Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip: Die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reiches (1933 - 1936) [1 ed.] 9783428482184, 9783428082186

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Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip: Die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reiches (1933 - 1936) [1 ed.]
 9783428482184, 9783428082186

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HELMUT BÖHM

Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip

MÜNCHENER UNIVERSITÄTSSCHRIFTEN

Universitätsarchiv LUDOVICO MAXIMILIANEA Universität Iogoistadt-Landshut-München Forschungen und Quellen Herausgegeben von Laetitia Boehm Forschungen Band 15

Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip Die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reiches (1933 - 1936)

Von

Helmut Böhm

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Böhm, Helmut: Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip: die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reiches (1933- 1936) I von Helmut Böhm.- Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Ludovico Maximilianea : Forschungen; Bd. 15) Zugl.: München, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-08218-4 NE: Universität (München): Ludovico Maximilianea I Forschungen

Alle Rechte vorbehalten 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ©

ISSN 0720-7662 ISBN 3-428-08218-4

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Zum Geleit Daß der hiermit vorgelegte 15. Band Forschungen in der Reihe Ludovico Maximilianea mit größter Spannung erwartet wurde, bedarf keiner besonderen Erläuterung in bezug auf die Brisanz der Thematik. Denn trotz des inzwischen forscherlieh schon recht gut beackerten Feldes der Hochschulsituation im Dritten Reich -so u. a. zu den Universitäten Frankfurt a. M., Freiburg, Gießen, Göttingen, Hamburg, Heidelberg - klaffte noch immer das empfindliche Desiderat einer einschlägigen prinzipiellen Untersuchung zur Universität München unter nationalsozialistischer Herrschaft. Die Verzögerung der Bearbeitung war einesteils bedingt durch die Notwendigkeit, weitgehend und grundsätzlich Neuland zu betreten auf dem Weg über aufwendige Aktenerhebungen, wofür zur Zeit des Beginns der Spezialstudien des Verfassers die archivalischen Arbeitsmöglichkeiten teils noch gesetzlich begrenzt waren. Für die Thematik erwies sich der Verfasser gut prädisponiert durch sein seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten engagiertes, auch in der Öffentlichkeit bewährtes Interesse an historisch-politischen Problemen sowie durch seinen methodisch sicheren Zugriff und das zugleich sachlich ausgewogene Urteil. Jedoch konnte er die Dissertation - wie er selbst betont- aus beruflichen Gründen erst 1990 zum Zweck der Promotion abschließen, wobei in diese Veröffentlichung außer der Betreuung durch die Unterzeichnete auch gutachterliehe Ratschläge durch Professor Dr. Hans Günther Hockerts (München) einflossen. Hinter der bescheidenen Andeutung des Verfassers über Verzögerungsgründe der Fertigstellung verbirgt sich eine intensive und erfolgreiche Berufstätigkeit, bei der Herr Böhm als mehrjähriger Mitarbeiter im Referat 11/5 der Gymnasialabteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (u. a. für den Bereich Politische Bildung), dann seit 1986 als Direktor des Gymnasiums Untergriesbach sowie durch zusätzliche Wahrnehmung eines Lehrauftrages für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau sein Erfahrungspotential in politicis weiter fundieren konnte. Der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt inhaltlich auf dem Zusammenprall zwischen der nationalsozialistischen staatlichen Hochschulpolitik und der akademisch-korpor,ativen Selbstverwaltung. Sie gilt den ersten vom Regime gestarteten Maßnahmen und Einrichtungen, also in jenen Jahren, in denen die Interaktion zwischen der Universität und den politischen Organen der NS-Regierung ihre eigentlich dynamische Etappe erlebte, bevor ab 1935 I 36 eine Konsolidierungsphase einsetzte. In sachlicher Hinsicht mußte der Verfasser notwendiger- und legitimerweise über die grundsätzliche Einbeziehung von Personengeschichte hinausgehend manche Bereiche ausklammern, wie u. a. die Haushaltsgeschichte

Zum Geleit

6

der Universität oder auch detaillierte wissenschaftsgeschichtliche Erörterungen in bezug auf einzelne Fächer. Die Arbeit bildet jedoch die unverzichtbare Grundlage für weitere Forschungen zum institutionellen und personellen Profil der Universität München im 20. Jahrhundert, wie zum Beispiel zu der in Gang befindlichen Geschichte einzelner Lehrstühle und Institute. So wird die ebenfalls bereits als Band 16 im Druck befindliche Untersuchung von Magdalena Bonk über die "Deutsche Philologie in München. Zur Geschichte des Faches und seiner Vertreter an der Ludwig-Maximilians-Universität vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges" die Arbeit von Helmut Böhm aus fachspezifischer Perspektive in mancher Hinsicht ergänzen. Nicht unerwähnt bleibe der Sachverhalt, daß die zeitgeschichtlich ausgerichtete Habilitationsschrift eines früheren Autors dieser Reihe, Winfried Müller, über "Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Besatzungsmacht 1945- 1949", die aus thematischen Gründen nicht in dieser universitätsgeschichtlichen Reihe erscheint (sondern in: Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte München, 1995), sich in einigen rückgreifenden Sachfragen zur Geschichte des bayerischen Kultusministeriums und dessen Schul- (und Hochschui-)Verwaltung mit vorliegender Arbeit berührt; der Autor hat dankenswerterweise Herrn Böhm Einblick in das Manuskript gewährt. Zu den Planungen des Universitäts-Archivs zählt die Herausgabe eines von Helmut Böhm bearbeiteten Quellenbandes mit Dokumenten zur allgemeinen Hochschulpolitik im Dritten Reich und insonderheit mit bislang unveröffentlichten Materialien zur Universität München. Im Januar 1995

Laetitia Boehm Vorsrand des Universitäts-Archivs

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkuna= zu Gea=enstand, Methode und Forschuna=sla&e...........................

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A. Der Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich ................... 27

L Die Universitllten am Ausgang der Weimarer Republik ............................. 27 1. Krisenhafter Zustand und Reformdefizit .. ... ... ... .. ...... ........ ..... .... ..... ... ... 28 2. Distanziertes Verhältnis zu Staat und Politik ........................................ 41 IL Die Universitar München in den ersten Monaten des Dritten Reiches ........ 1. Machtübernahme, Machtsicherung und erste Maßnahmen der bayerischen Behörden............................................................................ 2. OffiZielle Reaktionen der Universität und einzelner Professoren ........... 3. Die Haltung der Studentenschaft ................. ....... .................................. 4. Die Übergabe des neuen Studentenrechts und die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 ................................................................................ B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933 - 1935: Staatlicher Eingriff und politischer Zugriff in ihren Auswirkungen auf die Universität München ......

L Ziele und Konzeptionen........ ...................................................................... 1. Zur nationalsozialistischen Hochschulpolitik......................................... 2. Die Reformdiskussion nach der Machtergreifung................................... a) Überblick.......................................................................................... Richtungen und Motive .......... ...... .. ..... .... ....... .. ..... .................. .... Grundvorstellungen von Hochschule und Wissenschaft................ Anforderungen an Professoren und Studenten, an Inhalte und Formen der Lehre........................................................................ Vorschläge zur institutionellen Verankerung................................ Zusammenfassung ......................... .......................................... .... b) Der Reformvorschlag aus der Universität München .......................... Entstehungssituation.................................................................... Inhalt........................................................................................... IL Erste personalpolitische Maßnahmen........... .............................................. 1. Die Säuberung des Lehrkörpers durch das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April1933 .................................. a) Inhalt, Zielrichtung und Folgen des Gesetzes.................................... b) Die Auswirkungen des Gesetzes auf die Universität München .......... Durchführung..............................................................................

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Inhaltsverzeichnis Die politischen Fälle.................................................................... Die Reaktion der Betroffenen und das Verhalten der Universität.. Ergebnis ...................................................................................... 2. Der Ausschluß von Studenten wegen kommunistischer Betätigung ....... 3. Die Zulassungsbeschränkungen 1933-1934 ........................................... Das Überfüllungsproblem vor der Machtübernahme in qen Ländern. Das "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 25. April1933 ............................................................ Begrenzungen der Zahl der Abiturienten mit Hochschulreife im Jahre 1934 ........................................................................................

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IIl. Eingriffe in die UniversittJtsverfassung ................................................ ....... 1. Der Stopp der turnusmäßigen Wahlen und die Bestellung des Rektors im Sommer 1933 ................................................................................... 2. Die Änderung der Universitätsverfassung durch die "Vorläufige(n) Vorschriften zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung" vom 28. August 1933 .................................................................................... Inhaltliche Bestimmungen ................................................................ Anwendung an der Universität München .......................................... Änderung und Ergänzung ................................................................. 3. Die Mitwirkungsbefugnis der "Dozentenschaft" ....................................

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IV. Änderung des Studentenrechts ...... .... .................. ... .... .......... ...... .. .... .. .. .... ... 1. Der Umbau der Studentenschaften: neue Form und Aufgabe ................. Das "Gesetz über die Bildung von Studentenschaften an den wissenschaftlichen Hochschulen" vom 22. Aprill933 ................................ Die Bekanntmachung vom 28. 4. 1933 "über die Bildung von Studentenschaften an den wissenschaftlichen Hochschulen in Bayern" .. 2. Der Vollzug des neuen Studentenrechts an der Universität München..... 3. Die Verfassung der Deutschen Studentenschaft (DSt) vom Februar 1934 .................................................................................................... 4. Die Umgestaltung des studentischen Disziplinarrechts durch die "Strafordnung" vom 1. 4. 1935 .......................................................................

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V Zentralisierung und Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung: Das Reichswissenschaftsministerium und die ersten zentralen Maßnahmen zur personellen und strukturellen Gleichschaltung ...................................... 1. Die Errichtung des Reichsministeriums fiir Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 1. Mai 1934 ........................................................ 2. Die Reichshabilitationsordnung ............................................................. 3. Das "Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens" vom 21. 1. 1935 .................................................................................... 4. Die "Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung" vom 1. April1935 .........................................................................................

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Inhaltsverzeichnis VI.lnstitutiona/isierung spezieller politischer Mitwirkungs- und Kontrollinstanzen innerhalb und außerhalb der Hochschulen....................... ........... 1. Das System der Vertrauensleute .... .... .. .. .. ... . .................... ..... .. .. .... .. ... . ... 2. Die "Dozentenschaft" als Organ zur politischen Ausrichtung der Hochschule .................................................................................................... 3. Die Hochschulkommission der NSDAP ................................................ 4. Der Nationalsozialistische Dozentenbund (NSDB) ................................

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C. Die Universitlit München in der Zeit des Umbruchs (1933 - 1935/36): Maßnahmen und Reaktionen ......................................................................... 207 1 Studium und Lehrbetrieb . ... .. ... .. ... ... .... ....... ... ... ..... ........... ...... ...... .. .... .. .. .... 1. Reglementierung des Hochschulzugangs .. ... ... ........... ........ .... .. ........ .. .... a) Zugangsregelungen ab 1935 ............................................................. Zugangsberechtigung durch Reifezeugnis und Pflichtenheft des Arbeitsdienstes ab 1935............................................................... Die Kontingentierung der "Großstadt-Hochschulen" durch die Höchstziffernregelung ab SS 1935 ............................................... b) Sondermaßnahmen gegen das Judenstudium..................................... c) Gesamtentwicklung der Frequenz ..................................................... 2. Veränderungen im Lehrangebot und in der Organisation des Studiums .. a) Einzelne Reformvorschläge und erste Veränderungen bis 1935......... b) Änderungen im Vorlesungsprogramm: neue Fächer und neue Gewichtungen .................................................................................. Vorlesungen zur staatsbürgerlichen Erziehung ............................. Auslandskundliehe Vorlesungen.................................................. WehrwissenschaRen und wehrwissenschaftliche Vorlesungen .. ... Geschichtliche Vorlesungen ........................................................ Rassenhygiene und Rassenkunde....... ............................. ............. c) Vorlesungsverbote ............................................................................ d) Vorläufiges Ergebnis und Gesamtsituation um 1935 ... ..... ........ ... . .....

207 208 208

11 Studentenschaft ...... ......... .. .......... .. ............ ..... .. .... ...... .. ...... .... .... .. ... .. .... ..... 1. Studentenführung .................................................................................. a) Personen und Strukturen................................................................... b) Aufgaben und Tätigkeitsbereich ....................................................... Veränderte Aufgabenstellung. .......... ... ....... ..... .............. .... ... ........ Politische Schulung und Erziehung ............................................. Organisatorische und politische Erfassung................................... Reduzierte studentische Selbstverwaltung und begrenzte Mitwirkung an der Selbstverwaltung der Universität .............................. c) Einzelne Aktivitäten und besondere Aktionen................................... d) Die Lösung der Korporationsfrage .................................................... 2. Politische Schulung und außerwissenschaftliche Verpflichtungen.......... a) Studentischer Arbeitsdienst.............................................................. Das freiwillige Werkhalbjahr ....................................................... Der pflichtmäßige Arbeitsdienst ab Sommer 1933 .......................

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Inhaltsverzeichnis Organisationsmängel und studentischer Protest ........................... 289 b) Pflichtsport. ...................................................................................... 291 Die studentischen Leibesübungen vor 1933 ................................. 291 Die Einführung der pflichtmäßigen Leibesübungen 1933 ............. 294 Die Übernahme des Wehrsports durch das SA- Hochschulamt ab WS 1933/34 ................................................................................ 299 Der Sportbetrieb von der Auflösung des SA-Hochschulamtes bis zur Einführung der Hochschulsportordnung 1935 ........................ 301 c) Vormilitärische Ausbildung und Erziehung zur Wehrhaftigkeit durch das SA-Hochschulamt ...................................................................... 302 Aufbau des SA-Hochschulamtes.................................................. 302 Dienstplan ................................................................................... 307 Durchführung, Mängel und Beschwerden.................................... 309 d) Fachschaftsarbeit .............................................................................. 316 e) Kameradschaftserziehung ................................................................. 327 t) Spezielle Formen der politischen Schulung ...................................... 333 3. Auswirkungen der nationalsozialistischen Erziehungsarbeit............... .... 336 a) Gesamtbelastung und Auswirkung auf das Studium.......................... 336 b) Reaktion der Studentenschaft: Unmut, Protest und partieller Widerstand ................................................................................................ 342 c) Wirkungsgrad der politischen Erziehung .......................................... 349

Illuhrkörper ................................................................................................. 355 1. Benachteiligung und Entfernung aus dem Dienst aus rassischen und

politischen Gründen .............................................................................. 355 a) Versagen von Rechten und Vergünstigungen und Erschwerung bzw. Behinderung der beruflichen Laufbahn .. .... .............. .. ........ .... .. .. ... .... 356 b) Entfernung aus Ausschüssen und wichtigen Funktionen................... 359 c) Vorzeitige Emeritierungen................................................................ 363 d) Entlassungen aufgrund des Reichsbürgergesetzes vom September 1935 ................................................................................................. 367 e) Überblick über die Entwicklung bis zum Deutschen Beamtengesetz vom Januar 1937 .............................................................................. 374 2. Fachwissenschaftliche Arbeit und personelle Entwicklung der Fakultäten ............................................................•....................................... 377 a) Profile, Personen und fakultätsinterne Entscheidungsprozesse .......... 378 Theologische Fakultät ................................................................. 380 Juristische Fakultät ...................................................................... 382 Staatswirtschaftliche Fakultät ...................................................... 386 Medizinische Fakultät ................................................................. 391 Tierärztliche Fakultät................................................................... 399 Philosophische Fakultät II. Sektion ............................................. 401 Philosophische Fakultät I. Sektion ............................................... 404 b) Die Fakultäten als Träger der fachwissenschaftliche Arbeit in ihrer Verantwortung für Studium, Forschung und Lehre ........................... 410 Arbeitsweise, Themen und spezielle Probleme einzelner Fakultäten ............................................................................................ 410

Inhaltsverzeichnis

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Partielle Mitwirkung an der Studienreform .................................. Habilitation und Promotion ... ........................ .. .. .. .. ... ... ................ Zusammenfassung: Haltung in Grundsatzfragen .......................... 3. Berufungen............................................................................................ a) Berufungsverfahren und Berufungspraxis im Überblick .................... Zur Situation bis 1933 ................................................................. Veränderungen nach 1933 ........................................................... b) Einzelne Berufungställe nach Fakultäten .......................................... Theologische Fakultät ................................................................. Tierärztliche Fakultät................................................................... Staatswirtschaftliche Fakultät ...................................................... Medizinische Fakultät ................................................................. Juristische Fakultät...................................................................... Philosophische Fakultät II. Sektion ............................................. Philosophische Fakultät I. Sektion ............................................... c) Zusammenfassung ............................................................................ 4. Bevorzugte Behandlung und gezielte Etablierung von Nationalsozialisten ............................................................................................. a) Politische Lehraufträge ..................................................................... Der Fall Bechert (Deutsches Recht)............................................. Der Fall v. Kloeber (Neueste Geschichte).................................... b) Politische Berufungen ...................................................................... Der Fall Tirala (Rassenhygiene) .................................................. Der Fall Schultz (Philosophie) .....................................................

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IV. Die Universitat als Ganzes: Leitung, Interaktion und Prtisentation ............ 1. Rektorat ................................................................................................ a) Rektorat v. Zumbusch ...................................................................... b) Rektorat Escherich: Ernennung und Amtsführung ............................ Erste Ernennung und Amtsführung .............................................. Zweite Ernennung 1935............................................................... c) Rektorat Kölbl: Ernennung und Erwartungen ................................... d) Rektorat und Verwaltung.................................................................. 2. Zusammenwirken der Universitätsorgane unter dem Führerprinzip: "Verfassungstheorie" und "Verfassungswirklichkeit" ................ ............. a) Senat und Dekane............................................................................. b) Aufgabenfeld und Mitwirkungsanspruch der Studentenschaft ........... c) Die Rolle der "Dozentenschaft" ........................................................ 3. Präsentation und Repräsentation ............................................................ a) Alltag, Veranstaltungen und Feiern .................................................. b) Die Universität in ihrem Verhältnis zu Staat und Partei .................... c) Der Eklat beim Stiftungsfest 1935 ....................................................

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Schlußbetrachtung .............................................................................................. 581

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Inhaltsverzeichnis

Anhang Anhang 1: Anhangll: Anhanglll:

Statistiken ...................................................................................... 591 Tabellen und Übersichten ............................................................... 595 Biographische Daten...................................................................... 602

Quellen- und Literaturverzeichnis ..... .. .... .. ......... ................... ... ...... .. ..... ............. 621 Personenregister.................................................................................................. 642

Verzeichnis der Abkürzungen a.o.(Prof.) Ass. AStA BBG DHV DSt DVO DWEV

EO. FM Hon.-Prof. HJ Jur. Fak. KM Med. Fak. ME n.b.a.o. (Prof.) NS NSDÄB NSDAP NSDB NSDJB NSLB NSDStB 0. o. (Prof.) Pg. Phil. Fak. Priv.-Doz. RBG RHO REM RGBl RMBl RMI SA

ss

außerordentlich(er) (Professor) (wissenschaftlicher) Assistent Allgemeiner Studentenausschuß Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns (Berufsbeamtengesetz) Die deutsche Hochschulverwaltung, hg. v. G. Kasper u.a. Deutsche Studentenschaft Durchführungsverordnung Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Amtsblatt des REM Extraordinariat Bayer. Staatsministerium der Finanzen Honorarprofessor Hitlerjugend Juristische Fakultät Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus Medizinische Fakultät Kultusministerielle Entschließung nichtbeamtet(er) (Professor) Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer (Deutscher) Dozentenbund (NSDozentenbund) Nationalsozialistischer Deutscher Juristenbund (auch BNSDJ) Nationalsozialistischer Lehrerbund Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Ordinariat ordentlich(er) (Professor) Parteigenosse (Mitglied der NSDAP) Philosophische Fakultät Privatdozent Reichsbürgergesetz Reichshabilitationsordnung Reichsminister(ium) für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsgesetzblatt Reichsministerialblatt Reichsminister(ium) des lnnem Sturmabteilung Schutzstaffel

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ss

TH Theol. Fak. VB WS ZBl

Verzeichnis der Abkürzungen Sommersemester Technische Hochschule Theologische Fakultät Völkischer Beobachter Wintersemester Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen

Vorbemerkung zu Gegenstand, Methode und Forschungslage Vorliegende Arbeit befaßt sich mit der Situation und dem Verhalten der Universität München unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Herrschaft und will vorwiegend aufgrund von Archivmaterial das wesentlich von politisch bedingten Veränderungen geprägte Bild dieser Universität in den Anfangsjahren des Dritten Reiches zeichnen. Wenn sich die Zeitgeschichtsforschung der komplexen und als problematisch betrachteten Thematik der Hochschulen im Dritten Reich zunächst nur zögernd und vorsichtig angenähert hat, so läßt sich heute mit Blick auf die Vielzahl der einschlägigen Publikationen feststellen, daß das Terrain inzwischen recht gut ausgeleuchtet ist, wenn auch die meist inhaltlich und lokal begrenzten Einzeluntersuchungen sich noch nicht zu einem geschlossenen Gesamtbild fügen. Zur Erstellung und Schärfung dieses Gesamtbildes und damit zur Fundierung generalisierender Aussagen und als Bausteine auch fiir eine zusammenfassende und übergreifende Gesamtdarstellung der Hochschulen 1 im Dritten Reich bedarf es auch aus heutiger Sicht noch weiterer quellengestützter Lokalstudien. Hierin liegen auch Motivation und Legitimation fiir die Anfertigung dieser Arbeit, die darüber hinaus durch die Untersuchung einer wichtigen Zeitspanne auch einen Beitrag zur eigenständigen Geschichte der LudwigMaximilians-Universität München leisten will. Denn gerade die Zeit des Dritten Reiches blieb in der sonst gut erforschten Münchener Universitätsgeschichte2 bisher fast gänzlich ausgespart. Abgesehen von einigen Beiträgen in der Festschrift von 19723 und den ebenfalls anläßlich des Universitätsjubiläums erschienenen Fakultätenbänden4 , kleineren

I Wenn auch vorliegende Arbeit in erster Linie den engeren Bereich der Universitäten im Blick hat, können die Begriffe Hochschule und Universität weitgehend synonym gebraucht werden. 2 Hingewiesen sei auf die einschlägigen Beiträge von Boehm und Spörl, auf die bisher erschienenen Bände der Münchener universitätsgeschichtlichen Reihe sowie auf eine spezielle Bibliographie: Buzäs, L.: Bibliographie zur Geschichte der Universität Ingolstadt-Landshut-München 1472-1982. München 1984. 3 Hier z.B. der Überblick von Seifert über die Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. 4 Z.B. die Beiträge von R.A. Müller, Schumak, Seile und Elsner im 2. Band.

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Vorbemerkung

biographischen und institutionsgeschichtlichen Studien5 und speziellen Publikationen zum studentischen Widerstand werden die Münchener Verhältnisse in der allgemeinen Literatur zu Wissenschaft und Hochschule im Dritten Reich nur gestreift und in Teilaspekten behandelt.6 Erst jüngere, nach Fertigstellung dieser Arbeit erschienene Studien bringen einzelne wichtige Erkenntnisse auch zur Münchener Personal- und Disziplingeschichte.7 Sieht sich der Verfasser demnach von Forschungslage und Erkenntnisziel in allererster Linie auf die Auswertung bisher meist unbenutzter Aktenbestände verwiesen, so bleibt die allgemeine Literatur als Orientierungshilfe und Korrektiv nicht unberücksichtigt. Denn wenn auch der meist generalisierenden, Teilaspekte erfassenden oder eng auf einzelne Hochschulen begrenzten Literatur bei der Aufarbeitung der speziellen Münchener Verhältnisse nur nachgeordnete Bedeutung zukommen kann, so dient sie durchaus der Erhellung des allgemeinen Hintergrunds und kann nützliche Einzelhinweise und Einblicke in die Formen und Auswirkungen der alle Hochschulen betreffenden staatlichen Politik geben sowie vergleichende Bezüge ermöglichen. Eine durchgehend vergleichende Darstellung aber lassen die Ergebnisse der bisher vorliegenden Untersuchungen noch nicht zu.8 Nach einzelnen, z. T. auf persönlichem Erleben beruhenden Äußerungen und manchen journalistisch aufbereiteten Beiträgen kam die seriöse wissenschaftliche Diskussion in den 60er Jahren in Gang. 9 Die Vortragsreiben an den Universitäten Berlin, München und Göttingen 10 waren Reaktion und Anstoß zugleich. Ersten, auf solider Aktenbasis beruhenden Einzeluntersucbungen, z.B. von Seier über die Stellung des Rektors und von v. Oienbusen über die Lage der jüdischen Studenten, folgten bald mehrere Monographien, die wichtige Rand- und Teilbereiche der Universitätsgeschichte im Untersuchungszeitraum

S Siehe dazu im einzelnen Buzas (s. Anm. 2). Umfassende Biographien liegen z.B. vor von Jacobsen über Karl Haushoferund von Schelling über Karl Alexander von Müller. 6 Wertvolle biographische Hinweise liefern z.B. die Arbeiten von Kater über das "Ahnenerbe", von Reiber über Walter Frank und der Beitrag von lmkamp über die Theologi~ im 20. Jahrhundert. 7 Speziell Litten und Schorcht und generell auch Reiber, Universität unterm Hakenkreuz. 8 Die speziellen örtlichen Verhältnisse und die z.T. recht unterschiedlichen Untersuchungsraster begrenzen Zahl und Umfang adäquater Vergleichspunkte. 9 Literaturberichte und Literaturhinweise: Braubach, Rist. Jb. 86 (1966), 138-156; Döring, Neue polit. Lit. 19 (1974), 340-352; Funke, Aus Politik und Zeitgeschichte B 12/1986, 3-14; Seier, Hochschullehrerschaft 247 ff. IO Universitätstage 1966; Die deutsche Universität im Dritten Reich; Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus.

Vorbemerkung

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erfassen. Exemplarisch genannt seien neben den Arbeiten von Reiber über Walter Frank, von Kater11 über das "Ahnenerbe" der SS und von Bollmus über das Amt Rosenberg die Studien von Kelly und Feiten über den Parteieinfluß im Hochschulbereich und den NS-Lehrerbund, die Arbeiten von H. Mommsen über das Beamtenturn im Dritten Reich und von Adam über die Judenpolitik und zuletzt die übergreifende Untersuchung von Titze über den Akademikerzyklus. Erwähnenswert sind auch die kurzen, aber recht fundierten Beiträge in dem von Reinemann herausgegebenen Sammelband über Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Personelle und thematische Bezüge finden sich in der allgemeinen Literatur, z.B. über Widerstand und Emigration.l2 Professoren und Studenten und insbesondere ihr Verhältnis zu Staat und Politik standen schon bald im Mittelpunkt einer kontrovers, nicht immer sachlich geführten Diskussion mit apologetischen und vor allem anklägerischen Untertönen. Die ersten, meist mentalitätsgeschichtlich orientierten Studien galten schwerpunktmäßig der Professorenschaft in der Weimarer Zeit, 13 während deren Rolle und Verhalten im Dritten Reich trotz einiger wegweisender Aufsätze14 und mehrerer lokal begrenzter Untersuchungen und Professorenbilder in den Abhandlungen über einzelne Hochschulen durch weitere quellengestützte Arbeiten 15 noch deutlichere Konturen gewinnen könnte. Auch im studentischen Sektor richtete sich der Blick eher auf die Weimarer Zeit.l6 Die Geschichte der Studenten im Dritten Reich, die auch auf eine Auswertung der umfangreichen, freilich etwas disparaten Bestände des Archivs der ehemaligen Reichsstudentenführung in Würzburg aufbauen müßte, ist noch nicht geschriebenY Obwohl aus konzeptionellen Gründen Wissenschafts- und disziplingeschichtliche Arbeiten nicht unmittelbar herangezogen werden, sind ihnen mitunter wertvolle Hinweise auch auf die organisations- und personengeschicht-

11 Die vielseitigen Studien Katers erstrecken sich auch auf die Rolle und das Verhalten von Professoren und Studenten und beruhen meist auf einer intensiven Quellenarbeit 12 Zur Problematik und Literatur vgl. den Aufsatz von K. Fischer in VZG 39 (1991). 13 Siehe Literaturangaben bei A.l.l. 14 Z.B. Nolte, der den ersten Versuch einer Typologie wagte; vgl. auch Erdmann, Wissenschaft im Dritten Reich; ferner Faust, Professoren; allgemein Kelly, University Teachers; insbesondere Kater, Die nationalsozialistische Machtergreifung, sowie Seier, Hochschullehrerschaft. 15 Hervorzuheben ist hier die konsequent personengeschichtlich angelegte Arbeit von Golczewski über die Kölner Universität. 16 Siehe Literaturangaben bei A.I.l. 17 Die örtliche Aktenlage scheint nicht überall, zumindest nicht in München, so gut zu sein, wie man (Heiber, Universität I 14) vermuten könnte. Zu verweisen ist bis jetzt lediglich auf den Abriß von Jarausch und die vorwiegend auf den Hamburger Verhältnissen beruhenden Arbeiten von Giles. 2 Döbm

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Vorbemerkung

liebe Entwicklung zu entnehmen. Exemplariscb18 genannt seien neben der Arbeit von Beyerehen über die Physiker und den Spezialbeiträgen in den von Lundgreen19 und Mehrtens/Ricbter2° herausgegebenen Sammelbänden die originelle Monographie von Geuter zur Psychologie21, die wegweisende Arbeit von Losemann über das Fach der Alten Geschichte und schließlich die soliden, auch für die Universität München ergiebigen Monographien von Schorcht über die Philosophie an den bayeriscben Universitäten 1933-1945 und von Litten über die Astronomie in Bayern 1918-1945. In den zahlreichen Festschriften und anläßlich von Universitätsjubiläen verfaßten Beiträgen zur lokalen Universitätsgeschichte wird die Zeit des Dritten Reiches oft nur gestreift bzw. recht unkritisch behandelt. Brachten die Universitätsgeschichten von Jena und Rostock trotz ihrer starren, einseitigen Perspektive erste brauchbare Ansätze bei der Behandlung auch des Dritten Reiches,22 so liefert die Universitätsgeschichte von Adam über Tübingen im Hinblick auf Auswahl und Gliederung des Materials wegweisende Grundmuster. Ausführliche Darstellungen haben inzwischen die Universitäten Gießen23, Freiburg24 , Köln durch Golczewski, Heidelberg durch die Arbeiten von Vezina, Walgast und Mußgnug und auch Göttingen durch einen die Fächer und Institute als Beschreibungseinheit wählenden Sammelband gefunden. 25 Mit dem 1989 erschienenen vorbildlichen Werk von Harn18 Aus der Vielzahl der qualitativ recht unterschiedlichen Monographien über einzelne Disziplinen und Berufsstände sei noch verwiesen auf die Arbeiten von Kudlien und Kater über die Ärzte sowie auf: Böckenförde, W. (Hg.): Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich. Beideiberg 1985; Dreier, R./Sellert, W. (Hg.): Recht und Justiz im "Dritten Reich". Frankfurt 1989; zur Völkerkunde, mit besonderer Berücksichtigung von München, die in dieser Reihe erscheinende Arbeit von Smolka sowie, ausgehend von Hamburg, Fischer, H.: Völkerkunde im Nationalsozialismus. Aspekte der Anpassung, Affinität und Behauptung einer wissenschaftlichen Disziplin. Berlin-Hamburg 1990. 19 Mit einleitendem Beitrag vom Herausgeber über Hochschulpolitik und Wissenschaft im Dritten Reich. 20 Mit umfangreichem Literaturbericht zum Untersuchungsgebiet Naturwissenschaft und Technik. 21 Ergänzend zur selben Thematik der Sammelband von Graumann. 22 Ähnliches gilt für Kiel: Hofmann, E.u.a. (Bearb.): Geschichte der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel 1665-1965. Bd. 1: Allgemeine Entwicklung der Universität, Teil 2. Neumünster 1965. 23 Gegenüber den soliden Beiträgen von Moraw qualitativ zurückstehend: Bohles, H.J. u.a.: Fronabschnitt Hochschule. Die Gießener Universität im Nationalsozialismus. Gießen 1982 24 Durch die Studien von Ott und Martin über Heidegger und den von John/Martinl Mück/Ott hg. Sammelband. 25 Mit gewissen Einschränkungen auch die Handelshochschule Mannheim durch Bollmus, die TH Berlin durch den von Rürup hg. Jubiläumsband, Münster durch Ribhegge und

Vorbemerkung

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merstein ist auch die Geschichte der Universität Frankfurt arn Main für den Zeitraum von 1914-1950 umfassend dokumentiert. Erst nach Abschluß dieser Arbeit erschienen im Laufe des Jahres 1991 zwei monumentale Werke, die den Forschungsstand um ein gutes Stück voranbringen, aber hier nicht mehr entsprechend berücksichtigt werden können: Das von 57 Wissenschaftlern erarbeitete dreibändige W crk über die Universität Harnburg gibt einen umfassenden und in dieser Genauigkeit noch nicht ermöglichten Einblick in den Hochschulalltag des Dritten Reiches, z. T. auch über Harnburg hinaus. Die bisher in Literaturberichten übliche Klage über das Fehlen einer Gesamtdarstellung über die deutsche Universität im Nationalsozialismus26 verliert ihre Berechtigung, wenn die lang erwartete und bis jetzt in zwei Bänden vorliegende übergreifende und primär auf Aktenarbeit beruhende Darstellung von Reiber abgeschlossen ist. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung ist damit allerdings noch keineswegs beendet.27 Die nach Abschluß dieser Arbeit im Jahre 1990 erschienene Literatur wurde nicht mehr voll ausgewertet, aber mit entsprechenden Hinweisen einbezogen. Da für die Universität München Neuland betreten wurde, mußten die speziellen Münchener Verhältnisse primär und fast vollständig aus den Akten entwickelt werden. Grundlage der vorwiegend aus Archivmaterial erstellten Arbeit sind die Bestände des Universitätsarchivs München, die dem Verfasser im Rahmen der allgemeinen Benutzungsbestimmungen uneingeschränkt zur Einsicht zur Verfügung standen. Neben den Personalakten28 wurden insbesondere die nach den Jubliläumsband von 1980: Dollinger, H. (Hg.): Die Universität Münster 1780-1980. Münster 1980. Unergiebig ist die Monographie über Leipzig. Im Jubiläumsband von Würzburg (1982) ist nur der Beitrag von Wittstadt über die Katholisch-Theologische Fakultät einschlägig. 26 Zuletzt Martin, in: John u.a., Die Freiburger Universität 22. Verwiesen wird in der Literatur meist auf die frühe Arbeit des amerikanischen Soziologen Hartshome aus dem Jahre 1937. Neben einigen überblickshaften Darstellungen, z.B. von Seier über Universität und Hochschulpolitik, kann hier mit Einschränkungen nur die Dissertation von Kelly (University Teachers) aus dem Jahre 1973 genannt werden. 27 Sie scheint eher neue Nahrung zu bekommen, und die Notwendigkeit weiterer monographischer Arbeiten über einzelne Universitäten und Disziplinen bleibt bestehen. Reiber, dem seine Kritiker u.a. die Verliebtheit ins Detail sowie die zu Lasten von systematischer Aufbereitung und von Zusammenfassungen gehende Dominanz der Faktenbeschreibung vorhalten, hat als einer der wohl besten Aktenkenner in einer enormen Arbeitsleistung bisher zwei materialreiche Bände vorgelegt, die nicht nur eine wertvolle Fundgrube für nachfolgende Arbeiten sind. 28 Der Bestand der Personalstammakten ist reduziert durch die Abgabe an die Militärregierung im Jahre 194S. Betroffen sind vor allem die Personalakten der als "belastet" gelten2.•

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Vorbemerkung

einem ähnlichen Schema abgelegten, aber in unterschiedlichem Umfang überlieferten Akten der einzelnen Fakultäten29 sowie die umfangreichen, durch Kriegseinwirkungen z.T. reduzierten, vorläufig alphabetisch geordneten Akten des Rektorats und des Akademischen Senats benützt. Eine wichtige Ergänzung waren die - vielfach auch als Komplementärakten zu gebrauchenden - Akten des Kultusministeriums im Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abteilung I, und z.T. auch die verschiedenen Bestände der Abteilung II, welche speziell die im Bereich der Bayerischen Staatskanzlei und des Reichsstatthalters behandelten Hochschulangelegenheiten betreffen. Die Akteneinsicht im Bundesarchiv bezog sich vor allem auf die allgemeinen Bestände des REM und war nur in einigen Teilbereichen auch für die Münchner Verhältnisse ergiebig. Zur Sicherung und Ergänzung persönlicher Daten dienten die Akten des Document Center in Berlin und die mit Vorsicht zu behandelnden Spruchkammerakten des Amtsgerichts München. 30 Mühsam gestaltete sich die quellenmäßige Abstützung des studentischen Bereichs, da die örtlichen Akten der OSt und des NSDStB nicht mehr existieren, das Archiv der ehemaligen Reichsstudentenführung in Würzburg für München keinen geschlossenen Bestand enthält und die offizielle Korrespondenz mit der Universität in den verschiedenen Sachakten des Universitätsarchivs verstreut liegt und schwer auffindbar ist. Als entbehrlich erwies sich, wie eine vereinzelte Durchsicht zeigte, auch die Auswertung der gleichgeschalteten Presse, deren Informationsgehalt weit hinter den Propagandazweck zurückfallt. Auf die heute so beliebte, aber grundsätzlich problematische und in ihrer Effizienz beschränkte Personenbefragung konnte bei der an sich günstigen Aktenlage und den besonderen Verhältnissen verzichtet werden. 31

den Professoren. Dozentenbundsakten sind nicht vorhanden, die Aktivitäten der Dozentenschaftsführer schlagen sich in einzelnen Gutachten nieder. Einen geschlossenen Bestand gibt es nicht. 29 Reduzierter Bestand der im Februar 1939 geschlossenen Katholisch-Theologischen Fakultät, keine Überlieferung der Akten der bei Kriegsbeginn geschlossenen Tierärztlichen Fakultät. 30 Das Material hat vielfach nur Hinweischarakter und erscheint - von Dokumenten abgesehen - nur glaubwürdig, wenn es noch anderweitig bestätigt wird. - Akten verschiedener Provenienz im Institut für Zeitgeschichte (Mikrofilmarchiv) betreffen vor allem die politische Begutachtung (Kanzlei Rosenberg) und konnten für den Untersuchungszeitraum bis 1935/36 nur in begrenztem Ausmaß verwertet werden. 3 1 Sind für die sogenannte "Oral History" Auswahl und Repräsentativität sowie Glaubwürdigkeit von Betroffenen grundsätzliche Probleme, so zeigte sich im vorliegenden Fall bei einigen Vorgesprächen ein stark reduziertes Erinnerungsvermögen und ein sehr begrenztes Faktenwissen. Ein wichtiger Zeuge war zu einer Aussage nicht mehr bereit.

Vorbemerkung

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Charakteristisch für die Situation der Hochschulen im Dritten Reich ist wie im Titel der Arbeit verkürzt zum Ausdruck gebracht - die weitgehende Einschränkung ihrer Selbstverwaltungskompetenz durch den unmittelbaren staatlichen Zugriff von außen und die Beseitigung der kollegialen Selbstverwaltungsorgane im Inneren durch die Installierung des Führerprinzips. Ziel der Arbeit ist es demnach, zunächst die staatliche Hochschulpolitik an sich und in ihren unmittelbaren Auswirkungen auf die Hochschulen im allgemeinen und die Universität München im besonderen vorzustellen, dann die Reaktion der Universität, ihrer Organe und Mitglieder, sowie die sich ergebenden Interaktionen aufzuzeigen und schließlich die aus diesem - dynamischen Prozeß resultierenden- statischen - Zustände und Ergebnisse sichtbar zu machen. Ein sinnvoller thematischer und methodischer Zugriff verlangt eine inhaltliche, methodische und zeitliebe Begrenzung. Den aus dem Zusammenstoß von autonom verwalteter Universität und totalem Führerstaat sieb ergebenden Auseinandersetzungen vorwiegend politischer Natur wird am ehesten eine verfassungs-, institutions- und organisationsgeschichtliche Betrachtungsweise gerecht, die zwar den Blick auf die ganze Universität richtet, aber eine geschlossene Darstellung im Sinne einer Gesamtgeschichte ebensowenig wie eine Wissenschafts- und disziplingeschichtliche Darstellung leisten kann und einzelne Teilbereiche der Universität ausklammem muß. 32 Eine Großaufnahme des komplexen Systems Universität kann nur die als wesentlich und zeittypisch betrachteten Fakten, Vorgänge und Abläufe erfassen und muß auf die Ausleuehrung einzelner Teilbereiche und die Verfolgung mancher noch so interessanter Einzelfragen ebenso verzichten wie auch auf - durchaus mögliche - Detailstudien biographischer Natur. 33 Die Anlage der Arbeit und die sieb auch in der Aktenlage entsprechend abbildende Struktur der vornehmlich von den Lehrstuhlinhabern repräsentierten Universität führen dazu, daß der Blick vor allem auf die beamteten ordentlichen und außerordentlichen Professoren fällt, während die große Zahl der Assistenten, Dozenten und nichtbeamteten Professoren nicht die gebührende Beachtung finden kann. Eine stärkere disziplingeschiehtliebe Akzentuierung würde bei 32 Z.B. Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftsfragen, Außenbeziehungen der Universität, Institutsgeschichte und bauliche Entwicklung. 33 Die gleichgewichtige Darstellung verlangt bei den Professoren eine Beschränkung auf kurzbiographische Angaben (s. Anhang) und einige weiterführende Hinweise. Bei einer Universität von der Größe Münchens und einer Vielzahl namhafter Professoren verbietet sich schon aus Platzgründen eine Berücksichtigung der biographischen Literatur (z.B. Festschriften, Nekrologe). Im übrigen darf diesbezüglich auf das im Entstehen begriffene Biographische Handbuch des Lehrkörpers der Universität Ingolstadt - Landshut - München hingewiesen werden.

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der Vielzahl der Fächer den Rahmen dieser Arbeit sprengen34 und einem fachfremden Autor ohnehin nur ein sehr begrenztes Urteil erlauben. Da Institutionen und Organe auch einer Universität wesentlich von Personen bestimmt werden, läßt sich der personengeschichtliche Ansatz nicht aussparen, wenn es darum geht, das Verhalten insbesondere von Funktionsträgem zu würdigen. Der Ansatz steht aber nicht im Mittelpunkt. Auch wenn Verhaltensweisen mitunter ausführlicher dargestellt und auch beurteilt werden, sollen keinesfalls primär moralische Wertungen oder generalisierende sozial- und mentalitätsgeschichtliche Erklärungen angestrebt werden. Grundvoraussetzung für eine sachgerechte Beurteilung ist vielmehr die Darlegung gesicherter - vielfach für sich sprechender - Fakten sowie die Darstellung von Verhaltensweisen im situativen Kontext. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß Professoren hier meist auf einem Nebengebiet als Funktionsträger und politisch bzw. hochschulpolitisch Handelnde, nicht aber auf ihrem eigentlichen Gebiet als Wissenschaftler erfaßt werden. Eine Würdigung der Gesamtperson kann nicht geleistet werden. Viele der so im Vordergrund stehenden Personen sind im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Reputation nicht repräsentativ für die Universität. Eine zeitliche Begrenzung gebietet das Erkenntnisinteresse. Ein Ausgriff auf einen weiteren Zeitraum - und damit auch auf zusätzliche und andersartige Problembereiche und jeweils zeitlich differenziert zu beurteilende Sachverhalte - wäre, gerade bei einer Universität von der Größe Münchens, nur mit einer reduzierten Genauigkeit der Beobachtung und des Urteils zu erkaufen. Ungeachtet der in jeder Periodisierung liegenden Unsicherheit kann mit Grund eine eindeutige Zäsur gegen Ende des Jahres 1935 gesetzt werden. 35 Dafür sprechen zum einen mehrere Faktoren in der studentenpolitischen Entwicklung, der sieb abzeichnende Kurswechsel in der Zulassungspolitik, die Etablierung bestimmter Institutionen wie die der Reichsdozentenführung sowie die Tatsache, daß die 1934 und 1935 geschaffenen Einricbtungen36 nach einer gewissen Anlaufzeit ihre Arbeit voll und wirksam aufnahmen. Außerdem legen inneruniversitäre Gründe - neuer Rektor, neue Dekane - diesen Einschnitt nahe, nach dem eine Phase der Konsolidierung beginnt, die wenige Veränderungen aufweist und bis 1939 weitgebend von den bis 1935/36 geschaffenen Verhältnissen bestimmt ist.

34 Erforderlich wären Einzeluntersuchungen zu Vorlesungsinhalten und fachspezifischen Publikationen. 35 Ähnliche Einteilungen finden sich in der Literatur auch für andere Universiiäten; vgl. z. B. Univ. Jena 668 f. 36 REM, Hochschulkornrnission, "Dozentenschaft". Maßgeblich auch die Richtlinien vorn 1.4.1935 und für Bayern der Wechsel in der Leitung des Kultusministeriums im März 1935.

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Obwohl die Zeit des Dritten Reiches auch auf dem Hochschulsektor noch stark von Kontinuitäten bestimmt war und das weniger beachtete Gleichbleibende möglicherweise sogar überwog, stehen auch hier im Vordergrund der Betrachtung zwangsläufig die Veränderungen, und darunter wiederum im besonderen die politisch bedingten. Die sie auslösenden staatlichen und politischen Eingriffe, die Interaktion zwischen Universität und staatlichen und politischen Stellen und die sich ergebende Politisierung rücken damit ins Zentrum. Dabei wird das V erhalten der Universität, ihrer Teilkorporationen, Funktionsträger und Einzelmitglieder immer auch unter dem zentralen Aspekt von Verfolgung, Widerstand und Anpassung zu sehen sein.37 Der Blick richtet sich dabei in erster Linie auf die Fakultätsebene, den Bereich, in dem im Ringen um die Selbstverwaltungshoheit vor allem bei der Personalrekrutierung die wesentlichen Entscheidungsprozesse stattfinden und die verschiedenen Interaktionsverhältnisse sichtbar werden. Andererseits wurde trotz der schwierigen Aktenlage und gewisser Probleme der adäquaten Anbindung auch bewußt der studentische Bereich einbezogen und so der in Studium und Lehre vermittelten "universitas" der Lehrenden und Lernenden Rechnung getragen. Konstituierend fiir die quellenorientierte Arbeit ist die deskriptive Darstellungsart, die von einer überlegten Auswahl und Ausbreitung des erschlossenen Quellenmaterials zunächst zu einer fundierten Tatbestandssicherung und dann zu einer angemessenen Auswertung und in ihrer Reichweite überprüfbaren Ergebnissen führen soll. Bei der Vorauswahl des umfangreichen Quellenmaterials wird der spezifischen Art der Akten Rechnung getragen und dem Postulat der Repräsentativität nach Möglichkeit entsprochen.38 Erzählende Passagen mitunter stark dokumentarischen Charakters erscheinen dort gerechtfertigt, wo sie, wie etwa bei den einzelnen Berufungen, die Funktion von Fallstudien erfüllen, an denen sich die vielfältigen Interaktionen in optimaler Weise aufzeigen lassen.

37 Der Widerstandsbegriff wird hier im Sinne des vor allem von M. Broszat geprägten Begriffs der "Resistenz" (Bayern in der NS-Zeit) verwendet. 38 Eine gewisse Grenze erfährt die Aussagekraft durch den Charakter der Verwaltungsakten, speziell der Universitätsakten, die mehr aus der Sicht von oben, aus dem Blickwinkel der Ordinarien als der bestimmenden Kräfte gestaltet und somit auch zu einem gewissen Grad "Partei" sind. Muß mitunter zur Bestätigung des zwischen den Zeilen Gelesenen mühsam nach weiteren Belegen gesucht werden, so sind manche Akten, eben weil sie meist nicht professionell von Verwaltungsbeamten angelegt worden sind, in einer erfreulich direkten Sprache gehalten. Freilich sind vielfach nur die Ergebnisse, nicht aber die interessanten Intentionen, Auseinandersetzungen und- mündlichen- Vorabsprachen überliefert.

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Vorbemerkung

Eine möglichst anschauliche und sachgerecht strukturierte Präsentation des umfangreichen Materials wurde zu einer großen Herausforderung bei der Anfertigung dieser Arbeit. Insbesondere die Suche nach dem richtigen Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem und nach einer erträglichen, zeitlich und thematisch Zusammengehöriges nicht übermäßig zerreißenden Systematik ergab sich als zentrales Problem für die Gliederung der Arbeit. 39 Obwohl grundsätzlich Wert darauf gelegt wurde, die wichtigen Bereiche der Universität im zeitlichen Entwicklungsgang möglichst gleichlaufend zu behandeln, ließen sich einzelne Stränge nur getrennt voneinander verfolgen und mit der nötigen Anschaulichkeit darstellen, so daß Wiederholungen und Überschneidungen manchmal unvermeidlich wurden und Zusammenhänge durch Verweisungen und klärende Bezüge herzustellen waren. Während in einem ersten Teil (A) die nötigen Verbindungen zu der Zeit vor 1933 geknüpft werden, aus der heraus sich vieles entwickelt hat, was zum Verständnis der Verhältnisse im Dritten Reich beiträgt, sollen in einem folgenden Teil (B) die einschneidenden staatlichen und politischen Maßnahmen zur Umgestaltung der Hochschulen in ihrer theoretischen Konzipierung und praktischen Realisierung sowie in ihrer unmittelbaren Auswirkung dargestellt werden. Obwohl die Entwicklungen soweit wie möglich auf die Universität München bezogen werden, bleiben die Teile A und B relativ allgemein, während der Hauptteil (C) ganz überwiegend die spezielle Situation und Verhaltensweise der Universität München nach diesen gravierenden Eingriffen beleuchtet. Lediglich in den Teilabschnitten über das Studium und die außerwissenschaftlichen Verpflichtungen der Studenten ist die Darstellung der Münchner Verhältnisse auch von der allgemeinen Entwicklung noch stark bestimmt. Im Mittelpunkt des großen, den Schwerpunkt bildenen Abschnitts über den Lehrkörper stehen die Fakultäten, die in ihrer zentralen Stellung gerade im Dritten Reich herausgefordert waren und sich bewähren mußten. Thematisiert werden vor allem das reale Verhältnis zwischen Kollegialorgan und Dekan als Fakultätsfiihrer sowie die Rolle der Fakultäten bei der vielfältigen politischen Eingriffen ausgesetzten Personalrekrutierung. Im letzten Abschnitt wird noch einmal der Blick auf die Universität als Ganzes und das Zusammenwirken ihrer Organe gerichtet. Die kurze Schlußbetrachtung orientiert sich auch an der Frage, ob und inwieweit die Universität München in der Lage und bereit war, die traditionellen Aufgaben einer Universität auch unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Staates zu erfüllen.

39 Im Vorspann zu den einzelnen Abschnitten wird die Einteilung jeweils kurz erläutert und begründet.

Vorbemerkung

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Die Grundlagen für die von Frau Prof. Dr. Laetitia Boehm angeregte, betreute und über Jahre mit größter Geduld begleitete Arbeit sind in einem intensiven Aktenstudium insbesondere im Universitätsarchiv München gelegt worden. Die Archivarbeiten begannen bereits Mitte der 70er Jahre, so daß der Verfasseraufgrund des damaligen Forschungsstandes gezwungen war, gleichzeitig den allgemeinen Kontext weitgehend selbständig aus den Akten zu erarbeiten. Obwohl das Aktenstudium Ende der 70er Jahre abgeschlossen war, mußte die Fertigstellung der Arbeit aus beruflichen Gründen verschoben werden. Mit einigen durch den aktuellen Forschungsstand bedingten Ergänzungen konnte die Studie im Jahre 1990 im Manuskript abgeschlossen werden. Sie wurde im Frühjahr 1991 von der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Der Verfasser, der im Universitätsarchiv und am Lehrstuhl für Bildungsund Universitätsgeschichte stete Unterstützung fand, erhielt auch mehrmals Gelegenheit, das Konzept der Arbeit im universitätsgeschichtlichen Kolloquium vorzustellen, und hat den Mitgliedern für viele kritische Anregungen zu danken. Daß er sich auch nach Beendigung des Studiums diesem Kreis zugehörig fühlen durfte, hat den Fortgang der Arbeit wesentlich erleichtert. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner verehrten Lehrerin, Frau Professor Dr. Laetitia Boehm, für die stets wohlwollende Unterstützung und Ermunterung, ohne die diese Arbeit nicht zum Abschluß gebracht worden wäre. Für sein anhaltendes Interesse an dieser Arbeit und für viele Ratschläge danke ich gerne auch Herrn Professor Dr. Rainer A. Müller. Dank gebührt auch den Vorständen und Bediensteten der benutzten Archive für die Zulassung und Bereitstellung der Akten. Besonders danken möchte ich Frau Hedwig Spin, die meine langjährige Aktenarbeit im Universitätsarchiv durch Auskünfte und bereitwillige Aktenaushebung sehr erleichterte, sowie Frau Claudia Schmid für die Schreibarbeiten und Helga u. Peter Stingl für die abschließenden Schreib- und Satzarbeiten. Meinen Freunden Dr. Paul Hoser und Wilhelm Mixa danke ich stellvertretend für alle, die mit Rat und Tat und durch hilfreiche Informationen Anteil am Entstehen dieser Arbeit genommen haben.

A. Der Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich L Die Universitäten am Ausgang der Weimarer Republik

Wer sich mit der Etablierung des nationalsozialistischen Systems befaßt, wird sich immer wieder auf die Zeit vor 1933 verwiesen sehen. Das Scheitern der Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus bedingen einander1 und stehen für einen historischen Prozeß, der vielfach auch unter dem Begriffspaar "Machtverfall und Machtergreifung" Eingang in die Literatur gefunden hat. Solche Zuordnungen gelten freilich nicht in gleicher Weise für Teilbereiche von Staat und Gesellschaft oder Institutionen wie die Universitäten. Wenn man schon mit guten Gründen davon ausgehen kann, daß auf die Gesamtgesellschaft bezogen der Nationalsozialismus kein unvermeidliches Schicksal und keine unaufhaltsam hereinbrechende Entwicklung für die Deutschen war,2 so wird man sich besonders davor hüten müssen, den Werdegang einer Institution und ihrer Mitglieder im Dritten Reich vorschnell aus Einstellungen und Verhaltensweisen vor 1933 abzuleiten. Der Erkenntniswert eines solchen Rückblicks ist begrenzt, was in der Literatur nicht immer mit der nötigen Klarheit herausgestellt worden ist.3 Mag das Wissen um politische und mentale Einstellungen von Professoren und Studenten in der Zeit vor 1933 1 Grundlegend sind immer noch die Arbeiten von Bracher. Stellvertretend für eine Vielzahl von Veröffentlichungen sei noch genannt: Erdmann, K.-D./Schulze, H.: Weimar, Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute. Düsseldorf 1980. Zum SO. Jahrestag der Machtergreifung erschien eine Reihe von- z. T. aus Vortragsreihen und Kolloquien hervorgegangenen - Publikationen, von denen neben den von Bracher!Funke/Jakobsen sowie von Lill/Oberreuter herausgegebenen Sammelbänden exemplarisch angeführt sei: Broszat, M./ Dübbers, U. u. a. (Hg.): Deutschlands Weg in die Diktatur. Internationale Konferenz zur nationalsozialistischen Machtübernahme im Reichstagsgebäude zu Berlin. Bonn!Berlin 1983; ergänzend dazu jetzt noch: Bracher, K.D./Funke, M./Jakobsen, H.-A. (Hg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bonn (Bundeszentrale für politische Bildung) 1992. 2 Vgl. die Diskussion um den deutschen Sonderweg und die Kontroversen um den Faschismusbegriff. Einen Überblick gibt Schulz, G.: Faschismus, Nationalsozialismus. Versionen und theoretische Kontroversen 1922- 1972. Frankfurt/M./Berlinl Wien 1974. 3 Dies gilt vor allem für diejenigen Arbeiten, die nur die ersten Monate bzw. Jahre des Dritten Reiches berücksichtigen. So fehlt es den Arbeiten von Bleuel und Bleuel/Klinnert an der angemessenen Differenzierung und Durchdringung des zwar umfänglich ausgebreiteten, aber vorwiegend nur aus literarischen Zeugnissen bestehenden und vielfach nur affirmativ dargebotenen Quellenmaterials.

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A. Der Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich

manche Verhaltensweise und spontane Reaktion unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 verständlicher erscheinen lassen, so reicht dieses Wissen beispielsweise nicht mehr aus zur angemessenen Beurteilung individuellen und kollektiven Verhaltens unter den - ganz andersartigen - Bedingungen des fest etablierten totalen Staates.4 Lohnenswert erscheint bei der vorausgehenden Betrachtung der Zeit vor 1933, die hier in der gebotenen Kürze nur Überblickshaft gegeben werden kann, ein Blick auf die allgemeine Situation der Universitäten, die strukturellen Probleme und Aufgaben, vor denen Universität und Staat standen. Er kann nicht nur manche hochschulpolitische Maßnahme des NSStaates in ihrer taktischen Bedingtheit und propagandistischen Überhöhung erkennen lassen, sondern auch Hinweise geben auf grundlegende Erwartungen von Professoren und Studenten und mögliche Reaktionen auf eingeleitete Maßnahmen. Sichtbare Zusammenhänge lassen aber nicht den Schluß auf kausale Entwicklungen zu. 1. Krisenhafter Zustand und Reformdefizit

Die Entwicklung der Hochschulen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts5 war gekennzeichnet durch erhebliche Strukturveränderungen, die bereits in der Vorkriegszeit zu beobachten waren und zunehmend zu Problemen wurden, die grundsätzlich schwer zu bewältigen, unter den aktuellen politischen Verhältnissen der Weimarer Republik aber kaum mehr zu lösen waren. Überlagert von den vielen Problemen, mit denen der junge Weimarer Staat auf verschiedenen Gebieten zu ringen hatte, erlangten diese hochschulspezifischen Probleme insgesamt eine Qualität, die unter dem Begriff "Krise" erfaßt werden kann und die auch von vielen Zeitgenossen subjektiv als Krise6 empfunden worden ist. Mag der nicht unproblematische Begriff der Krise sich auch nicht durchgehend auf die Hochschulen anwenden lassen, so wird man doch von krisenhaften Zuständen sprechen dürfen, wenn man die vor allem durch den gesellschaftlichen Wandel bedingten Erschütterungen im Hochschulbereich zu greifen sucht. 4 Voraussetzung für eine treffsichere Beurteilung ist nicht nur eine möglichst genaue Kenntnis des Einzelfalles und des jeweiligen Kontextes, sondern generell auch die Berücksichtigung der Tatsache, daß Verhaltensweisen zunehmend von den in den Jahren der Diktatur gemachten Erfahrungen beeinflußt wurden. 5 Für diese Zeit, insbesondere für die Epoche zwischen 1918 und 1933, kann u. a. auf die Hochschulen und Professoren allgemein betreffenden Arbeiten und Beiträge folgender Autoren hingewiesen werden: Boehm, Das akademische Bildungswesen; Döring; Düwell; Eggers; Ellwein; Eschenburg; Kuhn; Ringer; Schwabe; Seier, Radikalisierung; Sontheimer; Titze; Töpner; Weisz; Wippermann. 6 Den Krisenbegriff verwenden u. a. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, und Kater, Studentenschaft. Zum Verhältnis von Staatskrise und Hochschulkrise vgl. auch Adam, Univ. Tübingen 4 ff.

I. Die Universitäten am Ausgang der Weimarer Republik

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Als wesentliche - zum Problem gewordene und in einem mehrfachen Interdependenzverhältnis stehende - Entwicklungen und Erscheinungen im Hochschulbereich können ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt werden: - die quantitative Ausweitung der Universitäten, insbesondere das Anwachsen der Studentenzahlen und der Ausbau der Disziplinen; - die qualitativen - z. T. auch organisatorischen -, vielfach negativ empfundenen Veränderungen von Wissenschaft und Lehre; - die veränderte, als Verschlechterung wahrgenommene Stellung der Hochschullehrer und Studenten7 und das besondere Verhältnis der Hochschule zum Weimarer Staat; - die relativ zurückhaltende und vielfach als unzulänglich empfundene staatliche Hochschulpolitik; - die sich mehrende Zahl ungelöster Probleme und die offene Frage der Reform (Reformdeflzit). Das Ansteigen der Studentenzahlen, die vielfach beklagte "Überfüllung" der Hochschulen war eine der aufflilligsten Erscheinungen und eines der größten Probleme der Hochschulen in der Nachkriegszeit. 8 Mit ihm verband sich nicht nur eine Verschlechterung der Studienbedingungen,9 sondern auch eine erhebliche Minderung der aufgrund der Wirtschaftlichen Situation ohnehin ungünstigen Berufsaussichten für Akademiker. Gerade die deprimierende Situation auf dem akademischen Arbeitsmarkt und die ärmliche Lebensweise, in der eine beträchtliche Zahl von Studenten ihre Studienjahre hinter sich bringen mußte, waren bewußtseinsprägend für die Studentengeneration der Weimarer Zeit. 10

7 Zur Studentenschaft vgl. msbes .. BleueVKhnnert; Bohrmann; Faust, Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB); Franze; Jarausch; Kater, Studentenschaft; Kreutzberger; Nipperdey; Schwarz; Spitznagel; Stitz; Zorn, Die politische Entwicklung des deutschen Studententums. 8 Zur Entwicklung der Studentenzahlen vgl. Kater, Studentenschaft 67 ff., zum Überfüllungsproblem allgemein und zur Wahrnehmung und Diskussion vgl. die umfassende Arbeit von Titze, Akademikerzyklus, insbes. 261 ff. 9 Hinzuweisen wäre z. B. auf die Veränderungen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses und die auch davon herrührenden Klagen über den mangelnden Kontakt zwischen Lehrenden und Studierenden, auf den verschärften Wettbewerb auf dem studentischen Wohnungsmarkt und die - durch eme Aufteilung auf eine größere Zahl bedingte - geringere finanzielle Unterstüt.zung des einzelnen Studenten, z. B. durch Stipendien und Gebührenerlasse. 10 Vgl. Kater, Studentenschaft 43 f. Nach Kater hat die deutsche Studentenschaft von 1918 - 1933 "wie keine andere gesellschaftliche Gruppe im Staat unter einem permanenten wirtschaftlichen Notstand gelitten". Nach Meinung mancher Kritiker erscheint allerdings die

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A. Der Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich

Nicht zu unterschätzende Veränderungen auch struktureller Art lagen in der schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Aufgliederung der Wissenschaften, einer fortschreitenden Differenzierung und Spezialisierung, die äußerlich sichtbar wurde in der Neugründung von Lehrstühlen, Instituten, Seminaren und Kliniken. 11 Die Etablierung kleinerer Fächer zur Pflege von als wichtig erkannten Teilgebieten und Unterstützung der zentralen Fächer, 12 die Ausweitung der vornehmlich einer bestimmten Berufsausbildung dienenden Disziplinen, "die vielseitige Verklammerung mit Berufsbelangen breiter Schichten, die Öffnung der Forschung zu verschiedensten zentralen Lebensbereichen hin" 13 waren Entwicklungen, die einerseits nicht ungern gesehen wurden, zumal sie mit erwünschten Personalvermehrungen und baulichen Erweiterungen einhergingen, andererseits aber eine Menge von - in ihrer Dimension zunächst wohl nicht erkannten- Problemen mit sich brachten. Waren Mehranstrengungen von allen Lehrenden und Organen der Universität gefordert, so kamen zusätzliche Aufgaben insbesondere auf die Verwaltung zu, die dadurch wiederum an Bedeutung und Einfluß gewann. Obwohl diese Ausweitung viele Belastungen mit sich brachte, konnte sie dennoch als Aufwärtsentwicklung gesehen werden. Als dann in der Weimarer Zeit die Bautätigkeit nicht mehr die Ausmaße der Vorkriegsjahre erreichte,14 zögerte man nicht, die Republik dafür verantwortlich zu machen. Die organisatorisch noch zu bewältigende Ausweitung hatte aber noch tiefer gehende Auswirkungen. Sie verschlimmerte den Zustand, der viele Zeitgenossen ohnehin bereits von einer Krise von Wissenschaft und Bildung und einem Verfall der Universitätsidee sprechen ließ. Gerade die- im Zuge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs - zunehmende Aufgabe der Universität, fiir bestimmte Berufe auszubilden, verstärkte die Spannung zwischen ausbildender Funktion und als Selbstzweck verstandener Wissenschaft und Bildung derart, 15 daß viele Betroffene unsicher wurden. Die Unzufriedenheit - zweifellos hoch zu veranschlagende - Bedeutung der wirtschaftlichen Situation fiir das Verhalten der Studentenschaft überbetont. 11 Diese Entwicklung läßt sich fast bei allen Universitäten belegen. Hingewiesen sei exemplarisch auch auf den Beitrag von W. Schumann in der von Steinmetz herausgegebenen Geschichte der Universität Jena (insbes. I, 567 ff.); allgemein dazu auch: Jarausch, K.H.~ Universität und Hochschulen, in: Berg, C. (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. IV 1870- 1918. München 1991, 313 -345. 12 Zur diesbezüglichen Entwicklung z. B. an der Universität Gießen vgl. Moraw, Organisation und Lehrkörper 46. 13 Boehm, Das akademische Bildungswesen 1029. 14 Belegt ist diese Entwicklung u. a. fiir Tübingen: Decker-Hauff, H./Setzler, W. (Hg.): Die Universität Tübingen von 1477 - 1977 in Bildern und Dokumenten. Tübingen 1977, 278 f. 15 Die an sich im Wesen der neuzeitlichen Universität angelegte Spannung ist im größeren Rahmen des Verhältnisses von Hochschule und Gesellschaft zu sehen. Dazu u. a.:

I. Die Universitäten am Ausgang der Weimarer Republik

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mit dem Wissenschaftsbetrieb der Zeit nahm zu, die von Professoren und Studenten gemeinsam vorgebrachten Klagen über die Massenuniversität und die "Überfüllung" der Hochschulen häuften sich. Hochschullehrer wiesen zudem auf die Gefahr des Niveauverfalls hin. Man litt unter der Aufsplitterung und beklagte den schwindenden Zusammenhang, den Verlust des Bezugs zum Ganzen der Universität. Viele Professoren und Studenten sahen mit der fortschreitenden Spezialisierung die Idee der "universitas" gefährdet.16 Die Orientierung für die Studenten wurde erschwert, zu den bestehenden Verunsicherongen in wirtschaftlicher und beruflicher Hinsicht kamen weitere hinzu. Man suchte ein neues, festes Bildungsideal, distanzierte sich von Individualismus und Intellektualismus, verwarf Positivismus und Historismus und rief nach einer umfassenden Orientierung, 17 die ein Großteil der Studenten in den Wissenschaften nicht mehr zu finden glaubte. Diese Grundeinstellung war sehr emotional bedingt und führte zu Haltungen, die rational nicht immer begründet, aber von beachtlicher Wirkungskraft waren. Die Professorenschaft, die im späten Kaiserreich einen Höhepunkt ihres Ansehens erreichte und auch großen Einfluß auf die Öffentlichkeit hatte, 18 konnte diese hervorragende Stellung nicht in die Nachkriegszeit hinüberretten. Zu dieser Erschütterung der gesellschaftlichen Position der Hochschullehrer19 Schneider, H.: Hochschule und Gesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 36/1966, 14-24. 16 Dies nicht ganz ohne Grund, wenn auch verkennend, daß die moderne industrielle Massengesellschaft veränderte Anforderungen an die Universität stellen mußte. - Für die Nationalsozialisten war es sehr lohnend, mit allgemeinen, zu nichts verpflichtenden Parolen gegen die als "Zersplitterung" beklagte Spezialisierung und Differenzierung anzugehen (s. unten). Dies war sowohl taktisch bedingt als auch im Rahmen antimodernistischer Vorstellungen liegend. 17 Die von Nipperdey (29) aufgezeigten Grundeinsteilungen werden auch in den letzten Jahren der Republik wieder virulent und v. a. vom NS-Studentenbund und rechtskonservativen Studenten in die Diskussion eingebracht: "Es war das Leiden an der Aufsplitteruns der Wissenschaften, der Spezialisierung, das Leiden am Positivismus, der den primären Hunger nach solidem Wissen befriedigte, aber darüber hinaus nur noch bedeutungslos Fakten lieferte, das Leiden am Historismus, der jede Vorbildlichkeit, jeden Halt zerstörte ... und der nach dem Fortfall eines staatlich autorisierten Wertesystems noch stärker empfunden wurde, war das Leiden an einer verlorenen Unmittelbarkeit, an einem - wie man später sagte - mangelnden existenziellen Bezug der Wissenschaft zum Leben ... Die studierende Generation verlangte nach umfassender Orientierung, nach Bildung in oder neben der bloßen Ausbildung, nach 'Persönlichkeitsbildung', ... nach verbindlicher Weisung." 18 Vgl. Jarausch, K.H.: Studenten, Gesellschaft und Tradition in Kaiserreich. Ein Versuch, in: Informationen zur erziehungs-und bildungshistorischen Forschung Heft 3 (1975), 61 - 89, sowie die einzelnen Beiträge, z.B. den von Ringer, in dem von Schwabe 1988 hg. Sammelband. 19 Vgl. Wippermann 146. Die Entwicklung kann im Rahmen der veränderten ~i:ellung des Bürgertums gesehen werden. Dazu auch Titze, Hochschulen, insbes. 220 - 224 ("Gestaltwandel der Akademiker und 'geistige Währungskrise'").

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kam eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage, insbesondere im Vergleich mit anderen Schichten und Berufsgruppen. Das aufkommende Gefühl der wirtschaftlichen Benachteiligung und der mangelnden Beachtung20 blieb nicht ohne Auswirkung auf die poltitische Haltung und verstärkte die Distanz zum Weimarer Staat. Die ohnehin prekäre wirtschaftliche Situation der Privatdozenten und nichtbeamteten Hochschullehrer erfuhr durch die staatliche Sparpolitik eine weitere Verschlechterung.21 Obwohl die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Universität sehr gering waren, harrten die meisten aus, weil die Chancen, in freien Berufen unterzukommen, nicht viel besser waren. 22 Diese fast aussichtslose wirtschaftliche und kaum verbesserte berufliche Situation mag es z.T. verständlich erscheinen lassen, wenn gerade der akademische Nachwuchs einer grundsätzlichen politischen Wende mit gewissen Hoffnungen entgegensah und wenn nach dem 30. Januar 1933 gerade jüngere Dozenten und Assistenten sich relativ schnell arrangierten. Zwar leiteten partielle Reformvorhaben vor und nach dem Weltkrieg und zaghafte Demokratisierungsversuche gewisse Strukturveränderungen ein,23 aber die Situation der Privatdozenten und Nichtordinarien haben sie - zumindest nach deren Selbsteinschätzung - kaum verbessert.24 Ihre Unzufriedenheit und Verbitterung hielt an, während die Ordinarien durch Teilreformen gleichzeitig ihre bisherige Position in Frage gestellt sahen. Unzufriedenheit aufbeiden Seiten war die Folge. Die Hochschulen insgesamt fanden kein rechtes Verhältnis zum Weimarer Staat und nur ein recht ambivalentes Verhältnis zur Gesellschaft. Die Reichsgründungsfeiern sind Ausdruck dieses Verhältnisses, das von seiten der Hochschulen durch Distanz und verstärktes Autonomiebestreben geprägt war. Die gesellschaftliche Involvierung durch vermehrte Aufgaben einerseits und der gleichzeitige Rückzug von den neuen gesellschaftlichen und politischen Kräften andererseits machten die Hochschulen nicht widerstandsfähiger, sondern wohl eher anfälliger gegenüber den politischen Herausforderungen vor allem in den letzten Jahren der Republik.25

20 Die Klagen über Gleichmacherei und Nivellierungstendenzen, durch die man in der Standesehre gekränkt war (vgl. Kuhn 26) zeigen u.a. die "Sorge um die als bedroht empfun· dene Vorzugsstellung in der Gesellschaft" (Küppers 28). 21 Vgl. z.B. für die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main Kluke 553 und Hammerstein 31 f.; allgemein auch Kelly, University Teachers 1 ·52, insbes. 43 ff. 22 Schoenbaum, D.: Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches. Köln/Bcrlin 1968, 539. 23 Vgl. dazu Boehm, Das akademische Bildungswesen, insbes. 1029 f. 24 Dazu auch Moraw, Organisation und Lehrkörper 28 u. 31, und allgemein: Busch, Die Geschichte des Privatdozenten. 25 Boehm, Das akademische Bildungswesen 1029, sowie Hess 20 u. 25.

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Diese fehlende Beziehung und mangelnde Öffnung zur Gesellschaft und der verstärkte Rückzug in den isolierten Bereich der Wissenschaft schufen Lücken und DefiZite, die später von denen propagandistisch geschickt und erfolgreich angeprangert wurden, die die "Volksgemeinschaft" als Ziel ihrer Politik ausgaben. Bewußtseinsbildend wirkte sich bei den Studenten vor allem die zunehmende wirtschaftliche Not aus, die sie im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Gruppen als benachteiligt erscheinen ließ. Auch die sozialen Verschiebungen innerhalb der studentischen Gruppe selbst vom oberen Mittelstand zugunsten des unteren Mittelstandes und die Zunahme des Frauenstudiums förderten Konfliktsituationen.26 Bei der Schwächung auch des studentischen Verbandswesens und dem Ausbleiben der erwarteten staatlichen Hilfe führte die wirtschaftliche Not zu zunehmender sozialer Verbitterung, zu Verunsicherung und politischer Entfremdung und damit schließlich auch zur Bereitschaft, sich radikalen Lösungsversuchen anzuvertrauen und diesbezüglichen politischen Versprechungen Gehör zu schenken. Auch wenn mit der quantitativen Entwicklung der Hochschulen die sachliche Notwendigkeit zur gemeinsamen Regelung bestimmter Probleme - etwa des Hochschulzugangs und des Prüfungswesens - wuchs, machte das Reich von der nach Art. 10 der Weimarer Verfassung gegebenen Rahmengesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch. Dies wäre von den Hochschulen z.T. auch als Eingriff betrachtet worden. Was von Professoren und Studenten aber erwartet wurde, nämlich klare Maßnahmen zur Linderung der materiellen Not der Studenten und zur Verbesserung der Stellung der Professoren und Privatdozenten, konnte unter den schwierigen finanziellen Bedingungen der Weimarer Zeit weder vom Reich noch von den Ländern geleistet werden. Im Gegenteil: In den letzten Jahren der Republik kam es wegen der fast ausweglosen Finanzlage zu schmerzlich empfundenen Gehaltskürzungen und Reduzierungen der Zuschüsse zur Wirtschaftshilfe der "Studentenschaft".27 In Verkennung der finanziellen Notlage des Staates zögerte man nicht mit Schuldzuweisungen; die Entfremdung zwischen dem Weimarer Staat und den Hochschulen nahm weiter zu, wie die Proteste der Studenten und Kundgebungen einzelner Hochschulen zeigten. Die skizzierten Phänomene ließen sich - mit den orts- und landesspezifischen Abweichungen - auch am Beispiel der Universität München und des Landes Bayern aufzeigen. 28 So hatte sich auch an der Universität München die

Hier nach Kater, Studentenschaft. Vgl. Kater, Studentenschaft 74 f., und Jarausch 141 f. 28 Hier sollen exemplarisch nur einige Entwicklungen im Bereich der Universität München angesprochen werden. Im übrigen kann auf den Beitrag von Seifert (In den Kriegen und 26 27

3 Bllhm

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Studentenzahl in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts verdoppelt und war um die Jahrhundertwende auf 4500 gestiegen. Die unmittelbar nach dem Weltkrieg erreichte Zahl von 9000 Studenten pendelte sich in den Folgejahren bei 7000 8500 ein, stieg aber in den letzten Jahren der Republik wieder auf etwa 9000 an.29 Die Aufgliederung und Spezialisierung der Wissenschaften setzte sich im ersten Drittel des Jahrhunderts mit einer Vielzahl von Lehrstuhl- und Institutsgründungen, vor allem in der 1. Sektion der Philosophischen Fakultät, fort. 30 Die hohe Studentenzahl verschlechterte die Studienbedingungen und Lebensverhältnisse der Studenten in drastischer Weise- die Stichworte Raumnot und Wohnungsnot mögen genügen-, so daß das Schwergewicht der studentischen Arbeit in den ersten Jahren der Republik sich in München fast notgedrungen auf die sozialen Belange verlagerte. Wenn auch die zeitweise (z.B. in der Inflationszeit) trostlose Lage der Studenten31 keine unmittelbare Abhilfe finden konnte, so nahm die organisatorische Selbsthilfe in München eine geradezu vorbildliche Entwicklung und konnte über den 1920 gegründeten "Verein Studentenhaus e.V." durch vieWiltige Hilfsmaßnahmen zur Linderung der größten Not beitragen.32 Waren um die Jahrhundertwende noch zahlreiche Institute errichtet worden, so konnte das Bauprogramm des Landes Bayern in den 30er Jahren mit den durch die gestiegenen Studentenzahlen gewachsenen Anforderungen nicht Schritt halten. Die Wunschliste, die der Senat 1925 dem Kultusministerium präsentierte, war groß, enthielt viele berechtigte Anliegen und war diktiert von der Sorge um die weitere Attraktivität der Universität München. 33 Bei der angespannten Haushaltslage freilich konnten Mittel für Neubauten weder 1925 noch in den Folgejahren zur Verfügung gestellt werden. 34

Krisen des 20. Jahrhunderts) in der von Boehm und Spörl 1972 herausgegebenen Festschrift (Ludwig-Maximilians-Universität 1472 - 1972) verwiesen werden. 29 Einschließlich Gasthörer: WS 1930/31: 9109; SS 1931: 8803; WS 1931132: 8629; SS 1932: 8513; WS 1932/33: 9045; WS 1933/34: 9160 30 Seifert 345. 31 Siehe z.B. den Artikel "Kosten des Hochschulstudiums in München" in Münchner Neueste Nachrichten v. 26. 11. 1928. 32 Vgl. Seifert, insbes. 338 f. 33 Bericht des Senats an das Kultusministerium vom 27. 4. 1925 (UAM Sen 587). Der Senat fürchtete v.a. um die Wettbewerbsfähigkeit bei Berufungen und war bestrebt, der Universität München "auch für die Zukunft denjenigen Rang zu sichern, den sie bisher und seit Jahrzehnten dank der Fürsorge des bayerischen Königshauses, der hohen Staatsregierung und des Landtages unbestritten hat". Der Bezug auf die Zeit der Monarchie darf als deutlicher Wink verstanden werden. 34 Siehe z.B. Debatte im Bayerischen Landtag (Stenogr. Berichte), 38., 43., 45. Sitzung vom 5., 13. und 18. 6. 1929.

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In welchem Maße sich durch die Ausweitung der Universität und die sich dadurch ergebenden Probleme und Problemlösungsnotwendigkeiten (Reform) inneruniversitäre Gewichtsverlagerungen zugunsten der Verwaltung ergaben, zeigt sich in auffallender Weise an der Universität München, nicht zuletzt freilich auch, weil es hier ein Mann verstand, diese Tendenzen durch seine Politik geschickt zu fördern. Die Verwaltung wurde immer wichtiger, einflußreicher und stärker gegenüber der ehrenamtlichen Leitung der Universität durch einen jährlich wechselnden Rektor aus dem Kreis der - wenig Verwaltungserfahrung aufweisenden- Professoren. So wurde gegenüber dem Wechsel im Rektorenamt der Syndikus an der Spitze der Universitätsverwaltung zum eigentlichen auch nach außen hin immer mehr sichtbaren - Träger der Kontinuität, zum unentbehrlichen Ratgeber des Rektors, zum unbestrittenen Experten, bei dem die Sachkompetenz konzentriert war. In München erreichte so der langjährige Syndikus Einhauser, ein erfahrener Verwaltungsfachmann und Hochschulexperte, eine zentrale und einflußreiche Stellung, die von Karl Alexander von Müller im nachhinein sehr treffend beschrieben wurde: "An der Universität, deren Rektor nur auf ein Jahr gewählt wurde, erlebte man in diesen Jahren, wie ein ungewöhnlich zielbewußter Syndikus, Robert Einhauser, sich eine beinahe selbständige Machtstellung mit weitreichendem Einfluß aufbaute, gegen die sogar starke Rektoren schwer aufkamen. "35 Die "Überfüllung" der akademischen Berufe und der Hochschulen, die Auswirkung der großen Studentenzahlen auf den Hochschulbetrieb insgesamt, v.a. auch auf die Qualität von Forschung und Lehre, die Spezialisierung und "Zersplitterung" der Disziplinen wurden auch an der Universität München immer wieder mit dem Begriff "Krise" in Verbindung gebracht. So thematisierte z.B. im November 1925 Rektor Wilhelm Wien in seiner Antrittsrede über das Thema "Universität und Einzelforschung" das vielfach beklagte Problem der Zersplitterung der Wissenschaften,36 und auch Rektor Oswald Bumke befaßte sich in seiner Rektorantrittsrede "Über eine Krisis der Medizin" im November 1928 noch einmal- in recht differenzierter Sicht- mit dem gängigen Krisenvorwurf. 37 Auch in der von der Studentenschaft der

Müller, A.v. (Hg.): Kar! Alexander von Müller. Im Wandel einer Welt 247. Die allgemeine Entwicklung der Differenzierung berge die Gefahr der Auflösung der Universität in einzelne Fachschulen sowie des Verlusts der Universalität der akademischen Bildung und lasse es an der nötigen Zusammenfassung fehlen (UAM Sen 91/1). 37 Ausgehend von den Vorwürfen gegenüber der Heilkunde ("Seelenlosigkeit", sinnloses Überwuchern der Technik, Spezialistentum, fehlende Ganzheit), die er als Übertreibungen bezeichnet, skizziert er die gegenwärtige Entwicklung (das Pendel schlage zurück, es gehe um Synthese, große Gesichtspunkte, einheitliches Weltbild) und nimmt kritisch Stellung zur gegenwärtigen phantastischen Spekulation, zur mystisch-romantischen Welle seit der Jahrhundertwende und plädiert dafür, die Medizin nicht nur an die Naturwissenschaften, 35

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Universität im Frühjahr 1932 organisierten Vortragsreihe "Ist die deutsche Kultur am Ende" stand das Krisenthema im Mittelpunkt, erfuhr aber wohl eine recht unterschiedliebe Behandlung.38 Wie sehr die Universität durch die quantitative Entwicklung zur "Massenuniversität" auch Wesen und Aufgabe der Universität bedroht sah, zeigt z.B. auch der Festvortrag, den der angesehene Münchner Professor Aloys Fischer auf dem 7. Hochschultagam 9. 3. 1929 unter dem bezeichnenden Titel "Die Aufgaben der Hochschulen im Kampfe gegen die Inflation der Bildung" hielt. Fischer wies - deutlich, aber keineswegs einseitig urteilend - auf die drohende bzw. bereits spürbare Inflation des Hoch- und Studienschulwesens hin und damit auf"die Entwertung und Verflachung der durch sie vermittelten Bildung durch Massenhaftigkeit und innere Ungleichheit ihrer Bewerber, durch unnötige und unangemessene Ausdehnung des Zugangs". Der Vortrag des Münchner Professors auf dem Hochschultag bewies zudem, daß auch der Hochschulverband in dieser Entwicklung der Hochschule zur "Großbetriebsforrn" ein zentrales Problem sah.39 Die recht sachlichen Ausführungen unterscheiden sieb allerdings beträchtlich von der Krisendiskussion, wie sie - mitunter auch unter politischen Aspekten - von rechtskonservativen Kreisen entfacht wurde40 und in den letzten Jahren der Republik v.a. durch die NS-Studenten in den politischen Kampf an den und um die Hochschulen eingebracht wurde.

sondern an alle an der Hochschule vertretenen Fächer zu binden, an die "universitas literarum" (UAM Sen 9111 - vgl. auch MNN v. 25. 11. 1928). 38 Referenten waren u.a. die Professoren Kar! Vossler, Aloys Fischer, Wilhelm Pinder und Friedrich Lenz und der Schriftsteller Erwin Guido Kolbenheyer (HStA I MK 40804). 39 Nach Fischer war diese Entwicklung durch Faktoren bestimmt, die außerhalb der Macht der Hochschule lagen, im Zeitalter der Masse auch die Schule berührten und auf die auch die regulierende Politik nicht ohne weiteres Einfluß habe, da das Wachstum der Bevölkerung, die fortschreitende Akademisierung des Berufslebens, der zunehmende Metropolismus immer wieder in größerem Maße in Hochschulgroßstädte führten. Fischer verwies auf den drohenden Niveauverfall und zweifelte an der Hochschulreife der zunehmenden Zahl der Studienberechtigten (UAM Sen 135d1). 40 Vgl. dazu etwa die Beiträge des deutschnationalenLandtagsabgeordneten und Erlaqger Professors Friedrich Lent in der 39. Sitzung des Bayerischen Landtags vom 6. 6. 1929 (Stenogr. Berichte 86 ff.) und in der Finanzausschußsitzung im März 1929 (hier nach UAM Sen 366c): Die Hochschulen befänden sich in einer inneren Krise (weil sie immer mehr den Charakter einer allgemeinen Schule verlören und mehr zu Fachschulen würden) und in einer äußeren Krise (Finanzlage). Bayern weitgehend ausnehmend nennt Lent als Erscheinungsformen der inneren Krise u.a. das Überwuchern des Erziehungsgesichtspunkts durch das Gespenst des Berechtigungswesens, den übersteigerten Individualismus, die Entwicklung von Forschungsanstalten zu Anstalten der Lehre und das Fachstudium, das ohne Zusammenhang mit einer bestimmten Weltanschauung bleibe. Auch auf der Hochschule müsse man sich eine feste Weltanschauung aneignen.- Zu Lent vgl. auch Franze.

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Das Verhältnis der Universität München zum Kultusministerium war trotz mancher Differenzen und vieler unerfüllter Wünsche nicht schlecht. Das Ministerium respektierte die Autonomie der Universität, und das Bemühen von Kultusminister Franz Xaver Goldeoberger (1926 - 1933) wurde nicht übersehen, wenn auch die Sparmaßnahmen41 der bayerischen Regierung in den letzten Jahren der Republik- der Staatshaushalt schrumpfte z.B. von 1931 auf 1932 um 20 % - die Universität schwer trafen und äußerst unpopuläre Maßnahmen des Ministeriums wie die Erhöhung der Studiengebühren im WS 1931/32, in der Zeit großer wirtschaftlicher Not, die Stimmung unter den Studenten anheizten und der bereits vorhandenen Radikalisierung Vorschub leisteten.42 In der Studentenschaft, bei der unmittelbar nach dem Weltkrieg und in der Mitte der 20er Jahre die sachliche Arbeit, vor allem die erfolgreiche Sozialarbeit im Mittelpunkt stand, zeigt sich Ende der 20er Jahre eine Verlagerung hin zur politisch motivierten Aussage bis zu der bekannten Politisierung und Radikalisierung in den letzten Jahren der Republik. Die Universitätsverfassung von 192043 war mit ihren verbesserten Mitbestimmungsmöglichkeiten eine solide Basis für eine Fortentwicklung der Universität, ließ aber aus der Sicht der außerordentlichen Professoren und Privatdozenten immer noch Wünsche offen. Belastender aber waren in der Weimarer Zeit die wirtschaftlichen Verhältnisse der Privatdozenten und Assistenten, denen auch der bayerische Staat nicht abhelfen konnte. 44 Bei der Vielzahl der ungelösten Probleme stellte sich von selbst die Frage der Reform. Nachdem auch die Reformen nach dem Weltkrieg- einzelne Maßnahmen iti der Revolutionszeit blieben meist Episode - den deutschen Hochschulen nur Teilergebnisse gebracht hatten und nicht dauerhaft umgesetzt wurden und größere, umfassende Reformansätze- z.B. die des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker - aus politischen und wirtschaftlichen Gründen scheiterten, ergab sich ein gewisser Stau an Problemen, ein immer größer werdendes Reformdefizit So blieb z.B. trotz gewisser Verbesserungen und vergrößerter

4 1 Die Länder waren nach der Finanzverfassung des Reichs (Steueraufteilung) sehr stark von Zuweisungen des Reichs abhängig und konnten durch den geringen finanziellen Spielraum nur in begrenztem Maße eigene Akzente setzen. Die von Staatsrat Fritz Schäffer eingeleiteten Sparmaßnahmen stießen im Ministerrat wiederholt auf heftigen, aber letztlich meist erfolglosen Widerstand von Kultusminister Goldenberger. 42 UAM Sen 366c2 und HStA I MK 40 804. Die Ausgaben fiir die bayerischen Universitäten stiegen 1929 und 1930 noch einmal an und fielen in den folgenden Jahren recht deutlich ab, von 1931 auf 1932 um ca. 15 %. Die Ansätze fiir die Universität München betrugen (in Tausend RM): 1930: 5816; 1931: 5554; 1932: 4747; 1933: 4712. 43 V gl. Boehm, Akademisches Bildungswesen 1032. 44 Vgl. z.B. Minister Goldenherger im Bayerischen Landtag, 38., 43. und 45. Sitzung vom 5., 13. und 18. 6. 1929.

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Mitwirkungsmöglichkeiten die Nichtordinarienfrage ebenso ungelöst wie das Problem der wirtschaftlichen Lage und der Aufstiegsmöglichkeiten des Hochschullehrernachwuchses einschließlich der nichthabilitierten Assistenten. Um 1930 gab es eine ganze Reihe von dringenden strukturellen Problemen, die von den Vertretern der Hochschulen und des Staates in ihrer Brisanz erkannt wurden und die - unabhängig von der jeweiligen politischen Lage - aus sachlichen Gründen einer Lösung zugeführt werden mußten, sollte nicht die Hochschule Schaden nehmen und in der Erfüllung ihres Auftrages behindert werden. Zu nennen wären neben der Frage des Hochschullehrernachwuchses sowie seiner wirtschaftlichen und beruflichen Situation v.a.: - das Problem des Hochschulzugangs, der sog. "Überfüllung" der Hochschulen und akademischen Berufe, des sog. "Berechtigungswesens" im allgemeinen; - die wirtschaftliche Situation der Studenten und die geringen Berufsaussichten der angehenden Akademiker; - das Studentenrecht, das - wie nicht zuletzt die ausufernden politischen Aktionen der Studentenschaft nahelegten - einer gewissen Vereinheitlichung oder zumindest Abstimmung und Kodifizierung bedurfte; - die Art und Weise der einheitlichen Regelung einiger allgemeiner, überregionaler Fragen des Studiums, v.a. des Prüfungswesens; - der Grad der zeitgemäßen Berücksichtigung des Pädagogischen (größere Gewichtung der Lehre, der Übungen und Seminare und auch neuer Lehrformen). Neben diesen objektiv feststellbaren Lücken und Defiziten gab es noch viele offene Fragen und unerfiillte Wünsche, die mehr den von staatlicher Gestaltungspolitik kaum faßbaren, aber der Diskussion beliebig ausgesetzten geistigen Bereich betrafen: den richtigen Begriff von Bildung und Wissenschaft, die eigentliche Aufgabe der Universität, die Sinn- und Wertfrage. Daß gerade diese Fragen - eben weil sie Professoren und Studenten am meisten bewegten zentral waren für die Entwicklung der Hochschulen und ihr Verhältnis zum neuen Staat, so verschwommen, allgemein und ideologisch befrachtet die unzähligen Analysen und Lösungsangebote auch sein mochten, erkannten bereits die Reformer der ersten Stunde wie Carl Heinrich Becker.45 Gedanken Beckers und ähnliche, in anderen Ländern der Republik anfangs entwickelte 45 Becker ging es um die "geistige Reform" der Hochschule durch eine permanente Reform der Gelehrten selbst, um eine "pädagogische Reform", d.h. v.a. Betonung der Synthese der Wissenschaften und Einführung einer Hochschulpädagogik für alle Studiengänge (Wippermann 153 - 154).

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Reformvorschläge wurden, da sie kaum in die Praxis umgesetzt worden waren, in der Endphase der Republik seltsamerweise von den v.a. auf der rechten Seite stehenden Kritikern der Hochschule wieder aufgenommen und gegen das "System" ausgespielt, das die Reformforderungen von 1919 nur zu einem geringen Teil verwirklicht hatte. Die Überwindung der Aufsplitteruns der Wissenschaften und des Formalistischen durch eine neue Synthese, d.h. eine Ganzheitsbetrachtung und wertende Betrachtung, die Überwindung der Fachund Fakultätsgrenzen durch eine Art von "studium generale", ein stärkerer Bezug der Wissenschaft zum Leben, eine festere Verbindung der Universität mit Volk und Nation, die Betonung der Allgemeinbildung und Erziehung, die Persönlichkeitsbildung und die Stärkung der Hochschulgemeinschaft durch Arbeitsgemeinschaften zwischen Dozenten und Studenten waren z.B. Reformforderungen von 1919,46 die in der Endphase der Republik wieder aktualisiert und gerade vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) überspitzt, ideologisch aufgeladen und propagandistisch verzerrt - nicht ohne Erfolg - im hochschulpolitischen Kampf eingesetzt wurden. Versuche zur Lösung einzelner Probleme wurden unternommen, scheiterten aber aus wirtschaftlichen bzw. finanziellen und politischen Gründen oder wurden nicht zu Ende gefiihrt. So waren die Bemühungen des Hochschulverbandes und der Rektorenkonferenz47 um ein allgemeines deutsches Studentenrecht trotz mancher Fortschritte bis 1933 nicht von Erfolg gekrönt. In der Frage des Hochschulzugangs kam es zu einschlägigen Besprechungen zwischen dem Reich ·und den Ländern,48 eine Einigung über eine angemessene Schülerauslese kam aber v.a. aus politischen Gründen nicht mehr zustande. Gewisse Vereinheitlichungen im Hochschulbereich waren aus sachlichen Gründen geboten und wurden, auch wenn die Länder die Skepsis nicht ablegten und um ihre Autonomie sehr besorgt waren, auch eingeleitet. Aber so wie die Reichsreform nicht vorankam, machte auch dieser Vereinheitlichungsprozeß nur geringe Fortschritte.49 Obwohl man gemeinsame Regelungen ohnehin nur auf dem Wege freiwilliger Vereinbarungen zwischen dem Reich und den

46 Vgl. Düwell und den dort im Anhang abgedruckten, wahrscheinlich von Becker aus dem Jahre 1919 stammenden Entwurf zur Hochschulreform, sowie Nipperdey. Zu Becker und seiner Reformpolitik vgl. auch Seier, Radikalisierung und Reform. 47 Die Notwendigkeit wurde v.a. nach dem Scheitern der preußischen Studentenrechtsverordnungvon 1927 gesehen. Beide Einrichtungen befaßten sich von 1929 - 1932 intensiv mit dieser Frage. So war z.B. die am 9. 10. 1932 in Danzig tagende 21. deutsche Rektorenkonferenz der festen Meinung, die Schaffung eines allgemeinen deutschen Studentenrechts sei unter allen Umständen zu erstreben. 48 Vgl. z.B. Küppers 20-46, insbes. 41 f. 49 Düwell 53.

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Ländern - etwa auf Konferenzen50 - anstrebte, waren auch bescheidene Maßnahmen in der schwierigen Endphase der Republik mit den Möglichkeiten des demokratischen Staates offensichtlich nicht mehr zu realisieren. Auf die Frage nach den Leitzielen von Bildung und Erziehung war in der politisch zerrissenen Republik ohnehin keine verbindliche, sich auf einen Minimalkonsens stützende Antwort zu erwarten, und kostenintensive Reformansätze fielen in den letzten Jahren dem Diktat der Sparhaushalte zum Opfer. Zusammenfassend sei festgehalten: - Am Ende der Weimarer Republik gab es auch im Hochschulbereich vielemeist der subjektiven Einschätzung unterliegende - offene Fragen und eine Reihe objektiv feststellbarer ungelöster Probleme, die - unabhängig von der politischen Konstellation - aus sachlichen Griinden eine Lösung erforderten. - Da diese Defizite verständlicherweise zunächst den verantwortlichen Regierungen und darüber hinaus aber auch der Republik - dem "System" - angelastet und gleichzeitig zur politischen Chance für die Opposition und insbesondere die fundamentale Opposition der extremen Rechten, speziell der Nationalsozialisten, wurden, ergaben sich für diese auch im Hochschulbereich - fast ausschließlich über ihre studentischen Anhänger - Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Propaganda. - Das geschickte Aufgreifen von unleugbaren Schwachpunkten und das harte Attackieren von vielen - schon aus finanziellen Griinden nicht zu behebenden - Mißständen ließ vielfach den Eindruck entstehen, daß dem Nationalsozialismus die Lösung der Probleme ein Anliegen sei. - Fragt man nach der Auswirkung der Propaganda auf den Hochschulbereich, so ist offensichtlich, daß sie bei der Mehrheit der Studenten Erfolg hatte, wie nicht zuletzt die AStA-Wahlen zeigen, daß aber nur ein ganz geringer Teil der Hochschullehrer - darunter kaum Ordinarien, aber wohl einige Privatdozenten und Assistenten - von den Nationalsozialisten die Lösung hochschulpolitischer Probleme erwartete. - Da aber nuli einmal der Weimarer Staat wesentliche, von manchen Hochschulangehörigen als existenziell empfundene Fragen nicht lösen konnte und die NS-Propaganda in aUgemeinen Formulierungen Lösungen suggerierte und dabei bestimmte, an sich selbstverständliche Positionen oder meist auf nationaler Grundhaltung beruhende Gemeinsamkeiten herausstellte, wurde bei manchen eine Haltung aufgebaut bzw. gefordert, die es 50 Vgl. die heutige Institution der Kultusrninisterkonferenz, die bei der bestehenden Kulturhoheit der Länder der Forderung nach Gleichbehandlung und den Interessen des Gesamtstaats Rechnung zu tragen sucht.

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ihnen, auch wenn sie mit den Nationalsozialisten nicht sympathisierten und von ihnen eigentlich nichts erwarteten, nach 1933 leichter machte, das offene Widersprechen bleiben zu lassen, das grundsätzliche Nein und strikte Ablehnen zunächst aufzugeben, abzuwarten und sich auch beim Siehtbarwerden der Sturmzeichen noch Illusionen hinzugeben und Hoffnungen aufbefriedigende Lösungen zu machen. - Daß 1933 in Sachen Hochschulreform ein gewisser Nachholbedarfvorhanden war, kommt indirekt auch zum Ausdruck in der nach der Machtübernahme massiv einsetzenden Refonndiskussion, die noch von verschiedenen Positionen aus - freilich aus sehr unterschiedlichen, vielfach opportunistischen Motiven - gefiihrt wurde und in der unter dem Blickwinkel der neuen Zeit viele ungelöste Probleme neu aufgegriffen wurden. Daß diese von der nationalsozialistischen Politik meist in unsachgemäßer und unerwarteter Art und Weise gelöst wurden, soll unten gezeigt werden. 2. Distanziertes Verhältnis zu Staat und Politik Die Situation der Hochschulen in der Weimarer Republik ist schließlich auch dadurch gekennzeichnet, daß die Hochschulen nie ein positives, auf rationaler politischer Auseinandersetzung beruhendes Verhältnis zum neuen Staat fanden. Diese Feststellung impliziert freilich zunächst eine Unterscheidung zwischen Professoren und Studenten. Die Stellung der Hochschullehrer zu Staat und Politik in der Weimarer Z.eit kann als hinreichend erforscht gelten. 5 1 Die Professorenschaft, im Kaiserreich ausgebildet und von den damaligen Werthaltungen geprägt, war in der großen Mehrheit mit dieser Staats- und Gesellschaftsordnung eng verbunden und konnte den Untergang der alten Ordnung nie so recht überwinden. Der Schock der Niederlage wirkte lange und nachhaltig.

51 Hingewiesen sei z.B. auf die genannten Arbeiten von Wippermann, Schwabe, Töpner, Weisz, Ringer, Döring, Bleuel, Sontheimer (Antidemokratisches Denken) und die speziellen Beiträge von Kuhn, Sontheimer, Abendroth und Eschenburg in den Sammelbänden zu den Vortragsreihen der Universitäten München, Berlin und Tübingen sowie auf die Beiträge in dem 1988 von Schwabe herausgegebenem Sammelband und den Handbuchartikel von Titze (Hochschulen, insbes. 212 ft). Eingehende Spezialuntersuchungen liegen inzwischen für Harnburg vor: Vogel, B.: Anpassung und Widerstand. Das Verhältnis Hamburger Hochschullehrer zum Staat 1919-1949, sowie Hering, R.: Der unpolitische Professor? Parteimitgliedschaften Hamburger Hochschullehrer in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich", jeweils in: Krause u.a., Hochschulalltag im "Dritten Reich" 3 - 83 bzw. 85 - 111. Allgemein zu Weimar auch Heiber, Universität I 31 ff.

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So nahm die Mehrheit von Anfang an dem neuen Staat gegenüber eine distanzierte, mehr oder weniger entschieden ablehnende Haltung ein und stand der neuen Staatsform zwar "nicht gerade feindselig ... , aber doch mit äußerster Skepsis" gegenüber.52 Gewisse, bereits vor 1918 vorhandene Grundeinstellungen53 wurden in der Weimarer Zeit aktualisiert und konkretisierten sich in unterschiedlicher Intensität in antiparlamentarischen, antidemokratischen, antiliberalen, antisozialistischen und auch antisemitischen Einstellungen. Diese grundsätzliche Prädisposition wurde verstärkt durch die reale Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Hochschullehrer in der Weimarer Zeit und den schmerzlich empfundenen Verlust an Ansehen und Einfluß. Die Verbundenheit mit der monarebischen Ordnung und die Erschütterung des sozialen Status ließ die Ablehnung der Republik, durch deren "Gleichmacherei" viele Hochschullehrer, vor allem Ordinarien, sich in ihrer Standesehre gekränkt fiihlten, 54 in gewissem Maße auch als Ressentiment einer "gestürzten Klasse" (Meinecke) erscheinen.55 Das kriegsbezogene Engagement vieler Hochschullehrer, die in der Mehrheit den "Selbstbehauptungskampf' der Nation bejabten,56 der Ausgang des Krieges und die auch im Hochschulbereich stark verbreiteten Revisionsforderungen57 versperrten in besonderer Weise den Zugang zur Republik. Die Mehrheit der Hochschullehrer konnte und wollte kein positives Verhältnis zum Weimarer Staat gewinnen, weil eben die rückwärtsgewandte Betrachtung dominierte, die "nostalgische Erinnerung"58 an das Kaiserreich und der Wunsch nach nationalem Wiederaufstieg, nach Wiederherstellung der alten Größe. Diese in überscbwenglicbem Pathos vieler Universitätsreden zum Ausdruck gebrachte Haltung und die in gutem Glauben verfolgte nationale Sache brachten die Professoren ungewollt in Übereinstimmung mit radikalen politischen Strömungen, deren "nationale" Position wesensverschieden war. Diese Einstellung und das nicht zeitgemäß ausgeprägte Politikverständnis der mei52 Eschenburg 36. 53 Vgl. zur Situation im Kaiserreich den o.g. (Anm. 11) Handbuchartikel von Jarausch

und die dort angeführte Literatur sowie exemplarisch Bruch, R. vom: Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890 - 1914). Husum 1980. 54 Kuhn26. 55 Hier nach Eschenburg 34; dazu allgemein auch Ringer. 56 Es gab zahlreiche Aufrufe von Hochschullehrern und eine Fülle von Kriegsschriften; zur publizistischen Kriegszieldiskussion Münchner Professoren vgl. Seifert 326; allgemein siehe vor allem die Arbeiten von Schwabe; für 1918/19 vgl. Thiessenhusen. 57 Vgl. dazu u.a. Salewski, M.: Das Weimarer Revisionssyndrom, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 2/1980, 14- 25; Döring, Deutsche Professoren. 58 Kuhn 26.

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sten Hochschullehrer erschwerten eine rationale, konkrete politische Auseinandersetzung mit den Verhältnissen der Republik, verhinderten eine vorurteilslose Analyse der politischen Gesamtlage und begünstigten den Rückzug in den rein wissenschaftlichen Bereich und auf eine vermeintlich unpolitische59 oder überparteiliche Haltung. Auch wenn sich die Mehrheit so als unpolitisch verstand60 und ihr Eintreten für nationale Belange nicht direkt als politische Äußerung sah, wirkten viele Professoren durch ihre Reden politisch, nicht parteipolitisch, aber parteiisch61 im Sinne des nationalen bzw. deutschnationalen Lagers. War diese "fast grundsätzlich apolitische Haltung" einerseits durch den Gedanken der Autonomie und Freiheit der "Gelehrtenrepublik" gefördert, so war sie andererseits doch bei vielen nur "Ausdruck konservativen Mißvergnügens an der jungen Demokratie".62 Die Mehrheit der Professoren war ohne Zweifel national eingestellt, die politische Haltung könnte man ganz allgemein als "liberal-konservativ bis deutschnational"63 bezeichnen. Nur ganz wenige waren es, die sich überzeugt und ehrlichen Herzens zur Republik bekannten, und auch die "Vemunftrepublikaner" befanden sich klar in der Minderheit.64 Wenn auch einige bekannte Hochschullehrer sich in Parteien engagierten und im Reichstag saßen, so war entsprechend der Einstellung zu Staat und Politik die Bereitschaft zur Mitgliedschaft oder gar zur Mitarbeit in politischen Parteien doch recht gering.65 Die Mehrheit stand politisch der Deutschen Volkspartei, den Deutschnationalen und dem Zentrum nahe. Die Zahl der Hochschullehrer, die sich vor 1933 - zumindest vor 193266 -offen zu Hitler und seiner Partei bekannten, ist sehr gering. 67 Berücksichtigt man auch die traditionelle politische Zurückhaltung der Hochschullehrer, so wird man sicher von einer größeren Zahl von Sympathisanten ausgehen kön59 Dazu vgl. u.a. Abendroth. 60 So auch Eschenburg 40; vgl. auch Bleuel 198 und Zöller, M.: Die Unfähigkeit zur Po-

litik. Politikbegriff und Wissenschaftsverständnis von Humboldt bis Habermas. Opladen 1975, insbes. 120 ff. 61 Sontheimer, Die Haltung der deutschen Universitäten 33. 62 Hess 20. - Die "unpolitische" Haltung mag in der Literatur bisher zu sehr betont worden sein. Das Fehlen entsprechender Untersuchungen läßt genauere Aussagen nicht zu. 63 So z.B. Faust, Professoren für die NSDAP 31; vgl. für Marburg Seier, Radikalisierung 306, und für Harnburg die in Anm. 51 gen. Studie von Vogel, insbes. 18 ff. 64 Dazu allgemein Döring, Weimarer Kreis. 65 Die wenigen waren meist bei Sozialdemokraten, Deutschnationalen und im Zentrum engagiert (Wippermann 148). Vgl. auch Brocke, B. vom: Professoren als Parlamentarier, in: Schwabe, Deutsche Hochschullehrer als Elite 1915- 1945, 55- 92. 66 Daß die Einschränkung berechtigt ist, versucht Faust (Professoren für die NSDAP) zu belegen. 67 So übereinstimmend die bisher vorliegenden Beiträge, z.B. Kuhn 24, Döring, Weimarer Kreis 116, und Faust, Professoren für die NSDAP 32.

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nen, vor allem im Bereich der jüngeren noch nicht etablierten Dozenten, die den Nationalsozialisten viel unbefangener als die ältere Generation gegenüberstanden. Unter den Ordinarien gab es nur wenige Anhänger Hitlers. Da diesbezügliche soziographische Untersuchungen nicht vorliegen, können genaue Angaben nicht gemacht werden. Es fällt aber dennoch auf, daß der Grad der Sympathie für den Nationalsozialismus in etwa umgekehrt proportional zur jeweiligen Position in der Universitätshierarchie war und daß die Sympathisanten unter den etablierten Professoren eher unter den Emeriti und einigen außerhalb der Hochschule tätigen Wissenschaftlern zu finden waren. Daß bei einer begrenzten, relativ kleinen Zahl von Hochschullebrem gewisse verborgene Sympathien für den Nationalsozialismus und z.T. auch eine latente Bereitschaft zur Zusammenarbeit vorhanden waren, zeigen nicht zuletzt die bereits 1932 häufiger werdenden Bekenntnisse zu Hitler68 und vor allem der Zulauf, den die NSDAP in den ersten Monaten nach der Machtergreifung auch aus Hochschulkreisen erhielt.69 Dennoch kommt den wenigen Anhängern und Sympathisanten unter den Hochschullebrem vor 1933 kein besonderes politisches, hochschulpolitisches oder standespolitisches Gewicht zu. Wenn auch die nach 1933 immer wieder erhobene Anklage, die Professorenschaft habe "dem nationalsozialistischen Kampf in ihrer überwiegenden Mehrzahl teilnahmslos oder ablehnend gegenübergestanden"70 , nicht wörtlich zu nehmen ist und keineswegs als Alibi dienen kann, so läßt sich doch die beträchtliche Distanz nicht übersehen, die zwischen Wissenschaft und Nationalsozialismus vor 1933 bestand. Was diese grundsätzliche Distanz verkleinerte und einen doch recht großen Teil der Hochschullehrer indirekt in eine gewisse Nähe zum Nationalsozialismus brachte, war die Übereinstimmung von einigen - unabhängig vom Nationalsozialismus entstandenen - Grundhaltungen der Professorenschaft mit Programmpunkten und Forderungen der Nationalsozialisten: Die Abneigung gegenüber der Republik und dem Parlamentarismus, die stark ausgeprägte nationale Gesinnung, die Sehnsucht nach Wiederherstellung deutscher Größe, wie man sie im Kaiserreich verwirklicht sah, nach einem geeinten Volk ("Volksgemeinschaft") ohne Parteienstreit, der Wunsch nach klaren, festen

68 Nach Faust (Professoren für die NSDAP) waren entsprechende Aufrufe 1932 von 51 bzw. 56 Hochschullehrern unterzeichnet, insgesamt bekannten sich 87 Hochschullehrer öffentlich zum Nationalsozialismus. Vgl. jetzt Heiber, Universität 11.1, 11 ff. 69 Der Prozentsatz der sog. "Märzgefallenen" unter den Professoren dürfte nicht wesentlich niedriger gewesen sein als der bei anderen Berufsgruppen. - Das "Bekenntnis" vom 4. März war von 301 Hochschullehrern unterzeichnet. 70 Hier nach Drescher 7. Vgl. dazu u.a. Rühle I 156: "Der Sieg der Hochschulrevolution ist mit wenigen Ausnahmen ohne Verdienst der Hochschullehrerschaft, mitunter sogar in schroffstem Gegensatz zu ihr erfochten worden."

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Zielen fiir die Jugend und z.T. auch gewisse völkische und antisemitische Tendenzen seien exemplarisch genannt.7! Je distanzierter das Verhältnis eines großen Teils der Professorenschaft zum Weimarer Staat wurde, desto geringer wurde auch der Abstand zu den Feinden der Republik. Diese unbeabsichtigte, nicht auf bewußter Hinwendung zum oder Infizierung durch den Nationalsozialismus beruhende Übereinstimmung hat freilich auch blind gemacht fiir wesentliche Ziele und Postulate des Nationalsozialismus und beigetragen zur argumentativen Wehrlosigkeit nach der Machtergreifung. 72

In diesen allgemeinen Rahmen fügt sich auf den ersten Blick auch das Erscheinungsbild der Universität München und ihrer Professoren, wie es auch von A. Seifert in seinem Beitrag in der Festschrift von 1972 in groben Zügen gezeichnet wurde. 73 So hat es auch die Universität München- mit einer Ausnahme - während der ganzen Weimarer Zeit vermieden, ein klares oder gar demonstratives Bekenntnis zur Republik abzulegen. Die Universität hat nie eine Verfassungsfeier veranstaltet und sich mit den Farben der Republik nicht schmücken wollen. 74 Da man einen emotional aufgeladenen Flaggenstreit innerhalb der Universität vermeiden wollte, wurde in Anlehnung an eine bayerische Bestimmung bei akademischen Feiern regelmäßig in den bayerischen Farben geflaggt. Einen festen, unumstrittenen Platz als zentrale vaterländische Feier hatte in der Universität die jährliche Reichsgründungsfeier.75 Regelmäßig an einem Samstag, einem "dies academicus", veranstaltet, war sie eine machtvolle nationale Demonstration, bei der in meist recht pathetischen Reden die nostalgische Erinnerung an das gute alte Reich wiederbelebt und gleichzeitig - wenn auch

71 Vgl. dazu u.a. Töpner, Bleuel, Weisz und Faust, Professoren für die NSDAP 44 f. 12 Dazu das Urteil eines Zeitgenossen: Die große Masse der "unpolitischen" Professoren habe zum Weimarer Staat kein inneres Verhältnis gefunden, so daß "am Tag der Machtergreifung die überwiegende Mehrzahl der Professoren dem Besieger eben dieses Weimarer Staates ihre Huldigung darbrachte, wenngleich die Meinungen über das, was kommen werde, ungewöhnlich eigenbestimmt und ... unterschiedlich waren" (Harms 17). 73 Aus Platzgründen und konzeptionellen Überlegungen muß die ursprünglich geplante breitere Darstellung der Weimarer Zeit unterbleiben. Es kann hier nur um einen groben Überblick und einen Problemaufriß gehen. 74 Dazu allgemein UAM Sen 93/l. Für Göttingen siehe Dahms, H.-J.: Einleitung, in: Becker/Dahms/Wegeler, Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus 15 - 60, hier 19 f. 75 UAM Sen 93/3. Eine detaillierte Untersuchung wäre wohl lohnenswert. Der Beitrag von Sontheimer (Die Haltung der deutschen Universitäten zur Weimarer Republik) basiert z. T. auf einer Analyse von Reden zum 18. Januar.

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indirekt - die distanzierte Haltung zur Republik verstärkt wurde. Als Beispiel dafür kann die Rede gelten, die der Altphilologe Eduard Schwartz zur Reichsgründungsfeier im Januar 1925 hielt und in der er die jämmerliche Gegenwart mit der vergangenen Größe kontrastierte. Zu den Ehrengästen gehörten häufig der bayeriscbe Ministerpräsident und der - auffällig vornehm - behandelte Kronprinz mit weiteren Mitgliedern der königlichen Familie. Daß diese Tradition wohl von den meisten, aber keineswegs von allen Professoren getragen wurde, zeigt das aufsehenerregende Beispiel aus dem Jahre 1927, als der bekannte Romanist Karl Vossler als Rektor - nach entsprechenden Erfahrungen bei der Jahrhundertfeier 1926 - allen Pressionen zum Trotz nicht nur gegenüber den antisemitisch eingestellten Korporationen auf der Teilnahme auch der jüdischen Verbindungen, sondern auch auf dem Hissen der schwarz-rot-goldenen Fahne bestand und dabei die Senatsmehrheit hinter sich hatte. 76 Nicht nur der Kronprinz, auch ein Teil der Professoren und zum ersten Mal die farbentragenden Verbindungen blieben der Reichsgründungsfeier fern, der Festredner sagte ab. Rektor Vossler hielt selbst die Festrede, eine mutige, offene Rede, in der er sich gegen die politische Scbwarmgeisterei und die politischen Phantastereien der Studenten wandte. 77 Die Feier des Jahres 1927 mit der vielbeacbteten78 und entsprechend kontrovers diskutierten Rede Vosslers blieb freilich in dieser Form singulär, zeigte aber schlagliebtartig die Fülle der auch im Hochschulbereich vorhandenen Emotionen und Gegensätze und - am Beispiel Vosslers - die hoffnungsvollen und doch begrenzten Möglichkeiten der Universität gegen Irrationalismus und aufkommenden studentischen Radikalismus. Zu den von der Studentenschaft regelmäßig veranstalteten vaterländischen Kundgebungen - etwa für Südtirol, Prag, Österreich oder gegen Versailles - wurden von der Universitätsleitung meist auch die Dozenten eingela76 Diese Geschlossenheit erscheint doch recht beachtlich. Rektor und Senat wollten dem Kronprinzen auch den verlangten ersten Ehrenplatz nicht zubilligen. Ferngeblieben war nur eine Minderheit der Professoren. 77 z. B.: "... seit einiger Zeit laufen sie Gefahr, sich an politischen Phrasen und Mythen geistig zu betrinken. Wenn die akademische Jugend es nicht vermag, sich nüchtern zu halten, so sehe ich der Zukunft des Reiches, dessen Gründung wir heute feiern, mit Besorgnis entgegen." Zur Aufgabe der Universität: "Darum kann die Universität mit keinem politischen Mythos, mit keiner politischen Partei sich verbinden, auf keine politische Gruppe sich festlegen; wohl aber muß sie mit der staatlichen und nationalen Grundlage, auf der sie steht, mit dem bayerischen Staat, dem deutschen Reich, dem deutschen Volk, der deutschen Geistesart und Kultur sich innig verwachsen fühlen." 7 8 Vossler, K. : Politik und Geistesleben. Rede zur Reichsgründungsfeier im Januar 1927 und drei weitere Ansprachen. München 1927. Die Rede fand ein großes Presseecho. Die MNN vom 27. Januar stellten heraus, der Rektor sei von der Erwägung ausgegangen, daß einmal ein Bekenntnis zum gegenwärtigen Reich auch von der Universität abgelegt werden müsse.

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den,79 und in einigen Fällen gab auch der Senat entsprechende Erklärungen ab, meistens freilich auf Druck der Studenten und in der Absicht, zur Beruhigung beizutragen. 80 Bei allem Verständnis für die leidenschaftliche nationale Einstellung der Studenten war die Universitätsleitung aber stets bemüht, auf solchen Kundgebungen parteipolitische Reden oder Angriffe auf die Reichsregierung zu unterbinden. 81 Heftig diskutiert und von verschiedenen Seiten kritisiert wurde immer wieder das Verhältnis der Universität zu politischen und vaterländischen Gruppierungen, insbesondere die bei der Hörsaalvergabe geübte Praxis der Universität, die wohl formal korrekt war, aber wegen der mangelhaft ausgeprägten Fähigkeit, zwischen vaterländisch und parteipolitisch zu unterscheiden, doch in vielen Fällen dazu führte, daß die rechtsstehenden, eine "vaterländische" Zielsetzung vorgebenden Gruppierungen wie etwa der Hochschulring deutscher Art oder später der von den Nationalsozialisten ins Leben gerufene "Kampfbund für deutsche Kultur" begünstigt wurden.82 Wenn auch bei einigen Professoren der Universität München völkische und z. T. auch antisemitische Tendenzen feststellbar waren83 und 1925 der Fall des jüdischen Nobelpreisträgers und Chemikers Richard Willstätter Aufsehen erregte, der seinen Rücktritt einreichte, weil seiner Meinung nach der Antisemitismus auch bei Berufungen eine Rolle zu spielen begann,84 scheinen diesbezügliche Verallgemeinerungen nicht gerechtfertigt. Von manchen anderen Universitäten unterschied sich die Universität München dadurch, daß die nationale Einstellung der Mehrheit der Professoren

79 Z. B. anläßlich des Falles Lessing, da die Dozenten der Universität München von jeher für die Erziehung der deutschen akademischen Jugend zu gesunder nationaler Einstellung eingetreten seien (UAM Sen 366/4). Zu nennen wären auch die Langemarckfeiern der Studentenschaft. 80 Z. B. Erklärung des Senats vom 24. 6. 1931 zum Fall Moenius. Der katholische Priester, mutige Publizist und Herausgeber der Allgemeinen Rundschau, Dr. Georg Moenius, hatte sich in einem Artikel gegen den "Schlageter-Rummel" gewandt und dadurch in rechtskonservativen .Kreisen besondere Empörung hervorgerufen. Der Senat verurteilte die Gesinnung des "außerhalb der Volksgemeinschaft" stehenden Dr. Moenius und verwies auf die "sehr berechtigte Erregung" der Studentenschaft und die möglichen Folgen (HStA I MK 40798). 81 So im Dezember 1930, als auf einer studentischen Kundgebung der nationalsozialistische TH-Professor Graf du Moulin-Eckart als Redner auftreten sollte. 82 Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß der die Entscheidungen vorbereitende und präjudizierende Syndikus gute Beziehungen zur NSDAP und führenden Nationalsozialisten hatte. - Wesentlich aber war nicht zuletzt die fehlende Wertorientierung, die sich aus dem Bekenntnis zur Verfassung, zur Wertordnung der Demokratie hätte ergeben müssen. 83 Siehe Weisz und Seifert. Bezüglich politischer und antisemitischer Gesichtspunkte bei Berufungen vgl. z.B. Dahrns, in: Becker/Dahrns/Wegeler 21. 84 Vgl. dazu Willstätter, R.: Aus meinem Leben. Von Arbeit, Muße und Freunden. o.O. o.J. (Weinheim 1949).

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sich selten scharf oder aggressiv und nie radikal artikulierte und man v. a. in den letzten Jahren der Republik bei allen Gegensätzen auf Mäßigung bedacht war. Dabei mag auch die Sonderstellung Bayerns eine gewisse Rolle gespielt haben, die mittlere und gerade in nationalen Belangen vermittelnde Position der von der Bayerischen Volkspartei geführten Staatsregierung, die der Universität zwar öfters Anlaß zu Unzufriedenheit und Protest, nicht aber zu Konfrontation oder Ablehnung gab. Obwohl offene Parteinahme fast verpönt war, stand eine doch recht beträchtliche Zahl der Münchner Professoren - z. T. sogar durch Parteimitgliedschaft - der Bayerischen Volkspartei, den Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei nahe. Trotz einiger weltansebaulicher Berührungspunkte war die NS-Ideologie für die große Mehrheit der Münchener Professoren unattraktiv. Weil man sich zu wenig mit ihm auseinandersetzte, blieb der Nationalsozialismus den meisten Professoren letztlich fremd, und wenn einige, ohne für sieb konkrete politische Konsequenzen daraus zu ziehen, der nationalsozialistischen Bewegung positive Seiten abgewinnen konnten, &5 so war dies meist auf Fehleinschätzung und mangelndes Einfühlungsvermögen zurückzuführen. Die Zahl derer, die mit der Hitlerbewegung sympathisierten, war wohl recht klein, und enge Berührung mit der Partei und führenden Nationalsozialisten hatten nur ganz wenige Hochschullehrer, wie etwa der Geograph Karl Hausbofer, der Historiker Karl Alexander von Müller86 und der 1933 zum Rektor berufene Forstzoologe Karl Leopold Escherich. 87 Viele dieser meist persönlichen Kontakte stammten aus der Zeit vor dem Hitler-Putsch, gingen oft zurück auf Begegnungen in der Münchner Gesellschaft der frühen 20er Jahre, 88 waren nicht immer primär politisch motiviert und hatten in den 85 Nach Weisz (259) sieht z. B. der Münchener Historiker Max Buchner in der Bewegung die besten Tugenden verwirklicht. Zu den Sympathisanten zählten z.B. Fritz Lenz, Friedrich Wilhelm v. Bissing und Wilhelm Pinder; Alfred Lorenzwar sogar Parteimitglied. 86 Haushofer war nicht Mitglied der Partei. Zu Haushofer siehe die Biographie von Jacobsen, zu K.A. v. Müller die Biographie von Schelling sowie Müller, A.v. (Hg.): K. A. von Müller. Im Wandel einer Welt. 87 Ebd. 153: "Der bekannte Forstzoologe Kar! Escherich, der später andere Wege ging, war damals eifriges Mitglied der noch kleinen Partei und besuchte alle Versammlungen Hitlers einträchtig mit dem ganzen Stab seines Instituts, von seinem damaligen Assistenten bi~ zum Werkmeister und Offizianten." 88 Siehe dazu auch Auerbach sowie die Beiträge in dem von B. Mensing und F. Prinz hg. Sammelband (Irrlicht im leuchtenden München?), insbes. : Ay, K.-L.: Von der Räterepublik zur Ordnungszelle Bayern. Die politischen Rahmenbedingungen für den Aufstieg Hitlers in München, 9- 26; Prinz, F.: Präludium oder erste Niederlage des Nazismus? Münchens kulturelles Milieu in den Zwanziger Jahren, 27 - 48, insbes. 38 ff. Auerbach, H.: Vom Trommler zum Führer. Hitler und das nationale Münchner Bürgertum, 67- 123. Zur Rolle der einflußreichen Verleger und Publizisten P.N. Cossmann und J.F. Lebmann vgl. Hoser, P.: Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe der Münchner Tagespresse zwischen 1914 und 1934: Methoden der Pressebeeinflussung. Frankfurt am Main 1990.

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letzten Jahren der Republik eine andere Qualität als vor dem 9. November 1923. Eingeschriebene Parteimitglieder waren vor 1933 nur wenige Professoren und Dozenten der Universität und unter ihnen nachweislich kein Ordinarius89 und auch kein beamteter Extraordinarius. Nachgewiesene Parteimitglieder waren vor 1933 unter den über 600 Dozenten und Assistenten (einschließlich der nichtplanmäßigen Hilfskräfte) ein älterer (Jahrgang 1876) nichtplanmäßiger außerordentlicher Professor, ein langjähriger Assistent und (seit 1929) Titularprofessor (Jahrgang 1886) sowie 17 meist jüngere Assistenten, unter ihnen sowohl Hilfsassistenten als auch Oberärzte und habilitierte Assistenten. 90 Von den 17 Assistenten gehörten zehn der Medizinischen, vier der Tierärztlichen und je einer der Philosophischen Fakultät Sektion I und II und der Juristischen Fakultät an. Die Parteieintritte erfolgten in den Jahren 1930, 1931 und 1932, nur in drei Fällen friiher, davon in zwei Fällen im Jahre 1922. Keines dieser Parteimitglieder ist vor 1933 innerhalb der Universität als Nationalsozialist in besonderer Weise hervorgetreten oder - etwa über den engeren Arbeitsbereich eines Instituts hinaus aufgefallen. Diese relativ wenigen direkten Kontakte zur NSDAP lassen Tendenzen erkennen,91 geben aber keine Aufschlüsse zum Verständnis des politischen Verhaltens der Mehrheit der Hochschullehrer unmittelbar nach der Machtergreifung. Eber lag es wohl an Gemeinsamkeiten im nationalen Denken und an der Distanz zur Republik sowie an gewissen - bisher unerfiillten - Erwartungen, wenn eine beträchtliche Zahl der Dozenten auch der Universität München sich den neuen Machthabern gegenüber indifferent und abwartend verhielt oder diese als berufene Kräfte der erhoffien nationalen Erhebung mißverstand. Generalisierende Aussagen dieser Art müssen freilich stets mit einer größtmöglichen Differenzierung und sorgsamen Beurteilung des Einzelfalles einhergehen. So läßt sich auch für die Universität München mehrfach belegen, daß gerade konservative Hochschullehrer, aus deren nationalen Äußerungen vor 1933 man vorschnell eine gewisse Nähe zum Nationalsozialismus herauslesen

89 Kar! Escherieb war nur Mitglied bis zum Verbot der Partei, später nicht mehr; K. A. von Müllers Mitgliedschaft datiert vom Mai 1933. 90 Zahlenaufgrund einer Erhebung vom Herbst 1935 (UAM Sen 862). Da nicht von allen - im Vorlesungsverzeichnis aufgeführten - Betroffenen Rückmeldungen eingingen, muß eine kleine Fehlerquote einkalkuliert werden. Es darf aber mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß von allen Parteimitgliedern Meldungen abgegeben wurden. 91 Mitglieder sind v. a. jüngere Assistenten, mehrheitlich Mediziner. In diesen Kreisen kann eine noch größere latente Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten unterstellt werden. 4Dllhm

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hätte können, vor und nach 1933 zu den entschiedensten Gegnern des Nationalsozialismus gehörten. Noch weniger als die Mehrzahl der Professoren konnte sich die überwiegende Mehrheit der Studenten92 mit dem Weimarer Staat abfinden. Die schon bei vielen Professoren erkennbaren völkischen, antisemitischen, nationalistischen und antidemokratischen Tendenzen lassen sich bei der Masse der Studenten in viel ausgeprägtereD Formen nachweisen. Obwohl zunächst die recht besonnene Kriegsstudentengeneration eine gemäßigte, mittlere Linie einschlug und einen eigenen Beitrag zum Wiederaufbau und zur Überwindung der - eigenen - wirtschaftlichen Not leisten wollte und sich dementsprechend stark für die AStA-Bewegung und die studentische Selbsthilfe engagierte, gewannen doch schon in den ersten Jahren der Republik der völkische Nationalismus und antidemokratische Tendenzen93 innerhalb der Studentenschaft die Oberhand. Nationalismus und Antisemitismus gehörten zu den dominanten Grundstimmungen in der Studentenschaft bis 1923, verbreitet v. a. in den Korporationen, in radikaler Ausprägung im "Hochschulring deutscher Art".94 Die bürgerkriegsähnlichen Zustände der Nachkriegszeit bis 1923 förderten die Politisierung der Studenten, die sich z. T. stark in Freiwilligenverbänden engagierten und die mit ihren radikalen Teilen (Hochschulring) auch am Hitlerputsch - aktiv und passiv - teilnahmen. Nach einer Phase der Beruhigung in den mittleren Jahren der Republik (etwa von 1924- 1927) war die weitere Entwicklung der Studentenschaft gekennzeichnet durch eine zunehmende Radikalisierung95 und schließlich den Aufstieg des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB).96 Die Ursachen sind vielschichtig. Daß die Radikalisierung durch den oben aufgezeigten Strukturwandel der Hochschule - etwa durch "Überfüllung" und "Vermassung" sowie soziale Öffnung - verschärft wurde und durch die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren der Republik- mit der Folge von zunehmender wirtschaftlicher Not der Studenten, von ansteigender Akademikerarbeitslosigkeit und Bildung eines "akademischen Proletariats" und allge-

92 Die diesbezügliche Literatur ist oben, Anm. 7, aufgeführt. Einen anschaulichen Überblick aufneuem Stand gibt Jarausch, Deutsche Studenten 117- 163. 93 Nach Jarausch (119) bedingt v. a. durch "korporative Tradition, wilhelmische(n) Illiberalismus und Statusangst vor der Nivellierung in der sog. Massengesellschaft". 94 Zum Verhalten der Korporationen siehe allgemein Stitz, insbes. 47 f. - Lediglich die katholischen Verbindungen konnten eine maßvolle Linie (z. B. Ablehnung der Einführung des "Arierparagraphen") durchhalten. Der Hochschulring sagte dem Weimarer Staat offen den Kampf an und lehnte jeden Kompromiß ab. 95 Vgl. die umfassende, auf sozialstatistische Methoden gestützte Untersuchung von Kater (Studentenschaft). 96 Dazu Faust, NSDStB.

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meiner Verunsicherung - weitere Nahrung erhielt, ist unbestritten. Die Konzentration der ungünstigen Faktoren fiihrte in der Endphase der Republik zu zunehmender sozialer Verbitterung und politischer Entfremdung und schließlich zu einem Generationskonflikt97 mit der Vätergeneration, die aus der Sicht der Jungen mehrfach (Niederlage im Weltkrieg, Systemwechsel, Wirtschaftskrise) versagt hatte und ihren Kindem das ihnen Zustehende nicht mehr bieten konnte. Der Gegensatz zum "System" - der Republik und der Erwachsenen wurde zur bestimmenden Konstante fiir die Mehrheit der Studenten. Der gescheiterte Einigungsversuch in der Verfassungsfrage98 und der offene Bruch von 1927 mit der Auflösung der "verfaßten" Studentenschaften in Preußen und anderen Hochschulländern - nicht in Bayern - ließen die große Distanz zum demokratischen Staat deutlich werden. Die Mehrheit der Studenten stand zum völkisch-großdeutschen Lager in der studentischen Selbstverwaltung.99 Obwohl die Nationalsozialisten bereits in den Anfangsjahren der Republik Zulauf aus Studentenkreisen, v. a. aus dem sog. Waffenstudententum, bekamen, flaute die Hitlee-Begeisterung nach dem gescheiterten Putsch ab, die politische Lage an den Hochschulen beruhigte sich, und NS-Studenten spielten zunächst keine Rolle mehr in der studentischen Politik. Der Aufstieg des NSDStB nach der Gründung im Februar 1926 durch Tempel vollzog sich unter Schirach ab 1928 und zwar äußerlich sichtbar an einer Reihe spektakulärer Erfolge bei den AStA-Wahlen. 1928 erreichte der NSDStB an neun Hochschulen insgesamt 10,5% der Stimmen- in Erlangen und Greifswald bereits die Mehrheit-, im Folgejahr an 16 Hochschulen durchschnittlich 16,3% und 1930 sogar 51 %an 25 Hochschulen. 100 Im Juli 1931 wurde ein Nationalsozialist Vorsitzender der Deutschen "Studentenschaft", 1932 auf dem Studententag in Königsberg i.Pr. wurde die Einführung des Führerprinzips beschlossen. Zum Erfolg des NSDStB trugen neben der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in der Endphase der Republik viele Faktoren bei: u. a. der unermüdliche, sich in Diskussionsabenden und Kundgebungen äußernde Aktionismus, die professionell vorbereiteten, in ihrer Art vielfach originellen Aktionen, die attraktiv gestaltete Propaganda, die z. B. weit verbreitete Strömungen aufnahm und entsprechend verändert auf die eigenen Mühlen lenkte, der geschickte Umgang mit den Verbindungen, 101 die neuartige, auch physische Jarausch 141 ff., 149. Vgl. Stitz 52 ff. 99 Jarausch 149. 100 Vgl. die Übersicht der ausgewählten Wahlergebnisse bei Faust, NSDStB II 140 f.; hier nach Jarausch 159. 101 Die große Übereinstimmung in allgemeinen politischen und weltanschaulichen Fragen machte es den rechtsstehenden Verbänden schwer, erfolgreich zur Wahrung der eigenen Interessen gegen den NSDStB zu opponieren. Als man nach jahrelanger Zusammenarbeit (Erfurter Abkommen 1931) viel zu spät (1932) die Gefahr erkannte, fehlten schlagkräftige Argumente. 97 98

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Gewalt und Einschüchterung nicht ausklammernde Taktik und der propagandistische Appell an die Öffentlichkeit, auf den die Universitätsbehörden ihrem Selbstverständnis entsprechend keine passenden Antworten fanden. Aus gezielten Aktionen gegen pazifistische und republikfreundliche Professoren 102 und aus populären Anträgen, etwa zum Numerus clausus, konnte der NSDStB ebenso Kapital schlagen wie meist auch aus bewußt provozierten Gegenmaßnahmen der Hochschulbehörden, die vielfach zur Solidarisierung der Studenten mit dem NSDStB führten und den Behörden die Entscheidung über das Vorgehen nicht leicht machten. Diese allgemeinen Aussagen über den NSDStB werden durch die Verhältnisse an der Universität München weitgehend bestätigt. Auch in der Münchener Studentenschaft war schon zu Beginn der Weimarer Republik der deutschnationale und rechtskonservative und zum großen Teil völkische Geist vorherrschend, 103 von dem besonders die Waffenstudentischen Verbindungen erfaßt wurden. Studentische Verbände nahmen 1920 an den Kämpfen in Mitteldeutschland, im Ruhrgebiet und in Oberschlesien teil und gingen dann in die Einwohnerwehren über. Die Propaganda der NSDAP hatte bei den Münchener Studenten bereits Wirkung gezeigt. SA und Freikorps "Oberland", an deren Spitze der Universitätsassistent Dr. Friedrich Weber stand, waren "stark studentisch durchsetzt".104 Rudolf Heß, Gasthörer an der Universität, hatte nach späteren Aussagen bereits 1922 eine nationalsozialistische Studentengruppe um sich versammelt und seit Ende 1922 eine SA-Studentenkompanie geführt, die beim Hitler-Putsch aktiv in Erscheinung trat. 105 Auch der Hochschulring nahm am Marsch auf die Feldherrenhalle teil. Nach dem Scheitern des Putsches kam es in der Universität zu erregten Auseinandersetzungen und tumultartigen Versammlungen mit klar NS-freundlicher Stimmung und radikalen Forderungen, wie sie auch aus der Endzeit der Republik bekannt sind. Die Universität mußte geschlossen werden.106

102 Die "Fälle" Lessing, Gumbel, Dehn, Cohn und Nawiasky sind z.T. ausführlich abgehandelt bei Faust, NSDStB II 51 ff., und Reiber, Universität I 51 ff. 103 Seifert 334. Dies zeigte sich u.a. in der Reaktion auf die Ermordung Kurt Eisners und den Prozeß gegen den Mörder. 104 Ebd. 336. 105 Vgl. Faust, NSDStB I 25- 27. 106 Ebd. 26; Stitz 46 f.; Seifert 336- Für die Existenz einer zumindest locker organisierten Gruppe spricht ein von Heß, Göring und Endrös unterzeichnetes Flugblatt, mit dem zu einer Versammlung mit Hitler über das Thema "Deutscher Student und deutscher Arbeiter als Träger der deutschen Zukunft" für den 26. Februar 1923 (von Faust, NSDStB I 37, datiert auf Februar 1925) eingeladen wurde; hier nach HStA I SI 1839.

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Die beim Hitler-Putsch erkennbaren Sympathien für die Nationalsozialistenflauten bald ab; dominant blieb aber die völkische und z. T. extrem nationale Einstellung einer studentischen Mehrheit, die sich in verschiedenen nationalen Kundgebungenl 07 und antisemitischenlOS Forderungen äußerte und zunächst in der Völkischen Finkenschaft und später in der v. a. vom Waffenring getragenen Großdeutschen Studentenschaft109 ihren Stoßtrupp hatte, bis sich um 1930 der NSDStB an die Spitze schob. Die Studentenschaft war aber in den mittleren Jahren der Republik bei weitem nicht so politisiert wie im letzten Drittel. Die nationalen Kundgebungen der Studentenschaft stießen grundsätzlich auf großes Verständnis bei den Professoren und bei der Universitätsleitung, die nichts dagegen hatte, wenn sich die Studenten entsprechend artikulierten, wenn nur dadurch unvorhergesehene Aktionen und Ausschreitungen im Universitätsbereich erspart blieben. Die ablehnende Haltung gegenüber der Republik durch die antisemitische Grundeinstellung eines Großteils der Studenten der Universität München wurde d.eutlich bei der Reichsgründungsfeier im Jahre 1927, die von einem beträchtlichen Teil der Studenten boykottiert wurde - es wurde auch nicht chargiert-, weil Rektor Vossler, wie oben bereits dargelegt, nicht nur auf den Farben der Republik, sondern auch auf der Zulassung der jüdischen Verbindungen bestand. Mit dem Eintritt des NSDStB in die Hochschulpolitik begann auch in München eine Phase zunehmender Radikalisierung. Der an der Universität Anfang 1926 angemeldete Studentenbund konnte bei den Wahlen im WS 1926/27 mit zwei von 30 Sitzen einen ersten Erfolg verbuchen, erreichte ein Jahr später wieder zwei Sitze und konnte sich trotz großen Propagandaaufwandes bei den Wahlen im WS 1928/29 nur um einen auf drei Sitze verbessern. Dieser Zuwachs war im Vergleich mit anderen Hochschulen auffallend gering, und für den Studentenbund, der bei den großen Abschlußkundgebungen vor den AStA-

107 Z. B. "Anschluß"-Kundgebungen, Kundgebungen für Oberschlesien, gegen die "Kriegsschuldlüge" usw. 108 So enthielten die Wahlaufrufe der Völkischen Finkenschaft bereits 1923 die Forderung nach einem Einspruch gegen die Berufung jüdischer Professoren; eine diesbezügliche Aktivität des Führers der Völkischen Finkenschaft wurde aber mit der Disziplinarstrafe des verschärften Verweises belegt (UAM Sen 144). 1°9 Bei den AStA-Wahlen im Dezember 1922 entfielen von insgesamt 30 Sitzen auf die Liste der Korporationen 10, auf die der Völkischen Finkenschaft 8 Sitze, bei den Wahlen im Dezember 1924 auf die u. a. mit Waffenring und Völkischer Finkenschaft vereinigte Liste der Großdeutschen Arbeitsgemeinschaft 14 Sitze, in den Wahlen vorn November 1925, Dezember 1926, November 1927 und November 1928 erhielt dann die Großdeutsche Studentenschaft 18, 12, 11 und 10 Sitze. Bei den Wahlen im November 1930 gelang den Nationalsozialisten der Durchbruch mit 10 Sitzen, v. a. aufKosten der Großdeutschen Studentenschaft, die nur noch 6 Sitze erreichte (UAM Sen 366c 2t).

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Wahlen stets die Parteiprominenz aufbieten konnte - so im November 1927 und 1928 jeweils HitlerllO -,enttäuschend. Erst bei den Wahlen im WS 1929/30 konnte sich der NSDStB an der Universität auf fünf Sitze verbessern. Der Durchbruch gelang - entsprechend dem Aufstieg der Partei bei der Reichstagswahl im September - bei den AStAWahlen im November 1930: Der NSDStB erreichte zehn von 30 Sitzen und stellte ab jetzt den 1. Vorsitzenden im AStA-Vorstand. Bei den Wahlen im November 1931 konnte trotz großer Aktivität nur ein Sitz hinzugewonnen werden. Der NSDStB hatte damit den Höhepunkt seiner Entwicklung an der Universität erreicht und spürte bereits Gegenwind. Bei den Wahlen im November 1932 mußte der Studentenbund sogar den Verlust eines Sitzes hinnehmen. Schuld daran war wohl neben der allgemeinen politischen Entwicklung das nicht nur in München sich verschlechtemde Verhältnis zum Waffenring, das zu einem zeitweiligen Zerwürfnis und insgesamt zu einer Entfremdung führte, nachdem der Waffenring und andere betont national eingestellte Verbindungen die Gefahr für die eigene Organisation erkannt hatten. 111 Auch wenn der NSDtB an der Universität München den erhofften großen Durchbruch nicht schaffte, prägte er mit seinen neuen Formen der Propaganda, seinem pausenlosen Aktionismus, seinem planvollen - im Vergleich mit anderen Gruppen politisch professionellen- Vorgehen und seiner Bereitschaft zu einer bisher nicht gekannten Radikalität spätestens seit Sommer 1929 das Erscheinungsbild der Studentenschaft, bestimmte die Themen der Auseinandersetzung und zwang nicht nur die konkurrierenden studentischen Gruppierungen, sondern auch die Universitätsbehörden und die Kultusverwaltung in die Defensive. Mit fast allen erlaubten und auch unerlaubten Mitteln und mit einem beispiellosen Aktionismus suchte der NSDtB sich an der Universität in Szene zu setzen: Wöchentliche Speechabende und publizistisch groß ausgeschlachtete Kundgebungen, tägliche Stehkonvente in der Universität, demonstratives geschlossenes Auftreten im Braunhemd, nicht genehmigte Flugblattverteilung, Attacken auf mißliebige Professoren und Verbalradikalismus auf nationalen Kundgebungen der Studentenschaft waren ebenso Mittel dazu wie bewußt inszenierte Störungen und gezielte Provokationen mit dem Ziel einer weiteren Politisierung und Solidarisierung der Studentenschaft. Zum Leidwesen der Universitätsleitung fanden alle Aktionen des NSDStB eine auffallend große publizistische Unterstützung durch den Völkischen Beobachter. Der

110 Im Sommer 1926 sprachen in öffentlichen Versammlungen des Studentenbundes MdL Dr. Rudolf Buttmann und Dr. Goebbels (über "Student und Arbeiter"). Hauptredner bei den Abschlußkundgebungen waren im November 1929 Dr. Goebbels, im November 1930 Adolf Wagner und Ernst Röhm, im November 1931 MdR Hans Schemm. 111 Hier nach UAM Sen 366c 2d-f. Zur allgemeinen Entwicklung vgl. Stitz und Faust, NSDStB.

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NSDStB bediente sich in mehrfacher Hinsicht einer Doppelstrategie: Er zettelte Unruhen an und übernahm auch die Rolle des Friedenstifters, wenn es nützte. Er startete immer wieder unerlaubte politische Aktionen, verzichtete aber andererseits nicht ganz aufsachbezogene AStA-Arbeit, v. a. auf sozialem Sektor. Einen gewissen Höhepunkt dieser Aktionen stellte das gezielte Vorgehen des NSDStB gegen Professor Nawiasky im Sommer 1931 dar. Nachdem 1930 eine Attacke gegen Nawiasky als Vorsitzenden des Vereins für das Deutschtum im Ausland gescheitert war, unternahm man 1931 einen neuen Versuch,112 weil der Staatsrechtier in einer Vorlesung den Frieden von Versailles mit dem von Brest-Litowsk in ungehöriger Weise verglichen habe. Die vom Völkischen Beobachter eingeleitete Kampagne führte zu Tumulten und schließlich zur Räumung der Universität durch die Polizei und zur Schließung für eine Woche. Die Hochschulgruppe des NSDStB erhielt eine scharfe Verwarnung, dem Hochschulgruppenführer wurde die Wegweisung von der Universität angedroht. Die Universität reagierte deutlich, aber doch wie in vielen anderen Fällen mit einer erkennbaren Zurückhaltung und erhoffte sich davon kurzfristig eine Beruhigung und langfristig eine gewisse Befriedung. Man kann aber trotzdem nicht behaupten, die Universität habe nicht ernsthaft versucht, dem Treiben des NSDStB Einhalt zu gebieten. Schon 1929 wurde dem NSDStB eine scharfe Mißbilligung ausgesprochen. 1930 wurde wegen der Brüskierung des Staatsrats von Kahr bei der Reichsgründungsfeier der Hochschulgruppe das Verbot angedroht113 und eine Satzungsänderung abverlangt, und im Dezember 1931 wurde wegen eines besonders scharfen Angriffs in der Zeitung des NSDStB der Schriftleiter von der Universität verwiesen und der NSDStB zeitweilig- bis 15. März 1932- verboten. Wenn die Universität nicht mit äußerster Schärfe reagierte, so deshalb, weil sie trotz größter Differenzen die Tür nicht zuschlagen wollte114 und die Hoffnung auf eine Beruhigung nicht ganz aufgab und insbesondere deshalb, weil man nach damali112 Zum "Fall" Nawiasky vgl. Faust, NSDStB li 56 - 57, und Franz sowie Reiber, Universität I 108 - 115. Aus konzeptionellen Gründen wurde auf eine ausführliche Darstellung verzichtet, zu der die Akten des Universitätsarchivs nicht, wie man vermuten könnte, wesentliche, über die Akten des Ministeriums hinausgehende Ergänzungen liefern können. 113 Außerdem wurde auf die Dauer von zwei Semestern der Hochschulgruppe die offizielle Beteiligung an Universitätsfeiern und den Mitgliedern das Tragen von Braunhemden und Hakenkreuzbinden untersagt; vgl. auch Faust, NSDStB I 100- 101. 114 Vgl. die allgemeine Einschätzung vieler Gegner des Nationalsozialismus, die bei aller Verurteilung den studentischen Aktionen einen guten Kern nicht ganz absprechen wollten. So auch Eduard Spranger, der sich auf dem Hochschulverbandstag gegen eine Resolution gegen die Umtriebe der NS-Studenten aussprach, weil er die Bewegung an sich im Kern für gut und "nur in der Form für undiszipliniert" hielt (Bleuel205). Außerdem sah man- speziell an der Universität München - in disziplinarischen Maßnahmen nicht das wirksamste Mittel gegen Unruhestifter.

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ger Einschätzung der Lage und nach einigen bitteren Erfahrungen eine weitere Politisierung der Studentenschaft und Solidarisierung mit dem NSDStB befürchtete.llS Es gab auch Versuche der Universität und des Ministeriums, aus der defensiven Rolle des Reagierenden herauszukommen und das radikale Auftreten des NSDStB offensiv zu bekämpfen, etwa über die Änderung des Studentenrechts und speziell die Regelung der Erhebung der Zwangsbeiträge und ihrer Abfiihrung an die Deutsche Studentenschaft.l 16 Diese Maßnahmen kamen allerdings recht spät und brachten nicht mehr die erhoffte Wirkung. Fallengelassen wurde schließlich auch der Plan, durch einen Umbau des AStA und dessen Abstützung auf die relativ sachlich arbeitenden Fachschaften eine Entpolitisierung zu erreichen, weil schließlich dann auch eine Politisierung der Fachschaften befürchtet werden mußte. Wie für die meisten Hochschulen gilt auch für die Universität München, daß sie von ihrem Selbstverständnis her einerseits nicht in der Lage war und sich auch nicht dazu bestimmt sah, den entschiedenen - auch inhaltlichen - Kampf gegen den politischen Radikalismus aufzunehmen -man spielte manche Vorf&ille herunter und bemühte sich redlich, jene Kräfte aus dem Hochschulraum fernzuhalten - 11 7 , und andererseits aufgrund ihrer Struktur auch nicht die Mittel hatte, den Radikalismus der Studentenschaft wirksam einzudämmen, der letztlich nur ein Vorläufer einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung war.l 18 Daß der NSDStB an der Universität München bei den Wahlen den erwarteten großen Durchbruch nicht schaffte und über ein gutes Drittel der Mandate nicht hinauskam, lag u. a. auch an den stabilen katholischen Listen, die durchgehend etwa ein Viertel der Mandate halten konnten.l 19 Daß er aber auch an der Universität München als Minderheit die AStA-Politik dominierte und durch ständige politische Agitation das studentische Erscheinungsbild bestimmte, lag an der gut gespielten Rolle der

115 Dieselbe Taktik und Zielsetzung zeigt Seier (Radikalisierung 339, 345, 348 f.) am Beispiel der Universität Marburg, wo es der Universitätsleitung ebenfalls primär darauf ankam, die Ruhe zu bewahren, die Tagespolitik fernzuhalten und insgesamt zu beschwichtigen. Für Frankfurt vgl. Hammerstein 164 f. Solidarisierungen nach disziplinarischen Maßnahmen und Verboten waren auch an anderen Universitäten zu beobachten. 116 Nach gewissen Auflagen, Reduzierungen und zeitweiligen Sperrungen wurde ab SS 32 v. a. infolge der Auseinandersetzungen innerhalb der Studentenschaft und der Einführung des "Führerprinzips" die Abführung eines Beitrags an die Deutsche Studentenschaft untersagt (UAM Sen 366 c3). 117 So z. B. ein Bericht des Rektorats an das Kultusministerium vom März 1931 (HStA I MK40772). 118 Vgl. auch Kluke 579. 119 Daneben gab es immer eine weitere - wenn auch kleine - Gruppe gemäßigter Studenten, die sich v.a. in der Liste für Fachschaftsarbeit fanden. Linksdemokratische und sozialistische Listen spielten an der Universität kaum eine Rolle (meist 1 Sitz von 30).

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Avantgarde120 und an der großen Masse der unpolitischen, unkritisch-bequemen Studenten, in denen er wohl nicht gerade zuverlässige Anhänger, aber stimmungsanfällige Sympathisanten und viele opportunistische Mitläufer fand.l21 Dennoch mußte der NSDStB, der seit Dezember 1930 den Vorsitzenden des AStA-Vorstands an der Universität stellte und der mit seinen Aktionen und Kampagnen zwischen 1929 und 1931 die Universität erschütterte, 1932 einen klaren Attraktivitätsverlust und bei den November-Wahlen einen Stimmen- und Mandatsrückgang hinnehmen. Hierin spiegelte sich sicherlich auch die allgemeine politische Entwicklung des Jahres 1932. Dennoch fällt auf, daß trotz vieler Gemeinsamkeiten zwischen dem NSDStB und einem Großteil der Studentenschaft, die etwa in den gemeinsamen Wehranträgen und in der Befürwortung von Arbeitsdienst, Wehrsport und Arbeitslager122 und radikalen Neuerungen in Hochschule und Politik ihren Ausdruck fanden, der NSDStB an der Universität München nur eine wenig gefestigte Wählerschaft hatte, die nicht bereit war, bedingungslos seinen Parolen 123 und Methoden zu folgen. Wenn allgemein der NSDStB trotzgroßer Erfolge zu Beginn des Jahres 1933 ähnlich wie die NSDAP in keiner hoffnungsvollen Verfassung war, 124 so galt dies im besonderen gerade auch für die Hochschulgruppe an der Universität München. So gesehen kam für den NSDStB die Machtergreifung gerade rechtzeitig. Sie beendete die bisherige Form studentischer Auseinandersetzungen ebenso wie die von Ressentiments und Angst, aber auch von Hoffnung bestimmte und noch immer offene hochschulpolitische Entwicklung.

12° Zentrale Punkte im gemeinsamen weltanschaulichen Fundament der völkischen und betont national gesinnten Studenten wurden vom NSDStB am entschiedensten und wirksamsten vertreten. 121 Vgl. dazu allgemein Faust, NSDStB li 139. An der Universität München konnte bei den November-Wahlen 1930 der etwa 100 Mitglieder zählende NSDStB immerhin 2437 Stimmen auf sich vereinigen (HStA I MK 40772 und UAM Sen 366c 2 f. ). 122 Als eine der wichtigsten Aufgaben im SS 1932 wurde von der Studentenschaft der Universität München die Organisation des Arbeitslagers in Arrach im Bayerischen Wald betrachtet. 123 So fanden z. T. auch die "Numerus clausus"-Anträge des NSDStB keine Mehrheit; auch für scharfe Angriffe auf einzelne jüdische oder politisch mißliebige Professoren zeigte die Mehrheit der Studenten kein Verständnis. 124 Vgl. Faust, NSDStB li 115.

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1. Machtübernahme, Machtsicherung und erste Maßnahmen der bayerischen Behörden Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war nur der erste Schritt, der Auftakt zu einer aus mehreren Etappen bestehenden Politik der Machteroberung und Machtsicherung1 durch die Nationalsozialisten, die in der persönlichen Diktatur des "Führers und Reichskanzlers" Adolf Hitler am 2. August 1934 ihren Abschluß fand. 2 Vor dem Hintergrund dieser politischen Entwicklung müssen sowohl die einzelnen hochschulpolitischen Maßnahmen des NSStaates als auch die jeweilige Reaktion der Hochschulen gesehen werden. Der inszenierte Druck der Straße, die offen angewandte Gewalt, aber auch die meisterhaft gespielte Legalitätstaktik und die sehr wirksame, auch auf Ausschaltung eines Anfangswiderstands zielende Formel von der nationalen Erneuerung und Versöhnung haben zusammen mit einer Kette von Fehlschlüssen und Fehlbeurteilungen Hitlees Machteroberung und -sicherung erleichtert, die mit einer nicht vorstellbaren - den Überraschungseffekt nützenden - Dyna-. mik und Geschwindigkeit erfolgte. Die einzelnen Etappen sind bekannt.3 Nach der Verordnung vom 28. Februar 1933 ("Reichstagsbrandverordnung"), die wichtige Grundrechte außer Kraft setzte und die Handhabe bot zum Vorgehen gegen die Länder, und nach dem - Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit auslöschenden - Ermächtigungsgesetz verfügten die Nationalsozialisten knapp zwei Monate nach der Machtergreifung "praktisch unkontrolliert über den gesamten Staatsapparat".4

I Ursachen und Ablauf scheinen durch ältere und jüngere Untersuchungen hinreichend geklärt. Grundlegend immer noch: Bracher/Sauer/Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Vgl. ferner Bracher, Die deutsche Diktatur; Broszat, Der Staat Hitlers; Bracher/ Funke/Jacobsen (Hg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933 - 1945; Frei, N.: Machtergreifung. Anmerkungen zu einem historischen Begriff, in: VZG 31 (1983), 136- 145. 2 Dies ungeachtet der Tatsache, daß nicht alle Ebenen total erfaßt und von einer klaren Zuständigkeitssystematik betroffen waren. Vgl. dazu die wissenschaftliche Diskussion zur Interpretation des NS-Herrschaftssystems (Monokratie oder Polykratie), z.B. die Beiträge voh .R. Mommsen und K. Hildebrand in: Hirschfeld, G./Kettenacker, L. (Hg.): Der "Führerstaat". Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reichs. Stuttgart 1981. 3 Hinzuweisen wäre z.B. noch auf die Verordnung des Reichspräsidenten "zum Schutze des deutschen Volkes" vom 4. 2. 1933, die beiden Gesetze zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. 3. und 7. 4. 1933 und das "Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" vom 30. I. 1934. Vgl. Münch, I. v.!Brodersen, U. (Hg.): Gesetze des NS-Staates. Dokumente eines Unrechtssystems. 2. Aufl. Faderborn 1982. 4 Oberreuter, H.: Pluralismus und Antikapitalismus, in: ders. (Hg.): Pluralismus. Opladen 1980, 13.

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Im Sommer 1933 waren bereits Parteien und Gewerkschaften ausgeschaltet, konnte der Einparteistaat (14. 7. 1933) proklamiert werden.s Die Konsolidierung des totalitären Führerstaates war bereits so weit fortgeschritten, daß fiir diejenigen, die das System grundsätzlich und mit dem Ziel seines Sturzes bekämpfen wollten, nur noch der opfervolle und wenig Hoffnung auf Erfolg bietende Weg in den "illegalen" Widerstand blieb,6 weil nicht nur der stets präsente Terror, sondern auch die rasch geschaffenen und im Sinne ihrer Urheber fast beliebig interpretationsfähigen "gesetzlichen" Grundlagen wie etwa die Verordnung "zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung" vom 21. März7 eine offene politische Auseinandersetzung mit den neuen Machthabern nicht mehr zuließen. Für diejenigen, die sich nicht selbst ausliefern und freiwillig anpassen wollten, blieb neben Resignation, freiwilligem Rückzug einerseits bzw. Entscheidung zur "Illegalität" andererseits nur noch ein schwieriger, aber durchaus gangbarer Weg etwa fiir eine gut getarnte Teilopposition, eine als Fachkritik verpackte Opposition, fiir widersetzliches Handeln in Detailfragen oder fiir eine auf Teilerfolge in Teilbereichen setzende, nicht ungefährliche Taktik der Opposition durch Anpassung und Zugeständnisse. Daß dieser in letzter Zeit zunehmend ins Blickfeld wissenschaftlicher, z.T. auch vorwissenschaftlicher Betrachtung gerückte, sich vornehmlich im "Alltag" zeigende und mit dem Begriff "Resistenz" am treffendsten zu umschreibende Widerstand im weiteren Sinne dem System beträchtlich schaden und daß er langfristig sogar Hoffnungen auf politische Veränderungen begründen konnte, haben neuere Untersuchungen deutlich gemacht.s Diese vielfältigen Formen des unter den Resistenz-Begriff fallenden Verhaltens werden auch im Bereich der Hochschule sichtbar. Nicht unwesentlich für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Hochschulen und Nationalsozialismus ist schließlich die Tatsache, daß die konkreten spezifischen Maßnahmen gegen die Hochschulen relativ spät einsetzten. Wirkten sich die im April 1933 ergangenen Zulassungsbestimmungen und 5 "Gesetz über die Neubildung von Parteien" vom 14. Juli 1933. Vgl. auch Matthias, E./Morsey, R. (Hg.): Das Ende der Parteien 1933. Düsseldorf 1960. 6 Bracher, K.-D. :Demokratie und Machtergreifung: Der Weg zum 30. Januar 1933, in: Bracher/Funke/Jacobsen (Hg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933 - 1945, 17 - 36, hier 33. Ebd.: "Als die Wirklichkeit der 'legalen Revolution' offenbar wurde, war es zu spät für offenen Widerstand", stellt Bracher fest. 7 RGBl I, 135. 8 Vgl. grundsätzlich das Forschungsprojekt "Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945": Broszat/Fröhlich/Wiesemann (Hg.): Bayern in der NS-Zeit. Der hier entwickelte Begriff der "Resistenz" ist auch dieser Arbeit zugrundegelegt Vgl. dazu speziell den Beitrag von Broszat (Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts) in Bd. IV, 691 - 709. Allgemein siehe Schmädecke/Steinbach.

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beamtenrechtlichen Maßnahmen immerhin schon zu Beginn des Sommersemesters 1933 aus, so begann die eigentliche Umgestaltung der Hochschulen erst in der 2. Hälfte des Jahres 1933, in einer Zeit also, in der die Herrschaft der Nationalsozialisten bereits gefestigt war und anfangliehe Illusionen über ein baldiges Ende des NS-Regimes verflogen waren. Da die Hochschulen außerdem der jeweiligen Landeshoheit unterstellt waren, drohte unmittelbare Gefahr vor allem nach der Machtergreifung in den einzelnen Ländern. In Bayern, das im Reich eine von den Nationalsozialisten auch nach der Reichstagswahl nicht unterschätzte Stellung9 einnahm, begann die Machtübernahme am 9. März. Die staatsstreichartigen Ereignisse, das Zusammenspiel von inszeniertem Druck der Massen von unten und fragwürdigen, gegen den Geist der Verfassung verstoßenden Maßnahmen von oben sind in der Literatur angemessen gewürdigt. 10 Nachdem Ministerpräsident Held am Mittag des 9. März noch nicht aus seinem Amt vertrieben werden konnte, reagierte Berlin am Abend desselben Tages mit der Ernennung des Generals Franz Xaver Ritter von Epp zum Reichskommissar. In Überschreitung seiner Befugnisse ernannte Epp noch am gleichen Abend den Hauptmann a.D. Ernst Röhm und den Reichstagsabgeordneten und Münchner Stadtrat Hermann Esser zu Staatskommissaren z.b.V., den Reichstagsabgeordneten und Reichsführer der SS Heinrich Himmler zum Polizeipräsidenten von München und zu Beauftragten für das Innen-, Finanz- und Justizministerium den Landtags- und Reichstagsabgeordneten und Gauleiter von München-Oberbayern Adolf Wagner, den Landtagsabgeordneten und Oberbügermeister von Lindau Ludwig Siebert und den Reichstagsabgeordneten - und Kronjuristen der Partei - Dr. Hans Frank. Nachdem Ministerpräsident Held unter dem Druck der Verhältnisse am 15. März seinen Rücktritt erklären mußte, ernannte Epp seine bisherigen Beauftragten zu "kommisarischen Ministern": Adolf Wagner für das Innenministerium, Ludwig Siebert für das Finanzministerium, Hans Frank für das Justizministerium. Hinzu kam jetzt als neuer kommissarischer Kultusminister der ehemalige Volksschullehrer, Gründer und Führer des NS-Lehrerbundes und

9 Die Bedeutung der Entmachtung der Länder und insbesondere Bayerns hat Hitler selbst hervorgehoben. Vgl. dazu Becker, W.: Die nationalsozialistische Machtergreifung in Bayern. Ein Dokumentarbericht Heinrich Helds aus dem Jahr 1933, in: Hist. Jb. 112 (1993), 412 - 435, hier 413. 10 Hingewiesen sei exemplarisch auf die Arbeiten von Domröse und Klenner sowie auf Schwend, K. : Bayern zwischen Monarchie und Diktatur. München 1954; Schwarz, A.: Die Zeit von 1918 bis 1933, in: Spindler, M. (Hg.): Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. N.l. München 1974, 387 - 517; Schönhoven, Politischer Katholizismus; Kraus, A.: Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1983; Zorn, W.: Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert. München 1986, insbes. 341- 412.

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Gauleiter der Bayerischen Ostmark Hans Schemm. Die Befugnisse des Ministerpräsidenten übernahm Epp als "kommissarischer Ministerpräsident". Drei Tage nach dem 2. Gleichschaltungsgesetz ("Reichsstatthaltergesetz") vom 7. April ernannte Hitler am 10. April Epp zum neuen Reichsstatthalter in Bayern. Die bisherigen "kommissarischen Minister" wurden mit Erlaß des Reichsstatthalters vom 12. April zu Ministern ernannt, Siebert wurde außerdem das Amt des Ministerpräsidenten übertragen. Die bayerischen Hochschulen konnten wohl in keinem der neuen Minister und führenden Politiker einen Mann ihres Vertrauens oder eine im Bildungs- und Wissenschaftsbereich kompetente und erfahrene Person entdecken. Lediglich Hans Frankll hatte von seinem Studium an der Universität München her Kontakte zu einigen seiner friiheren akademischen Lehrer, und auf diese Kontakte setzte man in den ersten Monaten, wie bei der Betrachtung der Juristischen Fakultät noch zu zeigen sein wird, noch gewisse Hoffnungen. 12 Gänzlich unbekannt freilich dürfte den allermeisten Professoren der bayerischen Hochschulen der zuständige Ressortchef selbst, der neue Kultusminister Hans Schemm 13 , gewesen sein. Eingeweihte hatten wohl eher mit der ll Frank, geb. 23. 5. 1900, Kriegsfreiwilliger und Freikorpsangehöriger, Teilnehmer am "Marsch auf die Feldhermhalle", ab 1926 Rechtsanwalt in München, als solcher Verteidiger und Prozeßbevollmächtigter Hitlers in zahlreichen Verfahren. 1927 Assistentenstelle an der TH München, Referent für Rechtsangelegenheiten in der Reichsleitung der NSDAP, 1930 Leiter der Rechtsabteilung, 1930 MdR, Führung des BNSDJ bzw. (ab 1936) des NSRechtswahrerbundes und 1933 auch der Deutschen Rechtsfront Frank war außerdem "Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung", Leiter des Reichsrechtsamts der NSDAP und Präsident der Akademie für Deutsches Recht. Ab Januar 1935 (Übergang der Länderjustiz auf das Reich) war Frank Reichsminister o.G., ab Okt. 1939 Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete. Zu Frank siehe auch Fest, J.C.: Das Gesicht des Dritten Reiches. 4. Aufl München 1975, 286299, die Kurzbiographie von M. Sunnus in Ben11Graml 92 und bei Klenner SO f. und als Quelle für die Beurteilung seiner Rolle als Generalgouverneur Jacobmeyer, W./Präg, W. (Hg.): Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 1939- 1945. Stuttgart 1975. 12 Immerhin hat Frank, der sich ab 1939 in Polen als brutaler Gewaltmensch erwies, als bayerischer Justizminister den "Versuch unternommen" -mit den entsprechenden Einschränkungen (d. Verf.) -, "sich auf die Seite des Rechts zu stellen" (Klenner 52), und zunächst Erwartungen bezüglich der von ihm propagierten großen Rechtsreform geweckt. 13 Dazu jetzt die Biographie von F. Kühne! sowie die Ausführungen von W. Müller in seiner Habilitationsschrift (Manuskript 15 - 40) über "Die bayerische Schulpolitik nach 1945 im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Besatzungsmacht". Schemm, geb. 6. 10. 1891 in Bayreuth, Volksschule, Lehrerseminar, ab 1910 Hilfslehrer und Lehrer, Weltkriegsteilnehmer, Mitglied im Freikorps Epp, 1920/21 Beurlaubung aus dem Schuldienst auf eigenen Antrag, ab 1928 Beurlaubung aufgrund der politischen Mandate, 1924 Vorsitz der Ortsgruppe Bayreuth der Nachfolgegruppe der NSDAP, 1928 MdL, 1930 MdR, 1928 Gauleiter in Oberfranken und Jan. 1933 des Großgaues Bayerische Ostmark, Gründer und Vorsitzender bzw.

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Ernennung des Kulturpolitikers und Fraktionsfiihrers der NSDAP im Landtag, Rudolf Buttmann, gerechnet. Aber "der verläßliche Parteifunktionär bekam den Vorzug vor einem ausgewiesenen Kulturpolitiker".l 4 Seherom war fiir das Amt des bayerischen Kultusministers nicht gerade prädestiniert; seine Qualifikation hierfiir war begrenzt. Als er am 17. März die Leitung des Kultusministeriums übernahm, hatte er wohl kaum konkrete Vorstellungen von einer nationalsozialistischen Kulturpolitik - sieht man einmal ab von den allgemeinen Forderungen nach Entfernung alles Jüdischen und Marxistischen und nach Erziehung zum neuen nationalsozialistischen Menschen. Schemm, der als Gauleiter und Führer des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) außerhalb des Ministeriums stark engagiert war, legte seiner Herkunft entsprechend den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf den Bereich der Bildung und Erziehung, speziell der Volksschulen. Zweifellos war seine Kompetenz am geringsten im Wissenschaftssektor. Dies gab einerseits teilweise die Chance fiir ein sachliches Weiterarbeiten der kaum veränderten Ministerialbürokratie, barg aber andererseits auch - wie zu zeigen sein wird - die Gefahr spontaner, sachlich unbegründeter, manchmal auch stark von außen beeinflußter politischer Entscheidungen des Ministers. Daß Minister Schemm, wie sein Biograph Kühnel (S. 300) behauptet, in Personalentscheidungen nicht eingegriffen habe, sondern deren Abwicklung den Universitäten oder der zuständigen Abteilung seines Ministeriums überlassen habe, trifft keinesfalls zu. Schemm, der durch sein Bekenntnis zum Christentum, z.B. in der vielbeachteten Grundsatzerklärung vom 28. März, das Wohlwollen beider Kirchen gewann, gab sich nach außen hin als Minister relativ moderat, wenn auch erste, in der Literatur nicht immer eindeutig nachgewiesene Äußerungen zeigten, daß er in Wissenschaft und Unterricht politischen Gesichtspunkten den Vorrang vor sachlichen geben wollte.15

dann Reichsleiter des NSLB. S., der seine politische Heimat in Bayreuth hatte, starb am 5. 3. 1935 bei einem Flugzeugunfall. 14 Kühne! 293. Die Aussagen über Schemm stützen sich v.a. auf Kühne! 282 - 301. Dr. Rudolf Hermann Buttmann, geb. 1885, seit 1924 MdL und Fraktionsfiihrer der NSDAP im Bayerischen Landtag. Der Oberbibliotheksrat war Leiter der Hauptabteilung Volksbildung und Reichsredner der NSDAP. Zum Ausgleich wurde er im Mai 1933 zum Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium ernannt, ab 1935 war er Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek in München. B. starb 1947. 15 So die bei Klenner (61) zitierte Erklärung vor Münchner Professoren, von jetzt an komme es fiir sie "nicht darauf an, festzustellen, ob etwas wahr ist, sondern ob es im Sinne der nationalsozialistischen Revolution ist", und die bei Kühne! (301) nach Kahl-Furthmann (134) referierte - möglicherweise aus derselben Rede stammende - Äußerung zur wissenschaftlichen Objektivität: "... Die deutsche Wissenschaft soll subjektiv, d.h. nur deutsche Wissenschaft bleiben ... " - Das Folgende nach Schönhoven 620, Kühne! 297 ff. und insbes. W. Müller (Manuskript 25 ff.), der die personellen und organisatorischen Änderungen aufgrund von Ministeriumsakten ziemlich genau nachweisen kann und der Kontinuität

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Im Ministerium selbst blieben Struktur und Arbeitsverteilung zunächst weitgehend unangetastet, und auch die personellen Veränderungen hielten sich wie auch bei den anderen Ministerien in Grenzen. Dennoch stellte Hans Seherom auch in personeller Hinsicht die Weichen und setzte auch mit den wenigen Entlassungen und der Berufung von drei Vertrauten deutliche Signale. So erhielt z.B. der 1934 zum Staatsrat ernannte und mit der Ministervertretung beauftragte Ernst Boepple von Anfang an eine Sonderstellung durch das Recht der "Mitzeichnung in allen politischen Angelegenheiten". Für den Bereich der wissenschaftlichen Hochschulen blieben auch nach den organisatorischen Änderungen der Geschäftsverteilung die Ministerialräte Karl Müller und Albin Decker-jetzt als Abteilungsleiter und Stellvertreterzuständig. Zu den ersten Maßnahmen, von denen auch die Hochschulen berührt waren, gehörte das Vorgehen gegen kommunistische und marxistische Organisationen und die Aufhebung von Strafen und Dienststrafen, die Nationalsozialisten in der Weimarer Zeit wegen politischer Betätigung erhalten hatten.l6 Dementsprechend wurde auch schon in der Ministerratssitzung vom 25. März beschlossen, "... im Zusammenhang mit der Reichsamnestie für politische Straftaten dafür zu sorgen, daß Studierende, die wegen Betätigung für die nationalen Parteien von Universitäten und Hochschulen relegiert worden sind, wieder aufgenommen werden". 17 Am 28. März hob das Kultusministerium das im Sommer 1930 erlassene Uniformverbot für nationalsozialistische Studenten auf. Schließlich sollten die Braunhemden das Bild der neuen Zeit bestimmen.

"bestenfalls unter quantitativem Aspekt" zustimmen will, zumal immerhin mit Staatsrat Jakob Korn und Ministerialdirektor Richard Hendschel die beiden ranghöchsten Beamten ausgewechselt und Boepple in eine Sonderstellung befördert wurde. Boepple, geb. 1887, war "alter Kämpfer", Angehöriger der SS, Verleger der frühen Reden Hitlers und Inhaber des ersten NS-Verlages "Deutscher Volksverlag München". 16 Bereitsam 13. März 1933 hatte der damalige Beauftragte für das Bayerische Innenministerium, der spätere Minister Adolf Wagner, die Aufhebung der Dienststrafen angeordnet für Fälle, in denen Beamte oder Angestellte im Zusammenhang mit ihrer Betätigung für die NSDAP oder den Stahlhelm zu einer Disziplinar- oder Ordnungsmaßnahme verurteilt oder dienstaufsichtlich gemaßregelt worden sind (Staatsanzeiger 1933, Nr. 61). Aufgehoben wurde mit ME v. 5. 4. 1933 auch das 1932 erlassene Verbot der Abführung eines studentischen Zwangsbeitrages an die Deutsche Studentenschaft (UAM Sen 366/c/3). 17 HStA li MA 107328. Nach der MEv. 25. 5. 1933 (UAM Sen 71) waren Disziplinarstrafen aufzuheben, "die gegen Studierende wegen Verfehlungen ausgesprochen wurden, die im Kampfe für die nationale Erhebung des Deutschen Volkes oder zu ihrer Vorbereitung begangen" worden waren. Anhängige Disziplinarverfahren waren einzustellen. Zumindest in einem Fall ist an der Universität München eine 1931 gegen ein Mitglied des NSDStB verhängte Disziplinarstrafe aufgehoben worden (UAM Sen 71). Dagegen sind diesbezügliche Dienststrafen gegen Beamte und Angestellte der Universität vor 1933 nicht verhängt worden (UAM VA A I 1a Nr. 15).

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Uniformen und Abzeichen kommunistischer und marxistischer - das hieß auch sozialdemokratischer - Organisationen durften auch im Bereich der bayerischen Hochschulen nicht getragen werden.u Daß die Zurückdrängung und Ausschaltung gegnerischer Kreise mit einer gleichzeitigen Bevorzugung von Nationalsozialisten einherging, zeigt auch eine Ministerialentschließung (ME) vom 19. Mai 1933, wonach Hochschulvergünstigungen jüdischen und marxistischen Studierenden nicht mehr gewährt werden durften, während sie Studenten, die sich als Angehörige der SA, SS oder von Wehrverbänden "um die nationale Erhebung verdient gemacht haben", in besonderer Weise zukommen sollten. 19 Wie in anderen Ländern wurden auch in Bayern noch Mitte März die studentischen Organisationen verboten, die als kommunistisch oder marxistisch galten oder der SPD nahestanden. 20 Noch bevor die reichseinheitlichen Zulassungsbestimmungen ergingen, verfügte der kommissarische bayerische Innenminister Adolf Wagner in der Bekanntmachung vom 4. April im Benehmen mit dem Kultusminister einen Numerus clausus für Medizinstudenten und gleichzeitig - im Vorgriff auf zu erwartende Regelungen - ein Immatrikulationsverbot für Juden: "Daß Angehörige der jüdischen Rasse überhaupt von der Neuinskription für das Studium der Medizin ausgeschlossen sind, ist selbstverständlich. "21 Das war ein deutliches Signal, wenn auch die Praxis zunächst immer noch Ausnahmen zuließ. Abgesehen aber von diesen punktuellen Sofortmaßnahmen und der Durchführung einiger reichsrechtlich veranlaßter Neuerungen tat sich in Bayern bis zum Sommer wenig. Während einzelne Hochschulländer mit Sonderanordnungen vorpreschten, hielt man sich im Münchner Kultusministerium zurück, und während anderswo die Gleichschaltung voll im Gange war und Rektoren verdrängt und neu berufen wurden, blieben die Universitätsrektoren in Bayern bis zum Ende des üblichen Rektoratsjahres im Amt.22

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UAM Sen 333.

19 UAM Sen 142/5. 20 In Mecklenburg-Schwerin mit Schreiben vom 27. 3. für die Universität Rostock (z.B.

Univ. Rostock 271) und in Thüringen, wo Volksbildungsminister Wächtler bezugnehmend auf die Verordnung vom 28. 2. das Verbot für die Universität Jena am 5. 4. aussprach (Univ. Jena 649). Nach Kühne! (288) erging dieser Erlaß des neuen Kultusministers Schemm noch am Tag der Amtsübernahme am 18. 3. Im Staatsanzeiger Nr. 67 vom 21. 3. hieß es, in Bayern seien "alle studentischen kommunistischen und sozialdemokratischen Organisationen mit sofortiger Wirkung verboten und aufgelöst worden". 2l Staatsanzeiger Nr. 83 vom 8. 4. 1933. Wagner konnte tätig werden, weil im Innenministerium die Zuständigkeit für "Volksgesundheit" (ärztliche Prüfungen usw.) lag. Eine ähnliche Maßnahme gab es in Baden, wo der Staatskommissar im Kultusministerium Mitte April anordnete, "von jeder Neuaufnahme von Personen nichtarischer Abstammung an den Hochschulen vorläufig abzusehen" (v. Olenhusen 178). 22 Siehe unten (B.III.l.).

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2. Offizielle Reaktionen der Universität und einzelner Professoren Die vielerorts gefeierte Machtergreifung fand bei den offiZiellen Stellen der Hochschulen kaum ein Echo und löste außer bei den Studentenschaften keine unmittelbare Reaktion aus. Sieht man von den Demonstrationen und von einigen der neuen Zeit Rechnung tragenden Aktionen der Studentenschaft sowie den Auftritten einzelner Hochschullehrer ab, so ergibt sich im großen und ganzen das Bild einer Zurückhaltung übenden und eine abwartende Haltung einnehmenden Hochschule. Dennoch bat sich gerade in den ersten Monaten des Dritten Reiches, in der Zeit, in der die hochschulspezifischen Gleichschaltungsmaßnahmen noch nicht eingeleitet worden waren bzw. noch nicht gegriffen haben, auch innerhalb der Hochschulen viel bewegt und verändert, hat ein nach außen nicht immer sichtbarer Prozeß stattgefunden, der allgemein, aber mit den nötigen Differenzierungen und Einschränkungen im Einzelfall, als schrittweise Anpassung an die neuen Verhältnisse bezeichnet werden kann. Sie vollzog sich in den verschiedensten Ausprägungen in der Spannweite zwischen stillschweigender und offener und zwischen freiwilliger und zwangsweiser Anpassung, so daß neben dem die aktive und gewaltsame Rolle des Staates bzw. der Partei betonenden Begriff der "Gleichschaltung" auch der die freiwillige und selbstverschuldete Anpassung charakterisierende Begriff der "Selbstgleichschaltung" hier seinen Platz haben kann. 23 Vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall ergibt sich daraus für die große Zahl der Hochschulen und Hochschullehrer der Vorwurf, frühzeitig und nicht immer gezwungenermaßen Positionen preisgegeben und Zugeständnisse gemacht zu haben, so daß damit schon einer möglichen argumentativen Gegenwehr gegen die nachfolgenden einschneidenden Maßnahmen der Boden entzogen war. Die Motive und Gründe fiir diese Anpassung sind vielfliltig24 und verraten, daß sie nur in den seltensten Fällen eine bedingungslose war, wie sich in den Folgejahren zeigen sollte. Unmittelbare offizielle Reaktionen der Universität München auf die Machtergreifung sind nicht bekannt. Zum einen hätten sie nicht dem Selbstver-

23 Dazu in überbetonter Form: Reimann, Die "Selbst-Gleichschaltung" der Universitäten 1933; K. D. Bracher (Die nationalsozialistische Machtergreifung 317) spricht dagegen in Anlehnung an einen Aufsatz von Shepard Stone von dem "Zwielicht von Zwang und Kapitulation". 24 Neben einem Grundkonsens in nationalen Dingen und einem berechnenden Opportunismus, einer Fehleinschätzung der neuen Zeit einerseits und einer gewissen Angst vor Benachteiligungen, Gewalt- und Zwangsmaßnahmen andererseits mag schließlich angesichts der zunehmenden Stabilisierung des Systems auch eine Stimmung der Resignation und Kapitulation ausschlaggebend gewesen sein. S BIShm

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ständnis der Universität entsprochen, zum anderen sah man, wie die große Mehrheit der Bevölkerung, in der Regierungsübernahme durch Hitler einen normalen Regierungswechsel und nicht eine entscheidende, revolutionäre politische Wende. 25 Gerade in München betrachtete die Bevölkerung die Regierungsübernahme vom 30. Januar nicht als ernsthafte Gefahr. Man nahm die Berliner Ereignisse zur Kenntnis, maß ihnen aber zunächst wenig Bedeutung bei.26 Diese Beurteilung wurde auch von Politikern der verschiedenen Parteien einschließlich der Sozialdemokratie getragen. Deren Führung unterschätzte noch vier Wochen nach der Machtübernahme das neue Regime und dessen Machtbehauptungswillen.27 Im übrigen bestand auch für die Mehrheit der national gesinnten Münchner Professoren aufgrund der oben aufgezeigten Haltung trotz mancher Skepsis kein Bedürfnis, sich gegen die "nationale Erneuerung" - die Propaganda verfehlte auch hier ihre Wirkung nicht28 - zu wenden. Und nicht wenige sahen im Nationalsozialismus eine Bewegung der Ordnung und der staatserhaltenden Kräfte29 und verbanden gewisse Hoffnungen mit der neuen Zeit. Mit offenen positiven Verlautbarungen freilich hielt man sich zunächst zurück. Zum ersten Mal Farbe bekennen mußten die Hochschulen vor der Reichstagswahl vom 5. März, zu der wieder ein Aufruf der Hochschullehrer veröffentlicht werden sollte, "der ein Treuebekenntnis der nationalen Universitäts- und Hochschullehrer zu der vom Herrn Reichspräsidenten berufenen nationalen Reichsregierung enthält".30 Den Hochschulen wurde von der Bun25 Zumal ja Hitler im Kabinett von einer Mehrheit nichtnationalsozialistischer Minister "eingerahmt" war (Zähmungskonzept). Vgl. dazu z. B. auch- bezogen auf Würzburg- Pascher, J.: Das Dritte Reich, erlebt an drei deutschen Universitäten, in: Die deutsche Universität im Dritten Reich 9: "Den meisten Professoren fehlte der politische Blick ... Die Universität als Ganzes nahm die Machtübernahme durch Hitler hin wie jeden anderen Regierungswechsel." 26 Mehringer, Alle Räder stehen still? 157; vgl. zur Gesamtlage auch Zorn (Anm. 10), 348 ff. 27 Ebd. 158 f. Vor allem Erhard Auerund Wilhelm Hoegner zeigten sich sehr optimistisch. 28 Diese Fehleinschätzung teilte die Mehrzahl der Professoren mit der Mehrheit der Bevölkerung, speziell des Bürgertums. Vgl. dazu z. B. Kunkel, W.: Der Professor im Dritten Reich, in: Die deutsche Universität im Dritten Reich 103 - 133, hier 110: "... daß ein sehr beträchtlicher Teil von ihnen (den deutschen Professoren - d. Verf.) in der Zulassung der Nationalsozialisten zur Macht ... sogar den einzigen möglichen Weg zu einer politischen Stabilisierung sah ... Man nahm das Programm und die terroristischen Methoden der Nationalsozialisten nicht vollkommen ernst ... Manche, vor allem unter den Jüngeren ..., die .. . eine mehr autoritäre Regierungsform für notwendig hielten, sahen in der Machtübernahme .. . den Weg zur Verwirklichung ihrer eigenen Ideen." 29 Bracher, K.D.: Zeitgeschichtliche Kontroversen. 5. Aufl. München 1984, 119 ff., hier 123. 30 UAM Sen 473: Schreiben des NSDStB vom 11. 2. 1933, eingegangen am 25. 2. 1933.

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desleitung des NSDStB ein entsprechender, vor allem auf die Person Hitlers Hindenburg war nicht erwähnt - abgestellter Text zur Unterschrift zugesandt. Der Sachbehandlung nach hat die Universität München darauf offensichtlich gar nicht reagiert. Da die meisten Hochschulen und Professoren nicht gewillt waren, den Aufruf in der vorgesehenen Form zu unterschreiben, und eher geneigt waren, mit einem eigenen - gemäßigten - "Aufruf aus dem Kreis der Hochschullehrer hervorzutreten, der im besonderen von dem Vertrauen zu dem Herrn Reichspräsidenten getragen wird'',3 1 verschickte der - der Rektorenkonferenz präsidierende - Rektor der Universität Jena am 27. Februar einen die allgemeine nationale Stimmung und Einstellung der Mehrheit widerspiegelnden Text, der vor allem auf Hindenburg abgestimmt war, den Namen Hitlers nicht enthielt und insbesondere die gemeinsame nationale Aufgabe herausstellte. Bis Freitag, 3. März, sollten Zahl und Namen der Zustimmungen mitgeteilt werden. An der Universität München zeigte man aber weder Eile noch Interesse, Zustimmungserklärungen einzuholen. Die Angelegenheit wurde dilatorisch behandelt. Rektor Leo von Zumbusch unternahm offensichtlich keine Anstrengungen, Unterzeichner im Kollegenkreis zu gewinnen, und schien nicht unglücklich zu sein, sich auf die Zeitknappheit berufen zu können.32 Er sei zwar "persönlich" mit dem Inhalt des Aufrufs vollkommen einverstanden, schrieb der national eingestellte Rektor seinem Kollegen, fügte aber mit beachtlicher Sicherheit und Standhaftigkeit hinzu, "als Rektor" glaube er nicht berechtigt zu sein, "irgendwie Stellung zu nehmen" oder seine Kollegen "zur Stellungnahme in einer Richtung aufzufordern". Dies Beispiel mag zeigen, daß man keineswegs mit fliegenden Fahnen überlief oder sich bei der nächsten passenden Gelegenheit anbiederte, sondern daß die Universitätsleitung unter Rektor Zumbusch auch in den Wochen zunehmender Begeisterung hinsichtlich des nationalen Aufbruchs sachlich und eher in der politischen Kontinuität blieb und trotz einiger Sympathie fiir manche Entwicklung Zurückhaltung übte. Der Wahlaufruf fiir Hitler "Die deutsche Geisteswelt fiir Liste 1" wurde schließlich von insgesamt 300 Hochschullebrem unterzeichnet.33 Auch wenn

31 Ebd.: Schreiben von Prof. Esau vom 27. 2. 1933 an den Rektor der Universität München persönlich. 32 Schreiben an den Rektor der Universität Jena vom 2. März, abgesandt am 3. März: "Wenn ich die Zuschrift (wesentlich) früher bekommen hätte, wäre es eventuell möglich gewesen, die Sache einem Collegen zu übertragen, dessen Ansichten der Aufruf entspricht; Da die Zeit zu kurz ist, kann aber dieser Weg nicht beschritten werden." Bedacht muß freilich werden, daß während der Ferien die Professoren- in der Kürze der Zeit- nicht leicht zu erreichen waren. 33 Vgl. Michaelis, C./Michaelis, H./Somin, W.O.: Die braune Kultur. Ein Dokumentenspiegel. Zürich 1934, 255; Faust, Professoren für die NSDAP 31 - 47. Faust setzt die Hochschullehreraufrufe vor und nach dem 30. 1. 1933 zueinander in Beziehung. Dazu jetzt Heiber,

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sich damit im Vergleich zu 1932 die Zahl der positiv zu Hitlers Partei Stellung nehmenden Professoren etwa versechsfacht hatte,34 war der von den neuen Machthabern erhoffte Durchbruch innerhalb der Hochschullehrerschaft zu dieser Zeit noch nicht erreicht. Man wird freilich bereits von einer größeren Dunkelziffer ausgehen müssen, vor allem, wenn man bedenkt, in welcher Art und Weise35 diese Unterschriften in der Kürze der Zeit gesammelt wurden. Unter den nach Hochschulen alphabetisch aufgeführten Unterzeichnern befanden sich z. B. fünf Erlanger und zwei Würzburger Professoren,36 aber kein einziger Hochschullehrer der Universität München. Daß daran auch die Universitätsleitung schuld war, bestätigt der Vorwurfvon n.b.a.o. Prof. Franz Wirz, an der Münchener Universität sei ihm dieser Aufruf "aus noch ungeklärten Intriguen vorenthalten worden".37 Daß das Fehlen von Münchner Namen3S möglicherweise auch organisatorisch bedingt war, zeigt die Tatsache, daß im "Münchener Beobachter", dem "Täglichen Beiblatt" zum Völkischen Beobachter, in derselben Ausgabe unter der Überschrift "Elf Münchener Hochschullehrer stellen sich hinter Adolf Hitler" ein entsprechendes Bekenntnis39 von Professoren der Universität und der Technischen Hochschule nachgeliefert wurde. 40 Der entsprechende Einbruch erfolgte auch an den Hochschulen nach der Reichstagswahl bzw. dem "Tag von Potsdam" und der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes. Auch die Hochschulen hatten ihre "Märzgefallenen". Können an der Universität München vor 1933 insgesamt nicht einmal 20 Universität 11.1, 14 ff. u. 567 ff., mit Abdruck der Namen der Unterzeichner (Anhang) und Darstellung der Reaktionen einzelner Universitäten. 34 Faust, Professoren für die NSDAP 41. 35 Improvisation und Zufälligkeit spielten wohl ebenso eine Rolle wie indirekter Zwang, so daß die Aussagekraft reduziert werden muß. 36 Franze 182- 183. In Heidelberg unterzeichneten drei Professoren, darunter der emeritierte Physiker Phitipp Lenard (Träger des Goldenen Parteiabzeichens) und der a.o. Professor Eugen Fehrle (ab 1933 Leiter des Hochschulwesens im Unterrichtsministerium). Die geringe Zahl wurde von den Nationalsozialisten als ein Versagen der Hochschule gewertet. 37 Hier nach Reiber, Universität 11.1, 19. 3& Von Franze (183) als "bemerkenswert" hervorgehoben. 39 Völkischer Beobachter. Münchener Ausgabe, 62. Ausgabe vom 3. März 1933. Der Text dieser Wahlaufrufe sollte breite nationale Kreise ansprechen und betonte demnach die Erneuerung und den Wiederaufstieg Deutschlands, z. B.: "... daß wir in der Berufung Adolf Hitlers und dem Zusammenschluß der nationalen Kräfte, die am Wiederaufbau des deutschen Volkes mittätig sein wollen, den richtigen Weg sehen, der ungeheueren Not und Verelendung des deutschen Volkes Einhalt zu gebieten". 40 Aufgeführt- z. T. mit, z. T. ohne Doktortitel- waren: Prof. Dr. Frhr. v. Bissing, Prof. Dr. Graf du Moulin Eckart, Prof. Dr. Dom, Prof. Dr. Freytag, Prof. Gröber, Prof. Hahn, Prof. Kißkalt, Prof. Lenz, Prof. Lorenz, Priv.-Doz. Dr. Streck, Priv.-Doz. Dr. Weippert. Der Universität gehören an: v. Bissing, Freytag, Lorenz, der Hygieniker Kißkalt und der Rassenhygieniker Lenz.

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eingeschriebene Parteimitglieder festgestellt werden, so vermehrte sich ihre Zahl bis Mai 193341 um etwa 70. Über zwei Drittel davon entfielen wiederum auf die große Medizinische Fakultät.42 Während unter den neuen Parteimitgliedern zwei Ordinarien und vier Extraordinarien waren, traten immerhin etwa43 47 habilitierte und nichthabilitierte Assistenten und außerordentliche Assistenten und circa 16 nichtplanmäßige a.o. Professoren in die Partei ein. Hier zeigt sich deutlich, daß diese neuen Parteimitglieder vorwiegend Personen waren, die - wie etwa Ärzte und außerordentliche Assistenten in der Medizinischen Fakultät - nur locker an die Universität gebunden waren, in keiner bedeutenden Position an der Universität waren und ihre Karriere noch vor sich hatten. Diese Eintrittswelle brachte eine beachtliche Verschiebung zugunsten der NSDAP, eine Parteinahme, die sich freilich im stillen vollzog und nur in Einzelfällen - für die Universität München sind solche für die ersten Monate bis Mai 1933 nicht bekannt- sich in sichtbarem Engagement äußerte. In den Räumen der Universität blieb es in diesen Monaten - es waren schließlich Ferien -ruhig. Die abendlichen Vortragsveranstaltungen außeruniversitärer Gruppen liefen weiter. So hielt am 10. Februar Thomas Mann im überfüllten Auditorium Maximum der Universität einen Vortrag über Richard Wagner. 44 Die Studentenschaft organisierte im traditionellen Stil und unter dem Protektorat des Rektors im großen Hörsaal vom 23. 2. bis 3. 3. eine Vortragsreihe mit Filmen über "Unsere deutsche Ostmark". 45 Die Universitätsleitung behielt ihre vorsichtig-zurückhaltende Linie auch bei, als Anfang April auch46 an die Universität München die Anregung herangetragen wurde, als erste Hochschule Hitler die Würde eines Doktors der

41 Als Eintrittsdatum war bei den meisten der 1. Mai 1933, bei fast allen anderen der 1. März 1933 vermerkt. 42 Zu bedenken ist, daß die Med. Fakultät etwa die Hälfte der Professoren und Assistenten der Universität stellte. 43 Eine kleine Fehlerquote muß einkalkuliert werden, weil die auf dem Stand vorn September 1935 beruhende Erhebung (UAM Sen 862) bei der großen Fluktuation im Assistentenbereich nicht immer mit Sicherheit auf das Anstellungsverhältnis im Frühjahr 1933 schließen läßt und eine lückenlose Überprüfung anhand von Personalakten und Verzeichnissen nicht möglich ist. 44 Dazu und zum Presseecho ausführlich Hübinger 128 f. 45 UAM Sen 858. 46 Es war 1933 der Wunsch vieler Institutionen, Städte und Gemeinden, Hitler irgendwie zu ehren. So sollte Hitler nach dem Beschluß des - nach der Märzwahl neugebildeten - Stadtrats vorn 26. April zusammen mit Epp das Ehrenbürgerrecht der Stadt München verliehen werden.

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Rechte und der Staatswissenschaften ehrenhalber zu verleihen. 47 Während Syndikus Einhauser den Vorschlag wohlwollend aufnahm und meinte, für die Universität München wäre es "eine große Ehre, wenn sie als erste deutsche Hochschule sich zur nationalen Revolution und zum Volkskanzler und Führer des deutschen Gesamtvolkes Adolf Hitler bekennen würde", behandelte der Rektor den Vorschlag offensichtlich wieder dilatorisch,48 bis die Angelegenheit durch eine grundsätzliche Stellungnahme Hitlers dann ohnehin überholt war. Anfang Mai gab Hitler aus gegebenem Anlaß49 bekannt, daß er Ehrcodoktortitel nicht annehme. Dementsprechend erwartete die Partei von allen Nationalsozialisten die Ablehnung von Ehrendoktortiteln. Die Anordnung, mit der Rudolf Heß, der Stellvertreter des Führers, dies kundtat, war ein unmißverständlicher Mfront gegen die Hochschulen, der zu Beginn des Dritten Reiches deren Geringschätzung durch die neuen Machthaber und die unüberbrückbare Kluft zwischen Wissenschaft und Nationalsozialisten sichtbar werden läßt: "Die nationalsozialistischen Führer haben sich ihre Namen aus eigener Kraft geschaffen. Sie haben keine Veranlassung, vor ihn einen Titel zu setzen, der ohnehin durch Verleihung an die für die Periode deutscher Ehrlosigkeit verantwortlichen Politiker an Wert verloren bat."50 Etwa bis zum Beginn des Sommersemesters konnte die Universität München ihre Linie beibehalten und offensichtlich ein deutliebes und eindeutiges offizielles Bekenntnis zum neuen Staat vermeiden. SI Inzwischen hatte sich aber viel geändert. Der Hochschulverband glaubte seiner Aufgabe der "Vertretung der gemeinsamen Interessen der deutschen Hochschulen" nicht durch entschiedenes und demonstratives Festhalten am bisherigen Kurs, sondern durch Entgegenkommen am besten gerecht werden zu können. In dem Bestreben, seinen Einfluß auch in die neue Zeit hinüberzuretten, ging er den Weg der Anpassung und etwas voreilig erscheinenden Selbstgleichschaltung. Der Verband der Deutschen Hochschulen, dessen Möglichkeiten in der Literatur ohnehin meist überschätzt und dessen Führung vielfach über Gebühr kritisiert wird, weil sie 1933 nach damaliger Einschätzung sich am meisten von der Taktik versprach, durch partielle Anpassung eine gewisse 47 Der Vorschlag vom 30. März stammt von einem Ausschußmitglied der Universitätsgesellschaft. Hier nach UAM Sen 864. 48 Auch die Juristische Fakultät ließ sich Zeit, gab die Angelegenheit in Umlaufund bemerkte, sie hätte "übrigens" nicht ohne Einvernehmen mit den übrigen Rechtsfakultäten Deutschlands beschließen können. 49 Mitteilung an den Senat der TH Stuttgart (Deutsche Allgemeine Zeitung vom S. S. 1933). so Nach Frankfurter Zeitung vom 8. S. 1933. Sl Der Tübinger Senat gab auf Druck der Studentenschaft am 25. 2. 1933 eine - noch relativ zurückhaltende- nationale Erklärung ab (Adam, Univ. Tübingen 27). Für die Universität München fehlen allerdings die Senatsprotokolle der ersten Hälfte des Jahres 1933.

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Mitsprache zu sichern und zu retten, was man noch retten zu können glaubte, erlitt dasselbe Schicksal wie andere vergleichbare Verbände.S2 Die Rektorenkonferenz vom 12. April befaßte sich immer noch mit alten Sachthemen wie dem Studentenrecht, hatte aber bereits das Beispiel der ersten gleichgeschalteten Universität vor Augen und mußte die Empfehlung von Reichskommissar Rust zur Kenntnis nehmen, dem Beispiel Kölns zu folgen. In dieser Situation schien den Rektoren Zurückhaltung und Vorsicht geboten. Sie hatten nicht den von manchen erwarteten Mut zu wegweisenden Beschlüssen, sondern wollten es den einzelnen Hochschulen überlassen, "für etwa nötig erscheinende Änderungen in der Zusammensetzung ihrer Selbstverwaltungsorgane selbst Sorge zu tragen." Zu der hier sichtbar werdenden Resignation und Teilkapitulation kommt die illusionäre Hoffnung, durch Fühlungnahme mit den zuständigen Stellen sich die "genügende Mitwirkung bei der Lösung organisatorischer und kultureller Fragen" zu sichern. Überraschend dann doch am 22. April jene vielzitierte, auf Eduard Spranger zurückgehende Grundsatzerklärung des Hochschulverbandes - deren Entstehung und Wirkung eine eigene, von Spranger selbst dargestellte Geschichte hat -, die das Bekenntnis zum neuen Staat mit dem Anspruch auf Verteidigung der "alten ehrwürdigen Formen" (Selbstverwaltung, Freiheit der Überzeugung) verband und v.a. von der DSt mit Empörung aufgenommen und als große Provokation empfunden wurde. Der Druck auf den Verband wuchs, zumal sich auch die eigenen Reihen nicht geschlossen zeigten. Und obwohl der Verband klein beigab, von Mißverständnissen sprach und Interpretationen nachlieferte und sich z.T. auch vom Verfasser Spranger distanzierte, geriet er immer mehr in die Defensive. Der schon zugesagte Empfang durch Hitler wurde, v.a. auf den Protest der NS-Studenten hin, verschoben, der Vorstand sah sich zunehmender Kritik und Illoyalität in den eigenen Reihen gegenüber und fand bei den staatlichen Ansprechpartnern kein Gehör mehr. Die Ablösung und innerhalb und außerhalb des Verbandes geforderte Gleichschaltung war damit unvermeidlich. Sie fand am 1. Juli auf dem außerordentlichen Hochschultag in Erfurt statt, nachdem vorher schon entgegen den satzungsgemäßen Bestimmungen die genehmen Vertreter gewählt worden waren. Aber auch der von Nationalsozialisten geführte Verband blieb nicht unangefochten. Einzelne Hochschulen sprachen ihm das Gesamtvertretungsrecht ab und bestritten im Hinblick auf das geltende Führerprinzip seine Existenzberechtigung. Und obwohl auch das preußische Kultusministerium den Verband S2 Die Gleichschaltung bzw. Selbstgleichschaltung des Hochschulverbandes sowie die Tätigkeit der Rektorenkonferenz verdienten eine ausführlichere Behandlung, auf die im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden muß. Verwiesen werden kann jetzt auf die breite Darstellung bei Heiber, Universität ll.l, 107 ff.; das Folgende unmittelbar aus den Akten: UAM Sen 135 dl; BAR 43 II 943.

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reserviert behandelte und nicht als Verhandlungspartner akzeptierte und die Prominenz unter den Hochschulfiihrern, die Rektoren von Frankfurt, Freiburg, Göttingen und Kiel sowie von Greifswald für die Auflösung plädierte, konnte der Verband sich zunächst behaupten. Dies freilich nur, weil er stramm auf Regierungskurs blieb, auf eigene effektive Initiativen weitgehend verzichtete und sich mit einer sehr begrenzten Aufgabe und der bloßen Hoffnung auf Mitwirkung bei der Hochschulreform zufriedengab. Während die Universität München im alten Vorstand u.a. durch den Psychiater Oswald Bumke, einen wohl sehr einflußreichen Standespolitiker, vertreten war, gehörte dem gleichgeschalteten Vorstand kein Münchener Hochschullehrer mehr an. Nach den Treuekundgebungen und Loyalitätserklärungen des Hochschulverbands vom April und Juni und in der politischen Situation nach der Ausschaltung der Parteien kam eine Loyalitätsbekundung der Universität München nicht mehr überraschend. Bezugnehmend auf die Rede Hitlers vor den Reichsstatthaltern am 6. Juli über den "Abschluß der Revolution" faßte der Senat der Universität am 11. Juli folgenden Beschluß: 53 " Auf Grund eines durch die Vollversammlung der Dozentenschaft bestätigten einstimmigen Beschlusses von Rektor und Senat gibt die Universität München folgende Erklärung ab: Die programmatische Kundgebung des Herrn Reichskanzlers Adolf Hitler vor den Reichsstatthaltern vom 6. Juli ds. Js. gibt uns den willkommenen Anlaß, zu versichern, daß wir freudig bereit sind, an den Aufgaben des nationalsozialistischen Staates nach besten Kräften mitzuarbeiten." 3. Die Haltung der Studentenschaft Die ersten planvoll eingeleiteten staatlichen Maßnahmen erfaßten die Hochschulen im Frühsommer 1933 und trafen die Studenten mit dem zu Beginn des Sommersemsters in Kraft tretenden neuen Studentenrecht54 In diesen Wochen von der Machtergreifung bis zum Semesterbeginn waren auch innerhalb der Studentenschaft zwei Entwicklungen erkennbar, die unter den Begriffen "Anpassungsbereitschaft" und "Gleichschaltungsbestrebungen" zu fassen sind.

53 UAM Sen 473. Der Beschluß erfolgte noch vor der Zustimmung der Dozentenschaft in der "Erwartung, daß die heutige Vollversammlung der Dozenten zustimmen wird". Diese Kundgebung der Dozentenschaft der Universität zur Mitarbeit am nationalsozialistischen Staat fand am 11. Juli um 20.00 Uhr im Universitätsgebäude statt. 54 "Gesetz über die Bildung von Studentenschaften an den wissenschaftlichen Hochschulen" vom 22. Aprill933. Daraufaufbauend die Studentenrechtsverordnungen der Länder.

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Ähnlich wie die Partei erhielt auch der NSDStB nach einigen Wochen des Abwartens etwa ab März- v. a. nach dem Tag von Potsdam und der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes - einen großen Zulauf.SS Die allgemeine Begeisterung, zumindest aber die Zustimmung zum neuen Staat nahm vor allem aber in den Korporationen56 stark zu. Und viele Studenten, die der "nationalen Erhebung" noch mit Skepsis gegenüberstanden, wurden mitgerissen und mußten zumindest äußerlich mitmachen. Zum anderen fühlten sich jetzt die NS-Studenten in besonderer Weise dazu berechtigt und verpflichtet, von sich aus die NS-Revolution voranzutreiben. Sie leiteten eigenmächtig und in "revolutionärer" Ungeduld Aktionen gegen mißliebige Professoren, Dozenten und Assistenten57 ein, wollten noch vor den offiziellen staatlichen Maßnahmen Tatsachen schaffen und begannen mit der rigorosen Gleichschaltung der studentischen Einrichtungen58 und der Korporationen. Dieses unkontrollierte, "revolutionäre" Vorgehen der Studenten erreichte in der Aktion "wider den undeutschen Geist" und in der Bücherverbrennung vom 10. Mai einen vorläufigen Höhepunkt und Abschluß. Weitere Aktionen dieser Art wurden von offizieller Seite untersagt. "Am 30. Januar 1933, dem Tag der nationalsozialistischen Machtergreifung, war der Leidensweg der deutschen Studenten seit 1918 scheinbar zu Ende. "59 An vielen Hochschulorten wurde dieser Tag von der Studentenschaft auch gebührend gefeiert, mit Massendemonstrationen etwa in Berlin und Breslau60 oder - wie in Erlangen - mit gemeinsamen Veranstaltungen mit der Ortsgruppe der NSDAP.61 Auch in München kam es zu einer studentischen Kundgebung für den neuen Reichskanzler. Sie fand am Dienstag, 31. Januar, um 11.00 Uhr im Liebthof der Universität62 statt. Ein junger Nationalsozialist hielt

55 In Harnburg vergrößerte sich z. B. die Mitgliederzahl von 42 im Februar auf 266 im Juli 1933 (Jarausch 166). Der Zustrom war so stark, daß einige Gruppen dem Andrang kaum gewachsen waren. Der NSDStB erhielt in diesen Wochen insgesamt über 2000 neue Mitglieder (RSF 58a 89). 56 Die Entwicklung der Korporationen kann im Rahmen dieser Arbeit weder allgemein noch ffir München behandelt werden. Die umfassendste Arbeit dazu ist immer noch die Darstellung von Stitz über den CV von 1918- 1938. 57 z. B. in Tübingen (Adam 26). 58 So z. B. in Rostock (Universität Rostock 271). 59 So Kater, Studentenschaft 197: "Das große Vorbild Adolf Hitler war Reichskanzler geworden; es bestand Aussicht," daß er die Studierenden der Nation als Garanten einer besseren deutschen Zukunft aus ihrer bisher verzweifelten Lage erlösen und ihnen den ffir sie angemessenen Platz in der Rangordnung der Gesellschaft erneut zuweisen würde." 60 Faust, NSDStB II 121. Für Tübingen siehe Adam 26. 61 Franze 185. 62 Möglicherweise unter Beteiligung der Studenten auch der anderen Münchner Hochschulen, insbesondere der TH, wie es auch vor 1933 wiederholt der Fall war.

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eine "flammende" Rede,63 offensichtlich aber nicht unter dem Beifall aller Anwesenden. Mußten doch im Anschluß an die Kundgebung, wie der Völkische Beobachter lapidar festhielt, "tätliche Provokationen kommunistischer Elemente" von der nationalen Studentenschaft gebührend "zurückgewiesen" werden.64 Solche Kundgebungen mit verbalen Übertreibungen hatten aber zunächst keine besonderen Auswirkungen, so daß "vorerst einmal alles beim alten blieb".65 Wie an den meisten Hochschulen konnte der NSDStB auch an der Münchener Universität die neue Situation zunächst nicht unmittelbar zu einer Aufschwungphase nutzen. Abgesehen davon, daß man in München den Regierungswechsel in Berlin allgemein nicht so ernst nahm, war die Zeit für eine besondere Motivierung der Studenten nicht günstig. Der Fasching, an dem sich auch die Studenten rege beteiligten,66 ging seinem Höhepunkt entgegen, und sicherlich waren viele Studenten, soweit sie nicht durch Testate und Prüfungen am Semesterende ohnehin noch besonders belastet waren, schon einige Tage vor Ende des Semestersam 28. Februar in die Ferien abgereist. 67 Die nationale Erhebung wurde wohl von einem großen Teil der Studenten begrüßt, aber die nationale Begeisterung hielt sich in München in Grenzen. So gab es in der AStA-Sitzung am 3. Februar68 zwar eine recht hitzige Diskussion, aber dadurch unterschied sie sich kaum von den vorhergehenden, in denen der NSDStB bereits den Ton bestimmte. Plädierte der Vertreter der Deutschnationalen noch für eine sachliche Arbeit und die Überwindung der Parteipolitik, so nahm das NSDStB-Mitglied Kurt Ellersiek das Recht für sich in Anspruch, "seiner Arbeit den Stempel der Weltanschauung aufzudrükken".69 Zum AStA-Vorsitzenden wurde- im 2. Wahlgang- der Nationalsozialist Karl Gengenbach gewählt.70

63 Völkischer Beobachter (VB), Münchener Ausgabe, vom 1.2.1933 und "Münchener Beobachter", Tägliches Beiblatt zum VB, vom 1.2.1933: Die Regierungsübernahme durch Adolf Hitler "löste auf der Münchener Universität einmütige Kundgebungen der Studenten für den neuen Reichskanzler aus". Die Rede enthielt das "Gelöbnis" der deutschen Studentenschaft, "weiterzuarbeiten und zu kämpfen, bis Adolf Hitler die endgültige Befreiung Deutschlands verwirklicht habe". 64 Auch wenn man annehmen kann, daß die Darstellung im VB ein einseitiges und verzerrtes Bild ergibt und man wohl auch Provokationen durch die NS-Studenten unterstellen muß, deutet die Passage im VB doch darauf hin, daß sich gegnerische Studenten damals noch lautstark äußerten und demonstrativ Stellung bezogen. 65 Faust, NSDStB 11121. 66 Der große AStA-Festball fand am 11. Februar statt (HStA II MA 107362), der Studentenball des Deutsch-Internationalen Studentenclubs (Ausländer-Studentenball), zu dem auch Ministerpräsident Held eingeladen wurde, am 24. Februar (HStA II MA 107357). 61 V. a. wegen der Mietersparnis (Heizung) im Wintersemester. 68 RSF A 18a. 69 Die Äußerung Ellersieks, der Ältester der Deutschen Studentenschaft war, veranlaßte ein AStA-Mitglied zu der Erklärung, "daß es den Nationalsozialisten nur darum zu tun ist",

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Während es an manchen Hochschulen in den Wochen nach der Machtübernahme zu Unruhen und Störungen11 und zu demonstrativen Aktionen nationalsozialistischer Studenten12 und bereits zu Angriffen auf einzelne Professoren und Dozenten kam, blieb es in München relativ ruhig. Besondere Aktionen der Studentenschaft sind nicht bekannt. Schließlich waren in München die großen Schlachten an der Universität schon vor 1933 geschlagen worden, der NSDStB stellte wie gewohnt wieder den AStA-Vorsitzenden, die Positionen waren abgesteckt, und in der Anfang März beginnenden Ferienzeit waren nicht nur die Mehrheit der Studenten, der Adressat möglicher Aktionen, sondern auch viele der NS-Aktivisten nicht am Hochschulort. Auf Länder- und Reichsebene bereiteten inzwischen die vom NSDStB beherrschte DSt und der NSDStB - z. T. miteinander rivalisierend - die Gleichschaltung der Hochschulen vor und leiteten einzelne Maßnahmen ein. Gerhard Kriiger, der 1. Vorsitzende der DSt, forderte in seinem berüchtigten "Spionageerlaß" vom 19. April die lokalen Studentenschaften zur Denunziation der unter das Berufsbeamtengesetz vom 7. April fallenden Personen auf. Außerdem sollten diejenigen Hochschullehrer gemeldet werden, "deren wissenschaftliche Metbode ihrer liberalen, d. h. insbesondere pazifistischen Einstellung entspricht, die daher für die Erziehung der deutschen Studenten im nationalen Staat nicht in Frage kommen ... "73 In ähnlicher Weise bat Kriiger die örtlichen Studentenschaften auch verpflichtet, Listen deijenigen Studenten aufzustellen, "die sich in den vergangeneo Semestern marxistisch oder pazifi-

die deutsche Studentenschaft als eine "Filiale der nationalsozialistischen Partei anzuschließen". Der Vertreter der Sozialistischen Studenten stellte fest, daß er "hier nicht sachlich zu Wort kommen" könne. 10 Die weiteren vier Vorstandsmitglieder wurden offensichtlich nach dem bisher üblichen Verfahren gewählt. 71 In Berlin wurden z. B. - so der VB vom 18./19.2.1933 - die Räume der staatlichen Kunstschule von NS-Studenten besetzt, die Prüfungen unterbrochen und die Professoren vertrieben (HStA I S 1796 und RSF I 07 ph 372/1). Die Kieler Universität wurde vom Rektor am 11. Februar für drei Tage geschlossen, nachdem es in studentischen Versammlungen zu schweren Verunglimpfungen des Rektors und zu Sachbeschädigungen gekommen war (RSF I 07 ph 372/1). Zu zeitweiligen Schließungen von Hochschulen kam es später (im Sommersemester) noch in Danzig, Darmstadt und Rostock (RSF I 03 ph 355 und I 03 ph 253). Besonders scharfen Attacken waren Rektor und Senat der Technischen Hochschule Braunschweig ausgesetzt (vgl. Pöls). 12 Z. B. Hissen der Hakenkreuzfahne aufUnivcrsitätsgebäuden, so in Heidelberg (Vezina 25), Tübingen (Adam 23), Jena (Univ. Jena 623) und Würzburg (Spitmagel265). 73 "Zur Beschleunigung der von der Reichsregierung beschlossenen Maßnahmen zur Säuberung des Berufsbeamtenturns ..." Betroffen waren Juden oder Hochschullehrer, die "kommunistischen Organisationen bzw. dem Reichsbanner u. a. angehört haben" und die "nationale Führer, die Bewegung der nationalen Erhebung oder das Frontsoldatenturn beschimpft haben ... " Hier nach Kalischer 226. Siehe auch Stitz (127) und die entsprechenden Passagen bei Strätz.

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stisch betätigt haben". 74 Der anschließende Professorenboykott,?S an einigen Hochschulen wie Harnburg mit Erfolg praktiziert,76 wurde schließlich abgesetzt.77 In München ist von solchen Boykottmaßnahmen nichts bekannt.78 Mündliche oder schriftliche Forderungen nach Entlassung bestimmter Professoren wurden von den Studentenführern nachweislich im Sommer und Herbst 1933 erhoben. Vorher, d. h. in der Ferienzeit, scheint es an der Universität München keine diesbezüglichen Aktionen gegeben zu haben.79 Ob die von den nationalsozialistischen Studentenführern den Behörden immer wieder gemeldete Erregung unter der Studentenschaft wegen der jüdischen Dozenten und Assistenten tatsächlich so stark war, muß bezweifelt werden. Bezugnehmend auf eine solche Erregung jedenfalls mahnte der Führer der Studentenschaft der Universität München am 27. April "in Übereinstimmung" mit Rektor und Kultusminister zu äußerster Disziplin, warnte vor jeglichen Vorlesungsstörungen und Maßnahmen gegen Dozenten und Assistenten ohne seine Zustimmung und drohte bei Verstößen die Entfernung von der Hochschule bzw. den Ausschluß aus der Partei an. 80 Wünsche und Anregungen auch der Einzelstudenten sollten an ihn - schriftlieb und mit genauen Unterlagen - herangetragen werden. "Bloße Verdächtigungen" aber seien zwecklos. 8 1 Während in den Semesterferien die Studenten an der Universität keine sichtbaren Aktivitäten

74 RSF 00 ph 134. Ziel war, "unzuverlässige Elemente" auch bei einem Hochschulwechsel erfassen zu können. 75 Rundschreiben vom 5. Mai über Boykottmaßnahmen gegen Professoren (Stitz 127). 76 Jarausch 166; Bauer, H.: Die studentische Selbstverwaltung und die studentischen Gruppierungen an der Universität Harnburg 1919 - 1933. Diplomarbeit (Masch.) Harnburg 1971. Bauer verweist auf eine Anordnung des Bundesführers des NSDStB, nach der ab 2. April 1933 vor den Hörsälen und Seminaren der jüdischen Professoren und Dozenten Posten der Studentenschaft aufziehen und vor dem Besuch solcher Vorlesungen und Seminare warnen sollten. 77 Vgl. dazu auch Strätz. 78 Nach Strätz bemängelt der Führer der DSt, daß nur aus wenigen Hochschulorten Angaben über Hochschullehrer eingegangen seien. München befindet sich nicht darunter. 79 Dies schließt die Vorbereitung (das Sammeln von Belastungsmaterial) durch die Studentenführung nicht aus. 80 UAM Sen 559. Karl Gengenbach schrieb - gleichzeitig als "Sachbearbeiter für die Hochschule der N.S.D.A.P." -: Die Säuberungsmaßnahmen seien noch nicht beendet, die Amtsstellen (Kultusminister, Rektor und Studentenschaft) seien gewillt und würden "ihre ganze Arbeitskraft daransetzen, daß auch der letzte Dozent, Assistent oder Student von der Hochschule entfernt wird, der nicht auf die Hochschule des neuen Staates paßt". 81 Gengenbach verwies diesbezüglich auf das "Gesetz gegen Angebertum" der Bayerischen Staatsregierung. Der Aufruf läßt bereits den Versuch zur Beruhigung und Kanalisierung studentischer Aktionen erkennen, gleichzeitig aber auch den hohen Anspruch der Studentenschaft, neben Rektor und Ministerium als beteiligte "Amtsstelle" bei der Säuberung mitzuwirken.

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entfalteten, gab es in dieser Zeit bereits das Ringen um die Gleichschaltung der Korporationen, fanden innerhalb der studentischen Verbindungen schwere Auseinandersetzungen und Machtkämpfe um den neuen Kurs statt. Da ein Teil der Verbände mit ihrer deutsch-völkischen Gesinnung dem Nationalsozialismus vor 1933 schon ideologisch verbunden war, kam aus diesen Reihen große Zustimmung für die "nationale Erneuerung". 82 Die Begeisterung war z. T. emphatisch, in zahlreichen Artikeln der Verbandszeitschriften wurde die neue Regierung begrüßt, und viele Verbindungen konnten nicht schnell genug ihre Zustimmung bekunden. Man war besorgt, den Anschluß zu verlieren, und beeilte sich folglich mit der Abgabe von Bekenntnissen und Loyalitätserklärungen. Der Tag von Potsdam machte auch den noch zögernden Verbindungen die Zustimmung leichter, und nachdem die Bischofskonferenz die Verbote und Warnungen vor dem Nationalsozialismus aufgehoben hatte, 83 brachen auch die Dämme bei den katholischen Verbindungen. Wo überzeugte Zustimmung oder eilfertige Anpassung als erwünschte Formen der Selbstgleichschaltung sich nicht rechtzeitig ergaben, halfen die DSt und der NSDStB mit massiven Druck nach. Im Wechselbad von Drohungen und Versprechungen sowie von Forderungen und Zugeständnissen84 erlagen die Verbindungen immer mehr der Taktik der Nationalsozialisten, die innerverbandliehe Differenzen geschickt ausnutzten85 und ein Nachgeben stets mit weiteren Forderungen beantworteten. In diesem Ringen zeigten sich auf seiten der Verbindungen Schwäche und Versagen, aber auch Standhaftigkeit und mutiges Opponieren. So gab es z. B. schon vor 1933 innerhalb der katholisch-bayerischen Studentenverbindung "Rhaetia" schwere Auseinandersetzungen, die Ende 1932 zum Ausschluß von vier Bundesbrüdern führten, weil sie Führer-Positionen in der NS-Bewegung einnahmen. 86 Vor allem unter dem 1933 zum Philister-Senior gewählten Mediziner Prof. Max Lebsche, einem entschiedenen Gegner des

82 Dazu allgemein Bleuei!Klinnert 241 ff.; Botzet, G.: Sozialer Wandel der studentischen Korporationen. Münster 1971, 166 f.; Stitz 124 ff. 83 Kundgebung der Bischöfe vom 28. März (Stitz 136).- Der Cartellverband der Katholischen deutschen farbentragenden Verbindung (CV) gelobte im Mai in einem Telegramm an Hitler unwandelbare Treue und Hingebung zum deutschen Volk und Vaterland und bekundete sein Vertrauen zu Hitler (BAR 43 II 943). 84 So hieß es in einem Brief vom 20. März: "Der Vorstand der Deutschen Studentenschaft bekennt sich in dieser fiir die Geschichte der Deutschen Studentenschaft entscheidenden Stunde vor aller Öffentlichkeit zu den Werten des deutschen Korporationsstudententums." (Bleuei!Klinnert 245). 85 Auch die Taktik der Infiltration war häufig zu beobachten. 86 So nach einem Schreiben eines Vertreters der Großdeutschen Landsmannschaft vom 29. 5. 1933 an den NSDStB München (UAMNN 2c).

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Nationalsozialismus, ging die Verbindung bewußt auf Gegenkurs,87 so daß die Nationalsozialisten in ihren Reihen Grund zur Klage - und Denunziation hatten. 88 Hinter den Kulissen spielten sich aber auch an der Universität bereits Gleichschaltungsversuche ab. Am 5. April wurde der Vorsitzende der medizinischen Fachschaft von drei Herren, zwei Medizinalpraktikanten und einem Dr. med. dent., unter Berufung auf eine angebliche ministerielle Anordnung aus dem Innen- und Kultusministerium gezwungen, den Fachschaftsvorsitz niederzulegen. Die drei Personen, eine in SA-Uniform, tauchten überraschend im Fachschaftszimmer auf, versperrten den Ausgang und eröffneten dem Vorsitzenden, daß er "im Interesse der Gleichschaltung auch in der Studentenschaft von seinem Amte zurücktreten solle".89 Die vom Fachschaftsvorsitzenden erbetene Rücksprache mit dem Ministerium wurde nicht gestattet. Eine schriftliche Verfügung konnten die drei nicht vorlegen. 90 Die Absetzung wurde dem Vorsitzenden gegenüber mit dem gängigen pauschalen Vorwurf begründet, er habe in mehreren Fällen ,,Juden protegiert". Dieses Vorgehen war ein klarer Akt der Nötigung. Das Verlassen des Fachschaftszimmers wurde dem 1. und 3. Fachschaftsvorsitzenden erst nach Herausgabe aller Schlüssel und der Fachschaftskasse gestattet. Die Überrumpelungsaktion engagierter Parteileute ist von keiner offiziellen Stelle, auch nicht vom Kultusministerium, angeordnet worden. Das Ministerium distanzierte sich davon91 und veranlaßte, daß die Maßnahmen "sofort rückgängig" gemacht wurden. Dies geschah umgehend unter Beteiligung des Obmannes der nationalsozialistischen Betriebszelle des Krankenhauses l. d.

87 Es wurde ihr z. B. vorgeworfen, am Geburtstag des Führers und Reichskanzlers nicht geflaggt zu haben und allgemein gegen die Nationalsozialisten in ihren Reihen vorzugehen. 88 Alle "wirklich nationalen Männer" seien bereits aus der Rheatia ausgetreten oder führten noch "den vergeblichen Kampf', die Rhaetia "im letzten Augenblick für das Nationale Deutschland zu gewinnen". Der Einfluß der Geistlichen sei dort jedoch so beherrschend, "daß an eine andere Einstellung der Rhaetia nicht zu denken ist". Die Rhaetia schicke mit Absicht Leute in die SA, "um sich ein Alibi zu verschaffen". Der NSDStB möge dafür sorgen, "daß die in der SA befindlichen Rhaeten sich für 'Rhaetia' oder für Adolf Hitler entscheiden. Beides zu vereinigen ist nach der bisherigen Haltung der 'Rhaetia' undenkbar". 89 Beschwerde des Fachschaftsvorsitzenden an den Rektor, der diese auch an das Ministerium weiterleitete (HStA I Mk 40804). 90 Der Führer der Studentenschaft, der in einem Telefongespräch vorgab, nicht unterrichtet zu sein, schlug dem Fachschaftsvorsitzenden vor, den Vorsitz bis zur Klärung der Angelegenheit niederzulegen. 91 Schreiben vom 7. April (gez. H. Schemm) an den Rektor (UAMNN Se): " ...Es handelt sich hier vielmehr augenscheinlich um eine Einzelaktion, wie sie erst vor kurzem durch Anordnung des Herrn Ministerpräsidenten ausdrücklich untersagt wurde." - Ein beteiligter Medizinalpraktikant hatte sich bei Minister Schemm persönlich zu melden.

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Isar. Dabei wurden allerdings noch, angeblich in gegenseitigem Einvernehmen, in den bisher nicht besetzten ärztlichen Beirat der Fachschaft drei Ärzte aufgenommen, die alle Vertreter der neuen Zeit waren: ein an der Aktion beteiligter Medizinalpraktikant, der Obmann der nationalsozialistischen Betriebszelle und ein Assistenzarzt.92 Damit war der Aktion doch zumindest ein Teilerfolg beschieden. Die Fachschaft selber konnte man zunächst noch nicht übernehmen, aber den Beirat konnte man mit eigenen Leuten besetzen. In dem vom Führer der Studentenschaft bestätigten Fachschaftsvorstand für das Sommersemester93 waren die bisherigen drei Vorsitzenden weiterhin vertreten, der vierte Mann (Schriftführer) jedenfalls war ein Nationalsozialist, der später im Dozentenbund führend tätig war.

Dies Beispiel mag typisch sein für die revolutionäre Ungeduld aktiver Nationalsozialisten nicht nur unter den Studenten, denen die Gleichschaltung nicht schnell genug kam und für die die Parole galt: "Der Staat ist erobert, die Hochschule noch nicht!"94 Nachdem die Nationalsozialisten ihre Macht im Staat gefestigt hatten und die von ihnen beherrschten staatlichen Stellen die ersten planvollen Maßnahmen einleiteten, wurden solche studentischen Eigenmächtigkeiten untersagt und die Studenten auf ihr Studium hingewiesen.95 Jetzt waren nicht mehr störende Aktionen erwünscht, jetzt ging es um die innere Durchdringung der Hochschule, die mit letzter Konsequenz durchgeführt werden und total sein, aber in geordneten Formen verlaufen sollte. 4. Die Übergabe des neuen Studentenrechts und die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 Die mit Unterstützung des Propagandaministeriums von der Deutschen Studentenschaft (OSt) organisierte vierwöchige Gesamtaktion gegen den "jüdischen Zersetzungsgeist"96 begann mit dem Anschlag der 12 Thesen "wider den undeutschen Geist", wurde begleitet von einer großangelegten Pressekam92 Letztere nahmen später Führungspositionen in der Dozentenschaft bzw. im Dozentenbund ein. 93 Schreiben der Münchener Medizinerschaft (medizinische Fachschaft) an den Dekan vom 30. Mai 1933 (UAMNN Se). Der bisherige 2. Vorsitzende wurde Leiter der Fachschaft. 94 Hier nach Strätz 356. 9S Erlaß des preußischen Kultusministers Rust vom 2. Mai 1933 (Kalischer 226): "Eine Umgestaltung der Lehrkörper ist die Aufgabe der Staatsregierung." Von den Studenten wurden ernste Arbeit, "Disziplin und Leistung" verlangt, Störern wurde die Relegation angedroht. -Ferner Rede Rusts vom 6. Mai in der Berliner Universität bei der Verkündung des neuen Studentenrechts (Kalischer 227). Vgl. dazu auch die Rede Hitlers vor den Reichsstatthaltern vom 6. Juli über den "Abschluß der Revolution". 96 Die allgemeinen Ausfiihrungen dazu stützen sich v. a. auf den Beitrag von Strätz, der immer noch grundlegend ist.

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pagne, setzte sich fort mit dem sog. Spionageerlaß (s. oben) und einem Professorenboykott an den Hochschulen sowie der Durchforstung von öffentlichen und privaten Bibliotheken und der Sammlung des "zersetzenden" Schrifttums und fand ihren Höhepunkt und Abschluß in der berüchtigten Bücherverbrennung vom 10. Mai, die an fast allen Hochschulorten durchgefiihrt wurde.97 Diese vorwiegend antijüdische Aktion98 mit der spektakulären Bücherverbrennung markierte das Ende der "revolutionären" Phase an den Hochschulen, sollte zugleich aber motivieren und der Auftakt sein zur systematischen nationalsozialistischen Durchdringung der Hochschulen.99 Daß die Aktion noch zu einem Zeitpunkt stattfand, als die fiir die Hochschulen zuständigen Stellen derlei Aktionen schon untersagt und zur Ruhe gemahnt hatten, hängt sicherlich auch mit den gerade in den Anfangsmonaten noch nicht abgegrenzten Kompetenzbereichen zusammen. 100 In Bayern fanden die Bücherverbrennung und die Übergabe des neuen Studentenrechts am selben Tag statt.

97 Die Veranstaltungen sind örtlich recht unterschiedlich verlaufen; für Köln vgl. z.B. Golczewski 76 - 87, für Harnburg jetzt Hans, J.: Die Bücherverbrennung in Hamburg, in: Krause u.a., Hochschulalltag im "Dritten Reich" 237 - 254. Zum 50. Jahrestag sind zahlreiche Veröffentlichungen erschienen. Aus der Fülle der Literatur sei neben den Arbeiten von Sauder, v. Krockow und dem Sammelband von Walberer u.a. noch genannt: Friedrich, T. (Hg.): Das Vorspiel. Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933: Verlauf, Folgen, Nachwirkungen. Eine Dokumentation. Berlin 1983; Leonhard, J. F. (Hg.): Bücherverbrennung. Zensur, Verbot, Vernichtung unter dem Nationalsozialismus in Heidelberg. Heidelberg 1983. Hingewiesen werden darf auch auf die umfangreichen Kataloge zu einschlägigen Ausstellungen z. B. in Marburg (Zeller, B. (Hg.): Klassiker in finsteren Zeiten 1933 - 1945. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Marbach 1983), Berlin (Akademie der Künste (Hg.): Das war ein Vorspiel nur ... Bücherverbrennung in Deutschland 1933: Voraussetzungen und Folgen. Berlin 1983) und Jerusa1em (Verboten und verbrannt, Deutsche Literatur im Exil 1933 - 1945. Harnburg 1983). Rezensionen zu diesen Veröffentlichungen finden sich u.a. in: Das Parlament, Nr. 50 vom 17. 12. 1983 und Nr. 24 vom 18. 6. 1983. 98 Im Artikeldienst der DSt wurde die Aktion "gegen den jüdischen Zersetzungsgeist" mit der "Greuelhetze des Judentums im Ausland" begründet (Strätz). Entsprechend heißt es im Rundschreiben vom 8. 4.: "Der jüdische Geist, wie er sich in der Welthetze in seiner ganzen Hemmungslosigkeit offenbart, und wie er bereits im deutschen Schrifttum seinen Niederschlag gefunden hat, muß aus diesem ausgemerzt werden." (Strätz und Sauder 74). 99 Den Rundschreiben der DSt kann entnommen werden, daß die Aktion "wider den undeutschen Geist" nur eine Teilaktion einer größeren Aktion zur Forcierung der NS-Revolution an den Hochschulen sein sollte (Strätz). Die Studenten sollten lernen zu entscheiden, um dann den Kampf gegen untaugliche Hochschullehrer aufnehmen zu können. Auch die offiziellen Stellen (Kultusministerien der Länder) wollten auf die weitere Mitarbeit der Studenten nicht verzichten. Sie sollte aber nicht mehr unkontrolliert und unkeordiniert ablaufen. 100 Auf solche Widersprüchlichkeiten wird in der Literatur z. T. hingewiesen. V. a. die Aktivitäten des neugeschaffenen Propagandaministeriums kollidierten mit manchen Maßnahmen der Hochschulbehörden.

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Eine gesonderte kurze Darstellung der Vorgänge des 10. Mai an der Universität München 101 mag schon deshalb gerechtfertigt sein, weil in dieser Momentaufnahme die Situation der gesamten Universität - nicht nur der Studenten - im Frühsommer 1933 besonders deutlich wird. Im Verhalten und in den Äußerungen der beteiligten Stellen von Hochschule und Staat spiegeln sich bereits die neuen Machtverhältnisse, werden die Verschiebungen sichtbar, die sich inzwischen durch Anpassung und Gleichschaltung ergeben hatten, und werden die Grenzen aufgezeigt, in denen sich Wissenschaft und Universität in der Folgezeit entwickeln können. Zur Vorbereitung der Bücherverbrennung fanden einige Tage vor dem 10. Mai besondere Kundgebungen statt, mit denen die Sammetaktion eingeleitet und die Studenten motiviert werden sollten. Die entsprechende Veranstaltung an der Universität München, zu der auch die Professoren geladen waren, 102 wurde am 6. Mai im Lichthof der Universität unter dem Motto "Für das Deutsche in der Kultur" abgehalten.103 Als Redner trat der Führer der Studentenschaft, Karl Gengenbach, auf, der den Willen der Studentenschaft bekundete, "die nationale Revolution auf die Hochschulen zu übertragen", Aktionen ankündigte, da die Hochschulen "immer noch Hochburgen des Liberalismus" seien, und auf die Säuberung der Hochschulen von untauglichen Lehrern hinwies.104 Die Säuberung des Schrifttums sei nur eine Teilaktion, eine weitere Aktion richte sich gegen die für die Hochschulen untauglichen Lehrer. 105 An der Technischen Hochschule München fand zur selben Zeit eine Parallelkundgebung statt. 106 Das Programm des 10. Mai wurde von den Studentenschaften der Universität und der Technischen Hochschule gemeinsam in einer Doppelveranstaltung absolviert. Dem "Verbrennungsakt" am Königsplatz um 23.30 Uhr ging die "Feier der nationalen Revolution" um 19.45 Uhr im Lichthof der Universität voraus. Verantwortlich für die Einladung zeichneten die "Studentenschaften" der Universität und der Technischen

1° 1 Die mit der Säuberung der Bibliotheken zusammenhängenden Vorgänge außerhalb der Universität bleiben außer Betracht. 102 Der Rektor gab die Einladung und den Wunsch der Studenten, die Vorlesungen zu dieser Zeit ausfallen zu lassen, weiter. 103 Sauder 106 und Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger 1933 Nr. 104 vom 6. 5. 1933. 1°4 In Zukunft sollten sie "politische Hochschulen" sein, in denen nur Professoren lehren dürften, die den neuen Staat nicht nur bejahten, sondern auch ihr ganzes Können fiir diesen Staat einsetzen. 105 Dem trug auch die DSt organisatorisch Rechnung: Die Aktionen wurden schließlich getrennt. Die Säuberung des Schrifttums und die Bücherverbrennung lagen bei den Hauptämtern fiir Presse und Propaganda, die Aktionen gegen die Professoren wurden den Ämtern fiir Wissenschaft übertragen. 106 Vgl. Sauder 106. 6Böhm

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Hochschule sowie der Kreis VII (Bayern) der DSt.l07 Rektor Leo von Zumbusch leitete die Einladung mit Programmabfolge an die Professoren und Dozenten mit der Bitte um Teilnahme weiter.1oa Das Programm der Feier im Lichthof der Universität entsprach im wesentlichen dem Vorschlag, den die "Studentenschaft" der Universität bereits am 24. April an den zuständigen Hauptamtsleiter der DSt übermittelt hatte.109 Nach der Ansprache von Rektor Zumbusch und der Übergabe des Studentenrechts sprach Karl Gengenbach, der Führer der Studentenschaft der Universität, als Leiter des Kreises VII der DSt. Die Festrede hielt Kultusminister Schemm. Die gesamte Feier, bei der chargiert wurde und bei der neben den Korporationen auch die Wehrverbände vertreten waren, wurde vom bayerischen Rundfunk übertragen. Diese Feier, die sich von den bisherigen nationalen Kundgebungen wesentlich unterschied und die nach Inhalt und Gestaltung ein Novum war, hatte einen dreifachen Zweck: Sie war eine politische Demonstration zugunsten des neuen Systems, sie war gleichzeitig die feierliche Semestereröffnung, und sie war schließlich der Rahmen für die V erkündung und offizielle Übergabe des neuen Studentenrechts. Rektor v. Zumbusch, ein national gesinnter und bei den Studenten beliebter Professor, stellte sich in seiner Rede110 auf den Boden der Tatsachen, machte Zugeständnisse, blieb aber in vielen Formulierungen allgemein und bezog mehr eine deutschnationale Position, mit der gerade die NS-Studenten auf die Dauer nicht zufrieden sein wollten. Ausgehend von der "Wende der Zeit" stellte er dem Leidensweg der Vergangenheit die Hoffnung versprechen.de Zukunft gegenüber, 111 dankte nicht nur dem "Führer und Kanzler des Deutschen Reiches", sondern gleichzeitig auch Hindenburg, "unserem ehrwürdigen Generalfeldmarschall", und versprach die Mitarbeit der Dozenten und Studenten am Wiederaufbau.

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UAM Sen 473.

108 Bitte "um geschlossene Teilnahme" bei der Feier im Lichthof. Bezüglich der "feierli-

chen Verbrennung am Königsplatz" Ersuchen, "auch daran teilzunehmen". Die Einladung an den Rektor trägt das Datum vom 11. April, aber den Eingangsstempel vom 27. April. 109 Sauder 211 und UAM Sen 473. 110 Die "Bayerische Hochschulzeitung" vom 18. Mai 1933 berichtet unter der Überschrift "Feier der Nationalen Revolution. Feierliche Übergabe des Studentenrechts. - Erhebende Feier auf dem Königsplatz: Wider den undeutschen Geist" recht ausführlich. Auf diesen Bericht stützen sich die nachfolgenden Passagen zu den Reden. Ein diesbezüglicher Bericht fmdet sich auch im VB vom 11. Mai. 111 "Glaube an Deutschland, Hoffnung auf siegreichen Aufstieg, Liebe zum Vaterland ... •

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Er würdigte einerseits unmißverständlich die große Leistung des neuen Kanzlers, 112 suchte aber andererseits für die Universitäten bereits bestrittene Positionen zu retten, wenn er es als die erste Pflicht der Lehrer bezeichnete, "im Unterricht das Beste zu bieten" und im Gegensatz zu den immer lauter werdenden Forderungen nach der politischen Hochschule und dem politischen Professor fortfuhr: ,,Dann, nur dann, wenn die von Akademikern versebenen Berufe von Männem ausgeübt werden, die gründliches Fachwissen und gediegenste Sachkenntnis besitzen, wird das Vaterland sagen, daß die Hochschulen ihre Aufgaben erfüllt haben." Und wenn der Rektor es als zweite Pflicht bezeichnete, die Studenten zu Männem zu erziehen, die auch bereit seien, "dem Vaterland zu dienen", so blieb er damit in der Diktion früherer Jahre. 113 Nach der Überreichung des Studentenrechts an die Studenten der Universität und der Technischen Hochschule durch die beiden Rektoren sprach Karl Gengenbacb. Er begann mit dem Gelöbnis, das Studentenrecht so einzusetzen, "wie es unser Führer Adolf Hitler von uns erwartet", erinnerte an den zurückliegenden Kampf der Studentenschaft und betonte die Rolle des NSDStB bei der Gestaltung der "politischen Hochschule". Er ließ keinen Zweifel daran, daß viele Professoren "nicht tauglich erscheinen für die Hochschule des Staates unserer Prägung", fühlte sich aber doch bemüßigt, gewisse Befürchtungen hinsichtlich weitgebender Säuberungsforderungen der Studentenschaft zu zerstreuen.114 Kultusminister Schemm, der in seiner Festrede das deutsche Wesen mit den Begriffen "Seele, Gemüt, Idealismus, Religiosität, wissenschaftliche Gründlichkeit, Charakterfestigkeit" zu beschreiben suchte und dem die Begriffe "Materialismus, Liberalismus, Intellektualismus, Marxismus und Bolschewismus" gegenüberstellte, betonte im Hinblick auf die Universitäten den reduzierten Stellenwert der "Objektivität"115 und setzte ihnen die Aufgabe, 112 "Er hat aus einer drückenden Gemeinschaft der Not den rettenden Gedanken der Gemeinschaft des Volkes gewonnen, er hat dem Worte Arbeit wieder für alle Deutschen ohne Unterschied seinen einstigen Adel wiedergegeben und er hat das germanischen Führerturn gegenüber dem fremden Mehrheitsprinzip, dessen unheilvolle Wirkungen wir in immer steigendem Maße zu erdulden hatten, zu neuer Ehre und Geltung gebracht." 113 Seiner Behauptung, "daß es die Lehrer unserer Hochschulen schon immer so gehalten" hätten und daß deshalb die Studenten, von Ausnahmneo abgesehen, "auch vorbildlich national gesinnt blieben", wurde in der Bayerischen Hochschulzeitung in einer redaktionellen Bemerkung deutlich widersprochen. 114 Die Forderung, die neuen Hochschulprofessoren sollten "Aktivisten" und "Vertreter der jungen Generation" sein, dürfe nicht als Ablehnung der alten Professoren und der Könner verstanden werden. Die Studentenschaft würde "auch den ältesten Professor" anerkennen und sein Verbleiben wünschen, wenner-hier liegt eine klare Einschränkung- "sich durch die Tat und durch sein bisheriges Leben zum Staate Adolf Hitlers bekennt und ihm dienen will mit aller Kraft". 11 5 "Für uns ist alles falsch, was dem deutschen Volke nicht nützt, für uns ist alles Verbrechen, was ihm schadet und wenn es tausendmal objektiv wäre.•

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"Stätten" zu sein, "in denen das Geschehen der nationalen Revolution bewußt erlebt und auch verdeutlicht wird."116 Im Anschluß an diese Feier im Lichthof zogen die Studenten in einem Fackelzug, angeführt von SS-Reitern, den Korporationen, SA, SS und Stahlhelm zur Bücherverbrennung auf dem Königsplatz. Es fällt auf, daß offizielle Vertreter des Staates und der Universität an der Bücherverbrennung nicht teilnahmen oder zumindest nicht hervortraten. Kurt Ellersiek, der Älteste der Studentenschaft des Kreises Bayern, ging in seiner Rede auf den Symbolcharakter117 der Bücherverbrennung ein und verlangte für die Zukunft ein entschiedenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus: "Wer das nicht kann und will, hat kein Anrecht, auf Kosten des Volkes auf einer deutschen Hochschule zu sein." Nach dieser Rede wurden der Scheiterhaufen angezündet und die gesammelten Bücher nach dem festgelegten Ritual118 verbrannt. Der Schwerpunkt der Gesamtveranstaltung des 10. Mai lag in München in der Feier im Lichthof. Auf dem Königsplatz überwog das Theatralische, und die Studenten und die Gliederungen der Partei waren weitgehend unter sich. Die Bücherverbrennung, deren spezifische Zielsetzung und Akzentuierung trotz aller Regie nie recht klar wurde, 119 war ein symbolischer Akt und sollte letztlich ein Fanal1 20 sein, für die Studenten eine Motivierung für den langfristigen, in anderen Formen 121 zu führenden Kampf um die Hochschule. Gegenüber der Hochschule und der Öffentlichkeit wurde am 10. Mai von den Veranstaltern die Faktizität der Machtergreifung demonstriert. Die Zeit, eine entschiedene Gegenposition zu beziehen, war offensichtlich bereits vorbei.

116 "Wenn heute ein Student die Universität verläßt, ohne ein jubelnder Bejaher des Deutschlands der Volkwerdung zu sein, dann hat die Universität ihre Schuldigkeit am jungen Deutschland nicht erfüllt." 117 Beginnend mit einem Totengedenken legte er sehr betont ein Bekenntnis zum "deutschen Sozialismus" ab, zur Arbeiterschaft und zur Gemeinschaft von Akademikern und Arbeitern. - Symbolhaft sollte alles verbrannt werden, "was wir nicht als Geist für das deutsche Volk anerkennen können". 118 Vgl. Rundschreiben der DSt vom 9. 5. 1933 (Sauder 77). Ablauf in München: Marschmusik bis zur Ankunft des Fackelzuges, Beginn mit dem Lied "Burschen heraus", Rede, während des Verbrennungsaktes das Lied "Der Gott, der Eisen wachsen ließ" und die 1. und- sog. -4. Strophe des Deutschlandliedes, Abschluß mit dem Horst-Wessel-Lied. 119 Vgl. Sauder 172. 120 "... ein Fanal des Aufbruchs in eine bessere Zukunft" (Bayerische Hochschulzeitung vom 18. 5.- 1933), eine symbolische Vernichtung alles Gegnerischen, auch eine unter antimodernistischen Aspekten zu betrachtende Negierung der Gegenwart. 121 Gerhard Krüger, der 1. Vorsitzender der DSt, stellt im Juni 1933 klar, der Kampf der Straße sei vorüber, der Kampf werde jetzt in anderer Form geführt (Deutsche Studenten-Zeitung. Amtliches Nachrichtenblatt des NSDStB, 1. Jg. (1933) Nr. 2, 1. Juni-Ausgabe).

B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933 - 1935 : Staatlicher Eingriff und politischer Zugriff in ihren Auswirkungen auf die Universität München Die einschneidenden Maßnahmen zur Umgestaltung der Hochschulen begannen im Frühsommer 1933 und waren im Frühjahr 1935 im wesentlichen abgeschlossen. Sie betrafen die Säuberung des Lehrkörpers, zu denen das "Berufsbeamtengesetz" vom 7. Aprill933 die erste Handhabe bot, die Umgestaltung der Hochschulverfassung durch die Beseitigung der Selbstverwaltung und die Einführung des Führerprinzips und schließlich die Institutionalisierung politischer Kontrollinstanzen, die eine entsprechende Rekrutierungspraxis und die Politisierung der wissenschaftlichen Disziplinen gewährleisten sollten. In diesem Kapitel sollen Überblickshaft die allgemeinen Maßnahmen sowie ihre spezielle Umsetzung und unmittelbare Auswirkung an der Universität München dargestellt werden.

L Ziele und Konzeptionen Die tiefgreifende Wirkung dieser Maßnahmen, die die Hochschulen in ihren Grundfesten erschütterten, legt die Frage nahe, ob und inwieweit diese Politik der Jahre 1933 und 1934 zielgerichtet war, einem klaren Konzept folgte und in entsprechenden Plänen angelegt und vorgezeichnet war.

1. Zur nationalsozialistischen Hochschulpolitik

Neben den Hochschulangehörigen, die 1933 von der propagierten Aufbruchstimmung erfaßt wurden bzw. sich anstecken ließen und die "nationale Erneuerung" mit gewissen Erwartungen auch für den Hochschulbereich verbanden, gab es nicht wenige, die der Entwicklung mit Skepsis entgegensahen. Allen gemeinsam war eine beträchtliche Unsicherheit im Hinblick auf das, was auf die Hochschulen zukommen würde. Und selbst diejenigen, die sich mit dieser Frage ernsthaft beschäftigten, entwickelten kaum Vorstellungen, die sich mit der kommenden Realität annähernd deckten.

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B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933 - 1935

Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, daß 1933 kein konkretes hochschulpolitisches Programm der Nationalsozialisten vorlag, 1 an dem man sichmit seinen Hoffnungen und Befürchtungen - hätte orientieren können. In der Strategie der NSDAP blieben die Hochschulen in der Weimarer Zeit - trotz aller Erfolge im studentischen Bereich - ein Nebenkriegsschauplatz des Kampfes um die Macht. Distanz und Verständnislosigkeit prägten das Verhältnis zwischen den Hochschulen und der Partei. Der niedere Stellenwert der Hochschulen im politischen Kampf der Partei war auch von einer anhaltenden Geringschätzung all dessen begleitet, was mit Wissenschaft und geistiger Arbeit und mit Intellektuellen und Akademikern verbunden war. Gerade die Ergebnisse der Parteiensoziologie2 zeigen, daß in der vom Mittelstand dominierten, aber doch eine "sozial heterogene Gruppe"3 darstellenden und auf die Gewinnung vor allem der Arbeiterschaft zielenden Partei Akademikern und Intellektuellen mehr als eine Randstellung nicht zukam. Die Politik der Partei richtete sich auf ganz andere Wählerschichten, und die Ressentiments der meisten Parteimitglieder, vor allem der nicht gerade zu den Gebildeten zählenden "alten Kämpfer" gegenüber den Akademikern und Intellektuellen- das Wort wurde zum Schimpfwort- hielten sich während des ganzen Dritten Reiches. ,,Antiintellektualismus" war ein Grundelement der Propaganda. Eine Betrachtung wesentlicher Punkte der NS-Ideologie, der Entstehung und Ausbreitung der Partei, der Ziele und Adressaten der NS-Politik, der Mitgliederstruktur und des Mitgliederverhaltens und nicht zuletzt der Biographien der Parteiführer führt schließlich zum Ergebnis, daß Hochschule und Wissenschaft den Nationalsozialisten fernstanden und weitgehend fremd blieben und sich ihnen nie so recht erschlossen. Zu dieser Hochschulfeme - und fremdheit4 des Nationalsozialismus kam als grundsätzliches und letztlich nicht lösbares Problem der unversöhnliche Ge-

1 Maier 73, mit Einschränkungen auch Seier, Universität und Hochschulpolitik 143 und 149. Vgl. auch Adam, Univ. Tübingen 11 f.; Kotowski 209- 223; Kleinherger 9- 30; Möller 65- 76. 2 Aus der Reihe der einschlägigen Arbeiten, insbesondere von Bracher, Broszat, Falter, Kater, Schäfer, Tyrell, Winkler seien genannt: Schäfer, W.: NSDAP. Entwicklung und Struktur der Staatspartei des Dritten Reiches. Hannover 1956; Kater, M.H.: Zur Soziographie der frühen NSDAP, in: VZG 19 (1971), 124 - 159; Winkler, H.A.: Extremismus der Mitte. Sozialgeschichtliche Aspekte der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: VZG 20 (1972), 175 - 191; ders.: Mittelstandsbewegung oder Volkspartei? Zur sozialen Basis der NSDAP, in: Schieder, W. (Hg.): Faschismus als soziale Bewegung. Harnburg 1976, 97- 118; Broszat, M.: Zur Struktur der NS-Massenbewegung, in: VZG 31 (1983), 52- 76; Falter, J.W.: Hitlers Wähler. München 1991. 3 Schäfer 90. 4 Kotowski (209) spricht von der "Universitätsfremdheit der Partei".

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gensatz zwischen der totalitären NS-Ideologie mit dem Anspruch auf Beherrschung aller Lebensbereiche und dem Postulat einer freien, der Wahrheit und Objektivität verpflichteten Wissenschaft. Das Konglomerat der NS-Weltanschauung5 ist wissenschaftlich nicht begründbar6 und nicht einmal als Ausgangsbasis für wissenschaftliches Denken und Arbeiten geeignet.7 Von seiten der Partei wurde denn auch eine wissenschaftliche Fundierung gar nicht angestrebt, und wo einzelne, etwa Mitglieder des NSDStB8 oder später nationalsozialistische Professoren, diesbezügliche Versuche starteten, mußten sie scheitem,9 sofern sie nicht schon vorher gestoppt worden waren. Da die NS-Weltanschauung einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten konnte, mußte auch schon deswegen der Nationalsozialismus in der Wissenschaft einen gefährlichen Feind sehen.l0 So hat auch die grundsätzliche Unvereinbarkeit von freier, objektiver Forschung und Wahrheitssuche und einer inhumanen, dogmatischen Ideologie der Tat dem Verhältnis des Nationalsozialismus zu Hochschule und Wissenschaft von Anfang an Grenzen gesetzt und die Herausarbeitung einer Wissenschaftstheorie sowie die Herausstellung eines klaren Hochschul- und Wissenschaftsprogramms verhindert. Aus der NS-Ideologie war ein solches keinesfalls abzuleiten, ll und im Programm der NSDAP kommen die Begriffe "Hochschule" und "Universität" gar nicht vor. Im Punkt 20 werden lediglich der Ausbau des Volksbildungswesens gefordert und dabei der Praxisbezug und soziale Aspekt betont. Abgesehen davon, daß das unverändert gebliebene Parteiprogramm von 192012 im Jahre 1933 bereits überholt war, hatte es für Hitler nur funktionale Bedeutung zur Integration der Gefolgschaft, aber keinen verbindlichen Charakter.13 Es war für Hitlers Taktik Mittel zum

5 Dazu neben den Arbeiten von Nolte z. B. Pelinka, A.: Die Wurzeln der nationalsozialistischen Ideologie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 22/1979, 25- 31. 6 Die Mindestanforderungen hinsichtlich der Prämissen sowie der gedanklichen Einheit und der Systematik waren bei dieser eklektizistischen Ideologie nicht gegeben. 7 Kotowski 217. 8 Vgl. dazu Kater, Studentenschaft, hier insbes. 180 ff. Die dort (184) zitierten Sätze des NSDAP-Gaugeschäftsführers von Oberbayern an einen NS-Studenten sind bezeichnend: "... Der Nationalsozialismus ist nicht wissenschaftlich zu erfassen. Wer nicht fühlt, daß die nationalsozialistische Idee wichtig ist, wird sie nie begreifen... " 9 Dies war eine Erfahrung, die viele Professoren, z. B. Juristen, machen mußten. Der "Maßnahme-Staat" wollte sich nicht kodifizieren lassen. 10 Vgl. Jaspers. ll So auch Seier, Universität und Hochschulpolitik 149. 12 Abgedruckt u. a. bei Jakobsen, H.A./Jochmann, W. (Hg.): Ausgewählte Dokumente zur Geschichte des Nationalsozialismus, 1933- 1945. Sielefeld 1961, 63. 13 Dazu Jäckel, E.: Hitlers Weltanschauung. Stuttgart 1981, 79 ff., hier 84- 86: Die Leitsätze seien, so Hitler in "Mein Kampf', dazu "bestimmt, in erster Linie dem Mann aus dem Volk ein grobes Bild des Wollens der Bewegung zu geben", das Programm habe "Rücksicht auf psychologische Momente nehmen" müssen, und "für die große Zahl der Anhänger wird

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Zweck geworden, und diesen Zweck bestimmte Hitler allein. Zeitlebens von Ressentiments gegenüber Akademikern erfüllt, ließ er immer wieder seine Abneigung gegenüber der Wissenschaft und seine Verachtung der Intellektuellen erkennen. 14 Über den Stellenwert der Universität und Wissenschaft äußert sich Hitler unmißverständlich in "Mein Kampf': "Auch in der Wissenschaft hat der völkische Staat ein Hilfsmittel zu erblicken zur Förderung des Nationalstolzes."15 Im Vordergrund stand die Erziehungsarbeit, und hier wiederum sollten die Ausbildung des Körpers und die Entwicklung des Charakters Vorrang haben vor dem geistig-intellektuellen Bereich.l6 Hochschule und Wissenschaft lagen nicht im Blickfeld Hitlers. Wenn die einzelnen Programmpunkte der Partei allgemein und unverbindlich blieben, so galt dies im besonderen für den Bereich der Hochschule und Wissenschaft. Das bedeutete freilich nicht den Verzicht der Partei darauf, die Rassenpolitik und NS-Weltanschauung auch im Bereich der Hochschulen durchzusetzen, wenn es die machtpolitischen Verhältnisse gestatteten.17 Auch im Umfeld der Parteiführung gab es kaum konkrete Aussagen, sieht man von den recht allgemeinen Ausführungen von Alfred Bäumler und Alfred Rosenberg18 und den vom NSDStB und einzelnen Parteifunktionären vorgetragenen Forderungen nach Entfernung der Juden ab. Am ausführlichsten äußerte sich vor 1933 noch der Pädagoge und Autodidakt Ernst Krieck, der Außenseiter, der nie so recht Anerkennung finden konnte bei den Kollegen an den Hochschulen, dessen Schriften stark biographisch bedingt waren und eine differenziertere Betrachtung verdienten, als es zu seiner Zeit geschah.l9 Er entwickelte originelle, aber auch frühere Tendenzen aufgreifen-

das Wesen unserer Bewegung weniger im Buchstaben unserer Leitsätze liegen, als vielmehr in dem Sinne, den wir ihnen zu geben im Stande sind". 14 Vgl. dazu u. a. Picker, H.: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. 3. Aufl Stuttgart 1976. Zur Erklärung könnte auch Hitlers Biographie herangezogen werden. Hitler haßte die führenden Schichten der traditionellen Eliten, ihm fehlte jede Beziehung zu Hochschule und Wissenschaft, engen persönlichen Kontakt mit Hochschullehrern hatte er ebenfalls nicht. 15 Hitler, Mein Kampf. 415/416. Aufl München 1939, 473. 16 Ebd. 452: "Der völkische Staat hat ... seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dazu die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlußkraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als letztes die wissenschaftliche Schulung." 17 So nannte Hitler 1930 als Handlungsmaximen die Säuberung des Lehrkörpers von "marxistisch-demokratischen Erscheinungen", die Anpassung der Lehrpläne an die nationalsozialistische Weltanschaung und die Errichtung eines Lehrstuhls für Rassenfragen (hier nach Adam, Univ. lübingen 12). 18 Rosenberg, Der Mythos des 20. Jahrhunderts. 19 Siehe dazu die Biographie E. Kriecks von G. Müller.

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de Refonnansätze,20 entwarf als einziger vor 1933 präzisere Vorstellungen von einer künftigen völkischen Hochschule und Wissenschaft, plädierte für die einheitliche Ausrichtung auf eine verbindliche Weltanschauung21 und lieferte in seiner "Nationalpolitischen Erziehung"22 schon 1932 die Parolen, die gerade von den Nationalsozialisten gerne gehört, vielfach mißverstanden und nicht selten bewußt mißbraucht und zweckentfremdet wurden. So geschah es auch mit dem Begriff der "politischen Erziehung",23 der ebenso ambivalent blieb wie viele Begriffe von Krieck, der manch Gegensätzliches zu vereinbaren suchte, der z. B. der "liberalistischen" Wissenschaftskonzeption eine Absage erteilte, aber am Postulat der Freiheit der Wissenschaft festhielt,24 der die Wissenschaft dem nationalen, - das hieß auch nationalsozialistischen - Erziehungsauftrag verpflichtet, aber deshalb nicht abhängig sehen wollte. 25 Besondere Beachtung freilich fand auch Krieck mit seinen Reformüberlegungen vor und nach 1933 weder bei der Parteiführung noch in der Öffentlichkeit. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Die Hochschulen waren vor 1933 nur ein Nebenkriegsschauplatz für die Nationalsozialisten, das Terrain von Hochschule und Wissenschaft blieb ihnen weitgehend fremd. Diese Hochschulfremdheit und Wissenschaftsfeme trug dazu bei, daß ein präzises, klar umrissenes Programm nicht entstand und eine verbindliebe Wissenschaftstheorie nicht entwickelt wurde. Nach den vorliegenden, z. T. widersprüchlichen und recht unsystematischen Verlautbarungen vor 1933 konnte man mit folgenden hochschulspezifischen Maßnahmen rechnen:

20 Z. B. war er für die Abschaffung der Ordinarienuniversität, auch der Fakultäten, eine Zerlegung in selbständige Berufshochschulen und für die Verlegung der Forschung an die Akademien; vgl. die entsprechenden Passagen bei G. Müller 368 ff. 2! Von der nationalpolitischen Aufgabe sollten die Hochschulen ihre Fragestellungen erhalten. 22 Krieck, E. : Nationalpolitische Erziehung. 14. - 16. Autl. Leipzig 1933. 23 G. Müller 361 ff.; Krieck, Nationalpolitische Erziehung 95. 24 Er erklärte das Zeitalter der "reinen Vernunft", der "voraussetzungslosen" und "wertfreien" Wissenschaft für beendet, wollte aber die Wissenschaft "nicht auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt" wissen, denn "sie hört auf, Wissenschaft zu sein, wenn sie von vomherein auf fertige, angebliche Wahrheiten festgelegt würde" (Nationalpolitische Erziehung 1 u. 164). 2S Die staatliche - personelle - Lösung dieses Problems nach 1933 hat Krieck indirekt vorgezeichnet: "Nicht die Wissenschaft also ist zu binden, wohl aber ihre Träger und Lehrer: an deutschen Hochschulen sollten nur wissenschaftlich befähigte Männer forschen und lehren, die mit ihrer ganzen Persönlichkeit auf die Nation, auf das völkische Weltbild, auf die deutsche Aufgabe sich verpflichtet haben." (Nationalpolitische Erziehung 165).

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- einer Säuberung des Lehrkörpers nach politischen und Rassegesichtspunkten (Schaffung eines neuen Hochschullehrertyps); - einer Kampfansage an die freie, durch Wahrheit, Objektivität und Wertfreiheit geprägte Wissenschaft, die als "liberalistische" Wissenschaft von einer politischen Wissenschaft "im Dienste der Volksgemeinschaft" abgelöst werden sollte (Propagierung eines neuen Wissenschaftsbegriffs); - einer Verlagerung des Schwergewichts auf die Erziehung in strenger Orientierung an den völkischen Prinzipien (Erziehung eines neuen Studententyps). Trotz dieses konzeptionellen Defizits wurden wie andere Institutionen und Bereiche des gesellschaftlichen Lebens 1933 auch die Hochschulen rasch von der geballten Kraft der gesamten NS-Politik erfaßt, die nicht auf einzelne Bereiche begrenzt war: von der Beamten- und Rassenpolitik ebenso wie von der allgemeinen Gleichschaltung, der Politik der Wehrhaftmachung (SADienst), der politischen Auslese und totalen Erfassung bis zur Arbeitsmarktpolitik mit der Reduzierung der Studentenzahlen. 2. Die Reformdiskussion nach der Machtergreifung

a) Überblick Richtungen und Motive

Die auch bis zum Ende der Weimarer Republik nie abreißende Diskussion um die Reform und Neugestaltung der Hochschule wurde nach der Machtergreifung aufs neue entfacht26 und erreichte ein Ausmaß,27 das nur aufgrund der besonderen - durch Erwartungen, Befiirchtungen und Unsicherheiten gekennzeichneten - Verhältnisse dieser Monate zu verstehen ist. Der arg strapazierte Reformbegriff, der sich bisher auf die sachliche Lösung von Detailfragen wie z.B. Studentenrechtsproblemen bezog, erfuhr eine politische Akzentuierung und Ausweitung ins Allgemeine. Reform wurde zum Schlagwort, unter dem man nun primär die politische Neugestaltung der gesamten Hochschule verstand. Obwohl von verschiedenen Seiten mit recht unterschiedlicher Motivation und Intention geführt, wurde die rasch ausufernde Reformdebatte bald

26 Dazu allgemein Giles, Die Idee der politischen Universität; Seier, Universität und Hochschulpolitik 149 ff. 27 Man sei "auf dem besten Wege, die politische Universität zu zerreden", warnt der Studentenfunktionär Klaus Schickert (Sinn und Unsinn auf dem Wege zur politischen Universität 25).

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von nationalsozialistischen Positionen eindeutig dominiert.28 Da gab es solche, die durch partielle Anpassung und pauschale Zustimmung für die Hochschulen wichtige Positionen zu retten suchten, da gab es neben reinen Opportunisten diejenigen, die die Gunst der Stunde nützen und dem schon lange für richtig Erkannten zum Durchbruch verhelfen bzw. für ihr Fach Verbesserungen herausschlagen wollten, und da waren schließlich die ausgewiesenen Nationalsozialisten, die jetzt ihre Stunde gekommen sahen, alleine die Richtung bestimmen und andere Positionen nicht gelten lassen wollten. Die unterschiedlichen, manchmal auch widersprüchlichen, vielfach beziehungslos nebeneinander stehenden und wegen mangelnder Begriffsklarheit meist schwer zu fixierenden Anregungen schlugen sich in einer Flut von Aufsätzen, kleineren Publikationen und Zeitschriftenartikeln29 nieder, in denen sich frühere Reformvorschläge30 mit genuin nationalsozialistischen Vorstellungen mischten.31 Während eine noch relativ konservative Richtung, vertreten durch Autoren wie Adolf Rein, Hans Freyer, Hans Heyse und Maximilian Weller,32 versuchte, traditionelle Werte und Modelle mit der von der neuen Zeit gebotenen Politisierung der Hochschulen zu verbinden, und auch entschiedenere Verfechter der nationalsozialistischen Hochschule glaubten, auf hergebrachte Prinzipien nicht verzichten zu müssen,33 bezogen die NS-Studenten eine radikale, den traditionellen Wissenschaftsbegriff ablehnende und auf totale Umgestaltung der Hochschule zielende kompromißlose Position, bekämpften vordergründige, nur verbale Anpassung34 und beanspruchten gegenüber den Professoren das Monopol bei der Umgestaltung der Hochschulen.35

28 Dies wird auch von seiten nationalsozialistischer Hochschullehrer bestätigt: "Schon wenige Wochen nach der Machtergreifung zeigt sich im Schriftturn über die Universität eine entscheidende Wendung ... aus dem Kampf aller gegen alle scheiden nunmehr die Stimmen der Zersetzung und des Niedergangs aus. Die konstruktive Kraft sammelt sich in die vorn Nationalsozialismus gewiesene Richtung." (Weinhandll24). 29 Zu nennen sind insbesondere Ernst Kriecks Zeitschrift "Volk im Werden", ferner "Der deutsche Student", das Organ der DSt, und die "Nationalsozialistische Erziehung", das Mitteilungsblatt des NS-Lehrerbundes. Einschlägige Beiträge finden sich auch in der von der DSt herausgegebenen "Akadernische(n) Korrespondenz", insbes. in den Ausgaben vorn 10. 3. und 12. 4. 1933. 30 Vgl. oben ( A. I. 1.). 31 Ein diesbezüglicher Hinweis findet sich auch bei Weller (8), der "mit der Umgestaltung im NS-Sinne zugleich auch eine Lösung der allgernein beklagten Unvollkommenheiten bieten" will. 32 Insbesondere die programmatisch klingenden Publikationen von Rein (Die Idee der politischen Universität) und Freyer (Das politische Semester. Ein Vorschlag zur Universitätsreform) fanden großen Anklang. 33 Dazu kann auch E. Krieck gezählt werden; vgl. Seier, Universität und Hochschulpolitik 150. 34 Beflissene Dozenten würden "eiligst Broschüren wie Pilze aus der Erde wachsen" lassen, "um sich damit aufbillige Weise an die Spitze der Wissenschaftserneuerung empor-

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Grundvorstellungen von Hochschule und Wissenschaft

Obwohl die einzelnen Vorschläge sich hinsichtlich Qualität und Praktikabilität z. T. stark unterscheiden,36 lassen sich immer wieder bestimmte Grundforderungen erkennen. Selbstverständliches Ziel ist für die meisten die "völkisch-politische Universität"37 oder einfach die "politische Universität", die "auf die Wirklichkeit des Staates bezogen ist".38 Die aus der Weimarer Zeit bekannten Klagen über den Relativismus der Wissenschaften und die infolge der Spezialisierung verlorene Einheit führten zur entschiedenen Forderung nach einer "einheitlichen Sinnrichtung"39 , nach einer "alles durchflutenden ldee"40 , wie man sie in der NS-Weltanschauung voiZUfinden glaubte. Eine einheitliche Weltanschauung sollte der Wissenschaft wieder Halt geben, wie eine Klammer die auseinanderstrebenden Disziplinen zusammenhalten und die angeblich bedrohte Einheit der Universität garantieren. Bei der Erbauung eines gemeinsamen Daches glaubten einige - freilich in Verkennung der Realitäten der Philosophie eine besondere Rolle "als integrierender Bestandteil der deutschen Universität"41 zudenken zu müssen. Im übrigen wurden die Gemein-

zuschwingen" (W. Spengler, in: Volk im Werden 2 (1934), 463). - "Jeder filhlt sich bemüßigt, den alten Geist mit der Farbe politisch anzustreichen", obwohl bei einigen "die geistige Haltung die alte geblieben, nur der Wortschwall ein anderer geworden" sei und "die Konjunkturritter sich eine Rüstung neuer Worte angelegt haben und anfangen, die Fronten zu verwirren, unsere Front von innen her zu unterhöhlen, die Politik zu verwässern und die Geschehnisse zu verharmlosen." (Schickert 22). 35 Schickert 2S: "Wir sind auf Werke von Professoren, die ihr Fachgebiet aus dem Geist unserer Zeit behandeln, gespannter, als auf neue Reformpläne. Sonst laufen wir Gefahr, statt politischer lauter politisierende Professoren zu bekommen." 36 Auch viele Unberufene beteiligten sich an der Debatte. Herangezogen werden hier meist nur Beiträge aus dem Jahre 1933, z. T. auch 1934. Auf eine genaue ideologische Einordnung und zeitliche Fixierung muß ebenso verzichtet werden wie auf Erläuterungen zur Entstehungssituation und zu den einzelnen Autoren. Einige diesbezügliche Hinweise finden sich bei Giles, Die Idee der politischen Universität; bei Heiber, Universität 11.1, 43S ff., 450 ff. (Krieck), S II ff. (Rein), sowie für Rein in dem von Krause u.a. hg. Hamburger Sammelband (Hochschulalltag im "Dritten Reich"), z.B. 42 f., S4S f., 881 f. 37 Krieck, Der Neubau der Universität 3. 38 Rein 34. Geschrieben wurde das Buch von Rein bereits 1932. 39 Krieck, Der Neubau der Universität. Weitere diesbezügliche Ausdrücke waren u.a. "gemeinsame Grundlage", "tragende Idee", "verpflichtendes Ziel". 40 Rein 19. 41 So Freyer 13. Ders. (12): "An dem Tag, an dem an der deutschen Universität nicht mehr philosophiert würde, ... wäre die Universität wert, an allen vier Ecken angezündet zu werden. "Die Bedeutung der Philosophie als gemeinsames Dach wurde gerade für die Fachhochschulen und Technischen Hochschulen herausgestellt, z. B. auch von E. Krieck (Allgemeinbildung und Technische Hochschule, in: Volk im Werden 1(1933), H S, 19).

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schaft42 und Einheit der Hochschule stark betont, vor allem studentisches Gemeinschaftsleben gefordert, aber auch generell der Gedanke der "universitas magistrorum et scolarium"43 immer wieder herausgestellt. Prinzipiell verworfen wurde der "liberale" bzw. "liberalistische" Wissenschaftsbegriff,44 an dessen Stelle die völkisch gebundene Wissenschaft zu treten hatte. So sehr man einerseits die Wissenschaft der völkischen Zielsetzung unterwerfen wollte, so sehr betonte man andererseits den nötigen Freiraum für die Wissenschaft.45 Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft und gleichzeitige weltanschauliche Bindung hätte die Quadratur des Kreises bedeutet, die vorläufig nur verbal in gewagten Deutungen und dialektischen Fassungen des Freiheitsbegriffs zu bewältigen war. 46 Denn gänzlich verwerfen wollten den Begriff der Wissenschaftsfreiheit nicht einmal überzeugte Nationalsozialisten und Vertreter der Partei.47 Eine parteiamtlich verordnete Wissenschaft schien eben doch ein "Widerspruch in sich selbst"4 8 zu sein. Für eine Wissenschaft, die sich ihrer völkischen Ausgangsbasis und Zielsetzung bewußt sein müßte, konnte es nur mehr einen geringen Spielraum geben. So vermochte denn auch keiner der Autoren eine überzeugende und schlüssige Wissenschaftskonzeption zu erstellen. Der jeweils vorgestellte Wissenschaftsbegriff blieb verschwommen und auch bei Wortführern wie Krieck und Rein49 höchst ambivalent und für eine recht beliebige praktische Ausführung offen.

42 So v. a. bei Mannhardt, Hochschulrevolution. Zur Hochschule als "Gemeinschaft der Wissenden im Dienst für das Volk" siehe Bran, hier 399. 43 E. Krieck, in: Volk im Werden 1(1933), H. 4, 25. 44 Die "voraussetzungslose" Wissenschaft mit ihrer "Scheinobjektivität", die Wissenschaft der "Stoffsammelnden Epoche" (Haupt, J.: Freie Forschung im Dritten Reich, in: Volk im Werden 1(1933), H. 2, 1). 45 Die völkische Wissenschaft als "unabhängige Wissenschaft innerhalb des Systems der nationalen Kultur", wie Bäumler es formuliert (hier nach Weinhand1225). 46 Nach Minister Frick (Rede vom 29. 1. 1934) sollte z. T. die wahre Autonomie und Freiheit der Wissenschaft darin liegen, "geistiges Organ der im Volke lebendigen Kräfte und unseres geschichtlichen Schicksals zu sein" (hier nach Weinhandl 128). Die Freiheit der Wissenschaft bestand letztlich darin, dem Nationalsozialismus zu dienen. 47 Vgl. Reden von Minister Rust 1935 (Heidelberger Reden) und 1933, z. B. am 6. 5. 1933: Rust bekennt sich zur geistigen Freiheit und Freiheit der Persönlichkeit des geistig Schaffenden und zur Synthese von freier Forschung und "nationaldeutscher" Weltanschauung. 48 So Walter Frank (Zukunft und Nation. Harnburg 1935, 17). Wissenschaft lasse sich nicht "in gleichförmiger Weise einer allgemeinen Regelung unterwerfen", weil "solches dem deutschen Wesen widerspricht" (Glockner 10). 49 "Die Wissenschaft kann nicht kommandiert werden, weder von oben noch von unten. Das Prinzip der Freiheit wird also in dieser Beziehung in der politischen Universität keineswegs geopfert, wenn nur der Gedanke einer wurzellosen, einer voraussetzungslosen heiheit ausbleibt, die jeder Willkür, jeder Subjektivität, jeder Beliebigkeit und jeder Nichtigkeit Raum gewährt." (Rein 31).

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Anforderungen an Professoren und Studenten, an Inhalte und Formen der Lehre Die meisten Beiträge kreisen um die politische Universität, den politischen Menschen,50 d. h. den erstrebten nationalsozialistischen Professor und Studenten. Das Hauptaugenmerk wurde auf die Erziehung der Studenten gelegt, bei der verschiedene Gemeinschaftsformen, v. a. der männlichen Jugend,Sl favorisiert wurden. Dem allgemein befürworteten Ausleseprinzip entsprechend sollten ungeeignete Personen von den Hochschulen ferngehalten werden, z. B. diejenigen, "welche den Kern ihrer Arbeit nicht aus der Substanz des deutschen Staates haben ".52 Die Säuberung der Hochschulen von jüdischen und politisch unerwünschten Professoren und Dozenten fand in fast allen Beiträgen die volle Rechtfertigung. 53 Vom Hochschullehrer wurden neben wissenschaftlichen und pädagogischen Fähigkeiten vor allem Führereigenschaften54 , ferner Instinkt und Tatbereitschaft gefordert. 55 In Anlehnung z. T. auch an frühere Reformforderungen wurden im Vergleich zur wissenschaftlichen Ausbildung eine stärkere Betonung von Bildung und Erziehung56 , von studentischer Seite "volkstümlichere Kollegs"57 sowie eine mehr berufsbezogene Ausbildung verlangt. Die Reform sollte auch die einzelnen Disziplinen erfassen, die an den Notwendigkeiten des Staates sich orientieren und eine Steuerung vom Staatswohl her erfahren sollten. Bestimmte Fächer wie Geschichte, Vorgeschichte, Biologie, Volkskunde, Rassenkunde sollten aufgewertet werdenss und eine besondere Rolle im "Lehrplan" spielen. Neben der Berücksichtigung völkischer

so So z. B. auch Rein, Freyer und Krieck. Sl Dazu v. a. Mannhardt; ferner, z. B. mit Überlegungen zur Einschränkung des Frauen-

studiums: Schacht, H.: Über das Bildungsziel der Frau, in: Volk im Werden 1(1933), H. 2, 40 -46. 52 Rein 34. 53 Es galt als "selbstverständlich, daß nur ein Deutscher an deutschen Universitäten deutsche Wissenschaft lehren kann" (Haberland, H.F.D.: Nationalsozialismus und Hochschule, in: Volk im Werden 1(1933), H. 1, 35 - 40). 54 Ebd. 55 Siehe Spengler, W.: Wissenschaftslage und Grundtugenden des Hochschullehrers im nationalsozialistischen Staat, in: Volk im Werden 2(1934), 463 - 468. Hier wird ein zehn Punkte umfassender "Tugendspiegel" des Hochschullehrers im NS-Staat entwickelt. 56 Allgemein Glocknerund Weller 14. 57 z. B. Utermann, W.: Politische Wissenschaft, in: Volk im Werden 2(1934), 152- 154. 58 Diese sog. "Deutschwissenschaften" sollten ausgebaut werden (Teske, H.: Nationale Bildungs- und Erziehungsarbeit an den Universitäten, in: Volk im Werden 1(1933), H. 2, 11).

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und rassischer Gesichtspunkte wird der Erziehung zur Wehrhaftigkeit59 große Bedeutung beigemessen. Eine Erziehung aus dem "Geist der Kolonne"60 sollte aus dem Studenten den politischen Soldaten machen.6t Aber nicht nur für die Studenten, auch für die Professoren wird die Einheit von politischer, geistiger und soldatischer Haltung angestrebt.62 Innerhalb einer solchen "kämpfenden, soldatischen, militanten Wissenschaft"63 mußte auch das Fach "Wehrwissenschaft" eine zentrale Stellung einnehmen.64

Vorschläge zur institutionellen Verankerung Nur wenige der recht allgemein gehaltenen und von Phrasen und politischen Bekenntnissen getragenen Vorschläge zielten auf eine institutionelle Verankerung oder beinhalteten konkrete Anleitungen zur unmittelbaren Umsetzung. Vor allem aus der allgemeinen Forderung nach zuverlässiger politischer Erziehung der Studenten ergaben sich einige anwendungsbezogene Modelle, die im wesentlichen auf eine entsprechende organisatorische Erfassung und Erziehung der ersten Semester abzielten. So entwickelte Adolf Rein in seinem im Frühjahr 1933 veröffentlichten Buch "Die Idee der politischen Universität" auch65 einen strukturellen Reformvorschlag: Die "politische Fakultät" sollte als "Fachgemeinschaft der politisch bedeutsamen Disziplinen"66 wichtige Fäche~7 zur Optimierung der politisch gebundenen Lehre und Forschung zusammenfassen. Maximilian Welle~8 forderte die "deutschkundliche Fakultät", eine "Vorfakultät", durch die alle Studenten vor Aufnahme ihres Fachstudiums gehen sollten. Das zwei- bis viersemestrige Studium in dieser Fakultät sollte mit

59 Krieck, E. : Dieneueren Aufgaben der Hochschule, in: Volk im Werden 1(1933), H. 4,

25).

Mannhardt, Universität und Nationalsozialismus 39. Feickert 34. 62 So bei Heyse. 63 So E. Krieck (Volk im Werden 2(1934), 223 und 183 f.). 64 Vgl. z. B. Schmitthenner, P.: Die Wehrkunde und ihr Lehrgelände, in: Volk im Werden 1(1933), H. 3, 34 - 36. Auch die Bedeutung der wissenschaftlichen Ergebnisse im Hinblick auf die militärische "Verwendungsfähigkeit" wird in derselben Zeitschrift angesprochen. 65 In erster Linie ging es auch Rein um eine ideelle, haltungsmäßige Reform. V gl. Giles, Die Idee der politischen Universität 51 -53. 66 Rein 37 f. 67 Z. B. Staatsphilosophie, Rechtswissenschaft, Geschichte, Germanistik, Volkskunde, Volkswirtschaft, Geographie, Anthropologie und Hygiene. 6& Weller 16 f. 60 61

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einer "deutschkundlichen" Prüfung in den von den Nationalsozialisten bevorzugten Fächem69 abgeschlossen werden. Wilhelm Mannhardt, der in seinem ebenfalls 1933 erschienen Buch "Hochschulrevolution" auf die Gemeinschaftserziehung setzte,70 schlug in ähnlicher Weise eine Akademie als untere Stufe der Universität vor, in der die ersten Semester in Internaten (Bursen) zusammenwohnen sollten.71 Hans Freyer72 schließlich wollte alle Studienanfänger durch ein obligatorisches "politisches Semester" hindurchführen, das als "Querbalken" die Vielzahl der Fachstudien verbinden sollte und in dem bestimmte Vorlesungen verpflichtend sein sollten.73 Vorschläge dieser Art74 waren den NS-Studenten nicht radikal genug, weil sie zu sehr an die traditionellen staatsbürgerlichen Vorlesungen erinnerten und - so die Kritik - nicht auf die totale nationalsozialistische Durchdringung zielten.75 Auch die Vorschläge für strukturelle Änderungen blieben recht allgemein und ließen die Frage der Praktikabilität meist ungeprüft. Konkreter und ausführlicher und auf Durchführbarkeit abgestellt war ein von Rostocker Dozenten der "Reichsfachschaft Hochschullehrer und Wissenschafter im NS-Lehrerbund" angefertigter Entwurf eines "Sofort-Programms" für das von Freyer propagierte "Politische Semester"76 , der die Zusammenfas69 Z. B. Rassenkunde, Kulturgeschichte und Kulturkunde, Deutsche Geschichte, Deutsche Vorgeschichte, allgemeine Grundzüge der Wehrwissenschaft, Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung, körperlich-technische Fächer sowie allgemeine politische Geschichte des deutschen Volkes "im Lichte der Rassenforschung und unter Widerlegung aller volksverdrehender Strömungen, nicht 'objektiv', sondern im deutschen Sinne stellungnehmend und wertend" (Weller 23). Vgl. dazu auch den Vorschlag einer für alle Studenten vor Abschluß des Studiums verpflichtenden deutschen Bildungsprüfung bei Glockner. 70 Mannhardt 39 ff. 71 Siehe Giles, Die Idee der poltitischen Universität 53 u. 54. Einem zweijährigem Gemeinschaftsleben in Gruppen von 25 - 30 Mann und einem Jahr in der "Praxis" sollte sich die obere Stufe des Studiums in der Universität anschließen. 72 Freyer, Politische Semester. 73 Es sollten "weder wissenschaftliche Vorlesungen im herkömmlichen Sinne des Wortes noch patriotische Predigten im Sinne des vaterländischen Unterrichts der Kriegszeit" sein. Ihr Ziel war, "1. den Sinn für die Normen politischer Größe zu wecken; 2. den Blick für die Dynamik des politischen Geschehens zu schulen; 3. die Tatsachengrundlagen für ein vertieftes Verständnis der politischen Lage Deutschlands zu gewinnen" (Freyer 22, hier nach Giles 55). 74 z. B. der Vorschlag von Teske (s. oben), im Rahmen eines "Deutschen Instituts", zu dem die Lehrer der "Deutschwissenschaften" zusammentreten sollten, obligatorische Vorlesungen über allgemein-politische Themen abzuhalten und das Ergebnis in einer "BildungsPrüfung" abzufragen. 15 So Schickert. 76 Abgedruckt in: Nationalsozialistische Erziehung Nr. 15 vom 10. 8. 1933 (271) mit Forts. in Nr. 16. Dahinter stand Professor Franz Bacher, der spätere Referent im Reichserzie-

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sung der Studierenden in Gemeinschaften, "in Gruppen mit soldatischer Zucht"77 , die Organisation der Dozenten unter einem Führer und die Einfiihrung eines neuen "Lehrsystems" mit einerneuen Stoffgliederung7a vorsah und damit v. a. im Bereich der studentischen EIZiehung einige Punkte enthielt, die später in ähnlicher Form - z. B. in der KameradschaftseiZiehung - Realität wurden. Ebenfalls aus dem NS-Lehrerbund stammte ein "Entwurf einer Hochschulreform"79, der die vielen Einzelvorschläge aufnahm80 und als einer der ersten Versuche eines Gesamtentwurfs zu sehen ist. Die "EIZiehung zum nationalsozialistischen Deutschen mit wissenschaftlicher Berufsbildung", die - auf einer eingeschränkten Lehrfreiheit beruhende - "Forschung und Lehre zur Förderung der Nation", die "berufsständische Eingliederung der Hochschullehrer ... in den neuen Staat" gehörten ebenso zu den - bereits betonten - Grundsätzen wie das zur selben Zeit Realität werdende Führerprinzip, die "Verknüpfung von Führerturn mit Selbstverwaltung und akademischer Freiheit".ll Dieser zwar nicht offizielle, aber doch aus dem Bereich der Partei stammende, relativ späte und mit den ersten hochschulpolitischen Maßnahmen zusammenfallende Entwurf ließ immerhin in einigen Punkten82 bereits erkennen, was hungsministerium (vgl. auch Univ. Rostock 241 und 260). Das politische Semester als "geistige Fortsetzung des körperlichen Arbeitsdienstes" sollte keine "Vorschule minderen Ranges" sein; die Zusammenfassung zu einer "politischen Fakultät" wird abgelehnt. 77 Gemeinsames Wohnen und Essen, gemeinsamer Besuch der Pflichtvorlesungen und Übungen und geschlossenes Auftreten bei Sportveranstaltungen. 78 Sie war als Anregung gedacht. Der aufgesteHe "Semester-Wochenplan" umfaßte neben den Wahlfächern vier Bereiche mit einem detaillierten Vorlesungsprogramm: "Biologischer Lehrgang" (Bevölkerungspolitik, Vererbungslehre, Rassenbiologie, Rassenkunde, Bevölkerungslehre, Rassenpflege ...), "Soziologischer Lehrgang" (Soziologie mit Biosoziologie, Politik mit Geopolitik, Deutsche Wirtschaftskunde ...), "Geschichtlicher Lehrgang" (Deutsche Vorgeschichte, Volks- und Staatsgeschichte, Deutsche Geistes- und Kulturgeschichte ...), "Wehrwissenschaftlicher Lehrgang" (Wehrpolitik und Kriegsgeschichte, Waffenkunde ... ). 19 Von Erich Seidl, dem Leiter der Reichsfachschaft Hochschullehrer und Wissenschafter im NS-Lehrerbund, abgedruckt in: Nationalsozialistische Erziehung Nr. 18 vom 25. 9. 1933, 325 - 328; s. auch 403-405. 80 In Kontakt mit der Studentenschaft, dem Hochschulverband und der Rektorenkonferenz. Seidl konnte als NSLB-Funktionär im Sommer 1933 großen Einfluß gewinnen und spielte z.B. auf dem Hochschultag am 1. Juni eine führende Rolle. 11 Die Selbstverwaltung sollte sich auf die wissenschaftlichen Angelegenheiten beziehen, der verwaltungstechnische Teil sollte in Form der "Auftragsverwaltung" unter Leitung der "Reichs-Hochschulbehörde" erledigt werden. Die akademische Freiheit sollte "eine durch Selbstverantwortung eingeschränkte Freiheit" sein, die Verknüpfung von akademischer Freiheit mit Führerturn "in der Unterordnung der Dozenten und der Studenten unter die zuständigen Führer in allen von diesen zu leitenden Angelegenheiten" liegen. 82 z. B. auch Neuregelung der Besoldung, Eignung der Dozenten zum "Führer", strenge Auslese bei der Hochschulzulassung, Umgestaltung und Neueinrichtung von Fächern. Be7DIIhm

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bald Realität werden sollte, so etwa in dem Vorschlag einer einheitlichen Regelung der Rechtsstellung der Professoren, einer Neugestaltung des Berufungswesens durch Mitwirkung der Organe der berufsständischen Organisation, einer einheitlichen Reichsregelung des Hochschulwesens mit einer Reichs-Hochschulbehörde und eines Ausbaus des studentischen Gemeinschaftslebens.&3 Aber auch dieser Entwurf ließ noch mehrere Möglichkeiten offen,84 war nur vorsichtig und mit dem wesentlichen Vorbehalt der Übereinstimmung mit dem Willen des Führers85 formuliert. Zusammenfassung

Fast alle Beiträge verrieten in ihren allgemeinen, vielen Interpretationsmöglichkeiten offenen Formulierungen trotz aller Beflissenheit eine gewisse Unsicherheit. Sie waren z.T. aus der Defensive heraus konzipiert, zeigten die Sorge um die Zukunft des eigenen Wirkungsbereichs und eine gewisse Angst, den Anschluß zu verlieren und von der Mitarbeit ausgeschlossen zu werden. Immer wieder klingt durch, daß sich die Hochschule schon im Interesse ihrer Selbsterhaltung reformieren, d. h. anpassen müsse, 86 und einige sehen gar die Existenz der Hochschule bedroht, weil die Hochschullehrer den Sinn der deutschen Revolution noch nicht begriffen hätten.87 Selbsterneuerung zur Selbstbehauptung schien demnach das Gebot der Stunde zu sein. Insbesondere die drohende, kompromißlos auf totale Anpassung oder Vernichtung zielende Haltung der NS-Studenten gegenüber der Hochschule blieb nicht ohne Wirkung: "Entweder sie wird nationalsozialistisch, oder sie stirbt auf organische

merkenswert ist, daß zu den Körperschaften neben Senat, Fakultäten, Vollversammlung der Hochschullehrer und Studentenschaft auch die Organisation der Beamten, Angestellten und Arbeiter gehören sollte. 83 Vorgesehen war eine Trennung der "Erziehungs-Zeit" (Fächer des "Politischen Semesters", Versuch mit Internaten) von der "Akademischen Zeit" (Fachausbildung). Studentengruppen sollten unter der Leitung von "Erziehungsführem" stehen. 84 Hochschulreform als Bestandteil einer möglichen Reform des gesamten Erziehungswesens; Durchsetzung des Erreichbaren in einer Übergangszeit; vorläufige Planung bis zur Errichtung eines Reichsministeriums. 85 "Es wäre zunächst zu ermitteln, ob die zum Handeln berufenen Behörden diese oder andere Grundsätze als den staatspolitischen Richtlinien des Führers entsprechend ansehen." &6 z. B. bei Freyer 16. &7 So ein Beitrag in "Volk im Werden" 1(1933), H. 3, 63. In derselben Zeitschrift formuliert ein Jahr später E. Krieck unter dem Titel: "Die gegenwärtige Problemlage der Wissenschaft" (220 - 226, hier 223): "Dem Primat der nationalsozialistischen Idee ist auch die lctinftige Wissenschaft unterstellt, und sie wird unter diesem Gesetz eine neue Daseinsebene und Höhenlage gewinnen - oder sie wird untergehen."

I. Ziele und Konzeptionen

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Weise"88 , stellte ein bekannter Studentenfunktionär fest. Auch wenn die großen Worte der NS-Studenten nicht wörtlich zu nehmen waren, die Drohungen, der massive Druck und das wiederholte Anspielen auf die existentielle Krisensituation der Hochschule89 haben die Reformdiskussion doch wesentlich beeinflußt und auch in diesem Bereich die Bereitschaft zur Anpassung gefördert. Die Diskussion wurde schließlich auch dadurch genährt, daß allgemein anerkannte Mängel im Hochschulbereich - ein gewisses Reformdefizit - vorhanden waren, deren Kritikjetzt meist mit einer grundsätzlichen Kritik am alten Hochschulsystem und an der traditionellen Wissenschaft verbunden wurde. Daß die Bereitschaft zur Anpassung letztlich nicht zur Entwicklung konstruktiver und umfassender, klarer und konkreter Konzepte, sondern im wesentlichen nur zu einer schrittweisen Annäherung und einem Vortasten in der als erwünscht angesehenen Richtung führte, lag auch daran, daß die offiziellen Stellen bis hin zu Hitler sich nicht eindeutig äußerten90 und das zuständige Reichsministerium erst relativ spät (1. 5. 1934) eingerichtet wurde. Und wenn die nach einigen Monaten abflauende und dann ganz verstummende Reformdiskussion auch kein praktisches Ergebnis erbracht hat, so bat sie doch auf die kommenden Maßnahmen eingestimmt und eine beachtliche propagandistische Wirkung sowie eine in der Übergangszeit nicht unwichtige Alibifunktion - gehabt. Die Ansicht vor allem konservativer Kreise, durch partielle Anpassung das Terrain behaupten zu können, war ebenso eine Fehleinschätzung wie der Glaube, die neue Gestalt der Hochschule könne durch die Hochschule selbst geschaffen bzw. durch entsprechende Konzepte präjudiziert werden. 91 Die zuständigen Stellen dachten gar nicht daran, sich bei der Neugestaltung der Hochschulen an solchen Reformvorschlägen zu orientieren. Der Einfluß der Hochschule auf die

88 Feickert 10. Gedroht wurde bereits 1933 und 1934 mit Konkurrenzeinrichtungen, z. B. den entstehenden NS-Führerschulen, die in "einem konzentrierten Angriff auf die Hochschule vorgehen und sie einfach zerschlagen" würden (Feickert 9; auch Drescher 6). 89 Es entsprach auch weit verbreiteten Stimmungen in der Partei, wenn der Studentenfunktionär Feickert (13) der Hochschule für den Fall, daß sie den neuen Entwicklungen nicht Rechnung trägt, drohte, sie werde "die Tatsache erleben, daß der Nationalsozialismus seine Lehrer, Ärzte, Juristen in Sonderschulen neben der Hochschule ausbildet, daß er, wenn er schon diese Hochschule nicht gewinnen kann, er ihre Totalität verläßt, um ihre Teile zu gewinnen ... " 90 Wenn die Hochschule noch in überkommenen Formen und Methoden weitergebildet wurde, so deshalb, weil "über den neuen Weg das letzte verbindliche und damit verpflichtende Wort noch nicht gefallen" sei ( W. Spengler, in: Volk im Werden 2(1934), 483). Vgl. auch das von Unsicherheit getragene, fast peinliche Bemühen des Hochschulverbandes um eine Audienz bei Hitler, die zunächst verweigert und erst dem gleichgeschalteten Verband am 23.6.1933 gewährt wurde. 91 Allerdings darf auch der Einfluß einiger Wortführer nicht zu gering veranschlagt werden; Rein und Krieck waren immerhin Rektoren, andere, wie z. B. Bacher, gewannen leitende Stellungen in den Ministerien. Daß aber von ihren Reformvorschlägen kaum etwas realisiert wurde, lag am System des Dritten Reiches.

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Gestaltung der NS-Hochschulpolitik war letztlich gering, die spätere Realität wich von den vielen Entwürfen stark ab. b) Der Reformvorschlag aus der Universität München Entstehungssituation Neben den vielen Vorschlägen, die von Einzelpersonen oder aus Parteikreisen (NS-Lehrerbund) kamen, bemühten sich im Frühsommer und Sommer 1933 auch offizielle Gremien und inoffizielle Gruppierungen innerhalb einzelner Hochschulen um die Reform. Auch der Hochschulverband und die Deutsche Rektorenkonferenz, die im Frühjahr 1933, als bereits die ersten Eingriffe und Umstellungen erfolgten, immer noch die alten Reformfragen - Überfüllung, wirtschaftliche Not der Studenten und Privatdozenten, Studentenrecht - auf der Tagesordnung hatten,92 versuchten Anschluß zu finden und bekundeten ihren Willen zur Reform.93 Auch der Anfang Juni gleichgeschaltete Hochschulverband sah eine seiner wesentlichen Aufgaben in der Mitarbeit an der Hochschulreform. Der Hochschulverband wollte dazu Material bereitstellen94 und bat die Rektoren der einzelnen Hochschulen um die Zusendung aller bisher gemachten Anregungen und vorhandenen Entwürfe.9S Daß sich auch die Universität München bereits offiziell des Reformthemas angenommen hatte, zeigt das Schreiben des Rektors vom 7. Juni an die Mitglieder des Senats. Der Rektor hielt es für angemessen, einen Ausschuß für Reformen an der Universität München einzuberufen, und schlug zwölf Professoren vor, die dann in der Senatssitzung am 28. Juni bestätigt wurden. Die dem Ausschuß angehörenden Professoren Erich von Drygalski96 , Friedrich von Müller, Wilhelm Kisch, Otto von Zwiedineck, Albert Rehm, Eduard Eichmann, Oswald Burnke, Reinhard Demoll, A1oys Fischer, Karl Alexander von Müller, Karl Haushofer, Alfred Stange und Privatdozent Fritz Joachim von Rintelen hatten sich fast alle schon seit Jahren mit

92 UAM Sen 135 dl. Den Entwurf des neuen Studentenrechts konnte die Rektorenkonferenz arn 12. 4. lediglich zur Kenntnis nehmen und besprechen. 93 Ebd: Die Rektorenkonferenz vorn 12. 4. begrüßte es, "daß der Hochschulverband einen Ausschuß zur Erneuerung der Hochschulen ... eingesetzt hat". 94 Vgl. 25. a.o. Rektorenkonferenz vorn 8. 6. 1933. 95 Schreiben vorn 1. 7. 1933. Das gesamte Material sollte dann dem Ministerium zur Bearbeitung der Reform zur Verfügung gestellt werden. Eine aussichtsreiche, auf Effizienz zielende Initiative freilich war diese der Entwicklung hinterherlaufende Sarnrnelaktion gerade nicht. - Auch in Harnburg bildete der Universitätssenat im Mai eine Arbeitsgemeinschaft zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Hochschulreforrn. Vgl. Vogel, B.: Anpassung und Widerstand, in: Krause u.a., Hochschulalltag im "Dritten Reich" 43. 96 Wurde auf Antrag des Rektors als weiteres Mitglied hinzugewählt

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örtlichen und allgemeinen Hochschulfragen befaßt,97 besondere Beziehungen zur Partei - ohne exponierte Nationalsozialisten zu sein - hatten nur die Professoren K. A. von Müller und Haushofer sowie der n. b. a. o. Professor Stange. Sieben Personen aus diesem Kreis hatten bereits am 8. Mai an einer Besprechung mit dem Verleger, nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten und Kulturpolitiker Hugo Bruckmann über die Reorganisation der Universitäten teilgenommen.98 Obwohl von irgendwelchen Arbeitsergebnissen dieses Ausschusses nichts bekannt ist,99 zeigt seine Etablierung, daß auch die Universität München sich von der - sachlichen - Mitarbeit an der Reform nicht ausschließen konnte oder wollte. Vor allem auf Drängen der Studenten, die von den Professoren Stellungnahmen zur Hochschulreform einforderten, hatten sich an einzelnen Hochschulen Gremien, sog. "Zellen"100 , zur Bearbeitung entsprechender Vorschläge gebildet. Die Studentenschaft, die bereits vor 1933 Hochschulreformfragen ausführlich behandelt101 und im Frühjahr 1933 in der DSt ein neues Amt für Hochschulreform eingerichtet hatte, ergriff in den meisten Fällen die Initiative. So war es auch in München. Am 2. August 1933 sandte die "Studentenschaft" der Universität an das Rektorat eine Denkschrift zur Hochschulreform102, die von elfPersonenaus allen Gruppen der Universität- Vertretern von Studenten, Assistenten, Privatdozenten, n.b.a.o. Professoren und beamteten Professoren -

97 Als ehemalige und amtierende Dekane oder Vertreter im Hochschulverband (Burnke, A. Fischer) bzw. sogar als ehemalige Rektoren. 98 Diese Besprechung war offensichtlich von Professor Burnke initiiert, galt vor allem der Zukunft des Hochschulverbandes und sollte auch dazu dienen, Bruckmanns Unterstützung für die vorn Hochschulverband angestrebte Audienz beim Reichskanzler zu gewinnen. Als Vertreter der Universität München nahmen teil die Professoren Burnke, Rehrn, K. A. von Müller, Zwiedineck, Haushofer, der n.b.a.o. Professor Stange und die Privatdozenten von Rintelen und Heinz RudolfRosernann (BA R431I 943). 99 Er dürfte wie ähnliche Einrichtungen von den Ereignissen überholt worden sein .u nd damit bald seine eigentliche Existenzberechtigung verloren haben. 100 So Burnke in der o. g. Besprechung vorn 8. Mai (BA R 43 li 943). Die Zusammensetzung des vorn Senat eingerichteten Ausschusses an der Universität München spricht eher für eine sachliche Arbeit in der traditionellen Art und ist z. B. nicht zu vergleichen mit der von dem nationalsozialistischen Professor Franz Bacher geführten Arbeitsgemeinschaft Rostocker Dozenten, in der sich wohl vornehmlich Nationalsozialisten zusammenfanden (vgl. Univ. Rostock 241 u. 260). 101 Siehe z. B. Tagung der DSt für Fragen der Hochschulreform in Eisenach im Juni 1930 mit entsprechenden Leitsätzen; auch auf dem 15. Deutschen Studententag in Königsberg im Juli 1932 wurden Reformfragen behandelt. 1o2 UAM Sen 727.

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B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933- 1935

ausgearbeitet worden war, aber deutlich die Handschrift der nationalsozialistischen Studentenfunktionäre trug, die wohl auch die Regie geführt hatten.I03

Inhalt Die elfseitige Denkschrift gliedert sich in sechs Abschnitte. Die nach Inhalt und Umfang dominierenden sind vorangestellt: die "Vorschläge zur Universitätsreform" und die "Vorschläge zur politischen und völkischen Schulung der Studierenden in den ersten 4 Studienhalbjahren".l04 Die Vorschläge zur Universitätsreform enthalten grundsätzliche Ausführungen zum Verhältnis "Dozent und Staat", "Dozent und Student" und "Student und Staat". Ausgehend von der - wohl als selbstverständlich gehaltenen Pflicht jeder staatlichen Einrichtung, "an der Vollendung der nationalsozialistischen Revolution und am Ausbau des nationalsozialistischen Staates mitzuwirken", wird von jedem Dozenten das Bekenntnis zu den "völkischen Grundsätzen"- aber auch zu den "christlichen Sittengesetzen"- und die "Anerkennung des politischen Charakters der Erziehung" als Grundvoraussetzung für einen "Lehrer einer deutschen Universität" gefordert105 und unmißverständlich festgestellt, daß für Dozenten, "die diesen Voraussetzungen rasse-und empfindungsmäßig nicht nachkommen können", kein Platz an deutschen Universitäten sei.

103 Es gibt in einem Personalakt (UAM ON 14 v.R.) einen Beleg dafür, daß die Einladung Besprechung und Darstellung von Reformvorschlägen von NS-Studenten ausgegangen ist. - Der Anteil der einzelnen Mitarbeiter läßt sich nicht feststellen. Die Mehrheit wurde von überzeugten und engagierten Nationalsozialisten gestellt, der Rest stand der neuen Zeit - ggf. mit gewissen Einschränkungen (über den Assistentenvertreter ist nichts bekannt) - aufgeschlossen gegenüber. Aus dem vom Senat eingesetzten Reformausschuß waren als Mitarbeiter angeführt Karl Alexander von Müller (o. Prof.), Alfred Stange (n.b.a.o. Prof.) und Fritz von Rintelen (Priv.-Doz.). Als weitere Mitarbeiter waren genannt der Priv.-Doz. Gustav Borger (später ein führender Dozentenbundsfunktionär), der o. Prof. Wilhelm Finder und der Assistent Dr. Leopoldseder. Die Studentenschaft war vertreten durch Dr. Wolfgang Donat, Führer des Kreises VII des NSDStB, Kurt Ellersiek, Ältester der DSt, Karl Gengenbach, Leiter des Kreises VII der DSt, Karl Helmut Patutschnick, Führer der Studentenschaft der Universität (alle erprobte NS-Studentenführer}, und Dr. Eduard Friedel, Geschäftsleiter der "Studentenschaft" der Universität. 104 Die nachfolgenden Abschnitte tragen die Überschriften: - "Die Hochschule als militär-wissenschaftliche Schule"; -"Allgemeine Vorschläge für die zukünftige Gestaltung des Lehrbetriebes"; -"Vorschläge für das Vorlesungsverzeichnis"; - "Antrag für die zukünftige Umgestaltung des Stipendienwesens". 105 "Freiheit der Lehre und Forschung" sei "nur innerhalb dieser billigen Grenzen" möglich. Politische Erziehung sei "Erziehung zur Nation, zum Volke, zur Gemeinschaft und zum Rassegedanken, ... Auslese zum Führertum". zur

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Aufgabe des Universitätslehrers sei nicht nur die Vermittlung des Wissensstoffes, sondern vor allem die "Persönlicbkeitserziehung im nationalen Sinne". Sie sei zu erreichen durch eine allgemeine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Dozenten und Studenten vor allem durch Schaffung von zusätzlichen Gemeinscbaften 106 sowie durch eine besondere "Vermittlung von Lebensidealen als nationale Werte" durch "allgemein bildende, insbesondere kulturwissenscbaftlicbe" - freilieb weltansebaulich bestimmte - Pflicbtvorlesungen107 und eine entsprechende körperliche Ausbildung in den ersten Semestern. Für die Studenten, die 13 Jahre durch eine "liberalistische" Schule hindurchgegangen seien, seien besondere "Erziehungs- und Scbulungsformen" nötig, wie sie z. B. das Arbeitslager, die wehrsportliebe Ausbildung und die politische Schulung darstellten. So sollten der politischen und völkischen Schulung der Studierenden in den ersten 4 Semestern bestimmte - durch eine Priifung nachzuweisende - gebundene und wahlfreie Pflichtvorlesungen dienen, für die recht detaillierte Vorschläge ausgearbeitet wurden. 108 Die Pflichtvorlesungen sollten in erster Linie die deutsche Geschichte auf den verschiedensten Gebieten sowie Kultur, Wirtschaft und Geographie unter völkischem Aspekt, 109 das deutsche Recht, Geopolitik, Rassenkunde und die Idee des nationalsozialistischen Staates behandeln, die wahlfreien Pflichtvorlesungen sollten sich über ein weites Feld aus den Disziplinen der Philosophie, Kunst, Geschichte, Sprache und Dichtung, Volkskunde, Recht, Politik, Rassenkunde und Wirtschaft erstrecken. Die Themen der einzelnen Vorlesungen waren für sich genommen so formuliert, daß eine sachliche Behandlung durchaus möglich schien. Allen gemeinsam war die Verengung auf den nationalen Bereich, die Betonung der deutseben Leistung und die Herausstellung dessen, was als spezifisch "deutsch" erachtet wurde.

106 Z. B. Gemeinschaftsabende der Fachschaften, Ausspracheabende, Ausflüge, gemeinsame sportliche Betätigung, Teilnahme der Dozenten an verschiedenen Studentengemeinschaften. 107 Der Versuch, Altes und Neues, traditionelle Kulturinhalte einerseits und neue politische Grundwerte andererseits zu vermitteln, zeigt sich etwa in der Forderung an die Universität, "für jeden Studenten zur Trägerio und Vermittlerio der alten deutschen und europäischen Traditionen und zugleich zur klärenden Förderio neuer politischer, sozialer, wirtschaftlicher und weltanschaulicher Bewegungen" zu werden. 108 Jeder Student sollte im 1. und 2. Semester je 6, im 3. und 4. Semester je 4 einstündige Vorlesungen besuchen, von denen er 2 Stunden selber wählen können sollte. 109 Z. B. "Deutsche Sprache", "Deutscher Sozialismus" (der NS-Staat "in Bezug auf die Wirtschaft", "Ständestaat, Sozialpolitik, Kapital und Arbeit"), "Deutsches Denken", "Deutsche Kunst", "Deutsche Landschaft- Deutscher Raum", "Deutschtum im Ausland".

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B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933 - 1935

In dem kleinen Abschnitt über die "Hochschule als militär-wissenschaftliche Schule" wird allgemein die "Wehrhaftmachung der Jugend" und konkret z. B. die Errichtung eines wehrwissenschaftlichen Lehrstuhls gefordert. HO Im übrigen werden die Zusammenlegung der Stipendienvermögen und die Vereinheitlichung des gesamten Stipendienwesens111 sowie gewisse Verbesserungen des Lehrbetriebs und der Stellung der Professoren und Dozenten angestrebt. 112 Auch diese Münchner Denkschrift war kein fertiger, sondern eher ein erster, vorläufiger Entwurf, der zum Teil recht allgemein blieb 113 und die Handschrift verschiedener Autoren erkennen ließ, die ihre Interessen einbringen konnten. 114 Sie war dementsprechend nicht homogen, sondern hatte Komprornißcharakter und blieb in vielen Teilen ambivalent. Neben den dezidierten politischen Forderungen der Zeit wie dem Bekenntnis zu den völkischen Grundsätzen und zum Rassestandpunkt, der politischen Erziehung und der Mitwirkung an der Vollendung der nationalsozialistischen Revolution - als Voraussetzung für jeden Hochschullehrer - enthielt die Denkschrift auch eine Reihe traditioneller Forderungen und Reformvorschläge, wie sie aus den 20er Jahren bekannt sind. 115 Die Schrift spiegelt die Situation der ersten Monate llO An den Universitäten sollten Fragen der Kriegswirtschaft behandelt werden, ein besonderes Referat im Kultusministerium zur Bearbeitung militärwissenschaftlicher Fragen schien wünschenswert. lll Eine Zentralkartei bei der Studentenschaft sollte einen Überblick geben über alle laufenden Unterstützungen. Dahinter stand die bekannte Forderung der NS-Studentenführung nach politischer Handhabung des Stipendienwesens. ll2 Keine weitere Belastung des Universitätslehrers, Entlastung- v. a. gewisser Hauptfächer - durch neue Verteilung der Aufgaben unter den ordentlichen und außerordentlichen Professoren und Privatdozenten; Notwendigkeit einer entsprechenden Zahl von Extraordinarien und Privatdozenten; Vermeidung der Überalterung der nichtetatmäßigen Dozenten und Höchstbegrenzung der Lehrtätigkeit; gewisse finanzielle Sicherung der jungen Dozenten. lll Fakultäten, Ordinarien und Fachschaften sollte es zur Aufgabe gemacht werden, entsprechende- konkrete- Vorschläge z. B. zum Lehrbetrieb auszuarbeiten. 114 Die treibende Rolle der NS-Studenten.führer zeigt sich wohl in den forschen und "zeitgemäßen" politischen Formulierungen. llS Z. B. -Bekenntnis auch zu den "christlichen Sittengesetzen"; keine Überbetonung des "intellektuell Gebildeten", sondern umfassende Bildung und "Verankerung in der Nation"; Forschung und Lehre auch als Dienst an der Gemeinschaft; Forschung "im Dienste der Lehre"; nicht nur "Vermittlung des Wissensstoffes", sondern "Persönlichkeitserziehung" - im nationalen Sinne -; Schaffung von Gemeinschaften und Hervorhebung der Fachschaften; Verbesserung des persönlichen Kontakts zwischen Studenten und Dozenten; allgemein bildende, insbesondere kulturwissenschaftliche "Vorlesungen" als Pflichtvorlesungen in den ersten Semestern neben den Fachvorlesungen.

II. Erste personalpolitische Maßnahmen

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nach der Machtergreifung und zeigt den politischen Standort und den Grad der Anpassungsbereitschaft des mit dem Dritten Reich sympathisierenden Teils der Universität; konkrete Auswirkungen hatte sie wohl nicht gehabt. Auch die in den Fakultäten noch im WS 1933/34 eingesetzten Reformausschüsse (s. unten C.l.2.a) blieben, soweit sie überhaupt ihre Arbeit aufnahmen, auf eher organisatorische Fragen z. B. der Studienzeitverkürzung und des Kolleggeldwesens begrenzt und insgesamt wirkungslos. Spätestens Ende des WS 1933/34 mußte auch den Anhängern des neuen Staates klar werden, daß dieser trotz aller Propaganda eine echte Mitwirkung von unten bei der Neugestaltung der Hochschule nicht wünschte. So hat auch die den Münchner Reformvorschlag bestimmende, auch von der Hoffnung auf Wahrung traditioneller Positionen mitgetragene Reform- und politische Anpassungsbereitschaft den erwarteten Einfluß weder direkt noch indirekt - etwa über den Hochschulverband - gebracht, sondern lediglich die Einordnung der Universität München in den neuen Staat vorbereitet.

II. Erste personalpolitische Maßnahmen 1. Die Säuberung des Lehrkörpers durch das "Gesetz zur Wiederherstellung

des Berufsbeamtentums" vom 7. Aprill933

a) Inhalt, Zielrichtung und Folgen des Gesetzes Die Ausschaltung von politisch unerwünschten Personen und von Juden aus dem öffentlichen Leben war ein bekanntes, auch schon vor 1933 propagiertes Ziel der Nationalsozialisten, 1 das nun Realität werden sollte. Mit dem berüchtigten Gesetz vom 7. Aprii2 schuf die Regierung formal die rechtliche Grundlage zur Ausschaltung rassisch und politisch unliebsamer Personen aus dem öffentlichen Dienst und - zumindest indirekt - zur Unterbringung bewährter Nationalsozialisten. Das Gesetz war ein- im Rahmen des Ermächtigungsgesetzes zu sehendes- Ausnahmegesetz,3 das einen massiven Eingriff in "wohlerworbene" Rechte der Beamten auf Reichs-, Länder- und kommunaler Ebene brachte, auch die Ruhestandsbeamten einbezog und im Gegensatz zur offtziellen Zielsetzung und Bezeichnung auch die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes erfaßte (§ 15). Der umfassende Charakter des Gesetzes

1

z. B. die Forderungen des NSDStB nach Entfernungjüdischer Professoren.

RGBl I, 175; im folgenden abgek. BBG ("Berufsbeamtengesetz"). Abweichung von den in Art. 109, 129 und auch 130 der Reichsverfassung garantierten Rechten. 2

3

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B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933- 1935

zeigt sich nicht zuletzt darin, daß es nicht nur auf die Emeriti, sondern auch auf die Honorarprofessoren, nichtplanmäßigen außerordentlichen Professoren und Privatdozenten, die nie Beamte im üblichen Sinne waren, ausgedehnt wurde.4 Die Entstehungssituations des Gesetzes, das in kürzester Zeit konzipiert und verabschiedet wurde, spiegelt sich in der mangelnden Kohärenz und Systematik des Gesetzestextes. Eine Reihe von nachfolgenden Änderungs- und Ergänzungsgesetzen6 sowie Durchführungsverordnungen zielte auf eine lückenlose Ausgestaltung und anfangs gar nicht intendierte Perfektionierung und brachte insgesamt eine ständige Verschärfung. § I enthält eine Generalermächtigung, bestimmt den Kreis der Beamten, die "zur Wiederherstellung eines nationalen Berufsbeamtenturns und zur Vereinfachung der Verwaltung" generell entlassen werden können. Bereits in einer der ersten Durchfiihrungsverordnungen7 wurde dieser Kreis erweitert.

§ 2 schreibt die Entlassung von Beamten vor, "die seit dem 9. November 1918 in das Beamtenverhältnis eingetreten sind, ohne die für die Laufbahn vorgeschriebene oder übliche Vorbildung oder sonstige Eignung8 zu besitzen". Damit sollten in erster Linie kommunistische Beamte und sog. "Parteibuchbeamte" getroffen werden.9

3. Durchführungsverordnung (DVO) vom 6. Mai 1933 (RGBl I, 245). Am Ende der "revolutionären" Phase, zugleich als Versuch, von den bisherigen Willkürmaßnahmen gegen Bemate überzuleiten zu einer umfassenderen - den neuen Verhältnissen Rechnung tragenden - gesetzlichen Regelung. Zur Entstehung und beamtenrechtlichen Würdigung siehe u.a. Mommsen, insbes. 39 ff. und 151 ff.; Bracher/ Sauer/Schulz; Adam, Judenpolitik, insbes. 51 ff. 6 Z. B. Änderungsgesetz vom 20. 7. 1933 (RGBI I, 518) und Ergänzungsgesetz vom 23. 6. 1933 (RGBl I, 389). 7 Die 3. DVO vom 6. Mai 1933 (RGBl I, 245) bestimmte die sinngemäße Anwendung auch auf nichtplanmäßige Beamte, auf Beamte auf Probe, auf Kündigung oder Widerruf, auf Beamtenanwärter und auf Beamte im Vorbereitungsdienst. Dazu gehören nach Ziffer 1 auch die Lehrer an den wissenschaftlichen Hochschulen, auch die "von ihren amtlichen Verpflichtungen entbundenen ordentlichen und außerordentlichen Professoren", ferner die "Honorarprofessoren, die nicht beamteten außerordentlichen Professoren und Privatdozenten an wissenschaftlichen Hochschulen". Entlassung bedeutet bei den nicht etatmäßigen Beamten Widerruf des Dienstverhältnisses bzw. Entziehung der Lehrbefugnis. 8 Der Einschub "oder sonstige Eignung" war vor allem dafür gedacht, die nach der Machtergreifung eingeschleusten Anhänger der nationalen Bewegung, denen vielfach die entsprechende Qualifikation fehlte, von den Bestimmungen des § 2 auszunehmen (vgl. Mommsen 47). 9 Die 1. DVO vom 11. April 1933 (RGBl I, 195) präzisierte: "Ungeeignet sind alle Beamte, die der kommunistischen Partei oder kommunistischen Hilfs- oder Ersatzorganisationen angehören." Die 3. DVO vom 6. Mai 1933 (RGBl I, 245) ergänzte: "Zu entlassen ist, wer sich im kommunistischen Sinne betätigt hat, auch wenn er nicht mehr der kommunistischen 4

S

II. Erste personalpolitische Maßnahmen

107

In § 3, der die antijüdische Stoßrichtung des Gesetzes zeigt, wird verfügt, daß Beamte, "die nicht arischer Abstammung sind", in den Ruhestand zu versetzen sind mit AusnahmelO detjenigen, "die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind". Der Begriff der "arischen" Abstammung fand bereits in der 1. DVO vom 11. April11 eine strenge Auslegung: "Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder Großelternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat."l2 Da nach § 8 des Gesetzes die Zahlung eines Ruhegeldes an die nach den §§ 3 und 4 entlassenen oder in den Ruhestand versetzten Beamten an eine zehnjährige Dienstzeit geknüpft war, kam die Ruhestandsversetzung in vielen Fällen einer Entlassung gleich.l3 Den politischen Hebel des Gesetzes14 enthält der § 4, der die recht beliebig interpretierbare Kannbestimmung enthält: "Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden." Gewisse Präzisierungen brachten zwei Durchführungsverordnun-

Partei, ihren Hilfs- oder Ersatzorganisationen angehört. Als kommunistisch gilt auch die sogenannte national-kommunistische Bewegung ("Schwarze Faust")." Durch das Änderungsgesetz vom 20. Juli 1933 (RGBl I, 518) wurde ein§ 2a eingefügt, nach dem auch Beamte zu entlassen waren, "die sich in Zukunft im marxistischen (kommunistischen oder sozialdemokratischen) Sinne betätigen". Im übrigen erstreckte sich der§ 2 auch auf Beamte, die bereits im Ruhestand waren. 10 Die Ausnahme ging auf eine Intervention des Reichspräsidenten zurück. - Tatsächlich hatten sich im Weltkrieg viele JUver-Süd und Braunschweig, seit 1930 MdR, amtierte seit 22. Aprill933 als preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, nachdem er bereits seit 4. 2. 1933 als Kommissar in diesem Haus tätig war. 5 Vgl. Adam, Univ. Tübingen 60, und Eggers 969. 6 DHVI5.

V. Zentralisierung und Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung

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Preußischen Ministerium für Wissenschaft. Erziehung und Vol.ksbildung"7 unter Führung von Bemhard Rust zusammengefügt wurden. Es erhielt aus dem Geschäftsbereich des Reichsinnenministeriums mit Erlaß des Reichskanzlers vom 11. Mai die Bereiche "Wissenschaft", "Erziehung und Unterricht" sowie "Jugendverbände" und "Erwachsenenbildung" und war damit auch für sämtliche Hochschulangelegenheiten zuständig.8 Das Ministerium gliederte sich in sechs Ämter:9 das "Amt für Wissenschaft (W.)" 10 war für Wissenschaft. Universitäten und Hochschulen zuständig. Nach einer gewissen Anlaufzeit zog das Ministerium nach und nach die Personalentscheidungen an sich und am Ende des WS 1934/35 hatte es- zumindest nominell - die gesamte die Hochschulen betreffende Personalpolitik in der Hand. Bezugnehmend auf die o.g. Erste Verordnung über den Neuaufbau des Reiches vom 2. 2. 1934 und die o. g. Erlasse vom 1. und 11. Mai 1934 unternahm das Ministerium mit Erlaß vom 19. 7. 193411 einen ersten Schritt zur Vereinheitlichung des Berufungsverfabrens. 12 Jede freiwerdende ordentliche und außerordentliche Professur mußte dem REM gemeldet werden, und Berufungsverbandlungen durften nur mit seiner Zustimmung begonnen und zu Ende geführt werden. Auch die Öffnung und Schließung von Instituten und die Änderung von Lehrplänen und Priifungsordnungen bedurfte nunmehr der Genehmigung des REM. 13 Im Januar 1935 sicherte sieb das REM die Kompetenz für die Ernennung der Rektoren1 4 und mit Erlaß vom 23. 2. 1935 zog es die "gesamte Personalpolitik der deutschen Hochschulen" an sich.l 5 Obwohl

7 Nach dem Anschluß Österreichs mit der Bezeichnung "Reichsministerium für ... ". Gebräuchlich waren die Kurzbezeichnungen Reichserziehungsminister(ium) und Reichswissenschaftsminister(ium). Im folgenden wird dafür die Abkürzung REM gebraucht. 8 DHV I 5 - 6. Unter "Wissenschaft" fielen u.a. "allgemeine Angelegenheiten der Wissenschaft, auch in ihren Beziehungen zum Ausland", unter "Erziehung und Unterricht" u.a. "Hochschulangelegenheiten, Studentenhilfe, Reichsschaftsführer der Studierenden an den deutschen Hoch- und Fachschulen". 9 Zentralamt (Z.), Amt für Wissenschaft (W.), Amt für Erziehung (E.), Amt für Volksbildung (V.), Amt für körperliche Erziehung (K..) und Abteilung Landjahr (L.). Zum REM und zu Minister Rust s. auch Reiber, Walter Frank, passim. 10 Vgl. auch Rantzau, insbes. 6 ff. 11 " ... um ein planmäßiges Verfahren nach einheitlichen Richtlinien im Sinne der nationalsozialistischen Staatsauffassung bei der Pflege der Lehre und Forschung und bei der Besetzung der Lehrstühle an allen deutschen Universitäten und Hochschulen sicherzustellen" (hier nach UAM Sen 587). 12 Dazu allgemein und ausführlicher unten (C.III.3.a). 13 Vgl. dazu auch Weisert 129. 14 Erlaß vom 24. 1. 1935 (Weisert 129 und Seier, Der Rektor als Führer 119). Zur Rektorenernennung 1935 s. unten (C IV.l.b). 15 HStA I MK 39482. Vgl. auch Seier, Der Rektor als Führer 119, und Rantzau 8. Damit ging, so Rantzau, "die Durchführung der Berufung, Versetzung, Entpflichtung, aber auch der

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die wesentlichen inhaltlichen, personellen und organisatorischen Fragen vom REM geregelt und von den Landesministerien nur umgesetzt wurden, blieb der Charakter "der Hochschulen als Einrichtungen der Länder" bestehen.16 Von seinen Rechten konnte der ohnehin mit keiner Hausmacht ausgestattete Minister nicht uneingeschränkt und ungehindert Gebrauch machen, weil eine Vielzahl von Partei- und Regierungsstellen auf verschiedenen Ebenen im Hochschulbereich mitmischen wollte und ihm Kompetenzen streitig machte,17 so daß das REM sich ständig in der Defensive befand und sich der vielen Einund Übergriffe erwehren mußte. Schon deshalb war bei dem Dualismus!& von Staat und Partei 19 und dem entstehenden Kompetenzwirrwarr eine umfassende "Reform" und eine kraftvolle, offensiv und konsequent vertretene Hochschulpolitik nicht möglich. So blieb es bei einer Fülle von recht unsystematischen Einzelregelungen,2° die z.T. tief einschnitten und traditionelle Strukturen zerstörten, aber kein neues Hochschulsystem schufen. Zu der geplanten Reihe von Maßnahmen, die die vielzitierte Hochschulreform21 einleiten sollten, gehörten die nachfolgend behandelte Reichshabilitationsordnung, das Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern und die Richtlinien vom 1. April1935. 2. Die Reichshabilitationsordnung

Da die Habilitation den Zugang zur Hochschullehrerlaufbahn öffnete, sah man in der Habilitationsordnung ein erfolgversprechendes Instrument zur

Disziplinierung der Angehörigen der Wissenschaftsverwaltung, von den Ländern auf das Reich über". 16 Peters, Hochschulen 267. Die beamteten Professoren waren nach Peters (269) "mittelbare Reichsbeamte". Sie wurden gemäß Erlaß vom 1. 2. 1935 (RGBl I, 74) und Anordnung vom 21. 3. 1935 (RGBl I, 751) vom Führer ernannt und entlassen. Für sie galten die allgemeinen Vorschriften des Landesbeamtenrechts, v.a. des Besoldungsrechts. 17 Z. B. die Gauleiter (vgl. Hüttenberger), einzelne Reichsleiter, wie z.B. Rosenberg (vgl. Bollmus), die SS (vgl. Kater, Ahnenerbe, und Heiber, Walter Frank) oder Minister Goebbels, der sich den "außerschulischen" und "außeruniversitären" kulturpolitischen Bereich sichern konnte; zu den Kompetenzstreitigkeiten vgl. auch Kotowski 209 - 223, v.a. 213 ff., und Seier, Der Rektor als Führer 113 f. 18 Vgl. z.B. Diehl-Thiele. 19 Zum Parteieinfluß s. nachfolg. Abschnitt B.VI. -Durch Erlaß vom 24. 9. 1935 (RGBl I, 1203) erhielt z.B. der Stellvertreter des Führers ein Mitspracherecht bei der Ernenennung von Beamten. 20 Zur Rechtsetzungs- und Verwaltungspraxis der einzelnen Ressorts siehe Bracher, Machtergreifung 424 ff. 21 In Kommentaren und Presseberichten meist nur verstanden als "die Umwandlung des Hochschulwesens im Sinne der nationalsozialistischen Zielsetzung".

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V etwirklichung nationalsozialistischer Auslesegrundsätze22 und gleichzeitig eine Möglichkeit zur Zentralisierung der Personalentscheidungen beim Reichswissenschaftsminister. Die bisherigen provisorischen Regelungen auf Länderebene23 wurden abgelöst durch die reichseinheitliche Regelung der Reichshabilitationsordnung vom 13. 12. 1934,24 die als weitere Neuerung die Zweiteilung der bisherigen Habilitation brachte. Während ftüher die Habilitation unmittelbar zur Erlangung der Lehrbefugnis führte, waren jetzt die unter Habilitation zu verstehenden Leistungen der Habilitationsschrift und wissenschaftlichen Aussprache nur mehr notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen. Neben dem Nachweis der wissenschaftlichen Befähigung war die Erteilung der Lehrbefugnis nämlich noch abhängig von der erfolgreichen Ablegung einer Lehrprobe und der Bewährung im Gemeinschaftslager und in der Dozentenakademie, d.h. einer positiven "Beurteilung der didaktischen Fähigkeiten sowie vor allem der persönlichen und charakterlichen Eignung als Lehrer an den Hochschulen des nationalsozialistischen Staates".25 Mit der Habilitation wurde der - neugeschaffene - akademische Grad des Dr. habil. erworben. Das Verfahren lag bei der jeweiligen Fakultät und erforderte die Zustimmung des Landeskultusministeriums. Für den zweiten Teil, die sog. "Dozentur", war der Reichswissenschaftsminister zuständig, der den Bewerber zur Lehrprobe zuließ, zum Dienst im Lager und zur Dozentenakademie einberiefund schließlich die Zustimmung zur Erteilung der Lehrbefugnis- d.h. zur Zulassung als Dozent26 - durch das zuständige Landeskultusministerium .gab. Es war durchaus beabsichtigt, eine große Zahl ohne Rücksicht auf den Bedarf an Hochschullebrem zur Habilitation zu ermutigen,27 um eine breite Grundlage für die Auslese28 der Dozenten zu haben. Denn die Erteilung der 22 23 24 25

Mit charakterlich-politischen, "körperlichen" und pädagogischen Kriterien. S. oben (B.III.3.). DWEV 1935, 12 ff. (abgek. RHO). Ebd.: Begründung zur RHO. Vgl. auch Losemann, NS-Dozentenlager. Schwächliche "Stubengelehrte" und politische Gegner sollten von den Hochschulen ferngehalten werden bzw. sich erst bewähren, d.h. anpassen müssen. 26 Mit der Bezeichnung "Dozent" statt bisher "Privatdozent" sollte der tatsächlichen Entwicklung Rechnung getragen und die gesteigerte Verantwortung gegenüber dem Staat und dem "Volksganzen", die mehr "öffentlichrechtliche" Stellung (Peters 270) betont werden. 27 Ebd. Die dazu erforderliche "Sicherstellung einer ausreichenden materiellen Grundlage" für die Dozenten wurde allerdings noch nicht erreicht. 28 Sie wurde ausdrücklich nicht nur nach der wissenschaftlichen Leistung, sondern auch nach "Lehrbefähigung, Persönlichkeit und Charakter", d.h. auch nach politischen Gesichtspunkten getroffen. Vgl. dazu auch Bacher, F. : Die Reichshabilitationsordnung, in: DWEV 1935, na. T., 17- 18.

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Dozentur sollte sich am Bedarf orientieren.29 Sie lag allein in der Hand des Reichswissenschaftsministers, der damit von zentraler Stelle aus den Zugang zur Hochschullehrerlaufbahn regeln und die jungen Dozenten gezielt einsetzen konnte. 30 Daß in die Gesamtbewertung an mehreren Stellen, nicht nur im Lager und in der Dozentenakademie, sondern z.B. auch bei der Lehrprobe politische Beurteilungen, vor allem seitens der "Dozentenscbaft", einfließen sollten, war ausdrücklieb festgelegt.31 Die in der RHO festgelegte Beteiligung der Landesunterrichtsverwaltungen wurde in der Praxis in mehreren Punkten zugunsten einer weiteren Zentralisierung beim REM eingeschränkt. Die Meldungen zur Teilnahme am Lager und an der Dozentenakademie gingen so z. B. am KM vorbei über die örtliche "Dozentenschaft" und ab 1936 unmittelbar an das jetzt auch fiir die Abwicklung zuständige REM. Auch die Beurteilungen über die Bewährung im Lager und in der Dozentenakademie wurden entgegen den Bestimmungen der RHO (§ 12) direkt dem REM zugestellt. Unter dem Primat von Zentralisierung, Vereinheitlichung und politischer Auslese verloren bei der Entscheidung über die Zulassung zur Dozentur nicht nur die eigentlich zuständigen Fakultäten, sondern auch die Landeskultusministerien viel von ihrem angestammten bzw. kurzfristig erworbenen Mitspracherecht.32 Dennoch hatten in der Praxis (s. unten C.III.2.b) gerade die Fakultäten durchaus noch Möglichkeiten, die Tradition zu wahren und der Politisierung des Verfahrens Grenzen zu setzen. 3. Das "Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullebrem aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens" vom 21. 1.193533 Das Gesetz gehörte im Verständnis seiner Urheber zu den ersten Maßnahmen zum Neuaufbau des Hochschulwesens und sollte eine beschleunigte 29 Peters 270 und Begründung der RHO in DWEV 1935, 12 ff. 30 Zuweisung (über das Landesku1tusministerium) einer Fakultät zur Ablegung der Lehr-

probe und Entscheidung über Erteilung der Dozentur, die für alle Hochschulen des Reiches galt. Dies erleichterte einen möglichen Hochschulwechsel, der aber stets von der Zustimmung des Reichswissenschaftsministers abhängig war. Zu dieser umfassenden zentralen Zulassungs- und Steuerungskompetenz gehörte auch, daß der Minister nach§ 18 der RHO die "Lehrbefugnis entziehen oder einschränken" konnte, "wenn es im Universitätsinteresse geboten" schien. 31 So waren nach § 10 zur Lehrprobe z.B. auch die Standesvertretungen der Dozenten und Studenten zu laden. 32 Vgl. Erlasse des REM 19. l. 1935, 24. 5. 1935, 18. 2. 1936 und Schreiben des KM an das REM vom 9. 7. 1936 (HStA I MK 39482). 33 RGBl I, 23 - 24; vom Reichskabinett am 13.12.1934 verabschiedet.

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und wirksame personelle Erneuerung der Hochschulen im nationalsozialistischen Sinne und eine zentrale Planung und Steuerung des Personaleinsatzes fördern. Hinsichtlich der Versetzungsmöglichkeit der Hochschullehrer war es eine speziell für den Hochschulbereich zutreffende Ergänzung des BBG vom 7. April 1933.34 Das Gesetz ist unter einem verwaltungspolitischen, aber auch unter einem rein politischen bzw. personalpolitischen Aspekt zu sehen. Es sollte die Möglichkeit geben, ältere Hochschullehrer, unter denen sich kaum Nationalsozialisten befanden und von denen man weder eine persönliche Umstellung noch eine aktive Mithilfe bei der Neugestaltung der nationalsozialistischen Hochschule erhoffen konnte, rechtzeitig aus dem Lehrbetrieb zu entfernen, und damit - hier zeigt sich auch der Zusammenhang mit der Reichshabilitationsordnung - jüngeren Kräften Platz an der Hochschule verschaffen, von denen man die gewünschte Erziehung der Studenten im nationalsozialistischen Geist erwartete. Diese politische Zielsetzung stand im Vordergrund,35 wenn auch zur allgemeinen Beruhigung auf die sachlichen Grundlagen des Gesetzes wie die Überalterung des Lehrkörpers verwiesen wurde.36 Nach § 1 des Gesetzes wurden Hochschullehrer abweichend von den bisherigen meist großzügigen Regelungen,37 welche einzelne Professoren z.B. in Bayern noch im Alter von 70 Jahren und z. T. darüber hinaus im Amt ließen, bereits zum Schluß des Semesters, in dem sie ihr 65. Lebensjahr vollendeten, "kraft Gesetzes" von ihren amtlichen Verpflichtungen entbunden, d.h. emeritiert im üblichen Sinne. Sie durften aber ab jetzt ihre Lehrtätigkeit nur mit besonderer Erlaubnis des Rektors fortsetzen. 38 Die Entpflichtung konnte von der zuständigen 34 BBG § 5, s. oben (B.II.l.a).- Nach Petcrs (269) ging dieses zunächst bis zum 31. 12. 1937 befristete Gesetz als lex specialis des Reichsrechts für beamtete Hochschullehrer allen sonstigen beamtenrechtlichen Vorschriften vor. 35 So übereinstimmend in den Presseberichten, z.B. im VB vom 13. 12. 1934 (hier nach UAM Sen 17): "Die Hochschule ist im Sinne des nationalsozialistischen Staates nicht nur ein Organ zur wissenschaftlichen Erziehung, sondern ebenso sehr zur weltanschaulich-charakterlichen Bildung des jungen Menschen. Diesen Teil ihrer Aufgabe kann aber nur ein Lehrkörper erfüllen, der genügend junge zur Führung der Jugend geeignete Kräfte aufzuweisen hat." 36 Ebd. und interne Begründung des Gesetzes durch das REM (BA R4311 939a). 3? In Bayern bestand die Möglichkeit (Herkommen, kein Rechtsanspruch), nicht aber die Notwendigkeit, sich nach Vollendung des 65. Lebensjahres auf Antrag entpflichten zu lassen, d.h. sich von der Verpflichtung zur Abhaltung von Vorlesungen unter Belassung des erdienten Diensteinkommens, doch ohne Ersatz für den Ausfall von Vorlesungsgebühren, befreien zu lassen (UAM Sen 17). Während in Preußen in den letzten Jahren die Emeritierung spätestens im Alter von 68 Jahren fällig war, gab es in Bayern keine feste Altersgrenze. Es galt aber die Übung, zu der sich die Hochschullehrer bekannten, spätestens mit 70 Jahren die Stellen freizumachen. 38 Erlaß des REM vom 15. 5. 1935 (UAM Sen 17): Sie durften keine dem Lehrstuhlinhaber oder -Vertreter vorbehaltenen Hauptvorlesungen halten. Außerdem konnte die Genehmigung nur erteilt werden, wenn der Antragsteller die Gewähr dafür bot, "daß er sich in die im jungen Geiste sich erneuernde Universität hineinfiigt, und daß seine politische Haltung die nationalsozialistische Erziehungsarbeit an der akademischen Jugend nicht gefährdet".

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B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933- 1935

Landesbehörde mit Zustimmung des REM auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, wenn "überwiegende Hochschulinteressen" dies erforderten (§ 2). Die schmerzlich empfundene und als Entrechtung betrachtete Entpflichtungsregelung wurde noch ergänzt durch einen weiteren Eingriff in die traditionellen Rechte der Hochschulen und Hochschullehrer. Nach den §§ 3 und 4 konnte der Reichswissenschaftsminister im Reichsinteresse (im Hinblick auf den Neuaufbau des deutschen Hochschulwesens) beamtete Hochschullehrer "auf einen ihrem Fachgebiet entsprechenden Lehrstuhl einer anderen deutschen Hochschule" versetzen oder, falls "aus Anlaß des Neuaufbaus" ein Lehrstuhl fortfiel oder einem anderen Fachgebiet zugeschlagen wurde, den bisherigen Inhaber entpflichten. Damit hatte der Minister zum einen die Möglichkeit zur Versetzung unliebsamer Professoren bzw. zur gewünschten Plazierung politischer Gesinnungsgenossen, falls etwa an einer Universität oder Fakultät noch keine Führungspersonen seines Vertrauens vorhanden waren. 39 Zum anderen gab das Gesetz zum ersten Mal den Spielraum zur planmäßigen und systematischen Umgestaltung der gesamten Hochschullandschaft des Reiches, sowohl zum partiellen oder vollständigen Abbau einzelner Fachgebiete, Fakultäten oder gar Hochschulen als auch zum gezielten Ausbau und zur speziellen wissenschaftlichen und politischen Ausgestaltung bestimmter Hochschulen und Fakultäten durch Schwerpunktsetzuns und Profilierung. Wenn auch von dieser Möglichkeit in der Praxis nicht in dem befürchteten Ausmaß Gebrauch gemacht wurde,40 so zeigt das Gesetz doch, daß zumindest in den Anfangsjahren vom REM größere organisatorische Reforrnmaßnahmen41 zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Ziele ins Auge gefaßt wurden. Daß dieses Gesetz noch im Jahre 1935 eine außergewöhnliche Zahl von Professorenstellen freimachen half, läßt sich auch für die Universität München (s. unten C.III.l.c) zeigen.

39 Insbesondere sollte - so die einschlägigen Presseberichte - durch die Bestimmungen des § 3 "die Auswahl geeigneter Rektoren für die Führung der Hochschulen im nationalsozialistischen Geist sichergestellt werden". Außerdem konnte man z.B. an einzelnen Fakultäten bestimmte "Schulen" etablieren oder nationalsozialistische Hochschullehrer konzentrieren. Das Vorschlagsrecht der Fakultäten bei Berufungen sollte aber- auch wenn es hier nicht zum Tragen kam - grundsätzlich erhalten bleiben. 40 Vgl. spätere Pläne und Maßnahmen zur Zusammenlegung von Fakultäten und zum Abbau der theologischen Fakultäten und Hochschulen. Der durch die Versetzbarkeil der Professoren und die Aufhebung bzw. Umwandlung der Lehrstühle mögliche große "Neuautbau" fand jedenfalls nicht statt. 41 Das Gesetz wurde in den Zusammenhang mit der erwarteten Reichsreform gestellt und fand seine Begründung im Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. l. 1934 und der dazu ergangenen l. DVO vom 2. 2. 1934. Der Charakter der Übergangsregelung (Befristung) wurde herausgestellt.

V. Zentralisierung und Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung

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4. Die "Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung" vom 1. April193542 Einen vorläufig letzten, aber großen Schritt zur Zentralisierung der Hochschulpolitik im REM stellen die Richtlinien vom 1. April 1935 dar, die das Führerprinzip festgeschrieben und die bisherigen Hochschulverfassungen reichseinheitlichen Bestimmungen unterworfen haben. 43 Obwohl auch die Richtlinien noch den Charakter des Unfertigen,44 z. T. Widersprüchlichen trugen und manches offen und in einem ambivalenten Schwebezustand ließen, blieben sie die Basis fiir die Hochschulpolitik der folgenden Jahre. Die "Studentenschaft" und die aus den "an der Hochschule tätigen Lehrkräften und Assistenten" bestehende "Dozentenschaft" bildeten Gliedkörperschaften der Hochschule,45 deren Führer dem Rektor unterstanden. Die Stellung des Rektors als "Führer der Hochschule" wurde auch - zumindest formal - dadurch gestärkt. Er selber wurde direkt dem Reichswissenschaftsminister unterstellt, dem er "allein verantwortlich" sein sollte. Durch die Emennung46 und unmittelbare Unterstellung des Rektors, die Ernennung auch der dem Rektor unterstehenden Leiter der Dozentenschaft und Studentenschaft47 sowie des Prorektors und der Dekane48 verseharne sich der Reichswissenschaftsminister den direkten Zugriff auf die Hochschulen, deren entscheidenden Organe von ihm abhängig waren. Der Senat blieb beratendes Gremium,49 änderte sich aber in seiner Zusammensetzung, die gegenüber der bisherigen bayerischen Regelung von 1933 stark formalisiert wurde. Die Auswahlmöglichkeit des Rektors wurde fast ganz

42 Bekanntgegeben am 3. Apri11935 (DWEV 1935, 142).

43 Die Übergangsregelungen der Landesregierungen zur Einfiihrung des Führerprinzips wurden abgelöst. Die aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen differenziert zu beantwortende Rechtsfrage, ob die bisherigen Hochschulverfassungen - bzw. -Satzungen - völlig beseitigt oder nur geändert wurden, kann hier ausgeklammert werden, weil sie für die Praxis unwesentlich ist. Nach Petcrs (268) gelten sie insoweit fort, "als sie nicht durch die freilich grundlegenden Änderungen seit 1933 beseitigt oder iiberholt sind". 44 Die Richtlinien sollten nur eine der ersten Maßnahmen zu einer geplanten - aber dann ausgebliebenen- grundlegenden Reform sein (vgl. Seier, Der Rektor als Führer 114). 45 Nr. 1: " Die Hochschule gliedert sich in Dozentenschaft und Studentenschaft." 46 Bereits im Februar 1935 hatte der Reichswissenschaftsminister die einheitliche Rektor-Bestellung durchführen lassen; dazu siehe unten (C.IV.l.b). 47 Nach Anhören des Rektors und des Gauführers des NS-Dozentenbundes bzw. des NSStudentenbundes. 48 Auf Vorschlag des Rektors; in der Praxis wurde der Rektor jeweils vom Minister ermächtigt, diese Ernennungen in seinem Namen zu vollziehen (vgl. DHV I 34). 49 Nachdem der Senat keine generelle Zuständigkeit hatte und iiber seine Einberufung nichts bestimmt wurde, lag es letztlich im Ermessen des Rektors, wann und in welchen Fragen er sich vom Senat beraten lassen wollte.

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beseitigt, da dem Senat fast nur noch Funktionsträger "ex officio" angehörten: die Leiter der Dozentenschaft und der Studentenschaft, der Prorektor, die Dekane und - nur - zwei weitere vom Rektor zu berufende Mitglieder der Dozentenscbaft, von denen eines dem NS-Dozentenbund angehören mußte. Da der Rektor aber an der Auswahl der Dekane und des wieder installierten Prorektors - der Syndikus als bayeriscbe Spezialität war als Senatsmitglied wieder weggefallen - durch seinen Erstvorschlag maßgeblich beteiligt war und auch bei der Bestellung der Leiter von Dozentenschaft und Studentenschaft gehört werden mußte, hatte er indirekt doch beträchtlichen Einfluß auf die Zusammensetzung des Senats, der offensichtlich im Interesse der Effektivität zahlenmäßig bewußt klein gehalten wurde. Die Senatsmitglieder konnten sich auch nicht vertreten lassen. Der Wunsch der Universität München auf Vergrößerung des Senats (s. unten C.IV.2.a) wurde nur z. T. erfüllt. Die Fakultäten, ausdrücklich als "Träger" der fachwissenschaftliehen Arbeit bezeichnet, wurden vom Dekan geführt, der seinen Stellvertreter ernannte. Analog zum Verhältnis Senat-Rektor hatte auch die Fakultät nur mehr beratende Funktion. Der- die bisherige engere Fakultät50 ablösende - Fakultätsausschuß setzte sich zusammen aus den beamteten ordentlichen und außerordentlichen Professoren der Fakultät und zwei vom Leiter der Dozentenschaft zu benennenden nichtbeamteten Hochschullehrern. Trotz dieser Eingriffe wurden die Fakultätsverfassungen nicht gänzlich beseitigt. Da vieles nicht eindeutig geregelt war, blieb nicht nur reichlich Konfliktstoff, sondern auch beträchtlicher Spielraum für die praktische Ausgestaltung, die wesentlich von den handelnden Personen und den jeweiligen örtlichen und überörtlichen Machtverhältnissen zwischen den beteiligten Stellen des Staates und der Partei abhing. So war z.B. das Verhältnis des Rektors zur "Studentenschaft" und "Dozentenschaft", nach den Richtlinien als eine Art "Führer- Gefolgschaft - Verhältnis" zu verstehen, nicht klar festgelegt und in der Praxis vielfach von bestimmenden politischen Gesichtspunkten überlagert,51 zumal hinter "Studentenschaft" und "Dozentenscbaft" mit dem NSDStB und dem NSDozentenbund die maßgeblieben - örtlichen und überörtlichen - Hochschulgliederungen der Partei standen. Aber die bei der Bestellung der Leiter von Dozentenschaft und Studentenschaft sich zeigende Verklammerung von örtlicher und zentraler Hochschulverwaltung und Partei war ja schließlich ein Strukturprinzip des NS-Staates. Die Richtlinien sollten, wie das REM bereits in einem

50 Nach der KMBek vom 20. 2. 1934 bestehend aus den ordentlichen Professoren und den "sonstigen" vom Dekan ernannten Mitgliedern. - Die Neuregelung stärkte hinsichtlich der Zusammensetzung die Stellung der "Dozentenschaft" und die der Nichtordinarien. 51 Dazu direkt und ausführlich Seier, Der Rektor als Führer; vgl. auch die zeitgenössischen Überlegungen von Walz. Zur Situation an der Universität Münchens. unten (C.IV.2.).

VI. Institutionalisierung spezieller Mitwirkungs- und Kontrollinstanzen

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Erlaß vom 18. 6. 193552 klarstellte, "an der Zuständigkeit der Länderminister zur Verwaltung der Hochschulen" nichts ändern, aber "die Bestimmung der leitenden wissenschafts-politischen Richtlinien, nach denen die einzelnen Hochschulen von den Rektoren geführt werden sollen", waren dem Reichswissenschaftsminister vorbehalten. Im übrigen waren auch die Richtlinien nur eine "Momentaufnahme", die die gerade herrschenden Machtverhältnisse spiegelten. Sie ließen - ebenso wie die RHO und das Gesetz vom Januar 1935 - den Willen des REM zu einer umfassenderen Hochschulreform erkennen, brachten nicht nur dem REM die gewünschte zentrale Kontrolle der Hochschulen, sondern eröffneten auch der Partei mehr Einfluß, gaben aber den einzelnen Hochschulen und insbesondere ihren Rektoren immer noch Möglichkeiten für eine flexible Handhabung unter den Bedingungen der örtlichen Verhältnisse und des interpretationsfähigen Führerprinzips.

VI. lnstitutionalisierung spezieller politischer Mitwirkungsund Kontrollinstanzen innerhalb und außerhalb der Hochschulen Obwohl durch fiiihzeitige Gleichschaltungsmaßnahmen und eine gezielte Personalpolitik der nationalsozialistischen Kultusminister und dann des REM sehr rasch die führenden Stellen der Hochschulen mit politisch genehmen Personen besetzt wurden, verzichtete man auch im Hochschulbereich nicht darauf, der Partei neben dem Staat eine unmittelbare Mitwirkung einzuräumen und dazu besondere politische Gremien zu etablieren. 1. Das System der Vertrauensleute In den ersten Monaten nach der Machtergreifung mußte sich die Partei im Hochschulbereich zunächst auf einzelne Personen ihres Vertrauens stützen, da es noch keine geschlossene und schlagkräftige Organisation zur Erfassung und politischen Infiltrierung des Lehrkörpers gab. Die wenigen Parteimitglieder unter den Professoren waren an den Hochschulen noch nicht zusammengefaßt. Lediglich der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB),l der die Hoch-

52 DlN I 36- 37: Die Rektoren sollten "in dem gleichen Umfang wie bisher der Aufsicht der Länderminister unterstellt" sein. Auch hinsichtlich der "Wahrnehmung der den Hochschulen verbliebenen korporativen Rechte" war ihre Aufsicht nicht beeinträchtigt. Der Reichwissenschaftsminister behielt sich demnach nur die Befugnisse vor, "die den Rektoren überhaupt erst durch die Maßnahmen zur Hochschulreform verliehen worden sind". 1 Dazu u.a.: Feiten, insbes. 76 ff.; Eilcrs und Kühnel, passim; Kelly, University Teachers 111 ff.

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B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933 - 1935

schullehrer in seinen Reihen, ob sie der Partei angehörten oder nicht, in der Fachschaft bzw. dann Reichsfachschaft I organisierte, hatte zur Betreuung seiner nicht sehr zahlreichen Mitglieder unter den Professoren Vertrauensmänner an den Hochschulen, auch Obleute genannt, die sich der Mitglieder annehmen und als Verbindungspersonen zur Reichsleitung tätig sein sollten. In der Mitgliederwerbung, der politischen Schulung und Organisation von Veranstaltungen lag wohl zunächst ihre Hauptaufgabe, während die ihnen vor allem von dem NSLB-Funktionär Erich Seidl zugedachte Rolle bei der nationalsozialistischen Hochschulreform (s. oben B.l.2.a) sich nicht realisieren ließ. Vertrauensmann des NSLB für die Universität München war Anfang 1934 der Privatdozent Robert Spindler, der von Vertrauensmännern in den einzelnen Fakultäten unterstützt wurde. Der direkte Einfluß dieser Vertrauensleute des NSLB darf insgesamt als gering veranschlagt werden, zumal die Hochschule für den NSLB ein Nebengebiet war, der Aufbau einer Organisation an den Hochschulen nur langsam vonstatten ging und es noch keine formale Mitwirkungsmöglichkeit gab. Dennoch hatte das System Modellcharakter für die "Nachfolgeorganisationen" 'Dozentenschaft' und 'Dozentenbund'. Neben den Obleuten gab es einzelne Hochschullehrer, die, obwohl nur z.T. Parteimitglieder, besondere Beziehungen zu Ministerien und maßgeblichen Parteistellen hatten und von diesen in Einzelfragen als Berater herangezogen wurden. An der Universität München könnte man zu diesem Personenkreis neben anderen etwa Prof. Karl Haushofer zählen, während Karl Alexander von Müller und der Anthropologe Tbeodor Mollison 1933 als nominelle "Hochschul-Obleute" des NSLB geführt wurden.2 Auch wenn sich manche gerne als Vertrauensleute bezeichnen ließen, waren sie nicht immer offizielle, systematisch eingesetzte Vertrauensleute, sondern dienten der Partei in der Zeit, in der nationalsozialistische Fachleute noch nicht in genügender Zahl zur Verfügung standen und in der man "improvisieren" mußte, als fachkundige Berater im personellen und sachlichen Angelegenheiten. Mag ihr Wort anfangs durchaus Gehör gefunden haben, so war ihr Rat nach dem Aufbau der speziellen Kontrollinstanzen der Partei kaum mehr gefragt. Blieben diese meist älteren und erfahrenen Professoren im wesentlichen auf ihre Ratgeberrolle3 beschränkt, so drängten sich den zuständigen Stellen in Staat und Partei in zunehmendem Maße jüngere Hochschullehrer auf, die sich politisch exponierten und profilierten und auch als Zuträger und politische Informanten tätig wurden. Eine besondere, nach außen kaum sichtbare, aber doch sehr wirksame Rolle als Vertrauensmann des NSLB und anderer hoher Parteistellen spielte

Nationaisozialistische Erziehung Jg. 2 (1933), 251-252. In dieser Rolle suchten sie vielfach auch vom professoralen Standpunkt aus auf die vielbeschworene Hochschulreform Einfluß zu nehmen. 2

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VI. Institutionalisierung spezieller Mitwirkungs- und Kontrollinstanzen

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der Syndikus der Universität Robert Einhauser. 4 Er war schon seit 1923 -bis zum Verbot - Mitglied der Partei und genoß das besondere Vertrauen von RudolfHeß.S Einhauser, als Syndikus ohnehin eine der einflußreichsten Personen in der Universität, wurde nach der Machtübernahme von Kultusminister Schemm zum Vertrauensmann der Hochschulgruppe Bayern des NSLB ernannt6 und ins Kultusministerium geholt, wo er als Vertrauensmann des NSLB und - wohl als nebenamtlicher - Berater des Ministers in Hochschulangelegenheiten tätig war. Sein Einfluß auf Personalentscheidungen - insbesondere die Universität München betreffend - muß für die Übergangszeit recht hoch angesetzt werden, zumal offensichtlich auch Heß seinen Rat einholte, etwa beim Aufbau der Hochschulkommission.7 Eine erste systematische Aufstellung von Vertrauensleuten der Partei erfolgte Ende 1933 auf Weisung von Reichsärzteführer Gerhard Wagner in den medizinischen Fakultäten. 8 In jeder medizinischen Fakultät sollte ein Vertrauensmann9 tätig sein, der aufgrund eines Vorschlags der örtlichen NS-Ärztebundsführung vom Reichsärzteführer bestellt wurde. Anfang 1934 setzte Reichsärzteführer Wagner den Rektor der Universität München davon in Kenntnis, 10 daß der derzeitige Vertrauensmann der Reichsleitung der NSDAP bei der Medizinischen Fakultät der Universität München Pg. Dr. Borger sei. Der junge Nationalsozialist, über dessen Aktivitäten in der Universität und in der Partei, speziell im Dozentenbund, noch zu berichten sein wird und der nach eigenen Angaben bereits seit Herbst 1933 Vertrauensmann in der Fakultät war, übernahm im November 1933 auch die Leitung des SA-Hochschulamtes in München. 11 Zugleich ersuchte Wagner den Rektor, den Vertrauensmann der UAM Sen 544 und IZ6 MA 595. S. auch unten (C.IV.l.d). HStAI MF 68255. 6 Ebd.: nach eigenen Angaben aus dem Jahre 1933. In der Organisation des NSLB wird er als "Verbindungs-Pg" der bayerischen Hochschulen zum bayerischen Kultusministerium · genannt (Nationalsozialistische Erziehung Jg. 2 (1933), 251 ). 7 IZG MA 595, s. unten (B.VI.3. und C.III.3.b). 8 IZG MA 1163. Wagner, der Mitbegrunder und Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes, war im Stab Heß Leiter des Sachverständigenbeirats für Volksgesundheit und gehörte auch der 1934 gegriindeten Hochschulkommission an (s. unten). Die Verfügung Wagners erging im Auftrag des Stellvertreters des Führers. Zu Wagner und zum Ärztebund vgl. Kudlien 105 ff. 9 In größeren Fakultäten hatte er wohl Mitarbeiter in den einzelnen Kliniken und Instituten. An der Spitze dieser Vertrauensleute stand n.b.a.o. Prof. Franz Wirz. 10 Hier nach UAM NN 9a: Schreiben vom 18. 1. 1934 mit Briefkopf "NSDAP, Der Stellvertreter des Führers, Stab": "Im Verfolg der Verfügung des Stellvertreters des Führers vom 6. November 1933 und auf Grund der Sitzung der von der NSDAP bei den medizinischen Fakultäten ernannten Vertrauensmänner, die in Anwesenheit des Stellvertreters des Führers, Pg RudolfHess im Braunen Hausam 14. Januar stattgefunden hat ... • Das Schreiben ging auch an die Hochschulbehörden der Länder. 11 BDC SSO Borger. S. unten (C.II.2.c und C.III.2.a). 4

S

13 Böhm

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Partei "zu allen Sitzungen der medizinischen Fakultät, des Senats und allen zu Sonderzwecken eingesetzten Kommissionen der Fakultät und des Senats (Berufungsausschuß usw.) zuzuziehen und sich auch sonst persönlich bei wichtigen Angelegenheiten, vor allem solchen hochschulpolitischer Art, mit ihm in Verbindung zu setzen". Eine rechtliche Grundlage für dieses Ansinnen gab es freilich nicht, und der preußische Kultusminister hat auch umgehend12 eine förmliche- Aufuahme von Vertrauensleuten in die medizinischen Fakultäten und die Senate als unzulässigen Eingriff in die Hochschulverwaltung zurückgewiesen. Gegen eine Zusammenarbeit "in anderer Form" wollte er aber keine Einwendungen erheben. Eine solche informelle, aber wirksame Zusammenarbeit schien in der Praxis auch an der Universität München gegeben. 13 Denn abgesehen davon, daß in Bayern die Anhörung des Reichsärzteführers durch das KM in wichtigen Angelegenheiten wie Berufungen ohnehin schon gewährleistet war, 14 hatte sich offensichtlich die Übung eingebürgert, den Vertrauensmann in den Fakultätssitzungen als solchen zu respektieren, 15 bis dann Mitte der 30er Jahre sein Auftreten16 durch die dominierende Rolle der "Dozentenschaft" bzw. des Dozentenbundes überflüssig wurde.1 7 2. Die "Dozentenschaft" als Organ zur politischen Ausrichtung der Hochschule Obwohl es sich bei der "Dozentenschaft" um eine staatliche und nicht um eine parteiliche Einrichtung handelte, war sie mit einer primär politischen Zielrichtung gegründet worden als Organisation, in der engagierte junge Nationalsozialisten die Umgestaltung der Hochschule betreiben sollten. 18

12 Schreiben vom 29. 1. 1934, hier nach UAMNN 9a. 13

Vgl. auch IZG MA 1163.

14 UAM NN 9a, NN 2a, NN 2b. Ein diesbezügliches Schreiben richtete Rudolf Heß am

6. 11. 1933 an alle Kultusminister. 15 Borger gehörte der Fakultät ohnehin bereits vor der Bekanntgabe des Schreibens des Reichsärzteführers (16. 2. 34) als Nichtordinarienvertreter an, meldete sich in Berufungsangelegenheiten selbstbewußt zu Wort und war in wichtigen Berufungskommissionen vertreten (UAM NN 1b). Auch nach den einschlägigen Änderungen der Fakultätsverfassungen schien er geladen worden zu sein. 16 Der V. fungierte gleichsam als Verbindungsmann zwischen Reichsleitung und Basis. Er hatte die Reichsleitung fortlaufend und umfassend über Fakultätsinterna zu unterrichten und innerhalb der Fakultät den Willen der Reichsleitung "kundzugeben" (IZG MA 1163). 17 Auf eine entsprechende Anfrage Borgers Anfang 1937, warum er zur Fakultätssitzung vom 19. 2. nicht geladen worden sei, antwortet der Dekan nach Rücksprache mit dem Rektor und wohl auch mit dem in der Fakultät vertretenen Reichsdozentenführer Hon.-Prof. Dr. Walter Schultze, daß eine Überprüfung die ausschließliche Gültigkeit der Richtlinien vom 1. 4. 1935 und dementsprechend die Nennung der Herren Dr. Schultze und Oberarzt Dr. Wurst als alleinige Vertreter der Dozentenschaft ergeben habe (UAMNN9a). 18 S. oben (B.III.3.).

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Die Gründung basierte auf inhaltlich und formal weitgehend übereinstimmenden Einzelverfügungen der Landeskultusministerien, die sich am Vorbild Preußens orientierten.19 Bayern verfügte am 24. 3. 193420 die Bildung der Dozentenschafren an den bayerischen Universitäten und der TH München. Die "Dozentenschaft" trat "an Stelle der bisherigen Interessen- und Gruppenvertretungen von Assistenten, Privatdozenten usw." als "einheitliche staatlich anerkannte Standesorganisation", war "Glied der Hochschulverfassung" und darüber hinaus auch dem NSLB "eingegliedert".21 Die Widersprüchlichkeiten in Struktur und Aufgabenstellung und das nie ganz eindeutig geklärte Verhältnis zum - für die Hochschule zunehmend bedeutungslos werdenden - NSLB22 wurden bereits 1934 von Fachleuten23 kritisiert, paßten aber durchaus zur Struktur des NS-Staates. Hatte die "Dozentenschaft" einerseits grundsätzlich das Gesamtinteresse im Auge zu behalten,24 so war sie andererseits dennoch vornehmlich als Interessenvertreteein der Assistenten und Privatdozenten,25 als "eine ständische Organisation", als "einzige staatlich anerkannte Organisation des akademischen Nachwuchses" konzipiert worden. Wenn man damit nationalsozialistischen Grundsätzen zuwider die Hochschullehrerschaft zunächst 19 Erlaß vom 11. 10. 1933 (HStAI MK 39482). Das thüringische Volksbildungsministerium zog z.B. am 20. 11. 1933 nach. 20 KMBek vom 24. 3. 1933, KMBl 1934, 30- 31. Vorausgegangen war am 2. 3. 1934 eine Versammlung in der Technischen Hochschule, an der auch Rektor Escherieb und Ministerialdirektor Dr. Schultze teilgenommen hatten (Nationalsozialistische Erziehung Ig. 3 (1934), 114). 21 Der NSLB, auf dessen Entwicklungsstadien hier nicht eingegangen werden kann, war seiner Rechtsnatur nach ein "angeschlossener Verband" (vgl. Feiten 136 f.), war zum einen "die große deutsche Erzieherfront analog der Bauernfront, analog der Arbeitsfront", die "gleichgeschaltete, aus den früheren Organisationen gebildete Gesamterzieherorganisation", stellte zum anderen aber .auch "die auf Erziehung bezügliche, fachliche Organisation der N.S.D.A.P." dar. Vgl. Verfügung des Reichsinnenministeriums (KMBek vom 9. 12. 1933, Staatsanz. Nr. 286 vom 10./11. 12. 1933), Organisationsverfügung der Parteiorganisation vom 6. 1. 1934 mit Verfügung vom 8. 12. 1933 und Ausführungsbestimmungen vom 4. 1. 1934 (KMBek v. 9. 1. 1934, Staatsanz. Nr. 6 v. 10. 1. 1934). Die Führer der angeschlossenen Verbände waren gleichzeitig Leiter der entsprechenden Ämter in der Reichsleitung der NSDAP. 22 Eingliederung in die Reichsfachschaft I des NSLB; vgl. dazu auch Feiten 85, Kelly, University Teachers 148 ff. 23 Bedenken äußerte z.B. Ministerialrat Fehrle, der Leiter der Hochschulabteilung des badischen Kultusministeriums, in einem Schreiben vom 30. 12. 1933 an Prof. Achelis im preußischen Kultusministerium, in dem er den neuerlichen Riß in der Hochschullehrerschaft bemängelte und eine andere Bezeichnung vorschlug und für die Erfassung der "Gesamtlehrerschaft" im Sinne der "Volksgemeinschaft" plädierte (HStAI MK 39482). 24 In Nr. 5 der KMBek vom 24. 3. 1934 hieß es, die "Dozentenschaft" trage "die gemeinsame Verantwortung für Hochschule und Volk", und "jede Interessenvertretung einzelner Gruppen ist dabei ausgeschlossen". 25 Pflichtmitglieder, während etatmäßige Professoren nur freiwillige Mitglieder werden konnten. 13°

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aufspaltete, so deshalb, weil man sich gerade von den jüngeren Kräften die Neugestaltung der Hochschule erhoffte und deshalb dem Willen der jungen Generation einen besonderen Ausdruck verleihen und eine besondere Stoßkraft geben wollte. Gerade aus dieser Spannung und Auseinandersetzung zwischen beiden Gruppen sollte die neue Hochschule entstehen.26 Dieser Gegensatz wurde gemildert, als nach den Richtlinien vom I. 4. 1935 die Dozentenschaft von "allen an der Hochschule tätigen Lehrkräften und Assistenten" gebildet und deutlich als Gliedkörperschaft der einzelnen Hochschule herausgestellt wurde. Mit dieser weitgehenden Rücknahme der Dozentenschaft in den Bereich der einzelnen Hochschule und der Aufhebung bzw. Reduzierung des zunächst bewußt herausgestellten Gegensatzes zwischen etatmäßigen und nichtetatmäßigen Professoren und Assistenten verlor auch der vertikale Aufbau der Dozentenschaft an Bedeutung. Die im Sommer 1934 geschaffene und vom REM gestützte Dachorganisation, die Deutsche Dozentenschaft, die in Berlin residierte und vor allem mit der Durchführung der Gemeinschaftslager und der Dozentenakademielehrgänge betraut war,27 wurde überflüssig und noch Ende 1935 aufgehoben, ihre überregionalen Aufgaben konnten ohne weiteres vom REM- und z.T. von der entstehenden Dozentenbundsorganisation - übernommen werden.2 8 Der Reichswissenschaftsminister sicherte sich die Ernennung des örtlichen Dozentenschaftsleiters.29 Die Aufgaben der Dozentenschaft lagen ursprünglich30 in der "Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen ..., die der körperlichen und geistigen Ertüchtigung des akademischen Nachwuchses dienen". Ein entsprechender Apparat mit einem Amt für Wehrsport und Arbeitsdienst und einem wissenschaftlichen Amt sollte der "Dozentenschaft" jeder Hochschule die Erfüllung dieser Aufgaben ermöglichen. Obwohl ihr die Betreuung des akademischen Nachwuchses31 als Hauptaufgabe zugewiesen war, gingen Tätigkeit und Ein-

26 So auch das Antwortschreiben von Prof. Achelis an Fehrle. Wesentliche Aufgabe sei es, den richtungslosen Nachwuchs in die Universität einzuordnen, was nur durch eine entsprechende Zusammenfassung der jungen Kräfte möglich sei. 27 Vgl. z.B. Erlaß des REM vom 19. l. 1935 (UAM ON 7a). 28 Erlaß vom 18. 2. 1936 (ebd.): Übernahme der Lager und Dozentenakademielehrgänge. Mit der zunehmenden Zentralisierung der Hochschulverwaltung durch das REM blieb kein Platz mehr für eine überregionale Tätigkeit anderer staatlicher Einrichtungen im Hochschulbereich. Der Abbau der Deutschen Dozentenschaft erfolgte fast parallel zum Aufbau des Dozentenbundes. 29 Nach Anhören des Rektors und Gauführers des NS-Dozentenbundes. Vorher erfolgte die Ernennung durch den vom KM ernannten Führer der bayerischen Dozentenschaft 30 KMBek vom 24. 3. 1934. 31 D.h. vor allem Auslese, Mitwirkung bei der Habilitation nach der RHO (s. oben), Beteiligung bei der Vergabe von Assistentenstellen und der Verlängerung von Dienstzeiten. Apri11935 wurde bei der Deutschen Dozentenschaft in Berlin ein Zentralstellennachweis für wissenschaftliche Assistenten eingerichtet (Erlaß des REM v. 18. 2. 1935, hier nach UAM

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flußnahme der "Dozentenschaft" bald weit über diesen Bereich hinaus, ohne daß es ein besonderes Mandat dafür gegeben hätte. 32 Die "Dozentenschaft", in Senat und Fakultäten vertreten, nahm von Anfang an als Organisation zu fast allen sachlichen und personellen Vorgängen, v.a. Berufungsfällen, Stellung, und ihr Votum war, wie sich am Beispiel der Universität München (s. unten C.III.3.b und C.III.4.) zeigen läßt, trotz der "Fübrerstellung" von Rektor und Dekan im Laufe der Zeit in den meisten Fällen ausschlaggebend. Dies hatte seinen Grund nicht zuletzt darin, daß hinter der "Dozentenscbaft" engagierte meist im Dozentenbund organisierte - Nationalsozialisten standen, die in Kontakt mit außeruniversitären Institutionen und mit Rückendeckung einflußreicher Parteistellen vornehmlieb die Interessen der Partei im Hochschulbereich zur Geltung brachten. Insofern war die staatliebe Einrichtung der "Dozentenschaft" nur eine weitere Organisationsform zur Durcbsetzung der Parteilinie an den Hochschulen. In der von Parteileuten, ab 1936 ganz vom Dozentenbund beherrschten "Dozentenscbaft" sah man allgemein die Vertretung der Partei an den Hochschulen. 3. Die Hochschulkommission der NSDAP Um die politische Neuformierung der Hochschulen und insbesondere die Personalrekrutierung von zentraler Stelle der Partei aus lenken zu können, wurde im Sommer 1934 bei der Reichsleitung der NSDAP eine spezielle Kommission eingerichtet. Damit war eine Stelle geschaffen, in der nicht nur die Informationen der Vertrauensleute an den Hochschulen und der sonstigen Zuträger zusammenlaufen und von der diese Weisungen erbalten konnten, sondern die auch gegenüber den zuständigen Landeskultusministerien - und später auch gegenüber dem REM - ein entscheidendes Mitspracherecht beanspruchte. Etwa gleichzeitig mit der Zentralisierung des Berufungswesens durch das REM3 3 als zuständiger staatlicher Behörde und gut ein Jahr vor dem Führererlaß vom 24.9.1935, mit dem generell die Beteiligung des Stellvertreters des Führers bei der Ernennung der Beamten des höheren Dienstes festgeschrieben wurde, erfolgte somit - gegen den Willen des REM - die Institutionalisierung der Mitwirkung der Parteizentrale bei wichtigen Hocbscbulangelegenbeiten.

OCN 8a). Nach der Assistentenordnung vorn 13. 6. 1935 (DWEV 1935, 282 • 284) mußte der Dozentenschaftsleiter die Entscheidungen des Rektors durch gesicherte Unterlagen vorbereiten helfen. 32 In der KMBek v. 24. 3. 1934 hieß es noch: "Die Übernahme weiterer Aufgaben bedarf der Genehmigung des Ministers." S. oben (B.III.3.). 33 Am 19. Juli 1934, s. oben. Zum Verhältnis des REM zur Kornmission vgl. auch Kelly, Die gescheiterte nationalsozialistische Personalpolitik 65, und University Teachers 193 ff.

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Die Entstehungsgeschichte der Hochschulkommission zeigt, daß Reichsleiter Alfred Rosenberg selber größtes Interesse an einer eigenen, von ihm geleiteten Kommission dieser Art hatte, daß er für sich beanspruchte, in Hocbschulangelegenbeiten und insbesondere bei Berufungen mitzuwirken und daß er offensichtlich bereits mit Minister Rust ein Abkommen bezüglich seiner Mitsprache getroffen hatte. 34 Heß35 wollte wohl den Hochschulbereich nicht Rosenberg überlassen und übernahm, nachdem der zunächst als Vorsitzender in Aussicht genommene Reichsleiter Philipp Bouhler von Rosenberg nicht akzeptiert wurde, selber den Vorsitz. Rosenberg, der seinen immer wieder z. T. in modifizierter Form - erhobenen Mitwirkungsanspruch insbesondere aus seiner am 24. 1. 1934 erfolgten Bestellung zum "Beauftragten für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulieben Schulung und Erziehung der NSDAP" ableitete, mußte sich mit dem Vorsitz von Heß zufriedengeben und sich auf Vorschläge zur personellen Besetzung der Kommission beschränken,36 die allerdings bereits eigene, von der Parteilinie abweichende Vorstellungen über die Neugestaltung der Hochschule verrieten.3' Für die Universität München bleibt bemerkenswert, daß Heß, der im Vorfeld auch mit Minister Rust gesprochen hatte, bei der Bildung der Kommission dem Syndikus der Universität Robert Einhauser eine gewichtige Rolle zugedacht hatte, so daß angenommen werden darf, daß Einhauser auch nicht ohne Einfluß auf die Arbeit der Kommission blieb. Mit Anordnung vom 10. Juli 193438 gab Heß die Errichtung einer Hochscbulkommission bei der Reichsleitung der NSDAP bekannt. Sie sollte "eine 34 Hier nach IZG MA 595. Der Minister wollte Rosenberg wichtige Maßnahmen des REM vorher zur Stellungnahme zuleiten, R. wollte dem REM seinerseits geeignete Gelehrte aus dem Kreis der Bewegung vorschlagen, um nach und nach die Hochschulen im nationalsozialistischen Geist besetzen zu können. 35 Während Rosenberg von Anfang an eine umfassende Kompetenz beanspruchte, wurde ihm von Heß zunächst lediglich zugestanden, daß er die Eignung der Philosophieprofessoren wohl am besten beurteilen könne. 36 So lehnte er Carl Schmitt als Mitglied ab, weil er den strengen Kriterien der Bewegung nicht entspreche, ebenso den Lehrbeauftragten der Universität München von Kloeber als "reichlich jungen Mann" und beanspruchte dessen Fachgebiet für seinen Mitarbeiter Prof. Alfred Bäumler. 37 R. machte grundsätzliche Bedenken geltend, ob für die Kommission überhaupt aktive Hochschullehrer in Frage kämen, denen er, wie man weiß, eine Neugestaltung der Hochschule im nationalsozialistischen Sinn nicht zutraute. R. wollte außerdem später der Kommission noch mehr Kompetenzen einräumen, ihr z. T. auch Aufgaben der Ministerien übertragen und sie nicht nur auf die Abgabe von Stellungnahmen beschränken, sondern ihr das Recht zugestehen, "aus eigener Initiative Vorschläge für Berufungen und die Neugestaltung des Hochschullebens" zu machen. Dieses Initiativrecht verlangte ein Jahr später auch Heß in seiner Denkschrift vom 8. 8.1935 über die Tätigkeit der HSK. 38 An das REM, die Landeskultusministerien und sonstigen Hochschulbehörden; vom KM am 14. 8. 1934 an die bayer. Universitäten weitergeleitet; hier nach UAM ON 1b.

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ständige Fühlungnahme zwischen der Reichsleitung der NSDAP und allen Ministerien, in deren Bereich Anordnungen, Habilitationen, Berufungen etc. weltanschaulicher Natur fallen", ermöglichen und "der Prüfung aller aus der Bewegung und vom Führer des deutschen Hochschulverbandes39 eingehenden Vorschläge"40 dienen sowie die Aufgabe haben, "die Absichten in grundsätzlicher und personeller Hinsicht, die in diesen Ministerien bearbeitet werden, zur Stellungnahme entgegenzunehmen". Mitglieder dieser dem Stellvertreter des Führers persönlich unterstellten Kommission waren Reichsleiter Alfred Rosenberg und die beauftragten Hochschulreferenten des Reichsjustizkommissars Dr. Hans Frank, des Leiters des NSLB, Minister Hans Schemm, und des Leiters des Sachverständigenbeirats für Volksgesundheit, Dr. Gerhard Wagner. Minister Seherom benannte Prof. Heinrich Gall, TH München, als Referenten für die Technischen Hochschulen und die naturwissenschaftlichen Fächer und durch Prof. Gall - Dr. Wilhelm von Kloeber als Referenten für die philosophischen Fakultäten der Universitäten,41 Dr. Wagner schickte seinen Mitarbeiter n.b.a.o. Prof. Franz Wirz in die Kommission als Referenten für medizinische Hochschulangelegenheiten. Rosenberg, unaufhörlich bestrebt, seine Leute unterzubringen, benannte im Herbst 1934 für die in seinen Arbeitsbereich fallenden Gebiete mehrere Fachreferenten, darunter Prof. Alfred Bäumler für Philosophie und Geisteswissenschaften und Walter Frank für Gescbicbte.42 Nach dieser Anordnung des Stellvertreters des Führcrs waren die Kultusministerien43 und Hochschulbehörden gehalten, sieb jeweils "mit den einzelnen Fachbeauftragten der Kommission in Verbindung zu setzen" und "in ihren künftigen Anordnungen, Berufungen etc. die Stellungnahme der Kommission zu berücksichtigen",44 "um an allen deutschen Hochschulen eine einheitliebe weltanschauliche Linie wahren zu können". Das System der Vertrauensmänner

39 Daß der im Überlebenskampfund kurz vor der Auflösung (1935) stehende gleichgeschaltete Hochschulverband hier erwähnt wird, ist überraschend und vielleicht doch ein Zeichen dafür, daß dessen Hoffnungen nicht ganz unrealistisch waren. 40 Die Kommission sollte diese bei positiver Bewertung den entsprechenden Ministerien befürwortend zuleiten. 41 IZG MA 116/8. - Dr. Hans Frank benannte als Referenten für juristische Hochschulangelegenheiten Dr. Ludwig Fischer, München, und Dr. K. Schmidt (sie), Berlin, d.h. Prof. Carl Schmitt. 42 IZG MA 595 - Zu W. Frank siehe Reiber. 43 D.h. zunächst die einzelnen Landeskultusministerien. Ab 1935 wurde die Stellungnahme der Hochschulkommission unmittelbar vom REM eingeholt (s. unten C.III.3.a). 44 Daß es sich hier nicht um einen Wunsch oder - so die Formulierung ("ich bitte") - um eine B.itte, sondern um einen ernst gemeinten Anspruch handelte, zeigt der drohende Unterton des Hinweises, daß dem Stellvertreter des Führers "seitens der Kommission ... fortlaufend Bericht über alle in Frage kommenden Angelegenheiten erstattet" und ... insbesondere die Fälle gemeldet würden, "in denen die Länder-Kultusministerien oder eine sonstige Hochschulbehörde der Stellungnahme der Kommission nicht entsprechen zu können glauben".

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in den medizinischen Fakultäten sollte demnach auf alle Fakultäten und Hochschulen übertragen werden. Die Stellung der Hochschulkommission, die mit einem Monopolanspruch als einzige, zentrale und letztendlich entscheidende Parteistelle auftrat,45 wurde sofort von den Hochschulbehörden der Länder respektiert, während das REM zwar offiziell die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundete, tatsächlich aber die Beteiligung der Kommission soweit wie möglich zu beschränken suchte. 46 Derbayerische Kultusminister Schemm, der sich die Befragung der Kommission selber vorbehielt,47 nahm bereits im September in einem Berufungsfall Kontakt mit der Kommission auf. Insbesondere in den ersten Jahren bis zum Aufbau einer schlagkräftigen Organisation des Dozentenbundes, dessen Reichsleitung wohl der Kommission einen beträchtlichen Teil ihrer Einzelarbeit abnahm, dürften von der Hochschulkommission die personalpolitischen Entscheidungen an den Hochschulen wesentlich beeinflußt worden sein, wenn auch ihre Aktivitäten z.T. undurchsichtig bleiben.48 Die Kommission mischte sich in viele Angelegenheiten - nicht nur in Berufungsfalle - ein, aber das Fehlen qualifizierter Fachleute49 und eines funktionierenden Apparats sowie die erkennbare unsystematische Vorgehensweise ließen weder eine lückenlose und umfassende Bearbeitung der einzelnen Fälle noch auch eine unter NS-Gesichtspunkten immer sichere Bewertung zu. Vor allem das Fehlen eines organisatorischen Unterbaus, einer zuarbeitenden Basis wurde als Mangel empfunden,50 dem man offensichtlich später durch den Aufbau der Dozenten-

45 Anfragen von außen sollten der Kommission zur Kenntnis gegeben werden, Gutachten von Dienststellen der Partei, SA, SS erst ausgestellt werden, wenn seitens der Kommission keine Bedenken vorlagen. 46 Longerieb 39; Kelly, University Teachers 204 f. In einem Schreiben vom 3. 6. 1935 (RSF A17 a471) beklagte sich Rust bei Heß bitter über die von ihm als "Zerstörungsarbeit" bezeichneten Eingriffe der Partei, d.h. der HSK, bei Berufungen. Dies sei für ihn das "trübste Kapitel" in seiner Arbeit für den nationalsozialistischen Aufbau. Man mute ihm zu, den Eingriff des Herrn Prof. Wirz in seinen Amtsbereich nachträglich zu legalisieren. Er habe "so etwas noch nicht erlebt". Der Druck der HSK auf die Refereneten des REM nehme seinen Beratern die Unabhängigkeit. 47 Schreiben vom 14. 8. 1934 an die bayer. Universitäten. Er wollte sich in Berufungställen nach Vorliegen des Vorschlags des Rektors mit den zuständigen Fachbeauftragten in Verbindung setzen. 48 Aufgrund der Aktenlage lassen sich hier präzise Aussagen nicht treffen. 49 Vor allem fiir die einzelnen Disziplinen gab es noch keine politisch zuverlässigen Informanten, so daß man entweder auf fragwürdige Zuträger oder doch auch noch auf die fachlich, aber nicht politisch ausgewiesenen älteren Hochschullehrer hören mußte. 50 So in einem vertraulichen internen Schreiben des Geschäftsführers Prof. Wirz vom 19. 2. 1935 (IZG MA 1163). Auf allen Fachgebieten sollten "dieselben organisatorischen Einrichtungen" entstehen, wie sie bei den medizinischen Fakultäten bereits seit 1933 (Vertrauensmänner) vorhanden waren und sich offensichtlich bewährt hatten. Die Vertrauensmänner

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bundorganisation Rechnung zu tragen schien. Die räumliche Nähe zum Braunen Haus brachte es mit sich, daß in der Kommission mehrere Münchner Hochschullehrer mitarbeiteten. Sehr aktiv war anfangs der der Universität München als Lehrbeauftragter aufgezwungene Dr. Wilhelm von Kloeber, der weniger als Fachmann als vielmehr als politischer Funktionär in Erscheinung trat und allerdings bereits Ende 1934 aufDruck Rosenbergs aus der Kommission ausscheiden mußte.s 1 An maßgeblicher Stelle in der Kommission wirkte als Geschäftsführer der Privatdozent und a.o. Prof. für Dermatologie in der Medizinischen Fakultät der Universität München Franz Wirz,S2 ein enger Mitarbeiter des Reichsärztefiihrers, der sein Hauptarbeitsgebiet offensichtlich nicht mehr in der Universität bzw. der Klinik hatte und dem man großen Einfluß auf Personalentscheidungen zuschreiben muß. Privatdozent Dr. Gustav Borger, der Vertrauensmann des Reichsärzteführers in der Medizinischen Fakultät, war nach eigenen Angaben als Vertrauensmann der Universität München in der HSK tätig. Sl Daß natürlich im Blickfeld von Borger, v. Kloeber und Wirz vornehmlich die Personalsituation an der Universität München lag, mag manche Personalentscheidung in besonderer Weise politisch beeinflußt haben. 54 4. Der Nationalsozialistische Dozentenbund (NSDB) Die angestrebte nationalsozialistische "Durchdringung" der Hochschulen und Ausrichtung der Hochschullehrer schien mit den bisherigen Maßnahmen offensichtlich noch nicht hinreichend gewährleistet. In der - zwar von Parteileuten bestimmten, aber als staatliche Einrichtung geltenden - "Dozentenschaft" und in den unter Vertrauensleuten locker zusammengefaßten Mitgliedern der Reichsfachschaft Hochschullehrer im NSLB sah man wohl noch nicht die Garanten für die gewünschte Entwicklung, vor allem weil es der bisherigen Organisation an der nötigen Schlagkraft fehlte. Deshalb verfügte Hans Seherom als Leiter des NSLB am 1. 12. 1934 die Errichtung eines "Nationalsozialistischen Dozentenbundes" innerhalb der

aller Fakultäten sollten dann örtlich zu einer nationalsozialistischen "Arbeits- und Kampfgruppe" zusammengeiaßt werden. s1 Vgl. IZG MA 116/8. - Rosenberg konnte offensichtlich das bisherige Tätigkeitsgebiet von Kloebers für seine Leute sichern. S2 Wirz war auch Mitglied im Sachverständigenbeirat für Volksgesundheit (Reichshauptstellenleiter). Er wurde 1939 aus dem Hochschuldienst für Parteizwecke beurlaubt und als Sachverständiger für Ernährungsfragen beim Reichsgesundheitsführer tätig. S. auch unten (C.III.2.a). S3 BDC SSO Borger. S4 Auch Emeritierungen und Habilitationen, vgl. IGZ MA 1163.

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"Reichsschaft Hochschullehrer" im NSLB. 55 Damit sollte die weltanschaulich geschlossene und bewährte Kampftruppe56 gefunden sein, die als "Stroßtrupp der Bewegung" für die Ausrichtung der Hochschule im nationalsozialistischen Geist verantwortlieb sein sollte. Die Führer der örtlichen Hocbscbulgruppen57 sollten jeweils vom Reichsführer des NSDB für die Dauer eines Jahres ernannt werden und ihrerseits Vertrauensmänner zu Unterführern ernennen können. Die Aufgaben der bisherigen Obleute der Einzelmitglieder an den Hochschulen gingen nach einer weiteren Verfügung58 von Scbemm auf die NSDB-Führer über. Mitglieder dieses NSDB waren automatisch die bereits der Reichsschaft Hochschullehrer angehörenden Parteigenossen vor dem 30. 1. 1933. Aufgenommen werden konnte nach einem strengen Verfahren, "wer sieb nach dem 30. Januar 1933 zur nationalsozialistischen Bewegung durch die Tat bekannt bat". 59 Damit war der staatlichen Einrichtung der "Dozentenscbaft" eine Organisation der Partei an die Seite gestellt worden,60 die als kämpferische Elitetruppe agieren sollte. Aber auch in der neuen Organisation des NSDB mit seiner immer noch starken Einbindung in den an den Hochschulen nicht besonders attraktiven NSLB61 schien sieb noch nicht die gewünschte effektive und schlagkräftige In55 Hier nach UAM Sen 554 (Reichsschaft = Reichsfachschaft). Vgl. allgemein auch: Feiten 84 f.; Kelly, University Teachers 221 ff., und dies., Die gescheiterte nationalsozialistische Personalpolitik 61 - 76. 56 Verfügung vom 1. 12. 1934: Der NSDB bildete die "Kerntruppe" in der Reichsschaft Hochschullehrer und stellte alle Führer und Amtsleiter. 57 Ebd.: Hochschulgruppen mehrerer Gaue wurden zu "Hochschulgebieten" - z.B. Bayern - zusammengefaßt. 58 Schreiben vom 3. 12. 1934, mit dem die Rektoren von der Gründung des NSDB in Kenntnis gesetzt und um Zusammenarbeit mit den örtlichen Führern des NSDB gebeten wurden. 59 Mitglied sollte nur sein können, "wer die Echtheit seiner Überzeugung unter Beweis gestellt und sich kämpferisch bewährt hat". Jeder "an einer deutschen Hochschule oder Forschungsanstalt ... wissenschaftlich tätige Parteigenosse oder Anhänger der Bewegung" Professoren und Dozenten- kam als Mitglied in Frage. Aufnahmeanträge, die erst aufpersönliche Aufforderung durch den örtlichen NSDB-Führer eingereicht werden konnten, bedurften der "Bürgschaft zweier bewährter Nationalsozialisten". 60 Zum Verhältnis zwischen NSDB, "Dozentenschaft" und NSLB und den begrifflichen Ungenauigkeiten vgl. Feiten 85. 6l Das Standesbewußtsein der meisten Professoren war eine gewisse Barriere. Die organisatorische Verknüpfung mit dem NSLB hemmte wohl auch die Schlagkraft des NSDB. Der größte Teil der rechts- und staatswissenschaftliehen Hochschullehrer nahm die ihnen eingeräumte Wahlmöglichkeit wahr und schloß sich nicht dem NSLB, sondern dem NSJuristenbund (BNSDJ) an, der als angeschlossener bzw. "betreuter" Verband galt. Außer acht gelassen sei hier das verwickelte und nie eindeutig geklärte Verhältnis der Organisationen zueinander, z.B. NSLB - NS-Juristenbund (als Mitglied der Dozentenschaft indirekt auch im NSLB), NSLB - NSDB (gleichzeitig Mitglied im NSLB), NSDB - NS-Juristenbund (über den NSDB auch Mitglied im NSLB).

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stitution zur Erfassung der Hochschullehrer und Neugestaltung der Hochschule gefunden zu haben. Daraus zog man in der Parteileitung die Konsequenzen. Mit Anordnung vom 24. 7. 193562 löste der Stellvertreter des Führers den NSDB in seiner bisherigen Organisationsform als Untergliederung des NSLB auf und faßte alle Parteigenossen unter den Hochschullebrem - vom ordentlichen Professor bis zum Assistenten - unbeschadet ihrer Mitgliedschaft im NSLB zu einem - neuen - NSDB zusammen, der ausdrücklich "als Gliederung"63 der NSDAP in derselben Form wie der NS-Studentenbund eingegliedert wurde. Mitglieder konnten - zunächst64 - nur Parteigenossen sein. Nach der Anordnung vom 24. 7. 1935 stellten der NSDB und der NS-Studentenbund "gemeinsam die offizielle Parteigliederung an den Hochschulen dar", die, "in ihrem Arbeitsbereich selbständig", auf das engste zusammenarbeiten sollten, wobei "in allgemeinen hochschulpolitischen Fragen" die Führung dem NSDB zukommen sollte. Der neue NSDB wurde in der Parteileitung in München verankert, wo er von Anfang an im Einflußbereich von Heß und dessen hochschulpolitischen Hauptberatern Gerhard Wagner und Franz Wirz stand. Zum Reichsamtsleiter des NSDB ernannte Heß Walter Schultze, der seit 1934 Honorarprofessor an der Universtität München war, im Hauptberuf seit 1933 als Gesundheitskommissar im Rang eines Ministerialdirektors die Gesundheitsabteilung im bayerischen Innenministerium leitete und aus dem Ärztebund und dem engeren Kreis um Gerhard Wagner kam. 6S Diese Neuorganisation war gerade auch aus der Sicht der Hochschulkommission eine unverzichtbare Einrichtung, die gleichsam als Unterbau in der Lage sein sollte, qualifizierte sachliche und personelle Vorschläge für alle Bereiche in ausreichender Zahl zu machen.66 Dementsprechend installierte der NSDB Vertrauensmänner auch in den einzelnen Instituten und Kliniken.

62 BA Sammlung Schumacher Nr. 225 und BDC PO 0.225. 63 Über den Charakter des NSDB als Gliederung der Partei gab es später, v.a. im Zu-

sammenhang mit Finanzfragen, manche Meinungsverschiedenheiten und widersprüchliche Aussagen von obersten Parteistellen. Neben NS-Dozentenbund auch Bezeichnung NSDDozentenbund (Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund) üblich. 64 Nach einer Anordnung des Stellvertreters des Führers vom 26. 6. 1936 konnten auch Nichtparteigenossen Mitglieder werden (BA Sammlung Schumacher Nr. 225). 65 Zur Rolle der Gesundheitskommissare vgl. Kudlien 119 f. Kurzbiographische Angaben bei Kelly, University Teachers 224 ff. S. auch unten (C.III.2.a). 66 Daran fehlte es v.a. am Anfang, wie öfters von Mitgliedern der Hochschulkommission beklagt wurde. Vorbild war z.T. das System der Vertrauensleute in den medizinischen Fakultäten, das offensichtlich zu funktionieren schien. Man dachte auch frühzeitig bereits an eine Zusammenfassung aller Vertrauensleute zu örtlichen Arbeitsgemeinschaften.

204

B. Die Umgestaltung der Universitäten 1933- 1935

Die regionale Einteilung des NSDB entsprach der der Partei.67 Der NSDB hatte einerseits einen hierarchischen Aufbau mit dem Reichsdozentenführer an der Spitze, war aber andererseits auf Gauebene stark in der Partei verankert, da die Leiter des NSDB im Gau in die Gauleitungen integriert waren. Neben der staatlichen Einrichtung der "Dozentenschaft" gab es nun den NSDB als Gliederung der Partei an der Hochschule. Der Dualismus, das Neben- und Gegeneinander von Partei und Staat war damit im Hochschulbereich auf einer weiteren Ebene institutionalisiert, wenn auch "Dozentenschaft" und NSDB grundsätzlich denselben Zielen verpflichtet waren und meist auch von denselben Personen geleitet wurden. Die örtliche und überörtliche Führungsrolle beanspruchte und erhielt der NSDB, der systematisch seinen Apparat aufbaute, während die "Dozentenschaft" Aufgaben abgeben mußte68 und ihren vertikalen Aufbau verlor. 69 Der Ausweitung der "Dozentenschaft" auf alle Dozenten und Assistenten folgte entsprechend innerhalb der Dozentenschaft mit dem NSDB die Etablierung einer besonders aktiven nationalsozialistischen Kerntruppe. Zu einer klaren Abgrenzung der Kompetenzen von NSDB und "Dozentenschaft" ist es nie gekommen, so daß genügend Spielraum für eine Ausgestaltung nach machtpolitischen Gesichtspunkten gegeben war. Die "Dozentenschaft" war schon bald fest in der Hand des NSDB, der sich dieser Organisation mit ihren satzungsmäßig verbrieften Mitwirkungsmöglichkeiten zur Durchsetzung der Parteilinie an den Hochschulen bediente.7° Dieser Situation wurde 1936 auch formal Rechnung getragen, indem die ohnehin an den meisten Hochschulen in der Praxis bereits bestehende Personalunion in der Leitung der "Dozentenschaft" und des NSDB offiziell festgelegt und zur Norm gemacht wurde. Die Ämter des örtlichen Dozentenbundsführers und Dozentenschaftsleiters sollten "möglichst" in einer Hand vereinigt werden".71 In

67 Anordnung Nr. 14/35 von Reichsorganisationsleiter Ley: Die Ernennung der örtlichen Dozentenbundsfiihrer und der Dozentenbundsführer im Gau sollte "im Einvernehmen" mit dem Reichsamtsleiter des NSDB durch den Gauleiter erfolgen. Der Dozentenbundsfiihrer des Gaues unterstand demnach "disziplinär" dem Gauleiter, "in fachlicher Beziehung" dem Reichsamtsleiter des NSDB. Die formale und praktisch unbedeutende Beziehung zum NSLB bestand noch darin, daß der Dozentenbundsführer des Gaues gleichzeitig als Fachschaftsleiter der Fachschaft 1 (Hochschulen) in den NSLB des Gaus berufen wurde und daß nach einer Regelung aus dem Jahre 1936 die Mitglieder des NSDB zugleich Einzelmitglieder im NSLB" sein mußten (BA Sammlung Schumacher Nr. 225). 68 An das REM (z.B. Durchführung der Lager und Kurse der Dozentenakademien sowie den Stellennachweis) und auch an den NSDB (Erlaß des REM v. 18. 7. 1935). S. oben (B.VI.2.). 69 Am 1. 11. 1935 wurde die Geschäftsstelle "Deutsche Dozentenschaft" stillgelegt und die Stelle des "Führers der Deutschen Dozentenschaft" aufgehoben. 70 Mit der "Dozentenschaft" verfügte der NSDB auch über einen staatlich finanzierten Apparat. 71 Erlaß des REM vom 24. 4. 1936 (hier nach UAM Sen 554): Vereinbarung zwischen dem Reichswissenschaftsminister und der Reichsamtsleitung des NSDB mit dem Ziel, "den

VI. Institutionalisierung spezieller Mitwirkungs- und Kontrollinstanzen

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aller Regel gehörten auch die Dozentenschaftsvertreter im Senat12 und in den Fakultäten dem NSDB an. Der örtliche Dozentenbundsfiihrer, der aufgrund seiner doppelten Führerstellung innerhalb der Hochschule und seiner Verankerung in der Partei immer wieder in Interessen- und Loyalitätskonflikte geriet, konnte freilich über die Parteigliederung des NSDB eine Machtposition erreichen, die ihn an manchen Hochschulen als "Neben- oder Gegenrektor" auftreten ließ.73 Bei der Vielzahl der mitwirkenden Stellen und der mangelhaften Kompetenzabgrenzung hing dies in der Praxis allerdings wieder stark von den örtlichen Machtverhältnissen und den jeweiligen Personen ab. Der Einfluß des NSDB auf die Universität München war besonders intensiv, weil zum einen die Reichsamtsleitung des NSDB in München residierte und die Universität von daher schon im Blickfeld des NSDB lag und weil zum anderen "Reichsdozentenfiihrer" Dr. Walter Schultze, der Leiter des NSDB, als Honorarprofessor an der Universität in der Medizinischen Fakultät und im Senat persönlich vertreten war. Von kaum geringerer Bedeutung war, daß der oben (B.VI.l. und 3.) bereits genannte Privatdozent am Pathologischen Institut Dr. Gustav Borger, einer der aktiven jungen Nationalsozialisten an der Universität München mit besten Verbindungen zu Reichsärzteführer Wagner und zur Hochschulkommission, zum ersten- und ab 1938 hauptamtlichen- Mitarbeiter von Walter Schultze avancierte.

Grundsatz der Einheit von Partei und Staat auf dem Gebiete der Hochschule restlos durchzuführen". 72 Nach den Richtlinien vom 1. 4. 1935 mußte eines der vom Rekor in den Senat berufenen Dozentenschaftsmitglieder dem NSDB angehören. 73 Vgl. dazu Seier, Der Rektor als Führer 135 f.

C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933 - 1935/36): Maßnahmen und Reaktionen Im nachfolgenden Kapitel sollen vorwiegend die unmittelbaren Auswirkungen der Satzungs- und Verfassungsänderungen und der verschiedenen Maßnahmen zur Politisierung der Hochschulen bis Ende 1935 bzw. Anfang 1936 betrachtet werden. 1 In dieser Phase der Veränderungen, Umstellungen und revolutionären Neuerungen wurden die Hochschulen über die grundlegenden Verfassungsänderungen hinaus noch von einer Vielzahl von einzelnen, z.T. sieb widersprechenden und meist planlos eingeleiteten Maßnahmen und Eingriffen getroffen, die sowohl Studium und Lehre als auch die Lebensverhältnisse der Studenten und die Arbeit der Universitätskörperschaften massiv beeinflußten und etwa bis Mitte 1935 eine Gesamtsituation schufen, die nur mehr unwesentlich verändert wurde und bestimmend war für die ganze Zeit des Dritten Reiches, zumindest bis Kriegsausbrucb. Was in diesen ersten Monaten und Jahren des Dritten Reiches auf die Universität München zukam, wie die Universität darauf reagierte und wie sie sieb unter den Bedingungen des neuen - durch viele Einzelmaßnahmen und -Verfügungen sieb festigenden Hochschulrechts entwickelte, soll im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

I. Studium und Lehrbetrieb Bereits 1933 und 1934 zeigten sich erste personelle und inhaltliche Veränderungen im Lehrbetrieb, waren diejenigen, die noch die Möglichkeit hatten und den Willen aufbrachten, im neuen Staat zu studieren, spürbar veränderten Studienbedingungen unterworfen. 1 Eine Vielzahl von formalen und inhaltlichen Gründen belegt diesen - für einzelne Bereiche zeitlich etwas verschobenen - Einschnitt, z.B. das veränderte Zugangsverfahren ab 1935; die Entwicklung im Verhältnis zwischen OSt und NSDStB; die Errichtung des REM u. seine ersten Maßnahmen zur Zentralisierung der Hochschulverwaltung, z.B. die Richtlinien vom 1. 4. 1935; die Einrichtung der Dozentenschaft (Frühjahr 34) u.nd der Hochschulkommission (Sommer 1934) und deren zunehmende Wirksamkeit ab 1935; die Neugründung des NSDB im Sommer 1935; türBayernder Wechsel in der Leitung des KM nach dem Tod von Kultusminister Hans Schemm (5. 3. 1935).

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C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933- 1935/36)

1. Reglementierung des Hochschulzugangs Die ersten Zulassungsbeschränkungen durch das Gesetz vom 25.4.1933 und die Ende 1933 für das SS 1934 verfügte Begrenzung der Zahl der Studienberechtigten auf 15000 im Reichsgebiet (s. oben B.IL3.) hatten erhebliche Auswirkungen. Obwohl für die kommenden Semester sogar noch eine weitere Senkung der Richtzahl erwogen worden war,2 wurde die ohnehin nur mit großen Unzulänglichkeiten und enormem bürokratischen Aufwand zu handhabende Regelung bald von der Entwicklung überholt. a) Zugangsregelungen ab 1935 Zugangsberechtigung durch Reifezeugnis und Pflichtenheft des Arbeitsdienstes ab 1935 Hatten schon die offensichtlichen MängeP bei der Zuerkennung der Hochschulreife Änderungen4 nahegelegt, so sahen sich die Verantwortlichen Anfang 1935 zur gänzlichen Aufgabe des Richtzahlensystems gezwungen, weil das damit erstrebte Ziel einer deutlichen Drosselung des Hochschulzugangs inzwischen - mit Hilfe auch anderer Maßnahmen - in einem nicht vorhergesehenen Maße erreicht war.s Mit Erlaß vom 9. 2. 19356 zog das REM die Konsequenz aus der Entwicklung und machte das Reifezeugnis wieder generell zum Berechtigungsschein für das Hochschulstudium, allerdings verbunden mit dem Nachweis der

So MNN v. 29. 12. 1933. Unerwünschte Wirkung auf die betroffenen Schüler- und Eltemkreise, unterschiedliche Handhabung in den Ländern, Vielzahl von Beschwerden und Anfechtungen, Schwierigkeiten bei der Mitwirkung von Parteistcllen, deren Urteil oft eine "irrationale Wurzel" gehabt habe, Charakter einer nur "mechanischen" Lösung (Metmer, in: DWEV 1934/35, 63 - 65). 4 1934 durch das REM, z.B. Sonderregelung für Theologiestudenten, verschiedene Ausnahmen, Abschwächungen; Sommer 1934 neuer Erlaß über die "zahlenmäßige Begrenzung des Zugangs zu den Hochschulen" mit Aufhebung der vom RMI angeordneten HöchstzahL s Die Wirkung war viel stärker als erwartet, der Abschreckungseffekt kam hinzu, so daß ein beträchtlicher Teil der Abiturienten mit Hochschulreife bereits auf ein Studium verzichtete, nach offiziösen Angaben (Metmer, DWEV 1934/35, na.T. 64) sogar etwa SO%. Vgl. auch Hartshome 74. Nach Metzner ist die Zahl der Studenten vom SS 1933 von 115 722 (97 987 männl. u. 18 035 weibl. Stud.) auf9S 667 (82 420 männl. u. 13 247 weibl. Stud.) im SS 1934 zurückgegangen, d.h. um 17,3% (15,6% bei den Männem u. 26,5 %bei den Frauen). Der Rückgang der Studenten an den Universitäten betrug sogar 19,3 %. - Diese Angaben werden in den offiziellen Statistiken bestätigt. 6 DWEV 1934/35, 69- 70. Die "mechanische" Lösung des Jahres 1934 sollte durch eine "organische" ersetzt werden (Metmer, DWEV 1934/35, na.T. 65). 2 3

I. Studium und Lehrbetrieb

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Ableistung des Arbeitsdiensthalbjahres. Bei der Immatrikulation war folglich neben dem Reifezeugnis auch das Pflichtenheft des Arbeitsdienstes vorzulegen. Der strengen, auch politischen Kriterien unterworfenen Schülerauslese an den höheren Schulen7 und der Erziehung im Arbeisdienst kam ab jetzt zentrale Bedeutung zu. Der studentische Arbeitsdienst, der eine kurzfristige und unmittelbare Entlastung der Hochschulen durch den verzögerten Studienbeginn brachte, hatte zum einen die Aufgabe, einen Teil der studiumswilligen Abiturienten bzw. Studienanfänger vom Hochschulstudium abzuhalten, & und diente zum anderen dem Ziel, die Auslese des neuen Studententyps zu fördern und die künftigen Studenten in einem ersten erzieherischen Zugriff zu formen. Entsprechend der Aussage von Minister Rust, wer im Arbeitslager versage, habe das Recht verwirkt, Deutschland als Akademiker zu führen, sollte insbesondere ab 1935 der Arbeitsdienst zu einer wichtigen und wirksamen Erziehungsform und Ausleseinstanz des Dritten Reiches werden. Der pflichtmäßige studentische Arbeitsdienst9, zehnwöchig ab SS 1933 und halbjährig bereits für die Abiturienten vom Frühjahr 1934 vor Studienbeginn abzuleisten, mußte Sommer 1935 grundsätzlich von allen Studenten und studiumswilligen Abiturienten in der Zeit vom 1. 4. - 30. 9. 1935 abgeleistet werden. Das REM erließ der Situation entsprechend ein grundsätzliches Verbot der Erstimmatrikulation für das SS 1935.1° Die verschiedenen Zulassungsbeschränkungen hatten Anfang 1935 ihre Wirkung getan. Weitere restriktive Maßnahmen waren nicht mehr geboten, die 7 Nach einem Erlaß des REM vom 15. 2. 1935 (DWEV 1934/35, 78) war bei der Beurteilung der Persönlichkeit bei der Reifeprüfung insbesondere auch zu berücksichtigen, ob der Schüler der SS, SA oder lU angehört habe. Die Zeit und Art der Betätigung in diesen Verbänden war gebührend zu würdigen. Zur nationalsozialistischen Schülerauslese vgl. Erlaß d. REM v. 27. 3. 1935 (DWEV 1934/35, 125) und den diesbezüglichen Aufsatz von Ministerialrat Dr. Benze (DWEV 1934/35, na.T. 83 - 85). Dieser Ausleseerlaß, der die körperliche, charakterliche, geistige und völkische Auslese festlegte, wurde in Verbindung mit den Erlassen über rassische Erziehung als ein Kernstück der Schulreform betrachtet. Für Bayern vgl. die entsprechende KMBek v. 29. 4. 1935. 8 So sollte bereits das freiwillige Werkhalbjahr 1933 den Abiturienten u.a. in die Lage versetzen, "auf Grund eigener Erfahrungen seine Berufswünsche noch einmal zu überprüfen" (ZB11933, 48). Ende 1933 konnte das RMI feststellen, daß viele Abiturienten, die am Werkhalbjahr teilgenommen hatten, ihre ursprüngliche Absicht, die Hochschule zu besuchen, aufgegeben hätten. Das RMI sah darin eine "wertvolle Wirkung" des Werkhalbjahres und hielt es für geboten, Werkabiturienten bei der Bewerbung um eine Stelle im öffentlichen Dienst bevorzugt zu berücksichtigen. Der preußische Kultusminister Rust gab im Nov. 1933 ein diesbezügliches Ersuchen an die nachgeordneten Behörden weiter (Zbl. 1933, 375). Vgl. auch Mitteilung des RMI an die Landesregierungen vom 10. 11. 1933 (HStA li MA 107314). 9 Dazu s. unten (C.II.2.a). 10 Erlaß vom 6. 3. 1935, ME vom 11. 3. 1935. Es gab allerdings verschiedene Ausnahmen (s. Erlaß des REM v. 8. 4. 1935, DWEV 1934/35, 165) und Härtefallregelungen. Das Verbot galt nicht für Ausländer. 14 Döhm

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C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933- 1935/36)

Entwicklung legte eher eine Kehrtwendung nahe. Die "Richtlinien für die gesundheitliche Auslese zum Hochschulstudium" vom 16. 12. 193511 waren ideologisch motiviert, und die ab SS 1935 fiir die großen Hochschulen festgesetzten Höchstziffern bezweckten nicht mehr eine generelle Reduzierung, sondern eine als notwendig betrachtete sinnvolle Verteilung in einer Zeit, in der die Fehlentwicklungen einer kurzsichtigen Zulassungspolitik bereits deutlich erkennbar geworden waren.12 Die Kontingentierung ckr "Großstadt-Hochschulen" durch die Höchstziffernregelung ab SS 1935 Die Festlegung von ,,Höchstziffern" fiir Großstadthochschulen war demnach auch eine indirekte Korrektur der bisherigen Zulassungspolitik. Sie sollte der gleichmäßigen Auslastung der Kapazitäten und damit insbesondere den von den restriktiven Zulassungsregelungen schwer getroffenen mittleren und kleineren Hochschulen dienen 13 und wurde auch als eine wissenschaftsökonomisch und politisch begründete Maßnahme zur besseren Ausbildung und wirksameren politischen Erfassung der Studenten an kleineren Hochschulen mit einem günstigeren Lehrer-Schüler-Verhältnis gerechtfertigt. Die mit Erlaß des REM vom 20.3.1935 erstmals fiir das SS 1935 verfügte Regelung sah fiir die Universität München eine "Studenten-Höchstziffer" von 5000 vor. 14 Die Kontingentierung war ein plötzlicher massiver Eingriff in die akademische Freizügigkeit, von dem gerade die Universität München, die im SS 1935 eine viel höhere Studentenzahl erwartete, schwer getroffen wurde. Die Universität schlug Alarm und versuchte zumindest eine Abschwächung der Bestimmungen durch Übergangsregelungen zu erreichen. Die vom REM aufgrund des allgemeinen Protests der betroffenen Hochschulen gewährten Er11 DWEV 1936, 58- 59. Z.B. lag danach eine dauernde und unbedingte Untauglichkeit vor "bei dauernder Scheu und Mangel an Willen zu Leibesübungen, körperlicher Härte und Einsatzbereitschaft". 12 Die Bekämpfung der Überfüllung wurde in der 2. Phase der Zulassungspolitik ab 1935 abgelöst durch die Verwaltung bzw. Bekämpfung des Mangels. Die Politik der Höchstziffern ab 1935 soll hier nur skizziert werden. 13 Vgl. Adam, Univ. Tübingen 96 f., und die Beiträge von Heinrich in DWEV 1936 und von Klausing in Volk im Werden 1 (1933), 68-73. 14 DWEV 1935, 113. Zum Vergleich: Berlin (5600), Frankfurt a.M. (1400), Köln (2300), Leipzig (3100), Harnburg (1600), Münster (2500), Techn. Hochschulen Berlin (1800), München (1800) und Dresden (1400). Die Ziffern lagen nach Einschätzung des REM unter Berücksichtigung der allgemein rückläufigen Studentenzahlen etwa 10% unter dem für SS 1935 zu erwartenden Besuch. Innerhalb der Fakultäten durften 70% der Zahlen des SS 1934 erreicht werden. Ausländer fielen nicht unter die Höchstziffernregelung. In die mögliche Härtefallregelung sollten insbesondere bedürftige ortsansässige Studenten einbezogen werden. Im übrigen waren die Anträge nach der Reihenfolge des Eingangs zu berücksichtigen.

I. Studium und Lehrbetrieb

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Ieichterungen - Belassung der über die Höchstziffer hinaus bereits immatrikulierten Studenten und Einräumung eines zusätzlichen Kontingents von 150 Studenten zum Härteausgleich1S - waren für die Universität München, die im vergangeneo SS noch 1527 Neuaufnahmen hatte, bei weitem nicht ausreichend zur Vermeidung der größten Härten. Das Studentenwerk rechnete mit einem Einnahmeausfall von 47.000 RM und mit einer entsprechenden Einschränkung der Fürsorgemaßnahmen. Die Studentenführung kämpfte ebenfalls, allerdings mehr aus egoistischen und politischen Gründen, um Ausnahmeregelungen und wollte vor allem den Amtsleitern der Studentenschaft und des Studentenbundes Studienplätze sichem.16 Das Kultusministerium stellte sich hinter die Universität, verwies sogar darauf, daß die Reduzierung der Studentenzahlen und die Verhältnisse beim Arbeitsdienst "in weiten studentischen Kreisen eine heftige Mißstimmung, ja Verbitterung" erzeugten, während doch für die zu leistende große Aufbauarbeit "gerade auf die freudige Mitarbeit der heranwachsenden akademischen Jugend seit jeher mit Recht der größte Wert gelegt worden" sei, und bat das REM, zur Vermeidung größerer Härten von den Bestimmungen abweichen zu dürfen.11 Das REM gestand daraufhin noch eine geringfügige Erhöhung des Zusatzkontigents von 150 auf 250 zu 18 und gestattete die erstmalige Immatrikulation von Abiturienten, die wegen Überfüllung vom Arbeitsdienst zurückgewiesen worden waren.t9 Trotz dieser Abschwächung verursachte die Kontingentierung zusammen mit der unübersichtlichen Arbeitsdienstregelung im SS 1935 an der Universität München einen einmaligen, schweren Einbruch in der Studentenfrequenz.2°

IS

UAM Sen 147/I und HStA I MX 40628. Erlaß des REMvom 23.3.1935.

16 UAM Sen 147/I und HSTA I MX 40628. Daraus auch das Folgende. Nach den Schrei-

ben des Studentenführers an Rektor und KM sollte im Interesse der Durchführung des politischen Programms im SS 1935 den langjährigen Amtsleitern und denen, die vom Gaustudentenbundstührer zu den Lagern in Wasserburg, Uffing und Saldenburg abkommandiert waren, die Immatrikulation gesichert werden. 17 Schreiben vom 28.3.1935. Die Misere lag in den höchst unzulänglichen, mit anderen Regelungen nicht abgestimmten Arbeitsdienstverpflichtungen. Die wegen Überfüllung, d.h. schuldlos vom Arbeitsdienst zurückgestellten Studenten mußten nun auch den Verlust des SS 1935 und des WS 1935/36 befürchten, so daß auch das KM forderte, alles zu unternehmen, um den "berechtigten Klagen den Grund zu entziehen". S. auch unten (C.II.2.a). 18 Erlaß vom 5.4.1935 mit der Auflage, in erster Linie Angehörige des Chefs des Ausbildungswesens der SA, die das Studium unterbrochen hatten, zu berücksichtigen, sowie bei ortsansässigen Truppenteilen dienende Studenten und solche, die ohne ihr Verschulden nicht in den Arbeitsdienst aufgenommen werden konnten. 19 Erlaß vom 8.4.1935. 20 Nach der offiziellen Statistik ein Rückgang von 8065 auf 5480. Nach außen gegebene Zahlen weichen allerdings z. T. wegen verschiedener Stichtage von internen Aufzeichnungen der Verwaltung ab, so daß sich gerade für das SS 1935 keine exakten Zahlen ermitteln lassen. 14°

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C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933- 1935/36)

Hätte die Universität im Normalfall mit 1500-2000 Neuzugängen rechnen dürfen,21 so konnte sie von den 1300 schriftlichen und fast 300 mündlichen Aufnahmegesuchen nur 480 berücksichtigen und mußte ca. 1100 Studenten abweisen.22 Auch wenn die Universität wohl aufgrund einer großzügigen Auslegung der Ausnahmeregelungen offensichtlich mehr als die im Personalverzeichnis offiziell ausgewiesenen 5480 Studierenden - darunter 5096 reichsdeutsche immatrikulieren konnte,23 bereitete das Ausleseverfahren nicht nur einen kaum zu bewältigenden Verwaltungsaufwand, sondern auch größte Probleme bei der Gewichtung der vielen nach amtlichen Vorgaben und eigenen Interessen aufgestellten Kriterien. Da die Universitätsverwaltung dabei den Bedürfnissen und der besonderen Situation einzelner Fakultäten und Fächer in völlig sachlicher und unpolitischer Weise stark Rechnung trug,24 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Studentenfiihrung, die politische Gesichtspunkte - Teilnahme am Ostsemester und am freiwilligen Werkhalbjahr, Mitgliedschaft in Partei und Kameradschaftshaus - zu wenig berücksichtigt sah. Als Anfang September die Höchstziffern für das WS 1935/36 bekanntgegeben wurden25 und München nur um 400 auf 5400 angehoben wurde, bat der Schreiben des Syndikus vom 28.3.1935 (UAM Strafakt S.). Schreiben des Rektors an das KM vom 17.7.1935. 23 Nach einer Aufzeichung der Verwaltung (UAM Sen. 14711) waren im SS 1935 5604 reichsdeutsche Studenten bei einer Höchstziffer von 5250 eingeschrieben. 24 UAM Strafakt S. Eine Prioritätenliste vom März 1935 umfaßte 15 Gruppen: 1. Theologen: Die Fakultät gehöre zu den kleinsten, da die Bischöfe die Studenten vielfach auf die geistlichen Lyzeen schickten. Der Staat müsse Interesse an einem Studium der katholischen Theologen an einer Universität haben. 2.-3. Zahnärzte und Studierende der Tierheilkunde: geringe Zahlen. 4.-7. Studenten, die bisher, aber nicht im letzten Semester in München studiert haben, weil sie krank oder Werkstudenten waren, Arbeitsdienst geleistet oder ein Ostsemester in Breslau, Königsberg, Danzig absolviert haben. 8.-12. Studierende in Vorgerückteren Semestern, Chemie- und Pharmaziestudenten mit Arbeitsplätzen, Studenten, die schon früher eine Zusage erhalten hatten, bereits nach München übergesiedelt waren, bedürftige Studenten aus München und Südbayem. 13. Studentenschaftsmitarbeiter. 14. Ordensangehörige Studenten der Phil. Fak.: München als einzig möglicher Hochschulort. 15. Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen: Verstärkung der hiesigen Ortsgruppe. 25 Erlaß des REM v. 11.9.1935. Bevorzugt zu berücksichtigen waren "alte Kämpfer der NSDAP" bis zur Mitgliedsnummer 1000000, Angehörige der Wehrmacht und Studenten, die zwei oder mehr Semester in Königsberg, Danzig oder Breslau studiert hatten. Die Zahl der Theologiestudenten wurde für München für dieses und die folgenden Semester auf 200 festgelegt. 21

22

I. Studium und Lehrbetrieb

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Rektor umgehend das KM um Intervention beim REM wegen dieser Benachteiligung. Tatsächlich mußte die Universität zunächst über 2000 Gesuche ablehnen. Da aber von den 1600 Gesuchstellern mit Studiumszusage sich nur etwa 1000 einschreiben ließen, blieb die Universität im WS 1935/36 mit einer Gesamtzahl von 4771 reichsdeutschen Studenten weit unter der Höchstziffer von 5400. Im SS 1936 mußte kein Student mehr abgewiesen werden. Auch in den folgenden Semestern konnte die Universität das ihr eingeräumte Kontingent nicht mehr ausschöpfen.26 Dies lag vor allem daran, daß die durch die allgemeine Entwicklung längst überholte Höchstziffernregelung inzwischen sinnlos und wirkungslos geworden war, auch wenn sie nicht offiziell aufgehoben, sondern erst zum WS 1938/39- indirektes Eingeständnis einer verfehlten Politik - unauffällig außer Kraft gesetzt wurde. b) Sondermaßnahmen gegen das Judenstudium Das aus innen- und außenpolitischen Gründen noch relativ zurückhaltend formulierte Überfüllungsgesetz brachte nicht die erwünschte Wirkung, da an den meisten Hochschulen die Quoten gar nicht erreicht wurden. Eine Zulassung bzw. ein Weiterstudium innerhalb der Quoten von 1,5 % bzw. 5 %war formal, wenn auch unter verschärften Bedingungen27 , noch erlaubt. Durch eine Vielzahl einzelner normativer Maßnahmen und entsprechenden politischen Druck wurde deshalb weiterhin versucht, die jüdischen Studenten systematisch aus den Hochschulen hinauszudrängen und potentielle Studenten vom Studium abzuhalten. Dies geschah bereits durch besonders verschärfte Auslesemaßstäbe für jüdische Schüler und Abiturienten, durch Erschwerung des Studiums für jüdische Studenten und indirekt durch eine Verschlechterung der Berufsaussichten für jüdische Akademiker bis hin zu konkreten Berufsverboten. Die ständigen "Numerus clausus" - Forderungen und antijüdischen Aktionen der NS-Studenten und das rigoros durchgeführte BBG demonstrierten den jüdischen Studenten tagtäglich, daß sie "personae non gratae" waren. Die

26 Entwicklung der Zahl der eingeschriebenen reichsdeutschen Studenten in Relation zur' jeweiligen Höchstziffer (in Klammem): ss 1936 4291 (5200) WS 1936/37 4564 (5000) ss 1937 4037 (-) WS 1937/38 4481 (4800) ss 1938 3973 (4800) 27 Siehe Erlasse d. preußischen Unterrichtsministeriums vom 16. 6. 1933 und vom 20. 11. 1933, nach denen die nach§ 3 des Gesetzes vom 25. 4. 1933 ausgeschiedenen Studenten auch vom weiteren Studium an anderen Hochschulen ausgeschlossen waren (RSF I 06 ph 315).

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C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933- 1935/36)

offenen Anfeindungen, Diskriminierungen28 und Benachteiligungen29 führten dazu, daß 1933 und 1934 viele "freiwillig" das Studium aufgaben oder es im Ausland fortsetzten. Die im Rahmen der allgemeinen Judenpolitik30 , der Zurückdrängung der Juden aus dem öffentlichen und gesellschaftlichen Leben zu sehende Entziehung der beruflichen Grundlage zielte vor allem auf die akademischen Berufe und ließ ein Hochschulstudium nicht mehr aussichtsreich erscheinen. Betroffen waren viele freie akademische Berufe, auf die die Bestimmungen des BBG analog angewandt wurden, und insbesondere Anwälte31 sowie Ärzte32, denen die Zulassung, Approbation und Krankenkassenzulassung erschwert bzw. versagt wurden. Da die meisten jüdischen Studenten Medizin und Rechtswissenschaften studierten, war hier die - beabsichtigte - Rückwirkung besonders groß. Nach den Richtlinien des RMI vom April 193433 wurden "nichtarische" Kandidaten der Medizin, Zahlheilkunde, Tierheilkunde und Pharmazie - "Vollund Halbjuden" - nur mehr zur Approbation und anschließender Promotion zugelassen, soweit ihr Anteil 1 % an der Gesamtzahl der Kandidaten nicht überstieg und die Bewerber "in moralischer und politischer Beziehung völlig einwandfrei" waren. Ab Frühjahr 1935 war "Nichtariern" die Approbation als Arzt oder Zahnarzt "bis auf weiteres zu versagen"34 , und ab Dezember 1935 war nach der Reichsärzteordnung die Bestallung grundsätzlich zu versagen, wenn der betroffene Bewerber wegen seiner Abstammung nicht Beamter werden konnte. 35

28 Z.B. gelbe Karteikarte und Nichtaufuahme in die DSt; Ausschluß von der sportlichen Grundausbildung an den Hochschulinstituten und Teilnahme nur am freiwilligen Sportbetrieb als besondere Gruppe. 29 Z.B. bei Stipendienvergabe und Gebührenerlaß. Nach MEv. 19. 5. 1933 (UAM Sen 559) wurden Vergünstigungen an jüdische und marxistische Studenten nicht mehr gewährt. 30 Dazu Adam, Judenpolitik, und einzelne Beiträge in Benz, Die Juden in Deutschland 1933- 1945. Vgl. auch Longerieb 210 ff. 31 Z.B. Gesetz vom 7. 4. 1933 (RGB1 I, 188) über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, vom 22. 4. 1933 (RGBl I, 217) und vom 6. 5. 1933 (RGBl I, 257) betr. Steuerberater, ferner Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 2. 12. 1934 (RGBl I, 1258). 32 Z.B. Verordnung vom 22. 4. (RGBl I, 222) und 2. 6. 1933 (RGBl I, 350): jüdischen Ärzten und Zahnärzten sowie Zahntechnikern wird die Krankenkassen-Zulassung entzogen. 33 Verordnung vom 5. 4. 1934 (hier nach UAM Sen 221 und 637) zur Änderung der "Prüfungsordnung für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker". Die Richtlinien wurden nicht veröffentlicht. Weitere Hinweise zur Durchführung gab das RMI am 14. 8. 1934. Ausnahmen waren noch in Härtefällen möglich. 34 Ausfiihrungsanweisung des RMI vom 23. 4. 1935 zur Verordnung vom 5. 2. 1935 (DWEV 1934/35, 224). Ausnahmen- bei Frontkämpfern und "Vierteljuden" sowie Kandidaten mit "entsprechendem Aussehen" - behielt sich der Minister vor. 35 Reichsärzteordnung vom 13. 12. 1935 (RGBl I, 1433).

I. Studium und Lehrbetrieb

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Diejenigenjüdischen Studenten, denen nach dem Gesetz vom 25. 4. 1933 noch das Studium bzw. Weiterstudium gestattet war, wurden zunächst auch noch zu den Profungen zugelassen. Da es das klar erkennbare Ziel der Judenpolitk war, auch die Hochschulen möglichst bald "judenfrei" zu machen, suchte man v.a. Neueinschreibungen jüdischer Studenten zu verhindem und den Anfangssemestern klarzumachen, daß eine Zulassung zu den Profungen nicht mehr garantiert sei. Auch wenn nach der geänderten "Profungsordnung fiir Ärzte, Zahnärzte und Apotheker" vom 5. 4. 1934 zunächst nur die nationale und moralische Zuverlässigkeit als Zulassungsvoraussetzung verlangt war, wurden jüdische Studenten Ende 1934 kaum mehr zu Profungen zugelassen. Seit der Änderung der Profungsordnungen fiir Ärzte und Zahnärzte vom 5. 2. 193536 waren "nichtarische" Kandidaten, die das Studium vor 1933 begonnen hatten, generell - aber ohne Anrecht auf eine Approbation - zu den Profungen zuzulassen, Bewerber, die erst im SS 1933 oder später das Studium begonnen hatten, nur mehr in ganz besonderen Ausnahmefallen und mit Genehmigung des RMJ.3 7 Ab Juli 193438 war die "arische" Abstammung Voraussetzung fiir die Zulassung auch zu den juristischen Staatsprofungen. Da die Promotion der Mediziner seit 1934 an die der Quote von 1 % unterliegende vorausgehende Approbation gebunden war, kam es nur mehr in seltenen Fällen39 zur Promotion jüdischer Medizinstudenten. Bis zur Neuregelung im Jahre 1937 war die Promotion von Juden auch in allen anderen Disziplinen grundsätzlich möglich, beschränkte sich aber in der Praxis auf wenige Fälle. Da die Entscheidung zunächst bei den zuständigen Stellen der jeweiligen Hochschule lag, kam es bis 1937 noch zu einer recht unterschiedlichen Handhabung. Für Ausländer gab es auch bezüglich der Zulassung zu den Profungen aus politischen und rechtlichen Gronden Sonderregelungen, so daß sie ihr Studium zumindest bis 1937 unbehelligt abschließen konnten.40 Gerade unter

Ausführungsanweisung des RMI vom 23. 4. 1935. Eine entsprechende Regelung bezüglich der Zulassung zu den Prüfungen und der Erteilung der Approbation erfolgte im April 1935 für die Tierärzte (RMB1426) und im Dez. 1934 für die Pharmazeuten (UAM Sen 637 und 278). 38 Justizausbildungsordnung vom 22. 7. 1934 (RGBl I, 727). In Preußen, wo die 1. Prüfung bereits eine staatliche Eingangsprüfung war, galten schon im Sommer 1933 die Bedingungen des BBG. In Bayern gab es nur die Universitätsabschlußprüfung, zu der auch jüdische Kandidaten zugelassen wurden. 39 Da das Doktordiplom nur Reichsausländern ohne Rücksicht auf den Besitz der deutschen Approbation ausgehändigt wurde, blieb deutschen "nichtarischen" Kandidaten, die das Doktordiplom ohne Erlangung der Approbation anstrebten, nur übrig, ihre Staatsangehörigkeit aufzugeben. Ausnahmen gab es nur in besonderen Fällen mit ministerieller Genehmigung (MEv. 30. 4. 1934 und 16. 4. 1934, hier nach UAM Sen 147/5). 40 Kein Abstammungsnachweis, da sie der deutschen Gesetzgebung nicht unterworfen waren. Auf eine diesbezügliche Vorstellung des Dekans der Medizinischen Fakultät, der gegen ein Studium ausländischer Juden war und der von zehn amerikanischen jüdischen Stu36 37

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den ausländischen - vor allem amerikanischen - Medizinstudenten an der Universität München befanden sich seit Jahren mehrere jüdische Studenten, so z.B. im WS 1935/36 nachweislich sechs, die die jüdische Konfession angegeben hatten. 41 Die gesamtpolitische Situation und die verschiedenen Behinderungen42 und Einschränkungen, z.B. auch bezüglich des Famulierens43 der Medizinstudenten, führten auch an der Universität München bereits nach einigen Semestern zu einem deutlichen, allerdings nicht immer in exakten Zahlen meßbaren Rückgang der Frequenz reichsdeutscher jüdischer Studenten. Waren im SS 1933 noch 150 "nichtarische" Studenten im Sinne des Gesetzes vom 25. 4. 1933 eingeschrieben, so sind im SS 1934 nur mehr 49 nachweisbar, davon nur vier Neuaufnahmen. Der Großteil davon belegte wie früher medizinische Fächer: 23 Humanmedizin, sechs Zahnmedizin, einer Tiermedizin und zwei Pharmazie. 44 Auch im WS 1935/36 waren noch 27 Studenten jüdischer und halbjüdischer Abstammung, die aber zum größten Teil schon höheren Semestern angehörten,4s in der Medizinischen Fakultät eingeschrieben. Die mittelbare Wirksamkeit der Judenpolitik zeigte sich vor allem darin, daß die Zahl der neu aufgenommenen "nichtarischen" Studenten rapide abnahm und auf eine nicht ins Gewicht fallende Größe herabsank und daß sich darunter kaum mehr Erstsemester befanden. 46

denten in der Fakultät im WS 36/37 sprach, antwortete der Rektor am 25. 2. 1937: "Die hier eingeschriebenen amerikanischen jüdischen Medizinstudenten befinden sich seit 1931 an deutschen Universitäten, sie werden daher demnächst ihr Studium abschließen und wir dürfen hoffen, daß wir sie dann endgültig los sein werden." (UAM NN 5a). 41 UAM Sen 219 und NN 5d. Insgesamt sind acht ausländische Juden nachweisbar (UAM Sen 559). Die tatsächliche Zahl war möglicherweise noch etwas höher. 42 Z.B. Nichtzulassung zum praktischen Jahr (Verordnung vom 5. 4. 1934) und Verweisung an jüdische Anstalten. Übergangsregelung noch für Studenten, die das Studium vor 1933 begonnen hatten. 43 Über die Vorschriften des Gesetzes vom 25. 4. 1933 hinaus wurden nach der ME vom 10. 10. 1933 (UAM Sen 22116) Juden nicht zugelassen, "soweit die für das Famulieren verfügbaren Arbeitsplätze von Studenten arischer Abstammung benötigt" wurden. Die Entscheidung im Einzelfalllag meist bei den Klinikdirektoren. 44 UAM Sen 368/4. Die Zahlenangaben der Universitätsverwaltung weichen voneinander ab, z.T. ergeben sich unterschiedliche Werte deshalb, weil unterschiedliche Feststellungszeiten und Untersuchungszwecke zugrunde liegen. Zuverlässige Gesamtübersichten fehlen. 4S UAM NN 5d: Z.B. zwölf im 10. Sem., drei im 9. und vier im 8. Sem. In anderen Übersichten werden für WS 1935/36 29 Stud. d. Humanmedizin, vier Stud. d. Zahnmedizin und für SS 1936 22 Stud. d. Humanmedizin aufgeführt (UAM Sen 892/1). 46 Neuaufnahmen, darunter Erstsemester (in Klammem): SS 1933:10 (nicht feststellbar); WS 1933/34: wahrscheinlich 22 (3); SS 1934:4 (-);WS 1934/35: 5 (2). Gezählt werden hier nur "Volljuden", nicht "Halb- oder Vierteljuden".

I. Studium und Lehrbetrieb

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Die Gesamtzahl der "nichtarischen" Studenten einschließlich der "Halboder Vierteljuden" ging ebenfalls kontinuierlich, aber den Ausnahmebestimmungen fiir "Halb- und Vierteljuden" entsprechend langsamer zurück, von 86 (61 m. + 25 w.) im WS 1934/3547 auf 85 (61 m. + 24 w.) im SS 193548 und 66 (47 m. + 19 w.) im WS 1935/3649 und 52 (36m.+ 16 w.) im SS 1936so. Da es fast keine Neuaufnahmen jüdischer Studenten mehr gab, war abzusehen, daß sich die Frage des Judenstudiums in einigen Jahren von selbst lösen würde. SI Obwohl nach dem Reichsbürgergesetz vom September 1935, das die Unterscheidung zwischen Juden und "Mischlingen ersten und zweiten Grades" gebracht hatte, zunächst keine offizielle Änderung in der Zulassungspolitik verfügt wurde, zeigte es sieb in der Praxis, daß Juden auch an der Universität keine Chance mehr hatten. Waren im SS 1934 noch 49 "nichtarische"- "volljü47 UAM Sen 611 und 349c. Darunter 5 Erstsemester (Stand 10. 11. 1934). Nach einer anderen Zusammenstellung (UAM Sen 892) werden für das WS 1934/35 sogar noch 106 (74 + 32) "Nichtarier" geführt. Für das SS 1934 werden sogar noch 119 "nichtarische" reichsangehörige Studenten gezählt. 48 Die deutschen Hochschulen. Eine Übersicht über ihren Besuch: 61 männl. u. 24 weibl. nicht der DSt anghörende Reichsdeutsche von 720 bzw. 214 sämtlicher Hochschulen. Vergleichszahlen: Univ. Berlin: 138 + 70; Univ. Bann: 29 + 11; Univ. Breslau 52 + 9; Univ. Erlangen: 2 + 0; Univ. Frankfurt: 32 + 13; Univ. Freiburg: 25 + 7; Univ. Hamburg: 32 + 12; Univ. Heidelberg: 26 + 8; Univ. Köln: 23 + 4; Univ. Leipzig: 24 + 8; TH München: 32 + 0; Univ. Würzburg: 26 + 1. In einer anderen Aufzeichnung der Universitätsverwaltung (UAM Sen 111) werden 75 (54+ 21) "Nichtarier" aufgeführt. 49 Ebd. 47 männl. u. 19 weibl. nicht der DSt angehördende Reichsdeutsche bei insgesamt 803 (626 + 177) aller Hochschulen. Vergleichszahlen: Univ. Berlin: 125 + 56; Univ. Bann: 25 + 8; Univ. Breslau: 41 + 5; Univ. Erlangen: 0 + 0 (!); Univ. Frankfurt: 20 + 9; Univ. Freiburg: 18 + 5; Univ. Hamburg: 23 + 7; Univ. Heidelberg: 28 + 9; Univ. Köln: 19 + 2; Univ. Leipzig: 23 + 11; TH München: 25 + 1; Univ. Würzburg: 15 + 1. Nach einer Aufstellung der Universitätskanzlei vom 28. 4. 1937 waren im WS 1935/36 sogar 93 "Nichtarier" eingeschrieben, im SS 1936 52. Die Zahl 93 dürfte überhöht sein, da in der Fachabt Naturwissenschaft 40 "Nichtarier" bei 376 OSt-Mitgliedern kaum realistisch sind. Das SS 1936 weist hier die Zahl 11 auf. In der Semestermeldung an das REM sind 61 (45 + 16) "nichtarische" reichsdeutsche Studenten aufgeführt (UAM Sen 6 II). Sie verteilen sich vor allem auf die Med. Fakultät und die Phi!. Fakultät I und II. so Nach anderen Organisationsunterlagen der Universität (auch UAM Sen 6 II) sind für das SS 1936 51 "nichtarische" reichsdeutsche Studenten (darunter 49 Kartenerneuerungen und zwei Erstsemester) verzeichnet. Sl Entsprechend der Ankündigung von Reichsinnenminister Frick im Jahre 1935, daß die Judenfrage "langsam, aber sicher" gelöst werde.Für die WS 1935/36 und 1936/37 lassen sich jeweils eine (Erstsemester), für das SS 1936 zwei Neuaufnahmen nachweisen. Für die folgenden Semester gibt es keine Belege für Neuaufnahmen (UAM Sen 6 II).

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dische" - Studenten an der Universität München eingeschrieben, so ging ihre Zahl in den folgenden Semestern kontinuierlich zurück: auf zehn im WS 1936/37, sechs im SS 1937, vier im WS 1937/38 und zwei im SS 1938. Ab WS 1938/39 studierte auch an der Universität München kein deutscher Jude mehr, nachdem der Rektor in Befolgung der nach dem 9. November verordneten Verschärfungen dem letzten eingeschriebenen jüdischen Studenten am 12. 11. 1938 das Betreten der Universität verboten hatte. 52 Auch wenn an der Universität München noch in den Kriegsjahren etwa 15- 20 jüdische "Mischlinge" studierten, war die nationalsozialistische Judenpolitik schon lange vor dem 9. November 1938 wirksam und führte bereits in den ersten Jahren zu einer Verdrängung des Großteils der jüdischen Studenten53 und zu einem kontinuierlichen und programmierten Rückgang des Judenstudiums. c) Gesamtentwicklung der Frequenz Die von der gesamtpolitischen Entwicklung beeinflußte Hochschul- und Studentenpolitik, die eine rationale konzeptionelle Linie nicht erkennen ließ, z.T. in sich widersprüchlich und von vielen sporadischen und willkürlichen Einzelmaßnahmen getragen war, erwies sich schon nach einigen Jahren als Fehlpolitik mit katastrophalen Auswirkungen. Aus dem "Akademiker- und Studentenberg" wurde ein Studenten- und schließlich Akademikermangel, der insbesondere in den letzten 30er Jahren manifest wurde, aber sich bereits 1934 abzeichnete.54 Die Hauptursachen sind v.a. darin zu sehen, daß die verschiedenen Maßnahmen zur Bewältigung der sog. Hochschulüberfüllung - neben dem Ausschluß einzelner Studenten55 die direkten und indirekten Zulassungsbeschränkungen einschließlich der verschärften Schülerauslese auch unter politischen Gesichtspunkten, die Erschwerung des Studiums durch mannigfaltige Formen der politischen Inanspruchnahme, Gängelung und Kontrolle -, die wissenschaftsfeindliche Ideologie und die propagandistische Abwertung der akademischen Bildung56 , aber auch die

52 UAM Sen 368/4 und 559. Im WS 1936/37 waren 33, im WS 1937/38 36 "Mischlinge" eingeschrieben. 53 Zum Vergleich seien die Zahlen von Heidelberg angeführt: die Zahl "nichtarischer" Studenten nahm vom SS 1933 bis SS 1937 -WS 1937/38 gab es keine jüdischen Studenten mehr. von 175 über 76, 63, 46, 38, 37, 27, 25 auf 5 ab (Weckbecker 420). 54 Ende 1934 bereits von der Hochschulkommission der Partei gesehen, die sich gegen eine zahlenmäßige Beschränkung des Studiums aussprach (hier nach Kleinherger 18). 55 Politische Säuberungen, s. oben (B.II.2.). 56 Z.B. Kampagnen gegen die "volksfremde Intellektualisierung".

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gesamtpolitische und wirtschaftliche57 Entwicklung, die vielen Abiturienten den Zugang zur Hochschule versperrte oder ein Studium nicht mehr ratsam58 erscheinen ließ, mit einem ohnehin demographisch bedingten Rückgang der Zahl der potentiellen Studenten einhergingen. 59 Die Gesamtzahl der Studenten sank somit bis Kriegsbeginn60 kontinuierlich und unaufhaltsam ab, z.B. von 128 000 bzw. 117 000 in den Studienjahren 1931132 und 1932/33 auf 99 800 (1933/34), 80 700 (1934/35), 72 900 (1935/336) und 62 000 im Studienjahr 1936/37.61 Ein entsprechender Rückgang ergab sich auch an den Universitäten, z.B. von 98 757 im SS 1932 auf 68 043 im WS 1934/35 (= 31 %). Die allgemeine Entwicklung spiegelt sich zwar auch an der Universität München, schlägt aber hier weniger deutlich und erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung durch. Die Attraktivität der Universität München blieb auch in den ersten Jahren des Dritten Reiches ungebrochen und wirkte dem allgemein rückläufigen Trend entgegen. Die Zahl der Studierenden, die seit 1928 auf über 8 000 angestiegen und im WS 1930/31 mit 8 753 einen vorläufigen Gipfel markierte,62 blieb relativ stabil und erreichte nach 8 696 im WS 1932/ 33 und 8 137 im SS 1933 mit 8 870 im WS 1933/44 sogar noch einen neuen Höhepunkt. Erst im SS 1934 erfolgte mit einer Zahl von 7307 Studierenden ein erster, aber starker Einbruch, der vor allem durch das ungünstige V erhältnis von Zu- und Abgängen63 , bedingt auch durch die Limitierung der Zugangsberechtigten durch Reifevermerke und die neu eingeführte halbjährliche Arbeitsdienstpflicht für die Abiturienten von Ostern 1934, verursacht war,64

57 In den Jahren des Aufschwungs bot die Wirtschaft auch gute berufliche Chancen für Nichtakademiker, die zudem dem übergroßen politischen Druck ausweichen konnten. Alternativkarrierengab es ab 1935 auch in der Wehrmacht. 58 Die vielen Ursachen hatten doch einen beträchtlichen Abschreckungseffekt und führten insgesamt zu einem deutlichen Rückgang der Studierwilligkeit der Abiturienten. 59 V.a. wegen der schwachen Geburtenjahrgänge aus der Zeit des Weltkrieges. Dazu u.a. Jarausch 176 tf., v.a. 179, und Quetsch, insbes. 19 tf. 60 Eine gewisse Erholung ist 1938/39 festzustellen. 6 1 Statistische Jahrbücher für das Deutsche Reich, hier nach Quetsch 42. - Vom WS 1932/33 auf WS 1934/35 ergibt sich ein Rückgang von 31 %. 62 SS 1931: 8 489; WS 1931132: 8 356; SS 1932: 8 279; WS 1932/33: 8 696; hier u. im folg. nach den Personalverzeichnissen (Personen- und Vorlesungsverzeichnis) der Univ. München. Nicht mitgezählt sind Gasthörer. Für die Zeit vor 1933 und nach 1939 vgl. auch Seile. 63 3 407 Studierende haben die Universität verlassen, 1 844 wurden neu aufgenommen. 64 Sie mußten vor Studienbeginn vom 7. 5. • 15. 10. 1934 ihren Arbeitsdienst ableisten. Da die Abwicklung des studentischen Arbeitsdienstes mit großen organisatorischen Problemen verbunden war und nicht alle Dienstwilligen sofort eingezogen werden konnten, gab es viele Ausnahmen und verzögerte Einberufungen, so daß sich nicht exakt feststellen läßt, in welchem Ausmaß und in welcher Zeit der Arbeitsdienst die jeweilige Frequenz beeinflußt.

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wie auch die stark abgesunkene Zahl der Erstsemester beweist.6S Ein neuerlicher Anstieg im WS 1934/35, als die Zahl der Studierenden noch einmal auf 8 065 anwuchs,66 zeigt, daß trotz des allgemeinen Rückgangs der Studentenzahlen und trotz der vielfältigen Behinderungen und Erschwerungen des Studiums die Universität München im Unterschied zu den meisten - v.a. mittleren und kleineren - Hochschulen67 ihre Frequenz im großen und ganzen halten konnte und die bisherigen staatlichen Maßnahmen den Zuzug zur Universität München nicht wesentlich abbremsen konnten. Erst durch einen massiven staatlichen Eingriff, nämlich durch die Festsetzung von Studentenhöchstziffern für Großstadthochschulen zur Umlenkung der Studenten auf die vom allgemeinen Rückgang besonders stark betroffenen kleinen Hochschulen,68 wurde im SS 1935 auch an der Universität München die Zahl der Studenten drastisch gesenkt: von 8 065 im WS 1934/35 auf 5 480 im SS 1935.69 Auch das grundsätzliche Verbot der Erstimmatrikulation für SS 193570 hätte nicht zu einem annähernd starken Einbruch geführt. Die Universität, die nicht einmal 500 Studenten neu aufnehmen durfte, hatte mit 1 500 2 000 Neuaufnahmen gerechnet. Wenn in den Folgejahren die für die Universität München festgelegten Studentenhöchstziffern nicht mehr erreicht wurden, so lag dies zunächst an dem Abschreckungseffekt der sog. Kontingentierung der Großstadthochschulen, zum anderen aber auch daran, daß sich inzwischen als Ergebnis der Hochschulpolitik ab 1933 ein allgemeiner Rückgang der Studentenzahlen an allen Hochschulen bemerkbar machte. Innerhalb der Fakultäten gab es bis zum SS 1935 keine auffallenden Verschiebungen, sieht man von einem leichten Abschwung in der Philosophischen Fakultät I und einem bereits seit WS 1934/35 spürbaren Rückgang der Rechts-

Insgesamt 310 gegenüber 557 im WS 1933/34 und sogar 1 343 im SS 1933. Wieder war für den Anstieg eine positive Bilanz des Zu- und Abgangs (3 497:2 739) bei einer Zunahme der Erstsemester (799) verantwortlich. Die während des SS 1934 den Arbeistdienst ableistenden Abiturienten kamen zu den Studienanfängern hinzu. 67 Zum Vergleich: Heidelberg (nach Weisert 136): WS 1932/33: 3 374, SS 1933: 3 687, WS 1933/34: 3 480, SS 1934: 3 229, WS 1934/34: 2 742, SS 1935: 2 655. Tübingen (nach Adam 215): SS 1931: 4 002, SS 1932: 3 944, WS 1932/33: 3 429, SS 1933: 3 450 (3 495), WS 1933/34: 2 926, SS 1934: 2 727, WS 1934/35: 2 455. 68 S. oben. Die Zwangsmaßnahme führte auch innerhalb der Großstadthochschulen zu Verschiebungen zum Nachteil einzelner Fächer.- Parallel dazu lief eine Werbeaktion der DSt (Schreiben des Reichsführers vom 4. 2. 1935) für das "Ostsemester", d.h. ein Studium in Breslau, Danzig und Königsberg. 69 Die zunächst auf 5 000 festgelegte Höchstziffer durfte in einigen Fällen etwas überschritten werden, so daß insgesamt 5 480 Studierende eingeschrieben werden konnten. 70 Ableistung des halbjährigen Arbeitsdienstes war Voraussetzung für die Zulassung bzw. das Weiterstudium für die Stud. des 2. • 8. Semesters. • Aufgrund verschiedener Ausnahmen konnten· mit Ausländern· 101 Erstsemester immatrikuliert werden. 6S

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studenten ab,71 deren Anteilszahl von 19% im Jahre 1933 auf 14,7 %im SS 1935 sank und sich ab SS 1936 bei etwa 12% stabilisierte. Auch das Ausländerstudium zeigte bis 1935 nur eine geringfügige Abnahme. Studierten vor 1932 jeweils etwa 5,5 % - 6,5% Ausländer an der Universität München, so sank diese Quote nur leicht ab auf 5,72 % im SS 1932, 5,07% im WS 1933/34, 5,24% im SS 1934 und 5,08% im WS 1934/35. Der Prozentsatz blieb v.a. deshalb relativ stabil, weil die Zahl der gesondert aufgeführten Studenten aus Österreich und den von Deutschland abgetrennten Gebieten einschließlich Danzig gleich blieb bzw. sich leicht erhöhte,12 während die Zahl der "echten" Ausländer doch merklich zurückging, nämlich von 485 im WS 1932/34 auf 395 im SS 1933, 340 im WS 1933/34, 322 im SS 1934 und 325 im WS 1934/35. Obwohl formal von den staatlichen Steuerungsmaßnahmen nicht betroffen, reagierten die ausländischen Studenten - insbesondere aus den westlichen Demokratien, v.a. der Schweiz und den USA73 , - zunächst doch mit Zurückhaltung auf die veränderten Studienbedingungen. Dieser Rückgang war allerdings nicht von Dauer, denn nach 1935 stieg die prozentuale und absolute Zahl der ausländischen Studenten sogar wieder an. 7 4 Auch im Frauenstudium gab es bis 1935/36 keine signifikanten Veränderungen. Der Prozentsatz der an der Universität München - vorwiegend in der Medizinischen und Philosophischen Fakultät I und II - eingeschriebenen Studentinnen schwankte sowohl in den Jahren vor als auch nach 1933 zwischen 18 und 20 % und lag damit leicht über dem Durchschnitt aller Universitäten. Ein allgemeiner Rückgang des Frauenstudiums nach 1933 machte sich an der Universität München nicht bemerkbar, wie die nachfolgende Übersicht7 5 zeigt.

71 Neben politischen Gründen dürfte die Hauptursache in der Überfüllung der juristischen Berufe liegen. Vor 1933 waren stets über 1 700 (WS 30/31: 2 051, SS 31: 1 914, WS 1931132: 1 812, SS 1932: 1 757, WS 1932/33: 1 774) eingeschrieben. Die Zahl sank von 1 607 und 1 709 im SS 1933 und WS 1933/34 auf 1 384 und 1 333 im SS 1934 und WS 1934/35. Die Med. Fakultät erreichte im WS 1934/35 mit 3 336 Studenten der Humanmedizin noch einmal eine Rekordhöhe. 72 WS 1932/33: 32 + 46, SS 1933: 26 + 45, WS 1933/34: 59+ 51, SS 1934: 29 + 32, WS 1934/35: 34 +51. 73 USA: WS 1934/35: 129, SS 1933: 88, WS 1933/34: 76, SS 1934: 64, WS 1934/35: 60. Schweiz: WS 1932/34: 73, SS 1933: 61, WS 1933/34: 38, SS 1934: 39, WS 1934/35: 50. 74 Freilich auch mit einer anderen Verteilung nach Herkunftsländem. Bedingungen und Veränderungen des Ausländerstudiums verdienten eine gesonderte Betrachtung, die hier nicht möglich ist. Ebenso ist in diesem Rahmen eine Analyse der Sozialstruktur (vgl. z.B. Altstädter) nicht zu leisten. 15 Zahlen aus: Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 - 1944, 622; für Univ. München auch Personalverzeichnis.

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C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933- 1935/36) Frauenstudium

ss 1931: WS 1931132: ss 1932:

WS 1932133: ss 1933: WS 1933/34: ss 1934: WS 1934/35: ss 1935; WS 1935/36:

Univ. München: 18,27 o/o 18,88 o/o 18,68 o/o 20,27 o/o 19,31 o/o 20,80 o/o 18,02 o/o 19,31 o/o 18,54 o/o 18 03 o/o

sämtl. Univ~itäten:

18,54 o/o 18,58 o/o 18,24 o/o 17,12o/o 16,52 o/o 16,15 o/o 16,94 o/o 1631o/o

sämtl. Hochschulen:

15,82 o/o 15,71 o/o 15,61 o/o 14,53 o/o 13,89 o/o 13,83 o/o

Erst ab SS 1937 sank der Anteil der Studentinnen prozentual um etwa 2%, bis er in den Kriegsjahren die außergewöhnliche Höhe von z.T. 50% erreichte. Da die Auswirkungen der Zulassungspolitik in ihrer wahren Dimension erst ab 1935 voll sichtbar wurden, soll der in Anhang I gegebene Überblick über die Entwicklung des Ausländer-, Frauen- und Fachstudiums an der Universität München die Zeit bis zum SS 1939 berücksichtigen. 2. Veränderungen im Lehrangebot und in der Organisation des Studiums a) Einzelne Reformvorschläge und erste Veränderungen bis 1935 Die nach der Machtübernahme zu erwartenden Veränderungen führten bereits in den ersten Wochen und Monaten zu einer lebhaften, recht diffusen allgemeinen Reformdiskussion, die allerdings, wie oben (B.I.2.a) gezeigt werden konnte, nur wenige brauchbare und konkrete Ansätze hervorbrachte. Ein Ergebnis dieser Diskussion war auch der oben (B.I.2.b) vorgestellte, auf Initiative der Studentenschaft entwickelte Reformvorschlag der Universität München von Anfang August 1933. Nach der ersten Reformeuphorie, die fast wie ein Strohfeuer verging, verlagerte sich die abflauende Diskussion in der 2. Hälfte des Jahres 1933 mehr in die betroffenen Gremien und war eher durch Ruhe und Sachlichkeit bestimmt. Es ging nicht mehr um die ganz großen Konzeptionen - hier hatten die Machthaber die Weichen gestellt -, sondern nur noch -um konkrete, begrenzte und realistische Ziele wie die Mitwirkung bei der zu erwartenden Reform der Prüfungs- und Studienordnung bzw. der Neugestaltung einzelner Disziplinen. Die Bereitschaft zur Mitarbeit war bei Studenten76 und Professoren 76 Vgl. z. B. die allerdings schon am 28. April 1933 gegenüber dem KM abgegebene Erklärung der philosophischen Fachschaft, "daß sie in ihrem Bereiche an der Aufbauarbeit der neuen Regierung mitarbeiten will". Der Frage, "ob irgend eine Neuregelung der Lehr-

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nach wie vor groß, ungleich größer jedenfalls als die Geneigtheit der entscheidenden Stellen, davon Gebrauch zu machen. So erwartete sich z.B. auch die Juristische Fakultät durch ihren frühzeitigen und geschlossenen Beitritt zu der vom Reichsjustizkommissar und bayerischen Justizminister Dr. Hans Frank geführten Akademie für Deutsches Recht eine wesentliche Mitwirkung bei der "Reform des Deutschen Rechts", insbesondere des Rechtsunterrichts.n Man sah in der Akademie für die rechts- und staatswissenschaftliehen Fakultäten eine "Fülle großer und dankbarer Betätigung" und "auch den praktischen Vorteil, daß sie ähnlich, wie schon jetzt die organisierte Studentenschaft, auf die Gestaltung der Lehrpläne und auf die denkbar beste Besetzung der Lehrstühle durch Vermittlung der Akademie nötigenfalls ihren sachverständigen Einfluß werden geltend machen können". 78 Freilich zeigte sich auch hier bald, daß eine effektive Mitwirkung der "Basis" von den offiziellen Stellen letztlich gar nicht gewünscht war und im neuen politischen System nach dem Führerprinzip auch kaum möglich war. Die entscheidenden Änderungen wurden von den zentralen Stellen des Staates und der Partei ohne wesentliche Mitwirkung betroffener Fachleute eingeleitet. Die vielerorts mit großen Erwartungen sich konstituierenden Reformausschüsse zur Neugestaltung der Studien- und Prüfungsordnungen traten auf der Stelle, weil man außer der grundsätzlichen Bereitschaft zur Mitarbeit an den Aufgaben des neuen Staates von ihnen letztlich nichts erwartete. Auch in den beiden Sektionen der Philosophischen Fakultät der Universität München wurden im Herbst 1933 Reformkommissionen eingesetzt, über deren Arbeit freilich nichts mehr bekannt wurde. In der Sitzung der Phil. Fakultät I vom 10.11.1933 wurden vom Dekan mit Albert Rehm, Aloys Fischer, Walter Otto und Wilhelm Pinder vier in Organisationsfragen erfahrene Professoren benannt und mit Alfred Stange und Robert Spindler zwei jüngere, als Nationalsozialisten bekannte Nachwuchsgelehrte nominiert. Rehm, Fischer und Stange hatten bereits dem Reformausschuß vom Sommer 1933 (s. B.l.2.b) angehört. In dem von der Phil. Fakultät II am 26.10.1933 gebildeten "ArbeitsAusschuß" waren neben dem Dekan die Professoren Karl Haushofer, Walter

amtsprüfungenund vielleicht auch des Studienganges in Aussicht genommen ist", folgte die Bereitschaftserklärung, "einen aus Dozenten und Mitgliedern der Fachschaft bestehenden Arbeitszirkel zu bilden, ... dessen Aufgabe in der Ausarbeitung von Vorschlägen bestände, die als Grundlage für eine etwaige Neuregelung dienen könnten" (UAM Sen 197). 77 UAM LN 3c. Hierbei spielten freilich auch die besonderen Beziehungen zwischen Hans Frank und einigen Fakultätsmitgliedern eine wesentliche Rolle. Man war sich eines gewissen Wohlwollens des ehemaligen Schülers sicher, wollte es erhalten und sah wohl auch eine Chance, über Hans Frank auf die Entwicklung Einfluß zu nehmen und notfalls in Frank einen Schutzpatron zu haben. S. auch unten (III.2.a und ll1.2.b). 7S Ebd. Schreiben des Dekans vom 18. 8. 1933 an die deutschen Rechtsfakultäten.

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C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933 - 1935/36)

Gerlach, Constantin Caratheodory und Walter Sandt vertreten.79 Die Ausschüsse konnten mit einer konkreten Arbeit gar nicht beginnen, weil man sie über die Richtung der Reform im unklaren ließ. Dies mußte der in der Phil. Fakultät I eingerichtete Reformausschuß noch im Frühjahr 1934 erfahren, als in der Fakultätsitzung vom 3. März auf die Frage nach den richtungsweisenden Zielen für die Arbeit des Reformausschusses auch der Vertrauensmann des NSLB keine Antwort wußte. So kam es dazu, daß konkrete Reforminitiativen der Basis sich totliefen. Dies hing auch damit zusammen, daß die zuständigen Stellen in den ersten Monaten des Dritten Reiches von wesentlichen Änderungen der Studienund Prüfungsordnungen absahen, insbesondere wohl, weil man den Prozeß der Zentralisierung abwartete und reichseinheitliche Regelungen vorbereitete. Die Richtlinien für das Studium der Rechtswissenschaft und für das Studium der Wirtschaftswissenschaft vom Januar bzw. Mai 1935 gehörten neben den Richtlinien für das Studium der Zeitungswissenschaft zu den ersten und vorläufig einzigen reichseinheitlichen Maßnahmen dieser Art.80 Bis dahin, d.h. in den ersten beiden Jahren des Dritten Reiches, blieb es bei einigen wenigen Einzelregelungen und punktuellen Änderungen und mehrheitlich bei Hinweisen und Anordnungen, die nur Empfehlungscharakter und damit begrenzte Wirksamkeit hatten. Im übrigen war die Reformdiskussion stark bestimmt von opportunistischen und ideologisch motivierten Forderungen nach einer generellen Verstärkung bzw. Etablierung von Fächern und Fachgebieten, die zur aktuellen politischen und rassenpolitischen Erziehung der Studenten beitragen konnten bzw. sollten. Da ging es z.B. um eine breitere Verankerung der Rassenkunde, Rassenhygiene und Vererbungslehre, um eine Aufwertung der Vorgeschichte und der Neuen und Neuesten Geschichte sowie der Geschichte der Bewegung und beim Rechtsstudium um eine stärkere Berücksichtigung des Deutschen Rechts aufKosten des Römischen Rechts. Unter den traditionellen Reformvorschlägen war auch die schon in den 20er Jahren immer wieder erhobene Forderung, mehr Gewicht auf die methodische und didaktische Ausbildung der Lehramtsstudenten zu legen und ggf. ein eigenes erziehungswissenschaftliches Studium einzuführen. Vor allem für die Studenten der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer wurde dies

UAM ON ld und OCN ld. DWEV 1935, 48, 189, 190. Entsprechende Richtlinien für das Studiwn der Landwirtschaft wurden am 18. 6. 1935 (DWEV 1935, 284) erlassen. Erst ab 1937/38 wurde die Neuordnung mehrerer wichtiger Disziplinen in Angriff genommen. Neben einer forstlichen, tierärztlichen und medizinischen Studienordnung wurde bis Frühjahr 1939 auch eine für Pharmazie und Chemie in Kraft gesetzt. 79

80

I. Studium und Lehrbetrieb

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immer wieder verlangt. 81 Ein neuerlicher diesbezüglicher Antrag der mathematischen Fachschaft der Universität München und des Kreises Bayern der DSt vom April 1934 auf Einrichtung einer Vorlesung über Methodik und Didaktik des naturwissenschaftlichen Unterrichts stieß aber wieder auf die entschiedene Ablehnung der mathematischen Fachvertreter, der Professoren Oskar Perron, Heinrich Tietze und Constantin Caratbeodory, die auf die Referenda.IZeit verwiesen, weil Methodik und Didaktik nur in Verbindung mit praktischem Unterricht möglich sei.82 Während einzelne Fachvertreter ihren Fachegoismus nicht immer verleugnen konnten und manchmal der Versuchung erlagen, die Gunst der Stunde für ihr Fach auszunützen, blieben die Fakultäten der Universität München in den Jahren 1933 und 1934 im großen und ganzen die Wahrer der Kontinuität und waren in den allermeisten Fällen in der Lage, fachlich fragwürdige und stark politisch motivierte Veränderungen im Lehrbetrieb abzuwehren. Die Fakultäten bewiesen dabei beachtliches taktisches Geschick und bedienten sich auch der Argumente des Gegners. So haben die Fachvertreter der Geschichte im Sommer 1934 einen Antrag der historischen Fachschaft, die "reaktionäre" Prüfungsordnung unter Zurücksetzung der Alten Geschichte zugunsten der Neuen und Neuesten Geschichte zu ändern, unter ausdrücklichem Hinweis auf Adolf Hitlers hohe Bewertung der humanistischen Fächer83 strikt zurückgewiesen. Vor allem wegen der großen Zahl der Studenten schien bereits Ende der 20er Jahre eine Reform des Rechtsstudiums einschließlich einer gewissen

81 UAM OCN 22a. 1929 machte z.B. der Deutsche Ausschuß für den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht einen entsprechenden Vorstoß, der von der Fakultät zurückgewiesen wurde: Die Didaktik der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer könne durch ein Studium der Erziehungswissenschaft an der Universität kaum gefördert werden. 82 UAM OCN 9b. Der Antrag enthält neben dem fachlichen auch einen politischen Aspekt. War er einerseits nicht unbegründet und in gewisser Hinsicht sogar "fortschrittlich", so konnte er andererseits nach den Befürchtungen der Fachvertreter fachlich nicht einwandfrei ausgewiesenen Personen den Zugang zur Lehre eröffnen. Das Problem lag darin, daß es hier, so Aloys Fischer, eine Lücke gab, d.h. daß durch Habilitation ausgewiesene Dozenten. eben nicht vorhanden waren. Pädagogen und Philosophen wie Aloys Fischer und - mit unterschiedlicher Akzentuierung - Hugo Dingler betonten grundsätzlich die Notwendigkeit einer mehr berufsbezogenen Ausbildung und einer fachspezifischen Didaktik und sprachen sich in ihren Gutachten 1934 für die Einrichtung von Vorlesungen aus dem Gebiet der Methodik und Didaktik des mathematischen Unterrichts aus (UAM OCN lOa). 83 Die Alte Geschichte sollte der Vertreter der Mittelalterlichen Geschichte mitprüfen. Den Studenten wurde entgegengehalten, sie seien mit Hitlers "Mein Kampf" nicht vertraut. Aus der Alten Geschichte gerade könne man viel lernen, z.B. über die "überragende Macht des Staates als Erzieher zur nationalen Gemeinschaft", "Gefahren schwächlicher Staatsfiihrung" und vom "Segen des Führerprinzips und den Gefahren des Mehrheitsprinzips" (UAM ON 3). S. auch unten (C.I.2.b). IS Döhm

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C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933- 1935/36)

Abstimmung zwischen den Hochschulländern unumgänglich. 34 Die Reformdiskussion, die in Bayern 1932 und 1933 gerade in vollem Gange war,8S wurde von der neuen Regierung sofort mit entsprechender politischer Akzentuierung fortgesetzt. Schon Anfang April 1933, unmittelbar nach der Regierungsübernahme, ergriff Justizminister Hans Frank die Initiative: Er forderte in einem Schreiben an das KM, "die Rechtspflege fortan mit deutschem Geiste zu erfüllen, ein deutschblütiges Recht zu schaffen und das von dem deutscher Art fremden römischen Rechtsdenken durchsetzte geltende Recht in ein dem deutschen Rechtsgefühl entsprechendes Recht umzubilden", und hielt es für "unbedingt nötig, daß der juristische Universitätsbetrieb sofort auf diesen Gedanken umgestellt" und daß jeder Student auch mit der Rassenkunde vertraut gemacht wird. 86 Mit der Berücksichtigung der Rassenkunde und dem Abbau des Römischen Rechts zugunsten des Deutschen Rechts war das primäre nationalsozialistische Reformziel formuliert. Die Fakultät, vom KM zur Stellungnahme zu den Vorschlägen Franks zur Umgestaltung des Rechtsstudiums87 aufgefordert, sah die auf sie zukommende Gefahr und ging geschickt auf die einzelnen Punkte ein. Sie wandte sich entschieden und mit überzeugenden und auch in der politischen Situation treffenden Argumenten gegen eine Verkürzung des romanistischen Unterrichts,88 begrüßte aber gleichzeitig eine Förderung des Deutschen Rechts, nicht ohne sich den hintersinnigen Zusatz zu verkneifen, daß dies nicht am wenigsten von den Persönlichkeiten abhänge und davon, daß der Rechtswissenschaft "auch fernerhin die Freiheit gewährleistet" bleibt, "daß sie allein ihren eigenen Gesetzen zu folgen imstande ist", und "daß der Forscher, wenn ibm diese Freiheit der Forschung und des Bekenntnisses gelassen ist, dann auch am besten seinem Volke zu dienen vermag". Die Fakultät wider84 Zielsetzung war folglich primär die Regelung der Zulassungsfrage (schärfere Auslese, Vorprüfung usw.) sowie die Beseitigung der sich aus der "Überfüllung" ergebenden Erscheinungen (hohe Belastung für die Dozenten, mangelnder Kontakt zwischen Dozenten und Studenten, Beeinträchtigung der Universität als Stätte der Forschung usw.). 85 UAM LN 23d. Auf die Vorschläge der beteiligten Stellen kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Es fällt auf, daß gewisse Reformforderungen rein fachlicher Natur in ähnlicher Form sowohl1919 u. 1929 als auch 1933 erhoben werden, d.h. daß Reformdefizite vorhanden waren. Sie wurden von den neuen Machthabern geschickt aufgegriffen und mit ihren politischen Zielen verknüpft. Wenn die "Überfüllung" eine gewisse Vereinheitlichung, Reglementierung und Rationalisierung des Studiums nahelegte - von den Universitäten meist mit großer Skepsis betrachtet und abgelehnt -, so kam dies den politischen Zielen und Zentralisierungsbestrebungen der Nationalsozialisten sehr entgegen. Vgl. auch HStA I MK 11024. 86 Schreiben vom 6. 4. 1933 an das KM (UAM LN 23d und HStA I MF 68251). 87 Frank reichte gleichzeitig an das KM eine von Rudolf Bechert, einem Mitarbeiter in der Rechtsabteilung der Partei, stammende und von ihm sehr positiv gewürdigte Denkschrift zur Umgestaltung des Rechtsstudiums ein. S. auch unten (IIT.4.a). 88 Wieder wird die Taktik sichtbar, den "Gegner" mit den eigenen Waffen zu schlagen: Gerade im Römischen Recht könne an Beispielen vorgeführt werden, was dem zur Staatspolitik zu erziehenden Studenten heute vermittelt werden müsse (Bedeutung des autoritären Staates, organische Volksverbundenheit im Staate, Führerauslese ...).

I. Studium und Lehrbetrieb

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legte in bestechender Manier die unsachgemäßen Vorschläge und vetwies auf viele Widersprüchlichkeiten, griff aber geschickt und dankbar Gemeinsamkeiten auf sowie Äußerungen Franks, denen sie zustimmen konnte und von denen sie sich eine Verbesserung der Hochschulsituation versprach, wie etwa die Bemerkung, daß die Hochschulen Gefahr liefen, aus Stätten der Wissenschaft immer mehr höhere Fachschulen zu werden und daß die Hochschulen ihre Aufgabe nicht in der votwiegend praktischen Ausbildung der Studenten zu sehen hätten.89 Die Fakultät war auf eine Reformdiskussion vorbereitet, aber die großangelegten Vorstöße Franks verpuffien. Die geplante umfassende Reform wurde - aus welchen Gründen auch immer - zunächst zurückgestellt, und auch der Einfluß von Hans Frank ging zunehmend- vor allem ab 1934- zurück. 90 Für die Studenten waren die mit Verordnung vom 17. 7. 193391 verfügten Änderungen der Bestimmungen über die juristischen Universitätsprüfungen von Bedeutung. Bei der sich dadurch ergebenden Neufassung der Studienpläne war nach der ME vom 19. 8. 1933 u.a. "der durch die nationale Erhebung bedingten erhöhten Bedeutung des deutschen Rechts gegenüber dem römischen Rechte" Rechnung zu tragen sowie zu berücksichtigen, daß der Besuch einer Vorlesung aus Rassenhygiene nunmehr Pflicht war. 92 Die Fakultät entsprach der ME zum WS 1933/34 und setzte die Pflichtvorlesungen über Römisches Recht auf insgesamt fünf Wochenstunden herab. 93 Der von der Fakultät herausgegebene "Stundenplan", die "Anleitung zum Studium der Rechtswissenschaft", wurde entsprechend geändert. Neu war u.a. der Hinweis, daß bei der Zulassung zur Prüfung nunmehr der Besuch der ordentlichen Vorlesung über 89 Hier hoffte man auf Unterstützung Franks gegenüber den vielfach erhobenen Forderungen nach mehr praxisbezogener Ausbildung. 90 Hans Frank war offensichtlich trotz seiner Stellung als "Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung" ("Reichsjustizkommissar") nicht dazu bestimmt, die große Rechtsreform federführend zu gestalten. Andere Machtzentren wurden maßgebend. In einem Schreiben eines Fakultätsmitglieds (UAM LN23d) findet sich der Hinweis auf eine Äußerung Franks vom Juni 1933, nach der die politische Lage zwinge, die Reformarbeiten einstweilen zurückzustellen. 91 Verordnung über die Vorbedingungen für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst vom 17. Juli 1933 (GVB1193) und hierzu ergangene Vollzugsbekanntmachung vom 27. 9. 1933 (GVB1281). 92 Diese Regelung brach bereits Ende 1934 wieder zusammen. S. nachfolg. Abschnitt. Neben der schon seit einiger Zeit eingeführten Verkürzung der Studienzeit auf 7 Semester und der neu eingeführten Vorprüfung war der Besuch praktischer Übungen aus den wichtigsten Studienfächern Pflicht. Wegen der Belastung der Studenten durch die körperliche Erziehung v.a. in den ersten Semestern sollte eine bestimmte Höchststundenzahl nicht überschritten werden (UAM LN 23e). 93 Nach der o.g. VO vom 17. 7. 1933 fand bei der Universitätsabschlußprüfung eine Prüfung aus dem Römischen Recht nicht mehr statt. Dagegen sollten künftig Deutsche Rechtsgeschichte und Deutsches Privatrecht sowohl schriftlich als auch mündlich geprüft werden (HStA I MF 68251). Zum "Stundenplan" vgl. UAM LN 23 c-e. 1S•

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Rassenhygiene nachgewiesen werden müsse sowie die Passage, daß der Student auch bestrebt sein müsse, "politische und kulturwissenschaftliche Vorlesungen zu besuchen, v.a. über die Geschichte des deutschen Volkes, über wehrwissenschaftliche Fächer, Probleme der nationalsozialistischen Weltanschauung usw." Auch die Reformdiskussion um die formale Gestaltung des Studiums und die Organisation des Unterrichts führte zunächst nicht zu konkreten Ergebnissen. Die immer wieder aufkommende - und sowohl unter inhaltlichen als auch formalen und organisatorischen Gesichtspunkten geführte - Debatte um eine Entlastung der Stundenpläne bzw. eine Kürzung der Vorlesungen94 wurde gerade 1933, in einer Zeit hoher Studentenzahlen und einer übergroßen Belastung der Studenten mit außerwissenschaftlichen Verpflichtungen, wieder aktuell. So suchte das preußische Kultusministerium in einem Erlaß vom 24. Juni 193395 auf die Zusammenfassung und "sachgemäße Darbietung" des Stoffes in allen Unterrichtsfachern hinzuwirken. Dementsprechend stellten auch die übrigen Hochschulländer einschlägige Untersuchungen an. Die befragten Fachvertreter und Fakultäten der Universität München sahen aber fast ausnahmslos keine Möglichkeit zu einer Vorlesungskürzung. Die Vertreter der Philosophischen Fakultät stimmten mit zwei Ausnahmen darin überein, daß eine Kürzung ohne schwere Gefahrdung des Unterrichts nicht möglich sei,96 und die Professoren Walter Gerlach und Amold Sommerfeld hielten entgegen, die naturwissenschaftliche Ausbildung sollte eher noch verbreitert werden.97 Im Sommer 1934 griff das eben errichtete REM die Frage noch einmal auf und legte überraschend deutlich und grundsätzlich dar, daß die von den Fakultäten aufgestellten Studienpläne nur Richtlinien, Ratschläge ohne "pflichtrnäßigen Charakter" seien und daß die Lernfreiheit und Selbstverantwortung der Studenten für die Gestaltung ihres Studiums nicht zur Einhaltung bestimmter Lehrpläne und zum Besuch bestimmter Pflichtvorlesungen zwingen könne, sondern die notwendige Begrenzung lediglich in den Prüfungsord-

94 Z.B. Vorstoß des preußischen Kultusministeriums 1929. Die zunehmende Spezialisierung und Differenzierung der wissenschaftlichen Disziplinen (v.a. im ersten Drittel des 20. Jhs.) führte zu umfangreichen Studienplänen und damit fast zwangsläufig immer wieder zu Versuchen, diese zu "entrümpeln". Hier nach UAM Sen 687. Eine Neuauflage der Debatte gab es 1937, als aufgrunddes sich abzeichnenden Nachwuchsmangels in mehreren Fächern das REM eine Verkürzung der Gesamtausbildungszeiten prüfen ließ. 95 Die Professoren sollten den "Stoff in geistig zusammengefaßter Form" vermitteln und auf das Wesentliche einschränken, die Zahl der erforderlichen Wochenstunden sollte auf maximal 30 bzw. 35 herabgesetzt werden. 96 UAM ON 2d. Lediglich einige vierstündige Vorlesungen in der Philosophischen und Juristischen Fakultät sollten ggf. gekürzt werden. 97 "Jede solche Maßnahme bringt eine unvollkommenere, also schlechtere Ausbildung der Studenten mit sich. •

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nungen finde, in denen gewisse Fächer als pflichtmäßige Prüfungsfächer gekennzeichnet seien.98 Damit waren einerseits Festlegungen zunächst vermieden, andererseits die Grundrisse künftiger Regelungen vorgezeichnet. So gab es auch nach den Richtlinien für das Studium der Rechtswissenschaft und der Wirtschaftswissenschaft vom Januar und Mai 1935 keine Pflichtvorlesungen und keinen Belegungszwang, wenn auch die einem bestimmten Semester jeweils fest zugeordneten Hauptvorlesungen besonders hervorgehoben wurden.99 Die schon 1929 geführte Diskussion um die Semesterferieneinteilung100 wurde im Sommer 1933 neu belebt, als die Rektorenkonferenz dafür plädierte, die Vorlesungen an allen Hochschulen an demselben Tag und das WS im Hinblick auf die starke Belastung der Studenten durch Wehrsportübungen, Aufmärsche und Dienst in den Verbänden vorzeitig am 23. Oktober beginnen zu lassen. Die Fakultäten der Universität München stimmten zu, die Studentenschaft war wie das KM gegen einen vorzeitigen Beginn. Vorläufig änderte sich aber nichts.1o1 Erst als das REM im November 1934 die Absicht einer Neuregelung der Semestereinteilung- vom 15. 9. bis 22. 12. und vom 15. 1. bis 30. 4.- bekanntgab, setzte eine umfassende Diskussion ein, an der sich an der Universität München alle Fakultäten und fast alle Lehrstuhlinhaber sehr engagiert und mit ausführlichen und differenzierten Stellungnahmen beteiligten.1o2 98 REM 6. 8. 1934: Betont wird die "weitgehende Lernfreiheit" und Selbstverantwortung, "auf die der nationalsozialistische Staat besonderen Wert legen muß, weil sie ein wichtiges Mittel zur Charakterbildung darstellt". Das Schreiben war allen Hochschullehrern und Studenten durch Anschlag bekanntzugeben. - Schließlich gab es noch auf vielen Gebieten Unsicherheiten über die künftige Entwicklung. So bemerkte z.B. die Juristische Fakultät bezüglich der öffentlich-rechtlichen Vorlesung, Endgültiges werde sich erst sagen lassen, "wenn die s~tsrechtlichen Verhältnisse des neuen Staates ihre abschließende Regelung gefunden haben" (UAM NN Sd). 99 Unter der Leitforderung, Rechts- und Wirtschaftswissenschaft müßten nationalsozialistisch werden, erhielten in äußerst fragwürdiger Umsetzung ideologischer Prämissen die Vorlesungen neue Bezeichnungen und die Studienpläne neue Einteilungen, die später heftig kritisiert wurden, weil sie einer fachlogischen Systematik zuwiderliefen. In den ersten beiden Semestern sollte der Student die völkischen Gundiagen der Wissenschaft in Vorlesungen z.B. über Rasse, Sippe und Volkskunde kennenlernen. V gl. die zeitgenössischen Beiträge von Eckhardt und Wiskemann. 100 Der Senat der Universität München sprach sich dabei fiir die Beibehaltung der bewährten Zweiteilung des akademischen Studienjahres aus (UAM Sen 367). 101 Das KM kündigte am 17. 10. 1933 eine einheitliche Semesterregelung für das SS 1934 an, ließ aber am 26. 7. 1934 mitteilen, daß es eine solche in nächster Zeit noch nicht gebe. Das REM sah auch 1937 bei der Diskussion um die Verkürzung der Gesamtausbildungszeit keine Veranlassung zu einer Änderung der Semestereinteilung (UAM MN 2c). 102 Trotz mehrheitlicher Ablehnung konnten dem Vorschlag auch positive Seiten abgewonnen werden. Wirtschaftliche, politische, hochschulpolitische und pädagogische Argumente wurden vorgebracht. Vor allem die Staatswirtschaftliche, Theologische und Philosophische Fakultät votierten negativ. Der Rektoratsbericht bezeichnete den Vorschlag als brauchbare, diskussionsfähige Grundlage, betonte aber vor allem die Notwendigkeit eines längeren Zwischenraums zwischen Herbst- und Frühjahrssemester.

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Die Mehrheit der Professoren und auch der Fakultäten sprach sich gegen die beabsichtigte Neueinteilung aus. Trotz der ausführlichen Diskussion kam es auch hinsichtlich der Semestereinteilung zunächst zu keiner Änderung. Nicht lange diskutiert, sondern noch im Sommer 1933 vom KM verfügt wurde die Freihaltung des Samstags und des Mittwoch-Nachmittags von Vorlesungen und Übungen, weil zu dieser Zeit die pflichtmäßige wehrsportliche Ausbildung und staatspolitische Schulung von den Anfangssemestern zu absolvieren waren.103 Die zunehmende und häufig wechselnde außerunterrichtliche Inanspruchnahme der Studenten während der Vorlesungszeiten war eine größere Störung bzw. Beeinträchtigung des Lehrbetriebs als alle anderen inhaltlichen und organisatorischen Änderungen bis 1935. b) Änderungen im Vorlesungsprogramm: neue Fächer und neue Gewichtungen Die völkisch-nationale Erziehung der Studenten sollte auch, soweit politisch zuverlässige Dozenten vorhanden waren, in einzelnen Fachvorlesungen besonders gefördert werden. Wenn es auch bis 1935 nur geringfügige Modifizierungen der Prüfungsordnungen mit entsprechenden Konsequenzen für bestimmte Vorlesungen gab, so führten die neuen politischen Verhältnisse- z.T. auch ohne offizielle Anstöße- doch schon bald zu gewissen Veränderungen im Vorlesungsangebot, v.a. bei den Fächern, die der gewünschten politischen Ausrichtung dienlich schienen. Im folgenden sollen an einigen Disziplinen die äußerlich sichtbaren Veränderungen, Akzentuierungen und Schwerpunktverlagerungen bis 1935 aufgezeigt werden.1°4 Vorlesungen zur staatsbürgerlichen Erziehung Die angemessene staatsbürgerliche Erziehung war ein zentrales, in ihrer Brisanz durchaus erkanntes Problem der Weimarer Republik, 105 das freilich zum Schaden eben dieser Republik sich nicht in dem erforderlichen Ausmaß lösen ließ.

103 ME vom 28. 7. 1933 (UAM OCN 2d). Einzelnes siehe unten (11.2. u. 3.). 104 Keine Vollständigkeit; die Lehraufträge mit politischem Inhalt werden unten (III.4.a) gesondert behandelt. Völlig außer Betracht bleiben muß der jeweilige Inhalt der einzelnen Vorlesungen. 105 Vgl. dazu z.B. im größeren Zusammenhang Wippermann, K.W.: Politische Propaganda und staatsbürgerliche Bildung. Die Reichszentrale für Heimatdienst in der Weimarer Republik. Köln 1976.

I. Studium und Lehrbetrieb

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Die Hochschulen leisteten wie die Universität München ihren Beitrag meist in einigen fiir Hörer aller Fakultäten ausgewiesenen juristischen und historischen Vorlesungen, wandten sich aber, wie etwa die Philosophische Fakultät I, gegen die Verselbständiguns zu einem eigenen Fach. 106 Im Vorlesungsverzeichnis fiir das SS 1928 wurden zum ersten Mal unter einer eigenen Rubrik "VIII. Bürgerkunde und staatsbürgerliche Erziehung" mehrere Vorlesungen der Juristischen, Staatswirtschaftlichen und Philosophischen Fakultät I zusammengefaßt und neben den Rubriken IX ("Vorlesungen fiir Hörer aller Fakultäten") und X ("Leibesübungen") gesondert aufgeführt. Es handelte sich meist um allgemeine Einführungsvorlesungen über Recht, Staatsrecht, Volkswirtschaft, Wirtschaftsgeschichte, allgemeine und Landesgeschichte, 1°7 ferner ab 1932 in zunehmendem Maße auch um Vorlesungen über Wehrgeographie, Kriegsgeschichte und auslandskundliehe Themen.1os Der traditionelle Vorlesungskanon war im Vorlesungsverzeichnis fiir das SS 1933 tioch fast unverändert geblieben, auch die Vorlesung des zu dieser Zeit entlassenen Prof. Nawiasky war noch aufgeführt. Im WS 1933/34 wurde die Rubrik VIII erweitert auf "Wehrwissenschaften, Bürgerkunde und staatsbürgerliche Bildung". Im Vorlesungsverzeichnis fiir das SS 1934 waren die Wehrwissenschaften wieder abgetrennt und in einer eigenen Abteilung aufgeführt, während die staatsbürgerliche Erziehung unter der neuen, die politische Intention verratenden Bezeichnung "Vorlesungen zur politischen Erziehung der Studentenschaft" in der Rubrik IX firmierte. Bezeichnenderweise schien dem neuen Ziel nur mehr eine einzige Vorlesung gerecht zu werden, nämlich die Vorlesung des neuen Staatsrechtiers Prof. Otto Koellreutter über "Politik" ("allgemeine Staatslehre"). Ab WS 1934/35 wurde auf eine gesonderte Bezeichnung und Zusammenstellung der staatsbürgerli106 Die Phi!. Fakultät konnte zudem auf den Lehrauftrag Kar! Alexander von Müllers für "Historische Politik" hinweisen. 1°7 Z.B. im SS 1928: "Einführung in die Rechtswissenschaft" (Beyerle), "Allgemeine Staatslehre" (Nawiasky), "Bayerisches Staatsrecht" (Dyroff), "Die politischen Parteien" (v. Calker), "Allgemeine Volkswirtschaftslehre" (v. Zwiedineck-Südenhorst), "Allgemeine Wirtschaftsgeschichte der neueren Zeit" (Strieder), "Allgemeine Geschichte im 19. Jh." (Oncken), "Historische Politik" (v. Müller). Ferner im WS 1928/29: "Griechische Geschichte" (Otto), "Entstehung des britischen Weltreichs" (v. Müller), "Russische Landeskunde" (Guldenstubbe). 108 Z.B. "England. Staat und Recht in Vergangenheit und Gegenwart", "Mandschurei und Korea als Kampfgebiet zwischen China, Japan, Seemächten und Sowjets" (Haushofer).

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eben bzw. jetzt politischen Vorlesungen im Vorlesungsverzeichnis verzichtet,l09 nicht zuletzt auch ein Zeichen dafür, daß man traditionelle Vorlesungen nicht als taugliches Mittel zur echt nationalsozialistischen Ausrichtung der Studentenschaft bzw. zur Interpretation der aktuellen Politik betrachtete, auch wenn sie von politisch als zuverlässig eingestuften Professoren gehalten wurden. Politische Erziehung im engeren Sinn war letztlich der Partei und ihren Gliederungen vorbehalten, und der politischen Erziehung im weiteren Sinn dienten mehrere Vorlesungen. Auslandskundliehe Vorlesungen

Vorlesungen über das weite Feld "Auslandskunde" und speziell über "Auslandsdeutscbtum" wurden in der Weimarer Zeit an den meisten deutschen Hochschulen gehalten. Auch an der Universität München wurde die Thematik berücksichtigt, allerdings nicht immer in speziellen, systematisch angelegten Vorlesungen, sondern meist in den Fachvorlesungen der Anglisten, Romanisten, Germanisten, Historiker und Volkskundler. HO Schon gegen Ende der Weimarer Republik stieg das Interesse für auslandskundliehe Vorlesungen und insbesondere für die Situation der deutschen Volksgruppen im Ausland, für deutsche Grenzlandprobleme allgemein, so daß es nicht verwundem kann, wenn 1933 von verschiedenen Seiten eine Intensivierung und Ausweitung auslandskundlieber und vor allem auslandsdeutscher Vorlesungen und Vorträge gefordert wurde. So begrüßte im Frühjahr 1933 die Philosophischen Fakultät P 11 die Anregung zur Einrichtung auslandskundlieber Vorlesungen und Kurse im Hinblick auf die Wichtigkeit der politischen Erziehung und auslandspolitischen Schulung des Volkes und befürwortete die Bildung eines Ausschusses von Kollegen der beteiligten Fakultäten. Der Fakultät ging es vor allem darum, im Vorlesungsverzeichnis alle in das Gebiet der Auslandskunde fallenden Vorlesungen unter einer eigenen Rubrik zusammenzustellen und außerdem auswärtige Dozenten für Gastvorlesungen zu gewinnen. Die Diskussion innerhalb der Fakultät ließ eine deutliche Reserviertbeit gegenüber der Heranziehung von nicht zur Hochschule gehörenden Personen erkennen. Man sah die Gefahr außeruniversitärer Einflüsse und legte deshalb besonderen Wert darauf, daß die Universität alleine diese Vorlesungen und 109 Es blieben VIll ("Wehrwissenschaften"), IX ("Grenz- und auslandsdeutsche sowie auslandskundliehe Vorlesungen"), X ("Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten") und XI ("Leibesübungen"). llO Z.T. auch als "Nationalitätenkunde" bezeichnet. Einem Antrag der Historiker auf Einrichtungeines eigenen Faches wollte die Phil. Fakultät I 1931 noch nicht zustimmen. lll Diskussion in der Fakultätssitzung vom 12. 5. 1933 (UAM ON 1d) und Schreiben an den Rektor vom 24. S. 1933. Die Vorträge und Kurse sollten sowohl der Studentenschaft als auch der Öffentlichkeit zugänglich sein.

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Kurse bestimmte. 112 Mit Zustimmung des Senats konnte sich dieser Ausschuß mit den Professoren Otto von Zwiedineck-Südenhorst, Erich von Drygalski, Arnold Oskar Meyer, Karl Alexander von Müller und Karl Haushofer konstituieren. Nachdem in den letzten Jahren (ab 1932) auslandskundliehe Vorlesungen unter den Rubriken "Bürgerkunde und staatsbürgerliche Erziehung" und "Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten" aufgeführt waren, erschienen sie ab WS 1934/35 im Vorlesungsverzeichnis unter einer eigenen Rubrik "Grenz- und auslandsdeutsche sowie auslandskundliehe Vorlesungen". 113 Dies spiegelt den erhöhten Stellenwert, den Fragen des Grenz- und Auslandsdeutschtums in der völkischen Ideologie und praktischen Politik einnahmen. Am Vorlesungsprogramm, an den Titeln- und wohl auch amInhalt- der Vorlesungen hat sich aber an der Universität München kaum etwas geändert.

Wehrwissenschaften und wehrwissenschaftliche Vorlesungen Die bereits in den Anfangsjahren der Weimarer Republik verstärkt einsetzenden und aus der politischen Situation des Weimarer Staates zu verstehenden Bemühungen um einen Ausbau der verschiedenen mit Wehrfragen zusammenhängenden Vorlesungen und Übungen erhielten 1933 zunächst großen Auftrieb. Da sie bereits vor 1933 auf beachtliches Interesse der Studenten114 und grundsätzliches Wohlwollen der Hochschulen gestoßen waren, kann man durchaus von einer Kontinuität der wehrkundlieben und "wehrwissenscbaftlicben" Vorlesungen sprechen. Es gelang allerdings auch nach 1933 nicht, die verschiedenen Teildisziplinen wie Wehrkunde, Wehrgeographie, Wehrgeschichte und Wehrtechnik zu einer anerkannten wissenschaftlieben Gesamtdisziplin mit der anspruchsvollen Bezeichnung "Wehrwissenscbaft"llS zusammenzufügen, wie es in der Anfangseuphorie von vielen Seiten gefordert wurde. Dies lag zum einen in der Materie: selbst, die nicht die Qualität einer

112 Nichtdozenten sollten gelegentlich, aber nicht regelmäßig herangezogen werden. Die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft zwischen der Universität und der Deutschen Akademie konnte die Fakultät auch nicht gutheißen. Mit der Thematik hatte sich die Fakultät schon vorher, u.a. in der Sitzung vom 27. 1. 1933, befaßt, in der Prof. Vossler vor universitätsfremden Lehrern und Schulern "in politisch erregter Zeit" warnte. 113 Darunter fanden sich auch Vorlesungen des Missionswissenschaftlers Johann Baptist Aufhauser iiber "Die Religionen Chinas und Japans", "Missionsgeschichte Chinas und Japans", "Auslandsdeutschtum und Kirche" und Vorlesungen iiber die Kultur und Wirtschaft einzelner Länder. Diese Rubrik wurde während der gesamten Zeit ·des Dritten Reiches beibehalten. 114 Vgl. z.B. die Resolutionen des NSDStB und rechtsstehender Korporationen, die auf die Einrichtung wehrwissenschaftlicher Lehrstühle zielten. 115 Dazu die offiziösen Beiträge von Priv.-Doz. Dr. W. Hinz in DWEV 1934/35, 95 - 96 ("Wehrwissenschaften. Zur Klärung der Grundbegriffe") und 109 - 111 ("Wehrwissenschaften auf den deutschen Hochschulen").

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homogenen wissenschaftlichen Disziplin gewinnen konnte, zum anderen wohl aber auch an den meist schon vor 1933 tätigen Vertretern der verschiedenen wehrwissenschaftlichen Einzeldisziplinen, die in den Augen der nun maßgebenden Stellen wohl zu sehr die traditionelle Kriegskunst, Kriegsgeschichte, Wehrgeographie usw. lehrten und den weitergehenden Vorstellungen einer nationalsozialistischen Wehrpolitik - trotz mancher gewollter oder ungewollter Vorarbeit - nicht entsprachen. Dies galt auch für die Vertreter an der Universität München einschließlich des exponierten Wehr- und Geopolitikers Karl Haushofer. Als 1932 der Stahlheim-Studentenring "Langemarck" die Einrichtung von Lehrstühlen für Wehrwissenschaft anregte,ll6 nahmen die Fakultäten zwar diesen Vorschlag wohlwollend und meist zustimmend auf, sahen aber unter Hinweis auf bereits laufende Vorlesungen keine Dringlichkeit zu konkreten Neuerungen. Die Staatswirtschaftliche und Philosophische Fakultät I konnten darauf verweisen, daß Prof. Eugen von Frauenholz über Kriegs- und Heeresgeschichte, die Philosophische Fakultät 11, daß Prof. Karl Haushofer über Wehrgeographie als Teil der Anthropogeographie lese. Die Juristische Fakultät äußerte zwar grundsätzliche Sympathie, erwartete sich aber von der Einführung einer einheitlichen Disziplin "Wehrwissenschaft" "keine Förderung der Sache" und wollte vielmehr in einem solchen "Konglomerat" nur "ein anorganisches Gemenge von höchst verschiedenartigen Gegenständen" erblicken, die nach Ansicht der Fakultät nur im Zusammenhang der einzelnen Disziplinen wissenschaftlich fruchtbar gemacht werden konnten.ll7 Als der Stahlheim-Studentenring am 11. 2. 1933 eine weitere Denkschrift mit einem Lehrplan für Wehrwissenschaften einreichte, antwortete der Rektor im Juni mit einer Übersicht über die im SS 1933 - vor allem von den Professoren Haushofer und von Frauenholz - gehaltenen Vorlesungen auf diesem Gebiete, verwies auf den seit SS 1933 bestehenden Lehrauftrag von Prof. Haushofer über "Auslandsdeutschtum, Grenz- und Wehrgeographie"llS und versprach ganz allgemein, den weiteren Ausbau der Wehrwissenschaften im Auge zu behalten. Die Arbeitsgemeinschaft der deutschen philosophischen Fakultäten befaßte sich Anfang April ebenfalls mit dem Ausbau der wehrwissenschaftlichen Veranstaltungen. 119 In einer diesbezüglichen Besprechung beim Rektor, an der UAM Sen 861. Die wissenschaftliche Gesetzmäßigkeit und Selbständigkeit der Teilgebiete sollten aufrechterhalten bleiben, eine Zusammenfassung zu einem größeren Zyklus sei möglich. 118 Statt des bisherigen Lehrauftrags von Prof. Erwin Fels für "Geographie des Auslandsund Kolonialdeutschtums". 119 Siehe Fakultätssitzung vom 12. S. 1933 (ON 1d). -Nach Meinung der philosophischen Fakultäten sollte "nicht Wehrwissenschaft als gesondertes Fach das Ziel sein"; die verschie116

117

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Oberst Friedrich Haselmayr120 und die Historiker der Philosophischen Fakultät I teilnahmen, wurde im Friihjahr 1933 dieselbe Thematik aufgegriffen. Nach ersten Planungen, für die vor allem noch das Reichsinnenministerium verantwortlich zeichnete, sollte das ganze "Webrwesen" an den Universitäten behandelt werden. Gedacht war auch an ein Fach wie Wehrphilosophie und generell an die Vermehrung der mit der Thematik befaßten Lehrkräfte. So sollte im nächsten Vorlesungsverzeichnis ein möglichst weitgespanntes "Wehrvorlesungsprogramm" ausgewiesen werden. Die Historiker wollten in einer möglichen Abzweigung einer neuen wehrwissenschaftlichen Disziplin keine Beeinträchtigung, sondern eine Ergänzung der Geschichtswissenschaft erblicken, sich jedoch bei der Heranziehung von Lehrpersonen aus anderen Fakultäten und der Auswahl und Bezeichnung von Veranstaltungen die entscheidende Mitsprache vorbehalten. Bereits hier wurde aber deutlich, daß die politischen Stellen und die Vertreter der Hochschulen von recht unterschiedlichen und noch kaum konkretisierten Vorstellungen ausgingen. Anfang 1933 bemühten sich zahlreiche außeruniversitäre Stellen121 um eine Förderung der Wehrwissenschaften an den Hochschulen: die Frage hatte Konjunktur. Das Akademische Wissenschaftliche Arbeitsamt, das seit Jahren um die Wehrertüchtigung der akademischen Jugend bemüht war, hatte im März zu einer Tagung122 deutscher Hochschullehrer eingeladen, auf der ein Vorschlag des Reichswehrministeriums einstimmig angenommen wurde, an jeder Hochschule ein Institut für Wehrwissenschaften - bestehend aus je einem habilitierten Geistes- und Naturwissenschaftler- und ein Institut für Wehrkunde - mit einem ehemaligen Generalstabsoffizier als Dozenten - einzurichten. Diese Forderungen sah unter Hinweis darauf, daß er die Kriegsakademie besucht habe und Generalstabsoffizier gewesen sei, Prof. v. Frauenbolz durch seine Person an der Universität München seit zehn Jahren erfüllt. Er beantragte im Vorlesungsverzeichnis eine eigene Abteilung "Wehrwissenschaften" und erreichte für das WS 1933/34 zunächst, daß die Wehrwissenschaften in die Abteilung VIII ("Wehrwissenschaften, Bürgerkunde und staatsbürgerliche Bildung") aufgenommen wurden, bis sie dann ab SS 1934 im Vorlesungsverdenen Fächer seien vielmehr "auf Wehrfragen abzustellen", und die Universität müsse mit ihren Mitteln "in ein allgemeines Wehrprogramm eintreten". 120 Hauptgeschäftsleiter des Wehrpolitischen Amtes der NSDAP und Stellvertreter des Reichsleiters von Epp, 1933 MdL u. MdR u. SA-Gruppenführer (hier nach Stockhorst 179). 121 So warb z.B. die Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften (hervorgegangen aus der Juni 1933 aufgelösten bzw. gleichgeschalteten Wehrwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft) um Mitglieder unter den Hochschullehrern. 122 Tagungspunkte waren u.a. die "Aufgaben der deutschen Hochschule im Dienste der Landesverteidigung" und der "wehrwissenschaftliche Schulungsbetrieb der Fakultäten". Kriegsgeschichte, Kriegspsychologie, Kriegssoziologie, Kriegsphilosophie sollten ein "reales Denken gegenüber dem Krieg vermitteln, die Hervorhebung der heroischen Seiten des Kriegs sollte die Willensbildung entsprechend (Aufopferung, Hingabe an den Staat) beeinflussen.

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zeichnis unter einer eigenen Rubrik ("Vill. Wehrwissenschaften") erschienen, unter der Vorlesungen der Professoren Haushofer, v. Frauenholz und StolbergWernigerode aufgeführt waren. Die endgültige und wirksame Eingliederung der Wehrwissenschaften in den Lehrbetrieb der bayerischen Hochschulen verzögerte sich nicht nur, weil das Reichsinnenministerium und auch das Reichswehrministerium bei der Besetzung von Lehrstühlen und der Vergabe von Lehraufträgen mitsprechen wollten, sondern weil wegen der Finanzlage die Errichtung von wehrwissenschaftlichen Lehrstühlen nach Auskunft des KM vorerst in Bayern - und wohl auch in den anderen Hochschulländern - nicht in Frage kam. 123 An dieser Grundsituation änderte sich auch in den folgenden Jahren nichts. Die sog. wehrwissenschaftlichen Disziplinen wurden weiterhin von denselben Dozenten vertreten: Prof. v. Frauenholz las wie bisher Kriegs- und Heeresgeschichte und Prof. Haushofer hielt geopolitische Vorlesungen. Auch die Vorlesungsthematik blieb im wesentlichen gleich. Auch wenn sich die Vorlesungstitel z.T. geringfügig änderten, kann wohl eine inhaltliche Kontinuität angenommen werden.124 Neue Lehrstühle und Institute wurden wie an den meisten Hochschulen auch an der Universität München nicht errichtet. Neben grundsätzlichen finanziellen Überlegungen und fachimmanenten Problemen mag dabei auch eine Rolle gespielt haben, daß fachlich und politisch geeigneter Nachwuchs fehlte und den meist schon älteren Dozenten der wehrwissenschaftlichen Fächer trotz ihrer Kooperationsbereitschaft eine Vertretung der Wehrwissenschaften im nationalsozialistischen Sinne nicht zugetraut wurde. Das traf auf v. Frauenholz und letztlich auch auf Haushofer zu. Die angestrebte Militarisierung des deutschen Volkes führte trotz allem Propagandagetöse auch an der Universität München zunächst nicht zu der erwarteten effizienten Aufwertung der wehrwissenschaftlichen Fächer, sondern schlug sich vornehmlich in einer Vielzahl von Abendvorträgen nieder, die an der Universität und der TH München von Professoren, aber auch von außeruniversitären Personen gehalten wurden. Und als dann 1937 durch Umwandlung freier Lehrstühle schließlich ein Extraordinariat für Wehrwissenschaften geschaffen wurde (s. unten III.2.a), konnte es mangels geeigneter Vertreter nicht besetzt werden.

123 Vgl. Schreiben des KM an das Finanzministerium vom 12. 6. 1934 (HStA II MA 107327). - Auch Reichsstatthalter von Epp beanspruchte als Reichsleiter ein besonderes Mitwirkungsrecht bei der Auswahl der Dozenten. 124 Z.B. las v. Frauenholz nach wie vor über den 1. Weltkrieg und über allgemeine Kriegsgeschichte, und Haushafer hielt weiterhin "Übungen für Anthropogeographie, Grenzund Auslandsdeutschtum" und Vorlesungen, die Wehrlrundliches und Geopolitisches verbanden ("Wehrkunde auf geographischer Grundlage", "Politische Ozeanographie im Zusammenhang der geographischen Wehrkunde").

I. Studium und Lehrbetrieb

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Geschichtliche Vorlesungen Der Geschichte, insbesondere der Vor- und Friihgeschichte und der Neueren Geschichte sollte nach den Vorstellungen der Nationalsozialisten eine besondere Rolle bei der Propagierung ihrer Ideologie in Schule und Hochschule zukommen. Da die meisten Professoren aber ihrer traditionellen Linie treu blieben, setzte man auf Personalveränderungen und versuchte nach und nach, jüngere und politisch genehme Dozenten in Position zu bringen. So wurde der Philosophischen Fakultät noch im Sommer 1933 der politisch exponierte nichthabilitierte Historiker Wilhelm von Kloeber als Lehrbeauftragter für die Geschichte der Neuesten Zeit aufgezwungen. 125 Er behandelte v.a. die Geschichte der NSDAP und damit die Zeit "Vom Weltkrieg bis zur nationalen Revolution".126 Obwohl von seiten der Studentenführung immer wieder das große Interesse der Studenten an solchen Vorlesungen bekundet wurde, fiel auf, daß die Vorlesungen von Dr. von Kloeber schlecht besucht waren und die Hörerzahl ständig abnahm. 127 Die Studentenschaft hatte offensichtlich zum Mißfallen der offiZiellen Stellen des Staates und der Partei kein Bedürfnis, diese Vorlesungen über die Neueste Deutsche Geschichte zu besuchen. Eine Steigerung der Hörerzahl konnte sich ergeben, wenn es gelang, das Sachgebiet zum Priifungsgegenstand zu erheben. Deshalb machte die "Dozentenschaft" im Sommer 1934 einen Vorstoß beim KM, die Priifungsordnung für das Lehramt an den höheren Lehranstalten, die in Teilen als "bewußt reaktionär" bezeichnet wurde, zu ändern und die Priifungsteile in Mittlerer und Neuerer Geschichte zu Lasten der Priifung in Griechischer und Römischer Geschichte zu vergrößern sowie das Priifungsgebiet "Neueste Zeit" einzuführen. Dafür sollte nur ein "weltanschaulich vollkommen auf dem Boden der nationalsozialistischen Geschichtsauffassung" stehender Priifer in Frage kommen, der dies "durch Parteimitgliedschaft in der Kampfzeit bewiesen" habe. Gemeint war Dr. von Kloeber. Die auch von der historischen Fachschaft12' in einer ähnlichen Eingabe unterstützte Forderung der "Dozentenschaft" erfuhr in der Fakultät durch die Fachvertreter Walter Otto, Heinrich Günter und Amold Oskar Meyer eine eindeutige Zurliekweisung und argumentative Widerlegung, die so überzeugend war, daß sie auch von Dekan Karl Alexander von Müller

125 V. Kloeber war Mitglied der Hochschulkornmission der Partei (s. oben B.VI.3.). Zum "Fall v. Kloeber" s. unten (111.4.a). 126 So der Titel der Vorlesung im SS 1934. Ferner las er u.a. über "Geschichte von Bisrnarcks Entlassung bis zur nationalen Revolution", "Geschichte des Deutschturns in Mitteleuropa vorn Zusammenbruch 1918 bis zur Gegenwart". 127 Zahlen z.B. fiir SS 1933: 43, fiir WS 1933/34: 53 bzw. 23, fiir SS 1934: 18. 128 Siehe oben (1.2.a) und unten (IV.2.c).

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und von Rektor Escherieb trotz gewisser Zugeständnisse im wesentlichen übernommen wurde. So kam es zunächst nicht zu der von der "Dozentenschaft" angestrebten Lösung. Das Ministerium verstand sich lediglich dazu, im Dezember 1934 nochmals auf die Bedeutung des Stoffgebiets "Aufbruch der deutschen Nation und Aufbauarbeit der nationalen Regierung" als "Unterrichtsgrundsatz im gesamten Schulleben" hinzuweisen und darauf aufmerksam zu machen, daß bei der Prüfung in Geschichte jeder Kandidat gründliche Kenntnisse in diesem Gebiet nachzuweisen habe. Eine genauere Regelung erging aber zunächst nicht. Die mangelnde fachliche Qualifikation des Lehrbeauftragten und der energische Widerstand der Fakultät führten schließlich 1938/39 zur Einstellung der Vorlesungen, die bei den Studenten keine Resonanz fanden. Der Versuch der politischen Indoktrination über das Fachgebiet der Neuesten Geschichte war somit an der Universität München gescheitert. Die schon 1933 vorhandenen Bestrebungen um eine stärkere Verankerung der Vor- und Frühgeschichte in Schule und Hochschule - vor allem durch die Aufnahme der Vorgeschichte in den Lehrplan der Lehramtskandidaten- erhielten 1933 starken Auftrieb. Man machte sich dabei auch die Vorliebe der Nationalsozialisten für dieses Fach zunutze, wenn auch die feste Etablierung dieser Disziplin ein objektives und sachliches Bedürfnis war. So wurde in der Philosophischen Fakultät I der Universität München auf Wunsch der Fakultät durch Umwandlung einer freien Professur129 zum 1. 1. 1935 eine ordentliche Professur für Vor- und Frühgeschichte geschaffen und mit einem ausgewiesenen Fachmann besetzt. Professor Hans Zeiß vertrat das Fach offensichtlich keineswegs in dem von manchen NS-Stellen erwarteten politischen Sinn, so daß auch die mit dem "Modefach" verbundenen Hoffnungen insbesondere der NS-Studentenschaft nicht erfüllt wurden. Einig waren sich der neue Fachvertreter und die Studentenführung lediglich in dem Bemühen, durch eine entsprechende Verankerung der Vorgeschichte in den Lehramtsprüfungsordnungen eine genügende Zahl von Hörern zu gewinnen.BO Die Fakultät, die Einzelregelungen als Präzedenzfälle vermeiden wollte, da sie dann wohl auch mit berechtigten Wünschen anderer Disziplinen konfrontiert worden wäre, verhielt sich abwartend und verwies auf die bevorstehende reichseinheitliche Reform der Prüfungsordnung für das höhere Lehramt. Im Vorgriff auf die dann zu erwartende stärkere Verankerung der Vorgeschichte verlangte die "Studentenschaft" im Frühjahr 1935, nicht nur auf 129 Die Professur für Altchristliche und Klassische Philologie war seit dem Tod ihres Inhabers Prof. Carl v. Weymann im Dez. 1931 verwaist. 130 Z.B. Antrag von Prof. Zeiß vom 2. 3. 1935, im Hinblick auf zu erwartende Änderungen der Lehramtsprüfungsordnungen den Studenten der Geschichte und Erdkunde schonjetzt die Vorlesungen in Vorgeschichte zu empfehlen (UAM OCN 22a).

I. Studium und Lehrbetrieb

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die kommende Regelung hinzuweisen, wie dies Prof. Zeiß beantragte, sondern die Studenten "etwas konkreter zum Belegen von Vorlesungen auf dem Gebiet der Vorgeschichte zu veranlassen". 131 Die Fakultät sprach sich bei allem Verständnis für das Anliegen, aber gegen "Zwangskollegien" aus, und das KM ließ Anfang Oktober 1935 den Studierenden der betreffenden Fächergruppen lediglich nahelegen, der Vorgeschichte besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und die Gelegenheit zur Einführung in dieses Gebiet wahrzunehmen, "da die Vorgeschichte im nationalsozialistischen Erziehungswerke von großer Bedeutung.. 132 sei.

Rassenhygiene und Rassenkunde Die in der Auseinandersetzung mit Anthropologie, Genetik und Eugenik sich abgrenzenden und in ihren Inhalten selten klar bestimmten Disziplinen 133 schienen 1933 die Konjunkturfächer schlechthin zu werden, die in erster Linie dazu berufen waren, den rassenpolitischen Vorstellungen der Nationalsozialisten Eingang im Schul- und Hochschulbereich zu verschaffen. Für München war das Fach verbunden mit den Namen Alfred Ploetz, Fritz Lenz, Ernst Rüdin, den Schlüsselfiguren der deutschen Rassenhygiene, und dann mit Lotbar Tirala. Die zentrale Person, der "Altmeister" der frühen Rassenhygiene, die in Berlin, München und Freiburg ihre ersten Anhänger fand, war Ploetz, der sich in Herrsching am Ammersee niederließ und von dort aus die inhaltliche Entwicklung und auch die personelle Vertretung des Faches an den Universitäten stark beeinflußte. Sein Schwager Ernst Rüdin, Schweizer Staatsbürger, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Psychiatrie in München und daneben Professor an der Universität, seit 1933 auch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, galt als hochangesehener Rassenhygieniker und Psychiater, der sich und seine Arbeit auch der Politik zur Verfügung stellte.134

131 Schreiben vom 11. 3. 1935 an den Rektor (UAM Sen 197/2). 132 UAM Sen 240. 133 Zur Entwicklung, Abgrenzung, innneren Differenzierung und Bezeichnung vgl. die umfassende Studie von Weingart!Kroll!Bayertz, insbes. 367 ff.; daneben Müller-Hili, B.: Selektion. Die Wissenschaft von der biologischen Auslese des Menschen durch Menschen, in: Frei, Medizin 137-155, und Weingart, P.: Eugenik- Eine angewandte Wissenschaft. Utopien der Menschenzüchtung zwischen Wissenschaftsentwicklung und Politik, in: Lundgreen

314-349.

134 Der differenziert zu betrachtenden Rolle Rüdins bei der Entstehung, Untermauerung und Umsetzung verschiedener Rassengesetze kann hier nicht nachgegangen werden. Verwiesen sei u.a. auf die in der vorhergehenden Anm. zitierte Literatur sowie auf Blasius, D.: Die "Maskerade des Bösen". Psychiatrische Forschung in der NS-Zeit, in: Frei, Medizin 265-285, insbes. 271 ff.

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Die Errichtung von rassenhygienischen Lehrstühlen war eine alte, schon in den Jahren vor 1933 immer wieder erhobene Forderung der Partei, 135 so daß man sich nicht wundem mußte, wenn Rassenhygieniker wie der Münchner Fritz Lenz schon zwei Jahre vor der Machtergreifung die Nationalsozialisten als kommende Bündnispartner entdeckten und dies öffentlich kundtaten. Die Partei nährte 1932 verstärkt diese Erwartungen, und 1933 hielten überzeugte Nationalsozialisten die rassenhygienische Professur für die "mit Abstand ... wichtigste im künftigen Lehrbetrieb der Universitäten".l36 Das in München 1923 für Fritz Lenz eingerichtete Extraordinariat für Rassenhygiene wurde 1933 zum Ordinariat angehoben und dem rassenpolitisch exponierten, aber fachlich unzulänglich qualifizierten Frauenarzt Lotbar Tirala übertragen, eine Fehlbesetzung, die auch schwerwiegende Rückwirkungen auf das Fach haben sollte. 137 Im übrigen stellte sich bald heraus, daß die großen Hoffnungen, die sowohl die Partei als auch Professoren wie Rüdin und sein Münchner Kollege, der Anthropologe Tbcodor Mollison, in das Fach Rassenhygiene setzten, sieb nicht erfüllten, nicht zuletzt auch deshalb, weil nach strengen Maßstäben der Anspruch einer wissenschaftlichen Disziplin kaum einzulösen war und viele Anhänger und Vertreter der Rassenhygiene sich bald als Konjunkturritter oder bloße Propagandisten und Dilettanten entlarvten. Der seltsame Kontrast zwischen der politischen Vorzugsstellung und der tatsächlichen Wirkung der Rassenhygiene zeigte sich schließlieb auch darin, daß es trotzder 1933 verstärkt einsetzenden Bemühungen um eine volle Etablierung des Faches nicht gelungen ist, rassenhygienische Vorlesungen dauerhaft zu Pflichtvorlesungen zu macben. 138 Die Fakultäten und insbesondere die betroffenen Fachvertreter votierten mit Erfolg gegen die angestrebte Ausweitung der Rassenhygiene über den bisherigen Rahmen hinaus, 139 wobei ihnen sicherlich auch die mangelnde Reputation des neuen Rassenhygienikers zu Hilfe kam. Die Versuche der bayerischen Behörden, des Kultus-, Justiz- und Innenministeriums, Rassenhygiene zur Pflichtvorlesung für Juristen und Mediziner zu machen, waren in ihrer Wirkung in dem Maße begrenzt, in dem die Regelung dieser Studiengänge Reichssache war bzw. wurde. So hatte man zwar in 135 Vgl. den Fall Hans F.K. Günther, der 1930 vom ersten NS-Landesminister, dem thüringischen Innenminister Frick, gegen das Votum der Universität nach Jena berufen wurde. 136 Schreiben des bayer. Innenministeriums vom 22. 9. 1933 (HStA I MF 6825 1). 137 Dazu unten (111.4.b). 138 Vor allem die Gesundheitsabteilung des Innenministeriums (Dr. Schultze) setzte sich stark für das Fach und den Fachvertreter ein. Da das Fach auch nicht Prüfungsfach wurde, gab es auch keinen unmittelbar zwingenden Grund zum Vorlesungsbesuch. 139 So hatte Prof. Bumke im Frühjahr 1933 in Leitsätzen für die Ausbildung in Eugenik, Psychologie und Psychotherapie eine eigene Vorlesung über Eugenik als unzweckmäßig bezeichnet und u.a. auf die Vorlesung über Hygiene hingewiesen (UAM NN 6c).

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Bayern zunächst den Rechtsstudierenden den Besuch einer Vorlesung aus Rassenhygiene zur Pflicht machen können, 140 aber die am 1. 11. 1934 in Kraft tretende neue Justizausbildungsordnung des Reichs und die Richtlinien ftir das Studium der Rechtswissenschaft vom 18. 1. 1935 sahen die Rassenhygiene nicht mehr als Pflichtfach der Juristen vor.141 Die Folge war, daß nach dem Fortfall des Pflichtbesuchs die Rechtsstudenten an der Universität München von dem Vorlesungsangebot in Rassenhygiene keinen Gebrauch mehr machten. Die Hörerzahlen sanken rapide ab, und die ftir das SS 1935 angekündigte vierstündige rassenhygienische Vorlesung ftir Juristen und Staatswirte mußte wegen mangelnder Beteiligung ausfallen. 142 Ähnlich verhielt es sich mit den rassenhygienischen Vorlesungen ftir Mediziner. Im SS 1935 kam auch die zweistündige Vorlesung über Erbbiologie ftir Vorkliniker wegen zu geringer Beteiligung nicht zustande. 143 Gegenüber der ständigen Forderung der Gesundheitsabteilung des Innenministeriums nach fest verankerten rassenhygienischen Pflichtvorlesungen verwies das KM immer wieder auf die Reichskompetenz bezüglich des Medizinstudiums bzw. der Prüfungsordnung und ganz allgemein auf die "Selbstvetantwortlichkeit der Studenten", die eine Überwachung des Vorlesungsbesuchs ausschließe.1 44 Zwar war auch dem KM an einem Ausbau der Rassenhygiene und Rassenkunde gelegen, ein wirksames Mittel, die Studenten der Medizin und Rechtswissenschaft zum Besuch der Vorlesungen anzuhalten, sah aber das KM auch Ende 1934 noch nicht. Das KM versuchte das Interesse der Studenten ftir die Rassenhygiene mit dem gezielten Hinweis zu wecken, daß damit zu rechnen sei, daß nach der neuen Prüfungsordnung ftir Ärzte bei der Zulassung der Nachweis über Erbgesundheitslehre verlangt werde.1 4S Die Studenten sollten dies jetzt schon berücksichtigen. Erkennbaren Erfolg konnte diese Empfehlung bei der oboebin großen Belastung der Studenten nicht haben. Die mangelnde Qualifikation des Fachvertreters Professor Dr. Tirala, aber auch fachimmanente Probleme führten neben anderen Gründen dazu, daß der Besuch der rassenhygienischen Vorlesungen an der Universität München ständig und in so erheblichem Maße zurückging, daß sogar offizielle Vertreter der Fachschaften im Sommer 1935 140 Siehe oben (C.I.2.a), VO vom 17. 7. 1933 und ME vom 19. 8. 1933. 141 Pflichtvorlesungen im Wortsinn gab es nicht, nur mehr "pflichtmäßige Prüfungstä-. eher"; s. oben (C.I.2.a), Erlaß des REM v. 6. 8. 1934 sowie ME vom 24. 4. 1933. 142 UAM NN Sb. 143 Ebd. Auch die rassenhygienische Vorlesung für Kliniker hatte stets abnehmende Hörerzahlen, ebenso die Vorlesung über menschliche Vererbungslehre, für die sich folgende Entwicklung ergab: WS 1933/34: 158, SS 1934: 65, WS 1934i35: 12, SS 1935: 13, WS 1935/36: 9, ss 1936: 3. 144 ME vom 24. 4. 1933 (UAM Sen 548), wie Erlaß d. REM vom 6. 8. 1934: Pflichtvorlesungen nur in dem Sinne, daß bei der Zulassung zur Prüfung die Belegung und bei der Prüfung das Kennen des Stoffes nachzuweisen sind. 14S KM am 29. 11. 1933 (UAM Sen 734). Bis dahin wurde generell die Weiterbehandlung diesbezüglicher Anträge zurückgestellt. 16 Böhm

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konstatieren mußten, daß offensichtlich kein Bedarf für diese Vorlesungen mehr bestehe. 146 Die Studenten hatten kein Interesse, freiwillig rassenhygienische Vorlesungen zu besuchen. Die diesbezüglichen Versuche des Lehrstuhlinhabers, Rassenhygiene als Pflichtfach, z.B. als Prüfungsfach oder speziell als Promotionsfach in der Philosophischen Fakultät II und in der Medizinischen Fakultät zu verankern, scheiterten jeweils an der ablehnenden Haltung der Fakultäten und insbesondere auch der benachbarten Fachvertreter}47 Die Fakultäten sprachen sich gegen eine Münchner Sonderregelung vor einer möglichen verbindlichen reichseinheitlichen Regelung aus und wollten in der Zulassung der Rassenhygiene als Prüfungsfach den anderen deutschen und bayerischen Hochschulen nicht vorangehen. Erst mit der neuen Bestallungsordnung für Äizte vom 25.3.1936 'wurde die Rassenhygiene als Prüfungsfach etabliert, vorläufig allerdings nur an den Universitäten mit Dozenturen und Lehrstühlen, nämlich in Berlin, München, Leipzig, Königsberg und Frankfurt148 • Aus verschiedenen sachlichen und personellen Gründen konnte die Rassenhygiene an der Universität München nicht als anerkannte und wirksame Disziplin verankert werden. Die einschlägigen Vorlesungen wurden sogar von nationalsozialistischen Studenten gemieden. Das Anfang 1933 noch vorhandene Interesse für das neue Fach war bereits geschwunden, als Prof. Tirala im Frühjahr 1936 die Lehrtätigkeit einstellte. Das KM konnte 1936 den Lehramtsstudenten bestimmter Fächer nur mehr nahelegen, ihr Verständnis für die Gesetzmäßigkeit der Vererbung durch den Besuch entsprechender Vorlesungen und Übungen zu vertiefen. Obwohl die Rassenkunde, hier verstanden als Teilgebiet der Anthropologie, im Unterschied zur Rassenhygiene schon vor 1933 etabliert und unabhängig vom Zeitgeist anerkannt war, sahen die Fachvertreter wie auch der Münchener Anthropologe Theodor Mollison 1933 eine besonders günstige Gelegenheit zur Aufwertung ihres Faches. Manche Aktivitäten freilich entsprangen

146 Hier speziell bezogen auf die ausfallende Vorlesung über Erbbiologie, aber auch allgemein gültig für die anderen rassenhygienischen Vorlesungen. 147 Diese hatten verständlicherweise kein Interesse, ein "Konkurrcnzfach" aufzuwerten. So wies die Philosophische Fakultät II darauf hin, daß es undenkbar sei, als Nebenfach eine Disziplin zu wählen, die in der eigenen Fakultät nicht einmal als eigenes Fach, sondern nur als Prüfungsabschnitt gelte (Hygiene wäre das in Frage kommende Nebenfach). Vor allem der Vertreter der Anthropologie wollte Übergriffe auf sein Gebiet nicht hinnehmen. - Die Phi!. Fakultät I hatte es bereits im Juni 1933 angesichts der ohnehin schon hohen Ausbildungsanforderungen für bedenklich gehalten, "die Vererbungslehre usw." als Prüfungsfach für Lehramtsanwärter einzuführen (UAM Sen 734). 148 Weingart/Kroll/Bayertz 429 ff. Nach der Bestallungsordnung für Ärzte vom 17.7.1939 wurde die Rassenhygiene obligatorisch in den medizinischen Studienplan aufgenommen und damit zum verpflichtenden Prüfungsfach.

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auch der Sorge, die aufkommende, in ihren Inhalten nicht klar begrenzte Rassenhygiene könnte ihrem Fach den Rang ablaufen. So sprach sich der Münchner Lehrstuhlinhaber Mollison schon im Mai 1933 in einer Eingabe an das KM unter Bezugnahme auf die Zielsetzung des neuen Staates für einen Ausbau des rassenkundlieben Unterrichts für Lehrer und Juristen aus. 149 Die Anthropologie sollte als Studien- und Prüfungsfach für die Studenten der Chemie, Biologie und Geographie aufgenommen werden, aber auch die Studenten der übrigen Lehramtsfächer sollten eine anthropologische Ausbildung erhalten. Bei Vorbesprechungen, die im Frühjahr 1933 im KM stattfanden, wurden zum einen gewisse Bestrebungen sichtbar, den Unterricht in Rassenkunde z.T. durch einen rassenhygienischen Unterricht zu ersetzen, zum anderen tauchte bereits das Problem auf, die Rassenhygiene klar von der Anthropologie abzugrenzen. Das KM sah die Rassenhygiene, Vererbungslehre und Anthropologie im Zusammenbang und wollte durch die mögliche Neuaufnahme dieser Fächer in den Katalog der Studien- und Prüfungsfächer eine Verlängerung der Studiendauer freilieb nicht in Kauf nehmen. Damit waren einer Ausweitung dieser Fächer von Anfang an bestimmte Grenzen gesetzt. Es war verständlich, daß die Fachvertreter für Biologie, Chemie und Geographie unter Hinweis auf die außerordentliche Belastung der Studenten und die ohnehin schon große Zahl der Prüfungsfächer ein neues Prüfungsfach im Rahmen der bestebenden Prüfungsordnung für nicht vertretbar hielten. So sprachen sich neben der Philosophischen Fakultät II auch die Juristische und die Philosophische Fakultät I gegen die - ihrer Meinung nach an sich erwünschte - Einfügung der Rassenkunde in die Prüfungsordnung aus. Die Billigung der Fakultät fand auch ein von Prof. Fritz Wettstein vorgelegter origineller, und doch an frühere Konzeptionen erinnernder Entwurf nicht, wonach nach einem sechs- bzw. siebensemestrigen Studium und einer Prüfung am Ende des 7. Semesters in einem 8. Semester die unter dem Sonderfach "Volksgesundheit" zusammenzufassenden Gebiete studiert werden sollten.tso So führten die verschiedenen Bemühungen nicht zu einer wesentlichen Ausweitung der Rassenkunde und vorerst auch nicht zu einer Institutionalisierung als Studien- und Prüfungsfach für Lehramtsstudenten. Auch hier sollten entscheidende Änderungen der bevorstehenden Neufassung der Lehramtsprü149 UAM OCN 22a: "... Verschiedene Maßnahmen, die der neue Staat wird treffen müssen, beruhen auf der Erkenntnis der Ungleichheit rassischer Eigenschaften in körperlicher und geistiger Beziehung." Vgl. auch Weingart/KtolVBayertz 390. ISO UAM OCN 22a: Entwurf einer Neuregelung für Unterricht und Prüfung der Lehramtskandidaten, bezogen ·auf die Hauptfächer Chemie, Geographie, Zoologie, Botanik. Das Sonderfach sei so wichtig, daß es eigentlich von allen Lehramtskandidaten studiert werden müsse. Für seine Fachgruppe legte W. folgenden Plan vor: Anatomie des Menschen (4 Std.), Physiologie (4 Std.), Vererbungslehre (4 Std.), Rassenhygiene und Eugenik (8 Std.), Rassenkunde und Anthropologie (8 Std.), Prähistorik (2 Std.), Einführung in Fragen der allgemeinen Pädagogik, insbesondere der Sexualpädagogik (2 Std. ). 16•

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fungsordnungen vorbehalten sein. Bis dahin beließ es das KM bei Hinweisen und Empfehlungen und legte z.B. noch im Sommer 1936 den Studenten bestimmter Fächergruppen nahe, "der Kenntnis der vorgeschichtlichen und heute lebenden deutschen Rassen besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und die Gelegenheiten zur Einführung in dieses Gebiet wabrzunehmen".m Neben den Vorlesungen in den genannten großen Bereichen ließen sich noch weitere Einzelvorlesungen anführen, die schon aufgrund ihrer Bezeichnung politisch gefärbt schienen, vor allem rechts- und geisteswissenschaftliche, aber auch medizinische Vorlesungen neu ernannter bzw. berufener Professoren.152 Dennoch hatten alle diese in irgendeiner Form indoktrinierenden Vorlesungen nur einen relativ geringen Anteil am gesamten Vorlesungsangebot Zu bedenken ist außerdem, daß von der äußeren Bezeichnung einer Vorlesung ein sicherer Rückschluß auf den tatsächlichen Inhalt und speziell auf den möglichen Grad der politischen Färbung nicht möglich ist.1S3 Manche Vorlesung hatte nur deshalb einen politischen Anstrich, weil der Titel auf den "neuesten Stand" gebracht, d.h. der NS-Terminologie modisch angepaßt worden war. So wurde es z.T. üblich, traditionelle Vorlesungen unter anderen Bezeichnungen, aber mit kaum geänderten Inhalten zu halten.154 c) Vorlesungsverbote Noch stärker als durch politisch gefärbte Vorlesungen wurde der Lehrbetrieb durch die vielen Vorlesungsverbote und den Wegfall der Vorlesungen entlassener Professoren beeinträchtigt. Neben der zeitweiligen, noch erträglichen quantitativen Reduzierung des Lehrangebots ergaben sich vor allem in qualitativer, fachwissenschaftlicher Hinsicht Lücken, die vielfach nicht mehr zu schließen waren. Die Gründe für die Vorlesungsverbote durch das KM waren persönlicher und sachlicher Natur, sie lagen zum einen in der mangelnden politischen oder wissenschaftspolitischen Eignung bestimmter Dozenten für gewisse Vorlesungsthemen, zum anderen in der politisch problematischen Thematik der Vorlesungen selbst. 151 Ähnliche Empfehlungen gab es auch in anderen Hochschulländem, z.B. in Württemberg. Vgl. Adam, Universität Tübingen 162. 152 Z.B. die Vorlesungen des zum 1. 11. 1934 berufenen Philosophieprofessors Dr. Wolfgang Schultz, staatsrechtliche Vorlesungen von Prof. Koellreutter, aber auch die Vorlesungen von Ministerialdirektor Walter Schultze, der zum 1. 9. 1934 zum Honorarprofessor für das Gebiet der Volksgesundheit ernannt worden war. 153 So wie es möglich war, auch in einer reinen Fachvorlesung politische Positionen zu beziehen, so war es auch möglich, eine politisch thematisierte Vorlesung "politikfrei" zu gestalten oder gar zur Kritik an nationalsozialistischen Gedanken zu benutzen. 154 So kündigte z.B. der Missionswissenschaftler eine Vorlesung mit dem Titel an: "Religion und Rasse im Lichte der Missions- und Religionsgeschichte".

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Noch während des SS 1933 und dann zu Beginn des WS 1933/34 mußten die vom BBG betroffenen aktiven Professorentrotz mehrerer Gegenvorstellungen der Fakultäten auf Weisung des KM ihre Vorlesungen einstellen_lSS Mit einer Entschließung vom Juli 1933 156 unterband das KM fiir das kommende WS 1933/34 die Vorlesungstätigkeit von "nichtarischen" emeritierten Hochschullebrem und von "nichtarischen" Dozenten, die im SS 1933 beurlaubt waren. "Nichtarische" Dozenten, die das Ausnahmekriterium der "Frontkämpfereigenschaft" erst nachweisen mußten, durften nur noch mit besonderer Genehmigung des KM weiterlesen. Gleichzeitig war das Ministerium bemüht, Lehraufträge Dozenten zu entziehen, von denen man sich "keine günstige Beeinflussung der studierenden Jugend"157 im neuen Geist versprach. So beabsichtigte das KM15S bereits im Mai 1933, den Lehrauftrag von n.b.a.o. Prof. Wilhelm Specht fiir kriminalpsychologische Übungen "angesichts der durch die nationale Erhebung völlig gewandelten Verhältnisse" zurückzunehmen und einem Dozenten anzuvertrauen, "der dem neuen Geist der Strafrechtswissenschaft gerecht werde" und auch die Ergebnisse der Rassenlehre und die Probleme der Eugenik berücksichtige. Im Sommer 1934 versagte das KM endgültig die Genehmigung der Vorlesung über "Praktische Kriminalpsychologie", in deren Mittelpunkt die Vorstellung von Gefangenen stand, obwohl der Rektor sich ausdrücklich und unter Hinweis auf die Qualifikation fiir die Beibehaltung des Lehrauftrags von Prof. Specht ausgesprochen hatte. Ausschlaggebend fiir die Entscheidung des KM waren nicht zuletzt die vom Justizministerium 159 und vom Leiter der Gesundheitsabteilung des Innenministeriums, Ministerialdirektor Schultze160 , abgegebenen Voten. Politische und rassische Gründe waren maßgebend fiir mehrere Vorlesungsverbote ab 1934. Seit Sommer 1934 161 nämlich mußte der Rektor auf Weisung des Ministeriums bei Dozenten, die Vorlesungen "mit besonderem politischen oder weltanschaulichen Einschlag" angekündigt hatten, gegenüber

155 Siehe oben unter BBG (B.II.l.). 156 ME V. 21. 7. 1933 (UAM LN 2d). 157 MEv. 10. 5. 1933 (UAMNN 2a). 158 Der Lehrauftrag sollte im Vorlesungsverzeichnis nicht mehr aufgeführt werden. Inwieweit auch sachliche Gründe eine Rolle gespielt haben mögen, läßt sich nicht feststellen. 159 Justizminister Frank übte Druck aus mit der Drohung, die Akten und Gefangenen nicht mehr zur Verfügung zu stellen. 160 Schultze setzte sich für Ministerialrat Viemstein ein, der einen Lehrauftrag für Kriminalbiologie erhalten sollte, der große Bedeutung habe für die "gesamte rassenbiologische Bestandsaufnahme des Volkes" (UAM LN 9a). 161 ME v. 11. 7. 1934 (UAM LN 3a). Falls der Rektor in einem Falle Bedenken hatte, mußte er gesondert berichten.

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dem Ministerium ausdrücklich bestätigen, daß die "hierfür erforderlichen besonderen Voraussetzungen" gegeben seien. Der Rektor hatte sich dabei mit dem Führer der Dozentenschaft ins Benehmen zu setzen. Damit war die Möglichkeit gegeben, die Vorlesungstätigkeit von Dozenten zu unterbinden, die politisch als unzuverlässig galten, sich nicht der neuen Zeit anpassen wollten und dies durch mangelnden Einsatz im Sinne des neuen Systems erkennen ließen. Hierin lag außerdem ein nicht zu unterschätzendes Druck- und DisziplinierungsmitteP62, mit dem - rechtzeitig - auf die inhaltliche Gestaltung der Vorlesungen Einfluß genommen werden konnte. Schließlich waren manche Dozenten trotz inneren Widerstrebens schon aus existentiellen Sorgen versucht, den Erfordernissen des neuen Staates - zumindest äußerlich - nachzukommen. Der "Dozentenschaft" war eine wesentliche Mitwirkung eingeräumt Ihr primär politisches Urteil war auch vom Rektor, der sich in der Regel auf ein fachliches Votum der Fakultät stützen konnte, nicht leicht zu umgehen. Wie allgemein in Personalangelegenheiten hatte der Rektor zwar das abschließende Urteil, das den Akten für das KM beigefügte Dozentenschaftsvotum blieb aber dort bei unterschiedlichen Stellungnahmen von Rektor und "Dozentenschaft" selten unberücksichtigt. Für die Dekane und für den Rektor, dem die Gesamtverantwortung oblag, war es nicht leicht, für einen von der "Dozentenschaft" oder anderen politischen Stellen als unzuverlässig eingestuften Dozenten mit Erfolg einzutreten. So wurden z.B. folgende für das WS 1934/35 geplante Vorlesungen vom Ministerium nicht genehmigt:163 Prof. Dyroff: "Allgemeine Staatslehre, Staatsrechtslehre und Politik"; Prof. Petraschek: "Staatsphilosophie", "Philosophie des Völkerrechts", "Übungen zur Philosophie des Friedens"; Prof. Kaup: "Konstitutionshygiene und Rassenpflege im Dritten Reich"; Prof. Specht: "Volkswohlfahrtspflege (Eugenik, Rassenpflege, Bevölkerungspolitik)"; Prof. Gallinger: "Grundlagen der Ethik und Gesellschaftslehre", "Übungen zu Schopenhauers 'Die Welt als Wille und Vorstellung'". Die Gründe für die Ablehnung waren in den einzelnen Fällen zwar unterschiedlich, aber letztlich politischer Natur. Prof. August Gallinger war Jude, fiel aber als "Frontkämpfer" unter die Ausnahmebestimmungen des BBG und hätte demnach - bis zur Verschärfung durch das sog. Reichsbürgergesetz von 1935 -im vollen Besitz seiner Rechte bleiben müssen. Trotzdem hielt der sein Amt auch stark politisch auffassende stellvertretende Dekan eine Vorle162 Man konnte die Möglichkeit eines Verbots zunächst andeuten, Kritik an Einzelpunkten üben und die Reaktion abwarten, die Vorlesungen überwachen lassen und so ggf. ein angepaßtes Verhalten herbeiführen. 163 ME 17. 9. 1934 (UAM Sen 415).

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sungstätigkeit von Prof. Gallinger "für unvereinbar mit den Erfordernissen des Dritten Reiches, da Prof. Gallinger Jude ist".164 Daß den maßgebenden Stellen nicht mehr an der Fortsetzung der Vorlesungstätigkeit des emeritierten 72jährigen Prof. Anton Dyroff liegen konnte, mag verständlich erscheinen, wenn man bedenkt, daß es grundsätzliche Vorgehensweise war, ältere Hochschullehrer, von denen man einen Unterricht im Sinne des Dritten Reiches nicht mehr erwarten konnte, möglichst hinauszudrängen und die Lücken mit jüngeren, politisch genehmen oder als Nationalsozialisten ausgewiesenen Dozenten zu füllen. Ein solcher junger Dozent schien hier zur Verfügung zu stehen. 165 So war nach dem - noch recht maßvollen Urteil des stellvertretenden Dekans Otto Koellreutter zumindest die Vorlesung über "Allgemeine Staatslehre ... " nicht geeignet, "für die aus dem Arbeitsdienst kommenden ersten Semester als Einführung in das politische Denken unserer Zeit zu dienen". 166 Deutlicher driickte es der Dozentenschaftsführer aus, der forderte, daß die von Prof. Dyroff angekündigten Vorlesungen "von jüngeren Juristen gehalten werden, die dem Nationalsozialismus näher stehen" .167 Prof. Karl Petraschek schien nach Meinung von "Dozentenschaft", Fakultät und Rektor für allgemeine rechtsphilosophische Vorlesungen nicht geeignet, weil er sich zu einer Rechtsphilosophie im "kirchlich-katholischen Sinne"168 bekannt habe. Schon in einem Rektoratsbericht vom Sommer 1934 war festgehalten worden, daß Prof. Petraschek sich in seinen früheren Schriften in grundlegenden Dingen in schärfsten Gegensatz zur nationalsozialistischen Rechts- und Staatsauffassung gestellt habe. Dieser Bericht stützte sich auf ein negatives Gutachten des Dozentenschaftsführers, wonach wegen der Bindung des philosophischen Systems von Prof. Petraschek an die katholische Philosophie und ihre Naturrechtsbegriffe eine diesbezügliche Vorlesung politisch nicht 164

Stellungnahme vom 31. 7. 1934 (UAM ON 2d und Sen 415).

165 Der Dozent Dr. Norbert Gürke sollte aufgebaut werden. 166 Votum vom 15. 8. 1934 (UAM Sen 415). Der z.Zt. abwesende Dekan Mezger versuch-

te später zu differenzieren zwischen positivrechtlichen-juristischen Vorlesungen und solchen allgemein-politischen Inhalts. Es komme darauf an, wie man die Worte verstehe: Verstehe man unter Staatslehre und Staatsrechtslehre die Darstellung des tatsächlichen und juristischen Aufbaus des Staates, könne die Vorlesung von jedem politisch zuverlässigen und fachlich befähigten Dozenten gehalten werden und falle nicht unter die Vorlesungen "mit besonderem politischen und weltanschaulichen Einschlag". Anders sei es, wenn die "Politik" als solches Gegenstand sei. Dann komme nur einer in Frage, der der den Staat tragenden nationalsozialistischen Bewegung schon früher nahegestanden oder heute von dieser zu solcher Stellungnahme besonders anerkannt sei. - Nach Koellreutter änderte sich auch durch eine Einschränkung des Titels nichts am allgemein-politischen Charakter der Vorlesung (UAM LN 2d). 167 Ebd. Votum vom 5. 10. 1934. Prof. Dyroff sollte nach Meinung der "Dozentcnschaft" sich mit seinen 72 Jahren vom Lehramt femhalten. 168 Die katholische Naturrechtslehre habe zu große Bedeutung; Bericht des Dekans vom 13. 10. 1934 (UAM LN 2d).

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zu verantworten sei_l69 Während die "Dozentenschaft" im Fall Petraschek wie auch in den allermeisten anderen Fällen am liebsten ein generelles Vorlesungsverbot erreicht hätte, wollte die Fakultät sich nicht gegen jede Vorlesungstätigkeit aussprechen. Nach Meinung des stellvertretenden Dekans Prof. Koellreutter, der das besondere Vertrauen des KM genoß und auf dessen Votum man im Ministerium in diesen Zeiten viel gab, sollte Staatsphilosophie "zum mindesten in der jetzigen Zeit des Aufbaues des nationalsozialistischen Staates nur von einem Dozenten gelesen werden, dessen politische Grundhaltung eindeutig nationalsozialistisch ist".1'0 Das KM ging mit seinem Vorlesungsverbot zunächst über den Bericht des Dekans hinaus, nach dem nicht alle Vorlesungen von Prof. Petraschek ausfallen sollten. Die Fakultät, voran Dekan Prof. Edmund Mezger, war aber weiterhin bemüht, Prof. Petraschek in Schutz zu nehmen und seine Vorlesungstätigkeit aufrechtzuerhalten.l7l Die Lösung wurde darin gesehen, die Rechtsphilosophie von Prof. Petraschek ausdrücklich als Rechtsphilosophie im kirchlich-katholischen Sinn zu bezeichnen. Diese Kompromißlösung, die zwar eine schmerzliche Einschränkung und Diskriminierung172 bedeutete, aber das Weiterlesen nicht ganz unmöglich machte, fand auch die . Zustimmung des stellvertretenden Dekans, des Dozentenschaftsvertreters und des Rektors, so daß das KM diese Vorlesung schließlich genehmigte.m Die Fakultäten setzten sich in der Regel für ihre Mitglieder im Rahmen dessen, was ihnen möglich und unter den politischen Umständen vertretbar schien,l14 ein. Deutlichen Protest und grundsätzlichen Widerspruch meldeten sie allerdings kaum an. Aus der Einsicht in die Erfolglosigkeit solcher Schritte verlegte man sich mehr auf systemimmanentes, taktisch geschicktes Argumentieren. m Die Betroffenen setzten sich meist selbst mit ausführlichen Denk169

UAM Sen 415. Ebd. K. nahm eine gewisse Sonderstellung ein. Sein Votum als stellvertretender Dekan wurde fast immer gesondert eingeholt und zur Geltung gebracht. Er war offensichtlich für das KM die erste Adresse in der Fakultät, die - zunächst wohl einzige - fachlich und politisch zuverlässige Vertrauensperson. 171 Die Fakultät machte auch soziale Gründe geltend, die auch bei der "Dozentenschaft" generell eine gewisse Beachtung fanden. 172 Bloßstellung und Verengung der Thematik sollten die Hörerzahl reduzieren und die Vorlesungstätigkeit damit wirkungslos machen. Diese von der "Dozentenschaft" befürwortete Taktik zeigte sich später auch bei der Behandlung der sog. Konkordatsprofessuren. 173 MEv. 27. 10. 1934: "Die Genehmigung erfolgte ausdrücklich ... im Hinblick auf die übereinstimmenden Stellungnahmen von Dekan, Dozentenführer und Rektor." 174 Diese Tatsache läßt sich belegen. Inwieweit aber dabei der damals vorhandene Rahmen ausgeschöpft wurde, läßt sich im nachhinein nicht sachgerecht beurteilen. 175 Man brachte soziale Gründe oder bestimmte Verdienste der Betroffenen ins Gespräch, holte gezielt positive Gutachten von auswärtigen Fachkollegen ein und versuchte in persönlichen Gesprächen mit den zuständigen Referenten des KM das Beste zu erreichen. Andererseits wollte man in aussichtslos scheinenden Fällen die Fakultät auch nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen. 170

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schriftenzur Wehr, allerdings- soweit bekannt- nie mit Erfolg.176 Sachliche Argumente und formale Einwände blieben meist unberiicksichtigt, weil es sich eben bei der Beurteilung einer Vorlesung letztlich um eine grundsätzliche politische Frage handelte. Erschwerend kam hinzu, daß eine einmal aufgedeckte politische - Schwäche ein ständiger Makel blieb, der kaum zu beseitigen war und günstigenfalls erst nach Jahren abgeschwächt wurde. Gegen die medizinischen Vorlesungen der Professoren Specht und Kaup hatte zwar der Dekan unmittelbar nichts einzuwenden, wohl aber war mit einem Veto der "Dozentenschaft" zu rechnen. War doch Prof. Specht erst ein Lehrauftrag über Kriminalbiologie entzogen worclen und war doch von Prof. Kaup bekannt, 177 daß er in seinen Schriften und Vorlesungen in einem gewissen Gegensatz zur geltenden, "auch staatlich vertretenen Lehrmeinung, insbesondere hinsichtlich der hoben Bewertung der nordischen Rasse", stehe und diesbezüglich bereits eine Auseinandersetzung mit Ministerialdirektor Dr. Schultze vom Innenministerium gehabt habe. Die Ablehnung der angekündigten Vorlesungen durch das KM wurde dann auch noch bestätigt durch ausführliche Voten von Dr. Schultze, Staatskommissar für das Gesundheitswesen und inzwischen Honorarprofessor in der Medizinischen Fakultät,m und von Dr. Borger, dem Vertrauensmann der Reichsleitung in der Fakultät. Für die Vorlesungen der Prof. Wilhelm Specht und Ignaz Kaup konnte auch schon deshalb kein Platz mehr sein, weil inzwischen "geeignete" Vertreter für diese Fächer berufen worden waren, so daß auch der Dekan nicht umhin konnte, "den im Zuge der Entwicklung vom Staate berufenen Herren Prof. Dr. Tirala und Prof. Dr. Schultze ein Vorrecht auf die mit den Berufungen bezweckten Vorlesungen zuzuerkennen".1 79 Die Genehmigungspraxis des KM blieb in den folgenden Semestern in etwa gleich. Prof. Petraschek1 80 und Prof. Kaup gelang es z.B. trotz mehr176 So z.B. Prof. Petraschek, der sich auch an Hans Frank gewandt hatte. -In dem Bemühen, mit ihren Vorlesungen den zuständigen Stellen politisch akzeptabel zu erscheinen, liefen sie freilich auch Gefahr, Konzessionen zu machen und ihre gesinnungsmäßige Nähe zum Nationalsozialismus über Gebühr zu betonen. 177 UAM Sen 41S und NN Sb. Aufbeides allerdings glaubte der Dekan in seinem Bericht vom 13. 8. 1934 pflichtmäßig hinweisen zu müssen. 178 Der spätere Reichsdozentenführer konnte aufgrund seiner Doppelstellung sich von Anfang an ein wesentliches Mitspracherecht in allen sachlichen und personellen Angelegenheiten der Medizinischen Fakultät sichern. Daß er im vorliegenden Fall als Betroffener auch seine eigenen Interessen ungeniert mitvertreten konnte, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Vergehensweise der politisch Verantwortlichen. 179 Der Bericht vom 18. 11. 1934 (UAM NN Sb) läßt eine distanzierte Haltung gegenüber dieser von der Fakultät nicht gewünschten Situation erkennen. 180 Als P. seine beiden rechts- und staatsphilosophischen Vorlesungen in der erweiterten Bezeichnung "im Lichte der katholischen und der nationalsozialistischen Rechtsauffassung (Staatsauffassung)" ankündigen wollte, blieb er erfolglos, da das KM zu einer Genehmigung nur bereit war, wenn sie als Vorlesungen "vom Standpunkt der katholischen Rechts- und Staatsauffassung" angekündigt würden.

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facher Versuche nicht mehr, die Genehmigung für ihre Vorlesungen zu erhalten. So konnte die von Prof. Kaup für das SS 1935 angekündigte Vorlesung "Gestaltlehre des Lebens und der Rasse als revolutionäre Wende der Medizin und Hygiene" schon der Dekan nicht mehr befürworten, weil nach einer Stellungnahme von Prof. Heinz Kürten, dem Direktor der Medizinischen Poliklinik und Beauftragten des Rassenpolitischen Amtes des Gaues München-Oberbayern der NSDAP, kein Bedürfnis mehr für eine derartige Vorlesung gegeben war. 181 In der Philosophischen Fakultät war neben dem n.b.a.o. Prof. August Gallinger auch der n.b.a.o. Prof. Richard Pauli betroffen, dessen Vorlesungen über "J. H. Fichte als Einführung in die Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie" und "Persönlichkeitslehre" im Vorlesungsverzeichnis für das SS 1935 bzw. das WS 1934/35 gestrichen wurden.182 Ab Sommer 1935 kamen die von dem n.b.a.o. Prof. Aloys Wenzl angekündigten philosophischen Vorlesungen in die Schußlinie vor allem der "Dozentenschaft". Wohl auf einen entsprechenden Hinweis von seiten der "Dozentenschaft" stellte Dekan K. A. v. Müller noch relativ zurückhaltend- fest, daß die von Wenzl angekündigte Vorlesung "Philosophie der Naturwissenschaften (mit besonderer Berücksichtigung der neueren Entwicklungen der Physik und Biologie)" "wegen seiner Einstellung zu Einstein vielleicht nicht ohne Bedenken erscheint".l83 Nachdem gegen Prof. Wenzl von der "Dozentenschaft" inzwischen weitere Vorwürfe erhoben worden waren, wurde keine der sechs von ihm für das WS 1935/36 angekündigten Vorlesungen genehmigt.184 d) Vorläufiges Ergebnis und Gesamtsituation um 1935 Die Situation, die sich nach etwa zweijährigen Indoktrinationsversuchen und politischen Eingriffen in den Lehrbetrieb allgemein und speziell an der Universität München ergeben hat, sei im folgenden zusammenfassend und thesenartig skizziert: Die 1933 auflodernde Reformdiskussion ist relativ bald erloschen. Die anfänglich recht große Bereitschaft zur Mitarbeit bei der Neuordnung der Hochschule wurde von den zuständigen Stellen in Partei und Staat gerne zur 181 Begründung: "... weil durch die nationalsozialistische Regierung an die Universität München Kollegen berufen wurden, die auftraggemäß dieses Gebiet behandeln" (UAM NN 5b). 182 UAM Sen 361. Die Bedenken gegen die Vorlesung über Fichte konnten später nach Gesprächen von Prof. Pauli mit dem Dekan und dem Syndikus offensichtlich ausgeräumt werden. 183 UAM Sen 415 und ON 2d. 184 Auch die Vorlesungen von Prof. Pauli und Prof. Gallinger wurden nicht mehr genehmigt. Die Vorlesungen von Prof. W enzl wurden auch in den folgenden Semestern stark reduziert, bis ihm 1938 die Lehrbefugnis ganz entzogen wurde.

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Kenntnis genommen, konkrete Reformvorschläge von seiten der "Basis" waren aber letztlich nicht erwünscht. Die allgemein erwartete bzw. befürchtete umfassende Umstellung des Lehrbetriebs und die Ideologisierung der Wissenschaft, die vornehmlich durch eine systematische Änderung der Prüfungsordnungen und Lehrpläne - sowie einen rigorosen Personenwechsel - realisiert werden sollten, blieben vorläufig aus. Die beabsichtigten Maßnahmen wurden schwerpunktmäßig erst nach Abschluß des Zentralisierungsprozesses, etwa ab 1935, eingeleitet bzw. wirksam, und auch die Personalveränderungen machten sich nicht sogleich im Sinne der Nationalsozialisten bemerkbar. Bis dahin blieb es - abgesehen vom Engagement einzelner Hochschullehrer- bei relativ unkoordinierten Einzelmaßnahmen der Hochschulländer, bei vielen einzelnen Maßnahmen zur Aufwertung ideologisierbarer Fächer und Fachgebiete, von denen man sich viel für die nationalsozialistische Erziehung der Studenten versprach. Wirksam verpflichtende Anordnungen für Studenten waren dabei noch selten, die reichseinheitliche Regelung stand erst bevor, so daß man im Hinblick daraufvieles vorläufig nur empfehlen konnte. Dennoch wurde bereits in den Anfangsjahren des Dritten Reiches die Ideologisierung der Lehre in vielfaltiger und recht massiver Form betrieben und brachte eine erhebliche Beunruhigung und Belastung für die Studenten. Und trotzdem fallt auf, daß zwischen der vielfach bekundeten Entschlossenheit der Nationalsozialisten zur Formung einer neuen Wissenschaft und Lehre und ihren zur Verfügung stehenden Machtmitteln einerseits und den tatsächlichen, bis 193.5 vorliegenden Ergebnissen andererseits ein beachtliches Mißverhältnis bestand, das fiir viele Nationalsozialisten enttäuschend sein mußte. Die Gründe sind vielfaltig: - Zum einen liegen sie in der Problematik einer ideologisierten Wissenschaft selbst und in der mangelnden wissenschaftlichen Qualität neuer Fächer. - Zum anderen waren anfangs nur wenige überzeugte und aktive Nationalsozialisten unter den Hochschullehrern, und vor allem fehlte es zunächst an Dozenten, die fachlich und politisch gleichermaßen ausgewiesen waren. - Nachdem aus fiskalpolitischen Gründen kaum neue Stellen geschaffen wurden, war die Zahl der "Hoffuungsträger", der neu ernannten bzw. berufenen Professoren relativ klein; zudem entsprachen viele der neuen Hochschullehrer in ihrer wissenschaftlichen Praxis nicht den politischen Vorstellungen der zuständigen Behörden, auch wenn ihre Berufung oder Ernennung z. T. auch politisch bedingt war. - Trotz der Politisierung einiger Lehrveranstaltungen bleibt festzustellen, daß die Zahl der politisch geflirbten Vorlesungen nur einen recht kleinen Anteil im gesamten Vorlesungsangebot ausmachte.

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- Gegen allzu weitgehende Eingriffe und traditionsbrechende Änderungen setzten sich die Fakultäten direkt und indirekt zur Wehr, suchten Entwicklungen zu venögern oder Neues in die bisherigen Strukturen zu integrieren und vom eigenen Personal ausführen zu lassen und waren sehr - und nicht selten ohne Erfolg - darauf bedacht, fachlich umstrittene Personen abzuwehren. So waren auch die Fakultäten mit ihren mannigfaltigen Möglichkeiten der wissenschaftlichen Argumentation und der bürokratischen dilatorischen Behandlung nicht ganz wehrlos und zeigten ein beachtliches Beharrungsvermögen. Während manche wissenschaftspolitische Neuerung durch Fachegoismus und fakultätsinterne Rivalität abgeblockt werden konnte, wurde sie durch eben diesen Egoismus gefördert, wenn durch die politisch günstigen Umstände eine sachlicherwünsche Aufwertung eines Faches erleichtert wurde. - Schließlich waren es gerade die politisch gefärbten und indoktrinierenden Vorlesungen, die nach anfänglich durchaus erwartungsvoller Aufnahme nach und nach immer mehr auf die Ablehnung der Studenten stießen. Je eindeutiger der politische Anstrich einer Vorlesung war, desto weniger Hörer hatte sie. Das Desinteresse der Studenten an solchen Vorlesungen zeigte sich auch daran, daß die Hörenabi sofort abnahm, wenn sich herausstellte, daß die Thematik nicht verpflichtendes Prüfungsgebiet war.t&s Da dies vor 1935 nur selten der Fall war und die Behörden deshalb zunächst nur mit entsprechenden - zwar strengen, aber in ihrer Relativität von den Studenten schnell durchschauten - Hinweisen und Empfehlungen operieren konnten, darf man auch auf eine doch recht begrenzte Wirkung und einen relativ geringen Erfolg der über die Lehre angestrebten Indoktrinierung schließen. - Wirkung enielten die Nationalsozialisten auch hier eher im Negativen, im Niederreißen, im Verbieten von Vorlesungen und in der Unterdrückung von Lehrmeinungen und weniger im Aufbau eines eigenen Gebäudes. - Die große Beunruhigung und Störung des Studiums ergab sich für die Studenten 1933 bis 1935/36 nicht aus den politisch gefärbten Vorlesungen, denen man meist ausweichen konnte, sondern aus den vielfältigen - nachfolgend (ll.2) aufgezeigten - außerunterrichtlichen Verpflichtungen, denen man, ohne Nachteile in Kauf zu nehmen, nicht entgehen konnte.

l&S

V gl. dazu z.B. für Tübingen auch Adam 187.

ll. Studentenschaft

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D. Studentenschaft Die Studentenschaft wurde im Dritten Reich einem umfassenden, aber nicht einheitlich konzipierten politischen Erziehungsprogramm unterworfen, das sie in die Pflicht nahm und ihr eine Vielzahl von meist nicht aufeinander abgestimmten Diensten auferlegte, deren erzwungene Ableistung eine folgenreiche Störung des Studiums bedeutete, in politischer Hinsicht allerdings nicht den von den Machthabern erwarteten Erfolg brachte. Diese für die Zeit bis 1935 geradezu typische Situation soll im folgenden, ausgehend von den Münchner Verhältnissen, vor allem aus der Sicht der Betroffenen ausführlicher dargestellt werden. Eine wesentliche Rolle bei der Durchführung dieses politischen Erziehungsprogramms hatte die Studentenführung zu spielen, die immer mehr zum verlängerten Ann von Staat und Partei wurde und in der Disziplinierung, politischen Erfassung und nationalsozialistischen Ausrichtung der Studentenschaft ihre Hauptaufgabe zu sehen hatte und in der Praxis auch sah. I. Studentenführung Die eigentlich Gesamtvertretung der Studierenden war seit 1919 als Zusammenschluß der örtlichen Einzelstudentenschaften die DSt, die im April 1933 zwar wieder die ersehnte staatliche Anerkennung erhielt, aber seitdem zu keiner Zeit die alleinige Führung der Studenten erringen oder behaupten konnte, weil ihr, obwohl sie von Nationalsozialisten geführt wurde, der NSDStB den Führungsanspruch streitig machte und sich ständig - unter Hinweis auf die unverfälschte Vertretung der Interessen der Partei - in ihre Angelegenheiten einmischte. Rivalisierendes Nebeneinander und mitunter feindseliges Gegeneinander von OSt und NSDStB bestimmten und beeinträchtigten bis 1936 die z. T. von schweren Auseinandersetzungen getragenen studentischen politischen Aktionen auf allen Ebenen, so daß sich dem dualistischen Aufbau des Dritten Reiches entsprechend die "Studentenführung" beide Organisationen teilten: die staatliche DSt ("Studentenschaft'' und der NSDStB als Vertreter und Stoßtrupp der Partei an den Hochschulen. Ungeachtet ihrer internen Rivalität standen OSt und NSDStB bis 1935/36 gemeinsam in einem grundlegenden dualistischen Verhältnis auch zu den Korporationen, die es trotz aller Anpassung und Gleichschaltung als noch bestehende "Erziehungsinstanzen" auszuschalten galt. Auch wenn außer der SA, die bis Sommer 1934 einen nicht unerheblichen Einfluß im Hochschulbereich gewinnen konnte, andere Organisationen gegenüber DSt und vor allem NSDStB keine entscheidende Mitwirkung erkämpfen konnten, so gestalteten sich auch im studentischen Bereich die allgemeine Entwicklung und das Verhältnis von

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Führung und Basis weniger in der Umsetzung eines klaren Konzeptes als vielmehr als Folge von Gruppenkämpfen. Unberechenbarkeit, gegenläufige und nicht aufeinander abgestimmte, den ständig sich verändernden Machtverhältnissen entsprechende Anordnungen und Kompetenzwirrwarr waren die die Masse der Studenten schwer treffenden Auswirkungen dieses so verstandenen "Ringens" um die Studentenschaft} a) Personen und Strukturen Vorsitzender der OSt war seit 1931 der Nationalsozialist Gerhard Krüger, den NSDStB führte seit 1932 als Nachfolger von Baidur von Schirach Gerd Rühle. Um die ständigen Reibereien zwischen beiden Organisationen einzudämmen, wurde 1933 Dr. Oskar Stäbel, Standartenführer in der Obersten SA-Führung, sowohl zum Reichsführer des NSDStB (Februar) als auch zum Reichsführer der OSt (Herbst 1933) ernannt. Sowohl Stäbel als auch seine Nachfolger waren durch verschiedene Funktionen in besonderer Weise in den Staats- und Parteiapparat eingebunden und erhielten von dort ihre Anweisungen, aber auch die jeweils nötige Unterstützung im ständigen Machtkampf. Die Personalunion, die unter Stäbel auch auf örtlicher Ebene angestrebt wurde, ist im Sommer 1934 wieder aufgegeben worden. Nachfolger Stäbels als Reichsführer der OSt wurde im August 1934 Andreas Feickert,2 als Studentenbundsführer am 31. 7. 1934 Albert Derichsweiler, der bei der Gleichschaltung der 1 Im Rahmen dieser Arbeit muß es bei dieser knappen und vereinfachten Skizzierung bleiben. Obwohl es noch keine allgemeine Darstellung der studentenpolitischen Entwicklung im Dritten Reich gibt - sie hätte sich vor allem auf die Fülle des Materials im Archiv der ehemaligen Reichsstudentenführung in Würzburg zu stützen -, ist die Thematik bereits in vielen Arbeiten mit unterschiedlicher Genauigkeit behandelt. Am ausführlichsten ist neben der Arbeit von Franze über die Erlanger Studentenschaft und der Arbeit von Stitz über den CV die vor allem Harnburg berücksichtigende Darstellung von G.J. Giles (Students and National Socialism in Germany). Eine abrißhafte Behandlung liefern u.a. Jarausch, Faust (li, 121 ff.), Bleuel-Klinnert und Bohrmann; wertvolle Einzelaspekte und Grundlinien sind auch den Arbeiten über einzelne Hochschulen zu entnehmen, z.B. über Jena und Rostock, Tübingen (Adam) und Heidelberg (Wolgast und Mußgnug). Für Harnburg jetzt: Grüttner, M.: "Ein stetes Sorgenkind für Partei und Staat". Die Studentenschaft 1930-1945, in: Krause u.a., Hochschulalltag im "Dritten Reich" 201-236. Von geringem Wert sind zeitgenössische Abhandlungen wie die von Derichsweiler und Kreppel. Die speziell auf München bezogenen Aussagen fußen auf Aktenbeständen verschiedener Provenienz. Neben den- nicht vollständig erfaßten - Belegen in den allgemeinen Beständen des Archivs der ehern. Reichsstudentenführung wurden v.a. die in den Fakultäts- und Senatsakten auffindbaren, Studentenschaft und Studentenführung betreffenden Vorgänge ausgewertet. Geschlossene Aktenbestände der Studentenführung gibt es auch fiir die Universität München nicht. Auch wenn sich demnach kein vollständiges Bild zeichnen läßt, schien die erstmalige Zusammenführung der Einzelbelege sinnvoll und sachlich gerechtfertigt. 2 Vorher war Heinz Zaeringer zwei Monate lang kommissarischer Reichsfiihrer. Zu Krüger, Rühle, Stäbel, Feickert u.a. siehe die Kurzbiographien bei Faust II 1S7ff.

II. Studentenschaft

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Korporationen sich hervorgetan hatte. Obwohl sich Derichsweiler und Feickert auf Anordnung der Partei gegenseitig zu Stellvertretern ernannten, kam es weiterhin zu erbitterten Rivalitätskämpfen, weil der neu organisierte Studentenbund3 unter Derichsweiler nicht nur die ihm in der Verfassung der DSt vom 7. 2. 1934 zugestandene politische Erziehung der Studenten- mit Erfolg- fiir sich allein reklamierte,4 sondern über dieses "politische" Mandat ständig in den Aufgabenbereich der DSt eingriff und letztlich die gesamte politische und organisatorische Führung der Studentenschaft beanspruchte. Studentenbundsmitglieder konnten z.B. nur mit Derichsweilers Erlaubnis ein OSt-Amt annehmen. Nach einer Anordnung des Stellvertreters des Führers v. 19. 11. 1935 durften Parteidienststellen in Hochschulangelegenheiten nur mit NSDStB und NSDB, nicht aber mit den staatlichen Stellen der DSt und "Dozentenschaft" zusammenarbeiten. Bei diesen in den Rahmen des fiir das Dritte Reich charakteristischen Dualismus von Staat und Partei sich einfügenden Auseinandersetzungen wurde die Position der staatlichen Organisation der DSt als Vertretungs- und Selbstverwaltungsorgan der deutschen Studenten immer schwächer, bis im November 1936 die Reichsstudentenführung unter dem ehemaligen Heidelberger Studentenführer und SS-Offlzier Dr. Gustav Adolf Scheel errichtet wurde, in der der NSDStB als Gliederung der Partei mit der OSt als einer "betreuten" Organisation zusammengefaßt wurde. Die bisherige Organisation des NSDStB blieb bestehen, die bisherigen Hauptstellen der Studentenbundsführung wurden mit den Hauptämtern der DSt in Personal- und Realunion besetzt und im Stab der Reichsstudentenführung zusammengefaßt. Mit der Konzentration der Macht in den Händen des damals 29jährigen SS-Obersturmführers Dr. Scheel als Reichsstudentenführer begann eine neue Ära studentischer Politik. Führer der Studentenschaft der Universität München war seit Beginn des SS 1933 der Jurastudent Karl Patutschnick. Er löste seinen Studentenbundskameraden Karl Gengenbach ab, der bereits im SS 1932 und dann nach den AStA-Wahlen vom 24. 11. 1932 auch im WS 1932/33 1. Vorsitzender des AStA war5 und inzwischen als bayerischer Kreisleiter der DSt überregionale Aktivitäten entfaltete.6 Spätestens Ende Mai 1933 hatte Patutschnick die Ämter 3 Der NSDStB sollte wieder eine schlagkräftige Elitetruppe werden und wurde deshalb durch Verfügung von Reichsleiter Ley vom 27. 7. 1934 in seiner alten Organisationsform aufgelöst und in die Parteiorganisation integriert. 4 Im Herbst 1934 hatte der NSDStB endgültig die Alleinkompetenz für die politischweltanschauliche Erziehung errungen. Vgl. auch den Erlaß des REM vom 15. 5. 1935. s Seit Dezember 1930 stellte der NSDStB den 1. AStA-Vorsitzenden. Patutschnik war im SS 1932 und im WS 1932/33 bereits Beisitzer im AStA-Vorstand. Gengenbach trat- wohl letztmalig - am 10. Mai noch als Führer der Studentenschaft der Universität auf. 6 Siehe Stitz 166 ff. Bereits im Herbst 1933 war Gengenbach auch Adjutant des Führers des SA-Hochschulamtes. Sein Nachfolger als Kreisführer Bayern der DSt wurde im Oktober 1933 Dr. Wolfgang Donat.

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der "Studentenschaft" besetzt. Karl Gengenbach blieb satzungsgemäß einer der beiden Ältesten neben Hugo Schenk. dem Sprecher der Bündischen Kammer. Stellvertreter Patutschnicks wurde sein späterer Nachfolger Sigwart Göller. Dr. Eduard Friedel blieb als Geschäftsleiter bzw. "Sekretär der Studentenschaft" im Amt. Patutschnick war auch Hochschulgruppenführer des Studentenbundes an der Universität. Diese Personalunion zwischen dem Führer der Studentenschaft und dem Führer des Studentenbundes wurde auch unter seinen Nachfolgern beibehalten. Von Herbst 1933 bis Frühjahr 1935, in einer sehr bewegten Phase studentenpolitischer Arbeit, stand Sigwart Göller an der Spitze der Studentenschaft und des Studentenbundes der Universität. Sein Stellvertreter war Wolfgang Oder. Nach der Berufung zum Adjutanten des stellvertretenden Gauleiters des Gaues München-Oberbayern bat Göller um seine Ablösung. Sein Nachfolger in beiden Funktionen wurde Wolfgang Pusch, bisher Leiter des Studentenwerks München. Göller wurde satzungsgemäß Ältester der Studentenschaft. Pusch war seit 1932 vornehmlich in der studentischen Lagerarbeit engagiert, hatte bereits 1932 am ersten bayerischen Arbeitslager in Arrach aktiv mitgearbeitet, 1933 mehrere studentische Arbeitslager eingerichtet und als Lagerführer geleitet, bis er im Oktober 1933 zum studentischen Leiter des Studentenwerks München ernannt wurde. 7 Die Vorentscheidung für seine Bestellung zum Nachfolger Göllers in beiden Ämtern scheint innerhalb des Studentenbundes gefallen zu sein, dem Votum des Rektors kam damals wohl nur formale Bedeutung zu, zumal Pusch dem Rektor auch von der "Dozentenschaft" empfohlen worden war. Nachdem er bereits mit Wirkung vom 1. 4. 1935 "im Einvernehmen mit dem Reichsamtsleiter Derichsweiler zum Hochschulgruppenführer des NSDStB ernannt" worden warB und die Personalunion zwischen dem Hochschulgruppenführer und dem Leiter der Studentenschaft beibehalten werden sollte, übernahm er folglich auch gleichzeitig die Führung der Studentenschaft. Da aber gerade zur selben Zeit eine Änderung der Rechtslage eintrat, weil die "Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung" vom 1. April 1935 den Leiter der Studentenschaft dem Rektor unterstellten und seine Ernennung durch den Reichswissenschaftsminister "nach Anhören des Rektors und des Gauführers des NS-Studentenbundes" festlegten, ging der Bestellung- gleichsam nachträglich- auch ein am 14. Mai datierter offizieller Vorschlag des Rektors an den Minister voraus. Mit Schreiben vom 28. Juni 1935 hat daraufhin Minister Rust den cand. rer. pol. Wolfgang Pusch zum Leiter der Studentenschaft der Universität München ernannt.

7 Empfehlungsschreiben der "Dozentenschaft" vom 5. 5. 1935 (UAM Strafakten) und Schreiben des Rektors an den REM vom 14. 5. 1935 (HStA I MK 40804). 8 HStA I MK 40804. Schreiben der "Studentenschaft" der Universität vom 2. 4. 1935 an den Rektor.

II. Studentenschaft

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Pusch stand allerdings nur ein knappes Semester an der Spitze der Studentenschaft. Er wurde bereits Mitte August 1935 beurlaubt, nachdem verschiedene, z.T. recht allgemein gehaltene und im nachhinein nicht zu bewertende Vorwürfe bezüglich seiner Geschäftsführung als Leiter des Studentenwerks und ein Plagiatvorwurf wegen eines Zeitungsartikels zur Einleitung eines vom Reichswissenschaftsministerium angeordneten studentischen Strafverfahrens geführt hatten. Pusch blieb allerdings Hochschulgruppenführer des NSDStB. Bei der Bestellung eines Nachfolgers wurden wiederum Differenzen zwischen der DSt und dem NSDStB sichtbar. Nachdem offensichtlich die Reichsführung der DSt von sich aus - noch bevor Pusch von seiner Beurlaubung in Kenntnis gesetzt worden war - eingegriffen hatte, in München vorstellig geworden war und einen Mann ihres Vertrauens, nämlich den Studentenbundskameraden Ronneberger, gebeten hatte, die Führung der Studentenschaft der Münchner Universität zu übernehmen, widersetzte sich der einflußreiche Münchner Gaustudentenbundsführer Hermann Aly, lehnte den Personalvorschlag der DSt entschieden ab und verwies auf die neue Rechtslage, nach der nur er als Gaustudentenbundsführer und der Rektor dem Reichswissenschaftsminister einen Nachfolger vorzuschlagen hätten.9 Anfang September 1935 ernannte der Rektor für die Dauer der Beurlaubung Puschs den seit Herbst 1934 als Geschäftsführer der Studentenschaft der Universität tätigen Hans Scherr zum kommissarischen Leiter der Studentenschaft. Die sich nach den Richtlinien vom 1. 4. 1935 ergebende ambivalente Rechtslage bei der Bestellung der örtlichen Studentenschaftsleiter erfuhr eine Präzisierung durch einen Erlaß des REM vom 23. 7. 1935, in dem klargestellt wurde, daß "unbeschadet ihrer Unterstellung unter den Rektor" die Studentenschaftsleiter der einzelnen Hochschulen "auf Vorschlag des Reichsführers" der DSt vom Reichswissenschaftsminister ernannt werden. 10 Demnach lag das eigentliche und alleinige Erstvorschlagsrecht doch beim Reichsführer der DSt, während Rektor und Gaustudentenbundsführer nur ein Anhörungsrecht hatten. 11 In einem weiteren Erlaß vom 20. 12. 193512 legte der Reichswissenschaftsminister das Verfahren der Bestellung und Enthebung der Leiter der Studentenschaften noch genauer fest: Der Führer der DSt hatte ihm nach Fühlungnahme mit dem jeweiligen Rektor und dem zuständigen Gaustudentenbundsführer den "vorläufig mit der

Schreiben vom 6. 9. 1935 an den Adjutanten des Reichsführers der OSt. UAM Sen 36517. II So auch die Auslegung des Reichsführers der OSt im Rundschreiben RF Nr. 4/193536. Deshalb sollte von jeder beabsichtigten Änderung in der Leitung der örtlichen Studentenschaft zuerst der Reichsführer der DSt Kenntnis erhalten (UAM Sen 366/c/5). 12 UAM Sen 366/c/2f. Falls sich "wider Erwarten" ein Einvernehmen zwischen dem Führer der DSt, dem Rektor und dem Gaustudentenbundsführer nicht herstellen lassen sollte, hatte der Führer der OSt mit Vorlage der schriftlichen Stellungnahmen des Rektors bzw. des Gaustudentenbundsführers zu berichten. Die Vorgeschlagenen sollten möglichst Mitglieder der NSDAP und des NSDStB sein. Ihre Amtszeit sollte grundsätzlich zwei Jahre betragen. 9

10

17 Böhm

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Leitung der örtlichen Studentenschaft zu beauftragenden Studenten" vorzuschlagen. Die endgültige Bestellung erfolgte dann nach Ablauf eines Semesters nach Anhörung des Rektors und des Gaustudentenbundsführers. Nachdem eine Wiedereinsetzung von Pusch wegen der verschiedenen Vorwürfe nicht mehr möglich war, 13 war vorgesehen, Scherr endgültig die Leitung der Studentenschaft zu übertragen. Ein diesbezüglicher Vorschlag schien vorgelegen zu haben, ließ sich aber nicht realisieren. Ausschlaggebend dafür war möglicherweise, daß Scherr Ende November 1935 sich krankheitshalber mehrere Wochen zurückziehen mußte1 4 und daß er in eine heftige und ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Syndikus verwickelt war.1s Neuer Studentenführer wurde Dr. Julius Dörfler, der bereits in Erlangen in dieser Funktion tätig war. Er wurde vom Reichswissenschaftsminister mit Erlaß vom 28. 3. 1936 zunächst mit der Leitung der Studentenschaft der Universität bis zum Ablauf des SS 1936 beauftragt und dann noch vor dem WS 1936/37 endgültig zum Leiter der Studentenschaft ernannt. Sein Stellvertreter wurde Reinhard Weber. In Rivalität und Konkurrenz zur Leitung der Studentenschaft stand auch auf örtlicher Ebene die Studentenbundsführung. Wenn auch in München die grundsätzlichen Differenzen nicht zum Ausbruch kamen, weil sowohl an der TH als auch an der Universität eine Personalunion zwischen dem Leiter der Studentenschaft und dem Hochschulgruppenführer bestand, so wurden sie doch immer wieder sichtbar in der Ausführung der z. T. gegenläufigen Anordnungen der Reichsführung der DSt und des NSDStB. Der NSDStB verstand sich auch in München als treibende Kraft, als die kämpferische politische Elite an den Hochschulen, versuchte auch gegenüber der Hochschulverwaltung eine eigenständige Rolle zu spielen und war immer wieder bestrebt, auch unter den satzungsmäßigen Beschränkungen, die das Dritte Reich den Studenten auferlegt hatte, eine Eigendynamik zu entwickeln und die vieldiskutierte Revolutionierung der Hochschule voranzutreiben. Gaustudentenbundsführer von MünchenOberbayern war seit Oktober 1934 als Nachfolger von Dr. Wolfgang Donat16 Hermann Aly, der Leiter der Studentenschaft der TH.t7 Er forcierte vor allem die Schulung in Schulungsarbeitsgemeinschaften und - gemäß der Zielsetzung 13 Die Universität München hatte die Angelegenheit zunächst offensichtlich herunter· spielen und die Beurlaubung Puschs wieder aufheben wollen, zumal sich die Vorwürfe be· züglich der Geschäftsführung eines studentischen Laien ohnehin kaum prüfen ließen, aber das REM bestand auf einer ausführlichen Behandlung aller Vorwürfe, was zu einem zweiten Verfahren führte. 14 Schreiben Scherrs an den Rektor vom 28. 11. 1935. Als Vertreter sei von ihm und Hochschulgruppenführer Pusch im Einvernehmen mit dem Gaustudentenbundsffihrer Hans Fürbringer beauftragt worden. 15 Dazu s. unten (IV.2.b). Ein Zusammenhang zwischen dem Streit mit dem Syndikus und dem Rückzug Scherrs ist nicht auszuschließen. 16 Donat war auch Kreisführer Bayern der DSt. 17 RSF II 106 a SO.

II. Studentenschaft

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des NSDStB nach der Neuorganisation vom Juli 193418 -die Heranbildung der Funktionäre in speziellen Lagerkursen. 19 Wurde noch 1934/35 innerhalb des NSDStB vielerorts Klage geführt über eine allgemeine Müdigkeit der Studenten und darüber, daß an allen Universitäten nur ein kleiner Stamm von aktiven Kameraden bestehe, der bereit sei, jede Arbeit mitzumachen,20 so konnte Gaustudentenbundsfiihrer Aly im Sommer 1935 ein durchaus positives Bild vom Zustand des NSDStB zeichnen:21 Die Lagerergebnisse seien außerordentlich gut, so daß sämtliche Ämter des Studentenbundes und der "Studentenschaft" durch zuverlässige Kameraden hätten besetzt werden können, die Fachschaftsarbeit sei fest in den Händen der Studentenbundsleute. Die Gruppe an der Universität München arbeite ordentlich, habe nur etwas unter der großen Zahl der Mitglieder und "der Auseinandergerissenheit durch die vielen Institute" zu leiden. Gewisse finanzielle Schwierigkeiten hätten sich durch den Rückgang der Studentenzahlen ergeben.22 Als wollte man seitens des NSDStB die Bereitschaft zur Übernahme der gesamten Studentenarbeit signalisieren und warte nur auf den entsprechenden Befehl, stellte man heraus, der Studentenbund sei in der Lage, "auf großer Basis" in München zu arbeiten. Auch ein Unterfiihrerkoxps stehe bereit, das "weltanschaulich und politisch völkisch ausgerichtet an die Arbeit gehen" könne. Ganz im Gegensatz zu dieser optimistischen Einschätzung freilich stand die klare Erkenntnis, daß die Masse der Studenten politisch desinteressiert sei. Die Schuld sah man bei den verfassungsmäßigen Zuständen im deutschen Studententum, der mangelnden Abgrenzung der Zuständigkeiten und den sich daraus ergebenden Spannungen vor allem zwischen OSt und NSDStB. In einer eindeutigen Führung der Partei, in der "Einheitlichkeit" der studentischen Führung - am besten unter dem Studentenbund - erhoffie man die Lösung. Wenn dabei in München größere Reibereien vermieden wurden, lag das nicht nur an der Personalunion, in der beide Spitzenpositionen geführt wurden, und an der Besetzung auch der wichtigen Ämter der "Studentenschaft" durch Studentenbundsmitglieder, sondern auch an der Koordinierungsarbeit des Studentenbundsfiihrers, der sich mit den Mitarbeitern der StudentenschaftsfiihrunVgl. Derichsweiler 81 f. RSF 11 106 a SO. Bereits im WS 1934/35 hatten insgesamt 725 Studenten und Studentinnen an den 52 Schulungsarbeitsgemeinschaften teilgenommen. 20 RSF ll 109 a 53 und 106 aSO: Gaustudentenbundsfiihrer Aly am 22. 12. 1934: Auch bei den Parteigenossen sei eine große Gleichgültigkeit festzustellen, und es müßten Mittel und Wege gefunden werden, "entweder die Leute an die Arbeit zu gewöhnen oder aus der Partei auszuschließen". 21 RSF 11 109 a 53. Stimmungsberichte von April bis Juli 1935. 22 Die politische Arbeit des Studentenbundes konnte auch von der "Studentenschaft" nur mehr in beschränktem Maße finanziert werden. Der NSDStB bediente sich des Apparats der staatlichen Institution der DSt in ähnlicher Weise, wie dies der NSDB mit der Dozentenschaftsorganisation praktizierte. 18

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gen regelmäßig beim Mittagstisch traf und die anstehenden Führungsfragen bespracb23 und vor Semesterbeginn alle Amtsträger der Studentenschaft und des Studentenbundes nach Möglichkeit in ein- 14tägiges- Lager einberief, um "die Kameraden auf eine einheitliebe politische Linie einzustellen und die Aufgabenstellung der einzelnen Arbeitsgebiete herauszuarbeiten".24 So wurden Sacb- und Personalpolitik festgelegt und gesteuert. Das Führerprinzip gab dem Studentenschaftsleiter großen Spielraum zur Durcbsetzung in seinem Bereich. Die Bündische Kammer hatte sich überlebt und spielte offensichtlich- soweit erkennbar- keine besondere Rolle mehr.25 Der Studentenschaftsleiter bestimmte zusammen mit dem Gaustudentenbundsführer de facto die studentische Arbeit an der Universität, soweit die Vorgaben der vorgesetzten politischen und staatlichen Stellen Spielraum ließen. Hatte man bis Sommer 1934 trotzvielfältiger personeller Verflecbtungen26 sich eines starken SA-Einflusses zu erwehren und vor allem Kompetenzansprüche des SAHocbscbularntes abzuwehren, so entwickelten sich in der Folgezeit die Beziehungen zur SA, SS und HJ recht gut, wenn man auch immer etwas eifersüchtig auf die Wahrung der originären studentischen Zuständigkeiten bedacht war.27 Auch in München hatten die Studentenführer und ihre Amtsleiter, wie sie selber spürten, den anfänglichen Kontakt zur studentischen Basis und deren Vertrauen immer mehr verloren. Als Ursachen dafür können zum einen persönliche Unzulänglichkeiten - überbebliebes Auftreten und willkürliche Maßnabmen2S - genannt werden, aber auch sachliche Probleme: auch den Studentenführern konnte es, wie die internen Stimmungsberichte belegen, nicht mehr gelingen, eine plausible Rechtfertigung für die Vielzahl der den Studenten So Gaustudentenbunclsführer Aly am 14. 10. 1935 (UAM Strafakten-S.). UAM Sen 365. Schreiben vom 17. 6. 1935 an den Rektor der Universität. Aly beantragte einen Zuschuß für ein Führernachwuchslager, an dem 80 Studenten teilnehmen sollten. 25 Der Rektor beantragte noch 1935 die Auflösung (UAM Sen 297). Sitzungen haben allerdings stattgefunden, z.B. noch am 27. 11. 1934. Aber nicht einmal die Sprecher, frühere Studentenschaftsleiter und bewährte Funktionäre, wurden, wie Einzelbeispiele zeigen, in wichtigen Angelegenheiten gehört. Eine sichere Beurteilung läßt die Aktenlage nicht zu. 26 Alle Studentenschaftsleiter der Universität waren auch in der SA, z.T. in hervorgehobenen Positionen, tätig, z.B. Gengenbach und Göller als Sturmbannführer. 27 RSF ll 109 a 53. Ein interner Studentenbundsbericht stellt für den Gau MünchenOberbayern im Sommer 1935 eine gute Zusammenarbeit mit SA (Brigade 85 und Gruppe Hochland) und SS (auch Zusammenarbeit mit dem SD wurde vereinbart) und HJ fest In der Verbindung der Reichsamtsleitung des NSDStB mit der Reichsjugendführung wurde aber auch die Gefahr gesehen, daß eine Arbeitsgemeinschaft der HJ auf den Hochschulen entstehen könne, daß eine eigene Hochschul-HJ aufgezogen werde, wenn es nicht gelinge, die Kameraden der HJ in den Betrieb des NSDStB einzubauen. 28 RSF I 03 ph 356. Nach einem Bericht vom Juli 1934 an die Reichsführung der OSt wurde überall Klage über die Führer der örtlichen Studentenschaften und ihre Amtswalter geführt und als Grund genannt: Überheblichkeiten, Ausschreitungen und Willkürakte. 23 24

11. Studentenschaft

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auferlegten Verpflichtungen zu finden. Die Veränderung ihrer Rolle - von aktiv um die Zustimmung der Studentenschaft Werbenden zu Vollstreckern amtlich vorgegebener Maßnahmen - mußte ihre Attraktivität entscheidend schwächen. Die Studentenführer der Universität konnten sich, vor allem als Studentenschaftsleiter, aber mit Einschränkung auch als Hochschulgruppenfiihrer des NSDStB, auf einen umfänglichen Apparat stützen, der allerdings trotz der zur Schau gestellten Dynamik nationalsozialistischer Studentenfunktionäre der immanenten Tendenz zur Verbürokratisierung29 schnell verfiel. So hatten sich die Führer der Münchner Studentenschaften im Gefühl einer sicheren und unangefochtenen Position im Sommer 1934 Autos angeschafft, was zu einer großen Empörung fiihrte. 30 Und auch ein interner Bericht vom Sommer 1935 konnte über die Geschäftsführung der Studentenbundsgruppe an der Universität München unter dem Hochschulgruppenführer Göller "nichts Rühmliches" vermelden und mußte u.a. beanstanden, daß "fast jedes Amt ... besoldet" war, und zwar "mitunter ziemlich hoch".31 Dies läßt u.a. auch darauf schließen, daß trotz manch optimistischer Berichte die Persanalsituation doch recht angespannt war32 und die wenigen aktiven Studentenfunktionäre längere Zeit in den Ämtern gehalten33 und deshalb auch entsprechend entschädigt werden mußten. Weder ihr Ansehen bei der Masse der Studenten, noch ihre Überzeugungskraft wurden dadurch gestärkt. Die lange Amtsdauer bedeutete schließlich eine auch durch Sonderfördermaßnahmen34 ka:um zu mildemde Beeinträchtigung der akademischen und beruflichen Karriere.

29 Die z.T. schwerfällige Bürokratie konnte trotz bzw. gerade wegen des Perfektionierungsstrebens eine lückenlose Überprüfung nicht erreichen (vgl. dazu auch Roegele 146). Bei Studenten, die den Hochschulort wechselten, waren oft die nötigen Personalpapiere - z.B. über den Dienst in der SA - nicht rechtzeitig beizubringen (UAM NN 5a). 30 RSF I 03 ph 356. Nach einem Bericht vom Juli 1934 an die Reichsführung der DSt. Danach waren weder der Sprecher der Bündischen Kammer und Älteste der Studentenschaft, noch auch die Kreisführung konsultiert worden. Die Erlaubnis hatte der damalige Reichsführer der DSt Dr. Stäbe! direkt erteilt. 3! RSF II ph 592. Das Kassenbuch gleiche dem einer Fürsorgeanstalt Mit dem Geld des Studentenbundes werde "in ziemlich verantwortungsloser Art und Weise gehaust". - Im Haushaltsplan der "Studentenschaft" der Univ. München für das SS 1935 waren bei einem Gesamtbetrag von 10.000 Mark 3.000 Mark für Gehälter veranschlagt (UAM Sen 360 c2). 32 Vgl. dazu Derichsweiler 81. 33 In einem Erlaß vom 28. 9. 1935 (DHV II 351) erklärte sich der Reichswissenschaftsminister damit einverstanden, daß noch zwei Semester nach der Exmatrikulation eine Amtsleitertätigkeit in der "Studentenschaft" ausgeübt werden kann. Der Betreffende sollte allerdings dann auch der Strafordnung vom 1. 4. 1935 unterworfen sein. 34 Nach einem Erlaß des REM vom 4. 12. 35 (DHV II 351) sollte "eine Benachteiligung der in der studentischen Arbeit stehenden Studenten" verhindert werden, andererseits aber auch "keine Bevorzugung der studentischen Amtsträger bei Prüfungen oder sonstigen Lei-

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C. Die Universität München in der Zeit des Umbruchs (1933- 1935/36)

b) Aufgaben und Tätigkeitsbereich

Veränderte Aufgabenstellung Sowohl der Gesamtstudentenschaft als auch den nationalsozialistischen Studentenführern wurden im totalen Staat neue Aufgaben gesetzt. Pflichterfüllung im Sinne der neuen Machthaber und Einordnung in die Volksgemeinschaft erhielten Priorität. Nachdem der Staat erobert war und auch die wichtigen Positionen im Hochschulbereich nach und nach mit Nationalsozialisten oder zumindest genehmen Personen besetzt wurden, konnte es für die Studentenführer nicht mehr vorrangig um eine spezifisch studentische Interessenvertretung gegenüber staatlichen Stellen und Hochschulbehörden gehen, sondern um die Mitwirkung bei der restlosen nationalsozialistischen "Durchdringung" der zunächst nur äußerlich eroberten Hochschule.35 Als Hauptaufgabe war den örtlichen Studentenführungen demnach die Gleichschaltung der Studenten, die Schaffung eines neuen Studententyps durch die verschiedenen, meist von oben vorgegebenen Formen der Erziehung gestellt. Ihre Forderungen richteten sich weniger nach oben, sondern in erster Linie nach unten, an die Gesamtstudentenschaft. So wie von dieser vor allem die Erfüllung von Pflichten gegenüber Volk, Staat und Hochschule verlangt war,36 so war es Aufgabe der Studentenführungen, die verschiedenen Dienste zu organisieren und für die Erfüllung der Pflichten zu sorgen.37 Im Sinne einer so verstandenen studentischen Selbstverwaltung ging es primär um die Erfassung und Erziehung der Studenten nach Vorgaben von oben oder, wie es der Führer der OSt Dr. Stäbel forderte, darum, in planmäßiger Arbeit das Selbsterziehungswerk der studentischen Jungmannschaft in Wissenschaftsdienst, Arbeitsdienst und Wehrdienst nach dem Willen des Volkskanzlers aufzubauen. Wenn dies auch den langjährigen Wünschen der nationalsozialistischen Studenten entsprach, so wollten sich dennoch viele Studentenführer mit der Rolle eines vorwiegend ausführenden Organs nicht abfinden und gegenüber staatlichen Stellen ihren Anspruch auf eine eigene

stungsnachweisen stattfinden". Das REM ersuchte, "geeignete Dozenten oder Assistenten mit der besonderen Förderung der Amtsträger durch Erteilung von Unterricht und Abhaltung von Übungen zu beauftragen". 35 So bemerkte zwar Reichsinnenminister Frick zur Verfassung der DSt vorn 7. 2. 1934, mit ihr solle der Rahmen gesichert werden, innerhalb dessen die Studentenschaft in eigener Verantwortung ihre Angelegenheiten selbst verwalten könne, fügte aber hinzu, die Studen· tenschaft trage ihren Zweck nicht in sich selbst, sie stehe im Dienste von Volk und Reich. 36 Vgl. § 3 der KMBek v. 28. 4. 1933 (B.IV.l.). 37 In Stück 4 der Verfassung der DSt vorn 7. 2. 1934 hieß es, die DSt "steht dafür ein, daß die Studenten ihre Pflichten in Hochschule, Volk und Staat erfüllen".

II. Studentenschaft

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Politik bei der "Revolutionierung" der Hochschule nicht aufgeben. Das führte, wie sich auch für München zeigen läßt, immer wieder zu eigenmächtigen, sich z. T. auch gegen die Reichsführung der OSt bzw. des NSDStB richtenden Handlungen, die von staatlichen Behörden nicht gebilligt, aber - dem Dualismus von Partei und Staat entsprechend - von gewissen politischen Stellen mitunter geduldet wurden. Wesentliche Aufgabe der Studentenführung aber blieb - die politische Schulung und Erziehung der Studenten, - die organisatorische und politische Erfassung und Überwachung der Pflichterfüllung und schließlich - eine reduzierte studentische Selbstverwaltung und sehr begrenzte Mitwirkung an der Selbstverwaltung der Hochschule.

Politische Schulung und Erziehung Die organisatorische Vorbereitung und Durchführung der politischen Schulung und Erziehung der Studenten war eine Hauptaufgabe der Studentenführungen, die im rivalisierenden Nebeneinander und Gegeneinander von OSt und NSDStB wahrgenommen wurde, die ihnen aber zugleich auch von anderen Institutionen, wie 1933 und 1934 vor allem von der SA und dem SA-Hocbscbulamt, streitig gemacht wurde. Zu den verschiedenen, z.T. aus der studentischen Arbeit gewachsenen, z.T. von oben, d.h. von staatlichen Stellen oder von der Reichsführung der OSt und des NSDStB vorgegebenen und sich stets verändernden Formen der Schulung und Erziehung gehörten von Anfang an "Wehr- und Arbeitsdienst und Leibesübungen"38, dann - vor allem im Rahmen der Fachschaftsarbeit - der sog. "Wissenscbaftsdienst", die Gemeinschaftserziehung im Kameradschaftsbaus und der spezielle SA-Dienst zur Wehrbaftmachung. Ungeklärte Zuständigkeiten und daraus resultierendes Kompetenzgerangel erschwerten diese erzieherische Arbeit und minderten zwangsläufig ihre Effektivität, auch wenn durch die Verfassung der OSt vom 7. 2. 1934 eine gewisse Abgrenzung der Aufgaben vorgenommen wurde: dem SA-Hochscbulamt wurde die Erziehung zur Wehrhaftigkeit übertragen, dem NSDStB wurde die politische Erziehung anvertraut, wobei die Unmöglichkeit der Eingrenzung des Begriffs des "Politischen" für erneute Streitigkeiten sorgte: schließlich dienten alle Formen und Aufgabengebiete der politischen Erziehung. Der OSt, d.h. damit auch den örtlichen Studentenscbaftsleitern, blieben alle anderen

38 So bereits nach den Studentenrechtsverordnungen der Länder vom April 1933, für Bayern nach der KMBek. v. 28. 4. 1933.

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Gebiete,39 soweit sie nicht als unmittelbar "politisch" galten und vom NSDStB beansprucht wurden, sowie die übergreifende Gesamtorganisation bzw. Koordination. Entsprechend wurden die Ämter der örtlichen Studentenschaften aufbzw. ausgebaut. Die Vielzahl der Aufgabengebiete, die häufig wechselnden Formen der Erziehung, das Fehlen einer abgestimmten Gesamtkonzeption und die Mitsprache verschiedener örtlicher und überörtlicher Stellen überforderten das Organisationsvermögen der Studentenfiihrungen, führten vielfach zu Improvisationen, kurzfristigen und z.T. widersprüchlichen Regelungen und mitunter chaotischen Verhältnissen, unter denen die Gesamtstudentenschaft vor allem in den ersten Jahren des Dritten Reiches zu leiden hatte. Da diese massiven Eingriffe in die wissenschaftliche Arbeit, aber auch in den Privatbereich der Studenten vor allem fiir die Studentengeneration von 1933 - 1935 prägend waren, soll ihrer Darstellung unten größerer Raum gegeben werden. Organisatorische und politische Erfassung

Voraussetzung fiir eine wirksame Eniehung der Studenten war eine möglichst perfekte organisatorische Erfassung und eine dadurch ermöglichte laufende Überwachung und Kontrolle der zu erbringenden außerwissenschaftlichen Leistungen. Die Erfassung begann bei der Einschreibung und hier wiederum bei der Aufnahme in die OSt, die nach dem Gesetz vom 22. 4. 1933 und den darauf aufbauenden Studentenrechtsverordnungen vom Nachweis der "arischen.. Abstammung abhing. Jeder Student hatte bei der Immatrikulation "eine nach bestem Wissen und Gewissen verfaßte ehrenwörtliche Erklärung abzugeben, ob seine Eltern und Großeltern deutschstämmig sind".40 Daraufhin traf der Führer der Studentenschaft die Entscheidung, gegen die Berufung an einen aus dem Rektor, zwei vom Senat zu bestellenden Hochschullebrem und den beiden Ältesten der Studentenschaft bestehenden Ausschuß möglich war. Der Studentenschaftsleiter und dann vor allem der Ausschuß, in den vom Senat der Universität München Professor Vinzenz Schüpfer und Privatdozent Gustav Borger berufen worden

39 Mit Erlaß vom 15. 5. 1935 (hier nach UAM OCN 2d) legte der REM noch einmal als ausschließlich zum Aufgabenbereich der DSt gehörig fest: 1. Fachschaftsarbcit, 2. Arbeitsdienst, 3. Grenzlandarbeit (einschließlich Landdienst), 4. Auslandsarbeit (einschließlich Auslandsdeutschtum), 5. Presse und Film, 6. Studentensport, 7. Studentinnenarbeit 40 KMBek v. 28. 4 . 1933. Ebenso Stück 2 der Satzung der Studentenschaft der Universität München.

II. Studentenschaft

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waren,41 hatte eine relativ große Zahl von Gesuchen zu bearbeiten, weil hinsichtlich der Abstammungsfrage analog den Bestimmungen des Gesetzes vom 25. 4. 1933 gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen zu entscheiden war, dem zwar eine strenge "Nichtarier"-Definition zugrunde lag, das aber Ausnahmen zuließ, wenn ein Elternteil oder zwei Großelternteile "arischer" Abstammung waren oder wenn die Väter reichsdeutscher Studenten "nichtarischer" Abstammung im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder seine Verbündeten gekämpft hatten.42 Die Gesuche kamen meist von Studenten, die nur z.T. von jüdischen Eltern bzw. Großeltern abstammten - der Begriff "Mischling" war damals noch nicht gebräuchlich - und ihre "deutsche" Gesinnung und Herkunft aus national eingestellten Familien hervorhoben. Darunter waren auch Gesuche von jüdischen Studenten, deren Familienmitglieder im Weltkrieg als Kriegsfreiwillige gefallen waren und die unter der Aussonderung und der - u.a. in der Nichtzulassung zum Freiwilligen Arbeitsdienst sichtbaren- Diskriminierung sehr litten. 43 Den Gesuchen wurde wohl in den meisten Fällen - man war für eine individuelle Regelung nach dem "Geist" der Bestimmungen- stattgegeben. "Endgültige einheitliche Bestimmungen"44 gab es zunächst nicht. Nach der Dienstordnung der DSt vom SS 193445 wurde die Prüfung der "arischen" Abstammung von der örtlichen "Studentenschaft" an Hand des urkundlich belegten "Ariernachweises" vorgenommen.46 Mitglieder der DSt erhielten dann von der Hochschulbehörde braune Studentenausweise, für reichsdeutsche ''Nichtarier" wurden dagegen gelbe Ausweise ausgestellt. Im Sommer 1935 erließ das REM modifizierte Aufnahmebestimmungen, die sich an den Aufnahmebestimmungen der NSDAP orientierten und, wenn diesen nicht voll entsprochen wurde, eine Aufnahme als Gast möglich mach-

41 UAM Sen 147/5. Senatssitzung vom 28. 6. 1933. Die "Studentenschaft", die mit Karl Gengenbach und Hugo Schenk, dem Sprecher der Bündischen Kammer, vertreten war, hatte Prof. Pinder und Priv.-Doz. Borger vorgeschlagen. 42 RSF I 06 ph 316. Ausfiihrungsbestimmungen des preuß. Kultusministeriums vom 16. 6. 1933 zum Gesetz vom 25. 4. 1933. Als "nichtarisch" galt bereits, wer von einem Eltern- oder Großelternteil abstammte, der der jüdischen Religion angehörte. 43 UAM Sen 365. Viele gaben vor, keine Beziehung mehr zum Judentum zu haben oder von ihrer jüdischen Abstammung nicht gewußt zu haben, und bekundeten - wohl aus der Situation heraus - ihr Verständnis für die grundsätzliche Berechtigung der "Arierbestimmungen". 44 UAM Sen 366c/5. Rundschreiben AB/1933-34 des Führers der OSt vom 3. 3. 1934. Das bisherige Verfahren der Entscheidung durch den Führer der örtlichen Studentenschaften bzw. den Berufungsausschuß wurde ebenso bestätigt wie die Ausnahmemöglichkeit, die aber bei "Kriegsverdiensten" der Väter nicht für "reinrassische Juden" gelten sollte. 45 Hier nach HStA I MK 40804 und UAM Sen 6-6a. 46 Familienbücher und standesamtliche Geburtsurkunden oder ein beurkundeter Ahnenpaß galten als beweisfähig. Name, Stand, Geburtsdatum und Religion der Eltern und Großeltern mußten "einwandfrei zu ersehen" sein.

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ten,47 bis dann Ende 1936 nach einer Anordnung Hitlers auch jüdische "Mischlinge" 1. und 2. Grades in die DSt aufgenommen wurden.4& Im übrigen mußten die Studenten an der Universität München 1933 bei der Aufnahme noch einen Fragebogen abliefern, in dem u.a. nach der Mitgliedschaft in der Partei und ihren Gliederungen, im Studentenbund und in studentischen Verbindungen gefragt wurde und in dem auch Auskunft über die Teilnahme in einem Arbeits-, Schulungs- oder Geländesportlager sowie über die Mitarbeit in der studentischen SelbstveiWaltung verlangt war. Die "Studentenschaft" legte dann später - 1934 - eine entsprechende dreiteilige, vom Studenten auszufüllende Karteikarte an, die zum einen Teil auch FachschaftsMitgliedskarte war, in die die jeweiligen Aktivitäten eingetragen wurden.49 Ab SS 1935 wurde dann an allen Hochschulen mit nicht unerheblichen Übergangsschwierigkeiten ein einheitliches Karteiwesen eingefiibrt.S0 Die bisher bestehenden Karteien der DSt wurden den HochschulveiWaltungen übergeben und von diesen unter Mitwirkung der "Studentenschaft" geführt, die auch das in München nicht unbestrittene - Recht der Mitbenutzung haben sollte. Die neuen Einheitskarteien waren in verschiedenen Farben angelegt: grün für männliche und rot für weibliche Mitglieder der DSt, gelb für "nichtarische" reichsdeutsche und blau für ausländische Studenten. Die Dienstordnung der DSt für SS 1934 enthielt eine Organisationsanweisung, nach der vor jeder Immatrikulation eine Versammlung der neuen Mitglieder der örtlichen DSt stattfinden mußte, in der der Führer der "Studentenschaft" oder ein Amtsleiter besondere Verfügungen zu erläutern hatte, sowie im Anschluß daran nach Möglichkeit noch eine Fachschaftsbesprechung mit Einweisung in Studium und Fachschaftsarbeit Bei der Immatrikulation waren die Studenten nach Ansprachen des Rektors und des Führers der Studenten47 DWEV 1934/35, 311. Erlaß des REM vom 6. 7. 1935. Bis 1. 10. 1936 sollte der Ahnennachweis bis zu den Großeltern genügen, später sollte in Zweifelsfragen auch der urkundliche Nachweis bis zum Jahr 1800 gefordert werden, was sogar dem Reichsinnenminister zu streng und nicht praktikabel schien (Schreiben v. 17. 10. 1930 an das REM, hier nach UAM Sen 366c 6). Auch die Universität München sah sich wegen der Ungereimtheiten zu einer Anfrage veranlaßt Über die Aufnahme als Gast hatte der Führer der Reichsschaft der Studierenden in einem umständlichen Verfahren nach Genehmigung des REM und der Reichsleitung der NSDAP (Rassenpolitisches Amt) zu entscheiden. 48 Schreiben des REM vom 16. 12. 1936 (UAM NN 5d). 49 UAM Sen 147. 50 UAM Sen 6 und 892. Mit der Einrichtung einer Reichskartei, verbunden mit einer Reichsstammrolle im REM, wurde auch der Grund zu einer fundierten Hochschulstatistik und zu einer zuverlässigen reichseinheitlichen Überwachung der Studenten gelegt. Den einzelnen Hochschulen blieb nach einem Erlaß des REM vom 10. 4. 1936 die Führung des Ahnennachweises (bei Erstimmatrikulation), eines Meldebogens (bei Erst- u. Neuimmatrikulation), die Aufstellung einer Hochschulkartei (getrennt nach Fachschaften) und von Hochschulstammrollen, die Herausgabe eines Hochschulpasses und die Führung von Meldeformularen.

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schaft, der auf Rechte und Pflichten sowie die Verfassung und Dienstordnung der OSt hinzuweisen hatte, vom Rektor durch Handschlag zu verpflichten. Ein wesentliches Druckmittel war die Studienbuchkontrolle. Die Studienbücher sollten nach einer ausdrücklichen Weisung des KM erst entgegengenommen werden, wenn sie einen Vermerk- Stempel der Fachschaften- trugen, wonach die förmlichen Pflichten gegenüber der "Studentenschaft" erfüllt waren. Voraussetzungen für den Kontrollvermerk der "Studentenschaft" und damit für die Immatrikulation waren z.B. im WS 1934/35 an der Universität München der Arbeitsdienstnachweis, der SA-Hochschulamtsnachweis, die Kontrolle der Mitgliedschaft in der OSt (Ahnennachweis) und der Vollständigkeit des Personalaktes, ferner für Studierende des 1. und 2. Semesters die vorhergehende Anmeldung für das Kameradschaftshaus und - für Studenten im 3. Semester und Studentinnen im 1. - 4. Semester - die Ableistung der pflichtmäßigen Leibesübungen. Im SS 1935 kam für die ins 2. Semester eintretenden Studenten der Nachweis der Pflichtuntersuchung hinzu. Mit Recht wurde deshalb von einem Studentenfunktionär im Sommer 1934, ausgehend von den Verhältnissen in München, geklagt, daß ein Student heute "mindestens 7 Ausweise" besitze, daß er von den meisten dieser "ausweisstellenden" Organisationen karteimäßigerfaßt werde mit dem Ziel, "seine Personalien und vor allem sein Verhalten und seine Einstellung irgendwie für spätere Zeit festzulegen".51 Der Erfassung und politischen Beeinflussung während des Semesters dienten neben einer Vielzahl von Appellen, Kundgebungen wie z.B. im Rahmen der Saarpropaganda oder des Arbeitsdienstes der Studenten52 und großangelegten Feierstunden wie den traditionellen Schlageter-Gedenkfeiem53 vor allem Fachschaftsversammlungen und studentische Vollversammlungen, auf denen z.T. prominente Studentenfunktionäre sprachen wie am 24. 1. 1934 der Führer der OSt und Reichsführer des NSDStB, Dr. Stäbel, und am 27. 7. 1934 der Führer der OSt, Andreas Feickert, der vor den Studenten der Universität und der TH über "Die Aufgabe der Deutschen Studentenschaft" referierte.

Reduzierte studentische Selbstverwaltung und begrenzte Mitwirkung an der Selbstverwaltung der Universität Die in den Studentenrechtsverordnungen vom Apri11933 und in der Verfassung der OSt vom 7. 2. 1934 (s. oben B.IV.3.) gewährte "Wahrnehmung der 51 RSF I 03 ph 356. 52 Z.B. 24. l. 1934 um 11.15. Die Vorlesungen fielen von 10.45 • 13.00 aus. 53 Z.B. am 26. 5. 1933 um 11.15 im Lichthof der Universität gemeinsam mit der Studen-

tenschaft der TH.

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studentischen Selbstverwaltung" wurde durch die gleichzeitige Einführung des Führerprinzips, das eben die parlamentarische Selbstverwaltung beseitigte, ad absurdum geführt. Die studentische Selbstverwaltung reduzierte sich im wesentlichen auf die Erledigung der laufenden Arbeiten und besonderen Aktionen nach den Weisungen des Leiters der Studentenschaft, der seinerseits wieder nach dem Führerprinzip und nach dem hierarchischen Aufbau der DSt den Anordnungen des Reichsführers der DSt zu folgen hatte, der, wie der Reichswissenschaftsminister in einem Erlaß vom 23. 7. 1935 noch einmal festlegte, "die Richtung der studentischen Arbeit" bestimmte und "für ihre Durchführung allein verantwortlich" war.5