Die Suche nach Gottesnähe: Untersuchungen zur Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten von der Ersten Zwischenzeit bis zum Ende des Neuen Reiches 3447058900, 9783447058902

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Die Suche nach Gottesnähe: Untersuchungen zur Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten von der Ersten Zwischenzeit bis zum Ende des Neuen Reiches
 3447058900, 9783447058902

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ÄAT 73 Luiselli · Die Suche nach Gottesnähe

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Harrassowitz

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ÄGYPTEN UND ALTES TESTAMENT Band 73

Maria Michela Luiselli

Die Suche nach Gottesnähe Untersuchungen zur Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten von der Ersten Zwischenzeit bis zum Ende des Neuen Reiches

HARRASSOWITZ VERLAG

22.08.11 13:21

Ägypten und Altes Testament Band 73

© 2014, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-05890-2 — ISBN E-Book: 978-3-447-19189-0

ÄGYPTEN UND ALTES TESTAMENT Studien zu Geschichte, Kultur und Religion Ägyptens und des Alten Testaments Herausgegeben von Manfred Görg Band 73

2011 HARRASSOWITZ VERLAG · WIESBADEN

© 2014, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-05890-2 — ISBN E-Book: 978-3-447-19189-0

Maria Michela Luiselli

Die Suche nach Gottesnähe Untersuchungen zur Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten von der Ersten Zwischenzeit bis zum Ende des Neuen Reiches

2011 HARRASSOWITZ VERLAG · WIESBADEN

© 2014, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-05890-2 — ISBN E-Book: 978-3-447-19189-0

Gedruckt mit Unterstützung der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft, Basel und des Max Geldner-Fonds, Universität Basel.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the internet at http://dnb.d-nb.de. Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http://www.harrassowitz-verlag.de

© Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2011 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Memminger MedienCentrum AG, Memmingen Printed in Germany ISSN 0720-9061 ISBN 978-3-447-05890-2 e-ISBN PDF 978-3-447-19189- 0

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A mio figlio Luca Kilian

“I really want to see you Really want to be with you Really want to see you Lord But it takes so long, my lord!” (aus George Harrison, “My Sweet Lord”, All Things Must Pass, 1970)

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Inhalt Abbildungsverzeichnis und –nachweis................................................................................................... XIII Abkürzungen .......................................................................................................................................... XIV Vorwort ................................................................................................................................................. XVII Teil A. Fragestellung und Auswertung 1. Einleitung: Persönliche Frömmigkeit und Gottesnähe im Alten Ägypten 1.1 Forschungsgeschichte ................................................................................................................ 1.2 Religion und Individualität ...................................................................................................... 1.3 Begriffe und Definitionen ......................................................................................................... 1.4 Forschungsansatz und Ziele .......................................................................................................

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2. Die Persönliche Frömmigkeit als Forschungsgegenstand in der Religionswissenschaft und in der Ägyptologie: Methodologische Voraussetzungen 2.1 Religion und Religiosität ........................................................................................................... 2.2 Funktionalistische und substanzielle Religionsauffassungen ..................................................... 2.3 Grundelemente der Religionsphänomenologie .......................................................................... 2.4 Die Wechselbeziehung zwischen Kultur und Religion .............................................................. 2.5 Kultur und Religion in Ägypten: das Konzept der Maat ........................................................... 2.6 Sakral und profan in Ägypten .................................................................................................... 2.7 Die Religionssoziologie .............................................................................................................. 2.8 Die Religionspsychologie ........................................................................................................... 2.9 Hymnus und Gebet: Versuch einer Definition ...........................................................................

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3. Wege und Formen der Suche nach Gottesnähe in Ägypten ............................................................. 3.1 Die persönliche Suche nach Gottesnähe ..................................................................................... 3.1.1 Darstellungen von Abläufen persönlicher Rituale im Bild ............................................. 3.1.2 Rituale von Privatpersonen im Text ................................................................................ 3.1.3 Teilnahme an Festen und Prozessionen .......................................................................... 3.1.4 Persönliche Religionserfahrung und offizielle Religion: die Orte für den persönlichen Kontakt zu Gott ......................................................................................... 3.1.5 Die Mittler persönlicher Gebete ...................................................................................... a) Der König ................................................................................................................... b) Nicht-königliche Mittler .............................................................................................. 3.1.6 Abschliessende Betrachtung ........................................................................................... 3.1.7 Religiöse Erziehung? ...................................................................................................... 4. Soziale Gruppierungen und ihre Religionspraxis 4.1 Wer suchte die Gottesnähe in Ägypten? .................................................................................... 4.1.1 Religionssoziologische Behandlung der Fragestellung ................................................... Exkurs I: Religion im Alltag ............................................................................................ I. Inschriften mit persönlichen Gebeten .......................................................................... a) Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich ..................................................................... b) Zweite Zwischenzeit und Neues Reich ....................................................................... II. Autobiographien ......................................................................................................... a) Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich ..................................................................... b) Zweite Zwischenzeit und Neues Reich ....................................................................... III. Briefe ........................................................................................................................ a) Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich ..................................................................... b) Zweite Zwischenzeit und Neues Reich ....................................................................... IV. Schriftzeugnisse aus dem Siedlungsbereich ............................................................. a) Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich ..................................................................... b) Zweite Zwischenzeit und Neues Reich ....................................................................... 4.1.2 Auswertung ..................................................................................................................... 4.2 Die Suche nach Gottesnähe von Frauen ....................................................................................

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4.2.1 Die Stellung von Frauen in der altägyptischen Gesellschaft des Mittleren und Neuen Reiches: ein Überblick .................................................................................. 4.2.2 Belege für das religiöse Leben von Frauen im Mittleren und im Neuen Reich ........................................................................................................ 4.2.3 Religionspraxis bei Frauen aus der Elite ......................................................................... a) Alphabetisierung von Frauen ...................................................................................... b) Frauen im Götterkult .................................................................................................. 4.2.4 Populäre Religionspraxis bei Frauen .............................................................................. a) Tempelbesuch ............................................................................................................. b) Votiv- und Gebetsstelen ............................................................................................. c) Zeugnisse der persönlichen Religionspraxis von Frauen aus dem Siedlungs- und Alltagsbereich .......................................................................... 4.2.5 Auswertung ..................................................................................................................... 5. Die persönliche Suche nach Gottesnähe: Untersuchung der Schriftzeugnisse ................................... 5.1 Religiöse Textzeugnisse ............................................................................................................. 5.1.1 Die frühen Gebete (Erste Zwischenzeit – 18. Dynastie) ................................................. a) Das Mittlere Reich und die Zweite Zwischenzeit ....................................................... b) Die 18. Dynastie ......................................................................................................... Die Voramarnazeit .......................................................................................................... Die Amarnazeit ............................................................................................................... Die Nachamarnazeit ........................................................................................................ Exkurs II: „Die Finsternis am Tag sehen“ ...................................................................... 5.1.2 Die Gebete der Ramessidenzeit ...................................................................................... 5.2 Kult und Persönliche Frömmigkeit ............................................................................................ 5.3 Textzeugnisse aus dem Alltagsleben ......................................................................................... 5.3.1 Gebete bzw. göttliche Anrufungen aus dem Siedlungskontext ....................................... 5.3.2 Briefe .............................................................................................................................. 5.3.3 Gebete aus dem Schulkontext ......................................................................................... a) P.Bologna 1094, 2.3-7 ................................................................................................ b) P.Anastasi II, 8.5-9.1 .................................................................................................. c) P.Anastasi II, 9.2-10.1 ................................................................................................. d) P.Anastasi II, 10.1-11.2 .............................................................................................. e) P.Anastasi III, 4.12-5.5 ............................................................................................... f) P.Anastasi IV, 4.11-5.5 ............................................................................................... g) P.Anastasi IV, 10.1-5 .................................................................................................. h) P.Anastasi IV, 10.5-8 .................................................................................................. i) P.Anastasi V, 9.2-10.2 ................................................................................................. j) P.Sallier I, 8.2-7 ........................................................................................................... k) O.Kairo 25206 ............................................................................................................ l) O.Gardiner 45 .............................................................................................................. m) O.Petrie 39 ................................................................................................................. Auswertung ..................................................................................................................... 5.3.4 Personennamen ............................................................................................................... 5.4 „Sepulkrale Selbstthematisierung“ und persönliche Religionserfahrung: Die Autobiographien .................................................................................................................. 6. Die persönliche Suche nach Gottesnähe: Schlussbetrachtungen 6.1 Zeugnisse im Kontext: Die intellektuelle und die praktische Suche nach Gottesnähe ............... 6.2 Selbstbezug und Religion: Rahmenbedingungen für die persönliche Suche nach Gottesnähe .......................................................................................... 6.2.1 Die Wahl eines persönlichen (Schutz-)Gottes ................................................................ 6.2.2 Die historische Entwicklung der intellektuellen und der praktischen Suche nach Gottesnähe .............................................................................................................. 6.3 Normierte und spontane Suche nach Gottesnähe .......................................................................

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Teil B. Katalog Erläuterungen zum Katalog ................................................................................................................... 1. Auszüge aus Autobiographien ........................................................................................................... 1.1 Auszüge aus Autobiographien der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches ................. A.9/10.?1: Grabinschrift des Anchtifi .............................................................................. A.10.2: Grabinschrift des Jtj-jbj ...................................................................................... A.1Zw.?3: Stele Metropolitan Museum 25.2.3 ............................................................... A.11.1: Stele BM (96) 159 ............................................................................................. A.11.2: Stele Kairo JE 36346 .......................................................................................... A.11.3: Inschrift Hammamat M 110 ............................................................................... A.11.4: Stele Louvre C.15 .............................................................................................. A.12.1: Grabinschrift des Djefaihapj .............................................................................. A.12.2: Grabinschrift von Sarenput I. ............................................................................. A.12.3: Stele Berlin 1204 ................................................................................................ A.13.1: Stele Metropolitan Museum 35.7.55 .................................................................. 1.2 Auszüge aus Autobiographien der Zweiten Zwischenzeit und des Neuen Reiches ................... A.18.1: Statue des Amenophis ........................................................................................ A.18.2: Grabinschrift des Ineni ....................................................................................... A.18.3: Grabinschrift des Maja ....................................................................................... A.18.4: Grabinschrift des Merire .................................................................................... A.18.5: Grabinschrift des Ramose .................................................................................. A.19.1: Grabinschrift des Samut-Kiki ............................................................................ A.19.2: Grabinschrift des Thotemhab ............................................................................. A.19.3: Statue Kairo CG 42155 ...................................................................................... A.19.4: Statue München Glyptothek W.A.F.38 .............................................................. 2. Auszüge aus Briefen .......................................................................................................................... 2.1 Auszüge aus Briefen des Mittleren Reiches ............................................................................... B.12.1: P.Kahun VI.6 ...................................................................................................... B.12.2: P.Kahun II.2 ....................................................................................................... B.12.3: P.Kahun III.4 ...................................................................................................... 2.2 Auszüge aus Briefen des Neuen Reiches ................................................................................... 2.2.1 Die 18. Dynastie .............................................................................................................. B.18.1: P.Deir el-Bahri 2 ................................................................................................ B.18.2: P.BM 10102 ....................................................................................................... B.18.3: P.Louvre 3230a .................................................................................................. B.18.4: P.Robert Mond 1 ................................................................................................ B.18.5: P.Robert Mond 2 ................................................................................................ 2.2.2 Die 19. und 20. Dynastie ................................................................................................. B.19.1: P.Northumberland I ............................................................................................ B.19.2: P.Leningrad 1117 (St. Petersburg I) ................................................................... B.19.3: P.St. Petersburg 1119 ......................................................................................... B.19.4: O.Berlin 11247 ................................................................................................... B.19.5: P.Berlin 10184 vso. (P.Sallier IV vso.) .............................................................. B.20.1: P.Berlin 10494 .................................................................................................... B.20.2: P.Leiden I 369 .................................................................................................... B.20.3: P.Leiden I 370 .................................................................................................... B.20.4: P.Griffith ............................................................................................................ B.20.5: P.BM 10417 ....................................................................................................... B.20.6: P.BM 10300 ....................................................................................................... B.20.7: P.Turin 1973 ........................................................................................................ B.20.8: P.BM 10284 ....................................................................................................... B.20.9: P.Genf D192 ....................................................................................................... B.20.10: P.Bibliothèque Nationale 196 II ....................................................................... B.20.11: P.Turin 1971 ..................................................................................................... B.20.12: P.Phillipps ........................................................................................................

244 245 245 245 246 246 247 248 249 249 250 251 252 253 254 254 255 256 257 258 259 263 265 266 270 270 270 271 271 272 272 272 273 274 275 276 277 277 278 279 280 281 283 285 286 288 289 291 293 294 296 296 297 299

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B.20.13: P.Nevill ............................................................................................................. B.20.14: P.BM 10326 ..................................................................................................... B.20.15: P.Genf D 407 .................................................................................................... B.20.16: P.Bibliothèque Nationale 197, IV .................................................................... B.20.17: P.Bibliothèque Nationale 199,5-9+196,V+198, IV .......................................... B.20.18: P.Genf D191 ..................................................................................................... B.20.19: P.Turin 1975 ..................................................................................................... B.20.20: P.Bologna 1094, 10.9-11.4 ............................................................................... 3. Auszüge aus Gebeten ........................................................................................................................ 3.1 Auszüge aus Gebeten des Mittleren Reiches ............................................................................ G.12.1: TT 60 .................................................................................................................. G.12.2: Stele Glasgow Hunterian Museum and Art Gallery D1922.13 .......................... G.12.3: Stele Turin 1547 ................................................................................................. G.12/13?.4: Stele Bologna EG 1911 ................................................................................ G.13.5: Stele BM (447) 893 ............................................................................................ 3.2 Auszüge aus Gebeten der 18. Dynastie .................................................................................... G.18.1: TT 11 (Harfnerlied) ............................................................................................ G.18.2: O.Kairo 12202 rto. ............................................................................................. G.18.3: O.Kairo 12202 vso. ............................................................................................ G.18.4: O.Kairo 12212 .................................................................................................... G.18.5: O.Kairo 12225 rto. ............................................................................................. G.18.6: O.Kairo 12217 rto. ............................................................................................. G.18.7: O.Kairo 12189 rto. ............................................................................................. G.18.8: Kapelle Nr. 11 in Gebel el-Silsileh .................................................................... G.18.9: Statue Berlin 2293 .............................................................................................. G.18.10: Reliefplatte Wien 5815 .................................................................................... G.18.11: Statue BM 22557 ............................................................................................. G.18.12: Grab des Ahmose ............................................................................................. G.18.13: Grab des Merire ............................................................................................... G.18.14: Grab des Mahu ................................................................................................. G.18.15: Grab des Pentu ................................................................................................. G.18.16: Stele BM 551 ................................................................................................... G.18.17: Graffito TT 139 ................................................................................................ G.18.18: Holztafel BM 5646 ........................................................................................... G.18.19: Statue Kairo CG 921 ........................................................................................ G.18.20: Stele BM 834 .................................................................................................... G.18.21: Stele Kairo JE 37463 ........................................................................................ G.18.22: Stele Louvre C21 ............................................................................................. G.18.23: Statue BM 1459 ............................................................................................... G.18.24: Stele Turin 50050 ............................................................................................. 3.3 Auszüge aus Gebeten der Ramessidenzeit ............................................................................... G.19.1: Stele Cambridge E.GA.3002.1943 ..................................................................... G.19.2: Statue Berlin 6910 .............................................................................................. G.19.3: Stele Cambridge E.191.1932 .............................................................................. G.19.4: Stele Bankes 8 .................................................................................................... G.19.5: Stele Turin 50058 ............................................................................................... G.19.6: Stele BM 589 ..................................................................................................... G.19.7: Stele BM 1466 ................................................................................................... G.19.8: Stele BM 8497 ................................................................................................... G.19.9: Stele Turin 50044 ............................................................................................... G.19.10: Stele Turin 50045 ............................................................................................. G.19.11: Stele Bankes 6 .................................................................................................. G.19.12: Stele Turin 50051 ............................................................................................. G.19.13: Stele Glasgow (Culture and Sport Glasgow Museums) ................................... G.19.14: Stele Turin 50042 .............................................................................................

X © 2014, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-05890-2 — ISBN E-Book: 978-3-447-19189-0

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G.19.15: Stele Turin 50052 ............................................................................................. G.19.16: Stele Bordeaux 8635 ........................................................................................ G.19.17: Stele Berlin 20377 ............................................................................................ G.19.18: Stele BM 266 ................................................................................................... G.19.19: Stele Chicago 10494 ........................................................................................ G.19.20: Stele BM 276 ................................................................................................... G.19.21: Stele München [Glyptothek] 287 ..................................................................... G.19.22: Stele Michailides .............................................................................................. G.19.23: Hockerstatue des Ray ....................................................................................... G.19.24: Stele Turin 50060 ............................................................................................. G.19.25: Stele Turin 50055 ............................................................................................. G.19.26: Stele Turin 50046 ............................................................................................. G.19.27: Stele Hannover 2937 ........................................................................................ G.19.28: Stele Ashmolean 1894/106 ............................................................................... G.19.29: Stele Kairo CM171 ........................................................................................... G.19/20?.1: Stele Louvre AF 6949 ................................................................................... G.20.1: Stele Hannover 2938 .......................................................................................... G.20.2: Stele BM 278 ..................................................................................................... G.20.3: Stele Berlin 2081 ................................................................................................ G.20.4: Stele von Bay und Amunnacht ............................................................................ 4. Auszüge aus Texten auf Architekturfragmenten ............................................................................... Ar.18.1: Türpfosten aus Aniba ......................................................................................... Ar.18.2: Türpfosten Berlin 20376 .................................................................................... Ar.18.3: Türpfosten ......................................................................................................... Ar.18.4: Türpfosten ......................................................................................................... Ar.18.5: Türsturz ............................................................................................................. Ar.18.6: Türsturz ............................................................................................................. Ar.18.7: Doppelnische des Ramose ................................................................................ Ar.18.8: Grab des Panehsy: Rechter Türsturz ................................................................. Ar.19.1: Türgewände aus dem Sama'na-Kanal ............................................................... Ar.19.2: Türsturz Hannover Kestner Museum 1925.186 ................................................ Ar.20.1: Türsturz und Fragmente des rechten Türpfosten Kairo TR 30/1/35/1a-e (S50/56) ............................................................................................................ Ar.20.2: Türsturz aus dem Amunbezirk von Karnak ...................................................... Ar.19/20?.1: Relief und Graffito auf dem Block C148 aus dem Chnumtempel von Elephantine ..................

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Teil C. Anhang Bibliographie ......................................................................................................................................... 422 Index ................................................................................................................................................. 446 Tafeln ................................................................................................................................................. 467

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Abbildungsverzeichnis und -nachweis Tafel 1:

Tafel 2: Tafel 3: Tafel 4: Tafel 5: Tafel 6: Tafel 7:

Tafel 8: Tafel 9:

Tafel 10: Tafel 11:

Tafel 12: Tafel 13:

Stele Bologna EG 1911 (Stele des Aku), Abydos, 12.–13. Dynastie. Masse: 68 x 40 cm. Copyright Archivio Fotografico del Museo Civico Archeologico di Bologna, tutti i diritti riservati. O.Kairo 12202 rto., Scheich Abd el-Gurna, 18. Dynastie. Copyright the Egyptian Museum Cairo. O.Kairo 12202 vso., Scheich Abd el-Gurna, 18. Dynastie. Copyright the Egyptian Museum Cairo. O.Kairo 12225 rto., Scheich Abd el-Gurna, 18. Dynastie. Copyright the Egyptian Museum Cairo. Statue BM 22557. Stelophor des Amenemheb gen. Mahu, 18. Dynastie. Masse H. 41 cm, L. 15,5 cm, B. 23 cm. © Trustees of The British Museum. Statue BM 1459, Deir el-Bahri, Tempel von Thutsmosis III. (Ach-jsut), 18. Dynastie. Masse: H. 28 cm (max.), L. 19 cm, B. 22 cm. © Trustees of The British Museum. Stele Turin 50058. Stele des Neferabu, Deir el-Medina, Ptah- und Mertseger-Heiligtum, 19. Dynastie. Masse: H. 20, L. 54 cm. Copyright Fondazione Museo Antichità Egizie di Torino – tutti i diritti riservati. Stele BM 1466. Stele des Penbui, Deir el-Medina, 19. Dynastie. Masse: H. 38,5 cm, L. 27 cm. © Trustees of The British Museum. Stele Turin 50044. Stele des Hui, Deir el-Medina, 19. Dynastie. Masse: H. 27,5, L. 20 cm. Copyright Fondazione Museo Antichità Egizie di Torino – tutti i diritti riservati. Stele Glasgow (Culture and Sport Museums). Stele des Penbui, Deir elMedina, 19. Dynastie,. Masse: H. 52 cm, L. 35,5 cm, B. 7,7 cm. © Culture and Sport Glasgow Museums. Stele Berlin 20377, Stele von Nebra und Chay, Theben, 19. Dynastie, Masse: H. (lt. Inv.): 72 cm. Original: Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Staatliche Museen zu Berlin / ÄM 20377 (bpk / Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Staatliche Museen zu Berlin). Stele München [Glyptothek] 287, Qantir (?), 19. Dynastie. Masse: H. 95 cm, B. 62, T. 9,5 cm. Copyright Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München. Statue München WAF 38, Würfelhocker des Bakenchons, Karnak, 19. Dynastie. Masse: H. 138 cm. Copyright Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München.

XIII © 2014, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-05890-2 — ISBN E-Book: 978-3-447-19189-0

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungen richten sich in der Regel nach W. Helck/W. Westendorf (Hrsg.), Lexikon der Ägyptologie, Bd. VII, Wiesbaden 1992, IX-XLI. ÄAT ÄgAbh ÄgFo AH ASAE AV BÄ BAe BdE BES BIFAO BiOr BSEG BSFE CdE CGC DE EU FIFAO GM GOF HÄB HTES

JANER JARCE JEA JNES KÄT

Ägypten und Altes Testament, Wiesbaden. Ägyptologische Abhandlungen, Wiesbaden. Ägyptologische Forschungen, Glückstadt u.a. Aegyptiaca Helvetica, Basel. Annales du Service des Antiquités de l’Égypte, Kairo. Archäologische Veröffentlichungen, Mainz. Beiträge zur Ägyptologie, Wien. Bibliotheca Aegyptiaca, Brüssel (seit 2006: Turnhout) Bibliothèque d'Étude, Kairo. Bulletin of the Egyptological Seminar, New York. Bulletin de l'Institut Français d’Archéologie Orientale du Caire, Kairo. Bibliotheca Orientalis, Leiden. Bulletin de la Société d’Égyptologie de Genève, Genf. Bulletin de la Société Française d’Égyptologie, Paris. Chronique d’Égypte, Brüssel. Catalogue général des antiquités égyptiennes du Musée du Caire, Kairo. Discussion in Egyptology, Oxford. Egyptologische uitgaven, Leiden. Fouilles de l’Institut Français d’Archéologie Orientale du Caire, Kairo. Göttinger Miszellen, Göttingen. Göttinger Orientforschung, Wiesbaden. Hildesheimer Ägyptologische Beiträge, Hildesheim. Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae in the British Museum, London. HTES 1: HALL, H.R., Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae in the British Museum, Bd. 1, London 1911. HTES 4: HALL, H.R., Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae in the British Museum, Bd. 4, London 1913. HTES 7: HALL, H.R., Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae in the British Museum, Bd. 7, London 1925. HTES 8: EDWARDS, J.E.S., Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae in the British Museum, Bd. 8, London. HTES 9: JAMES, T.G.H., Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae in the British Museum, Bd. 9, London 1970. HTES 10: BIERBRIER, M.L., Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae in the British Museum, Bd. 10, London 1982. The Journal of Near Eastern Religions, Leiden (seit 2002 auch Köln). The Journal of the American Research Centre in Egypt, New York. The Journal of Egyptian Archaeology, London. The Journal of Near Eastern Studies, Chicago. Kleine Ägyptische Texte, Wiesbaden.

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KRI MÄS MDAIK OBO OLA Or PÄ Urk. RdE RecTrav SAGA SAK SAOC TUAT YES ZÄS

Kitchen, K.A., Ramesside Inscriptions, 8 Bde., Oxford, 1975-1990. Münchener Ägyptologische Studien, München. Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo Kairo. Orbis Biblicus et Orientalis, Fribourg-Göttingen. Orientalia Lovaniensia Analecta, Leuven. Orientalia, Rom. Probleme der Ägyptologie, Leiden. Band IV: SETHE, K., Urkunden der 18. Dynastie, Leipzig 1906. Band VII: SETHE, K., Historisch-biographische Urkunden des Mittleren Reiches, Leipzig 1935. Revue d’Égyptologie , Paris. Recueil des travaux publiés par la Faculté de Lettres et Sciences Humaines, Neuchâtel. Studien zur Archäologie und Geschichte Ägyptens, Heidelberg. Studien zur altägyptischen Kultur, Hamburg. Studies in Ancient Oriental Civilizations, Chicago. Kaiser, O. (Hrsg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Gütersloh. (ab Neue Folge, Bd. 1, 2004): Janowski, B./Wilhelm, G. (Hrsg.). Yale Egyptological Studies, New Haven. Zeitschrift der ägyptischen Sprache und Altertumskunde, Leipzig.

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Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Überarbeitung meiner im August 2006 an der Universität Basel (Schweiz) unter der Leitung von Prof. Dr. Antonio Loprieno abgeschlossenen Doktorarbeit. Die altägyptische Kultur ist eine von Religion durchwirkte Kultur. Ägyptologen haben immer wieder betont, dass die ägyptische Gesellschaft von religiösen Vorstellungen erfasst war und mussten sich gleichzeitig der Frage stellen, ob Religion nicht eine der Elite vorbehaltene Lebensform darstellt. Die insbesondere seit den 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchgeführten Siedlungsgrabungen scheinen diesen skeptischen Ansatz zu bestätigen: Auffallend geringe Spuren persönlicher Religiosität kamen in den profanen Lebensbereichen zutage und geben der Frage Raum, wie Religion in nicht-elitären Gesellschaftsschichten praktiziert und nachweisbar ist. Die vorliegende Studie möchte zur Beantwortung dieser Frage einen Beitrag leisten und untersuchen, wie und in welchem Umfang persönlich gesuchte Gottesnähe gesellschaftlich relevant und verortet war, wer sie ausübte und wo sich dazu der notwendige heilige Raum erschloss. Der Ansatz der Arbeit ist ein kulturwissenschaftlich-soziologischer Zugang, der die handelnde Person und nicht den Handlungsempfänger in den Vordergrund einer Religionsausübung stellt. Zahlreiche Personen und Institutionen haben mich bei der Durchführung dieses Projektes begleitet und tatkräftig unterstützt. Hier ist an erster Stelle mein Doktorvater Prof. Dr. Antonio Loprieno zu nennen, der meiner Arbeit stets mit Offenheit begegnete und durch zahlreiche Gespräche bereichert hat. Prof. Dr. Thomas Schneider, Vancouver, der meine Arbeit auch aus der Ferne mit Interesse verfolgte, hatte sich bereit erklärt, die Rolle des zweiten Gutachters zu übernehmen. Von seinem weiten ägyptologischen Horizont habe ich sehr profitieren können. Dr. Deborah Sweeney, Tel Aviv, war meine dritte Gutachterin und hat durch zahlreiche sachliche Hinweise, auch auf unveröffentlichtes Material, meinen Forschungsansatz zu erweitern geholfen. Ihnen drei gilt mein herzlichster Dank! Darüber hinaus haben mir viele Freunde am Basler Ägyptologischen Seminar durch ihren kompetenten Rat und ihre fachliche wie menschliche Anteilnahme ein wissenschaftliches Umfeld erleben lassen, das ich als Nährboden meiner Arbeit verstand: mein grosser Dank geht diesbezüglich an Prof. Dr. Susanne Bickel, Dr. Martin Bommas (jetzt Birmingham), Dr. Carsten Knigge Salis und Dr. Barbara Lüscher. Während der Überarbeitung meiner Doktorarbeit in das vorliegende Buch haben mir zahlreiche Freunde und Kollegen ermutigt und mit vielen wichtigen Anmerkungen, Gesprächen und Hinweisen ihr ehrliches Interesse gezeigt. Zudem haben sie mich mit der Bereitstellung von noch unveröffentlichten Studien und mit der Vermittlung zu Museen grosszügig unterstützt. Aus diesen Gründen möchte ich gerne an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, Ihnen meine Dankbarkeit auszudrücken und sie namentlich (in alphabetischer Reihenfolge) zu erwähnen. Mein Dank geht an Dr. Burkhard Backes (Tübingen), Prof. Dr. John Baines (Oxford), Prof. Dr. Susanne Bickel (Basel), Prof. Dr. Elke Blumenthal (Leipzig), Dr. Martin Bommas (Birmingham), Dr. Franco D’Agostino (Rom), Terence DuQuesne (London), lic. phil. Barbara Hufft (Basel), Susanne Martinssen-von Falck M.A. (Hamburg), Dr. Martin von Falck (Hamburg), Dr. Elizabeth Frood (Oxford), Dr. Carla Gallorini (Birmingham), Stephanie Gripentrog M.A. (Basel), Dr.

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Carsten Knigge Salis (Basel), Prof. Dr. Bernd Janowski (Tübingen), PD Dr. Hanna Jenni (Basel), Dr. Rita Lucarelli (Bonn), Dr. Barbara Lüscher (Basel), Dr. Dr. Maya Müller (Basel), Dr. Barbara Russo (Turin), Abd el-Rahman Abd el-Samie M. Phil.A (Kairo), PD Dr. Alexandra Verbovsek (München), Lara Weiss M.A. (Leiden/Göttingen). Wichtige Ratschläge und praktische Hilfe mit Computer und Software verdanke ich Guido Mondaini Baroncelli (Rom) und Dr. Paolo Vaciago (Rom). Graham Norrie (Birmingham) hat trotz seiner immensen Arbeitsbelastung gerne und freundlich die Arbeit auf sich genommen, die Bilder für die in diesem Band vorkommenden Tafeln publikationsreif zu bearbeiten. Ihm gilt mein herzlicher Dank! Dr. Susanne Martinssen-von Falck (Hamburg) und Rachel Fey M.A. (München) haben sich bereit erklärt, das Deutsche dieser Studie durchzusehen. Sie haben ihre Arbeit mit grosser Aufmerksamkeit und Akribie geleistet und dabei auch den Inhalt mit vielen Hinweisen bereichert. Dafür möchte ich ihnen von Herzen danken! Selbstverständlich gehen alle verbliebenen Fehler ganz zu meinen Lasten. Gerne möchte ich in meinen Dank auch Denise Bobb Black (Birmingham) und Prof. Giovanni Garbini (Rom) einschliessen. Denise verdanke ich die grosse Hilfsbereitschaft, mir insbesondere in den letzten Wochen vor der Einreichung des Manuskripts mit der Betreuung meines kleinen Sohnes aus zu helfen. Prof. Garbini danke ich dafür, mir die Augen dafür geöffnet zu haben, hinter scheinbar Altbekanntem, Neues zu entdecken. Desweiteren bedanke ich mich bei den postgraduate Studenten Institute of Archaeology and Antiquity (University of Birmingham) des Wintersemesters 2009-2010 für ihre vielen hilfreichen Anregungen und ihr Interesse im Rahmen meines Kurses über „Personal Religion in Ancient Egypt“. Die Bereitstellung von Bildern mit den entsprechenden Publikationsrechten verdanke ich verschiedenen Museen, die hier (in alphabetischer Reihenfolge) erwähnt seien: das Ägyptische Museum und Papyrus Sammlung Berlin (Bildarchiv), The British Museum, The Culture & Sport Glasgow Museums (Photolibrary: Jane Whannel), The Egyptian Museum Cairo (Dr. Zahi Hawass und Dr. Wafaa el-Seddik), Il Museo Egizio di Torino (archivio fotografico), Il Museo Civico Archeologico di Bologna (Dr. Daniela Picchi) und das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst München (Dr. Sylvia Schoske). Ferner konnte diese Arbeit dank der wissenschaftlichen Unterstützung des Ägyptologischen Seminars der Universität Basel (Schweiz) und des Institute of Archaeology and Antiquity an der University of Birmingham (Gross Britannien) zu Stande kommen. Für die Bereitstellung der unveröffentlichten Qualifikationsarbeit von Frau Charlotte Straube M.A. gilt mein Dank Frau Straube selbst sowie dem Institut für Ägyptologie und Koptologie der Universität München (Deutschland). Für die Möglichkeit, Einsicht in J. Černýs „Notebook“ hinsichtlich eines noch unveröffentlichten Briefes zu erlangen geht mein Dank dem Griffith Institute (Oxford) in der Person von Dr. Jaromir Málek. Ohne eine solide finanzielle Unterstützung wäre es mir kaum gelungen, die Publikation dieses Buches erfolgreich abzuschliessen. Mein herzlicher Dank geht an die Freiwillige Akademische Gesellschaft (Basel) für die Übernahme eines erheblichen Teiles der Druckkostenzuschüsse. Einen weiteren Beitrag für die Druckkosten verdanke ich der Max Geldner-Stiftung (Basel). Prof. Dr. Manfred Görg möchte ich für die Aufnahme meiner Studie in die Reihe Ägypten und Altes Testament sowie für die Geduld und das Verständnis für die Verzögerung meiner Abgabe von Herzen danken! An den Harrassowitz Verlag, insbesondere

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Vorwort in der Person von Herrn Reinhard Friedrich geht schliesslich mein Dank für die reibungslose Zusammenarbeit, Geduld und grosse Effizienz. Meine letzten Dankesworte gelten meiner Familie. Meinen Eltern verdanke ich eine stete Unterstützung, den Impuls, ins Ausland zu gehen, um mich dort weiter zu qualifizieren und den Mut, meinen Vorstellungen und Träumen immer zu folgen. Dies alles war mir in vielen schwierigen Momenten eine unbeschreibliche Hilfe. Ohne meinen Mann Martin und seinen menschlichen wie wissenschaftlichen Rat, seine Unterstützung und Aufmunterung hätte diese Arbeit niemals entstehen können. Die Tiefe meiner Dankbarkeit dafür kann kaum in Worte gefasst werden. Ich widme dieses Buch meinem kleinen Sohn Luca, der täglich den Sonnenschein in mein Leben bringt. Maria Michela Luiselli Birmingham, im Mai 2011

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Teil A Fragestellung und Auswertung

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Einleitung: Persönliche Frömmigkeit und Gottesnähe im alten Ägypten

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Forschungsgeschichte

Im Jahre 1911 glaubte Adolf ERMAN (1911: 1086), in den ramessidischen Privatstelen aus Deir el-Medina den Ausdruck einer neuen religiösen Haltung erkannt zu haben, die durch die persönliche und unmittelbare Hinwendung eines Individuums zu einer Gottheit charakterisiert war und die er als „persönliche Frömmigkeit“ bezeichnete. Ein Jahr später übernahm James Henry BREASTED ERMANs Begriff 1 und definierte die Ramessidenzeit als Erster im Sinne dieser religiösen Haltung als “the age of personal piety” (BREASTED 1912: 349). In die Untersuchung der altägyptischen Religion wurde somit ein neuer Begriff eingeführt, der ausschliesslich auf Textquellen basierte und der sich somit vor dem Hintergrund der archäologischen Beleglage sowie theoretischer religionswissenschaftlicher Ansätze als problematisch erweisen sollte. Die Schwierigkeiten, die sich aus der Übernahme dieser Terminologie ergaben, betreffen verschiedene Bereiche: Zum einen wird eine sehr persönliche – ja sogar hochgradig individuelle – Haltung des Einzelnen gegenüber der altägyptischen Religion postuliert, die auf einem direkten Verhältnis zwischen Gott und Mensch basierte (OTTO 1964; ASSMANN 1996a: 259; DERS. 1997: 17–43, BRUNNER 1982, QUIRKE 1992: 135–138, BICKEL 2002). Zum anderen erachtete man diese religiöse Haltung als eine Innovation der Ramessidenzeit. Darüber hinaus spielte die hohe Anzahl an Belegen aus Deir el-Medina eine entscheidende Rolle, da man ihrer Aussagekraft eine Gültigkeit für ganz Ägypten beimass. 2 Schliesslich wurde die Persönliche Frömmigkeit als Konsequenz daraus, dass die Stelen, die als Belege herangezogen wurden, aus der Arbeitersiedlung von Deir el-Medina stammen, einer niedrigeren Gesellschaftsschicht zugeschrieben (GUNN 1916). Dadurch bereicherte sich die Forschung um einen soziologisch orientierten Schwerpunkt, der vor allem, aber nicht ausschliesslich, in der britischen Ägyptologie einen besonderen Platz einnimmt (BAINES 1987, SADEK 1987, KEMP 1995, STEVENS 2003, DIES. 2006, DUQUESNE 2005, EXELL 2009). 3 Diese aus dem anglo-amerikanischen Bereich der „cultural studies“ entwickelte Perspektive, die konsequent die Wechselbeziehung zwischen „high“ und „low culture“ untersucht, 4 beleuchtete zum einen altägyptische Zeugnisse persönlicher Religionspraxis vor dem Hintergrund soziologischer und anthropologischer Theorien (insbes. BAINES 1987, KEMP 1995, STEVENS 2003, DIES. 2006). Dies führte zu einer

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Enka Elvira MORGAN (2004: 67) spricht diesbezüglich vom „Verdienst“ Adolf Ermans. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass dieser Begriff durch den Austausch beider Forscher zu diesem Thema zustande kam. Diese Problematik wird teilweise auch in modernen Arbeiten nicht berücksichtigt (MORGAN 2004 und teilweise auch in EXELL 2009). Vgl. dazu das 3. Kapitel der vorliegenden Arbeit. Generell zur Forschungsgeschichte des hier behandelten Themas s. MORGAN 2006, BAINES / FROOD 2008: 1–7 sowie LUISELLI 2008. Vgl. dazu LUISELLI 2011a.

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wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Frage nach der sozialen Schicht 5, der die einzelnen Zeugnisse zuzuschreiben sind, sowie zu Fragestellungen, die beispielsweise Gender-Aspekte betreffen (PINCH 1983, ROBINS 1990, DIES. 1993, TEETER 1993, SWEENEY 1994, ONSTINE 2001, DUQUESNE 2005, WARAKSA 2009), die über die Betrachtung der sozialen Schichtung und der präziseren Differenzierung religiöser Ausdrucksformen hinaus einen weiteren Aspekt hinzufügen. Zum anderen räumen neuere Studien kulturwissenschaftlichen Themen wie agency, Status und Identität einen besonderen Platz ein (FROOD 2008, EXELL 2009). Zuletzt wird das Verhältnis zwischen den untersuchten Zeugnissen, bei denen es sich selbst in neueren Studien vor allem um die Votivstelen aus Deir el-Medina handelt (MORGAN 2004, EXELL 2009), und dem politisch-historischen Hintergrund thematisiert. Diesem Ansatz zufolge wären solche Stelen weniger der Spiegel eines religiösen Phänomens als der politischen Situation des Landes (EXELL 2009: 8–11, 133–134). Der Versuch, die altägyptische Persönliche Frömmigkeit in einer systematischen Gesamtübersicht darzustellen, ist in erster Linie Hellmut BRUNNER (1977a) und Jan ASSMANN (1984: 258 – 282, DERS. 1996a: 259, DERS. 1997: 18) zu verdanken, wobei insbesondere Hellmut BRUNNERs Idee, die Persönliche Frömmigkeit sei eine Reaktion auf die Amarnazeit gewesen, eine wichtige Rolle zukommt.6 So definiert Jan ASSMANN die Persönliche Frömmigkeit im Sinne eines bipolaren Verhältnisses zum offiziellen Kultgeschehen, weshalb sich die gesamtägyptische Staatsreligion von den lokalen Religionsformen, die priesterliche Tempelreligion von der häuslichen bzw. individuellen Religion, die komplexe Hochtheologie von der einfachen Volksreligion und schliesslich die traditionellen Formen der Religiosität von den innovativen abgrenzen lassen. Jan ASSMANNs Darstellung basiert hauptsächlich auf der Deutung der ramessidischen Votivstelen und Schülerhandschriften als Ausdrucksformen eines Phänomens, das er als eine zusätzliche Dimension der Gottesnähe 7 definiert (ASSMANN 1984: 16–18, 260– 267) und das nach traditioneller Auffassung zum ersten Mal einen Einblick in die religiöse Denkstruktur des Einzelnen in Ägypten ermöglicht (ČERNÝ 1952: 68; BRUNNER 1963: 104f., DAUMAS 1980). Die Entdeckung einer ursprünglich aus Scheich Abd el-Gurna stammenden Gruppe von Ostraka (heute im Kairener Museum), die deren „Entdecker“ Georges POSENER (1975) paläographisch in die Regierungszeit Amenophis’ II. datierte, erwies sich als zentral für die Forschungsgeschichte der Persönlichen Frömmigkeit. Die Ostraka weisen auf die Teilnahme der Verfasser an einem Prozessionsfest hin und belegen eine direkte Anrede an Amun mit dem möglichen Zweck, persönliche Anliegen vorzubringen. Dies führte sowohl Georges POSENER als auch Jan ASSMANN dazu, dem Ursprung der 5

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Die anglo-amerikanische Ägyptologie spricht diesbezüglich von „social class“, ein Begriff der ausserhalb von Grossbritannien und Amerika weniger geläufig ist. So sind beispielsweise nach Geraldine PINCH (1993: 344) die Votivgaben an Hathor einer „middle class“ zuzuschreiben. Diese Ansicht, die anhand von neuen insbes. archäologischen Untersuchungen überzeugend und grundlegend revidiert worden ist (STEVENS 2003, DIES. 2006, DIES. 2009), findet in der Forschung teilweise noch Konsens. Dies ist der Fall z. B. bei der stark auf JAN ASSMANNs Ausführungen basierenden neuen Studie Hartwig ALTENMÜLLERs (2009: 44), in welcher die in Tell el-Amarna durchgeführten siedlungsarchäologischen Untersuchungen von Anna STEVENS nicht erwähnt und somit nicht in Betracht gezogen werden. S. hier bei 1.3.

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Persönlichen Frömmigkeit eine kultisch-zeremonielle Verortung im „Schönen Fest vom Wüstental“ zuzuschreiben (ASSMANN 1991b: 105–122, DERS. 1996a: 260–264, DERS. 1997: 21–25). Dies ist eine Rekonstruktion, die sich in der Forschung grundsätzlich durchgesetzt hat (ALTENMÜLLER 2009: 35-37). Erste Zweifel daran sind in der gemeinsamen Studie von John BAINES und Elizabeth FROOD (2008: 5–6) formuliert. Die beiden Autoren betonen hierbei insbesondere die offensichtliche Ähnlichkeit mit Texten der spätramessidischen sog. Schülerhandschriften 8 und hebenden Unterschied zu den Texten privater Votivstelen hervor. Dies führt BAINES und FROOD dazu, die Ostraka als Übungen fortgeschrittener Schüler parallel zu anderen literarischen Texten aus der 18. Dynastie zu betrachten und nicht als Vorlagen für die Orakelbefragung. 9 Abgesehen von der Fragestellung nach dem Kontext, in dem diese Ostraka Verwendung fanden, konnte anhand ihrer Datierung die Persönliche Frömmigkeit bereits in einer Epoche vor der Ramessidenzeit nachgewiesen werden. Damit konnte die anfänglich angenommene Entstehungszeit erstmals in Frage gestellt werden. In der Folge wurden ägyptische Schriftzeugnisse aus älteren Zeiten im Hinblick auf mögliche frühe Formen Persönlicher Frömmigkeit untersucht. 10 So konnte Jan ASSMANN (1979) durch eine vergleichende Studie der Phraseologie der Gebete und deren Vorläufer in der Literatur sowie in den Autobiographien des Mittleren Reiches den Beweis erbringen, dass die Konzepte und Ausdrucksformen persönlicher Frömmigkeitsausübung im Neuen Reich die Tradition der Weisheitsliteratur des Mittleren Reiches weiterführten. 11 Diesem Muster folgend, stellten Jan ASSMANN (1996a: 264–267, DERS. 1997: 25–29) und Antonio LOPRIENO (1996b) das Entstehen eines individuellen Bezugs zum Göttlichen aufgrund einer Verschiebung des Loyalitätsverhaltens des Individuums tendenziell weg vom König hin zur Gottheit, die nun zu einem Patron des Menschen wird, fest. 12 Diesen Untersuchungen zufolge definierte sich die (persönliche) Frömmigkeit als Loyalität gegenüber einer göttlichen Instanz in Analogie zur Loyalität zum König im Mittleren Reich, wobei Anklänge einer direkten Gott-Mensch-Beziehung durchaus schon vorhanden waren. Die erste gezielte Auseinandersetzung mit den Elementen der Persönlichen Frömmigkeit in der sog. „schönen Literatur“ und in den Autobiographien der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches ist jedoch Elke BLUMENTHAL (1998) zu verdanken. Dass Gottesnähe schon vor dem Neuen Reich persönlich erfahrbar war, wenn sie auch kulturell anders eingestuft und somit anders als von den ramessidischen Zeugnissen reflektiert zum Ausdruck gebracht wurde, ist insbesondere den Studien von John BAINES zu entnehmen (1987, DERS. 1991). Ausgehend von anthropologischen sowie sozio-kulturellen Erkenntnissen, die das Phänomen der Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten als eine rein elitäre Erscheinung definierten, zielte BAINES’ Untersuchung darauf ab, Formen persönlicher Hinwendung zu einer wie auch immer gearteten übergeordneten Instanz bereits vor dem Neuen Reich zu erkennen. Vor diesem Hintergrund 8 9

10 11 12

Zu diesem Punkt s. auch Kapitel 3.1.3. Dieser neue Interpretationsvorschlag ist bislang noch nicht aufgenommen und weitergeführt worden. S. dazu die Untersuchung in Kap. 3.1.3 und 5.1.1 b) der vorliegenden Arbeit, wo weitere Argumente für diese Deutung erbracht werden. Eine erste philologische Studie der Gebetstexte, die durch die sog. Schülerhandschriften überliefert sind, ist Gerhard FECHT (1965) zu verdanken. S. dazu Kapitel 5.3.3. Vgl. LUISELLI 2007b. S. dazu auch OCKINGA 1983.

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konnte er die Bedeutung der archäologischen Funde für diese Untersuchung hervorheben und dadurch eine innovative Erkenntnis erlangen: Belege persönlicher Religionspraxis waren vor dem Neuen Reich unter Berücksichtigung der Richtlinien des ägyptischen kulturimmanenten Dekorums (BAINES 1990a) erkennbar. Es muss also nicht nach der tatsächlichen Existenz einer Erfahrung von Gottesnähe vor dem Neuen Reich gefragt werden, sondern nach der Art ihrer Zurschaustellung. Mit anderen Worten, BAINES stellte nicht in Frage, ob Formen persönlicher Religiosität bereits vor dem Neuen Reich vorhanden waren, sondern vielmehr, wodurch sie zum Ausdruck gebracht wurden (BAINES 1987). Die hohe Anzahl an Zeugnissen der Persönlichen Frömmigkeit aus dem Neuen Reich ist somit vor dem Hintergrund eines Bruchs im kulturellen Dekorum zu verstehen, das dem Einzelnen neue Ausdruckformen für die eigene Individualität und Suche nach Gottesnähe ermöglichte. Dies definierte er als Religionspraxis (practical religion), um die christliche Konnotation des Terminus Persönliche Frömmigkeit zu vermeiden. Diesem Weg folgend beschäftigten sich diverse Forscher mit dem chronologischen Aspekt der Persönlichen Frömmigkeit (BACKES 2001, BICKEL 2003a, BLUMENTHAL 1998, KEMP 1995, KESSLER 1998, LUISELLI 2007b, BAINES/FROOD 2008, BAINES 2009). Hierbei wurden sowohl neue Zeugnisse vorgestellt (BACKES 2001), als auch Neuinterpretationen von bekannten Texten vorgeschlagen (KESSLER 1998) und andere Quellen zu Rate gezogen mit dem Ziel, die Bedeutung der Persönlichen Frömmigkeit für die Kultur Ägyptens zu erfassen (MORENZ 1994, BLUMENTHAL 1998, LUISELLI 2005a, DIES. 2007b). Insbesondere bei der Vorstellung und Deutung neuer Quellen sind Opfertafeln aus dem Komplex der Pyramide von Pepi I. in Sakkara zu erwähnen, 13 die an das Ende des Alten Reiches und den Anfang der Ersten Zwischenzeit datieren und die in der Erforschung der Persönlichen Frömmigkeit meistens nicht in Betracht gezogen werden. Es handelt sich dabei um eine sehr hohe Anzahl an Opfertafeln, die möglicherweise mit persönlicher nicht-königlicher Religionspraxis in Verbindung zu setzen ist (LECLANT 1993, DOBREV/LECLANT 1998, MALEK 2000, BERGER-EL-NAGGAR 2005). In der Forschung besteht allgemeiner Konsens darüber, dass im Neuen Reich etwas weiter entwickelt und geführt wurde, das schon in älteren Zeiten vorhanden war. Nach Barry KEMP (1995: 29ff.) hingegen waren Formen nicht-staatlicher Religionspraxis vor dem Neuen Reich nur sehr selten. KEMPs (1995) Studie basierte auf archäologischen Befunden aus Siedlungen. Er konnte feststellen, dass die Zeugnisse, die auf die Erfahrung von Gottesnähe hinweisen, einzig und allein in Arbeitersiedlungen (Deir el-Medina, Tell elAmarna, Kahun) und in der Nähe von Heiligtümern auftreten. Daraus schlussfolgerte er, dass religiöse Zeugnisse aus der Masse des breiten Volkes das Produkt eines von den offiziellen Institutionen erzwungenen Systems waren (KEMP 1995: 29–32). 14 Darüber hinaus wurden weitere primär auf archäologischen Funden basierenden Untersuchungen zur Fassbarkeit von Gottesnähe angestellt. Darunter sind vor allem die Arbeiten von Geraldine PINCH (1983, 1993), Salima IKRAM (1989), Ann BOMANN (1991), Ashraf Iskander SADEK (1987), John BAINES (1991), Anna STEVENS (2003, 2006, 2009), Lara WEISS (2009) und Elizabeth WARAKSA (2009) zu erwähnen. Durch die Anwendung der Methodik der sog. „archaeology of religion“ trug vor allem Anna STEVENS (2006: 17–23) erheblich dazu bei, der Religionspraxis im häuslichen Bereich – wenn auch auf Tell el13 14

Ich verdanke diesen Hinweis einer freundlichen Mitteilung von Barbara Russo (Turin). S. dazu Kapitel 4.1 und 4.1.1.

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Amarna bezogen – eine bislang in der Forschung noch nicht erkannte Gewichtung zu geben. Diese archäologisch orientierte Forschung widmet sich darüber hinaus auch der Verortung von Loci für die Ausübung persönlicher Religionspraktiken. So wurden Staatstempel (NIMS 1954, DERS. 1971, STRAUBE 1989, PINCH 1993, GUGLIELMI 1994, CABROL 2001, JACQUET-GORDON 2003), nicht offizielle Heiligtümer und zu Heiligtümern umfunktionierte Gräber (DUQUESNE 2009a: 15–24), auch private Kultkapellen (BOMANN 1991), mobile und immobile Kulteinrichtungen im Haus (STEVENS 2003, DIES. 2006) sowie die Erwähnung von Gebetsorten in Briefen und sonstigen Textquellen (NIMS 1955) zur Rekonstruktion einer religiösen Landschaft für die persönliche Religionspraxis herangezogen. 15 Über diesen archäologischen Schwerpunkt hinaus wurde in der Forschung auch Textzeugen Aufmerksamkeit geschenkt, die nur indirekt mit der Persönlichen Frömmigkeit verbunden sind. So wurden einerseits Briefe auf Hinweise persönlicher Religionspraxis analysiert (SWEENEY 1985, BAINES 2001, BICKEL 2003a), 16 andererseits wurde bei der Untersuchung des altägyptischen Traumbuches (P.Chester Beatty III rto.) dem Verhältnis zwischen der göttlichen und der menschlichen Dimension anhand der im Text enthaltenen Aussagen, ein besonderer Platz eingeräumt (SZPAKOWSKA 2003: 123ff.). Zu diesen Untersuchungen zählen neben der Analyse von Graffiti (SADEK 1984a, DERS. 1984b) auch die Erwähnungen und Beschreibungen von Festen, die im privaten Bereich in Verbindung mit der persönlichen Religionspraxis gefeiert wurden (SADEK 1989, SPALINGER 1996). Weiterhin werden primär die Votivstelen aus Theben generell und insbesondere aus Deir el-Medina als Quellen für die Rekonstruktion verschiedener Aspekte der Persönlichen Frömmigkeit herangezogen und sind daher das Objekt zahlreicher Studien zu diesem Thema (GUGLIELMI 1991a, GUGLIELMI/DITTMAR 1992, MORGAN 2004, ADROM 2005, LUISELLI 2007c, EXELL 2009 17). Dennoch ist die Bedeutung von Stelen aus anderen ägyptischen Orten wie Piramesse (HABACHI 1952), Memphis (DEVAUCHELLE 1994), Giza (HASSAN 1953), 18 Assiut (BRUNNER 1958) – um nur eine Auswahl zu nennen – längst bekannt, sodass heute gerade solche Stelen immer mehr an Bedeutung gewinnen. (DUQUESNE 2000–2009b, EXELL 2009: 99–130). Darunter sind insbesondere die von Terence DUQUESNE ausführlich untersuchten sog. Salakhana-Stelen aus dem Grab Djefaihapis III. in Assiut zu erwähnen, 19 die den Korpus der Stelen aus Deir el-Medina hervorragend ergänzen, obwohl sie in der Forschung zur Persönlichen Frömmigkeit bisher wenig Beachtung fanden. 20 Votivstelen setzen sich aus einem Darstellungs- und einem Textteil zusammen, die gleichermassen zur Funktion der Stele beitragen, 21 und nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen. Dennoch wurden Stelen bisher im Zu15 16 17 18 19 20

21

Dazu gehört auch die Verehrung von Götterbildern (WILDUNG 1977) sowie die Darstellung solcher Verehrungen im Bild (BETRÒ 2008). S. dazu Kapitel 5.3.2 sowie den Katalog (2.1. und 2.2). Man beachte jedoch, dass beispielsweise Karen EXELL (2009) nicht ausschliesslich Stelen aus Deir elMedina in ihrem Buch behandelt. Zum Sphinxbezirk von Giza als sog. Wallfahrtsort s. u. a. FALCK 1990: 86-92. S. dazu auch BRUNNER 1958, MUNRO 1968, DURISCH GAUTHIER 1993, EISSA 1997 und BECKER 2007. So sind die Salakhana-Stelen beispielsweise nicht Teil der ausführlichen Studie von Karen EXELL, die jedoch auch Stelen die nicht aus Deir el-Medina stammen analysiert (EXELL 2009: 99–130). S. dazu die Ausführungen in Kap. 3.1.1 und 3.1.2.

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sammenhang mit der Rekonstruktion Persönlicher Frömmigkeit weitgehend als reine Textquellen betrachtet. Abgesehen von wenigen Ausnahmen (z. B. SCHULMAN 1980, DERS. 1988, GUGLIELMI 1991, DEVAUCHELLE 1994) wurden die Bilddarstellungen nur knapp beschrieben: Ihr Verhältnis zu den zugehörigen Texten wurde als das einer reinen Illustration des Textes verstanden. Diese Tendenz scheint nun langsam abgelöst zu werden: Das Bildmotiv der Votivstelen wird immer mehr zum eigentlichen Thema der Untersuchungen (MORGAN 2004, DUQUESNE 2004, LUISELLI 2007c, EXELL 2009), wenn auch gelegentlich durch die Anwendung nicht sauberer Methoden sehr fragwürdige Ergebnisse erzielt werden (LUISELLI 2007a). Eine systematische Analyse der ikonographischen Motive hingegen kann sogar zu hochinteressanten Ergebnissen für die historische und soziale Einbettung solcher Denkmäler werden, wie insbesondere die Studie von Karen EXELL (2009) zeigt. Schliesslich ist ein weiterer Forschungsstrang zu erwähnen, der die funktionale Einbindung der Zeugnisse in ein grösseres System von Gesellschaft und Kultur, Ritual und Religion, dessen Träger die Stifter der Denkmäler waren, untersucht (GUGLIELMI 1994, KESSLER 1998, DERS. 1999, DERS. 2001, BAINES 2002, MORGAN 2004, ADROM 2005, Exell 2009). Die Existenz einer Persönlichen Frömmigkeit als Phänomen der Glaubenswelt des altägyptischen Menschen wird insbesondere in den Studien von Dieter KESSLER (1998), Enka Elvira MORGAN (2004) und Faried ADROM (2005) in Frage gestellt. Ihrer Ansicht nach spiegeln die Zeugnisse, die bislang als Ausdrucksformen Persönlicher Frömmigkeit gedeutet wurden, vielmehr eine Ritualpraxis wider, die vor dem Hintergrund ritualtheoretischer Erkenntnisse erörtert werden kann, und welche die Erfahrung des Göttlichen durch den Menschen auf einer individuellen Ebene völlig negiert. 22 Diese Studien wirken jedoch sehr einseitig, da sie ausschliesslich auf den Votivstelen – und hier v.a. auf jenen aus Deir el-Medina – basieren, wodurch die Komplexität der Persönlichen Frömmigkeit als „panägyptisches“ religiöses und kulturelles Phänomen nicht ausreichend rekonstruiert werden konnte.

1.2

Religion und Individualität

Dem Konzept der individuellen Religiosität soll hier weiter nachgegangen werden. Individualität ist dem griechischen Philosophen Aristoteles nach ein konstitutives und wesentliches Element eines jeden Menschen. Um das Wesentliche bzw. Individuelle einer Person zu bezeichnen, benutzte Aristoteles das Wort ουσία, was mit dem Lateinischen essentia oder substantia gleichgesetzt wurde. Der modernen Auslegung der aristotelischen Philosophie zufolge gesteht die ουσία jeder Person Unverwechselbarkeit und Zeitlosigkeit zu (BOEHM/RUDOLPH 1994: VIIf.). So bedeutet das lateinische Wort individuus „unteilbar/unzertrennlich“ und weist auf eine Einheit hin, die nicht zerteilt werden kann; der davon abgeleitete Begriff „Individualität“ bedeutet demnach die Einzigartigkeit eines Individuums. Die Individualität eines Menschen ist nach soziologischer Auffassung das Produkt seiner sozialen Umwelt und wird durch Beziehungen und Rollenerwartungen geformt. Die Individualität ist dasjenige Element, das die Identifizierbarkeit eines Menschen ermöglicht (JUNGE 2002: 29–30). Die Problemstellung der In22

S. dazu Kapitel 3.1.3.

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dividualität und dessen, was als individuell gilt, betrifft nicht nur die Ebene der Philosophie, in welcher das Konzept entstanden ist, sondern auch diejenige der Anthropologie, der Soziologie, der Kunst und schliesslich auch der Religion. Der Begriff der „individuellen Religiosität“ wurde von Susanne BICKEL zur Erklärung der altägyptischen Persönlichen Frömmigkeit gewählt (BICKEL 2002: insbes. 66). 23 Dadurch versucht die Autorin eine Alternative zum umstrittenen und zu sehr christlich geprägten Begriff der Persönlichen Frömmigkeit zu bieten: „(…) une nouvelle forme de religiosité (…), caractérisée par le contact direct, personnel et intense entre le particulier et un dieu; elle offre au particulier la possibilité d’exprimer sa façon d’être religieux, de s’adresser à une divinité choisie librement et de formuler des requêtes et des suppliques en rapport avec ses besoins et tourments individuels. Le terme de religiosité est ici utilisé dans une acception positive, impliquant non seulement les attitudes de piété et de dévotion, mais aussi la conscience de l’individu de prendre part à la religion qui définit sa culture et de vivre une relation de réciprocité avec le monde divin. La désignation de religiosité individuelle semble moins restrictive que le traditionnel ‘piété personnelle’“ (BICKEL 2002: 66). Der Terminus Religiosität verweist in der heutigen vor allem christlichen Religion auf die Prinzipien der offiziellen Religion, die auf die Ebene des Individuums übertragen werden, ohne jedoch den Bereich der Pietät im christlich-lutheranischen Sinne des Wortes aufzugreifen. Nach christlicher Auffassung steht die Pietät zur Religiosität in einem „Ursache-und-Wirkung“-Verhältnis: Die Pietät wird als humus für die ausdrucksvolle und symbolische Gestik aufgefasst, die das Entstehen einer populären Religiosität bewirkt hat (SODI/LA TORRE 2004: 17, Anm. 4.). Religiosität ist somit nicht der intellektuelle Hintergrund bestimmter populärer Kultausübungen, sondern das individuelle Resultat der (christlichen) Pietät. Die Pietät ist daher nicht mit der Religiosität einer breiten Masse identisch. Dennoch hat die Religiosität eine psychologische Nuance, die nach christlicher Ideologie eine Stufe niedriger als die Pietät steht, jedoch nach religionspsychologischer Auffassung eine Art Substrat für Frömmigkeitsausübungen im Allgemeinen darstellt. Selbst wenn Susanne BICKELs ‚positive’ Auffassung von Religiosität auf einem zum Teil missverstandenen Verhältnis zwischen Pietät und Religiosität zu basieren scheint, besitzt sie das Potential einer neutralen Betrachtung der altägyptischen persönlichen Erfahrung von Gottesnähe. Aufgrund der Beleglage bleibt jedoch fraglich, inwiefern sich der Ausdruck der eigenen Art, religiös zu sein („d’exprimer sa façon d’être religieux“), in einer Gesellschaft erfassen lässt, in der religiös-kultische Haltungen von einer festgelegten Gestik und in grossem Masse traditionell überlieferten Inhalten bestimmt waren. Die Idee einer bewussten Teilnahme an der Religion („la conscience de l’individu de prendre part à la religion“) beschreibt die altägyptische Situation besser, wie dies insbesondere die ramessidischen Briefe zeigen, 24 und nähert sich 23

24

Vor Susanne BICKEL hatten schon GUGLIELMI/DITTMAR 1992: 138 von Individualgebeten gesprochen, und ASSMANN 1996a: 259 definierte das Phänomen unter anderem als eine individuelle Religionsform, die sich der priesterlichen Tempelreligion entgegensetzte. S. dazu Kapitel 5.3.2.

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gleichzeitig an die psychologische Grundauffassung des Terminus „Religiosität“ an. Dennoch lässt sich über eine eventuelle bewusste und gewählte Religionspraxis in Ägypten kaum eine Aussage treffen, da die von der offiziellen Religion gesteuerten Strukturen eine zu grosse Rolle spielten, als dass eine freie religiöse Wahl des Individuums nachvollziehbar wäre. BICKEL bewertet den Begriff der Religiosität gegenüber dem der Pietät und Devotion als positiv („Le terme de religiosité est ici utilisé dans une acception positive, impliquant non seulement les attitudes de piété et de dévotion (…)“). Dadurch wird zweifellos eine grosse Bedeutung den individualisierten religiösen Gefühlen zugeschrieben (KNIGGE 2006: 41, m. Anm. 109). Gleichzeitig aber besteht die Gefahr, die Tatsache zu unterschätzen, dass religiöse Denkstrukturen auch aus vollzogenen Kultakten (Devotionsakten) entstehen, die den Menschen in Kontakt mit dem Göttlichen bringen. Es wird sich in der vorliegenden Arbeit zeigen, dass man im alten Ägypten nicht von einer freien und individuellen Religiosität des Einzelnen ausgehen kann, in der die Prinzipien der Religion auf individueller Ebene uminterpretiert und adaptiert wurden. 25 Die religiösen Denkstrukturen, die auf offiziellen Religionsvorstellungen basierten, konnten für das persönliche Alltagsleben durchaus als sinnstiftend gelten: Individuell – d. h. voneinander unterscheidbar und deshalb einzigartig – waren sie jedoch nicht. Sich als Individuum zu präsentieren, bedeutet nicht gleichzeitig, die eigene Individualität darzustellen. Insbesondere für das alte Ägypten ist das Konzept der Individualität stark mit demjenigen der Identität und dem Selbst verwoben (MEYER-DIETRICH 2006, WENDRICH 2010: 204–209). So war der Name (rn) in Ägypten essentiell für die diesseitige und jenseitige Identität des Individuums. Er band das Individuum in ein soziales Netzwerk ein und stellte eine der Komponenten eines jeden Menschen dar, die für den Totenkult grundlegend waren (WENDRICH 2010: 205–206). Dabei handelte es sich neben rn um Ka, Ba und Ach, d. h. Konstituenten die teilweise schon während des diesseitigen Lebens Teil der Person waren (Ka), teilweise jedoch erst mit dem Tod entstanden (ASSMANN 2001: insbes. 116–159, LOPRIENO 2003b). Zu ihnen zählen darüber hinaus auch das Herz, der Schatten und der Körper (ASSMANN 1994, DERS. 2001: 139– 143), denn „Im ägyptischen Menschenbild verläuft die entscheidende Unterscheidung nicht zwischen ‚Leib’ und ‚Seele’, sondern zwischen ‚Körper-Selbst’ und ‚SozialSelbst’“ (ASSMANN 2001: 156). Spuren dessen, was in der westlichen post-griechischen Kultur als Individualität bezeichnet wird, können im Einzelfall in sog. Porträts erkannt werden (WENDRICH 2010: 206), wobei die tatsächlichen Porträthaftigkeit der Darstellungen nicht immer sicher festgestellt werden kann (LUISELLI 2009). Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen einer angenommenen Individualität und der Religionspraxis kann hiermit festgehalten werden, dass das Ereignis, das zu einer religiösen Äusserung geführt hatte unterschiedlich und somit individuell, aber nicht die Religiosität die Erfahrung. Der Frage nach dem Verhältnis zwischen Individuum und Religion wird vor allem in Bezug auf die Definition der Gottesnähe eine besondere Gewichtung zugesprochen. Die Ausdrucksformen dieser Gottesnähe entwickelten sich entsprechend dem kulturellen Hintergrund so25

S. dazu auch LUISELLI 2005b.

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wie dem historischen Moment, wodurch deren Form und Inhalt beeinflusst wurden. Konnte sich unter diesen Voraussetzungen je ein Anspruch auf Individualität im religiösen Bereich entwickeln? Wenn ja: Wie wurde dies erzielt? Was spiegelten einzelne religiöse Erfahrungen im Unterschied zur offiziellen Religion wider? Wie (inter)agierte das Individuum mit dem religiösen System und dessen Prinzipien und Werten? Das Individuum und der Ausdruck seiner Individualität in der Religion des alten Ägypten setzen ein Verständnis des Begriffs „Individualität“ als historisch fassbare Grösse voraus, welche als Resultat von historischen und sozialen Prozessen zu verstehen ist. Dadurch nimmt das Konzept der Individualität eine Form an, die sich mit der Frage nach ihren Darstellungsformen in Bildern und Texten befasst.

1.3

Begriffe und Definitionen

Vor dem Hintergrund der hier vorgestellten Thesen sind „Persönliche Frömmigkeit“ und „individuelle Religiosität“ demzufolge Begriffe, welche die altägyptische Realität gleichermassen verfälschen. Zum einen wegen der zu starken christlichen Prägung, zum anderen, weil sie zu sehr auf modernen Theorien des Individuums und seiner religiösen Psychologie basieren. Die Tatsache, dass im alten Ägypten die persönliche Ebene der Religion über den blossen Vollzug von Kultpraktiken hinaus ging, ist insbesondere anhand einiger weniger Gebetstexte zu erkennen, in denen jenseits stereotyper Formeln und festgelegter Bitten Elemente zu erkennen sind, die eine Selbstbeobachtung implizieren und eine gesuchte Gottesnähe zum Ausdruck bringen. Der Problematik der Begriffsdefinition kommt in der Forschung zur Persönlichen Frömmigkeit eine wichtige Rolle zu. Auseinandersetzungen mit den möglichen Begriffsdefinitionen sind dabei hauptsächlich im deutsch- und englischsprachigen Bereich der Ägyptologie aktuell. Während einerseits Stephen QUIRKE (1992: 135–138) „personal piety“ als „the direct relationship or [Hervorhebung durch Autor] interaction of an individual with a god“ auffasst, unterscheidet Geraldine PINCH (1993: 325) drei Hauptbereiche: personal piety, folk religion und popular religion. Unter personal piety versteht die Autorin hierbei eine individuelle Religiosität, die sich einer kollektiven Frömmigkeit entgegensetzt und sich dabei auf eine oder mehrere Gottheiten des Staatskultes bezieht. Folk religion hingegen definiert die religiösen oder magischen Glaubensvorstellungen und Praktiken der breiten Bevölkerung, unabhängig von Staatskulten, und konzentriert sich auf Haus und Familie. 26 Der Terminus popular religion spiegelt nach PINCH schliesslich die persönlichen oder kollektiven Glaubensvorstellungen und Praktiken der einfachen Leute im Alltagsleben wider. 27 PINCHs Definitionen werden vor allem in der britischen Ägyptologie übernommen und angewandt. 28 John BAINES und 26

27

28

S. dazu KEHRER 1988: 100. Periphere Kulte einer Gesellschaft sinken oft in den Rang einer „Volksreligion“ ab, wenn die Kulte, die im Zentrum der Herrschaft einen festen Platz haben, eine besondere Bedeutung annehmen. Als eine Form der Laienreligiosität variiert die populäre Religiosität mit der jeweiligen Schicht oder sozialen Gruppe: So unterscheidet sich die populäre Religiosität der bäuerlichen Kultur von derjenigen der bürgerlichen Schichten. Nach KNOBLAUCH 1999: 187 ist die populäre Religiosität insgesamt vor dem Hintergrund des offiziellen Modells der organisierten Religion zu betrachten. S. EXELL 2009: 5.

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Elizabeth FROOD haben in ihrer gemeinsamen Studie eine neue Definition von „personal piety“ vorgeschlagen, die sie als „(…) the sense of selection and active involvement between a deity and a human being or king.“ (BAINES / FROOD 2008: 3–4) definieren möchten. Diese Definition unterscheidet sich klar von Jan ASSMANNs Verständnis der ägyptischen Persönlichen Frömmigkeit als „Theologie des Willens“, die den „schicksalswirkenden“ Willen einer Gottheit in das Leben eines Menschen direkt einzugreifen hervorhebt (ASSMANN 1990: 252, DERS. 1996a: 259-260, DERS. 1997: 20, 31). Dies habe den Menschen dazu geführt, sein Verhältnis zur Gottheit in Form eines Gegenseitigkeitsverhältnisses zu definieren (ASSMANN 1990: 276). Aus dem in ramessidischen Texten oft vorkommenden Ausdruck „sich Gott ins Herz setzen“ leitet ASSMANN ab, dass sich der Mensch nun von Gott geleitet fühlte, und versteht somit die Persönliche Frömmigkeit auch als „Gottesbeherzigung“ (ASSMANN 1996a: 259, DERS. 1997: 18–21) 29. Es oblag nun der göttlichen Instanz, für die soziale Gerechtigkeit zu sorgen, sodass alles, was sich im Leben eines Individuums abspielte, als göttliche Intervention gedeutet wurde (ASSMANN 1997: 33–34). Nach Jan ASSMANN wurde in der Konsequenz in der Ramessidenzeit die Geschichte lesbarer, da sie religiös uminterpretiert wurde (ASSMANN 1996a: 267–277, DERS. 1997: 29–43). Wenn in BAINES’ und FROODs Definition die Rolle des Menschen als aktiver Gestalter dieses Verhältnisses im Sinne einer agency deutlicher hervorgehoben wird, drückt Jan ASSMANNs Begriffsauffassung mehr den zweifellosen Glauben an die göttliche Präsenz und deren Macht im Leben des Einzelnen aus. Die Definition von Stephen QUIRKE (1992: 135–138), die diese beiden Aspekte vereinigen zu wollen scheint, fand m. W. bislang keine Resonanz. Es fällt auf, dass keine der hier zitierten Definitionen auf religionswissenschaftlichen Theorien oder Begriffserklärungen basieren. Dass in der Forschung mehr und mehr neue Aspekte mit einbezogen werden, zieht es nach sich, dass auch diverse – teilweise sehr facettenreiche – alternative Begriffe und Definitionen vorgeschlagen werden. Neben dem in Kapitel 1.2 diskutierten Terminus „religiosité individuelle“ soll besonders auf Anna STEVENS’ Gebrauch des Begriffes „private religion“, der sich insbesondere auf eine Religionspraxis bezieht, die im Privatbereich ausgeführt wurde, eingegangen werden (STEVENS 2006). Der Begriff „Gottesnähe“, der auch Eingang in den Titel der vorliegenden Arbeit fand, wird hier für die Beschreibung desjenigen Phänomens benutzt, das in der Ägyptologie traditionell als „persönliche Frömmigkeit“ bekannt ist. Dieser Begriff ist in der deutschsprachigen Forschung beheimatet 30 und kann nur schwer in andere Sprachen übertragen werden. Der Ausdruck „Gottesnähe“ wird in erster Linie in den Arbeiten von Hellmut BRUNNER (1977a) und vor allem in Jan ASSMANNS Monographie Ägypten – Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur (ASSMANN 1984), die für die Erforschung der Persönlichen Frömmigkeit zentral ist, verwendet. ASSMANN setzt darin voraus, dass „(…) die Ägypter sich ihren Göttern besonders nahe gewusst haben“ (ASSMANN 1984: 14) und versteht so die Gottesnähe als einen „(…) Sinnhorizont göttlichen und menschlichen Handelns und Erlebens“. Er verweist dabei auf die Existenz einer „(…) in der ägyptischen Religion praktizierten Konzeption von ‚Gottesnähe’ (…)” 29 30

S. dazu auch DRIOTON 1954. Vgl. den Gebrauch des Terminus „Gottesnähe“, der in anderen Disziplinen erfolgt durch z. B. in GRAF 1996.

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(ASSMANN 1984: 18), die er in Form von vier Dimensionen beschreibt: der kultischen, kosmischen und mythischen Dimension sowie derjenigen der Persönlichen Frömmigkeit (ASSMANN 1984: 258ff.). Die Texte, die diese vierte Dimension bezeugen, spiegeln sowohl die persönliche Erfahrung des Göttlichen als auch deren öffentlichen Ausdruck. Diese Dialektik zwischen „Bekenntnis und Erlebnis“ definiert Jan ASSMANN als typische Aspekte der Persönlichen Frömmigkeit (1984: 262). Diese Texte 31 wurden auch als „Bekenntnisbiographien“ (GNIRS 2006: 204) bezeichnet. Diese beiden Definitionen sind jedoch nur schwer zu akzeptieren, wenn man bedenkt, dass die ägyptische Religion keineswegs eine Bekenntnisreligion ist. Ein Schlüssel zum Verständnis – und zur Akzeptanz – dieser Terminologie liegt in der Deutung des Begriffes „Bekenntnis“ als Loyalität, wonach diese Texte eine bis dahin unbekannte Ergebenheit einer Gottheit gegenüber zum Ausdruck bringen (KAMPP-SEYFRIED 2003: 120–121). Der Begriff „Gottesnähe“ ist gerade deshalb so geeignet, weil er sich generell auf den Zugang zum Göttlichen bezieht. Jeglicher Versuch, in Kontakt zum Göttlichen zu treten, kann somit als eine Suche nach Gottesnähe bezeichnet werden.

1.4

Forschungsansatz und Ziele

Wenn Jan ASSMANN von „Gottesnähe“ spricht, versucht er damit alle Dimensionen der ägyptischen Religion und Kultur zu erfassen, in denen es zu einem Kontakt zwischen der menschlichen und der göttlichen Sphäre kam. Dies fand im Rahmen von Kult, Kosmos, Mythos und eben der sog. „Persönliche Frömmigkeit“ statt. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, gerade diese letzte Dimension der Gottesnähe zu untersuchen. Hierbei wird auf eine einseitige Definition, die den altägyptischen Sachverhalt mit dem Anspruch auf Ausschliesslichkeit beschreiben möchte, bewusst verzichtet. Vor diesem Hintergrund wird „Gottesnähe“ als Überbegriff verstanden, während Persönliche Frömmigkeit, persönliche Religionspraxis, populäre Religion usw. Teilaspekte davon darstellen. Es hat sich gezeigt, dass von „persönlicher“ bzw. „privater Religiosität“ ausschliesslich in denjenigen Fällen die Rede sein kann, in denen die Ebene der religiösen Denkstrukturen der Privatperson ausdrücklich tangiert wird. Ferner werden mit „persönlicher Religionspraxis“ 32 und „persönlicher Teilnahme an der Religion“ die vollzogenen Riten sowie die Partizipation an religiösen Feierlichkeiten definiert. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Suche nach Gottesnähe. Darüber hinaus wird in dieser Studie als „persönliche religiöse Erfahrung“ eine Situation definiert, die vom Einzelnen als Offenbarung Gottes gedeutet und beschrieben wird. Schliesslich werden die Begriffe der Persönlichen Frömmigkeit und der individuellen Religiosität absichtlich gross geschrieben, um darauf hinzuweisen, dass sie jeweils als label gebraucht werden, und zwar in Gerhard FECHTs Verständnis (1965: 11, Anm. 7), nach dem es sinnlos wäre, 31

32

Insbesondere die beiden Stelen des Neferabu: Stele Turin 50058 (Kat. G.19.5, Taf. 7) und Stele BM 589 (Kat. G. 19.6) und die Autobiographie des Samut-Kiki in seinem Grab TT 409 (Kat. A.19.1). Martin FITZENREITER (2004: 24) definiert diesen Begriff als „zeitlich, räumlich und auch im Bezug zum Agenten konkrete Aktivierung eines Systems von religiösen Zeichen, Normen und Praktiken in Situationen, in denen eine solche Aktivierung kulturell vorgesehen oder angemessen ist oder von Individuen als sinnvoll betrachtet wird“.

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„(…) zu erörtern, inwieweit diese von BREASTED geprägte schlagwortartige Benennung das Phänomen tatsächlich deckt und abgrenzt. Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, dass es zu keiner anderen Zeit in Ägypten persönlich erlebte Bindung an Gott gegeben habe. Solche Schlagwörter sind ein notwendiges Übel und sind als solches immerhin willkommen, wenn sie das Kulminieren von Phänomenen wenigstens in dem einen oder anderen Aspekt treffen“. Selbst wenn für die Auswertung der Quellen einer Kultur, die heute als solche nicht mehr zugänglich und somit als tot zu bezeichnen ist, eine historische Vorgehensweise notwendig sein muss, kann in religionsgeschichtlicher Hinsicht nur auf einen Religionsbegriff zurückgegriffen werden, der unabhängig von einzelnen Kulturen und daher religionswissenschaftlich entwickelt wurde (SABBATUCCI 1988: 43) 33. Methodologisch stellt sich dabei jedoch die Frage, inwieweit die von der abendländischen Kultur- und Religionswissenschaft erarbeiteten Kriterien für die Erkennung und Kategorisierung von religiösen Gegebenheiten einer Kultur objektiv genug sind. Die materielle Hinterlassenschaft, die der Religion einer Kultur zugeschrieben wird, dient einzig und allein der distanzierten Forschung und darf nicht als Zeugnis einer Selbstbezeichnung aufgefasst werden. Solche Begriffe sind in der Religionswissenschaft anhand religiöser elitärer Erscheinungen formuliert worden und sind somit gezwungenermassen arbiträr. Darüber hinaus induziert die Religionssoziologie und ihre Methodik eine ergänzende Leistung, da ihr Forschungsgegenstand auf die Ebene des religiösen Handelns im Alltag ausgerichtet ist. 34 In der vorliegenden Studie wird versucht, diese beiden Ansätze im spezifischen Fall der persönlichen Religiosität als Suche nach Gottesnähe, wie sie im alten Ägypten verstanden wurde, als Methodenmodell festzulegen. Persönliche religiöse Vorstellungen, soziale Verortung und funktionale Absicht stellen die drei grundsätzlichen Tendenzen in der Erforschung der altägyptischen Persönlichen Frömmigkeit dar. Vor dem Hintergrund der im zweiten Kapitel vorgestellten religionswissenschaftlichen Thesen wird im Rahmen der vorliegenden Studie versucht, die Formulierung religiöser persönlicher Erfahrungen in Ägypten unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Quellen textlicher und bildlicher Art zu rekonstruieren. Dabei soll den Erstgenannten mehr Gewichtung beigemessen werden, da sie einen Einblick in eventuelle Glaubensvorstellungen ermöglichen. In Anbetracht der grossen Menge an Zeugnissen wurden dafür verschiedene spezifische Textbeispiele ausgewählt, die repräsentativ für die Ausdrucksform religiöser Haltung in der jeweiligen Textgattung sind und somit die Rekonstruktion eines exemplifizierenden und aussagekräftigen Querschnittes ermöglichen. Zu diesem Zweck wurden insgesamt 129 Textquellen ausgewählt, die sich aus 20 einzelnen Auszügen aus Autobiographien, 33 Briefen, 63 Gebeten und gebetsartigen Texten und 13 Architekturfragmenten aus dem Siedlungskontext zusammensetzen. 35 Chronologisch lassen sich die Quellen zwischen der Ersten 33 34 35

S. dazu die zusammenfassende Betrachtung der Definition von Religion und Religiosität in Kapitel 2.1. S. dazu Kapitel 2.7. In das vorliegende Buch wurden keine Zeugnisse der ägyptischen Literatur mitberücksichtigt, da dieser Teil der Doktorarbeit bereits in Form eines separaten Aufsatzes (LUISELLI 2007b) veröffentlicht wurde.

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Zwischenzeit und dem Ende des Neuen Reiches situieren. Durch die Verortung in einem jeweils unterschiedlichen Kontext ermöglicht gerade die Unterschiedlichkeit der Textzeugnisse die Erkenntnis des Zusammenspiels religiöser Denkstrukturen auf der Ebene des Individuums und innerhalb einzelner Lebensbereiche. Insbesondere im Falle der Gebete war es notwendig, eine aussagekräftige Auswahl zu treffen. Grundkriterium war dabei die Präsenz eines umfassend ausformulierten Gebetstextes, in dem die Anbetung einer Gottheit mit persönlichen Bitten verbunden war. Texte, die nur eine Anbetungsformel (dwA, rdj.t-jAw-n, usw.) enthalten oder aus einem Hymnus 36 und den Titeln des Stifters bestehen, wurden daher bewusst ausgeschlossen. Die Untersuchung des Inhalts der im Katalog zusammengestellten Textquellen wurde auf drei verschiedenen Ebenen durchgeführt: zum einen in Abhängigkeit von ihrem Entstehungskontext, zum anderen in Bezug auf ihre zeitliche und soziale Verortung und somit auch im Hinblick auf ihre Zweckgebundenheit. Die Vorgehensweise gliedert sich dabei in drei Hauptteile, in denen die drei oben geschilderten Forschungstendenzen aufgenommen und verarbeitet werden. So beinhaltet Kapitel 3 die Ausdrucksformen einer solchen Erfahrung und deutet sie in Abhängigkeit ihres Herkunftskontextes und ihrer Entstehungszeit, um sowohl eventuelle persönliche Religionsvorstellungen oder religiöse Praktiken abzugrenzen, als auch allgemeine Entwicklungstendenzen hervorzuheben. Kapitel 4 konzentriert sich hingegen auf die soziale Komponente und analysiert die Quellen hinsichtlich religionssoziologischer Methoden. In Kapitel 5 werden die verschiedenen Gattungen von Schriftzeugnissen und deren Aussagekraft diskutiert. In einer Gesamtübersicht wird schliesslich in Kapitel 6 insbesondere auf die funktionale Ebene der Zeugnisse als Träger bestimmter Botschaften in einem bestimmten Kontext eingegangen, wodurch sich ihre Funktion jeweils unterscheiden lässt. Es sind zwei Ziele, die sich die vorliegende Arbeit aufgrund der hier oben skizzierten Vorgehensweise setzt: Zum einen geht es darum, eine Darstellung dieses Phänomens unter Berücksichtigung der unterschiedlich angelegten Quellenlage zu präsentieren. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen die Ausdrucksformen des historisch fassbaren Verhältnisses zwischen einem Individuum und (s)einem Gott; in den Fokus der Analyse werden dabei die Methoden der gesuchten Gottesnähe des Individuums in Abhängigkeit von seiner jeweiligen sozialen und kulturellen Verortung gerückt. Zum anderen setzt sich die vorliegende Arbeit zur Aufgabe, im Spannungsfeld von historischen und kontextbedingten Rahmenbedingungen und aufgrund des exemplarischen Charakters der hier ausgewählten Texte und Textauszüge eine Methode zu entwickeln, vor deren Hintergrund zukünftig schriftliche Quellen der Persönlichen Frömmigkeit systematisiert werden können. Im Unterschied zu dem obigen, philologisch ausgerichteten Ansatz geht es im zweiten Schritt bewusst nicht um die Untersuchung der Phraseologie mittels einer strikt philologischen Analyse des Quellenmaterials. Vielmehr wird das Material gemäss seiner Herkunft in seinem jeweiligen sozio-kulturellen Milieu verortet und bewertet.

36

Zur Abgrenzung von Hymnen von Gebeten s. Kapitel 2.9.

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2

Die Persönliche Frömmigkeit als Forschungsgegenstand in der Religionswissenschaft und in der Ägyptologie: Methodologische Voraussetzungen

2.1

Religion und Religiosität

Wie die meisten Sprachen der Welt, kennt auch die altägyptische Sprache kein Wort für „Religion“ (ANTES 1978: 184ff.). Ferner gibt es auch keinen Begriff für „Religiosität“, „religiös“, „Theologie“, usw. Dennoch werden in der ägyptologischen Forschung kulturelle Erscheinungen, die insbesondere mit dem Kult der Götter und den Konzepten des Jenseits verbunden sind, dem Bereich der Religion zugeschrieben. Vor welchem Hintergrund können aber einzelne Gegebenheiten der altägyptischen Kultur in die Kategorie des Religiösen aufgenommen werden? In methodologischer Hinsicht besteht eine grosse Gefahr, einen Allgemeinbegriff „Religion“, der sich über einzelne historische Religionen erhebt und die unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen nicht einbezieht (STOLZ 2001: 11), auf die Verhältnisse des alten Ägypten anzuwenden, ohne vorher eine gründliche Begriffsdiskussion und Definition nach religionswissenschaftlicher Auffassung zu führen. Da jedoch der Rahmen der vorliegenden Arbeit die Schilderung der breiten und durchaus vielseitigen Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht zulässt, wird möglichst gezielt auf die ägyptologischen Fragestellungen eingegangen. Häufig basieren Religionsdefinitionen auf abendländischen religiösen Erfahrungen (KEHRER 1998: 419ff.). Demnach wird Religion als Urphänomen überhaupt definiert, in dem die Erfahrung Gottes zum Menschsein an sich gehört: Der Mensch erfährt eine Manifestation Gottes, auf die er reagiert. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Allgemeingültigkeit dessen, was in der abendländischen Kultur als Gott bezeichnet wird. Unter „Gott“ wird häufig ein Wesen verstanden, das dem Menschen gegenüber steht, sich von ihm unterscheidet und dennoch mit ihm eine direkte Beziehung eingeht. Nach dieser Definition des Göttlichen kristallisiert sich ebenfalls seine Beziehung mit der Welt und, im Falle polytheistischer Religionen, mit dem Rest der Götterwelt heraus (STOLZ 2001: 14–19). Die Gott-Mensch-Beziehung wäre demzufolge der Kern der Religiosität und würde auf einem dynamischen Prozess der Interaktion zwischen der persönlichen religiösen Erfahrung, dem Glauben, dem Ritual und den religiösen Symbolen einer jeden Kultur beruhen. Religiöse Systeme werden in der Wissenschaft generell als Strukturen einer „abstrakten“ Gesellschaft gesehen, in welcher der individuelle Ausdruck religiösen Glaubens oft entfällt oder vernachlässigt wird (DORNAN 2004: 25). Eine zentrale Frage, die für das alte Ägypten im 3. und 4. Kapitel der vorliegenden Arbeit untersucht wird, beschäftigt sich damit, was für eine Beziehung zwischen Glauben und individueller religiöser Erfahrung herrscht, sowie welche Art von Erfahrung das Individuum überhaupt dazu bringt, religiös zu sein. Und weiter noch: Wie entwickeln sich einzelne, individuelle Erfahrungen des Religiösen zu einem weit verbreiteten und fest geformten Glaubenssystem? Die zahlreichen Erklärungsmodelle stammen aus dem Bereich der Theologie (MARKHAM 2009), der Religionsgeschichte,

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der Religionsphänomenologie (LANG 1993: 165ff., RYBA 2009) 37, der Religionsphilosophie (TALIAFERRO 2009), der Religionspsychologie (STOLZ 2001: Kap. 5, MAIN 2009), der Religionsanthropologie (FIRTH 1948, DERS. 1996, JAMES 1982, LANG 1993: 166ff., BOWIE 2009), der Religionssoziologie 38 (KNOBLAUCH 1999: 186–188, DAVIE 2009) und, seit neuester Zeit, der Kulturphänomenologie sowie der sog. kulturellen Neuro-Phänomenologie (DORNAN 2004). Die Religiosität im Menschen wird jeweils als sozio-kulturell bedingtes Phänomen (KNOBLAUCH 1999: 65–68), als psychologischanthropologische Konstante des Menschen (FIRTH 1996; JAMES 1982) 39 oder als Resultat der Interaktion zwischen der kulturellen Umwelt und der neuro-psychologischen Natur des Menschen (DORNAN 2004: 28–29; D’AQUILI/NEWBERG 1998) betrachtet. 40 Die Definition von Religion und Religiosität ist also wie in anderen Fällen auch für die altägyptische Religionsgeschichte ein noch offenes Problem. Die etymologische Forschung kann hier jedoch insofern unterstützend eingreifen, als dass sie die ursprüngliche Bedeutung der Termini bestimmt und somit die Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturen deutlicher zum Ausdruck bringt. Religion und Religiosität sind Begriffe, die aus dem Lateinischen abgeleitet sind (religio/religiosus). So kann Religion nach CICERO entweder aus re-lego (CICERO, De natura deorum: II, 28) „wieder zusammennehmen“ oder nach LACTANUS aus re-ligo (LACTANUS, Divinae institutiones: IV, 28) „zurückbinden/festbinden“ gebildet sein. CICERO versteht Religion als eine kultische Angelegenheit, während es sich für LACTANUS um eine existentielle Begegnung und Verbindung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre handelt (KEHRER 1993: 419.). Die modernen europäischen Sprachen haben ihren Begriff für Religion aus dem Lateinischen abgeleitet, ohne jeweilige sprachinterne Entsprechungen auszubilden. Der lateinische Begriff religiosus, aus dem sich das deutsche „religiös“ ableitet, ist jedoch in der Erforschung der römischen Religion selbst mit zahlreichen Deutungsproblemen behaftet. Religiosus beschrieb ursprünglich als Fachausdruck des römischen Bodenrechts eine ganz bestimmte Art von Orten. Das gemeinsame Merkmal ist dabei der Entzug der allgemeinen Verfügbarkeit des Ortes. Zu diesen Lokalitäten zählen auch Gräber, die Ehrfurcht evozieren und vor einer Umnutzung geschützt wurden. Religiosus konnte aber auch ein Mensch sein, welcher dadurch als jemand bezeichnet wurde, der zahlreiche religiones (d. h. Verpflichtungsgefühle) übernahm, die für ihn zutrafen, aber nicht unbedingt für die Allgemeinheit verpflichtend waren (RÜPKE 2001: 15). Darüber hinaus besteht eine qualitative Unterscheidung zwischen heilig und profan, die insbesondere nach Mircea ELIADEs phänomenologischer Religionsauffassung das Wesen der 3737Seit

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40

den Werken von G. VAN DER LEEUW und Mircea ELIADE bezeichnet die phänomenologische Religionswissenschaft mit dem Begriff homo religiosus den „religiösen Menschen“ schlechthin, d. h. den Menschen, in dessen Leben die Religion an erster Stelle steht. Die (populäre) Religiosität wird hier jedoch nur im Rahmen der abendländischen Kultur beschrieben und definiert. Die Religionsanthropologie bietet vor dem Hintergrund verschiedener Modelle Antworten auf Fragen nach der Herkunft und Erfahrung von Religion. Ausgangspunkt sind dabei meist Studien über ethnische Gruppen nicht-westlicher Länder. Zu einem Überblick über die verschiedenen Erklärungsmodelle und Theorien vgl. BOWIE 2009: insbes. 4–17. Zu der Anwendung dieser Methodik in Bezug auf das alte Ägypten s. BRUNNER 1975a. Die Schilderung der Komplexität der einzelnen fachspezifischen Antworten überschreitet den Rahmen dieser Studie, die sich in Bezug auf diese Fragen dem spezifischen Fall des Alten Ägypten widmet.

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Religion ausmacht. Grundlegend dafür ist in phänomenologischer und philosophischer Hinsicht die Tatsache, dass der Mensch naturgemäss und unabhängig von der spezifischen kulturellen Veranlagung das Heilige erfährt und es als ein religiöses Erlebnis versteht (STOLZ 2001: 20ff.).

2.2

Funktionalistische und substanzielle Religionsauffassungen

Die schon seit altgriechischer Zeit ausgeübte Religionskritik wurde insbesondere in der Aufklärung aufgegriffen und weitergeführt. Zentraler Punkt hierbei war das Vorkommen verschiedener Gotteskonzepte in den unterschiedlichen Weltregionen, die kulturell determiniert sind. Die Menschen, die als Träger einer bestimmten kulturellen Identität zu verstehen sind, gestalten ihre Götter nach ihrem kulturimmanenten Bild. So ist Gott nach Ludwig FEUERBACHs Auffassung nichts anderes als eine Projektion des Menschen und seiner Wünsche. Somit würde der Religion eine kompensatorische Funktion zugrunde liegen, die heute zu den gängigen Erklärungen des Sinnes von Religion zählt (STOLZ 2001: 22ff.). Vor diesem Hintergrund ist insbesondere die funktionalistische Auffassung von Bronislaw MALINOWSKI zu erwähnen, derzufolge die Rolle der Kultur massgeblich ist. Mit dem Instrumentarium der eigenen Kultur ist der Mensch in der Lage, die Probleme der eigenen Umwelt und des eigenen Lebens besser zu bewältigen. Wenn aber das Wissen eines Menschen nicht ausreicht, wird auf Magie und Religion zugegriffen (BOWIE 2009: 5). Eine Kultur ist geprägt von Faktoren wie Erziehung, Wirtschaft, Moral, Wissenssystemen und Religion (STOLZ 2001: 26), zwischen denen Wechselbeziehungen herrschen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Begriff „Religion“ eine Entlehnung aus einer Sprache ist, in der mit diesem Ausdruck in erster Linie die christliche Realität bezeichnet wurde. Als das Christentum aufkam, definierte es sich selbst durch das lateinische Wort religio, wobei der ursprüngliche Sinngehalt des lateinischen Wortes abgewandelt wurde. Während religio also zunächst nur die christliche Religion bezeichnete, wurde das Wort schnell von anderen sprachlichen und kulturellen Realitäten übernommen. Die Wechselbeziehung zwischen den beiden Grössen Kultur und Religion 41 gestattet es nicht, die Religion einer bestimmten Kultur unabhängig von jener Kultur und ihren Eigenheiten zu betrachten. Religion ist vielmehr immer im gesamtkulturellen Rahmen zu untersuchen. Somit wäre die Funktion der Religion als integrativ (STOLZ 2001: 30) zu bezeichnen, indem sie das Individuum in die Gemeinschaft einbringt und sein Verhalten gemäss festgelegten Regeln der eigenen Kultur leitet. Diese Erkenntnisse wurden von dem Soziologen Niklas LUHMANN weitergeführt und in einem religionssoziologischen Modell dargestellt. Indem er die Orientierung als Grundfunktion jeder Religion erkannte, konnte LUHMANN eine genügend abstrakte funktionale Definition von Religion entwickeln, die sich für die Analyse der einzelnen Religionsformen eignete. Der Grundgedanke war dabei, dass der Mensch dem Unkontrollierbaren wie dem Tod oder dem Schmerz in seiner Umgebung eine Form zu geben versucht, mit der er umgehen kann. Vor diesem Hintergrund übernimmt Religion die Funktion einer 41

S. Näheres in Kapitel 2.5.

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Orientierung innerhalb der unkontrollierbaren Mächte sowie der kontrollierbaren Lebenselemente der eigenen Kultur (STOLZ 2001: 30). Während also die funktionalistische Auffassung von Religion auf der Frage basiert, was Religion leistet, untersucht die substanzielle Religionsauffassung, was Religion ist, d. h. das Wesen der Religion. Demnach wird Letztere als „kulturell geformter Interaktion mit kulturell postulierten übermenschlichen Wesen“ definiert (SPIRO 1966: 96). Bei substanziellen Religionsdefinitionen wird das Religiöse zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung: Der Gegenstand von Religion selbst, also Gott, die Götter, das Heilige oder generell das, was als das Wesen von Religion definiert wurde, wird zum Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung. Die hier erwähnten Definitionen von Religion sind nur stellvertretend für die funktionalistische und die substanzielle Auffassung zu betrachten. Trotzdem spiegeln sie die Grundtendenz beider Ausrichtungen wider: Die substanzielle Interpretation tendiert dazu, transzendente Phänomene in die Begriffsbildung zu integrieren; die funktionalistische Auffassung hingegen zentriert ihre Deutung auf die existentiellen Probleme des Menschen, die religiös umgedeutet werden (KEHRER 1993: 423, SPAINK 1994).

2.3

Grundelemente der Religionsphänomenologie

Die Religionsphänomenologie ist das Paradebeispiel für substanzielle Religionsdefinitionen. In den oben beschriebenen Auffassungen wird das Religiöse an sich nicht zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung, mit anderen Worten, das religiöse Phänomen bleibt unbeschrieben. Dies leistet hingegen die Religionsphänomenologie. Um dies genauer zu erläutern, sei hier ein Zitat aus Thomas RYBAs (2009: 111) Schilderung wiedergegeben: „Phenomenology is a method of entry into the inner, historically conditioned, self-understanding of religions in order to provide structural descriptions and explanations of religious experiences, concepts, doctrines, myths, ethics, rituals, and institutions. The objects of religious phenomenology are any religious ideas, acts, or customs presented to consciousness either directly or as mediated by artefacts and communication. “ Die Religionsphänomenologie, die Methoden der philosophischen Phänomenologie 42 auf konkrete historische religiöse Phänomene anwendet (RYBA 2009: 112), betrachtet religiöse Erscheinungsformen als ein Zeichensystem nach der Auffassung von Charles S. PEIRCE. Demnach kann es sich bei einer solchen Erscheinungsform um einen Index, ein Ikon oder eine Vorstellung („presentation“) handeln (RYBA 2009: 93ff.). Während ein Index nur arbiträr mit seinem Referenten verbunden ist, dient das Ikon (z. B. die Statue eines Gottes) der Repräsentation. Die Phänomenologie arbeitet mit Erscheinungsformen, die als Zeichen betrachtet werden. Voraussetzung hierfür ist aber, dass

42

S. dazu die Schilderung in RYBA 2009: 98–104.

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diese Erscheinungsformen regelmässige Eigenschaften vorweisen, die die damit verbundenen Referenten aufdecken (RYBA 2009: 94–95). Der Hauptrepräsentant der religionsphänomenologische Diskussion in der Religionswissenschaft war Mircea ELIADE (BERNER 2004: 343–353), der das bekannte Gegensatzpaar das Heilige und das Profane 43 prägte. Nach seiner Auffassung tritt anstelle des Göttlichen das Heilige. Letzteres zeigt sich in seinen Erscheinungsformen und kann nicht auf eine kulturelle Gegebenheit reduziert werden (KEHRER 1993: 424). Insofern bewegt sich die Opposition heilig/profan auf einer anderen Ebene als die Opposition religiös/zivil, da im ersten Fall die beiden Parteien dem Bereich des Religiösen angehören und kulturell nicht in Frage gestellt werden. Die Religionswissenschaft konnte den Religionsbegriff bis heute nicht übereinstimmend definieren, sodass die Ergebnisse der erforschten religiösen Systeme stark von der jeweiligen fachlichen Ausrichtung des Forschers abhängen (BOWIE 2009: 4). Es ist aber gerade diese Pluralität der Religionsbegriffe in all ihrer ein wesentlicher Teil des religionswissenschaftliches Wissenschaftsverständnisses, da Begriffe nur als heuristische Arbeitsinstrumente betrachtet werden. Daher wird das Beibehalten dieser begrifflichen Vielfalt angestrebt. 44 Die moderne Religionswissenschaft behandelt das Forschungsobjekt Religion fast ausschliesslich als kulturelles Phänomen, wobei offen bleibt, inwieweit Religion für alle Gesellschaften und in allen Geschichtsepochen als identifizierbares kulturelles System existierte (KEHRER 1993: 425.). Religion ist ein Allgemeinbegriff für ein System, das viele Elemente umfasst, welche das System gemeinsam charakterisieren. In diesem Sinne ist auch die Religiosität zu verstehen. Das Individuum kann verschiedene Typen von religiösen Erfahrungen erleben, die historisch bedingt sind (COLPE 1993: 425ff.). Wenn ein bestimmter (Religions)typ in besonderem Masse vorkommt, so wird dieser Typ zu einer kollektiven, historischen Erscheinung. Die ausgeprägte Kultausübung beispielsweise in der ägyptischen religiösen Welt erlaubt es der religionswissenschaftlichen Forschung, die altägyptische Religion als kultisch-priesterlich zu definieren.

2.4

Die Wechselbeziehung zwischen Kultur und Religion

Die Beziehung zwischen Kultur und Religion kann unter anderem phänomenologisch oder historisch untersucht werden (SABBATUCCI 1988: 43ff.). Die phänomenologische Auffassung verneint jede Wechselbeziehung zwischen Kultur und Religion, da sie in Letzterer eine universale, von den historischen Religionsformen unablösbare Konstante sieht. Demnach ist das religiöse Verhalten eine allgemein menschliche Eigenschaft, die von der Kultur, in der sie erscheint, vollkommen losgelöst untersucht werden kann. Die historische Vorgehensweise hingegen basiert auf der Grundeinstellung, dass Religion eine kulturelle Einheit qualifiziert und somit in direkter Beziehung zur Kultur steht, wobei Religion in diesem Sinne sowohl die Ursache als auch die Wirkung von Kultur sein kann. 43 44

S. hierzu Kapitel 2.6. Diese Präzisierung verdanke ich Stephanie Gripentrog, Basel.

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Die Trennung zwischen Kultur und Religion erfolgt anhand einer Kategorisierung von Elementen, die dem Bereich des Religiösen im Gegensatz zum Staatsbürgerlichen (Zivilen) zugeschrieben werden können. Dies ist jedoch eine Methodik, die zunächst für die westliche, abendländische Kultur Gültigkeit hat und die auf der frühchristlichen Beziehung zwischen Religion (religio) und Heidentum (paganitas) basiert. Dies greift wiederum auf die geläufige semantische Opposition zwischen milites und pagani zurück, in welcher der Begriff paganus „ländlich/Dorfbewohner“ in sich die Semantik des Zivilstatus trug und mit einer Mentalität verbunden war, die dem materiellen Wohlstand anhing. Religio beschrieb somit an erster Stelle die christliche Realität. Die Ausdehnung des Terminus religio auf die Glaubenseinstellung des Heidentums hatte zwar eine polemische Funktion, indem die Gottesverehrungen der Griechen und Römer der christlichen Religion entgegengesetzt wurden, bedeutete aber folglich die Erweiterung des Religionsbegriffes auf nicht-christliche Realitäten. Im Rahmen der griechisch-römischen Kultur wurden zum ersten Mal Religion und Kultur als zwei getrennte Grössen einander gegenübergestellt. Seit dem Humanismus hat die Wissenschaftsgeschichte die antiken Religionen im Licht der Mythologien betrachtet. Darüber hinaus konnten die Ethnologie und die Anthropologie aufgrund ihres besonderen Forschungsansatzes einen Zuwachs an Erkenntnissen über Religionen ausserhalb der christlichen Realität verzeichnen, die in der Wissenschaftsgeschichte zu einer säkularen Gegenüberstellung von Kultur und Religion führten (SABBATUCCI 1988: 46ff.), da die theologische Einstellung unausweichlich zu einer Beurteilung nicht-christlicher Kulturen führte. Dieser Auffassung zufolge liess sich die Religion als Teil einer kulturellen Allgemeinheit und somit als Produkt einer bestimmten Gesellschaft definieren. Der Terminus „Religion“ ging im Begriff „Kultur“ auf. Entgegen dieser Auffassung vertritt jedoch Jan ASSMANN die Meinung, dass sich nicht alle Religionen in kulturwissenschaftliche Parameter übersetzen lassen (ASSMANN 1990: 20ff., Anm. 13). Einige Religionen wie z. B. die jüdischen und urchristlichen Bewegungen sowie die gnostischen Sekten liessen sich besser als Bekenntnisreligionen definieren, da sie eine alternative Lebensform, in bewusstem Gegensatz zur traditionellen kulturimmanenten Lebensform, darstellen. Dabei müsse jedoch deutlich zwischen kulturimmanenten und kulturübergreifenden Religionen unterschieden werden. In der altägyptischen Religion wird die traditionelle Lebensform als natürliche und selbstverständliche Weltordnung angesehen. Kern der ägyptischen Religion ist die Bewahrung des Kosmos, was sich in allen Aspekten der Kultur offenbart. Vor diesem Hintergrund ist nach Jan ASSMANN die Religion des alten Ägypten als eine Kulturreligion bzw. Traditionsreligion zu verstehen (ASSMANN 1990: 20–21). Religionswissenschaftlich wird jedoch zwischen ethnischen und Universalreligionen unterschieden. Erstere sind Religionen, deren kultureller Hintergrund mit einer einzigen Nationalität zu identifizieren ist, während im anderen Fall die Kultur mehrere Nationalitäten (inter-national) umfasst (SABBATUCCI 1988: 57). Ein wichtiges Unterscheidungskriterium in diesem Rahmen ist die Zielsetzung einer jeden Religion: Wenn ethnische Religionen der kulturellen Identität einer einzigen Nationalität dienten, sind Universalreligionen durch einen programmatischen Universalismus gekennzeichnet, der kulturübergreifend war. Jan ASSMANNs Definition der ägyptischen Religion als Kulturreligion

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deckt sich somit mit dem religionswissenschaftlichen Begriff der ethnischen Religion 45 und fokussiert die Ausdrucksformen der Religion im Hinblick auf die Bewahrung der innerkulturellen Merkmale.

2.5

Kultur und Religion in Ägypten: das Konzept der Maat

Die Wechselbeziehung zwischen Kultur und Religion als Teile einer kollektiven Identität kulminiert in Ägypten im Begriff „Maat“, der von Jan ASSMANN als angemessenster Begriff für die Definition der ägyptischen Religion überhaupt betrachtet wird (ASS46 MANN 1990: 18). Maat steht in der ägyptischen Kultur als Oberbegriff für mehrere Konzepte, die nach abendländischen Denkkategorien entweder dem Bereich des gemeinschaftlichen Miteinanders oder demjenigen der Religion angehören. Bei „Maat“ handelt es sich um einen Begriff, der die Bedeutung von Ethik und Moral, von Wahrheit und Gerechtigkeit, von Tradition und Weltordnung sowie von Staat und Recht (ASSMANN 1990: 200ff.) einschliesst und der zugleich die Regelwerke von Kult, Ritual und der persönlichen Beziehung zu den Göttern (TEETER 1997) in sich vereint. Dieses Konzept wurde personifiziert durch die Göttin Maat, welche der König im täglichen Tempelkult seit Mitte der 18. Dynastie in Form von Statuetten den Göttern opferte (TEETER 1997: 2ff.; HORNUNG 1987: 387ff.). Als essentielles Prinzip für das Leben und die Inganghaltung aller Werte und Elemente der ägyptischen Kultur wurde sie nach ägyptischer Vorstellung bei der Weltschöpfung von Atum als seine Tochter Tefnut erschaffen (HORNUNG 1987: 388; ASSMANN 1984: 209–215). Spruch 80 der Sargtexte erklärt die Wechselbeziehung zwischen Vater und Tochter nach dem do ut des-Muster (ASSMANN 1969: 157) 47, da Atum Tefnut/Maat zwar geschaffen hat, von ihr als luftund lebenspendendes Element aber abhängt, um am Leben zu bleiben und die Weltordnung zu garantieren (BICKEL 1994: 171–172). 48 Das Darbringen der Maat durch Pharao im Tempelritual ist vor diesem Hintergrund als eine symbolische, tägliche Erneuerung des Verhältnisses zwischen Atum und Maat zu verstehen, die grundlegend für die Aufrechterhaltung der Welt mit all ihren Prinzipien und Werten ist. So wie der König im Tempelkult die Maat rituell jeden Tag neu bestätigt, so muss der Mensch sie auf der Ebene seines alltäglichen Lebens durch richtiges Handeln und Verhalten verwirklichen. Das universale Prinzip der Maat gilt also nicht ausschliesslich für die Ebene der Beziehung zwischen Gott und König, vielmehr verpflichtet es alle sozialen Schichten (HORNUNG 1987: 405ff.). In soziologischen Begriffskategorien kann Maat sogar als sozioregulatives Konzept, das im Idealfall einen direkten Einfluss auf das Leben des Individuums hatte, betrachtet werden (HOFMANN 2005: 30–38). Dies wirft die Frage nach 45

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47 48

S. dazu auch MORENZ 1964a: 15ff., der anstelle des Begriffes „ethnische Religion“ den Ausdruck „Nationalreligion“ in Opposition zu „Weltreligion“ benutzt. Zu den verschiedenen Übersetzungsversuchen des Begriffs „Maat“ s. HORNUNG 1987: 393–304. Zu seiner Bedeutung für den kulturellen Geist Ägyptens siehe LICHTHEIM 1997 und zuletzt KARENGA 2004. ASSMANN bezieht sich hier auf den Text in TT 49. BICKEL 1994: 172, Zitat 183: CT 80 II, 35b–d: sn sA.t=k MAa.t wd n=k s r fnD=k anx jb=k „Atme deine Tochter Maat ein, bringe sie zu deiner Nase, sodass dein Herz von ihr leben kann“.

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der kultischen Wirklichkeit der Maat als Verkörperung eines religiös-kulturellen Prinzips auf. Es wurde soeben auf die Schöpfungsgeschichte der Maat, so wie sie in den Sargtexten überliefert ist, verwiesen und somit auch auf die Verbindung von Maat zu Tefnut. Im Gegensatz zu anderen Gottheiten ist die Göttin Maat abgesehen von Tefnut mit keinen anderen Göttinnen verbunden. Dennoch sind im Neuen Reich sowohl im thebanischen Bereich als auch im Delta mehrere Tempel der Maat mit eigener Priesterschaft durch indirekte Erwähnungen vor allem in Gräbern belegt (HORNUNG 1973: 66, Anm. 28), was auf die kultische Verehrung der Maat hindeutet. Die private Anteilnahme unter anderem am Maat-Prinzip ist durch die Szene des Totengerichtes in Kapitel 125 des Totenbuches sowie in der Darstellung des Darbringens der Maat vor Ptah und Thot durch den jeweiligen Grabinhaber in den thebanischen Gräbern TT 290 und TT 335 bezeugt. Da dieses Thema im Königsgrab bereits ab der Regierungszeit des Merenptah vorkommt, wurde es im privaten Bereich sehr wahrscheinlich von dort übernommen (HORNUNG 1987: 397). Der Fokus dieser Beteiligung liegt somit auf dem Jenseits und dem Leben nach dem Tode, das allerdings wiederum von der Verwirklichung der Maat in Taten und Worten zu Lebzeiten abhängt. Ausgangspunkt dieses Exkurses war Jan ASSMANNs Deutung der Maat als möglicher Begriff für „Religion“. Zur Unterstützung seiner These kann man mit Sicherheit die Universalität dieses Prinzips hervorheben, das nicht nur den König in seiner Ausübung der täglichen Inganghaltung der erschaffenen Ordnung begleitete, sondern vielmehr massgeblich für das jenseitige Leben jedes Individuums war. Es ist bemerkenswert, dass auf Koptisch das Verbum für „segnen” smou lautet, was mit dem alten Begriff der Maat etymologisch verbunden ist (HORNUNG 1987: 403).

2.6

Sakral und profan in Ägypten

Jan ASSMANNs These, „Maat“ sei als bestmöglicher Begriff für „Religion“ in Ägypten aufzufassen, bleibt eine ägyptologische Interpretation. Um eine ägyptische Selbstdefinition handelt es sich dabei nicht, denn es gab in Ägypten weder ein Wort für „Religion“ noch eines für „Säkularität“. Dennoch verfügt die altägyptische Sprache über einige Begriffe, die auf eine konzeptualisierte Trennung zwischen einer sakralen und einer profanen Dimension hindeuten. Antonio LOPRIENO konnte diesbezüglich drei Termini isolieren, die das Sakrale und dessen Zugangsmöglichkeiten durch den Menschen im Rahmen eines Systems in drei Formen zum Ausdruck bringen: In einer ersten Form ist das Sakrale unantastbar („intouchable“), in einer zweiten unausdrückbar („ineffable“) und in einer dritten abhängig von der rituellen Reinheit („pureté rituelle“; LOPRIENO 2001: 13ff.). Von besonderem Interesse ist das Konzept der Reinheit durch Trennung („pur par séparation“), was durch das ägyptische Wort Dsr „heilig“ (Wb.V.610) ausgedrückt wird (HOFFMEIER 1985: insbes. 89ff.). Das Verhältnis heilig/profan wird somit als ontologische Zäsur gedeutet, weshalb LOPRIENO in diesem Zusammenhang von einem physischen Zugang zum Sakralen spricht (LOPRIENO 2001: 14). Um diese Darstellung weiterzuführen, ist nicht unerheblich, dass die Wahrnehmung dieser physischen Trennung die Anwesenheit des Menschen als Betrachter impliziert, für den die Zugänglichkeit des Ortes von rituellen Voraussetzungen abhängig war. Das Verhältnis zwi-

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schen heilig und profan wird daher im räumlichen Sinne zum Ausdruck gebracht. So ist das ägyptische Wort Dsr „heilig“ etymologisch von der semitischen Wurzel gzr „schneiden, trennen“ abzuleiten, die wiederum in der indogermanischen Wurzel *tem„schneiden“ und im griechischen témenos „heiliger Vorhof“ enthalten ist (LOPRIENO 2001: 15). Das Heilige war darüber hinaus durch eine spezifische Kenntnis geheimer Realitäten zugänglich. So definiert das Wort (s)StA „Geheimnis“ (Wb.IV.298) eine Realität, die durch intellektuelle Erziehung enthüllt und beherrscht werden konnte. Schliesslich hätte sich in Ägypten eine dritte Auffassung des Sakralen herausgebildet, dessen Zugang durch rituelle Reinheit kennzeichnet war: wab „rein sein“ (Wb.I.281.9; LOPRIENO 2001: 19–20). Diese Abgrenzung ist nach Antonio LOPRIENOs Interpretationsmodell typologisch und historisch zu verstehen, da die drei Formen zum einen in allen Epochen der ägyptischen Geschichte vorkamen, zum anderen jedoch bestimmte Phasen idealtypisch charakterisierten. Einzelne kulturelle Eigenschaften traten in bestimmten Epochen mehr als in anderen zum Vorschein. So kristallisierte sich z. B. im Neuen Reich das Konzept der rituellen Reinheit (wab) als die Zugangsmöglichkeit zum Göttlichen heraus und unterschied sich somit von den älteren Phasen der ägyptischen Geschichte: „(...) on est prêt à reconnaître dans ces termes la cristallisation d’approches, historiquement variables, de la frontière qui sépare le sacré du profane.“ (LOPRIENO 2001: 20) Das Verhältnis zum Sakralen in Ägypten liesse sich nach LOPRIENOs Auffassung durch seine stetig zunehmende magisch-religiöse Ritualisierung verstehen, die mit der Zeit nicht mehr nur engen Kreisen vorbehalten war, sondern vielmehr – insbesondere in der Spätzeit – breitere Schichten involvierte. 49 Antonio LOPRIENOs Erkenntnisse über das Verhältnis von sakral und profan decken sich mit den Gegebenheiten, die sich von der Untersuchung der Anwendungsbereiche magischer Rituale erkennen lassen. Zaubersprüche auf Papyri sowie magische Objekte ermöglichen die Erkenntnis von drei unterschiedlichen Typen derartiger Rituale: die funeräre Magie, die Magie des Tempelrituals und die Alltagsmagie (PINCH 1994: 9ff.). Die funeräre Magie fand auf einer Ebene statt (in der Nekropole: tA-Dsr), die vom profanen Alltag getrennt war und durch die der Verstorbene in Kontakt mit dem Jenseits und den dort ansässigen Gottheiten trat. Deshalb dienten die Objekte, die in Gräbern gefunden wurden, zusammen mit der Totenliteratur dem gefahrlosen Übergang des Verstorbenen ins Jenseits. Totenglauben und Magie standen in einer engen Beziehung zueinander (ALTENMÜLLER 1987, CAMINOS 1987), die sich vor allem in der Totenliteratur als magisch-religiöse Sammlung für das Jenseits erkennen lässt. Davon zu trennen sind die Totenliturgien (ASSMANN 2002, DERS. 2005), bei denen es sich um Rezitationsliteratur handelt: Im Gegensatz zur Totenliteratur gehört die Rezitationsliteratur nicht zur magischen Ausstattung des Verstorbenen. 49

Die kultisch-rituell erfahrene Gottesnähe ist jedoch schon im Mittleren Reich belegt, sodass die Zunahme der Zeugnisse für diese Zugangsart zum Göttlichen im Neuen Reich vielmehr vor dem Hintergrund ihrer allgemein erhöhten Verschriftlichung zu deuten ist. S. hierzu Kapitel 3.1.3 sowie 6.2.2.

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Die Sakralität, die dem Verborgenen und Geheimen (sStA) immanent war und dabei insbesondere den Bereich der hohen Theologie und des Mythos betraf, konnte durch eine spezifische Kenntnis erreicht werden. 50 Die Umsetzung dieser Kenntnis in das Tempelritual diente nach altägyptischer Vorstellung der täglichen Inganghaltung des Kosmos und konnte durch den Vollzug magisch-religiöser Riten erreicht werden. Schliesslich ging die stark ritualisierte Form (wab) des Kontaktes mit dem Numinosen mit einer deutlichen Zunahme an Amuletten 51 und magischen Objekten des Alltages einher. Dies spiegelt die Vorstellung eines direkten Eingriffes der göttlichen Sphäre in das Leben eines jeden Individuums wider (BOURGHOUTS 1982, KARL 2000) und somit gleichermassen den Versuch, es direkt zu kontrollieren und zu lenken. Durch festgelegte rituelle Praktiken und religiöse Gebetsformeln wurde die Sphäre des Göttlichen dem Individuum unmittelbar zugänglich gemacht. Die Erreichbarkeit des Göttlichen war je nach sozialer Schicht im unterschiedlichen Masse möglich, und zwar je nachdem, ob sie durch die theologische Kenntnis einzelner Spezialisten oder durch die magisch-rituelle Praxis von Individuen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten erreicht wurde. Folgt man Antonio LOPRIENO, der diesbezüglich von der Entwicklung einer Orthodoxie zu einer Orthopraxis spricht, wäre dies als Folge einer sog. Demokratisierung der ägyptischen Religion zu werten, die insbesondere im 1. Jahrtausend v. Chr. stattgefunden hätte (LOPRIENO 2001: 39). Es darf dabei jedoch der soziale Unterschied zwischen denjenigen, die Träger der Orthodoxie waren (Elite), und denjenigen, welche die Orthopraxis pflegten, nicht unterschätzt werden, da dieser eine typologische Konstante dieses Spannungsfeldes bleibt. Auf der Dialektik zwischen dem Sakralen und dem Profanen sowie deren Zugangsund Verhaltensregeln basiert das Wesen der altägyptischen Religion, die nach Jan ASSMANN „ein Weg der inneren Anpassung an das Heilige“ ist sowie „ein Weg der Erlösung, der aus der Kultur als System konventionalisierter Bindungen von Mensch, Kosmos und Gesellschaft herausführt, um den Menschen unmittelbar vor Gott zu stellen“ (ASSMANN 1990: 19).

2.7

Die Religionssoziologie

In der Einleitung der vorliegenden Arbeit wurde mehrmals auf Fragestellungen verwiesen, die sich in der Forschungsgeschichte zur Persönlichen Frömmigkeit aus der Betrachtung des sozialen Kontextes der einzelnen Quellen ergeben haben. 52 Dies rechtfertigt eine Auseinandersetzung mit dem religionssoziologischen Forschungszugang, 53 der der Frage nach dem Verhältnis zwischen der Religionspraxis eines Individuums und dessen sozialer Verortung nachgeht. 54 Die Religionssoziologie, deren Gründungsväter 50 51

52 53 54

S. dazu insbes. ASSMANN 1977. Es handelt sich dabei vor allem um die kleinen Skarabäen und Siegelamulette, die mit kurzen Formeln religiösen Inhalts beschriftet waren und den Glauben an einen persönlichen Gott widerspiegeln (ALTENMÜLLER 2009: 47-48). S. hierzu vor allem Kapitel 4. S. Kapitel 4.1.2. Versuche, einzelne Aspekte dieses Ansatzes auf die Erforschung von Religion und Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten anzuwenden, unternahmen insbesondere John BAINES (1987, DERS. 1991),

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Karl MARX, Max WEBER und Emile DURKHEIM sind (DAVIE 2009: 172–176), ist als Teildisziplin der Soziologie zu betrachten und verdankt ihr somit Methode und Zielsetzung, die in der Konzeption einer Theorie des religiösen Handelns aufgeht (KEHRER 1988: 59ff.). Zur Veranschaulichung dieser These sei hier die Definition von Günther KEHRER in Erinnerung gebracht: „Für die Religionssoziologie existiert Religion nur als ein von mehreren Menschen geteiltes gemeinsames Glaubenssystem. Die religiöse Idee (...) ist noch nicht Gegenstand der Religionssoziologie. (...) Eine religiöse Idee ohne (sozialen) Träger ist keine Religion“ (KEHRER 1988: 143). Darüber hinaus untersucht die Religionssoziologie die Muster des individuellen wie des sozialen Lebens in ihrem Zusammenspiel mit Religion (DAVIE 2009: 171). Der Fokus der religionssoziologischen Analyse ist also die Gesellschaft und das sozial verortete Individuum als Träger von Religion. Die bestehende Wechselbeziehung zwischen Individuum und Religion steht hinter den Forschungsansätzen, die sich entweder mit dem Ursprung (DURKHEIM) oder der Funktion (MALINOWKSI) von Religion beschäftigen. Die Untersuchung solcher Fragestellungen würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten; darüber hinaus sind soziologische Theorien, die auf dem Modell zeitgenössischer Gesellschaften und moderner, hauptsächlich westlicher Religionen entwickelt wurden, nur mit Mühe auf die altägyptische Situation anwendbar. Demzufolge untersucht die vorliegende Arbeit nicht die Frage des Ursprungs oder der Funktion von Religion für das Individuum im alten Ägypten im Rahmen einer theoretischen Abhandlung. Vielmehr wird konkret auf die Stellung des Individuums zur Religion sowie auf seinen Zugang zu ihr eingegangen. Die Untersuchung der Quellen zielt vor dem Hintergrund der soziologischen Betrachtungsweise auf die Erkenntnis der unterschiedlichen Gestaltung von Ausdrucksformen persönlicher Religionspraxis im Verhältnis zur sozialen Verortung des Individuums ab (KEHRER 1988: 117ff.). 55 Kultur ist nach soziologischer Auffassung die Summe der materiellen und immateriellen Artefakte einer Gesellschaft (KEHRER 1988: 80). Aus diesem Grund wird die Gesellschaft als Quelle kultureller Ausdrucksformen zum Forschungsgegenstand der Soziologie. Religion gilt demzufolge als eine Komponente der Kultur, die auf sozioökonomischen Kontexten basiert und von der Gesellschaft, in der sie aufkommt, nicht getrennt werden sollte. In den Betrachtungen einzelner Forscher sind unterschiedlichen Abstufungen greifbar. Während nach Karl MARX Religion als (abzulehnendes) Produkt der kapitalistischen Gesellschaft betrachtet wurde, das von der Wirtschaft eines Landes abhing, 56 war sie nach Max WEBERs Auffassung vollkommen unabhängig von der Gesellschaft, 57 in der sie entsteht (DAVIE 2009: 172–174). 58 Die Grundfrage in WEBERs

55 56 57

Barry KEMP (1979: 47–53, DERS. 1995), Geraldine PINCH (1983, DIES. 1993), Ashraf SADEK (1987, DERS. 1989), Deborah SWEENEY (1985, DIES. 1994), Martin FITZENREITER (2004), Anna STEVENS (2006, DIES. 2009) und Karen EXELL (2009). Zu diesem Thema s. Kapitel 4.1.3. Nach diesem Muster haben marxistisch orientierte Forscher auch die altägyptische Religion als ein Machtinstrument der herrschenden Klasse interpretiert (z. B. KEMP 1995). Diese wird von WEBER als „die Welt“ definiert (DAVIE 2009: 174).

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Analyse betraf die Art und Weise wie die religiöse Ethik das individuelle wie auch das kollektive Verhalten beeinflusste (DAVIE 2009: 174). Schliesslich ist Emile DURKHEIM, der sich hauptsächlich mit der Funktion von Religion in der Gesellschaft beschäftigte (funktionalistischer Ansatz), in seinem 1912 erschienenen Werk Les formes élémentaires de la vie religieuse, als einzigem unter den Gründungsväter der Religionssoziologie eine explizite Definition von Religion zu verdanken: „Une religion est un système solidaire de croyances et de pratiques relatives à des choses sacrées, c’est-à-dire séparées, interdites, croyances et pratiques qui unissent en une même communauté morale, appelée Eglise, tous ceux qui y adhèrent.“ Dieser Definition zufolge ist zum einen zwischen sakral und profan zu unterscheiden: 59 Im Gegensatz zum Profanen ist das Sakrale funktional, denn eine Kollektivität kann durch ein System von Glauben und Praktiken vereint werden (DAVIE 2009: 175). Zum anderen wird der kollektive Charakter von Religion besonders in den Vordergrund gerückt. Ferner war seiner Meinung nach Religion als höchster Ausdruck der Gesellschaft zu betrachten, da sie dem Individuum gegenüber übermächtig ist: Im religiösen Handeln würde somit die Gesellschaft symbolisch repräsentiert (KEHRER 1993: 65–66). Religion wird sich den Veränderungen der Gesellschaft stets anpassen und immer existieren, da sie eine notwendige Funktion übernimmt (DAVIE 2009: 175). Seit Niklas LUHMANN beschreibt die Religionssoziologie das religiöse Phänomen als eine Plausibilitätsstruktur, in welcher der Mensch seine einzelnen Erfahrungen integriert, um darin ein Bedeutungssystem zur Erklärung seiner Welt aufzubauen. Im interkulturellen Vergleich beschreibt dies die Bindung des Individuums an die Religion derjenigen Kultur, in der er lebt. In der religionssoziologischen Forschung legen europäische und amerikanische Forscher unterschiedliche Schwerpunkte: Während Erstere sich mehrheitlich mit der zunehmenden Säkularisierung beschäftigen, konzentrieren sich Letztere auf die konstante Zunahme religiöser Gruppen in den USA (DAVIE 2009: 179). Was die ägyptologisch zentrierte Forschung anbelangt, bleiben Fragen offen, die weniger auf eine allgemeine Erklärung für das Aufkommen des Phänomens der Persönlichen Frömmigkeit abzielen, 60 sondern vielmehr die praktische Umsetzung der Anteilnahme des Individuums an der Religion zum Gegenstand haben. Das religionssoziologische Instrumentarium wird hier insbesondere für die Frage von Bedeutung sein, die sich mit den Stiftern der einzelnen Denkmäler der Persönlichen Frömmigkeit beschäftigt (4.

58

59 60

Dieser Betrachtung zufolge ist das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft an Variablen wie Ort und Zeit gebunden und somit veränderlich. Ferner kann dieses Verhältnis nicht einfach vorausgesetzt, sondern muss vielmehr untersucht werden. Weitere Ausführungen würden den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Stattdessen sei auf DAVIE 2009: 174ff verwiesen. S. dazu unter 2.6. Diese Fragestellung wurde von Jan ASSMANN vor dem Hintergrund der Amarna-Erfahrung erklärt, und als Reaktion darauf verstanden (ASSMANN 1996a: 252ff.). Im Laufe der vorliegenden Arbeit wird mehrmals im Zusammenhang mit der archäologischen wie auch textlichen Beleglage auf diesen Punkt eingegangen.

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Kapitel), sofern sie Träger religiöser Vorstellungen waren und den sozialen Strukturen der altägyptischen Gesellschaft unterlagen.

2.8

Die Religionspsychologie

Wenn Religion in der Erfahrung des einzelnen Menschen verortet ist, sind religionspsychologische Fragen angeschnitten. Die Religionspsychologie, die sich auf keine einheitliche Theorie und Methode stützt (MAIN 2009: 147), 61 entstand in den USA zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Drang heraus, sich von der spekulativen Philosophie zu distanzieren, um eine empirische Wissenschaft aufzubauen. Sie war damals unter anderem neben der Religionsgeschichte und der vergleichenden Religionswissenschaft nur eines von mehreren neuen Fächern, die sich der allgemeinen Untersuchung mentaler und psychologischer Zustände, die mit Religion in Verbindung stehen, widmeten und zu denen später auch die Neuro-Pänomenologie hinzukam (MAIN 2009: 148-149). Die Religionspsychologie bedient sich empirischer Methoden (z. B. Fragebögen), deren Resultate nicht nur Theorien, sondern auch messbare Werte in Form von Statistiken oder der Erkennung von Wiederholungen von Mustern sein können (MAIN 2009: 160–162). Ziel der Religionspsychologie ist, religiöse Phänomene wie Anbetungen und Messen, die in einer Gruppe erlebt werden, das Gebet, das Opfer, usw. zu untersuchen. Darüber hinaus versuchen Forscher die psychologische Herkunft von Religion, sowie den Einfluss von Religion und Religionspraxis auf die Psyche des Individuums einerseits und auf die Gesellschaft andererseits zu erfassen (MAIN 2009: 162– 163). Ein Ausgangspunkt für das Entstehen der Religionspsychologie war das Aufkommen des modernen Protestantismus in Europa und Nordamerika. 62 Religionspsychologische Untersuchungen, die sich mit nicht-protestantischen Religionen beschäftigen, können aufgrund der Entwicklung des Faches nur mit grosser Schwierigkeit unternommen werden (MAIN 2009: 147–148). Eine erste Form der religionspsychologischen Analyse liegt in der Beschreibung religiöser Vorgänge, die der Mensch an sich selbst beobachten kann (Selbstbeobachtung) und die historisch nachvollziehbar sind. Nach diesem Muster kann die altägyptische Erzählung des Lebensmüden als ein typisches Beispiel für die Nachvollziehbarkeit psychologischer Vorgänge gelten (STOLZ 2001: 146ff.), die auf religiösen Einstellungen basieren und gleichzeitig von der externen historischen Situation – der Ersten Zwischenzeit als Topos für Chaos – abhängen. Für die Religionspsychologie sind Gefühle und Lebenshaltungen, die der Religion eigen sind, von zentraler Bedeutung, da sich daran die Gleichförmigkeit verschiedener Religionen erkennen lässt. So ist für William JAMES, einen der Gründungsväter der Religionspsychologie, die persönliche religiöse Erfahrung das Herz einer jeden Religion (MAIN 2009: 151). Nach ihm bewirkt der religiöse Grundvorgang eine Veränderung im Menschen: Eine Situation der Unruhe, Disharmonie und Desorientierung geht durch die re61

62

Zu den verschiedenen Theoretikern, die die Religionspsychologie beeinflusst haben, vgl. den Überblick bei MAIN 2009: 149–162. Weitere Ausgangspunkte für die religionspsychologische Analyse, die u. a. in der Philosophie, der Medizin und der katholischen Theologie zu erkennen sind, sind in HENNING ET AL. 2003: 1–90 beschrieben. Diesen Hinweis verdanke ich Stephanie Gripentrog (Basel).

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ligiöse Erfahrung in Ruhe, Vollendung und Orientierung über. Es geht ihm dabei um ein wahrhaftiges „Bekehrungserlebnis“; die Psychologie spricht dabei vom „Empfinden eines besseren Ichs“, das sich im religiösen Akt realisiert und mit einem höheren Wesen in Verbindung setzt (STOLZ 2001: 151–152). 63 Die Grenzen des religionspsychologischen Ansatzes für die Erforschung einer antiken Religion sind offensichtlich und benötigen keine nähere Erklärung. Dennoch bestehen vor allem in einigen wenigen Gebeten der Ramessidenzeit Elemente eines Selbstbekenntnisses, die genau jene Strukturen aufweisen, die für die religionspsychologische Analyse essentiell sind. So beschreibt der Arbeiter von Deir el-Medina Neferabu in seiner Stele für die Göttin Mertseger 64 einen Zustand, der nach einer religiösen Erfahrung vom Leiden zur Ruhe gewechselt hat: Situation der Unruhe: „Ich war ein unwissender Mann, der keinen Verstand hatte, nicht Gut und Böse unterscheiden konnte“. (...) Ich beging diesen Fall von Übertretung an der Bergspitze, und sie erteilte mir eine Lehre. Ich war in ihrer Hand Nacht und Tag: Ich sass auf dem Ziegelstein wie eine Frau, die gebärt; Ich fragte den Wind, aber er kam nicht zu mir“. (...) Religiöse Erfahrung und Erlösung vom Leiden: „Sie war gnädig, nachdem sie mich ihre Hand hatte schauen lassen, sie wandte mir wieder Gnade zu, sie liess mich das Leiden vergessen, in dem ich befangen war. Die Bergspitze ist gnädig, wenn man zu ihr ruft!“. Gebetstexte solcher Art, die den persönlichen Status vor und nach einer religiösen Erfahrung offen beschreiben, sind in Ägypten Sonderfälle und verdienen somit unter religionswissenschaftlicher Perspektive besondere Aufmerksamkeit. Die Gesamtuntersuchung der Texte der Persönlichen Frömmigkeit in den unterschiedlichen Anbringungskontexten, die sich die vorliegende Arbeit zum Ziel setzt, wird das Überwiegen der Norm gegenüber dem Individuellen hervorheben. Selbst dort, wo einzelne Personen ihren persönlichen Bezug zur Religion zum Ausdruck brachten, verlief dies meist anhand festgelegter Regeln bezüglich Inhalt und Form, die den Übergang zur Sphäre der Individualität nicht erkennen lassen. Das oben zitierte Gebet des Neferabu stellt insofern einen Sonderfall dar, als dass hier eine persönliche Erfahrung des Transzendenten, von dem jede existentielle Kondition abhängt, verkündet wird; durch deren Beschreibung erfolgt die Anerkennung eines inneren individuellen Prozesses. Ohne die Berücksichti63

64

Diese Grundsätze wurden insbesondere in der Psychoanalyse von Siegmund FREUD und Karl Gustav JUNG aufgenommen und entsprechend verändert. Dennoch bleiben für die heute praktizierte Religionspsychologie einige Forschungsansätze aktuell, die in dieser ersten Formphase entwickelt wurden, unter denen hier insbesondere die Notwendigkeit der Forschung im Kulturvergleich hervorgehoben sei. Stele Turin 50058: Kat. G.19.5. (Taf. 7).

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gung der Strukturen der ägyptischen Gesellschaft und Kultur für die Interpretation solcher Texte ist jede Deutung, die auf modernen Theorien basiert, jedoch unbefriedigend und einseitig. Es bleibt die Tatsache bestehen, dass hier besondere Prozesse der inneren Selbstbeobachtung deutlich vorhanden sind: Die persönliche Gotteserkennung überschreitet die Grenzen der Norm und wird zum Ausdruck der individuellen existentiellen Erfahrung. Autobiographische Texte, die ihren „Sitz im Leben“ im Grab haben und sog. Bekenntnisgebete beinhalten, sind in der Ramessidenzeit in Ägypten bezeugt 65 und stellen ein Zeugnis für die Selbstreflexion dar, d. h. für das Nachdenken über das eigene Leben. Diese Belege gehören dem Bereich des in der etablierten Kultur festgelegten Diskurses über das Individuum an: Einzelne Erfahrungen konnten unterschiedlich – d. h. individuell – sein, nicht jedoch das für die Nachwelt gedachte und somit zu vermittelnde Bild des Verstorbenen als Individuum. In der Erkenntnis der eigenen „Sündhaftigkeit“ gegenüber Ptah (Stele BM 589: Kat. G.19.6) und Mertseger (Stele Turin 50058: Kat. G.19.5, Taf. 7) präsentiert sich Neferabu als Individuum. Seine Erfahrung ist individuell, aber deren religiöse Deutung sowie die daraus entstehende religiöse Handlung sind der festgelegten, religiösen Norm der Ramessidenzeit zuzuschreiben. Wie es allgemein in traditionellen Gesellschaften der Fall ist, war das Individuum auch in Ägypten Träger der Werte einer Hochkultur und definierte sich somit als Teil eines kulturellen Ganzen (JUNGE 2002: 14). Aufgrund der Quellenlage kann heute die Autonomie seiner Individualität nicht erfasst werden, was darauf hinweist, dass ihr damals weder sozial noch kulturell eine entscheidende Bedeutsamkeit zugesprochen wurde.

2.9

Hymnus und Gebet: Versuch einer Definition

Bislang gilt die Studie von Friedrich HEILER über das Gebet noch immer als die zentrale Monographie, die sich mit diesem Thema beschäftigt und versucht, eine allgemeingültige Definition zu entwickeln. Nach HEILERs Auffassung ist das Gebet als das zentrale Phänomen jeder Religion anzusehen (HEILER 1969: insbes. 1–4), das die paradigmatischste Interaktion zwischen dem Menschen und einem göttlichen Wesen darstellt. Als solches wird das Gebet religionsgeschichtlich auch als Interaktionsritual definiert, das zu den typischen religiösen Kommunikationsformen zwischen einem Ich und einem unterschiedlich gearteten Du zählt (FLASCHE 1990: 456ff., STOLZ 2001: 16ff.): Ein Gebet ist somit eine verbale Kommunikationsform innerhalb dieser Ich-Du-Beziehung. Im Gebetsablauf wird dieses verbale Element mit einer Gestik verbunden, welche die institutionalisierten Verhaltensnormen der Kollektivität im religiösen Akt widerspiegelt. Religionsphilosophische Überlegungen haben sich insbesondere mit Fragen des Ursprungs des Gebetes beschäftigt, um dessen psychologische Hintergründe zu erforschen (SCHEELE 1960: 16–17) und gelangten zu der Ansicht, dass Beten als ein „zu Gott Aufschauen“, „das Angesicht Gottes Suchen“ oder „mit Gott Sprechen“ zu deuten ist, was jedoch von der empirisch fundierten Religionswissenschaft stark kritisiert wurde (FLASCHE 1990: 461–462). Für die Untersuchung gegebener und auszuwertender Daten stützt sich die letzte Interpretation auf einen Fragenkatalog, der hier knapp zusammen65

S. Kapitel 5.4.

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gefasst werden soll, da er für die Auswertung der Gebetstexte in Kapitel 5.1.1 und 5.1.2 der vorliegenden Studie von Relevanz ist. 66 a) „Wer betet?“: Die Antwortmöglichkeiten hierauf variieren zwischen Individual- und kollektivem Gebet, wobei in Ägypten zahlreiche Belege gerade für Individualgebete vorhanden sind. Die Auswertung der Religionswissenschaft basiert auf den Gegebenheiten möglichst aller Gesellschaftsschichten, ohne sich auf die Elite zu beschränken. Die schriftlichen Zeugnisse einer antiken Kultur wie derjenigen des Alten Ägypten stammen jedoch per Definition aus einem elitären sozialen Milieu und können somit nur eingeschränkt für die Gesamtheit des Volkes gelten. b) „Was wird gebetet?“: Hierbei geht es um die Untersuchung von Form und Inhalt der Gebete. Kategorien möglicher Antworten sind das freie Gebet, Gebetsformeln (spontan oder stereotypisch), Gebetsdichtungen und Bekenntnisgebete. Der Inhalt eines Gebetes ist gleichermassen von der Absicht (Frage g) des Beters abhängig. c) „Wie wird gebetet?“: Mittels dieser Frage beschäftigt sich die Religionswissenschaft vor allem mit der Form des Gebetes und insbesondere mit der Zusammensetzung von verbalem Ausdruck und Gestik. Da die empirische Religionswissenschaft auf Beobachtungen zeitgenössischer Realitäten basiert, hat sie eine Reihe von möglichen Gebetsvarianten herausgearbeitet, die nur mit Mühe auf das alte Ägypten anwendbar sind. Es handelt sich dabei um das stille Gebet, unterteilt in ein verinnerlichtes, ekstatisches und ein enthusiastisches Gebet. Davon unterscheidet sich eine zweite Hauptkategorie, die für die ägyptologische Untersuchung von grösserem Interesse ist: das ritualisierte Gebet, das formal vorgeschrieben ist und laut gesprochen wird. d) „Wann wird gebetet?“: Unterschieden wird hierbei zwischen einem spontanen, ritualisierten und kultischen Gebet. e) „Wo wird gebetet?“: Diese Frage handelt von der lokalen Zuordnung von Gebeten. Für das alte Ägypten ergeben sich Möglichkeiten wie der sakrale und der situationsbedingte Raum. Gebete im „stillen Kämmerlein“ sind in Ägypten nicht nachweisbar. f) „Warum wird gebetet?“: Hier werden die Gründe für die Hinwendung an ein göttliches Wesen untersucht. g) „Wozu wird gebetet?“: Mit dieser Frage wird die Zielgerichtetheit des Gebetes hinterfragt. Diese kann alle Zeitebenen betreffen und sich dem Diesseits wie dem Jenseits zuwenden. Durch die Untersuchung der Zielgerichtetheit eines Gebetes ist es möglich, zu erkennen, ob es sich um ein Dankoder ein Bittgebet handelt. h) „Wohin wird gebetet?“: Auf diese Weise wird der Empfänger des Gebetes hinterfragt, sowohl im Sinne eines unverfügbaren Wesens, als auch rein

66

Diesen Fragenkatalog entnehme ich der Studie von FLASCHE 1990.

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geographisch-räumlich betrachtet. 67 Das Stichwort dafür lautet „Gebetsrichtung“. In der empirischen Religionswissenschaft werden die Gebete durch die Kombination der Fragen, die im obigen Katalog vorkommen, erforscht. Die Anwendung dieser Fragestellungen auf die altägyptischen Hymnen und Gebete in der vorliegenden Arbeit wird der Notwendigkeit folgen, die vorhandenen Texte zu systematisieren und sie in das Gesamtbild der altägyptischen persönlichen Religiosität einzuarbeiten. Bislang war vom Gebet die Rede. Die altägyptischen Gegebenheiten überliefern uns jedoch auch Hymnen, die in den ägyptologischen Anthologien zusammen mit Gebeten gesammelt wurden (vgl. BARUCQ/DAUMAS 1980, ASSMANN 1991a, FOSTER 1995, ASSMANN 1999). Doch wie lässt sich die Abgrenzung von Hymnen zu Gebeten fassen? Es herrscht in der Forschung generell ein Konsens darüber, dass sich eine solche Unterscheiden für das alte Ägypten auf formaler Ebene nicht durchführen lässt (zuletzt KNIGGE SALIS 2007a). Der Hymnus ist als literarische Gattung vom Gebet kaum oder gar nicht abgrenzbar. Lobpreisende Elemente wie die Aufzählung von Epitheta einer Gottheit, die Verherrlichung ihrer Macht und Grösse, Huldigung, usw. sind gleichermassen in Hymnen wie Gebeten enthalten und bezwecken in beiden Fällen die Verkündigung der Natur Gottes, unabhängig von logistischen und zeitlichen Kategorien (ASSMANN 1978a). Die ägyptische Hymnik, die als Medium des theologischen Diskurses zu verstehen ist (KNIGGE SALIS 2007a: 4.), kann jedoch auch dynamische Prozesse hervorrufen, die die Überwindung des Todes ausdeuten wollen. Es handelt sich dabei um eine verklärende Rede (ASSMANN 1996b: 329). Der Hymnus kann religionswissenschaftlich als Preislied auf eine wie auch immer geartete Unverfügbarkeit definiert werden und unterscheidet sich vom Gebet insofern, als dass Letzteres als persönlichster Ausdruck des Glaubens zu verstehen ist, in dem Anbetung, Bitte, Lob und Dank zur Sprache kommen. Der Unterschied liegt somit im Fokus der persönlichen Ebene, die das Gebet hervorhebt. Etymologisch lassen sich beide Termini auseinanderhalten. Das deutsche Wort „Gebet“, das schon im angelsächsischen Bereich als gibëd belegt ist, entspricht wie das Verb „beten“ einer Ableitung von „bitten“ als Kollektivbildung mit dem Präfix ge-. „Bitten“ ist verwandt mit griech. peítho und peíthomai bzw. auf lat. fido, von dem fides und foedus abgeleitet sind. Die Grundbedeutung dieser Begriffe ist zum einen „etwas erbitten“ und zum anderen „sich auf jemanden verlassen“. Vor allem das lat. foedus beinhaltet das Konzept eines Bündnisverhältnisses zwischen einem Menschen und einem höheren Wesen aufgrund der bestehenden Kommunikation zwischen beiden Parteien (FLASCHE 1990: 457). Die ägyptischen Termini, die Träger für die Semantik der Anbetung, des Lobpreisens und der kultischen Akklamation sind, sind zahlreich (KNIGGE SALIS 2011: 494). Obwohl sie mehrere Möglichkeiten für ihre Determination aufweisen (KNIGGE SALIS 2011: 499), stellen sich besonders zwei Determinative als zentral heraus. Die Wörter dwA.w „Hymnus“ sowie jAw „Lobpreis, Anbetung“ (Wb.I.28), rdj.t jAw „Lob spenden, preisen“, swAS „ehren“ (Wb.IV.63) 68 und trj „ehrenvoll behandeln, respektieren“ (Wb.V.318)

67 68

Dafür bringt FLASCHE 1990: 466 das Beispiel des Islam, in dem der Beter sich in Richtung Mekka wendet. swAS trägt aber das Verehrungsdeterminativ erst ab der 18./19. Dynastie.

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werden mit der Hieroglyphe (A30) oder (A4) determiniert. 69 Dagegen weisen die Begriffe für „loben/besingen, Lob“ (Hsw.t, Hsj; Wb.III.164) und Hknw „Lobpreis“



(Wb.III.179) das Zeichen (A2) als Determinativ auf. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit beinhalten beide hier erwähnten Determinative Informationen, die auf eine bestimmte Gestik beim Akt der Anbetung hindeuten: Bei



liegt der Fokus auf den erhobenen



Händen als Zeichen von Respekt vor der Gottheit; hingegen deutet auf eine Aktion hin, die einen Sprechakt beinhaltet (LUISELLI 2007c: 92-93). Diese Gestik, die als Symbol betrachtet und demzufolge als solches auch untersucht werden kann, war kulturell kodiert und sinnstiftend. Es ist dabei vorstellbar, dass entweder auf den Akt des Sprechens (Dd) zur Gottheit verwiesen wird, was in den Briefformeln seit der Amarnazeit belegt ist, 70 oder dass der Anbetungs- bzw. Lobpreisungsakt durch den Gesang vollzogen wurde. Dafür würden die Begriffe hy „Jauchzen/Jubeln“ (Wb.II.483) und hnw „jubeln“ (Wb.II.493) sprechen, die ebenfalls in religiösen Kulttexten zusammen mit den oben erwähnten Termini verwendet werden. Während hy sowohl durch durch das Zeichen des Jubels





als auch

(A 28) determiniert werden kann, weist hnw die Hiero-

glyphe (A 8) auf, die auf eine vermutlich musikalisch gestaltete Akklamation hindeutet. 71 Diese Termini sind in den Texten im Rahmen der Beschreibung der göttlichen Epiphanie situiert und stellen die Reaktion der Kultakteure bzw. der Kultteilnehmer auf das Erscheinen Gottes dar (KNIGGE SALIS 2011: 494-497). Es wird sich im Laufe dieser Studie zeigen, dass das persönliche Gebet, das eine Verschriftlichung auf Denkmälern gefunden hat, Teil eines umfangreicheren Interaktionsrituals war, das mit der Huldigung der angebeteten Gottheit begann (LUISELLI 2007c). Die Vielfalt der wörtlichen Determinierung von Anbetungsvorgängen scheint sich jedoch auf der Ebene der ikonischen Übertragung auf Denkmäler deutlich zu reduzieren. Die Votivstelen und allgemein die bildlichen Darstellungen von lobpreisenden Haltungen weisen immer das Bild eines Individuums (Mann oder Frau) auf, entweder kniend, gebeugt oder stehend, mit erhobenen Armen als Zeichen der Anbetung, was den





Hieroglyphen A30 und A4 entspricht, oder mit einer Opfergabe in der Hand. 72 Unabhängig vom Inhalt des beigefügten Textes, dienen diese Darstellungen der sofortigen Wiedererkennung des abgebildeten Vorgangs: der Anbetung einer Gottheit. Der ikonische Gehalt dieser beiden Hieroglyphen ist beschränkt auf diese einzige Ebene 73 69 70 71

72 73

Alternativ dazu kann auch die Hieroglyphe  (A4) als Determinativ vorkommen, besonders in snsw „Lobpreis“. S. Kapitel 5.3.2 und 6.3. Diesbezüglich sei auf Carsten KNIGGE SALIS' ausführliche Studie (2011) verwiesen, der das Wort nhm „jubeln“ als weiteres Beispiel für die festliche Akklamation erwähnt. Besonders interessant ist hierbei

die Feststellung, dass dieser Terminus gelegentlich auch mit dem Zeichen  determiniert werden kann, das eine mit einem Tamburin musizierende Frau darstellt (KNIGGE SALIS 2001: 496). S. dazu Kapitel 3.1.2. SADEK 1987: 201 unterscheidet jedoch die stehende Haltung von der knienden insofern, als dass er in der ersten ein Zeichen für Verehrung und Anbetung, in der zweiten hingegen ein Zeichen von Devoti-

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und somit unmittelbarer sowohl für die Vermittlung der Botschaft als auch für deren Rezeption (LUISELLI 2007c: 96). Für die Haltung mit erhobenen Armen findet sich im Übrigen eine Parallele im Motiv der Paviane, die den Sonnengott bei seinem täglichen





Aufgang begrüssen: (E177) oder (E174). Diese Anbetungshaltung wird mit der Epiphanie des göttlichen Wesens assoziiert und setzt die kultische Erscheinung der Gottheit voraus. Jan ASSMANNs Deutung dieses Tatbestandes (1999: 4) lässt die Vermutung zu, die Anbetungsszene determiniere den religiösen Text und beinhalte nur einen Ausschnitt der Situation, in dem sich der Kommunikationsakt zwischen dem Individuum und der Gottheit abspielt. Das Verhältnis zwischen Bild und Text, das in solchen Denkmälern wiedergegeben wird, ist jedoch komplexer und löst sich nicht in der einfachen gegenseitigen Ergänzung auf. 74 Die bildliche Darstellung ist im Rahmen eines kultischen Kontextes zu deuten, in dem sie nicht nur das Ritual der persönlichen Gottesanbetung abbildet, sondern dies dadurch gleichzeitig auch magisch vollzieht.



Die Hieroglyphe A2 ( ) hingegen deckt einen viel breiteren semantischen Bereich ab und war somit nicht für die klare bildliche Darstellung einer Anbetung geeignet.





Dasselbe gilt für die Zeichen und , die nicht ausschliesslich für Darstellungen religiöser Akte Verwendung fanden, sondern vielmehr allgemein in Bildern von Tanz und Musik verortet sind. Ausschlaggebend für die bildliche Botschaft von persönlichen Kulthandlungen war also die Unmittelbarkeit und Eindeutigkeit der Darstellung, da Letztere dem Vollzug eines Rituals entspricht. Die sich unveränderlich wiederholenden Elemente der bildlichen Darstellung auf solchen Gebetsstelen – der Beter 75 befindet sich in kultisch anbetender Gestik vor dem angebeteten Götterbild – stellen die formalisierten Rahmenbedingungen (ASSMANN 2004b: 119–120) für den fehlerlosen Vollzug des Rituals dar. Solche Bilder sind performativ: Durch sie wird ein Kultakt vollzogen (LUISELLI 2007c: 95). Die hohe Konventionalisierung solcher Darstellungen, die prinzipiell für die Bildkommunikation untypisch ist (SCHUSTER/WOSCHEK 1989: 7), ist vor dem Hintergrund der Performanz solcher Bilder zu verstehen. In seiner ausführlichen Studie über die soziale und funktionale Einbettung von Votivstelen in erfassbaren institutionalisierten Kultabläufen vertritt Faried ADROM (2005: 5–6, 8, 17) die These, die Formel rdj.t jAw n /jAw n, die er schlicht mit „Gebet“ übersetzt, definiere eine Kennzeichnung der Rollenpositionierung innerhalb des rituellen Sprechaktes. Diese Rollenpositionierung der Aktanten vom Ritualablauf sei im Sinne einer Herr-

74 75

on und Bescheidenheit sieht. Dabei würde die soziale Herkunft des Beters eine wichtige Rolle spielen, da die kniende Haltung nur von Leuten aus einer niedrigeren Gesellschaftsschicht gewählt worden sei. Diese Behauptung kann jedoch anhand einiger Beispiele von Stelen aus Deir el-Medina, die denselben Beter auf derselben Stele im unteren Register kniend und im oberen vor der Gottheit stehend abbilden, widerlegt werden (vgl. z. B. Stele Turin 50050 [Kat. G.18.24] in TOSI/ROCCATI 1972: 282). Insbesondere Individuen aus Deir el-Medina, die den Titel sDm-aS tragen, sind sowohl kniend als auch stehend abgebildet. Die soziale Komponente scheint somit keine Diskriminante gewesen zu sein. Zur sozialen Stellung der Stifter von Votivstelen vgl. zuletzt die Studie von Karen EXELL (2009). S. dazu insbesondere Kapitel 3.1.1 und 3.1.2. Bei dem Beter kann es sich sowohl um den eigentlichen Stifter der Stele als auch um einen Mittler handeln. In letzterem Fall ist der tatsächliche Stifter in einem anderen Register abgebildet. S. hierzu zuletzt EXELL 2009: 20–21.

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Diener-Konstellation erklärbar. Im Moment des Kultaktes in einer institutionellen Kapelle oder in einem Schrein, welche als Kulisse für die Ausübung persönlicher Rituale dienten, nähme der autorisierte Sprecher eine offizielle bzw. institutionelle Rolle an, die ihn in die Lage versetze, mit der Gottheit zu kommunizieren. Basierend auf der Sprechakttheorie (AUSTIN 2002) verortet ADROM (2005: 25) die Ritualvermerke rdj.t jAw n / jAw n der Kultstelen in festgelegten Ritualabläufen, die keine Aussage über die persönliche religiöse Glaubenseinstellung geben. Der genauen und präzisen Untersuchung ADROMs ist die innovative Vorgehensweise in der Analyse der Gebets- und Votivstelen – die er als Kultstelen bezeichnet – zu verdanken. Seiner Deutung der Votivstelen als Denkmäler festgelegter Ritualabläufe und nicht als Zeugnisse persönlicher Glaubensbekenntnisse, die mit AUSTINs Sprechakttheorie nicht direkt zu beweisen ist, ist jedoch nur zum Teil zuzustimmen. Dem Autor unterlaufen dabei m. E. zwei Fehler. Zum einen zeigt er sein Analysenmodell aus der Ritualtheorie anhand ausschliesslich der aus einem Heiligtum stammenden Stele Turin 50058 (Kat. G.19.5, Taf. 7) auf. Anhand der daraus erschlossenen Erkenntnisse formuliert er eine Gesamtbewertung aller Textzeugnisse der Persönlichen Frömmigkeit, ohne jedoch die unterschiedlichen Kontextgebundenheiten (funerär und votiv) dieser Texte zu berücksichtigen. Zum anderen deutet er die einzelnen Komponenten des Gebetes als Standardelemente des Rituals, fügt sie in ein traditionelles Ritual des „Petitionswesens“ ein (KESSLER 1998) und spricht den Texten dabei jegliche Elemente individueller Erfahrungsberichte ab. 76 Die Ebene der Darstellung individueller Erfahrungen wurde am Beispiel dieser Stele in Kapitel 2.9 besprochen, wobei deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, dass es sich nicht um individualisierte Glaubensvorstellungen handelte. Individuelle Erfahrungen werden in Formeln dargestellt, welche für das Ritual angemessen sind, das den Rahmen für die persönliche Teilnahme an religiösen Handlungsabläufen darstellt. Dies kann auch anhand von Beobachtungen auf graphischer Ebene bewiesen werden. Das ägyptische Wort für „Gebet“ lautet snmH (Wb.IV.166) und ist in Bauinschriften, die die Gebetsorte eines Tempels erwähnen, in der Form s.t snmH „Gebetsort“ belegt (KRI II, 607; 616–617). Alternativ dazu sind auch die Termini nH.t „Bitte, Flehen“, insbesondere im Götterepitheton sDm nH.t „der die Gebete erhört“, sowie spr.t „Bitte“ belegt. „Erbitten, wünschen“ wird demzufolge als spr wiedergeben, gelegentlich auch als dbH und nHj. Bis auf snmH, das sowohl





durch (A 2) als auch durch (A 30) determiniert sein kann (Wb.IV.165–166) und somit ebenfalls mit dem Bereich der kultischen Verehrung semantisch verbunden ist, sind alle Begriffe, die das Bild des Betens und Flehens wiedergeben, durch das gleiche



Zeichen klassifiziert, was sie nicht direkt mit der Semantik der kultischen Verehrung und Anbetung in Verbindung setzt. Entgegen der oben geschilderten Auffassung von Faried ADROM kann somit aus diesen Beobachtungen erschlossen werden, dass die altägyptische religiöse Kultur den Unterschied zwischen dem kultischen Anbetungsakt (dwA; rdj.t jAw; eventuell smnH) und der Bittstellung (smnH, spr, nH.t) zumindest auf graphischer Ebene trennte: Die Anbetung galt als Element der persönlichen Kulthandlung. Selbst wenn Gebetsstelen private 76

Auf Faried ADROMs Studie und diesen Aspekt im Allgemeinen wird in Kapitel 5.2 näher eingegangen.

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Bitten wiedergeben, ist dies zweifellos dem Akt der kultischen Anbetung zuzurechnen. Die Vorstellung eines Gebetes konnte nur durch die Ausführung einer Gestik sowie von Anbetungsformeln, die formell festgelegt waren, stattfinden: Ihre Rezitation war die Bedingung für die Vorstellung persönlicher Bitten und Anliegen überhaupt (LUISELLI 2007c). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die einzigen Belege direkter Zuwendung zu einer Gottheit ohne einführende Floskeln auf Ostraka und Papyri aus dem Schulkontext stammen, wo sie nicht für die öffentliche visuelle Zurschaustellung gedacht und in keinem performativen Kontext verortet waren. 77 Anbetung und Bittstellung gehörten also zu einem gemeinsamen Bereich. Einen konkreten Unterschied zwischen Hymnus und Gebet als Textgattung scheint es nicht gegeben zu haben. Um dies mit den Worten von John BAINES auszudrücken: „(...) the distinction between ‘hymns’ and ‘prayers’ as addresses that include requests, which is standard in Western languages, is probably not very useful, because hymns could have prayer material added to them and the requests in most prayers would be preceded by praise. There does not seem to have been a specially ‘personal’ or ‘pious’ style of hymn, but rather such compositions draw upon several genres (...)” (BAINES 2002a: 24). Dennoch wird der Teil der „material prayer“ im Anschluss an einen verkündenden Hymnus in der 1. Person Singular verfasst, was auf die Hervorhebung der Eigendimension in solchen Texten hindeutet. 78 Der Performanzakt wird dadurch von der unpersönlichen, allgemeingültigen und kulturell sinnstiftenden Ebene auf diejenige des betenden oder kultisch aktiven Ichs geführt. Durch diese in einem religiösen Rahmen eingebetteten Wünsche wurde die ersuchte und kultisch induzierte Gottesnähe performativ vollzogen. Bisher konnte in dieser Arbeit gezeigt werden, dass insbesondere Votivstelen persönliche Anliegen und Bitten beinhalten, die in einem rituellen Rahmen eingebettet sind. Diesbezüglich soll jedoch auf einen weiteren Aspekt eingegangen werden: Gebete haben grundsätzlich zum Ziel, persönliche Anliegen, Sorgen und Wünsche einem „Gott“ vorzustellen, um Hilfe in einer schwierigen Situation zu bekommen. Es ist jedoch nicht die Absicht eines Gebetes, den Willen „Gottes“ zu beeinflussen (TALIAFERRO 2009:127). Im Laufe der vorliegenden Arbeit wird auf diesen Punkt eingegangen, um festzustellen, ob die ägyptischen Texte, die als Gebete verstanden werden können, auch diesen zuletzt erwähnten Aspekt aufweisen. Mit anderen Worten, es wird untersucht ob die persönlichen Erfahrungen von Gottesnähe, die gelegentlich mit Details über das eigene Verhalten der Gottheit gegenüber geschildert werden, nur Gebete sind, oder ob mit ihnen doch eine Einflussnahme auf den Willen der Gottheit insbesondere durch ihren Anbringungskontext beabsichtigt ist.

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S. Kapitel 5.3.3. Zu den auf die persönliche Ebene übertragenen Formeln s. SADEK 1987: 203.

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3

Wege und Formen der Suche nach Gottesnähe in Ägypten

Traditionell wird in der Ägyptologie angenommen, dass in Ägypten die Formen des Umgangs mit dem Sakralen klar definiert waren und dass demzufolge heilige Orte, heilige Zeiten und heilige Handlungen identifizierbar waren (ASSMANN 1984: 10). Moderne siedlungsarchäologische Untersuchungen, die insbesondere auf die Erforschung religiöser Gegebenheiten im Alltagsleben abzielen, konnten jedoch zeigen, dass zumindest im Fall der Arbeitersiedlungen von Tell el-Amarna und Deir el-Medina, eine deutliche Trennung zwischen der religiösen und der säkularen Lebensführung, die sich im häuslichen Bereich abspielte, nur schwer definierbar ist (STEVENS 2003: 168). Hierbei spielen immobile Kultinstallationen wie z. B. Altäre, Nischen für Stelen, religiös konnotierte Wandmalereien (STEVENS 2009: 3), sog. lits clos (WEISS 2009), Ahnenbüsten sowie private Kultkapellen in beiden Siedlungen (IKRAM 1989, BOMANN 1991) eine entscheidende Rolle. Auf den ersten Blick sprechen sie für eine räumliche Differenzierung zwischen Sakralem und Profanem. 79 Zieht man jedoch auch Parameter wie die Multifunktionalität der Installationen selbst sowie der Räume (STEVENS 2003: 167–168), 80 in denen sie sich befanden, in Betracht, oder das Tragen von Amuletten und Talismanen (STEVENS 2006: 21–23) sowie die Beziehung zwischen der Existenz solcher Kultinstallationen im Haus und Statusfragen (STEVENS 2003: 168), 81 dann ergibt sich ein Bild, das die oben erwähnte Differenzierung zwischen Sakralem und Profanem nicht bestätigt. Im täglichen Leben waren die säkulare und die magisch-religiöse Dimension nicht voneinander getrennt (STEVENS 2003: 167–168, DIES. 2006: 21–23). Dies kann auch durch die in einzelnen Siedlungen seit der Zeit von Hatschepsut und Thutmosis III. gefundenen Türrahmen bestätigt, auf denen die Anbetung von Göttern und vom regierenden König zum Ausdruck gebracht wird (BUDKA 2001: insbes. 3–10). 82 Über religiöse Praktiken hinaus, die sich innerhalb des privaten häuslichen Bereiches abspielten, deuten epigraphische und archäologische Hinweise auf eine persönliche Suche nach Gottesnähe hin, die in offiziellen sakralen Kontexten stattgefunden hat. 83 Diese setzen sich den Formen religiöser Haltung im Alltag insofern entgegen, als dass sie die Suche nach Gottesnähe als persönlichen aktiven Einsatz in einem nicht-privaten Kontext widerspiegeln. Ich folge daher Anna STEVENS’ Unterscheidung zwischen ‚religious action and conduct’ (STEVENS 2006: 21) und werde im Laufe dieses Kapitels diejenige Hinweise 79

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81

82 83

Man beachte jedoch, dass solche für die Ausübung eines häuslichen Kultes errichteten Strukturen sehr selten sind. Im Normalfall muss stattdessen von mobilen Installationen ausgegangen sein (STEVENS 2009: 5). Diesem Argument kann jedoch entgegengesetzt werden, dass im Moment der rituellen Ausführung einer Kulthandlung an einem Hausaltar einzig die sakrale Dimension eine Rolle spielte, wohingegen die profane Umgebung völlig ausgeblendet wurde. Anna STEVENS (2003: 167–168) hebt diesbezüglich hervor, dass es eine Beziehung zwischen immobilen Kultinstallationen wie Altäre und der Bedeutung des Raumes für das soziale Alltagsleben gab. Es handelte sich dabei meistens um den Hauptraum des Hauses, also den Raum, der auch eine repräsentative Bedeutung hatte. S. diesbezüglich auch Kapitel 5.3.1. S. die Zusammenfassung in Kapitel 3.1.4.

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fokussieren, die eine persönliche Religionspraxis in gestifteten sakralen Bereichen belegen.

3.1

Die persönliche Suche nach Gottesnähe

3.1.1

Darstellung von Abläufen persönlicher Rituale im Bild

Die altägyptische Religion ist im Gegensatz zum Judentum, Christentum und Islam eine nicht gestiftete Kultreligion, die von der Verehrung (lat. cultus) der Götter geprägt war (MORENZ 1964: 19ff.) und somit das gesamte rituelle Leben einrahmte. Das Ritual, das als kultischer Handlungskomplex zu verstehen ist (CANCIK ET AL. 1993: 475, Bd. III,), vergegenwärtigte und aktualisierte den Götterkult. Der Vollzug von rituellen Handlungen im privaten Bereich war in Ägypten für den nicht-königlichen Menschen eine der möglichen Zugangsformen zum Göttlichen. Hilfreiche Hinweise für die Rekonstruktion von persönlichen Ritualen sind sowohl in Text wie auch in Bildquellen enthalten (LUISELLI 2011b), wobei für diese zweite Kategorie die von Privatpersonen gestifteten Votivstelen aus dem Neuen Reich besonders wichtig sind, da sie Opferszenen mit Rezitationen von Gebeten an verschiedene Gottheiten in Bild und Text darstellen. Den Stelen aus Deir el-Medina kommt hierbei die wichtigste Rolle zu zum einen, weil sie quantitativ den grössten Anteil ausmachen, zum anderen weil sie in der Forschung von Anfang an besondere Aufmerksamkeit erfahren haben. Das ikonographische Muster solcher Denkmäler ist grundsätzlich homogen, wenngleich auch Variationen regionaler Art festzustellen sind. Karen EXELL (2009), der die erste ausführliche Studie über die Bilddarstellungen von privat gestifteten Stelen aus einigen Siedlungen des Neues Reiches zu verdanken ist, unterscheidet anhand der Stelen aus Deir el-Medina drei Grundtypen ikonographischer Zusammenstellungen (EXELL 2009: 20): Typ A: Stelen, auf denen der Stifter direkt vor der angebeteten Gottheit abgebildet ist (Stele Bologna EG 1911, Taf. 1) 84; Typ B: Stelen, auf denen der Stifter in einem unteren Register und ein Mittler höheren sozialen Ranges 85 vor der Gottheit abgebildet ist (z. B. die Stele München 287, Taf. 12). 86 Diesbezüglich ist Peter PAMMINGER (1996: 283) auf die Position der Gottheit im Bild eingegangen: So sind die angebeteten Götter meistens links abgebildet, d. h. nach altägyptischer geographischkosmischer Vorstellung im Osten. Wenn hingegen Götter rechts dargestellt sind, dann 84

85 86

Man beachte, dass diese Stele nicht aus dem Neuen Reich stammt, aber dafür schon das später so gut belegte ikonographische aufweist. S. dazu Kat. G.12/13?.4 sowie die in diesem Teilkapitel 3.1.1 geführte Diskussion. S. dazu auch PAMMINGER 1996b: insbes. 288–301. Zur Funktion des Mittlers in der ägyptischen persönlichen Religionspraxis s. Kapitel 3.1.5. So auch PAMMINGER 1996b: 283. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass der Weihende eines Denkmals auch gleichzeitig als Mittler für das Gebet einer anderen Person auftreten konnte (meistens ein Mitglied seiner Familie), was durch die Darstellung des Stifters direkt vor der Gottheit und der übermittelten Person im unteren Register wiedergegeben wird. Ein eindeutiges Beispiel dafür ist die Stele Turin 50051 (Kat. G.19.12: TOSI/ROCCATI 1972: 86, Taf. S. 282), auf welcher der Stifter Unnefer beim Gott Soped für den Ka seiner Frau bzw. seiner beiden Kinder (alle drei sind auf der Stele im unteren Register abgebildet) betete. S. auch die Stele Berlin 20377, Taf. 11.

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befinden sie sich im Westen. 87 Typ C: Stelen, auf denen der Stifter in einem anderen Register dargestellt ist, ohne dass ein Mittler zusätzlich abgebildet wäre (Stele BM 1466, Taf. 8). Hierzu muss jedoch ergänzt werden, dass Familienmitglieder des Stifters zusätzlich dargestellt sein können (vgl. Stele Glasgow Culture and Sport Museums, Taf. 10), was an Gruppengebete denken lässt. Ashraf Iskander SADEK (1987: 201) vermutete diesbezüglich, dass das untere Register einer Stele stets der Darstellung von Individuen aus niederen sozialen Schichten gewidmet war. Zurecht warnt Karen EXELL (2009: 21) andererseits vor der Schlussfolgerung, Individuen, die direkt vor der Gottheit abgebildet sind, seien sozial höher, da Variabeln wie die Ästhetik der ikonographischen Zusammenstellung und der Anbringungskontext bei der Anordnung der Personen durchaus eine wichtige Rolle gespielt haben können. Was Gestik und Körperhaltung des betenden Stifters anbelangt, kann er sowohl kniend (Taf. 10) als auch stehend (Taf. 1) in Anbetungsgestus d. h. mit erhobenen und der Gottheit zugewandten Händen oder opfernd abgebildet sein. Ein physischer Kontakt zwischen Gottheit und Stifter wird auf diesen Denkmälern dabei nie gezeigt. Lokale Variationen dieses Grundmusters sind mehrfach belegt. So ist auf einer Gruppe von Stelen aus Memphis im obersten Register anstelle der Anbetung einer Gottheit das das Motiv des Erschlagens der Feinde wiedergegeben (DEVAUCHELLE 1994). Auch die Darstellung auf den Stelen aus dem Grab Djefajhapis III. in Assiut weicht von der Norm ab (die sog. Salakhana-Stelen, DUQUESNE 2000–2009b, Kat. G.19.29 und G.19/20?.1). Hier sind in zahlreichen Beispielen Verehrungsszenen in einem eindeutigen kultisch-festlichen Kontext abgebildet (Stele Kairo CM171: Kat. G.19.29), der mit einer Prozession für Upuaut zu identifizieren ist (DUQUESNE 2003: insbes. 32, DERS. 2004, DERS. 2007: 49). Eine dieser Stelen (Stele Louvre AF 6949, Kat. G.19/20?.1) zeigt die Weihende in einem Trauergestus (!) und nicht in der üblichen Anbetungshaltung. Dies geht mit einer Einleitungsformel einher, bei der es sich um eine Htp-dj-nsw-Formel und nicht um die für diese Denkmälergattung gewöhnliche rdj.t-jAwn-Formel handelt. Beides lässt sich nach Nicole DURISCH GAUTHIER (1993: 207) durch den vermutlich funerären Anbringungskontext erklären sowie inhaltlich vermutlich dadurch, dass die Weihende wohl um den Tod eines Schakals trauerte. 88 Die Verehrung lebender Schakale ist tatsächlich eine weitere Besonderheit, die die Bilddarstellung der Stelen aus Assiut kennzeichnet. 89 Lebende Schakale scheinen genauso wie die Statue 87 88 89

Dies ist beispielsweise der Fall bei Mertseger und Hathor, da beide Gottheiten auf Votivstelen oft das Epitheton „Herrin des Westens“ tragen (PAMMINGER 1996b: 283). S. dazu auch Kat. G.19/20?.3. Man beachte jedoch, dass lebende Tiere auch auf Stelen aus Deir el-Medina und allgemein aus Theben abgebildet sind. So ist die Darstellung von Schlangen typisch für Stelen, die der Göttin Mertseger gewidmete sind (z. B. Stele Louvre E 13084 (ANDREAU 2002: 277). Die Ikonographie von Mertseger als Schlange ist ganz einfach als populäre Manifestation der Göttin zu verstehen, die in der 19. Dynastie ausschliesslich von männlichen Arbeitern, in der 20. Dynastie auch von Frauen verehrt wurde (EXELL 2009: 41). Diese Darstellungsweise entwickelte sich möglicherweise aus kleinen Kultfiguren aus Holz oder Kalkstein, die in Deir el-Medina entdeckt wurden (EXELL 2009: 41 mit Referenzen). Dazu seien Stelen erwähnt, die andere Tiere als Verehrungsziel darstellen, wie z. B. die Stele Turin 50056 (TOSI/ROCCATI 1972: 285) auf welcher die Anbetungsszene einer Katze im oberen Register und einer Schwalbe im unteren Register überliefert ist. Insbesondere aus Theben stammen Stelen mit der Abbildung von Widdern und Gänsen, die eine Erscheinungsform des Amun-Re darstellen (GUGLIELMI/DITTMAR 1992). Der Vollständigkeit halber sei hier auf Dieter KESSLERs (2001) Deutung

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des Upuaut Ziel eines spezifischen Kultes gewesen zu sein, da sie vermutlich als Ba des Upuaut verehrt wurden (DURISCH GAUTHIER 1993: 218). Die Darstellung eines Ritualauszuges scheint also ein Charakteristikum der Salakhana-Stelen zu sein, obwohl hinsichtlich der Natur des Rituals bislang nur Vermutungen geäussert werden konnten. Nach Nicole DURISCH GAUTHIER (1993: 219) scheint eine Prozession das Ritual oder die Zeremonie eröffnet zu haben, obwohl es unklar bleibt, welchen Weg sie nahm oder ob lebende Schakale dabei mitgeführt wurden. Die Standarte des Gottes wurde von Priestern getragen und wahrscheinlich von einem Priester an dem Ort in Empfang genommen, wo die lebenden Schakale gehalten wurden. Die Standarte wurde hier im Boden verankert, sodass sie von den Festteilnehmern verehrt werden konnte. Genau diesen Augenblick bilden die Stelen ab, wodurch sie sich von den Stelen aus anderen Gegenden, die ebenfalls Festszenen abbilden, 90 unterscheiden. Hierbei ist insbesondere Karen EXELLs (2009: 69) Interpretationsvorschlag zu erwähnen, wonach die Votivstelen aus Deir el-Medina drei Ereignisse öffentlicher festlicher Natur festhalten, die sie als „historisch“ bezeichnet, die in der Gemeinde gefeiert und auf den Stelen verewigt wurden. Dabei handelt es sich um einen Besuch Ramses’ II. oder seiner Statue im Hathortempel von Deir el-Medina, um verschiedene Orakelbefragungen– insbesondere die der Statue Amenophis' I. in der Siedlung ebenfalls zur Zeit Ramses’ II–und um einen Besuch des Wesirs To im Heiligtum von Ptah und Mertseger unter Ramses III. Die Andersartigkeit des Darstellungsinhaltes im Vergleich zu der Prozession, die auf den Salakhana-Stelen dargestellt wird, bedarf keiner weiteren Erklärung. Dass in Deir el-Medina private Festkalender belegt sind (SPALINGER 1996), die teilweise auch die private Organisation von Festlichkeiten für die ‚persönlichen Götter’ (EXELL 2009: 93–94) bezeugen, liess Terence DUQUESNE (2003) vermuten, dass etwas Ähnliches auch in Assiut stattgefunden haben mag, wobei man anhand der Stelen nicht unbedingt unterscheiden kann, ob sie eine solche private Festorganisation belegen 91 oder die Teilnahme an einer vom Staatstempel des Upuaut organisierten Prozession wiedergeben (DUQUESNE 2004: 36). Zusätzlich zu den lokalen Charakteristika der Stelen und deren Darstellungsinhalten übte möglicherweise auch ihr ursprünglicher Anbringungskontext Einfluss auf die Darstellung aus. So vertritt Karen EXELL (2009: 135–137) die Meinung, dass Stelen, die im Einflussbereich eines Staatstempels angebracht wurden, deutlich mehr von der offiziellen Tempelikonographie beeinflusst waren. Der Grund dafür läge im sozialen Status des Stifters, da nur Individuen höheren Ranges Zugang zu sakralen Bereichen eines Tempels hatten. Vor diesem Hintergrund liesse sich der traditionelle Stil der Stelen aus Theben erklären, die im direkten Einflussbereich von Karnak standen. Dieser der offiziellen Bildkomposition hochgradig kohärente Stil nimmt mit zunehmender Distanz vom religiös-ideologischen Einflusszentrum ab. Einflussreichen Individuen jedoch, die sich in der Peripherie befanden, sind ebenfalls traditionell gestaltete Denkmäler zuzuschreiben, da sie durch sie ihre Nähe und Zugehörigkeit zur zentralen Ideologie und somit ihre hö-

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der Tierdarstellungen als Ba-Manifestationen des Schöpfergottes am Morgen verwiesen. Diese überzeugt jedoch nicht, mangels einschlägiger Beweise für das von ihm rekonstruierte Ritual. S. dazu EXELL 2009: 69–98 sowie die Diskussion in Kapitel 3.1.3 der vorliegenden Arbeit. Terence DUQUESNE (2004: 36) leitet die Vermutung, es handle sich um eine private Festorganisation, von der Tatsache ab, dass auf einzelnen Stelen aus Assiut Prozessionen mit verehrenden Privatpersonen ohne die Teilnahme eines Priesters oder des Königs abgebildet sind.

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here soziale Stellung zur Schau stellen konnten. Solche Individuen und ihre Denkmäler wirkten wiederum beeinflussend auf ihre direkte Umgebung. Der Anbetungsgestus, in dem eine nicht-königliche Person auf diesen Stelen dargestellt wird, diente der Herstellung einer Kommunikation mit der meistens auf der Stele selbst abgebildeten Gottheit in Form ihrer Statue oder ihres Flachbildes. Durch die Aufstellung der Stele in einen sakralen Kontext war die Kommunikation im Sinne eines „Bild-Aktes“ (ASSMANN 2004b: 99ff.) erreicht, sodass die in den Bildern evozierte Handlung des Betens aktiviert wurde. Das Gebet — als gestifteter Dialog mit der Sphäre des Göttlichen zu verstehen — wurde in Ägypten durch eine codierte, widererkennbare und performative Gestik dargestellt und gleichzeitig aktualisiert. Aus der Analyse der Determinative für snmH „beten“ und rdj.t jAw „lobpreisen“ / dwA „anbeten“, wie sie auf den Gebetsstelen vorkommen, konnte erschlossen werden, dass die Rezitation von persönlichen Bitten in einen öffentlichen Kontext eingebettet war, der die Gottesanbetung zur Voraussetzung hatte (LUISELLI 2007c: 94–95). 92 Mit anderen Worten: Die Etablierung eines Kontaktes mit einem Gott, um persönliche Anliegen vorzulegen, erfolgte durch den Vollzug von rituellen Handlungen. Nach Geraldine PINCH (1993: 336) wären solche Szenen im Rahmen der konventionellen Tempelikonographie zu verstehen und würden somit nicht wirklich vollzogene Anbetungen vor den Tempelstatuen widerspiegeln, da der Zugang zur Gottesstatue allgemein verboten war. Dieser Rekonstruktion kann jedoch zum einen die Existenz göttlicher Bilder, die den Menschen für die Ausübung ihrer Religionspraxis zur Verfügung standen, wie mehrfach in Briefen dokumentiert ist, entgegen gestellt werden (BRUYÈRE 1939: 332). 93 Zum anderen hob Susanne BICKELs (2002) Studie über die Vergöttlichung Amenophis’ III. die Bedeutung des mit diesem Vergöttlichungsprozess verbundenen Bildprogramms für die Ausübung persönlicher religiöser Praktiken überzeugend hervor. Demnach sollen die Sphingen und Kolosse vor dem Tempeleingang als Stützpunkt solcher Praktiken betrachtet werden, da sie sowohl zugängliche Bilder des (vergöttlichten) Pharao, als auch logistische Schnittstellen zwischen dem heiligen Raum des Tempels und dem profanen Aussenbereich darstellten. Eine als Bild kreierte und somit visuell zugängliche Form des Göttlichen kann auch im privaten Umfeld angenommen werden. Dies ist z. B. bei der auf P.Anastasi III, 5.2 94 beschrieben Pavianstatue des Thot der Fall sowie bei dem auf der Holztafel 5646 (Kat. G.18.18) geschilderten privat ausgeübten Ritual. Die ramessidischen Votivstelen, die den persönlichen Kontakt zu einer Gottheit bildlich und textlich belegen, 95 sind als kultisch eingebundene Privat92 93 94 95

S. dazu auch Kap. 2. 9. S. in Kapitel 5.3.2. S. Kapitel 5.3.3 e) Hierbei sei wiederum auf Karen EXELLs Studie verwiesen, die überzeugend zeigen konnte, dass solche Stelen – vor dem Hintergrund der Zurschaustellung des individuellen sozialen Status – soziale Praktiken wiedergeben, die im Zusammenhang mit dem Zugang zum Göttlichen standen (EXELL 2009: 138). Weniger überzeugend in EXELLs Deutung ist die Annahme, der religiöse Hintergrund sei als Motivation für die Aufstellung solcher Denkmäler annähernd bedeutungslos gewesen. Bei ihrer Verfahrensweise fällt auf, dass sie den sakralen Anbringungskontext nicht in Betracht zieht und dass der auf solchen Stelen angebrachte Text und somit das Denkmal als Einheit von Bild und Text ignoriert wird. Da der soziale Aspekt jedoch mit Sicherheit eine entscheidende Ergänzung zur bisherigen Deutung der Stelen darstellt, wird in der vorliegenden Arbeit der religiöse Aspekt als reduktiv aufgefasst.

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denkmäler 96 und als Werke von Mitgliedern einer Gemeinschaft zu verstehen, welche durch ihre Aufstellung in einem Heiligtum und den Vollzug eines Rituals seitens eines wab-Priesters (KESSLER 1999: 182, ADROM 2005: 5–8) 97 in ihrer Wirksamkeit stets erneuert wurden. Dementsprechend ist es durchaus vorstellbar, dass die Anbetungsszenen trotz ihrer Konventionalität tatsächlich göttliche Bilder darstellen, die für die Menschen an Gebetsorten visuell erreichbar waren. 98 Nach dieser Theorie deutet José M. GALÁN (2000: 225) die Abbildung der Anbetung von Gottesbarken vor dem Hintergrund der Prozessionsfeste, zu welchen es den Menschen möglich war, die Gottheit in ihrem Barkensanktuar anzubeten und das Orakel zu befragen. 99 Zusätzliche Belege hierfür liefern die Stele Manchester 4588, ursprünglich aus dem Ramesseum stammend, die die während einer Prozession präsentierte Gottesbarke abbildet (EXELL 2009: Taf. 8) sowie die Stele des Penre (Ashmolean Museum 37, Kat. G.19.28), welche eine von zwölf Priestern getragene Barke der Isis wiedergibt (FROOD 2007: 192–195). Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass das Orakel nicht immer war, da die Orakelstatue während mancher Prozessionen im Barkensanktuar verborgen blieb und somit nicht zur Schau gestellt wurde. Einen solchen Fall belegt die Stele Cambridge E.SS.52 (MARTIN 2005: 68–69), die eine Anbetungsszene vor den Gottesbarken von Amun, Mut und Chons zeigt. Der Stifter dieses Denkmals (Amenemhab, Diener im Tal der Könige) und seine Schwester knien und opfern vor den drei Barken, deren Schreine geschlossen sind, weshalb das Bild des Gottes nicht sichtbar ist. Zum anderen scheinen nicht alle Darstellungen betender Personen vor einer Barke mit der sichtbaren Gottheit eine Prozessionsbarke wiederzugeben. Letztere könnten eher als ein Produkt von Werkstätten gedeutet werden, die – wie im Falle von Deir el-Medina – mit der Ikonographie von Gottheiten vertraut waren. 100 In solchen Werkstätten war die Anzahl an Darstellungsmöglichkeiten von Anbetungsszenen für einen privaten Auftraggeber relativ begrenzt 101 und mögli96 97

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S. auch Kapitel 5. 2. Dieter KESSLER (1999: insbes. 177) und Faried ADROM (2005) definieren dieses Ritual als ein „Petitionsritual“, das bereits in früherer Zeit existierte und mündlich tradiert wurde, bevor es in den Votivstelen der Ramessidenzeit eine Verschriftlichung fand. Diese These übernimmt auch Enka Elvira MORGAN (2004: 53), nach der das „regelmässige Petitionswesen mit der Anrufung des Gottes“ Teil der Festabläufe war. Vgl. dazu Karen EXELLs Identifizierung von allgemein zugänglichen göttlichen Statuen und Bildern, die auf Votivstelen dargestellt sind (EXELL 2009: 29–41, 108, 111–127). Zudem kann auch an das Heiligtum des „Hörenden Ohres“ (msDr sDm) im östlichen Areal des Karnak-Tempels erinnert werden, dem sich die Beter zuwenden konnten. Es handelt sich dabei um den Bereich in dem die sogenannten Statuen von Amun und Amaunet aufgestellt sind (bereits Herihor deutete diese beiden Statuen um), die tatsächlich aber wohl Thutmosis III. und Amun darstellen sollen. Siehe dazu NIMS 1971: 110; STRAUBE 1989: 7–8. Zu „Amun des hörenden Ohres“, von dem auch ein wab-Priester belegt ist, siehe HABACHI 1972. Zu den Orakelbefragungen generell s. auch ČERNÝ 1935, DERS. 1942, DERS. 1962 und 1972. Dies ist z. B. an denjenigen Stelen aus Deir el-Medina zu erkennen, die ein Gebet an Thot in seiner Gestalt als Mond überliefern (Stele Turin 50042–50046, TOSI/ROCCATI 1972: 76–81). Dieses Motiv entwickelte sich wahrscheinlich aus den Unterweltsbücher, die von den Arbeitern von Deir el-Medina in den Gräbern im Tal der Könige an den Grabwänden angebracht wurden und ihnen daher sehr geläufig waren. Mehrere Denkmäler der Persönlichen Frömmigkeit sind unvollendet geblieben. Es fehlt dabei meistens der Name des Beters oder die Angabe des dargebrachten Opfers (ROEDER 1926: 64). Dies ist ein klarer Beweis dafür, dass diese Objekte von den Werkstätten der Tempel auf Vorrat produziert wur-

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cherweise auch von lokalen Gegebenheiten abhängig. Dies würde erklären, warum bestimmte Bildmotive nur auf Denkmälern einer bestimmten Gegend vorkommen. So sind z. B. die oben erwähnten Darstellungen vom über die Feinde siegenden Pharao vor Ptah, die auf der Aussenmauer von Tempelpylonen angebracht waren, hauptsächlich auf Stelen aus Memphis 102 und solchen, die sich an Ptah richten (PETRIE 1909, DEVAU103 CHELLE 1994) , bekannt sind. Die Wahl dieses Motivs für den Ausdruck einer „persönlichen Frömmigkeit“ Ptah gegenüber ist auf zwei Ebenen zu verstehen. Zum einen ist die Wahl der Darstellung mit Sicherheit auf die Tatsache zurückzuführen, dass das Motiv der Allgemeinheit visuell zugänglich war und somit einen besonderen Wiedererkennungswert besass. Zum anderen handelte es sich dabei weniger um die spontane Entscheidung eines Individuums, 104 ein spezifisches Bild für den Ausdruck seiner persönlich gesuchten bzw. erfahrenen Gottesnähe zu benutzen, als um ein von der offiziellen Tempelinstitution Privatpersonen zur Verfügung gestellten Motiv, sodass ein Ausdruck Persönlicher Frömmigkeit ermöglicht und gleichzeitig gesteuert wurde. 105 Aus diesen Darstellungen ist der Versuch der offiziellen Staatsreligion abzulesen, den Privatpersonen eine Möglichkeit zur Ausübung ihrer Frömmigkeit zu geben und deren Ausdrucksformen dabei möglichst zu kontrollieren. Dies erfolgte durch den Gebrauch von denjenigen Bildthemen, die zugänglich waren. Anders ausgedrückt hat die Einrichtung von Gebetsorten mit zugänglichen Gottesbildern, die zu Objekten persönlicher Kulte wurden, eine Materialisierung des Göttlichen für den Einzelnen bewirkt. Jenseits der offiziellen Theologie, die sich für Mitglieder unterer Gesellschaftsschichten allenfalls bei Prozessionsfesten durch die Rezitation von Hymnen offenbarte, war die Präsenz der Gottheit im Alltag durch solche Bilder fassbar. Sie erschien den Menschen

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den. Der Auftrag von Privatpersonen wurde wahrscheinlich insofern ausgeführt, als dass Name und Berufstitel auf dem vorbereiteten Objekt ergänzt wurden. Im Falle von hochrangigen Persönlichkeiten kann man jedoch auch eine Anfertigung des Objekts ad hoc vermuten. Eine Ausnahme hiervon bildet z. B. die grosse Doppelstele aus Abu Simbel (Stele Nr. 24) vom Vizekönig von Kusch Setau, die das Erschlagen der Feinde durch Ramses II. vor Horus und Amun-Re zeigt (EXELL 2009: 112–113). Weitere Stelen mit diesem Bildmotiv stammen aus Qantir, Zawiyet Umm el-Rakham und mit der Stele Louvre E.16373 (ANDREU 2002: 232) aus Deir el-Medina. Aufgrund der von ihr untersuchten Denkmäler vertritt Karen EXELL (2009: 112, 126) die Meinung, dass Stelen mit der Szene des Erschlagen der Feinde nur von Individuen hohen sozialen Ranges oder vom Militär gewählt wurden. Es ist hierbei jedoch einzuwenden, dass EXELL die memphitischen Stelen in ihrer Studie nicht mit berücksichtigt und die Studie von Didier DEVAUCHELLE (1994) zu diesem Thema nicht zu kennen scheint. Die Stelen aus Memphis mit dem Motiv des Erschlagens der Feine sind jedenfalls keinen Individuen hohen Ranges zuzuschreiben. Weitere Beispiele für lokale Ikonographien, die auf privaten Denkmälern aufzufinden sind, zeigen die Darstellungen Amun-Res als Gans oder Widder, die dem Ost-Tempel von Karnak zuzuschreiben sind (GUGLIELMI 1994), sowie die Stelen mit Anbetungsszenen an der Sphinx, die nur aus dem Bereich des Tempels in Giza stammen (HASSAN 1950), und die sog. Horbeit-Stelen, die den Kult der Königskolosse Ramses’ II. belegen (CLÈRE 1950). So aber DEVAUCHELLE 1994: 49: „(...) nous sommes en présence d’un relief auquel des dévots accordaient une importance symbolique : ceux-ci faisaient représenter ce qu’ils voyaient du dieu et de son temple“. Zur ideologischen Bedeutung dieser Szene unter chronologischer Betrachtung siehe die Studie von HALL 1986. Das Gegenteil trifft hingegen für die Votivgaben zu, die die von den Tempeln propagierte offizielle Ikonographie nur selten aufweisen (PINCH 1993: 349).

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näher als diejenigen eines in der Verborgenheit des Barkensanktuars verbleibenden Gottes. Die auf Votivstelen abgebildete Szene der Anbetung einer Gottheit oder einer Opferdarbringung vor ihr durch eine Privatperson ist die verdichtete bildliche Wiedergabe eines Ritualausschnittes, der den zustande gekommenen Kommunikationsakt mit der Gottheit durch ein Opfer zum Ausdruck bringt. Was unmittelbar vor oder nach der Opferdarbringung bzw. der Anbetung der Gottheit stattgefunden hat, ist nicht Teil der Bildszene. In ihr wird ausschliesslich die Anbetung (rdj.t-jAw-n-Formel) oder das Opfer als Kommunikationsmedium mit dem Göttlichen gewichtet. Das Einhergehen von bildlichen und textlichen Elementen des persönlichen Rituals deutet darauf hin, dass die Annäherung an eine Gottheit durch manuelle und mündliche Riten geschah (LUISELLI 2005: 26ff., DIES. 2007c: 93–96). Dieser symbolische Kommunikationsakt ermöglichte überhaupt erst die Vorstellung eines persönlichen Gebetes, wodurch Gottesnähe erfahren werden konnte. Bislang wurde nur die Beleglage im Neuen Reich diskutiert. Fälle einer in Bild und Text wiedergegebenen persönlichen Suche nach Gottesnähe lassen sich jedoch auch für das Mittlere Reich an einigen wenigen Beispielen aus Abydos festmachen 106 (BAINES 2009, LUISELLI 2011b). Ein Einblick in die wenigen bekannten Stelen aus dem Mittleren Reich, die Formen von Interaktion zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre in Bild wiedergeben, zeigt, dass diese frühen Bildmotive kein einheitliches Muster aufweisen. Es seien hier einige Beispiele dafür diskutiert, die dies erläutern. Insgesamt stellen 35 Stelen aus dem Mittleren Reich eine Szene von Verehrung durch eine Privatperson dar. Davon datieren 15 mit Sicherheit in die 13. Dynastie, zwei in die 12. Dynastie. Den Rest machen solche Stelen aus, die nicht eindeutig chronologisch eingeordnet, aber aus verschiedenen Gründen eher an das Ende der 12. Dynastie datiert werden können (MALAISE 1984: 414). Als erstes Beispiel sei die Stele des Dieners des Gottesopfers Aku (Stele Bologna EG 1911, Kat. G.12/13?.4, Taf. 1) vorgestellt. Der Text auf der Stele wurde als Zitat einer Totenliturgie die erst im Neuen Reich auftaucht (BOMMAS 2008), was die Frage nach der Zugänglichkeit religiöser Schriften durch den Stifter eröffnet. Konzentriert man sich auf die Bildszene, so sind mehrere Aspekte anzusprechen. Der Text ist in Form eines T auf der Stele angebracht und definiert somit die Gestaltung des ikonographischen Teiles. Oberhalb des T direkt unter dem Giebel sind OsirisChontamenti und Horus mit den dazugehörigen Beischriften sowie ein Opfertisch dargestellt. Dies kontextualisiert das Denkmal im religiösen Bereich von Abydos. Unter dem T ist die eigentliche Anbetungsszene abgebildet. Rechts betet Aku stehend, nach links gerichtet und mit erhobenen Händen die Statue des ityphallischen Min-Hornacht an, die auf einem durch Stufen zugänglichen Podest vor ihrer Kapelle steht. Ein wabPriester namens Antef, der als „der, der eintritt“ bezeichnet wird, ist hinter der Statue abgebildet, wodurch wahrscheinlich darauf verwiesen wird, dass der Zugang zur Statue durch den Priester als Mittler stattfand. Die rituelle Kulisse für die hier abgebildete Szene bietet ein Teil der Inschrift, in welchem von der „viermaligen Anbetung des Min bei 106

Michel MALAISEs Studien aller Stelen aus dem Mittleren Reich, die eine Darstellung von Gottheiten aufweisen (MALAISE 1981, DERS. 1984), listet zahlreiche Stelen solcher Art auf. Die Anzahl derjenigen Denkmäler, die eine Anbetungsszene überliefern, ist jedoch sehr gering (vgl. MALAISE 1984: insbes. 408–420). Die hier diskutierten Beispiele geben nur eine Auswahl davon wieder.

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seinem Auszug“ die Rede ist: dwA Mn.w sp 4 m pr.t=f. Der Ritualvermerk ist jedoch nicht allein auf dieser Stele belegt. Dazu soll auch die Stele Ny Carlsberg Glyptothek ÆIN 964 (JØRGENSEN 1996: 190–191, Nr. 79) zitiert werden. Es handelt sich um ein wahrscheinlich ebenfalls aus Abydos stammendes Privatdenkmal aus der 13. Dynastie, das wiederum einen Verehrungstext an Min-Hornacht aufweist. Der hiesige Stifter Renseneb ist aber in einer anderen Haltung als Aku dargestellt, nämlich mit nach unten hängenden Armen und offenen Händen, d. h. in Gebetshaltung (BERNHAUER 2002). Diese Haltung ist mit der Beischrift dwA nTr 4 sp Mnw-@r-nxt beschrieben und obwohl hier der Verweis auf den Auszug der Min-Statue in einer Prozession fehlt, belegt auch diese Stele den Kult des Min-Hornacht in Abydos in der 13. Dynastie. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Hinweis auf eine Prozession des Min, die ähnlich wie die grossen Prozessionsfeste des Neuen Reiches für die persönliche Suche nach Gottesnähe gewirkt haben muss. Ferner ist in diesem Zusammenhang auch die Stele UCD 1365 (QUIRKE 2000: insbes. 233–239, Taf. 22) zu erwähnen, die im oberen Register Min-Hornacht vor einem Opfertisch und drei Opfer bringende männliche Gestalten darstellt. 107 Neben den bisher genannten Beispielen sollen auch die drei Stelen des Ameniseneb 108 aus der 13. Dynastie nicht unerwähnt bleiben, die von John BAINES (2009) in einer neuen Studie zu den Ausdrucksformen persönlicher Religion im Mittleren Reich untersucht wurden. Auf diesen drei Stelen thematisiert Ameniseneb seine persönliche Beziehung zu Upuaut sowohl im Text als auch im Bild. 109 Was die bildliche Wiedergabe angeht, ist Ameniseneb auf der Stele Louvre C11 mit hängenden Armen und leeren Händen betend vor Upuaut abgebildet. Letzterer ist anthropomorph und mit Schakalkopf dargestellt. Stele Liverpool E.30 ist dagegen komplexer in ihrer bildlichen Gestaltung. Ameniseneb erscheint in der traditionellen Anbetungshaltung mit erhobenen Armen, er trägt einen kurzen Rock und eine lang transparente Schürze darüber sowie Sandalen und Halskragen. Er scheint eine anthropomorphe Gestalt anzubeten, die als Upuaut identifiziert werden kann, da eine weitere Darstellung der Gottheit — diesmal in Gestalt eines Schakals — über Ameniseneb gezeigt ist. Auch der schakalgestaltige Gott ist hier Ziel einer Anbetung durch Ameniseneb, der sehr klein und kniend vor Upuaut abgebildet ist. Da der klein dargestellte Ameniseneb mit der Beischrift Hnk „Opfer“ beschrieben ist, verweist John BAINES (2009: 7) auf den eindeutigen kultischen Hintergrund dieser Stele. Die Stelen des Ameniseneb sind von besonderer Bedeutung, weil durch sie zum einen der kultische Hintergrund für die Suche nach Gottesnähe auch im Mittleren Reich bestätigt werden kann und zum anderen weil der Stifter Upuaut darauf als „mein Gott“ bezeichnet. Diese Bezeichnung, die das persönliche Verhältnis zu einer Gottheit ganz besonders hervorhob, wurde im Neuen Reich geläufig und kulminierte im kultischen Feiern des persönlichen Gottes. Dies bezeugte der ramessidische private Festkalender 107

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Zwei weitere Stelen aus der 13. Dynastie, die wahrscheinlich aus Abydos stammen und in denen MinHornacht verehrt wird, sind in MALEK 2007: 293 erwähnt. Zum abydenischen Kult des Min-Hornacht in Abydos in der 13. Dynastie mit einer Auflistung der dazu gehörenden Denkmäler vgl. MALAISE 1984: 408–413, insbes. 409. Stele Louvre C11, Stele Louvre C12 und Stele Liverpool E.30. Nach Osiris und Min ist Upuaut die Gottheit, die auf Mittleres Reichs Privatstelen am häufigsten als Ziel eines persönlichen Kultes ist (MALAISE 1984: 411).

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(SADEK 1989, SPALINGER 1996) und fand seinen Ausdruck in einer Passage aus den „Lehren des Ani“, 110 in der die Rede vom Fest für den eigenen Gott ist, das zu feiern nicht versäumt werden darf, um nicht den Zorn Gottes auf sich zu ziehen (LUISELLI 2007b: 160–161, GESTERMANN 2008: 10–11). 3.1.2

Rituale von Privatpersonen im Text

Bilder und Texte, die vom Suchen persönlichen Kontakts zu einer Gottheit in Ägypten zeugen, heben einzelne rituelle Handlungsabläufe aus jeweils unterschiedlicher Perspektive hervor. Jenseits der eingangs beschriebenen Darstellungen vom Opfer als einem in Bildszenen dargestellten Ritus, kann die Identifizierung persönlicher Rituale (LUISELLI 2005b) – wenn auch nur begrenzt 111 – zusätzlich anhand von Schriftquellen untersucht werden. Letztere vermitteln jedoch eine Schilderung dieser Rituale, die vom jeweiligen „Sitz im Leben“ des Schriftträgers abhängig ist. Inschriften auf Mittlerstatuen belegen, dass bei der Einbindung von Mittlern 112 auch spezifische Rituale vollzogen wurden, deren Zentralakt der Opferritus war. Dies sei hier anhand von Statue BM 1459 erläutert (Kat. G.18.23, Taf. 6). Es handelt sich dabei um einen Würfelhocker der Variante mit Götteremblem (SCHULZ 1992a: 22–23) aus dem Tempel Ach-jsut von Thutmosis III. in Deir el-Bahari, einem der in der 18. Dynastie am meisten besuchten Kultorte Ägyptens. Auf der Vorderseite des Würfelhockers ist der im Hochrelief ausgearbeitete Kopf der Hathorkuh mit Hörnern und Doppelfederkrone zu sehen. Daneben ist eine grosse Menat zu erkennen, die von den Händen des im oberen Teil abgebildeten Inhabers der Statue gehalten wird. Der Besitzer des Würfelhockers selbst bezeichnet sich in der Inschrift als jHy, nach Geraldine PINCH (1993: 333, Anm. 1) ein priesterlicher Titel, der nur von Personen hohen Ranges getragen wurde und lediglich auf einer anderen Mittlerstatue belegt ist. Wb.I.121–122 führt jedoch die Deutung als Priestertitel nur für die Spätzeit an, während es sich allgemein um die Bezeichnung eines Musikanten oder einer Musikantin handelte. Da Hathor mit der Musik und der Liebe assoziiert wurde, ist nicht auszuschliessen, dass der Statueninhaber hier seine Funktion als Musikant hervorheben wollte, da auch über Musik ein Kontakt zur Gottheit hergestellt werden konnte und das Musizieren im Kult der Hathor als eine Form der religiösen Kommunikation galt (TEETER 1995: 86ff., ONSTINE 2001: Kap. 3). 113 Der Text beginnt mit einem Loblied auf Hathor und fährt fort mit einem Bittgebet funerären Charakters. Auf dem Sockel der Statue ist ein Text angebracht, der den in Gestalt des Würfelhockers dargestellten Mittler für die „Gebete der weinenden Mädchen“ (Sr.t nb.t ntj m rmn.t) an Hathor identifiziert: „Ich bin der Musikant (jHy) von [...] Hathor, die die Gebete jedes Mädchens erhört, das weint und das auf Hathor baut. 110 111 112 113

P.Boulaq 4, 16.3–5 (QUACK 1994: 90–91). S. dazu auch BAINES 1991: 149ff. S. Kapitel 3.1.5. Generell zur Musik im Alten Ägypten und deren Bezug zur Religion s. MANNICHE 1978 und DIES. 1991.

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Gebt Salben auf meinen Scheitel, Bier für meinen Mund, Brot und Bier von dem, was ihr opfert. Gebt Opferkuchen vor {ihr} und dann werde ich zu Hathor, (da) sie das, was wiederholt wird, gehört hat.“ 114 Durch die Opfergabe wird zum einen die Übermittlung der eigenen (von Frauen formulierten!) Bitten und gleichzeitig die Aktualisierung der funerären Wünsche, die der Inhaber des Würfelhockers an seine persönliche (Berufs-)Gottheit gerichtet hat, garantiert. Mit anderen Worten: Durch Praktiken, die im Diesseits durchgeführt wurden, sicherte man sich einen Vorteil im Jenseits. Geraldine PINCH (1993: 340–342) vermutet, dass bei der Weihung der Opfergaben im Tempel Gebete rezitiert wurden, die wahrscheinlich auch musikalisch begleitet waren. In einigen Fällen gibt es auch Hinweise darauf, dass bei bestimmten religiösen Feierlichkeiten in der unmittelbaren Nähe des Tempels ein Bankett stattgefunden hat.115 Ferner spiegeln Briefe aus der Ramessidenzeit die Ausführung bestimmter ritueller Handlungen wider, die jenseits des formelhaften Teiles dieser Textgattung zu interpretieren sind und die die Teilnahme des Einzelnen an den für ihn zugänglichen Religionsrahmen belegen. 116 Als solche werden die Anrufung an eine Gottheit, der Vollzug von Wasserspenden (Kat. B.20.3, B.20.7) 117 und die Orakelbefragung 118 erwähnt. In Bezug auf die Wasserspenden sei kurz auf P.Turin 1973, Z. 1–8 vso. (Kat. B.20.7) eingegangen. Im Teil der Nachricht heisst es: „(…) Ferner [vernachlässige nicht, Wasser zu] Amun-des-Thrones-der-Beiden Länder [zu bringen] und sage ihm, er soll mich zurückbringen aus Yar, dem Ort an dem ich bin, um... (...). Ferner [vernachlässige nicht, Wasser zu] 119Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit, zu bringen und frage ihn: ‚Wirst du mich heil zurückbringen?’ (…) Ich spreche zu Horus von Kuban: Gegeben sei euch täglich Leben, Heil und Gesundheit, zwei Mal. Bitte sagt zu Amun (...), und zu Amun-des-SchönenTreffens und zu Mertseger, mich lebend zurück zubringen damit ich euch in [meine Umarmung schliessen kann in dem Tempelvorhof] des Amun-desThrones-der-Beiden Länder“

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NAVILLE/HALL 1913: Taf. IX; BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 128; PINCH 1993: 333, Taf. 40 PINCH untersucht dabei die ägyptischen Gegebenheiten nach den möglichen Ritentypen, die für die Weihung von Opfergaben aus dem interkulturellen Vergleich bekannt sind: ein Ritual für die Sakralisierung alltäglicher Objekte, ein Substitutionsritual und ein Neutralisierungsritual, um z. B. Feindesbilder zu vernichten. S. dazu Kapitel 5.3.2. S. dazu SWEENEY 1985: 214 und BAINES 2001: 9. S. auch Kat. B.20.5, B.20.13, B.20.14. Ferner sei hier auf Kat. B.20.19 verwiesen, in dem der Vorgang der Orakelbefragung durch die Abgabe eines schriftlichen Textes an die Gottheit beschrieben wird, worauf deren Antwort — durch den zuständigen Priester — mitgeteilt wird. Schliesslich beschreibt Kat. B.20.13 (P.Nevill) ein solches Orakel. S. dazu BAINES 2001: 26. Zu Bilddarstellungen von Orakelprozessionen s. Kapitel 3.1.3. Rekonstruktion nach WENTE 1967: 21 (d).

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Interessanterweise erwähnt der Absender dieses Briefes in der Grussformel neben der universalen Form des Amun auch diejenige, die den Gott in Elephantine verortet,120 wodurch der lokalen Dimension der Götterwelt, mit der er in Kontakt kam, eine besondere Bedeutung zugeschrieben wird. Zahlreich sind die Briefe, in denen der Absender den Empfänger bittet, sich an eine bestimmte Gottheit zu wenden und für sie bestimmte Kulthandlungen durchzuführen, damit diese ihn (den Absender) heil nach Hause zurückkehren lasse (Fürbitte). 121 Der persönliche Kontakt zu einer Gottheit, wie sie in der Grussformel von ramessidischen Briefen besonders hervorgehoben wird, scheint nicht auszureichen, vielleicht weil sie Teil des stereotypen Briefformulars war 122 und der Einsatz anderer Personen und eine Ausführung von Ritualen durch diese von primärer Bedeutung war. Hier zeichnet sich also die Verbindung zwischen dem vollzogenen Ritual und der Bitte ab: Butehamun – der Empfänger des hier vorgestellten Briefes – soll es nicht versäumen, die notwendigen Wasserspenden darzubringen, damit die vorgetragene Bitte auch die erwünschte Wirkung auslöst. In anderen Fällen werden Rituale erwähnt, die der Absender eines Briefes für den Empfänger vollzogen hat, und die den Charakter einer Orakelbefragung haben. Es sei hier ein Beispiel aus der Korrespondenz zwischen dem „Hm-nTr-Priester von Amenophis I.“ Amenophis und dem Schreiber Thutmosis vorgestellt (P.BM 10417, vso. 1–5 (Kat. B.20.5): „Und möge Amun dich heil zurückbringen (…). Möge Amun-des-Thrones-der Beiden-Länder dich gerettet haben! Du bist sein Diener. Ich setze dich vor Amenophis I., L.H.G., bei jeder seiner Erscheinungen. ‚Ich werde dich schützen! Ich werde dich heil zurückbringen! Du wirst deinen Blick mit meinem wbA-Vorhof füllen!’ sagt er. Ich schreibe dir, damit du (es) weisst.“ Dass das Ergebnis einer Orakelbefragung hier in einem Brief wortwörtlich wiedergegeben wird, kann mit dem Beruf des Absenders erklärt werden (BAINES 2001: 9). Als Priester hatte er die Möglichkeit solche Orakelbefragungen durchzuführen und somit die Antwort des Gottes mitzuteilen. Orakelsprüche sind jedoch nur selten schriftlich überliefert. Eines der Beispiele stellt das Ostrakon O.Florenz 2619 dar, auf dem ein administrativer Textwiedergegeben ist, in welchem der Besuch eines sonst unbekannten Wesirs Ramses‘ III. in der Arbeitersiedlung Deir el-Medina erwähnt wird. Es wird geschildert, dass der Mann während seines Aufenthaltes auch das Orakels des Amun aufsuchte und von diesem zum Wesir berufen wurde (WOLTERMAN 1996). Ein archäologisches Indiz für das Herantreten an Orakel liefern kleine Votivgaben, die innerhalb der Tempelareale der Hathorheiligtümer in Deir el-Bahari und Mirgissa gefunden wurden. Dass solche Opfergaben zum Tempel gebracht und erst von den Priestern ins Tempelinnere getragen wurden, schliesst Geraldine PINCH aus der Tatsache, dass es in der Nähe eines

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So Z. 2: m a.w.s. Hsw.t Jmn-Ra nsw nTr.w Hr.j-jb Abw „In Leben, Heil und Gesundheit und (in) der Gunst des Amun-Re, des Königs der Götter, der in Elephantine residiert.“ S. z. B. Kat. B.20.4 und B.20.6. S. dazu Kapitel. 5.3.2.

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Heiligtums nie die Reste von Altären oder sonstigen Kulteinrichtungen gefunden wurden (PINCH 1993: 337ff). 123 Hinsichtlich der Rekonstruktion von auf der persönlichen Ebene vollzogenen Ritualen erweist sich die in die 20. Dynastie datierende Stele BM 278 (Kat. G.20.2), die ein Gebet des Qenherchepeschef (On-Hr-xpS=f) an Hathor beinhaltet, als von besonderer Bedeutung. Hier werden verschiedene rituelle Handlungen beschrieben, unter denen die Inkubation – die gewöhnlich erst in die griechisch-römische Zeit datiert wird 124 – und die Errichtung von Stelen als Votivgaben im Tempel besonders hervorzuheben sind: „Lobpreis geben deinem Ka, Hathor, Herrin des Westens, Herrin des Himmels, Gemahlin aller Götter. Die Erde küssen vor deinem Namen. Ich war im Angesicht seines Herrn, geboren in diesem wbA-Hof, im Tor bei Deir el-Bahari, der Nähe des Mensettempels 125. Ich ass von dem Opferbrot der Vorlesepriester, an der Seite der grossen Verklärten. Ich spazierte im Tal der Königinnen, ich verbrachte die Nacht in diesem Vorhof. Ich trank das Wasser, das im/dem Bergland entspringt (?) im Vorhof 126 von Menet, (und) das die Pflanzen und Lotusblumen im Vorhof des Ptah bewässert. Mein Leib verbrachte die Nacht im Schatten deines Gesichtes. Ich verbrachte die Nacht in deinem Vorhof, Ich errichtete Stelen im Tempel (...) von Deir el-Bahari. Für den Ka des einzigen untadeligen Gerechten, der die Kultbilder aller Götter herstellt. Der Diener in der Stätte der Wahrheit, Qenherchepeschef, gerechtfertigt bei (den Herren) der Ewigkeit. (…)

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Im Grab des Polizeichefs Mahu in Tell el-Amarna (Kat. G.18.14) ist dieser jedoch beim Gebetkniend und mit erhobenen Armen vor einem Opfertisch gegenüber dem Atontempel dargestellt (DAVIES 1906: Taf. 18). Dies spricht für die Möglichkeit einer Gebetsausübung mit einer Opfergabe vor den Tempeln zumindest in der Amarnazeit. Zur Möglichkeit der Inkubation als rituelle Handlung schon im pharaonischen Ägypten siehe MARCINIAK 1981b und ID. 1981c. D. h. des Totentempels von Ahmes-Nefertari. r-sAH.t „in der Nähe von“: Wb.IV.21 zitiert sAH.t in Verbindung mit der Präposition m „in der Nähe von“. Das hiesige r ist demzufolge mit dem m zu emendieren. Zur Bedeutung von wbA vgl. SPENCER 1984:8.

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Im oberen Teil der Stele sitzt Hathor, in ihrer antropomorphen Gestalt dargestellt, auf einem Thron gegenüber einem Opfertisch. Das untere Register, das grösstenteils von einem Gebetstext eingenommen wird, zeigt den Stelenstifter in einer lang gestreckten knienden Anbetungshaltung, die auf keiner anderen Gebetstele zu finden ist. Von allen Gebetsstelen aus der Ramessidenzeit ist es dieses Denkmal, das dem Stil und dem Konzept der ägyptischen Autobiographie am nächsten kommt, da Qenherchepeschef sein Leben von Geburt an im Sinne seiner Hinwendung an Hathor beschreibt. Der Stelenstifter führt das Gebet mit der üblichen Anbetungsformel ein, die den Text in einem kultischen Kontext verortet. 127 Darauf folgt die Erzählung der eigenen religiös-kultischen Taten Hathor zu Ehren, sodass der Text einen bekennenden Charakter annimmt. Der Text selbst entwickelt sich jedoch weder zu einem Bittgebet, noch zu einem Loblied an Hathor. Pascal VERNUS (2002: 241) deutet den Tempelschlaf – hier zu Recht als Frühform der Inkubation zu verstehen (FALCK 1990: 79) – und den Spaziergang im Tal der Königinnen als der Ausdruck eines intimen Verhältnisses zur Gottheit und möchte diese Handlungen nicht dem Bereich des rein Rituellen zuschreiben. Die hier beschriebenen Handlungen finden alle im wbA-Vorhof der erwähnten Tempel statt (SPENCER 1984: 8), wo Religionspraktiken von Seiten der Bevölkerung zugelassen waren. Pascal VERNUS (2002: 241) hebt die Tatsache hervor, dass einige der Handlungen, die der Stifter dieser Stele beschreibt, Riten waren, die der spezifischen Logistik angemessen waren. So liesse sich das Bewässern der Pflanzen und Lotusblumen im Vorhof des Ptah vielleicht als das Opfer eines Beckens deuten, was wiederum Teil eines grösseren Festgeschehens ist. Das Herausstechen der rituellen Dimension ist in dieser Stele offensichtlich. Ein weiteres Beispiel für den Vollzug persönlicher Rituale belegt die Holztafel BM 5646 (Kat. G.18.18), die ein täglich zu vollziehendes Ritual für Thot überliefert (dwA +Hwty m Xr.t hrw nt ra nb „Tägliche Verehrung des Thot“). Das persönliche Gebetsritual (jnD-Hr=k +Hwty/jnk wa.w dwA(.w) tw „Sei gegrüsst Thot!/Ich bin der einzige, der dich preist“), das die Verse 5–10 des Textes betrifft, beinhaltet Bitten, die verschiedene Bereiche betreffen: „ (...) Sei gegrüsst Thot!* Ich bin der einzige, der dich preist.* Mögest du mir ein Haus und Vermögen (?) geben* Mögest du mich ausstatten, mögest du mein Leben* auf das Land der Lebenden geben,* (weil??) du ihr Leben auf der Insel Nsrsr geschaffen hast.* Mögest du die Liebe zu mir, meine Gunst, mein [ ], meine Beliebtheit,* meinen Schutz* in die Körper, in die Gedanken und in die Herzen aller Menschen geben,* aller pat-Menschen, aller rxyt-Menschen,* aller Hnmm.t-Menschen, usw. Mögest du meine Feinde und meine Feindinnen schlagen, in meinem Tode und in meinem Leben.*“ 127

S. dazu Kapitel 5.2.

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Leben und Tod werden hier gleichermassen angesprochen. Die Holztafel stammt aus einem Grab; der Grabinhaber war vielleicht mit dem Ritual für Thot vertraut und hatte ihn als persönliche Gottheit für sein Leben vor und nach dem Tode ausgewählt. Durch diese Verortung wünscht sich der anonyme Stifter, Thot auch im Jenseits täglich rituell anbeten zu können und somit seinen Schutz beizubehalten. Die persönliche Beziehung zur Gottheit, die bereits zu Lebzeiten aufgebaut wurde, wird idealiter auch im Jenseits weitergeführt (ASSMANN 1975: 1086). Vers 8 enthält einen weiteren Ritualvermerk: Dd sn jn s wdn.n=f n +Hwty „Gesagt durch den Mann, der Thot geopfert hat“. Die Existenz von Privatstatuen des Thot in der Ramessidenzeit, in deren Gegenwart wahrscheinlich persönliche Gebete rezitiert wurden, ist durch P.Anastasi III, 5.2 128 belegt, in dem eine solche Statue in Form eines Pavians beschrieben und angebetet wird. Das letzte Beispiel entstammt einem Papyrus der sog. Schultradition und stellt somit eine Art Mustergebet dar. Der Rahmen, in dem sich die Gott-Mensch-Beziehung definiert, ist hierbei der vom Beter ausgeübte Beruf. 129 So betet der Amunsänger Amenemhab gen. Mahu in der Inschrift auf der Statue BM 22557, Z. 5–7 (Kat. G.18.11) jeden Tag die untergehende Sonne im Rahmen seiner Berufsausübung an: „Ich bin zu dir gekommen, um deine Schönheit zu preisen! Deine Mutter Nut umarmt dich, dein Herz freut sich, wenn du den Himmel durchziehst. Mögen die Götter der Unterwelt dich preisen und besingen! Mögest du meine Worte hören, wenn du jeden Tag von mir besungen wirst! Mögest du mir angedeihen lassen ein Begräbnis in Frieden im hohen Alter, und möge mein Ba unter meinen Vätern in der Gefolgschaft des Horus, [des Herrn der beiden Länder] sein’.“ Der Wunsch nach der Erhörung der eigenen Bitten war schon seit dem Mittleren Reich Bestandteil eines standardisierten Formulars, das von Sängern im Bereich des Grabes wahrscheinlich als gesungenes Gebet zum Ausdruck gebracht wurde. 130 Als Sänger und Musiker war man Teil eines religiös-rituellen Aktes, in dem sich der Rahmen der Gottesnähe definierte. Musik und Religion gehörten also auch im alten Ägypten zusammen. Obwohl erste Belege dafür schon aus dem Mittleren Reich stammen, sind vor allem die im Neuen Reich bildlich gut belegten Feierlichkeiten, deren musikalische Begleitung durch Instrumente und Tänze erfolgte, zu erwähnen. 131 Zudem sind verschiedenartige Darstellungen auf privaten Votivstelen festzustellen. So sind zum einen Harfenspieler abgebildet, die für die angebetete Gottheit singen und spielen (ONSTINE 2005: 11, Anm. 128 129 130

131

S. Kapitel 5.3.3 e). S. dazu die Beispiele der Anbetung einzelner Gottheiten im Rahmen der persönlichen Berufsausübung bereits ab dem Mittleren Reich in BACKES 2001. Vgl. das Gebet des Sängers und Harfenspielers Dedu an Hathor in TT 60 (Kat. G.12.1) aus der Zeit Sesostris’ I.: (Z. 1–2) spr=j sDm=T Hm.t nb.w / snmH=j pXr n[=j] jb=T „Ich bitte, mögest du hören, Majestät, o Goldene! Ich bitte, wende [mir] dein Herz zu.“ Vgl. insbes. die Darstellungen des Opetfestes im Luxortempel, wo Musiker und Tänzer zusammen mit Priestern die Gottesbarken empfangen, sowie die des „Schönen Festes vom Wüstental“. Zur religiösen Rolle der für die Musik während solcher öffentlichen Prozessionsfeste zuständigen Sänger (Smay.w) und Sängerinnen (Smay.wt) vgl. ONSTINE 2005: 12–19.

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1). 132 Zum anderen belegen mehrere der Salakhana-Stelen aus Assiut die aktive Rolle von Sängerinnen (Smay.wt) in den für Upuaut vollzogenen Zeremonien (DUQUESNE 2009b). Dieser letzte Befund sowie die zahlreichen Abbildungen von Sängern und Sängerinnen bei religiösen Feierlichkeiten sprechen dafür, dass sie aufgrund ihrer Einbindung in das Musikwesen eine nicht unwesentliche Rolle in der Hierarchie des religiösrituellen Personals spielten (ONSTINE 2005: 19). Darüber hinaus ist auch anzunehmen, dass bei solchen Anlässen Hymnen und Gebete möglicherweise in für das Volk bekannten Rhythmen gesungen wurden und dass auch die Anbetungsformeln und die notwendige Anbetungsgestik (LUISELLI 2007c) erlernt werden konnten. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistete sicher auch die zyklische Wiederholung solcher Feierlichkeiten.133 Die Musik stellte somit sowohl bei grossen, öffentlichen Festen als auch in der Ausübung des Sängerberufes eine Form der religiösen Praxis dar, die wahrscheinlich zur Verbreitung religiösen Gedankengutes diente. Religiöse Feierlichkeiten bildeten insbesondere ab dem Neuen Reich auch den Rahmen für die Rezitation von Gesängen (MESKELL 2002: 175–176), die möglicherweise zur Verschriftlichung der ramessidischen Liebesdichtung führte (LOPRIENO 2005: 116ff.). Hinwendungen an Gottheiten, die fern von jeglichem rituellen Vollzug zu sein scheinen, sind ebenfalls belegt. So überliefert die Schülerhandschrift P.Anastasi II, 10.1– 11.2 134 ein Gebet, das die Rezitation täglicher und nächtlicher Gebete erwähnt: „Erhöre meine Anrufungen, meine täglichen Gebete, meine nächtlichen Hymnen, meine Bitten, die in meinem Mund wachsen werden, sie mögen schon heute erhört werden!“ Es muss offen bleiben, ob diese Bitten eine formell festgelegte Struktur mit Einführungsformeln beinhalteten, oder ob sie vor dem Hintergrund der seit der Amarnazeit in den Briefen belegten Phraseologie „ich spreche jeden Tag zu GN“ 135 zu deuten sind. Die persönliche Hinwendung zur Gottheit konnte jenseits des rituell-kultischen Rahmens, der in den offiziellen Gebetsorten wohl anzunehmen ist, ein freies Sprechen bei Sonnenaufgang und -untergang sein (SWEENEY 1985: 215). Zuletzt sei hier ein magisch-religiöses Ritual erwähnt, wie es in den für die Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen des Tempels stattfand: ein Abreiben der Tempelwand mit den Händen, 136 das die Tempeldekoration z. T. wesentlich beschädigt hat und dessen erstes Auftreten in die Ramessidenzeit zu datieren ist. Die magisch-religiöse Bedeu132

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Man beachte, dass dies schon im Mittleren Reich in Grabdarstellungen belegt ist. S. dazu Kat. G.12.1 der vorliegenden Arbeit. In P.Bibliothèque Nationale 198, I (ČERNÝ 1939: 65–67 [Nr. 45], WENTE 1966: 78–79 und DERS. 1990: 198–199 [Nr. 320]) behauptet der unbekannte Absender des Briefes, bei jedem seiner Besuche in Medinet Habu zu Amun von Djeme zu beten. Die zyklische Wiederholung solcher Feierlichkeiten war eine Garantie für die regelmässige Kultausübung auch im Rahmen der Persönlichen Frömmigkeit. S. dazu Kapitel 5.3.3 d). S. Kapitel 5.3.2. S. dazu TRAUNECKER 1987.

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tung dieses Brauchs lag dabei darin, dass den Tempelwänden eine heilende Wirkung zugeschrieben wurde. 137 3.1.3

Teilnahme an Festen und Prozessionen

Einige Tempelreliefs hauptsächlich aus dem thebanischen Raum im Neuen Reich belegen die Teilnahme grosser Menschenmengen an religiösen Prozessionsfeierlichkeiten (ASSMANN 1991b, BAINES 1991: 148–149). Dies wird teilweise auch von Bilddarstellungen in Gräbern (CABROL 2001: 553, BETRÒ 2008: 89, fig.1 und 100, Abb. 7, EXELL 2009: 87–88) und auf einigen Votivstelen aus Deir el-Medina bestätigt, die einige Hinweise auf die Partizipation eines breiten Publikums an solchen Feierlichkeiten bezeugen. Karen EXELL konnte diesbezüglich in ihrer sozio-historischen Studie über ramessidische Votivstelen drei Ereignisse erkennen, die feierlich von der Gemeinde von Deir el-Medina begangen wurden und auf den Stelen zitathaft abgebildet sind (EXELL 2009: 69–95). 138 Ferner konnte sie fünf Motive herausarbeiten, die für die Darstellung von Prozessionen und Festen auf den Votivstelen aus Deir el-Medina typisch sind: das Bild einer mobilen Götterstatue, der Gebrauch eines Orakelepithetons, die Darstellung eines hochrangigen Mittlers, festliche Opfergaben und die Einbindung von Familienmitgliedern oder generell der Gemeinschaft als Zeichen für ein Ereignis, an dem eine grosse Anzahl Leute teilnahm (EXELL 2009: 88). Diesbezüglich und entgegen der traditionellen Vorstellung eines direkten und individuellen Zugangs zum Göttlichen wurde hervorgehoben, dass der Zugang zu einer Gottheit auch bei einer öffentlichen Feierlichkeit von Berufsgruppen getrennt gesucht wurde, wobei dies durch den Leiter einer solchen Gruppe erfolgte und für eine Einzelperson nach ägyptischer Vorstellung nicht möglich war (KESSLER 1999: 186–187). 139 Diese Hypothese meint Karen EXELL (2009: 89) bestätigen zu können, da die Mehrheit der Stelen, die eine Orakelsituation bezogen auf Amun-Re, die thebanische Triade oder andere lokale Gottheiten abbilden, von Gruppen verschiedener Individuen gestiftet wurden. Wenn einerseits der Zugang zu einer Götterstatue und eine Orakelbefragung sehr wahrscheinlich durch Priester vermittelt wurde, wie dies z. B. in Briefen indirekt beschrieben wird, 140 kann jedoch entgegen der obigen Ansicht argumentiert werden, dass das Motiv solcher bildlichen Darstellungen innerhalb der grossen öffentlichen Feierlichkeiten situiert ist. Die Darstellung mehrerer Individuen wundert daher nicht. 137

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Dies gilt für die ägyptische Kultur mit Sicherheit in der griechisch-römischen Zeit. Jedoch ist diese Sitte in ähnlicher Form mehrfach im interkulturellen Vergleich festzustellen und war ein weitverbreitet gängiges, nicht-kodifiziertes Ritual (TRAUNECKER 1987: 229ff.). S. Kapitel 3.1.1. Diese These wird auch von Dieter KESSLERs Schülern Enka Elvira MORGAN (2004: 53) und Faried ADROM (2005: 10) unterstützt. Der Vorschlag von MORGAN (2004: 49, 67), die dargestellten Ohren auf den Ohrenstelen aus Deir el-Medina seien als ein Schmuckelement der Stelen zu deuten, das auf die individuelle Einflussnahme des Stelenstifters auf die Gestaltung der Stele verweist und nicht auf die bildliche Wiedergabe der Eigenschaft des Gottes als hörende Instanz wird hier nicht in Betracht gezogen. S. dazu LUISELLI 2007a sowie EXELL 2009: 88, die dies aufgrund ihrer Materialbasis nicht bestätigen konnte. Zur Analyse der Ohren auf den Ohrenstelen s. auch RADKE 2007. S. dazu Kat. B.20.5.

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Eindrucksvolle Bilder der Teilnahme an Prozessionen sind auch auf mehreren der 600 sog. Salakhana-Stelen aus dem Grab Djefaihapis III. in Assiut bezeugt (DURISCH 1993: insbes. 219, DUQUESNE 2002: 21, DERS. 2003, DERS. 2007: 23ff., DERS. 2009: 100 [CM203], 111 [CM146] 141, BECKER 2007), 142 was diese Form der Annäherung an eine Gottheit auch ausserhalb des thebanischen Bereiches mit Sicherheit belegt. Dies ist auch in Gebel el-Silsileh der Fall, wo in Kapelle Nr. 11 (Kat.G.18.8) ein Preislied an Amun überliefert ist, das als Bestätigung für die Annahme, die ägyptische Persönliche Frömmigkeit sei im Rahmen der Teilnahme an öffentlichen Festen entstanden, gedeutet wurde (KUCHAREK 2000). 143 Eine solche Festteilnahme ist besonders häufig für das Neue Reich belegt, sodass tendenziell der Eindruck gewonnen wird, dass es sich um eine besondere Eigenschaft des religiösen Lebens jener Zeit handelte. Dennoch können die Feierlichkeiten in Abydos (FALCK 1990: insbes. 15-48) zu Ehren von Osiris in der Ersten Zwischenzeit und im Mittleren Reich bereits zu den ersten Zeugnissen einer im religiösen Fest gesuchten Gottesnähe – hier auf Osiris bezogen – gezählt werden, 144 weshalb Miriam LICHTHEIM (1988: 134) sogar von einer spezifischen „Osirisfrömmigkeit“ spricht. Ein besonderes Zeugnis für die Erfahrung der Gottesnähe im Fest schon vor dem Neuen Reich stellt die bereits unter 3.1.1 vorgestellte und Min-Hornacht gewidmete Stele Bologna EG 1911 (Kat. G.12/13?.4, Taf. 1) dar. Gestiftet vom jm.j-rA pr n Htp-nTr „Vorsteher der Domäne des Gottesopfers“ Aku, liegt die Bedeutung dieser Stele sowohl in der textlichen als auch der bildlichen Ebene. Während auf ihr zum einen den ersten Beleg eines erst in der ramessidischen Totenliturgie NR.7 (ASSMANN 2005: 459– 499) fassbaren Kehrverses überliefert ist (BOMMAS 2008), stellt der ikonographische Teil eine der ältesten bildlichen Wiedergaben der persönlichen Verehrung einer Gottheit auf einer privaten Stele dar. Diesbezüglich wurde bereits in 3.1.1 darauf hingewiesen, dass die Stele des Aku wahrscheinlich zu einer Gruppe von Stelen aus Abydos gehört, die den Kult des Min-Hornacht in Abydos belegen. 145 Auch die drei Stelen des Ameniseneb (BAINES 2009) liefern die einen weiteren Beleg für die persönliche Suche nach Gottesnähe im Kult bereits im Mittleren Reich. Wer an Festen und Feierlichkeiten teilnahm, wie viele Menschen es waren, und ob dadurch ein gemeinsamer und sinnhaft gestalteter religiöser Glaube geteilt wurde, sind Fragen, die bislang noch offen sind. So wie es auch schon für andere Religionen der Antike beobachtet wurde (RÜPKE 2001: 16ff.), ist jedoch anzunehmen, dass gerade bei religiösen Handlungen Gebetshaltungen, Lieder, Gebete und religiöse Handlungsabläufe erlernt wurden. 146 Ob die Teilnahme allerdings verpflichtend war, kann anhand der 141 142 143

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Hier ist nur eine kleine Auswahl dieser Stelen genannt. Zu einer umfassenden Zusammenstellung sei hier auf DUQUESNE 2009 verwiesen. S. auch Kapitel 3.1.1. Gebel el-Silsileh ist jedoch nicht ganz vom thebanischen Bereich zu trennen, da teilweise die Inhaber der Kultkapellen auch als Besitzer von Gräbern in der thebanischen Nekropole aus der 18. Dynastie belegt sind. Vgl. dazu BOMMAS 2003a. S. dazu Kap. 5.1.1 a). Hierbei handelt es sich um die Stele Ny Carlsberg Glyptotek ÆIN 964 (JØRGENSEN 1996: 190–191, Nr. 79). S. Kapitel 3.1.1. Lynn MESKELL (2002: 172) schildert zusätzlich zu der rein religiösen Bedeutung der Festteilnahme auch die mögliche Auswirkung auf sinnlich-sexueller Ebene. Diese konnte sich einerseits in extatischen Zuständen manifestieren, die durch das öffentlich sichtbare Ritual bewirkt wurden, andererseits fand während bestimmten Feierlichkeiten, wie z. B. bei der Darbringung von Phalloi im Hathortempel

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aktuellen Beleglage für die pharaonische Zeit nicht entschieden werden. Barry KEMPs (1995: 30) Studie lässt jedoch eine solche Pflicht nicht erkennen: Aus den Siedlungen, die keinen Kontakt zu Tempeln oder Grabstätten hatten, sind auch keine Zeugnisse zum Vorschein gekommen, die auf die Ausübung persönlicher Religionspraxis hindeuten könnten. 147 Das Fest war ein öffentlicher Anlass, die Teilnahme daran ein Akt der gemeinsam erlebten Frömmigkeit den gefeierten Göttern gegenüber. Einige damit verbundene Fragen sind jedoch nur schwer zu beantworten. Es bleibt offen, ob die Teilnahme an öffentlichen Festen auch ein Akt der Persönlichen Frömmigkeit war, der die private religiöse Sphäre betraf. Ist es überhaupt möglich, die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem persönlichen Bereich in Bezug auf eine Festteilnahme zu ziehen? Antworten darauf sind aufgrund der lückenhaften Beleglage hinsichtlich des allgemeinen privaten Alltagslebens schwer zu finden. Das individuelle und öffentliche kultische Leben der altägyptischen Religion gipfelte im religiösen Fest (BLEEKER 1967: 24, FAIRMAN 1954). Welche auch immer die Einteilung einzelner ägyptischer Feste in der ägyptologischen Literatur sein mag (ALTENMÜLLER 1977, APPEL 1989: 105, SPALINGER 1996: 1–30 und BONNET 2000: 185–187), so besteht ein gemeinsamer Nenner: Durch seinen sakralen 148 Rahmen führte das Fest die Teilnehmer aus der Zeit des Alltags in eine heilige Zeit und in eine heilige Welt (ALTENMÜLLER 1977: 171, ASSMANN 1991b: 106; DERS. 1991c), in der das sonst immer in der Verborgenheit seiner Kultkammer stehende Kultbild eines Gottes nach aussen tritt und in Gestalt seines Prozessionsbildes der Öffentlichkeit insofern zugänglich wird, als dass seine Erscheinungsbilder und Embleme am Bug oder am Heck der Barke für alle sichtbar waren. 149 Die Merkmale des sakralen Alltags betrafen nur die Ebene der Gottheit und allenfalls den in das täglichen Kultbildritual involvierten Vollzieher des Kultes; sie kennzeichneten sich durch Abgeschlossenheit des Kultvollzuges, durch Ruhe des Kultortes (die Zelle des Gottes im Tempel), durch die routinierte Abfolge der Kultepisoden und durch ein do-ut-des-Prinzip, gemäss dem der Gott die Gaben des Königs entgegennahm und ihm entsprechende Segensgüter gab. Die Präsenz der Gottheit auf Erden und damit das Fortbestehen des Kosmos wurde dadurch täglich neu gesichert und aktualisiert. Diese Merkmale legten den Rahmen des Kultbildrituals im Geheimen fest, indem sie die Öffentlichkeit ausschlossen (ASSMANN 1991b: 106– 107).

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in Deir el-Bahari während des Festes des ithyphallischen Amun, tatsächlich Geschlechtsverkehr zwischen Ehepaaren statt. Zu diesem Thema vgl. Kap. 4.1.2., wo anhand neuerer Grabungsergebnisse aus anderen Siedlungen Barry KEMPs Ausführungen kritisch betrachtet werden. Etymologisch lässt sich „sakral“ von lat. sacer „heilig; einem Gotte geweiht“ ableiten und entstammt ursprünglich der Sprache des Eigentums. In den meisten Fällen blieb das Gottesbild im Inneren des Barkensanktuars verborgen und war somit für die Öffentlichkeit nicht sichtbar (RÖMER 2003: 283). Dies ist z. B. anhand der bereits in Kapitel 3.1.1 erwähnten Stele Cambridge E.SS.52 (MARTIN 2005: 68–69, Nr. 44) belegt, worauf „der Diener in der Nekropole“ Amenemhab und seine Schwester die drei Prozessionsbarken von Amun, Mut und Chons anbeten. Hier ist deutlich zu sehen, dass das Gottesbild im Barkensanktuar verborgen blieb, während das göttliche Bild nur in Form der Darstellung am Bug der Barke sichtbar war.

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Der Rahmen des (Prozessions-)Festes 150 war also eine Bühne für die öffentliche Teilnahme am Kultgeschehen 151 und somit für die Gottesnähe (ALTENMÜLLER 1977, BRUNNER 1977a, ASSMANN 1984: insbes. 258ff., MESKELL 2002: 168–177). Voraussetzung dafür war die Einwohnung der Gottheit im Prozessionsbild (ASSMANN 2003),152 welches für die Volksmenge in der Gestalt seiner Embleme an der Barke ausnahmsweise zugänglich gemacht wurde. Obwohl das Kultbild an sich auch während Prozessionen im Barkenschrein verborgen blieb, war das Prozessionsfest ein Epiphanieritual, das die Gottheit den Menschen näher brachte (GLADIGOW 1998: 11). Der ägyptische Ausdruck hierfür ist „die Gottheit schauen (mAA)“, wodurch die visuelle Erfahrbarkeit des Gottes ausgedrückt wird. Dies war von so grosser Wichtigkeit, dass es zu einem Wunsch auch für das Leben nach dem Tode wurde (SCHOTT, 1953: 94ff.; BOMMAS 2005b: insbes. 68– 69). Im Neuen Reich gewann das Grab eine neue Bedeutung, denn dem Verstorbenen wurde nun die Möglichkeit gegeben, während eines religiösen Festes in Kontakt mit den Göttern zu treten. 153 So wurden z. B. während des „Schönen Festes vom Wüstental“ die Gräber der eigenen Verwandten besucht, um den Grabherren die Teilnahme an den Feierlichkeiten zu ermöglichen (FOUCART 1924, MARCINIAK 1981a, WIEBACH 1986, ASSMANN 1995: insbes. 283ff., BOMMAS 2010: 170–172). Der Wunsch nach Festteilnahme im Diesseits, der im Neuen Reich so zentral war, dass die Totentexte ihn stets thematisieren (BOMMAS 2005b: 68 m. Anm. 25), enthielt einen Aspekt der Erwartung, an den Opferspeisungen für die Gottheit beteiligt zu sein, wie z. B. die Statue des Chay CG 42166 belegt: rwD Xnt.y m pr Jmn Ssp snn.w pr m-bAH „Möge meine Statue fest gegründet sein im Hause des Amun, indem sie die Speisen empfängt, die aus der Gegenwart (des Amun) hervorgehen“ (ASSMANN 2005: 327, NR.4.2.1.3). Darüber hinaus ist auch der in den Totenliturgien des Neuen Reiches mehrfach belegte Wunsch zu erwähnen, der Verstorbene möge selbst als Priester agieren und den Kult für die Gottheit ausüben (BOMMAS 2005b: 69–70). Diverse Termini der ägyptischen Sprache bezeichnen das Prozessionsfest. Pr.t „Auszug“ und xaw „Erscheinung“ (BONNET 2000: 610) sind die bekanntesten und beziehen sich auf das Sichtbarmachen der Gottheit im Bild während des Festes. Ferner sind auch Sms „folgen“ und mAA „schauen“ zu erwähnen, die sich hingegen auf die Teilnehmer und ihr Verhalten während des Festes beziehen. In beiden Fällen steht die visuell erfahrbare Gottesnähe im Mittelpunkt (APPEL 1989: 107). Diese etablierte sich im Neuen Reich durch die Entwicklung der Institution des Orakelwesens 154, als es für eine breitere Bevölkerungsschicht möglich war, die Gottheit zu 150

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Das Prozessionsfest ist ein sog. „Fest auf den Jahreszeiten“, d. h. ein Jahresfest (ASSMANN 1991b: 106). Die Dauer dieses Festes unterlag den Wünschen des Königs, anders als die der Monatsfeste, die nur einen Tag dauerten und an denen anscheinend keine Prozession stattfand (CABROL 2001: 712). S. dazu die sog. „Partizipationsstruktur“ nach ASSMANN 1991b: 108. Das Prozessionsbild konnte jedoch auch durch die Barke alleine oder durch eine Standarte ersetzt werden (ASSMANN 1991b: 107). S. dazu auch JENNI 2011 (i. Dr.), die die Veränderungen in der Kleidermode im Neuen Reich (vor allem in der 18. Dynastie) untersucht. JENNI bringt dabei die neue ab der Zeit Amenophis' II. durch Stoffülle und viele Falten charakterisierte breite Kleidung (JENNI 2011: 2-3) mit der Persönlichen Frömmigkeit in Verbindung. Es handelte sich dabei – so Hanna JENNI (2011: 8-9) – um die Festtracht des seligen frommen Verstorbenen (Mann oder Frau), in welcher er/sie sich als würdig darstellte, um auch im Jenseits am Götterkult und an den diesseitigen religiösen Festen teilzunehmen. S. dazu die massgebliche Studie von Malte RÖMER 1994. Die Entstehung des Orakelwesens wird anhand der Inschrift auf Block 222 der Chapelle Rouge ins Neue Reich datiert. Hier wird das bjAj.t des

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befragen, auf ihre persönliche Intervention zu hoffen (ASSMANN 1984: 227) und von ihr Antworten in Form von Bewegungen ihrer Barke zu bekommen (NIMS 1965: 93–94; RÖMER 2003: 285), wenn die Statue des Gottes im Barkenschrein getragen wurde. 155 Bildliche Darstellungen dieses Verfahrens sind auf verschiedenen Medien belegt, darunter vor allem Votivstelen, Ostraka und Grabwände. 156 Von den verschiedenen Votivstelen, die eine Orakelbefragung bildlich wiedergeben 157 seien hier stellvertretend die Stele Bankes 8 (Kat. G.19.4) und die Stele Ashmolean 1894/106 (Kat. G.19.28) erwähnt. Während auf ersterer der Bug der Barke des Chons dargestellt ist, der sich der Stelenstifter opfernd nähert, wurde auf letzterer abgebildet, wie die Isis-Barke von zwölf Priestern getragen und von Ramses II. mit einem Weihrauchopfer bedacht wird, wodurch der König als Mittler mitwirkt. 158 Auch in zahlreichen Grabdarstellungen sind Statuenprozessionen belegt, beispielsweise in TT 19, wo in einer Szene die Statue Amenophis’ I.-(n-pA-wbA „des Vorhofes“) im Rahmen des „Schönen Festes vom Wüstental“ von Priestern getragen wird (EXELL 2009: 75) und zusammen mit der Statue Amenophis’ I.-pA-ib-ib vor einem Tempelpylon die Statue von Ahmes-Nefertari begrüssen, die sich in ihrer Barke befindet und von einem Priester beweihräuchert wird (BETRÒ 2008: 96, Abb. 5). 159 Ferner sei auf die Darstellung der Statue Amenophis’ I.-n pA-dmj in TT 2 verwiesen (ČERNÝ 1927: fig. 14, BETRÒ 2008: 89, Abb. 1), die Kultziel in Deir el-Medina war. 160 Aufgrund der von Karen EXELL (2009: 88) aufgestellten Kriterien für die Erkennung von Orakelstatuen ist es davon auszugehen, dass all diese Bilder Amenophis’ I. auch Ziel von Orakelbefragungen waren.

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Amun von Hatschepsut verkündet, was Jan ASSMANN (1984: 227–228) als das allererste Auftreten des Orakelwesens interpretiert und in Einklang mit der Hervorhebung des neuen dynastischen Gottes bringt. Ein weiteres Beispiel aus der 18. Dynastie findet sich bei Thutmosis III. und bezieht sich auf das Orakelsprechen des Amun im Hinblick auf die Gründung des eigenen Tempels in Karnak (AchMenu), wofür er sich selbst zum eigentlichen Ritualist ernennt (BECKERATH 1981). Jan ASSMANN (1979: 15, Anm. 9) vertritt die Meinung, dass das Orakelwesen von der Persönlichen Frömmigkeit phänomenologisch nicht getrennt werden sollte. Dies wurde von Malte RÖMER (1987) jedoch in Frage gestellt: Der Inhalt des Orakelwesens d. h. die Äusserung des Willens Gottes sei schon vor dem Neuen Reich bekannt gewesen. Darüber hinaus sind Götterprozessionen als räumlicher Rahmen für das Orakel ebenfalls aus früherer Zeit bekannt (BAINES/PARKINSON 1997). Das eigentlich Neue im oben erwähnten Block 222 ist gemäss RÖMER weniger das bjAj.t an sich, als vielmehr dessen Ausrichtung auf eine andere Person als den König. Aus den hier kurz beschriebenen Gründen ist in der vorliegenden Arbeit von der Entwicklung und nicht von der Entstehung des Orakelwesens im Neuen Reich die Rede. Zumindest für das späte Neue Reich und die 3. Zwischenzeit war der Kopf als Gottesemblem am Bug der Barke das „Gesicht“ der Gottheit, von der man die Antwort in Form von Bewegungen bekam (RÖMER 2003: 283–285). Zum Teil werden diese Darstellungen auch von einem Text begleitet, in dem die Orakelbefragung wiedergegeben wird (EXELL 2009: 76). Zur Beschreibung oder Erwähnung von Orakeln in Briefen s. Kapitel 3.1.2. S. dazu die Auflistung von 16 Stelen mit einer solchen Abbildung, die Karen EXELL (2009: 76–77, Abb. 4.3) zusammenstellen konnte. S. dazu auch die Beschreibung der Darstellung der Stele im Katalog. Zu der Rolle Amenophis‘ I. und Ahmes-Nefertari als Mittler s. ALTENMÜLLER 1981 und HELCK 1958. Zu den anderen Statuen und Bildern Amenophis’ I., die in der Thebanischen Gegend Ziel von Kult und Frömmigkeit waren vgl. generell ČERNÝ 1927 und zuletzt BETRÒ 2008: insbes. 88–91.

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Die Orakelprozession war ein wesentlicher Teil des ägyptischen Festes, das seinerseits eine Neugestaltung der Architektur der „Gotteswege“ verlangte (ASSMANN 1984: 227, CABROL 2001: insbes. 711ff.). Die persönliche Hinwendung an einen Gott durch eine schriftliche Bitte oder Mitteilung wird traditionell in einer Gruppe von Ostraka aus Scheich Abd el-Gurna (Kat. G.18.2–G.18.7, Taf. 2–4) aus der Regierungszeit Amenophis’ II. erkannt (POSENER 1975, ASSMANN 1996a: 260–264, DERS. 1997: 21–25). Ihre Datierung vor die Amarnazeit war für die Forschungsgeschichte der Persönlichen Frömmigkeit von ausserordentlicher Bedeutung, da dies einer der ersten Anstösse war, die Ursprünge dieses religiösen Phänomens bereits vor der Ramessidenzeit zu erforschen (LUISELLI 2008). 161 Die kontextuelle Einbindung dieser Zeugnisse in das „Schöne Fest vom Wüstental“ (GRAEFE 1986) und ihre Deutung als spontane Gebete, die der Barke des Amun bei jener Gelegenheit vorgelegt wurden (ASSMANN 1996a: 260–266; DERS. 1997) ist in einer neuen Studie von John BAINES und Elizabeth FROOD insbesondere aufgrund von Beobachtungen zur verwendeten Phraseologie in Frage gestellt worden (BAINES/FROOD 2008: 5–6). Anstelle dieser traditionellen Interpretation schlagen BAINES und FROOD vor, die Ostraka als Schülerübungen ähnlich wie die Texte aus den neuägyptischen Miszellen zu verstehen. Unabhängig von dieser Untersuchung konnte in der vorliegenden Studie diese Neuinterpretation anhand weiterer Beobachtungen teilweise bestätigt werden. 162 Nicht alle Texte, die auf diesen Ostraka aufgeschrieben wurden, scheinen aus der Zeit Amenophis’ II. zu stammen. Besonders O.Kairo 12202 vso. (Kat.G.18.3, Taf. 3) das sich vom Recto desselben Ostrakons paläographisch deutlich unterscheidet und in die 19. Dynastie zu datieren scheint. 163 Betrachtet man zudem die Ostraka unabhängig von dem Text, den sie tragen, fällt auf, dass sie zahlreiche Skizzen (vgl. z. B. Taf. 2 und Taf. 4) tragen, was wiederum für den Schulkontext spricht. Zudem weist O.Kairo 12212 rto. (Kat. G.18.2) eine sehr schöne Schrift auf, wie sie hauptsächlich aus Papyri belegt ist, als handle es sich um einen Schreiber, der gerade für das Beschriften eines Papyrus übt. Zusammenfassend kann man festhalten, dass zumindest das Verso von O.Kairo 12202 nicht in die 18. Dynastie zu datieren scheint und, dass die Phraseologie teilweise mit den ramessidischen Schulgebeten vergleichbar ist (BAINES/FROOD 2008: 5–6). 164 Gesetzt den Fall, die Datierung des Versos in die Ramessidenzeit ist richtig, würde es sich um einen Text handeln, der auf der Rückseite eines älteren Dokuments derselben Art angebracht wurde. Akzeptiert man also diese Deutung sowie diejenige von BAINES und FROOD (2008), kann man davon ausgehen, dass es sich hierbei um eine Gruppe von Schultexten handelt, die vielleicht als Muster bzw. Übungsabschriften dem Erlernen von Gebeten dienten. 165 Das schriftliche Abfas161 162 163 164 165

S. auch die Einführung der vorliegenden Arbeit. S. dazu die Kommentare zu Kat. G.18.2–G.18.7. So auch Kat. G.18.5 (O.Kairo 12225 rto.). S. Kapitel 5.3.3. Zur Herkunft von Schultexten aus dem Umfeld von Gräbern vgl. auch GUKSCH 1994b, DORN 2005, BOMMAS 2006 und KAHL 2006. Weder Jochem KAHLs Deutung der Graffiti im Grab Djefaihapis III. als Zeugnisse von „Schulausflügen“ zu der Nekropole, noch Andreas DORNs Versuch, Schulunterrichte als Grund für die Anwesenheit literarischer Texte in Gräbern zu rekonstruieren, überzeugen. Daher schliesse ich mich der Deutung von Andrea MCDOWELL (2000: 223) an, die vermutet, solche Texte seien von einzelnen fortgeschrittenen Schülern als Hausaufgabe verfasst worden. Vgl. dazu auch Martin BOMMAS (2006: 14), der darauf hinweist, dass solche Ostraka möglicherweise direkt dort, wo sie als Hausaufgabe verfasst worden waren, aus unklaren Gründen auch entsorgt wurden. Dieses Sze-

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sen von persönlichen Anliegen ist darüber hinaus in der Ramessidenzeit auch im Zusammenhang mit der Orakelbefragung in Briefen häufig beschrieben, 166 für die 18. Dynastie jedoch gibt es hierfür keine konkreten Belege. Dies spricht selbstverständlich nicht grundsätzlich gegen die Möglichkeit, dass solche Bitten und Hinwendungen beim Auszug des Gottes in die Öffentlichkeit bereits vor der Ramessidenzeit ausgeführt wurden, aber entgegen Jan ASSMANNs Deutung (1997) scheinen diese Texte kein Beleg für einen solchen Brauch darzustellen. Neben den öffentlichen Festen, während denen Privatpersonen die Gottesnähe kollektiv erlebten, sind in den altägyptischen Quellen zahlreiche private Feste belegt, die einen besonderen Einblick in das religiöse Alltagsleben einzelner Individuen ermöglichen. In seiner Untersuchung konnte Anthony SPALINGER (1996) feststellen, dass die privaten Festkalender, die aus Privatgräbern stammen, mit denjenigen der offiziellen Tempelinstitutionen (insbes. Karnak und Medinet Habu für das Neue Reich) nicht korrespondierten. Die Anbringung eines privaten Festkalenders in einem Grab signalisierte den Willen des Grabinhabers, auch als Verstorbener im Jenseits an den diesseitigen göttlichen Festen teilzunehmen (SPALINGER 1996: 173). Dies ist erklärbar durch die neue Bedeutung des Grabes im Neuen Reich, in dem seit der 18. Dynastie Anbetungsszenen von Gottheiten durch Privatleute belegt sind, die das Grab als neuen Ort der Erfahrung von Gottesnähe definierten (ASSMANN 1995: 283). Ferner konnte die Existenz eines standardisierten Musters in der Kalenderformel während der 18. Dynastie einerseits und der Dritten Zwischenzeit andererseits erkannt werden, das jedoch in der Ramessidenzeit zwischenzeitlich verloren gegangen war. SPALINGER erklärt diese Tatsache vor dem kulturellen Hintergrund der Persönlichen Frömmigkeit, in der zum einen das Verhältnis zwischen Mensch und Gott in die private Sphäre übertragen worden sei, und zum anderen Amun eine dominante Rolle eingenommen habe. Dies habe bewirkt, dass die Teilnahme an religiösen Staatsfeierlichkeiten an Bedeutung verlor und stattdessen das Verhältnis zu den persönlichen Göttern in den Vordergrund rückte (SPALINGER 1996: 173). Diese Annahme steht jedoch in deutlichem Widerspruch zur anderen Interpretationen, nach denen gerade in dieser Zeit die Menschen unbedingt an den öffentlichen Feierlichkeiten der religiösen Institutionen teilnehmen wollten (BOMMAS 2005b), um Gottesnähe zu erfahren. Die Lösung dieses scheinbaren Paradoxes könnte in der Betrachtung der Beleglage unter einem sozialgeschichtlichen Blickwinkel liegen: Die Festkalender waren das Produkt einer sozialen Schicht, die die finanziellen und intellektuellen Mittel für die Gestaltung einer persönlichen Beziehung zu den Göttern hatte. Ashraf I. SADEK (1989) schliesst in seiner Studie über die privaten Festkalender, dass diese einer mittleren Schicht zuzuschreiben sind, die hauptsächlich aus Schreibern bestand, was mit Geraldine PINCHs Erkenntnissen über die soziale Stellung derjenigen, die Votivgaben an Hathor in ihre Heiligtümer stifteten (PINCH 1993: 344), übereinstimmt. Die Beziehung zur Gottheit war von den Lebensumständen des Individuums abhängig. Verwaltungsdokumente belegen z. B. die Möglichkeit für einzelne Arbeiter aus Deir elMedina, eine zweitägige Beurlaubung zu erwirken, um frisches Bier für sich selbst und

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nario könnte die Herkunft der Ostraka, die als Zeugnis früher Persönlicher Frömmigkeit gelten, erklären. S. Kapitel 3.1.2

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die eigene Gottheit zu brauen (SADEK 1989: 355). Die Zusammenstellung dieser Kalender spiegelt somit eine gewisse Freiheit in der Organisation des religiösen Alltagslebens der kulturellen Elite in der Ramessidenzeit wider. 167 Der Bezug zum persönlichen Gott in den privaten Festkalendern wird durch den Ausdruck wdn n nTr=f „dem eigenen (wörtl. seinem) Gott opfern“ zur Sprache gebracht, was sich von der Formel wdn n pA nTr „dem Gott opfern“ insofern unterscheidet, als dass letztere im Zusammenhang mit Gruppenopfern benutzt wurde (SADEK 1989: 359). Der Teil der Bevölkerung, der in der Nähe der grossen Tempelinstitutionen angesiedelt war, konnte den Kontakt zu den Göttern nur innerhalb des offiziell bestimmten Rahmens suchen, d. h. während der öffentlichen Prozessionsfeste oder an den institutionell gegründeten Gebetsorten. Jede Abweichung davon war eine Freiheit, die nur der Oberschicht zustand.

3.1.4 Persönliche Religionserfahrung und offizielle Religion: die Orte für den persönlichen Kontakt zu Gott Wenn Prozessionsfeste als Bühne für die öffentliche Teilnahme am Kultgeschehen definierbar sind, können Prozessionswege 168 als Kulisse für die Begegnung der Menschen mit dem Göttlichen bezeichnet werden. Zur liturgischen Abwicklung dieser Feierlichkeiten gehörten vier Instanzen, deren Anwesenheit gleichermassen notwendig war: der Gott, die Priester, der König und die Menschenmenge. Gleichzeitig definiert der Prozessionsweg den Rahmen für vier Kulthandlungen: Den göttlichen Auszug, die Kulthandlungen vor dem göttlichen Bild, die Kulthandlungen vor dem Eingang des Tempels und nicht offizielle religiöse Handlungen, die z. B. vor dem Prozessionsbild vollzogen wurden (CABROL 2001: 711–712). Besonders die religiösen Akte von Privatpersonen vor dem Prozessionsbild sollen hier näher betrachtet werden. Die unmittelbare Umgebung der Tempel spielte für die logistische Ausübung populärer Kulte eine zentrale Rolle, wie dies die an den öffentlich zugänglichen Bezirken der Tempel angebrachten Graffiti 169 am deutlichsten belegen (SCHOTT 1955: 175–189, HABACHI 1957, TRAUNECKER 1979, MARCINIAK 1981b, DERS. 1981c, SADEK 1984a, DERS. 1984b, DERS. 1987, 53ff., FALCK 1990: 108-115, GUGLIELMI 1994: 59, m. Anm. 40, BOMMAS 1995, JACQUET-GORDON 2003, ALTENMÜLLER 2009: 32-33). Vor allem die Aussenwände, die Eingangsbereiche, die Kolossalstatuen vor den Pylonen (BICKEL 2002, CLÈRE 1968), einzelne Widderfiguren, die auf Stelen und Statuen seit der frühen 18. Dynastie als Objekt der Anbetung abgebildet (GUGLIELMI 1994: 62ff.; Kat. G.19.25) und in Briefen gelegentlich als Sphin167

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Die Sonderstellung von Deir el-Medina soll im Hinblick auf jegliche Diskussion über Kultur und Literarizität in Ägypten immer im Auge behalten werden. Doch gerade deswegen ist es möglich, Einblicke in das kulturelle Leben der Arbeitersiedlung zu erhalten und sie somit als Fallbeispiel zu untersuchen. Die Besonderheit liegt in der hohen Konzentration an kulturellem Leben im Vergleich zu anderen Siedlungen (KEMP 1995). Vor diesem Hintergrund kann jedoch der Fokus allein auf Deir elMedina insofern gerechtfertigt werden, als es hier um eine Qualitätsanalyse geht, bei der das Verhältnis zur quantitativen Lage in ganz Ägypten unberücksichtigt bleiben darf. Zur altägyptischen Terminologie der Prozessionswege siehe CABROL 2001: 61–80. Alleine in der Umgebung von Karnak wurden mehr als 1450 Graffiti entdeckt (TRAUNECKER 1979).

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genalleen erwähnt werden (tA mj.t rhnj(.w): Kat. B.20.20; NIMS 1955: 112; CABROL 2001: insbes. 74–76), die Tore (BRUNNER 1982b, HELCK 1986; GROTHOFF 1996) 170, die Festhöfe (ARNOLD 1962: 106ff.), die Götterfiguren (BRUNNER 1982a, WILDUNG 1977) und der Vorhof (wbA) (CABROL 2001: 721) 171 stellten für das Volk Schwellenpunkte zwischen dem sakralen und dem profanen Bereich dar. Zudem erwähnt Waltraut GUGLIELMI (1994: 56) auch die Tempeldächer als mögliche Gebetsorte, wie die auf dem Dach des Chonstempels in Karnak angebrachten Graffiti belegen (FALCK 1990: 119120, JACQUET-GORDON 2003) 172. O.Gardiner 321 (FISCHER-ELFERT 1997: 103–107) könnte dies bestätigen: jb=tw r-mAA-JaH-[+Hwty nb ¢m]nw Hms Hr-tp Hw.t nTr Xnm.n=f rsw.t Ra.w-Jtm.w Hr=f Hr [mAA] n Hr=f „Man wünscht, den Jah-[Thot, Herrn von Hermo]polis zu sehen (...), zu sitzen auf dem Dach des Tempels ‚Er-vereinigt-sich-mit-der-Freude’, wobei Re-Atum über ihm sei, beim [Anblick?] seines Antlitzes“. Schliesslich ist in einzelnen Fällen auch die Umfunktionierung eines Grabes zu einem Gebetsort, einer Kapelle oder sogar einem Heiligtum belegt, wie die in das Alte Reich datierende Gräber aus Giza (HASSAN 1953: 55-64, Abb. 43, 56, Taf. 12), der reiche Befund von Votivstelen aus dem Grab Djefaihapis III. in Assiut (DUQUESNE 2000: 18ff., DERS. 2009a: 76–87) sowie das Grab des Antefoker (TT 60) aus Scheich Abd el-Gurna aus der Zeit Sesostris' I., das während der 18. Dynastie zu einem Schrein umfunktioniert wurde. 173 Ferner sei auf mehrere Gräber aus dem Alten Reich aus Giza, die um die Sphinx angesiedelt waren und im Neuen Reich als Kapellen für die Ausübung populärer Kulte genutzt wurden (HASSAN 1953: 54–55 und SADEK 1987: 23–29). Die Zugänglichkeit des Tempels für das Volk kann auch anhand der sog. peg holes, d. h. der Löcher, die in die Wände rund um Götterbilder eingebracht wurden, untersucht werden, die in manchen Fällen wie z. B. in Medinet Habu bis in den 2. Hof des Tempels reichen (NIMS 1954: 79–80, TEETER 1997: 5 m. Anm. 38). Ein weiteres Kriterium zur Untersuchung dieser Zugänglichkeit sind die Darstellungen der Barkenprozessionen mit dem für die öffentlichen Auszüge verschleierten Barkensanktuar. Man kann davon ausgehen, dass diese Darstellungen im Tempel solche Orte markiert, zu denen das Volk im Tempelinneren noch vordringen durfte (NIMS 1954, DERS. 1965: 93). In einigen Fällen kann man sogar von der Errichtung richtiger Kultinstallationen wie kleine Heiligtümer und Schreine, Privatkapellen und Gegentempel ausgehen (IKRAM 1989, BOMANN 1991: 69ff., GUGLIELMI 1994, STRAUBE 1989, TRAUNECKER/LAROCHE 1980), die für populäre Kulte benutzt wurden und deren Bezug zur offiziellen Religion 170

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S. dazu auch die Beschreibung memphitischer Heiligtümer in P.BM 10184 vso. 1.4f. (P.Sallier IV; B.20.20), in welcher unter anderem Gottheiten an Toren und in Vorhöfen erwähnt werden. In den Texten der ptolemäischen Zeit sind Tempeltore als „Orte für das Erhören der Bitten“ bezeichnet, was die pharaonische Tradition fortzusetzen scheint (vgl. DEVAUCHELLE 1994: 50). Dem Terminus wbA hat jedoch Patricia SPENCER (1984: 8) eine breitere Semantik zugeschrieben und deutet ihn als den Bereich des Tempeltemenos allgemein. Man beachte jedoch, dass diese ausschliesslich von Priestern für Priester aufgezeichnet worden sind. S. dazu den Kommentar zu Kat. G.12.1

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besondere Aufmerksamkeit verdient (siehe insbes. CLÈRE 1968, PINCH 1993: 356–360, CABROL 2001: insbes. 721–729, GALÁN 2000; BICKEL 2002, RADWAN 1998, VALBELLE 1985: insbes. 313–331). Die Untersuchung des öffentlichen Zutritts in die Tempel ist insofern wichtig, als dies die Bedeutung dieser Einrichtungen von offizieller Seite für den Ausdruck der Persönlichen Frömmigkeit und womöglich auch für die Ausübung persönlicher Rituale für den Gottes- oder Königskult veranschaulicht. Entgegen Jan ASSMANNs (1996a: 259) These, in welcher er die Persönliche Frömmigkeit als lokale, persönliche, populäre und neue Religionsform der offiziellen, priesterlichen, elitären und traditionellen Staatsreligion entgegensetzt, können also zahlreiche Zeugnisse für die Unterstützung dieses Phänomens von Seiten der offiziellen Religion erwähnt werden. 174 So wird seit der Zeit Thutmosis’ III. die Suche nach der Gottesnähe in der Baukonzeption der Tempelanlagen mitberücksichtigt. Ein Beispiel hierfür stellt die Kapelle an der rückwärtigen Aussenmauer des Ach-menu dar, die sich, wie schriftliche Belege verraten (NIMS 1969: insbes. 70, 73), in demjenigen Bereich des Karnak-Tempels befand, der den Namen „Hörendes Ohr“ (msDr sDm) trug (PM II2: 215–218, Taf. XVII, VARILLE 1950, DESROCHESNOBLECOURT 1950, YOYOTTE 1955, NIMS 1955: 116–117, BARGUET 1962: 219ff., NIMS 1971 und STRAUBE 1989: 4ff.). Wahrscheinlich sind diesem Tempel mehrere Stelen zuzuschreiben, die Amun als Widder oder Gans abbilden und auf denen er das Epitheton „das gnädige Ohr“ trägt (GUGLIELMI 1994: 65–66). 175 Unter Ramses II. oder möglicherweise auch schon vor ihm (CARLOTTI/GALLET 2007) wurde in der unmittelbaren Nähe dieses Heiligtums am östlichen Tor des Amuntempels ein weiterer Tempel für Amun-Re-Harachte durch Bakenchons, Hohepriester des Amun, erbaut (vgl. Kat. A.19.3 und A.19.4). Dieses Heiligtum trug den Namen sH-nTr Ra.w-ms-sw mr.y Jmn sDm nH.wt „die Gotteshalle des Ramses Meriamun, der die Gebete erhört“ (KRI III: 298.12, PLANTIKOW-MÜNSTER 1969: 120; SADEK 1987: 46–47, ). Nach dem gleichen Muster wurde auch in Memphis an der Rückwand des Ptahtempels unter Ramses II. ein Heiligtum für die Erhörung der Gebete durch Ptah (PtH-sDm-nH.t) errichtet. Viele der Stelen, die dort entdeckt wurden, stammen jedoch aus der Zeit Thutmosis’ I. (SADEK 1987: 16– 19) und bezeugen somit, dass der Kult des Ptah als persönlicher Gott bereits früher existierte. Wie in Karnak beruht daher auch hier die Bauaktivität Ramses’ II. in Bezug auf die persönliche Religionspraxis auf einer älteren Tradition. Wiederum aus der Zeit Ramses’ II. stammen verschiedene Bauinschriften, welche die Errichtung von Gebetsorten (s.t snmH m sDm spr.t; NIMS 1971: 111) in den Tempelbezirken von Luxor, 176 Karnak und anderen Orten des thebanischen Raumes 177 sowie 174

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S. dazu bereits Waltraut GUGLIELMI (1994: 58), die die Gebetseinrichtungen für Private im Tempel als eine Ergänzung des offiziellen Tempelkultes interpretiert. Ferner bewertet Susanne BICKEL (2002: 74) die Prozessionen als eine Einrichtung von staatlicher Seite, um dem Bedürfnis einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht nach einem visuellen Kontakt mit der Gottheit nachzukommen. Zu den Stelen, die Amun als Widder darstellen sowie den Statuen, die hierbei asl Vorbild fungiert haben können vgl. EXELL 2009: 33. Vgl. dazu KRI II: 607.14–15: Architravinschrift auf der östlichen Hälfte der Südmauer des ersten Hofes (s.t snmH sDm spr.wt n nTr.w rmT); KRI II: 616.3: Inschrift in der Mut-Kapelle des Barkensanktuars im ersten Hof des Luxortempels (s.t snmH.w [sDm...]); KRI II: 616.16–617.1: Inschrift in der ChonsKapelle im ersten Hof des Luxortempels ([...]sDm spr.wt n nTr.w). Ausserdem befindet sich in der Amun-Kapelle eine doppelte Scheintür, die eine komplexe Darstellung aufweist. Die zwei Formen des

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im memphitischen Ptahtempel (SADEK 1987: 16–20) bezeugen. Neben dem Osttempel „Ramses, der die Gebete erhört“ in Karnak (VARILLE 1950, BARGUET 1962: 226ff., NIMS 1971, FALCK 1990: 67-71) verdient auch die Säulenhalle desselben Tempels Aufmerksamkeit, da sie in der Architravinschrift als Ort für die Anbetung von Pharaos Namen durch die rxyt-Menschen (KRI II: 559.7–8) sowie als „Ort, an dem Amun sich dem Volk offenbart“ (NIMS 1965: 93) bezeichnet wird. Die Amun-Kapelle im Barkensanktuar Sethos’ II. im ersten Hof des Karnak-Tempels war ebenfalls ein Ort für die Ausübung persönlicher Religionspraxis und trug die Inschrift s.t sn-tA swAS snmH nTr.w nb.w „Ort der Verehrung, der Anbetung und des Betens zu allen Göttern“ (KRI IV: 254.6). 178 Für das Volk galten insbesondere diese Orte der Gebetserhörung als heilig (BRUNNER 1977d), da dort die Gottesnähe schon zu Lebzeiten und möglicherweise unabhängig von Festen und Feierlichkeiten erlebt werden konnte. So listet P.Bologna 1094, 10.11–11.4 (Kat. B.20.20) aus der Regierungszeit Merenptahs eine Reihe von Orten in Theben auf, die für die Ausübung persönlicher religiöser Vorstellungen in Form von Bitten und Opfern wichtig waren und somit als heilig empfunden wurden (GARDINER 1937: 10, CAMINOS 1954: 28–30). In diesem Musterbrief informiert der Schreiber Pwhem, dem die gesamte Handschrift zu verdanken ist, den Schreiber Anherrech über diejenigen Götter des thebanischen Raumes, die er zu seinem Wohl anruft. Es handelt sich hierbei um die thebanische Triade Amun, Mut und Chons, um den nur in diesem Zusammenhang erwähnten heiligen Ax-sw-Baum in der Sphingenallee (tA mjt rhn) von Theben, um Amenophis I. n pA wbA 179, um Amenophis I. pA jb jb, 180 um die ebenfalls nur hier belegte Hathor-des-Persea-Baumes (@w.t-@r n pA SwAb) 181, um Amenope, 182 um die acht Pa-

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Amun von Luxor und Karnak sind als Widder über einem Djed-Pfeiler jeweils auf einem Pfosten der Scheintür abgebildet (MURNANE 1985: 148). Die Scheintüren weisen in Analogie zum Barkensanktuar von Sethos II. im ersten Hof des Karnak-Tempels kleine Nischen auf, in denen wahrscheinlich KaStatuen von Ramses II. aufgestellt waren (BELL 1985: 270 mit Verweis auf DONADONI 1982: 14, GALÁN 2000: 225.). Diese Nischen sind mit Darstellungen dekoriert, die den vergöttlichten Ramses II. mit Widderhörnern beim Empfangen einer Wasserspende von einem Iunmutef-Priester zeigen. Hier fand die Verehrung des königlichen Ka Ramses’ II. statt, der aufgrund der Widderhörner auf seinem Kopf als Mittler für die persönlichen Gebete an Amun verstanden werden muss (BELL 1985: 270). Vgl. das Relief des Ptah mit eingefasstem Auge am östlichen Tor im Tempel Ramses’ III. in Medinet Habu (Medinet Habu VIII, OIP 94, (1970), Taf. 608, SADEK 1987: 47–48), dessen Epitheton sDm nH.t „der die Bitte erhört“ ein Hinweis darauf ist, dass das Tor als Gebetsort bereits ursprünglich im Bauprogramm mit eingeplant war (so auch GUGLIELMI 1994: 58). Auch das Ramesseum (erster Hof, Ostmauer) ist als Ort belegt, zu dem man sich als Privatperson begeben konnte, um dort Bitten zu stellen: [s.t] snmH sDm spr.wt „[ein Ort] der Gebete und des Erhörens der Bitten“ (KRI II: 653.4–5). Ferner ist die Hathor-Kapelle in Deir el-Bahari zu nennen, deren Stellung im Rahmen der Ausübung populärer Kulte von Ashraf I. SADEK (1987: 48–58) und insbesondere Geraldine PINCH (1993) erforscht wurde. Dies geht mit der Tatsache einher, dass die Eigenschaft des Gottes als Gebetserhöher mit der Zeit Teil der offiziellen Gottestitulatur wurde (s. FALCK 1990: 70). S. dazu insbesondere ČERNÝ 1927: 163, nach dem es sich hier um eine Statue Amenophis’ I. handelte, die im Vorhof des Karnak-Tempels stand und deren Kult später auf das Westufer nach Deir el-Medina verlegt wurde (vgl. dazu vor allem SADEK 1979). S. dazu auch BETRÒ 2008: 91–97. Diese Form der Hathor war besonders im Zusammenhang mit dem Jenseitsglauben und der Wiedergeburt von Bedeutung (vgl. PINCH 1993: 284).

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viane, die im wbA-Vorhof sind (pA xmnw jan nty m pA wbA), um Hathor, die in Theben residiert, um „das grosse Tor des Baki“ (pA sbA aA n BAkj), d. h. das Portal (sbA Hrj) in Karnak, das von Bakenchons gebaut wurde (PLANTIKOW-MÜNSTER 1969: 120), und im allgemeinen um die Gottheiten aus „der Stadt“, d. h. aus Theben. Briefe 183 bilden eine Textgattung, die inhaltlich nicht festgelegt ist und daher alle Lebensbereiche behandeln kann (ALBERTZ 1977: 100). Hinweise in ihnen bezeugen die Präsenz weiterer Gottheiten und Kultstätten, die Ziel von privaten Kultakten waren. 184 Religiöse Gegebenheiten werden nur dann erwähnt, wenn sie für die persönliche oder familiäre Ebene des Absenders oder des Adressaten von Bedeutung sind. Als Quellen des Alltagslebens von nicht-königlichen Personen geben diese Dokumente wichtige Auskunft über das Verwobensein der offiziellen Religion sowie der persönlichen Religionspraxis mit dem täglichen Handeln, jenseits der stereotypen Floskeln, die anhand einer übergreifenden Studie isoliert werden können. Vor diesem Hintergrund sei in der untenstehenden alphabetisch geordneten Tabelle zunächst auf die in den ausgewählten Briefen der vorliegenden Arbeit erwähnten Gottheiten eingegangen: 185 Tabelle 1 Name des Gebetsortes bzw. des Gebetszieles Amenophis I. und Ahmes-Nefertari 186 Amenophis I.-pA-jb-jb Amenophis I.-n-pA-wbA Amun-(Herr)-des Thrones-der-Beiden Länder (Jmn-(nb)-ns.t-tA.wy)

Topographische Bestimmung Amenophis I. Deir el-Medina

Deir el-Medina Deir el-Medina Amun/Amun-Re 187 Amun-Re von Karnak

Brief B.20.5 (P.BM 10417) B.20.14 (P.BM 10326). Amenophis I. alleine ist in B.20.11 (P.Turin 1971) erwähnt. B.20.20 (P.Bologna 1094) B.20.20 (P.Bologna 1094) (LEITZ 2002: Bd. I (OLA 110), 319). Zu den Belegen in den Briefen siehe: B.20.2 (P.Leiden I 369) B.20.3 (P.Leiden I 370) B.20.4 (P.BM

182

Zum Kult des Amenope in Theben siehe zuletzt BOMMAS 2005a. Die Bedeutung der privaten Korrespondenz für die Rekonstruktion und Auswertung persönlicher Ausdrucksformen von Religion in antiken Kulturen ist — nicht nur in de Ägyptologie — anerkannt. So sind für das alte Ägypten insbesondere die Werke BAINES 2002 und BICKEL 2003a, für das Alte Testament ALBERTZ 1977 und schliesslich für Mesopotamien SALLABERGER 2000 zu erwähnen. In Bezug auf die vorliegende Untersuchung vgl. hierzu auch Kap. 5.3.2. 184 Ferner ist auf der Stele Kairo 89624 ausdrücklich ein Gebetsort (s.t snmH) für die tägliche Verehrung des Ka eines Gottes (Atum) erwähnt, was die Nutzung solcher Orte durch Privatpersonen beweist (ZAYED 1964: insbes. 197). 185 In Umschrift werden nur speziellen Formen der angebeteten Gottheiten angegeben. 186 Vgl. EXELL 2009: 42–47. 187 Es sei darauf hingewiesen, dass die Formen des Amun/Amun-Re, die in den Briefen erwähnt werden, nur teilweise mit jenen korrespondieren, die auf Votivstelen aus Deir el-Medina dargestellt sind. Zu diesen Formen s. EXELL 2009: 31–36.

183

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Amun-des-schönen Treffens (Jmn-THn-nfr) 188

Form des Amuns in Theben-West (Medinet Habu?)

Amun-vereinigt-mit-der Ewigkeit (Jmn-Xnm.w-nHH).

Die Erscheinungsform des Amun-Re, Gebetsziel im Tempel Ramses’ III. in Medinet Habu (NIMS 1955: 113 mit Verweis auf NELSON 1942) Amun-Userhat und seine Amun-Userhat bezeichnet Neunheit den Bug der (Jmn-wsr-HA.t Hna PsD.t=f). Prozessionsbarke des Amun (RÖMER 2003). Amun-(von)- Djeme (Jmn-+A-mAa.t)

Amun-Re-König-der Götter (Jmn-Ra-nsw-nTr.w) Amun-Re-König der Götter, der in Elephantine residiert (Jmn-Ra -nsw-nTr.w-Hr.j jb Abw).

Die Erscheinungsform des Amun, Gebetsziel des Tempels aus der 18. Dynastie in Medinet Habu (BOMMAS 2005a) Amun-Re von Karnak. Amun-Re-Figur als Gastgott in Elephantine.

Amun-Re-Harachte (Jmn-Ra-¡r-Ax.ty)

-

Amun-dessen-Ort-heilig ist (Jmn-Dsr-s.t)

Die Erscheinungsform des Amun, Gebetsziel des Tempels aus der 18. Dynastie in Medinet Habu (?) Aton Tell el-Amarna

Aton

10417) B.20.5 (P.BM 10417) B.20.7 (P.Turin 1973) B.20.11 (P.Turin 1971) B.20.12 (P.Phillipps) B.20.14 (P.BM 10326) B.20.15 (P.Genf D 407) B.20.7 (P.Turin 1973) B.20.11 (P.Turin 1971) B.20.12 (P.Phillipps) B.20.7 (P.Turin 1973)

B.20.15 (P.Genf D 407)

B.20.11 (P.Turin 1971), B.20.12 (P.Phillipps)

B.20.3 (P.Leiden I 370) B.20.15 (P.Genf D407) B.20.18 (P.Genf D191) B.20.7 (P.Turin 1973)

B.20.17 (P.Bibliothèque Nationale 199,5-9+196,V+198, IV) B.20.14 (P.BM 10326)

B.18.4 (P.Robert Mond 1) B.18.5 (P.Robert Mond 2)

Atum 188

S. dazu EXELL 2009: 35.

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Atum, Herr des Landes (Jtm pA nb tA)

-

Chnum

Elephantine

Chnum, Satet und Anuket

Chnum, Satet, Anuket Elephantine

Harsaphes, Herr von Herakleopolis (@r-Sftt-nb-Nnj-nsw)

-

Hathor-Herrin-von-Deir el-Bahari (@[email protected]) 189 Hathor-Herrin-von Deir el-Bahari-und Herrin der Berge, in denen du bist (@[email protected] Dsr.t-tA Hnw.t nA Dw.w ntj tw=k) Hathor-des-PerseaBaumes (@w.t-@r-n pA-SAwAb) Hathor, Herrin der südlichen Sykomore (@w.t-@r nb.t hAy rsy) Hathor, die in Thebenresidiert (@[email protected]) 191 Horus von Kuban (¡r n BAkj) Horus von Aniba (¡r n MAmAj)

B.20.14 (P.BM 10326) Chnum

Harsaphes

Hathor Hathor-Figur in der Hathor Kapelle von Deir el-Bahari

B.20.20 (P.Bologna 1094)

Memphitische Erscheinungsform von Hathor (EXELL 2009: 57) Erscheinungsform von Hathor im Hathor-Tempel in Deir el-Medina (EXELL 2009: 55) Horus -

B.19.5 (P.BM 10184 vso.) 190

B.20.7 (P.Turin 1973)

-

B.20.14 (P.BM 10326)

Mertseger-Heiligtum in Deir

192

B.20.11 (P.Turin 1971) B.20.12 (P.Phillipps)

-

Mertseger, Herrin des

191

B.20.2 (P.Leiden I 369)

B.20.11 (P.Turin 1971)

Mertseger

189

B.20.10 (P.Bibliothèque Nationale 196 II)

Hathor-Figur in der Hathor Kapelle von Deir el-Bahari

Mertseger 192 Mertseger-Heiligtum in Deir el-Medina

190

B.20.12 (P.Phillipps)

B.20.20 (P.Bologna 1094)

B.20.2 (P.Leiden I 369) B.20.7 (P.Turin 1973) B.20.11 (P.Turin 1971) B.20.14 (P.BM 10326) B.20.11 (P.Turin 1971)

S. dazu EXELL 2009: 57. Die Form der Hathor ist in diesem Brief nur im Namen der Absenderin beinhaltet, wird jedoch nicht unter den angebeteten Gottheiten aufgelistet. S. dazu EXELL 2009: 54–56. Zu den Erscheinungsformen von Mertseger, wie sie auf Votivstelen vorkommen, s. EXELL 2009: 36– 42.

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Westens (Mr.t-sgr Hnw.t jmnt.t).

el-Medina

Mut

-

Re-Harachte

-

Ptah

-

Ptah-südlich-seinerMauer, Ptah-Herr-von Anch-tawy (PtH-rsj-jnb=f PtH-nb-anx-tA.wy) Ptah, Sachmet, Bastet und Nefertem im Tempel „Ramses Meriamun“

Ptah als Gott von Memphis 193

B.18.3 (P.Louvre 3230a)

Vorhof Ramsesʼ II im Luxor-Tempel

B.19.2 (P.St. Petersburg 1119)

Ptah-der-die-Bitten-erhört (PtH-sDm-nH.wt) Ptah-des-alten-Tores (PtH-n-pA-sbA-jsy)

Ptah-Statue in Medinet Habu (NIMS 1955: 119) Ptah-Statue in Medinet Habu (?). Diese ist auch als „Ptah des grossen Tores“ bekannt (NIMS 1955: 119). -

B.19.5 (P.BM 10184)

B.19.5 (P.BM 10184)

-

B.19.5 (P.BM 10184)

-

B.19.5 (P.BM 10184)

Ptah-des-noblen-Djed Pfeilers (PtH-Dd.ty-Sps.y) Ptah-unter-seinemMoringa-Baum (PtH-Xr.y-bAoA=f) Ptah, Herr von Hemu (PtH-nb-¡mw)

Seschat, Herrin der Schrift (¤SA.t-nb.t-zXA.w)

Mut

Re-Harachte Ptah

Seschat

Thot

193

B.20.15 (P.Genf D 407). Mut kommt in den Briefen immer in Verbindung mit Amun(-Re), Chons und den Göttern von Theben vor. B.20.15 (P.Genf D 407) B.18.6 (P.Northumberland I)

B.19.5 (P.BM 10184)

B.18.2 (P.BM 10102). Seschat wird hier zusammen mit Thot als „Herr der Gottesworte“ angebetet.

Es sei darauf hingewiesen, dass „Ptah, südlich seiner Mauer, Herr des Lebens der Beiden Länder, der die Gebete erhört, der im Millionenjahrshaus ist“ die in Medinet Habu vom Volk verehrte Statue des Ptah bezeichnet (NIMS 1955: 119). Ferner ist „Ptah, südlich seiner Mauer“ auch im Ptah-undMertseger-Heiligtum in Deir el-Medina Ziel von Kult und Verehrung (EXELL 2009: 51).

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Thot, Herr von Hermopolis (+Hwty nb ¢nm.w) Thot, Herr der Götter (+Hwty nb nTr.w) Thot, Herr der Gottesworte (+Hwty nb mdw.w nTr)

-

B.20.2 (P.Leiden I 369)

-

B.18.3 (P.Louvre 3230a)

-

B.18.2 (P.BM 10102)

Die Erwähnung des Kultortes oder der angebeteten Gottheit in der privaten Korrespondenz hing in erster Linie von der Ortschaft ab, in welcher sich der Absender befand. Gleichzeitig versuchte man durch Erwähnungen von Göttergruppen möglichst die Gesamtheit des Pantheons abzudecken. Anrufungen an die in der folgenden Tabelle angegebenen Gebetsziele geben somit dem Wunsch des Absenders nach Nähe zu allen Göttern Ägyptens Ausdruck: 194 Tabelle 2 Name des Gebetsortes bzw. des Gebetszieles Alle Götter von Piramesse (nA nTr.w nb.w pr-Ra-ms-sw mr.y-Jmn) Die grosse Achtheit, die in Chefti-her-nebes ruht (¢mnw aA Sps ntj Htp.w m xf.t-Hr-nb=s)

Topographische Bestimmung Piramesse

Brief

Chefti-her-nebes: mögliche Bezeichnung des Raumes bei Medinet Habu (NIMS 1955: 113)

B.20.11 (P.Turin 1971)

Alle Götter von Theben (nTr.w nb.w WAs.t)

Theben

Jeder Gott und jede Göttin, die hier (d. h. in der Ortschaft des Absenders) ruhen. (nb nT[r.t] nb.t ntj dy Htp) Die Götter des Landes, in dem du dich befindest (nA nTr.w n pA tA ntj tw=k jm=f) Die Götter, die in meiner Nähe sind (d. h. in der Ortschaft des Absenders) (nA nTr.w ntj m hAw=j)

-

B.20.5 (P.BM 10417) B.20.6 (P.BM 10300) B.20.11 (P.Turin 1971) B.20.15 (P.Genf D 407) B.20.1 (P.Berlin 10494)

-

B.20.8 (P.BM 10284)

-

B.20.4 (P.Griffith)

194

B.19.2 (P.Leningrad 1117)

Zu einer Gesamtanalyse der Elemente der persönlichen Religionspraxis in den Briefen s. Kap. 5.3.2 der vorliegenden Arbeit.

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Alle Götter vom Tempel des Thot (nTr.w nb.w pr-+Hwty) Jeder Gott und (jede) Göttin an denen ich (d. h. der Absender) vorbeigehe (nTr nb nTr.t nb(.t) ntj tw=j snj r=w)

-

B.19.1 (P.Northumberland I).

-

B.20.2 (P.Leiden I 369).

Aus der Untersuchung der Briefe in Bezug auf persönliche religiöse Praktiken ist an erster Stelle die Ortsgebundenheit solcher Praktiken zu erschliessen.. 195 Dafür sprechen insbesondere die Erwähnungen von Wasserspenden, die zu bestimmten Zeitpunkten vollzogen wurden und die immer in Verbindung mit einem Kultort stehen. 196 Sie werden niemals in der Grussformel aufgeführt und sind stets Teil der tatsächlichen Nachricht der Briefe, d. h. sie gehören nicht zum stereotypen Briefformular und spiegeln somit eine Realität wider. 197 Ausserdem ist anhand der Briefe auch die spontane Kontaktaufnahme mit dem Göttlichen feststellbar, die vor allem aus der Verwendung von „sprechen“ (Dd) für die Ansprache einer oder mehreren Gottheiten abzuleiten ist.198 Im Gegensatz zur Erwähnung von Wasserspenden gehört diese Briefkomponente jedoch der formell gestalteten Grussformel an, die Vorstellungen überliefert, die im religiösen Gedankengut verankert waren und im Neuen Reich bereits seit der Amarnazeit zum Ausdruck gebracht wurden. 199 Aus den Informationen in den Briefen erschliesst sich, dass zumindest für die thebanische Gegend eine Kulttopographie 200 selbst für den privaten Zugang zum Göttlichen 195

196 197 198

199 200

B.20.3 (P.Leiden I 370), B.20.7 (P.Turin 1973), B.20.11 (P.Turin 1971), B.20.12 (P.Phillipps) und B.20.18 (P.Bibliothèque Nationale 199,5–9+196,V+198, IV). Vgl. B.20.3 (P.Leiden I 370), B.20.7 (P.Turin 1973), B.20.11 (P.Turin 1971) und B.20.12 (P.Phillipps). S. dazu Kap. 5.3.2 sowie BAINES 2001. So in Auswahl Kat. B.18.4 (P. Robert Mond 1), B.18.5 (P.Robert Mond 2), B.18.6 (P.Northumberland I), B.19.1 (P.Leningrad 1117), B.20.2 (P.Leiden I 369), B.20.3 (P.Leiden I 370), B.20.4 (P.Griffith), B.20.5 (P.BM 10417), B.20.6 (P.BM 10300), B.20.7 (P.Turin 1973), B.20.8 (P.BM 10284). Zur Geschichte und Bedeutung dieser Aussage s. Kap. 5.3.2 sowie BICKEL 2003a. Zur Interpretation dieser Aussage als Hinweis auf das private Gebet in Ägypten s. Kapitel 6. 3. Inschriften, die Kulteinrichtungen aus der thebanischen Gegend erwähnen, sind sowohl in den Tempeln des Ost- und Westufers als auch in TT 166 (Grab des Ramose) gefunden worden. Vgl. dazu insbesondere NIMS 1955: 112ff. Nach John BAINES (2001: 10) gehören die in den Briefen erwähnten Heiligtümer nicht zu den grossen Tempelkomplexen des Landes, da darin hauptsächlich die Kultorte von Theben-West erwähnt werden. Dies würde mit der Tatsache übereinstimmen, dass die Inschriften in den grossen Komplexen von Karnak und Luxor den öffentlichen Zugang bestimmter Bereiche des Tempels nur anlässlich bestimmter Feste belegen (BAINES 2001: 10, Anm. 29 mit Verweis auf Anm. 86). Die Darstellung der rxyt-Menschen im Tempel wäre ein Verweis auf die kosmogonische Bedeutung des Tempels selbst und nicht ein Hinweis auf die Zugänglichkeit solcher Einrichtungen (so dagegen BELL 1985 und TEETER 1997: 5–6). Selbst wenn John BAINES mit seiner Interpretation der symbolischen Bedeutung des Tempels Recht behält, ist die Darstellung der rxyt-Leute von der Erwähnung von eingerichteten Gebetsorten in den Tempeln von Karnak und Luxor zu unterscheiden. In diesem Fall gibt es nämlich keinen Beweis dafür, dass solche Orte nur bei Feierlichkeiten zugänglich waren. Weitere Belege für die Präsenz der rxyt-Menschen in Tempeln sind in ASSMANN 2002: 31, (Anm. 46), 44, 176 (Anm. 271), 293 und 374f. sowie in ASSMANN 2005: 314, 331 und 490 erwähnt. Eine Untersuchung dieses Themas wird zurzeit von Ken Griffin, University of Wales Swansea, im Rahmen

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weit entwickelt war. 201 Die verschiedenen Götterstatuen, die in den Briefen erwähnt werden, waren Objekte eines spezifischen Kultes, der auf die Bedürfnisse von Privatpersonen einging. Diese waren von Staats wegen an bestimmten Orten aufgestellt worden. Das Volk, das sie als populäre Erscheinungsformen der göttlichen Natur verehrte, 202 war somit der Nutzniesser dieses privaten Götterkultes im alltäglichen, nichtfestlichen Bereich. John BAINES vertritt die Meinung, dass die Mehrheit religiöser Praktiken jenseits vom offiziellen Kultgeschehen stattfand. 203 Ohne dies bestreiten zu wollen, gilt es in der vorliegenden Arbeit jedoch darüber hinaus, die Schnittstellen zwischen offizieller und persönlicher Religion herauszuarbeiten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die ägyptische Religion ikonisch geprägt ist und die visuellen Orientierungspunkte dafür von staatlicher Seite zur Verfügung gestellt wurden. 3.1.5

Die Mittler persönlicher Gebete

a) Der König Zusätzlich zur Anbringung von Bildern und der Aufstellung von Statuen als Gebetsobjekte in den für die allgemeine Bevölkerung zugänglichen Teilen der Tempelbezirke sind ab der 18. Dynastie auch visuell erreichbare Träger nachzuweisen, die ausdrücklich zur Übermittlung persönlicher Gebete dienten. So liess die Rolle des Königs als Kultvollzieher par excellence ihn zum bevorzugten Mittler zwischen Menschen und Göttern werden (PODEMAN SØRENSEN 1989: 120, GUGLIELMI-DITTMAR 1992, FALCK 1990: 95, GUGLIELMI 1994, GALÁN 2000: 223, BICKEL 2002: 65, EXELL 2009: 21 204), was Jan ASSMANNs Deutung des engeren Verhältnisses zwischen Mensch und Gott in der Ramessidenzeit als Gegenreaktion zur Zentralität des Königs in der Amarnazeit widerspricht (ASSMANN 1984: Kap. 9, DERS. 2004a). 205 Diese dem Individuum nähere Stellung des regierenden Pharaos kam in ihrem ganzen Ausmass bereits mit Amenophis

201 202

203 204

205

seiner Doktorarbeit durchgeführt. Seinen ersten Veröffentlichungen nach zu urteilen, muss bei der Anbringung des rxyt-Zeichens zumindest in bestimmten Teilen des Tempels eher von der metaphysischen als von der physischen Präsenz der rxyt-Menschen ausgegangen werden (GRIFFIN 2006: 81). Zur Kulttopographie populärer Religionspraxis ausserhalb von Theben, vgl. SADEK 1988: Kapitel III. S. dazu WILDUNG 1977: 672ff. Zur unterschiedlichen Gewichtung der verschiedenen Tempeleinrichtungen, die den Briefen entnommen werden kann, vgl. BAINES 2001: 26: „these epithets relate to individual small temples or to specific manifestations of the gods in larger temples, but in either case they show an interest in local divine forms, while the major state deities are mentioned more schematically“. BAINES 2001: 3 mit Verweis auf BAINES 1987 und DERS. 1991. Vgl. die Literaturverweise zu diesem Thema, die Karen EXELL auflistet. Man beachte, dass EXELL (2009: 21) die Mittlerfunktion des Königs im Rahmen der offiziellen Religion betrachtet. Diese Stellung wird hier aufgrund der weiter unten vorgestellten Ausführungen nicht aufgenommen. Zur Darstellung der Mittlerfunktion des Königs auf Siegelamuletten vgl. WIESE 1990: 138. Vgl. auch KESSLER 1999: 216 Anm. 129, der zeigen konnte, wie der Kult Amenophis’ I. in Deir el-Medina direkt von der Verwaltung des königlichen Totentempelbezirks abhängig und somit keine Einrichtung der Arbeiter zur Übermittlung ihrer Gebete war.

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III. auf (BICKEL 2002) und ging mit der Vervielfältigung der Möglichkeiten für den Einzelnen, durch visuelle Träger in Kontakt mit dem Göttlichen zu kommen, einher. Das älteste Zeugnis einer königlichen Mittlerstatue 206, die das Konzept des „hörenden und helfenden Gottes“ einleitete (STRAUBE 1989: 8) 207 und greifbar machte, datiert in die Zeit Thutmosis’ III. (RADWAN 1998). 208 Dennoch gewann die tragende Rolle des Königs in Belangen der Persönlichen Frömmigkeit erst unter Amenophis III. an Formenvielfalt und Bedeutung (ROEDER 1926, BICKEL 2002). Selbst die zahlreichen Belege aus der Zeit Ramses’ II., der vor allem in den sog. Horbeit-Stelen (HABACHI 1952: 501–555, Taf. 28–38, BUDKA 2001: 95–98) in seiner Gestalt als Kolossalstatue die Bitten der Menschen den Göttern übermittelt, 209 entstanden nach dem Vorbild der Vergöttlichung Thutmosis’ III. und Amenophis’ III. (RADWAN 1998, BICKEL 2002: 81– 82). In der Religionspraxis, die sich für den Einzelnen vor allem durch die Teilnahme an Festen und Prozessionen sowie die Besuche von Gebetsorten äusserte, 210 stellten Königsstatuen wie beispielsweise die Königskolosse vor den Eingangstoren zu den Tempeln eine Zugangsmöglichkeit zur göttlichen Sphäre dar (HELCK 1966, FALCK 1990: 9597, BICKEL 2002), da Pharao selbst als lebendiger Gott galt. Dies ist auch durch die Gebete an den lebenden König bezeugt, die vor allem für die Zeit Ramses’ II. belegt sind. Gebetstexte, die postum vergöttlichten Königen wie Thutmosis III. gewidmet wurden, zeugen zudem davon, dass die göttliche Natur des Königs Teil der religiösen Tradition wurde. Theologisch betrachtet war der König seinem Wesen nach ein Mensch, der erst durch die Riten der Herrschaftsübertragung (Geburt, Krönung und Erneuerung) eine Gottähnlichkeit erlangte (BARTA 1975: 91–92). Für das Volk allerdings galt diese durch die Ritualausübung aufgehobene Abgrenzung zwischen menschlicher und göttlicher Natur des Königs nicht, da er als wahrhaftiger Gott auf Erden anerkannt und verehrt wurde. Susanne BICKEL (2002: 76) sieht in den Königskolossen Amenophis’ III. eine offizielle Antwort auf eine neue religiöse Nachfrage nach Gottesnähe, da es sich dabei um zugängliche wahrnehmbare Götterbilder handelte, die sich dem verborgenen Gottesbild im Naos des Tempels entgegenstellten (GALÁN 2003: 225 m. Anm. 40). Mit anderen Worten war der König als Gott auf Erden direktes Ziel persönlicher Anbetung. Vor diesem Hintergrund stellt die Felseninschrift von Men und Bak in Assuan mit Sicherheit eines der wichtigsten Beispiele für die Verehrung eines Königsbildes dar. In diesem Fall wird sowohl der lebende Echnaton angebetet, als auch ein mit einem der beiden Memnonskolosse identifizierbarer Königskoloss (HABACHI 1965). Die zahlreichen Stelen, die die Königsfamilie von Tell el-Amarna bei der Verehrung von Aton 206 207 208

209 210

Urk. IV, 1212; MOFTAH 1985: 260 und RADWAN 1989: 332. Zu den Königen, die das Epitheton „der die Gebete erhört“ tragen, s. NIMS 1971: 108–109. Die Mittlerfunktion des Königs ist zu dieser Zeit auch durch andere Dokumente belegt, für welche hier stellvertretend auf zwei Stelen aus der 18. Dynastie aus dem sog. Salakhana-Befund hingewiesen sei. Durch die Erwähnung von Königsnamen (Haremhab und Thutmosis III.) können diese Stelen als deutliche Hinweise auf die Mittlerrolle, die der König in Assiut gegenüber Upuaut innehatte, gewertet werden (DUQUESNE 2000: 11). Es sei diesbezüglich auch darauf hingewiesen, dass auch die Kairener Abschrift des Amunhymnus (P.Boulaq 17) in die Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II. datiert, in der zum ersten Mal die theologische Vorstellung von Amun-Re als höchstes Wesen und gleichzeitig als persönlicher, schützender Gott erwähnt wird. S. dazu Taf. 12 (Kat. G.19.21): Die Darstellung auf der Stele zeigt den lebenden Ramses II., der der eigenen Ka-Statue die Bitten überträgt. S. Kapitel 3.1.3 und 3.1.4.

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zeigen (die sog. königlichen Familienstelen) und in den Hauskapellen der Stadt entdeckt wurden, stellen den Gipfel der gesteuerten Fokussierung des Königs als Mittler zwischen Gott und Mensch dar. Diesbezüglich konnte Martin FITZENREITER (2008: 104– 106) jedoch zeigen, dass innerhalb der in Tell el-Amarna belegten religiösen Praktiken die Verehrung der königlichen Familie als Bezugspunkt für Religion und Identität nur für die Elite galt. Anderen sozialen Gruppen wären Praktiken zuzuschreiben, die von Totenstelen und Statuetten belegt sind und daher auf Formen eines Ahnenkultes zurückzuführen wären. Generell soll die Funktion der königlichen Familienstelen nach FITZENREITERs Betrachtung (2008: 106) in einen häuslichen Kultgeschehen kontextualisiert werden, das die Aspekte Identität, Propaganda, Lebenshilfe und Theologie betrifft. Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Ax-jor n ra-Stelen deutet FITZENREITER die Verehrung Echnatons und seiner Familie als eine Affirmation der sozialen Identität der Elite in Tell el-Amarna, die sich als Anhängerschaft des regierenden Königs präsentierte. Durch die Darstellung des lebenden Königs wurde zudem seine Wirksamkeit als zugänglicher Gott aktiviert, sodass elitäre Privatleute sich mit persönlichen Belangen an ihn wenden konnten. Echnaton inszenierte sich in diesen Bildern als nahbar und somit zugängliche Instanz, die nun zum Fokus persönlicher religiöser Praktiken wurde. Voraussetzung hierfür ist, dass solche Stelen tatsächlich Medien religiöser Praktiken waren (FITZENREITER 2008: 112–113). Die Verehrung von Königsstatuen basierte auf der theologischen Vorstellung, wonach die Präsenz des königlichen Ka d. h. des göttlichen Aspektes des Königs, den dieser von seinem verstorbenen Vorgänger geerbt hatte, eine Verbindung zu den Göttern darstellte (BELL 1985: 256–257). 211 Der verstorbene König, der mit Osiris gleichgesetzt wurde, hinterliess seinem Nachfolger — in der mythischen Rolle des regierenden Horus — dasjenige Charakteristikum, das die königliche Natur überhaupt erst ausmachte: den königlichen Ka. Theologisch betrachtet wurde dadurch die Kontinuität des Königtums insofern garantiert, als dass der Tod eines regierenden Pharao keinen Bruch der königlichen Herrschaft bedeutete. Die königliche Macht wurde dadurch zu einem Element, das unabhängig vom jeweiligen Herrscher als Individuum existierte und über den Tod hinaus auf den Nachfolger übertragen wurde. Dieses generationenübergreifende Konzept, das den Bruch zwischen Leben und Tod aufhob und den König als Träger einer königlichen Macht in die Gesellschaft der Götter sowie der Lebenden einband, 212 war im königlichen Ka enthalten, 213 dessen Kult durch einen Ritus zur Vergöttlichung des Königs 211

212

213

Die Beleglage scheint darauf hinzudeuten, dass sich die Verehrung Thutmosis’ III. durch das Volk auf seine Natur als verstorbener König begrenzte (RADWAN 1998: 330, 336ff.), der als Teil der Götterwelt durchaus als Fürsprecher der Menschen gegenüber den Göttern agieren konnte. Die Anbetung des Ka des lebenden Königs zur Übermittlung von persönlichen Gebeten könnte vor diesem Hintergrund eine Innovation der Zeit Amenophis’ III. sein. Zur Vebindung zwischen Pharao und Amun-Re im Neuen Reich s. auch PODVIN 1986. Zum Ka als diejenige Komponente des Individuums, welche die Schnittstelle zwischen Vater und Sohn, Leben und Tod, Individuum und Gesellschaft markierte s. LOPRIENO 2003b: 204–205. Antonio LOPRIENOs Studie bezieht sich ausschliesslich auf die Ebene des Menschen. Dennoch sind seine Erkenntnisse ebenfalls kennzeichnend für die Bedeutung und den Handlungshorizont des hier besprochenen Falles. Der königliche Ka, der die Macht jedes lebenden Königs definierte, muss vom individuellen Ka eines jeden verstorbenen Königs deutlich unterschieden werden, da letzterer Kultziel in den Totentempeln der verstorbenen Könige war (BELL 1985: 280).

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erneuert wurde. So zeigen bildliche Darstellungen im Luxor-Tempel diejenigen Riten, die als Teil des Kultes um den königlichen Ka anlässlich der Geburt des göttlichen Aspektes des Königs (Amenophis III.) vollzogen wurden (BELL 1985: 285). Die Rechtfertigung für den Kult des Königs als Gott lag demzufolge im königlichen Ka. 214 Die königlichen Statuenkolosse vor den Tempelpylonen – wie z. B. die Kolosse Ramses II. (ROEDER 1926, CLÈRE 1950: insbes. 27ff.) in Luxor sowie diejenigen Amenophis’ III. vor dem Amenophium oder dem 10. Pylon in Karnak – sind als Ka-Statuen zu verstehen (BELL 1985: 260): Als solche verkörperten sie den königlichen Ka, galten als Träger eines göttlichen Charakteristikums und waren somit Kultziele. 215 In diesem Zusammenhang sei hier auch auf die Szene der Kartuschenverehrung durch Privatpersonen hingewiesen, 216 die aus verschiedenen Kontexten bekannt ist. 217 Dieser Szenentypus ist vor der Amarnazeit nur unter Hatschepsut belegt (SPIESER 2000: 84–85). Er wird unter Thutmosis III. weiterentwickelt und erfährt insbesondere ab der Zeit Echnatons bis in die Regierungszeit Ramses ʼ IV. eine sehr breite Verwendung (SPIESER 2000: 86). Cathie SPIESER interpretiert die Darstellungen der Verehrung des königlichen Namens in der Kartusche als eine weitere Variante der Verehrung des königlichen Bildes: Der Name stand stellvertretend für das Bild als Ziel der Anbetung und galt für die Autorin nicht immer als Repräsentation des königlichen Ka (SPIESER 2000: 101, BICKEL 2002: 79–80). Demzufolge sei die Anbetung des königlichen Ka von derjenigen des königlichen Namens oder seines Bildes zu unterscheiden (SPIESER 2000: 102–107, Tabelle). Die Gleichsetzung der Kartusche mit dem königlichen Ka ist jedoch anhand zahlreicher Belege beweisbar (CHADEFAUD 1982: 154–155), 218 sodass davon ausgegangen werden kann, dass jede Kartuschenverehrungsszene auch als eine Darstellungsmöglichkeit der Verehrung des königlichen Ka zu verstehen ist. Schliesslich ist die Mittlerfunktion des Königs in verschiedenen Beispielen bildlich insofern dargestellt, als dass die Königskartusche oberhalb oder hinter der angebeteten Gottheit angebracht ist und somit die erfolgreiche Gebetsübermittlung von Mensch zu Gott garantiert (SPIESER 2000: 111, CHADEFAUD 1982: Abb. 7). 219 Die öffentlichen Prozessionsfeste dürften zur Hervorhebung der zentralen Rolle des Königs in Bezug auf die persönliche Gotteserfahrung beigetragen haben. Insbesondere im Opetfest äusserte sich die Nähe zwischen Pharao und dem Staatsgott Amun, da der 214

215 216 217 218 219

Zum Kult des königlichen Kas. KAPLONY 1980 und CHADEFAUD 1982. Zum Tempel von Luxor als Kultort des königlichen Kas. insbesondere Lanny BELL (1985: 274), der auch auf den Kaiserkult in römischer Zeit als Bewahrung einer langen Tradition verweist. Zu den Kolossalstatuen Ramses’ II. als Belege seiner Vergöttlichung siehe HABACHI 1959: 27ff., als Ziele eines persönlichen Kultes vgl. ROEDER 1926: 62ff. Vgl. SPIESER 2000, Kapitel V. Zur Kartuschenverehrung im Hauskontext vgl. BUDKA 2001: 11–14, zu den Bitten an den König in Qantir siehe BIETAK 1975: 41–43. Vgl. die Darstellung auf der Stele Berlin 7769, auf welcher die verehrte Kartusche im Ka-Zeichen dargestellt ist (CHADEFAUD 1982: Abb. 8). Eine Parallele stellt die Darstellung von Ahmes-Nefertari auf dem 5. Pylon von Karnak dar, in welcher sie neben dem opfernden Ramses II. und neben Amun dargestellt ist. Da der Kopf des Amun aus einem anderen Material eingelegt war, kann man in Analogie zum Bild des Ptah in Medinet Habu davon ausgehen, dass es sich beim Bild des Amun um einen wirkungskräftigen Amun handelte, der womöglich für die Erhörung der Gebete von Privatpersonen zuständig war. Ahmes-Nefertari würde somit sowohl als Mittlerin der Gebete der Menschen als auch für das Maat-Opfer des Königs an Amun stehen (HELCK 1958).

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Pharao regelmässig an der Prozession teilnahm 220 und die Amunsbarke auf dem Wasserweg von der Königsbarke von Karnak nach Luxor gezogen wurde. 221 Eine ähnliche Wirkung muss auch das Auftreten des Königs am Erscheinungsfenster in den Totentempeln von Theben-West anlässlich des Talfestes gehabt haben (ARNOLD 1977: 14), da diese Zeremonie in engem Verhältnis zum Erscheinen des Amun-Re im selben Totentempel stand, im ersten Vorhof des Tempels stattfand und somit der Öffentlichkeit zugänglich war. Die Verehrung der Königskolosse beruhte auf einer Interaktion zwischen den Denkmälern und den Betrachtern. Dies setzt aber die Kenntnis der Codes, derer sich die Bildsprache in Bezug auf Form, religiösen Gehalt und Funktionszusammenhang bediente, voraus. Wenn also die theologische Bedeutung religiöser Bilder nur einem engen Kreis von Rezipienten bekannt war, spricht ihre breite Verehrung als Mittler oder sogar als Gebetsziele dafür, dass die Königsstatue mit den sie Verehrenden innerhalb eines gleichen Handlungsfeldes verortet waren (BERLEJUNG 1998: 9–10). Durch Feste und ähnliche Anlässe wurden die nötigen Fähigkeiten vermittelt und erlernt, um mit religiösen Bildern zu interagieren, wodurch die Gegenwart der Gottheit für den Betrachter sinnlich wahrnehmbar gemacht wurde. b) Nicht-königliche Mittler Mittlerstatuen von Privatpersonen (CLÈRE 1968, DERS. 1969, BJÖRKMAN 1971: 30ff., FALCK 1990: 65-66, GALÁN 2000, ALTENMÜLLER 2009: 33-35), 222 die als solche erst ab dem Neuen Reich belegt sind, stellten ein zusätzliches Medium zur Übermittlung von persönlichen Bitten und Anliegen, d. h. der Gottesannäherung, dar. 223 Ihre Aufgabe war es, die Bitten von Privatpersonen, denen der Zutritt zum Tempelinnere verweigert war, der Gottheit zu übermitteln und sich bei deren Erscheinung im Festhof während Prozessionsauszügen zu versichern, dass die Gebete erhört wurden. Zum einen sollte die auf den Statuen angebrachte Inschrift dazu dienen, schriftkundige Privatpersonen zum Vor220 221

222

223

Vgl. Urk IV.1116, 28. Diesbezüglich sei hier auf die zahlreichen Darstellungen Thutmosis’ III. beim sog. „Erscheinungsfest“ vor dem Tempelpylon anlässlich des Talfestes verwiesen, die seit der 19. Dynastie in das Dekorationsprogramm der Privatgräber aufgenommen wurden und ihn als Kultstatue in einer Barke darstellen (RADWAN 1998: 333). Drei dieser Statuen wurden in Deir el-Bahari entdeckt: Statue BM 1459 (G.18.23: BARUCQ/DAUMAS 1980: 437–438, vgl. Taf. 6 der vorliegenden Arbeit), Statue Luxor J 141 (LIPIŃSKA 1984: 21–22, Abb. 66–68) und Statue BM 41645 (HTES 5 1914: Taf. 40). Ein weiters Beispiel dafür ist die Statue des Chai (Statue Kairo CG 42166: LEGRAIN 1909: Taf. 30) mit der programmatischen Ikonographie eines Naophoren als Würfelhocker, der die Statue des Amun als Gott, dem er die Bitten der Menschen übermittelt, trägt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Darstellungsform der Sistrophoren als Mittlerstatuen aus Deir el-Bahari mit der Ikonographie der Göttin Hathor zu erklären (vgl. dazu CLÈRE 1969). Zum Aufstellungsort der Mittlerstatuen siehe zuletzt PINCH 1993: 333ff. TRAUNECKER 1979: 29–30 beschreibt die Anbetungsszene eines Priesters vor Amun in Karnak, in der sich eine Privatperson durch eine Beischrift als Stifter der Darstellung ausgibt. Diese Szene wird vom Autor als Beleg für den Wunsch nach Übermittlung der eigenen Gebete durch eine Person gesehen, deren Mittlerfunktion aufgrund ihrer Tätigkeit als Priester als wirksam („efficace“) empfunden wurde. Einen weiteren Beleg stellt das Graffito des Baumeisters Bak auf einem Block des Chnumtempels aus Elephantine dar (Kat. Ar.19/20?.1). Der Baumeister verewigt sich in einer Anbetungsszene an AmunRe und Amenophis I. und stellt ohne Vermittlung seine Frömmigkeit dar.

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tragen der Opferformel zu Gunsten des Statueninhabers aufzufordern (GALÁN 2000: 222). Zum anderen verlangten solche Inschriften als Gegenleistung Opfergaben, die entweder mitgebracht oder direkt im Tempel erworben werden konnten, in Form von Brot, Bier, Milch, Wasser, Öle verschiedener Art, Salbkegeln, Blumen, Weihrauch, usw. Die Inhaber solcher Mittlerstatuen bezeichneten sich als wHm.w, Hm, bAk, jhy oder js (BJÖRKMAN 1971: 30–31, Anm. 8 ), wodurch sie ihre besondere Nähe zur Gottheit zum Ausdruck brachten und somit ihr Verlangen nach Opfergaben rechtfertigten. Das berühmteste Beispiel einer Unterstützung des privaten Zugangs zur Gottheit durch eine Mittlerstatue stellen mit Sicherheit die Statuen des Amenophis, Sohn des Hapu dar, die zu Füssen der Kolosse Amenophis’ III. im Vorhof des 10. Pylons von Karnak standen (LEGRAIN 1914, SADEK 1987: 45–46, VARILLE 1968: 24–25). Eine dieser Statuen (Kairo CGC 44862) trägt auf dem Sockel folgende Inschrift: 224 j.rmT nt(j) Jp.t-sw.t Abb mAA Jmn mj.w n=j smj=j spr.wt=tn jnk wHm.w n nTr pn rdj.n wj Nb-mAa.t-Ra r wHm.w Dd.wt tA.wy jr.w n=j Htp-dj-nsw njs.w Hr rn=j m Xr.t hrw mj jrr.tw n Hsy „Oh! Ihr Menschen, die ihr in Karnak seid und die ihr Amun zu sehen wünscht, kommt zu mir! Ich richte eure Gebete aus! Ich bin der Sprecher 225 dieses Gottes. Nebmaatre (Amenophis III.) setzte mich zum Übermittler dessen ein, was die beiden Länder sagen. Macht ein Totenopfer für mich! Ruft meinen Namen jeden Tag, wie es für einen Gelobten getan wird.“ 226 Amenophis gibt hier an, vom König selbst als Mittler der Gebete der Menschen an Amun von Karnak bestimmt worden zu sein. Seine Nähe zu Amun ist durch die Nähe seiner Statue zu den Amenophis-Kolossen gewährleistet, da jene die Bezeichnung twt Jmn-Ra „Bild des Amun-Re“ trugen. Auf diese Weise konnten die Statuen von Amenophis, Sohn des Hapu als Mittler zwischen den Privatpersonen und der vergöttlichten Form Amenophis’ III. agieren (GALÁN 2000: 225). 227 Das Beispiel von Amenophis, Sohn des Hapu ist bei Weitem nicht das Einzige. Schon vor dem Neuen Reich sind Statuen von Privatpersonen in Tempeln belegt (VERBOVSEK 2005); allerdings überliefern jene Inschriften einen ganz anderen religiösen Inhalt, als es die Mittlerstatuen des Neuen Reiches tun (GALÁN 2000: 221ff.). Die in den Inschriften der Mittlerstatuen aus dem Neuen Reich gebräuchlichen Formeln verweisen auf eine Verwandtschaft zu den funerären Inschriften – wie beispielsweise zum 224 225

226 227

Für die Inschrift siehe Urk. IV, 1832–5 und VARILLE 1968: 24f. Siehe auch GALÁN 2000: 222. Wb.I.344 auch als Übermittler zu verstehen. Zur Bedeutung von wHm.w als „Berichterstatter“ und zur Herkunft dieses Titels aus der zivilen Verwaltung siehe KEES 1960: insbes. 140. Urk IV.1835, 1–9; VARILLE 1968: 24f. S. auch ALTENMÜLLER 2009: 34. Zur göttlichen Natur des Königs, die als Ka-Statuen bildlich dargestellt wurde, s. Kapitel 3.1.5 a) der vorliegenden Arbeit.

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„Anruf an die Lebenden“ – (GALÁN 2000: 222): die Abschlussformel solcher Inschriften mit der Bitte um Opfergaben und lautes Aussprechen des Namens des Statueninhabers, wie dies die oben zitierte Inschrift des Amenophis’, Sohn des Hapu belegt, ist zugunsten des Ka des Statueninhabers gedacht und somit dem funerären Formelfundus entnommen. Bereits seit dem Mittleren Reich finden sich mit den sogenannten „Briefen an die Toten“ Bitten an die Verstorbenen um Intervention im diesseitigen Leben. Deren konzeptuelle Erweiterung resultierte in der Ahnenverehrung (Ax jor n Ra), wie sie von Stelen und Büsten aus dem Neuen Reich bekannt ist, deren Kontext jedoch nicht der Tempel, sondern der Hauskult war (DEMARÉE 1983, DERS. 1986, SCHULMANN 1986, KAISER 1990, FITZENREITER 1994). Die Idee einer Übermittlung von persönlichen Bitten an die Götter ist auch im Sargtextpapyrus Berlin 10482 aus dem Mittleren Reich vorhanden (JÜRGENS 1990): apr=k n nTr(.w) dj=sn msj.tw Xrd.w anx(.w) wDA(.w) snb(.w) tp tA jwa.t=sn ns.t=j tp tA

„Mögest du die Götter bitten, damit sie bewirken, dass Kinder geboren werden, die lebend, heil und gesund auf der Erde sind und die meine Ämter auf der Erde erben werden.“

Der Verstorbene wird hier vom anonymen Stifter aufgefordert, sich für ihn bei den Göttern einzusetzen und gesunde Nachkommen für ihn zu erbitten. Dies beruhte auf der Vorstellung, dass die Verstorbenen den Göttern näher waren (BOMMAS 2010: 172). In den Briefen an die Toten wird der Verstorbene direkt angesprochen: Man versucht, ihn zu einer gewünschten Handlung zu motivieren, indem man ihm eine bestimmte Gegenleistung in Aussicht stellt. In dem hier vorgestellten Passus wird der Verstorbene jedoch als Mittler zwischen Menschen und Göttern betrachtet. Das Mitgeben dieses Papyrus und somit der darin enthaltenen Botschaft ins Grab war insofern wichtig, als der Verstorbene durch den Tod und die für ihn vollzogenen Totenriten in die Gesellschaft der Götter gelangen und einen direkten Kontakt mit ihnen unterhalten konnte. Ein weiteres Beispiel für die Verehrung einer Privatperson vor dem Neuen Reich stellt der Kult des Hekaib auf Elephantine dar, der nach seinem Tod ein eigens für ihn erbautes und immer wieder erweitertes Heiligtum erhielt (HABACHI 1985, FRANKE 1994). Besonders bemerkenswert ist hierbei die Tatsache, dass Hekaib als Erster das im Neuen Reich weit verbreitete Götterepitheton „derjenige, der die Gebete erhört“ trägt (PINCH 1993: 251) und somit ebenfalls als eine Mittlerfigur betrachtet wurde (FRANKE 1994: 138–139) 228. Im Neuen Reich wird dieser Prozess weiterentwickelt und bekommt vielfältige Nuancen. So scheint der Ahnenkult primär auf Zeichen der Pietät einer Familiengemeinschaft gegenüber einem aus den eigenen Reihen stammenden Verstorbenen zu basieren und wirkt Identitätsstiftend (FITZENREITER 1994, DERS. 2008). Dennoch wurden Ahnen nicht als Mittler zu den Gottheiten angebetet, da die Mittlerrolle im Neuen Reich anders 228

Da Detlef FRANKE (1994: 142) kategorisch ausschliesst, dass mit Hekaib eine populäre Religionspraxis verbunden gewesen sein könnte, wird der Fall Hekaib in der vorliegenden Arbeit nicht untersucht.

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organisiert war und man sich hierzu der Statuen im Tempel und der offiziellen Apparatur (Königskolosse, usw.) bediente. Bildliche Darstellungen von Mittlern sind auf den Votivstelen des Neuen Reiches reichlich belegt, wobei sowohl der König als auch eine Privatperson dargestellt sein können. Generell scheint der König als Mittler vorwiegend auf den Stelen der 18. Dynastie abgebildet zu sein, vermutlich weil er als der einzige eigentliche Ritualvollzieher betrachtet wurde (PODEMAN SØRENSEN 1989: 120). In der Ramessidenzeit nimmt die Zahl an Abbildungen von Privatpersonen als Mittler deutlich zu. 229 Auf das Layout von Stelen wirkt sich dies insofern aus, als die Stelen die Szenerie auf zwei Register organisieren: Während im unteren Register der tatsächliche Stelenstifter in Anbetungshaltung abgebildet ist, ist auf dem oberen Register die angebetete Gottheit mit dem vor ihr stehenden und opfernden Mittler dargestellt (EXELL 2009: 21– 22). 230 Karen EXELL (2009: 21) stellt diesbezüglich die Frage nach dem Grund oder der Notwendigkeit eines Mittlers, wenn in der Ramessidenzeit in einem Milieu wie Deir elMedina der direkte Zugang zum Göttlichen grundsätzlich möglich war. Als Antwort referiert sie zwei unterschiedliche Möglichkeiten, die in der Forschung in Betracht gezogen wurden. Zum einen könnte es sich dabei um Individuen handeln, die Zugang zu unzugänglichen sakralen Räumen hatten. Zum anderen könnten solche Abbildungen Zeremonien widerspiegeln, die tatsächlich stattgefunden haben. Vor dem Hintergrund des sozio-historischen Blickwinkels ihrer Studie über private Votivstelen betrachtet sie in beiden Fällen die Zurschaustellung der sozialen Stellung des Stelenstifters als zentral. Sie postuliert, dass die Mittler meist gesellschaftlich höher angesehen waren und der Stifter seine eigene Stellung und sein Ansehen dadurch erhöhen konnte, dass er seine Verbindung zu einem sozial höher gestelltem Individuum darstellen liess (PAMMIMNGER 1996b: 300). Während dieser Annahme im Falle der Darstellung des Königs als Mittler durchaus zugestimmt werden kann, 231 ist sie zum anderen im Falle von Privatleuten als Mittler nicht immer zutreffend. Aus Deir el-Medina stammen beispielsweise Stelen, die ein Gebet wiedergeben, das von einem Individuum zu Gunsten eines oder mehrerer Familienmitglieder der Gottheit übermittelt werde. 232 In solchen Fällen ist die höhere soziale Stellung des Mittlers nicht immer zu belegen. Eher war die temporäre Übernahme einer institutionellen Rolle als wab-Priester für den Vollzug des für die Gebetsvorstellung notwendigen Rituals (ADROM 2005: 5–8) ausschlaggebend. 233 Die rituelle Annäherung an ein göttliches Bild konnte nur unter der Einhaltung der rituellen Voraussetzungen stattfinden, sodass die abgebildete Mittlerrolle im Zusammenhang mit der Ausübung eines temporären Priesteramtes zu sehen ist.

229

230 231 232 233

Zu einer Liste von Denkmälern, die die Abbildung eines Mittlers hohen Ranges abbilden vgl. PAMMINGER 1996b: 301–302. Dies ist der von Karen EXELL (2009: 20) bezeichnete Typ B der Votivstelen. Vgl. dazu auch Kapitel 3.1.1. Dies wird teilweise von der religiösen Praxis, die mit den königlichen Familienstelen aus Tell elAmarna verbunden ist, bestätigt (FITZENREITER 2008). Vgl. die Stele Turin 50051 (Kat. G. 19.12). Man beachte diesbezüglich, dass die Stelen nicht immer den Stifter oder Mittler als Priester darstellen. Nach Karen EXELL (2009: 93) wird ein Individuum auf einer Votivstele als Priester abgebildet, wenn die Stele entweder einen Einweihungsritus in die Priesterschaft oder die Teilnahme an einer lokalen religiösen Zeremonie kommemoriert.

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Alles in allem und unter besonderer Berücksichtigung der Mittlerstatuen scheint die Wirksamkeit der Mittler für die persönliche Annäherung an eine Gottheit für die Mitglieder der unteren Gesellschaftsschichten hierarchisch bedingt gewesen zu sein. Je näher ein Individuum durch seinen Beruf der Gottheit stand, umso wirksamer wurde seine Mittlerfähigkeit empfunden. Abgesehen vom König, der aufgrund seiner göttlichen Natur die erste Stelle in dieser Hierarchie einnahm, wurden auch Priester hohen Ranges (TRAUNECKER 1979: 29–20) sowie Privatpersonen, welche die Möglichkeit hatten, ihre Statuen in Tempel aufzustellen und somit eine räumliche Nähe zum Sakralen zu erlangen, als wirksame und zuverlässige Mittler angesehen. 3.1.6 Abschliessende Betrachtung Dass von offizieller Seite verschiedene Möglichkeiten eröffnet wurden, die eigenen Gebete als Privatperson in einem sakralen Kontext zum Ausdruck zu bringen, ist zum einen als Antwort auf das Bedürfnis der Menschen nach einer visuell erfahrbaren Gottesnähe zu verstehen (DEVAUCHELLE 1994: 50, GUGLIELMI 1994: 58, BICKEL 2002: 76). Zum anderen ist durchaus vorstellbar, dass der Staat dadurch eine Bindung des Volkes an die religiösen Zentren und deren Kultpraktiken bewirken wollte. Dafür spricht die Tatsache, dass solche Einrichtungen zur Ausübung der populären Religionspraxis insbesondere in denjenigen Gegenden entstanden, in denen die Tempel für den Kult lokaler Gottheiten die zentralen Institutionen waren. 234 Diese Einrichtungen, deren grosse Zahl im thebanischen Raum teilweise auf die gute Fundsituation gegenüber anderen archäologischen Ausgrabungsstätten zurückzuführen ist (OTTO 1952), wurden von vornherein beim Bau des Tempels geplant (GUGLIELMI 1994: 58), wie dies diverse Inschriften belegen. 235 Die herausragende Rolle Thebens als religiöses Zentrum und Kultort des Staatsgottes Amun-Re im Verlauf des gesamten Neuen Reiches ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für die Vielzahl an Zeugnissen der persönlichen Religionspraxis in diesem Gebiet. 236 Zu jedem Tempel gehörten Werkstätten, die entweder auf speziellen Auftrag oder auf Vorrat verschiedenartige Votivgaben für den persönlichen Kultvollzug anfertigten. Diesbezüglich unterscheidet Geraldine PINCH (1993: 326ff.) die Privatdenkmäler, die von einer bestimmten Person in Auftrag gegeben wurden, von denjenigen, die auf Vorrat produziert wurden, anhand ihrer Qualität. Ein bestimmtes Objekt in Auftrag zu geben war für den Käufer mit Sicherheit teurer als eine vorgefertigte Ware zu kaufen, sodass auch davon ausgegangen werden kann, dass diese Einzelanfertigung in den Werkstätten mit mehr Sorgfalt ausgeführt wurde. Des Weiteren hebt PINCH hervor, dass die Aufstellung von Opfergaben bzw. Rezitation von Gebeten von Tempel zu Tempel mit unterschiedlichen Kosten verbunden war, vielleicht weil die grösseren, einflussreicheren Heiligtümer mehr Geld für die Produktion von Votivgaben verlangten. Es ist vorstellbar, dass nicht nur die Produktion bzw. der Kauf der Votivobjekte Kosten 234 235 236

S. dazu die Liste der Heiligtümer ausserhalb Thebens, in welchen populäre Religionspraktiken ausgeübt wurden, in SADEK 1987: Kapitel III. S. dazu Kapitel 3.1.4. Der sog. Naos von Kasa aus Deir el-Medina, welcher Chnum, Satet und Anuket gewidmet war (SPIEGELBERG 1918, VALBELLE 1972), ist allerdings als Beweis dafür zu werten, dass sich die Verehrung lokaler Gottheiten über die Gaugrenzen hinweg erstrecken konnte (VALBELLE 1981: 126ff.).

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für die Kunden bedeutete. Auch die Aufstellung der Gaben in den dafür vorgesehenen Schreinen oder vor dem jeweiligen göttlichen Bild konnte mit Ausgaben verbunden sein, da hierbei möglicherweise ein performativer Akt durch die zuständige Priesterschaft ausgeübt werden musste (PINCH 1993: 326ff.; insbes. 329). Selbst im Falle von Graffiti ist nicht immer davon auszugehen, dass sie tatsächlich vom Beter selbst angebracht wurden (so PINCH 1993: 344–345), obwohl dies in Fälle, in denen es sich bei dem Beter um einen Schreiber handelte (TRAUNECKER 1979: 24) oder dieser einen Titel trägt, der ihn mit der Verwaltung eines Heiligtums in Verbindung setzt, plausibel ist. 237 Unter der Voraussetzung, dass die herrschenden religiösen Sitten und die etablierte Kultur ein Produkt der Elite des Landes und deren politischer und kultureller Macht war, blieb die Möglichkeit zur praktischen Umsetzung von persönlichen religiösen Wünschen und Vorstellungen für die Privatperson eingeschränkt. Das Spannungsfeld zwischen dem, was vom Tempel zur Verfügung gestellt wurde, und dem, was sich Privatpersonen selbst für ihre Bedürfnisse anfertigen liessen, ist jedoch grösser, als bisher angenommen. Susanne BICKEL (2002: 82) erkennt in der Anfertigung von Königskolossen einen Treffpunkt zwischen der Individuellen Religiosität und der offiziellen Religion. Darüber hinaus sind ebenfalls Beispiele einer Umfunktionierung bereits bestehender Einrichtungen seitens der breiten Bevölkerung, die ihre persönliche Religiosität jenseits des offiziellen Rahmens zum Ausdruck brachten, hinreichend bekannt. Waltraut GUGLIELMI (1994: 55–56) zählt dazu zum einen „ältere und sekundär verwendete Heiligtümer“, wie z. B. die Umdeutung der Sphinx von Giza, das Grab Djefaihapis III. in Assiut (DUQUESNE 2009: 76–87) oder den Totentempel Thutmosis’ III. in Deir elBahari (SADEK 1987: 48–58), dessen Säulenhalle zahlreiche Graffiti aufweist, die Ende des Neuen Reiches datieren und somit nach dem Bruch in der kultischen Aktivität des Tempels angebracht wurden (PINCH 1993: 9–12; BAINES 2002: 10). Ferner können auch die Graffiti, die in Pylone eingeritzt wurden und nicht programmatisch für die persönliche Religionspraxis vorgesehen waren (TRAUNECKER 1979), zu dieser Kategorie gezählt werden. Schliesslich deuten auch die Stelen mit Widder- und Gansdarstellungen (GUGLIELMI/DITTMAR 1992) auf von populärer Seite kreierte Gebetsorte innerhalb eines Tempelbezirkes sowie Stützpunkte zur Ausübung persönlicher Religionspraxis hin. Amun als Widder ist insgesamt auf neun Stelen Ziel von persönlicher Anbetung. Vier davon tragen das Epitheton (pA) rHn(j) nfr und sind nach Karen EXELLs Typen A und C aufgebaut (EXELL 2009: 33). Weitere fünf Stelen weisen denselben ikonographischen Aufbau auf, 238 beinhalten aber nicht das obige Epitheton. Alle Stelen beziehen sich auf die Widder der dromoi von Karnak, wobei es sich wahrscheinlich um die Sphingenallee vor dem ersten Pylon handelt, die Ramses II. anlegen liess, und um diejenige vor dem Chonstempel sowie um die Sphingen vor dem zehnten Pylon (GUGLIELMI 1994: 62, EXELL 2009: 33 239). Dass der Tempel von Karnak in diesem Zusammenhang oft aufge237

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HABACHI 1957. Eine weitere Ausnahme stellen die Graffiti in der Nähe des Heiligtums für Ptah und Mertseger bei Deir el-Medina dar, da es sich dabei um die Hinterlassenschaften von Arbeitern der Nekropole selbst gehandelt haben muss. S. dazu Kapitel 3.1.1. Daraus, dass Typ B in Verbindung mit der Anbetung von Widderfiguren nicht belegt ist, zieht Karen EXELL (2009: 33) den Schluss, dass diesem Kult von offizieller Seite keine Aufmerksamkeit zukam. EXELL weist darauf hin, dass in der Ramessidenzeit einzig die Sphingen vor dem zehnten Pylon zu sehen waren.

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sucht wurde, belegen neben den Abbildung der Widder auf den Stelen auch Spuren von kontinuierlicher Berührung der Widderfiguren und Sphingen durch die Besucher. (CABROL 2001: 246). Zum Korpus dieser Stelen zählen ausserdem drei Exemplare, die die Anbetung einer Gans darstellen, die ebenfalls eine Hypostase des Amun war, die Ziel von populärer Anbetung war (GUGLIELMI/DITTMAR 1992). Es muss auch berücksichtigt werden, dass ein inoffizieller, volkstümlich gegründeter Gebetsort von staatlicher Seite offiziell anerkannt werden konnte. Dies erfolgte durch die Anbringung einer königlichen Inschrift oder einer Stele, wodurch der bis dahin inoffizielle Gebetsort, der durch eine private Initiative zum Stillen eines religiösen Bedürfnisses entstanden war, zu einer staatlich anerkannten Stätte der religiösen Glaubensausübung wurde. Das Musterbeispiel hierfür stellt m.E. das Heiligtum für Mertseger und Ptah in Theben West dar (BRUYÈRE 1930: Taf. 2). Dieses war wahrscheinlich ursprünglich als inoffizieller Gebetsort von Mitgliedern der Arbeitergemeinde von Deir elMedina gegründet worden. Das Weiterbestehen der volkstümlichen Natur dieses Heiligtums im sozialen Gedächtnis der Gemeinde ist in dessen bildlicher Wiedergabe auf der Stele Turin 50059 (TOSI/ROCCATI 1972: 287) wiederzuerkennen: Auf dem Relief sind die Felsen des Heiligtums wiedergegeben, unten rechts kniet der Stifter der Stele in einer Art Kapelle, die in den Felsen eingelassen wurde. Selbst wenn bislang keine Priesterschaft für Mertseger belegt ist, gibt es mehrere Hinweise auf eine offizielle Anerkennung ihres Kultes. Dafür sprechen zum einen die zahlreichen Stelen, die entweder in der Nähe des Heiligtums oder im Heiligtum selbst entdeckt wurden (BRUYÈRE 1930): Sowohl die Gebete als auch die bildlichen Darstellungen auf diesen Stelen sind stereotyp gestaltet und spiegeln Elemente wider, die auch von Votivstelen aus anderen Orten Ägyptens bekannt sind. 240 Zum anderen wurden unter Ramses III. zwei grosse königliche Stelen auf dem Felsen im Aussenbereich aufgestellt (BRUYÈRE 1930: Taf. 2, 3, PE241 DEN 1994: 63ff.) , was dafür sprechen könnte, dass das Heiligtum definitiv dem offiziellen königlichen Patronat unterstellt war. Schlussendlich bedarf die Ikonographie der Göttin besondere Aufmerksamkeit. Privatstelen zeigen Mertseger meistens als Schlange. 242 Die oben erwähnten offiziellen Stelen aus demselben Heiligtum für Mertseger zeigen die Göttin jedoch anthropomorph und greifen auf ikonographische Elemente wie Kuhhörner, Geierhaube und Doppelfederkrone zurück. Somit wird Mertseger mit Mut, Isis und Hathor gleichgestellt, d. h. also mit den weiblichen Hauptgottheiten Ägyptens, was ihre Aufnahme in den offiziellen ägyptischen Pantheon verdeutlicht. Mertseger ist auf der Stele Ramses’ III. in der Kapelle C des Heiligtums sogar als säugende Muttergottheit dargestellt (BRUYÈRE 1930: Taf. 4). So integrierte man eine Gottheit, die ihren 240 241 242

Vgl. dazu Kapitel 3.1.1. KRI V, 90ff. Vgl. dazu stellvertretend die Stelen Turin 50001, 50058, 50060, 50061, 50063 (TOSI/ROCCATI 1972: 261, 286, 288, 289, 290) und Louvre 4194 (ANDREU/DONADONI ROVERI 2003: 141). Zu den Darstellungen von Mertseger auf den Votivstelen und deren Bedeutung vgl. EXELL 2009: 36–41. EXELL (2009: 37) konnte auch feststellen, dass nur auf 8% aller Stelen, die Mertseger abbilden, die anthropomorphe Darstellungsweise gewählt wurde, was wiederum für die hier vorgeschlagene These des populären Charakters der Schlangenikonographie spricht. Dies kann allerdings nicht direkt auf andere weibliche Gottheiten übertragen werden, da mehrere Beispiele von Herrschern vorhanden sind, die sich unter dem Schutz einer weiblichen und theriomorph dargestellten Gottheit abbilden liessen. S. z. B. die Stele Leipzig 5141, auf welcher der Stifter Penbui eine Szene anbetet, die Ramses II. unter dem Schutz der Hathorkuh im Papyrusdickicht zeigt (BLUMENTHAL 2001: 12).

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Ursprung jenseits der offiziellen Theologie hatte und die vom Volk ins Leben gerufen worden war. 243 Auf bildlicher Ebene erfolgte dies durch die Anpassung der Ikonographie an die offiziellen Darstellungskonventionen. Dies geht besonders deutlich aus der beidseitig beschrifteten Stele Bordeaux 8635 (Kat. G.19.16) aus der Regierungszeit Ramses’ II. hervor, die die Göttin auf einer Seite synkretistisch mit Renenutet verehrt, anthropomorph darstellt, während sie auf der anderen Seite als menschenköpfige Schlange gezeigt wird (ANDREU/DONADONI ROVERI 2003: 192–193). An diesem Beispiel ist es m. E. möglich, die Eindenkung der offiziellen Theologie in die volkstümliche Frömmigkeit durch die Aufnahme und von deren religiösen Ausdrucksformen zu erkennen. Über das Bildmedium wurde dieses Heiligtum zu einem locus, in dem sich offizielle Theologie und populäre Ritualkultur trafen. 3.1.7

Religiöse Erziehung?

Die Religion des antiken Roms kennt die Selbstdefinition verschiedener Vereinigungen einer Stadt als Kultvereine (RÜPKE 2001: 13). In Ägypten nahm man traditionell an, Kultgenossenschaften seien erst ab der 26. Dynastie belegt (VERNUS 1980: 848). Jüngere Untersuchungen konnten ihre Existenz jedoch bereits für die 12. Dynastie herausstellen (LECLANT/BERGER 1996) 244, wobei die Details ihrer internen Organisation im Gegensatz zur späteren Zeit noch nicht erforschbar sind. Eine Verbindung zwischen beruflichen Kultvereinen und religiöser Kenntnis ist hierbei auszuschliessen (BAINES 1990: Anm. 37). Eventuelle Kultgenossenschaften oder die Präsenz häuslicher Kultinstallationen sind ausserdem nicht als Beweis für eine Allgegenwart von Religion und Religiosität in der altägyptischen Gesellschaft zu werten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die Religionspraxis für Personen gestaltete und entwickelte, die nicht der Priesterschaft angehörten. In Anbetracht der hohen Sterblichkeit spielte die Realität des Todes und seine Bedeutung für den Alltag eine zentrale Rolle, womit die grosse Verbreitung von Grabeinrichtungen zu erklären ist (SEIDLMAYER 2003: 62). Die meisten Hinweise auf ein religiöses Gedankengut bilden Zeugnisse funerärer Glaubensformen, wobei ein grosser Unterschied zwischen den Bestattungseinrichtungen von Elite und Grundschicht 245 sowie innerhalb der unteren Gesellschaftsschichten selbst nicht zu bestreiten ist (SEIDLMAYER 2003: insbes. 72– 73). Es ist auch äusserst schwierig festzulegen, inwieweit Elite und Grundschicht einen gemeinsamen religiösen Glauben teilten, da der Zugang zu religiösem Wissen nur dem engen Kreis der Elite vorbehalten war (BAINES 1990). Soweit die Fundlage den Einblick ermöglicht, fehlt im alten Ägypten ein verbindliches religiöses Gedankengebäude. Die Lehren und Weisheitstexte vermitteln eine Reihe von Verhaltensregeln, die sich in der Loyalität zum König und zum Gott ausdrücken, die aber vor allem für einen ganz bestimmten Personenkreis gedacht waren und letztendlich der Erziehung der Hofbeamten dienten. In diesem Zusammenhang sind einige Zeugnisse zu erwähnen, welche die Prä243 244 245

Mertseger ist in Königsgräber bereits in der 19. Dynastie belegt, wobei die früheste Darstellung wohl im Grab von Tausret angebracht wurde (EXELL 2009: 37). Für den spezifischen Fall der Kultgenossenschaft der sDm-aS in Deir el-Medina siehe HELCK 1991. Vgl. dazu Kapitel 4.1.2.

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senz religiösen Gedankengutes in den Schulen der Ramessidenzeit dokumentieren. Zahlreiche Texte, die auf Schreibübungen von Lehrlingen zurückzuführen sind, überliefern Hymnen und Gebete, die teilweise in der Tradition der religiösen Ausdrucksformen stehen, die von anderen zeitgenössischen Denkmälern bezeugt sind. 246 Im Falle der Lehren und deren Tradierung in der Schule ist davon auszugehen, dass sie sowohl als Übungen für die Schreibtechnik dienten, als auch, um durch ihren Inhalt Spezialisten zu formen (BRUNNER 1977c: 24, MCDOWELL 2000: 231–232). Die Zirkulation und Übernahme von Themen der Lehren ist in der Literatur des Neuen Reiches sowie in den Gebetstexten selbst deutlich erkennbar (ASSMANN 1979). Fälle von Übereinstimmungen zwischen Schuldokumenten und religiösen Texten aus anderen Kontexten sind ebenfalls hinreichend belegt 247. Wenn also eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Texte im Falle der literarischen Werke durchaus nachzuweisen ist, kann die Anwesenheit religiöser Schriftzeugnisse im Schulkontext mit ähnlichen Zielen erklärbar sein. Die Untersuchung des altägyptischen Schulsystems (BRUNNER 1957, DERS. 1977c, SCHLOTT 1989; MCDOWELL 2000) hat gezeigt, dass die Ausbildung zu religiösen Berufstätigkeiten nur einem engeren Personenkreis vorbehalten war. 248 Dementsprechend unterscheiden sich Schrift und Sprache administrativer Urkunden von denjenigen literarischer oder religiöser Texte. Diejenigen Schüler, deren Ausbildung auf die Erziehung zu Priestern abzielte, setzten sich möglicherweise aus mehr als nur schreibtechnischen Gründen mit religiösen Schriften auseinander. Im Unterricht wurden die Texte mehrmals niedergeschrieben. Die Form dieses Schulsystems ist bis heute nicht ganz geklärt, denn die Analyse der Fehler nach der Methode der Textkritik zeigt in den Abschriften der jeweiligen Fälle unterschiedliche Fehlermuster und spricht sowohl für eine Redaktion nach Auswendiglernen, als auch für eine Kopie nach einer Vorlage. Wie auch immer die technische Tradierung von Hymnen und Gebeten zwischen Lehrer und Schüler vonstattenging, so impliziert die Zirkulation solcher Texte im Schulkontext eine Auseinandersetzung mit ihrem Inhalt und somit einen Zugang zu theologischen Konzepten. Eine bislang noch nicht erfolgte vergleichende Studie über Schulzeugnisse von religiösen und literarischen Texten mit dem Ziel, die Qualität ihrer Zirkulation zu erläutern, könnte diesen Aspekt womöglich klären. Darüber hinaus sind in einigen literarischen Texten des Mittleren und Neuen Reiches Elemente vorhanden, die als eine wahrhaftige Theodizee zu verstehen sind (FECHT 1972, BARTA 1990 und zuletzt LOPRIENO 2003a). 249 Als „Rechtfertigung Gottes“ angesichts des physischen Übels, des moralischen Bösen und des Leidens des Einzelnen ist eine Auseinandersetzung mit der Frage des Göttlichen und seines Bezuges zum Individuum eine notwendige Voraussetzung. Diese Ansätze einer Theodizee fanden im Rahmen der Literatur ihren Platz und ihre Form. Nach Richard PARKINSON (1999) war der 246 247

248

249

S. Kapitel 5.3.3. S. dazu z. B. den Hymnus an Amun-Re des P.Boulaq 17, der auf weiteren acht Ostraka überliefert ist (LUISELLI 2004: insbes. XIII-XX) oder den autobiographischen Text von Samut-Kiki (KRI III, 336ff.; Kat. A.19.1), dessen Ausdrücke in sehr ähnlicher Form auf dem Ostrakon O.DeM 1638 (FISCHERELFERT 1986: 70–73) vorkommen. Am Anfang des Neuen Reiches vollzog sich ein Strukturwandel innerhalb der altägyptischen Gesellschaft, wodurch die Priesterschaft eine eigene professionelle Kaste bildete, welche den Regeln der Vererbung unterlag. Zur Behandlung dieses Themas im interkulturellen Vergleich siehe SITZLER 1995.

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Zweck der ägyptischen Literatur im Ausdruck von Realitäten verortet, die wegen des herrschenden Dekorums in offiziellen Kulturräumen nicht thematisiert werden durften. Dieser Erklärung zufolge könnte auch die Auseinandersetzung mit Fragen über Gott, deren Auswirkungen jedoch im religiösen Bereich stattfanden, eine Kontextualisierung gefunden haben. 250 In den theologischen Hymnen der 18. Dynastie zeichnete sich ein neues Verhältnis zwischen Gott und Mensch ab, das auf einer gegenseitigen Beziehung basierte 251 und die Hingabe des Menschen als Grundvoraussetzung beinhaltete. Die Ramessidenzeit entwickelte dieses Konzept weiter und gestaltete zum ersten Mal in der ägyptischen Geschichte in aller Ausführlichkeit die Idee des persönlichen Gottes 252. Eine Reflexion über die göttliche Natur und die göttliche Welt herrschte wahrscheinlich in den Bereichen der intelligentia und bewirkte eine Umgestaltung der offiziellen Theologie gemäss den Bedürfnissen der Menschen, die in ihrer Gesamtheit die Kultur Ägyptens ausmachten. Obwohl eine religiöse Erziehung für die auszubildende Priester- und Schreiberkaste und eine Auseinandersetzung mit dem Göttlichen für die kulturelle Elite postuliert werden kann, so trifft dies selbstverständlich für breitere Gesellschaftsschichten nicht zu.

250

Zur Beschreibung der ägyptischen Theodizee in ihrer Entwicklung von der literarischen Ebene hin zur religiösen Entfaltung vgl. LOPRIENO 2003a: insbes. 47ff. 251 Vgl. dazu die Gegenseitigkeitsformeln in den Hymnen und Gebeten des Neuen Reiches, die ASSMANN 1979 ausführlich behandelt und im Rahmen der Entstehung und Entwicklung der „Persönlichen Frömmigkeit“ erklärt hat. Hier sei stellvertretend auf die Stele Chicago OIM 14053 aus TT 164, die in die 18. Dynastie vor Amarna datiert, verwiesen: „Der Vater und Mutter ist für den, der ihn in sein Herz gibt, aber sich abkehrt von dem, der an seiner Stadt achtlos vorübergeht“ (ASSMANN 1983b: 228–230, Nr. 165). 252 LOPRIENO 2003a: 51 spricht diesbezüglich vom Glauben an ein göttliches Patronat in der Ramessidenzeit. Ein konkretes Beispiel dafür liefert der autobiographische Text des Samut-Kiki (Kat. A.19.1), in welchem der Grabinhaber öffentlich seine Verehrung für Mut zeigt und dies mit der Überschreibung seines Besitzes an den Muttempel von Karnak bekräftigt. Zu einer weiteren Diskussion dieses Textes vgl. Kap. 6.2.1.

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4

Soziale Gruppierungen und ihre Religionspraxis

4.1

Wer suchte die Gottesnähe in Ägypten?

Religion und Religiosität in Ägypten stellen ein komplexes System dar, in dem soziale und kulturelle Elemente mitwirken und eine entsprechend vielseitige Realität abbilden. Ausserdem ist die Beleglage der Dokumente zu diesem Thema in Ägypten von Natur aus begrenzt, sodass insbesondere schriftliche Quellen, aber auch teilweise archäologische Funde vor allem Hinterlassenschaften der Elite des Landes darstellen. Daraus resultiert ein nur zum Teil wahrheitsgetreuer Eindruck einer für die gesamte ägyptische Gesellschaft gültigen Realität. Für Jan ASSMANN waren sich „die Ägypter“ der Nähe zu ihren Göttern bewusst, denn die kollektive religiöse Erfahrung war im „Primat der heiligen Handlung“ verankert. Ferner wird Jan ASSMANNs Gottesnähe nicht „zur Sache der privilegierten Erfahrung religiöser Genies“ (ASSMANN 1984: 14–16). Die Erfahrung der Gottesnähe wäre somit aus den rituellen Handlungen der Menschen entstanden, die seit jeher Teil der altägyptischen Kultur waren und die daher im kollektiven Bewusstsein der Ägypter als Volk und Kulturträger gefestigt waren. In dieser Betrachtung scheint die soziale Komponente ausgeblendet zu sein, wodurch ihr Schwerpunkt nicht auf wer in Ägypten religiös war abzielt, sondern wie die Ägypter ihre als selbstverständlich erachteten Religiosität zum Ausdruck brachten. Das komplexe System von Wissen und Traditionen jeder Kultur sowie die interne sozial bedingte Unterschiedlichkeit kommen aber in dieser Anschauungsweise m.E. nicht zur Sprache. Wenn die Persönliche Frömmigkeit eine weitere Dimension der Gottesnähe darstellt (ASSMANN 1984: 258ff.), dann kann sie per Definition nicht kollektiv sein (PINCH 1993: 325), zumindest nicht solange soziale Abstufungen und Unterschiede ausgeblendet werden. Es ist somit von grösster Bedeutung, die Belege in ihrem sozio-kulturellen Umfeld zu analysieren, um auf die Frage „wer“ in Ägypten religiös war eine spezifischere Erwiderung als „die Ägypter“ als Antwort geben zu können (KEMP 1995, FITZENREITER 2004: 33). Aufgrund der Komplexität der ägyptischen Gesellschaft und der ideologischen Färbung der Quellen, die oft einen zentralistischen Blickpunkt widerspiegeln, kritisierte John BAINES (1987: 80ff.) die Rekonstruktion einer Religion, die für die allgemeine ägyptische Gesellschaft Gültigkeit haben soll, obwohl mehrheitlich nur Hinterlassenschaften der Elite dafür in Betracht gezogen werden konnten. 253 Die Suche nach Hinweisen von Pietät bedeutete somit auch die Suche nach Beziehungen und Kontakten zwischen Menschen und Göttern – wobei der vergöttlichte König und der Tote darin inbegriffen sind – jenseits der ideologisch zentral-orientierten Quellen (BAINES 1987: 81, DERS. 1991: insbes. 172–186). Die Tatsache, dass solche Spuren im Laufe der Zeit und vor allem mit dem Anfang des Neuen Reiches in viel grösserem Masse auftreten, erklärt BAINES durch das Dekorum (BAINES 1985: 277–305, DERS. 1990: 1–24, DERS. 1991: 137ff., DERS. 2009: 14). Bestimmte Situationen und Themenkreise durften offiziell nicht zum Ausdruck gebracht werden, da dies von der politisch-kulturellen Umgebung nicht erlaubt war. 254 Ferner sind Totenbriefe als frühe Beispiele einer solchen gesuchten Kon253 254

S. auch BAINES/FROOD 2008: 11ff. S. diesbezüglich aber auch die alternative Lösung von FRANKE 2003: 134.

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taktaufnahme mit der göttlichen Sphäre zu interpretieren, was von John BAINES (1987: 87) als der literarische Gipfel eines nicht-literarischen Eisbergs gedeutet wird. 255 Archäologisch lässt sich diesbezüglich eine Veränderung vom Mittleren zum Neuen Reich in der Ausdrucksmöglichkeit der eigenen religiösen Erfahrung z. B. in den Opfergaben an Hathor aus Serabit el-Khadim verfolgen: Während die Zeugnisse des Mittleren Reiches ausschliesslich Gebete für die Expedition als Ganzes beinhalten, weist die Dokumentation des Neuen Reiches Zeugnisse für eine persönliche Zuwendung an Hathor auf, was auf den Wechsel von einer kollektiven („corporate“) zu einer persönlichen Frömmigkeit schliessen lässt (PINCH 1993: 349). 256 Beispiele für persönliche Gebete sind bereits vor der 18. Dynastie belegt 257 und sind insbesondere im normierten Kontext des Grabes oder im Zusammenhang mit den Osirisfeierlichkeiten von Abydos nachgewiesen. Dennoch sind aus dieser Zeit auch Graffiti aus der Felsformation von Maghara, die von Mitgliedern einer niedrigeren Gesellschaftsschicht angefertigt worden sein müssen, belegt (PINCH 1993: 349). Dies führt zu dem Aspekt der sozialen Herkunft des religiösen Menschen in Ägypten und somit zur soziologischen bzw. religionssoziologischen Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung. So hat nach Max WEBER die Trägerschicht einer Gesellschaft wohl Folgen für die Religion, andererseits aber beeinflusst die Religion heterogene Gesellschaftsschichten auf unterschiedliche Weise (KNOBLAUCH 1999: 48–49 m. Anm. 18). In seiner Unterteilung in bäuerliche, adelige, bürokratische, bürgerliche und negativ privilegierte Religiosität, ging WEBER der Frage nach, welche soziale Schicht der typische Träger einer bestimmten Religiosität ist oder werden kann (vgl. dazu KEHRER 1988: 117ff.). Alle Individuen einer Gesellschaft können anhand von bestimmten Merkmalen, die Schichtungsgrenzen markieren, in Schichtungsgruppen eingeteilt werden. Man spricht dabei auch von einem Ober-, Mittel- und Unterschichtsmodell (KEHRER 1988: 113), das allerdings nicht für alle Gesellschaften gültig ist. Lexikalisch wiederum kann die soziale Schichtung als „differentielle Rangordnung von menschlichen Individuen, die ein gegebenes System bilden und ihre Behandlung als höher oder niedriger in Bezug zueinander in bestimmten sozial relevanten Hinsichten“ definiert werden (MITCHELL 1979: 194). Dies kann auch auf das alte Ägypten übertragen werden. Diejenigen, die im alten Ägypten religiös waren, haben ihre Religionspraxis auf unterschiedliche und ihrem sozialen Umfeld entsprechende Art realisiert, um somit die eigene Religiosität auszudrücken. Die sozio-kulturellen Unterschiede hatten Einfluss auf die Ausdrucksformen des religiösen Gedankenguts der jeweiligen Gesellschaftsschichten. Somit prägte sich eine unterschiedliche Ausgangslage, die unmittelbar von dem sozialen Niveau, der Bil-

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256

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Die literarische Schriftform dieser Kommunikationsart wird von BAINES als unnötig bewertet. Er vermutet, dass die Briefe vor der Niederlegung am Grab laut vorgelesen wurden. S. dazu aber den Interpretationsvorschlag von Martin BOMMAS (1999: 57) wonach die Verwendung von Alltagsgeschirr für die Niederschreibung dieser Briefe eng mit dem Toten(opfer)kult verbunden war: Durch die Nahrungsaufnahme wollte man das Wohlwollen des Verstorbenen erwirken. Durch diese Betrachtung könnte dieser Tatbestand erweitert und als richtiges persönliches Ritual interpretiert werden. Man beachte jedoch die Einzelfälle einer persönlichen Beziehung zu einem Gott schon im Mittleren Reich, wie die unter 3.1.1 besprochenen Stelen des Amenisonbe aus der 13. Dynastie belegen. S. dazu BAINES 2009. S. Kat. G.12.1–G.13.5 sowie Kapitel 5.1.1 a) der vorliegenden Arbeit.

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dungslage sowie der geographischen Herkunft des Individuums abhängig war (vgl. dazu FITZENREITER 2004: 23). 4.1.1

Religionssoziologische Behandlung der Fragestellung

Dass die Persönliche Frömmigkeit nicht lediglich als „Religion of the Poor“ (GUNN 1916, SCHULMAN 1967) gedeutet werden kann, ist dank der Studien vor allem von Hellmut BRUNNER (1961), John BAINES (1987, DERS. 1991), Ashraf I. SADEK (1987), Geraldine PINCH (1993), Barry KEMP (1995), Anna STEVENS (2006, DIES. 2009) und Karen EXELL (2009) schon längst geklärt. Denkmäler, die auf die Ausübung einer persönlichen Religiosität hindeuten, sind für das alte Ägypten in der hier erforschten Zeitspanne vielfältig, da sie sowohl in Form von beschrifteten (Stelen, Papyri, Ostraka, Statuen, Türpfosten und Türstürze, Graffiti usw.), wie auch unbeschrifteten Dokumenten (einfache Opfergaben) vorliegen. Die Beschriftung der Quellen ist ein erstes Kriterium, das auf eine unterschiedliche soziale Verortung von Ausdrucksformen persönlicher Religiosität hinweist. Das religiöse Gedankengut kann aber genau genommen nur anhand beschrifteter Zeugnisse erfasst werden, da religiöse Vorstellungen nur in ihnen explizit zum Ausdruck gebracht werden. Beschriftete Denkmäler sind aber Produkte einer kulturellen Elite, die im sozialen Panorama Ägyptens nur eine Minderheit darstellt (BAINES/EYRE 1983) 258. Deir elMedina gilt dabei als ein Sonderfall: Der hohe Grad an Literarizität der Arbeiter in der Siedlung war von deren Funktion in der Gestaltung der Königsgräber im Tal der Könige abhängig. Demzufolge verfügten die Schreiber der Siedlung über die Mittel wie auch den Zugang zu Archiven und Tempelbibliotheken, die für die Herstellung solcher Denkmäler notwendig waren. Für Privatleute ohne eigene Ausbildung bestand die Möglichkeit, sich an Spezialisten zu wenden, die solche Aufträge privat ausführten – was allerdings mit relativ hohen Kosten verbunden war (JANSSEN 1975: 510–511, DERS. 1980: 135, PINCH 1993: 326–332). 259 So wie der Literarizitätsgrad der allgemeinen ägyptischen Gesellschaft nicht ausschliesslich an Deir el-Medina gemessen werden kann, so kann sich die Wertung des religiösen Gedankenguts, welches auf den Privatdenkmälern von Deir el-Medina niedergeschrieben wurde, auch nicht für die gesamte ägyptische Gesellschaft in ihrer sozialen und geographischen Komplexität gelten. Während die Votivgaben an Hathor aus der 18. Dynastie aufgrund der Titel und der bildlichen Darstellung auf den Denkmälern einer Mittelschicht – bestehend aus Unteroffizieren, Priestern und Chefhandwerkern – zugeschrieben werden konnten, wenden sich die Mittlerstatuen 260 von Privatpersonen aufgrund der Angaben in ihren Texten an eine breitere Besucherschicht, zu der sowohl „Noble“ (Sps.w) als auch „Arme“ (nmH.w) zählten (PINCH 1993: 344). Man beachte dabei, dass nmH in der Forschung mit einer bestimmten religiös-rituellen Haltung in Verbindung gebracht (PINCH 1993: 344, ADROM 2005: insbes. 20 m. Anm. 86) und weniger als Konnotation eines bestimmten sozialen 258 259 260

S. dazu aber auch die alternativen Ansichten insbes. von BRYAN 1984 und JANSSEN 1992. Ein wichtiger Faktor sind die tempeleigenen Werkstätten und die Frage ob sie selbst als offizielle Institutionen Teil dieser Religionsausübung waren. Siehe dazu PINCH 1993: 345. S. auch Kapitel 3.1.5 b).

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Status gedeutet wurde (BRUNNER 1961: 190ff.). So versteht Faried ADROM (2005: 17) das Wort snmH „Gebet“ vor dem Hintergrund ritualtheoretischer Ansätze als einen rituellen Akt der Selbsterniedrigung, der auf die topische Herr-Diener-Konstellation in den institutionellen Rollen des Rituals abzielt. Dennoch zeigt ein Vergleich mit den Passagen der Weisheitstexte, in denen die Rolle Gottes im Hinblick auf die soziale Ungerechtigkeit thematisiert wird, dass der Begriff nmH deutlich sozial konnotiert ist: Ax pA nmHw m-Dr.t pA nTr r wsr.w m wDA „Besser ist die Armut in der Hand des Gottes, als Reichtum im Vorratshaus“ (Amenemope, P.BM 10474, 9.5: GRUMACH 1972: 30). Gleiches gilt auch im Falle von Anweisungen über gerechtes Verhalten: jr spr n=k nmHw gAb jw ky msA=f gAs=f sw pAj n=f jm n=f x.t [...] „Wenn ein Armer dich anfleht, einer der schwach ist und von einem anderen verfolgt wird, flieg zu ihm und gib ihm etwas [...]“ (P.Chester Beatty IV, vso. 2.1–5). Wenn also Faried ADROMs Annahme einer rituellen Rolle beim Vollzug des persönlichen Rituals korrekt ist, dann besteht das Modell weniger aus einem Herr-Diener-Verhältnis 261 als in der Evokation des sozial Bedürftigen – des Armen –, auf den die friedliche Einstellung (Htp) Gottes gerichtet ist (ASSMANN 1996: 264). So ist Amun-Re als Retter und Wesir der Armen seit dem Anfang der 18. Dynastie belegt (LUISELLI 2004: 11 [4.3–5]) und erfährt in der Ramessidenzeit eine weitere Stärkung dieser Rolle: 262 Amun(-Re) ist pA (...) Sd-nmHw „Retter des Armen“ oder pA TA.tj n pA nmHw „Wesir des Armen“. 263 Schliesslich haben Angehörige einer ärmeren sozialen Schicht durch die alleinige Anbringung ihres Namens, ohne Angaben von Titeln, ihre Teilnahme an der Religion verewigen wollen (SADEK 1987: 15) – wie es vermutlich auch bei den unbeschrifteten Votivgaben der Fall ist. Diese Fragestellung schlägt die Brücke zu den Erkenntnissen aus der Siedlungsarchäologie, die insbesondere von Barry KEMP (1995) für die Rekonstruktion der privaten Teilnahme an der Religion für die Zeit bis zum Neuen Reich in Betracht gezogen wurden. Durch das erworbene Wissen verfolgt KEMP die Rolle der Religion und vor allem der Religiosität im alten Ägypten expressis verbis mit Skepsis (KEMP 1995: 26). Da KEMPs Studie von grundlegender Bedeutung für jede Forschung ist, die sich mit der altägyptischen Religiosität und Religionspraxis mit soziologischer Ausrichtung beschäftigt, sei hier eine längere Auseinandersetzung mit den darin vorkommenden Thesen eingefügt. Die Suche nach Hinweisen auf religiöses Handeln im Alltagsleben hat wesentliche Unterschiede zwischen den Arbeitersiedlungen und den normal gewachsenen Stadtsiedlungen gezeigt. So wurden im Arbeiterviertel von Tell el-Amarna und in Deir el-Medina zahlreiche private häusliche wie dorfeigene Heiligtümer entdeckt (VALBELLE 1985: 17ff., IKRAM 1989, KEMP 1995:

261

262 263

In diesem Falle wären eher die Begriffe Hm oder bAk zu erwarten, die ebenfalls in Gebetstexten vorkommen und das Ziel der Vorsorge Gottes definieren: „Lotse, der das Wasser kennt, Amun, Steuerruder, (das nicht fehlgeht), der Brot gibt dem, der keines hat, der den Diener seines Hauses (Hm n pr=f) am Leben erhält“ (P.Anastasi II, 9.2; Kapitel II.2.2.3.c); „Du wirst kommen von fern und geben, dass der Diener (bAk) da, der Schreiber Pawah, dich erblickt“ (Graffito in TT 139; Kat. G.18.17). Ferner, sei auf den Ausdruck pAy=f bAk Ax „sein vortrefflicher Diener“ verwiesen, der in Briefen zur Beschreibung des engen Verhältnisses zwischen Gott und Individuum benutzt wird (SWEENEY 1985: 214). S. Kat. G.19.22 sowie P.Anastasi II, 9.2–10.1 (Kapitel 5.3.3 c). S. P.Bologna 1094, 2.3–7 (Kapitel 5.3.3 a), P.Anastasi II, 8.5–9.1 (Kapitel 5.3.3 b). S. dazu auch BRUNNER 1961: 203.

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29–32, BOMANN 1991, STEVENS 2003, DIES. 2006), 264 die zahlreiche Votivgaben enthielten (PINCH 1993: 230–234), die das kultische Leben in diesen Siedlungen dokumentieren. Allerdings sind diese eindeutig auf die artifiziell gegründete Arbeiterstätte beschränkt (KEMP 1995: 31, Abb. 3). In Deir el-Medina waren zudem Familienschreine, Familiengräber und Ahnenkulte (DEMARÉE 1983, FRIEDMAN 1994) sowie die offizielle Leitung einiger Schreine 265 von besonderer Wichtigkeit, was jedoch mit der längeren Besiedlungsphase des Dorfes gegenüber Tell el-Amarna zu tun hat (KEMP 1995: 32). Diese zwei Beispiele stehen völlig im Gegensatz zu zeitgenössischen Städten wie Malqata und Deir el-Ballas in Ägypten als auch Sesebi und Amara-West in Nubien: In diesen Siedlungen konnten Reste von häuslichen Kultinstallationen kaum oder nur in sehr geringem Masse nachgewiesen werden (KEMP 1995: 32–33) und müssen somit von den Arbeitersiedlungen deutlich unterschieden werden. Die Votivgaben aus solchen Arbeitersiedlungen und aus den Hathorheiligtümern (z. B. Mirgissa) sind einer Gesellschaftsschicht zuzuschreiben, welche die Mittel hatte, sich solche Objekte herstellen zu lassen. Die Bewohner von Tell el-Amarna und Deir el-Medina nehmen aus heutiger Sicht einen besonderen Platz in der Gesellschaft Ägyptens ein, da die Entstehung dieser Siedlungen nicht mit derjenigen anderer antiker Städte zu vergleichen ist. Diese Siedlungen wurden aus einem ganz bestimmten Zweck ex-nihilo gegründet. 266 Aufgrund der problematischen Definition einer Stadt in der Antike (KOLB 2005: 11–12) wird in den Altertumswissenschaften, ausgehend von Max WEBERs soziologischer Stadtdefinition, eine Stadt aufgrund folgender sechs Kriterien nachgewiesen, wobei nicht alle erfüllt werden müssen, da die Quellenlage die Überprüfung aller Bedingungen oftmals nicht ermöglicht (KOLB 2005: 15) und interkulturelle Unterschiede ebenfalls beachtet werden müssen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Topographische und administrative Geschlossenheit der Siedlung Bevölkerungszahl von über 1000 Einwohnern Ausgeprägte Arbeitsteilung und soziale Schichtung Vielfältigkeit der Bausubstanz Urbaner Lebensstil Funktion der Siedlung als zentraler Anziehungspunkt für das Umland

Nach diesem Kriterienkatalog kann in Ägypten der pharaonischen Zeit keine Siedlung als Stadt gemäss dieser Stadtdefinition erkannt werden, da die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Stadtwerdung – vor allem was die Entwicklung von Märkten angeht – fehlten (KOLB 2005: 36). In Ägypten erfolgte eine zentral gesteuerte Versorgung der Bevölkerung als Gegenleistung für die von ihr geleistete Arbeit im Dienste des Königs, was den Ausbau eines Markthorizonts und die Hervorhebung einzelner Marktzentren für das Umland nicht förderte. Hinweise auf eine „normale“ Urbanisierung sind in 264

265

266

IKRAM 1989: 100 weist darauf hin, dass Kapellen nur in den grösseren Häusern von Tell el-Amarna vorhanden waren, da es sich um luxuriöse Gebäude handelte, die von reichen Offizieren erbaut wurden, um ihre Loyalität Echnaton gegenüber zu beweisen. S. dazu das Ptah- und Mertseger-Heiligtum (BRUYÈRE 1930), welches Stelen von Ramses III. barg und somit unter einer offiziellen Aufsicht gestanden haben muss. Unter offizieller Leitung stand wohl auch der Schrein für Amenophis I., da die Statue des vergöttlichten Königs für interne Probleme der Stadt sowie für private Angelegenheiten befragt werden konnte. S. dazu auch KEMP 1972.

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Ägypten seit den ersten Anhaltspunkten seiner entwickelten Hochkultur nur mit Mühe fassbar (vgl. dagegen KEMP 1977 und BIETAK 1981). Siedlungen von beachtlicher Grösse bestanden zwar, dennoch nur in Verbindung mit Tempelanlagen, 267 die Zentren ökonomischen Wirtschaftens waren und somit Arbeitsorte für eine beachtliche Anzahl von Personal waren. Dies wiederum hatte eine ausgeprägte Arbeitsteilung zur Folge. Nach der Aufgabe solcher Anlagen wurden die daneben entstandenen Siedlungen jedoch ziemlich schnell verlassen, sodass keine Fortdauer dieser Siedlung möglich war. Die hohe Einwohnerzahl, wie sie z. B. in Kahun nachgewiesen wurde, reicht allerdings nicht, um aus einer Arbeitersiedlung eine Stadt zu machen. Es zeigt sich, dass die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Aktivitäten der ägyptischen Gesellschaft in verdichteter Form einzig und allein an die Tempel und Paläste gekoppelt waren (KOLB 2005: 40). Die Herkunft von Hinterlassenschaften einer Volksfrömmigkeit ausschliesslich aus Siedlungen, die mit den ökonomischen, politischen und kulturellen Machtzentren in Verbindung standen, ist jedoch problematisch, da dies die Suche nach Hinweisen auf eine spontane Religionsausübung nicht ermöglicht (EDZARD 1993). Dennoch war der kontinuierliche Kontakt zu den Kulturinstitutionen die Voraussetzung für die Entwicklung einer persönlichen Teilnahme am religiösen Leben, was wiederum von diesen Institutionen gesteuert war. Letztere stellten einen festgelegten Rahmen zur Verfügung, an dem sich der Einzelne für seine Religionsausübung orientieren konnte. 268 Diesbezüglich analysiert Barry KEMP in seiner Studie die Hinweise auf Religiosität in den archäologischen Hinterlassenschaften von Siedlungen vor dem Hintergrund marxistischer Fragestellungen, wonach die Entwicklung von religiösem Denken eng mit der vorhandenen Technologie, Güterproduktion und der Verteilung des Surplus verbunden ist (vgl. dazu KEHRER 1988: 94–112). Eine völlige Vermischung von ökonomischem Handeln und Religion in der Gesellschaft ist aber nicht feststellbar, da das inexistente Surplus es nicht zulässt, dass religiöse Spezialisten, die dauerhaft vom Verdienst des Lebensunterhaltes freigestellt waren, sich der Elaboration religiöser Anschauungen widmen konnten. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Vorstellungen nicht existiert haben, sondern vielmehr, dass sie immer in Bezug zum ökonomischen und sozialorganisatorischen Leben der Gesellschaft standen, in der sie erstellt wurden (KEHRER 1988: 98). Sobald in einer Gesellschaft ein Surplus produziert wird, bildet sich über die Aneignung dieses Surplus in Form eines an einen bestimmten Empfänger bezahlten Tributes eine politische Herrschaft heraus, die zu sozialen Schichtungen führt. Die Gegenleistung einer solchen Tributwirtschaft besteht im Schutz gegenüber dem Zahlenden, was zur Folge hat, dass sich die Kulte und die Religionsform der Herrschaftsschicht als die zentrale Form der Religion herauskristallisiert – weshalb sog. periphere Kulte schlicht als Volksreligionen verstanden werden. Dennoch sind die Auswirkungen der Tributwirtschaft auf die Religion nur indirekter Natur, da sie sich vielmehr über die soziale Schichtung abspielen (KEHRER 1988: 100). Eine direkte Einflussnahme besteht nur in religiös pluralistischen Gesellschaften, in denen Religionszugehörigkeit und soziale Schichtung zusammenhängen (KEHRER 1988: 120). Dies spiegelt jedoch nicht die altägyptische Situa267 268

So vor allem Kahun, Tell el-Amarna als neu gegründete Residenzstadt, Deir el-Medina und Elephantine. S. Kapitel 3.1.4.

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tion wider, da es keinen religiösen Pluralismus gab. Barry KEMP schildert in seiner Analyse der ägyptischen Gesellschaft im Hinblick auf die Religion jedoch die Situation einer Tributwirtschaft zu Lasten der bäuerlichen Bevölkerung und zu Gunsten der elitären Tributempfänger. Um bestimmte Ziele zu erreichen, hatten hochrangige Berufsgruppen dem König oder hohen Persönlichkeiten bis zum Mittleren Reich Opfergaben gestiftet; ab dem Neuen Reich gelangten diese zu den Göttern in ihre Tempel. Mit seinen zehn Verträgen zur eigenen Totenkultstiftung gibt es erst mit Djefajhapi einen Beleg für erzwungene Tributzahlungen dem Lokaltempel gegenüber auch vonseiten der unteren Gesellschaftsschichten (KEMP 1995: 46). Die Religion Ägyptens stellte somit ein von den höheren Gesellschaftsschichten induziertes Phänomen zur Bereicherung derselben sozialen Gruppierungen dar. Diese streng sozio-ökonomisch zentrierte Auffassung von Religion und Religiosität scheitert alleine an einer komparativen Betrachtung anderer Kulturen mit ähnlichen Voraussetzungen, d. h. ohne Produktion eines Surplus (KEHRER 1988: 97–99). Die Hinweise auf die Religion sind in diesen Fällen in anderen Bereichen abzulesen (Jagdzauber, rituelle Bestattung von Tierknochen usw.). Die Tatsache, dass in Ägyptens Siedlungen, die keine Arbeitersiedlungen sind, nur wenige Hinterlassenschaften von alltäglichem religiösem Handeln oder von häuslichen Kultinstallationen zu finden sind, wird hier nicht in Frage gestellt. 269 Dennoch ist die oben geschilderte Stadtdefinition und das damit verbundene Kulturleben im Sinne von Barry KEMPs negativer Bewertung einer allgemein vorhandenen Religiosität in Ägypten zu überdenken. Darüber hinaus wird in KEMPs Studie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass in Siedlungen, die scheinbar keine Kultinstallationen hinterlassen haben, Religion und Religionspraxis mehrheitlich auf mobilen vielleicht sogar aus verderblichem Material bestehenden Kulteinrichtungen basierten (STEVENS 2009: 5–6). Zudem werden zwei grundlegende Bereiche für die Erforschung der alltäglichen Religiosität und Religionspraxis unterschätzt: die Magie und der Totenkult. Erstere wird von KEMP als kein grundlegender Aspekt des religiösen Lebens angesehen (KEMP 1995: 32). Im zweiten Fall berücksichtigt KEMP die Belege für die Bestattung selbst der einfachen Menschen – die in Ägypten durchaus belegt sind und sich vor allem im Fall von Elephantine auch im Hinblick auf ihre soziale Bedeutung im Detail schildern lassen (SEIDLMAYER 2003) – nur unzulänglich. Schwere Krankheiten, prekäre hygienische Verhältnisse, die Abhängigkeit vom Klima sowie die hohe Armut und die schlechte Ernährung waren Faktoren, die den Tod – im Gegensatz zu den modernen Gesellschaften – zu einer alltäglichen Realität werden liessen. Der Tod war Teil des Alltaglebens. Nekropolen mit Ansätzen von ersten Kultbestattungen sind in Ägypten seit der Frühzeit bekannt und weisen auf den Glauben an eine konzeptuelle Kontinuität zwischen Leben und Tod einer Person hin. Der funeräre Aspekt darf somit für die Rekonstruktion der persönlichen religiösen Einstellungen im Hinblick auf die Gesellschaft in Ägypten nicht ausser Acht gelassen werden. 270 Für das Folgende sind hier wiederum die religionssoziologischen Grundzüge von Max WEBERs Wirtschaft und Gesellschaft als Hilfsmittel verwendet. Die schicht269 270

S. dazu jedoch die Auflistung archäologischer Hinterlassenschaften religiöser Natur in Siedlungen in STEVENS 2009: 5ff. Während sich die Kultur der Elite im Grabdiskurs auf die Einzelfigur konzentriert, stellt man im Fall der Grundschichten die Fokussierung auf die rituelle Behandlung aller Toten fest (SEIDLMAYER 2003: 72–73).

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spezifische Analyse der Religiosität beruht in WEBERs Auffassung nicht auf der Hinterfragung des Religiositätsursprungs, sondern vielmehr auf deren Ausbreitung und Übernahme in den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Dabei zieht WEBER die Bedürfnisse relevanter Gesellschaftsschichten in Betracht und zeichnet unterschiedliche Entwicklungslinien auf: Positiv privilegierte Schichten entwickeln Legitimationsbedürfnisse, negativ Privilegierte hingegen eine sog. Verheissungsreligiosität (KEHRER 1988: 119). Exkurs I: Religion im Alltag Die Rekonstruktion eines facettenreichen Bildes der Religiosität und Religionspraxis im alltäglichen Kontext ist in erster Linie Anna STEVENS (2003, DIES. 2006, DIES. 2009) zu verdanken. Hierfür nützliche Textquellen, die teilweise in der vorliegenden Arbeit mitberücksichtigt sind, sind Briefe, 271 das Traumbuch (P.Chester Beatty III), 272 magischmedizinische Formeln, Opfersprüche, Hymnen und Gebete auf Votivstelen und Schülerhandschriften 273 sowie administrative Texte insbes. aus Deir el-Medina, die zur Rekonstruktion des sozialen und wirtschaftlichen Horizontes der Religion hilfreich sein können (STEVENS 2009: 1–3). Während Schriftquellen die Möglichkeit bieten, das Glaubenssystem zu rekonstruieren, das hinter der Kultausübung steht, liegt die Bedeutung der archäologischen Quellen darin, diese Kultausübung festzuhalten (STEVENS 2009: 3). 274 Solche Quellen lassen sich nach Anna STEVENS (2003, DIES. 2009: 4ff.) in immobile und mobile Kultinstallationen oder Objekte einteilen. Zur ersten Kategorie gehören Hausaltäre (STEVENS 2006: 234, WEISS 2009: 196-210) 275, Wandnischen, in denen sich teilweise auch Reste von Wandmalereien mit religiösem Inhalt erhalten haben (KEMP 1979, PINCH 1983), und „Reinigungsplatten“ (BRUYÈRE 1939: 319), die in letzten Untersuchungen als mögliche Opferstellen gedeutet wurden (SPENCE 2007). Mobile Kultinstallationen wie z. B. Opfertafeln teilweise aus verderblichem Material sind laut Anna STEVENS (2009: 5–6) für die Mehrheit der ägyptischen Siedlungen anzunehmen, aus denen keine Funde stammen, die dem Bereich der Religion zuzuschreiben sind. 276 Darüber hinaus sind auch weitere Objekte zu erwähnen, die irgendeine Rolle im Hauskult gespielt haben müssen. Dazu zählen vor allem Ahnenbüsten, Götterfiguren und Stelen. Diesbezüglich sei auf Lisa GIDDYs Entdeckung (1999: 43ff.) von 14 Götterfigürchen und Statuetten aus den Häusern in Memphis verwiesen, die in das Neue Reich 271 272 273 274

275

276

S. dazu Kapitel 5.3.2. S. dazu Kapitel 6.2. Zur Auswertung dieser Textkategorie s. Kapitel 5.3.3. Es sei diesbezüglich auf STEVENS 2009: 12–20, Tab.1 verwiesen, wo archäologische Hinterlassenschaften für Religionspraxis zu Hause aus Ägypten und Nubia in der dynastischen Zeit zusammengestellt sind. Über den häuslichen Kult sind wir durch Quellen, die in das Neue Reich datieren, zweifellos besser informiert. Für das Zeitalter davor stellen vor allem Kahun und einige Siedlungen in Nubien, darunter insbes. Askut, die wichtigsten Quellen dar (STEVENS 2009: 3, 4). Diese sind in der Forschung auch als ‚lits-clos’ gedeutet worden (cf.) und wegen der damit verbundenen Wandmalereien mit Geburt und Wochenbett in Verbindung gesetzt worden (WEISS 2009: 196, Anm. 22 mit Literaturverweis). Es sei hier auch auf Lara WEISS’ neutrale Benennung (2009: 196) „platforms“ verwiesen. Es sei an dieser Stelle auf die obige Schilderung von Barry KEMPs Thesen verwiesen.

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und unmittelbar danach datieren. Es handelt sich dabei um kleine Bes-Figuren, Hapiähnliche Statuetten sowie Ahnenbüsten, die ansonsten nur aus Deir el-Medina bekannt sind sowie weibliche Fruchtbarkeitsfiguren. Zaubermesser, Ostraka mit Darstellungen von Gottheiten und Amulette zählen auch zu den Objekten, die im häuslichen Kult benutzt wurden (STEVENS 2009: 7–9). Darüber hinaus wurden in Deir el-Medina auch Amulette in Form von Stelen entdeckt, die an der Wand aufgehängt wurden (BRUYÈRE 1952b: 143–144, Abb. 20 unten). Aufgrund der materiellen Hinterlassenschaft scheinen Rituale, die zu Hause vollzogen wurden, ähnlich gewesen zu sein, wie diejenigen, die in Tempeln und Heiligtümern performiert wurden. So sind Opfergaben, Beweihräucherungen, Libationen und Reinigungsrituale ebenfalls für den Hauskontext anzunehmen, wobei sie möglicherweise weniger regelmässig stattfanden, da solche privaten Rituale für unmittelbare Bedürfnisse ausgeübt wurden (STEVENS 2009: 9–10). 277 Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird versucht, Gewichtung auf die Erforschung schichtbedingter Religiosität zu legen, um das in den verschiedenen Schichten gemeinsame religiöse Denken herauszuarbeiten und möglicherweise auch zu definieren. Ziel der Untersuchung wird dabei auch die Frage sein, inwieweit die ägyptische Religion ihre typischen Träger in bestimmten Schichten findet und welche Rolle den Frauen in diesem Szenario zukommt. Ein weiterer Punkt wird in der Fragestellung liegen, ob – und wenn ja inwiefern – Religion im alten Ägypten Mittel sozialer Mobilität war und worin die Auf- oder Abwärtsbewegung von Individuen und/oder Gruppen in einem Schichtungssystem bestand (KEHRER 1988: 127ff.). Religionssoziologisch wird zwischen zwei Möglichkeiten der Mobilität unterschieden: Entweder kann der individuelle Platz in der Rangordnung durch die Übernahme von Religionen und/oder religiös definierten Sitten erreicht werden, oder ein sozialer Aufstieg ist durch religiöse Ämter möglich. Letzterer tritt vor allem dort auf, wo man keine Vererbung religiöser Berufspositionen kannte. Dies tritt in Ägypten mit Beginn des Neuen Reiches ein, weshalb auch Frauen in dieser Zeit keine religiösen Ämter mehr innehatten 278. Im Folgenden werden die Stifter der Zeugnisse, die in der vorliegenden Arbeit für die Erforschung der Formen persönlicher Religionsausübung in Betracht gezogen werden, nach zwei Kriterien gleichzeitig untersucht: zum einen hinsichtlich der Kategorie des Dokumentes, zum anderen im Hinblick auf die chronologische Verortung des Beleges selbst, um eventuelle Veränderungen festzustellen, die eng mit dem sich wandelnden kulturellen Dekorum zusammenhängen.

I. Inschriften mit persönlichen Gebeten a) Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich In Tabelle 3 sind diejenigen Texte zusammengestellt worden, die in der vorliegenden Studie als Beleg für eine persönliche Teilnahme an der Religion vor dem Neuen Reich 277

278

Dies bestätigt auch Lara WEISS’ (2009) Deutung der sog. ‚lits clos’ von Deir el-Medina als Hausaltäre, die nach dem Vorbild der offiziellen Tempelaltäre konzipiert wurden und auf den häuslichen Bereich übertragen wurden (WEISS 2009: 208). S. dazu Kapitel 4.2.

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in Kapitel 5.1.1 a) aufgeführt werden. Demzufolge sind hier die Stifter aufgelistet, die dem auf dem Denkmal angebrachten Hymnus eine persönliche Bitte angefügt haben und somit als Individuen jenseits der normierten Richtlinien in öffentlich zugänglichen Denkmälern hervortraten. Tabelle 3 Text G.12.1 (TT 70)

Datierung 12. Dynastie

Stifter Antefoker (m)

Titel TA.tj „Wesir“ Dedu (m): Rezi- Hsw tation des Gebe- „Sänger“ tes Antef (m) jm.j-rA jH.w „Vorsteher Rinder“

G.12.2 (Stele Glasgow Hunterian Museum and Art Gallery D1922.13)

12. Dynastie

G.12.3 (Stele Turin 1547)

Ende 12. Dynastie

Wahka (III.) (m)

G.12/13?.4 (Stele Bologna EG 1911)

12.-13. Dynastie

Aku (m)

G.13.5 (Stele BM 893)

13. Dynastie

Amenemhet (m)

der

jrj-pa.t HA.tj-a, jm.j-rA Hm.w-nTr „Erbprinz und Fürst, Vorsteher der hm-Priester“ jm.j-rA pr n HtpnTr „Vorsteher der Gottesopfer“ xtm.tj-bjt.j, jm.j-rA gs pr „königlicher Siegler, Vorsteher der Domäne des Tempels“

Die Untersuchung der öffentlich zugänglichen hymnischen Texte des Mittleren Reiches hinsichtlich ihrer Stifter ist Detlef FRANKE zu verdanken, der dabei insgesamt 23 unterschiedliche Hymnen oder Teile davon erkennen konnte, die auf 33 Stelen und zwei Statuen verteilt waren (FRANKE 2003: 122ff.). Die Untersuchung der Titel der Stifter ergab, dass diese Texte Erzeugnisse der höchsten Gesellschaftsschichten waren, was sich auch für die hier aufgelisteten Dokumente persönlicher Gebete bestätigen lässt – sofern diese Gebetstexte Teile von Hymnen waren. Insbesondere lassen sich die Kategorien des „Erbprinzen und Fürsten“ (jrj-pa.t HA.tj-a: G.12.3; GRAJETZKI 2003: 221–224), des „Sieglers des unterägyptischen Königs“ (xtm.tj-bjt.j: G.13.5; GRAJETZKI 2003: 224) und des „Vorstehers der Domäne eines Tempels“ (jm.j-rA gs-pr: G.13.5) erkennen. Träger dieser Titel fungierten als Kontaktpersonen zwischen der Tempelverwaltung und den

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königlichen Sphären (FRANKE 2003: 123), womit sie eine hohe Stellung in der Verwaltung und somit in der Gesellschaft innehatten. Ferner sind Titel belegt, welche eine Funktion an der Spitze der Priesterschaft beschreiben (jm.j-rA Hm.w-nTr; Kat. G.12.3) und welche nach Detlef FRANKE aber eher auf lokaler Ebene zu verstehen sind und mit einem bestimmten Tempel verbunden waren. Jm.j-rA jH.w „Vorsteher der Rinder“ (Kat. G.12.2) und jm.j-rA pr n Htp-nTr „Vorsteher der Domäne des Gottesopfers“ (Kat. G.12/13?.4) bezeichnen Mitglieder der Tempelverwaltung und unterscheiden sich in ihrer Bedeutung vom bereits erwähnten jm.j-rA Hm.w-nTr in Kat. G.12.3, der Teil der Priesterschaft – d. h. der Verantwortliche für den Gotteskult im engeren Sinne – war. Der in Kat. G.12.1 belegte Hsw „Sänger“ stellt hingegen eine Kategorie für sich dar, da es sich hierbei um den Harfenspieler Dedu handelt, der das Lied zu Ehren von Hathor im Auftrag des Grabinhabers Antefoker im Rahmen seiner Berufsausübung singt – weshalb keine Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Stellung des Stifters des Gebetes gezogen werden können. Die Anbringung des Gebetes in einem Grab versetzt den „Sitz im Leben“ des Textes von Kat. G.12.1 in eine andere Ebene als es bei Stelen der Abydosfeierlichkeiten (Kat. G.12.2–G.13.5) der Fall ist, bei denen es sich um öffentlich gestiftete Denkmäler zur Zelebrierung der Teilnahme an den Feierlichkeiten handelte. 279 Die Präsenz von Sängern im Grabkontext ist eine Andeutung auf die festlich-kultischen Abläufe, die bei der Bestattung stattgefunden haben und bei denen auch Gotteshymnen rezitiert wurden. Die Stifter der hier aufgelisteten Gebetstexte gehörten also den Berufsgruppen der Palast- und Tempelverwaltung an oder waren selber Fürsten. Im Einklang mit Detlef FRANKEs Ergebnissen (2003: 126) lässt sich erkennen, dass bis auf Kat. G.12.3 280 in keinem der hier aufgelisteten Fälle die Stifter der Gebete Ritualspezialisten wie Vorlesepriester, wab- oder Hm-nTr-Priester waren. Nach FRANKE liegt die Erklärung in der Tatsache, dass „obviously they did not want to publish hymns, though they doubtless had access to ritual texts and hymns“ (FRANKE 2003: 126). Die öffentliche Zurschaustellung dieser Denkmäler im Rahmen der Osirisfeierlichkeiten in Abydos war der Grund für die Selbstdarstellung von Mitgliedern von Schichten und Berufen, die nicht direkt mit Kult und Ritus verbunden waren und die dennoch durch ihre Partizipation an diesen Feierlichkeiten ihre persönliche Verbindung zu Osiris und den in Abydos verehrten Gottheiten hervorheben konnten (LUISELLI 2010b). Daran anknüpfend stellt sich die Frage nach dem Zugang, den die Stifter dieser Denkmäler zu den aufgeführten Texten hatten. Dafür sei wiederum auf Detlef FRANKEs Studie (2003: 133) zurückgegriffen. FRANKE stützt sich diesbezüglich auf die Hinweise einer Existenz von Privatbibliotheken im Mittleren Reich (MORENZ 1996: insbes. 136ff.) und erwähnt die Möglichkeit, dass die Stifter selbst als Auftraggeber der Denkmäler im Besitz von Kopien der gefertigten Texte waren, die sie den Produzenten als Vorlage gaben. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Auftraggeber und die Stifter dieser Hymnen Kontakt zu denjenigen Personen unterhielten, die aufgrund ihrer Tätigkeit Zugang zu den Tempelbibliotheken hatten (so FRANKE 2003: 133). Zeitlich lassen sich die 279

280

S. dazu Kap. 3.1.1 und die dort geführte Diskussion über die Suche nach Gottesnähe und ihre Zurschaustellung im Mittleren Reich. Die Erwähnung von einem „Vorsteher der Hm-nTr-Priester“ stellt selbst in der Datenbank von FRANKE 2003 eine Ausnahme (S. 126) dar.

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Mehrheit der Hymnen an Osiris aus dem Kontext der Abydosfeierlichkeiten an den Anfang der 13. Dynastie setzen (MALAISE 1984: 414); durch die öffentliche Rezitation von Hymnen stellten sich die Stifter dieser Stelen in einem gewissen Sinne als Mittler dar, die dank ihrer Teilnahme an den religiösen Kultausübungen Zugang zur göttlichen Sphäre hatten (FRANKE 2003: 134). Diese öffentliche Zurschaustellung kann einerseits als Vorläufer der Mittlertexte auf Statuen aus dem Neuen Reich 281 aufgefasst werden, wie auch als parallele Erscheinung zu den Tempelstatuen von Privatpersonen, die seit dem Mittleren Reich durch die Aufstellung einer Statue ihrer selbst womöglich auch die gesuchte und erzielte Gottesnähe dadurch zum Ausdruck brachten, dass sie an dem Tempelgeschehen virtuell teilnahmen. Demzufolge stellte die öffentliche Aufstellung solcher privaten Denkmäler einen Bruch im Dekorum dar (FRANKE 2003: 134), der das Zeitalter des Aufkommens der Persönlichen Frömmigkeit auch für das, was die schriftliche Dokumentation angeht, deutlich in die Vergangenheit versetzt. Darüber hinaus wird dadurch die kultische Dimension als Bühne für die Ausübung persönlicher Religionspraxis schon für das Mittlere Reich freigegeben, zumindest für die Angehörigen der höheren Gesellschaftsschichten. Ob die Öffentlichkeit d. h. die Summe der Menschen aller Gesellschaftsschichten an den sog. Osirismysterien teilnehmen durfte, bleibt bislang eine offene Frage; die Unmöglichkeit der Verewigung dieser Teilnahme der unteren Schichten ist hingegen aufgrund der einseitigen Beleglage sicher. b) Zweite Zwischenzeit und Neues Reich Tabelle 4

Text

Datierung

Stifter

G.18.1 (TT 11: Harfnerlied; Theben)

18. Dynastie (Hatschepsut)

Djehuti (m)

G.18.2 (O.Kairo 12202 rto.; Scheich Abd elGurna) G.18.3 (O.Kairo 12202 vso.; Scheich Abd elGurna)

18. Dynastie (Amenophis II.)

Unbekannt

Unbekannt

18. Dynastie (Amenophis II.)

Unbekannt

Unbekannt

281

Titel

jm.j-rA pr-HD, jm.j-rA jH.w n Jmn „Schatzhausvorsteher; Vorsteher der Rinder des Amun“ Senires (m), Re- Hsw zitation des Ge- „Sänger“ betes

S. Kapitel 3.1.5.

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G.18.4 (O.Kairo 12212; Scheich Abd elGurna) G.18.5 (O.Kairo 12225 rto.; Scheich Abd elGurna) G.18.6 (O.Kairo 12217 rto.; Scheich Abd elGurna) G.18.7 (O.Kairo 12189 rto.; Scheich Abd elGurna) G.18.8 (Kapelle Nr. 11 in Gebel el-Silsileh)

18. Dynastie (Amenophis II.)

Unbekannt

Unbekannt

18. Dynastie (Amenophis II.)

Unbekannt

Unbekannt

18. Dynastie (Amenophis II.)

Unbekannt

Unbekannt

18. Dynastie (Amenophis II.)

Unbekannt

Unbekannt

18. Dynastie (Amenophis II./ Thutmosis IV.)

Sennefer (m)

G.18.9 (Statue Berlin 2293; Theben) G.18.10 (Reliefplatte Wien 5815; Sakkara)

18. Dynastie (Amenophis III.)

Cheruef (m)

18. Dynastie (Amenophis III.)

Merire (m)

G.18.11 (Statue BM 22557; Herkunft unbekannt; vermutlich Grabkontext) G.18.12 (Grab des Ahmose; Tell el-Amarna)

18. Dynastie (vor Amarna?)

Amenemhab gen. Mahu (m)

Hr.j-tA at pr-aA m njw.t rsj.t „Kammerherr des Palastes in der Südlichen Stadt“ zXA-nsw, jm.j-rA pr „Königsschreiber, Hausvorsteher“ jrj-pa.t HA.tj-a, jm.j-rA xtm.tj(w) „Erbprinz und Fürst, Vorsteher der Siegler“ jm.j-rA Hsw.w n Jmn „Vorsteher der Amunsänger“

18. Dynastie (Echnaton)

Ahmose (m)

282

zXA-nsw mAa, TAy-xw Hr wnm.j nsw, jm.j-rA rry.t 282, jm.j-rA pr n Axn-Jtn “Wahrhaftger Königsschreiber, Wedelträger zur Rechten des Königs, Vorsteher des Tores, Hausvorsteher des Echnaton“

Zur Abgrenzung zwischen dem Terminus arry.t und rry.t (hier mit der Löwenhieroglyphe rw geschrieben) s. SPENCER 1984: 149. Die Autorin suggeriert eine Unterscheidung zwischen den beiden Termini, schlägt jedoch für rry.t keine Bedeutung vor. Die Schreibung rry.t könnte eine Variante des Wortes arrw.t „Tor“ (Wb.I.211) sein und somit das Tor des Palastes (u. a.) bezeichnen. Zu arrw.t s. KOENIG 1999: 262.

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G.18.13 (Grab des Merire; Tell el-Amarna)

18. Dynastie (Echnaton)

Merire (m)

G.18.14 (Grab des Mahu; Tell el-Amarna) G.18.15 (Grab des Pentu; Tell el-Amarna) G.18.16 (Stele BM 551; Sakkara)

18. Dynastie (Echnaton)

Mahu (m)

18. Dynastie (Echnaton)

Pentu (m)

18. Dynastie (Tutanchamun)

Haremhab (m)

G.18.17 (Graffito TT 139; Theben)

18. Dynastie (Smenchkare)

Batjay (m) (für Pawah)

G.18.18 (Holztafel BM 5646; Theben?) G.18.19 (Statue Kairo CG 921; Herkunft unbekannt) G.18.20 (Stele BM 834; Theben)

283 284

xtm.tj-bjt.j, smr wa.tj, Hs.y m nb-tA.wy, wrmAA.w n pA Jtn m pr Jtn m Ax.t-Jtn „Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Gelobter des Herrn der Beiden Länder, Grösster der mAAPriester von Aton im Aton-Tempel in Achetaton“ Hr.j m a-DAj.w „Polizeichef“ zXA-nsw, wr swnw.w „Königsschreiber, Oberarzt“ zXA-nsw, jrj-pa.t, smr wa.tj „Königsschreiber, Erbprinz, Einziger Freund“ 283 Batjay: zXA-od m Hw.t anxxpr.w-Ra „Zeichner im Haus des Anchcheperure“ Pawah: wab, zXA Htp.w-ntr „wab-Priester und Schreiber der Gottesopfer“ Unbekannt .

18. Dynastie 284

Unbekannt (m)

18. Dynastie

Thotnefer (m)

zXA-nsw, jm.j-rA pr-HD „Königsschreiber, Schatzhausvorsteher“

18. Dynastie (Tutanchamun oder Eje)

Mutemuia (w)

nb.t-pr „Hausherrin“

Zu diesem Titel s. GRAJETZKI 2003: 224–225. Nach ERMAN 1923: 186 ist der Text aus paläographischen Gründen „Als Schulübung auf einer Schreibtafel der 18. Dynastie erhalten, aber wohl aus älterer Zeit“.

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G.18.21 (Stele Kairo JE 37463; Karnak: Cache Nr. K100)

18. Dynastie (Tutanchamun)

Huy (m)

G.18.22 (Stele Louvre C21; Deir el-Medina) G.18.23 (Statue BM 1459; Deir el-Bahari: Tempel von Thutmosis III. Akh-jswt) G.18.24 (Stele Turin 50050; Deir el-Medina)

Ende 18. Dynastie – Anfang 19. Dynastie

Baki (m)

Ende 18. Dynastie – Anfang 19. Dynastie

Tjau (m)

Hmww-nsw, Aa-nwab(.w) „Königshandwerker, Grosser der wab-Priester“

Ende 18. Dynastie

Herja (w) (auch für Jj, w)

Herja: nb.t-pr „Hausherrin“

G.19.1 (Stele Cambridge E.GA.3002.1943; Deir el-Medina) G.19.2 (Statue Berlin 6910; Deir el-Medina: TT 215)

19. Dynastie (Sethos I.)

Pasched (m)

19. Dynastie (Sethos I.-Ramses II.)

Amenemope (m)

G.19.3 (Stele Cambridge E.191.1932; Deir elMedina)

19. Dynastie (Sethos I.-Ramses II.)

Dydy (m)

G.19.4 (Stele Bankes 8; Deir el-Medina)

19. Dynastie (Ramses II.)

Pjaj (m),

Pay (m) G.19.5 (Stele Turin 50058; Deir el-Medina)

19. Dynastie (Ramses II.)

Neferabu (m)

sA-nsw n KS, jm.j-rA xAs.wt rsj.wt „Vizekönig von Kusch, Vorsteher der südlichen Fremdländer“ keine Angaben

Jj: nb.t-pr „Hausherrin“ wab; sDm-aS m s.t-mAa.t „wab-Priester und Diener in der Stätte der Wahrheit“ zXA-nsw, jm.j-rA pr-HD m s.t-mAa.t „Königsschreiber, Schatzhausvorsteher in der Stätte der Wahrheit“ Hmww wr n nb tA.wy m s.t-mAa.t „Vorsteher der Handwerker des Herrn der Beiden Länder in der Stätte der Wahrheit“ TAy-mDA.t m s.t nHH „Bildhauer in der Stätte der Ewigkeit“

TAy-mDA.t n Jmn „Bildhauer des Amun“ sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“

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G.19.6 (Stele BM 589; Deir el-Medina) G.19.7 (Stele BM 1466; Deir el-Medina)

19. Dynastie (Ramses II.)

Neferabu (m)

19. Dynastie (Ramses II.)

Penbui (m)

G.19.8 (Stele BM 8497; Deir el-Medina?)

19. Dynastie (Ramses II.)

Pennub (m)

G.19.9 (Stele Turin 50044; Deir el-Medina) G.19.10 (Stele Turin 50045; Deir el-Medina) G.19.11 (Stele Bankes 6; Deir el-Medina) G.19.12 (Stele Turin 50051; Deir el-Medina)

19. Dynastie

Hui (m)

19. Dynastie (Ramses II.?)

Amenemone (m)

19. Dynastie (Ramses II.)

Jjt-neferti (w)

19. Dynastie

Unnefer (m) für den Ka von Nebetnuhet (w)

G.19.13 (Stele Glasgow; Deir el-Medina) G.19.14 (Stele Turin 50042; Deir el-Medina) G.19.15 (Stele Turin 50052; Deir el-Medina)

G.19.16 (Stele Bordeaux 8635; Deir elMedina) G.19.17 (Stele Berlin 20377; Theben)

19. Dynastie (Ramses II.)

Penbui (m)

19. Dynastie (Ramses II.)

Pai (m)

19. Dynastie (Ramses II.)

Pai (m) für seine Mutter Wadjrenpet (w)

19. Dynastie (Ramses II.)

Qen

19. Dynastie

Nebra (m) und Chay (m)

sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“ sAw-nxt m s.t (mAa.t) „Der starke Wächter in der Stätte (der Wahrheit)“ sDm-aS m s.t n.t Hr jmnt.t WAs.t „Diener an der Stätte im Westen von Theben“ bAk n JaH „Diener des Jah“ sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit nb.t-pr „Hausherrin“ Unnefer: sDm-aS m s.t mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“ Nebetnuhet: nb.t-pr „Hausherrin“ sAw nxt m s.t-mAa.t „Starker Wächter in der Stätte der Wahrheit“ zXA-od „Zeichner“ Pai: zXA-od „Zeichner“ Wadjrenpet: nb.t-pr „Hausherrin“ TAy-mDA.t „Bildhauer“ Nebra: zXA-od n Jmn m s.t mAa.t „Zeichner des Amun in der Stätte der Wahrheit“

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Chay zXA „Schreiber“ sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“ Hr.j pD.t, kTn tp.j n Hm=f, jm.j XAs.wt, jm.j-rA kA.wt m Hw.t Wsr-MAa.tRa stp-n-Ra, sr n MDAj.w „Truppenoberst, Erster Wagenlenker Seiner Majestät, Oberster der Fremdländer, Baumeister im Ramesseum, Vorsteher der Medja“

G.19.18 (Stele BM 266; Deir el-Medina) G.19.19 (Stele Chicago 10494; Luxor)

19. Dynastie (Ramses II.)

Thothermektuef (m)

19. Dynastie (Ramses II.)

Penre (m)

G.19.20 (Stele BM 276; Deir el-Medina)

19. Dynastie (Ramses II.)

Nebra (m)

zXA-od „Zeichner“

G.19.21 (Stele München [Glyptothek] 287; Qantir?) G.19.22 (Stele Michailides; Theben)

19. Dynastie (Ramses II.)

Rahotep (m)

TA.tj „Wesir“

19. Dynastie (Ramses II.?)

Nahihu (m)

G.19.23 (Hockerstatue; Karnak: Muttempel) G.19.24 (Stele Turin 50060; Deir el-Medina)

19. Dynastie (Ramses II.)

Ray (m)

zXA-nsw, jm.j-rA Pr-wr m Hw.t Wsr-mAa.tRastp.n Ra m pr-Jmn „Königsschreiber, Vorsteher des Per-wer im Ramesseum im Bezirk des Amun“ zXA-nsw „Königsschreiber“

19. Dynastie (Ramses II.)

Uab (w)

G.19.25 19. Dynastie (Stele Turin 50055; (Ramses II.) Deir el-Medina)

Baki (m)

285

nb.t-pr „Hausherrin“ (Smay.t n Jmn-Ra-n-THnnfr „Musikerin des Amun-des-SchönenTreffens“; Hsj.t n ¡w.t-¡r „Hathorsängerin“) 285 aA n js.t m s.t-mAa.t „Grosser der Mannschaft in der Stätte der

S. TOSI / ROCCATI 1972: 98 sowie den Kommentar zu dieser Stele im Katalog.

98 © 2014, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-05890-2 — ISBN E-Book: 978-3-447-19189-0

Wahrheit“ G.19.26 (Stele Turin 50046; Deir el-Medina) G.19.27 (Stele Hannover 2937; Deir elMedina) G.19.28 (Stele Ashmolean 1894/106, Koptos)

19. Dynastie (Ramses II.)

Neferrenpet (m)

19. Dynastie (Ramses II.)

Maanachtuef (m)

19. Dynastie (Ramses II.)

Penre (m)

G.19.29 (Stele Kairo CM171)

Ramessidisch

Tajay (w)

G.19/20?.1 Stele Louvre AF 6949

Ramessidisch

Mehytabsy (w)

Keine Angaben

G.20.1 (Stele Hannover 2938; Herkunft unbekannt) G.20.2 (Stele BM 278; Deir el-Medina) G.20.3 (Stele Berlin 2081; Abydos) G.20.4 (Stele von Bay und Amunnacht; Deir elMedina)

20. Dynastie

Re (w)

Sms.t n Jmn-Ra „Gefolgsfrau des Amun-Re“

20. Dynastie (Ramses III.-V.)

Qenherchepeschef (m)

20. Dynastie (Ramses VIII.)

Hori (m)

sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit zXA n Pr-aA „Schreiber des Pharao“

19. Dynastie (Sethos II.)

Bay (m) Amunnacht (m), Sohn des Ipuy

sDm-aS m s.t mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“ zXA-od m s.t-mAa.t „Zeichner in der Stätte der Wahrheit“ Hr.j pD.t, kTn tp.j n

,

Hm=f jm.j-rA xAs.wt, jm.j-rA kA.wt m Hw.t Wsr-mAa.t-Ra stp-n-Ra, sr n MDAj.w „Vorsteher der Fremdländer, Erster Wagenlenker Seiner Majestät, Baumeister im Ramesseum, Vorsteher der Medja“ Smay.t n Wp-wAwt „Sängerin des Upuaut“

Bay: zXA(-nsw) m s.t-mAa.t „(Königs)schreiber in der Stätte der Wahrheit“ Amunnacht: zXA „Schreiber“

Die soziale Verortung der Stifter von Gebetsdenkmälern bzw. der Verfasser der Inschriften variiert von der 18. Dynastie bis zur Ramessidenzeit: Die Texte, welche in die

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18. Dynastie datieren, sind einer sozial höhergestellten Gesellschaftsschicht zuzuschreiben 286 und somit als Fortsetzung der Lage im Mittleren Reich zu verstehen. Dies ändert sich in der Ramessidenzeit, als auch Stifter niederer sozialer Schichten auftreten, was jedoch durch die Herkunft der Belege fast ausschliesslich aus Deir el-Medina zu erklären ist. 287 Denn es ist zu beobachten, dass die Stifter der Denkmäler ausserhalb von Deir el-Medina (Kat. G.19.19, G.19.21, G.19.23, G.19.28 und G.20.3) in der Palast- und Tempelverwaltung tätig waren 288 und somit einer höheren gesellschaftlichen Schicht zuzuschreiben sind. 289 Dies bestätigen m.E. auch die sog. Salakhana-Stelen aus Assiut, die im Grab Djefaihapis III. entdeckt wurden und die einen weit verbreiteten Kult des Upuaut belegen (zuletzt DUQUESNE 2009a). Die Titel der Stifter dieser Denkmäler weisen auf einen Tätigkeitsbereich in der Tempelinstitution hin. 290 Die niedrigere soziale Herkunft der grossen Mehrheit der Stifter von Gebetsstelen in der Ramessidenzeit ist also ein Tatbestand, der nur mit dem Sonderfall von Deir elMedina als Arbeitersiedlung zu tun hat und weniger als sozio-kulturelles Phänomen für das gesamte Ägypten in dieser Zeit zu deuten ist. Darüber hinaus sei auf Jaana TOIVARI-VITALAs Deutung (2001: 17, Anm. 19) verwiesen, wonach der Titel (sDm-aS) „Diener“ analog zu nb.t-pr als Ehrentitel zu verstehen ist, da er fast nur auf Denkmäler für die monumentale Zurschaustellung vorkommt. Die Religionsausübung der mittleren Schichten ist für die 18. Dynastie vor allem durch archäologische Quellen wie Votivund Opfergaben aus Heiligtümern insbesondere der Hathor belegt (PINCH 1993: 344). Zusammen mit den Erkenntnissen aus den beschrifteten Denkmälern derselben Zeit ist es m. E. somit möglich, die Teilnahme an religiös-rituellen Abläufen sozial differenziert zu rekonstruieren. Die Zugehörigkeit zu höheren Gesellschaftsschichten ermöglichte in der 18. Dynastie wie im Mittleren Reich die Herstellung von beschrifteten Denkmälern, die in einem kultischen Kontext aufgestellt werden konnten. Wegen der entsprechend niedrigeren Produktionskosten von unbeschrifteten und auf Vorrat hergestellten Votivgaben eröffnete sich für die mittlere Schicht ebenfalls die Möglichkeit, rituelle Handlungen für private Interessen durchführen zu lassen. Die beschrifteten Denkmäler der 286

287 288 289

290

S. vor allem: jm.j-rA pr-HD: G.18.1, G.18.13, G.18.20; Hr.j-tA at pr-aA m njw.t rsj.t: G.18.8; zXA-nsw: G.18.9, G.18.16, G.18.17, G.18.20; jm.j-rA pr: G.18.9; wab zXA Htp.w-ntr: G.18.18; sA-nsw n KS jm.j-rA xAs.wt rsj.wt: G.18.22. Die Belege G.18.21 und G.18.24 als Denkmäler, die von einer Frau mit dem Titel nb.t-pr „Hausherrin“ gestiftet wurden, gehören typologisch zu den Denkmälern aus der Ramessidenzeit und sind in Deir el-Medina verortet. Sie stammen also aus demselben kulturellen Horizont, der die Beleglage der 19. und 20. Dynastie aufgrund seines spezifischen Status stark beeinflusst. Somit sind diese als ein frühes Beispiel für die ramessidischen Gegebenheiten aus Deir el-Medina und nicht als Hinweis auf die niedrige soziale Herkunft der Stifter in früherer Zeit und im gesamtägyptischen Gebiet zu betrachten. S. vor allem: zXA m s.t-mAa.t: G.20.4; zXA-od: G.19.27); sDm-aS m s.t-mAa.t: G.19.5, G.19.6, G.19.8, G.19.10, G.19.12, G.19.18, G.19.26, G.20.2; nb.t-pr: G.19.11, G.19.12, G.19.24. Man beachte hierbei insbes. Penres militärische Titel (Kat. G.19.19). Aufgrund der Salakhana-Stelen aus dem Grab des Djefaihapi III. vertritt dagegen Terence DUQUESNE (2000: 15) die Meinung, dass die breitgefächerte soziale Herkunft der Stelenstifter an der jeweiligen unterschiedlichen Qualität festzuhalten sei. Hm-nTr tp.j-Priester des Upuaut: z. B. DUQUESNE 2000: 25; Smay.t: DUQUESNE 2000: 28, DERS. 2003: 33; xnyt-Musiker des Upuaut; ms-wdn „Opferbringer“ des Upuaut: DUQUESNE 2002: 18. Dasselbe gilt für den Titel mnjw-jH „Hirte“ der sich mit Sicherheit auf die Herde im Besitz des Tempels des Upuaut bezieht sowie für sDm-aS n pr-HD „Diener des Schatzhauses“ in DUQUESNE 2000: 23.

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Persönlichen Frömmigkeit aus Deir el-Medina, die einer niedrigeren Gesellschaftsschicht zuzuschreiben sind, wurden von Bewohnern der Siedlung und von Arbeitern an der Königsnekropole angefertigt, die freien Zugang zum Produktionsverfahren solcher Denkmäler hatten. Aus diesem Grund entsteht der Eindruck, in der Ramessidenzeit würden niedrigere Gesellschaftsschichten Privilegien höherer Schichten übernehmen. Die Mittelschicht anderer Ortschaften Ägyptens praktizierte dieselbe Form von Religion, wie sie in der 18. Dynastie üblich war. Beschriftete Denkmäler blieben weiterhin Vorrecht der Elite. Diese Deutung findet in den Graffiti eine weitere Bestätigung. Mit Ausnahme derjenigen Fälle, die von Personen signiert wurden, die sich als Schreiber titulierten oder Mitglied der Tempelverwaltung waren, stellt diese Gattung ebenfalls eine Spezialform der Auftragsarbeit dar, die jedoch einer Mittelschicht durchaus auch zugänglich war. Die Anbringung eines Graffito auf einer Felswand nahe einem Prozessionsweg wurde vermutlich ebenfalls von Drittpersonen vermittelt (PINCH 1993: 345), was aber mit weit geringeren Kosten verbunden war. Auf diese Erkenntnisse zurückgreifend kann man m. E. durchaus von einer strukturellen Wandlung in der Teilnahmemöglichkeit an religiös-rituellen Abläufen im Verlauf des Neuen Reiches sprechen. Selbst wenn beschriftete Denkmäler aus kulturellen und ökonomischen Gründen grundsätzlich nur einer Elite vorbehalten waren, entwickelten sich durch die blosse Präsenz von Kulteinrichtungen Formen und Mittel der persönlichen Religionsausübung für eine breitere Klientel. Dazu gehörte wahrscheinlich auch die Verewigung des eigenen Namens zusammen mit der Anbringung eines Hymnenzitats, oder einfach der Name in Verbindung mit dem Lobpreis an eine Gottheit. Dieser Strukturwandel war insbesondere für die mittlere und eventuell für die untere Gesellschaftsschicht von Interesse, da der Elite die gleichen Wege und Formen zur persönlichen Teilnahmen an der Religion weiterhin zur Verfügung standen. 291

II. Autobiographien a) Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich Hinweise auf Persönliche Frömmigkeit lassen sich im Mittleren Reich auch in den Autobiographien verfolgen (BLUMENTHAL 1998). Während in den Dokumenten des Alten Reiches noch eine existentielle Abhängigkeit des privaten Beamten vom König zu erkennen ist, so zeichnet sich in der Ersten Zwischenzeit ein neues Bild ab, wonach die Gaufürsten das eigene Leben von einer Gottheit geleitet glaubten. 292 Tabelle 5 291

292

Das mehrheitliche Auftreten von Schreibern als Stifter von Gebetsdenkmälern wird jedoch nach Dieter KESSLERs (1999: 186ff.) Analyse der Privatstelen aus Deir el-Medina ökonomisch erklärt. So wurde die Mehrzahl der Kultbereiche in Ägypten von Schreiber-Beamten geführt, die dadurch auch zu temporären wab-Priestern werden konnten, die sakrale Aufgaben innehatten. Die zahlreichen Kultinstallationen in ganz Ägypten sind ein Hinweis darauf, dass kultische Handlungen wahrscheinlich nicht nur von einem Berufspriestertum vollzogen wurden. S. Kapitel 5.4 sowie BLUMENTHAL 1998: insbes. 218ff.

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Text A.9/10.?1 (Autobiographie des Anchtify, auf den Pfeilern seines Grabes in Mo’alla, UE 3; Mo’alla)

Datierung Erste Zwischenzeit (9./10. Dynastie)

Inhaber Anchtify

A.10.2 (Grab des Jtj-jbj, Inschrift Nr. III; Assiut)

Erste Zwischenzeit (10. Dynastie)

Jtj-jbj

A.1Zw.?3 Erste Zwischen(Stele MMA zeit 25.2.3; Naga edDerr)

Indi

A.11.1 (Stele BM (96) 159; Abydos)

11. Dynastie

Rudjahau

A.11.2 (Stele Kairo JE 36346; Dra Abu el-Naga)

11. Dynastie

Henun

A.11.3 (Inschrift Hammamat M 110; Wadi Hammamat)

11. Dynastie

Amenemhet

A.11.4 (Stele Louvre C15; Abydos)

11. Dynastie

Abkau

293

Titel jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j,smrwa.tj, Xr.j-Hb, jm.j-rA mSa, Hr.j-tp aA spA.t-s.t-¡r „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorlesepriester, Vorsteher des Militärs, Grosses Oberhaupt des Horusthrongaues“ jrj-pa.t HA.tj-a; xtm.tj-bjt.j; smrwa.tj; jm.j-rA Hm.w-nTr n WpwA.wt „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorsteher der Hm-nTrPriester des Upuaut“ jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smrwa.tj, Xr.j-Hb, HoA *nj „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorlesepriester, Herrscher von This“. jm.j-rA Hm.w-nTr „Vorsteher der Hm-nTr-Priester“

Xr.j-DADA , Xr.j-tp nsw 293

„Vorsteher der Djadja, Höfling“

jrj-pa.t HA.tj-a, jm.j-rA njw.t, TA.tj, jm.j-rA sr.w nb(.w) n wDa-mdw, jm.j-rA dd p.t omA.t tA jnn.t Hapy, jm.j-rA n x.t nb(.t) m tA pn r-Dr=f „Erbprinz und Fürst, Stadtvorsteher, Wesir, Vorgesetzter aller Beamten des Rechtswesens, Verwalter dessen, was der Himmel gibt, dessen was die Erde hervorbringt und dessen, was die Überschwemmung bringt, Verwalter aller Dinge im ganzen Land“ jmAx jm.j-rA „der würdige Vorsteher“

S. dazu Wb.III.396.2.

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A.12.1 (Grabinschrift des Djefaihapi; Assiut)

12. Dynastie

Djefaihapi

A.12.2 (Grabinschrift Sarenputs I. (QH 36); Texte der senkrechten Zeilen auf der Grabfassade, links und rechts der autobiographisch en Türinschrift; Qubbet el-Hawa) A.12.3 (Stele Berlin 1204; Abydos)

12. Dynastie (Sesostri I.)

Sarenput I.

12. Dynastie (Sesostris III.)

Ichernofret

A.13.1 (Stele MM 35.7.55; Kom elAhmar: Hierakonpolis)

13. Dynastie (Sobekhotep III.)

Horemchauef

jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smrwa.tj, jm.j-rA Hm-nTr, mAa n WpwA.wt nb ZAw.t „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorsteher der Hm-nTr -Priester, Wahrhaftiger des Upuaut, Herrn von Assiut“ jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smrwa.tj, jm.j-rA Hm.w-nTr n ¤tT, jm.jrA n xAs.wt nb.w, HA.tj-a n njw.t „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorsteher der Hm-nTr Priester der Satet, grosses Oberhaupt vom ‚Nubierland’, Vorsteher aller Fremdländer, Bürgermeister“ jrj-pa.t, HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smrwa.tj, jm.j-rA pr.wy-nbw, jm.j-rA pr.wy-HD „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorsteher der beiden Goldhäuser, Vorsteher der beiden Schatzhäuser“ Hm-nTr tp.j 294 n ¡r-Nxn, jm.j-rA sx.wt „Hohepriester des Horus von Nechen, Vorsteher der Felder“

Ab der Ersten Zwischenzeit wird der Darstellung vom Wirken und Handeln des Autobiographen gegenüber der Gesellschaft (GNIRS 1996: 197) auch eine Form von direkter Beziehung zu einem Gott hinzu gefügt, die zu dieser Zeit noch Teil der Ausführung des jeweiligen priesterlichen Amtes war. In Kapitel 5.4 wird auf das Verhältnis zwischen dem Amt des Autobiographen und seiner Selbstthematisierung im monumentalen Grabkontext eingegangen und dabei festgestellt, dass das Amt die Basis für die Konstitution nicht nur des eigenen Totenkultes darstellte, sondern auch einer eigenen Identität (FROOD 2007: 1–30). In der Ersten Zwischenzeit wird die persönliche Beziehung zu Gott Teil der Auszeichnung (Distinktion), die der Autobiograph gegenüber seiner Umwelt hervorheben will. Zwar wird in den autobiographischen Texten allgemein die Erlangung des eigenen Amtes auch in Bezug auf einen Eingriff Gottes geschildert, doch ist das Priesteramt zu dieser Zeit noch kein explizites Merkmal für Gottesnähe. Die so294

S. dazu den Kommentar in HAYES 1947: 5 (d).

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ziale Abstammung des Autobiographen aus den höchsten Gesellschaftsschichten ist zunächst noch von den historischen Gegebenheiten selbst bedingt, da es sich dabei um einzelne Gaufürsten handelt, die ihre Machtstellung aufgrund göttlicher Auserwähltheit rechtfertigen. Die Aufstellung eines Denkmals zur eigenen Selbstthematisierung im Rahmen des monumentalen Diskurses war ein Privileg, das ausschliesslich den Inhabern hoher Ämter zustand (ASSMANN 1987: 211). 295 Doch im Gegensatz zu den Hymnen und Gebeten des Mittleren Reiches 296 weisen die Autobiographien, als „Zurechnungssubjekte einer Autobiographie“ (GNIRS 1996: 197) zu verstehen, in den hier aufgelisteten Texten auch einen priesterlichen Titel auf. So tragen Anchtify (Kat. A. 9/10.?1) und Indi (A.1Zw.?3) den Titel „Vorlesepriester“ (Xr.j-Hb), Itj-jbj war „Vorsteher der Priester des Upuaut“ (A.10.2: jm.j-rA Hm.w-nTr n Wp-wA.wt), Rudjahau (A.11.1), Djefaihapi (A.12.1) und Sarenput I. (A.12.2) waren dagegen „Priestervorsteher“ (jm.j-rA Hm.w-nTr), während Horemchauef (A.13.1) die Variante sHD Hm-nTr tp.j angibt. Das Tragen solcher Priestertitel und die Ausführung des entsprechenden Amtes konnte in der neuen gesellschaftlichen Struktur ein Ausgangspunkt für die Erfahrung der Gottesnähe sein. b) Zweite Zwischenzeit und Neues Reich Tabelle 6 Textzeuge A.18.1 (Statue des Amenophis; Memphis)

Datierung 18. Dynastie

Inhaber Amenophis

Titel jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, wr-wr.w, saH smr.w, sr m HA.t Sps.w-nsw, zXA „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Grosser der Grossen, Edler der smr.wBeamten, Beamter an der Spitze der Königsedlen, Schreiber“

A.18.2 (TT 81, Grabinschrift des Ineni; Grabwand; Scheich Abd elGurna)

18. Dynastie (Amenophis I.Thutmosis III.)

Ineni

jrj-pat hA.tj-a, jm.j-rA mXr.w (n Jmn), hA.tj-a m njw.t, jm.j-rA kA.t n Jp.tswt, jm.j-rA pr-HD, jm.j-rA kA.t m Hr.t n.t nsw, zXA „Erbprinz und Fürst, Vorsteher der Getreidespeicher (des Amun), Stadt-

295

296

Dennoch sind insbesondere aus der Gegend von Abydos durchaus Stelen von Stiftern aus mittleren Gesellschaftsschichten belegt, deren Ausführung und Qualität jedoch deutlich niedriger sind. Diese sind im Grabkontext zu verorten und stellen noch keine Form der Gottesnähe dar. Siehe z. B. bei BRESCIANI 1985: 24, 30. Vgl. dazu Kapitel 5.1.1 a)

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A.18.3 (Grabinschrift des Maja; Grab Nr. 14 in Tell el-Amarna)

18. Dynastie (Echnaton)

Maja

A.18.4 (Grabinschrift des Merire, Grab Nr. 4 in Tell el-Amarna)

18. Dynastie (Echnaton)

Merire

A.18.5 18. Dynastie (Grabinschrift in TT (Echnaton)

Ramose

vorsteher, Baumeister in Karnak, Schatzhausvorsteher, Baumeister am Königsgrab, Schreiber“ TAj xw Hr wnm.j nsw, zXAnsw, zXA nfr.w, jm.j-rA pr n sHtp Jtn, jm.j-rA n (pr n) Wa-n-Ra m Jwnw, jm.j-rA kA.t n pr-Ra m Jwnw, jm.jrA kA.t nb(.t) n.t nsw, jm.jrA mSa n nb tA.wy, jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smrwa.tj, zXA-nsw mAa, jm.j-rA mSa n nb tA.wy, jm.j-rA pr n sHtp Jtn „Wedelträger zur Rechten des Königs, Königsschreiber, Rekrutenschreiber, Vorsteher des Hauses ‚Aton zufriedenstellen‘, Vorsteher des (Tempels des) Waenre (Amenophis IV.) in Heliopolis, Baumeister im Tempel des Re in Heliopolis, Vorsteher aller Bauarbeiten des Königs, Führer der Truppen des Herrn der Beiden Länder, Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, wahrhaftiger Königsschreiber, Vorsteher des Militärs des Herrn der Beiden Länder“ xtm.tj-bjt.j, smr wa.tj, Hs.y m nb-tA.wy, wr-mAA.w n pA Jtn m pr Jtn m Ax.t-Jtn, jm.j-rA pr.w-nsw „Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Gelobter des Herrn der Beiden Länder, Grösster der mAA-Priester des Aton im Aton-Tempel in Achetaton, Vorsteher der königlichen Tempel“ Hr.j-tp n tA r-Dr=f, jm.j-rA njw.t; TA.tj

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55; Theben-West) A.19.1 19. Dynastie (Grabinschrift des (Ramses II.) Samut-Kiki, TT 409; Theben-West)

Samut, gen. Kiki

A.19.2 (Grabinschrift des Thotemhab, TT 194; Theben-West, zwischen Scheich Abd elGurna und Assasif)

19. Dynastie

Thotemhab

A.19.3 (Statue Kairo CG 42155; Karnak)

19. Dynastie (Ramses II.)

Bakenchons

A.19.4

19. Dynastie

Bakenchons

„Oberhaupt des ganzen Landes, Stadtvorsteher, Wesir“ Keine Titelauflistung, Ämter in Erzählform erwähnt: zXA mAa m WAs.t „Wahrhaftiger Schreiber in Theben“ jm.j-rA sx.tj n pr Jmn, zXA Hw.t-nTr n pr-Jmn, zXA Hw.t-nTr n Jmn, zXA Htp-nTr n pr-Jmn, zXA n pr-Jmn, zXA nsw „Weidenvorsteher des Amuntempels, Schreiber des Amuntempels (Karnak), Schreiber des Amun, Schreiber der Gottesopfer der Domäne des Amun, Schreiber der Domäne des Amun, Königsschreiber.“ jrj-pa.t HA.tj-a, Hr.j-sStA m p.t tA dwA.t, wr mAA.w n Ra m WAs.t, sm wr sxm n PtH; jt-nTr n Jmn, Hm-nTr 3 n Jmn, Hm-nTr 2 n Jmn, jm.jrA Hm.w-nTr n nTr.w nb.w m WAs.t, Hm-nTr tp.j n Jmn, jm.j-rA kA.t xnt.j WAs.t „Erbprinz und Fürst, Vorsteher der Geheimnisse im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt, Grosser der mAA-Priester des Re in Theben, sm-Priester und Grosser der Ämter des Ptah, Gottesvater des Amun, Dritter Hm-nTrPriester des Amun, Zweiter Hm-nTr-Priester des Amun, Vorsteher der HmnTr-Priester von allen Göttern in Theben, Erster der Hm-nTr-Priester des Amun, Oberbaumeister in Theben“ jrj-pa.t HA.tj-a, Hr.j-sStA m

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(Statue München Glyptothek W.A.F.38; Theben)

(Ramses II.)

p.t tA dwA.t, wr mAA.w n Ra m WAs.t, sm wr sxm n PtH, jt-nTr n Jmn, Hm-nTr 3 n Jmn, Hm-nTr 2 n Jmn, jm.jrA Hm.w-nTr n nTr.w nb.w m WAs.t, Hm-nTr tp.j n Jmn, jm.j-rA kA.t xnt.j WAs.t, „Erbprinz und Fürst, Vorsteher der Geheimnisse im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt, Grosser der mAAPriester des Re in Theben, sm-Priester und Grosser der Ämter des Ptah, Gottesvater des Amun, Dritter Hm-nTr-Priester des Amun, Zweiter Hm-nTrPriester des Amun, Vorsteher der Hm-nTr-Priester von allen Göttern in Theben, Erster der Hm-nTrPriester des Amun, Vorsteher der Arbeiten in Theben“

Erst in der Ramessidenzeit zeichnet sich eine niedrigere Gesellschaftsschicht als Autoren/Assertoren von Autobiographien aus, wobei dies aufgrund des Zusammengehens von Gebetstexten und Autobiographien in dieser Zeit (FROOD 2007: 20–21, 24–26) stets zusammen mit den Hinweisen aus den Gebetstexten untersucht werden muss. Das Privileg der Selbstthematisierung bleibt bis zum Ende der 18. Dynastie den höheren Schichten der Gesellschaft vorbehalten und beruht weiterhin auf dem Status, das das ausgeübte Amt mit sich bringt. In der Ramessidenzeit bleibt das Amt die grundlegende Voraussetzung für die Anfertigung einer autobiographischen Inschrift. Aber aufgrund der zunehmenden Gewichtung, die der direkten Beziehung von Mensch zu Gott gegeben wird, treten jetzt Ämter in den Vordergrund, die sich innerhalb der Tempelinstitutionen und ihrer Aktivitäten verorten lassen (so auch GNIRS 1996: 234, FROOD 2007: 22). Generell ist in der Ramessidenzeit ein Wechsel im Medium zu konstatieren. Autobiographien wurden jetzt nur noch selten wie in früheren Zeiten in Gräbern angebracht, sondern mehrheitlich auf Statuen und Stelen, die hauptsächlich in den öffentlich zugänglichen Teilen von Tempeln aufgestellt wurden. Die Vorplätze und Höfe der Tempel wurden sozusagen die Bühne für die individuelle Selbstpräsentation, in welcher wie eingangs gesagt das direkte Verhältnis zum Gott besonders hervorgehoben wird (FROOD 2007: 20–23).

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III. Briefe Der private Briefaustausch insbesondere im Neuen Reich stellt eine wichtige Informationsquelle für die Rekonstruktion der persönlichen Suche nach Gottesnähe in Ägypten dar (SWEENEY 1985, BAINES 2002, BICKEL 2003a) und wird daher in Kapitel 5.3.2 der vorliegenden Arbeit näher untersucht. Aufgrund der relativ niedrigen Literarizitätsquote in Ägypten (BAINES/EYRE 1983: 65–72) 297 wird angenommen, dass sich Personen, die über keine Ausbildung verfügten, an professionelle Schreiber wandten, um ihre Briefe womöglich gegen eine entsprechende Bezahlung verfassen zu lassen (WENTE 1990: 8). Da aber bislang keine eindeutigen Belege vorhanden sind, die eine solche Bezahlung beweisen (BAINES/EYRE 1983: 75) und bisher auch Hinweise auf ein offiziell organisiertes Postsystem fehlen, ist vielmehr davon auszugehen, dass man sich als Privatperson an einen Bekannten oder Freund wandte, um den Brief schreiben zu lassen und dass dieser ebenfalls auf privatem Wege zum Adressaten gelangte, durch jemanden, der die Reise zum gewünschten Ort unternahm (BAKIR 1970: 29–31, WENTE 1990: 8–9, 11). Theoretisch bestand also die Möglichkeit, auch ohne Schreiberausbildung auf schriftlichem Weg zu korrespondieren; Briefe wurden diktiert und wenn nötig dem Empfänger auch vorgelesen. Unter einem soziologischen Blickwinkel wird hier weniger die Tatsache untersucht, ob die Absender der Briefe auch tatsächlich die Verfasser waren, da dies im Allgemeinen eine noch offene Frage ist. Das Interesse liegt vielmehr in der Verbindung zwischen dem Titel des Absenders und der religiös gearteten Botschaft, die der Brief enthält, obwohl die bestehenden Konventionen des Briefformulars die Betrachtung unwillkürlich eingrenzen. 298 a) Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich Was die Konventionen anbelangt, so spiegelt das Briefformular vom Alten bis zum Mittleren Reich ein Bewusstsein für das soziale Verhältnis zwischen Absender und Empfänger wider. Der Empfänger wird zu dieser Zeit als „Herr“ angesprochen, wenn der soziale Status des Absenders niedriger war (Kat. B.12.1–3) als derjenige des Empfängers. Im Falle eines gleichen Ranges beider Parteien bezeichnet sich der Absender als „dein Bruder“ (WENTE 1996: 10). Dies impliziert für die hier betrachtete Zeit eine gesellschaftliche Schichtung (HOFMANN 2005: 59, LOPRIENO 1997: 235), in der das Spannungsfeld zwischen unteren und oberen sozialen Schichten so gross war, dass dies in den Briefen deutlich hervorgehoben wurde. Dieser Umstand lässt sich nach John BAINES (2002: 6) auch in der Zusammensetzung der ersten Belege der Wünsche des Absenders feststellen, der Empfänger möge in der Gunst einer Gottheit sein, 299 welche in die Regierungszeit Amenemhet III. datieren. Dementsprechend würde in den an die Vorgesetzen adressierten Briefe, das menschliche und göttliche Weltbild im Formular hierarchisch folglich so wiedergegeben, dass der König der erste Mittler dieser Wün297 298 299

S. dazu jedoch die unterschiedliche Ansicht zu diesem Thema von JANSSEN 1992. S. Kapitel 5.3.2. Zur Entwicklung des Briefformulars s. Kapitel 5.3.2.

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sche ist und diese idealiter den danach aufgelisteten Göttern weiterleitet. Dies lässt sich m. E. am vorhandenen Material jedoch nicht beweisen: Die Erwähnung des Königs erfolgt nicht immer an erster Stelle (vgl. z. B. B.12.1), da er in dieser Auflistung vielmehr als ein primus inter pares gesehen wird, in dessen Gunst man sich zu sein wünscht. Zur Veranschaulichung des Verhältnisses zwischen den Ausdrucksformen persönlicher Religiosität und der sozialen Schichtung anhand der Briefe sei hier auf die folgende Tabelle verwiesen, in der stellvertretend für die vorliegende Fragestellung einige Belege zusammengestellt wurden: Tabelle 7 Text

Herkunft

Datierung

Kontext B.12.1 (P.Kahun VI.6)

Kahun

B.12.2 (P.Kahun II.2)

Kahun

B.12.3 (P.Kahun III.4)

Kahun

12. Dynastie (Amenemhet III.)

12. Dynastie (Amenemhet III.)

12. Dynastie (Amenemhet III.)

Absender

Empfänger

Titel

Titel

Iyib

Sehetepib

bAk n pr-D.t „Diener des Grabes“. Neni

jm.j-rA pr “Vorsteher des Hauses“. Iyib

bAk n pr-D.t „Diener des Grabes“. Chemem

jm.j-rA pr “Vorsteher des Hauses“. unbekannt

bAk n pr-D.t jm.j-rA a-Xnw.tj „Diener des „Kammerherr“. Grabes“.

Die Absender dieser drei Briefe tragen alle denselben Titel des bAk n pr-D.t „Diener des Grabes“, was nach WENTE (1990: 10) ein gezielter Akt der Bescheidenheit gegenüber einem sozial höher gestellten Empfänger war und Teil der kulturellen Sitte im Mittleren Reich war, wie es aus dem Gesamtüberblick der Briefe aus jener Zeit herauszulesen ist. Da diese Briefe im Unterschied zu denjenigen des Neuen Reiches ausser der Grussformel keine Hinweise auf eine persönliche Religionspraxis geben, sind diese Belege für die Frage der Entstehungszeit solcher Standardformulare mit Erwähnung der Götter und deren Bezug zum Individuum von grossem Interesse. b) Zweite Zwischenzeit und Neues Reich

Das Verhältnis zwischen der sozialen Stellung des Absenders und derjenigen des Empfängers ist in den Briefen des Neuen Reiches von zentraler Bedeutung, da sie den Briefstil zu beeinflussen scheint. Dazu ist aber zu bemerken, dass diejenigen Briefe, die zwi-

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schen gebildeten sozial gleichgestellten Personen kursierten, eine komplexere Grussformel aufweisen (BAINES 2001: 15; Kat. B.20.1–4, 20.7–8, 20.10). Tabelle 8 Textzeuge

Herkunft Kontext

Datierung

Absender Titel

Empfänger Titel

B.18.1 (P.Deir el-Bahari 2)

Deir el-Bahari

18. Dynastie (Hatschepsut)

Tit (m)

Thot (m)

keine Angaben

keine Angaben

B.18.2 (P.BM 10102)

Theben West

Mentuhotep (m)

Ahmose von Peniati (m)

HA.tj-a „Erbprinz“

zXA „Schreiber“

Teti (m)

Ahmose von Peniati (m)

Keine Angaben (junger Schreiberschüler) Ramose (m)

zXA „Schreiber“

B.18.3 (P.Louvre 3230a)

HatschepsutTempel

keine Angaben

keine Angaben keine Angaben

18. Dynastie (Hatschepsut)

18. Dynastie (Amenophis I.Thutmosis III.)

B.18.4 (P.Robert Mond 1)

Tell el-Amarna keine Angaben

18. Dynastie (Echnaton)

B.18.5 (P.Robert Mond 2)

Tell el-Amarna

18. Dynastie (Echnaton)

B.19.1 (P.Northumberland I)

keine Angaben

B.19.2 (P.Leningrad 1117 (P.St. Petersburg I)

keine Angaben

keine Angaben Piramesse keine Angaben

19. Dynastie (Ramses I.Sethos I.) 19. Dynastie (Ramses II.)

Meh (m)

(pA) sgnn „Salbenkocher (am Hof von Meritaton)“

zXA m pr-HD „Schreiber im Schatzhaus“

Ramose (m)

Scherire (w)

pA sgnn „Salbenkocher (am Hof von Meritaton)“.

nb.t-pr „Hausherrin“

Meh (m)

Yey (m)

zXA „Schreiber“

zXA „Schreiber“

Werdjehuty (m).

Su (m)

zXA-nsw; Xr.j-Hb „Königsschreiber

jm.j-rA n pr-PtH „Vorsteher des

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Vorlesepriester“

Ptahtempels“

Nebmehy (m)

Huy (m)

zXA „Schreiber“

zXA „Schreiber“

19. Dynastie

Pay (m)

Re(emhab) (m)

B.19.5 Sakkara (?) (P.BM 10184 vso. (P.Sallier IV, vso.)

19. Dynastie

zXA-od „Zeichner“ Setjka (w)

zXA-od „Zeichner“ Sachmetneferet (w) Smay.t n Jmn „Amunsängerin“

B.20.1 (P.Berlin 10494)

20. Dynastie

Smay.t n ¡w.t-@r Hr.j.t nb.t hAy Sma.w „Sängerin der Hathor, Herrin der südlichen Sykomore“ Tjaroy (m) Tjaroy: zXA (n pA) xr „Nekropolenschreiber“

zXA mSa n tA Hw.t-nsw WsrmAa.t-Ra MryJmn „Schreiber der Truppe des Tempels des Königs Usermaatre Meriamun“ B.20.2: Butehamun (m): zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“

B.19.3 (P.St. Petersburg 1119) B.19.4 (O.Berlin 11247)

B.20.2/3/4 (P.Leiden I 369 P.Leiden I 370 P.Griffith)

keine Angaben keine Angaben keine Angaben

19. Dynastie

keine Angaben

Deir el-Medina Grab? 300

Deir el-Medina

20. Dynastie

Thutmosis (m)

keine Angaben

Pentahunacht (m)

B.20.3: Butehamun (m) und Schedemdua (w): zXA n pA xr „Nekropolen300

ČERNÝ 1939: XV.

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schreiber“. Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ B.20.4: Butehamun (m) und Hemescheri (w): zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“. Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ zXA n pA xr aA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren von Pharao“

B.20.5 (P.BM 10417)

Deir el-Medina

B.20.6 (P.BM 10300)

Deir el-Medina

20. Dynastie

keine Angaben

keine Angaben

20. Dynastie

Amenophis (m)

Butehamun: zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“ Schedemdua: Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ Hemescheri: Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ Thutmosis (m)

Hm-nTr (n JmnHtp) „Erster Hm-nTrPriester (von Amenophis I.)“

zXA n pA xr aA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“

Hekanefer (m)

Thutmosis (m)

Hm-nTr sn 2 n Jmn-Ra „Zweiter Hm-nTrPriester des Amun-Re“

zXA n pA xr aA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und

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noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ B.20.7 (P.Turin 1973)

Deir el-Medina

20. Dynastie

keine Angaben

B.20.8 (P.BM 10284)

B.20.9 (P.Genf D192)

Deir el-Medina

20. Dynastie

20. Dynastie

keine Angaben

B.20.10 (P.Bibliothèque Nationale 196 II)

Deir el-Medina keine Angaben

Butehamun (m)

zXA n pA xr aA Sps.j zXA n pr-xr „Nekropolenn HH m rnp.wt n schreiber“ pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“

keine Angaben

Deir el-Medina

Thutmosis (m)

20. Dynastie

Butehamun (m)

Schedsuhor (m)

zXA n pr-xr „Nekropolenschreiber“

Hm-nTr n ¡w.t@r „Hm-nTrPriester der Hathor“ Thutmosis (m)

Paianch (m) Hsw „Sänger“

zXA n pA xr aA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“

Tjaroy (m) (Thutmosis)

Karoy (m) und Butehamun (m)

zXA n pr-xr aA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“

Karoy: sAw n pr-xr aA Sps.j n pr-aA „Wächter der grossen und noblen Nekropole des Pharao.“ Butehamun: zXA n pr-xr aA

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Sps.j „Schreiber in der grossen und noblen Nekropole“ B.20.11 (P.Turin 1971)

Deir el-Medina

20. Dynastie

keine Angaben

Butehamun (m), Schedsu (w), Hemescheri (w)

Thutmosis (m)

Butehamun: zXA n pr-xr „Nekropolenschreiber“.

zXA n pA xr aA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“

Schedsu: Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ Hemescheri: Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ B.20.12 (P.Phillipps)

B.20.13 (P.Nevill)

B.20.14 (P.BM 10326)

Deir el-Medina

20. Dynastie

keine Angaben

unbekannt

Deir el-Medina keine Angaben

20. Dynastie

20. Dynastie

Amenophis (m)

Thutmosis (m)

Hm-nTr (n JmnHtp) „erster Hm-nTrPriester (von Amenophis I.)“

unbekannt

zXA n pA xr aA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Orakelgottheit

unbekannt

-

zXA-nsw „Königsschreiber“.

-

Thutmosis (m)

Butehamun (m), zXA n pA xr aA Sps.j Schedemdua (w), n HH m rnp.wt n Hemesheri (w) pr-aA

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„Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren von Pharao“

Butehamun: zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“ Schedemdua: Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ .

Hemescheri: Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ B.20.15 (P.Genf D 407)

Deir el-Medina

20. Dynastie

keine Angaben

B.20.16 (P.Bibliothèque Nationale 197, IV)

Deir el-Medina

B.20.17 (P.Bibliothèque Nationale 199,59+196,V+198, IV)

Deir el-Medina

20. Dynastie

keine Angaben

keine Angaben

Butehamun (m)

Thutmosis (m)

zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“

zXA n pA xraA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“

Thutmosis (m)

Kar (m)

zXA n pA xr aA Sps.j sAw „Wächter“ n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ 20. Dynastie

Thutmosis (m)

Butehamun (m)

zXA n pA xr aA Sps.j zXA n pA xr „Nekropolenn HH m rnp.wt n schreiber“ pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des

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Pharao“ B.20.18 (P.Genf D191)

Deir el-Medina keine Angaben

20. Dynastie (Ramses IX.)

keine Angaben

B.20.19 (P.Turin 1975)

Deir el-Medina

20. Dynastie

keine Angaben

B.19.5 (P.BM 10184 vso. 1.1-)

Sakkara

B.20.20 (P.Bologna 1094, 10.9-11.4)

Memphis /Sakkara

Henuttaui (w)

Nesamenope

Smay.t n Jmn „Amunsängerin“

zXA „Schreiber“

zXA n pA xr aA Sps.j n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Paianch

zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“

Tjaroy (Thutmosis)

jm.j-rA mSa n pr-aA zXA n pA xr „Führer der „NekropolenTruppen von schreiber“ Pharao“ 19. Dynastie (Ramses II.)

Grab 20. Dynastie

Setjka (w)

Sechmetneferet (w)

Smay.t n ¡w.t-¡r „Hathorsängerin“ Puhem

Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ Anherrekh

zXA „Schreiber“

zXA „Schreiber“

Die Titel von Absender und Empfänger der Briefe, in denen religiös-rituelle Akte der Anbetung oder des kultischen Vollzugs erwähnt werden, gehören in der Zeit von der 18. Dynastie bis zum Ende der Ramessidenzeit vor allem Schreibern und Zeichner (B.18.2– 6, B.19.1–4, 19.10–20.12, 20.14–20.17) und Tempelpersonal (B.19.5, 20.1–6, 20.9, 20.11–20.12, 20.14). Dabei tritt keine Berufsgruppe in Bezug auf Kulthandlungen für private Zwecke besonders hervor: Schreiber, die in ihrer Titulatur keine Verbindung zum Kultgeschehen aufführen, werden in den Briefen gebeten, bestimmte Kultakte auszuführen. Die berufliche Einbindung im Tempel scheint somit keine entscheidende Eigenschaft in diesem Zusammenhang zu sein. Vielmehr wurde der rituelle Akt, wie z. B. die Wasserspende (Kat. B.20.7) oder die Orakelbefragung (Kat. B.20.5), sehr wahrscheinlich von einem Priester durchgeführt, der dafür zuständig war. Es verwundert somit nicht, dass in B.20.5 die Orakelbefragung durch den Hm-nTr-Priester von Amenophis I. durchgeführt wurde, der den Ritus in einem Zustand der Reinheit (wab) reali-

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sierte (B.20.12). Da dies jedoch nur in diesem Fall thematisiert wird, ist dies als weiterer Beleg dafür zu werten, dass in den Fällen, in denen ein Schreiber um den Kultvollzug gebeten wird, er ihn nicht selber ausführte (vgl. dazu auch SWEENEY 1985: 214). Die Bitte um Wasserspende zugunsten einer fernen Person 301 ist somit als eine Bitte zu verstehen, sich an einen Tempel oder an ein Heiligtum zu wenden, in welchem Rituale durch entsprechendes Priesterpersonal vollzogen wurden. In diesem Sinne spielt der eigentliche Beruf eine untergeordnete Rolle, obwohl die Einbindung in die Tempelinstitution mit Sicherheit als vorteilhaft empfunden wurde. Dementsprechend sind wahrscheinlich auch die Briefe zu deuten, in denen dieselbe Bitte mehreren Personen angetragen wurde (Kat. B.20.4). Trotz des inoffiziellen Entstehungskontextes der Briefe, die jenseits der formellen Aspekte ihres Formulars, Angelegenheiten aus dem Alltagsleben in den Vordergrund stellen, scheinen sie Traditionen und Sitten religiöser Art zu überliefern, die innerhalb derjenigen Kreise aktuell waren, die mit der Institution des Tempels wegen ihres Berufes verbunden waren. Inwiefern diese Bräuche auch Personen ausserhalb dieses Kreises tangierten ist schwer zu sagen, obwohl die in der vorliegenden Arbeit mehrmals erwähnten Votivgaben, welche für die 18. Dynastie nachweisbar sind (PINCH 1993), in situ in den Heiligtümern entdeckt wurden und einer mittleren Gesellschaftsschicht zuzuschreiben sind. Es besteht allerdings kein Grund daran zu zweifeln, dass diese für die 18. Dynastie belegte Sitte in der Ramessidenzeit aufgegeben wurde, nur weil solche Votivgaben für diese Zeit nicht mehr nachweisbar sind. Vielmehr belegt deren Präsenz in Heiligtümern der Spätzeit und der griechisch-römischen Zeit eine bereits bestehende Tradition dieser Abläufe, die jedoch in der Ramessidenzeit wahrscheinlich andere Ausdrucksmittel fand (BAINES 2001: 30–31).

IV. Schriftzeugnisse aus dem Siedlungsbereich a) Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich Im Mittleren Reich lassen sich insbesondere auf Elephantine Wohnhäuser mit steinernen Türgewänden nachweisen, deren Bewohner anhand ihrer Namen und Titel auf diesen Türwänden identifiziert und einer hohen Gesellschaftsschicht zugeordnet werden können (BUDKA 2001: 69). Steinerne Haustüren stellten eine Luxusvariante zu den gängigen hölzernen Türen dar und konnten somit nur in einer entsprechenden sozialen Position überhaupt erst erworben werden. Zu dieser Zeit sind jedoch Verehrungsszenen der Königskartusche oder einer Gottheit durch den privaten Bewohner des Hauses noch nicht belegt. 302 Diese sind erst in der 18. Dynastie unter Thutmosis III. belegt und fanden ihren Weg vom Grabportal in den Siedlungsbereich (BUDKA 2001: 8ff.). Aus diesem Grund kann über das Verhältnis zwischen den sozialen Gesellschaftsschichten und deren religiösen Ausdrucksformen im Siedlungsbereich für die Zeit vor dem Neuen Reich keine Aussage getroffen werden. 301 302

S. Kapitel 5.3.2. S. dazu Kapitel 5.3.1.

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b) Zweite Zwischenzeit und Neues Reich Tabelle 9 Text Ar.18.1 (Türpfosten)

Kontext Siedlung (Aniba)

Datierung 18. Dynastie (Thutmosis III.)

Inhaber Nehj

Titel jrj-pa.t HA.tj-a, wHm.w-nsw, jm.j-rA rwy.t, sA-nsw, jm.jrA xAs.wt rsj.wt „Erbprinz und Fürst, königlicher Herold, Vorsteher der Wache, Königssohn, Vorsteher der südlichen Länder“

Ar.18.2 (Türpfosten Berlin 20376) Ar.18.3 (Türpfosten)

Siedlung (Tell elAmarna) Siedlung (Tell elAmarna) Siedlung (Tell elAmarna)

18. Dynastie (Echnaton)

Maanachtuef

18. Dynastie (Echnaton)

unbekannt

jm.j-rA od.w m Ax.t-Jtn „Oberbaumeister in Achetaton“. unbekannt

18. Dynastie (Echnaton)

Ranefer

18. Dynastie (Echnaton)

unbekannt

18. Dynastie

Nechuempaaton

18. Dynastie (Echnaton)

Ramose

18. Dynastie

Panehsi

xtm.tj-bjt.j „Siegler des unterägyptischen Königs“

Siedlung? (Sama'naKanal)

19. Dynastie (Ramses II.)

Setepenre

jrj-pa.t HA.tj-a, sA-nsw „Erbprinz und Fürst, Königssohn“.

Siedlung? (Birket essab)

19. Dynastie (Ramses II.)

Meriatum

wpj nsw r xAs.wt nb.wt, jdnw n tA-nt-Htrj n nb tA.wy tA-mHw Jmnt.t „königlicher Gesandter in jedes Fremdland, Leutnant

Ar.18.4 (Türpfosten)

Ar.18.5 (Türsturz) Ar.18.6 (Türsturz) Ar.18.7 (Doppelnische des Ramose) Ar.18.8 (Grab des Panehsi; Rechter Türsturz) Ar.19.1 (Türgewände) Ar.19.2 (Türsturz Hannover Kestner Museum 1925.186)

Siedlung (Tell elAmarna) Siedlung (Tell elAmarna) Siedlung (Tell elAmarna) Grab (Tell elAmarna)

kTn tp.Kj n Hm=f, jm.j-rA ssm.t n jH.wt r Dr=f „Erster Wagenlenker Seiner Majestät, Vorsteher der Pferde des ganzen Stalles“ unbekannt Hr.j-pD.t, jm.j-rA ssm.t „Truppenführer, Vorsteher der Wagentruppe“ zXA-nsw „Königsschreiber“

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Ar.20.1 (Türsturz und Fragmente des rechten Türpfosten Kairo TR 30/1/35/1a-e -S50/56-) Ar.20.2 (Türsturz aus dem Amunbezirk in Karnak) Ar.19/20?.1 (Relief und Graffito auf dem Block C148 aus dem ChnumTempel von Elephantine)

Siedlung? (Qantir)

Amunbezirk Karnak Chnumtempel (Elephantine)

20. Dynastie (Ramses III.)

20. Dynastie in (Ramses XI.)

Iyry

Penherischef

Ramessiden- Graffito 1: zeit (keine Bak; Graffito genauere 4: Merire. Angabe), Block: 18. Dynastie.

der Streitwagengruppe des Herrn der Beiden Länder und des Westlandes“ zXA-nsw, jm.j-rA wab(.w) n BAst.t/¤xm.t, Xr.j-Hb [tp.j] „Königsschreiber, Vorsteher der wab-Priester der Bastet/Sachmet, [oberster] Vorlesepriester“ aA n pA Hm-nTr snw n JmnRa, jm.j-rA mSa „Chef des zweiten Hm-nTrPriesters von Amun-Re, Vorsteher des Militärs“ Merire: zXA pr-HD n nb tA.wy „Schreiber des Schatzhauses des Herrn der Beiden Länder“

Der in Kat. Ar.18.1 erwähnte Nehj, Vizekönig von Kusch, unter Thutmosis III., ist mehrfach in Aniba, auf Elephantine und in Sai belegt und ist somit der für die 18. Dynastie am häufigsten belegte Inhaber von privaten Türgewänden mit einem Bildprogramm zur Königsverehrung (BUDKA 2001: 69). Die Inhaber von beschrifteten und bebilderten Türgewänden, sowohl in Gräbern als auch im Siedlungskontext in Tell elAmarna (Kat. Ar.18.2–8), gehören alle einer elitären Gesellschaftsschicht an, wobei die Gesamtbetrachtung der Beleglage, die in Julia BUDKAs Studie (2001: 69ff.) über das hier streng auf das Zeugnis von Gebeten beschränkte Material hinausgeht, eine Zugehörigkeit der Beamten zur Hofverwaltung, zum Militär sowie zur Priesterschaft erkennen lässt. Die soziale elitäre Abstammung der Inhaber solcher Türgewände lässt sich auch aufgrund der Architektur der Wohnhäuser nachweisen, was darauf hindeutet, dass der soziale Rang des Hausinhabers einen deutlichen Einfluss auf die Gestaltung der Haustür hatte – wobei detaillierte Unterschiede in den einzelnen Berufskategorien in dieser Hinsicht nicht feststellbar sind. Diese Tendenz lässt sich grundsätzlich auch in der Ramessidenzeit erkennen, wie die Stiftungsangabe der Gebetstexte an den Türgewänden von Kat. Ar.19.1–19/20?.1 belegen, die Titel aus den höchsten Rängen der Hof- und Priesterämter beinhalten, wobei das Material einen Schwerpunkt zugunsten der Hofämter gegenüber den Priesterämtern erkennen lässt (BUDKA 2001: 71). Im Folgenden seien die Ergebnisse von Julia BUDKAs Studie (2001: 71–73) kurz zusammengefasst, um daraus Rückschlüsse für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit zu ziehen. Ausgehend von der Elite bis zur untersten fassbaren Schicht ergibt die Analyse der Mitglieder der einzelnen Gesellschaftsschichten, dass die Ramessidenzeit den Angehörigen der Königsfamilie den Vorzug gab, in der

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Residenzstadt Piramesse, Memphis, Heliopolis und Hermopolis zu wohnen. Hofbeamte (jrj-pa.t HA.tj-a „Erbprinz und Fürst“, TA.tj „Wesir“, jm.j-rA njw.t „Stadtvorsteher“) sind in den Siedlungen schon seit der 18. Dynastie belegt und hatten ihren Wohnsitz in Aniba, Amarna, Qantir, Memphis, Heliopolis oder Elephantine. Schliesslich belegen Siedlungen in Nubien, darunter vor allem Aniba und Amara, die Präsenz von insgesamt 18 Vizekönigen von Kusch, sowie anderer Stellvertreter (jdnw) des ägyptischen Königs (Ar.19.2). Der „Erste Wagenlenker Seiner Majestät und Vorsteher der Pferde des ganzen Stalles“ Ranefer aus Tell el-Amarna (Kat. Ar.18.4) stellt den ersten schriftlichen Beleg für die Ansässigkeit eines Militärs im Siedlungsbereich dar. Dies verweist auf eine soziokulturelle Innovation insbesondere am Ende der 18. Dynastie, in der das Militär durch ein stetig wachsendes Ansehen eine selbstständige soziale Gruppierung innerhalb der Mittelschicht bildete, bis sie gerade in der Ramessidenzeit und in der Dritten Zwischenzeit zu einer eigenen Machtgruppe aufstieg. Kat. Ar.20.2, datierbar in die Zeit Ramses’ XI., bezeugt diesbezüglich das Zusammengehen von Priestertiteln mit Militärrängen, was als Zeichen des soeben beschriebenen Machtaufstieges des Militärs gelten kann. Die Türgewände von Kat. Ar.18.2 belegen Maanachtuef als Inhaber, dessen Titel („Oberbaumeister in Achetaton“) ihn in der Mittelschicht verortet und gleichzeitig die hohe Qualität seiner Haustür (so BUDKA 2001: 73) erklärt. Julia BUDKAs Studie zufolge sind zudem auch einige dekorierte Türpfosten aus Deir el-Medina belegt, anhand derer der bescheidene Wohlstand der Bewohner der Arbeitersiedlung deutlich zutage tritt (BUDKA 2001: 73). In Kapitel 5.3.1 wird auf die Möglichkeit verwiesen, dass der Standardisierungsbzw. der Individualitätsgrad der Texte an Türgewänden vom Beruf des Inhabers abhängig ist. Da jedoch die Texte mit einem ausführlichen persönlichen Gebet in den Belegen des Siedlungskontextes die Minderheit darstellen, verwundert deren komplexe und formelle Gestaltung, die sich von derjenigen der einfachen Anrufungen unterscheidet, nicht. Ein Unterschied, der auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist, kann für die Gebetstexte nicht mit derselben Sicherheit proklamiert werden, wie es bei der architektonischen Gestaltung der Wohn- und Haustürarchitektur der Fall ist (BUDKA 2001: 69). Dies ist wahrscheinlich durch die Tatsache zu erklären, dass die Stifter solcher Texte an ihrer Haustüre alle mehrheitlich aus einer hohen sozialen Schicht stammten. Die Kenntnis solcher Texte aufgrund des eigenen Berufes – wie es bei Schreibern oder Priestern der Fall war – kann einen zusätzlichen Einfluss gehabt haben und ist bei Kat. Ar.18.5, Ar.18.7 303 aber auch bei Ar.20.2 feststellbar. Penherischef, Oberhaupt der Hm-nTrPriester des Amun-Re in Karnak, widmet einen komplexen Hymnus an Amun-Re mit der Absicht, seine religiös-theologische Kenntnisse besonders hervorzuheben. Dennoch spielt hier wie auch anderswo die lokale Herkunft der Texte eine wichtige Rolle: Kat. Ar.20.2 stammt aus dem Amun-Bezirk in Karnak, während z. B. der Bezug zum Königspalast in Qantir den Inhalt von Kat. Ar.20.1 ebenfalls entsprechend beeinflusst hat. Unterschiede zwischen den einzelnen Berufen im Hinblick auf die abgefassten Texte sind somit mit Vorsicht zu behandeln und sollen vielmehr im Vergleich zu denjenigen Texten untersucht werden, die beispielsweise an Türrahmen von Häusern in Deir elMedina angebracht wurden und die einer im Verhältnis niedrigeren Gesellschaftsschicht 303

S. Kapitel 5.3.1.

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zuzuschreiben sind – obwohl dabei der ungewöhnlich hohe Literarizitätsgrad der Bewohner der Arbeitersiedlung miteinbezogen werden muss. 4.1.3

Auswertung

Eine der Ausgangsfragen des vorliegenden Kapitels war, ob bestimmte soziale Schichten auch Träger einer bestimmten Religiosität waren. Aufgrund der vorhandenen Beleglage kann dies nicht behauptet werden, selbst wenn einzelne Hinweise darauf durchaus erkennbar sind. Die Verwendung von bestimmten Ausdrucksformen der persönlichen Religionspraxis war durch den Zugang zu Texten vorgegeben, die in Kulturzentren produziert wurden. Darüber hinaus spielte das Dekorum der jeweiligen Epoche eine ebenfalls zentrale Rolle. Eine Verbindung zwischen dem bekleideten Amt und der angebeteten Gottheit kann wohl in Einzelfällen beobachtet werden, ist aber keineswegs eine allgemeingültige Tatsache. Die Gebete, die z. B. in den sog. Schülerhandschriften Thot gewidmet sind (P.Anastasi III, 4.12–5.5, 304 P.Anastasi IV, 10.5–8, 305 P.Anastasi V, 9.2– 10.2 306 und P.Sallier I, 8.2–7 307) sind im Sinne des zu und erlernenden Schreiberberufes zu verstehen. 308 Die Beziehung zum Gott kann in den Autobiographien generell geographisch bedingt sein. Dies zeigt sich insbesondere in der Ersten Zwischenzeit, als diese persönliche Beziehung auch der Grund für das Bekleiden eines Amtes oder die Machtausübung durch den Autobiographen war. Die Ortsgebundenheit der Gottheit scheint auch in den Gebeten grundsätzlich eine wichtige Rolle zu spielen. Bis auf einige wenige Beispiele, zu denen die Stele Elephantine 2308, die Qenen und Nebnacht gehört – beide Inhaber von Gräbern in Deir el-Medina – im sog. Heiligtum Y in einem Haus auf Elephantine (KAISER et alii 1990: 210–211) für Chnum, Amun-Re und Mertseger, sind die verehrten Gottheiten im Ort des Stifters in Form von zugänglichen Bildern oder in einem Heiligtum präsent. Dies belegen indirekt auch die Bitten des Schreibers Thutmosis an seinen Sohn Butehamun. In der Grussformel bittet er zwar alle Gottheiten, an denen er vorbeigeht, um die Gesundheit seines Briefempfängers, aber die Bitte um den Vollzug der für ihn wirksamen Rituale richtet er jedoch einzig und allein an seinen Stadtgott Amun. Die Stadtzugehörigkeit bedeutet – auf einem höheren Abstraktionsniveau gesehen – auch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gott (VERNUS 1977, LANG 1983) und somit das identitätsstiftende Merkmal für einen Beter. Die Gottesnähe äusserte sich an erster Stelle in einer physischen und lokalen Nähe und bedeutete somit auch eine unmittelbare Zugangsmöglichkeit. Dies wird besonders im Neuen Reich deutlich, als Amun-Re in seiner synkretistischen Verbindung mit Osiris als Nachtsonne als Unterweltsgottheit verehrt wurde (BOMMAS 2005b: insbes. 67–70): Die im thebanischen Raum belegten Texte beinhalten die Bitten an Amun, nicht nur im Jenseits Licht zu bringen, sondern auch den Verstorbenen die Möglichkeit zu geben, an den diesseitigen Festen teilzunehmen. Amun, mit dem die Öffentlichkeit im alltäglichen Leben insbesondere beim 304 305 306 307 308

S. Kapitel 5.3.3 e). S. Kapitel 5.3.3 h). S. Kapitel 5.3.3 i). S. Kapitel 5.3.3 j). S. Kapitel 5.3.3.

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„Schönen Fest vom Wüstental“ in Kontakt kam, wurde auch als Jenseitsgottheit verehrt. Dies ereignete sich im Mittleren Reich bei den Osirisfeierlichkeiten in Abydos, die ebenfalls eine Form von öffentlichem Fest darstellten, wenn auch nicht in der Form, wie sie im Neuen Reich für das „Schöne Fest vom Wüstental“ oder für das „Opetfest“ bekannt ist. Eine bestimmte Form von Religiosität, die an eine spezifische soziale Schicht gebunden wäre, kann somit m. E. nicht festgestellt werden. Die Tatsache, dass populäre Kulte oder sogar eine Volksfrömmigkeit, die insbesondere anhand nicht beschrifteter Denkmäler zu fassen sind, niedrigeren Gesellschaftsschichten zuzuschreiben sind, ist sehr wahrscheinlich (PINCH 1993: 325). Dies betrifft auch die Ebene der Alltagsmagie und ihrer Techniken, die sich jedoch von religiösen Praktiken nur sehr schwer unterscheiden lässt (PINCH 1994). Dass die hier untersuchten Daten auf Schriftquellen basieren, geht mit der Tatsache einher, dass die Stifter dieser Quellen aus den höheren, den Kulturzentren zugehörigen Schichten stammten. Dennoch lässt sich im Verlaufe der Zeit und insbesondere beim Übergang zur Ramessidenzeit ein generelles Auftreten von Dokumenten feststellen, die eine persönliche Teilnahme an der Religion einer sozialen Mittelschicht aufzeigen (oder sogar einer Grundschicht). Auch hier ist die Beleglage wiederum geographisch auf die Thebais beschränkt, sodass eine generelle Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf eine gesamtägyptische Realität problematisch ist. Die Zugehörigkeit einer sozialen Gruppe oder einer Berufskategorie an einen bestimmten Kult kann in den sog. Horbeitstelen nachgewiesen werden, in denen Angehörige des Militärs in der Ramsesstadt ihre religiöse Bindung zu Ramses II. durch die Anbetung der Königskolosse ausübte. 309 Dies stellt jedoch gleichzeitig ein zusätzliches Beispiel für ein geographisch und lokal bedingtes Phänomen dar.

4.2

Die Suche nach Gottesnähe von Frauen

Religiöse Systeme werden in der Wissenschaft generell als Strukturen einer „abstrakten“ Gesellschaft angesehen, in welcher der individuelle Ausdruck religiösen Glaubens oft entfällt oder vernachlässigt wird. Im alten Ägypten wie auch in vielen Gesellschaften der Vergangenheit und der Moderne waren der Geschlechtsfaktor und seine Auswirkung auf die Rollenverteilung ein zusätzlicher Parameter in der sozialen Schichtung. Die in einer sozialen Gruppe vorherrschenden Definitionen von Geschlechterrollen sind eng mit der individuellen „erlernten“ Kenntnis der sozialen Welt verwoben. Diese Definitionen sind Teil der (Bilder-)Sprache einer sozialen Gruppe, wodurch die Denkmuster der Mitglieder entsprechend geformt werden. Dennoch werden vorgegebene Modelle einer Gesellschaft vom Individuum nicht einfach nachgeahmt. Ihre Wirkung hängt vielmehr von den eigenen kognitiven Fähigkeiten, Emotionen und Wertvorstellungen ab (FAULSTICH-WIELAND 2003: 118). Diese für moderne Gesellschaften geltenden Beo309

Dies scheint auch bei den Salakhana-Stelen aus Assiut der Fall gewesen zu sein: Die Verehrung des Upuaut durch eine hohe Anzahl von Angehörigen des Militärwesens ist im Hinblick auf den kriegerischen Aspekt des Gottes erklärt worden (DUQUESNE 2000: 19). Dennoch sind im Denkmälerfundus mehrere Berufskategorien nachgewiesen, die mit der Tempelverwaltung in Verbindung standen.

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bachtungen sind nur mit grossem Vorbehalt auf soziale Gruppen der Antike übertragbar, da die Quellenlage an sich bereits sozial bedingt und beeinflusst ist. Gerade für Ägypten ist die Entdeckung der vom Dekorum abweichenden und somit realitätsnahen Elemente von der Fundlage, vom Charakter und vom zeitlichen Umfeld der Quelle abhängig. Da allerdings die Religion im alten Ägypten ein wichtiger Teil der sozialen Gruppenidentität war, ist im Rahmen einer sozial orientierten Studie der altägyptischen Religion das Verhältnis zwischen Gender und Religion (JUSCHKA 1999) ein wichtiger Forschungsansatz. Forschungsgebiete, die sich mit Geschlechterrollen beschäftigen, sind gegenwärtig allgemein unter dem Begriff „Gender Studies“ subsumiert. Darunter versteht man einen Themenbereich, der sich ausgehend von den feministischen politischen Bewegungen der 1970er Jahre entwickelt hat und dessen Anliegen es war, Frauen sowohl als „Forschungssubjekte“, wie auch als „Forschungsobjekte“ sichtbar zu machen (FAULSTICHWIELAND 2003: 98). Aus diesem Grund hat sich dieser Begriff schnell von der Untersuchung der Geschlechter und ihrer sozio-kulturellen Eigenschaften verselbstständigt und wird heute schlicht als „Frauenforschung“ verstanden. Das Forschungsziel der Genderstudien ist das Geschlecht als soziale Kategorie und die Durchführung einer Genderanalyse bedingt durch die Untersuchung nicht nur von weiblichen Merkmalen, sondern auch von Aspekten der Maskulinität. In ihrem 1974 erschienen Artikel über Gender und Religion hat Sherry ORTNER (1974: 67–87) die These formuliert, in ideologischen Konstrukten, die von der Religion determiniert sind, sei die Kategorie der Frau metaphorisch mit der Natur verbunden, diejenige des Mannes hingegen mit der Kultur. Dabei stützt sich die Autorin auf die Anthropologie-Theorie von Claude LÉVY-STRAUSS, wonach die Kultur Synonym für Ordnung und Gepflegtheit ist und somit der Natur als Synonym für Chaos und Ungepflegtheit überlegen ist. Gleichermassen hätte sich auch in religiösen Gedankengebäuden das Bild der Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau ergeben. Frauen wären somit in der biologischen Sphäre verwurzelt, Männer hingegen in der sozialen. Der Schwerpunkt der Genderforschung hat somit im sog. „Differenzfeminismus“ (FAULSTICH-WIELAND 2003: 98ff.) die Hervorhebung der Unterschiedlichkeit zwischen beiden Geschlechtern bedeutet, sodass vor allem frauenspezifische Aspekte wie die Mutterrolle im Rahmen der allgemeinen sozialen Ungleichheit untersucht werden. In Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Geschlecht und der Religion 310 konnte Lynn MESKELL (2002: 62ff.) einen erotisch-sexuellen Aspekt in der heliopolitanischen Kosmogonie hervorheben, der deutlich auf den Einfluss der Maskulinität zurückzuführen ist. Selbst die Problematik der Fruchtbarkeit wäre in Ägypten in erster Linie eine Angelegenheit der Männer (MESKELL 2002: 65), sodass die Bitten um Kinder und Fruchtbarkeit, wie dies insbesondere die Votivgaben des Neuen Reiches an Hathor 310

Zu dieser Fragestellung sei hier auf das von Deborah SWEENEY derzeit geleitete Forschungsprojekt „Gender and Religious Practice at the Village of Deir el-Medina“ an der Universität von Tel Aviv (Israel) verwiesen, in dem nicht nur die Frauenrolle im religiösen Umfeld untersucht wird. Vielmehr befasst sich das Projekt auch mit der Herausarbeitung von Maskulinität vs. Weiblichkeit in Bezug auf die religiöse Praxis. Zudem sei hier auch das laufende religionswissenschaftliche Forschungsprojekt an der theologischen Fakultät der Universität Zürich verwiesen, dessen Titel „Construction of Gender as a Social Issue in Single Religious Symbol Systems“ lautet (www.research-projects.unizh.ch/p5412.htm). Zuletzt eingesehen in Januar 2011.

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(PINCH 1993) bezeugen, die Besorgnis der Männer um die Fruchtbarkeit ihrer Ehefrauen für Zusicherung des Totenkultes widerspiegeln. 311 Dennoch wurden solche Votivgaben hauptsächlich von Frauen gestiftet. 312 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Herausarbeitung des Geschlechtes als Forschungsobjekt der altägyptischen Religionsgeschichte als notwendig heraus, insbesondere da dies eine Auswirkung auf die alltägliche Religionspraxis hatte. Im Verlauf dieses Kapitels gilt die Aufmerksamkeit insbesondere dem weiblichen Geschlecht. 4.2.1

Die Stellung von Frauen in der altägyptischen Gesellschaft des Mittleren und Neuen Reiches: ein Überblick

Es besteht immer eine grosse Gefahr, Fragestellungen die auf sozialen, politischen sowie kulturellen Gegebenheiten der heutigen Zeit basieren, auf die Antike zu übertragen. Vorsicht ist nicht in der Anwendung an sich geboten, sondern vielmehr in der darauf folgenden Bewertung, die moderne Phänomene mit antiken Verhältnissen vergleicht. Im konkreten Fall der Frauenforschung im alten Ägypten ist es daher nicht unsachgemäss, nach den Hinweisen von Frauen als soziale Kategorie in ihrer unmittelbaren sozialen und kulturellen Umgebung zu suchen, sowie es ebenfalls nicht verkehrt ist, die unterschiedliche Gewichtung von Frauen und Männern im deskriptiven oder analytischen Sinne zu erforschen (HARICH-SCHWARZBAUER/SPÄTH 2005: IX). Es ist aber falsch, daraus eine qualitative Auswertung mit modernen Kriterien zu formulieren. Die Bedeutung, die z. B. der Geburt, der Mutterschaft und all den damit verbundenen Aspekten zukam, ist in offiziellen Denkmälern quantitativ viel weniger vertreten als Themen, die spezifisch den Männern vorbehalten waren. Die archäologische Dokumentation aus Siedlungen vermittelt uns hingegen die qualitative Bedeutung dieses Aspektes des Frauenlebens im altägyptischen Alltag und darf nicht nach modernen Mustern der Frauenbenachteiligung beurteilt werden. 313 Der konstruktivistische soziologische Zugang hat darüber hinaus beweisen können, dass die soziale Konstruktion von Gendermustern und Rollen aus der Zusammensetzung von verschiedenen Faktoren besteht, die weit über das reine Geschlecht hinausgehen und insbesondere die Dimensionen der sozialen und ethnischen Herkunft, der Familienstruktur, der politischen Einstellung zu Frauen, der religiösen Glaubensmuster usw. betreffen (siehe dazu allg. LORBER/FARRELL 1990). Die hier oben nur kurz beschriebenen Tendenzen der Genderforschung sind z. T. auch im ägyptologischen Diskurs über Frauen und deren Leben vorhanden. So haben 311 312 313

Dies findet einen Beweis in der Stele Glasgow (Culture and Sport Glasgow Museums) hier unter Kat. G. 19.13 (Taf. 10) behandelt. S. Kapitel 4.2.4 b). Das Konzept der Wiedergeburt z. B. ist für die ägyptische Religion zentral: Der Totenglaube und die Sonnentheologie seien hier als stellvertretende Beispiele aufgeführt. Unabhängig von der Idee der Wiedergeburt des Toten im Jenseits, die selbstverständlich grundlegend für den Totenglauben und die Jenseitsvorstellungen war, sei hier vor allem auf die gelegentliche Beifügung von Zaubermessern in Gräbern hier Änderung Schriftart des Mittleren Reiches verwiesen und deren enge Verbindung zu den Ritualen für den Schutz der Frauen und Neugeborenen rund um die Endbindungszeit. S. dazu ALTENMÜLLER 1987.

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vor allem Steffen WENIG (1967), Christiane DESROCHES-NOBLECOURT (1986), Barbara S. LESKO (1987, 1995, 1999), Erika ENDESFELDER 1989, Deborah SWEENEY (1998, 2006) und Terence DUQUESNE (2005) die Beleglage in Bezug auf die Stellung der Frau positiv eingeschätzt und aufgrund der rechtlichen und wirtschaftlichen Dokumentation von einer grundsätzlichen Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen im alten Ägypten gesprochen. Anlässlich der privaten Korrespondenz vor allem von Henuttaui vertritt Deborah SWEENEY (1998: 1110ff.) sogar die Meinung, dass Frauen im Arbeitsmilieu eine höhere Stellung innehaben konnten. Gay ROBINS, die sich vor allem auf die niedrigere Alphabetisierungsquote der Frauen, auf das seltenere Vorkommen religiöser Denkmäler von Frauen, auf das Fehlen von Darstellungen der Bestattungsrituale für Frauen und schliesslich auf den Darstellungskanon der Stelen und Grabwände, wo die Frau stets hinter dem Mann dargestellt wird, stützt, vermutet ein Ungleichheitsverhältnis zwischen Männern und Frauen in der altägyptischen Gesellschaft. Die Tatsache, dass die Ikonographie eine Frau nie in einer Spitzenposition zeigt, wenn sie zusammen mit einem Mann abgebildet ist (ROBINS 1993: 250), kann als Argument für eine eventuelle untergeordnete Stellung der Frau angezweifelt werden, da dies den geltenden Darstellungskonventionen unterlag. Die gesellschaftlichen Schichtungen des Mittleren und des Neuen Reiches waren verschieden. Dementsprechend unterschiedlich definierte sich auch die Rolle der Frau. Da jedoch nicht das Geschlecht alleine ein Merkmal für die soziale Lage war, sondern gleichermassen auch die eigene Gesellschaftsschicht, der Herkunftsort, der Ruf der Familie, die sozialen Beziehungen und schliesslich auch der persönliche Charakter ausschlaggebend waren (LESKO 1995: 23), konnten zwischen Frauen verschiedener Schichten genauso viele Unterschiede herrschen wie zwischen Mann und Frau in der gleichen Gesellschaftsschicht. Man könnte somit sowohl von einer horizontalen als auch von einer vertikalen schichtinternen Frauenforschung sprechen. Diese Kriterien werden im vorliegenden Beispiel zur Erforschung religiöser Ausdrucksformen bei Frauen mitberücksichtigt. 4.2.2 Belege für das religiöse Leben von Frauen im Mittleren und im Neuen Reich Vor dem Hintergrund der oben aufgelisteten Faktoren zur Bestimmung sozialer Schichtung ist davon auszugehen, dass das unterschiedliche soziale Niveau, der Bildungsgrad, die geographische Herkunft sowie das Geschlecht der Individuen die Ausdrucksformen ihres religiösen Gedankenguts beeinflussten. Meine Absicht ist die Erforschung der Interaktion zwischen der sozialen Organisation, der Ideologie und den verschiedenen Mitteln wie Sprache, Bilder und Gestik, durch die bzw. in denen Frauen ihre Ängste und Erwartungen den Göttern gegenüber zum Ausdruck brachten. Daraus ergiben sich Fragestellungen, die für die hier anschliessende Untersuchung von Bedeutung sind. Wie, wann und wo konnten Frauen ihre Religiosität ausdrücken? Waren Frauen als soziale Kategorie auch Träger einer bestimmten Religiosität (JUSCHKA 1999)? Wenn ja, ist es möglich, von einem geformten Glaubensystem von Frauen allgemein zu sprechen?

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4.2.3

Religionspraxis bei Frauen aus der Elite

a) Alphabetisierung von Frauen Für die Beurteilung der religiösen Ausdrucksformen von Frauen der Elite spielt der Alphabetisierungsfaktor (BRUNNER 1957: insbes. 45–47, BAINES/EYRE 1983: insbes. 81– 96, BRYAN 1984, JANSSEN 1992, SWEENEY 1992: insbes. 525–526) neben dem allgemein herrschenden kulturellen Dekorum eine wichtige Rolle. Die Literarizität der Elite variierte in den verschiedenen Epochen aufgrund der Abhängigkeit von der allgemeinen Schriftverbreitung und vom Anwendungskontext der Schrift. So fand im Verlaufe der Zeit eine allgemeine Zunahme der Schriftkundigen auch in mittleren Schichten statt, was im Einklang mit der komplexeren Gesellschaftsstruktur und Verwaltung stand. Während im Alten Reich die Schrift einigen wenigen Auserwählten bekannt war, zeichnete sich im Zeitraum von der Ersten Zwischenzeit zum Neuen Reich ein anderes Bild ab. Infolge der steten Zunahme der Bevölkerung und der Verbreitung der Literarizität in andere Gesellschaftsschichten entstanden bescheidene Dokumente (BAINES/EYRE 1983: 67–72). In welchem Verhältnis zu den sozialen Veränderungen steht nun die Literarizität von Frauen? Frauen werden nur sehr selten als Schreibkundige aufgeführt (BRYAN 1984); es bestand für sie keine Notwendigkeit, lesen und schreiben zu lernen, da ihnen der Zugang zur Verwaltung ohnehin verwehrt blieb und sie somit keine fachausgerichtete Ausbildung benötigten. Dennoch gibt es einige wenige Hinweise auf schreib- und lesekundige Frauen: Im Mittleren Reich ist der Titel zXA.t „Schreiberin“ belegt (WARD 1982: Nr. 1456) 314 und in manchen abydenischen „Anrufen an die Lebenden“ aus dem Mittleren Reich ist die Aufforderung zum Vorlesen der Totenopferformel auch an Priesterinnen und Sängerinnen gerichtet (SETHE 1928: 87.21–22). 315 Solche spezifischen Erwähnungen von Frauen sind im grösseren Rahmen der Performativität dieser Textgattung zu verstehen und sind deshalb kein zwingender Beweis dafür, dass diese Texte tatsächlich vorgelesen wurden und schon gar nicht von Frauen. Daher gibt es keinen sicheren Anhaltspunkt dafür, dass Frauen auch tatsächlich die Autorinnen bzw. Leserinnen der Dokumente waren, die ihre Namen tragen. Aus dem Neuen Reich ist bislang kein Beleg für den Titel zXA.t bekannt, dafür aber einige Briefe, deren Absender Frauen waren. 316 Die Frage ob Frauen, die als Absender 314

315 316

Mit Verweis auf die Stele Ny Carlsberg Nr. 18 (Anfang der 12. Dynastie) und die Stele Turin 107 (13. Dynastie: Gefolgschaft einer Königin). Dieser Titel wurde aufgrund der Stelle in P.Boulaq 18, 2.5 (zXA.t n.t rA=s) und einigen anderen Belegen erstmals von Georges POSENER (1969: 150–151) als „Kosmetikerin“ (lit. „Zeichnerin ihres Mundes“) gedeutet. Die endgültige Übersetzung als „Schreiberin“ ist Henry G. FISCHER (1976: 77) zu verdanken, der auf das Skarabäussiegel Berlin Inv.Nr. 218/73 (zXA.t Jdwy), auf die Stele Turin 1534 (zXA.t) und auf einen Sarg aus der 11. Dynastie als weitere zusätzliche Belege verweist. Die neue Deutung wurde dann auch von William A. WARD (1986: 16–17) übernommen und gilt heutzutage als Beweis für die Existenz von Schreiberinnen im Ägypten des Mittleren Reiches. In der 25./26. Dynastie tritt der Titel zXA sHm.t auf und wird von einer Frau getragen, die im Dienst der Gottesgemahlin von Theben, Nitokris, stand (GRAEFE 1981: 41–42, j200). j anx.w tp-tA m Hm.w-nTr Hm.wt-nTr wab xn.w xn.wt n.w rA pr pn n Wsjr #nt.j-Jmnt.t (...). Deborah SWEENEY (1992: 525) erwähnt 27 von Frauen verfasste Briefe und 39, deren Empfänger Frauen waren. Ferner listet sie (SWEENEY 1998: 1109) einen zusätzlichen Brief auf und in Anm. 4 vier

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dieser Briefe genannt werden, ihre Korrespondenz auch tatsächlich selbst geführt haben, ist heute noch grundsätzlich offen. Barbara S. LESKO (1999: 247) vertritt die Meinung, dass die Briefe von Frauen, wie auch Dokumente aus dem juristischen Bereich, von professionellen Schreibern verfasst wurden. Dies widerspricht jedoch der Einstellung von Deborah SWEENEY (1992: 526), wonach der Inhalt der Briefe teilweise so delikat war, dass man sich nicht vorstellen kann, dass diese Informationen einer Drittperson vermittelt wurden. Demzufolge wären diejenigen Frauen, deren Name als Absender aufgeführt ist, auch die tatsächlichen Autorinnen bzw. Leserinnen der Briefe. Mit dieser Frage nach der Autorenschaft der Frauenbriefe im Hintergrund („If women dictated their letters, the spelling would reflect the scribe’s practice rather than their own“, SWEENEY 1998: 1110) und aufgrund der Annahme einer Verbindung zwischen Geschlecht und Sprache untersucht Deborah SWEENEY (1998) diese Korrespondenz unter einem formellen Gesichtspunkt (z. B. die Verwendung von Determinativen). Für SWEENEYs positive Einstellung gegenüber Frauen als tatsächliche Autorinnen der Briefe sprechen einige der von ihr hervorgehobenen Unterschiede zu Männerbriefen wie z. B. die weniger standardisierten und formellen Grussformeln, die unterschiedliche Paläographie der Handschriften usw. Die Frage nach der Autorenschaft der Briefe gilt aber grundsätzlich auch für Männer (BAINES/EYRE 1983: 87, JANSSEN 1992). Da diese Briefe allerdings aus dem Kulturbereich von Deir el-Medina und Medinet Habu stammen, wo die Literarizitätsquote fünf Mal höher eingeschätzt wird als anderswo zur selben Zeit (BAINES/EYRE 1983: 90), spiegeln sie nur teilweise eine wahrheitstreue Situation der altägyptischen Realität wider. Daher darf die Erscheinung einer möglichen Literarizität von Frauen nicht überbewertet werden: In Deir el-Medina war der Anteil an gebildeten Frauen in jeden Fall wesentlich niedriger als derjenige der Männer (SWEENEY 1992: 525), 317 was für das gesamte Bild der altägyptischen Ausbildung leider von geringer Aussagekraft ist (BAINES/EYRE 1983: 90). 318 Eine fehlende Ausbildung in der Schrift- und Lesekunst bedeutete allerdings nicht, dass Frauen grundsätzlich keine Bildung besassen. Juristisch-wirtschaftliche Dokumente zeigen vielmehr die Fähigkeit von Frauen in das Geschäftsleben einzugreifen und daran aktiv teilzunehmen (BRUNNER 1957: 47). Darüber hinaus erforderte die Tätigkeit als Musikerin und Sängerin wiederum eine Form von Ausbildung, wie eine Szene aus der 11. Dynastie aus El-Berscha zeigt, wo eine Tanzmeisterin mit anderen Schülerinnen tanzt (GRIFFITH/NEWBERRY 1894–1895: Bd. II, Taf. 14). b) Frauen im Götterkult Pristerinnentitel vom Typ Hm.t-nTr „Priesterin“ sind mit Sicherheit ein Beweis für die Teilnahme von Frauen der obersten Gesellschaftsschicht am göttlichen Kultgeschehen

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weitere Zitate aus Frauenbriefen. Zur inhaltlichen und formellen Analyse dieser Briefe s. LESKO 1999 und vor allem SWEENEY 1992, DIES. 1994, DIES. 1998. Andrea G. MCDOWELL (2000: 230) nimmt anhand der vorhandenen Kolophone eine Frau als Autor an, die vielleicht eine Ausbildung genossen haben könnte. Zu den Belegen des Neuen Reiches sei auch auf die Schreiberpalette der Prinzessin Merit-Aton verwiesen, die im Grab des Tutanchamun gefunden wurde. Dies allerdings ist kein Beweis dafür, dass Merit-Aton tatsächlich schreiben konnte. S. dazu BRUNNER 1957: 46.

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(ROBINS 1993: 158) insbesondere für Hathor. Die Beleglage nimmt jedoch vom Alten bis zum Neuen Reich graduell ab (ALLAM 1963, GITTON/LECLANT 1977: 792ff., FISCHER 1982, ROBINS 1993: Kap. VIII). Darüber hinaus sind im Mittleren Reich auch wab-Priesterinnen belegt, wobei diese wie im Falle der wab-Priester aus einer niedrigeren sozialen Schicht stammen. 319 Priesterinnen sind fast ausschliesslich im Hathorkult belegt, wohingegen männliche Priester dieses Kultes nur sehr selten auftreten. Dies gilt allerdings nur für die Ebene der Hm-nTr-Priesterschaft, denn selbst im Hathorkult ist kein Beleg für Vorlesepriesterinnen vorhanden, was wiederum gegen eine Leseausbildung von Frauen spricht. Frauen haben dementsprechend das Ritual wahrscheinlich nicht vollzogen. Priesterinnen waren meistens in den Kult weiblicher Gottheiten 320 eingebunden – darunter vor allem Hathor und Neith, wobei ihre Funktion grösstenteils im Bereich von Tanz und Musik lag (ONSTINE 2005). 321 Im funerären Kultgeschehen sind Hm.w-kAPriesterinnen für das Alte Reich belegt, danach erscheinen Frauen nur noch in der Funktion von Klagefrauen (ASSMANN 2001: 186–189). Der Grund warum Frauen mit der Zeit vom allgemeinen Kultgeschehen zunehmend ferngehalten und im Neuen Reich fast komplett ausgeschlossen wurden liegt im Strukturwandel der altägyptischen Gesellschaft. 322 Die Priesterschaft wandelte sich zu diesem Zeitpunkt in eine professionelle Kaste, in der Laien schlicht keinen Platz mehr hatten. Die Priesterfunktion unterlag dem Prinzip der Vererbung und wurde meistens vom Vater auf den Sohn übertragen. Da Frauen im Neuen Reich tendenziell von beruflichen Beschäftigungen ausgeschlossen waren, wurde ihnen auch die Tätigkeit als Priesterinnen untersagt. Ihre Beziehung zum Tempel bestand jetzt allein nur noch in ihrer Rolle als Sängerinnen (Smay.t; MANNICHE 1991: Kap. IV, ROBINS 1993: 159–167, QUIRKE 1999: 228, ONSTINE 2005), sodass fast jede Frau eines gewissen sozialen Ranges als Amunsängerin tätig war. 323 Diesbezüglich vertritt Suzanne Lynn ONSTINE (2005: 19) die Meinung, dass Sängerinnen eine ähnliche Rolle wie Priesterinnen im Gotteskult spielten. 324 Dies begründet die Autorin aufgrund mehrerer Belege, wobei die Darstellung von Frauen in der Festhalle Thutmosis’ III. im täglichen Tempelritual der Wichtigste ist. Dies würde deutlich auf ihren „reinen“ Status hinweisen und somit auch auf die Zugangsmöglichkeit zum Tempelinneren. Musiker und Musikerinnen sowie Sänger und Sängerinnen zählten schon im Mittleren Reich zum Tempelpersonal (ONSTINE 319 320 321

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Zu den beruflichen Beschäftigungen von Frauen im Mittleren Reich generell s. WARD 1989. Zu den Erwähnungen von Hm.t-nTr-Priesterinnen, die im Kult von männlichen Gottheiten (Chons, Amun, Ptah, Thot, Upuaut) tätig waren s. FISCHER 1982: 1101 und BONNET 2000: 607. Belege aus dem Alten und Mittleren Reich zeigen allerdings, dass dies nicht allzu allgemein zu verstehen ist, da es Belege für wab-Priesterinnen und Anbeterinnen (dwA.t) der Hathor gibt (FISCHER 1982: 1101–1102). Diese sind aufgrund der heutigen Beleglage allerdings als Ausnahmen zu verstehen. S. allgemein dazu auch TEETER 1995. Es ist vorstellbar, dass der Prozess, der zur Entfernung von Frauen aus priesterlichen Ämtern geführt hat, schon in der 1. Zwischenzeit begonnen hat, als militärische Tapferkeit und Leistungsfähigkeit zentrale Tugenden für die Lokalfürsten waren. Diesen Interpretationsvorschlag verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von Deborah SWEENEY. S. dazu Wb.IV.479.13 (Belegstelle): Smay.t n Jmn Hr sA-tp „Amunsängerin beim Schutz des Kopfes (?)“. In einigen wenigen Fällen sind bedeutende Titel für Priesterinnen im Neuen Reich belegt: Zwei Mal Hm.t-nTr 2-nw der Mut (Wb.III.90 [9], Belegstelle) und von Amun. Zur Verbindung zwischen Musik und Religion im Allgemeinen s. Kapitel 3.1.3.

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2005: 25–27). Dies erfolgte aufgrund der Reform Sesostris’ III., wonach Hathorpriesterinnen ihre Stellung verloren, um Frauen der neuen Elite als Sängerinnen zu beschäftigen. Trotzdem wurden Frauen als Smay.t mit der Angabe ihrer Tätigkeit im Kult einer spezifischen Gottheit eher selten auf Denkmälern bezeichnet (ONSTINE 2005: 26). Das genaue Gegenteil kann hingegen im Neuen Reich festgestellt werden: Smay.t ist der gebräuchlichste Titel für eine Frau neben nb.t-pr „Hausherrin“ (ROBINS 1993: 159, ONSTINE 2005: 26). Die Betonung der Rolle von Sängerinnen im Neuen Reich ist nach Suzanne Lynn ONSTINE insbesondere in der Regierungszeit von Hatschepsut anzusetzen, die das Opet- und das Talfest aufwertete und dafür Musikerinnen, Sängerinnen und Akrobaten einsetzte (ONSTINE 2005: 29). Diejenigen Frauen, die diesen Titel tragen, gehören zu dieser Zeit der absoluten sozialen Elite des Landes an. Zwischen der Nachamarnazeit und der Regierungszeit Ramses’ II. ist eine Verbreitung des SängerinnenTitels innerhalb der mittleren Gesellschaftsschichten festzustellen (ONSTINE 2005: 30– 31). Zu Recht vermutet ONSTINE, dass die Gründe, weshalb Frauen zu Sängerinnen wurden, nicht einzig in ihrer Pietät zu suchen sind, sondern sozial und politisch bedingt waren. Der Dienst an Gottheiten und der Bezug zum Tempel konnten von Frauen ab dem Neuen Reich nach dem Entfallen der Priesterinnenfunktion einzig in der Selbstdarstellung als Sängerin einen Ausdruck finden. Voraussetzung für die Ausübung der Sängerinnenrolle war die für den Dienst an Gott allgemeingültige körperliche Reinheit. 325 Parallel dazu sei hier auch daran erinnert, dass Sängerinnen sowohl im Kult von weiblichen als auch von männlichen Gottheiten tätig sein konnten, was wiederum in Verbindung mit der Spezialisierung und Professionalisierung der Berufe stand. ^may.wt gehörten also ganz in ONSTINEs Sinn im Neuen Reich zum Tempelpersonal wie die Hm.w-nTr- und wab.w-Priester; als eigene Berufsgruppe vollzogen sie ihre Tätigkeit im Kult jeder Gottheit, obwohl zwischen Frauen aus der Elite, die für die Musik zuständig waren und Frauen aus unteren Gesellschaftsschichten, die im täglichen Kult sangen und tanzten, zu unterscheiden ist (QUIRKE 1999: 229). Wenn also zum einen Frauen ab dem Neuen Reich eine Minderung ihrer Präsenz im Kult erfuhren, indem sie nicht mehr als Priesterinnen auch nicht bei weiblichen Gottheiten tätig sein konnten, dann erlebten sie eine Spezialisierung ihrer Funktion, die folglich ihre notwendige Präsenz in mehreren Kulten bedeutete. In diesem Sinne sollen Musikerinnen und Sägerinnen als Teil der Priesterschaftsstruktur betrachtet werden und somit muss m.E. auch das Bild der Ausgeschlossenheit von Frauen vom Götterkult im Neuen Reich revidiert werden.

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S. dazu die Stele des Mahu aus der 18. Dynastie, auf der er seine Rolle in der Ausübung des Kultes beschreibt: „Ich reinige meinen Mund, ich bete die Götter an. Ich preise Horus, der im Himmel ist; ich bete ihn an. Die Neunheit hört zu, die Bewohner der Unterwelt jubeln. Sie erscheinen bei meiner Stimme“ (KUENTZ 1922).

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4.2.4

Persönliche Frömmigkeit und populäre Religiosität bei Frauen

a) Tempelbesuch Abgesehen von den kultisch-rituellen Titeln, die über die Rolle der Frauen in der Ausübung des Götterkultes im engsten Sinne Auskunft geben, dienen Hinweise aus Tempelbesuchen durch Frauen zur Rekonstruktion ihrer Religionspraxis. Die private Korrespondenz wie auch die Mittlerstatuen scheinen darauf hinzudeuten, dass kein Unterschied zwischen den Geschlechtern der Tempelbesucher gemacht wurde. In Kapitel II wurde mehrmals auf die in den Heiligtümern des Neuen Reiches entdeckten Kleinfunde eingegangen, die als Produkte religiöser Hingabe zu interpretieren sind (SADEK 1987, PINCH 1993, KEMP 1995: 27ff.). Von den Stiftern der Weihobjekte wurden diese als adäquate Träger zur Vermittlung persönlicher Gedanken, Hoffnungen und Erwartungen an die Gottheit angesehen. Genauso wie Männer haben auch Frauen die Tempel besucht, in ihnen gebetet und den Göttern geopfert. 326 Vor diesem Hintergrund ist die Frauenreligiosität besonders durch ihre Verbindung mit dem Hathorkult gekennzeichnet (PINCH 1993, KEMP 1995: 29). Forschungsergebnisse haben dabei gezeigt, dass es Frauen waren, die die Hathorheiligtümer am häufigsten besucht haben, obwohl die Stifter von Opfergaben meistens Männer (Handwerker, Priester usw.) in Begleitung ihrer Ehefrauen waren. Abgesehen von den beschrifteten Votivstelen (s. unten) sind Fruchtbarkeitsfiguren, die nach Geraldine PINCH (1993: 198– 234) in sechs Typen eingeteilt werden können, die Art Votivgaben, die sich mit Frauenreligiosität am ehesten in Verbindung bringen lässt. 327 Diese von der prädynastischen bis in die griechisch-römische Zeit belegten Funde sind traditionell als Beischläferinnen bekannt. Eine detaillierte Studie ihrer Fundkontexte hat ihre Funktion vielmehr im Rahmen der Fruchtbarkeitssphäre als in der rein sexuellen Dimension verortet (PINCH 1983, DIES. 1993: 211) und sie als Objekte identifiziert, die die individuellen religiösen Bitten nach Fruchtbarkeit und Kinderwunsch begleiteten. 220 dieser Figuren stammen aus Gräbern, 227 aus Siedlungen und 321 aus Tempeln und Heiligtümern. Eine Erklärung ihrer Funktion anhand ihres Vorkommens im funerären Kontext alleine, ohne die Unterschiede in den einzelnen Typologien mit zu berücksichtigen, ist nach Geraldine PINCH nicht ausreichend. Ferner kann nur eine zusammenhängende Betrachtung der Anbringungskontexte Rückschlüsse auf ihre allgemeine Funktion ermöglichen. Von den 321 Beispielen aus einem Tempelareal stammen 305 aus Hathorheiligtümern. Einzelne Beispiele solcher Figuren wurden auch im Tempel der Nechbet in El-Kab entdeckt, was dafür spricht, dass sie jeder Geburts- bzw. Kindheitsgottheit gewidmet wurden (so auch BONNET 2000: 94). Die besondere Beziehung zu Hathor ist somit anhand ihrer weitgreifenden Natur als Göttin der Fruchtbarkeit, der sexuellen Liebe, der Geburt und der Wiedergeburt erklärt: In den Hathorheiligtümern wurden Exemplare aller sechs Typologien gefunden. 326

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Jenseits der im Folgenden besprochenen Beleglage, die insbesondere aus Deir el-Medina stammt, ist eine Bestätigung der hier aufgeführten Thesen über den Zugang von Frauen zur Religion in der Studie von Terence DUQUESNE (2005) über die Salakhana-Stelen enthalten. S. dazu auch die Hinweise auf die Teilnahme von Frauen an den Prozessionen zu Ehren des Upuaut in DUQUESNE 2003: 32–33. Zu den Frauenfigürchen und zu ihrer kultischen Funktion s. die Arbeit von Elizabeth WARAKSA (2009), die diese Befunde im Muttempel in Karnak untersucht hat.

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Solche Figuren wurden allerdings auch in ungestörten Gräbern von Männern gefunden, sowie in hohem Grade im Hathorheiligtum von Serabit el-Khadim, das fast ausschliesslich von den im Bergbau tätigen Männern besucht wurde. Während diese Gegebenheit einerseits ebenfalls mit der Funktion dieser Figuren im Rahmen der Fruchtbarkeit und der (Wieder-)Geburt erklärt werden kann (PINCH 1993: 223), waren solche Votivgaben andererseits nicht ausschliesslich Frauen vorbehalten. Vielmehr repräsentierten sie diesseitige und jenseitige Wünsche und Erwartungen die Männer und Frauen gemeinsam hatten 328 und sind somit nicht als Beispiel für eine Gender-Religiosität im engsten Sinne des Wortes zu verstehen. 329 Im spezifischen Fall von Serabit el-Khadim besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass solche Frauenfiguren das einzig geltende Mittel für den Kontakt zu Hathor waren, auch wenn sie ausschliesslich in ihrer Rolle als Schutzgottheit der Wüstengebiete verehrt wurde (so KEMP 1995: 29). In den innerägyptischen Heiligtümern wurden solche Figuren eindeutig mehrheitlich von Frauen geopfert (PINCH 1993: 223). An Hathor wurde auch eine sehr grosse Anzahl an Phalli geweiht, wie die Fundlage in ihrem Heiligtum in Deir el-Bahari deutlich belegt. Durch Vergleiche mit dem griechisch-römischen Fest des Nun in Edfu (ALLIOT 1949: 223–224), wo Hathor in ihrer Rolle als „Hand des Atum“ 330 mit dem Phallus ihres Vaters (Re-Atum) gefeiert wurde, postuliert Geraldine PINCH (1993: 235–245) im Gegensatz zur herrschenden communis opinio, dass die Phalli für Hathor im Rahmen eines ähnlichen Fruchtbarkeitsfestes oder des „Schönen Festes vom Wüstental“ schon im Neuen Reich von Frauen gestiftet wurden. Dadurch habe man sich symbolisch auf die göttliche Vereinigung zwischen Hathor als verkörperte weibliche Sexualität und Re-Atum bzw. Amun-Re gestützt, um Bitten für das eigene fruchtbare sexuelle Leben anzubringen. Da in der altägyptischen Religionspraxis die Dimension der Sexualität und der Fruchtbarkeit meistens mit den Frauen in Verbindung stand, ist davon auszugehen, dass Frauen die Stifterinnen dieser Votivgaben waren (PINCH 1993: 244, MESKELL 2002: 64). 331 Über die gesellschaftliche Einordnung dieser Frauen kann allerdings wenig ausgesagt werden. Solche Objekte wurden zwar in den Werkstätten des Tempels angefertigt, aber das Material oder die Qualität der Anfertigung sind nicht stellvertretend für die soziale Herkunft des Auftraggebers oder des Weihenden zu sehen, da z. B. Fruchtbarkeitsfiguren von niedriger Qualität in Gräbern von Zeichnern und Handwerkern in Deir el-Medina gefunden wurden (PINCH 1993: 245). Vielmehr sind diese Phalli Ausdruck eines allgemeinen und schichtunab328

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Das Vorkommen solcher Votivgaben im funerären Kontext ist als sekundär zu bewerten und im Sinne sowohl der Fruchtbarkeit im jenseitigen Leben, als auch als Beistand bei der Wiedergeburt einzuordnen. Nach Deborah SWEENEY (persönliche Mitteilung) bestünde jedoch der Unterschied zwischen Männern und Frauen darin, dass Frauen die eigenen körperlichen Erwartungen an die Fruchtbarkeitsfigur richten, während Männer sich auf den Körper ihrer Ehefrau beziehen. Dieses Epitheton bezieht sich auf den Mythos der Schöpfung der Welt durch Masturbation Re-Atums, wobei die Hand des Schöpfergottes als eigenständige Gottheit uminterpretiert wurde und später mit Hathor identifiziert wurde (PINCH 1993: 243). PINCH hält vor diesem Hintergrund die Sitte des Tempelschlafs auch von Paaren auch im Neuen Reich für möglich in der Hoffnung, die Göttin im Traum zu sehen. Im Satet-Tempel auf Elephantine wurden ebenfalls Phalli gefunden, die Satet im Sinne ihrer Rolle als Partnerin des Schöpfergottes Chnum geopfert wurden. Somit ist diese Sitte auch für ältere Zeiten bezeugt.

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hängigen Wunsches nach einem fruchtbaren sexuellen Leben, der im Rahmen religiöser Institutionen geäussert wurde. b) Votiv- und Gebetsstelen Gebets-, Votiv- bzw. Kommemorationsstelen von Frauen wurden in Tempeln und Heiligtümern aufgestellt. Als Votivstelen lassen sich Stelentypen definieren, die von Privatpersonen göttlichen Wesen, d. h. Gottheiten, vergöttlichten lebenden sowie verstorbenen Königen, einem ex-voto folgend, gewidmet wurden (STEWART 1976: 9, MORGAN 2004: 2). Geraldine PINCHs Studie über den Hathorkult hat gezeigt, dass die Individuen oder Gruppen, die zu Ehren Hathors Stelen 332 in die Tempel gestiftet haben, je nach Ort variieren konnte. Somit ist für Deir el-Bahari eine überraschend kleine Anzahl an Votivstelen mit Angabe des Stifters kennzeichnend: Von insgesamt sechs Exemplaren, 333 erweisen sich nur in zwei Fällen Frauen als Stifterinnen (PINCH 1993: 96 u. Taf. 9.2,5). Dies beruht darauf, dass die Stoffe und die Kleider, welche Hathor in Deir el-Bahari dargebracht wurden, fast ausschliesslich von Frauen gestiftet wurden. Die Stifterinnen werden dabei mit dem Titel nb.t-pr „Hausherrin; Ehefrau“ bezeichnet, während die Männer als Priester oder Handwerker, d. h. in der Rolle, welche sie mit dem Tempel verbindet, bezeichnet werden. Mirgissa weist eine ähnliche Situation auf: Drei von den fünf Stelen wurden von Frauen gestiftet. Man beachte jedoch, dass nach Jaana TOIVARI-VIITALA (2001: 15–18) bei dem Terminus nb.t-pr als angebliche Bezeichnung von verheirateten Frauen Vorsicht geboten ist. Als Titel lässt er sich bis ins Mittlere Reich zurückverfolgen und verortet die Frau im Haushalt als dessen Herrin. Nb.t-pr wird aber vor allem im Kontext der monumentalen Zurschaustellung benutzt und nur in zwei Fällen im nicht-literarischen Kontext. Die Autorin bezieht sich dabei auf O.Varille 12, in welchem nb.t-pr parallel zum ebenfalls nur im monumentalen Diskurs belegten Titel sDm-aS vorkommt, sodass die Bewertung auf der Hand liegt, dass die Heirat für eine Frau einen ähnlichen Stellenwert hatte wie die professionelle Karriere für einen Mann. TOIVARI-VIITALA verweist diesbezüglich auch auf Die Lehren des Ani (B 19, 14–15) „Frag eine Frau ‚was ist ihr Mann?’, frag einen Mann nach seinem Amt“ (QUACK 1994: 104–105). Nb.t-pr könnte somit durchaus ein Ehrentitel für verheiratete Frauen im monumentalen und funerären Kontext gewesen sein und generell eher eine Frau als Leiterin ihres Haushaltes bezeichnen (DUQUESNE 2005: 44). Nach Geraldine PINCH (1993: 83) lassen sich die Votivstelen für Hathor formell in drei Typologien einteilen: A. Stelen, in denen nur Gottheiten abgebildet sind B. Stelen mit nur einem Register, auf denen eine Gottheit und ein Weihender dargestellt sind C. Stelen mit mehreren Registern, auf denen Götter und Weihende abgebildet sind. 334

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Zum Begriff „Hathorstelen“ s. PINCH 1993: 83. S. dazu auch die Liste (1–3) der Hathorstelen aus Deir el-Bahari, Mirgissa und Serabit el-Khadim in PINCH 1993: 84–92. Angaben dazu in PINCH 1993: 96. Diese Einteilung stimmt nur teilweise mit Karen EXELLs (2009: 20) typologischer Systematisierung der ramessidischen Votivstelen überein. Während PINCHs Typ A in EXELLs Modell gar nicht in Be-

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Typologie C kann zudem in zwei Untertypologien aufgeteilt werden: C1. Stelen mit der Gottheit im oberen Register und dem Weihenden im unteren Register. C2. Stelen mit der Gottheit und dem Hauptweihenden im oberen Register und weiteren Weihenden im unteren Register. 335 Innerhalb dieser verschiedenen Muster ist die Position der einzelnen Elemente (Gottheit, Weihender usw.) relativ frei wählbar. Der Weihende ist in standardisierten Haltungen abgebildet (Weihräucherungen, Präsentation von Blumen usw.), wobei zwischen dem Individuum und dem Gott kein physischer Kontakt herrscht. Dies entspricht denselben Darstellungskriterien der zeitgenössischen Stelen von Männern. 336 Bezeichnenderweise ist auf einer Stele aus Mirgissa eine Frau als Weihende abgebildet, die mit einer Trommel vor der Gottheit Musik macht (PINCH 1993: 89, Liste 2.2). Abgesehen von diesem Beispiel sind jedoch die dargestellten religiösen Handlungen nicht typisch für Hathor. Vielmehr handelt es sich dabei um Kultakte, die performativisch für den Kult aller Gottheiten vollzogen wurden und die in verdichteter Form denselben Ausschnitt aus einer persönlichen im Kultkontext angesiedelten Gottesverehrung darstellte. Das Gleiche gilt für die Inschriften: Keines der Gebete ist spezifisch an Hathor gerichtet. Keiner der Weihenden, der auf den Stelen abgebildet ist, opfert der Göttin Objekte, die mit den archäologisch belegten Votivgaben übereinstimmen. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass sich die Opfergaben, die im Tempelbereich aufgestellt wurden, eindeutig auf das Diesseits beziehen. Die Rekonstruktion religiöser Ausdrucksformen im Neuen Reich basiert in grossem Masse auf der Dokumentation aus Deir el-Medina, wo die grosse Anzahl der mit Gebeten versehenen Stelen und sonstigen Dokumenten einen wesentlichen Einblick in das religiöse Gedankengut der 19. und 20. Dynastie ermöglicht. Wie auch bei der altägyptischen Literarizität ist Deir el-Medina ebenfalls im Sinne der persönlichen Religionspraxis als ein Sonderfall zu betrachten, weshalb jede soziologische bzw. religionssoziologische Studie, die nur auf diesen Daten basiert, einer Verfälschung unterliegen kann. Vor diesem Hintergrund und im Vergleich zur Dokumentation aus anderen Ortschaften Ägyptens kann jedoch die Präsenz der Frauen in der alltäglichen Religionspraxis verfolgt werden. Die Anzahl der von Männern gestifteten Stelen ist in Ägypten überall bei Weitem höher als diejenige der Frauen. Frauen konnten auch zusammen mit ihren Ehemännern oder Söhnen auf den Stelen dargestellt werden, jedoch immer in sekundärer Stellung und niemals als Hauptstifter (ROBINS 1993: 179ff.). Von den 24 Stelen, die rund um den Sphinx von Giza entdeckt wurden, sind 20 von Männern gestiftet worden, vier von Männern mit der Ehefrau und keine Einzige nur von Frauen. Elf von den 17 Votivstelen aus dem Ptahtempel in Memphis wurden von Männern gestiftet, nur zwei von Frauen;

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tracht gezogen wird, entsprechen PINCHs Typ B EXELLs Typ A und PINCHs Typ C EXELLs Typ C. S. dazu auch Kap. 3.1.1 der vorliegenden Arbeit. Diesbezüglich sei auf den Stelentyp verwiesen, der aus der späten 18. und der 19. Dynastie bekannt ist und der ganze Familien als Weihende darstellt. Diese sind jedoch selten in Tempeln aufgefunden worden, sondern stammen vielmehr aus den Grabkapellen, wo sie zur Sicherung des Totenkultes durch die ganze Familie standen. S. dazu Kapitel 3.1.1.

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unter sämtlichen auf den Stelen abgebildeten Figuren sind 25 männlich und nur sieben weiblich (PINCH 1993: 96ff.). In den Salakhana-Stelen aus Assiut sind Frauen für altägyptische Verhältnisse relativ gut belegt. Dort wo sie zusammen mit Männern dargestellt sind, tragen sie Epitheta, die ihre soziale Stellung gegenüber dem Hauptstifter beschreiben. In sechs Fällen sind Frauen gleichzeitig als nb.t-pr und Smay.t bezeichnet und in 13 Fällen tragen sie ausschliesslich den Titel Smay.t (DUQUESNE 2005: 46). In Deir el-Medina sind ebenfalls nur wenige Stelen von Frauen entdeckt worden, die in die 19. Dynastie datieren und einen Text beinhalten, der von einer (oder für eine?) Frau verfasst wurde. Stellvertretend dafür sei hier näher auf die Stele Bankes Nr. 6 (Kat. G.19.11) und die Stele Turin 50051 (Kat. G.19.12) eingegangen. Stele Bankes Nr. 6. ist in zwei Register gegliedert, wobei im unteren eine Frau kniend und in anbetender Haltung abgebildet ist, gefolgt von einer männlichen Person. Im oberen Register ist die Sonnenbarke mit einem sitzenden Re-Harachte dargestellt, vor dem der Mond abgebildet ist. Beide sind das Objekt der Anbetung im unten stehenden Gebetstext: „Lobpreis geben dem Iah-Thot, dem vollendeten Gott, der die Gebete erhört! Die Erde küssen vor Pa-Schu, dem vollendeten Gott. Seid gnädig! Ihr habt veranlasst, dass ich die Nacht am Tage sehe, wegen dieses Frauengeredes (md.t Hm.t). 337 Seid gnädig zu mir, möge ich eure Gnade sehen! Die Herrin des Hauses Jjt-neferti, gerechtfertigt“. Es ist zu bemerken, dass das Suffixpronomen für die 1. Person Singular in dieser Stele die Hieroglyphe für den sitzenden Mann (A1) und nicht die für die sitzende Frau (B1) ist. 338 In den Untersuchungen der Briefe, deren Absender Frauen waren, ist Deborah SWEENEY (1992) davon ausgegangen, dass die Verwendung des Determinativs B1339 ein Hinweis dafür ist, dass die Absenderinnen gleichzeitig auch die Autorinnen der Briefe waren. Sie geht dabei von der Überlegung aus, dass wenn ein Text von einer Frau eigenhändig geschrieben worden wäre, sie den fehlerhaften Gebrauch der Hieroglyphe A1 als Determinativ für die 1. Person Singular nicht begangen hätte. Wollte man diese Methode auf die Gebetsstelen anwenden, dann würde sich herausstellen, dass bis auf die Determinierung des Namens der Frau in keinem der von Frauen verfassten Gebetstexte die Hieroglyphe B1 als Determinativ der 1. Person Singular verwendet wird. Die Tatsache, dass solche Denkmäler Auftragsarbeiten waren und dass ihre vergleichende Studie die Übernahme von Standardformeln bezeugt, lässt die Frage offen, inwieweit diese Texte wirklich die Gedanken und Erwartungen von Frauen wiedergeben. Doch gerade die Stele Bankes Nr. 6, die zu den sog. „Schuldbekenntnissen“ zählt, bezeugt m. E. die Einfügung nicht-stereotyper Elemente in solche Texte. Für den Zustand der „Finsternis am Tage“, der in Zeugnissen von Männern vielfach belegt ist, 340 wird 337 338 339 340

Das Wort ist dabei mit dem Zeichen A2 (  ) determiniert. Laut der Gardiner-Zeichenliste wird das Zeichen B1 als Suffixpronomen der 1. Person Singular seit der 19. Dynastie verwendet. Dies ist z. B. im Brief von Henuttaui an Nesamenope P.Genf D191 (Kat. B.20.18) der Fall. S. dazu den Exkurs II, Kapitel 5.1.1.

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nämlich ein einziger Faktor – das Frauengerede – herausgelöst, der in Jjt-nefertis Leben für den oben erwähnten Zustand bestimmend gewesen sein soll. Wenn in anderen Stelen ein religiöses Missverhalten des Stifters anerkannt wird (so z. B. in der Stele BM 589 von Neferabu, Kat. G.19.5), dann wird hier ein gestörtes soziales Verhältnis erwähnt, das anscheinend ausschliesslich in der Frauensphäre verortet ist. Jjt-neferti bedient sich aber als Frau einer Phraseologie, die in den Denkmälern sonst üblicherweise nur von Männern belegt ist und die nach einem Kausalzusammenhang zwischen dem eigenen Zustand und einem möglichen Verstoss sucht. So wie für Männer war ein solcher Zustand auch für Frauen eng mit Vorstellungen von Schuld, Strafe und Vergehen (MÜLLER-WOLLERMANN 2004) verbunden. Im Gegensatz zur Stele Bankes Nr. 6 ist in der Stele Turin 50050 (Kat. G.18.24) die Stifterin gegenüber der vergöttlichten Königin Ahmes-Nefertari im oberen Register abgebildet. Sie trägt das Gebet auch zugunsten des Ka der Hausherrin Jj, die im unteren Register kniend und in anbetender Haltung dargestellt ist, vor. Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass im oberen Register neben der Kartusche der vergöttlichten Königin nicht nur der Name der Stifterin Herja angegeben ist, sondern sich auch der Ausdruck jrj.n + Name findet. Dies bedeutet, dass die Aufstellung des Denkmals durch die Stifterin selbst erfolgt ist und, dass sie möglicherweise alleine über die nötigen finanziellen Mittel zur Anschaffung der Stele und zum Vollzug des Rituals verfügte. 341 Unter der Voraussetzung, dass die Ausdrucksformen von den Autoren, den Rezipienten, den Anbringungskontexten und den materiellen Möglichkeiten ihrer Anfertigung abhängig waren, müssen bildliche und schriftliche Belege weiblicher Religiosität unter verschiedenen Aspekten analysiert werden. Zum einen müssen die formalen Eigenschaften der Bilder, im Sinne der Farben, Hierarchien unter den abgebildeten Gestalten, Dimensionen, Positionen, Gesten und Kleidern untersucht werden. 342 Zum anderen stellt sich die Frage, welche die Bedingungen für die Produktion solcher Denkmäler waren. Mit anderen Worten: vor dem Hintergrund dessen, was in Dokumenten wie O.DeM 246 (WENTE 1990: 139) ausdrücklich über die Einflussnahme des Weihenden auf die Anfertigung des in Auftrag gegebenen Denkmals beschrieben wird, 343 besteht die Frage inwieweit Frauen an der Planung, am Auftrag und an der Realisierung solcher Bilder Anteil hatten. Und zuletzt: Was waren die Bedingungen für eine öffentliche Zurschaustellung solcher Denkmäler? Gehörten sie der reinen privaten Frömmigkeit an oder betrafen sie auch die Sphäre der Öffentlichkeit? Eine endgültige Antwort darauf muss hier ausbleiben. In Anbetracht des sicher hohen Aufwandes eines solchen Auftrages ist es vorstellbar, dass Denkmäler dieser Art für einen öffentlichen Aufstellungsort gedacht waren. Grundsätzlich noch unerforscht ist die Frage nach der Präsenz und der Rolle von Frauen in anderen Bereichen der Religion, wie z. B. im Totenkult. Begräbnisse und Grabkapellen von Frauen sind nur sehr selten belegt. Da ein Grab grundsätzlich ein Pri341 342

343

Vgl. dazu auch DUQUESNE 2005: 46. Man beachte jedoch, dass der Autor hier nicht auf die für die Errichtung der Stele benutzte Terminologie eingeht. Die Vertiefung dieser Aspekte ist Teil von Deborah SWEENEYs Forschungsprojekt „Gender and Religious Practice at the Village of Deir el-Medina“. Für die Einsicht in den Antragstext, möchte ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bei ihr bedanken. In diesem Brief aus der Zeit Ramses’ III. wird wahrscheinlich die Verehrungsszene einer Votivstele für Month im Detail beschrieben.

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vileg war, waren wahrscheinlich die Männer für das Grab ihrer Ehefrauen verantwortlich, wobei die Frage angebracht ist, was mit einer Witwe oder mit einer geschiedenen Frau geschah (ROBINS 1993: 194). Gerade in den Grabdarstellungen kann das relative Verhältnis zwischen Mann und Frau festgehalten werden. Die Frau, die in der zweidimensionalen Wiedergabe des sitzenden Paares vor dem Opfertisch stets hinter dem Mann abgebildet ist, wird durch die Angabe ihrer Verwandschaftsbeziehung zum Grabherrn gekennzeichnet: Über die Angabe ihrer spezifischen Titel hinaus ist die Frau entweder als mw.t=f oder als Hm.t=f 344 bezeichnet. Ganz im Sinne der Selbstdarstellung des Verstorbenen im Dekorationsprogramm des Grabes bezeugt diese Tatsache, dass der Mann der semantische Orientierungspunkt für die restlichen Elemente der Darstellung war. Dass keine Autobiographien von Frauen belegt sind, ist somit vor demselben Hintergrund zu verstehen. Die Frau nimmt auf den Grabdenkmälern eine eindeutige sekundäre Position ein, selbst wenn sie zur Oberschicht gehörte und es aufgrund der Beleglage keinen Hinweis dafür gibt, dass der Zugang zum Jenseits nur Männern vorbehalten war. Stephen QUIRKE (1999: 230) konnte aufgrund von Irmtraut MUNROs Liste der Totenbuch-Papyri des Neuen Reiches (MUNRO 1988) eine Gender-orientierte Untersuchung der Besitzer dieser Papyri durchführen, aus welcher er ein diachronisches Modell entwickeln konnte (QUIRKE 1999: 230–231). Demzufolge scheinen zwischen der Regierungszeit von Hatschepsut und dem Ende der 20. Dynastie funeräre Papyri von Frauen gänzlich zu fehlen, was jedoch im Widerspruch zur Beleglage aus der 21. und 22. Dynastie steht, in der die Totenbuchpapyri von Frauen eindeutig die qualitätsvollsten sind. In der Spätzeit und in der Ptolemäerzeit ist die gleiche Anzahl Männer wie Frauen als Besitzer von Totenbuchpapyri belegt. Zu diesen Beobachtungen fügt Stephen QUIRKE auch die Tatsache dazu, dass keiner der unvollendeten d. h. noch nicht mit dem Namen des Besitzers versehenen Totenbuchpapyri Vignetten mit Abbildungen von Frauen aufwies. Im Neuen Reich waren in den Totenbüchern von Männern auch Frauen abgebildet, allerdings stets hinter dem Mann und verhältnismässig kleiner; ihr Name konnte den auf Vorrat produzierten Manuskripten einfach hinzugefügt werden. QUIRKE (1999: 232) schliesst daraus, dass im Neuen Reich Frauen in den funerären Papyri ihrer Männer eine sekundäre Position einnahmen, weshalb Bild und Name stets hinzugefügt werden mussten. Im 1. Jt. hingegen konnten Frauen eigene Totenbücher besitzen. Wenn Frauen als Inhaberinnen solcher Texte im Neuen Reich nicht vorgesehen waren, dann ist davon auszugehen, dass die wenigen unsicheren Beispiele aus dieser Zeit (s. QUIRKE 1999: 230-231) als gezielte Aufträge produziert worden sind. Eine Vorratproduktion für Frauen war zu dieser Zeit nicht vorgesehen. Ungestörte Gräber von Männern und Frauen haben bewiesen, dass die Sitte, das Totenbuch dem Verstorbenen beizulegen, nur bei Männern nachgewiesen werden konnte (QUIRKE 1999: 232), was mit der sekundären, begleitenden Stellung der Frau in der Ikonographie der Totenbuchpapyri einhergeht. Dies wiederum änderte sich im 1. Jt. drastisch: Individuelle Bestattungen von Frauen sind jetzt sehr wohl belegt und somit auch ihre individuelle Weiterexistenz. Wie von 344

Zu Hm.t hat Jaana TOIVARI-VIITALA (2001: 19) die Tatsache hervorgehoben, dass es sich um einen der grundlegenden Verwandschaftstermini der ägyptischen Gesellschaft handelte, der sowohl eine Frau im biologischen Sinne als auch eine Ehefrau bezeichnete. Dennoch handle es sich auch um einen der verbreitetsten Titel für eine Frau im nicht-literarischen Kontext auch für die Bezeichnung einer verheirateten Frau.

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Stephen QUIRKE mit Verweis auf Karl JANSEN-WINKELN (1994: insbes. 92–93) suggeriert, könnte der Grund dafür in einer soziokulturellen Umstrukturierung der ägyptischen Gesellschaft liegen, die mit dem Einfluss der Libyer zu tun hat, in deren Kultur Frauen eine andere Stellung innehatten. QUIRKEs Untersuchungsergebnisse stimmen mit den Feststellungen über die Autobiographien bis zum Neuen Reich überein: Die Thematisierung des eigenen Lebens in Bild und Text zur Stiftung und Rechtfertigung des Totenkultes war einzig und allein ein Privileg der Männer, selbst wenn eine Frau im selben Grab bestattet war und selbst wenn für sie vermutlich dasselbe Bestattungsritual vollzogen wurde. c) Zeugnisse der persönlichen Religionspraxis von Frauen aus dem Siedlungs- und Alltagsbereich In ihrer Studie über das textliche und ikonographische Dekorationsprogramm von Türgewänden im Neuen Reich konnte Julia BUDKA (2001: 74-75) in dem von ihr katalogisierten Sturztyp IV (BUDKA 2001: 15), der ausschliesslich in ramessidischen Belegen zu finden ist, die Hauptquelle für die Erforschung von Frauendarstellungen in diesem Kontext erkennen. In diesem den Gräbern und Stelen entlehnten Darstellungskonzept ist in einem zentralen Tableau der sitzende Inhaber abgebildet, meistens ohne Speisetisch, dem durch mehrere Personen Opfergaben dargebracht werden. Im Gegensatz zu Stephan J. SEIDLMAYER (1983: 185), der diese Szenen als „Totenopferszenen“ gedeutet hat, spricht Julia BUDKA von Hmsj-nfr-Szenen und unterscheidet somit zu Recht den funerären vom alltäglichen Kontext. Ein weiteres ikonographisches Thema, in dem Frauen dargestellt sind und das für die vorliegende Studie von Interesse ist, stellt der Typ Ic dar (BUDKA 2001: 12), in dem zwei stehende Adoranten die Kartusche des Königs verehren, wobei Frauen in diesem Motiv stets hinter den Männern abgebildet sind. Dieses Bildthema ist allerdings nur für Vizekönige von Kusch und deren Ehefrauen belegt. Von den Titeln, die die Frauen in den Hmsj-nfr-Szenen tragen, steht an erster Stelle (12 von 17 Belegen) die Smay.t „Sängerin“ einer bestimmten Gottheit. An zweiter und letzter Stelle ist nb.t-pr „Hausherrin“ belegt. In diesem Tatbestand wird von BUDKA (2001: 74) die enge Verbindung zwischen der Hmsj-nfr-Szene und der Festhandlung erkannt, da offensichtlich durch diese Szene die Bedeutung der Sängerinnen im Kultablauf zum Ausdruck kommt. Dies würde auch die Beleglage der HorbeitStelen (HABACHI 1952: 501–555) bestätigen, bei denen wie oben geschildert Smay.t ebenfalls der häufigste Titel von Frauen ist, was somit auf die Einbeziehung der Sängerinnen in den Kultvollzug vor den Kolossalstatuen des Königs verweist. Es ist jedoch zu bemerken, dass diese Tatsache zumindest teilweise im Widerspruch zu den Stelen aus Deir el-Medina steht, in denen der häufigste Titel von Frauen nb.t-pr „Hausherrin (Ehefrau)“ lautet. Darüber hinaus entspricht dies derselben Situation, die für die Stelen generell festgestellt wurde: Nur in Deir el-Medina sind einfachere Titel vorhanden, die auf eine niedrigere Gesellschaftsschicht der Stifter hinweisen. Denkmäler aus anderen Orten sind in der Mehrheit der Fälle sozial höher gestellten Persönlichkeiten zuzuschreiben.

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Aus dem häuslichen Bereich sind neben den Türgewänden andere Zeugnisse bekannt, die auf eine Ausübung von häuslichen Kulten hindeuten. Selbst wenn diese Zeugnisse im gesamten ägyptischen Siedlungshorizont zahlenmässig eher gering vertreten sind, können die vorhandenen Hinterlassenschaften doch als Paradigma für die private häusliche Religionspraxis im Ägypten des Neuen Reiches generell angesehen werden (KEMP 1989: 305). Vor diesem Hintergrund isolierte Barry KEMP in Tell el-Amarna vier Bereiche der Religionspraxis, d. h. des Vollzugs von religiösen Riten: 1) die Königsstatuen oder die öffentlich zugänglichen Götterbilder; 2) die Familienkapellen; 3) häusliche Kulte, deren Schwerpunkt im Bereich „Frau und weibliche Natur“ lag (KEMP 1979); 4) verschiedene untergeordnete Gottheiten, die nur für einzelne Bereiche des Alltags zuständig waren. Die auf die Frauen fokussierte häusliche Religionspraxis konnte auch in Deir el-Medina festgestellt werden (PINCH 1983,), wo in Analogie zu Tell elAmarna Hausaltäre (WEISS 2009), Wandmalereien mit Abbildungen von Bes und Taweret, Fruchtbarkeitsfiguren, 345 sowie kleine an Taweret geweihte Stelen (BRUYÈRE 1952b: 72–82) entdeckt wurden. Die herausragende Rolle von Taweret und Bes, sowie die deutliche Gewichtung der Votivgaben an Hathor sind Hinweise darauf, dass der häusliche Kult der weiblichen Sphäre vor allem – aber nicht ausschliesslich – der Fruchtbarkeit und dem Kinderwunsch gewidmet war. 346 Der Auszug aus einem Totenbrief auf P.Berlin 10482 (JÜRGENS 1990) bezeugt zum einen den Glauben an die Vermittlung der eigenen Bitten an die Götter durch den Verstorbenen und zum anderen den Kinderwunsch eines Mannes: 347 apr=k n nTr(.w) dj=sn msj.tw Xrd.w anx(.w) wDA(.w) snb(.w) tp tA jwa.t=sn ns.t=j tp tA

„Mögest du die Götter bitten, dass sie bewirken, dass Kinder geboren werden, die lebend, heil und gesund auf der Erde sind und die meine Ämter auf der Erde erben werden“.

An dieser Textpassage ist vor allem die Tatsache auffällig, dass der den Göttern zu übermittelnde Kinderwunsch einen sozialen Charakter hatte, denn in Ägypten wurden Ämter fast ausschliesslich vom Vater auf den Sohn vererbt. Die archäologischen Hinterlassenschaften aus Tell el-Amarna und Deir el-Medina verweisen auf eine Art Fruchtbarkeitszauber (FEUCHT 1995: 46; 173), dessen Träger in erster Linie Frauen waren. 345 346

347

Letztere wurden auch in Kahun entdeckt (PINCH 1983). Dass dieses Bild jedoch komplexer war, ist anhand verschiedener Tatbestände zu belegen. So verweist Bernard BRUYÈRE (1939: 317) auf die Verehrung verschiedener Götter sowie von Ahnen durch Frauen. Ferner, da eine grosse Mehrheit der in Deir el-Medina entdeckten Hausaltäre Mertseger oder Renenutet gewidmet war und viele davon in Küchen entdeckt wurden, könnten diese mögliche Hinweise auf eine Religionspraxis von Frauen sein, die nicht direkt mit der Fruchtbarkeit in Verbindung stand, wie z. B. die Vorbereitung des Essens (SADEK 1987: 77). Weitere Nischen dieser Art wurden gegenüber von zwei Wohnzimmern entdeckt und waren Sobek, Amun „des schönen Treffens“ und Hathor gewidmet. Dennoch spricht die Mehrheit der Belege für die besondere Gewichtung der Fruchtbarkeitssphäre in der alltäglichen privaten Religionspraxis von Frauen (STEVENS 2009: 18). Der Inhaber des Papyrus bleibt anonym, allerdings kann aufgrund der bestehenden Beleglage ein Besitzer männlichen Geschlechts angenommen werden.

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Angesichts der hohen Kindersterblichkeit waren die Frauen darauf angewiesen, viele Kinder zu gebären. Die Familie stellte den Kern der altägyptischen Gesellschaft dar. Die Aufforderung, eine Familie zu gründen wird unter anderem in den Lehren des Ani deutlich: „Erwirb dir eine Frau, solange du jung bist, damit sie dir einen Sohn als Ebenbild schaffe. Gebiert sie dir, wenn du in jungen Jahren bist, das ist richtig.“ (QUACK 1994: 131) Ob über den Kinderwunsch von Frauen hinaus, der archäologisch insbesondere durch die Frauenfiguren mit Kind auf dem Arm (FEUCHT 1995: 166ff.) nachzuweisen ist, 348 vielleicht auch das Mutterschaftsgefühl im heutigen Sinne eine Rolle spielte, muss aufgrund der Begrenztheit der Beleglage eine noch offene Frage bleiben. In Kapitel 5.3.2 wird auf die Bedeutung der privaten Korrespondenz für die Rekonstruktion der persönlichen alltäglichen Religionspraxis eingegangen werden. Dieselbe Dokumentation kann auch für die Untersuchung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Gender und Religion dienen mit dem Ziel, eventuelle Gender-orientierte Muster oder Rollenverteilungen auch hinsichtlich der Religionspraxis im Alltag nachzuweisen. Betreffende Studien sind in erster Linie Deborah SWEENEY (insbes. 1992, 1994, 1998) zu verdanken, die anhand des Briefwechsels zwischen Henuttaui und ihrem Mann Nesamenope das religiöse Alltagsleben einer Amunsängerin (Henuttaui) zu erfassen suchte (SWEENEY 1994). Henuttaui ist im Rahmen der Verwaltung von Deir el-Medina bekannt, da sie im Turiner Steuerpapyrus (P.Turin 1859+2006) als Empfängerin von Getreide für verschiedene Tempelanlagen und Heiligtümern im thebanischen Raum aufgelistet ist. Das Empfangen von Getreide hat wahrscheinlich mehr mit ihrer Mitarbeit mit ihrem Mann Nesamenope als mit ihrer Rolle als Amunsängerin zu tun, da dies in der Ramessidenzeit auch für andere Frauen belegt ist (SWEENEY 1994: 208–209). Für Henuttaui ist dies auch in P.Genf D191 (Kat. B.20.18) zu verfolgen. Abgesehen von den wirtschaftlich-administrativen Details des Briefes (SWEENEY 1994: 209–210), die über die unzureichende Lieferung an Getreide für das tägliche Opfer an Amun berichten, verdient dieser Brief eine besondere Aufmerksamkeit im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung. Die Nichteinhaltung ihrer Pflichten der Gottheit und ihrer Institution gegenüber versetzt Henuttaui in einen Angstzustand. Im Text wird die Strafe des Gottes thematisiert: (P.Genf D191, 16–17 = ČERNÝ 1939: 58, 7–8) jw=j gr.n=j m rA r Dd j.jrj.tw=k jj wn jrj Jmn-Xnmw-nHH bjn nb.t jm=j „Und ich schwieg, und dachte ‚bis du zurück bist, wird ‚Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit’ mir etwas Böses antun’“. Bereits Deborah SWEENEY (1994: 211–212) konnte den Inhalt dieser Worte mit den sog. Schuldkenntnissen Neferabus (Kat. G.19.6 und G.19.7) in Verbindung bringen und somit aus dem inoffiziellen Bereich eines privaten Briefes die Existenz eines Schuldbewusstseins gegenüber der göttlichen Welt beweisen. Besonders interessant ist die Tatsache, dass sich Henuttaui an ihren Mann wendet, der für die Zustellung der göttlichen Opfer zuständig war, damit er die problematische Situation schnell klärt, um eine göttli348

Solche Figuren wurden auch in Gräbern von Männern gefunden. Dennoch stehen sie stets in Verbindung mit Frauen, die den Verstorbenen oder die Götter um ein Kind bitten (FEUCHT 1995: 170).

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che Strafe zu vermeiden. In welchem Verhältnis steht nun dieses Verfahren zu demjenigen des öffentlichen Bekenntnisses, wie es am Beispiel des Neferabu sichtbar ist? Es ist durchaus vorstellbar, dass eventuelle Strafen für begangene Delikte über die Priesterschaft der Gottheit selbst liefen, die über solche Taten informiert wurde. Gerade im Falle von Henuttaui die, abgesehen von ihrer Rolle als Amunsängerin, in den administrativen Belangen von Medinet Habu durch ihre Mitarbeit involviert war, konnte das verspätete Eintreffen der Gottesopfer nicht unbeachtet bleiben. Die Strafe an sich wurde vom Übeltäter als Wille Gottes empfunden, weshalb eine religiöse Wiedergutmachung unerlässlich war. Straftaten, die gegen sakrale Einrichtungen begangen wurden, richteten sich gegen ethische Normen und wurden somit von den Göttern direkt bestraft (BOOCHS 1991: 57, 59ff.). Der Brief von Henuttaui und die Stelen des Neferabu sind sozusagen die zwei fassbaren Pole einer Gott-Mensch-Beziehung, die in der Ramessidenzeit besonders zum Ausdruck kam: Während Henuttauis Brief als Beleg für die geglaubte Straftat gilt, stellen die Stelen des Neferabu die deutlichsten Ausdrücke einer unumgänglichen Wiedergutmachung dar. Auf Neferabus Denkmälern wird zwar die erteilte Strafe beschrieben, 349 der Auslöser allerdings bleibt ungenannt. Dennoch könnte die Selbstbeschreibung „ich war ein unwissender Mann, der nicht gut und böse unterscheiden konnte“ (Stele BM 589, Kat. G.19.6) auf einen Verstoss gegen die Sittenordnung hinweisen, selbst wenn der Ausdruck der Opposition zwischen Gut und Böse bereits an verschiedenen Stellen belegt ist 350 und somit Teil einer bestehenden Tradition war. Henuttauis Brief und Neferabus Denkmäler sind Belege für den befürchteten bzw. geschehenen Vollzug religiöser Strafen im diesseitigen Leben und somit für die Überzeugung eines göttlichen Eingriffes ins menschliche Leben (BOURGHOUTS 1982, KARL 2000). 4.2.5

Auswertung

Die hier geschilderte Dokumentation zeigt die religiösen Haltungen von Frauen im Ägypten des Mittleren und Neuen Reiches. Unterschiede sind in diesen beiden Zeitperioden durchaus festzustellen; allerdings gehen sie mit der allgemeinen Entwicklung der ägyptischen Kultur derselben Zeit einher. Vor dem Neuen Reich sind kultische Einrichtungen für den Götterkult seltener und vor allem bescheidener sowohl was die Grösse als auch die Qualität der Baumaterialien anbelangt. Opfergaben unterer Gesellschaftsschichten sind dabei nur sehr selten vorhanden. Spontane Weihungen von Votiven in die Göttertempel und lokale Heiligtümer waren wahrscheinlich nicht zugelassen resp. nur die Aufstellung derjenigen Produkte, die im kanonischen Stil der höfischen Kunst ausgeführt wurden. In Anbetracht dieser Tatsachen stellt die Seltenheit der Hinweise persönlicher Religionsausübung bei Frauen kein besonderes Problem dar. Frauen aus elitären Schichten konnten am Kultgeschehen insbesondere von Göttinnen in Form von Priesterinnen teilnehmen, was jedoch in keinster Weise auch ihrer Religiosität ent349

350

Cathie SPIESER (2004: 65) erkennt hinter diesem Ausdruck den Schmerz als Folge eines Schlangenbisses. Ihrer Meinung nach hätte Neferabu genau dieses erlebt und als Gottesstrafe uminterpretiert. Lehre des Ptahhotep 24 (L2); P.Sallier I, 3.3; P.Anastasi I, 27.1–2; P.Anastasi I, 11.1. S. dazu DORN 2004: 52. Die problematische Vermischung von Gut und Böse ist auch in der Autobiographie des Chety aus Assiut ein Thema (EDEL 1984: 106–107).

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sprach. Wenn schon die Untersuchung der Religiosität bei Frauen aus der Elite grosse Schwierigkeiten bereitet, so ist die Situation bei den Mitgliedern der unteren Gesellschaftsschichten geradezu hoffnungslos. Die von John BAINES (1987) und Barry KEMP (1995) erarbeiteten Kriterien zur Erkennung von Hinweisen praktizierter Religion in der Zeit vor dem Neuen Reich sind für die soziale Kategorie der Frauen nur mit Schwierigkeiten anwendbar – was der Fundlage und nicht den Kriterien zuzuschreiben ist. In die 18. Dynastie datieren zahlreiche Votivgaben aus verschiedenen Heiligtümern in Ägypten; in der Ramessidenzeit nahm die Anzahl solcher Opfergaben jedoch wesentlich ab, wohingegen beschriftete Denkmäler, die das religiöse Wunschdenken von Individuen wiedergeben, sind reichlich vorhanden. Die Votivgaben von Frauen, häusliche Kultinstallationen und Wandmalereien, die möglicherweise die Geburt und die sog. Wochenlaube unter den Schutz von Taweret und Bes stellen (KEMP 1979, PINCH 1983, STEVENS 2003, DIES. 2009: 18, WEISS 2009: 198-202 351), sprechen dafür, dass Frauen Träger einer bestimmten Religiosität waren, deren Mittelpunkt Kinderwunsch, Fruchtbarkeit und Geburt waren. Gebets- und Votivstelen, sog. Ax jor n Ra-Stelen, beschriftete Türpfosten sowie alltägliche Briefe spiegeln jedoch Themenbereiche wider, die Frauen und Männern gemeinsam betreffen und die einem gleichen Muster folgen. So unterscheiden sich allgemeine Bitten um Gesundheit und langes Leben, Hoffnungen für das Jenseits und Sorgen über das alltäglich geführte Leben der Frauen thematisch nicht von denjenigen der Männer. Die Angst vor einer Gottesstrafe, die sich in Form von Krankheit und Unglück äussern konnte, war keine Gender-spezifische Eigenschaft. Ein weiterer Beleg stellt die Inschrift auf der Stele CM171 aus Assiut (Kat. G.19.29) dar, die eine sehr ähnliche Phraseologie wie auf der Stele Berlin 20377 (Kat. G.19.17) und der Stele Glasgow (Culture and Sport Glasgow Museums: Kat. G.19.13) aufweist. Text C im oberen Register der Stele CM171 weist folgende Aussage auf: mtj bAk btA mtj nb(?) r (?) Htp „Ein Diener neigt zum Verbrechen, ein Herr zur Gnade“. Hier bedient sich die Sängerin des Upuaut Tajay einer Phraseologie 352, die in Deir el-Medina zur gleichen Zeit zirkulierte und auf Stelen belegt ist, die ausschliesslich von Männern gestiftet wurden. Aus den hier ausgewerteten Quellen ergibt sich, dass dort wo Frauen die Möglichkeit hatten, beschriftete Denkmäler in den jeweiligen Werkstätten der Tempelanlagen in Auftrag zu geben, sie Aspekte ihres eigenen inner self zum Ausdruck brachten, welche nicht die Sphäre der Fruchtbarkeit betrafen, aber dennoch im Rahmen der stereotypen, für Männer ebenfalls belegte Ausdrucksformen blieben (z. B. Stele Bankes 6). Geschlechtsspezifische Eigenschaften, die einen Einfluss auf die Ausdrucksformen persönlicher Religionspraxis gehabt haben können, scheinen somit sekundär gegenüber der Auswirkung der sozialen Herkunft des Individuums gewesen zu sein. Sozial höher stehende Individuen hatten offenbar leichteren Zugang zu den Produktionszentren zur Herstellung persönlicher Denkmäler. Die Tatsache, dass die Mehrheit solcher Denkmäler von Männern gestiftet wurde, ist aufgrund ihrer höheren Stellung in der allgemeinen ge351

352

Man beachte dabei Lara WEISS’ skeptische Einstellung gegenüber der Deutung der lits clos/Hausaltäre in Deir el-Medina als ausschliesslich der weiblichen Sphäre zugehörig. Dies sei aufgrund möglicher Fehldeutungen der Reste von Wandmalereien zurückzuführen. Ihrer Studie zufolge dienten die Hausaltäre vielmehr dem Wohl des ganzen Haushalts bzw. der Familie als ausschliesslich der Frauen (WEISS 2009: 202). S. dazu den Kommentar zu Kat. G.19.17 und Kat. G.19.13.

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sellschaftlichen Struktur zu erklären. Auf bildlicher Ebene spiegelt sich dieser Umstand auf den Gebetsstelen folgendermassen wider: Dort wo ein Individuum alleine in Anbetungsgestik oder beim Opfern vor einer Gottheit dargestellt ist, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass das Denkmal vom abgebildeten Individuum persönlich gestiftet wurde. Dies gilt auch für diejenigen Frauen, die alleine auf dem Denkmal dargestellt sind (z. B. Stele Bankes Nr. 6). Unterschiede in der religiösen Gestik sind zwischen Männern und Frauen nicht festzustellen. Aufgrund der Dokumentation aus Deir el-Medina ist festzuhalten, dass die Gebetsstelen, die von Frauen alleine gestiftet wurden, die notwendigen Formeln für die Ausübung eines Gebetsrituals aufweisen, inhaltlich jedoch deutlich kürzer gehalten sind als die Denkmäler von Männern. Dennoch scheint dies wiederum ein Charakteristikum der Dokumentation aus Deir el-Medina zu sein. Die sog. Salakhana-Stelen aus Assiut (DUQUESNE 2000–2009b), die z. T. zeitgleich mit denjenigen aus der westthebanischen Arbeitersiedlung sind, wurden vorwiegend von Männern gestiftet, obwohl im Vergleich zu Deir el-Medina eine verhältnismässig hohe Anzahl Frauen belegt ist (DUQUESNE 2000: 15). Inhaltliche Unterschiede, die sich auf das jeweilige Geschlecht zurückführen lassen, sind jedoch aufgrund der bisher bekannten Beleglage nicht nachzuweisen. Die Fruchtbarkeit war ein zentrales Thema in der Religionspraxis von Frauen aus einfachen Verhältnissen, obwohl dies konzeptuell auch für Frauen aus elitären Kreisen zutraf. Fruchtbarkeit und Kinderwunsch waren aber Universalia der weiblichen wie der männlichen Sphäre, 353 unabhängig vom jeweiligen sozialen Status. Auf einer rein quantitativen Basis kann gesagt werden, dass die religiösen Denkstrukturen von Frauen, die hinter den Votivgaben, den häuslichen Kultinstallationen oder dem häuslichen Zauber standen, die Fruchtbarkeit und den Kinderwunsch zum Inhalt hatten. Spezifisch maskuline Aspekte können in den Belegen, die von Männern und Frauen gemeinsam gestiftet wurden und die das soeben geschilderte Thema betreffen, nicht identifiziert werden. Eingangs dieser Teiluntersuchung eröffnete sich die Frage, inwieweit eventuelle frauenorientierte religiöse Denkstrukturen und Praktiken auch deren Identität und soziale Rolle beeinflusst haben könnten. Wie schon mehrmals betont war die Geburt von Kindern aufgrund der hohen Kindersterblichkeit von zentraler Bedeutung, weshalb die Konzentration der populären Religionsausübung von Frauen auf dieses spezifische Thema nicht verwundert. 354 Ihre kulturelle und soziale Rolle war von der Empfängnis und Entbindung, kurz: von der Sicherung der Nachkommen geprägt. Dies spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass Priesterinnen im Mittleren Reich und Sängerinnen im Neuen Reich ihre Kultteilnahme hauptsächlich in Heiligtümern von weiblichen Gottheiten realisierten. Die Dimension der Frau war eng – aber nicht ausschliesslich – an diejenige der Fruchtbarkeit gekoppelt und wurde religiös sowohl im populären wie im offiziellen Rahmen thematisiert. Sozial höher gestellten Frauen stand jedoch die Möglichkeit offen, Denkmäler anderer Konzeption anfertigen zu lassen. Generell kann jedoch fest353

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S. Kat. G.19.13, in der der Stifter Penbui die Göttin um Kinder „in seinem Bauch“ bittet. Zudem ist in Deir el-Medina die Teilnahme von Männern am Kult der Hathor belegt, was auf die sexuell-fruchtbare Ebene zurückzuführen ist (VALBELLE 1985: 323–325, MESKELL 2002: 173). Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auf Ann Macy ROTHs Studie (2000: insbes. 189) verwiesen, die zeigen konnte, dass in Ägypten die Fruchtbarkeit als ein ‚Geben’ und ‚Nehmen’ gedeutet wurde, wobei den Männern die aktive Rolle des ‚Gebens’ zugeschrieben wurde.

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gehalten werden, dass die religiöse Dimension von Frauen in der Beleglage unterrepräsentiert ist. Die Feste, an denen sie z. B. in Deir el-Medina teilgenommen haben, sind nur in den Abwesenheitslisten der Männer erwähnt, die festhalten, wann die Männer von der Arbeit beurlaubt wurden, um die von ihnen persönlich verehrten Götter zu feiern (TOIVARI-VIITALA 2001: 130–132). Eine befriedigende und objektive Rekonstruktion der Religiosität von Frauen in Ägypten ist wahrscheinlich nicht möglich.

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Die persönliche Suche nach Gottesnähe: Untersuchung der Schriftzeugnisse

5.1

Religiöse Textzeugnisse

In Ägypten gab es verschiedene Formen des Gebetes: freie, ritualisierte und kultische; die Quellen überliefern diese auf unterschiedliche Art und Weise und mit unterschiedlicher Gewichtung. Um die im Katalog zusammengestellten Gebete auszuwerten, wird hier der Versuch unternommen, den in Kapitel 2.9 vorgestellten Fragenkatalog, den die empirische Religionswissenschaft entwickelt hat, anzuwenden. Um eine chronologische Studie zu ermöglichen und eventuelle Entwicklungsrichtungen zu isolieren werden in dieser Arbeit nur sicher datierte Zeugnisse berücksichtigt. Darüber hinaus musste hier eine Auswahl getroffen werden, um die immense Menge an Zeugnissen auf die wirklich relevanten zu reduzieren. Ausschlaggebend für die Wahl waren die für die durchgeführte Analyse stellvertretenden inhaltlichen Elemente. 5.1.1

Die frühen Gebete (Erste Zwischenzeit – 18. Dynastie)

Die Ramessidenzeit gilt in der ägyptologischen Forschung als die Zeit der Persönlichen Frömmigkeit par excellence. 355 Im Lauf dieses Kapitels wird versucht, dieses religiöse Phänomen anhand der Zeugnisse in einen kulturellen Horizont einzuführen, der die Entstehung sowie die Entwicklungstendenzen des Phänomens gleichzeitig berücksichtigt und problematisiert. Zeugnisse persönlicher nicht-königlicher Religionserfahrung sind in Ägypten vor dem Neuen Reich zwar selten anzutreffen, dennoch sind sie vereinzelt sowohl schriftlich als auch archäologisch belegt. 356 Darüber hinaus wurde auf das Verhältnis zwischen der Ausübung persönlicher Religiositätsformen und dem offiziellen Kult eingegangen und dabei eine gegenseitige Wechselwirkung festgestellt, die schon seit der 18. Dynastie bestand. 357 In diesem Kapitel wird versucht, die inhaltlichen und formalen Eigenschaften der in der vorliegenden Arbeit untersuchten schriftlichen Zeugnisse persönlicher Religion in einer chronologischen Studie herauszustellen. a) Das Mittlere Reich und die Zweite Zwischenzeit Die erste vertiefende Analyse des bestehenden Materials gilt den Gebetstexten, die zwischen dem Mittleren Reich und der 18. Dynastie entstanden sind. 358 Texte, die persönliche Bitten an eine Gottheit beinhalten, sind im Mittleren Reich nur selten anzutreffen und können ausschliesslich im Bereich der Jenseitswünsche verortet werden. Im Katalog der vorliegenden Studie wurden für diese Zeit einige Texte zusammengestellt, die 355 356 357 358

S. dazu Kapitel 1.1. S. dazu die Ausführungen in Kapitel 1.1. S. dazu auch BAINES 2009, STEVENS 2009 und LUISELLI 2011. S. Kapitel 3.1.4. S. dazu Katalog 3.1 und 3.2: G.12.1–G.18.25

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stellvertretend für die belegten Gebetstypologien stehen und somit als Fallbeispiele für mehrere Zeugnisse zu verstehen sind. Die am häufigsten belegte Gebetsvariante stellen die Texte der Abydos-Stelen dar und derjenigen, die indirekt auf die Osirisfeierlichkeiten in Abydos verweisen, aber aus anderen Ortschaften oder Kontexten herrühren (Kat. G.12.2–G.12.4). Aus Abydos selbst stammen zahlreiche Stelen mit autobiographischen Texten, die Varianten der sog. Abydos-Formel aufweisen und durch die der Steleninhaber im Anschluss an die Beschreibung seines Lebens eine Reihe von Wünschen für das Jenseits zum Ausdruck brachte. 359 In Analogie zu den öffentlichen Festen im Neuen Reich stellten die Abydosfeierlichkeiten für Osiris im Mittleren Reich eine kultische Bühne für die persönliche Erfahrung der Gottesnähe dar, 360 deren Schwerpunkt im jenseitigen Weiterleben des Menschen lag. In diesem Rahmen wird der im Neuen Reich in den Gebetstexten reichlich belegte Wunsch, die „Schönheit“ der Gottheit sehen zu wollen, 361 erstmals zum Ausdruck gebracht und an Osiris gerichtet. 362 Die Texte des Neuen Reiches verbinden diesen Wunsch ausdrücklich mit dem Licht des Sonnengottes, das die Augen des Beters erleuchten soll – manchmal mit dem Hinweis, von der (jenseitigen) Dunkelheit gerettet zu werden. 363 Die Stele Glasgow Hunterian Museum and Art Gallery D1922.13 (Kat. G.12.2), die hier stellvertretend für diese Fragestellung in der Zeit vor dem Neuen Reich gewählt wurde, stellt ein Gebet an Osiris im Rahmen einer Totenopferformel dar. Der Text weist eine Passage auf, in welcher der Wunsch nach dem Erblicken der Schönheit des Gottes durch den Stifter (Antef) geäussert wird: jj.n(=j) xr=k mAA(=j) {m} nfr.w=k dwA(=j) tw mA.tj ra(.w) nb (...) mA.tj ra(.w) nb „Ich bin zu dir gekommen, um deine Schönheit zu sehen (...) wenn du dich erneuerst jeden Tag“. Hinter dieser Aussage verbirgt sich das Konzept der synkretistischen Vereinigung von Osiris und der Sonne bei ihrer nächtlichen Fahrt durch die Unterwelt. 364 Die Erneuerung 359 360

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Die Standardisierung dieser Formel erfolgte bereits in der ersten Hälfte der 11. Dynastie. S. dazu LICHTHEIM 1988: 129ff. Die Denkmäler ausserhalb von Tempelareal und Nordfriedhof in Abydos, die von der Teilnahme an den Osirisfeierlichkeiten berichten, stellen eine symbolische Teilnahme des Stifters dar und gelten somit ebenfalls als Ausdruck einer gewünschten und erfahrenen Gottesnähe. Zur Erwähnung einer Prozession im Mittleren Reich, bei der die rituelle Anbetung der Gottheiten erfolgte, s. Kat. G.12/13?.4 (Stele Bologna EG 1911): dwA Mn.w sp 4 m pr.t=f „Vier mal Min anbeten bei seinem Auszug“. S. dazu auch die Diskussion in Kapitel 3.1.1. S. das Gebet an Schu und Re-Harachte auf der Stele Turin 50042 (Kat. G.19.14: dj=j n=k jA.w mAA nfr.w=k dwA=j ram Htp=f „(...) Ich preise dich, wenn ich deine Schönheit sehe. Ich bete Re an, wenn er untergeht (...)“); das Gebet an Re auf der Stele BM 266 (Kat. G.19.18: dj=k rwD Ha=j Hr mAA=j nfr.w=k jw=j m hnw n Hr=k nfr „(...) Mögest du veranlassen, dass mein Körper fest wird (d. h. dass mein Leichnam nicht verfällt), beim Anblick deiner Schönheit (...)“); das Gebet an Amun-Re auf der Stele Berlin 20377 (Kat. G.19.17: dj=f n=j jr.ty=j Hr 9. nfr.w=f „(...) möge er mir gewähren, dass meine Augen seine Schönheit schauen (...)“). Für weitere Beispiele dieses Ausdruckes s. die Statue Berlin 2293 (Kat. G.18.9), den Türsturz der Hypostylhalle im Grab des Merire (Kat. G.18.13), die Stele Louvre C21 (Kat. G.18.22), P.Anastasi III, 4.12–5.5 (5.3.3.e), die Stele Turin 50046 (Kat. G.19.26) und das Ostrakon O. Kairo 25206 (5.3.3 m). S. dazu auch die Inschrift des Abkau (Kat. A.11.4), in der die Osirisfeierlichkeiten in Abydos teilweise beschrieben werden: „(...es zeige mir) der Erste der Westlichen sein Gesicht an seinen Ewigkeitsfesten, damit ich seine Schönheit anbete an der Spitze der Grossen und Ehrwürdigen“. S. dazu den Exkurs II, Kapitel 5.1.1. Diese Vereinigung verbirgt sich ebenfalls hinter dem Ausdruck jj.wj m Htp „Willkommen in Frieden“ (z. B. P.Boulaq 17, 7.6 [LUISELLI 2004: 25 und 32; zu weiteren Parallelen dieses Ausdruckes s.

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deutet auf das tägliche Aufgehen der Sonne am Morgen hin, was nach ägyptischer Vorstellung mit dem erfolgreichen Bekämpfen der Feinde in der Unterwelt verbunden ist und gleichzeitig auch mit der täglichen und am Sonnenaufgang stattfindenden Wiedergeburt durch Nut. Der Wille, die „göttliche Schönheit zu schauen“, kommt in späteren Texten im Zusammenhang mit mehreren Gottheiten vor. Zum einen in Sonnenhymnen und Hymnen an Amun-Re; 365 zum anderen, wenn die angebetete Gottheit eine synkretistische Verbindung mit dem Sonnengott (Amun-Re) eingeht 366 oder wenn sie mit Epitheta aus der Sonnentheologie angerufen wird 367 oder ein Teil ihrer Mythologie erwähnt wird, der mit der Sonne in Verbindung steht. 368 In denjenigen Fällen, in denen der hier untersuchte Wunsch auch unabhängig von der Verbindung mit dem Licht thematisiert wird, kann dies vor dem Hintergrund der göttlichen Statuen erklärt werden, 369 die im Neuen Reich Zielpunkte für die private Annäherung an eine Gottheit waren. 370 Die „Schönheit“ der Gottheit ist in solchen Fällen als sekundäre Anwendung eines Ausdruckes zu verstehen, der ursprünglich in der Sonnentheologie verortet war. Später wurde der Ausdruck übernommen, um den Zugang des Menschen zur Gottheit im Rahmen seiner persönlichen Sphäre zu beschreiben, bis schliesslich eine Umformung des Ausdruckes zu einer stereotypischen Gebetsformel stattfand. Ausgehend von der Sichtbarkeit der Sonne für die Allgemeinheit jenseits jeglicher theologischer Prinzipien, die nur der intelligentia zugänglich waren, äusserte sich der Wunsch nach Gottesnähe schon in dieser frühen Phase im Sinne eines visuellen Kontaktes. Das Sonnenlicht als Emanation des Sonnengottes war täglich erfahrbar;der Wunsch, dieses Licht erblicken zu dürfen, ist in den meisten Fällen mit dem Sonnenaufgang, d. h. mit der allmorgendlichen Erneuerung der Sonne, in Verbindung zu setzen. Aus der Vorstellung des nächtlichen Laufes der Sonne durch die Unterwelt entwickelte sich der Wunsch, diese Gotteserfahrung par excellence auch nach dem Ende des diesseitigen Lebens nicht zu verlieren. In der Amarnazeit erlebte diese religiöse Vorstellung einen Aufschwung, dessen bekannte Grundzüge hier nicht diskutiert werden können, der aber die schriftlichen Zeugnisse

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ASSMANN 1969: 46–49]), obwohl sie erst in der Sonnenlitanei mit dem Bild des Osiris als Nachtsonne und mit dem Namen des Re als „Vereinigter“ einen formellen Ausdruck erfährt (s. HORNUNG 1995: 108–109). Vgl. dazu in Auswahl Kat. G.18.22 (Stele Louvre C21), Kat. G.19.18 (Stele BM 266), Kat. G.19.17 (Stele Berlin 20377); O. Kairo 25206 (Kapitel 5.3.3 k). Vgl. dazu auch die Angaben im Index bei ASSMANN 1983b. O.Kairo 12202 vso. (Kat. G.18.2). Gebet an Thot in P.Anastasi III, 4.12–5.5 (5.3.3 f). Statue Berlin 2293 (Kat. G.18.9): Thot wird hier in Text A1 aufgrund seiner Anwesenheit in der Sonnenbarke und somit seiner Teilnahme am Sonnenzyklus von Cheruef angebetet. Ein Sonderfall stellt die Verehrung der „Schönheit“ Echnatons dar: In der Theologie des neuen Gottes Aton ist Echnaton Teil der göttlichen Sphäre und Ziel persönlicher Verehrung als Gott und Schöpfer (HORNUNG 1995: 96ff.). S. dazu auch Kat. Ar.18.5 (Türsturz aus Amarna). S. z. B. das Gebet an Ptah auf der Stele Ny Carlsberg Glyptothek Nr. 897 (ASSMANN 1999: Nr. 223): Z.1 jw bAk jm Hr dwA (.t) nfr (.w)=k „Der Diener da betet deine Schönheit an“; Z. 5–6 jAw sp 3 n Hr{.t} nfr Spsj n.t pr-PtH „Lob, Lob, Lob deinem schönen Antlitz, du Edler des Ptahtempels“. S. dazu Kapitel 3.1.

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persönlicher Religiositätsäusserungen 371 stark beeinflusst hat. Da in der Amarnatheologie die nächtliche Fahrt der Sonne durch die Unterwelt in Bild und Schrift ausgeklammert wird (HORNUNG 1995: 106ff.), um die Allgegenwärtigkeit Atons nicht in Frage zu stellen, 372 wird das Thema des Erblickens der „Schönheit“ Atons zeitlich auf den Moment des morgendlichen Erwachens beschränkt und bekommt somit eine ausschliesslich diesseitige Konnotation. Dafür sei hier stellvertretend die Passage im Grab des Pentu (Kat. G.18.15) aufgeführt, in der es heisst: „Wenn du als Lebender und in Freude untergehst, freuen sich alle Augen; sie verdunkeln sich nach deinem Untergang und bei deiner Vereinigung [mit dem Himmel]. Ein Auge sieht nicht sein Zweites. Alle schleichenden Schlangen schlafen (…); um deine Schönheit zu sehen, ist es, dass sie aufwachen! Wenn du erscheinst, können sie sehen und sie fühlen sich vollendet, wenn du ihnen deine Strahlen gibst.“ Nach den Vorstellungen der Amarnazeit erwacht der Tote jeden Morgen im eigenen Grab und sieht Aton und sein Licht. Damit bekommt er Lebenskraft und begeht seinen Tag als lebender Ba (HORNUNG 1995: 108). Die oben erklärte Symbiose zunächst zwischen dem Sonnenlicht und der „Schönheit“ des Sonnengottes und erst sekundär mit den mit der Sonne in Verbindung gesetzten Göttern, fand in der 21. Dynastie in den Götterdekreten eine graphische Wiedergabe in der Hieroglyphe N8, der strahlenden Sonne ( ), das zur Determinierung des Wortes nfr.w „Schönheit“ benutzt wurde. 373 Die Erfahrung der Gottesnähe während der Abydosfeierlichkeiten vollzog sich innerhalb einer vorgegebenen sakralen Zeit und eines bestimmten sakralen Raumes. Diese hatten auf die Formulierung der individuellen Erfahrungen und Wünsche insofern Einfluss, als dass diese am gemeinsamen Nenner des normierten Dekorums anhafteten (BAINES 1990 und DERS. 1991: insbes. 137ff.). Die Beispiele der Gebete, die aus diesem Kontext stammen, sind zwar als individuelle Werke zu verstehen, wenn sie auf die Schilderung der Taten einer bestimmten Persönlichkeit (oder mehrerer Persönlichkeiten im Falle der Miteinbeziehung der Familienmitglieder) abzielen, stellen aber keine freien Gebete dar. Im Gegenteil: Die korrekte Wiedergabe bestimmter Gebetsformeln galt für den richtigen Kultvollzug selbst auf persönlicher Ebene als notwendig. Gebetstexte aus diesem Umfeld sind in ihrer rituellen Ausformulierung standardisiert: Die Hinwendung zur Gottheit erfolgt stets über ihre Anrufung mit den offiziellen Epitheta. Obwohl der Wunsch nach Erhörung der eigenen Gebete im Mittleren Reich schon ausformuliert war, 374 enthalten die persönlichen Bitten, denen in diesen Texten verhältnismässig we-



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Es sei hier ausdrücklich nur auf die schriftlichen Zeugnisse eingegangen, da die archäologischen Befunde gezeigt haben, dass selbst im Arbeiterviertel von Tell el-Amarna Belege für den privaten Kult von anderen Gottheiten als Aton und der Königsfamilie entdeckt wurden. HORNUNG 1995: 109 weist darauf hin, dass die Verbannung von Osiris aus dem Amarna-Pantheon mit der Popularität dieses Gottes zu tun hatte, der leicht zu einer Konkurrenz für Aton geworden wäre. Diesen Hinweis verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von Carsten Knigge Salis (Basel). Vgl. dazu die Passage im Gebet des Harfners Dedu an Hathor im Grab TT 60 (Kat. M.12.1): spr=j sDm=T Hm.t nb.w snmH=j pXr n[=j] jb=T „Ich bitte, mögest du hören, Majestät, o Goldene. Ich flehe, wende [mir] dein Herz zu“. Der gesungene Hymnus ist in kursivhierogliphischer Schrift verfasst, während das Opfergebet in Hieroglyphen niedergeschrieben wurde. Dies ist als Hinweis für die Ko-

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nig Platz gegeben wird, keine individuellen Elemente. Während sich zum einen im Rahmen der Abydosfeierlichkeiten die sog. Abydosformel in den Autobiographien mit der Zeit formell standardisiert, 375 kristallisieren sich zum anderen ebenfalls jenseitsgerichtete Wünsche und Bitten der Stelenstifter (Kat. G.12.2, 3 u. 4) und Grabinhaber heraus (Kat. G.12.1). Die Bitten auf Denkmälern des Mittleren Reiches sind in grossem Masse dem Leben nach dem Tode gewidmet. 376 Ihr Inhalt richtet sich an Osiris und an die in Abydos verehrten Götter Upuaut, Anubis, Min-Hornacht und Chontamenti, selbst wenn die Belege dafür nicht aus Abydos selbst stammen. 377 Andere Zeugnisse stellen heraus, dass selbst wenn die persönliche Lobpreisung einer ursprünglich nicht-abydenischen Gottheit gewidmet war, die Verbindung mit dem heiligen Ort in Abydos auf eine andere Weise gesucht wurde, wie dies die Stele Bologna EG 1911 (Kat. G.12/13?.4) mit der Anbetung einer in Abydos verehrten Form des Min-Hornacht vermittelt. Die Abydosfeierlichkeiten spielten somit auf gesamtägyptischer Ebene eine zentrale Rolle, und deren Thematisierung im Totenglauben war nicht an einen Aufstellungsort mit einer bestimmten Funktion gebunden (ASSMANN 2005: 44). Jenseits der Bitten, die im Mittleren Reich vor allem mit den Abydosfeierlichkeiten die Gelegenheit zur Erfahrung von Gottesnähe gaben, 378 stellen Denkmäler wie z. B. die Stele des Nebpu (Ny Carlsberg ǼIN 1540) aus der Nekropole von Haraga eine weitere Ausdrucksform erfahrener göttlicher Nähe zu Lebzeiten und des Wunsches nach deren Erweiterung im Jenseits dar. Burkhard BACKES (2001) konnte an diesem Denkmal feststellen, dass die Erwähnung der Gottheiten Hedjhotep, Ptah, Anubis, Chentechtai und des Königs Sesostris II. mit dem Beruf des Stifters selbst in Verbindung zu setzen sind und somit für das Mittlere Reich paradigmatisch die Wahl der Berufsgottheiten als persönliche Gottheiten festlegen. Wie sich zeigen wird, war zu jener Zeit das Konzept eines persönlichen Schutzgottes, der für das diesseitige und jenseitige Leben des Individuums zuständig war, noch nicht in der Form ausgereift, wie es aus dem Neuen Reich durch zahlreiche Zeugnisse belegt ist. Dennoch unterstreichen diverse Passagen in den literarischen Texten des Mittleren Reiches, dass der Umgang mit dem persönlichen (Schutz-)Gott auf verschiedene Art und Weise und in Abhängigkeit vom Texttypus thematisiert wurde. 379 Das Gefühl der Abhängigkeit des persönlichen Schicksals vom Willen eines bestimmten Gottes ist zudem in einigen (Autobiographien erwähnt, die aus der Ersten Zwischenzeit und aus dem Mittleren Reich stammen. 380 Gegen Ende des

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existenz zweier Dimensionen im Rahmen des funerären Diskurses zu deuten: die Dimension der Unterhaltung mit Musik, wovon die Rezitation gesungener Gebete ein Teil war, und diejenige des Begräbnisrituals (LOPRIENO 2005: 119–120). LICHTHEIM 1988: 134. Ausgehend von den königlichen Pyramidentexten des Alten Reiches entwickelte die kulturelle Elite des Landes seit dem Mittleren Reich eine vielfältige funeräre Literatur, bestehend aus magischreligiösen Sprüchen (Sargtexte) und Totenliturgien (Verklärungen [Vgl. dazu ASSMANN 2002 und DERS. 2005]), die das private Schicksal post mortem in all seinen Facetten thematisierten. Es sei diesbezüglich stellvertretend auf die Stele BM 447 (Kat. G.13.5) aus Theben verwiesen. Zur Stele Louvre C3 als explizitesten Ausdruck der Abydosformel und ihrer Wünsche siehe ASSMANN 2005: 38–44. S. dazu zuletzt LUISELLI 2007b. S. Kapitel 5.4.

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Mittleren Reiches sind darüber hinaus erste Zeugnisse einer wahrhaft persönlichen Einstellung zur rituellen Kultausübung fassbar, die eine Brücke zu den weniger formalisierten Ausdrucksformen der Gebetstexte des Neuen Reiches schlagen. Besonders bekannt ist hierfür die Stele Kairo CGC 20281 (VERNUS 1982–1983) aus der 13. –17. Dynastie, auf welcher sich der Stifter ausdrücklich als „Sohn des Ptah“ ausgibt und somit eine für Privatpersonen damals noch unbekannte Beschreibung der eigenen Beziehung zur Gottheit zum Ausdruck bringt. Das einzig wirklich Individuelle in der Ausübung persönlicher religiöser Denkstrukturen im Mittleren Reich ist die Hervorhebung des Namens des Beters in den Anbetungsformeln rdj.t jAw n + GN +jn + PN oder dwA n + GN +jn + PN. Dies hebt linguistisch die Distanz zwischen Individuum und Gott hervor, gleichzeitig wird aber durch den Gebrauch der Partikel jn der Fokus auf den Vollzieher der kultisch-religiösen Aktion gelegt (VERNUS 1982–1983: 116). Die Individualität des Stifters in religiösen Dokumenten kennzeichnete sich zu dieser Zeit ausschliesslich in seinem Namen und in seinen Berufstiteln. Der Name definierte ihn als eine unverwechselbare Persönlichkeit; durch den Namen war seine Individualität garantiert. Individualität und Identität bildeten sozusagen eine Einheit und markierten die Grenzen für den freien Ausdruck der Persönlichen Frömmigkeit. b) Die 18. Dynastie Die Voramarnazeit Die Texte, die hier stellvertretend für die religiösen Dokumente der Voramarnazeit gewählt wurden, entsprechen den Katalognummern G.18.1–11. Die folgende Tabelle soll zusammenfassend jeweils Ziel, Objekt, Zeit und Ort der einzelnen hier untersuchten Gebetstexte nach dem in Kapitel 2.9 vorgestellten Fragenkatalog veranschaulichen: Tabelle 10 Text

Gebetsziel

Gebetsinhalt

G.18.1 (TT 11 (Harfnerlied).)

- Amun-Re

- Bittgebet: Gunst des Gottes - Fürbitte für den Grabherrn (Harfnerlied).

G.18.2 (O.Kairo 12202 rto.)

- Amun-Re

- Bittgebet: Vergebung und Genesung

Gebetszeit (= zeitliche Verortung) - Schönes Fest vom Wüstental (SCHOTT 1953: 128).

- Schönes Fest vom Wüstental (nach POSENER 1975 und ASSMANN 1997) oder:

Gebetsort (Anbringungsort) - Grab (TT 11): sakraler Raum: Kontakt mit der Gottheit während der sakralen Zeit des Festes. - Prozession/ Orakel (nach POSENER 1975 und ASSMANN 1997).

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- Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008) oder: - Gebetsvorstellung im Heiligtum?

G.18.3 (O.Kairo 12202 vso.)

-Amun-Re

-Bittgebet: die Schönheit der Gottheit schauen.

- Schönes Fest vom Wüstental (nach POSENER 1975 und ASSMANN 1997). oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008). oder: - Gebetsvorstellung im Heiligtum?

G.18.4 (O.Kairo 12212)

G.18.5 (O.Kairo 12225 rto.)

- Amun-Re

- Amun

- Dankgebet: Heilung von einer Krankheit während der Prozession. Lob an den Gott.

- Hymnus/ persönliches Lob.

- Schönes Fest vom Wüstental (nach POSENER 1975 und ASSMANN 1997) oder: - Gebetsvorstellung im Heiligtum?

oder: - Heiligtum? oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008). - Prozession/ Orakel (nach POSENER 1975 und ASSMANN 1997) oder: - Heiligtum? oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008). - Prozession/ Orakel (nach POSENER 1975 und ASSMANN 1997)

oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008).

- Heiligtum? oder: Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextuali-sierung (nach BAINES/FROOD 2008).

- Schönes Fest vom Wüstental (nach POSENER 1975

- Prozession/ Orakel (nach POSENER 1975

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und ASSMANN 1997). oder: - Gebetsvorstellung im Heiligtum? oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008).

G.18.6 (O.Kairo 12217 rto.)

- Amun

- Dankgebet:

Beseitigung der Angst, persönlicher Schutz.

- Schönes Fest vom Wüstental (nach ASSMANN 1997) oder: - Gebetsvorstellung im Heiligtum? oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008).

G.18.7 (O.Kairo 12189 rto.)

- Amun

- Dankgebet: Machtverkündigung (sDd-bAwFormel).

- Schönes Fest vom Wüstental (nach POSENER 1975 und ASSMANN 1997). oder: - Gebetsvorstellung im Heiligtum? oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008).

und ASSMANN 1997). - Heiligtum? oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008). - Prozession / Orakel (nach ASSMANN 1997). - Heiligtum?oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008).

- Prozession / Orakel (nach POSENER 1975 und ASSMANN 1997). - Heiligtum/? oder: - Schultext, daher keine eindeutige rituelle Kontextualisierung (nach BAINES/FROOD 2008).

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G.18.8 (Kapelle Nr. 11 in Gebel el-Silsileh) G.18.9 (Statue Berlin 2293)

- Amun

- Loblied (Amun als Vater und Hirte).

- Talfest? - Gastmahlszene

Kapelle

- Thot

Keine Angaben

Grab

G.18.10 (Reliefplatte Wien 5815)

Re

Keine Angaben

Grab

G.18.11 (Statue BM 22557)

die untergehende Sonne

- Bittgebet: Verlängerung der Lebenszeit; Erhörung der Gebete; die Schönheit der Gottheit sehen. - Loblied: Thot als Himmelsgestirn und als Gott der Schreiber (der Stifter war ein Schreiber: Invokation von Thot als Berufsgottheit). - Bittgebet: Totenopferformel, Bitte in der Gefolgschaft des Re nach dem Tod sein zu dürfen. - Bittgebet: Gebetserhörunglange Lebenszeit, Begräbnis, - Loblied.

Keine Angaben / Sonnenuntergang

Grab

Das „Bittgebet“ ist als formelle Definition zu verstehen. Damit sind hier und in den folgenden Tabellen Anrufungen mit Äusserungen von Bitten und Anliegen an die jeweilige Gottheit gemeint, unabhängig von deren kultischer Einbindung (Kapitel 5.2). 1975 veröffentlichte Georges POSENER eine Gruppe zusammengehörender Ostraka (Kat. G.18.2–7), die heute im Ägyptischen Museum Kairo aufbewahrt werden, urspünglich aus Scheich Abd el-Gurna stammen und paläographisch in die Zeit Amenophis’ II. zu datieren sind. Die Besonderheit dieser Texte liegt in erster Linie in der Benutzung einer bestimmten Phraseologie, die bislang nur von den Gebetsstelen der Ramessidenzeit bekannt war. 381 Es handelt sich dabei um kurze bittende Hinwendungen an Amun-Re, die sich aufgrund von Kat. G.18.4 im Rahmen einer religiösen Prozession – vermutlich dem „Schönen Fest vom Wüstental“ – kontextualisieren lassen (ASSMANN 1997: 21). Die 381

S. dazu Kapitel 1.1.

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Thematik, die in diesen Dokumenten zum Ausdruck gebracht wird, umfasst die Bitte nach persönlichem Schutz, die Anrufung Amuns als Hirte (Kat. G.18.4, 18.5, 18.6), den Wunsch, keine Angst mehr haben zu müssen, das Erflehen der Nähe des fernen Amun und die Bitte, seine „Schönheit“ sehen zu dürfen (Kat. G.18.3). 382 Darüber hinaus wird die „erfahrene Gottesferne“, die durch die Metapher der „Finsternis am Tag“ beschrieben wird, angesprochen (Kat. G.18.2) 383. Jan ASSMANN (1997: 21) behauptet, diese Gebetsostraka seien keine „literarischen Fingerübungen“, sondern hätten vielmehr einem bestimmten Zweck gedient. Seiner Ansicht nach wurden sie der ausziehenden Gottheit, d. h. ihrem Prozessionsbild, auf dem Weg unterbreitet, ohne jegliche Vermittlung durch Priester oder andere Institutionen. Demzufolge hätte die Persönliche Frömmigkeit ihre Wurzeln im Fest, da an Festen breitere Volksschichten Zugang zum religiösen Leben hatten. In diesem Sinne liesse sich auch der Wunsch, die „Schönheit der Gottheit zu sehen“ (Kat. G.18.3), erklären, da bei solchen Festivitäten die Gottheit allen zugänglich gemacht wurde. Anhand dieser Ostraka liesse sich gemäss Jan ASSMANN (1997: 21) beweisen, dass „sich im Rahmen solcher Feste Formen der Persönlichen Frömmigkeit entwickelten, in denen sich Einzelne mit Gebeten um Errettung und sonstigen Anliegen an die Gottheit wenden konnten“. Es ist unbestreitbar, dass das religiöse Moment des Festes zentral für die Teilnahme am religiösen Leben des Einzelnen war. Ein Beweis dafür aber stellen aber diese Ostraka nicht unbedingt, da zum einen ihr Entstehungskontext möglicherweise in der Schule anzusiedeln ist (BAINES/FROOD 2008: 5–6) und zum anderen nicht alle der Texte in die 18. Dynastie datieren. 384 Diese Form der Teilnahme ist jedoch, wie dies bereits gezeigt werden konnte, schon seit dem Mittleren Reich bei den Osirisfeierlichkeiten in Abydos durch zahlreiche Zeugnisse belegt, in denen die „Schönheit“ der Gottheit, die man sich zu sehen (mAA) wünscht, in Bezug auf Osiris thematisiert wird (Kat. G.13.5). Die Teilnahme an Festen konnte also bereits vor der Einführung des „Schönen Festes vom Wüstental“ eine wichtige Voraussetzung für die religiöse Praxis darstellen (Kat. G.12/13?.4). Mit Sicherheit hat es im Neuen Reich in Theben eine Verdichtung dieser Feierlichkeiten gegeben: So ist unter Amenophis III. das Sokarfest belegt und insbesondere ab der Ramessidenzeit lässt sich eine Vielfalt an Festen erkennen, an denen teilzunehmen in den Totenwünschen thematisiert wird (ASSMANN 2005: 45). Zum Dekorationsprogramm der Gräber gehören ab der Zeit von Hatschepsut nicht nur Gottesanbetungszenen (ASSMANN 1995: 283), die von dieser gesuchten Gottesnähe zeugen, sondern auch Gastmahlszenen mit Musikern, Tänzern und Sängern, die auch Lieder an Amun-Re beim „Schönen Fest vom Wüstental“ singen, beinhalten (SCHOTT 1953: insbes. 842–844; 125ff.; WIEBACH 1986), und die in Einzelfällen ähnliche Bilder wie die Ostraka hervorrufen. 385

382 383 384 385

S. diesbezüglich auch Kapitel 3.1.3. In diesem Zeugnis lautet die Aussage wortwörtlich „Du hast veranlasst, dass ich den Tag wie die Nacht sehe“. S. dazu den Kommentar zu Kat. G.18.2 und Kapitel 3.1.3. S. z. B. Kat. G.18.3: „Amun, komm [zu mir] in Gnade, (sodass) ich die Schönheit deines Gesichtes sehe, das schöne Gesicht des ‚Amun, der das ganze Land sieht’. Die Menschen sehen ihn bis zur Trunkenheit an, bis zu jeder schönen Farbe [...]“. Vgl. z. B. auch SCHOTT 1953: 889, Nr. 123: „Deinem Ka, trinke den schönen Rauschtrunk, feiere einen schönen Tag mit dem, was dir dein Herr (Amun-Re) gegeben hat, der Gott, der dich liebt“.

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Das göttliche Bild jedoch war in Prozessionen sehr wahrscheinlich zu sehen, sodass sich die Bitten eventuell an den Bug der Prozessionsbarke richteten, da alleine dieser Teil sichtbar war (RÖMER 2003: 284ff.). Das Orakelwesen, das bereits vor dem Neuen Reich belegt ist (BAINES/PARKINSON 1997), erfährt in der Zeit von Hatschepsut eine wichtige Innovation, da es sich von dieser Zeit an, auch an nicht-königliche Menschen richten kann. 386 Bereits Briefe aus der Ramessidenzeit (Kat. B.20.5, B.20.13, B.20.19) belegen Orakelbefragungen; jedoch wurden diese stets von einem Priester durchgeführt (BAINES 2001: 26). 387 Ferner wird in den Lehren des Ani, die zu den nicht-königlichen Weisheitstexten zählen (JANSEN-WINKELN 2004: 45), die Haltung gegenüber der Orakelgottheit deutlich als zurückhaltend beschrieben: „Befrage seine Prozessionsbilder nicht. Belästige ihn nicht, wenn er erschienen ist. Tritt nicht an ihn heran, um ihn zu tragen! Schädige die Orakel nicht!“ (P.Boulaq 4, 20.13–14: QUACK 1994: 108–109). Es ist vorstellbar, dass die Menschenmenge bei solchen Prozessionen die Gottheit befragen wollte, und dass bei diesem Vorhaben auch schriftliche Bitten niedergelegt wurden (so z. B. in Kat. B.20.19: „ich habe die Papyri vor dem grossen Gott niedergelegt, damit er ein gutes Urteil gibt“). Es ist m. E. aber unwahrscheinlich, dass dies ohne priesterliche Vermittlung vonstattenging; welche Form diese schriftlichen Bitten hatten, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Wenn diese Möglichkeit auch den einfachen Menschen gegeben war, dann ist davon auszugehen, dass sich der Bittsteller an einen Schreiber oder einen Priester wenden musste, um die Bitte niederschreiben zu lassen, was wiederum mit Kosten verbunden war. Wenn also Jan ASSMANNs Deutung dieser Ostraka zutrifft, dann war in ihnen zum Teil die Phraseologie, die aus den zeitgenössischen Kulthymnen bekannt war, eingeflossen, denn das Epitheton des Amun-Re als Hirte und Beschützer der Schwachen ist in der offiziellen Theologie, z. B. bereits im Kairener Amun-Re-Hymnus aus der Zeit Thutmosis’ III., belegt (LUISELLI 2004: 108–109). Offizielle Theologie und persönliche Anliegen sind somit schon in dieser frühen Phase der Persönlichen Frömmigkeit eng miteinander verwoben. Neben Jan ASSMANNs Deutung besteht jedoch ebenfalls die Möglichkeit, dass sich diese Texte nicht situativ in die Orakelbefragung verorten lassen. Gebetsähnliche Texte sind auf Ostraka aus dem Schulkontext der Ramessidenzeit belegt und weisen ebenfalls Hinwendungen an die Gottheit ohne jegliche Einführungsformel auf, da sie nicht aus dem kultisch-performativen Kontext stammen. Eine weitere Deutung schlagen John BAINES und Elizabeth FROOD (2008: 5–6) in ihrer gemeinsamen Studie vor. 388 Insbesondere vor dem Hintergrund der inhaltlichen Ähnlichkeit dieser Texte mit den Hymnen und Gebeten aus den ramessidischen Schülerhandschriften 389 sehen sie in den Texten ebenfalls Schulübungen, die somit als literarische Ostraka aus 18. Dynastie betrachtet werden sollten. 390 Diese Interpretation wird durch weitere Argumente unterstützt, dar386 387 388 389 390

S. auch Kapitel 3.1.. S. dazu auch Kapitel 5.3.2. S. auch Kapitel 3.1.3. Diese werden in der vorliegenden Studie in 5.3.3.a)-m) diskutiert. BAINES/FROOD 2008: 6, Anm. 27.

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unter die Deutung der Skizzen, die auf diesen Ostraka gezeichnet wurden (Taf. 4) als Indikatoren für Schultexte, da diese typisch für Ostraka aus dem Schulkontext sind sowie O.Kairo 12202 vso (Kat. G.18.3), das möglicherweise in die Ramessidenzeit datiert, was für die Aufbewahrung und Wiederverwendung eines älteren Textes sprechen würde. 391 Für Jan ASSMANNs Deutung, diese Ostraka dienten dem Zweck der Orakelbefragung während eines religiösen Festes, gibt es in der Tat keine stichhaltigen Beweise, denn die Äusserung über eine Genesung während der Prozession allein (so in Kat. G.18.4) ist wohl kaum ausreichend. Es könnte sich ebenso gut um Vorlagen für (Ex-voto-)Gebete, die mündlich vorgetragen wurden, gehandelt haben. Zeitgleich zu den Ostraka war in Karnak die Kapelle des „Hörenden Ohres“ für die Ausübung persönlicher Religionspraxis bereits eingerichtet, 392 sodass mündliche Bitten an Amun keineswegs nur im Rahmen des Prozessionsfestes anzunehmen sind. Die Bedeutung der Ostraka aus Scheich Abd el-Gurna liegt zweifellos in der Tatsache begründet, dass sie die Möglichkeit einer Hinwendung an die Gottheit bezeugen, obwohl ihr Anwendungskontext bislang nicht eindeutig zu bestimmen ist. Die Möglichkeit, sich in die Tempel zu begeben, um der Gottheit Bitten vorzutragen, ist zumindest in Karnak (STRAUBE 1989: 4ff.) und Deir el-Bahari (PINCH 1993: 4ff.) schon seit der Zeit Thutmosis’ III. belegt. Die Erfahrung von Gottesnähe war daher nicht nur auf die Teilnahme an Prozessionen beschränkt. Die Möglichkeit, dass es sich bei den Ostraka aus Scheich Abd elGurna um Texte handeln könnte, die im Talfest verortet waren, ist selbstverständlich nicht auszuschliessen, vor allem, da Kat. G.18.3 Hinweise auf ein Prozessionsfest aufweist (s. Tabelle 10). Dennoch kann es sich auch lediglich um Vorlagen für Loblieder handeln, die während des Festes gesungen wurden und somit weniger mit der Orakelbefragung im engsten Sinne zu tun haben müssen. Aufgrund mangelnder Belege bleibt diese Frage jedoch zunächst offen und kann m.E. nicht klar zugunsten der Deutung im Sinne der Orakelbefragung beantwortet werden. Abgesehen von diesen Ostraka stammen die Beispiele der Gebetstexte aus der Voramarnazeit aus dem Grabkontext und wurden entweder an einer Wand (Kat. G.18.1, 18.8), auf einer Stele (Kat. G.18.10) oder auf einer Statue (Kat. G.18.9, G.18.11) angebracht. Dies unterstützt Jan ASSMANNs Erkenntnis der neuen Funktion des Grabes als Ort für die Gottesnähe sowie als Ort, an dem die Sphären von Jenseits und Diesseits zusammentreffen (ASSMANN 1995: 283; DERS. 2005: 30). Das Ausstellen von beschrifteten privaten Denkmälern in den Heiligtümern, die das Ziel hatten, den Kontakt mit der Gottheit zu fördern, war in der 18. Dynastie noch nicht gebräuchlich, obwohl die Hathorheiligtümer eine Vielzahl an Votivgaben besassen, die wohl in die 18. Dynastie zu datieren sind (PINCH 1993). Der Tempelbesuch war schon zu dieser Zeit für die Mittelschicht der ägyptischen Gesellschaft üblich (PINCH 1993: 346), und dennoch scheint die Herstellung von Schriftzeugnissen, welche die persönliche Hinwendung an eine Gottheit ermöglichten, noch wenig verbreitet gewesen zu sein. 393 In den Zeugnissen aus dieser Zeit wird die Teilnahme an diesseitigen Festen als Wunsch auch für das jenseitige Leben thematisiert (ASSMANN 2005: 36ff.), was auf die sich langsam auflösende

391 392 393

S. dazu auch Kapitel 3.1.3. S. Kapitel 3.1.4. S. dazu auch Kapitel 1.1. sowie 3.1.3.

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Grenze zwischen Jenseits und Diesseits hindeutet, die den Totenglauben des Neuen Reiches charakterisiert. Bei den Beispielen aus der Vormaranazeit, die hier untersucht wurden, handelt es sich um Gebete, die einer Einzelperson zuzuschreiben sind. Abgesehen von Kat. G.18.2–7 geht die Verortung der Texte im Grabkontext mit ihrem Inhalt einher, der Bitten an die Gottheit für das Jenseits umfasst. Kat. G.18.9 und G.18.11 stellen darüber hinaus Beispiele für Gebetstexte dar, die für eine spezifische Berufsgottheit verfasst wurden: Kat. G.18.9 ist vom Königsschreiber Cheruef verfasst und an Thot gerichtet, Kat. G.18.11 vom Chef der Amunsänger an den Sonnengott („Mögest du meine Worte hören, wenn du von mir jeden Tag besungen wirst!“). Ausschliesslich auf den Ostraka sind diejenigen Themen belegt, die nicht das Jenseits betreffen (Krankheit, Gottesferne, Vergebung) und beweisen somit den Zusammenhang zwischen dem Anbringungskontext und dem Inhalt des Gebetes. Dies gilt ebenso für die Zeit, in der ein Gebet rezitiert wurde: während sich das kultische Gebet, das in den Textzeugnissen Kat. G.18.1 und G.18.8 überliefert ist, im Rahmen eines Festes verorten lässt, bleibt dies für Kat. G.18.9–11 grundsätzlich offen. Die Jenseitsgerichtetheit des Gebetsinhalts deutet jedoch auf eine allgemeine Verortung dieser Texte im Kontext des Lebens nach dem Tod und ist an keinen besonderen Anlass gebunden. Die Amarnazeit Tabelle 11 Text

Gebetsziel

Gebetsinhalt

G.18.12: (Grab des Ahmose)

- Aton

G.18.13 (Grab des Merire)

- Echnaton

- Bittgebet: Fürbitte für Echnaton: Sedfeste, d. h. lange Regierungsjahre - Lobpreis: Anbetung des Echnaton als Lebenspender.

Gebetszeit (zeitliche Verortung) Keine Angaben

Gebetsort (Anbringungsort) Grab

Keine Angaben

Grab

Keine Angaben

Grab

Keine Angaben

Grab

Bittgebet: den Ka jeden Tag gedeihen lassen. G.18.14 (Grab des Mahu) G.18.15 (Grab des Pentu)

- Aton - Aton

- Bittgebet: Fürbitte für Echnaton. - Loblied an Aton - Bittgebet: Bewegungsfreiheit

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für den Ba ausserhalb des Grabes

Die Texte aus dem Grab des Mahu (Kat. G.18.14), des Pentu (Kat. G.18.15) sowie der Text aus dem Grab des Ahmose (Kat. G.18.12), der in ähnlicher Form in weiteren zwei Gräbern von Tell el-Amarna belegt ist, 394 drücken die Suche nach einem direkten Kontakt mit Aton aus, mit dem Ziel, eine Fürbitte für Echnaton vorzubringen. Bereits Susanne BICKEL (2003a) konnte feststellen, dass die Texte, in denen sich eine betende Person ohne königliche Vermittlung direkt an Aton wandte, mehrheitlich Fürbitten für Echnaton darstellen. Die bildliche Darstellung zu Kat. G.18.14 zeigt Mahu, kniend und in Anbetungshaltung; seine erhobenen Arme und sein Blick sind dabei auf Aton gerichtet. Es ist hierbei zu bemerken, dass Mahu in dieser Haltung vor einem Opferaltar gegenüber einem achtmastigen Pylon eines geschlossenen Tempels dargestellt ist (DAVIES 1906: Taf. 18.). Über dem Tempel strahlt die Sonnenscheibe (Aton) in der üblichen Amarna-Ikonographie. Die Abbildung situiert das Gebet des Mahu somit genau dort, wo es in der Praxis ausgeführt worden sein dürfte: Mahu befindet sich im äusseren Tempelbereich, innerhalb der Umfassungsmauer, d. h. in jenem Bereich, der für die Ausübung persönlicher Religionspraktiken üblich war. 395 Im Gegensatz zu anderen Darstellungen aus Amarna, in denen die Anbetung des Aton durch die Königsfamilie erfolgt (s. z. B. DAVIES 1906: Taf. 16), wird hier eine direkte Beziehung zur Gottheit aufgezeigt (BICKEL 2003a: 12). Die Möglichkeiten von Privatpersonen, sich direkt an Aton zu wenden, ist auch anhand mehrerer Textstellen aus Privatbriefen aus Tell elAmarna zu belegen, 396 sowie an Texten auf an Türstürzen und Türpfosten im Siedlungsareal (Kat. Ar.18.3–8). Die Abbildung im Grab des Mahu ist jedoch vor dem Hintergrund des Jenseitsglaubens in der Amarnazeit zu deuten, wonach das Totenreich aufgehoben wurde und sich die Verstorbenen stattdessen als lebendige Ba im Atontempel von Tell el-Amarna frei bewegen und an den Opfergaben im Tempel Anteil haben konnten (HORNUNG 1995: 106ff.). Die Darstellung des Atontempels in den Gräbern von Tell el-Amarna ist somit zentral, da er zusammen mit dem Palast das Totenreich darstellte. Diese Abbildungen kompensierten das Fehlen von bildlichen und textlichen Beschreibungen der Unterwelt und des Lebens als Verstorbener und drückten dadurch zugleich die starke Gebundenheit an die diesseitige Existenz der Amarnaideologie aus. Die Bedeutung des Ba für die Amarnazeit kommt insbesondere in dem aus Verklärungstexten zitierenden Gebet Kat. G.18.15 deutlich zum Ausdruck: „(...) Gib, dass ich in meinem Ort der Ewigkeit ruhe, dass ich mit meiner Höhle der Ewigkeit vereinigt werde, dass ich ausgehe und eingehe in mein Grab, ohne dass mein Ba getrennt wird von dem was er liebt.” 394 395 396

S. dazu die Passagen aus dem Grab des Huya (BICKEL 2003a: 13–14) und dem Grab des Merire (DAVIES 1906: Taf. 36). S. Kapitel 3.1.4. S. dazu BICKEL 2003a sowie Kat. B.18.4 und B.18.5.

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In der Amarnazeit wurde dem Ba eine neue Rolle zuteil, die in der darauffolgenden Zeit weiter Bestand hatte. Die hier zitierten Verse beinhalten den Wunsch, dem Ba Bewegungsfreiheit nach dem Tode zu geben, um sich an den Opferspeisen im Tempel bedienen zu können. Da in der Amarnatheologie die Differenz zwischen Diesseits und Jenseits aufgehoben wird, 397 besteht der Wunsch nach einem lebendigen, frei schwebenden Ba, der sich mit dem Körper wieder vereinigt, um die Ganzheit der verstorbenen Person neu herzustellen (HORNUNG 1995: 107). Die Fürbitte für den regierenden König als Objekt eines an Aton gerichteten Gebets stellt eine Innovation dar und spiegelt die Zentralität von Echnaton sogar in der persönlichen Religionspraxis wider. In keinem der hier stellvertretend untersuchten Texte sind Danksagungen mit Andeutungen auf die Heilung von Krankheiten oder die Erlösung von Leiden und Schmerzen zu finden, was jedoch auf den Anbringungskontext dieser Texte (das Grab) zurückzuführen ist. Aus Tell elAmarna sind sowohl Privatkapellen, Altäre als auch Kultnischen aus dem häuslichen Kontext bekannt (IKRAM 1989; BOMANN 1991: 7ff.; STEVENS 2003, DIES. 2006), die vermutlich dem privaten Kult um die Königsfamilie dienten (FITZENREITER 2008). Wandmalereien aus dem gleichen Kontext (KEMP 1979; PINCH 1983) zeigen darüber hinaus, dass sich der Glaube an Geburtsgottheiten wie Taweret und Bes auch in Tell elAmarna weiterhin behaupten konnte. Trotz des Strebens nach einer ikonlosen Form der Gottesanbetung belegen Texte und Darstellungen wie die im Grab des Mahu, dass eine persönliche Hinwendung zu Aton möglich war, und dass dies an die Institution eines Tempels gebunden war: Der Tempel galt weiterhin als der Ort, an dem der persönliche Kontakt mit dem Göttlichen möglich war. Die Nachamarnazeit Tabelle 12 Text

Gebetsziel)

Gebetsinhalt

G.18.16 (Stele BM 551)

Re-Harachte/ Thot/Maat

G.18.17 (Graffito TT 139)

Amun

- Loblied - Bittgebet: jenseitsorientiert, Bewegungsfreiheit im Binsengefilde, Opferempfang auf den Opfertischen. - Bittgebet: (Petitionsgebet) Befreiung aus der Dunkelheit (Kollektivgebet!).

397 398

Gebetszeit (zeitliche Verortung) Keine Angaben

Gebetsort (Anbringungsort) Grab

Abendgebet: in der Nacht vor dem Festtag? 398

Grab

S. dazu auch SPIESER 2001. So nach KESSLER 1998: 178.

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- rituelles Gebet in

G.18.18 (Holztafel BM 5646)

Thot

G.18.19 (Statue Kairo CG 921)

Amun

G.18.20 (Stele BM 834)

Osiris/Isis/ Amenophis III./Teye

G.18.21 (Stele Kairo JE 37463)

Amun

G.18.22 (Stele Louvre C21)

Amun-Re

G.18.23 (Statue BM 1459)

Hathor/Ptah

ein persönliches (tägliches) Ritual für Thot eingebettet; - Bittgebet: Für Haus und Vermögen, Liebe und Gunst, Schutz vor Feinden; Diesseits- und Jenseitsbezogenheit - Loblied: Amun als Sonnen- und Schöpfergott, Lebensspender. -Bittgebet: Gesundheit, Dauerhaftigkeit. - Lobpreis; - Bittgebet: Für ein Grab, hohes Alter, unversehrte Worte (Thema: Totengericht). - Loblied: An Amun und den königlichen Ka des Tutanchamun. - Bittgebet 1: an Amun für eine lange Lebenszeit - Bittgebet 2: an Tutanchamun: Finsternis am Tag. - Lobpreis: AmunRe als Schöpfergott und Lebensspender - Bittgebet: Grab, keine Fehltaten sollen ihm beim Totengericht zur Last gelegt werden und Machtverkündung. - Lobpreis: An Hathor - Bittgebet: An

Tägliches Gebet; sakrale Zeit des täglichen, persönlichen Rituals

Vor der göttlichen Statue? (vgl. P.Anastasi III, 5.2)

Keine Angaben

Grab

Keine Angaben

Grab?

Keine Angaben

Tempel von Karnak

Keine Angaben

Grab?

Keine Angaben

Tempel (Deir el-Bahari)

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G.18.24 (SteleTurin 50050)

Ahmes-Nefertari

Ptah. Bitte um ein Grab, das Ein- und Ausgehen in der Nekropole und um den Opferempfang im Tempel der Hathor. - Mittlerstatue: Vermittlung der Gebete an Hathor. - Bittgebet: Finsternis am Tag/Besänftigung des Gottes, Fürbitte.

Keine Angaben

Unbekannt: Grab?

In der Nachamarnazeit lassen sich Gebetstexte auch ausserhalb des Grabkontextes nachweisen. Bei Kat. G.18.21, G.18.23 und vielleicht auch Kat. G.18.24 und G.18.25 handelt es sich um Zeugnisse, die aus Heiligtümern stammen. Zu derselben Kategorie muss auch Kat. G.18.18 gezählt werden, das der die Wiedergabe eines persönlichen täglichen Rituals mit anschliessendem Gebet an Thot darstellt, das wahrscheinlich vor einer Statue des Gottes vollzogen wurde. Hinweise darauf sind auch in P.Anastasi III, 5.2 zu erkennen, in dem ebenfalls die persönliche Anbetung einer Statue des Thot überliefert ist. 399 Das eigentliche Ritual für Thot in Kat. G.18.18 wird in den Versen 1-5 beschrieben, während die Verse 5–10 ein persönliches Gebet beinhalten. Die Umarbeitung des Textes zu persönlichen Zwecken ist so offensichtlich, dass es sich hier um einen kultischen Text handeln könnte, der ad hoc zu einem persönlichen Ritual umgewandelt wurde. Dafür würden insbesondere Vers 5 mit der Wendung jnk wa.w dwA(.w) tw „Ich bin der Einzige, der dich preist“ und Vers 8 Dd sn jn s wdn.n=f n +Hwty „Gesagt durch den Mann, der Thot geopfert hat“ sprechen, wodurch vermutlich der Stifter und Ritualist selbst gemeint ist. Da die Holztafel aus dem Grabkontext stammt, kann man vermuten, dass der Grabinhaber vielleicht mit dem Ritual für Thot vertraut war, ihn als persönliche Gottheit erwählt und somit den Wunsch zum Ausdruck gebracht hatte, ihn auch im Jenseits täglich rituell anbeten zu wollen. Damit liesse sich auch erklären, dass im Text der Beistand des Gottes im Diesseits wie im Jenseits ausdrücklich erbeten wird („Mögest du meine Feinde und meine Feindinnen schlagen, in meinem Tode und in meinem Leben“). Mit dem Wunsch, in den Gedanken und in den Herzen aller Menschen fortdauern zu können (Z. 6–7), wird vor dem Hintergrund der nachwirkenden Erinnerung an den Verstorbenen ausdrücklich auf das Jenseits eingegangen. Diesseits und Jenseits scheinen in diesem Text eine gleichwertige Bedeutung zu haben, wobei das Mitgeben dieses Textes in ein Grab als symbolischer Versuch betrachtet werden muss, die Trennung zwischen den beiden Dimensionen aufzuheben. Kat. G.18.21 gibt ein Gebet des Vizekönigs von Kusch unter Tutanchamun wieder, das auf einer Stele angebracht und im Tempel von Karnak platziert wurde. Der Text erstreckt sich über dieVorder- und Rückseite der Stele. Auf dem Recto befindet sich das 399

S. dazu Kapitel 5.3.3 e).

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Loblied auf Amun-Re von Karnak und auf den königlichen Ka des Tutanchamun, von denen Huy allgemein eine vollkommene Lebenszeit, Gesundheit und Glück erbittet. Auf dem Verso wendet sich Huy direkt an Tutanchamun und benutzt in seiner Rede die Metapher der „Finsternis am Tag“, deren Aufhebung durch Tutanchamun er ersucht. 400 Während diese Metapher in Kat. G.18.2 (O.Kairo 12202 rto.) und im Graffito von Batjay (TT 139: Kat. G.18.17) an einen Gott gerichtet ist, handelt es sich im Falle der Stele des Huy jedoch um den frühesten bekannten Beleg für einen Text, in dem ein König (Tutanchamun) In Verbindung mit dieser Metapher angesprochen wird. Ein weiteres Beispiel für das Zusammenspiel von König und der „Finsternis am Tag“ findet sich auf der Stele Turin 50050 (Kat. G.18.24), die der vergöttlichten Ahmes-Nefertari gewidmet ist. Huy stiftete seine Stele allerdings zu einem Zeitpunkt, als Tutanchamun noch am Leben war, weshalb auch dessen königlicher Ka erwähnt wird; die Übertragung einer Eigenschaft, die ausschliesslich den Göttern vorbehalten war, auf den lebenden König, ist m. E. als Einfluss der Amarnazeit zu deuten, in welcher Echnaton ebenfalls unter Nennung göttlicher Epitheta (als Schöpfergott, usw.) verehrt wurde. 401 Susanne BICKEL (2002: 76) konnte in der persönlichen Verehrung der Statuen und Bilder des vergöttlichten Amenophis III. eine für die Menschen besser zugängliche, sichtbare Form des Göttlichen erkennen. Durch die Anbetung seiner Königskartusche konnten aber auch Formen seiner Verehrung unabhängig von der Präsenz eines visuellen Trägers stattfinden, sodass Name und Bild austauschbar waren (BICKEL 2002: 79). Während die Verehrung Thutmosis’ III. post mortem stattfand, beginnt die Hinwendung zum lebendigen König als eine Gottheit erst mit Amenophis III. Die Amarnazeit erfährt eine Überspitzung dieser Situation, deren Ausläufer noch zur Zeit Tutanchamuns spürbar waren. Erst mit Ramses II. wird man wieder eine ähnlich strukturierte Form der persönlichen Verehrung des lebenden Pharao kennen (HABACHI 1959), wie es vor allem die Horbeit-Stelen belegen. Tutanchamun wird in Kat. G.18.21 Amun-Re gleichgestellt: Hier wird an AmunRe und den königlichen Ka die Bitte um Leben und Glück gerichtet. Dem König wird dabei zugeschrieben, einen Zustand der Gottesferne geschaffen zu haben, den nur er als Gottheit wieder aufheben kann. Bei Kat. G.18.24 handelt es sich um ein frühes Beispiel der bekannten Gebetsstelen aus Deir el-Medina. Eine Besonderheit liegt hier darin, dass diese von einer Frau gestiftet wurde und dieselbe Metapher der „Finsternis am Tag“ aufweist, die bereits in Kat. G.18.17 und G.18.21 erwähnt wurde und auf die im Exkurs II näher eingegangen wird. Die Texte Kat. G.18.16, G.18.17, 402 G.18.19, G.18.20 und G.18.22 stammen aus dem Grabkontext und weisen entsprechend inhaltlich normierte Bitten auf. Dennoch wird in Kat. G.18.20 und G.18.22 ausdrücklich der Wunsch geäussert, mit unversehrten Worten und fehlerlos in das Jenseits, d. h. vor das Totengericht, zu treten. Während sich früher die Sorgen um das Jenseits an den traditionellen Elementen des schönen Begräbnisses und des Totenkultes orientierten, scheint sich in den Gebeten für das Jenseits der Nachamarnazeit das Bewusstsein über eine Interaktion zwischen Diesseits und Jenseits und über einen Einfluss der Welt der Lebenden auf diejenige der Toten herauszukristallisieren. Die zunehmende Bedeutung des Diesseits für den Totenglauben im Neuen 400 401 402

S. hierzu den Exkurs II, Kapitel 5.1.1.. S. z. B. Kat. G.18.13. Die Besprechung dieses Textes wird in Kapitel 5.2 erfolgen.

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Reich wurde schon von Jan ASSMANN (2001: 9; DERS. 2005: 29ff.) ermittelt, der diesbezüglich auch die grosse Bedeutung diesseitiger Institutionen wie Tempelkult, Götterfeste, Grab, Grabgarten, usw. hervorhob. Sogar der Wunsch nach Festteilnahme erhält in der Nachamarnazeit eine besondere Nuance: Wer zu Lebzeiten an solchen Festen teilnahm, konnte den eigenen Namen in bestimmte Listen eintragen lassen, die eine ewige Teilnahme sicherstellten. So war es möglich, bereits vor dem Tod einen „Jenseitsvorteil“ zu erringen (ASSMANN 2005: 48). In diesem Sinne können Denkmäler, die in Heiligtümern aufgestellt wurden, durchaus funeräre Bitten und Wünsche beinhalten, welche durch die Teilnahme an den Opfergaben in den Tempeln vergegenwärtigt werden. Die räumliche Nähe zu den Göttern in den Heiligtümern war auch über den Tod hinaus eine Garantie der Kontinuität der Opfer- und Kultteilnahme. So lässt sich auch der Wunsch nach der Bewegungsfreiheit erklären (z. B. Kat. G.18.16), die eine Teilnahme an den (religiösen) Ereignissen des Diesseits erst ermöglichen konnte. Eine letzte Auswirkung dessen ereignete sich vermutlich in der 3. Zwischenzeit, als die Königsnekropole in den Tempelbezirk des Amun in Tanis verlegt wurde: Der Wunsch nach Gottesnähe und der Teilnahme an Kultgeschehen und Festen auch vom Jenseits aus wurde ab der 18. Dynastie zentral (BOMMAS 2005b). Abschliessend kann man festhalten, dass sich aus dieser Phase noch keine schriftlichen Äusserungen finden lassen, die als Dankgebet zu deuten sind, wie es hingegen insbesondere für die Ramessidenzeit der Fall ist. Darüber hinaus handelt es sich in den hier betrachteten Fällen – abgesehen von TT 139 (Kat. G.18.17) – um Individualgebete, deren Stifter der Grabinhaber oder der auf dem Denkmal ausgewiesene Beter ist. Der Sitz im Leben dieser Denkmäler ist immer kultisch-ritueller Natur, denn der Inhalt spiegelt keine individuellen Realitäten wider: Der Stifter baut seine Kommunikation zur Gottheit vor einem kultischen Hintergrund auf, der in einem einführenden Loblied festgehalten werden kann. 403 Exkurs II: „Die Finsternis am Tag sehen“ In der 18. Dynastie wird zum ersten Mal im Kontext eines Gebetes die Metapher der „Finsternis am Tag“ zum Ausdruck gebracht. In der folgenden Tabelle sind die Belege dafür chronologisch aufgelistet, zusammen mit der entsprechenden Gottheit und der betenden Person, die sich als von diesem Zustand betroffen beschreibt: 404 Tabelle 13

Text

G.18.2 (O.Kairo 12202 rto, Z. 2–3) Fundkontext: Scheich Abd elGurna, Grab?

403 404

Datierung

18. Dynastie (Amenophis II.)

Gottheit

Amun-Re

Beter

unbekannt

S. dazu Kapitel 5.2. José GALÁN (1999) ist die erste ausführliche und aufklärende Studie über diesen Ausdruck zu verdanken.

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dj=k mAA=j hrw mj grH „Du veranlasst, dass ich den Tag wie die Nacht sehe“. G.18.17 18. Dynastie (Smenchkare) (TT 139, Graffito, Z. 20–21) Fundkontext: Scheich Abd elGurna, Grabwand.

Amun-Re

dj=k ptr kkw n dd=k „Du lässt mich die Finsternis sehen, die du gibst”

G.18.21 (Stele Kairo JE 37463, vso., Z. 1) Fundkontext: Karnak-Tempel; Cache Nr. K100

Batjay für Pawah, Batjay: zXA-od m Hw.t anxxpr.w-Ra „Zeichner im Haus des Anchcheperure“ Pawah: wab, zXA Htp.w-ntr „wab-Priester und Schreiber der Gottesopfer“ Huy sA nsw n KS „Vizekönig von Kusch“

18. Dynastie (Tutanchamun)

Tutanchamun

18. Dynastie (Ende)

Ahmes-Nefertari

Jj nb.t-pr „Hausherrin“

Jah-Thot

Hmww wr n nb tA.wy m s.t-mAa.t „Vorsteher der Handwerker des Herrn der Beiden

mAA=j kkw Xr.t hrw „Ich sehe die Finsternis am Tag“ G.18.24 (Stele Turin 50050, Z. 3) Fundkontext: Deir el-Medina, Grab? mAA(=j) kk(w) n jrj{=j} 405 „Ich sehe die Finsternis, die du machst“ G.19.3 19. Dynastie (Sethos (Stele Cambridge E.191.1932) Fundkontext: Deir el-Medina, Ramses II.) Grab (MARTIN 2005: 67)

405

I.-

Zu dieser Integration siehe GALÁN 1999: 27, der jedoch das Pronomen der 3. Person Sing. fem. vorschlägt. Da allerdings alle Gebetstexte, die diesen Ausdruck innerhalb desselben inhaltlichen Kontextes belegen, das Pronomen der 2. Person Sing. aufweisen und sich somit direkt an die Gottheit wenden (die einzige Ausnahme bildet die Stele BM 589 [Kat. G.19.6] von Neferabu, in der aber diese Metapher in einer Erzählung der 3. Person Sing. eingebettet ist), wird hier diese Variante bevorzugt. Direkt vergleichbar ist der Beleg der Stele BM 374, Z. 6, welche Mertseger gewidmet ist und genau diese Form aufweist. Zu verwerfen ist zweifellos die Übersetzung von TOSI/ROCCATI 1972: 85 „Concedi che io veda le tenebre che tu crei“, da dies nicht in der Tradition dieses Ausdruckes steht, wie Tabelle 6 deutlich zeigt.

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Länder in der Stätte der Wahrheit“

mAA=j kkw m hrw „Ich sehe die Finsternis am Tag“ G.19.6 (Stele BM 589, vso. Z. 3) Fundkontext: Deir el-Medina, Ptah-Mertseger-Heiligtum?

19. Dyn. (Ramses II.)

Ptah

Neferabu sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“

19. Dynastie (Ramses II.)

Jah-Thot

Jjt-neferti nb.t-pr „Hausherrin“

19. Dynastie (Ramses II.)

Soped

Unnefer sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“

19. Dynastie (Ramses II.)

Chons in Theben Paj Neferhotep zXA-od „Zeichner“

19. Dynastie (Ramses II.)

Jah-Thot

mAA=j kkw m hrw „Ich sehe die Finsternis am Tag“ G.19.11 (Stele Bankes 6, Z. 3) Fundkontext: Deir el-Medina, Heiligtum? mAA=j kkw m hrw „Ich sehe die Finsternis am Tag“. G.19.12 (Stele Turin 50051, Z. 3) Fundkontext: Deir el-Medina, Heiligtum? mAA=j kkw n jrr=k „Ich sehe die Finsternis, die du machst“ G.19.15 (Stele Turin 50052) Fundkontext: Deir el-Medina, Heiligtum? mAA=j kkw n jrr=k „Ich sehe die Finsternis, die du machst“ G.19.26 (Stele Turin 50046) Fundkontext: Deir el-Medina, Grab? mAA=j kkw n jrr=k „Ich sehe die Finsternis, die du machst“

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Neferrenpet sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“

Stele BM 374 ∗

20. Dynastie

Mertseger

mAA=j kkw m hrw „Ich sehe die Finsternis am Tag“.

Amunnacht zXA m s.t-mAa.t „Schreiber an der Stätte der Wahrheit“

Den Informationen dieser Tabelle nach zu urteilen, ist der Ausdruck „die Finsternis am Tage sehen“ zum ersten Mal in der 18. Dynastie in der unmittelbaren Nachamarnazeit im thebanischen Raum (Karnak und Theben-West) belegt. In der Ramessidenzeit ist er mehrmals bezeugt, wobei alle Belege aus Deir el-Medina stammen und aus Denkmälern, die von Männern wie von Frauen gestiftet wurden. Die Gottheit, die diese Situation der „Finsternis am Tag“ hervorruft, ist jeweils eine andere, sodass sich in den Gebeten des Neuen Reiches, die diese Wendung enthalten, diesbezüglich kein Muster zu erkennen ist. Die chronologische Zusammenstellung der Belege zeigt eindeutig, dass in der 18. Dynastie die Ausdrucksform der Metapher nicht einheitlich ist: 1. dj=k mAA=j hrw mj grH 2. dj=k ptr kkw n dd=k

„Du veranlasst, dass ich den Tag wie die Nacht sehe“. „Du lässt mich die Finsternis sehen, die du gibst”.

3. mAA=j kkw Xr.t hrw

„Ich sehe die Finsternis am Tage“.

4. mAA(=j) kk(w) n jrj{=j}

„Ich sehe die Finsternis, die du machst“.

Erst in der Ramessidenzeit findet eine Standardisierung dieser Formel statt, die vermutlich aufgrund ihrer Benutzung innerhalb von Deir el-Medina zu erklären ist. Als die beiden Standardformen 406 dieses Ausdruckes sind jetzt gebräuchlich: 1. dj=f /(dj=tn) mAA=j kkw m hrw

„Ich sehe die Finsternis am Tag“. 407

2. mAA=j kkw n jrr=k

„Ich sehe die Finsternis, die du machst“.

Eine chronologische Zusammenstellung der Belege zeigt ausserdem, dass in den Zeugnissen der 18. Dynastie den Gottheiten keine Verantwortung für die „Finsternis am Tag“ zugeschrieben wurde. Der Beter befand sich im Zustand dieser Finsternis und betete eine Gottheit, dies zu ändern. In der Ramessidenzeit hingegen wurde diese Situation einem göttlichen Eingriff in das eigene Leben in Folge eines Vergehens zugeschrieben, und nachdem die Identität der verantwortlichen Gottheit erkannt worden ist, konnte ∗

406 407

Diese Stele gehört nicht zum Katalog der vorliegenden Arbeit. Sie wird in Zusammenhang mit der Untersuchung dieses Themas aufgelistet und in die Analyse mitaufgenommen. S. dazu BRUYÈRE 1930: 11, Abb. 6 sowie ANDREU 2002: 281. S. auch GALÁN 1999: 20. Stele BM 589 (Kat. G.19.6) weist ptr anstatt mAA auf.

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durch die Stiftung eines Denkmals um Vergebung gebeten werden. In diesem Zusammenhang steht auch die Befragung der „weisen Frau“ in Deir el-Medina in der Ramessidenzeit, um den Namen der Gottheit zu erfahren, die eine Krankheit oder eine schwierige Lebenslage hervorgerufen hatte (KARL 2000). In der ägyptologischen Forschung wurde die Metapher der „Finsternis am Tag“ auch als Bezeichnung von echter Blindheit aufgefasst und somit als Krankheitszustand (so vor allem BRUNNER 1975b; MANNICHE 1978; BOURGHOUTS 1982: 9). 408 Erik HORNUNG (1965: 82) hat als Erster einen möglichen Bezug zwischen diesem Ausdruck und der Phraseologie von Tell el-Amarna postuliert und sich somit aufgrund der besonderen Stellung von Licht und Finsternis als Oppositionspaar in der Amarnatheologie für die metaphorische Bedeutung ausgesprochen. 409 José GALÁN (1999: 22–23) konnte schliesslich in seiner Studie erstmals die Aufmerksamkeit der Forschung auf einige Textpassagen der Voramarnazeit lenken, darunter diejenigen, die im hiesigen Exkurs im Hinblick auf die Tradition dieses Ausdrucks untersucht werden. Darüber hinaus listet GALÁN auch die Stele Florenz 2567 (GALÁN 1999: 22 m. Anm. 18) aus Sakkara aus der Regierungszeit Amenophis' III. auf, die eine Verklärung mit dem Ausdruck „möge dein Gesicht/Sehvermögen auf dem Weg der Finsternis geöffnet werden“ (wbA Hr=k m wA.t kkw: Urk.IV, 1436.10) überliefert. Auch die Inschrift im Grab des Amenemhet (TT 82) kann hier genannt werden, welche die Szenen der Opferdarbringungen an den Verstorbenen begleitet und u.a. „ein Licht für den täglichen Gebrauch, den Weg der Dunkelheit erhellen“ (x.t n[.t Xr.t] n.t ra nb sHD wA.t n.t bw kkw) lautet. Die Stele aus Florenz, die Inschrift des Amenemhet und das Graffito von Batjay (Kat. G.18.17) stammen eindeutig aus Grabkontexten und die Dualität von Licht und Finsternis hat ihren „Sitz im Leben“ zweifellos im Jenseitsglauben (HORNUNG 1956). Dennoch kann José GALÁNs Deutung, die vorramessidischen Belege dieses Ausdruckes kämen ausschliesslich aus dem funerären Kontext (GALÁN 1999: 24) nicht gefolgt werden, da die Stele des Huy (Kat. G.18.21) einem Heiligtum zuzuschreiben ist (s. Tabelle 13). Das Gleiche gilt auch für die ramessidischen Zeugnisse, deren votiven Charakter GALÁN als funerär erkennt, 410 da sich auf diesen Denkmälern auch die Familienmitglieder des Beters, die die Stele nach dem Tod des Stifters in Auftrag gaben, verewigen liessen (GALÁN 1999: 29). Dennoch sind Neferabus Bekenntnisse d. h. auf der Stele BM 589 (Kat. G.19.6) und auf der Stele Turin 50058 (Kat. G.19.5) Belege dafür, dass diese Denkmäler wahrscheinlich noch zu Lebzeiten des jeweiligen Stifters und in Heiligtümern errichtet wurden: Die Stele BM 589 weist nämlich Ohren hinter dem Bild des Ptah auf, was für ihre Aufstellung in seinem Heiligtum in Deir el-Medina spricht (MÜLLER-WOLLERMANN 1988: 72). Die Erwähnung des Sehens der „Finsternis am Tag“, die Ptah aufgrund von Neferabus Fehltat herbeigeführt hat auf der Stele BM 589, ist zwar als eine retrospektive Erzählung zu verstehen, nicht aber post mortem. Schliesslich sei hier auf die Interpretation dieses Ausdruckes in einem kultischen Kontext durch Dieter KESSLER (1998: 180ff.) verwiesen, demzufolge durch die „Finsternis“ die Situation des wab-Priesters wiedergegeben würde, in der sich dieser 408 409 410

S. diesbezüglich GALÁN 1999: 20, Anm. 10. Dies kann anhand des Textes aus dem Grab des Pentu (Kat. G.18.15) bestätigt werden. Zur Gefahr einer zu strikten Einteilung von Stelentypen und zur Auffassung dieser Denkmäler als schlichte Gedenkstelen, siehe MÜLLER-WOLLERMANN 1988: insbes. 70–71.

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während seiner nächtlichen kultischen Anrufung des fernen Gottes in der Dunkelheit des Grabraumes befände. Der Belege in TT 139 (Kat. G.18.17), gedeutet als Befragung der Gottheit in der Dunkelheit des Orakelraumes, würde die kultische Aktion darstellen, aus der die spätere literarische Fixierung entstanden sei (KESSLER 1998: 183). Dieter KESSLERs Interpretation des Ausdruckes „die Finsternis am Tag“ allein auf kultischer Ebene scheitert jedoch an denjenigen Fällen, in denen ein Grund für diesen Zustand angegeben wird. Dass die Gottesanrufung in einem dunklen Raum stattfand, ist möglich, aber die wörtliche und konzeptuelle Übereinstimmung dieser Formulierung mit der Unterweltsphraseologie seit den Sargtexten spricht dafür, dass es sich zumindest ab der Nachamarnazeit um eine Metapher handelte, die zur Veranschaulichung einer besonders schwierigen Lebenslage diente. Daraus ergibt sich folgende Perspektive: Die Zeugnisse aus der Nachamarnazeit spiegeln Situationen des diesseitigen Lebens wider, die zuvor nur als Jenseitsmotive erschienen waren. Das diesseitige Leben wird zu einer Art Vorkammer des Jenseits: Der Zustand der Gottesferne, den der ursprünglich in der Totenwelt verankerte Ausdruck der „Finsternis am Tag“ beschreibt, wird auch auf das diesseitige Leben übertragen. Die Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits verschwindet in den Gebeten der Nachamarnazeit zunehmend: Das Bild der dunklen, finsteren Unterwelt, von deren Beleuchtung durch die Nachfahrt der Sonne in zahlreichen Sonnenhymnen (z. B. ASSMANN 1983b: 5; 100; 139 usw.) die Rede ist, wird als Gottesferne interpretiert und auf das Diesseits übertragen. Der Wunsch und die Bitte, aus diesem Zustand erlöst zu werden, sodass dieser nicht auch im Jenseits andauern würde, geht mit der Tatsache einher, dass insbesondere ab der Nachamarnazeit die Sorge um die Unversehrtheit der eigenen Taten und Worte (z. B. Kat. G.18.20 und 18.22) eine grössere Rolle spielte. Zurecht verweist José GALÁN in seiner Untersuchung auf die Bedeutung der Unterweltstexte (insbes. der Sargtexte) für das Verständnis dieser Metapher und behauptet: „Seeing darkness is a metaphor used to refer to the situation in which the deceased finds himself after his Final Judgement and before he reaches the Hereafter, where god is (...)“ (GALÁN 1999: 29). Der Ursprung dieses Ausdruckes liegt zweifellos im Jenseitsglauben und hat nichts mit einer Augenkrankheit zu tun. 411 Dennoch bediente man sich m. E. dieser Phraseologie aufgrund der Erfahrung von Tell el-Amarna, wo der Jenseitsdiskurs aufgehoben und auf das Diesseits übertragen wurde (HORNUNG 1995: 105ff.), um diesseitige Notzustände zu beschreiben und sie durch das religiös-rituelle (!) Bekenntnis der eigenen Taten vor dem Übertritt ins Jenseits zu beheben. 412 Es sei diesbezüglich auf den Ausdruck in P.Anastasi IV, 10.1–5 verwiesen, 413 in dem der schmerzhafte Zustand des Beters mit folgender Wendung wiedergegeben wird: „Die Sonne ist so, als wäre sie nicht aufgegangen“ (pA Sw xpr bn sw wbn). Vor allem sei auf die Passage auf der Stele des Neferabu (Kat. G.19.5: Stele Turin 50058) hingewiesen, worin der Stifter verkündet, „des Nachts wie am Tag“ (grH mj hrw) in der Hand der Gottheit gesessen zu haben. Das Grab aus dem Neuen Reich verbindet Elemente des Diesseits und des Jenseits: „In seiner unzugänglichen Bestattungsanlage gehört es zum innerirdischen Jenseits (…) in seinen zugänglichen Kulträumen gehört es zum oberirdischen Diesseits“ (ASSMANN 2005: 411 412 413

Der Ausdruck für „blind; Blindheit“ im Sinne einer Krankheit ist zudem kAmn. S. Kapitel II.2.1.3. S. Kapitel 5.3.3.

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30). Der Tote wünscht sich uneingeschränkte Bewegungsfreiheit zwischen Jenseits und Diesseits. Die Errichtung von Privatdenkmälern mit diesseitigen Wünschen im Grab und mit jenseitsgerichteten Bitten in Heiligtümern spiegelt die Idee einer Interaktion zwischen Diesseits und Jenseits wider und somit zwischen diesseitigen Taten und jenseitigen Folgen. Die Gottheit soll bereits zu Lebzeiten des Beters über sein Bekenntnis informiert sein, bzw. der Beter will sich bereits vor seinem Tod der Intervention der Gottheit für die Erlösung aus dem eigenen Zustand versichern (vgl. z. B. die Stele des Huy). 414 Die Beziehung zwischen Mensch und Gott rückt so immer mehr auf die diesseitige Ebene. Schliesslich liegt die Bedeutung dieses Ausdruckes für das persönliche Verhältnis zum Göttlichen und somit für die persönliche Teilnahme am religiösen Leben im Glauben an eine verzeihende Gottheit, die trotz der begangenen Fehltat bereit ist, diese zu vergeben und dem Bittsteller den Übertritt ins Jenseits in Frieden zu ermöglichen. 5.1.2

Die Gebete der Ramessidenzeit

Tabelle 14 Text

Gebetsziel

Gebetsinhalt

G.19.1 (Stele Cambridge E.GA.3002.1943)

Reschef

- rdj.t-jAw-n-Formel - Bittgebet: Leben, Heil, Gesundheit

G.19.2 (Statue Berlin 6910)

Amun-Re

G.19.3 (Stele Cambridge E.191.1932)

Jah-Thot

- Loblied: Amun als Sonne, Schöpfer, Lebensspender und „soziale Instanz“ (Schutzgott) - Bittgebet: Schönes Begräbnis nach dem Alter - rdj.t-jAw-n-Formel - Bittgebet: Besänftigung der Gottheit; Frage nach der Erfahrung der bAwMacht

G.19.4 ()

Chons-in ThebenNeferhotep/Thot

414

- Htp-dj-nsw-Formel: eulogische Erweiterung (Thot als Berufs- und Schöpfer-

Gebetszeit (zeitliche Verortung) Keine Angaben

Gebetsort (Anbringungsort) Deir elMedina: Heiligtum?

Keine Angaben

Deir elMedina: Grab (TT 215)

Keine Angaben

Grab (kein Sonnenhymnus)

Keine Angaben

Deir elMedina: Grab (Opfergebet)

Dagegen Jan ASSMANN, der die Kommunikation zwischen Mensch und Gott erst im Jenseits situiert. S. KESSLER 1998: 163.

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gott) - Bittgebet: Leben, Heil, Gesundheit, hohes Alter, „wohlbewahrter Mund“, d. h. makelloser Übergang in das Jenseits G.19.5 (Stele Turin 50058)

Mertseger/die Felswand des Westens

- rdj.t-jAw-n-Formel; - „Sündenbekenntnis“ Machtverkündung: Schilderung der negativen und positiven Erfahrung der göttlichen bAw-Macht

Keine Angaben; öffentliches Bekenntnis der eigenen Sünden?

Deir elMedina: Heiligtum? (PtahMertsegerHeiligtum)

G.19.6 (Stele BM 589)

Ptah

Recto: - rdj.t-jAw-n-Formel: Lob an Ptah - Bittgebet: Leben, Heil, Gesundheit, Lob, Liebe und die Möglichkeit, Amun sehen zu können

Keine Angaben; öffentliches Bekenntnis der eigenen Sünden?

Deir elMedina: Heiligtum? (PtahMertsegerHeiligtum)

Keine Angaben

Deir elMedina: Heiligtum? (PtahMertsegerHeiligtum)

Keine An-

Deir el-

G.19.7 (Stele BM 1466)

Ptah

G.19.8

Ptah

Verso: - „Sündenbekenntnis“: Machtverkündigung, Beschreibung der Erfahrung der negativen Seite der bAwMacht, als „Lehre“ interpretiert (Finsternis am Tag) - Bittgebet: Besänftigung der Gottheit - rdj.t-jAw-n-Formel: Lob an Ptah: vergebende Gottheit („Er ist gnädig… demgegenüber, der mit bösem Gesicht kommt“) - Bittgebet: Besänftigung der Gottheit, Unversehrtheit - rdj.t-jAw-n-Formel:

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(Stele BM 8497)

Lob an Ptah: Lebensspender, Besänftigung der Gottheit, Gebetserhörender

gaben

Keine Angaben; öffentliches Bekenntnis der eigenen Sünden? Keine Angaben; Sonnenaufgang?

G.19.9 (Stele Turin 50044)

Jah-Thot

-Sündenbekenntnis“: Machtverkündung

G.19.10 (Stele Turin 50045)

Jah-Thot /Schu/Re

G.19.11 (Stele Bankes 6)

Jah-Thot/Schu

G.19.12 (Stele Turin 50051)

Soped

G.19.13 (Stele Glasgow)

Taweret

G.19.14 (Stele Turin 50042)

Schu/Harachte/ Re

G.19.15 (Stele Turin 50052)

Chons-inTheben- Neferhotep/ Horus/Thot

- rdj.t-jAw-n-Formel; - Sonnenhymnus (an die aufgehende Sonne) - Bittgebet: Besänftigung der Gottheit, um die bAw-Macht verkünden zu können - rdj.t-jAw-nFormel/sn-tA-Formel; -Bittgebet: Besänftigung der Gottheit, Befreiung aus der Finsternis - rdj.t-jAw-nFormel/sn-tA-Formel -Bittgebet: Besänftigung der Gottheit, Befreiung aus der Finsternis - rdj.t-jAw-n-Formel - Bittgebet: Besänftigung der Gottheit, Kinderwunsch, Vergebung, Machtverkündung: positive und negative Macht der Gottheit - rdj.t-jAw-nFormel/sn-tA-Formel: Gebetserhörender Gott (Re) - rdj.t-jAw-n-Formel: tägliche Verehrung, um die Besänftigung der Gottheit des Gottes erlangen - Bittgebet: Besänfti-

Medina: Heiligtum? (PtahMertsegerHeiligtum) Deir elMedina: Heiligtum

Deir elMedina: Heiligtum?

Keine Angaben

Deir elMedina: Heiligtum?

Keine Angaben

Deir elMedina: Heiligtum?

Keine Angaben

Deir elMedina: Heiligtum?

Keine Angaben: Sonnenuntergang? Keine Angaben

Deir elMedina: Heiligtum?

170 © 2014, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-05890-2 — ISBN E-Book: 978-3-447-19189-0

Deir elMedina: Heiligtum?

G.19.16 (Stele Bordeaux 8635)

Renenutet/Mertseger

G.19.17 (Stele Berlin 20377)

Amun-Re

G.19.18 (Stele BM 266)

Re

G.19.19 (Stele Chicago 10494)

Amenophis I.

G.19.20 (Stele BM 276)

Haroeris

G.19.21 (Stele München [Glyptothek] 287)

Ramses II. (Königsstatue)

G.19.22 (Stele Michailides)

Amenophis I./ Onnophris/ Chontamenti

gung der Gottheit, (Finsternis am Tag), Wunsch nach Machtverkündung in der Stadt - rdj.t-jAw-n-Formel; - Bittgebet: mj-n=jFormel; Besänftigung der Gottheit - rdj.t-jAw-n-Formel; - Machtverkündung: Amun als Retter und Friedlicher, Schilderung von negativen bAwMachterfahrungen wegen einer Fehltat: „Sündenbekenntnis“, in der 3. Person - Errichtung des Denkmals als Votivobjekt - dwA-Formel: Sonnenhymnus - Bittgebet: Festigkeit des Körpers (Leichnams) im Jenseits wenn die Sonne erscheint - rdj.t-jAw-n-Formel; - Bittgebet: Fürbitte für Ramses II., um als loyaler Beamter auch vom Glück zu profitieren - rdj.t-jAw-nFormel/sn-tA-Formel; - Bittgebet: Sehvermögen der Augen, um ins Jenseits zu übergehen - rdj.t-jAw-n-Formel; -Bittgebet: Leben, Heil, Gesundheit: Vermittlung durch den König - rdj.t-jAw-nFormel/sn-tA-Formel: Lobpreis von Ame-

Keine Angaben

Deir elMedina: Heiligtum?

Keine Angaben

Ramesseum

Sonnenaufgang?

Deir elMedina: Grab?

Keine Angaben

Luxor: Heiligtum?

Keine Angaben

Keine Angaben

Deir elMedina: Grab? (dem Inhalt nach zu urteilen) Qantir: Heiligtum?

Keine Angaben

Theben: Grab?

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G.19.23 (Hockerstatue)

Amun/Mut/ Chons

G.19.24 (Stele Turin 50060)

Mertseger

G.19.25 (Stele Turin 50055)

Amun-Re

G.19.26 (Stele Turin 50046)

Jah-Thot

G.19.27 (Stele Hannover 2937)

Jah-Thot

G.19.28 (Stele Ashmolean 1894/106)

Isis

G.19.29 (Stele Kairo

Upuaut

nophis I. als Wesir, Richter und Beschützer - Bittgebet: (an Unennefer/Chontamenti) Teilnahme an den Opfern im Tempel - Aufforderung, die thebanische Triade anzubeten, um ein schönes Begräbnis zu erhalten. Darstellung der eigenen Lebensführung für dieses Ziel - rdj.t-jAw-n-Formel; - Bittgebet: Leben, Heil und Gesundheit - rdj.t-jAw-nFormel/sn-tA-Formel - Bittgebet: Gunst, Unversehrtheit der Worte, Teilnahme an (diesseitigen) Festen - rdj.t-jAw-nFormel/sn-tA-Formel - Bittgebet: Besänftigung der Gottheit, das Licht sehen (Finsternis am Tag), Gesundheit und Leben - rdj.t-jAw-nFormel/sn-tA-Formel - Schilderung der eigenen Haltung zu Lebzeiten als Gerechter - jnD Hr-T – Formel - Schilderung der persönlichen Erfahrung des Isis-Orakels in Koptos während einer Prozession - rdj.t jAw-n-Formel; - Bittgebet: Leben,

Keine Angaben

Karnak: Muttempel

Keine Angaben

Deir elMedina: Heiligtum? (PtahMertsegerHeiligtum) Deir elMedina: Grab? (dem Inhalt nach zu urteilen) Deir elMedina: Heiligtum?

Keine Angaben

Keine Angaben

Keine Angaben

Deir elMedina: Grab?

Keine Angaben, Prozession

Koptos; Tempel von Ramses II.

Keine Angaben

Assiut: Grab Djefai-

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CM171)

G.19/20?.1 (SteleLouvre AF 6949)

Upuaut

G.20.1 (Stele Hannover 2938)

Amun-Re

G.20.2 (Stele BM 278)

Hathor

G.20.3 (Stele Berlin 2081)

Die Götter von Abydos

G.20.4 (Stele von Bay und Amunnacht)

Amun-Re/Ptah

Heil und Gesundheit, Vergebung (generalisiertes Schuldbekenntnis), schöne Lebenszeit -Funeräres Opfergebet, Machtverkündigung - dj.t-jAw-n-Formel - Bittgebet: Leben, Heil, Gesundheit, Tüchtigkeit, Lob, Liebe - rdj.t-jAw-n-/sn-tA-nFormel - Bekenntnis zu Hathor (Ausübung von kultisch-rituellen Handlungen) - Bittgebet: richtige Ausübung des eigenen Amtes, Errettung vor der Hand des Pharao - rdj.t-jAw-n-Formel; - Bittgebet: schöne Lebenszeit ohne Angst, mit unversehrten Worten.

hapis III. (als Heiligtum)?

Keine Angaben Keine Angaben

Assiut: Grab Djefaihapis III. (als Heiligtum)? Grab?

Keine Angaben

Deir elMedina; Heiligtum (PtahMertsegerHeiligtum)

Keine Angaben

Abydos: Heiligtum?

Keine Angaben

Deir elMedina: PtahMertsegerHeiligtum

Abgesehen von Kat. G.19.23, einem Text, der auf einer Hockerstatue angebracht ist, dessen Textträger also formell von den Gebetsstelen abweicht, beinhalten alle hier aufgeführten Texte eine Einführung durch die rdj.t-jAw-n-Formel (und ggf. auch durch die sn-tA-n-Formel). Diese gibt einen Hinweis auf die kultische Einbindung dieser Objekte (Kapitel 5.2) und grenzt sie zugleich von den Gebeten aus dem Schulkontext (Kapitel 5.3.3) deutlich ab. Die Formel kann durch ein Loblied, welches das Wesen der verehrten Gottheit festhält, erweitert werden. Anhand der hier ausgewählten Texte, die stellvertretend für die gesamte Gattung stehen, ist es möglich, grundsätzlich fünf verschiedene Aspekte zu differenzieren, die die Eigenart der Gottheit beschreiben: 1. Der Gott als Sonne, Schöpfer und Lebensspender: Kat. G.19.8, G.19.12. 2. Der Gott als Schöpfer und Berufsgott: Kat. G.19.4. 3. Der „vergebende“ Gott: Kat. G.19.7 4. Der Gott als Richter und Beschützer: Kat. G.19.22. 5. Der gebetserhörende Gott: Kat. G.19.8, G.19.14. Die ramessidischen Gebete auf Stelen weisen eine partielle Wiederholung der stets gleichen Motive auf sowie Ähnlichkeiten in der Phraseologie, die darauf zurückgeführt werden kann, dass die grosse Mehrheit der Texte aus Deir el-Medina stammt. Nur selten

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sind Ausnahmen belegt: So beinhaltet z. B. Kat. G.19.13 den einzigen bislang bekannten schriftlichen Beleg für die Formulierung eines Kinderwunsches auf solchen Gebetsdenkmälern. In den Gebetstexten, die in der Schultradition stehen, 415 spielt der Aspekt des göttlichen Richters und Beschützers eine deutlich grössere Rolle, als dies in den Gebeten auf den Stelen der Fall ist. Dies gilt auch für die Verbindung zum Berufsgott als einem persönlichen Gott, 416 die in den Votivstelen von geringerer Bedeutung zu sein scheint, sowie für die Heimweh-Thematik, die mit der Bindung der Privatperson zur Hauptgottheit des eigenen Herkunftsortes einhergeht. 417 Da die untersuchten Texte sowohl Briefe als auch Inschriften aus dem Siedlungskontext und insbesondere Gebete aus dem Schulkontext umfassen, ist ein inhaltlicher Unterschied zu den traditionellen Gebetsstelen festzustellen, deren Inhalt eng mit ihrem Anbringungsort und ihrer Funktion verbunden war. Die Bittgebete, die die Gebetsstelen überliefern, lassen sich in folgende thematische Einheiten gliedern: 1. Bitte um eine schöne Lebenszeit: Kat. G.19.29. 2. Bitte um Leben, Heil und Gesundheit: Kat. G.19.1, G.19.4, G.19.21, G.19.24. 3. Bitte um Glück im (Berufs-)Leben: Kat. G.19.19. 4. Bitte um/Wunsch nach bAw-Machterfahrung und deren Verkündung (sDd bAw): Kat. G.19.3, G.19.10, G.19.13, G.19.15. 5. Bitte um Fruchtbarkeit und Kinder: Kat. G.19.13. 418 6. Bitte um Gottesnähe (mj-n=j-Formel „komm zu mir“). 419 7. Bitte um Besänftigung des Gottes und seine friedliche (Htp) Einstellung: Kat. G.19.3, G.19.6 (mit „Sündenbekenntnis“), G.19.7, G.19.10, G.19.11, G.19.12, G.19.13, G.19.15, G.19.26. 8. Bitte um Erleuchtung und Befreiung von der „Finsternis“: 420 Kat. G.19.11, G.19.12, G.12.15, G.19.26. 9. Bitte um Unversehrtheit der eigenen Worte, wahrscheinlich beim Übertritt ins Jenseits: Kat. G.19.4, G.19.25, G.19.29. 10. Bitte um Teilnahme an diesseitigen Festen und an den Opfergaben im Tempel (auch als Verstorbener): Kat. G.19.25 11. Bitte um ein Begräbnis: Kat. G.19.2. 12. Bitte um ein heiles Erreichen des Jenseits: Kat. G.19.4, G.19.20. 13. Bitte um Festigkeit des Körpers im Jenseits: Kat. G.19.18. Keines der hier untersuchten Gebete stellt ein Bekenntnis zu einer bestimmten Gottheit dar, wie dies z. B. in der Autobiographie des Samut-Kiki (Kat. A.19.1) oder in P.Anstasi II, 9.2–10.1 und P.Anastasi III, 4.12–5.5 der Fall ist. Sogenannte „Sündenbe415 416 417 418

419 420

S. dazu Kapitel 5.2 und die Auswertung dazu. Z. B. P.Anastasi III, 4.12–5.5; P.Anastasi IV, 10.5–8; P.Anstasi V, 9.2–10.2. Z. B. P.Anastasi IV, 4.11–5.5. S. dazu Kapitel 5.3.3 f) sowie BOMMAS 2003b und Kapitel IV.1.2 der vorliegenden Arbeit. Man beachte dabei, dass dem Stifter der Stele Glasgow (Culture and Sport Glasgow Museums) Penbui zwei weitere der Taweret gewidmeten Stelen (die Stele Louvre E 16.374, G.19.7 und die Stele BM 1466) zugeschrieben werden, was für eine persönlich empfundene Beziehung zu dieser Gottheit gedeutet werden könnte (s. auch den Kommentar zu Kat. G.19.13). S. dazu Kapitel 5.3.3. S. dazu den Exkurs II, Kapitel 5.1.1.

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kenntnisse“ sind in Kat. G.19.5, G.19.6, G.19.9 und G.19.17 belegt, wobei die Verbindung zu einer Verkündung der bAw-Macht nur in Kat. G.19.17 festzustellen ist. Nach Jan ASSMANN (1999: 10) gehören diese Gebetstexte durch die schriftliche öffentliche Bekanntmachung des in ihnen überlieferten Gott-Mensch-Verhältnisses zum Bereich der Literatur und sind somit von jenen zu unterscheiden, die aufgrund einer Schilderung eines Lebensereignisses der historisch-biographischen Textgattung zuzuschreiben sind. Die Betrachtung dieser Denkmäler als Werke der Literatur lässt jedoch die Funktion ausser Acht, die sie durch ihre kultische Einbindung innehatten. 421 Ferner sind wahrhaftige Notsituationen in keinem dieser Zeugnisse beschrieben, sodass für deren Ausdruck vermutlich Metaphern wie diejenige der „Finsternis am Tag“ benutzt wurden. Darüber hinaus sind die damit verbundenen Wünsche, trotz der Vielfalt an Themen, die in der Ramessidenzeit deutlich in den Vordergrund rückt, stets formelhaft und standardisiert geblieben, sodass diesen Zeugnissen nicht der Eindruck einer spontanen individuellen Religiosität abzulesen ist. Dennoch wird in diesen Denkmälern ein direktes Verhältnis zwischen der Gottheit und dem Stifter hervorgehoben, das als eine Übertragung bestehender religiöser Glaubensformen auf die Ebene des Individuums gedeutet werden kann. 422 Diesseits und Jenseits scheinen in diesen Bitten eine gleichrangig wichtige Rolle zu spielen; in Analogie zu der Beobachtung, die für die Gebete der Nachamarnazeit gemacht wurde, ist die Grenze zwischen beiden Dimensionen nicht mehr deutlich fassbar: Bitten, die auf das Jenseits abzielen, sind auch auf Denkmälern vorzufinden, die in Heiligtümern angebracht wurden (z. B. Kat. G.19.29).

5.2

Kult und Persönliche Frömmigkeit

Die Einbindung von Gebetstexten in einen kultisch-rituellen Kontext und somit die Distanzierung von der individualisierten Deutung dieser Texte ist in erster Linie Dieter KESSLER (1998 und 1999) zu verdanken. In seiner Untersuchung des Graffito im Grab des Batjay (TT 139; Kat. G.18.17) konnte KESSLER eine zumindest zum Teil überzeugende alternative Interpretation zu Jan ASSMANNs Deutung des Textes als Zeugnis eines Dissidenten, der während der Amarnazeit sein Leiden unter der Entfernung von Amun heimlich zum Ausdruck gebracht hätte, anbieten (ASSMANN 1984: 260ff. und DERS. 1999: Nr. 147). Nach KESSLERs Interpretation handelt es sich bei diesem Graffito um ein Zeugnis des Petitionswesens, das vom Bruder eines wab-Priesters verfasst wurde. Dieser agierte im Namen eines religiösen Zirkels eines Totentempels und war für die Beantwortung von Anfragen seiner eigenen religiösen Gruppe an die Gottheit zuständig. Die Anfrage erfolgte in der Nacht vor einem Festtag, der im Text explizit erwähnt wird, in der Dunkelheit des zugänglichen Teils des Grabes. Verwendet würden dabei Phraseologismen und Anrufungsformeln, die eine angeblich seit der Voramarnazeit existierende religiöse Praxis weiterführten. Ausgeführt wurden solche Anrufungen von wabPriestern, die in Totentempeln agierten und kultische Funktionen innehatten (KESSLER 1998: 177–178). Das Vortragen des Gebetes erfolgte vor den Kultbildern nach streng 421 422

S. Kapitel 5.2. So Antonio LOPRIENO (1996a: 46), der die ramessidischen Gebete für mimetische Texte hält „in which a private divine interlocutor is singled out from the pantheon of official religion“.

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formell geregelten religiösen Vorgängen, die nach KESSLERs Rekonstruktion nichts von einer spontanen individuellen Hinwendung an die Gottheit hatten. Die Dunkelheit des Raumes, in der die kultische Anrufung erfolgte und das Erscheinen der Gottheit, deren gefährliche Natur friedlich besänftigt wurde (sHtp), am Tag danach sind somit nach Dieter KESSLERs Auffassung im Ausdruck der „Finsternis am Tag“ enthalten. 423 Aufgabe und Pflicht des wab-Pristers war es, das Bittgesuch der Mitglieder seiner religiössozialen Gruppe der Gottheit, die er allerdings stets mit einer überregionalen Gottheit identifizierte (KESSLER 1998: 182), vorzutragen. Das Graffito in TT 139 könnte somit die erste ausführliche schriftliche Fixierung dieses seit langem existierenden Vorganges sein. Als Beweis dafür liesse sich die Stele Kairo CG 20281 (VERNUS 1982–1983) aus der 2. Zwischenzeit anführen, die mit Sicherheit die Anrufung des Ptah von Anch-tawy mit einem Festtag in Verbindung setzt (KESSLER 1998: 184, Anm. 78). Nach KESSLERs Auffassung ist somit zentral, dass solche Kultpraktiken schon vor der Amarnazeit existierten, ihre Verschriftlichung aber erst später stattfand. Über den Inhalt der Sätze hinaus verweist KESSLER zu Recht auf die Ortsgebundenheit des jeweiligen Trägers des Gebetstextes (KESSLER 1999: 176), die Einblicke in seine Funktion gibt. Die Anbringung von Stelen in einem Heiligtum und die damit verbundene Petitionsvorstellung liesse sich an bestimmten Festdaten festmachen, an denen durch die Vermittlung des wab-Priesters der im jeweiligen Kultort einwohnenden Gottheit die eigenen Anliegen vorgestellt wurden. Durch die Wiederholung solcher rituellen Vorgänge, die bildlich in den Anbetungsszenen der Stelen selbst dargestellt wurden, konnte die persönliche Bitte oder das persönliche Bekenntnis in zyklischen Abläufen eingebunden und somit stets aktualisiert werden (KESSLER 1999: 177). Dieter KESSLERs Interpretation wurde schliesslich von Faried ADROM (2005) am Beispiel der Stele des Neferabu, Turin 50058 (Kat. G.19.5), mit dem Ziel untersucht, das Einzelobjekt Stele „in einen sinnstiftenden Kontextrahmen, der für alle Objekte dieser Textsorte gültig sein soll“ (ADROM 2005: 4) einzubinden. Nach einer detaillierten Analyse des Textes aufgrund ritualtheoretischer Ansätze erkennt ADROM (2005: 24ff.) in der Stele des Neferabu ein Makroritual des staatlichen Petitionswesens, in dem Neferabus Worte als eine formelhafte Deklaration zu verstehen sind. Es handelte sich dabei niemals um Zeugnisse einer privaten Situation, sondern stets um kultisch überindividuelle Begegnungsrituale für eine Orakelgottheit. Diese Begegnung wäre somit im Sinne von fixierten ritualinternen Rollenbezügen definiert, die keinen Einblick in die intime Privatspäre des Individuums geben: Die Stelen der Persönlichen Frömmigkeit wären in ein „staatliches Ritualwesen“ einzubinden (ADROM 2005: 25), das einerseits die angenommene Trennung zwischen persönlichem Ritual und offizieller Religion (nach ASSMANN 1996a: 259) widerlegt und andererseits die Teilnahme des Individuums als die Einnahme einer institutionellen Rolle umdeutet. Die kultische Einbindung einer Gebetsstele lässt sich auf bildlicher und textlicher Ebene und unabhängig von ihrer geographischen Herkunft zweifellos erkennen (EXELL 2009, ALTENMÜLLER 2009: 47). In Kapitel 3.1.2 wurde darauf hingewiesen, dass sich die bildliche Darstellung entweder auf ein einziges Register konzentriert, oder sich auf zwei (oder mehr) Register verteilen kann. Die Gottheit bzw. ihr Kultbild kann entweder sitzend oder stehend, einem Opfertisch gegenüber oder ohne einen solchen dargestellt 423

Vgl. dazu den Exkurs II, Kapitel 5.1.1.

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sein. Die betende Person bzw. der Ritualvollzieher kann entweder vor ihr oder in einem anderen Register in anbetender Haltung oder beim Opfern abgebildet sein. 424 Bei der Darstellung beider Parteien wird ausschnitthaft eine rituelle Kommunikationssituation zum Ausdruck gebracht, die internen Regeln des Abbildens, des Inhalts und der Form dieses darstellbaren Kommunikationsaktes folgt. Die bildlichen Darstellungen der Gebetsstelen zeigen ein Detail eines Opferrituals, in dessen Zentrum der Mitteilungscharakter steht, der die im Ritual innewohnenden Informationen transportiert. Durch das Opfer als Kommunikationsmedium wird eine Beziehung zwischen Gott und Mensch rituell hergestellt. Die Anbringung der Anbetungsformel rdj.t-jAw-n/sn-tA-n, gefolgt vom Namen der angesprochenen Gottheit und demjenigen des Stifters der Stele, kann das einzige textliche Element auf der Stele sein und stellt die Ergänzung der rituellen Gabe durch einen verbalen Kommunikationsakt dar: Votivstelen

Bild Anbetungsszene = Opferritual:

Text Verbale Kommunikation:

1. Minimalste Einheit: die Gottheit alleine

1. Minimalste Einheit: rdj.t-jAw-n-Formel 2. Artikulierter Gebetstext

2. Ein göttliches Wesen und ein Individuum

Das Vorhandensein dieser zwei Elemente auf den Votivstelen der Ramessidenzeit und ihre Anbringung in einem religiös-kultischen Kontext genügen, um sie als Kultdenkmäler einzustufen. Insbesondere der Unterschied zu den Gebetstexten aus dem Schulkontext), die sich durch das Nichtvorhandensein dieser drei Elemente auszeichnen, unterstützen die hiesige Deutung der Stelen. Dass es sich in diesem Falle um Zeugnisse handelt, die eine „offizielle Funktionssprache (...), die zu den elaborierten Codes einer überregional funktionierenden Hoch- und Ritualsprache“ (ADROM 2005: 12) und somit weniger den alltäglichen privaten Umgang mit der göttlichen Welt wiedergibt, ist als richtig zu erachten. Ausdrucksformen von persönlichen religiösen Handlungen lassen sich jedoch keineswegs nur anhand solcher Gebetsstelen untersuchen, weshalb m. E. die Beurteilung der Persönlichen Frömmigkeit tout court als die Durchführung von Makroriten (ADROM 2005: 13) einschränkend ist. Vielmehr sind die Gebetsstelen Zeugnisse des institutionalisierten Rahmens der Zugangsmöglichkeit von Privatleuten zum Göttlichen über den Vollzug von festgelegten Ritualen, die vor Kultbildern an Kultorten zusammen mit einer bestimmten Kultsprache stattfanden. 425 Diese Rituale sind nach Dieter KESSLER (2001: 148) als Petitionsrituale zu definieren und lassen sich in fünf Abschnitte untertei424 425

Es sei hier wiederum auf Karen EXELLs Einteilung (2009: 20) verwiesen. Zu den Schlussfolgerungen in Bezug auf das Verhältnis zwischen Individualität und Norm in diesen Zeugnissen vgl. Kapitel 6.2.1.

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len: 1. einleitender Festvorgang, 2. Gruppenteilnahme, 3. nächtliches Geschehen, 4. morgendliches Erscheinen der Gottheit vor den Festteilnehmern, 5. Ausgabe der Antworten an die nicht eintrittsberechtigten Festteilnehmer. Diesem Muster folgend konnte Faried ADROM die Stele Turin 50058 des Neferabu (Kat. G.19.5) entsprechend analysieren und das folgende Schema rekonstruieren (ADROM 2005: 16): Einleitender Opfervorgang Gruppenteilnahme Nächtliches Geschehen • Machtverhältnisse • Bedrohungssituation • Besänftigung • Errettungssituation Erscheinen des wab-Priesters nach aussen & Erscheinen der Gottheit aussen Ausgabe der Petitionen Stelenaufstellung

Ikon des Opferständers Verkündung • Selbsterniedrigung • Ikon: Felswand/Notsituation • ob-Libation • Besänftigung der Gottheit 426 Verkündigung: Jubel Ikonen der sichtbaren kosmischsolaren Gottheit Nicht in Turin 50058 erhalten Nicht in Turin 50058 erhalten

Das hier wiedergegebene Schema aus Faried ADROMs Studie kann in seinen einzelnen Elementen jedoch nicht auf jede Gebetsstele angewandt werden. So beinhaltet die Grundform solcher Denkmäler, die in ihrem textlichen Teil nur aus der rdj.t-jAw-nFormel und dem Namen des Stifters bestehen, weder eine sog. Selbsterniedrigung noch das angenommene nächtliche Geschehen oder das Erscheinen nach aussen oder die Ausgabe von Petitionen. Als kultisches Denkmal für die eigene Religionspraxis genügte die Zusammensetzung der bildlichen Darstellung des Anbetungs- bzw. Opferrituals mit dem Teil der verbalen Kommunikation, der dem eigentlichen Sprechakt entsprach. Unterschiede in der Länge und Ausführlichkeit des Denkmalinhaltes waren wahrscheinlich in erster Linie von ökonomischen Faktoren abhängig. Die Bedeutung dieser Zugangsmöglichkeit für das alltägliche private Leben eines jeden Menschen kann jedoch den Zeugnissen aus einem anderen „Sitz im Leben“ als dem kultischen entnommen werden. So spiegeln insbesondere Briefe 427, Zeugnisse aus dem Siedlungskontext 428 sowie magisch-medizinische Formeln 429 den ausserkultischen Glauben an eine Begegnung mit dem Göttlichen, die sich als Eingriff des Gottes in das private Leben ansehen lässt, wider. Wenn die Kontaktaufnahme von menschlicher Seite ausgehen musste, dann war deren Situierung in einem Kulthorizont im häuslichen wie im heiligtumsbezogenen Kontext die Voraussetzung dafür, wobei die Existenz des Gebets im „stillen Kämmerlein“ ohne rituellen Hintergrund nicht auszuschliessen ist. Die Tatsache, dass Anfragen an die Gottheit jenseits der festlichen Anlässe, und dann wahr426

427 428 429

Diesen Aspekt setzt Faried ADROM mit der Idee der Schönheit der Gottheit in Verbindung, wobei er dadurch nfr.w und Htp als gleichwertig betrachtet (ADROM 2005: 16). Zu der aus den jenseitsbezogenen Wünschen stammenden Bitte, die Schönheit der Gottheit in der Unterwelt sehen zu dürfen und dies im Kultgeschehen des Festes zu erleben, siehe auch in Kapitel 5.1.1. S. Kapitel 5.3.2. S. Kapitel 5.3.3. S. dazu GNIRS 2003 und Kapitel 6.2.1.

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scheinlich in Gebetsritualen, stattfanden, ist anhand der ausserkultischen Beleglage festzumachen. In Kat. B.20.5 (P.BM 10417) antwortet der Hm-nTr-Priester des vergöttlichten Amenophis I. auf den Brief des Totentempelschreibers Thutmosis und versichert, ihn „vor Amenophis“ gesetzt zu haben und wiederholt ihm dabei auch die Worte, welche die Gottheit darauf gesprochen hätte. Für dieses Ereignis wird kein festlicher Rahmen beschrieben, sodass man von anderen Praktiken ausgehen kann. 430 Dass auf jeder Stele der abgebildete Beter zugleich der temporäre Kultvollzieher ist – so nach den Thesen von Faried ADROM und Dieter KESSLER –, kann allerdings nicht bewiesen werden. Dies würde darüber hinaus bedeuten, dass im Falle von Kat. G.19.11, G.19.12, G.19.15, G.19.24 und Kat. G.20.1 auch Frauen als temporäre wab-Priesterinnen das Ritual vollzogen hätten, was das Bild der Teilnahme von Frauen am religiösen Leben im Neuen Reich jenseits der Smay.t-Rolle deutlich verändern würde. 431 Dafür sprechen jedoch keine weiteren Argumente. Vielmehr ist für die Gebetsstelen anzunehmen, dass sie von Mitgliedern der Kultgemeinschaften in den jeweils dafür zuständigen Werkstätten in Auftrag gegeben wurden, was die Zugehörigkeit des Stifters zur Kultgemeinschaft sicherte. Die Aufstellung dieser Denkmäler, die durch die Formel jrj.n + PN auf der Stele selbst in mehreren Fällen zum Ausdruck gebracht wird, fand wahrscheinlich anlässlich solcher kultischen Ereignisse statt. Diese ermöglichten eine Kontaktaufnahme zur Gottheit, und vermutlich konnten gleich mehrere Personen daran teilnehmen. In Analogie zu den Stelen, die im Mittleren Reich in Abydos errichtet wurden und dadurch die Partizipation des Stifters an die Abydosfeierlichkeiten band, vermitteln die ramessidischen Gebetsstelen die Übertragung der Gottesverehrung auf die persönliche Ebene. (Eventuelle) Hinweise auf den tatsächlichen Vollzug von Opferritualen durch den Stifter einer Stele als temporären wab-Priester können in den unterschiedlichen Darstellungen der opfernden Personen vor dem Götterbild erkannt werden, wohingegen die Abbildungen von dwA-Anbetungsgesten kein Zeichen kultischer Handlungen aufweisen.

5.3

Textzeugnisse aus dem Alltagsleben

Die Präsenz von Religion und Religiosität im alltäglichen Leben kann in Ägypten anhand archäologischer Befunde oder schriftlicher Zeugnisse aus dem Siedlungskontext zurückverfolgt werden. Seit der 18. Dynastie sind (wenn auch nur in begrenztem Masse) Schriftzeugnisse aus Siedlungen bekannt und spiegeln die Präsenz religiöser Praktiken im Alltag wider. Inwieweit diese Zeugnisse auch für die Erforschung der privaten religiösen Vorstellungen und Kultakte zu Rate gezogen werden können, ist von der Art des Beleges und dessen Fundkontext abhängig.

430 431

S. dazu Kapitel 5.3.2. Vgl. Kapitel 4.3.2.

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5.3.1

Gebete bzw. göttliche Anrufungen aus dem Siedlungskontext

Für die Zeit vor der 18. Dynastie sind keine Belege für Gebete oder göttliche Anrufungen bekannt, die von Privatpersonen aus dem Siedlungskontext stammen. Die einzigen Zeugnisse stammen aus dem königlichen Milieu 432 und spiegeln somit ein Privileg des Königs und seiner Familie wider. Doch auch in den Autobiographien derselben Zeit zeichnen sich ähnliche Merkmale auch für die Gaufürsten Ägyptens ab. Die ersten Zeugnisse für göttliche Anrufungen aus dem Siedlungsbereich datieren erst in die 18. Dynastie, insbesondere in die Zeit Thutmosis’ III. Anbringungsorte waren in erster Linie die Türgewände von privaten Wohnhäusern 433 hoher Beamter (HABACHI 1952: 500). Das Dekorationsprogramm der Haustüren setzte sich aus der bildlichen Darstellung des Hausbesitzers in kniend betender Haltung vor dem Königsnamen in der Kartusche und der schriftlichen Anbringung einer Htp-dj-nsw-Formel zusammen.434 Dieser Brauch nimmt seinen Anfang offenbar unter Thutmosis III., 435 obwohl Zeugnisse aus dem funerären Kontext den Belegen aus Siedlungen zeitlich vorangehen (Kat. Ar.18.1: Türpfosten aus Aniba). 436 Eine kanonische und vollständige Gestaltung des Dekorationsprogrammes von Türgewänden mit Kartuschenverehrungsszenen tritt erst ab der Amarnazeit auf (SEIDLMAYER 1983: 184ff.), in der die Konzeption von Grabund Haustüre grundsätzlich übereinstimmt (BUDKA 2001: 9). Dies ist vor dem Hintergrund der Aufhebung der Grenze zwischen Jenseits und Diesseits nach den Prinzipien der Amarnatheologie zu erklären (HORNUNG 1995: 106–107). 437 Die Anbringung von Opfergebeten an Haustüren in Tell el-Amarna projiziert also die religiösen Vorstellungen des Lebens nach dem Tode vollkommen in die Diesseitssphäre, indem der lebendige Bewohner des Hauses vor dem allgegenwärtigen Gott Aton und dem König Echnaton seine Bitten für die eigene Existenz post mortem vorbringt (Kat. Ar.18.2). Auf dem Türpfosten des Ranefer (Kat. Ar.18.4) wird ausdrücklich ersucht, die Opfergaben im Benbentempel des Re, d. h. im Atontempel, empfangen zu dürfen. In Echnatons Ideologie liegt das Totenreich im Tempel Atons in Achetaton, dessen Bild als Kompensation für die Abwesenheit von bildlichen und textlichen Beschreibungen der Unterwelt und des Lebens als Verstorbener zu verstehen ist. Die Szene des betenden Mahu vor dem Atontempel, welche auf der Nordseite der hinteren Wand seines Grabes angebracht ist (DAVIES 1906: Taf. 18), 438 versteht sich als bildliche Wiedergabe dieser Bitte sowie als Beispiel einer gesuchten Kompensation für die Abschaffung jeglicher Unterweltsdarstellungen in den Gräbern. 432

433 434

435 436 437 438

Vgl. dazu die Anbetungsinschrift von Mentuhotep Nebhepetre aus dem Tempel des Month von ElTod (SCHENKEL 1965: 212, Nr. 335), in der der König seinen persönlichen Bezug zum dynastischen Gott Month in den Vordergrund stellt. Die neueste und ausführlichste Studie diesbezüglich ist Julia BUDKA (2001) zu verdanken. Die Entsprechungen zwischen Grabportal und Wohnhaustüre sind nur auf die gemeinsame Konstruktion und Funktion als Eingang beschränkt. Je nach Anbringungskontext konnten entscheidende Unterschiede und verschiedene Merkmale festgestellt werden, die somit auch den abweichenden ideologischen Hintergrund hervorheben. S. dazu zuletzt BUDKA 2001: 8ff. S. dazu auch die Belege in BUDKA 2001: 107–115, Nr. 1–18. S. die Kartuschenverehrung im Grab des Senenmut (SPIESER 2000, Nr. 79–80). Als Beispiele dafür vgl. Kat. Ar.18.2–8. Zum Begleittext dieser Szene siehe Kat. G.18.14.

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In Kapitel 3.1.4 wurde bereits auf die Förderung der „populären“ Frömmigkeit von offizieller Seite eingegangen, die unter Thutmosis III. durch das Einrichten diverser Kultstätten ad hoc manifestiert wurde. Die Untersuchung der Grab- und Haustürdekoration in derselben Periode belegt die Suche der Privatpersonen nach neuen Trägern für den verbalen und visuellen Ausdruck ihrer eigenen Frömmigkeit. Im Mittleren Reich und in der 2. Zwischenzeit war der Wunsch nach Gottesnähe insbesondere mit den Jenseitsvorstellungen verbunden. 439 Diesem Muster folgend gewinnt dieselbe Einstellung in der frühen 18. Dynastie einen neuen Träger: das Grab (ASSMANN 1995: insbes. 283– 284). Hier werden erste Darstellungen von Gottesverehrungsszenen angebracht. 440 Darüber hinaus werden die Götter, die in Opfergebeten vorkommen, mit Epitheta angerufen, die erste Formen von Gotteseulogien darstellen (ASSMANN 1983a: 145ff.). Für die Erforschung der Entwicklungslinien der Persönlichen Frömmigkeit ist dies insofern von Bedeutung, als sich dabei die Ebene des Individuums und seiner Konzeption durch neue Verhältnisparameter herauskristallisiert. Die absolute Mehrheit von Verehrungsszenen im Neuen Reich betrifft die Anbetung der Königskartusche 441 durch Privatpersonen. Dies ist nach Julia BUDKA zum einen als Folge der politisch-ideologischen Stellung des Herrschers gerade seit der Zeit Thutmosis’ III. zu verstehen, zum anderen vor dem Hintergrund des Legitimationsprozesses unter Hatschepsut einzuordnen, in welchem die Göttlichkeit des Herrschertums hervorgehoben wurde. Besonders im nubischen Raum sind solche Verehrungen des lebenden Pharao zur Zeit Thutmosis’ III. und Ramses’ II. besonders intensiv und als Loyalitätsausdruck der unterworfenen Gebiete zu deuten (BUDKA 2001: 53–54, mit Anm. 270). Gebete an den König sind unter Thutmosis III. zumindest im häuslichen Kontext nicht belegt, was sich hingegen unter Echnaton ändert, als der König zum einzigen Mittler zwischen Gott und Mensch wird und somit auch Ziel von Bitten und Gebeten. 442 Das Vergleichen von Zeugnissen aus dem Siedlungsbereich mit solchen aus dem funerären oder religiösen Kontext ermöglicht einen Einblick in die Nuancen der Ausdrucksformen persönlicher Religiosität in der 18. Dynastie: Es kristallisiert sich eine Wandlung in der Auffassung des Königs als göttliches Wesen heraus. Unter Thutmosis III. sind keine gebetsähnliche Texte an den Pharao belegt, weder aus Siedlungen noch aus religiösen Kontexten; dennoch ist seine Verehrung als lebender Herrscher in offiziellen Inschriften häufig bezeugt (RADWAN 1988: 329-330). Seine Verehrung durch den Einzelnen scheint jedoch in einem sekundären Schritt stattgefunden zu haben, denn schriftlich ist seine Vergöttlichung erst in der Ramessidenzeit belegt: Thutmosis III. wurde vom Volk erst postum als Gott verehrt (RADWAN 1998: 330, 333–336). 443 Im Unterschied dazu sind aus der Regierungszeit Amenophis’ III. bislang keine Belege aus dem Siedlungskontext bekannt (BUDKA 2001: 263, Verzeichnis 3,), die auf sei439 440

441 442 443

S. Kapitel 5.1.1. Während in der Voramarnazeit die Verehrungsszenen nur eingeschränkt angebracht werden konnten, waren sie in der Zeit nach Tell el-Amarna das zentrale Thema der Grabdekoration (ASSMANN 1995: insbes. 283). Typ. I in der Einteilung nach BUDKA 2001. Vgl. Kat. Ar.18.2, Ar.18.5, Ar.18.6, Ar.18.7, Ar.18.8. Dies geht mit der Verehrung Thutmosis’ III. in seinem Totentempel in Theben West einher, in dem er als ein wahrhaftiger Gott verehrt wurde (BELL 1995: 280, Anm. 145 u. 146) und die Rolle des Amun bzw. Amun-Min einnahm (RADWAN 1998: 336, Anm. 55 mit Bibliographiehinweisen).

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ne direkte Anbetung verweisen könnten. Dennoch wurde er als göttliche Instanz sowie als Mittler zwischen der menschlichen und göttlichen Ebene wahrscheinlich bereits zu Lebzeiten wahrgenommen. 444 Ferner datieren erste Belege formell strukturierter Gebetstexte gerade in seine Regierungszeit. 445 Die Förderung zahlreicher Götterkulte durch Amenophis III. (HORNUNG 1995: 30) spiegelt auch auf persönlicher Ebene eine gewisse religiöse Freiheit wider, die unter seiner Regierung festzustellen ist. Amenophis III. stellt sich zwar als Gott auf Erden dar (BICKEL 2002), verlangt allerdings nicht seine alleinige Verehrung. Trotz der lückenhaften Fundlage scheint sich aber das Bild einer persönlichen Religionsausübung vor Echnaton durch die Hinwendung zu einem oder mehreren wie auch immer gearteten Göttern herauszukristallisieren. Unter Echnaton erfährt dieser Prozess eine extreme Wendung: Die Sonne, der schon in den theologischen Hymnen in der sog. Neuen Sonnentheologie (ASSMANN 1983a: 96ff.) die Herrschaft über die Götterwelt zugeschrieben wurde, erlangte in dieser Zeit in der Gestalt des Aton den Status einer allein existierenden Gottheit. Echnaton präsentierte sich in einem gewaltigen Bildprogramm als einziger Mittler zwischen den Menschen und Aton. Darüber hinaus wurden ihm Hymnen von Privatpersonen gewidmet, die ihn sogar als Schöpfer zeigen 446 und somit dem Aton gleichstellen. Texte auf den Grabwänden sowie Briefe verdeutlichen die Bedeutung Echnatons für das Individuum als Gott und Mittler zu Aton (BICKEL 2003a). Im Katalogteil der vorliegenden Arbeit bezeugen Kat. G.18.12 (Grab des Huya) und Kat. G.18.14 (Grab des Mahu) die Äusserungen von Fürbitten an Aton zugunsten Echnatons, dessen Wohl als grundlegend für das Leben jedes einzelnen Menschen galt, was bildlich durch die Schenkung des anxZeichens an Echnaton und seine Familie durch die Strahlenarme Atons dargestellt wurde. Die aus dem Siedlungskontext stammenden Befunde bestätigen für diese Zeit folgende Feststellung: Echnaton galt als Ziel von Anbetungen und Bitten aus dem alltäglichen Leben der Menschen in Tell el-Amarna (BUDKA 2001: 55–56, IKRAM 1989). Die Tatsache, dass die Ausübung der persönlichen Religionspraxis verschiedenen Göttern gegenüber jenseits des funerären Bereichs auch in der Zeit vor Amarna eine bedeutende Rolle für die Privatperson spielte, kann schriftlich anhand der Ostraka aus Scheich Abd el-Gurna (Kat. G.18.2–7: Amenophis II.) sowie des Beleges aus der Kapelle Nr. 11 in Gebel el-Silsileh (Kat. G.18.8; Amenophis II./Thutmosis IV.) belegt werden. Des Weiteren datieren die ersten von offizieller Seite erbauten Denkmäler für die Ausübung der Persönlichen Frömmigkeit in die Zeit Thutmosis’ III. 447 Aus dem Siedlungskontext sind einzelne Zeugnisse von Gebeten an Amun-Re belegt, 448 die in die Zeit Thutmosis’ III. datieren, selbst wenn sie aus der nubischen Provinz von Aniba stammen. Von hier stammt auch ein weiterer Text auf einem Türpfosten eines privaten Wohnhauses (BUDKA 2001: 113), der jüngst als zusätzlicher Beleg für die mit der Persönlichen Frömmigkeit eng verbundene Heimwehthematik 449 interpretiert wurde (BOMMAS 2003b). In diesem Zeugnis könnte die Sehnsucht nach Theben (ao=k r pr 444 445 446 447 448 449

S. die Schilderung dieser Thematik in Kapitel 3.1.5. S. hier die Gebete an Thot auf der Statue des Cheruef (Berlin 2293; Kat: G.18.9) und an Re auf der Reliefplatte Wien 5815 (Kat. G.18.10). S. Kat. G.18.13: Gebet an Echnaton im Grab des Merire. S. Kapitel 3.1.4. S. Kat. Ar.18.1: Türpfosten aus Aniba. S. dazu GUKSCH 1994b, BOMMAS 2003b sowie Kapitel 5.3.3 f) der vorliegenden Arbeit.

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ptr.tw m WAs.t „Mögest du in das Haus eintreten, in dem man sich in Theben sieht“ 450) jedoch vielmehr vor dem Hintergrund der Zentralität Thebens für das religiöse Leben und für den Kult des dynastischen Gottes Amun-Re gedeutet werden. Eine weitere Untersuchung der persönlichen Religionspraxis aus dem Alltagsleben in der 18. Dynastie ermöglichen die Votivgaben an Hathor (PINCH 1993), die in deren verschiedenen Heiligtümern im ganzen Land entdeckt wurden und hauptsächlich in die 18. Dynastie datieren. 451 Obwohl diese Funde nicht aus dem Siedlungskontext stammen, 452 ist das Ziel solcher Opfergaben eng an die Bedürfnisse des alltäglichen Lebens gebunden. Anhand dieser Feststellungen lassen sich einige Aspekte festhalten: 1) In der 18. Dynastie äusserte sich die private religiöse Praxis in Form eines gesuchten Kontaktes zu den Göttern. Den diesseitsbezogenen Rahmen dafür stellten die öffentlichen Prozessionsfeste dar; die jenseitsgerichtete Ebene, die im Mittleren Reich als die Möglichkeit zur Erfahrung der Gottesnähe par excellence galt, blieb in der frühen 18. Dynastie weiterhin aktuell und erfuhr eine Bereicherung durch die Anbetung von Gottheiten in eulogischer Form im Opfergebet. Die Gottesnähe wurde in einem sakralen Raum und in einer sakralen Zeit erfahren, die nicht mit dem alltäglichen Leben in der Siedlung einherging. Der König blieb zwar dabei bis zur Zeit Amenophis’ III. Ziel der Verehrung als Herrscher, nicht aber als Gott, der die persönlichen Anliegen eines jeden Menschen erhörte. Dies bestätigen unter anderem auch die Mittlerstatuen, die, die Übermittlung von Bitten und Wünschen an die Götter (insbes. Hathor) sicherstellten. 453 Amenophis Sohn des Hapu jedoch liess sich erstmalig als Mittler des vergöttlichten Pharao Amenophis’ III. in Karnak darstellen (GALÁN 2000), d. h. in der Hochburg des Kultes für Amun-Re. 2) Seit der Zeit Amenophis’ III. wurde der göttliche Aspekt des Königs hervorgehoben, so dass er von den Menschen auch als göttliches Wesen wahrgenommen wurde: Pharao hatte sich zu einem wahrhaftigen Gott auf Erden entwickelt, zum Mittler zwischen Menschen und Göttern, an den man sich mit den eigenen Bitten wandte, wie insbesondere die Zeit Echnatons belegt. 3) In seiner Regierungszeit fanden Bitten und Gebete an Echnaton als Gott einen neuen Anbringungsort: Den Eingang der Wohnhäuser. Die Dimension der persönlichen Religionsausübung bricht die Grenzen zwischen sakral und profan und aktualisiert sich im alltäglichen Leben. Mit anderen Worten, der Prozess des Aufkommens von Ausdrucksformen Persönlicher Frömmigkeit im Siedlungskontext bewirkte die Erweiterung der Suche nach Gottesnähe nicht nur im Diesseits, was schon durch die Teilnahme an den öffentlichen Festen gegeben war, sondern vielmehr auch konkret im Alltagsleben, wenngleich nur in Form standardisierter Anbetungsfloskeln und auf festgelegten Trägern. Die Veränderung in der Auffassung der Figur des Königs unter Echnaton, die auch aus den Belegen aus dem Siedlungskontext hervorgeht, wird in der Forschung traditionell im Sinne des sog. Amarna-Loyalismus interpretiert (ASSMANN 1980, HORNUNG 1995: 62ff. und LOPRIENO 1996b). 454 Darunter wird die gezielte und gewollte Fokussie450 451 452 453 454

Zu dieser Übersetzung s. BOMMAS 2003b: 42 m. Anm. 12. PINCH 1993. S. jedoch die breite Fundlage der sog. Beischläferinnen aus Siedlungen, zu deren Bedeutung hier auf PINCH 1983 und DIES. 1993: 197–234 verwiesen sei. Vgl. Kapitel 3.1.5. Zu den Zeugnissen aus dem Siedlungskontext siehe BUDKA 2001: 56.

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rung der persönlichen Frömmigkeitsausübung auf die Person Echnatons als einzige Verbindung zum dynastischen Gott Aton verstanden. Die Ausdrucksform dieser Fokussierung bedient sich des literarischen Fundus an Formeln und Ausdrücken der loyalistischen Literatur, deren Tradition bis in das Mittlere Reich zurückverfolgt werden kann, und stellt somit eine direkte Verbindung zu den Zeugnissen der Persönlichen Frömmigkeit aus der Ramessidenzeit dar (ASSMANN 1979). Die Kartuschenverehrungsszenen sowie die Anrufungen an den König auf Türgewänden in der frühen 18. Dynastie könnten somit als eine weitere Ausdrucksform der Loyalität hoher Beamter dem König gegenüber aufgefasst werden, die in der loyalistischen Literatur des Mittleren Reiches ausführlich thematisiert wurde. 455 Die persönliche Hinwendung zu Göttern, die schon in religiösen Textzeugnissen des Mittleren Reiches belegt ist 456 und in vereinzelten Gebeten in der 18. Dynastie fortgesetzt wurde, thematisierte bereits die Literatur des Mittleren Reiches (LOPRIENO 1996b: insbes. 541-547, LUISELLI 2007b). 457 Ferner wird der menschennahe Gott in der 18. Dynastie auf theologischer Ebene in den Hymnen insbesondere an den dynastischen Gott Amun-Re angeglichen 458 und durch die Erwähnung von Königsattributen auch als König zelebriert. Diese Hymnen sowie die eulogischen Erweiterungen der Götternamen in der Totenopferformel (ASSMANN 1983a: 145ff.) sind mit der Verehrung des Königs auf Architekturelementen in Siedlungen zeitgleich. Nach ersten Vorstössen in diese Richtung in der Regierungszeit Amenophis’ III. findet eine Dramatisierung des Aneignungsprozesses von göttlichen Eigenschaften durch den König vor allem unter Echnaton statt. Er konnte somit während seiner Regierungszeit zur Zielperson persönlicher religiöser Praxis reifen. Die Untersuchung der Beleglage in der Amarnazeit in Gebieten ausserhalb der neuen Hauptstadt und des thebanischen Raumes hat jedoch gezeigt, dass dieser Prozess auf der Ebene des Individuums rein intellektuell vollzogen wurde. Ausserhalb dieser beiden Zentren der politischen und religiösen Macht gestaltete sich die religiös-kultische Lage deutlich anders: Die Menschen beteten zu verschiedenen Göttern (z. B. Taweret und Bes), insbesondere für Belange des Privatlebens. Die private Erfahrung einer persönlichen Gottesnähe, die in der 18. Dynastie insbesondere anhand der Votivgaben für den Hathorkult fassbar ist, blieb ständig Teil der persönlichen Religionsausübung, unabhängig von den (intellektuellen) Richtlinien der intelligentia. In diesem Sinne ist die Auffassung der Persönlichen Frömmigkeit als Resultat und Reaktion auf die Erfahrung der Amarnazeit 459 in Anbetracht des komplexen Aufkommens eine zu starke Vereinfachung. 460 Die Verehrung des Königsnamens an Türgewänden von Wohnhäusern und die damit verbundene Bitte nach Gunst und Liebe des Herrschers ist als offizielles Loyalitätsbekenntnis zu verstehen, das weniger von

455 456 457 458 459 460

S. dagegen JUNGE 2003: 99, nach dessen Ansicht der Begriff nTr in den loyalistischen Lehren den Gott und nicht den König bezeichnet. S. Kapitel 5.1.1. S. die Untersuchung im Exkurs II, Kapitel 5.1.1. S. vor allem den Hymnus an Amun-Re in P.Boulaq 17, 4.3–4.4 (LUISELLI 2004: 11). So zuletzt ASSMANN 2004a und in Bezug auf die Inschriften aus dem Siedlungskontext BUDKA 2001: 56. Anders ALTENMÜLLER 2009: 43-44.

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spontanen Zugehörigkeitsgefühlen, als von einer mehr oder weniger expliziten Pflicht des Beamten gegenüber dem Herrscher geleitet war. 461 Die Inschriften auf Türgewänden in Siedlungen wurden auch in der Ramessidenzeit weiterhin angebracht. Kartuschenverehrungsszenen sind weiterhin Bestandteil des Bildprogrammes, und inschriftlich wird wieder in Gebetsformeln um Gunst und Lob des Königs (Kat. Ar.19.1) gebeten (BUDKA 2001: 59). In ihrer Studie über die Königsverehrung an Türgewänden im Wohnkontext erkennt Julia BUDKA in den Anbetungsszenen und Gebetsaussprüche an den König in der Ramessidenzeit (insbesondere unter Ramses II.) eine „Vorrangstellung des Königs gegenüber Göttern im Siedlungsbereich“ (BUDKA 2001: 60). Die Blütezeiten dieses Bildprogramms sind nach Julia BUDKAs Studie hauptsächlich drei Perioden zuzuordnen: Thutmosis III., Amenophis III./Echnaton und Ramses II. Es ist allerdings kein Zufall, dass gerade diese Könige als vergöttlichte Herrscher verehrt wurden. Die Tatsache, dass die Gebetsformeln für den König insbesondere in der Ramessidenzeit Wünsche ausdrücken, die mit dem alltäglichen Leben des Beamten einhergehen, 462 widerspricht dem Grundsatz der Persönlichen Frömmigkeit, nämlich einer direkten Hinwendung zu einer Gottheit mit persönlichen Anliegen, nicht. In der Regierungszeit Echnatons wurde vor dem Hintergrund der neuen AtonTheologie die Trennung zwischen Diesseits und Jenseits aufgehoben; die Allgegenwärtigkeit Atons und seines Stellvertreters auf Erden (Echnaton) bewirkte in der intellektuellen Ausformulierung eine Vermischung der sakralen und der profanen Ebene: Echnaton anzubeten bedeutete, einen Gott zu verehren. Obwohl in der Nachamarnazeit die traditionellen Götterkulte offiziell wieder eingeführt wurden, hatte sich die Auffassung der Rolle des Königs für den Einzelnen geändert. Das neue Konzept vom Bild des Königs blühte insbesondere unter Ramses II. auf. Der König war ein Gott unter Göttern, an den sich die Menschen mit ihren Wünschen und Bitten wenden konnten. Die Tatsache, dass die Königsanbetung auf Türgewänden der Götteranbetung quantitativ überlegen ist, kann mit einer längeren Tradition erklärt werden und ist weniger Ausdruck einer Bevorzugung der königlichen Macht für den alltäglichen Bereich. 463 Es verwundert nicht, dass insbesondere Beamte, die im Palast tätig waren, den Inhalt ihrer Bitten auch entsprechend gestaltet (Kat. Ar.18.2, Ar.19.1, Ar.20.1) und Fragen nach Leben, Heil und Gesundheit sowohl an den König, 464 als auch an Götter 465 gerichtet haben – ebenso 461

462 463

464

BUDKA 2001: 61 spricht diesbezüglich von der do-ut-des-Handlung, auf deren einen Seite die öffentliche Schau der Königsverehrung dargestellt war, auf der anderen hingegen die Erwartung (und ausgesprochene Bitte) einer Gegenleistung durch den Herrscher. BUDKA 2001: 59. Um die Vorrangstellung des Königs zu beweisen, stützt sich BUDKA 2001: 60 mit Anm. 308 unter anderem auf das Epitheton nTr nfr, das nach neuesten Forschungen als „präsenter Gott“ zu übersetzen wäre und somit die Gegenwart des Herrschers zum Ausdruck bringen würde (vgl. z. B. Ar.19.2, Z. 4). Dieses Epitheton ist allerdings im Neuen Reich vor allem in Zusammenhang mit Göttern mehrfach überliefert (vgl. den Hymnus an Amun-Re des P.Boulaq 17, 1.1) und ist selbst in Siedlungen auch bei Anbetungen von Göttern belegt (vgl. Kat. Ar.18.7, Z. 6 in der Echnaton als Re. angebetet wird). In der Annahme, dass Elke BLUMENTHALs (1970: 24; 79) Interpretation dieses Ausdruckes für das Mittlere Reich zutrifft und, dass dadurch die Präsenz des Königs hervorgehoben wurde, kann dies auch für den Gebrauch dieses Epithetons im Neuen Reich gelten, wodurch eine Eigenschaft der Götter definiert wurde. S. Kat. Ar.18.2 (Echnaton; Z. 9); Ar.18.8 (Echnaton, Z. 2); Ar.20.1 (Ramses III.; linker Türpfosten: Z. 1).

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wie den Wunsch nach einer würdevollen Bestattung. 466 In seinem Gebet an Ramses II., angebracht auf einem Türpfosten im Sama’na-Kanal, welcher sich durch einen ausgeprägten Loyalismus dem König gegenüber auszeichnet, bittet der Königssohn Setepenre ausdrücklich, sich an dem „schönen Gesicht“ Ramses’ II. erfreuen zu dürfen 467 und bedient sich dabei einer Phraseologie, die seit der 18. Dynastie nur für Götter belegt ist und vor allem den Wunsch nach der Gotteserfahrung beinhaltet. In der Ramessidenzeit wird der König als Gott angebetet. Seine Prominenz in den Dokumenten aus dem Siedlungsbereich kann eine Erklärung darin finden, dass er von den Menschen als ein naher Gott empfunden wurde. 468 Bitten und Anrufungen an ihn sind im Rahmen von Totenopferformeln (Htp-dj-nsw-Formeln) oder Anbetungsphrasen (dwA- bzw. jAw-n=k-Formeln) definiert; die dabei zum Ausdruck gebrachten Bitten sind standardisiert. Inhaltlich beziehen sie sich grösstenteils auf den Wunsch nach Leben, Heil, Gesundheit, nach einer langen Lebensdauer, nach einem würdevollen Begräbnis und Versorgung im Jenseits. Selten sind präzisere Bezüge zum Beruf angedeutet (Kat. Ar.20.1). Die Bitten, die an den König gerichtet sind, unterscheiden sich nicht von denjenigen an die Götter. Darüber hinaus darf der Herkunftsort der einzelnen Belege nicht ausser Acht gelassen werden. Nach Julia BUDKAs Katalog sind Verehrungsszenen und Texte in Bezug auf Echnaton ausschliesslich aus Tell el-Amarna belegt, in welchen der Pharao parallel zu Aton gepriesen wurde (BUDKA 2001: Kat. 19–37); Ramses II. wurde überwiegend in seiner Hauptstadt Qantir verehrt, gelegentlich in anderen Gebieten des Norden wie Memphis und Heliopolis. Die Anbetung der Kartusche von Thutmosis III., vor allem in Aniba, ist damit zu erklären, dass nach der Gründung der Festung im Mittleren Reich in der Regierungszeit Thutmosis’ III. ausgedehnte Vorstädte ausserhalb der Festung entstanden waren (SÄVE-SÖDERBERGH 1975: 274). Die Königsverehrung im Siedlungsbereich zeichnet sich also durch die historisch belegte Gebundenheit eines Herrschers zu einer oder mehreren bestimmten Siedlungen aus und kann nicht als Vorrangstellung gegenüber den Göttern interpretiert werden. Eine bestimmte Gottheit wird im Siedlungsbereich aus fünf verschiedenen Gründen angerufen (n. BUDKA 2001: 61–62): 1) Der Gott ist eine Lokalgottheit. 2) Der Gott ist eine Dynastie- resp. Reichsgottheit. 3) Die Gottheit wird wegen ihres ganz speziellen Zuständigkeitsbereiches und ihrer Funktion (z. B. als Fruchtbarkeitsgottheit) verehrt. 4) Die Gottheit gilt als Patron einer spezifischen Berufsgruppe. 5) Die Gottheit ist die Heimatgottheit des Hausbesitzers.

465 466 467 468

Kat. Ar.20.2 (Amun-Re; rechte Seite des Türsturzes: Z. 6; linke Seite: Z. 8); Ar.19/20?.1 (Chnum; Graffito 4: Z. 1). Kat. Ar.18.7 (Echnaton als Re an G.18.7t; Z. 8). Kat. Ar.19.1, linker Pfosten: Z. 2. S. Kapitel 3.1.5. Unter anderem sei hier auf den Türsturz des unter Ramses II. amtierenden Vizekönigs von Kusch Setau aus Memphis verwiesen (BUDKA 2001: 154), auf dem der Pharao als ReHarachte gepriesen wird, der für die Menschen aufgeht, „sodass sie ihn sehen können“.

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Die am häufigsten belegten Gottheiten in diesem Zusammenhang sind Aton in der 18. Dynastie, Amun(-Re), Ptah und mächtige Lokalgötter in der Ramessidenzeit. 469 Julia BUDKA konnte auf Unterschiede in den Erwähnungen von Gottheiten in der Opferformel des Neuen Reiches hinweisen und stellte dabei fest, dass im Gegensatz zur Opferformel, in der im Neuen Reich vor allem Osiris dominiert, dieser im Siedlungsbereich nur in Einzelfällen eine Nennung findet (BUDKA 2001: 62). Als Totengott des Jenseits wurde Osiris nur selten in diesseitsbezogenen Dokumenten aus Siedlungen erwähnt. In diesem Sinne waren auch die Wünsche des Hausinhabers, die für das Jenseits an den Türgewänden angebracht waren, an eine Gottheit gerichtet, die zu einer der fünf oben genannten Kategorien gehörte. Inhalt und Form folgten jedoch einem festgelegten Schema, das keine spontanen Züge aufweist. Die persönliche Note ist lediglich im Namen und im Berufstitel des Inhabers enthalten. Die Ausgestaltung der Bitten ist hier inhaltlich und formell wesentlich stereotyper, als es in den Gebeten derselben Zeit der Fall ist. Der Grund dafür liegt zum einen im herrschenden Dekorum, zum anderen wahrscheinlich im beschränkten Raumangebot auf diesen Trägern. Ein Sonderfall ist ein Türpfostenpaar aus Memphis, das in die 19. Dynastie datiert und autobiographische Elemente des Besitzers (Nehesi) aufweist (BUDKA 2001: 238–239, Kat. 249). Die Türpfosten wurden sekundär aufgefunden, weshalb der ursprüngliche Anbringungsort nicht mehr festzustellen ist. Durch den Unterschied in Inhalt und Form dieses Zeugnisses ist die Zuweisung zum Wohnkontext wohl auszuschliessen (BUDKA 2001: 239). Dieser These kann lediglich hinzugefügt werden, dass die Konzeption biographischer Züge eines Textes traditionell im Bereich des Grabes lokalisiert ist, das als Bühne für die Selbstdarstellung fungierte (ASSMANN 1987). Doch fehlen solche individuelle Züge auch in den an Haustüren angebrachten Texten aus dem Siedlungskontext nicht. So zeichnet sich z. B. Kat. Ar.18.7 aus der Regierungszeit Echnatons durch die Hervorhebung der persönlichen Erfahrung des Stifters aus, die als Vorbild für die anderen Mitmenschen gelten konnte und sich somit in die Tradition der loyalistisch-biographischen Texte (so SEIDLMAYER 1983: 195) einreiht, die in Tell el-Amarna eine durchaus beliebte Gattung darstellten. 470 Von besonderer Bedeutung ist im Falle dieses Textes aber der Anbringungsort auf der Doppelscheintürnische der tiefen Halle im Wohnhaus des Königsschreibers Ramose, durch deren Dekoration und Bemalung der Besucher tief beeindruckt gewesen sein musste (SEIDLMAYER 1983: 195). Der Individualitätsgrad der Texte hing wahrscheinlich insofern vom Beruf des jeweiligen Stifters ab, als die Ausübung bestimmter Berufe (Schreiber oder Priester) einen fundierteren Zugang zu Themen und Texten bot und somit unter Umständen auch die Möglichkeit, den eigenen Text persönlicher zu gestalten. In denjenigen Fällen, in denen es sich hingegen um eine Auftragsarbeit handelte, ist der Standardisierungsgrad höher, da man sich wahrscheinlich eines bestehenden Fundus an Formeln und Phraseologien bediente.

469

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S. dazu die Aufzählung in BUDKA 2001: 62–68: Amun, Amun-Re, Aton, Atum, Bastet, Chons, Hathor, Horus, Isis, Osiris, Osiris-Chontamenti, Mertseger, Ptah, Renenutet, Sachmet, Seth, die thebanische Triade, die Triade von Elephantine, Thot und vereinzelt Chepri, Month, Maat und lokale Gottheiten wie Onurs und Mehit. S. diesbezüglich auch den Text von Kat. Ar.18.5.

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5.3.2

Briefe

Die Untersuchung von privaten Briefen mit dem Ziel, Erkenntnisse über die private Religionspraxis zu gewinnen, ist insbesondere John BAINES (2001), Deborah SWEENEY (1985) und Susanne BICKEL (2003a) zu verdanken. Während sich die Beleglage der persönlichen Religionspraxis sich für das Alte und Mittlere Reich bislang noch problematisch ist, stellen die Briefe aus dem Neuen Reich und insbesondere aus der Ramessidenzeit eine ergiebige Quelle von Informationen dar. Da Briefe eine inhaltlich nicht festgelegte Gattung darstellen, können in ihnen theoretisch alle Lebensbereiche sowie Themen der zeitgenössischen Kultur angesprochen sein. Unter dieser Voraussetzung können auch Bereiche der Religion thematisiert werden, die für den persönlichen oder familiären Kontext des Absenders oder des Empfängers eine relative Bedeutung hatten (ALBERTZ 1978: 100). John BAINES vertritt allerdings die Meinung, dass die Gattung der Briefe, genauso wie die der Gebete, für die vorliegende Fragestellung insofern nur einschränkt herangezogen werden kann, als sie gattungsinternen Prinzipien der Konvention und des Dekorums unterliegt. Individuelle Erfahrungen und Züge seien somit in keiner der beiden Kategorien objektiv wiedergegeben, weshalb solche Quellen immer auf ihre Absicht hin untersucht werden sollten, welche deren Abfassung bestimmten (BAINES 2001: 4). Dennoch zeigt die detaillierte Studie über den Inhalt der Briefe insbesondere aus der späten Ramessidenzeit, dass die Ausübung und Teilnahme an religiösen Ritualen Bestandteil des alltäglichen Lebens war. Die Gebete auf den Gebetsstelen stellen formelhafte Texte dar, die wenig Auskunft über die private Religiosität des Einzelnen geben können und abgesehen von wenigen Ausnahmen auch einer inhaltlich festgelegten Norm folgen. Sofern jedoch in Briefen religiöse Wendungen vorkommen, ergibt sich daraus die Möglichkeit, Spuren von Frömmigkeit im alltäglichen Leben oder einen religiösen Grundtenor greifen zu können (ALBERTZ 1978: 100). Die formelle Gruss- resp. Einleitungsformel, die die Elemente der persönlichen Teilnahme an der Religion unmittelbar zum Ausdruck bringt, macht im Laufe der Zeit eine Entwicklung durch (BAKIR 1970: inbes. 55-77). So datieren die ersten Beispiele von Briefen, in denen der Wunsch geäussert wird, der Empfänger des Briefes möge in der Gunst des Pharao (WENTE 1990: 77, Nr. 94) oder mehrerer Gottheiten (Kat. B.12.1– 3) 471 stehen in die 12. Dynastie unter Amenemhet III. 472 Dabei ist bemerkenswert, dass sich der Kreis der in den Grussformeln erwähnten Gottheiten beschränkt ist. Sobek von Krokodilopolis (Kat. B.12.1), Sobek als „Herr von Rosetau“ (Kat. B.12.3), Chenticheti von Athribis (Kat. B.12.1), Horus aus Krokodilopolis (Kat. B.12.1) und Soped als „Herr des Ostens“ (Kat. B.12.2) sind diejenigen Götter, die neben dem regierenden König und zusammen mit ihrer jeweiligen Neunheit erwähnt werden. Darüber hinaus findet zu dieser Zeit zum ersten Mal die persönliche Anrufung von mehreren Gottheiten durch den Absender des Briefes statt, womit die Idee der Anrufung der allgemeinen Götterwelt ausgedrückt wird, wie sie in der Ramessidenzeit geläufig ist. Während sich diese Formel in der Ramessidenzeit eben erst zum Standard entwickelt, scheint sie in der 12. Dy471 472

S. dazu WENTE 1990: 79–84, Nr. 97–103. John BAINES (2001: 7) erkannte einen Unterschied zwischen den Formeln des Mittleren und denen des Neuen Reiches, die auf Umstrukturierungen sozialer Art basierten.

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nastie noch eine von verschiedenen möglichen Grussformeln zu sein. Sie steht somit als Hinweis für die frühe Entstehung solcher Formeln in einer Zeit, in der die persönliche Hinwendung an Gottheiten nur sporadisch in der Beleglage greifbar wird, weshalb man hier von keinem kulturellen Muster sprechen kann. Hinweise auf vollzogene rituelle Handlungen gibt es zu dieser Zeit jedoch keine. Die Beispiele aus der 18. Dynastie (Kat. B.18.2–3) führen grundsätzlich das Muster, das in der 12. Dynastie seinen Anfang nahm, weiter (BAINES 2001: 8ff.). Seit der Amarnazeit tritt jedoch in der Grussformel ein neues Element auf: Der Absender gibt an, täglich mit der Gottheit (Aton) zu sprechen und dabei für die Gesundheit des Empfängers zu beten (Kat. B.18.4). Das Interesse liegt dabei in der Tatsache, dass diese Aussage über das Formelle hinaus Auskunft über die religiösen Praktiken geben kann, die auf die Herstellung eines Kontaktes zu einer Gottheit zumindest auf verbaler Ebene abzielt. Ob dies als Hinweis auf ein reales tägliches Gebet zu verstehen ist, kann aufgrund der Einbettung in eine Standardformel nicht mit Sicherheit bestimmt werden. 473 Ein weiteres Beispiel dafür stellt der Brief auf O.Berlin 11247 (Kat. B.19.3) aus der Regierungszeit Ramses’ II. dar, in dem die Metapher der Finsternis (kkw) für die Beschreibung eines Zustandes benutzt wird, den der Absender als Folge der Gottesferne interpretiert und somit als besonders negativ empfindet. Dieselbe Metapher, die auf weiteren zeitgenössischen Gebetsstelen oder in Grabinschriften häufig belegt ist, 474 musste vor allem unter Schreibern 475 bekannt gewesen sein. Sie war sozusagen ein etabliertes Instrument zur Wiedergabe bestimmter seelischer oder physischer Schwierigkeiten innerhalb einer kulturellen Elite. In der 19. und 20. Dynastie wird die Grussformel erweitert und auf elaboriertere Art und Weise gestaltet. Die direkte Hinwendung zur Gottheit wird Teil von Handlungen ritueller Natur, die jetzt mehrheitlich in den Briefen beschrieben werden. So ist in einem Brief des Korrespondenzcorpus‘ von Butehamun aus der 20. Dynastie die Rede von Wasserspenden im Tempel des Amun von Karnak, die gekoppelt an Bitten des Absenders (Thutmosis) vollzogen werden (BAINES 2001: 9). Die Möglichkeit der Orakelbefragung bei Feierlichkeiten wird ebenfalls erwähnt (Kat. B.20.4, vso. Z.3: tw=j (Hr) wAH=k m-bAH Jmn-Htp a.w.s. r-tnw xay=f „Ich setze dich vor Amenophis I., L.H.G., bei jeder Erscheinung von ihm“). Die Erwähnung von Wasserspenden (Kat. B.20.3, B.20.7, B.20.11, B.20.12 und B.20.17) 476 und Orakelbefragungen (Kat. B.20.5, B.20.13, B.20.14 und B.20.19) ist jedoch nicht als Teil einer Formel zu interpretieren, da weder das eine noch das andere allen Briefen gemeinsam ist, sondern vielmehr einem selben Korrespondenzcorpus angehört (dem Briefaustausch zwischen Thutmosis in Mittelägypten und Butehamun in Me473

474 475 476

BAINES 2001: 13, Anm. 40 weist darauf hin, dass die für diese Absicht verwendete Formel mk wj Hr Dd n pA (Jtn) „Ich spreche zu Aton“ linguistisch neutral ist im Vergleich zu der hohen Anzahl an Neuägyptizismen, welche die Briefe allgemein aufweisen. Dennoch würde diese Formel nicht in die Voramarnazeit passen, weshalb der tatsächliche Wendepunkt in der Amarnazeit festzulegen ist. S. dazu den Exkurs II in Kapitel 5.1.1. Sowohl Absender als auch Empfänger des hier besprochenen Briefes tragen den Titel zXA od. In Kat. B.20.11 wird die Wasserspende als ein mehrmals stattfindendes Ritual beschrieben (zwei- bis dreimal pro Woche).

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dinet Habu) und somit der dort geschilderten spezifischen Situation. Insbesondere Kat. B.20.5, vso. Z. 4 überliefert sogar wortwörtlich die angebliche Antwort des Orakels, die nach unseren Kenntnissen über die ägyptische Religion durch die Vermittlung eines Priesters in Worte gefasst wurde. Diese Gegebenheit ist jedoch einzigartig und spiegelt somit nicht nur leere Floskeln wieder. Vielmehr sind diese Erwähnungen vom Sprechen zu einer Gottheit, das Ausführen von Wasserspenden im Tempel und die Orakelbefragung Hinweise für persönliche rituelle Handlungen, welche die Teilnahme des Einzelnen an der Religion wiedergeben. Insbesondere das Sprechen mit einer Gottheit kann als einfachste Art des gesuchten und erfolgten Kontaktes mit dem Göttlichen jenseits jeglicher Anbetungsformeln gedeutet werden (ALBERTZ 1978: 99) 477 und als ein Hinweis für die Existenz eines spontanen Gebetes in Ägypten sein. 478 Letzteres ist allerdings von keinem Zeugnis belegt und wird durch diese Formel auch nur indirekt angedeutet. Die Briefe sind ausserdem eine wertvolle Quelle, wenn es um die Untersuchung der Erfahrung resp. Erfahrbarkeit von Gottesnähe für den Menschen ausserhalb der Heimatstadt geht. Die Entfernung vom eigenen Haus wurde als Entfernung vom Stadtgott empfunden 479 und dementsprechend als dramatisch angesehen. In Kat. B.20.3, B.20.7, B.20.12 und B.20.17 bittet Thutmosis seinen Sohn Butehamun, Wasserspenden für Amun von Karnak zu opfern und dafür zu beten, dass er (Thutmosis) heil aus dem Ausland (Mittelägypten oder Nubien) in seine Heimatstadt Theben zurückkehren möge. In den stereotypen Grussformeln sagt Thutmosis, dass er „jeden Gott und jede Göttin, bei denen vorbeigeht“ (Kat. B.20.3, Z. 3) bittet (Dd), Butehamun Leben, Heil und Gesundheit zu verleihen. Der Kontakt zu Gottheiten auch in der Entfernung war somit nicht unmöglich, aber gerade die Verortung in einer standardisierten Floskel nimmt dieser Aussage ihre Glaubwürdigkeit. Aus der eigentlichen Nachricht des Briefes, d. h. in jenen Passagen, in denen sich die Stereotypisierung am wenigsten deutlich abzeichnet, ist zu erkennen, dass die Errettung aus einer schwierigen Situation nur über den Einsatz der Gottheiten aus der eigenen Heimatstadt erfolgen konnte (SWEENEY 1985: 214). Durch die Erwiderung, die Wasserspende zwei bis drei Mal pro Woche zu vollziehen, reagiert Butehamun in Kat. B.20.11 auf eine Aufforderung, die Thutmosis ihm zuvor angetragen haben muss, da er einen Satz aus Thutmosis’ Brief in seinem eigenen zitiert. 480 Für das Leben eines jeden Menschen war die Ortsgottheit oder die eigene persönliche Gottheit 481 von zentraler Bedeutung. Der Grund dafür lag im näheren Kontakt, den man zur eigenen Lokal- oder Berufsgottheit hatte. Nur so ist die Beharrlichkeit von Thutmosis zu erklären, der unter allen Umständen den Wasserspende-Ritus vor Amun 477 478

479

480 481

Ein Beleg dafür wäre die Behauptung j.n=j n=k jw=k sDm n=j „So sprach ich zu dir, und du hast mich gehört“ auf der Stele Berlin 20377 (Kat. G.19.17), obwohl hier nicht das Verb Dd gebraucht wird. John BAINES (2001: 14) interpretiert diese Formel weniger als Hinweis auf die Existenz des spontanen privaten Gebetes, sondern als Anrufung von Gottheiten für die ortsabwesenden Verwandten und Freunde. Die religiöse Praxis würde einzig und allein auf dieser Ebene bleiben. Zur Bedeutung des Ortsgottes und dessen Bezug zur persönlichen Gottheit im interkulturellen Vergleich s. LANG 1983. S. dazu auch John BAINES (2001: 16), der andererseits die Meinung vertritt, Thutmosis’ Aufforderung sei mündlicher Natur gewesen. Dies belegen insbesondere religiöse Quellen, darunter vor allem die Inschrift des Samut-Kiki (Kat. A.19.1).

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in Karnak zu seinen Gunsten ausgeführt wissen will (Kat. B.20.7) und der sich selbst als pAy=f bAk Ax „seinen (von Amun) vortrefflichen Diener“ bezeichnet (vgl. SWEENEY 1985: 214). Die Nähe und die Instandhaltung des Verhältnisses zwischen Gottheit und Mensch standen in gegenseitiger Wechselbeziehung: Infolge der Nähe zu einer Gottheit, die sich physisch wahrnehmbar darstellte, wurde das Verhältnis zu ihr rituell gepflegt und die regelmässige Ausübung der religiösen Praxis verhinderte die Entfernung der Gottheit vom eigenen Leben, was jeweils als Auslöser für Krankheit und Leiden galt. John BAINES zieht in Erwägung, dass die Briefe als Produkte der kulturellen Elite auch ausschliesslich die religiösen Sitten dieser Elite widerspiegeln. Die Aussage über den Vollzug bestimmter Riten müsse sich zudem nicht zwangsläufig mit der Realität decken; vielmehr sei dies als ein Zeichen dafür zu werten, dass eine aktive Teilnahme an der Religion in Form persönlicher Ritualausübungen in den Tempelanlagen von der Elite geradezu erwartet wurde (BAINES 2001: 22). Das Beharren auf religiösen Praktiken, die sich insbesondere in den Briefen der 20. Dynastie abzeichnet, sei somit mit dem Pflichtgefühl der Oberschicht zu erklären, die sich in der Ramessidenzeit genötigt sah, besondere Gewichtung auf die religiösen Kultausübungen zu legen und spiegle keineswegs Kultausübungen des breiten Volkes wider. Selbst wenn der soziale Horizont der Briefe und der darin beschriebenen Kultaktivitäten zweifellos elitär ist, spricht das Vorhandensein grosser Mengen an Votivgaben in der 18. Dynastie eher dafür, dass persönliche rituelle Kulthandlungen verschiedener Art bereits vor der Ramessidenzeit stattgefunden haben müssen. Die Briefe berichten von Praktiken des religiösen Kontaktes zur Gottheit, die gerade zu dieser Zeit aktuell waren (BAINES 2001: 23 und 28), sehr wahrscheinlich aber eine längere Tradition fortsetzten und erst jetzt eine schriftliche Ausformulierung erfuhren. 482 Ein weiteres Beispiel stellen die Totenbriefe aus dem Mittleren Reich dar. 483 Zum einen spiegeln sie den Versuch des Einzelnen wider, jenseits des vom Dekorum festgelegten religiösen Verhaltensrahmen einen Kontakt mit dem Transzendenten herzustellen, wenn auch auf die Ebene der verstorbenen Verwandten begrenzt. Gerade die Fortsetzung dieser Tradition, die ihren Höhepunkt im Ahnenkult fand, 484 zeugt von unterschiedlichen Ebenen der Kommunikation mit dem Transzendenten innerhalb der persönlichen Religionsausübung. Rituelle Handlungen in Tempeln und Kapellen waren nur 482

483 484

Diesbezüglich sei hier auch auf Koenradd DONKER VAN HEEL (1992, 19ff.) verwiesen, der ein weiteres Beispiel für die religiöse Zeremonie des „wAH-mw“, des „Reinigens des Wassers“ liefert. Diese Zeremonie ist sowohl in als auch ausserhalb von Deir el-Medina in der Ramessidenzeit belegt .:. Aus den Quellen lässt sich erschliessen, dass das „Reinigen des Wassers“ ausserhalb von Deir el-Medina stets im Rahmen des funerären Ahnenkultes verortet war (DONKER VAN HEEL 1992: 22 und 24). Die Quellen, die über die Performierung der Zeremonie innerhalb von Deir el-Medina Zeugnis abgeben, datieren in die Regierungsjahre Ramses’ II. und Ramses’ III. und zeigen teilweise, dass das wAh-mw für Mitglieder einer Familie vollzogen wurde. Dies spricht für die Einbettung der Zeremonie in die Dimension des Privatlebens (DONKER VAN HEEL 1992: 23). Aufgrund der Quellenlage gewinnt man den Eindruck, dass das wAH-mw innerhalb von Deir el-Medina am Grab vollzogen wurde und eine Rezitation beinhaltete; darüber hinaus sprechen zwei Quellen dafür, dass der Ritus kurz nach der Beisetzung des Verstorbenen ausgeübt wurde (DONKER VAN HEEL 1992: 24). S. dazu insbes. BAINES 1987: 85ff. S. dazu DEMARÉE 1983 und ID. 1986, KAISER 1990 und FITZENREITER 1994. Die Ax-jqr-n-Ra-Stelen sowie die Büsten der Ahnen (KAISER 1990) sind sozusagen die bildliche Wiedergabe der Ansprechpartner, die früher in den Briefen an die Toten nur mit Namen erwähnt wurden.

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ein Teil dieser praktizierten Religiosität. Deren Verwobenheit mit dem Alltag ist durch archäologische und aus dem Siedlungskontext stammende Zeugnisse belegt (FRIEDMAN 1994; STEVENS 2009: 12–20; WEISS 2009) und gibt Auskunft über die persönlichprivate Religionspraxis ausserhalb der offiziellen Religion. Die Untersuchung der spätramessidischen Briefe aus Deir el-Medina im Hinblick auf soziale Komponenten lässt John BAINES zu dem Schluss kommen, dass die Zugänglichkeit der Gottheit und somit ihre Nähe sozial bedingt war (BAINES 2001: 26–27). Während die grosse Mehrheit der Mitglieder einer Gemeinde die Gottheit nur während den öffentlichen Prozessionen oder bei speziellen Riten im Tempelbezirk erfahren konnte, bestand für die älteren oder gesellschaftlich höher gestellten Privatpersonen die Möglichkeit, jederzeit in Kontakt mit der Gottheit zu treten. 485 Dennoch belegen private Festkalender die Existenz von Feierlichkeiten persönlicher Art (SADEK 1989; SPALINGER 1996), welche für die verschiedenen Gottheiten, die in Theben West über einen Kult verfügten, vollzogen wurden, die jedoch von den offiziellen Prozessionsfesten völlig unabhängig waren und getrennt abgehalten wurden. Diejenigen, die diese privaten Kulte umsetzten, gehörten der Mittelklasse an d. h. der gleichen Gesellschaftsschicht wie die Stifter der Votivgaben an Hathor (PINCH 1993: 344). Vor dem Hintergrund des engen Zusammenlebens in Deir el-Medina und der besonderen vorherrschenden kulturellen Situation ist es durchaus vorstellbar, dass in Analogie zu der relativ hohen Literarizitätsquote auch die Anteilnahme des Einzelnen an der Religion vergleichsweise verbreitet war. Die ramessidischen Briefe nennen drei verschiedene Arten der persönlichen Gottesannäherung: das Gebet, die Wasserspende und das Orakel. Im alltäglichen Kontext werden diese Formen ausschliesslich in der Quellenkategorie des Briefes erwähnt; dennoch handelt es sich mit Sicherheit um Belege persönlicher religiöser Kultpraktiken, die bereits vor dem Beginn der schriftlichen Umsetzung von Vorstellungen und Handlungen der Persönlichen Frömmigkeit ausgeübt wurden. 486 Der Unterschied und die Entwicklung ist vielmehr in der Ausdrucksform des Religiösen zu suchen: In dieser Hinsicht stellt die Ramessidenzeit eine climax dar, die in der altägyptischen Geschichte einzigartig blieb. Nicht die religiösen Praktiken der Menschen im Hinblick auf ihre gesuchte Gottesnähe waren zu dieser Zeit neu, sondern ihr Ausdruck (BAINES 2001: 30) 487 auf bildlicher und schriftlicher Ebene. Insofern kann die Untersuchung dieser Dokumentation sozusagen pars pro toto für die Geschichte der persönlichen Religionsausübung in Ägypten gelten, ohne jedoch dabei den für die verschiedenen Epochen variierenden geschichtlichen, sozialen und kulturellen Rahmen zu vernachlässigen. 488 Es sei dabei auch darauf hingewiesen, dass die Fürbitten (SWEENEY 1985) in der spätramessidischen Korrespondenz zwischen Thutmosis und Butehamun Einzelfälle bleiben. Die Anrufung von Gottheiten zugunsten des Briefempfängers in den Grussformeln muss hierbei ausgeklammert werden. Vielmehr wird nur die Beschreibung vollzogener oder noch zu vollziehender Riten für den Briefabsender in der eigentlichen Nachricht des Briefes als Fürbitte gewertet. Dies ist nach Deborah SWEENEY (1985: 216) im 485 486 487 488

Die Quelle für John BAINES’ Analyse ist der Brief an Amun aus dem P.Nevill (Kat. B.20.13). S. dazu vor allem BAINES 1987. Diese Auswertung setzt sich Barry KEMPs (1995) Behauptung entgegen, es habe vor dem Neuen Reich keine Religiosität auf persönlicher Ebene gegeben. S. dazu vor allem BAINES 1990.

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Hinblick auf die räumliche Entfernung zum Heimatort von Thutmosis zu verstehen, der auf eine solche Unterstützung zu Hause angewiesen war. Die Briefe, die sich die Bewohner der Arbeitersiedlung hingegen untereinander geschrieben haben, betrafen andere Bereiche des Lebens, in denen die Notwendigkeit des persönlichen Kultvollzugs nicht thematisiert wurde. Dennoch spricht die Stele Berlin 20377 (Kat. B.19.17) für die Existenz von Mittlergebeten auch in Alltagsbelangen der Bewohner von Deir el-Medina (SWEENEY 1985: 216), unter anderem zur Linderung von Leiden und Krankheiten. 5.3.3

Gebete aus dem Schulkontext

Aus dem altägyptischen Schulkontext stammen nebst zahlreichen Kopien literarischer Texte aus dem Mittleren Reich und neue verfassten Texten auch Hymnen und Gebete, die sich z.T. als Abschriften von theologisch-liturgischen Hymnen oder anderen religiösen Texten herausgestellt haben (POSENER 1977–1980: 103–104). Ein Beispiel dafür sind die acht Ostraka, die die Tradierung des grossen theologischen Hymnus an AmunRe aus der 18. Dynastie (P.Boulaq 17) in die Ramessidenzeit belegen (LUISELLI 2004: XII) sowie ein Gebet an Mut auf einem Ostrakon aus dem Tal der Könige (O.DeM 1638), das in seiner Phraseologie der Inschrift im Grab des Samut-Kiki (Kat. A.19.1) sehr ähnelt. Hymnen, Gebete und Eulogien aus dem Schulkontext stellen somit einen wichtigen Bestandteil des in der Schule abgehandelten Materials dar (FECHT 1965: 10ff.) und waren Teil des Curriculums der Schüler (MCDOWELL 2000: 231), das dem Erlernen der Sprache und Schrift diente. 489 Die hier im Anschluss wiedergegebenen und diskutierten Gebete stammen aus Manuskripten aus dem Schulkontext und wurden sowohl auf Papyri als auch auf Ostraka tradiert. P.Anastasi, P.Bologna und P.Sallier gelten als sog. Schülerhandschriften (ERMAN 1925; MCDOWELL 2000: inbes. 220ff.), die von fortgeschrittenen Schülern verfasst wurden. Dies lässt sich auch für die Texte auf Ostraka belegen (MCDOWELL 1996: 603; DIES. 2000); sie beinhalten Anthologien von Schriftwerken, die den Schreibern als Lernmaterial dienten und in die Ramessidenzeit datieren. Gerhard FECHT (1965) behandelte diese Texte aus den Schülerhandschriften als literarische Zeugnisse der Persönlichen Frömmigkeit und analysierte sie als literarische Werke unter dem besonderen Aspekt der ägyptischen Metrik. a) P.Bologna 1094, 2.3–7 490 Der Text des P.Bologna 1094, 2.3–7 (GARDINER 1937: 2) gehört formell weder zur Gebets- noch zur Hymnengattung, da keine dwA- oder rdj.t-jAw-n-Formel den Text einleitet. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Eulogie auf die göttliche Natur Amun-Res, die sich allerdings nur bedingt auf seine offiziellen Epitheta stützt. Bemerkenswert ist, dass dieser Text eine wörtliche Parallele mit nur kleineren Abweichungen zu P.Anastasi 489 490

Bereits in Kapitel 3.1 wurde auf die Implikationen der Zirkulation solcher Textarten für die Erziehung von Schreibern eingegangen. Übersetzung nach FECHT 1965: 39ff., Text: GARDINER 1937: 2f.

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II, 6.5–6.7 (GARDINER 1937: 16) darstellt, wobei durch textkritische Analysen festgestellt werden konnte, dass Letzterer wohl vom Bologneser Zeugnis abstammt (FECHT 1965: 41–44): 1

5

Jmn-Ra pA SAa jrj.t nsw

Amun-Re, der Erste, der König war,

pA nTr n zp tp.j

der Gott des Anbeginns,

pA TAty n pA nmHw

der Wesir des Armen!

bn sw Hr Ssp foAw n aDA

Er nimmt kein Bestechungsgeld vom Schuldigen,

bn sw Hr Dd n jnj mtrt

er spricht nicht zu dem, der ein (falsches) Zeugnis bringt,

bn sw Hr nw r Sar

er sieht nicht auf den, der Versprechungen macht.

wp Jmn pA tA Dba.w=f

Amun richtet das Land mit seinen Fingern,

mdw=f n HAtj

er spricht dem Herzen angemessen,

wp=f pA aDA dj=f sw r xa

er richtet den Schuldigen und überweist ihn dem Aufgang;

10 pA mAa.tj r Jmnt.t

den Gerechten (aber) dem Westen“.

Abgesehen von den ersten beiden Versen, die in den entsprechenden Epitheta das Wesen Amun-Res als König und Urgott thematisieren, konzentriert sich diese Eulogie auf seine Rolle als Schutzgott der Armen und Gerechten im Diesseits sowie als unbestechliche Instanz für das jenseitige Gericht. Gerhard FECHT erkannte in diesem Text eine zweiteilige Struktur, deren Trennungsglied die erneute Erwähnung des Amun in Vers 7 darstellt. Der solare Aspekt des Gottes tritt in der Aussage an der Stelle hervor, in der die Metapher des Amun, der mit seinen Fingern d. h. mit den Sonnenstrahlen (FECHT 1965: 41, Anm. 1) über das Land richtet, gebraucht wird. Im Gegensatz zu anderen religiösen Texten aus Schülerhandschriften ist die Eulogie an Amun-Re in P.Bologna zusammen mit denjenigen Texten vergesellschaftet, die keinen religiösen Zug aufweisen und insbesondere (Muster-)Briefe darstellen. So sind z. B. die Gebete an Amun(-Re) in P.Anastasi II, 8.5–9.1, P.Anastasi II, 9.2–10.1 und P.Anastasi II, 10.1–11.2 Teil einer Handschrift, deren thematischer Schwerpunkt eindeutig Hymnen, Gebete und Gotteseulogien sind.

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b) P.Anastasi II, 8.5–9.1 491 Auch in P.Anastasi II, 8.5–9.1 wird eine besondere Gewichtung auf das Verhältnis von Amun zu den Armen und auf seine Rolle im jenseitigen Gericht gelegt: 1 Jmn jm msDr=k

Amun, gib dein Ohr

n wa.tj m onb.t

einem, der allein ist im Gericht,

jw=f nmHw ntf wsr

indem er arm ist und in Weise mächtig,

jw tA onb.t Hr-gbj=f HD nwb

während das Gericht ihn bedrängt: Silber und Gold

5 n nA zXA.w n tmA

für die Schreiber der Matte,

Hbs.w n nA Sms.w

Kleider für die Angestellten!

gm jr.y Jmn xprw=f

Möge Amun sich offenbaren in seiner Gestalt.

m TAty r dj.t pr.w pA nmHw

als Wesir, um den Armen (siegreich) hervorgehen zu lassen.

gm pA nmHw xpr.w mAa.tj

Möge der Arme (sich) Gerechter herausstellen,

snn nmHw wsr

möge der Arme (an) den Mächtigen herankommen (=der Macht ähnlich sein).

Vers 1 verweist auf das göttliche Epitheton „der die Gebete erhört“ (sDm nH.wt), das insbesondere in der Ramessidenzeit eine zentrale Bedeutung in der Theologie mehrerer Gottheiten innehatte. Durch dieses Epitheton ist Amun-Re auch Träger dieser Eigenschaft seit der 18. Dynastie: P.Boulaq 17, 4.3–4.4 beschreibt ihn als sDm snmH.w n ntj m bTnw „denjenigen, der die Gebete desjenigen erhört, der in Bedrängnis ist“ und weiter als denjenigen, der „mit freundlichem Herzen (ist) gegenüber demjenigen, der zu ihm ruft“ (jmA-jb xft njs n=f). In den sog. Ohrenstelen (FALCK 1990: 97-105, MORGAN 2004, RADTKE 2008) findet das Epitheton eine bildliche Wiedergabe in Form von dargestellten menschlichen Ohren, selbstständig oder auf der Rückseite des Bildnisses der verehrten Gottheit (Taf. 8). 492 Der Rest des Gebetes thematisiert die Beziehung zwischen Amun und den Armen, vor allem wie eingangs erörtert in Bezug auf das Gericht, wobei es sich hier wahrscheinlich nicht um das Totengericht handelt. Vor diesem Hintergrund erklärt Gerhard FECHT die unterschiedliche Struktur der beiden Texte: Der erste Text ist als Eulogie aufzufassen und wendet sich der Jenseitssphäre zu. Der zweite Text hingegen wurde als wahrhaftiges Gebet konzipiert und thematisiert das diesseitige Gericht 491 492

Übersetzung nach FECHT 1965: 44ff., Text: GARDINER 1937: 17. Anders MORGAN 2004: 49, nach deren Auffassung die Ohren eine „engbegrenzte Künstlerschaft“ andeuten würden.

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und die Einsamkeit des Armen und Hilflosen in jener Situation. Die Eulogie basiere auf der Verkündung einer festgelegten Realität, auf die man durch Bitten keinen Einfluss erreichen kann. Trotz dieser Unterschiede ist die inhaltliche Nähe der Texte von P.Bologna 1094, 2.3-7 und P.Anastasi II, 8.5–9.1 – in beiden Fällen spielt das Thema der Armut (BRUNNER 1961) eine zentrale Rolle – jedoch so ausgeprägt, dass Fecht (1965: 45) einen gemeinsamen Ursprung für beide Texte postuliert. c) P.Anastasi II, 9.2–10.1 493 Der Aspekt der Armut, der in P.Bologna 1094, 2.3–7 und in P.Anastasi II, 8.5–9.1 wesentlich ist, wird auch in P.Anastasi II, 9.2–10.1 durch die Hervorhebung der Rolle Amuns als Beschützer der Menschen aufgegriffen: 1

Lotse, der das Wasser kennt,

aS-HA.t rx mw Jmn Hmy.t [n pA sD]m

5

494

pA dj ao.w n pA ntj bn n=f

der Brot gibt demjenigen, der keines hat,

sanx Hm n pr=f

der den Diener seines Hauses am Leben erhält.

bw jrj=j n=j srw m nxw

Ich mache mir keinen hohen Beamten/Fürsten zum Beschützer, ich geselle mich keinem Reichen,

bw Sbn=j 495 nb wnw bw Dd pAy=j dnj Xr xpS

ich gebe meinen Anteil nicht unter den starken Arm

n sj wn m pr [...]

eines Mannes, der im Haus des [...] war.

pAy=j nb m nxw(=j)

Mein Herr ist mein Beschützer!

10 jw=j rx.kwj pHty=f

493 494 495

Amun, Steuerruder [dessen, der hört];

Ich kenne seine Kraft:

r-Dd nxw tnr xpS

Beschützer mit starkem Arm,

wpw-Hr=f wa.w tnr(.w)

nur er allein ist stark.

Jmn rx ann

Amun, der die Vergebung kennt,

pA sDm n aS n=f

der hört auf den, der zu ihm ruft,

Übersetzung nach FECHT 1965: 46ff., Text: GARDINER 1937: 17ff. Zur Rekonstruktion der lacuna s. FECHT 1965: 50. S. dazu die Parallele in der Inschrift des Samut-Kiki (Kat. A.19.1).

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15 Jmn-Ra nsw nTr.w

Amun-Re, König der Götter,

pA kA nx.t xpS mrj xpS

der Stier mit gewaltiger Stärke, der die Stärke liebt.

Der Text beginnt mit zwei Versen („Lotse, der das Wasser kennt; Amun, Steuerruder (...)“), die so fast wortwörtlich auch auf der Schreibtafel 5656, Z. 10, belegt sind: aS-HA.t rx mw; Jmn pA Hmy.t „Lotse, der das Wasser kennt; Amun, du (unfehlbares) Steuerruder“. Mit der Verwendung des Verbs an(n) setzt Vers 13 ein Konzept um, das schon in der 18. Dynastie auf O.Kairo 12202 rto., Z. 3–4. (Kat. G.18.2) aus Scheich Abd elGurna ausformuliert war und in dessen Mittelpunkt die Fähigkeit Amuns zur Vergebung stand: 496 „mögest du (mir) vergeben. Amun-Re, du bist der Liebenswürdige, du bist der Einzige, der sich von seiner bAw-Macht abwendet“. Ferner findet derselbe Ausdruck auf der Stele von Nebra und Chay (Stele Berlin 20377, Z. 11; Kat. G.19.17, Taf. 11) einen weiteren Beleg: onD=f m km n At jwty zpy.t swH{.wt} ann.tj n=n m Htp „wenn er zürnt, ist es in einem Moment zu Ende, und nichts bleibt zurück. Der Wind hat sich zu uns umgewendet in Frieden“. Der hiesige Text ist in drei Abschnitte gegliedert, von denen der erste (Verse 1–4) und der dritte (Verse 13–16) jeweils die Anrufung des Gottes in prädikativer Form beinhaltet (FECHT 1965: 48). Gerhard FECHT konnte hierbei eine Gliederung nach dem Muster a-b:b-a erkennen, wobei „a“ für die Preisung Amuns als Leiter der Menschheit und der Götter steht, während „b“ auf das Thema seiner „Gnade“ eingeht (FECHT 1965: 49). Anders formuliert kann man folgendes Konzept ausmachen: Der Rahmen des Gebetes stellt die Preisung Amuns in der 3. Person Singular dar, während der eigentliche, auf die persönliche Ebene bezogene Teil sich mit dem zweiten Abschnitt (Verse 5–12) deckt. Die Verse 5–7 sind fast wörtlich auch in der Autobiographie des Samut-Kiki aus TT 409 (Kat. A.19.1) aufzufinden; dort heisst es: bw jrj=j n=j nx.w m rmT [bw Sbn] 497=j m wr.w „Ich habe mir keinen Beschützer unter den Menschen gemacht, ich geselle mich zu keinem Grossen“ Diese spiegeln die ramessidische Auffassung eines persönlichen Schutzgottes wider, der die Instanz par excellence für die Leitung des Lebens eines jeden Individuums war. Die Gottheit wird nicht nur auf die menschliche Ebene geholt, sondern vielmehr in eine private Sphäre, die Erfahrungen in den Vordergrund bringt und somit die eigene Beziehung zu Gott im Rahmen seiner Selbstdarstellung fokussiert (LOPRIENO 1996b: 543). Darüber hinaus sei hier auf eine weitere Parallele dieser Textpassage verwiesen, die auf dem oben erwähnten O.DeM 1638, Z. 5–8 (FISCHER-ELFERT 1986: 72) vorkommt und folgendermassen leutet: bn nb ntt m nxw hAy=j (...) bn jrj=j n=j nxw stAw m rmT „Es gibt keinen Herrn, der als Beschützer hinter mir wäre. (...) Ich will mir keinen Beschützer oder Patron unter den Menschen machen“. Nach der Fokussierung der Rolle Amuns als Helfer und Schützer, konzentriert 496 497

Wörtlich bedeutet an(n)„(sich) umwenden“: Wb.I.188.13. Rekonstruktion der lacuna nach VERNUS 1978: 130, der sich auf die ähnliche Passage in P.Anastasi II, 9.3–4 stützt. Zur Bedeutung von „sich gesellen zu...“ mit m s. Wb.IV.440.15. Diese Übersetzung weicht jedoch von derjenigen bei ASSMANN 1999: Nr. 173, S. 403 ab („ich habe mir keinen [Patron] unter den Grossen (gesucht)“), der die Lücke wahrscheinlich mit stAw „Patron“ (Wb.IV.334.1) füllt. Diese Variante findet ihrerseits auf O.DeM 1638, Z. 8 Bestätigung (vgl. auch FISCHER-ELFERT 1986: 72 - g -).

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sich der Inhalt des Textes im Folgenden auf seine Stärke, die durch drei unterschiedliche Lexeme ausgedrückt wird: pHty, xpS, tnr. Durch die Betonung dieser überirdischen und der menschlichen Schwäche entgegensetzten Stärke wird hier ausdrücklich nach einem göttlichen Schutz gesucht. Amun wird dadurch als guter Hirte sowie als starker Beschützer präsentiert und verehrt. Sowohl die Beschützerrolle als auch die Metapher des Stieres sind Teil der offiziellen Amun-Theologie seit Beginn der 18. Dynastie. Die Zusammenfügung beider Aspekte zur Konstitution einer neuen Rolle (der des starken Patrons und Beschützers) ist ein Produkt des religiösen und literarischen Phänomens der Persönlichen Frömmigkeit in der Ramessidenzeit, in der diese Anschauungsweise direkt auf den Menschen bezogen wird. So heisst es im Amunshymnus des P.Leiden I 350 „Wahrlich guter Beschützer, wirkungsvoller, der sein Ziel erreicht, ohne abgewehrt zu werden“ (ASSMANN 1999: Nr. 194, Z. 23–24.). Der Mensch „kennt“ (rx) die Stärke Gottes und stellt sich unter seinen Schutz. 498 Eine Wechselbeziehung zwischen Mensch und Gott (ASSMANN 1979: insbes. 36ff. sowie die Auflistung der Gegenseitigkeitsformeln S. 54ff.) findet somit insofern statt, als der Gott demjenigen hilft, der ihn erkennt, der ihn in sein Herz gibt (ASSMANN 1997: insbes. 18-21) und ihn ruft; ferner fühlt sich der Mensch von dem Gott in Schutz genommen, den er als den Gott, der in sein Leben eingreift, erkennt. Sowohl das Konzept als auch die formelle Umsetzung in eine zweigliedrige Struktur dieser Interaktion entstammen nach Jan ASSMANN den Weisheitstexten des Mittleren Reiches, genauer gesagt den Loyalistischen Lehren (ASSMANN 1979: 36), in denen diese Beziehung mit dem König und der Loyalität ihm gegenüber verbunden war. Die zweigliedrige Struktur hatte nach Jan ASSMANN (1979: 43ff.) eine Appellativfunktion inne, die den Menschen zum Bekenntnis zu König bzw. Gott aufrief. d) P.Anastasi II, 10.1–11.2 499 1

5

498 499

mj n=j pA

Komm zu mir, o Re-Harachte,

jrj=k n=j sxr ntk pA ntj Hr jrr

mögest du für mich Vorsorge treffen! Du bist derjenige, der handelt,

nn wn Hr jrr m xm(.t)=k

und keiner handelt ohne dein Wissen,

wpw ntk j.jrr Hna=f

sondern nur, wenn du mit ihm handelst.

mj n=j Jtmw ra nb

Komm zu mir, Atum, Tag für Tag,

ntk pA nTr Sps.j

du bist der erlauchte(ste) Gott.

S. diesbezüglich auch die Stele des Neferabu BM 589 (Kat. G.19.6), in der die Rede von einer Lehre ist, die Ptah Neferabu gab, wodurch Neferabu Ptahs Stärke und bAw-Macht erkannt hat. Übersetzung nach ASSMANN 1999: 408–409 (Nr. 176), Text: GARDINER 1957: 18–19.

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jb=j (Hr) Sm.t m xn.tj r Jwnw

Mein jb-Herz geht südwärts nach Heliopolis,

jw nAy=j [Sm?] sxr.w

meine […?] sind gefallen (?)

10 jb=j wn=f jbH

mein jb-Herz ist froh (=lacht),

HA.tj=j m rSw.t

mein HA.tj-Herz freut sich.

sDm nAy=j smAa.w

Erhöre meine Anrufungen,

nAy=j snmH.w n ra nb

meine täglichen Gebete,

nAy=j dwA.w n grH

meine nächtlichen Hymnen,

15 nAy=j spr.w r rwD m rA=j

meine Bitten, die in meinem Mund wachsen werden,

sn sDm m pA hrw

sie mögen schon heute erhört werden!

pA wa wa.w

Du Einer und Einziger,

pA @r-Ax.ty

Harachte,

nn ky dj mj od=f

kein anderer hier ist ihm gleich!

20 mkj HH.w Sd=f Hfn.w

der Millionen stützt und Hunderttausende rettet,

pA nxw n pA aS n=f

der Hüter dessen, der zu ihm ruft,

pA nb n Jwnw

der Herr von Heliopolis.

m-jr TAj r=j nAy=j btA.w aSA.w

Wirf mir nicht meine vielen Verfehlungen vor,

jnk xm Ds=f

ich bin einer, der sich selbst nicht kennt;

25 jnk rmT jwty jb=f

ich bin ein Mensch ohne Verstand,

wrS Sm m-sA rA=j mj jHw m-sA smw

der den Tag verbringt beim Gehen hinter seinem Munde,

jr xAw.t =j m (...)

wie der Ochse hinter dem Gras.

(...)

(...)

In diesem Text wird die Gott-Mensch-Beziehung durch den anfänglichen Imperativ mj n=j „komm zu mir!“ eingeleitet, sodass der Text der Gattung der Gebete zugesprochen werden kann, obwohl die übliche einleitende rdj.t-jAw-n-Formel fehlt. Diese direkte Anrede ist in altägyptischen Gebeten an Götter bereits vor dem Neuen Reich belegt. Als

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besonders erwähnenswert gilt hierbei das älteste Zeugnis dafür: die Grabstele Metropolitan Museum 13.182.3 aus der 11. Dynastie, die aus dem Antef-Friedhof in Dra Abu elNaga stammt und ein Abendgebet an Re und Hathor des Königs Antef II. wAH-anx überliefert (ALLAM 1963: 140–141, ASSMANN 1999: Nr. 201, CLÈRE/VANDIER 1948: 9f.). Es existieren hier Elemente der typischen Gebetsphraseologie, die von den ramessidischen privaten Denkmälern der Persönlichen Frömmigkeit bereits bekannt sind. Besonders interessant ist an dieser Stele die Assoziation der verbalen Bitte „Komm zu mir!“ mit einer beschriebenen Gestik und der Erwähnung von Musik, die offensichtlich die Gebetsrezitation begleitet: Dr.ty(=j) m m(j) n(=j) sp 2

Meine Hände sind in (=drücken aus) ‚Komm zu mir, komm zu mir!’,

X.t(=j)Dd=s

mein Leib, er spricht,

sp.ty(=j) wHm=sn jHy wab

meine Lippen, sie wiederholen die reine Musik

n @w.t-@r jHy HH.w Hfn.w

für Hathor. Musik zu Millionen und Hunderttausenden!

Weitere Belege für die Anrufungsformel „komm zu mir!“ sind auf O.Kairo 12202 vso. Z. 1 (Kat. G.18.3) aus der 18. Dynastie zu finden, auf dem die Formel in Verbindung mit m Htp „in Gnade“ vorkommt. Ramessidische Zeugnisse dafür sind die Stele Kairo CM171 aus Assiut (Kat. G.19.29, Text C), wo dieselbe Verbindung mit der Bitte um Vergebung festzustellen ist. Ferner sei auf folgende Textzeugnisse verwiesen: Stele Bordeaux 8635 (19. Dynastie: Kat. G.19.16), P.Anastasi IV, 4.11-5.5 (s. Kapitel 5.3.3.f) und P.Anastasi IV, 10.1–5 (5.3.3.g), P.Anastasi V, 9.2–10.2 (II.2.2.3.i), O.DeM 1638 (FISCHER-ELFERT 1986: 70–73), O.Gardiner 45 (5.3.3.l), O.Gardiner 46 (ČERNÝ /GARDINER 1957: Taf. VIII, Nr.1; OSWALT 1968: 182–184, 244) sowie O.Kairo 25208 (Assmann 1999: 425–427, Nr. 193). Die Zeugnisse auf Papyri und Ostraka stammen wie der vorliegende Text alle aus dem Schulkontext. Im Gebet an Re-Harachte-Atum des P.Anastasi II ist der Aspekt des Gottes als Beschützer und Retter wiederum das zentrale Thema (OTTO 1971). Nach zwei Abschnitten (Verse 1–5 u. 6–7), die durch die Bitte „komm zu mir!“ eingeleitet werden, stellt sich in den Versen 12–16 die erste Bitte um Erhörung der Gebete ein. In Versen 17–22 findet eine Verkündung Re-Harachtes als Beschützer und Hüter sowie als Herr von Heliopolis statt, auf die die Bitte nach Gerechtigkeit im Gericht folgt. In diesem letzten Teil erinnern die Verse jnk xm Ds=f; jnk rmT jwty jb=f „ich bin einer, der sich selbst nicht kennt; ich bin ein Mensch ohne Verstand“ thematisch besonders an das Gebet des Neferabu an Mertseger auf der Stele Turin 50058 (Kat. G.19.5): zj m xm jwty HAty=j bw rx nfr r bjn „Ich war ein unwissender Mann, der keinen Verstand hat, nicht Gut und Böse unterscheiden konnte“, wobei für „Verstand“ einmal das Wort jb und einmal HA.tj geschrieben wurde. Den Grundgedanken stellt die unausweichliche Fehlbarkeit des Menschen dar, dessen Rettung sowohl im diesseitigen als auch im jenseitigen Bereich ausschliesslich von der Güte und Bereitschaft der Gottheit zur Vergebung abhängt.

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e) P.Anastasi III, 4.12–5.5 500 Bei P.Anastasi III, 4.12–5.5, der u. a. ein Gebet an Thot enthält, handelt es sich um eine Schülerhandschrift, die anhand des Kolophons in das dritte Regierungsjahr Merenptahs datiert werden kann. Das Gebet an Thot ist der fünfte Text dieser Handschrift und schliesst thematisch an die vorangehenden vier an, die die Schreibertätigkeit zum Inhalt haben: 1

5

jAw tw pA nb pA pr*

Sei gepriesen, Herr des Hauses!*

janj wbx.t mH.t*

Pavian mit leuchtendem Kopffederschmuck,*

nDm Abw.t hrw jmA.t*

mit süsser Gestalt (und) ‚zufriedener Freundlichkeit’,*

mrw.tj n Hr nb.t*

geliebt von allen Menschen.*

ns sw shr.t ntf +Hwty*

Aus Seheru-Stein ist er, er ist Thot!

stt=f tA m nfr.w=f*

Er bestrahlt das Land mit seiner Schönheit.*

pA ntj Hr tp=f n mxnm.t*

Das, was auf seinem Kopf ist, ist aus rotem Jaspis,*

Nfr=f n Hrs.t

sein Phallus ist aus Karneol.*

tAy=f mrw.t Ttf.tj Hr jnH=f*

Seine Liebe ist ausgegossen aus seinen Augenbrauen.*

10 wn=f rA=f r sanx*

Er öffnet seinen Mund, um Leben zu spenden.*

nDm-jb n tAy=j jwj.t{*} 501

Herzensfreude meinem Gebäude*

Dr ao jj r=s*

seit der „Hund“ (=Thot) darin eingetreten ist,{*}

jw=s xpr jw=s grg*

es ist entstanden, es ist gegründet,*

Dr dgs sw nb=j*

seit mein Herr es betreten hat.*

15 nDm-jb=tn nAy.w tAy=j jwj.t*

500 501

Möget ihr glücklich sein, Leute von meinem Gebäude!*

rSw.t hAw nb*

Seid Freude, (oh) alle Nachbarn!*

mk nb=j ntf jrr wj*

Seht meinen Herrn, er ist es, der mich geschaffen hat.*

Übersetzung nach FECHT 1965: 52ff., Text: GARDINER 1937: 25f. Zum falschen Verspunkt s. FECHT 1965: 54.

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xr Abw sw jb=j*

Mein Herz sehnt sich nach ihm.*

+Hwty jw=k n=j r nxt.j*

Thot, du bist für mich ein starker Beschützer,*

20 bn snD=j n jr.t

ich habe keine Angst vor dem Auge!

Thot wird in diesem Hymnus erst in Vers 5 zum ersten Mal namentlich angerufen. In Versen 1–4 mit der einleitenden Anrufungsformel jAw tw sind seine Epitheta aufgelistet (pA nb pA pr „Herr des Hauses“; janj wbx.t mH.t „Pavian mit leuchtendem Kopffederschmuck“). Dadurch wird die Anbetung vor der privaten Gottesstatue des Schreibers beschrieben, wie die Anrufung der Erscheinung des Thot als Pavian suggeriert (FECHT 1965: 54). Vor allem durch Verse 5–8, die das Material der Statue benennen, wird diese Situation klar. Aus diesen zwei ersten Abschnitten kann geschlossen werden, dass der Text indirekt die Ausübung eines persönlichen Rituals beschreibt (s. dazu Kat. G.18.18). Die Schilderung des äusseren Anblickes der Statue Thots geht mit derjenigen seines inneren Wesens einher: Thot „bestrahlt das ganze Land“ und erweckt somit die Liebe aller Menschen ihm gegenüber. Gerhard FECHT (1965:55) konnte dabei folgende Struktur erkennen: Äussere Erscheinung, Gesinnung, Wesen des Gottes und Reaktion der Menschen. Nach der Erwähnung von Thots Namen in Vers 5 ändert sich die Struktur des Gebetes insofern, als dass im Folgenden die Anbetung des göttlichen Wesens nicht mehr durch die Prädikation im Nominalstil (ASSMANN 1996b: insbes. 329ff.) stattfindet; vielmehr zeichnet sich das Gotteslob durch die Verwendung einer komplizierteren Satzkonstruktionen aus. Nach der Bildbeschreibung, die Verse 1–9 in Anspruch nimmt, konzentriert sich der Text Vers 10 auf das Wesen des Gottes und die Reaktion der Menschen (FECHT 1965: 56). Diesbezüglich sei darauf hingewiesen, dass der Miteinbezug der persönlichen Ebene im Gebet über mehrere Stufen verläuft: Von der Beschreibung des Aussehens der Statue wird auf die Bedeutung der Präsenz Gottes in seiner Statue im Haus des Schreibers übergeleitet. Schliesslich konzentrieren sich Verse 17–20 ausschliesslich auf die persönliche Ebene des Schreibers nach dem klassischen Muster der Gebete der Persönlichen Frömmigkeit: Thot als Gott der Schrift und Patron der Schreiber wird als persönlicher Schöpfer 502 des Schreibers angebetet, ebenso wie in seiner Funktion als Beschützer. Die Gott-Mensch-Beziehung wird in diesem Gebet somit auf zwei Ebenen realisiert: Zum einen innerhalb der beruflichen Sphäre, zum anderen über die persönliche Erschaffung durch den Gott, dessen Rolle als Beschützer ein fester Bestandteil der Theologie des Schöpfergottes ist. f) P.Anastasi IV, 4.11–5.5 503 Die Sehnsucht des Herzens nach Gott ist das Thema des Gebets an Ptah des P.Anastasi IV, 4.11–5.5, das vom Schreiber Ennena verfasst wurde:

502 503

Zur Problematik des persönlichen Schöpfergottes s. Kapitel 6.2.1. Übersetzung nach ASSMANN 1999: 415 (Nr. 184), Text: GARDINER 1937: 39.

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1

5

mk jb=j prj m TAw.t

Sieh, mein Herz ist diebisch fortgegangen,

sw Hnw bw am=f

es eilt zu dem Ort, den es kennt,

sw xn.tj mAA=f @w.t-kA-PtH

es reist stromauf, um Memphis zu schauen.

twj {Hr} Hms.kwj Hr sjn n jb=j

Ich sitze (zu Hause) und warte auf mein Herz,

Dd=f n=j a n Mn-nfr

dass es mir den Zustand von Memphis sagen könnte.

bw xpr wpw.t m Dr.t=j

Kein Auftrag gelingt mehr in meiner Hand:

HA.tj=j tf.y Hr s.t=f

mein Herz ist fortgelaufen von seinem Platz.

mj n=j PtH {r} jTt=k r Mn-nfr

Komm zu mir, oh Ptah, und hole mich nach Memphis;

dj=k mAA Tw m wsTn

lass mich Dich ungehindert sehen!

10 wrS=j jb=j nma(.w)

Ich verbringe den Tag, aber mein Herz schläft;

HA.tj=j nn sw m X.t=j

mein Herz, es ist nicht in meinem Leib.

a.wt=j nb TA.yw Dw

Alle meine Glieder sind vom Übel ergriffen:

jr.t=j bdS.(tj) m nw

mein Auge ist ermattet vom Sehen,

tAy=j msDr{=j} bw mH st

mein Ohr, es hört nicht,

15 xrw xAn rA=j (...)

meine Stimme ist heiser (…),

md.wt pna(.wt) nb.t

alle meine Worte sind verdreht.

Htp n=j dj=k xy r rA=sn

Sei mir gnädig! Gib, dass ich daraus erstehe!

Das Heimwehgefühl (BOMMAS 2003b: insbes. 41) wird seit dem Mittleren Reich in Texten der unterschiedlichsten Gattungen thematisiert. Während in den ramessidischen Gebeten aus dem Schulkontext dieses Gefühl mit der Empfindung der Ferne von der eigenen Heimatstadt verbunden ist, geht die Ausformulierung des Heimwehs in den Erzählungen des Sinuhe und des Schiffbrüchigen mit den Ängsten und Sorgen um das Begräbnis und dem damit verbundenen Totenkult einher. Um die Überwältigung durch die Sehnsucht zum Ausdruck zu bringen und um für eine Rückkehr in die vermisste Heimatstadt zu bitten, wird in den Schulgebeten stets die Einführungsfloskel mj n=j „komm zu mir!“ verwendet, bezogen auf die jeweilige Ortsgottheit. Wie das vorliegende Gebet

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insbesondere in den Versen 11–18 zeigt, handelt es sich bei dem Auslöser für die Hinwendung zu einer Gottheit hier um einen Zustand, der einer Krankheit sehr ähnelt. Das Heimweh hier als Gefühl der Entfernung von der eigenen Heimatstadt und somit von der räumlichen Nähe zum eigenen Ortsgott zu verstehen, ist ein Zustand, der seelisches Leiden in den Menschen hervorruft (BICKEL 2003b). In den Briefen, die Thutmosis aus Mittelägypten und Nubien an seinen Sohn Butehamun geschickt hat (Kat. B.20.2; B.20.3; B.20.4; B.20.7; B.20.10; B.20.14; B.20.16 und B.20.27), findet man das hier im Schulbereich literarisch ausformulierte Heimweh-Motiv auf alltäglicher praktischer Ebene wieder: Thutmosis fleht seinen Sohn Butehamun an, spezifische Rituale vor Amun in Karnak oder vor anderen Göttern, die in der thebanischen Region verehrt wurden, für ihn zu vollziehen, damit er (Thutmosis) heil aus der Ferne nach Theben zurückkehren kann. In Kapitel 5.3.2 wurde bereits darauf hingewiesen, dass in einem Brief mehrere Gottheiten erwähnt werden können, welche man um die Gesundheit des Empfängers bittet, es andererseits jedoch nicht möglich war, diese selben Gottheiten um eine Verbesserung der eigenen Lebensumstände zu ersuchen. Für die Heilung eines schmerzlichen Zustandes wie dem der Entfernung von Zuhause musste also die eigene Heimatgottheit eingeschaltet werden, weshalb der Empfänger des entsprechenden Briefes gebeten wurde, die dafür notwendigen Rituale zu vollziehen. Die Gebete aus dem Schulkontext, die die Heimweh-Thematik überliefern, stellen sozusagen das literarische Pendant zu einer im Alltag durchaus erlebten Sorge dar. In den Denkmälern der Persönlichen Frömmigkeit (ASSMANN 2004b: insbes. 106), die für die öffentliche Zurschaustellung gedacht waren, findet dieses Motiv hingegen keine Ausformulierung. Dies ist insofern bemerkenswert, da die ramessidischen Gebetsstelen ansonsten die Anflehung der Gottheit aufgrund von schmerzlichen Zuständen des Beters durchaus thematisieren können (z. B. Kat. G.19.5). Angesichts dieser Feststellung scheint sich eine gezielte Kanalisierung bestimmter Themen in spezifischen Kontexten herauszukristallisieren (vgl. Kapitel 6.1). In dem Gebetskontext ist die Sehnsucht nach der Heimatstadt ein Thema, das mit den aus der Ramessidenzeit bekannten Leitmotiven schon in der 18. Dynastie vorgefunden wird. O.Theben 87/143 aus Scheich Abd el-Gurna, das anhand des gesicherten Fundkontextes in die 18. Dynastie datiert werden kann, ist der bislang früheste bekannte Beleg für ein Gebet, dessen Thema das Heimweh darstellt (GUKSCH 1994): 1

Jmn jm wj m pAy=k dmj.t

Amun hole mich in deine Stadt,

2

nDm anx mrr.w m njw.tjw=k

(wo) das Leben angenehm ist und die von deinen Bürgern geliebt wird,

r jrj.t jAw.t

um das Alter

n ktj njw.t

eines Geringen der Stadt zu erleben.

Jmn jm wj m pAy=k dmj.t

Amun hole mich in deine Stadt,

nDm anx mrr njw.t=k

(wo) das Leben so angenehm ist und die deine Stadtbewohner mehr lieben

3 4

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r jt m Smw

als Getreide im Sommer

m rnp.t jspw

in einem Jahr des Hungerleidens.

Jmn jm wj

Amun hole mich

6

m pAy=k mnw nDm sAA.w

in deine angenehme Festung, behütet

7

n=k m rdj hAy Dr.t

von dir. Veranlasse nicht, dass die Hand

8

n.t ky Hr=j

eines anderen auf mich fällt.

5

Genau wie im Gebet des P.Anastasi IV, 4.11–5.5 und wie dasjenige aus P.Sallier I, 8.2– 7, wird der Text durch keine performative Anbetungsformel eingeleitet, sondern vielmehr durch eine direkte Anrede (Jmn jm wj). Diese Formel kommt im Text selbst drei Mal vor (V. 1, 3 und 5) und suggeriert somit eine entsprechend dreiteilige Strukturierung. Während in Versen 1–3 die Ebene der sozialen Einbindung des Individuums in die Stadt thematisiert wird und daher Ausdruck eines angenehmen Lebens ist, stellen die Verse 4–5 denselben Gedanken durch die Metapher des Getreides dar, in einem Jahr in dem Hunger und Not geherrscht haben. Dabei ist das Leben in Theben, der Stadt von Amun, noch besser und angenehmer als die Rettung aus der Hungersnot. Abschliessend wird die Rolle Amuns als Retter und Helfer angesprochen: Theben ist nicht mehr seine Stadt (njw.t), sondern vielmehr seine Festung (mnw), in der sich die Bürger beschützt und behütet fühlen können. In dem hier untersuchten Text des P.Anastasi IV, 4.11–5.5 wird das Heimwehgefühl durch das metaphorische Bild der Trennung zwischen dem Herzen als Ort der Gefühle und des Verstandes und dem Körper dargestellt. In diesem Zusammenhang bittet man Ptah um die eigene Rückkehr nach Hause (Memphis), wobei die Bindung und Sehnsucht nach der Heimatstadt mit der Sehnsucht nach der Nähe zum Stadtgott einhergeht. Über das hier oben zitierte O.Theben 87/143 hinaus thematisieren sowohl P.Sallier I, 8.2–7, 504 in dem Thot darum gebeten wird, eine Rückkehr nach Hermopolis zu ermöglichen, als auch O.Gardiner 25 (ČERNÝ/GARDINER 1957: Taf. 38.1 rto.; BICKEL/MATHIEU 1993: 38–40; ASSMANN 1999: Nr. 183) die Sehnsucht nach der Heimatstadt. Auch das hier zuletzt zitierte O.Gardiner 25 stammt aus dem Schulbereich von Deir el-Medina und bezieht das Heimwehgefühl wiederum auf Theben: „Was wird aus uns? (seufzen) täglich in ihrem Herzen jene, die fern von Theben sind, die den Tag lang träumen (?) von ihrem (Thebens) Namen“. 505 O.Theben 87/143 ist ein Beweis für die Existenz und Verbreitung des HeimwehThemas schon vor dessen mehrfacher schriftlicher Ausführung in der Ramessidenzeit. Das Einfliessen von Themen und Phraseologien aus älteren Epochen in die ramessidischen Gebete, die die Sehnsucht nach der Heimatstadt thematisieren, ist unter anderem 504 505

S. Kapitel 5.3.3 j). Übersetzung nach ASSMANN 1999: 414 (Nr. 183).

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anhand der Verse 12–13 des hier untersuchten Textes aus P.Anastasi IV zu belegen, worin ein Anklang an die Erzählung des Sinuhe durchaus zu erkennen ist: (B2–3) pzx jb=j zS a.wy=j sdA.w xr m a.wt nb.t „Mein Herz war verwirrt (schlug heftig aus Angst), meine Arme fielen herab, ein Zittern war in allen meinen Gliedern.“ (BLACKMAN 1932: 8). g) P.Anastasi IV, 10.1–5 506 1

5

mj n=j Jmn

Komm zu mir, Amun,

Sd wj m tA rnp.t gAbj

rette mich in diesem Jahr der Not!

pA Sw xpr bn sw wbn

Die Sonne ist so, als wäre sie nicht aufgegangen,

prt jj.tj m Smw

der Winter ist im Sommer gekommen,

nA Abd.w xpr.w bsnH.w nA wnw.wt txtx(.w)

die Monate sind so, als wären sie verdreht und die Stunden verwirrt.

nA aA.yw Hr aS n=k Jmn

Die Grossen rufen zu dir, Amun,

nA Srj.w Hr wxA=k

die Kleinen suchen dich.

nA ntj m onj nA=sn xnmw st jm TAw Jmn

Die in den Armen ihrer Ammen (sagen): ‚Gib Luft, Amun!’

10 gm Jmn jw(w) m Htp pA TAw nDm rHA.t=f

der süsse Lufthauch vor ihm her.

dj=f xpr=j m dnH nrjt

Möge er mir einen Geierflügel gedeihen 507 lassen,

mj ms.tj apr.tw

wie ein Schiff, das voll bemannt ist!

m-Dd nA mnj.w m-sx.t

So sagen die Hirten auf dem Felde,

15 nA rx.tjw Hr mrw

506 507

Möge Amun gefunden werden, wie er in Frieden zurückgekommen ist,

die Wäscher auf dem Uferdamm,

nA mDA.yw pr pA.w

die Jäger, die aus dem Fruchtland gekommen sind,

nA gHs.w Hr mrw

die Gazellen in der Wüste.

Übersetzung nach FECHT 1965: 59ff.; Text: GARDINER 1937: 45. Zu dieser Übersetzung siehe FECHT 1965: 60.

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Vers 1 thematisiert einen Hilferuf an Amun, der aus einem Notzustand entsteht. Ferner stellen Verse 2–5 die Not des Jahres dar, Verse 6–8 hingegen die Reaktion der Menschen darauf, die in Gruppen von Grossen, Kleinen und Kindern eingeteilt sind (FECHT 1965: 61). 508 In Versen 10–13 wird die Rückkehr Amuns, der das Land verlassen hatte, angesprochen. Einleitend steht der Wunsch des Beters, Amun finden zu dürfen. Anschliessend folgt die Beschreibung einer bukolischen Szene, welche die Breite dieses Wunsches zum Ausdruck bringt, die gleichzeitig dem Bild der Leere und Verlassenheit in den Versen 3–5 entgegengesetzt wird. Nach Andrea M. GNIRS (2003: 176ff.) ist dieses Gebet als ein Bittgebet zum Schutz vor Krankheiten zu verstehen, dessen performativer Hintergrund das öffentliche Vorlesen vor der persönlichen Schutzgottheit in Unglückssituationen war. Insbesondere der Ausdruck rnp.t gAbj „Jahr der Not/Bedrängnis“ würde einen Hinweis auf die Todesbefallenheit des Landes und somit auf eine Deutung als Bitte nach einem allgemeinen Schutz vor Seuchen und Krankheiten geben. Auf diesen letzten Aspekt lässt vor allem die Metapher des beschützenden Geierflügels schliessen, da dieser zum einen in Neujahrsritualen zum Schutz des Königs (P.Brooklyn 47.218.50) erwähnt wird und zum anderen auf die Gestalt der Göttin Nechbet als Schutzgottheit gegen Seuchen und anderen Krankheiten in Beschwörungsformeln verweist. h) P.Anastasi IV, 10.5–8 509 1

5

508 509

gmj=k Jmn jry=f n jb=k

Mögest du Amun finden, wie er nach deinem Wunsch handelt,

m tAt=f wnw.t n Htp

in seiner Stunde der Gnade,

jw=k Hsw(.t) m-Xnw sr.w

indem du der Gunst stehst unter den Beamten,

smn.tw m s.t-mAa.t

gegründet an der Stätte der Wahrheit.

Jmn-Ra pAy=k Hapy aA Ttf Dw.w

Amun-Re, deine hohe Überschwemmung überflutet die Berge,

nb rm.w aSA Apd.w nmH.w nb sAjw

der Herr der Fische, mit vielen Vögeln, alle Armen sind gesättigt.

jm sr.w s.wt sr.w

Setze die Beamten die Stätten der Beamten,

wr.w s.wt wr.w

die Grossen die Stätten der Grossen;

jmj sX pr HD OAj-gAb

setze den Schreiber des Schatzhauses Qagab

Zur Interpretation der „Grossen und Kleinen“ als Kultgemeinschaften s. ADROM 2005: 23 und Kapitel 5.2. Übersetzung nach FECHT 1965: 62ff., Text: GARDINER 1937: 45-46.

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10 r-HA.t +Hwty pAy=k mAatj

vor Thot, deinen Wahrhaftigen.

Der Verfasser dieses Gebetes ist namentlich erwähnt, sodass sich somit dem Muster der Gebetstexte auf den Stelen nähert. Verse 1–4 stellen eine Fürbitte zugunsten des Schreibers Qagab dar (FECHT 1965: 64). Die Schreiberstätte und die soziale Verortung der Schreiberaktivität unter den Beamten ist gleich zu Beginn erwähnt, sodass der inhaltliche Fokus des Textes und somit sein „Sitz im Leben“ gleich zu erkennen ist. Verse 5–6 verkünden das Wesen Amun-Res unter Verwendung von Epitheta, die ein Echo der offiziellen Amun-Re-Theologie darstellen und in ähnlicher Form beispielsweise im Amun-Re-Hymnus des P.Boulaq 17, 6.4–6.7 wieder zu finden sind (LUISELLI 2004: 23– 24). Nach der einleitenden Fürbitte und der Verkündung Amun-Res wird in Versen 7– 10 das eigentliche Desiderat angesprochen: Der Schreiber des Schatzhauses Qagab gehört vor das Angesicht des Schreibergottes Thot, genauso wie die Beamten und „Grossen“ in ihren Stätten. Nach Gerhard FECHT (1965: 64) erinnert die Struktur dieser letzten Verse an einen Analogiezauber, womit die Bitte, ihn vor Thot zu setzen, eine Metapher repräsentiert, um den Schutz des Gottes zu erflehen. Diesbezüglich sei hier auf Kat. B.20.5 verwiesen, in dem der Absender Amenophis seinem Freund Thutmosis versichert, ihn „vor Amenophis I. zu setzen“ (tw=j (Hr) wAH=k m-bAH Jmn-Htp) und dabei die Antwort des Orakels wiedergibt: „Ich werde dich schützen! Ich werde dich heil zurückbringen!“ (jw=j (r) sA=k jw=j (r) jnj=k jw=k wDA.tj). i) P.Anastasi V, 9.2–10.2 510 1

5

mj n=j +Hwty

Komm zu mir, Thot,

pA hbj Sps

du nobler Ibis,

pA nTr Ab.w ¢mnw

du Gott, nach dem sich Hermopolis sehnt,

pA zXA Sa.t PsD.t

du Briefschreiber der Neunheit,

aA jm.y Wn.w

Grosser in Wn.w!

mj n=j jrj=k n=j sxr.w

Komm zu mir, dass du für mich Vorsorge triffst,

dj=k sS=j m jAw.t=k

veranlasse, dass ich kundig bin in deinem Beruf,

nfr jAw.t=k r jAw.t nb.t

(denn) dein Beruf ist schöner als alle Berufe.

s sw gmy.tw pA sSA.w (9.5) jm=s

Er macht ! Der, der darin kundig ist, wird fähig befunden,

10 r jr.t sr 510

Beamter zu sein.

Übersetzung nach FECHT 1965: 65ff., Text: GARDINER 1937: 60.

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=j on.w jw jrj=k n=sn

Ich habe viele , für die du gehandelt hast

jw=sn m-Xnw mabAy.t

und die im Richterkollegium der 30 sitzen,

jw=sn nxt wsr m j.jr.w=k

die reich und mächtig sind durch das, was du getan hast.

ntk pA j.jr.t sxr.w

Du bist es, der Vorsorge trifft.

15 ntk pA j.jr.t sxr n pA jwty mw.t=f

Du bist es, der Vorsorge trifft für den Mutterlosen;

SAy rnn m-a=k

Schicksal und Gedeihen sind in deiner Hand.

mj n=j jry=k n=j sxr.w

Komm zu mir, dass du für mich Vorsorge triffst,

jnk Hm n pr=k

Ich bin ein Diener deines Hauses!

dj=k sDd=j m nAy=k on.w jw=j tA nb.t

Mögest du veranlassen, dass ich von deinen Siegestaten in jedem Land, wo ich bin, verkünde.

20 kA Dd pA aHa.w rmT

Dann sagt die Menschenmenge:

aA.w sw nA j.jr.t +Hwty

‚ gross ist, was Thot getan hat!’

kA jw=sn Xrj.wnAy=sn Xrd.w

Dann kommen sie mit ihren Kindern,

r Ab.w jAw.t=k

um sie zu ‚stempeln’ für deinen Beruf,

jAw.t=k nfr n nb nx.t

den schönen Beruf des Herrn der Stärke.

25 rSw.t j.jr.t sw

Es freut sich, wer ihn ausübt.

Auch dieses Gebet behandelt den Beruf des Schreibers. Wie in den Gebeten aus dem Schulkontext üblich wird die Gottheit hier durch die Formel mj n=j „komm zu mir!“ angerufen, 511 ohne jegliche zusätzliche Anbetungsfloskeln. Der Zielgott des Gebetes ist Thot, der als Ibis sowie als Schreibergott mit Hermopolis in Verbindung gesetzt und verehrt wird. In Versen 6–10 wird die persönliche Ebene der betenden Person betreten, die sich mit Thot aufgrund ihres Schreiberberufes in Verbindung setzt. Das Lob auf die „Schönheit“ dieses Berufes (Vers 8) erinnert unmittelbar an die Kemyt, die gerade im Schulbereich von Deir el-Medina sehr bekannt war und somit ein weiteres Argument für Andrea MCDOWELLS (2000: 233) Annahme einer einheitlichen Erziehung in Ägypten hergibt. Mit der Bitte um Verkündungsmöglichkeiten (Verse 19–21) verbindet sich das Gebet mit den gut bekannten ramessidischen Gebetstexten, in denen die sog. sDd bAw „die Verkündung der (göttlichen Machterweise)“ eine zentrale Rolle spielte (ROE511

S. dazu den Kommentar zu P.Anastasi II, 10.1–11.2 (5.3.3.d).

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2005). Aufgrund des Ansehens der Gottheit, zu dem die Machtverkündung durch den Beter beiträgt, lassen immer mehr Leute ihre Kinder zu Schreibern ausbilden. Dies kann den Versen 22–25 entnommen werden. Nach Gerhard FECHT (1965: 72) wurde diese dem ursprünglichen Gebet nachträglich angehängt und diente somit dem Zweck der Schulpropaganda; der „Sitz im Leben“ des Gebetstextes ist wahrscheinlich in der Verwendung für den Unterricht selbst anzusiedeln. DER

j) P.Sallier I, 8.2–7 512 1

5

+Hwty jm wj m ¢mnw

Oh Thot, bring mich nach Hermopolis,

pAy=k dmj.t nDm.t anx

deiner Stadt, süss an Leben,

jw=k jr.t xr.t wj m ao.w Hr t Hno.t

indem du für mich sorgst mit Brot und Bier.

jw=k sAw rA=j md.wt

Du beschützst meinen Mund beim Reden,

xA=n rA=j n=j +Hwty m-xA tp=j

Hätte ich Thot als Beistand morgen!

dwA.w m xr.tw jw=j ao.kwj m-bAH nb.w

‚Komm’ sagt man, wenn ich eingetreten bin vor die Herren,

prj=k mAa-xrw pA mAmA aA n 60 mH

dass du als Gerechtfertigter hervorgehst, du grosse Dum-Palme von 60 Ellen,

pA ntj owow jm=f

an der Nüsse sind!

wnn xAnyny.w m-Xnw owow

Es sind Samenkerne im Innern der Nüsse,

10 jw mw m-Xnw xAnyny.w pA jTAj mw s.t wAw

Der das Wasser nimmt von weither,

mj Sd=k wj pA grj

komm und rette mich, den Schweiger.

+Hwty tA Xnm.t nDm.t mj s jb XAs.t

Thot, du süsser Brunnen den Mann, der in der Wüste durstet;

sw xtm.tj n pA gm rA=f

Wenn der Hitzige kommt,

15 sw wn.tj n pA gr.w

512

Wasser ist im Innern der Samenkerne!

Wenn der Schweigende kommt,

jw pA grj gm=f tA Xnm.t pA Smw

dann findet er den Brunnen,

twk mHtt.tj

dann bist du (verborgen).

Übersetzung nach FECHT 1965: 73ff, Text: GARDINER 1937: 85f.

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In Analogie zu O.Theben 87/143 und P.Anastasi IV, 4.11–5.5 (5.3.3.f) behandeln Verse 1–2 das Heimweh-Thema: Ein Gott wird von einer betenden Person angefleht, ihn an seinen Heimatort zurückzubringen, wobei es sich bei dieser Gottheit gleichzeitig um den Patron der Stadt handelt. Sich nach dem Heimatort zu sehnen, heisst hier gleichzeitig, sich nach dessen Ortsgott zu verzehren und somit die eigene Loyalität und Zugehörigkeit diesem Gott gegenüber zu betonen. Nach dieser Einführung hebt der Text jedoch das Moment des jenseitigen ewigen Urteils vor dem Totengericht hervor. Der Ausdruck „Hätte ich Thot als Beistand morgen!“, der einer Anspielung auf den Tag des Todes gleichkommt (SCHOTT 1950: 135, Nr. 97: Harfnerlied in TT 106) und somit die Jenseitssphäre betont, ist jedoch mit Bezug auf Amun in einer fast wortwörtlichen Parallele bezeugt 513 und bringt den Wunsch zum Ausdruck, über den Beistand des persönlichen Gottes im Totengericht zu verfügen. 514 Es zeigt sich, dass die Götter in solchen Fällen in ihrer Rolle völlig austauschbar waren, und dass das Entscheidende dabei das persönliche Verhältnis zum Menschen war, der den jeweiligen Gott als Beistand anruft. So spiegelt auch der Satz „Du beschützst meinen Mund beim Reden“ in 8.3 denselben Wunsch nach Unversehrtheit der eigenen Worte beim Übertritt ins Jenseits wider, der in der vorliegenden Studie als ein sich mehrfach wiederholendes Thema der Gebete der Nachamarnazeit erkannt wurde (5.1.1 [die Amarnazeit]). Wie Amun in P.Bologna 1094, 2.37 wird in diesem Text Thot als persönlicher Gott sowohl für diesseitige Wünsche als auch für Sorgen, die das Jenseits betreffen, angerufen. In Analogie zu den anderen Gebetstexten, die aus dem Schulkontext stammen, findet sich auch hier keine rituelle Einführungsformel. Schliesslich erinnern Verse 14–17 an die Mahnworte des Ipuwer: Der Mann, der Übel in der Welt verursacht und somit nicht nach den Regeln der Maat lebt, wird als ein „Hitziger“ bezeichnet, dessen Herz in „Glut“ ist (HORNUNG 1987: 412). k) O. Kairo 25206 515 1

5

513 514 515

[rs=k n]fr pA @r DAj p.t*

[Du erwachst sch]ön, du Horus, Himmelsquerer*,

pA sD.tj prj m-a TAy*

du Kind, das aus dem ‚Männlichen’ kam.*

pA xy n x.t Hna? st.wt mAw.t*

Du Feuerknabe mit glänzenden Strahlen,*

dr kkw knm.t*

der Finsternis und Dunkel vertreibt.*

Xrd saA(.w) bnr Abw.t*

Hochgepriesenes Kind mit lieblicher Gestalt,*

nnj m-Xnw wDA=f*

das müde ist in seinem ‚heilen’ Auge!*

Dazu ASSMANN 1999: Nr. 179. Vgl. dazu z. B. den Kommentar zu P.Bologna 1094, 2.3–7 (5.3.3.a). Übersetzung nach ASSMANN 1999: 422–424 (Nr. 191), Text: ERMAN 1900: 20–21.

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snhA Hr(.w) nb.w Hr tmA.w=sn*

Der alle Gesichter erweckt auf ihren Matten*

Ddf.wt m jn.wt=sn*

und die Schlangen in ihren Wüstentälern.*

mAa nSmy=k m nsrsr*

Dein Schiff segelt (richtig) auf dem Flammensee,*

10 DAj=k Hr.t m mAa.w=f*

du querst den Himmel mit seinem (günstigen) Fahrtwind.*

sD n=k sA.t.y Hapy njk*

Die beiden Niltöchter zerbrechen dir den Frevler,

(...)

(...)

nmj.n=k xprw m Jtm*

Du hast dich wieder in Atum verwandelt*

dj=k a=k n nb.w Jgr.t*

und reichst deine Hand den Herren des Totenreichs.*

15 sDrj.w twt(.w) Hr dwA.t nfr.w=k*

Die Schlafenden haben sich versammelt, deine Schönheit anzubeten,*

HDdw.t=k HD.tj m Hr=sn*

dein Licht ist hell in ihren Gesichtern;*

sDd=sn n=k jmj.w jb=sn*

sie sagen dir, was sie auf dem Herzen haben,*

nmj=k n(-mAw.t) mAA=k*

und du gewährst ihnen von neuem deinen Anblick.*

(...)

(...)

20 ntk nb n abw.t jm=f*

Du bist ein Herr, dessen man sich rühmt,*

nTr mnx n nHH*

ein tatkräftiger Gott für die Ewigkeit,*

wDa md.t Hr.j DADA.t nw.t rswt*

der Recht spricht (als) Oberster des südlichen Kollegiums,*

smnx mAa.t tkn jsf.t*

der die Wahrheit festsetzt und die Sünde angreift.*

jm wp.tw(=j) jrm pAy thj wj*

Gib, dass ich gerichtet werde zusammen mit dem, der mich verletzt hat,*

25 mk sw nxt (j)r=j*

siehe, er ist stärker als ich,*

nHm jAw.t=j jTt=f m grg*

der mein Amt raubte, es betrügerisch wegnahm,*

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jm tw st n=j an*

gib du es mir wieder!*

mk jnk mAA=j st m Dr.t(=f)*

Siehe, ich muss in (seiner Hand) sehen,*

sw m nAy jsf.t*

er aber ist es, der in Unrecht ist.*

Das auf dieses Ostrakon 516 überlieferte Gebet beginnt mit einem Hymnus an die aufund untergehende Sonne. Beim Sonnenaufgang wird der Sonnengott als Kind bezeichnet, gemäss der mythischen Vorstellung der täglichen Wiedergeburt durch Nut, die den Menschen und Tieren wieder Licht bringt und die Finsternis von der Erde vertreibt. Nach der Anspielung auf die Himmelsfahrt im Schiff und auf das Erschlagen der Feinde durch die Sonne wird das Bild der untergehenden Sonne eingeführt, die dem Totenreich das Licht bringt, damit die Verstorbenen ihre „Schönheit“ sehen können. Nach dieser Schilderung des Sonnenzyklus und nach einem einleitenden Lob des Gottes als gerechter Richter setzt der persönliche Teil des Gebetes ein. An dieser Stelle wird die eigentliche Bitte des Gebetes zum Ausdruck gebracht, die in Zusammenhang mit dem Bild des Gottes als gutem Richter steht und konzeptuell folgender Aussage der Lehre des Amenemope 517 nahe steht: 1 wsf -HA.t ro

Zögere dem Feindlichen,

xAb Tw n thA

beuge dich vor dem, der angreift,

sDr HA.t md.t

schlafe vor dem Reden.

Da pr=f

Ein Sturm, der sich erhebt

5 mj x.t m rwjt

wie Feuer im Stroh

pA Smm m wnw.t=f

ist der Heisse in seiner Stunde (= Thot).

twhA Tw r-HA.t=f

Zieh dich vor ihm zurück,

xAa st n Hr=f

beachte es nicht,

jw pA nTr rx an.n=f

der Gott wird ihm zu antworten wissen.

Gemäss dieser Lehre soll man nicht eigenmächtig das Unrecht bestrafen, um sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen, sondern denjenigen, der die ungerechte Tat vollbracht hat, der Strafe Gottes überlassen (s. dazu BOOCHS 1991). Denn Gott ist der Richter im Diesseits wie im Jenseits, und nichts bleibt ungestraft (s. dazu auch GESTERMANN 2008). Die Schilderung der Sonne in ihrer morgendlichen wie in ihrer nächtlichen Phase gilt als 516

517

Dass dieses Ostrakon zur Schultradition gehört, ist u.a. daran zu erkennen, dass Spuren von Korrekturen durch einen Lehrer darauf zu sehen sind. P.BM 10474, 5.12–17 (Kapitel 3): GRUMACH 1972: insbes. 38; LICHTHEIM 1976 (Bd. II): insbes. 150.

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Voraussetzung für ihre Wahrnehmung als Richter im Diesseits und im Jenseits, denn sie nimmt durch ihren Lauf an allem Teil. l) O.Gardiner 45 518 Komm zu mir, Amun, rette (mich?...)/ Retter?

1 mj n=j Jmn Sdj (...) sj aHa m tA onb.t* (...)

ein Mann, der vor dem Gerichtshof* steht (...)

(...)y=sn* n pA ntj (...)

ihr Retter*. Zu dem der (...)

mj n=j Sdy (...)

Komm zu mir, Amun, Retter (...)

5 (...) pAy (...)

(...) mein (...).

In diesem sehr fragmentarisch erhaltenen Gebet wird die Rolle Amuns als Retter des Einzelnen hervorgehoben und mit der Formel mj n=j „Komm zu mir“ eingeführt. Die Thematik des Retters eines Einzelnen am Gerichtshof verbindet diesen Text insbesondere mit P.Bologna 1094, 2.3-7 (a) und P.Anastasi II, 8.5–9.1 (b). m) O.Petrie 39 519 1

5

518 519

mk bw Abj=j prj m WAs.t*

Siehe, ich will nicht aus Theben fortgehen*,

Sdj (w)j Hr msD.t=j*

erlöse mich von dem, was mir verhasst ist!*

jb[...]*

[...]*

xr.t wnn=j m xdj*

wenn ich auf der Nordfahrt bin,*

jw njw.t m tp-mAa=j*

die Stadt (Theben) ist neben mir*,

jw pr Jmn r wA.t=j pH=j sw

der Amuntempel hinter mir.

¦A-MAw r HA.t=j*

Medamud liegt vor mir*

¦j-nt-¢n-sw m-a=j m jmw n sHn=j*

Tenet-Chons ist bei mir auf dem Schiff meines Auftrages,*

Tnw prj=j r ma Sm.t-a*

sooft ich zur Reise ausziehe.*

Übersetzung nach OSWALT 1968: 176–178; 243; Text: ČERNÝ/GARDINER 1957: Taf. VIII, Nr. 2. ČERNÝ/GARDINER 1957: Taf. VIII, 2; OSWALT 1968: 179–181, 243–244; Übersetzung nach ASSMANN 1999: Nr. 185.

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10 jn wj r njw.t=k Jmn*

Bring mich in deine Stadt, Amun,*

pA(...) mrr=j sw*

denn ich liebe sie.*

mrr(=j) njw.t=k{*} r ao r Hno.t Jmn*

Ich liebe deine Stadt{*} mehr als Brot und Bier, Amun,*

r {Hsb} r sgnn*

mehr als Kleider und Salböl.*

mrr=j jwtn n dmj.t=k*

Der Erdboden deiner Ortschaft*

15 r wrH n ky (...).

ist mir lieber als die Salben eines anderen (…).

Dieser Text spricht erneut das Heimweh-Thema an und bringt die Erinnerung an Theben mit den Kultinstallationen des Tempels von Karnak und Medamud in Beziehung. Wie in P.Anastasi IV, 4.11–5.5 (f) und P.Sallier I, 8.2–7 (j) wird der Wunsch nach einer Rückkehr nach Hause als Bitte an den Stadtgott formuliert, wie es auch in den spätramessidischen Briefen beobachtet werden kann (s. Kapitel 5.3.2). Auswertung Die oben aufgeführten Schulgebete sollen nun anhand desselben Analysemodells untersucht werden, das auch für die Auswertung der Gebete aus kultischem Kontext in Kapitel 5.1.1 und 5.1.2 angewandt wurde, obwohl gerade dieser Kontext für die hier vorgestellten Texte keine Gültigkeit besitzt: Tabelle 15 Text

Gebetsziel

Gebetsinhalt

a)

P.Bologna 1094, 2.3–7

Amun-Re

b)

P.Anastasi II, 8.5–9.1

Amun

c)

P.Anastasi II, 9.2–10.1

Amun-Re

- Lobpreis: Amun als Urgott, Schutzgott der Armen, unbestechliche Instanz im Diesseits und im Jenseits. - Bittgebet: Amun als Schutz im diesseitigen Gericht. - Loblied: Amun als Lebensspender; Pers. Bekenntnis: Amun als einziger persönlicher

Gebetszeit Gebetsort (zeitliche (Anbringungsort) Verortung) Keine Angaben

Keine Angaben

-

Keine Angaben

-

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d)

P.Anastasi II, 10.1–11.2

ReHarachte /Atum

e)

P.Anastasi III, 4.12–5.5

Thot

f)

P.Anastasi IV, 4.11–5.5

Ptah

g)

P.Anastasi IV, 10.1–5 P.Anastasi IV, 10.5–8

Amun-Re

i)

P.Anastasi V, 9.2–10.2

Thot

j)

P.Sallier I, 8.2–7

Thot

k)

O.Kairo 25206

Sonnengott

h)

Amun-Re

Schutz. - Bittgebet: Bitte um Erhörung der Gebete; Vergebung der eigenen Fehler im Totengericht; Bitte nach Gerechtigkeit im Gericht. - Loblied / Bekenntnis: Beschreibung der Statue, die im Haus (?) des Schreibers ist. Bekenntnis zu Thot als persönlichem Beschützer und Berufsgott. - Bittgebet: Heimweh nach Memphis, Sehnsucht nach dem Gott. - Bittgebet: Hilfe in der Not. - Bittgebet: Gnade; direkte Beziehung zu den Beamten. Pers. Beziehung wegen des Berufes und der Beschützerrolle. - Bittgebet: Beistand und Unterstützung im Beruf. - Bittgebet: Heimweh nach Hermopolis; Thot als Beistand im jenseitigen Gericht. - Loblied: Hymnus an den Sonnengott; - Bittgebet: der Sonnengott als Richter im Dies-

Keine Angaben

Keine Angaben

-

Pers. Kult vor einer Statue?

Keine Angaben

-

Keine Angaben Keine Angaben

-

Keine Angaben

-

Keine Angaben

-

Morgens und abends (?)

-

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l)

O.Gardiner 45

Amun

m)

O.Petrie 39

Amun

seits und Jenseits. - Bittgebet: Errettung im Gerichtshof. - Bittgebet: Heimweh; Rückkehr nach Hause.

Keine Angaben

-

Keine Angaben

-

Die literarischen Zeugnisse der Persönlichen Frömmigkeit, die einen Aspekt der Schreiberausbildung in Ägypten darstellen, nehmen eine ganz besondere Stellung unter den schriftlichen Belegen dieses Phänomens ein. Sie unterscheiden sich von den kultischen Denkmälern zum einen rein formal durch das Nichtvorhandensein der einführenden Anbetungsformeln. Zum anderen zeichnen sich auch inhaltlich deutliche Unterschiede ab. In den Schultexten fehlen die stereotypen Wünsche und Bitten um ein schönes Begräbnis, ein hohes Alter und Gesundheit. Keiner der Texte enthält ein sog. Sündenbekenntnis, wie dies auf verschiedenen Stelen aus Deir el-Medina der Fall ist (z.B. Kat. G.19.5, G.19.17, usw.). Das Fehlen dieser drei Elemente in den Gebeten aus dem Schulbereich ist mit dem jeweiligen Kontext der Votivstelen bzw. der Schulgebete zu erklären (Kapitel 5.2). Es sei im Folgenden auf diesen Punkt eingegangen. In den hier vorgestellten Texten lassen sich vier Hauptbereiche erkennen, in denen sich die Bedeutung und die Rolle des persönlichen Gottes in unterschiedlicher Form entfalten: 1) der persönliche Gott als persönlicher Schöpfer und Schutzgott (so in Text a, c); 2) der persönliche Gott als Richter im Diesseits und im Jenseits (so in Text a, b, d, k, l); 3) der persönliche Gott als Berufsgott (so in Text e, h, i); 4) der persönliche Gott als eigener Heimatgott (so in Text f, j, m). Gebet g) stellt in dieser Gruppe den einzigen Fall eines „Hilferufs“ an Amun dar, wie er in dieser Form in den Gebetsstelen aus dem Kultkontext nicht belegt ist. Die hier identifizierten Bereiche der persönlichen Mensch-GottBeziehung in den Schulgebeten lassen sich in den Gebetsstelen zwar wiedererkennen, im nicht-kultischen Kontext erfahren sie jedoch eine reichere literarische Entfaltung. So ist das Lob des persönlichen Gottes als (persönlicher) Schöpfer auch in Kat. G.19.4 belegt, das Konzept der Hinwendung an einen Gott, der über das geführte Leben im Diesseits und im Jenseits richtet, findet eine Entsprechung in Kat. G.19.22. Die Hervorhebung der beruflichen Sphäre konnte schon in Kat. G.19.4 erkannt werden, während die lokale Bindung an den Gott insbesondere in den Autobiographien der Ersten Zwischenzeit und in den Gebeten des Mittleren Reiches (Kapitel 6.2.1) belegt ist, jedoch ohne Bezug auf das Heimweh-Motiv. Die Ausführung dieses Motivs auf einer rein literarischen Ebene findet somit im kultischen Kontext keine Entsprechung, obwohl mehrere Briefe aus der spätramessidischen Zeit die Bedeutung des Heimwehgefühls für die Bindung an den eigenen Stadtgott im alltäglichen Leben belegen. 520 Schliesslich ist die Übereinstimmung von bestimmten Themen zwischen den literarischen Werken insbesondere denjenigen der Weisheitsliteratur (insbesondere in der Lehre des Amenemope) mit den Schulgebeten vor dem Hintergrund des gemeinsamen Entstehungsmilieus zu erklären.

520

S. dazu den Kommentar zu P.Anastasi IV, 10.1–5 in 5.3.3 g)..

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Die Gegensätze der Gebetstexte, die im Schulkontext niedergeschrieben wurden, und jenen, die auf Gebetsstelen angebracht und somit kultisch eingebundenen waren (Kapitel 5.2), sind signifikant. So wie es Belege über das Mundöffnungsritual gibt, die im Rahmen der Ausbildung von Schreibern zu vorübergehend agierenden wab-Priestern entstanden (MCDOWELL 2000, KESSLER 1998: 177), können auch die in Schulen abgefassten Hymnen und Gebete als Texte gedeutet werden, die in vergleichbarem Zusammenhang Kompetenzen vermittelten. Dies weist darauf hin, dass in der Schule ausgebildete Schreiber in der Ramessidenzeit am religiösen Leben als aktive Kultvollzieher (wab-Priester) fungieren konnten. Die Texte, die für den Unterricht bzw. den Kult herangezogen wurden, unterscheiden sich nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch in ihrem Literarizitätsgrad, der im Fall der Schultexte tendenziell deutlich höher liegt. 5.3.4

Personennamen

Seit dem Alten Reich konnte in Personennamen die Vorstellung von der Nähe zu einem Gott bzw. der Wunsch danach zum Ausdruck gebracht werden (RANKE 1952: 25). Daher können diese als wichtige Quelle für die Erforschung der Gottesnähe in Ägypten herangezogen werden. Um dies zu veranschaulichen, seien hier einige aussagekräftige Beispiele von Personennamen aufgelistet: AR:

Sdj + GN xwj-wj-PtH mrr(.w)-od Htp-n=j-PtH

„Der von Gott NN Errettete“ (RANKE 1952: 25) „Ptah schützt mich“ (RANKE 1935: 266, Nr. 6) „Den der Schöpfer liebt“ 521 (RANKE 1952: 27) „Ptah sei mir gnädig“ (RANKE 1935: 258, Nr. 13)

MR:

sanx(.w)-n-PtH „Den Ptah am Leben erhalten hat“ (RANKE 1952: 29) Htp-PtH „Ptah sei gnädig!“ (RANKE 1935: 258, Nr. 6) jj.n=j-Wsjr „Osiris kommt zu mir“ (RANKE 1935: 10, Nr. 2) nH.t.n=j „Die ich erbeten habe“(RANKE 1935: 207, Nr. 13)

NR:

Jmn-pna-tw mAA.n=j-Jmn sDm-¡r-xrw Jmn-m-jb(=j)

„Amun wende dich!“ 522 (RANKE 1952: 40) „Ich habe Amun gesehen“ (RANKE 1952: 40) „Horus erhört die Stimme“ (RANKE 1952: 43) „Amun ist in meinem Herzen“ 523 (RANKE 1935: 27, Nr. 17)

Die hier aufgelisteten Namen aus dem Neuen Reich ähneln im Wortlaut Passagen aus den Textzeugnissen der Persönlichen Frömmigkeit. Doch auch die Beispiele aus den älteren Epochen drücken das enge Verhältnis zu einem Gott aus, wie es insbesondere bei der Geburt eines Kindes besonders stark von den Eltern empfunden wurde. Hermann 521 522 523

Dieser Name ist auch im Mittleren Reich belegt. S. dazu auch den Kommentar b) zu Kat.G.18.2 (O.Kairo 12202 rto.). S. dazu Jan ASSMANNs sog. Gottesbeherzigung (ASSMANN 1997).

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RANKE (1952: 219ff.) fasste die verschiedenen Aussagen über die Götter, wie sie in den Namen vorkommen zusammen und listete verschiedene Typen von Äusserungen auf. Demnach konnten Götter (oder Könige) herrlich, stark, mächtig oder siegreich sein, dauern, leben sowie Leben verleihen, gesund sein und Gesundheit schenken, lieben und geliebt werden, freundlich (nfr) und gnädig (Htp) sein, zu Hilfe kommen, beschützen und erretten sowie die Menschen beschenken. Zudem ist es möglich eine Reihe von Namen zu erkennen, die in ihrer Form einem Bekenntnis gleichen (RANKE 1952: 222– 223) 524. Obwohl die Mehrheit dieser Namen für das Neuen Reich belegt ist, stammen einigen bereits aus dem Alten Reich. Darüber hinaus konnte RANKE (1952: 224ff., 230–231) Namen erkennen, die sich ausdrücklich auf den Namensgeber beziehen, und die so weniger die vom Staat offiziell vorgegebene religiöse Auffassungen von der Götterwelt wiedergaben, als vielmehr einen Ausdruck von persönlichen Ansichten. In diesem Phänomen erkennt RANKE „Klänge persönlicher Gottesverbundenheit“ und hebt hervor, dass solche Namen bereits im Alten Reich vergeben wurden. Ein Beispiel dafür stellen die in der obigen Auflistung erwähnten Namen xwj-wj-PtH „Ptah schützt mich“ und jj.n=j-Wsjr „Osiris kommt zu mir“ aus dem Alten und Mittleren Reich dar. Die Vorstellung von einer (persönlichen!) Gottheit, die den Menschen schützt, die erst im Neuen Reich in Texten und Gebeten thematisiert wurde, hatte bereits im Alten Reich in der Namensgebung Ausdruck gefunden. Das Rufen nach der Gottheit, der Wunsch um Erhörung der eigenen Stimme, die Liebe des Gottes, die Bitte um Schutz, Gnade und Nähe sind nur einige Motive, die in der Namensgebung das Verhältnis zwischen Mensch und Gott beschreiben. Im Neuen Reich werden diese Motive im Zusammenhang mit dem Ausdruck der Persönlichen Frömmigkeit zum Gegenstand eigenständiger und komplex gestalteter Texte. Bemerkenswert ist, dass das Thema der Gottesfurcht zwar in diesen Schriftzeugnissen erfasst werden kann, jedoch keine Erwähnung in den Namen findet (RANKE 1952: 226; 232). Interessanterweise sind Namen, die das Finden einer Gottheit – zu deuten als Resultat einer Suche danach – thematisieren, 525 erst in der Spätzeit belegt (RANKE 1952: 227), was dafür spricht, dass aufgrund der Erfahrung des Phänomens der Persönlichen Frömmigkeit eine Entwicklung innerhalb der Namensgebung stattgefunden haben muss. Anhand einzelner Begriffe in den Namen konnte RANKE (1952: 233f.) feststellen, dass sich das Verhältnis zwischen Gott und Mensch im Alten Reich einer Herr-DienerKonstellation entsprach, was sich darin äusserte, dass ein Individuum als „Diener“ der Gottheit benannt werden konnte. Im Mittleren Reich kristallisierte sich zudem die Vater-Sohn-Dimension heraus und die erwähnte Gottheit gewann an neuen Eigenschaften: Neben den älteren Begriffen „gnädig“, „freundlich“ usw. wurde sie nun als „stark“ (nx.t) und „mächtig“ (wsr) bezeichnet (RANKE 1952: 235), während sich dies zugleich in den Gebetstexten des Neuen Reiches in der Bezeichnung des Gottes – insbesondere des Amun – als „starker Beschützer“ niederschlug. 526 Darüber hinaus konnte RANKE (1952:235) die Zunahme an Erwähnungen von Götterfesten in Namen feststellen, was das in der vorliegenden Studie mehrfach vorgeschlagene Szenario bestätigt, wonach öf524

525 526

Z. B. nTr(=j)-PtH „Ptah ist (mein) Gott“, Jmn-m-Hmw „Amun ist das Steuerruder“ (s. dazu auch P.Anastasi II, 9.2–10.1, Kapitel 5.3.3.c). Z. B. gmj.n=j-As.t „Ich habe Isis gefunden“, usw. (RANKE 1932: 351f.). Zur Namensgebung im Neuen Reich s. auch RUMMEL 2003.

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fentlich zugängliche Götterfeierlichkeiten – wie z. B. jene für Osiris in Abydos – schon im Mittleren Reich zentral für die gemeinschaftlich erfahrene Gottesnähe waren. 527 Das Neue Reich und vor allem die Ramessidenzeit sind nach RANKEs Studie (1952: 238–239) durch eine Hervorhebung des direkten und innigen Verhältnisses zur Gottheit gekennzeichnet, wie dies vor allem das oben erwähnte Beispiel einer im Namen enthaltenen sog. Gottesbeherzigung (Jmn-m-jb(=j)) zeigt. Die herausragende Rolle, die Amun hierbei zukommt, lässt sich leicht anhand seiner Bedeutung als Reichsgott im Neuen Reich erklären. Grundsätzlich werden im Neuen Reich dieselben Charakteristika der Götter erwähnt, die bereits im Mittleren Reich besonders hervorgehoben geworden waren. So wurden die Stärke, die Grösse und die Gnade eines Gottes sowie die Feste erwähnt, anlässlich derer die Gottheit „erschien“ (xaj). Besonders erwähnenswert ist im Übrigen RANKEs Zusammenfassung der Neuerungen in den Namen, die Aussagen über die Handlungen der Götter treffen (1952: 240). Nun wird deutlich hervorgehoben, dass die Götter „gesund machen“, „alles sehen“ (tm-nw, RANKE 1932: 380, Nr. 20), „entstehen“ lassen, „wissend“ sind, usw. Der Brauch ein Mensch durch den Namen als Sohn oder Tochter einer Gottheit in deren Schutz zu stellen, wurde im Mittleren Reich entwickelt und im Neuen Reich weitergeführt.

5.4

„Sepulkrale Selbstthematisierung“ und persönliche Religionserfahrung: Die Autobiographien

Formen der „Selbstthematisierung“ sind in jeder Kultur vorhanden. Sie basieren auf der Reproduktion von gesellschaftlichen Traditionen, die dennoch in Einzelfällen auch Formen individueller Selbstthematisierung darstellen (ASSMANN 1987: 208). Durch die Übertragung dieses Phänomens auf eine monumentale Ebene erlangt das Dargestellte Fortdauer und Beständigkeit. Dadurch steht „hinter jedem einzelnen Monument als einem Element des ‚monumentalen Diskurses‘ also ein individuelles Selbst, das sich darin thematisiert und verewigt“ (ASSMANN 1987: 210). Wenn allerdings der Terminus des „individuellen Selbst“ die Summe aller spezifischen Eigenschaften der Persönlichkeit definiert (SEKIDIKES-BREWER 2001), kann er für das von Jan ASSMANN geschilderte Phänomen nicht verwendet werden. In Ägypten wird das Denkmal von seinem Stifter stets unter Einhaltung bestehender Formregeln in Auftrag gegeben, die es zu einem Teil der bestehenden Tradition werden lassen und daher keineswegs als Zeugnis der eigenen Individualität gelten können. 528 Dennoch wird durch die Angabe des Namens und anderer biographischer Elemente des Stifters ein persönliches Merkmal in das traditionelle System eingeführt, das den direkten Bezug zwischen Denkmal und Person aufzeigt. Das Denkmal bietet sozusagen den Rahmen an, um einzelne Elemente der jeweiligen Person darzustellen und somit zu thematisieren. Das sich über das Denkmal selbstthematisierende Subjekt wird im Falle von Privatpersonen durch die Schilderung von Ereignissen aus der persönlichen Lebensgeschichte verewigt (ASSMANN 1987: 211–212), um der Gefahr der Vergänglichkeit nach dem Tod zu entgehen und im Grab die Erinnerung an 527 528

S. dazu Kapitel 3.1.3. Zum Problem der Individualität und der begrifflichen Einordnung siehe Kapitel 6.2.

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das eigene Selbst ganz im Sinne des individuellen, sozialen und kollektiven Selbst (SEKIDIKES-BREWER 2001) in der Nachwelt zu bewahren: „Das Grab wird zum Ort des Diskurses, in dem die Toten als verewigte Sprecher ihrer Lebensgeschichte zur Nachwelt reden“ (ASSMANN 1987: 213). Die festgehaltene Lebensgeschichte, die in ägyptischen Gräbern oder auf anderen Privatdenkmälern geschildert wird, war das Privileg einer bestimmten sozialen Schicht, die aufgrund ihrer beruflichen Stellung die Möglichkeit hatte, „ein Selbst aufzubauen“ (ASSMANN 1987: 214) und es entsprechend zu thematisieren. In Jan ASSMANNs Worten ist die „Biographie nichts anderes als die Geschichte dieser Selbst-Konstitution“ (ASSMANN 1987: 214). Biographische Inschriften wurden erstmals in den memphitischen Nekropolen des Alten Reiches aufgezeichnet. Am Anfang bestanden sie lediglich aus der Auflistung der Titel des Grabinhabers (BAINES 1999), die erste ausführliche Schilderung des Werdeganges eines hohen Beamten datiert in die 4. Dynastie (FROOD 2007: 8–9). Gegen Ende des Alten Reiches gewann der Typus der sog. „Laufbahnbiographie“ 529 an Bedeutung (KLOTH 2002). In ihr findet sich zum ersten Mal eine Form der Auszeichnung des Grabherrn, der durch seine Leistungen, für deren Ausführung er vom König selbst erwählt worden war, seine Einzigartigkeit zum Ausdruck brachte. Als derjenige, der den Würdenträger für die Aufgaben, mit denen dieser sich rühmt, ausgewählt hatte, nimmt der König eine zentrale Rolle in der Autobiographie ein (FROOD 2007: 9). Die Wahl durch den König wurde zum Label für die eigene Besonderheit. Jan ASSMANN (1987: 218–219) sieht in der Laufbahnbiographie das Streben nach Distinktion. Mit der Ersten Zwischenzeit und in Folge der politischen Umwälzungen des Landes, verlagerte sich der Schwerpunkt, indem die Zentralität des Königs gegenüber den individuellen Besonderheiten und Fähigkeiten des Grabherrn in den Hintergrund rückte. Darüber hinaus bezog nun die individuelle Selbstdarstellung auch das Agieren des Beamten für das Wohlbefinden der ganzen Gemeinde ein (FROOD 2007: 9). Mit der erneuten Vereinigung Ägyptens in der 12. Dynastie rückte zwar der König wieder in den Mittelpunkt der Erzählung der Lebensgeschichte und Karriere des Beamten, der Aspekt der Eigeninitiative und des vorbildhaften Charakters wurde jedoch nicht vernachlässigt. Im Gegenteil, die Schilderung der ethischen Lebensführung blieb zentral (FROOD 2007: 10). Darüber hinaus hebt Elizabeth FROOD (2007: 10–11) eine wichtige Veränderung hervor, die den Anbringungskontext der Biographien im Mittleren Reich anbelangt: Biographische Texte wurden nun nicht mehr ausschliesslich im Kontext des Grabes angebracht, vielmehr bediente man sich auch neuer Medien (Stelen und Statuen), die im Tempelareal aufgestellt wurden. Diese Entwicklung lässt sich insbesonde529

Dieser Begriff steht in Zusammenhang mit demjenigen der „Idealbiographie“ (Gnirs 1996: 203 mit Verweis auf älterer Literatur), die die vorbildhafte und moralische Lebensführung des Individuums zum Thema hatte. Zur Problematik dieser Begriffe s. GNIRS 1996: 203–204, die als Alternative eine Unterteilung der autobiographischen Texte in „Handlungsbiographie“, „Ereignisbiographie“, „Reflexionsbiographie“, „Bekenntnisbiographie“ und „enkomiastische Autobiographie“ vorschlägt. Dies wurde jedoch von JANSEN-WINKELN 2004: 64 kritisiert, da eine strenge Trennung in verschiedene Typen von Biographien nicht anzunehmen und vielmehr von einem Ineinandergreifen mit autobiographischen Texten auszugehen ist. Man beachte diesbezüglich auch Elizabeth FROODs (2007: 2) Unterscheidung zwischen „career“ und „ethical biographies“. Erstere thematisieren einzelne Ereignisse, die die Karriere des Autobiographen charakterisiert haben. Letztere hingegen fokussieren seine moralische Lebensführung und seinen vorbildhaften Charakter.

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re in der 18. Dynastie und der Ramessidenzeit weiterverfolgen und geht mit dem Miteinbezug religiöser Themen in die Schilderung des eigenen Lebens einher. 530 Es ist vor diesem Hintergrund, dass sich Elemente der persönlichen Gotteserfahrung thematisieren lassen. Die in der vorliegenden Arbeit als Beispiele aufgeführten Autobiographien (Kat. A.9/10.?1–A.13.1 und Kat. A.18.1–A.19.4) beinhalten Formen der persönlichen Gotteserfahrung, deren Ausdruck eindeutig von den kulturellen Richtlinien des jeweiligen historischen Momentes abhängig waren. Es wird sich zeigen, dass das Amt und dessen Erlangung, wovon in den Autobiographien die Rede ist (ASSMANN 1987: 214), die thematische Kulisse für den persönlichen Kontakt zu Gott darstellten. Dies war eng an die historischen Ereignisse infolge des Zusammenbruchs des Alten Reiches gebunden, wodurch die Zentralherrschaft des Königs endete und den Fürsten der einzelnen Gaue Ägyptens Selbstständigkeit und Macht zukam. Wenn zum einen Laufbahn- und Idealbiographie zu einer (einzigen) Gattung verschmelzen (ASSMANN 1987: 220), stellten sich zum anderen schon in der Ersten Zwischenzeit die Rolle des Gottes und vor allem der Bezug des Grabherrn zu ihm als Zeichen seiner Legitimation im Amt heraus. Das persönliche Verhältnis zu einer Gottheit, wie dies in den Autobiographien der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches geschildert ist (Kat. A.9/10.?1–A.13.1), weist stets zwei Komponenten auf: 1) es handelt sich immer um Lokalgottheiten, deren Name genannt wird; 2) die Verbindung kommt über den Beruf zustande. Daraus ergibt sich: a) die Zugänglichkeit des Gottes war lokal bedingt; b) die Wahl eines persönlichen Schutzgottes war eng mit dem eigenen Amt verbunden. In Situationen des königlichen Machtvakuums waren die Legitimation zum Amt (Kat. A.1Zw.?3, A.13.1), die Überwindung von Schwierigkeiten (Kat. A.9/10.?1, A.10.2, A.11.3) sowie die Führung im eigenen Leben (Kat. A.11.1, A.11.2, A.12.2) einem göttlichen Willen zuzuschreiben. Die Selbstthematisierung konnte in dieser Zeit die Idee der Lebensführung durch einen spezifischen Gott 531 sowie diejenige der Gottesebenbildlichkeit (Kat. A.11.1; BLUMENTHAL 1998: 219) zum Ausdruck bringen. Kat. A.11.4 und A.12.3 sind zwei Beispiele, die stellvertretend für die Kategorie der Stelen aus Abydos behandelt werden. Sie hatten ihren „Sitz im Leben“ in den Osirisfeierlichkeiten und schildern die Teilnahme an diesen religiösen Feierlichkeiten in Abydos Teil der eigenen Lebensgeschichte. Gerade diese autobiographischen Inschriften sind die ersten Dokumente, die über die Durchführung grosser Götterfeste berichten. Die Teilnahme daran war bereits im Mittleren Reich ein Thema der Totenwünsche, als dies explizit in der sog. Abydosformel zum Ausdruck gebracht wurde (ASSMANN 2005: 38). 532 Obwohl diese Feste vereinzelt schon unter Sesostris I. belegt sind, fand eine erste 530 531

532

Zu den ramessidischen Autobiographien s. die umfangreiche Studie von Elizabeth FROOD (2007: insbes. 19–30). Dies im Gegensatz zu Sinuhe, der die Führung seines Lebens durch einen unbekannten allmächtigen Gott in einem vom ägyptischen König nicht kontrollierten Gebiet thematisiert (BLUMENTHAL 1998, LUISELLI 2007b: 166–170). S. dazu auch Kapitel 5.1.1 (Die Voramarnazeit).

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Konzentration der Zeugnisse erst unter Sesostris III. und Amenemhet III. statt. Zwei Beispiele hierfür stellen die Stele Berlin 1204 (Ichernofret: Kat. A.12.3) und die Stele Kairo CG 20538 (Sehetepibre)dar. Abgesehen von dem Beispiel des Ichernofret, in dem der Stelentext illustriert, wie der Stifter die Statue des Gottes schmücken durfte, und der eine grobe Beschreibung der zelebrierten Riten gibt, deuten alle Stelen aus Abydos, die von diesem Zeitpunkt an mit Hymnen ausgestattet sind, auf den Vollzug von öffentlichen religiösen Prozessionen. Dabei wurden Hymnen zu Ehren der Gottheit gesungen, wobei sich die wohlhabenderen Teilnehmenden womöglich von diesen Hymnen inspirieren und sich eine Stele mit den gleichen Elementen in den Werkstätten des Tempels anfertigen liessen (FRANKE 2003: 129). Aufgrund der Hinweise aus den Abydos-Stelen auf eine Teilnahme an den Osirisfeierlichkeiten spricht Miriam LICHTHEIM (1988: 134) von einer „Osirisfrömmigkeit“, die die verbreitete Teilnahme an religiösen Festen bereits im Mittleren Reich bezeugen würde. 533 Die Selbstthematisierung ist auf diesen Denkmälern nicht mehr ausschliesslich auf die sepulkrale Ebene bezogen, denn die Teilnahme an den Osirisfeierlichkeiten war zu einem entscheidenden Merkmal der eigenen Lebensführung geworden. Selbst diejenigen Dokumente, die diese Teilnahme bezeugen und nicht aus Abydos stammen, heben die Zentralität dieses Ereignisses im Leben der Stifter hervor. 534 In diesem Sinne könnten die Autobiographien aus der frühen 18. Dynastie, die um Hymnen und Gebete an die Götter erweitert wurden, formal aus den Stelen der 12. Dynastie entwickelt worden sein, in denen biographische Texte solchen Hymnen vorangehen oder folgen (GNIRS 1996: 202). Die Götterverehrung gewann in dieser Phase insofern eine zentrale Bedeutung, als dass sie zu einem wesentlichen Teil der diesseitigen Existenz wurde und somit Auswirkungen auf das Leben nach dem Tode hatte. Wenn sich in der Ersten Zwischenzeit aufgrund politischer Verhältnisse die Rolle eines Gottes als Führung entwickelte, gewann dieser Aspekt noch mehr an Bedeutung: Das Leben des Individuums stand unter dem Einfluss göttlicher Mächte. Aufgrund dessen lösten sich die Autobiographien zu dieser Zeit von den Grabwänden, und man gab der mobilen Lösung der Anbringung auf Statuen und Stelen, die in Tempeln aufgestellt werden durften, mehr und mehr den Vorzug (FROOD 2007: 22). Ziel war es, die Leserschaft und die Tempelbesucher dazu zu ermuntern, kultische Praktiken zu vollziehen, was mit der eigenen Selbstdarstellung gerechtfertigt wurde (GNIRS 1996: 199). Eine Weiterentwicklung hiervon stellen die Mittlerstatuen dar, 535 die eine neue Funktion aufnahmen, indem sie jenseits der Darstellung des Stifters auch die Kommunikation mit den Göttern als zusätzlichen Grund für eine Opfergabe an den Stifter angaben. Selbst innerhalb der biographischen Inschriften, die weiterhin im Grab angebracht wurden (Kat. A.18.2– A.19.1), ist eine zunehmende Verselbstständigung des Jenseitsdiskurses festzustellen sowie eine gleichzeitige Zunahme der Bedeutung der Loyalität dem Gott gegenüber als zentrales Merkmal im eigenen Leben. So heisst es in der Grabinschrift des Ineni (Kat. A.18.2) aus der Zeit von Hatschepsut und Thutmosis III.: „(...) Ich tat, was mein Stadtgott liebte, 533 534 535

S. auch Kapitel 5.1.1 a)). So z. B. in der Autobiographie Sarenputs I. (BOMMAS 2005c: 11). S. Kapitel 3.1.5.

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ich war frei vom Naschen von den Dingen Gottes. Was einen betrifft, der die Jahre als Gelobter verbringt, dessen Ba lebt zur Seite des Allherrn“. Dabei wird nicht nur die Loyalität zur Gottheit zu Lebzeiten als Grundvoraussetzung für das Fortleben des Ba im Jenseits erklärt, sondern auch der direkte Bezug zum persönlichen Stadtgott (nTr=j njw.t) und das Ausführen dessen, was er „liebt“, werden Teil der Selbstthematisierung. Die Amarnazeit stellt nach dem Mittleren Reich einen zweiten Höhepunkt in Sachen Königsideologie dar, in der der König vor dem Hintergrund der Amarnatheologie und der Rolle Echnatons als einzigem Mittler zwischen den Menschen und Aton eindeutig mit göttlichen Zügen beschrieben wird. So charakterisieren die Autobiographien aus dieser Zeit Echnaton als einen persönlichen Schöpfergott und Lebensspender (Kat. A.18.3, A.18.4), gleichwie die Inschriften an den Türgewänden aus häuslichem Kontext, die sich in die gleiche Tradition einfügen (s. Kat. Ar.18.5, Ar.18.8 sowie Kapitel 5.1.1). Zu Recht hebt Jan ASSMANN in Beispielen der Autobiographien aus der Amarnazeit hervor, dass die Grabherren und Referenzpersonen dieser Textgattung ihren ursprünglichen sozialen Stand geringer darstellen, als dies der Realität entsprach. Dies war notwendig, um „ihrer Karriere unter Echnaton den Charakter eines schicksalswendenden Machterweises zu verleihen“ (ASSMANN 1980: 13ff.), wodurch die göttliche Natur Echnatons ebenfalls hervorgehoben und er zum Gott des Einzelnen wurde. Zur selben Tradition gehört die sog. „Bekenntnisbiographie“ der Ramessidenzeit, die in einem narrativen Stil die „extremste Form individueller Erfahrungen göttlicher Macht“ behandelt und dabei „die persönliche Verehrung Gottes in einen konkreten historischen Rahmen“ stellt (GNIRS 1996: 204). Wenn es stimmt, dass die „Bekenntnisbiographie“ der Ramessidenzeit auf die hier kurz erwähnten Autobiographien der Amarnazeit zurückzuführen ist (ASSMANN 1980: 23ff.; GNIRS 1996: 217, 234 m. Anm. 231), und zwar insofern, als dass das entscheidende Ereignis der göttliche bzw. königliche Eingriff in das Leben des Einzelnen darstellt (GNIRS 1996: 205), dann handelt es sich dabei kaum um eine „religiöse Konversion“ (so nach GNIRS 1996: 205). Diese stellt vielmehr ein Glaubenswechsel im Sinne eines Übertritts zu einer anderen Glaubensgemeinschaft dar, was jedoch selbst in den Fällen der Autobiographien des Samut-Kiki (Kat. A.19.1) oder der Gebetsstelen des Neferabu (Kat. G.19.5 und G.19.6), die ein Bekenntnis zu einer bestimmten Gottheit ausdrücken, nicht zutrifft, da hierbei kaum von der Verleugnung einer anderen Gottheit die Rede ist. In der Ramessidenzeit kristallisiert sich zwischen den biographischen Dokumenten und den Anbetungstexten eine intertextuelle Beziehung heraus (GNIRS 1996: 215–216), die die innovative Präsenz der Götterhymnen in den Autobiographien zu Beginn des Neuen Reiches fortsetzt und die persönliche Gotteserfahrung zum Inhalt hat (FROOD 2007: 11). Diese Interaktion bewirkt, dass die Gattung der Autobiographien zu Beginn des Neuen Reiches zugunsten anderer Formen der Selbstdarstellung wie der der Gebete, Verklärungstexte, usw. (GNIRS 1996: 233–234 m. Anm. 230, FROOD 2007: 24) zurücktritt. In der Tat erscheint der Inhalt der ramessidischen Autobiographien im Vergleich zur Vergangenheit eindeutig auf die Schilderung der persönlichen Gotteserfahrung reduziert zu sein (GNIRS 1996: 235): Durch das persönliche Bekenntnis zu einer spezifischen Gottheit wird das eigene Leben dem Willen einer höher stehenden Instanz unter-

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worfen, in deren Dienst sich der Mensch bedingungslos gibt. Dass allerdings Texte wie die Inschrift auf der Stele des Neferabu (Stele BM 589: Kat. G.19.6), die eindeutig in einen kultischen Kontext eingebettet sind (ADROM 2005), zur Gattung der Autobiographien zählen (GNIRS 1996: 235 Anm. 236, FROOD 2007: 223–226), ist aufgrund der speziellen Zweckausrichtung dieser Stelen nicht zutreffend. Die Autobiographien als „in einer Inschrift festgehaltene zurückblickende Darstellung des Lebens einer realen Person zum Zweck der personalen Unsterblichkeit“ (JANSEN-WINKELN 2004: 61) hat die Aufrechterhaltung des Totenkultes zum Zweck. Gebetsstelen wie die des Neferabu unterliegen allerdings einem anderen Zweck, der sich nicht mit demjenigen der Autobiographien deckt. Allein die Schilderung eines spezifischen Lebensereignisses genügt nicht, um solche Inschriften als Biographien aufzufassen. Wenn man dazu noch bedenkt, dass die Fortdauer des Totenkultes an die Schilderung des ehrenhaften Verhaltens des Toten gebunden ist (JANSEN-WINKELN 2004: 61), dann kann dies für die Gebetsstelen nicht zutreffen. Dennoch besteht zweifellos eine enge Verbindung zwischen Anbetungs- und biographischen Texten, sodass sie einzig anhand ihrer Beschaffenheit (Textträger, Ort und spezifische Situierung: JANSEN-WINKELN 2004: 61) zu trennen sind. Für die Autobiographien der Ramessidenzeit werden stellvertretend die hier ausgewählten Beispiele Kat. A.19.1–9 untersucht. Die Grabinschrift des Samut-Kiki (Kat. A.19.1) 536 konzentriert sich ausschliesslich auf die Schilderung des persönlichen Verhältnisses des Grabinhabers Samut-Kiki zur Göttin Mut, die er als einzige Schutzpatronin gewählt und ihr als Zeichen seiner Loyalität sein ganzes Vermögen überschrieben hat. Die „Traumoffenbarung der Göttin Hathor“ (ASSMANN 1978b; Kat. A.19.2), von der Thotemhab in seiner Grabinschrift berichtet, ist um das Ereignis der persönlichen Gotteserfahrung im Traum (SZPAKOWSKA 2003: insbes. 123ff.) aufgebaut, sodass keine Vermittlung durch den König stattfindet (LOPRIENO 1996a: 48). Schliesslich sei hier auf zwei Belege verwiesen, die die Biographie des Bakenchons (Kat. A.19.3 und A.19.4) tradieren und die neue Haltung in der Ramessidenzeit in dieser Textgattung deutlich zum Ausdruck bringen. So überliefert der Würfelhocker aus der Glyptothek in München (WAF 38: Kat. A.19.4, Taf. 13): Vorderseite: (...) 3. –4: „Ich bin ein wohlgefälliger (Ax) Diener seines Herrn, einer der schweigt, einer, der die Maat bezeugt, der zufrieden ist über die Maat, der Isfet hasst, der den Ratschluss seines Gottes rühmt, der Hohepriester des Amun, Bakenchons, gerechtfertigt“. Rückenpfeiler: (…) ‚Ich bin einer, der die Maat bezeugt, ein Nützlicher seines Herrn, der den srx 537 seines Gottes ehrt, der auf seinem (vom Gott) Weg geht, der Nützliches tut in seinem Tempel, (indem) ich Oberbaumeister im Tempel des 536 537

Zur Analyse des Textes siehe insbes. VERNUS 1978, LOPRIENO 1996a: 47–48 und GNIRS 2003: 179. S. dazu den Kommentar in Kat. A.19.4.

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Amun bin, als trefflicher Vertrauter seines Herrn. O all (ihr) Menschen, die weise sind in ihren Herzen, (ihr) Seiende, die auf der Erde sind, und diejenigen, die nach mir kommen werden in Millionen von Millionen (von Jahren) nach einem Alter (...) ich lasse euch wissen, (was) mein Wesen war, (als ich) auf Erden war, in jedem Amt, das ich ausgeübt habe seit meiner Geburt. (...) Er (Amun) lobte mich, da er mich erkannte, wegen meines Charakters. Er setzte mich zum Hohepriester des Amun ein während 27 Jahren. (...). Ich habe Nützliches getan im Tempel des Amun, (indem) ich Baumeister meines Herrn war. Ich habe für ihn den Tempel ‚Ramses-geliebt-von-Amun, der die Bitten erhört’ gebaut am oberen Tor des Amuntempels. Ich habe zwei Obelisken aus Granit darin aufgestellt, deren Spitzen (nfr.w) sich dem Himmel nähern (...)’. Sockel: ’(...) Ich bin ein gerechter Schweigender, ein Nützlicher seines Gottes, der sich auf [alle] seine Ratschlüsse (sp) verlässt […]. (...) (Ich) bin vollkommen, heute mehr als gestern; morgen wird er (darüber) hinaus meine Vollkommenheit geben. Ich war (schon) als kleines Kind (wDH) [...] bis ins Alter im Tempel des Amun, indem (ich) [ihm?] folgte. (…) Möge er mir eine Lebenszeit in Vollkommenheit nach 110 (Jahren) geben’. Diese Maat-orientierte Haltung spiegelt diejenige wider, die dem Gott gegenüber eingehalten werden muss. Sowohl das Schweigen wie auch eine Lebensführung nach den Prinzipien der Maat werden in dieser Inschrift mit dem Dienen für die Gottheit in Verbindung gebracht. Da Bakenchons verschiedene Priesterämter hohen Ranges bekleidete, 538 unter denen vor allem das des Hohepriesters des Amun und darüber hinaus auch des Oberbaumeisters in Theben zu erwähnen sind, 539 wird in seiner Biographie vor allem auf diejenigen Aspekte eingegangen, die sein integeres und erfolgreiches Handeln für die Gottheit thematisieren. Im Unterschied zur Grabinschrift des Samut-Kiki (Kat. A.19.1) handelt es sich hierbei nicht um die Wahl einer bestimmten Gottheit als persönlichen Schutzpatron, da die Gottesnähe an das ausgeübte Amt ganz im Sinne der Autobiographien der Ersten Zwischenzeit gebunden war. Vielmehr wird sein tadelloses Beitragen im Dienste der Gottheit zum Thema der Inschrift gemacht: Die Lebensschilderung bildet somit den Rahmen für die Schilderung der Amtsausübung, die eine Nähe zur Gottheit bedeutet und diese auch deutlich hervorhebt. In Analogie zu den Biographien des Mittleren Reiches und der Zweiten Zwischenzeit (insbes. Kat. A.1Zw.?3, A.13.1) beschreibt auch dieser Text, wie Bakenchons von Amun in sein Amt eingesetzt wird, weil er seinen vortrefflichen Charakter erkannt und ihn deshalb zu seinem Diener ernannt hat. Die Gottheit hat den Menschen auserwählt; sie hat ihm ihre Nähe zugesprochen und dafür dient er ihr treu und vorbildlich. Die Gabe der Maat war an eine Bedingung geknüpft, die Bankenchons erfüllt hat: das absolute Vertrauen in die Gottheit 538 539

S. Kapitel 4.1.1.II.b, Tabelle 4. Den Bau des Osttempels in Karnak für die Gebetserhörung leitete Bakenchons als Oberbaumeister in Theben.

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(PLANTIKOW-MÜNSTER 1969: 130–131). Sein ganzes Leben spielte sich in der Nähe Amuns ab und sein Dienst im Karnak-Tempel wurde zu einer Konstante von Kindheit an. Amun hat das Leben des Bakenchons gelenkt; die Aufstellung seines Würfelhockers im Tempel ist als Privileg und als Belohnung seiner Treue zu verstehen. Diesem Text zufolge sind Anfang und Ende der menschlichen Existenz mit der Wahl der Gottheit verbunden, der sie ihr Leben verpflichteten. Parallel dazu sei hier auf die entsprechende Passage in der Lehre des Ptahhotep (Maxime 10) verwiesen „Gott ist es, der seine Fähigkeit macht“ 540 sowie auf Friedrich JUNGEs (2003: 96) zusammenfassende Worte: „Erfolg im Leben (...) bildet sich aus einer subtilen Vernetzung von guter Lebenserfahrung, eigener Begabung und Gottes Gunst“.

540

P.Prisse, 7.7–9 (Z. 184): ŽABA 1956: 29, JUNGE 2005: 95ff.

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6

Die persönliche Suche nach Gottesnähe: Schlussbetrachtungen

6.1

Zeugnisse im Kontext: Die intellektuelle und die praktische Suche nach Gottesnähe

Die Religionspraxis in Ägypten basierte auf dem Vertrauen in die Existenz einer Interaktion zwischen zwei Polen: einer unantastbaren Gottheit einerseits und dem Individuum, das durch die kulturellen Merkmale seines Umfeldes geprägt war, andererseits. In der Religionspraxis erlebte das Individuum seinen Kontakt mit dem Göttlichen; durch sie wird diese Interaktion auf individueller sowie sozialer Ebene aktualisiert und entfaltet sich als ein Akt der Kommunikation. Der erste Pol ist aufgrund seiner Unantastbarkeit historisch nicht fassbar. Aufgrund der Projektion, die in den kulturellen Zeugnissen ihre Spuren hinterlassen hat, kann er jedoch theologisch definiert werden. Der zweite Pol hingegen kann dank der Quellenlage historisch untersucht werden; dasselbe gilt für die Religionspraxis, für deren Vollzug Zeugnisse hergestellt wurden, die Einblicke in die Züge dieser Praxis geben können. Als Form der Kommunikation mit dem Göttlichen spiegelt sie die Wahrnehmung der Gottesnähe auf der persönlichen Ebene wider. Die Ausdrucksformen der Suche nach Gottesnähe sind vor dem Hintergrund ihres Anbringungskontextes und somit ihrer Funktion zu bewerten. Dabei sind vier verschiedene Komponenten zu unterscheiden, die auf diese Ausdruckformen Einfluss nahmen: eine soziale, eine lokale, eine chronologische und eine funktionale Komponente. Darüber hinaus können grundsätzlich zwei Hauptformen gesuchter Gottesnähe beschrieben werden. Als die erste Form möchte ich die intellektuelle Verarbeitung von normierten religiösen Prinzipien bezeichnen, die ihre primäre Ausdrucksformen in Autobiographien und Literaturwerken hatten. Daneben ist eine zweite Form zu erkennen, die durch Kultpraktiken umgesetzt wurde und die vor allem durch Votivstelen und Votivgaben, Zeugnissen aus dem Siedlungskontext, Briefen sowie in Dokumenten der Heilkunde greifbar wird, oder anders gesagt: Es ist m. E. möglich, zwischen einer intellektuell und einer praktisch gesuchten Gottesnähe zu unterscheiden. Während sich Erstere als ein „sprechen über“ die Gottesnähe präsentiert, stellt Letztere als ihre kultisch-rituelle Äusserung dar. Die intellektuell gesuchte Gottesnähe kommt Jan ASSMANNs (1978b: 31) Auffassung der Frömmigkeit nahe, wenn er sagt: „Der ägyptische Begriff von ‚Frömmigkeit’ besteht in der Kenntnis Gottes, in der Erkenntnis und dem Sich-bewußt-machen seiner Macht und Grösse. Das Gleiche gilt in noch viel stärkerem Masse für die Vorstellung vom Schauen Gottes: Nicht das von Gott erblickt werden, sondern der Anblick Gottes gilt als ersehnte Gnade“. Die Autobiographien fügen die zu Lebzeiten erfahrene Nähe zu einer Gottheit in den Rahmen der Totenkultstiftung ein. 541 Indem sie diese Gottesnähe für die diesseitige Le541

S. Kapitel 5.4.

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bensführung des Verstorbenen beschreiben, heben sie ihre Bedeutung auch für das jenseitige Leben hervor. Die zu Lebzeiten erfahrene Gottesnähe besteht weiterhin auch im Jenseits und zeichnet den Verstorbenen in seiner vorbildhaften Rolle aus. In der Weisheitsliteratur und in den fiktionalen Erzählungen wird auf unterschiedliche Art und Weise die Wechselbeziehung zwischen Gott und Mensch thematisiert: Die Lebenslehren zielen auf eine Erklärung dieser Beziehung ab, indem sie dabei dem Verhalten des Menschen eine Orientierung geben. Die Erzählliteratur integriert die Gott-MenschBeziehung in den Inhalt und teilweise in die Struktur der Texte (LUISELLI 2007b: 174– 176). Hier wird unter anderem diese Beziehung an das einmalige Beispiel des/der Protagonisten angepasst. Anhand der Phraseologie wie auch der geschilderten Ereignisse lässt sich eine konzeptuelle Verbindung zwischen der Erzählliteratur und den Gebeten des Neuen Reiches herstellen (LUISELLI 2007b: 179–182), obwohl letztere ihren „Sitz im Leben“ in einem kultischen Kontext haben. Dieser Kontext spricht m. E. dafür, dass die Gebete auf den Votivdenkmälern eine praktisch gesuchte Gottesnähe belegen. Indem sie jedoch in Einzelfällen (z. B. Kat. G.19.5–6) die persönliche Erfahrung der Gottesnähe durch eine hochstehende literarische Phraseologie zum Ausdruck bringen (ASSMANN 1979; DERS. 1999: 10), wie z. B. bei der Verwendung der Metapher der „Finsternis am Tag“, 542 beinhalten sie Hinweise für die intellektuell gesuchte Gottesnähe, sowie für ihre praktische Umsetzung. Diese Denkmäler entstammen einem Milieu, das in engem Kontakt zu den Tempelwerkstätten sowie zu Bibliotheken und Lebenshäusern stand und in dem solche Phrasen zirkulierten. Ihre Einbindung in einen kultischen Kontext 543 macht aus diesen Dokumenten allerdings keine Werke der Literatur, sondern ein konkretes Mittel, wodurch eine Kommunikation durch kultische Praxis mit einer bestimmten Gottheit etabliert werden konnte. Während also in den Autobiographien und in der Literatur die Suche nach Gottesnähe nicht den eigentlichen Gegenstand des Werkes ausmacht, stellt diese Suche in den Votivstelen hingegen ihren eigentlichen Kern dar. Anders formuliert: Die Autobiographien und die Literatur behandeln das Thema der Persönlichen Frömmigkeit rein deskriptiv; die Stelen stellen die Erfahrung der Gottesnähe dar. Ihr Zweck ist intentional.

6.2

Selbstbezug und Religion: Rahmenbedingungen für die persönliche Suche nach Gottesnähe

Während die praktisch kultisch gesuchte Gottesnähe insbesondere durch Votivgaben (SADEK 1987, PINCH 1993) und Kultinstallationen sowohl in Heiligtümern als auch im Siedlungsbereich 544 belegt ist, sprechen Briefe 545 und Hinweise in Texten, die über alltägliche Belange informieren, dafür, dass das Suchen und Erfahren von Gottesnähe auch den Alltag der Menschen durchdrang. So enthält das in die 19. Dynastie datierte altägyptische Traumbuch des P.Chester Beatty III rto. 546 Traumdeutungen, die ausdrück542 543 544 545 546

S. dazu Kapitel 5.1.1, Exkurs II. S. Kapitel 5.2. S. Kapitel 4.1.1 m. Exkurs I. S. Kapitel 5.3.2. GARDINER 1931: Taf. 5.

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lich auf die Intervention eines (meistens des persönlichen) Gottes in das Alltagsleben hindeuten (SAUNERON 1959; VERNUS 1986; SZPAKOWSKA 2003: 123ff.). Zur Veranschaulichung sei eine Auswahl von Auszügen aus dem Traumbuch im Folgenden aufgeführt: - P.Chester Beatty III. rto., 2.4: jr mAA sw sj m rsw.t bj.t a=f nw.n=s Hr=s nfr [...] n=f x.t pw jn nTr=f - P.Chester Beatty III., rto. 2.24: jr mAA sw sj m rsw.t nfr sDm aS=f jn nTr=f - P.Chester Beatty III., rto. 3.10: jr mAA sw sj m rsw.t Hr [...] n Dba.w oA(.w) nfr Hn n=f x.t pw jn nTr=f

Wenn ein Mann sich in einem Traum sieht, (eine) Honigschüssel, die zugedeckt wurde gut: (es bedeutet) […] etwas seitens seines Gottes. Wenn ein Mann sich in einem Traum sieht, gut: (es bedeutet, dass) sein Rufen von seinem Gott gehört sein wird. Wenn ein Mann sich in einem Traum sieht, […] mit nach oben gestreckten Fingern, gut: (es bedeutet, dass) etwas ihm von seinem Gott gegeben wird.

Das Traumbuch gehört zwar nicht zu den traditionellen Texten der Persönlichen Frömmigkeit, dennoch wird darin deutlich gezeigt wie durch Träume und in Träumen ein unmittelbarer Kommunikationsakt zwischen der göttlichen und der menschlichen Sphäre stattfindet (SZPAKOWSKA 2003: 124). Die Traumaktivität des Menschen kennt keine sozialen Grenzen. Das Traumbuch, das aus demselben sozio-kulturellen Milieu stammt wie auch die Schultexte und die ramessidischen Schulgebete, 547 wurde von denjenigen Schreibern zusammengestellt, die Zugang zu Archiven und Bibliotheken hatten. Es handelt sich vermutlich um die schriftliche Umsetzung von Deutungen, die in oraler Form vor allem in Deir el-Medina zirkulierte und die nicht unbedingt als eine Adaption von königlichen Vorbildern aufzufassen ist. Mit der Frage nach der Bedeutung, die den Träumen im Alten Ägypten beigemessen wurde, hat sich Kasja SZPAKOWSKA (2003: 3) beschäftigt, als sie folgende Frage stellte:

547

S. Kapitel 5.3.3.

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„The pharaoh Akhenaten wrote a hymn that at night the ‚earth is in darkness as if in death; one sleeps in chambers, heads covered, one eye does not see another’. Since this was a potentially dangerous time for mortals, when natural rules did not apply, what would be the meaning of seeing a dream while fast asleep in the night?“ In manchen Traumdeutungen des ägyptischen Traumbuches kann der Glaube an diese göttliche Einflussnahme abgelesen werden. So kann die Traumdeutung, die nicht per se als Form von Religionspraxis verstanden werden kann, hier einen Hinweis darauf geben, welch grosse Bedeutung die beiden inhärente Vorstellung von der eingreifenden Gottheit im Alltag hatte. Göttliche Wesen wurden als allgegenwärtig empfunden. Deren Intervention in das Leben der Menschen war unvorhersehbar und somit stellte es sich als notwendig heraus, die Zeichen dieser Intervention zu erkennen. Das Gleiche gilt für medizinisch-magische Texte, die gerade im Neuen Reich eine erste weitere Verbreitung erfuhren. Medizin und Magie stellten nach ägyptischer Vorstellung eine Einheit dar, wonach eine wie auch immer geartete Form der Heilpraktik in Gang gesetzt wurde, nachdem Leiden und Krankheiten diagnostiziert wurden (KOLTA/SCHWARZMANNSCHAFHAUSER 2000). Diese Praktik baute auf die Erkennung einer göttlichen Ursache für den kranken Zustand eines Menschen und setzte die Intervention göttlicher Wesen voraus (BORGHOUTS 1982, GRIFFITHS 1988, KARL 2000). Das Zusammengehen von göttlichem Eingriff in das Leben des Menschen und die Notwendigkeit, religiöse Praktiken auszuüben, geht insbesondere aus den spätramessidischen Briefen hervor. 548 So wurde den Empfängern dieser Briefe verdeutlicht, dass sich alltägliche Probleme und Leiden nur durch die Intervention der persönlichen Götter lösen liessen. Die Religionspraxis zeichnete sich durch ihre Notwendigkeit im Alltagsleben aus; ihr ging eine persönliche und nach modernen Termini definierbare psychologische Erkennung der Gottesnähe voraus. 6.2.1

Die Wahl eines persönlichen (Schutz-)Gottes

Die soeben geschilderte Erkenntnis geht mit dem Phänomen der Wahl eines persönlichen göttlichen Schutzpatrons einher. Texte, wie sie insbesondere in der Autobiographien des Samut-Kiki (Kat. A.19.1) und z. T. auch in denjenigen des Thotemhab (Kat. A.19.2) sowie in den beiden autobiographischen Texten des Bakenchons (Kat. A.19.3– 10) belegt sind, zeugen von der Wahl eines spezifischen Gottes als Schutzpatron für das eigene Leben. Die Überzeugung, dass jedes Individuum einen bestimmten persönlichen Gott hatte, der als sein Beschützer fungierte, ist bereits in den oben aufgeführten Textauszügen aus dem Traumbuch erkennbar, sowie teilweise in der Weisheitsliteratur, wie dies einzelne Passagen in den „Lehren des Ani“ deutlich machen, in denen dieses Konzept auf sprachlicher Ebene als nTr=f / nTr=k „sein/dein Gott“ zum Ausdruck gebracht wird. 549 Dasselbe Phänomen findet sich in P.Anastasi II, 9.2–10.1 550 oder in O.DeM 548 549

S. dazu Kapitel 5.3.2 und Katalog 2.2 (B.20.1-B.20.20). Es sei stellvertretend auf folgende Passagen verwiesen: P.Boulaq 4 (P.Kairo 58042), 16.3–9 (QUACK 1994: 90–91), P.Boulaq 4 (P.Kairo 58042), 20.12–17 (QUACK 1994: 108–109). NTr=f ist als Ausdruck

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1638, Z. 8 (FISCHER-ELFERT 1986: 72 g), deren Phraseologie derjenigen des Textes des Samut-Kiki sehr ähnlich ist. In den Gebeten auf den Votivstelen wird der jeweilige Gott als Beschützer des Menschen aufgefasst, wenngleich sie ein solch exklusives Verhältnis nicht unmittelbar ausdrücken. Penbuis Präferenz für Taweret als Schutzgottheit ist z. B. aus der Aufstellung zweier ihr geweihten Stelen zu erschliessen sowie der Wahl des Namens seiner Tochter Jjt-neferti. 551 Dies ist jedoch aufgrund von Tawerets Rolle als Göttin der Fruchtbarkeit zu verstehen, da Penbui sie auf der Stele Glasgow (Kat. G.19.13) um Kinder bittet. Penbui selber sind aber weitere Denkmäler zuzuschreiben, die auf seine Religionspraxis in Deir el-Medina hinweisen (BLUMENTHAL 2001: 23–34) und die nicht Taweret gewidmet sind. Sie tragen zwar keine aussergewöhnliche Texte, bestätigen aber die religiöse Hinwendung auch an andere Gottheiten. 552 Abgesehen von wenigen Fällen, wie den soeben erwähnten Stelen des Penbui, ermöglichen nur wenige Zeugnisse der praktisch gesuchten Gottesnähe einen Einblick in die individuellen Hintergründe der Entscheidung für eine bestimmte persönliche Gottheit; 553 der Bezug ist meist vielmehr logistisch und funktional zu erklären. Stelen und Votivgaben jeglicher Art wurden in der Mehrheit der Fälle in das Heiligtum der Gottheit, die das Objekt der Anbetung war, aufgestellt. Der Grund liegt einerseits in der jeweiligen Rolle, die die Gottheit nach altägyptischen Vorstellungen ausfüllte und andererseits in ihrer geographischen Verortung. So belegen die Bitten um kultische Handlungen in den Briefen die Zuständigkeit der eigenen lokalen Gottheit (des Stadtgottes), der man sich konzeptuell zugehörig fühlte. So heisst es auch in der thebanischen Grabstele des Antef aus TT 164 (Stele Chicago OIM 14053), die in die Zeit Thutmosis' III. datiert (ASSMANN 1979: 22, DERS. 1999: 185, Nr. 75), in Bezug auf Amun-Re: jt mw.t n rdj sw m jb=f mkH wnj njw.t=f

Der Vater und Mutter für denjenigen ist, der ihn in sein Herz gibt, sich aber von demjenigen, der an seiner Stadt achtlos vorübergeht, abkehrt.

Jan ASSMANNs Konzept der sog. Gottesbeherzigung (1996a: 259-260, DERS. 1997: insbes. 18-21), das die Loyalität eines Individuums einem Gott gegenüber besonders hervorhebt, wie es diese Passage veranschaulicht, ist auf einer intellektuellen Ebene zu ver-

550 551 552 553

zur Bezeichnung des persönlichen Gottes schon im Alten Reich belegt. Dies ist beispielsweise durch eine Inschrift aus dem Steinbruch bei der Qubbet el-Hawa zu bezeugen. S. dazu EDEL 1955, EICHLER 1993: 202 und Bommas 2011 (i. Dr.) mit einer neuen Übersetzung davon. Zukünftige Untersuchungen zum persönlichen Gott und zur Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten vor der Ersten Zwischenzeit müssen auf Zeugnissen dieser Art basieren. Da diese und ähnliche Inschriften den Rahmen der vorliegenden Studie überschreiten, sei hier nur in Fussnote darauf verwiesen. S. Kapitel 5.3.3 c). S. dazu den Kommentar zu Kat. G.19.13 (Taf. 10). Dies ist insbesondere durch die zwei Stelen BM 1466 (Kat. G.19.7, Taf. 8) und BM 65355 (HTES 10, Taf. 72) zu belegen, die Ptah gewidmet sind. Zum persönlichen Gott s. auch VERNUS 1977.

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stehen und hat auf die praktische Ausübung wenig Einfluss. 554 Auf der Vorderseite der Stele BM 589, Z. 5 (Kat. G.19.6) behauptet Neferabu ein „Gerechter“ zu sein, der Amun in sein Herz gegeben hat. Dennoch gibt er auf der Rückseite derselben Stele zu, eine Fehltat (Meineid) Ptah gegenüber begangen zu haben. Das Beispiel Neferabus, aber auch die Hinweise im Traumbuch oder in medizinisch-magischen Quellen zeigen, dass trotz der Erkenntnis der Existenz einer persönlichen Gottheit, praktische Kulthandlungen auch zugunsten anderer Götter notwendig waren. Jan ASSMANNs Gottesbeherzigung, die auf dem ägyptischen Konstrukt dj + GN + m jb=f / =j basiert, beschreibt die Wahrnehmung des Göttlichen auf einer persönlichen Ebene, was in der abendländischen christlich-lutheranischen Kultur gerne mit „Frömmigkeit/Pietät“ umschrieben wird. Es handelt sich hierbei also um eine intellektuelle Verarbeitung, die aus einem soziologischen Blickwinkel betrachtet nur einem elitären Bevölkerungskreis bewusst bzw. bekannt sein konnte. In kulturwissenschaftlicher Hinsicht aber darf dies als die theoretische Voraussetzung für jegliche praktische Kulthandlung gelten, selbst wenn sich diejenige Bevölkerungsschicht, die solche Praktiken ausübte, darüber nicht bewusst war. Auf der Ebene der Religionsausübung war die lokale Bindung an eine Gottheit sowie die funktionale Rolle zentral. Nicht nur für das „Schöne Fest vom Wüstental“ ist die Teilnahme einer breiten Öffentlichkeit belegt. Auch auf den sog. Salakhana-Stelen (DUQUESNE 2000–2009b) ist im Bildprogramm die Religionspraxis durch die Partizipation an Prozessionen für Upuaut belegt. Durch die Teilnahme an solchen Festivitäten erfuhr das einzelne Individuum ein soziales, kulturelles und religiöses Gemeinschaftserlebnis, das es an den Ort und dessen Gottheit band, wodurch sich ein verbindliches Zugehörigkeitsgefühl entwickelte. Soziologisch betrachtet stellte diese Teilnahme eine unterschiedliche Bedeutung dar: Die intellektuelle Elite war sich des theologisch-religiösen Hintergrundes wahrscheinlich bewusst, wie dies auch heutzutage für die Beteiligung an religiösen Prozessionen gilt. An solchen Feierlichkeiten, die ein wichtiger Bestandteil des religiösen Lebens bestimmter Religionen bzw. Konfessionen (wie z. B. des Katholizismus) darstellen, nehmen Privatpersonen aus allen sozialen Schichten teil und erleben somit eine religiös konnotierte Erfahrung auf gemeinschaftlicher Ebene. In Ägypten trafen sich bei der Ausübung der Religionspraxis alle Gesellschaftsschichten, denen wahrscheinlich die Überzeugung gemeinsam war, dass göttliche Mächte einen Einfluss auf das persönliche Leben hatten. Die sozialen Schichten bedienten sich jedoch unterschiedlicher Mittel, um mit der Gottheit zu kommunizieren: Dass den unteren Gesellschaftsschichten bestenfalls die Darbringung von Opfergaben möglich war, bedeutet allerdings nicht dass ihre Teilnahme an der Religion im Vergleich mit derjenigen der Elite, die sich Schriftdenkmäler leisten konnte, qualitativ minderwertig war. Der grosse Unterschied lag vielmehr in der Zugangsmöglichkeit zu theologisch-kulturellen Konzepten. Ob die Religion des alten Ägyptens vom nicht-königlichen Individuum als monotheistisch oder polytheistisch wahrgenommen und erlebt wurde, bleibt eine der wichtigsten ungeklärten Fragen der ägyptologischen religionswissenschaftlichen Forschung. Die Betenden wählten und verehrten unterschiedliche Gottheiten als persönliche Schutzgottheiten (NASHEF 1974, VERNUS 1977). Das theologische Verhältnis eines ein554

Diese Form der Loyalität liesse sich zum ersten Mal in der Amarnazeit Echnaton gegenüber nachweisen (ASSMANN 1980) und würde das Vorbild der Loyalitätsform einer Gottheit gegenüber wie sie sich in der Ramessidenzeit entwickelte darstellen. S. dazu OCKINGA 1983.

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zigen Schöpfer- und Weltgottes zu den zahlreichen anderen, das vor allem in der Ramessidenzeit zum Fokus des Nachdenkens über das Göttliche wurde, war Teil einer elitären Auseinandersetzung mit diesem Thema und ist als Botschaft der hohen Theologie Ägyptens, die ihren „Sitz im Leben“ in den intellektuellen Schichten des Volkes hatte (PINCH 2004: 105ff.), zu betrachten. Die grossen literarischen Hymnen des Neuen Reiches auf Amun-Re, die nach dem Vorbild des Kairener Amun-Re-Hymnus (P.Boulaq 17) entstanden sind, hatten die Absicht, dem Wissen über Gott literarisch in hymnischer Form Ausdruck zu verleihen (ASSMANN 1996b: 321). Die Idee einer polymorphen Gestaltung des Lebens durch das Mitwirken verschiedener göttlicher Wesen war ausschlaggebend z. B. für magisch-medizinische Heilpraktiken des Alltags sowie für den Kult von Gottheiten an festgelegten Festtagen und in festgesetzten Ortschaften (SADEK 1989). Die Wahl einer einzigen Gottheit zum persönlichen Beschützer, wie dies fast ausschliesslich Samut-Kikis Grabinschrift in Ausführlichkeit belegt, ist als Ausdruck einer intellektuellen Suche nach Gottesnähe zu verstehen und darf nicht überbewertet werden. Eine andere Meinung hierzu vertritt Andrea M. GNIRS (2003), die die religiöse Botschaft dieser Inschrift als paradigmatisch für die individuelle Einstellung zur Religion im Neuen Reich betrachten möchte. Vor dem Hintergrund der Biographie des Samut-Kiki, die nach GNIRS’ neue Interpretation (2003: 179ff.) auf seine Errettung von drohenden physischen Notzuständen (Krankheiten) durch Mut hindeutet, sieht GNIRS in der zunehmenden Todesangst sowie in der Sorge um die Vergänglichkeit des eigenen Körpers in der Ramessidenzeit einen grundlegenden Einfluss auf die Persönliche Frömmigkeit. Letztere stelle somit eine „Alternative zur offiziellen medizinischen und theologischen Lehrmeinung“ dar, die GNIRS als „religiösen Fundamentalismus“ bezeichnet (2003: 179). Diese von der modernen Anthropologie geprägte These trägt jedoch m. E. dem ursprünglich religiösen Charakter des Phänomens der Persönlichen Frömmigkeit nicht Rechnung. Vielmehr vermeidet sie eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob dieser religiöse Charakter ein kulturelles Phänomen darstellt, das als Resultat einer komplexen Entwicklung zu verstehen ist. Darüber hinaus kann Andrea GNIRS' Vermutung, die somit im Umfeld magischer Rituale zu sehen ist, mit denen die Persönliche Frömmigkeit dann in Konkurrenz stünde, in der Literatur des magischen Diskurses nicht verortet werden: In der Magie geht die Anrufung an eine helfende Gottheit stets mit einer rituell erwirkten Statusveränderung des Aktanten einher, die in den Zeugnissen der Persönlichen Frömmigkeit nicht nachweisbar ist. Wenngleich die Relevanz der von Andrea M. GNIRS zu Recht hervorgehobenen Bedeutung der Sorgen um Krankheiten und Tod anhand der alltäglichen Beleglage (s. z. B. KARL 2000) kaum zu bezweifeln ist, bleibt Samut-Kikis Inschrift ein unicum 555 und reicht nicht aus, um die Persönliche Frömmigkeit als fundamentalistische Strömung 556 zu deuten.

555

556

Die gleiche Phrase ist nur in O.DeM 1638 (FISCHER-ELFERT 1986: 72) sowie in P.Anastasi II, 9.2– 10.1 (Kapitel 5.3.3 c) belegt, was dafür spricht, dass es sich um eine Thematik handelte, die in der Schule eine besondere Aktualität hatte, in anderen Zeugnissen der persönlichen Religionspraxis jedoch kaum Anwendung fand. Der Begriff des „Fundamentalismus“ deutet auf eine streng konservative Richtung hin, deren Kennzeichen die „Fundamente“ einer Tradition sowie das Bestehen auf einem absolut geltenden Standpunkt mit militanter Ausprägung sind. Derartige Elemente sind jedoch in den altägyptischen Belegen nicht fassbar.

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Die Vielfalt an heiligen Orten und Bildern sowie die Bitten der Briefabsender, mehreren Göttern gleichzeitig zu opfern, sind als Hinweise auf die gezielte Anbetung mehrerer göttlicher Wesen zu verstehen und reflektieren somit die praktische Form dieser Suche. Dort, wo er belegt ist, kennzeichnete sich der persönliche Gott als eine Instanz, die zwar Teil des ganzen ägyptischen Pantheons war, für das einzelne Individuum jedoch eine privilegierte Stellung einnahm. Bei der Wahl einer bestimmten Gottheit, die sprachlich durch das Anfügen des Possessivpronomens an das Wort nTr ausgedrückt wird, 557 wurden die Götter, die im unmittelbaren kulturellen und sozialen Umfeld des Beters Verehrung fanden, nicht negiert. 558 Diese Wahl bedeutete keinen Ausschluss von anderen Gottheiten, sondern vielmehr das Zugeständnis einer privilegierten Stellung einer bestimmten Gottheit im eigenen Leben. In erster Linie wurden Lokal- und Berufsgottheiten als persönliche Gottheiten gewählt, da die räumliche Nähe zu ihnen sowohl in intellektueller als auch in praktischer Hinsicht am meisten ausgeprägt war. So werden z. B. in den Schulgebeten, die das Thema „Heimweh“ überliefern (GUKSCH 1994b; BOMMAS 2003b), 559 diejenigen Gottheiten angerufen, die als Lokalgottheiten der ersehnten Heimatstadt galten. Da dies ein typisches Thema der Schulgebete, die aus Theben und Memphis stammen, war, handelte es sich dabei stets um Ptah in Bezug auf Memphis und um Amun in Bezug auf Theben. Diejenigen Zeugnisse, die eine Auseinandersetzung mit dem persönlichen Gott auf intellektueller Ebene dokumentieren (Autobiographien, Schulgebete) zeigen interessanterweise, dass dieser Gott die Züge eines (persönlichen) Schöpfers annahm (P.Anastasi III, 4.12–5.5 560, Kat. G.18.9: Text D, Kat. G.18.18 usw.). Somit wird die persönliche funktional oder lokal bedingte Nähe zu Gott durch den universalen Aspekt des Gottes in seiner Rolle als Schöpfer ergänzt. Die lokale Komponente weist innerhalb der elitären Ebene schon in den frühen Belegen auf einen persönlichen Kontakt zur Gottheit hin. In den Autobiographien der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches (Kat. A.9/10.?1–A.1Zw.?3; A.11.3; A.12.2)561 behauptet der jeweilige Gaufürst, von der Lokalgottheit aufgrund der eigenen Qualitäten in eine Machtposition gesetzt worden zu sein oder von ihr geleitet zu werden. In der Ersten Zwischenzeit kristallisierten sich die spezifische Rolle und die Bedeutung der Gaufürsten heraus; ein direkter Bezug ist in erster Linie lediglich mit der jeweiligen Lokalgottheit zu erkennen. Diese direkte persönliche Beziehung wird zu einem der Gründe, die den Totenkult rechtfertigen. Über die Religionspraxis erfahren wir aus dieser Zeit anhand dieser Denkmäler noch nichts. Dennoch zeugen die Osirisfeierlichkeiten in Abydos von der Teilnahme einer breiten Bevölkerung. Gebetstexte aus dem Mittleren Reich (Kat. G.12.2–G.12/13?.4) sowie einzelne Hinweise in der Literatur sprechen dafür, dass das Beten zu einer Gottheit durchaus bereits praktiziert wurde (LUISELLI 2007b: insbes. 166–174). In welchem Rahmen und durch welche Mittel dies geschah ist jedoch aufgrund der spärlichen Beleglage nicht rekonstruierbar. 557

558 559 560 561

Dies ist im interkulturellen Vergleich auch in Mesopotamien belegt, wo das Konzept des persönlichen Gottes grammatikalisch parallel konstruiert ist (EDZARD 1993: 203). Zum Konzept des persönlichen Gottes in der vorderorientalischen Kultur s. VORLÄNDER 1975. Dies entspräche dem Modell des sog. „exklusiven Monotheismus“ (ASSMANN 2006: 24). S. dazu P.Anastasi IV, 4.11–5.5, Kapitel 5.3.3 f). Kapitel 5.3.3 e). S. Kapitel 5.4.

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Im Neuen Reich nehmen die Zeugnisse für die praktische Suche nach Gottesnähe deutlich zu und weisen auf die Intervention seitens der offiziellen Institutionen hin, die dieses Bestreben förderten. Überall in Ägypten sind Installationen nachweisbar (SADEK 1987), die die Ausübung der Religionspraxis durch visuell erfahrbare Träger allen Bevölkerungsschichten ermöglichten. 562 Soziale, lokale, funktionale und chronologische Komponenten spielten in komplexen Wechselwirkungen eine zentrale Rolle in der Ausgestaltung sowohl der intellektuellen als auch der praktischen Suche nach Gottesnähe. Während beide Formen chronologisch von den allgemeinen historischen Entwicklungslinien abhängig sind, betreffen die anderen Ebenen beide Formen der Suche nach Gottesnähe auf unterschiedlicher Art und Weise. Dies sei in der folgenden Tabelle veranschaulicht: Tabelle 16

intellektuelle Suche nach Gottesnähe

soziale Komp.

lokale Komp.

ja: Elite

ja/nein

ja praktische Su- ja: Elite, Mittelche nach schicht und Gottesnähe Grundschicht

funktionale Komp. nein

chronologische Komp. ja

ja

ja

Abschliessend sei hier auf die Kriterien zur Wahl eines persönlichen Gottes verwiesen, die schon Julia BUDKA (2001: 61f.) anhand der von ihr untersuchten Architekturfragmente von Türgewänden festhalten konnte und auf die schon in Kapitel 5.3.1 eingegangen wurde. Der Zuständigkeitsbereich (Beruf oder andere Funktion) der Gottheit, ihre Bindung an eine bestimmte Ortschaft und ihr Bezug zur Dynastie oder zum Staat spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Herausarbeitung eines universellen, transzendenten und monotheistischen Gottes konnte BUDKA nicht feststellen. 6.2.2

Die historische Entwicklung der intellektuellen und der praktischen Suche nach Gottesnähe

Anhand der Belege für die soeben vorgestellten Züge der intellektuellen und der praktischen Suche nach Gottesnähe besteht die Möglichkeit, eine historische Entwicklung nachzuzeichnen. Hinweise auf die intellektuell organisierte Gottesnähe sind bereits aus der Zeit vor dem Neuen Reich belegt, wie dies insbes. Äusserungen in den Autobiographien (Kat. A.9/10.?1 – A.13.1) und den literarischen Werken (LUISELLI 2007b) zeigen. In beiden Gattungen wurde der Ansicht Ausdruck verliehen, dass das menschliche Leben vom Eingriff einer Gottheit abhängig war: Erfolg und Misserfolg hingen von ihrem Willen ab. Dennoch konnte das gerechte, an der Maat orientierte Verhalten des Men562

S. dazu auch Kapitel 3.1.4.

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schen diesen Willen beeinflussen. In den Zeugnissen aus dem Mittleren Reich sind noch keine Anzeichen für die Wahl einer bestimmten Gottheit zum eigenen Beschützer zu erkennen. Die einzige bekannte Ausnahme stellen die drei von John BAINES (2009) untersuchten Stelen des Ameniseneb aus der 13. Dynastie dar, die zweifellos Upuaut als den persönlichen Gott des Ameniseneb präsentieren. 563 Es fällt auf, dass in den Autobiographien der Mensch, der sich durch seinen besonderen Charakter auszeichnet, von der Gottheit selbst erwählt wurde. Das privilegierte Verhältnis zwischen Gott und Mensch, über das die Autobiographien Auskunft geben, basierte zum einen auf dem bekleideten Amt des Individuums, zum anderen war es lokal bedingt. Eine Auseinandersetzung mit dem Konzept des persönlichen Gottes wie sie vor allem die Inschrift des Samut-Kiki (Kat. A.19.1) belegt, fand in den Autobiographien dieser Zeit noch keine Verschriftlichung. Einzig in der Literatur erscheinen aufgrund ihres spezifischen literarischen Dekorums (PARKINSON 1999) erste diesbezügliche Ausformulierungen, obwohl die Auseinandersetzung mit dem Konzept eines persönlichen Gottes erst ab der 18. Dynastie mit der Lehre für Merikare fassbar wird. Auch Zeugnisse für die praktische Suche nach Gottesnähe sind aus der Zeit vor dem Neuen Reich belegt und lassen sich insbesondere im Festgeschehen von Abydos verorten (Kat. G.12.2–G.12/13?.4). 564 In diesem Rahmen erlebte der Einzelne die von ihm gesuchte Gottesnähe in der Gemeinschaft. Belege dafür sind die zahlreichen Stelen und Privatdenkmäler, die in Abydos zu diesem Anlass aufgestellt wurden und die, wie Detlef FRANKE (2003) feststellen konnte, fast nie von Priestern gestiftet wurden. In diesem Zusammenhang verdient die Stele Bologna EG 1911 (Kat. G.12/13?.4, Taf. 1) besondere Aufmerksamkeit. Deren bildliche Darstellung 565 und Inschrift können als Frühform (13. Dynastie) der Stelen des Neuen Reiches betrachtet werden, zum einen da sich der Stelenstifter in dwA-Gestik vor der Statue des Min darstellen liess, und zum anderen, weil der angebrachte Ritualvermerk und die Darstellung eines in die Kapelle des Min zugelassenen wab-Priesters auf den kultischen Hintergrund dieser Stele hindeuten. Darüber hinaus zeigt die Bitte um Verklärungen die Notwendigkeit der Teilnahme an diesen Feierlichkeiten für die Versorgung im Jenseits, was sich auch in Bezug auf die privaten Statuen, die in den Tempeln des Mittleren Reiches aufgestellt wurden, erfassen lässt (VERBOVSEK 2005: 179). Die im Diesseits praktisch gesuchte Gottesnähe war im Mittleren Reich jenseitsorientiert. Eine Zäsur im Neuen Reich kann erst in der Nachamarnazeit festgestellt werden. Die Belege vor dieser Zeit zeugen von einem Fortbestehen der älteren Vorstellung: Die Erfahrung der Gottesnähe zu Lebzeiten, die unter denselben Voraussetzungen erfolgte, die für die frühere Zeit festgestellt wurden, bedeutete auch die Errettung im Jenseits. In der Amarnazeit entwickelte sich das Konzept des „persönlichen Schöpfers“ (Kat. A.18.4 und Ar.18.8), auf dem möglicherweise auch das ramessidische Bild des persönlichen Gottes basierte. Der Bezug zum Gott wurde in der Nachamarnazeit enger und erfuhr eine komplexe Ausformulierung, die in der Weisheitsliteratur des Neuen Reiches ihr Pendant fand (LUISELLI 2007b: 160–164). Parallel dazu vervielfältigten sich auch die Belege der praktischen Suche nach Gottesnähe: Votivgaben, Votivstelen, Grab- und Tem563 564 565

S. Kapitel 3.1.1. S. auch Kapitel 3.1.3. S. den Kommentar dazu im Katalogteil.

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pelstatuen, Inschriften auf Architekturfragmenten, Graffiti, Briefe, medizinischmagische Papyri und indirekte Hinweise aus alltäglichen Dokumenten verorteten diese Suche im Rahmen von rituellen Kulthandlungen. 566 Der gemeinschaftliche Charakter dieser Religionspraxis kann im Falle der Votivstelen aus Deir el-Medina angenommen werden, die auf die Existenz von Ritualen für persönliche Anliegen hindeuten könnten. Die Fokussierung auf die Versorgung im Jenseits bleibt in den Schriftzeugnissen, die aus einem Heiligtum oder einem Grab stammen, weiterhin fassbar. Der Inhalt dieser Inschriften zeigt jedoch die Gewichtung, die den diesseitigen Handlungen im Sinne ihrer Auswirkung im Jenseits gegeben wurde (z. B. die sog. Sündenbekenntnisse: Kat. G.19.5–6, G.19.17). Die Diesseitsorientierung der praktischen Suche nach Gottesnähe ist auch anhand derjenigen Zeugnisse zu fassen, die nicht aus einem religiösen Kontext stammen (vor allem Briefe) und die nicht vom Dekorum des religiös-kultischen Kontextes abhängig waren. Die diesseitige oder jenseitige Orientierung der praktischen Suche nach Gottesnähe stand in einem engen Zusammenhang mit dem Entstehungs- bzw. Anbringungskontext des jeweiligen Textes.

6.3

Normierte und spontane Suche nach Gottesnähe

Die Suche nach Gottesnähe bedeutete den Versuch einer Kontaktaufnahme mit einer Gottheit. Diese wird in den Gebetstexten oft durch die an die verehrte Gottheit gerichtete Bitte „komm zu mir!“ sowie durch die Bitte, die Gottheit möge die eigenen Bitten erhören zum Ausdruck gebracht. Es besteht sozusagen eine Dialektik zwischen dem Rufen des Menschen und dem Hören des Gottes. 567 Unter diesem Aspekt teilt die altägyptische Realität eine dem Vorderorient gemeinsame Vorstellung über Gottesferne und Gottesnähe (JANOWSKI 2006: 53). Ferner verweist der sehr oft zum Ausdruck gebrachte Wunsch, die Gottheit zu schauen auf die zentrale Bedeutung der visuellen Erfahrung des Göttlichen für den Menschen. Die Suche nach Gottesnähe erfolgte aber auch durch den Vollzug von Kulthandlungen an bestimmten Orten und vor bestimmten Götterbildern. 568 Nicht nur beschriftete Denkmäler sondern auch zahlreiche Votivgaben bezeugen von diesen rituellen Praktiken (PINCH 1993, PINCH/WARAKSA 2009). Dabei wurden der Gottheit Gebete (snmH, spr.t nH.t) vorgetragen, die wahrscheinlich von Opferdarbringungen begleitet waren. 569 Dank ihrer Zusammensetzung aus Text und Bild können Votivstelen als Zeugnisse solcher Gebetsäusserungen gelten und umschreiben den kultischen Rahmen für die an eine Gottheit gerichteten Bitten. Dieser Rahmen ist indirekt auch in den spätramessidischen Briefen gegeben, in denen die Rede von der Aufstellung eines beschrifteten Denkmals vor einem spezifischen Götterbild bei seiner Erscheinung ist (z. B. Kat. G.20.5, vso. Z. 3), oder von Wasserspenden, die zugunsten des Briefabsenders vollzogen werden. Die Grussformel des Briefformulars, das in Kapi566 567

568 569

S. insbes. Kapitel 5.2. Diese Dialektik findet in den auf Votivstelen meistens hinter der angebeteten Gottheit angebildeten Ohren ihre bildliche Wiedergabe. S. dazu GUGLIELMI 1991a und zuletzt PINCH/WARAKSA 2009. Auf die unterschiedliche und in der vorliegenden Arbeit nicht gefolgte Deutung der Ohren durch Enka Elvira MORGAN (2004) wurde schon in Kapitel 3.1.3 eingegangen. S. Kapitel 3.1.4. S. Kapitel 3.1.1.

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tel 5.3.2 ausführlich untersucht wurde, enthält erst ab der Amarnazeit den Hinweis auf ein Sprechen (Dd) zu einer oder mehreren Gottheiten, die wie die Formel selber hervorhebt dem Absender zugänglich waren. Die Verwendung des Verbs für „sprechen“ anstatt desjenigen für „beten“ könnte als Beweis für die Existenz eines freien Gebetes verstanden werden, das unabhängig von den Kultpraktiken stattfand. Einige Briefe und Auszüge aus Literaturwerken geben gelegentlich Auskunft über den möglichen Zeitpunkt für die Rezitation von Gebeten: Tabelle 17 1 2 3 4 5

Text B.20.8 (P.BM 10284), Grussformel Z. 3 B.20.11 (P.Turin 1971) B.20.12 (P.Phillipps) B.20.17 (P.Bibliothèque Nationale 199,5– 9+196,V+198, IV) P.BM 10474, 10.10–10.15 (Kapitel 7) (Amenemope) 570

Gebetszeit Sonnenaufgang und -untergang Sonnenaufgang und -untergang Sonnenaufgang und -untergang Sonnenaufgang und -untergang Sonnenaufgang

Die Textstellen 1–4, die nur in der Grussformel der Briefe vorkommen, sind ausschliesslich in Verbindung mit Re-Harachte zu sehen, selbst wenn in derselben Grussformel mehrere Gottheiten erwähnt werden. Jenseits des Formelhaften kann somit vermutet werden, dass eine Form der Anbetung der Sonne, die hier mit dem Verb Dd „sprechen“ ausgedrückt wird, tatsächlich bei deren Auf- und Untergang stattfand (SWEENEY 1985: 215). In der im Folgenden zitierten Stelle aus der Lehre des Amenemope 571 ist die betende Hinwendung an den Sonnengott beim Sonnenaufgang erwähnt, wobei auch die Worte wiedergegeben werden, die dabei gesprochen werden mussten: j.jr=k smAa n pA Jtn jw=f wbn

Bete die Sonne an, wenn sie aufgeht,

Dd jm n=j wDA snd

und sage: ‚Gib mir Heil und Gesundheit!’.

Morgen- und Abendgebete sind somit in einen solaren Kontext eingebettet. Belege auf Votivstelen lassen darauf schliessen, dass Gebetsäusserungen gegenüber anderen Gottheiten wohl an Kultpraktiken gekoppelt gewesen waren. Das Verhalten beim Beten vor dem Götterbild ist in einer Passage aus den Lehren des Ani 572 beschrieben: m-jrj jrj.t-xrw (17.2) (m) xnw n nTr bw.t=f pw sbH

570 571 572

Mach keinen Lärm (17.2) im Ruheplatz Gottes. Sein Abscheu ist Schreien.

GRUMACH 1972: insbes. 64–69. S. Nr. 5 in Tabelle 17. P.Boulaq 4, 17.2–3: QUACK 1994: 94–95.

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snmH n=k m jb mrj

Bete für dich mit einem liebenden Herzen,

jw md.t=f nb jmn

dessen Worte alle verborgen sind.

jrj=f xr.t=k

Er wird für dich sorgen,

sDm=f j.Dd=k

er wird hören, was du gesagt hast,

Ssp=f wdn.t=k

er wird dein Opfer annehmen.

In Kat. B.20.11 wird die Grussfomel, in der wie üblich die Hinwendung an verschiedene Gottheiten zugunsten des Briefempfängers geäussert wird, durch die ungewöhnliche Erwähnung des Ortes, an dem diese betende Hinwendung stattfand, ergänzt: „Ich spreche täglich (...) (zu) Amenophis I., L.H.G., (und zu) Amun des Schönen Treffens, indem ich in seinem offenen Hof (wbA) stehe, jeden Tag, ohne müde zu sein, betend (smAa) auf ihre Namen, dass sie dir viel Gunst (...) geben.“ Der freie und nicht von der Norm des Dekorums bestimmte Inhalt der persönlichen Gebete ist ebenfalls schwer zu erfassen. Briefe bestätigen, dass tatsächlich um Gesundheit und Leben gebeten wurde, so wie es die oben zitierte Stelle aus der Lehre des Amenemope belegt. Kat. B.20.3 stellt darüber hinaus einen der wichtigen Belege für die Bitte um Heilung von einer Krankheit dar: „(...) Und du sollst Wasser zu Amun-der-Throne-der-Beiden-Länder bringen und ihm sagen, dass er (mich) retten soll! (...) Und du sollst Amun bitten, die Krankheit (Amr), die in mir ist, zu beseitigen!“ Votivstelen zeugen zwar gelegentlich von schwierigen Lebensumständen, 573 im Detail werden diese jedoch nicht beschrieben. Votivgaben, die in Heiligtümern entdeckt wurden, verweisen hingegen unmittelbar auf den thematischen Kontext, der durch ihre Darbringung der Gottheit übermittelt wurde. Schwierige Lebenssituationen, die in physischen oder seelischen Notzuständen wurzelten, sind in Briefen, Dokumenten der Heilkunde und Gebeten aus dem nicht-kultischen Kontext durchaus belegt, werden aber auf Votivstelen, die als Zeugnisse der Persönlichen Frömmigkeit par excellence gelten, nicht offen ausgesprochen. Gemeinsamer Nenner aller Texte ist die Überzeugung, dass eine ständige Verbindung, die zwischen Diesseits und Jenseits herrschte und in der jeder Mensch seinen Platz finden musste: Die Taten zu Lebzeiten hatten Einfluss auf das Leben in der Nachwelt. Ein persönlicher Schutzgott (GUGLIELMI 1984) im Diesseits würde auch im Jenseits Schutz bieten. Dies belegen Autobiographien (Samut-Kiki: Kat. A.19.1) aber auch Gebete (z. B. Kat. G.18.18: Holztafel BM 5646, P.Sallier I, 8.2–7 574) und geben dabei die intellektuelle Verarbeitung wieder, die der Mensch-Gott-Beziehung 573 574

S. dazu die Übersichtstabellen Nr. 10, 11, 12 und 14 in Kapiteln 5.1.1 und 5.1.2. S. Kapitel 5.3.3 j).

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gegeben wurde. Die Religionspraxis basierte auf Kulthandlungen, die zu Lebzeiten ausgeführt wurden und die vermutlich im Hinblick auf alltägliche, individuelle Belange vollzogen wurden. Wie dies auch für viele andere Bereiche der altägyptischen Kultur gilt, folgten die schriftlichen Zeugnisse einer überlieferten Tradition und somit festgelegten Konventionen. Was sich die Menschen von der Suche nach Gottesnähe persönlich erhofften, was sie vielleicht jenseits der zumindest ansatzweise fassbaren Kulthandlungen dafür taten und welche Vorstellungen sie dabei leiteten, sind jedoch Fragen, die wahrscheinlich offenbleiben müssen.

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Teil B Katalog

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Erläuterungen zum Katalog Im Katalog zur vorliegenden Arbeit folgt die Wiedergabe der ausgewählten Textauszüge der Zeileneinteilung der ägyptischen Originaldokumente. Dies hat zur Absicht, möglichst nahe am Originalen zu bleiben. Es wurde also absichtlich keine metrische Übersetzung geliefert. Falls rote Verspunkte im Original vorhanden sind, folgt die Einteilung des Textes diesem Kriterium. Zum leichteren Verständnis sei hier schematisch der Schlüssel erklärt, der zur Katalogisierung der einzelnen vorgestellten Zeugnisse gewählt wurde. Dieser setzt sich aus drei Sektionen zusammen. Die erste Sektion besteht aus einem oder zwei Buchstaben, die die Textkategorie definieren: A: B: G: Ar:

Autobiographie Brief Gebet Architekturfragment

Daran schliesst eine zweite Sektion an, die die Datierung des Zeugnisses wiedergibt: 11: 11. Dynastie 12: 12. Dynastie usw. Die dritte Sektion besteht aus einer Ziffer, die die Reihenfolge der vorgestellten Texte veranschaulicht: Beispiel G.19.36:

Gebet, 19. Dynastie, 36. Textbeispiel (der Gebete aus der 19. Dynastie)

Jeder Textauszug wird durch die Angabe bestimmter Daten eingeleitet, die auf dessen Verortung im Rahmen der einzelnen Fragestellungen dieser Studie abzielen und von der Kategorie des analysierten Dokumentes abhängig sind: a) b) c) d) e) f) g)

Die im Textauszug erwähnte Gottheit Die genaue Datierung des Dokumentes Die geographische Herkunft mit Angabe des Funkontextes, wenn bekannt. Der Stifter bzw. Inhaber des Denkmals Die Titel des Stifters bzw. Inhabers Dessen Geschlecht Literaturangaben.

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1

Autobiographien

1.1

Autobiographien der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren

A.9/10.?1:

Grabinschrift des Anchtify (Grabpfeiler; Inschrift 2, 1&2)

Erwähnte Gottheit(en): Horus Datierung: Herakleopolitenzeit, 9. oder 10. Dynastie, Regierungszeit des Neferkare 1 Herkunft: Mo’alla; Grab des Anchtify, Grabpfeiler (Inschrift 2, 1&2); UE 3 Inhaber: Anchtify Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smr-wa.tj, Xr.j-Hb, jm.j-rA mSa, Hr.j-tp aA spA.t-s.t-¡r “Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorlesepriester, Vorsteher des Militärs, Grosses Oberhaupt des Horusthrongaues (Nomarch von Edfu und Hierakonpolis)“ Geschlecht: männlich Literatur: VANDIER 1950: 163ff., SCHENKEL 1965: 45–57 (Nr. 37), FECHT 1968, LICHTHEIM 1973: 24–25, SPANIEL 1984: 87–90. Text jw jn.n wj ¡r r spA.t-s.t-¡r n anx wDA snb r grg=s jrj.n(=j) (s.t)(a) xr wn ¡r Hr mrw.t grg sj Hr jnj=f w(j) r=s r grg=s Horus führte mich in den Horusthrongau, um Leben, Heil und Gesundheit, um ihn neu zu ordnen. Ich tat es auf den Wunsch des Horus hin, nämlich ihn (den Gau) neu zu ordnen, als er mich dorthin schickte, um ihn wieder zu ordnen. Kommentar Die Inschrift des Anchtify ist der älteste Beleg für die Hinwendung der Gaufürsten der Ersten Zwischenzeit an eine Gottheit, die deren Handeln – und somit deren Leben – lenkt. S. dazu insbes. BLUMENTHAL 1998: 218ff. Die Anspielung darauf, dass Horus die Handlungen von Anchtify leitet, beschränkt sich jedoch auf den Anfang der Inschrift und rechtfertigt die Taten des Gaufürsten für den Horusthrongau, die im Rest der Inschrift beschrieben werden. Zur Deutung von Horus als Gott von Edfu und nicht als König s. FECHT 1968: 53–54, der die Verbindung zwischen dem Gau- und dem Gottesnamen herstellt sowie die Machtlosigkeit zeitgleicher Könige in Angelegenheiten des äussersten Südens beschreibt. jrj.n( .n(=j) =j) (s.t) (s.t): S. dazu den Kommentar in FECHT 1968: 51, der gegen Wolf(a) r grg=s jrj gang SCHENKELs Deutung von rn als rn=j „mein Ruf“ argumentiert. Für diesen Satz schlägt Gerhard FECHT drei unterschiedliche Lesemöglichkeiten vor: 1) r grg=s (Infinitiv + Suffixpron. als direktes Objekt); 2) r grg(=j) sj (sDm=f + Objekt); 3) r(-Dd) grg sj als Imperativ. 1

Vgl. SCHNEIDER 1994: 174 („Neferka3re‘ III“) mit Verweis auf GOMAÀ 1980: 32.f.

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A.10.2:

Grabinschrift des Jtj-jbj, Z. 25

Erwähnte Gottheit(en): Upuaut Datierung: Erste Zwischenzeit (10. Dynastie) 2 Herkunft: Assiut; Grab Nr. III; Grosse Inschrift auf der nördlichen Seitenwand Inhaber: Jtj-jbj Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smr-wa.tj, jm.j-rA Hm.w-nTr n Wp-wA.wt “Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorsteher der Hm-nTrPriester des Upuaut” Geschlecht: männlich Literatur: GRIFFITH 1889: Taf. 11 (Kol. 25), MONTET 1930–1935: 93, Z. 25, SCHENKEL 1965: 74ff., insbes. 80. Text 25. dr.n(=j) bSt m xn(=j) m sxr n Wp-wA.wt Ich habe den Aufrührer durch meine Klugheit und durch den Plan des Upuaut vertrieben. Kommentar Dass der Plan einer Gottheit das Leben eines Menschen lenkt, ist literarisch bereits in der Erzählung des Sinuhe belegt. S. dazu BLUMENTHAL 1998: 216 sowie LUISELLI 2007b: 166–170. Hier jedoch ist es die Klugheit (xn) des Gaufürsten, die vom Planen des Gottes gelenkt wird, und dadurch zum Sieg gegen den Feind führt.

A.1Zw.?3:

Stele MMA 25.2.3, Z. B.1

Erwähnte Gottheit(en): Onuris Datierung: Erste Zwischenzeit (kein genaueres Datum) Herkunft: Naga ed-Derr (aus stilistischen Gründen); Fundkontext unbekannt (LICHTHEIM 1988: 30) Inhaber: Indi Titel: jrj-pa.t xtm.tj-bjt.j, smr-wa.tj, Xr.j-Hb; HoA *nj “Erbprinz, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorlesepriester, Herrscher von This” Geschlecht: männlich Literatur: DUNHAM 1937: 92–94, insbes. 93, Z. B.1, Taf. 28.2, SCHENKEL 1965: 183 (Nr. 260), LICHTHEIM 1988: 30–31, 134, BLUMENTHAL 1998: 219. Text B.1. (...) Ts(=j) m pH.wj pr jt(=j) m pH.tj Jn-Hr.t

2

Vgl. FAVRY 2005: 11.

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(...) Ich stieg hinauf vom Ende des Hauses meines Vaters durch die Kraft des Onuris. Kommentar Bilddarstellung Die rechteckige, im versunkenen bemalten Relief gestaltete Stele weist in der oberen Hälfte eine auf sieben Zeilen verteilte Inschrift auf. In der unteren linken Hälfte befindet sich die Darstellung einer nach rechts gewandten Frau mit Perücke, Halskragen, Armbändern, Fussgelenkschmuck und einem langen engen Trägerkleid. Ein vor ihr abgebildeter Mann (Indi), der ihre linke Hand hält, erscheint in grösserem Massstab. Er trägt einen Shendyt-Schurz und einen Halskragen. In der linken Hand hält er ein sxm-Szepter, in der rechten die Hand der Frau. Vor ihm neben seinem rechten Bein, aber nicht auf derselben Standlinie abgebildet, ist eine nach rechts gewandte männliche Gestalt dargestellt, die als Sandalenträger identifizierbar ist. Gegenüber dem Gesicht von Indi und nach links gewandt bietet ihm eine weitere sehr klein dargestellte männliche Gestalt Speise und Trankopfer dar. Inhalt Die Gottheit (Onuris), genauer: Ihre Kraft (pH.tj), ist hier für den sozialen Aufstieg des Gaufürsten Indi verantwortlich. Demnach wird die Machtposition als Resultat des göttlichen Willens gedeutet, was die Idee der Geburtslegende der Hatschepsut vorwegnimmt.

A.11.1:

Stele BM (96) 159, Z. 3–9

Erwähnte Gottheit(en): Thot, Ptah, Chnum, Anubis Datierung: 11. Dynastie Herkunft: Abydos; Vorhof des Osiristempels Inhaber: Rudjahau Titel: jm.j-rA Hm.w-nTr „Vorsteher der Hm-nTr-Priester“ Geschlecht: männlich Literatur: HTES 1: Taf. 46–47, FAULKNER 1951: insbes. 48–49, Z. 4, SCHENKEL 1965: 292–295 (Nr. 497), LICHTHEIM 1988: 71–72, insbes. 71, BLUMENTHAL 1998: 219. Text 3. jnk rx x.t 4. sSm.w ©Hwty (...) jnk mj.tj PtH 5. sn.nw ¢nm.w (...) 9. (...) Xnm nTr=f m mr.t.n=f

Ich war ein Gebildeter, geleitet von Thot (...); ich war ein Gleicher des Ptah, ein Zweiter (=Doppelgänger) des Chnum. (...) (...) einer der seinen Gott nach seinem Wunsch zufrieden stellte.

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Kommentar Bilddarstellung Die in der oberen Hälfte abgerundete Stele lässt sich in zwei Teilen einteilen. Während sich in der oberen Hälfte Bildszenen auf drei Register verteilen, weist der untere Teil elf Zeilen Inschrift auf. Im oberen Register der Szenensektion sind eine Opfertafel, ein Diener, der Fleisch zerkleinert, sowie andere Opfergaben abgebildet. Im mittleren Register sitzen der Steleninhaber und seine Frau links auf einem Sitz mit Löwenfüssen. Sie empfangen die Opfer und den Besuch ihrer Familienmitglieder. Das untere Register bildet eine pastorale Szene ab: Rechts melkt ein nackter Mann eine Kuh, während auf der entsprechenden linken Seite ein Kalb dargestellt ist, wie es von der Mutter gesäugt wird. Dazwischen tragen drei Diener verschiedene Opfer. Inhalt Die hier vorgestellte Passage, in welcher die Idee der Leitung durch einen Gott (hier: Thot) zusammen mit derjenigen der Gleichsetzung mit Ptah und Chnum verbunden ist, wurde fast wortwörtlich in der Autobiographie Sarenputs I. (Kat. A.12.2) übernommen. S. dazu auch BLUMENTHAL 1998: 219.

A.11.2:

Stele Kairo JE 36346, Z. 11

Erwähnte Gottheit(en): Keine Datierung: 11. Dynastie (Antef II. wAH-anx; Antef III. nxt-nb-tp-nfr; Mentuhotep I. sanxjb-tA.wy) Herkunft: Theben-West, Dra Abu el-Naga; Fundkontext unbekannt Inhaber: Henun Titel: Xr.j-DADA, Xr.j-tp nsw „Vorsteher der Djadja; Höfling“ Geschlecht: männlich Literatur: CLÈRE/VANDIER 1948: §24, SCHENKEL 1965: 228–230, insbes. 228 (Nr. 375). Text 11. sm-jb tp tA Tn.t pw rA rmT nb.w wn.w Hna(=j) m pr nb m sxr jrj(=j) n nTr n (...) (...) einer mit sorgendem Herzen auf Erden, das ist die Nachrede (Tn.t-rA) aller Menschen, die bei mir auf irgendeinem Gut waren, während ich einen Plan für den Gott ausführte. (...) Kommentar Wie in der Erzählung des Sinuhe und in der Grabinschrift des Anchtify (Kat. A.9./10.?1) wird auch in diesem Textauszug der Plan eines Gottes als Ursache für das Handeln eines Fürsten beschrieben.

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A.11.3:

Inschrift Hammamat M 110, Z. 7–8

Erwähnte Gottheit(en): Min Datierung: 11. Dynastie (Mentuhotep II. Nb-tA.wy-Ra) Herkunft: Wadi Hammamat Inhaber: Amenemhet Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, jm.j-rA njw.t, TA.tj, jm.j-rA sr.w nb(.w) n wDa-mdw, jm.j-rA dd p.t omA.t tA jnn.t Hapy, jm.j-rA n x.t nb(.t) m tA pn r-Dr=f „Erbprinz und Fürst, Stadtvorsteher, Wesir, Vorgesetzter aller Beamten des Rechtswesens, Vorsteher dessen, was der Himmel gibt, dessen was die Erde hervorbringt und dessen, was die Überschwemmung bringt, Vorsteher aller Dinge im ganzen Land“ Geschlecht: männlich Literatur: COUYAT/MONTET 1912: 77–78, Taf. 29, SCHENKEL 1965: 263 (Nr. 441). Text 7. jn Hm n nTr pn Sps 8. nb xAs.t rdj mAa n sA=f Nb-tA.wy-Ra anx D.t n mrw.t Aw.t-jb=f Es ist die Majestät dieses edlen Gottes, des Herrn der Wüste, die für seinen Sohn Nebtauire, er lebe ewig, gemäss des Willens seiner Erfolgsfreude wahrhaft agiert hat. Kommentar Diese Stele ist als die Stele des Gazellenwunders bekannt. Vor dieser Passage wird kein spezifischer Gott erwähnt, aber die Szene zeigt den König in Opferhaltung vor Min. Mit Sicherheit ist hier also Min als Herr der Wüste im Osten Ägyptens und insbesondere des Wadi Hammamats gemeint, der direkt für den König – hier als sein Sohn bezeichnet – agiert.

A.11.4:

Stele Louvre C15, Z. 6–8

Erwähnte Gottheit(en): Upuaut Datierung: 11. Dynastie Herkunft: Abydos; Tempelvorhof Inhaber: Abkau Titel: jmAx jm.j-rA „der würdige Vorsteher“ Geschlecht: männlich Literatur: GAYET 1886: Taf. LIV, SCHENKEL 1965: 295–298 (Nr. 498, mit zusätzlicher Bibliographie). Text 6. (…) […ors].t tn r wn.t n.t Ssp.w Aw.t (…).

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7. (…) […] ¢nt.j-jmn.tjw Hr=f r Hb.w=f n.w d.t n mrw.t dwA=j nfr.w=f Xr HA.t wr.w saH.w sn-tA=j n Wp-wA.wt dndn=f Hp.t n.t TAw-wr. 8. (…) xa.y m jrw=f skw m Sms.w=f ra b (…) (...) dieses [Begräbnis] an der Tür der Annahme der Opfer (...). (...) der Erste-der-Westlichen sein Gesicht an seinen Ewigkeitsfesten, damit ich seine Schönheit anbete an der Spitze der Grossen und Ehrwürdigen, und damit ich für Upuaut 3 die Erde küsse, wenn er die Hp.t des thinitischen Gaues durchzieht. (...), indem er glänzt in seiner Gestalt, und zwar während ich bei seiner Gefolgschaft bin, jeden Tag (...). Kommentar Zur Verortung dieser Stele in den abydenischen Osirisfeierlichkeiten und deren Bedeutung in Bezug auf die persönliche Teilnahme an der Religion s. Kapitel 3.1.3 vorliegenden Arbeit.

A.12.1:

Grabinschrift des Djefaihapi, Z. 267

Erwähnte Gottheit(en): Upuaut Datierung: 12. Dynastie (Sesostris I.) Herkunft: Assiut; Grab Nr. 1 Inhaber: Djefaihapi Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smr wa.tj, jm.j-rA Hm.w-nTr, mAa n Wp-wA.wt nb ZAw.t “Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorsteher der Hm-nTr-Priester, Wahrhaftiger des Upuaut, Herrn von Assiut“ Geschlecht: männlich Literatur: Urk. VII: 63.15-16, GRIFFITH 1889: Taf. 6, Z. 267. Zu Djefaihapi I: KAHL 2007: 8–11. Text 267: sHtp.n=j nTr=j m mrr.t=f jw=j sxA=j spr=j r nTr hrw pf n mny Ich habe meinen Gott zufrieden gestellt mit dem, was er liebt. Ich erinnerte mich, zu Gott zu gelangen an jenem Tage des ‚Landens’. Kommentar Die Beziehung, die Djefaihapi zu seiner Lokalgottheit (Upuaut) hat, ist im Rahmen seiner Totenkultstiftung eingebettet und wird zu einem der Gründe für die Aufrechterhaltung seines Totenkultes.

3

SCHENKEL 1965: 296 (Nr. 498) liest Anubis und nicht Upuaut. Der Zeichnung von GAYET 1886: Taf. LIV nach zu urteilen jedoch steht im Stelentext zweifellos Upuaut.

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A.12.2:

Grabinschrift des Sarenput I.

Erwähnte Gottheit(en): keine Gottheit Datierung: 12. Dynastie (Sesostris I.) Herkunft: Qubbet el-Hawa (QH 36); (MÜLLER 1940: 24f.); Grabfassade, links des Grabeinganges Inhaber: Sarenput I. Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smr-wa.tj, jm.j-rA Hm.w-nTr n ¤tT, Hr.j-tp aA n tA-¤tjw, jm.j-rA n xAs.wt nb.w, HA.tj-a n njw.t „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorsteher der Hm-nTr-Priester der Satet, grosses Oberhaupt des ‚Nubierlandes’, Vorsteher aller Fremdländer, Stadtvorsteher“ Geschlecht: männlich Literatur: Urk. VII: 6.7, GARDINER 1908: Taf. VII (E), MÜLLER 1940: 15–51, EDEL 1971: 21–22, Abb. 6; FRANKE 1994: 18–19, 205; EDEL 2008: 967 (Bd. 2). Text j[rj-pa.t HA.]tj-a xtm.tj-bjt.j smr-wa.tj jm.j-rA Hm.w-nTr n ¤tT Hm.t Abw Hr.j-tp aA n ¤tj.w jm.j-rA xAs.wt nb(.w) HA.tj-a ¤A--rnp.wt m[j].t[j] n(a) PtH sbA(b) +Hwty prj m X.t jw=f m rx wHa jb(c) sSm(.w) nTr r bw nfr Der Erbprinz und Fürst, der Siegler des unterägyptischen Königs, der Einzige Freund, der Priestervorsteher der Satet, das grosse Oberhaupt der Nubier, der Vorsteher aller Fremdländer, der Erbprinz Sarenput, ein Gleicher des Ptah, das Winkelmass des Thot, herausgekommen aus dem Mutterleib, indem er ein Wissender war, mit klugem Herzen, den der Gott zum schönen Ort geleitet hat. Kommentar In dieser Passage ist die Tatsache besonders hervorzuheben, dass Sarenput seine eigenen Handlungen denjenigen des Schöpfergottes Ptah und des Weisheitsgottes Thot gleichsetzt. Detlef FRANKE (1994: 18–19, mit Anm. 54) hat die Aussagen sowie die Behauptung, aus dem Mutterleib als ein Wissender herausgekommen zu sein, als die kodierte Beschreibung der idealen Führungspersönlichkeit gedeutet, wie sie sich in der Ersten Zwischenzeit entwickelt hatte und fast wortwörtlich schon in der Autobiographie des Rudjahau (Kat. A.11.1) belegt ist. Die in dieser Zeit häufig anzutreffenden Attribute sind in der Inschrift des Sarenput in der Liste seiner Titel quasi als zusätzlich qualifizierendes Beiwort eingetragen. Zum Konzept des gottgeleiteten (sSm.w) Menschen in den autobiographischen Inschriften dieser Zeit vgl. Kat. A.11.4, Kapitel 5. 4 der vorliegenden Arbeit sowie BLUMENTHAL 1998: 219. Es ist somit schon in der Ersten Zwischenzeit (Anchtify, Kat. A.9/10?.1), dass sich das Verhältnis zwischen dem Gaufürsten und dem Stadtgott entwickelte. In der 11. Dynastie (Kat. A.11.4) ging zum ersten Mal die Vorstellung des gottgeleiteten Gaufürsten mit der Bezugnahme auf göttliche Eigenschaften einher, sodass eine Form der Gleichstellung zwischen dem Gaufürsten und

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dem Gott stattfindet (Kat. A.12.2: „ein Gleicher des Ptah“). Dieser Aspekt ist auch in der vorliegenden Inschrift vorhanden. (a) Für die Lesung des n Textes stütze ich mich auf die Kollation von EDEL 1971: 21 und weiche daher von Gardiners Wiedergabe ab. (b) Zu sbA in der Bedeutung „Winkelmass“ vgl. EDEL 1971: 22. (c) S. GARDINER 1908: 136, Anm. 1.

A.12.3:

Stele Berlin 1204, Z. 15–17

Erwähnte Gottheit(en): Datierung: 12. Dynastie (Sesostris III.) Herkunft: Abydos; Fundkontext unbekannt Inhaber: Ichernofret Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smr-wa.tj jm.j-rA pr.wy-nbw, jm.j-rA pr.wy-HD “Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Vorsteher der beiden Goldhäuser, Vorsteher der beiden Schatzhäuser” Geschlecht: männlich Literatur: AEGINSCHR. I: 169–175, insbes. 173, Z. 15–17, LICHTHEIM 1973: 123–125, ANTHES 1974, LEPROHON 1979: 33–38, LICHTHEIM 1988: 98–100 (Nr. 42), inbes. 99. Text (...) 15. jw sXkr.n=j Snb.t nb AbDw m xsb Hna mfkA.t m nwb aA.wt nb.t m 16. Xkr.w n.w Ha.w nTr Hbs.n=j nTr m xa.w=f m jAw.t=j n.t Hr.j-sStA (…) 17. jnk wab-a m sXkr nTr sm twr DbA.w jw jr.n=j pr.t Wp-wA.wt […] wDA=f r nD jtj=f (…) (...) Ich schmückte die Brust des Herrn von Abydos mit Lapislazuli und Türkis, mit Gold und allen kostbaren Steinen als Schmuck für die Körperglieder des Gottes, indem ich den Gott mit seinen Kronen, in meinem Amt als Hüter des Geheimnisses bekleidete (…). Ich war einer reinen Armes beim Schmücken der Gottheit, ein sm-Priester mit reinen Fingern. Ich führte die Prozession des Upuaut […], als er herausging, um seinen Vater zu rächen. (…) Kommentar Diese Inschrift bezeugt den Auftrag, den Ichernofret direkt von Sesostris III. bekommen hatte, die Osirisfeierlichkeiten in Abydos zu organisieren. Diese Ehre erfolgte aufgrund seiner Erziehung im Königspalast, d. h. aufgrund seiner besonderen Nähe zum König. Um Osiris-Chontamenti in Abydos zu feiern, nahm Ichernofret die Rolle des Horus an, schmückte die Götterstatuen – insbesondere die des Osiris – liess deren mobile Schreine aus Holz und Edelmetallen anfertigen, organisierte die Prozession des Upuaut, usw. Die

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Teilnahme an den Osirisfeierlichkeiten in Abydos, die sich in den Schriftzeugnissen in Form der sog. Abydosformel der Opfergebete spiegelt, war keine exklusive Angelegenheit. Die Quellen des Mittleren Reiches stellen die Osirisfeierlichkeiten in Abydos als ein zahlreich besuchtes religiöses Ereignis dar, das somit die grossen Götterfeste des Neuen Reiches vorwegnimmt (s. Kapitel 3.1.3, sowie Kat. A.11.4), in denen der Einzelne in das Festgeschehen eingebunden war. Dies lässt sich wiederum anhand der vorliegenden Stele belegen, denn Ichernofret berichtet, dass (Z. 22–23) sAw(=j) jb xAs.t jAb.t […] jAw m xAs.t jmnt.t mAA=sn nfr.w nSm.t smA-tA=s r AbDw „Ich erwirkte Freude in der östlichen Wüste […], Jubel in der westlichen Wüste, als sie die Schönheit der NeshmetBarke sahen, wie sie in Abydos landete“. Die Teilnahme von zahlreichen Besuchern der Feste im Mittleren Reich manifestiert sich archäologisch in grossflächigen Festhöfen in den Tempeln Ägyptens (BOMMAS 2005: 11), im Neuen Reich werden hingegen insbesondere Sphingenalleen, Vorhöfe, Tore und Pylone zu wichtigen Kontaktstellen mit dem Göttlichen (s. dazu Kapitel 3.1.4).

A.13.1:

Stele MM 35.7.55, Z. 6–8

Erwähnte Gottheit(en): Horus von Nechen Datierung: 13. Dynastie (Sobekhotep III.) Herkunft: Kom el-Ahmar (Hierakonpolis); Grab des Horemchauef Inhaber: Horemchauef Titel: Hm-nTr tp.j n ¡r-Nxn; jm.j-rA sx.wt „Hohepriester des Horus von Nechen; Vorsteher der Felder“. Geschlecht: männlich Literatur: HAYES 1947: Taf.2. Text (…) 6. jw rdj.n ¡r nD-Hr jt=f m Hr.j r-Xnw r jn.t ¡r-Nxn Hna mw.t=f As.t mAa.t-xrw 7. rdj.n=f wj m Hr.j js.t jsT-grt rx.n=f (w)j m sr mnx 8. n Hw.t-nTr=f rs.w tp-Hr swD(.t).n=f(a) (…) (…) Horus, der seinen Vater, rächt, setzte als Oberhaupt in der Residenz ein, um Horus von Nechen zusammen mit seiner Mutter Isis, gerechtfertigt, zu holen, indem er mich als Haupt einer Schiffsmannschaft einsetzte, weil er mich als einen Vortrefflichen seines Tempels kannte, wach gegenüber dem, was er befahl. (...)

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Kommentar Die oben abgerundete Stele weist unter dem Giebel zwei grosse Udjat-Augen mit einem Sn-Zeichen dazwischen auf. Der Text breitet sich auf elf Zeilen und fünf Kolumnen unmittelbar unter den Zeilen auf der rechten Hälfte der Stele aus. Links unterhalb der Zeilen sind Horemchauef und seine Frau, beide stehend und nach rechts gewandt, ihre Armen dem Körper entlang abgebildet. Während seine Gestalt in einem starken Relief ausgearbeitet ist, ist die Darstellung seiner Frau genauso wie die Hieroglyphen in die Oberfläche nur eingeritzt. Horemchauef ist kahlköpfig, mit Halsband und langer Schürze abgebildet. Rechts gegenüber den beiden Gestalten sind die Familienmitglieder von Horemchauef aufgelistet. Zur Verortung dieses Textes im Rahmen der Fragestellung der vorliegenden Arbeit, vgl. Kapitel 5.4. (a) Zu swD als geschäftliche Anweisung siehe Wb.IV.78.9.

1.2

Autobiographien von der Zweiten Zwischenzeit bis zum Ende des Neuen Reiches

A.18.1:

Statue des Amenophis

Erwähnte Gottheit(en): Datierung: 18. Dynastie Herkunft: Memphis Inhaber: Amenophis Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, wr-wr.w, saH smr.w, sr m HA.t Sps.w-nsw, zXA „Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Grosser der Grossen, Edler der smr.wBeamten, Beamter an der Spitze der Königsedlen, Schreiber“ Geschlecht: männlich Literatur: Urk. IV: 1793–1801, insbes. 1799.7–8 (40–41), PETRIE 1913: Taf. 79/80, insbes. 80, 40–41, ASSMANN 1979: 18, Anm. 16. Text (...) jnk sj pw mAa tp tA rx nTr=f saA nfr.w=f (...) Ich war ein gerechter Mann auf Erden, der seinen Gott kennt und seine Schönheit gross (=sichtbar) macht. Kommentar Neben dem Thema des von Gott geleiteten Lebens, das in den Autobiographien der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches besonders hervorgehoben wird, entwickelt sich im Neuen Reich die Vorstellung der Kenntnis Gottes. Dies wird in der Amarnazeit zentral: der Einzelne soll in das religiöse System Echnatons durch die Gründung einer Lehre, die das Loyalitätsverhältnis zu Aton definiert und festlegt, eingebunden werden 254

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(ASSMANN 1980). In der Ramessidenzeit geben mehrere Stelen – darunter insbesondere diejenige des Neferabu (Stele Turin 50058: Kat. G.19.5, Taf. 7) – Zeugnis über die Bedeutung der göttlichen Lehre, die dem Einzelnen von der Gottheit selbst erteilt wird.

A.18.2:

Grabinschrift des Ineni, Z. 3–6

Erwähnte Gottheit(en): Datierung: 18. Dynastie (Amenophis I.-Thutmosis III.) 4 Herkunft: Theben-West, Scheich Abd el-Gurna (TT 81); Querhalle, Südwand (Stele Szene 6) Inhaber: Ineni Titel: jrj-pat hA.tj-a, jm.j-rA mXr.w (n Jmn), hA.tj-a m njw.t, jm.j-rA kA.t n Jp.t-swt, jm.j-rA pr-HD, jm.j-rA kA.t m Hr.t n.t nsw, zXA „Erbprinz und Fürst, Vorsteher der Getreidespeicher (des Amun), Stadtvorsteher, Baumeister in Karnak, Schatzhausvorsteher, Baumeister am Königsgrab, Schreiber“ 5 Geschlecht: männlich Literatur: Urk IV: 53–62; insbes. 62.3–6, DZIOBEK 1992: 44–54, insbes. S. 52 u. 54, Taf. 50 u. 63. Zum Grab: DZIOBEK 1992, KAMPP 1995: 323–330, Abb. 208–210. Text (...) 3. jw jrj.n=j mrr.t nTr=j njw.t 4. Sw=j m DAj.t-rA Hr jx.t nTr 5. jr sHkk rnp.wt m Hs.y 6. wnn bA=f anx r-a nb r-Dr (...) Ich tat was mein Stadtgott liebte, ich war frei von Naschen von den Dingen des Gottes. Was einen betrifft, der die Jahre als Gelobter verbringt, dessen Ba lebt zur Seite des Allherrn. Kommentar In der vorliegenden Passage ist die Berufung auf eine Beziehung zum eigenen Stadtgott besonders hervorzuheben. Diese findet schon im Diesseits statt und wirkt sich positiv auf das Leben im Jenseits als Ba aus. Die Vorstellung, die sich hinter dieser Äusserung verbirgt ist diejenige des Miteinbezugs des schon zu Lebzeiten entwickelten persönlichen Verhältnisses zu einem Gott (hier: der Stadtgott) in das eigene jenseitige Leben. S. dazu Kapitel 4.1.2 sowie 6.2.1.

4 5

Zur genauen Datierung s. KAMPP 1995: 323. Zu den Titeln, Ämtern und Tätigkeiten des Ineni s. DZIOBEK 1992: 122–123.

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A.18.3:

Grabinschrift des Maja, Z. 3–5

Erwähnte Gottheit(en): Echnaton Datierung: 18. Dynastie (Echnaton) Herkunft: Tell el-Amarna; (EA 14), südl. Türlaibung Inhaber: Maja Titel: TAj xw Hr wnmj nsw, zXA nsw, zXA nfr.w, jmj-rA pr n sHtp-Jtn, jmj-rA n (pr n) Wa-n-Ra m Jwnw, jmj-rA kA.t n pr-Ra m Jwnw, jmj-rA kA.t nb(.t) n.t nsw, jmj-rA mSa n nb tA.wy, jrjpa.t HA.tj-a, xtm.tj-bjt.j, smr wa.tj, zXA-nsw mAa, jm.j-rA mSa n nb tA.wy, jm.j-rA pr n sHtp Jtn „Wedelträger zur Rechten des Königs, Königsschreiber, Rekrutenschreiber, Vorsteher des Tempels ‚Aton zufriedenstellen‘, Vorsteher des (Tempels des) Waenre (Amenophis IV.) in Heliopolis, Baumeister im Tempel des Re in Heliopolis, Vorsteher aller Bauarbeiten des Königs, Vorsteher des Militärs des Herrn der Beiden Länder, Erbprinz und Fürst, Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, wahrhaftiger Königsschreiber, Vorsteher des Militärs des Herrn der Beiden Länder, Vorsteher des Hauses ‚Aton zufriedenstellen’.“ Geschlecht: männlich Literatur: DAVIES 1908: 2–4, Taf. IV, SANDMAN 1938: 61.12–16 (4–5); MURNANE 1995: 145. Text (…) 3. [sD]m Dd[.t]=j 6jr.t nb.t aA.w mj Srj.w sDd=j n=tn nA nfr.w jrj.n=j pA HoA (…) 4. (…) jnk nmH Hr jtj=j mw.t=j od wj pA [HoA] dj=f [xpr=j...] m[..]a[=f] wj m kA=f wn=j m jwt.y-jx.t dj=f xpr n=j rmT m Tnw dj=f aSA 5. sn.w=j dj=f nw n=j rmT=j nb xpr.kwj m nb dmj dj=f Sbn=j wr.w smr.w wn=j m Xrj-pH.wj dj=f n=j kAw Hw ra nb wn=j Hr nH.t t dj=f (…) [Hör]t was ich sage, jedermann, Grosse wie Kleine, (sodass) ich Euch (von) den guten Dingen erzähle, die der Herrscher für mich gemacht hat. (…) (...) Ich war arm von Vater und Mutter her, der [Herrscher] ‚erbaute’ mich und liess [mich entstehen], er [...] mich mit seinem Ka, als ich nichts hatte. Er liess mir Leute in Menge zuteilwerden, er liess meine Gefährten zahlreich werden, er liess alle meine Leute für mich sorgen, indem ich zum Herrn eines Dorfes wurde. Er liess mich eintreten unter die Grossen und Erbprinzen, als ich unter den Letzten war. Er gab mir Nahrung und Fülle jeden Tag, als ich um das Brot flehte, das er gibt.

6

Die Rekonstruktion der lacuna erfolgt aufgrund von DAVIES 1908: 4, Anm. 4.

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Kommentar In dieser Inschrift beschreibt Maja Echnaton als seinen persönlichen Schöpfergott, der ihn ‚erbaute’ (od) und aus dem sozialen Elend rettete. Die persönliche Karriere wird als erst durch Echnaton ermöglicht beschrieben, der in diesem Text diejenige Rolle einnimmt, die der Stadtgott in den autobiographischen Texten der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches innehatte (insbes. Kat. A.1Zw?.3, A.11.3, A.11.4, und A.13.1). S. dazu auch die Gebete der Amarnazeit (Kat. G.18.12–G.18.15), in denen Echnaton als Gott verehrt wird. Die Phraseologie der hier ausgewählten Textpassage in Zeile 3 dieser Inschrift erinnert stark an die formelhafte bAw-Machtverkündung (sDD-bAw), die im Mittleren Reich in der Erzählung des Schiffbrüchigen (LUISELLI 2007b: 171–172, ROEDER 2005: 225ff.) belegt ist und in den ramessidischen Gebetstexten (z. B. Kat. G.19.5, G.19.6) einen der ausdruckstärksten Aspekte der Mensch-Gott-Beziehung darstellt.

A.18.4:

Grabinschrift des Merire, Z. 3–4

Erwähnte Gottheit(en): Echnaton Datierung: 18. Dynastie (Echnaton) Herkunft: Tell el-Amarna; (EA 4), Vorraum, Südwand, Ostseite Inhaber: Merire (I) Titel: xtm.tj-bjt.j, smr wa.tj, Hs.y m nb-tA.wy, wr-mAA.w n pA Jtn m pr Jtn m Ax.t-Jtn, jm.jrA pr.w-nsw Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Gelobter des Herrn der Beiden Länder, Grösster mAA-Priester des Aton im Aton-Tempel in Achetaton, Vorsteher der königlichen Tempel Geschlecht: männlich Literatur: DAVIES 1903: Taf. 38, SANDMAN 1939: 16.9–10 (Z. 3–4), MURNANE 1995: 159, Nr. 70. Text (...) 3. pA HoA nfr od wj jrj wj sxpr wj dj Sbn=j wr.w pA ¥w 4. anx=j n ptr=f pAy=j kA n ra nb (…) (…) O du guter Herrscher, der mich ‚erbaute’, mich erschuf, der mich hervorbrachte und mich unter die Grossen gesellte, o du Licht, in dessen Anblick ich lebe, mein täglicher Ka! (…) Kommentar Vgl. dazu den Kommentar zu Kat. A.18.3.

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A.18.5:

Grabinschrift des Ramose, Z. 1–12

Erwähnte Gottheit(en): Osiris Datierung: 18. Dynastie Herkunft: Theben-West; Scheich Abd el-Gurna, TT 55 Inhaber: Ramose Titel: Hr.j-tp n tA r-Dr=f, jm.j-rA njw.t, TA.tj „Oberhaupt des ganzen Landes, Stadtvorsteher, Wesir“ Geschlecht: männlich Literatur: Urk IV: 1776.5–20, DAVIES 1941: Taf. 22. Zum Grab: KAMPP 1995: 262– 265, Abb. 153. Text 1. rdj(.t)-jAw [n Wsjr jn] 2. Hr.j-tp n tA r Dr=f jm.j-rA [njw.t TA.tj] 3. Ra-ms mAa-xrw Dd=f jj.n=j 4. m Htp km.n(=j) 5. aHaw(=j) m Hsw.t 6. n.t nTr nfr jw jrj.n=j 7. mrr.t rmT hrr.t nTr.w Hr=s jw jrj.n=j Hss.t nsw n rk=j n wD=j wD.t.n=f n jrj.n=j 8. jsf.t=f r rmT jw jrj.n=j mAa.t tp tA jw=j rx.k[w(j) H]ss=k mAa-jb tm jrj.t sp.w n DAy.t 9. rdj.t-jAw Wsjr sn tA 10. n Wnn-nfr mAa-xrw jnD-Hr=k 11. nsw nb r nHH sA 12. Nw.t jwa Gb (...) Lobpreis geben [an Osiris durch] den Obersten des ganzen Landes, [Stadt]vorsteher und [Wesir] Ramose, gerechtfertigt. Er sagt: ‚Ich bin in Frieden gekommen, nachdem (ich) meine Lebenszeit vollendet habe in der Gunst des vollkommenen Gottes. Ich tat, was die Menschen lieben und womit die Götter zufrieden sind. Ich tat das, [was der König] meiner [Zeit] lobt. Nicht übertrat ich das, was er befohlen hatte, ich tat seine Isfet (= was bei ihm Isfet ist) gegen die Menschen nicht. Ich tat die Maat auf Erden, denn ich weiss, dass du den Wahrhaftigen lobst, denjenigen, der kein Übel tut. Lobpreis geben an Osiris, die Erde küssen vor Onnophris, gerechtfertigt. Sei gegrüsst, König, Herr bis in die Ewigkeit, Sohn der Nut und Erbe des Geb! (…) 258

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Kommentar Am vorliegenden Beispiel kann das Ineinandergehen des autobiographischen Textes mit der Gattung der Gebete deutlich erfasst werden. Die persönliche Hymne an einen Gott wird im Neuen Reich zum Rahmen für die Selbstthematisierung (GNIRS 1996: 202ff.). S. dazu auch Kapitel 5.4 der vorliegenden Arbeit.

A.19.1:

Grabinschrift des Samut-Kiki: Z. 1–5/7-8/10–11/15–18/68–71

Erwähnte Gottheit(en): Mut Datierung: 19. Dynastie (Ramses II., zweite Hälfte Regierungszeit) Herkunft: Theben-West, Assasif; TT 409, Längshalle, linke (westliche) Hälfte, obere Inschrift (auf alle Wände verteilt) Inhaber: Samut, gen. Kiki Titel: Keine Titelauflistung, Ämter in Erzählform erwähnt: zXA mAa m WAs.t „Wahrhaftiger Schreiber in Theben“ Geschlecht: männlich Literatur: KRI III: 331ff., ABDUL-QADER 1966, WILSON 1970, VERNUS 1978, MENU 1980, ASSMANN 1997: insbes. 25–29, MORENZ 1998, ASSMANN 1999: 401–406 (Nr. 173), GNIRS 2003: 179–193, FROOD 2007: 84–91 (Nr. 11A-B), inbes. 336–339. Zum Grab: KAMPP 1995: 612–613, Abb. 508, NEGM 1997, 7 DERS. 2003. Text 1. sj pw wnn Jwnw Sma.w zXA mAa m WAs.t sA-Mw.t rn=f n mw.t=f 2. Dd.n=f Kyky mAa-xrw jsT rf mtj sw nTr=f sSsA=f 8 sw r sbAy.t=f 3. rdj.n=f sw Hr mj.t n anx n mr.y m ak Ha.w=f 4. rx sw nTr m nxn wD(.w) n=f kA Spss wn.jn=f Hr wAwA=f 5. Ds=f r gm.t n=f nbjw gmj.n=f Mw.t m HA.t nTr.w (…) 7. jw Dd.n=f mk wj Hr dj.t n=s x.t=j sxpr.wt nb.wt jw=j rx.k(wj) 8. Ax=s m Hr=j mnx.t=s wa.ty jrj=s n=j wS m Hr-n-Hr 9. nhj{=sw} m A.t Dw.t st jj(.t) TAw-mHw r-HA.t=s Dr 10. jaS=j Hr rn=s jnk sAw n dmj.t=s SwAw orj 11. n njw.t=s ao=j Hr x.t=j n wsr=s r DbA TAw n anx (…) 15. (…) j Mwt Hm.t 16. nTr.w sDm spr.w=j mtr bAk Hr Ax n nb=f kA [nb=f] 17. tnp=f ? sw m ahaw bw jrj=j n=j nxw m rmT [bw Sbn](=j) 18. m wr.w nn sA=j js pw gm.n=j st […] 9 smA?-tA? pA ors Hr Dr.t wa.ty ntt tA Mskn.t (…) 7 8 9

S. dazu auch die Rezension von Ludwig D. MORENZ (2000). Vgl. dazu VERNUS 1978: 120. VERNUS 1978: 130 schlägt hierfür [xt(.ty) ntt] vor.

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(…) 68. (…) jr pA jrj Mw.t 69. m nxw bw rx nTr tkk=f Hs.y n{.t} nsw n rk=f 70. m sb(.t) r Ax jr pA jrj Mw.t m xw nn hAj sw 71. Dw wnn=f xw.w ra nb r Xnm=f Xr.t-nTr Es war einmal ein Mann aus dem südlichen Heliopolis, ein wahrer Schreiber in Theben. Sein Name war Samut, von seiner Mutter her, genannt Kiki, gerechtfertigt. Nun aber hat sein Gott ihn instruiert und ihn nach seiner Lehre kundig gemacht, er hat ihn auf den Weg des Lebens gesetzt, um seine Körperglieder zu beschützen. Der Gott kennt ihn (schon) als Kind, reiche Nahrung wurde ihm erteilt. Da dachte er über sich nach, um einen Beschützer für sich zu finden, (und) er fand Mut an der Spitze der Götter. (…) Er sagte: ‚Schau! Ich gebe ihr mein Vermögen und all das, was (ich habe) entstehen lassen, denn ich kenne, ihre Nützlichkeit vor mir (= für mich), ihre einzigartige Trefflichkeit. Sie hat mir die Angst genommen. Sie hat mich in einem schwierigen Moment verlassen; 10 sie kam (zurück), den Nordwind ihr voraus, nachdem ich nach ihrem Namen gerufen habe! Ich war ein Schwacher ihres Dorfes, ein Armer und Vagabund ihrer Stadt. 11 Ich habe Zutritt zu meinem Vermögen, damit sie reich wird und damit ich (dies) gegen Lebenshauch eintausche. (..) (…) O Mut, Herrin der Götter, erhöre meine Bitten! Wenn es bezeugt ist, dass der Diener seinem Herrn nützlich ist, dann wird [sein Herr] ihn mit Lebensdauer (belohnen?) 12. Ich mache mir keinen Beschützer unter den Menschen, [ich geselle mich nicht] unter den Grossen ,(b) Es war auch nicht mein Sohn; ich habe sie gefunden […],(um (mir?) die Bestattung zu [veranstalten]) 13. Das Begräbnis liegt in deiner Hand, (du) Einzige! Du bist Meskenet […]. (…) (…) Wer sich Mut 10 11

12 13

Hier folge ich Elizabeth FROODs Übersetzung (2007: 86, m. Anm. 67). S. dazu den Übersetzungsvorschlag von Elizabeth FROOD (2007: 86): „(…) a vagrant in the vicinity of her city“, der wohl auf der Deutung von orj als „neben jemandem“ (nach Wb.V.59.7) basiert. Da hier jedoch das Motiv der Armut offensichtlich in den Vordergrund gestellt wird (BRUNNER 1961), ist die Übersetzung von Jan ASSMANN (1999: 402) „ein Armer und Bettler ihrer Stadt“ und Pascal VERNUS (1978: 144) „un indigent vagabond de sa cité“ zu bevorzugen. Zu der Passage zwischen mtr und ahaw vgl. VERNUS 1978: 128–129, dessen Übersetzung hier übernommen wird. Die Ergänzung erfolgt nach ASSMANN 1999: S. 403. Siehe aber auch VERNUS 1978: 130 und 144: „j’ai constaté qu’elle [avait le pouvoir (?)]. Les funerailles [t’appartiennent ( ?)], la sépolture, elle est dans ta main, (toi), l’Unique“.

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zum Beschützer macht, den kann kein Gott angreifen (und) ist ein Gelobter des Königs seiner Zeit, als einer, der die Würde erreicht. Wer sich Mut zum Beschützer macht, den befällt nichts Böses; er ist täglich beschützt bis er die Nekropole erreicht. (…) Kommentar Die beiden Inschriften des Samut-Kiki sind in retrograder Schrift geschrieben, um sich der bildlichen Darstellung anzupassen und dabei klarzulegen, dass die Botschaft vom Grabinhaber zur Gottheit gerichtet war. Mut ist sitzend auf einem Thron in einem Schrein abgebildet, sie trägt die Doppelkrone auf der Geierhaube und das Papyrusszepter in der rechten Hand. (a) In Z. 2 wird die sbAj.t „Lehre“ des persönlichen Gottes von Samut-Kiki erwähnt. Die Vorstellung einer Gottheit, nach deren Lehre der Mensch leben und agieren musste, ist zum ersten Mal in aller Deutlichkeit in der Aton-Religion greifbar (ASSMANN 1980). Zeitgleich zur vorliegenden Inschrift ist diese Vorstellung auch in einigen Gebeten auf Stelen (s. z. B. die Stele BM 589: Kat. G.19.6) belegt. Die Überschreibung des privaten Vermögens an die Verwaltung des Muttempels ist als ein öffentlicher Akt zu verstehen (so VERNUS 1978: 136), dessen Einzelheiten im Verlauf der Inschrift beschrieben werden. Diese Stiftung wird von Samut-Kiki gestiftet, um von Mut dafür den Lebensodem als Gegenleistung zu bekommen (Z. 11) und, wie sich danach herausstellt, um unter ihrem ständigen Schutz zu stehen. Der Lebensodem ist als Garantie für den unversehrten Fortlauf des Lebens nach dem Tode zu verstehen (VERNUS 1978: 136), sodass Samut-Kikis Autobiographie dieselbe Auffassung der Gebetsstelen widerspiegelt, gemäss der bereits im Diesseits, Eingriff und Einfluss auf das Jenseits möglich war (vgl. Kapitel 6. 3; ASSMANN 1978: 24). Diese Intervention konnte allerdings nur durch die Gottheit bewirkt werden, in deren Hand und Vertrauen man sich begab (ASSMANN 1996: 266–267): Der Akt der Überschreibung des eigenen Vermögens ist als Beweis dieses Glaubens zu werten, der aus der Suche nach Gottesnähe hervorgeht. Zu einer neuen Interpretation dieser Inschrift vor dem Hintergrund der zeitgleichen Medizin s. Andrea M. GNIRS (2003). (b) Diese Stelle ist wegen einer lacuna problematisch und wurde unterschiedlich übersetzt. Während ASSMANN 1999: Nr. 401, S. 403 „Ich habe mir keinen Schützer unter den Menschen genommen, ich habe mir keinen [Patron] unter den Grossen (gesucht)“ vorschlägt, und somit diese Passage dem Gebet in P.Anastasi II, 9.3–4 (GARDINER 1937: 17ff ., FECHT 1965: 46ff.) nähert, 14 in welcher es heisst: bw jrj=j n=j srw m nxw bw Sbn=j nb wnw

Ich mache mir keinen hohen Beamten/Fürsten zum Beschützer gemacht, 15 ich geselle mich keinem Reichen.

In der hieroglyphischen Transkription des Textes schlägt KITCHEN (KRI III, 337) 14 15

Assmann reduziert hier die lacuna allerdings nur auf „Patron“. Im hieroglyphischen Text ist jedoch der zweite bw jrj=j n=j wegen der Lücke nicht zu lesen. Man beachte hier auch de Version von VERNUS 1978: 130, der bw jr=j wr m nxw liest.

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bn / bw jr=j jwa als Ergänzung der lacuna vor und versucht wahrscheinlich dabei, sich der darauf folgenden Erwähnung des Sohnes zu nähern. Dieser Vorschlag wurde jedoch, soweit ich sehe, nicht aufgenommen. VERNUS 1978: 130, der die Übersetzungen von WILSON 1970, ASSMANN 1999 (in der ersten Ausgabe) und von Hellmut BRUNNER (in: Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament, 1975, S. 63–65) synoptisch vergleicht, schlägt vor: „Je n’ai pas pris un protecteur humain, je [ne me suis pas attaché] aux puissants; ce n’a pas (même) été mon fils (…)“. GNIRS 2003: 182 übersetzt „Ich lasse mich nicht von einem Menschen beschützen, [noch schliesse o. ä.] ich mich Grossen [an]“. (Ebenso) wird es nicht ‚mein Sohn’ sein. Ich fand sie (gemeint ist Mut), um [Sorgen zu tragen für] das Begräbnis.“ und entscheidet sich somit für eine Lösung, die die Rolle von Mut emphatisiert. Dies wird teilweise von FROOD 2007: 87 übernommen, die die Passage als „I do not make a protector for myself among men. I [do not attach] myself to the powerful, not even my son, for I found that she [will provide for] the funeral“ übersetzt, wobei sie keine genauere Erklärung für “I [do not attach] myself” angibt und “myself” als für im Text ausdrücklich ausgeschrieben meint. Da am Ende



 vorkommt, scheint mir VERNUS’ Ergänzungs- und der lacuna die Zeichengruppe  Übersetzungsvorschläge (1978: 130) [bw Sbn], der auf P.Anastasi II, 9.3–4 basiert, adäquat und insofern unproblematisch, als dass die Konstruktion von Sbn mit m belegt ist (s. VERNUS 1978: 130, m. Anm. 89). Ein weiterer dieser Inschrift sehr ähnlichen Text belegt O.DeM 1638 (FISCHER-ELFERT 1986: 70–73), was für die Verbreitung einer Phraseologie, die die Wahl von Mut als persönliche Schutzgottheit thematisiert, innerhalb von Theben-West spricht: 1. jry=w onw Hr wAj sxr.w 2. Mwt [...] r Hr=s 3. mj n=j Mwt twj Hwr.kwj 4. nm m-dj=j aS n=f 5. bn nb ntt m nxw hAy=j 6. bn sn Hn=f 7. bn jr=j n=j nxw sAw m rmT 8. jw=j hAn.kwj n Mwt (…)

Man verbringt eine lange Zeit beim Erwägen und Plänen Mut [...] zu ihrem Antlitz 16. Komm zu mir, Mut, mir geht es schlecht! Wer ist bei mir, zu dem rufen könnte? 17 Es gibt keinen Herrn als Beschützer hinter mir. Es gibt keinen Bruder, dem eilen könnte. 18 Ich will mir keinen Beschützer oder Patron unter den Menschen machen (Stattdessen) verlasse ich mich auf Mut. (…)

Die Überschreibung des eigenen Vermögens, wie dies Samut-Kikis Inschrift belegt, bleibt bislang jedoch ein Unikum, das nur im Falle von Mut belegt ist.

16

17 18

FISCHER-ELFERT 1986: 71 schlägt dem Sinne nach die Übersetzung „Mut ist es, an deren Antlitz ich mich wende“ und meint dabei die Prozessionsstatue, an die man sich mit persönlichen Anliegen wandte. Zur Emendierung s. FISCHER-ELFERT 1986: 72, Anm. d. Zur Emendierung s. FISCHER-ELFERT 1986: 72, Anm. f.

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A.19.2:

Grabinschrift des Thotemhab, Z. 1–17

Erwähnte Gottheit(en): Hathor Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Theben-West, Assasif, TT 194, Kapelle, Nordwand (Z. 1–14), Westwand (Z. 15–18) Inhaber: Thotemhab Titel: jm.j-rA sx.tj n pr Jmn, zXA Hw.t-nTr n pr-Jmn, zXA Hw.t-nTr n Jmn, zXA Htp-nTr n prJmn, zXA n pr-Jmn, zXA nsw „Weidenvorsteher des Amuntempels, Tempel-Schreiber des Amuntempels (Karnak), Tempel-Schreiber des Amun, Schreiber der Gottesopfer der des Amuntempels, Schreiber des Amuntempels, Königsschreiber.“ Geschlecht: männlich Literatur: KRI VII: 153.6–154.7, ASSMANN 1978b, SEYFRIED 1995, insbes. 70 (Text 119) –72, Taf. XXI-XXII, XXXV, ASSMANN 1999: 399–401 (Nr. 172), FROOD 2007: 91–93 (Nr. 12A). Zum Grab: KAMPP 1995: 483–485, Abb. 377. Text 1. dwA Nbw.t jr.t-Ra sn-tA n kA[=s rdj(.t)-] 2. jAw n Hr=s nfr{t} swAS=s [ra nb] j[n] Ws[jr](a) 3. jm.j-rA sx.tj n pr-Jmn ©Hwty[-m-HAb mAa-xrw Dd=f jj.n=j](b) 4. xr=T tA nb.t tA.wy @w.t-@r wr.t mrw.t m[k wj m jAw](c) 5. n Hr=T nfr sn-tA n kA=T jnk Hm=T n wn mAa twj [Hr] 6. mw n wD.T bw xA=j j.Dd rA=T bw xm 7. =j sbAj.t=T twj Hr wA.t n(.t) dd=T Ds=T Hr mTnw 8. n jrj.n=T xy pA sp nfr(d) n ntj m rx=T pA 9. ptr=T nb Hs.y rS.wj Htp r-gs=T pA ao n Sw.t=T 10. mntT sr maHa.t=j m SAa jw=s m SAa r xpr j.Dd.t=T xpr[=s] xr=T [grg] s.t n D.t=j jw=T r dd n=j n jAw Htp=j jw=j wDA.k[wj] sAA.k(wj) m anx jr.t=j Hr gmH 11. aw.t=j nb.t tmm mntT j.Dd.n=j m rA=T Ds=T jnk @ly nfr.t [jw jrw]=j n Mwt jrj=j 12. jj r mtr=k ptr s.t=k jmH.tw jm=s n xdj n [x]ntj jw=j m od jw tA m 13. sgr m nfr.w grH HD tA jb=j Haa.w twj m rSrS dj.n=j (wj) Hr jmj wr.t r jrj.t mj j.Dd=T 14. mntT nTr.t n jr.t j.Dd.t=s Sps.t n sDm n=s bw wn=j rA=T bw sn=j sxr.w=T jrr=j mj j.Dd=T 15. jm-Hr=T r dj.t xAm.w=j sw mno nAy=T nfr.w x.t=j jrw=T m-Xnw js=j 16. r sDd pH.tj=T r-dj.t am DAmw […] nw n kA n Wsjr 17. zXA Htp-nTr n pr-Jmn zXA nsw […] ©Hwty-m-HAb mAa-xrw m Htp (…) Die Goldene anbeten, das Auge des Re, die Erde küssen vor [ihrem] Ka, Lobpreis [geben] ihrem schönen Gesicht, sie preisen [jeden Tag] durch den Os[iris] den Weidenvorsteher des Amuntempels Thot[emhab gerechtfertigt, er sagt: ‚ich bin gekommen] zu dir, du Herrin der Beiden Länder, Hathor, du Grosse an Liebe. Schau [ich preise] dein schönes Antlitz, ich küsse die Erde vor deinem Ka. Ich bin wahrhaftig

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dein Diener, ich bin auf dem Wasser deines Befehls. Ich verwerfe nicht den Ausspruch deines Mundes, ich missachte nicht deine Lehre. Ich bin auf dem Weg, den du selbst gegeben hast, auf dem Pfad, den du gemacht hast. O Glück für denjenigen, der dich kennt! Jeder, der dich sieht, ist ein Gelobter. O wie freut sich, wer sich an deiner Seite ruht, wer in deinen Schatten eintritt. Du bist es, die mein Grab am Anfang bestimmt hat, als es anfänglich in Plan war. Das, was du gesagt hast, hat sich durch dich verwirklicht. Eine Stätte für meinen Leichnam ist [gegründet]. Du wirst mir ein Alter geben, und ich werde zur Ruhe (gehen), indem ich heil sein werde und satt vom Leben, (indem) mein Auge sieht und alle meine Glieder vollzählig sind. Du bist es, die zu mir sprach mit deinem eigenen Mund: „Ich bin die schöne Heli, [meine Gestalt] ist (die Gestalt?) von Mut 19. Ich bin gekommen, um dich zu unterweisen. Schau deine Stätte an, erfülle dich durch sie, ohne nord- oder südwärts zu fahren“. Während ich schlief, war die Erde im Schweigen in der Tiefe der Nacht. Am Morgen jubelte mein Herz, ich freute mich, ich begab (mich) zur Westseite, um das zu tun, was du mir gesagt hast. Du bist eine Göttin, deren Ausspruch man ausführt, eine Noble, auf die man hört. Ich habe deinen Spruch nicht missachtet, ich habe deinen Plan nicht übergangen. Ich handle, gemäss dem, was du gesagt hast. Gib dein Gesicht, damit ich es huldigen kann! Schenke deine Schönheit, so dass ich deine Gestalt im Innern meines Grabes erblicke, um deine Stärke zu verkünden, so dass die Nachgeborenen […] wissen können. Für den Ka des Osiris, des Schreibers des Gottesopfers des Amuntempels, des Königsschreibers […] Thotemhab, gerechtfertigt in Frieden. 20 (…) Kommentar Das einzige bildhafte Element, das im Zusammenhang mit dieser Inschrift noch erhalten ist, ist die Darstellung Thotemhabs als kahlköpfiger Priester im weit geschnittenen Festgewand, mit einem breiten Halskragen und in Anbetungshaltung im unteren Teil der Inschrift auf der linken Seite der Nordwand (SEYFRIED 1995: 72, Szene 52.1). In der Ausführung dieser Gestik ist er nach rechts gewandt, d. h. in Richtung des Durchgangs zur sloping-passage, dem Zugang zur unterirdischen Anlage (s. SEYFRIED 1995: Taf. 21 sowie S. 10–11). Die Orientierung der Schriftzeichen von Hathors Rede (SEYFRIED 1995: 72–73, Text 120) jedoch deutet darauf hin, dass im unteren Teil dieser Inschrift, der heute zerstört ist, wahrscheinlich die Göttin abgebildet war (SEYFRIED 1995: 74, [Szene 54]). Auf der Westwand der Kapelle, wo die Z. 15–18 der Inschrift angebracht 19

20

Für die Deutung dieser Stelle als Mut folge ich der Interpretation von Kasia SZPAKOWSKA (2003: 229–231 und Elizabeth FROOD (2007: 93, m. Anm. 78, S. 239). Die vorliegende Übersetzung folgt hauptsächlich Jan ASSMANNs Text (1999: 399–401).

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sind, ist im unteren Teil eine weibliche Figur dargestellt, die vermutlich mit der Ehegattin Thotemhabs zu identifizieren ist. Die autobiographischen Texte der Persönlichen Frömmigkeit haben in der Inschrift des Samut-Kiki (Kat. A.19.1) und in derjenigen des Thotemhab ihre eindruckvollsten Belege (ASSMANN 1978b: 24). Das altägyptische Traumbuch (P.Chester Beatty III rto.; SZPAKOWSKA 2003: 123ff.) enthält mehrere Passagen, die die göttliche Offenbarung in den Träumen beinhalten, 21 eine Vorstellung, die bereits in der Ersten Zwischenzeit belegt ist. 22 Wie Jan ASSMANN (1978b: 38ff.) zeigen konnte, fügt sich der Text des Thotemhab jedoch in eine weitere Tradition ein, deren Thema der Empfang des Toten im Grab durch die Westgöttin ist und die am Beispiel mehrerer Gräber nachvollzogen werden kann. So konnte ASSMANN (1978b: 42) die Selbstpräsentation des Grabherrn am Beispiel des Textes in TT 194 von derjenigen auf den Gebetsstelen insofern abgrenzen, als im Grab kein „Sündenbekenntnis“ stattfindet, sondern lediglich ein „Loyalitätsbekenntnis“, in welchem der Grabinhaber sein gottgeleitetes Leben (hier: insbes. Z.5–8 und 14) beschreibt und somit seine Verbundenheit mit der Gottheit schon zu Lebzeiten zum Ausdruck bringt (siehe auch A.19.1). (a) Die Rekonstruktion der lacuna erfolgt nach ASSMANN 1978b: 25. (b) Die Rekonstruktion der lacuna erfolgt nach ASSMANN 1978b: 25. (c) Die Rekonstruktion der lacuna erfolgt nach ASSMANN 1978b: 25 und 29. (d) Zu sp nfr im Sinne von „Glück“ s. ASSMANN 1978b: 30, Anm. (m).

A.19.3:

Statue Kairo CGC 42.155, Z. 4/2–3

Erwähnte Gottheit(en): Amun Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Karnak-Tempel, gefunden angelehnt am östlichen Türpfosten des VII. Pylons, ursprünglich wahrscheinlich im Osttempel von Karnak aufgestellt Inhaber: Bakenchons Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, Hr.j sStA m p.t tA dwA.t, wr mAA.w n Ra m WAs.t, sm wr sxm n PtH, jtnTr n Jmn, Hm-nTr 3 n Jmn, Hm-nTr 2 n Jmn, jm.j-rA Hm.w-nTr n nTr.w nb.w m WAs.t, HmnTr tp.j n Jmn, jm.j-rA kA.t xnt.j WAs.t, „Erbprinz und Fürst, Vorsteher der Geheimnisse im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt, Grosser der mAA-Priester des Re in Theben, sm-Priester und Grosser der Ämter des Ptah, Gottesvater des Amun, Dritter Hm-nTrPriester des Amun, Zweiter Hm-nTr-Priester des Amun, Erster der Hm-nTr-Priester von allen Göttern in Theben, Hohepriester des Amun, Oberbaumeister in Theben“. Geschlecht: männlich Literatur: KRI III: 295.16–297.3, LEGRAIN 1909: 21–23, insbes. 22, Taf. 18, JANSENWINKELN 1993, insbes. 223; FROOD 2007: 43–46 (Nr. 2B). Zur Statue: SCHULZ 1992: 255–256 (Bd. 1, Kennziffer 140), Taf.58b-c. 21 22

S. auch Kapitel 6.1 der vorliegenden Arbeit. In dieser kam der Träumende mit Verstorbenen als Wesen einer transzendenten Sphäre im Traum in Kontakt (SZPAKOWSKA 2003: 124).

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Text Vorderseite: (…) 4. jnk jm.j-rA kA.wt xnt.j WAs.t m kA.t nb(.t) mnx.t jw=j m mH-jb mnx n nb=f Hr sSm.w nb(.t) m mnw nb jrj.n=f n jtj=f Jmn (…) Ich war Vorsteher der Arbeiten in Theben, in jeder vortrefflicher Arbeit. Ich war ein vortrefflicher Vertrauter seines Herrn, beim Leiten von jeder Tätigkeit an jedem Denkmal, das er für seinen Vater Amun errichtete. Rückenpfeiler, (…) 2. Hs.y=f (w)j sjA=f (w)j Hr bjA.t=j Sms=j sw m b(w) mAa(.t) tw=j bs.kwj r jtj-nTr mAA=j xpr.w=f 3. nb jrj=j Ax.w m rA pr=f m kA.t nb.t mnx.t (...) (…) Er (Amun) hat mich gelobt und hat mich dank meines Charakters erkannt. Ich bin ihm zum Ort der Wahrheit gefolgt; (als) ich als Gottesvater heraustrat, habe ich alle seine Erscheinungsformen gesehen. Ich tat Vortreffliches in seinem Tempel, nämlich alle exzellente Arbeiten (...). Basis, IV.: jnk gr(.w) mtr mAa.t nb jmA.t trj [nTr=f] saA srx.w=f(a) hn sw Hr sp=f nb Ich bin einer, der schweigt, einer der die Maat bezeugt, ein Beliebter, der [seinen Gott] verehrt und dessen srx.w gross macht (=sichtbar macht), der sich auf alle seine Taten verlässt. Kommentar Vgl. den Kommentar zu Kat. A.19.4. Der Kairener Würfelhocker des Bakenchons wurde 1904 an der Ostseite des Tores des 7. Pylons in Karnak aus dem Schutt herausgeholt (LEGRAIN 1909: 21–23, Taf. 18). (a) srx rx.w .w: Wb.IV.200.1 „srx.w (Ruhm?) eines Gottes, der man gross (= sichtbar) macht“. Dieses Wort ist nur im Zusammenhang mit diesem Ausdruck belegt.

A.19.4:

Statue München Glyptothek WAF 38, Z. 3–4 (Vorderseite)/1–5 (Rückenpfeiler) /Sockel (Taf. 13)

Erwähnte Gottheit(en): Amun 266

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Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Theben; Karnak, Osttempel Inhaber: Bakenchons Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, Hr.j sStA m p.t tA dwA.t, wr mAA.w n Ra m WAs.t, sm wr sxm n PtH, jtnTr n Jmn, Hm-nTr 3 n Jmn, Hm-nTr 2 n Jmn, jm.j-rA Hm.w-nTr n nTr.w nb.w WAs.t, Hm-nTr tp.j n Jmn, jm.j-rA kA.t xnt.j WAs.t, „Erbprinz und Fürst, Vortsteher der Geheimnisse im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt, Grosser der mAA-Priester des Re in Theben, sm-Priester und Grosser der Ämter des Ptah, Gottesvater des Amun, Dritter Hm-nTrPriester des Amun, Zweiter Hm-nTr-Priester des Amun, Vorsteher der Hm-nTr-Priester von allen Göttern in Theben, Hohepriester des Amun, Oberbaumeister in Theben“. Geschlecht: männlich Literatur: KRI III: 297.11–299.5, PLANTIKOW-MÜNSTER 1969: 117ff., FROOD 2007: 40–42 (Nr. 2A). Zur Statue: SCHULZ 1992: 428–429 (Kennzimmer 253), Taf. 112. Text Vorderseite: (...) 3. jnk Hm 4. Ax n nb=f gr mtr mAa.t hrw Hr mAa.t msD jsft(a) saA srx(.w) nTr=f Hm-nTr tp.j n Jmn BAk-n¢nsw mAa-xrw Ich bin ein nützlicher Diener seines Herrn, einer der schweigt, einer, der die Maat bezeugt, der zufrieden ist über die Maat, der Isfet hasst, der den srx(.w) 23 seines Gottes gross (=sichtbar) macht, der Hohepriester des Amun, Bakenchons, gerechtfertigt. Rückenpfeiler: 1. jrj-pa.t HA.tj-a Hm-nTr tp.j n Jmn BAk-n-¢nsw mAa-xrw Dd=f jnk mtr mAa.t(b) Ax n nb=f trj srx nTr=f(c) Sm m mtn=f spw n Ax.w m-Xnw Hw.t-nTr=f jw=j jm.j-rA kA.t wr m pr-Jmn m mH-jb mnx n nb=f j rmT nb jp.w m 2. jb=sn wnn.w ntj tp tA jj Hr sA(=j) {n} HH n HH.w m-xt jAw (...) dj=j rx=tn [o]j=j wn(=j) tp tA m jAw.t nb jrj.n=j n-Dr ms.y=j (...) 3. (…) Hsj=f wj sjA=f wj Hr bjA.t=j(d) dj=f wj r Hm-nTr tp.j n Jmn m 27 n rnp.t (...) 5. (…) jrj=j Ax m pr-Jmn jw=j jm.j-rA kA.t n nb=j jrj=j n=f Hw.t-nTr Ra-msw-mr.y-Jmn -sDm-nH.t m pA sbA/sbx.t Hr.j n pr-Jmn saHa.n=j txn.w jm=s m jnr   n mAT nfr.w=sn Hr tkn Hr.t Der Erbprinz und Fürst, der Hohepriester des Amun, Bakenchons, gerechtfertigt, er sagt: ‚Ich bin einer, der die Maat bezeugt, ein Nützlicher seines Herrn, der den srx seines Gottes ehrt, der auf seinem (vom Gott) Weg geht, der Nützliches tut in seinem Tempel, 23

S. dazu unter Anm. (a) im Kommentar zu Kat. A.19.3.

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(indem) ich Oberbaumeister im Tempel des Amun bin, als trefflicher Vertrauter seines Herrn. O all (ihr) Menschen, die weise sind in ihren Herzen, (ihr) Seienden, die auf der Erde sind, und diejenigen, die nach mir kommen werden in Millionen von Millionen (von Jahren) nach einem Alter (...) ich lasse euch wissen, (was) mein Wesen war, (als ich) auf Erden war, in jedem Amt, das ich ausgeübt habe seit meiner Geburt. (...) Er (Amun) lobte mich, da er mich erkannte, wegen meines Charakters. Er setzte mich zum Hohepriester des Amun ein während 27 Jahren. (...). Ich habe Nützliches getan im Tempel des Amun, (indem) ich Baumeister meines Herrn war. Ich habe für ihn den Tempel ‚Ramses-geliebt-von-Amun, der die Bitten erhört’ gebaut am oberen Tor des Amuntempels. Ich habe zwei Obelisken aus Granit darin aufgestellt, deren Spitzen (nfr.w) sich dem Himmel nähern (...)’. Sockel: (...) jnk gr mAa Ax n nTr=f hn sw Hr sp=f [nb] […] (…) jw(=j) nfr.kwj m hrw pn r sf HD tA dj=f hAw Hr nfr.w=j jw=j m wDH [...] r jAw.t m-Xnw pr-Jmn Hr Sms[sw?] (...) dj=f n=j aHaw m nfr.w(e) Hr sA 110 (n rnp.t) ’(...) Ich bin ein gerechter Schweigender, ein Nützlicher seines Gottes, der sich auf [alle] seine Ratschlüsse (sp) verlässt […]. (...) (Ich) bin vollkommen, heute mehr als gestern; morgen wird er (darüber) hinaus meine Vollkommenheit geben. Ich war (schon) als kleines Kind (wDH) [...] bis ins Alter im Tempel des Amun, indem (ich) [ihm?] folgte. (…) Möge er mir eine Lebenszeit in Vollkommenheit nach 110 (Jahren) geben’. Kommentar Nach Regine SCHULZ (1992: 428) gehören die hier unter Kat. A.19.3 und A.19.4. behandelten Würfelhocker stilistisch der Kategorie des sog. Normaltypus mit Inschrift und schwach erkennbaren Körperformen an. Obwohl der Entdecker des Münchner Würfelhockers Jean Rifaud als Entdeckungsort nur generell ‚Theben’ angibt, gehörten beide Würfelhocker zusammen und stammten wahrscheinlich aus dem Osttempel von Karnak (SCHULZ 1992: 428, Anm. 1, PLANTIKOW-MÜNSTER 1969: 117, die jedoch den Tempel von Karnak generell als Herkunftsort angibt). Nach SCHULZ (1992: 428, Anm. 2) ist der an den Gesichtszügen beider Statuen erkennbare stilistische Rückgriff auf die Regierungszeit Amenophis’ III. im Rahmen der Amunverehrung zu verorten. Demnach hätte Bakenchons sich bewusst auf die letzte Zeit des Amunkultes vor der Amarnazeit bezogen, um eine „kultische Kontinuität“ zu propagieren. Eine andere Meinung vertritt hingegen Sylvia SCHOSKE (Museumsblätter München, Blatt Nr. 17), die aufgrund des Stils der Gesichtszüge die Anfertigung der Statue in die späte 18. Dynastie (Nachamarnazeit) datiert. Der Aufstellungsort im Tempel von Karnak und die Qualität der Ausführung würden für eine hochstehende Persönlichkeit sprechen, die dann die Statue plötzlich nicht mehr verwendet hat. Die Inschrift wäre somit von Bakenchons erst nachträglich auf die beiden Statuen aufgetragen worden, um sie sich anzueignen. Den ursprünglichen Auftraggeber und Besitzer der Statuen erkennt sie in Haremhab, der die Würfelhocker aufgab, als er König wurde.

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Auf dem Sockel der hiesigen Statue behauptet Bakenchons, von der Kindheit bis ins hohe Alter im Amuntempel anwesend gewesen und seinem Gott gefolgt zu sein. Vor diesem Hintergrund ist die Deutung naheliegend, dass er durch diese beiden Würfelhocker auch nach dem Tod seine Präsenz im Amuntempel sichern wollte. Bei dem Text auf den beiden Statuen handelt es sich um eine sog. Bekenntnisbiographie (GNIRS 1996: 204, Anm. 60). Dies wird insbesondere durch den Ausdruck „derjenige, der den srx (Ruhm? Ratschluss?) seines Gottes verehrt und auf dessen Weg wandelt“ (Rückenpfeiler, Z. 1) deutlich. Zur Verortung des Textes in der Fragestellung der vorliegenden Arbeit vgl. Kapitel 5. 4. (a) hrw Hr m mAa.t Aa.t msD jsft jsft: Zum Gegensatzpaar Maat-Isfet siehe OTTO 1964: 24ff.; 74ff. (b) mtr mAa.t mAa.t: Siehe dazu den Kommentar in PLANTIKOW-MÜNSTER 1969: 122–123 und zur Beziehung zwischen dem Schweigen und der Maat, vgl. MORENZ 1964b: 46; DERS. 1964a: 68. (c) srx nT nTr=f r=f: „der den srx (Ratschluss?) seines Gottes rühmt“. PLANTIKOW-MÜNSTER (1969: 124), deutet das Wort srx als Schreibvariante zu sxr „Plan“ und interpretiert dies als einen Ausdruck für die persönliche Hingabe an Gott. S. dazu aber den Kommentar zu Kat. A.19.2. (d) bjA.t bjA.t: Wb.I.440.7 „Wundertat“. Durch die Wahl dieses Wortes gibt Bakenchons seiner Leistung eine dezidierte Wertung, denn es handelt sich dabei um einen der ägyptischen Begriffe für „Charakter“, zu dem die Leistung eines Menschen gehört (so PLANTIKOW-MÜNSTER 1969: 126, Anm.s). Der ganze Ausdruck (Hsj=f wj sjA=f wj Hr bjA.t=j) befindet sich wortwörtlich auch im zweiten Würfelhocker des Bakenchons aus Kairo (Kat. A.19.3). dj=f =f n=j aaHaw Haw Hr nfr.w „Möge er mir eine Lebenszeit in Vollkommenheit geben“: (e) dj Mit diesem Ausdruck ist die Vollkommenheit von Bakenchons im Dienste Amuns gemeint. Dies wird an derjenigen Stelle gezeigt, wo Bakenchons seine Mitwirkung im Amuntempel seit seiner Kindheit beschreibt. Siehe dazu die Parallele (auf den König bezogen) aus der Grabinschrift des Nebamun (TT 90, Urk. IV 1618. 13–15): jw=f Hr Sms pr-aA a.w.s. m mtr-jb=f jw nfr sw m pA hrw r sf m jrj.t rd.y {m} Hr=f nn srx=f (…) „Er folgte dem Pharao L.H.G. als einer, dessen Herz aufrichtig war. Er war heute vollkommener als gestern im Ausführen dessen, was ihm befohlen war, ohne dass es einen Vorwurf gegen ihn gab (…)“. Zur möglichen früheren Datierung des Osttempels von Karnak (Haremhab-Sethos I), den Bakenchons in seinen beiden Inschriften behauptet gebaut zu haben, s. CARLOTTI/GALLET 2007.

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Auszüge aus Briefen

2.1

Auszüge aus Briefen des Mittleren Reiches

B.12.1:

P.Kahun VI.6, Z. 30–36

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Sobek von Schedet; Horus, der in Schedet residiert; Chenticheti; Amenemhet III. Datierung: 12. Dynastie (Amenemhet III.) Herkunft: Kahun; Siedlungskontext Absender: Iyib Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: bAk n pr-D.t „Diener des Grabes“ Empfänger: Sehetepib(re) Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: jm.j-rA pr„Vorsteher des Hauses“ Literatur: GRIFFITH 1898: Bd. 1, S. 75 u. Bd. 2, Taf. 31, WENTE 1990: 79 (Nr. 97). Text (30) bAk n pr-D.t(a) Jj-jb Dd n jm.j-rA pr ¤Htp-jb(-Ra) a.w.s. Der Diener des Grabes Jyjb sagt zu dem Vorsteher des Hauses Sehetepib(re), L.H.G.: Grussformel: (…) 33. m Hsw.t n.t ¤bk ^d.ty 34. [¡r Hr.j-jb ¥d.]t ¢nty-X.t nb […](b) 35. nsw-bit.j Nj-mAa.t-Ra anx D.t r nHH 36. nTr.w nb.w mj mrr bAk jm

(...) In der Gunst von Sobek von Schedet, [von Horus, der in Schedet residiert], von Chenticheti, Herr [von…], vom König von Ober- und Unterägypten Nimaatre (= Amenemhet III.), möge er immer und ewig leben, und von allen Göttern, nach dem Wunsch dieses Dieners da.

Kommentar Zur Einordnung dieses Briefes als ältesten Beleg für Gottesanrufungen in Briefen und generell für die Zunahme an religiösen Motiven in Briefen seit dem Mittleren Reich s. Kapitel 5.3.2 der vorliegenden Arbeit sowie BAINES 2001: 5–7. Es sei hier festgehalten, dass es sich bei den angerufenen Gottheiten um lokale Götter des Fayum handelt, die in Kahun verehrt wurden. Im Gegensatz zu den Göttererwähnungen in den Briefen des Neuen Reiches, war im Mittleren Reich auch Pharao unter den in Briefen erwähnten Göttern.

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n) D.t „Stiftung zum Unterhalt des Grabes“ (Wb.I.514): Gemeint ist hier aber (a) pr ((n) die Arbeit an der Pyramide Amenemhets III., weshalb die Übersetzung „Diener des Grabes“ bevorzugt wird. (b) ¢ ¢ntynty-X.t X.t nb [[…]]: WENTE 1990: 79 ergänzt [Athribis]. Chenticheti (aus Athribis) erscheint hier als „Gastkultgottheit“ im Fayum (s. VERNUS 1975: 923, Anm. 10).

B.12.2:

P.Kahun II.2, Z. 31–36

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Soped Datierung: 12. Dynastie (Amenemhet III. oder später) Herkunft: Kahun; Siedlungskontext Absender: Neni Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: bAk n pr-D.t „Diener des Grabes“ Empfänger: Jyjb Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: jm.j-rA pr„Vorsteher des Hauses“ Literatur: GRIFFITH 1898: Bd. 1, 72 u. Bd. 2, Taf. 29, WENTE 1990: 79–80 (Nr. 98). Text (31) bAk n pr-D.t Nnj Dd n jm.j-rA pr Jj-jb a.w.s. Der Diener des Grabes Neni sagt zum Vorsteher des Hauses Jyjb, L.H.G.: Grussformel: (…) 34. m Hsw.t n.t 35. ¤pdw nb jAbt.t Hna psD.t=f 36. nTr.w nb.w mj mrr bAk jm (…)

(...) In der Gunst des Soped, des Herrn des Ostens, und seiner Neunheit, und aller Götter nach dem Wunsch dieses Dieners da. (...)

Kommentar Zur persönlichen Anrufung der Götter(bilder), die sich in der unmittelbaren Umgebung des Briefabsenders befanden, s. Kapitel 5.3.2. Generell zur Erwähnung von Gottheiten im Briefformular des Mittleren Reiches vgl. den Kommentar zu B.12.1.

B.12.3:

P.Kahun III.4, Z. 1–7

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Sobek, Amenemhet IV. Datierung: 12. Dynastie (Amenemhet IV.) 271

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Herkunft: Kahun; Siedlungskontext Absender: Chemem Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: bAk n pr-D.t „Diener des Grabes“ Empfänger: unbekannt Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: jm.j-rA a-Xnw.tj „Kammerherr“ Literatur: GRIFFITH 1898: Bd. 1, 77–78, Bd. 2, Taf. 33, WENTE 1990: 81–82 (Nr. 100). Text (1) bAk n pr-D.t ¢mm Dd n jm.j-rA a-Xnw.tj […] Der Diener des Grabes Chemem sagt zu dem Kammerherrn […] Grussformel: (…) (...) 4. m Hs.t [n.t] in der Gunst [von] 5. ¤bk nb RA-Hmwy (?) nsw-bjt.y Sobek, Herrn von Rahemui, vom König von Ober- und Unterägypten 6.  MAa-xrw-Raanx D.t r nHH nTr.w nb.w Maacherure (=Amenemhet IV.), möge er immer und ewig leben, und von allen Göttern 7. mj mrr bAk jm gemäss des Wunsches dieses Dieners da. (…) (...)





Kommentar Zur Erwähnung des Königs in der Grussformel der Briefe des Mittleren Reiches vgl. den Kommentar zu B.12.1.

2.2

Auszüge aus Briefen des Neuen Reiches

2.2.1

Die 18. Dynastie

B.18.1:

P.Deir el-Bahari 2, Z. 1

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re; Nachricht: keine Erwähung von Gottheiten Datierung: 18. Dynastie (Hatschepsut) Herkunft: Deir el-Bahari; Hatschepsut-Tempel: Schutt in der Nordostecke des Vorhofes Absender: Tit Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: keine Angaben Empfänger: Djehuti (Bauleiter der Hatschepsut, Besitzer von TT 11) Geschlecht des Empfängers: männlich 272

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Literatur: HAYES 1957: 78–90, insbes. 81 (Abb. 1), 89–90, Taf. 13 (2), WENTE 1990: 90 (Nr. 111). Text Grussformel: 1. ¦jt Hr swDA n jb n nb=f ©Hwty a.w.s. m Hsw.t Jmn-Ra (…) Tjt lässt seinen Herrn Djehuti grüssen, L.H.G., in der Gunst des Amun-Re! (…) Kommentar Zur Einordnung der Grussformel dieses Briefauszuges in den Rahmen der Fragestellung über die Göttererwähnungen in Briefen s. Kapitel 5.3.2 .

B.18.2:

P.BM 10102, Z. 2–6

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re, Atum, Re-Harachte, Thot, Seschat Datierung: 18. Dynastie (Hatschepsut) Herkunft: Theben-West Absender: Mentuhotep Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: HA.tj-a „Fürst“ Empfänger: Ahmose von Peniati (zXA „Schreiber“) Geschlecht des Empfängers: männlich Literatur: GLANVILLE 1928: 294–312; insbes. 297–302, Taf. 31–32; 35, JAMES 1984: 174–175, WENTE 1990: 90–91 (Nr. 113). Text Grussformel: (…) 2. (…) m a.w.s. m [Hsw.t n] 3. Jmn-Ra nsw ntr.w Jtm nb Jwnw Ra 4. @r-Ax.ty +Hwty nb mdw.w-nTr [¤SA.t] 5. nb.t zXA.w nTr=k Spsj mrj tw dj=sn n=k [Hsw.t] 6. mrw.t (…) (...) (...) in Leben, Heil und Gesundheit und in [der Gunst des] Amun-Re, des Königs der Götter, des Atum, des Herrn von Heliopolis, des ReHarachte und des Thot, des Herrn der Gottesworte, und der [Seschat] der Herrin der Schrift, deines noblen Gottes, der dich liebt. Mögen sie dir [Gunst]

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und Liebe geben (...). Kommentar Ahmose von Peniati, der hier erwähnte Empfänger dieses Briefes, ist die zentrale Figur von insgesamt sechs Briefen (GLANVILLE 1928: Tabelle S. 295), wovon in der vorliegenden Arbeit zwei (Kat. B.18.1 und B.18.3) vor dem Hintergrund der Fragestellung der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Mentuhotep aus Theben schreibt Ahmose, um ihm Informationen über die Baustelle seines Hauses mitzuteilen (GLANVILLE 1928: 300). Während Amun-Re, Atum und Re-Harachte in ihrer Funktion als Hauptgottheiten des Reiches angerufen werden, ist die Erwähnung von Thot und Seschat durch ihre Rolle als Patrone der Schrift und der Schreiber begründet, was somit die Vorstellung des Berufsgottes als dem Mensch nahe stehender Gott widerspiegelt. Vgl. dazu auch die von Burkhard BACKES 2001 untersuchte Stele Ny Carlsberg ÆIN 1540 aus dem Mittleren Reich, die eine Aufzählung von Gottheiten beinhaltet, die als Schutzgötter für den Beruf des Stelenstifters fungierten.

B.18.3:

P.Louvre 3230a, Z. 1–4

Erwähnte Gottheit(en): Amun-Re, Thot, Ptah-südlich-seiner-Mauer, Ptah-Herr-vonAnch-tawy (PtH rsj jnb=f; PtH nb anx-tA.wy) Datierung: 18. Dynastie (Hatschepsut-Thutmosis III.) Herkunft: keine Angaben Absender: Teti Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: keine Angaben (vielleicht ein junger Schüler) Empfänger: Ahmose von Peniati (zXA „Schreiber“) Geschlecht des Empfängers: männlich Literatur: PEET 1926: 70–74, Taf. 17, WENTE 1990: 91–92 (Nr.116). Text Grussformel: 1. ¦tj Hr jnD xr.t sn=f mr(.y)=f xnms=f n xr.t-jb=f zXA 2. AH-ms m a.w.s. m Hsw.t Jmn-Ra nsw-nTr.w nTr=k Spsj mrr 3. +Hwty nb nTr.w PtH aA rsj-jnb=f nb anx-tA.wy dj=sn n=k Hsw.t mrw.t 4. spd-Hr m-bAH bw nb.w (…) Tetj lässt seinen Bruder grüssen, seinen Geliebten, seinen Freund seines Herzenswunsches, den Schreiber Ahmose, in Leben, Heil und Gesundheit, in der Gunst des Amun-Re, des Königs der Götter, deines noblen Gottes, der dich liebt! Möge Thot, Herr der Götter, Ptah, der Grosse, südlich-seiner-Mauer, Herr von Anch-tawy, mögen sie dir Gunst, Liebe und

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Geschicktheit in Gegenwart aller (Menschen) geben. Kommentar Zum Briefkorpus des Ahmose von Peniati, zu dem auch der hier besprochene Brief gehört, s. den Kommentar zu Kat. B.18.2. Der Papyrus besteht aus zwei Teilen. Da Tetis Name ohne Titel eingeführt wird, wurde vermutet, der Anfang des Papyrus sei verloren gegangen (zur Forschungsgeschichte siehe PEET 1926). Eine andere Meinung vertritt jedoch T. E. PEET (1926: 72), demzufolge der Verlust des Briefanfangs dem Zustand des Papyrus nicht zu entnehmen sei, weshalb Teti eher als ein junger Schüler zu betrachten sei, und weshalb Teti eher als einen jungen Schüler zu betrachten sei, der sich mit dem Briefformular nicht gut genug auskannte. Der Brief wäre somit als eine Schreiberübung zu deuten, wofür auch die fehlende Adresse des Empfängers sprechen würde. Wie in Kat. B.18.2 bereits festgestellt, sind die angerufenen Gottheiten mit dem Beruf des Schreibers verbunden: Ptah als Gott von Memphis, der Heimatstadt der beiden Schreiber (PEET 1926: 73), und Thot als Patron der Schreiber schlechthin. Amun-Re ist mit seinem Epitheton „König der Götter“ als Dynastiegott gekennzeichnet, durch die Verwendung des Suffixpronomens nimmt er jedoch die Rolle eines persönlichen Gottes ein (Z. 2), was in den Briefen der Ramessidenzeit häufig belegt ist und auch in der Literatur seinen Niederschlag findet (dazu QUACK 1994: 73).

B.18.4:

P.Robert Mond 1, Z. 2–3

Erwähnte Gottheit(en): Aton Datierung: 18. Dynastie (Echnaton) Herkunft: Theben; Grabkontext (Grab des Hes: PEET 1930: 82, 85) Absender: Ramose Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: (pA) sgnn „Salbenkocher“ (am Hof der Prinzessin Meritaton) Empfänger: Meh (Bruder des Ramose). Titel des Empfängers: zXA m pr-HD „Schreiber im Schatzhaus“ Geschlecht des Empfängers: männlich Literatur: PEET 1930: 82–91; Taf. 18–19 und Taf. 22–25, 30, WENTE 1990: 94–95 (Nr. 123), MÜLLER 2006: 326–327 (Übersetzung). Text Grussformel: (...) 2. m a.w.s. m Hsw.t pA Jtn anx(.w) ra nb (...) tw=j 3. dj Hr Dd n pA Jtn a.w.s m Ax.t- Jtn  a.w.s. jmj snb tnw hrw jmj wnn=k m Hsw(.t) [...] In Leben, Heil und Gesundheit und täglich in der Gunst des lebenden Aton, täglich! Ich

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spreche hier zu Aton, L.H.G., in Achetaton, L.H.G., dass er dir täglich Gesundheit gebe und (damit) er veranlasst, dass du in der Gunst des [...] bist. Kommentar Vom Schreiber Ramose aus Tell el-Amarna sind zwei Briefe überliefert, die er seinem Bruder (Kat. B.18.4) und seiner Schwester (Kat. B.18.5) schrieb. Beide Brieftexte stammen aus dem thebanischen Grab des Hes, wurden von derselben Person (Ramose) in Tell el-Amarna verfasst und nach Theben geschickt (PEET 1930: 86). Sie sind in neuägyptischer Sprache verfasst, beginnen auf dem Verso des Papyrus (PEET 1930: 83, 87) und behandeln dasselbe Thema, das jedoch wegen der Lückenhaftigkeit der Papyri schwierig zu rekonstruieren ist. Ramose scheint in Tell el-Amarna ohne Frau unglücklich zu leben und betet deshalb Aton direkt an. Diese Form der Grussformel, die schon unter Hatschepsut bekannt ist (vgl. Kat. B.18.1 und B.18.2), wird hier auf Aton übertragen. Es ist dabei zu bemerken, dass in den früheren (und späteren) Formeln mehrere Gottheiten aufgezählt werden, während in den Briefen aus Tell el-Amarna Aton als alleiniger Gott erwähnt wird. Die Bedeutung dieser Briefe liegt zweifellos in der Tatsache, dass sie zum ersten Mal eine explizit formulierte Interaktion zwischen Gott und Mensch belegen (BAINES 2002: 13). Diese wird als ein Sprechen (Dd) zu der Gottheit (Aton) beschrieben und somit das direkte Verhältnis zwischen Mensch und Gott explizit geschildert. S. dazu BAINES 2002: 12ff. und BICKEL 2003a.

B.18.5:

P.Robert Mond 2, Z. 2–4

Erwähnte Gottheit(en): Aton Datierung: 18. Dynastie (Echnaton) Herkunft: Theben; Grabkontext (Grab des Hes; PEET 1930: 82, 85) Absender: Ramose Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: pA sgnn „Salbenkocher“ (am Hof der Prinzessin Meritaton) Empfänger: Scherire (Schwester von Ramose) Titel des Empfängers: nb.t-pr „Hausherrin“ Geschlecht des Empfängers: weiblich Literatur: WENTE 1990: 95–96 (Nr. 124), PEET 1930: 92–97; Taf. 20–21 und 26–29, Z. 2–3; Z. 3, MÜLLER 2006: 327–328 (Übersetzung). Text Grussformel: 2. (...) tw=j 3. [dj Hr Dd n pA J]tn a.w[.s.] jmj snb [tnw...] nb.t jw=f Hr Htp jw[=f] Hr wbn 4. [...] rx n pA Jtn a.w.s(a) (...).



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(...) Ich [spreche ständig zu] Aton, L.H.[G.], damit er dir täglich Gesundheit gebe, wenn er untergeht und wenn [er] aufgeht. [...] Kenntnis des Aton, L.H.G. (...). Kommentar Vgl. dazu den Kommentar zu Kat. B.18.4. (a) rx n pA pA Jtn Jtn a.w.s. „Kenntnis des Aton, L.H.G.“: Leider ist in der Handschrift vor rx kein Zeichen zu erkennen, so dass der wirkliche Bezug dieses Ausdruckes zum Empfänger des Briefes nicht eindeutig gesichert ist. Zur Vorstellung einer Lehre des Aton, der man zu folgen hatte, vgl. vor allem ASSMANN 1980.

2.2.2

Die 19. und 20. Dynastie

B.19.1:

P.Northumberland I, Z. 1–5

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re; Nachricht: Amun, Ptah, Re-Harachte, die Götter vom Tempel des Thot Datierung: 19. Dynastie (Ramses I.-Sethos I.) Herkunft: keine Angaben Absender: Meh Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA „Schreiber“ Empfänger: Yey (zXA „Schreiber“) Geschlecht des Empfängers: männlich Literatur: KRI I: 239–240, BARNS 1948: 35–46, insbes. 35–40, Taf. 9–10, WENTE 1990: 113–114 (Nr. 132). Text Grussformel: 1. (…) m a.w.s. m Hsw.t Jmn2. Ra nsw nTr.w (...) 3. (...) mk wj w=j Hr Dd n Jmn PtH pA-Ra @r-Ax.ty 4. nTr.w nb.w pr-+Hwty jmj snb=k jmj anx=k{wj} jmj wn=k m Hsw.t PtH pAy=k 5. nb nfr jmj jrj=k jmj xpr=sn jmj Hsj.tw=k Hr jrj.n=k nb (...)





(...) In Leben, Heil und Gesundheit und in der Gunst des AmunRe des Herrn der Götter! (...) (...) Schau, ich spreche zu Amun, Ptah, Re-Harachte, und zu allen Göttern vom Tempel des Thot, (und sage) dass (sie) veranlassen sollen, dass du gesund, lebendig und in der Gunst des Ptah, deines

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guten Herrn bist, (und) dass du (Dinge) tust und sie sich entwickeln, dass du gelobt wirst für alles, was du getan hast. (...) Kommentar Zum Sprechen (Dd) zu den Gottheiten vgl. den Kommentar zu B.18.4 sowie BAINES 2002: 9 und BAKIR 1970: 55. Von besonderer Bedeutung ist die Erwähnung „aller Götter vom Tempel des Thot“, an die sich die Anrufung des Mey richtet, da dies eine Ortsgebundenheit wiedergibt, die im ramessidischen Briefformular verschiedentlich zum Ausdruck kommt (BAINES 2002: 10). Vgl. dazu auch Kapitel 5.3.2. Amun, Ptah und ReHarachte sind Staatsgötter, die als solche im Brief erwähnt werden. Die „Götter vom Tempel des Thot“ sind aber wahrscheinlich Götter, zu denen der Beter als Schreiber einen direkten Zugang hatte, sowohl konzeptuell als auch als auch durch seine persönliche Anwesenheit im Tempel. Bilder oder Statuen dieser Gottheiten befanden sich vermutlich an einem Ort, der für ihn zugänglich war. Es sei diesbezüglich auf das Gebet an die Statue des Thot verwiesen, das ein dem Thot gewidmetes Gebet des Cheruef beinhaltet (Kat. G.18.19) sowie generell auf die Diskussion über die Berufsgottheiten und deren Bedeutung in Kapitel 3.1.2.

B.19.2:

P.Leningrad 1117 (St. Petersburg I), Z. 2–3

Erwähnte Gottheit(en): die Götter von Piramesse Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: keine Angabe (Piramesse?) Absender: Werdjehuty Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA-nsw, Xr.j-Hb „Königsschreiber, Vorlesepriester“ Empfänger: Su (?) Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: jm.j-rA n pr-PtH „Vorsteher des Ptahtempels“ Literatur: KRI III, 489–490, insbes. 489, BAKIR 1970: Taf. 19 und 25, WENTE 1990: 116 (Nr. 137). Text Grussformel: (...) 2. (...) tw=j Hr Dd n nA nTr.w nb.w Pr-  Ra-ms-sw-mr.y-Jmn a.w.s jmj snb=k 3. mn.t jmj wn=k m Hsw pr-aA a.w.s. pAy=k nb nfr mn.t (...) (...) (...) Ich spreche zu allen Göttern von Piramesse-Meriamun, L.H.G., (und bitte sie,) dich täglich gesund sein zu lassen,

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und dass du täglich in der Gunst von Pharao, L.H.G., deinem guten Herrn, bist. (...) Kommentar Die Gunsterweisungen, die der Absender dem Empfänger wünscht, sind jedoch nicht diejenigen der Götter bzw. einer bestimmten Gottheit, wie es sonst im Briefformular der Fall ist (BAKIR 1970: 55), sondern vielmehr diejenigen Ramses’ II., der den Platz einer Gottheit in diesem Brief einnimmt. Weitere Beispiele aus derselben Regierungszeit erwähnen Ramses II. zusammen mit anderen Gottheiten und bezeugen ebenfalls das hier auftretende Phänomen (vgl. z. B. WENTE 1990: 142–143 [Nr. 187], 147 [Nr. 198], 154– 155 [Nr. 221]). Dies findet sich bereits in dem Formular der Briefe aus Kahun (Kat. B.12.1. –B.12.3), das Amenemhet III. und IV. erwähnt. Es werden hier demnach zwei Sachverhalte bestätigt: Zum einen die Bedeutung, die lokale Gottheiten für Alltagsangelegenheiten neben den Staatsgöttern hatten, zum anderen belegt dieser Brief, dass die Vergöttlichung Ramses’ II. schon zu Lebzeiten (HABACHI 1959, ROEDER 1926) auch in inoffiziellen Dokumenten Eingang fand.

B.19.3:

P.St. Petersburg 1119 24, Z. 2–3/5–8

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Ptah, Re-Harachte; Nachricht: Ptah, Sachmet, Bastet, Nefertem. Datierung: 19. Dynastie Herkunft: Theben? Absender: Nebmehy Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA „Schreiber“ Empfänger: Huy Titel des Empfängers: zXA „Schreiber“ Geschlecht des Empfängers: männlich Literatur: ČERNÝ, Notebook, 24.23–35. Text Recto Grussformel: (...) 2. m a.w.s. Hsw.t PtH ra nb twj Hr Dd n PtH n (Pr) - Ra-mss-Mry-Jmna.w.s. n 3. pA-Ra @r(.w)-Ax.ty n [...] (...)

24

Den Hinweis auf diesen unpublizierten Brief verdanke ich einer freundichen Mitteilung von Deborah Sweeney. Mein herzlicher Dank gilt auch Jaromir Málek (damals Oxford Griffith Institute) für die Möglichkeit, eine Kopie von Černýs Notebook für die vorliegende Arbeit einzusehen.

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(...) In Leben, Heil und Gesundheit und in der Gunst des Ptah! Ich spreche jeden Tag zu Ptah vom (Tempel) des Ramses-Meriamun, L.H.G., zu Re-Harachte, zu [...] (...) Nachricht: 5. (...) m-jr xpr 6. Hmsj.tj ob(H)(a) j.Dd n PtH j.Dd n ¤xm.t BAst.t Nfrtm Hr.j-jb 7. pr PtH Sd wj m pAy wa sp(b) pA wn pA xrwy tA x.t 8. rkH.tj (...) (...) Sitze nicht untätig und bitte Ptah, Sachmet, Bastet und Nefertem, die im Tempel des Ptah sind, mich vor diesem einmaligen (?) Feind zu retten. Das Feuer ist schon an (?) (...). Kommentar In diesem Brief bittet der Schreiber Nebmehy seinen Amtskollegen Huy, bestimmte Götter(bilder) im „Tempel des Ramses Meriamun“ anzubeten. Nach NIMS 1955: 115 lautet der vollständige Namen des hier erwähnten Heiligtums „Tempel des Ramses Meriamun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit“ und ist mit dem Vorhof des Luxor-Tempels zu identifizieren. Die hier benutzte Schlussformel nfr sDm=k „möge dein Hören vollkommen sein“, „wenn du den Inhalt dieses Briefes hörst (=liest), möge alles bei dir gut sein“ ist die älteste Form der Schlussformel in Briefen; ihre Verwendung hier ist als Archaismus zu verstehen (vgl. BAKIR 1970: 65). ob(H) H) „untätig sitzen“: siehe Wb.V.23.6. (a) Hmsj ob( (b) pAy wa ssp: p: Nach Wb.III.436.16 kann m sp wa die Bedeutung „in einem Augenblick“ haben. Allerdings besteht hier das Problem, dass wa dem Wort sp vorangeht, anstatt ihm zu folgen. Daher wird hier für den Ausdruck Sd wj m pAy wa sp pA wn pA xrwy die Übersetzung „rette mich vor diesem einmaligen Feind“ vorgeschlagen.

B.19.4:

O.Berlin 11247, Z. 2–4

Erwähnte Gottheit(en): Nachricht: Amun Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina Absender: Pay Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA-od „Zeichner“ Empfänger: Re(emhab) Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA-od „Zeichner“ 280

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Literatur: KRI III: 532–533, POSENER 1982: 121–126, insbes. 122–123, WENTE 1990: 142 (Nr. 185). Text 1. Dd.t n zXA-od PAy n sA=f zXA-od pA-Ra[-m-HAb] 2. m-jr xAa HA=k {r} r=j nn tw=j m rwD m-jr Xr [...] 3. m {r} rmj n=j pA wn tw=j m pA [kkw...](a) 4. nb=j Jmn HA=f {r} r=j (...) Der Zeichner Pay sagt zu seinem Sohn, dem Zeichner Re[emhab]: wende dich nicht von mir ab! Es geht mir nicht gut! Tue nicht [...]. weine nicht für mich, da ich in dieser [Finsternis] bin. Mein Herr, Amun, hat sich von mir abgewendet! (...) Kommentar Dieser Brief fängt nicht mit der üblichen Grussformel an: Vielmehr wird der Inhalt der Nachricht sofort erklärt, was im Falle der Briefe auf Ostraka die Regel darstellt (BAKIR 1970: 55). Trotz mehrerer Lücken in wichtigen Punkten des Textes, wird es deutlich, dass der Absender sich in einer schwierigen Lage befindet, für die er Amuns Abwendung von ihm verantwortlich macht: Die Notlage wird somit aus dieser Gottesferne entstanden gedeutet. (a) m pA [kkw] „in der [Finsternis]“: Diese Rekonstruktion wird von WENTE 1990: 142, Nr. 185 vorgeschlagen. Ein Problem stellt jedoch die Tatsache dar, dass die Metapher der Finsternis als Ausdruck für eine Notlage bislang nur auf Gebetsdenkmälern überliefert ist (Exkurs II, Kapitel 5.1.1). Die einzige Ausnahme bietet Kat. G.18.2 (O.Kairo 12202 rto., Taf. 1).

B.19.5:

P.BM 10184 vso. (P.Sallier IV, vso.), Z. 1.1–2.1

Erwähnte Gottheit(en): S. Text unten Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Sakkara (?); arch. Fundkontext: Grab (?) Absender: Setjka Geschlecht des Absenders: weiblich Titel des Absenders: Smay.t n ¡w.t-@r Hr.j.t nb.t hAy rsy „Hathorsängerin, Herrin der südlichen Sykomore“ Empfänger: Sachmet-neferet Geschlecht des Empfängers: weiblich Titel des Empfängers: Smay.t n Jmn, „Amunsängerin“ Literatur: GARDINER 1937: 88–99, insbes. 88–9, CAMINOS 1954: 333–370.

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Text Grussformel 1.1 Smay.t n ¡w.t-@r{t} nb.t hA[y] rsy ¤Ty-kA* rn=s (pw?) Hr nD xr.t n Smay.t n Jmn ¤xm.t-nfr.t* 1.2 nty m njw.t Sma.w(.t)* Hm.t [n] wab HA.t Jmn* Xr.j-Hb aA n WAs.t Jmn-m-HA.t* Die Sängerin der Hathor, Herrin der südlichen Sykomore, deren Name Setjka ist*, fragt nach dem Befinden der Amunsängerin Sachmet-neferet*, die in der südlichen Stadt ist*, Gattin des wab-Priesters des Amun* und grossen Vorlesepriesters von Theben, Amenemhet*. Nachricht m a.w.s. m Hsw.t





Jmn-Ra nsw nTr.w*

Hna Dd 1.3 xy od=t* (...) mk wj =j Hr Dd n PtH aA rsj(.w)-jnb=f nb anx-tA.wy* n ¤xm.t aA.t mry(.t) PtH* n 1.4 ¤xm.t tA [...]* Nb.t-Htp.t n pA sbA Hr.y* n PtH n pA sbA jsy* n PtH sDm nH.t* 1.5 nA [nTr.w jm.y] pr PtH* n Jmn-Ra nb t-tA.wy* pA rhnj aA n Pry-nfr* n Jmn n Hw.t nTr.w* n PsD.t (1.6) jm.y.t Pr-PtH n Bary.t n OdS.t n anAy.t* Bary-DApwnA* n ¤pd n ¤mA.t nb anx-tA.wy* n 1.7 pA-Ra n [...]* n PtH Dd.ty Sps.y*

In Leben, Heil und Gesundheit und in der Gunst des Amun-Re, des Königs der Götter*. Ferner, wie geht es dir?* Schau, spreche zu Ptah dem Grossen, südlich-seiner-Mauer, dem Herrn von Anch-tawy* zu Sachmet, der Grossen, der Geliebten des Ptah*, zu Sachmet, der [...]*, zu Nebet-hetepet des oberen Tores*, zu Ptah-des-alten-Tores*, zu Ptah, der die Bitten erhört* und [zu den Göttern, die im] Tempel des Ptah sind*; zu Amun-Re, dem Herrn der der Beiden Länder*, dem grossen Widder von Perinefer*; zu Amun des Tempels der Götter*, zu der Neunheit, die im Tempel des Ptah ist*; zu Baalat, zu Qadesch und zu Anat*; zu Baal-Zaphon*, zu Soped, zu Semat, Herrin von Anchtawy*; zu Re von [...]*, zu Ptah, dem noblen Djed-Pfeiler *,

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n Ssm.t nb.t anx-tA.wy* n PtH xnty-tA-nn* n 1.8 PtH Xr.y bAoA=f (?)* n Nb-mAa.t-Ra -Xnm.t-PtH* n ¡w.t-@r-nb(.t)-nhAy-Sma.w*





m rn=s MHy.t 1.9 wr.t* n ¤bk n Mry* n ¦Awr.t pA-hAb* n ¤Xm.t {n} nb(.t) tpnj* n Jmn-abw n PtH nb 1.10 smn mAa.t* n PtH nb ¡mw* ¡p m Pr-PtH* n Jnpw wt xnt.y sH-nTr nb tA-Dsr* n Wsjr nb rA-sTAw* 2.1 n [...]fr.t Hr.y-js.t (...).

zu Sachmet (?), der Herrin von AnchTauy*, zu Ptah Chentj-Tjanen*, zu Ptah, der unter dem Moringa-Baum(?)* zu Neb-maat-Re, vereinigt mit Ptah*, zu Hathor, Herrin der südlichen Sykomore*, in ihrem Namen von Mehet-weret*, zu Sobek von Mery*, zu Taweret des Ebenholzbaumes*, zu Sachmet, der Herrin von Tpone (?)*, zu Amun der Lattich-Pflanze, zu Ptah, dem Herrn, der die Gerechtigkeit dauernd festgesetzt hat*, zu Ptah, Herrn von Hemu*, Apis in Per-Ptah*, zu Anubis, dem Balsamierer, dem Ersten der Gotteshalle, dem Herrn der Nekropole*, zu Osiris, dem Herrn von Rosetau* zu [...] Leiter der Mannschaft*, (...).

Kommentar Dieser Text entstammt einer Schülerhandschrift und wird somit als Musterbrief gedeutet, der fiktiv von einer Sängerin aus Memphis an eine Sängerin in Theben adressiert ist. Für diese Deutung spricht u.a. die ungewöhnlich lange Liste von Gottheiten bzw. Götterbildern sowie die roten Verspunkte, die in Briefen ungewöhnlich sind. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass es sich hauptsächlich um memphitische Gottheiten handelt. Dies unterstreicht das Muster der Briefe, wonach der Absender angibt, bei den Göttern in seiner Umgebung für den Empfänger und dessen Gesundheit zu beten. S. dazu Kapitel 5.3.2.

B.20.1:

P.Berlin 10494, Z. 2–4/5–6

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re, Re, Ptah, „alle Götter und Göttinnen, die hier verweilen“; Nachricht: Amun Datierung: 20. Dynastie (Jahr 2 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina Absender: Tjaroy (Rufname des Thutmosis, dazu ČERNÝ 2001: 365) Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ 283

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Empfänger: Pentahunacht Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA mSa n tA Hw.t nsw Wsr-mAa.t-Ra Mry-Jmn „Schreiber der Truppe des Hauses des Königs Usermaatre Meriamun“ Literatur: ČERNÝ 1939: 23–24 (Nr. 12), WENTE 1967: 44–45 (Nr. 12), DERS. 1990: 176–177 (Nr. 292). Text Grussformel: (…) 2. (…) m a.w.s. Hsw.t Jmn-Ra nsw nTr.w tw={t}n Dd n Jmn pA-Ra 3. PtH nTr nb nT[r.t] nb.t nty dy Htp jmj n=k a.w.s. aHaw jAw.t aA.t jmj n=k Hsw.t 4. on.w aSA.w m-bAH Jmn-Ra nsw nTr.w pA ptr tw ra nb sp sn (…) In Leben, Heil und Gesundheit und in der Gunst des Amun-Re, des Königs der Götter! Wir sprechen zu Amun, Re, Ptah und zu jedem Gott und jeder G[ött]in, die hier verweilen, (und bitten sie,) dir Leben, Heil und Gesundheit, (eine lange) Lebenszeit, ein hohes Alter und (sehr) viel Gunst vor Amun-Re, dem König der Götter, demjenigen, der auf dich täglich aufpasst, zu geben. Nachricht: 5. sDm={t}n j.Dd tw=k jj.tj pH=k r njw.t pA dmy Ssp tw Jmn m Ssp(.w) 6. nfr jry=f n=k nfr(.w) nb (…) Wir haben gehört, dass du angekommen bist und Theben erreicht hast. Möge Amun dich mit einem guten Empfang empfangen möge er alles Gutes für dich tun! (…) Kommentar Die Rolle Amuns als Beschützer ist in der hiesigen Stelle durch einen alternativen Ausdruck namhaft gemacht: Er ist derjenige, der auf den Einzelnen (hier: den Empfänger) achtet (ptr). Aufgrund dieser spezifischen Funktion wird Amun vom Absender unter die angebeteten Götter aufgenommen und der Empfänger unter den persönlichen Schutz des Gottes gestellt. Eine Variante davon ist in Kat. B.20.16, Z. 4 im Ausdruck Jmn pA-Ra PtH j.jr=w mAA a=k enthalten, in dem mAA als Synonym für ptr eingesetzt wird.

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B.20.2:

P.Leiden I 369, Z. 3–5/6–10 (rto.), 3–4 (vso.)

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Harsaphes, Thot, „jeder Gott und jede Göttin, an denen ich vorbeigehe“; Nachricht: Amun (nsw-tA.wy); Mertseger Datierung: 20. Dynastie (Jahr 6 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina Absender: Thutmosis (aus Mittelägypten) Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Empfänger: Butehamun (Theben-West) Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr “Nekropolenschreiber” (in Medinet Habu; ČERNÝ 2001: 340–383) Literatur: ČERNÝ 1939: 1–2 (Nr.1); WENTE 1967: 18–19 (Nr.1), DERS. 1990: 178–179 (Nr. 295). Text Recto Grussformel: (...) 3. tw=j Dd n @r-Sftt nb Nnj-nsw +Hwty nb ¢mnw nTr nb nTr.t nb(.t) 4. nty tw=j snj r=w(a) jmj n=tn a.w.s. aHa.w jAw(.t) aA.t nfr.t jmj n=tn Hsw.t 5. m-bAH nTr.w rmT (…) (...) Ich sage zu Harsaphes, dem Herrn von Herakleopolis, (zu) Thot, dem Herrn von Hermopolis, und zu jedem Gott und jeder Göttin, an denen ich vorbeigehe, sie sollen euch Lebenszeit, Heil und Gesundheit geben, eine lange Lebenszeit und ein gutes reifes Alter. (Und) sie sollen euch Gunst vor Göttern und Menschen geben (…). Nachricht: jj tw=j anx.kwj m pA hrw 6. dwA.w Hr Dr.t pA nTr(b) (…) 9. (…) jx Dd=tn n Jmn ns.t-tA.wy Mrsgr jnj wj jw=j anx.kwj 10. Yar NAw-maxAy (...) Ich bin heute am Leben; Morgen ist in der Hand Gottes. (…). (…) Bitte, sag Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder und Mertseger, (sie mögen) mich lebendig vom Yar von Namechay zurückzubringen. 285

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(…) Verso (...) 3. (…) jx Dd=tn n Jmn jnj wj(c) jj wn=j mr.k(wj) m-dj 4. pH=j m xd xr bn tw=j m pAy=j sxr jwnA (...) (...) Bitte, sag zu Amun, er soll mich zurückbringen. In Wahrheit, ich war krank als ich im Norden ankam, und ich bin nicht in meiner (normalen) Kondition. (…) Kommentar Dieser Brief ist ein Beispiel für die Kategorie der Fürbitte-Briefe (SWEENEY 1985). Der Ausdruck „(und) zu jedem Gott und jeder Göttin, an denen ich vorbeigehe“ ist in den ramessidischen Briefformeln öfters belegt (Kat. B.20.1) und selbst unter Berücksichtigung seiner Formelhaftigkeit, deutet er auf die Ortsgebundenheit des persönlichen Umgangs mit den Gottheiten hin. Die einzelnen Kultorte waren die Kontaktpunkte mit dem Göttlichen und dienten somit als Orte für die rituellen Handlungen einzelner Individuen, die zu ihren persönlichen Gunsten vollzogen wurden. Vgl. dazu Kapitel 3.1.4. Zum Titel (zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“) von Thutmosis und Butehamun s. ČERNÝ 2001: 340–383. (a) tw=j (H (Hr) r) snj r rA= rA=w: w: Wb.III.456.7–9 gibt keine Beispiele für sn r im Sinne von „vorbeilaufen“. S. dazu den Kommentar bei WENTE 1967: 18, Anm. a. (b) dw dwA.w A.w Hr Dr.t pA nTr „Morgen ist in der Hand Gottes“: Zum Ausdruck „in der Hand Gottes“ vgl. SHIRUN-GRUMACH 1990 sowie die Äusserung in der Lehre des Amenemope mn mnx m-Dr.t pA nTr xr mn whA m-bAH=f „Es gibt keinen Erfolg in der Hand des Gottes, aber es gibt auch kein Versagen vor ihm“ (P.BM 10474, 19.13–20.1; GRUMACH 1972: insbes. 124ff.). Vgl. dazu LUISELLI 2007b: 162–164. Zu Yar von Namechay siehe WENTE 1967: 19, Anm. j. (c) jx Dd=t Dd=tn n n Jmn Jmn jnj j : Im Gegensatz zu rto. 6, wird hier der Imperativ jnj nicht von einem abhängigen Pronomen begleitet, sondern von einem Suffixpronomen. Zu diesem Gebrauch siehe den Kommentar von WENTE 1967: 19, Anm. n. Hier wird trotzdem die korrekte Form rekonstruiert.

B.20.3:

P.Leiden I 370, Z. 2–4 (rto.)/16–19 (vso.)

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re, Harachte, Harsaphes, Thot, „jeder Gott und jede Göttin, an denen ich vorbeigehe“. Datierung: 20. Dynastie (Jahr 6 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina; arch. Fundkontext: unbekannt Absender: Thutmosis (aus Mittelägypten)

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Titel des Absenders: zXA m pA xr („Nekropolenschreiber“) Geschlecht des Absenders: männlich Empfänger: Butehamun und Schedemdua (Theben-West) Geschlecht des Empfängers : männlich und weiblich Titel des Empfängers: zXA m pA xr „Nekropolenschreiber“; Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ Literatur: ČERNÝ 1939: 9–11a (Nr. 5), WENTE 1967: 27–31 (Nr. 5), DERS. 1990: 180– 181 (Nr. 297). Text Recto Grussformel: (...) 2. (…) m a.w.s. Hsw.t Jmn-Ra-nsw-nTr.w tw=j Dd n Jmn-Ra @r-Axt.y @r-Sfty nTr aA 3. +Hwty nb ¢mnw nTr nb nTr.t nb(.t) nty tw=j snj Hr=w jmj n tn a.w.s. 4. aHaw oA jAw.t aA.t nfr.t ra nb sp sn (...)

    



(...) In Leben, Heil und Gesundheit und der Gunst des Amun-Re-König-der-Götter. Ich spreche zu Amun-Re-Harachte, Harsaphes, dem grossen Gott, (zu) Thot, dem Herrn von Hermopolis, und (zu) jedem Gott und jeder Göttin, an denen ich vorbeigehe, (und bitte sie,) dir Leben, Heil, und Gesundheit zu geben, (sowie) eine lange Lebensdauer, und ein schönes reifes Alter, täglich. (...) Verso Abschiedsformel: 16. (...) mtw=k mw n 17. Jmn-ns.t-tA.wy mtw=k Dd n=f Sd (wj) (...) 18. mtw=k Dd n Jmn j.rwj(a) pAy Amr nty jm.





(…) und du sollst Wasser zu Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder und ihm sagen, dass er (mich) retten soll! (...) Und du sollst Amun sagen, die Krankheit, die in ist, zu beseitigen!

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Kommentar Hier fragt Thutmosis nach dem Vollzug bestimmter ritueller Handlungen (Wasserspende) 25 sowie nach einer Fürbitte bei Amun, von welcher man glaubte, sie könne bei Problemen helfen und sie lösen. Die Hinwendung an eine Gottheit für die Rettung aus einer persönlichen Notlage entstammt der in der Ramessidenzeit verbreiteten Vorstellung, über das eigene Leben keine Macht zu besitzen und von den Göttern abhängig zu sein. S. dazu GNIRS 2003 sowie die Auseinandersetzung mit Andrea M. GNIRS’ Thesen in Kapitel 6.2.1. rwj: Für rwj mit der Bedeutung „(eine Krankheit) beseitigen“ s. Wb.II.406.21. (a) j.rwj

B.20.4:

P.Griffith, Z. 2–4/Z. 6–8 (rto.), Z. 1–4 (vso.)

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re, „die Götter, die in meiner Nähe sind“ Datierung: 20. Dynastie Herkunft: Deir el-Medina Absender: Thutmosis (Standort unbekannt) Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA m pA xr „Nekropolenschreiber“ Empfänger: Butehamun und Hemescheri Geschlecht des Empfängers: männlich und weiblich Titel des Empfängers: zXA m pA xr „Nekropolenschreiber“; Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ Literatur: ČERNÝ 1939: 12 (Nr. 6), WENTE 1967: 32 (Nr. 6), DERS. 1990: 201 (Nr. 325). Text Recto Grussformel: (...) 2. (…) m a.w.s. 3. m Hsw.t Jmn-Ra-nsw-nTr.w tw=j Dd n nA nTr.w nty m hAw=j jmj n=k 4. a.w.s. aHaw oA jAw.t aA.t jmj n=k Hsw.t m-bAH nTr.w ra nb (...) in Leben, Heil und Gesundheit und (in) der Gunst des Amun-Re-König-der-Götter. Ich spreche täglich zu den Göttern, die in meiner Nähe sind, (und sage ihnen), dir Leben, Heil, und Gesundheit zu geben, eine lange Lebensdauer und ein hohes Alter, sowie die Gunst in der Gegenwart der Götter jeden Tag. Nachricht: (...) 25

S. dazu BAINES 2001a: 9; B.20.7, B.20.11, B.20.12 und B.20.17. Vgl. auch SWEENEY 1985: 214.

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6. (...) wnn Sa.t(=j) spr=k 7. jw=k Dd n Jmn jnj wj jw=j anx.kwj ky Dd n Smay(.t) n Jmn 8. BAky Smay(.t) n Jmn ^d(-m-)dwA.t m a.w.s. m Hsw.t Jmn-Ra nsw (...) (...) Sobald (mein) Brief dich erreicht, sollst du Amun sagen, dass er mich lebendig zurückbringen soll. Eine weitere Sache für die Amunsängerin Baky und die Amunsängerin Schedemduat. In Leben, Heil und Gesundheit und (in) der Gunst von Amun-Re, König . Verso 1. tw=j Dd n nA nTr.w nty m [hAw=j] jm nn anx jmj n=n wDA jmj n=n snb 2. jmj n=n Hsw.t m-bAH nTr.w rmT ra nb (…) (...) 4. (…) wnn tAy=j sa.t spr jw=n Dd n Jmn jnj wj (anx.kwj) (...) Ich spreche jeden Tag zu den Göttern, die in [meiner Nähe] sind, (und bitte sie, ) Leben, Heil, Gesundheit und Gunst in Gegenwart der Götter und Menschen täglich zu geben. (...) (...) Sobald mein Brief dich erreicht, sollt ihr Amun bitten, mich (lebendig) zurückzubringen. Kommentar Während die Grussformel dieses Briefes die übliche ramessidische Wunschform für den Empfänger aufweist, wird in der eigentlichen Nachricht ausdrücklich nach einer Fürbitte an Amun zugunsten des Absenders des Briefes gefragt. Das Verb dafür ist Dd „sagen“, was auch in dem Briefformular die tägliche Hinwendung den Göttern gegenüber bezeichnet: Im Akt des Sprechens zu den Göttern artikuliert sich die gesuchte Gottesnähe. Über die möglicherweise ausgreifende Komplexität des Aktes der rituellen Annäherung kann jedoch keine Aussage getroffen werden. Die eigentliche Bitte wurde möglicherweise dadurch realisiert, dass man sich zur Stelle begab, wo der Kontakt zwischen dem Beter und dem Gott durch dessen göttliches Bild stattfinden konnte. S. dazu auch Kapitel 3.1.1 sowie den Kommentar zu Kat. B.18.4.

B.20.5:

P.BM 10417, Z. 2–6/Z. 12 (rto.)/Z. 1–5 (vso.)

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel-Einführung: Amun-Re-König-der-Götter, Mut, Chons, alle Götter von Theben. Grussformel-Gebet: Amun-Re-Harachte, Amun-des-

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Thrones-der-Beiden-Länder, Amenophis I., (Ahmes-)Nefertari, Amun-vereinigt-mitder-Ewigkeit (Xnm.w-nHH) 26 Datierung: 20. Dynastie (Jahr 6 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina Absender: Amenophis Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: (Hm-nTr-Priester von Amenophis I. in Theben-West) Empfänger: Thutmosis Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Literatur: ČERNÝ 1939: 27–28 (Nr. 14), WENTE 1967: 46–47 (Nr. 14), DERS. 1990: 179 (Nr. 296). Text Grussformel: (...) 2. m a.w.s. m Hsw.t Jmn-Ra-nsw-nTr.w Mw.t #nsw nTr.w nb.w WAs.t tw=j Dd n Jmn3. Ra ¡r-Ax.ty m wbn=f m Htp=f Jmn-ns.t-tA.wy  Jmn-Htp a.w.s. 4. Nfr-tr a.w.s.tj Jmn-Xnm.w-nHH Hna psD.t=f jmj n=k a.w.s. aHaw qA jAw.t 5. aA.t Hsw.t onw(.t) aSA.t m-bAH Jmn-Ra-nsw-nTr.w m-bAH pA 6. jm.j-rA mSa pAy=k nb (...) (…) (...) in Leben, Heil und Gesundheit und in der Gunst des Amun-Re-König-der-Götter, (von) Mut, Chons und allen Göttern von Theben. Ich spreche jeden Tag zu AmunRe-Harachte, wenn er aufgeht und wenn er untergeht, (zu) Amun-des-Thrones-der- Beiden-Länder, (zu) Amenophis I., L.H.G., (zu) Nefertari, L.H.G., (zu) Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit und (zu) seiner Neunheit, (und bitte sie), dir Leben, Heil und Gesundheit, eine lange Lebenszeit, ein hohes Alter zu geben, und alle Gunst des Amun-Re-König-der-Götter und des Vorstehers des Miltärs, deines Herrn. Nachricht: (...) 12. tw=j Dd n Jmn-Ra-nsw-nTr.w jmj n=k Hsw.t m-bAH pA jm.j-rA mSa pAy=k nb

26

Zu diesen Formen des Amun s. insbes. NELSON 1942, OTTO 1952, NIMS 1955 sowie generell MURNANE 1980.

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(...) Ich spreche zu Amun-Re-König-der-Götter, (und bitte ihn,) dir die Gunst des Vorstehers des Militärs, deines Herrn, zu geben. Verso: 1. mtw Jmn jnj=k jw=k wDA(.tj) (…) 2. (…) jw Sd tw Jmn ns.t-tA.wy mtw=k pAy=f bAk 3. tw=j wAH=k m-bAH  Jmn-Htpa.w.s. r-tnw xay=f 4. jw=j (r) sA=k jw=j (r) jnj=k jw=k wDA.tj jw=k (r) mH jr.t=k m pA wbA=j 5. xr=f jw=j (Hr) hAb r rdj.t am=k (...)

 

Und möge Amun dich heil zurückbringen (...) (…) und möge dich retten, denn Du bist sein Diener! Ich setze dich vor Amenophis I., L.H.G., bei jeder Erscheinung Amun-des-Thronesder-Beiden-Länder von ihm. ‚Ich werde dich schützen! Ich werde dich heil zurückbringen! Du wirst deinen Blick Mit meinem wbA-Vorhof füllen!’ sagt er. Ich schreibe dir, damit du (es) weisst. (...) Kommentar In diesem Brief finden sich Andeutungen auf rituelle Handlungen, die zugunsten des Absenders vollzogen wurden und einen Einblick in die Rituale ermöglichen, die für persönliche Anliegen ausgeführt wurden. Während in Kat. B.18.4–20.2 und Kat. B.20.4 nur die Rede von einer Fürbitte ist, wird in Kat. B.20.3 eine zu vollziehende Wasserspende erwähnt, die das Erhören von persönlichen Gebeten unterstützen sollte. Im vorliegenden Beispiel erfolgt sogar eine Orakelbefragung durch den Absender des Briefes, der ein Priester war und somit als Einziger in der Lage war, eine Handlung dieser Art zu vollziehen (BAINES 2002: 9 und BAINES/PARKINSON 1997). Der Ausdruck „ich setze dich vor Amenophis I.“ deutet darauf hin, dass die Orakelbefragung durch die Vorlage einer schriftlichen Bitte erfolgte, welche die Gottheit durch die Vermittlung des beauftragten Priesters beantwortete. Vgl. dazu weitere Beispiele unter Kat. B.20.13, B.20.14 und B.20.19.

B.20.6:

P.BM 10300, Z. 2–5/5–7

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel-Einführung: Amun-Re-König-der-Götter; Nachricht: Amun-Re, Mut, Chons, Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit (Jmn-Xnm.w-nHH), „alle Götter von Theben“ 291

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Datierung: 20. Dynastie Herkunft: Deir el-Medina Absender: Hekanefer (aus Mittelägypten) Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: Hm-nTr sn 2 (n Jmn-Ra) „zweiter Hm-nTr-Priester (des Amun-Re)“ Empfänger: Thutmosis Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Literatur: ČERNÝ 1939: 37–39 (Nr. 23), WENTE 1967: 55–56 (Nr. 23), DERS. 1990: 181– 182 (Nr. 298). Text Grussformel: (…) 2. m a.w.s. m Hsw.t Jmn-Ra-nsw-nTr.w tw=j Dd n 3. ntr nb nTr.t nb.t nty tw=j snj Hr=w jmj n=k a.w.s. aHaw oA 4. jAw.t aA.t Hsw.t onw(.t) aSA.t m-bAH Jmn-Ra nsw nTr.w 5. pAy=k nb ra nb sp sn (…) (…) In Leben, Heil und Gesundheit und in der Gunst des Amun-Re-König-der-Götter! Ich spreche jeden Tag zu jedem Gott und zu jeder Göttin, an denen ich vorbeigehe, (und bitte sie,) dir Leben, Heil, Gesundheit, eine lange Lebensdauer, ein hohes Alter und sehr viel Gunst vor Amun-Re-König-der-Götter, deinem Herrn zu geben, jeden Tag. Nachricht: 5. (…) wnn Sa.t(=j) spr r=k jw=k (r) Dd n 6. Jmn-Ra nsw nTr.w Mw.t ¢nsw Jmn-Xnm(.w)-{r}nHH nTr.w nb.w WAs.t 7. Sd wj jnj wj r Njw.t jw=j anx.kwj (...) (…) Sobald (mein) Brief dich erreicht, sollst du Amun-Re, dem König der Götter, Mut, Chons, Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit, und allen Göttern von Theben sagen, (sie mögen) mich retten und mich zur Stadt (Theben) lebendig zurückbringen (...). Kommentar Es ist hier zu bemerken, dass die in der Grussformel erwähnten Gottheiten sich von denen, die in der eigentlichen Nachricht des Briefes angerufen werden, unterscheiden. Die Formelhaftigkeit des anfänglichen Grusses im Brief (BAINES 2001: 7) gilt daher auch für die dort aufgelisteten Gottheiten. Im Falle von Amun ist seine Anrufung aufgrund 292

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der Tatsache zu erklären, dass er der Staatsgott war. Wollte jedoch der Absender die Aufmerksamkeit des Empfängers wecken und ihn um eine Fürbitte ersuchen, nennt er offenbar diejenigen Gottheiten, zu denen der Empfänger aufgrund der räumlichen Nähe einen direkten Zugang hatte, sodass es sich vor allem um lokale Götter handelt.

B.20.7:

P.Turin 1973, Z. 2–3 (rto.)/1–8 (vso.)

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re-König-der-Götter, der in Elephantine residiert; Horus von Kuban; Nachricht: Amun-des-Schönen-Treffens, Mertseger Datierung: 20. Dynastie (Jahr 10 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina Absender: Thutmosis (aus Nubien) Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Empfänger: Butehamun Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“ Literatur: ČERNÝ 1939: 2–5 (Nr. 2), WENTE 1967: 20–21 (Nr. 2), DERS. 1990: 188–189 (Nr. 311). Text Grussformel: (...) 2. m a.w.s. Hsw.t Jmn-Ra –nsw-nTr.w Hr.j-jb Abw [tw=j Dd n Jmn-Ra-nsw-nTr.w nA nTr.w] 3. n nA Dw.w nty tw=j m-Xnw=w jmj [jnj.tw=j... ]? (…)



(…) In Leben, Heil und Gesundheit und (in) der Gunst des Amun-Re-König-der-Götter, der in Elephantine residiert. [Ich spreche zu Amun-Re- König-der-Götter, und zu den Göttern] der Berge, in denen ich mich befinde, (und bitte sie), [mich zurückzubringen (...)] (…). Nachricht: Verso 1. (…) xrm [tm nn jTA mw n] Jmn-ns.t2. tA.wy mtw=k Dd n=f j.jn (w)j JAar pA nty tw=j jm xrm [tm nn jTA mw n] 3. od n grH hrw jw HAtj(=j) m-sA=tn xrm [tm nn jTA mw n](a) 4. Jmn-Xnm.w-nHH mtw=k Dd n=f n jw=k jnj.tw=j jw=j wDA.k(wj) (…) 6-7. [tw=j Dd n] ¡r n BAkA jm (n)=tn a.w.s. ra nb sp 2 jx Dd=tn n Jmn (...) 8. Jmn-THn-nfr Mrsgr jn jw=j anx.kwj mtw=j mH qnj=j jm (n)=tn m pA wbA n Jmn-ns.t-tA.wy





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(…) Ferner [vernachlässige nicht, Wasser zu] Amun des-Thrones-der Beiden-Länder [zu bringen], und sage ihm, er soll mich aus Yar , dem Ort an dem ich bin! Und [vernachlässige nicht, Wasser zu (…) zu bringen, denn] ich bin wach nachts und tagsüber, weil ich mir Sorgen um Dich mache! Ferner [vernachlässige nicht, Wasser zu] Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit, zu bringen und frage ihn, ‚Wirst du mich heil zurückbringen?’ (…) [Ich spreche zu] Horus von Kuban, (und bitte ihn), dir jeden Tag L.H.G. zu geben. Bitte Amun (...), Amun-des-Schönen-Treffens und Mertseger, (mich) lebendig zurückzubringen und ich werde dich im wbA-Vorhof des Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder umarmen. Kommentar Bemerkenswerterweise erwähnt Thutmosis in seiner Grussformel neben der nationalen Form des Amun auch diejenige, die den Gott in Elephantine verortet. Dadurch rückt wiederum die lokale Dimension der Götterwelt, mit welcher der Einzelne täglich in Kontakt war, in den Vordergrund (vgl. dazu den Kommentar zu Kat. B.20.6). In Kat. B.20.2–6, B.20.8–9 und B.19.5 wird der Empfänger darum gebeten, sich durch den Vollzug von bestimmten Ritualen an eine bestimmte Gottheit zu wenden, um den Absender des Briefes heil nach Hause zurückkehren zu lassen (Fürbitte). Im vorliegenden Fall handelt es sich hingegen um eine Bitte, die der Absender für sich selbst gegenüber den Gottheiten äussert. Dennoch ist diese persönliche Bitte im Rahmen der Grussformel verortet, während im Abschnitt der eigentlichen Nachricht, das Muster der Fürbitte wieder auftaucht: Der persönliche Kontakt zu einer Gottheit scheint nicht zu genügen und der Einsatz anderer Personen und ihrer Ritualvollzüge (Wasserspende) bleibt von primärer Bedeutung. Hier zeichnet sich also wiederum die Verbindung zwischen dem vollzogenen Ritual der Wasserspende und der Bitte ab: Butehamun soll es nicht versäumen, die notwendigen Wasserspenden zu vollziehen, damit die vorgetragene Bitte auch die erwünschte Wirksamkeit hat. [tm m nn jTA jTA mw n] n]: Zur Rekonstruktion der lacuna vgl. WENTE 1967: 21 (d). (a) xrm [t

B.20.8:

P.BM 10284, Z. 2–6

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re-Harachte; Nachricht: keine Datierung: 20. Dynastie Herkunft: Deir el-Medina Absender: Butehamun (Theben-West) Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“ Empfänger: Schedsuhor Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: Hm-nTr n ¡w.t-@r „Hm-nTr-Priester von Hathor“

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Literatur: ČERNÝ 1939: 48–49 (Nr. 29), WENTE 1967: 65 (Nr. 29), DERS. 1990: 196 (Nr. 317). Text Grussformel: (...) 2. (...) tw=j Dd n Jmn-Ra 3. (n) @r-Ax.ty jw=f wbn Htp jm n=k a.w.s. Hsw.t onw.t asA.t m-bAH 4. pA jmj-rA mSa pAy=k nb mtw Jmn jnj.tw{=k} jw=k a.w.s.(tj) r-Xrj (r) Km.t mtw=j mH onj(=j) jm=k 5. jw Sd nA nTr.w n pA tA nty tw=k jm=f mtw=w swAD=k nA nTr.w pAy=k 6. dmy.t (...). (...) (...) Ich spreche zu Amun-Re (und zu) Harachte, wenn er aufgeht und wenn er untergeht (und bitte ihn), dir Leben, Heil und Gesundheit und viel und zahlreiche Gunst in der Gegenwart des Vorstehers des Militärs, deines Herrn, zu geben; und möge Amun dich lebendig, heil und gesund nach Ägypten zurückbringen und (möge) ich dich umarmen. Die Götter des Landes, in dem du dich befindest, haben dich errettet. Mögen sie dich den Göttern deiner Stadt übergeben (...). Kommentar Hinter dem Ausdruck tw=j Dd n Jmn-Ra (n) @r-Ax.ty jw=f (Hr) wbn Htp „Ich spreche zu Amun-Re (und zu) Harachte, wenn er aufgeht und wenn er untergeht“ kann das Vorhandensein täglicher Gebete, die an den Sonnenaufgang und Sonnenuntergang gebunden waren, vermutet werden (vgl. dazu auch Kat. B.20.12 und B.20.17, sowie Kapitel 6.3 und SWEENEY 1985: 215). Die zwei täglichen Erscheinungsformen der Sonne waren von besonderer Bedeutung, da durch den Übergang in eine andere Phase des Tages die göttliche Natur überhaupt visuell wahrgenommen und erfahren wurde. Die Zeilen 5–6 deuten ebenfalls auf eine Besonderheit dieses Briefes im Vergleich zum Rest des Briefkorpus hin: Derjenige, der in der Ferne lebt und der in anderen Quellen (z. B. Kat. B.20.7) die eigenen Freunde und Angehörigen auffordert, die Götter seiner Heimatstadt um eine heile Rückkehr nach Hause zu bitten und dabei alle notwendigen Rituale zu vollziehen, wird hier so beschrieben, als ob er von den Göttern des Landes, in dem er sich befindet, gerettet worden wäre. Die heile Rückkehr nach Hause konnte anschliessend (ohne „somit“ weil vorher etwas anderes ausgesagt wird) konzeptuell durch das Einschalten der Gottheiten des eigenen Herkunftsortes erfolgen. Die verschiedenen Lokalgötter werden hierbei in Interaktion für das Wohlbefinden des einzelnen Menschen beschrieben.

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B.20.9:

P.Genf D 192, Z. 6–8

Erwähnte Gottheit(en): Nachricht: Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit; jeder Gott meiner Stadt Datierung: 20. Dynastie Herkunft: Deir el-Medina Absender: Paianch (südlich von Theben) Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: Hsw „Sänger“ Empfänger: Thutmosis Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Literatur: ČERNÝ 1939: 33–34 (Nr. 17), WENTE 1967: 51 (Nr. 17), DERS. 1990: 185 (Nr. 307). Text Nachricht: 6. (...) tw=j m rwD m pA 7. hrw dwAw Dr.t pA nTr j.Dd n Jmn-Xnm(.w)-nHH (n) nTr nb n pAy=j dmy.t 8. Sd wj m-dj pAy=j nb (...) (...) Ich fühle mich wohl heute; morgen ist der Hand des Gottes. Bitte Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit, und jeden Gott meiner Stadt, mich vor meinem Herrn zu schützen. (...) Kommentar Hier tritt das gewöhnliche Muster der Bitte des Absenders an den Briefempfänger hervor, gemäss dem die Götter der eigenen Heimatstadt um das Wohlbefinden und den Schutz desjenigen, der fern war, angebeten werden sollten.

B.20.10:

P.Bibliothèque Nationale 196 II, Z. 3–4

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re-König-der-Götter; Nachricht: Chnum, Satet und Anuket Datierung: 20. Dynastie Herkunft: Theben-West Absender: Tjaroy (in Nubien), Rufname des Thutmosis (dazu ČERNÝ 2001: 365). Geschlecht des Absenders: männlich

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Titel des Absenders: zXA n pr-xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Empfänger: Karoy und Butehamun Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: sAw n pr-xr aA Spsj n pr-aA „Wächter der grossen und noblen Nekropole des Pharao“; zXA n pA xr aA Spsj „Schreiber in der grossen und noblen Nekropole“ Literatur: ČERNÝ 1939: 21–22 (Nr. 10), WENTE 1967: 42–43 (Nr. 10), DERS. 1990: 195– 196 (Nr. 316). Text Grussformel: (…) 3. m a.w.s. m Hsw.t Jmn-Ra nsw nTr.w pAy=tn nb nfr (…) In Leben, Heil und Gesundheit und in der Gunst des Amun-Re-König-der-Götter, eures schönen Herrn! Nachricht: r nty tw=j Dd n £nmw ¤tT 4. ano.t jm anx(.w)=tn jm snb(.w)=tn jm rnpj(.w)=tn ra nb sp sn (…) Folgendes: Ich spreche täglich zu Chnum, Satet und Anuket, (und bitte sie) euch lebendig, gesund und jung werden zu lassen jeden Tag. (…) Kommentar In der Grussformel wird wie in Kat. B.20.6 Amun-Re als Dynastiegott erwähnt, während im Abschnitt der Nachricht die Gottheiten angerufen werden, mit denen der Absender aufgrund seines momentanen Standortes (hier: Nubien/Elephantine) tatsächlich in Kontakt kam.

B.20.11:

P.Turin 1971, Z. 3–8/12–13

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re, König der Götter; Mut; Chons; alle Götter von Theben; Re-Harachte; Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit; Amun-von- Djeme; Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder; die grosse und noble Achtheit, die in Chefti-her-nebes ruht; Mertseger-Herrin-des-Westens; Hathor-Herrin-von-Deir-el-Bahari; Amenophis I.; Nachricht: Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder Datierung: 20. Dynastie Herkunft: Deir el-Medina Absender: Butehamun (aus Theben-West); Schedsu und Hemescheri 297

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Geschlecht des Absenders: männlich und weiblich (zwei Absender) Titel des Absenders: zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“; Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ (Schedsu und Hemescheri) Empfänger: Thutmosis (in Nubien) Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Literatur: ČERNÝ 1939: 31–33 (Nr. 16), WENTE 1967: 49–51 (Nr. 16), DERS. 1990: 192– 193 (Nr. 314). Text Grussformel: (...) 3. tw=n Dd n Jmn-Ra-nsw-nTr.w Mw.t ¢nsw nTr.w nb.w WAs.t pA-Ra ¡r-Ax.ty m wbn=f m 4. Htp=f n Jmn-Xnm(.w)-nHH n Jmn-©A-mAa.t Jmn ns.t-tA.wy nA ¢mnw aA Sps 5. nty Htp.w m xf.t-Hr-nb=s Mr.t-sgr Hnw.t Jmnt.t ¡w.t-¡r Hm.t Dsr.t tA Hnw.t nA Dw.w 6. nty tw=k m-Xnw=w Jmn-Htp a.w.s. Nfr-trj a.w.s. Jmn-THn-nfr jw=j aHa.k(wj) m pAy=f 7. wbA mn.t jw bw jrj=j onw jw=j smAa(a) m rn(.w)=w r Dd jmj n=k 8. Hsw.t onw(.t) aSA.t m-bAH pA jm.j-rA mSa pAy=k nb (...)





(...) Wir sprechen zu Amun-Re-König-der-Götter, (zu) Mut, (zu) Chons, (und zu) allen Göttern von Theben, (zu) Re-Harachte, wenn er aufgeht und wenn er untergeht, (zu) Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit, zu Amun-von-Djeme, zu Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder, (zu) der grossen und noblen Achtheit, die in Chefti-her-nebes ruht, (zu) Mertseger, Herrin des Westens, (zu) Hathor-Herrinvon-Deir-el-Bahri und Herrin der Berge in denen du bist, (zu) Amenophis I., L.H.G., (zu Ahmes-)Nefertari, L.H.G., (und zu) Amun-des-Schönen-Treffens, indem ich in seinem wbA-Vorhof täglich stehe ohne müde zu sein, betend in ihrem Namen, (und sage ihnen), dass sie dir sehr viel Gunst vor dem Vorsteher des Militärs, deinem Herrn, geben. (…) Nachricht: (…) 12. (...) m-jr nnj m jTA mw n Jmn-ns.t-tA.wy tw=j jrj.t sp 2 r 3 n pA 13. s.w 10 bw jrw nnj m TAj n=f mw(b) xr nfr jw=k dj.t HA.tj=k n=f dj=f n=k HA.tj=f 14. bn Aty jwnA (…) (...) 298

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(...) ‚Vernachlässige nicht, Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder Wasser zu bringen.’ Ich tue (es) 2 oder 3 Mal in der Woche (=10 Tage). Ich vernachlässige nicht, ihm Wasser zu bringen. Es ist gut, dass du dein Herz ihm zugewendet hast. Möge er auch sein Herz zu dir wenden, ohne wütend zu werden! (...) Kommentar Wie in Kat. B.20.3, B.20.7 und B.20.12 wird in diesem Brief die Wasserspende als Kultvollzug für die persönliche Annäherung an den Gott thematisiert, wobei hier auf die Aufforderung von Kat. B.20.7 eingegangen wird, die Wasserspende nicht zu vernachlässigen. Darüber hinaus wird die Häufigkeit eines solchen persönlichen Kultvollzuges beschrieben (zwei oder drei Mal alle zehn Tage). Besonders interessant ist die Ausdrucksweise für die Idee der Gottesnähe: Gott und Mensch wenden sich gegenseitig ihre Herzen zu. Es geht also nicht nur um die Gottesbeherzigung (ASSMANN 1997a) als aktive Tat des Menschen gegenüber der Gottheit. Vielmehr wird hier auf eine Gegenseitigkeitsstruktur – d. h. an das do ut des-Prinzip – abgehoben, die in den Weisheitstexten und in den Gebetsstelen oft in Form von Verspaaren deutlich wird (ASSMANN 1979b). Die Hinwendung der Gottheit zu einem Menschen kann jedoch auch negativ konnotiert sein, daher der Wunsch, Amun möge dabei nicht wütend werden. In diesem Brief wird jedoch auch der Besuch des wbA-Hofes eines Tempels oder Heiligtums als notwendige Voraussetzung für das Beten und Anbeten der Gottheit erachtet. (a) smAa mAa: „beten zu einem Gott“ (Wb.IV.125; belegt neuägyptisch). (b) TTAj Aj mw mw: hier in Alternanz mit jTA mw gebraucht.

B.20.12:

P.Phillipps, Z. 2–8/15–16 (rto.), Z. 4–6 (vso.)

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re-König-der-Götter, Re-Harachte, Atum, Chnum, Amun-von-Djeme, Hathor, Amenophis I., (Ahmes-)Neferari, Amun-desSchönen-Treffens; Nachricht: Amenophis I., „die Götter des Landes, in dem du dich befindest“ 27, Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder. Datierung: 20. Dynastie Herkunft: Deir el-Medina; arch. Fundkontext: unbekannt Absender: Amenophis Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: Hm-nTr (n Jmn-Htp) “erster Hm-nTr-Priester (des Amenophis I.)“ Empfänger: Thutmosis Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ 27

Damit sind die nubischen Götter gemeint. S. dazu den Kommentar zu diesem Brief.

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Literatur: ČERNÝ 1939: 28–30 (Nr. 15), WENTE 1967: 47–49 (Nr. 15), DERS. 1990: 196– 197 (Nr. 318). Text Grussformel: (...) 2. tw=j Dd n 3. Jmn-Ra-nsw-nTr.w nb ns.t tA.wy xnt.y Jp.t-sw.t pA-Ra-¡r4. -Ax.ty m wbn=f m Htp=f n Jtm nb tA.wy Jwn(.y) $nm(.w) jrr Xnm nA ¢mnw 5. aA Sps r nty Htp m tA thAn.t xf.t-Hr-nb=s a.w.s. j.jr n=w nA 6. Dw.w r nty tw=k m-Xnw n Jmn-+A-mAa.t n ¡w.t- Hm.t Jmnt.t 7. n Jmn-Htp a.w.s. Nfr-trj a.w.s. Jmn-THn-nfr nsw a.w.s. TAj HD.t 8. r nty Htp m ¢f.t-Hr-nb=s a.w.s. jmj n=k a.w.s. aHaw jAw.t aA.t nfr.t Hsw.t onw.t aSA.t m-bAH pA jmj-rA mSa pAy=k nb (...).







(...) Ich spreche zu Amun-Re-dem-König-der-Götter, Herr-des-Thrones-der-Beiden-Länder, Vorderstervon-Karnak, (zu) ReHarachte, wenn er aufgeht und wenn er untergeht, zu Atum-Herr-der-Beiden-Länder, dem Heliopolitaner, (zu) Chnum, der die grosse und noble Achtheit erschaffen hat, der im Berg von Chefti-her-nebes, L.H.G., ruht und der für sie die Berge, in denen du bist, gemacht hat, zu Amun-von-Djeme, zu Hat-Herrindes-Westens, zu Amenophis I., L.H.G., zu (Ahmes-)Nefertari, L.H.G., zu Amun-des-SchönenTreffens, dem König, L.H.G., der die weisse Krone trägt, der in Chefti-her-nebes, L.H.G., ruht, (und bitte sie) dir Leben, Heil und Gesundheit, eine (lange) Lebensdauer, ein hohes und schönes Alter, sehr viel Gunst in der Gegenwart des Vorstehers des Militärs, deines Herrn, zu geben. (...). Recto Nachricht: (...) 15. tw=j aHa.kwj m-bAH 16.Jmn-Htp.w a.w.s. mn.t jw=j wab.kwj (...) (...) Ich stehe täglich vor Amenophis I., L.H.G., indem ich rein bin. (...) Verso 300

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(...) 4. (…) tw=j Dd n nA nTr.w n 5. pA-tA r nty tw=k jm=f jnj jw=k a.w.s mtw=w swAD=k n Jmn-ns.t-tA.wy 6. jA mnt=k pAy=f bAk Ax xr bw jrj=j nn m jTA n=f mw (...) Ich sage zu den Göttern des Landes, in dem du dich befindest, (sie mögen) dich lebendig, heil und gesund zurück bringen, und dich bei Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder gedeihen zu lassen. Wahrlich, du bist sein trefflicher Diener. Jetzt bin ich nicht faul (und vernachlässige nicht), ihm Wasser zu bringen. Kommentar Die Erwähnung des Reinheitszustandes, in dem sich der Absender des Briefes beschreibt, wenn er vor einem Gottesbild steht, verdient in diesem Brief eine besondere Aufmerksamkeit. Dies geht mit der Tatsache einher, dass Amenophis auch Hm-nTrPriester des vergöttlichten Amenophis I. war und somit der Reinheitszustand zu seiner Dienstpflicht gehörte. Zum Ausdruck Tw=j Dd n nA nTr.w n pA tA r nty tw=k jm=f „Ich sage zu den Göttern des Landes, indem du dich befindest“, der die Hinwendung des Absenders (Amenophis) an Götter des momentanen Aufenthaltsortes des Empfängers (Thutmosis) beschreibt, vgl. WENTE 1967: 49, Anm. l: “This may be a reference to petitioning of Nubian gods depicted on temple walls. In the mortuary temple of Ramesses III. at Medinet Habu such petitioning could have taken place before the Nubian deities depicted at the west end of the south wall of the roof terraces of the temple proper.” Vgl. dazu auch Medinet Habu VII, (OIP XCIII, 1964): Taf. 564-566.

B.20.13:

P.Nevill, Z. 1–7 (rto.)/1–6 (vso.)

Erwähnte Gottheit(en): Datierung: 20. Dynastie Herkunft: unbekannt; arch. Fundkontext: unbekannt Absender: unbekannt Geschlecht des Absenders: unbekannt Titel des Absenders: unbekannt Empfänger: Orakelgottheit Geschlecht des Empfängers: männlich Literatur: BARNS 1949. Text Recto: 1. wn=j wxA=k (r) Dd n=k nhj (n) mdw.w(=j) jw=k xpr

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2. HAp m tAy=k s.t rx.n=f(a) jw mn rmT m sbj 3. Hr=s (r) hAb=f n=k xr jr wj aHa.k(wj) jw=j gm @rj pAy 4. zXA n tA Hw.t  Wsr-mAa.t-Ra mr.y Jmn a.w.s. jw=f Dd n=j tw=j m (?) sb.k(wj) jw=j hAb=f n=k 5. ptr jw=k (r) kf(.t) sStA m pA hrw mtw=k 6. jj r bw rA-wA.t m a n swtwt wDa=k nA mdw.w n pA 5 7. dw n tA Hw.t  ¡r.w-m-HAb pAy ky dw Sn.w n pA zXA n pA xr Ich suchte dich, um von dir einige Sachen (= Worte) von mir zu erzählen, (aber) du bist verschwunden in deinem Allerheiligsten. Es gibt keinen, der (hinein)gehen kann, um es dir zu schicken. Aber als ich wartete, traf ich Hori, den Schreiber des Tempels von Usermaatre-Meriamun, L.H.G., und er sagte zu mir: ‚Ich bin zugelassen’. Ich schicke ihn (also) zu dir! Schau! Du (sollst) heute das Geheimnis enthüllen und dich in der Nähe der Prozession ergehen (= der Angelegenheit des Ergehens). Du sollst über die Worte (= den Fall) der fünf dw-Gewänder des Tempels des Haremhab und auch (über) diese zwei dw-Gewänder des Nekropolenschreibers entscheiden. Verso: 1. bw jrw TAty Ssp nA Hbs.w Dd j.jrr=k mH.w 2. xr-jr pA ntj mj od=k jw=f m s.t StA(.w) jw=f HAp(.w) 3. sw (Hr) dj.t prj xrw=f bn rA-wA.t xr bw {jrr} =k hAb n=j nfr 4. bjn mk dj=k xpr 11 n As.ty tAy=k [...] 5. m pAy=k ao Hr=f mtw xpr bw jrw xrw=k prj bw rA6. wA.t mj od dwA.t n HH(b) nfr snb=k Der Wesir hat die Kleider nicht bekommen und sagt: „hast du (sie) vollzählig gemacht?“ Jemand, der so ist wie du, der im versteckten Ort der Geheimnisse ist, lässt seine Stimme herausgehen! Aber du hast mir weder Gutes noch Schlechtes mitgeteilt. Siehe, du hast veranlasst, dass Isiy, [...] 11 bekommen hat, als du eingetreten bist dafür und deine Stimme nicht rauskam, fern wie in der Unterwelt einer Million. Auf Wiedersehen. Kommentar Papyrus Nevill, dessen Verso ein Palimpsest ist, wurde in London gekauft. Der unbekannte Autor des Briefes berichtet davon, Kontakt mit einer unerwähnten Gottheit im Orakel aufgenommen zu haben und beschreibt wie dies gescheitert ist, da sich der Gott ins Sanktuar zurückgezogen hat, bevor er überhaupt auf die Bitten und Fragen des Beters (= des Briefabsenders) eingehen konnte. Besonders wichtig ist dabei die Tatsache, dass der Beter und Assertor dieses Textes ausdrücklich sagt, er habe eine Person gefunden, welche die Erlaubnis hat, in das Sanktuar zu gehen und die Gottheit zu befragen, d. 302

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h. er hat einen Priester gefunden, der ihm seine Orakelbefragung übermittelt. Wenn also dieses Dokument zentral für die Rekonstruktion von Orakelbefragungen ist, erweist sich dessen Beurteilung und Untersuchung insofern problematisch, als es nicht das normale, für die Briefe übliche Formular aufweist und mit einer unüblichen Abschiedsformel endet (vgl. dazu BAINES 2002: 26). (a) s.t rx. rx.n=f n=f „der Ort den er (der Gott) kennt“: (d. h. das Allerheiligste) Wb.II.443(5, 11). S. dazu ROEDER 1913: 60, 170, 21 (s.t rx.t.n=f). (b) dw dwA.t A.t n HH HH: s. Wb.III.153.13. Vgl. dazu auch BARNS 1949: 71, der aufgrund dieses Ausdruckes die Stille der Gottheit mit der Stille der Unterwelt vergleicht.

B.20.14:

P.BM 10326 (P.Salt 1821), Z. 3–4/15–17

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Horus von Kuban; Horus von Aniba; Atum; Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder; Nachricht: Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit; Amenophis I.; (Ahmes-)Nefertari; Mertseger; Amun-dessen-Ort-heilig-ist. Datierung: 20. Dynastie (Jahr 10 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina; arch. Fundkontext: unbekannt Absender: Thutmosis (aus Nubien) Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Empfänger: Butehamun, Schedemdua und Hemescheri Geschlecht des Empfängers: männlich und weiblich Titel des Empfängers: zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“ (Butehamun); Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ (Schedemdua und Hemescheri 28) Literatur: ČERNÝ 1939: 17–21 (Nr. 9), WENTE 1967: 37–42 (Nr. 9), DERS. 1990: 190– 192 (Nr. 313). Text Grussformel: (...) 3. r nty tw=j Hr Dd n ¡r-BAkA ¡r- MAmAj Jtm pA nb tA jmj n=tn a.w.s. aHaw oA 4. jAw.t aA.t nfr(.t) (...)





(...) Ferner: Ich spreche zu Horus von Kuban, Horus von Aniba, und Atum, Herr des Landes, (und bitte sie), dir Leben, Heil und Gesundheit zu geben, eine lange Lebensdauer und ein gutes reifes Alter. (...) 28

Zum Titel der Hemescheri s. Kat. B.20.11.

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Nachricht: (...) 15. (…) tw=j m rwD Dd n Jmn-Xnm(.w)-nHH  Jmn-Htp a.w.s 16. Nfr-tr Mr.t-sgr tAy=j Hnw.t Jmn-Dsr-s.t jnj wj j[w=j] anx.kwj mtw[=k] wAH (wj) -bAH 17. Jmn-Xnm(.w)-nHH Jmn-Htp a.w.s. mtw=k Dd n=w jw=tn (r) jnj.t=f jw=f anx mtw=k Dd n Jmn-ns.t-tA.wy Sd (wj) (...)

 





(…) Es geht mir gut. Sag zu Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit, Amenophis I., L.H.G., (Ahmes-)Nefertari, Mertseger, meiner Herrin, und Amun-dessen-Ort-heilig-ist, (sie mögen) mich lebendig zurückbringen! Und setze (mich) vor Amun-Vereinigt-mit-der-Ewigkeit, und (vor) Amenophis I, L.H.G., und sag ihnen: ‚Ihr sollt ihn lebendig zurückbringen’. Und bitte Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder, (mich) zu retten! (…) Kommentar Zum Ausdruck mtw=k wAH (wj) -bAH Jmn Xnm(.w)-nHH „setze (mich) vor Amunvereinigt-mit-der-Ewigkeit (…)“ vgl. den Kommentar zu B.20.5, B.20.19 sowie WENTE 1967: 40 (l): „Probably a written petition bearing the individual’s name was deposited before the god“. Vgl. dazu auch ČERNÝ 1935: 42.

B.20.15:

P.Genf D 407, Z. 2–8/15

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re-König-der-Götter, Mut, [Chons], alle Götter von Theben, Re-Harachte, Amun (von Karnak), Amun-Userhat Datierung: 20. Dynastie (Jahr 10 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina; arch. Fundkontext: unbekannt Absender: Butehamun Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“ Empfänger: Thutmosis Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Literatur: ČERNÝ 1939: 13–17 (Nr. 8), WENTE 1967: 33–37 (Nr. 8), DERS. 1990: 187– 188 (Nr. 310). Text Grussformel: (...) 304

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2. (...) m a.w.s. m Hsw.t Jmn-Ra-nsw-nTr.w tw=j Dd n Jmn-Ra-nsw-nTr.w Mw.t [¢nsw] 3. nTr.w nb.w WAs.t n [email protected] m wdd=f m Htp=f n Jmn-ns.t-tA.wy 4. xnt.y Jp.t-sw.t n Jmn-wsr-HA.t Hna PsD.t=f n nTr nb nTr.t 5. nb(.t) r nty tw=j ptr m mn.t jmj n=k a.w.s. Hsw.t on.w aSA.t m-bAH 6. pA jm.j-rA mSa pAy=k nb mtw Jmn jnj=k jw=k wDA.tj mtw=j mH.t 7. jr.t(=j) m ptr=k mtw=k mH.t jr.t=k m Jmn ns.t-tA.wy pAy=k nD.ty 8. jkm aA nty hAn=k n=f jAt=k (...)









(…) In Leben, Heil und Gesundheit und (in) der Gunst des Amun-Re- König-der-Götter. Ich spreche zu Amun-Re-König-der-Götter, (zu) Mut, [Chons], und zu allen Göttern von Theben, zu Re-Harachte, wenn er aufgeht und wenn er untergeht,zu Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder, Vorderster von Karnak, zu Amun-Userhat und seiner Neunheit, und zu jedem Gott und jeder Göttin, die ich jeden Tag sehe, (und bitte sie), dir Leben, Heil und Gesundheit zu geben und sehr viel Gunst vor dem Militärvorsteher, deinem Herrn. Und möge Amun dich heil zurückbringen und (mein) Auge mit dem Anblick von dir füllen! (Mögest) du dein Auge mit Amun-des-Thrones-der-Beiden-Länder füllen, deinem Beschützer und grossen Schild, vor dem du deinen Rücken beugst (...). 29 Nachricht: (...) 15. jA st anx(.w) m pA [hrw dwA] (m) a.wy pA nTr (...) Wahrlich, sie sind [heute] am Leben; [morgen] ist in den Händen Gottes. Kommentar Über die gängigen Elemente der Grussfomel eines Briefes hinaus verdient die Metapher des Schildes (jkm), die Amuns Beschützerrolle wiedergibt, eine besondere Aufmerksamkeit, weil in diesem Kontext die Verneigung vor dem Götterbild (hAn=k n=f jAt=k) beschrieben wird, was ansonsten nicht belegt ist.

B.20.16:

P.Bibliothèque Nationale 197, IV, Z. 4–6

Erwähnte Gottheit(en): Nachricht: Amun, Re, Ptah Datierung: 20. Dynastie (Jahr 10 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina; arch. Fundkontext: unbekannt Absender: Thutmosis (aus Nubien) 29

S. dazu weitere Belege bei CAMINOS 1954: 46.

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Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Empfänger: Kar Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: sAw „Wächter“ Literatur: ČERNÝ 1939: 13 (Nr. 7), WENTE 1967: 32–33 (Nr. 7), DERS. 1990: 200 (Nr. 323). Text Nachricht: (...) 4. (…) m Jmn pA-Ra PtH j.jr=w mAA a=k 5. mtw=w jrj n=k nfr(.w) (...) 6. (...) mtw=k Dd n Jmn jnj wj jw=j wDA.k(wj) Yar (...) Es sind Amun, Re und Ptah, die sich um dich kümmern (=die nach dir sehen) und Gutes für dich tun. (...) (…) Und bitte Amun, mich heil von Yar zurückzubringen (...). Kommentar Eine besondere Aufmerksamkeit verdient im Abschnitt der eigentlichen Nachricht des Briefes die Erwähnung von Gottheiten, die ein direktes Verhältnis zum Individuum (hier: dem Briefempfänger) haben, wodurch das Konzept des persönlichen Gottes seinen Ausdruck findet. Wie üblich wird im Abschnitt der Grussformel Amun-Re als König der Götter erwähnt, sowie alle Götter, mit deren Bildern der Absender in Kontakt kommt. Aus diesen unterschiedlichen Nennungen erschliesst sich die Diskrepanz zwischen dem stereotypischen Teil der Grussformel und dem individuellen Aspekt der Nachricht.

B.20.17:

P.Bibliothèque Nationale 199, 5–9+196,V+198, IV, Z. 2–3/Z. 11

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re-Harachte Datierung: 20. Dynastie (Jahr 10 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina; arch. Fundkontext: unbekannt Absender: Thutmosis Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA n pA xr aA Spsj n HH m rnp.wt n pr-aA „Schreiber der grossen und noblen Nekropole von Millionen von Jahren des Pharao“ Empfänger: Butehamun Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA n pA xr „Nekropolenschreiber“

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Literatur: ČERNÝ 1939: 5–7 (Nr. 3), WENTE 1967: 21–24 (Nr. 3), DERS. 1990: 186–187 (Nr. 309). Text Grussformel: (…) 2. […] tw=j Dd n Jmn-Ra-¡r-Ax.ty jw=f wbn Htp 3. […jmj] n=k a.w.s. jmj n=k Hsw.t -bAH nTr.w rmT ra nb.





(…) […] Ich spreche zu Amun-Re-Harachte, wenn er aufgeht und untergeht, (...) (und sage ihm), dir täglich Leben, Heil und Gesundheit und Gunst den Göttern und den Menschen zu geben. (...) Nachricht: (...) 10. (…) xrm nn m 11. [jTA mw] r pAy=f wbA mtw=k smAa n=f Sd=f (wj) (...) (…) Ferner, vernachlässige nicht, [Wasser] zu seinem wbA-Vorhof [zu bringen] und bitte ihn, (mich) zu retten. (...). Kommentar Zur Notwendigkeit des Vollzuges der Wasserspende bei der Gebetsausübung s. die Kommentare zu Kat. B.20.3, B.20.5, B.20.11 und B.20.12, sowie Kapitel 5.3.2. Zur zeitlichen Einbindung von Gebeten an den Sonnengott siehe Kat. B.20.8 und B.20.12 sowie Kapitel 6.3.

B.20.18:

P.Genf D191, Z. 2–4/16-17 (rto.)/Z. 1 (vso.)

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun-Re-König-der-Götter, Amun-Re-Harachte, „alle Götter von Theben“ Datierung: 20. Dynastie (Ramses IX., Jahr 2 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina; arch. Fundkontext: unbekannt Absender: Henuttaui Geschlecht des Absenders: weiblich Titel des Absenders: Smay.t n Jmn „Amunsängerin“ Empfänger: Nesamenope Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA „Schreiber“ 307

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Literatur: ČERNÝ 1939: 57–60 (Nr. 37), WENTE 1967: 71–74 (Nr. 37), DERS. 1990: 174– 175 (Nr. 290). Text Grussformel: (…) 2. m a.w.s. m Hsw.t Jmn-Ra-nsw-nTr.w tw=j Hr Dd n Jmn-Ra-¡r-Ax.ty jw=f wbn Htp 3. Mw.t ¢nsw nTr.w nb.w WAs.t jmj n=k a.w.s. aHaw oA jAw.t aA.t nfr.t Hsw.t on.w(t) 4. aSA.t m-bAH Jmn-Ra-nsw-nTr.w pAy=k nb nfr (…) In Leben, Heil und Gesundheit und in der Gunst des Amun-Re, des Königs der Götter! Ich spreche zu Amun-Re-Harachte, wenn er aufgeht und wenn er untergeht, (zu) Mut, Chons und (zu) allen Göttern von Theben, (und bitte sie), dir Leben, Heil und Gesundheit, eine lange Lebenszeit, ein hohes, schönes Alter und sehr viel Gunst vor Amun-Re-König-der-Götter, deinem guten Herrn, zu geben. Nachricht (…) 16. (…) jw=j gr.n=j m rA r Dd j.jr.tw=k jj wn 17. jrj Jmn-Xnm.w-nHH bjn nb.t jm=j (…) jw bn sw xAr n jt (...) (…) Ich schwieg, da ich dachte, dass bevor du zurück kommst, Amun-vereinigt-mit-der-Ewigkeit, mir etwas Böses antun würde. (…) Denn es gibt kein char mehr an Getreide Verso 1. r pAy=f Htp.w-nTr (…) für sein Gottesopfer! (...). Kommentar Zur Verortung dieses Briefes und dessen geschichtlichen Hintergrund s. SWEENEY 1994. Dieser Brief weist als Suffixpronomen der 1. Person Singular das Zeichen B1 (  ) auf, was nach SWEENEY 1992: 523ff. ein Hinweis dafür sein könnte, dass Henuttaui selbst den Brief niedergeschrieben hat.

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B.20.19:

P.Turin 1975, Z. 3

Erwähnte Gottheit(en): Datierung: 20. Dynastie (Jahr 10 der wHm-msw.t) Herkunft: Deir el-Medina Absender: Paianch Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: jm.j-rA mSa n Pr-aA „Vorsteher der Truppen von Pharao“ Empfänger: Tjaroy (= Thutmosis) Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA (n pA) xr „Nekropolenschreiber“ Literatur: ČERNÝ 1939: 37 (Nr. 22), WENTE 1967: 54–55 (Nr. 22), DERS. 1990: 184– 185 (Nr. 306). Text Nachricht (…) 3. (…) r-Dd wAH=j nA mDA.wt m-bAH pAy nTr aA wDa 4. =f {sn} m wDa nfr (…) (…) (…) Folgendes: Ich habe die Papyri vor dem grossen Gott niedergelegt, damit er ein gutes Urteil gibt. (…) Kommentar Dieser Brief, der ausnahmsweise keine Grussformel enthält, beschreibt die Befragung einer Orakelgottheit durch die Darbringung einer schriftlichen Botschaft und ist somit ergänzend zu Kat. B.20.5, B.20.13 und B.20.14 zu betrachten.

B.20.20:

P.Bologna 1094, 10.9–11.4, Z. 10.11–11.4

Erwähnte Gottheit(en): Grussformel: Amun; Mut; Chons; Amenophis-n-pA-wbA; Amenophis-pA-jb-jb; Hathor-des-Persea-Baumes; Amenope; die acht Paviane, die im wbAVorhof sind; Hathor, die in Theben residiert; das grosse Tor des Baki; die Götter von Theben. Datierung: 20. Dynastie Herkunft: Memphis; arch. Fundkontext: Grab (?) Absender: Puhem Geschlecht des Absenders: männlich Titel des Absenders: zXA „Schreiber“ 309

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Empfänger: Anherrech Geschlecht des Empfängers: männlich Titel des Empfängers: zXA „Schreiber“ Literatur: GARDINER 1937: 10; CAMINOS 1954: 28–34. Text Grussformel (...) tw=j 10.11 Hr Dd n Jmn Mw.t ¢nsw n Ax sw aS mrw.t WAs.t Hr tA mj.t rhnj 11.1 n Jmn-Htp n pA wbA n Jmn-Htp-pA-jb-jb n ¡w.t-@r 11.2 n pA SAwAb n Jmn n Jp.t n pA xmnw jan nty m pA wbA 11.3 n ¡w.t-@r Hr.y-jb WAs.t n pA sbA aA n BAkj nA nTr.w nTr.w.t nb.w 11.4 njw.t (…) (...) Ich spreche zu Amun, Mut und Chons, zu dem, der trefflich ist, zum Baum der Liebe (?) von Theben in der Sphingenallee, und zu Amenophis-n-pA-wbA, zu Amenophis-pA-jb-jb, zu Hathor des Persea-Baumes, zu Amenope, zu den acht Pavianen, die im wbA-Vorhof sind, zu Hathor, die in Theben residiert, zum grossen Tor des Baki und zu den Göttern und Göttinnen, den Herren der Stadt (=Theben). (...). Kommentar Zu diesem Text als Musterbrief vgl. den Kommentar zu Kat. B.19.5. Mit dem Tor des Baki ist wahrscheinlich das Tor im Osten des Osttempels von Karnak gemeint (PLANTIKOW-MÜNSTER 1969: 120), das als ein Gebetsort beschrieben wird (vgl. Kapitel 3.1.4). Zu Amenophis-pA-jb-jb s. BETRÒ 2008: 96.

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3

Auszüge aus Gebeten

3.1

Auszüge aus Gebeten des Mittleren Reiches

G.12.1:

TT 60, Gebet des Antefoker

Verehrte Gottheit(en): Hathor/Sachmet Datierung: 12. Dynastie (Sesostris I.) Herkunft: Theben-West; Scheich Abd el-Gurna, Südmauer der Kultnische im Grab des Antefoker (TT 60; Grabplan: DAVIES 1920: Taf. I) Stifter/Autor: Dedu (Harfenspieler) für Antefoker Titel: Dedu: Hsw „Sänger“ (und Harfenspieler); Antefoker: TA.tj „Wesir“ Geschlecht: männlich Literatur: DAVIES 1920: 24, Taf. 29, ALLAM 1963: 139, POSENER 1988 (zu Antefoker), diskutiert in FALCK 1990: 116-117, ALTENMÜLLER 2009: 29. Zum Grab: KAMPP 1996: 275–277, Abb. 163. Text 1. spr=j sDm=T Hm.t nb.w(t) 2. snmH=j pXr n[=j] jb=T 3. jnD Hr=k nb.t jdw ¤x[m.t] aA.t nb.t4. r-Dr wAS.t wrr.t Hr-tp jt{=f} 5. jAy.t xnt.t jr.w=s xnt.t n s.t wjA n Ha(a) 6. wsTn.t m snTy jna [...] 7. [...] st.wt=T sHD tA.wy jw 8. jdb.wy Xr sxr=T aw.t=T p[at](b) (…) Ich bitte, dass du hören mögest, o Majestät, Goldene! Ich bitte, dass (du) [mir] dein Herz zuwendest. Sei gegrüsst, Herrin des Gemetzels, die grosse Sachmet, die Herrin des Alls, die Ehrenhafte, die Weisse Krone auf dem Haupt Vaters, die Älteste, die sich vor ihrem Schöpfer befindet, Platz sich vorne in der Barke des Leibes befindet, diejenige, die in der Kajüte frei schreiten kann. Die Arme [...]. [...] Deine Strahlen erhellen die Beiden Länder. Die Beiden Ufer sind unter deiner Leitung. Deine Herde sind die pat-Men[schen]. (…) Kommentar Bilddarstellung Auf der Grabwand sind der Harfenspieler Dedu (rechts) und die Harfenspielerin Chuit (links) dargestellt. Sie sind nach rechts gewandt und singen Hymnen an Hathor, die sie musikalisch mit der Harfe begleiten, und die im oberen Teil der Szene in Kursivhieroglyphen angebracht sind.

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Inhalt Dedus Hymnus ist hier aufgrund des besseren Erhaltungszustandes gewählt worden. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass Hathor direkt nach der Erhörung der persönlichen Bitte vom Harfenspieler Dedu angefleht wird. Das Grab des Antefoker ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch aus einem anderen Grund von Interesse. Hier wurden insgesamt 36 Graffiti aus der frühen 18. Dynastie (Thutmosis I.-Thutmosis III.) entdeckt, die über den Besuch des Grabes und dessen Benutzung als „Wallfahrtsort“ berichten (KAMPP 1996: 277, Anm. 1; DAVIES 1920: 27–29, Taf. 35/35A–37/37A; PEDEN 2001: 68–69). In diesen Inschriften wird das Grab als r-pr „Tempel“ bezeichnet (Graffito Nr. 17, Taf. 36/36A: (…) r mAA r-pr pn n Jnj.t=f-jor wn.n=sn Hr dwA(.t) n=f nTr wr). Patricia SPENCER konnte überzeugend belegen, dass seit dem Mittleren Reich r-pr einen Tempel von gleichwertiger Bedeutung wie ein Hw.t-nTr bezeichnet, obwohl sich die Bedeutung von r-pr im Laufe der Zeit geändert hatte (SPENCER 1984: 37–42), und obwohl pr - zumindest im Neuen Reich – vermutlich nur die religiösen Implikationen eines Tempels beinhaltete (HARING 1997: 34). Die Tatsache, dass das Grab des Antefoker während der 18. Dynastie als r-pr bezeichnet wurde, spricht für die Bedeutung dieser Grabstätte, die in der populären Wahrnehmung zu einem Tempel umfunktioniert wurde. Die Graffiti in diesem Grab spiegeln insgesamt das herrschende Bewusstsein für Antefoker als Grabinhaber aus der Zeit Sesostris’ I. (Graffito Nr. 29) - und dies trotz der Tatsache, dass in TT 60 fast nur dessen Mutter Senet erwähnt wird (POSENER 1988: 75). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass pr pn die Standardbezeichnung der Totentempel in Theben-West war (HARING 1997: 27): Indem die Schreiber und Autoren von Graffito Nr. 17 das Grab als r-pr pn definierten, könnten sie den Ausdruck angewandt haben, der ihnen zur Bezeichnung von „memorial temples“ (pr pn) bekannt war. (a) jr.w .w=s =s xnt xnt.t .t n s.t s.t wjA n Ha „Deren Platz vorne in der Barke des Leibes ist“: vgl. CT 204f –205a (Spruch 47): „Sie gibt dir (dem Toten) Myrrhen im grossen Hause bei ihrem Herausgehen zur Barke des Leibes“. Mit dem Ausdruck „Barke des Leibes“ ist das Sonnenschiff gemeint. Spätere Überlieferungen belehren uns darüber, dass der Sonnengott in seiner Barke den Namen „Leib (jwf)“ zu tragen pflegte (ALLAM 1963: 117), womit das mythische Bild von Hathor am Bug des Sonnenschiffes hervorgerufen wird. aw.t= t=TT p[a p[at] t] „Deine Herde sind die Menschen“: Z. 7–8 beinhalten Ausdrücke, die (b) aw. später in der Sonnentheologie des Neuen Reiches Verwendung fanden. Insbesondere Z. 8 belegt ein frühes Zeugnis für die Bezeichnung der Menschen als Herde Gottes (aw.t nTr), wofür insbesondere auf die „Lehre für Merikare“ (P.Eremitage 1116A, Vers. 131): Hn rmT aw.t n.t nTr „Versorgt sind die Menschen, das Vieh Gottes“ (QUACK 1992: 78– 79) verwiesen sei.

G.12.2:

Stele Glasgow Hunterian Museum and Art Gallery; D1922.13, Z. 1–5

Verehrte Gottheit(en): Osiris Datierung: 12. Dynastie (Sesostris II.: FRANKE 2003: 104) Herkunft: Abydos; Nordfriedhof 312

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Stifter/Autor: Antef (und seine Frau Sentuanch) Titel: jm.j-rA jH.w „Vorsteher der Rinder“ Geschlecht: männlich Literatur: PETRIE 1925: 10 §20, Taf. 24, FRANKE 2003: 103–104. Text 1. jmAxw Jnj-jtj=f mAa-xrw dj=f jAw n Wsjr 2. sn-tA n ¢nt.j-Jmnt.t nTr aA nb AbDw jwj n=f nt.t jwt.t(a) Hr.j tA-Dsr 3. aro.t-HH nb tm HoA PsD.t sr Hnmm.t dwA PsD.t Ra jw 4. m hnw nb AbDw m sAw-tA n nTr xaj m jrw=f jj.n(=j) xr=k 5. mAA(=j) {m} nfr.w=k(b) dwA(=j) Tw mA.tj ra(.w) nb (...) Der würdige Antef, gerechtfertigt, gibt Lobpreis an Osiris, und küsst die Erde vor Chontamenti, dem grossen Gott, dem Herrn von Abydos, zu dem das, was ist, und das, was nicht ist, kommt, dem Vorsteher des heiligen Landes (Nekropole), von aro.t-HH, dem Herrn des Alls, dem Herrscher der Neunheit, dem Fürsten der Hnmm.t-Menschen. Die Neunheit preist Re, indem sie Herrn anjubelt. Abydos macht sa-ta für den Gott, der in seiner Gestalt erscheint. (Ich) bin zu dir gekommen, um deine Schönheit zu sehen, um dich zu preisen, wenn du dich täglich erneuerst. (...) 30. Kommentar Bilddarstellung Antef und Sentuanch sind auf der Stele unten links sitzend vor einem Opfertisch dargestellt. Beide halten in der Hand eine Lotusblume, die sie an die Nase führen; neben ihrem Sitz ist ihr Sohn stehend abgebildet. Die Stele bildet unten links und rechts weitere Mitglieder der Familie von Antef ab, während die Opferträger mit dem Opfertisch in der Mitte des Abschnittes dargestellt sind. Inhalt Zum „Sitz im Leben“ der Abydosstelen im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Studie Kapitel 3.1.3. wt.tt „zu dem das, was ist, und das, was nicht ist, kommt“: Typische (a) jwj n=f nt.t jjwt. Formel der Osirishymnen, welche Osiris’ allmächtige Natur beschreibt (LICHTHEIM 1988: 97, m. Anm.7). (b) mA mAA(=j) A(=j) {{m} m} nfr.w=k: Zum Wunsch, die Schönheit des Gottes sehen zu wollen, siehe Kapitel 3.1.3.

30

Es folgt ein Totenopfer.

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G.12.3:

Stele Turin 1547, Z. 1–2

Verehrte Gottheit(en): Osiris Datierung: Ende 12. Dynastie (GRAJETZKI 1997: 58) Herkunft: Abydos (FRANKE 2003: 102); Fundkontext unbekannt, Sammlung Drovetti. Stifter/Autor: Wahka (III.). Bezeichnung nach GRAJETZKI 1997: 58 Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, jm.j-rA Hm.w-nTr „Erbprinz und Fürst; Vorsteher der Hm-nTr-Priester“ Geschlecht: männlich Literatur: STECKEWEH/STEINDORFF 1936: 47, no. 9, Taf. 17a, FRANKE 2003: 102–103. Text 1. rdj.t-jAw n Wsjr nTr.w jm.j.w-xt=f jn HA.t.j-a WAH-kA 2. Dd=f jnD-Hr=k Wsjr-¢nt.j-Jmnt.t wn=j m Sms(.w)=k xntj jmAx.w rdj.tw n(=j) pr.t-xrw Hr xA.wt n.t Wnn-nfr nTr aA (...) Lobpreis geben an Osiris und an den Göttern, die in seinem Gefolge sind, durch den Fürsten Wahka, er sagt: Sei gegrüsst, Osiris-Chontamenti! Möge ich in deiner Gefolgschaft sein, vor den Würdigen. Möge (mir) ein Totenopfer von den Altären des Onnophris, des grossen Gottes, gegeben werden. (...). 31 Kommentar Zum „Sitz im Leben“ dieses Hymnus vgl. den Kommentar in Kapitel 5.1.1 a).

G.12/13?.4:

Stele Bologna EG 1911 (Taf. 1)

Verehrte Gottheit(en): Min-Hornacht Datierung: 12.-13. Dynastie (BRESCIANI 1985: 28) Herkunft: Abydos; Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: Aku Titel: jm.j-rA pr n Htp-nTr „Vorsteher der Domäne des Gottesopfers“ 32 Geschlecht: männlich Literatur: BRESCIANI 1985: 28–29, BOMMAS 2008. Für einen Überblick über die bis 2007 erschienene Literatur vgl. MALEK 2007: 289–290. Text 31 32

Es folgt ein Anruf an die Lebenden. Zu den administrativen Implikationen von Htp-nTr „Gottesopfer“ als Vermögen eines Tempels, zusätzlich zum primären Sinn der Opfergaben (auf den Altären der Götter) im ausgehenden Neuen Reich s. RÖMER 1994: § 384–386, S. 348–352, HARING 1997: 32. Eine Studie zur spezifischen Bedeutung dieses Terminus im Mittleren Reich ist mir nicht bekannt.

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1. Htp-dj-nsw [email protected] sA Wsjr mAa-xrw dj=f Ax m p.t wsr 2. m tA mAa(.t)-xrw m Xr.t-nTr D.t 3. n kA n jm.j-rA pr n Htp-nTr akw mAa-xrw nb jmAx Vertikale Zeilen : Ritualvermerk 1. dwA Mn.w sp 4 m pr.t=f 2. jn jm.j-rA pr n Htp-nTr akw Ein Opfergebet an Min-Hornacht, Sohn des Osiris, gerechtfertigt. Möge er Verklärung im Himmel, Macht auf Erden und Rechtfertigung in der Nekropole die Ewigkeit geben, für den Ka des Vorstehers der Domäne des Gottesopfers Aku, gerechtfertigt, Würdiger. Vertikale Zeilen: Ritualvermerk Min viermal anbeten bei seinem Auszug, durch den Vorsteher der Domäne des Gottesopfers Aku. Kommentar Bilddarstellung Bild und Text verteilen sich auf der im oberen Teil abgerundeten Stele ohne Registereinteilung. Unter dem Giebel sind Osiris-Chontamenti und Horus mit den Beischriften, die zu ihrer Identifikation dienen, dargestellt. Das in zwei horizontalen Zeilen angebrachte Opfergebet wird für Min-Hornacht als Sohn des Osiris gestiftet und ist von einem Ritualvermerk für den Vollzug von Kultpraktiken an einer Statue des Min während deren Prozession gefolgt. Dies könnte dafür sprechen, dass dieses Denkmal – das wahrscheinlich aus Abydos stammt – eine Form des Min bezeugt, die in Abydos verehrt wurde. Ein weiteres wahrscheinlich aus Abydos stammendes Denkmal aus der 13. Dynastie, das einen Verehrungstext an Min-Hornacht aufweist, ist die Stele Ny Carlsberg Glyptothek ÆIN 964 (JØRGENSEN 1996: 190–191, Nr. 79). Hier ist der Stelenstifter Renseneb stehend, mit nach unten hängenden Armen und offenen Händen dargestellt, was auf der Stele mit der Beischrift dwA nTr 4 sp Mnw-@r-nxt beschrieben wird und somit eine Parallele für den Kult dieser Gottheit in Abydos in der 13 Dynastie darstellt. Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist der oben erwähnte Ritualvermerk der viermaligen Anbetung der Min-Statue bei ihrem prozessionellen Auszug von besonderem Interesse. Unter den zwei horizontalen Zeilen ist eine Anbetungsszene dargestellt: links eine Statue des ithyphallischen Min auf einem Podest mit Stufen und hinter ihm zwei Kultkapellen. 33 Hinter Min, oberhalb der Kapellen, befindet sich ein Mann, der einen Kultgegenstand in der Hand hält. Eine Beischrift beschreibt ihn als einen wab-Priester, dessen Name Antef war und der „Eintritt“ (ao), wahrscheinlich in die bildlich dargestellte Kultkapelle, hatte. Auf der rechten Seite der Stele, hinter einem reich ausgestatteten Opfertisch, ist der Stelenstifter Aku in Anbetungsgestik abgebildet. 33

Zu Mins Ikonographie s. KNIGGE SALIS/LUISELLI 2010: 2.

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Inhalt Zur Identifizierung des Textes als ein frühes Zitat der Totenliturgien NR.7 aus der Ramessidenzeit vgl. BOMMAS 2008. Htp-nTr „Gottesopfer“ bezeichnet das gesamte Opfer, das vor dem göttlichen Kultbild während Kultzeremonien dargebracht wurde (PERDU 1996: 60u mit Literaturangaben). PERDUs Deutung basiert jedoch auf einer Statue Amenirdis’ I. Der jm.j-rA n pr n HtpnTr gehört im Mittleren Reich zu der untersten Schicht des Tempelpersonals und verweist auf die Zuständigkeit spezieller Büros innerhalb der Tempeladministration (MARTIN-PARDEY 1986: 403).

G.13.5:

Stele BM 447 (893), Z. 10–18

Verehrte Gottheit(en): Osiris-Chontamenti, Upuaut und andere Gottheiten. (hier: ein Abschnitt der Inschrift mit einem Gebet an Upuaut) Datierung: 13. –17. Dynastie Herkunft: Theben; Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: Amenemhet Titel: xtm.tj-bjt.j, jm.j-rA gs pr „Siegler des unterägyptischen Königs, Vorsteher der Domäne des Tempels“. Geschlecht: männlich Literatur: HTES 4: 12, Taf. 48–49, HASSAN 1930: 84–106, ASSMANN 1999: 468–469 (Nr. 206). Text (...) 10. Dd-mdw jn xtm.ty-bit.y jm.j-rA pr Jmn-m-HA.t jnD-Hr=k Wp-wA.wt xnt.j bA.w Jwnw jnj jrj nfr.t jm jrj.t.n=k 11. n=j nfr.t jnD-Hr=k Ra nb PsD.t Wp-wA.wt nfr @rsf xnt.j AbDw anx n=k Hp.t=k n=k 12. wrr.t=k n=k rdj Hp.t n nb Hp.t Wp-wA.wt @rsf xnt.j AbDw jnD-Hr=k Wp-wA.wt rdj(.w) n=f rA n 13. wa anx kA=k nmt.wt=k {n} nm(t.wt) nTr wa bnr Ha.wt rdj(.w) n=k pH.ty 14. jtrw Htp{=t} mw nmt.t=k Wp-wA.wt nb antjw kA snTr sHtp tw @w.t-@r m ra pn 15. ao.n=j Hr Wp-wA.wt mr @r.w nb mAa.t prj.n=j m Hr.w nb wrr.t Ssp.n=j Hs.t n.t 16. Wp-wA.wt jw wAH.n=j snD r tA nbj Xnj=j sp 2 (…) 17. sbn ¥w stb sgg sxr m nTr nb DA.t=f sw m Wp-wA.wt r sDm=f mdw=j nfr 18. m ra pn nHm=f wj m-a x.t nb.t Dw.t n.t [rnp].t tn n.t grH pn n.t ra pn m-a srx [wj] (...) (…) Zu rezitieren durch den Siegler des unterägyptischen Königs, den Hausvorsteher Amenemhet.

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Sei gegrüsst, Upuaut! Erster der Bau von Heliopolis, der das Gute bringt und tut! Bring, was du Gutes für mich geschaffen hast! Sei gegrüsst Re, Herr der Neunheit, Upuaut, der Schöne, Harsaphes, Vorderster von Abydos! Das Leben gehört dir, dein Steuergerät gehört dir, deine Weisse Krone gehört dir! Möge das Steuergerät dem Herrn des Steuergeräts, Upuaut-Harsaphes, der Abydos vorsteht, gegeben werden. Sei gegrüsst, Upuaut! Dem, der Ausspruch des Einen gegeben wurde! Dein Ka lebt, deine Schritte sind Schritte eines Gottes, du Einer, mit süssem Jubel! Die Kraft des Flusses wurde dir gegeben, du beruhigst das Wasser durch deinen Schritt. Upuaut, Herr der Myrrhe, Stier des Weihrauchs, Hathor stellt dich zufrieden an diesem Tage! Ich bin eingetreten zu Upuaut als Horus, Herrn der Maat; ich bin herausgekommen als Horus, Herr der Weissen Krone, nachdem ich die Gunst des Upuaut empfangen habe. Ich habe meine Furcht zu Boden abgelegt, ich habe den Schwimmenden [gerudert?]. (…) Möge Schu zu Fall bringen und das Planen eines jeden Gottes verwirren, der sich Upuaut in den Weg stellen könnte, bis er meine schönen Worte gehört hat an diesem Tage! Möge er mich erretten vor allem Übel dieses [Jahres], dieser Nacht, dieses Tages und vor denen, die [mich] anklagen (werden). (…) Kommentar Inhalt Upuaut wird in diesem Gebetstext als Herrscher von Abydos angerufen; alle Epitheta, die ihm hier zugeschrieben werden, sind in der Sonnentheologie und deren Einbindung in den Osiris-Mythos verortet. Z. 15-16 (ao.n=j Hr Wp-wA.wt mr @r.w nb mAa.t prj.n=j m @r.w nb wrr.t Ssp.n=j Hz.t n.t / Wp-wA.wt „Ich bin eingetreten zu Upuaut als Horus, Herr der Maat; ich bin herausgekommen als Horus, Herr der Weissen Krone, nachdem ich die Gunst des Upuaut empfangen habe“) deutet auf die Osirisfeierlichkeiten in Abydos hin, wofür auch der Ausdruck „ich habe den Schwimmenden [gerudert?]“ (Z. 16) spricht, da mit nbj „Schwimmer“ Osiris am Tag des Begräbnisses gemeint ist. Zur Erfahrung der Gottesnähe im Mittleren Reich im Rahmen der Osirisfeierlichkeiten in Abydos vgl. LICHTHEIM 1988: 134, BAINES 2009 sowie Kapitel 3.1.3 Ab Z. 15 wird der persönliche Bezug des Stifters zu Upuaut hervorgehoben. Demzufolge endet der Hymnus mit einer persönlichen Bitte um Errettung vor diesseitigen und jenseitigen Gefahren. Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist der Bezug zwischen dem Erhören der eigenen Worte und der Frage nach Errettung von zentraler Bedeutung, da dies in den Gebeten des Neuen Reiches zentral wurde und sich in diesem frühen Beispiel der Beweis für eine ältere Tradition der persönlichen Hinwendung an eine göttliche Instanz im Rahmen einer offiziellen Veranstaltung findet.

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3.2 G.18.1:

Auszüge aus Gebeten der 18. Dynastie TT 11 (Harfnerlied), Z. 1–4

Verehrte Gottheit(en): Amun-Re Datierung: 18. Dynastie (Hatschepsut/Thutmosis III.; es sind die Kartuschen beider Herrscher vorhanden, KAMPP 1996: 190) Herkunft: Theben-West, Dra Abu el-Naga; TT 11 (Grab des Djehuti), Gastmahlszene: vordere rechte Wand der Querhalle Stifter/Autor: Djehuti; Sänger und Harfnerspieler: Senires (¤nj-rs) Titel: (des Djehuti) jm.j-rA pr-HD; jm.j-rA jH.w n Jmn „Schatzhausvorsteher, Vorsteher der Rinder des Amun 34 Geschlecht: männlich Literatur: SCHOTT 1953: 128, SÄVE-SÖDERBERGH 1958: 280–291, diskutiert in ALTENMÜLLER 2009: 29-30. Zum Grab: KAMPP 1996: 190–192, GALÁN 2007: 777–788, insbes. 778–782. Text 35 Fürbitte für den Grabherr: 1. jnD Hr=k wbn m Nw 2. HD(a) baH tA.wy m nbw(b) Jmn nXt(?) nTr.w nb p.t nb tA nb mw



3. [nb] nt.t [...sXpr]= f nt-tA(c) omA 4. wnn.t nb.t rdj 5. TAw n dwA 6. sw saA 7. aHaw n jrj 8. mw=f 9. jm 10. snb pA 11. sr qbH 12. pAy 13. wnn mn



Gegrüsst seiest Du, der im Nun aufgeht! Der leuchtet und die Beiden Länder mit Gold überflutet. Amun, Starker der Götter, Herr des Himmels, Herr der Erde, Herr des Wassers [Herr] dessen, was ist, der die Pflanzen […entstehen lässt], der alles, was existiert, erschaffen hat. Der Lufthauch demjenigen gibt, der ihn anbetet, der die Lebenszeit dessen verlängert, der auf seinem Wasser ist (= ihm loyal ist). Gib, dass der kühle (= ruhige) Fürst gesund sei! Dieser, der bleiben wird!

Kommentar Der vorliegende Text gehört der Gattung der Harfnerlieder an und ist auf der unteren rechten Ecke der Gastmahlszene als Begleitung zur Darstellung des vor dem ersten Gast 34 35

Der letzte Titel ist durch mehrere „funerary cones“ belegt, die während der Räumungsarbeiten im offenen Hof vor dem Grabeingang entdeckt wurden (GALÁN 2007: 779, Anm. 6). Die folgende Transliteration des Textes basiert auf SÄVE-SÖDERBERGHs Aufzeichnung (1958: 285).

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knienden und spielenden Harfners Senires angebracht. Hinter ihm sind ein Mann (der Sänger PAj-jTA) und eine musizierende Frau zu erkennen. Zwischen diesen beiden Gestalten ist die weniger geläufige Darstellung eines tanzenden Affen zu erkennen (s. dazu SÄVE-SÖDERBERGH 1958: 285–286). Zu der Beziehung zwischen Djehuti und Amun sei darauf hingewiesen, dass mehrere Titel belegen Djehutis berufliche Tätigkeit im Tempel des Amun von Karnak, womit eine besondere Beziehung zu dieser Gottheit bereits zu seinen Lebzeiten bestand. (a) HD: die Zeichen wurden von SÄVE-SÖDERBERGH (1958: 283, Anm. 3) gelesen und sind von ihm so wie sie auf dem ihm vorliegenden Foto zu erkennen sind wiedergegeben worden. (b) baH ttA.wy A.wy m nbw nbw: zur Lesung dieser Zeile vgl. SÄVE-SÖDERBERGH 1958: 283, Anm. 4. (c) [nb] [nb] nt.t [...s [...sXpr]= Xpr]= f ntnt-tA tA: Zur Rekonstruktion der Zeile und Füllung der lacuna vgl. SÄVE-SÖDERBERGH 1958: 283, Anm. 5, wonach das Wort für „Pflanzen“ ein ansonten nicht belegtes Kompositum nt-tA wäre. Der Text der Fürbitte für den Grabherrn ist wie üblich über dem Harfner selbst angebracht. Harfenspieler sind schon in Gräbern des Alten Reiches dargestellt, zur festtäglichen Erbauung des Grabherrn. Erst im Mittleren Reich allerdings werden ihnen Lieder beigeschrieben, die jedoch mit der späteren für das Anteflied typischen carpe diemThematik nicht in Verbindung stehen. Vielmehr handelt es sich um Anrufe und um hymnische Gebete an die im Fest erschienene Gottheit. Der erste Teil des Textes stellt ein Hymnus an Amun-Re dar, in dem er als Sonnen-, Schöpfer- und Universalgott angebetet wird (vgl. SÄVE-SÖDERBERGH 1958: 285–286). Amun-Re wird hier aber auch aufgrund seiner Rolle als Gott des Einzelnen und Loyalen mit persönlichen Bitten angebetet. Diesbezüglich verweist SÄVE-SÖDERBERGH 1958: 284 auf einen zeitgleichen und ähnlich aufgebauten Text aus TT 125, der wegen seiner inhaltlichen Bedeutung hiermit ebenfalls zitiert wird: Htp.wj Jmn-Ra Htp.wj Jmn wr [...] r nTr nb jmA n mrw.t(j)=f(j) Jmn jm Hsw.t=k aA n pA wr

Wie gnädig ist Amun-Re, wie gnädig ist Amun! Grosser [...] als jeder Gott und freundlich zu seinem Geliebten ist. Amun, gib diesem Fürsten deine Gunst!

Der Inhalt dieser Anbetung ist im Rahmen der Amun-Re-Theologie der 18. Dynastie zu verorten. Die Anrufung an ihn als persönlicher Beschützer und als Patron des Armen und Gerechten ist vor dem Hintergrund der offiziellen Theologie des Neuen Reiches zu erklären 36 und rechtfertigt hier die Einführung der Fürbitte. Zu Liedern, welche Preisungen mit persönlichen Bitten beinhalten und Gastmahlsszenen begleiten sei hier auch auf Kat. G.18.8 (Kappelle 11 in Gebel el-Silsileh) verwiesen.

36

Vgl. den Kommentar zu Kat. G.18.4 mit Literaturhinweisen sowie Kat. G.18.5, G.18.7.

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G.18.2:

O.Kairo 12202 rto. (Taf. 2)

Verehrte Gottheit(en)(en): Amun-Re Datierung: 18. Dynastie (Amenophis II.) Herkunft: Theben-West, Scheich Abd el-Gurna, Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: unbekannt Titel: unbekannt Geschlecht: unbekannt Literatur: POSENER 1975: 195–210, insbes. 196–201, diskutiert in ALTENMÜLLER 2009: 36. Text 1. Jmn-Ra aA bAw 2. nb=j Htp.y{.w}(a) dj=k mAA=j hrw 3. mj grH sHD=k jr.t(=j ) an.tj(b) Jmn-Ra 4. ntk mrw.tj ntk wa(.w) ann Hr bAw=f 5. […]y? jrw […] 6. tA nTr.t Amun-Re, mit grosser bAw-Macht, mein Herr, Gnädiger! Du hast veranlasst, dass ich den Tag wie die Nacht sehe. Mögest du (mein) Auge erleuchten, mögest du (mir) vergeben. Amun-Re, du bist der Geliebte, du bist der Einzige, der sich von seiner bAw-Macht abwendet. […] […] die Göttin. Kommentar Dieses Dokument ist Teil einer Gruppe von Ostraka, die G. POSENER 1975 im Kairener Museum entdeckte und aufgrund paläographischer Merkmale sowie eines auf einem der Ostraka angebrachten Vermerks in die Zeit Amenophis’ II. datierte. Zur Bewertung dieser Ostraka vor dem Hintergrund der Geschichte des Aufkommens der Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten vgl. BAINES / FROOD 2008: 5-6 sowie die Behandlung in Kapitel 3.1.3 und 5.1.1 b). Auf diesem Ostrakon ist eine nicht näher zu identifizierenden Skizze zu sehen. (a) nb=j Htp.y{w} Htp.y{w} „mein Herr, Friedlicher“: POSENER 1975: 201, zieht die Übersetzung „seigneur de miséricorde“ vor. Die hiesige unterschiedliche Übersetzung basiert aber auf der im Neuen Reich belegten Bedeutung „Friedlicher/Gnädiger“ für Htp.y (Wb.III.194.13), was alleine als Epitheton vorkommen kann (so in P.Berlin 3049, 6.9). Die Schreibung des Plurals kann somit als Schreibfehler interpretiert werden. (b) sHD sHD=k =k jr jr.t( .t(=j?) =j?) an.tj an.tj „Mögest du (mein?) Auge erleuchten, mögest du (mir) vergeben“: Die hier vorgeschlagene Übersetzung deckt sich nicht mit derjenigen G. POSENERs („tu as éclairé [ma] vue [litt. oeil], étant revenu [sc. à la clémence]“). Da jedoch die Metapher der „Finsternis am Tag“ in der Tradition der Gebete der Persönli320

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chen Frömmigkeit reichlich belegt ist 37 und immer mit einer Bitte um Aufhebung der beschriebenen Notsituation verbunden ist, scheint die prospektivische Deutung der Verbalformen sHD=k und an.tj 38 angemessener. Der Text ist als Individualgebet an Amun-Re zu verstehen 39. Die Bedeutung von an.tj, hier als Pseudopartizip 2. Pers. sing. von an „umwenden“ (Wb.I.188) ist im darauf folgenden Ausdruck geklärt, in dem von AmunRe behauptet wird, er wäre einer „der sich von seiner bAw-Macht abwendet“ (ann Hr bAw=f). Zur Bedeutung „sich abwenden von...“ siehe Wb.I.188.16, während zur abgeleiteten Bedeutung dieses Verbs als „vergeben“ hier auf die ramessidische Stele von Nebra (Stele Berlin 20377, Kat. G.19.17) Z. 11 verwiesen sei, auf welcher folgender Ausdruck belegt ist: onD=f m km n At jwt.y zpy.t swH{.wt} ann.tj n=n m Htp „wenn er zürnt, ist es in einem Moment zu Ende, und nichts bleibt zurück. Ein weiterer, weinger bekannte Beleg für diesen Ausdruck findet sich auf der Stele Kairo CM171 (Kat. G.19.29) aus Assiut: mtj bAk r-btA mtj nb(?) r (?) Htp an n=j Wp-wA.wt „Ein Diener neigt zum Verbrechen, ein Herr zur Gnade. Wende dich zu mir, Upuaut! (= Vergib mir!)“. Das Verb an kann in diesem Kontext durchaus den Sinn von „vergeben“ annehmen und drückt somit AmunRes Eigenschaft als friedlicher, vergebender Gott aus. Ein weiterer ramessidischer Beleg ist in P.Anastasi II, 9.2–10.1, Vers 13 40 zu finden: Jmn rx ann „Amun, der die Vergebung kennt“. Zum Ausdruck sHD=k jr.t(=j) „mögest du mein Auge erleuchten“ vgl. die Stele Turin 50050, Z. 3–4 (Kat. G.18.24) sowie die Aussage in Heidelberg Inv. 559 pA Ra n jr.t nb.t Sw n Sms sw „Du bist Re für jedes Auge, Licht für den, der ihm folgt“ (RANKE 1931: 78–82).

G.18.3:

O.Kairo 12202 vso. (Taf. 3)

Verehrte Gottheit(en): Amun Datierung: 18. Dynastie (Amenophis II.: POSENER 1975) 41 Herkunft: Theben-West, Scheich Abd el-Gurna, Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: unbekannt Titel: unbekannt Geschlecht: unbekannt Literatur: POSENER 1975: 195–210, insbes. 202, diskutiert in ALTENMÜLLER 2009: 37. Text 37 38 39

40 41

S. dazu den Exkurs II in Kapitel 5.1.1 sowie GALÁN 1999. Zum prospektivischen Wert des Pseudopartizips in der 2. Pers. sing. s. LOPRIENO 1995: 66. Die zum Teil unterschiedliche Übersetzung dieses Ostrakons durch G. POSENER beruht auf seiner Deutung des Dokumentes als ex-voto mit Erwähnung der Heilung aus der Krankheit durch den Einsatz des Amun-Re. Das Epitheton „der Einzige, der sich von seiner Macht abwendet“ impliziert, dass die negative Situation des Stifters von Amun-Re bewirkt war. Vgl. Kapitel 5.3.3 c). Das vorliegende Ostrakon sowie O. Kairo 12225 rto. (Kat. G.18.5) werden in der vorliegenden Arbeit als ramessidisch betrachtet. S. dazu den Kommentar zu diesem Text sowie die Ausführungen in Kapitel 3.1.3. Das Ostrakon wurde aus wissenschaftsgeschichtlichen Gründen trotzdem als Zeugnis aus der 18. Dynastie aufgenommen. Auch hinsichtlich dieses Punktes sei hier auf die Ausführungen in Kapitel 3.1.3 verwiesen.

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1. [J]mn mj [n=j] m Htp 2. mAA=j nfr.w Hr=k pA Hr(a) 3. nfr n Jmn mAA {n} 42 4. tA r-Dr=f mAA sw rmT r tx.t(b) 5. r jwn nb nfr(c) [...]. Amun, komm [zu mir] in Frieden, (Sodass) ich die Schönheit deines Gesichtes sehe, das schöne Gesicht, des „Amun, der das ganze Land sieht“. Die Menschen sehen ihn bis zur Trunkenheit an, bis zu jeder schönen Farbe [...]. Kommentar Zur Analyse dieses Ostrakons vor dem Hintergrund des Aufkommens der Persönlichen Frömmigkeit vgl. Kapitel 3.1.3. Der Schriftductus der beiden Seiten des Ostrakons ist verschieden. Es seien vor allem folgende Zeichen näher untersucht: - A (G1): ist auf Vorder- und Rückseite des Ostrakons sehr verschieden. Während es kein Zweifel besteht, dass die Paläographie dieses Zeichens auf O.Kairo 12202 rto. (Taf. 2) in die Zeit Amenophis’ II. datiert (MÖLLER 1927–1936: Bd. II, S. 192), scheint das auf dem Verso des Ostrakons aufgezeichnete A-Zeichen für eine Datierung in die Zeit Sethos' I.-Ramses' II. zu sprechen. S. dazu auch WIMMER 1995: 124 (G.1, Teil 2). Dafür würde auch der Ausdruck mj n=j „Komm zu mir!“ als Bitte um Gottesnähe sprechen, der charakteristisch für ramessidische Gebete insbes. aus den sog. Schülerhandschriften ist (S. Kapitel 5.3.3) - Jmn-Gruppe: vgl. WIMMER 1995: 384 (Ramses II.). - nb (V30): vgl. WIMMER 1995: 326 (Sethos I.-Ramses II.). - nfr (F35): insbes. Z. 5 vgl. WIMMER 1995: 118 (Ramses II.). (a) mAA=j nfr.w Hr=k pA Hr „(so dass) ich die Schönheit deines Gesichtes sehe, das schöne Gesicht“: Zum „schönen Gesicht“ des Gottes s. RÖMER 2003 sowie Kapitel 5.1.1 a). (b) mAA sw rrmT mT r tx.t „Die Menschen sehen ihn bis zur Trunkenheit an“: S. dazu P.Chester Beatty IV rto. 7, 2–3: „Ich singe für dich, da ich von deiner Schönheit betrunken bin“. Viel wichtiger ist jedoch der Hinweis auf einen Zustand (das Betrunkensein), der während der Veranstaltung des Talfestes wahrscheinlich unter den Leuten herrschte. Darüber hinaus konnte SCHOTT (1953: 5-9) anhand der vergleichenden Studie der Talfestdarstellungen in den Gräbern zeigen, dass seit dem Ende der Regierungszeit Thutmosis’ III. ein Wandel in der Auswahl der abgebildeten Themen stattfand und dass die Bankett- und Musikszenen deutlich an Bedeutung zunahmen. In dieser Hinsicht kann von einer „Verweltlichung“ in den Talfestdarstellungen auf der thebanischen Wanddekoration die Rede sein. Vgl. dazu auch WIEBACH 1986: 265–266. jwnw nw nb nfr [...] bis zu jeder schönen Farbe [...]“: Wb.I.52.14 deutet darauf hin, (c) r jw dass das Wort jwn „Farbe“ auch bildlich mit Verweis auf das äussere Aussehen der Gottheit benutzt werden kann. Da es bei dieser Passage um die visuelle Wahrnehmung 42

Wie von POSENER 1975: 202, Anm. 21bis angedeutet ist das n am Ende von Zeile 3 ein „space-filler“.

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der Gottheit geht, kann diese Aussage auch vor diesem Hintergrund erklärt werden. Ab dem Neuen Reich ist das Wort jwnw auch als Beiname des Sonnengottes belegt (Wb.I.52.19). POSENER (1975: 202) übersetzt diesen Ausdruck dagegen als „jusqu’à (être en) toute bonne disposition“ und verweist in Anm. 23 auf die unsichere Deutung von jwnw in diesem Kontext.

G.18.4:

O.Kairo 12212

Verehrte Gottheit(en): Amun-Re Datierung: 18. Dynastie (Amenophis II.) Herkunft: Theben-West, Scheich Abd el-Gurna, Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: unbekannt Titel: unbekannt Geschlecht: unbekannt Literatur: POSENER 1975: 195–210, insbes. 202–205, diskutiert in ALTENMÜLLER 2009: 36. Text 1. Jmn-Ra pA mnjw n 2. Hr nb.w nmH.w(a) Tsj.n=f wxd.w=j 3. m pr.w=f(b) dj=f Sa.t HoA.t n mrj.n=f 4. Jmn-Ra nb pH.ty nb=j sxm bAw 5. wr mrw.t r nTr nb Amun-Re, du Hirte von allen, die arm sind, hat meine Schmerzen aufgehoben während seines Auszuges. Möge er eine Ration geben dem, den er liebt. Amun-Re, Herr der Kraft, mein Herr, mit mächtiger bAw-Macht, mit grosser Liebe mehr als jeder Gott. Kommentar Zur Bedeutung dieses Ostrakons für die Rekonstruktion des Aufkommens der Persönlichen Frömmigkeit s. Kapitel 3.1.3 der vorliegenden Arbeit sowie generell BAINES / FROOD: 2008: 5–6. Der Text auf diesem Ostrakon gibt ein Dankgebet für die Heilung von einer Krankheit wieder, das zeitlich und lokal wahrscheinlich im Rahmen eines Prozessionsfestes zu verorten ist. Vgl. dazu Kapitel 3.1.3. Dennoch ist die Dankbarkeit mit der Bitte nach einer Speiseration, die wahrscheinlich auf ein Totenopfer bezogen ist, gekoppelt. (a) pA mnj.w n / Hr nb.w n nmH.w mH.w „der Hirte von allen, die arm sind“: Zu pA mnjw „der Hirte“ siehe Wb.II.74/75.8. Die Dokumente der „persönlichen Frömmigkeit“, die insbesondere aus dem Schulkontext stammen (Kapitel 5.3.3) belegen das Bild des Amun-Re als Hirte der leidenden Menschen (dazu auch BRUNNER 1961: 319–344; ASSMANN 1989: 55–88), die den Schutz der Gottheit suchen. Zu diesem Aspekt des Amun-Re s. 323

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auch zu diesem Ostrakon zeitgenössischen Amunhymnus des P.Boulaq 17, 4.3-5 (LUISELLI 2004: 11). (b) Tsj.n .n=f =f wxd.w wxd.w=j =j m pr pr.w .w=f =f „Er hat meine Schmerzen aufgehoben, während seines Auszuges“: Das Wort wxd.w ist in Wb.I.356 als „körperlicher Schmerz“ übersetzt und kommt in neuägyptischen medizinischen und magischen Textquellen vor. Das Verb Tsj „aufrichten, erheben, hochheben“ (Wb.V.405), ist jedoch in Kontexten, die mit der Erwähnung von Krankheiten in Verbindung stehen, kaum belegt.

G.18.5:

O.Kairo 12225 rto. (Taf. 4)

Verehrte Gottheit(en): Amun Datierung: 18. Dynastie (Amenophis II.: POSENER 1975) 43 Herkunft: Theben-West, Scheich Abd el-Gurna; Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: unbekannt Titel: unbekannt Geschlecht: unbekannt Literatur: POSENER 1975: 195–210, insbes. 205–206. Text 1. wrS=j Hr Dd n Jmn sAw jm anx […] 2. mwt sj Hr(a) h[…] m pA sp? 3. mj rmT jj[…] Htp Jmn 4. nb=j mrw.tj pA anx nfr(b) […] 5. Jmn pA mnjw snb jhw(c) n 6. pA ntj w[As] m nH[.t=f…] 7. mAA nfr.w=f […] Ich verbringe den Tag, indem ich zu Amun sage: ‚beschütze und gib Leben […]’ der Mensch stirbt an/auf? […] in der Gelegenheit?, wie die Menschen, die kommen […]. Sei gnädig, Amun, mein Herr, Geliebter, das schöne Leben […]. Amun, der Hirte, der das Leiden des Schw[achen] heilt, wenn [er bet]et, seine Schönheit zu sehen [...]. Kommentar Zur Verortung dieses Textes s. den Kommentar zu Kat. G.18.2. Das Ostrakon weist auch die Skizze eines männlichen Gesichtes auf. Die Zeichnung scheint nachträglich und über den Text auf der linken Hälfte des Ostrakons angebracht worden zu sein. In 43

Zur Neudatierung dieses Ostrakons in die Ramessidenzeit, wie dies in der vorliegenden Studie vorgeschlagen wird, s. den Kommentar im Anschluss an die Übersetzung, Kapitel 3.1.3 und Anm. 41 im hiesigen Katalogteil.

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Analogie zu G.18.3 wird hier eine Verbindung zwischen der Heilung von Schmerzen und Krankheiten und der Erfahrung, eine Gottheit gesehen zu haben, hergestellt. Wie im Falle von Kat. G.18.3 scheinen einige Zeichen dieses Ostrakons für eine Datierung in die Ramessidenzeit zu sprechen. So insbes.: - Jmn-Gruppe: vgl. WIMMER 1995: 384 (Ramses II.). - nb (V30): vgl. WIMMER 1995: 326. (a) mwt sj Hr „Der Mensch stirbt an/auf/?“: Ein Problem stellt hier die m.W. sonst nirgendwo anders belegte Folge der Präposition Hr auf das Verb mwt dar (Wb.II.165– 166). (b) pA aanx nx nfr „Das schöne Leben“: Zu dieser Übersetzung sei hier auf OTTO 1964: 110–111 verwiesen, der anx als Gottesbezeichnung, vor dem Hintergrund der sonst in den Hymnen häufig belegten Aussage über Amun-Re als Lebensspender 44 m. E. zurecht interpretiert. G. POSENER interpretiert jedoch den Ausdruck anders und übersetzt den Beinamen als „le beau vivant“. (c) jhw „Schmerz“: jhw bringt die Idee des körperlichen Leidens und der Schmerzen zum Ausdruck (Wb.I.12.4), was mit der Rolle Amun-Res als Hirte (mnjw) des Schwachen (wAs) einhergeht.

G.18.6:

O.Kairo 12217 rto.

Verehrte Gottheit(en): Amun Datierung: 18. Dynastie (Amenophis II.) Herkunft: Theben-West, Scheich Abd el-Gurna; Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: unbekannt Titel: unbekannt Geschlecht: unbekannt Literatur: POSENER 1975: 195–210, insbes. 206–210, diskutiert in ASSMANN 1996a: 260. Text 1. rdj.n(=j) tw m jb=j(a) Hr nx.t=[k...] 2. nx.w mk nn snD[=j...] 3. nb r nHH(b) Jmn Smw m[k...] 4. Smw=k ntk js pAy=j ¡apj [...] (Ich) habe dich in mein Herz gegeben wegen [deiner] Stärke [...]. Schützer! Schau [ich] werde nie mehr Angst haben [...]. Herr der Ewigkeit, Amun, die Ernte, schau! [...] deine Ernte. Du bist ja mein Hapi [...].

44

Vgl. z. B. den zu diesem Ostrakon zeitgenössischen Hymnus an Amun-Re des P.Boulaq 17, 6.3–6.7 (ASSMANN 1999: 199–200, Nr. 87E, Vers 111–120 und LUISELLI 2004: 23).

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Kommentar Vgl. dazu den Kommentar zu Kat. G.18.2 sowie Kapitel 3.1.3. Unmittelbar unter dem Text ist die Skizze eines Tieres (ein Stier?, ein Wüstentier?) zu erkennen. Da das Tier ist in Bezug zum Text sozusagen mit dem Kopf nach unten gezeichnet worden ist, ist davon auszugehen, dass der Zeichner das schon beschriftete Ostrakon umgedreht hat, um an der leeren Stelle das Tier zu zeichnen. (a) rdj.n( .n(=j) =j) tw m jjb=j b=j „(Ich) habe dich in mein Herz gegeben“: Dieser Ausdruck spiegelt die altägyptische religiöse Einstellung wider, die Jan ASSMANN (1997: 17–43, insbes. 18–21) mit „Gottesbeherzigung“ definiert hat. Derzufolge wäre der Mensch in dieser neuen Phase nicht mehr vom Herzen geleitet, wie dies in den Texten des Mittleren Reiches zum Ausdruck gebracht wurde, sondern von der Gottheit, die im Herzen des betenden Menschen ist und es leitet. Fragwürdig bleibt bei dieser Deutung m. E. die Trennung zwischen einem herzgeleiteten Menschen – typisch für das Mittlere Reich – und einem gottgeleiteten Herzen, was charakteristisch für die Persönliche Frömmigkeit ist. Die neue Komponente ist die Präsenz einer göttlichen Instanz und deren Willen als Steuer für das menschliche Herz: Der Mensch folgt aber weiterhin seinem Herzen. Im Mittleren Reich war dieses Konzept von den damals kulturell und gesellschaftlich anerkannten Tugenden (Maat) geprägt, während in der Persönlichen Frömmigkeit der Gott sowie die religiösen Verhaltensregeln den Platz der älteren Tugenden annahmen. (b) mk nn snD[ snD[=j =j...] ...] / nb r nHH nHH „Schau [ich] werde nie mehr Angst vor jemandem haben [...]“: Der Mensch fühlt sich beim persönlichen Gott aufgehoben und in Sicherheit. Die soziale Gerechtigkeit wird in der neuen Religionsströmung nicht mehr durch den König gewährleistet, sondern vielmehr durch den Gott. Das Thema des Gottes als Beschützer, Hirte und Patron ist grundlegend für das Verständnis der sich auf diesem Ostrakon deutlich offenbarenden neuen Mensch-Gott-Beziehung 45.

G.18.7:

O.Kairo 12189 rto.

Verehrte Gottheit(en): Amun Datierung: 18. Dynastie (Amenophis II.) Herkunft: Theben-West, Scheich Abd el-Gurna, Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: unbekannt Literatur: POSENER 1975: 195–210, insbes. 209–210 Text 1. sDd=j {m} bAw=k(a) n Hr(.w) nb.w 2. mAA=j bAw=k soA=j [...] 3. dj=j n=k jAw.t [...] Ich werde deine bAw-Macht allen Leuten verkünden, da ich deine bAw-Macht gesehen habe. Ich werde [...] erhöhen. 45

Vgl. dazu den Kommentar zu Kat. G.18.4.

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Ich habe dir Lobpreis gegeben [...]. Kommentar Zur Diskussion dieser Dokumente vgl. den Kommentar zu Kat. G.18.2. (a) sDd= sDd=jj {{m} m} bAw bAw=k „Ich werde deine Macht verkünden“: Zur Machtverkündung als grundlegender Ausdruck der Gebete der ramessidischen Persönlichen Frömmigkeit vgl. G.18.21 (Stele Kairo JE 37463), G.18.22 (Stele Louvre C21), G.19.3 (Stele Cambridge E.191.1932), G.19.6 (Stele BM 589), G.19.9 (Stele Turin 50044), G.19.10 (Stele Turin 50045), G.19.13 (Stele Glasgow) und G.19.17 (Stele Berlin 20377). Ferner ist dies auch in der Geschichte des Schriffbrüchigen, d. h. schon im Mittleren Reich belegt. S. dazu ROEDER 2005 sowie LUISELLI 2007b: 170-173. Das vorliegende Ostrakon überliefert aber eine Variante dieses Ausdruckes – mit dem m vor der Einführung des direkten Objektes bAw=k –, die sonst m. W. nicht belegt ist. In seiner Bearbeitung dieser Ostraka verweist G. POSENER auf die Erklärung in Wb.IV.395.11, wo das Kompositum sDd m mit „über etw. sprechen; von etw. erzählen“ übersetzt wird.

G.18.8:

Kapelle Nr. 11 in Gebel el-Silsileh

Verehrte Gottheit(en): Amun Datierung: 18. Dynastie (Amenophis II./Thutmosis IV.) 46 Herkunft: Gebel el-Silsileh; Kapelle Nr. 11, Raum B, Nordwand (CAMINOS/JAMES 1963: Taf. 23/2) Stifter/Autor: Seninefer Titel: Hr.j-tA at pr-aA m njw.t rsj.t „Kammerherr des Palastes in der Südlichen Stadt“ Geschlecht: männlich Literatur: KUCHAREK 2000: 77–80, diskutiert in: BAINES/FROOD 2008: 6. Text Horizontaler Text nb=k [Jmn] pA jtj nfr pA nb n tA r-Dr=f nxw jm=k nn snD=n n wa pA jtj nDm pA nb n tA r-Dr=f […]

Dein Herr (ist) [Amun]! Der gute Vater, der Herr des ganzen Landes. Ein Beschützer bist du, wir fürchten uns vor niemandem! Der süsse Vater, der Herr des ganzen Landes […].

Vertikaler Text pA=k mnjw [Jmn…]

Dein Hirte ist [Amun…]

46

Diese Kapelle ist leider durch einen Königsnamen nicht näher datiert. Zu den Datierungskriterien s. KUCHAREK 2000: 78.

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pA=k mnjw

dein Hirte.

Kommentar Bilddarstellung Der vorliegende Text begleitet die in der Kapelle angebrachte Gastmahlszene, welche eine Abbildung von Tänzerinnen und Musikanten enthält, und somit die Verortung dieses Textes im Rahmen einer Feier suggeriert. A. KUCHAREK (2000) sieht darin ein Beweis für Georges POSENERs und Jan ASSMANNs Theorie des Ursprunges der Persönlichen Frömmigkeit im Fest. In einer neuen gemeinsamen Studie, in der auch die Ursprünge der Persönlichen Frömmigkeit neu untersucht werden, haben John BAINES und Elizabeth FROOD (2008: 6) den Text diskutiert und Zweifel an Andrea KUCHAREKs Interpretation gehegt: „This creation of autonomous literary hymns and prayers marks a significant change in attitudes to the sacred and divine and provides evidence for piety, but not for its anchoring in any particular social context or practice, beyond the fact that those composing and copying the hymns were literate and so in some sense members of the elite. The same probably applies to a short pious invocation in a mid Eighteenth Dynasty shrine at Gebel el-Silsila pointed out by Andrea Kucharek. This is rather incongruous in its inscription above the musicians and diners in a banquet scene; a literary text may have been used a little arbitrarily in a context where others from similar genres would more normally be found.“ Der hiermit hervorgebrachte Vorwurf erscheint jedoch nicht gerechtfertigt, da es sich – so wie von KUCHAREK deutlich gesagt – um ein Lied und nicht um einen literarischen Text handelt. .

G.18.9:

Statue Berlin 2293

Verehrte Gottheit(en): Thot Datierung: 18. Dynastie (Amenophis III) Herkunft: Theben-West, Assasif, Grab: TT 192 Stifter/Autor: Cheruef Titel: zXA-nsw, jm.j-rA pr „Königsschreiber, Hausvorsteher“ Geschlecht: männlich Literatur: AEGINSCHR. II: 39–42, TURAJEFF 1895: 123–125, Taf. VIII, BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 96, 353–355. Zum Grab: KAMPP 1996: 480–483, Abb. 376 mit Literaturangaben. Text Text A1: 1. jAw m p.t jn ntr.w nTr nb nTr.t nb.t Hr jrj.t snsw n ©Hwty mAA=sn sw m wjA aA dj=f Htp mAa.t m-bAH=f sHtp.n sw zXA-nsw £r.w=f mAa-xrw 2. zXA-nsw jm.j-rA pr £r.w=f Dd=f jj.n=j xr=k nTr aA ©Hwty jnD jtj=f dwA=j Hm=k sDm=k njs=j sAw=k aHaw=j Hr mAA(=j) nfr.w=k jm.j-rA pr ZxAj

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Lobpreis im Himmel durch die Götter. Jeder Gott und jede Göttin preist Thot, wenn sie ihn in der grossen (Sonnen)barke sehen. Möge er geben, dass Maat zufrieden ist in seiner Gegenwart. Der Königsschreiber Cheruef, gerechtfertigt, besänftigt sie. Der Königsschreiber und Hausvorsteher Cheruef sagt: „ich bin zu dir gekommen, grosser Gott, Thot, der seinen Vater rächt! Ich preise deine Majestät! Mögest du mein Rufen hören! Mögest du meine Lebenszeit verlängern, damit (ich) deine Schönheit sehen kann.“ Der Hausvorsteher Sechay. Text A2: 1. jAw m tA jn rxy.t mAA=sn ©Hwty m nsw mAa.t nTr.w nTr.wt m hy hnw jrj.n=f Xr.t jm=sn dwA sw jm.j-rA pr £r.w=f mAa-xrw 2. zXA-nsw jm.j-rA pr £r.w=f mAa-xrw Dd=f jj.n=j xr=k kA m sbA.w ©Hwty jaH jm.j p.t jw=k m p.t Axw=k m tA sT.t=k sHD.n=s tA.wy jn zXA-nsw £r.w=f Lobpreis auf Erden durch die rxy.t-Menschen, wenn sie Thot als König der Maat sehen. Götter und Göttinnen jubeln und jauchzen, weil er ihren Unterhalt geschaffen hat. Der Hausvorgesetzte Cheruef, gerechtfertigt, preist ihn. Der Königsschreiber und Hausvorsteher Cheruef, gerechtfertigt, sagt: „Ich bin zu dir gekommen, Stier unter den Sternen, Thot, Mond, der im Himmel ist. Während du im Himmel bist, ist dein Glanz auf Erden. Deine Strahlen erleuchten die beiden Länder.“ Der Königsschreiber Cheruef. Text D: 1. dwA +Hwty jn zXA-nsw jm.j-rA £r.w=f mAa-xrw Dd=f 2. jnD-Hr=k nb nTr.w aA.w nb mdw.w-nTr -sStA jm.j m p.t tA nTr nfr n pAw.ty pAw.ty 3. rdj mdw drf swAD pr.w grg Hw.wt rdj rx 4. nTr.w Xr.t=sn Hmw.t nb.t jr.t=s tA.w tAS.w 5. AH.wt mjt.t jr.y jn zXA-nsw jm.j-rA £r.w mAa-xrw Verehrung des Thot, durch den Königsschreiber und Vorsteher Cheruef, gerechtfertigt, er sagt: „Sei gegrüsst, Herr der grossen Götter, Herr der Gottesworte, der Geheimnisse, die im Himmel und auf Erden sind, schöner Gott des Anbeginns. Ursprünglicher, der die Worte und die Schrift gibt, die Häuser gedeihen lässt und die Tempel gründet, der veranlasst, dass die Götter ihren Unterhalt kennen, jeder Beruf seine Pflicht, die Länder die Grenzen und die Felder gleichermassen. Der Königsschreiber und Vorsteher Cheru, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Bei dem vorliegenden Beleg handelt sich um eine Statue des knienden Cheruefs, der eine Statuengruppe hält. Diese besteht aus Thot in seiner Erscheinungsform als Pavian mit Mondscheibe und Mondsichel auf dem Kopf sowie Chons ebenfalls mit Mond329

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scheibe auf dem Kopf. Der Oberteil der Statue (d. h. das Schlüsselbein, den Hals und den Kopf) fehlt. Die hymnischen Texte verteilen sich auf den Podest, auf welchen die beiden Götterstatuen hocken sowie auf den Rückenpfeiler und die Statuenbasis. Inhalt Der Hymnus ist Thot gewidmet, der zum einen in seinen beiden traditionellen Aspekten als Gott der Schrift und als Mond verehrt wird, zum anderen aber auch als Sonnengott. Die Platte, die Cheruef hält, ist mit zwei fast dreidimensional ausgearbeiteten hockenden Göttern versehrt: rechts Thot in Gestalt eines Pavians und links Re, der in der Hand die Maat-Feder hält. Cheruef war Hausvorsteher am Hof der Königin Teje und lebte bis in die ersten Jahre von Echnatons Regierung. Da er den Hauptteil seiner Karriere unter Amenophis III. erlebte, datiert die Mehrheit der Darstellungen in seinem Grab (TT 192) in diese Zeitperiode. Das Grab des Cheruef hat mehrere Sonnenhymnen überliefert (MURNANE 1995: 57-61), was sich auch im solaren Aspekt des Thot in diesem Text widerspiegelt. Zudem ist dies vor dem Hintergrund der religiösen Vorstellungen der Zeit unter Amenophis III. und IV. zu erklären. Die Widmung dieser Statue an Thot jedoch ist mit dem Beruf des Cheruef als Königsschreiber zu erklären, wobei die Gottesnähe spezifisch an die Berufsausübung gekoppelt ist. Die Inschriften sind folgendermassen auf der Statue angeordnet: - Text A befindet sich auf dem Sockel. Zwei Zeilen laufen in entgegengesetzter Schriftrichtung (Text A1 und A2). A1: vorne rechts; A2: vorne links. - Text D ist auf der senkrechten Platte angebracht (vgl. AEG.INSCHR. II: 40). Text A1 Thot wird in diesem Abschnitt als Sonnengott verehrt, weshalb das Epitheton in Z. 2 „jnD jtj=f ‚der seinen Vater rächt’“ durch die Identifikation mit Horus zu erklären ist. Der Text endet mit Cheruefs Bitte um das Erhören seines Rufens sowie um die Verlängerung seiner Lebenszeit. Der Wunsch, Thot sehen zu können, deutet auf seine Gleichstellung mit dem Sonnengott hin, der die Unterwelt während seiner nächtlichen Fahrt beleuchtet, und verweist somit auf seine Rolle im Jenseits: Cheruef wählt seinen Berufsgott Thot auch als seinen persönlichen Schutzgott für das Jenseits, wobei dies durch die Übernahme von Aspekten des Amun-Re und seiner Theologie als Sonnengott erfolgt. Text A2 Die Anbetung des Thot geht in diesem Textteil von den Menschen aus, die ihn als Herrn der Maat sowie als Schöpfergott preisen, wobei der Schöpfungsakt sich ausschliesslich auf den Bedarf der Menschen bezieht. Ferner wird Thot in seiner traditionellen Erscheinung als Mond 47 verehrt. Text D Die bislang erwähnten Themen werden in diesem Abschnitt wieder aufgenommen. Thot ist als Gott der Schrift und der Schreiber, als Schöpfergott („Ursprünglicher“) und lebenserhaltender Gott, der sich um seine Schöpfung kümmert, verehrt. Die Form der Verkündung seiner göttlichen Natur spiegelt die Struktur und den Aufbau der Hymnen 47

Vgl. Kat. G.19.3 (Stele Cambridge E.191.1932), G.19.9 (Stele Turin 50044), G.19.10 (Stele Turin 50045), G.19.11 (Stele Bankes 6), P.Anastasi III, 4.12–5.5 (Kapitel 5.3.3.e), G.19.26 (Stele Turin 50046), G.19.27 (Stele Hannover 2937).

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insbesondere an Amun-Re der 18. Dynastie wider und ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gottheit als Ziel der Anbetung durch eine Reihung von Epitheta im Nominalstil vorgestellt wird (ASSMANN 1996b).

G.18.10:

Reliefplatte Wien 5815, Z. 1–9 (u.R.)/Z. 1–9 (o.R.)

Verehrte Gottheit(en): Re-Harachte, Osiris Chontamenti Datierung: 18. Dynastie (Amenophis III.) Herkunft: Sakkara; Grabkontext. Keine genaueren Angaben über die Fundstelle Stifter/Autor: Merire Titel: jrj-pa.t HA.tj-a, jm.j-rA xtm.tj(w) „Erbprinz und Fürst, Vorsteher der Siegler“ Geschlecht: männlich Literatur: SATZINGER 1994: 78–79, Abb. 52. Text Oberes Register, Beischrift der Szene: 1. dwA Ra ¡r-Ax.ty 2. Wsjr ¢nt.j-Jmnt.t 3. HoA-D.t dj=f pr-xrw 4. jx.t nb.t nfr(.t) wab(.t) n kA 5. [n…] rA mnat 6. [n…] zXA-nsw n nb-tA.wy 7. [n…] nTr nfr jm.j-rA-xtm.tj 8. [Mry-Ra] mAa-xrw nb.t-pr 9. [BAk.t-Jmn] Re-Harachte anbeten, Osiris Chontamenti, Herrscher der Ewigkeit. Möge er ein Totenopfer geben, (bestehend aus) allen guten und reinen Dingen für den Ka [des…] Vorstehers der Prinzenerzieher, [des…] Königsschreibers des Herrn der Beiden Länder, [des…] schönen Gottes, des Schatzmeisters [Merire], gerechtfertigt, und der Hausherrin [Baketamun]. Unteres Register, Gebet: 1. dwA Ra xft wbn=f m Ax.t JAbt.t n.t p.t jn jrj-pa.t HA.t.j-a Mry-Ra mAa-xrw 2. Dd.n=f jnD-Hr=k Ra-Jtm jnk wa nn jrj.n=k tp-tA sxpr.n=k m tA jrj.n=k m 3. stpw rmT sSps.n=k m-m tA m od=f jx jrj=k sxr wD=k(a) 4. m sxnt.j kA=k m-bAH=k Sms=j kA=k mskt.t jm m-a 5. Sms.w manD.t Htp=k m anx(.w) jw(=j) Hna sn jrj.tw s.t=j m 6. {o}bn=sn jnk js dwA nTr jw.ty rx jso=j Hr DAj(b) pn[…] 331

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7. jw=j m Sms nb=j {n}w=j js.t n Hsy.w anx.w m mAa.t pH r o[rs.t nfr(.t) n] 8. wn=f(c) jrj.w Ax.w nsw (…) […] 9. Htp(.w) DfA.w n kA n jm.j-rA xtm.tj Mry-Ra […] (...) Lobpreis für Re, wenn er im östlichen Horizont des Himmels aufgeht, durch den Erbprinzen und Fürsten, den Schatzmeister Merire, gerechtfertigt. Er sagt: „Sei gegrüsst Re-Atum! Ich bin einer von denen, die du auf Erden geschaffen hast, (die) du aus Erde gemacht hast, (die) du zur Elite der Menschen gemacht hast, (die) du unter den Menschen des ganzen Landes ausgezeichnet hast. Mögest du den Plan deines Befehls ausführen und deinen Ka vor dir vorne sein lassen, damit ich deinem Ka der Abendbarke und unter den Gefolgsleuten der Morgenbarke folge. Wenn du als Lebender untergehst, werde ich unter ihnen sein und man wird meinen Platz in ihrem Kreis machen. Denn ich bin einer, der den Gott anbetet, (und) der das Zögern beim Überfahren (des Flusses) nicht kennt. Ich gehöre zur Gefolgschaft meines Herrn, ich gehöre Schiffsmannschaft der Gelobten, die in der Maat leben. (Ich bin einer) der [zu einem schönen Begräbnis] gelangt ohne Tadel, der Nützliches für den König gemacht hat (…) [...]. Opfer und Nahrung für den Ka des Schatzmeisters Merire [...] (...). Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist im oberen und unteren Bereich unvollständig erhalten. Im oberen Teil sitzt Osiris rechts in einem Kiosk; vor ihm ist ein prächtiger Opfertisch zu erkennen. Links davon beten Merire und seine Frau Baketamun Osiris an. Im unteren Register ist die Anbetung des Sonnengottes durch Merire dargestellt, wobei rechts Re als falkenköpfige Gestalt vor einem Opfertisch und links Merire in Anbetungsgestik abgebildet sind. Inhalt Der Inhalt des Gebetes beschreibt die Wünsche des Grabinhabers für seine jenseitige Existenz. Als solches ist dieser Text als ein Totengebet einzustufen (vgl. dazu REICHE 1996: 205). (a) jr jrj=k j=k sxr wD=k „Mögest du den Plan deines Befehls ausführen“: Zu jrj sxr vgl. Wb.IV.260.7 „einen Plan ausführen“. Zum Plan eines Gottes vgl. auch Kat. A.10.2, A.19.1, Z. 14 sowie Die Erzählung des Sinuhe, P.Berlin 3022, B 42-43). jw.t) rx< rx =f> jso=j jso=j Hr DAj DAj „ohne das Zögern beim Überfahren (des Flusses) zu (b) jw kennen“: Diese Passage stellt einige Probleme dar 48. Jw.t kann aufgrund des unmittelbaren Kontextes nur als jw.t emendiert werden. Dafür muss jedoch nach rx ebenfalls ein Possessivpronomen f emendiert werden. Inhaltlich ist hier das Überfahren des Flusses beim Eintritt in die Unterwelt gemeint.

48

SATZINGER 1994 übersetzt diese Passage nicht.

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wn=f n=f „ohne Tadel“: Zur Bedeutung von wn als „Fehler, Tadel“ ab der 18. Dy(c) [n] w nastie siehe Wb.I.314. Dieses Wort ist gemäss der hier angegebenen Stelle nur im Totenbuch belegt. Dies würde mit dem vorherigen Passus und der impliziten Erwähnung des Flusses einhergehen.

G.18.11:

Statue BM 22557, Z. 1–10 (Taf. 5)

Verehrte Gottheit(en): Die untergehende Sonne Datierung: 18. Dynastie (vor Amarna?) Herkunft: unbekannt; vermutlich Grabkontext Stifter/Autor: Amenemhab, gen. Mahu Titel: jm.j-rA Hsw.w n Jmn „Vorsteher der Amunsänger“ Geschlecht: männlich Literatur: HTES 8: Taf. 30, 35–36, PORTER/MOSS 1964: 789., MANNICHE 1991: 59, Taf. 8. Text 1. dwA=j Htp=f m anx(.w) sod=f r jm.j-wr.t(a) 2. jb=f Aw p.t bAo.tj sxr(.w) 3. xftj.w=f(b) nb.w jn jm.j-rA Hsw.w.t n Jmn 4. Jmn-m-hAb Dd.tw=f MaHw Dd=f 5. jAw n=k m HH.w Hr HH.w n sp p.t 6. jj.n=j xr=k dwA=j nfr.w=k 7. Hpt=k mw.t=k Nw.t jb=k nDm m pXr=k 8. p.t tA dwA tw nTr.w dwA.t Hsj.tw=k sDm=k 9. mdw.w=j dwA.tw=j ra nb swAD 10. =k n=j smA-tA m Htp m-xt jAw wAH 11. wn bA=j m-m jtf.w=j Hr Sms(.w) @r.w [nb tA.wy?] Ich bete denjenigen an, der als Lebender untergeht und zum Totenreich fährt. Er ist zufrieden, der Himmel ist gereinigt, alle seine Feinde sind geschlagen worden. Durch den Vorsteher der Sänger des Amun, Amenemhab, genannt Mahu, er sagt: ‚Lobpreis dir Millionen von Millionen von Malen! „Ich bin zu dir gekommen, um deine Schönheit zu preisen! Deine Mutter Nut umarmt dich, dein Herz freut sich, wenn du den Himmel durchziehst. Mögen die Götter der Unterwelt dich preisen und besingen! Mögest du meine Worte hören, wenn du jeden Tag von mir besungen wirst! Mögest du mir angedeihen lassen ein Begräbnis in Frieden im hohen Alter, und möge mein Ba unter meinen Vätern in der Gefolgschaft des Horus, [des Herrn der Beiden Länder] sein’.

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Kommentar Bilddarstellung Die vorliegende Statue stellt Amnemehab dar, der auf einer Basisplatte kniet und eine Stele hält. Die Inschriften sind auf der Stele sowie auf der Vorder- und Rückseite der Basis sowie auf deren Seiten angebracht. Die hier besprochene Inschrift befindet sich auf der Stele und auf der Basisplatte, wobei sich neun horizontale Zeilen auf der Stele und zwei auf der Basis finden. Im oberen Bereich der Stele, unter dem Giebel, ist der Harfenspieler Amenemhab, gen. Mahu, mit einer Beischrift dargestellt, wie er vor der Hieroglyphe der aufgehenden Sonne spielt. Inhalt Die persönliche Beziehung zum (Sonnen)gott wird in diesem Gebet im Rahmen des Berufes des Stifters als Amunsänger geschildert (Z. 8–9). Der Inhalt der Bitte betrifft das Leben nach dem Tode, sowohl was das Begräbnis anbelangt, als auch hinsichtlich des Schicksals des Ba des Verstorbenen. (a) sod= sod=ff r jm.j-wr.t: jm.j-wr.t: Zur jm.j-wr.t als Totenreich vgl. Wb.I.73. (b) js js.t .t p p.t .t bAq bAq.tj .tj sxr sxr.w .w / xftj xftj.w .w=f =f n nb.w b.w „die Himmelsmannschaft ist wohlbehalten, alle seine Feinde sind geschlagen worden“: Mit diesen Aussagen wird der Moment des täglichen Kampfes des Sonnengottes gegen seine Feinde besungen und somit seine tägliche Unversehrtheit während seines Untergangs. Dies fungiert in einem gewissen Sinne als semantische Einleitung zur jenseitsgerichteten Bitte des Mahu.

G.18.12:

Grab des Ahmose

Verehrte Gottheit(en): Aton Datierung: 18. Dynastie (Echnaton) Herkunft: Tell el-Amarna; (EA 3); Türlaibung der äusseren Grabwand, Westseite. Stifter/Autor: Ahmose Titel: zXA-nsw mAa, TAy-xw Hr wnm.j nsw, jmj-rA rry.t 49, jmj-rA pr n Ax-n-Jtn “Wahrhaftiger Königsschreiber, Wedelträger zur Rechten des Königs, Vorsteher des Tores, Hausvorsteher des Echnaton“ Geschlecht: männlich Literatur: DAVIES 1905: 27, 31–32, Taf. 29, SANDMAN 1938: 8.16–9 (Z. 7–12); MURNANE 1995: 122 (mit Verweis auf 70.7; insbes. 157), REICHE 1998: 224–245, BICKEL 2003a: 13–14 (in Bezug auf die Version im Grab des Huya). Text 7. (…) jm sw Hna=k r nHH mj mrj=f mAA n=k 8. [jm n=f Hb.w-sd aSA.w wr.t m rnp.wt Htp.w jm n=f m] mr.t 49

Zur Abgrenzung zwischen dem Terminus arry.t und rry.t (hier mit der Löwenhieroglyphe rw geschrieben) vgl. SPENCER 1984: 149. Die Autorin suggeriert eine Unterscheidung zwischen den beiden Termini, schlägt jedoch für rry.t keine Bedeutung vor. Die Schreibung rry.t könnte eine Variante des Wortes arrw.t „Tor“ (Wb.I.211) sein und somit das Tor des Palastes (u. a.) bezeichnen. Zu arrw.t s. KOENIG 1999: 262.

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jb=k mj aSA Saj.w nw wDb mj Snf.t n 9. r[mw.w Hr jtrw Snj nA n jH.w jm sw dj r 10. km nxnt r HD.t snfrw 11. r aHa.t Dw.w r Sm.t r 12. xntj mtr jw=j m Sms] 13. nTr nfr (…) (…) Lass ihn (den König) mit dir zusammen sein ewig so wie er es liebt auf dich zu blicken. [Gib ihm sehr viele Sedfeste in Jahren des Friedens. Gib sie ihm gemäss] dem Willen deines Herzens, so zahlreich wie der Sand des Ufers, wie die Schuppen der F[ische im Fluss und die Haare der Rinder. Gib ihm hierher solange bis der nxn.t-Vogel schwarz wird, bis der snfrw-Vogel weiss wird, bis die Berge aufstehen und davonlaufen, bis die Flut stromauf fliesst, während ich in der Gefolgschaft] des guten Gottes bin (…). Kommentar Zu diesem Text, zur persönlichen Hinwendung an Aton und deren Bedeutung für die vorliegende Untersuchung sei hier auf Kapitel 3.1.6 sowie auf BICKEL 2003a verwiesen. Das hier vorgestellte Gebet ist auch im Grab des Huya belegt (BICKEL 2003a: 13–14). Das Ende der beiden Textvarianten unterscheidet sich jedoch insofern, als im hiesigen Gebet im Grab des Ahmose die Bitte ausschliesslich auf das Grab gerichtet ist. Durch das Auslassen der letzten Elemente in der Variante des Huya wird der Text auf das Diesseits orientiert, was als Produkt eines persönlichen Eingriffes des Huya in den Text zu deuten ist. Zentral in beiden Varianten ist der Gedanke der Zentralität Echnatons und seiner Beständigkeit im Leben eines jeden Individuums.

G.18.13:

Grab des Merire, Z. 1–4

Verehrte Gottheit(en): Echnaton Datierung: 18. Dynastie (Echnaton) Herkunft: Tell el-Amarna; (EA 4), Säulenhalle, Südtür, linke Seite des Türsturzes Stifter/Autor: Merire Titel: xtm.tj-bjt.j, smr wa.tj, Hs.y m nb-tA.wy, wr-mAA.w n pA Jtn m pr Jtn m Ax.t-Jtn „Siegler des unterägyptischen Königs, Einziger Freund, Gelobter des Herrn der Beiden Länder, der Gösste der mAA-Priester des Aton im Aton-Tempel in Achetaton“ Geschlecht: männlich Literatur: DAVIES 1903: Bd. I, S. 9, 15, 52, Taf. 35, SANDMAN 1938: 5.4–7, MURNANE 1995: 155.

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Text 1. jAw n kA=k anx m mAa.t nb tA.wy [Nfr-xpr-Ra  (a) Wa-n-Ra] 2. wsr.tw Hr wAD=f pAy=j kA n ra nb 3. bw nmH n pA sDm sxr.w=k dj […]=f 4. m jb=f (...)

pA Hapj 

Lobpreis deinem Ka, der in der Maat lebt, Herr der Beiden Länder Nefercheperre Waenre. O Hapi, auf man mächtig wird! Möge er meinen Ka gedeihen lassen jeden Tag. Derjenige, der auf deinen Rat hört, ist nicht elend und der sein […] in sein Herz gegeben hat. Kommentar Die Gebete an der Türe in der Hypostilhalle des Merire (SANDMAN 1938: 5-6) folgen einem ähnlichen Schema: die Einleitung lautet jAw n kA=k und der Inhalt beinhaltet ähnliche, stereotypische Bitten. Analog zur Gottesbeherzigung der Ramessidenzeit kann hier von einer Königsbeherzigung die Rede sein (ASSMANN 1997; vgl. auch den Kommentar zu Kat. G.18.5): Echnaton ist die angebetete Gottheit unter deren Schutz man sich täglich setzt. Für weitere Beispiele von Gebeten an Echnaton siehe in Auswahl MURNANE 1995: 107ff. (a) ws wsr.tw r.tw Hr wAD=f pAy=j kA n ra nb „auf man mächtig wird! Möge er meinen Ka gedeihen lassen jeden Tag“: MURNANE 1995: 155 übersetzt diese Passage als „O Nile, upon whose command one becomes rich. My Ka of every day!“ und liest wAD=f als wD=f „Befehl“. Der Anruf des Königs als „mein täglicher Ka“, um die persönliche Beziehung hervorzuheben, ist jedoch m. W. nicht belegt und würde somit ein Unikum darstellen. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen wird hier die Emendation vorgeschlagen und wAD=f als Prädikat des zweiten Satzes verstanden.

G.18.14:

Grab des Mahu, Z. 1–5

Verehrte Gottheit(en): Aton Datierung: 18. Dynastie (Echnaton) Herkunft: Tell el-Amarna, (EA 9): hintere Grabwand, Nordseite Stifter/Autor: Mahu Titel: Hr.j m a-DAj.w „Polizeichef“. Geschlecht: männlich Literatur: DAVIES 1906: Taf. 18, SANDMAN 1938: 50.14, MURNANE 1995: 150, BICKEL 2003a: 12. Text 1. snb [pr-aA] 2. a.w.s. pA

Lass [Pharao], L.H.G., gesund sein, o

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3. Jtn jmj 4. sw r nHH 5. Wa-n-Ra od m kA[=f]

Aton, gib ihn für die Ewigkeit, (diesen) Waenre, der mit [seinem] Ka schöpferisch tätig ist.

Kommentar Bei diesem Text handelt es sich um die Beischrift zu einer Gebetsszene, in welcher eine Fürbitte für Echnaton zum Ausdruck gebracht wird. S. dazu Kapitel 5.1.1 (die Amarnazeit).

G.18.15:

Grab des Pentu, Z. 1–7

Verehrte Gottheit(en): Aton Datierung: 18. Dynastie (Echnaton) Herkunft: Tell el-Amarna, (EA 7), Eingang, südliche Türlaibung Stifter/Autor: Pentu Titel: zXA-nsw, wr swnw.w „Königsschreiber, Oberarzt“ Geschlecht: männlich Literatur: DAVIES 1906: 29–30, Taf. 4, SANDMAN 1938: 48–49, MURNANE 1995: 181, diskutiert in KAMPP-SEYFRIED 2003: 120–121. Text 1. rdj.t-jAw n [ ¡r-Ax.ty xaa m Ax.t m rn=f m ¥w ntj m Jtn d.w anx] D.t nHH [jj ra nb D.t] 50 jAw n=k Ra nb Ax.t DAj=k p.t Hr(.w) nb.w 2. Hr=k nn b[w m grH mj ra wb]n(.w) {n} m Ax.t JAbt.t [Htp(.w)] m Ax.t Jmnt.t Hpt=k m anx(.w) m Aw.t-jb jr.wt nb.w m jhy 3. grH=sn m-x.t Htp(.w)=k(a) m-[Xnm n=k m Hr.t nn] mAA.n jr.t snnw.t(=s) Ddft nb Hr-sA tA sDr=sn (…) 4. (…) nhs=sn mAA nfrw=k xa[a=k] dgg=sn(b) kmA=sn jm=sn dj=k stwt=k n=sn dj=k Htp=j m 5. s.t=j n.t nHH m-Xnm=j tpH.t(=j) 6. n.t D.t prj=j ao=j m-Xnw 7. Hw.t=j nn xnj bA m mrr.t=f(c) (…).





Lobpreis geben an [Aton 51, versehen mit Leben] in aller Ewigkeit, der [jeden Tag kommt in Ewigkeit]. Lobpreis an Re, Herr des Horizonts. Wenn du den Himmel durchquerst, (wenden) sich alle Gesichter

50 51

Für diese Integration siehe SANDMAN 1938: 48 (a-b). Der Name Atons in der Kartusche: (Harachte, der im Horizont erscheint) (in seinem Namen Schu, der in Aton ist).

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endlos zu dir [nachts wie tagsüber]. Im Horizont des Osten aufgegangen und im Horizont des Westen untergegangen. Wenn du als Lebender und in Erfolgsfreude untergehst, freuen sich alle Augen; sie verdunkeln sich, nach deinem Untergang und bei [deinem Vereinigen mit dem Himmel]. Ein Auge sieht [nicht] (sein) zweites. Alle schleichenden Schlangen schlafen (…) (…) um deine Schönheit zu sehen, erwachen sie! Wenn [du] erscheinst, können sie sehen und sie fühlen sich vollendet, wenn du ihnen deine Strahlen gibst. Gib, dass ich in meinem Ort der Ewigkeit ruhe, dass ich mit (meiner) Höhle der Ewigkeit vereinigt werde, dass ich ausgehe und eingehe in mein Grab, ohne dass Ba abgesperrt wird, von dem was er liebt. (…) Kommentar Ikonographie Die stark beschädigte Szene bildet den anbetenden und nach rechts gewandten Grabinhaber vor dem Strahlenaton, der ausserhalb der Türe dargestellt ist, ab. Er trägt ein für die Amarnazeit typisches Plisséekleid. Es ist dabei bemerkenswert, dass Echnaton als einziger Mittler zwischen dem Einzelnen und Aton hier weder genannt noch dargestellt wurde. Dies ist zweifellos als Hinweis auf die Suche nach einem unmittelbaren Kontakt zu Aton zu deuten (KAMPP-SEYFRIED 2003: 120). Inhalt Ein Duplikat dieses Textes ist im Grab des Huya angebracht (MURNANE 1995: 131). Der hymnische Teil konzentriert sich auf die untergehende Sonne und deren Auswirkung für Menschen und Tiere. Parallel dazu richtet sich der Inhalt des Gebetes auf das Grab des Pentu und auf das Leben dea Grabbesitzers im Jenseits, was im Rahmen der Amarnatheologie besonders hervorzuheben ist. Eine Parallele zum hiesigen Gebet ist in einer Verklärung aus dem Neuen Reich (NR.2) zu erkennen. Vgl. dazu ASSMANN 2005. (a) grH=s grH=sn n m-x.t m-x.t Htp Htp=k =k (…) ( ) „sie verdunkeln sich, nach deinem Untergang“: grH als Verb mit dem Determinativ der Nacht (N3) ist nicht belegt und wird hier aufgrund des Kontextes als „sich verdunkeln“ übersetzt. Das Bild der Traurigkeit der Menschen beim Sonnenuntergang, d. h. im Moment der Entfernung von dem Sonnengott, gewinnt durch die Verwendung des Wortes für Nacht grH als Verb eine metaphorische Konnotation. Diese zielt darauf ab, einen Gegensatz zum Thema des Lichtes beim Sonnenaufgang darzustellen, worauf im ersten Teil des Gebetes beharrt wird. (b) xaa[=k] d dgg=sn gg=sn ((…)) „wenn [du] erscheinst, können sie sehen (…)“: Der parallele Gebrauch der imperfektivischen Form von xaj und dgj zielt auf die Darstellung eines täglichen Geschehens in der Weltordnung ab. (c) nn xnj xnj bA m mrr.t=f „ohne dass Ba abgesperrt wird, von dem was er liebt“: Derselbe Ausdruck ist auf einer Stele an Anubis aus der 19. Dynastie belegt (vgl. Wb.III.296.4: dj=f ao prj m Xr.t-nTr nn xnj.tw bA m mr.t=f). Zur Bedeutung siehe Kapitel 5.1.1 (die Amarnazeit).

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G.18.16:

Stele BM 551, Z. 18–25

Verehrte Gottheit(en): Re-Harachte, Thot, Maat Datierung: 18. Dynastie (Tutanchamun) Herkunft: Sakkara; Grab des Haremhab Stifter/Autor: Haremhab Titel: zXA-nsw, jrj-pa.t, smr-wa.tj „Königsschreiber, Erbprinz, Einziger Freund“ (Titelauflistung so im vorliegenden Text angegeben) Geschlecht: männlich Literatur:; HTES 8: 31–33, Taf. 28, Urk. IV: 2094–2099, MEYER 1877, STEWART 1967: 51–53, BARUCQ/DAUMAS 1980: 352–353 (Nr. 95), ASSMANN 1999: 153–158 (Nr. 58), insbes. Verse 69–93. Text Gebet an Thot (...) 18. (…) jAw n=k +Hwty nb ¢mnw xpr Ds=f jwt.y ms.tw=f nTr wa sSm dwA.t 19. dd {tp} rd n jmn.tjw wn.jw m Sms(.w) Ra sTnj pA ns n xAs.t nb.t dj=k rwD zXAnsw 20. @r-m-Hb mAa-xrw r-gs jty mj wn=k r-gs nb-r-Dr mj rnn=k sw m prj=f m X.t Gebet an Maat 20. jAw 21. n.t MAa.t nb.t mHy.t swn fnD.w n anx.w dd TAw n Hr.j-jb wjA=f dj=T xnm […] 22. jrj-pa.t @r-m-{nb} mAa-xrw TAw (…) Gebet an Thot (…) Preis dir, Thot, Herrn von Hermopolis, Selbstentstandener, der nicht geboren wurde! Einziger Gott, der durch die Unterwelt führt, der den Westlichen Vorschriften gibt, die im Gefolge des Re sind, der die Sprache eines jeden Fremdlandes unterschieden hat. Mögest du geben, dass der Königsschreiber Haremhab, gerechtfertigt, fest stehe zur Seite des Herrschers, wie du zur Seite des Allherrn bist, wie du ihn aufziehst, wenn er aus dem Leibe hervortritt. Gebet an Maat Lobpreis an Maat, Herrin des Nordwindes, die die Nasen der Lebenden öffnet, die demjenigen inmitten seiner Barke Luft gibt! Mögest Du veranlassen, dass der Erbprinz Harem, gerechtfertigt, Luft atme! (…).

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Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil unter der geflügelten Sonnenscheibe ist Haremhab in anbetender Gestik und nach links gerichtet dargestellt. Drei Zeilen Inschrift trennen ihn von den drei Gottheiten, die er anbetet: Re-Harachte, Thot und Maat. Im unteren Bereich erstreckt sich der Text des Gebetes über 25 Zeilen. Die Inschrift setzt sich aus einem Gebet an den Sonnengott, an Thot und an Maat zusammen. Inhalt Aufgrund der Tatsache, dass die Gebete an Thot und Maat in einem Sonnenhymnus eingebettet sind, 52 sind die Epitheta der beiden Gottheiten stark von der Sonnentheologie beeinflusst. Die Aufzählung ihrer Eigenschaften, die dem Muster der Machtverkündung (sDd bAw) einer Gottheit folgt und somit im Nominalstil verfasst ist (ASSMANN 1996b), weist im Falle des Thot sowohl sein typisches Epitheton „Herr von Hermopolis“ charakteristische Merkmale des Ur- und Sonnengottes bei seiner täglichen und nächtlichen Fahrt auf. 53 Jan ASSMANN (1999: 157) ist die Erkenntnis zu verdanken, dass im ersten Teil der Hymnus auf ein älteres Vorbild zurückzuführen ist. Die Verse 1–20 gleichen dabei dem Sonnenhymnus des Totenbuchs von Nacht (P.BM 10471), während der Anfang des Textes auf einer Felsstele in Arminna und auf einem Pyramidion (Leiden K1) belegt ist. Der zweite Teil hat partielle Parallelen in der Hymnen-Anthologie vom P.Leiden I 344 vso. (ASSMANN 1999: 157) woraus folgt, dass Haremhab einen neuen, persönlichen hymnischen Text aus dem vorgefundenen Material zusammengestellt hat. Aus demselben Grab des Haremhabs stammen zwei weitere Reliefpaletten (BM 550 und 551: HTES 8: 30–31, Taf. 27), die jeweils einen Hymnus an Osiris und an Re beinhalten und sich im Rahmen der Anbetungen der Morgen- und Abendsonne im Grab erklären lassen.

G.18.17:

Graffito in TT 139, Z. 1–25

Verehrte Gottheit(en): Amun Datierung: 18. Dynastie (Smenchkare) Herkunft: Theben-West, Scheich Abd el-Gurna, TT 139 (Grab des Pa-jrj), Grabwand, Querhalle Stifter/Autor: Batjay (für seinen Bruder Pawah) Titel: Batjay: zxA-od […] Hw.t anx-xpr.w-Raa „Zeichner im Haus des Ancheperure (Smenchkare?)“ (Pawah: wab zXA Htp.w-ntr „wab-Priester und Schreiber der Gottesopfer“) Geschlecht: männlich

52 53

Aus diesem Grund ist in ASSMANN 1999: Nr. 58, dieser Hymnus unter den Sonnenhymnen aufgelistet. Für eine theologische Auseinandersetzung mit diesem Text und seinem Aufbau siehe ASSMANN 1999: 157–158.

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Literatur: GARDINER 1928: 10–11, Taf. 5–6, BARUCQ/DAUMAS 1980: 203–206 (Nr. 71), ASSMANN 1999: 369–371 (Nr. 147), diskutiert in: KESSLER 1998: insbes. 174ff. Zum Grab: KAMPP 1996: 426–427, Abb. 317. Text 1.-2.: Datierung





3. rdj.t-jAw n Jmn sn-tA n Wnn.nfr 4. jn wab zXA Htp.w-ntr n  Jmn m Hw.t anx xpr.w Ra 5. m WAs.t PA-wAH ms.w n Jtj-snb Dd=f 6. jb=j r mAA=k nb SwAb TAj 7. xx=k mHy.w(a) dj=k sAw bw 8. wnm.t dj=k txy {r} bw swr 9. jb=j r mAA n=k rSw(.t) jb=j  Jmn pA (b) 10. Hnw.tjw n nmHw ntk pA jtj n 11. jwty mw.t=f pA hy n tA xAr.t 12. nDm=sn pA dmj rn=k sw mj 13. dpt.t anx(c) sw mj dp.t ao n Srj 14. dAjw n HAj[...] mj dp.t n x.t n xA[...] 15. m tr n rkH twk mj [...dj? jm?] 16. Xr.j […] wn jtj=f [...] twk mj dp.t [...] 17. […] HoA pA TAw n[...] wn m jHw Htp 18. […] js nb od [...] ann=f 19. an=tn n=n pA nb nHH wn=k dj jw bw 20. xpr.t jw=k dj jw=w Hnw.w dj=k ptr kkw 21. n dd=k(e) sHD n=j mAA=tn wAH kA=k 22. wAH pAy=k Hr nfr mrj jw=k r jj m wAy 23. dj=k ptr tw bAk jm(d) zXA PA-wAH jm 24. n=f wAH sw ra sp 2 jjA pA Sms=k nfr 25. Jmn pA nb aA n wxA=f m gm (...).





  



Amun anbeten, die Erde küssen vor Onnophris, durch den wab-Priester und Schreiber der Gottesopfer des Amun im Tempel von Smenchkare 54 in Theben, Pawah, Sohn des Itiseneb, er sagt: Mein Herz sehnt sich danach, dich zu sehen, Herr der Persea-Bäume, wenn dein Hals Blumenkränze empfängt. Mögest du Sättigung ohne zu essen geben, mögest du Trunkenheit ohne zu trinken geben. Mein Herz wünscht dich zu sehen, Freude meines Herzens, Amun, du Kämpfer des Armen! Du bist der Vater 54

Vgl. dazu KESSLER 1998: 162.

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des Mutterlosen, der Gatte der Witwe. Das Aussprechen deines Namens ist angenehm, es ist wie der Geschmack des Lebens, es ist wie der Geschmack des Brotes für ein Kind, (wie) ein Gewand für den Nackten […], wie der Geschmack (Duft) des Blütenholzes (?)[…] zur Zeit der Sommerhitze. Du bist wie [...] [...] Du bist wie der Geschmack [...] [...]des Herrschers, (wie?) die Luft/der Wind für denjenigen, der im Gefängnis war. [...] Möge er sich umwenden. Wende dich uns wieder zu, du Herr der Ewigkeit, du warst hier, als noch nichts entstanden war, du wirst hier sein, wenn sie zu Ende sind. Du lässt mich die Finsternis sehen, die du gibst – erleuchte mich, dass ich dich sehe! So wahr dein Ka dauert, so wahr dauert dein schönes Gesicht. Du wirst kommen von fern und veranlassen, dass der Diener da, der Schreiber Pawah, dich erblickt. Gib ihm ‚Wie dauert Re! Wie dauert Re!’. O wie gut ist es, dir zu folgen, Amun, dem Herrn, gross an Offenbarung für denjenigen, der ihn findet. (…) Kommentar Dieser Text wurde an der rechten Türlaibung des Zugangs zur sloping-passage, die zur Sargkammer führt, in der Querhalle des Grabes des wab-Priesters Pa-jrj in Scheich Abd el-Gurna aus der Zeit Amenophis’ III. angebracht. Die Inschrift selbst ist dem Ka des Schreibers des Gottesopfers Pawah vom Zeichner Batjay gewidmet. Nach Jan ASSMANNs (1999: 371) Deutung wäre dieser Text das älteste Beispiel der Tradition einer ausserkultischen Gebetslyrik und wäre somit von den historischen Bedingungen d. h. von der Verfolgung der Götter in der Amarnazeit beeinflusst worden. Dagegen ist jedoch Dieter KESSLERs Studie (1998: 175ff.) zu erwähnen, in welcher dieser Text als die Schilderung eines vollzogenen sog. Petitionsritual vor dem Kultbild gedeutet wird und somit den ausserkultischen Charakter ablehnt. S. dazu Kapitel 5.2 der vorliegenden Arbeit. mHy.w „wenn dein Hals Blumenkränze empfängt“: so nach ASSMANN (a) TAj xx=k mHy.w 1999: Nr. 147, Vers 7, der dies mit den Blumensträussen, die während des Talfestes Amun überreicht wurden, in Verbindung setzt. Nach KESSLER (1998: 178 mit Verweis auf DITTMAR 1986: 126f.) gibt jedoch dieser Ausdruck vielmehr das Umhängen des Blumenkranzes am Kultbild des Amun wieder. Solche Blumensträusse konnten – wie es in der Spätzeit belegt ist – von den Leuten gekauft werden, um Bitten an die Gottheit zu richten. (b) Hn Hnw.tj w.tjw w „Kämpfer“ (?): so auch Assmann 1999: Nr. 147, Vers 11. Das Wort könnte mit Hny.t „Speer“ (Wb.III.110.11) verwandt sein, das im Neuägyptischen belegt ist. Eine weitere Erklärung könnte Hnwj „stechen“ sein (Wb.III.110.5), das in Zaubertexten benutzt wird. dp.t p.t aanx nx „es ist wie der Geschmack des Lebens“: Mögliche Anspielung auf (c) sw mj d den „Schiffbrüchigen“, wo es um den „Geschmack des Todes“ (dp.t mw.t) geht (P.Hermitage 1115: 37-38).

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(d) jw=k r jj m wAy / dj=k ptr tw bbAk Ak jm (...) “Du wirst kommen von fern/und geben, dass der Diener (...) dich erblickt“: Die Idee der Gottheit, die fern ist und beim Rezitieren des Gebetes zum Betenden kommt, ist Teil der offiziellen Theologie des Neuen Reiches seit der 18. Dynastie. Dahinter ist die Hoffnung des Menschen abzulesen, dass ferne Götter, die für das Wohlergehen des Kosmos zuständig waren, sich der persönlichen Sphäre widmeten und somit auf die spezifischen Anliegen des Beters eingingen. (e) dj=k ptr kkw n dd=k „Du lässt mich Finsternis sehen, die du gibst“: Vgl. den Exkurs II zu diesem Ausdruck in Kapitel 5.1.1.

G.18.18:

Holztafel BM 5646

Verehrte Gottheit(en): Thot Datierung: 18. Dynastie 55 Herkunft: unbekannt; Grabkontext Stifter/Autor: unbekannt Titel: unbekannt Geschlecht: unbekannt Literatur: TURAJEFF 1895: 120–125, ERMAN 1923: 186, BARUCQ/DAUMAS 1980: 357– 359 (Nr. 98). Text 1. DwA +Hwty m Xr.t hrw nt ra nb* jj nTr.w jm.j.w p.t* jj nTr.w jm.j.w tA* 2. [...] jAb.tyw* mj mAA n=tn +Hwty xa.w m wrr.t=f* smn.n n=f ¡r.w ¤tS m Wnw* jrj=f sSm rxjt* 3. Ha.w m wsx.t Gb* m jr.t.n=f* dwA sw soA sw mj n=f jAw* pA pw nb jmA-jb* 4. sSm n aSA.t rmT mj od=s* jst nTr nb nTr.t nb.t* rdj.t=sn jAw n +Hwty m hrw pn* swt grg=f 55

Tägliche Verehrung des Thot.* O Götter, die ihr im Himmel seid* O Götter, die ihr auf Erden seid!* [...] ihr Östlichen!* Kommt und seht: Thot ist erschienen mit seiner Weissen Krone,* Horus und Seth haben ihm den Thron in Hermopolis verliehen*. Er führt die rxy.t-Menschen*, Jubelt im Saal des Geb*, für das, was er gemacht hat!* Verehrt ihn, hebt ihn hoch, gebt ihm Lobpreis!* Das ist der Herr der Freude,* Führer der Menschenmenge in ihrer Ganzheit* nun jeder Gott und jede Göttin* geben heute Lobpreis dem Thot *, er hat ihre

Nach ERMAN 1923: 186, stammt der Text (aus paläographischen Gründen) aus der 18. Dynastie: „als Schulübung auf einer Schreibtafel der 18. Dynastie erhalten, aber wohl aus älterer Zeit“.

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5. sbH.wt=sn jAw=sn m Hw.wt-nTr=sn* m tA* jnD-Hr=k +Hwty* jnk wa(.w) dwA tw* dj=k n=j pr x.wt* 6. grg=k wj jr=k anx=j* Hr tA n anx.w* jr.n=k anx=sn m Jw-Nsrsr* dj=k mr.wt=j Hs.wt=j [...]wt=j bnrj.t=j* mk.t=j* 7. m X.wt m jb m HAt.j.w n rmT nb.t* pa.t nb.t rxy.t nb.t* Hnmm.t nb.t* Hmw.t rA 8. sxr=k xft.j.w=j xft.t=j m mt=j m anx=j* Dd sn jn sj wdn.n=f n +Hwty* smAa-xrw sj r xft.j.w* 9. m DADAj.t n.t nTr nb{.t } m nTr.t nb.t* 10. swt Hr.j-tp js pw n nTr nb* nTr.t nb.t* m wD.n=f PsD.t aA.t

Heiligtümer gegründet. Sie preisen (ihn) in ihren Tempeln*/und ihre Lobpreisungen in ihren Tempeln* auf Erden*. Sei gegrüsst Thot!* Ich bin der Einzige, der dich preist.* Mögest du mir ein Haus und Vermögen (?) geben* Mögest du mich ausstatten, mögest du mein Leben* auf das Land der Lebende schöpfen,* (weil) du ihr Leben auf die Insel Nsrsr geschöpft hast.* Mögest du die Liebe zu mir, meine Gunst, mein [...], meine Beliebtheit*, meinen Schutz* in die Körper, in die Herzen, in die Gedanken und aller Menschen geben,* aller pat-Menschen, aller rxy.t-Menschen,* aller Hnmm.t-Menschen*, usw. Mögest du meine Feinde und meine Feindinnen schlagen, in meinem Tode und in meinem Leben (= in Tod und Leben).* Gesagt durch den Mann, der Thot geopfert hat,* der einen Mann gegen die Feinde gerechtfertigt* im Gerichtshof aller Götter und aller Göttinnen. Er ist ja das Oberhaupt von jedem Gott* und von jeder Göttin* weil er die grosse Neunheit befiehlt.*

Kommentar Vgl. dazu Kapitel 5.1.1 (die Nachamarnazeit). Nach dem ersten Bearbeiter des Textes (B. A. TURAJEFF) soll es sich hier um ein Gebet mit magischer Färbung („Gesagt durch den Mann, der Thot geopfert hat“) handeln, ähnlich wie beim Hymnus auf Schu im magischen Papyrus Harris. Vor der Formel jnD-Hr=k +Hwty ist auf der Tafel ein rotes Kreuz aufgezeichnet, was von BARUCQ/DAUMAS als ein Hinweis auf den Beginn eines anderen Textes, der mit dem ersten vergesellschaftet war, gedeutet wurde. Dies allerdings würde von der üblichen

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Gewohnheit, solche Zusammensetzungen von unterschiedlichen Texten durch das Zeichen grH darzustellen, abweichen. Das Bild des Thot als Gründer von Kulten anderer Gottheiten ist auch in den Hymnen an Thot auf der Statue des Cheruef (Kat. G.18.9: Text D, Z. 3) belegt. Darüber hinaus wird Thot hier als Schöpfergott und als Hauptgottheit angebetet („Er ist sicher der Oberhaupt von jedem Gott und von jeder Göttin, weil er die grosse Neunheit befiehlt.“), an den sich der Jubel aller Götter im Himmel und auf Erden richtet, ähnlich wie es für den dynastischen Gott Amun-Re der Fall ist.

G.18.19:

Statue Kairo CG 921

Verehrte Gottheit(en): Amun Datierung: 18. Dynastie Herkunft: Keine Angaben; Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: Thotnefer Titel: zXA-nsw, jm.j-rA pr-HD „Königsschreiber, Schatzhausvorsteher“ Geschlecht: männlich Literatur: BORCHARDT 1930: 155, ASSMANN 1999: 192 (Nr. 83). Text (...) 3. jnD-Hr=k wbn 4. m Nwnw hD baH 5. tA.w(y) m nwb Jmn jtj 6. nTr.w nb p.t nb tA nb mw jrj ntt 7. sxpr snT tA omA wnn.t nb.t 8. rdj TAw n dwA(.w) sw smnx aHaw n jrj Hr mw=f(a) (…) (…) Sei gegrüsst, du der im Nun aufgeht, du der strahlt, du der die Beiden Länder mit Gold überflutet! Amun, Vater der Götter! Herr des Himmels, Herr der Erde, Herr des Wassers, der das, was ist, erschuf, der das Fundament der Erde entstehen liess, der alles was existiert erschuf, Der Luft gibt dem, der ihn anbetet, und die Lebenszeit trefflich macht desjenigen, der auf seinem Wasser handelt. (…)

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Kommentar Bilddarstellung Die ca. 0,26 m hohe Statue mit schmalem Rückenpfeiler stellt Thotnefer kniend dar. Er trägt einen schmalen Rückenpfeiler auf, sowie einen glatten und bis zu den Knien reichenden Schurz mit einem trapezförmigen Vorderblatt, auf dem die Inschrift angebracht ist. 56 Inhalt Diese persönliche Bitte, die in einem Sonnenhymnus eingebettet ist, stellt eine Variante zum Harfnerlied von TT 11 (Kat. G.18.1) dar. Zur Verortung dieses Textes in den Gebeten der Nachamarnazeit s. Kapitel 5.1.1 (die Nachamarnazeit). (a) rdj TAw n dwA(.w) sw/smnx sw smnx aHaw n jrj Hr mw= mw=ff „Der Luft gibt dem, der ihn anbetet, und die Lebenszeit trefflich macht dessen, der ‚auf seinem Wasser’ handelt“: ASSMANN 1979: 54 führt diesen Satz als Muster für die sog. Gegenseitigkeitsformel auf, welche die Mensch-Gott-Beziehung nach der do-ut-des-Struktur regelt. Eine Parallele zu diesem Text ist in dem Harfnerlied belegt, das in die Gastmahlszene eines Grabes aus der 18. Dynastie eingebettet ist (SÄVE-SÖDERBERGH 1958: 283–285; FECHT 1963: 92–94, vgl. auch einen Ausschnitt eines der Texte dieser Szene in Kat. G.18.1). Dort ist im letzten Vers des Textes die eigentliche Bitte enthalten, die hingegen in der Variante auf der Statuette fehlt. Diese lautet: jm snb pA sr ob wnn mnw „Gib, dass dieser ruhige Fürst gesund sei, der dauernd sein wird“.

G.18.20:

Stele BM 834, Z. 1-5

Verehrte Gottheit(en): Osiris, Isis, Amenophis III. und Teje Datierung: 18. Dynastie (Tutanchamun oder Eye) Herkunft: Theben (?); vermutlich Grabkontext Stifter/Autor: Eje und seine Frau Mutemuia Titel: Qaj: wab Xr.j-Hb n Nb-mAa.t-Ra „wab-Priester, Vorlesepriester des Amenophis III.“; Mutemuia: nb.t pr „Hausherrin“ Geschlecht: männlich und weiblich Literatur: HTES 7: Taf. 21. Text 1. rdj.t-jAw/dwA 57 n kA=k Wsjr ¢nt.j-Jmnt.t dwA As.t mw.t nTr(.t) dj=j jAw 2. Nb-mAa-t-Ra wDA-Ra sHtp(=j) Hm.t wr.t nsw ¦jj dj=sn ors(.t) nfr(.t) m-x.t jA3. -w.t r pH=k jmAxw m Htp jw rA(=j) wDA(.w) jj.t r s.t=s (…) 4. ra nb r pH=k Jmnt.t WAs.t pA tA n mAa.ty n kA n wab Xr.j-Hb n Nb-mAa.t-Ra wDA-Ra mAa-xrw 5. sp sn sn.t=f nb.t pr Mw.t-m-wjA mAa-xrw jmAx.t













56

Diese Beschreibung entnehme ich aus BORCHARDT 1930: 155. Es war mir leider nicht möglich ein Photo der Statue zur Sicht zu bekommen.

57

Man beachte die unübliche Schreibung



 .

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Deinen Ka anbeten, Osiris Chontamenti. Isis anbeten, die göttliche Mutter. Ich gebe Lobpreis Amenophis III., (ich) besänftige die grosse Gemahlin des Königs, Teje. Mögen sie ein schönes Begräbnis geben nach einem (hohen) Alter, um dich zu erreichen, Würdiger in Frieden, indem (mein) Mund unversehrt ist, und das Gehen zu seinem Ort (…) jeden Tag. Um dich zu erreichen Theben-West, das Land der beiden Wahrheiten. Für den Ka des wab-Priesters, des Vorlesepriesters des Amenophis III., Eje, gerechtfertigt. Seine Schwester, die Hausherrin Mutemuia, gerecht, die Würdige. Kommentar Bilddarstellung Diese Stele ist in drei Register eingeteilt. Im obersten Teil sitzen Osiris und Isis an der rechten Seite des Opfertisches, während auf der gegenüberliegenden Seite Amenophis III. und Teje sitzend dargestellt sind. Im mittleren Register sitzen auf der linken Seite Qaj und Mutemuia und empfangen das Wasser und das Weihrauchopfer von ihren Angehörigen. Der Gebetstext ist im unteren Register angebracht. Die letzten drei Zeilen der Inschrift sind ein Palimpsest. Inhalt Zur Verortung der Phraseologie dieses Textes in den Gebeten der Nachamarnazeit s. Kapitel 5.1.1 (die Nachamarnazeit).

G.18.21:

Stele Kairo JE 37463

Verehrte Gottheit(en): Amun Datierung: 18. Dynastie (Tutanchamun) Herkunft: Karnak-Tempel, Cache Nr. K100 Stifter/Autor: Huy Titel: sA-nsw n KS, jm.j-rA xAs.wt rs.wt „Vizekönig von Kusch, Vorsteher der südlichen Fremdländer“ Geschlecht: männlich Literatur: Urk. IV: 2075, 14–17, ROWE 1940: 47–49, Taf. 9. Text Recto: 1. rdj(.t)-jAw n kA=k Jmn nb [ns.wt tA.wy] 2. sn-tA Jmn aro s(w) tA.wy [...] 3. kA nsw n Nb-xpr.w-Ra dj=sn aHaw nfr X.t 4. rSw.t ra nb n kA n sA-nsw n KS jm.j-rA xAs.wt rs.wt @wy





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Lobpreis geben deinem Ka, Amun, dem Herrn [von Karnak], die Erde küssen Amun, die Beiden Länder schwören auf ihn [...] der königliche Ka des Tutanchamun. Mögen sie eine vollkommene Lebenszeit geben, einen Körper, und Freude jeden Tag. Für den Ka des Vizekönigs von Kusch, des Vorstehers der südlichen Fremdländer, Huy. Verso: 1. mj m Htp nb(=j) Nb-xpr.w-Ra mAA=j kkw Xr.t hrw 2. n jrj.n=k sHD n=j mAA=j tw sDd=j 3. bAw=k n rmw Hr jtrw 4. [...]





Komm in Frieden, (mein) Herr, Nebcheperure (Tutanchamun), da ich die Finsternis am Tage sehe, die du machst. Erleuchte mich, dass ich dich sehe! Ich verkünde deine Macht den Fischen im Fluss. [...] Kommentar Bilddarstellung Die auf der Vorder- und Rückseite beschriftete und schwer beschädigte Stele zeigt im oberen Register der Vorderseite Chnum und Amun, beide auf einem Thron sitzend, ihre Gesichter zu einander gerichtet. Chnum ist mit Widderkopf und Atef-Krone dargestellt, sein Thron ist mit einem schuppenförmigen Muster dekoriert. Hinter Amun ist eine nur noch in Spuren erkennbare sitzende Gestalt mit Doppelfederkrone und Uräus dargestellt, die vielleicht mit Tutanchamun zu identifizieren ist (ROWE 1940: 47). Im unteren Register auf der rechten Seite ist Huy stehend in Anbetungshaltung abgebildet; er trägt einen langen Schurz und eine Perücke. Die Rückseite der Stele zeigt in der Ecke unten links wiederum Huy in kniender Anbetungsgestik und ohne Perücke. Der Text ist auf beiden Hälften der Stele in Kolumnen angebracht. Inhalt Zur Verkündung der bAw-Macht einer Gottheit an Tiere siehe den Kommentar zu Kat. G.19.9 sowie BRUNNER 1988. Zur Verortung dieses Textes in den Gebeten der Nachamarnazeit vgl. Kapitel 5.1.1 (die Nachamarnazeit) und zur Metapher der „Finsternis am Tag“ den Exkurs II in Kapitel 5.1.1.

G.18.22:

Stele Louvre C21

Verehrte Gottheit(en): Amun-Re Datierung: Ende 18. Dynastie - Anfang 19. Dynastie Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: Baki

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Titel: keine Angabe Geschlecht: männlich Literatur: CAPART 1905: Taf. 78, ASSMANN 1999: 396–398 (Nr. 170). Text 1. [...] dwA nfr.w=f dj rx n nTr.w rmT 2. […] Dd=f ntk nxn msj.w mw.t=f omA 3. [jt=f] rA=f xpr nTr.w srf=f xpr rmT 4. [...] dwA=f anx jb.w=sn mAA jnj Hapj 5. [...sanx] rmT sxpr mnmn.t a.wt nb(.t) mjt.t jr.y 6. [...] Apdw Tnj jn {jnw} wa r 7. [sn.nw=f...] xm jwt.y=f m nTr.w rmT jnD-Hr=k n Hr nb 8. [...dwA.]w nfr.w=k mkj=sn 58 dj=k n=j or9. [s.t m-x-t jAw.t jw=j wDA.kwj m Dr].t=k nn jn sp=j r pH.t(=j) r jmAx(.w) m Htp 10. [n kA n] ? BAkj mAa-xrw 59 11. [...] sw jw nb=j Jmn-Ra nb ns.wt tA.wy jrj 12. [anx.tj Apd.w] 60 gnH rmw Hr jtrw 13. [sDd=j bAw]=k n Srj.w [aA.w] 14. [...] mrj sgr [...] seine Schönheit anbeten. Veranlassen, dass Götter und Menschen wissen. [...] Er sagt: Du bist das Kind, das seine Mutter gebiert, Schöpfer [seines Vaters], 61 (der sprach) mit seinem Mund und es entstanden die Götter; der sich aufwärmte, und es entstanden die Menschen. [...] ihn anbeten. Ihre Herzen leben, wenn sehen. Der den Nil heraufführt, [...] der die Menschen [am Leben erhält], das Vieh entstehen lässt, und alles Wild gleichermassen, [...] Vögel. Der die Farbe des einen vom [anderen...] unterscheidet, es gibt keinen, der ihn nicht kennt 62, unter Göttern und Menschen. „Sei gegrüsst“ sagt jedes Gesicht. [...Anbetung]en deiner Schönheit. Mögest du mir ein Begräb[nis nach dem Alter geben, indem ich unversehrt bin] in deiner Hand. Möge kein Fehler von mir vorgebracht werden, bis (ich) die Würdigkeit in Frieden erreiche. [...Für den Ka des] Baki, gerechtfertigt [...] ihn: Mein Herr, Amun-Re, Herr von Karnak, der [den Lebensunterhalt der Vögel am] Himmel und der Fische im Fluss erschafft. [Ich verkünde] deine [bAw-Macht] den Kleinen und [Grossen] (...) der den Schweigenden liebt. 58 59 60 61 62

Vielleicht mit mkj „schützen“ (Wb.II.160) zu erklären. Der Sinn des Satzes bleibt jedoch fragwürdig. ASSMANN 1999 setzt eine lacuna an dieser Stelle. Der Anfang der Zeile ist nur sehr schwer lesbar. Die Rekonstruktion der lacuna erfolgt aufgrund von P.Boulaq 17, 6.4–5 (LUISELLI 2004: 23). Ergänzung der lacuna nach ASSMANN 1999: 396. Anders ASSMANN 1999: Nr. 170, Vers 16: „[es gibt keinen, der handelt] ohne sein Wissen“.

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Kommentar Bilddarstellung So wie die Inschrift sind auch die Darstellungen Teil dieses Denkmals nur teilweise erhalten. Zu erkennen ist ein auf einem Sitzkissen kniender und nach links gewandter Beter, dessen Schulter, Kopf und Hände fehlen. Inhalt Die persönliche Bitte in diesem hymnischen Text betrifft die Ausstattung für das Jenseits, sowie den unversehrten Status, den sich der Stelenstifter als Verstorbener wünscht. Der Hymnus, der Amun-Re als Schöpfer und Lebensspender preist, wiederholt eine Phraseologie, die aus dem grossen Amun-Re-Hymnus des P.Boulaq 17 bereits schon in der Voramarnazeit bekannt ist und somit Teil einer festen und offiziellen Tradition war. Die Verkündung der Natur des Amun-Re stellt den Rahmen dieses Hymnus dar: Darauf deutet sowohl der Anfang als auch das Ende des Textes hin. Zur Verortung dieses Textes in den Gebeten der Nachamarnazeit siehe Kapitel 5.1.1. (die Nachamarnazeit).

G.18.23:

Statue BM 1459 (Taf. 6)

Verehrte Gottheit(en): Hathor Datierung: Ende 18. Dynastie-Anfang 19. Dynastie Herkunft: Deir el-Bahari; Tempel von Thutmosis III. (Ach-jsut) Stifter/Autor: Tjaui Titel: Hmww-nsw, aA n wab(.w) „Königshandwerker, Grosser der wab-Priester“ Geschlecht: männlich Literatur: NAVILLE/HALL 1913: Taf. 9, BARUCQ/DAUMAS 1980: 437–439 (Nr. 128), SCHULZ 1992a: 383–384 (Kennziffer 221), DERS. 1992b: Taf. 100, PINCH 1993: 333, Taf. 40. Text A) Text auf dem Block: Hymne 1. rdj.t-jAw n ¡w.t-@r sn-tA n Hr.j-tp WAs.t nb(.t tA)-Dsr 2. jn Hmww-nsw wab a.wy aA n wab n Wr.t-HkA.w *Awy mAa-xrw 3. Dd=f jnD-Hr(=T) tA JH.t-nwb nfr.t-Hr aSA jwn.w a.t m p.t jwt.y sn.nw=s ¡w.t-@r Hr.j-tp Ra wn 4. jr.ty=t hAd.w (?) KAS (...) 5. Hm.t TAw nDm jw n=T mHt.t m TAw rsw m Spj wsr.w 6. Xrj jwA.w sA.w snTr mAa(.w) m-rA pr=T jrj (n=j) PtH js 7. m dd=f jrj (n=j) msxn {n} jb=T dj(=f) Ssp(=j) sS.w {n} wnn m-bAH(=T) DfA.w 8. {n}-rA pr=T ao prj a.wy wab m-tp tA-Dsr Jmnt.t WAs.t n kA n Hmmw-nsw *Awy

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Lobpreis geben an Hathor, die Erde küssen vor der Obersten von Theben, der Herrin des heiligen Landes (Nekropole). Durch den Königshandwerker mit reinen Armen, den Grossen der wab-Priester der Weret-hekau, Tjaui, gerechtfertigt, er sagt: „Sei gegrüsst, du goldene Kuh, mit schönem Antlitz, mit zahlreichen Farben, Einzige im Himmel, ohne ihresgleichen, Hathor, die über Re ist. Deine beiden Augen haben Kusch besiegt (...), Herrin des süssen Lufthauchs. Der Norden kommt zu dir als Wind und der Süden mit (in) den grossen Rudern, beladen mit Ochsen, Enten und Weihrauch, geopfert am Eingang deines Tempels. Möge Ptah (für mich) ein Grab machen, wie er es gewöhnlich macht. Möge er (für mich) einen Ruheplatz deinem Herzen machen; möge (er) veranlassen, dass (ich) die Opferbrote empfange, die vor (dir) sind, die Nahrung, die deinem Tempel ist, das Eintreten und das Ausgehen der reinen Arme vor der Nekropole im Westen von Theben“. Für den Ka des Königshandwerkers Tjaui. B) Text auf dem Sockel : Gebet jnk jHy(a) [...] n ¡w.t-Hr sDm spr.t Sr.t nb.t ntj rmj(b) ntj grg ¡w.t-@r jm(.w) sgnn.w Hr wp.t=j(c) srm r rA=j t Hnot n wdn=tn jm(.w) sn.wt m-bAH{=t} kA.Dd(=j) n ¡w.t-@r sDm.n=s n wHm.t (…) Ich bin der Musikant (jHy) [...]von Hathor, die die Gebete erhört jedes Mädchens, das weint und das auf Hathor baut. Gebt Salben auf meinen Scheitel, 63 Bier für meinen Mund, Brot und Bier von dem, was ihr opfert. Gebt Opferkuchen vor {ihr} und dann ich werde zu Hathor, (da) sie das, was wiederholt wird, gehört hat. (…) Kommentar Bilddarstellung Die Inschriften des vorliegenden Würfelhockers verteilen sich auf der der gesamten Fläche, wobei die Vorderseite der Statue die Abbildung des Kopfes der Hathorkuh in Frontalansicht aufweist. In der linken Hand hält Tjaui ein Sistrum, das auf die Vorderseite des Statuenblocks hinabfällt und somit rechts neben Hathor zu sehen ist. Regine SCHULZ (1992a: 22–23) schreibt diesen Würfelhocker der Varianten ‚mit Götteremblem zu’.

63

Diesen Deutungsvorschlag verdanke ich Martin Bommas (Birmingham).

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Inhalt Zur Verortung dieses Textes in den Gebeten der 18. Dynastie s. Kapitel 5.1.1. (die Nachamarnazeit). Die Inschrift ist auf einer Statue angebracht, die eine Mittlerfunktion (s. Kapitel 3.1.5.b) für die Gebete der Besucher des Hathortempels innehatte, wie das Ende von Text B erläutert. Die Anrufung an Ptah im Text A, Z. 6 ist aufgrund seiner Funktion als Patron der Künstlerkorporation – und somit wegen seiner Nähe zum Stifter – zu verstehen. (a) jHy „Musikant“: Nach PINCH 1993: 333, Anm. 1, als priesterlicher Titel zu verstehen, der auch auf einer anderen Mittlerstatue vorkommt. Wb.I.121 führt die Deutung als Priesterbezeichnung jedoch nur für die Spätzeit an, während es sich allgemein um die Bezeichnung eines Musikanten oder einer Musikantin handelt. Da Hathor besonders mit der Musik verbunden war, könnte es durchaus sein, dass gerade diese ursprüngliche Bedeutung zutreffend ist, denn durch die Musik konnte der Kontakt zur Gottheit hergestellt werden: Das Musizieren im Kult einer Gottheit war eine Form der religiösen Kommunikation (s. Kapitel 3.1.3 und 4.2.3.b. (b) nty rrmj mj: Das Relativadjektiv ntj ist hier männlich und das phonetische Komplement m ist vorangestellt. (c) wp wp.t .t=j =j: zu dieser vgl. Lesung PINCH 1993: 333, Anm. 3.

G.18.24:

Stele Turin 50050, Z. 1–5

Verehrte Gottheit(en): Ahmes-Nefertari Datierung: Ende 18. Dynastie 64 Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter/Autor: Herja, Gebet auch für den Ka der Hausherrin (nb.t-pr) Jj vorgetragen Titel: nb.t-pr „Hausherrin“ Geschlecht: weiblich Literatur: TOSI/ROCCATI 1972: 85, EXELL 2009: 165 (DB 240). Text 1. rdj.t jA.w n Ax-ms-nfr.t-ry 2. sn-tA n Hm.t pA dmj [dj=T] 3. mAA(=j) kkw n jrj{=j} sHD 4. n=j jr.ty=j Htp 5. n=j Htp n kA n nb.t-pr Jj mAa(.t)-xrw





Lobpreis geben an Ahmes-Nefertari, die Erde küssen vor der Herrin des Dorfes. [Du hast veranlasst,] dass (ich) die Finsternis sehe, die {ich} machst. Erleuchte für mich meine Augen. Sei gnädig 64

Ich folge hiermit der von TOSI/ROCCATI 1972: 85 vorgeschlagenen Datierung. Man beachte aber, dass Karen EXELL 2009: 165 hingegen die Stele in die Ramessidenzeit datiert.

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zu mir! Sei gnädig (auch) zu dem Ka der Hausherrin Jj, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Ahmes-Nefertari sitzt im oberen Register auf der linken Seite. Vor ihr sind ein Altar und eine Frau (die Stifterin Herja), die das Opfer darbringt, dargestellt. Links, oberhalb der Szene, ist die Kartusche mit Ahmes-Nefertaris Namen zu erkennen, während rechts folgende Inschrift zu lesen ist: jr.w n nb.t-pr @rjA mAa(.t)-xrw „Gemacht von der Hausherrin Herja“. Im unteren Register ist der Gebetstext links in fünf Kolumnen angebracht, während rechts die Hausherrin Jj kniet und die Hände in betender Gestik hochhebt. Inhalt Zur Metapher der „Finsternis am Tag“ siehe den Exkurs II in Kapitel 5.1.1. Herja trägt das Gebet auch zu Gunsten von Jjs Ka vor. Karen EXELL (2009: 165, DB 240) betrachtet diese Stele als dem von ihr bezeichneten Typ A gehörend (EXELL 2009: 20), d. h. wenn der Stelenstifter direkt vor der Gottheit dargestellt ist. Auch wenn Herja strenggenommen denselben Titel wie Jj trägt und deshalb sozial nicht höher lag, wird hier eine Bitte zu Gunsten ihres Ka in gewisser Weise vermittelt und müsste daher EXELLs Typ B zugeschrieben werden.

3.3 Auszüge aus Gebeten der Ramessidenzeit G.19.1:

Stele Cambridge E.GA.3002.1943, Z. 1–6

Verehrte Gottheit: Reschef Datierung: 19. Dynastie (Sethos I.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt, Heiligtum? Stifter: Pasched (DAVIES 1999: 222) Titel: wab, sDm-aS m s.t-mAa.t „wab-Priester, Diener in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur: JANSSEN 1950: 209–212, Abb. 18-19, MARTIN 2005: 74, Nr. 46 (mit Bibliographie), EXELL 2009: 166 (DB 252). Text (unteres Register) 1. rdj.t-jAw n RSp 2. nTr aA dj=f anx wDA.snb n [wab] -aS 3. m s.t-mAa.t 4. PA5. Sd 6. sA=f ¤A-n-nb(.t?) Lobpreis geben an Reschef,

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dem grossen Gott. Möge er Leben, Heil und Gesundheit dem [wab-Priester] und in der Stätte der Wahrheit. Pasched und seinem Sohn Saennebet geben. Kommentar Bilddarstellung Diese Stele ist in zwei Register eingeteilt und weist eine stark zerkratzte Oberfläche auf. Im oberen abgerundeten Teil sitzt der kanaanäische Gott Reschef vor einem Opfertisch; er hält in der rechten erhobenen Hand ein HoA-Szepter und in der linken Hand einen Schild. Hinter seinem Rücken hält ein anx-Zeichen das Maat-Symbol mit zwei Händen fest. Im unteren Register sind der Stelenstifter und sein Sohn mit einem knienden und einem aufgestellten Bein, mit langer Perücke und langem Schurz anbetend dargestellt. Inhalt Der Name Pasched kommt als Stifter auch auf einer weiteren Stele an Reschef vor (Stele BM (264)478: BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 148 mit Bibliographie). Falls es sich dabei um dieselbe Person handeln sollte, könnte eine besondere Form Persönlicher Frömmigkeit Reschef gegenüber angenommen werden. Individuelle Züge sind im Inhalt dieses Textes nicht vorhanden.

G.19.2:

Statue Berlin 6910, Z. 1–9 (Rücken)

Verehrte Gottheit: Amun-Re Datierung: 19. Dynastie (Sethos I.-Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; TT 215 Stifter: Amenemope Titel: zXA-nsw, jm.j-rA pr-HD m s.t-mAa.t „Königsschreiber, Schatzhausvorsteher in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur: AEG.INSCHR. II: 68–71, KRI I: 387–388, KAISER 1973: 73 (Nr. 778), ASSMANN 1983b: 282–284 (Text 206), DERS. 1999: 394–396 (Nr. 169). Text Rückenplatte (Rückseite): 1.-4.: Opfergebet 5. xy pA Hmsj nfr Hr-a Jmn pA sb n gr Sd nmH.w dd TAw n mrr=f nb wD.n=f jAw nfr Hr jmnt.t WAs.t n kA n zXA-nsw jmj-rA pr-HD m s.t-mAa.t Jmn-m6. jp.t mAa-xrw Dd=f j nTr=j nb nTr.w Jmn-Ra nb ns.t tA.wy jmj n=j Dr.t Sd wj wbn n=j jrj=k sanx(.w)=j ntk pA nTr wa jwt.y

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7. sn.nw=f Ra pw wbn m Hr.t Jtm jrj rxy.t sDm snmH n aS n=f nHm sj m-a sxm-jb jnj Hapj n wnm=sn sSm 8. nfr.w n jr.t nb wbn=f anx rxy.t anx jb=sn mAA=sn (sw) rdj TAw n nty m swHt sanx rmT Apdw jrj Xrt-pnw m bAbA.w=sn 9. =sn Ddf.t pwj.w mjt.t-jrj dj=f (n=j) ors.t nfr.t Hr x.t jAw(.t) jw=j wDA.kwj m-Dr.t=k n kA n zXA-nsw Jmn-m-jp.t mAa-xrw snt=f nb.t-pr @w.t-@r mAa(.t)-xrw Dd.w n=s @nr (@l) (...) Wie schön ist es, in der Hand Amuns zu sitzen! Der Beschützer des Schweigenden, der Retter des Armen! Derjenige, der Luft jedem gibt, den er liebt, und ihm ein schönes Alter im Westen von Theben zuweist! Für den Ka des Königsschreibers und Schatzhausvorstehers in der Stätte der Wahrheit, Amenemope, gerechtfertigt. Er sagt: „O mein Gott, Herr der Götter, Amun-Re, Herr von Karnak! Gib mir die Hand, errette mich, gehe für mich auf, sodass du meine Belebung bewirkst! Du bist der Eine Gott, der keinen Zweiten hat! Re ist es, der im Himmel aufgeht, Atum, der die rxy.tMenschen erschuf. Der das Gebet desjenigen erhört, der zu ihm ruft, der einen Mann rettet vor dem Gewaltherzigen. Der den Nil heraufführt, sodass sie zu essen haben, der ‚jedem Auge’ Gutes zuführt; wenn er aufgeht, leben die rxy.t-Menschen, ihre Herzen leben, wenn sie (ihn) sehen. Der demjenigen, der im Ei ist, Luft gibt, der Fische und Vögel am Leben erhält. Der den Unterhalt der Mäuse in ihren Höhlen macht, und der Würmer und Flöhe gleichermassen. Möge er (mir) ein schönes Begräbnis nach dem Alter geben, indem ich unversehrt bin in deiner Hand! Für den Ka des Königsschreibers Amenemope, gerechtfertigt, und seiner Schwester, der Hausherrin, Hathor, gerechtfertigte, genannt Hel. Kommentar Bilddarstellung Die Statuengruppe von Amenemope und seiner Frau befindet sich auf dem hinteren Teil eines beschrifteten rechteckigen Sockels. Das Ehepaar sitzt auf zwei unterschiedlichen Sitzmöbeln: der Ehemann auf einem Stuhl mit Löwenfüssen und einer hohen Rückenlehne, seine Frau auf einem gepolsterten und reich verzierten Hocker. Unter dem Hocker sitzt ein kleiner echter Affe mit zwei Früchten. Amenemope und seine Frau sind mit der typischen Tracht der 19. Dynastie bekleidet: Weite plissierte und lange Kleider, bei der Frau sind die weiblichen Konturen deutlich zu erkennen, was eine Anspielung auf das durchsichtige Material der Bekleidung ist. Amenemope trägt eine zweigeteilte und sehr fein gearbeitete Perücke auf dem Kopf und seine Ehefrau trägt ebenfalls eine lange und breite Lockenperücke mit Stirnband. Der Sockel und die Hinterseite der Rückenplatte tragen die hymnischen Texte. Inhalt Der vorliegende Text, der sich auf der Rückenplatte der Statuen befindet, weist keine Einführungsformel (dwA/rdj.t-jAw) auf; stattdessen ist der Text durch ein Opfergebet an Thot und Hathor eingeleitet. Bereits Jan ASSMANN (1983b: 283) hat den ausserordentlichen Charakter dieses Denkmals hervorgehoben und dessen Funktion zu Recht als „Kommentar in Bezug auf den Textträger“ bezeichnet. Die kultische Einbettung des 355

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Textes dieses Denkmals ist somit durch dessen funerären Anbringungskontext bestimmt. Die Zeilen 7 bis 9 entsprechen wortwörtlich dem Hymnus an Amun-Re auf P.Boulaq 17, 6.5–6 (LUISELLI 2004: 23–24) und bezeugen somit die Übernahme einzelner Passagen eines theologischen Hymnus mit seiner folgenden Verwendung auf einen neuen, für den Stifter individualisiert verfassten Gebetstext. Der persönliche Teil mit der Bitte um ein schönes Begräbnis sowie um Beistand im Jenseits rahmt den Hymnus ein, der als eine Art theologische Begründung für die Anrufung Amun-Res als persönlicher Schutzgott fungiert. Dafür spricht die Tatsache, dass gerade derjenige Teil des BoulaqHymnus übernommen wurde, der Amun-Re als Retter und persönlichen Schutzgott preist.

G.19.3:

Stele Cambridge E.191.1932, Z. 1–7

Verehrte Gottheit: Jah-Thot Datierung: 19. Dynastie (Sethos I.-Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt, vielleicht Grabkontext (MARTIN 2005: 67 m. Verweis auf BRUYÈRE 1925: 12ff.) Stifter: Dydy (DAVIES 1999: 63, 65, 67, 115, chart. 8) Titel: Hmww wr n nb tA.wy m s.t-mAa.t “Chef der Handwerker des Herrn der Beiden Länder in der Stätte der Wahrheit” Geschlecht: männlich Literatur: MARTIN 2005: 67 (Nr. 43). Text (unteres Register) 1. rdj.t-jAw n JaH-+Hwty [sn-tA] n nTr aA dj=j n=k jAw 2. r oA n p.t Htp=k [n=j] ra nb Htp n=j dj=k 3. sDd.t=j bAw=k mAA[=j] aA.wy pHt.t=k 4. mk dj=k mAA=j [kkw m hrw dj=k] 65 5. n=j mAA=j tw jn 6. Hmww wr n nb [tA.wy] m s.t-mAa.t 7. _ydy mAa-xrw Htp Lobpreis geben an Jah-Thot, [die Erde küssen vor] dem grossen Gott. Ich gebe dir Lobpreis bis zur Höhe des Himmels, sodass du [zu mir] gnädig bist jeden Tag, sei gnädig zu mir! Veranlasse, dass ich deine bAw-Macht verkünde, wenn [ich] sehe, wie gross deine Stärke ist! Siehe, du veranlasst, dass ich die [Finsternis am Tag sehe. Veranlasse, dass] ich dich sehe!

65

Ergänzung der lacuna nach MARTIN 2005: 67, Anm. 5.

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Durch den Chef der Handwerker des Herrn der [Beiden Länder] in der Stätte der Wahrheit Dydy, gerechtfertigt in Frieden. Kommentar Bilddarstellung Die stark beschädigte Kalksteinstele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen, abgerundeten Teil ist Thot in seiner Erscheinungsform als Vollmond und Mondsichel in der Barke dargestellt; eine Inschrift oberhalb der Abbildung des Mondes identifiziert die Gottheit. Im unteren Register verteilt sich der Text auf sieben Kolumnen, von rechts nach links orientiert. In der linken Ecke ist der Stelenstifter in halb kniender Anbetungshaltung und nach rechts gerichtet dargestellt. Inhalt Zum Ausdruck „die Finsternis am Tage sehen“ vgl. GALÁN 1999 sowie den Exkurs II, Kapitel 5.1.1. Zur Verortung dieses Textes im Rahmen der Gebetstexte aus der Ramessidenzeit und deren Funktion im Kult s. Kapitel 5.1.2. Für weitere Denkmäler des Dydy vgl. KRI I: 402–403 (Nr. 170, 1 und 2) und KRI III: 712–714 (Nr. 269): die Isis gewidmete Stele Turin 50059. Zum Namen Dydy vgl. SCHNEIDER 1992: 261.

G.19.4:

Stele Bankes 8, Z. 1–7

Verehrte Gottheit: Chons-in-Theben-Neferhotep / Thot Datierung: 19. Dynastie (Sethos I.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt, möglicherweise Grabkontext auf Grund der Htp-dj-nsw-Formel Stifter: Pjaj (DAVIES 1999: 178ff.) und Pay Titel: Pjaj: TAy-mDA.t m s.t-nHH „Bildhauer in der Stätte der Ewigkeit“; Pay: TAy -mDA.t n Jmn „Bildhauer des Amun“. Geschlecht: männlich Literatur: ČERNÝ 1958, ASSMANN 1999: 388 (Nr. 162), EXELL 2009: 139 (DB 1). Text 1. Htp-dj-nsw ¢nsw-m-WAs.t-nfr-Htp 2. ©Hwty nb Jwnw-Sma.y zXA mAa n PsD.t 3. dj jAw.t n mr.j n=f aHaw m-Xnw=f TAw 4. m xfa=f SAy Rnn.t xr=f wAD.wj ntj 5. m Hsw.t=f nn pH.n sw Dw.t dj=f anx wDA snb m nDm-jb 6. jAw.t nfr.t rA wDA nn jnj.t sp=f r pH.t s.t n mAa.tj 7. n kA n TAy-mdA.t m s.t-nHH PjAj mAa-xrw whm anx TAy-mDA.t n Jmn PAy Ein Opfergebet an Chons-in-Theben-Neferhotep,

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(und an) Thot, den Herrn des südlichen Heliopolis, den wahrhaftigen Schreiber der Neunheit, der ein Amt demjenigen gibt, den er liebt; die Lebenszeit ist in ihm, die Luft ist in seiner Faust, Schicksal und Glück sind bei ihm. Wohl demjenigen, der in seiner Gunst steht; das Böse wird ihn nicht erreichen! Möge er Leben, Heil, Gesundheit und Freude, ein schönes Alter, einen unversehrten Mund, dessen Rest nicht gebracht wird, geben, um den Ort des Gerechten (= des seligen Toten) zu erreichen. Für den Ka des Bildhauers in der Stätte der Ewigkeit, Pjaj, gerechtfertigt, der das Leben erneuert. Der Bildhauer des Amun, Pay. Kommentar Bilddarstellung Text und Bild befinden sich in einem einzigen Register. Im Gegensatz zu den anderen Stelen der Bankes-Sammlung weist das hier besprochene Objekt erhabenes Relief auf. Zwei Männer sind auf der rechten Seite stehend und in Anbetungshaltung vor dem göttlichen Emblem am Bug eines Prozessionsschiffes dargestellt. Während der erste Mann, der eine Perücke trägt, einen Opferständer hochhebt, bringt der zweite mit kahlem Kopf dargestellte Mann einen Blumenstrauss dar. Chons-in-Theben-Neferhotep ist hier als Bug der Prozessionsbarke und mit Falkenkopf dargestellt. Über ihm sind die Sonnenscheibe und die Mondsichel abgebildet. Das Götterbild thront auf einem hölzernen Ständer, unter dem sich vier Altäre mit Opferspeisen befinden. Oberhalb des Bildabschnittes ist der Text des Gebetes angebracht. Inhalt Im Text bittet der Stifter Thot - als Schicksalsgott - um Leben, Heil, Gesundheit, Freude und um ein schönes Alter. Der Ausdruck dj jAw.t n mr.j n=f „der ein Amt gibt demjenigen, den er liebt“ basiert auf der Struktur der sog. Gegenseitigkeitsformel (ASSMANN 1979), die in Hymnen an die Sonne und an den Schöpfergott häufig vorkommt: „Der Luft gibt demjenigen, den er liebt/der in Not ist“ (Kat. G.19.2, Z. 5; G.19.17, Z. 4). Durch die Übernahme dieser Struktur wird der Akt des Thot als Patron der Schreiber formell mit dem Akt einer Schöpfergottheit in Einklang gebracht. Dies wird im Weiterverlauf des Gebetes bestätigt, da Thot als Quelle von Luft, Glück und Schicksal beschrieben wird.

G.19.5:

Stele Turin 50058, Z. 2–17 (Taf. 7)

Verehrte Gottheit: Mertseger/die Felswand des Westens Datierung: 19. Dynastie (Ramses II., Mitte der Regierungszeit 66) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Neferabu (RICE 1999: 130) Titel: zXA m s.t-mAa.t „Schreiber in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich 66

Nach EXELL 2009: 151 (DB 115).

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Literatur: ERMAN 1911: 1098–1100, GUNN 1916: 86ff., BRUYÈRE 1930: 205–209, VANDIER 1935: 73ff., Taf. 27.1, BRESCIANI 1969: 422, TOSI/ROCCATI 1972: 94–96, BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 143, ASSMANN 1999: 375–376 (Nr. 149), KITCHEN 2000: 518–519, ADROM 2005: insbes. 26–27, FROOD 2007: 226–227 (Nr. 46B), ALTENMÜLLER 2009: 38-40, EXELL 2009: 151 (DB 115). Text Mr.t-sgr nb.t p.t Hm.t tA.wy rn=s nfr dhn jmnt.t 1. rdj.t-jAw n dhn Jmnt.t sn-tA n kA=s dj=j jAw sDm js(=j) jnk 2. mAa.tj Hr.j-tp tA jrj.n sDm-aS m s.t-mAa.t Nfr-abw mAa-xrw sj xm n jwt.y 3. HA.tj=j bw rx nfr r bjn(a) jw=j Hr jr.t pA sp n hAb 4. r dhn jw=s Hr jrj(.t) n=j sbAj.t jw=j m Dr.t=s 5. m grH mj hrw jw=j Hmsj.k(wj) Hr db.t mj tA 6. jwr jw=j Hr aS n TAw nn jw n=j {=f} jw=j (Hr) 7. ob n tA dhn Jmnt.t aA pH.ty n nTr nb nTr.t nb 8. ptr jw=j r Dd n aA(.w) Srj(.w) ntj m tA js.t sAw 9. tA r dHn pA wn mAj m-Xnw{=st} tA 10. dhn Hwj=s m Hw.tj n mAj(.t) HsA.t (…) 13. Htp n=j jw dj sw mAA n=j Dr.t=s jw=s (Hr) 14. an n=j m Htp.y jw=s Hr dj(.t) sxm(=j) n mr(w) 15. wn m jb=j jst tA dhn Jmnt.t Htp.y jw=(t)w 16. Hr aS n=s Dd(.w) n Nfr-abw mAa-xrw Dd=f ptr sDm msDr.w 17. nb(.w) ntj anx Hr-tp tA sA.w tA dhn Jmnt.t Mertseger, Herrin des Himmels, Fürstin der Beiden Länder, deren schöner Name ‚Felswand des Westens’ ist. Lobpreis geben der Felswand des Westens, die Erde küssen vor ihrem Ka. Ich gebe dir Lobpreis! Erhöre meinen Anruf, (denn) ich Bin ein Gerechter auf Erden! Gemacht vom Diener in der Stätte der Wahrheit, Neferabu, gerechtfertigt. Ich war ein unwissender Mann, der keinen Verstand hatte, nicht Gut und Böse unterscheiden konnte. Ich beging das Vergehen gegen die Felswand, 67 (und) sie erteilte mir eine Lehre. Ich war in ihrer Hand Nacht und Tag, ich sass auf dem Gebärziegel wie eine Schwangere. Ich rief nach Luft, aber sie kam nicht zu mir. Ich brachte ein Trankopfer der Felswand des Westens dar, der Grossen, der Starken,und jedem Gott und jeder Göttin. Schau, ich werde zu Grossen und Kleinen in der Mannschaft sagen: ‚Hütet euch vor der Felswand, denn ein Löwe ist in der 67

Übersetzung nach ADROM 2005: 27.

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Felswand; Sie tadelt denjenigen, der ihr nicht gehorcht. (…) Sie war gnädig, nachdem sie mich ihre Hand hatte schauen lassen, sie wandte mir wieder Frieden zu, liess mich das Leid vergessen, in dem ich befangen war. Die Felswand des Westens ist gnädig, wenn man zu ihr ruft!’. Gesprochen von Neferabu, gerechtfertigt. Er sagt: ‚Schaut und hört, alle Ohren, ihr, die ihr lebt auf Erden: Hütet euch vor der Felswand des Westens!’ Kommentar Bilddarstellung Auf dieser rechteckigen Stele ist Mertseger rechts als Schlange mit drei Köpfen, die jeweils eine Schlange, eine Frau und einen Geier darstellen, abgebildet. Der Menschenkopf und derjenige der Schlange tragen die Doppelfederkrone mit der Sonnenscheibe. Hinter der Gottheit ist die Felswand zu erkennen, welches das Ptah- und MertsegerHeiligtum von Deir el-Medina darstellt, während vor der Gottheit ein Altar mit einem nmst-Krug, Lotusblumen, einem Weingefäss und einem Lattich abgebildet ist. Der Gebetstext ist im linken Teil der Stele angebracht. Auffällig ist das Fehlen des für gewöhnlich abgebildeten Beters. Inhalt Zur möglichen rituellen Verortung dieses Textes nach Faried ADROMs (2005) Analyse s. Kapitel 5.2 der vorliegenden Arbeit. Zur Deutung von nfr dhn.t Jmnt.t als „westliche Felswand“ im Sinne einer Kultstelle mit offiziellen Kulteinrichtungen und somit entgegen der traditionellen Deutung als „westliche Bergspitze“ im Sinne einer individuellen, örtlich ungebundenen Frömmigkeit, s. ADROM (2004: insbes. 16), dessen Ansichten hier übernommen werden. Wenn ADROMs Interpretation des Ausdruckes tA dhn.t aufgrund der allgemeinen Beleglage als „Felswand“ zutreffend ist, wird in der hier gegebenen Übersetzung von nfr dhn.t Jmnt.t „die schöne Felswand des Westens“ vorgezogen. Nach Geraldine PINCH (2004: 107) ist in diesem Gebet eine Anspielung auf den Mythos der Himmelskuh enthalten. Während Neferabu sich als „Sünder“ vorstellt und seinen Zustand demjenigen der Entbindung gleichsetzt, warnt er gleichzeitig auch seine Gemeinschaft vor Mertseger, deren gefährliche Natur er mit derjenigen eines Löwen vergleicht und welche durch Opfer und Gebete beruhigt werden kann. (a) sj xm n jwt.y HA.tj= HA.tj=jj bw rx n nfr fr r bjn „Ich war ein unwissender Mann, der keinen Verstand hat, nicht Gut und Böse unterscheiden konnte“: Zu der Opposition zwischen „Gut und Böse“ s. M. LICHTHEIM (1997: 41), die auf die Tatsache verweist, dass während im Alten und Mittleren Reich das Gute „geliebt“ und das Böse „gehasst“ wurde, dagegen war im Neuen Reich die Kenntnis d.h. die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Gutem und Bösem zentral: Die Unkenntnis darüber war als Verstoss gegen die moralischen Sitten angesehen. Vgl. dazu GARDINER/SETHE 1928: 9: P.Leiden 371 xr ptr bn tw rx.tw nfr r bjn „Schau! Du unterscheidest nicht das Gute vom Bösen!“. Zum Konzept der Gottheit, die dem „Sünder“ eine Lehre (sbAj.t) erteilt, s. auch die Stele BM 589 (Kat. G.19.6), die wiederum von Neferabu gestiftet wurde, aber in welcher von der Lehre des Ptah die Rede ist. Vgl. auch SANDMAN 1938: 86.15–16 (Grab des Tutu in

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Tell el-Amarna): jrj=f bAw=f r xm sbAy.t=f Hsw.t=f n rx sw „Er zeigt seine bAw-Macht demjenigen, der seine Lehre ignoriert, und seine Gunst demjenigen, der ihn kennt“. S. dazu auch ASSMANN 1979: 56 (Nr. 15).

G.19.6:

Stele BM 589

Verehrte Gottheit: Ptah Datierung: 19. Dynastie (Ramses II., Mitte der Regierungszeit) 68 Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Neferabu (RICE 1999: 130) Titel: sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur: HTES 9: 589, Taf. 31, ERMAN 1911: 1100–1102, VANDIER 1935: Taf. 26, BRESCIANI 1969: 422, BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 119, ASSMANN 1999: 377–378 (Nr. 150), KITCHEN 2000: 517–518, MORGAN 2004: 98–103 (mit Literaturhinweisen), FROOD 2007: 223–225 (Nr. 46A), ALTENMÜLLER 2009: 37-38, EXELL 2009: 151 (DB 116). Text Vorderseite (unteres Register, Beischrift zur Anbetungsszene): 1. rdj.t-jAw n PtH nb mAa.t nsw tA.wy nfr-Hr 2. n s.t=f wr.t nTr wa m-Xnw PsD.t 3. mrj.tj m nsw tA.wy dj=f anx wDA snb spd 4. Hnw mrw(.t) jr.ty=j Hr mAA Jmn 5. m wbn{.t} ra nb mj jrj.tw n mAa.tj dd Jmn 6. m jb=f jn sDm-aS m s.t-mAa.t Nfr-abw mAa-xrw Lobpreis geben an Ptah, dem Herrn der Maat, dem König der Beiden Länder, mit schönem Antlitz, auf seinem grossen Thron, dem einzigen Gott inmitten der Neunheit, dem Geliebten als König der Beiden Länder! Möge er Leben, Heil und Gesundheit und Geschicktheit, Lob und Liebe geben, sodass meine Augen Amun sehen können bei Aufgang jeden Tag, wie es für einen Gerechten gemacht wird, der Amun in sein Herz gibt. Durch den Diener in der Stätte der Wahrheit, Neferabu, gerechtfertigt. Rückseite: 1. HA.t-a m sDd.t-bAw n PtH rs.j-jnb=f jn sDm-aS m s.t-mAa.t Hr WAs.t jmnt.t 2. Nfr-abw mAa-xrw Dd=f jnk sj aro m aDA n PtH(a) 68

Nach EXELL 2009: 151 (DB 116).

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3. nb mAa.t dj=f ptr=j kkw m hrw(b) jw=j r Dd.t bAw=f n xm 4. sw rx sw n Srj.w aA.w sA.w=tn r PtH nb mAa.t mk […]b wAH 5. =f sp (Xsj) n rmT nb Hr.y=tn r dm rn n PtH m aDA mk dm 6. sw m aDA mk whn=f dj=f wnn=j mj jwjw.w n 7. jwy.t jw=j m Dr.t=f dj=f ptr rmT nTr.w jm=j jw=j 8. mj sj jrj=f bw.t r nb=f mAa.tj PtH nb mAa.t j.jr jrj.n=f n=j sbAy 9. Htp n=j mAA.n=j Htp=k jn sDm-aS m s.t-mAa.t 10. Hr WAs.t jmnt.t Nfr-abw mAa-xrw xr nTr aA Anfang der bAw-Machtverkündung des Ptah-südlich-seiner-Mauer durch den Diener in der Stätte der Wahrheit in Theben-West, Neferabu, gerechtfertigt, er sagt: „Ich bin der Mann, der lügnerisch geschworen hat bei Ptah, dem Herrn der Maat. Er hat veranlasst, dass ich die Finsternis am Tag sah. Ich werde seine bAw-Macht verkünden demjenigen, der ihn nicht kennt, und demjenigen, der ihn kennt, den Kleinen und Grossen: ‚Hütet euch vor Ptah, dem Herrn der Maat! Siehe, er verzeiht nicht die Missetat eines jeden Menschen. 69 Fürchtet euch, den Namen des Ptah zu Unrecht auszusprechen, denn wer ihn zu Unrecht ausspricht, er fällt ab’. Er veranlasste, dass ich wie die Hunde der Strasse lebte, indem ich in seiner Hand war. Er bewirkte, dass Menschen und Götter auf mich schauen, indem ich wie ein Mann war, der Widerliches seinem Herrn angetan hatte. Gerecht ist Ptah, der Herr der Maat, gegen mich hat er eine Lehre (erteilt). Mögest du gnädig zu mir sein! Ich habe deine Besänftigung gesehen!“ Durch den Diener in der Stätte der Wahrheit in Theben-West, Neferabu, gerechtfertigt beim grossen Gott. Kommentar Bilddarstellung Diese Stele weist einen gerundeten Giebel sowie eine Rahmung auf und ist auf der Vorderseite in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil, auf der linken Seite, ist Ptah in einem Naos sitzend dargestellt, während vor ihm ein reich ausgestatteter Opfertisch, der fast die Höhe der Kapelle erreicht und den Rest des freien Raumes im oberen Register der Stele besetzt, abgebildet ist. Oberhalb dieser Szene ist in zentraler Stellung ein KaZeichen mit einem ovalen Brot zu erkennen. Nach Waltraut GUGLIELMI (1991a: insbes. 121ff.) stellt dies eine Verbindung zwischen kA und Htp dar, die auf den Wunsch des Beters nach der Besänftigung Gottes hindeutet. Links des Htp-kA-Zeichens sind vier Ohren und rechts davon zwei Augen angebracht. Inhalt Vorder- und Rückseite der Stele weisen Unterschiede hinsichtlich des Inhalts auf: Während auf dem recto Neferabu Ptah nach dem traditionellem Muster um Leben, Heil und Gesundheit bittet und darüber hinaus auch um die Möglichkeit, Amun(-Re) täglich (auch vom Jenseits) sehen zu können (vgl. Kapitel 5.1.1.b „Die Nachamarnazeit“), ver69

Bei dieser Übersetzung folge ich MORGAN 2004: 103.

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gegenwärtigt der Inhalt der Rückseite die Missetat, die Neferabu Ptah gegenüber begangen hat. Der Stifter befand sich in einer Notlage, die einer göttlichen Strafe seines persönlichen, falschen Verhaltens wegen zuschreibt und weswegen er Ptah um Vergebung (Frieden) bittet. Besonders hervorzuheben ist die Äusserung, gemäss der die Möglichkeit, Amun sehen zu können mit der Treue ihm gegenüber einhergeht, wobei dies mit der Metapher der Gottesbeherzigung (ASSMANN 1997a) beschrieben wird. Schliesslich stellt sich als besonders bemerkenswert heraus, dass die Vorderseite, auf welcher die Anbetungsszene nach dem gewöhnlichen Muster dargestellt ist (Kapitel 3.1.1), auch den traditionellen, von der rdj.t-jAw-n-Formel eingeführten Gebetstext aufweist, während die Schilderung der individuellen Situation auf der bildlosen Rückseite aufgeschrieben wurde. Zur Verortung der bAw-Macht einer Gottheit im alltäglichen Leben s. BORGHOUTS 1982, KARL 2000 sowie z. B. Kat. B.20.18, für ihre Thematisierung in der Literatur nach demselben Muster, das in den Gebetstexten belegt ist, verläuft (ROEDER 2005 und LUISELLI 2007b: insbes. 171–173). (a) jnk sj aro m aDA aDA n PtH PtH „ich bin ein Mann, der lügnerisch geschworen hat bei Ptah“: s. auch den Kommentar zu Kat. G.19.9, in dem eine Variante dieser Formel belegt ist. (b) ptr=j kkw m hrw: hrw Zum Konzept der „Finsternis am Tag“ s. den Exkurs II, Kapitel 5.1.1. und GALÁN 1999.

G.19.7:

Stele BM 1466, Z. 1–9 (Taf. 8)

Verehrte Gottheit: Ptah Datierung: 19. Dynastie (Ramses II., 1. Hälfte der Regierungszeit) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Penbui (DAVIES 1999: 194ff.) Titel: sAw nx.t m s.t(-mAa.t) „Der starke Wächter in der Stätte (der Wahrheit)“ Geschlecht: männlich Literatur: HTES 10: 31–32, Taf. 73, KRI III: 740.6–10, MORGAN 2004: 104–106, EXELL 2009: 146 (DB 69). Text (unteres Register) 1. rdj.t-jAw 2. n PtH nb mAa.t nsw tA.wy nfr-Hr 3. msj Hm.wt Htp=f m Htp=f 4. nfr rwj=f 5. Dw Hr=j dj=k mAA=j dns 6. n bAw=k(a) mtw=k pA an 7. Htp.tj 8. jn sAw 9. nx.t m s.t (-mAa-t) Pn-bwj mAa-xrw

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Lobpreis geben an Ptah, dem Herrn der Maat, dem König der Beiden Länder, mit schönem Antlitz, der die Künstlerschaft gebiert. Möge er gnädig in seiner vollkommenen Gnade sein, möge er das Böse von mir entfernen. Veranlasse, dass ich die Last deiner bAw-Macht sehe, denn du bist der Gnädige! Durch den starken Wächter in der Stätte (der Wahrheit), Penbui, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Im oberen Teil der bemalten Stele ist Ptah in seiner Kultkapelle, die die Bezeichnung s.t wr.t trägt, dargestellt; vor ihm befindet sich ein Opfertisch, der analog zu Kat. G.19.6 reichlich und bis fast zur Höhe der Kapelle ausgestattet ist. Hinter ihm sind sieben Ohren in verschiedenen Farben abgebildet, zu deren Bedeutung hier auf GUGLIELMI 1991 verwiesen sei. Zu einer letzten Deutung der Ohrenstelen als Markenzeichen für eine bestimmte Künstlerschaft, der die Verfasserin jedoch nicht folgt, vgl. MORGAN 2004: 49 (Rez. LUISELLI 2006). Bereits W. GUGLIELMI (1991: 123f.) vermutet, dass die Wiedergabe des Ptah mit blaugrünem Gesicht, Blauer Kappe, dunklem Bart und weissem Körper möglicherweise auf ein Vorbild, nämlich die Darstellung des Ptah am Eingang eines Ptah-Heiligtums am Eingang des Tals der Königinnen, zurückgehen könnte. Im unteren Bereich der Stele ist schliesslich ein grosses Htp-kA-Zeichen abgebildet (dazu GUGLIELMI 1991 und Kat. G.19.6) mit dem nebenstehenden Stelenstifter in Anbetungsgestik. Inhalt Das Wortspiel zwischen dem Epitheton des Ptah nfr-Hr und der Eigenschaft des Bösewichtes Dw-Hr zielt auf das Konzept des gnädigen Ptah ab. Das Wort Htp - und somit die Betonung der friedlichen Natur des Gottes – kommt in diesem kurzen Gebetstext viermal vor. Es ist bemerkenswert, dass in den Weisheitslehren und in anderen Gebeten die Rede davon ist, dass die Gottheit – meistens Amun – demjenigen gegenüber friedlich ist, der ihn in sein Herz gibt (ASSMANN 1997) und nach den Prinzipien der Maat lebt. Die Idee der universell gültigen Besänftigung Gottes scheint nach diesem Gebet besonders mit Ptah in Verbindung zu stehen, womöglich infolge seines Epithetons nfr-Hr. Dennoch bezeugt die Ptah gewidmete Stele BM 589 (Kat. G.19.6) genau die für die Persönliche Frömmigkeit traditionelle Auffassung der Gottheit, die ihr wütendes Wesen gegenüber einem „Sünder“ zeigt. (a) dj=k w wDA=j DA=j dns n bAw=k „veranlasse, dass ich die Last deiner bAw-Macht bAwsehe“: Dieser Ausdruck ist m. W. nirgendwo bezeugt. Zu dns in dieser Bedeutung siehe Wb.V.468.7.

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G.19.8:

Stele BM 8497, Z. 1–5

Verehrte Gottheit: Ptah Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Pennub (DAVIES 1999: 226) Titel: sDm-aS (m s.t-mAa.t) n.t Hr Jmnt.t WAs.t „Diener (in der Stätte der Wahrheit) im Westen von Theben“ Geschlecht: männlich Literatur: HTES 10: 32, Taf. 74–75. Text (Rückseite) 1. rdj.t-jAw n PtH nb mAa.t nsw tA.wy nfr-Hr Hr.j s.t=f wr.t dj=j 2. jAw=j n Hr=f nfr sHtp{j}=j kA=f ra nb(a) n kA n sDm3. aS m s.t-mAa.t Hr Jmnt.t WAs.t Pn-nwb mAa-xrw Dd=f jnD-Hr 70 4. PtH nfr-Hr mrj.tj bnr mrw.t wa Htp(.w) sHtp nTr.w Htp(.w) 5. an sw r Htp(b) jj Hr xrw(=j) n aS=j n=f n kA n sdm-aS Pn-nwb mAa-xrw Lobpreis geben an Ptah, dem Herrn der Maat, dem König der Beiden Länder, mit schönem Gesicht, dem Vorsteher seiner s.t-wr.t. Ich gebe Lobpreis seinem schönen Gesicht, ich besänftige seinen Ka jeden Tag! Für den Ka des Dieners in der Stätte der Wahrheit im Westen von Theben Pennub, gerechtfertigt, er sagt: ‚Sei gegrüsst Ptah, mit schönem Antlitz, der Geliebte, mit süsser Liebe, der einzig Gnädige, der die Götter zufrieden stellt, der Gnädige, der (immer) wieder gnädig ist, der auf (meine) Stimme kommt, (wenn) ich zu ihm rufe’. Für den Ka des Dieners , Pennub, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Die hier besprochene Stele ist rechteckig und als Tür mit Sturz und Pfosten sowie Hohlkehle umgesetzt. Der Türsturz, die Türpfosten und der zentrale Teil weisen Darstellungen in versenktem Relief auf: Während der Türsturz mit der geflügelten Sonnenscheibe geschmückt ist, tragen die Türpfosten Anrufungen an Re-Harachte und Ptah zugunsten des Pennub im Rahmen eines Opfergebetes. Im zentralen Teil ist Ptah sitzend auf einem Thron vor einem Altar dargestellt. Der eigentliche Gebetstext ist auf der Rückseite der Stele angebracht. Inhalt

70

Die Hieroglyphe an dieser Stelle ist fehler.

 ohne Henkel. Es besteht hier wahrscheinlich ein Schreib365

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sw r Htp: Htp Wb.I.188.20. Zur Verwendung von an im Hinblick auf die Besänftigung (a) an sw eines Gottes s. den Kommentar zu Kat. G.18.2. Durch diesen Ausdruck wird die Vorstellung geäussert, dass es jederzeit möglich sei, um Ptahs Vergebung zu bitten und sie zu bekommen, selbst wenn man einen Verstoss gegen ihn begangen hatte (vgl. Kat. G.19.5).

G.19.9:

Stele Turin 50044, Z. 1–10 (Taf. 9)

Verehrte Gottheit: Jah-Thot Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Hui Titel: bAk n JaH „Diener des Jah“ Geschlecht: männlich Literatur: ERMAN 1911: 1104, GUNN 1916: 89, SUYS 1933: 180–183, TOSI/ROCCATI 1972: 78, BARUCQ/DAUMAS: Nr. 102, ASSMANN 1999: 379 (Nr. 151). Text (unteres Register) 1. jn bAk n JaH @wj mAa-xrw Dd=f jnk 2. pA sj Dd wAH m aDA n JaH Hr tA 3. Sdj.t(a) jw=f Hr rdj.t mAA=j aA.wy 4. pH.tj=f m-bAH pA tA r-gr=f (r) sDd.t=j bAw=k 5. n rmw Hr jtrw n Apd.w m tA 6. p.t jw={w} r Dd n ms(.w) n ms.w=sn 7. sAw=tn r 8. JaH 9. pA 10. Htp.y rx an n nw Der Diener des Jah Hui, gerechtfertigt, sagt: ‚Ich bin der Mann der lügnerisch geschworen hat bei Jah angesichts des Pedestals. Er lässt mich sehen, wie gross seine Stärke auf der ganzen Erde ist, sodass ich deine bAw-Macht den Fischen im Fluss und den Vögeln im Himmel verkünden kann. Ich werde zu den Kindern ihrer Kinder sagen: hütet euch vor Jah, dem Gnädigen, der dies wenden kann!’ Kommentar Bilddarstellung

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Die im oberen Teil abgerundete Stele ist in zwei Register eingeteilt. Oben sind die Mondscheibe und die Mondsichel in der Sonnenbarke dargestellt; oberhalb davon identifiziert eine kurze Inschrift die abgebildete Gottheit als Jah-Thot (JaH +Hwty nTr aA Htp.j „Jah-Thot, der grosse Gott, der Gnädige“). Im unteren Teil auf der linken Seite des Gebetstextes ist der kniende und anbetende Hui dargestellt, der auf seiner Schulter einen Gegenstand trägt, der traditionell als ein Architekturfragment (eine Hohlkehle oder ein Architrav) gedeutet wird. Zur hier alternativ vorgeschlagenen Deutung als Pedestal vgl. unter (a). Inhalt Die Tatsache, dass diese Stele die übliche Anbetungs- und Gebetsformel rdj.t-jAw n / dwA n, welche die Dokumente in einen kultischen Kontext einbindet (Kapitel 5.2), nicht aufweist, ist als Besonderheit und Ausnahme zu betrachten. In Kat. G.19.6 ist der Akt des Verstosses gegen Ptah mit dem Ausdruck jnk sj aro m aDA n PtH wiedergegeben, wobei aro n „schwören bei“ (Wb.I.212.21) und m aDA „lügnerisch“ (Wb.I.241.5) bedeutet. Der Ausdruck des vorliegenden Denkmals lautet hingegen jnk pA sj Dd wAH m aDA n JaH; die Bedeutung von wAH als „legen, dauern“ (Wb.I.253) ist in einer Schwurformel ab der 18. Dynastie ebenfalls belegt (Wb.I.255.20: wAH Jmn). Die beiden Formeln sind somit als Alternativen zu betrachten und spiegeln ein Konzept wider, das im Neuen Reich verbreitet war. (a) Das Wort Sdj.t ist problematisch. In diesem Zusammenhang beschreibt es womöglich eine räumliche Kontextualisierung des Schwörungsaktes und weist das Determinativ (M3) auf. ^dj – mit diesem Determinativ geschrieben – ist aber nur als „Behälter“ in medizinischen Texten des Mittleren Reiches belegt (Wb.IV.568.2); ferner be-



   

deutet nach Wb.IV.567.8 Sdj.t „Schutthaufen (am verfallenen Tempel)“ und ist in der 18. Dynastie belegt. Das im vorliegenden Text benutzte Wort könnte somit eine Variante davon sein. TOSI/ROCCATIs Wiedergabe (1972: 78) „architrave“ und ASSMANNs Deutung „Hohlkehle“ (1999: Nr. 151) ist m.W. sonst nirgendwo belegt, weshalb sie wahrscheinlich auf der Darstellung des Beters im unteren Register der Stele, der einen Architrav mit Hohlkehle auf der Schulter trägt, basieren. Die hier vorgeschlagene alternative Übersetzung „Pedestal“ 71 bezieht das Determinativ mit ein und deutet somit auf das Material, aus dem dieser Gegenstand angefertigt war, hin. Ein hölzerner mobiler Kultgegenstand ist zudem zweifellos viel einfacher zu tragen, als ein schweres steinernes Architekturfragment eines Tempels oder Heiligtums! Als Stützung der der hier vorgeschlagenen Deutung sei hier auf einige Abbildungen verwiesen, die Götterstatuen oder Embleme auf solchen Pedestralen stehend belegen: vgl. z. B. JUNGE 1987: Taf. 38 a, oder DUQUESNE 2007: 58 (S26), 64 (S36). Die Darstellung auf der Stele Turin 50053 (TOSI/ROCCATI 1972: 284) von zwei Katzen, die auf einem Podest sitzen, weist einen Gegenstand auf, der genau so dargestellt ist wie den mobilen Gegenstand in der hier besprochenen Stele. Dies darf als ausschlaggebend für die Identifikation des hiesigen Gegenstandes als Pedestal betrachtet werden. Da Hui bAk von Jah war, betraf sein Vergehen diesem Gott gegenüber wahrscheinlich dessen Kulteinrichtungen. Die Darstellung des Beters in Anbetungshaltung mit einem Gegenstand, der nicht zu den gewöhnlichen Opfergaben gehört, ist ein Unikum und somit als ein indivi71

Diesen Vorschlag verdanke ich Martin Bommas (Birmingham).

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duelles Merkmal dieses Denkmals zu betrachten. Bei solchen Stelen handelte es sich um öffentliche Bekenntnisse eines Vergehens. Die durch sie vermittelte Verkündung der bAw-Macht der Gottheit, gegenüber der man sich vergangen hatte, war ein Teil dieser Reue. Die Abbildung des Pedestals kann zweifach interpretiert werden: Zum einen ist es die visuelle Wiedergabe des Umstandes des Vergehens, das Tragen des hölzernen Pedestals könnte daher ein öffentliches Zeichen der Reue sein. Zu einer leicht anderen Deutung gelangt man jedoch, wenn das Tragen des Pedestals in Zusammenhang mit der Anbetungshaltung betrachtet wird. Die Haltung mit erhobenen Händen vor einer göttlichen Statue alternierte mit dem Tragen eines Opfers in einer Hand und der in Verehrung erhobenen anderen Hand. Anstelle der Opfergabe trägt Hui jedoch den im Text erwähnten Gegenstand, weshalb es durchaus vorstellbar ist, dass er diesen als Wiedergutmachung der Gottheit zusätzlich zur öffentlichen Machtverkündung dargebracht hat. Die Struktur dieses Textes weist dieselbe Struktur auf, die in Kat. G.19.6 (Neferabus Stele BM 589) ebenfalls vorhanden war: Der Stifter gibt seine Missetaten der Gottheit gegenüber öffentlich zu und verkündet dabei ihre Reaktion seiner Umgebung, womit unter anderem auch die zukünftigen Generationen und das gesamte Universum gemeint sind. Die Verkündung der bAw-Macht des Gottes ist eine dankende Antwort des Beters für die erlebte Errettung durch die Gottheit (siehe dazu auch ROEDER 2005). Die Verkündung an Tiere erfolgt in anderen Dokumenten der „persönlichen Frömmigkeit“, unter denen hier insbes. auf die Stele Berlin 20377 (Kat. G.19.17) sowie auf die im Karnaktempel aufgestellte Stele des Vizekönigs von Kush unter Tutanchamun Hui (Kat. G.18.21) hingedeutet sei. Die Universalität, auf welche die Aussage in Z. 4–6 abzielt, ist gerade in der Erwähnung die Aussage in Z. 4–6 abzielt, ist gerade in der Erwähnung der Bereiche des Wassers und des Himmels, die für den Menschen unzugänglich waren, zu erkennen. Somit war die gesamte Schöpfung gemeint und selbst die Tiere nahmen an der religiösen Welt teil (so BRUNNER 1988: 160–161).

G.19.10:

Stele Turin 50045, Z. 1–9

Verehrte Gottheit: Jah-Thot/Schu/Re Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Amenemone (TOSI/ROCCATI 1972: 80) Titel: sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur: TOSI/ROCCATI 1972: 79–80, Taf. S. 279. Text (unteres Register) 1. rdj.t-jAw n pA ^w sn-tA n JaH-+hwty 2. dj=j n=tn jAw r oA n p.t sHtpj=j kA=tn 3. ra nb jn sDm-aS m s.t-mAa.t Jmn-m-Jmn mAa-xrw 4. Dd=f jnD-Hr=k Ra m wbn=f nb sT.wt 5. jrr HDD.wt nb nrw m jb rmT nb Sfy.t

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6. m-Xnw nTr.w Htp n=j m Htp=k 7. nfr (r) sDd.t pAy=k 8. nx.t jn sDm-aS m s.t-mAa.t Hr 9. Jmnt.t WAs.t Jmn-m-Jmn mAa-xrw 10. sA.t=s mr.j.t=s Nwb-m-jry.t 11. sn.t=f mr.j(.t)=f nb.t-pr Mrsgr mAa(.t)-xrw Lobpreis geben dem Schu, die Erde küssen vor Jah-Thot. Ich gebe euch Lobpreis bis zur Höhe des Himmels, ich besänftige euren Ka jeden Tag. Durch den Diener in der Stätte der Wahrheit, Amenemone, gerechtfertigt, er sagt: sei gegrüsst, Re, wenn er aufgeht, Herr der Strahlen, Schöpfer des Lichtes, Herr der Furcht im Herzen der Menschen, Herr der majestätischen Erscheinung inmitten der Götter. Mögest du gnädig zu mir sein durch deine schöne Besänftigung, so dass deine Stärke verkünden kann. Durch den Diener in der Stätte der Wahrheit im Westen von Theben, Amenemone, gerechtfertigt, Ihre geliebte Tochter Nubemirit, seine geliebte Schwester, die Herrin des Hauses, Mertseger, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist im oberen Teil abgerundet und in zwei Register einteilt. In der oberen Hälfte sind die Mondscheibe und die Mondsichel in der Sonnenbarke abgebildet, links und rechts davon ist ein Udjat-Auge dargestellt. In Analogie zu Kat. G.19.9 wird oberhalb der Mondscheibe diese Ikonographie durch eine Inschrift als Jah-Thot identifiziert. Auf dem linken unteren Teil der Stele ist der Text in von links nach rechts orientierten senkrechten Kolumnen angebracht, während im unteren rechten Teil der Stelenstifter Amenemone, seine Schwester und ihre Tochter in Anbetungsgestik dargestellt sind. Inhalt Nach der üblichen Einführungsformel rdj.t-jAw n/sn-tA n fängt das eigentliche Gebet an, wobei es sich hauptsächlich um einen Sonnenhymnus handelt (Z. 4–6), der von einer Bitte um Besänftigung und Frieden gefolgt ist, mit dem Wunsch, dadurch die Macht (nx.t anstatt bAw!) des Gottes verkünden zu können. Zur Verkündung der bAw-Macht siehe den Kommentar zu Kat. G.19.9.

G.19.11:

Stele Bankes 6, Z. 1–8

Verehrte Gottheit: Jah-Thot/Schu Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt

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Stifter: Jjt-neferti (ČERNÝ 1958) Titel: nb.t-pr „Hausherrin“ Geschlecht: weiblich Literatur: GUNN 1916: 81ff., ČERNÝ 1958, ASSMANN 1999: 387 (Nr. 160). Text (unteres Register) 1. [rdj.t-jA.w] n JaH-+hwty nTr nfr sDm snmH.w 2. sn-tA n pA-^w nTr nfr Htp dj=tn mAA 3. n=j kkw m hrw xr nA n md.t Hm.wt 4. Htp n=j mAA=j Htp=tn 5. jn nb.t-pr 6. (...) 7. Jjt 8.-nfr.tj mAa(.t)-xrw sA=s an-Htp

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[Lobpreis geben] dem Jah-Thot, dem vollendeten Gott, der die Gebete erhört; die Erde küssen vor Schu, dem vollendeten Gott. Seid gnädig, weil ihr veranlasst habt, dass ich die Finsternis am Tag sehe, wegen dieses Frauengeredes. Seid gnädig zu mir, möge ich eure Besänftigung sehen! Durch die Hausherrin (...) Jjtneferti, gerechtfertigt. Ihr Sohn, Anhotep. Kommentar Bilddarstellung Die in zwei Register eingeteilte Stele weist im oberen Teil die Sonnenbarke mit dem sitzenden falkenköpfigen Sonnengott auf, den die Beischrift als Schu identifiziert. Ihm gegenüber sind die Mondscheibe und die Mondsichel als Jah-Thot abgebildet, während darunter das Sms-Zeichen, das die Gefolgschaft des Re symbolisiert, in der Sonnenbarke dargestellt ist. Hinter dem sitzenden Gott ist ein Udjat-Auge zu sehen. Im unteren Register sind eine kniende Frau und hinter ihr ein stehender Mann in Anbetungsgestik dargestellt. Vor ihnen ist der Gebetstext in senkrechten Kolumnen angebracht. Inhalt Die Bitte um Besänftigung wird hier in Verbindung mit einem gestörten sozialen Verhältnis gebracht, das allerdings nicht näher beschrieben wird. Dafür, dass es sich dabei um ein Gerede handelt, spricht die Verwendung des Determinativs  (A2). Die Verschiebung der Schuld für das eigene Leiden auf eine Ursache, die nicht mit einer persönlichen Missetat zusammenhängt, stellt unter den Votivstelen einen Sonderfall dar und dennoch hat sie eine interessante Parallele in Kat. B.20.18, wo Henuttaui wegen einiger Fehler ihres Mannes Angst hat, von Amun bestraft zu werden (vgl. dazu Kapitel 4.2.4.c). Zum bildlichen Ausdruck der „Finsternis am Tag“ siehe den Exkurs II, Kapitel

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5.1.1. sowie GALÁN 1999. Jjt-nefertis Name steht im Verhältnis mit der Göttin Taweret. S. dazu den Kommentar zu Kat. G.19.13.

G.19.12:

Stele Turin 50051, Z. 1–3

Verehrte Gottheit: Soped Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) 72 Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Unnefer (für den Ka von Unnefer und Nebetnuhet, TOSI/ROCCATI 1972: 86) 73 Titel: Unnefer: sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“; Nebetnuhet: nb.tpr „Hausherrin“ Geschlecht: Unnefer: männlich; Nebetnuhet: weiblich Literatur: TOSI/ROCCATI 1972: 86, Taf. S. 282, SADEK 1987: 260, Taf. 23, Abb. 2, ASSMANN 1999: 392 (Nr. 166), MORGAN 2004: 120–122, EXELL 2009: 139 (DB 2). Text (unteres Register) 1. rdj.t-jAw n ¤pd sn-tA n nb [jAb.t Htp](a) 2. n=j pA an Htp mtw=k wr pH.ty dj=k 3. mAA=j kkw n jrr=k Htp n=j 4. mAA(=j) tw n kA n nb.t pr Nb.t-nh.t mAa(.t)-xrw 5-6. sA=s Nb-an-sw 7. sA.t=s 8. nb.t-pr Mry.t-Jmn 9. mAa(.t)-xrw

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Lobpreis geben an Soped, die Erde küssen vor dem Herrn [des Ostens. Sei gnädig] zu mir, du mit freundlicher Besänftigung, der gross an Kraft bist. Du liessest mich die Finsternis sehen, die du schaffst. Sei gnädig zu mir, auf dass ich dich sehe! Für den Ka der Herrin des Hauses Nebetnuhet, Ihr Sohn Nebansu Ihre Tochter die Herrin des Hauses Meritamun, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Im oberen Teil der hier besprochenen Stele ist auf der linken Seite eine sitzende Gottheit dargestellt, deren Kopf jedoch aufgrund des beschädigten Zustandes des Denkmals 72 73

Man beachte auch Karen EXELLs (2009: 139) Datierung der Stele in die Zeit zwischen Horemheb und Sethos I. Man beachte dabei, dass Unnefer nur im oberen Register vor Soped dargestellt und erwähnt ist. Seine Funktion ist offensichtlich diejenige eines Mittlers.

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nicht mehr erkennbar ist. Hinter ihr sind vier Ohren angebracht, von denen drei noch vollständig sichtbar sind. Gegenüber der Gottheit und auf der anderen Seite des Opfertisches kniet ein Mann (Unnefer) auf einem Sitzkissen und opfert eine Opferschale der Gottheit, während er die linke Hand in der üblichen Anbetungshaltung erhebt. Im unteren Register sind zwei kniende Frauen mit Salbkegel auf dem Kopf, Stirnband und Perücken sowie ein stehendes nacktes Kind abgebildet. Die beiden Frauen halten ein Gefäss in der Hand, das die Form einer Flasche hat. Inhalt Basierend auf MASPERO 1880: 119 liest Jan ASSMANN (1999: Nr. 166) in Kol. 1 des Textes Thot anstatt Soped. S. jedoch dazu die Wiedergabe von TOSI/ROCCATI 1972: 86. Zum Ausdruck der „Finsternis am Tag“ s. den Exkurs II, (Kapitel 5.1.1) sowie GALÁN 1999. (a) ¤pd sn-tA n nb [jAb.t Htp]: Die Ergänzung der lacuna erfolgt hier aufgrund der Diskussion und des Vorschlages von MORGAN 2004: 122.

G.19.13:

Stele Glasgow (Culture and Sport Glasgow Museums; Inventarnr. Unbekannt74 (Taf. 10)

Verehrte Gottheit: Taweret Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Penbui (DAVIES 1999: 194ff.; Inhaber des Grabes TT 10 in Deir el-Medina) Titel: sAw nx.t m s.t(-mAa.t) „Der starke Wächter in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur:. BIERBRIER/DE MEULENAERE 1984: 23–32, ASSMANN 1991a: 875–876, EXELL 2009: 146 (DB 70). Text (oberes Register, dritte Zeile von links) 1. rdj.t-jAw n ¦A-wr.t m rn=s nfr n Jj.t-nfr.tj dj=j n=s jAw r oA n p.t 2. sHtp=j kA=s ra nb Htp=t n=j mAA=j Htp=t tA an.tj Htp.tj dj=t 3. n=j Dr.t jrj=t sanx=j wD n=j ms.wt bn TAj=t btA 4. n jrr=j tA an. Htp.tj wnn bAk Hr jr.t-btA xr wnn nb.w Hr Htp(a) 5. jw=j r Hn tA pH.tj(=t) aA.t n xm.tj n rx.tj jw=j r Dd n DAm 6. n DAm.w sAw=tn r=s(b) jry hrw Htp ¦A-wr.t TAy jb=j rSw dj=s 7. pr=j wAD m kA=s ra nb nn Dd=j n HAn rA n=j dj=s snb=j X.t=j Xr(.tj) mswt 8. HA.tj(=j) nDm mnt ra tA jr.tj nfr r jw.tj bnj tA rx.tj ann n nw mAA 9. rmT nb ntj r anx snD.w n ¦A-wr.t pA wn dns 10. bAw=s r Dw n bjA xr pA anx pAy=s Htp 11. jn sAw nx.t m s.t-mAa.t Pnbwj mAa-xrw jrj=f (st) n Hm.t=f ¦A-wr.t

74

S. Karen EXELLs (2009: 146) Angabe der temporärer Inventarnummer EGNN.68 3.

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Lobpreis geben an Taweret, in ihrem schönen Namen ‚die in Schönheit kommt’. Ich gebe ihr Lobpreis bis zur Höhe des Himmels, ich besänftige täglich ihren Ka. Mögest du gnädig zu mir sein, möge ich deine Gnade sehen! O du, die freundlich und gnädig bist! Mögest du mir die Hand geben, mögest du meine Lebensspenderin sein, weise mir Kinder zu! Mögest du mir das Vergehen nicht vorhalten, das ich nicht begangen habe, o du, mit vollkommener Besänftigung! Ist der Diener ein Verbrecher, so sind die Herren die Gnädigen! Ich werde deine grosse Kraft befehlen/anordnen, dem, der sie nicht kennt und dem, der sie kennt. Ich werde zu Kindern und Kindeskindern sagen: ‚Hütet euch vor ihr!’ An dem Tag, wenn Taweret gnädig ist, möge mein Herz Freude nehmen! Möge sie veranlassen, dass mein Haus täglich in ihrem Ka gedeiht, ohne, dass ich sagte ‚Ach, hätte ich doch‘! Möge sie veranlassen, dass ich gesund bin und dass mein Bauch Kinder trägt, (mein) Herz an jedem Tag froh sein kann. Sie, die das Gute tut und das Böse vertreibt, die die Vergebung kennt. Schaut, o ihr Menschen, die leben werdet! Fürchtet euch vor Taweret! Denn ihre bAw-Macht ist schwerer als ein Berg von Erz, (aber) das Leben ist ihre Besänftigung! Durch den starken Wächter in der Stätte der Wahrheit, Penbui, gerechtfertigt. Er hat (es) für seine Herrin Taweret gemacht. Kommentar Bilddarstellung Im oberen abgerundeten Teil der Stele ist die anthropomorph dargestellte Göttin links mit Hathorhörnern, Sonnenscheibe und wAs-Szepter in der Hand auf einem Thron sitzend dargestellt. Vor ihr ist ein reich ausgestatteter Opfertisch zu sehen, der die Szenerie in zwei Hälften teilt. Auf der rechten Seite betet der Stelenstifter die Göttin in halb kniender Haltung und mit erhobenen Händen an. Im unteren Register sind seine Familienmitglieder mit Opfergaben dargestellt; die Frauen opfern Weihrauch und Wasser. Inhalt Nach der üblichen Anbetungsformel thematisiert die Bitte dieses Textes sofort den Kinderwunsch des Stelenstifters. Dieser wird jedoch durch Ausdrücke geäussert, die sich vor allem im Rahmen der weiblichen Fruchtbarkeit einordnen lassen (Z. 7: „Möge sie veranlassen, dass mein Bauch Kinder trägt“). Dies gilt auch für die Wahl der angebeteten Gottheit: Taweret als Göttin der Fruchtbarkeit und Mutterschaft. Penbui ist die Stiftung mehrerer Stelen und weitere Privatdenkmähler aus Deir el-Medina zuzuschreiben (BLUMENTHAL 2001: 23-34, insbes. 25-28). 75 Die Stele Louvre E 16.374 (BRUYÈRE 1939: Taf. XXII) und der vorliegende Text stellen zwei Denkmäler dar, die Penbui Taweret gewidmet hat, was möglicherweise auf seine persönliche Bevorzugung dieser Gottheit hindeuten könnte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Penbui eine seiner Töchter Jjt-neferti (Stifterin der Stele Bankes 6: Kat. G.19.11) genannt hat, d. h. er hat 75

Davon sind im vorliegenden Katalog die Stele BM 1466 (Kat. G.19.7, Taf. 8) und die Stele Glasgow Culture and Sport Museums (Kat. 19.13, Taf. 10) berücksichtigt worden.

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ihr den in dieser Stele enthaltene Beiname der Taweret als Eigennamen gegeben. Es ist bemerkenswert, dass obwohl Penbui hier Taweret um Kinder bittet, er die antropomorphe Ikonographie der Göttin ausgewählt hat (BLUMENTHAL 2001: 30), die nicht unmittelbar den Zuständigkeitsbereich der Göttin vermittelt. Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass die Machtverkündung der Gottheit hier durch das Verb Hn „anordnen, befehlen“ und nicht durch das traditionelle sDd eingeleitet wird. M. W. handelt es sich dabei um den einzigen Fall. Zum Verhältnis zwischen dem Zorn der Gottheit, deren Gefahr und möglichen Besänftigung nach dem Vollzug kultischer Handlungen siehe KESSLER 1998: 184. (a) wnn bAk Hr jr.t btA btA xr w wnn nn nb.w Hr Htp „Ist der Diener ein Verbrecher, so sind die Herren die Gnädigen“: Dieser Ausdruck ist in sehr ähnlicher Form auch in der Stele Berlin 20377 (Kat. G.19.17) und auf der Stele Kairo CM171 (Kat. G.19.29) belegt. Vgl. dazu den Kommentar zu Kat. G.19.17. (b) sAw=tn r=s{t} r=s{t}: Die Schreibweise von r=s{t} verdient hier eine besondere Aufmerk-

samkeit, da dem t ein dem Zeichen  (I12) sehr ähnliches Zeichen folgt. Eine mögliche Erklärung könnte in der Tatsache liegen, dass diese spezifische Passage fast wortwörtlich auf der Mertseger/der Felswand des Westens gewidmeten Stele Turin 50058 (Kat. G.19.5, Z. 8-9) vorkommt. Für den Gebrauch der Schlange nach dem Suffixpronomen – quasi als Determinativ – sind m. E. zwei Gründe vorstellbar. Zum einen könnte es sich um eine direkte Anspielung auf den Text der Stele Turin 50058 handeln, wodurch Penbui seine Kenntnis zur Schau stellte und durch die gleichzeitig die Verbindung, die zwischen dieser Formel und Mertseger in der literarisch-religiösen Tradition von Deir elMedina geherrscht hat, widerspiegelt wird. Zum anderen kann es sich um einen Schreibfehler handeln. Taweret kann in diesem Text auch durch die Schlange (vgl. z. B. die Schreibung in Z. 6 weiter unten und Z. 9) determiniert werden und da nur kurz nach der hier besprochenen Stelle (sAw=tn r=s{t} jry hrw Htp ¦A-wr.t) Taweret genau dieses Determinativ aufweist, ist nicht auszuschliessen, dass der Schreiber hier einen Schreibfehler begangen hat.

G.19.14:

Stele Turin 50042, Z. 1–6

Verehrte Gottheit: Schu/Harachte Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Pai Titel: zXA-od „Zeichner“ Geschlecht: männlich Literatur: BARUCQ 1962: 562, TOSI/ROCCATI 1972: 76–77, Taf. S. 278, BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 27. Text (unteres Register) 1. rdj.t-jAw n pA ¥w sn-tA n @r-Axty dj=j 2. n=k jAw mAA nfr.w=k dwA=j 374

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3. Ra m Htp=f pA nTr mry.tj Htp.y 4. sDm nH.wt sDm snmH.w n aS n=f 5. jj xrw n dmw rn=f jn 6. zXA od PAy mAa-xrw Lobpreis geben dem Schu, die Erde küssen vor Harachte. Ich gebe dir Lobpreis wenn ich deine Schönheit sehe. Ich bete Re an, wenn er untergeht, der geliebte und besänftigte Gott, der die Bitten erhört, der die Gebete von demjenigen erhört, der zu ihm ruft, der kommt, wenn jemand seinen Namen ausspricht. Durch den Zeichner und Schreiber Pai, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist oben abgerundet und in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil ist die Sonnenscheibe in der Sonnenbarke dargestellt und durch eine Beischrift als Schu identifiziert. Im unteren Teil der Stele ist der Text auf fünf senkrechte, von rechts ausgehende Kolumnen verteilt, während in der linken Ecke der Stelenstifter stehend und in Anbetungsgestik dargestellt ist. Inhalt Während zum einen der Akt des Betens in diesem Text zeitlich beim Sonnenuntergang festgelegt ist (vgl. dazu auch Kat. B.20.8, B.20.12, B.20.11, B.20.17), wird die Gottheit zum anderen fast ausschliesslich in ihren Eigenschaften als persönliche Schutzgottheit, die auf die Bitten (hier wird sowohl das Wort nH.t als auch snmH zu diesem Zweck gebraucht) der Menschen eingeht, angebetet. Zentral ist dabei die Aussprache ihres Namens.

G.19.15:

Stele Turin 50052

Verehrte Gottheit: Chons in Theben Neferhotep/Horus/Thot Datierung: 19. Dynastie (Ramses II., 1. Hälfte der Regierungszeit 76) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Pai für seine Mutter Wadjrenpet (TOSI/ROCCATI 1972: 88) Titel: Pai: zXA-od “Zeichner”; Wadjrenpet: nb.t-pr „Hausherrin“ Geschlecht: männlich und weiblich Literatur: ERMAN 1911: 1104, GUNN 1916: 90, BARUCQ 1962: 562, BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 146, TOSI/ROCCATI 1972: 87–88, Taf. S. 283, ASSMANN 1999: 379–380 (Nr. 152), MORGAN 2004: 124–126 (mit vollständiger Bibliographie), EXELL 2009: 139 (DB 4). Text (oberes Register, zweite Zeile von links) 76

So nach EXELL 2009: 139 (DB 4).

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1. Ssp bw nfr nb nTr.w ¢nsw-Nfr-Htp 2. +Hwty nb jwnw rsw @r Hr.j mabAj.t 3. Htp sp sn pA an Htp 4. mtw=k mrj Htp.w 5. jn zXA-od 6. n Jmn PAy mAa-xrw Empfange die Gabe, Herr der Götter, Chons Neferhotep, Thot, Herr des südlichen Heliopolis, Horus des Gerichtshofes der Dreissig. Frieden! Frieden! oh (du) mit freundlicher Besänftigung, und der den Frieden liebt. Durch den Zeichner des Amun Pai, gerechtfertigt. Unteres Register: 1. rdj.t-jAw n ¢nsw-m-WAs.t Nfr-Htp @r nb Aw.t-jb dj 2.=j n=f jAw sHtp=j kA=f Htp=f n=j ra nb 3. mk dj=k mAA=j kkw n jrr=k Htp=k n=j sDd=j 4. sw nDm.w Htp=k ¢nsw n nmH.w 5. njw.t=k n kA n nb.t pr WAD.t-rnp.t jn sA=s jr wD pn 6. Hr rn n nb=f ¢nsw zXA-od PAy mAa xrw 7. Dd=f jmj 8. Hr=k 9. jrj Htp sDm n=j jw [...] Lobpreis geben dem Chons in Theben Neferhotep, Horus, dem Herrn der Freude. Ich gebe ihm Lobpreis, ich besänftige seinen Ka, sodass er zu mir jeden Tag gnädig ist. Schau, du veranlasst, dass ich die Finsternis sehe, die du machst; sei gnädig zu mir, sodass ich erzählen kann wie süss deine Besänftigung ist, oh Chons, für die Armen deiner Stadt. Für den Ka der Hausherrin, Wadjrenpet. Durch ihren Sohn, der diese Stele gemacht hat, im Namen seines Herrn, Chons. Der Zeichner Pai, gerechtfertigt. Er sagt: ‚Pass auf! Sei gnädig, höre mir zu, wenn [...]. Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist in zwei Register eingeteilt, in versunkenem Relief gearbeitet und bemalt. Der obere Teil weist einen gerundeten Giebel auf und zeigt den anthropomorph dargestellten Chons mit Mondscheibe, Stirnband und Uräus auf dem Kopf und auf einem Hwt-förmigen Thron sitzend. Hinter ihm sind zwei Ohren- und Augenpaare abgebildet, während vor ihm ein mit Opfern ausgestatteter Opfertisch zu erkennen ist. Rechts im Bildfeld kniet ein Mann, der die Gottheit preist und ihr mit einer Schale in der rechten 376

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Hand opfert. Im unteren Register auf der rechten Seite kniet eine anbetende Frau, die eine lange Perücke mit Stirnband und ein langes durchsichtiges Kleid trägt. Die Fläche links von ihr im unteren Register belegt der Gebetstext, der in neun senkrechten Kolumnen angebracht ist. Inhalt Das Epitheton des Thot „Herr des südlichen Heliopolis“ ist im Sinne seines Bezuges zu Hermopolis zu verstehen (MORGAN 2004: 126 mit Literaturhinweisen). Zur Finsternis, die der Gott erschafft und in der sich der Beter zu befinden glaubt, s. den Exkurs II (Kapitel 5.1.1). sowie GALÁN 1999. Die Bitte um Besänftigung und Befreiung von der Finsternis ist hier mit dem Willen, die Macht (pH.ty!) der Gottheit zu verkünden (sDd), gekoppelt. Darüber hinaus listet Karen EXELL (2009: 76, DB 4) diese Stele unter den von ihr erkannten Orakelstelen auf.

G.19.16:

Stele Bordeaux 8635, Z. 1–4

Verehrte Gottheit: Mertseger / Renenutet Datierung: 19. Dynastie (Ramses II., 1. Regierungshälfte) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Qen (DAVIES 1999: 176ff.; Inhaber von TT 4) Titel: TAy-mDA.t „Bildhauer“ Geschlecht: männlich Literatur: CLÈRE 1975, ANDREU 2002: 214–215, EXELL 2009: 147 (DB 80). Text (Rückseite, oberes Register, rechte Hälfte, vierte Kolumne von rechts) 1. rdj.t-jAw n Mr.t-sgr Rn-nw.t nfr.t nb.t kA.w 2. ann tw n=j m Htp(a) wAH kA=t jw=t r Htp(b) jn TAy-mDAt On 3. mAa-xrw Dd=f j rmT nb.t ntj jw=f r xpr Hr pAy jx 4. jrj=k pA ds Hno.t n Rn-nw(.t) m Abd pr.t hrw 20 jm=k bgAj nx.t r s.t r jor

 

Lobpreis geben an Mertseger, Renenutet, die Schöne, Herrin der Speisen. Wende dich mir in Frieden zu! Dein Ka wird dauern, indem du dich besänftigen wirst! Durch den Bildhauer Qen, gerechtfertigt. Er sagt: O, jedem dem es geschehen wird, vor diesem zu sein 77. Ach, mögest du einen Krug Bier für Renenutet vorbereiten, im ersten Monat des Winters, am 20. Tag. Vernachlässige nicht, auf sie gut aufzupassen!

 

Kommentar Bilddarstellung 77

Für dieses Wort ist keine Lesung möglich. S. dazu auch CLÈRE 1975: 76.

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Diese auf der Vorderseite wie auf der Rückseite bebilderte und beschriftete Stele ist im oberen Teil abgerundet und auf beiden Seiten in zwei Register eingeteilt. Sie ist auf einem weissen Hintergrund mehrfarbig bemalt und schwarz eingerahmt. Ihre beiden Seiten weisen im oberen Register eine Darstellung der angebeteten Gottheit (Renenutet/Mertseger) auf, wobei die Vorderseite die menschenköpfige Schlangenform der Göttin vor einem Opfertisch und die Rückseite ihre anthropomorphe Gestalt zeigt. Weitere Unterschiede betreffen die Tatsache, dass auf der Vorderseite hinter der schlagenförmigen Göttin zehn nach rechts gewandte Schlangen dargestellt sind; auf der Rückseite hingegen sitzt sie auf einem Thron und hält ein wAs-Szepter in der linken Hand und ein anx-Zeichen in der rechten. Die zehn Schlangen auf der Vorderseite lassen sich in der Tradition von Deir el-Medina verorten, wie die Stele Turin 50060 (Kat. G.19.24) deutlich zeigt. Im unteren Register beider Seiten sind Männer und Frauen kniend und in anbetender Gestik dargestellt und durch Beischriften als Familienmitglieder des Stifters Qen identifiziert (s. dazu CLÈRE 1975: 74-75). Während sie auf der Vorderseite gegenüber dargestellt sind, wenden sie sich alle auf der Rückseite der Göttin zu und sind somit nach rechts schauend dargestellt. Das eigentliche Gebet befindet sich auf der Rückseite der Stele gegenüber der sitzenden Göttin. Inhalt Laut CLÈRE (1975: 76) ist diese Stele wahrscheinlich nicht Teil der Denkmäler, die im Grab des Qen entdeckt wurden, sondern sie befand sich wahrscheinlich in einem Heiligtum, wo sie von beiden Seiten betrachtet werden konnte. Es ist durchaus vorstellbar, dass das hier in Frage kommende Heiligtum das für Ptah und Mertseger in Deir elMedina war. Das Datum, das im Text erwähnt wird, verweist nicht auf ein Fest der Göttin Renenutet, sondern auf dasjenige der Schifffahrt der Schlangengöttin Uadjet. Interessant ist dabei der Befehl für jeden, der sich vor der Stele befindet, das beschriebene Opfer an jenem bestimmten Datum darzubringen, wofür es allerdings keine Parallelen in Texten aus Deir el-Medina gibt. (a) ann tw m Htp: Htp S. dazu den ähnlichen Ausdruck in Kat. G.19.8 (Stele BM 8497, Z. 5): an sw r Htp „der immer wieder gnädig ist“. Es sei hier auch auf CLÈRE 1975: 76, Anm. 16, der darauf hindeutet, dass tw nachträglich hinzugefügt worden sind. (b) wAH kA=T kA=T jw=T r Htp Htp: S. dazu CLÈRE 1975: 77, Anm. 23.

G.19.17:

Stele Berlin 20377 (Taf. 11)

Verehrte Gottheit: Amun-Re Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Ramesseum, Ziegelsteingebäude A (EXELL 2009: 35) Stifter: Nebra und Chay (RICE 1999: 127) Titel: Nebra: zXA-od n Jmn m s.t mAa.t, „Zeichner des Amun in der Stätte der Wahrheit“, Chay: zXA „Schreiber“. Geschlecht: männlich

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Literatur: AEG.INSCHR. II: 158–162, KRI III 653,1–655,7, ERMAN 1911: 1087–1095, GUNN 1916: 83–85, OSWALT 1968: 240–241, LICHTHEIM 1976: 105–107 (Bd. II), BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 75, AUFFRET 1981: 20f., ASSMANN 1999: (Nr. 148), KITCHEN 2000: 444–446, WENTE in SIMPSON (Hg.) 2003: 284–286, FROOD 2007: 219–222 (Nr. 45), EXELL 2009: 145 (DB 60), diskutiert S. 35. Text A. Beischrift zur Anbetungsszene: 1. Jmn-Ra nb ns.wt tA.wy 2. ntr aA 3. xnt.j Jp.t-s.wt nTr Sps.j sDm nH.t jj Hr xrw 4. n nmHw jdn.w dd TAw ntj gb.y 5. rdj.t-jAw n Jmn-Ra 6. nb ns.wt tA.wy xnt.j Jp.t-s.wt sn-tA n Jmn-n 7. njw.t ntr aA pA nb n pA wbA 8. aA an dj=f n=j jr.ty=j Hr mAA 9. nfr.w=f n kA n zXA-od 10. n Jmn Nb-Ra mAa-xrw Amun-Re, Herr von Theben, der grosse Gott, der Karnak vorsteht, der noble Gott, der die Bitte erhört, der kommt auf die Stimme des Armen, wenn er traurig ist, der Luft gibt dem, der in Bedrängnis ist. Lobpreis geben an Amun-Re, dem Herrn von Theben, der Karnak vorsteht, die Erde küssen vor Amun-der Stadt, dem grossen Gott, dem Herrn des grossen, schönen Vorhofs möge er veranlassen, dass meine Augen seine Schönheit schauen! Für den Ka des Zeichners des Amun, Nebra, gerechtfertigt. B. Der Stelentext 1. rdj=j jAw n Jmn jry=j n=f dwA.w Hr rn=f dj=j n=f jAw r oA n p.t r wsx sATw sDd.y=j 2. bAw=f n xdj xnt.j sAw tn r=f whm sw n Srj Srj.t n aA.y.w Srj.w sDd.w sw n DAm.w 3. sp sn ntj bw xpr=sn sDd.y sw n rmw Hr mtr n Apd.w m tA p.t whm sw n xm sw rx sw 4. sAwy tn r=f ntk Jmn pA nb n grw jj Hr xrw nmHw jaS=j n=k jw=j jnd.kwj 5. tw=k jj.tj Sd=k wj dj=k TAw ntj gbj Sd=k wj wnn ntj xnt.j=k ntk Jmn-Ra nb WAs.t Sd wnn m dA.t pA wnn.t=k [...n..?] 6. jw=tw Hr jaS n=k ntk pA jj m wAj jrj.w n zXA-od n Jmn m s.t-mAa.t Nb-Ra mAa-xrw sA zXAod m s.t-mAa.t PAjj mAa-xrw [ms...f?]

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7. Hr rn n nb=f Jmn nb WAs.t jj Hr xrw n nmH.w jw jrj.t(w) n=f dwA.w 78 Hr rn=f n aA.wy n tAy=f pH.ty jw jrj.t(w) n=f nb n 8. nmH.w r xft Hr=f m-bAH tA r-Dr=f Hr zXA-od Nx.t-Jmn mAa-xrw jw=f sDr mr m rA-a mt jw=f bAw n Jmn Hr tAy=f jH.t/jsf.t? 79 9. gm.n=j nb nTr.w jwj m mHy.t TAw nDm r-HA.t=f Sdj=f zXA-od n Jmn Nx.t-Jmn mAa-xrw sA zXA-od n Jmn m s.t-mAa.t Nb-Ra mAa-xrw ms(.y) 10. n nb.t-pr PA-Sd mAa(.t)-xrw Dd=f xr wn mtj bAk r jr.t btA xr mtj nb r Htp(a) bw jr.y pA nb WAs.t 11. hrw Dr=f ond.tw jr.y ond=f m km n A.t nn spy.t (...) 12. (...) jn zXA-od m s.t13. mAa.t Nb-Ra mAa-xrw Dd=f jw=j r jrj.t wD pn Hr rn=k m twj smn.tj 14. n=k dwA.w m zXA(.w) Hr Hr=f jw Sd=k n=j zXA-od Nx.t-Jmn 15. j.n=j n=k jw=k sDm n=j xr ptr jrj=j pA Dd(.w)=j ntk nb n jaS 16. n=f (...)

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Ich gebe Lobpreis an Amun, ich verehre ihn wegen seines Namens, ich gebe ihm Lob bis zur Höhe des Himmels und bis zur Breite des Erdbodens! Ich werde seine bAw-Macht demjenigen verkünden, der stromauf und demjenigen, der stromab zieht: ‚Hütet Euch vor ihm! Wiederholt es dem Sohn und (der) Tochter, den Grossen und (den) Kleinen! Erzählt von ihm der Jugend, die noch nicht geboren ist. Verkündet ihn den Fischen im Wasser und den Vögeln im Himmel. Wiederholt es dem, der ihn nicht kennt und dem, der ihn kennt! Hütet Euch vor ihm!’ Du bist Amun, der Herr des Schweigenden, der kommt auf die Stimme des Armen. Ich rief zu dir, als ich traurig war, und du bist gekommen, dass du mich rettest. Mögest du Luft geben demjenigen, der in Not ist! Du hast mich gerettet, als ich in Banden lag. Du bist Amun-Re, der denjenigen rettet, der in der Unterwelt ist, denn du bist der [...]. wenn man zu dir ruft. Du bist derjenige, der aus der Ferne kommt! Gemacht vom Zeichner des Amun in der Stätte der Wahrheit, Nebra, gerechtfertigt, Sohn des Zeichners in der Stätte der Wahrheit Pay [...], gerechtfertigt, auf den Namen seines Herrn, Amun, Herr von Theben, der kommt auf die Stimme des Armen. Es waren ihm Hymnen verfasst worden auf seinen Namen, weil seine Kraft so gross war. Es waren ihm



78 79

   Man beachte hier die besondere Schreibweise von dwA.w „Hymnen“:  Diese Stelle ist problematisch. J. ASSMANN (1999: Nr. 148, S. 373) liest aufgrund von AEG.INSCHR.



II, 160, Z. 8 jH.T und übersetzt „wegen seiner Kuh“. OSWALT 1968: 167 (Z. 8) jedoch liest  jsf.t. Das von ihm gelesene Determinativ würde die von ihm vorgeschlagene Übersetzung „Sünde“



unterstützen. Nach AEG.INSCHR. II hingegen ist das Zeichen auch aufgrund des Fotos bestätigt werden.

 deutlich zu erkennen. Dies kann

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Gebete verfasst vor seinem Angesicht, in Gegenwart des ganzen Landes, zugunsten des Zeichners Nachtamun, gerechtfertigt, als er krank lag im Zustand des Todes (fast tot), indem er in der bAw-Macht von Amun war wegen seiner Kuh. Da fand ich, dass der Herr der Götter gekommen war als Nordwind, der süsse Lufthauch ihm voraus. Er rettete den Zeichner des Amun, Nachtamun, gerechtfertigt, Sohn des Zeichners des Amun in der Stätte der Wahrheit, Nebra, gerechtfertigt, geboren von der Hausherrin Pasched, gerechtfertigt. Er sagt: Selbst wenn der Diener bereit ist, ein Verbrechen zu tun, so ist der Herr bereit zum Frieden! Der Herr von Theben ist (endet), keinen ganzen Tag zornig. In einem Augenblick endet sein Zorn und nichts bleibt zurück. (...) (...) Der Zeichner an der Stätte der Wahrheit, Nebra, gerechtfertigt, sagt: ‚Ich werde diese Stele auf deinen Namen anfertigen und ich werde dir diesen Hymnus als Inschrift auf ihrer Vorderseite verewigen, denn du hast den Zeichner Nachtamun für mich gerettet.’ So sprach ich zu dir, und du hast mich gehört, nun schau: ich habe getan, was ich gesagt habe. Du bist der Herr dessen, der zu ihm ruft (...). Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist in zwei Register aufgeteilt. Im oberen abgerundeten Teil ist eine Kolossalstatue des auf einem Thron sitzenden Amun-Res vor einem Pylon abgebildet. Der Gott ist nach rechts gewandt und vor ihm kniet in Anbetungshaltung eine männliche Figur, die eine lange Perücke und einen langen Schurz trägt. Ein Opferständer ist zwischen beiden Figuren abgebildet. In der rechten unteren Ecke des unteren Teils der Stele sind insgesamt vier männliche Gestalten ebenfalls kniend, in Anbetungshaltung und mit langen Perücken und Schürzen dargestellt. Die ikonographische Zusammenstellung der Stele deutet darauf hin, dass die oben vor der Gottheit abgebildete Figur eine Mittlerfunktion hat. 80 Da der originale Anbringungskontext das Ramesseum war, bildet die dargestellte Kolossalstatue wahrscheinlich eine den Leuten zugängliche Orakelstatue des Amun-Re ab. Die Tatsache, dass es sich um eine Orakelstatue gehandelt haben muss, ist den Epitheta Amun-Res zu entnehmen, die im Text aufgelistet sind (EXELL 2009: 34–35). Inhalt Zur Verortung dieses Denkmals in den Gebetsstelen der Persönlichen Frömmigkeit und zu ihrer Bedeutung für die vorliegende Studie siehe insbes. Kapitel 5.2 Man beachte hierbei auch Karen EXELLs (2009: 76, DB 60) Deutung dieser Stele als Orakelstele. Ak r jr.t btA btA xr mtj nb r Htp „Selbst wenn der Diener bereit (a) mtj bbAk zu tun, so ist der Herr bereit zum Frieden!“: Es ist besonders bemerkenswert, dass dieser Ausdruck wortwörtlich sowohl auf der Stele Glasgow (G.19.13) als auch auf der Stele Kairo CM171 (Kat. G.19.29, Text C) aus Assiut belegt ist. In diesem letzten Fall 80

Typ B nach der Typologisierung von Karen EXELL (2009: 20).

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handelt es sich um eine Stele, die von einer Sängerin des Upuaut gestiftet wurde, was die Verbreitung solcher Phraseologien auch ausserhalb von Deir el-Medina bezeugt.

G.19.18:

Stele BM 266, Z. 1–9

Verehrte Gottheit: Re Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina, Fundkontext unbekannt Fundkontext: keine Angaben (vermutlich Grabkontext) Stifter: Thothermektuef Titel: sDm-aS m s.t mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur: HTES 7: 12, Taf. 37. Text 1. dwA Ra xft wbn=f […] 2. jn sDm-aS m s.t-mAa.t […]Xr nxt(a) n ©Hwty nb [¢mnw…] 3. m njw.t rsj.t ©Hwty-Hr-mktw=f mAa-xrw […] 4. wbn m nw.w sHD tA.wy m stw[t…] 5. dj=k rwD Ha=j Hr mAA=j nfr.w=k(b) jw=j m 6. hnw n Hr=k nfr 7. r xpr Htp=k m anx 8. n kA n sDm-aS m 9. s.t-mAa.t Hr Jmnt.t WAs.t 10. ©Hwty-Hr-mktw=f mAa-xrw Re anbeten wenn er aufgeht […] durch den Diener in der Stätte der Wahrheit […] des Thot, Herrn [von Hermopolis …] in der südlichen Stadt, Thothermektuef, gerechtfertigt […]. Der aus dem Urwasser aufgeht, der die Beiden Länder erleuchtet, durch seine Strahlen […] Mögest Du veranlassen, dass mein Körper fest wird (=dass mein Leichnam nicht verfällt) beim Anblick deiner Schönheit. Ich juble vor deinem schönen Gesicht, damit dein Untergang als Lebender geschieht. Für den Ka des Dieners in der Stätte der Wahrheit im Westen von Theben, Thothermektuef, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil unter dem Giebel sitzt der falkenköpfige und nach links gewandte Re-Harachte in der Sonnenbarke. Ihm gegenüber sitzt ein Pavian und opfert ihm das Udjat-Auge (s. Kat. G.19.26). Im unteren Register 382

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der Stele ist das Gebet in zehn vertikalen Kolumnen von rechts nach links angebracht und in der linken Ecke kniet der Stelenstifter und betet die oben dargestellten Götter an. Er trägt eine lange Perücke sowie einen bis zu den Knien reichenden gefältelten Schurz. Inhalt Die Bitte in diesem Text drückt den Wunsch aus, Res Schönheit im Jenseits sehen zu können und dass beim Anblick des Gottes in der Unterwelt der eigene Körper unversehrt sein möge. Das Gebet fängt mit einem Hymnus an die aufgehende Sonne an und endet mit dem Wunsch, der Sonnenuntergang möge problemlos verlaufen. (a) nxt: xt Es ist unsicher, ob das Zeichen für nxt hier als Determinativ oder als zusammenhängend mit dem, was vorangeht, zu verstehen ist. (b) dj=k rwD Ha=j Hr mAA=j nfr.w=k: Da es sich im Falle dieses Denkmals um eine funeräre Stele handelt, bezieht sich der Inhalt des Textes auf das Jenseits. Der Wunsch betrifft hier die Unversehrtheit des Leichnams (vgl. Wb.II.411.11). Der Kontext ist derjenige der Unterweltsfahrt der Sonne, während der sie die Totenwelt erleuchtet.

G.19.19:

Stele Chicago 10494, Z. 1-8

Verehrte Gottheit: Amenophis I. Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Luxor; Fundkontext unbekannt. Stifter: Penre Titel: Hr.j pD.t, kTn tp.j n Hm=f, jm.j XAs.wt, jm.j-rA kA.wt m Hw.t Wsr-MAa.t-Ra stp-nRa, sr n MDAj.w „Truppenoberst, Erster Wagenlenker Seiner Majestät, Oberster der Fremdländer, Baumeister im Ramesseum, Vorsteher der Medja“. Geschlecht: männlich Literatur: KRI III, 268–269, NIMS 1956, KITCHEN 2000: 191, EXELL 2009: 168 (DB 273). Text 1. rdj.t-jAw [n ©sr-kA-Ra] sn-tA n Jmn-Htp 2. sA Jmn twt=f jor.t mrj.n=f r nsw nb mw 3. nTr.j(a) swH.t Dsr.t jr.w n Jmn Ds=f dj=f sxAw 4. nfr n anx wAs n nsw  Wsr-mAa.t-Ra stp n Ra m-bAH jt=f jrj hrw=f 5. Jmn nsw nTr.w Ddj=f(b) rn n sA Ra  Ra-mss mr.y-Jmnn D.t {D.t} 6. jw(=j) Xr rd.wy=f(.y) m Xr.t-ra jnk sxpr.n(=f) jn Hsj.tj 7. n nTr nfr Hr.j-pD.t kTn tp.j n Hm=f jm.j-rA xAs.wt jm.j-rA kA.t 8. m Hw.t Wsr-mAa.t-Ra(c) stp-n-Ra jm.j-rA? MDAy.w Pn-Ra mAa-xrw

 

Lobpreis geben an Djeserkare, die Erde küssen vor Amenophis I., dem Sohn des Amun, seinem vollendeten Bild, das er mehr als jeden König liebte, dem göttlichen Wasser, dem heiligen Ei, gemacht von Amun selbst. Möge er

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eine gute Erinnerung an Leben und Glück dem König Usermaatre-Setepenre vor seinem Vater geben, der das tut, was ihm Glück bringt. Amun, König der Götter, möge er den sA-Ra -Namen Ramses-Meriamun in Ewigkeit {in Ewigkeit} dauern lassen. (Ich) bin an seinen Füssen bei den täglichen Angelegenheiten. Ich bin ein , den (er) hat werden lassen. Gemacht von dem Gelobten des vollkommenen Gottes, dem Truppenoberst, dem ersten Wagenlenker Seiner Majestät, dem Vorsteher der Fremdländer, dem Vorsteher der Arbeiten im Tempel des Usermaatre-Setepenre, dem Vorsteher der Medja, Penre, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Diese Stele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen, stark beschädigten Bereich sind Teile einer Opfer- und Anbetungsszene zu erkennen, in der ein König vor einem Opferaltar und dem auf einem Podest sitzenden Kultbild abgebildet ist. Der König ist aufgrund der Kartuschen als Ramses II. zu identifizieren, während das Kultbild Amenophis I. mit der Blauen Krone darstellt. Nach NIMS 1956: 146, muss diese Statue entweder „Amenophis I.-pA-jb-jb“ oder „Amenophis I.-n-pA-wbA“ (so ČERNÝ 1927: 187; NIMS 1956: 146, Anm. 3) sein. 81 Im unteren Teil der Stele verteilt sich der Gebetstext auf neun Kolumnen und belegt eine Fürbitte für Ramses II., die der Baumeister des Ramesseums Penre Amun vorlegt. Zu den anderen Denkmälern, die Penre zuzuschreiben sind, vgl. NIMS 1956: 147ff. sowie Kat. G.19.28. Inhalt (a) mw nTr.j nTr.j: „göttliches Wasser“ als Bezeichnung für den „göttlichen Sohn“ (Wb.II.52.13). Ddj= j=f: f: „dauern“ (Wb.V.628). Seit der 18. Dynastie gewöhnlich auch mit doppeltem (b) Dd Dd-Pfeiler geschrieben (so auch hier). (c) Hw.t WsrWsr-mAa.tmAa.t-Ra Ra: Man beachte hier die Schreibung dieses Kompositums: Ramses’ Name ist in der Hw.t-Hieroglyphe eingeschrieben. Karen EXELL (2009: 77, DB 273) listet diese Stele unter den Orakelstelen auf.

G.19.20:

Stele BM 276, Z. 1–6

Verehrte Gottheit: Haroeris Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Nebra Titel: zXA-od „Zeichner“ Geschlecht: männlich

81

Zu Amenophis-pA-jb-jb s. zuletzt BETRÒ 2008

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Literatur: HTES 10: 34, Taf. 79, ERMAN 1911: 1097, KITCHEN 2000: 446, MORGAN 2004: 92–94, EXELL 2009: 145 (DB 56). Text (unteres Register). 1. rdj.t-jAw n @r-wr sn-tA n sDm nH.t 2. dj=f n=j jr.ty=j Hr mAA mTn 3. jj.tj=j r Sm.t n kA n zXA-od m s.t4. mAa.t Nb-Ra mAa-xrw n sA 5. zXA-od PAy 6. mAa-xrw Lobpreis geben an Haroeris, die Erde küssen vor demjenigen, der die Bitte erhört. Möge er mir geben, dass meine Augen Weg sehen, um hin zu gehen. Für den Ka des Zeichners in der Stätte der Wahrheit, Nebra, gerechtfertigt. Der Sohn des Zeichners Pai gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil ist die verehrte Gottheit sitzend vor einem Opfertisch dargestellt. Auf dem Falkenkopf trägt sie die Doppelkrone, sie hält das wAs-Szepter und das anx-Zeichen in den Händen. Hinter ihr sind vier Augen (mit Augenbrauen) und zwei Ohren abgebildet. Eine in Kolumnen von rechts nach links organisierte Inschrift identifiziert ihn als @r-wr nTr nb p.t HoA psD.t „Haroeris, der Gott, der Herr des Himmels, der Herrscher der Neunheit“. Eine ebenfalls in Kolumnen, aber von links nach rechts orientierte Inschrift betrifft die Anfertigung der Stele: jr.w n zXAod n Jmn m s.t-mAa.t Nb-Ra mAa-xrw sA zXA-od PAy mAa-xrw „gemacht von dem Zeichner des Amun in der Stätte der Wahrheit Nebra, gerechtfertigt, Sohn des Zeichners Pai, gerechtfertigt“. Im unteren Register in der rechten Hälfte des Bildfeldes ist Nebra mit langer Perücke, halb kniend und in Anbetungshaltung dargestellt. Das linke Feld des unteren Registers beinhaltet fünf Kolumnen Inschrift, die den Gebetstext wiedergeben. Inhalt Zu der jenseitsgerichteten Bitte des Nebra vgl. Kapitel 5.1.2 und zur Verortung dieser Stele in den Kultdenkmälern der Ramessidenzeit vgl. Kapitel 5.2.

G.19.21:

Stele München [Glyptothek] 287, Z. 1–5 (Taf. 12)

Verehrte Gottheit: Ramses II. (Königsstatue) Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Qantir; Fundkontext unbekannt 385

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Stifter: Rahotep Titel: TA.tj „Wesir“ (unter Ramses II. in Qantir) Geschlecht: männlich Literatur: SCHARFF 1934. Text 1. rdj.t-jAw n kA=k [sn-tA n] 2. pA nTr aA sDm n[H.wt n rmT] 3. dj=f anx wDA snb Hsw.t spd-Hr […] 4. HA.tj-a TAj-xw Hr jmnt.t nsw jm.j-rA njw.t TA.tj Ra-Htp […] 5. n pr [njw.t]Ra-ms.sw mr.y-Jmn Lobpreis geben deinem Ka! [Die Erde küssen vor] dem grossen Gott, der [die Bitten der Menschen] erhört. Möge er Leben, Heil, Gesundheit und Tüchtigkeit […] geben dem Fürsten und Wedelträger zur Rechten des Königs, dem Stadtvorsteher und Wesir Rahotep […] von [der Stadt] Haus des Ramses-Meriamun. Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist in zwei gleich grosse Register eingeteilt. Auf der rechten Seite des oberen Teiles und nach links gerichtet opfert Ramses II. vor seiner eigenen Statue, welche die Doppelkrone trägt und auf einem Sockel vor einem Opferaltar steht. Der lebende Ramses trägt dagegen die Blaue Krone. Hinter der Statue sind vier grosse Ohren angebracht. Im unteren Register befinden sich der Gebetstext (links) sowie der kniende Stelenstifter im Wesirgewand des Neuen Reiches bekleidet (rechts). Inhalt Das Gebet ist der Statue Ramses’ II. gewidmet (dazu SCHARFF 1934: 48), d. h. dem in der Statue einwohnenden Ka des vergöttlichten Königs (s. Kapitel 3.1.5.a). Im oberen Feld sind die Ka-Statue und der König dergestalt in Beziehung zueinander gesetzt worden, dass der König seiner eigenen Statue opfert. Im Gebetstext wünscht sich der Wesir vom König „Gunst“, d. h. Ehrungen und Schenkungen. Nach Alexander SCHARFF (1934) sollte die Erhörung der Gebete durch die Ka-Statue – symbolisiert durch die dargestellen Ohren – bewirken, dass der König die ersehnten Ehrungen dem Wesir zuteil werden lässt. Die Ka-Statue galt daher als ein wahrhaftiger Gott, an den persönliche Gebete gerichtet wurden. Der König nimmt hier die Rolle eines Mittlers an (vgl. Kapitel 3.1.5.a), der die Bitten an seine eigene Ka-Statue weiterleitet.

G.19.22:

Stele Michailides

Verehrte Gottheit: Amenophis I./Onnophris/Chontamenti Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.)

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Herkunft: Theben; Fundkontext unbekannt Stifter: Nahihu Titel: zXA-nsw, jm.j-rA Pr-wr m Hw.t Wsr-mAa.t-Rastp.n Ra m pr-Jmn „Königsschreiber, Vorsteher des Per-wer im Ramesseum im Tempel des Amun“. Geschlecht: männlich Literatur: WENTE 1963: 30–36, Abb.1 (S. 31). Text 1. rdj.t-jAw n ©sr-kA-Ra sn-tA nJmn-Htp d=j n ¢nt.y-Jmnt.t 2. sHtp=j Wnn-nfr nb tA-Dsr dj=sn(a) Ssp snw 3. prj m-bAH Hr HAw.t n nb nHH n kA n zXA-nsw jm.j-rA pr-wr m Hw.t Wsr-mAa.t-Ra stp.nRa 82 m 4. pr-Jmn NA-Hr-Hw mAa-xrw jn sA=f sanx rn=f zXA Nfr-rnp.t mAa-xrw 5. Dd=f jnD-Hr=k 6. pA sA Jmn 7. mw nTr.j prj m 8. Ha=f 9. pA TA.tj 10. wpj mAa.t gmH=f r HA.tj bwt=f grg ntk 11. nTr n mH-jb jm=f nHw n Sms.t sw rSw(.w) ntj m Hsw.t=k nn pH sw bjn Lobpreis geben an Djeserkare, die Erde küssen vor Amenophis I. Ich gebe an Chontamenti, ich besänftige Onnophris, den Herrn der Nekropole. Mögen sie das Ergreifen der Brotopfer, die vom Altar des Herrn der Ewigkeit herausgehen, geben. Für den Ka des Königsschreibers, des Vorstehers des Per-wer im Ramesseum im Bezirk des Amun, Nahihu, gerechtfertigt. Durch den Sohn, der seinen Namen belebt, den Schreiber Neferrenpet, gerechtfertigt. Er sagt: Sei gegrüsst du Sohn des Amun, göttlicher Samen (lit. Wasser), der aus seinem Körper herausging. Der Wesir, der die Gerechtigkeit entscheidet, der ins Herz sieht, dessen Abscheu die Lüge ist. Du bist ein Gott, dem man vertraut. Ein Beschützer desjenigen, der ihm folgt. Glücklich ist derjenige, der in deiner Gunst ist. Nichts Böses wird ihn erreichen. Kommentar Bilddarstellung Im unteren Teil der hier diskutierten Stele ist der Stifter im rechten Feld stehend vor einem reich ausgestatteten Opfertisch dargestellt. Er trägt eine lange Perücke sowie einen bis zu den Knöcheln reichenden langen Schurz. Unter der linken Achsel ist ein Gegenstand zu erkennen, das vermutlich aufgrund seiner Titel mit einer Schreiberpalet82

Der Name Ramses’ II. ist an dieser Stelle in der Hw.t-Hieroglyphe eingeschrieben.

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te zu identifizieren ist. In der linken Hand hält er eine Blume, mit der rechten Hand führt er die Anbetungsgestik aus. Inhalt Dieses Denkmal gibt Auskunft über den Kult Amenophis’ I. ausserhalb von Deir elMedina. Dieser wurde wahrscheinlich von Leuten aus höheren Gesellschaftsschichten als es in Deir el-Medina der Fall war, vollzogen. Amenophis I., der hier als Wesir bezeichnet wird, ist in den Texten, die seinen Kult belegen, als Richter beschrieben (Z. 89). Eine Bestätigung dafür lässt sich in den Inschriften und Szenen aus dem Grab des Amenmose (TT 19) erkennen, in denen einzelne zeremonielle Szenerien abgebildet sind und Amenophis I. während eines Orakelverfahrens gezeigt wird (s. BETRÒ 2008: 96, Abb. 5). Die Ortschaft befand sich allerdings im thebanischen Bezirk, jedoch ausserhalb von Deir el-Medina (s. dazu FOUCART 1924: Heft 4, Taf. 28, 31). (a) dj=sn: j=sn: Der Plural könnte dadurch erklärbar sein, dass Amenophis I. oft zusammen mit Ahmes-Nefertari das Ziel der Anbetung war, sodass hier möglicherweise die übliche bekannte Formel angewandt wurde.

G.19.23:

Hockerstatue des Ray

Verehrte Gottheit: Amun/Mut/Chons Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Karnak; Muttempel Stifter: Ray Titel: zXA-nsw „Königsschreiber“ Geschlecht: männlich Literatur: BENSON-GOURLEY 1899: 340–343, 56, 229, BORCHARDT 1930: 153–154 (Nr. 917), ASSMANN 1980: 2–9. Text (…) 3. (…) [jj] rmT nb.t ntj m tA r-Dr=f TAy.w 4. mj Hm.wt Aby aHa.w nfr wxA anx jm.w jAw n Jmn-Ra r oA n p.t dwA(.w) Mw.t m JSrw ¢nsw m WAs.t SAy [dd anx nb wDD.wt] 83 [Sw] n tA nb anx.tw 5. m ptr=f Hapj n tmmw (…) [nTr jrj wr] od nmHw anx=f m mAa.t bw.t=f grg mrj=f grw obb jr.t [...] [wAD.wj jrj] m hpw=f 6. Xnm=f js=f xrp.tw n=f obHw Ssp=f pAw.t=f jrj=Tn jDdw.t wDA Haw=Tn pH=Tn jmAx Xr Hsw.t=f jrj=f [n=Tn ors.t nfr.t] jnk mtrj 7. Sw m jsf.t wAH-jb hrj md.t nfr bjA.t=f Sm.n=j Hr sxr.w n nb{.w} nTr.w pHj jAw(.t) nfr.t Xr Hsw.t ra nb n kA n wa jor wab a.wy Hs.y n [...] r[...] [...]=f m [...] zXA-nsw RAy mAa-xrw (…) [Oh] ihr alle Menschen, die ihr im ganzen Land seid, Männer 83

Für die Ergänzungen der lacunae in diesem Text beziehe ich mich auf ASSMANN 1980.

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wie Frauen, die ihr euch eine schöne Lebenszeit wünscht und das Leben sucht: Gebt Lobpreis an Amun-Re, bis zur Höhe des Himmels, verehrt Mut in Eshra und Chons in Theben, den Schicksalsgott, [der Leben gibt, den Herrn der Gebote], [das Licht] jedes Landes, von dessen Anblick man lebt; den Nil der Menschheit, (…) [den Gott, der Grosse erschafft] und Arme erbaut. Er lebt von der Maat, sein Abscheu ist die Lüge, er liebt den Schweigenden, der geduldig ist [...]. [Glücklich,] wer nach seinen Gesetzen [handelt]! Er wird in sein Grab eingehen und man wird ihm eine Wasserspende darbringen. Er wird seine Opferkuchen empfangen. Tut was sage, und eure Glieder werden heil sein, ihr werdet die Würdigkeit erreichen in seiner Gunst, und er wird [euch ein schönes Begräbnis] machen. Ich bin gerecht, frei von Lüge, mit geduldigem Herzen, mit schöner Rede und vom guten Charakter; ich wandelte nach den Ratschlüssen des Herrn der Götter, (um) ein schönes Alter täglich in Gunst zu erreichen. Für den Ka des einzig Vortrefflichen mit reinen Armen, des Gelobten des [...] sein [...] des Königsschreibers Ray, gerechtfertigt. Kommentar Zur vorliegenden Übersetzung vgl. auch ASSMANN 1980: 2–3. Diese Inschrift enthält ein Opfergebet an die thebanische Triade und einen „Anruf an die Lebenden“. Dieser ist auf solchen Statuen nicht ungewöhnlich, dennoch ist der Anfang mit der Aufforderung zur Anbetung der thebanischen Triade mit anschliessendem Lob des Chons in der „Laudate“-Form auf Tempelstatuen sonst nicht belegt und im Rahmen des „Anrufs an die Lebenden“ nur in Tell el-Amarna zu finden. Das Lob des Chons stellt die fast wörtliche Kopie einer Inschrift dar, die sich im Grab des Panehsi in Tell el-Amarna befindet (SANDMAN 1938: 24.5–7). Die Tradition der Prädikation des Chons als Schicksalsgott entsteht in der späten Amarnazeit und leitet sich wahrscheinlich von seiner Beziehung (als Mondgott) mit der Zeit ab. Die hier beschriebene göttliche Natur ist aber nicht im Sinne der Weltgotttheologie zu verstehen, sondern vielmehr vor dem Hintergrund der Topoi der Königsideologie des Mittleren Reiches, welche den König als Lebensspender darstellten. Ferner spielt dieses Motiv auch in der loyalistischen Literatur der Amarnazeit eine zentrale Rolle. In der vorliegenden Inschrift übernimmt Ray dementsprechend Themen, die in der Amarnazeit zentral waren, und wandelt sie nach den neuen Mustern der Persönlichen Frömmigkeit um. Nach Jan ASSMANN (1980: 20) müssen der Text des Ray in Theben und derjenige des Panehsi in Tell el-Amarna auf eine gemeinsame Vorlage zurückgeführt werden. Einen Hinweis auf die Art der Vorlage würde man durch die Tatsache gewinnen, dass das literarische Vorbild die „loyalistische Lehre“ gewesen sein sollte. Diese beiden Texte stellen also nach ASSMANNs Auffassung eine „loyalistische Lehre“ dar.

G.19.24:

Stele Turin 50060

Verehrte Gottheit: Mertseger Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) 389

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Herkunft: Deir el-Medina; vermutlich Ptah- und Mertseger-Heiligtum in Deir el-Medina Stifter: Uab Titel: nb.t-pr, Smay.t n Jmn-Ra-n-THn- nfr, Hsj.t n ¡w.t-¡r „Hausherrin, Musikerin des Amun-des-Schönen-Treffens, Hathorsängerin“ Geschlecht: weiblich Literatur: TOSI/ROCCATI 1972: 97–98, Taf. S. 288. Text 1. rdj.t-jAw n Mr-sgr Hm.t2. WAs.t nb.t p.t Hm.t nTr.w nb. w dj=s 3. anx wDA snb n kA n nb.t-pr WAb mAa-xrw m Htp Lobpreis geben an Merseger, Herrin des Westens, Herrin des Himmels, Herrscherin aller Götter. Möge sie Leben, Heil und Gesundheit dem Ka der Hausherrin Uab, gerechtfertigt in Frieden, geben. Kommentar Bilddarstellung Die bemalte und eingeritzte Kalksteinstele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil sind unter dem abgerundeten Giebel zwei Udjat-Augen, dazwischen ein Sn-Ring und darunter das mw-Symbol abgebildet. Das obere Register ist in zwölf horizontale Felder eingeteilt, in denen je eine nach rechts gerichtete Schlange – wohl die theriomorphe Manifestation der Göttin – dargestellt ist. Die linke Hälfte des unteren Registers trägt den Gebetstext, der auf drei Kolumnen von links nach rechts organisiert ist. In der rechten Hälfte ist die Stelenstifterin kniend, mit dem weiten und durchsichtigen Festkleid und mit einer langen Perücke, einer Lotusblume und Salbkegel auf dem Kopf und in Anbetungshaltung dargestellt. Hinter ihr ist der ausgestattete xAt-Altar zu sehen, mit einem Gefäss und einem Lotusbündel darauf. Unter dem Altar sind links und rechts zwei Weingefässe abgebildet. Auf der linken und rechten Schmalseite der Stele ist je eine Inschriftenkolumne angebracht, die Nebnefer – den Ehemann von Uab – und zwei Söhnen erwähnen. Nach TOSI/ROCCATI 1972: 98, ist Uab vermutlich mit der Sängerin des Amun-des-schönen-Treffens aus TT 250 identisch, die dort auch den Titel Sängerin der Hathor trägt. Inhalt Zur Verortung dieses Denkmals im Rahmen der Religionspraxis von Frauen s. Kapitel 4.2. G.19.25:

Stele Turin 50055

Verehrte Gottheit: Amun-Re Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) 84 84

S. dagegen Karen EXELLs (2009: 140) Datierung in die Zeit Sethos I.

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Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Baki Titel: aA n js.t m s.t-mAa.t „Grosser der Mannschaft in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur: TOSI/ROCCATI 1972: 90–91, Taf. S. 285, EXELL 2009: 140 (DB 12). Text (unteres Register) 1. rdj.t-jAw n Jmn sn-tA n pA rhnj nfr 2. dj=j n=k jAw r oA n p.t swAS=j 3. kA=k ra dj=k n=j Hsw.t rA=j Xr 4. mAa.t jr.ty=j Hr mAA Jmn m Hb=f 5. nb m Xr.t n kA n aA n js.t m s.t-mAa.t BAkj mAa-xrw 6. Dd=f jrr=j smAw(=j) Hr rn 7. n nb{=f} Jmn mn.tj 8. sp sn Hr s.t=k Jmn-Ra nb r nHH Lobpreis geben an Amun, die Erde küssen vor dem schönen Widder. Ich gebe dir Lobpreis bis zur Höhe des Himmels, ich ehre deinen Ka Tag. Mögest du mir Gunst geben und, dass mein Mund die Wahrheit trägt (=wahrhaftig spricht) und, dass meine Augen Amun bei jedem Fest von ihm täglich sehen. Für den Ka des Grossen der Mannschaft in der Stätte der Wahrheit Baki, gerechtfertigt. Er sagt: Ich erneuere den Namen {seines} Herrn Amun. Sei beständig! Sei beständig auf deinem Thron, Amun-Re, Herr der Ewigkeit! Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil sind zwei Widder gegenübergestellt abgebildet, mit einem Fächer hinter ihrem Körper und einen Lotusstengel mit Blüten als trennendes Glied dazwischen. Unter dem abgerundeten Giebel ist die geflügelte Sonnenscheibe mit zwei Uräen dargestellt, zwischen denen die Zeichen mAa.t und mn zu lesen sind. Es handelt sich dabei um eine Rebusschreibung von mn-MAa.t-Ra. Während eine kurze Kolumne neben den Köpfen der Widder sie als Jmn-Ra identifiziert, enthält eine horizontale Zeile über den Fächern die Bezeichnung pA rhnj nfr. Im unteren Register ist der Gebetstext auf insgesamt neun Kolumnen von rechts nach links verteilt. In der linken Hälfte ist der Stelenstifter nach rechts gerichtet, anbetend und halb kniend abgebildet. Er trägt ein langes Faltenkleid sowie eine lange Perücke. Inhalt Die Bitte im Text bezieht sich auf den Wunsch, an den diesseitigen Festen des Amun auch als Verstorbener aus dem Jenseits teilnehmen zu dürfen. S. dazu Kapitel 5.1.2 sowie BOMMAS 2005b. Nach Karen EXELL (2009: 140, DB 12) würde diese Stele auf die Gottesanbetung im Rahmen eines offiziellen Festes hindeuten.

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G.19.26:

Stele Turin 50046

Verehrte Gottheit: Jah-Thot Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Neferrenpet Titel: sDm-aS m s.t-mAa.t „Diener in der Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur: GUNN 1916: 92, TOSI/ROCCATI 1972: 80, Taf. S. 280, BARUCQ/DAUMAS 1980: Nr. 103, ASSMANN 1999: 384–385 (Nr. 157). Text 1. rdj-jAw n JaH-+hwty sn-tA n pA Htp.y dj=j 2. n=f jAw r oA n p.t swAS=j nfrw=k Htp=k n=j 3. mAA=j Htp=k ptr=j aA.wy [Htp]=k dj=k mAA=j kkw 4. n jrr=k sHD n=j mAA 5. tw pA [w]n snb anx m dr.t=k 6. [an]x.tj m pAy=k dj.tw=f 7. n=kA n [sDm-aS] m s.t-mAa.t 8. [Nfr]-rnp.t mAa-xrw nfr m Htp 9. sn.t=f mrj(.t)=f nb.t-pr @wy10. nfr mAa(.t)-xrw n nb=s Kolumne vor der Darstellung des Kindes: sA.t=s Wrnr Lobpreis geben an Jah-Thot, die Erde küssen vor dem Gnädigen! Ich gebe ihm Lobpreis bis zur Höhe des Himmels, ich preise deine Schönheit! Sei gnädig zu mir, dass ich deine Gnade sehe, dass ich sehe, wie gross deine [Gnade] ist. Du lässt mich die Finsternis sehen, die du schaffst. Mache Licht für mich, dass ich dich sehe, (denn) Gesundheit und Leben sind in deiner Hand. Man le[bt] von dem, was du gibst. Für den Ka des [Dieners] in der Stätte der Wahrheit [Nefer]renpet, gerechtfertigt, vollkommen in Frieden. Seine geliebte Schwester die Hausherrin Huinefer, gerechtfertigt bei ihrem Herrn. Ihre Tochter Werner. Kommentar Bilddarstellung 392

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Die Stele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil ist Thot in seiner Erscheinungsform als Ibis mit der Sonnenscheibe und der Mondsichel in der Barke nach rechts gerichtet dargestellt, indem ein Pavian ihm das Udjat-Auge darreicht. Der Bug der Barke ist von einem Tuch mit Perlen bedeckt. Im unteren Teil der Stele verteilt sich die Inschrift auf zehn Kolumnen von links nach rechts. In der rechten Ecke sind drei Personen in Anbetungsgestik dargestellt, die anhand der entsprechenden Beischriften als der Stifter in der Mitte, die Frau dahinter und die Tochter vorne zu identifizieren sind. Während das Ehepaar kniet, ist die Tochter im Stehen wiedergegeben. Inhalt Zum Verhältnis zwischen dem Licht und der Finsternis, das im Bittgebet dieses Textes zum Ausdruck gebracht wird, vgl. den Exkurs II (Kapitel 5.1.1).

G.19.27:

Stele Hannover 2937, Z. 1–7

Verehrte Gottheit: Jah-Thot Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Deir el-Medina; Fundkontext unbekannt Stifter: Maanachtuef Titel: zXA-od m s.t mAa.t „Zeichner in Stätte der Wahrheit“ Geschlecht: männlich Literatur: CRAMER 1936: 95–96, Taf. VII.4, KITCHEN 2000: 442, EXELL 2009: 144 (DB 44). Text 1. rdj.t-jAw n JaH-©Hwty 2. sn-tA n sbA.w n p.t. jrj=j n dwA.w 3. sDm(.w) njs.tw(a) jnk mAa Hr-tp tA 4. n kA n zXA-od m s.t-mAa.t MAA.n=j 5. nx6. tw=f 7. mAa-xrw sA=f zXA-od PA-Sd mAa-xrw Lobpreis geben an Jah-Thot, die Erde küssen vor den Sternen des Himmels. Ich verehre ! Hört! Es wird gerufen: ‚Ich war gerecht auf Erden!’ Für den Ka des Zeichners in der Stätte der Wahrheit, Maanachtuef, gerechtfertigt. Sein Sohn, der Zeichner Pasched, gerechtfertigt. Kommentar Bilddarstellung

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Die Stele ist in zwei Register eingeteilt. Im oberen Teil ist Thot nach rechts orientiert als hockende Götterhieroglyphe mit Ibiskopf und Mondscheibe und Mondsichel auf dem Kopf unter der p.t-Hieroglyphe dargestellt. Links und rechts von ihm sind zwei Sterngöttinnen (vielleicht die Stunden der Nacht?) in Schutzgestus abgebildet. Im unteren Register befindet sich der Gebetstext auf sieben Kolumnen verteilt und von links nach rechts gerichtet. In der rechten Ecke ist der Stelenstifter alleine in halb kniender Anbetungshaltung mit einem langen plissierten Schurz und langer Perücke dargestellt, d. h. in der ab der Regierungszeit Amenophis' III. typischen Männertracht (s. dazu JENNI 2011 [i. Dr.]: 2). Im Grab des Pasched in Deir el-Medina ist Thot Objekt einer besonderen Verehrung gewesen. Vgl. MIFAO (Fouilles), II,2 1924/25, Fig. 54/65/93/102/103, wo Thot als Pavian vor einem Tempeleingang kauernd dargestellt ist. Maria CRAMER (1936) nimmt daher an, dass diese Stele vermutlich als Weihdenkmal in einem Thot-Heiligtum bei Deir el-Medina gestanden haben muss. Inhalt (a) sDm(.w) njs.tw: Ähnliche Stellen für diese Formel, die ansonsten in dieser Form nicht belegt ist, sind auf P.Leiden 347, 10–15 überliefert.

G.19.28:

Stele Ashmolean 1894/106, Z. 1–3/10–13

Verehrte Gottheit: Isis Datierung: 19. Dynastie (Ramses II.) Herkunft: Koptos; Tempel von Thutmosis III. Stifter: Penre Titel: Hr.j pD.t, kTn tp.j n Hm=f, jm.j-rA XAs.wt, jm.j-rA kA.wt m Hw.t Wsr-MAa.t-Ra stpn-Ra, sr n MDAj.w „Truppenoberst, Erster Wagenlenker Seiner Majestät, Oberster der Fremdländer, Baumeister im Ramesseum, Vorsteher der Medja“ Geschlecht: männlich Literatur: KRI III: 270.10–271.14, PETRIE 1896: insbes. 15–16; Taf. XIX, NIMS 1956: insbes. 147–149, GOYON 1990, KITCHEN 2000: 192–193, FROOD 2007: 192–195 (Nr. 37), diskutiert in EXELL 2009: 75–76. Text (oberes Register (von Ramses II. gesprochene Worte) 1. jrj.t snTr n mw.t=f As.t jn sA=s 2. nsw-bjty nb-tA.wyWsr-mAa.t-Ra stp.n Ra 3. sA Ra nb xA.w Ra-mss mr.y-Jmn dj=f nHH m Hb-sd Ein Weihrauchopfer für seine Mutter Isis machen, durch ihren Sohn den König von Ober- und Unterägypten, den Herrn der Beiden Länder Usermaatre Setepenre, den Sohn des Re, Herr an Erscheinungen, Ramses Meriamun.

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Möge er eine Ewigkeit an Sedfesten geben. (Von Isis gesprochene Worte, als Kolumne vor den vorderen Priestern angebracht) dj.n(=j) n=k rnp.wt @r m HoA n tA nb Ich habe dir die Jahren des Horus als Herrscher des ganzen Landes. Unteres Register 1. jm.j-rA kA.wt m tA Hw.t Wsr-mAa.t-[Ra stp-n-Ra m pr-Jmn Pn-Ra mAa-xrw 85…] 2. ¤xm.t mAa.t-xrw Dd=f jnD-Hr=T As.t […] 3. […].t=f nfr.t Hr manD.t(a) aA.t nr[w…] (…) 10. bAk jm Hr pH r njw.t=f r rdj.t-jAw n As.t r [swAS ?...] 11. ra nb wn.jn=s Hr smn Hr sr n MDAj.w pn […] 12. jw=s Hr hn n=f jw=s Hr dj.t wj r-gs=f jw=j Hr […] 13. jrj.n=j n B-nxt-tw=f mAa-xrw jw=j r jrr.w n=k (…) Der Baumeister im Tempel des Usermaat[re Setepenre im Tempel des Amun, Penre, gerechtfertigt…] Sachmet, gerechtfertigt, er sagt: Sei gegrüsst, Isis! […] […] die Schöne inmitten der Morgenbarke, gross an Furcht […] (…) 10. Dieser Diener da hatte seine Stadt erreicht, um Isis Lobpreis zu geben und um [zu ehren?…] 11. jeden Tag. Da machte sie vor diesem Vorsteher der Medja halt […] 12. sie stimmte (= nickte) ihm zu(b) und setzte mich an seiner Seite und ich […] 13. ‚was ich für Bunachtuef, gerechtfertigt, getan habe, werde ich für dich tun‘ (…) Kommentar Bilddarstellung Die Stele ist in zwei Register einteilt, wobei die untere Hälfte des unteren Registers fehlt. Der obere Teil stellt eine Barkenprozession dar. Die nach rechts gerichtete heilige Barke der Isis (As.t wsr.t mw.t nTr „Isis, die Mächtige, die Mutter der Götter“) wird von 12 Priestern getragen und ein Priester, der ein Pantherfell trägt, steht an der Rechten der Barke. Seine linke Hand ist in Anbetung erhoben, der rechte Arm ist dagegen dem Körper entlang hängend dargestellt. Der Priester erfüllt in der Struktur der Darstellung die Funktion eines Raumteilers. Er teilt die 12 Priester in genau zwei Gruppen von sechs Priestern ein, die wiederum in zwei Dreiergruppen eingeteilt sind. Seine Gestalt steht entspricht genau der Mittelachse der Barke, auf deren linken und rechten Seite die Wedel gegenüber stehend dargestellt sind. Oberhalb des Naos ist ein Geier dargestellt, der einen Sn-Ring greift. Auf der rechten Seite dieser Szene, nach links d. h. gegen die Barke orientiert, beweihräuchert Ramses II. (durch die Kartusche identifizierbar) die Barke der Isis; über ihn ist er Horusfalke abgebildet, in dessen Krallen er die Hieroglyphe für 85

Ergänzung der lacuna nach FROOD 2007: 194.

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das Sedfest festhält. Die Oberhalb dieser Szene angebrachte Inschrift beschreibt das von Ramses II. ausgeführte Weihrauchopfer vor der Prozessionsbarke; eine Kolumne vor den vorderen Priestern wiedergibt die an Ramses II. gerichtete Worte von Isis. Im unteren Teil, wo der leider sehr stark beschädigte Gebetstext in 18 Kolumnen angebracht ist, war wahrscheinlich Penre auf der rechten Seite – vielleicht in Begleitung seines Vaters Bunachtef – nach links gerichtet und in Anbetungshaltung dargestellt. Inhalt Der Text berichtet von der Ernennung Penres zum Vorsteher der Medja als er aus einer Mission in Khor in seine Heimatstadt Koptos zurückkam und wofür er Isis während ihrer Prozession verehrte und dankte. Das besondere an diesem Text ist mit Sicherheit die Beschreibung einer Orakelsituation (Z. 11-13): Es wird berichtet, dass die Prozessionsbarke vor Penre anhielt und wie diese eine Bewegung machte, was das Orakel einführte. Bunachtuef, der Penre begleitete und wahrscheinlich dessen Vater war, befragte das Orakel und bat ihm, Penre dieselben Ehren und Titel zukommen zu lassen, die er hatte. Auf diese Bitte bekam er eine positive Antwort 86 und als Danke dafür, liess Penre diese Stele Isis zu Ehren errichten, die dieses Ereignis sowohl bildlich als auch schriftlich verewigt und deren Anfertigung eine für Privatstelen aus der Peripherie sehr aussergewöhnliche Qualität 87 widerspiegelt. Dies lässt sich jedoch vor dem Hintergrund der Tatsache erklären, dass Penre der Baumeister des Ramesseums war (vgl. Kat. G.19.19) und somit Zugang zu den zentralen Werkstätten und Handwerkern haben musste, was die erhebliche Menge an Denkmäler erklärt, die er für sich selbst anfertigen liess (FROOD 2007: 192). (a) nfr.t Hr manD.t manD.t „ (o du) Schöne inmitten der Morgenbarke“: Man beachte hierbei E. FROODs (2007: 194) Übersetzung „perfect of face in the day barque“. Der Titel nfr.tHr mit Bezug auf Isis ist jedoch m. W. nicht zu treffen (so auch nach MÜNSTER 1968) und ist nur in der Variante nfr-Hr für männliche Gottheiten (insbes. Ptah) belegt. Aus diesem Grund wird hier die Übersetzung „(o du) Schöne in der Morgenbarke“ bevorzugt. In dieser zweiten Variante stünde zudem dieses Epitheton parallel zum folgenden aA.t nrw […] „Mit grosser Furcht […].“ Die Schwierigkeit bei dieser Lesung liegt in der Präposition Hr. Die hier vorgeschlagenen Emedierung mit Hr basiert auf P.Boulaq 17, 4.2: #prj Hr.j-jb wjA=f „Chepri, inmitten seiner Barke“ (s. LUISELLI 2004: 11). (b) jw=s Hr hn n=f „sie stimmte (= nickte) ihm zu“: hiermit beziehe ich mich auf FROOD 2007: 252, Anm. 7, wo sie darauf hinweist, dass das Anhalten (smn, Z. 11) der Barke und ihre Bewegung (hn) die typischen Ausdrücke einer Orakelsituation darstellen.

G.19.29: 86 87

Stele Kairo CM171

Ob Penre die Ämter erst nach der Begegnung mit dem Orakel der Isis und dessen Befragung zugeschrieben wurden ist nicht eindeutig. Siehe dazu NIMS 1956: 148. Die Originalhöhe der Stele muss ca. 1,5 m betragen haben. Der heute noch erhaltene Teil ist 0,95 m hoch (FROOD 2007: 192).

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Verehrte Gottheit: Upuaut Datierung: Ramessidenzeit Herkunft: Assiut; Grab Djefaihapis III. (sog. Salakhana Trove) Stifter: Tajay Titel: Smay.t n Wp-wA.wt „Sängerin des Upuaut“ Geschlecht: weiblich Literatur: DUQUESNE 2004: 42–47, DERS. 2007: 49–50, DERS. 2009a: 203–208 (mit zusätzlicher Literatur), DERS. 2009b. Text B (oberes Register, fünf Textkolumnen) jAw n kA=k Wp-wA.wt nb ¤Awt sn-tA n Hr=k nfr dj=k anx wDA snb n kA n Smay.t n Wp-wA.wt nb ¤Awt tA-IAy mAa(.t)-xrw Lobpreis deinem Ka, Upuaut, Herrn von Assiut! Die Erde küssen vor deinem schönen Gesicht! Mögest du Leben, Heil und Gesundheit geben! Für den Ka der Sängerin des Upuaut, des Herrn von Assiut, Tajay, gerechtfertigt. Text C (oberes Register, mittlere vier Kolumnen) Htp pA Htp(.w) mtj bAk nb 88 btA mtj nb(?) r (?) Htp(a) an n=j Wp-wA.wt jnk Sry(.t) n tAy=k jHt ms m pAy=k jhyt mj.n=j jry=k(?) mn.tw jAw(?) ns(?) Sei gnädig, oh du Gnädiger! Ein Diener neigt zum Verbrechen, ein Herr zur Gnade. Wende dich mir zu (= Vergib mir), Upuaut! Ich bin das Kind deiner Kuh, geboren in deinem Stall! Komm zu mir! Mögest du einen festen Ort machen (?). Text D (unteres Register, zwei horizontale Zeilen) jAw n Wp-wA.wt pA nTr an od Hr-TAw Htp.y nb Htpyw dj=k ahaw nfr Hr Sms kA=k n kA n Smay.t n [Wp-wAwt ¦A-jAy] Lobpreis an Upuaut, den gütigen Gott, 88

Diese Rekonstruktion basiert auf der ähnlichen Formel in Kat. G.19.17. Man beachte, dass DUQUESNE 2009a: 204 C die Stelle als mtj bAk nb (r)-btA rekonstruiert.

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der auf dem Lufthauch erschuf! Sei gnädig, oh du Gnädiger! Mögest du eine schöne Lebenszeit in der Gefolgschaft deines Ka geben! Für den Ka der Sängerin des [Upuaut, Tajay]. Kommentar Bilddarstellung Die oben abgerundete Stele ist in zwei Register eingeteilt, wobei das obere den grössten Platz einnimmt. Es zeigt eine stehende und nach rechts gerichtete weibliche Figur mit einer langen Perücke, einer Lotusblume auf dem Kopf und einem langen weiten Kleid. Mit dem linken Arm übt sie die Anbetungsgestik aus, während sie mit der rechten Hand ein Sistrum opfert, was sie als Sängerin oder generell als Musikerin identifiziert. Vor ihr hebt sich eine hohe Standarte empor, auf der ein Bild des Upuaut steht. Die Standarte ist auf einem mobilen Pedestal errichtet, was ein Hinweis dafür sein kann, dass dieses Bild des Upuaut in Prozessionen getragen wurde. Auf dem Pedestal sind links und rechts der Standarte zwei kleine Männerfiguren zu erkennen: Der linke Mann verehrt die Standarte, während der Mann auf der rechten Seite die Standarte zu halten scheint. Links und rechts der Standarte sind auch sechs Schakale zu erkennen, die wahrscheinlich die Standarte begleiteten und auf weiteren Stelen aus Assiut abgebildet sind. Ein ausgestatteter Opfertisch ist zwischen der Frau und der Standarte zu erkennen. In diesem Register sind auch mehrere Kolumnen Inschrift angebracht, wobei sie zwei unterschiedliche Texte (B und C) beinhalten. Der untere Teil der Stele besteht aus zwei horizontalen Inschriftenzeilen (Text D). Inhalt (a) mtj bAk