausschüttbaren Gewinnen zulässig. Für eine Kapitalherabsetzung durch Gesellschafterbeschluss wiederum stellt section 642 (1) CA 2006 strenge Voraussetzungen auf; erforderlich ist eine Solvenzerklä385 BGH(Z) NJW 2003, S. 1461; BGH(Z) NJW 2005, S. 1648; BGH wistra 2010, S. 268 (269 f.). 386 Vgl. Art. XXV Abs. 5 S. 2 deutsch-amerikanischer Freundschaftsvertrag, BGBl. 1956 II, S. 487; BGH(Z) NZG 2005, S. 44; BGH(Z) NZG 2004, S. 1001; BGH(Z) NJW-RR 2002, S. 1359 (1360). 387 Vgl. Referentenentwurf vom 14. Dezember 2007 – Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen. In der 16. Legislaturperiode konnte das Vorhaben jedoch nicht mehr abgeschlossen werden. 388 Vgl. BGHSt 9, S. 203 (216); BGHSt 35, S. 333 (337); BGHSt 49, S. 147 (157 f.); BGH 2 StR 95 / 09 vom 31. Juli 2009, Rz. 24. 389 Zur Insolvenzverschleppung siehe bereits oben Seiten 158 f. Zur „Sitztheorie“ im internationalen Insolvenzrecht dort auch Fußnote 1058. 390 Der „director“ ist das Leitungsorgan der Limited, er entspricht weitestgehend dem GmbH-Geschäftsführer. Hinsichtlich der Befugnisse vgl. Just, Die englische Limited in der Praxis, Rn. 144 ff. 391 So auch AG Stuttgart wistra 2008, S. 226 (229), mit zustimmender Anmerkung Schumann, ebenda, S. 229 (230); Radtke, Untreue (§ 266 StGB) zu Lasten von ausländischen Gesellschaften mit faktischem Sitz in Deutschland?, GmbHR 2008, S. 729 (734). 392 Vgl. dazu Ladiges / Pegel, Neue Pflichten für directors einer limited durch den Companies Act 2006, DStR 2007, S. 2069 (2072). 393 Just, Die englische Limited in der Praxis, Rn. 238 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

rung für zwölf Monate durch alle Direktoren394. Ein „Ausschlachten“ einer Limited mit Zustimmung der Gesellschafter ist demnach also unzulässig. Eine Bezugnahme auf englisches Gesellschaftsrecht im Rahmen von § 266 StGB wird im strafrechtlichen Schrifttum nun allerdings im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 20 Abs. 3 GG zum Teil als bedenklich erachtet395. Es sei für den deutschen Normadressaten kaum vorhersehbar, was genau unter Androhung von Strafe verboten ist, wenn untreuerelevante Pflichten aus einem anderen Rechtssystem stammten. Dem kann man freilich schon der Sache nach entgegenhalten, dass die ausländische Rechtsordnung vom Adressaten selbst zur Grundlage seiner wirtschaftlichen Betätigung gemacht wurde396. Vor allem aber ist § 266 StGB kein Blankettgesetz, bei dem Art. 103 Abs. 2 GG auch auf blankettausfüllende Normen anzuwenden wäre. Der Unrechtsgehalt – das Verschleudern fremden Vermögens gegen die Interessen des Treugebers – ist vielmehr bereits vom Straftatbestand vollständig erfasst, so im gleichen Kontext auch jüngst der Bundesgerichtshof397. Die Pflichtwidrigkeit der vermögensnachteiligen Handlung wird von § 266 StGB quasi als Rechtsfolge in Bezug genommen und kann sich dabei nicht nur aus dem Verstoß gegen vorgelagerte gesetzliche Vorschriften, sondern sogar in erster Linie aus der Missachtung des mündlich geäußerten Willens des Treugebers, aber auch der privatautonom vereinbarten Unternehmensverfassung, der Gesellschafterverträge, Satzungen und Beschlüsse, eines Corporate Governance Kodex etc. ergeben398. Für all jenes gilt selbstverständlich kein Bestimmtheitsgrundsatz oder (nationaler) Parlamentsvorbehalt. Das geschriebene englische Gesellschaftsrecht dürfte entsprechenden Qualitätsanforderungen allemal genügen. Geht der Täter fälschlicherweise von der Pflichtmäßigkeit seiner Handlung aus, ist er zudem über das Vorsatzerfordernis ausreichend geschützt399. Es gilt also auch hier nichts anderes, als wenn es um die 394 Diese beinhaltet gem. section 643 (1) CA 2006, dass keine Gründe für die Annahme bestehen, die Gesellschaft werde ihre Schulden nicht begleichen können. Die directors erklären ferner, dass sie davon ausgehen, dass die Gesellschaft (auch im Fall der Auflösung) in den zwölf Monaten nach der Kapitalherabsetzung alle fälligen Forderungen bedienen wird. Lagen die inhaltlichen Voraussetzungen zur Abgabe der Solvenzerklärung nicht vor, sieht section 643 (4) CA 2006 eine Strafbarkeit des directors vor. Vgl. auch Just, Die englische Limited in der Praxis, Rn. 226 ff. 395 Rönnau, Haftung der Direktoren einer in Deutschland ansässigen englischen Private Company Limited by Shares, ZGR 2005, S. 833 (855 ff.); Altenhain / Wietz, Die Ausstrahlungswirkung des Referentenentwurfs zum Internationalen Gesellschaftsrecht, NZG 2008, S. 569 (571 f.); Mosiek, Fremdrechtsanwendung – quo vadis?, StV 2008, S. 94 (97 ff.); zweifelnd Schlösser, Die Strafbarkeit des Geschäftsführers einer private company limited by shares in Deutschland, wistra 2006, S. 81 (87); wohl auch noch Fischer, § 266 StGB, Rn. 101. 396 Radtke, GmbHR 2008, S. 729 (734 f.); Labinski, Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des directors einer englischen Limited, S. 221 f. 397 BGH wistra 2010, S. 268 (270); vgl. auch BVerfG 2 BvR 2559 / 08 u. a. vom 23. Juni 2010, Rn. 96 f. zur Pflichtwidrigkeit als rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal. 398 Siehe oben Seiten 173 f. und 296 ff.; Radtke, GmbHR 2008, S. 729 (735). 399 Siehe oben Seiten 172 ff., 182, 210. Dies übersieht Waßmer, in: Graf / Jäger / Wittig, § 266 StGB, Rn. 232; vgl. aber auch dort Rn. 156.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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Berechtigung einer nach ausländischem Recht begründeten Kaufpreis- oder Mietforderung400, die Unzulässigkeit einer „golden handshake“-Zahlung an ausscheidende Direktoren401 oder Ähnliches geht402. Bei der hier behandelten Fallgruppe des existenzvernichtenden Eingriffs mit Zustimmung der Gesellschafter kann allerdings derjenige abweichend entscheiden, welcher der faktischen Schutzzweckverlagerung des § 266 StGB zugunsten von Gläubigern auch bei reinen Inlandssachverhalten kritisch gegenüber steht. Insofern würde man geltend machen, dass Stammkapital und Kapitalerhaltungsregeln kein Selbstzweck sind, sondern dem Schutz der Gläubiger dienen. Da diese jedoch auch über die §§ 283 ff. StGB geschützt werden, bedarf es nicht zwingend einer Strafbarkeit wegen § 266 StGB403. Andererseits profitieren die Gesellschafter gegenüber den Gläubigern natürlich verstärkt davon, dass es sich bei der Gesellschaft um eine eigene Rechtspersönlichkeit handelt, was ihnen im Rahmen von § 266 StGB auch entgegengehalten werden kann404.

Kommt es bei der Beurteilung der Pflichtwidrigkeit auf ausländisches Gesellschaftsrecht an, ist gegebenenfalls ebenso hier405 die ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB zu beachten. Die oben beschriebenen Vorschriften des englischen Companies Act 2006 sind insofern freilich unbedenklich. So wird bei der neuen Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), die als deutsches Konkurrenzprodukt seit dem 1. November 2008 auf dem Markt ist, die Möglichkeit von Ausschüttungen gem. § 5a Abs. 3 GmbHG durch die Pflicht zur Rücklagenbildung beschnitten. Auch nach § 57 Abs. 1 AktG unterliegen Ausschüttungen an Aktionäre bei einer Aktiengesellschaft größeren Beschränkungen als entsprechende Zahlungen bei einer GmbH. Ein Anwendungsbereich für Art. 6 EGBGB wäre aber dann gegeben, wenn ausländisches Gesellschaftsrecht z. B. Gewinnausschüttungen für die Zukunft ganz verbieten würde, weil Lohnsteigerungen für Arbeitnehmer oder Investitionen im Gründungsland Vorrang haben müssten. Insofern würde die Fremdrechtsanwendung im Inland schon zivilrechtlich zu einem Ergebnis führen, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, namentlich Art. 14 GG406, offensichtlich unvereinbar wäre. Darüber hinaus bildet hypothetisch angewendetes deutsches Zivilrecht aber auch hier407 keine wie auch immer geartete Obergrenze der StrafbarSiehe oben Seite 357. Nach section 217 CA 2006 ist dafür die Zustimmung der Gesellschafter erforderlich. 402 Ebenso erstmals BGH wistra 2010, S. 268 (269 f.); zustimmend Schramm / Hinderer, Die Untreue-Strafbarkeit eines Limited-Directors, ZIS 7 8 / 2010, S. 494 (497 f.). Siehe auch Waßmer, in: Graf / Jäger / Wittig, § 266 StGB, Rn. 156. 403 Nelles, Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, S. 547 ff., 550 ff.; Fischer, § 266 StGB, Rn. 99 m. w. N.; differenzierend Rönnau, Untreue zu Lasten juristischer Personen, Festschrift-Amelung, S. 247 (259 ff.); vgl. auch oben Seite 173, Fußnote 1154. 404 Vgl. dazu Nachweise auf Seite 359, Fußnote 388. 405 Siehe oben Seite 355. 406 Durch eine solche Regelung wäre die Privatnützigkeit des Eigentums an der Gesellschaft sogar vollständig beseitigt; vgl. dazu etwa BVerfGE 100, S. 226 (241). 407 Siehe bereits oben Seite 356. 400 401

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

keit408. Es ist also nicht zu fragen, ob bei Anwendung deutschen Rechts ein schuldrechtlicher Anspruch eines Dritten zur Entstehung gelangen würde409 oder eine bestimmte Gewinnausschüttung bei einer inländischen GmbH oder Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) zulässig wäre.

d) Ausländische Kapitalgesellschaften und der Verstoß gegen Buchführungs- und Bilanzierungspflichten bei §§ 283, 283b StGB – Blankettverweis auf ausländisches Recht? Komplex diskutiert wird ferner die Frage, inwieweit die Bankrotttatbestände in § 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 StGB, welche Buchführung und Bilanzierung betreffen, sowie die einfache Verletzung von Buchführungspflichten gem. § 283b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 StGB außerhalb einer Unternehmenskrise auch auf Kapitalgesellschaften mit ausländischer Rechtsform anwendbar sind. Da es wiederum um die Strafbarkeit der Leitungsorgane geht, gilt es hier zunächst die Schuldnereigenschaft auf z. B. den Direktor einer Private Company Limited by Shares (Ltd.) zu erstrecken. Wenn man richtigerweise darauf abstellt, dass der Direktor die laufende Geschäftsführung wahrnimmt und mit seiner nach außen unbeschränkbaren Vertretungsbefugnis gem. section 40 (1) Companies Act 2006 einem GmbH-Geschäftsführer vergleichbar ist410, gelingt dies über § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB411; sonst wäre aber auch § 14 Abs. 2 Nr. 1 StGB anwendbar412. Die Gesellschaft müsste ferner gesetzlich zur Führung von Handelsbüchern und zur Bilanzierung verpflichtet sein. Für reine Inlandsgesellschaften ergibt sich dies aus den §§ 238 ff. HGB, wobei dem „Ob“ der Buchführungspflicht im Rahmen dieser Untersuchung Blanketteigenschaft zugesprochen wurde413. Problematisch ist deshalb, inwieweit die genannten Vorschriften überhaupt auf Gesellschaften mit ausländischer Rechtsform anwendbar sind oder ob z. B. bei einer im Inland ansässigen Limited ersatzweise auf die sections 386 ff. CA 2006 abgestellt werden könnte. Das OLG Karlsruhe, welches im Jahre 1985 über die Verletzung von Buchführungspflichten in der Schweiz zu urteilen hatte, erteilte letzterem eine grundsätzliche Absage414: Zöge man ausländische Normen zur Ausfüllung eines Blankett408 So aber Altenhain / Wietz, NZG 2008, S. 569 (573) mit seinem Vorschlag für einen § 14a Abs. 3 StGB-E; Mankowski / Bock, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, ZStW 120 [2008], S. 704 (718 ff.). 409 Siehe oben Seite 357. 410 Just, Die englische Limited in der Praxis, Rn. 144 ff. 411 Rönnau, Haftung der Direktoren einer in Deutschland ansässigen englischen Private Company Limited by Shares, ZGR 2005, S. 833 (844). 412 Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1985, S. 317. 413 Siehe oben Seiten 159 und 234. Vgl. auch BGH NJW 1981, S. 354 (355). 414 OLG Karlsruhe, NStZ 1985, S. 317. Ebenso BGHSt 21, S. 277 (279 f.) zur Ahndung von Verkehrsübertretungen im Ausland. Demnach kommt auch eine Ausfüllung von § 21

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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merkmals heran, so würde man Tatbestandsmerkmale unmittelbar dem ausländischen Gesetz entnehmen und damit deutsches und ausländisches Recht gleichzeitig anwenden. Zwar gibt es auch gemischt nationalstaatlich-europarechtliche Straftatbestände; in dieser Untersuchung wurde sogar der dynamische Blankettverweis auf europäische Verordnungen als nicht unzulässig erachtet415. Im Gegensatz zum Europarecht können ausländische Rechtsätze jedoch im Inland keine unmittelbare Gültigkeit beanspruchen. Zusammen mit ausländischen Normen kann deshalb auch kein dem Art. 103 Abs. 2 GG entsprechender Gesamttatbestand gebildet werden416. Allenfalls denkbar wäre ein statischer Blankettverweis auf ausländisches Recht, das sich der Bundestag – so wie vorgefunden – quasi zu eigen machen würde. Die maßgeblichen Normen wären dann allerdings entsprechend den Publikationserfordernissen des Art. 82 GG im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Für alle möglichen ausländischen Rechtsordnungen wäre dies natürlich kaum zu bewerkstelligen und würde in aller Regel auch praktisch keinen Sinn ergeben.

Entscheidend bleibt also, ob sich aus den §§ 238 ff. HGB Rechnungslegungspflichten für eine in Deutschland ansässige, jedoch in England registrierte Limited herleiten lassen. Der Wortlaut spricht zunächst nicht dagegen. Nach § 238 HGB ist „jeder Kaufmann“ i. S. d. § 1 Abs. 1 HGB verpflichtet, Bücher zu führen. Die für Kaufleute geltenden Vorschriften finden gem. § 6 Abs. 1 HGB auch auf „Handelsgesellschaften“ Anwendung, worunter auch ausländische Kapitalgesellschaften fallen417. Lediglich bei den Sonderregelungen in § 3 AktG und § 13 Abs. 3 GmbHG ist es wegen des Analogieverbotes aus Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen, dass diese für eine Limited Rechtsfolgen entfalten. Diese Vorschriften bewirken allerdings nur, dass eine Aktiengesellschaft oder GmbH als sogenannte Formkaufleute schon kraft ihrer Rechtsform Kaufmann sind, also nicht zwingend ein Gewerbe betreiben müssen418. Soweit die Limited ein Handelsgewerbe betreibt, ergeben sich daraus aber keine Einschränkungen der Anwendbarkeit von § 6 Abs. 1 HGB. StVG i. d. F. von 1952 (entspricht § 24 StVG n. F.) durch Einzelvorschriften einer ausländischen Straßenverkehrsordnung nicht in Betracht. 415 Siehe oben Seiten 332 ff. 416 So auch Ambos, in: Münchener Kommentar, Vor § 7 StGB, Rn. 8. Hier anders jedoch Tiedemann, in: Leipziger Kommentar, § 283 StGB, Rn. 92, 244, wonach auch ausländische Handelsgesetze als Verpflichtungsgrund ausreichen; ebenso Labinski, Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des directors einer englischen Limited, S. 278 ff., der die Ausfüllung von Blanketten durch ausländisches Recht für zulässig erachtet. 417 BayObLG, NJW 1986, S. 3029; OLG München(Z) NJW 1967, S. 1326 (1328); OLG Düsseldorf(Z), NJW-RR 1995, S. 1184 (1185); Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 197 ff.; Hopt, in: Baumbach / Hopt, § 6 HGB, Rn. 3; Kindler, in: Ebenroth / Boujong / Joost / Strohn, Vor § 1 HGB, Rn. 122 ff.; Graf / Bisle, Besteuerung und Rechnungslegung der britischen „private company limited by shares“ (Limited), IStR 2004, S. 873; Schumann, Die englische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, ZIP 2007, S. 1189 (1190). 418 Hueck / Fastrich, in: Baumbach / Hueck, § 13 GmbHG, Rn. 73.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Das eigentliche Problem stellt sich vielmehr auf der Rechtsanwendungsebene. Hier wird in der Literatur vor allem darüber gestritten, ob Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften als gesellschaftsrechtlich oder öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sind. Möglicherweise muss aber hinsichtlich des „Ob“ der Rechnungslegungspflicht auch ein eigener strafanwendungsrechtlicher Maßstab gelten, wenn man davon ausgeht, dass die §§ 238 ff. HGB in ein strafrechtliches Blankett hineingelesen werden. Knüpft man streng an das Gesellschaftsrecht an419 und folgt dabei der Gründungstheorie420, kann dagegen selbst das „Ob“ der Buchführungspflicht nur aus ausländischem Recht hergeleitet werden. Die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV (Art. 43, 48 EGV a. F.), die überhaupt erst zur Anwendung der Gründungstheorie im Gesellschaftsrecht geführt hat, wird zwar durch Buchführungspflichten, die ohnehin in allen europäischen Rechtsordnungen bestehen, an sich nicht infrage gestellt421. Angeführt dafür, dass auch insofern die Gründungstheorie zu gelten habe, werden aber praktische Gesichtspunkte, die aus einem angeblich engen Funktionszusammenhang zwischen Bilanz- und Gesellschaftsrecht resultieren. Da ausländisches Recht nach der hier vertretenen Auffassung nicht geeignet ist, deutsche Blankettmerkmale auszufüllen, entstünden dann jedenfalls bei den unechten Unterlassungstatbeständen des § 283 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 und Nr. 7 lit. b StGB empfindliche Strafbarkeitslücken. Selbst wenn das ausländische Recht Parallelvorschriften enthält, bilden diese im Inland schließlich keine Basis für eine Verurteilung422. Auch die Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland gem. § 325a HGB können insofern keine Rolle spielen. Immerhin käme jedoch, sofern der Täter durch eine nach ausländischem Recht fehlerhafte Buchführung oder Bilanz aktiv seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlicht oder verschleiert, eine Bestrafung wegen des Auffangtatbestandes in § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB in Betracht423. Ordnet man das Rechnungslegungsrecht dagegen als öffentlich-rechtlich ein, wäre grundsätzlich an der Betriebsbelegenheit anzuknüpfen424, so dass man bei einem Sitz in Deutschland ohne weiteres die §§ 238 ff. HGB anwenden könnte. Schließlich gelten auch andere öffentlich-rechtliche Pflichten, wie die zur Gewerbeanzeige nach § 14 Abs. 1 GewO425 oder die zur Stellung eines Insolvenzantrages 419 So Rehberg, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 5, Rn 109; Heinz, Die englische Limited, § 15, Rn. 1 ff.; Just, Die englische Limited in der Praxis, Rn. 258; Graf / Bisle, IStR 2004, S. 873 ff.; jeweils m.w. N. 420 Siehe oben Seite 358. 421 Schumann, ZIP 2007, S. 1189 (1193). 422 Bittmann, Strafrecht und Gesellschaftsrecht, ZGR 2009, S. 931 (952). 423 Vgl. Rönnau, ZGR 2005, S. 833 (850 ff.). 424 Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 273 ff.; Schumann, ZIP 2007, S. 1189 (1190); Radtke / Hoffmann, Die Anwendbarkeit von nationalem Insolvenzstrafrecht auf EU-Auslandsgesellschaften, EuZW 2009, S. 404 (406); vgl. auch AG Stuttgart wistra 2008, S. 226 (229).

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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nach § 15a Abs. 1 InsO426 für im Inland ansässige Auslandsgesellschaften. Wie bei diesen liegt die Funktion der Rechnungslegungsvorschriften nicht in erster Linie im individuellen Interessenausgleich, der beim Gesellschaftsrecht leitender Gesichtspunkt ist, sondern dient der Gewährleistung des Gläubigerschutzes durch Dokumentation und Selbstkontrolle des Kaufmanns427. Zudem sind Rechnungslegungsvorschriften rechtsformneutral, sie gelten abgesehen vom Fall des § 241a HGB auch für Einzelkaufleute428. Auf die in Deutschland ansässige Limited wären demnach § 283 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 und Nr. 7 lit. b StGB anwendbar, wenn der Täter es gänzlich unterlassen hat, Bücher zu führen und Bilanzen aufzustellen. Unbeantwortet bleibt allerdings auch nach der letztgenannten Ansicht die Frage, wie es sich bei einer tatsächlich in England ansässigen Limited verhält, deren Geschäftsführer sich nach Deutschland abgesetzt hat und der für seine in England begangene Straftat nach dem deutschen § 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7 StGB abgeurteilt werden soll429. Bei Betriebsbelegenheit im Ausland kommen deutsche Rechnungslegungspflichten, selbst wenn man sie als öffentlich-rechtlich qualifiziert, eigentlich ganz eindeutig nicht zur Anwendung. Es gelten allein die sections 386 ff. Companies Act 2006, auf die sich aber keine Verurteilung durch ein deutsches Strafgericht stützen lässt. Dass sich der räumliche Geltungsbereich bestimmter Vorschriften grundsätzlich auf das Territorium der Bundesrepublik beschränkt, ist allerdings keine Besonderheit der §§ 238 ff. HGB. Vielmehr trifft dies auch für alle Tatbestände des Strafgesetzbuches zu430, sofern die Grundregel des § 3 i.V. m. § 9 Abs. 1 StGB Anwendung findet. Ist das deutsche Strafrecht hier jedoch aufgrund von § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB auf einen reinen Auslandssachverhalt anzuwenden und kann ein deutsches Straftatblankett nur durch deutsche Vorschriften, hier die §§ 238 ff. StGB, vervollständigt werden, liegt es nahe, den Strafanwendungsbefehl ebenso auf die ausfüllenden Normen anzuwenden. Unabhängig davon aus welchem Rechtsgebiet sie ursprünglich stammen, werden sie nach dem Hineinlesen schließlich auch sonst wie Strafnormen behandelt. Die ausländischen Rechnungslegungsnormen, so 425 VG Köln GewArch 2002, S. 242; VG Lüneburg NVwZ-RR 1998, S. 427; Rehberg, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 7, Rn 29. 426 Siehe bereits oben Seite 158, dort auch Fußnote 1058. 427 Siehe bereits oben Seite 159. 428 Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 273. 429 So gelagert war der Fall in OLG Karlsruhe, NStZ 1985, S. 317. Bei einer englischen Firma wäre jetzt natürlich auch eine Auslieferung mittels Europäischem Haftbefehl denkbar. Siehe dazu Seite 381, dort auch Fußnote 546. 430 Vgl. BGHSt 21, S. 277 (280) zur Ahndung von Verkehrsübertretungen im Ausland. Demnach wird § 21 StVG i. d. F. von 1952 (entspricht § 24 StVG n. F.) auch bei einer Auslandstat durch die deutsche Straßenverkehrsordnung ausgefüllt. Wegen § 5 OWiG spielt die Ahndung von im Ausland begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten durch deutsche Behörden nunmehr allerdings keine praktische Rolle mehr (Rogall, in: Karlsruher Kommentar, § 5 OWiG, Rn. 37 f.). Dafür sind ausländische Entscheide möglicherweise im Inland vollstreckbar. Zur Vollstreckungsübernahme siehe auch Seiten 380 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

z. B. section 386 CA 2006, spielen allerdings ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie füllen den entsprechenden ausländischen Blanketttatbestand wie z. B. section 337 CA 2006 431 aus, der vom deutschen Gericht bei der Frage, ob die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist432, gesondert überprüft werden muss. Entsprechend ist der Täter nur dann strafbar, wenn er weder den ausländischen noch den inländischen Rechnungslegungspflichten nachgekommen ist. Das „Wie“ der Rechnungslegung kann sich dagegen auf Tatbestandsebene nach ausländischem Recht richten. So mag eine nach fremdem Recht durchgeführte Rechnungslegung für § 283 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 und Nr. 7 lit. b StGB durchaus befreiende Wirkung haben. Auch die materielle Richtigkeit einzelner Buchungssätze oder Bilanzpositionen im Rahmen von § 283 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 und Nr. 7 lit. a StGB muss unter Umständen nach ausländischem Recht beurteilt werden. Dies ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG unproblematisch: Die Frage, ob eine falsche Rechnungslegung vorliegt und dadurch die Übersicht über den Vermögensstand erschwert wurde, wurde in dieser Untersuchung durchgehend als rechtsnormatives Merkmal behandelt433, so dass hinsichtlich der Fremdrechtsanwendung dieselben Grundsätze gelten wie bei der Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 266 StGB. Dass dabei eine tatsächlich in England ansässige Limited nur nach englischen Regeln Rechnung legt, dürfte sich von selbst verstehen. Für die in Deutschland ansässige Limited wäre es allerdings ebenfalls eine erhöhte Belastung gegenüber Inlandsgesellschaften, wenn sie nach zweierlei Recht Bücher führen und bilanzieren müsste. Angesichts der Tatsache, dass die nationalen Bilanzierungsvorschriften bereits durch europäisches Richtlinienrecht harmonisiert wurden434, wäre dies im Hinblick auf Art. 49, 54 AEUV (Art. 43, 48 EGV a. F.) kaum zu rechtfertigen435, selbst wenn man das „Wie“ der Buchführung und Bilanzierung als öffentlich-rechtlich436 (deutsches Strafanwendungsrecht kann insofern keine Rolle spielen) einordnet. Deshalb wird man der Rechnungslegung nach dem Recht eines EU / EWR-Mitgliedstaates befreiende Wirkung zusprechen müssen437. Entsprechendes kennt man bereits von §§ 264b, 291 HGB. 431 Siehe auch section 338 i.V. m. 337 CA 2006; section 206 (1) (c – e) Insolvency Act. Für den in Fußnote 429 (Seite 365) genannten Fall gilt Art. 166 des schweizerischen StGB i.V. m. Art. 957 f. des Obligationenrechts. 432 Siehe oben Seiten 349 ff. 433 Vgl. dazu Seiten 181 ff., 245, und 298. 434 Richtlinie (EWG) Nr. 68 / 151 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen; Richtlinie (EWG) Nr. 78 / 660 über den Jahresabschluss; Richtlinie (EWG) Nr. 83 / 349 über den Konzernabschluss; Richtlinie (EWG) Nr. 90 / 604 für kleine und mittlere Gesellschaften; Richtlinie (EWG) Nr. 90 / 605 über die GmbH & Co. KG; Richtlinie (EWG) Nr. 89 / 666 über Zweigniederlassungen; Richtlinie (EG) Nr. 2006 / 43 über Abschlussprüfungen. Vgl. auch Schumann, ZIP 2007, S. 1189 (1191 ff.). 435 Siehe auch oben Seiten 336 ff., 358. 436 Zu den Argumenten siehe wiederum oben Seite 364. 437 Radtke / Hoffmann, EuZW 2009, S. 404 (406).

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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Zusätzlich muss allerdings bei einer im Inland ansässigen Gesellschaft immer noch nach deutschem Recht für die deutsche Finanzverwaltung eine Steuerbilanz aufgestellt werden438. Dafür spart sich die Gesellschaft Jahresabschluss, Steuerberechnung sowie Steuererklärung nach den entsprechenden ausländischen Vorschriften439. Für § 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 StGB kann die Nichterstellung einer Steuerbilanz aber keine Rolle spielen.

Für im Inland ansässige Gesellschaften aus dem sonstigen Ausland kann es nach der hier vertretenen Ansicht dagegen, auch wenn die gesellschaftsrechtliche Gründungstheorie mit Art. 10 EGBGB-E440 zur generellen Regel werden sollte, bei der Pflicht zur Rechnungslegung nach deutschem Recht bleiben, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Buchführung nach den Standards des Drittlandes ausreichend Schutz bietet. Insofern hat man im Entwurf auch ganz bewusst auf Bestimmungen für die Rechnungslegung verzichtet441.

e) Amtsträgereigenschaft und Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung bei §§ 332, 334 StGB i.V. m. EU-BestG, IntBestG sowie § 335a StGB-E – Blankettverweise und rechtsnormative Tatbestandsmerkmale? Bei der Amtsträgerbestechung erfassen die §§ 331 ff. StGB wegen § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf Empfängerseite grundsätzlich nur deutsche Amtsträger, was – wie oben gezeigt442 – damit zusammenhängt, dass ein überindividuelles Rechtsgut betroffen ist. Die Beschränkung auf inländische Amtsträger wird jedoch, was nachfolgend noch näher zu untersuchen sein wird, in unterschiedlichen Abstufungen durch Gleichstellungsklauseln überwunden443. Dies ist Folge ehrgeiziger internationaler Harmonisierungs- und Kooperationsbemühungen zur Korruptionsbekämpfung444, die sich unter anderem in einem OECD-Übereinkommen445 und mehreren Rechts438 Just, Die englische Limited in der Praxis, Rn. 260, 283 f., 293 ff.; Engert, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 8, Rn. 45 ff. 439 Just, Die englische Limited in der Praxis, Rn. 264, 286. 440 Siehe bereits oben Seite 359. 441 Vgl. Referentenentwurf vom 14. Dezember 2007 – Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, S. 7. 442 Siehe oben Seite 354. 443 Siehe dazu auch Korte, Der Einsatz des Strafrechts zur Bekämpfung der internationalen Korruption, wistra 1999, S. 81; Schuster / Rübenstahl, Praxisrelevante Probleme des internationalen Korruptionsstrafrechts, wistra 2008, S. 201; Tinkl, Strafbarkeit von Bestechung nach dem EUBestG und dem IntBestG, wistra 2006, S. 126. 444 Vorreiter war die USA, welche nach der Lockheed-Affäre bereits im Jahre 1977 den sog. Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) erlassen hatte und später zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für amerikanische Unternehmen auf eine weltweite Lösung drängte, vgl. Schünemann, Das Strafrecht im Zeichen der Globalisierung, GA 2003, S. 299 (303). 445 OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, BGBl. 1998 II, S. 2327.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

instrumenten der Europäischen Union niedergeschlagen haben446. Die Bezugnahme auf den Amtsträgerbegriff in § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB wurde im Rahmen dieser Untersuchung allerdings bisher als Blankett behandelt447. Hinsichtlich der Gleichstellungsklauseln für Auslandssachverhalte wirft dies als erstes die Frage auf, ob insofern eine nach der hier vertretenen Auffassung448 mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarende Ausfüllung von Blankettmerkmalen durch ausländisches Recht stattfindet. Zugrunde gelegt wird zunächst die derzeitige Fassung der maßgeblichen Vorschriften. Ein Regierungsentwurf für einen neuen § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB-E und § 335a Abs. 1 StGB-E449 wird jedoch ebenfalls Beachtung finden, da seine Gesetzwerdung in dieser oder ähnlicher Form in absehbarer Zeit nicht unwahrscheinlich erscheint450. Der Entwurf dient nämlich der Umsetzung zweier weiterer Abkommen des Europarates und der UN451, wobei die Regelungen des Entwurfs zum Teil über das völkerrechtlich Erforderliche (und sachlich Sinnvolle) hinausgehen452. Schon heute stellt Art. 2 § 1 EU-BestG z. B. in Abs. 1 Nr. 2 lit. a für die §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB Amtsträger eines anderen EU-Mitgliedstaates deutschen Amtsträgern gleich, sofern sich die Bestechung bzw. die damit verbundene Unrechtsvereinbarung auf künftige Diensthandlungen bezieht. Die Gleichstellung erfolgt allerdings nur, soweit die Stellung der ausländischen Amtsperson der eines deutschen Amtsträgers im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB entspricht. Diese Form der Gleichstellung ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG unproblematisch. Wegen der Entsprechungsklausel kommt es auf das ausländische Recht gar nicht an. Es wird lediglich der Teil der Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB überwunden, der von einer Amtsträgerschaft nach deutschem Recht ausgeht453. Wenn nun bei Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. b und c EU-BestG, der die Gleichstellung von EU-Beamten betrifft, eine solche Entsprechungsklausel fehlt, schadet dies ebenfalls nicht, da insofern auf europäisches Recht Bezug genommen wird, welches durchaus geeignet ist, deutsche Blanketttatbestände auszufüllen454. Entsprechendes gilt, wenn durch 446 Erstes Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der EG, ABl. 1996, Nr. C 313 / 1; Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der EG oder der Mitgliedstaaten der EU beteiligt sind, ABl. 1997 Nr. C 195 / 2. 447 Siehe oben Seiten 132 f. 448 Siehe bereits oben Seiten 362 f. 449 BT-Drucksache 16 / 6558. 450 Der Regierungsentwurf wurde in der 16. Wahlperiode dem Bundestag zur Beratung zugeleitet, ist aber dann wohl dem Diskontinuitätsprinzip (§ 125 GOBT) zum Opfer gefallen. 451 Strafrechtsübereinkommen des Europarates über Korruption vom 27. Januar 1999 nebst Zusatzprotokoll vom 15. Mai 2003; UN-Übereinkommen gegen Korruption vom 31. Oktober 2003. Ebenfalls umgesetzt werden soll Art. 2 EU-Rahmenbeschluss 2003 / 568 / JI zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor (vgl. oben Seite 180 zu § 299 StGB-E), wobei gem. Art. 2 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses auch eine Beibehaltung der Beschränkung auf Wettbewerbslagen möglich wäre. 452 Schuster / Rübenstahl, wistra 2008, S. 201 (207). 453 Vgl. Tinkl, wistra 2006, S. 126 (127). 454 Siehe oben Seiten 327 ff.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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§ 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB-E ein europäischer Amtsträger Eingang ins Strafgesetzbuch finden sollte. Auf der aktiven Seite, also nur für § 334 StGB, kann daneben455 Art. 2 § 1 IntBestG zur Anwendung kommen, wenn die Bestechung darauf abzielt, sich oder einem Dritten durch eine künftige Diensthandlung einen Auftrag oder einen unbilligen Vorteil im internationalen geschäftlichen Verkehr zu verschaffen. Auf der Empfängerseite gleichgestellt wird insofern gem. Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a IntBestG „ein Amtsträger eines [jeden] ausländischen Staates“, wobei insofern bewusst456 keine Einschränkung gemacht wurde, dass seine Stellung mit der eines deutschen Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB vergleichbar sein müsse. Fraglich ist deshalb, welcher Maßstab dann zu gelten hat. Dies wurde auch in der Siemens-Entscheidung457 relevant: Insofern hatte der Bundesgerichtshof auf die Revision der Staatsanwaltschaft darüber zu befinden, ob hinsichtlich des Begriffs „Amtsträger eines ausländischen Staates“ auf das Recht des Staates abgestellt werden könne, in dem dieser tätig ist (der nach italienischem Strafrecht maßgebliche Art. 357 Codice Penale war nämlich weiter als der deutsche § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB) oder ob etwas anderes zu gelten habe. Aber auch hier erteilte der Bundesgerichtshof der Annahme eines Blanketttatbestandes, dessen Ausfüllung allein dem jeweiligen ausländischen Gesetzgeber überantwortet wäre, eine Absage458. Der Amtsträgerbegriff des IntBestG bestimmt sich vielmehr autonom anhand Art. 1 Abs. 4 des zugrundeliegenden OECD-Übereinkommens459. Dies gilt auch für Art. 2 § 1 IntBestG Nr. 2 lit. b IntBestG, durch den darüber hinaus Personen erfasst werden, die bei einer oder für eine Behörde eines ausländischen Staates, für ein öffentliches Unternehmen mit Sitz im Ausland oder in sonstiger Weise öffentliche Aufgaben für einen ausländischen Staat wahrnehmen (worunter selbst ein Parteifunktionär im Einparteienstaat fallen kann). Obwohl die Vorschriften nicht sonderlich übersichtlich erscheinen, ist das Heranziehen des OECD-Übereinkommens im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG unproblematisch, weil es sich dabei um einen vom deutschen Bundestag durch Parlamentsgesetz ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag handelt. 455 Auch bezüglich Amtsträgern der EU-Mitgliedstaaten steht Art. 2 § 1 EU-BestG hier in keinem Spezialitätsverhältnis zu Art. 2 § 1 IntBestG. 456 Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a IntBestG und Art. 2 § 1 I Nr. 2 lit. a EU-BestG wurden am selben Tag beschlossen. Deshalb erscheint es unzulässig, diese Einschränkung – wie Korte, in: Münchener Kommentar, § 334 StGB, Rn. 7 es tut – auch in Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a IntBestG hineinzulesen. 457 BGHSt 52, S. 238 (344 ff.). Siehe bereits oben Seiten 34, 322. 458 BGHSt 52, S. 238 (345). 459 Hier ist der Teil der Definition des Amtsträgers in Art. 1 Abs. 4 des OECD-Übereinkommens herauszugreifen, der der Alternative des Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a IntBestG zugrunde liegt. Demnach müsste ein „ausländischer Amtsträger“ zu dem Personenkreis gehören, der in einem anderen Staat durch „Ernennung oder Wahl ein Amt im Bereich der Gesetzgebung, Verwaltung oder Justiz innehat“, ohne selbst Richter, Soldat oder Abgeordneter zu sein, da diese unter Art. 2 § 1 IntBestG Nrn. 1, 3, Abs. 2 IntBestG fallen. Vgl. Schuster / Rübenstahl, wistra 2008, S. 201 (203 f.).

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

§ 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB-E soll nunmehr in Bezug auf die §§ 332 und 334 StGB eine einheitliche Regelung für alle „Bedienstete[n] eines ausländischen Staates und Personen, die beauftragt sind, öffentliche Aufgaben für einen ausländischen Staat wahrzunehmen“, schaffen, wobei weder eine Beschränkung auf den inländischen Amtsträgerbegriff des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfolgt noch ein Zusammenhang mit dem internationalen geschäftlichen Verkehr gefordert wird. Auch hier wird es bei der Auslegung der doch eher konturlosen Gleichstellungsklausel auf die zugrundeliegenden völkerrechtlichen Übereinkommen ankommen460, keinesfalls jedoch auf den strafrechtlichen Amtsträgerbegriff des Staates, in dem der Empfänger seine Aufgaben wahrnimmt. Fehlerhaft ist insofern die entsprechende Passage in der Begründung des Gesetztesentwurfes461. Da die alten und die neuen Gleichstellungsklauseln bei ausländischen Amtsträgern nur für die Bestechung, nicht jedoch für die schlichte Vorteilsnahme gelten, kommt es hier darüber hinaus ganz wesentlich darauf an, ob die erkaufte Diensthandlung als pflichtwidrig anzusehen ist. Die Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung wurde bisher, sieht man von der Sonderkonstellation des § 334 Abs. 3 Nr. 2 StGB ab, als rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal verstanden462. Der Vertrauensverlust gegenüber staatlichen Stellen wiegt nämlich besonders schwer, wenn bewusst eine rechtswidrige Entscheidung getroffen wurde. Bei der Klärung dieser Vorfrage kann es entsprechend nur auf die maßgeblichen Vorschriften des ausländischen Rechts ankommen463. Im internationalen Verwaltungsrecht, wenngleich dieses größtenteils ungeschrieben ist464, geht man schließlich relativ strikt vom Territorialitätsprinzip aus465, was zum Teil schon bei der fremdstaatlichen Enteignung466 und den gewerberechtlichen Anzeigepflichten467 eine Rolle gespielt hat. Allerdings kann gerade auch hier der ordre public-Gedanke, wie er sich in Art. 6 EGBGB468, aber auch § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 73 S. 1 IRG findet, eine Rolle spielen469. Die Anwendung ausländischen Rechts durch deutsche Gerichte zur Bestimmung der Pflichtwidrigkeit darf nicht zu Ergebnissen führen, die mit den Grundrechten unvereinbar sind. Selbst im Bereich des Beschaffungswesens, also im 460 Vgl. Schuster / Rübenstahl, wistra 2008, S. 201 (207). Namentlich sind dies: Art. 1 Abs. 4 des OECD-Übereinkommens; Art. 2 lit. b des UN-Übereinkommens; Art. 1 lit. c des Europarat-Übereinkommens. 461 BT-Drucksache 16 / 6558, S. 16, soweit dort auch auf Art. 1 lit. a des Europarat-Übereinkommens verwiesen wird. 462 Siehe oben Seiten 179 ff., 245, 298. 463 Korte, in: Münchener Kommentar, § 334 StGB, Rn. 18; Schuster / Rübenstahl, wistra 2008, S. 201 (204 f.). 464 Vgl. allerdings § 130 Abs. 2 GWB; § 1 Abs. 2 WpHG. 465 Vgl. Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 94 f. 466 Siehe Seite 356. 467 Siehe Seite 365. 468 Siehe bereits oben Seiten 355, 361. 469 Vgl. Herdegen, in: Maunz / Dürig, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 82 ff.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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Zusammenhang mit Art. 2 § 1 IntBestG, sind Regelungen mit vergabefremder Zielsetzung denkbar, deren internationale Durchsetzung keinesfalls Aufgabe deutscher Strafverfolgungsorgane sein darf. Man denke etwa an einen Unternehmer, welcher gleichzeitig mit Israel und den Staaten der Arabischen Liga Handel treiben470 oder ohne Restriktionen in Kuba und den USA investieren471 möchte und deshalb mit Schmiergeldzahlungen zu verhindern versucht, auf eine entsprechende „Schwarze Liste“ zu geraten. Die Tatsache, dass nach ausländischem Recht eigentlich eine Eintragung hätte erfolgen müssen, kann wegen Art. 12 GG keine strafbegründende Wirkung haben472, zumal die Teilnahme an ausländischen Boykottmaßnahmen nach deutschem Außenwirtschaftsrecht sogar rechtswidrig und bußgeldbewehrt ist473. Bei Art. 2 § 1 IntBestG könnte man die Straflosigkeit freilich auch daran festmachen, dass sich der Täter auf diese Weise im internationalen geschäftlichen Verkehr keinen „unbilligen Vorteil“ verschafft. Wenn man nun aber mit § 335a StGB-E nicht nur den weltweiten Wettbewerb, sondern generell die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes schützen möchte, wird sich dieses Problem noch verschärfen. Oft wird es aus deutscher Sicht sogar wünschenswert erscheinen, dass sich der staatliche Vollstrecker eines Unrechtsregimes als bestechlich erweist und sich nicht an seine Dienstpflichten hält (so z. B., dass er es letztendlich unterlässt, eine rassistisch oder ethnisch motivierte Enteignung474 vorzunehmen). Insofern sollte der Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung nach ausländischem Recht als Rechtsfolge bereits auf Tatbestandsebene entsprechend Art. 6 EGBGB die Anerkennung versagt werden.

f) Insiderstraftaten gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 5 WpHG sowie Kurs- und Marktpreismanipulation gem. § 38 Abs. 2 und 5 WpHG – Blankettverweis auf ausländisches Recht? Beim strafbaren Insiderhandel gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1 WpHG und beim strafbaren Verwenden von Insiderinformationen gem. § 38 Abs. 1 Nr. 2 lit. a – d i.V. m. § 39 Abs. 2 Nr. 3 und 4 WpHG findet die eigentliche Beschreibung des sozial uner470 Vgl. Der Spiegel, Ausgabe 18 / 2007 („Millionenzahlung nach Damaskus“), wo über einen entsprechenden weiteren „Skandal“ bei der Siemens AG berichtet wird. 471 Nach dem sog. Helms-Burton Act, eigentlich Cuban Liberty and Democratic Solidarity (Libertad) Act 1996, ist der Kauf und Verkauf konfiszierten Vermögens auch durch Investoren aus Drittstaaten sowie jede Handelsaktivität, die von solchem Vermögen profitiert, verboten. Entschärft wird die Situation allerdings wohl dadurch, dass US-amerikanische Gerichte von der Durchsetzung extraterritorial wirkender Vorschriften absehen, wenn der Normadressat zugleich einem entgegenstehenden territorialen Verbot der Befolgung [hier Verordnung (EG) Nr. 2271 / 96] unterworfen ist. Vgl. Vranes, Durchsetzung US-amerikanischer außenpolitischer Interessen in der EU und Österreich, EuZW 2007, S. 325. 472 Vgl. Schuster / Rübenstahl, wistra 2008, S. 201 (204 f.). 473 Siehe § 33 Abs. 1 und 7 AWG i.V. m. §§ 4 a, 70 Abs. 1 Nr. 1 AWV; zu Fußnote 471 (auf dieser Seite) auch § 33 Abs. 4 S. 1 AWG i.V. m. § 70 Abs. 5 f AWV i.V. m. Verordnung (EG) Nr. 2271 / 96. 474 Siehe oben Seite 356.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

wünschten Verhaltens, wie bereits oben in Abschnitt B des zweiten Teils gezeigt475, in den verwaltungsrechtlichen Verbotsvorschriften des § 14 Abs. 1 Nr. 1 und Nrn. 2 – 3 WpHG statt. Notwendige weitere Definitionen erfolgen in den §§ 12 und 13 WpHG. Entsprechendes gilt bei der als Straftat wenig praxisrelevanten476 Kurs- und Marktpreismanipulation gem. § 38 Abs. 2 i.V. m. § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 2 oder Abs. 2 Nr. 11 i.V. m. § 20a WpHG. Den Vorschriften wurde im Rahmen dieser Arbeit durchgehend eine blankettausfüllende Funktion zugesprochen477, da § 38 Abs. 1 Nrn. 1 – 2 und 38 Abs. 2 WpHG das jeweils verwirklichte Unrecht nicht vollständig umschreiben. Da die Regelungen vor allem das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Kapital- und Wertpapiermarktes und damit die Funktionsfähigkeit der Börsen und Märkte478, also ein überindividuelles Rechtsgut, schützen sollen und nicht unmittelbar das Vermögen der Anleger479, sind Auslandssachverhalte davon tatbestandlich nicht selbstverständlich umfasst480. Abhilfe schafft allerdings, dass § 12 S. 1 Nr. 2 WpHG bzw. §§ 38 Abs. 2 und 20a WpHG auch die Märkte anderer EU / EWR-Mitgliedstaaten ausdrücklich miteinbeziehen. Als weniger geglückt anzusehen ist allerdings die Gleichstellungsklausel des § 38 Abs. 5 WpHG, die in ihrer Formulierung so wohl einzigartig ist: Demnach soll einer in § 38 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 WpHG i.V. m. § 39 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 WpHG bzw. § 38 Abs. 2 i.V. m. § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 2 oder Abs. 2 Nr. 11 WpHG genannten Verbotsvorschrift ein entsprechendes ausländisches Verbot für die Anwendung der Strafvorschriften gleichstehen. Der Gesetzgeber geht also möglicherweise davon aus, dass in die genannten Strafblankette auch ausländische Verbotsvorschriften hineingelesen werden können. Dies wäre nach dem bisher Gesagten nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar481. Der Wortlaut von § 38 Abs. 5 WpHG nimmt jedoch nicht auf beliebige ausländische Ge- und Verbote Bezug, sondern nur auf solche Vorschriften, die den deutschen §§ 14 und 20a WpHG entsprechen482. Laut den Gesetzgebungsmaterialien ging es vor allem darum sicherzustellen, dass auch Fälle miterfasst sind, in denen von außen die Funktionsfähigkeit des europäischen Kapitalmarktes geschädigt wird483. Greift nach allgemeinen Regeln das deutsche Strafanwendungsrecht, sei es nach § 7 Abs. 2 StGB oder auch § 3 i.V. m. § 9 Abs. 1 StGB484, können nach der hier vertreSiehe oben Seite 259. Dass der Täter durch seine Handlung tatsächlich auf den Börsen- oder Marktpreis eingewirkt hat, lässt sich in der Regel kaum nachweisen, da jede Kursbewegung auch auf anderen Faktoren beruhen kann. 477 Siehe oben Seiten 150, 159 und 259. 478 Hilgendorf, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 38, 39 WpHG, Rn. 191; Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 109; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 356; jeweils m. w. N. 479 So allerdings Hellmann / Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 30. 480 Siehe oben Seiten 353 f. 481 Siehe bereits oben Seiten 362 und 368. 482 Hilgendorf, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Vor § 12 WpHG, Rn 21. 483 Vgl. BT-Drucksache 14 / 8017, S. 89, 98 f. 475 476

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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tenen Auffassung485 aber sogar die deutschen §§ 14 und 20a WpHG in § 38 Abs. 1 und 2 WpHG hineingelesen werden, da diese als Teil des Gesamttatbestandes den Charakter einer Strafnorm annehmen486. Demnach wäre § 38 Abs. 5 WpHG überflüssig, hätte allenfalls klarstellende Funktion487. Da die Vorschrift aber in jedem Fall so auszulegen ist, dass sie in keinerlei Hinsicht über die deutschen Regelungen hinausgehende Strafbarkeiten schaffen will, ist ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG im Ergebnis zu verneinen.

g) Hinterziehung ausländischer Steuern gem. § 370 Abs. 6 AO Der Tatbestand der Steuerhinterziehung umfasst mit § 370 Abs. 1 – 5, 7 AO grundsätzlich nur Steuern, die gem. § 1 Abs. 1 AO aufgrund deutscher oder europäischer Steuergesetze geschuldet sind und von inländischen Finanzbehörden verwaltet werden488, so dass sich das Problem der Bezugnahme auf ausländisches Recht meist gar nicht stellt. § 370 Abs. 6 AO nimmt nun jedoch Erweiterungen hinsichtlich der Fiskalinteressen der Europäischen Union, soweit diese durch andere Mitgliedstaaten wahrgenommen werden, aber auch der eigenen Fiskalinteressen anderer Mitgliedstaaten sowie der Länder der Europäischen Freihandelsassoziation vor. Gem. § 373 Abs. 4 AO gelten die Regelungen auch für den gewerbsmäßigen, gewaltsamen und bandenmäßigen Schmuggel sowie gem. § 374 Abs. 4 AO für die Steuerhehlerei. Fraglich ist auch hier, wie sich diese tatbestandlichen Erweiterungen in das bisherige System einordnen lassen oder ob vielleicht insofern eine mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarende Ausfüllung von Blankettmerkmalen durch ausländisches Recht stattfindet489. Praktisch bedeutsam ist bisher nur § 370 Abs. 6 S. 1 AO. Dieser bezieht sich auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben i. S. d. Art. 4 Nrn. 10 und 11 Zollkodex bzw. Art. 4 Nrn. 14 und 15 Modernisierter Zollkodex490, also auf alle bei der Ein- bzw. Aus484 Einen Erfolgsort im Inland wird man allerdings nicht allein dadurch konstruieren können, dass der inländische Kapitalmarkt abstrakt gefährdet würde (Hilgendorf, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 38, 39 WpHG, Rn. 248; vgl. allgemein zu abstrakten Gefährdungsdelikten Eser, in: Schönke / Schröder, § 9 StGB, Rn. 6; Lackner / Kühl, § 9 StGB, Rn. 2). Sonst wären schließlich auch die meisten Regelungen in § 5 StGB überflüssig. 485 Siehe oben Seite 365. 486 So trotz anderer Terminologie i. E. auch Nietsch, Internationales Insiderrecht, S. 107 f., 127 ff., 132. 487 Vgl. auch Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 366. Diversy, in: Graf / Jäger / Wittig, § 38 WpHG, Rn. 187 sieht in der Vorschrift dagegen eine über die §§ 3 ff. StGB hinausgehende Strafanwendungsregel mit begrenztem Anwendungsbereich. 488 Hellmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 370 AO, Rn. 24; Lipsky, in: Graf / Jäger / Wittig, § 370 AO, Rn. 3, 5; siehe auch oben Seite 354. 489 Siehe bereits oben Seiten 362, 368 und 372. 490 Verordnung (EWG) Nr. 2913 / 92 bzw. Verordnung (EG) Nr. 450 / 2008. Zur Anwendbarkeit vgl. Art. 188 Modernisierter Zollkodex.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

fuhr491 zu entrichtenden Abgaben. Dazu gehören nicht nur Zölle im klassischen Sinne, sondern auch nationale Einfuhrumsatzsteuern, Alkohol- und Tabaksteuern, wenn diese auf der Grundlage der Einfuhr aus einem Drittland anfallen492. Soweit die Tarife nicht nach Art. 20 Zollkodex bzw. Art. 33 Modernisierter Zollkodex einheitlich geregelt sind, ist für die Berechnung des Zahlungsanspruchs i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO das ausländische Recht maßgeblich493. Dies ist jedoch unproblematisch, da die Steuerhinterziehung insoweit (jedenfalls nach der hier vertretenen Auffassung) keine Blanketteigenschaften aufweist, der Steueranspruch vielmehr ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal darstellt494. Daher gilt nichts anderes als z. B. beim Betrug gem. § 263 StGB, bei dem der Vermögensschaden in bestimmten Konstellationen ebenfalls unter Heranziehung ausländischen Zivilrechts ermittelt werden muss495. Unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber ausländischen Zollbehörden (sei es auch durch Benutzung des grünen Ausgangs auf Flughäfen496) können deshalb ohne Zweifel zu einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V. m. § 370 Abs. 6 S. 1 AO führen. Dass der Erklärungsempfänger eine ausländische Behörde ist, liegt in der Natur der Sache497. Bei der Unterlassensvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wirkt das materielle Steuerrecht dagegen zum Teil blankettausfüllend, soweit diese hinsichtlich einzelner Erklärungspflichten ergänzungsbedürftig 491 Ausfuhrabgaben werden nur dann erhoben, wenn der Weltmarktpreis für ein knappes Gut über dem Inlandspreis liegt. Die Europäische Union macht davon derzeit keinen Gebrauch (vgl. Möller / Retemeyer, in: Bender / Möller / Retemeyer, Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht, C II, Rn. 48). 492 Vgl. BGH NStZ 2001, S. 201; BGH NJW 2007, S. 1294 (1297); a. A. Bender, Rechtsfragen um den Transitschmuggel mit Zigaretten, wistra 2001, S. 161 (163 f.); Schmitz / Wulf, Erneut: Hinterziehung ausländischer Steuern und Steuerhinterziehung im Ausland, wistra 2001, S. 361 (367 f.), die darauf verweisen, dass diese Steuern den Mitgliedstaaten selbst zustehen und deshalb lediglich unter § 370 Abs. 6 S. 2 AO fallen. Der Sache nach wäre es allerdings widersinnig Einfuhr- und Ausfuhrabgaben der EFTA-Staaten in einem stärkeren Maße zu schützen als die anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Zudem werden auch eigene Einfuhrabgaben vom jeweiligen Mitgliedstaat „selbst verwaltet“ (vgl. Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 552). 493 BGH NStZ 2001, S. 201; BGH NStZ 2007, S. 595; BGH 1 StR 314 / 09 vom 19. August 2009, Rz. 4. 494 Siehe oben Seiten 187 ff., 247 ff., 299 ff. Anders Jäger, Die Auswirkungen der Osterweiterung der Europäischen Union auf das deutsche Steuerstrafrecht, Festschrift-Amelung, S. 447 (455 f.), der, da er von einer „Ausfüllung“ des § 370 AO durch ausländisches Recht ausgeht, das ausländische Steuerrecht im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot einer „vergleichenden Wertung“ mit dem deutschen Steuerrecht unterziehen möchte. Ähnlich Lipsky, in: Graf / Jäger / Wittig, § 370 AO, Rn. 202. Den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG dürften jedoch schon zahlreiche deutsche materielle Steuernormen, wie z. B. § 42 AO, nicht standhalten (vgl. oben Seiten 299 ff.). 495 Vgl. parallel zu § 242 StGB oben Seiten 355 f.; zu § 266 StGB Seite 357. 496 Ransiek, in: Kohlmann, § 370 AO, Rn. 219. 497 § 370 AO, Rn. 425. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO spricht von „Finanzbehörden oder anderen Behörden“. Ausländische Stellen lassen sich wohl unter beide Begriffe fassen (vgl. dazu Seite 375, Fußnote 502).

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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ist498. Dies könnte bei ausländischen Abgaben durchaus zu Problemen führen499. Die hier relevante Gestellungspflicht ergibt sich allerdings aus unmittelbar anwendbarem Europarecht, namentlich Art. 40 Zollkodex (EWG) bzw. Art. 95 Modernisierter Zollkodex (EG)500. Europarechtliche Verordnungen wie der Zollkodex sind durchaus geeignet, deutsche Blankettverweisungen auszufüllen501. Dies kann nach der hier vertretenen Auffassung sogar in einem dynamischen Sinne geschehen, insbesondere wenn die Verordnung einem Gesetz kontinentaleuropäischen Typs gleichkommt. Damit ist bei Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben auch die Unterlassensvariante der Steuerhinterziehung anwendbar502. Nach § 370 Abs. 6 S. 2 AO kann darüber hinaus jenseits der Ein- und Ausfuhr eine Gleichstellung hinsichtlich Umsatzsteuern und harmonisierter Verbrauchsteuern für Mineralöle, Alkohol und alkoholische Getränke sowie Tabakwaren503 erfolgen. Nach § 370 Abs. 6 S. 3 AO a. F. stand dies jedoch bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010504 unter dem Vorbehalt, dass eine Gegenseitigkeitsvereinbarung505 mit einem oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossen und dies durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen festgestellt wurde. Zu entsprechenden Vereinbarungen ist es jedoch nie gekommen, obwohl die Regelung seit 1993 existierte506 und praktische Anwendungsfälle gerade im Bereich der Umsatzsteuer durchaus vorhanden sind507. So ist z. B. durchaus zweifelhaft, ob UmSiehe oben Seiten 193 ff., 248. Vgl. etwa den Fall OLG Schleswig NStZ-RR 1998, S. 313 (nächtliches Verbringen einer unverzollten Ladung in den Hafen von Bilbao). 500 Siehe auch oben Seiten 193, 248, 260 und 332. 501 Siehe oben Seiten 329 ff. 502 Anders ist nur dann zu entscheiden, wenn man sich wie Schmitz / Wulf, wistra 2001, S. 361 (364 f.); dies., in: Münchener Kommentar zum StGB, § 370 AO, Rn. 318 darauf beruft, dass der Begriff der „Finanzbehörden“, wie er von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließlich verwendet wird (vgl. dagegen Seite 374, Fußnote 497), in § 6 Abs. 2 AO abschließend legaldefiniert wird; dort werden nur deutsche Stellen genannt. Gesetzgeberisch gewollt ist eine solche Einschränkung aber wohl kaum. Wenn zudem § 370 Abs. 6 AO die Regelung des § 1 Abs. 1 AO überwindet, muss dies für § 6 Abs. 2 AO entsprechend gelten, ohne dass der Wortlaut der Vorschrift dafür überdehnt würde. „Finanzbehörden“ können deshalb richtigerweise auch ausländische Stellen sein. 503 Vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie (EWG) Nr. 92 / 12. 504 Art. 9 Nr. 11 Jahressteuergesetz 2010, BGBl. 2010, 1768 (in Kraft getreten am 14. Dezember 2010); vgl. auch Entwurf der Bundesregierung für ein Jahressteuergesetz 2010, BTDrs. 17 / 2249, S. 88. 505 Vgl. dazu Keßeböhmer / Schmitz, Hinterziehung ausländischer Steuern und Steuerhinterziehung im Ausland, § 370 Abs. 6 und 7 AO, wistra 1995, S. 1 (3 ff.); Möller / Retemeyer, in: Bender / Möller / Retemeyer, Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht, C III, Rn. 427; Entwurf der Bundesregierung für ein Jahressteuergesetz 2010, BT-Drs. 17 / 2249, S. 88. 506 BGBl. 1992 I, S. 1548 (1560). 507 Hentschel, Braucht die Steuerfahndung noch den § 370 Abs. 6 Sätze 2, 3 AO?, DStR 2009, S. 1076; Kemper, Umsatzsteuerkarusselle (§ 370 VI AO und Art. 280 IV EGV), NStZ 2006, S. 593 (596 ff.). 498 499

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

satzsteuerfreiheit in Deutschland bei innergemeinschaftlichen Lieferungen wirklich dann entfällt, wenn die Lieferung darauf angelegt ist, im europäischen Ausland Mehrwertsteuer zu hinterziehen (etwa durch Angabe falscher Empfänger)508. Ist dies nicht der Fall509, bleibt als strafwürdige Handlung nur die Beteiligung an einer im anderen Mitgliedstaat bewirkten Steuerhinterziehung, die im Inland aber bisher nicht verfolgt werden konnte510. Mit Abschaffung des Gegenseitigkeitsvorbehalts wird sich dies nun ändern. In Bezug auf § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dürften dann wiederum keine Schwierigkeiten auftreten, auch wenn man den verkürzten Steueranspruch i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO anhand des ausländischen Rechts ermitteln muss. Die Unterlassensvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist dagegen nicht ohne weiteres anwendbar, da die Erklärungspflichten nach der hier vertretenen Auffassung nicht direkt dem ausländischen Recht entnommen werden können511, auch wenn durch die Art. 250 ff. der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (EG) Nr. 2006 / 112 insofern eine gewisse Harmonisierung stattgefunden hat. Denkbar wäre es allenfalls, durch Gesetz diejenigen ausländischen Erklärungspflichten und -fristen zu benennen, die dem deutschen § 18 UStG (seine Anwendung auf Auslandssachverhalte dürfte an der Wortlautgrenze scheitern512) gleichkommen sollen. Ein solcher statischer Verweis auf ausländisches Recht wäre wohl noch mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar und ausnahmsweise praktikabel513.

Spätestens mit der unrichtigen Erklärung des tatsächlichen Empfängers ist die Tat aber auch so als aktives Tun gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 S. 2 AO strafbar.

h) Bezugnahme auf ausländische Einzelakte? Problematisch ist ferner, inwieweit ausländische Hoheitsakte für materielle Strafbarkeiten im Inland eine Rolle spielen können. Bei einer Vielzahl der oben behandelten Tatbestände hing die Strafbarkeit vom Vorliegen oder Nichtvorliegen eines behördlichen oder justiziellen Einzelakts ab: So ahnden die § 145c StGB, § 146 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 148 Abs. 1 Nr. 1 GewO den Verstoß gegen ein strafgerichtlich 508 Vgl. BGH DStR 2009, S. 1688 (Vorlage zum EuGH); BVerfG vom 16. Juni 2011, Az. 2 BvR 542 / 09; dazu auch Ransiek, § 370 AO und Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen, HRRS 2009 / 10, S. 421; EuGH („Halifax“) DStR 2006, S. 420 (425); EuGH („Kittel“) DStR 2006, S. 1274 (1278); siehe bereits oben Seite 300. 509 So der Schlussantrag des Generalanwalts Cruz Villalón vom 29. Juni 2010, C-285 / 09. 510 Denkbar war dann nur eine Auslieferung mittels Europäischen Haftbefehls. Vgl. dazu Seite 381. 511 Siehe bereits oben Seiten 362, 368. Vgl. auch Schmitz / Wulf, in: Münchener Kommentar, § 370 AO, Rn. 318. 512 Siehe dagegen oben Seite 363 f. und 365 f. 513 Vgl. oben Seite 363. Nach der alten Rechtslage hätte man den Verweis auch in der nach § 370 Abs. 6 S. 4 AO a. F. zu erlassenen Rechtsverordnung vornehmen können.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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verhängtes Berufsverbot bzw. eine behördliche Gewerbeuntersagung514. Im Umweltstrafrecht (§§ 324 ff. StGB) ist bei vielen Delikten der Verstoß gegen eine vollziehbare behördliche Verfügung unter Strafe gestellt515. Entsprechendes findet sich bei § 1 Abs. 1 Nrn. 1 – 4 WiStG, § 95 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthaltsG516, § 21 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 und 3 StVG sowie den §§ 19 f. WehrStG. Bei anderen Tatbeständen hat der Einzelakt dagegen strafbefreiende Wirkung, geahndet wird ein Handeln ohne die dafür erforderliche Genehmigung: Dies ist etwa der Fall, wenn es bei § 34 Abs. 1 AWG um die Ausfuhr bestimmter Güter517, bei der Beschäftigung von Ausländern gem. § 404 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB III um das Vorliegen eines Aufenthaltstitels bzw. einer EU-Arbeitsgenehmigung518 oder bei § 21 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StVG um das Vorhandensein einer Fahrerlaubnis geht. Die meisten der genannten Tatbestände schützen freilich überindividuelle Rechtgüter. Dies hat zur Folge, dass Sachverhalte in Bezug auf ausländische Hoheitsakte schon tatbestandlich nicht erfasst werden, soweit keine ausdrücklichen Gleichstellungsklauseln vorhanden sind519. Ganz offensichtlich ist dies z. B. bei den Tatbeständen nach §§ 19 f. WehrStG oder den im Verteidigungsfall relevanten § 1 Abs. 1 Nrn. 1 – 4 WiStG der Fall. Das Problem, inwieweit ausländische Einzelentscheidungen überhaupt eine Rolle spielen können, stellt sich also gar nicht erst. Normen wie § 145c StGB schützen dagegen nicht nur die Autorität der verhängten Maßregeln, sondern auch die Allgemeinheit vor den Gefahren, die z. B. zur Auferlegung eines Berufsverbots geführt haben520. Hier ergibt sich jedoch das Problem, dass ein ausländisches Berufsverbot in Deutschland nicht ohne weiteres vollstreckbar ist, es bedarf vielmehr in jedem Fall einer inländischen Anerkennungsentscheidung nach den §§ 48 ff. IRG und darf deshalb nicht schon vorher auf dem Umweg über eine Strafbewehrung durchgesetzt werden521. Dennoch ist die deutsche Rechtsordnung nicht daran gehindert, bestimmte nach ausländischem öffentlichem Recht eingetretene Rechtsfolgen zu übernehmen, ohne dass es dafür eines innerstaatlichen Bestätigungsaktes bedürfte. Zum Teil ist die Bundesrepublik dazu sogar europarechtlich verpflichtet: Bekanntester Fall ist die Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse nach § 28 FeV, welche im ZusammenSiehe oben Seite 165. Siehe oben Seiten 166, 288. 516 Siehe oben Seite 166. 517 Siehe oben Seiten 205, 266, 294. 518 Siehe oben Seite 200. 519 Siehe oben Seiten 353 f. 520 Zopfs, in: Münchener Kommentar, § 145c StGB, Rn. 1. 521 Siehe bereits oben Seite 166. Auch § 6 Abs. 2 S. 3 GmbHG (ausländischer Verurteilung als Eignungsmangel für GmbH-Geschäftsführer), der ohne inländischen Bestätigungsakt zur Anwendung kommt, kann insofern nicht als Gegenbeispiel dienen. Die Vorschrift führt zwar zur Nichtigkeit des Bestellungsakts und eventuellen Schadensersatzpflichten, hat aber kein Berufsverbot i. S. d. § 145c StGB zur Folge. 514 515

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

hang mit § 21 StVG522 zu den bereits oben angesprochenen Problemen beim „Führerscheintourismus“ geführt hat523. Mittelbar strafbarkeitsbegründende Auswirkungen hat dabei auch der entsprechende actus contrarius, also ein ausländischer Führerscheinentzug, da § 28 FeV eine „gültige“ Fahrerlaubnis verlangt. Ein ausländischer Entziehungsakt kann aber wiederum nicht zum Erlöschen einer deutschen Fahrerlaubnis führen524. Ausländische Diplome sind, wie schon in Abschnitt A gezeigt525, unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls innerhalb der Europäischen Union gegenseitig anzuerkennen; so entfällt sogar die Strafbarkeit nach § 5 Heilpraktikergesetz und § 13 Bundesärzteordnung, wenn der Täter neben der ruhenden deutschen Approbation noch eine weitere ausländische Zulassung besitzt526. Die Zulassung eines Kreditinstituts wirkt ebenfalls unionsweit, deshalb macht sich nicht nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG strafbar, wer ohne spezielle deutsche Genehmigung mit einer Zweigniederlassung auch im Inland Bankgeschäfte betreibt527. Bei grenzüberschreitenden Mülltransporten wird die für § 326 Abs. 2 StGB bedeutsame Genehmigung gem. Art. 9 der Abfallverbringungsverordnung (EG) Nr. 1013 / 2006 sogar von den Behörden am Versand- und Bestimmungsort gemeinsam erteilt528. Ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes Schengen-Visum wiederum schließt für Personen aus Drittstaaten gem. Art. 10 Abs. 1 SDÜ eine Strafbarkeit wegen illegalen Aufenthalts in der Bundesrepublik oder illegaler Einreise nach § 95 Abs. 1 Nrn. 2 bzw. 3 AufenthaltsG aus. Selbst feststellende ausländische Verwaltungsakte können unter Umständen in Deutschland Bindungswirkung entfalten und so strafrechtliche Auswirkungen haben: Dies gilt z. B. für eine „E101“-Entsendebescheinigung bei der Frage, ob sich ein Unternehmer bei Einsatz ausländischer Mitarbeiter wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt gem. § 266a Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat529. So unterliegen im Inland beschäftigte ausländische Arbeitnehmer gem. §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 3 Nr. 1, 522 Laut OLG Saarbrücken(Z) NJW-RR 1989, S. 733 ist § 21 StVG umgekehrt auch nicht auf den Schutz inländischer Rechtsgüter beschränkt, sondern gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch auf Auslandstaten Deutscher anwendbar. 523 Siehe Seiten 201 (dort insbesondere Fußnote 1359 zu EuGH NJW 2009, S. 207), 234, 342 f. 524 Die Vollstreckung des ausländischen Entziehungsakts bedürfte vielmehr auch hier einer inländischen Anerkennungsentscheidung nach den §§ 48 ff. IRG. Eine dafür gem. § 49 Abs. 5 IRG erforderliche völkerrechtliche Vereinbarung gibt es allerdings bisher nicht, auch die Ratifizierung des EU-Übereinkommens über den Entzug der Fahrerlaubnis, ABl. 1998, C 216, S. 1 steht noch aus. Vgl. Grotz, in: Grützner / Pötz / Kreß, Vor § 48 IRG, Rn. 9, § 49 IRG, Rn. 46. Vgl. dementsprechend § 69b StGB zur Wirkung der Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis durch ein deutsches Gericht. 525 Siehe oben Seite 342 zu EuGH („Auer“) NJW 1984, S. 2022. 526 BGHSt 50, S. 245. 527 Häberle, in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 53b KWG, Rn. 2. 528 Vgl. zum Verfahren Dieckmann, Die neue EG-Abfallverbringungsverordnung, ZUR 2006, S. 561 (563 ff.). 529 BGHSt 51, S. 124 (130 ff.).

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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9 Abs. 1 SGB IV grundsätzlich der deutschen Sozialversicherungspflicht. Eine Ausnahme ist gem. § 5 Abs. 1 SGB IV nur dann zu machen, wenn sie im Rahmen eines ausländischen Beschäftigungsverhältnisses zeitlich begrenzt im Inland arbeiten. Auf Antrag des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers kann ein entsprechender Sachverhalt vom Sozialversicherungsträger des Herkunftslandes gem. Art. 11 der Verordnung (EWG) Nr. 574 / 72 bestätigt werden. Diese Bestätigung entfaltet unionsweite Bindungswirkung530 und legt somit auch für den sozialrechtsakzessorischen § 266a StGB das anwendbare Sozialversicherungsrecht fest. Dies gilt selbst dann, wenn der Verdacht besteht, dass sie durch Täuschung erschlichen wurde531. Die Verordnung selbst enthält nämlich keine Missbrauchsklausel, wie man sie von § 330d Nr. 5 StGB, § 34 Abs. 8 AWG oder § 95 Abs. 6 AufenthaltsG kennt532. Die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens kann also von der Existenz eines ausländischen Einzelaktes abhängen, wenn dies im Einzelfall gesetzlich so vorgesehen ist. Insbesondere innerhalb der Europäischen Union spielt insofern das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung eine immer größere Rolle. In den bisher praktisch relevanten Fällen ist der ipso iure anzuerkennende ausländische Einzelakt allerdings in aller Regel begünstigend (z. B. Genehmigung, Fahrerlaubnis, Schengen-Visum) und hat damit nur strafbefreiende Wirkung. Aber auch die Bezugnahme auf belastende ausländische Einzelakte würde nicht per se gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen, denn anders als bei Blanketten, die auf abstrakte Rechtsnormen verweisen533, wird die Ermächtigungsgrundlage nicht in die Strafnorm hineingelesen534. Tatsächlich bedeutsam wird dies aber nur, wenn die Rechtsfolge des ausländischen Einzelaktes bereits im Ausland eintritt, so z. B. bei einer mittelbar strafbegründend wirkenden Entziehung eines ausländischen Führerscheins durch eine Behörde des Ausstellerstaates oder einer fremdstaatlichen Enteignung von im Ausland belegenen Vermögenswerten535. Selbst bei Art. 2 des Gesetzes zum Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial536, der ausländische Genehmigungen und Untersagungen deutschen Verfügungen im Hinblick auf § 311 Abs. 1 und 2 sowie § 328 Abs. 1 Nr. 1 StGB gleichstellt, gilt dies nur für Fälle, in denen im Ausland gehandelt wurde, man jedoch über einen Erfolgsort im Inland gem. § 3 i.V. m. § 9 Abs. 1 StGB oder über § 7 StGB537 zur Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts gelangt. Belastende Hoheitsakte eines ausländischen Staates, die im Inland unmittelbare Wirkung entfalten sollen, bedürfen dagegen schon aus öffentlich-rechtlicher 530 Vgl. EuGH („Fitzwilliam Executive Search Ltd.“) EuZW 2000, S. 380; EuGH („Barry Banks“) Slg. 2000, S. I-2005; EuGH („Herbosch Kiere“) vom 26. Januar 2006, Rs. C 2 / 05. 531 BGHSt 51, S. 124 (133 f.). 532 Siehe bereits oben Seite 221. 533 Zur Unzulässigkeit des Hineinlesens ausländischer Rechtsnormen in deutsche Blanketttatbestände vgl. bereits oben Seiten 362, 368 f., 373 ff. 534 Siehe oben Seiten 117, 240, 287 ff. 535 Siehe auch oben Seite 356. 536 BGBl. 1990 II, S. 326. 537 § 5 Nr. 11, 11a und § 6 Nr. 2 StGB greifen insofern nicht.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Sicht538 – von wenigen Ausnahmen abgesehen539 – eines inländischen Anerkennungsaktes. Schließlich ist die Einhaltung des innerstaatlichen ordre public, wie er in Art. 6 EGBGB, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 73 S. 1 IRG geregelt ist, hier ebenfalls Mindestvoraussetzung der Anerkennung540, wobei insofern auch verfahrensrechtliche Mindeststandards von Bedeutung sind. Bevor ein belastender ausländischer Einzelakt vollstreckt oder über den Umweg der Strafbewehrung durchgesetzt wird, bedarf es deshalb einer – abhängig von der Sachmaterie und den beteiligten Staaten – mehr oder minder intensiven Überprüfung durch eine deutsche Stelle. Ein im Ergebnis für vollstreckbar erklärtes Berufsverbot, sofern dafür die rechtshilferechtlichen Voraussetzungen gegeben wären541, könnte dann aber durchaus eine Strafbarkeit nach § 145c StGB in Deutschland nach sich ziehen. Wie die Anerkennung ausländischer Hoheitsakte genau zu erfolgen hat, wird (was strafrechtliche Entscheidungen anbelangt) Thema des folgenden Unterabschnitts sein.

III. Internationale Rechtshilfe in Strafsachen – insbesondere Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen umfasst die Bereiche Auslieferung, Vollstreckungsübernahme und sonstige Rechtshilfe. Interessant für diese Untersuchung sind vor allem Fälle der Unterstützung im Ausland geführter Strafverfahren. Befindet sich die Bundesrepublik in der Rolle des ersuchten Staates, geht es unter anderem darum, inwieweit ausländischen Entscheidungen Wirkung im Inland verliehen werden kann. Insofern kommt natürlich wiederum der ordre public-Gedanke542 – hier vor allem in verfahrensrechtlicher Hinsicht – zum Tragen. In verschiedenen Konstellationen ist darüber hinaus aber auch eine beiderseitige Strafbarkeit zu prüfen, die sich gerade in Wirtschaftsstrafsachen, bei denen internationale Verflechtungen häufig vorkommen, aufgrund unterschiedlicher Deliktsstrukturen als äußerst schwierig erweist. Insofern können natürlich ebenso Blankettverweise und rechtsnormative Tatbestandsmerkmale eine Rolle spielen. Deshalb soll die beiderseitige Strafbarkeit Schwerpunkt der folgenden Ausführungen sein, wobei ihre Bedeutung gerade im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Zukunft eher schwinden wird543. 538 Zur Vollstreckbarkeitserklärung ausländischer Zivilurteile vgl. auch §§ 722, 723 i.V. m. 328 ZPO; Art. 31 ff. EU-Vollstreckungsübereinkommen. 539 Man denke etwa an Fälle der Nacheile gem. Art. 41 SDÜ. 540 Siehe bereits oben Seiten 355, 361 und 370. Vgl. Herdegen, in: Maunz / Dürig, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 82 ff. 541 Bisher ist dies nicht der Fall. Gem. § 49 Abs. 5 IRG setzt die Anerkennung des Entzugs oder der Aussetzung eines Rechts, eines Verbots sowie des Verlust einer Fähigkeit eine entsprechende völkerrechtliche Vereinbarung voraus. Soweit ersichtlich, gibt es für Berufsverbote aber keine. Zu § 6 Abs. 2 S. 3 GmbHG siehe Seite 377, Fußnote 521. 542 Siehe bereits oben Seiten 355, 361, 370.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

381

Das Erfordernis einer beiderseitigen Strafbarkeit wurde früher aus dem Gedanken der Gegenseitigkeit (§ 5 IRG) hergeleitet – der ersuchte Staat hätte in der umgekehrten Situation mangels Strafbarkeit eines entsprechenden Tatvorwurfs im Inland kein Interesse an einer Rechtshilfeleistung544. Heute wird ihr dagegen vor allem individualschützende Wirkung zugesprochen, was natürlich eine gewisse (zum Teil nicht unberechtigte) Skepsis gegenüber ausländischen Rechtsordnungen zum Ausdruck bringt. Diese wiegt umso schwerer, desto eingriffsintensiver die aufgrund eines Rechtshilfeersuchens durchzuführende Maßnahme ist. Bei der Auslieferung zur Verfolgung einer Straftat oder zur Vollstreckung eines Urteils spielt der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit deshalb gem. § 3 Abs. 1 IRG immer noch eine sehr bedeutsame Rolle. Demnach findet eine Auslieferung nur dann statt, wenn die Tat i. S. d. § 264 StPO bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhaltes im Inland ebenfalls eine Straftat darstellen würde. Nur im Fall eines Europäischen Haftbefehls545 wird auf diese Prüfung bei den in Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002 / 584 / JI aufgeführten Deliktsgruppen (die Steuerhinterziehung fällt nicht darunter) gem. § 81 Nr. 4 IRG verzichtet546. Auch bei der Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse im Inland, sei es eine Freiheits- oder Geldstrafe, aber auch eine Verfalls- oder Einziehungserklärung, ist 543 Vgl. Lagodny, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 3 IRG, Rn. 1; Hackner, ebenda, Vor § 78 IRG, Rn. 7. 544 Lagodny, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 3 IRG, Rn. 1. 545 Art. 2 Abs. 1 des EU-Auslieferungsübereinkommens (BGBl. 1998 II, S. 2229) hielt dagegen noch am Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit fest. Art. 3 EU-AlÜbk machte insofern zwar schon einige Ausnahmen. Neben dem Europäischen Haftbefehl ist dies heute jedoch praktisch nicht mehr bedeutsam. 546 Vgl. Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 81 IRG, Rn. 6 ff. Siehe allerdings zur Verfassungswidrigkeit der ersten deutschen Umsetzung BVerfGE 113, S. 273. Die Entscheidung hat zur Einfügung von § 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 IRG geführt, der bei Auslieferung Deutscher einen hinreichenden Auslandsbezug verlangt (kritisch dazu Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 80 IRG, Rn. 7 ff.) und dabei mit Art. 4 Abs. 7 lit. b) des Rahmenbeschlusses 2002 / 584 / JI in Einklang steht. Auch bei Ausländern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, ist § 83b Abs. 2 IRG zu beachten. Insofern geht es z. B. um Fälle, in denen dem Betroffenen vorgeworfen wird, von Deutschland aus bestimmte Inhalte im Internet veröffentlicht zu haben, die nur im Ausland strafbar sind [man denke etwa an Tatbestände wie den der böswilligen Blasphemie (Κακόβουλη βλασφημία) gem. Art. 198 des griechischen Strafkodex (Ποινικός Κώδικας) oder section 2 i.V. m. section 1 (1) des englischen Obscene Publications Act 1959, welcher Publikationen (nicht notwendigerweise sexuellen Inhalts) verbietet, die dazu „tendieren“, mögliche Adressaten moralisch zu „verderben“ („tend to deprave and corrupt“)] und der ausländische Staat den Erfolgsort auf seinem Territorium als begründet ansieht (zum Tatort Internet vgl. auch Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 43 ff.). Durch die Neuregelungen im IRG besteht nun keine Gefahr mehr, dass der Täter allein deshalb ans Ausland zu überstellen wäre, weil die Tat unter das Schlagwort „Cyberkriminalität“ (vgl. Art. 2 Abs. 2 Alt. 11 des Rahmenbeschlusses) subsumiert werden kann. Fehlt der in § 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 IRG geforderte Auslandsbezug, kommt vielmehr doch gem. § 80 Abs. 3 Nr. 3 IRG die beiderseitige Strafbarkeit zum Tragen. Dies geschieht wohl auch zu Recht. Hat der Betroffene nicht im Ausland gehandelt, ist er nun einmal schutzwürdiger, als wenn er sich ursprünglich freiwillig in das Land des Tatorts begeben und dem Risiko einer dortigen Strafverfolgung ausgesetzt hat.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

der Grundsatz gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG weiterhin von Bedeutung547. Die Tat muss sowohl nach ausländischem als auch nach deutschem Recht sanktionierbar sein548. Von beiderseitiger „Strafbarkeit“ kann man insofern allerdings strenggenommen nicht sprechen, da es ausreicht, wenn die Tat im Inland eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Ausnahmen sollen künftig jedoch im Rahmen der Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen innerhalb der Europäischen Union gelten, eine entsprechende Sonderregelung ist in § 87b Abs. 1 S. 2 IRGE549 vorgesehen, der auf den Deliktskatalog von Art. 5 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005 / 214 / JI Bezug nimmt. Im Rahmen der „sonstigen“ Rechtshilfe i. S. d. § 59 IRG wird am traditionellen Prinzip nur noch sehr abgeschwächt festgehalten. Immerhin fordert § 66 Abs. 2 Nr. 1 IRG für die Herausgabe von Gegenständen, da diese stärker als andere Formen der sonstigen Rechtshilfe in Rechte des Betroffenen eingreift550, eine beiderseitige Sanktionierbarkeit. Auch Art. 5 des beim Europarat angesiedelten Europäischen Rechtshilfeübereinkommens von 1959551 sieht entsprechende Vorbehaltsmöglichkeiten vor. Im Rechtshilfeverkehr mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird jedoch wiederum darauf verzichtet, hier gem. §§ 94 Abs. 1 Nr. 2 und 97 IRG nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2003 / 577 / JI zur Europäischen Sicherstellungsanordnung. Kommt es auf eine beiderseitige Sanktionierbarkeit an, muss das ausländische Strafrecht allerdings im Auslieferungs-, Exequatur- oder sonstigen Bewilligungsverfahren vom deutschen Rechtsanwender selbst gar nicht in vollem Umfang überprüft werden. Diesbezügliche Feststellungen werden bereits vom ersuchenden Staat vorgenommen. So ist einem Auslieferungsersuchen gem. § 10 Abs. 1 IRG ein ausländischer Haftbefehl, ein freiheitsentziehendes Erkenntnis oder eine Urkunde mit entsprechender Rechtswirkung beizulegen. Die Vollstreckungsübernahme erfolgt gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG nur bei Vorlage des rechtskräftigen ausländischen Urteils, auch die Herausgabe von Gegenständen hängt nach § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG von einer entsprechenden ausländischen Beschlagnahmeanordnung ab. Als ausländischer Einzelakt wird diese Entscheidung mehr oder minder anerkannt552, selbst 547 Auch Art. 3 Abs. 1 lit. d des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen (BGBl. 1991 II S. 1006) und Art. 5 S. 2 lit. b) des EG-Vollstreckungsübereinkommens (BGBl. 1997 II, S. 1351) halten am Grundsatz fest. 548 Schomburg / Hackner, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 49 IRG, Rn. 16. 549 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 17 / 1288. 550 Vgl. Lagodny, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 66 IRG, Rn. 21. 551 BGBl. 1964 II, S. 1386; erläutert wird es bei Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, Hauptteil II B und Grützner / Pötz / Kreß, Abschnitt III 2. Fast alle Mitgliedstaaten des Europarates und das Nichtmitglied Israel gehören diesem Übereinkommen an. Der aktuelle Stand ist abrufbar im Internet unter: http://conventions.coe.int. 552 Vgl. etwa OLG Frankfurt am Main NStZ 1999, S. 640; OLG München NStZ 1995, S. 207; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2004, S. 216; KG NJW 2008, S. 673 zur Vollstreckungsübernahme.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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bei der Auslieferung erfolgt hinsichtlich der Strafbarkeit nach ausländischem Recht (§ 2 Abs. 1 IRG) in der Regel nur eine Schlüssigkeitsprüfung553. Das ausländische Verfahren muss allerdings bestimmten rechtsstaatlichen Mindestanforderungen, eben einem prozessrechtlichen ordre public554, genügen. Bei der Vollstreckungsübernahme muss beispielweise gem. § 49 Nr. 2 IRG im ausländischen Verfahren rechtliches Gehör gewährt, eine angemessene Verteidigung ermöglicht und die Sanktion von einem unabhängigen Gericht oder, soweit es sich um eine Geldbuße handelt, von einer Stelle verhängt worden sein, gegen deren Entscheidung ein unabhängiges Gericht angerufen werden kann. Bei der Auslieferung ist ferner das sich anschließende Verfahren zu beachten: Auslieferungshindernisse wären z. B. eine drohende politische Verfolgung (§ 6 Abs. 2 IRG), die Möglichkeit der Verhängung einer Todesstrafe (§ 8 IRG)555, eine sonstige menschenrechts- oder rechtsstaatswidrige Behandlung556, aber auch der praktisch besonders bedeutsame Fall der Vollstreckung eines definitiven und für den Beschuldigten überraschenden Abwesenheitsurteils557.

Bei der Prüfung der hypothetischen Sanktionierbarkeit nach deutschem Recht ist der Sachverhalt gedanklich so umzustellen, als wäre die Tat im Inland begangen worden558. Auf die §§ 3 – 7 und 9 StGB, die bei einem Auslandssachverhalt sonst zu prüfen wären559, kommt es dementsprechend nicht an. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts könnte sogar ganz im Gegenteil z. B. gem. § 9 IRG (oder auch § 83b Abs. 1 lit. a und b IRG) einer Auslieferung entgegenstehen560. Aus ähnlichen Gründen ist auf Tatbestandsebene die Frage auszublenden, ob Auslandssachverhalte vom Schutzbereich deutscher Strafvorschriften erfasst wären561. Diesbezüglich trifft das Rechtshilferecht eigene Regelungen, wenn es z. B. die Auslieferung gem. § 6 Abs. 1 S. 1 IRG für politische oder gem. § 7 IRG für militärische Straftaten grundsätzlich ausschließt, im Falle eines Europäischen Haftbefehls davon jedoch gem. § 82 IRG wiederum eine Ausnahme macht. Eine Auslieferung wegen Steuerhinterziehung zu Lasten eines anderen Staates ist entsprechend nicht nur in den in § 370 Abs. 6 AO genannten Fällen562 möglich. Bei der Verletzung überindividueller

553 OLG Karlsruhe Justiz 1989, S. 199 (Nachprüfung nur bei greifbaren Zweifeln); vgl. aber auch Vogel / Burchard, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 2 IRG, Rn. 23 ff.; Lagodny, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 2 IRG, Rn. 8. 554 Siehe oben Seite 380. 555 Zu anderen unmenschlichen, erniedrigenden oder schlechterdings schuldunangemessenen Strafen vgl. Vogel, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 73 IRG, Rn. 96 ff. 556 Vgl. dazu allgemein Lagodny, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 73 IRG, Rn. 3 ff.; Vogel, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 73 IRG, Rn. 26 ff. 557 Vogel, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 73 IRG, Rn. 82 ff., 86. 558 Vogel / Burchard, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 3 IRG, Rn. 34. 559 Vgl. oben Seiten 348 ff. 560 Lagodny, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 3 IRG, Rn. 3; zur Vollstreckungsübernahme Schomburg / Hackner, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 49 IRG, Rn. 16. 561 Vgl. oben Seiten 352 ff. 562 Vgl. oben Seiten 373 ff.

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

Rechtsgüter wird vielmehr auf die Verletzung des entsprechenden Rechtsgutes in der Bundesrepublik umgestellt563. Weiterhin stellt sich auf Tatbestandsebene jedoch auch hier die Frage, ob eventuell maßgebliche deutsche Blanketttatbestände von deutschem oder ausländischem Recht auszufüllen sind und wie es sich bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen verhält, die auf ein außerstrafrechtliches Rechtsverhältnis Bezug nehmen564. Insofern sollten grundsätzlich die gleichen Prinzipien zur Anwendung kommen wie bei einer in Deutschland durchgeführten Hauptverhandlung. Eine Ausfüllung deutscher Straftatbestände durch ausländisches Recht ist demnach unzulässig; eine Bildung von gemischt inländisch-ausländischen Gesamttatbeständen findet auch hier nicht statt565. Nur bei Blankettgesetzen, die auf Europarecht verweisen, kann es vorkommen, dass sowohl der ausländische als auch der inländische Tatbestand von derselben Norm ausgefüllt wird566. Erleichterungen ergeben sich allerdings auch daraus, dass im Rahmen der Rechtshilfe auf einen sinngemäß umgestellten Sachverhalt abgestellt werden kann. Bei Hinterziehung ausländischer Umsatzsteuer wäre etwa bei der Prüfung der Strafbarkeit nach deutschem Recht auch die Unterlassensvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V. m. § 18 UStG anwendbar, selbst wenn der Wortlaut der umsatzsteuerrechtlichen Erklärungspflicht für Auslandssachverhalte nicht unmittelbar passt567. Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen ist dagegen hinsichtlich der vorgelagerten Rechtslage einheitlich auf ausländisches Recht abzustellen. Die gedankliche Umstellung des Sachverhaltes geht also nicht so weit, dass für zivilrechtliche Vorfragen deutsches Zivilrecht Anwendung finden müsste, insofern findet keine Meistbegünstigung statt. So unterliegt die Beurteilung der Fremdheit einer Sache bei Eigentumsdelikten wiederum dem Recht des Staates, in dem sich die Sache zum Zeitpunkt des letzten eigentumsrelevanten Vorgangs tatsächlich befunden hat (Art. 43 Abs. 1 und 2 EGBGB)568. Wenn der Täter bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3 ff. StGB sogar im Inland bestraft werden könnte, würde es keinen Sinn ergeben, wegen einer tätergünstigeren hypothetischen Eigentumslage von einem Auslieferungshindernis auszugehen. Auch bei der Steuerhinterziehung, wie sie in Deutschland nach § 370 AO strafbar ist, kommt es deshalb nicht darauf an, dass bei einem Inlandssachverhalt Steuern in gleicher Höhe zu zahlen wären oder überhaupt ein Steueranspruch bestünde. Die Regelung in § 81 Nr. 3 IRG569, Lagodny, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 3 IRG, Rn. 9. Vgl. Lagodny, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, § 3 IRG, Rn. 17 ff.; Vogel / Burchard, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 3 IRG, Rn. 35 ff. 565 Siehe bereits oben Seiten 362, 368 und 373. 566 Siehe dazu allgemein Seiten 323 ff., aber auch das Beispiel auf Seite 375. 567 Zu einer Strafbarkeit im Inland nach §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 S. 2 AO i.V. m. § 18 UStG vgl. dagegen Seite 376. Vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1973, S. 1568 (1569) zu § 40 SprengstoffG a. F. i.V. m. der damals noch nationalen Liste explosionsgefährlicher Stoffe; OLG Hamburg vom 20. Juli 1988, Az. Ausl 12 / 88 zu § 33 AWG a. F. i.V. m. § 70 AWV. 568 Siehe oben Seiten 355 f. 569 Siehe auch Art. 6 Abs. 2 EU-AlÜbk (vgl. oben Seite 381, Fußnote 545). 563 564

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

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dass die Auslieferung in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch dann zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates, ist insofern also gar nicht notwendig. Weiter wird auch der ausländische Einzelakt, soweit Rechtshilfe hinsichtlich eines Tatbestands geleistet werden soll, der den Verstoß gegen einen solchen unter Strafe stellt, sinngemäß für das Inland übernommen (allerdings wiederum nur in den Grenzen des ordre public570). Auf dieser Grundlage ist, wenn im Auslieferungs-, Exequaturoder sonstigem Bewilligungsverfahren erforderlich, zu prüfen, ob bei einem Verstoß gegen eine vergleichbare deutsche Verfügung im Inland eine Straftat vorläge. Der Einzelakt selbst braucht aber nicht vollständig der deutschen Rechtslage zu entsprechen571.

IV. Zusammenfassung der Ergebnisse Im dritten Teil lassen sich hinsichtlich ausländischer Rechtsverhältnisse die Ergebnisse des Abschnitts B wie folgt zusammenfassen: – Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts richtet sich nach den §§ 3 – 7 und 9 StGB und einzelnen Sonderregelungen im Nebenstrafrecht572. – Kommt es bei § 7 Abs. 1 und 2 StGB auf die Strafbarkeit nach ausländischem Recht an, muss das ausländische Recht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht genügen573. Da es sich bei der Strafbarkeit nach ausländischem Recht um eine objektive Strafbarkeitsbedingung handelt, muss sich der Vorsatz des Täters (bei Einhaltung der ausländischen und inländischen Anforderungen an den inneren Tatbestand) allerdings nicht, anders als man es von rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen kennt, auf diese Rechtsfolge beziehen. – Auf Tatbestandsebene gilt immer deutsches Strafrecht574, wobei nicht jeder Tatbestand vom Schutzbereich her auch Auslandssachverhalte umfasst575. – Inländische Blankettverweisungen können nur durch deutsche und nicht durch ausländische Vorschriften ausgefüllt werden576. Hinsichtlich der Anwendbarkeit Siehe bereits oben Seiten 355, 361, 370 und 380. Vogel / Burchard, in: Grützner / Pötz / Kreß, § 3 IRG, Rn. 37 f.; zutreffend auch OLG Karlsruhe MDR 1986, S. 873 f. zur Anerkennung der familiengerichtlichen Entscheidung eines griechischen Gerichts im Falle einer Kindesentziehung gem. § 235 StGB. Wohl anders OLG Karlsruhe MDR 1989, S. 667, soweit das Gericht hier auf die hypothetische Unzulässigkeit eines entsprechenden deutschen Einzelakts (Einreiseverbot nach Ausweisung eines Italieners) abstellt und ein Auslieferungsersuchen der Schweiz wegen illegaler Einreise ablehnt. 572 Siehe oben Seiten 348 ff. 573 Siehe oben Seite 351. 574 Siehe oben Seite 352. 575 Siehe oben Seiten 352 ff. 576 Siehe oben Seiten 362 ff., 368, 369, 373 ff. 570 571

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3. Teil: Bezugsnormen aus dem europäischen und ausländischen Recht

der Ausfüllungsnormen sind die §§ 3 – 7 und 9 StGB maßgeblich, so dass vermeintliche Ahndungslücken zum Teil gar nicht bestehen577. Probleme entstehen nur dort, wo der Wortlaut der inländischen Ausfüllungsnormen tatbestandlich nicht auf Auslandssachverhalte passt; insofern könnte sich der Gesetzgeber lediglich durch einen statischen Verweis auf ausländische Normen behelfen578. Die einheitliche Ausfüllung des deutschen und ausländischen Strafblanketts durch Europarecht579 oder völkerrechtliche Vereinbarungen580 ist dagegen unproblematisch. – Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen beurteilt sich die vorgelagerte Rechtslage dagegen nach dem jeweils maßgeblichen Rechtsstatut581. Der Anerkennung ausländischer Rechtslagen sind aber durch die ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 73 S. 1 IRG) Grenzen gesetzt582. Demnach ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist. Ansonsten bildet hypothetisch angewendetes deutsches Recht aber keine wie auch immer geartete Obergrenze der Strafbarkeit583. – Ausländische Einzelakte können sowohl zugunsten als auch zulasten des Betroffenen eine Rolle spielen, sofern das im Rahmen inländischer Straftatbestände so vorgesehen ist584. Auch insofern verhält sich die Bezugnahme auf Einzelakte wie ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal585. Belastende Hoheitsakte eines ausländischen Staates, die im Inland unmittelbare Wirkung entfalten sollen, bedürfen allerdings in der Regel eines inländischen Anerkennungsaktes586, bevor sie im Inland vollstreckt oder über den Umweg der Strafbewehrung durchgesetzt werden können. – Im Bereich der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen587 stellt sich die Frage, inwieweit ausländischen strafrechtlichen Entscheidungen im Inland Wirkung zukommen kann. In verschiedenen Konstellationen kommt es dabei auf eine beiderseitige Sanktionierbarkeit der Tat im prozessualen Sinne an. Bei der Frage der hypothetischen Strafbarkeit nach deutschem Recht sind das Strafanwendungsrecht und das Problem, ob der inländische Tatbestand vom Schutzbereich her 577 578 579 580 581 582 583 584 585 586 587

Siehe oben Seiten 365, 372 f. Siehe oben Seiten 363 und 376. Siehe oben Seite 375; siehe auch im ersten Abschnitt des dritten Teils Seiten 329 ff. Siehe oben Seite 369. Siehe oben Seiten 355 ff., 357 ff., 370 f., 373 ff. Siehe oben Seiten 355 f., 361 und 370 f. Siehe oben Seite 356. Siehe oben Seiten 376 ff. Siehe bereits oben Seiten 211, 252. Siehe oben Seite 379. Siehe oben Seiten 380 ff.

B. Ausfüllung durch oder Anknüpfung an ausländisches Recht

387

Auslandssachverhalte umfasst, allerdings nicht zu prüfen588. Ansonsten gilt auch hier, dass bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen ausländische Rechtsverhältnisse grundsätzlich anerkannt, inländische Blanketttatbestände dagegen nur durch inländisches Recht ausgefüllt werden589. Erleichterungen ergeben sich allerdings daraus, dass auf einen sinngemäß umgestellten Sachverhalt abgestellt werden kann590.

588 589 590

Siehe oben Seite 383. Siehe oben Seiten 384 ff. Siehe oben Seite 384.

Schlussbetrachtung Im Rahmen dieser Schlussbetrachtung sollen der Verlauf der Untersuchung noch einmal nachgezeichnet und die am Ende eines jeweiligen Teils oder Abschnitts in Thesenform ausformulierten Ergebnisse1 zusammengeführt werden. Denn tatsächlich hängen die Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt, die Fragen, ob bei einer Rechtsänderung § 2 Abs. 3 und 4 StGB anzuwenden ist, ob Art. 103 Abs. 2 GG für Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten gilt, inwieweit eine Ausfüllung durch unmittelbar inhaltsbestimmendes Europarecht stattfinden darf und in welchem Umfang ausländisches Recht eine Rolle spielen kann, von der gleichen Problemstellung ab. Entscheidend ist, ob das jeweilige Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes, welches die Verknüpfung zu einem anderen Rechtsgebiet oder gar einer anderen Rechtsordnung herstellt, als Blankettverweisung oder rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal anzusehen ist, wobei sich die Bezugnahme auf behördliche und justizielle Einzelakte in der Regel wie letzteres verhält. Dabei kann ein und derselbe Straf- oder Bußgeldtatbestand sowohl Blankettverweisungen als auch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale enthalten. Eine Ausfüllungsnorm kann sogar ihrerseits als Blankett ausgefüllt werden oder auf rechtsnormative Tatsachen oder Einzelakte Bezug nehmen2. Außen vor bleiben insofern lediglich einige Aspekte der sonstigen Beeinflussung durch Europarecht, die es jedoch wegen ihrer praktischen Bedeutung auf dem Gebiet des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts mitzubehandeln galt. Im ersten Teil war zunächst entscheidend, dass die inhaltlichen Anforderungen an den Vorsatz des vollendeten Delikts und den Tatentschluss beim Versuch identisch sind3 und über die §§ 22, 23 StGB hinausgehende objektiv strafbarkeitsbeschränkende Wertungskriterien keine gesetzliche Grundlage haben4. Dies gilt auch für das Tatsubjekt5, wobei sich insofern rechtliche Fehlvorstellungen, die allein die Tauglichkeit des Täters betreffen, in aller Regel schon nach allgemeinen Kriterien als nicht vorsatzrelevant erwiesen haben. Zu beachten war ferner, dass gerade die im Wirtschaftsstrafrecht typischen Gefährdungsstraftatbestände, aber genauso die Untreue gem. § 266 StGB oder das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gem. § 266a StGB keine Versuchsstrafbarkeit gem. § 23 Abs. 1 StGB 1 2 3 4 5

Siehe Seiten 208 ff., 251 f., 301 ff., 345 ff., 385 ff. Siehe oben Seiten 116 f. Siehe oben Seiten 125 ff. Siehe oben Seiten 123 ff., 127 ff. Siehe oben Seiten 129 ff.

Schlussbetrachtung

389

kennen6. Dessen ungeachtet musste, um alle Fälle zu erfassen, jeder Lösungsentwurf zur Abgrenzung von vorsatz- und nichtvorsatzrelevanten Irrtümern zum Ziel haben, problemübergreifende Ergebnisse zu liefern. Die weitgehende Gleichbehandlung von Blankettverweisungen und rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen zu Gunsten von § 16 Abs. 1 StGB, wie sie von namhaften Vertretern im Schrifttum angestrebt wird, wäre deshalb nur mittels eines an die Vorsatztheorie angenäherten Ansatzes zu erreichen gewesen. Denn allein sie erlaubt eine großzügige Anwendung von § 16 Abs. 1 StGB, ohne dass dies strafbarkeitserweiternde Folgen für den umgekehrten Fall des untauglichen Versuchs hat. Jede Form der restriktiven Anwendung der Schuldtheorie zugunsten der Vorsatztheorie muss sich allerdings nicht nur an den gesetzlichen Vorgaben in §§ 16, 17 StGB, Art. 1 Abs. 1 EGStGB, § 369 Abs. 2 AO und § 11 Abs. 1 und 2 OWiG messen lassen, sie bedarf außerdem der Sache nach einer besonderen Rechtfertigung7. Die Vorsatztheorie hat sonst nämlich, was durch die Analyse historischer und ausländischer Ansätze8 bestätigt werden konnte, vor allem dort ihre Berechtigung, wo man „die Urform des Rechts in Befehlen, in Geboten oder Verboten erblickt“9. Ein solch „imperatives“ Rechtsverständnis ist der deutschen Rechtsordnung aber fremd. Allein die Tatsache, dass in bestimmten Bereichen Rechtsunkenntnis typischerweise verzeihlicher sein mag als im Kernstrafrecht10 rechtfertigt es dagegen nicht, abweichende Abgrenzungslehren für § 16 und § 17 StGB aufzustellen. Als unzutreffend erwiesen hat sich schon der Einwand, dass von bestimmten vom Nebenstrafrecht erfassten Situationen ohne Verbotskenntnis kein Unrechtsappell ausgehe. Auch das Nebenstrafrecht einschließlich der zugehörigen blankettausfüllenden Vorschriften besteht nicht aus „despotischen Befehlen“, deren sachlicher Hintergrund selbst für Angehörige der einschlägigen Berufsgruppen kaum eigenständig erfassbar wäre. Der antisoziale Charakter liegt vielmehr ebenso wie im Kernstrafrecht in der Beeinträchtigung oder Gefährdung bedeutender Individual- und Universalrechtsgüter, zu denen die Täter meist in einer besonders engen Beziehung stehen. Sollte ein Irrtum dennoch persönlich unvermeidbar sein, kann man über § 17 S. 1 StGB zum Freispruch gelangen11. Ist aber sonst der unbewusste und dennoch schuldhafte Rechtsverstoß der entscheidende Gradmesser, gilt hier ebenfalls, dass in erster Linie an der Missachtung der jeweils betroffenen Schutzgüter und nicht an der illoyalen Gesinnung desjenigen, der sich bewusst zum Normbruch entschließt, Anstoß zu nehmen ist. Eine andere Bewertung rechtfertigt es auch dann nicht, wenn bei Blankettverweisungen die Aus6 In vielen Rechtsordnungen ist dies anders (siehe oben Seiten 80 ff.). Einschränkungen der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, die dann dort kriminalpolitisch sinnvoll erscheinen, können deshalb für die deutsche Rechtsordnung nicht unbedingt als Vorbild herhalten. 7 Siehe oben Seiten 145 ff. 8 Siehe oben Seiten 50 ff., 61 ff., 137 ff. 9 Vgl. Radbruch, Anmerkung zu OLG Frankfurt am Main vom 12. August 1947, Süddeutsche JZ 1947, Sp. 633 (634). Siehe oben Seiten 137 ff., 143, 145. 10 Siehe oben Seiten 146 ff., 156. 11 Siehe oben Seiten 153 ff.

390

Schlussbetrachtung

füllungsnormen erst in das jeweilige Merkmal hineinzulesen sind. Die Subsumtion eines Lebenssachverhalts unter den auf diese Weise gebildeten Gesamttatbestand kann schließlich vom Bürger selbständig vorgenommen werden. Geht sie aufgrund unzureichender Rechtskenntnis fehl, findet nach allgemeinen Grundsätzen § 17 StGB Anwendung12. Im umgekehrten Fall liegt ein Wahndelikt vor13. Der Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB spielt bei solchen Merkmalen eine Rolle, bei denen vom Bürger selbst bei optimaler Rechtskenntnis keine zutreffende eigenständige Subsumtion erwartet werden kann oder diese aus anderen Gründen in den Hintergrund tritt. So findet bei Tatbeständen, die auf einen staatlichen Einzelakt Bezug nehmen14, schon kein Zusammenlesen der Sanktionsnorm mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des Einzelakts statt. Wegen mangelnder Sachkenntnisse des Bürgers bzw. seiner mutmaßlichen Befangenheit in eigener Sache wird die Subsumtion vielmehr von staatlichen Stellen übernommen. Der partiell unmündige Bürger trägt insoweit keine Verantwortung, schuldet im Gegenzug aber Gehorsam. Entsprechend muss sich der Vorsatz auf die durch den Einzelakt festgelegte Rechtsfolge beziehen, ansonsten greift § 16 Abs. 1 StGB. Soweit der Hoheitsakt allerdings keine Einzelregelung trifft und die Rechtsanwendung Sache des Bürgers bleibt, kommt § 17 StGB zur Anwendung, so z. B. wenn standardisierte Verwaltungsakte, insbesondere in Form einer Allgemeinverfügung vom Bürger anhand gesetzlicher Vorgaben interpretiert werden müssen oder der Bürger in Kenntnis des Einzelaktes über dessen gesetzlich bestimmte Vollziehbarkeit irrt15. Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen16 möchte der Gesetzgeber ebenfalls auf eine konkrete Rechtsfolge Bezug nehmen, welche der Täter in seinen Vorsatz aufnehmen muss; ansonsten greift wiederum § 16 Abs. 1 StGB. Die bewusste Missachtung des jeweiligen Regelungseffekts, welcher regelmäßig in der sozialen Wirklichkeit ein eigenständiges Dasein führt17, stellt den eigentlichen Unrechtsgehalt der Tat dar. Kenntnisse der vorgelagerten tatsächlichen Umstände sowie der zugehörigen zivil- oder öffentlich-rechtlichen Grundlagen sind dagegen nicht erforderlich18. Beispielhaft genannt sei etwa das Merkmal „fremd“, bei dem der Täter einer Straftat nach den §§ 242 ff. StGB den Umstand, dass die Sache im Eigentum eines anderen steht, typischerweise an objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Tat festmachen wird19. Im umgekehrten Fall, wenn sich die Frage stellt, Siehe oben Seiten 157 ff., 161 f. Siehe oben Seite 119. 14 Siehe oben Seiten 163 ff. 15 Siehe oben Seiten 166 ff. 16 Siehe oben Seiten 169 ff. 17 Siehe z. B. oben Seiten 170, 171, 182, 188. 18 Siehe oben Seiten 126, 169. 19 Siehe oben Seiten 170 f. Eine eigenständige Subsumtion anhand der §§ 929 ff. BGB ist ihm dagegen in aller Regel mangels Kenntnis der zugehörigen tatsächlichen Vorgänge unmöglich, selbst wenn er über noch so detailreiche Kenntnisse im Sachenrecht verfügen würde. 12 13

Schlussbetrachtung

391

ob ein untauglicher Versuch vorliegt, ist neben den übrigen Versuchsvoraussetzungen nur zu prüfen, ob das jeweils tatbestandlich maßgebliche Rechtsverhältnis im Vorstellungsbild des Täters vorhanden war20. Darüber hinausgehende Ansichten, die den Subsumtionsstoff der vorgelagerten Rechtsnormen betreffen, werden nicht verlangt. Die Abgrenzung im Einzelfall ergab, dass z. B. der Tatbestand der Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 4 InsO blankettartig auf § 15a Abs. 1 InsO verweist und dieser wiederum durch die §§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO ausgefüllt wird21. Gleiches gilt für § 283 StGB und die Frage, wann Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit vorliegt22. Auch das in den §§ 238 ff. HGB geregelte „Ob“ der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten ist in die §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 StGB bzw. § 283b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 StGB23 hineinzulesen. Blankettcharakter weisen ebenfalls § 34 AWG24, §§ 38, 39 i.V. m. §§ 14, 20a WpHG und unzählige weitere Tatbestände des Nebenstrafrechts25 auf. Um rechtsnormative Tatbestandsmerkmale handelt es sich dagegen bei den Merkmalen der Fremdheit und der Rechtswidrigkeit des erstrebten Vorteils in den §§ 242, 246, 253, 263, 289 StGB26, beim Merkmal der strafbaren Vortat in den §§ 257, 258, 259, 261 StGB und § 374 AO27, beim Merkmal der Subventionserheblichkeit in § 264 StGB28, beim Merkmal der Pflichtwidrigkeit in § 266 StGB und verwandten Delikten29, dem Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in § 266a Abs. 1 und 3 StGB30, dem Merkmal der Unrichtigkeit in den §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 und 7, 283b Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StGB, §§ 331 ff. HGB, §§ 399 ff. AktG, §§ 313 ff. UmwG31 und dem der Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung in den §§ 332, 334 StGB32. Die Folgen für den Irrtumstatbestand führten jeweils ebenso materiell zu sachgerechten Ergebnissen. Selbst die gesondert behandelte Steuerhinterziehung gem. § 370 AO33 fällt insofern nicht aus dem Rahmen. Ihre pauschale Bezeichnung als „BlankettstrafSiehe oben Seiten 121 ff., 134, 182. Siehe oben Seite 158. 22 Siehe oben Seite 159. Vorsatzrelevant sind dagegen Fehlvorstellungen, die sich auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO beziehen (vgl. Seite 131). 23 Siehe oben Seite 159, vgl. auch Seiten 127, 131, 181 f. 24 Siehe oben Seite 160; zu § 34 Abs. 1 AWG siehe vor allem auch Seiten 196 ff. 25 Siehe oben Seiten 149 ff., 157 ff. 26 Siehe oben Seiten 170 f. 27 Siehe oben Seite 171. 28 Siehe oben Seiten 191 f. Zur Verwendungsbeschränkung beim untreueähnlichen § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB vgl. auch Seiten 174, 176. 29 Siehe oben Seiten 172 ff., vgl. auch Seite 130. 30 Siehe oben Seiten 176 ff. Siehe auch Seite 189 zu § 266a Abs. 2 StGB. 31 Siehe oben Seiten 127, 181 f. 32 Siehe oben Seiten 179 f., vgl. dagegen aber auch Seiten 132 ff. 33 Siehe oben Seiten 183 ff. 20 21

392

Schlussbetrachtung

recht“34 hat sich allerdings als irreführend erwiesen, da der verkürzte Steueranspruch als solcher35 und die steuerliche Erheblichkeit36 rechtsnormative Tatbestandsmerkmale darstellen. Nur in der Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO weist der Tatbestand Blankettcharakter auf, soweit er auf steuerliche Erklärungspflichten Bezug nimmt37. Tatbestände, wie § 34 Abs. 1 AWG zum Außenwirtschaftsstrafrecht, § 404 Abs. 2 Nr. 3, 4 SGB III38 zur illegalen Beschäftigung von Ausländern oder § 16 Abs. 1 AÜG im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung, welche i. w. S. den Verstoß gegen Genehmigungs- und Anzeigepflichten unter Strafe stellen39, folgen ebenfalls den genannten Irrtumsregeln. Der Irrtum über die Existenz der Genehmigung ist vorsatzrelevant40. Ansonsten hat sich die übliche Unterscheidung zwischen präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt als wenig fruchtbar erwiesen41. Wenn eine behördliche Kontrolle für nötig gehalten wird, kann das maßgebliche Verhalten immer erst nach erteilter Genehmigung oder erfolgter Anzeige sozialadäquat sein, entsprechend beurteilt sich der Irrtum über entsprechende gesetzliche Pflichten durchgehend nach § 17 StGB. Im zweiten Teil war zunächst in Abschnitt A zu klären, welche Normen in zeitlicher Hinsicht überhaupt Anwendung finden dürfen. Insofern war zunächst festzustellen, dass gem. § 2 Abs. 1 StGB eine zum Tatzeitpunkt straffreie Handlung im Nachhinein weder durch Verschärfung blankettausfüllender Normen noch durch Änderung anderweitig in Bezug genommener Rechtsverhältnisse retroaktiv kriminalisiert werden kann42. Die Frage, wann eine Rechtsänderung zugunsten des Beschuldigten im Hinblick auf § 2 Abs. 3 StGB relevant ist, musste dagegen wiederum differenziert beantwortet werden. Bei Blanketttatbeständen hat das Zusammenlesen den Effekt, dass bei Milderung der Ausfüllungsnormen grundsätzlich § 2 Abs. 3 StGB greift43. Hinter jeder Rechtsänderung steht eben auch eine gesetzgeberische Neubewertung der Sozialwidrigkeit der einschlägigen Verhaltensweisen. Besonderheiten ergeben sich allerdings dann, wenn § 2 Abs. 4 StGB zur Anwendung kommt, sofern im Tatzeitpunkt ein schärferes Zeitgesetz galt (nicht jedoch, wenn das Zeitgesetz das mildere ist)44. Darüber hinaus sind Ausnahmen vom MilderungsVgl. oben Seite 117. Siehe oben Seiten 187 ff. 36 Siehe oben Seiten 191 ff. Dort auch zu den §§ 264, 264a, 265b StGB. 37 Siehe obe Seiten 193 ff. 38 Siehe dazu auch schon oben Seite 160. § 404 SGB III ist eine Ordnungswidrigkeit, i.V. m. § 10 Abs. 1 SchwarzArbG kann aber auch ein Straftatbestand vorliegen. 39 Siehe oben Seiten 196 ff. 40 Siehe oben Seiten 199 ff. 41 Siehe oben Seiten 203 ff. 42 Siehe oben Seiten 220 ff. 43 Siehe oben Seiten 232 ff., 247. 44 Siehe oben Seiten 233 f.; dort auch zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) und dem bis zum 31. Dezember 2013 befristeten § 19 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 InsO. 34 35

Schlussbetrachtung

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gebot möglich, wenn der Gesetzgeber eine sonstige von § 2 Abs. 3 StGB abweichende Vorschrift geschaffen hat45. Dieses genießt nämlich keinen Verfassungsrang, ebenso können Art. 49 Abs. 1 S. 3 der Grundrechtecharta der Europäischen Union und Art. 15 Abs. 1 S. 3 IPBPR in der Form, wie er in der Bundesrepublik ratifiziert wurde, einfachgesetzlich eingeschränkt werden46. Beim Verweis auf einen strafbarkeitsbegründenden oder ausschließenden Einzelakt47 ist die nachträgliche Änderung der Rechtslage durch Aufhebung oder Erlass48 der einschlägigen Verfügung oder durch Umgestaltung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage dagegen grundsätzlich irrelevant. Ausnahmen sind nur dann zu machen, wenn der jeweils maßgebliche Tatbestand etwas anderes vorschreibt49. Zur Anwendung kommt § 2 Abs. 3 StGB allerdings dann, wenn sich z. B. die gesetzgeberische Grundentscheidung über die Vollziehbarkeit bei Einführung eines allgemeinen Suspensiveffektes bei § 307 StPO oder der Streichung von § 80 Abs. 2 VwGO50 ändern würde. Das Gleiche gilt, wenn eine gesetzliche Genehmigungsoder Anzeigepflicht als solche abgeschafft wird51. Für rechtsnormative Tatbestandsmerkmale52 wird die nachträgliche Änderung der Rechtsnormen, die dem in Bezug genommenen (z. B. zivil-, sozial- oder steuerrechtlichen) Regelungseffekt vorgelagert sind, ebenfalls nicht relevant. Wenn nur auf eine bestimmte Rechtsfolge verwiesen wird, der Rechtsgrund aber ausgeklammert bleibt, muss dies erst recht für die dahinter stehenden gesellschaftlichen Vorstellungen gelten. Alles andere wäre auch nur schwer mit der Annahme eines untauglichen Versuchs für denjenigen vereinbar, der sich eine ihm nachteilige Rechtslage bloß eingebildet hat, da dieser vom Milderungsgebot nicht profitieren könnte53. Zivilrechtliche oder sonstige außerstrafrechtliche Neuregelungen haben zudem außerhalb des Strafrechts (selbst wenn sie auf einer gewandelten und besseren Erkenntnis des Gesetzgebers beruhen) normalerweise keine Rückwirkung. All dies führt z. B. bei der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO dazu54, dass eine wie auch immer geartete Steuersenkung oder ein Auslaufenlassen einer bestimmten Steuerart keinen Einfluss auf die Strafbarkeit einer Verkürzung hat, die sich auf einen vorangegangenen Veranlagungszeitraum bezieht. Wenn der Tatbestand im Hinblick auf das Steuer-Soll i. S. d. § 370 Abs. 4 AO keinen Blankettcharakter besitzt55, ist § 2 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Siehe oben Seite 237. Siehe oben Seite 219. Siehe oben Seiten 238 ff. Siehe oben Seiten 238 ff. Siehe oben Seite 241. Siehe oben Seite 240. Siehe oben Seite 241. Siehe oben Seiten 242 ff. Siehe oben Seite 243. Siehe oben Seiten 247 ff. Vgl. zur Irrtumslehre auch oben Seite 211.

394

Schlussbetrachtung

Abs. 3 StGB von vornherein nicht anwendbar; die Frage, ob Steuergesetze Zeitgesetze i. S. d. § 2 Abs. 4 StGB darstellen, stellt sich überhaupt nicht. Abweichungen von der Regel, dass das, was im Falle des Irrtums nach § 16 StGB zu beurteilen ist, im Hinblick auf § 2 Abs. 3 StGB keine Rolle spielt, ergeben sich nur bei bestimmten Anschlussdelikten. Zwar wurde die Strafbarkeit der Bezugstat als rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal verstanden. Verweist § 257 Abs. 2 oder § 258 Abs. 3 StGB aber zusätzlich auf den Strafrahmen der Bezugstat, läuft dieser bei deren Entkriminalisierung leer56. Eine Strafvereitelung oder Begünstigung kann dann auch nicht mehr geahndet werden. Steht fest, welche Normen in zeitlicher Hinsicht anzuwenden sind, gilt, wie in Abschnitt B gezeigt, dass bei Tatbeständen mit Blankettverweisungen erst durch deren Ausfüllung durch Rechtsnormen ein dem Art. 103 Abs. 2 GG entsprechender Gesamttatbestand entsteht57. Blankett- und Ausfüllungsnorm müssen deshalb insgesamt dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Der täterbelastende Irrtum über Ausfüllungsnormen ist aus diesem Grund auch immer nur Wahndelikt. Der Gesetzesbegriff des Art. 103 Abs. 2 GG umfasst dabei auch nichtförmliche Gesetze58. Mindestanforderungen an den durch Parlamentsgesetz geregelten Teil des Gesamttatbestandes ergeben sich jedoch aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bei Ausfüllung durch Rechtsverordnung59 bzw. aus Art. 20 Abs. 3 GG bei Ausfüllung durch Satzungen60. Wird diesen Anforderungen nicht genügt, kann mangels wirksamer Ausfüllungsnorm kein dem Art. 103 Abs. 2 GG entsprechender Gesamttatbestand gebildet werden61. In diesem Zusammenhang häufig anzutreffende Rückverweisungsklauseln62 tragen zwar in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot zur besseren Überschaubarkeit von Blankettgesetzen bei63, bergen aber die Gefahr, dass der parlamentarische Gesetzgeber seiner Aufgabe nicht gerecht wird, selbst eine verbindliche Grundentscheidung darüber zu treffen, welche Verhaltens- und Schuldformen inwieweit als sanktionswürdig anzusehen sind64. Spätestens dort, wo dem administrativen Normgeber sogar die Wahl zwischen Bußgeld und Freiheitsstrafe bleibt, dürfte diese Verweisungsform als verfassungswidrig anzusehen sein. Bei Bezugnahme auf einen Einzelakt65 ist die Verfügung als solche am (ggf. durch § 37 Abs. 1 VwVfG) konkretisierten, allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis aus Art. 20 Abs. 3 GG zu messen. Die Anforderungen liegen insofern 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65

Siehe oben Seite 246. Siehe oben Seiten 258 ff. Siehe oben Seiten 264 ff. Siehe oben Seiten 271 ff. Siehe oben Seiten 284 ff. Siehe oben Seite 272. Siehe oben Seiten 274 ff. Siehe oben Seite 275. Siehe oben Seite 278. Siehe oben Seiten 287 ff.

Schlussbetrachtung

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sogar über denen, die an eine abstrakte Rechtsnorm gem. Art. 103 Abs. 2 GG gestellt werden66. Aus kompetenzrechtlichen Gründen67 müssen die zu schützenden Rechtsgüter und die mit Strafe oder Bußgeld bedrohten Verhaltensweisen allerdings vom Gesetzgeber selbst hinreichend und abstrakt beschrieben werden. Die Schaffung allgemeiner legislatorisch ungebundener Gehorsamstatbestände ist dagegen unzulässig68. Ist die Straf- oder Bußgelddrohung an die Vornahme einer Handlung ohne Einholung eines genehmigenden Verwaltungsakts geknüpft, ist Art. 103 Abs. 2 GG ohne Besonderheiten auf den gesetzlichen Tatbestand einschließlich der Beschreibung des genehmigungspflichtigen Verhaltens sowie den Typus und den Regelungsinhalt der verlangten Genehmigung anzuwenden69. Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen70 muss das Merkmal selbst Art. 103 Abs. 2 GG genügen, nicht jedoch die Vorschriften, die dem jeweils geforderten Rechtsverhältnis vorgelagert sind. Dies gilt z. B. im Falle einer Strafbarkeit nach den §§ 242 ff. StGB für die maßgeblichen sachenrechtlichen Vorgänge, die der Entstehung des fremden Eigentums zugrunde liegen, bei einer Strafbarkeit wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gem. § 266a StGB für § 7 Abs. 1 SGB IV und die sozial- bzw. arbeitsrechtlichen Fiktionstatbestände71. Im Rahmen der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO kann das Bestehen einer Steuerschuld als notwendige Voraussetzung eines Verkürzungserfolgs bei Gestaltungsmissbrauch durch Anwendung von § 42 AO begründet werden72. Da die eigenständige Subsumtion des Täters insofern in den Hintergrund tritt73, sind auch teleologische Reduktionen und analoge Gesetzesanwendung, die sich mittelbar zulasten des Täters auswirken, zulässig. In all den genannten Fällen wird der Täter durch das Vorsatzerfordernis bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen ausreichend geschützt74. Umgekehrt ist die Nichtanwendung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes auf vorgelagerte Rechtsnormen wiederum Voraussetzung dafür, dass man bei den genannten Delikten den untauglichen Versuch bestrafen kann. Denn eingebildete Normen, die einzig in der Vorstellung des Täters eine für ihn nachteilige Rechtslage begründen, könnten als Nichtrecht keinesfalls Art. 103 Abs. 2 GG genügen75. Im dritten Teil konnte in Abschnitt A festgestellt werden, dass die Europäische Union auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon über keine originäre Straf66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Siehe oben Seite 289. Siehe oben Seiten 290 ff. Siehe oben Seite 293. Siehe oben Seite 294. Siehe oben Seiten 294 ff. Siehe oben Seite 298. Siehe oben Seiten 299 ff. Vgl. auch bereits oben Seite 210. Siehe oben Seiten 295 und 169 ff. Siehe oben Seiten 295 f.

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Schlussbetrachtung

rechtssetzungskompetenz verfügt76. Dies gilt auch für den Sonderfall des Schutzes ihrer finanziellen Interessen; Art. 325 Abs. 4 AEUV-Lissabon bildet insofern keine eigenständige Grundlage77. Die Europäische Union kann jedoch die Mitgliedstaaten anweisen, nationale Straftatbestände zu schaffen78. Nach Wegfall der Drei-SäulenStruktur geschieht dies einheitlich durch Richtlinien79. Art. 83 Abs. 1 AEUV betrifft Fälle „besonders schwerer Kriminalität“ mit „grenzüberschreitender Dimension“ und stellt damit eine Nachfolgeregelung für die Strafrechtsharmonisierung durch Rahmenbeschlüsse auf Grundlage der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen dar. Art. 83 Abs. 2 AEUV regelt die strafrechtlichen Annexkompetenzen, die bisher im Gemeinschaftsrecht angesiedelt waren; in diesem Zusammenhang kann dann auch Art. 325 Abs. 4 AEUV eine Rolle spielen. Wurde eine entsprechende Richtlinie erlassen und vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt, spielen bei der Auslegung der Strafnorm die europarechtlichen Grundlagen (einschließlich des Einleitungssatzes, der dort angegebenen primärrechtlichen Grundlagen sowie der übrigen Erwägungsgründe) eine entscheidende Rolle80, da davon ausgegangen werden muss, dass der deutsche Gesetzgeber eine europarechtskonforme Regelung schaffen wollte. Darüber hinaus erfolgt die Anwendung nationaler Normen aber unabhängig von den europäischen Grundlagen; insbesondere lässt die Nichtigkeit einer Richtlinie die Gültigkeit des Strafgesetzes unberührt81. Der Auslegung im Lichte wirksamen Europarechts sind zudem durch Art. 103 Abs. 2 GG Grenzen gesetzt82. Für den Fall unzureichender Umsetzung darf strafbarkeitserweiterndes Richtlinienrecht nicht zu Lasten des Bürgers über den Wortlaut der nationalen Strafnorm hinaus Beachtung finden. Bleibt der nationale Gesetzgeber völlig untätig, scheidet selbst innerhalb der Wortlautgrenze die Berücksichtigung von neuem punitiverem Richtlinienrecht aus83. Eine schärfere Auslegung nationaler Strafnormen kann nur auf geläuterter Rechtsansicht bzw. neuer Erkenntnis über den (mutmaßlichen) Willen des historischen Gesetzgebers beruhen. Nationale Strafblankette können durch unmittelbar gültiges Europarecht, insbesondere Verordnungen im Sinne von Art. 288 Abs. 2 AEUV, ausgefüllt werden84. Die Verwendung der Blanketttechnik ist dann sogar zwingend, da der europarechtliche Hintergrund der in dieser Form aufgestellten Verhaltensnormen selbst bei wortgetreuer Wiederholung in einem nationalen Straftatbestand verschleiert würde85. Der 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85

Siehe oben Seiten 305 ff. Siehe oben Seiten 313 ff. Siehe oben Seiten 305 ff. Siehe oben Seiten 309 ff. Siehe oben Seiten 319 f. Siehe oben Seite 320. Siehe oben Seiten 320 f. Siehe oben Seiten 321 ff. Siehe oben Seiten 323 ff. Siehe oben Seiten 325 ff., insb. 326.

Schlussbetrachtung

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gemischt nationalstaatlich-europäische Gesamttatbestand muss insgesamt Art. 103 Abs. 2 GG genügen86. Die Nichtbeachtung bedeutet immer auch einen Mangel des nationalen Blankettgesetzes, denn der Gesetzgeber hat es schließlich in der Hand zu prüfen, ob die in Bezug genommenen Vorschriften ihre Funktion als Ausfüllungsobjekt ausreichend erfüllen oder ob weitere Präzisierungen erforderlich sind. Verweist das nationale Strafblankett als parlamentarisches Gesetz statisch auf genau bezeichnete Verordnungen, bietet dies im Hinblick auf die Bestimmtheit der Verknüpfung das höchste Schutzniveau87. Bei dieser Regelungsvariante besteht allerdings die Gefahr, dass bei nachträglichen Änderungen des Verweisungsobjekts unbeabsichtigte Strafbarkeitslücken entstehen – sogar mit Wirkung für die Vergangenheit gem. § 2 Abs. 3 StGB. Die mittlerweile übliche Regelungsvariante, durch ein vorgeformtes Blankett mit Rückverweisungsklausel die Vornahme der erforderlichen Verweisungsverjüngungen an nationale Verordnungsgeber zu delegieren, schafft im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG eigene Probleme, wenn dadurch den nationalen Verordnungsgebern faktisch allzu große Entscheidungsspielräume eingeräumt werden88. Dabei verstoßen nationale Strafblankette, die unmittelbar und dynamisch auf europäische Verordnungen verweisen, nicht per se gegen Art. 103 Abs. 2 GG89. Gegen diese Regelungstechnik ist nichts einzuwenden, sofern die ausfüllende Vorschrift zum Zeitpunkt ihrer Anwendung vom Bürger mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden kann. Probleme bereitet dies nur dann, wenn der Europäische Gesetzgeber den entsprechenden Lebenssachverhalt durch ein Konglomerat von Einzelverordnungen geregelt hat. Ansonsten weist europäisches Verordnungsrecht sogar eine höhere demokratische Eigenlegitimation als nationale Rechtsverordnungen auf90. Sofern nationale Straftatbestände mit Europarecht kollidieren, ist letzteres mit strafbarkeitsbegrenzender Wirkung vorrangig anzuwenden91. Der Anwendungsbereich des Tatbestandes wird insoweit reduziert. Dies ist bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bereits dann der Fall, wenn durch die Strafnorm Grundfreiheiten unzulässig beschnitten werden92. Maßnahmen, die faktisch zu Einschränkungen beim freien Waren-, Personen oder Dienstleistungsverkehr führen, sind allerdings nicht generell ausgeschlossen, wenn sie in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden und im Hinblick auf die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles geeignet und verhältnismäßig erscheinen93. Die Grundfreiheiten erfassen zudem nur grenzüberschreitende Phänomene. Wenn ansonsten strengere Regeln ihre Gültigkeit 86 87 88 89 90 91 92 93

Siehe oben Seiten 327 ff. Siehe oben Seiten 329 ff. Siehe oben Seiten 330 ff.; siehe auch im zweiten Teil Seiten 274 ff., 302. Siehe oben Seiten 332 ff. Siehe oben Seite 332. Siehe oben Seiten 335 ff. Siehe oben Seiten 336 ff. Siehe oben Seiten 338 f.

398

Schlussbetrachtung

behalten, kann dies unter Umständen zu einer Inländerdiskriminierung führen94, der das Europarecht, aber auch das nationale Verfassungsrecht mit Art. 3 Abs. 1 GG an sich neutral gegenüberstehen. Die einschlägigen Regelungen geraten allerdings im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter einen gewissen Rechtfertigungsdruck95. Bei Lebenssachverhalten, die durch europäische Verordnungen geregelt sind, bleibt entgegenstehendes nationales Strafrecht ebenfalls fallbezogen unangewendet96, wobei dies auch Inländern unmittelbar zugute kommen kann und die Spielräume für den nationalen Strafgesetzgeber weit enger sind als in den Fällen, in denen es ausschließlich um europäisches Primärrecht geht. Bei der Beachtung europäischer Richtlinien, soweit diese zugunsten des Beschuldigten wirken, ist man an die Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG nicht gebunden97. Bei fehlender oder unzureichender Umsetzung, selbst wenn dies ganz bewusst geschehen ist, darf der säumige Mitgliedstaat nach Ablauf der Umsetzungsfrist keinen Strafanspruch mehr für sich geltend machen98. Der Ablauf der Umsetzungsfrist ist grundsätzlich auch rückwirkend entsprechend § 2 Abs. 3 StGB bis zur vollständigen Rechtskraft der Verurteilung zu berücksichtigen99. Irrelevant ist dagegen die schlichte Annahme einer Richtlinie bei noch laufender Umsetzungsfrist100. Dem nationalen Gesetzgeber bliebe es sogar unbenommen, zwecks längstmöglicher effektiver Wahrung des strafbewehrten Zustands eine von § 2 Abs. 3 StGB abweichende Regelung zu treffen101. In Abschnitt B wurde gezeigt, inwieweit ausländische Rechtsnormen und nach ausländischem Recht begründete Rechtsverhältnisse im deutschen Strafrecht eine Rolle spielen können. Hinsichtlich der Strafanwendungsebene galt es zunächst, dem Leser einen Überblick bezüglich der Regelungen in den §§ 3 – 7 und 9 StGB sowie einzelnen Spezialgesetzen zu verschaffen102. Nur zum Teil nehmen diese auch auf ausländische Normen Bezug. Bei § 7 Abs. 1 und 2 StGB ist zu prüfen, ob die Tat im prozessualen Sinne auch am Tatort „mit Strafe bedroht“ ist. Das ausländische Recht braucht insofern Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu genügen103. Anders als man es von den rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen kennt, muss sich der Vorsatz des Täters (bei Einhaltung der ausländischen und inländischen Anforderungen an den inneren Tatbestand) allerdings nicht auf diese Rechtsfolge beziehen, da es sich bei dem Merkmal um eine objektive Strafbarkeitsbedingung handelt. Siehe oben Seiten 336 f. Siehe oben Seite 337. 96 Siehe oben Seiten 339 ff. 97 Siehe oben Seite 341. 98 Siehe oben Seiten 341 ff. 99 Siehe oben Seiten 343 ff. 100 Siehe oben Seiten 343 ff. 101 Siehe oben Seite 344. 102 Siehe oben Seiten 348 ff. 103 Siehe oben Seite 351. 94 95

Schlussbetrachtung

399

Ist der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts eröffnet, kommt es auf Tatbestandsebene nur noch auf dieses an104, wobei nicht jede deutsche Strafnorm vom Schutzbereich her Auslandssachverhalte umfasst105. Im Einzelnen gilt dann, dass inländische Blankettverweisungen nur durch deutsche Normen und nicht durch ausländische Parallelvorschriften ausgefüllt werden können106. Da ausländische Rechtsätze im Inland keine Geltung beanspruchen können, sind sie ungeeignet, zusammen mit einem deutschen Strafblankett ein dem Art. 103 Abs. 2 GG entsprechenden Gesamttatbestand zu bilden. Allein für den entsprechenden ausländischen Blanketttatbestand bleiben sie das maßgebliche Ausfüllungsobjekt, spielen also auf Strafanwendungsebene bei § 7 Abs. 1 oder 2 StGB eine entscheidende Rolle. Ihre Unanwendbarkeit auf Tatbestandsebene führt allerdings nicht dazu, dass insofern – etwa im Hinblick auf § 283 Abs. 1 Nrn. 5 – 7 und § 283b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 StGB bei Kapitalgesellschaften mit ausländischer Rechtsform – erhebliche Strafbarkeitslücken zu verzeichnen wären. Denn stattdessen können die für Inlandssachverhalte gültigen Ausfüllungsvorschriften in das Strafblankett hineingelesen werden. Der Strafanwendungsbefehl der §§ 3 – 7 und 9 StGB gilt auch für sie107. Durch die doppelte Strafbarkeitsprüfung im Falle des § 7 Abs. 1 und 2 StGB ist der Betroffene, wenn Handlungs- und Erfolgsort im Ausland liegen, ausreichend geschützt. Probleme bei der Ahndung entstehen nur dort, wo der Wortlaut der inländischen Ausfüllungsnormen nicht auf Auslandssachverhalte passt. Insofern könnte sich der Gesetzgeber lediglich durch einen statischen Verweis auf ausländische Normen behelfen108, was unter Umständen beim (bisher leergelaufenen) § 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. Abs. 6 S. 2 AO zum Tragen kommen wird. Die einheitliche Ausfüllung des deutschen und ausländischen Strafblanketts durch Europarecht, wie es etwa bei Zollvergehen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. Abs. 6 S. 1 AO109 der Fall ist, oder durch völkerrechtliche Vereinbarungen, wie z. B. im Rahmen von Art. 2 § 1 IntBestG (§ 335a StGB-E)110, ist dagegen unproblematisch. Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen beurteilt sich die vorgelagerte Rechtslage dagegen nach dem jeweils maßgeblichen Rechtsstatut111. Für sachenrechtliche Vorgänge und Verhältnisse, die im Rahmen der §§ 242 ff. StGB bedeutsam werden, gilt insofern Art. 43 EGBGB. Schuldrechtliche Ansprüche bestimmen sich nach den Verordnungen (EG) Nr. 593 / 2008 (Rom I) und Nr. 864 / 2007 (Rom II), für Gesellschaften aus dem europäischen Ausland gilt gem. Art. 49, 54 AEUV (Art. 43, 48 EGV a. F.) auch nach Sitzverlegung ins Inland weiterhin das 104 105 106 107 108 109 110 111

Siehe oben Seite 352. Siehe oben Seiten 352 ff. Siehe oben Seiten 362 ff., 368, 369, 373 ff. Siehe oben Seiten 365, 372. Siehe oben Seiten 363 und 376. Siehe oben Seite 375; siehe auch im ersten Abschnitt des dritten Teils Seiten 329 ff. Siehe oben Seite 369. Siehe oben Seiten 355 ff., 357 ff., 370 f., 373 ff.

400

Schlussbetrachtung

Recht des Gründungsstaates, wovon jeweils z. B. eine Strafbarkeit wegen Untreue gem. § 266 StGB abhängen kann. Der Anerkennung ausländischer Rechtslagen sind aber durch die ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB (sowie § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 73 S. 1 IRG) Grenzen gesetzt112. Demnach ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, unvereinbar ist113. Ansonsten bildet hypothetisch angewendetes deutsches Recht aber keine wie auch immer geartete Obergrenze der Strafbarkeit114. Ausländische Einzelakte können im Rahmen inländischer Straftatbestände sowohl zugunsten als auch zulasten des Betroffenen wirken115, wenn dies gesetzlich so vorgesehen ist. Belastende Hoheitsakte eines ausländischen Staates, die im Inland unmittelbare Wirkung entfalten sollen, bedürfen allerdings in der Regel eines inländischen Anerkennungsaktes116, bevor sie im Inland vollstreckt oder über den Umweg der Strafbewehrung durchgesetzt werden können. Für den Bereich der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen117 ging es darum, inwieweit ausländischen strafrechtlichen Entscheidungen im Inland Wirkung verliehen werden kann. In verschiedenen Konstellationen kommt es dabei auch auf eine beiderseitige Sanktionierbarkeit der Tat an. Im Rahmen der hypothetischen Strafbarkeit nach deutschem Recht sind das Strafanwendungsrecht und das Problem, ob der inländische Tatbestand vom Schutzbereich her auch Auslandssachverhalte umfasst, nicht zu prüfen118. Ansonsten gilt auch insoweit, dass bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen ausländische Rechtsverhältnisse grundsätzlich anerkannt, inländische Blanketttatbestände dagegen nur durch inländisches Recht ausgefüllt werden119. Erleichterungen ergeben sich allerdings daraus, dass hier auf einen sinngemäß umgestellten Sachverhalt abgestellt werden darf120. Das übergeordnete Ziel dieser Untersuchung war es, durch eine problemübergreifende Herangehensweise die verschiedenen Abgrenzungsfragen, die sich aus der Abhängigkeit wirtschafts- und steuerstrafrechtlicher Tatbestände von außerstrafrechtlichen Regelungen ergeben, in einen gemeinsamen Kontext zu stellen. Eine weitestgehende Gleichbehandlung der unterschiedlichen Verweisungsformen auf allen Ebenen hätte vermutlich dem geläufigen Wunsch nach „klaren Verhältnissen“ noch besser Rechnung getragen (wohl aber um den Preis einer nebenstrafrechtlichen Sonderdogmatik). Nicht zuletzt hat jedoch die Überprüfung anhand einzelner 112 113 114 115 116 117 118 119 120

Siehe oben Seiten 355 f., 361 f. und 370 f. Prüfungsgegenstand ist also nicht die abstrakte ausländische Norm. Siehe oben Seite 356. Siehe oben Seiten 376 ff. Siehe oben Seite 379. Siehe oben Seiten 380 ff. Siehe oben Seite 383. Siehe oben Seiten 384 ff. Siehe oben Seite 384.

Schlussbetrachtung

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wirtschafts- und steuerstrafrechtlicher Tatbestände gezeigt, dass zwischen der Blankettverweisung auf der einen Seite sowie dem rechtsnormativen Tatbestandsmerkmal und der Inbezugnahme eines staatlichen Einzelakts auf der anderen Seite ganz wesentliche qualitative Unterschiede bestehen, die jeweils auch der Sache nach eine differenzierende Behandlung erfordern. Dass einige europarechtliche Gesichtspunkte außerhalb dieses Schemas stehen, bereitet dem keinen Abbruch, denn Anwendungsvorrang und Anweisungskompetenzen finden nun einmal keine Entsprechung auf nationaler Ebene. Ansonsten wird man über die Einordnung des einen oder anderen Merkmals, welches die Verknüpfung zu einem anderen Rechtsgebiet oder gar einer anderen Rechtsordnung herstellt, sicherlich streiten können. Die im Rahmen dieser Untersuchung jeweils erzielten Ergebnisse decken sich überwiegend mit denen der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung, jedenfalls dort, wo sie als einheitlich und weitestgehend gefestigt angesehen werden kann. Dennoch wird man auch insofern durch einen problemübergreifenden Ansatz dem Vorwurf einer intuitiven Rechtsfindung (mit Blick auf das gewünschte Ergebnis) besser entgegengetreten können. Damit hofft der Verfasser einen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass sich in Zukunft die hier behandelten, im Zusammenhang mit der Akzessorietät wirtschafts- und steuerstrafrechtlicher Tatbestände stehenden Fragestellungen leichter und berechenbarer lösen lassen.

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Sachverzeichnis Alternativentwurf (AE) 59, 78, 129 Analogieverbot – Aufhebung im Nationalsozialismus 215 – Bestimmtheitsgebot, Verhältnis zum 253, siehe auch dort – Grenzen 295, 300, 302 Anti-Social Behaviour Order 291 Arbeitsstrafrecht 149, 160, 279, siehe auch Illegale Beschäftigung von Ausländern, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt Arbeitswelt, moderne 32 Ausländerstrafrecht – Ausweisung 292 – Europarecht 307, 324, 332, 378 – Illegale Beschäftigung von Ausländern siehe dort – Milderungsgebot 247 – Schleusertatbestand siehe dort – Tatbestands- und Verbotsirrtum 206 Ausländische Kapitalgesellschaften – Bankrott 362 – Gründungs- und Sitztheorie 358, 364 – Untreue 359 Ausländisches Recht, Anwendung von – Allgemein 348 – Bestimmtheitsgebot siehe dort – Internationales Privatrecht 355, 358 – Ordre public 355, 361, 370, 380, 383 – Strafanwendungsrecht, internationales 350 – Zusammenfassung der Ergebnisse 385 Auslandssachverhalte – Ausländisches Recht, Anwendung von siehe dort – Strafanwendungsrecht, internationales siehe dort – Tatbestandliche Erfassung 352, 377, 383 Auslieferung siehe Rechtshilfe Außenwirtschaftsstrafrecht – Milderungsgebot 235

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Missbrauchsklausel 221 Rechtsverordnung 266, 274 Rückverweisungsklausel 277, 330 Sozialschädlichkeit 160, 207 Tatbestands- und Verbotsirrtum 200, 205, 207 – Untauglicher Versuch 41 Bankrott – Ausländisches Recht, Anwendung von 362 – Bestimmtheitsgebot 259, 298 – Buchführungs- und Bilanzierungspflichten 30, 92, 159, 181, 223, 234, 245, 259, 298, 362 – Limited 362 – Milderungsgebot 223, 234, 245 – Rechtsprechung 92 – Reichspolizeiordnung (1548) 17 – Tatbestands- und Verbotsirrtum 147, 159, 181 – Untauglicher Versuch 128, 131 – Verhältnis zur Untreue 361 Basisverordnung siehe Lebensmittelstrafrecht Bauforderungssicherungsgesetz 149, 162, 174 Bayerische Verfassung 281 Bayerisches Strafgesetzbuch (1813) 254, 255 Begünstigung 90, 171, 246 Beiderseitige Strafbarkeit 350, 381 Berufsverbot 164, 167, 377, 380 Bestechungsdelikte – Amtsträger 132, 260, 367 – Auslandssachverhalte 322, 354, 367 – Bestimmtheitsgebot 298 – Genehmigung, nachträgliche 241 – Gleichstellungsklauseln 354, 367 – im Geschäftsverkehr 180, 322

Sachverzeichnis – Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung 179, 245, 370 – Tatbestands- und Verbotsirrtum 132, 179 – Untauglicher Versuch 133 – Wahndelikt 132 Bestimmtheitsgebot – Allgemein 252 – Ausländisches Recht, Anwendung von 351, 363, 368, 372 – Blankettausfüllendes Europarecht 327 – Blanketttechnik 258 – Europarechtskonforme Auslegung 320 – Gesetzesbegriff 264, 279, 327 – Gestaltungsmissbrauch 299 – Historische Entwicklung 253 – im Nationalsozialismus 214 – in der Bayerischen Räterepublik 255 – in der Bundesrepublik 256 – Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale 294 – Untauglicher Versuch 296 – Zusammenfassung der Ergebnisse 301 – Zusammenspiel mit dem Wesentlichkeitsprinzip 272 Betäubungsmittelstrafrecht 94, 266, 275, 277 Betrug – Bestimmtheitsgebot 295 – Europäisches Strafrecht 315 – Europarecht, strafbarkeitsbegrenzendes 337, 340 – Milderungsgebot 243 – Österreich 66 – Rechtswidrigkeit der Bereicherung 94, 170 – Tatbestandsirrtum 170 – Verhältnis zur Steuerhinterziehung 185 – Vermögensschaden 170, 295 Betrugsähnliche Sonderdelikte 191, 315, siehe auch Subventionsbetrug Bilanzeid 306 Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) 162, 234, 245 Blankett – Ausfüllung durch Bundesrecht 258 – Ausfüllung durch Europarecht 323, 327, 375 – Ausfüllung durch Landesrecht 261 – Ausfüllung durch Rechtsverordnungen 263

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Ausfüllung durch Satzungen 279 Bestimmtheitsgebot 258, 327 Dynamische Verweisung 332 Einzelakt, strafbewehrter siehe dort Europarechtliche Notwendigkeit 325 Irrtumslehre 149, 209 Milderungsgebot 232, siehe auch dort Rückverweisungsklausel 274, 330 Sozialschädlichkeit des Rechtsverstoßes 157 – Statische Verweisung 102, 329, 376 – Strafanwendungsrecht, internationales 365 – Verweisungsverjüngungen 330 – Wahndelikt 119, 209 – Zusammenlesen mit Ausfüllungsnorm 95 Buchführungs- und Bilanzdelikte siehe Bankrott Codex Iuris Canonici siehe Kirchenstrafrecht Common law siehe England / Wales Compliance 33, 38, 296 Constitutio Criminalis Carolina (1532) 17 Corpus Iuris Civilis (529 – 534) 43, 213 Corpus Juris zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union 73, 86, 314, 315 Diebstahl und Unterschlagung – Ausländisches Zivilrecht 355 – Auslandssachverhalte 352 – Bestimmtheitsgebot 294 – England / Wales 71, 311 – Frankreich 67 – Fremdheit der Sache 170, 294, 355 – Milderungsgebot 243 – Österreich 66, 311 – Rechtswidrigkeit der Zueignung 94, 170, 356 – Tatbestandsirrtum 170 – Untauglicher Versuch 126 Doppelirrtum 201 Eindruckstheorie 79 Einzelakt, strafbewehrter – Abgleich mit sonstigen Blanketten 151 – Ausländischer Hoheitsakt 376 – Bestimmtheitsgebot 287

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Sachverzeichnis

– Imperatives Rechtsverhältnis 163 – Milderungsgebot 238 – Mindestanfordungen 288 – Tatbestandsirrtum 163, 209 – Untauglicher Versuch 168 – Verbotsirrtum 166, 210 – Vollziehbarkeit 166 – Wahndelikt 169 England / Wales 41, 69, 84, 213, 216, 291, 316, 359 Enteignung, fremdstaatliche 356 Entwurf 1936 (E 1936) 51, 56, 79, 137 Entwurf 1962 (E 1962) 59, 77 Erbschaftssteuer siehe Steuerhinterziehung Ermächtigungsgesetz 271 Ermittlungshypothese 36 Erster Weltkrieg 18, 45, siehe auch Kaiserreich, deutsches Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 217, 316 Europäische Staatsanwaltschaft 314, 318 Europäischer Haftbefehl 381 Europäisches Strafrecht – Allgemein 304 – Anweisungskompetenzen (hist.) 305 – Anweisungskompetenzen (Lissabon-Vertrag) 309 – Kriminalpolitik, europäische 310, 315 – Legitimität, demokratische 313, 315 – Nichtigkeit der Richtlinie 320 – Notbremse-Mechanismus 312, 315 – Rahmenbeschluss 308 – Richtlinie 309 – Schutz der finanziellen Interessen der EU 308, 313, siehe auch Corpus Juris – Strafrahmen 310 – Strafrechtssetzungskompetenz, originäre 313 – Verstärkte Zusammenarbeit 312 – Zusammenfassung der Ergebnisse 345 Europarecht – Anwendungsvorrang 335 – blankettausfüllendes siehe Blankett – Europäisches Strafrecht siehe dort – Grundfreiheiten 336, 358, 364 – Grundrechtecharta siehe dort – Lissabon, Vertrag von 309 – Lissabon-Entscheidung 310

– Prozessuale Bedeutung 305 – Richtlinie, strafbarkeitsbegrenzende 341 – strafbarkeitsbegrenzendes 335 – Verordnung, hinkende 325 – Verordnung, strafbarkeitsbegrenzende 339 Europarechtskonforme Auslegung 341 – Allgemein 319 – Grenzen 320 Fahrerlaubnis – ausländische 201, 202, 234, 342, 377 – Doppelirrtum 201 – Entziehung im Ausland 379 – Fahren ohne 147, 200, 207, 241, 292 – Verbotsirrtum 200 Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) 233 Föderalismusreform 262 Frankreich 67, 77, 83, 156, 213, 216, 254, 316 Fremdrechtsanwendung siehe Ausländisches Recht Geldwäsche 90, 171, 246, 306, 319 Genehmigung, Handeln ohne – Ausländische Genehmigung 201, 377 – Bestimmtheitsgebot 294 – Erlaubnis- oder Befreiungsvorbehalt 197, 204 – Genehmigungsfähigkeit 197 – Irrtum über das Vorliegen 199 – Milderungsgebot 240 – Missbrauchsklausel 221 – Sozialadäquanz 241 – Sozialschädlichkeit 206 – Tatbestands- und Verbotsirrtum 196, 203, 211 – Untauglicher Versuch 202 – Wirkung 197 Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts (MoMiG) 150, 158, 233, 245 Gesetzlichkeitsprinzip siehe Analogieverbot; Bestimmtheitsgebot; Rückwirkungsverbot Gewaltschutzgesetz 165 Gläubigerbegünstigung 147, siehe auch Bankrott Glücksspiel, Unerlaubte Veranstaltung 339 Großbritannien siehe England / Wales

Sachverzeichnis Grundfreiheiten siehe Europarecht Grundrechtecharta der Europäischen Union 217, 219, 237, 343, 344 Hehlerei 90, 171, 246, 314, 319 Illegale Beschäftigung von Ausländern 19, 160, 200, 205, 236, 260 Insiderstrafrecht 128, 150, 259, 273, 306, 371, siehe auch Marktmanipulation Insolvenzverschleppung 148, 150, 158, 232, 365 Internationaler Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) 217, 218 Internationaler Strafgerichtshof siehe Völkerstrafrecht Internationales Privatrecht siehe Ausländisches Recht Irrtumslehre – Abgleich mit anderen Rechtsordnungen 61 – Adressatenkreis 149 – Ansätze der Literatur 95, 118 – Ansätze der Rechtsprechung 88, 117 – Anschlussdelikte siehe dort – Außenwirtschaftsstrafrecht siehe dort – Bankrott siehe dort – Bestechungsdelikte siehe dort – Betrug siehe dort – Blankett siehe dort – Diebstahl und Unterschlagung siehe dort – Doppelirrtum siehe dort – Einzelakt, strafbewehrter siehe dort – Entwicklung des eigenen Standpunkts 115 – Genehmigung, Handeln ohne siehe dort – im Kartellordnungswidrigkeitenrecht 72 – im Kirchenstrafrecht siehe dort – im Völkerstrafrecht 74 – in den Vereinigten Staaten 69 – in der Schweiz 65 – in der Türkei 68 – in England / Wales 69 – in Frankreich 67 – in Italien 68 – in Österreich 65 – in Portugal 62 – in Spanien 63 – Insolvenzverschleppung siehe dort

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– Irrtumsverordnung des Bundesrates (1917) 45 – nach dem Corpus Juris 73 – Ordnungswidrigkeitenrecht siehe dort – Praktische Bedeutung 26 – Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale 169 – Reichsgericht 42 – Schuldtheorie siehe dort – Sozialschädlichkeit des Rechtsverstoßes 157 – Steuerhinterziehung siehe dort – Subventionsbetrug siehe dort – Tataufklärung 36 – Untauglicher Versuch siehe dort – Untreue siehe dort – Vermeidbarkeit beim Verbotsirrtum 153 – Verschlankung des Vorsatzbegriffes nach Safferling 112 – Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt siehe dort – Vorsatztheorie siehe dort – Vorwerfbarkeit als Abgrenzungskriterium 146 – Zusammenfassung der Ergebnisse 208 Italien 68, 77, 84, 216, 369 Kaiserreich, deutsches 18, 42, 254, 270 Kartellordnungswidrigkeitenrecht 72, 86, 317 Kirchenstrafrecht 26, 138, 142 Kolonialstrafrecht 255 Kommandowirtschaft 18 Kommentierungsverbot (hist.) 254 Kommunalabgaben, Hinterziehung von 185, 189, 194, 280 Kompensationsverbot siehe Steuerhinterziehung Korruptionsdelikte siehe Bestechungsdelikte Kreditwesengesetz 94, 174, 200, 204, 226, 261, 266, 378 Kursmanipulation siehe Marktmanipulation Kurtaxe siehe Kommunalabgaben Lebensmittelstrafrecht 323, 329, 340 Lenkzeiten siehe Verkehrsstraf- und ordnungswidrigkeitenrecht Lex mitior siehe Milderungsgebot

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Sachverzeichnis

Limited siehe Ausländische Kapitalgesellschaften Lissabon, Vertrag von siehe Europarecht Lotterie, Unerlaubte Veranstaltung 339 Magna Charta Libertatum (1215) 213 Marktmanipulation 273, 306, 319, 372, siehe auch Insiderstrafrecht Milderungsgebot – Abweichende Regelungen 344 – Ansätze der Literatur 226 – Ansätze der Rechtsprechung 222 – Anschlussdelikte 246 – Ausländisches Recht, Anwendung von 351 – BilMoG 234 – Blankettausfüllende Normen 232 – Einzelakt, strafbewehrter 238 – Embargo 235 – Europäische Richtlinie, Ablauf der Umsetzungsfrist 342 – Fehlverweisungen 235, 330 – Finanzmarktstabilisierungsgesetz 233 – Geschichte 218 – Grundrechtecharta 219, 344 – IPBPR 218 – Rechtskraft 219 – Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale 242 – Steuerhinterziehung 247 – Steuerrecht, materielles 224, 247 – Strafprozessrecht 219, 238 – Wiederaufnahme 219 – Zeitgesetz siehe dort – Zusammenfassung der Ergebnisse 251 – Zwischengesetz 237 Model Penal Code siehe Vereinigte Staaten MoMiG siehe Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts Nationalsozialismus 18, 48, 51, 215, 218, 271, 282 Nemo tenetur se ipsum accusare siehe Selbstbelastungsfreiheit Norddeutscher Bund 42, 218 Nulla poena sine lege 212, 213, siehe auch Analogieverbot; Rückwirkungsgebot

Objektive Theorie siehe Untauglicher Versuch Ökoerzeugnisse 340 Ordnungswidrigkeitenrecht – Bußgeldkataloge 268 – in Frankreich 67 – in Portugal 62 – Kartellordnungswidrigkeitenrecht siehe dort – Milderungsgebot 216, 236 – Satzungen, bußgeldbewehrte 280 – Sozialwidrigkeit 76 – Tatbestands- und Verbotsirrtum 60, 115, 148, 166, 209 – Unterschiede zum Strafrecht 75, 148 – Verkehrsordnungswidrigkeiten siehe Verkehrs- und ordnungswidrigkeitenrecht – Versuch 78 Ordre public siehe Ausländisches Recht Österreich 65, 66, 76, 82 Portugal 62, 80, 216, 218 Preußisches Allgemeines Landrecht (1794) 43, 213, 218 Preußisches Strafgesetzbuch (1851) 42, 213, 218 Räterepublik, bayerische 255 Rechtshilfe, internationale – Allgemein 380 – Auslieferung 381 – Sonstige Rechtshilfe 382 – Vollstreckungsübernahme 381 – Zusammenfassung der Ergebnisse 386 Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale – Bestimmtheitsgebot 294 – Irrtumslehre 169, 210, siehe auch dort – Milderungsgebot 242 – Sozialschädlichkeit des Rechtsverstoßes 169 Rechtspositivismus 144 Rechtsverordnungen – Blankett siehe dort – Historischer Hintergrund 270 Reichspolizeiordnung 17 Rückverweisungsklausel siehe Blankett Rückwirkungsgebot siehe Milderungsgebot

Sachverzeichnis Rückwirkungsverbot 321 – Allgemein 212 – EMRK 217 – Fall Marinus van der Lubbe 214 – Geschichte 213 – IPBPR 217 – Zusammenfassung der Ergebnisse 251 Rundfunkgebühren 148 Russland 141, siehe auch Sowjetunion Sächsisches Strafgesetzbuch (1855) 43 Satzungen 281, siehe auch Blankett Scalping 319, siehe Marktmanipulation Schatzregal 294, 355 Schleusertatbestand 206, 247, siehe auch Ausländerstrafrecht Schlussbetrachtung 388 Schmuggel siehe Steuerhinterziehung, Zoll Schuldprinzip 316 Schuldtheorie – Alternativentwurf 59 – Anwendung im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 134 – Ausland 76 – E 1962 59 – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 60 – Entscheidung des Großen Strafsenats 57 – in der Schweiz 65 – in der Türkei 69 – in Österreich 65 – in Portugal 63 – in Spanien 65 – Restriktive Anwendung 119 – Restriktive Anwendung nach Puppe 103 – Restriktive Anwendung nach Tiedemann 98 – Restriktive Anwendung nach Walter 110 – Zweites Strafrechtsreformgesetz 60 Schweiz 65, 76, 82, 129, 148, 362 Selbstbelastungsfreiheit 250, 316 Siemens-Entscheidung 32, 322, 369 Sowjetunion 140, 175, 215 Spanien 63, 76, 81, 137, 216 Stand der Technik 293 Steuerhehlerei 171, 246, 314, 373 Steuerhinterziehung – Aufbau des Tatbestandes 185

– – – –

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Auslandssachverhalte 354, 373 Auslieferung 383, 384 Bestimmtheitsgebot 260, 299 Blankettcharakter 188, 193, 195, 211, 235, 248, 252, 299 – Erbschaftssteuer 127, 193, 195 – Erklärungspflichten 193 – Europäischer Haftbefehl 381 – Gestaltungsmissbrauch 299 – Kompensationsverbot 187, 189, 251 – Massenphänomen 28 – Milderungsgebot 247 – Österreich 67, 76 – Rechtsprechung 224 – Reichsabgabenordnung 45, 184 – Tatbestand 185 – Tatbestandsirrtum 183, 188, 194 – Umsatzsteuer 28, 187, 190, 300, 375 – Untauglicher Versuch 41, 49, 127, 191, 195 – Verbotsirrtum 183, 193 – Vereinigte Staaten 70 – Verfassungswidrige Steuern 249 – Vermögensteuer 249 – Wahndelikt 191, 195 – Zoll 332, 373 Steuerverkürzung, leichtfertige 189 Strafanwendungsrecht, internationales 132, 348, 365, siehe auch Auslandssachverhalte Strafanwendungsrecht, intertemporales siehe Milderungsgebot; Rückwirkungsverbot Strafbare Werbung 336 Strict liability 71, 316 Subkulturelle Verhaltensmodelle 31, 34 Subventionsbetrug – Bestimmtheitsgebot 298 – Corpus Juris 314 – Subventionserhebliche Tatsachen 191 – Tatbestands- und Verbotsirrtum 146, 176, 191 Südafrika 139 Tataufklärung 26, 36 Tatbestandsirrtum siehe Irrtumslehre Täterpersönlichkeit 27 Tatmotive – Allgemein 28 – Altruismus 32

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Sachverzeichnis

– Angst vor dem Fall 33 – Gier 33 Türkei 68, 77, 84 Ultima-ratio-Gedanke 120, 231, 232 Umsatzsteuerkarussell siehe Steuerhinterziehung Umweltstrafrecht 160, 165, 200, 259, 260, 292, 307, 319, 324, 377, 378 Unfallverhütungsvorschriften, Verstoß gegen 279 Untauglicher Versuch – Abgleich mit anderen Rechtsordnungen 80 – Abgrenzung zum Wahndelikt 40, 88, 95, 121, 208 – Amtsdelikt 132 – bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen 126, 134, 182 – Bestimmtheitsgebot 296 – E 1936 56 – Einzelakt, strafbewehrter 168 – Genehmigung 202 – Grober Unverstand 78, 128 – grundsätzliche Strafbarkeit 78 – im Völkerstrafrecht 86 – in den Vereinigte Staaten 85 – in der Schweiz 83 – in der Türkei 84, 123 – in England / Wales 84 – in Frankreich 83 – in Italien 84, 123 – in Österreich 55, 82, 123 – in Portugal 81 – in Spanien 81 – nach dem AE 130 – nach dem Corpus Juris 86 – Objektive Theorie 55, 78, 87, 106, 113, 120, 121, 124 – Reichsgericht 46 – Steuerhinterziehung siehe dort – Strafbarkeit 123 – Tatentschluss 125 – Untaugliches Subjekt 129 – Verhältnis zur Vorsatztheorie 136 – Willensstrafrecht 56 Untaugliches Subjekt siehe Untauglicher Versuch

Unterschlagung siehe Diebstahl und Unterschlagung Untreue – Ausländisches Zivilrecht 357 – Auslandssachverhalte 352 – Bestimmtheitsgebot 296, 360 – Blankettgesetz, kein 360 – Compliance-Regeln 296 – Corporate Governance Kodex 297 – Gehorsam 299 – Kriminalitätsstatistik 40 – Limited 359 – Milderungsgebot 244 – Pflichtwidrigkeit 172, 296, 357 – Rechtsprechung 89, 92, 94, 225 – Reichspolizeiordnung (1577) 17 – Tatbestands- und Verbotsirrtum 172 – Versuchsstrafbarkeit, keine 40, 123, 130 Uracher Hortfund 294 Urheberstrafrecht 353 Verbotsirrtum siehe Irrtumslehre, Schuldtheorie Vereinigte Staaten 69, 85, 213 Vergnügungssteuer siehe Kommunalabgaben Verkehrsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrecht 164, 236, 265, 276, 307, siehe auch Fahrerlaubnis Vermögensteuer siehe Steuerhinterziehung Versuch, untauglicher siehe Untauglicher Versuch Verwaltungsakt, strafbewehrter siehe Einzelakt Völkerstrafrecht 74, 86, 353 Vollstreckungsübernahme siehe Rechtshilfe Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt – Ausländische Mitarbeiter 378 – Bestimmtheitsgebot 298, 395 – Entsendebescheinigung 378 – Fiktionstatbestände 89, 177, 298, 395 – Insolvenz 30, 147 – Kriminalitätsstatistik 41 – Scheinselbständigkeit 177 – Tatbestands- und Verbotsirrtum 89, 176, 189 Vorsatztheorie – E 1936 51, 137

Sachverzeichnis – – – – – – – – – – – – – –

historische 50 im Kirchenstrafrecht 138 Imperative Rechtsauffassung 137, 209 in der Sowjetunion 140 in Portugal 62, 75 in Spanien (hist.) 64, 137 in Südafrika 139 nach Binding 50 nach Herzberg 108, 120, 152 nach Mezger 59 nach Otto 108, 120 nach Radbruch 143 nach T. Walter 110 Partielle Anwendung 103, 135, 145, 146, 154 Vorteilsnahme siehe Bestechungsdelikte Wahndelikt – Abgrenzung zum Untauglichen Versuch siehe dort – Bestechungsdelikte siehe dort – Blankett siehe dort – Einzelakt, strafbewehrter siehe dort – Steuerhinterziehung siehe dort Wehrstrafrecht 60, 168, 287, 353 Weimarer Republik 18, 144, 214, 256, 270 Weinstrafrecht 149, 236, 275, 323, 330, 336 Wertpapierhandel siehe Insiderstrafrecht Wesentlichkeitsprinzip – Blankettausfüllende Rechtsverordnungen 269, 271, 331, 334

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– Blankettausfüllende Satzungen 279 – Historischer Hintergrund 270 – Zusammenspiel mit dem Bestimmtheitsgebot 272 Wiederaufnahme 219, 238 Willensstrafrecht 51, 56, siehe auch Entwurf 1936 Wirtschaftsstrafgesetz 46, 165, 275, 377 Zeitgesetz – Embargo 226, 235 – Finanzmarktstabilisierungsgesetz 234 – Historischer Hintergrund 218 – Steuerrecht, materielles 224, 248 – Zusammenfassung 251 Zeitstruktur, Kriterium nach Kuhlen 101, 120 Zusammenfassung der Ergebnisse – Ausländisches Recht, Anwendung von 385 – Bestimmtheitsgebot 301 – Europarecht, Einfluss des 345 – Milderungsgebot 251 – Rechtshilfe, internationale 386 – Rückwirkungsverbot 251 – Schlussbetrachtung 388 – Tatbestands- und Verbotsirrtum 208 – Untauglicher Versuch und Wahndelikt 208 Zusammenlesen siehe Blankett Zweiter Weltkrieg 18, 271, siehe auch Nationalsozialismus