Von Hegel zu Nietzsche: Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts 9783787328208, 9783787313594

Diese zum Klassiker avancierte Studie zur Geschichte des deutschen Geistes im 19. Jahrhundert sucht das Schicksal des He

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German Pages 464 [466] Year 2015

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Von Hegel zu Nietzsche: Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts
 9783787328208, 9783787313594

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KARL LÖWITH

Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 480

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­ sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1359-4 ISBN eBook: 978-3-7873-2820-8 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1995. Alle Rechte vor­ behalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

VORBEMERKUNG

Ein erhellendes Panorama des 19.Jahrhunderts entfaltet hier Kar! Löwith, das im ersten Teil um die Frage kreist, wie zwischen Hege! und Nietzsche Geschichte philosöphisch verstanden und im Blick auf mögliche Zukunft bewältigt werden konnte. Der zweite Teil behandelt die mit Rousseau und Hege! aufbrechende Problematik der bürgerlichen Gesellschaft, der Arbeit, der Bildung, der Humanität und der Christlichkeit - also solche Bereiche der Philosophie, die damals gesellschaftlich unmittelbar wirksam werden konnten und wurden. Löwith zeigt, wie die optimistische Versöhnung aller weltgeschichtlichen Gegensätze bei Hege! auf Grund ihrer notwendigen Zweideutigkeit die re­ volutionären Umbrüche hervorbrachten, die sich bei Marx und Kierkegaard am konsequentesten, aber nicht weniger ty pisch und geschichtsträchtig bei den politischen Denkern der Zeit und bei manchen weniger hervorstechen­ den Figuren der Hegelnachfolge herausbildeten, die der Autor ebenso aus­ führlich zu Wort kommen läßt: »Die Mitte, aus der Goethes Natur heraus lebte, und die Vermittlung, in der Hegels Geist sich bewegte, sie haben sich bei Marx und Kierkegaard wieder in die beiden Extreme der Äußerlichkeit und der Innerlichkeit auseinandergesetzt, bis schließlich Nietzsche, durch ein neues Beginnen, aus dem Nichts der Modernität die Antike zurückho­ len wollte und bei diesem Experiment im Dunkel des Irrsinns verschwand.« Kar! Löwith {1897-1973) studierte bei Edmund Husserl in Freiburg. Nach der Promotion in München 1923 folgte er Martin Heidegger nach Marburg,

bei dem er sich 1928 mit der phänomenologischen Arbeit Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen habilitierte. Von 1934 bis 1951 befand sich Kar! Löwith in der Emigration {Italien, Japan und Amerika). Seit 1952 lehrte

er in Heidelberg bis zu seiner Emeritierung das Fach Philosophie. Die Erstausgabe der Monographie VWas wirdSollen« führe zu »begriffslosen Existenzen« und damit zur Anerkennung von bloß Bestehendem, das nicht seinem wahren Begriff entspricht. Eine solche dem zeitgeschichtlichen Geist widersprechende Existenz sei z. B. in Hegels Lehre die fürstliche und die Regierungsgewalt, die Nationalvertretung und das Zweikammer­ system. Hegel glaubt nicht an die Majorität und haßt alle Wahl. Daran nicht glauben bedeutet aber für Ruge : nicht an den Geist (nämlich der Zeit) glauben! Stupid sei der Einwand, die Masse sei dumm und >>nur im Zuschlagen respektabel«. 248 » In wessen Namen schlägt sie denn zu, und wie geht es zu, daß sie nur im Namen des welthistorischen Geistes siegt? Wie geht es zu, daß das Zuschlagen der Massen sich weder 1 789 noch 1 8 1 3 als geistlos und die Majorität keineswegs als im Unrecht er­ wiesen haben? - Es ist ein totales Mißverständnis des Geistes und seines Prozesses, wenn man bei dem Satze stehen bleibt, philosophia paucis contenta est judicibus : im Gegenteil, die Wahrheit unterwirft die Welt in Masse . . . Die Wissenden werden mit ihrer Weisheit auf die Dauer nie von der Majorität verlassen, und wenn die Verkündiger eines neuen Geistes anfangs in der Minorität sind und allenfalls . . . untergehen, so ist ihnen der Beifall, ja die Überhebung ihrer Verdienste bei der Nach­ welt nur um so gewisser . . . Die Wahrheit der Majorität ist nicht die absolute, aber sie ist im Großen und Ganzen die Bestimmtheit des Zeit­ geistes, die politische oder die historische Wahrheit; und wenn nur ein Individuum in einer Nationalversammlung das Wort des Zeitgeistes auszusprechen weiß (und daran wird es nie fehlen), so bleibt sicher alle­ mal nur der Egoismus und die böswillige Caprice in der Minorität. Den relativen Irrtum teilt die Majorität mit dem historischen Geist und seiner Bestimmtheit überhaupt, die freilich von der Zukunft wiederum negiert zu werden sich nicht wehren kann.« 248 Die Gewißheit von der Wahrheit der Masse ist geradezu »Tugend« und die »Erfahrung unseres Jahrhunderts«, welcher Hegel jedoch aus dem Wege ging, obgleich sie nur eine Konsequenz seiner Denkweise ist, die den Geist in den Weltprozeß setzt. Hege! habe von seinem noch zu wenig historischen Standpunkt aus diese Wahrheit verleugnet, d. h. ent­ gegen seinem Prinzip an der Macht des Geistes gezweifelt, sonst hätte

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Junghegelianer

er sim nimt so bemüht, die Wählermassen auszusmließen aus dem System der Remte. Statt dessen geriet er auf die Fixierung der Stände und die absurde Bestimmung des Majorats. In Wirklimkeit können aber auch die materiellen Interessen der Masse der Entwicklung des Geistes nicht widerspremen, weil jeder materielle Aufschwung zugleim ein geistiger ist, wenn die Gesmimte » alles « und eine Wirkung des wirklichen Geistes ist. Ruges Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie 250 beruht wie bei Marx im Prinzip auf der kritismen Unterscheidung des metaphysischen Wesens .. von der geschichtlichen » Existenz .-. Das allgemeine Wesen des Staats sei zwar identism mit dem des Geistes überhaupt und also bestimmbar mit den allgemeinen Kategorien der Logik (Allgemeinheit, Besonderheit, Einzelheit) und der Philosophie des Geistes (Wille und Freiheit) ; der wirkliche Staat, auf den sich auch Hege! gemäß seiner These von der Wirklichkeit der Freiheit bezieht, ist aber eine geschicht­ liche Existenz, die darum auch nur historisch begriffen und mit Rücksicht auf ihre Wesentlichkeit kritisiert werden kann. >> In der Logik oder in der Untersuchung des ewigen Prozesses . . . gibt es keine Existenzen. Hier ist die Existenz, der Denkende und sein Geist, die gleimgültige Basis, weil das, was dieser Einzelne tut, nichts anderes sein soll als . . . das allgemeine Tun (des Denkens) selbst . . . Es handelt sich hier um das allgemeine Wesen als solches, nimt um seine Existenz. - In der Naturwissenschaft hat die Existenz des Naturdings kein Interesse. Ob­ gleim . . . die existierenden Prozesse das Objekt der Untersuchung sind, so sind sie doch nur das gleichgültige, immer wiederkehrende Beispiel des ewigen Gesetzes und des ewigen Verhaltens der Natur in dem Kreislauf ihrer Selbstproduktion. - Erst mit dem Eintreten der Geschichte in den Bereim der Wissenschaft wird die Existenz selbst das Interesse. Die Be­ wegung der Geschimte ist nicht mehr der Kreislauf wiederkehrender Bildungen . . . , sondern sie fördert in der Selbstproduktion des Geistes immer neue Gestalten zutage. Die Verfassung des Geistes und des Staates zu den verschiedenen Zeiten hat als diese Existenz ein wissensmaftlimes Interesse. Die Zustände der Bildung sind nicht mehr gleimgültige Bei­ spiele, sondern Stufen des Prozesses und die Erkenntnis dieser gesmicht­ lichen Existenzen geht wesentlich ihre Eigentümlimkeit an, es handelt sim um diese Existenz als solche. Schwierigkeiten >TheologieWesen des ChristentumsWas des Menschen« ist an dem Ende, welches der Mensch ist, und zu der These, daß Gott den Menschen »voraussetzt•, weil das theologische Wesen der Religion überhaupt ihr anthropologisches ist.985 Im Prinzip ist Feuerbachs Auslegung schon in Hege! enthalten, denn auch nach diesem besteht die befreiende Tat der Reformation darin, daß Luther siegreich festgestellt habe, daß die Be­ stimmung des Menschen •in ihm selber« vorgehen müsse, wenngleich er ihren Inhalt noch als einen von außen, durch Offenbarung gegebenen aufnahm. 888 A. Ruge hat in seiner Abhandlung über den •Protestantis­ mus und die Romantik« (1 839/40) die Gefahr formuliert, welche daraus hervorgehen mußte: »Das Prinzip der Romantik . . . besteht darin, daß das Subjekt in dem protestantischen Prozeß des Sich-Aneignens bloß das Eigene, das Ich, welches das Aneignen vollzieht, festhält, also in der Negation gegen das Allgemeine und Objektive stehen bleibt.