Vom Wiener Congresse bis zum zweiten Pariser Frieden

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Vom Wiener Congresse bis zum zweiten Pariser Frieden

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Diplomatiſche

Geſchichte

der Jahre

1813 ,

1814 ,

1815.

Zweiter Theil .

Vom wiener Congreſſe bis zum

zweiten pariſer Frieden .

1805

Leipzig :

F.

poderátor

1863.

26.

ด.

573

Inhaltsverzeichniss.

Zweiter Theil . Vom wiener Congreſſe bis zum zweiten pariſer Frieden. Erſter Abſchnitt. Seite Uufgabe des wiener Congreſſes. Sein geſellſchaftlicher Charakter. Der Zwieſpalt über die Art , wie die Hauptfragen zu löſen ſeien , verzögert den Anfang der Verhand Yungen ; Talleyrand weiß Frankreich aus der untergeordneten Stellung, welche der erſte pariſer Friede ihm angewieſen hat , zu erheben , und es den übrigen Groß mächten in jeder Beziehung gleichzuſtellen . Der Congreß ordnet den zu beobach tenden Geſchäftsgang an . Die Vereinigung Genuas mit dem Königreiche Sardi 136 nien wird ausgeſprochen .

Zweiter Abſchnitt. Ordnung der Gebietsverhältniſſe auf dem wiener Congreſſe , beſonders in Bezug auf 37 - 141 Sadjen und Polen .

Writter Abſchnitt. Berhandlungen über die Deutſchland zu gebende Bundesverfaſſung

142 -- 243

Vierter Abſchuitt. Ordnung der Schweizer Angelegenheiten , der Gebietsverhältniſſe in Italien und Deutſchland. Verhandlungen wegen der Entſchädigungsanſprüche Baierno , wegen der Rheinſchiffahrt , bes Negerhandels und der Rangverhältniffe. Verzögerte Ge nehmigung des Königs von Sachſen in Bezug auf die Theilung ſeines Landes 244 282 Fünfter Abſchnitt. Erneuerung des Arieges durch Napoleon's Rüdehr nach Frankreich. Nechtung Napo : Yeon's. Fouché’e Umtriebe gegen ihn. Napoleon's Sturz. Wiedereinjeßung 283 -- 308 Ludwig'8 XVIII . .

VIII

Sechster Abſchnitt. Seite Schilderung der politiſchen Lage , aus welcher der zweite Friede von Baris hervor ging. Dentſchrift des ruſſiſchen Bevollmächtigten Capodiſtrias. Talleyrand's Ein gehen auf dieſelbe. Denkſchriften des preußiſchen Bevollmächtigten von Humboldt und des preußiſchen Generals von Kneſebeđ. Des Hannöverſchen Bevollmächtigten Grafen Münſter Bemühungen um eine Frankreichs öftliche Nachbarn beſſer ſichernde Grenze. Gründe , weshalb der Elſaß und Lothringen bei Frankreich blieben. Metternich's Dentſchrift. Caftlereagh's Friedensvorſchläge. Rechtfertigungsver ſuch der vier verbündeten Großmächte wegen der Nusſ(ließung ihrer Bundes 309 - 358 genoſſen von den Friedensunterhandlungen Siebenter Abſchnitt. Fruchtloſe Beſtrebungen der Mächte zweiten Rangs bei den pariſer Friedensunterhand lungen mitzuwirken. Graf Winzingerode für Würtemberg und von Gagern für furemburg unterſtüßen in ihren Denkſchriften die preußiſche Forderung einer beſſern deutſchen Grenze. Wellington's dagegenſprechendes Gutachten . Stein's vergebliches Bemühen Alexander zu Zugeſtändniſjen für Deutſchland zu bewegen. Hardenberg's Dentſdriften. Verhandlungen über die von den Verbündeten aufgeſtellten Friedens bedingungen. Franzöſiſche Denkſchrift über dieſelben. Rußlands Einfluß , den jenigen Englands überwiegend , verdrängt Talleyrand und fett Richelieu an deſſen Stelle. Antwort der Verbündeten auf die franzöſiſche Denkſchrift. Stiftung der heiligen Alliance. Abſchluß des zweiten pariſer Friedens. Urjadjen , weshalb der ſelbe die durch den erſten pariſer Frieden feſtgeſtellten Gebietsverhältniſſe nur in 359-420 unweſentlichen Stücken abänderte

Anhang. Beilage I. Artikel , welche im Namen der Höfe von Wien , Berlin und Hannover in der Verſammlung der Bevollmächtigten von Oeſterreich, Preußen , Baiern, Hannover , Würtemberg am 16. Oct. 1814 vorgelegt wurden und unbeſchadet der ſpäter eingereichten Bundesverfaſſungsentwürfe zur Grundlage der Verhandlungen 421 423 gedient haben Beilage II . Entwurf einer Verfaſſung des zu errichtenden deutſchen Staatenbundes mit Eintheilung der Bundesſtaaten in Kreiſe. Von den fönigl. preußiſchen Bevoll 423 443 mächtigten vorgelegt im Februar 1815 Beilage III . Deutſche Bundesacte , unterzeichnet zu Wien den 8. Juni 1815 . 444 451 Beilage IV. Schlußacte der über die Ausbildung und Befeſtigung des deutſchen Bun 451 - 463 des zu Wien gehaltenen Miniſterialconferenzen vom 15. Mai 1820

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Erfter Abſchnitt.

Xufgabe des wiener Congreſſes. Sein geſellſchaftlicher Charakter. Der Zwieſpalt über die Art, wie die Hauptfragen zu löſen ſeien , verzögert den Anfang der Verhandlungen ; Taleyrand weiß Frankreich aus der untergeordneten Stellung, welche der erſte pariſer Friede ihm an gewieſen hat , zu erheben , und es den übrigen Großmädyten in jeder Beziehung gleichzu ſtellen . Der Congreß ordnet den zu beobachtenden Geſqäftsgang an. Die Vereinigung Genuas mit dem Königreiche Sardinien wird ausgeſprochen . Der 32. Artikel des Friedens von Paris vom 30. Mai 1814 ſetzte feſt: ,, In Zeit von zwei Monaten werden alle Mächte, weldie von bei ben Seiten in den gegenwärtigen Krieg verwickelt geweſen ſind, Bevoll mächtigte nad Wien ſenden , um in einem allgemeinen Congreſſe die Ein richtungen zu vereinbaren, welche die Beſtimmungen des gegenwärtigen Ver trags ergänzen ſollen .“ Der Wunſch der verbündeten Herrſcher als Sieger in die Hei math zurüđzukehren , das Beſtreben Englands den Friedensſchluß, durch welchen ſeiner ferneren Zahlung der Hilfsgelder das erſehnte Ziel geſeßt wurde, zu beſchleunigen , und der Umſtand , daß dieſer Friede dennoch die Grundlage der neuen ſtaatlichen Ordnung für das dyriſtliche Europa bilden ſollte , waren die zuſammenwirkenden Ur fadyen geweſen , weshalb in der Urkunde des pariſer Friedensver trags nur die Grenzen Frankreichs und die Bedingungen , unter welchen es zu den kriegführenden Mächten wieder in freundſchaftliche Verhältniſſe trat , feſtgeſtellt wurden, hingegen die Vertheilung der dem franzöſiſdhen Kaiſerreiche und einigen ſeiner Bundesgenoſſen abgenom menen Länder , ſo wie einige andere allgemeine Fragen fernerer Vereinbarung überlaffen blieben . II. 1

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Nur England hatte ſich von Frankreich die eroberten Colonien, welche es demſelben nicht zurüderſtattete, endgültig abtreten lafſen ; auch geſchah dies hinſichtlich der Inſel Malta nebſt Zubehörungen, deren Befiß für Englands Anſehen im Mittelländiſchen Meere von großer Wichtigkeit war. Deſterreich und Schweden hatten durch Nebenverträge dafür geſorgt, daß die fóließliche Feſtſtellung ihres Län dergebiete ihren Forderungen entſpreche. Die übrigen Mächte erwar teten die Beſtimmung ihrer Grenzen vom Congreffe. Groß war die Maffe der unter die Sieger zu vertheilenden Länder , größer die Sdwierigkeit fte ſo zu vertheilen, daß die Befriedigung der Anſpruch: berechtigten und jenes europäiſche Gleichgewicht erreicht wurde, welches nach mehr, als zwanzigjährigem Kampfe dem erſchöpften Welt theile dauernde Ruhe fichern ſollte. Neben der Bertheilung der er oberten Länder wollte man ſich im Congreffe mit den für Deutſch land und die Schweiz zu ſchaffenden Bundesverfaſſungen , ſo wie mit den Maßregeln zu allgemeiner Abſchaffung des Negerhandels und des Alſeitige von den Barbaresken verübten Seeraubs beſchäftigen. Gewährleiſtung follte die Wirkſamkeit der gefaßten Beſchlüſſe erhöhen. Wegen der vorherigen Rüdkehr des Kaiſers von Rußland in ſeine entlegene Hauptſtadt und der Zuſammenberufung des enge liſden Parlaments , an deſſen Sißungen Lord Caftlereagh , der Haupt = vertreter Englands im Congreſſe , theilnehmen mußte , wurde aber die Eröffnung bis zum 1. Oct. verſdjoben. Als der genannte Zeit punkt herannahte, da ſtrömten zu dieſer europäiſchen Verſammlung, theils um eigene, oder fremde Intereſſen zu vertreten , theils um den glanz- und prachtvollen Feften beizuwohnen , oder ſie mit be reiten zu helfen , und davon Vortheil zu ziehen , außer den zunächſt betheiligten Fürſten , Staatsmännern und Heerführern eine außer ordentliche Menge hohen und niederen Adels , Gewerbtreibender, Künſtler und Glüdsritter jeder Art aus allen Theilen Europas in Wien zuſammen , wo ſich plöglich ein noch nie geſehenes Le ben entwickelte. Der Zuwachs, den die wiener Bevölkerung das durd erhielt, wurde auf 100000 Menſchen geſchätt. Die innere Stadt war ſo von Fremden angefüllt, daß viele der Vor nehmſten in den Vorſtädten wohnen mußten , und es war voraus zuſehen, daß manchen Hausbeſitern durch den übermäßig geſteiger ten Wohnungszins , wofern der Congreß mehrere Monate dauerte, faft der ganze Werth ihrer Käufer bezahlt werden würde, denn der engliſche Geſandte Lord Caftlereagh z. B. zahlte für ſeine Wohnung monatlich 500 Pfund Sterling.

3 Am 23. Sept. kamen der Kaiſer · von Rußland und der Kö nig von Preußen in Wien an , wo fie unter Geſchüresdonner, Glodengeläute und großem kriegeriſchen Gepränge empfangen wur den. Kaiſer Franz traf auf dem , am linken Donauufer liegen den Ende der Taborbrüde mit ihnen zuſammen , und hieß fie unter den lebhafteſten Verſicherungen ſeiner Freundſdyaft willkommen . Die Volksmenge jubelte den Herrſchern zu , weil ſie in den zärtlichen Um armungen derfelben ein Zeichen wahren Einverſtändniſſe und eine fichere Bürgſchaft für die Fortbauer des allen ſo theueren Friedens erblidte. Gegenſeitige Verleihung ihrer höchſten Drden und ausge zeichnetſten Regimenter wurden als fernere Unterpfänder für die Fort= dauer der bie Monarchen beſeelenben freundſchaftlichen Geſinnungen , auch nach Erreichung des durch ihr Bündniß erſtrebten Zieles, betrachtet. Um die Innigkeit des Verhältniſſe zwiſchen Deſterreich und Ruß land beſto anſchaulicher zu machen, hatte die Kaiſerin von Deſterreich für das dem Raifer von Rußland verliehene öſterreichiſche Regiment eigenhändig eine Fahne geſtiđt, worauf in goldener Schrift die Worte glänzten : ,, Beſtändige Bündniß zwiſchen den Kaiſern Alexander und Franz.“ 1) Sahen auch denkende Staatsmänner dieſe Rundgebungen bundes freundlicher Geſinnung mit ganz andern Augen an , als jene vom Schein geblendete Menge , ſo ahnte doch damals keiner , daß ' Raiſer Franz gegen dieſe gefeierten Bundesgenoſſen ſchon drei Monate ſpäter, und während ſie noch als Gäſte unter dem Dache feiner kaiſerlichen Burg weilten , heimlich einen Kriegsbund mit England und Frankreich ſchließen werde, mit Frankreich, welches eben erſt durch die vereinten Anſtrengungen der ſo ſchnell wieder Entzweiten beſiegt worden war . Auch die Könige von Dänemark, von Baiern und Würtemberg erſchienen in Wien , und erhielten ebenfalls Wohnungen in der kai ſerlichen Burg. Ferner waren zugegen : der Großherzog von Baden, der Kurfürſt und der Erbgroßherzog von Heſſen , die Herzöge von Sachſen - Weimar und Roburg , die Fürſten von Naſſau - Weilburg, Hohenzollern , Schaumburg - Lippe , Reuß und Liechtenſtein , ſowie eine große Anzahl jeßt der Landeshoheit Anderer untergebener Fürſten. Obgleich durch Bevollmächtigte vertreten , trieb ſie alle der Wunſd , deren Schritte zu überwachen, und auch perſönlich für den Erfolg ihrer Beſtrebungen zu wirken . Wien ward durch den Congreß

1) De la Garde, Congrès de Vienne, II, 12, 15, 17, 47. 1*

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zur Hauptſtadt des chriſtlichen Europas erhoben. Die Fürſten , welche durch Napoleon ihre landesherrlichen Rechte verloren hatten , hofften hier nach deſſen Sturze ihre frühere Stellung wieder zu erlangen, überzeugten ſich aber bald , daß die Sieger, ungeachtet ihres erklär ten Abſdheues gegen Napoleon's Thaten, nur in ſo weit die von dem ſelben zertrümmerten ſtaatlichen Einrichtungen wiederherſtellten , als es ihnen im eigenen Intereſſe vortheilhaft dünkte. Durch ihre perſönlichen Eigenſchaften zeichneten ſich unter den nicht regierenden Fürſten aus : der bisherige Vicekönig von Italien Eugen Beauharnais und der Kronprinz von Würtemberg. Jener hatte je: doch ſeine Geltung in der glänzenden Geſellſchaft mehr der achtungs vollen Freundſchaft des Kaiſers Alexander , als ſeiner Verſchwäge rung mit dem Könige von Baiern zu danken. Als ihm aber fein kaiſerlicher Gönner nicht zu der im pariſer Friedensvertrage verheiße= nen fürſtlichen Stellung verhalf, mußte ſein Schwiegervater das baie riſche Herzogthum Leuchtenberg für ihn ſchaffen , um Tochter und Enkel mit dem fürſtlichen Glanze auszuſtatten , welche die erbeuteten Reich thümer Eugen's , die einzigen Neſte früherer Herrlichkeit, ihnen nicht zu gewähren vermocht hätten . Der Kronprinz von Würtemberg ſtand ebenfalls bei dem Kaiſer von Rußland , ſeinem nachmaligen Schwager, wegen des von ihm im leßten Feldzuge errungenen Ruhmes in beſonderer Gunſt; allein audh die öffentliche Meinung war für ihn , weil er auf Anregung des Freiherrn vom Stein für geſeklide Freiheit, allgemeine Bewaff nung und Gewährleiſtung von Preßfreiheit zu wirken ſich bemühte. Doch war dies edle Streben nicht erfolgreid). Nicht einmal den zur Zeit thatſächlich beſtehenden , ziemlich befriedigenden Preſverhältniſſen, weldje zur Entflammung des deutſdien Volkes gegen die fremden Unterdrüder ſo außerordentliche Dienſte geleiſtet hatten , vermodyte er den ihnen fehlenden geſeßlichen Schuß zu verſchaffen. Sobald man des Beiſtandes der Preſſe gegen die äußern Feinde nicht mehr be durfte , erblickte man im bisherigen Bundesgenoſſen einen innern Feind, welchen man durch Cenſurwillkür zu knebeln ſich beeilte. Des Königs von Würtemberg despotiſcher Charakter trat durch die Freiſinnigkeit ſeines Sohnes um fo bemerkbarer thervor. Die durch Napoleon's Gnade empfangene Königskrone hatte ſeinen Stolz und ſeine Anſprüche in faum glaublicher Weiſe geſteigert, und je weniger man leştere als berechtigt anerkannte, deſto unerträglicher warb ſein Benehmen. Der Freiherr vom Stein äußerte über ihn brieflids: „ Es iſt lädjerlich zu hören , wie er ſich bewegt , ſich quält,

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ſeine Umgebungen plagt , die ſich die erhaltene Dhrfeige bezahlen laffen , worüber ſie mit ihm offene Rechnung auf Zeit haben. Man muß hoffen , daß endlich der Despotismus dieſes kleinen Sultans zerſtört, daß er verbunden werden wird auf einer Linie zu bleiben, oder ſich entſchließt vor Verger zu berſten. Man ſollte ihn nach der Inſel Elba bringen. Dieſe Tyrannen zuſammen würden Poſſen zum Todtlachen ſpielen ." 1) Was die in Wien verſammelten Diplomaten betraf, fo fehlte unter ihnen mit Ausnahme einiger Franzoſen keiner von hervorra gender Bedeutung. Deſterreich erſter Bevollmächtigter war der Mis niſter des Neußeren , Fürſt Metternidh. Durch gewinnende Eigen = ſchaften ſein diplomatiſches Vorbild , den Fürſten Talleyrand , weit übertreffend , an Verſtellungskunſt, Kaltblütigkeit und Schlauheit ihm gleich , beſaß er weder deffen umfaſſende Kenntniffe, noch deſſen Kühn heit und Folgerichtigkeit in politiſchen Berechnungen. Er liebte es die Ereigniſſe ſo lange, als möglid abzuwarten , verwidelte ftdy nicht ſelten in Widerſprüche, und ſchien oft Ränke mehr aus Liebhaberei zu ſdymieden , als weil es ſeine Zwede erforderten. Seinem Hange zu maßloſer Verſdwendung fonnte er nur durch die Rücfichtsloſigkeit genügen , mit welcher er Schäße zu erwerben fortwährend bemüht war. Mit dem Kaiſer Franz , deſſen Selbſtändigkeit und Schlau heit bei weitem unterſdjäßt zu werden pflegen , ſtets in gutem Ver nehmen , wußte er ſich demſelben durch kluge Nachgiebigkeit und durch geſchickte Löfung der von dieſem ihm geſtellten politiſchen Aufgaben unentbehrlich zu machen . Freiherr von Weſſenberg dagegen , der zweite Vertreter Defter reiche, ein erfahrener einſichtsvoller Staatsmann und freiſinnigeren Anſichten nicht abhold , hatte dieſer , ſeinem kaiſerlichen Herrn verhaß = ten Richtung ſeine baldige Entfernung von den Staatsgeſchäften zuzu= ſchreiben. Der durch ſeine gewandte Feder ebenſo ſehr, als durch ſeine Genußſucht, Käuflichkeit und lächerliche Schredhaftigkeit bekannte Hofrath von Gent war ihnen als Protokollführer bei den allgemei nen Conferenzen beigegeben . Rußlands erſtem Vertreter , dem ſchon bejahrten Grafen Ra fumowski, hatte Kaiſer Alexander , welcher die Seele der ruſſiſchen Diplomatie war , viele Gehilfen zugefellt. Sie waren : der damalige Botſchafter in Wien Graf Stackelberg, der von Metternich ſtark beeinflußte Staatsſecretär Graf Neſſelrode , Graf Pozzo di Borgo, 1) Pery , leben Stein's , IV , 108. ,

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,

der unverföhnliche Feind und landsmann Napoleon's , der ge wandte und einſichtsvolle Graf Capodiſtrias, nachmaliger Präft dent von Griechenland, für deffen Befreiung er ſchon damals in Wien Pläne entwarf, und der Staatsrath von Anftett. Der Jugendfreund Alerander's Fürſt Czartoryiſti wurde von demſelben in den polniſden Angelegenheiten mit Aufträgen verſehen. In größerem perſönlichen Anſehen , als alle dieſe ruſſiſchen Di plomaten ſtand aber der Freiherr vom Stein bei dem Raiſer Aleran der.

Ohne in deſſen Dienſten zu ſein , fanden ſeine Vorſdíläge, die

er aud unaufgefordert bei jeder wichtigen Angelegenheit machte, ſtets williges Gehör. Seine Gegner nannten ihn daher ſpottend, den Selbſtbevollmächtigten . In ſtaatsmänniſcher Hinſicht feinem weis dend , ragte er burd Willensſtärke , Uneigennüßigkeit und männlichen Freimuth über alle hervor, und obwol ſtolz auf ſein altes reichs freiherrliches Geſchlecht, waren er nebſt Wilhelm von Humboldt und Graf Münſter die einzigen auf dem wiener Congreſſe hervorragen den Kämpfer für die Rechte des deutſchen Volkes gegen fürſtliche Willkür. Wegen der unvergänglichen Verdienſte, welche Stein um Preußens ſtaatliche Wiedergeburt ſich erworben hatte , ſtand er auch in vertrauten Beziehungen mit deſſen Bevollmächtigten. Dieſe waren : der Staatskanzler Fürft þardenberg und der Frei herr Wilhelm von Humboldt. Mit der Gewandtheit , durch weldie þardenberg das franzöſiſche Cabinet bis zum Abſchluſſe des Bünd: niffes mit Rußland über die preußiſche Politik zu täuſdien verſtanden hatte , ſtand die Leichtfertigkeit, womit er wiederholte günſtige Ge legenheiten verſäumte Preußen bündige Zuſicherungen dafür zu ver ſchaffen , daß es ein ebenſo umfangreides und geſchloſſenes Ge biet erhalten ſolle, als es vor dem Frieden von Tilſit beſeſſen hatte, in verderblichem Gegenſaße. Seines Gehülfen, des gelehrten Wilhelm von Humboldt ſcharfſinnige Denkſdriften und gefürchtete Unterhandlungskunſt vermochten die von Erſterem begangenen Fehler in Wien nicht mehr gutzumachen. Englands Bevollmächtigte waren : der Staatsſecretär Lord Caſtle reagh , Lord Cathcart, bisheriger Botſchafter in Petersburg , Lord Clancarty , zulegt Botſchafter im þaag , und Lord Stewart , Caſtle reagh's Bruder und Geſandter am wiener Şofe. Caſtlereagh, unter dieſen nicht bedeutenden Diplomaten der vornehmſte, war weit davon entfernt jenen großen britiſchen Staatsmännern zu gleichen , welche, mit ſcarfem Blicke ihres Landes wahren Vortheil erſpähend , dieſen mit unterſchütterlicher Beharrlichkeit verfolgten. Nachdem er in Paris

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burd liebedienerei

gegen

Ludwig XVIII.

und

Beeinträchtigung

Deutſchlands, dieſes natürlichen Bundesgenoſſen Großbritanniens, ge= Fehlt und in der Schöpfung des nicht lebensfähigen Königreiche der Niederlande ſeine Kurzſichtigkeit bewieſen hatte , zeichnete er ſich in Wien dadurch aus , daß er als eifriger Bertheidiger der preußiſchen Entſchädigungsanſprüche ſeine diplomatiſche Thätigkeit begann und wenige Wochen ſpäter , ohne daß die politiſchen Verhältniſſe ſich in zwiſden geändert hatten , mit Metternich und Talleyrand gegen Breu fen ſich verband . In den deutſchen Angelegenheiten ließ er ſich von dem Grafen Münſter leiten , der zugleich mit dem grundjagloſen Grafen Hardenberg Hannover vertrat. Graf Münſter trug dem preußiſchen Staate die Belegung Han novers im Jahre 1806 nach , und ärgerte ſich darüber , daß die un geahnte Kraftentwidelung Preußens , welches er haßte , ſeinen Traum von einem großen welfiſdhen Königreiche zwiſchen der Maas und der Elbe, für welden er den Prinz - Regenten von England zu intereſ firen gewußt hatte, zernichtete. Mit der plöglichen Aenderung der engliſchen Politik gegen Preußen völlig einverſtanden , trug er nach Kräften dazu bei den Prinz - Regenten und das engliſche Miniſterium darin zu beſtärken . Sdweden , vertreten durch den Grafen von Löwenhielm , Ge= fandten in Petersburg , Spanien durch den Chevalier Gomez fa= brador , und Portugal durch den Grafen Palmella - Souza - Holſtein, Geſandten in London , den Grafen Saldanha da Gama, Geſandten in Petersburg , ſowie den Chevalier Lobo de Silveira , Geſandten in Wien , hatten die Beachtung, welche man ihren Bevollmächtigten jchenfte , mehr dem Umſtande , daß ſie Mitunterzeichner des pariſer Friedensvertrags waren , als deren wirklicher Bedeutung zu verdan ken ; auch waren die politiſchen Verhältniſſe dieſer Staaten durch Ver träge ſchon größtentheils geordnet. Frankreich dagegen , welchem die Bedingungen dieſes Friedens faſt nur die Rolle eines großmüthig geduldeten Zuſchauers auferlegten, erlangte durch die Geſchidlichkeit, womit ſein Hauptbevollmäch tigter Talleyrand , Herzog von Benevent , die Gunſt der Umſtände zu benuten wußte , bald alle Befugniſſe, welche die übrigen Groß mächte, ſeine Sieger, für ſich allein beanſprucht hatten. Dieſer ge fchmeidige Staatsmann , der nacheinander der Republik , dem fai ſerreiche und dem wiederhergeſtellten Königthume dienend , die Kunſt bewährt hatte durch rechtzeitigen Verrath der ſiegenden Regierung ſich

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zu empfehlen , verdunkelte ſeine diplomatiſchen Gehülfen dergeſtalt, daß man ſie neben ihm faum beachtete. Den Herzog von Dalberg , den Neffen des ehemaligen Groß herzogs von Frankfurt, hatte man ihm wegen deſſen Kenntniß der deutſchen Verhältniſſe zugeſelt. Man hoffte durch ihn Verbindungen mit einflußreichen Perſonen anzuknüpfen , allein dem in einen fran zöſiſchen Herzog umgeprägten deutſchen Freiherrn ward faſt überall mit der dem Ueberläufer gebührenden Verachtung begegnet. Er , wie ſein Oheim , hatte den Sorn der deutſchen Vaterlandsfreunde erregt. „ Wenn früher “, ſagte man mit bitterem Hohne , „ der Herold bei der Kaiſerfrönung vor dem Ritterſchlage die Frage erſdalen ließ : 3ft kein Dalberg da ? - fo follte man jetzt mit derſelben Frage die Berſteigerung erledigter Sdjarfrichterſtellen eröffnen ." Als Dalberg den Freiherrn vom Stein beſuchen wollte, ließ dieſer ihm burdy den anmeldenden Diener ſagen : „ Romme der Herzog als 1 Geſandter Frankreichs, ſo werde er ihn annehmen ; komme er aber als Herr von Dalberg , ſo werde er ihn die Treppe hinunterwerfen laffen." Nur der Freiherr von Gagern , weldem Stein audy zurief : er möge über das Bataviſiren das Germaniſiren nicht vergeſſen, nahm fidh ſeiner an , und entſchuldigte dies mit der widerſinnigen Phraſe : „ die Art hiſtoriſcher Poeſie , die ſeinen Namen umſchwebe, laſſe ver geffen , daß er ein Deutſcher ſei". :) Gerade jene hiſtoriſchen Er innerungen aber ſchärften den Groll gegen ihn. Freilich hatte Ga gern ſelbſt geraume Zeit lang in Napoleon, dem Verderber Deutſch lands, einen neuen Kaiſer des Decidents verehrt. Die Grafen fatour du Pin und Noailles, welche nur ihrer Abkunft ihre Stellen verdankten , und der von Napoleon wegen ſeiner Ge wandtheit oft gebrauchte Staatsrath be Labesnardière waren die übri gen Glieder der franzöſiſchen Gefandtſdaft . Xußer den Vertretern dieſer acht Mächte, weldie den fariſer Frieden unterzeichnet hatten , ſind als Congreßbevollmächtigte zu nennen : für den König von Dänemark: die Grafen Joachim und Chriſtian von Bernſtorff, für den Konig von Sicilien : der Commandeur Ruffo und der Herzog von Serra Capriola,

) Berg , IV , 114.

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für den Graf für den für den

König von Sardinien : der Marquis von St. - Marjan und Roſſi, Großherzog von Toscana : Don Neri Corſini, Bapft: der Cardinal Conſalvi, für die Niederlande : die Freiherren von Spaen und von Gagern. Letzterer vertrat zugleidy als Bevollmächtigter des Geſammt= hauſes Naſſau - Oranien den Herzog von Naſſau, welcher jedoch aud ſeinen Miniſter von Marſdal nach Wien geſendet hatte. Er zeichnete ſich unter den deutſden Diplomaten durch Kennt niſſe und Einſicht, leider aber auch durch ſein Beſtreben aus den Vortheil der Niederlande auf Roſten Deutſchlands zu be fördern. Ferner find als Bevollmächtigte zu nennen : für den König von Baiern : der Fürſt Wrede , als Diplomat noch unglüdlicher , wie als Feldherr, für den König von Würtemberg : der Graf von Winzingerode und der Freiherr von Linden, für den Großherzog von Heſſen : der Freiherr von Türkheim, für den Kurfürſten von Heſſen : der Graf Keller und von Pepell, für den Großherzog von Baden : der Freiherr von Fađe, für den Herzog von Braunſchweig: von Schmidt- Phiſelded , für den Herzog von Medlenburg- Schwerin : der Freiherr von Plej fen , durch ſeine Fähigkeiten in größerem Unſehen ſtehend, als mancher höher geſtellte Geſandte,

für den Herzog von Medlenburg - Strelit : von Derzen, für die anhaltſchen Herzogthümer : von Wolframsdorf, für die fächſiſdien Herzogthümer : von Gersdorf , von . Minkwitz, von Erfa , von Baumbach, und Fiſchler von Treuberg, für Sdwarzburg - Sondershauſen und Rudolſtadt: von Weiſe und von Kettelholdt,

für Hohenzollern - Bedingen und Siegmaringen : von Frank und von Kirchbauer,, für die Fürſtenthümer Reuß : von Wieje, für Lippe-Schaumburg und Walded : von Berg, für Lippe- Detmold : Hellwing, für die freien Städte Hamburg , Bremen , Lübeck und Frankfurt: Gries , Smidt , Had) und Danz, für die Sdyweiz: von Reinhard , von Montenach und Wieland ; dod hatten einzelne Cantone nod beſondere Bevollmächtigte. Dem Grafen von Sdulenburg und dem Herrn von Globig , als

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Bevollmächtigten des Königs von Sachſen , dem Herzoge von Campo Chiaro und dem Fürſten Cariarti, als Geſandten des Königs Joachim von Neapel, ſowie dem Marquis von Brignoles , als Geſandten Genuas, gelang es theils ſpät , theils gar nicht für ihre Auftraggeber Gehör zu erhalten. :) Was die Bertreter der deutſchen Staaten anlangt , ſo zeigten dies jenigen Baiern und Würtemberg & offen eine dem deutſchen Ge fammtvaterlande feindſeelige Saltung. Für ſie gab es nur deutſche Länder , kein Deutſchland. Die übrigen ſchienen bemüht freiſinnige und volksthümliche Ideen in der zu ſchaffenden Bundesverfaſſung zur Geltung zu bringen , doch beſchränkte ſich ihre Wirkſamkeit auf ſchönklingende Verſicherungen, welchen Ernſt und Beharrlichkeit fehlte. Das zeitige Eintreffen der beim Congreſſe betheiligten Fürſten und Staatsmänner hatte weder deſſen für den 1. Oct. zugeſagte Eröffnung, noch eine genügende Vorbereitung der zu löſenden Auf gaben zur Folge. Denn die unter den Bevollmächtigten der Großmächte deshalb ſtattfindenden Beſprechungen offenbarten eine Verſchiedenheit der Anſichten, welche eine gütliche Verſtändigung ſehr zweifelhaft machte. Doch wurde in weiteren Kreiſen hiervon nichts bekannt, und nur aus dem Umſtande , daß keinerlei Ergebniſſe dieſer Verhandlungen zu Tage traten , konnte man auf die wirklichen Verhältniſſe ſchließen. Glänzende Feſte aller Art, welche Kaiſer Franz ſeinen erlauchten Gäſten veranſtaltete, feſſelten die Blide der meiſten Beobachter, und die dabei herrſchende Harmonie und Fröhlichkeit verdeckte den unter den Großmächten vorhandenen Zwieſpalt. Jagden , Ausflüge in die näheren und entfernteren Umgebungen Wiens , militäriſche und an dere Schauſpiele, Ringelrennen , Feuerwerke, Maskeraden , Bälle und Schmauſereien wedſelten in finnbetäubender Folge. Am 18. Oct., als dem Jahrestage der Schladit bei Leipzig, ward unter großem kriegeriſchen Gepränge ein Dankfeſt für den Frie den , zu welchem der dort erfochtene Sieg den Grund gelegt hatte, begangen. In der Mitte eines ungeheueren , von den Truppen mit Waffentrophäen und Fahnen , ſowie reich mit Blumen und Laub = gewinden geſchmückten Plages erhob ſich ein mit aller Bracht des katholijden Cultus verzierter Altar , an welchem der Erzbiſchof von Wien , umgeben von Fürſten , Beerführern , Staatsmännern, einem glänzenden Abel und einer von fern zuſchauenden unüberſehbaren Volksmenge, ein feierliches Hochamt hielt. Im Augenblicke, wo die

1 ") felüber, Wiener Congreßacten , I, 39 , 77. Flaſian , Congrès de Vienne, I, 11.

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Einſeßungsworte der Meſſe ertönten , erzitterte die Luft von dem Donner der Geſchüße. Fürſten , Arieger und Bolt fielen auf die Anie und empfingen den prieſterlichen Segen , worauf ein zahlreiches Sängerchor, von Blasinſtrumenten begleitet, in deutſcher Sprache eine Dankeshymne anſtimmte , an welcher die ganze ungeheuere Ver ſammlung ſich betheiligte. Nach Beendigung der religiöſen Feier nahmen die Fürſten , ihr Gefolge und die Truppen , deren Anzahl 16000 Mann betrug, im Prater ein gemeinſames Mahl ein , und ſchließlich begaben ſich die Monarchen auf eine Erhöhung am Burg thore , wo ſie die Truppen unter dem Şubelrufe des Volks an ſich vorüberziehen ließen. Macht und Glanz wurde bei dieſer Gelegen heit in ſo eindrucksvoller Weiſe entfaltet , daß Kaiſer Alexander ein unbehagliches Gefühl der Eiferſucht bliden ließ , weil ſeine Wahr nehmungen ihm Zweifel über die von ihm gehegte Meinung ein flößten , ſeine eigene Macht ſei der öſterreichiſchen bei weitem über legen. 1) Die Ankündigung dieſer großartigen Feier nady katholiſchem Ritus hatte wahrſcheinlich den niederländiſch - naſſauiſchen Geſandten Frei herrn von Gagern beſtimmt für die ſonſt nicht in die Augen fal lende Eröffnung des Congreſſes eine gottesdienſtliche Feier zu be antragen , wobei er , da natürlich die Mitwirkung proteſtantiſcher Geiſtlichen nicht ausgeſchloſſen war , ſich nach ſeinem eigenen Aus druđe ,, als Proteſtant und Niederländer“ zeigen könnte. Obſchon nun ſein Antrag weder bei Metternich , noch den preußiſchen Staats männern geneigtes Gehör fand , ſo beſtand er doch auf einer kirchlichen Feier der in Wirklichkeit gar nicht ſtattfindenben Congreßeröffnung. Da aber der proteſtantiſche Geiſtliche dieſelbe mit dem Dankfefte für die von Joſeph II. den Proteſtanten in Deſterreich bewilligte Dul dung verband , ſo ging ſie ziemlich unbemerkt vorüber, zumal die Einfachheit der dabei ſtattfindenden Ceremonien den Sinnen einer ſchauluftigen Menge keine Befriedigung bot. 2) Die damals in Wien verſammelte vornehme Welt zeichnete ſich nur durch unerſättliche Genußſucht aus, und fand keinen Geſchmad

an folchen ernften , ihre Sinnlichkeit nicht aufregenden Dingen , be theiligte ſich deshalb an ihnen nicht. Dagegen hatte der vom Proteſtan tismus zum Katholicismus übergetretene Zacharias Werner , als er ungeachtet ſeiner geringen lebung als Ranzelredner auftrat, außer

1 ) De la Garde , I , 39 – 42. Berg , IV , 174. 2 ) o. Gagern , Mein Antheil an der Politik , II , 49 .

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ordentlichen Zulauf, weil man an der ſchlüpfrigen Zweideutigkeit ſei ner Redeweiſe großes Behagen fand. So beſchrieb er z . B. das gefährlichſte Glied des menſchlichen Körpers in Ausdrücken , deren un gezwungene Deutung mit der Heiligkeit des Ortes unvereinbar er ſchien , und ſette feine Zuhörer durch die Fragen : „ſoll ich es nen nen ? ſoll ich es gar zeigen ? " in ſteigende Aufregung, die er ſchließlich durch den unerwarteten Ausſpruch: ,, es iſt die Zunge " . wieder beſänftigte. 3n grellen Gegenſäßen ſchien Wiens vergnügungsſüchtige Menge hohen und niederen Standes, fdienen Fremde und Einheimiſche einen beſondern Reiz zu finden . Saum erholt von einer Truppenmuſterung, eilte man einer ziemlich taktlos und dabei ungewöhnlich ſchäbig ver anſtalteten Todtenfeier Ludwig ' & XVI. beizuwohnen , und vertauſchte ebenſo (dnell die geweihten Räume mit dem Balfaale. Der prunfſüchtige Atel der öſterreichiſchen Länder wetteiferte mit ſeinen Standesgenoſſen aus allen Theilen Europas in der Sucht unermeßliche Reichthümer in Genüſſen aller Art zu vergeuden. Für Abenteuerer , Tänzer, Sänger , Spieler und Gaufler war Wien ein Eldorado geworden. Damen der vornehmen Welt waren ebenſo ſehr , wie feile Dirnen darauf bedacht durdy Schauſtellung ihrer Reize diefelben zu verwer then . Bald gab man ſich den verfeinerten Genüſſen des Abend landes , bald den roheren des Morgenlandes hin. Nie hatte der geſellſchaftliche Wiß mehr Gelegenheit die ergöglichen Schwächen An derer zu beſpötteln , und hoher Rang und Berühmtheit der betreffent den Berfonen ſchärften das Intereſſe an den zahlloſen Geſchichten, die man einander zuflüſterte. Das ſeit der franzöſiſchen Revolu tion verfloſſene Vierteljahrhundert war an Sorgen und Elend reicher geweſen, als an Freuden und Wohlſtand, und der fortwährende Glücs= wechſel hatte die große Mehrzahl daran gewöhnt nach dem Genuſſe des Augenblics zu haſchen. Die Verſäumniſſe von Jahren ſuchte man nun in Wochen nachzuholen, durch die angenehme Gegenwart für die möglicherweiſe trübe Zukunft ſich zu entſchädigen , und ſo kannte man keine andern Grenzen des Genuffes , als diejenigen ber Er ſchöpfung, Die Sd)wierigkeit ſich über die neue ſtaatliche Ordnung Europas zu verſtändigen wurde durch die Zerſtreuungsſucht der damit beauf tragten Staatsmänner noch bedeutend geſteigert. Es kam fogar vor, daß Metternich diplomatiſche Beſprechungen verſäumte, weil er , be fchäftigt den Damen für Darſtellung lebender Bilder Roth aufzu legen , ſich an dem verabredeten Orte einzufinden vergaß. Indeſſen

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ſcheint es beinahe , als ob folches Vergeſſen geſchäftlicher Pflichten von Seiten Metternidy's ein erkünſteltes geweſen ſei , um feine diploma tiſdhen Collegen dadurch ficher zu machen , und fid ihre Täuſchung zu erleichtern; wenigſtens müſſen ſelbſt ſeine Gegner zugeben , daß er nie verabſäumte Deſterreichs Vortheil zu rechter Zeit zu wahren. Nachdem bis zum December die öffentlichen Blätter, außer der Annahme des föniglichen Titels ſeitens des Kurfürſten von Hannover , nichts weiter zu berichten gehabt hatten , als die ends lich erfolgte Eröffnung des Congreſſes durch eine nicht unterzeich: nete öffentliche Bekanntmachung, und die ſchon in einem geheimen Artikel des pariſer Friedens bedstoffene Vergrößerung Sardiniene durd den ehemaligen Freiſtaat Genua, konnte der geiſtreiche Fürſt von Ligne auf die Frage: wie es mit dem Congreſſe ſtehe ? die ſehr ergöglich gefundene Antwort geben : ,,er tanzt vortrefflid , kommt aber nicht von der Stelle .“ Als der wißige Greis kurz darauf von einem Unwohlſein befallen ward und aus der Geſellſchaft fich zurückzog, ſagte er, die herrſchende Vergnügungsſucht verſpottend: ,, fie haben ſchon viel Vergnügen gehabt, jetzt will ich ihnen aber noch ein ganz neues verſdjaffen , das Begräbniß eines öſterreichiſchen Feldmarſchaus" und wirklich erfüllte er feine halb im Ernſte, halb im Scherze gegebene Zuſage. Der Aufwand , welchen die Congreffeſte dem wiener Hofe verur ſachten , fol. mehr, als dreißig Millionen Gulden betragen haben , eine ſchon an ſich ungeheuere Summe , die aber um ſo mehr in Erſtaunen fett , als ſie von einem Staate verausgabt wurde , welcher drei Jahre vorher durch Erklärung ſeiner Zahlungsunfähigkeit un zählige Menſchen um ihre Habe gebradit, und ſoeben erft einen äußerſt koſtſpieligen Krieg beendigt hatte. Dieſe maßloſe Verſchwendung und Ueppigkeit machte einen um ſo peinlicheren Eindruck auf den ru bigen Beobachter, da die Wunden , welche der Krieg dem Lande geſchlagen hatte , nody bluteten , und mehr als 50000 dienſtuntüch tige öſterreichiſche Krieger zur Hälfte färglich unterſtüßt, zur Hälfte auf künftige Unterſtüßung vertröſtet bitterem Mangel preisgegeben waren ; da ferner gleichzeitig in Siebenbürgen eine Hungersnoth das Land entvölkerte, und die dringendſten Staatsbedürfniſſe aus Geld mangel nicht befriedigt werden konnten . So waren z. B. die Straßen großentheils in unfahrbarem Zuſtande, und diejenige von Wien nach Dien mußte erſt wiederhergeſtellt werden , um es dem Kaiſer Franz möglich zu machen ſeine vornehmen Gäfte zu den in ſeiner ungariſchen Hauptſtadt veranſtalteten Feſten zu führen.

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Erwähnenswerth ſcheint die Frage , welche bei dieſer Gelegenheit von dem Leibarzte des Kaiſers Alexander , dem Engländer Willie, an den talentvollen Sohn des ungariſchen Geſchichtsforſchers Nitlas von Korachich gerichtet wurde : ob die Ungarn nicht lieber mit Ruß land, als mit Defterreich verbunden ſein möchten ? Dieſe Frage, die verneinend beantwortet wurde , liegt dem muthmaßlichen Ges dankenkreiſe eines Arztes zu fern, um beſſen zufälliger, mäßiger Neu gier zugeſchrieben zu werden . Im Geräuſche der dem Czar zu Ehren gegebenen Feſte ſcheint vielmehr demſelben der Einfall gekommen zu ſein , es ſei nicht unwahrſcheinlich, daß Ungarn mit ſeiner zahlreichen ſlawiſchen Bevölkerung ein Beſtandtheil des benachbarten großen Slawenreiches zu werden wünſche. Galizien und Lodomerien hätten ſelbſtverſtändlich rich dann ebenfalls an Rußland anſchließen müſſen. Wäre jene Frage fünfunddreißig Jahre ſpäter gethan worden , als der Feldmarſchall Baskewitſch dem Raiſer Nikolaus die inhaltsvollen Worte ſchrieb: ,, Ungarn liegt zu den Füßen Eurer Majeſtät! " und die Anführer der ungariſchen Aufſtändiſchen unter den Flügeln des ruſſiſchen Adlers Schutz gegen die Fänge des öſterreichiſchen ſuchten , ſo hätte die Antwort vermuthlich günſtiger gelautet. Die Abſicht durch ſeine Zuvorkommenheit als Wirth auf die fürſtlichen Gäſte einen ihm vortheilhaften Einfluß zu gewinnen , konnte den Raiſer Franz wol idhwerlich zu folchem Aufwande veranlaſſen , denn ſein Miniſter des Auswärtigen hatte ſchon bei Abſchluß des Bündniſſes und in Paris dafür geſorgt, daß Deſterreiche Forbes rungen durch Verträge fichergeſtellt waren . Er war zu klug , um nicht zu wiſſen, daß man durch Gaſtereien nicht land und Leute gewinnen könne, und der einige Wochen ſpäter ſeinen Gipfelpunkt erreichende Zwieſpalt zwiſchen Deſterreich einerſeits, und Rußland und Preußen andererſeits, beweiſet zum Ueberfluſſe, wie wenig dieſe Nachbarn und Gäſte die Wünſche ihres Wirths zu berücfiche tigen geneigt waren . Lediglich für die Ehre , daß alle Fürſten des chriftlichen Europas entweder perſönlich, oder durch ihre Geſandten in Wien erſchienen waren , um unter der Leitung Deſterreichs eine neue ſtaatliche Ordnung zu begründen , wurden ſo viele Millionen verausgabt, und wol hätte man, ohne der kaiſerlichen Würbe etwas zu vergeben, weniger verſchwenderiſch ſein können. Indeffen Deſter reich konnte fich einigermaßen damit tröſten , daß die aus eigenem und fremdem Sädel in Wien verausgabten

ungeheuern Summen

mindeſtens einem Theile der Landesbevölkerung zu gut kamen, indem fie den durch den Krieg geſtörten Verkehr wieder belebten .

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Ein einzig in zahl und der ihm

Congreß , wie der in Wiens Mauern verſammelte, ſtand der Geſchichte da . Rein früherer konnte mit ihm an An Größe der vertretenen Staaten, und ebendeshalb an Größe obliegenden Aufgabe verglichen werden . Zum erſten Male

ſeitdem die franzöſiſche Revolution das eben erloſchene Kriegsfeuer entzündet hatte, ſollten Diplomaten die Grundlagen eines neuen europäiſchen Staatenſyſtems ſchaffen. Anfangs hatte das ſiegreiche Schwert der franzöſiſchen Republik, ſodann dasjenige des auf ihren Trümmern ſeinen Thron aufrichtenden Imperators die Friedensſchlüſſe erzwungen . Die Diplomaten hatten dabei wenig mehr zu thun gehabt, als dem ausgeſprochenen Willen des Siegers die übliche Ver tragsform zu geben . Auch Napoleon erfocht zwar ſeine Siege unter dem Beiſtande von Bundesgenoſſen, allein dieſelben durften nie fich er lauben eine von der ſeinigen verſchiedene Meinung geltend zu machen. Sie waren ſeine Diener, und erhielten für Leiſtung der ihnen anbe fohlenen Dienfte den Lohn , den er ihnen zu gewähren für gut fand. Seine Feinde dagegen , deren vereinigter Araft er endlich er legen war , oder doch mindeſtens die Großmächte unter ihnen hatten anerkannt, daß jede von ihnen gleiche Berechtigung habe aus dem Siege Vortheil zu ziehen . Aber was der eine şof als wohlverdiente Entſchädigung für die der gemeinſamen Sache geleiſteten Dienſte for derte , erregte die Eiferſucht bisheriger Bundesgenoſſen , und es bil deten fich Parteien , welche durch gegenſeitige Unterſtüßung ihrer For derungen deren Anerkennung von Seiten der Widerfacher zu bewirken ſuchyten. Deshalb fanden die Diplomaten reiche Künſte zu üben .

Gelegenheit ihre

Mit geſpannten Erwartungen blickte Europa auf den Congreß, denn nun galt es die unter Strömen von Blut und grenzenloſem Kriegselende gemachten Erfahrungen für die Wohlfahrt des Welt theils zu benußen , durch weiſe Abwägung der Machtverhältniſſe fünftigen Eroberungskriegen , durch Befriedigung gerechter Wünſche für geſebliche Freiheit und Volksthümlichkeit künftigen Staatsumwäl zungen vorzubeugen , und den lang entbehrten Frieden nach Innen - und Außen dauernd zu fichern, ſodaß er trotz ſeines ungeheuern Kaufpreiſes den Völkern nicht zu theuer erworben dünke. Dieſe Er wartungen waren nicht nur an und für ſich berechtigt, ſondern die verbündeten Herrſcher hatten auch alles dies ausdrüdlich als das Ziel ihres Strebeng bezeichnet und ihren Völkern als Lohn für deren An ſtrengungen verheißen. Demungeachtet blieben ſie in der Hauptſache unerfüllt. Der Baum gefeßlicher Freiheit und Volksthümlichkeit blieb

16 trop aller diesfallfigen Verheißungen ungepflanzt, der Krater der Re volution ungeſchloſſen, weil verderbliche Selbſtſucht neuen Brandſtoff anſammelte. Es blieb der Zukunft anheimgeſtellt, durch wie viel Flammenausbrüche der Boden Europas noch erſchüttert und ver heert werden ſollte , und wie viele Pavaſdichten noch übereinander erkalten und verwittern müßten , ehe ihnen jene Friedenspalme entſproßt. Das weſentliche Ergebniß des wiener Congreſſes beſtand in weiter nichts, als in einer von der bisherigen abweidienden Vertheilung derjenigen europäiſchen Länder- und Völker, weldie zu ſeiner Ver fügung ſtanden. Nicht deren Wünſche und Bedürfniſſe erſchienen dabei maßgebend, ſondern der Vortheil derjenigen Fürſten , welchen man ſie zur Vermehrung ihres Gebiets , ihrer Einfünfte und ihrer Unterthanenzahl zuwies. Die Völker kamen nur als Sammelbegriffe ſteuerzahlender Seelen in Betracht. In dieſer Beziehung nahm man es aber genau ; denn je nachdem eine ſteuerpflichtige Seele nicht un mittelbar dem Landesherrn , ſondern zuvörberſt an einen dieſem unter gebenen Fürſten ſteuerte, wurde ſie in Erwägung des in Ausſicht ſtehenden Nutzens nur als halbe, oder gar als Drittelſeelen in Rech nung gebracht. Hätten die Völker genauere Kenntniß von dem gehabt , was die Diplomaten während des legten Feldzuges bereits gethan, oder ver fäumt hatten, wären ihnen die Congreſverhandlungen zu Chatillon und die Friedensunterhandlungen zu Paris bekannt geweſen , fo wür: den ſie über die Frankreich bewilligten, unverhältniſmäßig günſtigen Friedensbedingungen kaum erſtaunt geweſen ſein , und aud vom wie ner Congreſſe ſchwerlich Beſſeres erwartet haben , als er wirklich lei ftete. Denn ihm blieb nur die Aufgabe das Gebäude des neuen europäiſchen Staatenſyſtems nad dem bereits vorhandenen Unterbau und dem größtentheils ſchon vereinbarten Riffe aufzuführen , und es war vorauszuſehen , daß die Vollendung dieſes Baues mit dem hierzu beſtimmten Baumaterial in der Hauptſacie ſo erfolgen werde, wie es die Bauherren , welche bisher jdjon ihre Anſichten durdigeſetzt hatten , in ihrem Intereffe forderten. Bei Errichtung des neuen europäiſchen Staatenſyſtems waren zwar die hervorragendſten Staatsmänner Europas beſchäftigt, allein abgeſehen davon , daß nur Einzelne von ihnen - und dieſe hatten leider keine entſcheidende Stimme für geſeßliche Freiheit und Volksthümlichkeit Sinn hatten , ſo war auch ihre Thätigkeit keine harmoniſche, ſondern der Eine arbeitete dem Andern entgegen. Da

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nun die einander gegenüberſtehenden Parteien ziemlich gleich ftart und des Krieges müde waren , ſo opferte endlich jede Bartei etwas von ihrer Forderung auf, und es kam ein Vergleich zu Stande, Unter dieſen Umſtänden iſt es nicht der niemanden befriedigte. zu verwundern , daß das Ergebniß des wiener Congreffes keinem an dern Grundgedanken entſpracy, als daß jeder Fürſt die Zahl ſeiner ſteuerzahlenden Seelen und den Umfang feines Machtgebiets ſo febr, als möglich zu vermehren ſtrebte. Auf das Mehr oder Weniger dieſer Erwerbungen , nicht auf die Verwirklichung heilbringender Grundfäße für die Menſchheit kam es bei den wiener Unterhand lungen an . Liebte es auch Kaiſer Alerander ſolche im Munde zu führen , ſo geſchah es doch hauptſächlich nur deshalb , um beſſere Geſchäfte zu maden in Land und Leuten . Taleyrand, bisher der gewiſſenloſe Diener Napoleoniſcher Wil kür , hatte auf die Bourboniſche Fahne, der er jegt ftatt des faiſer lichen Adlers huldigte , das Wort ,, Legitimität“ geſchrieben, jenen Rechtsbegriff, wonach die Befugniß ein Volk zu beherrſchen nicht dem vom Volke Erwählten , ſondern demjenigen gebührt , welcher die Herrſchergewalt als ein nugbares Sache von ſeinen Vorfahren ererbte.

Eigenthumsrecht wie eine Der vieljährige Gewalt

bote des geſtürzten Eroberers redete jest als Anwalt eines unkriege riſchen Königs ſalbungsvoll von der Richtigkeit des Eroberungsrechtes und von der unbeſtreitbaren Wahrheit, daß es für einen legitimen Herrſcher keinen irdiſchen Gerichtshof gebe , der ihn wegen ſeiner, als Herrſcher begangenen Handlungen das Herrſderrecht über das ererbte Land abſprechen dürfe. Es fand auch dieſe Lehre im Rathe der Verbündeten Beifall und warb zum Loſungsworte, weil ſie den Mädytigeren unter ihnen einen erwünſchten Vorwand bot ihren ſchwächeren Bundesgenoſſen den Siegespreis zu verfümmern. Nur für fich und ihre Schüßlinge ließen ſie, nach der ihnen eigenthüm lichen Auslegung des Saßes , daß dieſelbe That zweier verſchiedenen Perſonen auch verſchiebener Beurtheilung unterliege, das Eroberunge recht unbedenklich gelten . Die Völker aber, dieſe höhere Staats weisheit der geſalbten Herrſcher nicht begreifend , erblicten in den, dieſelbe anpreiſenden ſchönen Rebensarten nichts als die Sdminke, welche der erſchlagenen Gerechtigkeit das Anſehen der lebenden Himmelstodyter verleihen ſollte. Schon am 16. Sept. waren die Bevollmächtigten der vier verbündeten Großmächte zum erſten Male zuſammengekommen , um ſich über den bei den Congreßverhandlungen zu beobachtenden Ge II. 2

18 Tchäftegang zu beſprechen. Deſterreich war durch Metternich, Breußen durch pumboldt, Rußland durch Neſſelrode und England durch Caftlereagh vertreten . Stein , das paupt der Centralcommiſſion für die Verwaltung der eroberten Länder, hatte zwar außerdem keine öf fentliche Stellung , aber als bevorzugter Rathgeber des Raiſers Alexander überreichte er demſelben am folgenden Tage eine Dent drift, in welcher er fich über die bei den Congreſverhandlungen zu befolgenden allgemeinen Grundſäße in folgender Weiſe ausſprad ): „ Da der Congreß auf dem Punkte fteht ſich zu verſammeln , ſo erſcheint es nothwendig ſich über die Verhältniſſe der großen Mächte zu den Fragen , welche ihn beſchäftigen werden, und über deren Behandlungsweiſe zu ver einigen . Die großen Mächte find es , welche ihr fittliches und phyſiſches Daſein aufs Spiel geſeßt, welche unermeßlice Anſtrengungen gemacht, beren Völfer Ströme Blutes vergoſſen haben , indeſſen das Betragen der anderen Fürſten feindlich war , oder ſie der guten Sache, nur durch den Erfolg der verbün Deten Heere gezwungen, beigetreten ſind. Es iſt daher den großen perbün deten Mächten durch ihre Ergebenheit an die gute Sache und durch den Sieg das Schiedsrichteramt itberwieſen , und das Recht des Ausſpruchs über die großen Intereſſen , welche noch zu entſcheiden bleiben. Von ihnen erwarten die Völker die Herſtellung einer Ordnung der Dinge , welche ihre Leiden endige und ihnen Glück gewähre. Die Mannichfaltigkeit der Gegenſtände der Berhandlung erfordert eine vorläufige Theilung der Arbeit. Sie muß beſonderen Ausſchüſſen anvera traut werden , welche über die Grundſäße ſich vereinigen , die betheiligten Parteien vernehmen , und ihre Arbeiten dem Miniſtervereine vorlegen , um die Zuſtimmung der Monarchen zu erhalten. Die deutſchen Geſchäfte erfordern die reiflichſte und genaueſte Prüfung wegen der Verwidelung der Beziehungen im Innern und gegen das Aus land. Der Plan einer Bundesverfaſſung für das Ganze und die Einrich tung der Theile muß mit genauer Kenntniß der Rechte der Fürſten und Unterthanen vorgenommen werden , da er bas politiſche Daſein der Einen wie der Anderen gewähren ſoll. Hat man die Grundlagen der Verfaſſung feſtgejekt, ſo kann man die betheiligten Einzelnen hören , ihre Einwürfe be (prechen , und ſie werden verbunden ſein ſich ſodann der Entſcheidung der großen Höfe zu fügen. Frankreich. Dazwiſchenkunft in den inneren Angelegenheiten Deutſch lands muß auf die wirkſamſte Weiſe verhindert werden. Die Geſchichte bes weiſet es ſeit fünf Jahrhunderten : ſeine Politik hat nur danach geſtrebt zu theilen und eine Gährung zu unterhalten , wozu es unglüdlicherweiſe einen nur zu wirkſamen Kern in der Selbſtſucht und Treuloſigkeit der fürſtlichen Cabinete Deutſchlands fand. Die Knechtung , worein ſie ſich geſtürzt, die Leiden, welche ſie über ihr Vaterland herbeigeführt, haben ſte nod, nicht zum Gefühl ihrer Pflicht zurückgeführt. Es liegt ihnen viel mehr daran ihre widerrechtlich genommene Souverainetät zu behaupten , und eine Gebietsver größerung zu erlangen , als ſich mit den großen Intereſſen der Nation zu beſchäftigen , deren Häupter ſie zu ſein glauben , und ſie fahren fort ſich nach allen Richtungen zu rühren, um dieſen erbärmlichen Zweck zu erreichen. Rußland hat bereits in ſeinem Aufrufe von Haliſd; den Gang vorges zeichnet, welchen es in den inneren Angelegenheiten Deutſchlands zubeobach ten beabſichtigt. Es wil deren Entſcheidung den deutſchen Mächten anheims ſtellen , und allein gewährleiſten und gegen Unterdrüdung ſchüßen. Indem

19 es dieſen Grundſax als ſeine Richtſchnur offen hinftellt, wird es dem unnit telbaren Eingreifen Frankreichs in die inneren Angelegenheiten Deutídlands zuvorkommen und nicht weniger denjenigen Einfluß behalten , welchen Danf barkeit und Bewunderung dem großen und erhabenen Fürften fichern , der es regiert. Wird dieſe Behandlungsweiſe angenommen , ſo überläßt man die Ent ſcheibung der Berfaſſungs- und Gebietsfragen Hannover, Preußen und Oeſterreich. Der Erfolg würde in leßter Stufe zur Kenntniß der perbün deten Höfe gebracht werden , damit fie dieſen Erfolg nach den Grundſägen des europäiſchen Gleichgewichts beurtheilen , und bei Annahme dieſes Ver fahrens würde der unmittelbaren Einwirkung Frankreichs vorgebeugt ſein.“ 1)

Stein

empfahl

in dieſer mit patriotiſcher

Freimüthigkeit

und

ſtaatsmänniſcher Einſicht geſchriebenen Note deshalb Hannover den beiden deutſchen Großmächten bei Ordnung der deutſchen Berfaſſung zuzugefellen , weil der Beherrſcher Hannovers zugleich König von Großbritannien war. Was derſelbe in ſeiner Eigenſchaft als deut ſcher Fürſt genehmigte , das vertrat er zugleich als Oberhaupt je ner europäiſchen Großmacht, welche allein einer freien Verfaffung ſich rühmen konnte. Die übrigen deutſchen Staaten von der Ent werfung der Bundesverfaſſung auszuſchließen hielt Stein für rath fam , weil er Baierns und Würtemberg8 Abſicht das Zuſtandekommen eines Bundesſtaates zu verhindern kannte , und der Soffnung fich hingab, die deutſchen Großmächte würben ohne Rückſicht auf deren Wi derſprudy das Ergebniß ihrer diesfallfigen Verſtändigung in der Weife durchſeßen , daß fie zwar den Vorſtellungen aller Betheiligten Gehör ſchenkten , fich felbft jedoch die ſchließliche Entſcheidung vorbehielten . Allein mit welcher Gewandtheit Stein auch den Raifer Alexander für die Durchführung der empfohlenen Maßregel zu gewinnen ſuchte, indem er ihm dafür Einfluß auf Deutſchland und deſſen dankbare Bewunderung in Ausſicht ſtellte , ſo gelang es ihm doch nicht. Hätte Alexander fich nadidrücklich für die Ausſchließung Baierns und Würtemberg vom deutſchen Ausſchuſſe erklärt , ſo würde dieſelbe ftattgefunden haben , denn Deſterreich hätte dem Willen dreier Großmächte um fo eher fich fügen müſſen , da der Grundſat : je geringer die Zahl der Ausiduſmitglieder ſei , deſto eher werde man zu einem Einverſtändniffe gelangen , als Urſache galt, weshalb die Mitwirkung der übrigen deutſchen Staaten ausgeſchloſſen wurde , und da die Machtverhältniffe Baierns und Würtembergs nicht von der Art waren , um eine Aus nahme von der aufgeſtellten Regel zu rechtfertigen. Alexander hatte zu Paris dafür mitgewirkt, daß Deutſchland gegen Frankreich eine wehrloſe Grenze erhielt, wie mochte er jeßt dafür wirken,

1) Berg , IV , 110-12.

2:

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daß das loſe Band , welches die deutſchen Staaten gegen das Ausland verbinden ſollte, ſtraffer gezogen werde . Auf die Sdwäche und Un einigkeit der Deutſdien , nicht auf ihre Dankbarkeit wollte er ſeinen Eins fluß in Deutſchland ſtüßen . Hinſichtlich der Schweiz und Frankreichs, ja felbft in Beziehung auf Bolen begünſtigte er freiſinnige Staatseinrich tungen , weil er es ſeinen politiſchen Zweden entſprechend fand, und die Rolle der Freiſinnigkeit und Großmuth ſeiner Eitelkeit ſchmeichelte. Hinſichtlich des benachbarten Deutſchland aber hütete er ſich frei ſinnige und volksthümliche Einrichtungen zu begünſtigen, und wären nicht bereits mächtige Hinderniffe derſelben . vorhanden geweſen , ſo würde er eifrig bemüht geweſen ſein ſolche zu ſchaffen. Vergleicht man das Verhalten Alerander's in den betreffenden politiſden Verhältniſſen mit den ihm von Stein gegebenen Rath

ſo überzeugt man fidy wie wenig er dieſe befolgte , und wie er Stein's Meinung nur in der Abſicht hörte , um den fraglidien Fall aud von deſſen Geſichtspunkte aus zu betrachten und ſich all ſeitig darüber aufzuklären.

dhlägen ,

Frankreichs Einmiſdịung in die deutſchen Angelegenheiten duldete Alexander natürlich nicht, weil ſie Rußlands Einfluß geſdymälert haben würde; dagegen war er mit dem , was Stein hauptſächlich ver hindern wollte, einverſtanden , nämlich mit dem Befdlufſe die Grund lagen deß zwiſchen den deutſchen Staaten zu ſchaffenden Bundesver hältniſſes in einem Ausſchuſſe feſtſtellen zu laſſen , welchem außer den Bertretern jener drei Mächte auch noch die Bevollmächtigten von Baiern und Würtemberg angehörten. Dieſer Bedluß wurde von Metternich durchgefeßt, der nur einen deutſchen Staatenbund unter Deſterreidis Leitung wollte, deshalb jede Theilung eines verfaſſungsmäßigen Ein fluſſes unter bundesſtaatlichen Formen verwarf, und nun , um der über flüſſigen und undankbaren Rolle überhoben zu ſein etwaige Vorſchläge dieſer Art von Seiten Preußens und Hannovers , die der öffentlichen Meinung entſprochen hätten , ſelbſt zu bekämpfen , darauf beſtand, daß Baiern und Würtemberg in den deutſchen Verfaſſungsausſchuß aufgenommen würden . In den Verträgen von Rieb und Fulda war die Souverainetät dieſer beiden Staaten aus feinem andern Grunde von Deſterreich anerkannt worden , als um die Entſtehung des von dem Deutſchen Volke gewünſchten Bundesſtaates zu verhindern , und auf ihren Eifer bei Löſung dieſer Aufgabe konnte er rechnen. Der auf ſolche Weiſe gebildete deutſche Ausſchuß ſollte ebenſo wie derjenige, welcher über die Bertheilung der eroberten Länder und die übrigen Fragen von allgemeinem Intereſſe zu entſcheiden hatte , doo

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Ergebniß ſeiner Arbeit dem Congreſſe zur Genehmigung vorlegen. Den legtern Ausſchuß beſchloß man aus den Bevollmächtigten der verbündeten vier Großmädyte, ferner Frankreichs und Spaniens zu bilden , dieſe beiden Mächte jedoch erſt dann an den Berathungen theilnehmen zu laſſen , wenn die das Großherzogthum Warſchau, Deutſchland und Italien betreffenden Gebietsfragen ihre Erledigung gefunden hätten. Bon den bis dahin gefaßten Beſdlüſſen wollte man die Vertreter Frankreiche und Spaniens in Kenntniß feßen , und ihnen zwar geſtatten dagegen Vorſtellungen zu magen , die endgül tige Entſcheidung aber ſich vorbehalten. Das hierüber am 22. Sept. aufgenommene Protokoll wurde jedoch von Caſtlereagh nur mit dem Zujaße unterzeichnet: es möge über die an Frankreich und Spanien zu machenden Mittheilungen eine freundſchaftliche Erörterung ſtattfinden , auch werde er fich einer von ſeinen Collegen gebildeten Mehrheit nicht unbedingt unterwerfen, ſondern ſeine etwaige abweichende Meinung an ſeinen Şof berichten . Da alies dies mit dem gefaßten Bejdluffe redt wohl vereinbar war , ſo erklärten die übrigen Bevollmächtigten auch verſtanden .)

ſofort fich damit ein

Die demgemäß entworfene Geſchäftsordnung wurde der am 24. Sept. in Wien angekommenen franzöſiſchen Geſandtſchaft mitge theilt. Sie hatte inſofern eine Abänderung erfahren , als die ver bündeten Großmächte am 28. und 29. Sept. noch beſchloſſen hatten : außer Frankreich und Spanien auch Portugal und Schweden in den Ausſchuß für allgemeine Angelegenheiten , doch unter Feſthaltung der gedachten Beſchränkung , aufzunehmen , ſodaß nun alle Unterzeidyner des pariſer Friedens darin vertreten waren . Um Frankreichs Empfindlichkeit zu donen wurde in der betreffenden Note bemerkt, daß die vier Großmächte durd vorläufige Ordnung der Gebietss fragen nicht ſowol ein Recht ausüben , als eine ihnen in Folge des pariſer Friedensvertrage obliegende Pflicht erfüllen wollten . Dieſe mehr höfliche, als aufrichtige Neußerung verſöhnte jedoch Tal leyrand nicht mit dem unangenehmen Kerne der ihm am 30. Sept. gemachten Mittheilung. Da Frankreichs Stellung im Congreſſe hier-, durch eine den übrigen Großmädyten untergeordnete geworden wäre, ſo beſchloß er alles aufzubieten , um ihm gleiche Rechte mit leşteren auszuwirken . Er glaubte ſeinen Zwed dadurd) erreichen zu fönnen, daß er ſich für die fofortige Betheiligung der kleineren Staaten am

* ) Klüber, VIII , 60 ; IX , 167 — 71.

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Congreffe ausſprachy, und für dieſe Idee den Bevollmächtigten Eng lands zu gewinnen ſuchte. Bevor er jedoch darauf antrug den Ver handlungen über die Vertheilung der eroberten Länder beiwohnen zu dürfen, erbat" er fich ihn von dem Wortlaute der deshalb getroffenen An ordnungen in Renntniß zu ſeten , indem er wohl wußte , daß mit Ausnahme einiger beſonderen lebereinkünfte dergleichen mindeſtens in Bezug auf Bolen und Deutſchland nicht vorhanden waren . Als die Bevollmächtigten der vier Großmächte

dies in ihrer Antwort nicht

in Abrede ſtellten , griff er die in dem Brotokolle vom 22. Sept. ent haltene Behauptung an , daß der erſte geheime Zuſaßartikel des Frie densvertrag von Baris Frankreich von der Mitwirkung bei Sdlich tung der Gebietsfragen ausſchließe. Er fuchte dabei nachzuweiſen, wie Frankreichs Zuſtimmung zu den diesfallfigen Anordnungen der Großmächte fich nur auf bereits beſtehende Thatfachen , nicht aber auf zukünftige Dinge bezogen habe ; auch ſei alles , was nicht zwi den fämmtlichen Verbündeten bereits vereinbart fei, als nicht vorhan : den zu betrachten. In ſeiner Eigenſchaft als erſter franzöſiſcher Be vollmädytigter behalte er ſich das Recht vor bei den Punkten mitzut wirken , welche noch nicht unter allen Verbündeten endgültig beſtimmt worden ſeien .

Die Bezeichnung ,, Verbündete " ſei übrigens durch die

Thatface des Friedens unpaſſend geworden , und würde jeßt ſogar ehrenrührig für den König von Frankreich ſein. In ſeinen Augen , fügte Talleyrand hinzu , gäbe es nur einen allgemeinen Congreß, bei dem alle Mächte zur Mitwirkung berufen wären. Seine Berant wortlichkeit geſtatte ihm nicht die Benennung „ Verbündete“ anzu erkennen , welche die Höfe von Wien , London, Petersburg und Ber lin ſich beizulegen fortfahren wollten . Von Seiten der Regteren wurde ihm entgegnet: das Bündniß von Chaumont vom 1. März 1814 ( Art. V) bezwecke die Beſtimmungen des pariſer Friedens aufrecht zu erhalten , ſei alſo durchaus nicht un verträglid , mit der Würde ſeines Souverains, ſondern fichere viel mehr deſſen in jenem Vertrage anerkannte Stellung. Ein Bündniß ſei nicht ſchon an ſich feindſelig , ſondern nur dann , wenn es aus drüdlich auf den Angriff gerichtet ſei. 1) Die Erwähnung des zu London am 29. Juni geſchloſſenen Bünd niffes, welches ungeachtet des ſeitdem abgeſchloſſenen pariſer Friedens die Kriegsbereitſchaft von Deſterreich, Preußen , Rußland und Eng land mit Heeren von je 75000 Mann ſo lange anordnete , als der

") Flaſſan , I , 18.

23 Congreß die europäiſden Angelegenheiten nod nicht endgültig feſtge ftelit habe, würde zwar die Fortdauer des Bündniſſes außer allen Zweifel geſeßt haben , man fchwieg jedoch hierüber , und zog es vor die gemeinſchaftliche Bezeichnung ,, Berbündete “ ferner zu vermeiden , ale habe man den wenige Monate ſpäter eingetretenen Umſchwung der gegenſeitigen politiſchen Beziehungen ſchon damals vorausgeſehen.

In einer Note vom 3. Oct., welche Talleyrand hierauf an die Bertreter derjenigen Mächte richtete, von denen der. pariſer Friede unterzeichnet worden war , billigte er zwar die Bildung von Aug fchüſſen ; allein indem er gefichidit daran anknüpfte, daß nach der Erklärung der Großmächte die Ausſchüſſe: das, worüber ſie ſich ver einigt hätten , dem Congreffe zur Genehmigung vorlegen ſollten , be Hauptete er , diefem müſſe aud die Bildung der Ausſchüſſe überlaſſen werden . Da die Großmächte dem Congreſſe das Recht der Geneh migung zugeſtänden , fo würde von ihnen damit anerkannt, daß fie ihn nicht allein bildeten , und nur einen Theil der Macht Europas ausmachten . Die Schwierigkeit den Congreß zu verſammeln werde ſpäter nicht geringer ſein , als jeßt , wohl aber feße man ſich durch deſſen Vertagung außer Stand etwas Regelrechtes und Geſetzmäßiges zu ſchaffen . Jener erſte geheime Artikel des pariſer Friedens be ziehe ſich auf alle Mächte , welche ihn unterzeichnet Hätten. Dieſe ſeien daher auch völlig geeignet einen Ausſchuß zu bilden ; doch dürfe dieſer die Fragen nicht ſelbſt entſcheiden , ſondern ſie nur für die Entſcheidung des Congreſſes vorbereiten . An ford Caſtlereagh richtete Talleyrand am 5. Oct. ein ver trauliches Schreiben , worin er demſelben dieſe Anſichten durch fol gende Bemerkungen noch beſonders zu empfehlen ſuđite: Man liebt und achtet in England das Geſet nur deshalb ſo hoch, weil es vom Lande ſelbſt gemacht worden . Ganz anders würde es mit Ge fegen ſein, die man ihm vorſchriebe. So wird auch Europa nur dann die getroffenen Einrichtungen achten, und ihnen dadurdy Dauer verleihen , wenn ſie das Ergebniß des Geſammtwillens ſind. Dies iſt aber durch Annahme des von mir vorgeſchlagenen Verfahrens zu er langen , wogegen wenn diejenigen Mächte, welche den Friedensver trag vom 30. Mai unterzeidnet haben , alles im voraus entſchieden , und nur bie Billigung ihrer Beſchlüſſe dem Congreſie überließen, man nicht ermangeln würde zu behaupten , vier unter den Mädten hätten eine ſtetige Mehrheit gebildet und dadurdy in dem vorbe reitenden Ausſchuffe ein unbedingtes Uebergewicht ausgeübt; aud hätten ſie ſpäter durch ihren Einfluß einzeln und vereint die Ge=

24 nehmigung des Congreffes erzwungen , ſodaß ihr Sonderwille das Geſetz Europas geworden ſei. ,, Man würde ", ſchließt er ſeine Aufforderung, ,, Sie , ficherlich mit Unrecht, anklagen es gewollt zu haben , uns träfe der Vorwurf dabei Hand in Hand gegangen zu ſein , und Europa würde die ihm nöthigen dauerhaften Einrichtungen entbehren ." Wie wenig es ihm jedod mit dieſer großmüthigen Berüdſichti gung Ernſt war , ließ er ſogleid, durchbliđen , nadybem er hinlänglich gezeigt zu haben glaubte, in welches vortheilhafte Licht man ſich durdy Befolgung einer Rathidläge ſtellen würde . ,, Man trägt Bedenken “ fügt er nämlich hinzu , ,, den Congreß zu ver ſammeln . Wabrlich Mylord , je mehr id) es erwäge , deſto weniger begreife ich den Grund dieſer Beſorgniß. Man will nicht , daß die kleinen Staaten fich in allgemeine Angelegenheiten miſden . Meine Meinung iſt es audi nicht ihnen dies zu geſtatten , aber ich glaube auch gar nicht, daß fie es beabſichtigen . Man ſichere den kleinen Staaten Deutſdlands ihr Beſtehen , und geſtatte ihnen die Berathung des Bundesgeſeßes , welches ſie leiten ſoll, das iſt nach meiner Anſicht alles, was ſie zu fordern haben , auch werden fie nichts weiter fordern.“ 1) Die Zulaſſung der kleinen Staaten zu den Congreßverhandlungen ſollte ja nur auch Frankreich die ihm zur Zeit verſchloſſene Thür öffnen ; man konnte auf der in Paris bedungenen Ausſchließung Frant reichs von der Berathung der Friedensbürgſchaften nicht füglich be Tal ſtehen , wenn man die erſteren daran theilnehmen ließ . leyrand hatte mit ficherem Blide in Lord Caftlereagh denjenigen unter den Vertretern der Großmächte herausgefunden , welcher am England hatte für ſidy geneigteſten war ihm Gehör zu ſchenken. ſelbſt in Wien keine Forderungen geltend zu machen , und da Frant reich fic in gleicher Lage befand , Caſtlereagh aber, wie in Paris, be fliffen war der franzöſiſchen Regierung fich gefällig zu zeigen , und zu deren Befeſtigung, welche' man für die Fortdauer des Friedens als unerläßlich betrachtete, beizutragen , ſo ſdien dieſem Frankreichs gleidyberechtigte Mitwirkung bei Ordnung der europäiſchen Verhältniffe um fo mehr zuläſſig , als er hierin ein Mittel erblidte Rußlands übertriebene Forderungen zu bejdyränken. An die Verhandlungen des Parlaments gewöhnt, mochte dem engliſchen Staatsſecretäre der Congreß als eine Verſammlung erſcheinen , bei welder dieſelben Grundfäße wie bei jenem ſtattfänden ; er überſah dabei den Un terſchied, der zwiſchen den gleichberechtigten

') Alüber , VIII , 65 – 70.

Abgeordneten

des Par

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laments eines einzigen Landes und den an Einfluß unendlich ver ſchiedenen Vertretern der Großmächte und der andern Staaten ob waltete ; er überſah ferner, daß nicht die kleineren Staaten , welche den Congreßkörper vorzugsweiſe gebildet haben würden , ſondern die Groß= mächte allein die Macht hatten ihrer Meinung Geltung zu verſchaf fen , und daß leştere --- England nicht ausgenommen - weit von der Selbſtverleugnung entfernt waren in der etwa entgegengeſeßten An ſicht der kleineren Staaten , deren Bedeutung mit ihrer Anzahl im umgekehrten Verhältniffe ſtand , ein Sinderniß für die Durchführung ihrer eigenen Beſchlüſſe zu erblicken . Un demſelben Tage , wo Talleyrand ſich gegen Caftlereagh ſchrift lich ausgeſprochen , hatte er eine Unterredung mit dem Saiſer von Rußland, dem er jedoch bergebens die gegen jenen geäußerten Grund fäße annehmlich zu machen ſuchte. Als er dabei auf Sachſens Loos die Rede lentte , und es gegen Breußeng Anſprüche dadurch ſicherſtellen wollte , daß er als deſſen Grenze gegen das ruffiſde Polen die mittiere Weidfel bezeidsnete, lehnte der Kaiſer jede Erörterung des Gegenſtandes ab , weil die verbündeten Mädyte fidy in Paris: die ausídließliche Verfügung über die eroberten Länder ausbebungen hät ten . Als der franzöſiſ dhe Botſchafter hierauf einwarf : er glaube, daß es ſeit dem Friedensſchluſſe keine verbündeten Mädte mehr gebe, entgegnete er : ,,Es wird jedes Mal der Fall ſein, wo es fich da rum handelt den pariſer Vertrag auszuführen . “ Talleyrand fuhr nun zwar Demungeachtet fort die Sache des Königs von Sadiſen : eifrig zu verfecyten , aber Alexander , hierüber erbittert , machte dem Geſprädie alsbald mit der Heußerung ein Ende : er habe mehr Dank barkeit von den Bourbons erwartet , und bereue die ihnen gewährten günſtigen Friedensbedingungen . Das taiſerliche Mißfallen , welches der Vertreter Frankreichs ſid hierburd) zugezogen hatte , trat audy in geſellſchaftlicher Beziehung auffallend hervor , denn Alexander ver bot den Ruffen das franzöſiſche Geſandtſchaftsgebäude zu betreten , und ſein Freund Friedrid Wilhelm erblickte hierin genügende Veranlaſ fung ein gleiches Verbot für die Preußen zu erlaſſen. 1) Da Metternidy, Neſſelrode und Hardenberg zur Zeit nodi ein ſtimmig gegen die Verſuche Talleyrand's ſich erklärten ſeine Anſichten über die gegenſeitigen Beziehungen der Großmächte geltend zu maden, fo ließ derſelbe ſeine Behauptung, daß es keine Verbündeten mehr gebe , ſcheinbar fallen .

Als man aber drei Tage darauf die das

1) Bignon , Histoire de France , XIV , 235. Flaſſan, I , 116.

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Zuſammentreten des Congreſies betreffende Bekanntmachung berieth, wurden in derfelben die Mächte, welche den pariſer Frieden mit Frant reidy abgeſdýloſſen hatten , dennoch nicht als die Verbündeten bezeichnet, denen der jenem beigefügte erſte geheime Artikel das ausſchließliche Necht gebe über die eroberten Länder zu verfügen. Auch jepte Tal leyrand durcy, daß der Ausbrud ,,droit publie" als ein für die An ordnungen des Congreſſes maßgebender Begriff aufgeſtellt wurde ; ſtand aber das „ öffentliche Redit " in ſolcher Beziehung zu demſelben, ſo waren es nicht mehr Sieger und Beſiegte , ſondern Gleichberechtigte, die miteinander unterhandelten . Mehrere der Bevollmächtigten was ren ebendeshalb mit dieſer Faſſung der betreffenden Erklärung nicht einverſtanden , beſonders war dies der Fal mit den preußiſchen, und pumboldt fragte: ,, Was macht hier das öffentliche Recht ? “ Auf Talleyrand's Antwort: ,,Ee madt, daß Sie da ſind !" erwiderte jener : ,, Aber das verſteht ſich von felbft !" , konnte aber die fernere Entgege nung Talleyrand's : ,, Wenn dies fich von ſelbft verſteht, ſo wird man es noch beſſer verſtehen , wenn es auch geſagt wird !" nicht beſtreiten . Es wurde nun zwar der Ausbrud , droit public" in den fran zöſiſchen Text der am 8. Oct. erlaſſenen Erklärung aufgenommen, allein da Humboldt die eigentliche Abſicht errieth , nämlich dem Eroberungsrechte keine Anwendung gegen legitime Herrſcher im Con greſſe einzuräumen , fo feßte er e8 durdy, daß in dem amtlichen deut Then Texte der Ausbrudt ,, droit public " mit „ Völkerrecht“ überſegt wurde, indem dies beſtimmter den beabſichtigten Sinn wiedergebe, als der Ausdruck , öffentliches Recht" . ? ) Die Worte der Erklärung waren folgende: „ Die bevollmächtigten Miniſter der Höfe', von denen am 30. Mai 1814 der pariſer Friedensvertrag unterzeidnet wurde, haben den 32. Artikel deſ ſelben, durch welchen beſtimmt war, daß die von einer und der anderen Seite in dem legten Kriege begriffen geweſenen Mächte Bevollmächtigte nach Wien ſchiđen ſollten , um auf einem allgemeinen Congreffe die zur Vervou ſtändigung dieſes Tractats erforderlichen Maßregeln feſtzuſeßen , in Erwä gung gezogen , und nach reifem Nachdenken über die daraus entſpringenden Berhältniſſe und Pflichten erkannt, daß es ihre erſte Sorge ſein mußte, zwi fchen den Bevollmächtigten ſämmtlicher Höfe freie und vertrauliche Erörtez: rungen einzuleiten. Zugleid aber ſind fte zu der Ueberzeugung gelangt, daß es dem gemeinſchaftlichen Intereſſe aller Theilnehmer angemeſſen ſein werde eine allgemeine Zuſammenberufung ihrer Bevollmächtigten bis auf den Zeit punkt zu verſchieben, wo die von ihnen zu entſcheidenden Fragen den Grad der Meife gewonnen haben werden , ohne welchen ein mit den Grundſägen des Völkerredyt8 , den Stipulationen des pariſer Friedens und den gered)= ten Erwartungen der Zeitgenoſſen möglichſt übereinſtimmendes.Reſultat nicht ) 0. Gagern , II, 51. Flañant, I, 28.

27 zu erreichen ſein würde. Die förmliche Eröffnung des Congreffes iſt dem . nad bis auf den 1. Nov. ausgeſeßt worden , und die obgedachten bes vollmädstigten Miniſter leben der Þoffnung, daß die in der Zwiſchenzeit vor zunehmenden Arbeiten zur Berichtigung der Ideen , zur Ausgleichung der Anſichten und zur Beförderung des großen Werks, welches der Gegenſtand ihrer gemeinſaftlichen Sendung iſt, weſentlich beitragen werden .“ 1) Der Grund, weshalb man die Eröffnung des Congreſſes derſdob, lag darin , daß die vier bisher verbundenen Großmächte in den zwei mit einander innig zuſammenhängenden Hauptfragen deſſelben , nämlich über das Schicfal des Großherzogthums Warſchau und des König reichs Sachſen , fidi nicht vereinigen konnten. In der Zwiſchenzeit hoffte man hierüber ſich zu verſtändigen , fam aber infolge der diesfallſigen Bemühungen Talleyrand's immer mehr auseinander, fo daß ein völliger Brud wahrſcheinlich wurde. Taleyrand hatte ſeit ſeiner Ankunft in Wien, um die Sympathien der kleineren Staaten zu gewinnen, deren Vertretern Hoffnung ge macht, ſie würden , wenn ſie ihn unterſtüßten , in den Congreßver handlungen Siß und Stimme erhalten. Nun ſahen fie, daß fie nur für den wachſenden Einfluß Frankreichs, nicht aber für ihre erſtrebte Betheiligung am Congreſſe gearbeitet hatten, denn nicht ihnen, ſondern nur erſterem wurde diefelbe zugeftanden . Der franzöſiſche Bot fdafter, gegen welchen ſie über die Bereitelung ihrer Hoffnungen klagten , verbarg natürlich wie gleichgültig, ihm dies , und wie wohl zufrieden er über den bisherigen Erfolg ſeiner Bemühungen ſei, nannte die Erflärung der Großmächte einen Wiſch , und verſicherte fie der fortdauernden Bereitwilligkeit Frankreiche ihre Intereſſen zu fördern. Die franzöſiſchen Zeitungen hingegen ſprachen offen die Ge nugthuung aus, welche dieſe Erklärung ihnen einflößte. Der „ Moniteur" als amtliche Zeitung begnügte ſich in derſelben ein glüdliches Anzeichen dafür zu erbliden , daß die gerechten Erwar tungen der Zeitgenoſſen durch das Ergebniß des Congreſſes erfüllt werden würden , und fügte dann hinzu : Frankreich , welchem feiner der von andern Staaten vernünftiger Weiſe gehofften Vortheile Eiferſuďt einflößt, ſtrebt nur nach der Wiederher ftellung eines richtigen Gleichgewichts. Alle Grundbedingungen der Kraft und Wohlfahrt in rich tragend , ſucht es dieſelben nicht jenſeits ſeiner Gren zen . Es leihet ſein Ohr feiner Einflüfterung , welche die Aufſtellung von Syſtemen einfacher Schidlichkeit anempfiehlt, und indem es die ihm ſonſt durch die Achtung und Dankbarkeit der Völker zuerkannte Rolle wieder übernimmt, feßt es ſeinen Ehrgeiz in feinen andern Ruhm , als dent, deſſen Bürg ſchaften auf dem Bunde der Stärke mit der Mäßigung und Gerechtigkeit

1) Klüber, I , 33.

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beruben . Es will wieder die Stüße der Schwachen, der Vertheidiger des Unterdrüdten werden ." Die „ Strasburger Zeitung“ ſprach dagegen unverhohlen die durch jene Erklärung gerechtfertigten Erwartungen aus , indem ſie ſagte : e8 ſei vollkommen einleuchtend, daß keine Hauptfrage , auch nicht über rein deutſche Angelegenheiten ohne Frankreichs Mitwirkung auf dem Congreffe entſchieden werden könne. Die „ Quotidienne " endlich warf in einem langen Artikel über den pariſer Frieden und den wiener Congreß , nachdem ſie den Sinn von dem erſten geheimen Artikel des erſteren zu verdrehen geſucht hatte , die Frage auf : „ Warum hallen mehrere deutſche Journale von den Declamationen einer Partei wieder , welche , Frankreich , die legitime Macht, mit dem franzöſiſchen , oder vielinehr Napoleoniſchen Kaiſerthume verwechſelnd, fich ſtellt , als er blide fie in dem Dazwiſchentreten des franzöſiſchen Geſandten bei dem Con greffe, oder vielmehr in ſeiner Mitwirkung bei der Vertheilung Deutſchlands und Staliens eine Art Zudringlichkeit, welche die Freiheit und Unabhängig keit der Nationen gefährde ? " Es war aber in der That eine völlige Verkehrung der natür lichen Berhältniſſe, was der Welt das bisher noch nicht dageweſene Sdauſpiel verſchaffte, wie dem Vertreter der beſiegten Macht das Recht eingeräumt wurde über das Schidfal eines der Völker , die als Sieger in deren Hauptſtadt eingezogen waren und ſie zum Frieden gezwungen hatten , in Gemeinſdaft mit den Bundesgenoſſen diejes Bolts zu entſcheiden. Es war offenbar , daß Frankreich, troş der aus brüdlichen Verſicherung des Gegentheils , eifrig danach ſtrebte, feinen durch die Auflöſung des Rheinbundes verlorenen Einfluß auf die kleineren deutſchen Staaten unter veränderten Formen ſo gut , als möglich wiederherzuſtellen , und der Unwille der deutſchen Vaterlands =; freunde hierüber erſcheint voltommen gerechtfertigt. Wenn der Bevoll mächtigte Frankreichs nach der Eröffnung des Congreffes nicht ſofort an den Unterhandlungen theilnahm , welche über Sachſens und Polens Sdhidfal ſtattfanden , ſo hatte dies darin feinen Grund, daß dieſelben nur vermittelft eines Notenwechſels geführt, und Congreß= ſißungen wurden .

deshalb als

vorausſichtlich

vergeblich

nicht

veranſtaltet

An der Ordnung der Gebietsverhältniffe Sardiniens , welde dem Ausſduffe der acht Mächte , von denen der pariſer Friede unter zeichnet worden war , überwieſen wurde , nahm Talleyrand von Anfang an theil . Es war damit der öffentliche Pemeie geliefert, es ſei ihm

í

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gelungen das Zugeſtändniß zu erlangen , daß der Inhalt des erſten geheimen Artikels zum pariſer Frieden , welcher Frankreich von der Mitwirkung bei Entſcheidung der Gebietsfragen ausſchloß , auf den wiener Congreß keine Anwendung finden folle. Hinſichtlich der fächfiſch - polniſchen Frage tauſchte er zwar ſeine Anſichten nicht mit Rußland und Preußen , wohl aber mit Deſterreich und England aus , und namentlich ging Metternich hierbei ſo weit, ihm vertrauliche Noten an jene Mächte amtlich mitzutheilen, denn dieſer ſah bald ein , daß er zur Erreichung ſeiner Abſichten Frant reiche bedürfe. In dem Zwieſpalte der Großmächte und darin, daß Tallenrand geſchidt hervorzuheben verſtanden hatte, diejenige Bartei , für welche Frankreich fich erkläre , müffe nothwendig das Uebergewicht erhalten , lag die Urſache feiner überraſchenden Erfolge. In der erſten Zeit nach ſeiner Ankunft in Wien wurde er trot dem , daß er vor allen den Sturz Napoleon's befördert, und den Großmächten durch Aufſtellung des Legitimitätsprincips in Paris ſo erwünſcht in die Hände gearbeitet hatte , als Revolutionär gemieden und wenig beachtet. Aber er wußte die Verhältniſſe mit ſo vollen deter Meiſterſchaft zu benußen , daß er bald mehr, als jeder andere aufgeſucht wurde. Den Aufichub der Congreßeröffnung benugte er trefflich, um alle diejenigen , welche fremder Hülfe zur Erreichung ihrer Zwede bedurften , durch Zuſicherung ſeines uneigennüßigen Bei ſtandes für ſich zu gewinnen , und ſo ſeiner Stellung ſo viel Rückhalt, als möglich zu geben. Frankreiche Beſtreben den Unter drüdten beizuſtehen und für das allgemeine Beſte zu wirken ſuchte Bald rief er bei jeder Gelegenheit in das hellſte licht zu ſeßen. er : „ Wir wollen nichts , durchaus nichts, nicht ein einziges Dorf, aber wir wollen , was ſtanden iſt, ſo werde legen ! " Bald hob er vor , indem er ſagte : wollen, für diejenigen , Ich habe nicht einmal

recht iſt, und wenn man damit nicht einver ich mich zurückziehen und Verwahrung ein den Vortheil von Frankreiche Stellung ber „Ich ſehe wohl, daß wir , die wir nichts welche etwas wollen , unbequeme Leute ſind. die Befugniß etwas anzunehmen , wenn man

mir Anerbietungen machte. Wir wollen aber nicht, daß Preußen an Baiern grenze. Wir wollen nicht die Preußen zu Nachbarn , weil ſie wegen der geographiſchen Lage ihres Gebiets eine vorzugsweife ſtreitſüch tige Macht bilden. Wir wollen - ſagte er zum niederländiſchen Be vollmächtigten ,

dem mit ihm feit einer Reihe von Fahren befreun

deten Freiherrn von Gagern – daß Ihr Luremburg bekommt und die

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Baiern Mainz.

Das ſind meine Gedanken .

Ale man in Paris

die geheimen Artikel für Holland und den Prinzen von Oranien entwarf, wollte Lorb Caftlereagh mit mir Unterhandlungen ans Ich ſagte ihm : Wozu unterhandeln ? Ich habe nichts knüpfen. dawider ." ) Natürlich beſdhränkte ſich die Uneigennüßigkeit des franzöſiſchen Bevollmächtigten nur darauf, daß er für Frankreich nichts annahm , weil demſelben überhaupt nichts angeboten wurde. Er , für ſeine Berſon wußte ſeine Geldkiſten trefflich zu füllen . Sein Eifer für das Legitimitătsprincip und der ihm von Ludwig XVIH . ertheilte Auftrag für die Wiederaufrichtung des Bourboniſchen Königsthrones in Neapel alle Kräfte aufzubieten , hielt ihn nicht ab von ſeinem ehemaligen Parteigenoffen Murat 300000 Ducati gegen das Ver ſprechen anzunehmen ihm diefen Thron zu erhalten . 2 ) Freilich dachte er feinen Augenblid daran dies Verſprechen zu erfüllen , denn Rönig Ferdinand von Sicilien zahlte ihm nicht nur ebenſo viel , fons dern machte ihm auch noch außerdem glänzende Verſprechungen, wenn er ihm gegen Murat diene. Talleyrand ſchwankte deshalb gar nicht in ſeinem Vorſaße den ihm von ſeinem Könige ertheilten Ver Haltungsbefehlen in Bezug auf Neapel pflichtmäßig nachzukommen . Die in den Congreßverhandlungen hervorragende fächſiſche Frage trug ihm jedoch noch viel mehr ein . Der ruſſiſche Geſandte am berliner Hofe, don Alopäus, berichtete nach Wien , daß der König von Sadiſen, um Talleyrand's Dienſte zu erkaufen , demſelben eine große Summe habe auszahlen laſſen. Chateaubriand in ſeinen Denkwürdige teiten :) giebt ſie auf drei Millionen Francs an , unb madyt hierbei Talleyrand den Vorwurf, er habe dafür das wahre Beſte Frankreichs Preis gegeben , in deſſen Intereſſe er vielmehr alles hätte auf bieten follen Preußen vom Rheine fern zu halten , wäre dies auch damit erkauft worden , daß man ganz Sachſen an Preußen über laſſen hätte . Der Graf de la Garde endlich, der über die Congreßverhält niffe aus eigener Anſchauung berichtet, erzählt von einigen Millionen, welche der für ſeinen Thron beſorgte Rönig Friedrich Auguſt an zwei einflußreiche Perſonen in Wien geſendet habe, deren eine ſei nen Andeutungen nach Tallerrand geweſen iſt 4 ), während nach der

1) v . Gagern , II , 50 , 77 , 2) Savary , Mémoires, S. 8. *) Mémoires d'outre tombe , IV , 441. 4) De la Garde , I , 429.

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öffentlichen Meinung der übrige Theil des Geldes bewirkt haben ſoll, daß der öſterreichiſche Miniſter des Auswärtigen die von Preußen begehrte Einverleibung Sachſens, wozu er unter gewiſſen Bedingungen bereits die Einwilligung feines Hofes erklärt hatte, feitdem mit den Intereſſen Defterreichs und Deutſchlande durch aus unverträglich fand. Man iſt um fo geneigter dies zu glauben, als niemand Metternidi's Bedürfniß und Neigung zu außerordent lichen Einnahmen bezweifelte. Glaubwürdigen Nachrichten zufolge hatte er vom Kaiſer Franz ſeit dem Jahre 1813 die Erlaubniß er halten beliebige Summen zu ſeinen Bedürfniſſen aus der Staatstafſe zu entnehmen, und er jou dieſelbe bis zu deſſen Tode dergeſtalt benußt ha ben , daß er, ohne je dafür eine Quittung zu ertheilen , 13 Millionen Gula den ſich quszahlen ließ . Eine nod außerordentlichere und unwider legt gebliebene Nachricht über ihn brachten wiener Blätter, nachdem Fabre 1848 vor der ihm drohenden Rache des Volts ins Ausland geflohen war. Er habe nämlich ſeit Beendigung des wie ner Congreſſes vom Kaiſer Alexander für einen mit demſelben ver abredeten Briefwechſel jährlidy eine Summe von 50000 Dutaten erhalten , weldie deſſen Nachfolger Nikolaus auf 75000 erhöhte, nach dem die eine Zeit lang nad Alerander's Tode unterbliebene Aus zahlung des Jahrgeldes eine empfindliche Kälte des öſterreichiſchen Cabinets gegen das ruffiſqe erzeugt hatte. ) Wo Tallerrand's Privatvortheil ſeiner Rolle als Vertreter Frant reichs teinen Eintrag that , da wußte er für daſſelbe ſehr rajde Er folge zu erzielen. 3n wenig Wochen hatte er nidit nur die Höfe Spaniens und Siciliens, welche idon durch den Bourboniſchen Fa milienvertrag verbunden waren ihn zu unterſtüßen , ſondern auch die Vertreter Portugals, des Kirchenſtaates , Dänemarks, Baierns, Wür tembergs und Sachſens zu ſeinen Clienten gemacit. 2) Zwiſchen ihm und Metternich herrſchte das beſte Einverſtändniß. Schon feitdem dieſer im Jahre 1806 nach Pario gekommen war, hatte Taleyrand in dem jungen öſterreichiſchen Diplomaten , deſſen einſchmeichelnde Manieren und vortheilhaftes Aeußere am franzöſi fchen Hofe großes Glüc machten , und ihm ſogar die Gunft von Na poleon's Schweſter Karoline Murat erwarben, eine in vieler Beziehung Sein zäher Haß gegen Napoleon, gleichgeſtimmte Seele entdedt.

) ' 0. Hormanr , Kaiſer Franz und Metternich , S. 70. Wiener Abendzeitung im Juli 1848. 2) Mémoires de Louis XVIII, IX, 260 .

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welcher Taleyrand's Talente zwar benußte, ihn jedoch ſeine Abneigung oft ſchmerzlich empfinden ließ , hatte zwiſchen dem franzöſiſchen Mi niſter und dem Botſchafter einer Macht, die begierig war ſich an Na polen zu rächen , ein vertrautes Verhältniß entſtehen laſſen , welches, nie ganz abgebrochen , in Wien durch gemeinſchaftlich verfolgte Pläne feinen Höhepunkt erreichte, und auf die Ergebniſſe des Congreffes von bedeutendem Einfluſſe war. Da eine Verſtändigung über die zu ordnenden Gebietsfragen noch in weiter Ferne ſchien , ſo beſchloſſen die am 30. Oct. verſam melten Vertreter der acht Mächte, welche den pariſer Frieden un terzeichnet hatten , am 1. Nov. eine Bekanntmachung zu erlaſſen, des Inhalts : fie ſeien übereingekommen einander ihre Vollmachten mitzutheilen , und in der geheimen Hof- und Staatskanzelei Sr. k. k. apoſtoliſchen Majeſtät niederzulegen , ſowie die Vertreter der übri gen Mädyte aufzufordern vom 3. Nov. an ihre Vollmachten der dazu erwählten Commiffion zum Anerkenntniſſe vorzulegen, was auch geſchah. Taleyrand ſchlug außerdem vor : den beglaubigten Bertretern folcher Staaten , deren Zulaſſung zum Congreſſe unbe ſtritten ſei , Siß und Stimme in den Congreſverhandlungen zu ver leihen , ſolchen dagegen , bei denen dies nicht ſtattfinde, die Anweſenheit dabei zu geſtatten. Leßteres hätte von den Bevollmächtigten des König von Sachſen , Murat's und der Republik Genua gegolten. Ferner beantragte er drei beſondere Ausſchüffe zu bilden : für Italien , für die Verfaſſung Deutſchlands und für diejenige der Schweiz. Der erſte Vorſchlag wurde ſchlechterdings verworfen , der zweite und dritte dertagt und ſpäter angenommen. Ein vierter fand ſofortige Annahme. Er beſtand darin , daß Fürſt Metternich als Vertreter derjenigen Macht, in deren Hauptſtadt der Congreß ſtattfinde, die Sißungen deſſelben leiten jolle. Die Bevollmächtigten der kleineren Staaten gaben fich, nadidem fie ihre Beglaubigungen überreicht hatten , der Hoffnung hin endlich an den Congreßſitungen theilnehmen zu können , allein in der nächſten Sißung der acht Mächte am 13. Nov. beſchloß man ſolche allgemeine Congreßverſammlungen auf unbeſtimmte Zeit hinaus zu vertagen . Es fanden auch wirklich dergleichen erſt in den letten Wochen des Congreſſes ſtatt. 2) In derſelben Sißung begannen die Verhandlungen über die Ver

1) Klüber, I , 37 ; VIII , 81, 83, 90. Flaſſan , I , 31 .

33 einigung des Freiſtaates Genua mit dem Königreiche Sardinien.

In

einem Abſchnitte des zweiten geheimen Artikels zum pariſer Frieden war von den verbündeten Mädyten bereits beſtimmt worden , daß der König von Sardinien durch den Staat von Genua " eine Gebiete vergrößerung erhalten ſolle.

Da ſich nun die Intereſſen der Ber bündeten hier nicht freuzten, ſo hatte die Ausführung beſagter Bea ſtimmung nur inſofern einige Schwierigkeiten, als der König von Sardinien ſich nicht geneigt zeigte die von jenen zu Gunſten Genuas geforderten Einrichtungen , als ſeiner unumſchränkten Gewalt Eintrag thuend , zu genehmigen. Derſelbe verdankte dieſe Gebietsvergröße rung der Abſicht der Verbündeten Frankreich in die Grenzen, welche es vor der Revolution gehabt hatte , zurüdzuweiſen , und deſſen Nach barländer dergeſtalt zu kräftigen , daß fie dem franzöſiſchen Angriffe

mindeſtens ſo lange zu widerſtehen fähig ſeien , bis ihnen von den Großmächten , die bei einem Eroberungskriege Frankreichs mehr oder minder ſelbſt gefährdet waren , Hülfe geleiſtet werden könnte. Bea fonders lag es in Deſterreichs Intereſſe, durch Verſtärkung der Wi derſtandsfähigkeit des Königreiche Sardinien eine Vormauer gegen franzöſiſche Angriffe auf ſeine eigenen italieniſchen Beſißungen zu erhalten. Die Vertheidigung Genuas durch die Franzoſen im Jahre 1800 hatte gezeigt, welches Bollwert dieſe Stadt fei , deren doppelte Reihe von Feftungswerken auf der einen Seite durd das Meer, auf der anderen durch die Ausläufer der Apenninen gebedt war. Als Lord Bentink zu Ende Aprile 1814 die Franzoſen aus Genua bertrieb, hatte er durch ſeine Aufforderung ihren alten ariſtokratiſchen Frei ſtaat wiederherzuſtellen die Sympathien der Einwohner gewonnen . Mit ſeiner Genehmigung war unter großem Jubel des Volks eine einſtweilige Regierung eingeſegt worden ; allein die Verbündeten mißbilligten jene Aufforderung. Zur Vertheidigung dieſes, dem eng liſchen Miniſterium im Parlamente vorgeworfenen Wortbruches be merkte Lord Caftlereagh : don zu Baris hätten die verbündeten Mächte Genuas Vereinigung mit Piemont beſdiloſſen , und wären kraft des Eroberungsrechts aud vollkommen hierzu befugt geweſen. Lord Bentink habe aber als Anführer des in Italien verwendeten See res nur einſtweilige Anordnungen zu treffen das Recht gehabt. Der Beſchluß jener Vereinigung ſei im Intereſſe Europas gefaßt worden , weil es unpolitiſch geweſen ſein würde die Vertheidigung eines der wichtigſten Punkte Oberitaliens einem kleinen Şandelsſtaate anzuver II. 3

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trauen , welcher die hierzu nöthige Kraft nicht beſikt. 1) Modytem aber auch politiſche Gründe für die diesfallfige Entſchließung der Berbündeten ſprechen , ſo lag doch in ihr eine ſchreiende Verlegung des von ihnen als Richtſchnur ihrer Sandlungsweiſe verkündeten Grunds faßes der Legitimität.

Denn als die Waffen der franzöſiſchen Republik

den genueſiſchen Freiſtaat umſtürzten, hatte er über 900 Jahre be ſtanden , und von den Berbündeten war es ja als ihre erhabene Auf gabe bezeidinet worden auf den Trümmern der revolutionären Schöpfungen die alten rechtmäßigen Regierungen wiederherzuſtellen. Nur Frankreich hatte aus den angegebenen Gründen ein Intereſſe die Vereinigung Genuas mit Piemont zu hindern, und Ludwig XVIII. hatte feine Geſandtſchaft beauftragt dies womöglich zu thun . Da aber wenig Ausſicht vorhanden war den Verbündeten , welche fid hierüber ſdon im allgemeinen geeinigt hatten , erfolgreichen Wi derſtand zu leiſten , ſo war Talleyrand vorſichtig genug ſein Anſehen durd das zu erwartende Mißlingen eines ſolchen Verſuchs nicht er fdhüttern zu wollen. Er veranlaßte daher den ſpaniſchen Geſandten Don Gomez Labrador durch eine den gemeinſchaftlichen Abſichten günftige, aber freilich ganz ungerechtfertigte Auslegung des betreffen den geheimen Zuſaßartikels fein Glück zu verſuchen. Dieſer ſtellte nun die Behauptung auf: es gehe aus jenem Artikel nur hervor, daß der König von Sardinien für den Verluſt des an Frankreich abgetretenen Theiles von Savoyen aus dem Gebiete von Gen ua" entſchädigt werden folle. Es ſei alſo gar nicht ausgemacht, daß Seiner An hierzu das ganze genueſiſche Gebiet zu verwenden ſei. ficht nach müſſe vor Erledigung dieſer Frage ein Ausſ( uß für die allgemeinen Angelegenheiten Italiens gebildet werden , wie dies hin= fichtlich Deutſchlands bereits der Fall ſei . Man habe daher keine Veranlaſſung mit der Sonderfrage, wie der König von Sardinien zu entſchädigen ſei , ſich ſchon jeßt zu beſchäftigen. Da alle übrigen Bevollmächtigten dem fraglichen Artikel die ein zig zuläſſige Auslegung gaben , die ihm Metternidy . bereits gegeben hatte , und ſich für die ſofortige Erledigung dieſer Angelegenheit aus ſprachen , ſo ſchloß fich Talleyrand, aus der Noth eine Tugend machend, der Meinung Metternid’s ebenfalls an ; ja es wurde fo gar auf ſeinen Antrag beſchloſſen dem Könige von Sardinien den Inhalt der zweiten geheimen Zuſaßartikels zum pariſer Frieden und den deshalb gefaßten Beſchluß mittelſt Protokollauszug es amtlich mit

i) Klüber , VII , 171–174.

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zutheilen , ſowie den Geſandten Genuas , den Marquis von Brig nolles, gleichzeitig davon in Kenntniß zu ſeßen , daß die Mächte bei Ausführung der beſchloſſenen Vereinigung Genuas mit Piemont den Vortheil der Genueſen ſo viel wie möglid im Auge haben würden. Der Widerſpruch des genueſiſchen Geſandten fand keine Berüdt ſichtigung, und nachdem er , der Gewalt der Umſtände weichend, die vom Congreffe unter Zuziehung des jardiniſchen Geſandten , des

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Marquis von St. - Marſan, feſtgeſeßten Bedingungen , unter welchen Genuas Vereinigung mit Piemont ſtattfinden folle, am 17. Dec. 1814 genehmigt hatte , erklärten die Vertreter Frankreichs und Spa niens : ſie willigten unter der Bedingung ein , daß dieſer Beſchluß erſt dann als endgültig betrachtet werde , wenn ſämmtliche italieniſche Angelegenheiten dem pariſer Frieden gemäß geordnet wären ; bis da hin jolle auch die Vereinigung der ſogenannten kaiſerlichen Lehne mit Piemont ausgeſeßt bleiben , die durch den Frieden von Campo formio, der liguriſchen Republik einverleibt worden waren. Der General Dalrymple , welcher die engliſche Befaßung von

Genua befehligte , wurde nun von Lord Caftlereagh angewieſen den gefaßten Beſchluß der dortigen einſtweiligen Regierung bekannt zu machen . Dieſelbe fandte eine Verwahrung der Rechte Genuas , als eines von den Mächten in vielen Verträgen als legitim anerkannten Staates, nach Wien , wo ſie aber keine Beachtung fand, weil in dieſem

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Falle die Beobachtung des Legitimitätsprincip8, als unvortheilhaft für die Mächte nicht in deren Willen lag. Sie ſah ſich alſo ge nöthigt den Genueſen den unabänderlichen Beſchluß des Congreſſes

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zu verkünden, und legte gleichzeitig die ihr vom Volke anvertraute Gewalt nieder , indem ſie erklärte , weder unverjährbare heilige Rechte verlegen , noch mit ungenügenden Mitteln einen Widerſtand leiſten zu wollen , der doch nur verderblich endigen könne . Dal

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rymple führte die Verwaltung fort bis den farbiniſchen Commiffarien übertrug.

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ſie im Januar 1815 Er ſuchte die Beſtürzung

der Genueſen durch Veröffentlichung des an ihn gerichteten Schrei bens Caſtlereagh's zu beſchwichtigen , worin es dem wirklichen Verlaufe der Dinge wenig entſprechend hieß : „ Das Volk von Genua wird in der Großmuth des Königs von Sardinien , deſſen Verlangen die Wünſche der Genueſen ſo viel , als möglich zu befriedigen das gleiche Verlangen der Mächte bei den Verhandlungen noch übertraf, das fidyerſte Pfand dafür finden , daß es unter dem Schuße ſeiner väter lidhen Regierung nach feſten und freiſinnigen Grundfäßen werde be 3 **

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Der zwiſchen Sardinien einerſeits und Defter reich, England , Rußland, Preußen und Frankreich andererſeits am 20. Mai 1815 zu Wien abgeſchloſſene und ſpäter noch in anderer Beziehung zu erwähnende Vertrag ordnete endgültig diefe Unge legenheit. 1) herrſcht werden ."

1) Klüber, VII, 405 — 37 ; VIII , 85-95. De Martens, Suppl. au recueil des traités , VI , 298 - 310.

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Zweiter Abſchnitt.

Ordnung der Gebietsverhältniſſe auf dem wiener Congreffe, beſonders in Bezug auf Sadjen und Polen .

Deſterreich hatte theils ſchon zur Zeit , als es die bedrängte Lage Rußlands und Preußens nach den Schlachten von Lüßen und Baußen dazu benuşte , denſelben die Bedingungen ſeines unentbehrlichen Bei ſtandes gegen Napoleon vorzuſchreiben , theils zu Baris , wo es durch den zweiten geheimen Zuſaßartikel ſeine nachmaligen italieniſden Provinzen , und durch die Uebereinkunft mit Baiern die Zurückgabe ſeiner an daſſelbe abgetretenen Landſtriche wiederholt zugeſichert er hielt, dafür geſorgt, daß die endgültige Beſtimmung ſeiner Grenzen im wiener Congreſſe allen feinen Anforderungen entſpredje. Preußen , weniger gut berathen , hatte ſich mit der allgemeinen Zuſicherung begnügt : es folle an Umfang und Volksmenge mindeſtens fo viel erhalten , daß es den Grad von Madyt , welchen es im Fahre 1806 beſeffen habe , wieder erlange. Obidon die Hauptſchuld die nöthige Vorſicht in dieſer Beziehung verſäumt zu haben , den Staatskanzler von Hardenberg trifft, der auf Ergreifung aller desa halb erforderlichen Sicherheitsmaßregeln beſtehen, oder ſeine Stelle hätte aufgeben ſollen , fo ſcheint doch ein Theil der Schuld auf dem Roa nige Friedrich Wilhelm ſelbſt zu laſten. Seiner Unentſchloſſenheit we gen war es nöthig , ihn zu jedem entſcheidenden Sdritte zu drängen , und oft ſträubte er fich das zu thun , was als eine nothwendige Folge früherer Handlungsweiſe geſchehen mußte, ſollten nicht Nach theile für den Staat daraus erwachſen . Ein Brief des eng

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liſchen Geſandten Jadſon in Berlin vom 19. Aug. 1814 an Lord Caſtlereagh legt hierüber ein unverwerfliches Zeugniß ab. Die neulich ernannten Miniſter " , ſchreibt derſelbe , v haben zwar ab gelehnt, daß die Communication mit dem Könige nur durch den Fürſten Þardenberg ſtattfinden ſolle , ſie beſißen aber nicht die Mittel, wenn ſie auch die erforderliche Charakterſtärke und Feſtigkeit hätten , ein anderes , als das bisherige Syſtem zu befolgen. Daher die nämliche Läſſigkeit, dieſelbe Uns regelmäßigkeit in den Geſchäften . In einer Zeit, welche die Anſtrengung jedes Nerven erheiſcht, um die Schäden auszubeffern , die alle Zweige des Staates erlitten haben , behält der Kanzler die ausſchließliche Leitung der verſchiedenen Departements : eine Aufgabe, die ſelbſt bei dem größten Eifer die Kräfte eines einzigen Menſchen überſteigt, wenn ihn auch ſeine gewohnte Trägheit und Vergnügungsſucht nicht ſchon ohnehin hierzu gänzlich unfähig machten. Das ſind Umſtände, welche vor den Augen Aller klar daliegen. Diejenigen , welche eine nähere Einſicht haben in das , was geſchieht, klagen ihn an die Intereſſen Preußens im vorigen Jahre zu Mas liſch und in den Unterhandlungen mit Defterreich und Baiern vernachläſſigt zu haben. + Dem Ábgehen von der Baſis , welcher Rußland zuerſt zugeſtimmt hatte und welche, wie ſich Ew. Herrlichkeit erinnern werden, die unbedingte Wie dereinſeßung Preußens in ſeine Territorien von 1806 mit der einzigen Aus "nahme von Bialyſtod feſtſtellte , ferner der zu Paris ertheilten Beſtätigung der Abtretung von Anſpach und Baireuth an Baiern ſchreibt man die ſchmäliche Alternative zu , in welche dieſes Land (Preußen ) jeßt angeblich verſekt worden iſt: entweder bezüglich Sachſens einen Act ſchreienden Uns rechts zu begehen , oder ſich nach ſo vielen Opfern in eine ſchlechtere Lage herabgedrüđt zu ſehen , als in welcher es in der zuerſt erwähnten Zeit ſich befand. Die Sprache der Ruſſen iſt nicht der Art, um dieſen Zuſtand der Uns behaglichkeit zu vermindern. Sie ſind die erſten , welche den Sachſen ihr Beileid bezeigen , lautes Geſchrei gegen die Abſcheulichkeit des Acts erheben, und das Gehäſſige deſſelben dem hieſigen Lande zuſchieben , während anderers ſeits einer ihrer Generale , als man von den wahrſcheinlichen Schwierig , keiten (prach , die auf dem bevorſtehenden Congreſſe eintreten könnten , erwis derte : 0 , was das anlangt , wenn man 600000 Mann hat , ſo verhandelt man nicht lange! Fürſt Hardenberg, bekannt mit dieſen Umſtänden , und daran verzweis felnd , daß Rußland dazu vermocht werden könne irgend einen ſeiner An ſprüche auf Polen aufzugeben, dabei aber bemüht die Eiferſucht zu mäßigen, welche man in Preußen faſt durchgängig empfand , als man die Nachbarn bereits in den Beſit ihres betreffenden Antheils kommen ſah , wendet allen ſeinen Eifer auf , um die Beſignahme Saden8 zu beuleunigen : eine Maßregel, welche ſicherlich den perſönlichen Gefühlen des Mönigs, ſeines Herrn , ſo ſehr widerſtrebt, daß Se. Maj. in einer vorige Woche abgehaltenen Staatsrathsſißung, in welcher der Kanzler Har benberg, unterſtügt vom Fürſten Blücher und Grafen Tauenzien , biefelbe als dringend nothwendig empfahl, nicht vermocht werden konnte zu ihrer unmittelbaren Ausführung ſeine Einwilligung zu ertheis ren , und die Sißung , mit unverhehltem Mißfallen aufhob. Man ſpricht jedoch ſchon wieder von vorläufigen Schritten , und bezeichnet den Prinzen Wilhelm von Preußen als den wahrſcheinlichen Vicefönig . " " ' 1)

1).Caftlereagh, Dentſdriften , V , 283 - 85.

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War demnach der König von Preußen nad dem pariſer Frie den zwar geneigt die Einverleibung Sadſens in feine Staaten Be hufs ſeiner Entſchädigung zu fordern , nicht aber ' entſdieden demge mäß zu handeln , ſo darf man wol unbedenklich annehmen , dies ſei noch in höherem Grade vorher der Fall geweſen, und dieſer Um ſtand habe dazu beigetragen , daß das preußiſche Cabinet es unter ließ während des Feldzuges von 1813 und in Paris auf beſtimmten diesfallſigen Zuſicherungen von Seiten ſeiner Verbündeten zu beſtehen . Trug er aber überhaupt Bedenken die Strenge des Eroberungsrechts gegen den König von Sachſen geltend zu machen , oder bezweifelte er vielmehr das Gelingen eines ſolchen Verſuche, fo hätte er auch der bisherigen Politik ſeines Ranzlers , aus welcher die Beſit nahme Sachſens nothwendig folgte , feine Zuſtimmung verweigern, und die Verträge von Italiſch, Reichenbach, Teplit , Ried und Paris in ihren betreffenden Beſtimmungen nicht genehmigen müſſen . Hardenberg fannte den unentſchloſſenen Charakter Friedrich Wil Helm's und die Mühe, welche es gekoſtet hatte, ihn zum Kriege ge gen Napoleon zu beſtimmen . Seine Schuld war es , daß das preu Biſd) -ruſſide Bündniß zu Kaliſch unter Bedingungen zu Stande kam , welche weder der Staatsklugheit, noch der Ehre Preußens, als eines gleichberechtigten Bundesgenoſſen, entſprachen. Als es aber ge= fdhloſſen war , da lag ihm um ſo mehr ob den begangenen Fehler wo möglicy wieder gut zu machen , und die Wiederherſtellung des preu Biſchen Staates in einem ſeiner frühern Größe entſprechenden Ge bietsumfange dadurch zu ſichern , daß er bei ſich darbietender Gelegen heit auf, verbriefte , mit gehöriger Beſtimmtheit abgefaßte Verſprechen ſeitens der Bundesgenoſſen Preußens drang, und hiervon ſein Verblei ben an der Spiße der Geſchäfte abhängig machte. Statt deſſen fügte er zu dem begangenen Fehler neue und größere hinzu , und brachte jo Preußen durch ſeinen Leichtſinn und ſeine Nachläſſigkeit um einen Theil der Vortheile , welche deſſen Volf durch glänzende Tapferkeit und beiſpielloſe Opfer verdient, und ſonſt auch ſicherlich ſich er rungen haben würde. Die Gewalt der Thatſachen äußerte ihre Wirkung endlich auch auf den König von Preußen . Wozu er ſich in Berlin und , was noch weit widytiger war , bei den während des Feldzuges gepflogenen Verhandlungen und eingegangenen Verträgen nidyt hatte entídließen können , dazu entſchloß er fidh einige Wochen ſpäter in Wien . Denn am 28. Sept. wurde zwiſchen Rußland und Preußen ein Vertrag über das Schidjal Polens und Sad jens abgeldloffen, deſſen Inhalt, obdon zur Zeit nicht veröffent

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licht) , in der Hauptſache daraus erhellt, daß Hardenberg nun die Einvers leibung von ganz Sachſen in den preußiſchen Staat forderte , und dagegen nicht kräftig fich dem widerſeşte , daß Rußland den Landſtrid vom Großherzogthum Warſdau, weldien es nad dem kaliſcher Ver trage , damit Dſtpreußen beſſer mit Schleſien verbunden würde , an Preußen abzutreten hatte , auf enge und ich ledit zu vertheidigende Grenzen beſchränkte. An demſelben Tage beantragte der Freiherr vom Stein beim

Kaifer Alerander , daß der Generalgouverneur von Sachſen, der ruſ fiſche Fürſt Repnin , die Verwaltung Sachſens an preußiſche Commiſ faire übergebe , und wurde er audy ermächtigt das Nöthige anzuordnen . Gleichzeitig thaten Stein und Hardenberg Schritte, um hierzu auch Oeſterreichs. Deſterreichs und Englands Genehmigung zu erlangen. amtliche Zuſtimmung wurde erſt in der zweiten Woche des October ertheilt, weil , wie Metternich äußerte , der Kaiſer Franz anfänglid; fid fträubte diefelbe zu unterzeidynen . Caſtlereagh antwortete auf das Schreiben , welches der preußiſche Staatskanzler deshalb an ihn gerichtet hatte , unter dem 11. Oct. folgendermaßen : Es giebt keinen Grundfaß der europäiſchen Politik, dem ich mehr Wichtigkeit beilege, als der thatſächlichen Wiederherſtellung Preußens. Die ruhmvollen Dienſte, welche baſſelbe im lekten Kriege geleiſtet hat, geben ihm die größten Rechte an unſerë Erkenntlichkeit. Aber ein noch mächtigerer Beweggrund dazu liegt in der Nothwendigkeit in Preußen die alleinige dauerhafte Grundlage jeber Einrichtung zu erbliden , welche die Sicherheit des nördlichen Deutſchlands gegen die größten , ihm möglicherweiſe dro henden Gefahren zum Zweď hat. In einer ſolchen Kriſe müſſen wir unſere Augen auf Preußen richten. Mit ſeiner Macht müffen wir die unſrige ver binden, um dieſe Aufgabe zu löſen . Die preußiſche Monarchie muß kräftig und dauerhaft, fie muß mit allen Eigenſchaften eines unabhängigen Staats begabt ſein , die ihn fähig machen ſich Achtung zu verſchaffen und Vers trauen einzuflößen. Hinſichtlich der Sachſen betreffenden Frage erkläre ich: wenn die völlige Einverleibung dieſes Landes in die preußiſche Monarchie nothwendig iſt, um Europa ein ſo großes Gut wie den Frieden zn ſichern , ſo würde ich keinen moraliſchen , oder politiſden Widerwillen gegen eine ſolche Maßregel nähren , welchen Schmerz ich auch perſönlich bei der Idee empfände, eine ſo alte Fürſtenfamilie in jo tiefe Betribniß verlegt zu ſehen . Wenn je ein Souverän ſich ſelbſt in den Fall geſeßt hat der fünftigen Ruhe Europas aufgeopfert zu werden , ſo iſt es, glaube ich, der König von Sadiſen wegen ſeiner fortwährenden Ausflüchte, und weil er nicht nur als der ergebenſte, ſondern auch als der am meiſten begünftigte unter den Ba allen Buonaparte's mit aller Macht und allem Eifer in ſeiner doppelten Eigenſchaft als Oberhaupt deutſcher und polniſcher Staaten dazu beigetragen hat die allgemeine Unterjochung bis in das Herz Rußlands auszudehnen .

? ) Plüber , IX , vi , 122.

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Mir iſt nicht unbekannt, daß es in Deutſchland mehrere Beiſpiele einer politiſchen Unſittlichkeit derſelben Art giebt , doch kenne ich keines , welches in gleichem Grade anſtößig wäre. Da nun nicht alle deutſchen Staaten bes ftraft werden können , welche ſeit einiger Zeit ſich faſt für ermächtigt gehalten haben in ſolchen Widerſprüchen ſich zu bewegen , auch die Mehrzahl ihr Un recht durdi ſpätere Dienſte geſühnt hat, ſo bin ich damit einverſtanden , daß man dem Haufen der Schuldigen verzeihe , aber an Einem unter ihnen ein Beiſpiel aufſtelle, um einem ſo unglüdlichen und unverträglichen Verlaufe der Dinge Stillſtand zu gebieten. Ew. Durchlaucht wird aus dieſer Darſtellung die Ueberzeugung entneh men , daß ich nicht anſtehe die vorgeſchlagene Maßregel grundſäglich zu bili : gen , wenn ſie nothwendig iſt, um Preußen in die Lage zu verſeßen, welche es im Intereffe von Europa einnehmen muß . Wenn hingegen dieſe Ein verleibung ſtatthaben ſollte als Mittel, um Preußen für das zu entſchädigen , was es durch beunruhigende und gefährliche Unternehmungen Rußlands zu leiden haben könnte, und als eine Maßregel , welche erdacht worden wäre, um es zu veranlaſſen , daß es ſich mit vertheidigungsloſen Grenzen einem von Rußland abhängigen Zuſtand unterwerfe — eine Vorausſegung, welde ich um der Ehre und des Intereſſes Aler , und beſonders um Rußlants dann würde ich mich nicht für er ſelbſt willen tief bedauern müßte mächtigt halten Ew. D. den mindeſten Grund zur Hoffnung zu geben , daß Großbritannien im Angeſichte von Europa in eine derartige Maßregel ein willigen werde. Ueberzeugt, daß ein mit den Grundſäßen eines Bündniſſes ſo unverträgliches Ergebniß weder von der einen Seite vorgeſchlagen , noch von der andern geduldet werden würde, habe ich nichts dagegen einzuwens den , daß Sachſen, wie Ew . D. es wünſcht, der vorläufigen Verwaltung Sr. preußiſchen Majeſtät anvertraut werde. Ich willige ſofort in dieſe Maßs regel , welche mir an ſich gerecht und vernünftig erſcheint, um Ihnen damit ein Pfand für die Aufrichtigkeit meiner oben ausgeſprochenen Berfidherungen zu geben , ſowie in der ſichern Hoffnung, daß der König von . Preußen kei nem , mit der Würde feiner Krone , oder mit der dauernden Sicherheit fei ner Befißungen unverträglichen Abkommen fich fügen werde. Ich habe an genommen , daß Ew. D. meine Meinung über dieſen leßten Gegenſtand un verzüglich kennen zu lernen wünſche, und ſobald der Fürſt Metternich glaubt über die in dem Briefe Ew . D. hervorgehobenen Punkte ſich er flären zu können , bin ich bereit die Sache überhaupt in Angriff zu neh. men , indem ich ſehr danach verlange ein Abkommen zu beſleunigen, welches mir mit den wichtigſten Intereſſen Europas verknüpft ſcheint.“ Englands Vertreter begnügte ſich aber nicht in dieſer ſeiner Ant wort die von Hardenberg nachgeſuchte Einwilligung Englands in die von Preußen zu übernehmende Verwaltung Sachſens zu ertheilen, und zugleich zu erklären , daß er gegen deſſen Einverleibung in den preußiſden Staat nichts einwende , wenn ſie zur Wiederherſtellung und Kräftigung Preußens, nothwendig ſei , ſondern er richtete auch an die verbündeten Großmächte eine Denkſchrift, in welcher er die Rechtmäßigkeit dieſer Einverleibung ausführlich nadýzuweiſen unter nahm , und worin er noch heftiger gegen das Benehmen des Rö nige von Sachſen ſich ausſprach. Nachdem er kurz hervorgehoben , daß der König zwar anfänglich, als die Franzoſen von den Ber bündeten über die Elbe geworfen worden waren , geneigt geweſen

42 ſei ſich an Deſterreich anzuſchließen , bei dem erſten Unfalle der Ver bündeten aber die Partei Napoleon's wieder ergriffen , und jene ſo lange bekämpft habe bis fie Sachſen erobert, und ihn ſelbſt gefangen genommen hätten , fuhr er fort: niemand würde jo unvernünftig fein zu behaupten , daß die Verbündeten nicht berechtigt wären ſich auf Roften derjenigen Mächte , welche ihrem gemeinſamen Feinde beigeſtanden hätten , für ihre Verluſte zu entſchädigen. Rußland fönne die ihm gebührende Entidädigung nur im Herzogthume War ſchau durch ehemals preußiſche Provinzen finden , Breußen müſſe daher durch Sachſen entſchädigt werden , deſſen König vorzugs weiſe zur Zerſtückelung Preußens beigetragen , und von derſelben Vor theil gezogen habe. Wenn Rußland auf Koſten derjenigen Macht vergrößert werden dürfe , welche um die Sache Europas vor allen ſich verdient gemacht, weshalb ſollte dies Preußen nicht auf Koſten einer Macht verſtattet ſein , welche dieſer Sache den größten Nachtheil zugefügt habe ? Dieſe Gründe feien unwiderleglich, man müßte denn den Souveränen , welche Europa befreit, das Recht auf diesfallfige Entſchädigung abſprechen, und damit jede Macht der ſtärkſten Ver ſuchung ausſeßen die Sache Europas beim erſten Anſcheine von Gefahr oder gehoffter Vergrößerung zu verlaſſen. Der König von Sachſen habe weder ein Recht auf ſeine Wiedereinſepung , noch auf Entſchädigung. Er könne an die Milde der Eroberer fich wenden ; finde er jedoch die ihm in einem andern Theile Europas angebotene Entſchädigung ungenügend , ſo möge er über die unzureichenden Mittel, nicht aber über die Ungerechtigkeit des Anerbietens fich beklagen. Der König von Sachſen vertheidige ſein Benehmen auf eine welche, wenn der Befehlshaber einer Feſtung fid ihrer be denſelben der Gefahr ausſegen würde erſchoſſen zu werden . Rechtfertigung die Sache Buonaparte's , nachdem er ſie vers wieder ergriffen zu haben beſtebe darin , daß dieſer ſein Land zu verheeren und ſeine þauptſtadt zu verbrennen gedroht habe. Al lein zur Zeit dieſer Drohung feien die Verbündeten noch Herren der Hauptſtadt und eines großen Theiles feines Landes geweſen. Er Weiſe , diente , Seine laffen ,

habe jedoch vorgezogen fein Königreich den Waffen Napoleon's zu verdanken , ſtatt daſſelbe im Vereine mit den Verbündeten zu berthei digen , und doch habe jener nur zerſtören , dieſe dagegen Europa be freien wollen . )

2) Klüber , VII , 6- 15.

43 Beide Sdriftſtüde des engliſchen Staatsſecretärs ſtellen es außer Zweifel , daß England zu Anfang des Congreſſes mit der Einver leibung Sachſens in den preußiſchen Staat ſich einverſtanden erklärte, machen aber der Logit , Wahrheitsliebe , unparteiiſchen Beurtheilung und dem Schicklichkeitsgefühle ihres Verfaffers eben keine Ehre. Die auszugsweiſe wiedergegebene Denkſchrift war zwar aus der Feder des Unterſtaatsſecretärs Cook gefloſſen , und trug den Namen „ Saxon point“ , Lord Caſtlereagh aber hat dieſelbe gebilligt, und demnach zu vertreten . ) Das erſte Schriftſtück enthält inſofern fich wider ſprechende Behauptungen , als Caſtlereagh mit der Verſicherung be ginnt: er lege feinem Grundlage der europäiſchen Politik mehr Wichtigkeit bei , als der Wiederherſtellung Preußens , und willige daher ein , daß es Sachſen ſich einverleibe , wenn dies hierzu noth wendig fei ; denn die Sicherheit des nördlichen Deutſchlands hänge davon ab , daß Preußen kräftig genug ſei , um ſeine Unabhängigkeit Nichtsdeſtoweniger macht er ſpäter dieſe Einwilli zu behaupten. gung davon abhängig, daß Preußen ſich die ihm von Rußland zu gedachte vertheidigungsloſe Grenze nicht gefallen laſſe. Das heißt aber ſo viel , als : biſt du nicht ſtark genug Rußland zur Herausgabe deiner ehemaligen polniſchen Provinzen , oder doch zur Gewährung einer gut zu vertheidigenden Grenze zu nöthigen , ſo mache dir keine Hoffnung auf den Erwerb Sachſens ; denn in dieſem Falle frage ich weder nach deiner Wiederherſtellung, noch nach der Sicherheit des nördlichen Deutſchlands, welche durch jene bedingt iſt. Kann es aber , da kein Staat freiwillig eine wehrloſe Grenze wählt, und auf Provinzen , welche ſeine Wehrhaftigkeit erhöhen verzichtet, etwas Wi derſinnigeres geben , als jene Einwilligungsbeſchränkung des britiſchen Staatsſecretärs ? In der engliſchen Denkſchrift iſt merkwürdigerweiſe

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nur bedingungsweiſe gegebenen Einwilligung in die Vereinigung Sachſens mit Freußen nicht die Rede , ſondern dieſelbe in weit ſtär keren Ausdrüden gebilligt, als ſolche in irgendeinem preußiſchen Schriftſtüde fich finden ; ja bei einem in folder Weiſe anerkannten Rechte iſt überhaupt eine Beſchränkung deſſelben durch Bedingungen gar nidyt denkbar. Die Denkſchrift, weil ſpäter abgefaßt als Caſtle reagh's Antwort an Hardenberg , war alſo geeignet bei Preußen fo wol , als bei Rußland die Meinung hervorzurufen , daß die engliſchen Staatsmänner die Ungereimtheit der Bedingung eingeſehen hätten 1 ) 0. Gagern , II , 63.

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und ſich darauf beſchränkten nur die Verwirklichung ihres Inhalte zu wünſchen , da ſie fortfuhren für Ermäßigung der ruſſiſchen An ſprüche auf das Großherzogthum Warſchau ſich auszuſprechen . Jeden falls erſchwerte ſie dem preußiſchen Cabinete die ihm von Caſtlereagh kurz zuvor geſtellte Aufgabe Rußland zu Gewährung einer beſſern Grenze zu beſtimmen .

Hinſichtlich des Königs von Sachſen aber und

ſeines Entſchluſſes den von Napoleon an ihn geſtellten Forde rungen ſich zu fügen , werden geradezu wahrheitswidrige Behauptungen gemacyt, und der zwiſchen ihm und einem Feſtungscommandanten gezogene beleidigende Vergleich) iſt nicht bloß eine unedle Verhöhnung des Unglüde , ſondern ein Beweis wie verkehrt von den engliſchen Staatsmännern deutſche Verhältniſſe aufgefaßt wurden . Die Uns fähigheit des deutſchen Kaiſerthums die Stände des Reiche gegen Frankreich zu vertheidigen hatte dieſe zu Vafalen Napoleon's gemacht, und dadurch die Auflöſung des Reidis herbeigeführt. Als Friedrich Auguſt von Napoleon bei Verluſt ſeiner Arone aufgefordert wurde in die von den Franzoſen eroberte Hauptſtadt feines Landes zurück zukehren , befand ſich der bei weitem größte Theil deſſelben in fran zöſiſcher Gewalt. Dennoch zögerte er der Aufforderung Folge zu leiſten und das Bündniß mit Frankreich zu erneuern. Er wäre ficherlich in Prag geblieben , wenn Oeſterreich Ernſt gezeigt hätte durch die ihm verheißene bewaffnete Vermittelung die Wiederherſtel lung des Friedens zu erzwingen und ihn gegen Napoleon's Dro hungen zu ſchüßen . So beredt das öſterreichiſche Cabinet vor der Sdlacht bei Lüßen geweſen war, um den König von Sachſen auf ſeine Seite zu ziehen, ſo hartnädig ſdywieg es auf deſſen Anfragen, ob er auf den ihm verſprochenen Beiſtand zählen könne , und Deſterreich ſpä teres Benehmen bis zum Congreß von Prag macht es unzweifelhaft, daß dem König nur die Wahl freiſtand das franzöſiſche Bündniß zu erneuern , oder der damals wahrſcheinlichen Erfüllung von Napoleon's Drohungen, ſei es in Prag , ſei es in dem Lager der unfern der ſchle fiſchen Grenze ſtehenden Berbündeten, entgegenzuſehen. Nur Deſter reidys Wankelmuth und Unentſchloſſenheit verſchuldete die Erneuerung des Bündniſſes zwiſdien

Frankreich

und Sachſen ,

nicht wie Lord

Caſtlereagh’s falſche Anklage lautete , Friedrich Auguſt's politiſche Un fittlichkeit. In des Königs Lage würde keiner der damaligen euro päiſchen Fürſten anders gehandelt haben. Hätte Caſtlereagh Einſicht und Schidlichkeitsgefühl befeſſen , ſo würde er ſich zur Rechtfertigung der Vereinigung Sadſens mit Preu Ben nur auf das Recht der Eroberung berufen haben und auf die

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Befugniß Preußens ſich hierdurch gegen ſolche Unfälle ficherzuſtellen, wie die , welche den Frieden zu Tilſit herbeiführten , infolge def= ſen der König von Sachſen deutſche und polniſche Provinzen ſeines bisherigen Bundesgenoffen Friedrich Wilhelm erhalten hatte. Daran hätte er ſeine Bemerkungen von der Nütlichkeit der Maßregel für Deutſchlands Sicherheit und Europas Ruhe knüpfen können , ſtatt deſſen gab er fich die doppelte Blöße eine Forderung ungeſchicht zu vertheidigen , welche er kurz darauf als ungerechtfertigt und gemein dhädlid bekämpfte. Wie wenig übrigens England daran dachte gegen den Kaiſer von Rußland Waffengewalt anzuwenden , wenn er Deſterreich und Preußen die verlangte militäriſche Grenze nach Polen zu nicht zu geſtehe, erhellt aus einer deußerung, welche Graf Münſter, der Rath geber des engliſchen Cabinets in deutſchen Angelegenheiten , ſchon einige Zeit vor Entſtehung der betreffenden engliſchen Schriftſtücke bei einer Unterredung mit dem Freiherrn von Gagern gethan hatte. Sie lautete : man dürfe nie damit einverſtanden ſein , daß die Ruſſen fid in Polen feftfeßten , wenn man es auch zulaſſe. 1) Dieſer Mangel an Entſchloſſenheit bei ſeinen Gegnern konnte dem Scharfblice Alexander's nicht entgehen. Bloße Verwahrungen machten keineu Eindruck auf ihn , ſie durch.

er beharrte auf ſeinen Forderungen und ſeşte

Das Befremden darüber, wie Caſtlereagh die ſächſiſdie Frage behandelte , ſteigert ſich noch, wenn man damit vergleicht, in wel · cher Weiſe der engliſche Geſandte Jadſon in Berlin in ſeinem obs gedachten Schreiben über Preußens lage hinſichtlich der von bem felben beanſpructen Entſchädigung gegen ihn ausgeſprochen hatte, daß Sachſen hierzu dienen folle , war dort eine ſchreiende Ungerechtigkeit genannt. Iſt es bei dem Ilmſtande, daß alle höhere Beamte in Eng land ſtets die politiſchen Anſichten des Miniſteriums vertreten , und mit dieſem ſtehen oder fallen , wol wahrſcheinlich, daß 3adfon , zumal ohne beſondere Veranlaſſung, ſo ſtark ſich ausgedrückt haben würde, wenn ſein Vorgeſetter Caſtlereagh wirklich eine der ſeinigen geradezu entgegengeſepte Meinung gehabt hätte ? Freilich läßt ſich die Sache noch aus einem andern Geſichtspunkte auffaſſen , nämlich, daß unter den britiſchen Staatsmännern recht wohl Meinungsverſdjiedenheiten über die Gerechtigkeit der fragliden Maßregel beſtehen konnten , wäh rend ſie in ihrer Handlungsweiſe nicht durch die eigene Ueberzeugung, ) 0. Gagern , II , 65.

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fondern nur durch die Rückſicht auf Englande Vortheil ſich beſtim men ließen , daß Metternich aber Lord Caftlereagh zu überreden ver ſtand , Englands Vortheil ſei nur im Zuſammengehen mit Defter reich zu finden. Daß beide vorheriger Verabredung gemäß handelten ift offenbar, doch war Metternich's Zuſage der Vergrößerung Kuß lands fich widerſeßen zu wollen ficherlich keine ernſtlich gemeinte, obſchon fie Caſtlereagh wol dafür gehalten haben mag . Beide ſtellen ſich als von der Ueberzeugung durchdrungen dar, daß die Wiederherſtellung Preußens für das allgemeine Beſte unerläßlid fei , knüpfen aber dennoch an ihre Einwilligung in die preußiſche Einderleibung Sachſens, welche das geeignetſte Mittel hierzu ſchien, die Bedingung : Rußland eine militäriſche Grenze in Polen abzu nöthigen , welche nur in dem mittlern Laufe der Weichſel zu finden geweſen wäre . Hieran war aber nach dem ihnen bekannten Ver trage von Kaliſch nicht zu denken. Beide geben Rußland gegenüber bald ihren Widerſtand gegen deſſen Forderungen auf , Caſtlereagh freilich erſt nach einigen heftigen Noten , Metternich aber unter ſpäter zu erwähnenden Umſtänden , welche ſeine treuloſe Doppel züngigkeit und ſeine Abſicht unzweifelhaft machen , durch Nachgiebigkeit gegen Rußland deſſen Bündniß mit Preußen zu trennen . Beide be nußen endlich die Nichterfüllung der dem preußiſchen Cabinete ge ſtellten unmöglichen Bedingung zur Beſchönigung, daß ſie ihr dem= felben hinſichtlich Sachſens gemachtes Zugeſtändniß zurücknahmen . In Paris , bei dem erſten ſowol , als dem zweiten pariſer Frieden , wie in Wien verfolgten Defterreich und England dieſelbe Bolitik . Beide begünſtigten auf Breußens Unkoſten das neu geſchaffene Kö nigreich der Niederlande , und ſorgten dafür, daß ſowol Preußen , als Deutſchland offene und ſchwer zu vertheidigende Grenzen erhiel ten , indem ſie ſich beide gegen die Schmälerung des franzöſiſchen Gebiets , obſchon nach ihrer verſchiedenen politiſchen Stellung mehr oder minder offen, ausſprachen. Nicht um die für das europäiſche Feſtland bedrohliche Stellung Rußlands in Polen , ſondern um die das politiſche Gleichgewicht nicht ſtörende Vereinigung Sadſens mit Breußen zu verhindern , waren beide zum Kriege entſchloſſen. Preu : Bens Entſchädigungsforderungen wurden von Bedingungen abhängig gemacyt, für deren Unerfülbarkeit Metternich noch ganz beſonders durch ſein Benehmen ſorgte. Die Forderungen Deſterreichs waren ſchon in Paris anerkannt , ohne daß England ihm die Behauptung von Weſt galizien zur Pflicht gemacht hätte. Metternich verfolgte, troß aler Verſicherungen des Gegentheils , das von

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Preußen und Deutſchland in eine Deſterreichs Schuherrlichkeit be günſtigende Lage zu verſeßen . Caſtlereagh war, weil England Deſter reiche bedurfte, damit einverſtanden, objdon er Rußlands neuen Länder zuwachs gern geſchmälert hätte ; des Einverſtändniſſes mit Deſter reich wegen gab er aber ſeinen Widerſtand gegen Rußland und ſeine Unterſtübung Preußens auf. Metternich's Politik war argliſtig, wohldurchdacht, ſelbſtändig und erfolgreich; diejenige Caſtlereagh'8

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beſcheinigt nur ſeine Sorgloſigkeit, Schwäche und kurzſichtigkeit, zu = mal da er bei den Verhandlungen , welche dem erſten pariſer Frie

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den vorhergingen, Gelegenheit genug gehabt hatte Metternich's wirk liche Abſichten zu durchſchauen.

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Kaiſer Alexander trat erſt nad Ueberreichung der engliſchen Denkſchrift, welche ſeinem Anſpruche durch polniſch - preußiſche Pro vinzen entſchädigt zu werden günſtig war , offen mit ſeiner Forderung auf den bei weitem größten Theil des Großherzogthums Warſchau

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hervor. Obichon er die Verbindlichkeit übernommen hatte daf ſelbe mit Deſterreich und Preußen zu theilen , ſo war er doc) ent ſchloſſen ſich den Löwenantheil zuzueignen. Daß dieſe Abſicht an der zum Nachtheil ſeiner deutſchen Berbündeten gegen Frankreich be wieſenen Großmuth bedeutenden Antheil gehabt habe , iſt um ſo we niger zu bezweifeln , da er fich über Frankreichs Inbank bitter be ſchwerte, als dieſes nicht ſofort geneigt war ihm durch Beförderung ſeines Vorhabens Gegendienſte zu leiſten. Den Widerſpruch ſeiner bisherigen Verbündeten gegen eine ſo be denkliche Vergrößerung von Rußlands ohnehin ſchon überwiegender Macht ſuchte er durch die vorgeſchlagene Form der Erwerbung zu beſeiti gen. Gegen den General von Kneſebeck, welchen er ſchon im Lager von Chlodowa von der Unverfänglichkeit ſeiner Abſichten zu über zeugen geſucht hatte , worin er jedoch nicht ſo glüdlich geweſen war, als bald darauf Hardenberg gegenüber , der keinen Anſtand nahm den kaliſcher Vertrag zu unterzeichnen , äußerte Alexander : „ Rußlands Macht iſt für Europa beunruhigend , dennoch erfordert die Ehre des Volks eine Vergrößerung als Belohnung für ſeine Opfer , feine An ſtrengungen , feine Siege. Sie kann aber nicht anders unſchädlich gemacht werden , als indem man mit Warſchau das ruſſiſche Polen vereinigt , ihm eine Staatsverfaſſung , ein eigenes Beer giebt , das ruſſiſche zurüdzieht , und das Land in eine hierdurch gemäßigte Ab hängigkeit von Rußland feßt.“ 1 )

1 ) Perg , IV , 163.

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Dieſe großmüthigen Verſicherungen gab der Selbſtherrſcher aller Reußen mit ſo gerührter Stimme, daß viele laut ſein edler Serz prieſen , welches ſich hierburdy befunde. Hatte es ſich aber damals auch noch nicht herausgeſtellt, daß Alerander mit der Verbeißung die ruſſiſch - polniſchen Provinzen mit dem neuzuerrichtenden conſtitutionellen Königreiche Polen zu ver binden bloß die Einwilligung ſeiner Verbündeten zu dieſer neuen Schöpfung ſeines Ehrgeizes erlangen wollte, ſo konnten Denker doch manches in jener Verheißung verdächtig finden , ſelbſt wenn ſie die Aufrichtigkeit derſelben ohne weiteres annahmen. War es nicht wunderbar, daß wenn die Worte „ die Ehre des Volkes erfordert eine Vergrößerung“ einen Sinn haben ſollten, man genöthigt war des ruffiſchen Volkes Ehre nur in der Ehre Alexander's zu ſuchen , da das ruffiſche Reid, weit entfernt burdy

bas vorgeſchlagene Königreich Polen vergrößert zu werden , vielmehr eine ſehr bedeutende Sdmälerung ſeines Gebietes durch Serausgabe der ruffiſd - Polniſchen Brovinzen erlitt, damit eine neue Strone das Haupt ſeines Beherrſchers ſchmücke ? Wie kam es ferner , daß der für das ruffiſche Nationalgefühl ſo bex forgte Alexander es unbeachtet ließ, wie die fiegreichen Rufſen darüber empört fein mußten , wenn ſie die von ihnen beſiegten Polen jubelnd aus dem ruſſiſchen Reiche ſcheiden ſahen, damit dieſelben von deſſen Be herrſcher , welcher auch ihr König war , mit einer freiſinnigen Ver faſſung beſchenkt werden könnten , deren dieſer fie ſelbſt nicht für würdig hielt ? War es endlich auch nur wahrſcheinlich, daß Ruſſen und Polen, von gegenſeitigem Haſſe erfüüt, bloß ihrem gemeinſamen Herrſcher zu Gefallen fortan als Brüdervölker fich betrachten würden ; daß Alexander's Wille im herrſchenden Rußland unbeſchränkt, im unter worfenen Polen einem Barlamente fich freiwillig unterordnen werde ? oder mußte nicht vielmehr erwartet werden : die polniſche Verfaſſung, nachdem ſie eingeſtandenermaßen dem Selbſtherrſcher als Mittel ge dient hatte ſein Machtgebiet zu vergrößern , werde nach erreichtem Zwede wie ein irdener Topf an Rußlands zertrümmern ?

eiſernen Verhältniſſen

Kaifer Alerander ſpielte die Rolle: ſeiner Großmutter Patharina Verfündigung an den Polen zum þeile Europas nad Kräften zu fühnen , mit ſo vollendeter Meiſterſchaft, daß auch ein Staatsmann wie der Freiherr vom Stein glaubte ihn durch ſeiner Gründe ge gliederte Rette von dem edlen Frrthume, in welchem er fich befinde,

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überzeugen zu können . Er machte dieſen Verſuch in einer vom 6. Oct. datirten Denkſchrift in folgender Weiſe : ,,Des Kaiſers Majeſtät verlangt : eine Grenze in Polen gegen Deſterreich und Breußen , welche dieſe beiden Mädyte bedroht ;

die Einwilligung ſeiner Verbündeten zu einer Verfaſſung Bolens. „Die Grenze von Thorn über Kaliſch auf Krakau greift Defter reich und Breußen an ; ſie ſtellt außerdem gegen dieſes lettere eine Linie mit einſpringenden Winkeln in Weſt- und Oſtpreußen auf, welche ſo wunderlich und unregelmäßig iſt, daß fie felbft in Frie denszeiten jede Verwaltungsmaßregel hemmt. ,, Eine Verwaltung , welche das ganze ruffiſche Polen unter dem Namen eines Königreichs zu einem politiſchen Ganzen verbindet , es von Rußland trennt und in einen mit dieſem Reiche vereinigten Staat verändert, zerſtört die innere Einheit der Regierung, hindert deren Gang , unterhält in den ruſſiſchen Polen eine Neigung ihre Unabhängigkeit herzuſtellen , und in denen , welche den andern Mächs ten verbleiben , einen Reim der Gährung und der Neigung fld ab

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zulöſen. Dieſer Zuſtand der Dinge enthält Elemente der Uneinigkeit zwiſchen dem deſpotiſd regierten Rußland und dem verfaſſungsfreien Polen ; das erſtere wird in dieſem Unterſchiebe einen Grund zur Eiferſucht findent, es wird ſtets bereit fein die Einheit in Einverlei bung zu verwandeln ; das legtere wird unruhig ſein über die Ers

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haltung ſeiner Rechte, und ſeine Unruhe den gefeßloſen und umwälze = riſchen Charakter des Volts annehmen und der Bereinigung

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wird entweder die Interioch ung oder die Trennung fol gen , Beränderungen , welche jedoch nur durch neue Erſchütterungen werden bewirkt werden.

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,, Eine ſolche Lage der Dinge iſt alſo zuwider dem allgemeinen Beſten Europas , welches Frieden bedarf, den großherzigen und wohl thätigen Anſichten des Kaiſers , dem wahren Sinne der Verpflich tungen , welche er mit ſeinen getreuen Verbündeten eingegangen iſt. ,, Dieſer Fürſt hat in dem Plane, welchen er angenommen , nur einen Zwed , den , das Glück der Polen zu ſichern , die gegen ſte von ſeinen Vorältern begangene politiſche Ungerechtigkeit wieder gut zu machen . Seine Beweggründe ſind ebel und rein ; alle diejenigen, welche an dieſer Gewaltthat theilgenommen haben , müſſen mit wirken , um deren verderbliche Folgen zu verhüten , und es handelt fich nur darum fich über die Wahl der Mittel zu verſtändigen, und II. 4

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zu vermeiden , daß, indem man auf die Grundfäße der Gerechtigkeit zu Gunſten der Polen zurüdtommen will, man ſich nicht davon in ebenſo wichtigen Rüdſichten der Staatskunſt und Sittlichkeit entferne. ,,Gebe man den ruſſiſchen Polen öffentliche Einrichtungen , welche ihnen eine unabhängige Theilnahme an der Verwaltung gewähren, fie gegen Interdrückung und falſche Maßregeln fichern , den Ge meingeiſt unterhalten , und ihrer Thätigkeit Beſchäftigung barbieten . Die Einricytung von Provinzialverwaltungen

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den polniſchen Provinzen wird den Polen Freiheit ihrer Perſon, ihres Eigenthums, Antheil an der inneren Verwaltung, ein Mittel fichern , um ihre ſittlichen und geiſtigen Fähigkeiten zu entwickeln.

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fie in dieſem Augenblice nicht die Vortheile einer allgemeinen Ver faſſung , ſo müſſen ſie dieſes Opfer den großen Intereſſen Europas bringen , der ſchuldigen Dankbarkeit gegen die Verbündeten , welche die Retten , worin Napoleon fie hielt, zerbrochen haben, der ſtrafbaren Schuld, die ſie ſelbſt an ihrem eigenen Unglück tragen durch drei Jahrhunderte von Gefeßloſigkeit und die Verderbtheit ihrer Großen Umſtände, die ihren politiſchen Tod herbeigeführt haben. Schon Stephan Batori, einer ihrer größten Könige, ſagte zu ihnen im 16. Jahrhundert : ,, « Bolen ! 3hr verdankt euere Erhaltung nicht den Gefeßen ihr kennt ſie nicht; nicht der Regierung ihr achtet ſie nicht; ihr berbankt fie nur allein dem Zufall . » ,, Dieſen Zufal , oder beſſer geſagt, dieſe Borſehung haben ſie er müdet , und ſie ſind unterjocht worden .“ Gleichzeitig richtete Stein an den preußiſchen Staatskanzler ein Schreiben , in welchem er nach Vorausſdidung der beiden Forderun gen Alexander's die Frage beantwortete , ob es rathſam ſei in An ſehung des Bunkts der Grenze nachzugeben , und auf dem der Ver faffung zu beſtehen ? oder umgekehrt die Einführung der leşteren nachzugeben , und den gegenwärtig vorgeſchlagenen Grenzen zu wi derſprechen ? Da die Ertheilung der Verfaſſung zwar die Einheit der Verwaltung ftöre, jedoch die Streitkräfte Polens zur Berfügung Rußlands laffe, ſo werbe Rußland burd) bie polniſche Verfaſſung, welche die polniſche Nationalität wahre , in militäriſcher Beziehung nicht geſchwächt, ihm vielmehr in gewiſſer Beziehung die Verwaltung Bo lens erleichtert. In dem mit Preußen vereinten polniſchen Landes theile würde eine ſolche Verfaſſung eine beſtändige Gährung und lebhafte Neigung hervorrufen bei günſtiger Gelegenheit fich mit dem an Rußland gefallenen Theile Polens , dem größten , zu vereinigen ,

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fei es um der Vortheile ſeiner Verfaſſung theilhaftig zu werden , oder um gemeinſchaftlich mit ihm die Selbſtändigkeit zu erringen. Die Grenze dagegen , welche man im beſten Fall zu erlangen die Wahrſcheinlichkeit hat, werde nie ſo ſtark ſein, daß der nachtheilige Einfluß der Verfaſſung auf die Ruhe und Sicherheit der Nachbarn dadurch aufgehoben werde. Freilich hing von keinem Vertreter der Großmächte die Ent ſcheidung der polniſchen Frage weniger ab , als von dem Für ften Hardenberg. Unvorſichtigerweiſe hatte er es verſäumt Breu ßen unter den Schuß der Verträge zu ſtellen , obſchon Defter reich und England , die es weit weniger nöthig gehabt hätten, ihm in dieſer Beziehung mit gutem Beiſpiele vorangegangen waren, Ruß land aber vermöge der ihm günſtigen Verhältniſſe es gerade ſeinem Vortheile entſprechend gefunden hatte die Entſcheidung der polniſchen Frage nicht ſchon in Paris ſtattfinden zu laſſen. Die Vorherſagungen Stein's find, wie die Geſchichte lehrt, vollſtän big eingetroffen , und die Verhältniſſe waren ſo, daß Alerander, welcher ſie genau kannte und Scharfſinn genug beſaß , um aus ihnen rich tige Folgerungen zu ziehen , die Richtigkeit des von Stein abgegebe nen Gutacytens einſehen mußte. Gleichwol blieb er bei ſeinen Plä nen hinſidytlid) Polens ſtehen , und ließ ſich auch durch den Wider ſpruch, welchen ſie bei den ruſſiſchen Staatsmännern fanden , von ihnen nicht abbringen ; denn nur auf dieſe Weiſe konnte er des be

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geiſterten Beiſtandes der Polen ſicher ſein , deſſen er als maßgebendes Gewicht in der Wagſdale der Entſcheidung äußerſten Falles fich zu bedienen gedachte. Caſtlereagh , welder , obſchon England ſelbſt nicht unmittelbar wie

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Defterreich bei Ordnung der polniſchen Angelegenheiten betheiligt war , dennoch weit entſchiedener Alerander'& ausſchweifende Forde

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rungen bekämpfte, als Metternicy, richtete deshalb an den Kaiſer von Rußland am 12. Oct. eine Denkſdrift , die er durch ein derſelben beigelegtes Schreiben minder herb zu machen ſuchte.

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Er führte aus , daß Rußland durch die Verträge von Kaliſch, Reichenbach und Teplitz verpflichtet ſei das Herzogthum Warſchau mit Deſterreich und Breußen dergeſtalt zu theilen , daß hieraus die

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nicht zu bezweifelnde Gleichberechtigung der vertragſchließenden Theile hervorgehe . Wolle er jetzt Breußen nur Danzig und eine Verbins dung zwiſchen Oſtpreußen und Schleſien zugeſtehen , das übrige Her zogthum Warſchau aber mit vier Millionen Einwohnern und den Feſtungen behalten , fo würden dadurch zunächſt ſeine Nachbarn De ſterreich und Preußen höchſt gefährdet , ihre Hauptſtädte bloßgeſtellt, 4*

52 und eine allgemeine Beſtürzung bei allen Cabineten verbreitet wer den ; ein ſolcher die Verträge verletzender Plan ſei ein Treubruch. Eine fittliche Pflicht des Kaiſers zu einem ſolchen Unternehmen be ſtehe den Polen gegenüber nicht. Sei der Kaiſer frei von Vergrö= ferungsſucht, und ernſtlich von der Nothwendigkeit durchbrungen die Lage der Polen zu verbeſſern, ſo biete hierzu das ruffiſche Polen mit dem Rußland billigerweiſe zufalenden Antheile von Warſchau eine hinreichende Menſchenzahl. Für einen ſolchen Verſuch könne es nicht nothwendig ſein auf Koſten ſeiner Verbündeten , zuwider ſeinen eigenen Verpflichtungen und den Grundſäten der Gerechtigkeit und Mäßigung , welche er ſo wiederholt als die einzigen Gründe ſeines Verhaltens erklärt , und in ſeinem Benehmen gegen Frankreich her vorſtechend bewieſen habe , eine ſo unmäßige und bedrohliche Vergrö ferung ſeines Reichs zu verſuchen , eines Reichs, das jept für jeden Zweck des Ehrgeizes völlig hinreiche, und mehr als hinreiche für die Zwede guter Regierung . Ob es mit fittlider Pflicht vereinbar fet fich jählinge in einen Verſuch zu ſtürzen , der Aufregung, und Mißvergnügen in den Nachbarſtaaten und politiſche Gährung in den eigenen Beſigungen hervorzurufen vermöge ? Erheiſche fittliche Pflict die Berbeſſerung der Polen durch einen ſo entſcheidenden Schritt, als die Wiederbelebung ihres Königreiche, ſo möge das nicht dadurch geſchehen , daß man zwei Drittheile derſelben zu einem furchtbaren Kriegswerkzeuge in den Händen einer einzelnen Macht geſtalte, ſon dern nach dem freiſinnigen Grundlage ſie wieder wirklid un abhängig als Volk zu machen . Einer ſolden Maßregel würde ganz Europa Beifal idenken , Preußen und Deſterreid ihr freu dig beiſtimmen ; ſie werde nach gewöhnlichen Staatsberechnungen für Rußland ein Opfer ſein , aber wäre der Kaiſer zu folden Opfern für ſittliche Pflicht von Seiten ſeines eigenen Reichs nicht bereit, ſo habe er aud; kein ſittliches Recht ſoldie Verſuche auf Koſten ſeiner Verbündeten und Nachbarn zu machen. Solange der Kaiſer auf folchen Forderungen beharre , ſei es unmöglich einen Plan für den Wiederaufbau Europas dem Congreſſe vorzulegen. Wie könnten Deſterreich und Preußen ſich mit einer Maßregel als ſicher und ehrenvoll einverſtanden erklären , die ſie ohne militäriſche Grenze laſſe, und die dem Zwecke des pariſer Friedens widerſpreche ? Die langen Unruhen Europas und das Unglück der Völker durch einen feſten Frieden zu beendigen , welcher auf gerechte und in ſich die Bürgſchaft der Dauer tragende Vertheilung der Madt unter den Staaten gegründet ſei , barin beſtehe die Aufgabe des Congreſſes.

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Die Geſandten Englands, Frankreich , Spaniens und ohne Zweifel aller übrigen europäiſchen Staaten , großer wie kleiner, ſuchten ein müthig dieſe Aufgabe zu löſen. Wolle der Kaiſer dabei verharren Warſchau militäriſch befekt zu halten , ſo würde man allen in Wien verſammelten Geſandten erklären müſſen , daß man durch Rußlands Verfahren aller Hoffnung auf Beantragung eines geordneten Zu ftandes, wie man ihn zu Paris verheißen habe , beraubt ſei. Der Kaiſer möge dieſe Folgen in ernſtliche Ueberlegung nehmen. In dem Begleitſchreiben ſuchte Caftlereagh dieſe unangenehmen Wahrheiten , welche in ſo ſchroffem Gegenſaße mit der bis in den Himmel erhobenen Großmuth Alexander' & ftanden , demſelben weniger empfindlich zu machen. Er bezeichnete ſeine Meinungsäußerung als die vertrauliche Sprache eines Mannes , welcher deshalb , weil er felbſt an dem vom Kaiſer geleiteten großen Unternehmen einigen Antheil genommen habe , wünſche, daß es in dem Geiſte vollendet werde , in dem es begonnen worden , in jenem Geiſte der Ver föhnlichkeit, Mäßigung und Großmuth , welcher allein Europas Ruhe, für welche der Kaiſer gekämpft, ſowie dieſem den ihm gebührenden Ruhm ſichern könne. Freilidh fei jener Mann zugleich der Miniſter des Prinz - Regenten von England, welcher auch in dieſer Eigenſchaft zu ihm ſpreche. Er flehe den Kaiſer an fid nicht der Meinung hinzugeben , daß er eine Vermehrung von deſſen Gebiet in Polen, ſei fie auch beträchtlich, mit Widerwillen ſehen werde , denn ders ſelbe könne ein rechtliches Pfand der Dankbarkeit Europas em pfangen , ohne ſeinen Verbündeten und Nachbarn Zugeſtändniſſe zuzumuthen , welche mit ihrer ſtaatlichen Unabhängigkeit unvereinbar ſeien . England habe Rußlands Vergrößerung in der norwegiſchen Sade , bei den legten Friedensſchlüffen mit den Türken und Perfern gefördert; wenn es nach dieſen vielen binnen wenigen Jahren erfolgten Verſuchen Rußlands ſeine Grenzen auszudehnen aus Pflicht gegen Eu ropa und den Kaiſer ſelbſt eine Beſchränkung beantrage, ſo geſchehe dies in der einem Verbündeten völlig zuſtehenden Weiſe . Der Kaiſer könne nicht verkennen , in welchem Grade Europas Heil von dem Uus gange dieſes Congreſſes abhängé , und wie das Urtheil , welches man über denſelben Fällen werde , von feinem Entſchluſſe in der polniſchen Frage bedingt ſei. Der Ruhm das Glück der Welt befördert zu haben ſei doch höher anzuſchlagen , als die Erwerbung von einer Million Seelen ! Alles was man wünſche beſtehe darin , daß der Kaiſer nicht Veranſtaltungen treffe, welche ſeine Herrſchergewalt in ſeinen eigenen Provinzen beſchränke, ſondern daß er allmählich Bolens Ver

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waltung verbeſſere und von einem Titel abſehe , welcher Rußland und die benachbarten Länder beunruhigen werde. Sei die politiſche Frage erledigt , ſo möge der Kaiſer ſich über die Theilung mit ſeinen Verbündeten in einer dem Geiſt und dem Wortlaute der Verträge entſprechenden Weiſe vergleichen, und den größten Theil des Herzogthums Warſchau behalten , wenn nur Preußen und Deſterreich eine militäriſche Grenze erhielten . ?) Nicytsdeſtoweniger war der Kaiſer Alerander von Caſtlereagh's Aeußerungen ſehr unangenehm berührt , und hatte mit ihm einen lebhaften Wortwechſel über deſſen Anſchauungsweiſe, die er um ſo eifriger beſtritt, als er das Gewicht ihrer Gründe fühlte. Um dem Vorwurfe zu begegnen , daß er der aus dem Vertrage von Rei dhenbach für ihn hervorgehenden Verbindlichkeit ſich zu entziehen ſuche, erklärte er nach einigem Zaubern , er werde Deſterreich die Salz werke von Wieliczka überlaſſen. Ein foldhes nur dem Wortlaute des Bertrages nothdürftig entſpredjendes Zugeſtändniß war freilich nicht geeignet ein Einverſtändniß herbeizuführen. Bei der Unterrebung , welche der Kaiſer von Rußland mit Stein hatte , warf er dieſem vor , daß er , welcher bei jeder Gelegenheit ſo freiſinnige Ideen zeige , hinſichtlich Polens Vorſchläge entgegengeſetter Art gemacht habe . Stein erwiderte jedoch: der Natur des Gegen = ſtandes ſeien die Grundfäße anzupaſſen; Polen werde für den Kaiſer eine Quelle von Widerwärtigkeiten fein ; es fehle dort ein dritter Stand , welcher in allen geſitteten Ländern Aufbewahrer der Sitten, Einſichten und Reichthümer des Volks ſei ; derſelbe Mangel habe den Kaiſer bei ſeinen Einrichtungsplanen in Rußland gehindert. Alerander verſeşte darauf, er habe ſich noch nicht über die Art der den Polen zu gebenden Verfaſſung ausgeſprochen, und beklagte fich , daß in dieſer Angelegenheit alles ſich gegen ihn vereinige; Talley = rand ſei bemüht überall Zwietracht zu fäen , und Metternich's Freund ſchaftsverſicherungen habe er Grund zu mißtrauen. Auch Pozzo di Borgo , welcher am 13. Oct. aus Paris an kam , und ſeine bisherigen Berichte über die ſich befeſtigende Herr ſchaft Ludwig's XVIII . mündlich beſtätigte, ſprach ſich in ſeinem vom Kaiſer von Rußland erforderten Gutachten gegen eine den Po len zu gebende freie Verfaſſung aus . Bei dem unabläſſigen Streben der Polen ihre unter fremder Herrſchaft lebenden Landsleute wieder mit ſich zu vereinigen werde bas Daſein eines Königreiche Bolen,

) Bert , IV , 164 – 173,

b. Gagern , II , 284 – 288.

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eines polniſchen Reichstages und Heeres einen Zuſtand der Aufleh nung in Preußen und Deſterreich begründen , und dieſe Regierungen zu einer innigen Verbindung nöthigen. Dieſer werde das übrige Europa fich anſchließen , und Rußland , das nicht einmal auf Polen rechnen dürfe, werde, ſelbſt wenn es im Kampfe ſiege, alleinſtehen. Ruß= lands neuere Geſchichte habe faſt ausſchließlich die Zertrümmerung Polens zum Gegenſtande. Dieſelbe ſei in der Abſicht unternommen Rußland in unmittelbaren Verkehr mit den übrigen Völkern Europas zu ſeßen , und ihm einen weiteren Schauplaß für die Anwendung ſeis ner Macht und ſeiner Talente , für die Befriedigung ſeines Stolzes, ſeiner Leidenſchaften und Intereſſen zu eröffnen. Die Folgen dieſes gelungenen Blanes durch eine einfache Bekanntmachung zerſtören, hieße die Einheit der Regierung antaſten. Kaiſer von Rußland und Rö nig von Polen feien unverträgliche Titel, kein þerrſcher könne fie in ſich vereinen ohne eines von beiden Völkern, oder beide unzufrieden zu machen . Wenn die Ruſſen mit dem Gefühle und der Wirklichkeit der Macht zu einer duldenden Lage beſtimmt blieben , und die Polen in ihrem Zuſtande verhältniſmäßiger Schwäche und Unordnung fich frei regierten , wenn ſich zu dieſen größeren Rechten noch der Muth wille einer triumphirenden Eitelkeit geſelle, ſo müſſe man die ſchlimm ften Folgen gewärtigen. Da die Herſtellung der Unabhängigkeit Polens ohne weiteres zu den gefährlichſten Verwickelungen , ja bis zu einem Bertilgungskriege führen könne , jo ſei es zweckmäßig die polniſche Frage in Beziehung auf die auswärtigen Mächte zu einer einfachen Grenzfrage herabzuſeßen , in den Verträgen die neue Erwerbung als Rußlands Eigenthum zu bezeichnen , die neue Einrichtung für jeßt nur auf dieſe neue Erwerbung zu beſchränken , einen Statthalter für Warſchau zu ernennen , welcher gleich dem Vicekönige von Irland unter dem Miniſterium ſtehe , die unter ihm wirkenden Beamten größtentheils aus den Polen , einige aber aus den Ruſſen zu neh men , und die beabſichtigte Wohlthat in der gewöhnlichen Form einer Ufafe, als bloße kaiſerliche Willenserklärung zu verkünden . Denn in einem Falle , wie dieſer , wo die Regierung einer gewaltigen Kraft bedürfe, um das Gute zu thun , ſchwäche jede Vertragsform das Anſehen , ohne im mindeſten das Verdienſt oder die Feſtigkeit der Ein richtung zu erhöhen . Die Bolen täuſchten ſich wenn ſie glaubten ihr Heil beſtehe in einer Trennungslinie zwiſchen den beiden Nationen ; beſtänden fie hartnäckig auf ihrer 3folirung , fo werbe das Ende für fte Knechtſchaft und Unglüd ſein. 2) 1 ) Turgeniew , La Russie , I , 443–461.

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Alexander, an ſeinem urſprünglichen Plane in Bezug auf Bolen feſthaltend, beharrte, ungeachtet dieſes ganz vom ruſſiſchen Stand punkte aus gegebenen Gutachtens, bei ſeinen angefochtenen Ideen . Er ließ vom Fürſten Czartoryiffi eine Widerlegung der engliſchen Dentſchrift aufſeßen , verſab fie mit vielen eigenhändigen Randbemer fungen, und beauftragte den Staatsrath von Anſtett beibes behuf! der zu ertheilenden Antwort zu verſchmelzen . Noch bedurfte er der kriegeriſchen Begeiſterung der Polen für die Wiederherſtellung ihres Vaterlandes als eines Mittels , um feine bisherigen Verbündeten durch die unwillkommene Ausſicht auf einen ſonſt in nnwirthbaren Landſtrichen zu führenden Bolkskrieg zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Als er ſeinen Willen durchgeſegt hatte, zeigte er dadurch, daß er Bozzo di Borgo's Vorſchläge größtentheils befolgte, wie ſehr er fie dem Vortheile ſeiner Krone gemäß fand . Die engliſchen Schriftſtücke wurden in derſelben Form , nämlich ebenfalls mittelft einer Denkſdrift und eines Begleitſchreibens beant wortet , und dem Vertreter Englands am 30. Oct. Überſendet . In dem Begleitſchreiben ſprach der Kaiſer ſeine Verwunderung darüber aus, daß der ford fich zum Fürſprecher von Deſterreich und Preußen aufgeworfen habe , erkannte die Verdienſtlichkeit der ihm von England geleiſteten Kriegshülfe an , deren er ſchon zu einer Zeit fich erfreut habe , wo er noch allein mit dem ganzen , von Napoleon ge führten Feſtlande gerungen , fügte aber die Bemerkung hinzu : man jege fich ſtets ins Unrecht, wenn man jemandem geleiſtete Dienfte vorrüde.

Alle bisherigen Bergrößerungen ſeines Reiche dienten nur

zu deffen Bertheidigung. Die Wiederherſtellung der verbündeten Mächte zu der für das allgemeine Gleichgewicht erforderlichen Größe fei der Gegenſtand aller feiner Anſtrengungen geweſen , nicht der Die Reinheit ſeiner Wund ſich ein Uebergewicht zu verſchaffen . Abfichten mache ihn ſtark, und wenn er an der Ordnung der Dinge feſthalte, welche er in Polen herſtellen wolle, ſo geſchehe dies , weil er überzeugt ſei hierdurch mehr das allgemeine Beſte , als ſeinen pers fönlichen Vortheil zu befördern. Der Lord möge fich über die trau rige Zukunft der Mächte beruhigen , mit welchen ihn unauflösliche Freundſchaft verbinde trotz allen Bränden der Zwietracht, die man zwiſchen ſie zu werfen bemüht ſei. Die Sorge, welche er fei= nen eigenen Unterthanen ſchulde, ſei ſeine Sache, und nur die Ge= radheit der Beweggründe des Lorde habe ihn den erſten Eindruc überwinden laſſen , welche die betreffende Stelle auf ihn gemacht habe..

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In der Denkſchrift wurden die vom Kaiſer der europäiſchen Un abhängigkeit geleiſteten Dienſte gerühmt , und der Behauptung wider ſprochen , daß er fidy von dieſen Grundfäßen entfernt habe. Denn

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die zu Reichenbach getroffene Verabredung über die Theilung des Herzogthums Warſchau bilde nur einen Theil des für den Fall ab geſchloſſenen Vertrags , daß die Verbündeten nur gewiffe, beſdränkte,

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damals in Ausſicht ſtehende Vortheile erlangen würden . In dem Maße als fich für Deſterreich und Preußen die Ausſicht auf uner meßliche Erwerbungen eröffnet, habe aud Rußland das Recht er

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langt weniger beſchränkte Entſchädigungen zu fordern. “ Demgemäß hätten die Verbündeten im Vertrage nưr von einer freundſchaftlichen Vereinigung über das fünftige Loos des Herzogthums Warſchau ge ſprochen. Danzig ſei, ſobald es fiel, an Preußen , der Beſiß der Bergwerke von Wieliczka , und die Vorſtädte von Krakau an Deſter reich überlaſſen worden , auch ſei der an Preußen zu beſſerer Ver bindung Dftpreußens und Schleſiens abzutretende Landſtrich der volta reichſte und wohlhabendſte des Herzogthums . Rußland trete ein Viertel der Einwohner , ein Drittheil der Einfünfte deſſelben ab, und der ganze , von ihm erlangte Zuwache, nämlich die Linie von Thorn, Raliſch, Czenſtochau , Krakau , mit Einſchluß dieſer Städte betrage nur 2,200000 Seelen und acht Millionen Einkünfte. Was bedeute das gegen Deſterreichs und Breußens. Erwerbungen ? Rußlands Erwerbungen in Finnland , Beſſarabien und perſiſchen Landſtrichen bienten nur dazu demſelben eine beſſer zu vertheidigende Grenze zu gewähren. Die Lage des Herzogthums Warſchau , weit entfernt einen Angriff auf Wien und Berlin zu begünſtigen , feße daſſelbe in einem Kriege gegen Defterreich und Preußen der Gefahr aus abge ſchnitten zu werden . Die geheime Verpflichtung des Theilungsver trags von 1797 gegen die Wiedererwedung des Namens eines Rö nigreiche Bolen fei durch den von Preußen und Deſterreich gegen Rußland geführten Angriffstrieg erloſchen . Rußland ſei gezwungen geweſen das Land wieder zu erobern. Es handle fich jetzt um eine vierte Theilung , wobei die Verabredungen von 1797 nicht mehr in Betracht fämen . Von der Herſtellung des Namens und der Ver einigung eines Theiles des Herzogthums Warſchau mit Rußland ſei feine Gefahr für Preußen und Deſterreich zu befürchten , da der Kaiſer beiden die förmliche Gewähr ihrer polniſchen Beſizungen an biete , und bei dem geringſten Anlaffe Deſterreich, Breußen , Frant reich, Großbritannien, die Türkei fich gegen das vereinzelte Rußland vereinigen würden. Das Gleichgewicht beruhe nicht ſowol auf etwas

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mehr oder weniger Oberfläche, auf einigen Feſtungen , ſondern auf Gleichheit der Vortheile, die ſich im Augenblicke der Gefahr auf denſelben Zweck richteten. Sollte wegen der polniſchen Frage der Congreß aufgelöſt werden , während doch ſo viele andere wichtigere zu ordnen blieben , ſo habe der Kaiſer fich deshalb keinen Borwurf zu machen. Er werde England, Europa die Ausdehnung ſeiner Forde rungen vorlegen . Die Völker, die ihn für ihre Freiheit fämpfen geſehen , von ſeiner Mäßigung Zeuge geweſen ſeien , würden urthei len , welche Urſache fich der allgemeinen Herſtellung der Ordnung, des Glüds , 'der Ruhe , für die ſo viel Blut gefloſſen , entgegengeſtellt habe. Gegen die Herrſcher aber , ſeine Freunde , ſeine Verbündete, ſeine Waffenbrüder, fönne nichts ſeine Freundſchaft ſchwächen ; ſie gründe fich auf die vollkommenſte Achtung, auf Vertrauen , und alle Entwürfe ſeiner Politik würden ſtets nach dieſen Grundſäßen geordnet werden. 1) Da dritthalb Wochen vergingen , ehe der Kaiſer von Rußland in dieſer Weiſe die Note des engliſchen Bevollmächtigten beantwortete, ſo benußte lepterer die Zwiſchenzeit zu Beſprechungen mit den Ver tretern Deſterreichs und Preußens , um den beſten Weg ausfindig zu machen die überſpannten Vergrößerungsgelüſte Rußlands auf das rich tige Maß zurüdzuführen . Damit ein feſter Anhaltpunkt gewonnen werbe, dlug Caftlereagh als das Zwedmäßigſte vor fich darüber zu vereinigen : wie viel Alexander vom Herzogthume Warſchau an Breu Ben und Deſterreich mindeſtens zu überlaſſen habe. Nehme der felbe den ihm deshalb zu machenden Vorſchlag nicht an , ſo müſſe der Congreß die Sache zur Entſcheidung bringen . Seiner Anſicht nach müſſe man darauf beſtehen , daß Bolen als unabhängiger Staat mit denjenigen Grenzen wiederhergeſtellt werde, welche es nad der erſten Theilung von 1772 gehabt habe ; oder finde eine Theilung des Her zogthums Warſchau ſtatt, ſo dürfe Rußland ſeine Grenze nur bis zur Weidel ausdehnen. Rußland würde damit von Preußen außer dem bialyſtoder Kreiſe den bei weitem größten Theil deſſen erhalten haben, was dieſes im Fahre 1795 bei der dritten Theilung erworben hatte; von Deſterreich etwa zwei Drittel des zu derſelben Zeit erworbenen Weſtgaliziens , alſo ungefähr ein Drittel des Großherzogthums Warſdau , während es drei Viertel davon beanſpruchte. Es war alſo vorauszuſehen , daß Rußland nie gut willig einen ſolchen Vorſchlag annehmen würde. Uebrigens ftand . ) 0. Gagern , II , 288 - 294. Berg , IV , 191 - 195.

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dieſer Vorſchlag mit der in dem Begleitſchreiben der engliſchen Denk fchrift gegen den Kaiſer Alerander gethanen Leußerung im Wider ſpruche, nach welcher Caſtlereagh ſich bereit gezeigt hatte Rußland den größten Theil des Herzogthums Warſchau zu über laſſen , er iſt alſo ein neuer Beweis für die Doppelzüngigkeit des engliſchen Staatsſecretärs. Stein widerrieth die polniſche Frage dem Congreſſe vorzulegen,

da der Staiſer von Rußland der Entſcheidung deſſelben ſich nicht un terwerfen werbe. Frankreichs Zuziehung werde nur neue Berwicke lungen herbeiführen , die Mitwirkung der übrigen Mächte aber keinen Nugen bringen. Wenn der Vorſchlag einen unabhängigen polniſchen Staat wiederherzuſtellen nicht angenommen werde, lo ſcheine ihm die Grenze von Thorn auf die Wartha , und von dieſer auf Czenſtodyau und Krakau das Mindeſte zu ſein , was man fordern müſſe. In die Verfaſſung möge man willigen , voraus geſeßt, daß deren Grundfäße zuläffig erſchienen . Die Annahme dieſer Begrenzung hätte der ſpäteren wirklichen Grenze Preußens gegen das rufftde Polen nur einen wenige Meilen breiten Streif Landes hinzugefügt , diefelbe jedod, in militäriſcher Be ziehung günſtiger geſtaltet, und da Weſtgalizien dabei an Rußland gefallen wäre , ſo konnte man bei nur geringer Nachgiebigkeit deſſel ben eine gütliche Ausgleichung auf dieſer Grundlage erwarten . Eng= land follte nach Stein's Anſicht die diesfallfige Unterhandlung als vermittelnde und unmittelbar nicht betheiligte Madht übernehmen, zumal da der Kaiſer von Rußland gegen Metternich zu aufgebracht fei , als daß dieſer Ausſicht habe geneigtes Gehör zu finden. Zwiſchen beiden hatte nämlich über die polniſche Frage bereits eine ziemlich heftige Unterredung ſtattgefunden ; denn ganz ohne Wider ſtand geleiſtet zu haben , konnte Metternich nicht wol einlenken . Alexander's Erbitterung über den Widerſpruch deſſelben gegen ſeine politiſchen Behauptungen war ſo groß , daß es nicht unwahrſcheinlich iſt, er habe dem Miniſter auch aus einem andern Grunde gegroüt. Stolz auf ſeine perſönliche Liebenswürdigkeit mochte er in Metternich einen glüdlichen Nebenbuhler finden , und ſich durch ihn nicht blos als Herrſcher, ſondern audy als Mann benachtheiligt finden. Metter nich hatte das vom Kaiſer mit großer Leidenſdyaftlichkeit geführte Ge ſpräch mit den Worten abgebrochen : ,,er wiſſe nicht, was er dem Raiſer antworten ſolle , da dieſer die beiden Eigenſchaften des Herrſchers und des Miniſters in fich vereinige ". Seitdem bekundete Alexander bei jeder Gelegenheit ſeine Abneigung gegen Metternich, ja er äußerte ſogar

60 gegen deffen Mutter : ,, er veradyte jeden Mann , der nicht Uniform trage". Der Herzogin von Sagan aber hatte er ihre vertraulichen Beziehungen zu dem Miniſter mit den Worten vorgeworfen : ,, Es gehört ſich nicht, daß Sie mit einem Schreiber verbunden ſind." Es waren dies Aeußerungen , welche in dem Munde eines jungen Garde lieutenants nicht beſonders aufgefallen wären, wohl aber bei ihm, dem zur Unparteilichkeit gegen jeden Stand verpflichteten Staatsoberhaupte, bei ihm , welcher bisher durdy humanes Benehmen ſich ausgezeichnet hatte, und wohl wußte , daß er der Diplomatie größere Erfolge als der Kriegskunſt verbanke. Was die polniſche Verfaſſung anlange , fchloß Stein ſein Gut achten , ſo werbe ſie Inruhen unter den Polen und Unzufriedenheit unter den Ruſſen erregen , und die ruſſiſche Regierung nur unvor theilhafter gegen ihre Nachbarn ſtellen. Preußen müſſe übrigens für das europäiſche Gleichgewicht einſtehen , da Rüdſicht auf daſſelbe der Hauptgrund ſei , weshalb es in ſeinem Streben nach Wiederherſtel lung ſeiner früheren Verhältniſſe bei den Großmächten Unterſtüßung fände. Er hob dies im Intereſſe Preußens beſonders hervor , weil er wußte , daß fowol England, als Deſterreich von jenem verlang = ten , daß es ſich ihrem Widerſtande gegen Rußlands übermäßige Ver größerungspläne anſchließe, und nur unter dieſer Bedingung Breu Bens Anſprüche auf Sachſen genehmigen wollten . Er hatte damals noch keine Ahnung wie bald beibe Mächte die das europäiſche Gleid gewicht bedrohende Vergrößerung Rußlands zulaſſen , und trobem ihren bisherigen Erklärungen entgegen verhindern würden , daß Preu ben durch Einverleibung von Sachſen die erlittenen Berluſte auf die einzig genügende Art wieder ausgleiche. In ſeiner Note vom 22. Oct., durch welche Metternich den An= trag Hardenberg's, daß das Königreich Sadjen unter preußiſche Ver waltung geſtellt werde , beantwortete , wurden dieſe Verhältniſſe zuerſt ausführlich und in einer Weiſe erörtert, deren Ausdrüde um ſo wich tiger ſind, als ſie mit denen der nächſten Note in ſchreiendem Wi derſpruche ſtehen . Metternich ſchrieb :

Mein Fürſt! ich habe das vertrauliche Schreiben empfangen , welches Ew. Durchl. mir die Ehre erzeigt haben am 9. Oct. an mich zu richten. Id Habe es dem Kaiſer vorgelegt und Se. kaiſerl. Maj. hat mich ermächtigt dem preußiſchen Cabinete in folgender Antwort ſeine Gedanken vollftändig zu entwicein . Das Intereſſe , welches der Kaiſer der Wohlfahrt Preußens widmet, bedarf von ſeiner Seite keiner Verſicherung mehr. Am Tage, wo Se, faiſerl. Maj. fich die Freiheit nahm dem Könige zu rathen, er möge die edle Re gung nicht unterdrücken , welche ihn gegen das Ende des Jahres 1812 vers

61 anlaßte Anſtalten zu treffen , um die Anſtrengungen zu unterſtügen , die der Kaiſer von Rußland , wie er verfündete , der ûnabhängigkeit von Europa weihen wollte ), an demſelben Tage konnte der Entſchluß Sr. kaiſerl. Maj . ihr Intereſſe von demjenigen Preußens nicht zu trennen keinem Zweifel mehr unterliegen. Entſchloſſen Europa zu retten , indem er ſich mit Rath und That den zu dieſen Zweden verbundenen Mächten anſchloß , oder alle Un fälle Preußens zu theilen , iſt der Kaiſer keinen Augenblick von dieſer ſich vorgezeichneten Richtung abgewichen. Nachdem der vollſtändigſte Erfolg die Unternehmung der Verbündeten gekrönt hat , ergreift Se. kaiſerl. Maj. jede Gelegenheit, um Europa Pros ben zu geben von ſeiner Uneigennüßigkeit, von ſeinem Vertrauen zu den ihm befreundeten Souveränen , von ſeiner Rückſicht für ihr Intereſſe, von ſeiner Sorge für dasjenige Preußens. Ueberzeugt davon , daß das einzige, ſo großer Anſtrengungen und ſo unermeßlicher Opfer würdige Ergebniſ in der Gründung eines Friedensſyſtems beſtehe, welches auf einer richtigen Kraftvertheilung unter den Mächten beruht , betrachtete der Kaiſer die Wies berberſteuung der preußijden Monardie nach Maßgabe ihrer größten früheren Ausdehnung als eine der erſten Grundlagen dieſes Syſtems. Er ſtand nicht an zu erklären , daß er die Vergrößerung dieſer Monarchie ohne Eiferſucht ſehen würde, ſelbſt wenn ſie jene Grenzen überſchritte. Dem öſterreichiſchen Cabinete gehört die erſte Idee des Syſtems einer Centralmacht, welche auf der innigſten Vereinigung Deſterreichs und Preußens beruht , und durch einen deutſchen Bund verſtärkt wird , der unter den gleid, bemeſſenen Einfluß beider Staaten geſtellt iſt, ohne daß Deutſchland aufhörte einen einzigen politiſchen Körper zu bilden . Das ganze Benehmen Defterreiche, alle durch daſſelbe abgeſchloſſenen Verträge tragen den Stempel dieſer Zbee, welde in ihrer Entwicelung und durch daſſelbe hierdurch, herbeigeführte innige Verhältniß der Centralmächte Deutſchland eine Bürgſchaft der Ruhe und ganz Europa ein Pfand des Friedens bietet. Ånſprüche, welche in der leßten Zeit erhoben worden ſind , verhindern aber geradezu ein ſo heilſames Syſtem . Drei Gegenſtände beſchäftigen in dieſem Augenblicke ganz beſonders die Aufmerkſamkeit der beiden Cabinete. Es handelt ſid darum Schranken zu errichten gegen die Abſichteri, welche Rußland in einer für die Ruhe Europas ebenſo beunruhigenden , als ſeinen Bundesverträgen mit Deſterreich und Preußen widerſprechenden Weiſe ents widelt. Das Loos Sachſens und der von den Verbündeten vorläufig be ſegten Länder bilden die andern Gegenftände. Der Kaiſer ſieht das loos des Herzogthums Warſchau als zu eng ver bunden mit dem unmittelbaren Intereſſe der beiden Mächte an , welche bei der Theilung Polens mitwirkten , ia mit demjenigen von ganz Europa, als daß er es mit einem andern verwechſeln könnte. Preußen bat mindeſtens ebenſo mächtige Beweggründe , als Deſterreich , um Rußland an dem Uebers ſæreiten gewiſſer Grenzen , und vorzüglich daran zu hindern , daß es ſich ber den beiden Monarchien nothwendigen Bertheidigungspunkte bemächtige. Nicht weniger wünſcht zwar Europa , daß des Könige Beziehungen zum Kaiſer von Rußland immer mehr ſeinen anhänglichen und dankbaren Ge finnungen für denſelben entſprechen mögen , aber es kann ſich nicht davon

1) Der erwähnte Brief , in welchem Kaiſer Franz den Rönig Friedrich Wilhelm auf forderte auf Rußlands Seite zu treten, war die einzige deshalb unternommene Handlung. Er rieth Maßregeln an, welche der Rathgeber ſelbft nicht zu ergreifen für räthlich hielt. Später ſuchte Oefterreich die Rheinbundfürften, vorzüglich den Mönig von Sachsen dem frar göftidhen Bündniffe abwendig zu machen, hielt aber betanntlich nicht die dem legteren ertheil ten Zuſagen.

62 überzeugen , daß ſolche Beziehungen lange beftehen können , wenn ſie nicht auf Grundſägen einer geſunden Politik beruhen. Der Kaiſer hegt keinen Zweifel, daß der König ſeine Geſinnungen und Grundfäße hierin theile, und er rechnet auf deſſen Beiſtand für die Aufrechthaltung einer Sache, mit welcher ihre theuerſten Intereſſen verknüpft ſind, für welche die erſten Mächte Europas fich erklären , und zu deren Gunſten ſowol der beſtimmte Wortlaut der Verträge, als die Grundſäße (prechen , welche den Kaiſer Alexander ſelbft in ſeiner ſchönen Laufbahn geleitet haben . Der Kaiſer hat mich ermächtigt mich mit Ew. Durchl. und ford Caſtlereagh darüber zu verſtändigen, wie man die lichtvollen Geſichtspunkte verfolgen könne, welche in der Denkjdhrift dieſes Staatsſecre tärs aufgeſtellt ſind. Die Abfidit Breußene Sachſen ſeiner Monarchie einzuverleiben erregt des Kaiſers wahrhaftes Bedauern. Ohne den Rechtspunkt der Frage zu erörtern , ſieht Se. kaiſerl. Maj. mit Schmerz,daß eine der älteſten Dynaſtien Europas mit dem Verluſte ihrer väterlichen Habe durch ein Syſtem der Er ſaßleiſtung bedroht iſt. Deſterreichs unmittelbares Intereſſe erheiſcht in mehrfacher Beziehung Sachſens Erhaltung. Sehr enge Familienbande be fliehen zwiſchen Sr. kaiſerl. Maj. und der königlichen Familie ; andererſeits würde der Kaiſer dem lebhafteſten Widerſprudie vieler andern Mächte be gegnen. Er glaubt , daß die Ausführung des Plans einer vollſtändigen Vereinigung den unvermeidlichen Reim entſchiedenen Mißtrauens gegen Preußen und der Anklage gegen Deſterreich für die deutſchen Mächteabgeben werde. Er iſt überzeugt, daß ganz Deutſchland das Einverſtändniß beider Höfe in einer der öffentlichen Meinung ſo entgegengeſegten Sache mißbilligen werde. Der Kaiſer weiß demungeachtet ſeine Betrachtungen , ſo wichtig dieſelben auch find , einem höheren Geſichtspunkte unterzuordnen , welcher ebenſo innig mit dem allgemeinen Intereſſe Europas , als der vertragsmäßigen Vergros ßerung Preußens verbunden iſt. Der ſoeben ſtattgefundene Anſchluß der britiſchen Regierung an die Abſichten Preußens auf Sachſen und das In tereffe, welches Rußland an dieſer Vereinigung hat, vermögen nicht das Bedauern Sr. Maj. zu verringern, und ſie wünſcht lebhaft , daß der König in ſeiner Weisheit alle die Unzuträglichkeiten erwäge , welche aus der gänzs lichen Bereinigung Sachſens mit ſeiner Monarchie entſtehen , und daß er fie mit denjenigen vergleiche , welche für Preußen und Deſterreich vermieden würden , wenn ein an Böhmen grenzender Theil dieſes Königreichs erhal ten bliebe. Wenn ſchließlich die Gewalt der Umſtände Sachſens Vereinigung mit Preußen dennoch unvermeidlich machte , ſo würde Se. kaiſerl. Maj. ſich ges nöthigt ſehen ihre Einwilligung von folgenden Bedingungen ausdrüdlic abhängig zu machen : 1) daß die Frage mit andern Gebiets beſtimmungen Deutſchlands gleichzei tig erledigt werbe, und zwar aus einem Ew. Durchl. noch zu entwiđeln den Geſichtspunkte; ferner 2) unter dem ausdrüdlichen Vorbehalte , daß die beiden Mächte über Grenzpunkte , über den Befeſtigungszuſtand einiger Pläße, über den Sandel und die freie Elbſoiffahrt eine Uebereinkunft treffen . Die Grundlagen , welche der Kaiſer als unerläßliche Bedingungen jeder Ordnung der deutſchen Angelegenheiten feſtſtellt, find einfach ; fte entſpringen aus der Natur der Sache ſelbſt. Ohne ſie iſt kein Zuſtand wahrhafter Rube denkbar, und indem Deſterreich, unermeßliche Opfer einem Grundſaße der Vereinigung bringt, kann es ſich nicht der Mittel berauben für das zu wirs ken , was den betheiligten Parteien nüglich iſt. Ich werde hierüber nähere Angaben machen .

63 Je mehr Se. kaiſerl. Maj. wünſcht, Deutſchland möge ſich nie in ein ſüdliches und nördliches ſcheiden , ſondern als Grundjag des fünftigen Bundess vertrags eine vollkommene Einheit bewahren , deſto mehr beabſichtigt ſie das volftändigſte Gleichgewicht zwiſchen dem Einfluffe herzuſtellen , welchen Defter: reich und Preußen berufen ſind auf Deutſchland auszuüben , deſto weniger tann fie die Bertheidigungsſyſteme Defterreiche und Preußens vermengen . Dieſen Fehler begehen , erlauben , daß eines dieſer Syfteme das andere ge radezu beeinträchtige, hieße ſie beide vernichten , oder eines dem andern ſo unterordnen , daß die Gleichheit der Beſchüßung und des Einfluſſes der beiden deutſchen Großmächte von dieſem Augenblide aufhören würde vor handen zu ſein . Der Kaiſer betrachtet die Mainlinie einſchließlich von Mainz ebenſo nothwendig für die Vertheidigung des ſüdlichen Deutſchlands, als für die Sicherheit ſeiner Monarchie. Er be fteht alſo barauf , daß dieſe Linie dem Süden verbleibe. Es würde nicht möglich ſein die Antheile der füdlichen Fürſten zu vervollſtändigen , wenn Preußen ſeine Beſigungen auf das ' rechte Moſelufer ausdehnte. Er ſtellt alſo dieſen Fluß als Grenzlinie a uf. Ohne in andere Einzelnheiten und Berechnungen einzugehen, iſt es augenſcheinlich, daß die preußiſchen Staaten , indem ſie den Schuß der feſten Pläße Belgiens und Hollands genießen , und ihr Vertheidigungsſyſtem durch die Feſtungen Luxemburg , Jülich , Weſel, Ehrenbreitenſtein , die linie der Lahn, Weſer , Elbe und Oder ſtüßen und ergänzen, nichts mehr für ihre Sicherheit zu fürchten haben. Der Kaiſer wird nie darauf verzichten unter ſeine Bertheidigungsmittel ben einzigen wichtigen Plat zu zählen, welcher ben jonellen Marid eines feindlichen Heeres nach der unteren Donau hemmt, ebenſo wenig kann er auf den einzigen Ausgangspunkt für den Handel ver zichten , der nach den nördlichen Meeren zu ihm verbleibt. Indem ich den Inhalt der gegenwärtigen Eröffnung wiederhole, welche ebenſo aufrichtig, als einfach iſt, glaube ich ihn in folgende Säße zuſammenfaſſen zu müſſen : 1 ) Der Kaiſer hat nur einen politiſchen Wunſch, nämlich den Preußens Abſichten und Intereſſen den ſeinigen gleich zu achten . 2) Er rechnet auf gegenſeitige Unterſtüßung und gänzliche Uebereinſtims mung der von beiden Höfen in der polniſchen Frage zu thuenden Schritte. 3) Er macht ſeine Zuſtimmung zur Einverleibung des König . reiche Sachſen von den nadherwähnten Vorbehalten abhängig , indem er Se. preußiſche Majeſtät in der dringendſten Weiſe einladet in Erwä gung zu ziehen , ob ſie den Zweck ihre Machtverhältniſſe zu ergänzen nicht erreichen würde, wenn ein Kern dieſes Königreichs erhalten , und ihr deshalb die Aufgabe erſpart bliebe den König von Sachſen durch einen Landſtrich zu entſchädigen. 4) Der Kaiſer beſteht darauf zur Vertheidigung des Südens ben Main und Moſellauf zu behalten , indem hierdurch zwei Gebiete getrennt werden , welche Mittel zur Ausgleichungund Entſchädigung für die Firſten im nördlichen und ſüdlichen Deutſchland gewähren. Der Kaiſer iſt mehr , als jede andere Macht dabei intereſſirt die Feſtung Mainz vor jedem Ueberfalle zu ſchüßen, und behält ſich vor über dieſe wichtige Angelegenheit in Bezug auf die für dieſen Zweck geeigneten Mittel in fernere Erklärungen einzugehen , welche ſeinen Beziehungen zum baie riſchen Sofe und der Möglichkeit entſprechen die Gebietvertheilungen in Baiern zu ordnen . Die in dieſerBeziehung zu nehmenden Maß regeln ſind mit der Gründung eines Bundesvertrags und den Mitteln verbunden , über welche man ſich zur Vertheidigung des Bundes eini

64 gen wird. Se. kaiſerl. Maj . glaubt nicht, daß deren Erörterung von derjenigen dieſer beiden Gegenſtände getrennt werden könne. 5) Se. faiſerl. Maj. beſteht auf der gleichzeitigen Berhandlung aller dies fer Fragen . Sie wird halten, was ſie verſpricht, indem fle gleichzeitig ihre Verſprechungen von der Verpflichtung vollkommener Gegenſeitigkeit abhängig macht. Ich habe die Ehre gehabt mich mündlich gegen E. D. über die einſt weilige Belegung Sadſens burc preußiſcheTruppen zu erklären . 3d kann mich auf das beziehen , was ich über dieſen Gegenſtand geſagt habe , und der Kaiſer ſchmeichelt ſich, daß der König in dieſem Verfahren neue Proben ſeis nes Vertrauens und ſeines Wunſches erblice ſich zu allem zu verſtehen , was Intereſſen dienen kann , welche er ſich gewöhnt hat nicht von den ſeinigen zu trennen .“ 1) Objhon Metternich dieſe Note Hardenberg gegenüber als eine ver trauliche, alſo an Dritte nicht mittheilbare bezeichnete, ſo theilte er doch noch an demſelben Tage Lord Caſtlereagh deren Inhalt mit. Sie iſt das Seitenſtück zu derjenigen , welche Lepterer am 11. Oct. an den preußiſchen Staatskanzler gerichtet hatte , und Metter: nidh's rühmende Bezugnahme darauf, ſowie ſeine bem engliſchen Staatsſecretäre gemachte Mittheilung der eigenen Erklärung bewei fet das vollkommene Einverſtändniß der beiden Miniſter. In ſei nem , in der zweiten Hälfte des December an den Prinzen von Oranien erſtatteten Bericht verglich der Freiherr von Gagern beide die Wenn dieſe fächfiſche Frage behandelnde Schriftſtücke miteinander.

engliſchen Ercellenzen ", ſchrieb er , welche Großbritannien vollfom men kennen , ſehr wenig aber des Feſtlandes Verhältniſſe in ihren Einzelnheiten und Verwickelungen , anderer Leute Rath hätten hören wollen , ſo hätten ſie ſich dieſen Fehltritt erſpart . Denn für den nothwendigen Widerruf iſt es ſchwer paſſende Ausbrüde zu finden. Aber wenn dieſes Schriftſtück (vom 11. Oct. ) eben nicht bewunderng werth iſt, ſo iſt es doch golden , wenn man es mit dem des Herrn von Metternich vergleidyt , weldies auf allen Seiten von Widers ſprüchen ſtroßt und das wahre Corpus belicti des Congreffes ift." Sicherlich hatte leşteres bem oraniſchen Bevollmächtigten deshalb größeren Aerger verurſacht, weil er , der von ſich rühmte, daß die Preußen ihn ſtete ſich gegenüber erblickt hätten , nun die Einverlei bung Sachſens zu ſeinem Leidweſen erwartete , während dieſelbe, als erſteres erſchien , nur in drohender Ferne ſich zeigte. Auch ſchien die Note Metternid's ein Aufgeben der bisher gegen Preußen ver folgten feindſeligen Politik zur nothwendigen Folge zu haben , was Gagern, wie ale Diplomaten , welche in der Gegnerfdjaft der beiden 1) Qlüber , VII , 19.- 26 .

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deutſchen Großſtaaten das Palladium der Sicherheit für ihre Höfe erblicken , höchlich mißbilligte, während die weiſeften der Staatsmän ner Deſterreichs und Preußens in aufrichtiger gegenſeitiger Unter ſtüßung den größten Vortheil für beide Staaten ſehen, deren Lebens aufgabe eine verſchiedene iſt, indem Deſterreichs Herrſchaft im ſüdöſt lidhen Theile von Mitteleuropa den natürlichen Verhältniſſen entſpricht, und ebenſo natürlid Preußen die Führerſchaft der deutſchen Stämme zukommt. Allein vergleicht man Caſtlereagh's und Metternich's Schriftſtüde genauer , und erwägt man die politiſchen Verhältniſſe der von ihnen vertretenen Cabinete , ſo geht aus allem hervor , daß der öſterreichiſche Miniſter auf Schlangenwegen ein Ziel, welches er ſich geſtedt hatte, in vollem Bewußtſein deſſen, was er that , zu er reichen ſuchte , während der engliſche Staatsſecretär demſelben wie ein Trabant ſeinem Planeten folgte. Im Bündniſſe mit Deſterreich das Uebergewicht Rußlands zu bekämpfen , war das Feldgeſchrei der engliſchen Politik; wie dies aber zu bewirken ſei , das überließ Caſtlereagh dem fchlauern Metternich , der ihn als ſein Werkzeug benußte. Caſtlereagh war offenbar guten Glaubens , als er dem preußiſchen Staatskanzler ganz Sachſen unter der Bedingung ber hieß , Rußlands Vordringen in Polen verhindern zu helfen , denn ſonſt hätte er ſich nicht in ſeiner Beurtheilung der vom Könige von Sadiſen beobachteten Politik Ausbrücke erlaubt, welche ſeine ſtaats männiſche Einſicht um ſo mehr bloßſtellten, als er plößlich dem öſter reichiſchen Einſpruche gegen Sachſens Vereinigung mit Preußen ſich anſdloß. Mochte er dieſelbe mit Jadſon für ungerecht, oder mit Cooke für gerecht halten , das fümmerte ihn wenig, denn er, welcher ſich für Norwegens Vereinigung mit Sdweden erklärt hatte, fragte nur danad), ob die Erhaltung für Erreichung der von England verfolg= ten Zwecke vortheilhaft ſei. Hätte er wie Metternich die von dieſem beabſichtigte politiſche Schwenkung vorausgeſehen , ſo würde er ſich wie dieſer durch geſchraubte Redensarten den Rückweg offen gehalten, nicht aber dadurch ſich lächerlich gemacht haben , daß er die Vereinis gung Sadiſens mit Preußen zuerſt für gerecht und heilſam erklärte und ſie ſodann demungeachtet verhinderte. Metternich wie Caftlereagh wollten Preußen mit Rußland entzweien, erſterer jedoch , damit die Preußen zu gewährende Entſchädigung ſo färglich, als möglich aus falle, lepterer, damit Rußland verhindert werde , die Weichſel zu überſchreiten. Als dieſe Entzweiung mißlang , hatte Metternich ſeinen Zwed

Preußen zu benachtheiligen dennoch erreicht,

der, ſeiner Volkszahl nad II.

indem

nothdürftig wiederhergeſtellte preußiſche 5

66

Staat aus zwei, des Mittelpunkts entbehrenden Stüden beſtand, von denen das weſtliche den Angriffen Frankreichs , das öftliche den Angriffen Rußlands preisgegeben war ; Caſtlereagh aber hatte nicht nur Rußlands Vorſchreiten nicht verhindert, ſondern auch durch Be günſtigung der Scwächung Preußens dazu beigetragen , daß Ruß lands Uebergewicht aud) in anderer Beziehung geſicherter war , als je. Nicht Metternich alſo , ſondern Caſtlereagh hat Stümperarbeit zu Wien geliefert, und wenn eine von den beiden Denkſchriften ,, golden “ zu nennen war , ſo war es diejenige Metternich'e, denn die Sachſene Vereinigung mit Breußen in Ausſicht ſtellenben Wen dungen derſelben brachten ihrem Urheber goldene Früchte. Der heuchleriſchen , weitídyweifigen , an Wiederholungen und Widerſprüchen reichen Note furzer Sinn beſtand alſo barin , daß Deſterreich, in die Einverleibung Sadiſens in den preußiſden Staat einwilligte, wenn dieſer 1 ) in Gemeinſchaft mit Deſterreich auf einer Grenze beſtehe, welche beiden Staaten Sicherheit gegen Rußland gewähre ; 2) wenn Preußen ſeine Beſigungen nicht über das linke Ilfer der Moſel ausdehne und Deſterreich, ſowie den ſüddeutſchen Staa ten zu ihrer Vertheidigung die Main- und Moſellinie , ein ſchließlich der Feſtung Mainz, überlaſſe. Andere ſonſt noch erwähnte Vorausſetzungen waren von der Art, daß nicht nur kein Zweifel , man werbe ſich über dieſelben vereini gen , denkbar war, ſondern eben aus ihrer Erwähnung hervorzugehen fchien , es ſei dem öſterreichiſchen Cabinete mit ſeinen Vorſchlägen Ernſt. Charakteriſtiſch für die Gewohnheit Metternich's die Dinge nicht mit ihrem wahren Namen zu bezeichnen iſt, daß er ſich gegen eine Sonderung Deutſchlands in einen ſüdlichen und nördlichen Theil ausſpricht, dabei aber ſofort die Main- und Moſellinie als Grenze beiber Theile bezeichnet und einem jeden ein genau geſchiedenes Ver theidigungsſyſtem anweiſt, dem nördlichen Deutſchland unter Preußens, dem ſüdlichen unter Deſterreichs Schuße, ein Vertheidigungsſyſtem , welches nur dann einen Sinn hatte , wenn man die beiden deutſchen Großmächte, ungeachtet aller überſchwenglichen Freundſchaftsverſiche rungen , als Feinde ſich gegenüberſtehend dachte. Denn in Bezug auf das Ausland hätte unter den obwaltenden Umſtänden nur von einer Vertheidigung der weſtlichen und öſtlichen Grenzen Deutſch lands die Rede ſein fönnen , nicht von der Vertheidigung des in feinem Herzen ſtrömenden Mains gegen Angriffe vom Norden oder Süden her. Hierauf lief es aber hinaus, wenn man , wie dies im

67 Laufe der Unterhandlungen geſchah, im Innern Deutſchlands liegende Feſtungen als für das beiderſeitige Vertheidigungsſyſtem nothwendig bezeichnete. Hätte der preußiſche Staatskanzler, wie der öſterreichiſche Mini ſter des Auswärtigen , feinem Hofe bei Zeiten durch förmliche Ver träge das geſichert, wofür er von Preußens Verbündeten nur allges meine Verheißungen erhalten hatte , fo würde er fid nicht in der unangenehmen Lage befunden haben , die Erfüllung jener Verheißun gen an neue Bedingungen geknüpft, ſich ſelbſt dagegen nicht mehr, wie früher im Stande zu ſehen , auch ſeinerſeits Zugeſtändniſſe von Bedingungen abhängig zu machen. Deſterreidy hatte durch Harden berg's Nachläſſigkeit alles , wozu es Preußens Zuſtimmung bedurfte, ohne Gegenleiſtungen erreicht, und beutete nun deſſen Fehler unter hohlen Freundſdhaftsverſicherungen aus . Das bem preußiſchen Hofe ſo eindringlich empfohlene Verhalten gegen Rußland entſpracy frei lich an ſich den Grundfäßen einer vernünftigen Politik, es wäre aber ſehr unllug geweſen, wenn Preußen ſich mit Rußland verfeindet hätte ohne des öſterreichiſchen Beiſtandes für alle Fälle ſicher zu fein. Solange es ſich darum handelte, die Anſichten Deſterreichs und Englands, welche Preußen als ſeinem und dem allgemeinen Beſten entſprechend vollkommen theilte , mit Gründen zu vertheidigen, ſchloß es ſich auch beiden Mächten in ihrem Widerſtande gegen Ruß lands übertriebene Forderungen aufrichtig an und wäre ſicherlich aud) bereit geweſen , ſeine Ueberzeugung mit den Waffen in der Hand geltend zu machen , wenn es nicht Metternich's verrätheriſche Politik zeitig genug durchſchaut hätte . Als Alerander in der erſten Woche des October mit dem Kaiſer Franz ſidy in Ofen befand, wohin die verbündeten Monarchen eine Vergnügungsreiſe gemacht hatten , verſuchte er vergeblidy den ſelben zu beſtimmen , daß er Metternidi anweiſe, eine Rußland günſtigere Haltung anzunehmen. Franz erklärte, daß ſeines Mini fters Benehmen ben ihm ertheilten Verhaltungsbefehlen entſpreche, und wenn hieraus ſrieg entſtünde, fo wolle er ihn lieber gleich haben , als im Falle fein im erſten Schlummer durch ihn aufgeweckt zu werden . Dem Könige von Preußen , welcher mit dem Kaiſer von Rußland in demſelben Wagen nad Wien zurückehrte, machte dieſer ebenfalls vergebliche Vorſtellungen , ſeinen Anſichten hinſicht lidh der Theilung des Herzogthums Warſd; au beizutreten. Nacidem der König ihn lange ſchweigend angehört hatte, brach er das Geſpräch 5*

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mit den Worten ab : er hoffe, der Kaiſer werde feine Anſichten hier: über ändern . 1) Ungeachtet aber Preußen verabredeterweiſe Englands und Deſter reiche Auffaſſung der polniſchen Frage vertrat, gelang es ihm nicht die hiervon abhängig gemachte Zuſtimmung dieſer Mächte zu Sachſens Erwerbung zu erhalten . Nur deſſen militäriſche Belegung und einſtweilige Verwaltung wurde ihm geſtattet, und die vom Könige Friedrich Auguſt dagegen aus Friedrichsfelde unter dem 4. Nov. erlaſſene Rechtsverwahrung blieb erfolglos. Vom Freiherrn vom Stein, welchen der Kaiſer von Rußland hierzu ermächtigt hatte, wurde Fürſt Repnin , der Oberbefehlshaber der ruſſiſchen Truppen im Königreiche Sachſen , veranlaßt am 8. Nov. öffentlicy zu erklä ren , daß der Kaiſer von Rußland in Uebereinſtimmung mit Deſter reich und England ihn angewieſen habe die Verwaltung Sachſens in die Hände des Königs von Preußen zu legen. Die fädyfiſchen Landes behörden wurden in einem beſonderen Schriftſtücke über dieſe Maß regel dahin verſtändigt, „ um dadurch die Verbindung Sadſens mit Preußen , welche nädöſtens auf eine noch förmlidere und feierlichere Weiſe werde bekannt gemacht werden, einzuleiten “. Eine Bekanntmachung endlicy, welche an demſelben

Tage

jedem Mitgliede der Landſtände des Königreichs zugefertigt wurde, ſprach nicht blos von einer vorläufigen Beſißnahme, ſondern von einer ſolchen , nach welcher das Königreich Sachſen unter Beibehal tung dieſes Namens mit Preußen ſofort vereinigt werde. Nach An kunft der preußiſchen Regierungscommiſſion in Dresden wurde auch auf ausdrüdliche Anordnung Repnin’s am 6. Nov. 1814 zum erſten Male des Königs Friedrich Auguſt und ſeiner Familie nicht mehr im Kirchengebete gedacit, ſondern nur im allgemeinen für die Obrig keit gebetet, obſchon in der am 10. Nov. erlaſſenen preußiſchen Bes kanntmachung nur von einer Uebernahme der Geſchäftsführung aus den Händen des bisherigen ruffiſden Generalgouverneurs die Rede war.2) Allein Thatſachen haben nur dann eine beſtimmende Ge walt , wenn niemand es für gerathen findet ſie anzufechten. Dies war hier nicht der Fall. Was nüßte es , wenn man in Sadſen einen Augenblick die preußiſche Oberherrſchaft für entſchieden anſah ? An der wirklichen Lage wurde hierdurch nichts geändert, denn Deſterreichs und Englands Vertreter erinnerten ſofort daran , daß die betreffen

1 ) Berg , IV , 189. 2) Klüber, I , II , 1-10 .

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den Bekanntmachungen der diesfallfigen Verabredung nicht entſprächen, und die preußiſche Regierung ſah ſich in die unangenehme Nothwen digkeit verſeßt, dies unter ungenügenden Entſchuldigungen zuzu geſtehen . Mit welcher Spannung Deutſchland die Löſung der fächſiſchen Frage erwartete, das bekundete eine Mafie von Flugſdyriften, worin die Einverleibung Sachſens in den preußiſchen Staat aus dem Geſichtspunkte des Rechts und der zweckmäßigkeit beleuchtet wurde. Man erklärte fich je nach dem Parteiſtandpunkte bald für, bald wider diefelbe , und wenn es wol felten vorkam , daß durch die angeführten Gründe bei den zunächſt Betheiligten ein Ueberzeugungs wechſel herbeigeführt wurde, ſo gewannen body die Unbefangenen da durch eine vollſtändige Renntniß der Thatſachen, von denen aus die jenigen , welche dieſen Federkrieg führten, zu ſo verſchiedenen Folge rungen und Schlüffen gelangten . Die in Beziehung auf die ſächſiſche Frage von der engliſchen Geſandtſchaft abgegebenen , und für Preußen günſtigen Erklärungen veranlaßten den Herzog von Sachſen -Roburg- Saalfeld am 14. Oct. eine Note an Caftlereagh zu richten, in weldier er zu beweiſen ſudite, daß die Vereinigung Sachſens mit Preußen weder dem Rechte , noch bem allgemeinen Beſten entſpreche, ja nicht einmal für Preußen vortheilhaft ſei . Rußland unterſtütze Breußens Vergröße rungspläne, um deffen Beiſtand für die beabſichtigte Zertrümmerung der Türkei zu erlangen . Alle deutſchen Staaten hielten ſich für verloren , wenn Sadiſen es wäre. Von dem gerechten und auf geklärten Volke Englands, dem Feinde jeder Gewaltthätigkeit, erwarte Deutſchland daher , daß es die Unterdrückung eines ihm durd Reli gion , Bildung und Handel verbundenen Volkes nicht gut heißen werde. 1)

Der Kaiſer von Rußland nahm dieſe Erklärung des Herzogs, welcher als General in ruſſiſchen Dienſten ſtand, fo über , daß er ihm ſagen ließ, wenn er ſo verkehrte Politik treiben wole, möge er die ruſſiſche Uniform ausziehen , und der fächfiſche Fürſt beeilte ſich nun die mißliebige Erklärung zurückzunehmen , welche freilich mit feinem ruſſiſchen Dienſtverhältniſſe, das er nicht aufgeben wollte, unverträglich war. Die anderen Häupter der herzoglich - fächfiſchen Linien ließen fich jedodh hierdurch nicht abhalten in einer gemeinſchaftlichen Denkſchrift 1) Klüber , VI , 15-18.

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gegen die preußiſche Beſibnahme von Sachſen Einſpruch zu erheben, welche ſowol ihre Erbrechte, als die Sicherheit und Ruhe Deutſchlands beeinträchtige. Auch veranlaßten ſie eine Anzahl anderer deutſcher Fürſten ſich in einer Note für die Wiederherſtellung des Königs von Sadyfen zu erklären . Dieſelbe, behaupteten fie, werde von der öffentlichen Meinung Deutſchlands, ja Europas gefordert. Habe ſonſt ſchon ein deutſcher Reichsfürſt nur von ſeinesgleichen ver urtheilt werden dürfen , ſo dürfe noch weniger heutzutage ein deutſcher Fürſt zu Gunſten eines andern ſein Beſikthum ver lieren. 1) Dieſe Rechtsausführung war freilich eine verfehlte zu nennen , weil die alten Gefeße , welche die Verhältniſſe des deutſchen Reichs. oberhauptes zu den deutſchen Fürſten und dieſer untereinander be trafen , nach dem Untergange des deutſchen Reichs ihre Gültigkeit verloren hatten , und es ſich im vorliegenden Falle um zwei unab hängige europäiſche Staaten handelte, auf welche nur die Beſtim mungen des Völkerrechts anwendbar waren . Indeſſen ging wenig ſtens aus der Note hervor, daß die kleineren deutſchen Staaten alles aufboten , um eine ihren Wünſchen ſo ſehr widerſprechende Maß regel zu verhindern. Gründlicher, als dieſe oberflächlichen Ausführungen , vertrat Taleyrand in einer Denkſchrift vom 2. Nov. die Sache des Königs von Sachſen. Derſelbe habe auf ſeine Staaten nicht verzichtet. þätte er ſeine Rechte auf dieſelben dennoch verloren , ſo müßte ent weder deren Eroberung allein dies haben bewirken können, oder ein Rechtsſpruch. Daß bloße Eroberung dies nicht vermöge, babe Eng land in Bezug auf das von Napoleon eroberte Hannover , dieſer felbft hinſichtlich der von England weggenommenen und an Schweden überlaſſenen franzöſiſchen Inſel Guadeloupe behauptet. Freilich wiefen dieſe Beiſpiele eben nur nach , daß jede Partei zu ihrem Gunſten das erlaubt fand , was ſie an der anderen als unerlaubt getabelt hatte , indeſſen entſprach der Sat allerdings den im Völkerrechte geltenden Rechtsfictionen. Bisher hatte aber der Eroberer noch ftets dieſe Verzichtleiſtung erzwungen . Ein Rechtsſpruch, fuhr Talleyrand in ſeiner Beweisführung fort, habe den König von Sachſen ſeines Landes nicht verluſtig erklären können , denn als Rönig fönne er gar nidt vor Gericht geſtellt, alſo auch nicht verurtheilt werden . Nehme man aber ſogar die Recht

?) Flaſſan , I , 79 .

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mäßigkeit einer ſolchen Verurtheilung an ſich an , wie dürfe fie in dem vorliegenden Falle behauptet werden , wo ihre Folgen die ber zoglich -fächfiſchen Häuſer , welche für die Sache der Verbündeten ge kämpft hatten, treffen würden, indem deren Erbrecht auf die fächſiſchen lande dadurch vernidytet wäre. Bon einer Berurtheilung eines regierenden Fürſten wegen der

von ihm befolgten Politik zu reden , war allerdings eine arge Ver kennung der hier vorliegenden Begriffe; allein niemand hatte aud im Ernſte dies behauptet, weil bekanntlich die Politik der Staate oberhäupter nur vom Erfolge gerichtet wird. Wer ſich der Nanonen, dieſer leßten Gründe der Könige, am beſten bebient, der hat ſich das mit zugleich einen günſtigen Schicfalsſpruch geſichert. Wenn man aber des Befißers nicht ſchonte, wie konnte da von einem Rechte ſeiner Erben die Rede fein , welches doch erſt dann ins Leben tritt, wenn ihr Erblaſſer ihnen bei ſeinem Tobe einen zu erbenden Gegent ſtand hinterlaſſen hat ? Nicht blog widerrechtlich , bemerkte Talleyrand ferner , ſondern auch ſchädlich ſei die beabſichtigte Maßregel. Schädlich ſei ſie für Preußen , welches die Erwerbung von zwei Millionen widerwilliger Unterthanen nur ſchwächen würde , ſchädlich ſei ſie für Deutſchland, denn Sachſens Einverleibung in den preußiſchen Staat dürfte der Funke ſein , der das in Deutſchland überall unter der Aide glimmende Feuer zu einem allgemeinen Brande anfachen würde. Auch England hätte nur Nachtheil davon , wenn ſeine bisherigen Handelsverbindungen mit Sachſen auf Preußen übertragen würden , da mit jenem ein Zerwürfniß undenkbar ſei , was hinſichtlich des leşteren nicht geſagt werden könne. In Bezug auf Preußens Ver hältniß zu Rußland ſegte er daffelbe, was in der Note des Herzog von Roburg hinſichtlich der Türkei behauptet worden war, als wahrſcheinlich voraus, und ſchloß mit der Bemerkung, daß die für Deutſchlands Sicherheit nothwendige Einigkeit Defterreich und Breußens durch Sachſens Erwerbung von Seiten des legteren ges fährdet werden würde, denn die bis zu Preußens Demüthigung zwi ſchen beiden Staaten beſtandene Eiferſucht werde hierdurch ficherlich wieder entzündet werden. Wichtiger für die Erhaltung eines ſelbſtändigen Königreichs Sachſen , als alle dieſe diplomatiſchen Schupichriften, welche die Uns anwendbarkeit des Eroberungsrechts für den vorliegenden Fall er

" ) Flafían , I , 118.

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klärten , war der Umſtand, daß der ſeine Anſicht über die fächfifche Frage engliſchen Unterhauſe, weldie womöglich Meinung war , als das Miniſterium ,

engliſche Botſchafter plöglich änderte. Die Oppoſition im ſtets einer andern politiſchen hatte demſelben drohend bie

Frage vorgelegt, ob es wirklich dafür ſei, daß das Königreich Sach Das ſen aus der Reihe der ſelbſtändigen Staaten verſchwinde ? Miniſterium hatte ausweichend geantwortet. Der Prinz -Regent, dem Raiſer von Rußland abhold , der im eigenen Intereſſe die For derung Preußen unterſtüßte, war hierin um ſo weniger mit der von Caſtlereagh öffentlich verfolgten Politik einverſtanden , als Graf Münſter bemüht war , ihn für Sachſens politiſche Erhaltung zu ge winnen . Die wahre Abſicht des öſterreichiſchen Cabinets , welche denſelben Zweď verfolgte , fing ferner eben an deutlicher hervorzu treten , und da England mit demſelben wie bisher Hand in Hand zu gehen entſchloſſen war , ſo erhielt Caſtlereagh den Befehl , Preußens Forderung mit ganz Sady ſen für ſeine Gebietsverluſte entſchädigt zu werden , nicht ferner zu unterſtüßen . Bevor die Haltung des britiſchen Bevollmächtigten in dieſer Be ziehung fich änderte, unterſtüßte Hardenberg deſſen und Metternich's Bemühungen, die ruſſiſchen Anſprüche auf das Herzogthum Warſchau auf ihr gehöriges Maß zurüdzuführen . Alerander , burdy dieſes Einverſtändniß beunruhigt , das ſeine Pläne zu vereiteln drohte, änderte nun plöglich ſeine Anſicht über die Schidlichkeit des bisher zwiſchen der Herzogin von Sagan und Metternich beſtandenen Verhält niſſes , und nahm die Vermittelung der Herzogin in Anſpruch , um zwiſchen ihm und dem öſterreichiſchen Miniſter eine Wiederanknüpfung Gegen Stein, des abgebrochenen Geſchäftsverkehrs zu bewirken. mit welchem er am 5. Nov. eine Unterredung hatte, beklagte er ſich, daß Alle gegen ihn fich vereinigten. Obfchon er der Vergrößerung Deſterreichs in Italien , und Preußens Erwerbung von Sachſen ſeine Zuſtimmung ertheilt habe, widerſprächen dennoch beide Mächte im Vereine mit England, welchem die Sache gar nichts angehe, ſeiner billigen Gegenforderung. Er bedürfe Thorns und Krakaus, um ſeine Befißungen auf dem linken Weichſelufer beſchüßen zu können. Stein möge den preußiſchen Staatskanzler andeuten, daß Oeſterreich ihm habe anbieten laſſen : es wolle ihm hinſichtlich des Herzogthums Warſchau die verlangten Zugeſtändniſſe machen, wenn er einwillige, daß Preußen das Königreich Sachſen nicht erhalte. Bei ſeiner am Tage darauf ſtattfindenden Zuſammenkunft mit

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dem Könige von Preußen und deſſen Staatskanzler macite er dieſe ſelbſt mit jenem Vorſchlage Metternich's bekannt, unb ſudite ſie das durch für ſeine Anſichten zu gewinnen, was ihm auch hinſichtlich des Könige gelang, indem derſelbe ſeinem Miniſter verbot, mit Oeſterreich) und England in der polniſchen Angelegenheit ferner gemeinſchaftliche Sache zu machen. Hardenberg , welcher mit dieſer Nachgiebigkeit des Königs nicht einverſtanden war , fegte die Miniſter Deſterreichs und Englands von der befremdenden Mittheilung des ruffiſden Raiſers in Renntniß. Metternic leugnete in einer an den preußi ſchen Staatskanzler gerichteten Note vom 7. Nov. die ihm vorge worfene verrätheriſche Zweizüngigkeit , und wiederholte die am 22. Oct. gegebene Verſicherung : es habe der Kaiſer von Deſterreich unter den bewußten Bedingungen eingewilligt, preußiſchen Staate einverleibt werde.

daß Sachſen

dem

An demſelben Tage , wo Caſtlereagh von Hardenberg jene Met ternic anklagende Mittheilung empfing, ließ er ſeine Beantwortung der ruſſiſchen Erklärung vom 30. Oct. troß der Vorſtellung des preußiſchen Staatskanzlers, hiermit noch Anſtand zu nehmen, abgehen . In dem kurzen Begleitſchreiben drüdte er ſeine Ehrerbietung gegen den Raiſer aus , welden er von dem Verfaſſer der ruſſiſchen Dent drift höflicherweiſe ausdrücklich unterſchied , als ob felbige wider deſſen Wiſſen und Wilen habe übergeben werden können. Die in der Dentſdrift aufgeſtellten ſtaatsrechtlichen Grundfäße, fagte er in ſeiner Gegenſchrift, ſeien geeignet jeden anerkannten Grundſat des Vertrauens und guten Glaubens unter Staaten zu zerſtören. Der reichenbacher Vertrag fei , wie geſchichtlich feſtſtehe, durch den zu Teplig abgeſchloſſenen nicht aufgehoben , ſondern viel mehr beſtätigt worden. Die großen Eroberungen aber , welche als Grund dieſer von ruſſiſcher Seite beliebten Auslegung würden , hätte man erſt ſpäter gemacht.

angegeben

Es iſt neue Behauptung im Staatsrechte fährt Caftlereagh fort - daß die Verpflichtungen eines Vertrags ebenmäßig durch Erfolg und Mißlingen aufgehoben und vernichtet werden. Siegte Buonaparte , fo hätte der öſterreichiſche Kaiſer ſeine polniſche Grenze und wahrſcheinlid ſeine Krone verloren. Die Verbündeten ſiegten , und er ſolle ebenmäßig ſeine polniſche Grenze verlieren . Welche ſichere Grundſäße giebt es für Berträge , wenn fie durch ſolche Auslegung vernichtet werden können ? " Erwerbungen auf andern Seiten gewährten Rußland fein Recht ohne ausdrüdliche Zuſtimmung der beiden Mädyte einſeitig über die polniſche Grenze zu verfügen , und die europäiſchen Mädyte, welche im pariſer Frieden Deſterreicy das Gebiet bis zum Po zuerkannten,

74 hätten nicht gewollt, daß Deſterreid dagegen ſeine militäriſche Grenze gegen Rußland aufgeben folle. Gewiß habe Großbritannien, welches die eroberten Colonien herausgab, um dem Feſtlande Unabhängigkeit und Ruhe zu ſichern , dies nicht gethan, damit das geſtörte Gleich gewicht Europas vollends über den Baufen geworfen werde. Ganz daſſelbe gelte von Preußen . — Wenn die Ruffen bald behaupteten : das Herzogthum Warſchau gewähre keine Angriffeſtellung, bald des Staiſers bekannte Mäßigung und Freundſchaft für ſeine Verbündeten mache die Frage danad, unnöthig , fo werde man Europa fchwerlid überreden , daß die Kriegsſtellungen , welche Napoleon von Preußen und Deſterreich abtrennte, um ſelbſt aus der Entfernung beide Mächte dadurdy in Schach zu halten , für dieſen Zwed wirkungslos ſeien , wenn fie Rußland einverleibt werden . Sollten Deſterreich und Preußen worauf es Europa ankommet - wirklicy unabhängige Mächte und nicht ähnlich dem Rheinbunde oder Italien abhängig ſein, ſo ließe ſich die unwiderſtehliche Nothwendigkeit ihnen eine mi litäriſche Grenze zu geben weder durch ihre anderweitigen Erobe rungen , noch durch irgendeine bringende Nothwendigkeit für Ruß land ſich das Herzogthum aus Bertheidigungsrüdſichten anzueignen, beſtreiten. Der Kaiſers perſönlicher Charakter könne hier nicht ins Gewicht fallen. Die Freiheit und die Sicherheit der Staaten könnten nicht auf perſönliches Vertrauen oder auf das Leben eines Menſchen gebaut werden, fie erforderten andere, feſtere Grundlagen. Auch fel weder perſönliches Bertrauen , noch ſelbſt die angebotene Gewähr hinreichend, um die Nachbarſtaaten über ein Königreich Polen unter einem ruſſiſchen Fürſtenhauſe zu beruhigen, da nad der aufgeſtellten Lehre über den Vertrag von 1797 die feierlichſte Gewähr durch den nächſten Arieg gebrochen werde, und ein glücklicher Krieg neue Ent ſchädigungsforderungen , alſo eine neue Theilung der Preußen und Deſterreich zugeſicherten Provinzen rechtfertige. Der für Deſter reich beſtimmte Antheil von Warſchau, fechs Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von 15654 Seelen , könne doch im Ernſte nicht als Erfüllung der Berträge dargeſtellt werden , und der halbe Er trag der Salinen — nicht, wie behauptet worden , drei Millionen , fon bern dreihunderttauſend Gulden -- gebe einen Beweis, wie vorſichtig der Kaiſer die Rechnungen und die Rathſchläge des Verfaſſers der Denkſchrift aufnehmen müſſe, wenn er ſich zu entſcheiden habe, was er in Großmuth ſowol , als Gerechtigkeit den Verbündeten dulde, mit denen er die Wagniffe des Kriegs getheilt habe , und mit denen er wünſchen müſſe die engſte Verbindung zu erhalten.

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Caftlereagh rügte ſodann die ruſſiſcherſeits geſchehenen Ent ſtellungen und erklärte : Europa fönne ein ſolches Gleichgewicht ſich nicht gefallen laſſen, welches bei jeder Pflichtverletzung eines Staates bie ganze Kriegsmacyt des Welttheils in Bewegung feßen müſſe, und wenn Rußland durch ſeine Erwerbungen ſo unangreifbar ge worden ſei , daß es nun feine ganze Kriegsmacyt gegen die Donau und Oder zur Verfügung habe , ſo könne es nicht auffallen , wenn auch Preußen und Deſterreich gegen Rußland eine militäriſche Grenze ſuchten , beſonders da dieſes künftig ein polniſches Volksheer als neue und furchtbare Waffe handhaben werde. Beſtehende Verträge dürfe Rußland ebenſo wenig ändern , als größere Erfolge im Striege die Rechte der Parteien änderten , und ſie ihrer Pflicht gegen Europa entbinde, beſſen politiſches Gleichgewicht durch ungehörige Bergröße rungen nicht zu ſtören . Der Grundſat , fich für die Kriegskoſten durch Gebietsvergrößerung zu entſchädigen , könne nicht ſtark genug verdammt werden , wenn dadurch die allgemeine Sicherheit gefährdet werde. Mit ſolcher Lehre fönne der Friede der Welt nicht beſtehen . Gebietszuwache möge den Nationalehrgeiz befriedigen , bringe aber gewöhnlich nur Laſten und Unzufriedenheit, von gleichem Werthe wie die neuen þülf &quellen. Wenn die Berbündeten mit ſolchen Grund fäßen , freiſinnig gegen einander und nachfichtig gegen andere Staaten, handelten , ſo möchten fie hoffen , einen ruhmvollen Krieg burdy einen dauerhaften Frieden zu krönen . Die Nachwelt werbe ihre Namen verehren , nicht nur weil ſie die Welt von einem Tyrannen und Eroberer befreit, ſondern auch weil ſie durd, ihr Beiſpiel und ihren Einfluß das Reich der Mäßigung und Gerechtigkeit wieder hergeſtellt haben. ) 3e herber dieſe unwiderlegbare Ausführung war , die beſte, welche Caſtlereagh je überreichte, deſto mehr war Kaiſer Alexander darauf bedacht den ihm befreundeten König von Preußen auf ſeine Seite zu ziehen, damit ſeine Gegner nicht ein zu entſchiedenes Ulebergewicht befäßen. Hätte Deſterreich und England durch Ge= nehmigung der preußiſchen Einverleibung Sachſens den Beiſtand Preußens gegen Rußland fich geſichert, ſo wäre leßteres genöthigt geweſen , die ihm von Europa in Polen beſtimmte Grenze anzuer kennen, oder in einem hoffnungsloſen Kampfe gegen daſſelbe ſich der Gefahr auszuſeßen noch ungünſtigeren Bedingungen ſich fügen zu müſſen . Allein das öſterreichiſche Cabinet fand es ſeinen Sonder

1) Berg , IV , 198–201. b. Gagern , II, 294–297.

!

76 zweden angemeſſener auf ſeine an das Großherzogthum Warſchaut abgetretenen Provinzen zu verzichten und es zuzugeben , daß Rußland durch Beſignahme des größten Theiles derſelben einen furchtbaren Kriegsfeil zwiſchen die mitteleuropäiſchen Länder treibe , ale daß es Preußen abgerundete, wohl zu vertheidigende Grenzen gegönnt hätte ; dies war mit der Rolle , welche es in Deutſchland zu ſpielen ge dachte, unverträglich. In Baris hatte es deshalb die deutſchen Grenzen gegen Frankreidy preisgegeben , in Wien that es daſſelbe gegen Rußland . Hardenberg , welcher einſah , daß eine für Preußen günſtige Lö fung der polniſchen Frage nur im Bunde mit England und Defter reich möglich ſei , aber ungeachtet alles deſſen , was Metternich's Treuloſigkeit bisher bereits wahrſcheinlich gemacht, hierüber noch keine feſte Anſicht ſich gebildet hatte , wandte ſich bei der ihm bekannten Geſinnung feines Königs , welcher hierin klarer ſah , als er, mit der ziemlich zwedloſen Frage an Stein , ob ihm ein Krieg gegen Rußland räthlid ſcheine ? Dieſer verneinte es , weil Alerander mit einem Heere von 250000 Ruffen und 38000 Polen zwiſchen der Weichſel und Wartha ſtehe, außerdem aud noch mit einem in Holſtein befindlichen Heerestheile Norddeutſchland bedrohe, während die preußiſchen und öfterreichiſchen Alle Streitkräfte über Deutſchland und Italien zerſtreut ſeien. Staaten ſeien erſchöpft, und es ſtehe zu befürchten, daß ſodann in Frankreich die Mißvergnügten zu den Waffen greifen und von Murat Unterſtüßung erhalten würden. Später , wenn Rußland ſeine Heere auf den Friedensfuß geſeßt, und mit den polniſchen Angelegenheiten zu thun habe , werde es weniger im Stande ſein Krieg zu führen, denn ſein land ſei ebenfalls erſchöpft, indem es ſeit 1805 1,763000 Mann zu den Fahnen gerufen habe. Von einer Verſchiebung der Entſcheidung konnte aber die Rede um fo weniger ſein, als ja diesfallfige Vortheile und Nachtheile für beide Parteien in gleicher Weiſe beſtanden . Die Zuverläſſigkeit Deſterreichs ſcheint auch er – mindeſtens in dieſem Gutachten nicht bezweifelt zu haben . Wie bald ſollte aber deſſen Feindſeligkeit gegen Preußen vollſtändig fich herausſtellen ! Der preußiſche Staatskanzler richtete nun an lord Caſtlereagh eine Dentſdrift, in der er aus den nur gedachten Gründen auf die Unthunlichkeit eines Krieges hinwies , und ihn erſuchte ſtatt ſeiner eine gütliche Ausgleidung mit Rußland zu vermitteln. Doch war es bei der allgemeinen Unluſt wieder zu den Waffen zu greifen,

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ſehr unwahrſcheinlich , daß Staiſer Alexander burch bloße Rechts gründe zu erheblichen Zugeſtändniſſen werde bewogen werden können . In der am 11. Nov. zwiſchen Metternich, Hardenberg und Caſtle reagh ſtattfindenden Unterredung fing Erſterer auch bereits an von der in ſeinen Noten vom 22. Oct. und 7. Nov. geäußerten Dei nung abzugehen , und ſeinem wahren Ziele fich zu nähern. Ohne der öffentlichen Verurtheilung anheimzufallen , rief er aus , könne er die fächfiſche und polniſche Sache nicht aufgeben. Sein Wunſch ſei es, daß dem Könige von Sachſen ein Theil ſeines Landes mit Dress den und einer Bevölkerung von 500000 Menſchen verbleibe, Mainz aber an Baiern , welchem er es verheißen habe , käme. Der früher nur angedeutete Wunſch hinſichtlich Sachſens war nun der Sade nach ſchon zu einer nach Volkszahl und Gegend beſtimmten Forde rung gediehen , welche bald ſich um das Dreifache vermehren ſollte, um zulegt nach lebhaften Erörterungen in die dann wirklich geſtedten Grenzen zurüdzuweichen . Hardenberg wies beide Forderungen Metternich's zurück, erklärte fich jedoch auf fernere Aufforderung endlich bereit , als Vermittler Infolge deſſen wurde er am Rußland gegenüber aufzutreten . 14. Nov. von Deſterreich amtlich aufgefordert, daß er Rußland ver anlaſſe ſich über den Umfang ſeines Anſpruch auf das Herzogthum Warſchau und über die Bürgſchaft zu erklären , daß Europas Ruhe nicht infolge der vom Kaiſer Alerander dort beabſichtigten Einrich tungen geſtört werde. Zugleich enthielt das Schreiben eine Be ſchwerde, daß Preußen lands nicht unbedingt ebenfalls den Wunſch einem Theile Sachſens diesfalfige Beſprechung lehnte.

ſich den Erklärungen Deſterreichs und Eng anſchließe. Wrede und Münſter äußerten ihrer Regierungen , daß Preußen ſich mit begnüge , und Erſterer trug fogar auf eine mit Hardenberg an , welche dieſer jedoch abs

Taleyrand, der von Anfang an ſowol die Anſprüche Rußlands auf Warſchau , als Preußens auf Sadſen bekämpft hatte , freute ſich, daß Caſtlereagh und Metternich plößlich unter keiner Bedingung von einer preußiſchen Einverleibung Sadſens etwas mehr hören wollten Er begab ſich am 15. Nov. zum Kaiſer Alerander, und ſuchyte durch ſeine Vorſtellungen Englands und Deſterreichs Forderungen mehr Nachdruck zu geben , machte jedoch keinen Eindruck. Wegen der Ein verleibung Sachſens in den preußiſchen Staat bezog ſich der Kaiſer auf ſein deshalb gegebenes Verſprechen, wegen Polens ſtehe ihm das Recht zur Seite ,

wie er

dies

darzuthun bereit ſei .

Talleyrand

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führte jeßt eine ſtolzere Sprache, als vor einigen Monaten zu Paris, wo er Alexander's Großmuth rühmte , und ſich eifrig um deſſen Gunſt bewarb. Frankreicy, rief er aus , würde diejenigen unter ſtüßen , welche ſich willkürlicher Oberherrſchaft widerſeken wollten. Dbſchon ſein König die Erhaltung des Friedens wünſche, fo würde er dennoch der Sadie des Rechts mit 300000 Mann zu Hülfe eilen. Zwar hatte der franzöſiſche Kriegsminiſter Dupont auf Talleyrand's Anfrage: wie viel Truppen Frankreich bei Ausbruch eines Arieges ins Feld ſtellen könne , erwidert: 75000 Mann ſechs Wochen nach der Kriegserklärung, und die gleiche Zahl ſechs Wochen ſpäter ; auch herrſchte im franzöſiſchen Heere große Unzufriedenheit, weil die Mehrzahl der Offiziere, welche unter Napoleon gedient hatten, ent laſſen worden war ; allein der franzöſiſche Diplomat hielt jene Prah lerei für räthlich, damit ſeine Vorſtellungen größere Beachtung fänden . Obwol Alerander durch die unlängſt erfolgte Ankunft Pozzo di Borgo'8 aus Baris die franzöſiſchen Verhältniſſe gut genug fannte, als daß er Talleyrand's Angaben über die Streitkräfte Frankreiche Glauben beigemeſſen hätte , fo fühlte er ſich doch durch die Saltung des franzöſiſchen Botſchafters ſehr unangenehm berührt, und brad die Unterrebung kurz ab , nachdem er ſeinen unwillen darüber aus geſprochen hatte , daß Frankreich, auf deffen Dankbarkeit er durch den ihm bei den pariſer Friedensunterhandlungen geleiſteten Beiſtand ſo große Anſprüche habe , mit ſeinen Gegnern gemeinſchaftliche Sache mache. In dieſem Sinne (prad er ſich auch in einem an Ludwig XVIII. gerichteten Briefe aus , erhielt aber durch die bald eintreffende Antwort die unwillkommene Gewißheit, daß der von ihm angeklagte Miniſter nur das Organ der Anſichten ſeines Königs ge weſen ſei. 1) Demungeachtet beharrte Alexander auf ſeinen Forderungen , ob idon der Kronprinz von Würtemberg, fein nachheriger Schwager, auf Stein's Veranlaffung ihm ſeine Beſorgniß darüber ausdrüdte, daß Rußland in Begriff ſtehe mit ganz Europa fid) zu verfeinden . Der Kaiſer ſuchte ſein Verfahren dadurch zu rechtfertigen , daß er ale ſein Reich durch eine feſte Grenze zu ſichern ſuchen müſſe wenn daſſelbe von Angriffen der benachbarten Staaten etwas zu fürchten gehabt hätte ! - , und meinte : England werde er durch an

1) Mémoires de Louis XVIII , IX , 259.

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gebotene Sandelsvortheile beſchwichtigen , Breußen aber werde troß den Anſtrengungen Metternich's auf ruffiſcher Seite ſtehen . Er machte daher dem Könige von Preußen wiederholte Borſtel lungen über das hinterliftige Benehmen des öſterreichiſchen Miniſters. Talleyrand habe bei der demſelben am 15. Nov. bewilligten Unter rebung im Namen des Fürſten Metternich ihm die Verſicherung ertheilt: Deſterreich werde , was Bolen anlange, ihm die geforderten Zugeſtändniſſe machen , wenn er aufhöre Breußens Anſprüche auf Sachſen zu unterſtüßen. Da er den König ermächtigte den öſter reichiſchen Miniſter des Neußern hierüber zur Rede zu ſtellen , ſo kam es zu gegenſeitigen Erklärungen , welche umſomehr Pergerniß gaben , als troß Metternich '& fortgeſeştem Leugnen ſo viel feft= ſtand , daß entweder der Ankläger oder der Angeklagte ein verräthe riſcher Lügner ſei. Die folgenden Ereigniſſe beſeitigten jedoch jeden vernünftigen Zweifel daran , daß Metternich wirklich der ihm vor geworfenen treulofen Doppelzüngigkeit ſich iduldig gemacht habe , denn die Löſung der fächſiſch - polniſchen Frage entſprach dem geleug neten Vorſchlage nicht nur vollſtändig , ſondern leşterer war auch ein nothwendiges Ergebniß der bisher von Oeſterreich befolgten Politik. Der König von Preußen ſprach nun mit Beſtimmtheit fich gegen Hardenberg dahin aus , daß er mit dem ihm befreundeten Raiſer von Rußland feſt zuſammenhalten wolle , um ihre beiderfeiti gen Anſprüche durchzuſeßen. Alerander dagegen hielt es für ange meffen ſeinen Gegnern durch eine feine Kriegsbereitſchaft befundenbe Maßregel die Ueberzeugung zu verfdjaffen, daß er ſeine Forderungen nöthigenfalls mit den Waffen geltend zu machen ſuchen werde. Er fandte nämlich ſeinen Bruder , den Großfürſten Konſtantin am 19. Nov. nach Warſchau mit dem Auftrage das polniſdie Heer auf 70000 Mann zu bringen. Außerdem traf er Anſtalten, als wenn er Wien in kurzer Zeit verlaſſen wolle. In der Unterredung , welche er dem Freiherrn vom Stein am 15. Nov. gewährte, ſprach er ſich lobend über das Benehmen des Raiſer$ Franz gegen ihn aus , rügte dagegen, daß Metternid, Zwie ſpalt zu erregen ſuche, und hierin vom Vertreter Englands unter ftüßt zu werden ſcheine. Stein erwiderte : er glaube, die Engländer wünſchten den Frieden , da ihr Land vom Kriege ſehr erſchöpft ſei . In der polniſchen Frage beſchränke ſich die Verſchiedenheit der An ſichten jeßt hauptſächlich nur noch auf den Beſig von Thorn und Kratau ; über jenes werde man ſich mit Preußen , über dieſes mit Deſterreich

einigen.

Mehr die Eigenliebe ,

als

wahre Intereſſen ,

80 wegen deren es ſich verlohne das Schwert zu ziehen, würden hierbei Wenn der Kaiſer Krakau, welches er befekt halte, räume, berührt. ſo würde dies bei der Stärke feines Heeres ein Beweis ſeines Edel muthes ſein. Um die obwaltenden Streitigkeiten ſo rajdy, als mög lich zu beſeitigen , müſſe man ſich über Polen , Sachſen und Mainz gleichzeitig zu verſtändigen ſuchen.

Alerander entgegnete auf dieſe

Bemerkungen: zur Beruhigung der fremden Mächte habe er vorge ſchlagen ein Königreich Polen wiederherzuſtellen , und ſein Heer ſodann nach Rußland zurückzuziehen. Was Sachſen betreffe, ſo würde, wenn deſſen König einen Theil davon behielte , dies Deſterreich nichts nügen , da ein ſolcher Staat zu unbedeutend ſei, um deſſen Grenzen Er hoffe übrigens den Frieden aufrecht zu erhalten, zu ſchützen. um für freiſinnige Ideen wirken zu können , was in ſeinen Augen dem Leben allein einigen Werth gebe . Wie ganz anders würde die Geſchichte Europas fich geſtaltet haben, wenn Alexander's Thaten ſo edlen Worten entſprochen hätten ! Als die Rolle der Freiſinnigkeit ſeinem Ehrgeize nicht mehr förderlich war, ſtiftete er die heilige Alianz, um die Freiheitsbeſtrebungen der Völker , deren Hoffnungen durch die zu Wien und Paris geſchaffene neue ſtaatliche Ordnung der Dinge bitter getäuſcht worden waren, mit gewaffneter Fauſt zu vereiteln. Denn obgleich er die Fürſten Europas aufgefordert hatte, die Vorſdriften der chriſtlichen Religion fortan zur Richtſchnur ihrer Politik zu nehmen , ſo wurden doch unter ſeiner Mitwirkung in Italien und Spanien Herrſcher veran anlaßt die von ihnen beſchworenen Verfaſſungen zu brechen , und durch fremde Bajonnette in den Stand geſegt mit ihren Völkern nach Widfür zu verfahren , während im übrigen Europa es als Verbre chen galt an die Erfüllung fürſtlicher Verheißungen zu mahnen, und der Grundſaß vorherrſchte , daß nur die Fürſten Rechte, die Völker nur Pflichten hätten. Der Schriftenwechſel mit dem Vertreter Englands hatte den Er wartungen des Kaiſers von Rußland ſo wenig entſprochen , daß er denſelben auffordern ließ künftige Mittheilungen, wie ſonſt, an ſeine Miniſter zu richten. In der unter Czartoryiſki's Mitwirkung von Capodiſtrias abgefaßten Denkſchrift, welche den zwiſchen dem Kaiſer Alerander und dem engliſchen Staatsſecretär unmittelbar unterhalte nen Schriftenwechſel beendigte, wurden mit anſcheinender Mäßigung Rußland8 maßloſe Forderungen aufrecht erhalten. Man beharrte ohne Angabe näherer Gründe dabei , daß der reichenbacher Bertrag nur für einen beſtimmten Fal berechnet geweſen , und deshalb , nachdem

81

dieſer eingetreten , durch den Bertrag von Tepliß erſet worden ſei. Da übrigens in den Verträgen ſelbſt genauere Beſtimmungen fehl= ten , ſo ſei es nothwendig geworden, dergleichen nachträglich zu treffen . Auf eine Widerlegung der ſchlagenden Gründe, welche für die eng liſche Auffaſſung der polniſchen Frage angeführt worden waren, ließ man ſich weislich nicht ein ; um jedoch den Vorwurf des Ver tragsbrudhes wo möglich zu vergelten, wurde entgegnet : es gebe zwar Beiſpiele , daß bei veränderten Umſtänden ein Staat auch einſeitig einen Vertrag für unverbindlich halte, wie Großbritannien den Frie den von Amiens, allein Rußland beharre dennoch bei den getroffenen Beſtimmungen, und eröffne eine freie Berathung über die von ihm mit Recht beanſpruchten Eroberungen. Hätten Rechtsgründe den Streit entſchieden , ſo würden freilich ſo haltloſe Behauptungen dem ruffiſchen Cabinete nichts genußt haben , denn den Beweis , daß der reichenbacher Vertrag durch den teplißer aufgehoben worden ſei , blieb es ſchuldig. Ebenſo unglüdf lich war es mit der Beſchönigung ſeiner Handlungsweiſe, denn wie konnte es fid rühmen treu bei Beſtimmungen zu beharren , von denen es ſelbſt behauptete, daß ſie bei ihrer Augemeinheit erſt durdy eine Vereinbarung näher beſtimmt werden müßten . Ferner war es ein unglücklicher Verſuch die Aufhebung des Friedensvertrags von Amiens der Nichterfüllung des reichenbacher Bundesvertrags an die Seite zu ſtellen , da jeder Friedensvertrag durch die ſpätere Kriegs erklärung des einen Theils wieder erliſcht, und die Berechtigung hierzu in formeller Beziehung ebenſo unzweifelhaft iſt, als die Verpflichtung eines Verbündeten dem andern das für die bedungene Mitwirkung Verſprochene zu gewähren . Der Bundesvertrag wird übrigens ſeiner Natur nach mit einem Freunde freiwillig abgeſchloſſen , der Friedensvertrag dagegen mit einem Feinde unter Nöthigung der Umſtände. In Bezug auf Englands Vorſchlag einer völligen Wiederher ſtellung Polens , welche der vom Kaiſer Alerander vorgeſpiegelten Abſicht: er wolle das an dieſem Lande von ſeinen Vorfahren be gangene Unrecht fühnen , allein entſprochen hätte , gab dieſer die nichtsſagende Antwort : wenn alle europäiſche Staaten ſich freiwillig in den ihren Eroberungen vorangegangenen Zuſtand zurücverſeßen könnten , ſo wäre er am erſten bereit, bieſes Ziel mit den größten Opfern zu erkaufen . Aber die übrigen Staaten ſchienen hierzu nicht geneigt, und auch Großbritannien würden in folchem Falle Opfer ange fonnen werden, welche es dem allgemeinen Wohle und der wahren Un 6 II.

82 abhängigkeit der Völfer nicht bringen werde. Es ſei alſo beſſer für die Wölfer das verbältniſmäßige Gute zu erſtreben , worauf fie ein Recht haben, und mittels deſſen man mit mehr Grund einen dauer So wurde vom Beſonderen und haften Frieden erwarten fönne. Ausführbaren die Sache ing Adgemeine und Unausführbare hin: übergeſpielt. In ſehr ausführlicher Weiſe wurde durch Aufzählung deſſen , was die übrigen Mädyte zu erwerben in Begriff ſtänden , der vergebliche Verſuch gemacht darzuthun : Rußland verlange nicht einen Zuwache, um feine Fülf & quellen zu vermehren, ſondern , als nothwendiges Ge widyt in der Wagiale des europäiſdyen Syſtems. Während es fich bei Preußen und Deſterreid nur um Wiederherſtellung des durch frühere unglüdliche Kriege bedeutend geſchmälerten Länderbeſtandes handelte , ſprach Kaiſer Alexander von deren unermeßlichen Erobe rungen ; dagegen war jede an Rußland abzutretende Provinz eine wirklicie Bergrößerung , weil daſſelbe Gebietsverluſte nicht erlitten, vielmehr den Umfang ſeines Reichs außerordentlid vergrößert hatte. Wenn daher das ruſſiſche Cabinet ſeine Anſprüche auf Warſchau zu Aufſtellung des europäiſchen Gleichgewichts für nothwendig erach tete , ſo war dies eine muthwillige Verhöhnung der Wahrheit. In einer ſtatiſtiſchen Beilage ward die frühere Angabe über das Einkommen der Salzwerke von Wieliczka beſtätigt und hinzugefügt, daß der Kaiſer von dem Herzogthume Warſchau nur zwei Millionen und einige Hunderttauſend Einwohner zu behalten gedenke . Die von Seiten Großbritanniens aufgeworfene Frage, in welchem lichte eine Theilung erſcheine, wo einem folden Antheile Rußlande der öfter reichiſche Antheil mit 15654 Einwohnern gegenüberſtehe, wurde weislidy mit Stillfdweigen übergangen , aud die unrichtige Veran idragung der Bevölkerung in den beanſpruchten Provinzen nicht näher begründet. Hinſichtlid, eines Vermittlers endlich wurde be merkt: derſelbe ſei wünſchenswerth , wo er die Geiſter einander zu nähern vermöge ; wo dies nicht der Fall ſei , überlaffe man beſſer die Parteien fich felbſt, beſonders wenn wie hier Vertraulichkeit und gegenſeitiges Zutrauen den wirkſamſten Grundfag ihrer Unterhand lungen ausmache. ) Hardenberg, welcher nur zu gut wußte , wie wenig diefe ſchönen Worte der Wirklichkeit entſprachen , zeigte ſich auf Englands und Deſterreiche Wunſch zwar bereit, die Rolle eines Vermittler zu

) Berß , IV, 209–17 . b. Gagern , II , 297.

83 übernehmen , täuſchte ſich jedoch nicht über bie wahrſcheinliche Erfolg loſigkeit des diesfallfigen Verſuche. Des Freiberrn vom Stein be diente er fid ), um ſid, mit den ruſſiſchen Bevollmächtigten über die Am Form und Grundlage der Unterhandlung zu verſtändigen. 21. Nov. hatte Stein mit Czartoryiſti und Capodiſtrias deshalb eine Unterredung, welche dem preußiſchen Staatskanzler den nöthigen Stoff zu dem Vorſchlage gewährte, den er dem Kaiſer Alexander am 23. Nov. madyte. Er verlangte für Oeſterreich: Krakau , den zamosker Kreis mit der Nida als Grenze , für Preußen : Thorn und die Grenzlinie der Wartha , und bemerkte, daß wenn dieſe Grenzen bewilligt würden, man fid) über die zu treffenden ſtaatliden Einridytungen durd) gegen ſeitige Gewährleiſtungen leicht verſtändigen werde. Alexander hörte zwar dieſe Vorſchläge ruhig an , ließ ſich aber auf eine Erörterung derſelben nidyt ein , ſondern verſprad ſeine Gegenvorſchläge ihm in kurzem eröffnen zu laſſen. Ehe dies ge dah , fand am 24. Nov. eine Beſprechung Hardenberg'ø , Stein's und Czartoryifli's ſtatt, in welcher Leşterer zu erfahren wünſchte, worauf die Deſterreicher zu beſtehen gedächten. Hardenberg machte ihn darauf aufmerkſam , daß der Kaiſer von Rußland zuvörderſt auf die gemachten Vorſchläge zu antworten habe und bewirkte, daß dem ſelben behufs Erleidterung der Unterhandlungen folgende Fragen , über welche man ein Protokoll aufnahn , vorgelegt würden : Sol Krakau ein Gegenſtand der Unterhandlung ſein ? Soll es als Fürſtenthum , oder als Municipalſtadt conſtituirt werden ? Wil man alle ſtreitigen Fragen wegen Sachſen , Mainz und Neapel in eine Verhandlung faſſen ? Vorher jdon war

von ruffiſcher Seite bemerkt worden , man

werde Frankreich befriedigen, wenn man in Murat's Abſegung willige, was deshalb rathſam ſei , damit Deſterreich in Italien ein Gegen gewicht durch das bourboniſdie Königshaus in Sicilien erhalte. Den auf daſſelbe bisher ausgeübten Einfluß Englands und deſſen Abſicht die ioniſdien Inſeln zu behalten müffe man befämpfen. Da Alerander jene Grundlagen fich endlich gefallen ließ , ſo vereinigten fidy þar denberg und Czartorviſfi bei der am 27. Nov. ſtattfindenden Zuſammenkunft über eine Erklärung, in welcher der Kaiſer Alexander, um Europa die Vortheile des Friedens zu verſchaffen , folgende Zugeſtändniſſe machte : Da die Beſegung von Krakau und Thorn in den Augen Deſter reichs und Preußens dem ruſſiſchen Reiche einen militäriſchen An 6*

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griffspunkt gegen ſie gegeben zu haben ſcheine, ſo willige der Kaiſer darein, daß dieſe beiden Städte, welchen eine Gemeindeverfaſſung zu geben ſei , für frei und unabhängig erklärt würden , und ihre Neu tralität unter den Scut der verbündeten Mächte geſtellt werde. Der Kaiſer halte ſich verpflichtet Preußen wenigſtens die Wieder herſtellung des Zuſtandes von 1805 zu ſichern , da er dieſe Ver pflichtung im faliſcher Vertrage übernommen und in Preußen einen Verbündeten gefunden habe , der ihn kraftvoll , edel und ausbauernd unterſtüßt habe . Er betrachte die Zerſtüdelung Sadiſens als ent gegengeſett dem wahren Vortheile dieſes Landes, den Wünſchen der Einwohner und den Zuſicherungen, welche er ihnen geben zu müſſen geglaubt habe , um ſie zum Ertragen der durch den Krieg auferleg Die Feſtung Mainz könne nur eine ten Opfer zu ermuthigen . deutſche Bundesfeſtung ſein , müſſe als ganz Deutſchland Sicherheit gewährend burdy felbiges, vorzüglich aber durch Deſterreich und Preußen bewacht , nicht aber abhängig gemacht werden von den be ſchränkten Mitteln und der Politik eines oder des andern der übri A18 uner gen Staaten , welche den deutſchen Bund ausmadyten. läßliche Bedingung betrachte er die gleichzeitige Erledigung der wegen Polen , Sadyfen und Mainz aufgeworfenen Fragen. Dieſe Erklärung des Naiſers von Rußland, ſowie die preußiſchen Vorſchläge, auf welche ſie erfolgt war, nahm Hardenberg in die Note auf , die er am 2. Dec. an Metternich richtete. Er knüpfte daran den Wunſch die Geſinnungen des Kaiſers Franz hierüber kennen zu lernen , bemerkte jedod dabei , daß er weit entfernt jei zu denken : die mitgetheilten Vorſdläge erſchöpften alles, was verlangt werden könne , und ſprach die Hoffnung aus , der Beſitz der beiden polniſchen Städte werde wol Deſterreid) und Preußen zugeſtanden werden , wenn dieſe auf die Befeſtigung derſelben verzicyteten. Was Deſterreich) und Preußen von dem Herzogthume Warſdau außer dem , was der Kaiſer Alerander an Breußen abzutreten bereit ſei, etwa noch) erhalten könnten, ſei keiner von beiden Mächten in den ihre Entſchädigung betreffenden Ueberſichten angerechnet wer Da man den , es werde jedoch auf keinen Fal beträchtlich ſein. ohne Krieg , der doch vermieden werden müſſe , den Zweck nicht er reichen könne eine gute militäriſche Grenze zu erhalten , wie ſie die Weichſel und Narew gegeben haben würden , ſo käme es nur darauf an die einen Angriff unterſtützende Grenzlinie zu beſeitigen , was

gelungen ſei, und zu verhüten , daß die Verfaſſung des neuen König reiche Polen nicht der Ruhe.feiner Nadjbarn und Europas gefähr

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lich werde , was dadurch , reicht werden könne.

daß man ſich über ſie verſtändige,

er

Die Bedenklichkeiten Oeſterreichs hinſichtlich der Vereinigung Sachſens mit Preußen ſuchte er durch folgende Bemerkungen zu zer ſtreuen. Ein Blick auf die Karte zeige unwiderleglich, daß ſelbſt die Erwerbung von ganz Sachſen Preußen noch nicht die Vortheile gewähre , welche fo vielen Mädyten zugeſidyert worden ſeien . Seine Staaten blieben immer auf einer unermeßlichen Linie vom Niemen bis an die Maas ausgedehnt , kämpfend mit der Schwierigkeit fich einander ſchnelle Unterſtügung zu leiſten , und auf der einen Seite der Eiferſucht und den Angriffen Frankreiche, auf der andern der Ueber Nur durch Sachſens Einverleibung er madyt Kußlands ausgeſeßt. lange Preußen , welches ſo gerechte Anſprüche auf die Dankbarkeit Europas habe , den durd, das allgemeine Intereſſe bedingten Grad von Macht. Die Herſtellung eines zwiſchen Deſterreich und Preußen befindlichen Staates durch Rüdgabe eines Theiles von Sachſen an deſſen Rönig ſei zur Vertheidigung Deſterreichs nicht erforderlich, er leichtere jedoch einen von demſelben ausgehenden Angriff auf Preußen, und ſei für Sadiſen infolge der erlittenen Zerſtückelung äußerſt nachtheilig. Preußen , fuhr Hardenberg fort, biete dem Könige von Sadiſen, welcher dieſen Titel bis an ſeinen Tod führen möge , durch die Fürſtenthümer Münſter , Paderborn und einige angrenzende Bezirke zur Entſchädigung ein Land mit 350000 Einwohnern von des Königs Religion. Beharre derſelbe bei ſeiner Weigerung keinen andern Länderbeſig annehmen zu wollen , ſo könne dies Land für ſeinen Nachfolger verwaltet werden . Es iſt bei dieſer Gelegenheit zu bemerken , daß Preußen früher vorgeſchlagen hatte den König von Sachſen mit einem Theile des Kirchenſtaates zu entſchädigen. Es ließ jedody dieſen Vorſchlag bald fallen, weil Deſterreich hierin eine Schmälerung deſſen fand , was es für ſich ſelbſt beanſpruchte, und es unklug geweſen wäre auf dieſe Weiſe dem Gelingen ſeines Planes auf Sachſen ein neues Hinder niß hinzuzufügen . Das Recht der Eroberung , hob Hardenberg ferner hervor, habe den Verbündeten die Befugniß ertheilt über Sachſen zu verfügen . Sein König ſei in einer mit Sturm genommenen Stadt zum Kriegs gefangenen gemacht worden und würde , wäre Napoleon Sieger ge blieben , nicht verſchmäht haben einen guten Theil der preußiſchen Monarchie zum Preiſe ſeines , dieſem Unterdrüder geleiſteten Bei

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ftandes zu erhalten .

Der König von Sachſen würde übrigens nur von einem Throne herabſteigen , welchen feine Vorfahren erlang ten , inden der frühere Beſißer ihn infolge eines unglüdlichen Krieges verlor. Das erhabene Haus Lothringen habe ſein Stamm land unter ähnlichen Umſtänden gegen Toscana vertauſcht, und das Rönigreich Neapel ſei oft von einem Fürſtenhauſe auf das andere übergegangen. Preußen dürfe ſich auf die von Oeſterreich und England bereits

gegebene Einwilligung, daß es ganz Sachſen erwerbe, beziehen, denn es trenne nidyt ſeine Sache von derjenigen der beiden Mächte. Wenn fie von jener Einwilligung wieder abgeben wollten , ſo würde dies eine Rechtsverleßung ſein , welche auch Europa benachtheilige. Preußen wolle übrigens fich verpflichten Dresden nicht zu befeſtigen, und an Deſterreich den ratiborer Kreis , den größten Theil des pleſſiſchen und leobſchüßer Kreiſes gegen einen Bezirk des Fürſten thums Neiſſe und von Hoftenplot dergeſtalt abtreten , daß Deſter reich, abgeſehen von der Verbeſſerung ſeiner Grenze , 110000 Ein wohner gewinne. Was Mainz betreffe, ſo müſſe Preußen der Meinung des Rai Man wolle nidt darüber fers Alerander vollkommen beitreten. ſtreiten , ob Mainz dem Norden oder Süden Deutſchlands als Ver theidigungspunkt angehöre , denn es ſei beiden gleich nothwendig. Die Stadt möge man an Darmſtadt überlaſſen , die Feſtung müſſe als Bollwerk des deutſchen Bundes vorzugsweiſe öſterreidriſden und preußiſchen Truppen zur Bewachung anvertraut werden. Die beiliegende Ueberſicht nebſt Karte zeige , daß Preußen nur 9,803230 Einwohner erhalten würde , abgeſehen von einer demſelben etwa noch im Herzogthume Warſchau zufallenden unbedeutenden Ver größerung. Bewillige man ihm auch dazu noch die Landeshoheit über die Beſißungen der dort verzeichneten kleinen Fürſten mit einer Geſammtbevölkerung von 627400 Einwohnern , ſo würde dennoch Preußen weniger, als irgendeine andere Macht der Vorwurf treffen , daß es an Vergrößerung denke. 1) Noch am Abend des 2. December, wo Hardenberg dieſe Note dem öſterreichiſchen Miniſter des Neußern einhändigte , hatten beide eine Interredung , wobei Metternich behauptete: Wenn Preußen ganz im Einverſtändniſſe mit Deſterreich und England gehandelt hätte, ſo würde alles , was man gewollt, von Rußland zu erlangen geweſen

1) MYüber , VII , 291-304 .

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ſein . Die Nachwelt würde es ihnen nie verzeihen , dieſe Gelegen heit, Rußland angemeſſene Grenzen anzuweiſen, verſäumt zu haben, denn ganz Europa würde auf ihrer Seite geweſen ſein. An fich war dieſe Auffaſſung der politiſchen Verhältniffe vous kommen richtig , aber Metternich allein trug die Sduld jener Verſäumniß , denn hätte er im Berein mit den übrigen Mächten dem preußiſchen Staate für deſſen Beiſtand gegen Rußland die Er werbung von ganz Sachſen zugeſichert, dann würde von Rußland, vielleicht ſogar ohne Krieg , die Grenze der Weichſel und Narew er langt worden ſein , ſodaß es ſich mit der am rechten Weichſelufer liegenden Hälfte des öſterreichiſchen Weſtgaliziens und des am linken Ufer des Narew liegenden Neuoſtpreußens würde haben begnügen müſſen. Ohne einen klaren bindenden Vertrag aber über ein ſolches Abkommen , würde Preußen Gefahr gelaufen ſein ſeine polniſchen Provinzen zu verlieren , und dennoch nicht dafür durch Sachſen ent ſchädigt zu werden ; dies zu bewirken würde aber Metternich als das Ziel ſeiner Wünſche betrachtet haben. Sein Benehmen zu Baris und Wien bürgen dafür, fowie ſeine auf Beherrſchung des deutſchen Bundes gerichtete Politik. Hardenberg, welcher nach manchen an dern Aeußerungen Metternid's jene Klage deſſelben mit Recht für einen verſtedten Vorwurf nahm , daß Preußen den für die Erwer bung Sachſens ausbedungenen Beiſtand gegen Rußland nicht ge leiſtet, mithin nun auch auf die hiervon abhängig gemachte Ein willigung Oeſterreichs in Bezug auf die preußiſche Einverleibung Sachſens nicht zu rechnen habe, verſuchte in einem am folgenden Morgen geſchriebenen Briefe den öſterreichiſchen Miniſter von der Ungerechtigkeit dieſes Vorwurfs zu überzeugen. Er ſchrieb : Bebenken Sie , daß Preußen immer die nämliche Sprache geführt hat, wie Deſterreich. Dieſes hat ſich, ſoviel ich weiß , nicht mit mehr Feſtigkeit und Beſtimmtheit erklärt, als wir ; es hat niemals recht deutlich erklärt, worauf es feſthalten würde. England hat ſich beſtimmt ausgeſpro chen , aber ohne Erfolg. Welches iſt denn der Territorialgegenſtand, welchen wir hätten ver langen können, ohne in Widerſpruch mit uns ſelbſt zu gerathen ? Krakau, Zamosk mit ihren Umgebungen , Thorn und die Wartha. Šeit geraumer Zeit haben wir nichts weiter verlangt , als dies. Eine weiter ausgedehnte Forderung, z. B. die Weichſel und der Narew , würde uns eine militäriſche Grenze gegeben haben ; aber konnten wir jeßt davon ſprechen , nachdem wir ſchon viel mehr nachgegeben hatten ? Zu Reichenbach ,zu Prag , zu Teplik bätten wir uns dieſe bedingen müſſen. Wir können nicht ſagen, daß, indem wir den politiſchen Planen des Kaiſers beitraten , wir das Recht behalten hätten unſere Forderungen zu erweitern. Dieſe Plane würden dadurch gänzlich vereitelt worden ſein , und überdem hege ich die innige Ueberzeu gung, daß fie für uns vortheilhaft und beruhigend ſind.

88 Der Territorialgegenſtand, auf welchem wir alſo höchſtens, wir 'moch ten eine Sprache führen , welche wir wollten , hätten beſtehen können , wäre für Preußen Thorn und der ſchmale Landſtrich zwiſchen der Prosna und der Warthe geweſen , welcher höchſtens 448000 Einwohner enthält , und das haben wir bisjekt gethan. Würde damit die unſichere und gefährliche Lage Preußens , ohne zugleich ganz Sachſen zu erhalten , im Weſentlichen geän dert worden ſein ? Angenommen endlich , daß wir uns zu einer ſtarken und feſten Sprache vereinigt hätten , die zulegt doch nicht anders, als drohend hätte ſein köns nen , würden wir damit nicht wenigſtens jene Uneinigkeit, jene Kälte her beigeführt haben , welche wir jo ſehr fürchten müſſen, welche alles Gute , das wir beabſichtigen , verhindern , ſo viel Gefahren verurſachen würde ? Ruhe , Sicherheit und die Gründung einer feſten Ordnung der Dinge, das iſt für den Augenblick unſer erſtes dringendſtes Bedürfniß. Nur Eintracht kann uns dazu verhelfen und diejenigen im Zaume halten , welche gern im Trü ben fiſchen möchten . Machen Sie Mittel ausfindig , theurer Fürft, die Lage der Dinge, worin wir uns unglüdlicherweiſe befinden , zu Ende zu bringen . Retten Sie Preußen aus ſeinem gegenwärtigen Zuſtande! Es kann nicht aus dieſem ſchredlichen Kampfe , worin es ſo große und edle Anſtren gungen gemacht hat, und zwar ganz allein, in einem beſchämenden Zuftande der Schwäche hervorgehen und zuſehen , wie ſich alle vergrößern , abrunden, Sicherheit gewinnen,und zwar großentheils durch ſeine Anſtrengungen. Man kann ihm dod mit irgendeinem Scheine von Recht nicht zumutben , daß es ganz allein ſo ſchmerzliche Opfer bringe blos zur Genugthuung der Andern . Ther müßte es von neuem alles aufs Spiel ſeßen . Ihr erhabener Monarch , theurer Fürſt, iſt die Geradheit , die Auf richtigkeit, die Gerechtigkeit ſelbſt. An ihn appellire ich. Legen Sie ihm dieſe Betrachtungen vor und das , was ich Ihnen geſtern gab, und ant worten Sie mir bald ! « Fleud , Zwietracht, fleuch von unſern Gauen ! Weiche Du Ungeheuer mit dem Schlangenbaar! Es horfte auf derſelben Rieſeneiche Der Doppeladler und der ſchwarze Aar ! Es ſei fortan im ganzen deutſchen Reiche Ein Wort , ein Sinn , geführt von jenem Baar; Und wo der deutſchen Sprache faute tönen , Erblühe nur ein Reich des Präftigen und Schönen ! » Ich habe mich nicht enthalten fönnen dieſes , was ich von ungefähr ge funden , hierher zu ſeben . Möchte es das Motto unſerer deutſchen Berfaf fung und für das Wohl von ganz Europa , von Defterreich und Preußen fein . Ganz der 3hrige." 1)

Rann es wol ein vollkommeneres Armuthszeugniß diplomatiſcher Befähigung, oder ein jdmählicheres Zugeſtändniß geben, daß er ſeine Pflicht als Lenker der preußiſchen Politik nicht erfüūt habe, als jene an Metternich gerichtete Aufforderung Hardenberg's ? Reine Macht hatte ſo unerhörte Anſtrengungen gemacht, als Preußen, um Napoleon zu ſtürzen. Aus ſeinen fünf Millionen Menſchen hatte es ein Heer ins Feld geſtellt, an Zahl den Heeren Oeſterreichs und Rußlands, dieſer 1) Klüber , IX , 267–70.

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ihm ſo ſehr überlegenen Reiche, mindeſtens gleich, an begeiſterter Tapferkeit, an ſiegreichen Erfolgen beide weit übertreffend! Dennoch ſchien der Verzweiflungskampf ihm nicht einmal die früher beſeſſene Macht wieder errungen zu haben , während alle die übrigen Großa mächte glänzende Vortheile davontrugen . Durch die leichtfertige Art, mit welcher der preußiſche Staatskanzler das Intereſſe ſeines Landes vertreten und alle Gelegenheiten verſäumt hatte, beſtimmte verbriefte Verſprechungen von Preußens Bundesgenoſſen zu erlangen , war es alſo dahin gekommen , daß er ſich nicht anders zu helfen wußte, ale den Miniſter Deſterreiche , das den Aufidiwung Preußen von jeher zu verhindern geſtrebt hatte , um deſſen Rettung anzuflehen, jenen Miniſter, welcher den ihm eben erſt gemachten Vorwurf hinter liftiger Doppelzüngigkeit zur Benachtheiligung Breußens zu wider legen nicht vermodt hatte ! Durch lächerliche Lobpreiſung von Eigenſchaften , welche der von ihm angeflehte Monarch gar nicht beſaß , glaubte er denſelben zu beſtimmen die zur Erhöhung eigener Macht auf Koſten Preußens bisher befolgte Politik aufzugeben. Durch Mittheilung der frommen Wünſche eines deutſchen Dichtergemüths wähnte er einen Fürſten und ſeinen Miniſter zu deutſchen Vaterlandsfreunden umzuſchaffen, in deren Augen Deutſchland nur als Vaſalenland Deſterreichs Werth hatte, und welche zur Erreichung dieſes erſtrebten Zieles kein Mittel verſchmäht hatten , um Preußen zu täuſchen , zu ſchwächen und dadurch ſich dienſtbar zu machen. Welches verächtliche Lächeln mag den feingeſchnittenen Mund des öſterreichiſchen Diplomaten um ſpielt haben, als er des rathloſen Hardenberg's poetiſdie Beſdywörung las, welche ihm die Erreichung jenes Zieles in Ausſicht ſtellte! Metternich hatte eß überhaupt nicht ernſtlich gemeint , als er be dingungsweiſe darein willigte, daß Preußen ſich Sachſen einverleibe, fondern dies nur vorgeſpiegelt , um Preußen zum Widerſacher Die inzwiſchen Rußland in der polniſden Frage zu madjen . Kron ſeine e ihm vor r vom Könige Friedrich Auguſt zur Wahrung gelegten goldenen Gründe bewogen ihn aber ſeine gar nicht mit der bisherigen Politik des öſterreichiſchen Cabinets im Einklange ſtehende Einwilligung, welche den erwünſchten Erfolg nicht gehabt hatte, nun

Er verfolgte nun offen ſein Ziel , welches ſofort zu widerrufen . darin beſtand zu bewirken , daß die dem preußiſchen Staate zu ge währende Entſchädigung ſo dürftig , als möglich ausfalle. Deshalb war auch dem Kaiſer Alerander das Anerbieten gemacht worden : Deſterreich wole deſſen Anſprüche auf das Herzogthum Warſchau

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anerkennen , und ihm das ehemals preußiſdie Polen , ja ſelbſt das ehemals öſterreichiſche Weſtgalizien überlaſſen , wenn er zugebe , daß Preußen ſtatt ganz Sadiſen nur einen geringen Theil davon erhalte . Dieſes Stück glaubte man demſelben gelegentlich wieder entreißen zu können. Leşterer Umſtand erhelt aus einem Geſpräche, welches der Her zog Karl Auguft von Sachſen - Weimar mit dem Kaiſer Franz in Wien hatte. Sener bat ihn die Theilung Sachſens nicht zuzugeben, weil ſie ein zu großes Unglück für das Land ſei , und daſſelbe in Entweder einen perd fortwährender Unruhen verwandeln würde . möge es Preußen ganz bekommen , oder der König von Sachſen, was ihm das liebſte ſei, es ganz behalten . Ohne beſondere Gründe anzuführen , entgegnete der Raiſer: die Theilung ſei beſchloſſen, und ſo ſei es audy am beſten. Als nun der Herzog traurig den Kopf ſchüttelte, nahm Jener wieder das Wort und ſagte : „ Nu , nu , was bruddeln's mit dem Kopfe ? Sie verſtehn die Sache nit ; wenn das Land getheilt wird, ſo kommt's halter am erſten wieder zuſammen .“ 1) Zu derſelben Zeit alſo, wo die öſterreicriſchen Noten von Freund ſchaftsverſicherungen gegen das ihm verbündete Preußen überfloſſen, waren deren Urheber darauf bedacht, daß es für ſeine Verluſte in einer Weiſe entſchädigt werde, von der ſie hofften , es werde eben durd dieſelbe den Gegenſtand der Entſchädigung bald wieder ein büßen . Bei dieſer Geſinnung des Kaiſers , welche der bisherigen Politik Deſterreichs vollkommen entſprach , alſo nicht plößlich entſtan den war , und bei ſeiner Feſtigkeit das , was er für vortheilhaft hielt , durchzuſeßen , iſt Metternidy's anfängliche Einwilligung in die preußiſche Einverleibung Sachſens nur in der bereits angedeuteten Einerſeits wollte er hierdurch Preußen bewegen Weiſe erklärbar . den ruſſiſchen Anſprüchen auf Warſchau ſich zu widerſeßen , was, ernſtlich durchgeführt, eine Entzweiung des preußiſchen und des ruſ fiſchen Hofes herbeigeführt haben würde , andererſeits vielleicht durch jene ſcheinbare Geneigtheit dem Könige Friedrich Auguſt, welchen er im Beſige großer Geldmittel wußte , die Nothwendigkeit begreiflich machen ihn durch ein der Wichtigkeit der Sache angemeſſenes Ge ſchenk für die Vertheidigung ſeiner Krone zu gewinnen. Vielleicht hatte die Million Francs , welche er , wie die übrigen Miniſter der Großmächte, als ein ſogenanntes Ehrengeſchenk nach der Unterzeich

1) Memoiren des Generals v. Wolzogen , S. 277.

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des erſten pariſer Friedens aus dem Staatsidhage des fo glimpflich behandelten Frankreichs erhielt , die Luft nach einer neuen Geldſpende rege gemacht. Wenn er ſich von dem Könige von Sadyſen nur dafür belohnen ließ , daß er die Zugeſtändniſſe widerrief, welche er an Preußen gemacht hatte, um dieſes mit Rußland zu entzweien und dann im Stiche zu laſſen , wenn er ſie widerrief, als es ſich zeigte, daß er durdyſchaut und ſein Plan mißlungen war , ſo erſchien dieſe Belohnung weit unbedenklicher , als andere außerordentliche Einnah men des Miniſters , welche bisher erwähnt wurden , ja ſie war ge eignet feine Anſprüche an die geheime Cabinetskaſſe, deren Be nutzung ihm vom Raiſer geſtattet worden war, zu verringern. Deſter reichs Politik würde diefelbe geweſen ſein, auch wenn König Friedrich Auguſt kein Geldopfer für ſeine Krone gebracht hätte , denn ſie ent ſprach den Anſichten des Raiſers Franz, bei weldem Metternich nur deshalb ſo großes Anſehen genoß, weil er deſſen Plane geſchickt aus zuführen verſtand. Wo die Anſichten des Kaiſers und des Miniſters verſchieden waren , da machte ſie Erſterer mit einer Selbſtändigkeit geltend , welche man ihm lange nicht zugetraut hat , weil er es für angemeſſen fand das Gegentheil glauben zu laſſen . In anderer Weiſe , als Hardenberg , unternahm es Stein , den preußiſchen Anſpruch auf ganz Sadiſen zu rechtfertigen, denn die An zeichen , daß man denſelben nicht anerkennen werde, mehrten fich. Bei einer Zuſammenkunft Stein's mit Czartoryiſti und Münſter hatte Leşterer im Namen Hannovers entſchieden behauptet, daß ein Theil Sachſens beffen Könige verbleiben müſſe. Hierzu tam , daß Lord Stewart geäußert hatte :

England, werde in der polniſchen

Frage nachgeben , nun aber audh die preußiſdie Einverleibung Sadh ſens nicht zugeſtehen. Wahrſcheinlich geſchah dieſe Aeußerung infolge von Beſprechungen , welde zwiſchen Metternich, Caſtlereagh und Talley rand über die fädyſiſche Frage veranſtaltet worden waren , bevor Erſterer das Schreiben des preußiſchen Staatskanzler8 beantwortete. Stein rieth dem Raiſer Alerander den Verſuch zu machen , in Eng land ſelbſt dem preußiſchen Anſpruche auf ganz Sachſen Anerkennung zu verſchaffen, und verfaßte am 3. Dec. folgende Dentſdrift über die völlige oder theilweiſe Vereinigung Sachſens mit Breußen. Sie lautete; ,, Die Verhandlungen über das loos Sachſens fönnen entweder nady den Grundſägen des Völkerrechts , oder hinſichtlich des politiſchen Intereſie Deutſchlands, oder endlich mit Rüdficht auf Sachſens Vortheile beurtheilt werden .

92 Das Bürferrecht läßt im Grundſatze zu , daß das Eroberungsrecht ein ges replicher Titel iſt, um die Oberherrſchaft über ein erobertes Land zu erwerben. Grotius de jure belli et pacis L. III, c. 8. de imperio in victos. « Qui sibi singulos subjicere potest servitute personali, nihil mirum si universos , sive illi civitas fuerunt , sive civita tis pars , subjicere sibi potest subjectione. Nr. 3. Potest autem imperium victoria acquiri, vel tantum ut est in rege , et tunc in ejus duntaxat jus succeditur, vel etiam ut in populo est.» Vatel L. III, ch. 13, p. 75. «Les immeubles, les provinces passent sous la domination de l'ennemi qui s'en empare ; mais l'acquisition ne se consomme, la proprieté ne devient stable et parfaite que par le traité de paix , ou par l'entière soumission et l'extinction de l'état auquel ces provinces appartiennent.» Der ſächſiſche Staat iſt gänzlich erobert, der Fürſt iſt in Leipzig zum Gefangenen gemacht, die Erwerbung Sadiſens burd das Eroberungsrecht iſt daher unbeſtreitbar.“ Nach einer geſchichtlichen Ueberſicht der Ereigniſſe, welche der Er oberung vorausgingen , fuhr er alſo fort : ,, Das von dem Völkerrechte zugelaſſene Recht der Eroberung darf auf den vorliegenden Fall angewendet werden. Der Krieg war gerecht durch ſeinen Zweck und ſeine Geſtalt. Der König von Sachſen hat ſich freiwillig dem Vertreter der Tyrannei und des Böſen verbündet, er hat dem Siege der guten Sache große Hinderniſſe entgegengeſtellt. Es bedurfte neun blu tiger Schlachten , um ihn zur Unterwerfung zu zwingen. Giebt es einen Fal in der Geſchichte , wo ſich mehr Gründe vereinigen , um die Strenge der Grundſätze des Eroberungsrechts auf den Beſiegten anzuwenden ? Die zwiſchen Preußen , Rußland, Oeſterreich und England geſchloſſenen Bündniſſe verſicherten erſterem ſeine Wiederherſtellung nach einem Maßſtabe von wenigſtens der Größe des Jahres 1805 . Es kann nur einen kleinen Theil ſeiner polniſchen Landſchaften wiedernehmen , deren Grenzen in dieſem Augenblice noch unentſchieden ſind. Der Vertrag von Ried zwiſchen Deſter reich und Baiern ſiderte legterem das preußiſche Franken oder die Mart grafenthümer zu. ' ' England beſtand zu Reidenbad darauf , daß Preußen von ſeinen Beſißungen in Niederſachſen und Weſtfalen 300000 Seelen abs trete, und der Erfolg aller dieſer Verträge iſt, daß Preußen an Bevölkerung verliert . 1,600000 in Polen 600000 in Franken in Niederſachſen und Weſtfalen . 300000 2,500000 Einwohner. Die Bevölkerung des Königreichs Sachſen beſteht aus zwei Millionen. Davon ſind 400000 Menſchen abzuziehen, welche zum Theil von den preußi dhen Beſitungen in Weſtfalen genommen werden müſſen , um die Häuſer Weimar, Koburg und verſchiedene andere deutſche Fürſten zu befriedigen und dem Könige von Sachſen ein Auskommen in Weſtfalen zu verſchaffen. Preußen erhält daher durch Sachſen eine Vermehrung von nur 1,600000 , Menſchen und der übrige Ausfall von 900000 Menſchen muß auf das Herzogthum Berg und das linke Rheinufer angewieſen werden . Die Anwendung des Eroberungsrechts auf Sachſen zu Breußens Gun ſten iſt alſo der Erfolg der Landabtretungen in Polen und Deutſchland,

93 welche erfolgen , um den Verträgen mit Rußland , Baiern und Hannover und den vorläufig mit mehreren deutſchen Fürſten eingegangenen Verpflichs tungen zu genügen. Die Vereinigung Sachſens mit Preußen iſt ferner übereinſtimmend mit Europa und Deutſchlands Beſten. Man hat in den verſchiedenen , mit Deutſchland geſchloſſenen Verträgen als Grundſatz anerkannt, daß Preußen wiederhergeſtellt und verſtärkt werden müſſe, um eine Macht zu gründen, welche Norddeutſc land beſchüße und Belgien ftüße. Da Preußen ſich vom Niemen bis zur Maas erſtreckt, ſo muß es einen Landzuwachs erhalten, welcher den Mittelpunkt des Staates verſtärkt, damit die von dort auss gehende Handlung mehr Nachdruck erhalte, und dieſer Zweck kann nur durch Sachſens Vereinigung erfüllt werden . Stellt man Sachſen in ſeiner Ganz. heit ber, ſo begeht man denſelben Fehler, worein Deſterreich verfiel, als es Baiern aufrecht erhielt, man bildet im Norden Deutſchlands eine Macht, welche Preußen feindlid ſein, welche es ſchwächen und Frankreich die Mitter zum Einfluß geben wird. Dieſe Macht wird außerdem einem Herrſcherhauſe anvertraut werden , welches immer Ábſichten auf die polniſche Krone haben und ſich mit den Mißvergnügten verbinden wird. Die Verbündeten ſcheinen alle über die Nothwendigkeit einig einen großen Theil Sachſens zu Befries digung der gerechten Anſprüche Preußens zu verwenden , aber einige unter ihnen verlangen einen Theil dieſes Landes an der öſterreichiſchen Grenze dem ſächſiſchen Hauſe zu erhalten. Die Theilung Sadiens gewährt Deſterreid feinen politiſchen oder mis litäriſchen Vortheil , und enthält für Preußen und für Sachſen große Unbe quemlichkeiten . Ein kleines Fürſtenthum an der böhmiſchen Grenze wird nichts weniger unter Preußens Einfluſſe ſtehen , wie das Kurfürſtenthum Sachſen es war, und wird die böhmiſche Grenze nicht ſchüßen , welche ſo, wie ſie iſt , bereits die Höhen von Nollendorf und Sebaſtiansberg und die Gebirgskämme ein ſchließt. Andererſeits wird dieſer kleine Staat, durch das alte Herrſcherhaus regiert, ein Herd von Ränken und ein Vereinigungspunkt aller Mißver gnügten ſein . Seine Hauptſtadt Dresden wird in Trümmer fallen , da die Regierung zu ſchwach iſt es zu erhalten , und der mit Preußen vereinigte Theil des Landes wird ſich beengt finden und leidend durch die Trennung von einem ſeiner weſentlichen Theile. Die Zuſiderung , daß Sachſen in ſeiner Ganzheit erhalten werden ſolle, welche Se. Maj., der Kaiſer, den Sachſen als Troſt- und Ermunterungsgrund hat geben laſſen , und welche ganz kürzlich in der Rede des Fürſten Repnin wiederholt ward , würde eine Täuſdung ſein, und es ſteht der Würde und Größe des Kaiſers an bas Glüc und die Ruhe eines Volkes zu befeſtigen , welches ihm überzeugende Beweiſe ſeiner Liebe und Bewunderung gegeben hat. Die ſoeben auseinandergeſegten Bemerkungen über die ſächſiſche Ange legenheit ſeinen mir zu der Folgerung zu führen , daß das Eroberungs recht Sadijen zur Verfügung der Verbündeten ſtellt; daß die allgemeine Lage der Dinge und die neuen Landabtretungen nothwendigerweiſe die Ver einigung Sachſens mit Preußen herbeiführen ; daß dieſe Vereinigung dem Beſten Europa und Deutſchlands gemäß ; baß eine Theilung Sadjene ſo wol für Sachſen , als Preußen ſchädlich iſt, und Deſterreich keinen Vortheil bringt.“ 1) Der Raiſer Ålerander befahl hierauf : der ruſſiſche Geſandte in London , Graf Lieven , folle im Geiſte dieſer Denkſchrift nicht nur

1 ) Klüber , VII , 397.

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dem engliſchen Miniſterium , ſondern auch den einflußreichen Männern der Oppoſition und den Organen der öffentlichen Meinung , den Herausgebern der verbreitetſten Zeitungen, Vorſtellungen machen, das mit Lord Caſtlereagh angewieſen werde , der fraglichen Maßregel wie früher ſeinen Beiſtand zu leihen , ohne Rußlands Anſprüche auf das Herzogthum Warſchau zu beeinträchtigen . Stein fand jedoch , daß die in den Verhaltungsbefehlen enthaltene Caſtlereagh beobachteten Benehmens unerwieſene hielt, und mißbilligte dies in einem an den gerichteten Schreiben vom 7. Dec. in folgender

Schilderung des von Beſchuldigungen ent Grafen Capodiſtrias Weiſe:

Die Verhaltungsbefehle für den Grafen Lieven entwiceln die Eins richtungen , welche der Kaiſer dem Herzogthume Warſchau geben will, aber entfalten zugleich ein Syſtem von Verdacht und Mißtrauen in erſter Linie gegen Lord Caſtlereagh, in leßter Linie gegen die engliſche Regierung und bezeichnen die Anwendung von unzuläſſigen Widerſtandsmitteln . Man glaubt, daß das engliſche Miniſterium oder Cabinet die Zwie tracht unter den Höfen , die Uneinigkeit zwiſchen den Regierungen und den Regierten unterhalten wolle, und man beabſichtigt dieſes Syſtem durd Ein fluß auf das Miniſterium , die Oppoſition und das Volk zu bekämpfen. Das Daſein eines ſo verderblichen und treuloſen Syſtems müßte fich entweder auf Beweiſe oder auf Muthmaßungen ſtützen , um als Grundlage des Verfahrens zwiſchen zwei Höfen zugelaſſen zu werden , und ich finde weder in den Verhaltungsbefehlen , noch in dem Betragen Englands, ſoweit es mir bekannt iſt, noch in ſeiner allgemeinen Stellung gegenüber den Völ fern des Feſtlandes, nod endlich in dem Charakter des Miniſters, den man anſchuldigt, hinreichende Veranlaſſungen , um es anzunehmen. England hat die Anſtrengungen der Feſtlandsmächte gegen Napoleon mit dem größten Nachdrucke und mittels der größten Opfer unterſtügt. Es bat beſonders in Spanien ein zahlreiches Heer mit ungeheuern Koſten unter halten , es hat die Wunderlichkeiten, die Wirkungen der Eiferſucht der Spa nier mit Geduld ertragen , und mit dem größten Zartgefühle ihre reizbare Eigenliebe geſdont. Unterſucht man ſein Betragen gegen Rußland während des Krieges , ſo war es freundſchaftlich und den Pflichten eines getreuen Verbündeten ent ſprechend. Schweden gegenüber hat es die linie innegehalten , worin Ruß land ſich zu ſelbigem geſtellt hatte, und welche vielleicht ſeinem eigenen Bor theile entgegen iſt. Es hat Rußlands Anſtrengungen unterſtüßt durch Geld hülfe , Kriegsbedarf u . ſ. w . und es hat Schweigen beobachtet hinſichtlich ſeiner Handelsverhältniſſe, die durch den Tarif und ein Verbotsſyſtem ver legt waren. Die allgemeine lage Englands gegenüber dem Feſtlande iſt die eines handeltreibenden Volkes und eines mit Abgaben überladenen Volkes. Als handeltreibend muß es wünſchen , daß die Häfen ſeinen Schiffen offen ftehen , die Heerſtraßen für die Gegenſtände ſeines Handels frei, die Völker wohlhabend genug ſeien, um zu verzehren . Als mit Abgaben überladenes Volk muß es einen Zuſtand der Dinge verlangen, welcher deren Verminde rung geſtattet und den mittleren Klaſſen den Genuß eines Wohlſeins ge währt , deſſen ſie ſich berauben mußten , um zu den Staatsbedürfniffen bei zutragen. Der Miniſter Großbritanniens fündigt weder die Tiefe, noch die Weite des Blickes eines großen Staatsmannes an , noch die Verkehrtheit des

95 Charaktere , die ihn beſtimmen könnte entſegliche Mittel zu wählen , um zu einem abſcheulichen Zwede zu gelangen. Wir finden an ihm einen kalten Charakter , einen ſehr gewöhnlichen Verſtand, eine große Unkenntniß der Intereſſen des Feſtlandes . Wir ſehen ihn geleitet durch Herrn von Metter nich , durdy Herrn von Münſter , durch die Furcht vor Oppoſitionsgeſchrei, und durd dieſe Beweggründe hingeriſſen mit Napoleon zu unterbandeln, ſich auf eine unzeitige und ungeſchidte Weiſe in die polniſchen Angelegen heiten zu miſden , auf die deutſchen Angelegenheiten ſchwach und in einer falſchen , ſelbſt abgeſchmacten Richtung hinzuwirken . In aúem dieſem be merke ich die größte Mittelmäßigkeit und Furchtſamkeit, aber nichts weiter. Das Mittel, welches man anwenden will , um das Miniſterium zu be kämpfen , iſt Aufklärung der Regierung ſelbſt, dann der Oppoſition des Volkes. Man wird einiges Gute wirken können, wenn man ihm die genaue Wahrheit darſtellt, wenn man ihm den Miniſter ſchildert als einen Mann , der von untergeordneten und irrigen Anſichten fortgeriſſen wird zu Maß regeln ,welche dem Beſten ſeines Landes ſchaden, weil ſie daffelbe mit ſeinen wichtigſten Verbündeten in Streit verwickeln, weil er in den großen Ange legenheiten des Feſtlandes falſche Maßregeln nimmt u. ſ. w., aber man muß keineswegs einen Satz behaupten , der ſich nicht behaupten läßt. Es ſcheint mir im Allgemeinen , daß das wahre Beſte Rußlands eine Annähe rung an England fordert. Dieſes bietet ihm einen großen Markt für ſeine Erzeugniſſe , die Unterſtüßung ſeiner Flotte, ſeiner Subſidien , ſeines Ein fluffes in allen Kriegen , welde Rußland für ſeine wahren Vortheile und in gemäßigten Anſichten zu führen haben wird . Aber um dieſe Annäherung , welche zur ſofortigen Folge die Bezahlung eines Theiles der holländiſchen Schuld haben wird , herzuſtellen , muß man nothwendig ein Syſtem des Verdachts entfernen, welches nur die unſeligſten Folgen haben kann , und ein Verbotſyſtem , welches durch die Grundfäße der Nationatökonomie und durch die öffentliche Meinung Rußlands verdammt wird .“ 1) Stein's Urtheil über Lord Caſtlereagh zeugt von ſeinem Scharf blicke, welchen der Unwille über das Benehmen eines politiſchen Gegners nicht trübte, wie dies bei den übrigen Räthen des Kaiſers von Rußland der Fall geweſen zu ſein ſcheint. Audy mocyte er nach reiflicher Erwägung der Sache finden , daß das angerathene Mittel durd Erbitterung der betreffenden Perſönlichkeiten wol ſchaden, ſchwer lich aber nüßen könne. England glaubte ſeinen Hauptzwed : dem lieber gewichte Rußlands auf dem Feſtlande Schranken zu feßen , nur durch engeres Anſchließen an Deſterreich, als die in Deutſchland vorherr fchende Madht, erreichen zu können . Deſterreich ſelbſt glaubte ſein Ueber gewicht in Deutſchland, woran ihm mehr lag , als an einer Be dränkung des ruſſiſchen Machtgebiets, nur dadurch ſichern zu können, daß es Preußen ſo viel als möglich ſdwäche, und opferte lieber ſeinen Anſpruch auf Weſtgalizien , als daß es ſich zum Kampf be reitet hätte , um dem preußiſchen Staate eine militäriſdie Grenze in Polen und durch Verbindung Sachſens mit demſelben ein gut abge

?) Berg, IV, 230—39.

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Solange das öſterreichiſche Cabinet runbetes Gebiet zu verſchaffen. Rußlands Beſchränkung und Preußens Wiederherſtellung zu einem kräftigen Ganzen als das von ihm verfolgte Ziel in Ausſicht ſtellte, waren audy die britiſchen Staatsmänner bafür. Als aber Metter nich die Maske fallen ließ und Preußens Grenzen fo nachtheilig, als möglich zu geſtalten ſuchte, da zog Caſtlereagh es vor, alles was er zu Gunſten Preußens und der Verbindung Sachſens mit demſelben geäußert hatte , zurückzunehmen , als das ihm unſchäßbare herzliche Einverſtändniß Englands mit Deſterreich, ſeinem einzigen natürlichen Bundesgenoſſen auf dem Feſtlande, zu gefährden. Dem Grundſaße: je mächtiger Deſterreich, je vorherrſchender ſein Einfluß auf Deutſch land ſei , deſto nützlichere Dienſte könne es als Englands Bundes genoſſe leiſten, mußte jede andere Rückſicht weichen . Deshalb tröſtete ſich Caſtlereagh über die Blößen , weldie er als Staatsmann fich Außer gegeben hatte , ' und willigte in die ruſſiſchen Forderungen. dem hatte das Einſchlagen dieſes Weges noch den Vortheil, daß er weit mehr Ausſidyt zur Erhaltung des Friedens bot, als Widerſtand gegen Rußland, und das engliſche Parlament war es herzlich müde, für eigene und fremde Rüſtungen fernere Millionen zu bewilligen. Was hätten unter ſolchen Umſtänden in London die lichtvollſten A6 handlungen für die Vortrefflichkeit der von Stein empfohlenen Boli Sobald es ſich übrigens mit größerer Gewißheit tik gefruchtet ? herausſtellte, daß Metternich und Caſtlereagh geneigt waren Aleran der's Forderungen in Bezug auf das Herzogthum Warſdau anzuer kennen , erfaltete deſſen Eifer auf eine Aenderung der engliſchen Po litit in Bezug auf Sadiſen hinzuwirken. Metternich zögerte noch immer die vom preußiſchen Staatskanz ler ängſtlich erwartete Antwort auf die von demſelben gemachten Vorſtellungen und Vorſchläge zu ertheilen. Aus ſeinen Neußerungen gegen Andere konnte man jedoch auf den Inhalt der Antwort mit ziemlicher Gewißheit ſchließen. Gegen Czartoryiſki äußerte er ſich mündlicy in ähnlicher Weiſe, wie ſchon Stewart gethan. Man habe gegen Rußlands Erklärung in Bezug auf Warſchau wenig einzuwen den , wol aber müſſe man darauf beſtehen , daß der König von Sadyſen einen Theil ſeines Landes zurüderhalte. Frankreich fordere dies ebenſo entſchieden , als die öffentliche Meinung ſich dafür aus ſpreche. Die Vertreter der meiſten mittlen und kleinen Staaten Deutſchlands , vor allen Wrede und Münſter, denen ſich auch der oraniſche Geſandte von Gagern anſdyloß , widerſprachen laut der preußiſchen Einverleibung Sachſens. Legterer war am ſtärkſten in

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feinen Ausdrücken . So warf er unter anderem auch die Frage auf : „ Wie kann ein öſterreichiſcher Miniſter nach dem ſiebenjährigen und einjährigen Kriege Verträge unterzeichnen, welche die preußiſchen Heere bis vor die böhmiſchen Schluchten bringen , ohne Riſico und ohne zu verdienen ſeinen Kopf den andern Tag auf das Schaffot zu legen ? “ 1) Unter den Gegnern Preußens fand dieſe Leußerung vielen An flang; jedod, bewies eben das Schidfal Sachſens im ſiebenjährigen Kriege , daß dieſes zwiſchen Oeſterreich und Preußen liegende land erſteres vor entfd loffenen Angriffen des letteren nicht ſichern kann . Münſter , weldier in der Beurtheilung der vom Könige von Sadſen befolgten Politik noch das Jahr vorher ſich in dem Wortſpiele gefallen batte : ,,man ſolle ihn nicht achten , ſondern ächten" , ſprach jetzt eifrig gegen die Anwendung des Eroberungsrechts auf denſelben . Für Hannover darauf fidzu berufen hatte er fein Bedenken getragen , allein das von ihm gehaßte Preußen ſollte aus demſelben keine Vortheile ziehen . Wrede endlidy, welcher durch die zu Paris mit Defterreich abgeſd loſſene Uebereinkunft Baierns Loos thörichter weiſe von dem guten Willen des öſterreichiſchen Cabinets abhängig gemacht hatte, ſuchte deſſen Gunſt dadurch zu verdienen , daß er von der Kriegsbereitſd)aft ber Baiern ſpracy, weil ſie Sachſens Vereinigung mit Preußen nicht zugeben könnten . Obwol er ſich nicht eben rüh men konnte ein ſiegreidyer Feldherr zu ſein , ſo liebte er es dod an ſeinen Degen zu ſchlagen , als wenn er durch dieſen die Entſcheidung der Dinge herbeizuführen gewohnt ſei . Baiern hoffte bei Wieder ausbrud des Krieges größere Erfolge zu erlangen , als von diploma tiſchen Unterhandlungen. Die Ausdehnung der Grenze Preußens bis an die fränkiſden Stammlande von deſſen Königshauſe, welche jetzt Baiern beſaß , ſollte um jeden Preis verhindert werden . Met ternich ſpornte den Eifer dieſer Herren an und freute ſid, ihrer ver wegenen Reden . Einzeln hätten ihre Stimmen keine Beachtung ge funden , vereint war dies beſonders deshalb der Fall, weil ſie dem öſterreichiſchen Cabinete die erwünſchte Gelegenheit boten auf fie als die Vertreter der öffentlichen Meinung Deutſchlands hinzuweiſen , welche es , da ſie ihm in dieſem Falle vortheilhaft war , als maßgebend betrachtet wiſſen wollte . Auch Kaiſer Franz gab jeßt perſönlich ſeine Meinung fund. In

einer Unterredung , welche er am 6. Dec. mit der Großfürſtin Ra 1 ) v. Sagern , II , 61, II .

7

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tharina hatte , der in der Politik wohl eingeweihten Schweſter Alexander's , äußerte er : er wünſche die Aufrechthaltung des Friedens, es ſei jedoch wider ſein Gewiſſen , daß der König von Dieſe plößliche Gewiſſenhaftig Sachſen ſein ganzes Land verliere. keit erſchien freilich in einem fonderbaren Lichte, wenn man erwog, daß er , obſdjon bedingterweiſe, feine Einwilligung hierzu bereits ge geben hatte, und daß , wenn die Geltendmachung des Eroberunge rechtes unerlaubt war , dem Könige Friedrich Auguſt ebenſo wenig ein Theil ſeines Landes , als das ganze genommen werden durfte. Noch bedenklicher war es , daß der Kaiſer Franz im Jahre 1797 keinen Anſtand genommen hatte die ſeinem Schuße anvertraute deutſche Reichsfeſtung Mainz den Franzoſen zu überliefern , weil er dafür Venedig ſeinen Erbſtaaten zufügen konnte. Der wahre Grund ſeines Entſchluſſes ging vielmehr aus einer andern Neußerung des Kaiſers hervor , welche dahin lautete : er wünſche mit Preußen in gutem Ver nehmen zu ſtehen , aber daſſelbe werde ihm gefährlid ). Mainz zur Bun= desfeſtung zu erklären ſei er bereit , doch den allgemeinen Wunſdy der Sachſen ihren König zurüdzuerhalten , müſſe er berückſichtigen, durd den Fürſten Repnin fei er von ihrer Stimmung unterrichtet. Repnin's Schilderung ſtimmte freilidh hierzu nur zum Theil. Nach der leipziger Schlacht, hatte er geäußert , habe die öffentliche Mei= nung heftig gegen den König Friedrich Auguſt fich ausgeſprochen, weil man ſeiner Anhänglichkeit an Napoleon das Unglück des Landes zugeſchrieben habe. Später habe man, ſeiner äußerſt bedrängten Lage Rechnung tragend, ſeine Şandlungsweiſe milter beurtheilt, und die Zahl ſeiner Getreuen ſei ſehr gewachſen , ſeitdem man fich davon überzeugt habe , daß die von der Mehrzahl der Einwohner gehegte Hoffnung den Herzog von Weimar zum Landesherrn zu erhalten un erfülbar ſei. Die Beamten und das Heer ſprächen laut ihre Wünſche für die Rückehr des Königs aus, die Bevölferung des platten lan des dagegen lege größtentheils Gleichgültigkeit an den Tag , während die Raufleute und der Gewerbſtand für den ihnen vortheilhaft dün Von allen aber würde kenden Anſchluß an Preußen ſeien. der Anſchluß einer Zerſtüdelung des Landes vorgezogen . Leşteres konnte der Raifer von Deſterreid, um ſo weniger be zweifeln , als der Herzog von Weimar ſich ebenfalls in dieſem Sinne gegen ihn ausgeſprochen hatte . Unter dem Vorwande einem Volks wunſche zu willfahren , was fonſt durchaus nicht ſeine Sache war, ſuchte er eben jene von den Sachſen gefürchtete Zerſtückelung ihres Landes durchzuſeßen , weil er ſie ſeinem eigenen Bortheile gemäß hielt.

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In der Note vom 10. Dec. , welche jedoch erſt am folgenden Tage abging, beantwortete Metternid, endlich die Vorſtellungen und Vorſchläge des preußiſchen Staatskanzlers. Er fegte von dieſer fei ner Antwort den Fürſten Talleyrand in amtlider Weiſe in Rennt niß , objdon er ſie gegen þardenberg als vertrauliche Mittheilung bezeichnete, und rühmte ſich gegen den franzöſiſchen Diplomaten, er habe die Schriftſtück ſo abgefaßt , daß es nicht allzu ſehr mit dem früheren in Widerſpruch ſtehe; auch möge er wohl beachten , daß nicht geradezu Anerbietungen gemacht würden , ſondern man bloß andeute, an welche Maſſe man ſich zu halten habe . 1) Allerdings enthielt fie ebenſo wortreiche Freundſchaftsverſicherungen wie die Note vom 22. Oct. , allein ihr fachlicher Inhalt ſtand mit jener in einem fol chen Widerſpruche, daß dieſe Freundſchaftsverſicherungen wie muth willige Berhöhnungen erfdienen . Die Rote lautete : Die erſte und wichtigſte der für die wiener Verhandlungen vorbehal tenen Fragen war ohne Zweifel diejenige das Loos des Herzogthums Wars (dau zu beſtimmen. Für die Aenderung von Europas allgemeinen Verhält niſſen bot dieſe Frage unter dem Geſichtspunkte der Politik und der Gebiets vertheilung eine leidyte Löſung , ſei es nun , daß die ehemaligen polniſchen Provinzen ſämmtlid , oder zum Theil zu einem unabhängigen Staatsförper vereint wurden, welcher zwiſchen den drei nordiſchen Höfen ſeine Stelle fand , ſei es , daß die Theilung des Herzogthums Warſchan zwiſchen beſagten Höfen die Mittel geliefert hätte , um die in den Bundesverträgen von 1813 im Auge gehabten Gebiete zu ergänzen. Seitdem das loos des Herzogthums Warſchau aufgehört hat einen Ge genſtand der Erörterung zu bilden , und die Frage zu einer einfachen Ab idätzung einiger Grenzpunkte herabgeſunken iſt, hat der Kaiſer ſich entſchloſſen dem allgemeinen Beſten den Sondervortheil ſeiner Monarchie aufzuopfern, und ſteht nicht an ſeinem Wunſche für die Erhaltung des Friedens und der freundſchaftlichen Beziehungen zu Rußland die Anſprüche unterzuordnen , welche über den Beſitz von Krakau mit einem entſprechenden Gebiete hinaus gingen. Er muß jedody wünſchen , daß dieſe Stadt, ſowie Thorn an Oeſter reich und Preußen überlaſſen werden , um ihren Staaten einderleibt zu wer den . Das unabhängige Daſein dieſer beiden Städte würde in demſelben Grade die Ruhe der drei benachbarten Mächte bedrohen . Ohne unmittelba ren Einfluß wiirden ſie dennoch allen Unzufriedenen als Herd von Umtries ben und Ruheſtörungen dienen . Da die linien der Warthe und Nida die letzte nátürliche Grenze und dabei die einzige bieten , welche einer militäriſchen Idee zur Grundlage zu dienen vermag, ſo kann der Kaiſer nicht uihin ihrer Erwerbung großen Werth beizulegen . Der Lauf der ' Nida iſt jedoch für Oeſterreich nicht von einer ſo großen Wichtigkeit, daß Se. Maj. ſie zu einer unerläßlichen Bes dingung ſeiner Verſtändigung mit Rußland machen will. Jede Gebietsver größerung dagegen , welche Ew . Durchl. für Preußen in dem Herzogthume er langen kann , wird vom Kaiſer als eine wahrhafte Verbeſſerung der getroffe nen Uebereinkunft betrachtet werden. Se. Maj. läßt dieſe Frage in Ew . Durchl. Händen und glaubt, daß die nähere Beſtimmung des Gebiets von Krakau und Thorn , ſowie die fünftigen Grenzen Oeſterreich , Breußens und Ruß

1) v. Gagern , II , 38. 7*

100 lands im Herzogthume Warſchau ſofort Offizieren vom Generalſtabe der be treffenden Heere anvertraut werden müſje. Uebrigens würde Se. Maj . , wenn der Kaiſer Alexander hierauf beſtände, nichts dagegen haben in die endgül tige Uebereinkunft mit Rußland den Vorbehalt aufzunehmen , daß die Stadt Krakau nicht befeſtigt werden dürfe. Da der Kaiſer in der Verbalnote Ew . Durchl. nichts über die Verfaſſungs frage Polens, oder über die Vereinigung der alten polniſchen Provinzen mit ben neuen Erwerbungen Rußlands gefunden hat, ſo macht Se. Maj. 28 mir zur Pflicht die Aufmerkſamkeit des preußiſchen Cabinets auf einen ſo weſent lichen Gegenſtand zu lenken, Die Forderungen, welche wir berechtigt find in dieſer Beziehung gegen Nußland zu erheben , rühren aus den Verpflich tungen her , weldie der Kaiſer Alexander freiwilig uns gegenüber übernom men hat, um einigermaßen die Mehrforderung an Gebiet wieder gutzuniaden . Es ſcheint unmöglich dieſer Bedingung in dem Gange unſerer ferneren Un terhandlungen nicht zu gedenken , wenn man die Verſprechungen des Kaiſers hinſichtlich dieſes Gegenſtandes mit den Bürgſchaften verbindet , welche wir für unſere ehemaligen polniſchen Provinzen zu fordern berechtigt ſind. Es bleiben noch mehrere, nicht weniger wichtige Gegenſtände mit Ruß land zu ordnen übrig , unter denen Bedingungen zu Gunſten der freien Sdiiffahrt auf der Weid )ſel u . ſ. w. ſich befinden. Der Kaiſer hat mir befohlen iiber dieſe Punkte unmittelbar mit dem ruſſiſchen Miniſter Unterhandlungen anzuknüpfen , und ebenſo mit dem Kaiſer Alerander ſelbſt die obgedachten Gegenſtände zu behandeln , weldie Ew . Durdil. zur Kenntniß Sr. Maj. zil bringen gewiinjdt hat. Die zweite Frage iſt diejenige der Einverleibung Sachſens in Preußen. Die Einzelnheiten, in weldie wir uns bei den verſdjiedenen Beſprechungen eingelaſſen haben , die ſowol mündlich , als ſdyriftlid zwiſchen unſern bei: den Cabineten ſtattfanden , und die Sorgfalt , welche wir der Erörterung dieſer Frage ſchenkten , haben zu ſehr das Intereſſe dargethan , welches der Kaiſer an Preußens Wiederherſtellung nach dem durch die Verträge feſtge ſtellten Maßſtabe nimmt, als daß wir es uns nicht erſparen könnten dieſen Gegenſtand von Neuem unter demſelben Geſichtspunkte zu betracyten . Die von dem Könige gewünſchten Gebietsausgleichungen ſtehen aber nichtsdeſto weniger mit den Wünſchen der andern Mädyte des erſten und zweiten Ranges in Widerſpruc ) . Es liegt uns alſo daran , daß Ihrem erhabenen Herrn kein Zweifelüber die Beweggründe bleibe , weldie den Entſchluß des Kaiſers bei dieſer wichti gen linterhandlung veranlaſſen. Die Wieberherſtellung der preußiſden Monarchie iſt dem Kaiſer ſo nothwendig erſchienen , daß er ſelbſt ſie zu einer der erſten Grundlagen des dreifadyen Bündniſſes gemacht hat. Deſterreidi, wir wiederholen es , nährt feine Eiferſucht gegen Preußen. Es betraditet im Gegentheile dieſe Macht als eines der niitlidiſten Gewidyte in der Wage der europäiſchen Mächte. Von allen Mädten iſt es diejenige , welche mit der unſerigen die meiſte Gleichförmigkeit beſikt. In derſelben Weiſe zwiſchen die großen Reidie des Oſtens und Weſtens geſtellt, werden Preußen und Deſterreid ihr Syſtem bezüglich ergänzen ; vereint bilden beide Monarchien eine unüberſteigliche Schranke gegen die Unternehmen jedes fürſtlichen Er oberers , welcher eines Tages vielleidit den Thron Frankreichs , oder Nuß lands wieder einnimmt. Deutſche Mädyte , eine wie die andere, finden ſie einfache und natürliche Beziehungen in ilirem beiderſeitigen Einfluſſe auf den deutſchen Bund , einem Einfluſſe , weldyer dem allgemeinen Wunſde entſpricht , weil er eine ſidere Bürgſchaft des Friedens bietet. Alles muß unſere beiden Höfe vereinen , aber man muß dieſe Vereinigung möglich machen. Der Congreß darf nidt auf das betrübende Schauſpiel eines Zwieſpaltes unter denjenigen Mächten

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hinauslaufen, welche zunächſt berufen find ben Frieden Europas zu befeſti gen. Deutſchland muß einen Staatskörper bilden , die Grenzen der in der Mitte befindlichen Großmächte dürfen nicht unentſchieden bleiben. Der Bund zwiſchen Oeſterreich und Preußen muß mit einem Worte nidits zu wünſchen übrig laſſen , um dieſes große Werk zu Stande zu bringen. Als ein Hin derniß dieſes Bundes, als eine unüberſteigliche Schranke für die Entſtehung des deutſchen Bundesvertrags iniffen wir die vollſtändige Einverleibung Sachſens in Breußen mißbilligen, doch keineswegs aus dem Geſichtspunkte, daß letztere Macht dadurch verſtärkt würde. In der Einverleibung Sachſens liegt ein Hinderniß für unſer Bündniß,weil die Grundfäße des Kaiſers, die engſten Familienbande und alle unſere nachbarlichen und Grenz - Berhältniſſe derſelben widerſtreben ." Abgeſehen davon, daß alles dies ſchon beſtand, als der Kaiſer unter gewiſſen Bedingungen in jene Maßregel einwilligte, hatten freilich Grundfäße ihn ebenſo wenig gehindert durds Nid ) tbeachtung des deut ichen Intereſſe für Deſterreich Vortheile zu erkaufen , als das zwiſchen ihm und Napoleon beſtehende noch weit nähere Familienband ihn abhielt denſelben zu befriegen, ſonſt würde vielleicht der beſtimmende Einfluß dieſer Beweggründe mehr Glauben finden. Bezeichnend genug hin fichtlid der Wilfürlichkeit, mit welcher das öſterreidsiſche Cabinet ſeine Einwilligung in die preußiſche Einverleibung von Sachſen zurückzog, iſt der Umſtand, daß Metternich nicht als Grund anzuführen vermag, Preußen habe durdy Nichterfüllung der damit verknüpften Bedingungen den fraglichen Widerruf ſich ſelbſt beizumeſſen, oder unerwartete Ereig niſſe erheiſchten eine andere Ordnung der deutſchen Gebietsverhältniſſe. Ein nicht weniger ſdywieriges Hinderniß " lautete ferner die Note ,,liegt in der Ordnung der deutſchen Verhältniſſe, weil die vornehmſten Deutſchen Mächte erklärt haben , daß ſie dem Bundesvertrage auf einer für ihre eigene Sicherheit ſo bedrohlichen Grundlage nidst beitreten wollen, wie die Einverleibung eines der bedeutendſten deutſchen Staaten ſein würde, bewirkt durch eine der zum Schutze des gemeinſamen Vaterlandes berufenen Mächte." Deſterreich, welches, im Beſiße der deutſchen Kaiſerkrone, gegen die von ihm beſdyworenen Reidsgeſege Baiern wiederholt mit ſeinen Erblan den hatte verbinden und die widerſtrebenden Reichsſtände mit Waffen gewalt zur Einwilligung zwingen wollen , nahm alſo jeßt ſogar Rückſicht auf den erſt zu ſchließenden deutſchen Bund und die Wünſche der kleineren deutſchen Staaten, welche Beſchlüſſen der beiden deutſchen Großmächte ſich fügen mußten. Wie die Folge zeigte, trug bas öſterreidiſche Cabinet auch kein Bedenken, die im rieder Vertrage verſprochene vodfommene Ents ſchädigung Baierns für Zurüdgabe ehemals öſterreichiſcher Provinzen nicht zu gewähren, ſondern letztere zum Theil ohne Entgelt zu erzwingen. Eine ſolche Bevortheilung Baierns zu eigenem Nußen ſchien ihm zu läffig, unzuläffig aber die Anwendung des Eroberungsrechts behufe der preußiſchen Einverleibung Sadiſens, während deſſen Zerſtücelung ihm dagegen erlaubt ſdien . War je ein Widerruf ſchlechter begründet ?

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„ Da Frankreich – hieß es weiter — ,,fic ebenfalls in entſchiedener Weiſe gegen die Eroberung von ganz Sachſen ausgeſprochen hat , ſo würde das Ein verſtändniß Deſterreichs und Preußens zu Aufrechthaltungder Eroberung nur dazu dienen die Schutherrlichkeit über Deutſchland wieder in die Hände dieſer Macht zu liefern. Und welche Entſchädigung föunte der Kaiſer in ſei nen eigenen Augen finden , um ſeine Nachgiebigkeit in einer Frage zu be gründen , welche ſo ſehr ſeinen Grundſäßen widerſtreitet, zumal ſie - wie es wirkliď, der Fall iſt theils mit einer ebenſo vollſtändigen Nachgiebig keit unſerer beiden Höfe gegen die Vergrößerungspläne Rußlands, theils mit dem Verluſte des wohlthätigen Einfluſſes geradezu verbunden iſt, welchen die beiden Mächte auf Deutſchland auszuüben berufen ſind ! Der Kaiſer iſt innig itberzeugt, daß er , indem er fich bei einer ſolchen Sachlage der Einverleibung Sachſens widerfeßt, ſich als wahrer und ein ſichtsvoller Freund , und durchaus nicht als Nebenbuhler Preußens zeige. Aber es handelt ſich darum die Ergänzung der Preußen durch die Verträge vorbehaltenen Gebietsausdehnung zu finden. Ein Anſchlag , welcher nach dem von Ew . Durchl. ſelbſt aufgeſtellten Schäßungsmaßſtabe berechnet iſt, thut dar, daß es nicht unmöglich ſei dieſen Umfang zu erreichen. Den Beweis glauben wir in der beigefügten Tafel zu liefern, auf welche ich , mein Fürſt, übrigens keinen andern Werth , als denjenigen zu legen bitte, welchen ich ihr eben zugeftand. Die Gebietsvertheilung in Deutidland iſt an ſo viel Rüdfichten geknüpft, daß wir Anſtand nehmen in einem einzelnen Falle auf das Nähere der Frage einzugehen, fo bereit wir auch ſind dieſe wichtige Er örterung mit dem Cabinete Sr. preußiſchen Majeſtät vorzunehmen , indem wir die Anſichten der Fürſten berückſichtigen , welche zunächſt am looſe der einſtweilen verwalteten Länder ein Intereſſe haben. Ueber die obgedachte Tafel habe ich noch eine Bemerkung zu machen. Sie beweiſet , daß der Umfang Breußens auf zweierlei Weiſe verſtärkt wer den kann, zuvörderſt durch Zugeſtändniſfe von Seiten Rußlande, welche dem von Preußen für die Begrenzung Porens vorgeſdlagenen Plane mehr ents ſprechen , ſodann burd, Swerbungen in Sachſen , welche mit der Fortbauer ſeines ſtaatlichen Daſeins vereinbar ſind. Uebrigens zögert der Kaiſer nicht von Neuem zu erklären , daß er zu ſehr darauf bedacht iſt die Ordnung der deutſchen Berhältniſſe möglich zu machen , um ſchon in der Frage über den Beſitz von Mainz ein diesfaufiges Hinderniß zu erblicken . Er iſt vielmehr bereit in eine Beſprechung der Mittel einzugehen , welche geeignet find ebenſo fehr die Intereſſen der verſdiebenen Parteien , welche Anſpruch auf dieſen Plaß machen , als diejenigen des gemeinſamen Deutſchen Vaterlandes zu vers föhnen. Da aber dieſe Verhandlung unzertrennlich von derjenigen iſt , welche die Bertheilung der Länder und die Beſtimmung der Bundesfeſtungen be trifft, ſo müſſen wir ſie bis zur Erörterung dieſer Gegenſtände verſchieben . Preußen vermag ießt den Abſchluß der großen Unterhandlungen, welche noch zu beendigen ſind , zu beſchleunigen . Die Ausſicht hierauf iſt an dem Tage eröffnet , wo Se. preußiſde Majeſtät den Wünſchen nachgebend, welche Deſterreich mit ſo viel andern Mächten theilt, gemäßigten Bedingungen zu ſtimmt, Bedingungen, welche geeigneter find ſo verſchiedene Anſichten zu verſöhnen , als diejenigen , welche jeßt die Unterhandlungen verzögern. Reine Macht iſt mit Preußen mehr befreundet, als Oeſterreich, keine erkennt mehr das Recht an , welches der König, ſein Volk , fein Heer ſich auf Europas Dankbarkeit durch die edelſte Standhaftigkeit im Unglüde und durch die aus dauerndſte Begeiſterung zu Gunſten der gemeinſamen Sache fich erworben haben . In dieſer Ueberzeugung und überſtrömend von ſolchen Geſinnungen erklärt ſich der Kaiſer mit voller Freimüthigkeit gegen den König, und kann ihm ſeine innige Ueberzeugung nicht bergen , daß der wahre Vortheil der

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preußiſchen Monarchie weit mehr in einer vollkommenen Uebereinſtimmung zwiſchen den Mächten von Mitteleuropa und in der alleinigen Möglichkeit liegt, welche noch für die Gründung eines Friedensſyſtems durch die Aus bildung der deutſchen Bundespartei übrig iſt, als in einer Einverleibung des ganzen Königreiche Sachſen , welcher weder durch die Abtretung von Seiten des Königs , noch durch deren Anerkennung von Seiten der erſten Mächte Dauer verliehen werden könnte. Se. Maj. iſt bereit und hat mir ausdrücklich befohlen Ew. Durchl. Den rüdhaltsloſen Gebraud ſeiner gu ten Dienſte ſowol bei Sr. Maj. dem Könige von Sachſen , als bei den jenigen Mächten anzubieten , welche ſich für dieſe Sache ausgeſprochen haben , um ſobald , als möglich zu einer Verſtändigung zu gelangen , welche für Preußen Bewilligungen enthält, geeignet ſeinen Antheil zu ergänzen , und welche, mit allſeitiger Genehmigung ausgeſtattet, außerordentlich dazu dienen würden die Unterhandlungen von Wien ihrer nahen Beendigung zuzuführen , bie der Gegenſtand aller Wünſde Europas iſt. Wir erwarten mit wahr hafter Ungeduld die Entſchlüſſe, welche Ew . Durchl. mir über dieſe wichtigen Fragen zu überſenden die Gefälligkeit haben wird.“ 1) Auf der beigefügten Tafel war die Bevölkerung Breußens im Fahre 1805 auf 9,318980 Einwohner angegeben , und obſchon nur 432300 Einwohner von Sachſen an Preußen überwieſen wurden, durch falſde Bevölkerungsangaben das ſcheinbare Ergebniß erlangt, daß Preußen 217200 Einwohner mehr erhalten würde , als es im Fabre 1805 beſeſſen habe . Es wurde demnach unter einer Fluth geſchraubter Redensarten und heuchleriſcher Freundſchaftsverſicherungen ſtatt des ganzen Sach ſen , deſſen Einverleibung bedingungsweiſe bereits zugeſtanden worden war , nur etwa ein Fünftel von deſſen Bevölkerung angeboten, ohne daß irgendein ſtidyhaltiger Grund zur Rechtfertigung, oder auch nur zur Entſchuldigung des Wortbrudy e$ hätte angeführt werden können . Die Geſchichte der Congreſſe bietet fein zweites Beiſpiel, wo , wie hier zu Wien, eine verbündete Macht die andere in ſo treuloſer Weiſe zu bevortheilen geſucht, und dabei die Unverſchämtheit gehabt hätte fich für den beſten Freund des Benachtheiligten auszugeben. Noch an demſelben Tage , wo der preußiſche Staatskanzler die öſterreichiſche Note empfing, drüdte er dem Fürſten Metternich ſein Erſtaunen darüber aus , daß die in derſelben enthaltenen Vorſchläge den Ideen ſo ganz entgegengeſeßt ſeien , welche er gegen ihn bis zum legten Augenblide geltend gemacht habe, um wo möglich einen Kern von Sachſen deſſem bisherigen Souverän zu erhalten. Die Unvereinbarkeit dieſer Vorſchläge mit den Freundſchaftsverſicherungen , welche der Kaiſer dem Könige dabei madhe, bewögen ihn von dieſem beſtimmte Befehle einzuholen , ob er ſich in irgendeine weitere Er

1) Klüber , VII, 28 - 36.

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klärung einlaſſen ſolle. Die Irrthümer in der, der Note beigefügten Tafel der Bevölkerungsanſchläge würden nachgewieſen werden, wenn Metter nich jemanden ernennen wolle, welcher ſich über dieſen Gegenſtand mit dem Staatsrathe Hofmann vernehme . Letzterer wies denn auch dem noch am Abende des 11. Dec. bei ihm erſcheinenden Freiherrn von Weſ fenberg einen Rechnungeirrthum von mehr als 1,200000 Seelen zum Nadtheile Preußens nad ). 1 ) Während die Kunde von dem plöyliden Umſchwunge der von Deſterreid in der fächfidyen Frage bisher befolgten Politik , der auch England ſich anſchloß , die Gemüther erregte , wurde der Auf ruf befannt , den der Großfürſt Konſtantin am 11. Dec. in Warſchau an die Polen im Namen Alexander's , ihres mächtigen Beſchüßers, erlaſſen hatte. Sie wurden zur Vertheidigung ihres Vaterlandes, zur Wahrung von deſſen ſtaatlichem Daſein zu den Waffen gerufen, und unbegrenzte Ergebenheit gegen den Kaiſer ihnen als das Mittel zum Glücke bezeidynet, welches andere ihnen wol verſprochen hätten, Als man dem jener aber allein ihnen zu gewähren vermöge. 2) Kaiſer von Rußland von mehreren Seiten das Befremben zu erken nen gab, welches eine derartige Kriegsdrohung errege, mißbilligte er die anſtößigen Ausdrüde jenes Aufrufes, und in der That hatte er durchaus keine Veranlaſſung eine drohende Stellung anzunehmen , da man ſeinen Forderungen hinſichtlich des Herzogthums Warſchau bis auf einige unerhebliche Punkte ſich bereits gefügt hatte. Als er ſei= nen Bruder nach Warſchau fendete , um die Polen zu den Waffen zu rufen , betrachtete er dies als ein geeignetes Mittel den Eifer ab zufühlen , mit welchem Lord Caſtlereagh ſein Streben nad Vergrö Berung angriff. Da es dem öſterreichiſchen Cabinete aber durchaus fein Ernſt damit war Alerander's Pläne auf Warſchau zu vereiteln, und ſein vorgeſpiegelter Widerſtand nur als Falſtrid für Preußen hatte dienen ſollen , ſo war nad Mißlingen dieſes Anſchlags ſchon längſt nicht mehr die Rede davon die ruſſiſchen Unmaßungen zu bekämpfen , und infolge der eingetretenen Verzögerung wurde die von Alerander angeordnete Maßregel zu einer Zeit ausgeführt , wo ſie wegen Aenderung der politiſchen Lage in Bezug auf Polen unnöthig geworden war ; allein ein polniſdyes Boltsheer war allerdings ge eignet dem Worte des Raiſers von Rußland auch in anderer Be ziehung größeres Gewicht zu verleihen .

1) Alüber, IX , 270. 2) Alüber, VII, 39.

Hardenberg legte nun dem

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Raiſer Alexander die feit dem 4. Oct. mit Metternich gewechſelten Schriften vor , und erhielt von Erſterem die Verſicherung, daß er Breußens Anſprüche mit ſeiner ganzen Macht unterſtüßen werde . Der ruſſiſche Raifer begab ſich auch alsbald zum Raiſer Franz, und bejdywerte ſich bei demſelben unter Bezugnahme auf die zum Beweiſe feiner Behauptung vorgelegten Sdriftſtücke über Metternidhi's Ber ſuche Rußland mit Preußen zu entzweien . Franz dien hierüber entrüſtet, und machte ſeinem Miniſter ſogar in Alexander's Gegen wart Vorwürfe deshalb , welche jedoch , wie der Verlauf der Sache zeigte , durchaus nicht ernſtlich gemeint waren . Metternich ging hierauf am 13. Dec. zum preußiſchen Staats kanzler , und ſuchte denſelben dadurdy zu beſänftigen , daß er ſeine Note als eine vertrauliche bezeichnete und hinzufügte : es ſtehe ja Preußen frei mehr von Sachſen und Polen zu ſeiner Entſchädigung zu verlangen , als in beſagter Note veranſchlagt worden ſei . Şar denberg, welchem jeßt , wo es zu ſpät war, die Schuppen von den Augen fielen , ließ ſich hierdurch nicht in die alte Sorgloſigkeit ein wiegen , und wie gerecht ſein Mißtrauen war , zeigte fich ſchon am folgenden Tage , wo Metternich den Kaiſer von Rußland gegen den preußiſchen Staatskanzler dadurdy aufzubringen ſuchte, daß er eine Denkſchrift deſſelben vom Anfange des November ihm vorlegte , in welcher dargethan war, wie unräthlich es ſei Rußland jeßt bekämpfen zu wollen ; erſt ſpäter , wenn man beſſer hierauf vorbereitet ſei, fönne man daran denken deſſen gegen Europa gerichtete Pläne zu vereiteln . Dabei bemerkte er : es ſeien noch andere Schreiben Har denberg' & von ähnlichem Inhalte in ſeinen Händen , welche er jedoch nicht vorzeigen könne, weil ſie Geheimniſſe Dritter enthielten . Metternich verfehlte jedoch feinen Zweck, und bewirkte durch ſei nen Vertrauensmißbrauch nur , daß Alexander dem Raiſer von Deſter reich erklärte: er wolle mit einem ſo unzuverläſſigen Manne, wie deſſen Miniſter des Leußern ſei , nicht mehr unterhandeln , ſondern nur mit dem Kaiſer ſelbſt. Franz mißbilligte ſcheinbar von Neuem Metternich's Benehmen und erklärte von mehreren der ihm zum Be weiſe von deffen Treuloſigkeit vorgelegten Papiere, namentlich von deſſen Schreiben an den Vertreter Englands daß er ſie nicht kenne , war aber natürlich weit entfernt dem angeklagten Miniſter, der durchaus nicht eigenmächtig gehandelt hatte , fein Vertrauen zu entziehen , und auf den Wunſch Alexander'8 mit ihm perſönlich zu unterhandeln einzu geben . Dieſer hatte nun mehrere Unterredungen mit dem Erzherzoge Palatin. Gegen dieſen beklagte er Sachſene Schickſal und äußerte,

106

daß er das Land gern deſſen Könige laffen würde, wenn für Breußen eine andere Entſchädigung gefunden werden könne ; dies ſei aber un möglich. Der Palatin erwiderte ihm : wenn er an Preußen einen grö Bern Theil von deſſen ehemaligen polniſchen Provinzen, ungefähr eine Million Einwohner mehr überlaſſe , ſo würden ſeine großmüthigen Wünſdye in Erfüllung gehen , und man ſich ſchnell verſtändigen . Aber hiervon wollte Alerander nichts hören , und man trennte ſich ohne einer Verſtändigung näher gekommen zu ſein. 1) Es fanden nun Beſprechungen zwiſchen dem preußiſchen Staats fanzler einerſeits und Czartoryſki , Capodiſtrias und Stein anderer ſeits ſtatt, infolge deren man ſich über den Inhalt der preußiſchen , an den Raiſer von Rußland zu richtenden Denkſchrift verſtändigte, in welcher den legten öſterreichiſchen Vorſchlägen entgegengetreten werden ſollte. Alexander , welcher mit Hardenberg auch perſönlich über dieſelbe Rüdſprache genommen hatte, theilte ſie am 20. Dec. dem Kaiſer Franz mit , ein zweites Exemplar erhielt Metternich durch Lord Caſtlereagh. Der Vertreter Englands war nämlich aufgefordert worden Preußen zu der demſelben verſprochenen vollſtändigen Ent ſchädigung zu verhelfen. Als Caſtlereagh die Schrift aus Harden berg'8 Händen in Empfang nahm , ſuchte er denſelben zu überreden, daß es hier weniger darauf ankomme , ob Preußen das behauptete Recht auf den Erwerb von ganz Sachſen habe , als ob daſſelbe durchführ bar ſei , weil faſt alle europäiſche Cabinete ſich demſelben widerſekten. Es war dies freilich ein nicht eben glücklich gewähltes Mittel die Meinungsänderung des engliſchen Cabinets über dieſen Punkt zu rechtfertigen , denn es ſtellte deſſen Politik als eine unſelbſtändige und eines mächtigen Staates unwürdige bar. Nad; einem allgemeinen Ueberblicke der bisherigen Unterhandlungen war in der Denkſchrift geſagt, daß die öſterreichiſche Erklärung hin ſichtlich des Herzogthums Warſchau den Kaiſer Alerander in den Stand ſetzen werde einen Entſchluß darüber zu faſſen , wieviel er davon an Oeſterreich überlaſſen wolle, über den preußiſchen Antheil werde ſein König ſich mit dem Kaiſer ſchon verſtändigen. Was nun Sachſen betreffe, in deſſen Vereinigung mit Preußen man bereits unter gewiſſen Bedingungen eingewilligt, dies aber ſeitdem widerrufen habe , ſo widerriethen die triftigſten Gründe die Zerſtüdelung dieſes Landes. Deſſen Wohl , der täglich lauter ſich dagegen ausſprechende Wunſch des Volfes , das gegebene Wort des Saiſers von Rußland, ) 0. Gagern , II , 84,

107

und Breußens ja Europas Vortheil ſtänden dem entgegen . heißt es in derſelben :

Weiter

,,Breußen muß ſtarf ſein für Aufrechthaltung des Gleichgewichtes und der Ruhe, was man bisher weiſe im Auge gehabt hat. Es darf nicht wehr los hingeſtellt werden, nicht auf eine Weiſe, daß es ſich in die Nothwendig feit verſett ſieht nach Vergrößerungen zu ſtreben , um die für ſeine Verthei digung unerläßliche Kraftmaſſe zu erlangen. Die Verträge fichern ihm übrigens die im Jahre 1805 gebabte Einwohnerzahl nicht bloß an ſich zu , und ohne Rückſicht auf die Stärke, die ſeine Beſitungen zu ihm verleihen vermögen , ſondern auch einen in jeder Beziehung geographiſch abgerundeten Staat. Die Gerechtigkeit fordert laut für Preußen eine Verſtärkung, welche derjenigen entſpricht, die alle Verbündeten und ſo viele andere Staaten er hielten . Wie kann dieſer Zweď anders , als vermittelſt des ganzen Sachſens erreicht werden ? Es erſcheint daher in jeder Beziehung paſſend dem Könige von Sachſen und ſeinen Nachfolgern anderwärts eine Stellung zu verſchaffen. Sein Ver bleiben in Sachſen ſtellt ſich als ganz unzuträglich dar , und kann nicht ein mal für ihn ſelbſt befriedigend ſein . Man erwäge nur, daß es im Gegen theile viele Verlegenheiten hervorruft und keine Sicherheit gewährt. Seine zwiſchen Deſterreich und Preußen eingezwängten Beſitzungen würden immer in der Nachbarſchaft des an Preußen abgetretenen Theils bleiben , und die von den Einwohnern aufrecht erhaltenen gegenſeitigen Beziehungen für Sou veräne und Unterthanen nur eine Quelle von Unannehmlichkeiten und Un zufriedenheit ſein. Es würde ſich ein Herd von Nänken und Umtrieben bilden, welche die Ruhe beider Länder , und ſelbſt das zwiſchen Deſterreich und Preußen nothwendige gute Einverſtändniß unabläſſig zu ſtören drohten . Der König þatte Münſter, Paderborn und Corvey mit 350000 Seelen zu Gewährung jener Steưung angeboten . Sollte dies nicht hinreichend ſcheinen , jo hat der Unterzeichnete den Befehl ein nod weit beträchtlicheres Beſişthum , ja ſelbſt das Doppelte auf dem linken Rheinufer anzubieten , ent haltend eine Stadt am Rheine, in angenehmer Lage, zur Reſidenz geeignet, ſowie ein Land dergeſtalt an der Grenze Frankreichs liegend, daß dieſes und Preußen ſich nicht berührten , und Luremburg eine deutſche Bundesfeſtung ſein könne." Auf die unter

dem

22. Oct.

von

Deſterreich

bedingterweiſe

gegebene Einwilligung in Sachſens Einverleibung zurückommend, unterwirft Hardenberg dieſe Bedingungen folgender Prüfung : 1 ) Sei dieſe Frage an die Ordnung anderer Gebietsverhältniſſe in Deutſchland geknüpft geweſen , hinſichtlich deren der Kaiſer von Deſterreich als Grundlage das vollſtändigfte Gleichgewicht zwiſchen ſeinem und Preußens Einfluß auf Deutſchland , und zwar geſichert burdy ein genügendes Vertheidigungsſyſtem für beide Theile, bezeichnet habe . Als Grenze zwiſchen Nord- und Süddeutſchland habe der Lauf des Mains und der Moſel und zur Vertheidigung des legteren Mainz dienen ſollen . 2) Seien Beſtimmungen über die beide Mächte ſcheidende Grenze, über die Befeſtigung einiger Pläße , über den Handel und die freie Schiffahrt auf der Elbe vorbehalten worden .

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3 ) Habe der Kaiſer von Deſterreich Preußens Beiſtand zur Lö = ſung der polniſchen Frage fich ausbedungen. Hinſichtlich des erſten Punktes habe Preußen dem öſterreichiſchen Einfluſſe alle Länder am linken Ufer des Mains und dem rechten Ufer der Moſel gern überlaſſen , ohne zu unterſuchen , ob die Feſtung Mainz mehr zur Vertheidigung des Nordens , oder Sübens von Deutſchland diene , denn es ſei offenbar, daß ſie als deutſdye Bundes feſtung ein gemeinſames Bolwerk ſein müſſe , audh habe dafür die Mehrzahl der Fürſten ſich ausgeſprochen. Hinſichtlich des zweiten Punktes habe Fürſt Metternich nur die mündliche Erklärung abgegeben , daß Preußen Dresden nicht befeſti gen dürfe. Hierüber ſowol , als über die den Handel und die freie Schiffahrt auf der Elbe betreffenden Punkte werde man ſich ohne Schwierigkeit vereinigen. Was den dritten Punkt endlid) anlange, ſo habe Preußen ſoviel, als möglich Deſterreich unterſtüzt, und eine zufriedenſtellende Löſung fei zu hoffen . Außer Baiern kenne man keine deutſche Macht, welche ſich gegen

Sachſens Vereinigung mit Preußen , und unter dieſer Vorausſeßung gegen einen deutſchen Bund erklärt habe . Sei nicht Deutſchland durch die Anhänglichkeit des Königs von Sadyfen an Napoleon weit mehr gefährdet geweſen ? Der König redyne darauf , daß der Kaiſer von Deſterreich ſeiner Einwilligung in Sadſens Einverleibung treu bleiben , und dem Kö nige von Sachſen und deſſen Familie die Vortheile der angebotenen Entſchädigung anſchaulich maden werde. Ungeachtet ſeines heißen Wunſches für die Erhaltung der Eintracht unter den großen Mäch ten könne der König nicht Bedingungen unterzeichnen , welche für Preußen von bleibendem Nachtheile wären . Stolz im Bewußtſein wie viel er durch Opfer jeder Art für die Erkämpfung der Freiheit Aller geleiſtet, fordere er das , wozu er durch die Verträge und ſeine Anſtrengungen berechtigt ſei , und vertraue in dieſer Beziehung der bewährten Freundſchaft des Kaiſers aller Reußen . Dieſer Note war die Dentſchrift Stein's vom 3. Dec. beigefügt, welche Preußens Forderung durch Sachſens Erwerbung entſchädigt zu werden rechtlich begründete , ferner eine leberſicht, aus welcher erhellte, daß für Preußen, da es ſeit 1805 4,719480 Seelen verloren , hiervon aber nur 1,339265 Seelen wiedererlangt habe , ein Verluſtreſt von 3,180215 verbleibe. Die dem Könige von Sachſen zu feiner Entſchädigung angebotenen Länder ſollten aus dem Grußherzogthume

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Luremburg, einem Theile des Erzbisthums Trier nebſt der Stadt Trier , dem ſüdlichen Theile des Erzbisthums Köln mit Bonn und den Stiftern Prüm , Stablo und Malmedy mit einer Geſammtbevöl ferung von 700000 Einwohnern beſtehen. 1) Soldie Rechtsausführungen nnd Entſchädigungsanerbietungen konn ten freilich nach Lage der Sache von feinem erwünſchten Erfolge ſein , da nicht Zweifel an der Berechtigung der Forderungen Preu gens oder großmüthige Theilnahme an dem Unglücke des Königs von Sadyfen , ſondern Ehrgeiz und eigenes Intereſie das öſterreidsiſche Cabinet zu der für den preußiſchen Staatskanzler ſo unerwarteten Haltung beſtimmt hatten . Dieſer ſah nun mit Schrecken die trauri gen Folgen davon , daß er nicht bei Zeiten dafür geſorgt hatte Preu ßens Wiederherſtellung ſtatt durch allgemeine Verheißungen , durdy Verträge zu ſichern , welche die Art und Weiſe , wie dies zu ge dyehen habe , feſtießten . Weder Deſterreichs, des weit mächytigeren Staates Beiſpiel, noch deſſen fortwährend auf Nieberhaltung Preu : Bens gerichtete Politik hatten Hardenberg anzutreiben vermodyt mit pflichtmäßiger Umſicht das Intereſſe des Staats zu ſichern, deſſen Ruder in ſo verhängniſvoller Zeit einem kräftigern und weiſern Manne hätte anvertraut ſein ſollen. Talleyrand hatte inzwiſchen Metternidy's ihm mitgetheilte Note vom 10. Dec. ſeinem Könige eingeſendet. Schon am 19. deſſelben Monats richtete er an den öſterreichiſden Miniſter des Aeußern ein Schreiben , worin er ihm die Genugthuung ausdrüdte , weldie Ludwig XVIII . über den Entſchluß des Kaiſers Franz Sachſen zi1 vertheidigent empfunden habe . Nachdem er ſich in ſchwunghafter Weiſe darüber ausgeſprodhen hatte , daß Franfreich nichts weiter ver lange , als daß der Geiſt des Umſturzes überall unterdrückt, und jedes legitime Recht als geheiligt betrachtet werde , bemerkte er : er halte zwar die polniſche Frage für die wichtigſte des Congreſſes , da feine andere ſo großen Einfluß auf das europäiſche Gleidygewidyt äußere, deſſen Herſtellung der Zweck des Friedensvertrags vom 30. Mai fei ; allein da die Gewalt der Umſtände die großmüthigen Abſichten der Souveräne, welche im Beſitze des ehemaligen Polens ſeien, vereitele und nichts übrig bleibe , als das Herzogthum Warſchau in Gemäßheit früherer Verträge zu theilen , ſo wünſde er , nadidem diesfallfige billige Forderungen von ihm unterſtüßt worden ſeien , daß dieſe An gelegenheit nun zur Zufriedenheit Deſterreichs erledigt werde . Unter die ) Klüber , VII , 40-48 , 63 .

110

ſen Umſtänden überrage die fächſiſche Frage alle übrigen an Wichtig keit, weil die Grundſäge der Legitimität und des Gleichgewichts hier gleichzeitig gefährdet ſeien. Um über das Königreich Sachſen fo ver fügen zu dürfen , wie man beanſpruche, müßte es Rechtens ſein , daß Mönige gerichtet werden könnten , und zwar von demjenigen , welcher ſich ihrer Befißungen bemächtigen wolle; daß man mit ihnen , deren Vertheidigung man nicht gehört habe, auch ihre Familien und Völker verdamme , und zu der im 19. Jahrhunderte allgemein verworfenen Vermögenseinziehung zurückkehre; daß Völker rechtlos ſeien , wie Viehheerden , die Landeshoheit durch bloße Eroberung verloren und erworven werde , und daß unter den Völkern Europas das Natur recht gelte , wie unter den Inſulanern der Südſee, oder mit einem Worte das Recht des Stärkern . Aber Europa, dem dieſe Lehren ſo große Leiden verurſadyt hätten , habe das Recht fie zu verabſcheuen mit nur zu viel Blut und Thränen erkauft. Durd Sachſens Einverleibung werde das europäiſche Gleichge wicht zerſtört, indem 1 ) durdy Schaffung einer großen gegen Böhmen gerichteten An griffskraft die Sicherheit von ganz Deſterreich gefährdet werde ; 2) indem dadurch ein deutſcher Staat eine unwiderſtehliche Ueber madit gegen die übrigen erlange , und ſie zwinge auswärtige Hülfe zu ſuchen .

Frankreich hege ebenſo wenig , wie Deſterreich, Eiferſucht und Ab neigung gegen Preußen , ſondern aus wahrer Sorge für daſſelbe wolle es nicht , daß jheinbare und ungerechte Vortheile ihm früher oder ſpäter verderblich würden ; über rechtmäßige Erwerbungen Breu Bens hingegen werde es ſich mehr , als alle andern freuen . Wenn es zur Wiederherſtellung Preußens in ſeine Verhältniſſe von 1805 noth wendig werde , daß der König von Sachſen einen Theil ſeines lan des an daſſelbe abtrete , fo werbe der König von Frankreich der erſte fein Letteren hierzu zu bewegen , inſofern dies mit Deſterreichs und Deutſchlands Intereſſe vereinbar ſei . ) Talleyrand entblödete ſich alſo nicht zu behaupten , daß Preußen, welches durch Sadjens Erwerbung erſt ein Staat von kaum 10 Mil lionen Einwohnern wurde , alsdann nidyt bloß dem

faſt breimal ſo

ſtarken Deſterreich, ſondern auch zugleich den übrigen Staaten des deutſchen Bundes dergeſtalt überlegen werden würde , daß dieſe nur mit fremder Hülfe deſſen Angriffen widerſtehen könnten . 1 ) Klüber , VII , 48 – 56.

Dies Wun

111

der erhöhte er noch durch die Behauptung, daß es nicht durch Preußens Wiederherſtellung an Einwohnerzahl überhaupt , ſondern nur dadurch bewirkt werde, wenn man Sachſens Bevölkerung hierzu verwende. Das Geheimniß der preußiſchen Unwiderſtehlichkeit lag alſo in dem Beſige Sachfens, und , da dieſes doch die eigene Eroberung nicht hatte abwenden können , in der Wunderfraft der Vereinigung beider länder ! Als ſei es an dieſen Abgeſchmadtheiten nicht genug , um die fran zöſiſche Denkſdýrift dem Spotte aller Urtheilsfähigen auszuſetzen, beeilt ſich Talleyrand im Widerſpruche mit fid ſelbſt hinzuzufügen , daß nur , weil dieſe „ſcheinbare Verſtärkung“ zu Preußens Verderben aus ſchlagen müſſe , Frankreich in freundſchaftlider Beſorgniß derſelben ſich widerſeße, alſo nicht wegen der eben behaupteten durch Sadijens Erwerbung erlangten Uebermacht. Der Widerſprudy , welcher darin lag , daß zwar nicht ganz Sadyfen , wol aber ein Theil deſſelben im Wege der Eroberung auf Preußen übergehen dürfe , kümmerte ihn bei der Natur feiner übrigen Gründe nicht im geringſten. Nie hat ten römiſche Auguren über ihre , mit ernſter Miene gethanen Aus ſprüche mehr Urſache zu lachen , wenn ſie einander begegneten , als Talleyrand und Metternich wenn ſie, vor unberufenen Hörern ficher, ſich über die Gründe unterhielten , weldie ſie für die Unzuläſſigkeit der preußiſdhen Einverleibung Sachſens angeführt hatten . Unter dem 27. Dec. unternahm Stein das undankbare Geſchäft die franzöſiſche Denkſdrift , an deren Beweiskraft nicht einmal ihr Verfaſſer glaubte , zu widerlegen . Zuvörderſt tabelte er es , daß Deſterreidy, ſtatt den Erfolg der Beſpredjung abzuwarten , welche die Verbündeten über die Anwendung der in den Verträgen enthaltenen Beſtimmungen veranſtaltet hätten , Schritte gethan habe um ſich auf die Beiſtimmung Frankreichs zu ſtützen. Sodann die von Taley rand gegen die preußiſche Einverleibung Sachſens angeführten Gründe kurz zuſammenfaffend , ſeşte er ihnen folgende Bemerkungen entgegen : Ein König kann nicht verurtheilt werden ; aber wenn ein König die Redite anderer Völker verletzt, ſo giebt er ihnen das Recht ihm Widerſtand zu leiſten , Entſchädigungen zu fordern , und ſich für ihre fünftige Siderung Gewähr zu ſichern - mit einem Worte , er unterwirft ſich dem Eroberungsrechte. Dieſes Necht iſt im Buche des europäiſchen Völkerrechts anerkannt , und die aner kennungswertheſten Schriftſteller , welche ſich mit dieſem Gegenſtande beſchäf tigt haben , Grotius , Bynkershoek , Meermann , Vatel , Bürger kleiner Frei ſtaaten , keineswegs durch ehrgeizige Cabinete beſordet , haben es in ihre Werke aufgenommen und gelehrt. Auf dieſes Recht, auf die Bundesverträge, auf die Ländervertheilungen , welche durd die Europa ermüdenden Zudungen nothwendig geworden , frügen ſich diejenigen unter den Verbündeten, welche Sadiſens Vereinigung mit

112 Preußen fordern und gerade , um zu verhüten daß nicht die Völker , wie Heerden getheilt werden, widerſekten ſie ſich der Theilung Sachſens, welche verderblich für das Land, unnüt für die großen Intereſſen Europas iſt. Weder das Gleichgewicht Europas , noch Deutſchlands wird durch die Zerſtücelung Sachſens bewahrt. So wie es war, fand es ſich in Abhängig keit von Preußen; zerſtückelt und geſchwächt wird es noch weniger fähig ſein ſeine politiſche Unabhängigkeit zu behaupten . Frankreich geſteht im Grund {ate zu , daß Preußen nad ; dem Maßſtabe von 1806 hergeſtellt werden muß. Die Abweichung der Meinungen beſchränkt ſich daher nur auf die Frage , ob das Gleichgewicht Deutſchlands und Europas mehr gefährdet wird durch Herſtellung des Königs in einem Bruchſtücke Sadyſens, oder auf dem linken Rheinufer, und der Gegenſtand der Frage beſchränkt ſich mithin auf etivas ſo Geringes , daß fie überflüſſig wird und unwerth die großen Anordnungen Europas aufzuhalten. 1 ) Metternich und Taleyrand waren freilid , hierüber anderer An ſicht. Da die Wiederherſtellung Preußens in den Zuſtand von 1806 nad; dem Inhalte der Verträge als eine von den Verbündeten über nommene Verpflichtung nicht abgeleugnet werden konnte , jo boten ſie alles auf , daß dieſelbe nicht in der von Preußen beantragten Weiſe geſchehe, wodurch daſſelbe einen feſteren Länderkern und gegen Sü den eine natürliche, durch einen Gebirgszug geſchüßte Grenze erhal ten haben würde. Ließ ſich an der Preußen zu gewährenden Seelen zahl nichts abhandeln , ſo ſollte dieſelbe wenigſtens in einer Weiſe gewährt werden , weldoe die mit einer ſolden Bevölkerungszahl in geſchloſſenen , abgerundeten Grenzen verbundene Madyt dem preußi (den Staate deshalb nicht verleihe , weil er eben in ſeiner neuen Geſtaltung kein geſchloſſenes Ganze , ſondern zwei , durch dazwiſchen liegende Staaten getrennte Stücke bilde , deren offene und hinſichtlich des Flächeninhalts ganz unverhältnißmäßig lange Grenzen eine Ver theidigung derſelben im Kriege unmöglich machten. Im Oſten dem Angriffe Rußlande, im Weſten demjenigen Frankreichs preisgegeben, follte der des Mittelpunkts entbehrende preußiſche Staat durch ſeine unglüdlidye geographifdye Lage geſchwädyt und gezwungen werden, um Deſterreichs Beiſtand nidit zu entbehren , der Politik deſſelben dienſt bar zu ſein . Metternich's Handlungsweiſe entſprach vollkommen dem Vortheile Deſterreichs, denn gelang es ihm Preußen von Deſterreich abhängig zu machen , ſo war das Hauptziel der öſterreichiſchen Politik: Deutſch land nad ſeiner Willfür zu lenken und zu benußen , muthmaßlich erreicht. Die Verhinderung der preußiſden Einverleibung Sachſene, welde Preußens Kraft vor der ſonſt unvermeidlichen Zerſplitterung

' ) Berg , IV , 260.

113

in der Hauptſache gerettet haben würde , war dazu unerläßlid , und wenn Metternich deswegen vom Könige Friedrid, Auguft noch außerdem glänzend belohnt wurde , ſo kann man nach den obigen Angaben über das vom Kaiſer Franz gegen ſeinen Miniſter beobachtete Verfahren wol annehmen , daß er beifällig lächelte, als er vernahm , Metter nich habe ſeine Befehle ſo ſchlau ausgeführt, daß er die gleichzeitig erregte Beſorgniß eines fremden Königs zu ſeiner eigenen Bereiche rung auszubeuten verſtand. Talleyrand beſchuldigte daher , als er im November mit Gagern über Metternic ſpracy, diefen , damals wenigſtens wol mit Inrecht, daß derſelbe Winkelzüge einfachen Plänen vorziehe; denn er ſei überzeugt , daß wenn Metternich ohne Umidweife fage : fo fou die polniſche Grenze ſein , und dies Stüd von Sachſen mag an Preußen abgetreten werden , — dann wäre die Sache damit abgemacht, und ſelbſt der König von Breußen müßte damit zufrieden ſein . 1) Da Metter nich in ſeiner Denkſchrift vom 22. Oct. Deſterreichs bedingte

Einwilligung in die Vereinigung Sachſens mit Preußen erklärt hatte, jo fonnte er erſt im Laufe des November ſeinen doppelten Zweck er reichen. Der König von Sachſen , welcher in Friedrichsfelde als Gefangener lebte, bedurfte Zeit dazu ihn, den viel vermögenden Mi niſter, mit Jupiter's goldenem Regen zu überſchütten, und noch we niger ließ ſich die Ausführung des Planes überſtürzen Sardenberg zu Schritten zu bewegen , welche er zur Entzweiung Preußens mit Rußland benußen konnte. Talleyrand felbſt befand ſich in einer viel einfachern Lage. Er hatte auf Befehl Ludwig's XVIII. gleid von Anfang an den Anſprüchen Rußlands auf das Herzogthum Warſchau und denjenigen Preußens auf das Königreich Sacfen widerſprochen, und hatte nie Beranlaſſung gehabt den preußiſchen Staatskanzler, wie Metternid mit Verſprechungen zu födern , welche zu erfüllen dieſer zwar nicht Willens war, worüber er aber, abgeſehen von andern Gründen , einige Wochen wenigſtens vergehen laſſen mußte , ehe er mit einem gewiſſen Anſtande erklären konnte , es könne von ihnen keine Rede mehr fein . Talleyrand dagegen hatte weiter nichts zu thun , als die königliche Spende in Empfang zu nehmen und einige Noten zu ſdyreiben , in welchen er das Eroberungsrecht, zumal zum Nachtheil eines legitimen Monarchen, für abgeſchafft und unwürdig des 19. Jahrhunderts erklärte. Um fein diplomatiſches Gewiſſen darüber zu beruhigen, daß Preußen , erhielte es nicht ganz Sachſen, 1) v. Sagern , II, 81. II.

8

114

+

unfehlbar Frankreid )& Grenznachbar werden würde , was er ſelbſt als nicht wünſchenswerth gegen Gagern bezeichnet hatte , brauchte er ſich nur zu ſagen , daß er ſonſt ſeines Königs Befehle nicht voll ſtređen könne. Denſelben auf die nothwendigen Folgen von ſeines Geſandten vorſchriftsmäßiger Wirkſamkeit aufmerkſam zu machen fühlte er ſich durchaus nicht berufen . Talleyrand hatte ſid, nicht begnügt jene Note vom 19. Dec. zu Gunſten des Königs von Sachſen an bas öſterreichiſche Cabinet zu richten , ſondern auch am 26. Dec. eine Abſchrift derſelben an Port Caſtlereagh geſendet. In dem ſelbige begleitenden Schreiben ſagte er : Obſchon der Cord jenes Schriftſtüc ſchon bei ihm geleſen habe, ehe er es abgeſendet , ſo theile er es ihm doch mit , weil er aus brüdlichen Befehl habe ihn von allen ſeinen Schritten aufs Genaueſte in fenntniß zu ſetzen ; denn ſein König halte es für unmöglid ), daß Frankreich und England bei der Uebereinſtimmung ihrer Intereſſen nicht dieſelben Zweđe verfolgen ſollten , deren Erreichung nur ein ge= meinſdaftliches Handeln verbürge . Das große Ziel, welchem Europa zuſtrebe, ſudje auch Frankreich zu erreichen , nämlich mit gänzlider Unterdrücung der Revolution einen dauerhaften Frieden zu gründen . Die revolutionären Dynaſtien feien veríd wunden bis auf eine ; die legitimen Dynaſtien feien wieder eingeſetzt, nur eine ſei nod; gefähr det. Es ſei alſo die Revolution noch nicht völlig zu Ende. Damit es dahin komme und die legitimität überal triumphire, müßten der König und das Königreich Sachſen aufrecht erhalten , das Königreid, Neapel aber feinem legitimen Herr dyer zurücgegeben werden . Sonſt wäre der Kampf mit der Revolution noch nicht geendet, hätten der Friede von Paris und der ſtilſtand herbeigeführt. )

wiener Congreß nur

einen

Waffen

Es begegnete dabei dem großen Diplomaten, daß er vergaß, wie mit dem damaligen Kronprinzen von Schweden Bernadotte eine aus den Reihen des Volte durdy die franzöſiſche Revolution emporgeho bene Familie den ſchwediſchen Thron beſteigen werde , von dem eine militäriſdie Meuterei bie legitime Dynaſtie herabgeſtürzt hatte. Als ihn Gagern darauf aufmerkſam

machte, wollte er anfangs be

haupten, wegen der Eigenthümlichkeit des Falles ſei hier eine Aus = nahme zu machen , konnte aber endlid nid )t in Abrede ſtellen , daß es eine ebenſo ſchreiende Verlegung des Legitimitätsprincips ſei, als irgendeine, und meinte ſchließlid ), daß wenn Bernadotte's mächtige ) Klüber , VII , 61 -- 63.

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Beſchüßer ſeinen Sturz zuließen , er für ſeine Berſon ganz wohl das mit zufrieden jei. Gegen das öſterreid ifdie Cabinet Hatte Talleyrand in ſeiner Note vom König von Neapel nichts erwähnt, weil daſſelbe, obſchon es audy das Legitimitätsprincip eifrig vertheidigte , Murat’s revolutionären Thron gewährleiſtet hatte. Der franzöſiſche Diplomat wünſchte daher, daß England, welches Murat feindlich geſinnt war und ſeinen Schütz ling , den neapolitaniſchen Bourbon Ferdinand IV., an deſſen Stelle wiedereinſeßen wollte, hierin die erſten Schritte thue . Es fanden nun zwei geheime Unterredungen ftatt, in welchen Meiternid dem engliſchen Staatsſecretär und dem erſten Bevollmäch tigten Franfreichs den Entwurf mittheilte, durch den er die preu Bijden Denkſchriſten zu widerlegen verſucht hatte. Man fand ihn ungenügend und knüpfte baber wieder Unterhandlungen an , zu deren Führung der Kaiſer von Rußland die Grafen Raſumowſki und Ca podiſtrias ernanntė. Nichtsdeſtoweniger nahmen beide Parteien bei aller äußerlidyen Höflichkeit eine friegeriſche Haltung an. Nur Ba den und Würtemberg zeigten friedliche Geſinnungen , ja neigten ſidi wegen ihrer Beziehungen zu Rußland auf die ruſſiſch - preußiſdie Seite , während Deſterreich, England und Frankreich, von Baiern und andern kleineren Staaten unterſtützt, gemeinſchaftliche Sache madyten. Der niederländiſdie Hof hielt mit einer Erklärung zurüd , obſchon ſeine Bevollmädytigten bei allen Gelegenheiten ihre Sim = pathien für Metternic's Politik zu erkennen gegeben hatten . dem Tone der ruffiſden Note , welche Alerander ſeinen Vorjdlägen beigefügt hatte , ging allerdings das beiderſeits geſpannte Verhältniß nidit hervor , denn ſie ſprach von der glücklichen Uebereinſtimmung der Geſinnungen und Grundfäße, weldie unter den vier verbündeten Mädyten herrſche, von ihrem gegenſeitigen Vertrauen , das alle Wedſel eines furchtbaren Krieges überdauert habe. Auf den uner ſchütterlichen Grundlagen der driſtlichen Religion , zu welcher ſie alle fid befännten , ſollte das neue Gebäude der ſtaatlichen und geſell ſchaftlidyen Ordnung errichtet werden , und er glaube von ſeinen un veränderten freundſchaftlidhen Geſinnungen keinen beſſern Beweis geben zu können , als indem

er ſeinen Verbündeten einige diesfallſige

Grundideen mittheile, weldje er geeignet halte die gegenſeitigen Be ziehungen ihrer Staaten feſtzuſtellen , ihre Bedürfniſſe zu befeſtigen und das Friedenswerk zu vollenden . Es klingen aus dieſer Note bereits die ſalbungsvollen Redens 8*

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arten und Gedanken hervor , welche in der heiligen Allianz ihren Gipfelpunkt erreichten; doch ſollte die bundesbrüderliche Geſinnung der Herrſcher noch auf eine bedenkliche Probe geſtellt werden , ehe Alerander in der betreffenden Urkunde zu Paris das beginnende Zeitalter einer chriſtlichen Politik verkündete. Alerander's Vorjdläge für den vorliegenden Fall beſtanden in Folgendem . Er wole den Bezirk von Podgorz, mit Ausnahme der Krakau gegenüberliegenden Stadt dieſes Namens, ferner die im Be fite des Herzogthums Warſchau befindliche Hälfte der Salzwerke von Wieliczka und den tarnopoler Kreis an Deſterreich abtreten, an Breußen aber diejenigen Theile des beſagten Herzogthums, welche jeßt die preußiſde Provinz Poſen bilden , mit Ausnahme der Stadt Thorn , welche wie Krakau unabhängig bleiben folle. Das übrige Herzogthum Warſchau ſei als conſtitutioneller Staat mit der ruſſia fchen Krone zu verbinden , den unter preußiſcher und öſterreichiſcher Landeshoheit ſtehenden Polen aber eine volksthümliche Provinzial verfaſſung zu ertheilen , auch freie Schiffahrt auf der Weichſel her zuſtellen . Das Königreich Sadiſen ſolle als ſolches mit Preußen vereinigt, Dresden nicht befeſtigt werden und König Friedrich Auguſt als Ent fchädigung das in der preußiſchen Note angebotene Land am Rheine mit 700000 Einwohnern erhalten . Die Staaten Deutſchlands möge ein Bund umſchließen , welcher Wehrhaftigkeit nach außen , ihre innere Freiheit aber durch Verfaſſungen verbürge . Mainz folle Bundesfeſtung ſein . Auf Antrag Englands wurde nun eine ſtatiſtiſche Commiſſion niedergeſeßt, welche die Bevölkerung der zur Vertheilung kommenden Länder erörterte , und ihre Arbeiten in der zweiten Hälfte des 3a nuar 1815 beendigte. Die Seelenzahl allein , ohne Rüdſicht auf

ihre

den Flächeninhalt und die Einkünfte der betreffenden Länder, war bei der Entſchädigung maßgebend , was ebendeshalb leştere nothwendig ungenügend machen mußte. Metternich war beſtrebt mit den Vertretern Rußlands und Preußens geſondert zu unterhandeln und die Zulaſſung Taleyrand's zu den Sißungen zu bewirken , welche auch von Caſtlereagh empfoh len wurde . Beides mißlang jedoch, und nur der Vertreter Englands nahm auf Hardenberg's Antrag an den Berathungen theil, weil man hierdurch den Einfluß Metternidh'8 auf denſelben zu ſchwächen hoffte. Die erſte Sigung fand am 29. Dec. ſtatt. Rußland war burch Raſu mowſki und Capodiſtrias, Preußen durch Hardenberg und Humboldt ,

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Defterreich durch Metternich und Weffenberg, England durch Caftle reagh vertreten . Der öſterreichiſche Miniſter des Aeußern erklärte nach einem al gemeinen Ueberblice der zu verhandelnden Gegenſtände die fädifiſche Frage für eine ſolche, welche, da fie ganz Deutſchland angehe , nur von den Großmächten und unter Zuſtimmung des Königs von Sachſen entſchieden werden könne. Er forderte daher die Verſeßung des Legtern an einen hierzu geeigneten Ort, und kam darauf zurück, daß Frankreich an den Verhandlungen theilnehmen müſſe. Harden berg entgegnete, daß wenn der Kaiſer Franz die Ordnung der fäch fiſchen Frage von der Einwilligung des Königs von Sachſen ab hängig madhe , er die Unterhandlung abbrechen und neue Verhal tungsbefehle einholen werde . Da nun Metternich fic blos darauf berief, daß Lord Caſtlereagh dieſer Anſicht ſei , dieſer aber fich das hin ausſprach , er werde nie zugeben , daß der König von Sachſen durch Ablehnung gemäßigter Vorſchläge von Seiten Breußens eine Verſtändigung hindere , ſo kam dieſe Vorbedingung nicht weiter in Betracht. Die Zuziehung Frankreich wurde zwar vom Vertreter Frankreiche unterſtüßt, von Rußland und Preußen aber auf Grund des betreffenden geheimen Zuſaßartikels zum pariſer Frieden zurüd gewieſen. Bejahte nun auch Metternich die Frage Hardenberg'8, ob er Breußens Redyt auf Wiederherſtellung des Zuſtandes von 1806 anerkenne, ſo verneinte er doch nicht nur die andere , ob die deshalb gemachten preußiſchen Vorldläge dieſem Zwed entſprächen , fondern wollte ſich auch nicht dazu verſtehen felbſt einen bezüglichen Plan vorzulegen , und forderte hierzu die Vertreter Rußlands auf. Dieſe jedoch erwiderten , dies ſei unnöthig , da Preußens Vorſchläge der Billigkeit gemäß ſeien und von Rußland unterſtüßt würden . Metternich's verfängliche Frage , ob Rußland und Breußen ſich zu Durdführung der fraglichen Vorjdläge verbunden hätten , wurde zwar verneint, um Defterreich keinen Vorwand zu einem Gegenbündniſſe, auf welches Metternich hinarbeitete, zu geben ; allein da man ſich nicht vereinigen konnte, fo erreichte er doch wenige Tage darauf ſeinen Zwed : dieſem Bündniſſe ein Gegenbündniß entgegenzuſtellen . Noch an demſelben Tage beſchwerte fich Talleyrand gegen den Fürſten Czartoryſki darüber, daß man ihn nicht ebenſo wie den Porb Caſtlereagh zu den Verhandlungen eingeladen habe, und ſuchte deffen Einwand , daß Frankreich auf ſeine diesfallfige Mitwirkung ausdrüdlich verzichtet habe , mit denſelben Scheingründen zu wider legen , welche er ſchon zu Anfang des Congreffes geltend zu machen

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verſucht hatte . Zur Zeit war ſeine Mühe noch vergeblich, obſchon Metternich und Caſtlereagh bei der Tags darauf ſtattfindenden Sitzung, wo die Vorſchläge Alexander's beſprochen wurden , ihren Antrag auf Frankreichs Zulaſſung erneuerten. Erſt infolge einer Aeußerung des Raiſers Franz gegen den Kaiſer von Rußland : er fei der Anſicht, die Verbündeten müßten ſich zuvor über den Plan, wie Breußen wiederherzuſtellen ſei, vereinigen, dann aber Talleyrand an den Verhandlungen theilnehmen laſſen , — beſchloß man von Seiten Rußlands und Preußens in der nächſten Sigung fich in dieſem Sinne auszuſprechen. Die von beiden Parteien don früher begonnenen Rüſtungen Die Deſterreicher ſchickten ſich an zwei dauerten unterdeſſen fort. Heere in Böhmen aufzuſtellen. Der Oberbefehl dejenigen, mit wel dem die Baiern fich vereinigen ſollten, war dem Feldmarſchall Wrede zugedacht. Das engliſch -hannoverſche Heer verſtärkte fich, und ſelbſt in Frankreid), deſſen Heer man wegen ſeines der Regierung feindlichen Geiſtes aufzulöſen begonnen hatte , wurden Aushebungen gemacht, um Talleyrand's prahleriſchen Behauptungen von den franzöſiſchen Streitkräften den Schein der Wahrheit zu verleihen . Statt darauf bebacht zu fein ſeinen Thron zu befeſtigen , indem er die aufgeregten Gemüther beruhigte und die durch den Krieg geſchlagenen Wunden heilte, trug der unkriegeriſche Ludwig XVIII. kein Bedenken ſich in fremde Händel zu miſchen, welche für ihn um ſo gefährlicher werden konnten , als der auf Elba weilende Napoleon auf die erſte Gelegen heit lauerte ſich wieder an die Spiße des franzöſiſchen Heeres zu ſtellen , das ihn, wie er wußte , zurückwünſchte. Aus Warſchau liefen Nachrichten ein, welche geeignet waren den Kaiſer Alerander zu beunruhigen. Er hatte in den Polen die Soff nung hervorgerufen ihr Vaterland , wenigſtens ſoweit er es be herrſchte , wieder zu einem ſelbſtändigen Reiche zu machen , welches mit Rußland nur den Herrſcher gemein haben ſolle. Ungeduldig darüber, daß nichts geſchah dieſe Hoffnung zu verwirklichen , wurden Stimmen laut , welche davon ſpradjen den Kaiſer ſeiner Verheißungen zu nöthigen.

zur Erfüllung

Um Neujahrstage erfuhr man in Wien , daß am 24. Dec. zu Gent der Friede zwiſchen England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika abgeſchloſſen worden ſei . Beide Parteien auf dem Congreſſe fuchten ihn als ihren Planen günſtig darzuſtellen . Während Talleyrand rief : ,,das macht Englands Verſprechungen zu lauter Pfund Sterling ", fuđite Humboldt darzuthun , daß , da Preußen in

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England nur die Oppoſition gegen ſich habe, das durch den Frieden in ſeiner Stellung befeſtigte Miniſterium nun die frühere, den preußi ſchen Anſprüchen günſtige Haltung wieder annehmen werde. Sollte Humboldt wirklich dieſer Anſicht geweſen , und nicht bloß bemüht ge weſen ſein bie bedenkliche politiſche Lage ſo günſtig , als möglich zu

ſchildern , ſo irrte er gewaltig. Durch Hardenberg's unglaubliche Leichtfertigkeit in Wahrung der Intereſſen Preußen ſowol bei den während des Krieges eingegan genen Verträgen , als beim Friedensſchluſſe zu Baris war Preußen in die traurige Lage verſeßt worden wegen der ihm gebührenden Entſchädigung von der Willkür feiner bisherigen Verbündeten abzu hängen , während dieſe ſeiner nicht mehr bedurften , da ſie von ihm die Anerkennung ihrer Forderungen entweder bei Zeiten im gütlichen Wege erlangt hatten, oder unter ſchlauer Benutzung der Umſtände nun zu ertrogen hoffen durften. Farbenberg, welcher nody vor kurzem in ſeiner Rathloſigkeit den Hauptgegner Preußens, den Fürſten Metter : nidh berdworen hatte, daſſelbe aus ſeinem verzweiflungsvollen Zu= ftande zu retten , war in der legten Sigung plößlich zum entgegen gefetten Neußerſten angelangt , und hatte mit Heftigkeit erklärt, Preußen werde feine Rechte, wenn man ſie ihm ftreitig madhe, zu vertheidigen wiſſen . Caſtlereagh , im Bewußtſein der durch den Frieden mit Amerika erhöhten Kraft Englands , nahm die mittelbare Herausforderung eines ſo charakterlofen Gegners um fo mehr übel, als Taleyrand , eifrig bemüht den Bund der vier Mächte zu ſpren gen , welcher ihn von den wichtigſten Congreſverhandlungen noch immer ausſchloß , bei jeder Gelegenheit von den 300000 Mann ge ſprochen hatte, mit denen Frankreich die vom engliſchen und öfter reichiſchen Cabinete aufgeſtellten Anſichten , die es theile, verfechten würde. Der Lord ſchlug daher in ſeinem Unwillen den Vertretern Deſterreiche und Frankreichs ein Bündniß vor , welches ſie in den Stand jeße auf ihren Forderungen um ſo fräftiger zu beſtehen . Metternich und Talleyrand gingen mit Freuden auf dieſes Bündniß ein , weldjes hervorzurufen ſchon ſeit geraumer Zeit ihr eifrigſtes Beſtreben geweſen war. Am 3. Jan. wurde es unterzeichnet. Jede der drei Mächte machte ſich verbindlich derjenigen unter ihnen , welche wegen der von ihnen vereinbarten Vorſchläge ange griffen werden würde , binnen ſechs Wochen mit einem Heere von 150000.Mann zu Hülfe zu kommen. Falls England dieſe Truppen macyt binnen beſagter Friſt ins Feld zu ſtellen behindert ſei , ſo folle es ihm freiſtehen entweder freinde Soldtruppen zu ſtellen , oder

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ſeiner Verbindlichkeit mit Gelb dergeſtalt nachzukommen , daß es für jeden Fußſoldaten 20 Pf. , für jeden Reiter 30 Pf. Sterl. zahle. Ueber die Kriegsunternehmungen und den Oberbefehl der Truppen werde man ſich freundidaftlich verſtändigen, ebenſo falls es ſich her ausſtelle, daß die bedungene Hülfe wegen ihrer Unzulänglichkeit er höht werden müſſe. Friede ſolle nur mit Uebereinſtimmung aller geſchloſſen werden ; Bündniſſe feien nur, ſoweit ſie mit dem vorlie genden vereinbar , geſtattet. Bei Beendigung des Krieges folle der Friede von Baris für die Grenzverhältniſſe ihrer Staaten, und wo möglich auch in anderer Beziehung maßgebend ſein. Ein Angriff auf Hannover oder die Niederlaufiß ſei ſo zu betrachten , als habe man Großbritannien oder Irland angegriffen. Die Genehmigung des Bundesvertrags von Seiten der betreffenden Souveräne habe binnen ſechs Wochen zu erfolgen . In einem geheimen Zuſaßartikel kam man überein den König von Baiern , den König von Hanno per und den ſouveränen Fürſten der vereinigten niederländiſchen Provinzen aufzufordern fich mit verhältniſmäßigen Streitkräften am Bündniſſe zu betheiligen . Außer ihnen trat auch Sardinien bei , und es wurde aus zwei öfterreichiſchen Generalen, einem franzöfiſchen Generale und dem Felds marſchall Wrede , welcher überhaupt für Ergreifung kriegeriſcher Maßregeln ſehr thätig geweſen war, eine Militärcommiffion zu Ent werfung des Kriegsplanes niedergefeßt. 2) Raiſer Alexander und König Friedrich Wilhelm , gegen welche von ihren bisherigen Verbündeten dieſer Kriegsbund mit dem un längſt durch gemeinſchaftliche Anſtrengungen beſiegten Feinde abge ſchloſſen wurde , genoſſen arglos die ſcheinbar mit derſelben Herzlich keit wie zuvor geübte Gaſtfreundſchaft des Kaiſers Franz , und er hielten erſt zwei Monate ſpäter die überraſchende Kunde davon. Am 4. 3an. fand zwar wieder eine Sißung von Bevollmächtige

ten der vier Mächte ſtatt; ſie endete jedoch früheren , da man von Seiten Deſterreichs ſo entſchiedener darauf beſtand nur dann der Bertreter der ihnen nun im Geheimen

ebenſo erfolglos, als die und Englands jest um zu unterhandeln , wenn verbündeten Frankreich

an den Berathungen theilnehme. Obidon der engliſche Botſchafter zunächſt den förmlichen Abſchluß des gegen Rußland und Breußen gerichteten Bündniſſes veranlaßt hatte, ſo zeigte er doch weit ver föhnlichere Geſinnungen , ale Metternich , Wrede und Talleyrand, 1) Klüber, IX , 177-86,

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welche im Stillen die ruffiſchen Bevollmächtigten zu beſtimmen ſuchten Preußen in ſeinen Anſprüchen nicht ferner zu unterſtüßen , weil dieſes dann mit jeder ihm gebotenen Entſchädigung zufrieden ſein müffe. Gegen ſie ſowol, als gegen den Kaiſer Alexander, wel cher am 6. San. dem Lord Caſtlereagh eine Unterredung gewährte, ſprach dieſer ſich dahin aus , daß England beſtrebt ſein werde die vertragsmäßige Wiederherſtellung des preußiſchen Staates zu be wirken . Dem Kaiſer ſtellte er vor : er möge dadurch, daß er an Preußen einen größern Theil von deſſen ehemaligen polniſchen Pro vinzen zurüdgebe, die Verſtändigung erleichtern. Der König von Sachſen folle einen großen Theil ſeines Landes an Preußen abtreten ; denn dieſen Fürſten für ſeine ſämmtlichen Staaten am linken Rhein ufer und an der franzöfiſchen Grenze in der angebotenen Weiſe ent fchädigen hieße einem Angriff Frankreichs auf Deutſchland Vorſdub leiften . Alexander erwiderte : Hinſichtlich des Herzogthums Warſchau be trachte er die Sache als abgemacht, und würde ſich daher zu keinen ferneren Abtretungen verſtehen. Was Sachſen anlange, ſo hinge es von dem Könige von Preußen ab , ob er ſich mit einem Theile davon begnügen wolle. Wäre dies der Fall, ſo habe er nichts ba gegen, andernfalls aber ſei er verpflichtet demſelben die zur Geltend machung ſeiner Anſprüche verſprochene Unterſtüßung zu gewähren. In der am folgenden Tage ſtattfindenden Sißung erklärte Graf Raſumowffi: Rußland und Preußen wollten den Vertreter Frant reichs an dem Ausſchuffe, welcher zur Ordnung der noch nicht er ledigten Gebietsfragen niedergeſeßt ſei , theilnehmen laſſen , wenn Lord Caſtlereagh feine wiederholt geäußerte Anſicht zu Protokoll gebe , daß man die Entſcheidung der Frage, wie Breußen durch einen Theil Sadyfens befriedigt werden ſolle , von der Bereinigung der Mächte, und nicht von der Wiltür des Könige von Sachſen abhängig mache. Obichon demnad Rufland und Preußen hiermit ein ſehr bedeutendes Zugeſtändniß machten , welches noch weit über den obgedachten Vorſchlag des Kaiſers Franz hinausging, ſo fand Metternich doch eine ſolche Erklärung Caftlereagh's unthunlich. Caſtlereagh ließ ſich aber dadurch nicht abhalten zu verſprechen, daß er in der nächſten Sigung beſagte Erklärung abgeben wolle. Raſu mowſki bankte ihm nun für ſeine Bereitwilligkeit einen billigen Vergleich herbeizuführen in einer Weiſe, die für Metternich den deutlichen , obgleich nicht ausgeſprochenen Vorwurf entgegengeſegter Geſinnung enthielt.

Metternich,

dies recht wohl fühlend,

ſpielte

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jedoch den Unbefangenen und fragte ſcherzend: ob er ihm nicht auch etwas Angenehmes zu ſagen habe ? - was der Gefragte aber für eine paſſendere Gelegenheit fich vorbehielt. Man berieth hierauf über die polniſche Frage und über die Polen zu gebende Verfaſſung. Von dieſem Augenblicke an war die Gefahr beſeitigt, daß die beiden Parteien auf dem Congreſſe ihre verſchiedene Meinung mit Beide hatten den Waffen in der Hand geltend machen würden. alles aufgeboten die Gegenpartei durch Gründe und kriegeriſche Rüſtungen zu den gewünſchten Zugeſtändniſſen zu bewegen. Zum Kriege wollte es niemand , mit Ausnahme Wrede's, kommen laſſen, am wenigſten Rußland und Preußen. Jenes hatte, ſeitdem e8 ſider war feine Anſprüche auf Warſchau anerkannt zu ſehen , keine große Luſt für Preußen das Schwert zu ziehen . Dieſes trug Bedenken unter ſolchen Umſtänden, bloß um eine beſſere Grenze und vielleicht einige Quadratmeilen mehr zu erhalten , einen ſtärkeren , durch England mit Geld wohlverſehenen Feind zu bekämpfen, und ſich der Gefahr unverhältnißmäßigen Verluſtes auszuſetzen . Beide Parteien entſchloſſen ſich deshalb zu gegenſeitigen Zugeſtändniſſen, und hiermit verſchwand für Baiern die Hoffnung durch die Erwerbung von Mainz und heffiſcher, fowie Badiſcher Landſtriche die am linken Rheinufer liegende Pfalz mit ſeinem Hauptlande zu verbinden , den Südweſten Deutſchland dadurch von Norddeutſchland zu trennen und feinem Einfluſſe zu unterwerfen. Wie immer wenn Kleine fich in die Händel der Großen miſchen , hatte Baiern die Koſten des Ver gleich zu bezahlen , denn Rußland und Preußen , über Baierns Schüren der Zwietracht erbittert, ſchüßten nun um ſo eifriger Baden , Würtemberg und Heſſen gegen die von Baiern beanſpruch ten Gebietsabtretungen, und Deſterreich, beſtand darauf, daß daſſelbe die ihm abgetretenen Provinzen, ohne die verſprochene Entſchädigung zu erhalten, zurückerſtatte. Da es der Dienſte Baierns nicht mehr be durfte, ſo mächtigſte dern auch Frankreich

war es ganz wohl damit zufrieden, daß dieſer nach Preußen deutſche Staat nicht nur an Gebietsumfang verlor, ſon in der vom þauptlante getrennten Rheinpfalz einen gegen ſchwer zu vertheidigenden Landſtrich erhielt. Dhne Defter

reichs Şülfe war derſelbe nicht zu behaupten , dieſe Hülfe aber nur durch Fügſamkeit gegen deſſen Willen zu erlangen . Nachdem Caftlereagh in der Sißung vom 9. Jan. die hinſicht lich der Entſchädigung Preußens verlangte Erklärung zu Protokoll gegeben und Metternich nun zu ſeinem Leibweſen ſich in demſelben Sinne hatte ausſprechen müſſen,

verhandelte man über

die pol

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niſche Frage und namentlich über die Art , wie die Nationalität der Polen zu ſichern ſei . In der am 12. Jan. ſtattfindenden Sitzung dagegen war die Wiederherſtellung des preußiſchen Staats der Hauptgegenſtand der Verhandlungen , an welcher Talleyrand zum erſten Male theilnahm . Hardenberg überreichte einen von ihm ent worfenen Plan , in welchem er die nicht unter preußiſche Herrſchaft zurückgekehrte Bevölkerungszahl auf 3,411715 Seelen angab, und dafür Landſtriche mit 4,093629 Einwohner beanſpruchte, fobaß fich ein Ueberſchuß von 681914 Einwohner ergab. Unter den bean ſpruchten Ländern befand ſich jedoch das Königreich Sachſen mit einer Bevölkerung von 2,051240 Seelen , nicht als ob er gehofft hätte deſſen Einverleibung in Preußen nach dem bereits angenom menen Grundſaße von der Theilung Sachſens durchzuſeßen, ſondern weil er ſich überhaupt eines diesfallfigen Vorſchlags enthalten wollte. Nur aus dieſem Grunde war das ſchon zurüdgewieſene Anerbiet ben König von Sachſen am linken Rheinufer mit 700000 Unter thanen zu entſchädigen , wiederholt worden . 1) Eine an demſelben Tage verfaßte, Bolen betreffende Circular note übergab Lord Caftlereagh zwei Tage ſpäter. England , ſagte er darin , habe bisher den Wunſch geäußert, daß Bolen einen un abhängigen Staat bilde, welcher die drei Großmächte des Feſtlandes voneinander trenne . Da jedoch der Raifer von Rußland auf ſeinem Plane beſtehe aus den ihm zufallenden Theile des Großherzogthums Warſchau und den bereits ihm gehörenden polniſchen Provinzen ein mit ſeinem Reiche verbundenes Königreich zu bilden, und Deſterreich und Preußen , welche zunächſt betheiligt wären, aufgehört hätten da gegen Widerſpruch zu erheben , ſo beſchränke er ſich darauf hervor zuheben , wie nothwendig es zur Erhaltung der Ruhe ſei allen Einwohnern des ehemaligen Königreichs Polen eine volksthümliche Verwaltung ihrer Angelegenheiten zu gewähren . Geſchähe dies , ſo bliebe dem Prinz-Regenten nur noch zu wünſchen übrig , daß nicht Europas Unabhängigkeit durch die Vereinigung der Polen und Ruſſen zu einem mächtigen Reiche gefährdet werden möge , falls dieſes einſt einem ehrgeizigen , kriegeriſchen Fürſten zufale. Die drei Mächte , welche Polen einſt getheilt hatten , ver : ſprachen hierauf in ihren Denkſchriften , bezüglich vom 19. Jan., 30. Jan. und 21. Febr., die empfohlenen Maßregeln zu ergreifen. Der Kaiſer von Rußland äußerte zuerſt ſeine lebhafte Zufriedenheit

') Alüber , VII , 79 - 83. Flaſſan , I , 159.

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über die gerechten und freiſinnigen Grundfäße der engliſchen Note. Er theile dieſelben , denn ſeine Abſicht gehe ja nur bahin das Loos der Polen zu verbeſſern und ihre Volksthümlichkeit zu ſchüßen , fo weit dies mit dem neu zu befeſtigenden europäiſchen Gleichgewichte vereinbar fei . Wenn die Vereinigung eines Theiles des polniſchen Boltes mit ſeinem Reidye die ausgeſprochenen Beſorgniſſe überhaupt zu erregen vermöge, ſo würden ſie ja dadurch beſeitigt , daß dieſe Bereinigung durch das Band einer Verfaſſung bewirkt werde, und daß ſeine bisherige Handlungsweiſe auch für die Zukunft jeden Gedanken ausídließe, als ſtrebe er nach einem Uebergewichte. Erwägt man, daß Alexander während ſeiner Regierungszeit ſein Reich auf Koſten aller feiner Nachbarn über einen größern Flächen inhalt ausgedehnt, als die ehrgeizige Kaiſerin Katharina, daß Preußen, Schweden, Deſterreich, Berſien und die Türkei ihm Provinzen über laffen hatten , ſo muß man über die Unbefangenheit erſtaunen , mit welcher er ſeine Mäßigung lobt , mehr noch aber darüber, daß ihm dieſe Eroberungen nicht vorgehalten wurden . Die Wiederherſtellung des ehemaligen Polens , lautete die ruf fiſche Rote weiter , ſei unmöglici, allein die vertragsmäßige Feſt ſtellung des Looſes ſeiner Einwohner würde den Regierungen, denen ſie zugetheilt worden wären , die Anhänglichkeit derſelben fichern. Preußen begnügte fich fein Einverſtändniß mit den vorgeſchlagenen Verwaltungsmaßregeln zu erkennen zu geben. Deſterreich that dies zuletzt und fügte die Bemerkung hinzu, ſeine Bereitwilligkeit in dieſer Beziehung ſei um ſo mehr über jeden Zweifel erhaben , als es ja fogar ohne Bedauern die größten Opfer gebracht haben würde , um die Wiederherſtellung wirken. :)

des

ehemaligen Königreichs

Bolen

zu

be

Inzwiſchen waren die Unterhandlungen über Polen fortgelegt worden ohne zu dem gewünſchten Abſdyluſſe zu gelangen . Der vom Fürſten Czartoryſki gemachte abenteuerliche Antrag, bie drei Mächte follten den Einwohnern der zu dem ehemaligen polniſchen Reiche ge hörig geweſenen Provinzen einen völlig freien Handelsverkehr mit einander verſtatten , wurde natürlich zurüdgewieſen , und deſſen Un annehmbarkeit ſogar von ruſſiſcher Seite zugeſtanden. Nichtsbeſto weniger fuhr Czartoryſki fort dem Kaiſer Alexander über die pol niſchen Angelegenheiten Bericht zu erſtatten ; denn ſeine Entfernung hätte das Mißtrauen und die Unzufriedenheit der Polen erregt,

1 ) Klüber , IX , 40 - 51.

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deren Sympathien den ruſfiſchen Anſprüchen bisher jo nüglich ge worden waren. Wegen der Unterhandlungen ſelbſt aber wurde ein Ausſchuß niedergejeßt, in welchem Rußland burch Unſtett, Defter reich durch Barbier und þudeliſt, Preußen durch Stägemann , For dan und Zerboni vertreten war. Ueber die Frage , was Preußen vom Königreiche Sachfen zu ſeiner Entſchädigung erhalten ſolle, konnte man ſich noch nicht ver einigen , da Metternich Torgau und Leipzig dem Könige Friedrich Auguſt zu erhalten ſuchte. Um des Staifer8 von Rußland Einwilli gung hierzu zu erlangen , ſchlug er ihm vor von Tarnopol nur 200000 Einwohner an Deſterreich abzutreten , dagegen dem an Preußen zu überlaſſenden Theile vom Herzogthume Warſchau 200000 Seelen mehr hinzuzufügen. Dies Anerbieten wurde aber abgelehnt, und da auch Caſtlereagh ſich für die Abtretung Torgaus an Preußen ausſprads, ſo wies Kaiſer Franz ſeinen Miniſter des Neußern an nur darauf zu beſtehen , daß Leipzig ſächſiſch bleibe. 3n der nad längerer Unterbrechung am 28. 3an, wieder ſtatt findenden Sißung übergab nun Metternich eine Note, in welcher er diejenige Hardenberg's vom 29. Dec. beantwortete , und in Betreff der Wiederherſtellung Preußens Gegenvorſchläge machte. Dabei er klärte er : die Verſchiedenheit, welche zwiſchen den öſterreichiſchen Noten vom 22. Oct. und 11. Dec. obwalte , könne nicht mehr einen Gegenſtand der Erörterung bilden , da ſie, wie er ſich ſonderbarer weiſe ausdrücte, ihre hinreichende Erklärung in der Wendung fände, welche die Unterhandlungen ſeit dem zuerſt genannten Zeitpunkte ge nommen hätten. Jegt wo die Cabinete alles aufbieten müßten, um die legten Hinderniſſe zu beſeitigen , welche der von Europa erſehn ten Ruhe noch entgegenſtänden , wolle das öſterreichiſche nicht auf den peinlichen Charakter zurüdkommen, den ſeine Beſpredjungen mit einer befreundeten Macht gehabt hätten : Beſprechungen , ebenſo ver traulich in der Form , als von einem Geiſte der Verſöhnung durch weht , welcher nur in den Pflichten gegen die eigenen Völfer eine Grenze gefunden habe. Auf dieſe Weiſe erſparte ſich Metternich eine Erklärung über die plößliche Aenderung ſeiner das loos Sadyfens betreffenden Anſicht, da er eine ſolche in genügender Weiſe nicht zu geben vermochte, und ſuchte die Folgen ſeiner Doppelzüngigkeit gegen Rußland und Preußen zu beſeitigen . Dieſe Folgen waren allerdings noch unangenehm ſicht= bar , denn am 9. Jan. hatte der Kaiſer Alerander eine durch den Grafen Hardegg ihm überbrachte Einladung Metternich'8 zu einem Ball

>

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feſte mit den Worten zurückgewieſen: „ Hören Sie , Sie ſind Sol dat. Metternich hat mid der Unwahrheit geziehen ( in der Note Wenn meine Verhältniſſe es mir erlaubten , ſo vom 7. Nov.). wüfte ich, was zu thun ; aber jegt fann ich ihn nicht mehr ſehen ." Gegen andere Perſonen waren des Kaiſers Leußerungen über Metternich von der härteſten Art, und die Abweſenheit aller Kuſſen aus den Geſellſdaften des öſterreichiſchen Miniſters machte die zmi (den beiden Theilen herrſchende Spannung offenkundig. 1) In der Siķung vom 28. Jan , madyte Lord Caftlereagh einen Antrag auf Vergrößerung Hollands, welchen er ſchon früher anges fündigt hatte . Ueber Deſterreichs Gegenvorſd läge zur Wiederher ſtellung Preußens behielten ſich aber die Vertreter der übrigen Mächte ihre Erklärungen vor . Dieſen Gegenvorſchlägen war eine Note beigefügt , in welcher Metternich ſich in folgender Weiſe aus fprad ): Als die Monarchen im J. 1813 , ſich verbunden hätten , um an die Stelle der franzöſiſdien Eroberungspolitik einen dauerhaften, auf das Gleich gewicht der europäiſchen Mächte ſich ſtüßenden Frieden zu ſetzen, wären nur allgemeine Verabredungen in dieſem Sinne getroffen worden . Für Breußen habe man in den Verträgen von Kalijd und Teplity , für Deſterreich in denen von Reichenbad) und Teplitz das Jahr 1805 als Maßſtab ihrer Wie derherſtellung genommen , während wenn Deſterreich desgleichen Vortheils hätte theilhaftig werden ſollen , für diejes das Jahr 1794 als Diaßſtab hätte auf geſtellt werden müſſen , da es im I. 1805 infolge der bis dahin geführten Kriege icon Gebietsverluſte erlitten hatte . 2) Je mehr deſſen Kaiſer hierbei Mäßigung und ſeine Ueberzeugung bewieſen habe , daß er ein ſtarkes und unabhängiges Preußen als ein nothwendiges Gewicht in der Wagſdale be trachte, in welcher die Intereſſen Europas abgewogen würden , deſto weni ger ſei es vorauszuſehen geweſen , daß Preußens Wiederherſtellung auf eine die öſterreichiſche Monarchie geradezu benachtheiligende Weiſe beabſichtigt werden würde, nämlicy 1 ) Dadurc) , baß Deſterreich und Preußen ſich eine Theilung des Her zogthums Warſdau gefallen ließen , welche ſie einer militäriſchen Grenze nach dieſer Seite beraube ; 2) durch Sachſens Einverleibung in Preußen ; 3 ) durch Verſetzung des Königs von Sachſen an einen Ort, wo er von einer nichtdeutſchen Madít abhängig würde. Der erſte Punft jei wirklich eingetreten. Hinſichtlich des zweiten ſei zu bemerken , daß hierdurch ein Oeſterreich gefährdender Angriff ermöglicht

1 ) Pert , IV , 278. 2) 3m Frieden zu Lüneviđe vom 9. Febr. 1801 , welcher Kaiſer Franz für ſich und im Namen des deutichen Reichsabſchloß, trat derſelbe außer den deutſchen Reichsländern : Bel gien, den Breisgau, Mailand und Mantua ab, erhielt dagegen zwei Drittel des venetianiſchen Staates, Salzburg und Berd tesgaden , ſodaß es die bei der dritten Theilung Polens erhaltenen Landſtriche mitgerechnet 11976 Quadratmeilen , alſo 452 Quadratmeilen mehr, als früher beſaß. Da nun ſein länderumfang durch die zu Paris abgeſchloſſenen und zu Wien be ſtätigten Verträge auf 12207 Quadratmeilen ( 12,121) vermehrt wurde , ſo iſt die bezügliche Aeußerung Metternich's eine der vielen Verdrehun der Wahrheit , die er ſich Förde rung jeiner Abſichten erlaubte.

127 werde; hinſichtlich des dritten aber , daß dabei ſowol das Vertheidigungs fyftem Deſterreichs und Preußens, als auch Deutſchlands leiden würde. Bliebe der König von Sachſen in ſeinem Lande, ſo würde er zu Sad ſens Vertheidigung beitragen , nicht aber am Rheine unter fremdem Ein fluffe. Wie könne man glauben , daß er oder ſeine Nachfolger dort nicht jede günſtige Gelegenheit benußen würden, um das Land ihrer Bäter zurück zuerhalten ? Dieſe Rückſicht allein würde die Verſegung des Königs von Sachſen an jenen für das gemeinſame deutſche Vaterland ſo wichtigen Bunkt unzuläſſig machen , doch kämen noch alle diejenigen Gründe hinzu , welche den Kaiſer Franz bewogen hätten nach dem Wunſche der Mächte auf ſeine belgiſchen Beſiķungen zu Gunſten Hollands zu verzichten. Endlid dürfte im Intereſſe Oeſterreichs und Preußens die Schmälerung des ſächſiſchen Gebiets nicht ſo weit gehen , daß ſie dem Könige die Mittel einer guten Verwal tung entzöge. Ein ſolcher Stand der Dinge würde zu fortwährenden Ber widelungen und Ruheſtörungen führen. Aus dem beigefügten Plane erhelle aber , daß Preußen auf eine in jeder Beziehung zufriedenſtellende Weiſe wiederhergeſtellt werden könne ohne Sachſen des für ſein Beſtehen nöthi gen Umfanges zu berauben. Preußens Vortheil in militäriſcher Hinſidit werde vollſtändig gewahrt. Die Elblinie vervollftändige für daſſelbe ein unermeßliches Bolwerk , und wenn der Kaiſer darein willige, daß eine be nachbarte Macht, ſei ſie ihm auch noch ſo befreundet , in den Beſit von militäriſchen Punkten komme, welche geradezu einen Theil ſeines eigenen Vertheidigungsſyſtems bildeten , von Punkten , welche, falls er mit Preußen in Krieg gerathe , ebenſo viele Angriffspunkte gegen Deſterreich würden , ſo opfere er alle dieſe Rückſichten dem Wunſche auf der Welt neue Wirren zu erſparen und Preußen den Beweis zu liefern, daß er dem Gedanken nicht Raum gebe : es fönne die Freundſchaft , welche ihn mit demſelben verbinde, iemals enden . Preußens finanzielle Intereſſen ſtellten ſich nach den von ihm gemachten Vorſchlägen weit günſtiger dar, als ſie im I. 1805 geweſen wären. Es er lange die gewerbfleißigſten Unterthanen Deutſchlands und die wichtigſten andelslinien. Seine Wiederherſtellung hinſichtlich der Bevölkerungszahl ſei vollſtändig. Beſtritte man dies aber ja , ſo ſei er damit einverſtanden , daß die 400000 Seelen , welche der Kaiſer von Rußland an Oeſterreid, in dem tarnopoler Kreiſe zurüderſtatte, als Mittel dienten die noch fehlende Zahl zu ergänzen . An ihnen möge Letterer den Betrag fürzen , um welchen er Preußens Grenzen in Polen an der Warthe erweitere. Der Kaiſer habe nie nach Vergrößerungen geſtrebt, deren Maß das überſdyreite, was ganz Europa für unerläßlich halte, um der öſterreichiſchen Monarchie die für die Ruhe des Feſtlandes nothwendige Unabhängigkeit zu verleihen. Er verlange nicht mehr , als er hierzu im I. 1813 für erforderlich gehalten habe , wie ſehr auch ſeitdem die Lage der Dinge verändert ſei. Halte er es auch den Grundjägen einer geſunden Politik für nicht entſprechend , die Wiederherſter lurg der Staaten nur in ihrer Bevölkerungszahl zu ſuchen, ſo wolle er doch auf die Anſichten der Mächte eingehen , und zu der Wiederherſtellung eines befreundeten Staates ſogar Mittel anbieten , welche dieſen Zweck in Bezug auf Defterreid) erfüllen ſollten .“ Die Verluſte Preußens an polniſchen Ländern , an denjenigen Landſtrichen , welche es an Hannover und Weimar überlaffen , ſowie an den fränkiſden Stammlanden , welche Baiern behielt , waren in der beigefügten Berechnung auf 3,400065 Seelen angeſchlagen, und follten durdy eine Bevölkerungszahl von 3,466624 Seelen in Polen , im nordweſtlichen Deutſchland und in Sachſen ausgeglidhen werden

128

Die neue Grenze zwiſchen Sachſen und Preußen ſollte an der böb miſden Grenze vom rechten Ufer der Wittich beginnen, bis zu deren Mündung in die Neiße laufen , und , deren rechtes Ufer verfolgend, Görlig und ſein Weichbild an Saden überlaſſen , ſodann von Rothenburg , welches preußiſch würde , die Neiße abwärts über das Zeißholz und die gultauer Heide, zwiſchen Königswartha und Witti denau nach der dwarzen Elſter, Ortrand gegenüber, ihre Richtung nehmen , von da auf deren rechtem Ufer nach Elſterwerba, welches preußiſch würde , ſodann aber in einer Linie bis an die Elbe zwi ſchen Belgern und Torgau gezogen werden . An Preußen fiele die Straße von Torgau nach Eilenburg , von wo die Grenzlinie über Deligió und Landsberg das Gebiet von Salle erreichen würde . Gegen Thüringen folle die Saale die Grenze bilden, und gegen den Der Flächeninhalt neuſtädter Kreis Erfurt eingetauſcht werden. dieſer Landſtriche einſchließlich der Grafſchaft Henneberg betrüge 381 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von 782249 Seelen, mithin falle mehr als die Hälfte des Königreiche Sadjen , ſeinem Flächeninhalte nadı, an Preußen. 1) Diejenigen , welche für den Rönig von Sadjen Partei nabmen, wurden durch dieſen Theilungsvertrag äußerſt unangenehm über raſcht, da fte geglaubt hatten , Preußen werde ſich mit einem klei nern Theile Sachfens begnügen müſſen . England und Frankreich wurden angeklagt, daß fie zu dieſer Zerreißung Sachſens ihre Zu ſtimmung gegeben hätten. Einer ſolchen Theilung ſei ſogar eine völlige Vereinigung des Landes mit Preußen vorzuziehen geweſen , wofern Deſterreich ſeine Grenze ficher geſtellt hätte. In dieſer Weiſe äußer ten ſich namentlich der öſterreichiſche General Koller gegen den Kaiſer von Rußland, und der Erzherzog Palatin gegen die Großfürſtin Maria. Das öſterreichiſche Cabinet war jedoch weit entfernt dieſe Anſicht zu theilen, welche überhaupt nur inſofern aufrichtig war, als ſie den an Preußen abzutretenden Theil von Sachſen zu groß fand. • Der engliſche Staatsſecretär , welcher der Ankunft feines Stell vertreters in Wien , des perzog von Wellington , täglich entgegen fah ,

hatte

durch ſeine dringenden Vorſtellungen das öſterreichiſche

Cabinet bewogen annehmlichere Vorſtellungen in Bezug auf die Theilung Sachſens zu machen , denn ihm lag alles daran bei ſeiner Rückehr nach London in den Stand geſegt zu ſein dem Parlamente die endliche Erledigung der polniſch - fächſiſchen Angelegenheit anzuzeigen .

1) Alüber, VII , 83–95.

129

Deshalb war er eifrig bemüht Ruſland und Preußen zur Annahme der öſterreichiſchen Vorſchläge zu beſtimmen . Der Staiſer Alerander war auch theils wegen der ihm angeborenen Unbeſtändigkeit, theils weil er glaubte , Preußen werde durch ſeine rheiniſchen Provinzen in Abhängigkeit von England und Frankreich gerathen , und deshalb kein zuverläſſiger Bundesgenoſſe Rußlands ſein , unſdlüſſig ob er das preußiſde Cabinet, welches Metternich's Vorſchläge noch nicht genügend fand, ferner unterſtüşen folle. Gegen den Kronprinzen von Würtemberg äußerte er : „ 3m Grunde bin id meiner Ver pflichtungen gegen Breußen ledig , weil es an der Ver einigung gegen mid theilgenommen hat ( nämlich im De tober 1814 , wie er aus den ihm von Hardenberg mitgetheilten Schriftenwechſel erſehen hatte ) , aber ich werde ſie dennod er füllen . " Capodiſtrias, vorzüglich aber Neſſelrode in einer dem Kaiſer Alexander übergebenen Dentf (yrift waren bemüht geweſen denſelben zu Genehmigung der öſterreichiſchen Vorſchläge zu veranlaſſen . Stein dagegen ſuchte ihn in ſeiner bisherigen , Preußen günſtigen Hal tung zu beſtärken , und führte ſeine diesfallfigen Gründe in einer ihm überreichten Gegenſdrift in folgender Weiſe aus :

Die deutſchen Angelegenheiten betreffen entweder die Gebietsverände rungen oder die neuen Verfaſſungsformen , deren Schöpfung die Zerſtörung der älteren durch Feindesgewalt im I. 1806 nöthig macht. Die Gebietsveränderungen beruhen entweder auf unbedingten Verträgen mit Deſterreich , England , Preußen , Baiern , oder auf bedingten Verträgen , ba fich in den Abſchlüſſen mit den deutſden Fürſten , namentlich Würtem berg , Baden und Darmſtadt ein Vorbehalt findet, wonach ſie ſich verpflich ten in Abtretungen zu willigen, und eine Entſchädigung nur ſo weit, als ſie möglich ſei , verheißen wird, oder endlid wird darum nur nachgeſucht aus Rückſicht auf Paßlichkeit, auf Begünſtigungen , wie die Verſorgung des Kronprinzen von Würtemberg, die Vergrößerung von Weimar , Hoburg, Oldenburg , das Daſein des Hauſes Taxis. Es iſt zu beachten , daß die Möglichkeit zur Entſchädigung derer , welche nur ein bedingtes Recht haben, ſowie zu Vergrößerungen und Verſorgungen, für diejenigen , die ſich nur auf Paßlichkeit oder Schutz berufen können , ſich vermindert im Verhältniß des Umfanges desjenigen Theils von Sadiſen , welchen man deſſen ehemaligem Könige zum Geſchenk macht, und desjenigen Theils von Deutſchland, den man Belgien überläßt. Es entſteht alſo idon aus dieſem Grunde eine gemeinſame Rüdſicht darauf zu bringen , daß der Antheil des Königs von Sachſen möglichſt klein ausfalle, und es idjeint mir , daß mit Rückſicht auf die allgemeine Lage der Dinge ein Gebiet von 6–700000 Seelen alles iſt, was man einem Fürſten zubilligen kann , der keinen andern Anſpruch hat , als das Mitgefühl. Werden die fächſiſchen Angelegenheiten aus dieſem Geſichtspunkte geordí net, dann fönnen die Häuſer Würtemberg, Baden und Darmſtadt unange taſtet bleiben ; im entgegengeſegten Falle muß eines oder das andere dieſer 9 II.

130 Häuſer Opfer bringen , und das badiſche Haus wird einem Gebietsverluſte am meiſten ausgeſeßt ſein wegen ſeiner Lage , die es mit Baiern , Würtern berg und Darmſtadt in Berührung bringt, wegen ſeiner unverhältniſmäßigen Vergrößerung ſeit 1803 , der vollkommenen Nichtigkeit ſeines Hauptes , und der mangelnden Erbfolge. Geht man von der Annahme aus, daß hinrei chendes Gebiet zur Verfügung ſtehe, ſo befinden ſich die Anſprüche des Hauſes Weimar auf Vergrößerung in erſter Linie. Es hofft zu erhalten : 1) Erfurt und Blankenhain , 2) Fulda, 3) einige umídloffene Stüde von Sachſen, 4 ) Henneberg und einen Theil des neuſtädter Kreiſes , und verlangt 5) daß ſein demnächſtiges Nadifolgerecht auf einen Theil der Staaten der Albertiniſchen Linie ihm verbürgt, und , falls dieſer Theil an Breu Ben fällt , auf einen gleich werthen Gegenſtand übertragen werde. Dies Verlangen iſt gerecht und muß ausgeſprochen und in der Ver handlung über Sachſen unterſtützt werden . Preußen willigt in die Abtretung von Erfurt, Blankenhain , halb Fulda , da die andere Hälfte zu den Ausgleidungen mit Heſſen dienen muß. Die Grafſchaft Henneberg und der neuſtädter Kreis gehören zu Sachſen , und werden wahrſcheinlich deſſen Mönige zu Theil werden ; aber es wird vielleicht möglich ſein dem Hauſe Weimar ganz Fulda zu erhalten ,worüber ſich frei lich keine feſte Meinung haben läßt ohne eine allgemeine Ueberſicht der Ents chädigungen . Auch Baiern begehrt das Land Fulda gegen den Vortheil Preußens und Weimars, und Rußland wäre daher in der Lage beide gegen Baiern zu unterſtüßen . Der Herzog von Koburg hat ſich durch ſeine Anhänglichkeit an die gute Sache ſeit 1807 Napoleon's Verfolgung zugezogen , der ihn der durch Nuß land verſchafften Anwartſchaft auf einen Theil von Baireuth beraubt, meh rere Male mit Beraubung ſeiner alten Befißungen , ſelbſt init Erſchießung ſeines Bruders, des öſterreichiſchen Generals Herzog Ferdinand, bedroht hat. Der Herzog ſucht nach : 1) um Henneberg, 2) einen Theil von Neuſtadt, 3) den Theil des Würzburgiſchen zwiſchen Rodad und Main. Die beiden erſten Theile verbleiben wahrſcheinlich dem Könige von Sachſen, aber es iſt gerecht, daß Baiern , welches die unglüdliche Lage des Herzogs zur Erwerbung von Baireuth benußt hat, ihn durch den geforderten Theil von Würzburg entſchädige. Preußen und Hannover erhalten in Weſtfalen einen großen Theil der ihnen durch die Verträge zugeſicherten Abrundungen ; es bleibt daher wahr ſcheinlich für den Herzog von Oldenburg keine andere Abrundung übrig , als die Herrlichkeiten Kniphauſen und Jever. Der Kronprinz von Würtemberg hat ſeine Anſichten in der angeſchloſ ſenen , dem Kaiſer übergebenen Denkſchrift ausgeſprochen . Er wünſcht einen , feinen ausgezeichneten Talenten angemeſſenen Kreis der Thätigkeit und eine kleine Niederlaſſung, wo er für die Lebensdauer ſeines Vaters wohnen könne. Der erſte Gegenſtand ſteht in Verbindung mit der Kriegseinrichtung des Bundes und der Beſtimmung der Stadt Mainz. Man muß erwarten , daß dieſe entſchieden , 'jene vorgenommen werde , und dann die Plane des . Aronprinzen durch unmittelbare Unterhandlung mit dem Kaiſer Franz unter ftißen . Die Erhaltung des Mittelpunkts der deutſchen Poſten iſt ein Gegenſtand von ſehr großer Wichtigkeit , und das allgemeine Beſte erheiſcht so ſehr, als möglich die Rüdforderungen des Hauſes Taxis zu begünſtigen und zu unters ftügen , und außerdem auf Rüdgabe der Boften in Würzburg und ſchaffen

131 burg zu beftehen , welche das taxis'ſche Haus als Lehen befißt, und deren es ſoeben durch Baiern beraubt iſt. Nichts bleibt verfügbar , um dem Prinzen Eugen Beauharnais eine Niederlaſſung in Deutſchland zu geben , ſelbſt wenn eine ſolche Anordnung nicht auf die entſchiedenſte Weiſe durd, die öffentliche Meinung verabſcheut würde , welche die Ausſtattung eines franzöſiſchen Generals in Deutſchland, ſeine Theilnahme am Recht es zu regieren und in der Bundesverſammlung zu ſigen als einen Schimpf für die Nation und eine Beleidigung der National ehre betrachtet. Der Prinz Eugen Beauharnais gehört Italien und Baiern an. Letzteres verdankt ſeiner Verwandtſchaft einen großen Theil ſeiner Ver größerung. Es gebe ihm Domänen und Italien ein kleines Fürſtenthum , ſo wird er fidh einer glänzenden und einträglichen Stellung erfreuen für einen franzöſiſchen Edelmann , und für einen General , der die Sache des Unterdrückers der Menſchheit vertheidigt hat. Die Unterhandlungen über die deutſche Verfaſſungwerden in den Con ferenzen zwiſchen Oeſterreich, Preußen , Baiern , þannover und Würtemberg wieder aufgenommen werden. Ein den Wünſchen der deutſchen Fürſten mehr entſprechender Bundesplan iſt von Preußen verfaßt , und wird in kurzem vertraulich dem ruſfiſdhen Cabinet vorgelegt werden , welches infolge ſeiner bisießt ausgeſprochenen freiſinnigen Grundſätze ihn in ſeiner jevigen Geſtalt unterſtüßen wird. Rußland hat in den deutſchen Angelegenheiten als Grundſatz gehabt ein verfaſſungsmäßiges Bundesſyſtem zu unterſtüßen , welches die äußere Unabhängigkeit und die innere Ruhe ſichere, infolge deſſen das Recht des Krieges und Friedens , der Entſcheidung von Streitigkeiten der Fürſten und der Verbürgung der Landesverfaſſungen dem Bunde über tragen wird. Zum Sduze der Einzelnen müſſen Landſtände errichtet wer den , welche an der Beſteuerung und Geſeßgebung durch ihre Zuſtimmung theilnehmen , und die Verwaltungsbeamten überwachen . Die Rechte der Mediatiſirten , des Adels und ader Deutſchen müſſen feſtgeſet werden. Dieſen Grundſätzen gemäß hat das ruſſiſche Cabinet in der vertraulichen Note vom 11. Nov. 1814 gegen Deſterreidy und Preußen , und in der ſo eben am 31. Jan. 1815 dem Könige von Würtemberg übergebenen fich ausgeſprochen . Es bleibt noch übrig fid ) über die für Rußland räthlichſte Form der Einmiſchung in die deutſchen Angelegenheiten zu entſcheiden ; ſie wird ver chieden ſein bei ſeiner Theilnahme an den Landvertheilungen von derjenigen bei den Verfaſſungsangelegenheiten . Die Landvertheilungen gründen ſich auf die Verträge von Ried , Fulda, Frankfurt u . ſ. w . , welche Äußland mit unterzeichnet hat. Seine Theilnahme an allem , was ihre Ausführung be trifft , wird alſo geradezu ſein , während ſie nur beeinfluſſend und mittelbar ſein kann in den Verfaſſungsangelegenheiten, wenn Rußland vermeiden will, daß Frankreich audy theilzunehmen verſuche , und wenn es ſeine ſich bisher vorgezeichnete Linie innehalten will. Das holländiſche Anleihegeſchäft kann jeţt mit England verhandelt wer den. Deſſen Miniſter hat ſid ) zur Uebernahme von drei Millionen Pfund von den ruſſiſden , Öſterreichiſchen und preußiſchen Sculden bereit erklärt, ſofern die großen Angelegenheiten des Feſtlandes auf friedliche Weiſe er ledigt würden. Alles läßt ein ſolches Ende vorausſehen . Man kann darauf beſtehen , daß Lord Caftiereagh fick in die Sdlußunterhandlungen einlaſſe, und daß eine, obwol vortheilhafte, doch keineswegs große Angelegenheit er ledigt werde. Schwedens Verpflichtung Pommern an Dänemark abzu treten iſt ſo einleuchtend, das Zurückhalten ſo ungerecht, daß das Ende dieſes politiſchen Skandals nicht genug beſchleunigt werden kann.“ 1)

1 ) Berg , IV , 288 - 294.

9*

132 Während Stein in ſeinen früheren Denkſchriften Preußents An ſprüche auf Sachſen aus Gründen des Rechts verfochten hatte , machte er in der vorſtehenden den Kaiſer Alerander darauf aufmerkſam , daß bevor Preußen8 Wiederherſtellung nidit geſichert ſei, von der dem Kaiſer am Herzen liegenden Begünſtigung einiger kleinen Staa ten nicht die Rede ſein könne. Am meiſten war dies hinſichtlich Oldenburgs und Weimars der Fal. Mit dem erſtern war er durch Blutsverwandtſchaft, mit dem lektern durch Schwägerſchaft verbunden . Wie konnte Preußen zugemuthet werden an beide Für ſten Landſtriche zu überlaſſen , bevor es nicht ſelbſt durch die ihm überwieſenen länder wenigſtens die Bevölkerungszahl vom Jahre 1806 wieder erreicht hatte ! Wünſchte alſo Alexander das Gebiet ihm verwandter Fürſten zu vergrößern, ſo mußte er Preußens Be friedigung zuvor durdyfeßen. Soldie Rüdſichten trugen in Wien weit mehr zur Entſcheidung bei , als die ſchlagendſten Rechtsgründe, und beſtimmten vornehmlich den Kaiſer Alexander Preußen nach wie vor in ſeinen Anſprüchen auf Sadiſen zu unterſtüßen. Nach der am 3. Febr. erfolgten Ankunft des Herzogs von Wel lington verdoppelte Lord Caſtlereagh ſeine Anſtrengungen zwiſchen beiden Parteien einen Vergleich über die endgültige Grenze zu Stande zu bringen, welche den an Preußen abzutretenden Theil Sachſens von bem dem Könige von Sadyſen verbleibenden ſcheiden ſollte. Das als Handelsſtadt ſo wichtige Leipzig, welches Preußen beanſpruchte, während die Gegenpartei verlangte, daß es fädyfiſch bleibe , war das Haupt hinderniß für eine Uebereinkunft , nad der ſich übrigens alle Be theiligten um ſo mehr ſehnten , als die noch übrigen Meinungsver dyiebenheiten der Mühe und Roſten nidyt werth ſchienen , welche länger fortgeſeşte Unterhandlungen zur nothwendigen Folge hatten. Zu den großen Summen , welche alle Großmächte aufwenden muß ten , um ihre zahlreichen Heere in ſchlagfertigem Stande zu erhalten, famen für Deſterreich die Millionen hinzn , welche die in Wien ver imelten Fürſten und Staatsmänner dem Kaiſer Franz koſteten ; audy war deffen Meinung in Ludwig XVIII. einen mächtigen Bun= desgenoſſen zu beſißen durch die Nadridyten mehr als zweifelhaft geworden , welche Fouché über die Unſicherheit der Bourboniſchen Herrſchaft an Metternich gelangen ließ . Alle Länder waren übri gens erſchöpft, und eines Zuſtandes müde , der faſt ebenſo viele Geldopfer foſtete, als der eben beendigte Krieg , und um ſo uner träglicher erſchien , als man von der Nothwendigkeit ſeiner Fortbauer fich nicht überzeugen konnte.

133

Der Raiſer von Rußland , welcher alle ſeine eigenen Forderungen durchgefegt hatte, wünſchte ebenfalls eine Beendigung der Congreß verhandlungen , und rieth dem preußiſchen Staatskanzler ſich mit dem Vertreter Englands zu verſtändigen , bevor er die Note Deſter reiche und deſſen Theilungsplan beantworte. Bei den zwiſchen bei den nun ſtattfindenden Unterhandlungen vereinigte man ſich bald über die Beſtimmung der Grenze zwiſchen Belgien und Deutſchland. Für die Beſißungen des Hauſes Oranien in Deutſchland , welche an Preu Ben überwieſen wurden , erhielt jenes das Herzogthum Luxemburg zugeſagt , wie dies audy ſdon in dem öſterreichiſchen Vertheilungs plane vorgeſchlagen worden war. Auch die Grenze zwiſchen Naſſau und dem preußiſchen Herzogthume Berg wurde unter Stein's Mitwirkung dahin verabredet, daß Naſſau gegen einen Landſtrich zwiſchen der Sieg und Lahn mit 60000 Einwohnern die oraniſchen Fürſtenthümer Dieß , Hadamar und Dillenburg eintauſche, nachdem dieſelben an Preußen abgetreten worden wären. Allein über Leip zig , welches Caſtlereagh für den König von Sachſen verlangte , da ihm dies im Intereſſe des engliſchen Handels zu ſein ſchien, konnte man ſich nicht einigen. Am 5. Febr. hatte der engliſche Staatsſecretär eine Unterredung mit dem Könige von Preußen , welche, obwol ziemlich ſtürmiſch ver laufend, doch erfolglos endete, und vielleicht einen zeitweiligen Brudi der Unterhandlung herbeigeführt hätte , wenn nicht der Kaiſer von Rußland nach einer kurzen Beſpredjung mit Caftlereagh ſich bereit erklärt hätte Thorn an Preußen zu überlaſſen , wofern dieſes ſeinen Anſpruch auf Leipzig fallen ließe, wodurch endlich eine Verſtändigung herbeigeführt wurde. Als ſich die Nothwendigkeit herausſtellte, daß Preußen ſich mit einem Theile des Königreiche Sadijen begnüge , warf König Friedrich Wilhelm ſeinem Staatskanzler in äußerſt ungnädigen Ausbrücken vor , wie unbedachtfam er bei der preußiſchen Beſeßung Sachſens verfahren ſei. ,, Ich

hab's

immer gejagt " ,

rief er Hardenberg in ſeiner

eigenthümlichen Redeweiſe zu , daß es ein voreiliger Sdritt fei , haben aber alle klüger ſein wollen. Nun iſt die Pro ſtitution fertig , wenn man wieder abziehen muß. Ge dieht gar nichts Kluges mehr , foll aber alles ſo au8 ſeh n .“ Hardenberg ſuchte ſein Verfahren zu rechtfertigen , ſein erzürnter

134 König

hörte

ihn

aber

gar

nicht an . )

Es war ein

Glüc für

ihn , daß Friedrid Wilhelm , weil er Breußens Wiederherſtellung in der erſtrebten Weiſe für geſichert hielt , ihn ſchon in Paris für ſeine diplomatiſchen Dienſte in den Fürſtenſtand erhoben und mit der Herrſchaft Neuhardenberg ausgeſtattet hatte. Wäre dies nicht bereits geſchehen geweſen , ſo würde es bei der veränderten Anſicht des Nönigs über die Leiſtungen ſeines Staatskanzlers wol nicht erfolgt Daſſelbe iſt hinſichtlich des in gleicher Weiſe belohnten ſein . Feldmarſchalls Wrede anzunehmen. Wären , bevor er in den Fürſten ſtand erhoben wurde , die Folgen des zwiſchen ihm und Metternich am 3. Juni 1814 zu Paris abgeſchloffenen Vertrags ſdyon einge treten geweſen , welche Baiern der wichtigſten Beſtimmung des Ver trags von Ried beraubten, nämlich daß es nur gegen völlige Entſchä digung zu Gebietsabtretungen ſich zu verſtehen brauche, ſo würde er ſich ſo glänzender Gunſtbezeugungen ſchwerlich zu rühmen gehabt ha ben , die wol zum Theil auch darin ihren Grund hatten , daß der König von Baiern es dem Kaiſer von Deſterreich und dem Könige von Preußen in Belohnungen, welche ſeine Souveränetät bekundeten , gleich zu thun wünſchte. Da Preußen nun ſeinen Anſpruch auf das ganze Königreich Sachſen fallen ließ , und auch auf Leipzig nicht mehr beſtand, ſo verſprady Caſtlereagh die von Hardenberg als unerläßlich dargeſtellte Vergrößerung des von Metternich als an Preußen fallenden Theiles von Sachſen zu unterſtüßen. Er erklärte ſich auch bereit zur Er leidyterung eines Vergleich an den von Preußen an þannover ab zutretenden 300000 Einwohnern 50000 nachzulaffen und die Be völkerung des niederländiſchen rechten Maasufers ebenfalls um 50000 zu beſchränken , damit hierdurch diejenige der preußiſchen Rheinprovinz auf 1,100000 Menſchen gebracht werde. Die Aus foließung Preußens dom rechten Maasufer durch einen ſchmalen etwa 1000 rheinländiſche Ruthen breiten Landſtreifen unter niederländiſcher Hoheit iſt übrigens eine Grenzbeſtimmung, wie ſie ſonſt wol nir gends weiter vorkommt. Der Vorwand , daß dies aus militäriſchen Rüdſichten geſchehe, war, ungeađitet er auf das Gutachten des Hers zog von Wellington fich ſtüşte, welcher, wie dies ſpäter mit noch einem andern Beiſpiele gezeigt werden wird , aus Parteilichkeit Un glaubliches leiſtete, ganz unhaltbar. Denn die Lebensfähigkeit des neugeſchaffenen Königreiche der Niederlande beruhte lediglich auf der

1) Graf Noftiz, Leben und Briefwechſel, S. 165.

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Vorausſeßung, daß daſſelbe in ſtetem Bündniſſe mit Deutſchland et waige Angriffe der Franzoſen zurüdweiſen könne . Der ausſchließliche Befiß der Maas wurde den Niederländern nur aus engherzigen Rücfichten für deren Handel verſchafft, damit Preußen dieſer Waſſer ſtraße ſich nicht bedienen könnte, vielmehr jene biefelbe allein aus beuteten . Selbſt der niederländiſche Geſandte von Gagern geſtand, daß es eine ungemeine Nachgiebigkeit von Seiten des preußiſchen Hofes gegen England ſei den Niederlanden eine derartige Grenze zu bewilligen , welche er weder in geographiſcher noch ſtatiſtiſcher Hin ſicht zu verlangen ſich getraut haben würde. Der preußiſche Staatskanzler verzichtete für Preußen aber ebenſo unbedenklich auf das rechte Maasufer , als er dies früher hinſichtlich der Mündung der Ems, ſowie der unvergleichlichen Nordfeehäfen Oſtfrieslands und deſſen ungern aus dem preußiſchen Staatsverbande ſcheidender Bevölkerung gethan hatte. Für ſo herrlich gelegene Ge bietsſtüde hatte er nur das allgemeine Verſprechen der Wiederher ſtellung des preußiſchen Staats in das Machtverhältniß von 1806, ſowie färgliche Geldunterſtügung eingetauſcht. Gleichwol waren bei Abſchluß des Bündniffes die Verhältniffe ſo , daß Englands Ver treter daſſelbe ohne verſprochene Gebietsabtretung hätte bewilligen müffen , zumal ſdjon damals die baldige ſtaatliche Trennung Hanno vers von Großbritannien entſchieden war , und Caſtlereagh nie ge wagt haben würde es vor dem Parlamente zu verantworten , wenn er aus dynaſtiſchem Intereſſe das für die glückliche Beendigung des Kriegs unerläßliche Bündniß mit Preußen verzögert und benachthei Ueberall wo Hardenberg Verträge abſchloß : zu Kalifds, ligt hätte. Reichenbach, Tepliß und Paris verzichtete dieſer leichtfertige Staat8= mann auf weite und reiche Länderſtreden , welche der andere Theil genau bezeichnete, gegen das nebelhafte Verſprechen einer Entſchädi gung ohne beſtimmte Angabe der Länder , durch welche ſie geleiſtet werden ſollte; und wenn Friedrich Wilhelm , wie der Freiherr von Gagern berichtet , in Wien ſeinem Staatskanzler unmuthig zurief : „ Es iſt leicht Miniſter zu ſein , wenn man alles bewil ligt !" ſo war der hierin liegende Vorwurf nur zu ſehr verdient. Auch zu Wien nody würde Hardenberg die Maas als Grenze für Preußen ſicherlich haben erlangen können , denn der Kaiſer von Rußland/ war ſehr übel auf das oraniſche Haus zu ſprechen , und zwar aus mancherlei Gründen. Als nämlich der Feldzug von 1812 eine für Rußland günſtige Wendung nahm , hatte Alerander feinem Verwandten dem Herzoge

136 von Oldenburg den Beſit von Holland oder Hannover in Ausſicht geſtellt. Dieſes ſein Stammland wollte ſehr begreiflicherweiſe das engliſche Königshaus nidyt aufgeben , obgleid, das engliſche Bolt die mit den deutſchen Erblanden beſtehende Verbindung ſeines Königs ſehr ungern fah. Hollands Erwerbung verhinderte die Volkøerhebung zu Gunſten des Prinzen von Oranien im November 1813. Hierzu kam , daß Leşterer wegen des Wunſches ſeinem Sohne dem Erb prinzen eine öſterreichiſche Erzherzogin zur Gemahlin zu geben , auf Alexander's Entgegenkommen in Bezug auf eine Vermählung ſeiner Schweſter Anna mit dem lettern , die erſt im Jahre 1816 erfolgte, nicht eingegangen war. Die Parteilichkeit der engliſchen Staats männer bei allen auch noch ſo unbilligen Forderungen der oraniſdien Bevollmächtigten war übrigens um ſo überraſchender, als die von ihnen urſprünglich beabſichtigte eheliche Verbindung des Erbprinzen von Oranien mit der Prinzeſſin Charlotte , der Tochter und muth maßlichen Thronfolgerin des Prinz - Regenten von England , an der Die Erwartungen , Weigerung der Legtern bereits geſcheitert war. welche ſie, ungewarnt durch geſchichtliche Erfahrung, auf das von ihnen ins Leben gerufene Königreich der Niederlande ſekten , werden ſtets zum Beweiſe dienen , wie übel berathen das engliſche Cabinet in jener verhängnißvollen Zeit geweſen iſt. Nur wenn ſie mit größerer Umſicht für eine den beſtehenden Verhältniſſen angemeſſene Verfaſſung des neuen Königreichs und zugleich für eine ſtarke militäriſche Grenze Deutſch lande geſorgt hätten , wäre ein günſtiges Ergebniß zu hoffen geweſen . Die Begehrlichkeit des Prinzen von Oranien , welchem die Laune des Glüde plöblich ein Königreich beſcherte, war aber ſo groß , daß als derſelbe die Verzichtleiſtung auf ſeine unbedeutenden deutſchen Beſißungen ungebührlich hoch anſclug er forberte auch Aachen und Köln — , felbft feine eifrigen engliſchen Freunde befremdet aus riefen : ,, Guter Gott , man kann alſo niemanden zufriedenſtellen, möge man ihn auch noch ſo reichlich bedenken ! Man kann doch nicht das Heil und die Ruhe Europas für 100000 Seelen aufopfern , weil jemand aus beſonderer Zuneigung fich nicht von ihnen trennen wilt!" So ließ denn der Abkömmling der niederländiſchen Erbſtatthalter, die jo oft unter den Willen der Generalſtaaten fich hatten beugen müſſen , es fidy endlich gefallen , daß aus den niederländiſchen Pro vinzen , dem öſterreichiſchen Belgien nebſt Limburg , dem Bisthume

Lüttich und einem Theile des weſtfäliſchen Streifes, ſowie den Abteien Stablo und Malmedy das Königreich der Niederlande für ihn zu ſammengeſchweißt wurde,

während

man ihm für

ſeine

deutſchen

137 Stammländer das Großherzogthum Luxemburg gewährte , als deſſen Beſißer er zum deutſchen Bunde trat und deſſen Hauptſtadt er zur Bundesfeftung machen ließ. 1) An Hannover überließ Preußen : Hildesheim , Goslar , Oſt friesland , Meppen , die niedere Grafichaft lingen und einen Theil des Eichsfeldes, wogegen es nur das Herzogthum Lauen burg erhielt. Nad Ordnung dieſer Gebietsfragen überreichte þardenberg in der am 8. Febr. ſtattfindenden Sißung ſeine Antwortsnote nebſt Gegenplan. Mit den vom Fürſten Metternid; aufgeſtellten allgemei Dann nen politiſchen Grundfäßen erklärte er ſich einverſtanden . hob er hervor , daß Preußen , weit entfernt Vergrößerungsſucht zu zeigen, vielmehr in allen Bunkten, welche für ſeine Wiederherſtellung nicht unerläßlich wären , nachgegeben habe. Die Preußens Wiederherſtellung betreffenden Verträge beſtimmten nicht bloß , daß dieſelbe, wie man fich höchſt unbeſtimmt ausgedrüdt habe, „ in jeder Beziehung paſſend ſei“, ſondern „ Preußend Wiederherſtellung folle ſo geſchehen , daß fie deſſen ſtatiſtiſchen , geographiſchen und finanziel len Verhältniſſen vor 1806 entſpreche, wobei hinſicht lich der von der preußiſchen Monarchie wiedererworbenen Provinzen ein folder Zuſammenhang , eine fol dhe Abrun dung zu wahren ſei , wie ſie zur Bildung eines unab hängigen Staates nothwendig wären “ . Obidon die Erwerbung von ganz Sachfen das einzige Mittel fei der preußiſchen Monarchie den Zuſammenhang und die Abrun dung zu gewähren , welche die Verträge ihr verbürgten , obſchon Sach ſens Zerſtüdelung für dieſes fowol , als für Preußen äußerſt nach theilig fei , fo 'wolle Preußen dennoch ſeine Einwilligung dazu geben, daß der König von Sachſen einen Theil ſeiner Staaten wiedererhalte ; es erwarte jedoch nun auch, daß man ihm diefes Opfer durch Geneh migung der hinſichtlich des Theilungsplanes von ihm geforderten Ab änderungen erleidytere. Ohne darauf eingehen zu wollen , 06 Deſterreich die Wieder erlangung alles beſſen hätte fordern können , was es vor der fran

zöſiſchen Kevolution beſeſſen , bedränke er ſich auf die Bemerkung, daß die Abrundung, welche Defterreich durch Venedig erhalten habe, ihm weit mehr Stärke verleihe , als die entfernten belgiſchen und Die beigefügte Berechnung A beweiſe, daß idywäbiſden Länder.

' ) o. Gagern , II , 106 - 109 , 123,

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Deſterreich , abgeſehen von dem Bevölkerungsüberſchuſſe feiner jünge ren Linien im Betrage von 1,027864 Einwohnern , 733476 Ein wohner gegen den Stand von 1805 gewinne . Preußen dagegen ſei damals wegen beſſer geſchloſſener Grenzen in beſſerem Vertheidigungs ſtande geweſen , als es fünftig der Fall ſein werde, wo es auf der endloſen Strede vom Niemen bis zur Maas Beſigungen , welche von dem übrigen Staatskörper getrennt wären und den vierten Theil deſſelben ausmachen , beſchützen müſſe. Da Preußens Beſit von Sachſen keine Deſterreich gefähr dende Veränderung geweſen ſein würde, ſo hätte des Königs von Sachſen Verſeßung nach Italien oder Weſtfalen jedem Uebelſtande abgeholfen. Da er nun aber einen Theil ſeines Landes behalten fole , ſo müſſe dieſer zwar die nöthigen Mittel zur Verwaltung be ſigen , allein wenn der an Preußen fallende Theil , abgeſehen von einigen Bezirken nur ſandige , mit Wald und Moraſt angefüllte Striche enthielte, ohne Handel , Fabriken und Gewerbfleiß, ſo würde deſſen Bevölkerung die Trennung von demjenigen Theile des Landes, welcher dies alles beſige, nicht verſchmerzen . Sachſen habe 744 Qua dratmeilen mit 2,038173 Einwohnern ; mithin würden , wenn Breu ßen auf ſeinen Antheil nur 723380 Einwohner erhielte, dem König reiche Sachſen 1,314337 Einwohner verbleiben , und dort auf die Quadratmeile 3660 , auf eine Quadratmeile des preußiſchen Antheils aber nur 1946 Seelen kommen . Die beigefügte Ueberſicht B beweiſe außerdem , daß von 28 Städten mit einer Bevölkerung von 4000 bis 55000 Einwohnern 20 mit 198294 Einwohnern zu Sachſen, 8 mit nur 42727 Einwohnern zu Preußen gehören würden . Leipzig ſei in verſchiedener Hinſicht für Preußen wichtig. Zuvörderſt wegen der öffentlichen Meinung , denn eine der ſächſiſden Hauptſtädte, zu deren Eroberung Preußen ſo viel beigetragen habe , müſſe wenigſtens dem von letzterem erworbenen Theile Sachſens verbleiben . Sodann wegen des militäriſchen Ge ſichtspunktes, denn die großen Verbindungswege der preußiſchen Monarchie führen durch dieſe Stadt. Endlich wegen des Handels, welcher von dem Augenblice an , wo Leipzig der Marktplag der preußiſchen Erzeugniſſe würde, nur gewinnen könnte. Durch freiſin nige Verabredungen fönnte jede Befürchtung, daß unter preußijder Herrſchaft der Handel des Auslandes leiden würde, beſeitigt werden. Erwäge man dies alles , ſo ſei die Behauptung der öſterreichiſchen Note , daß bei Annahme ihrer Vorſchläge die finanziellen Intereſſen

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Preußens beſſer geſtellt ſein würden , ſchwerlich zu erweiſen , vielmehr das Gegentheil als dargethan zu betrachten. Die Ueberſicht C beweiſe , daß der öſterreichiſche Plan überdies einen Ausfall von 264311 Einwohnern , welche Preußen mindeſtens nod zu fordern habe , nidyt bede. Auch verhinderten die darin gebotenen militäriſchen Vortheile nicht, daß Preußen durch die koſt ſpielige und ſchwierige Vertheidigung der ihm am Rhein zugedachten Beſigungen eigentlich ſchwächer werde, als es vorher geweſen . Es nehme jene länder nur des allgemeinen Beſtens wegen in ſeine Dihut, und ſei bereit auf ſie zu verzichten , wenn man ihm ganz Sadijen zuſichere, oder jene entlegenen Beſigungen gegen andere, felbſt weniger be trächtliche, welche mit der übrigen Monarchie ein geſchloſſenes Ganze bildeten , vertauſchen wolle. Wie der Beſiß der Elblinie übrigens als Deſterreich bedrohend , oder wie er als zu deffen Vertheidigungs fyſteme gehörend angeſehen werden könne , ſei unbegreiflich; daß er dagegen für die Vertheidigung Preußens unerläßlich ſei , ergebe der Augenſchein. Endlich habe der Saiſer von Rußland ſeinen Entſchluß zu erkennen gegeben von den im Herzogthume Warſchau angenomme nen Grenzen nicht abzugeben , nur die Stadt Thorn nebſt Umkreis wolle er zur Erleichterung eines allgemeinen Vergleiche an Preußen abtreten . Der rüdſichtlich des tarnopoler Streifes von Deſterreich gemachte Vorſchlag wurde zurücgewieſen , dagegen das Anerbieten Englands und Rußlands angenommen , und dabei erklärt, wie der König von Preußen ſeine Erkenntlichkeit dafür durch die Bereitwilligkeit zu jebem , mit dem Wohle ſeines Landes vereinbarlichen Opfer be weiſe , beſtünde es ſelbſt darin , daß er nun der Zerſtüdelung Sachſens, die er demſelben gern erſpart hätte , fich nicht weiter widerfeße , und auf Leipzig verzichte. Dagegen müſſe der König darauf beharren , daß das , was in der beigefügten Ueberſicht D auf geführt ſei , dem preußiſchen Antheile noch zugefügt werde. Der König von Sachſen behalte demnach eine Bevölkerung von 1,182868 Seelen , während Preußen nur 855305 erhielte. Damit die Uebereinkunft zwiſchen Preußert, Heſſen und þannover verwirklicht werde , ſei ferner nothwendig , daß Preußen die Hälfte von Fulda erhalte, während die andere Hälfte vom Raiſer von Ruß land für Weimar beanſprucht werde , welchem außerdem nody 50000 Seelen von Seiten Preußens zugeſichert feien . Preußen · Lehnte endlich die Ueberweiſung mittelbarer Unterthanen für ſeinen Antheil ab ,

und bezog ſich für die Gerechtigkeit ſeiner

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Forderung auf die beigefügte Ueberſicht E , wonach es nur 41630 Einwohner mehr erhalte, als es früher beſeſſen habe. Metternich, welcher es unräthlich fand den von Caſtlereagh ge billigten preußiſchen Vergleichsvorſchlag zu bemängeln , erwiderte , daß er die Erklärung der preußiſchen Bevollmächtigten ſeinem Kaiſer vor legen wolle, und nicht daran zweifle, daß derſelbe ſie genehmigen werde. Unter dieſen Umſtänden war man darüber einverſtanden, die Gebietsfragen ſeien nun ſo weit gediehen , daß zu ihrer Erlebi gung ein Ausſchuß niedergeſeßt werden könne , um die gemeinſchaftlich zu unterzeichnenden Urkunden vorzubereiten . Es wurde ein ſolcher audy unverzüglich ernannt, und zwar dergeſtalt, daß England durch Clan = carty und Münſter, Preußen durch Humboldt und Fordan , Rußland durdy Capodiſtrias, Frankreich durch Labesnardière, Defterreich durch pudeliſt und Waden vertreten ſein folte . In der folgenden Siķung am 10. Febr. erklärte Metternich, daß Kaiſer Franz den von Hardenberg vorgelegten Plan zur Wiederher ſtellung des preußiſchen Staates genehmige. Somit hatten denn endlich die Großmädyte fich über die polniſche und fächſiſche Frage in der Hauptſache geeinigt. Zufrieden biefen wichtigen Erfolg dem Parlamente anzeigen zu fönnen , reifte Lord Caftlereagh von Wien ab und überließ dem Herzoge von Wellington England bei Erlebis gung der noch zu ordnenden minder wichtigen Fragen zu vertreten . Waren auch noch nicht alle Gebietsverhältniffe geordnet, namentlich nicht die Entſchädigung feſtgeſtellt, welche Baiern für die Rücgabe der von Oeſterreich an daſſelbe abgetretenen Provinzen beanſpruchte, ſo war doch mit Beſtimmtheit vorauszuſehen , daß ſogar die Nicht beachtung derartiger Anſprüche eine Friedensſtörung nicht herbeifüh ren könnte , denn Baiern hatte nicht die Macht ſeine Forderung mit den Waffen in der Hand geltend zu machen. Die in Wien verliehenen Rangerhöhungen beſchränkten ſich nicht auf folche, welche durch die Natur der Dinge geboten waren , wie die Anerkennung der dem Prinzen von Oranien verliehenen nieder ländiſchen Königskrone , ſondern fanden auch da ſtatt, wo der bis herige Titel dem wirklichen Machtverhältniffe beſſer entſprochen hätte. So wurden in den Sißungen , zu welchen die Vertreter der fünf Großmächte ſich vereinigten , die Anträge der Herzöge von Sachſen Weimar , von Medlenburg - Sdwerin und Medlenburg - Streliß auf Anerkennung des von ihnen anzunehmenden großherzoglichen Titel: Dem herzoglichen Hauſe Oldenburg wurde der Bluts genehmigt. verwandtſchaft wegen , in welcher es mit dem ruſſiſchen Kaiſerhauſe

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ſtand , der großherzogliche Titel , ohne daß darum nachgeſucht worden war , bewilligt. Herzog Peter von Oldenburg , durch patriarchalifdhe Regententugenden ausgezeichnet, legte hierauf ſo wenig Werth , daß er von der Rangerhöhung keinen Gebrauch machte; erſt ſein Nach folger nahm ben großherzoglichen Titel an . Der weimariſche Hof dankte ſeine Rangerhöhung der Verfdwägerung mit Rußland.

Daf

ſelbe Verhältniß zu Preußen und England war die Veranlaſſung, daß die beiden medlenburgiſchen Häuſer den großherzoglichen Titel erhielten. 1) 1) Klüber, VII , 25 — 34 .

Dritter Abſchnitt.

Berhandlungen über die Deutſchland zu gebende Bundesverfaſſung. Solange die Großmächte durch die Ordnung der Gebietsverhält niffe in zwei Parteien geſpalten waren , und Deſterreich wie Preußen durch ihr verſchiedenes Intereffe bewogen wurden eine feindliche Hal tung gegeneinander einzunehmen , verſtand es ſich von ſelbſt, daß die Frage über die Natur des Bundesverhältniſſes, welches die deutſchen Staaten fortan dauernd vereinigen ſollte , unentſchieden blieb. Nur durch einiges Zuſammenwirken Deſterreichs und Preußens hätten die großen Sdwierigkeiten überwunden werden können , welche in der Abneigung einiger deutſchen Fürſten lagen zu Gunſten eines ſolchen Bundes in eine Beſchränkung ihrer von Napoleon erhaltenen Sou veränetät zu willigen. Leider aber waren Deſterreich und Preußen mehr über das einig , wovon man bei einer neuen ſtaatlichen Geſtaltung Deutſchlands abſehen wollte, als über das , worin deren Weſen zu beſtehen habe. Ihre Meinungsverſchiedenheit entſprang der Neben buhlerſchaft um den Einfluß, welchen ſie auf die kleineren Staaten auszu : üben ſtrebten. Hierin und in dem dadurch ſo wirkſam gemachten Be mühen der leşteren eine mehr ſcheinbare, als wirkliche Selbſtändigkeit zu behaupten , liegen die Urſachen , weshalb der deutſche Bund , als er endlich zu Stande fam , ſo wenig den gehegten Erwartungen des deutſchen Bolfe entſprady, daß ſelbſt keiner der Staatsmän ner , welche ſeine Saßungen entworfen hatten , bei deren Veröffent lichung das Werk zu loben wagte. Mehrere hielten es ſogar für nothwendig ſidy deshalb ausdrüdlich zu rechtfertigen. Metternich , der eigentliche Urheber dieſes in der Geſchichte der Staatsverfaſſungen bei

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ſpiellos baftehenden Werkes, war der einzige Staatsmann , welcher im Stillen ſich über daſſelbe freute , da er vermittelſt deſſelben Deutſch land weit beſſer in der Botmäßigkeit Deſterreichs zu erhalten hoffte, als dies den deutſchen Kaiſern des öſterreichiſchen Hauſes ſeit Jahr hunderten mit Hülfe der Reichsverfaſſung gelungen war. Als man in Wien zur Stiftung des deutſchen Bundes zuſammen trat , war durch die feit Jahr und Tag unter den Verbündeten ab geſchloſſenen Verträge dafür geſorgt , daß nur ein Staatenbund und kein Bundesſtaat ins Leben gerufen werden konnte. Ein kurzer Rück blick auf die betreffenden Ereigniſſe wird dies außer Zweifel ſeben. Fürſt Kutuſow hatte zwar in ſeinem zu Kalifdy erlaſſenen Auf rufe im Namen des Raiſers von Rußland und des Königs von Preußen den Fürſten und Völkern Deutſdlands zur Wiedergeburt des ehrwürdigen Reichs mächtigen Sduß und dauernde Gewähr ver heißen , allein hiermit war nur bezweckt worden die deutſchen Stämme zum Kampfe gegen Napoleon zu begeiſtern, welcher als ſogenannter Schirmherr des Rheinbundes ſie als ſeine Kriegsknechte behandelte, und dadurch die Sehnſucht nach der verlorenen Unabhängigkeit und ſtaatlichen Bedeutung Deutſchlands in ihnen wady gerufen hatte. Die Urheber jenes verheißungsvollen Aufrufes kannten ja die Urſachen, aus denen das deutſche Kaiſerthum vor ihren Augen zuſammenge brochen war , und Preußen wollte nur im äußerſten Falle es ge ſtatten , daß das lothringiſch - habsburgiſde Saus die deutſche Staiſer krone mit den Kronen ſeiner Erbländer wieder vereinige . Dennoch hatte man in jenen Ausdrücken die Wiedergeburt des alten Reichs, alſo des deutſden Kaiſerreidys dem deutſchen Bolfe als Siegespreis gezeigt , weil man eben kein paſſenderes und verſtändlicheres Symbol für die Vereinigung der deutſchen Stämme und für den erſehnten Wiedereintritt Deutſchlands in die Reihe der europäiſchen Staaten kannte, es auc, unbedenklid fand Hoffnungen zu erregen , nid )t um fie zu erfüllen , ſondern um ſie auszubeuten. Schon zu

Anfang

des Jahres

1813 war bei den Verſuchen

Deſterreich zu bewegen , dem Bunde Rußlands und Preußens gegen Frankreich beizutreten, von der fünftigen ſtaatlichen Geſtaltung Deutſd lands die Rede geweſen , und man war darüber einverſtanden , daß eine Wiederherſtellung des ehemaligen deutſchen Reichs nicht ſtattfin = den ſolle. In Bezug auf Preußen war fie don deshalb nidst denf= bar , weil demſelben in Kaliſch für ſeine an Rußland überlaſſenen polniſden Provinzen nicht nur vollſtändige Entſdjädigung durch deutſche Länder , ſondern auch die Erwerbung aller in Norddeutſchland zu

144 machenden Eroberungen , mit alleiniger Ausnahme der Erbländer des welfiſchen Hauſes , verſprochen worden war . Was Deſterreich betraf, fo hatte es bei ſeinen Bemühungen Napoleon's Einwilligung zur Auflöſung des Rheinbundes zu erlangen ſtets nur von der anzuer kennenden Unabhängigkeit der deutſchen Staaten, nie von der Wie derherſtellung des alten Reichsverbandes geſprochen. Auch war dieſe Unabhängigkeit der deutſchen Staaten eine der Bedingungen, unter welchen es , nachdem ſeine Vermittelung zwiſchen den Verbün deten und Frankreich mißglüct war , den erſteren ſich anſchloß. Die deshalb ftattgefundenen vorläufigen Verabredungen wurden in dem Vertrage zu Teplik in die endgültige Form gebracht, doch iſt wenig mehr, als derjenige Theil dieſes Vertrage, welcher ſich auf die Betrie gung Napoleon's bezieht, bekannt geworden. Die ausbebungene Unab hängigkeit der deutſchen Staaten ſchloß die Wiederherſtellung der deutſchen Reichsverfaſſung mit einem Naiſer an der Spiße ſchon von ſelbſt aus , allein Deſterreich verzichtete auf die Wiederannahme der deutſchen Kaiſerkrone auch noch ausdrücklich, wie dies aus den betreffen = den Congreſverhandlungen erhellt. England hätte zwar dem Kaiſer von Deſterreich die Erfüllung dieſer Zuſage gern erlaſſen, keineswegs aber Rußland , welches allem entgegen war , was die Macht des benach barten Deſterreichs vermehren konnte , denn in ihm erblidte es den Hauptgegner ſeiner Pläne auf die Türkei. lleber Preußens Anſichten hinſichtlich der Kaiſerwürde berichtet Freiherr von Gagern, deſſen Zeugniß ebenſo viel äußere , als innere Glaubwürdigkeit hat , in folgender Weiſe : Preußen wollte die Kaiſerwürde nicht mehr. Es wollte ſie nicht als Hülfsmittel und Gewicht in Deſterreichs Hand ohne Aequivalent für fich ſelbſt, und es wollte ſie nicht als ein bloßes Nichts. Man hatte zu viel Verſtand, um ſolche Nichtigkeit, ſolche permanente Rolle des Úngehorſams, ben ſteten Widerſpruch angelobter Heeresfolge und willkürlicher Abberufung, kurz die lange Agonie von Kaiſer und Reich zu verlängern .“ 1) Dem Raiſer von Deſterreich aber konnte ebenfalls an dem leeren Titel eines deutſchen Kaiſers nichts liegen , ſelbſt wenn er mit Ge wißheit hätte darauf zählen können , daß die Wahl der ſtimmberech tigten Fürſten ſtets nur ſein eigenes Haus treffen werde. Die im Jahre 1740 erfolgte Wahl des Kurfürſten von Baiern unter dem Namen Karl': VII. zum deutſchen Kaiſer hatte jedod das Gegen theil bewieſen , und bei der Möglichkeit, daß ein ſolcher mit Deſter reichs äußern und innern Verhältniſſen unverträglicher Fall ſid er neuere , zog er eß vor auf die Wiederherſtellung dieſer nicht mehr ") 0, Gagern , II , 197.

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zeitgemäßen Würde zu verzichten .

So gering auch ferner ſeit dem

weſtfäliſchen Frieden die Mittel der kaiſerlichen Macht geweſen waren , welche die Erzſtifter, Stifter und kleineren reichsunmittelbaren Stände geliefert hatten , ſo waren doch mit dem Aufhören dieſer ſtaatlichen Einrichtungen ſogar jene geringen Mittel verloren gegangen , und zwar für immer , denn eine Wiederherſtellung der aufgehobenen Einrichtungen war unmöglich. Da endlich bei der Macht und Geſinnung Preußens und dem Unabhängigkeitsſtreben der übrigen deutſchen Für ften keine nocy fo beſchränkte Raiſergewalt mehr denkbar war, fo ver ſtändigten ſich die beiden deutſchen Großmächte, als ſie ſich gegen Napoleon verbanden, ohne Sdwierigkeit darüber, daß die Wie derherſtellung des Raiſerthums zu unterbleiben habe. Dagegen kam zwiſchen ihnen gleich vom Anfange an der Plan zur Sprache: Deſterreich folle die leitung von Süddeutſchland, Breußen diejenige von Norddeutſchland übernehmen , ein Blan , welchen der Kaiſer Alexander auf Anrathen des Freiherrn vom Stein vorgeſchlagen hatte, um ſo die Anſprüche beider Mädyte auf ihren Einfluß in Deutſchland friedlich auszugleichen. Es war dies ein Beweis freundſchaftlicher Theilnahme , den Alexander um ſo unbedenklicher geben konnte, als eine ſolche Uebereinkunft ſchon öfters angeregt worden, und audy ohne ihn in Vorſchlag gekommen wäre, die Schwierigkeit ſie durchzuführen aber einen Erfolg nicht eben wahr ſcheinlich machte. Ihre Verwirklichung würde Rußland in der That, als ſeinen Intereſſe entgegen , zu verhindern geſucht haben , denn die Politik eines erobernden Staates iſt: durch Theilung zu herr ſchen , und Rußland hat, ſeit es mit den europäiſchen Staaten in regeren Verkehr getreten iſt, mehr Erobungen gemacht, als irgendein anderer Staat; es ſtrebt das Teſtament Peter's des Großen zu verwirklichen , welches ihm die Aufgabe ſtellt : die Weltherrſchaft an ſich zu reißen . Dem preußiſchen Cabinete würde dagegen eine ſolche liebereinkunft äußerſt erwünſcht geweſen ſein , denn ſeine neuere Politit hatte ſtets dies Ziel im Auge gehabt, und dies durch Stiftung des Fürſten bundes ( 1785 ) , durch Verabredung der Demarcationslinie im Frieden zu Baſel ( 1795) und durch ſeine Bemühungen einen norddeutſchen Bund dem Rheinbunde gegenüberzuſtellen (1806) bethätigt. Durch das ſcheinbare Eingehen auf Alexander's Vorſchlag be wirkte der ſchlaue öſterreichiſche Miniſter des Aeußern , daß der preußiſche Staatskanzler ſeinen Freundſchaftsverſicherungen ein vor eiliges Vertrauen ſchenkte. Hardenberg begnügte ſich mit der münde lichen Zuſage Metterniche, daß Deſterreich nöthigenfalls in die Ver II. 10

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einigung des Königreiche Sachſen mit Preußen einwilligen werde, um dieſes für ſeine Verluſte zu entſchädigen , und geſtattete, worauf es dem öſterreichiſchen Cabinete hauptſächlich ankam , daß dieſes mit den ſüddeutſchen Staaten wegen ihres Anſchluſſes an die Verbünde ten die erforderlichen Verträge abſchließe, während Preußen dieſelbe Aufgabe in Norddeutſchland löſe. Hardenberg überſah dabei, daß kein mit irgendeinem Rheinbund ſtaate abzuſchließender Vertrag fowol für Deſterreich, als Preußen von ſolcher Wichtigkeit ſei, als der mit Baiern abzuſchließende, denn dieſes befand ſich im Beſite von ehemals öſterreichiſchen und preußi fchen Provinzen, und der Gedanke lag nahe, daß Metternich geneigt fein werde ihm den Fortbeſig der leşteren zu verſprechen , wofern es nur in die Zurückgabe der erſteren willige. Der Vertrag von Ried beurkandete denn auch des öſterreichiſchen Cabinets wahre Ge ſinnungen hinſichtlich der innern Verfaſſung Deutſchlands. Für die verſprochene Herſtellung der durc Napoleon's Machtſpruch geänder ten Grenzen zwiſchen Deſterreich und Baiern wurde dieſem völlige Unabhängigkeit von jedem fremden Einfluß und Fortbeſitz der Stammlande des preußiſchen Königshauſes zugeſichert. Von einem Verſprechen Baierns aber fich politiſchen Einrichtungen zu unter werfen , welche die fünftige ſtaatliche Geſtaltung Deutſchlands erfor dern würde , war nicht die Rede , denn alles , was in dieſer Be ziehung zwiſchen Deſterreich und Preußen erörtert worden war, hielt Metternich nur dem preußiſchen Vortheile entſprechend. Er war daher bemüht der Verwirklichung derartiger 3deen bei Zeiten vor zubeugen. Den Verträgen der übrigen Rheinbundfürſten war zwar die Beſtimmung beigefügt , daß fie beim fünftigen Frieden alle für die Unabhängigkeit und Freiheit Deutſchlands nöthigen Einrichtungen zu genehmigen hätten , bod konnte dieſe allgemeine Beſtimmung unter beſagten Umſtänden und bei der fonſtigen Faſſung der Verträge kaum auf etwas anderes bezogen werden, als auf ihnen angeſonnene Abtretungen von Landftridhen ; und wäre dies aud nicht der Fall geweſen , ſo war toch Baierns Verhältniß zur neuen ſtaatlichen Ge ſtaltung Deutſd lands für dasjenige der übrigen kleineren deutſchen Staaten maßgebend. Allein derartige, vieldeutige Ausdrüde wurden gewählt, um in dem preußiſchen Staatskanzler den Glauben zu er halten , daß das öſterreichiſche Cabinet noch an Einrichtungen denke, weldje darauf berechnet wären den eigenen Einfluß auf Deutſchland mit Preußen zu theilen . Hätte Hardenberg die Sache gründlicher erwogen , ſo würde er

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es nicht eben wahrſcheinlich gefunden haben , daß Deſterreich ſeinen Einfluß auf Deutſchland mit Preußen freiwillig theilen werde, während e$ hoffen durfte demſelben ohne eine ſolche Uebereinkunft ungetheilt zu beſißen , theils wegen ſeiner weitüberwiegenden Macht, theils wegen der Beſorgniß der kleineren deutſden Fürſten : Preußen werde , burch bisherige Erfolge ermuntert , der Verſuchung nicht widerſtehen ſein ſo wenig geſchloſſenes Gebiet durch Einverleibung benad barter Staaten gelegentlich abzurunden. Für Preußen erſchien dies Streben als politiſche Nothwendigkeit, hingegen war Deſterreich ein in ſich abgeſchloſſener Staat , der zur Behauptung ſeiner Groß= Es hatte zwar machtſtellung keiner Gebietsvergrößerung bedurfte. einſt zwei Mal verſucht, Würtemberg fich anzueignen und vier Mal danach geſtrebt mit Gewalt oder lleberredung Baiern ſeinem Ge biete einzuverleiben ? ) , allein in dem Scheitern dieſer Verſuche dien die Bürgſchaft zu liegen , daß ſie wol nicht erneuert werden , oder doch ebenfalls wieder mißglüden würden . Preußen jedoch hatte ſo

gar auf Deſterreiche Koſten ſeine Grenzen erweitert , beanſpruchte das ganze Königreich Sachſen als Entſchädigung für abgetretene Provinzen , und ichien aus allen dieſen Gründen die gefährlichere Macht, namentlid für Norddeutſchland , wozu eigentlich nur die Fürſtenhäuſer Baierns, Würtembergs und Badens nicht zählten . Da die Verſtärkung der beiden deutſchen Großmächte durch ver faſſungsmäßige Sicherung ihres Einfluſſes bezüglich in Nord- und Süddeutſchland übrigens weder im Intereſſe. Rußlands, nody des in England herrſchenden hannöverſchen Hauſes lag , deſſen Mannega ſtamm durch die Erbfolgeordnung in vorausſichtlich kurzer Zeit auf ſeine deutſchen Stammlande befdıränkt blieb , ſo wurde von den 1 ) Würtemberg wurde von Defterreich zum erſten Male von 1520-34 nach Vers treibung des Herzog8 Ulrich in Beſig genommen und als öſterreichiſche Provinz behandelt ; zum zweiten Male während der Regierungszeit Eberhard'8 III . von 1634-38. Baiern mit Deſterreich zu vereinigen wurde unter dem Surfürſten Rarl Theodor drei Mal verſucht 1778, 1783 und 1794. Im Jahre 1778 wurde Rarl Theodor, welcher ungern aus der Pfalz nach Baiern überſiedelte, zu Abtretung des größten Theils von Baiern dadurch bes ftimmt, daß Kaiſer Joſeph deſſen unehelichen Sohn zum Reichsfürften von Breßenheim ers hob und ihn ſowie deſſen vier Schweſtern reich auszuſtatten verſprach. Friedrich II. hin derte die Verwirklichung des bereits abgeſchloſſenen Vertrags durch den baierfchen Erbfolge krieg i den zweiten Berſuch aber, wo die öſterreichiſchen Niederlande unter Erhebung zu einem Königreich Burgund als Tauſchgegenſtand angeboten waren , durch Stiftung des Fürſtens bundes. Der dritte Tauſchverſuch, unter denſelben Bedingungen vom baierſchen Geſandten Baron Reichlin mit dem öſterreichiſchen Staatskanzler Thugut beſprochen , ſoll nach der von Deſterreich abſichtlich verloren gegebenen Schlacht von Fleurüs durch die Hinrichtung Robes pierre'8 , welcher in dieſen Tauſch gewilligt habe , verhindert worden ſein . Der vierte Verſuch den König Mar I. zur Abtretung Baierns gegen Mailand zu bes wegen geſchah während des wiener Congreſſes, was ſpäter ausführlidher noch erwähnt wer den wird. 10 *

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verbündeten Großmächten wie früher in Brag, fo in Chaumont und in Bari& feftgefeßt, daß Deutſchland aus unabhängigen , durch ein unauflösliches Bündniß vereinigten Staaten be ftehen folle. Stein übergab ſchon in Chaumont dem Rathe der Ver bündeten einen Entwurf für Deutſchlands fünftige Verfaſſung, und wies dabei darauf hin , daß deſſen Staaten deshalb nöthigen Beſchränkun gen ihrer Souveränetät fich unterwerfen müßten, weil ſie zum Theil dieſe Verpflichtung in ihren Anſchlußverträgen eingegangen ſeien , und die Verbündeten doch nur unter dieſer Bedingung deren politiſches Da ſein genehmigen würden . Allein dieſe Auffaſſung der Verhältniſſe entſprach nur Stein's perſönlichem Wunſche, nicht demjenigen der be ſtimmenden Kreiſe. Hätte Metternich die Anſichten und Wünſche Stein'8 getheilt, ſo würde er nicht Baierns unbeſchränkte Souverä netät im Vertrage zu Ried mit größter Beſtimmtheit anerkannt, und damit etwaige von den übrigen kleineren Staaten Deutſchlands in dieſer Beziehung erlangte Zugeſtändniſſe erfolglos gemacht haben, denn was man Baiern zugeſtand, konnte man ihnen nicht verweigern . Von allen Großmächten war es nur Preußen , dem daran lag, daß Deutſch land bundesſtaatliche Einrichtungen befam , weil es mit ihrer Şülfe ſeinen Einfluß auf daſſelbe und damit ſeine Macht zu erweitern hoffte. Nach Stein's zu Chaumont überreichtem Entwurfe einer deutſchen Bundesverfaſſung ſollte das Directorium des deutſchen Bundes aus Deſterreich, Preußen , Hannover und Baiern beſtehen , mit der Be rechtigung: den Bundestag zu leiten , die von demſelben gegebenen Geſeße auszuführen , die Verfaſſung und Rechtspflege, die auswär tigen Verhältniſſe, ſowie die der einzelnen deutſchen Staaten und der Fürſten und Unterthanen zueinander zu beaufſichtigen , Krieg und Frieden zu ſchließen , ſowie für Aufrechthaltung der getroffenen Kriegseinrichtungen zu ſorgen . Zu ſeiner Verfügung ſollten die Zölle des Rheins und der äußern Grenzen ſtehen , während alle Binnenzolle und Einfuhrverbote wegfielen. Die Bundesverſamm : lung würde aus Abgeordneten der Fürſten und Hanſeſtädte, denen Abgeordnete der Provinzialſtände hinzuzufügen wären , be ſtehen. Dieſe Abgeordneten ohne diplomatiſchen Charakter würden durch jährliches Ausſcheiden eines Fünftel alle fünf Jahre erneuert werden. ) Die übrigen Beſtimmungen fielen mit denjenigen des von Stein und dem Grafen Solms - Laubad ſpäter ausgearbeiteten Verfaſſungsentwurfs zuſammen , welcher vom preußiſchen Staatskanz 2) Berg, Dentſchriften des Miniſters Freiherrn vom Stein über deutſche Verfaſſungen , S.14.

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ler noch vor der Eröffnung des Congreſſes am 13. Sept. in Baden bei Wien dem Fürſten Metternich mitgetheilt wurde. Doch enthielt jener frühere Entwurf weder den Vorſchlag , Deutſchland in Kreiſe einzutheilen und zwei Bundesrathsverſammlungen zu bilden, nody die Beſtimmung, daß Oeſterreich und Preußen nur mit einem Theile ihrer deutſchen Beſigungen dem Bunde beitreten ſollten, auch war nur in legterem der Gedanke ausgeſprochen : die Niederlande und die Schweiz möchten mit Deutſchland in ein beſtän diges Bundesverhältniß treten. Die Schweiz, welche damals bereits einen Staatenbund von 19 kleinen ſelbſtherrliden Republiken bildete , die man noch mit einigen zu vermehren gedachte, konnte aber füglich nicht mit einigen dreißig monarchiſch regierten Staaten dauernd verbunden werden . Es wäre dies bei dem Zwecke des Bundes, der nicht blos auf Ver theidigung gegen äußere Feinde , ſondern auch auf gegenſeitige Ge währleiſtung der beſtehenden Regierungsverhältniſſe gerichtet war, ein abenteuerlicher Gedanke geweſen deſſen Ausführbarkeit zu er proben man glüdlicherweiſe unterließ ; denn wie konnten dieſelben Staatsmänner republikaniſde Regierungsgrundfäße in der Schweiz aufrecht erhalten , welche ſie im benachbarten Deutſchland als ver brecheriſch verdammten ? Dagegen wäre der Anſchluß der Niederlande an Deutſdland für beide Theile ſehr vortheilhaft geweſen. Die Niederlande hätten an Deutſchland den unentbehrlichen Schuß gegen wiedererwachende Eins verleibungegelüſte des benachbarten Frankreichs, Deutſchland dagegen in den Niederlanden einen anſehnlichen Stamm für eine Kriegsflotte gefunden, deren es zur Vertheidigung ſeiner wehrloſen Küſten und Handelsſchiffe dringend bedurfte. Was früher ſchon zuſammengehört, hätte ein auf gegenſeitigen Vortheil ſich ſtüşender Bund dauernd wiedervereint. Daß dieſer Vorſchlag weder bei dem öſterreichiſchen , noch bei dem niederländiſchen Cabinete die verdiente Berückſichtigung fand , auch vom preußiſchen Staatskanzler nicht kräftiger vertreten wurde , macht der Urtheilskraft der betreffenden deutſchen Staats männer keine Ehre . Weshalb Metternid, nicht darauf einging , iſt unbekannt geblieben, doch darf man vermuthen, der Grund habe darin gelegen , daß er geringen Vortheil von niederländiſden und nord deutſchen Kriegsſchiffen erwartete , da jene , wie dieſe zunächſt zum Schuße der eigenen Küſten gedient hätten , und Deſterreiche italie niſche Beſißungen nicht zum deutſchen Bunde gehörten. Auch mochte er die Aufnahme eines jo bedeutenden Staates wie die Niederlande

150 in den Bund deshalb fürchten , weil die von ihm dem Bunde zuge dachte Beſtimmung einer Oberpolizeianſtalt für Deutſchland ſich ſchwerlich mit einer freien Verfaſſung , wie ſie in den Niederlanden galt und ſeit Jahrhunderten im Volksleben Wurzel geſchlagen hatte, England , deſſen Einfluß auf die Nieder vertragen haben würde. lande durch deren Beitritt zum deutſchen Bunde beſeitigt zu werden brohte , war natürlich dem Plane durchaus entgegen. Der Freiherr von Gagern hat in ſeinen Aufzeichnungen über den wiener Congreß dafür geſorgt , daß er als derjenige erſcheint, deffen engherzige Anſichten nicht wenig dazu beitrugen , daß dieſe für Deutſchland und die Niederlande gleich erſprießliche Verbindung nidht einmal in reifliche Erwägung gezogen wurde. Bei der neuen Geſtaltung Deutſchlands und der Nieder lande " ſchreibt er - ,, kam ihr engeres Verhältniß und Band unaufhaltſam zur Sprache. Åles war auf das Materielle, auf dieſe Hülfe, auf dieſen Bund berechnet. Aber nun das Formelle ? Maximilian I. und Karl V. hatten unſtreitig Abſichten , als ſie 1512 auf dem Reichstage zu Köln und 1548 durch den burgundiſchen Vertrag die burgundiſchen Lande als den zehnten Kreis wieder in den Reichsverband aufnehmen ließen, loderer jedody, als die andern . Und als die proteſtantiſchen Niederlande von aller fremden Abhängigkeit ſich losriſſen , blieben doch die katholiſchen noch ſo verbunden . Der Aufruf: Burgund!, die Matrikel, der Gebrauch zeigt es . Åber vergeblich ſprach der Friede zu Osnabrück in §. 8, n . 3, de redinte grandis circulis , redimendis statibus exemtis. Und in Buder's Reper torium oder dem beſten alphabetiſchen Resumé unſeres Staatsrechts heißt es (T. I , art. Burgund, S. 458 ) : « Es ſcheint von der jedesmaligen Con venienz abzuhängen , bei vorkommendem Falle ben burgundiſchen Kreis mehr oder weniger für ein Reichsland zu halten .» " Lag hierin nicht eine geſchichtliche Warnung es ja nicht zu verſäumen das Bundesverhältniß mit dem ſchützenden Deutſchland recht feſt zu be gründen , und es nicht den Deutungen kurzſichtiger Staatsmänner zu überlaſſen , ob dieſe im Augenblicke der Gefahr es rathjam hielten ein Bundesverhältniß, welches zur Hülfeleiſtung verpflichte, anzuerkennen ? Hatten fdjon jene beiden deutſchen Kaiſer zu einer Zeit, wo Frankreichs Kraft, noch bei weitem nicht ſo auf einem Punkte vereinigt, ſeinen Nach barn gefährlid) war, als in den folgenden Jahrhunderten, Deutſchlands Scut für die Niederlande als nothwendig betrachtet, ſodaß ſie dieſelben in den Reichsverband wieder aufnahmen, ſo hätten die niederländiſchen Staatsmänner zur Zeit des wiener Congreſſes noch weit eifriger auf Herſtellung eines ſchütenden Bundesverhältniſſes bedacht ſein ſollen. Bei dieſer Reſtauration der Niederlande nun " fährt Gagern fort ,,war es nicht vorauszuſehen , wer etwa Deutſchlands Wortführer ſein , wer die alte heorie aufwärmen un etwa nachdridlich behaupten würde : « Wer ſo ſehr des deutſchen Schußes, der deutſchen Kraft und Eintracht be

151 dürfe, gehöre am beſten und einfachſten zu dem Verbande felbſt mit allem Gewinn und Verluſt.» Und jene Säße, geſteigert und gerechtfertigt durch die Thatſachen, durch die deutſche, und beſonders die brandenburgiſche Tapferkeit, wären ſchwer zu widerlegen geweſen . Auf ſolchen Zuſtand war auch die Weite mei ner Inſtructionen gerichtet. Man war an ſich nicht ſehr abgeneigt, ließ es aber von anderer Vorgang abhängen . Die deutſche Dulcinea fand jedoch jenen kräftigen Ritter und Vertreter nicht. Nur der erſte preußiſche Plan der deutſchen Bundesverfaſſung enthielt wörtlich, aber ohne Unterſtügung und Folge : « Es iſt in Vorſchlag gekommen Belgien , und womöglich die ganze Niederlande in den deutſchen Bund einzuziehen. Die Idee ſcheint vortrefflich ! Dann müßte man aus dieſen län dern ben burgundiſchen Kreis bilden und dem Fürſten der Niederlande eine ſelbſtändige Bereisoberſtenſtelle geben .» Die ganze Frage war mir und meinen Einleitungen gleichſam allein überlaffen . Mir ſchien weder das alte Reich ſo liebenswürdig und achtbar, noch die neuen Machinationen ſo einladend, daß den Niederlanden , beſon ders dem holländiſchen Theile damit ein beſonderer Dienſt und Gefallen ge than würde. Weder an Dänemark , noch an die Schweiz unter ähnlichen Verhältniſſen geſchah die Anmuthung , viel weniger äußerten ſie das Ver langen . Nur Holſtein trat wieder in ſeine alten Verhältniffe . Sa was noch mehr iſt, ſo freigebig war man mit altem deutſchen Land , ſo gleichgültig, daß man das Land des Bisthums Baſel an die Cantone Bern und Baſel überließ . Mit Recht. Daß es dem deutſchen Land und Unterthanen wohl und nach Wunſch gehe , iſt des Deutſchen vernünftigſter Wunſch. Unſer Grenzſyſtem war niemals ſehr geſchloſſen. ') Id überlegte ferner bas Koſt ſpielige des niederländiſchen Feſtungsbaues , und wie verwickelt, wie theuer, wie läſtig die Frage, der Vertheidigung und Unterhaltung dieſer Feſtungen werden möchte, wenn ſie ſämmtlich zum deutſchen Bunde zählten. Daher opinirte ich' weder für die gänzliche Verbindung , noch für die gänzliche Šonderung, und die Verhältniſſe , die Anſichten anderer, das Beiſpiel Däne marks kamen nach und nach dieſem Syſteme zu Statten. Die weſentlichen Zwede des Bundes , des Zuſammenſeins, der Verpflichtung zur Vertheidi gung von Luxemburg , des Austauſches der Ideen und Anſichten , der Mit wiſſenſchaft, des Einfluſſes und der Beredung wurden dadurch jaſt ebenſo vollſtändig erreicht. Alsdann erfüllte idh damit eine andere Pflicht des naſ ſauiſchen Erbvereins. Denn Lucemburg war demnach ein reiches Aequiva lent. Darum ließ ich den 67. Artikel ſo faſſen , der vielleicht mehr wie Die Möglichkeit einer die Spuren der Pflicht und Behutſamkeit trägt. eines andern Erbganges, wenn nämlich der oraniſche Mannsſtamm aus ſtürbe, bleibt allerdings. Der Fall ſcheint entfernt ; ſoûte er aber wider Er warten näher kommen , ſo mögen andere Hausverträge, oder Völkerverträge dem abhelfen.“ 2) Wie ein fonſt einſichtsvoller Staatsmann , zumal bei ſo richtigen Vorderfäßen zu ſo unrichtigen Schlußfäßen gelangen konnte, iſt nur dadurch erklärlich, daß er dem vermeintlichen Intereſſe des oraniſchen 1) Um eine geſchloſſene Grenze zu erhalten, wurde dieſer durch die Schweiz von Deutſch land getrennte Landftrich , in welchem die franzöſiſche Sprache die herrſchende iſt, der Schweiz überlaſſen , da deſſen Vertheidigung gegen Frankreich bei der geographiſchen Lage taum möglich ſchien . 2) v. Gagern , II , 190—194.

)

152

Hauſes, dem ſtolzen Wahne einer , der feſten Grundlage entbehren den Selbſtherrlichkeit das Wohl und die Sicherheit des von ihm vertretenen Landes nadlegte. Weil Dänemark und die Schweiz, welche von den Franzoſen , ſelbſt als dieſe e8 gekonnt hätten , nie ihrem Reiche einverleiht worden waren , des deutſchen Schußes und Bündniſſes nicht zu bedürfen glaubten , und zu legterem nicht hinzuge zogen wurden, war ihm dies auch für die Niederlande maßgebend, welche doch durch deutſche Waffen erſt vom franzöſiſchen Foche befreit wor den waren , und demſelben ohne deutſchen Beiſtand bei der erſten Gelegenheit wieder verfallen mußten . Wie ihm die Unterhaltung und Vertheidigung niederländiſcher Feſtungen, wenn ſie zum deutſchen Bunde zählten , läſtiger erſcheinen konnte , als außerdem , iſt völlig unbegreiflic ), da im Gegentheil die Mitwirkung des Bundes die Paſt bedeutend erleichtert haben würde. Hatte doch die engliſche Regie rung , weil die Befeſtigung der niederländiſchen Grenze gegen fran zöfiſche Angriffe zur Erhaltung des europäiſchen Friedens dienlich erſchien , obwol weniger betheiligt, als Deutſchland , die Hälfte der durch die Befeſtigung erwadyfenden Koſten zu übernehmen ver ſprochen . Nur die Abneigung des Rönigs der Niederlande beutide Bundes truppen , deren Kriegsherr er nicht war , in ſeine Feſtungen aufzu = nehmen und die ungerechtfertigte Beſorgniß , daß ſein Verhältniſ zum deutſchen Bunde der eigenen Selbſtherrlichkeit Eintrag thun möchte, waren die beſtimmenden Urjaden , weshalb er trop des Bewußtſeins ohne Beiſtand des Bundes ſich nicht behaupten zu können , nicht für alle ſeine Länder demſelben beizutreten ſich entſchloß. Die Unzulänglichkeit des durch Gagern's Afterweisheit gefundenen Auskunftsmittels, daß nämlich der König der Niederlande nur als Großherzog von Luremburg Mit glied des deutſchen Bundes ward , trat hervor , als die Empörung Belgiens den Franzoſen die willkommene Gelegenheit bot die Lose reißung dieſes Landes von den Niederlanden in der Hoffnung durch zuſeßen, daß Belgien in ſeiner Vereinzelung früher, oder ſpäter ihnen als Beute zufallen müſſe. Bei der Abneigung des deutſchen Bundes für eine fremde Sache die Waffen zu ergreifen , und bei dem Um ſtande, daß derfelbe für das Ausſcheiden des walloniſchen Theiles von Luxemburg mit dem bis zum Frieden von Lüneville unter öſterreichis fcher Hoheit ſtehenden Limburg , freilich auf Koſten des Königs der Niederlande entſchädigt wurde , kam es dahin , daß keine der Groß mächte gegen dieſe Vorbereitung künftiger Eroberungen Frankreich Einſpruch erhob. Hätte das ganze Königreich der Niederlande zum

153

deutſchen Bunde gehört, ſo mußte derſelbe deffen Unverleßlichkeit ſchüßen , und es fonnte von dem wohlfeilen Auskunftsmittel nicht die Rede fein den Verluſt des walloniſchen Theils von Luremburg durch Aufnahme Limburgs in den deutſchen Bund ſo viel , als möglich auszugleichen. Die vermeintliche Weisheit des 67. Artikels, deſfen Urheberſchaft Gagern mit ſo viel Selbſtgefühl in Anſpruch nimmt, bewirkte es, daß der deutſche Bund den König der Niederlande als einen frem den Souverän ſeinem Schidſale preisgab und ihn mit dem Verluſte der größeren Hälfte ſeiner Staaten die angebliche Schlauheit ſeines Vertreters auf dem wiener Congreß büßen ließ. Nach dem preußiſchen Blane ſollten die deutſchen Bun desländer in ſieben Kreiſe getheilt werden : 1) in den vorderöſterreichiſchen Areió , oder Salzburg, Ti= rol , Berchtesgaden und Vorarlberg, 2) in ben baieriſch s fränkiſ den freis , oder die Staaten des Königs von Baiern , 3 ) in den ichwäbiſchen freis , oder die Staaten des Königs von Würtemberg, 4) in den oberrheiniſchen freis , welder das Land , das Deſterreich am Oberrhein zurückerhalten würde (den Breisgau), das großherzoglich badiſche Gebiet und die Fürſtenthümer Hohenzollern umfaſſen ſollte, 5) in den niederrheiniſch -weſtfäliſchen Kreis , oder die preußiſchen Beſißungen an beiden Ufern des Rheins bis zur Weſer, die lippeſchen , waldecffchen und naſſau -oraniſchen Länder, 6) in den niederſächſiſchen Kreis , oder Hannover , Braun fchweig , Holſtein und Oldenburg , ſowie die drei Hanſeſtädte, wofern dieſe nicht zum nächſtfolgenden Kreiſe geſchlagen würden, 7) in den oberfächſiſch -thüringiſden Kreis , oder das von Preußen beanſpruchte Königreich Sachſen , die herzoglich medlenburgiſchen , fädyfiſchen , anhaltiſchen , ſchwarzburgiſchen, reußiſchen Länder, Heſſen -Raſſel und Darmſtadt, ſowie die freie Bundesſtadt Frankfurt. Falls die Niederlande zum Bunde träten , ſollten ſie einen beſondern Streis bilden , mit ihrem Könige als Kreisoberſter des vorderöſterreichiſchen und ober Kreisoberſten . rheiniſchen Kreiſes ſollte der Kaiſer von Deſterreich ſein, im letzteren Kreiſe jedoch gleichzeitig mit dem Großherzoge von Baden , welcher ihn zu unterſtüßen habe ; im niederrheiniſch = weſtfäliſchen und ober

154

fächfiſch - thüringiſchen Kreiſe der König von Preußen , in letzterem zugleich mit dem Kurfürſten von Heſſen als Gehülfen im oberſächſiſche thüringiſchen Kreiſe ; der König von Hannover im niederſächſiſchen Kreiſe ;

England als Beſitzer von der König von Baiern im

baieriſch - fränkiſchen ; der König von Würtemberg im ſchwäbiſchen Kreiſe. Der Kreisoberſte war auch Oberbefehlshaber der vom Kreiſe geſtellten Truppen . Die zu Frankfurt a. M. tagende Bundesverſammlung ſollte beſtehen : 1 ) aus dem Directorium , welches der Raiſer von Defter reich und der König von Preußen gemeinſchaftlich ausüben würden , während Erſterer den Vorſit in beiden Räthen der Bundesverſammlung habe; 2) aus dem Rathe der Kreisoberſten , von deſſen elf Stim men Deſterreicy fowol , als Preußen je drei wegen des Direc toriums und der beiden Kreisoberſtenſtellen, Hannover, Baiern, Würtemberg, Baden und Kurheſſen je eine haben ſollten ; 3) aus dem Rathe der Fürſten und Stände. Allen Für ſten , ſeien fie ſelbſtändig oder mediatiſirt, deren Länder eine Bevölkerung von 50000 oder mehr Seelen hätten , wurde eine Stimme, einer jeden der vier Bundesſtädte eine Stimme , fechs Stimmen aber den Grafen und Herren zugeſtanden, deren ehemals zur Reichsſtandſchaft berechtigte Länder eine Be völkerung von 50000 Seelen nidit erreichten . Deſterreich und Preußen hatten wegen des ihnen zuſtehenden Directoriums auch hier je eine Stimme . Die Befugniſſe der Streisoberſten beſtänden darin : in ihrem Kreiſe über die Befolgung des Bundesvertrags , der Bundesbeſchlüſſe, der bundesrichterlichen Sprüche und über die Militärverfaſſung zu wachen, ſowie die allgemeine Drdnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten . Dem Rathe der Kreisoberſten ſollte ausſchließlich das Auswärtige, das Kriegsweſen und die vollziehende Bundesgewalt, dem Rathe der Fürſten und Stände nur die geſeßgebende Gewalt in den ganz Deutſch land betreffenden Angelegenheiten zuſtehen . Hinſichtlich ihrer Beſchlüſſe in inneren Angelegenheiten ſollte Stimmenmehrheit, bei abweichenden Meinungen beider Räthe aber das Directorium entſcheiden. In Strei tigkeiten der Bundeeglieder unter fich , konnten ſie nicht durch ein Aufträgalverfahren gehoben werden, und über Beſchwerden der Unter thanen wegen Verlegung ihrer verfaſſungsmäßigen Rechte lag einem Bundesgerichte , in Sachen der zum Kreiſe gehörenden Unterthanen gegen ihre Landesherren den höchſten Gerichten der Kreisoberſten die

155 . endgültige

Entſcheidung

ob .

Bundesſtaaten , welche

nicht zugleich

auswärtige Länder befäßen , dürften ohne den Bund weder Krieg führen , noch ihre Truppen in fremden Sold geben , noch mit frem den Mächten unterhandeln. Würden ſie angegriffen , fo feien ſie vom Bunde zu vertheidigen . Bundesglieder, welche zugleich Länder befäßen , die nidyt zum Bunde gehörten , hätten wegen dieſer , ſowie dann , wenn ſie den Krieg begönnen , keinen unbedingten Anſprud auf die Hülfe des Bundes, fondern der Rath der Kreisoberſten ent dheide hierüber. In jedem zum Bunde gehörenden Staate ſei eine ſtändiſche Verfaſſung einzuführen und aufrecht zu erhalten . Den Ständen , welche theils aus den Familienhäuptern der mediatiſirten vormaligen Reichsſtände, theils aus erwählten Abgeordneten Zu = ſammengeſetzt ſein ſollten, ſeien mindeſtens gewiſſe Rechte einzuräu men , welche in einem näher zu beſtimmenden Antheile an der Landesgeſeßgebung, Verwilligung der Abgaben und Vertretung der verfaſſungsmäßigen Befugniſſe beim Landesherrn und dem deut den Bunde beſtehen müßten . Uebrigens ſei das Beſtreben dar auf zu richten : in allen deutſchen Bundesſtaaten ein gemeinſames Gefeßbudy, gleiches Münzweſen , zweckmäßige Einrichtungen wegen der Zölle, des Boſtweſens, des Handels und wechſelſeitigen Verkehrs einzuführen. Endlich wurden jedem Bundesunterthan gewiſſe deutſche Bürgerrechte zugeſichert, namentlich die Freiheit ungehindert und ab gabenfrei in einen andern zum Bunde gehörigen Staat auszuwan dern , oder in deſſen Dienſte zu treten , Sicherheit des Eigenthums auch gegen den Nachdrud , das Recht vor dem ordentlichen Richter Bunde Beſchwerde zu führen , Breſfreiheit unter gewiſſen Vorausſegungen, und die Befugniß ſich auf jeder deutſchen Lehranſtalt zu bilden . 1) und beim

Der Vorſchlag, daß Oeſterreich nur wegen der genannten Län der mit etwa einer Million Einwohner dem Bunde beiträte, bezweckte: theils die einzelnen Kreiſe nicht gar zu ungleich zu geſtalten , theils das Mitdirectorium Breußens, deſſen Unterthanenzahl im Bunde bei weitem diejenige jedes andern Bundesglieder überſtieg , eben das durch unabweisbar zu machen. Bei der vorgeſchlagenen Vertheilung der Stimmen wäre für den Fall, daß Deſterreich und Preußen die felbe Anſicht hatten , die Abſtimmung nur eine leere Förmlichkeit geweſen , denn die ſechs Stimmen jener beiden Staaten gegen die fünf der übrigen ficherten ihnen im Rathe der Kreisoberſten die

) Mlüber , I , 45–56.

156 Mehrheit, bei Meinungsverſchiedenheiten beider Räthe aber entſchieden ſie ſelbſt endgültig als Directoren. Durch den Umſtand , daß der preußiſche Staatskanzler eine ſolche Bundesverfaſſung dem Fürſten Metternic vorſchlug, und durch den zunächſt zu betrachtenden Gegenvorſchlag des Legtern erſcheint die Annahme gerechtfertigt, daß Deſterreich ſich noch fortwährend ſtellte , als ob es ſich mit ſeinem verfaſſungsmäßigen Einfluſſe auf Süddeutſch land begnügen , und dagegen Preußen verſtatten wolle , diefelbe Rolle in Norddeutſchland zu ſpielen . 3a in der , die Ordnung der Gebietsfragen betreffenden öſterreichiſchen Note vom 22. Oct. 1814 beweiſet die Stelle, wo von dem Main als der Scheidelinie des öſterreichiſchen und preußiſden Vertheidigungsſyſtems und der gleichen Bemeſſung des beiderſeitigen Einfluſſes auf Deutſch land die Rede iſt, daß der öſterreichiſche Miniſter den preußiſchen Staatskanzler immer noch in dieſem Glauben erhielt. Wollte er ſich dod dadurch Preußens Mitwirkung zu Beſchränkung der ruſſiſchen Anſprüche auf das Herzogthum Warſchau fichern, oder vielmehr nur das preußiſche Cabinet zu einer Rußlands Abſichten durchkreuzenden Politik verleiten , um beide Mächte mitein ander zu entzweien , und ſodann dem von ihm im Stiche gelaſſenen Preußen ſowol in der Gebiets- als Verfaſſungsfrage das Geſetz vor ſdreiben, was ihm auch ſchließlich gelang . Doch als in der erſten Woche des November es an den Tag kam , daß Metternich Preußens Be reitwilligkeit in der polniſchen Frage Rußlands Anſprüche zu be ſdränken wider Treu und Glauben an den Kaiſer Alerander ver rathen hatte , da verbot der König von Preußen ſeinem Staats kanzler die öſterreichiſchen Forderungen gegen Rußland ferner zu unterſtüßen , und der öſterreichiſche Miniſter des Aeußern änderte nun almählich ſeinen Ton, bis ſeine Note vom 10. Dec. dem ver blendeten Hardenberg endlich jeden Zweifel darüber benahm , wie ſehr er von jenem von Anfang an getäuſcht worden war. Nach dem preußiſchen Verfaſſungsplane ſchien zwar Deſterreich, abgeſehen von dem ihm bewilligten Vorzuge des Borſiges, dieſelben Vortheile wie Preußen zu erhalten , indem es ebenfalls in zwei Kreiſen Kreisoberſter war , und einer gleichen Stimmenzahl fich er freute. Allein in Wirklichkeit war die vorgeſchlagene Einrichtung für Breußen weit günſtiger, denn dieſes erhielt dadurch Gelegenheit die große Mehrzahl der kleineren deutſchen Staaten an ein von ihm abhängiges Verhältniß zu gewöhnen, welches, da es ihm die höchſte Rechtsinſtanz und den Oberbefehl über die Truppen des Kreiſes

157

verlieh, im Laufe der Zeit zu völliger Mediatiſirung der Mitglieder des Kreiſes benugt werden konnte. Es war um ſo mehr Ausſicht vor handen, daß ein ſolches Streben gelingen werde, als außer Breußens ganz unverhältnißmäßiger Uebermacht bei mehreren Staaten auch noch die durch ihre geographiſche Lage bedingte Abhängigkeit von demſelben hinzukam . Deſterreich dagegen konnte im beſten Falle nur über Baden und die beiden hohenzollerfchen Fürſtenthümer ſeine Oberhoheit vorbereiten , wenn anders hinſichtlich der leşteren die Ber wandtſchaft der Fürften mit dem preußiſchen Rönigshauſe und deſſen Erbrecht kein şinderniß bot. Fierzu fam , daß Deſterreich gar nicht Willens war den Breisgau zurückzufordern , und hierdurch wieder Frankreichs Grenznachbar zu werden . Die ihm im oberrheiniſchen Kreiſe angebotene Kreisoberſtenſtelle erſchien alſo ſchon deshalb nicht an nehmbar ; eine andere aber war in Süddeutſchland nicht vorhanden, da die Könige von Baiern und Würtemberg die Kreisoberſten be züglich für den baierifch - fränkiſchen und ſchwäbiſchen Kreis waren, und hierdurch Deſterreich ſich verhindert ſah ſeinen Einfluß auf ihre inneren Berhältniſſe in derſelben Weiſe auszubeuten , wie dies Preußen in Norddeutſdland konnte. Die Kreiseintheilung DeutſĐlands war alfo für Deſterreich, folange es den Vorrang vor den übrigen Deutſchen Staaten behaupten wollte , unannehmbar. Ebenſo wenig war Deſterreich bei der abſolutiſtiſchen Richtung ſeiner Regierung geneigt auf eine Volksvertretung Ländern , als beim Bunde einzugehen . wäre dieſe Einrichtung vor allen geeignet Bund nach und nad zu einem vollkommenen

ſowol in ſeinen eigenen In leßterer Beziehung geweſen den deutſchen Bundesſtaate zu machen,

wofür

ſchlugen ,

die Herzen

des

deutſchen Volkes

während die

deutſchen Fürſten ihn als ihre Selbſtändigkeit beeinträchtigend ver warfen. Um der unangenehmen Mühe überhoben zu ſein ſolchen Vorſchlägen ſelbſt zu widerſprechen, und dadurch die öffentliche Mei nung wider ſich aufzuregen , war der von Stein zu Anfang des Congreſſes gemachte Vorſchlag, daß der Ausſchuß für die nur aus den Vertretern deutſche Bundesverfaſſung Deſterreiche,

Breußens

und Hannover 8

beſtehen

ſolle ,

von Deſterreich nicht genehmigt worden. Daſſelbe hatte viel mehr zu dieſem Zwede Baiern und Würtemberg zugezogen , welche keiner Aufmunterung bedurften , um Preußens Vorſchläge zu be kämpfen , da dieſe , ſtatt ihnen Vortheile zu bieten , foldje nur den deutſchen Großmächten in Ausſicht ftellten, während ihnen ſelbſt zu=

158

gemuthet wurde zu Gunſten des Bundes , in welchem jene ein vers faſſungsmäßiges Uebergewicht beanſpruchten , ihre Selbſtherrlichkeit bejdränken zu laſſen . Daß beſonders der despotiſche König von Würtemberg folchem Anfinnen ſich nicht fügen würde , war vorauss zuſehen. Deshalb

hielt es

auch

Metternich

für unbedenklich

die

bem

öſterreichiſchen Intereſſe niđịt entſprechende Kreiseintheilung, jedoch ohne Bezeichnung der Länder , welche dieſe Kreiſe bilden ſollten , in den neuen Verfaſſungsentwurf , über den er ſid mit den Be vollmächtigten Preußens und Hannovers verſtändigt hatte, aufzu nehmen . Er erlangte dafür von Hardenberg die Streichung ſehr weſentlicher Punkte des preußiſchen Verfaſſungsentwurfs und die Aufnahme der Beſtimmung, daß Oeſterreich und Preußen mit allen ihren deutſchen Ländern zum Bunde träten. Dies allein ſchien eine Eintheilung Deutſchlands in Freiſe unthunlich zu machen , da hier durch jedes , auch nur einigermaßen paſſende Größenverhältniß der Kreiſe zueinander wegfiel. Würtemberg, weldies anfänglich für die Kreiseintheilung war , weil es die Kreisoberſtenſtelle über die dem oberrheiniſdien Kreiſe zugewieſenen Länder zu erlangen fich ſchmei chelte, ſah dies auch ſofort ein . Schon in der dritten Sißung er klärte es, daß es dem urſprünglichen (von Preußen vorgeſchlagenen ) Plan einer Bundesverfaſſung beizutreten kein Bedenken tragen würde ; keineswegs ſei dies aber mit dem ( von Deſterreich ) abges änderten Entwurfe der Fall, welcher von jenem weſentlich abweiche. Daß es hierbei nicht die freiſinnigen Beſtimmungen des preußiſchen Entwurfes im Sinne hatte, macit fein Benehmen während der Dauer der Unterhandlungen unzweifelhaft. Deſterreich hatte ferner das Mitdirectorium Breußens abgelehnt , und zu deſſen Beſdwichtung bemerkt, daß die von ihm ſelbſt beanſpruchte Geſchäftsleitung nur eine formelle ſei. Die ſechs Curiatſtimmen der Mediatiſirten und die Volksvertretung beim Bunde hatte es gleichfalls beſeitigt. Von der Aufnahme der Niederlande in den Bund war keine Rede mehr , ſowie die Nothwendigkeit einer ſtändiſchen Verfaffung in jedem deutſchen Staate zwar eingeräumt wurde , jedoch ohne hinzuzufügen, worin mindeſtens die Rechte der Stände zu beſtehen hätten. Ebenſo unbeſtimmt hatte man den Um fang der ſogenannten deutſchen Bürgerrechte gelaſſen. Im Rathe der Kreisoberſten ſollten Deſterreich und Preußen je zwei Stimmen , Baiern , Hannover und Würtemberg je eine haben. Wie bei einer Verſdiebenheit der Abſtimmung in beiden Bundesräthen eine Ents

159

ſcheidung zu erlangen ſei , war nicht angegeben. Außerdem ſtimmte der neuere Entwurf , welcher zwölf Puntte enthielt , während der frühere einundvierzig zählte, mit dieſem im Weſentlichen überein, nur wurde der Zweď des Bundes , aus welchem Einzelne ohne Zuſtim = mung der Uebrigen nicht austreten dürften , ausdrüdlich hervorges hoben , und als ſolcher die Erhaltung der äußern Ruhe und Unab hängigkeit , fowie nach Innen die Schonung der verfaſſungsmäßigen Rechte jeder Alaffe der Nation bezeichnet. Durch dieſe ſchöne Redeng art wurden dem deutſdyen Volke wenigſtens einſtweilen Redyte in Ausſicht geſtellt, einige Monate ſpäter war man ſo aufrichtig fogar an dem diesfallfigen Ausbruce Anſtoß zu nehmen . Was dem deutſden Bolfe und den Mediatifirten den preußiſchen Entwurf annehmlich machen konnte , war durch Metternich daraus entfernt worden , welcher in der deutſchen Ber faſſungsangelegenheit überhaupt die ſchlaue Politik verfolgte , an den Verfaſſungsentwürfen nur das ſelbſt zu bekämpfen und daraus zu entfernen , was er als unerläßliche Grundlage eines Bundesſtaates betrachtete, die Beſeitigung ſonſtiger nun mußlos und nicht mehr wün jdenswerth erſcheinender Beſtimmungen aber Anderen überließ , und vor allem darauf bedacht war durch die größtmögliche Anzahl zurüdgewieſener Verfaſſungsentwürfe den damit beſchäftigten Staats: männern ihre ſchwierige Aufgabe zu verleiden und ſte zu ſchließlicher Erfüllung ſeiner eigenen Abſichten geneigt zu machen . Hardenberg hatte die von Metternich verlangten Abänderungen bewilligt, um die ihm vor allem wichtige Streiseintheilung, welche Preußens Macht gebiet erweitern follte, zu retten . In ſeinem faum begreiflichen Vertrauen auf Metternich '& Freundſchaftsverſicherungen glaubte er, daß Nachgiebigkeit gegen deſſen Forderungen ſeinem Plane förder licher ſein werde , als die Sympathien Deutſchlands. Die Vera handlungen des Ausſchuſſes für die deutſche Bundesverfaſſung, wel cher nur dreizehn Mal fidy verſammelte und dann unverrichteter Sache fich trennte , fouten ihn nur zu bald von der Nußloftgkeit feiner Zugeſtändniſſe überzeugen. Am 14. Oct., wo die erſte Sigung ſtattfand, begnügte man fidy mit der Erklärung : beſagter Ausíduß habe nur aus den Bevoll mächtigten der obgenannten fünf deutſchen þöfe zu beſtehen . Dieſe Bevollmächtigten waren für Deſterreich: Metternich und Weſſen berg , für Preußen : Hardenberg und Humboldt, für Baiern : Wrede, für Hannover , welches, um ebenbürtig im Rathe der Könige zu er ſcheinen , am 12. Oct. den Königstitel angenommen hatte : Münſter

160

und Graf Hardenberg, für Würtemberg: Linden und Wingingerode, während der hannoverſche Hofrath von Martens Protokollführer war. Zur Rechtfertigung jener Erklärung wurde bemerkt : eine größere Anzahl von Staaten erſcheine zur Beförderung des Geſchäfts nicht rathſam , auch ſeien die benannten fünf þöfe die mächtigſten in Deutſchland ſie geboten ſogar über vier Fünftel davon , endlich trete hinſichtlich der übrigen Staaten der Umſtand ein, daß ſie ſich durch ihre mit den verbündeten Mächten geſchloſſenen Verträge zum Voraus denjenigen Beſtimmungen unterworfen hätten, welche die zur Erhaltung der deutſchen Freiheit feſtzuſeßende Ordnung der Dinge erfordern würde. Würtemberg befand ſich zwar in derſelben Lage, da es in dieſer Beziehung dieſelben Bedingungen angenommen hatte , wie die übri gen ehemaligen Rheinbundſtaaten ; allein Metternich zählte darauf, daß deſſen despotiſcher König feine Zuſtimmung zu jeder noch im Entwurfe übriggebliebenen freiſinnigen und volksthümlichen Beſtim mung verweigern würde , und täuſchte ſich hierin auch nicht. Der Ausſchuß beſchloß ferner : die übrigen deutſchen Staaten, unter Be= zugnahme auf die betreffende ſie bindende Beſtimmung des pariſer Friedensvertrags hinſichtlich der ſtaatlichen Geſtaltung Deutſchlands, davon in Kenntniß zu ſeßen , daß er ſich zu Bildung eines Aus fduffes für die deutſche Verfaſſung vereinigt hätte. Als die Frage aufgeworfen wurde , welche Mittel der Ausſchuß anwenden wolle, um ſeine Meinung durchzuſeßen ? war man darüber einverſtanden, daß es, da deſſen Befugniß die Grundfäße der fünftigen Verfaſſung durchzuſeßen in dem Rechte und in den Umſtänden gegründet ſei, um ſo weniger für jegt ber Auffindung beſonderer Mittel bedürfe, als das einmüthige und kräftige Zuſammenhalten der fünf Höfe zugleich ſchon ba$ träftigſte Mittel an die Hand gebe , um den übrigen Staaten Grundfäße annehmlich zu machen, welche nur auf das wahre Intereſſe Deutſchlande im Ganzen wie in ſeinen Theilen abzweden fouten. 1) Allein ſchon in der nächſten , am 16. Oct. ſtattfindenden Sitzung, in weldier von preußiſcher Seite die früheren Entwürfe auf zwölf Artikel beſchränkt und im Namen der Höfe von Wien, Berlin und Hannover den Berhandlungen zu Grunde gelegt wurden ( ſiehe Beilage I ) , fah man auf Metternich's Antrag nicht nur von einer Erklärung an die übrigen deutſchen Staaten einſtweilen ab , ſondern war auch dar über einverſtanden alle Verhandlungen des Ausſduffes völlig ge heim zu halten. Dieſer Beſchluß wurde in der nächſten Sigung,

2) Alüber , 11 , 70-73.

161

ungeachtet ihn Würtemberg wieder umzuſtoßen verſuchte, beſtätigt. Die am Tage vorher von dem badiſchen Bevollmächtigten , Freiherrn von Hade , erhaltene Note , in welcher die Zulaſſung Badens zu dem Ausſchuß für die deutſchen Angelegenheiten unter dem þinweiſe ge forbert wurde,

daſſelbe habe unter

den deutſchen Staaten immer

den erſten Rang mit eingenommen , war gewiß nicht der Grund dieſer ſcheinbaren Sinnesänderung Metternich's, der nur durch die gebieteriſche Macht der Umſtände bazu bewogen werden konnte offen und entſchieden aufzutreten , und von ſeiner gewöhnlichen ränke vollen Politik des Abwartens abzugehen. Der Widerſpruch Badens, ja aller übrigen kleinen deutſchen Staaten hätte auch nicht vermocht die Ausführung von Beſchlüſſen zu hindern , welche die fünf Mitglieder des deutſchen Ausſchuſſes einmüthig gefaßt und angenommen hatten . War Metternich , als er ſeine Einwilligung zu jener obgedachten Erklärung gab , nicht bereits Willens ſie in der nädöſten Sißung zu widerrufen – denn ſolche Winkelzüge lagen ganz in ſeinem Charakter- , fo erwog er doch ſpäter, wie wenig auf eine Einmüthigkeit der Aus ſchußglieder zu zählen ſei. Ging aber eine ihm annehmlich ſchei nende Bundesverfaſſung aus den Verhandlungen des deutſchen Aus ſchuffes nicht hervor , ſo hatte er ſich ſelbſt das Auskunft &mittel ab geſchnitten durdy Hinzuziehung der Bevollmächtigten der übrigen kleinen Staaten und burd macchiavelliſtiſche Begünſtigung ihrer Sou veränetätsgelüfte zu verhindern , daß Deſterreid, die Leitung des Bun des mit Preußen, oder auch noch mit andern deutſchen Staaten theile ; mindeſtens hätte er fich in die Nothwendigkeit verſeßt jene von dem deutſchen Ausſchuſſe gegebene Erklärung zu widerrufen , obſchon er von Anfang an die Geſinnungen nicht theilte , aus welchen ſie hervorging. Bei den Verhandlungen des Ausſchuſſes gingen alle freiſinnigen , ſowie die eine feſtere organiſche Verbindung der deutſchen Staaten bezwedenden Vorſchläge von Preußen aus . Durch erſtere wollte es fich die öffentliche Meinung gewinnen , durch lettere die Nachtheile vermindern , welche aus der in geographiſch - militäriſcher Hinſicht ſehr unglüdlichen Beſchaffenheit ſeines Gebiet8 entſprangen , das , ob ſchon ſeine Grenzen noch nicht feſtgeſtellt waren , doch in keinem Falle ein geſchloſſenes ſein konnte. Die öffentliche Meinung war freilich leider unvermögend auf die zum Congreß verſammelten Höfe beſtim mend einzuwirken , auch hätte mehr dazu gehört ſie ſich zuzuwen Die den , als die bloße Beantragung freiſinniger Beſtimmungen. zu legterm Zwede vorgeſdlagene freigeintheilung aber hatte nur den Beifall Hannovers , weil ſie auch deſſen Einfluß auf ſeine deuts II . 11

162 ichen Nachbarſtaaten zu vermehren geeignet geweſen wäre. Baiern und Würtemberg wieſen beharrlich und entſchieden jede Einrichtung zu rüd, welche ihre bem Scheine nac, unbeſtrittene, in Wirklichkeit aber we der beſtehende , noch mögliche Selbſtändigkeit durch Deſterreichs und Vorrang verfaſſungsmäßig zu gefährden ſchien. Baiern Preußen erklärte in ſtolzer Selbſtgenügſamkeit nur aus Rüdſidyt auf den all gemeinen Wunſd einem deutſchen Bunde beitreten zu wollen , deſſen Vortheile es auch durch Sdyließung von Sonderbündniffen zu erreichen vermöchte. Würtemberg , deſſen Anmaßung in umgekehrtem Verhält niſſe zu ſeiner ſtaatlichen Bedeutung ſtand, zog ſich ſeit dem Augen blide von den Verhandlungen zurüc, wo es ſich überzeugt hatte, daß die Bundesverfaſſung nicht dazu dienen werde ſein Machtgebiet vermittelſt der Kreisoberſtenſtelle über den oberrheiniſchen Kreis zu vergrößern. Die Eintheilung Deutſchlands in ſieben Kreiſe war allerdings ein von Preußen flug erſonnenes Mittel die zur Zeit noch anerkannte äußerliche Selbſtändigkeit der im deutſchen Ausſchuſſe nidyt vertrete nen kleineren Staaten zu beſdränken und nach und nach zu beſeiti gen , hatte aber den Fehler , daß weder Baiern und Würtemberg, noch Deſterreich ſie guthießen . Hätte der preußiſche Plan die bem Könige von Baiern zugedachte Kreisoberſtenſtelle mit den Ländern ausgeſtattet, Baden und die hohenzollernſchen in derſelben Weiſe unter die Leitung des Königs von geſtellt, ſo würden beide Staaten muthmaßlich ebenſo viel

thüringiſchen Länder aber Würtemberg Eifer für die

Begründung einer ſolchen Bundesverfaſſung gezeigt haben, wie Hanno ver , welches als Oberſter des niederſächſiſchen Kreiſes Oldenburg, Holſtein, Braunſchweig, Sdjaumburg - Lippe und die drei Hanſeſtädte leiten ſollte. Wo wäre aber bei ſolchen Beſtimmungen irgendein nennenswerther Vortheil für Deſterreich geblieben ? Hätte dieſes überhaupt die Schirmherrſchaft über die norddeutſchen Staaten an Preußen überlaſſen und ſich mit der Schirmherrſchaft über Süd deutſchland begnügen wollen, jo bedurfte es der künſtlichen Kreiseinthei lung nicht, ſondern es würde die Beſtimmung: daß bei Kriegen des deutſden Bundes mit dem Auslande die Streitkräfte Süddeutſchlands unter Deſterreich , diejenigen Norddeutſchlands unter Breußens Oberbefehl zu ſtellen , im Frieden aber dieſelben verfaſſungsmäßig von ihnen zu überwachen ſeien , ſowie daß

beide

Großſtaaten die

übrigen deutſchen Staaten nach dem nämlichen Grundſaße auch in di plomatiſcher Beziehung gegen das Ausland zu vertreten hätten, neben einigen andern das gemeinſame Bundesverhältniß regelnden Vereinbarungen hierzu genügt haben .

Wie lange es aber dauerte,

163

bevor der preußiſche Staatskanzler von den wahren Geſinnungen Deſterreichs in Bezug auf die deutſche Bundesverfaſſung fich über zeugte , erhellt daraus , daß er immer wieder auf die mehrfach abge lehnte Kreiseintheilung Deutſchlands zurückam , und erſt ſpät die Hoffnung aufgab ſie durchzuſeßen. Hardenberg verkannte , daß er nur durch kluges Zugeſtehen von Vortheilen an die einflußreichern deutſchen Staaten ſich deren Unterſtüßung zu Einführung der Kreis verfaſſung Deſterreich gegenüber ſichern konnte, beffen diesfallſigen Wi derſtand er als gewiß vorausſeßen mußte , weil die vorgeſchlagene Einrichtung zwar Breußens , nicht aber Deſterreiche Einfluß ver mehrt hätte . Fürſt Wrede, welcher von einer Kreiseintheilung weniger für Baiern hoffte, als anfänglich Graf Winzingerode für Würtemberg, begnügte fich zunächſt hinſichtlich derſelben zu erinnern : es fehle zur Zeit noch an dem Grundfaße , nach welchem unter einer Zahl von ſieben Freiſen zwei Kreiſe auf Defterreich, und zwei auf Preußen fallen müßten ; die Beſtimmung der Kreiſe hänge von einem richa tigen Verhältniſſe der Bevölkerung und der Ausdehnung der Länder ab, nun ſtehe aber noch nicht einmal feſt, welche Theile Deſterreichs und welche Preußens deutſche Bundesländer bilden würden . von Seiten Deſterreichs und Preußens wurde hierauf erwidert, daß erſteres mit ſeinen geſammten Ländern , mit Ausnahme von Un garn und Italien , legteres ebenfalls mit allen ſeinen Ländern, außer mit dem eigentliden Breußen und Polen , dem Bunde beitreten woll ten.

Schon wegen der größern Ländermaſſe, für weldie beide Mächte

Mitglieder des Bundes würden , ſei es gerechtfertigt, daß man ihnen je zwei Kreiſe , mithin auch zwei Stimmen zutheile. Wenn ihnen hierdurch für den Fall, daß fie hinſichtlich der den Kreisoberſtenrath betreffenden Angelegenheiten miteinander einverſtanden ſeien , eine verfaſſungsmäßige Stimmenmehrheit geſichert, und damit auch die Frage über Krieg und Frieden von ihrer Entſcheidung abhängig werde, ſo gereiche dies den übrigen Bundesgliedern um ſo weniger zum Nachtheil, als dieſe von fünftigen Kriegen , über deren Führung De ſterreich und Preußen einig wären, ſich ohnedies nicht würden ausſchlie Ben können, im Falle mangelnden Einverſtändniſſes der beiden Groß mächte aber jene Ausſchlag gebende Stimmenmehrheit nicht vorhanden ſei. Bei dieſer Gelegenheit ſprachen alſo die öſterreichiſchen und preu Biſchen Bevollmächtigten wirklich einmal die von allen im Stillen gefühlte, aber ſonſt nicht verlautbarte Wahrheit aus, daß die ſo oft und feierlich verfündete Selbftändigkeit der übrigen 11 *

164

deutſchen Staaten eine inhaltsleere Rebensart fei , fo lange Deſterreich und Preußen über die von Deutſchland zu beobachtende politiſche Şaltung einverſtanden ſeien . ES fiel auch den übrigen Bevolimädytigten nicht ein die am Tage liegende Richtigkeit dieſer Behauptung zu beſtreiten , doch tröſteten ſie ſich mit dem Gedanken , daß , da alles wahrſcheinlicher wäre , als ein folches dauerndes Einverſtändniß der beiden deutſchen Großmächte, die Stunde nod fern ſei, wo die übrigen Fürſten Deutſdlands auf den Glanz ihrer ſcheinbar unabhängigen Kronen zu verzichten hätten . Allerdings war von den damaligen öſterreichiſchen Staatsmännern nicht zu erwarten , daß ſie auf die Idee verfallen würden , Preußens Streben : ſeine mehr fünſtliche als naturwüchſige Macht feſter zu begründen , im eigenen, wohlverſtandenen Intereſſe zu unterſtüßen , um hierdurch einen mädytigen und um ſo zuverläſſigeren Bundesgenoſſen zu erhalten, da bei einer weiſen Politik die Bahnen Deſterreichs und Preußens fich nicht kreuzen konnten , ſondern friedlich nebeneinander laufen mußten. Während der Vortheil Preußens als eines deutſchen Staates ebendeshalb mit demjenigen Deutſchlands nothwendig zuſammenfiel, lag der Schwerpunkt des öſterreichiſchen Staates in außerdeutſchen Ländern . Seine naturgemäße Hauptſtadt war nicht das deutſche Wien , ſondern das ungariſche Peſth. Mit dem Aufhören des deut Ichen Kaiſerthumes hatte jenes feine urſprüngliche Bedeutung ver loren. A18 Deſterreich im Verzweiflungskampfe des Jahres 1809 dem kriegeriſchen Genie Napoleon's unterlag , und in äußerſter Er ſchöpfung auf Mittel fann wieder zu Macht und Anſehen zu ge langen , war zwar wirklich der Vorſchlag gemacyt worden Beſth zur þauptſtadt zu erheben , und die öſterreidiſchen Donauländer als den Kern des Reiches zu betrachten , deſſen Aufgabe es ſei das jüd öſtliche Europa zu beherrſchen und höherer Geſittung zuzuführen ; aber Mangel an ſtaatsmänniſchem Blicke, falſche Scham und die Hoffnung alles Verlorene wieder zu gewinnen hatten an maßgeben der Stelle die Verwerfung eines ſolchen Planes bewirkt. Den Wahn, welchen man im Unglüce feſtgehalten hatte, daß es Deſterreichs Beruf ſei Deutſchland und Italien fich botmäßig zu ma dhen , hielt man bei des Glüdes Wiederkehr um fo feſter ; deshalb war Deſterreich weit davon entfernt das, was es vorgab , in der That zu beabſichtigen , nämlich über eine gemeinſchaftliche Leitung lands mit Preußen ſich zu verſtändigen .

Deutſch

Durd ſcheinbares Eingehen auf die dem preußiſchen Verfaſſungs plane zu

Grunde liegende Kreiseintheilung Deutſchlands

war es

165

Metternich gelungen Hardenberg zu veranlaſſen , daß er Oeſterreich den Borſig in der Bundesverſammlung fogar anbot. Dafür erklärte der öſterreichiſche Miniſter , mit dem preußiſchen in edler Mäßigung wetteifernd , bies Anerbieten nur unter der Bedingung anzunehmen, daß Deſterreichs Vorſiß ſich auf den formellen Geſchäftsgang beſchränke, damit feinem Mitgliede des Bundesraths das Recht Vorſchläge zu machen verkümmert werde. Hinſichtlich der Bundeskanzlei bemerkte Metternich, nachdem er die mit Preußen vereinbarten zwölf Punkte in der Sigung vorgeleſen hatte , daß es nicht in Deſterreichs Abſicht liege deren Beamte allein zu ernennen, es ſollten vielmehr audy die übrigen Bundesglieder hierbei mitwirken und die Beamten der Kanzlei ſowol, ale des Archivs vom Bunde in Pflicht genommen werden . Dieſem erbaulidyen Einverſtändniſſe der beiden deutſden Groß mädyte war ein ärgerlicher

Rangſtreit

anderer Ausſchußmitglieder

vorausgegangen . Würtemberg hatte nämlich in derſelben Sißung als älteres Königreich den Vorrang vor þannover beanſprucht, wel ches dagegen geltend machte, daß ſein höherer Rang außer Zweifel ſei , weil nach der vorigen Reichsverfaſſung der Kurfürſt von Han nover den unbeſtrittenen Rang vor Würtemberg gehabt habe. Das ran ändere auch der Königstitel nichts, denn weder Böhmen habe deshalb einen höhern Rang behauptet , weil ſein Oberhaupt ein König ſei , noch auch Brandenburg, ſeitdem deſſen Kurfürſt wegen Preußen ben Königstitel angenommen hatte. Der preußifdye Staats fanzler betrachtete den Vorrang Hannovers als unzweifelhaft, Fürſt Metternich dagegen begnügte fid zu erklären , daß , ſo anerkannt auch der Grundſatz von der Rangeøgleichheit der Könige ſei, doch die Entſcheidung dieſes Streits nicht hierher gehöre. Obſdjon ein förm licher Vergleich auf Grund der gemachten Vorſchläge nicht zu Stande fam , fo beruhigte man ſich doch beiderſeits , weil von da an bei der Unterzeichnung der Protokolle keine beſtimmte Reihenfolge beobachtet Der Verlauf der Unterhandlungen zeigte , daß Würtemberg nicht bloß die äußere Anerkennung ſeines Ranges , ſondern auch hinſichtlich des zu ſtiftenden Bundes gleiche Rechte mit den deutſchen Großmächten erſtrebte , ja es war ſogar nicht gemeint Defterreich den ihm von Preußen eingeräumten Vorſitz zuzugeſtehen , ſondern ver langte , daß derſelbe unter den im Ausſchuſſe vertretenen Mächten wechſeln ſolle. Baiern ſtimmte ihm darin bei , daß die vorgeſchlagene Einthei lung Deutſdlands in fieben Kreiſe nicht dazu dienen dürfe dem öfterreichiſchen und preußiſchen Sofe im Kathe der Kreisoberſten je

166 Deshalb und in der Hoffnung die zwei Stimmen zu verleihen . ihnen zugewieſenen Kreiſe an Umfang zu verſtärken , beſtanden beide darauf, daß Deutſchland nur in fünf Kreiſe getheilt werde. Metternidy mad te vergebens darauf aufmerkſam , daß Defterreich und Preußeng deutſche Bundesländer nicht nur an Bevölkerung, je den andern deutſchen Bundesſtaat mehr , als doppelt überſtiegen, ſon dern auch deren außerdeutſche Staaten die Madyt des Bundes ſehr erheblich ſteigerten , ſodaß ſie in der That doppelte Laſten übernäh men , und man ihnen nicht zumuthen könne den übrigen Bundes mitgliedern zuſammen ein Stimmenübergewicht zuzugeſtehen . Von Baiern wurde entgegnet , daß es doppelt ſoviel leiſte, als jeder der übrigen kleineren deutſchen Staaten ; daher dürfe es aus dem angeführten Grunde auch auf zwei Stimmen um ſo mehr An ſpruc machen , als die außerdeutſchen Staaten Deſterreiche und Preußens wegen ihrer entfernten geographiſ (yen lage nicht wohl als länder Betrachtet werden könnten , welche die Macht des deutſchen Bundes vermehrten. Deſterreich und Preußen ſchlugen nun vor : in allen Fällen , wo die übrigen Kreisoberſten einſtimmig einer andern Meinung, als ſie ſelbſt wären , möge man Baden und Kurheſſen , da dieſe auch zulegt noch der Kurwürde theilhaftig geweſen wären , in folgender Weiſe zur Abſtimmung hinzuziehen. Nach erfolgter Mittheilung des Sach verhältniffes nämlich hätten dieſe beiden Bundesglieder im Rathe der Fürſten und Städte , welcher die Stelle einer zweiten Stammer ver treten würde , den betreffenden Vorſchlag zur Sprache zu bringen. Aus der Mitte beſagter Verſammlung ſeien durch Wahl drei Staa ten jenen beiden beizugeſellen , um ſich darüber zu vereinigen , ob die dem Ausſchuſſe des Raths zugeftandenen zwei Stimmen der Anſicht Deſterreiche und Preußens, oder derjenigen der übrigen freisoberſten beiträten . Da in ſolchen Fällen die Stimmenzahl des erſten Rathes fich von fieben auf neun erhöhe, ſo werde die von Baden und Kurheffen in demſelben ſodann abzugebende Erklärung ftet8 entſchei dend ſein. ) Allein ſogar dieſer Abſtimmungsmodus, welcher möglicher weiſe die Anſicht der deutſchen Kleinſtaaten über diejenige Deſterreiche und Preußens erhoben haben würde , ward von Baiern und Wür temberg abgelehnt. Es wurde von denſelben ferner die Ausübung jedes Souveränetätsrechts beanſprudyt, auch ſolcher, die mit ihren Macht verhältniſſen nicht vereinbar erſchienen, wie das Recht ſelbſtändig Strieg

') Alüber, II, 162.

1

167

zu führen und mit jedem andern Staate Bündniſſe zu ſchließen ; die Befugniß hierzu folle überhaupt auch ſolchen deutſchen Staaten, welche keine auswärtigen Beſißungen hätten , zuſtehen. Wrede ſtellte vor : Nach der beſondern lage Baierns ſei es dent bar, daß bei einem Kriege Frankreichs und Deſterreichs in 3talien, an weldiem der Bund nicht verpflichtet ſei theilzunehmen, Baiern wegen ſeiner dem Kriegsſchauplage ſo nahen Lage ſich nicht nur ges nöthigt ſehen dürfte ſeine Streitkräfte zur Beſchüßung der Grenze zuſammenzuziehen, ſondern ebendeshalb auch Deſterreich zu Hülfe zu kommen. Vorher die Zuſtimmung des Bundes hierzu einzuholen, ſei theils wegen des Zeitverluſtes, theils weil der Bund möglicherweiſe anders entſcheiden könne , unthunlich. Wären die rein deutſchen Staaten an eine ſolche Zuſtimmung gebunden , ſo würden ſie an Achtung und Wichtigkeit bei den auswärtigen Mächten verlieren . Die Bevollmächtigten Deſterreichs , Preußens und Hannovers er klärten jedoch hierauf einſtimmig , wie ſie als durchaus nothwendig zur Erreichung des Bundeszweds den Grundſatz erachteten , daß die Bundesglieder ohne auswärtigen Länderbefit nur mit dem Bunde das Ausland bekriegen, oder zu fremden Staaten in Bundes verhältniffe treten dürften . Nur dadurch laſſe ſich der große und für die dauerhafte Ruhe Deutſchlands ſo weſentliche Zwec 'erreichen, daß Deutſdıland, als eine große , zwiſdien Frankreich auf der einen und Rußland auf der andern Seite liegende Staatengeſellſdaft, nicht durch die Handlungen einzelner Mitglieder gefährdet , in Kriege ver flochten und der Wohlthat einer für Europa ſo wichtigen Neutralität beraubt werde. Nur dadurch könne verhindert werden, daß Deutſche gegen Deutſche kämpften , was der Fall ſein würde , wenn z. B. in Kriegen zwiſchen Frankreid) und Deſterreich in 3talien ſich der eine Staat mit erſterem , ein anderer mit legterem verbände. Der Hannoverſche Bevollmächtigte fügte die beſondere Erklärung hinzu , daß Hannover, obgleich es nad ſeinen Verhältniſſen zu England am leichteſten in den Fall kommen könne von dieſem zu Bündniſſen aufgefordert zu werden , gleichwol bereit ſei auf das Recht zu ſelbſtän diger Schließung von Bündniſſen zu verzichten, wenn ein Gleiches ſeitens der übrigen deutſchen Staaten geſchehe. Es ſei nicht abzuſehen, wie durch die vorgeſchlagene Beſtimmung einem Bundesmitgliede irgendein Nachtheil entſtehen könne, denn das Recht der Nothwehr ſei unverfüm mert, und bei jedem ihm drohenden Angriffe der Bund zum Sduke ver pflichtet, ebendadurch aber ſei es auch gerechtfertigt, daß von deſſen Zuſtimmung das Recht Krieg zu führen abhängig gemacht werde.

168

Baiern wollte fich durch dieſe Gründe nicht überzeugen laſſen , und der demſelben beiſtimmende würtembergiſche Bevollmächtigte Frei herr von linden bemerkte : wenn auch bei eintretender naher Ge fahr einem jeden Staate das Recht der Selbſthülfe und der Bei ſtand des Bundes geſichert ſei , ſo dürfe ſich dodi in Hinſicht entfern terer Gefahren ein Souverän nicht die Hände dadurch binden laſſen , daß er ſein Recht Krieg zu führen und Bündniſſe zu ſchließen der Zuſtimmung des Bundes unterwerfe . Nie würden Baiern und Würtemberg eine ſo hohe , ihrer geo graphiſchen Lage und ihrer Macht ſo unangemeſſene Sprache zu füh ren gewagt haben , wenn ſie nicht aus dem Benehmen des öſterrei chiſchen Cabinets hätten ſchließen können , daß es demſelben mit fei nen Vorſchlägen gar nicht Ernſt ſei; denn bei einem aufrichtigen Einverſtändniſſe der übrigen Ausſchußmitglieder hätten ſte ſidy natur Da ſie gemäß deren ſo weit überlegener Macht fügen müſſen. aber ſehr wohl ſahen , daß ſie ohne Gefahr ihren ſelbſtherrlichen Gelüſten den Zügel ſchießen laſſen könnten , ſo gebehrdeten ſie ſich - vielleicht in Erinnerung an die Zeit des Rheinbundes und ihres dadurch vermehrten Länderumfanges – gegen die beiden Deut ſden Großmächte, durch deren Waffen ſie erſt von dem franzöſiſchen Foche befreit worden waren , als wären ſie ihresgleichen , als könn= ten ſie des Bundesſchußes entbehren und wie europäiſche Mächte eine ſelbſtändige Politik befolgen . Ihre Staatsmittel waren zu ge ringfügig , als daß fie ſelbſt bei der größten Verblendung an die Durchführbarkeit der von ihnen geſpielten Rolle hätten denken kön nen , wären ſie nicht überzeugt geweſen , daß dieſelbe den ſtillen Wün iden des öſterreichiſchen Cabinets entſpreche. In dyriftlichen Erklärungen gaben beide şöfe ihre Anſichten noch ausführlicher kund, und zwar mit einer Uebereinſtimmung, welche die Annahme einer vorher deshalb getroffenen Verabredung vollkommen rechtfertigt. Nur war die Sprache des würtembergiſchen Bevollmäch tigten , im umgekehrten Verhältniffe zur Größe des von ihm vertre tenen Landes, noch entſchiedener, und zeigte von mehr Zuverſicht die Bundesverfaſſung zu eigenem Vortheile auszubeuten. In der Schrift, welche ſie in der Sißung vom 20. Oct. übergaben , um ſich über die zwölf den Verhandlungen zu Grunde gelegten Punkte zu erklä ren , ſagten fie: 1, Deutſchland , im Mittelpunkte von Europa , iſt durch ſeine Lage bes rufen das Gleichgewicht, und mit ſolchem die Ruhe deſſelben zu erhalten . Um dieſen erhabenen , für die Menſchheit ſo wohlthätigen Beruf zu erfüllen

169 muß die Kraft der mächtigeren deutſchen Souveräne ſoviel als möglich vers einigt werden . Hierzu führt der Bund jener Mächte, die als die kraftvoll ſten daſtehen (Würtemberg hatte im Iahre 1818 kaum 1,400000 Einwohner) und deren Minderzahl das ſo wichtige Princip der Einheit des Willens ebenſo wenig zerſtört, als den Vollzug der Beſchlüſſe aufhält. Dieſer Bund muß allen übrigen Staaten Deutſchlands ihre Sicherheit gewähren , in welcher Beziehung ſie dem Bunde angeſchloſſen werden müſſen . Die Bildung eines ſolchen Bundes muß daher vor der Hand das einzige Augenmerk ſein . Zur Ausbildung des Bundes iſt a. die Eintheilung Deutſchlands in Kreiſe , b . die Aufſtellung der Kreis directoren und c. eines Oberdirectorium als Mittel zum Zwed unverkennbar nothwendig. Dieſe Idee iſt noch zur Zeit die einzige des in Frage befangenen Aufſates , auf die man bermalen eingehen kann.“ An dem Ausdrucke innere Siderung der verfaſſung 8 mäßigen Rechte jeder Claſje der Nation " , welche in bejaga tem Auffaße als zweiter Zwed des Bundes bezeichnet wurde , nahm der König von Würtemberg beſondern Anſtoß , da er hierdurch ſeine vertragsmäßig anerkannten Souveränetätsrechte beeinträchtigt glaubte. Zuvörderſt machte er darauf aufmerkſam , daß noch zu erörtern ſei, ob der zuerſt genannte Bundeszwedt: „ Erhaltung der äußern Ruhe und Unabhängigkeit " mit dem , was unter vertragsmäßi Sicherlich ſpreche gen Rechten verſtanden werbe , beſtehen könne. derfelbe gegen die ſcheinbar im Ausdrucke liegende Abſicht aus ver ſchiedenen Völkerſchaften , z . B. Preußen und Baiern , ſozuſagen eine Nation ſchaffen zu wollen . Der Niederfeßung eines Bundesgerichts widerſeße er ſich als einem Tribunale, welches unter anderm Na men den Reichshofrath , oder das Kammergericht, alſo Einrichtungen wieder herbeiführen müßte , die mit ſeiner Souveränetät nicht zu Ebendeshalb dürfe weder davon die Rede ſein, vereinigen wären. welche Rechte die für jeden deutſchen Staat angeordneten Landſtände mindeſtens haben müßten , ned überhaupt von allgemeinen , allen deutſchen Unterthanen zu ertheilenden Rechten. Solche Beſtimmungen gehörten gar nicht in einen von ſelbſtändigen Staaten miteinander ab geſchloſſenen Vertrag. Dieſen Behauptungen widerſprachen die hannoverſchen Bevoll

mächtigten in einem ſchriftlichen Gutachten vom 21. Oct. in folgen der Weiſe auf das Entſchiedenſte: ,,Se. Maj. der Prinz - Regent von Großbritannien und Hannover fön nen den Satz nicht anerkennen , daß nach allen den Veränderungen , welche in Deutſchland vorgegangen ſind, den Fürſten ganz unbedingte, oder rein despotiſche Rechte über ihre Unterthanen zuſtehen. Der Gr at , daß der Verfall der deutſchen Reichsverfaſſung auch den Umſturz der Territorialverfaſſung deutſcher Staaten – inſofern dieſe nicht

170 Punkte betraf, die ausſchließlich ihr Verhältniß mit dem Reicie bezweckten im rechtlichen Sinne nach fich ziehe, läßt fich keineswegs zugeben . Ein Re präſentativſyſtem iſt in Deutſchland von den älteſten Zeiten her Rechtens ges weſen. In vielen Staaten beruhten deſſen nähere Beſtimmungen auf förm lichen Verträgen zwiſchen den Landesherren und ihren Unterthanen , und ſelbſt in denjenigen Ländern , wo feine ſtändiſche Verfaſſungen erhalten was ren , hatten die Unterthanen gewiſſe und wichtige Rechte, welche die Reichs geſete nicht allein beſtimmt darlegten , ſondern auch ſchüßten . Kann man nicht zugeben , daß der Verfall der Reichsverfaſſung die Ter inſofern dieſe ritorialverhältniſſe zwiſchen den Fürſten und ihren Unterbanen auf die Reidjaverfaſſung keinen Bezug hatten – nothwendig aufhob , ſo läßt fidci auch nicht behaupten , daß die zwiſchen den deutſchen Fürſten und Buonas parte geſchloſſenen Verträge den Rechten ihrer Unterthanen de jure etwas vergeben konnten , fie durften kein Gegenſtand der Transactionen ſein. Kein Fürſt würde wünſchen in dem Lichte ſich darzuſtellen, als hätte er mit einem fremden Fürſten einen Vertrag gegen ſeine Unterthanen eingehen wollen , und ſelbſt die Rheinbundacte, weit entfernt den Fürſten bespotiſche Rechte einzuräumen , beſ dyränke dieſelben in weſentlichen Stüden. Dhne hin blieb die Beendigung der Bundesgeſebe aus beſondern Urſachen ſtets ausgeſeßt. Ebenſo wenig läßt ſich behaupten , daß die ſpäterhin mit den alliirten Mächten geſchloſſenen Verträge, in denen dieſe die Souveränetätsrechte der dem Bunde beigetretenen Fürften fichern , ihnen vorher nicht legaliter bes ſeſſene Rechte über ihre ûnterthanen hätten beilegen wollen oder können. Jene Rechte machten einmal feinen Gegenſtand der Transaction aus , andern theils liegt in dem Begriffe der Souveränetät nicht die Idee der Despotie. Der König von Großbritannien iſt unleugbar ebenſo ſouverän wie jeder andere Fürſt in Europa, die Freiheiten feines Volks befeſtigen ſeinen Thron anſtatt ihn zu untergraben. Uns ter der Vorausſeßung dieſer Grundſätze müffen die Unterzeichneten darauf beſtehen , daß fünftig in Deutſchland 1) die Rechte beſtimmt werden mögen , die den deutiden Un terthanen von Alters ber mit Recht zugeftanden haben; 2) daß es ausgeſprochen werden möge , daß die auf Gelee und Verträge beruhende Territorialverfaſſung unter Vor behalt der nöthigen Modification beſtehen bleiben ſolle ; 3) daß da , wo keine ſtändiſcheVerfaſſung geweſen , auch in dem Fall , daß Oeſterreich, Breußen , Baiern und Würtem berg entweder wegen ihrer beſondern Verhältniſſe, oder auf die angeführten Tractate geſtüßt, ſich davon ausſchlie Ben ſollten , für die Staaten , die sich zur Unterwerfung unter alle für Deutſchland 8 Wohl nöthige Maßregeln ver ſtanden haben , für die Folge als Geſetz erklärt werde : a. daß die Einwilligung der Stände zu den aufzulegen wohlverſtanden, saß ſie zu den Bes den Steuern dürfniſſen der Staats beizutragen iduldig find erforderlich ſei ; b. Daß fie ein Stimmredt bei neu zu erlaffenden Ges ſeten ; c. Die Mitaufſicht über die Verwendung der zu bewilli genden Steuern haben ſollen ; d. daß ſie berechtigt ſind im Fall der Malverſation die Beſtrafung iduldiger Staatsdiener zu begehren. Schließlich iſt es zwar nicht der Wunſch Hannovers , daß Civilſachen fünftig in gewöhnlichen Fällen burch Appeúation an das Bundesgericht

171 gebracht werden ſollen , oder zu verhindern , daß die Landesherren vor ihren eigenen Gerichten Recht geben oder nehmen ſollen ; nur muß man es hannoverſcherſeits für nöthig balten , daß in ſolchen Fällen die Richter von ihren Pflichten gegen den Herrn entbunden und lediglich nach den Ge ſeven mit Hintanſepung aller etwaigen Cabinetsreſcripte zu ſprechen an gewieſen ſeien. In ſolchen Fällen aber , wo Stände gegen Mißbrauch der Šouveränetätsrechte der Fürſten klagen wollen , muß nothwendig Der Recurs an den Bund offen ſtehen . Nur durch ſolche liberale Grundſäße können wir beim jeßigen Zeitgeiſt und bei den biligen Forderungen der deutſchen Nation Ruhe und Zufriedenheit in Deutſchland herzuſtellen hoffen .“ 1) Dieſes Schriftſtück iſt eines der wenigen , in welchen deutſche Staatsmänner damals in Wien die Rechte ihres Volks nachwieſen und in würdiger Weiſe vertraten . Es iſt dies um fo ehrender an zuerkennen , als Graf Münſter, der Verfaſſer deſſelben , zur Ariſto kratie gehörte; allein ſein vieljähriger Aufenthalt in England hatte ihm geſundere Anſichten über ſtaatliche Einrichtungen eingeflößt, als die große Mehrzahl ſeiner deutſchen Standesgenoſſen befaß . Wäre die deutſche Bundesverfaſſung nach ſoldien Grundſägen entworfen wor den , ſo würden die deutſchen Regierungen in den Jahren 1848 und 1849 nicht durch Aufſtände bedroht , nicht zu dem beſdämenden Ge ſtändnifſe genöthigt worden ſein , daß die deutſche Bundesverfaſſung die gerechten Erwartungen des deutſchen Volks getäuſcht habe, und deshalb einer völligen Umgeſtaltung zu unterwerfen ſei. Noch we niger wären ſie in den Fall gekommen Einrichtungen , deren Ber werflichkeit ſie freiwillig anerkannt, dennoch ſpäter gewaltſam wieder herzuſtellen , und ſo das Vertrauen des Volks zu fürſtlichen Ver heißungen tief zu erſchüttern. Deutſchland würde jeßt einig und ſtark der Segnungen des Friedens genießen, ſtatt in der Gefahr zu ſchweben durch den Neffen des vor faſt einem halben Jahrhundert beſiegten Imperators allen jenen heilloſen Zuſtänden wieder zugeführt zu werden , aus welchen es ſich unter ſo großen Anſtrengungen em= porriß . Doch zeigt der Umſtand, daß Münſter die Möglichkeit, ja Wahrſcheinlichkeit annahm , es möchten die Mitglieder des deutſchen Verfaſſungsausſchuſſes fich dennoch der Befolgung der von ihm ent widelten Rechtsgrundfäße für überhoben erachten , und daß er des halb ſeinen Antrag auf die übrigen deutſchen Staaten beſchränkte, wie menig Zutrauen felbſt er in das Rechts- und Billigkeitsgefühl jener Fürſten ſetzte, welche ihre ſoeben erſt erfolgte Befreiung von Napoleon's eiſernem Joche der unbegrenzten Opferfreudigkeit ihrer Völker verdankten .

!

) Mlüber , I , 68 - 71.

172

Der baieriſche Bevollmächtigte gab antwortlich der hannöverſden Denkſchrift die merkwürdige Erklärung ab , daß er zwar mit den in derſelben entwickelten Grundfäßen einverſtanden ſei , jedoch deren Verwirklichung deshalb noch nicht billige. Fürſt Metternich dagegen trug kein Bedenken ſeine unbeſdhränkte Billigung der hannoverſchen Erklärung auszuſprechen , obſchon nie mand feſter entſchloſſen war , als er , kein Mittel zu ſcheuen , um gerade eine entgegengeſetzte Ordnung der Dinge zu begründen. Ia er trieb ſeine Heuchelei fo weit , daß er ſich gegen den würtembergi den Bevollmächtigten von Linden äußerte : es ſei durchaus noth wendig die Rechte der Unterthanen in den deutſchen Bundesländern feſtzuſtellen. Dabei war er ſchlau genug Beiſpiels halber ſich gegen ſolche Eingriffe in die Rechte der Unterthanen auszuſprechen , wie ſie der despotiſche König von Würtemberg in der lektvergangenen Zeit ſich erlaubt hatte , und wodurch allerdings auch Leute wie der öſter Er wies nämlicy reichiſche Miniſter ſelbſt beeinträdytigt wurden . darauf hin , daß in einigen Staaten Verfügungen erlaſſen worden ſeien , nach denen die im Lande Begüterten verpflichtet würden einen Theil des Jahres in der Reſidenz des Landesherrn zuzubringen. Ein ſolcher Zwang gehe in einzelnen Fällen über die Grenzen der Mög lichkeit hinaus , denn ſeine Familie ſei z. B. in fünf verſchiedenen Staaten angeſeſſen ; wie könne nun aber in ſolchen Fällen den frag lichen Zumuthungen Genüge geleiſtet werden , da kein Menſdy fich vervielfältigen könne ? Uebrigens hätten die kargen Beſtimmungen über allgemeine Staatsbürgerrechte in der deutſchen Bundesacte, welche Metternich's Werk waren, die Wiederholung ſolcher Bedrüdungen nicht verhindert, denn von einer Gewährleiſtung perſönlicher Freiheit war in derſelben nicht die Rede. In der vierten Verſammlung des Ausſchuſſes am 22. Oct. ſprach Würtemberg durdy Graf Winzingerode bie Meinung aus , daß nur die gegenwärtigen fünf Höfe den deutſchen Bund bilden ſollten . Metternich erklärte jedoch mit Zuſtimmung der übrigen Bevollmäch tigten : es ſei keineswegs die Abſicht Deutſchland wider das beſtehende Recht in fünf größere Staaten zu theilen und dieſe den Bund aus machen zu laſſen , ſondern man wolle dadurdy, daß die executive Ge walt auf einen aus fünf Staaten gebildeten Rath übertragen werde, nur die Vollſtredung der Bundesbeſchlüſſe erleichtern. Deſterreichs Machtverhältniß zu den übrigen vier Höfen wäre allerdings in dem ſelben Verhältniſſe geſunken , als das der Teşteren durch ihre bevor

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zugte Stellung zu den übrigen deutſchen Staaten geſtiegen wäre . Die mit Kreisoberſtenſtellen bedachten Staaten mußten es daher idon als den höchſten erreichbaren Vortheil anſehen , wenn Deſter reich in die vorgeſchlagene Einrichtung willigte, wie deſſen Vertreter zur Zeit noch ihnen vorſpiegelte, um das preußiſche Cabinet in den Verhandlungen über die Gebietsfragen fich willfährig zu machen und dadurch zu bevortheilen. In der am 3. Nov. ſtattfindenden Sißung des deutſchen Aus ſchuffes überreichte Würtemberg eine neue Bearbeitung der , den Ver handlungen zu Grunde liegenden zwölf Bunkte, in welcher es die Beſtimmungen über die Befugniſſe der Streisoberſten noch näher aus führte, als dies inzwiſchen in einer preußiſden Eingabe geſchehen war. Die Begrenzung des geographiſchen Umfanges der Kreiſe blieb einſtwei len zwar ausgeſett, doch wurde darüber bemerkt: die gegen Norden und Oſten gelegenen Kreife feien durch ihre Ländermaſſe ſtark ge nug , um dem Zwecke des Bundes durdy ſchleunige Hülfe in dringen den Fällen zu entſpredjen. Damit nun die gegen Weſten vorliegen den Kreiſe (der oberrheiniſche und {dwäbiſche) durdy innere Kraft gleichfalls in den Stand geſetzt würden Widerſtand gegen Angriffe zu leiſten , ſo werde es nöthig ſein , daß aus ihnen ein folcher, welcher eine Bevölkerung von wenigſtens drei bis vier Millionen enthalte , gebildet werde . — Gedah dies , ſo konnte natürlich nur der König von Würtemberg an der Spiße dieſes Krei fes ſtehen . Statt der von Preußen vorgeſchlagenen ſieben Kreiſe waren nur fünf vorgeſchlagen , denn Winzingerode erklärte : er fei angewieſen darauf zu bringen, daß im erſten Rathe nur fünf Stim men feien , damit ein beſtändiges Uebergewicht Deſterreichs und Preu Bens in Bezug auf die Abſtimmungen vermieden werde. Die Be ſtimmungen über ein Bundesgeridt , über die Befugniſſe, welche den Landſtänden in den einzelnen Staaten mindeſtens zuſtehen foll ten , und über ein allgemeines deutſches Bürgerrecht waren im Geiſte früherer Erklärungen aus dem würtembergiſchen Entwurfe weggelaſſen. Bei den Berhandlungen ſelbſt drangen Baierns und Würtemberg & Bevollmächtigte wiederholt darauf , daß die den erſten Bundesrath bildenden Höfe bei einem wechſelnden Directorium je nur eine Stimme , hinſichtlich des Krieges aber gleiche Rechte haben follten. Der Bund müſſe den Charakter eines Bündniſſes gegen Auswärtige haben , im Innern aber die Souverä netät des Landesherrn nicht bedränken. Deshalb ſei auch an die Stelle eines Bundesgerichts ein Auſträgalverfahren zu ſeßen.

174 Die nächſte Verſammlung des deutſchen Ausſchuſſes fand ann 7. Nov. ſtatt, demſelben Tage , wo Metternich in einer Note an Hardenberg die ihm vom Raiſer Alexander vorgeworfene Doppel züngigkeit zurüdwies , mittelſt welcher er dieſem angeboten habe alles in Bezug auf das Herzogthum Warſchau Geforderte zu bewilligen , wenn Rußland dafür aufhöre die preußiſche Einverleibung Sachſens zu unterſtüßen. Da Metternid , unter ſolchen Umſtänden einfah, daß auf das Gelingen ſeines Planes Preußen mit Rußland zu entzweien nicht weiter zu rechnen ſei , fo hielt er es nun an der Zeit feine wahre Meinung wegen der vorgeſchlagenen Kreiseintheilung entſchie bener, als bisher fundzugeben. Er erklärte ſein Gutachten in dieſer Be ziehung ſich vorzubehalten, da eine engere Lokalverbindung der einzelnen Theile Deutſchlands nothwendig , gleichwol aber es gleichgültig ſei, unter welchem Namen dieſer Zwed erreicht werde ; die Anſtand fin dende Eintheilung in Kreiſe werde vielleicht beſeitigt werden können. So benußte er die Einwendungen Baierns und Würtembergs gegen den preußiſden Vorſchlag die Zahl der freiſe auf ſieben zu beſtimmen , um die Kreiseintheilung überhaupt zu beſeitigen , nachdem Hannover ſogar unter Zugeſtehung von je zwei Stimmen an Defter reich und Freußen in dieſelbe eingewilligt, und dabei bemerkt hatte, daß es ſich mit einer Stimme begnüge, obſchon der Einfluß eines Bundesgliedes nicht bloß von der größern Volkszahl abhänge , ſondern audy von deſſen politiſchen Verbindungen , wie in Anſehung Hannovers , deſſen Verhältniſ zu England zu berückſichtigen ſei. Wäre es dem öſter reichiſchen Cabinete Ernſt geweſen ben mit Breußen vereinbarten Entwurf der deutſchen Bundesverfaſſung burchzuführen , ſo würde bies bei Englands Zuſtimmung gegenüber dem Widerſpruche Baierns und Würtembergs , ja aller übrigen deutſchen Staaten nicht ſowie rig geweſen ſein , zumal da Rußland wenige Tage ſpäter fich eben falls damit einverſtanden erklärte , Frankreich aber gar nicht daran denken durfte fidy in die Ordnung der innern Angelegenheiten Deutſch lands einzumiſchen . Damit der Kaiſer von Rußland im Sinne jener zwiſchen Deſter reich und Preußen vereinbarten zwölf Punkte ſich erkläre, hatte Stein bereits am 4. Nov. ein Schreiben an denſelben gerichtet, in welchem er nach einer kurzen geſchichtlichen Einleitung ſagte : „ Das Bündniß von Chaumont und der pariſer Friede verkündeten den Willen des geſammten Europa, daß Deutſchland ein Bundesſtaat ſein ſolle, deffen Einrichtung auf dem wiener Congreſſe zu beſtimmen wäre. Defter reich Preußen und þannover vereinigten ſich zu dem Zwede mit Baiern und Würtemberg . Die drei erſten ſchlugen einen Bundesplan vor , welcher

175 1 ) das Recht des Krieges und Friedens dem Bunde übertrug, 2) ihm die Entſcheidung der Streitigkeiten unter den Fürſten überließ, 3) eine Bundesverſammlung bildete , beſtehend aus einem leitenden Rathe der Fünf und einem Vereine der Fürſten und Städte, 4) Landſtände unter Gewähr des Bundes einrichtete , und 5) gewiſſe gemeinſame Rechte für alle Einwohner Deutſchlands feftſeşte . Die Verhandlungen über dieſen Bundesvertrag hatten bisher keinen an dern Erfolg , als den: von Seiten Baierns und Würtembergs ein Syſtem des Ehrgeizes entgegen den Fürſten und freien Städten , der Vereinzelung gegen den Bund , und des Despotismus gegen ihr eigenes Land ans Licht zu bringen , ein Syftem , welches den Rechten , die ſie anſprechen können, den Grundſäßen der geſelligen und Bundes - Einrichtung, dem Glüđe der Re gierten , der innern Ruhe , dem Wohle Europas widerſpricht. Europa ift baran gelegen , daß ein Zuſtand der Gereiztheit der Völfer, eigenmächtiger Plackereien der Fürſten aufhöre; er beeinträchtigt die innere und allgemeine Ruhe. Europa iſt daran gelegen , daß nicht ein Schwarm kleiner Höfe exiſtire, deren aufregende , ſtänkernde und nothwendig treuloſe Politik eine Verwickelung von Ränken und Schlichen unterhält, die mehr oder weniger auf die Verhältniſſe der großen Höfe einwirken . Es iſt den Grundſäßen der Gerechtigkeit und Freiſinnigkeit der verbündeten Mächte ange meſſen , daß Deutſdland einer ſtaatlichen und Bürgerlichen Freiheit genießen daß der Souveränetät der Fürſten Schranken gezogen werden, daß die fdfreienden Mißbräuche der Gewalt aufhören , daß ein alter und durch ſeine Waffenthaten , ſeinen Einfluß in den Berathungen, ſeinen Vorrang in der Kirche hervorleuchtender Adel nicht überliefert werde den Launen der Despo ten , welche durch eine jakobiniſche und neidiſche Dienerſchaft geleitet werden, endlich daß die Rechte aller feſtgeſeßt und geſchüßt werden , und daß Deutſchland aufhöre ein weiter Sammelplay von Unterdrüdern und Únterdrückten zu ſein. Es müſſen daher die weſentlichen Grundſätze einer Bundesbildung durch die Verbündeten unterſtüßt werden . Sie müſſen als ihren Willen ausſprechen, daß das Recht des Krieges und Friedens und die Entſcheidung der Streitigkeiten unter den Fürſten dem Bunde übertragen, daß den Ländern Landſtände gegeben werden , welche die Freiheit und das Eigenthum der Bewohner ſichern und durch den Bund gewahrt ſind ; ſie müffen Deſterreich, Preußen und Hanno ver einladen auf den Verfaſſungsgrundſätzen zu beſtehen, die ſie ausgeſprochen haben , und ihnen ihre Beihülfe zu deren Aufrechthaltung verfidhern, und es würde nöthig ſein in dieſem Sinne eine vertrauliche Note abzufaſſen .“ Gleichzeitig mit dieſem Schreiben überreichte Stein dem Kaiſer Alexander einen Entwurf zu beſagter Note , welchen er auf deſſen Geheiß jedoch kürzen und mildern mußte , bevor am 11. Nov. die Note ſelbſt an Metternich und Hardenberg übergeben wurde. Um nicht aus der einmal übernommenen Rolle zu fallen , mußte Alerander dem Drängen Stein's entſprechen. Er wußte jedoch recht gut , daß er nidit in den Fall kommen werbe von Metternid zur Verwirklichung ſeines Anerbietens aufgefordert zu werden.

Troßdem wäre , wenn

Stein's Eifer den Abgang der Note nicht bewirkt hätte, derſelbe wol un terblieben, weil Metternich auf Neffelrode's Erkundigung wunderba rerweiſe verſichert hatte: es gehe in den deutſchen Angelegen heiten alles ſehr gut. In der That entſpracy die Sachlage auch ſeinen ſtillen Wünſchen , weil die von Baiern und Würtemberg

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verfochtenen Anſichten das Gelingen feines Planes : einen Staaten bund unter Deſterreichs Botmäßigkeit zu begründen ſtatt eines Bun desſtaates mit freiſinnigen Einrichtungen , wie er von Preußen und Hannover erſtrebt wurde , in ſichere Ausſicht ſtellten , und er dabei noch in dem Lichte erſcheinen konnte, als habe er aus Liebe zum Frieden Seine feine Meinung derjenigen ſeiner Widerſacher untergeordnet. Antwort war darauf berechnet die Uebergabe einer ruffiſchen Note zu verhüten , welche ſich für die Anſichten Preußens und Hannovers ausſpracy, und Baiern und Würtemberg hierdurch vielleicht zum Nachgeben bewog . Sie wurde aber dennoch von Neſſelrode über geben , und lautete folgendermaßen : Der unterzeichnete Staatsſecretär hat Sr. Maj. dem Kaiſer , ſeinem erhabenen Herrn , von den Erfolgen der auf die künftige deutſche Verfaſſung bezüglichen Conferenzen Redenſaft abgelegt. Se faiſerl. Maj . haben das raus mit lebhafter Befriedigung erſehen , daß die Cabinete von Wien, Ber lin und Hannover am 14. Oct. einen Bundesplan vorgelegt haben , welcher den Grundfäßen der Gerechtigkeit und geſelligen Einrichtung , dem Glüce der Einzelnen und dem Vortheile Europas entſpricht , indem ſie verlangen , daß das Recht zu Krieg und Frieden , das Recht die Streitigkeiten der Fürs ſten zu ſchlichten und über die allgemeinen Intereſſen zu wachen dem Bunde übertragen , und daß zum Schute der Freiheit und des Eigenthums Land ftände gebildet und durch den Bund gewährleiſtet werden foden. Ihre Ma jeſtäten der Kaiſer von Rußland und der König von Preußen erklärten zu Kaliſd am 13. ( 25.) März 1813 die Auflöſung des Rheinbundes und ihren feſten und unveränderlichen Entſchluß den deutſchen Fürſten und Völkern zu Wiedererlangung ihrer Freiheit und Unabhängigkeit zu verhelfen . Die Siege der verbündeten Mächte hatten die Befreiung Deutſchlands von frembem Joche zur Folge. Beitrittsbündniſſe ficherten den Fürſten ihre Erhaltung, aber nichts ward damals über ihre innern Verhältniſſe beſtimmt. Der Bundesvertrag von Chaumont und der pariſer Friede beſtimmten, daß Deutſchland ein Bundesſtaat ſein ſolle. In dieſem Grundſaße werden Deutſchlands Fürſten ohne Zweifel einen neuen Beweis der Sorge der ver bündeten Mächte finden , und demnach die Nothwendigkeit erkennen ein Sạc ſtem zu bilden, welches ſie vor der Unbeſtändigkeit und allen Gefahren eines vereinzelten Daſeins bewahre. Nur in einem ſolchen Syſteme fann Europa die Gewähr der innern Nuhe Deutſchlands und daher der Hoffnung finden , daß deffen Kräfte demnächſt einer vereinfachten Leitung unterworfen und allein für das allgemeine Beſte verwendet werden , daß der Zuſtand der Auf regung, welcher noch vorhanden iſt , völlig aufhöre , daß die Mißbräuche der Gewalt verhütet, die Verhältniſſe des Adels feſtgeſeßt, und daß die Rechte aller beſtimmt und durch ſtarke , weiſe und freiſinnige Einrichtungen beſchüßt werden . Dieſe Grundfäße finden ſich in ihrer ganzen Kraft und Reinheit in dem durd die Cabinete von Wien , Berlin und Hannover vorgeſchlagenen Bunbesplane . Se. Maj. der Kaiſer von Rußland vermag daher nur ihnen ſeine völlige Beiſtimmung zu ertheilen . Entſchieden dieſen Plan durch ſeine Vermittelung zu unterſtüßen, wenn die Umſtände es erheiſchen ſollten , hat Se. Maj. den Un terzeichneten beauftragt hiervon Sr. Durchl. dem Fürften Metternich die Ber ficherung zu ertheilen , und ſich mit ihm vertraulich über die Mittel zu beſprechen, um ihm allgemeine Annahme zu ſichern. Die Theilnahme , welche der Kaiſer

177 dieſer { dyönen und edlen Sache widmet, ſtüßt ſidy auf Betrachtungen , welche noch viel entſcheidender für ihre erhabenen Verbündeten ſind, und aus einem ſolchen Zuſammentreffen der Umſtände können nur heilſame, der Wichtigkeit des Gegenſtandes angemeſſene Entſcheidungen entſpringen .“ 1) So geeignet dieſe Note geweſen wäre eine ſchnelle Verſtändigung der fünf þöfe über die deutſche Bundesverfaſſung auf Grund der oberwähnten zwölf Bunkte herbeizuführen, und mit ihr eine heiljame der Wichtigkeit des Gegenſtandes angemeſſene Entſcheidung, fo trat dodh das Gegentheil ein , weil Metternich bald ſeine Maske fallen ließ , und es bewirkte, daß dieſe Entſcheidung nicht zum þeile Deutſchlands, fondern zur Befeſtigung der öſterreichiſdyen Oberherr ſchaft über daſſelbe ſtattfand. Baiern und Würtemberg fetten nach wie vor ihren Widerſtand fort , da ſie keine Zwangsmaßregeln zu befürchten hatten . Die Haltung des öſterreichiſchen Cabinets ver bürgte ihnen dies hinreichend, denn ſchien daſſelbe bisher ſchon ſeiner eigenen Uebermacht hierzu ſich nicht bedienen zu wollen , ſo wurde dies nach Erſcheinen der ruſſiſden Note unzweifelhaft, weil es audy verſchmähte die angebotene ruffiſdhe Vermittelung zu benutzen . Das preußiſche Cabinet dagegen, von der Erfolgloſigkeit ſeiner bisherigen Bemühungen nody nid)t eutmuthigt, reidyte eine neue Be arbeitung der Beſtimmungen über das Recht des Krieges , der Ber träge , der Geſandtſchaften und der Bundesgeſetzgebung ein , und da aud dieſe bei Baierns und Würtemberg& Bevollmädytigten keinen Anklang fand , verſtändigte es fidy mit Deſterreich über eine andere Faſſung der betreffenden Artikel 2), jedod, ohne ein beſſeres Ergebniß zu erzielen , denn Graf Winzingerode erklärte , daß er , inſofern die felben mit dem von ihm eingereichten Verfaſſungsentwurfe nicht über einſtimmten , ſich ſeine Einwendungen vorbehalten müſſe. Der Bund fei hauptſächlich gegen Angriffe des Auslands und darauf gerichtet, im Innern die Souveränetät der Landesherren nicht mehr zu be dyränken, als jener Vertheidigungszwed erfordere. Die deshalb nö thigen Beſtimmungen müßten deshalb in den Bundesvertrag ſelbſt aufgenommen werden , damit man zu Sdlichtung etwaiger Streitig keiten keines Bundesgerichts, ſondern nur eines Auſträgalverfahrens bedürfe. 1. Hinſichtlich der den zweiten Bundesrath bildenden Staaten ſuchte Würtemberg e8 burchzuſeben , daß ihnen fein anderer Wirkungskreis als derjenige der innern Geſeßgebung verſtattet werde.

1) Berg , IV , 147—32. 2) Klüber , II , 132-35 , 142 — 44 , 156 - 64. II.

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Das Recht

178 Bündniffe mit fremden Mächten zu ſchließen ſolle ihnen nicht gewährt ſein , obſchon Würtemberg es für alle Glieder des erſten Bundes rathes, jedod unbeſchadet des Bundesverhältniſſes, beanſpruchte; auch widerſprach Würtemberg dem Vorfchlage, daß es ihnen geſtattet werde mittelſt zweier , durch Baden und efſen - Staffel abzugebender Collectivſtimmen an den Berathungen und Beſchlüſſen über Krieg und Frieden theilzunehmen . Als aber in den beiden legten Sißungen des Ausſchuſſes von Deſterreich und Preußen neun Vorſchläge über die Bildung und Wirkſamkeit des zweiten Rathes gemadyt wurden, erklärten die Vertreter Würtembergs wegen unzureichender Verhal tungsbefehle hierüber keine Erklärungen abgeben zu können. ?) Hannover genehmigte jene Vorſchläge, Baiern aber legte Ver wahrung dagegen ein , daß dem zweiten Rathe nicht eingeräumt werde über Gegenſtände wie z . B. Zölle, Münzen, Boſten und der gleichen, allgemeine , ganz Deutſchland verbindende Geſeke zu geben . Seien

derartige Geſeße zu geben , ſo möge man ſie ſofort in die Bundesverfaſſung aufnehmen. Nur Geſeţe , welche die gemeinſame Vertheidigung beträfen , könnten in der vorgeſchlagenen Weiſe fünftig berathen und beſchloſſen werden . Baiern ſtimmte überhaupt in allen weſentlichen Bunkten mit Würtemberg überein , nur gab es feine Abneigung einem Bunde , wie dem vorgeſchlagenen , beizutreten ſofort offen zu erkennen . Fürſt Wrede beſchönigte ein ſolches Verfahren mit der Behauptung: ſein könig babe durch die Bereitwilligkeit, mit welcher er noch vor der Schlacht bei Leipzig der allgemeinen Sache beigetreten ſei , und durch den Nachdruck, womit er ſie verthei digt , bewieſen wie ſehr ihm die Erhaltung deutſcher Freiheit am Herzen liege ; derſelbe würde es aber gegen ſein Volt nicht ver antworten können , wenn er ein Recht der Unabhängigkeit aufgäbe, an welchem der Nationalſtolz Gefallen trüge, weil es mit unſäg = lichen Aufopferungen von Blut und Vermögen erkauft worden ſei. Winzingerode beeilte ſich Wrede's Beiſpiele zu folgen . Auch der König von Würtemberg , hob er hervor , glaube bewieſen zu haben , daß ihm am deutſchen Bunde gelegen ſei . Doch enthielt er ſich weis lich über diwenglicher Verſicherungen , denn noch war es unvergeſſen, daß man vor einigen Monaten einen ſeiner Briefe an Napoleon aufgefangen hatte, in welchem er den damals auf kurze Zeit ſieg reichen Schirmherrn des Rheinbundes ſeiner Sehnſuchtverſicherte unter deſſen ruhmreiche Fahnen zurückzukehren.

1) Alüber , II , 188 - 190.

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Metternich, der mit ſtiller Genugthuung fah , wie man ihn ſelbſt der Mühe überhob den beabſichtigten deutſchen Bund aller Merkmale eines Bundesſtaats zu entfleiden , begnügte ſich einem ſolchen Benehmen gegenüber von dem Wunſche ſeines Kaiſers zu ſprechen , daß der Bund als große Defenſivvereinigung im Cen= trum von Europa demſelben eine jahrelange Ruhe fichern möge. Wenn man einmal von dem Sage ausgehe , daß ein deutſcher Bund beſtehen folle, ſo ſeien gewiffe zur Erreichung des Bundes zwedes nothwendige Beſtimmungen nicht zu vermeiden ; eine Be dränkung der fürſtlichen Regierungsgewalt fönne darin nicht erblict werden , weil fie für alle Bundesglieder gleichmäßig gälten . Die öffentliche Meinung in Deutſchland hatte bisher hoffnungs voll auf die zu Wien verſammelten Staatsmänner geblidt , von denen man erwartete , daß fie burd, eine dem Zeitgeiſte und der Sehnſucht nach Einigung entſprechende Verfaſſung die deutſchen Stämme zu einem Volke vereinigen , und dadurch im Innern deſſen Freiheit , nad Außen deſſen Unabhängigkeit gegen mächtige und er oberungsluſtige Nachbarn ſichern würden . Bei der Neußerung ſolcher Erwartungen hatte man ſich begnügt hervorzuheben , daß die Männer, welden dieſe große Aufgabe in Wien zufiele , eine vollſtändige Kenntniß der alten Reichsverfaſſung haben müßten. Leider konnte ihnen eine folche Renntniß hauptſächlich nur zeigen , wie die neue Verfaſſung , ſollte ſie ihren Zwed erreichen, nicht beſchaffen ſein müſſe . Auch waren leider die Urſachen ihrer Mängel trotz der. bittern Erfahrung einer langen Reihe leidensvoller Jahre noch vorhanden. Das unſelige Streben der meiſten Fürſten Deutſchlands nach dem Scheine einer thatſächlich unmöglichen Selbſtändigkeit hinderte noch immer eine innige Vereini gung des ſo vielfach zerſpaltenen Deutſchland, und die von ihnen gepflegte Eiferſucht ſeiner Stämme gegeneinander raubte dieſen die Möglichkeit wieder ein Volk zu bilden , und als ſolches die ihm ge bührende ehrenvolle Stelle unter den Völkern Europas einzunehmen. Als aber ungünſtige Gerücyte über die Verhandlungen des für die deutſche Verfaſſung gebildeten Ausſchuſſes ſich verbreiteten , da tauch ten die verſchiedenartigſten Rathſchläge auf, welche das ſtockende Verfaſſungswerk förbern follten , und Anklagen wurden gegen die jenigen erhoben , denen man das bisherige Mißlingen ſchuldgab. Der Rheiniſche Merkur , jenes Organ der öffentlichen Mei nung in Deutſchland, welches bisher wegen ſeines bis dahin beiſpiel loſen Anſehens ſcherzhaft , die ſechste Großmacht" genannt wurde, 12 *

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brandmarkte in einem am 31. Oct. erſchienenen Artikel (Nr. 141 ) das Benehmen Baierns und Würtembergs, welche ,ſidy alſo los ſagen von Deutſchland und fich trennen von der Ge fammtheit des Vaterlandes , indem ſie tismus wollen und , wie ehemals unter baieriſcher und würtembergiſcher Nation Artikel machte großes Aufſehen und bewog den

reinen Despo Napoleon , von ſprechen ". Der Fürſten Wrede in

der am 14. Nov. ſtattfindenden Sitzung des deutſchen Ausſchuſſes ſich darüber zu beidweren , daß er und der erſte Bevollmächtigte Würtembergs burdy dieſes in Koblenz , dem Siße eines preußiſchen Militär- und Civilgouvernemente , erſcheinende Blatt verlegt worden ſeien. Er trug auf eine den Umſtänden und der Würde ihrer Höfe angemeſſene Genugthuung an , und die würtembergiſchen Bevollmäch tigten traten dieſem Geſuche bei . Der Freiherr von þumboldt räumte nun zwar , nachdem der be treffende Artikel verleſen worden war , den Grund der Beſchwerde ein , bemerkte jedoch, daß obwol Preußen in ähnlichen Fällen , 3. B. als es in einer zu München erſchienenen Schrift gröblich ge ichmäht worden ſei , keine Beſchwerde geführt habe , dennoch, was in der Sache angemeſſen ſei , geſchehen werde , wenn dies beim Depar tement der auswärtigen Angelegenheiten beantragt würde; er ſelbſt fönne in der Sache nidyt8 thun , da ſie den Verfaſſungsausſchuß nid )ts angehe. Nichtsdeſtoweniger war dieſer ſo übelgenommene Tadel voll kommen begründet , und alle Vaterlandsfreunde billigten den gerügten Aufſaß.

Die Entgegnungen eines zur Abwehr beauftragten andern

Tageblattes , der Allemannia , waren aber nicht geeignet den ge machten Eindruck zu verwiſden. In den höhern Geſellſchaftskreiſen zu Wien ward der Vorfall ebenfalls vielfad beſprochen. An einer fürſtlichen Tafel äußerte der Kronprinz von Baiern fich lebhaft darüber mit den Worten : „ Ja, es wird viel tolles Zeug ießt geſdrieben , wie von dem Görres und anderen , die Stein beſchüßt." . Stein , obſchon am andern Ende des Zimmers , ver nimmt es , eilt auf den Prinzen zu und ruft : „Ich bitte , daß Ew . königl. Hoheit Ihre Stellung nicht vergeſſen , wer Sie find , und wer id bin . Es iſt nicht dhidlich in ſo großer Geſellſchaft auf dieſe Weiſe Namen laut zu nennen.“ Auch der König von Würtemberg gab in einer Unterredung mit dem Grafen Münſter ſeine Entrüſtung über den Rheiniſchen Merkur

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zu erkennen , welcher den Unterthanen rathe fich den König vom Halfe zu ſchaffen ; er wünſche übrigens, daß die Mächte ſich in die innern Angelegenheiten der Fürſten nicht miſchen mödyten. Münſter be gnügte fich mit der Antwort, daß allerdings die Staaten zweiten Kanges das gemeinſdaftliche Intereſſe hätten nur ſo viel von ihren Souveränetätsrechten aufzugeben , als zum Beſten des Bundes ſelbſt, nicht dieſer oder jener Macht, nothwendig ſei. ?) Am 16. Nov. hielt der deutſche Ausſd uß feine letzte Sitzung, und trennte fidh dann unverrichteter Sache für immer. Mehrere Umſtände trugen zu einem ſolchen Ergebniſſe bei . Zuvörderſt übergaben die würtembergiſchen Bevollmächtigten den übrigen Ausſchußmitgliedern noch in der Sißung ſelbſt eine Note, in welcher fie anzeigten , daß , ſo aufrichtig auch der Wunſd ihres Königs ſei zu dem großen Zwede des Bundes ferner mitzuwirken, derſelbe ſich doch 31 ſeiner tiefen Bekümmerniß hierzu außer Stand ſehe. Er betrachte es mit den gegen ſeinen Staat und ſein Haus ihm obliegenden Pflichten unvereinbar , bei dem Umſtande, daß im mer ein Entwurf an die Stelle des andern trete , fernerhin immer nur über einzelne Gegenſtände ſich zu erklären , oder angefonnene Ver bindlichkeiten zu übernehmen . Erſt dann werde er ſeine Bevollmäc tigten wieder an den Verhandlungen theilnehmen laſſen , wenn ihm eine Ueberſicht des Ganzen gewährt worden . Zur Zeit feien weder die Glieder des Bundes, nody ſei der Umfang ihrer Beſigungen , noch endlich die hieraus allein zu entnehmende Stärke ihrer Streitkräfte befannt. Dennoch würde die Ilebernahme von Berbindlichkeiten und die Entſagung auf unbeſtrittene Rechte verlangt , zu denen man nur durch andererſeits zu erhaltende Vortheile bewogen werden könne. " ) Seitdem infolge der Erklärungen Metternich'8 die Eintheilung Deutſchlands in freiſe unwahrſcheinlich geworden war , hatte der

König von Würtemberg mit der Hoffnung Director des oberrheini ſchen Kreiſes zu werden auch die Luſt verloren ſich an dem deutſchen Bunde zu betheiligen , von dem er eine Beeinträchtigung ſeiner über alles geſchäften Selbſtherrlichkeit beſorgte. Deshalb zog er fich fdmollend zurüd , und gab deutlich genug zu verſtehen, unter welchen Bedingungen allein er ſich entſchließen würde Mitglied des Bundes zu werden . An demſelben Tage , wo Würtemberg freiwillig aufhörte Mits glied des deutſchen Ausſchuſſes zu ſein , beldwerte fich der badiſde ? ) Perţ , IV, 153. 2) Klüber, I , 101 - 104 ,

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Geſandte am wiener Hofe , Freiherr von Hacke, in einer an den Fürſten Metternich gerichteten Note bitter darüber, daß Badens Antrag an den Verhandlungen des Ausſchuſſes theilzunehmen nicht Der 4. Artikel des frankfurter Vertrags, beacytet worden ſei. welcher dem Großherzoge von Baden Sand und Souveränetät ge währleiſte, verpflichte zwar denſelben ſich diejenigen Anordnungen ge fallen zu laſſen , welche zur Erhaltung der deutſchen Unabhängigkeit für nothwendig erachtet werden würden ; wie aber hieraus fünf einzelne deutſche Fürſten das Recht ableiten wollten die Gefeßgeber der übri gen zu werden ,

ſei unbegreiflich.

Der Schleier des Geheimniſſes,

welcher die deutſchen Angelegenheiten umhülle, ſcheine anzubeuten, daß der Verſudy gewagt werden folle die feierlichſt zugeſicherte Sou veränetät und Unabhängigkeit der übrigen deutſchen Fürſten bedeu tend einzuſchränken. Sei der Großherzog aud ruhig über das ſichere Mißlingen eines ſolchen Vertragsbruches, welcher übrigens mit den gerechten und freiſinnigen Abſichten der verbündeten Mächte un vereinbar wäre , ſo wolle er doch feierlich erklären , daß er nie die Ausübung der dem deutſchen Bunde zuſtehenden Rechte einzelnen Mitgliedern deſſelben überlaſſen , ſondern auf feiner gleichen Berecha tigung diesfalls um ſo mehr beſtehen werde , als ſeine Souveränetät dies erfordere . ) Ebenſo unzufrieden und beunruhigt wie Baden , welches jedoch ſeinen eigenen Weg ging , weil es im Stillen hoffen mochte in den Ausſchuß der fünf Höfe aufgenommen zu werden , da es an politi ſcher Bedeutung ſehr wenig hinter Würtemberg zurückſtand, waren die übrigen deutſchen Staaten . Sie kamen idon am 14. Oct. , bem Tage , wo der deutſche Ausſduß fich zum erſten Male verſammelte , bei dem Freiherrn von Gagern zuſammen , um burd) Verabredung gemeinſamer Maßregeln ihre Rechte zu wahren . Die Geſandten von neunzehn Staaten wohnten dieſer erſten Zuſammenkunft bei ; es waren diejenigen der beiden beſſen , der beiden Mecklenburg, der fächſiſchen Herzogthümer, der anhaltijden Häuſer, Nafſaus, Braunſchweigs, DI denburgs, Schwarzburg-Rudolſtadts, ferner von Reuß , Schaumburg Lippe , Hamburg und Bremen . Gagern ſtellte ihnen vor , daß man die Verhandlungen der fünf Höfe über die deutſche Bundesverfaſſung nicht ignoriren " dürfe ; dies wäre weder ehrenvoll, nod wahr , noch pflichtgemäß. „ Pros teſtiren " würde ſchädlich ſein , denn ganz Deutſchland und Europa

1 ) Klüber , I , 97—99.

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erwarteten jetzt einen Ausgang der Sachen , und es erſcheine fo un natürlich nicht , daß die mächtigſten Staaten hierauf hinwirkten , nur hätten ſie dabei große Rüdſichten zu beobachten . Durch Bildung eines Ausſchuſſes für denſelben Zwed fie nachahmen oder parodi ren " wäre lächerlich und ſicherlich erfolglos ; man müſſe ſie daher i, rectificiren " , d . h . gemeinſchaftlich die Gründe geltend machen, aus denen Theilnahme am Verfaſſungswerke beanſprucht werde . End lich müſſe man die Wiederherſtellung der Kaiſerwürde als einen au gemeinen Wunſch bezeichnen. Deſterreich dann annehmen , wenn die Sache aus ſich Der medklenburg- ſchwerinſdhe Miniſter auf das Wort nahm, theilte dagegen der

würde diefelbe aber nur ſelbſt hervorginge. von Pleſſen , welcher hier Verſammlung mit , daß er

über die Sache bereits eine Unterrebung mit dem Fürſten Metternich gehabt habe. Dieſer rathe jedoch zur Ruhe. Man beſchloß daher den kurheffiſchen Miniſter Grafen Reller an Metternich abzuſenden und ihn von dem Verlangen der Verſammlung in Kenntniß zu ſetzen. Der Umſtand , daß die Vertreter der kleineren deutſchen Staaten fich wirt lich jenem Rathe Metternich'8 fügten , und erſt am Tage , wo der deutſche Ausſchuß nicht unerwartet ſich auflöſte, mit einer ſchriftlichen Verwahrung ihrer Rechte hervortraten , berechtigt wohl zur Vermu thung , daß der öſterreichiſche Miniſter ihrem Abgeſandten dieſe bal dige Auflöſung und ihre eigene Zuziehung in Ausſicht geſtellt, und ſie veranlaßt habe erſt am Tage , wo dies geſchehe, gegen ihre Aus ſchließung von den Berathungen förmlichen Einſpruch zu thun. Die Note, in welcher der Einſpruch am 16. Nov. erfolgte, war von fünfundzwanzig Fürſten und vier freien Städten unter zeichnet, deren Unterſdyriften zu ſammeln allein geraume Zeit in An ſpruch nahm. Sie lag alſo jedenfalls ſchon längere Zeit zur Ueber gabe an Metternich und Farbenberg bereit. Um ihre Wirkung zu ver ſtärken , wurde ſie wol nach geſchehener Verabredung gleichzeitig mit den Noten Würtemberg und Badens übergeben. Nachdem in der Geſammtnote das Recht bei Vereinbarung der deutſchen Bundesverfaſſung mitzuwirken in derſelben Weiſe, wie es Baden gethan , jedoch in weit milderem Tone begründet worden war , verſicherten die Unterzeichneten , ſie würden es mit Dank erken nen , wenn Deſterreich und Preußen auf der Baſis gleicher Rechte und einer vollſtändigen Repräſentation aller Bundesglieder Vorſchläge über die fünftige Verfaſſung , welche die Freiheit und Unabhängigkeit Deutſchlands fichern ſolle, zur freien Berathung und Beſchlußnahme mittheilten. Zum Beſten des Ganzen wären ſie bereit ſowol im

184 3nnern , ale nach Außen Einſdyränkungen

ihrer Souveränetät ,

die

als für alle Bundesglieder verbindlich beſchloſſen würden , zu geneh migen . Sie ſeien damit einverſtanden , daß jeder Wilfür , wie im Ganzen durch die Bundesverfaſſung, ſo im Einzelnen in allen deut fchen Staaten durch Einführung landſtändiſcher Verfaſſungen , wo der gleichen noch nicht beſtänden , vorgebeugt , und den Ständen folgende Rechte gegeben würden : 1 ) das Recht der Verwilligung und Regulirung ſämmtlicher zur Staatsverwaltung nothwendigen Abgaben ,

2 ) das Recht der Einwilligung bei neu zu erlaſſenden Landesgelegen , 3) das Recht der Mitaufſicht über die Verwendung der Steuern zu allgemeinen Staat8zweden , 4 ) das Recht der Beſchwerdeführung, beſonders in Fällen der Malverſation der Staatsdiener und bei fidh ergebenden Mißbräuden aller Art. Uebrigens möge e8 den einzelnen Staaten überlaſſen bleiben die

Beſtimmungen der ſtändiſchen Verfaſſung den beſondern Verhältniffen anzupaſſen , doch ſcheine für die Rechtspflege nothwendig , daß jeder Klaſſe ihr ordentlicher Richter geſichert ſei . ,, Endlich hätten fie fid überzeugt ", lautete der Schluß der Note, ,, die deutſche Verfaſſung würde fich in ihrem feſteſten Beſtande alsdann erſt behaupten fönnen , wenn ein gemeinſames Oberhaupt, welches dem deutſchen Verbande den erſten Rang unter den euro päiſchen Nationen gab , an der Spiße der deutſchen Verbindung dem von den Ständen des Bundes Bejdyloffenen die unverbrüchliche Voll ziehung fichere, die Säumigen oder Weigernden ohne Unterſchied mit erforderlichem Nachdruck zur Erfülung des Bundesvertrags anhalte, der Bundesjuſtiz ſchnelle und vollkommene Folge verſchaffe , die Kriegsmacht des Bundes leite , und ſo im Innern und gegen Außen allen Staaten deſſelben, audy dem mächtigſten , als Beſchüßer, erſter Repräſentant der deutſchen Nation und Gegenſtand allgemeiner Ehr furcht, der Verfaſſung aber als träftigſter Garant, als deutſcher Freiheit Legide fich darſtelle." An den Grafen Münſter wurde gleichzeitig eine Abſchrift dieſer Note mittelſt beſondern Schreibens überſendet, und der braunſchweigi iche Bevollmächtigte von Schmidt - Phifelded richtete an demſelben Tage ebenfalls eine Note an ihn , worin er ihm mittheilte : er habe den übrigen Abgeordneten deutſcher Staaten die Neußerung

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hinterbracht, welche der Graf am 11. d. M. über die von ihnen allen gewünſchte Wiederherſtellnng der Kaiſerwürde gegen ihn ge than habe. Sie hatte dahin gelautet , daß er als Privatmann die ſelbe zwar audy wünſche, daß ihr aber die pariſer Verhandlungen und die Worte des Friedensſchluffes entgegenſtänden ; ehe er daher feine Meinung über die Ausführbarkeit der Sache ausſpreche, müſſe er unterrichtet ſein , was für Attributionen man der Würde eines Rai fers oder Bundeshauptes beigelegt zu ſehen vermeine. In der Note wurde nun zwar eingeräumt, es erſdeine ſehr dywer in diesfallfige Einzelnheiten einzugehen , jedoch glaube man in dieſer Beziehung als weſentlich vorausſeßen zu müſſen : 1 ) die Aufſicht über die Beobachtung der Befd lüfie des Bundes und deren Vollſtredung ohne Anfehen der Perſon ;

2) die Aufſicht über die Fuſtizverfaſſung und terliche Behörde , welche im Namen des und Bundes ſpricht, mit der Befugniß nennung des Perſonal und Bollſtreckung

3)

die rich $ auptes zur Ers der Er

fenntniſſe , wo foldes nöthig ſein ſollte ; Porfis in der Bundesverſammlung , welche neben der Geſet gebung beſonders über Krieg und Frie

den und Bündniſſe gemeinſchaftlich beſchließt,' nach Außen aber beſonders durch das Bundeshaupt re präſentirt wird ; 4) Direction der Reichsbewaffnung und Anführung im Reichsfriege.

Bei Ausarbeitung der Verfaſſung würde fich wol Gelegenheit finden eine oder die andere der deutſchen Mächte auszuzeichnen. Der Anſicht, daß der pariſer Friede der Knüpfung des Bundes an ein Haupt entgegenſtehe, könne man nicht beiſtimmen, da keine Bundes verbindung die Exiſtenz eines Vorſtandes ausſchließe; von einem aus den vornehmſten Ständen zuſammengefegten Collegium ſei wegen der unvermeidlichen vorherigen Berathungen nie die nöthige Einheit und Sơnelligkeit der Ausführung zu erwarten . Da man überzeugt ſei , daß die Wiederherſtellung der kaiſerlichen Würde dem Wunſche der ganzen deutſchen Nation entſpreche, ſo werde gebeten dafür kräftig mitzuwirken. Münſter antwortete unter dem 25. Nov.: Er theile vollkommen die Ueberzeugung , daß es am zweđmäßigſten ſein würde die alte Reichsverfaffung dem beabſichtigten deutſchen Bunde zu Grunde zu

186

legen , ja ſein Souverän habe auf die zu ſeiner Zeit vom öſterreichi idhen Hofe erfolgte Anzeige von der Niederlegung der deutſchen Raiſerkrone erwidert, daß er dieſen Schritt als einen erzwungenen nicht für rechtsgültig anerkenne. Auf Befehl ſeines Hofes habe er daher ſeit dem Beitritte Deſterreichs zur großen Alianz alle Mittel der Ueberredung angewendet, um daſſelbe zu bewegen die deutſche Kaiſerfrone von Neuem anzunehmen, jedoch vergeblich. Unfolge vor ausgegangener Verträge ſei dann im pariſer Frieden beſchloſſen worden die unabhängigen Staaten Deutſchlands durch ein föderatives Band zu vereinigen. Von den Mitteln , die man dem fünftigen Kaiſer würde anvertrauen wollen und können , um ihn in den Stand zu ſeben mit Nachdruck zu handeln , habe er unterrichtet zu werden gewünſcht, hierüber ſchweige aber das Antwortſchreiben. Schwerlich würde die geringe Gewalt , die ein römiſcher Kaiſer in den legten Zeiten des Reichs beſaß , anders , als durch die Zuerkennung einer militäriſchen Macht, z. B. einer permanenten Reichsarmee, erſeßt wer den können . Ohne eine Verfügung der Art werde Deſterreich eine Würde ohne Realität und Einfluß nicht leicht übernehmen. Aber die Uebertragung ſolcher Mittel würde auf der andern Seite in den Anſichten der größeren deutſchen und einiger europäiſcher Höfe große Schwierigkeiten finden. Graf Münſter ſprach hiermit nicht bloß ſeine eigene Meinung , ſondern auch zugleich diejenige Deſterreichs und Preußens aus , welche, abgeneigt den deutſchen Kleinſtaaten amtlich zu antworten , ihn von ihren Anſichten über die Kaiſerfrage in Kenntniß , und dadurch in den Stand geſeßt hatten ſich in dem angeführten Sinne zu erklären. Erſt am 20. Dec. beantworteten die kleinern deutſchen Höfe, deren Zahl auf einunddreißig angewachſen war , dieſe Dentdrift, jedoch auf eine Weiſe , aus der mehr der Wunſch irgendein Lebens zeichen zu geben , als ihre Ueberzeugung hervorgeht etwas zur För derung der von ihnen vertretenen Staiſeridee beitragen zu fönnen . Die ihnen gemachte Mittheilung ſei ihnen deshalb erfreulich geweſen , weil ſie in der Hauptſache die Uebereinſtimmung der beiderſeitigen Liege freilich die Hauptſchwierigkeit politiſchen Anſichten darthue. die Kaiſerwürde wiederherzuſtellen nicht in den Worten des pariſer Friedens, ſondern in vorhergegangenen Berabredungen anderer Mächte, wonad die Wiederherſtellung verhindert werden ſolle, ſo könnten ſie, unbekannt mit jenen Verabredungen , ein eigenes Urtheil ſich nicht bil den. Indeſſen müßten ſie dennoch dafür halten, daß durdy folche aus wärtige Negotiationen der innern Einrichtung des deutſchen Staaten

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bundes und der daraus hervorgehenden Wahl eines Bundeshauptes, auch nicht einmal der Auszeichnung deſſelben durch die kaiſerliche Würde ein Hinderniß habe entgegengeſekt werden ſollen. Vielmehr würden gewiß , wie Großbritannien , ſo auch die übrigen europäiſchen Mächte mit der ebenſo angemeſſenen , als edelmüthigen Erklärung einverſtanden ſein , welche Rußland und Breußen in dem Aufrufe von Raliſch

gegeben ,

worin ſie

den deutſchen Völkern die Rück=

kehr der Freiheit und unabhängigkeit, ſowie die Wiedergeburt ihres ehrwürdigen Reidys verkündet und verſichert hätten , daß die Geſtaltung dieſes großen Werks ganz allein den Fürſten und Völkern Deutſchlands anheimgeſtellt werden ſolle. Bei ſeinem aner kannten Patriotismus würde daher Deſterreich nicht ferner ablehnen wieder das Haupt des deutſchen Bundes zu werden , fobald es glaube dieſer Würde mit Kraft und Ehre vorſtehen zu können . Da nun nach Theorie und Geſchichte ein bedeutender Staatenbund ohne ein Oberhaupt nicht gegründet werden könne , und die Verbindung der kaiſerlichen Würde mit der des Bundeshauptes ſowol der Größe und Ehre, als dem Wunſdie der deutſchen Nation entſpreche , ſo erneuerten fie die Bitte hierzu mitzuwirken. Der badiſche Vertreter hatte zwar den Verhandlungen , welche dieſer Note vorausgingen , beigewohnt , das darüber geführte Pro tokoll aber nicht unterzeichnet, da er noch immer die Hoffnung nicht fallen ließ in den deutſchen Ausſchuß aufgenommen zu werden. Sicherlich muß es befremden , daß fein einziger jener Vertreter von 31 deutſchen Staaten , auch Medlenburg nicht, welches ſchon vor Deſterreich dem Bündniſſe gegen Napoleon beitrat , etwas von den Bedingungen gewußt habe , unter welchen Deſterreich dieſen Schritt that und alſo ſein Bundesgenoſſe wurde . Daß hierbei das fünftige loos Deutſchlands verabredet worden ſei , war unzweifelhaft , denn darin beſtand ein Hauptzweck des Bundes . Ebenſo iſt es wahrſchein lich , daß der Inhalt der diesfallſigen Uebereinkunft mit den Ver heißungen von Raliſch nicht im Einklange geſtanden , ſonſt hätte es ja die Klugheit geboten durch Beſtätigung früherer Verheißungen die Sympathien des deutſchen Volfs zu gewinnen , da das Streben der Verbündeten darauf gerichtet war , den Rheinbund, Fürſten an Napoleon feſſelte, zu ſprengen .

welcher

ſeine

Auf die Geſammtnote der kleinern deutſchen Staaten wurde we der von Metternich, noch von Hardenberg eine Antwort ertheilt, nicht weil ſie Anſtand genommen hätten den in ihr ausgeſprochenen Anſichten, als den ihrigen widerſpredyend, entgegen zu treten , ſondern

188 wegen der zwiſchen dem öſterreichiſchen und preußiſchen Cabinete ein getretenen heftigen Spannung, die weiteres gemeinſames Handeln verhinderte, und ein Eingehen auf nuglos erſcheinen ließ .

die angeregte Frage zur Zeit

Die würtembergiſche Note wurde dagegen von Metternich ſchon am 23. Nov. beantwortet. Er wies die Beſchuldigung zurück, man von dem erſten vorgelegten Plane bei Ausführung der ein zelnen Punkte

wiederholt abgegangen ſei.

Bei

Aufſtellung

eines

Planes zu einem deutſchen Föderativſyſteme hätten die öſterreichiſchen und preußiſchen Bevollmächtigten nicht überſehen , daß hauptſächlich 1 ) ber Territorialzuſtand der zum deutſchen Bunde ge hörenden Staaten ,

2 ) die politiſche Verfaffung des Bundes felbft in Betracht fommen müßten. Da aber bei dem erſten Punkte die Frage über die vertragsmäßig zu bewerkſtelligende Reicheconſtruction der öſterreichiſdien und preußiſchen Monarchien und die erforderliche Abrundung der Grenzen der deutſchen Staaten in Betracht komme, ſo gehöre derſelbe unſtreitig zu den großen europäiſchen Angelegen heiten , worüber der deutſche Ausſchuß nicht zu entſcheiden habe. Das Verlangen , welches in der würtembergiſchen Note liege , die politiſche Frage bis zur endlichen Beſtimmung der Territorialaus gleichungen auszulegen , würde daher ebenſo viel heißen , als die wichtige Aufſtellung des für Deutſchland zu errichtenden politiſchen Verbandes auf das Ende des Congreſſes verſchieben . Eine genaue Kenntniß der Territorialveränderungen ſeizur Beendigung der Bundesacte nicht erforderlidy, da die Verhältniſſe im großen und allgemeinen den Ausſchußmitgliedern bekannt ſeien , auf kleinere Ub weichungen aber es um ſo weniger ankomme, je feſter die Vereini gung der Bundesſtaaten zu einem Ganzen geknüpft werde, und end lich bei der zulegt vorzunehmenden Redaction der Bundesacte das etwa noch Nöthige nadigetragen werden könne. Von Seiten Wür tembergs ſcheine man irrigerweiſe vorausgeſegt zu haben , daß es die Abficht des fraglichen Planes geweſen ſei den Mitgliedern des in Vorſchlag gebrachten erſten Rathes Befugniffe über Mitftände einzuräumen, welche nach der Anſicht der übrigen Mitglieder weder mit den Rechten der andern Fürſten Deutſchlands vereinbar , nody zur Erreichung des erſtrebten Zwedes erforderlich ſeien . Uebrigens fönne es keinesweges als von der Willkür der Baciſcenten abhängig angeſehen werden , daß es einem deutſchen Fürſten freiſtehe dem Bunde beizutreten oder nidyt, auch bedürfe es nid )t anderer Vortheile,

189

als derjenigen , welche der deutſchen Nation aus dem Bunde ent ſpringen würden , um die Entſagungen zu leiſten , oder die Opfer zu bringen , die das Wohl des Ganzen befördern. Der Zweck der großen Alliance , welche Europas Befreiung von dem ſchimpflichen Joche erſtrebt und ausgeführt habe , ſei in Anſehung Deutſchlands durd die alliirten Mächte feierlid) und öffentlich ausgeſprochen wor den : Aufhebung des Rheinbundes und Wiederherſtellung der deut ſchen Freiheit und Verfaſſung unter gewiſſen Modificationen. Für dieſe Zwecke hätten die Völker die Waffen ergriffen, und die Staa= ten , welche der Allianz beitraten , hätten ſchon hierdurch dieſelben genehmigt. Der von allen Mächten genehmigte Friede von Paris habe im Intereſſe Europas feſtgeſeßt, daß Deutſchland durch ein Föderativband vereinigt werden ſolle; mithin dürfe man einem beut fden Staate ebenſo wenig geſtatten ſich durch Ausſchließung vom Bunde mit dem Wohle des Ganzen geradezu in Widerſpruch zu feßen , als dies auf indirecte Weiſe zulaſſen , indem man ihm die Berwerfung der Mittel, die allein zum Ziel führen könntent , an heimgebe. Da Würtembergs Widerſtand gegen die vorgeſchlagenen Beſtim mungen der deutſchen Bundesverfaſſung über die Grenzen hinaus ging , welche Metternich für erſprießlich hielt, ſo nahm er nun einen ernſteren Ton an, als bisher. Die würtembergiſchen Bevollmächtig ten aber , welche recht wohl wußten , daß der Zwieſpalt der beiden deutſchen Großmädyte über die Gebietsfragen erſt ausgeglichen fein müffe, bevor man Zwangsmaßregeln zu beſorgen hätte , ſuchten in ihrer fchon am 24. Nov. ertheilten Antwort ihr Benehmen zu rechts fertigen , und wiederholten ihre frühere Erklärung . Der König von Würtemberg, jagten ſie , ſei von der Nothwen digkeit und Dringlichkeit einer engen Verbindung der deutſden Staaten überzeugt , und habe nie aufgehört dieſe Geſinnung zu be thätigen . Seine Einwendungen hätten nicht dem urſprünglichen Plane , welchen er im Weſentlichen gebilligt habe , ſondern nur neuen Vorſchlägen gegolten , die mit jenem durchaus nicht ſich einigen ließen. Man habe allerdings Veranlaſſung gehabt Ueberſicht des an Stelle des alten getretenen neuen Planes zu

den ver eine ver langen. Im erſten Entwurfe ſei nämlich dem erſten Rathe die ausübende Gewalt über Krieg und Frieden ausſchließlich beigelegt, ferner die Eintheilung der deutſchen Staaten in Kreiſe unter der Lei tung von Freisoberſten als Hauptbedingung vorgeſchlagen worden. Es ſei bekannt , daß die nachfolgenden Vorſchläge den erſten Punkt

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änderten , und daß der andere , welcher fo fehr in das Ganze eingreife, nicht zur Erörterung gekommen , weil der öſterreichiſche Bevollmäch tigte ſtatt der Kreiſe eine andere Eintheilung Deutſchlands als Vor ſchlag angefündigt habe . Uebrigens liege die Kenntniß derjenigen, mit welchen ein Bund geſchloffen werde, ſo ſehr in der Natur der Sache, daß eine Nachfrage hierüber einer Mißdeutung nicht hätte unterliegen ſollen. Man müſſe daher bei der in der Note vom 16. Nov. gegebenen Erklärung verharren. Bei dem drohenden Charakter, welchen die Verhandlungen über das Schidſal Bolens und Sachſens annahmen , war zur Zeit an eine Verſtändigung über die deutſdhe Bundesverfaſſung nicht zu den ken . Es wäre ebenſo zweclos als unklug geweſen , wenn das öfter reichiſche Cabinet durch Drohungen Würtemberg bewogen hätte auf Preußens Seite zu treten . Ein fernerer Schriftenwechſel fand daher nicht ſtatt , die Fortfeßung der Verhandlungen wurde bis zum Ein tritte günſtigerer Umſtände verſchoben. Früher noch, als die von dem deutſchen Ausſchuſſe ausgeſchlof fenen ſelbſtändigen deutſchen Staaten hatten die infolge des Rhein bundes deſſen Mitgliedern untergeordneten einſt reichsunmittel baren Fürſten und Grafen durch den Fürſten von Wied - Neuwied, den Grafen von Erbach - Erbach, den Landgrafen von Fürſtenberg und die ihren minderjährigen Sohn bevormundende Fürſtin von Fürſten berg bei dem Kaiſer von Deſterreich ihre Rechte geltend zu machen verſucht. In der ihnen am 22. Oct. von demſelben gewährten Unterredung überreichten ſie nicht allein eine gemeinſame Bittſchrift, ſondern die Fürſtin von Fürſtenberg ſprach auch mündlich die Bitte aus , daß fie durch die neu zu begründende deutſche Verfaſſung in ihre unveräußerlichen Rechte wieder eingeſegt werden möchten ; hierzu ſei aber nur dann Ausſicht vorhanden , wenn Kaifer Franz, der Vater fo vieler und großer Völker, fich bewegen ließe auch ihr Vater und Kaiſer wieder zu werden. 34 Franz gab nun zwar den Bittſtellern zu erfennen , wie unendlich rührend und ſchmeichelhaft ihm der Ausbrud folder Anhänglichkeit fei , und daß er fdon von mehreren Seiten angegangen worden die beutfche Krone wieder anzunehmen , er könne dies aber , obſchon es ſein eigener Wunſch fei, nur dann thun , wenn es fich mit dem Intereſſe ſeiner Länder Vereinigen ließe ; übrigens habe er keinen andern Wunſch und Willen , als den nach Recht und Gerechtigkeit, und daß jedem wieder das Seine werde. So wohlwollend nun auch dieſe Antwort lautete , ſo hielten es

191 die mediatifirten fürſtlichen und gräflichen Häuſer dod für räthlidy durch ihren gemeinſamen Bevollmächtigten von Gärtner den Ver tretern Deſterreiche, Preußens und Hannovers am 7. Dec. eine Vor ſtellung zu überreichen , in welcher ſie für den Fall , daß die von mehreren vormaligen Reichsſtänden und Souveränen des Rhein bundes unter dem 16. Nov. eingereichte Note beſondere Vorrechte vor ihnen beanſpruche, dem widerſprachen , und darauf hinwieſen, daß der 6. Artikel des pariſer Friedens nicht blos die Souveräne des damals ſchon aufgelöften Rheinbundes , ſondern alle Staaten Deutſchlands im Sinne habe, zu denen auch die unterzeichneten, welche Opfer des Rheinbundes geworden ſeien , gehörten . Enthielten dod die ſogenannten mediatifirten Gebiete weit über eine Million Seelen ! Endlich ſprachen ſie die Hoffnung aus, daß ihr Recht auf politiſche Repräſentation nicht verkannt, ſondern ihnen gleiche Be fugniß , wie den vormaligen Rheinbundsſouveränen werde eingeräumt werden , falls dieſe bei Schaffung der Verfaſſung mitwirken dürften. Außerdem wünſchten ſie, daß die neue Verfaſſung dem biedern deut fchen Volfe ein conſtitutionelles Oberhaupt, ein Reichøgericht und Landſtände gewähren möge . Eine beſondere Verwahrung gegen ihre durch den Rheinbund erfolgte Unterordnung unter den Herzog von Naſſau legten die Ge ſammthäuſer Solms und Wied in einer Note vom 27. Dec. ein, wobei ſie die von jenem bewirkte grauſame Aushebung ihrer Unter thanen zum holländiſchen Kriegsdienſte hervorhoben , und den Sdu der verbündeten Monarchen anfleyten. Leştere Thatfache zeigte, daß der Menſchenhandel für fremden Kriegsdienſt noch im 19. Jahr hundert in Deutſchland betrieben wurde, und wie nothwendig es ſei, daß dieſem Fürſtlichen Gewaltmißbrauche geſteuert werde. ?) Die Aufſtellung des Legitimitätsgrundſaß es für die Schöpfungen des wiener Congreſſes hatte in den durch Na poleon's Machtſpruch ihrer landesherrlichen Rechte Beraubten die Hoffnung erweckt dieſelben wieder zu erlangen . Sie ſollten jedoch bald erkennen, daß ſie ſich hierin täuſchten, und man gar nicht daran bacite jenen zur Erreichung anderer Zwede aufgeſtellten Grundlag auch auf fie anzuwenden. Alle dieſe Vorſtellungen um Wiederein feßung in ihre Rechte, ſowie ihre ſpätern deshalb gethanen Schritte blieben erfolglos . Neben den Plänen eines deutſchen Bundesſtaates und eines ein

?) Alüber , I , 2 , 41–44 , 53 – 57,

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fachen , jedoch unauflöslichen Staatenbundes tauchte aus dem Chaos der Meinungen über die fünftige politiſche Geſtaltung Deutſchlands noch ein dritter Plan auf. In den leßten Tagen des Jahres 1814 erſchien nämlich in Wien eine kurze Dentſdrift über die Repräſen tation des nicht föniglichen Deutſchlands auf dem deutſchen Bundes tage, deren ſechzehn Seiten als Wahlſpruch die von großem Selbſt vertrauen zeugende Frage vorgebrudt war : ,, Tantaene molis esset Germanam condere gentem ? " Sämmtliche deutſche Länder , mit Ausnahme Defterreichs , Breu Bens , Baierns , Hannovers und Würtembergs , ſdhlug der Verfaſſer vor , möchten unter dem Namen des deutſchen Fürſtenbundes zu einem gemeinſchaftlichen , von einem Director geleiteten Ganzen ſich vereinigen, und mit beſagten fünf Staaten das föderirte Deutſchland bilden. Gleichwie jedem dieſer Staaten eine Stimme auf dem Bundestage zuſtehe, folle auch der Fürſtenbund eine Stimme haben. Dem Director deſſelben ſollten zwei aus den übrigen Fürſten ge wählte Gehilfen zur Seite ſtehen , und alle drei auf Lebenszeit ges wählt ſein . Ein Fürſtenrath , in welchem der Director vier Stim men habe , erörtere und entſcheide die Angelegenheiten des Fürſten bundes . Die übrigen Mitglieder ſollten je nach Größe ihres Gebiets drei , zwei oder eine Stimme haben. Die fchiedsrichterliche Ge walt über die Fürſten und ihre Unterthanen ſtehe einem Fürſten gerichte unter dem Vorſitze eines auf Lebenszeit gewählten Fürſten zu . Der Director nebſt ſeinen Gehilfen leite ohne Zuziehung des Fürſtenrathes die diplomatiſdyen Angelegenheiten . Der ganze Fürſten bund , welcher eine Volksmenge von 4,500000—5,000000 Menſchen beſigen würde , zerfiele in drei freiſe : am Rhein , im Norden und im Herzen Deutſchlands, an deren Spiße je ein auf Lebenszeit ge wählter Kreisfürſt ſtehe. treffenden Sandesherren .

Die innere Regierung verbleibe den be Das 45000 Mann zählende Heer dieſes

Bundes ſei ein vom Bundesdirector geleitetes , nicht aus beſondern Truppen einzelner Fürſten beſtehendes Ganze, deſſen Koſten aus der Bundestaſie beſtritten werben follten . ) Der Verfaſſer dieſes eigenthümlichen Planes war jedenfalls einer von den Bevollmächtigten der kleineren deutſchen Staaten , welcher hierdurch verhindern wollte , daß die Kreisoberſtenſtellen in den Händen der mächtigeren deutſchen Staaten zu Werkzeugen wür den die Selbſtändigkeit der ſchwächeren allmählich zu beſeitigen. Er 2) Alüber , I , 48–53.

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trug baher die Idee der Kreiseintheilung auf den von ihm vorge ſchlagenen Fürſtenbund über, deſſen mächtigſte Glieder theils an ſich, theils weil jene fünf die Kreisoberſtenſtellen innehabenden Staaten dies nicht zugelaſſen haben würden , ſich außer Stande befunden hätten ihr Madytgebiet auf Koſten der Selbſtändigkeit anderer Mit glieder zu erweitern . Wegen geſteigerter Verwickelung des Bundesverhältniſſes überhaupt und größerer geographiſcher Zerriffenheit war dieſer Plan noch weni ger lebensfähig , als derjenige, welchen der damals in Wien fid aufhaltende Profeſſor Sartorius aus Göttingen in einer Dent ſdrift empfahl. Dieſer dlug nämlich vor , daß neben Deſterreich und Preußen alle übrigen Staaten Deutſchlands einen Sonder bund bilden folten , welcher mit den beiden deutſchen Großſtaaten in ein unauflösliches völkerrechtliches Bündniß treten möge. Es iſt dies die ſeitdem vielfach wieder beſprochene bee eines Sie kann , was doch viel ſagen dreigetheilten Deutſdlands. will, noch weniger einer lebensfähigen Staatsform zu Grunde ge legt werden , als der auf dem wiener Congreſſe einige Monate ſpäter geſtiftete deutſche Bund , der bekanntlich bei der erſten politiſchen Er ſchütterung unter dem Zeter aller Parteien zu den Todten geworfen wurde, ſeitdem aber , aus dem Grabe hervorgeholt, ein geſpenſtiges Leben führt , bis ein neuer politiſcher Stoß ſeinem Schattenbaſein ein Ende machen wird . Deſterreich und Preußen , wären ſie durch ein jo loderes Band mit dieſem Sonderbund im dreigetheilten Deutſch land verbunden , würden es noch leichter finden ihre Uebermacht gegen den Sonderbund als eine ihnen fremde Macht geltend zu machen ; ja einige Glieder des Bundes , von preußiſchem Gebiete umſchloſſen , würden ohne Preußens Genehmigung gar nicht mit ihren Nichtsbeſtoweniger er : engeren Bundesgenoſſen verkehren können . klärte fidh Gagern in einer am 13. Jan. an den Grafen Münſter gerichteten Note für ein ſolches dreigetheiltes Deutſchland, denn er ziebe es , wenn ein Kaiſer unmöglich fei, einem zwei- oder fünf gliedrigen Directorium vor. Der Grund freilich, weshalb er dies that, war kein anderer , als weil ſein Souverän in keinem Direc torium einen Plaß hätte einnehmen können. Noch weniger ausführbar war der Plan , welcher in einem vom hildburghauſenſchen Geheimrathe Schmidt verfaßten Buche ,, Deutſch land8 Wiedergeburt “ entwickelt wurde. Die Deſterreich zu er theilende Raiſerwürde foute auf einem alle fünf Fahre zu erneuern 1 II. 13

194 den Lehnenerus der deutſchen Fürſten beruhen, Preußen aber mit der Würde eines erblichen Reicheverweſers über Norddeutſchland zufrie den geſtellt werden. Andere glaubten weiſeren Rath zu ertheilen , indem ſie meinten, der König von Preußen möge das Erblehn eines Aronfeldherrn amtes , ber preußiſche Kronprinz die Vorſteherſchaft über den Prote ſtantismus erhalten , oder Franz zum Kaiſer und Friedrich Wilhelm zum Könige beſtellt werden . Während dieſe den Fehler begingen politiſche Begriffe einer längſt entfdwundenen , nur noch in Büchern und Acten vorhandenen Vergangenheit in die ganz veränderten Rechtsanſichten huldigende Gegenwart zu übertragen , machten andere Stubengelehrte den lächerlichen Vorſchlag: Deutſd land nach den von ihnen angenommenen funfzehn verſchiedenen Stämmen in ebenſo viele Preiſe zu theilen , an deren Spiße die Für ſten als Stammvorſteher ſtehen ſollten ! Dieſe funfzehn Stämme ethnographiſch nachzuweiſen vermochten fie freilich nicht, auch überſahen ſie den Umſtand, daß jeder deutſche Staat Bruchtheile von Stämmen unter ſeiner Botmäßigkeit hat. Der Rheiniſche Merkur nahm, vermuthlich nach dem Grundfaße ,, variatio delectat " die verſchiedenſten Vorſchläge in ſeine Spalten auf. Nachdem er im Monate Auguſt ( Nr. 100 ) die Behauptung aufgeſtellt hatte: ,, Vorerft ſcheint die zweiherrſchaft die paßlichſte Form , die Einheit muß fpäteren Zeiten vorbe halten bleiben “ , heißt es alsbald in Nr. 104 : ,, In Deutſch land widerſtreitet der politiſchen Einheit , wie wir ſie bei andern Völkern finden , zunächſt die kirchliche Entzweiung , dann der ſelbſt ſtändige, eigenthümliche Stammgeiſt, der nach Bergzügen die Nation theilte und zergliederte , dann die liebevolle Anhänglichkeit der Völkerſchaften an ihre Fürſtenſtämme, und die fromme Achtung für den durch Verjährung zugeſicherten Beſißſtand. Das Beſte , aber auch das Schwerſte iſt alſo für Deutſchland: ſtarke Einheit in freier Vielheit." Man vergaß dabei , daß jeder große Staat an Sitte , Sprache und Glaubensbekenntniß verſchiedene Völkerſchaften umſchließt, und daß die Anhänglichkeit an kleine Dynaſtien die Bildung der europäiſchen Großſtaaten nicht verhindert hatte. zu Anfang des Jahres 1815 aber enthielt der Rheiniſche Merkur einen Neujahrswunſdh an den Kaiſer Franz , worin bemſelben die deutſche Kaiſerkrone in Ausſicht geſtellt war. Nachdem der deutſche Ausſchuß es unternommen hatte ohne Zu=

195

ziehung der übrigen deutſchen Staaten die Bundesverfaſſung zu ent werfen , jedoch fich nach vierwöchentlicher Dauer ergebnißlos auf gelöſt hatte, ſchienen die Bevollmächtigten der kleineren Staaten die Kaiſerwürde gerade deshalb als den nothwendigen Schlußſtein der deutſchen Bundesverfaſſung zu betrachten, weil die größeren Staaten Deutſchlands entgegengeſeßter Meinung waren . Sie konnten dadurch ſicher die öffentliche Meinung für ſich gewinnen , ohne beſorgen zu müſſen , daß durch Annahme ihres Vorſdlage die von ihnen ver fretenen kleineren Staaten an Selbſtändigkeit etwas einbüßten . Einer jener Bevollmächtigten hat hierüber vertraulicherweiſe ficy alſo geäußert : Es war zunächſt der gerechte Unwille gegen die Anmaßung der fünf Mächte, die ſich allein das Recht eine Verfaſſung zu geben beilegten , was uns zu einer Oppoſition gegen ſie trieb ; dieſe war fogar Pflicht für uns . Dann aber, aufrichtig und im Grunde geſtanden , war es wieder die Oppoſition , weld)e uns weiter trieb . Wir konnten ſie doch nicht ſo ausführen , daß wir erklärten , wir ſeien in der Verfaſſungsfrage gleider Meinung, denn in dieſem Falle wäre unſere Zuziehung — zwar ein Princip - im Grunde doch nur eine reine Formſadhe geweſen . Freilich ſagte es damals keiner von uns, und ich ſage es auch jeßt noch 'nicht, daß wir den Kaiſer nur auf ſtellten , um mit ihm Oppoſition gegen die Vorſchläge der fünf großen Mächte zu madjen. Es hatte gewiß ſeine Richtigkeit, wenn man, auf die Conſequenz des franzöſiſchen Directoriums vom Jahre 1795 hinweiſend, die Befürchtung ausſprach, daß eine Fünfherrſchaft leidit ſtatt zur Einigkeit zu inneren Kriegen und Umſturz führen fönne. 1) Allein ob nicht ein klein wenig von obiger Contrebande mit unterlief , ob man nicht trop aller Verſicherungen « gern zum Beſten eines einigen Deutſchlands alle Dpfer zu bringen ) jegt , da es ans Aufgeben zum Beſten einer realen , eine Einheit repräſentirenden Behörde ging, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen

' ) Hätten die im Ausſchuſſe vertretenen fünf Mächte ſich zu irgendeiner , ihre bevorzugte Stellung anerkennenden Verfaſſung geeinigt , ſo wäre ficherlich nicht durch dieſe Einrichtung ſelbſt, ſondern nur dann Zerwürfniß entſtanden , wenn Deſterreich und Preußen ihre Neben buhlerſchaft , wie allerdings zu erwarten war, bethätigt hätten . Der Vergleich mit dem franzöſiſchen Directorium , der aus fünf Perſonen beſtehenden Regierung eines Einheit ſtaates , mit einem von fünf Staaten geleiteten Bundesſtaate iſt unzuläſſig , und es bleibt nur ſoviel unbeſtritten, daß bei einer einheitlichen Regierung weniger Urſachen zu Zer würfniffen vorliegen, als bei einem fünfgliedrigen Directorium, worin die verſchiedenen An fichten doch ſchließlich immer zwei fich entgegenſtehende Parteien gebildet haben würden. 13 ***

196 ſuchte, indem man nur und allein zum Beſten eines Kaiſers entſagen zu können behauptete , das mag dahinſtehen , und demnächſt Gott richten. Denn es mußten nun ſofort in unſern berathenden freifen die Fragen zur Beſprechung kommen : wer ſoll Kaiſer ſein ? und wie denken wir uns ſeine politiſche Stellung ? „ Da ſahen wir denn auf ein Mal, daß wir hierüber nicht allein die allerverſchiedenſten Vorſtellungen hatten , ſondern daß wir uns auch trotz aller Debatten darüber keineswegs einigen konnten . In allem Aeußerlichen geſchah dies bald ; wo aber jene Fragen in praf tiſch beſtehende Verhältniſſe eingriffen , da gab es gleich böſes Blut. Auf die Vorſtellung eines unter uns , wie wir uns denn nun bei dieſer Uneinigkeit und unfertigkeit der Anſichten in Beziehung auf einen künftigen Kaiſer gegen die Fünfercommiſſion zu ſtellen hätten, und namentlid, auf welchen , und auf was für einen Raiſer wir gegen ſie beſtehen ſollten, wenn die Frage zur gründlichen principiellen Erörterung fäme , ward abermals hin- und herberathen , ohne zu einem feſten Reſultate zu kommen , und wir konnten nur beſchließen ung in etwaigen Noten und Verhandlungen auf allgemeine Princi pien und Andeutungen zu beſchränken , und uns deren Ausführung im Einzelnen , wenn ſie nöthig werden ſollte, offen zu erhalten , da in der Hauptſache ſelbſt Einſtimmigkeit der Meinung herrſdhe. So Slieben wir doch bei unſerem Kaiſer , obgleich wir keinen Kaiſer hatten fertig kriegen können , und keiner wußte , wie ein ſolcher ſein und werden ſollte, oder vielmehr weil jeder dies allein richtig zu wiffen vermeinte und für ſeine Anfidit nodh bie Uebrigen bekehren zu können dadyte.“ 1 ) Dieſes , namentlich für einen Diplomaten gewiß aufrichtige Ge ſtändniß wirft auf den obenerwähnten Schriftenwechſel des hannover ſdien Geſandten Grafen Münſter mit den Bevollmächtigten der klei nen deutſchen Staaten ein jo helles Licht, daß nun Niemand mehr darüber erſtaunen wird , weshalb leştere , ungeachtet Münſter geant wortet hatte : Verträge der verbündeten Großmädyte ver hinderten die Wiederherſtellung der deutſchen Kaiſer würde , dennod ihre vorausſichtlich ganz vergebliche Aufforderung an denſelben erneuerten : mit ihnen für eine politiſche Einrichtung zu wirken , für deren würdiges , zwedentſprechendes Beſtehen ſie, nach ihrem

eigenen Eingeſtändniſſe,

die

Mittel

nicht

anzugeben

ver

1) Schaumann , Geſchichte der Bildung des deutſchen Bundes auf dem wiener Congreſſe: Raumer's Hiſtoriſches Taſchenbuch, dritte Folge , erfter Jahrgang.

197 mochten.

Niemand

wird ſich ferner barüber

wundern ,

weshalb ,

als endlich die Bevollmächtigten aller deutſchen Staaten zur Bera thung der deutſchen Verfaſſung hinzugezogen wurden , keiner von allen den Staatsmännern , welche ſcheinbar fo viel Eifer für die Wiederherſtellung der Kaiſerwürde gezeigt hatten , auch nur den ge ringſten Verſuch dazu machte. Sicherlich kannte der medlenbur giſche Geſandte ebenſo gut und ebenſo lange , wie der hannoverſche jene Verträge. Denn unter weldhem Vorwande und zu welchem Zwede hätte man dem Vertreter eines verbündeten deutſchen Hefes, zumal eines ſolchen , der nie im Stande war den Abſichten ſeiner übermächtigen Bundesgenoſſen irgend hinderlich zu ſein, die Ueberein kunft in Betreff Deutſchlands verheimlichen wollen oder können, welche Deſterreich, als es zum Bunde gegen Napoleon trat, unter Genehmigung der übrigen Mächte mit Preußen getroffen hatte ? Wie fonnten auch den übrigen deutſchen Staaten jene Verträge unbekannt geblieben ſein , welche dem 6. Artikel des pariſer Vertrags zu Grunde lagen, der die Unabhängigkeit der durch einen Bund vereinten deutſchen Staaten beſtimmte ? 3ſt es wol denkbar , daß jene , welche ein ſo großes Intereſſe hatten ſich über alles zu unterrichten , was auf die künftige Verfaſſung Deutſdılands Bezug hatte , jämmtlich noch darüber in Unkenntniß geweſen wären , und daß die verbündeten Großmächte ihre Uebereinkunft das deutſche Kaiſerthum nicht wieder herzuſtellen verheimlicht hätten , ba dod hierzu kein Grund vorlag, vielmehr die Mittheilung nur dazu biente unnöthigen Weiterungen in einer an fidy jdon jdzwierigen Angelegenheit vorzubeugen . Man ſtellte ſich aber unwiſſend, weil man dies für die zu ſpielende poli tiſche Rolle nothwendig erachtete. Wenn von Wiederherſtellung des deutſchen Kaiſerthums die Rebe war , badyte übrigens faſt jedermann nur an Deſterreich als So wenig die großen Ver Träger deſſelben , nicht an Preußen. dienſte Preußens um die Befreiung Deutſdlands vom franzöſiſchen Joche zu verkennen waren , ſo fdien dody den deutſchen Fürſten , die ihre Selbſtändigkeit ſogar gegen das ſtets den Vorrang genießende öſterreichiſche Haus zu behaupten geſucht hatten , der Gedanke uner träglich dem brandenburger Hauſe , welches ſie noch vor kurzem als ihresgleichen betrachtet hatten , durch Uebertragung der Kaiſerkrone fich unterzuordnen , und die Mehrzahl der deutſchen Volksſtämme theilte dieſe Geſinnung. Nur wenige Staatsmänner , wie der Frei herr vom Stein, der Graf von Solms - Laubach, von Berg, der Be vollmächtigte der Häuſer Lippe - Schaumburg und Walbed , bemühten

198

ſich in dieſer Sinſicht für Breußen zu wirken , deſſen eigenen Vertretern am Congreſſe nicht

konnten aber von unterſtüßt werden ,

da dieſe ſelbſt ſich mit Deſterreich darüber verſtändigt hatten das deutſche faiſerthum nicht wiederherſtellen zu wollen . Das, was am meiſten dafür geſprochen hätte es dem hohenzollerſchen Hauſe zu übertragen , war der Ilmſtand , daß die europäiſchen Mächte die Uebertragung einer mit wirklicher Gewalt ausgeſtatteten Saiſerkrone an den mächtigen Beherrſcher Deſterreichs niemals geduldet haben würden . Dieſer hätte nämlich dadurch ein Uebergewicht über die andern europäiſchen Mächte erlangt, während Preußens Macht höchſtens auf gleiche Stufe mit der Deſterreichs dadurch gekommen , mithin das europäiſche Gleichgewicht nicht geſtört worden wäre. Allein der Kaiſer von Rußland , welcher zu Paris alles aufge boten hatte Deutſchland burd) eine wehrloſe Grenze gegen Frank

reich zu ſeinem Schußbefohlenen zu machen, war, aller ſchönen Worte ungeadytet, nicht Willens ein fräftiges deutſches Kaiſerthum ſelbſt für ſeinen Freund ben König von Preußen gründen zu laſſen. Uebri gens wurde ſeine Freundſchaft in dieſer Beziehung gar nicht auf die Probe geſtellt. Der König von Würtemberg wandte fidh nach der Rüdehr in ſeine Hauptſtadt am 12. Jan. 1815 fdhriftlich an den Kaiſer Alerander mit dem Geſuche bahin zu wirken, daß der deutſche Bund nur Deutidlands Vertheidigung gegen Angriffe von Außen bezwecke, ſich aber um die inneren Angelegenheiten der deutſchen Staaten , welche den einzelnen Landesherren überlaſſen bleiben müß= ten , nicht bekümmere. Der würtembergiſche Selbſtherrſder, der ſich in Wien überhaupt nicht gefiel, weil man ihm nicht in einer ſeine übertriebenen Erwartungen befriedigenden Weiſe begegnete , hatte nämlich die Öſterreichiſche Kaiſerſtadt am 24. Dec. plößlich verlaſſen , weil ihm am Abende vorher ein ärgerlicher Unfall zugeſtoßen war . Der Tiſdy, an welchem er zu Hauſe zu ſpeiſen pflegte , hatte einen , ſeinem un förmlich diden Leibe entſprechenden Ausſchnitt, beſjen derjenige ent behrte , an dem er mit den Berbündeten Monarchen ſpeiſte. Unwillig über ihn betreffende deußerungen , wollte er ſich entfernen , fuhr in der Abſicht plötlich vom Stuhle auf, und warf mit ſeinem , als Hebel dienenden Baude die Speiſetafel mit allem , was darauf ſtand, zu Boden. Man denke ſich den dadurch hervorgebrachten Anblick, welcher um fo mehr den Hauptſtoff des Geſprächs für die näche ſten Tage bilden mußte, als ein jo tragikomiſcher Fall in den Fahrbüchern des Hoflebens unerhört und der Held deſſelben über

199

haupt durch ſeine Eigenthümlichkeiten ein dankbarer Gegenſtand der Spottſucht war. So gefiel fich z. B. der Kaiſer Franz darin im vertraulichen Kreiſe die Frage vorzulegen : ,, Sagen's , wer iſt die gewichtigſte Perſon bei den Congreß ? " Wenn nun die ein ſtimmige Antwort erſchollen war : „ Ew . faiſerl . Majeſtät !" jo entgegnete er lächelnd : „ Nein, ſchauen's ich wieg ' nit ahn Loth über 137 Pfund Apothekergewicht, der König von Würtemberg aber wiegt 537 Pfund Fleiſdergewicht !" Um der Bein überhoben zu ſein den Zeugen des durd ſeinen Schmerbauch herbeigeführten Unfalles ſofort wieder gegenüber zu treten, ihr Lächeln wahrzunehmen, oder gar ihre Beileidsverſicherun gen anhören zu müſſen , derließ der König Wien unverzüglich, die Şofdienerſchaft durch überreidie Geſchenke, die vornehme Geſellſchaft durch ſeine Entfernung erfreuend. Seinem erſten Bevollmächtigten dem Grafen Winzingerode ging ſchon am 16. Jan. 1815 folgende ablehnende Antwort des Kaiſers von Rußland zu : Die Mächte , welche den pariſer Vertrag unterzeichneten , haben den Brundſatz der Wiederherſtellung des deutſchen Reichs aner kannt. Sie haben durch dieſe Handlung den Grundjäßen eine neue Heili gung ertheilt, welche Rußland und Preußen gemeinſchaftlich vor ganz Europa durch die kaliſcher Bekanntmachung vom 11./23. März 1813 verkündeten . Dieſes für Europas Ruhe ſo entſcheidende Ergešniß muß betracytet werden als die köſtlichſte Frucht der Anſtrengungen des großen Bundes, als Gegenſtand der beharrlichen Wünſche Deutſchlands und der thätigſten Sorge der bei Bekräftigung ſeiner Unabhängigkeit betheiligten Mächte. Wie groß übrigens die Mannichfaltigkeit der Verbindungen und der Intereſſen ſein mag, welche gegenwärtig den wiener Congreß beſchäftigen, ſo darf man doch die Hoffnung ništ aufgeben auf Einrichtungen, welche einen Bund der deut ichen Staaten zu begründen geeignet ſind, der ohne Beeinträchtigung der Rechte eines jeden durch eine wohlthätige Verbindung das politiſche Daſein des Bundes verbürgt und mittels ſeiner kriegeriſchen Haltung die Erhaltung ſeiner Unabhängigkeit fidyert. Um dieſes Doppelziel ſchleunig zu erreichen , erſcheint es wichtig zur Ab faſſung des Bundesvertrags die ſämmtlichen deutſchen Staaten mitwirken zu laſſen , und jede Abweichung des Syſtems zu verbannen , welche der Vor läufer einer verderblichen Spaltung ſein würde. Nach dieſen Betrachtungen vermag , man für den Augenblick nicht den Gedanken Folge zu geben , welche in der Denkſchrift verzeichnet ſind , der dieſe Schrift als Antwort dient. Sie ſcheinen nur in dem Falle eine Ent widelung und Anwendung zu geſtatten, wenn ſich unter den auf dem wie ner Congreſſe vereinigten Mächten eine unglüdliche Uneinigkeit der politi ſchen Anſichten zeigen , und durchaus unheilbar werden foute; ſie könnten nur dann in Betracht gezogen werden , wenn man ſich in der Nothwendig keit ſähe Gewalt anzuwenden , um dieſe Anſichten mit den wahren Intereſſen Europas in dauernden Einklang zu ſeßen . Aber da man mit vollem Grunde hoffen darf für dieſe wohlthätige Herſtellung alle Stimmen zu vereinigen durch einzige Anwendung der

200 Beharrlichkeit, womit man dahin arbeitet jede beſondere Rüdficht den Grund fäßen der Billigkeit und der Freiſinnigkeit unterzuordnen, da man die Hoff nung nährt an den Vortheilen , welche aus der neuen Ordnung der Dinge entſpringen, alle Staaten Deutſchlands theilnehmen zu ſehen, ſo glaubtman hier die beſtimmte Verſicherung wiederholen zu müſſen , daß man die wirf famſte Vermittelung eintreten laffen wird, um die Abfaſſung des Bundes vertrags zu Stande zu bringen und das Kriegsſyſtem ins Leben zu rufen , welches Deutſchlands Unabhängigkeit zu ſchüßen beſtimmt iſt.“ 1) Als der König von Würtemberg Wien verließ , herrſcyte

zwi

ſdyen den Großmächten, welche fich in zwei Gruppen feindlich gegen überſtanden , die größte Spannung ; ſie hatte in dem Bündniſfe Deſter reiche , Englands und Frankreichs vom 3. fan . ihren Gipfelpunkt erreicht. Auf dieſen Zuſtand der Dinge gründete der König ſeine Berechnung, indem er dem Kaiſer Alerander , um ihn für ſich zu gewinnen , ſeinen Beiſtand in Ausſidyt ſtellte. Seitdem war aber in= folge der von Lord Caftlereagh angewendeten Bemühungen eine An näherung zwiſchen den Mächten erfolgt, welche überhaupt mehr durch Annahme einer drohenden Stellung einander Zugeſtändniſſe abzu trogen ſuchten , als wirklich die Entſcheidung der Waffen anzurufen gedachten. Die Sigungen wegen Ordnung der Gebietsfragen hatten unter Zuziehung des Fürſten Taleyrand wieder begonnen , Preußen hatte bereits auf die gänzliche Einverleibung Sachſens verziditet. Deshalb war die Antwort Alexander's in der obigen Weiſe er folgt. Der ganze Verlauf der gepflogenen Unterhandlungen be rechtigt zu der Annahme , daß die Bildung eines Ausſduffes zu Entwerfung einer deutſchen Verfaſſung ein Zugeſtändniß war , wels ches Metternid) bem preußiſchen Staatskanzler machte, weil derſelbe, in dem Wahne jener ſei wirklich geneigt mit ihm über eine gleiche Theilung des öſterreichiſchen und preußiſchen Einfluſſes auf Deutſch land fich zu verſtändigen, dieſe Art der Berathung für die geeignetſte hielt die hierzu dienlichen Mittel zu verabreden . Da nun mit der bevorſtehenden Erledigung der bisher ſtreitigen Gebietsfragen der Zeitpunkt herannahte , wo die Berathungen über die fünftige Verfaſſung Deutſchlands wieder beginnen ſollten , hielten die Bevollmächtigten der kleineren deutſchen Staaten, deren Zahl auf zweiunddreißig angewachſen war , es für angemeſſen ihre früheren, bisher erfolgloſen Anträge auf ihre Mitwirkung hierzu zu erneuern. In einer den Vertretern Deſterreichs und Breußens überreichten ge meinſchaftlichen Note vom 2. Febr. wieſen ſie darauf hin , daß fie

1 ) Perk , IV, 311 .

201

zufolge der im pariſer Friedensſchluffe enthaltenen Aufforderung bereits ſeit mehreren Monaten in Wien anweſend wären , ohne bisher auch nur einer einzigen förmlidyen Mittheilung von Seiten der beiden deutſchen Mächte, welche jenen Frieden unterzeichnet hätten , ſich zu erfreuen . Noch ohne Antwort auf ihren Antrag vom 16. Nov. ſich befindend, wiederholten ſie denſelben dahin , daß der beutfche Congreß unter gehöriger Zuziehung aller Theile des fünftigen Ganzen nunmehr baldigſt möge eröffnet, und auf demſelben die Gegenſtände der fünftigen deutſchen Verfaſſung mittels freier Beratung und Beſchlußnahme mögen verbandelt werden " . Nur auf dieſe Weiſe könne ein den Erwartungen Deutſchlands entſprechendes Ergebniſ herbeigeführt werden , denn während eine einſeitige Behandlung der Gegenſtände an fich ſchon nachtheilig ſei, trage eine gemeinſam gegründete Verfaſſung in der Geſinnung aller Betheiligten die ſicherſte Bürgſchaft ihres Beſtander. Uebri gens feien ja vorbereitende Bearbeitungen des großen Gegenſtandes und einzelner Zweige denſelben durdy Deputationen feinesweges ausgeſchloſſen . Infolge dieſes Antrage eilten die preußiſden Bevollmächtigten in einer an den Fürſten Metternich gerichteten Note vom 4. Febr . 1815 fich lebhaft dahin auszuſprechen , daß die deutſche Verfaſſung nun wieder in Berathung gezogen werden folle, zu welchem Zwede Sie ſeien ſie die bezüglichen Vorarbeiten ihm mittheilen würden . überzeugt , daß im gegenwärtigen Augenblicke das Zuſammenwirken aller deutſchen Fürſten und Stände nur wohlthätig für den Erfolg ſein könne, und ſie dürften daher mit Recht vorausſetzen, ,, daß auch dem kaiſerl. öſterreichiſchen Hofe , wie dem ihrigen , vorzüglich daran gelegen ſei die Verfaſſung, welche ganz Deutſchland auf das Innigſte vereinigen ſolle, aus einer ſo viel als möglidy in allen Punkten zu bewirkenden Meinungsübereinſtimmung hervorgeben zu laffen , und ihr dadurch eine noch wärmere Theilnahme ihrer fünftigen Mitglie der zu ſichern ". Sie ftimmten beshalb dafür: auch diejenigen Für ſten und Stände , welche bisher keinen Theil an der Berathung der Verfaſſung genommen hätten , einzuladen derſelben durch eine ge wählte Deputation beizuwohnen , da wol nur durdy dieſes in der Note der Fürſten bereits angedeutete Mittel Berathungen unter einer ſo großen Anzahl von Bevollmächtigten möglich wären . Metternich ging jedoch auf dieſen Vorſchlag nidyt ein , wegen deſſen Annahme die diesfallfige preußiſche Erklärung ſo beſchleunigt wor

202

den war , ſondern antwortete am 9. Febr., daß die Zuſammenwirkung aller deutſchen Stände zur Erreichung des gemeinſchaftlichen Zwedes, d . h. einer dem Bedürfniſſe aller deutſchen Staaten entſprechenden Ver faſſung, nicht nur möglich, ſondern unbedingt nothwendig ſei. Audy habe ſein Hof die einſtweilige Berathung zwiſchen den mäch tigeren Ständen von jeher nur als eine Vorbereitung in dieſer Ange legenheit betrachtet. 1) Der öſterreichiſche Miniſter ſchien alſo fich nicht mehr zu erin nern , daß die fünf Höfe, welche den deutſchen Ausſchuß bildeten, in deſſen erſter Sißung darüber einverſtanden geweſen waren den übri gen deutſchen Staaten , welche von der Berathung der Verfaſſung ausgeſchloſſen waren , zu erklären , daß ſie ſich durch ihre mit den verbündeten Mächten geſchloſſenen Verträge zum voraus denjenigen Bedingungen

unterworfen

hätten ,

welche

die zur

Erhaltung

der

deutſchen Freiheit feſtzuſețende Ordnung der Dinge erfordern würde. Er ſchien ferner vergeſſen zu haben , daß man ſogar ſtolz geäußert hatte , das Einverſtändniß der fünf Höfe würde hinreichen den übrigen Bundesgliedern die von jenen entworfene Verfaſſung annehmlich zu machen . Freilich hatte er in der folgenden Sigung die Mittheilung einer ſolchen Erklärung an die betreffenden Staaten verhindert, aber ohne ſeine frühere Anſicht des halb zu widerrufen . Was hätte es genügt , wenn Hardenberg ſo unhöflich geweſen wäre dem Gedächtniſſe Metternidi's burdy Hinweiſung auf jene Siķungsprotokolle zu Hülfe zu kommen ? Nur bei dem Einverſtänd niffe Deſterreichs und Preußens war es möglidh die übrigen deut ſchen Staaten zu Genehmigung einer , Preußen erwünſchten Bundes verfaſſung zu bewegen. Er ſchwieg daher , um das kaum wieder nothdürftig hergeſtellte gute Vernehmen mit dem öſterreichiſchen Hofe nicht zu ſtören , und weil er trotz aller bereits gemachten Erfahrun gen noch nicht der Hoffnung entſagt hatte die Eintheilung Deutſch lands in Freiſe, auf welche er großen Werth legte , in die Bundes verfaſſung aufgenommen zu ſehen . Da dem von Preußen inſoweit unterſtüßten Antrage der kleineren deutſchen Staaten, die Berathungen der Bundesverfaſſung nun endlich vorzunehmen , vom öſterreichiſchen Hofe nicht entſprochen wurde , jo drängt ſich die Vermuthung auf : die von den preußiſchen

' ) Alüber , I , 127-129 , 132–135.

Bevodu

I

203

mächtigten als zweckmäßig empfohlene Zuziehung der bisher ausge fdloffenen Staaten zu jenen Berathungen, mittels einer Deputation, ſei von Metternich nur deshalb verworfen worden , weil er dieſen Weg als ſchneller zum Ziele führend eben vermeiden wollte. Die Art und Weiſe , wie er den Anfang beſagter Berathungen zu ver zögern wußte, und deren Schluß ſodann mit einer Haft betrieb, welche die Begründung der eigentlichen Bundesverfaſſung auf ſpätere Zeiten verſchob , läßt wol feinen Zweifel darüber übrig, daß ſeine Abſicht dahin ging, es ſolle zu Wien wenig mehr , als die Beſtäti gung des 6. Artikels des pariſer Friedens erfolgen , welcher dem deutſchen Bunde den Charakter eines Staatenbundes aufdrüdte . Der noch zu erzählende weitere Verlauf der Sache wird dies außer Zweifel ſeten. An Entwürfen für die deutſche Bundesverfaſſung fehlte es aller dings nicht. Einer verdrängte den andern , denn keiner erlangte Metternidy's Genehmigung , und der Erfolg zeigte , daß nicht etwa ihre Unvollkommenheit die Urſache davon war , denn gerade der an Inhalt ärmſte , in der Faſſung unvollkommenſte und zweideu tigſte erhielt endlich ſeine Billigung. Die fortwährende Ausarbei tung neuer Verfaſſungsentwürfe diente demnach nur dazu den An fang der Berathungen immer weiter hinauszuſchieben, und die dafür vorhandene Zeit fo fehr , als möglidy zu beſchränken . 3m December 1814 hatte bereits der zweite öſterreichiſche Bevollmächtigte Freiherr von Wefienberg den Entwurf einer Grundlage der deutſden Buna desverfaſſung in 15 Artikeln ausgearbeitet. Als Zweck des Bundes wurde, wie in den 12 Artikeln , welche den Berathungen des deutſden Ausſduffes zu Grunde gelegen hatten, „ die Erhaltung der äußeren Ruhe und Unabhängigkeit deſſelben " bezeichnet, aber ſtatt der früher an dieſer Stelle noch hin zugefügten Worte ,, und die innere S dhonung der verfaſſungs mäßigen Redyte jeder Klaſſe der Nation " hieß es nun „ und die Sicherheit der Verbündeten in ihren Verhältniſſen zu einander " . Denn Metternidh’s Streben den deutſchen Bund zu einer Polizeianſtalt zu machen , mittels weldier er jede freie Entfal tung des Volkes hindern könnte , trat jegt immer deutlicher hervor . Die einzelnen Beſtimmungen des öſterreichiſchen Entwurfs ſeşten feft: Gleichheit der den Bundesgliedern zuſtehenden Redyte, Beſor gung der Bundesangelegenheiten burdy einen ſtändigen Bundes rath , in welchem die Bundesglieder unter Deſterreichs Vorſig und materieller Geſchäftsleitung durch Stimmenmehrheit Beſchlüſſe

204

faßten. Einigen Bundesgliedern ſollten Einzelſtimmen , andern nur Geſammtſtimmen zuſtehen. Bei Stimmengleichheit habe die Stimme des Vorſißenden zu entſcheiden . Der Bundesrath beſchließe über Krieg und Frieden , Vertheidigungsanſtalten , Bündniſſe, Verträge, und zwar auf Vortrag eines ſtändigen, aber jährlich zu erneuernden Ausiduſſes , welcher aus dem Vorſigenden und zwei andern Bun besgliedern beſtehe, und in dringenden Fällen ſofort handeln dürfe. Der Bundesrath übe ferner die gefeßgebende Gewalt hinſichtlid, der Gegenſtände allgemeiner Wohlfahrt aus. Die Volkszahl eines jeden zum Bunde gehörigen Staates bedinge deſſen Leiſtungen an Trup pen und Geld. Verbindungen mit Auswärtigen infolge einer Hülfs leiſtung, welche dem Bunde , oder einzelnen Gliedern deſſelben ge fährlich werden könnten , und gegenſeitige Bekriegung wären den Bundesgliedern unterſagt , deren Streitigkeiten durdy den Bundes rath auf noch näher zu beſtimmende Weiſe zu entſcheiden ſeien . Landſtände mit Rechten hinſichtlich der Steuern und allgemeinen Pandesanſtalten ſollten binnen 3ahr und Tag in jedem Buns deslande beſtehen. Die mittelbar gewordenen Reichsſtände würden mit gewiſſen Vorrechten die erſten Standesherren in denjenigen Den Staaten bilden , deren Unterthanen ſie geworden wären . Unterthanen in jedem deutſchen Bundeslande werde verbürgt : Gleid )=

heit der bürgerlichen Rechte für Katholiken , Lutheraner und Refor mirte , Aufhebung der Leibeigenſchaft gegen Entſchädigung binnen drei Jahren , Recht des Grundbeſißes in jedem Bundeslande unter den für die Einwohner geltenden Beſtimmungen nebſt freiem Abzugs rechte, Freiheit des Bundesgrenzen . 1)

Verkehrs

und der Schiffahrt innerhalb

der

Die Kreiseintheilung und der doppelte Bundesrath , fowie das Bundesgerict waren alſo beſeitigt . Preußen ſträubte fich deshalb dieſen Entwurf den Verhandlungen

zu unterbreiten , und reichte am 10. Febr. 1815 einen von þum boldt ausgearbeiteten Verfaſſungsentwurf von 120 Artikeln ein , den vollſtändigſten von allen, welche überhaupt vorgelegt worden find. Die Hauptbeſtimmungen deſſelben (f. Beilage II) waren folgende : Der Bundeszweck war in der urſprünglidhen, auch des Bolts gedenkenden Weiſe angegeben. Die Beſorgung der Bundesangelegen heiten war wieder einem erſten und zweiten Rathe übertragen . Jener follte außer von Deſterreich und Preußen, welchen je zwei Stimmen

1) MYüber , II , 1.- 5 .

205

zuſtänden , noch von drei andern , jedoch nicht namhaft gemachten Staaten mit je einer Stimme gebildet werden und ununterbrochen verſammelt ſein. Wenn die vier Stimmen Deſterreichs und Preußens den drei Stimmen der übrigen Mitglieder entgegenſtänden , wurde Gleichheit der Stimmen angenommen, und die Stimmen der zur Zeit noch nicht näher bezeichneten Staaten hätten dann den Ausſchlag zu geben . Ausſchließlich ſtände dem erſten Rathe die Leitung und ausübende Gewalt des Bundes, ſowie deſſen Vertretung zu, wo er als ein Ganzes auswärtigen Mädyten gegenüber erſcheine. Mit Zuziehung eines Ausſchuſſes des zweiten Rathes übe er die demſelben zuſtehen den Rechte aus . Der zweite Rath beſtehe aus allen Bundesglie dern , weldie theils beſondere , theils Geſammtſtimmen haben . Er verſammele fich jährlich in derſelben Stadt, wie der erſte Rath, und bleibe bis zur Erledigung ſeiner Geldhäfte zuſammen. Sein Wir lungskreis umfaſſe alle Gegenſtände, welche für allgemeine, ganz Deutſchland betreffende Gefeße fich eigneten, wozu bie obenerwähnte Mitwirkung einiger ſeiner Mitglieder bei Geſchäften des erſten Rathes fomme. Das Verhältniß der Kreisvorſteher zum Bunde ſei ein doppeltes , inſofern ſie als Bundesfürſten , oder als Leiter der von ihren Mitftänden gebildeten Kreisverſammlungen in Betradht kämen . In lekterer Eigenſchaft ſtänden ſie unter der Aufſicht des erſten Rathes , bei welchem auch etwaige Beſchwerden gegen ſie angebracht werden könnten . Es liege ihnen ob die Aufrechthaltung des Bundes vertrags und die Bollſtredung der Bundesbeſchlüſſe in ihrem Kreife, die oberſte Aufſicht über das Kriegsweſen aller Stände deſſelben , die Bildung eines gemeinſchaftlichen Gerichtshofes für diejenigen Stände des Kreiſes, denen das Recht der dritten Inſtanz nicht zuſtehe, weil ſte weniger , als 300000 Einwohner zählen . Die Kreisverſamm lungen beſtänden theils aus ſelbſtändigen , theils aus andern unter geordneten ehemaligen Reichsfürſten, und würden jährlich zwei Mo nate vor der Zuſammenkunft des zweiten Bundesrathes in der Hauptſtadt gehalten , könnten auch vom Kreisvorſteher außerordent lich zuſammenberufen werden. 3hr Wirkungskreis betreffe alle auf die Wohlfahrt des Kreiſes bezügliche, oder ſolche Gegenſtände, über welche man als im zweiten Rathe einzubringende Geſegvorſchläge ſich vereinigen wolle. Bei Stimmengleidyheit der Kreisſtände ent ſcheide die Stimme des vorſigenden Kreisvorſtehers, welchem auch die Vollziehung der Kreisverfanımlungsbeſchlüſſe zuſtehe. Ade Bun desglieder hätten den freien und vollen Genuß ihrer Regierungs rechte, inſoweit fte nicht zu Erreichung des Bundeszwedes beſchränkt

206 würden .

Sie

dürften

daher

keine

Verbindung

mit

Auswärtigen

gegen den Bund oder gegen einzelne Mitglieder deſſelben eingehen. Von Verträgen über Krieg, Frieden und Hülfsleiſtungen jeder Art fei der Bund in Kenntniß zu ſeßen . Zu den Koſten des Bundes Den Mediatiſirten wur trage jedes Mitglied verhältniſmäßig bei . den verſchiedene Vorrechte und Ehrenrechte zugeſtanden, Bundes glieder dürften ſich nicht befriegen , ſondern deren Streitigkeiten ſeier durch ein Bundesgericht zu entſcheiden, deſſen Mitglieder zuerſt vom Bunde ernannt würden , die ſich aber nachher durch eigene Wahl ergänzten . Auch die Landſtände, die Mediatifirten und übrigen Unterthanen fönnten bei Rechtsverweigerungen vor dem Bundes gerichte klagbar werden , welches ſich nöthigenfalls in zwei Senate theile, und ſeine Beſchlüſſe dem erſten Bundesrathe zur Volſtređung mittheile . Bei dieſem ſeien auch etwaige Beſchwerden gegen das Gericht ſelbſt zu erheben . In allen deutſchen Staaten folle eine Verfaſſung ſtattfinden , welche mindeſtens folgende Rechte den Ständen zuſidhere : Mitberathung bei allen neuen Ge feßen , Bewillig ungsrecht bei Einführung und Erhöhung von Steuern , Beſchwerdeführung und Vertretung der Landesverfaſſung beim Landesherrn und Bunde. Alle Bundesglieder hätten ihren deutſchen Unterthanen zu gewähren : die Freiheit nach jedem Bundesſtaat ohne Abgabe auszuwandern , und dort in Civil- und Kriegsdienſte zu treten , die Freiheit ſich auf jeder deutſchen Lehranſtalt zu bilden , die geſegmäßige Freiheit und Sicherheit der Perſon und des Eigenthums gegen jede Beeinträchti gung , auch gegen Nadybrud , die Freiheit Beeinträchtigungen der perſönlichen und Eigenthumsrechte gegen Jedermann vor dem ordent lichen Rider zu verfolgen , und wegen verweigerter , verzögerter, oder geſebwidrig geübter Rechtspflege Beſchwerbe beim Bunde zu füh ren , endlich auf Verantwortlichkeit der Schriftſteller, Buchhändler und Druder beruhende Preßfreiheit , Aufhebung der Leibeigenſchaft. Dieſem Entwurfe war noch ein zweiter beigelegt , welcher, mit Uusnahme der die Kreiseintheilung betreffenden Beſtimmungen, gleidy= lautend war. Der erſte Bundesrath theilte kraft deſſelben ſeine Be ſchlüſſe in Ermangelung der Kreisvorſteher den Landesherren un mittelbar mit , und für das Kriegsweſen ſollte ein beſonderer Aus= ſchuß ſorgen. In einer ſehr umfangreichen Note , welche dieſen beiden Vers faſſungsentwürfen beigelegt war , hoben die preußiſchen Bevollmäch tigten die Vorzüge ihrer Vorſchläge , beſonders der Kreiseintheilung

207

hervor. Deutſchland folle nach ſeiner neuen Verfaſſung, die nicht bloß die politiſche Selbſtändigkeit, ſondern auch die innere Sicherung der Rechte und die allgemeine Wohlfahrt der Nation zum Zweck habe , ein in allen Theilen verbundenes Ganze ausmachen . In dieſem nun werde nicht nur die Einwirkung der Centralgewalt immer ſchwächer ſein , wenn ſie geradezu , und ohne ein verfaſſungs mäßig dazu beſtimmtes Organ geſchehe, ſondern audy die Verbin dung der Einzelnen untereinander werde loderer werden , wenn nur die loſere , allgemeine Verbindung beſtändig ſei , die ſtärkere, beſon dere aber dein Zufale und dem Wechſel überlaſſen bliebe. Die Aufrechthaltung der Bundesbeſchlüffe, deren Uebertretung bei der mangelnden Aufſicht des Kreisvorſteberg häufig unbemerkt bleiben werde , ſei bei dieſer Einridjtung nicht nur weit geſicherter, ſondern die gemeinſchaftliche Beſchäftigung der Kreisſtände mit Bundesanges Könnten auch legenheiten beuge idon an fid Abweidungen vor. die Vortheile der Kreiseintheilung in der Militärverfaſſung durch Einrichtung von Bezirksabtheilungen erſeßt werden , ſo würden doch durch die für die dritte 3nſtanz gebildeten Kreisgerichte die Nach theile eines zu weiten und zu engen Gerichtsſprengels vermieden . Die Beſorgung der betreffenden Geſchäfte durch die Kreisverſamm lungen ſei endlich derjenigen auf diplomatiſchem Wege weit vorzu ziehen , denn hier könne immer ein einzelner Staat das von den übrigen Beſchloſſene hindern. Auch ſei die fortdauernde gemeinſame Sorge für das Wohl der zum Kreiſe verbundenen Länder ſehr ge eignet das Intereſſe für daſſelbe bei Großen und Kleinen zu er höhen und die Berathſchlagungen des zweiten Bundesrathes zu fördern. Es ſei nun zwar wider die Kreisverfaſſung mancherlei einge wendet worden , zuvörderſt, daß ſie eine zu große Ungleidheit unter den deutſden Fürſten und ein Zerfallen Deutſchlands in wenige große Theile verurſache , allein die Gleichheit in einer Bundesver ſammlung werde dadurch nicht aufgehoben , daß die Ausübung ein zelner Rechte gewiſſen Mitgliedern als ein Amt übertragen werde ; auch ſei man zur Zeit der ehemaligen deutſchen Verfaſſung niemals auf einen ſolchen Gedanken verfallen. Die Gefahr aber , daß Deutſch land in einige große Theile zerfalle , entſtehe nicht aus der Einthei lung in Kreiſe, ſondern aus der überwiegenden Macht einiger Staaten und der Entwöhnung von aller , audy noch ſo billigen , ge meinſchaftlichen Verfaſſung; mithin fei gerade die Wiederherſtellung einer ſolchen das fräftigſte Gegenmittel des Zerfalls. Bei den , die Kreisverbindung erſetzenden diplomatiſchen Verhandlungen befänden

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fich die einzelnen kleineren Staaten den mächtigeren gegenüber in einer weit ungünſtigeren Stellung. Man ſage auch wol , daß der ſchon beträchtlichen phyfifden lebermacht durch die Verfaſſung noch ein Gewicht zugelegt werde, allein eine richtig geleitete phyſiſche Macht würde zu einer Wohlthat für den Schwächeren , weil ſie durch die Verfaſſung zu einer moraliſchen werde. Die Einwendungen : es ſei die Zahl der eigentlichen Bun desglieder ſo zuſammengeſchmolzen , daß ſie ſelbſt für eine geringe Anzahl von Kreifen zu klein wäre , fie feien ferner ſo ungleich in Deutſland vertheilt , daß in den wenig ften Kreiſen an eine Verſammlung gedacht werden könne, würden hins wegfallen , wenn man die mediatifirten Reichsſtände, wie dies die Gerechtigkeit fordere , zu Reichsſtänden erhöbe. Allein geſchehe dies auch nicht, ſo würden body wenigſtens einem Theile Deutſdylands die nachgewieſenen Vortheile einer Kreisverbin dung zukommen . Als hätte die von Weſſenberg ausgearbeitete Verfaſſung die Ein theilung der Bundesverſammlung in einen erſten und zweiten Rath nicht bereits ausgeſchloſſen , wurde ferner erwähnt , daß die Zuſam menfügung des Ganzen und die eigentliche Centralgewalt des Bun des eine Sauptveranlaſſung zu den vorliegenden Vorſchlägen geweſen ſei. Nach den bisherigen Entwürfen liege die ganze vollziehende Gewalt in dem erſten Rathe der Bundesverſammlung ; es ſei aber nothwendig , daß es ein feſtes Verbindungsmittel zwiſchen beiden Räthen gebe , und dies beſtehe in der Zuziehung eines Ausſchuſſes des zweiten Rathes , weldien man ein für alle Mal in den erſten Rath aufnehmen müſſe. Wenn dies geſchehe, blieben die Gegenſtände der Vollziehung von denen der Verwaltung nicht nur gehörig geſondert, ſondern die billigen Forderungen der Bundesglieder an den Arbeiten des erſten Rathes theilzunehmen, ſo weit dies ohne Nachtheil an der bei Gegenſtänden der Vollziehung nothwendigen Schnelle und Be wahrung des Geheimniſſes geſchehen könne , ſeien hiermit erfült. Wie man aber auch die Verfaſſung des deutſchen Bundes ge ſtalte , fo feien es drei Punkte, von denen man nicht abgehen dürfe, nämlich eine kraftvolle Kriegsgewalt, landſtändiſse, durdy den Bundesvertrag geſicherte Verfaſſungen und ein Bun : desgericht. Ohne dieſes würde dem Rechtsgebäude in Deutſchland der leşte und nothwendigſte Schlußſtein fehlen . ? )

) Klüber , II, 7–64.

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Der erſte und dritte Bunkt fanden nur theilweiſe, der zweite gar keine Berücfichtigung , und es liegt daher in jenem Ausſpruche eine ausdrüdliche Verurtheilung der nachherigen Bundesverfaſſung durch einen Theil ihrer Urheber. Sollte die Bundesverfaſſung wirklich, wie dies ja ſo oft falbungsvoll ausgeſprochen worden war , das Mittel ſein die innere Freiheit und die äußere Unabhängigkeit Deutſchlands zu ſichern , nicht aber dem von Napoleon für die kleinern deutſchen Fürſten erſt ins Leben gerufenen Souveränetätsbegriffe fein Pflanzen leben bis zum nädyſten Kriege zu friſten , ſo war der von Humboldt mit ſo vieler Umſicht entworfene und beſonders auch auf die Kreiseintheilung geſtüßte Plan unter den obwaltenden Umſtänden mehr , als jeder andere zur Erreichung dieſes Zieles geeignet ; und wären die klei nern deutſchen Staaten wirklich bereit geweſen die in ihren obenerwähn ten Noten aufgeführten Befdränkungen ihrer Souveränetät einem deutſchen Kaiſerthume, deſſen Krone feine der beiden deutſchen Groß mächte beanſpruchyte , zum Opfer zu bringen, ſo würden ſie auch einer Bundesverfaſſung wie der von Preußen vorgeſchlagenen , welche nicht fo viel von ihnen verlangte , und die doch allein möglich war, ihre Zu ſtimmung ertheilt haben . Allein als ſie ihren Zweck zu den Be rathungen der Bundesverfaſſung zugelaſſen zu werden erreicht hatten, waren ſie erfreut , daß mit Beſeitigung des von Anfang an unwahr ſcheinlidyen Kaiſerthums die Bedingung für ſie wegfiel , unter wel cher ſie ſich zur Bringung jener Opfer erboten hatten . Der Freiherr vom Stein war der leßte Staatsmann, welder, nachdem feine Bemühungen dem hohenzollernſchen Hauſe die Kaiſer würde zu verſchaffen keinen Anklang gefunden hatten , das lothringiſch habsburgiſche Haus dafür empfahl. Noch im März 1814 , als er den verbündeten Mächten Grundlagen einer deutſchen Verfaſſung vorlegte , ja noch im September vor Anfang des Congreſſes hatte er Bedenken getragen die Wiederherſtellung des Kaiſerthums vorzu fdhlagen , jetzt hielt er merkwürdigerweiſe dieſelbe für möglich und wünſchenswerth. Muthmaßlich hielt er die von den deutſchen Klein ſtaaten deshalb ausgeſprochenen Wünſche für ernſtlich gemeint und für hinreichend eine politiſche Einrichtung, die fdon ſeit Jahr hunderten zur Ruine geworden war , beim Ausbau der neu zu grün benden deutſchen Verfaſſung wieder verwendbar zu machen . Graf Capodiſtrias, welchen er von der Zweckmäßigkeit einer ſol dhen Maßregel zu überzeugen geſudyt hatte, übergab am 9. Febr. dem Kaiſer von Rußland eine Denkſchrift, worin erörtert wurde, ob es für Deutſchlands und Europas Wohl vorzuziehen ſei , wenn II. 14

210

man Deutſchland zu einem feft vereinigten Bundesſtaate mache, oder wenn man es in einem ſolchen Zuſtande laſſe, der neue Veränderungen in Ausſicht ſtelle. Uebernähmen die fünf Höfe , wie dies bisher beabſichtigt worden ſei , die Leitung des Bundes , das Kriegsweſen, die Entſcheidung etwaiger Streitigkeiten unter den Fürſten , und die Bürgſchaft für die Verfaſſung, ſo ſei zu erwarten , daß Deſterreichs und Breußens beſtändiges Streben nad Machtvermehrung Frankreich Gelegenheit geben werde mit Baierns und Würtemberg8 Hülfe ſeis nen Einfluß in Deutſchland wiederherzuſtellen. Hieraus würden Streitigkeiten entſtehen , durch welche der Friede Europas geſtört zu werden drohe. Es ſei alſo rathſam Deutſchland eine ſo fefte Ver faſſung zu geben , daß es jedem Eroberer zu widerſtehen , und dadurch das europäiſche Gleichgewicht aufrecht zu erhalten vermöge. Dies geſchähe, wenn Deſterreich, den Wünſchen Deutſchlands gemäß, die deutſche Kaiſerkrone wieder annehme . Preußen , in ſeine frühere Stel lung zum Reiche zurüdkehrend, werde in ſeinen bisherigen Beziehun gen zu Rußland und England verbleiben ; Deſterreich werde am beſten thun feine ausgedehnten Beſitzungen in Italien unter die volksthüm liche Herrſchaft eines ſeiner Prinzen zu ſtellen . Es frage fich aller dinge , ob Deſterreich , welches auf ſolche Vorſchläge einzugehen bisher nicht geneigt geweſen ſei , hierzu bewogen werden könne ? Allein es ſei jedenfalls räthlich dies zu verſuchen , und man müſſe es ſich vors behalten bei günſtiger Gelegenheit entweder mit Deſterreich , ober mit Preußen einen ſolchen Plan durchzuführen . Offenbar war Capodiſtrias nur das Organ , durch welches Stein feine Ideen über Deutſchlands neue politiſdie Geſtaltung vortragen ließ , und wol nur der Wunſch durch eine in

folchem

Sinne abge

faßte eigene Denkfdhrift feine Meinungsänderung nicht zu beurkunden veranlaßte ihn dieſen Weg einzuſchlagen. Der Wahn freilich, daß Deſterreich werde bewogen werden können den Beſit ſeiner italieni idhen Provinzen einem deutſchen Kaiſerthume aufzuopfern, welches bei den Selbſtherrlichkeitsgelüften der deutſchen Fürſten – kam es wirk lich zu Stande — ſchwerlich mehr Gewalt beſeſſen haben würde, als vor der Stiftung des Rheinbundes , beweiſet, daß auch ſo einſichts volle Staatsmänner wie Stein und Capodiſtrias zuweilen das , was ſie wünſchen , der triftigſten entgegenſtehenden Gründe ungeachtet, für möglich halten . Auf Alerander's Frage : was Stein von den in der Dentſdrift ausgeſprochenen Ideen urtheile ? antwortete Capodiſtrias: Stein fei hierüber vollkommen derſelben Meinung ; worauf der Kaiſer , welcher

211 in dem hoffnungsloſen Verſuche einen derartigen Plan auszuführen keine Gefahr für ſein Intereſſe erblicte , es genehmigte , daß Capo diſtrias und Stein am 11. Febr. deshalb eine linterredung mit Hardenberg hatten . Dieſer begnügte ſich damit die Ausführbarkeit Am Tage darauf beſprach fidy Stein des Plans zu bezweifeln . über den Gegenſtand mit Metternich. Letzterer, entſchiedenen Antworten abhold, erwiderte : er wolle erſt die Anſichten des Grafen Solms und des Freiherrn von Pleſſen vernehmen , bevor er eine Erklärung abgebe. ) In das Protokoll der an demſelben Tage ſtattfindenden , die Ord nung der Gebietsfragen betreffenden Sißung wurde bezüglich der Deutſchen Verfaſſung eingeſchalten : 11,Se. Maj . der Kaiſer von Deſterreich und Se. Maj . der König von Preußen , von gleichem Eifer beſeelt Deutſchland feſter zu vereinigen und durch innere Einrichtungen ihm eine dauernde Ruhe zu ſichern , erneuern ihre gegenſeitige Verpflicytung alles , was von ihnen abhängt, zu thun , um die Abfaſſung eines Grundgefeßes zu beſchleunigen , welches, indem es dem Ganzen Stärke verleiht, zugleich jeden einzelnen Bundesſtaat unter gemein ſamen Schutz ftellt , und die Rechte der Fürſten , Mediatiſirten und aller Klaſſen der Nation feſtſtellt und gewährleiſtet .“ 2) Dieſe ſchönklingenden , aber nicht den mindeſten Anhaltpunkt dar bietenden Worte , welche nur dadurch einige Bedeutung erhielten , daß kein Ausdruck auch nur eine Anſpielung auf das in Vorſchlag ge brachte Kaiſerthum enthielt , konnte ſich jeder ſeinen Wünſchen gemäß auslegen. Nachdem Graf Solms ſein Gutadyten über die Ausſtattung der Kaiſerwürde eingereicht hatte , unterredete ſich Stein am 17. Febr. über die Nothwendigkeit dieſelbe herzuſtellen mit dem Kaiſer von Rußland. Stein knüpfte fein Gutachten an die von Capodiſtrias über gebene Denkſchrift an , welche ſo wahr , als ſcharfſinnig die Schwäche des Fünf Höfe- Regiments und deſſen verderbliche Folgen für die in nere Ruhe und äußere Sicherheit Deutſchlands dargelegt , und die Nothwendigkeit ſtatt einer Leitung von fünf in Anſichten , Intereſſen und ſelbſt Regierungsformen ſo verſchiedenen Höfe ein einziges Haupt des Bundes anzuordnen gezeigt habe , und bemerkte dazu , jener Vor ſchlag des deutſchen Ausſduffes beruhe nidyt etwa auf irrthümlicher Anſicht, ſondern auf der beſtehenden Eiferſucht der verſchiedenen Höfe untereinander .

Sodann ſtellte er vor :

„ Jeder derſelben ſieht mit Unruhe dem andern einen vorwiegenden Ein fluß eingeräumt, und zieht einen Zuſtand der Schwäche , des Sdwanken8

) Berg , IV , 321 - 323. 2) Klüber , IX , 34.

14 *

212 einem feſten und ſtarken Zuſtande, der ſeinen Einfluß verringern würde , vor. Dieſe Betrachtungen entſprechen aber nach meinem ürtheile feineswegs einer weiſen und freiſinnigen Politik , wie ſie allein zwiſdhen verſchiedenen Bundess ſtaaten Zutrauen , Anhänglichkeit und Hingebung an das Band , welches ſie vereinigt, zu unterhalten vermag. Die Befugniſſe des Bundestages beſtehen in der Geſeßgebung über ge meinwichtige Verwaltungsgegenſtände, die Kriegseinrichtung, die auswärti gen Verhältniſſe, die Streitigkeiten zwiſchen den Fürſten unter ſich und mit ihren landſtänden. Unter allen deutſchen Staaten iſt es vorzüglich für Preu ben wegen ſeiner Stellung in der Mitte Deutſchlands von überwiegender Wichtigkeit, daß dieſes eine ſtarke Verfaſſung erhält , und weiſe verwaltet werde. Preußen muß mehr, als alle übrigen gegen den Verfall der Kriegsein richtungen des Bundes , Störungen der innern Ruhe , Hemmung der Be wegung des Handels beſorgt ſein , denn es bedarf jener Kriegseinrichtungen zu ſeiner Vertheidigung. Es wird nothwendig in alle Zwiſte ſeiner Nach barn verwidelt ; es wirdden größten Vortheil von der Freiheit des Handels haben , da es im Beſige der großen Ströme iſt, und einen Ueberfluß an Er zeugniſſen der Erde und der Gewerbe hat, an deren freiem Umlaufe ihm liegt. Deſterreich wird durch ſeine geographiſche Lage zur Seite Deutſchlands geſchoben . Die Bundesfeſtungen decken nicht unmittelbar ſeine Grenzen, ſein Handel hat die Richtung nach der Donau und dem adriatiſchen Meere , die innern Zwiſtigkeiten Deutſchlands gehen es nur ſchwach an. Es wird ſuchen vorzugsweiſe mit Baiern gut zu ſtehen, deſſen Abhängigkeit ihm übrigens durch ſeine Lage geſichert wird , und ſeine Theilnahme an Deutſchland wird ſtets dem , was ihm augenblidlich paßt, untergeordnet ſein . Wir ſehen es in dieſem Geiſte handeln , im deutſchen Comité Läſſigkeit zeigen , bereit Mainz, Frankfurt und Hanau an Baiern abzutreten, und eine Nachygiebigkeit gegen daſſelbe zeigen , welche an Schwäche grenzt, um es feſt an ſich zu knüpfen und in dem neuen Kampfe, den die polniſche und ſächſiſche Ange legenheit herbeiführen zu wollen ſchien , mit Nußen zu verwenden. Außerdem iſt eine Entfremdung zwiſden den Oeſterreichern und den Deutſchen vorhanden. Die Großen ſind eiferſüchtig auf den Vorrang der deutſchen Fürften , die große Menge mißtraut der Einſicht, der Bewegung in den Geiſtern , in den Meinungen , welche ſich bei ihren Nachbarn zeigt. Den Deſterreichern behagt die Ruhe ; die Beweglichkeit und der Idealismus der Deutſchen , ſelbſt die Verſchiedenheit der Sprache verurſacht ihnen Mißbeha gen. Sie meſſen alle ihre politiſchen Leiden Deutſchland bei, ſie vergeſſen, daß es das Heer der deutſchen Ligue war , welches ihnen in der Schlacht am weißen Berge Böhmen unterworfen hat , und daß es keine deutſche Fa milie giebt, deren Vorfahren nicht ihr Blut in den Ebenen Ungarns ver goſſen hätten , um deſſen Beſitz dem Hauſe Deſterreich zu ſichern . Wenn man zugeſteht, daß Oeſterreich ein geringeres Intereſſe an Deutics land hat , als Preußen , daß jogar in ſeinem Innern Beſtandtheile ſind, die nady einer Trennung ſtreben , wenn man deſſenungeachtet glaubt, daß die Vereinigung Defterreichs mit Deutſchland für letteres unerläßlich , und für das politiſche Wohl Europas im Ganzen nüglich iſt, ſo kann man ſich auch nicht weigern einzuräumen , daß ein verfaſſungsmäßiges Band gebildet wer den muß , welches Oeſterreich wieder mit Deutſchland vereinige, und beide dadurch verbinde , daß jenem ein großer Einfluß, ein Uebergewicht einge räumt werde, welches ihr gegenſeitiges Verhältniß auf Vortheil und Pflidt begründe . Da die gegenwärtige Lage Deutſchlands die ſeltſame Verbindung einer Macht wie Preußen von zehn Millionen Menſchen mit dem Fürſtenthume Vaduz von 4000 zeigt , ſo wird jedes Anſehen , werde es nun einem Direc torium von Fünfen , oder einem einzigen und alleinigen Oberhaupte anver

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traut , auf fo verſchiedene Theile eine verſchiedene Wirkung äußern. wird einwirkend ſein für die einen , befehlend für die andern , aber in bei den Fällen ein feſteres und lebendigeres Beſtehen haben , wenn es einem Einzigen , als wenn es mehreren übertragen iſt ; denn im legtern Falle wäre es ſchwach im Grundſaß und ſchwach durch die Beſchaffenheit des Werkzeuges, welches es ausübt. Die Befugniſſe , deren Ertheilung an die Kaiſerwürde man bei der jeţi gen Lage Deutſchlands mit Hoffnung auf Erfolg vorſchlagen fönnte , be ſchränken ſich auf Theilnahme an der Geſeßgebung, an der richterlichen Ge walt, an der Leitung der Kriegsmacht, auf Ehrenrechte. Die Geſetzgebung über Gegenſtände von allgemeiner Wichtigkeit für den Bund und das Recht des Krieges und Friedens müſſen dem Bundestage und dem Kaiſer anvertraut werden ; das Antragsrecht gebührt dem einen wie dem andern ; die kaiſerliche Genehmigung wird erfordert, um einem Vorſchlage des Bundestags Geſetzestraft zu ertheilen. Die richterliche Ges walt wird ausgeübt durch ein Gericht , deſſen Vorſtand der Kaiſer ernennt; die Mitglieder werden es durch den Bundestag; der Kaiſer hat die Aus führung der Urtheile nad; vorzuſchreibenden Formen. Die Leitung der Kriegsmacht wird in Kriegszeiten dem Kaiſer und einem Rathe dreier Fürſten anvertraut, deren einer ſtets Preußen iſt, die beiden andern erwählt der Bundestag . Es wird eine Ordnung für die Kriegseinrichtung, die Heeresbildung, die Aufſicht und Unterhaltung, der Feſtungen u . ſ. w . entworfen. Die Handhabung dieſer Ordnung wird dem Kaiſer und einem wie oben gebildeten Rathe dreier Fürften anvertraut. Der Kaiſer hat in den freien Städten das Recht der Mannſchaftaushebung und der Werbung ſolcher Unterthanen der Fürſten , welche ihrer Kriegspflicht ges nügt haben . Die Ehrenrechte des Kaiſers find : der Kaiſertitel, ſeine Eigenſchaft als erbliches Oberhaupt des Bundes . Alle Handlungen der Geſetzgebung und Gerichtsbarkeit geſchehen in ſeinem Namen ; die Geſandten, weldie der Bun destag zu Unterhandlungen mit fremden Mächten ernennt, erhalten ihre Be glaubigungsſchreiben vom Kaiſer; ſein Geſandter am Bundestage genießt den Rang eines kaiſerlichen Commiſſarius.“ 1) Es kann nicht Verwunderung erregen , daß dieſe Denkſchrift, weldie eine den Verhältniffen nicht entſprechende ſtaatliche Einrichtung em pfiehlt, der ſchlagenden Gründe entbehre , weldie ſonſt Stein's Be weisführung auszeichnen. Er räumt ein , daß Deſterreich weder durch Sympathien , noch durch Vortheile des Handels , welcher, durch die geographiſche Lage bedingt , entgegengeſeşte Richtungen einſchlage, mit Deutſdyland verbunden ſei , und meint dennoch , daß ungeachtet des Mangels dieſer nothwendigen Grundlagen eines naturgemäßen Bündniſſes der öſterreichiſche Hof burd ein mehr dem Scheine, als dem Weſen nach beſtehendes deutſches Kaiſerthum bewogen werden könne in ein Verhältniſ zu Deutſchland zu treten , welches ihm mehr Pflichten auferlegte, als Vortheile gewährte . Außerdem wußte er, daß , als ein ſolches Verhältniß nod beſtand , das öſterreichiſche Raifer haus kein Bedenken getragen hatte Deutſdlande Kräfte für eigene 1) Berg , IV , 329-333.

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Zwecke zu verwenden und gegen Abtretung von Reichsländern die Zahl ſeiner Erbländer zu vermehren . Die Unfruchtbarkeit eines öſterreichiſch - deutſchen Kaiſerthums für Deutſchland wäre nun zwar kein Grund für den Kaiſer Alerander geweſen der vorgeſchlagenen Maßregel feine Unterſtüßung zu ver fagen, wol aber die Beſorgniß hierdurch Deſterreich in die Lage zu bringen ſeine Madyt zu vermehren und den ruſſiſchen Einfluß auf Deutſchland zu verringern. Demungeachtet hatten Stein's Vorſchläge wie gewöhnlich einer freundlichen Aufnahme ſich zu erfreuen , denn Alerander betrachtete ſelbige ſtets als werthvolle Beleuchtungen der politiſchen Verhältniſſe, welche ihm die Aufgabe erleid }terten ſeinen eigenen Vortheil in geſchickter Weiſe wahrzunehmen . Er erklärte ſos gar auf deren Durchführung bedacht ſein zu wollen , wenn er ſich überzeugt haben würde , daß der König von Preußen ihnen beiſtimme, und konnte dies um ſo leichter verſprechen , als deſſen Zuſtimmung theils an ſich unwahrſcheinlich war, theils derſelbe bisher noch immer, ſelbſt bei anfänglicher Verſchiedenheit der Meinung , ſchließlich doch derjenigen ſeines kaiſerlichen Freundes fich angeſchloſſen hatte . In der Beſpredjung, welche am 20. Febr. zwiſchen Metternic und dem Grafen Solms über die Annahme der Kaiſerwürde von Seiten Deſterreidys ſtattfand, äußerte erſterer zwar , er könne weder dazu , noch davon abrathen , allein aus feinen ſonſtigen Bemerkungen folgte, daß er dem Vorſdlage nicht ſeinen Beifall denke. Er hob hervor , in Norddeutſchland feien die kleinern Fürſten dafür, Preußen aber , mit welchem Deſterreich ſich nicht entzweien wolle, dagegen . Das neugeſchaffene Königreich der Niederlande paſſe auch nicht zur Wiederherſtellung der frühern Reichsverfaſſung, und in Süddeutſch land , beſonders in Baiern habe dieſelbe keine Anhänger. Graf Solms beſtritt dies , und ſprachy ſich ebenſo wie der medlen burgiſche Geſandte von Pleſſen , welcher hierüber mit dem Freiherrn von Weſſenberg eine Unterredung hatte , für die Wiederherſtellung des Raiſerthums aus . Allein die Meinung dieſer beiden Männer, von welcher Metternidi ſeinen diesfallſigen

Entſchluß abhängig zu

machen ſich den Anſchein gegeben hatte, beſtimmte ihn keineswegs ſich für die Annahme der deutſchen Kaiſerwürde von Seiten Deſterreichs aus zuſprechen. Preußen dagegen widerſprach offen. þardenberg ließ durch Humboldt Stein's Denkſchrift ausführlich widerlegen , und zwar mit folgenden Gründen : Es ſei unmöglich einem deutſchen Kaiſer die erforderliche Macht

215 zu geben ; Preußen könne ſidy demſelben nicht unterwerfen , Baiern und die übrigen Staaten würden es nicht wollen . Die Kaiſer würde aber ohne genügende Macht würde ihrem Befiţer nicht hinreichenden Vortheil gewähren , und er daher den Vortheil ſei= ner eigenen Staaten dem Deutſchlands ſtets vorziehen , was legterem und Europa gefährlich fei . Dieſe Gefahr erfdyeine am größten bei llebertragung der Kaiſerwürde an Deſterreich. Nachdem daſſelbe Bel gien, Vorberöſterreich und ſeinen Einfluß auf die geiſtlichen und klei neren Fürſten verloren habe , liege ſeine Hauptmacht in Italien, Ungarn und Polen , mit welchen Ländern feine deutſchen Beſigungen einen geſchloſſenen Staatskörper bildeten ; und habe es idon frü her ſeine Pflichten gegen das Reich vernachläſſigt und ſein In tereſſe demjenigen Deutſchlands vorgezogen, ſo würde das jeßt noch viel mehr der Fall ſein. Infolge der Kaiſerwürde werde eine Abhängig keit der kleineren Fürſten wie im Rheinbunde eintreten , was die Unterzeichner des pariſer Friedens nicht wollten. Ein Bund ohne Haupt gewähre dagegen die nad den Umſtänden erreichbaren Vor theile , entferne die linzuträglichkeiten , ſei allein möglich; denn da gegen die kaiſerliche Madyt ein Gegengewicht nothwendig ſei , wozu in allen bisherigen Planen Preußen allein , oder mit Baiern oder zwei Wahlfürſten, mit Rechten ausgeſtattet werde , fo würde mit der Kaiſerwürde die Eiferſucht gegen dieſelbe wachſen, und ſo würden Bem mungen eintreten , welche zu überwinden der Saiſer wieder größere Macht erhalten müſſe , als zur Vertheidigung Deutſchlands erfor derlich ſei. Wenn Krieg und Frieden allein vom Kaiſer abhingen , oder ſei ner Genehmigung bedürften , ſo könne er den gerechteſten und edel ften Nationalaufſchwung vereiteln ; gebe man ihm hingegen nur mehrere Stimmen , ſo entſtehe derſelbe Mangel an Einheit und Kraft, den man bei einer Bundesverfaſſung beklage. Das Verhältniß der Macht des Kaifers und der deutſchen Staaten ſei burdy Einziehung der geiſtli chen und Unterdrückung fo vieler weltlichen Fürſten und Reichsſtädte ſo ſehr verändert, daß , wo früher fein Wille hingereicht, jeßt Heere erfordert würden . Die Verbindung Deutſchlands mit dem Geſchide einer der größten Mächte Europas werde jenes in alle Gefahren derſelben hineinziehen , während bei einem Staatenbunde die Mächte fich anderweitig anſchließen und neutral bleiben könnten .

Der Ge

ſchäftsgang werde durch Verfaſſungsformen in gewöhnlichen Zeiten erſchwert, welche im Augenblicke der Gefahr alle unnüt oder ſchäd lich würden.

216 Daſſelbe gelte vom Innern. Da der Kaiſer auf eigene Verant wortlichkeit handle , ſo werde er fich wol hüten Verfaſſungsverleßun gen der größeren Mädyte abzuſtellen , während es in einem Bunde wenig bedenklich ſei ſich der Mehrheit anzuſchließen . Wenn ſo nad Innen und Außen die Grundfäße des faiſerlichen Hofes , und felbft eines Miniſters, beſtändig und oft im Widerſpruch mit dem Volks geiſte überwiegen würden , ſo werbe im Gegentheil bei einem Bunde die öffentliche Meinung größern Einfluß haben , Schädliches leichter vermieden , und Beſſeres an die Stelle gelegt werden , wie es dem Geiſte der Nation entſpreche, die weder unruhig , noch aufrühreriſch ſei , aber vorwärts ſtrebe und die Aufklärung benußen wolle im Gegenſatz zu jener Unbeweglichkeit, der die Erfahrung nichts iſt, und für welche die Jahrhunderte umſonſt verlaufen. Die Ruhe und Sidyerheit Deutſchlands' und ihr Einfluß auf das Gleichgewicht Europas beruhe ſtets auf der Einigkeit Preußens und Defterreiche, die wahre Gefahr in deren Uneinigkeit. Die Aufgabe bei einer deutſchen Verfaſſung müffe daher hauptſächlich mit ſein : in den verfaſſungsmäßigen Verhältniſſen der beiden Mächte jeden Grund zur Uneinigkeit zu entfernen , und im unglücklichen Falle eines Krieges unter ihnen den Deutſchland und Europa treffenden Stoß weniger fühlbar zu machen. In beider Hinſicht ſei ein Bund dem Kaiſer thume vorzuziehen , da dieſes fak Preußens zu Deſterreid, zwinge mit dem leßtern zu In einem Bunde hingegen

ſchon durch bewirke , und gehen , oder würden die

ſein Daſein einen Gegen im Kriegsfalle Deutſchland die Verfaſſung zu brechen . Berührungen fanfter und

gefahrloſer, und ſelbſt bei ausbrechendem Kampfe fönne Deutſchland verfaſſungsmäßig neutral bleiben unter dem Schuße Baierns und an derer größern deutſchen und fremden Mächte. Aber ſelbſt wenn es fortgeriſſen werde , würden die Fürſten ſich wahrſcheinlich zwiſchen beiden Stämpfern theilen , und deren Gewicht folglich für Europa weniger furchtbar ſein. ?) Zur Unterſtüßung dieſer Anſicht der Sache machte Fürſt þarden berg dem Freiherrn vom Stein bemerklich, als preußiſcher Miniſter dürfe er nicht in die Vermehrung der öſterreichiſchen Macht durch die Kaiſerwürde einwilligen ; auch Hannover werde es nicht thun. Die Erfahrung lehre , daß Deſterreich Neigung habe im Bunde mit Baiern und Frankreich Preußen , welches auf Rußlands und Eng = lande Beiſtand hingewieſen fei , gegenüber zu treten . Dies konnte

') Perß , IV , 335 – 338.

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freilich Stein um deswillen nicht beſtreiten , weil er daffelbe in einer Denkidrift dem Raiſer Alexander gegenüber unlängſt ſelbſt behauptet hatte. Allein ein freiwilliges öſterreichiſch - franzöſiſches Bündniß war nur unter Ludwig XV . künſtlich zu Stande gebradyt worden , und die Vergangenheit hatte ſattſam bewieſen, daß außerordentliche Ver hältniffe alte Gegner zu Verbündeten für einen gewiſſen Zeitraum umzuſchaffen vermögen. Hardenberg'& Ablehnung ungeachtet hielt Stein an ſeiner Anſicht feſt und ſuchte den Herzog von Wellington , mit welchem er am 24. Febr . ſprach, von deren Richtigkeit zu überzeugen ; jedoch ohne Erfolg. Wellington hielt ein öſterreichiſch) - deutſches Raiſerthum eben falls für Breußen unannehmbar , freilich nur deshalb , weil das öfter reichifdhe Cabinet felbſt davon nichts wiſſen wollte, denn England war ſeit der Beendigung des Kriegs in allen Hauptfragen der äußern Politik mit Deſterreich einverſtanden , und ordnete fogar der Meinung deſſelben in Fragen des Feſtlandes die eigene unter. Nur Deſter reiche und Breußens Einigkeit, äußerte der Vertreter Englands, könnte die Nachtheile vermindern , welche für Deutſchland aus der loſen , nur auf Gemeinſamkeit der Spradje beruhenden Verbindung feiner Staaten hervorgingen ; deshalb dürfe die deutſche Bundesver = faffung nichts enthalten , was ein gutes Vernehmen der beiden deut ſchen Großmächte unmöglich mache. Metternich habe ihm von einem, die deutſche Verfaſſung betreffenden preußiſchen Plane in 120 Ar tikeln geſprochen , der zu weitläufig ſcheine. Aus der lezten Neußerung konnte Stein entnehmen, daß Wellington ſich nicht einmal die Mühe gebe durch eigene Prüfung ſich ſelbſt eine Meinung in der deutſchen Verfaſſungsfrage zu bilden , ſondern alles gut heiße , was Metternich billige, alles mißbillige, was dieſer ver werfe. Uebrigens hatte Metternic, dem erſten engliſchen Bevollmächtig ten gegenüber nur von dem größern , von Fumboldt verfaßten Ent wurfe geſprochen , welcher die dem öſterreichiſden Cabinete mißliebige Kreiseintheilung enthielt. Allein audy der kürzere, woraus die Kreisein = theilung weggeblieben, war, abgeſehen von einigen freiſinnigen, und des halb unzuläſſigen Beſtimmungen, nicht nad Metternidh's Sinn , weil die darin enthaltene zu deutliche Bezeichnung der Verfaſſungsgrundlagen ſeiner Abſicht entgegenſtand nur einen Staatenbund zu gründen , deſſen nähere Bedingungen feſtzuſtellen er ſich ſelbſt für eine ſpätere , gün ſtigere Zeit vorbehielt. Daß ein ſolcher Entſchluß ſein Verhalten be ſtimmt habe , macht eine ſorgfältige Prüfung der einſchlagenden That fachen unzweifelhaft .

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Die am 7. März nach Wien gelangte Runde von der Rückehr Na poleon's und der damit unvermeidlich gewordene Krieg , ſowie die Vor bereitungen zu demſelben hätten nur inſofern eine kurze Unterbrechung der Verhandlungen über die Grundlagen des deutſchen Bundes entſchuldigt, als ein neues Kriegsbündniß abzuſchließen und eine gemeinſame diesfallfige Erklärung zu veröffentlichen war ; die Kriegs rüſtungen ſelbſt zu betreiben war nicht Sache der zu Wien verſam melten Diplomaten , und nahm ihre Zeit nicht in Anſpruch . Allein die Verhandlungen über Deutſchlands Verfaſſung hatten zu dieſer Zeit noch nicht wieder begonnen , obſchon die bereits ſeit vier Wo dhen nicht mehr zweifelhafte gütliche Ausgleichung der Gebietsfragen die Erneuerung der Verhandlungen räthlich erſcheinen ließ , und ihre Verſchiebung bis in die letzten Wochen des Congreſſes durch nichts gerechtfertigt war.

Seitdem man ſich dahin vereinigt hatte , zuvörderſt auf die Feſt ſtellung der Hauptbedingungen des deutſchen Bundes ſich zu beſchrän ken, waren mehrere in dieſem Sinne abgefaßte Entwürfe überreicht wor den. Sie wurden jedoch ebenſo wie die früheren ausführlichen , faum durchgeleſen , bei Seite gelegt, indem Metternich unter mancherlei Vor wänden ſtets bas Wiederbeginnen förmlicher Berathungen auf uns gewiſſe Zeit hinauszuſchieben verſtand. Auch ein Gelehrter, ber nach ſeiner Bekehrung zum Katholicise mus in öſterreichiſchen Dienſten beſchäftigte, ſodann auch geadelte Friedrich Schlegel, überreichte einen Verfaſſungsentwurf, welcher vor andern das Eigenthümlidye hatte , daß den einzelnen Bundesſtaaten ein ſo gut als möglich nach ihren Machtverhältniſſen berechnetes Stimmrecht zugedacht war. Baiern ſollte 4 , Preußen 8 , Deſterreich 10 Stimmen haben. Ferner war in demſelben beantragt, die Bun desverſammlung möge nach Einholung des Gutachtens einiger , vom Papſte ernannten Geiſtlichen für die Bildung und Ausſtattung einer katholiſdyen Kirche Deutſchlands Sorge tragen . Außerdem ſprach Sdlegel fich für bürgerliche Gleichheit der anerkannten chriſtlichen Glaubensbekenntniſſe aus , für Aufnahme der Juden ing deutſche Bür gerrecht --- er war mit Mofes Mendelsſohn's Todyter verheirathet für Preßfreiheit unter Verantwortlichkeit der bei Herſtellung von Drudſchriften beteiligten Perſonen , für Aufhebung der Leibeigen fchaft, Wiederherſtellung des deutſchen Ordens und einen geſicherten Reditszuſtand der unter Landeshoheit gekommenen ehemaligen Reichs ſtände. Zu ſpät ſah er ein , daß er ſich mit ſolchen, den Forderungen

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der öffentlichen Meinung wenigſtens in einigen Beziehungen ent ſprechenden Vorjdlägen keineswegs den Dank des öſterreichiſchen Ca binets verdienen konnte. Als Gegenſtände der Berathung und Beſchließung für den Con greß bezeichnete der Freiherr von Pleffen in ſeinen , Grundzügen zu einem deutſchen Geſammtweſen und einer Nationaleinheit " : 1 ) die Beſtimmung der Bundesform und der Bundes : verſammlung unter einem D berhaupte , oder Di rectorium ; 2 ) Nationalrepräſentation in den Verfaſſungen der Länder und in der Centraliſirung des Bundes nach allgemein anzunehmenden Grundſägen ;

3) die Nationalbewaffnung des deutſchen Bundesheeres ; 4 ) das Bundesgericht; 5) Ordnung der die Mediatiſirten betreffenden Ver hältniſſe durd einen Ausſchuß von Fürſten , welche keine Mediatifirte unter ſich haben . In ſeinen erläuternden Bemerkungen ſprach er ſich für Wieder herſtellung des Raiſerthums , oder dafür aus , daß alle Bundes glieder, mit Ausnahme der kleinſten , welchen nur Geſammtſtimmen zu ertheilen ſeien , gleiches Stimmrecht haben ſollten , ſodaß ohne Er Holſtein - Lauenburg fünfzehn Stimmen vorhanden wären. verwarf die Theilung der Bundesverſammlung in zwei Räthe , und geſtattete höchſtens die Bildung eines wechſelnden Ausſchuſſes , for derte dagegen auch ein Bundesgericht, welches über Streitigkeiten der Fürſten und über Verfaſſungsverlegungen entſcheide, empfahl die Bil dung einer ganz Deutſchland umfaſſenden katholiſchen und proteſtan tiſchen Kirche, Feftfeßung der Rechte für die den Landesherren unterge ordneten ehemaligen Reichsſtände, Aufhebung der Verkehrsſchranken in Deutſchland , Abzugsfreiheit , freie Wahl des Staatsdienſtes , Preß freiheit , ſofortiges Verbot des Nachdruds, Einheit des Poſtweſens und der Zölle zu Waſſer und zu Lande. Falls ein auf dem Grundlage gleicher Berechtigung der Mitglieder beruhender Bund nicht verein bart werden könnte , mödaten mit Ausſchluß von Deſterreich und Preußen die übrigen deutſchen Staaten ein bloßes Sdubündniß gegen äußere Angriffe abidhließen . Zuziehung aller Betheiligten zu den Berathungen , Bearbeitung der einzelnen Gegenſtände durd Ausſchüſſe, oder , wenn man den Ausſchuß der fünf Höfe für das deutſche Verfaſſungswerf beibehalten

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wolle , Zuordnung von fünf Abgeordneten der übrigen Staaten em pfahl er als zweđmäßige Mittel zur Löſung der geſtellten Aufgabe. 1) Man ſieht, ſeine Vorſchläge waren ſehr verſchiedener Art . Im allgemeinen freiſinnig, ſprachen ſie ſich theils für die Raiſeridee, theils für das Directorium , theils für eine Theilung der deutſchen Staaten in drei Gruppen aus. Allein nur ſoweit ſie mit dem Entwurfe des Freiherrn von Weſſenberg übereinſtimmten, oder, wie es hinſichtlich der Stimmenzahl der Bundesglieder geſchah , eine von deſſen Beſtim mungen näher ausführten , erlangten ſie Metternidy's Beifall. Die freiſinnigen Beſtimmungen dagegen , mochten ſie von Pleſſen oder von Weſſenberg empfohlen werden , betrachtete Metternich, als eine einſt weilige harmloſe Ausſchmüdung, welche auf das ihm genügend idei nende Maß zurückzuführen, d . h. ihrem Weſen nach zu beſeitigen er ſich vorbehielt. Da die preußiſchen Bevollmädytigten ſich endlich überzeugt hatten, es ſei keine Hoffnung vorhanden , daß die Eintheilung Deutſchlands in Kreiſe in der vorgeſchlagenen Art von einem andern deutſchen Staate , als Hannover genehmigt werden würde, und man ihrem bereits hierauf berechneten zweiten , im Februar eingereidjten Entwurfe eine zu große Ausführlichkeit vorgeworfen hatte , ſo übergaben ſie zu Anfang Aprils einen neuen Verfaſſungsentwurf von 14 Artikeln , welcher ihren leştgebadyten mit dem im December mitgetheilten öfter reichiſchen Plane fo viel als möglich in Einklang bringen ſollte. Es war dies jedoch , wie aus Folgendem erhelt, mehr ſcheinbar, ale wirklich der Fall. Denn $. 3 lautete : Die Angelegenheiten des Bundes werden beſorgt durch eine zu ge wiſſen Zeiten regelmäßig , oder außerordentlich zuſammenkommende Bundes verſammlung und einen beſtändig zuſammenbleibenden Vollziehungsrath, die ſich zueinander wie zwei Kammern derſelben repräſentativen Verſammlung verhalten . Der Vollziehungsrath beſteht aus einigen wenigen , durch die Bundesurkunde von der Geſammtheit der deutſchen Stände ein für alle Mal dazu beauftragten Fürſten , welchem einige andere Bundesmitglieder wechſelnd dergeſtalt zugeordnet werden , daß feines von dein Rechte daran theilzuneh men ausgeſchloſſen bleibt. Ihm gebührt die Leitung des Bundes und deſſen Vertretung beiden auswärtigen Mächten , ſowie alles, was zur ausübenden Gewalt gehört; die geſeßgebende dagegen theilen beide miteinander , und ge ſetzliche Verfügungen , allgemeine Einrichtungen und Bewilligung von Bei trägen zur Beſtreitung von Bundeskoſten fönnen nur durch die Bundesver fammlung ſelbſt beſchloſſen werden. Die Vollſtreckung der Bundesbeſchlüffe geſchieht durch einzelne Mitglieder derſelben vermöge von dem Volziehungs rathe ertheilter beſtimmter Aufträge, wenn die fünftigen organiſchen Geſetze

; ' ) Bert , IV , 420 – 423,

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nicht Kreiſe und Kreisvorſteher als beſtändige, dem Bunde durch Verant wortlichkeit verhaftete Beauftragte deſſelben aufſtellen . " 3m § . 7 war aber für Streitigkeiten der Bundesglieder und verfaſſungsmäßige Beſchwerden wieder ein Bundesgericht in Vor ſchlag gebracht. 1) Preußen war eifrig bemüht den mädytigern deutſchen Staaten die Leitung des Bundes zu verſchaffen , denn es erwartete hiervon ſowol eine größere Wirkſamkeit des Bundes, als audy eine Stärkung ſeiner eigenen Macht, welcher die Spaltung ſeines langgeſtreckten Gebiets in zwei durd kleine deutſche Staaten getrennte Theile Abbruch that. Noch vortheilhafter zur Erreichung dieſes Zweckes wäre freilich die Ein theilung Deutſchlands in Kreiſe geweſen ; deshalb drückte es auch in dieſem Entwurfe nochmals feine diesfallſigen Wünſche aus. Aber eine Breußen zum Vortheile gereichende Stärkung des Bundes war Deſter reich feſt entſchloſſen zu hindern. Daſſelbe glaubte mit Recht bei einem bloßen Staatenbunde das Uebergewicht ſeiner eigenen Macht trotz formeller Gleichberechtigung der Bundesglieder um ſo mehr geltend machen zu können , wenn es nicht mit den mächtigeren Staaten Deutſch lands , und beſonders mit Preußen , verfaſſungsmäßige Vorrechte über die kleineren zu theilen habe. Da auch während des Aprils keine Berathungen über die Bun desverfaſſung ſtattfanden , und auch der letterwähnte Entwurf un benußt liegen geblieben war , ſo wurde derſelbe nochmals durchgeſehen , bevor er in neuer Faſſung am 1. Mai von den preußiſchen Bevol mächtigten dem Fürſten Metternich überreiđst wurde. Die im frü hern Entwurfe ausgeſprochene, in Wirklichkeit nicht ausführbare Gleid berechtigung der Bundesglieder war nun weggelaſſen ; Beſtim mungen über das Bundesgericht und die Landſtände, die Mediati firten , die Rheinzölle und das Poſtregal des fürſtlichen þauſes Taris waren weiter ausgeführt; die drei chriſtlichen Religionsparteien ſollten gleiche Rechte, die Juden gegen Leiſtung aller Bürgerpflichten die Weil aber Metternich, benſelben entſprechenden Rechte genießen. aller Verſicherungen ungeachtet, dennoch keine Anſtalt machte allge meine Berathungen anzuordnen , ſtellte Stein dem Kaiſer Alerander vor , wie der Kriegszuſtand gegen Frankreich die Nothwendigkeit noch vermehre die deutſchen Staaten durch einen Bund zu vereinigen ; und eine ruſſiſche Note follte den öſterreichiſchen Miniſter des Aeu Bern zur Eile mahnen , als biefer dadurch, daß er am 7. Mai er

? ) Klüber , I , 104 — 111.

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klärte , die Verhandlungen würden unverzüglich beginnen , jener förm lichen Mahnung vorbeugte. Doch geſchah abermals nichts weiter, als daß er am folgenden Tage dem preußiſchen Entwurfe einen öſterreichifdyen von 19 Artikeln entgegenſette , der in einer von Weſenberg abgefaßten neuen Bearbeitung ſeines im December vorgelegten Planes beſtand , und über eine zu treffende Verſtändi gung vorläufige Beſprechungen veranlaßte , welche am 11. Mai be gannen. Von beſagtem Plane unterſchied ſich der neue nur inſofern, als in ihm die Vertheilung der fünfzehn Stimmen unter die den deutſchen Bund bildenden Staaten angegeben war , wonac), der ausdrüdlich aus geſprochenen Gleichberechtigung derſelben ungeachtet, den kleineren Staaten nur Geſammtſtimmen zuſtanden , während die übrigen Bun desglieder je eine Stimme haben ſollten. Die Anzahl der Truppen , welche jeder einzelne Staat zum Bundesheere zu ſtellen hatte, war mit Ausnahme Hannovers und Badens beſtimmt, und bildete einen Ge

>

fammtbetrag von nur 176000 Mann. Ueber die Einſetzung eines Bundesgerichte folle die nächſte Bundesverſammlung entſcheiden . Während die Einführung von Landſtänden binnen Fahr und Tag unter allgemeiner Bezeichnung ihrer Rechte im frühern öſterreichi iden Entwurfe zugeſichert worden war, lautete die neue Faffung: ,,In allen deutſchen Staaten wird die beſtehende landſtändiſche Verfaſſung und die perſönliche Freiheit aufrecht erhalten , und wo ſie bermalen nicht vorhanden iſt, jeßt eingeführt und unter Schutz und Garantie des Bundes geſtellt.“ Der Aufhebung der Leibeigenſchaft war nicht mehr gedacht; dagegen wurden Verhandlungen mit dem Papſte über die katholiſche Kirche in Ausſicht geſtellt. Infolge der über beide Plane zwiſchen den öſterreichiſchen und preußiſchen Bevollmächtigten ſtattfindenden Beſprechungen vereinigten fich dieſelben endlich abermals über einen gemeinſamen Entwurf von 17 Artikeln . Die Einſegung eines Bundesgerichts, an deſſen Bes ſetung alle Bundesglieder verhältniſmäßigen Antheil zu nehmen hät ten , wurde von Preußen zugeſtanden ; dagegen verzichtete Preußen auf die von ihm vorgeſchlagene Einrichtung eines Vollziehungsraths neben der zu gewiſſen Zeiten zuſammmenkommenden Bundesverſammlung und willigte in folgende Faſſung der betreffenden Beſtimmung: Art. IV. Die Angelegenheiten des Bundes werden durch eine ſtän dige Bundesverſammlung beſorgt, an welcher alle Glieder des Bundes nach

? ) Aliber, II , 308 , 314.

223 anliegendem Schema theilnehmen. Wo es auf Abfaſſung von Geſetzen , auf allgemeine innere Einrichtungen , oder Abänderungen des Bundesver's trags ankommt, bildet ſich die ſo conſtituirte Bundesverſammlung zu einem Pleno , in welchem jedes Bundesglied ſeine Stimme für ſich , jedoch derge ftalt abgiebt , daß dieſe Stimmen zufolge eines in dem Grundgeſete zu be ſtimmenden Verhältniſſes nad Verſchiedenheit der Größe der abſtimmenden Staaten verſchieden gerechnet werden. Die von der Bundesverſammlung in der erſten Geſtalt gemachten Anträge werden alsdann von dem Pleno entweder angenommen oder verworfen . “ Deſterreich ſollte bei der in Frankfurt a. M. tagenden Bundes verſammlung den Vorſit haben und Stimmenmehrheit in allen nicht ausdrüdlid, ausgenommenen Fällen entſcheiden . Für die Gewähr leiſtung der Redyte des Volfs wurden die Worte genügend be funden : „ In allen deutſchen Staaten ſoll eine landſtändiſche Verfaſſung beſtehen" ; doch zeigte es ſich bald , daß felbſt dieſe Formel den von Metternich beeinflußten deutſchen Diplomaten noch zu beſtimmt lautete , denn das auf die Gegenwart bezügliche „ foll " wurde argliſtig in das ,,wird " einer unbeſtimmten Zukunft verwan delt , damit denjenigen , welche an die Erfüllung des Verſprechens mahnten , erwidert werden könnte : der paſſende Zeitpunkt hierzu ſei nod nicht eingetreten . Endlich wurde die Abfaſſung der Grund gefeße des Bundes und deſſen organiſde Einrichtung in Rückſicht auf feine auswärtigen , militäriſchen und innern Verhältniſſe als das erſte Geſchäft der fünftigen Bundesverſammlung bezeichnet. in Wien follte nicht mehr gethan werden, als durch den förmlichen Zuſammentritt des Bundes und die Bezeichnung von deſſen Zwecke den betreffenden Artikel des pariſer Friedens zu verwirklichen , damit die europäiſchen Mächte Gelegenheit hätten die neue ſtaatliche Einrichtung anzuerken nen und zu verbürgen. Es war alſo dein Fürſten Metternich gelungen das preußiſche Cabinet zu bewegen in allen Punkten , bis auf das Bundesgericht, die öſterreichiſchen Vorſchläge anzunehmen. Daß er leşteres ſchließ Wäre ein ſolches lich auch noch zu verhindern wußte , iſt bekannt. eingeführt worden , fo hätte ja auf Erfüllung der dem deutſchen Volke gegebenen Verſprechungen geklagt werden können , was ihm unzuläſſig erſchien .

durchaus

Obichon das preußiſche Cabinet in jene unbeſtimmte Faſſung des Artikels willigte, worin jedem deutſchen Bundesſtaate eine land ſtändiſche Verfaſſung verſprochen wurde, bewies eine vom Könige Friedrich Wilhelm am 22. Mai erlaſſene Verordnung über die zu bildende Repräſentation des Volfe , daß er das Bedürfniß fühlte

224

ſeinem Volfe, welches ebenfalls mit den bisherigen Ergebniſſen des Congreſſes unzufrieden war , eine beſſen Vertrauen neu belebende Verſicherung zu ertheilen. In zwei blutigen Feldzügen hatte das preußiſche Volf durch beiſpiel loſe Anſtrengungen den von Napoleon's Grimme der Vernichtung ge

weihten Königsthron und des Vaterlandes Unabhängigkeit gerettet, ohne daß für die Anerkennung ſeiner Rechte bisher etwas geſchehen war. Der Kaiſer der Franzoſen , den man für immer beſiegt zu haben glaubte, drohte jetzt die neue Ordnung der Dinge wieder umzuſtoßen, und die Fürſten Europas ſeiner Herrſchaft wieder zu unterwerfen. Ein neuer blutiger Krieg, deſſen Dauer und Opfer unberechenbar waren , ſtand bevor , und die Erfahrung hatte gelehrt, daß Napoleon's Ale verdunkelndes Feldherrngenie nur durch die unwiderſtehliche Kraft eines begeiſterten Volks beſiegt werden konnte. Es galt alſo jeden ent muthigenden Zweifel , ob audy der zu erringende Sieg die gehofften Früchte gewähren würde , zu beſeitigen und das Feuer der Begeiſte Das bündige Verſprechen des Königs : rung neu zu entflammen . ſeinem Volke eine deſſen Rechte wahrende Verfaſſung geben zu wollen, begleitet von der ſofortigen Anordnung der deshalb nöthigen Vorarbei ten, rief die frühere Stampfesluſt wieder hervor , und ſicherte den Sieg. Inter dieſen Umſtänden macht es einen ſchmerzlichen Eindrud , daß das preußiſche Cabinet es dennoch für angemeſſen fand das Ver ſprechen nicht ſo zu verfünden , wie der in Stein's Papieren auf Nad dem gefundene Entwurf beſagter Verordnung vorſchlug. ſelben follte nämlich die Commiſſion , welche mit der Or : ganiſation der Provinzialſtände, der Landesrepräſentation und der Ausarbeitung einer Verfaſſungsurkunde beauf tragt war , am 1. Juni 1815 zuſammentreten , und ſpäte ſtens am 1. Sept. deſſelben Jahres ihr Geſchäft vollen Nach der bekannt gemachten Verordnung aber wurde ihr Den. Zuſammentritt für den 1. Sept. anberaumt , ohne daß der Zeit punkt , wo ſie ihre Arbeit vollendet haben müſſe , ange geben war. ) Als nun lange Zeit nach dem blutig errungenen Siege bas Volk eine ehrerbietige Mahnung an das verheißene Geſchenk der Verfaſſung auf die Stufen des von ihm erretteten Thrones nieder legte , da icholl die tadelnde Antwort von dort herab : es habe be fdheiden

den Zeitpunkt zu

1) Klüber , IV , 427 -432.

erwarten ,

welchen fein Herrſcher

zur

1

225

Erfüllung des gegebenen Verſprechend für geeignet halte.

Noch ein

Vierteljahrhundert war es dieſem Herrſcher vergönnt meßliche Opfer feines Volke errungenen Sieges ſich dem er im tiefſten Frieden über daſſelbe herrſchte, Worte vertrauend, in einer Zeit, wo Nadybarvölker den Waffen in der Hand dem Throne gegenüber

des durch uner zu erfreuen , in welches , ſeinem ihre Rechte mit geltend machten, dennoch den ſich aufdrängenden Gedanken zurückwies: jenes Ver ſprechen werde nie freiwillig erfüllt werden . Aber das Verſprechen blieb dennoch unerfüllt. Erſt nachdem ein anderes Geſchlecht empor gewachſen war , welches ebenfalls mit den Waffen in der Hand for derte , was man der berechtigten beſcheidenen Bitte verweigert hatte, erſt nachdem die Straßen der preußiſchen Hauptſtadt von dem im Bürgerkriege vergoſſenen Blute geröthet waren, wurde die vor einem Menſchenalter verſprochene Verfaſſung gegeben. Es iſt eine befremdende Erſcheinung, daß alle übrigen deutſchen Staaten , mit Ausnahme des nach Metternich's freiheitsfeindlichen Grundfäßen beherrſchten Deſterreiche, eine die Rechte des Volke wahrende Verfaſſung früher erhielten , als Preußen , und daß fogar Baiern und Würtemberg, welche die Aufnahme der betreffenden Verheißung in die Bundesacte bekämpft hatten , unter denjenigen Höfen waren , welde zuerſt dieſe Verheißung erfüllten, während Preußen , das ſo eifrig für dieſelbe gewirkt hatte , ſpäter im ent gegengeſeşten Sinne handelte. Forſcht man nad der Urſache, ſo findet man ſie darin , daß Baiern und Würtemberg , ſowie die klei neren deutſchen Höfe überhaupt befliſſen waren in ihern Völkern durch Befriedigung des gerechten Verlangens derſelben eine Stüße gegen Deſterreichs übermächtigen Einfluß zu finden , welcher um ſo gefähr lidher war, ſeitdem es Fürſt Metternich dahin gebracht hatte Breußen zum Nachahmer und Handlanger ſeiner Politik zu erniedrigen. Preußens Vertreter zu Wien , vor allem Humboldt, erkannten es beſſer, als diejenigen , welche nur zu bald deren Stelle einnahmen , daß der preußiſche Staat ohne Deutſchland ein unfertiges Gebäude ſei , wel ches nur durch die Sympathien des deutſchen Volks ſeine Volendung erhalten , ſonſt aber ohne ſeine Beſtimmung erreicht zu haben zer fallen müſſe. Sie waren bemüht dieſe Sympathien im deutſchen Geſammtvaterlande ihrem engern Vaterlande durch freiſinnige und volksthümliche Maßregeln zu ſichern , und ſo die einſtige Verſchmel zung der verſchiedenen deutſchen Stämme zu einem großen und ge achteten Volke vorzubereiten . Als ſie mit der für Deutſchland vorge ſchlagenen Bundesverfaſſung, welche für ſolche Ziele wirken ſollte, nicht 15 II.

226 durchbrangen , und Metternid's Schlauheit es nach und nach da hin brachte, daß man in Berlin für die Sicherheit und den Bor theil des preußiſchen Hofes zu arbeiten glaubte , indem man Deſter reiche Weiſungen nachkam , da war natürlich von Berleihung der verheißenen Verfaſſung nicht mehr die Rebe, und man bekämpfte nun in ſelbſtzerſtörender Verblendung die Grundfäße , für welche man früher geſtritten hatte. Am 23. Mai 1815 eröffnete endlich Metternid; die erſte allge meine Berathung über die zu begründende deutſche Bundesverfaſſung. Deſterreich , Preußen und Sannover waren durch dieſelben Bevoll mächtigten vertreten , wie im deutſchen Verfaſſungsausſchuſſe. Für Baiern erſchien Graf Redberg ; Würtemberg war gar nicht vertreten ; Baben , welches Würtemberg& Beiſpiel folgte, durch den Freiherrn von Berſtett, der jedoch den ferneren Sißungen nicht beiwohnte ; Heſſen - Darmſtadt durch den Freiherrn von Türkheim ; das König reich Sachſen durch den Grafen Schulenburg und von Globig ; die übrigen deutſchen Fürſten und freien Städte durch einen Ausiduß, welchen Graf Keller, Freiherr von Bleffen, von Minkwiß, von Berg und der Senator Smidt bildeten ; Luxemburg durch den Freiberrn von Gagern und Holſtein durch den Grafen Bernſtorf. Metternich erklärte, daß man ſeit dem Anfange des Con = greſſes darauf Bedacht genommen den " Entwurf zu einer ſchon in Baris beſchloſſenen deutſchen Bundesverfaſſung vorzubereiten , jedoch ſehr bald erkannt habe , es ſei deren Feſtſtellung vor Ausgleichung Die Abweſenheit der wür der Territorialverhältniſſe nicht möglich. tembergiſchen Bevollmächtigten, welche damals für ihr Ausſcheiben aus dem deutſchen Ausſchuſſe unter andern auch eben dieſen von Metternid damals und mit Recht in Abrebe geſtellten Grund angeführt hatten, befreite ihn von der Unannehmlichkeit hieran erinnert zu werden . Eine wichtige politiſche Begebenheit ( Napoleon's Ridkehr nach Frankreich) habe, fuhr er fort, eine neue Verzögerung und zugleich die jeßt fehr nahe bevorſtehende Abreiſe der Monarchen herbeige führt. Gleichwol könne der Congreß nicht beendigt werden , ohne daß die deutſche Föderation in ihren Grundzügen hergeſtellt ſei, wenn man auch ihre nähere Entwickelung dem Bundestage ſelbſt vorbehalten müſſe. Man hätte nun denken ſollen , daß die noch übrige Zeit deſto ſorgfältiger zu Löfung der hodywidtigen Aufgabe benutzt worden wäre ; allein nachdem Metternich den zwiſchen Deſterreich und Preußen vereinbarten Verfaſſungsentwurf vorgeleſen und die nächſte

227 Sigung für den 26. Mai , den Tag , wo Raiſer Alexander und König Friedrich Wilhelm Wien verließen , anberaumt hatte , ging die Verſammlung auseinander . 1 ) Die Bevollmächtigten der vereinigten Fürſten und freien Städte drangen nun vermittelſt einer , in der zweiten Sißung von ihren Deputirten abgegebenen ſchriftlichen Erklärung darauf, daß ſie fämmt lidh an den Berathungen der Bundesverfaſſung theilnähmen. Es fand die Erfüllung dieſes Verlangens auch keinen Widerſpruch , und es iſt nur auffällig , daß ſie nicyt, da Metternich ſich ſchon in ſeiner Note an den preußiſchen Staatskanzler vom 9. Febr. jo entſchieden bafür erklärt hatte , fofort fämmtlich zur Theilnahme an den Sißungen eingeladen worden waren . Wahrſcheinlich lag es in Metternich '& Abfidit, daß die Berathungen aller Bevollmächtigten der deutſdhen Staaten erſt nad) der Abreiſe der Monarchen von Wien ins Hauptquartier begönnen , um dieſen Umſtand als einen Sporn zu ſchneller und oberflächlicher Erledigung der geſtellten Aufgabe be nußen zu können . Nadidem Preußen ,

von der Vergeblichkeit ſeines Widerſtandes

überzeugt , ſich dazu verſtanden hatte , daß der deutſche Bund bloß eine loſe , auf allgemeinen völkerrechtlichen Grundſätzen beruhende Verbindung ſein , und keine andere verfaſſungsmäßige Beſchränkung der Souveränetät der Bundesglieder enthalten ſolle, als daß ſie dieſer Verbindung nicht einſeitig wieder entſagen fönnten, ſo bot die endgültige Faſſung eines ſolchen Bundesvertrags nur wenige Schwie rigkeiten bar, zumal der in dieſem Sinne ausgearbeitete öſterreichiſch preußiſche Entwurf alle die Wirkſamfeit der Berfaſſung näher be ftimmenden Einrichtungen der fünftigen Bundesverſammlung vor behielt. Im erſten Artikel waren die Staaten genannt, welche einen beſtän digen Bund unter dem Namen des deutſchen bilden ſollten; im zweiten Artikel aber war deſſen Zwed ſo feſtgeſtellt: „ Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutſchlands und der Unabhängigkeit und unverletzbarkeit der einzelnen deut ſchen Staaten . 2) War demnach auch nicht mehr wie anfänglich von der „ inne ren Schonung der Verfaſſungsmäßigen Rechte jeder

Klaſſe der Nation " als Bundeszweck die Rede , ſo lag dod in dem Grundſage , daß die innere (Recht8 = ) Sidyerheit und Un 1) Klüber , II, 314 , 339. 2) Alüber , II , 598. 15 *

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abhängigkeit der einzelnen deutſchen Staaten aufrecht zu halten fei, eine geſeßliche Bürgſchaft, daß der Bundestag ſich keinen Eingriff in die innere ſtaatliche Entwickelung der Einzelſtaaten erlauben dürfe. Allein ſpäter ſollte es ſich zeigen , daß kein verfaſſungsmäßiges Redt der Einzelſtaaten , das unvereinbar mit Metternid's Re gierung & grundfäßen ſchien , wie namentlich die Breßfreiheit , ge duldet wurde , war auch die Verfaſſung, welche es verlieh, ausdrück lich vom Bunde gewährleiſtet worden. Durch authentiſche Auslegung der Bundesverfaſſung und neue Bundesgeſeße machte Metternich ſpäter die ſogenannten unabhängigen Staaten Deutſchlands mehr oder weniger zu Baſalenſtaaten Deſterreichs. Würtembergs und Badens BevoUmächtigte nahmen in Ermange lung diesfallſigen Auftrags an den Sißungen keinen Theil, während die Bevollmächtigten des Königs von Sachſen aus gleidher Urſache nur , um darüber Bericht zu erſtatten , denſelben beiwohnten . Bei Deſterreichs Einverſtändniſſe mit Preußen und der thatſädlichen Ab hängigkeit der übrigen deutſchen Staaten von dem Willen der beiden deutſchen Großmädyte erblickte jedoch Metternich hierin natürlich kein Hinderniß zur Durchführung ſeines Verfaſſungsplanes. Wäre der Beginn der Berathungen nicht ein ſeit langer Zeit erwarteter geweſen , fo würde das Ausbleiben der Verhaltungsbefehle für die Bevollmädytigten Würtembergs und Badens burch zufällige Hinderniſſe erklärbar ſcheinen, wie dies aud vorgeſchüßt wurde . Ihr Ausbleiben hatte jedoch darin ſeinen Grund, daß die genannten Höfe durch ein ſoldes Benehmen das Zuſtandekommen des Bundesvertrags zur Zeit noch zu verhindern gedachten. In der am 1. Juni von dem badiſchen Geſandten von Berſtett abgegebenen ſchriftlichen Erklärung wird auch zugeſtanden , daß der Großherzog gewünſcht hätte alle Be rathſchlagungen über den Bundesvertrag bis zum nächſten Frieden vertagt zu ſehen. ) Man darf daher wol annehmen, daß nicht der angegebene Grund : in bedenklicher Zeit jede Veranlaſſung zu Zer würfniſſen zu vermeiden, ſondern die Abſicht maßgebend geweſen ſei : für den Fall, daß Napoleon flege , bieſem gegenüber das gezeigte Widerſtreben als Verdienſt fich anzurechnen . Die geographiſde Lage Badens und Würtembergs, außerdem die bekannte Anhänglichkeit des Königs von Würtemberg an Napoleon, beider Fürſtenhäuſer Verſdwäge rung mit dem legtern und des Großherzogs von Baden Beſorgniß zu Gebietsabtretungen an Baiern genöthigt zu werden , dienen fol 1) Klüber , II , 458.

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der Abſicht zur hinreichenden Beſtätigung. Als fortgeſegter Wider ſtand aber zweclos und bedenklich erſchien, auch ſie denſelben fattſam bethätigt zu haben glaubten , um für den Fall, daß Napoleon ſiege, fich mit erlittenem Zwange entſchuldigen zu können , zeigten Baden und Würtemberg fich bereit den ohne ihre Mitwirkung vereinbarten Bundesvertrag zu unterzeichnen. Dies geſchah jedoch in beſondern Beitrittserklärungen erſt ſpäter. Die Bevollmächtigten des Königs von Sachſen und des Herzogs von Naſſau dagegen unterzeichneten unter dem Vorbehalte, daß alle deutſchen Staaten dem Bunde noch beiträten . In den allgemeinen Verhandlungen über die deutſche Bundes verfaſſung trat mehr noch, als in denjenigen des deutſchen Ausſchuſſes der Grundſaß hervor , daß nur die Herrſcher Redste, die Beherrſch ten aber nur die ihnen von jenen aus Gnade verliehenen Befug niffe hätten. Von dieſem Geſichtspunkte ausgehend , beantragte auch der baieriſche Bevollmächtigte Graf Rechberg in ſeinen Bemerkungen zum achtzehnten Artikel, wo von den Rechten der Unterthanen die Rede iſt, an den betreffenden Stellen ſtatt ,, Recyte “ bezüglich ,, Erlaubniß " und „ Erleichterung" als paſſendere Austrüde zu gebrauchen. Man behielt jedoch die Ausdrücke ,, Rechte“ und „ , Befugniſſe“ bei . Dieſe beſchränkten ſich eigentlich auf die Erlaubniß des ungehinder ten und abgabenfreien Wegzuges in einen andern Bundesſtaat; denn in einem andern deutſchen Staate Dienſte zu nehmen und Grundeigen thum zu erwerben war ſchon früher geſtattet. Dem fächfiſchen Bes vollmädytigten von Globig ſchien aber ſogar die unbedingte Befreiung vom Abzugsgelde für diejenigen , welche in andere Bundesſtaaten auswanderten , unſtatthaft, er wollte wenigſtens Rechte der Privat perſonen d. h . des grundbeſißenden Abels oder der Rittergutsbeſiger, welche hierbei hauptſächlich in Frage kamen, aufrecht erhalten wiſſen. obſchon ſein bezüglicher Antrag anfänglich genehmigt wurde , beſann man ſich doch ſchließlich eines Beſſeren , und es wurde dieſe Be ſchränkung wieder aufgehoben . Man wollte zwar dem deutſchen Volke ſo wenig , als möglich bewilligen , trug aber nach ſo über ſchwenglichen Verheißungen Bedenken auch noch den fargen Ueberreſt des Verheißenen zu beſeitigen. Mit ſeinen Bemühungen die Ver werfung der Beſtimmung herbeizuführen, wonach die Juden gegen Er füllung aller Bürgerpflichten auch die denſelben entſprechenden Bürger rechte in den deutſchen Bundesſtaaten genießen ſollten , war Globig glüdlicher, denn es wurde beſchloſſen , die Entſcheidung dieſer Ange legenheit der Bundesverſammlung vorzubehalten. Dagegen ſollte die Verſchiedenheit des chriſtlichen Religionsbekenntniſſes, ſoweit es ſchon

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ſtaatlicher Anerkennung in Deutſdland genoß, feinen Unterſchied der ſtaatsbürgerlichen Rechte bewirken . Hinſidytlid der urſprünglich ver heißenen Preßfreiheit wurde angeordnet, daß die Bundesverſamnt ſung mit Abfaſſung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfrei heit ſich beſchäftigen werde. Dieſe Beſchäftigung diente freilich, wie bekannt iſt, nur dazu die Preſſe mehr als je vorher in die Feſſeln der Cenſur zit dhlagen. Die Faſſung des dritten Artikels der Bundesacte, welcher lautete : , alle Bundesglieder als ſoldie haben gleiche Rechte “ ver hütete keineswegs die Erneuerung ärgerlicher Rangſtreitigkeiten unter denſelben , und man gab ſich nicht eher zufrieden , als bis die Be ſtimmung angenommen war, daß die aufgeſtellte Reihenfolge der Bundes glieder dem Range derſelben keinen Abbruch thun folle. Dbgleich man den Sdyein dieſer naturwidrigen Gleidyberechtigung aufrecht zu halten befliſſen war, hatte man doch nicht umbin gekonnt in der engern Ver ſammlung nur den größeren Staaten je eine Stimme, den gar zu unbe : deutenden Staaten aber nur Geſammtſtimmen zuzugeſtehen. Die ordent liche Zahl der Stimmen wurde im Laufe der Verhandlungen von 15 auf 17 erhöht , und für gewiſſe Fälle eine außerordentliche A6 ſtimmung im ſogenannten Plenum beliebt , in welchem jedes Bun desglied mindeſtens 1 Stimme haben ſolle; doch wurde zu Auf rechthaltung jenes, der angeblichen Gleichberechtigung widerſprechenden Unterſchiedes feſtgeſett, daß die größeren Staaten nach Verhältniß ihrer Macht mehrere Stimmen beſiben ſollten . Wäre aber für die Vermehrung der Stimmen wirklid, das größere Machtverhältniß maßgebend geweſen, fo hätte man den ſo ſdon durch die feſtgeſtellte Abſtimmungsweiſe verlegten Grundſatz der Gleichberechtigung gänz lid fallen laſſen müſſen , denn die Bevölkerung der deutſchen Bun desländer Deſterreich und Preußen überwog in ihrer Geſammt zahl ja bei weitem diejenige aller übrigen deutſchen Bundesländer zuſammengenommen. Man hielt fidy alſo nicht an die Mittel , ſon dern an die Titel der Bundesmitglieder, ſodaß dem Kaiſer- und Königstitel je vier , dem Kurfürſten- und Großherzogstitel und dem neben der Königswürde getragenen Herzogstiteljé 3 Stimmen bewilligt wurden . Ausnahmsweiſe erhielten aber die erſt zu Wien mit dem Großherzogstitel geldmüdten Fürſten , nämlich der Groß herzog von Medlenburg - Schwerin nur zwei , die Großherzoge von Medlenburg - Streliß , von Oldenburg und von Sadiſen - Weimar gar nur 1 Stimme , da ihre großen Titel mit ihren kleinen Gebieten in gar zu ſchreiendem Widerſpruche ſtanden . Alle Herzöge , Fürſten

231 und freien Städte hatten je 1 Stimme, nur die Herzöge von Den der Landeshoheit der Braunſdyweig und Naſſau je 2 . Bundesglieder unterworfenen ehemaligen Reichsſtänden wurden Ge ſammtſtimmen , welche früher von Preußen ihnen zugedacht worden waren , nicht bewilligt, wol aber das Recht der Ebenbürtigkeit mit den regierenden Häuſern. Die Rechte der ehemaligen reichsſtändi fichen Familien wurden in langer Reihe ſorgfältig feſtgeſtellt, das deutſche Volk fertigte man dagegen mit einigen wenig oder niđits bedeutenden Worten ab . Das ſchlagendſte Beiſpiel davon, wie man Land und Leute nur als ein Ausſtattungsmittel für fürſtliche Fami lien betrachtete, wurde von dem großherzoglich - heffiſchen Bevoll

! mächtigten von Türkheim geliefert, welcher, damit die „ unglüdliche" Idee den mediatifirten Standesherren Curiatſtimmen zu verleihen den deutſchen Bundesfürſten nicht nachtheilig ſei, folgenden , einzig in ſeiner Art daſtehenden Vorſchlag machte : Um dieſen ehemaligen Mitſtänden und unſchuldigen Opfern des Zeitgeiſtes ihren ſchmerzlichen Verluſt zu vernarben , und als. An denken und Ueberbleibfel der ehemaligen Unmittelbarkeit ihnen einen ehrenvollen Standpunkt in der neuen Verfaſſung zu ſichern, der ihnen auch für den Glanz ihrer Familien und künftige Alliancen vortheilhaft werden , ſowie als Erſat des Verluſtes gelten kann, werden ſie alle in eine Ganerbſ dhaft auf einem entweder bei Berichtigung der Grenzen gegen Frankreich auszufindenden, wenn auch noch ſo kleinen Gebiet, oder auch auf einem etwa nod disponibeln deut fchen Gebiet verſammelt, ihnen darauf alle Hoheits- und Unmittel barkeitsredyte nebſt einer Curiatſtimme in dem Plane der Bundes verſammlung eingeräumt, jedoch ſo , daß ſie, wie ehedem ex aud in der deutſchen Verfaſſung nid)t ungewöhnlich war, ratione dieſes An theils an der Ganerbfdjaft zwar als unmittelbar (d . h. unabhängig), respectu ihrer landſtändiſchen Beziehungen aber als mediati (Unter thanen ) angeſehen werden, und eine auf leştere Bezug habende Be rufung an den Bund ſich unter feinem Vorwand erlauben können ." Glüdlicherweiſe verhütete der Umſtand, daß das zu etwaiger Ausführung dieſes Vorſchlags erforderliche Gebiet die , zur Verthei lung unter die Bundesfürſten beſtimmte Ländermaſſe, welche ohnehin unzureichend war , geſchmälert hätte, die Erwägung und Ausführung dieſes unglücklichſten aller Auskunftsmittel. Denn davon , daß bei näherer Feſtſtellung der im allgemeinen ſchon ziemlidy genau beſtimmten Grenzen Frankreichs ſid, ein ſolches Geſammtfürſtenthum noch würde bilden laſſen , konnte vernünftigerweiſe gar nicht die

232 Rede ſein . Ein ſolche Zwecke verfolgender Vorſchlag konnte nur zu einer Zeit erdadyt werden , wo das Staatsoberhaupt zu dem von ihm regierten Staate in demſelben Verhältniſſe erſchien , wie ein Gutebeſißer zu den von ihm beſeſſenen Aedern und Heerben , und man fo wenig dem Vernunftrechte huldigte, daß man eine Bundess verfaſſung duf , welche auf dein wibernatürlichen Grundjage be ruhte, daß Bundesglieder , ungeachtet der höchſten Ungleichheit an Madyt und Anſehen , dennoch im Bunde gleiche Recyte genießen ſollten , als wenn dieſe in der That nicht ſtets dem wirklichen Fürſten , wie der Kaiſer Machtverhältniſſe entſprechend wären . von Deſterreich, von deſſen damaligen 28 Millionen Unterthanen 91/2 Millionen zum deutſchen Bunde gehörten , ſollten in dem ſelben demnac, ebenſo viel gelten , als der Fürſt von Liechtenſtein , der ſouveräne Herr eines Bundesgebiets von 4000 Einwohnern , welcher in dem Kaiſer Franz ſowol ſeinen Kriegsherrn , als feinen Landesherrn verehrte, da er im öſterreichiſchen Kriegsdienſte, der größere Theil ſeines Länderbeſißes aber unter öſterreichiſcher Landeshoheit ſtand. Die Stimme des Königs von Preußen , welcher damals über 10 Millionen Unterthanen gebot , von denen 7/2 Millionen zum deutſchen Bunde zählten , ſollte am Bundestage diefelbe Bedeutung haben , wie die Stimme des Kurfürſten von Seſſen , welcher mit einem Gebiet von 500000 Einwohnern dem Bunde beigetreten war . Die ungeheuere Kluft, welche ſo verſchiedene Machtverhältniſſe trennte, jollte das Blatt Papier ausfüllen , auf dem die ver tragsmäßige Beſtimmung der Gleichberechtigung zu leſen war , als ob ein feierlicher Beſchluß etwas Naturwidriges naturgemäß , etwas Unmögliches möglich machen könnte ! Das aber , was ſolchen Be ſtimmungen die Krone aufſeßte, war , daß der gewiſſenloſe Urheber der deutſchen Bundesverfaſſung, Metternich, welcher nicht erröthete fie öffentlich als das Balladium fürſtlicher Souveränetät zu preifen, fich wohl bewußt war , durch ſie befähigt zu ſein Deutſchlands Zer riffenheit und Abhängigkeit von Deſterreich zu verewigen , und jede Berbeſſerung dieſer Verfaſſung zu verhindern. Das Mittel hierzu war die ausbedungene Einſtimmigkeit aller Beſchlüſſe, welche eine Veränderung der Grundſätze des Bundes betrafen. Deſterreiche Widerſpruch reichte demnach allein hin eine ſolche geſeßlich unmög= lich zu machen . Es war dies derſelbe Grundfaß, welcher unter der Benennung des Liberum Veto fo weſentlich zum Untergange Polens beigetragen hatte.

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Auch jeßt giebt es noch Staatsmänner , welche die weiſe Zwed mäßigkeit der Bundesverfaſſung, ohne welche für Deutſchland fein Warum ließen dieſelben aber Heil ſei , in den Himmel erheben. nicht im 3. 1848 ihre Stimmen ertönen , als der deutſche Bundes tag mit eigenem Munde ſein Verdammungsurtheil ſprach ? Wäre es ihnen gelungen ihre jeßt verfochtene Meinung damals zur Gel tung zu bringen , ſo wäre ja eben dieſe, ihnen ſo ärgerliche That jadhe unterblieben .

Man erkannte mit Recht " ſagten ſie ,, daß die beiden deutſchen Großſtaaten , in ihrer Macht getrennt und ohne eine gemeinſchaftliche Bes ziehung und ein gemeinſchaftliches Intereffe zu einer dritten unabhängigen deutſchen Macht, bei jeder Kriſis von ihren verſchiedenen Intereſſen gelenkt werden würden , und daß ſomit Europa und Deutſchland immer der mäch tigen defenſiven Kraft entbehren müßten, welche man zur allgemeinen Siche rung im Herzen Europas organiſiren wollte. So mußte ſich der Gedanke Geltung verſchaffen : dem übrigen Deutſchland eine verbindende Kraft zwiſchen Deſterreich und Preußen dadurch zu geben, daß man auf daſſelbe einen großen Einfluß im Bunde vertheilte, und ihm eine gewiſſe Selbſtbeſtimmung und Ün abhängigkeit ſeiner Intereſſen neben den beiden Großſtaaten einräumte. Dieſes iſt die Idee , welche der Stimmvertheilung am Bunde zum Grunde lag, und wenn auf die vermeintliche Widerſinnigkeit, welche in dieſer mit den Größen verhältniſſen der Staaten nicht übereinſtimmenden Stimmenvertheilung aus gedrückt liegen ſoll, gar oft hingewieſen wird, ſo vergißt man , daß dieſes Perhältniß nicht das Ergebniß des Zufalls , oder der Unmaßung war , ſon dern aus der weiſeſten und tiefſten Berüdſichtigung der allgemeinen deut ſchen Intereſſen hervorging. Deutſchland for ſich ſelbſt erhalten bleiben. Dieſer wirklich nationale Saz liegt in der von den deutſchen Großmächten unabhängigen Bedeutung der übrigen deutſchen Staaten, welche ſich in ihrer Stellung zum Bunde klar ausſpricht. Der Bund ſoll eine Hülfsquelle für die deutſchen Großmädyte ſein , zu Dienſten jedem Intereſſe einer deutſchen Großmacht ſoll er nicht ſtehen , und es iſt den deutſchen Staaten neben Defterreich und Preußen eine gewiſſe Einwirkung auf die Leitung der Bun despolitik eingeräumt. Eben darin , daß für jede deutſche Großmacht die Unterſtüßung des Bundes eine willkommene Sache, um nicht zu ſagen ein Bedürfniß iſt, während doch der Bund von ihnen nicht ge leitet werden kann , liegt eine ſtete, moraliſche Nöthigung der beiden Großmächte ſich nicht zu weit von allgemeinen deutſchen Intereffen zu ent fernen , eine dringende Veranlaſſung für ſie Rüdficht auf die Erhaltung der Eintracht Ader zu nehmen . Zu dieſem hohen , nationalen Zwede, den auf andere Weiſe zu erreichen die größten Staatsmänner dieſes Jahrhunderts vergeblich gefonnen haben , wurde ferner von allen Bundesinſtitutionen eine einſeitige oder dualiſtiſche Herrſchaft fern gehalten . Es iſt zum Heile Deutſchlands, baß weder die diplomatiſche, noch militäriſche Herrſchaft Einem , oder Zweien " übergeben iſt, und es hieße Deutſchlands nationaler Entwicelung untreu werden , furcſtbare Gefahren für die innere und äußere Sicherheit des Vaterlandes heraufbeſchwören , wenn man jeßt ein Princip aufgeben wollte, in dem man zur erfahrungs reichen Zeit des wiener Congreffes und bis in die neuere Zeit hinein das einzige Mittel die deutſche Nationalität zu ſichern erkannte.“ 1)

2) . Dresdener Journal , Nr. 21 , vom 16. Jan. 1860.

234 Nur der Umſtand, daß noch kein Krieg mit einem gefährlichen Gegner den Werth oder Unwerth der deutſchen Bundesverfaſſung erprobte, hatte derſelben den trügeriſchen Schein der Lebensfähigkeit verliehen, bis in 3. 1848 die friedliche Macht der öffentlichen Meinung hinreichte fie in den Staub zu werfen . Die Gewalt der Bajonnette hat ſeitdem ihre Tafeln wieder auf den Altar des Gefeßes, nicht des Rechte ge ſtellt, aber der erſte politiſche Stürm wird ſie auf immer vernichten. Metternich, der Altmeiſter in der Kunſt diplomatiſcher Täuſchung, ſtüßte unter Verwerfung beſſerer Entwürfe die von ihm erſonnene deutſche Bundesverfaffung auf den Grundſatz der gleichen Bered tigung . Da aber eine größere Ungleichheit der Bundesglieder in Bezug auf ihre gegenſeitigen Machtverhältniſſe idwerlich erdacht werden konnte , als in Wirklichkeit vorhanden war , ſo ſollte die den kleineren Staaten gegebene unverhältniſmäßige Ueberzahl der Stim men am Bundestage das unverhältniſmäßige Uebergewicht der Groß ſtaaten an Bevölkerung und ſonſtigen Mitteln angeblid nidyt bloß ausgleichen, ſondern die beiden Großſtaaten in eine von den kleineren Staaten abhängige läge bringen , damit die Kräfte des Bundes nur deſſen eigenem Intereſſe , nicht demjenigen der Großſtaaten dienen Zwar beſikt der eine der beiden Großſtaaten eine faſt müßten. fo große , der andere eine mindeſtens ebenſo große Bevölke doppelt die übrigen deutſchen Bundesſtaaten zuſammengenommen , , als rung zwar beſtehen leştere aus mehr, als einem halben Schock von Sou veränen, deren gegenſeitige Eiferſucht es bewirkt, daß fie nie anders, als durch zwingende Umſtände zu gemeinſamen Sandeln vereint wer den können , während jede der beiden Großſtaaten einem einzigen Willen gehorcyt; allein das von Metternidy, nidht etwa für die perr fchaft Defterreichs, ſondern für die Unabhängigkeit Deutſchlands er fonnene Zaubermittel vermag dies alles zu überwinden ! Sol man mehr über die Admacht des Mittels ſtaunen, oder darüber, daß der öſterreichiſche Minifter nicht für den von ihm geleiteten Kaiſerſtaat, ſondern für Deutſchland es erſann , und ſo ſich ſelbſt verhinderte Deſterreiche Obergewalt zu begründen ? Das Mittel, welches ſo unerhörte Wunder ſchafft, beſteht aber , wie wir belehrt werden, darin , daß die kleineren Staaten Deutſchlands durch Verheißung , oder denn lich, ſtand

Verweigerung ihres Beiſtandes die beiden Großſtaaten kirren , dieſer Beiſtand ſei für ſie ſo willkommen , wo nicht unentbehr daß ſie lieber ihre Plane aufgeben , als ſie ohne dieſen Bei durchführen. Nun könnte man zwar fragen , was , wenn die

Sadie ſich ſo verhielte, den beiden Großſtaaten ein Bundesverhältniß

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nüte, in dem ihnen Beiſtand 'nur gewährt wird, wenn dies im Intereſſe der verbündeten Kleinſtaaten liegt, nicht aber, wenn es zunt beſondern Vortheile des einen , oder andern Großſtaates gereidyt ? Ein Thor fann aber, wie das Sprüdywort ſagt, mehr fragen, als drei Weiſe zu beant worten vermögen ; damit tröſten ſid , jene Staatsweiſen ! Von den Ber theidigern Metternidhi's iſt es gewiß ſehr beſcheiden ausgedrückt, wenn ſie ſagen , daß die Bundesverfaſſung den kleinern deutſchen Staaten eine gewiſſe Selbſtbeſtimmung und Unabhängigkeit ihrer 3n tereffen neben den beiden Großſtaaten gewähre ", denn in der That, um die Sadie beſtimmter auszudrücken , beſiten jene 15 Stim men , dieſe aber nur je 1 Stimme am Bundestage. Läge mun , wie die Bundesverfaſſung feſtießt, in der Stimment mehrheit an ſich eine beſtimmende Gewalt , ſo wäre nidit bloß der Fall denkbar , daß Oeſterreidy und Preußen mit einer Ge ſammtbevölkerung von etwa 53 Millionen Menſchen ſich den 17 Mil fionen des übrigen Deutſchlands fügen müßten , ſondern es könnten ſogar noch Baiern , Sachſen , Hannover , Würtemberg , Baden und Kurheſſen mit 6 Stimmen und 12 Millionen Einwohnern auf ihre Seite treten , und dennoch wären alle dieſe Staaten mit 8 bezüglich 30 Stimmen und 65 Millionen Einwohnern , achteten ſie das Grundgeſetz des Bundes , dem entgegengeſeßten Willen der übrigen kleinen Staaten , welde 9 be züglich 35 Stimmen und 5 Millionen Einwohner darſtellen, ſich zu fügen gezwungen . Hätte bas bundesgeſeklidye Stimmenverhältniſ wirklich etwas zu bedeuten , ſo befäßen die deutſchen Kleinſtaaten nicht bloß einen großen Einfluß, ſondern eine unbedingte Herrſchaft. So wenig aber bei Münzen das willkürlich aufgeprägte Werthzeidien , ſondern ihr innerer Gehalt entſcheidet, ſo wenig liegt am Bundestage die Entſcheidung in der den Kleinſtaaten zuſtehenden Stimmenüberzahl, ſondern in dem Gewichte, welches die Macht verleiht. Im Beſige derſelben befindet ſidy aber Deſterreich, theils weil es ziemlich ſo ſtark iſt, als alle übrigen Bundesglieder zuſammengenonimen , theils wegent der Sympathien der deutſchen Fürſten , welde in ihm einen Sdutz gegen das ihnen gefährlicher dünfende Preußen erblicken . Solange Preußen wegen der Abneigung ſeines Herrſchers die verfaſſungs mäßigen Redute ſeines Volkes anzuerkennen dhließlich doch die Ob madt Deſterreichs anerkennen muß, welches einer ſolchen trotz der in der Bundesacte verheißenen Gleidyberechtigung in Deutſdyland Gel tung verſchaffte, ſolange iſt die ſogenannte Unabhängigkeit der übrigen Bundesſtaaten, ſogar in ihren inneren Verhältniſſen, wo allein ver nünftigerweiſe von einer ſolchen die Rede ſein kann, ein leerer Schal.

236 So wurde z. B. in Weimar , deſſen Großherzog Karl Auguſt, treu ſeinem Worte , vor allen deutſchen Fürſten zuerſt feinem Lande eine freiſinnige, Breßfreiheit gewährende Verfaſſung verlieh , welche der Bundestag verbürgte, von dieſem dennoch ſpäter die Preßfreiheit unterdrückt. Aehnliche Eingriffe in die Verfaſſung fanden in Baden ſtatt. In þannover wurde die Volksvertretung, welche fich über will fürliche Vertauſdung der in anerkannter rechtlicher Wirkſamkeit be ſtehenden Verfaſſung mit der vom Könige Ernſt Auguſt dem Lande aufgedrungenen beſchwerte, wider die ausdrüdliche Beſtimmung der wie ner Schlußacte ( Artikel 56 , 59 ) unter der rechtswidrigen Ausflucht der Unzuſtändigkeit, mit ihrer wohlbegründeten Beſchwerde abgewieſen. In Rurheſſen endlich wurde die geſetzlich beſtehende Verfaſſung, zu deren Beſeitigung der Kurfürſt die erforderliche Unterſtüßung im eigenen Lande nicht hatte finden können , welches den auf die Ver faſſung geleiſteten Eid für heilig erachtete, ſogar durch ein öſterreichiſch baieriſches Heer unterdrüdt, welches der vom öſterreichiſchen Miniſter, Fürſt Schwarzenberg willkürlich wiederhergeſtellte Bundestag , oder vielmehr Deſterreich und einige ihm anhängende deutſche Bundes ſtaaten deshalb abſendete , unbekümmert um den Widerſpruch des in der öffentlichen Meinung geſunkenen Preußens . Die Bundesverfaſſung, welche, wie Metternich's heutige lob redner ſagen, den einzigen Weg darbietet den hohen Zweck nationaler Einigung zu erreichen , dieſes troß des wetteifernden Nadh finnens der größten Staatsmänner unſere Fahrhunderts unübertroffene Meiſterwerk nennen ſeine Gegner mit Recht nur eine pfiffige Ausbeutung der Selbſtherrlichkeitsgelüſte der Kleinſtaaten, welche der Befriedigung ihrer Eitelkeit mittels Einräumung ſcheinbarer Rechte und der Verheißung , daß das dynaſtiſche ſtets dem Volks intereſſe vorgehen ſolle, das mit der öſterreichiſchen þauspolitik unver trägliche Seil ihrer Bevölkerung aufopfern, Deutſchlands Dienſtbar keit für öſterreichiſche Intereſſen iſt der geſchidt verhüllte Zweck der von Metternich geſchaffenen Bundesverfaſſung, welcher auch , ſolange er Deſterreiche Staatskanzler war , erreicht wurde , und ſolange Preußen die Rechte des eigenen und des deutſchen Volkes mißachtet, ferner erreicht werden wird. Da das Bundesverhältniß ein jo naturwidriges iſt, daß die Ge fchichte aller Völker kein gleiches kennt , fo zeigt ſich der Zwieſpalt nicht bloß in dem gegenſeitigen Verhältniſſe der Bundesſtaaten zu= einander, ſondern auch im Innern der Bundesſtaaten ſelbſt. Wäh rend Gleichheit der Sprache, Geſittung und Intereſſen Deutſchlands

237 Stämme zum innigen Anſchluß an Breußen geneigt maden , ſobald eß ſeinem Berufe Deutſchlands innere Freiheit und äußere Unab hängigkeit zu beſchüßen als rein deutſche Großmacht genügt, erbliden beren Fürſten eben in dieſer Zuneigung Gefahr für das Fortbeſtehen ihrer Selbſtherrlichkeit, und werden hierburch veranlaßt der Politik Deſterreichs zu huldigen . Zwei einander abgeneigte Großmächte und ein þaufe kleinerer Staaten , in denen die fürſtliche Partei von der einen , die volle partei von der andern Großmacht ihr þeil erwartet, das ſind die einander abſtoßenden Beſtandtheile eines Bündniſſes , welches einzig in der Weltgeſchichte und unfähig iſt Deutſchland vor äußeren Ge fahren zu beſchirmen , geſchweige denn ſeine innere volksthümliche Entwickelung zu befördern. Gewährung ſcheinbarer Selbſtändigkeit, Hindeutung auf die Ge fahren , welche das naturnothwendige Streben Preußens die kleineren deutſchen Staaten in eine engere Verbindung mit ſich zu ziehen jener Selbſtändigkeit bereite - Gefahren , welche nur durch An lehnen an Deſterreich überwunden werden könnten dies waren die erfolgreichen Mittel , deren Metternich ſich bediente , um den von ihm empfohlenen Grundlagen der Bundesverfaſſung die Annahme der deutſchen Fürſten zu ſichern . An die Stelle des von Preußen empfohlenen erſten und zweiten Rathes der Bundesverſammlung trat die obenerwähnte doppelte Ab ſtimmungsweiſe. Wenn mit 17 Stimmen abgeſtimmt werden ſollte, war im Fiebenten Artikel nur mit den Worten angedeutet : ,, Inwie fern ein Gegenſtand nach obiger Beſtimmung für das Blenum geeignet fei , wird in der engern Verſammlung durch Stimmen mehrheit entſchieden . “ Die Abſtimmung im Pleno mit 69 Stimmen 1) war vorgeſchrieben, wo es auf Abfaſſung, Abänderung von organiſchen Grundgeſetzen , gemeinnüßigen Einrich tungen und Verordnungen ankomme. Wie eine etwaige Kriegserklä rung zu beſchließen ſei, war nicht beſonders angeordnet, vermuthlich, weil vom Bunde nur Bertheidigungekriege geführt werden fouten , bei folchen aber die Kriegserklärung nur eine Formalität war. Bei der erſten Abſtimmungsweiſe follte abſolute Mehrheit d. h. mehr als die Hälfte der Stimmen , bei der legtern relative Mehrheit, oder zwei Drittel der Stimmen die Entſcheidung herbeiführen, jedoch In nur wenn über gemeinnütige Einrichtungen berathen werde. ) Die ſiebenzigſte Stimme erhielt erſt im I. 1817 Serien.omburg. Doch hat die Anzahl der Stimmen des Plenum durch Verzicht und Todesfall fich lebt bis auf 65 vermindert.

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den übrigen obengedachten Fällen , oder wenn Religionsangelegen heiten , oder jura singulorum in Frage fämen , wurde Stimmenein = helligkeit gefordert.

Letztere war alſo die Regel.

Die bei

Bera

thung gemeinnütiger Einricytungen ausnahmsweiſe entſcheidende Mehr heit von zwei Drittheilen der Stimmen aber war um ſo mehr von zweifelhafter Anwendbarkeit, als kaum ein Fall innerer Geſeßgebung denkbar ſchien , welcher nicht unter die jura singulorum gerechnet werden konnte , zumal wenn man dieſen Begriff aus dem weſtfäli ichen Friedensvertrage mit den Worten , ubi status tanquam unum corpus considerari nequunt“ erklärt, denn nur dem Uuslande gegenüber erſchien ja der deutſche Bund als ein Ganze8. Eine Er klärung dieſer bunfeln Stelle der Bundesacte ſelbſt einzuverleiben, ward , obgleich eine ſolche vorgelegt und als erſchöpfend anerkannt wurde , nicht beliebt , muthmaßlidy weil dadurch die Hohlheit der ganzen Einrichtung in ein zu helles Licht geſtellt worden wäre. Der fönigl. ſächſiſche Bevollmächtigte von Globig erklärte das gegen in der ſiebenten Sißung zu Protokoll : Nady Anſicht des fönigl . ſächſiſchen Hofes ſeien die zur Verhand lung in pleno ausgelegten wichtigen Gegenſtände von der Art , daß bei den abzufaſſenden Beſchlüſſen eine allgemeine Uebereinſtimmung ſämmtlicher Bundesglieder für erforderlich zu adten ſei , und da in feiner dieſer Angelegenheiten die Diffentirenden durch Stimmenmehrheit gebunden werden könnten , ſo würde man der für das Plenum in Antrag gekommenen verſchiedenen Beredynung der Stimmen nicht bedürfen. ?) Dies war auch nach Wort und Sinn der Bundesacte vollkommen richtig, man behielt jedoch die geheimniſvolle Faſſung in der betreffen den Stelle der Bundesacte dennoch bei, indem man ſich auf eine Prü fung des Umſtandes, inwiefern ſogenannte , gemeinnüßige Angele genheiten “ die Rechte Einzelner nicht berühren könnten, nicht einließ. Wegen der für etwaige Abänderung des unauflösliden Bundes erforderlichen Stimmeneinhelligkeit war es unmöglich ohne Deſterreichs Zuſtimmung die deſſen Abſichten ſo wohl entſprechenden Bundeseinrichtungen, wenn ſie auch als noch ſo mangelhaft von den übrigen Bundesgliedern erkannt wurden, abzuändern, und damit fein Mittel vernachläſſigt werde dieſe Feſſel , welche Deutſchland an Deſterreich band , ſo unzerreißbar , als möglich zu machen, ſeşte es Metternich burdy, daß die deutſche Bundesacte der wiener Congreß açte einverleibt , und hiermit unter die Bürgſdaft der europäiſchen Mächte geſtellt wurde .

1) Klüber , II , 474-498 .

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Es ward hiermit von Metternich verrätheriſcherweiſe dem deut ſden Volke die nach dem Naturrechte jeder Nation zuſtehende Berech tigung feine ſtaatlichen Verhältuiffe ſelbſtändig zu ordnen gefeßlich für den Fall entzogen , daß ein Bundesmitglied die Bürgſchaft der euro päiſchen Mächte für die verfaſſungsmäßig nur mit ſeiner Zuſtimmung abänderbare Bundesacte beanſprucht. Aber die Beſtimmungen des deut fchen Bundes ſollten ja auch nicht zum Beſten Deutſchlands, ſondern dem öſterreichiſchen Cabinete als Werkzeug dienen , deſſen Seraft zur Förderung eigener Zwede für immer zu benußen. Freiſinnige katholiſche Geiſtliche, an deren Spitze der Coadjutor des Bisthums Conſtanz von Weffenberg ſtand, der Bruder des zwei ten öſterreichiſchen Bevollmächtigten , hatten zum Schutz gegen päpſt liche Uebergriffe empfohlen der katholiſchen Kirche in den deutſchen Bundesſtaaten eine ihre Rechte und Dotationen fichernde Verfaſſung -zu geben. Die deshalb in den Verfaſſungsentwurf aufgenommene Beſtimmung ward aber geſtrichen und dadurch jenen Concordaten mit dem päpſtlichen Stuhle der Weg gebahnt , welche zu beklagen Deutſchland leider noch jeßt ſo reiđſliche Veranlaſſung hat. Gleichzeitig damit fiel eine ähnliche, die evangelifdie Kirche in Deutſchland betreffende Beſtimmung weg , welche um ſo ſchwieriger durchzuſetzen war , als bekanntlich jeder evangeliſche Landesherr ſich als Haupt der evangeliſdyen Kirche feines Landes betrachtet, und eine allgemeine Regelung der Kirchengewalt den einzelnen Fürſten un willkommene Sdranken zu jepen drohte. Alle dieſe , in der ſiebenten Sißung vom 2. Juni genehmigten Beſtimmungen, welche den ſechzehnten Artikel der Bundesacte ergänzten, wurden in der zehnten Sizung durch deſſen Weglaſſung wieder beſeitigt. Es war dies die einzige weſentliche Veränderung, welche ſeitdem mit dem revidirten Berfaſſungsentwurfe vorgenommen wurde, denn mit Ausnahme einiger ſpäter beliebten unweſentlichen Uenderungen des Ausbruds ſtimmt derſelbe mit der in der elften Siķung vom 10. Juni unterzeichneten , am 8. 3uni aber bereits vereinbarten Bundesacte überein . Eine Vergleichung derſelben mit jenem öſterreichiſch-preußi iden Entwurfe zeigt fogar , daß beide Schriftſtücke faſt nur in der Ordnung des Stoffes verſchieden ſind. Die wichtigſte Veränderung iſt die, daß ſtatt des, der Bundesverſammlung beizuordnenden Bundes gerichts, wie vorgeſchlagen war, eine „ wohlgeordnete Aufträgalinſtanz Streitigkeiten der Bundesglieder endgültig entidheiden follte. 1) Der beſondern Beſtimmungen der Bundesacte, welche die mittel

) Alüber , II , 479.

240

bar gewordenen Fürſten , das deutſche Volk und allgemeine Einrich tungen betreffen , find theils bei den einzelnen Entwürfen erwähnt worden, theils erhellen ſie aus der unter III als Beilage erſichtlichen Bundesacte. 3n den Sißungsprotokollen findet ſich keine Spur davon , daß die kleineren deutſchen Staaten nach der Zulaſſung ihrer Bevoll mächtigten zu den Berathungen beſtrebt geweſen wären die von ihnen früher ſcheinbar mit ſo beharrlidhem Eifer vorgeſchlagene Wiederher Es erhelt ſtellung des deutſchen Kaiſerthums wieder anzuregen . hieraus, daß ſie einen ſolchen Vorſchlag nur als die geeignetſte Form betrachtet hatten ihre Mitwirkung beim Verfaſſungswerke zu fördern, und ihn deshalb fallen ließen, als beſagter Zwed erreicht war . Das obenerwähnte diesfallfige Zugeſtändniß eines deutſden Geſandten am wiener Congreſſe wird dadurch nur ergänzt und beſtätigt. Von den neun amtlichen Entwürfen der deutſchen Bundesverfaf ſung hatte Preußen fünf ausſchließlich, zwei in Gemeinſchaft mit Deſterreich geliefert , welches felbft nur zwei ohne Preußens Mits wirkung vorlegte , bis Metternidy es an der Zeit hielt ihre längſt von ihm vorbereiteten und beſchloſſenen Grundlagen nicht ſowol zur Berathung als Genehmigung den deutſchen Staaten vorzulegen . Dieſe in 20 Artikeln endlich zu Tage tretende Bundesverfaſſung blieb nicht nur ſelbſtverſtändlich weit hinter den Erwartungen zurück, zu welchen das deutſche Volk durch fürſtliche Verheißungen, beſonders durch den zu Kaliſch erlaſſenen Aufruf berechtigt war, ſondern ſogar die Staatsmänner , welche ſie gefdjaffen hatten , hielten es für rath ſam mündlich oder (dhriftlich ihr Bedauern darüber auszudrüden, daß ihre Bemühungen kein beſſeres Ergebniß gehabt hatten. Da die in der Bundesacte niedergelegte Grundgeſeße des Bun des in vielfacher Beziehung, beſonders hinſichtlich eines zu beſchließen den Bundeskrieges weiterer Ausführung und beſtimmterer Faſſung bedurften, ſo wurde dies ſpäter in der wiener Schlußacte vom 15. Mai 1820 bewirkt , welde ein untrennbares Ganzes mit der Bundesacte bildet und deshalb als Beilage IV beigefügt iſt, ob ſchon ſie einer ſpätern Zeit angehört. Görres im „ Rheiniſchen Merkur " ſprach die Meinung des Volks in folgenden Worten mit ſcharfer und treffender Fronie aus : „ Man kann nicht verkennen , daß in dieſem Verfaſſungsentwurfe auf eine ſehr glückliche Art die franzöſiſche Conſtitution vom Jahre III mit der türkiſchen Verfaſſung verbunden iſt, und zwar ſo , daß die Fürſten untereinander den Republikanismus fich gefallen laſſen , ihren Völkern

241 aber

den Sultanismus

herzlich

gern ' gönnen ."

Die Diplomaten

drüdten ſich natürlich weit höflicher aus , denn ſie ſelbſt hatten das Werk ja mit zu Tage gefördert. Geng, Metternich's rechte Hand, ſagte im „ Deſterreichiſchen Be obachter" in Bezug auf die deutſche Verfaſſung: die Umſtände trügen die Schuld , daß ſo Unvollkommenes erzielt worden ſei . Der Frei herr von Gagern als Luxemburgs Vertreter begnügte ſich in ſeinem ſchriftlichen Schlußvotum zu erklären : ,, er ſei völlig bereit die Artikel zu unterzeichnen und ſie als ein gemeinſchaftliches Band anzuerkennen, das Zeit, Erfahrung und ſteigendes Zutrauen erſt beſſern müßten". Die preußiſchen Bevollmächtigten ſprachen ſich in ihrer Schluß erklärung dahin aus: ,,wie ſie zwar gewünſcht hätten der Bundes acte eine größere Ausdehnung , Fertigkeit und Beſtimmtheit gegeben zu ſehen , daß ſie aber -- bewogen durch die Betrachtung, daß es beſſer ſei vorläufig einen weniger vollſtändigen und vollkommenen Bund zu ſchließen, als gar keinen, und daß es den Berathungen der Bundesverſammlung in Frankfurt freibleibe den Mängeln abzuhelfen die Interzeichnung nicht zurüchalten zu müſſen geglaubt haben “. Am ausführlichſten in dieſer Beziehung war Graf Münſter, der Verfaſſer der nachſtehenden hannoverſchen Erklärung vom 5. Juni : ,, Indem die königl. hannoverſche Geſandtſchaft fich bereit erklärt eine Bundesacte zu unterzeichnen , welche ihres Dafürhaltens die Erwartungen der deutſchen Nation nur zum Theil erfüllen kann , und welche mehrere widtige Punkte unerſchöpft läßt, auf deren Annahme früher hannoverſchers ſeits angetragen worden , hält ſie ſich verpflichtet zu Vermeidung von Miß deutungen, als ob ihr Hof ſeine in den deutſchen Angelegenheiten ſtets be währten Grundfäße aufgegeben hätte, zu erklären : daß , ſeitdem die Erreichung des Wunſches Sr. königl. Hoheit des Prinzen Regenten von Großbritannien und Hannover die alte Reichsverfaſſung unter nöthigen Modificationen her geſtellt zu ſehen , durch bekannte politiſche Verhältniſſe unausführbar gewor den , der Wunſch Hannovers dahingegangen ſei zur Errichtung eines Bun des in Deutſchland mitzuwirken , der nicht bloß ein politiſches Band unter den verſchiedenen Staaten ſei, ſondern zugleich im Begriffe älterer Verfaſſungen eine Vereinigung des geſammten deutſchen Volks in fich faſſe. In dieſer Hinſicht hatte ſich die königl. Hannoverſche Congreßgeſandtſchaft bei früheren Verhandlungen namentlich über die Befugniſſe der Landſtände in den Deut ſchen Ländern , über deren Sicherſtellung durch die Garantie des Bundes und über die Errichtung und Gewalt eines Bundesgerichts erklärt. Wenn ſie heute eine Acte unterzeichnet, welche dieſe Punkte unerledigt läßt, ſo ge ichieht es in der Ueberzeugung, daß jene ihr beſſer ſcheinenden Beſtimmungen jeßt nicht zu erlangen ſind, und daß es wünſchenswerther ſei einen unvoll kommenen deutſchen Bund , als keinen einzugehen. Der Bund , wie er bes liebt iſt , ſchließt keine Verbeſſerung ganz aus, und dieſe im oben erwähnten Sinne zu befördern wird der königl. Hannoverſche Hof ſich ſtets bemühen. Er hofft auf den Beitritt der Höfe, die ſich bisher nicșt mit den übrigen vereinigt haben, muß ſich aber ausdrüdlich vorbehalten, daß wenn deren Beitritt fünftig wider Verhoffen verſagt werden ſollte , alsdann über 16 II.

242 diejenigen Modificationen der Bundesacte bei dem Zuſammentreten der Bundesverſammlung, beſonders berathſchlagt werde, welche die veränderte Lage der Sache in jener Beziehung fordern dürfte.“ 1) Auch der Cardinallegat Conſalvi verwahrte die Rechte des päpſt lichen Stuhles gegen die deutſche Bundesverfaſſung, und zwar in breifacher Beziehung: 1 ) wegen der nicht

erfolgten Wiederherſtellung der weltlichen Fürſtenthümer , welche die katholiſche dirche in Deutſchland beſeſſen habe ; 2) wegen unterlaſſener Zurü derſtattung der ihr zu = ſtehenden Einkünfte ; 3) weil das heilige römiſche Reid ), der durch das Recht und die heilige Religion geweihte Mittelpunkt ſtaat licher Einheit, " nicht wiederhergeſtellt worden ſei . 2) Natürlich war dem päpſtlichen Stuhle die Einheit Deutſchlands

an ſich völlig gleichgültig, und der eigentliche Grund der Beſchwerde beſtand in dem Verluſte der Vortheile , welche das heilige römiſche Reich deutſcher Nation der römiſchen Kirche bot. Hätte die alte Reichsverfaſſung die Stämme Deutſchlands wirklich zu einer Staats einheit vereinigt, ſo wäre zwar die thums durch Waffengewalt möglich ben Anſchluß deutſcher Fürſten an worden ſein die aller Macht und

Vernichtung des deutſchen Kaiſers geweſen , nicht aber würde durch den Feind der Raifer veranlaßt Bedeutung beraubte Krone al8

eine läſtige Bürde freiwillig niederzulegen . Die Erklärungen jener deutſchen Diplomaten ſuchten über bas hödiſt unbefriedigende Ergebniß der Congreßverhandlungen bezüglich der deutſchen Bundesverfaſſung mit der Hoffnung auf künftige Verbeſſe War dies ſchon ein ſchlechter Troſt an rung derſelben zu tröſten . fidy, weil was dem friſchen Eifer mißlungen , ſchwerlich bei zunehmen der Gleichgültigkeit gelingen konnte , ſo ſchienen noch beſondere Ver hältniſſe jede vernünftige Hoffnung einer Beſſerung geradezu auszu ſchließen. Denn da die einſeitige Auflöſung des Bundes von ſeinen Mitgliedern für unzuläffig erklärt , zu einer Abänderung der Grund geſeße des Bundes aber die Einwilligung aller Mitglieder erforder lid) war , auch der Umſtand , daß Metternich die Bundesacte unter die Bürgi diaft der europäiſchen Mächte geſtellt, deutlich genug bekun bete , daß derſelbe ſein Werk als unverbefferlich anſah , und gegen jede Abänderung des Bundes die Bürgen deſſelben aufzurufen gea - ) Alüber , II , 524 , 546 , 556. 2) Klüber , VI , 444.

243 bachte , ſo wäre eine im Wege der Verſtändigung erfolgende Verbeſſe rung der deutſchen Bundesverfaſſung ein unerhörtes politiſches Wun der geweſen . Durch die ihnen in der Bundesacte zugeſtandenen Vorrechte nicht

befriedigt, überreichten die meiſten ihrer Landeshoheit enthobenen ehemaligen Reichsſtände, an deren Spiße Fürſt Metternich, der Vater des öſterreichiſchen Miniſters des Aeußern ſtand , am 13. Juni eine Rechtsverwahrung. Die Verhältniſſe - fagten ſie in derſelben – nöthigten ſie zwar, in Anſehung der in- der neuen Conſtitutionsacte für ihren fünftigen Zuſtand dictirten Normen , für jeßt der Gewalt der Umſtände ſich zu fügen , ſie hielten ſich jedod verpflichtet für ſich, ihre Nadikommen und ihre angeſtammten Unterthanen vor dem hohen Congreſſe und der ganzen Welt die Verwahrung einzulegen , daß ſie ſich den Um= fang ihrer Rechte und Befugniſſe nach dem Beſißſtande von 1805 für' ewige Zeiten vorbehielten , und nur in diejenigen Opfer einwil= ligen könnten , welche, als Reſultat freiwilliger Uebereinkunft mit ihnen, einzig und allein eine rechtliche Ordnung ihres altehrwürdigen garantirten Rechtszuſtandes zu begründen vermöchten . Die Deutſchen , in deren Namen zugleich dieſe Verwahrung

eingelegt wurde, waren zwar wie alle übrigen vaterländiſch geſinn ten Deutſchen, ganz anderer Meinung , und tadelten die Bundesacte nur deshalb , weil ſie das erſehnte Band nicht bildete , welches die deutſchen Stämme zu einem großen Volke zu vereinigen vermochte, fan den jedoch begreiflicherweiſe feinen Vertreter, um dies ihrerſeits in einer Verwahrungsurkunde dem Congreſſe fundzuthun. Shre Klagen blies ben damals ohne Beachtung, und erfuhren nach Jahren eine ſolche nur in der Weiſe, daß man diejenigen , welche fie äußerten , als Er reger von Unzufriedenheit, ihre aus Vaterlandsliebe gemachten Vor ſchläge zu einer beſſern Bundesverfaſſung als hochverrätheriſche Ber ſuche beſtrafte. Ja die blinde Verfolgungsſudyt ging ſo weit , daß man Männer , weldie durch Anfachen vaterländiſder Begeiſterung fidy im Befreiungskampfe gegen Napoleon unſterbliche Verdienſte er worben hatten , deshalb in Anklageſtand ſeßte , weil ſie ihre Ueber zeugung , burdy deren Verbreitung ſie ebenſo Rühmliches leiſteten, nicht wie ein aus der Mode gekommenes Kleid ablegen mochten ; daß man eine Stelle in Arndt's mit Beſchlag belegten Schriften für ver brecheriſch erklärte, bis es fich herausſtellte, daß die Hand ſeines Königs fie als Anmerkung niedergeſchrieben hatte.

16 *

Vierter Abſchnitt.

>

Ordnung der Schweizer Angelegenheiten , der Gebietsverhältniſſe in Italien und Deutſch land. Verhandlungen wegen der Entſchädigungsanſprüche Baierns, wegen der Rheinidiffahrt, des Negerhandels und der Rangverhältniſſe. Verzögerte Genehmiguug des Königs von Sachſen in Bezug auf die Theilung ſeines Landes. In einer ähnlichen politiſchen Lage wie Deutſchland befand ſich die Schweiz. Als Beſchüßer des von ihm geſchaffenen Rheinbundes hatte Napoleon die rein deutſchen Staaten ſowol, wie als Vermittler der im Februar 1803 gegebenen Verfaſſung die Schweizer - Cantone unter dem Namen von Bundesgenoſſen zu ſeinen Vaſallen gemacht, nach dem jene, wie dieſe einen Theil ihres Gebiets an Frankreich hatten Nur inſofern war ihre Lage verſchieden, daß abtreten müſſen. Deutſchland durch den Zuſammenſturz der morſchen Verfaſſung des „,heiligen römiſden Reichs deutſcher Nation " in eine Anzahl für ſelbſtändig erklärter Staaten aufgelöſt worden war , während die ſchweizeriſche Eidgenoſſenſchaft aus einem Staatenbunde ein Bun desſtaat wurde , deſſen gemeinſchaftliche Angelegenheiten auf einer Tagſaßung, an deren Spiße der Bürgermeiſter des jedesmaligen Vororts D. h . des den Vorſit führenden Cantons , unter dem Titel eines Landammanns der Sdweiz ſtand. Durch Beſeitigung der herrſchenden Geſchlechter, welche die Re gierungsgewalt in ihrem Cantone zur Förderung ihres Privatvor theils ausbeuteten , durch Umwandelung der Unterthanenlande in gleid berechtigte Cantone , deren Zahl dadurch auf 19 ſtieg, durch die Rechtsgleichheit aller Sdweizer, und durch eine größere Einheit und Ordnung der Verwaltung zeichnete ſich die neue Staatsform vor der

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alten vortheilhaft aus .

Allein dieſe Vortheile waren doch nicht im

Stande der neuen Verfaſſung allgemeine Anhänglichkeit zu ſichern, denn der Verluſt der Unabhängigkeit, welcher die Sdyweizer zwang Gut und Blut für fremde Zwede zu vergeuden , erfüllte das Volk mit Unwillen und machte es geneigt denjenigen Gehör zu ſchenken, welche aus Rache wegen verlorener Vorrechte die Unzufriedenheit mit der beſtehenden neuen Ordnung der Dinge ſchürten. Napoleon's Sturz und die Sympathien , welche die Ariſtokratie der Schweiz bei dem öſterreichiſchen Cabinete fand , hatten bereits dahin geführt , daß die früher regierenden Geſchlechter in den Cantonen Bern , luzern, Freiburg und Solothurn durch Anſtiftung von Aufſtänden , welche ſie im Vertrauen auf den Scuß des Feldmarſchals Schwarzenberg wagten , der obrigkeitlichen Gewalt ſich wieder bemächtigt hatten . Hinſichtlich Deutſchlands machte der Congreß es ſich zur Auf gabe an die Stelle der von Napoleon vernichteten Reichsverfaſſung eine neue ſtaatliche Ordnung nach Innen und Außen zu begründen ; hinſichtlich der Schweiz begnügte er ſich deren Grenzverhältniſſe zum Auslande ſowol, als der Cantone unter fid in ſeinem Sinne feſtzu fegen , während er es den Schweizern überließ die Grundgefeße ihres Bundes und der einzelnen Cantone nad; eigenem Willen zu ordnen . Der fdjon am 8. Sept. 1814 an die Stelle der Vermittelungsacte Napoleon's getretene neue Bundesvertrag war ein Staatenbund, welcher auf ähnlichen Grundſäßen beruhte wie der deutſche Bund ; nur war glüdlicherweiſe die ausgeſprochene Gleichberechtigung der Bundesglieder nicht wie bei jenem eine bloß ſcheinbare, ſondern eine wirkliche, und nicht Stimmeneinhelligkeit, ſondern die Mehrheit von brei Vierteln der Stimmen war zu Bundesbeſchlüſſen über Krieg und Frieden und über Verträge mit fremden Staaten hinreichend, bei allen übrigen Bundesbeſchlüſſen entſchied abſolute Stimmenmehrheit. In Wien ſollte nur die Zahl und Begrenzung der Cantone feſtge ſtellt und der Streit geſchlichtet werden , welcher daraus entſtand, daß mehrere alte Cantone bahin ſtrebten ihre ehemaligen Unterthanen lande , die zugleichberechtigten Cantonen geworden waren , ihrem Gebiete wieder einzuverleiben, die Bevölkerungen jener neuen Cantone aber , objdon ihnen gleiche Rechte mit den übrigen Cantonsbürgern verheißen wurden , von Wiedereingehung einer ſolchen Verbindung nichts hören wollten .

Bern vor allen trachtete danad bas Waadtland und den ehemale ihm gehörigen Theil des Aargaues wieder zu erwerben , und hatte deshalb auch den Grundſaß der neuen Bundesverfaſſung, daß der

246 Länderbeſtand der 19 Cantone unverleßt bleiben folle, nicht anerkannt. Sicherlich würde es zu den Waffen gegriffen haben , um ſeine An ſprüche mit Gewalt durchzuſeten , wenn nicht die Verbündeten durch ernſte Abmahnung dies verhindert hätten. Keine der beiden Parteien war ſo verblendet , um nidyt einzuſehen , daß ſie ſich der Entſcheidung des Congreſſes zu unterwerfen habe , und durch eigenmächtiges Ver fahren ſich nur daden würde. Beide ſendeten daher Abgeordnete nach Wien , um durch Darlegung ihrer Gründe eine günſtige Ent ſcheidung zu bewirken. Obgleich die Verbündeten , idon bevor ein Theil ihrer Heere durch das Gebiet der Schweiz in Frankreich einrüdte, derſelben ihre Abſicht zu erkennen gegeben hatten ihre alten Grenzen ſo wiederher zuſtellen , daß ſie die Parteiloſigkeit, welche man ihr bei Kriegen der Nachbarſtaaten zugeſtehen wolle, kräftig zu behanpten vermöge, ſo hatte man doch bei Abſchluß des Friedens zu Paris verſäumt die ſchweizeriſche Grenze gegen Frankreich und Savoyen derart zu beſtimmen, daß Genf , welches als neuer Canton zur Sdyweiz gehören ſollte, durch jene beiden Länder aber von ihr getrennt war , ein mit ihr zuſammenhängendes Gebiet erhalten hätte. Man hatte ſich begnügt im ſechsten Artikel des pariſer Friedensvertrage zu beſtimmen : ,, Die unabhängige Sd weiz wird fortfahren ſich ſelbſt zu regieren . " Ade andern Anordnungen hatte man im fünftigen Congreſſe treffen zu können geglaubt ; man ſtieß aber in der Gebietsfrage auf Hinderniſſe, welche erſt im zweiten Frieden von Paris beſeitigt werden konnten . Zwiſden Frankreich , Deutſchland und Italien liegend , fdien die Sđiweiz durch die Beſchaffenheit ihres Landes und ihrer Bevölkerung dazu beſtimmt, ſo weit ihr Gebiet reichte, ein feindliches Zuſammen ſtoßen jener Länder zu verhindern. Deutſche, Franzoſen und Sta liener , nicht durch einen Zwingherrn , ſondern durch gemeinſchaftliche Liebe zu geſeglicher Freiheit miteinander vereinigt, wohnten hier unter ſelbſt gegebenen Gelegen friedlich beiſammen. Indem ſie dadurch ein nachahmungswürdiges Beiſpiel der Verträglichkeit für die Nach barvölker gaben , mußte ihnen alles daran liegen , daß dieſe nie auf ſchweizeriſchem Boden feindlich zuſammenſtießen , weil, abges ſehen davon daß ein kleiner Staat bei Kriegen größerer Staaten ſtet8 nur Verluſt erleiden kann , ein ſolcher Zuſammenſtoß den Zerfall ihrer ſtaatlichen Verbindung herbeizuführen drohte ; denn die ſich be lämpfenden Nachbarvölker konnten leicht dahin übereinkommen die

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ihnen durdy Sprache und Sitte verwandten Cantone ſidy einzuver leiben . Allein auch im wohlverſtandenen Intereſſe der an die Schweiz grenzenden Völker lag es deren ſtaatliches Fortbeſtehen zu ſichern, eben weil ſie ein Hinderniß feindlichen Zuſammenſtoßes bildete. Das Schick= fal felbſt ſchien dies ſo veranſtaltet zu haben , indem es der Schweiz die höchſte Gebirgskette des Welttheils , und mit ihr die den gegenſeiti gen Verkehr der Nachbarvölfer vermittelnden Gebirgspäſſe zuwies, dabei aber die verſchiedenen Nationalitäten zur Vermeidung von Reis bungen unter ſelbſt gegebenen Gefeßen zu einer ſtaatlichen Gemein ſchaft vereinigte. Dies, verbunden mit dem Umftande, daß die Schweiz keine natürlichen Reichthümer beſaß , welche fürſtliche abgier reizen konnten , hatte ſchon ſeit Jahrhunderten ihrem Gebiete den Frieden erhalten , wenn die Nachbarſtaaten auch auf andern Gefilden ſich bekämpften. Jetzt ſollte der Schweiz durch völkerrechtlichen Vertrag zum Vortheile Aller ihre Parteiloſigkeit bei fünftigen Kriegen der Nachbarn ausdrüdlich geſichert, und dadurch deren eigene Grenzen du , wo ſie den Schweizerboden berührten, vor jedem feindlichen An griffe bewahrt werden . Ein übles Vorzeichen für die Heiligkeit die ſes Vertrag war freilich der Umſtand, daß die Verbündeten ſelbſt, von denen der Gedanke ausging , im Kriege gegen Frankreich die Parteiloſigkeit der Schweiz, als ſie ſelbige erklärte , nicht beachtet, ſondern um des augenblickliden Vortheils willen ſie nur in Zukunft achten zu wollen verſprochen hatten. Um für die Schweiz die Anerkennung dieſer Barteiloſigkeit und ihrer Autonomie , die Feſtſtellung der innern und äußern Grenzen und der Entſchädigungen zu bewirken , welche einzelne Cantone einan der zu gewähren hatten , erſchienen ſchon zu Ende September die Herren von Reinhard , von Montenad und Wieland in Wien als eidgenöſſijde Abgeordnete. Auch die meiſten Cantone ließen ihre Sonderintereſſen durch eigene Bevollmächtigte vertreten. Unter die ſen zeichnete ſich Laharpe, der geweſene Erzieher des Saiſers Aleran der , aus. Die Gunft, die ſein ehemaliger Zögling ihm bewahrt hatte , benußte er , um ſeiner Heimath , dem Waadtlande , die ge wünſchten Vortheile zu ſichern. In Bezug auf die Soweiz herrſchte unter den Großmächten kein Swieſpalt , weil alle darüber einverſtanden waren , daß deren ſtaat liche Unabhängigkeit heilſam für den Frieden des europäiſchen Feſt landes , und deshalb die Unantaſtbarkeit ihres Gebiets durch Aner kennung ihrer Parteiloſigkeit bei künftigen Kriegen ihrer übermächtigen Nachbarn zu fichern ſei . Als daher die wegen der Verſchiedenheit

248 der Anſichten über die polniſche und fächſiſche Frage eingetretene Spannung andere Berathungen verhinderte , waren es allein die Sißungen des für die Angelegenheiten der Schweiz gebildeten Aus duffes, welche am 14. Nov. begannen , in denen die Bevollmäch Den Vorſitz in ihnen tigten der Großmächte noch zuſammenkamen . vertrat , und dem Rußland hatte der Freiherr vom Stein , welcher der Graf Capodiſtrias als Geſandter am ſchweizeriſchen Bundestage Für England waren zugegen Lord Stewart und zur Seite ſtand. Stratford - Canning , engliſcher Geſandter in der Schweiz, für Deſter Erſt ſeit der dritten reich Weſſenberg, für Preußen Humboldt. Sißung am 30. Nov. 1814 wurde auch der Herzog von Dalberg, als Frankreiche Bevollmächtigter, hinzugezogen. Die Gebietsanſprüche, welche Bern in Bezug auf das Waadt land und einen Theil des Aargaues nod erhob , bildeten zuvörderſt den Gegenſtand der Beſprechung. In kurzen ſchriftlichen Gutachten ſprachen Weſſenberg, Humboldt und Stewart mit größerer , oder ge ringerer Entſdriedenheit die Behauptung aus , daß jene Anſprüche mit dem von den Verbündeten aufgeſtellten Grundſatze des politiſdien Fortbeſtehens der 19 Cantone unvereinbar feien ; jedoch ſchlugen die erſten beiden vor : Bern mit einem großen Theile des Bisthums Baſel für den erlittenen Verluſt, ſoweit dies thunlich ſei , zu entſchädigen. Stein reichte am Tage nach der am 15. Nov. ſtattgefundenen zwei ten Sißung , in welcher man dem Abgeordneten der Sdweiz Gehör gegeben hatte , folgende Denkſdrift ein , welche das hellſte licht auf den bisherigen Gang der ſchweizeriſchen Angelegenheiten wirft , und deshalb vollſtändig wiedergegeben zu werden verdient. ,, Die Bewegungen der Schweiz find eine Folge der Rückwirkung des Geiftes der Unabhängigkeit und Gleichheit gegen die ariſtokratiſchen Einrichtungen des Monopols und der Unterwerfung geweſen , Verhältniſſe , welche die Eigen liebe und den Vortheil der Mehrzahl verletzten , und Mißbräuche mit ſich brachten. Dieſe Bewegungen zeigten ſich geraume Zeit vor der franzöſiſchen Revolution , aber leştere gab den Grundſäßen derſelben alle die Kraft und Ausdehnung, welche das Beiſpiel eines großen aufgeregten und erobernden Volkes erzeugen kann. Sie bereitete die Meinungen auf eine große Ver änderung vor , und ſteigerte die Leidenſchaften zum höchſten Grade der Gähs rung . Ein frembes, von den Unzufriedenen herbeigerufenes Seer ſtieß die alte Ordnung der Dinge um , und ſeşte an deren Stelle den einen und un theilbaren Freiſtaat, eine dem allgemeinen Willen entgegenſtehende Einrich tung, welche nur ſo lange dauerte, als die fremde Gewalt fie ſtügte, und in dem Augenblicke, wo dieſe ſich entfernte, zuſammenſtürzte. Ihr folgte die Vermittelungsacte. Sie ſtellte die Cantonverfaſſung wieder her mit einer den Anſichten und Geſinnungen jeder örtlichen Bevölkerung mehr entſprechenden innern Gliederung. Ein Bündniß war für dieſe Einrichtungen das vereinigende Band . Beim Einrücken der verbündeten Mädte im Des cember 1813 wurde die Vermittelungsacte, am 29. Dec. , durch die Tagfaßung

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abgeſchafft, und man beſchäftigte fich mit einem neuen Verfaſſungsvertrage, welchen Sie ſchweizer Abgeorðneten erſt am 15. Nov. mit dem Verlangen vorgelegt haben , daß die hohen verbündeten Mädyte die Unabhängigkeit und Parteiloſigkeit der Schweiz anerkennen und ihr die alten Grenzen zurüdgeben möchten, wobei ſie ſich erbieten den erforderlichen Aufſchluß in Bezug auf die Fra gen zu geben , welche das Innere der Schweiz bewegen, ohne jedoch das Da zwijd entreten und die Entſcheidung der Mächte zu verlangen, obſchon legtere den Herren von Reinhard und Wieland nothwendig, dem Herrn von Montenach aber überflüſſig erſchien , welcher das ſchiedsrichterliche Verfahren der alten in 13 Cantone getheilten Schweiz auf eine aus 22 oder 19 Cantonen gebildete Ordnung der Dinge für anwendbar hält. Dies iſt die allgemeine Lage der Angelegenheit , init welcher der Aus ſchuß fich beſchäftigt. Bei ihrer Erörterung bieten ſich Fragen des Rechts und Fragen der Politik oder Schidlichkeit dar. Die wichtigſte der erſtern iſt diejenige über die Gültigkeit der Mediationsacte und über die Rechte, welche ſich aus ihr für die Betheiligten ergeben. Die Mediationsacte kann nicht als urſprünglich und weſentlich wichtig betrachtet werden . Sie iſt unter einem vorwiegenden , aber nicht derartigen Einfluffe abgefaßt, ber bie Zuſtimmung der Abgeordneten , welde fie uns terzeichneten , der Regierungen , die ſie annahmen , zu einer Komödie macht. Sie iſt durdi den Vermittler mit Kenntniß der ſchweizer Berhältniſſe gemacht worden. Ihr Einfluß iſt nach dem Geſtändniſſe faſt aller Einwohner wohl thätig für das Volk geweſen, und ſie hat während elf Jahren Gefeßeskraft gehabt. Wenn die Mediationsacte nicht in ihrem Urſprunge nichtig war , wo iſt dann der Rechtstitel, auf welchen diejenigen ſich ſtüßen , welche die ariſto kratiſchen Einrichtungen , die Monopolé, die Unterwerfung ihrer Landsleute zurückfordern ? Zwar iſt die Mediationsacte durch die Erklärung der Tag jaßung vom 29. Dec. aufgehoben worden , aber ſicherlich nicht mit rückwir kender und unbeſchränkter Hraft, ſie behielt ganz im Gegentheil die beſtehen den Cantone bei u. ſ. w. Die fremden Mächte veranlaßten dieſelben Cantone eine Verfaſſung zu ſtiften (am 3. Jan.) und ſprachen ſpäter ihren Willen aus (im März) die unbedingte Unverleştheit der Cantone zu wahren. Die Rechte der Rückfor dernden gründen ſich alſo weder auf die unbedingte und urſprünglidhe Nich tigkeit der Vermittelungsacte, noch auf ihre unbeſchränkte Abfaſſung , noch auf den Willen der Mächte. Da Bern und die zurüdfordernden Cantone feinen Theil am Kriege genommen haben, ſo kann auch von dem Rechte der Rückkehr in den vorigen Beſitz nicht die Rede ſein. Obgleich es erwieſen ſcheint, daß die Anſprüche der Berner auf den Aargau ſich auf keinen Rechtstitel gründen , ſo ſind wir doch nicht weniger der Meinung, daß man ſich mit den Mitteln beſchäftigen muß die Urſachen der Gährung zu zerſtören , welche fortbeſtehen würden , wenn man nur eine Partei befriedigte. Es iſt die Rede davon als ein Verſöhnungsmittel die Vereinigung des Bisthums Baſel mit dem Canton Bern vorzuſdlagen , und ſelbſt die übtretung eines Theiles des Aargaues zum Gegenſtand der Un terhandlung zu machen . Nichts wird hindern über das Bisthum Baſel zu Gunſten Berns zu verfügen; was aber die Abtretung des Aargaues betrifft, ſo bietet ſie grö Bere Schwierigkeiten dar , nämlich den Widerſpruch, in welchem ſie mit den Erklärungen der Mächte (im März) ſteht, und die erforderliche Einwilligung bes Aargaues. Die gegenwärtige lage der Schweiz ſcheint uns im allge meinen mehr Schonung der neuen , als der ariſtokratiſchen Cantone zu ver langen . Sie bilden die Hälfte der ſchweizer Bevölkerung, eine große Einig keit beſteht unter ihnen und in ihrem Innern, während bei ihren Geg nern innere Aufregung ſtattfindet und die Ruhe dort nur durch verhafte

250 Zwangsmittel erhalten werden kann. Man wird alſo nach unſerer Meinung nur im Nothfalle und in der beſchränkteſten Weiſe hinſichtlich der Formen der Vereinigung und über die Abtretung eines Theiles des åargaues ver handeln fönnen und dürfen. Nod ein wichtiger Gegenſtand bleibt fitr den Ausſchuß übrig , nämlidi ſich über die Art zu vereinigen, wie die fremden Mächte ſich in die Ange legenheiten der Schweiz einzumijden haben . Man hat vorgeſchlagen : ein reines und einfaches Schiedsgericht der Cantone, ein Schiedsgericht nach beſtimmten , von den Mächten feſtgeſtellten Grund fäßen , oder eine Entſcheidung der Mächte in einer Form , welche die Eigenliebe des Volkes ſchonte, ſodaß die Mächte ihren Willen ausſprächen und ihre Anerkennung der Unabhängigkeit und Parteiloſigkeit der Schweiz an deren Zuſtimmung knüpften. In der Schweiz ſind die Leidenſchaften erregt , die Gemüther erbittert, die Intereſſen aller ſind verletzt, nicht bloß einiger Cantone. Wo find un parteiiſche Schiedsrichter, wo Mittel der Vollſtrecung zu finden ? Wie kann man Achtung für den Schiedsſprudy unter ſolchen Umſtänden erwarten ? Die Bundesacte ordnet ein Schiedsgericht für die Streitigkeiten der Cantone an , nimmt jedoch in der Genehmigungsacte die Gebietsfrage davon aus , indem ſie erklärt ſie nicht einem Schädenanſpruche unterwerfen zu wollen . Dies jenigen , welche die Bundesacte abgefaßt , haben die Schwäche dieſer Ein richtung und die Unmöglichkeit gefühlt ſie auf die gegenwärtigen Streitig keiten anzuwenden . Die Herren Reinhard und Wieland haben unter Ents wicelung diesfallfiger Gründe diefelbe Meinung geäußert, und ich vermag nur einer ſo achtungswertben Autorität, als der Bundesacte ſelbſt, und zweien Männern nachzugeben , welche in ihrem Freiſtaate wichtige Stellen inne haben. Ein nach feſtgeſeßten Grundſätzen von den Mächten beſchränkter Schieds ſprud würde dieſelben Unzuträglichkeiten haben , als ein reiner Schiedsſpruch. Es würde unmöglich ſein unparteiiſche Schiedsrichter zu finden. Don Seiten der ſich verlegt glaubenden Parteien dürfte Unterwürfigkeit nicht zu erwarten ſein , und ebenſo würde durch fremde Einmiſchung die Eigenliebe des Volts verlegt werden. Es bleibt alſo nur der Weg übrig, daß die Mächte ihren Willen in Bezug auf die ſchweizeriſchen Streitigkeiten ausſprechen , und an die Zuſtimmung der Schweizer die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit und Parteiloſigkeit knüpfen .“ 1) Die übrigen Ausſchußmitglieder traten dieſer Meinung bei , und auch die Abgeordneten der Tagfaßung, ſowie Herr von Zerleder, welcher außer Bern nod Zug und Uri vertrat , und die Bevollmäch tigten des Aargaues und des Waadtlandes , Rengger und Laharpe, Bern verzichtete nun zwar auf die waren damit einverſtanden. Wiedervereinigung des Waadtlander mit ſeinem Gebiete , beanſpruchte jedod Geldentſdjädigung von demſelben , ſowie die Wiedererwerbung Uri , Schwyz, der ihm früher zugehörigen Theile des Aargaues. An ebenfalls erhoben Appenzell und , Glarus , Zug Unterwalden Endlich ſprüche auf ehemalige Gebiete , Zölle und Gerechtſame.

forderten Bern und Züridy außenſtehende und Deutſchland untergebrachte Gelder . 1) Alüber, V , 188-192.

in England

und

251 Während einzelne Cantone derartige Forderungen geltend zu machen ſuchten , ſprachen die Geſandten der Tagſaßung , indem ſie fidy auf die diesfallſige Aufforderung der Mächte beriefen, ihre Wünſche wegen Verbeſſerung der äußern Grenzen der Schweiz aus , und fan den audy größtentheils günſtiges Gehör , nur die erbetene Vereini gung der Stadt Conſtanz mit ihrem Gebiete ward abgeſchlagen . Die mit Frankreich angeknüpften Unterhandlungen wegen Aus tauſches desjenigen Theiles der Landſchaft Ger , welcher, bis an den See reichend, Genf vom Waadtlande trennte , gegen einen Theil des zum Bisthume Baſel gehörigen Porentrui waren erfolglos, weil man auf die franzöfiſchen Forderungen , welche beſonders die Zurüd gabe des Dappenthals bezwedten , mit Gegenvorſchlägen antwortete, die verworfen wurden. Auch die vorgeſchlagene Verbindung Genf$ mit Wallis durch Verbindung des dazwiſchenliegenden Stüdes von Savoyen mit erſterem kam nicht zu Stande. Frankreich erkannte überhaupt nur ungern die Parteiloſigkeit der Schweiz, ſowie das Verbot freier Werbung für die Heere der acht Mächte, welche den pariſer Friedensvertrag unterzeichnet hatten , an. Am liebſten hätte es die Wiederherſtellung der ſchweizeriſchen Zuſtände, wie ſie vor der Revolution waren , geſehen , wo der franzöſiſche Einfluß den jeder andern fremben Madit überwog. Da die Wiedervereinigung des Waadtlandes mit Bern , wegen des Schußes, welchen der Kaiſer Alexander auf Laharpe's Fürſprache dem Geburtslande deſſelben ge währte, unmöglich ſchien , ſo begnügte der franzöſiſche Bevollmächtigte ſich dafür zu wirken , daß Bern die ihm früher gehörigen Theile des Aargaues wiedererwerbe, indem er hierdurch die Sympathien des mächtigſten Schweizercantons für Frankreich neu zu beleben ge dachte. Doch idheiterte ſein deshalb geſtellter Antrag an dem Wider ſpruche der übrigen Mächte. Glüdlicher, als Frankreich, war Deſterreich in Wahrung feines Vortheils. Nach dem auch von ihm anerkannten Grundſaße , daß die Schweiz ihre alten Grenzen wiedererhalten ſolle, hätten das Veltlin , Chiavenna und Bormio , welche Landſchaften ſeit dem Jahre 1512 zu Graubündten gehörten, von demſelben aber an das König reich Italien abgetreten worden waren , auch wieder zurückgegeben werden müſſen . Da ſie aber von großer militäriſcher Wichtigkeit waren , fo wünſchte Deſterreich ſie als zur Lombardei gehörig zu be halten , und ließ dieſen Wunſch in ſeiner Note vom 10. Dec. ſchon deutlich durchblicken. Dieſelbe lautete : , Se . kaiſerl. königl. Maj. , weit davon entfernt fich auf Koſten der

252 Schweiz vergrößern zu wollen , und etwaige Rechte auf länder geltend zu machen , die Jahrhunderte hindurch zu den Staaten gehört haben , welche fie jeßt in Italien beſigt, wird ſich der Wiedereinſeßung der Schweiz in ihre alten Grenzen nicht widerſeßen , ſobald ihre ſtaatliche Wiederherſtellung eine Bürgſchaft für ihre Ruhe, Únabhängigkeit und Parteiloſigkeit darbietet. Se. Maj. hat bereits unzweideutige Proben ihrer Geſinnungen in dieſer Bezie hung gegeben, und iſt darin weiter gegangen , als jede andere Mact, indem ſie das Fridthal zum Opfer brachte, um eine Löſung der Gebietsfragen in der Schweiz zu erleichtern .“ Durch den Frieden zu Lüneville vom 9. Febr. 1801 hatte Defters reich das Fridthal gegen Entſchädigung an bie Schweiz abgetreten, und wollte daſſelbe ebenſo wenig wiedererwerben , als den Breisgau, da dieſe entlegenen , von dem Reichsförper getrennten Befißungen ſchwer zu vertheidigen waren , und Deſterreich zum Nachbar Frankreich gemacht hätten , was vermieden werden ſollte. Sonnte daher unter dieſen Ilmſtänden von einem Opfer um fo weniger die Rede ſein, als die für Vorberöſterreich und Belgien bamals gewährte Entſchä digung , Venedig , an Deſterreich zurüdgegeben war, fo entblödete man ſich doch nicht ſich deſſen zu rühmen und zu verſtehen zu geben, daß jene Landſchaften eigentlich Deſterreich als Ausgleichung für das Fridthal zukämen. Die Note lautet weiter : „ Was das Veltlin betrifft, ſo verdienen die beſondere Lage dieſes lan des , die Herzensangſt ſeiner Einwohner, der Nationalhaß, welcher zwiſchen ihnen und ihren ehemaligen Mitbürgern beſteht , ihr lebhaft ausgeſprochener Wunſch nicht mchr zu ihrem alten Verhältniſſe zurüđzukehren , endlich die ſtaatlichen Veränderungen , welche in der Schweiz ſtattgefunden haben , ſeit dem das Veltlin von ihr getrennt wurde" - im weitern Sinne rechnete man zum Veltlin auch Chiavenna und Bormio „ große Rückſichten von Seiten der Mächte ſowol , als vom Schweizerbunde, und Se. Maj. findet ſich ſeiner ſeits durch den mit Graubündten beſtehenden Vertrag von 1639, deffen Bürge er in ſeiner Eigenſchaft als Herzog von Mailand iſt, beſonders vers pflichtet bei Zurückerſtattung des Beltlin als Bedingung zu ſtellen , daß deffen Einwohner fünftig dieſelbe Freiheit, dieſelbe Unabhängigkeit genießen, als diejenigen der 19 Cantone. Der wiener Hof muß noch bei Zurüd erſtattung des Veltlin den Vorbehalt treffen , daß es zu ſeinem Antheile für die berechnete und feſtgeſtellte Schuld des Königreichs Italien , von dem es einen Theil bildete , verhaftet bleibe.“ 1) Das öſterreichiſche Cabinet ſeşte die Abgeordneten des Veltlin von dieſer Erklärung in Renntniß und bewog fie, auch in der ſechsten Sigung des Ausſchuſſes eine Denkſchrift zu überreichen , in welcher fie den Wunſch ihrer Landsleute ausſprachen künftig zur öfter reichiſchen Lombarbei zu gehören . Die Geſandten der Tagſagung, denen die Abgeordneten von Graubündten die Erwiderung hierauf “) Alüber , V , 219,

253 überließen , legten auf die Wiedervereinigung des Veltlin mit der Soweiz großen Werth, werbe daſſelbe nun ein ſelbſtändiger Canton, oder trete es in einen Sonderbund mit Graubündten . Wenn die Abgeord neten Graubündtens weniger Eifer in dieſer Beziehung zeigten, ſo kam dies daher , daß fie einerſeits durch Wiederanſchluß des Veltlin eine Ber mehrung des Einfluſſes der Katholiken in ihrem Cantone fürchteten, andererſeits aber hofften , falls dieſelbe nicht ſtattfinde, ihre Entſchä digungsanſprüche an das Veltlin leichter durchführen zu können. Dieſe betrafen ſowol den Staat , als Privatperſonen , indem Grundſtücke, welche 140 graubündtener Familien und Stiftungen im Veltlin be jeffen hatten , im October 1797 von deſſen Regierung eigenmächtig in Beſchlag genommen worden waren . In ſpätern Eingaben erklärte Graubündten : es willige darein , daß das Beltlin , Chiavenna und Bormio mit ihrer Bevölkerung von 82000 Einwohnern auf 36 Quadratmeilen einen beſondern Canton des Schweizerbundes bilden , wofern ſie ihm , als dem ehemals herrſchenden Staate eine ſeinem Verluſte an Einkünften entſprechende Entſchädigung gewährten, und den graubündtneriſchen Privatanſprüchen entweder durch Rüdgabe des widerrechtlich in Beſchlag Genommenen , oder durdy ein fchiedsrichterlich feſtzuſeßendes Aequivalent gerecht würden. Die Vereinigung des Veltlin mit Graubündten bei voller Gleichberechtigung ſeiner Einwohner wurde als unthunlich bezeichnet, da Graubündten keine Fremben in ſeiner Regierungsbehörde ſehen wolle; für die Vereinigung Chiavennas und Bormios dagegen mit ihrem Vaterlande ſprachen ſich die graubündtener Abgeordneten aus . Zugleich bezweifelten ſie, daß diejenigen , welche ſich für Abgeordnete jener drei Landſchaften ausgäben , hierzu auch wirklich berechtigt ſeien, da verſchiedene Aeußerungen derſelben mit den Wünſchen ihrer an geblichen Auftraggeber in erweislichem Widerſpruche ſtänden . Anfänglich ſchien es aucy, als ſollte ein den Anträgen der Grau bündtener entſprechender Entſchluß gefaßt werden. In ſeiner zehnten Sißung am 16. 3an. ſprach ſich der Ausſchuß auf Grund eines hierüber erſtatteten Berichts dafür aus, daß Veltlin , Chiavenna und Bormio einen beſondern Schweizercanton bilden ſollten , welcher einen verhältnißmäßigen Antheil der Schuld des Königreichs Italien zu übernehmen , und ſeine graubündtener Gläubiger ſoweit als möglid zu befriedigen verbunden ſei. Auf Deſterreichs Antrag wurde jedoch von den Bevollmächtigten der acht Mädyte, welche den pariſer Frie den unterzeichnet hatten , beſchloſſen dem Ausſchuſſe für die Schweiz die Sache zu weiterer Erörterung

und Beſchlußfaſſung

nochmals

254

zuzufertigen. Stein , entrüſtet über dieſes den Ausſdhuß herabwür digende Verfahren , trat deshalb aus demſelben aus ; denn da jener Beſchluß einſtimmig gefaßt worden, ſo war es offenbar, daß Deſter reiche Wille, nicht die Ueberzeugung der Ausſchußmitglieder ent ſcheiden ſollte. Der Erfolg beſtätigte dies; nachdem am 13. März die Mitglieder des Ausſduffes mit Ausnahme Frankreichs, welches fich feine Erklärung vorbehielt, die drei Thäler nachträglich Deſter reich zugeſprochen hatten , gab aud Talleyrand hierzu am 18. März ſeine Zuſtimmung. Demnach blieben Veltlin , Bormio und Chia venna mit der Lombardei vereinigt ; Deſterreich trat an Graubündten die Herrſchaft Rhäzuns (mit einer Bevölkerung von 800 Seelen und einem Einkommen von 50. Louisdor) ab , und verſprach den Grau bündtnern eine zu vereinbarende Entidpädigung wegen ihrer in dieſen Thälern mit Beſchlag belegten Güter. Auf die von den Geſandten der Schweiz dagegen gemachte Bor ſtellung, daß jene Thäler zur Sicherung der ſchweizeriſchen Grenze unentbehrlid ſeien , gab Wellington die naive Antwort: ,, Nicht die Schweiz allein , ſondern auch Deſterreich bedarf einer Kriegsgrenze." Dieſer Ausſpruch des engliſden Feldherrn ſchließt ſich würdig an ſein Gutachten in der deutſch - franzöfiſchen Grenzfrage und an die Abſperrung Preußens vom rechten Maasufer durch einen 1000 Metres breiten Streifen Landes unter dem Vorwande den Nieder landen eine militäriſche Grenze zu geben an , und iſt ein Beleg mehr dafür , daß England zur Erhaltung eines herzlichen Einverſtändniſſes mit Deſterreich der Meinung deſſelben überall unbedingt beitrat. Auch zu Baris würde Wellington , welcher das bedrohliche Ueber gewidyt Frankreichs über ſeine Nachbarländer anerkannte, nicht mit ſich ſelbſt im Widerſpruche gegen die Ausſtattung der leşteren mit einer militäriſchen Grenze geweſen ſein , wenn dies nicht eben den Abſich ten Deſterreichs entſprochen hätte. Die Hülfebedürftigkeit dieſer Grenzländer Frankreich gegenüber ſicherte Deſterreich den begehrten lei tenden Einfluß über dieſelben . Rußlands Nachgiebigkeit in Bezug auf die drei Thäler war aber eine Vergeltung dafür, daß Deſterreich deſſen Anſprüche auf Warſchau zugeſtanden hatte. Noch iſt zu er wähnen , daß der Kaiſer Alerander dem berner Geſandten die Ber einigung des ganzen Bisthums Baſel mit Bern verhieß , wenn deſſen Regierung folgende Bunkte annähme: 1 ) den Grundfaß der Bolksvertretung in die Cantonsverfaſſung aufzunehmen ;

255

2) ein Drittheil des großen Rathe aus Städte und Gemeinden zu entnehmen ;

den Vertretern

3) ein freiſinniges Wahlgeſeß zu erlaſſen ; 4) allen Cantonseinwohnern die Erwerbung

der

der

Bürgerrechts

unter billigen Bedingungen zu geſtatten. 1) Paharpe mag den Selbſtherr der aller Reußen zunädiſt veranlaßt haben die Ariſtokratie eines Freiſtaats zur Befolgung freiſinniger Grundſäße aufzufordern. Gewiß aber ergriff Alerander gern die Gele genheit hier, wo es ſich nicht um ſeine eigene Herrſchergewalt handelte, als freiſinniger Fürſt zu erſdeinen . Als ſpäter die polniſche Volte vertretung von den ihr burdy ihn verliehenen Rechten Gebrauch machen wollte , gab er dagegen ſein entſchiedenes Mißfallen zu er kennen und beſtand auf ſeinem Willen . In der Sißung vom 19. März 1815 faßten endlich die acht Mächte die zu Ordnung der Angelegenheiten der Sdweiz erforder lichen Beſchlüſſe, und theilten ſie der Tagſagung mittelſt einer am folgenden Tage ausgeſtellten Erklärung mit. Ihr weſentlicher 3n halt war nachftehender : Mit den in ihrem Beſitſtande unverlegten 19 Cantonen wurde Wallis , Genf und Neufdjatel verbunden . Dem Waadtlande wurde das Dappenthal zurücgegeben, weil die bei deſſen Abtretung an Frankreich bedungene Entſchädigung nicht geleiſtet worden war. Dem Canton Bern wurde das Gebiet von Biel und das Bisthum Baſel , letteres jedoch mit Ausnahme einiger dem Canton Baſel überwieſenen Ortſchaften als Entſchädigung für das Waadtland und aargauiſche Landſchaften überlaſſen , unter der Bedingung jedoch, daß die einzuverleibende Bevölkerung mit der alten gleiche Rechte habe. Inter denſelben Bedingungen wurde Genf mit einem favoriſchen Gebietsantheil von etwa 8000 Einwohnern vergrößert, und der Nach theil der Trennung ſeines Gebiets von der Sd weiz durch eine Ueber einfunft mit Frankreich gemildert. Die Cantone Aargau , Waadt und St. Gallen hatten zur Ausgleichung von Anſprüchen den Cantonen S d w 43 , Unterwal den , Uri , Glarus , Zug und Appenzell eine Summe von 500000 Schweizerfranken zu bezahlen , Teſſin aber an Uri die Hälfte des Zolles im Levantinerthale zu gewähren. Bern und Zürich blieben im Beſitz der in England nieder gelegten Gelder , deren Zinſen für die Zeit von 1798 bis 1814 zur 1) Klüber , V , 305.

256

Verminderung der Nationalſchuld zu verwenden waren , für welche die der Schweiz neu einverleibten Länder nicht verhaftet ſein ſollten . Der Verkauf der Nationalgüter wurde beſtätigt; Zehnten und die mit dem Namen der Löbergerechtſame bezeichneten Lehngelder blieben abgeſchafft. A18 Entſchädigung für legtere hatte das Waadtland an Bern 300000 Schweizerfranken zu zahlen. Sobald die ſchweizeriſche Tagſagung dieſen Beſtimmungen ihre Genehmigung ertheilt habe, würden alle Mächte in einer förmlichen Urkunde die beſtändige Bar teiloſigkeit der Schweiz innerhalb ihrer neuen Grenzen anerkennen . Mit mehr als hinreichender Stimmenmehrheit wurde auch die Rechtsgültigkeit der vom Congreſie gegebenen Entſcheidung am 27. Mai 1815 von der Tagſatzung dankbar anerkannt , doch wurde die zulegt gedachte Verheißung nicht durch die Congreßacte , welcher alle jene Beſtimmungen einverleibt wurden , ſondern erſt durch den zweiten pariſer Frieden verwirklicht. 1) Da Deſterreich ſchon in Paris dafür geſorgt hatte , daß ſeine Bundesgenoſſen ihm die Lombardei und Venedig zugeſtanden , ſo wurden ſeine diesfalſigen Recyte in Wien nicht beſtritten. Mehr aber , als ihm zu Paris zugeſichert worden war , konnte es in Wien nicht erhalten. Von den päpſtlichen Legationen , welche es auf Grund eines deshalb mit England kurz vor ſeinem Beitritt zum Bunde ge gen Napoleon getroffenen Uebereinkommens verlangte , erhielt es nicht mehr , als einen Streifen Landes auf dem linken Boufer und das Befaßungsrecht zu Ferrara und Comacchio.

Ueber die ioniſchen

Inſeln , welche es als Zubehör Venetiens beanſpruchte und Eng land auch unter öſterreichiſche Sduşherrſchaft zu ſtellen bereit war, wurde ein endgültiger Beſchluß nicht gefaßt , weil Rußland bean tragte: man möge den Wunſch der Einwohner ſie unter britiſchen Sdug zu ſtellen berückſichtigen . Die Abweſenheit des Grafen Ca podiſtrias, welcher vom Staiſer Alerander beauftragt geweſen war dieſe Angelegenheit mit den Vertretern Englands, das die Inſeln be ſetzt hatte , zu ordnen , wurde von den ruſſiſchen Bevollmächtigten bazu benugt die ſofortige Entſcheidung abzulehnen. Genuas Vereinigung mit Piemont war ſchon zu Anfang des Congreſſes in Beſtätigung des pariſer Friedens ausgeſprochen wor den , doch fand die Feſtſtellung der neuen Gebietsverhältniſſe erſt am 20. Mai 1815 zwiſchen den Verbündeten und dem Könige von Sar binien ſtatt. Die wichtigſte Beſtimmung enthielt der adyte Artikel, in

1) Alüber, V , 310 — 326 ; VI , 68 - 80 ,

257

welchem beſtimmt wurde , daß die ſavoniſchen Provinzen Chablais und Faucigny und ganz Savoyen nördlich von Ugine die der Schweiz bei ausbrechenden Kriegen der Nachbarſtaaten zugeſicherte Parteiloſigkeit theilen ſollten. Die daſelbſt etwa ſtehenden ſardini ſchen Truppen hätten dann dieſen Theil Savoyens zu verlaſſen, worauf derſelbe nur durd, vom Schweizerbund aufzuſtellende Trup pen beſetzt werden dürfe. AIS Napoleon III . im 3. 1859 Nizza und Savoyen als Lohn für den dem Könige von Sardinien gegen Deſterreich geleiſteten Beiſtand forderte , iſt viel darüber geſtritten worden , ob die Neu traliſirung des nördlichen Savoyens im Intereſſe des Königreid ): Sardiniens , oder in dem der Schweiz ausbedungen worden ſei.' Für Unparteiiſche hat nie der geringſte Zweifel darüber beſtanden , daß dieſe Anordnung nur die Parteiloſigkeit der Schweiz fichern ſollte, indem hierdurch der offenen Grenze der Cantone Genf und Waadt das natürliche Bollwerk der Alpen , von Schweizertrup pen vertheidigt, zur Schußwehr wurde. Gewiß gilt im Zweifels= falle aber die Vermuthung , daß Sdweizertruppen bas Intereſſe der Schweiz und nicht dasjenige eines fremden Landes vertheidigen werden . Das nördliche Savoyen war von den übrigen Staaten des Königs von Sardinien durch den höchſten Gebirgeſtod der Alpen getrennt. Sene erfreuten ſich daher , abgeſehen von dem neutraliſirten Land ſtriche, bereits natürlicher , leicht zu vertheidigender Grenzen , und hatten überhaupt von Seiten der Schweiz keinen Angriff zu befürch ten. Sie durch Neutraliſirung der Grenzen gegen kriegeriſche Einfälle zu ſchüßen, daran dachte Niemand , denn kein anderer Theil des ſar diniſchen Staats wurde für parteilos erklärt , und war einmal die Hauptſtadt mit dem übrigen lande in feindliche Gewalt gefallen , jo konnte der Umſtand , daß ein entlegener armer , mit dem Hauptlande nur durch Alpenpäſſe in Verbindung ſtehender Landſtrid vom Feinde nicht beſetzt ſei , keinen Einfluß auf das Schifal des Königreichs haben. Da er zur Vertheidigung deſſelben unnöthig war , und keine Boden erzeugniſſe beſaß , welche von Bedeutung für die Kriegsführung ſein konnten, fo würde der König von Sardinien , um ſeine Streitkräfte zu ſeiner Vertheidigung beſſer zuſammenzuhalten , auch ohne die Be ſtimmung den in Nordjavoyen etwa vorhandenen Theil der Truppen bei Ausbruch eines Krieges zurückzuziehen , dies dennoch aus obigen Gründen gethan haben . Nur abſichtliche Verkennung ſo klarer Ver hältniſſe kann demnach den Zwed , welchen die verbündeten Mächte mit dem Einſchluſſe Nordſavoyens in die Parteiloſigkeit der Schweiz II. 17

258 verbanden , bezweifeln oder gar in ſein Gegentheil verkehren. Ein formeller, dieſe Auslegung beſtätigender Grund aber wird ſpäter am betreffenden Orte erwähnt werden . Die Seitenlinie der ſpaniſchen Bourbons, welche Napoleon aus

Parma auf den Thron des Königreiche Etrurien verſeßt, deſſelben jedoch bald wieder beraubt hatte, machte zuvörderſt auf Toscana, for bann auf Parma und Piacenza Anſprüche, die von den Bevollmächtig ten Frankreichs und Spaniens zwar eifrig, aber vergeblich unterſtüßt wurden . In Toscana ward der vertriebene Erzherzog Ferdinand, Bruder des Raiſers von Deſterreich , als Großherzog wieder aner kannt. Barma, Piacenza und Guaſtalla erhielt die bisherige Kaiſerin der Franzoſen, Marie Puiſe, auf Lebenszeit, ungeachtet England an fänglid, heftig widerſpracy; und zwar erfolgte dieſe Anordnung nicht auf Verlangen und Betrieb ihres Vaters , des faifers Franz, ſon: dern der Kaiſer Alerander von Rußland fekte fie durch. Lucca er hielt die Infantin Marie Luife , frühere Königin von Etrurien, welcher auch das Erbfolgerecht in den der Gemahlin Napoleon's auf Lebenszeit verliehenen Staaten zuerkannt wurde, und in Modena ward das Haus Deſterreich - Eſte wiedereingeſeßt. Die Wiederherſtellung des Papſtes als weltlicher Beherrſcher des Kirchenſtaats wäre , wenn es nach Deſterreich Willen gegangen wäre, nicht in vollem Umfange erfolgt. Obſdon es die Anerkennung des Vertrage , welchen es am 27. Juli 1813 mit England über den Erwerb eines Theils der päpftlichen Befißungen abgeſchloſſen hatte, beim Abſchluſſe des pariſer Friedens von Seiten ſeiner Verbündeten nicht hatte bewirken können , ſo erhellt doch aus ſeinem im Januar 1814 mit Miurat, dem damaligen Könige von Neapel, abgeſchloffenen Vertrage, wonach Deſterreich die öſtlich von den Apenninen liegenden Legationen , Neapel die angrenzenden Marken erwerben ſollte, inwie weit die Wiederherſtellung des Papſtes im Plane des öſterreichiſchen Cabinets lag. Es war eine überraſchende Erfdheinung, daß die beis den katholiſchen Hauptmächte Oeſterreich und Frankreich - denn Leşteres behauptete fich im Beſige der ehemals päpſtlichen Grafſchaf= als Gegner der weltlichen Herrſdaft ten Avignon und Venaiſſin des Papſtes auftraten , während die von ihm als feßerifdy bezeich neten Mächte England, Breußen und Rußland auf ſeiner Seite ftanden und es auch burdfetten , daß er alle ſeine italieniſchen Staaten , mit Ausnahme des zwiſden der Etſch und dem Bo liegen den Theils des ferrarefiſchen Gebiets , welches öſterreichiſch wurde, wiedererhielt. Der Cardinallegat Conſalvi verwahrte zwar die Rechte

259

des päpſtlichen Stuhls, welche durch die wiener Schlußacte wefent lich beeinträchtigt wurden , unter dem 14. Juni 1815 ſowol wegen des Verluſtes von Avignen und Benaiſſin an Frankreich, als wegen der

erwähnten

Beeinträchtigung

des

Kirchenſtaats

durch

Deſter

reidy, aber natürlich ohne Erfolg.1) Der Uebertritt Murat's zu Napoleon und ſein hierdurch herbeigeführter Sturz befreite Deſter reich von den gegen ihn eingegangenen Verpflichtungen , ſo daß König Ferdinand, welchem nur das von England beſchüßte Sicilien geblieben war, auch Neapel wieder mit ſeinem Reiche vereinigte. Die auf Italien bezügliche Stelle im ſechsten Artikel des pariſer Friedens: ,, Italien wird außer den an Deſterreich fallen den Ländern aus ſouveränen Staaten beſtehen “ ging ſomit in Erfüllung. Die Sduld , welche der wiener Congreß dadurch auf fich lub, daß er bei þerſtellung einer neuen Ordnung der Dinge in dieſem ſchönen lande auf das Verlangen der Italiener nach einer volfethümlichen Regierung keine Rückſicht nahm , ſtörte ſeitdem mehr fach den Frieden Europas , und wird ihn nody ferner ſtören bis daſ ſelbe Befriedigung gefunden haben wird . Hinſichtlich der gegenſeitigen Verhältniſſe Portugals und Spa niens trat der ſonderbare Fall ein , daß der Congreß zwar Portu gals Ređịt die Stadt Olivenza und andere an Spanien abgetretene Beſißungen zurückzufordern anerkannte , aber für deren Zurückerſtat tung nur im Wege gütlicher Verſtändigung zu wirken verſpracy, was denn, wie vorauszuſehen war , die Folge hatte , daß Portugal nichts zurüderhielt. Wegen dieſer Beſtimmung, und weil dem Sohne der Infantin Marie Luiſe nicht wenigſtens Parma , Piacenza und Gua ſtalla ſofort zurückgegeben wurde, verweigerte der Botid after Spa niens die Congreßacte zu unterzeichnen . Sehr auffallend iſt es , daß hinſichtlich der gegenſeitigen politi ſchen Verhältniſſe Schwedens und Dänemarks , ja nicht einmal hinſichtlich der in Deutſchland von ihnen erworbenen , oder abge tretenen Länder etwas in der Congreßacte erwähnt wurde. In Bezug auf die dadurch bewirkten Gebietsveränderungen war hierzu um ſo mehr Veranlaſſung vorhanden , als der am rechten Elbufer liegende Theil des Herzogthums Lauenburg , welden Hannover im Art. 29 an Preußen abtrat , von dieſem bereits wieder an Dänemark gegen das Dafür getauſchte Schwediſch - Pommern , der von Schweden für Nor wegen erhaltenen fargen Entſchädigung, abgetreten worden war , und der König von Dänemark für Lauenburg 1) Alüber, IV, 325.

ebenſo gut Mitglied des

17 *

260

deutſchen Bundes war , wie für Solſtein , während er bloß als Be fiter des legtern in den Artikeln 56 und 57 als Bundesglied auf geführt wurde. Gleichwol waren Schweden ſowol als Dänemark beim Congreſſe vertreten , ja der König von Dänemark war fogar perſön lich in Wien anweſend , um ſeinen Vortheil wahrzunehmen . Bekannt iſt jedoch, daß er auf die bei ſeiner Abreiſe gethane verbindliche Aeußerung Alerander's: „ Sire, Sie haben alle Herzen ge wonnen " , die treffende Antwort gab: ,, Aber keine Seele !" Der König von Saden konnte ſich darüber beſchweren , daß es unbillig ſei ihm auf Grund des Eroberungsrechts einen großen Theil ſeiner Staaten zu nehmen , während andere Rheinbundfürſten , welche wie er auf Napoleon's Seite geſtanden hatten , im Beſiße ihrer Länder blieben . Der König von Dänemark allein konnte ſich über offenbare Verlegung der Grundfäße des Völker redte beklagen , denn er hatte während des Waffenſtillſtandes fich erboten auf die Seite der Verbündeten zu treten, war aber bedeutet worden , daß er erſt Norwegen an Schweden gegen Entſchädigung abtreten müſſe, bevor man ſeinem Wunſche genügen könne. Dennoch hatten ſeine Streitkräfte bis dahin noch nicht den Verbündeten feind lich gegenüber geſtanden . Sein abhängiges Verhältniß zum gemein ſchaftlichen Feinde , dem Kaiſer der Franzoſen , war der einzige Vor wand, womit man dieſes Verfahren zu rechtfertigen fuchte, durch welches man einem Fürſten ein rechtmäßig beſeſſenes Königreich wi der den Wilien von deſſen Bevölkerung entriſſen , und einem durch die franzöſiſche Revolution emporgekommenen Heerführer als fünftiges Erbgut zugewendet hatte , einem Heerführer, welcher für die von ihm mehr ſcheinbar als wirklich bekämpften Franzoſen größere Sympa thien hatte , als für ſeine Verbündete , und nicht im Stande geweſen iſt die wider ihn allgemein erhobene Beſchuldigung des Verraths zu entkräften. Hinſichtlid Schwedens iſt noch zu bemerken, daß der im 3. 1809 durch eine Revolution entthronte König von Sdyweden Guſtav IV. im November 1814 durch den engliſchen Admiral Sir Sidney Smith dem Congreſſe eine Erklärung hatte übergeben laſſen, in welcher er ſeine von ihm, als Gefangenen, ausgeſtellte Thronentſagung freiwillig wiederholte, jedoch mit dem Hinzufügen, daß er nie im Namen ſeines Sohnes entſagt habe, wozu er nicht berechtigt geweſen ſei, und daß er erwarte, der ſelbe werde nach ſeiner dereinſt erreichten Mündigkeit ſich in einer Weiſe erklären , welche feiner , ſeines Vaters und des ſchwediſchen Volkes, das dieſen vom ſchwediſchen Throne ausgeſchloſſen habe,

261

würdig ſei. Es hatte dies jedoch keine andere Folge , als daß die ſchwediſche Reichsverſammlung das beträchtliche Vermögen mit Be ſchlag belegte, welches der entthronte König aus dem Nachlaſſe ſeiner Mutter, einer däniſchen Prinzeſſin , zu fordern hatte. Der Congreß nahm auf beſagte Rechtsverwahrung keine Rückſicht. Zu derſelben Großmächte eine hinzuweiſen , daß abzutreten , ihm

Zeit hatten die däniſchen Bevollmächtigten an alle Note gerichtet, in welcher ſie ſich begnügten darauf die Mächte, welche den König bewogen Norwegen verſprochen hätten außer Schwediſch = Pommern

noch eine andere Entſchädigung zu gewähren.

Sie hätten zwar dem

Könige von Schweden den Beſitz Norwegens gewährleiſtet, allein dieſe Gewährleiſtung werde ungültig, wenn die Bedingungen , unter welchen daſſelbe abgetreten fei, nicht erfüllt würden. Der König von Dänemark überlaſſe es der Gerechtigkeit der Mächte dieſe Entſchädi gung zu beſtimmen , und ſei überzeugt , daß es ihnen ebenfalls am Herzen liegen werde ihrem großen Werke der Wiedergeburt Europas den ewigen Flecken und Vorwurf zu erſparen , daß das beleidigte und geplünderte Dänemark ohne Entſchädigung geblieben ſei. Rechtsgründe und Beredtſamkeit vermochten aber nicht Däne marks unglüdliche Lage zu ändern . Rechnete man es doch ſogar der däniſchen Regierung als Verſchuldung an , daß die Norweger unter dem Oberbefehle des Prinzen Chriſtian von Dänemark die Waffen ergriffen und verſucht hatten eines ihnen aufgedrungenen Fürften ſich zu erwehren , bis nach einem vierzehntägigen Feldzuge der Ver trag von Moß ( 14. Aug. 1814 ) die Feindſeligkeiten endete , und Norwegen und Schweden einen und denſelben Herrſcher erhielten . Die Friedensídlüffe Dänemarks mit England, bem e8 Belgoland abtrat, und mit Schweden, dem es Norwegen für Schwediſch- Pommern und Rügen überließ, beide vom 14. Jan. 1814, ſowie der Friedens vertrag, welchen es in demſelben Jahre am 8. Febr. zu Hannover mit Rußland abídloß - mit Preußen fam der Friede erſt am 25. Aug. förmlich zu Stande — , wurden in Wien als genügende Verbriefungen des öffentlichen Rechtes betrachtet, zumal da ſie durch zwei andere Verträge ergänzt wurden . Mit Preußen ſchloß nämlich Dänemark am 4. Juni 1814

einen beſondern Vertrag zur Feſtſtellung ihrer gegenſeitigen Gebiets= verhältniſſe in Deutſchland. Es trat an Preußen Schwediſch Pommern und Rügen für Lauenburg ab und erhielt außerdem von demſelben noch die Summe von zwei Millionen Thaler, ſowie die 600000 ſchwediſche Bankthaler, welche Schweden an Dänemark

262 zu zahlen verſprochen hatte .

Das Eigenthümliche der Sache aber

war, daß Dänemark durch dieſen Vertrag nur ſeine , durch den Frie densvertrag von Kiel erworbenen Rechte auf beſagte Länder abtrat, während Schweben deshalb , weil die Norweger die däniſche Ab tretung ihres Landes an Schweden nidyt als gültig anerkannt hatten, ſeine Abtretung von Sdywediſch - Bommern und Rügen an Dänemark ebenfalls für ungültig erklärte , und dieſe Länder mittelft Vertrage vom 7. Juni für die Summe von 3,500000 Thaler und gegen das Verſprechen diejenigen zu entſchädigen , welche von der ſchwediſchen Krone dort Landgüter geſchenkt erhalten hatten, an Preußen überließ . ") Der Raufpreis für Schwediſch- Pommern und Rügen wurde alſo von Preußen doppelt gezahlt, ein Mal an Dänemark, welchem er ge= bührte, das andere Mal an Schweden , welches unter nichtigem Vor wande die Erfüllung des Friedens zu Kiel in Bezug auf die für Norwegen zu gewährende Entſchädigung verweigerte. Es iſt dies ein Beleg mehr für das Glüd , mit welchem Schweden Anſprüche durchfeste, deren Anmaßlichkeit ebenſo groß , als die eigene Macht fie durchzuſeßen gering und die Verdienſte feines Kronprinzen um die gemeinſame Sache zweifelhaft waren . Die Mißgunſt, mit welcher Deſterreich auf dieſe von Preußen erſtrebte Gebietsvermehrung blidte, mag lekteres wol zu den doppelten Geldopfern bewogen haben , um die Sache ſo fdinell, als möglich zu beenden . Die wiener Congreßacte, welche am 9. Juni unterzeichnet wurde, enthält nichts über dieſe Befitzveränderungen in Deutſchland, ſondern bloß die von Hannover an Preußen geſchehene Abtretung Lauen Für den ſeltſamen Umſtand , daß eine Urkunde, welche burge. fortan die Grundlage des europäiſchen Staatsrechts bilden folite, aller dieſer bereits verbrieften Befikveränderungen nicht erwähnte, ia wider beſſeres Wiſſen Beſitzverhältniſſe als beſtehend bezeichnete, es nicht mehr waren , kann feine andere Erklärung ge funden werden , als daß die verſchwiegenen Thatſachen in gar zu ſchreiendem Widerſpruche mit dem ſtanden , was die Staatsmänner des wiener Congreffes als den fie leitenden Grundſat bezeichnet hatten . Beſchüßung der Legitimität, Wiederherſtellung der durch die Revolution und beren gewaltigen Erben Napoleon ihrer Kronen be raubten rechtmäßigen Herrſcher - war die feierlich verkündete Loſung des Congreffes. Wie konnte man alſo geneigt fein in die Congreß acte Vertragsbeſtimmungen aufzunehmen , welche ohne Verletzung welche

1) RYüber . V, 505 — 513 ; IX , 276 — 285 .

263

jenes leitenden Grundlages gar nicht denkbar waren , ja aus Ge walkthaten entſprangen , die mit den fehlimmſten der von Napoleon verübten wetteiferten. Den König von Dänemark hatte man gezwungen zur Vertheidi gung ſeiner norwegiſchen Krone in die feindlichen Reihen zu treten , um ſodann das Recht der Eroberung gegen ihn geltend zu machen , welches doch nur der ungerechterweiſe Angegriffene nach errungenem Siege zu ſeiner fünftigen Sicherheit anrufen darf. Der Krieg der Verbündeten gegen Dänemark war ein ebenſo ungerechter Erobe rungstrieg, als je einer den Frieden der Welt geſtört hat. Die in den Eingangsworten der Eongreßacte enthaltene Berufung auf Artikel 32 bes pariſer Friedens , wonach der wiener Congreß defe fen Beſtimmungen habe ergänzen ſollen , dient offenbar nur zum Bormande die in jenem Friedensſchluffe nicht erwähnten politiſchen Berhältniſſe Sdywedens und Dänemarks und die damit verbundenen Beſißveränderungen in Deutſchland auch hier mit Stillſchweigen zu übergehen ; denn die verheißenen Ergänzungen waren ja nicht Selbſt zwed , ſondern nur das Mittel die neue politiſdie Geſtaltung Europas feſtzuſtellen , und dazu gehörte nothwendig auch die Regelung der Befißverhältniſſe von Sdweben und Dänemark, zumal beide Mächte an dem kaum beendigten Kriege auf verſchiedenen Seiten theilge nommen hatten. Das Zerwürfniß zwiſchen Spanien und Portugal, deſſen Beilegung in der Congrefacte verſucht wurde , hätte weit eher in derſelben über gangen werden dürfen , als die äußerſt wichtigen Beränderungen in der ſtaatlichen Ordnung Europas, welche durch jene Verträge Sdwes dens , Dänemarke und Preußens begründet wurden . Die den be ſtehenden Rechtsverhältniffen nicht entſprechende Nennung Preußens als Beſigers von Lauenburg, und das Verſchweigen des Umſtandes, daß Schweden aufgehört habe deutſches Land zu beſigen , welches diefe Macht wie früher zum Reichsſtandı, fo jeßt zum Mitglied des deutſchen Bundes gemacht hätte , waren Mängel, die nur in der oben gegebenen Erklärung ihren Grund finden, und ſicherlich würde man dieſelben durch Angabe des wahren Beſigverhältniſſes vermieden ha ben , wenn hiermit nicht eben die Angabe der Hechtsverlegungen hätte verbunden ſein müſſen , woraus jene Beſigveränderungen ent fprangen . In welder Weiſe der Congreß die Grenzen des neugeſchaffenen Königreiche der Niederlände und der Königreiche Fannover, Sachſen und Preußen beſtimmte, iſt ſchon erwähnt worden . Nur das ſei

264

noch bemerkt,

daß Preußens Länderumfang , troß ſeines Erwerbs von drei Fünfteln der königlich fächſiſchen Länder , nun um 638 Quadratmeilen weniger betrug , als vor dem Frieden von Tilſit ; hingegen überſchritt ſeine Bevölkerung die frühere um 41630 Menſchen. Auch iſt hervorzuheben , daß während Preußens Beſiß aller übrigen ihm zur Entſchädigung gewährten Länder einfach anerkannt, demſelben der Beſit der ihm abgetretenen königlich ſächſi fchen Länder von ſämmtlichen Großmädyten beſonders gewährleiſtet wurde. Es ward hierauf damals ein beſonderer Werth gelegt , als wenn nicht das Beiſpiel des öſterreichiſchen Erbfolgefriegs, welcher ungeachtet des feierlich anerkannten Erbrechte der Erbtochter Karl's VI. enthrannt war , die Unzuverläſſigkeit berartiger Berbür gungen hinreichend gezeigt hätte .

Die Beſigveränderungen , welche der Congreß in den übrigen deutſchen Staaten anordnete , ſind folgende : Oldenburg erhielt von Hannover einen Bevölkerungszuwachs von 5000 Menſchen , ebenſo wie Sachſen - Coburg einen ſolchen von je 20000 Menſchen , und Heiſen - Homburg , welches wieder ein ſelbſtändiges Fürſtenthum wurde , einen ſolchen von 10000 Menſchen im ehemaligen Saar departement unfern der franzöſiſchen Grenze , gerade als ob man dadurdy Preußen die Vertheidigung dieſes Grenzlandes gegen den übermächtigen Gegner gefliſſentlich hätte erfdweren wollen . Der von Coburg erworbene Landſtrich ift bekanntlich im 3. 1834 von demſelben gegen Geldentſchädigung an Preußen überlaſſen worden . Sachſen - Weimar : Bolksmenge wuchs durch Abtretungen Preu fene um 77000 Einwohner. Das Großherzogthum effen erhielt für das an Preußen abgetretene Herzogthum Weſtfalen auf bem linken Rheinufer eine Bevölkerung von 140000 Seelen zuge fichert. Der Fürſt Primas aber wurde für das verlorene Groß herzogthum Frankfurt , deſſen Hauptſtadt wie Hamburg, Bremen und lübeck ihre frühere Selbſtändigkeit zurückerhielt, mit einem Fahreseinkommen von 100000 rheiniſchen Gulden entſchädigt. Baiern befand ſich wegen ſeiner Entſchädigung für die Rüd erſtattung der von Oeſterreich ihm abgetretenen Provinzen in einer übeln Lage. Die ihm günſtigen Beſtimmungen des Vertrags von Ried , welche dieſe Rückerſtattung an die Gewährung vollſtän diger Entſchädigung knüpften , waren burdh die zu Baris am 3. Juni 1814 abgeſchloſſene Uebereinkunft dahin abges ändert worden , daß dieſe Entſchädigung nur inſoweit gewährt werden ſollte, als die Mittel hierzu vorhanden ſein würden. Dieſer

265

Umſtand trug wahrſcheinlich dazu bei , daß die Idee des um Deſter reich ſo verdienten großen Feldherrn , des Prinzen Eugen von Sa voyen: Baiern mit Deſterreich zu vereinen , wieder aufgenommen und eine Ausgleichung beider Höfe verſucht wurde. Rönig Mar Joſeph ſollte für ſeine deutſchen Staaten reichlich mit Land und Leuten in Italien unter Hinzufügung einer großen Summe Geldes entſchädigt werden , indem man ihm das ſtolze Mailand für das das mals noch ziemlich unſcheinbare München zur Reſidenz anbot. Er war bereits ziemlich wankend geworden und dem Vorſchlage nicht abgeneigt, in deffen Wagſchale im leßten Augenblice noch manches gelegt werden ſollte, was geeignet war einen den Wünſchen des öſterreichiſchen Cabinets entſprechenden Ausſchlag herbeizuführen. An dem zur entſcheidenden Unterredung zwiſchen dem Kaiſer von Ruß land , dem Rönige von Baiern und dem Fürſten Metternich anbe imten Morgen blieb aber Leşterer aus , und war bis zum Mittag nicht aufzufinden. Er war mit Verſuchen beſchäftigt ſeine Freundin, die Herzogin von Sagan , welche dieſer Einverleibung Baierns ab hold war und deshalb mit ihm ſchmollte, ihn nicht ſehen , ſeinen Die Unterrebung fand Namen nicht hören wollte, zu verföhnen . nicht ſtatt, eine neue aber konnte nicht anberaumt werden , weil Mar Joſeph's einflußreiche Umgebung inzwiſchen von dem Plane Renntniß erhalten hatte , und beſonders Wrede alles aufbot ihn zu vereiteln. Mar Joſeph wollte nun nichts mehr von dem ihm gemachten Tauſch anerbieten hören , deſſen Annahme die Geſchichte Deutſchlands, ja Europas weſentlich umgeſtaltet haben würde. ) Die durch Deſterreichs Benehmen gegen Frankreich veranlaßte Unmöglichkeit gegen Baierns Abtretungen eine genügende Entſchädi gung zu finden , hinderte den Abſchluß der deshalb ftattfindenden Unterhandlungen , zumal da Rußland und Breußen Wrede's Be mühungen zwiſchen ihnen und den übrigen Mächten einen Bruch herbeizuführen nun den baieriſchen Hof entgelten ließen , und durch ihren Einſpruch verhinderten , daß Baden , Würtemberg und effen genöthigt wurden demſelben die beantragten Abtretungen zu machen . Metternich ſuchte in Gemeinſchaft mit Wrede vergeblich Neſſelrode und Wellington für das vorgeſchlagene Auskunftsmittel zu gewinnen, und die Note Raſumowſki's , bei welchem er wenig Geneigtheit fand auf ſeine Vorſchläge einzugehen , blieb unbeantwortet. Der preußiſche Staatskanzler bekämpfte die baieriſchen Anſprüche in einer dem Kaiſer

) v. Gormanr , Raiſer Franz und Metternich , S. 88.

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Alexander am 2. März überreichten Denkſchrift, welche dieſer dem Freiherrn vom Stein zur Begutachtung übergab , als legterer ihm eine Rechtsverwahrung des Großherzog von Baben eingereicht hatte. Stein madste fofort mündlich darauf aufmerkſam , daß die Befriedia gung der baieriſchen Forderungen nicht in Nußlands Intereſſe liege. Die überwiegende Stellung, welche Baiern hierdurch in Süddeutſch land erhalte , werde ſchließlich nur Oeſterreich zum Vortheile ge reichen , welches auf Baiern einen großen Einfluß ausübe. Nun aber lehre die Erfahrung , daß Deſterreich im Bunde mit Frankreich ge neigt fei den öfen von Rußland und Preußen gegenüberzuſtehen. Capodiſtrias pflichtete dieſer Anſicht bei, und fügte hinzu , daß es um ſo gerathener ſei auf Preußens Seite zu ſtehen , welches durch den öſterreichiſch -baierijden Plan bedroht werde , als Preußen wegen ſeiner Sänder am Niederrhein ſonſt Englands Beiſtand ſuchen müſſe. In ſeiner Denkſchrift vom 5. März legte Stein feine Anſichten über den baieriſchen Entſchädigungsplan in folgender Weiſe führlich dar :

auß

Die Gebietsanordnungen , welche Baiern verlangt , können betrachtet werden in Beziehung auf die Rechte und Verpflichtungen , welche aus dem Vertrage von Ried entſpringen , die Afriegs- und Handelsintereffen Deutiqlande, die politiſchen Intereffen Rußlande. Der König von Baiern verpflichtet ſich durch den am 8. Oct. 1813 zu Rieb mit Deſterreid abgeſchloſſenen Vertrag Art. 2. in aưe diejenigen Abtretungen zu willigen, welche für nöthig ge funden werden , um beiden Staaten eine paſſende Kriegslinie zu fichern. Art. 3. Dagegen verſpricht der Raiſer von Deſterreich dem Könige von Baiern die vollſtändigſte Entſchädigung zu verſchaffen , berechnet nad den geographiſchen, ftatiſtiſchen und finanziellen Verhältniffen der abgetretenen Landſchaften , und dieſe Entſchädigung folle mit dem Königreiche Baiern ein völliges , nicht unterbrochenes Ganze bilden . Baiern hat alſo bie Verpflichtung Deſterreich folche Abtretungen zu machen , welche dieſem eine militäriſche Grenze ſichern, und es hat das Recht eine vollſtändige Entſchädigung in finanziellen , militäriſchen und ftatiſtiſchen Rüdfichten zu forberu ; aber es verlangt eine Sergrößerung von 408586 Unterthanen ſtatt einer Entſchädigung für 288511 Einwohner , welche es ab zutreten anbietet von 388000 , die Oeſterreich fordert, deffen Forderung je doch gleichfalls beſdränkt werden muß nach dem in den Bundesverträgen beſtimmten Grundſaße ſeiner Wiederherſtellung nach dem Maßſtabe von 1805." Stein tannte damals jene zu Baris zwiſchen Defterveid und Baiern getroffene llebereinkunft noch nicht, welche die Abfindung Baierng ſo weſentlich erleichterte.

1

267 ,,Baierns Forderungen ſind nicht allein übertrieben hinſichtlich der Be völkerung, ſondern fie ſind verderblich hinſichtlich der militäriſchen , politi ſchen und Handelsverhältniſſe Deutſchlands im Ganzen , und des ſüdlichen insbeſondere. Erhält Baiern durch den Beſitz von Hanau , Frankfurt, Manheim das Land zwiſchen Rhein , Nedar und Main und den Lauf dieſer beiden Flüffe, ſo ſchneidet es Deutſchland entzwei, trennt den Süden vom Norden , umſchließt Würtemberg und Baden , fängt die Verbindungen des nördlichen Deutſchlands mit dem Rheine , namentlich mit Mainz auf. In Beſig von Manheim und der Mündung des Nedars hält es einen der Hauptübergänge des Rheins, der es mit Frankreid in Berührung ſeßt , da Landau nur vier Stunden von Manheim entfernt ift. Durch die Beſignahme von Frankfurt endlich bemächtigt es ſich einer Stadt von der größten Wichtigkeit für den Meß- und Zwiſchenhandel zwiſchen dem Weften und Norden Deutſchlands und der Schweiz, für die Bant- und Wedſelgeſchäfte. Es burchſchneidet bie Handelsſtraße zwiſchen Holland und der Schweiz, und die im I. 1813 dieſer Stadt feierlich ge gebenen Erklärungen der drei Mächte, welche ihre Unabhängigkeit verſicherten, werden zu einer Täuſchung genracht. Iſt es denn der politiſche Vortheil , der gebieterifch fordert, daß mart Baiern vergrößere, daß man Süddeutſchland ſeinem überwiegenden Einfluſſe unterwerfe , daß man es gefährlicher für den Norden mache, daß man die Sittlichkeit verleße und ſeiner brüdenden Regierung eine blühende , für den Handel wichtige Stadt hingebe ? Rußland darf niemals erwarten, daß Baiern unter anderm , als Frank reichs oder Defterreichs Einfluſſe ſtehen werde, oder unter dem Einfluß bei der , wenn es ſich um einen Kampf zwiſchen Nord und Süd handelt. Jede Vergrößerung Baierns , ſei es an Einwohnerzahl, ſei es geographiſch und an Einfluß , iſt alſo dem Vortheile Rußlands zuwider, und dieſes hat mehr als einen Grund , um fich den übertriebenen Anſprüchen des münchener Hofes zu widerfeßen. Außerdem iſt die Verpflichtung der Häuſer Heſſen -Kaſſel, Würtemberg , Darmſtadt, Baden in Abtretungen einzuwilligen weder allgemein , noch un beſchränkt. Sie iſt nicht allgemein , denn der Kurfürſt von Heſſen iſt rein und einfach wiedereingeſeßt worden , da man ihm die alten Staaten ſeines Hauſes zurückgab, und er wird nie einſtimmen Hanau an Baiern zu geben. Die Häuſer Würtembery Darmſtadt und Baden verpflichten ſich durch ihre Zulaſſungsverträge ſich zu allen Abtretungen zu verſtehen , welche die auf Erhaltung der Kraft und Unabhängigkeit Deutſchlands berechneten künftigen Einrichtungen erfordern werden. És leuchtet ein , daß die Bergrößerung Baierns dnrch ſeineVerſorgung am Rheine der Erhaltung der Kraft und unabhängigkeit Deutſchlands Ida det, indem ſie den Süden dieſes Landes ſeinem ehrgeizigen und an ſich reißenden Einfluſſe unterwirft, und nichts verpflichtet die Häuſer Würtem berg , Baden und Darmſtadt zu Abtretungen , die ihr politiſches Daſein zer ſtören , und dem allgemeinen Beſten Deutſchlands zuwider ſein würden.

Der Kaiſer Alexander erkannte die in dieſer Denkfdrift ange führten Gründe als ſo triftig an , daß er dem Grafen Rafumowſki befahl fie als Richtichnur bei den Verhandlungen zu betrachten. Gegen Wellington ( prady Fich Stein mündlich im Sinne ſeiner Denkſdrift aus. Wellington gab zwar zu , daß Baiern übertriebene Forderungen mache, meinte aber , die Gefahr für Deutſchland wäre nicht groß , wenn es durch die Rheinpfalz durchſchnitten würde, weil

268

Baiern dennoch in Deſterreichs und Preußens Abhängigkeit bleibe. Baiern ſuche durch den Beſiß von Hanau einen Anhaltpunkt zu ge winnen ; das politiſche Betragen deſſelben vor 1805 ſei ſehr gut und freundſchaftlich müffe frei bleiben .

gegen Oeſterreich

geweſen.

Frankfurt jedoch

Man ſieht, daß auch bei dieſer Frage der Vertreter Englands die Plane des öſterreichiſchen Cabinets begünſtigte. Sein Verſuch Stein über die hieraus für Deutſchland entſpringende Gefahr zu beruhigen, weil Baiern doch in Oeſterreichs und Preußens Abhän gigkeit bleibe, läßt ſeine Befähigung oder ſeinen guten Willen poli tiſche Verhältniſſe oder Menſchen zu beurtheilen nicht in günſtigem Lichte erſcheinen , denn er verkannte oder wollte verkennen , daß bei der Nebenbuhlerſchaft der beiden deutſchen Großmächte Baierns Ab hängigkeit von Deſterreich den Einfluß Preußens auf daſſelbe völlig ausſchloß . Stein begnügte ſich mit der Erwiderung : Baierns Beſitz der Rheinpfalz und Manheims werde dann gefährlich für Deutſhland, wenn Preußen und Deſterreich uneinig feien. So nothwendig es ſei die Einigkeit der beiden Mächte zu ihrem eigenen Wohle und dem Wohle Deutſchlands zu erhalten , ſo leicht ſei ein Mißverſtändniß möglich , und in dieſem Falle ſei Baierns Beſit dieſer Theile von Deutſchland dem legtern äußerſt nachtheilig. Unter Kurfürſt Karl Theodor , einem Fürſten von ' altem Schrot und Korne , ſei das Betra gen Baierns gut geweſen. Das gegenwärtige Cabinet ſei aber höchſt übel geſinnt. Eines Anhaltepunktes am Main bedürfe Baiern nid)t. Als Waffenplat fei Sanau ungeſchidt gelegen , als ein folder könne nur Ingolſtadt, Donauwörth , oder Nürnberg gute Dienſte leiſten . ) Am 7. und 8. März entwarfen Weſſenberg , Hardenberg , Grol mann und Hofmann einen neuen Plan zur Auseinanderſeßung Deſterreichs und Baierns , deſſen Inhalt zwar nicht bekannt worden iſt, jedoch für Baiern günſtig gelautet haben muß , weil ſonſt die gleich zu erwähnenden Verabredungen andern Inhalts geweſen ſein würden. Es verſtändigten ſich nämlicy Deſterreich und Baiern am 11. April 1815 dahin , daß dieſes für die Zurückerſtattung der von Deſterreich erhaltenen Landſtriche mit 288854 Einwohnern die Oberhoheit über das Fürſtenthum Yſenburg , beſtimmte Bezirke von Würtemberg, Baden , Heſſen - Darmſtadt, Banau , Fulba und das Amt Redwiß mit überhaupt 471154 Einwohnern erhalten fölle. 1) Berg , IV , 344 – 351.

269 Die Befißer dieſer Landſtriche folten theils diefieits , theils jenſeits des Rheine entſchädigt werden . Dieſes Einverſtändniß , deſſen Ge heimniß zu bewahren Baiern ein größeres Intereſſe hatte , ale Deſterreidy - man erinnere fich an Metternich's ſpätere Leußerung, nach welcher er fidh rühmte Baiern durch die Rheinpfalz gegen Frankreich compromittirt zu ſchon am folgenden Tage dem welchem unter allen betreffenden denn es ſollte den Main- und Theil des Nedarkreiſes abtreten.

haben – , war merkwürdigerweiſe Bevollmächtigten Badens bekannt, Staaten der meiſte Nachtheil drohte, Tauberkreis und einen bedeutenden

Baden ſetzte die übrigen bedrohten Staaten ſofort davon in Kenntniß , und ihr vereinigter Widerſtand bewirkte , daß vorläufig weitere Schritte, um die Ausführung der Verabredung herbeizuführen, unterblieben . Zwölf Tage ſpäter jedoch wurde in der am 23. April ſtattfindenden Sigung der fünf Großmächte ein Vertrag Deſterreiche und Baierns über ihre gegenſeitigen Gebietsaustauſchungen berathen , welchem jene frühere Uebereinkunft zu Grunde lag. Baiern erhielt durch denſelben die Stadt Hanau nebſt acht Aemtern des vormaligen Departements Hanau und beträchtliche Bezirke von Heſſen - Darm ſtadt, Würtemberg und Baden , ſowie das Fürſtenthum Vfenburg und das Amt Redwitz als Entſchädigung für die Rücgabe der ihm früher von Deſterreich abgetretenen Landſtriche zugeſichert. Dieſe beſtanden in Tirol und Vorarlberg mit Ausnahme des Landgerichts Weyler , dem Innviertel und dem Hansrudsviertel mit Ausnahme einiger Ortſchaften , endlich in dem ſüdlichen Theile von Salzburg mit genau angegebenen Grenzen . Bei Genehmigung der Artikel durch die Bevollmächtigten der Großmädyte wurde aber ein für Baiern ſehr bedenklicher Zuſat ge macht, während dem von Baiern an Deſterreich gegebenen Ver ſprechen keine Bedingung zugefügt war . Man egte nämlich die Worte hinzu :

Der Artikel , welcher die Länder bezeichnet , die unter die Herrſchaft Sr. Majeſtät des Königs von Baiern kommen ſoứen , iſt unter dem Vor behalte genehmigt , daß die zunächſt betheiligten Souveräne hierein wil ligen.“ Wrede nahm hieran zwar Anſtoß, allein nachdem Metternich erklärt hatte, der Vorbehalt ſei deshalb nöthig , weil keine Verän derung im Länderbeſit ſtattfinden könne, bevor die Unterhandlungen mit fämmtlichen Fürſten beendigt wären , ſchöpfte Wrede aus dieſer Bei dem Inhalte nichtsſagenden Erklärung völlige Beruhigung.

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der pariſer Uebereinkunft vom 3. Juni 1814 mußte der Bertreter Baierng freilich mit jedem noch fo allgemeinen Verſprechen ſich be gnügen , und Metternich in guter Stimmung zu erhalten ſuchen , denn er hatte ja eingewilligt, daß Baiern nur ſoweit Entſchädigung verlangen fönne , alg verfügbare Länder vorhanden ſeien . Die ſchon in Baris geſchehene Verzichtleiſtung Preußens auf die Fürſtenthümer Anſpach und Baireuth zu Gunſten Baierns und deſſen Verzicht auf das Herzogthum Berg zu Gunſten Preußens waren unbedingt erfolgt. In geheimen und beſondern Artikeln wurde das Recht des Brinzen Eugen Beauharnais auf eine angemeſſene Ausſtattung außerhalb Frankreichs in Gemäßheit des mit Napoleon zu Fontainebleau am 11. April 1814 abgeſchloſſenen Vertrags anerkannt, und man war darüber einig , daß des Prinzen Schwiegervater der König von Baiern bafür zu ſorgen habe. Reiner von allen denen , welche das den Vertrag betreffende Protokoll unterzeichneten , begte mel den mindeſten Zweifel , daß die betheiligten Fürſten die ihnen angefonnenen Abtretungen verweigern würden , und da die Großmächte nicht die Verbindlichkeit übernah men fte hierzu zu nöthigen , fo dienten die diesfallſigen Beſtimmun gen wol nur als Formel , welche dem baieriſchen Sofe die Noth wendigkeit verſüßen ſollte ſeine ſchon in Paris gegebene Erklärung zu wiederholen , die den übrigen Mächten noch unbekannt war . Deshalb war auch zu dem Artikel (2) , in welchem neben den länders abtretungen anderer Fürſten auch diejenige des Großherzoge von war , die in einem ſpätern Artikel ( 16) ausge ſprochene Bürgſchaft Deſterreichs, Preußens und Rußlands gefeßt, taß beim Abgange des erbberechtigten Mannsſtammes in Baden die zu dieſem Lande gehörigen pfälziſchen Landſtriche an Baiern fallen follten , denn dieſe bildeten ja einen Theil der dem baieriſchen Hofe für ſeine Abtretungen an Deſterreich verſprochenen Entſchädigung. Freilich war dieſer Anfall aller Wahrſcheinlichkeit nadi bald zu er warten , denn der damalige Großherzog Karl und ſein Dheim der nachmalige Großherzog Ludwig hatten keine männlichen Erben , und Baden verheißen

außer dieſen Fürſten bes badiſchen þauſed waren nur die Grafen von Hochberg vorhanden , welche der vorige Großherzog Karl Friedrich in morganatiſcher Ehe mit dem zu einer Gräfin von Hochberg er hobenen Fräulein Geyer von Geversberg erzeugt hatte. Ihr Erbrecht war nod nicht anerkannt, obſdon während des Congreſſes von Seiten des badiſchen Hofes Bemühungen deshalb ſtattgefunden hat= ten , welche Stein beim Raiſer Alexander, beffen Gemahlin die

271

Schweſter des Großherzoge von Baden war, unterſtügt hatte. Wäre Fürft Wrede ein geſchidter und vorſichtiger Diplomat geweſen , jo hätte er darauf beſtanden , daß jener Bürgſchaft wenige Worte hins zugefügt worden wären , welche anerkannten , daß den Grafen von Hochberg fein Erbrecht auf den badiſchen Thron zuſtehe. Er unter ließ dies , und ſo wurde es möglich, daß der nachmalige Groß = herzog Ludwig am 10. Juli 1819 die feierliche Anerkennung ihres Erbrechts von Seiten Englands , Deſterreichs, Preußens und Ruß = lands erlangte. Der zugeſicherte Heimfall der badiſchen Pfalz er wies ſich alſo ebenſo trügeriſch, als die zu Ried verheißene unbe dingte und volle Entſchädigung ehemals Öſterreichiſchen Länder.

Baierns für

die zurückerſtatteten

Dem Bernehmen nach ſollten die 19 Artikel des zwiſchen Deſterreich und Baiern über ihre Gebietsausgleichungen abgeſchloja fenen Bertrags , welder in der Sißung am 23. April in der er zählten Weiſe genehmigt wurde, als Artikel 48-69 . in die Schluß acte des wiener Congreſſes aufgenommen werden . Duſchon nur die acht Mächte, welche den pariſer Frieden unterzeichnet hatten , die felben unterzeichneten , ſo wären doch Beſtimmungen , welche den Befikſtand mehrerer deutſdjer Fürften bedrohten , dieſen in einem Augenblice bekannt geworden , wo man auf die einmüthige Unter ſtüßung aller bei dem bevorſtehenden Kriege gegen Frankreich rech nete. Beſagte Beſtimmungen waren geeiguet nicht nur die zunächſt mit Berluſt bedrohten Fürſten , ſondern auch andere deutſche Für ften unzufrieden und mißtrauiſch zu machen , und die gewünſchte Eintracht in gefährlidier Weife zu ſtören . Außerdem widerſprady ihr Inhalt demjenigen Artikel der deutſchen Bundesverfaſſung, welcher als deren Zwed die Aufrechthaltung der äußern und in nern Sicherheit Deutſchlands und der Unabhängigkeit und unver Leßlichkeit der Bundesſtaaten bezeichnete. Wäre alſo auch die von Metternich in Ausſicht geſtellte Aufnahme jener 19 Artikel in die Schlußacte ernſtlich beabſichtigt geweſen , fo fand fie doch aus den ebenangegebenen Gründen nicht ſtatt. Nach dem Artikel 93 der wiener Schlußacte wurde nichtsdeſto weniger anerkannt, daß der Kaiſer von Deſterreich recytmäßiger Be fißer aller derjenigen Provinzen ſei , welche er durch die Friedens ſchlüſſe von Sampo - Formio ( 1797 ) , Lüneville (1801 ), Presburg ( 1805 ) und Wien ( 1809) ſowie durch den Ergänzungsvertrag von Fon tainebleau ( 1806 ) verloren, und durch den legten Krieg wiedererlangt habe. Unter den namentlich aufgeführten Provinzen waren von

272 denen , welche an Baiern gekommen waren , nur Tirol und vor : arlberg genannt, doch blieb bei der gewählten Faſſung die Deutung nicht ausgeſchloſſen , daß nicht auch andere , als die namentlich auf geführten Länder wiedererlangt worden feien ; denn weshalb hätte man ſonſt der allgemeinen Hinweiſung auf Wiedererlangung der durch jene Friedensídlüffe verlorenen Länder ſich bedient ? Nur ſolche, über welche ausdrüdlich in der Schlußacte anderweitig be ſtimmt wurde, konnten nicht weiter beanſprucht werden. Als Baierns neue Erwerbungen wurden im Artikel 44 nur das Großherzogthum Würzburg und das Fürſtenthum Afdjaffenburg bezeichnet. Alle Landſtriche auf dem linken Rheinufer, ſowie diejenigen , welche zu den Departements Fulda und Frankfurt gehört hatten , nebſt den von benachbarten Staaten eingeſchloſſenen Gebieten wurden, inſofern über fte nicht ausdrüdlich verfügt worden war , durch den Artikel 51 als öſterreichiſches Eigenthum bezeichnet, das Fürſtenthum Yſenburg aber durch Artikel 52 unter öſterreichiſche Landeshoheit geſtellt, ohne daß eine Andeutung bloß vorläufigen Beſißes hinzugefügt war. Die Renntniß der öſterreichiſch - baieriſchen Uebereinkunft vom 11. April - denn die vom 23. April ſcheint damals ben badiſchen Bevollmächtigten nicht bekannt worden zu ſein hatte dieſelben übrigens ſchon früher veranlaßt den Umſtand, daß ein badiſcher Heerhaufe von 16000 Mann am Oberrheine ſchlagfertig ſtand, für vertragsmäßige Siderſtellung des badiſchen Gebiets zu benußen. Nachdem ſie bei Gelegenheit ihres Beitritts zum Bunde gegen Na poleon einen Artikel verworfen hatten , welcher Badens Geneigtheit zu fünftigen Gebietsabtretungen verbriefen ſollte, legten fie e$ durch, daß in dem am 12. Mai deshalb abgeſchloſſenen Vertrage Deſter reich für ſich und ſeine Verbündeten im dritten Artikel fich verpflichtete ,,nidt ohne befondere Berüdſichtigung der Intereſſen Sr. fönigl. Hoheit des Großherzogs von Baden die Waffen niederzulegen und nicht zu dulden , daß das Po litiſche Daſein des Großherzogthums angetaſtet werde" . Mit denſelben , freilich vieldeutigen Worten wurde elf Tage ſpäter dem Großherzog von Heſſen diefelbe Zuſiderung ertheilt. Weit vortheilhafter lautete allerdings die Faſſung des Ver ſprechens, durch welches in dem am 27. April abgeſchloſſenen Bei trittsvertrage die übrigen vereinten ſouveränen Fürſten und freien Städte geſichert worden waren , nämlich nicht zu bulden , daß etwas an dem Stande ihrer Befißungen , wie er ießt iſt, oder durch die Beſtimmungen des Congreffes geregelt

/

273

werden wird , geändert werde , es ſei denn mit der freien Einwilligung des Staates , welchen eine ſolche Verände rung beträfe. Die Beitrittsverträge der Königreiche Baiern , Sachſen und Würtemberg, welche am 15. , 27. und 30. April geſchloſſen wur den, enthielten keine Beſtimmungen dieſer Art, was beziehendlich um ſo mehr Beachtung verdient, als bekanntlich Würtemberg und Baden die deutſche Bundesacte nicht unterzeichnet hatten. Mit welcher Vorſicht übrigens Deſterreich verfuhr, um ſich die Wiedererwerbung aller ſeiner ehemaligen deutſchen Provinzen zu fichern , bieť bezeugt folgende Stelle des über die legte Sigung der Großmächte am 10. Juni aufgenommenen Protokolls : Die Mächte übernehmen bei dieſer Gelegenheit die förmliche, obgleich geheime Verpflichtung Se. kaiſerl. königl. apoſtol. Majeſtät in allen Unter handlungen zu unterſtüßen , welche fte fünftig etwa mit Baiern anknüpfen wird , um das Innviertel , das Hausrucksviertel und das ſalzburger Land wiederzuerlangen . Eintretendenfalls ſichern ſie dem Hauſe Deſterreich den Anfall der Pfalz ( mit Ausnahme der an Se. preußiſche Majeſtät abgetrete nen Theile ) und des Breisgaues als Ausgleichungsmittel bei fünftigen GrenzfeſtſteŰungen in Deutſchland zu. Sie willigen endlich darein, daß die zu Ausgleichungen mit Baiern beſtimmten Gegenſtände ſtets zu einem ſolchen Žustauſche dienen , oder über ſie nach gemeinſchaftlichem Einverſtändniſſe jo berfügt werde, wie es Še. taiſerl. fönigl. apoſtol. Majeſtät zuträglich ers fcheint.“ 1) Hätte der preußiſche Staatskanzler bei ſeiner diplomatiſchen Thätigkeit von der Vorbereitung des Vertrags zu Kaliſdi an bis zur Interzeichnung des pariſer Friedens mit gleicher Vorſicht und Umſicht verfahren , ſo würden Preußen Gebietsverhältniſſe ficherlich weit günſtiger feſtgeſtellt worden ſein , als dies nach ſo manchen faſt unbegreiflichen Vernachläffigungen ſeinerſeits in Wien geſchah. Die politiſche Geſtaltung der einzelnen europäiſchen Staaten be idhäftigte aber den Congreß nicht allein , ſondern auch politiſche Gegenſtände allgemeinerer Natur. In der Sigung der acht Mächte vom 10. Dec. 1814 beantragte Fürſt Talleyrand: drei Commiſſionen zu bilden , die eine zu Ausführung der die freie Flußſchiff fahrt betreffenden Beſtimmungen des pariſer Vertrags , die andere zur Verwirklichung des Vertrag8 zwiſchen Eng land und Frankreich über Unterdrückung des Negerhan dels , und eine dritte , um den Rang der verſchiedenen Aronen in Bezug auf deren Geſandte zu beſtimmen .

1 ) Klüber , VIII, 129 — 157 ; IX , 128-134 , 165. II.

18

274

Ungeachtet lord Caftlereagh hinſichtlich des leßtern des die vernünftige Meinung ausſprach, er mißbillige Unternehmen , welches ſtatt Schwierigkeiten zu beſeitigen hervorbringe, und obgleich man nicht einmal über das

Gegenſtan ein ſolches nyr neue Verhältniß

der großen Republiken zu den Monarchien ſich vereinigen konnte, fo verhandelte man doch hierüber , begnügte ſich aber damit die Bez vollmächtigten, ohne Unterſchied von welchem Hofe ſie geſendet ſeien , in Klaſſen einzutheilen , und hinſichtlich der Reihenfolge der Namen in Vertragsurkunden das loos als Entſcheidungsmittel feſtzuſtellen. 1) Die hinſichtlich der freien Beſchiffung des Rheins und der Schelbe im pariſer Friedensvertrage verheißenen Beſtimmungen, welche auch in Bezug auf die übrigen Flüſſe maßgebend ſein ſollten , wurden von einer Commiſſion ausgearbeitet, an der fidh die Be vollmächtigten der großen Mächte mit Ausnahme Rußlands, weldes mit Deſterreich und Preußen beſondere Verträge ſchloß , und die Ber treter der Rheinuferſtaaten , nämlich Hollande , Baierne , Babens, Heſſen - Darmſtadt& und Naſſaus betheiligten. Als ſolche ſind zu nennen : Lord Clancarty , der Herzog von Dalberg, die Freiherren von Humboldt und von Weſſenberg, von Spaen , Fürft Wrede, von Berkheim , von Türdheim , von Marſchal. Audy die Gutachten beſonderer Sachverſtändigen wurden gehört, Einſicht in die Acten über die Rheinſchiffahrt aus der Zeit der kaiſerl. franzöſiſchen Herrſchaft genommen , und zahlreiche Abhand lungen eingereicht, um eine befriedigende löſung der in volkswirth ſchaftlicher Beziehung ſo wichtigen Aufgabe zu bewirken. Die zwölf Sigungen , in welchen der Ausſchuß feine Arbeiten vollendete, fanden Nady Feſtſtellung allge vom 2. Febr. bis 24. März 1814 ſtatt. meiner Grundſäge über freie Flußſchiffahrt in 10 Artikeln , welche der wiener Sdylufacte (Artikel 108-117 ) einverleibt wurden, ver= einigte man ſich endlich über 32 Artikel hinſichtlich der Rheinſchiffahrt, behielt aber die Ausarbeitung näherer Beſtimmungen Commiſſarien vor , welche ſechs Monate nady Schluß des Congreffes zuſammen kommen folten . Wie wenig durch alle derartige Veranſtaltungen aud die billigſten Erwartungen befriedigt wurden iſt bekannt. wurde zwar angeordnet, daß die eigentlichen Schiffahrtsgebühren nach einem allgemeinen Syſteme geordnet, und nie erhöht werden follten , allein die Höhe der diesfallfigen Säße und die außerdem beſtehende Zougefeßgebung der verſchiedenen Uferländer machten die

1 ) Klüber , VIII , 97—119 ; VI, 204.

275

an ſich freigegebene Schiffahrt für den Handel ziemlich werthlos. Þierzu fait noch die berüchtigte Auslegung , welche die Holländer der freien Schiffahrt auf dem Rheine „ jusqu'à la mer “ gaben, nach welcher dieſelbe nicht bis in das Meer , ſondern bis an das Meer fich erſtrecke. 1) Welchen Placereien noch ießt nach faſt einem halben Jahrhundert die Rheinſchiffahrt unterworfen iſt, davon giebt die unlängſt in der ,Rölniſchen Zeitung " als Merkwürdigkeit mit getheilte Nachricht einen Begriff, daß neulich die Schiffspapiere eines Rheinſchiffers, welche theils in Urſprungszeugniſſen der Waaren theils in Beſcheinigungen der Zoll- und Steuerbehörden beſtanden , ein ſchließlich ihrer Kapfel 19 Pfund gewogen hätten ! Aud; die Unterdrückung des Negerhandels beſchäftigte den wiener Congreß. Nachdem derſelbe im 3. 1803 von Däneinart, im 3. 1807 von England, und im I. 1808 von den Vereinigten Staaten von Nordamerika geſetzlich unterſagt worden war , that der König der Niederlande baffelbe burdy einert Beſdylaß vom 15. Juni 1814. Seit dem Jahre 1811 hatten engliſche Kriegsſchiffe den Negerhandel zu verhindern geſucht , und zwar mit folchem Erfolge, daß derfelbe bei Fortbauer des Seefrieges bald vollſtändig unterbrüdt worden ſein würde. Da jedoch mit dem Eintritte des Friedens bas Wiebers aufleben des Negerhandeld zu beſorgen ſtand, ſo beantragte Wilber force jdon am 24. Juli 1813 im britiſdem Parlamente Maßregeln , um dem vorzubeugen. Deshalb ließ England im erſten Zuſaßartikel des pariſer Friedens fidh von Frankreich verſprechen, daß dieſes beim fünf tigen Congreffe alle ſeine Straft in Gemeinſdhaft mit England aufbieten werde, um die Mitwirkung aller dyriſtlichen Mädyte zur allgemeinen Unterdrüdung des Negerhandels binnen eines fünfjährigen Seit raumes zu erlangen , denn es ſei dies ein Handel , welcher mit der natürlichen Gerechtigkeit Widerſpruch ſtehe.

und

der

gegenwärtigen

Aufklärung

in

Wilberforce richtete audy einen , durch den Drud veröffentlichten Brief an Talleyrand, um dieſen damaligen Lenker der franzöſiſdyen Bolitik für die Abſchaffung des Negerhandele zuſtimmen. Derſelbe bradyte infolge deffen am 10. Dec. 1814 in einer Sigung der acht Mächte dieſen Gegenſtand zuerſt zur Sprache, doch war ſein Eifer in der Angelegenheit weit geringer, als derjenige der Vertreter Englande . Die eigentlichen Verhandlungen , an denen fich Caſtle réagh, Stewart, Talleyrand, labrador, Palmella, Neſſelrode, Löwen

1) Klüber , III, 11-217. 18 *

276

bielm , Humboldt, Metternich und Binder betheiligten, begannen erſt am 20. Jan. 1815, und endigten am 8. des folgenden Monate mit der vierten deshalb ſtattgefundenen Sißung. Nachdem die Vertreter Spaniens und Portugals vergebens ver ſucht hatten die Verhandlung dieſer Frage auf diejenigen Mächte zu beſdýränken, welche Colonien befäßen , um hierdurch die Anzahl der Gegner des Negerhandels bei den Berathungen zu vermindern , be antragte Caſtlereagh , daß alle Mächte, nachdem ſie ſich für die Unterdrückung des Negerhandels feierlich ausgeſprochen hätten , den Zeitpunkt ſeiner völligen Aufhebung , ſowie die Mittel beſtimmen möchten , durch welche derſelbe wenigſtens in gewiſſen Gegenden, nämlich im Norden des Aequators , ſofort zu verhindern ſei . Die Geneigtheit zu ſolchen Beſchlüſſen ſuchte er dadurch herbeizuführen , daß er vor der Erörterung der Sache darauf hinwies : es ſei die Fortdauer des Negerhandels nicht bloß die ſchredlichſte Geißel für Afrika, ſondern es werbe auch durch die ſtete Vermehrung der Neger bevölkerung in den Colonien deren Beſit ſelbſt gefährdet. Die Bemühungen Caſtlereagh's Spanien und Portugal zu be wegen jenen Zuſaßartikel des pariſer Friedens auch für ſich als bin Labrador fowol , als Balmella er dend anzuerkennen , mißlangen. früher, als nach acht Jahren Falle keinem in Höfe klärten, daß ihre den Negerhandel verbieten würden. England mußte ſich damit be gnügen , daß Frankreich und Portugal ſchon vor den wiener Con greßverhandlungen dem Negerhandel nördlich vom Aequator entjagt hatten , und von Spanien verſprochen worden war ſeinen Staats angehörigen denſelben nur zwiſchen dem Aequator und dem 10. Grade nördlicher Breite zu geſtatten. Die Wahrung der diesfallſigen Bes .ſtimmungen vermittelſt des Durchſuchungsrechts verdächtiger Sdiffe, welche Caſtlereagh vorſchlug , wollte man jedoch nur Kriegsſchiffen deſſelben Volfs geſtatten. Schließlich ſuchte der Vertreter England noch die Genehmigung ſeines Antrage zu bewirken , daß diejenigen Staaten , welche die Abſchaffung des Negerhandele über die als nothwendig erkannte Friſt verzögerten, ſich nicht darüber zu beſchwe ren haben ſollten , wenn infolge deſſen andere Mächte ihren Staats angehörigen verböten aus jenen Staaten Colonialwaaren zu ent nehmen. Labrador und Balmella behielten jedoch in einem ſolchen Falle ihren Höfen das Recht vor Repreſſalien zu nehmen . Ungeachtet Deſterreich, Breußen , Rußland und Schweden alle Borſchläge Englands für Abſchaffung des Negerhandeld unterſtüßten , ſo wurde body in Wien durchaus nichts dafür erreicht. Das einzige

277

formelle Ergebniß der gepflogenen Unterhandlungen war die von den acht Mächten am 8. Febr. erlaſſene Erklärung , worin ſie die Eröffnung von Unterhandlungen in Ausſidit ſtellten , in denen man fick über die Mittel verſtändigen werde einem ſo unſittlichen Sandel wie dem Negerhandel ein Ziel zu legen. Alſo auch hier verleug nete der wiener Congreß nicht ſeinen Charakter: alles, was nicht wie die Gebietsfragen eine fofortige Entſcheidung erforderte, zu ver tagen. 2) Was die dem Königreiche Sachfen abgeſteckten neuen Grenzen anbetraf, ſo hatten zwar die Großmädyte fich über dieſelben verſtän digt , allein König Friedrich Auguſt hatte ſie noch nicht genehmigt. Damit er die für folche Fälle vom Bölferrechte vorgeſchriebenen Formen erfüle, hatte man ihn aus ſeinem unfreiwilligen Aufenthaltsorte, dem Schlofſe Friedrichsfelde bei Berlin , nad Presburg kommen laſſen, wo er am 4. März angelangt war. Infolge eines in der Sigung vom 7. März gefaßten Beſchluſſes begaben ſich Metternich, Welling ton und Talleyrand als Abgeordnete des Congreffes dahin , und fuchten ihn in einer am 9. März ſtattfindenden Unterredung zur Ge nehmigungdertheilung zu beſtimmen , doch waren alle ihre deshalb aufgewendeten Bemühungen vergeblich. In einer an die Göfe dieſer Abgeordneten gerichteten Note des fächfiſchen Cabinetsminiſters Grafen von Einſiedel vom 11. März widerſprach er der Rechtsbeſtändigkeit des ihm gemachten Unſinnens, zwei Fünftel der Bevölkerung und drei Fünftel ſeines Königreichs abzutreten , ohne daß es ihm geſtattet ſein ſolle vorher über die hierbei in Frage kommenden Nebenpunkte zu verhandeln . Nachdem er ſeine Freiheit wiedererlangt habe , ſtehe der linterhandlung kein Hinderniß mehr entgegen. Dieſe ſei aber nothwendig , da ſein Land nicht als ein erobertes betrachtet werden könne. Es habe ja im Anfange des großen Kampfes von ihm nicht abgehangen ſich, wie er gewünſcht, der Sache der Verbündeten anzuſchließen . Er nehme die angebotene Vermittelung dankbar an , und beanſpruche die Zulaſſung feines Bevollmächtigten zu den dieſe Angelegenheit betreffenden Unter handlungen . Noch an demſelben Tage lief jedoch die Antwort ein : man müffe bei den Beſtimmungen des dem Rönige von Sachſen zugeſtellten Protokolle ſtehen bleiben , und bevor dieſer die darin enthaltene Abtretung nicht genehmigt habe , könne von der erwähnten Ber

1) Klüber , IV , 531.

278 mittelung

bell Raiſers

von Deſterreich

nicht die Rede fein.

Die

zu dieſer Zeit in Wien eintreffende Nachricht, daß Napoleon von Elba entwidyen ſei, erhöhte den Widerwillen des Könige von Sadjen ben ihm geſtellten harten Bedingungen fich zu fügen, denn ſie erregte in ihm die Hoffnung eines möglichen Umſchwungs der politiſchen Verhältniſſe. In der am 12. März zu Wien ſtattfindenden Sißung der fünf Großmächte wurde jedoch beſchloffen ſofort Sachſens zu ſchreiten, und den König von Preußen feines Antheils zu ſetzen , den fächfiſch bleibenden aber ficher Berwaltung zu laſſen. Außerdem erklärte man

zur Theilung in den Beſit unter preußi zu Protokoll :

es ſei allgemein bekannt, daß, wenn der König von Sadyfen gezwun gen worden ſei in ein aller ſeinen Pflichten und Intereſſen fo widerſtreitendes Bündniß , als das mit Frankreich zu treten , er doch freiwillig an demſelben feſtgehalten habe, und zwar zu einer Zeit, wo Rußland und Preußen den größten Theil feines fandes befekt, und ihn , welcher perſönlich frei geweſen ſei , freundſchaftlich einge laden hätten fich ihnen anzuſchließen. Den ihm von Oeſterreich ge währten Zufluchtsort, wo dieſes damals ſeine Parteiloſigkeit beſchüßte und ihm gleichzeitig den Beſitz ſeiner Staaten verbürgte, habe er verlaſſen , um zu dem grauſamſten Feinde Defterreichs, an welches ſo viele Rüdſichten ihn hätten feſſeln ſollen , zurückzukehren . Erſt nachdem ſein Reichy erobert, und er ſelbſt zum Gefangenen ge macht worden ſei , habe er fich erboten auf die Seite der Ber blindeten zu treten. Man Yönne daber nicht bulden , daß der König von Sachſen durch Entſtellung der Verhältniſſe ſich zu recht fertigen ſuche. So unzweifelhaft es auch war, daß die Verbündeten berechtigt waren Sadyfen als erobertes Land zu behandeln , ebenſo gewiß würden die Cabinete, welche den König tabelten, an ſeiner Stelle ebenſo gehan delt haben . Als Napoleon nach dem Siege bei Lügen den König von Sachſen mit dem Verluſte feiner Krone bedrohte und dieſer von Defter : reich eine entſcheidende Erklärung über die zu befolgende Politik er wartete, blieb feine Anfrage ohne Antwort, weil es dem vorſichtigen Metternich gefährlich erſchien den fiegreichen Kaiſer der Franzoſen , der vielleicht ſein früheres Uebergewicht wieder zu gewinnen in Be griff ftand, zu mißfallen, indem man ihm einen Bundesgenoſſen ent frembete. Unvorſichtig war es allerdings vom Rönige Friedrich Auguft, von Linz aus , ſtatt nach Wien oder in beffen Umgebung , nach Brag zu gehen , einer vom Siße der öſterreichiſchen Regierung jo fern gelegenen Stadt.

Bei der Ungewißheit des Kriegeglüde hätte

279

er fich nicht der Gefahr ausſegen follen von dem öſterreichiſchen Ca binete für den Fall, daß Napoleon den Feldzug glüdlich eröffnete, auf feine Frage , ob daſſelbe der unter andern Vorausſegungen mit ihm zu linz getroffenen Uebereinkunft treu bleiben wolle , ohne Ant wort gelaffer zu werden . Wahrſcheinlich hätte ihm aber ſolche Vor ficht auch nichts weiter genügt , als daß ihm der Vorwurf erſpart geblieben wäre ſeinen mit Defterreich getroffenen Verabredungen nicht nachgekommen zu fein , indem dieſes ihn ſelbſt bewogen hätte nach Dresden zurückzukehren . Denn länger als drei Monate ſchwankte das öſterreichiſche Cabinet, ob es ſich mit Napoleon güt lich verſtändigen , oder ihn mit den Waffen in der Hand zu Aner kennung ſeiner Forderungen nöthigen folle. Gleichwol war es 'von demſelben tief gedemüthigt worden , während Friedrich Augüft dem Kaiſer von Oeſterreich ſeine Königskrone und bie Herrſchaft über vier Millionen Polen verdankte . Jenes ſtrebte danach ſeine erlittenen Berlufte zu erſeßen, dieſer ſehnte ſich nur nach Frieben . Waren alſo die Kriegs ereigniſſe hinreichend um eine Macht wie Deſterreich zu beſtimmten einen Bruch mit Napoleon zu vermeiden , wie hätten ſie nicht ge nügen ſollen den König eines kleinen , von dem Sieger befekten Landes zu veranlaſſen ſidy deſſen Befehlen zu fügen , um dem ange drohten Verluſte ſeiner Krone zu entgehen ? A18 der König von Preußen ſich zu Ende des Februar 1813 endlich entſchloß dem Drängen ſeiner Umgebung, dem ftürmiſchen Verlangen feines von den Franzoſen zur Verzweiflung gebrachten Voltes nachzugeben, und ſich mit Rußland gegen Napoleon zu ver bünden, hielt eď niemand für möglich, daß Leşterer fobald wieder mit einer Heeresmacht den deutſchen Boden betreten würde , als dies wirklich geſchah. Breußen hatte nicht nur erlittene Vèiederlagen zu rächen und die verlorené Hälfte ſeiner Länder zurück zu erkämpfen , ſondern fein ferneres ſtaatliches Daſein war fogar bedroht, wenn es die günſtige Gelegenheit den erbarmungsloſen Feind zu demüthigen ungenügt vorüber ließ , und die Bundesgenoffenſdaft der als Be= freier nahenden Ruſſen ablehnte. Dennod ſträubte fich König Friedrich Wilhelm dem Wünſche feines Voltes gemäß gegen Frant reich der Krieg zu erklären , weil er für ſeine Krone fürchtete , und als er és endlich that , geſchah és unter folchen Umſtänden , daß Spötter ihn den gepreßten Freiwilligen " nannten . Sower lich würde er an Friedric Auguft's Stelle anders gehandelt, und im Vertrauen auf den endlichen Sieg der zurücgeworfenen Berbün deten und den Schuß des fich unzuverläſſig zeigenden Deſterreidje den

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Drohungen Napoleon's getroßt haben. Diejenigen, welche ihm dies als Pflichtverlegung auslegten , hätten verſtummen müſſen , wenn er in der Lage geweſen wäre ihnen durch Schilderung ihres eigenen Benehmens den Spiegel der Selbſterkenntniß vorzuhalten . An den Höfen beſtimmte damals , wie immer , der Vortheil die Handlungsweiſe. Nur das vom fremden Unterbrüder gepeinigte, der höchſten Güter des Lebens beraubte Volt ließ den Kriegsruf: Sieg, oder Tod ! gegen den Zwingherrn Europas erſchallen , die Fürſten warfen demſelben erſt dann den Fehdehandſchuh hin , wenn dies durch die Umſtände räthlich erſchien. Daß die verbündeten Höfe dem Könige von Sachſen ſeine politiſche Haltung als Schuld an rechneten , war natürlich und zur Rechtfertigung des Eroberungsrechts nothwendig; denn wie hätte - fonſt Breußen für Abtretung feiner pol niſchen Provinzen an Rußland entſchädigt werden ſollen ? Nur weil dieſes Verhältniß bei den übrigen Rheinbundfürſten nicht ſtattfand, deshalb brauchten ſie es nicht zu entgelten , daß ſie ebenſo lange auf Frankreiche Seite die Verbündeten bekämpft hatten ; man würde ſonſt ſicher auch ihre länder nach dem Kriegsrechte behandelt haben. In einem an den Raiſer von Deſterreich am 20. März gerich teten Briefe gab König Friedrich Auguſt die Abſicht zu erkennen die ihm geſtellten Bedingungen zu genehmigen , doch äußerte er den Wunſch einige ſeiner treuen Diener , welche in Sachſen das öffent liche Vertrauen genöſſen , vor Abgabe feiner endgültigen Erklärung Es hatte dies jedoch nur zur Folge, daß, zu Rathe zu ziehen. nadidem dieſer Umſtand in der Sißung vom 28. März zur Sprache gekommen war , der Kaiſer von Deſterreich ihn ſchriftlich ermahnte, ſobald als möglich ſeine feierliche Berzichtserklärung abzugeben , und damit gleichzeitig die Einwohner der von ihm abzutretenden fächfiſchen Landftriche und des Herzogthume Warſchau vom Eide der Treue zu entbinden , auch dem am 25. März abgeſchloſſenen Bundesvertrage der übrigen Souveräne gegen Napoleon beizutreten . Graf Schulenburg's Antwortenote vom 6. April zeigte nun die Geneigtheit des Königs von Sachſen an dieſem Verlangen in ſeinem ganzen Umfange zu entſprechen , doch knüpfte er baran eine Reihe von Bedingungen . Die wichtigſte derſelben , daß Rönig Friedrich Auguft erſt nach ſeiner Wiedereinfeßung ſeine bisherigen Unterthanen vom Eide der Treue entbinden wolle, wurde von den Vertretern ber fünf Großmächte zurüdgewieſen , da beſagte Erklärung zur Einwilli gung in die Gebietsabtretung gehöre , welche der Wiedereinſeßung

281

vorausgeben

Was die übrigen Bedingungen anlange, ſo müffe. werbe die Gerechtigkeit von einigen derſelben nicht in Abrede ge ftelt, während andere, welche die Salzwerke und Schulden Sachſens, ſowie des Herzogthums Warſchau beträfen , anders zu beurtheilen ſeien , jedoch könnten die Verhandlungen hierüber erſt nach Voll ziehung der Abtretung ſtattfinden. Da der König von Sachſen aber in der Antwortenote ſeines Geſandten des Grafen Schulenburg ſich dem Verlangen des Congreſſes noch immer nicht fügte, ſo wurde ihm in der Situng vom 27. April hierzu eine fünftägige Friſt geſtellt, worauf Schulenburg am 1. Mai anzeigte, daß er und Herr von Globig ermächtigt ſeien gleichzeitig über die Bedingungen zu unter handeln, unter welchen der König von Sachſen die Gebietsabtretun gen genehmige und feinen Beitritt zum Bündniſſe vom 25. März erkläre. Auf Grund der hierauf ſtattfindenden Unterhandlungen wurde am 18. Mai der Friedensvertrag Sadjens mit Breußen , Defterreich und Rußland in drei gleichlautenden Exemplaren unterzeichnet. In demſelben trat König Friedrich Auguſt den vom Congreſſe bezeichneten Theil ſeines landes an Preußen ab 1 ), nun

und genehmigte die Grundfäße, nach welchen die Theilung unter Deſterreichs Vermittelung vollzogen werden ſolle. An demſelben Tage erklärte er auch : die Redte , welche den Fürſten und Grafen von Schönburg durch die deutſche Bundesacte zuerfannt werden würden , unbefdadet des durch Ver trag vom 4. Mai 1740 feſtgeſtellten gegenſeitigen Redyt8 = verhältniſſes , anzuerkennen. « Obſchon dieſes Geſchlecht nie zu den ehemaligen unmittelbaren Reichsſtänden gehört hatte , erhielt es dadurch doch die den legteren bewilligten Ehrenrechte. Am 22. Mai wurden die vollzogenen Friedensurkunden zugleich mit den Schriftſtüden ausgetauſcht, in welchen der König von Sachſen die Einwohner des abgetretenen Theiles von Sachſen und des Ber zogthums Warſchau ihres Eides gegen ihn entband, andererſeits aber die proviſoriſche preußiſche Regierung den Befehl erhielt den nicht abgetretenen Theil Sachſens binnen vierzehn Tagen zu räumen, was in einer beſondern Urkunde von den übrigen vier Großmächten verbürgt wurde . So war denn endlid diejenige Gebietsfrage, deren Löſung durch Deſterreichs Auffaſſung die Hauptaufgabe des

1) 373 %, Quadratmeilen mit 855305 Einwohnern , ſodaß 271,67 Quadratmeilen mit 1,182868 Einwohnern blieben.

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Congreſſes geworden war , und eine Zeitlang der Entſcheidung der Waffen anheimzufallen fchien , endgültig geordhet. Die Verſtändi gung der Großmächte hierüber herbeizuführen hatte nur wenig lån ger gedauert, als Friedrich Auguſte Genehmigung des vom Con greſie gefaßten Beſchluffes zu erlangen. Ungebeugt durch eine lang wierige Gefangenſdaft, fügte er ſich erſt dann ben thm auferlegten Bedingungen, als ein längerer Widerſtand das Unglüd der Page ju ſteigern drohte, in welche eine berhängniſvolle Vereinigung von Uin ſtänden ihr und fein Banb berfekt hatte. 2) Der plöglidië Zuſammenſturz des bourboniſden Mönigthums und die Wiederaufrichtung der kaiſerlichen Herrſchaft in Frankreich macht allein die Möglichkeit eines jo længen Widerſtandes begreiflich. Der König von Sachſen Fah zwar ein , daß er die vom Congreſſe be ſchloſſene Theilung Sachſens würde genehmigen müſſen , allein er bielt die Verhältniſſe für geeignet auf günſtigeren viesfallfigen Neben bedingungen zu beſtehen , da den Großmächten daran gelegen fein mußte die neue ftaatliche Geſtaltung Europas zu vollenden , ohne zu Zwangsmaßregeln , welche eine Gährung im Herzen von Deutſchland hätten erregen können , greifen zu müſſen. Er tauſchte fich hierin , weil, ſo groß auch die Beſtürzung war , welche Napoleon's Rüdkehr nad Frankreich unter den Fürſten und Diplomaten zu Wiert hervore brachte, diefe doch keinen Augenblid zweifelten, daß es ihren gemeine ſchaftlichen Anſtrengungen bald gelingen werde demſelben aufs Neue und für immer zu beſiegen , übrigens aud ein nach langer Ünter handlung gefaßter feierlicher Belaluß der Großmächte vollzogett wer den mußte, wenn nicht die einem furchtbaren Feinde gegenüber in: erläßliche Einigkeit der Verbündeter eine Höchſt bedenkliche Beeinträdy tigung erhalten follte.

1 ) Klüber , VI , 97—141 ; IX , 55–61 , 77 , 81–84, 94—101, 104—128 , 134 , 139–151.

1

Fünfter Abſchnitt.

Erneuerung des Krieges burd Napoleon's Rüdtehr nad Frantreich. Nechtung Napoleon's. Fouché's Umtriebe gegen ihn. Napoleon's Sturz. Wiedereinſegung Ludwig's XVIII. An Anzeichen , daß Napoleon in ſeiner Zurüdgezogenheit auf der Inſel Elba mur auf den Augenblic lauere , wo er fich der ver lorenen Herrſchaft wieder bemächtigen könne , hatte es nicht gefehlt, ja die franzöſiſche Regierung war mehrfach ausdrüdlich gewarnt wor den , ohne dies zu beachten. Schon im Auguſt 1814 fette der ber ner Senat den Grafen von Artois und den britiſchen Geſandten von einem verdächtigen Berkehre Foſef Buonaparte's mit franzöfiſchen Generalen , ſpäter von geheimen Rüſtungen in dem an Frankreich grenzenden Theile der Schweiz in Kenntniß . Zu Anfang des Win ters machte der ehemalige Präſident des Directoriums Barras den Staatsſecretär Grafen von Blacas, den Günſtling Ludwig's XVIII., darauf aufmerkſam , daß Napoleon mit Murat und andern Häuptern feiner Partei in einer Weife verkehre, welche das Vorhandenſein einer Verſchwörung unzweifelhaft mache. Dem Bolizeiminiſter André erſtattete die Gemahlin des Marſchalls Augereau die Anzeige : fie ſei von der Serzogin von Baſſano angefteht worden ihren Mann für Napoleon's Wiederherſtellung zu gewinnen. Fouché unb Pozzo di Borgo wendeten ſich mit ihren Warnungen an Talleyrand, welcher von Leşterem aufgefordert wurde die Verhaftung Napoleon's Beim Congreffe zu beantragen. Alles war vergeblich. Man nannte Na poleon verächtlich einen tobten Mann, und verſäumte alle Vorſtcht8= maßregeln , obgleich die in Frankreich herrſchende Unzufriedenheit mit

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der beſtehenden Ordnung der Dinge eine nicht abzuleugnende That fache war. Von fremder Waffengewalt wieder auf den Thron geſeßt , hätte Ludwig XVIII. bemüht ſein ſollen die Liebe des franzöſiſchen Volks zu gewinnen , indem er durch Segnungen des Friedens die durch den Krieg dem lande geſchlagenen Wunden zu heilen ſuchte. Statt deſſen war er nur darauf bebadyt die nicht mehr haltbaren Einrich tungen des alten Königthums wieder herzuſtellen. Der ausgewan derte Adel forberte laut die Wiedereinfegung in ſeine Güter, welche zum Eigenthum der Nation erklärt und zur Füllung des leeren Staatsidaßes verkauft worden waren , und der König that nichts um die zahlreiche und einflußbefigende Klaſſe der Käufer von National gütern über die Unantaſtbarkeit ihres Eigenthums zu beruhigen. Das Heer vor allen fand es unerträglich den unvergleichlichen Kaiſerlichen Feldherrn mit einem Könige vertauſcht zu haben , deffen körperliche Beſchaffenheit ihn ſogar unfähig machte ein Pferd zu beſteigen , und die Entlaſſung aller als eifrige Anhänger Napoleon's bekannter Of fiziere, deren Stellen mit Höflingen und Ausgewanderten beſetzt wurden, ſteigerte den Grol des Heeres dergeſtalt, daß der entthronte Kaiſer den Augenblick für um ſo günſtiger hielt die Zügel der Herr ſchaft von Neuem zu ergreifen , als er ben ihm gemeldeten Zwieſpalt der Verbündeten zu ſeinen Zweden ausbeuten zu können glaubte. Hätte er ſeine ungeduld zu zügeln vermocht, wäre er erſt nach Auf löſung des wiener Congreffes und nady eingetretener allgemeiner Entwaffnung in Frankreich wieder erſchienen , fo würde er ſeine Feinde außer Stand gefegt haben einen ſchnellen verderblichen Schlag gegen ihn zu führen . Allein ſchon am 26. Febr. verließ Napoleon Elba mit 600 Mann ſeiner alten Garde ; am 1. März landete er bei Cannes an der Küſte der Provence. Die Truppen , welche Ludwig zur Bekämpfung des Kaiſers ihm entgegenſandte , dienten nur dazu ſein kleines Gefolge in ein þeer zu verwandeln , welches lavinenartig ſich ver größerte je mehr er ſich Paris näherte, wo er am 20. März triumphirend einzog.

Die Begeiſterung, mit welcher die Truppen

überall ihren alten Kriegsherrn empfingen , riß auch das leicht be wegliche und der Bourbonenherrſchaft müde Volt hin auf ſeine Seite zu treten. Das Andenken an die Leiden , welche feine nie endenden Kriege dem Lande verurſacht hatten , Dermochte dies nicht zu ver hindern , da jeßt fein Mund von Verſicherungen überfloß , daß er

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fortan ſeinen Ruhm in einer frieblichen und freiſinnigen Regierung ſuchen werde. Die erſte Nachricht, daß Napoleon von Elba entwichen ſei, kam am Frühmorgen des 7. März nach Wien und zwar burch zwei Briefe , deren einer vom engliſchen Geſandten in Florenz Lord Burgerſh an Wellington gerichtet war, während der andere, welchen Metternich empfing, vom Generalconſul in Genua herrührte. Man wußte jedoch noch nicht, ob er ſich nach Frankreich oder nach Italien gewendet habe , wo Murat, bereit auf ſeine Seite zu treten, an der

Spiße von 80000 Mann ſtand , während das öſterreichiſche Heer nur halb ſo ſtark war. Als man ſich vom erſten Schreden , den die Nachricht verbreitete, erholt hatte, ſtritt man ſich darüber, wo das Auf treten Napoleon's am meiſten zu fürchten ſein werde. Metternich äußerte gegen Wrede und Gagern : „ Wäre er zu Neapel gelandet , ſo wäre dies das geringſte Uebel, ſchlimmer würde ſeine Landung im Königreiche Italien , am ſchlimmſten die Ankunft in Frankreich ſein.“ Die Fran zoſen , welche größere Sachkenntniß hätten beſißen ſollen , ſagten da gegen : „ Wir fürchten ihn , am wenigſten jedoch in Frankreich. Im Süden iſt er gehaßt , und unſere beſten Generale hegen feindliche Geſinnungen gegen ihn. Ihr Ehrgeiz läßt ſie nur für fich ſelbſt ſorgen . Aber Italien iſt der gefährliche Bunkt. Dort ſtrebt man nach Einheit , verabſcheut die fremde Herrſchaft und vor allen die jenige der Deutſchen. Den Warnungen vor Verſchwörungen zu jenem Hätte man Murat, Zwede habe man keinen Glauben geſchenkt. einen der größten Böſewichter, fortgejagt , jo ſtünde es beſſer. Der Congreß müſſe erklären : jeder , welcher ohne hinreichende Mittel den Krieg entzünde, ſei als ein Räuber der geſeßlichen Strafe verfallen. Brächte Napoleon wirklich ein Heer zuſammen , ſo müſſe man nicht zaudern, ſondern ſofort mit 300000 Mann ihm auf den Leib rüđen, auch nicht etwa franzöſiſche Truppen hierzu verwenden ; Frankreich und England ſollten bloß Geld liefern . " Die in dieſem Gutachten herrſchenden Widerſprüche bekundeten zur Genüge deſſen Werthloſigkeit, und die Ereigniſſe zeigten bald, wie unrichtig Taleyrand und die übrigen Royaliſten geurtheilt hatten. Nad Berlauf von vierzehn Tagen herrſchte Napoleon wieder in Paris , und Ludwig weilte als Flüchtling in Gent , wo er Muße hatte über ſeine Theorie von der Unzerſtörbarkeit des franzöſiſchen Königthums nachzudenken. Die Engländer , denen man vorwarf nicht ſtrengere Wachſamkeit geübt zu haben , lehnten jede Verantwortlichkeit ab. Auf Gagern's

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Leußerung zu Six Sidney Smith: ,, Sie ſelbſt würden Napoleon nicht haben entwiſchen laſſen ", antwortete derſelbe : ,, Entſchuldigen Sie , wir hatten keinen Befehl ihn feſtzuhalten .“ 1) Die damals

weit verbreitete Meinung :

die Engländer

hätten

Napoleon abſichtlich nicht überwacht, um durch ſein Wiedererſcheinen auf der politiſchen Bühne den unter den Verbindeten herrſchenden Zwieſpalt zu beenden , bedarf für den mit den Verhältniffen Bers trauten keiner Widerlegung. Fede Gefahr eines unter den Berbün deten ſelbſt ausbrechenden blutigen Zerwürfniffes war fdow längſt auch in den Augen der Hengſtlichen verſchwunden ; tiefer blidende Staatsmänner hatten: vom Anfang an in den kriegeriſchen Rüftungen der Großmächte nur diplomatiſche Schadhzüge, keine Anzeidsen für eine friegeriſche Entſcheidung der fächfiſchen Frage erblickt, und um leştere, wie gezeigt worden , handelte es ſich nur. Der. Congreß war darüber einig , daß man fich mit Napoleon in keine Unterhandlung einzulaffen , ſondern ihm durch gemeinſame Anſtrengungen ſo ſchnell, als möglich für immer unſdjäblich zu maden habe. Die acht Mächte, welche ſich auch bei dieſer Gelegen heit als Organ des Congreſſes betrachteten , behielten dieſe Form um ſo mehr: bei , als ſie entſchloſſen waren den König von Neapel weder einzuladen ihrem Bunbe gegen Napoleon beizutreten, noch ihn von demſelben ausbrüdlid auszuſchließen. Sie erließen am 13. März 1815 gegen denſelben folgende Erklärung:

11 Buonaparte hat durch den Vruch des Vertrage, welcher ihn nach Elba verſejte, den einzigen Rechtstitel zerflört, worauf ſein Daſein ſich noch ſtüßt. 3nbein er in Frantreich mit Planen der Friedensftörung und des Umſturzes wieder erſcheint, hat er ſich ſelbſt des Schußes der Gefeße beraubt, und vor dem Angeſichte der Welt es offenbar gemacht, daß es mit ihm keinen Fries den , keinen Waffenſtilſtand gebe. Obgleich innig überzeugt, daß ganz Frankreich , indem es ſich um ſeinen rechtmäßigen Souverän ſchaart, dieſen leßten Verſuch eines verbrecheriſchen und ohnmächtigen Wahnſinnes jofort in ſein Nichts zurückſchleudern werde, ſo erklären doch alle Souveräne Europas, daß wenn gegen alle Berechnung irgendeine wirkliche Gefahr aus dieſem Ereigniſſe entſpringen könnte, fie be reit ſeien dem Könige von Frankreich und dem franzöſiſchen Volke , oder jeder angegriffenen Regierung auf diesfalftges Berlangen den nöthigen Bei ftanb zu leiſten , um die öffentliche Ruhe wiederherzuſtellen und gemeinſchafts liche Sache gegen alle diejenigen zu machen , welche es unternehmen wür: den ſie zu ſtören .“ Dezufmolge, erklärten die verbündeten Mächte Buonaparte in die Xct , wenn ſie auch dieſes Uusdrucs ſich nicht geradezu bedienten:

") 8. Gagern , II, 140,

287

Da ihm , das Recht auf ſein Daſein abgeſprodjen wurde, ſo konnte ihn jeder ungeſtraft tödten . So verwerflich aber auch Napoleon's Unternehmen vom Fittlichen Standpunkte erſchien , bpm völferrecht lidhen war ſeine Rechtung nicht gerechtfertigt, denn er war ja ein von den Mächten Europas , mit alleiniger Aufnahme Enge lande , anerkannter Souverän , und ale foldem ſtand ihm das Redt zu aud ungerechte , hoffnungsloſe Kriege zu beginnen . Als der erſte gerechte Zorn ruhiger Ueberlegung Plaß gemacht, fühlte man dies , auch, und nur einige franzöſiſche Royaliſten , ſowie der alte. Blücher ſprachen noch davon , daß Napoleon, wenn man ſichy ſeiner bemächtige, kriegsrechtlich erſchoſſen werden müſſe. Wäre die gegen ihn gerichtete. Achtserklärung, wie Stein dringend empfahl. ( dhon am 8. März veröffentlicht worden , ſtatt daß dies erſt am 14, geſchah , ſo hätte ſie vielleicht Napoleon's Unternehmen bedeutend erſchwert. Da ſie jedoch erſt nach deſſen, Ankunft in Paris tort eintraf, ſo wurde ihre Veröffentlichung verhindert, und als ſie dena noch bekannt wurde, erklärte ſie Napoleon für untergeſchoben , indem er bie Meinung zu verbreiten ſuchte; der Kaiſer von Deſterreich ſei mit ihm , ſeinem Schwiegerſohne, einverſtanden. Freilich ſtellte ſich dies bald als eine Erfindung heraus, allein inzwiſchen hatte ſich Napoleon der Herrſchaft bemächtigt. Am 25. März ſchloſſen. Deſterreidh, Breußen, Rußland und Eng= Land zu Wien einen Vertrag. ab , in welchem ſie das Bündniß von Chaumont abermals erneuerten und ſich einander verſprachen nicht eher die Waffen niederzulegen, als bis die Aufrechthaltung des zu Paris am 30. Mai 1814 abgeſchloſſenen Friedeng im Sinne ihrer Erklä rung vom 30. März vollkommen geſichert ſei. Alle Mädyte Europas, beſondere aber der König von Frankreich fouten aufgefordert werden zur Erreichung des Swedes mitzuwirken , nämlidy Frankreich oder jeder andere Land gegen die Unterneömungen Buonaparte's ſeiner Anhänger zu , vertheidigen . 1) Troß der inzwiſden feiner Anhänger kehrten das Sachverhältniß um , Rönig noch immer als

und

ſtattgefundenen Flucht Ludwig's XVIII. und die vier Großmächte wider befferes Wiſſen betradyteten dieſen aus Frankreich verjagten deſſen Beherrſcher , und luden ihn ein im

Bunde mit ihnen und ganz Europa Napoleon und feine Anhänger zu bekämpfen. Mit ſeinem bürgerlichen Familiennamen Buonaparte nannte man ihn, um ſchon hierdurch anzubeuten , daß man aufgehört 1) Klüber , I , 51–53 , 57–61.

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habe ihn als Souverän zu betrachten. Wie im vorigen Jahre Ludwig bei ſeiner Rückehr nad Frankreid ſidy ſtellte , als ob das ſeit 1792 daſelbſt abgeſchaffte Königthum unverändert fortbeſtanden , und weder die franzöſiſche Republik, nod das franzöſiſche Naiſerthum inzwiſchen dem Welttheile Geſetze vorgeſchrieben habe , ſo wollten auch die Verbündeten die unbezweifelte Thatſache nicht anerkennen, daß die Herrſchergewalt über Frankreich von Ludwig wieder auf Na poleon übergegangen ſei, und daß die Anhänger des legteren in dem ganzen franzöſiſchen Volfe beſtanden , das ſich ihm freiwillig unterworfen hatte . Es geſchah dies zu Wahrung des Legitimitätsprincips. Frei lid hatte man daſſelbe während des Congreſſes weit häufiger ver legt , als geachtet, und bald follte es fich zeigen , in welche falſche Lage man ſich durch Aufſtellung eines Grundſaßes gebracht habe, der beſtehende Verhältniſſe als nicht beſtehend, nicht beſtehende aber als Allein die vorgeſpiegelte Achtung vor dem beſtehend barſtellte. nicht mehr beſtehenden franzöſiſchen Königthume ſollte ja denjenigen Mächten , welche im erſten pariſer Frieden Deutſchlands Recht nicht anerkannt hatten , als Vorwand dienen daſſelbe auch beim nächſten Friedensſchluſſe nicht zu berückſichtigen . Napoleon ließ ſich durch die gegen ihn erlaſſene Achtserklärung nicht abhalten den Verſuch zu machen, ob er den aus den aufſteigen : den furchtbaren Wetterwolfen ihn bedrohenden Bliß durch heuchleriſche Verſicherungen ſeiner Friedensliebe ableiten könne. Fiel es ihm auch dywer ſeinen Zorn zu unterdrücken , und Feinden , welche eine ſo ftolze Sprache führten, die Hand zum Frieden zu bieten , Feinden , an denen er wegen erlittener Niederlagen und ſeiner Entthronung fich zu rächen brannte , fo konnte er doch nur dann hoffen den wieder eingenommenen Thron zu behaupten , wenn ihm Zeit blieb hinrei dhende Streitkräfte zu deſſen Bertheidigung zu ſammeln. Hatte er aud) früher wiederholt erklärt : ,, ſeine Ehre erlaube ihm nicht ben ihm gebotenen Frieden durch Aufopferung der natürlichen Grenzen " , welche die Republik dem Kaiſerthum überliefert habe , zu erkaufen, ſo war er doch nun bemüht die Welt glauben zu machen : er ſei aus Elba mit ganz verſchiedenen Anſichten zurückgekehrt, er begnüge fich mit den durch den Frieden von Paris geſchmälerten Grenzen Frank reiche, und der unerſättliche Eroberer habe ſich in einen tugendhaften Fürſten verwandelt , welcher nichts Süßeres kenne, als den Frieden Europas aufrecht zu erhalten. Er richtete daher von Paris aus unter dem 4. April an jeden einzelnen der verbündeten Monarchen folgen= den Brief :

289 Mein Herr Bruder ! Sie haben im Laufe des legten Monats meine Rückkehr an die Küften Frankreichs , meinen Einzug in Paris und die Ab reiſe der Bourbonenfamilie vernommen. Die wahre Natur dieſer Ereigniſſe muß jett Ew . Maj. bekannt ſein. Sie ſind das Werk einer unwiderſteh lichen Gewalt, das Werk des einſtimmigen Willens eines großen Volks, welches ſeine Pflichten und Rechte kennt. Die Dynaſtie , welche die Gewalt dem franzöſiſchen Volke wiederaufgedrängt hat, war nicht für daſſelbe gemacht. Die Bourbonen haben weder ſeiner Geſinnung, noch ſeinen Sitten ſich an bequemen wollen. Frankreich hat ſich von ihnen trennen müſſen . Seine Stimme rief einen Befreier. Die Erwartungen , welche mich zu dem größten der Opfer beſtimmt hatten , waren getäuſcht worden. Ich kam , und von der Stelle an , wo ich das Ufer berührte , hat die Liebe meiner Völker mich bis in den Schooß meiner Hauptſtadt getragen. Die erſte Sorge meines Herzens iſt ſo viel Zuneigung durch Aufrechthaltung einer ehrenvollen Ruhe zu vergelten . Die Wiederherſtellung des kaiſerlichen Thrones war nothwendig für das Glück der Franzoſen. Mein ſüßeſter Ges danke iſt es ihn zugleich nütlich für die Befeſtigung der Ruhe Europas zu machen . Hinreichender Ruhm hat abwechſelnd die Fahnen der verſchiedenen Völker verherrlicht. Das Schickſal hat hinlänglich große. Unglüdsfälle mit großen Erfolgen wechſeln laſſen. Ein ſchönerer Kampfplat fteht heute den Souveränen offen , und ich will ihn zuerſt betreten. Nachdem man der Welt das Schauſpiel großer Kämpfe geboten hat, wird es ſüßer ſein fortan keine andere Nebenbuhlerſchaft, als diejenige der Vor theile des Friedens, keinen andern Kampf , als den heiligen Wettkampf für das Glück der Völker zu kennen . Frankreich verkündet mit aufrichtiger Freude das edle Ziel ſeiner Wünſche. Eiferſüchtig auf ſeine Unabhängigkeit, wird der unveränderliche Grundjat ſeiner Politiť aud die unbedingte Ach tung der Unabhängigkeit anderer Völker" ſein. Wenn die perſönlichen Wünſche Ew . Maj., wie ich das beglüdende Vertrauen hege, von derſelben Art ſind , ſo iſt die allgemeine Ruhe auf lange Zeit geſichert, und die Ge rechtigkeit, auf der Grenzſcheide der verſchiedenen Staaten ihren Sit auf ſchlagend, wird allein hinreichen die Grenzen zu wahren .“ An demſelben Tage , wo Napoleon dieſen beredten Verſuch machte die Verbündeten von ſeiner plötzlichen Liebe zum Frieden und zur Gerechtigkeit zu überzeugen , ließ er im „Moniteur“ und im „ Journal des Debats “ Betracytungen über die Erklärung des wiener Congreſſes anſtellen , welche nach und nady, der Anſtrengungen es zu verhindern Die fremden ungeachtet, in Frankreich bekannt geworden war. Mächte - wurde in jenen Blättern behauptet hätten , als fie dieſe Erklärung erließen , vorausgeſeßt , daß der König von Frank reich noch auf dem Throne fei, und noch nicht darauf verzichtet habe feine Krone und ſein Land zu vertheidigen ; daß das franzöſiſche Volk gegen einen bewaffneten Einfall die Hülfe der Verbündeten anflehe; daß andere Regierungen infolge des Sturzes der in Frankreich re Alle dieſe gierenden Familie mit einem Angriffe bedroht ſeien. Vorausſetzungen ſeien aber , wie ſehr ausführlich nachgewieſen wurde, durchaus ungegründet . Hieran wurde die Verſicherung geknüpft, der Kaiſer der Franzoſen kehre aus ſeiner Zurüdgezogenheit mit geän II. 19

290 derten Anſichten zurüd.

In Bezug auf das Ausland habe er auf

den Gedanken ein großes Reid zu beherrſchen verzichtet ; ſeine innere Politik ſei eine freie Verfaſſung. Wenn demungeachtet die Mächte ihn angriffen , ſo wäre ihre Lage nicht dieſelbe wie in den Jahren 1813 und 1814 , wo es ihrer Völker Vortheil war Frankreiche Anſprüche zu bekämpfen. Ihre Waffen würden brechen oder fich gegen fie felbft kehren. Ein großes , tapferes Volk habe ſich ein anderes Oberhaupt gegeben , das Ausland habe kein Recht dem ſich zu widerſeßen , ja es fehle ihm die nöthige Kraft, wenn Frankreich, wie jeßt, einig ſei. Da alle dieſe Maßregeln den gewünſchten Zweck nicht erreichten , ia Napoleon nicht einmal einer Antwort auf ſeine eigenhändigen Briefe gewürdigt wurbe , fo wollte er ſich wenigſtens die Genug thuung verſdaffen die Erklärung des Congreſſes öffentlich herabzus Er ließ würdigen, indem er ihre Uedytheit zu bezweifeln vorgab.

daher

nachſtehenden Auszug aus einem Protokolle über die am 29. März ſtattgefundene Sißung des Staatsrathes durch den Mo niteur “ veröffentlichen , welcher ihn am 13. April in ſeine Spalten aufnahm .

Der Herzog von Otranto, Miniſter der allgemeinen Bolizei, erklärt, daß er dem Staatsrathe eine zu Wien ausgeſtellte Grklärung, die angeb lich vom Congreffe ausgegangen ſei, vorleſen werde. Dieſe Erklärung, welche zur Ermordung des Kaiſers auffordere , ſcheine ihm untergeſchoben zu ſein . Wäre fie ächt, ſo wäre ſie ohne Beiſpiel in der Weltgeſchichte. Der Stil, in dem die Schmähſchrift geſchrieben ſei, berechtige zu dem Gedanken, daß man ſie unter jene Schriftſtüde zählen müffe , welche durch Parteigeiſt und jene Zeitungsſchmierer fabricirt ſeien , die in lektvergangener Zeit ohne Beruf ſich in ade Staatsangelegenheiten eingemiſcht haben. Man nahm an, fte ſei von den engliſchen Miniſtern unterzeichnet; der Gedanke ſei aber uns ſtatthaft, daß die Miniſter eines freien Bolts, und beſonders lord Wellington, einen der Gefeßgebung ihres Landes und ihrem Charakter widerſtreitenden Schritt gethan hätten. Man nehme an , fie ſei von den Miniſtern Deſters reichs unterzeichnet; es ſei aber unbegreiflich, daß ein Vater zum Morde ſeines Sohnes auffordern könne, was auch für politiſche Mißhelligkeiten zwiſchen ihnen beſtänden. Sie ſei im Widerſpruch mit jedem Grundſaze der Sittlichkeit und Religion , verleßend für den biedern Charakter erhabener Souveräne, deren Bevollmächtigte von Schmierern bloßgeſtellt würden. Dieſe Erklärung ſei ſeit mehreren Tagen bekannt, aber wegen der angeführ: ten Erwägungen habe ſie nur einer tiefen Berachtung werth geſchienen . Erſt dann habe man geglaubt ſie müffe die Aufmerkſamkeit des Miniſteriums feffeln , als amtliche, von Strasburg und Metz gekommene Berichte bekun deten, daß fie durch Eilboten des Fürften von Benevent nad Frankreich ge bracht worden ſei. Es ſei dies eine durch das Ergebniß der ſtattgefundenen Unterſuchung und angeſtellten Befragungen feſtgeſtellte Thatſache. ſei bewieſen , daß dieſes Sūriftſtück, welches von den Miniſtern Oeſterreiche, Rußlands, Englands und Preußens nicht unterzeidinet worden ſein könne, von der Geſandtſchaft des Grafen von lille zu Kien herrůhre. Dieſe Ses fandtſchaft habe dem Berbrechen einer Aufforderung zum Morbe dana

291 jenige , die Unterſchriften der Congreßmitglieder gefälſcht zu haben , hinzu . gefügt.“ 1) Bald darauf wurde jedoch die Achtserklärung auch in einer Dent drift bekämpft. Es wurden die donenden Befehle , welche Napo leon hinſichtlich der Bourbons erlaſſen hatte, mit der ihm felbft bewieſe nen Schonungsloſigkeit verglichen , die ſo weit gegangen ſei , daß man ihm durch Meuchelmörder nach dem Leben getrachtet habe. Seine Gemahlin und feinen Sohn habe man vertragswidrig von ihm gea trennt; Erfterer und dem Prinzen Engen die verheißene Ausſtattung in Italien , ihm ſelbft ſeinen bedungenen Jahrgehalt vorenthalten. 3a man ſei auf Antrieb der Bourbons damit umgegangen ihm nidt nur die Infel Elba zu rauben , ſondern auch ihn als Gefangenen nach St. Lucia ober St.- Selena zu fchleppen . Diefen perſönlichen Beſchwerden folgte eine Schilderung der von der königlichen Regierung in Frankreich begangenen Mißgriffe. Sein Erſcheinen habe nicht den Frieden geſtört, ſondern ihn zurüdgebracht, denn vier Fünftel der franzöſiſchen Grundbeſißer und die Eigenthü mer der Nationalgüter hätten fich im Kampfe gegen ihre adlichen Interdrüder befunden , während Proteſtanten und Juden ihres Glau bensbekenntniſſes wegen verfolgt worden wären . Den Schluß machte eine Beſchreibung feiner Aufnahme in Frankreich und der Ausſprudy, daß er und das franzöſiſche Volk nichts wolle, als Frankreichs Un abhängigkeit, Frieden mit allen Völkern und die Vollziehung des Vertrags von Paris, jedoch unter der Achtung des einer großen Nation zuſtehenden Rechts die Art feiner Regierung felbft zu beſtimmten , Da es aber Napoleon nicht gelang feine Feinde durch Betheue rung ſeiner friedlichen Geſinnungen zu täuſchen , und ſie zu beftim men ihn unangefochten auf dem Throne Frankreichs zu laffen , bis er fich ſtark genug fühle ſelbſt wieder mit der Kriegsfadel Europa in Brand zu ſteden , ſo fuchte er nun durch Erregung gegenſeitigen Mißtrauens den Bund ſeiner Gegner zu trennen . Der Zufall hatte ihm hierzu ein treffliches Mittel in die Hände gegeben. Ludwig's Miniſter des deußern von Saucourt hatte nämlich in der Eile, mit welder er ſeinem flüchtenden Rönige folgte, die demſelben zugefendete Urkunde über den zwiſchen Deſterreich , England und Frankreich ab geſchloſſenen Bundesvertrag vom 3. Fan. in ſeiner Kanzlei zurückge laſſen. Napoleon beeilte fid nun dem ruffiſchen Geſandten zu Baris von Bubjakin , welcher erft einige Zeit nach Wiederherſtellung der 1) Alüber, VI , 233.

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292 kaiſerlichen Herrſchaft Frankreich verließ , eine beglaubigte Abſchrift jenes Vertrag zuzuſtellen , damit Kaiſer Alerander hieraus erſehe, wie wenig er auf Verbündete, welche heimlich ſeine Befriegung mit einander verabredet hatten , ſich verlaſſen könne . Alexander's Klugheit ſiegte jedoch über ſeine Empfindlichkeit. Er verſagte ſich zwar nicht den Genuß dem Fürſten Metternich das Schrifts ſtück in Stein's Gegenwart mit den Worten vorzuhalten : ,, Rennen Sie das ? " Als jener aber ohne eine Miene zu verziehen ſich zu einer Entgegnung anſchidte, unterbrad ihn der Kaiſer mit den Worten : ,, Metternich, ſo lange wir leben , ſoll über dieſen Gegen Wir haben ſtand nie mehr zwiſchen und die Rede ſein. Napoleon iſt zurüdgekehrt , ießt andere Dinge zu thun . es muß daher unſer Bündniß feſter ſein , als je. “ Hierauf warf er die Vertragsurkunde in das Kaminfeuer und beſprad fidh dann mit dem öſterreichiſchen Miniſter über die zunächſt zu ergrei fenden Maßregeln. Das engliſche Cabinet genehmigte unter dem 23. April ben von Wellington unterzeichneten Bundesvertrag vom 25. März, welcher Napoleon's Entthronung bezwedte, jedoch unter der Bemerkung, daß , ſo ſehr es auch die Wiederherſtellung des Königs von Frankreich wünſche, es dennoch dagegen ſich verwahre , als ob es Frankreich bekriege , um demſelben irgendeine beſondere Regierung aufzudrängen. Deſterreich, Preußen und Rußland erklärten ſich in übereinſtimmenden Antworten mit dieſer Auffaſſung vollkommen einverſtanden , und beurkundeten hier. durch, daß nicht die Wiederherſtellung Ludwig's XVIII., fondern die Beſeitigung des von ihnen gefürdyteten Na poleon der Zwed des bevorſtehenden Krieges ſei. 1) Indeſſen bekundete der Umſtand , daß der am 20. Mai 1815 von den Großmächten mit Sardinien abgeſchloſſene Vertrag über deſſen fünftige ſtaatliche Verhältniſſe auch von Seiten Frankreichs im Namen Ludwig's XVIII. ausgeſtellt wurde , daß die Verbündeten denfelben zur Zeit noch als König von Frankreid betrachteten , dabei aber kein Bedenken trugen Landſtriche, welche mit deſſen Königreiche vereint waren , ſchon vor Beginn des Kriegs als eine zu machende Eroberung zu bezeichnen. Stellte ſich nun auch die Erklärung der Großmächte gegen Napoleon vom 13. März, inſofern ſie Frankreich auf Ludwig's Seite wähnten , als unter faljden Vorausſegungen er

1) Klüber, II, 290 ; VIII , 210.

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lafſen dar , und erwies fich auch der Bundesvertrag vom 25. März, welchem Ludwig XVIII. beigetreten war , theils deshalb , theils we gen der auf Englands Veranlaſſung erfolgten authentiſchen Aus legung als eines erläuternden Zuſages bedürftig , da ein verjagter König doch nicht als verbündete , am Striege theilnehmende Macht betrachtet werden konnte : fo genehmigte man dennoch in der am 12. Mai ſtattfindenden Sigung der acht Mädyte das verneinende Gutachten des Ausſchuſſes, den man zur Erörterung der Frage er nannt hatte , ob aus dieſen Gründen eine anderweite Erklärung, welche zugleich als Antwort auf das diene , was ſeitdem zu Paris veröffentlicht worden ſei , nothwendig erſcheine. Die perſönlichen Be= ſchwerden Napoleon's , von denen manche, namentlich die Vorenthal tung ſeines Jahrgehalts gegründet waren , wurden nicht erörtert, man prüfte nur feine angebliche Berechtigung auf den franzöſiſchen Thron . Seine Behauptung, der Wunſch des franzöſiſchen Volks, welches ihn wieder auf den Thron gefeßt habe , genüge für Begrün dung ſeines Redits auf denſelben , wurde von den Verbündeten nicht anerkannt. Die Mächte wären zwar weit entfernt einem unabhängi gen lande , wie man ihnen Schuld gebe , Gefeße vorzuſchreiben oder eine Regierungsform wiltürlich aufzulegen ; aber das Recht eines Volks ſeine Regierung zu ändern dürfe nicht dazu mißbraucht wer den , daß es ſeine Nachbarn gefährde. Im vorliegenden Falle fei das Recht der verbündeten Souveräne ſich in die innere Regierung Frankreichs zu miſchen um ſo weniger zu beſtreiten, als die Abſchaf fung der Regierungsgewalt, welche man jeßt wiederhergeſtellt habe, die Grundbedingung eines Friedensvertrags bilde, auf den bis zu Buonaparte's Rückehr nach Paris alle gegenſeitigen Beziehungen Frankreichs- und Europas fich ſtüßten. Am Tage ihres Einzugs in Paris hätten die Souveräne erklärt, daß ſie mit Napoleon nie Friede ſchließen würden . Dieſe von Frankreich und Europa höchlich ge billigte Erklärung habe Napoleon's Abbankung herbeigeführt, welche dem Friedensvertrage von Paris zu Grunde liege. Das franzöſiſche Volk ſei verpflichtet den Vertrag zu achten, und dürfe nicht einſeitig von ihm abgehen. Hätten die Mächte ſich herbeigelaſſen mit Napoleon ſelbſt Frieden zu ſchließen , fo würden ſie nicht die Bedingungen zugeſtanden haben , welche der Friede von Paris enthält. Wenn das franzöſiſche Volt barein willige, daß Napoleon den Thron wieder beſteige, ſo ſei dies ſoviel ale eine Kriegserklärung gegen Europa , denn der Krieg zwiſchen Europa und Frankreich ſei eben durch den Frie densvertrag von Bari& beendet worden , welcher mit Buonaparte's

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Herrſchergewalt unvereinbar ſei. Das Anerbieten des leßtern den pari fer Frieden zu genehmigen beſtätige nur dieſe Ausführung. Wie tönne man übrigens auf deſſen Anerbieten eingehen , da derſelbe fünf zehn Jahre hindurch Millionen von Menſchen und das Glüd einer ganzen Geſchlechtsfolge einem Eroberungsſyſteme geopfert habe! Uus dieſen Gründen würde es nußlos ſein eine neue Erklärung zu er laffen. :) So unbeſtreitbar die Gründe find, aus welchen die Berechtigung Frankreich deshalb zu bekriegen , weil es Napoleon fich wieder unter worfen habe, dargethan wird , fo fonderbar iſt die Folgerung, daß eben dieſer Umſtand eine neue Erklärung nußlos mache. Denn bisher hatten die Verbündeten doch mehrfach das Beſtreben gezeigt die Fran zofen von der Gerechtigkeit ihrer Sache zu überzeugen , während von dem jeßt durch ſie eingenommenen Standpunkte aus jede Rechtferti= gung einer Kriegserklärung überflüffig ſein ſollte. Hier fam noch der Umſtand hinzu , daß ihre Erklärung vom 13. März wirklich von falſchen thatſächlichen Vorausſeßungen ausging, und hierin ſchon eine Veranlaſſung lag darzuthun, weshalb man dennod wieder zu den Waffen greife. Der eigentliche Grund des beobachteten Stillfdwei gens lag wol darin , daß man fühlte , die gegen einen Souverän er laſſene Acytserklärung könne ſtaatsrechtlich nicht gerechtfertigt werden . Napoleon war aber von den Mächten Europas alo fouderäner Be herrſcher der Inſel Elba anerkannt worden , und man hatte ihm die Unterhaltung einer Kriegsmacht, war ſie auch noch fo gering, ge Al Er hatte mithin das formelle Recht Krieg zu führen. ſtattet. lein es zeigte ſich auch bald, daß er fich furchtbare Mittel hierzu verſchafft habe, und der Antrag Talleyrand's jeden als einen Räuber zu behandeln , welcher ohne hinreichende Mittel Krieg entzünde, konnte ebendeshalb auf Napoleon keine Anwendung finden . Es war dieſer Antrag eigentlich ſehr unflug, weil er einerſeits die Befugniß Arieg zu führen thatſächlidy, nicht ſtaatsrechtlich begründete, anderer ſeits Spötter darauf hinweiſen konnten , daß er nicht Napoleon, fon dern Ludwig XVIII. bedrohe, welcher als kriegführender Bundesge noffe der Verbündeten galt und doch kein þeer befaß . Da man in einer anderweiten Erklärung weder auf die ausge ſprochene Acht zurückommen , noch durch Stillſchweigen hierüber den begangenen Irrthum eingeſtehen wollte, ſo enthielt man ſich jeder weitern Bekanntmachung, und konnte dieß um ſo eher, da man überzeugt ) Klüber , VI , 290—300 .

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war bei der gewaltigen Uebermacht der Streitkräfte , über welche man gebot, einer moraliſchen Einwirkung auf die Franzoſen zur Er reichung des Kriegszwede nicht zu bedürfen . wäre es allerdings wünſchenswerth geweſen ,

In einer Beziehung daß die im Namen

Europas in beſagtem Gutachten ausgeſprochenen Gründfäße auch öf fentlich verkündet worden wären , denn alle geſitteten Völker hätten mit großer Befriedigung vernommen , wie ángelegentlich von den Ver bündeten die Beſchuldigung als ungerecht zurüdgewieſen wurde, als wollten ſie einem unabhängigen lande eine Regierungsform auf drängen , und als erfännten ſie das Recht eines Volke die Form ſeiner Regierung zu ändern nicht an. Nur einen, die Nachbarn gefährdenden Mißbrauch dieſes Rechts, ſagten fie, könne man nicht bulben . Ein fol ches politiſches Glaubensbekenntniß fekte an die Stelle des hiſtoriſchen das Vernunftrecht, welches den Bölfern die Befugniß zuerkennt ihre ſtaatlichen Verhältniſſe ſelbſt zu ordnen , und nicht, wie von den Ver ehrern der Erbweisheit behauptet wird , fie an das gebunden erklärt, was zu anderer Zeit von andern als Staatsgrundgeſetz aufgerichtet wurde. Leider rechtfertigten die betreffenden Höfe ihren in dieſer Beziehung gethanen Ausſprudy weder damals gegen Frankreich noch ſpäter bei andern Gelegenheiten , ſondern handelten im entgegenges fepten Sinne. Der unterlaſſenen Bekanntmachung freuten ſich darum ficherlich diejenigen von ihnen , welche bald darauf in Paris ſtatt der bloßen Entthronung Napoleon's die Wiederherſtellung bes ihnen ver bündeten Ludwig's XVIII. als Kriegszweck angaben , und aus dieſer Bundesgenoſſenſchaft die Unmöglichkeit ableiteten ihren deutſchen Bun beggenoſſen die ihnen gebührende fichere Grenze gegen Frankreich zu gewähren . Nach Unterzeichnung der Schlußacte löſte fich der Congreß auf. Die Heere des ganzen chriftlichen Europa , welche weit über eine Million Krieger umfaßten , fdhidten fich an den in Frankreich kaum

errichteten Kaiſerthron wieder umzuſtürzen , da er mit der neuen, durdy ſo viele Opfer begründeten ſtaatlichen Ordnung Europas un verträglich erſchien . Einer ſolchen Fluth von Feinden konnte Na poleon nur dann zu widerſtehen hoffen , wenn es ihm gelang die Heere ber Berbündeten einzeln zu ſchlagen , und das Bündniß der wider ihn vereinigten Fürften zu trennen . Unzufriedene gab es al lerdings unter ihnen. Die Könige von Dänemark und Sadiſen hatten die Hälfte ihrer Staaten verloren , der König von Würtem = berg war ein heimlicher Anhänger Napoleon's, und Baben fürchtete an Baiern Abtretungen machen zu müſſen , während dieſes ſich beein

296 trächtigt glaubte, weil dieſelben noch nicht erfolgt waren .

3n Italien

gährte e8 , weil der Congreß den Wünſchen der Bevölkerung nach nationaler Vereinigung keine Rechnung hatte tragen können. Murat, der einzige Bundesgenoſſe Napoleon's, hatte ſchon am 30. März die Unabhängigkeit Italiens verkündet, und ohne Kriegserklärung die Feind ſeligkeiten gegen Oeſterreich ebenſo verrätheriſch begonnen , als bei Nach kurzem un ſeinem Abfalle von Napoleon gegen Frankreich. rühmlichen Feldzuge nöthigte ihn der Verluſt der Sdyladyt bei To lentino am 20. Mai aus ſeinem Reiche nach Frankreich zu entfliehen , wo er zu Cannes die Wiederherſtellung der Herrſchaft Ferdinand's IV . in Neapel erfuhr . Er lebte, da ſein erzürnter kaiſerlicher Schwager ihm verbot nach Paris zu kommen , in der Nähe von Toulon, bis er nach dem Mißlingen des unſinnigen Verſuche ſeine Strone wie derzuerobern am 13. Oct. 1815 unfern von dem Orte , wo er ge= landet war , als Staatsverbrecher erſdoſſen wurde. Deſterreich war darauf bedacht den Umſtand, daß ſeine Waffen Ferdinand's IV . Thron in Neapel wieder aufgerichtet hatten , zur Befeſtigung ſeines Uebergewichts in Italien zu benußen. Mit dem Könige beider Si cilien ſchloß es am 12. Juni 1815 einen Vertrag ab , worin dieſer fich verbindlich madyte, in allen Fällen , wo die Ruhe Italiens ge ſtört würde , 25000 Mann zum öſterreichiſchen þeere ſtoßen zu laſſen. Ferner ſuchte es durch einen geheimen Artikel ſeine Regierungs grundfäße auch in dem ſicilianiſchen Königreide zu dauernder Geltung zu bringen. Er lautete : „ Die Verbindlichkeiten , welche Ihre Majeſtäten durch dieſen Vertrag zur Sicherung des Friedens von Italien übernehmen , legen ihnen die Pflicht auf ihre Unterthanen und Staaten vor neuen Rückwirkungen und vor den Gefahren unkluger Neuerungen zu bewahren , die jene wieder herbeiführen würden. Die hohen vertragſchließenden Mächte ſind daher darüber einver ſtanden , daß Se. Maj. der König beider Sicilien bei Einführung der fö niglichen Regierung keine Veränderung zulaffe, welche mit den alten monarchiſchen Einrichtungen oder mit den von Sr. kaiſerf. königl. apoſtol. Maj. für die innere Verwaltung ihrer italieniſchen Provinzen angenommenen Grundſäßen ſich nicht vertrage." Da Deſterreich freiſinnige Grundfäße, welche von einem italienia fchen Fürſten etwa zur Richtſchnur ſeiner Regierung genommen wer den könnten , mit ſeinem eigenen Regierungsſyſteme in Italien für unverträglich hielt, ſo ſtrebte es ſeine Herrſchaft über daſſelbe dadurch zu ſichern, daß es alle italieniſchen Höfe durch Verträge verpflichtete teine andern als die von ihm ſelbſt beobachteten Regierungsgrund fäße zu befolgen. Bei den verwandten Söfen von Toscana und Modena gelang ihm bas aud völlig und auf die Dauer , bei Sar

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binien nur auf längere Zeit. Faſt ein halbes Jahrhundert war Deſterreich im Stande dieſe in dem Gutachten der acht Mächte, alſo auch von ihm ſelbſt als unſtatthaft bezeichnete Beeinträchtigung frem der Volksrechte mit Waffengewalt aufrecht zu erhalten , bis im Jahre 1859 eben dieſe Verträge von dem rächenden Schidſal als Werkzeug gebraucht wurden ſeine Madit in Italien bis auf wenige Ueberreſte zu vernichten. Napoleon wollte aus der Unzufriedenheit Baierns mit der vom 11

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wiener Congreſſe ihm angewieſenen neuen Grenzen Nußen ziehen, und ſendete Herrn von Staſſard nad München , um den baieriſchen Hof burdh Verheißungen für ſich zu gewinnen . Man hörte denſelben an , und ließ ihn ſodann ungehindert nad Wien ziehen , wo eine Partei den König von Rom unter der Vormundſchaft Marie Luis ſens gern auf den franzöſiſden Thron geſegt hätte. In Linz jedoch wurde der heimliche Bote verhaftet und zur Rüdkehr nadh Frankreid; genöthigt. Ein Theil der ſächſiſdien Landſtände hatte am 31. März den fruchtloſen Verſuch gemacht in einer dem Congreſſe überreichten Dentſchrift auf die Erhaltung der Einheit des Königreichs anzutra gen. Auch das ſächſiſche Heer ſuchte man für dieſen Gedanken zu be geiſtern ; als nun in Lüttichy derjenige Theil der fädyfiſchen Truppen, deren Heimath die an Preußen überwieſenen Landestheile waren, dem preußiſchen Heere einverleibt werden ſollte, brach unter ihnen eine Meuterei aus , weldie, obwol bald gedämpft, zur Folge hatte , daß die ſächſiſchen Truppen nicht an dem Feldzuge gegen Frankreich theil nehmen durften.

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Nichtsbeſtoweniger ließ Napoleon burd das Mißlingen ſeiner Be ſtrebungen fich Bundesgenoſſen zu ſchaffen , oder ſeinen Gegnern Mit ſtaunens Sdwierigkeiten zu bereiten ſich nicht entmuthigen . werther Thätigkeit war er bemüht ſeiner neu errungenen Gewalt eine dauerhafte Grundlage zu geben. Da die öffentliche Meinung gebieteriſch eine die Rechte des Volks fichernde Verfaſſung verlangte, ſo ließ er eine „ Ergänzungsacte der vierten Conſtitution " entwerfen , welche, nachdem ſie allen Gemeinden zur Annahme vor gelegt worden war , in der am 1. und 3. Juni zu Paris unter dem Namen eines Maifeldes veranſtalteten Verſammlung der Landes abgeordneten als Grundgeſetz des Reid's verkündet wurde . Adreſſen der am 7. Juni eröffneten neu gebildeten Rammern der Pairs und Abgeordneten wurde der Wille des Volts als die Quelle des durch eine Verfaſſung beſchränkten neuen Kaiſerthums genannt,

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und Prekfreiheit ſollte die Wächterin der neuen geſeblichen Ord nung fein . Das Schidſal erfparte dem conſtitutionellen Kaiſer der Franzoſen die Probe unter dieſen , ihm durch gebieterifdie Umſtände aufgenöthigten Bedingungen Frankreich zu regieren , welchem fein Wide bisher Geſet geweſen wär. nicht beſtanden haben .

Sicherlich würde er diefe Probe

Der von Napoleon gewählte Kriegsplan ſich mit allen verfüg baren Streitkräften zwiſchen das aus engliſden , beutiden und nie derländiſchen Truppen beſtehende Heer unter Wellington und das preußiſche unter Blücher zu werfen , und beide hintereinander zu ſchlagen , wäre beinahe gelungen. Die überraſdten , nicht völlig ge ſammelten Preußen zwang er am 16. Junt in der blutigen Schlacht bei ligný zum Rüđzuge. Den von Wellington zu deren Unter ftüßung beſtimmten Truppen wurde von ihm bei Quatrebras ber Beerestheil unter Ney entgegengeworfen. Nach hartem Kampfe , in welchem der Herzog von Braunſchweig fiel, mußten die Franzoſen den immer mehr fich verſtärkenden Reihen ihrer Gegner weichen . Napoleon , in dem Wahne das preußiſche Heer unſchädlich gemacht zu haben , fandte demſelben , als er am folgenden Tage beffen Abzug bemerkte, ben Marſchall Grouchy nach , welchen der Kampf mit einem Theile des preußiſchen Heeres unter General von Thielemann bei Wavre verhinderte an der am 18. Juni geſchlagenen Entſchei dungsſchlacht bei Waterloo theilzunehmen. Wellington würde den mit Uebermacht geführten Stößen Napoleon's , ebenſo wie Blücher zwei Tage früher, haben weichen müſſen , wenn Lekterer im entſchei benden Augenblicke ihm nicht zu Hülfe gekommen wäre , und den von Napoleon gehofften und faſt foon errungenen Sieg in die verberblichſte Niederlage deffelben verwandelt hätte. Das einzige Beer, mit welchem Napoleon den Marſch der Verbündeten nach Baris verhindern wollte, war nun vollſtändig aufgelöſt , und biefen ſtand der Weg zu der das Land beherrſchenden þauptſtadt offen. Napoleon überließ ſeinen Generalen die Aufgabe aus den Trüm = mern ſeines Heeres und den für daſſelbe beſtimmten Verſtärkungen ein neues Heer zu bilden ; denn , ſo wichtig dies aud war, fo dien es doch noch weit wichtiger durch ſeine Gegenwart in Paris zu ver hindern , daß die Nachricht ſeiner Niederlage feinen Gegnern die Mittel an die Hand gebe ihm die Zügel der Regierung zu entreißen . Die eigentlichen Anhänger Ludwig's XVIII. waren zwar größten theils mit demſelben entflohen , allein es gab eine große Anzahl folcher , welche der Eigennuş, die einzige Triebfeder ihrer Handlungen , vers

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anlaßte Napoleon zu ſtürzen , von dem ſie mehr zu fürchten , als zu hoffen hatten , und Ludwig wieder auf den Thron zu heben , welcher ſie dafür belohnen ſollte. Fouché, der Polizeiminiſter Napoleon's, ſtand an der Spiße dieſer Bartet, und derſelbe wußte Menſchen und Berhältniſſe mit fo großer Schlauheit und Umſicht zu benußen , daß er in unglaublich kurzer Zeit ſeinen Zwed erreichte. Eine andere, weit zahlreichere, aus Republikanern und Conſti tutionellen beſtehende Partei, ohne eigentlichen Führer , war nur in dem einen Punkte einig , daß ſie nach Napoleon's Niederlage den felben nicht länger als Kaiſer wollte. Ueber das, was an deſſen Stelle treten folle, waren ſie dagegen uneinig. Einige, namentlich Lafayette Dachten ſicherlich an die Wiederherſtellung der Republik. Andere wollten einen Königsthron wieder aufrichten , machten aber die verſchiedenartigften Vorſchläge dazu ; während die einen für den þerzog von Orleans waren , bezeichneten die andern Bernadotte , den Mönig von Sachſen , oder einen oraniſchen Prinzen als wünſchens werthen þerrfcher . Die zahlreichſte Bartei ſprach ſich allerdinge zur Zeit noch immer für die Fortbauer von Napoleon's Herrſchaft aus. Sie hatte das þeer und deſſen jüngere Führer , ſowie die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung von Baris auf ihrer Seite. Aber diejenigen , welche als Mittelsperſonen zwiſchen Napoleon und dieſen Hauptſtügen ſeiner Macht ſtanden , ſtellten ihm , ſei es nun aus Muthloſigkeit, oder Abneigung die Lage der Dinge verzweifelter dar , als ſie wirklich war, und Napoleon ſelbſt war weit davon entfernt das , was ſpäter eintrat, für möglich zu halten , nämlich daß es dem Marſchall Grouchy gelingen würde mit ſeinem Heerestheile unangefochten vor Baris zu erſcheinen . Es gingen fogar Gerüchte von ſeiner Niederlage. Na poleon an der Stelle der verbündeten Heerführer hätte ihm freilich eine ſolche bereitet. Dieſe aber in ihrem Siegesrauſche dachten haupt fächlich nur an die Verfolgung des bei Waterloo geſchlagenen Heeres. Die Erklärung der Verbündeten , daß ſie nicht Frankreich, ſon dern nur Buonaparte und feine Anhänger bekämpfen wollten , hatte zu der Zeit, wo noch alle Kräfte Frankreichs zu deſſen Verfügung ſtanden, keinen merkbaren Eindruck gemacht; allein die Nachricht von der Vernichtung feines Heeres bei Waterloo brachte einen gewaltigen Es zeigte ſich, daß der Kaiſer Umſchwung der Meinungen hervor. die größte Anzahl ſeiner Anhänger nicht ſeinen perſönlichen Eigen= ſchaften, ſondern ſeinem Glüde und ſeiner Macht verbankte. Auch in den Rammern ſprachen jeßt viele davon , daß er der Krone ents

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fagen müffe, um dem Lande , weldes unfähig ſei gegen die unge heuern Streitmaffen der Verbündeten ſich zu vertheidigen , den Frie den zu geben. Seine Ankunft in Paris dämpfte zwar die lauten dahin gehenden Aeußerungen , brachte jedoch keine weſentliche Aende rung der Stimmung hervor. Gegen Caulaincourt , welcher ſofort zu ihm eilte , um ihm ſeine Dienſte zu weihen , äußerte Napoleon : er wolle die Kammern zu einer kaiſerlichen Sißung vereinen , die Mittel zur Rettung des Vaterlandes von ihnen fordern , und nachdem ihm dieſelben bewilligt worden wären , wieder zum þeere zurüdkehren. Caulaincourt fegte ihn nun von der ungünſtigen Stimmung der Kammern in Kenntniß, und Napoleon's Brüder Joſeph und Lucian gaben , indem ſie dies beſtätigten, den Rath : er möge die Kammern auflöſen und als Dictator das Land gegen die eindringenden Feinde vertheidigen . Hätte Napoleon den Heerestheil unter Grouchy nidyt als verloren angeſehen , ſo würde er muthmaßlich dieſen Rath be folgt haben ; doch im Wahne , daß bloß noch Heerestrümmer vor banden ſeien , aus welchen er erſt ein neues Heer zu bilden habe, trug er Bedenken die Kammern aufzulöſen, weil er nur mit deren aufrichtiger Mitwirkung hinreichende Streitkräfte ſammeln zu können glaubte , um der über die Landesgrenzen hereinbrechenden Feindeg fluth einen ſtählernen Damm entgegenzulegen . Von den Fürſten Europas bereits außer dem Gefeß erklärt, ein Feldherr ohne Heer, hielt er ſeine Lage für hoffnungslos , wenn Frankreichs Vertreter die von ihm verkündete Auflöſung der Kammern mißachteten und damit jenen Ausſpruch beſtätigten. Nur der Miniſter des Innern Carnot rieth zur Wiederholung jener Maßregeln, mit welchen er vor zwanzig Jahren das franzöſiſche Volk bewaffnet und der be ſtehenden revolutionären Regierung den Sieg über innere und äußere Feinde verſchafft hätte. Der Kriegsminiſter Graf Regnault und der Miniſter der Seeweſens Herzog von Decres dagegen dilderten die Lage des Landes mit den düſterſten Farben , und die Kammern als der Fortſeßung des Krieges abgeneigt. Fouché, welcher im Gehei men alles aufbot , um die Kammern zum Widerſtande gegen Napos leon zu reizen, rieth ihm lInterhandlungen mit denſelben anzuknüpfen, indem er richtig erkannte , daß eine, auch nur kurze Lähmung der Re gierungsgewalt in dieſer gefahrvollen lage Napoleon's Sturz herbei führen müſſe. Während dieſer ſeine Miniſter zu überzeugen ſuchte, daß bei einem einigen und fräftigen Handeln fernerer Widerſtand nod, immer Ausſicht auf Erfolg biete, hielt die Kammer eine ſtür miſche Sigung ... Lafayette, das unbewußte Werkzeug Fouché's, un

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terſtügt von deſſen Anhängern und andern Gegnern der kaiſerlichen Regierung , jepte es durcy, daß ſie ihre Siķungen für dauernd, und jeden für einen Hochverräther erklärte, welcher es wagen würde ſie aufzulöſen, denn die Unabhängigkeit der Nation ſei in Gefahr. Die Kammer, welche hiermit die den Händen Napoleon's ent ſchlüpfenden Zügel der Regierung ergriff, forderte nun die Miniſter auf vor ihr zu erſcheinen und ihre Beſchlüſſe zu vernehmen . Na poleon fandte zwar ſeinen Bruder Lucian in Begleitung Caulain court's , Carnot's und Fouché's in die Rammer , um derſelben vor zuſtellen , daß ſie durch ſolche Maßregeln nur die Gefahr des Landes vermehre, weil nur er , das Staatsoberhaupt, im Stande ſei den Vertheidigungsanſtalten die zu ihrer Wirkſamkeit erforderliche Einheit zu geben ; allein ihre Bemühungen waren erfolglos. Die vom Mar ſchall Ney in der Pairskammer abgegebene Erklärung , daß bei der gänzlichen Auflöſung des Heeres alles verloren ſei , bewirkte, daß man allgemein auf ſofortigen Abſchluß des Friedens drang , als deſſen einziges Hinderniß man Napoleon bezeichnete. Auf Lafayette's Vor ſlag wurden daher einige Mitglieder an denſelben abgeordnet, um ihn zu freiwilliger Abbankung aufzufordern , welche allein das Land zu retten vermöge. Napoleon , deſſen Stolze der Gedanke un erträglich war als abgefeßter Kaiſer einen Bürgerkrieg zu beginnen, welcher ihn entweder als beſiegten Empörer brandmarkte, oder ihn ſogar als Sieger außer Stand feßte ſeinen äußern Feinden erfolg = reich zu widerſtehen , entſagte nun am 22. Juni zu Gunſten ſeines Sohnes der Krone. Eine einſtweilige Regierung trat an ſeine Stelle, beſtehend aus Fouché, als Vorſißendem , und Carnot , Caulaincourt, Grenier und Quinette , als Beiſigern . Den ſchwierigſten Theil ſeiner Aufgabe hatte Fouché hiermit ge löft, es blieb ihm jeßt nur noch übrig unter Beſeitigung Napo leon's II. Ludwig XVIII, wieder auf den Thron zu jeßen. Da er es liebte aus dem Hintergrunde, wo er ſich der Beobachtung entzog, feine Werfzeuge in Thätigkeit zu ſeßen , ſo wirkte er burd Manuel zu dieſem Zwecke auf die Kammer. Dieſer ſetzte derſelben in einer Rede auseinander , Napoleon II. bedürfe keiner beſondern Anerken= nung , da er ſchon durch die zu ſeinen Gunſten geſchehene Entſagung ſeines kaiſerlichen Vaters an deſſen Stelle getreten ſei. Daß der unmündige Thronfolger zur Zeit im Auslande verweilte , kam ihm dabei zu Statten ; indeſſen wäre die Vernachläſſigung aller Förmlich keiten , welche man bei ſolchen Gelegenheiten bisher als unerläßlich betrachtet hatte , eifrigeren und umfichtigeren Anhängern

bedenklich

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genug, erſchienen .

Man intereſſirte fich jedoch für Napoleon II, nur

beshalb, weil er die Wiederkehr des bourboniſden Königthums ver hindern ſollte. Napoleon , von wenigen Getreuen umgeben , hatte fich nady Malmaiſon zurückgezogen , wo Fouché ihn durch den Ges neral Beder beobachten ließ und jeden Verkehr mit ihm hinberte, denn er war eifrig bemüht die Unentſchiedenheit der Zuſtände bis zur Ans kunft der verbündeten Heere zu verlängern , in welchem Falle er des Gelingens feiner Pläne gewiß war.. Während auf dieſe Weiſe das engliſche und preußiſche Heer das Schidfal Frankreich bereits entſchieben hatten , näherten ſich die Heere der übrigen Berbündeten erſt beffen Grenzen. Am 23. Juni erlieſ Fürſt Schwarzenberg von Heidelberg aus einen Aufruf an die Fran = zoſen , in welchem er ſagte : „ Napoleon Buonaparte hat den Boden von Frankreid wieder betreten, und ſo findet er Europa auch wieder ſich gegenüber in Waffen. Franzoſen ! In euren Händen liegt die Entſcheidung zwiſchen Krieg und Frieden . Er kennt Frankreich Buonaparten an, ſo zerſtört es die Grundlage alfer feiner Berhältniffe mit den übrigen Staaten. Europa wilt Frieden mit Frant: reidh, aber es führt Arieg mit dem Uſurpator des franzöſiſchen Throns. Europa ehrt die Rechte eines großen Volka , aber es duldet nicht, daß die Franzoſen unter einem Anführer , den ſie ſelbſt ausgeſtoßen haben , von Neuem die Ruhe der Nachbarn bedrohen. Kurz, Suropa wil den Frieden, und weil es ihn will, wirb es niemals mit dem unterhandeln, der des Frie dens einziges Hinderniß iſt. Die verbündeten Heere ſind im Begriff die Grenzen Frankreichs zu überſchreiten . Sie werden die ruhigen Bürger bes chüßen und die Soldaten Buonaparte's betämpfen . Als Freunde werden ſie diejenigen Provinzen behandeln , die gegen ihn aufſtehen, und nur die für ihre Feinde erkennen , die ſich ſeiner Sache hingeben ." Wellington hatte in Malplaquet unter dem 20. Juni eine ähn liche Bekanntmachung erlaſſen. Er verwies in derſelben auf einen Tagesbefehl an die unter ſeinen Befehlen ſtehenden Truppen , durch welchen dieſelben daran erinnert werden , daß ihre betreffenden Sou veräne die Verbündeten des Königs von Frankreich feien und Frant reich folglich als verbündetes land betrachtet werden müſſe. Es iſt dieſe Bekanntmachung deshalb beachtenswerth , weil das in ihr ausgeſprochene Verhältniß der Verbündeten zu ludwig XVIII, den ſpäteren Friedensunterhandlungen ben ihnen eigenthümlichen , für Deutſchland ſo, nachtheiligen Charakter verlieh. Die mindere Ent= ſchiedenheit der öſterreichiſchen Bekanntmachung, welche nur unvoll kommen ben Inhalt des wiener Gutachtens über das Verhältniß der Verbündeten zu Frankreich wiedergiebt, hatte nur darin ihren Grund, daß ihr Verfaffer damals noch keine Kenntniß von der entſcheidenden Nie derlage Napoleon's und von ſeiner bereits erfolgten Abdankung hatte.

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Am 25. Jyni ging eine franzöſiſche Geſandtſdraft in das Haupt quartier der verbündeten Monarchen ab , um über die Bedingungen des Friedens zu unterhandeln. Bignon , der Miniſter der deußern, hatte ihr die Weiſung ertheilt ſich auf die Erklärung der Verbün = deten zu beziehen , nach welcher dieſe die Waffien ergriffen hätten, um Napoleon zur Niederlegung der Krone zu zwingen , nicht aber um Eroberungen zu machen und den Franzoſen eine beſtimmte Regie rungsform aufzubringen. Infolge von Napoleon's Entſagung fei beſſen Sohn ber rechtmäßige Berrſcher. Die Wiederkehr der Bours bonen auf den franzöſiſchen Thron werbe weder von den Franzoſen gewünſcht, noch lei fie vortheilhaft für das europäiſche Gleichgewicht, da dieſe Familie auch in Spanien und Reapel herrſche. Der Kaiſer von Deſterreich als Großvater des jebigen Beherrfders von Frant ich würde vor allen geneigt ſein ihn als folchen anzuerkennen , an ihn habe man ſich zuvörderſt zu wenden , um die übrigen Mächte zu gewinnen . Sei dies geſchehen , ſo müſſe auch Preußen Derein willigen ; der Hof von Berlin ſei zwar berjenige, von weldiem man die wenigſte Schonung zu erwarten habe, doch ſei Preußen durch außere ordentliche Anſtrengungen erſchöpft. Da dieſe Berhaltungsbefehle den beſtehenden ſtaatlichen Ber: hältniffen entſprachen , ſo war Fouche nicht im Stande dieſelben abzuändern. Allein er wußte ſich durch die Perſönlichkeit der Ge fandten zu helfen , deren Ernennung er durchſeşte; es waren dies die Grafen de la Foreſt und Pontecoulant, Sebaſtiani, Lafayette, Argenſon und der die Stelle eines Secretärs verſehende Benjamin Conſtant. Die drei Erſten , von benen ber Graf de la Foreſt ein Bertrauter Talleyrand's war , hatten ſich bereits gegen Napoleon II. öffentlich ausgeſprochen , die Leşteren aber gehörten wenigſtens nicht zu feinen Anhängern. Fouché hatte daher nicht zu befürchten , daß dieſe Geſandten im Geiſte der ihnen ertheilten Verhaltungsbefehle danach trachten würden die Verbündeten , von denen man wußte, daß ſie die Wiedereinſeßung Ludwig's XVII . bezwedten, zur Ans erkennung Napoleon'& II. zu bewegen . Außerdem brachte ihm ihre Abſendung den Vortheil, daß er mit Lafayette das Haupt der Re publikaner , mit Benjamin Conſtant ben Führer der Conſtitutionellen aus Paris entfernte. Schon am 5. Juli kehrte aber die Geſandta ſchaft unverrichteter Sache zurück, weil Stewart, der Vertreter Eng lands , erklärt hatte, er habe keine Ermädytigung mit ihnen zu uns terhandeln , die Bevollmächtigten der übrigen Şöfe aber ohne ihn nicht unterhandeln wollten.

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Die verbündeten þeere unter Blücher und Wellington hatten ſich inzwiſchen der franzöſiſchen Hauptſtadt ſchon bedeutend genähert. Blücher , dem Peşteren um einen Tagemarſd vorauseilend, hatte dies ſen , welcher erſt Verſtärkungen abwarten wollte, halb wider ſeinen Willen zu dem Entſchluſſe bewogen den Ruhm der Eroberung von Paris nicht mit andern zu theilen . Ludwig XVIII. aber war auf Wellington's dringende Einladung bereits nach Frankreich zurücge kehrt, und hatte, als König von Frankreich von ihm anerkannt, einſt weilen in Cambray unter engliſchem Schuße ſeinen Wohnſiß auf geſchlagen . Fouché beeilte ſich unter dieſen Umſtänden eine andere Geſandtſchaft an Wellington zu ſenden, welche aus Andreoffy, Balenin, Flauguergues , Boiſſy d'Anglas und labegnardière beſtand. Auch dieſe wollten Napoleon's II. Herrſchaft nicht, obſchon derſelbe als Regierungsnachfolger ſeines Vaters galt, und ſeine Anerkennung von Seiten der Verbündeten zu erlangen ebenfalls der ſcheinbare Zweck ihrer Sendung war. Sie überreichten dem britiſchen Felds herrn einen Brief Fouche's, in welchem dieſer unter ſameidhelhaften Ausbrüden um Wellington's Vermittelung bei Gründung einer ſtaat lichen Ordnung bat, als ob eine ſolche zur Zeit in Frankreich gefehlt hätte. Frankreich, ſchrieb er , habe in der Republik die Extreme der Frei heit , und unter der Kaiſerherrſchaft die Extreme der Macht kennen lernen . Es wünſche die Mitte zwiſchen beiden , wozu Welling ton ihm verhelfen möge. Da Ludwig XVIII. von Legterem ſchon als König von Frankreich anerkannt worden war , ſo konnte man ohne Nennung eines Namens nicht deutlicher, als hiermit geſchah zu erkennen geben , daß man bereit ſei demſelben ſich wieder zu un terwerfen . Fouché hatte ſich jedoch hiermit nicht begnügt , ſondern ſchon vorher den Ritter Macirone, einen ehemaligen Adjutanten Miu rat's, mit geheimen Mittheilungen an Wellington abgeſendet , welche dieſer noch vor Ankunft der franzöſiſchen Geſandten erhielt , und wo durch er von den paſſendſten Mitteln zur Wiederherſtellung der Bour bonen in Kenntniß gefeßt wurde. Bezeichnend für die damaligen Verhältniſſe war es , daß Macirone's Sendung nur dem Herzoge von Wellington, nicht auch dem Fürſten Blücher galt, was den hierüber aufgebrachten General von Gneiſenau beinahe veranlaßt hätte den Abgeſandten zur Umkehr zu nöthigen. Dagegen richtete Fouché am 1. Juli an Blücher einen Brief , in welchem er offen für Napoleon II. ſich ausſprach. Es hatte dies natürlich keinen an dern Zwed , als deſſen Anhänger , denen er den Brief vor der Ab ſendung

mittheilte ,

über ſeine wahre Abſicht

zu täuſchen .

Daß

305 Blücher, der leidenſchaftliche Feind Napoleon's , bei dieſer Komödie ebenfalls getäuſcht wurde , konnte höchſtens bewirken , daß er ſich heftig gegen dieſen erklärte und ſo den eigentlichen , mit Welling= Wellington aber ton geführten Unterhandlungen nüßlich wurde. ſprach fich ſowol zu der Geſandtſdaft, als zu dem Ritter Macirone, der noch ein zweites Mal an ihn abgefendet wurde, dahin aus , daß den Franzoſen nichts übrig bliebe , als Ludwig XVIII. wieder als ihren König anzuerkennen. Die vornehmſten franzöſiſchen þeerführer waren alle gegen die

Fortführung des Krieges, von dem ſie meinten , daß er Frankreich Leiden nur verlängern würde, ohne die Ausſicht eines Vortheils zu gewähren. Deshalb ſchilderte Grouchy in ſeinem Berichte an die einſtweilige Regierung die Stimmung ſeiner Truppen ungünſtiger, als ſie war ; und Davouſt , welcher an ſeiner Stelle am 30. Juni den Oberbefehl übernahm , war mit Fouché über die Wiederher ſtellung der Bourbonen einverſtanden , objdon er es wegen der Ab neigung des Heeres gegen Ludwig XVIII. für räthlich fand ſeine Abſichten noch zn verheimlichen . Am 29. Juni erſchienen die verbündeten Heere vor Paris : Wellington auf dem rechten , Blücher auf dem linken Ufer der Seine ; ſte fanden die Stadt auf dieſer Seite ganz unbefeſtigt. Na poleon hatte ſich vergebens erboten als bloßer General die Haupt= ſtadt zu vertheidigen . Die damaligen Machthaber erblickten hierin nur einen Verſuch von ſeiner Seite ſich der oberſten Gewalt wieder zu bemächtigen , und da ſie ihn mehr fürchteten , als die feindlichen Davouſt nöthigte ihn Feldherren , lehnten ſie ſein Anerbieten ab. nad Rochefort abzureiſen. Dort ergab er ſich , an der Möglichkeit verzweifelnd nad Nordamerika zu entkommen, den Engländern , weldie ihr nach der Feljeninſel St. Helena brachten , und ſo ſeiner welt erſchütternden Laufbahn ein Ziel fetten. Das franzöfiſche Heer , gegen 65000 Mann ſtark, wäre in Ver bindung mit der Nationalgarde wol im Stande geweſen mit einiger Ausſicht auf Erfolg eine ſo volfreiche Stadt wie Paris gegen das preußiſche und engliſde Heer zu vertheidigen , welche zuſammen nur etwa 100000 Steiter zählten. Allein was hätte im glüdlichſten Falle eine augenblidlich ſiegreiche Vertheidigung genügt , da die Verbünde ten noch über eine Million anderer Streiter geboten , mit denen ſie unter allen Umſtänden im Stande waren den Franzoſen den Frieden zu dictiren ! Dieſe begriffen die Lage , in welcher ſie ſich befanden, auch vollkommen, und nichts iſt für die damalige öffentliche Meinung 20 II.

306 von Paris bezeichnender, als daß auf die Nachricht von der Nieber lage Napoleon'8 bei Waterloo die Actien der franzöftfchen Bank um 25 Procent ſtiegen . Nach dem für die Franzoſen unglüdlichen Gefechte 'bei 3114, wo General Vandamme am 3. Juli von den Preußen zurüttgeworfen wurde, berief Davouſt einen Kriegsrath zur Entſcheidung der Frage, ob man Paris vertheidigen ſolle ? Da dieſer mit 48 gegen 2 Stimmen ſich dagegen erklärte, ſo wurde noch am Abend deſſelben Tages zu St. - Cloud der Bertrag wegen der Uebergabe abgeſt loſſen , worauf das franzöftſche Heer fich hinter die Loire zurüđzog, ble Berbündeten aber am 6. Juli in Paris einrüdten. Der Regierungs ausſchuß löſte fich am folgenden Tage auf, und Feuché ſuchte die Rammern zu einem gleichen Entſchluſſe zu bewegen , indem er ihnen vorftellite, daß die Verbündeten , welche nur Ludwig XVIII. aner tannten , bie Sigungsräume beſetzen laſſen würden . War auch leka teres nicht der Fall , to war doch gewiß , daß die verbündeten Mächte nicht mehr daran baciten ben Franzoſen die Wahl ihres Herrſchers zu verſtatten , wie ihnen früher in Ausſicht geſtellt worden war, ſondern daß fie " Ludwig XVIII. behandelten , als hätte Napoleon '$ Rüdehr ſeinen Thron nicht umgeſtürzt. Als die Bairs und Ab geordneten bennod fich verfammeln wollten , fanden ſie auf Fouché's Beranſtaltung ihre Verſammlungsorte von der Nationalgarde be feßt, und mußten die Beſchämung der Zurüdweiſung fich gefallen laffen, weldje ihrem politiſchen Daſein das verdiente unrühmliche Enbe brachte. Ohne es zu wiffen, hatten fie Fouché zu Ausführung ſeines Planes das bourboniſcje Rönigthum wiederherzuſtellen gedient. Als ihm dies gelungen war, warf er verächtlich das Werkzeug weg, defſen er nicht mehr bedurfte. Am 8. Juli 30g Ludwig XVIII. unter dem jubelnden Zurufe der veränderlichen Menge in Baris ein , nadidem er zuvor in Ar nouville dem Herzoge von Wellington die Aufrechthaltung der im vorigen Jahre gegebenen Verfaſſung, die Berufung der Rammern und die Beibehaltung Fouché's als Polizeiminiſter hatte verſprechen müſſen. Allein weder Fouché, noch Taleyrand, fo viele Dienſte fie auch den Bourbonen geleiſtet hatten , ſollten ihre Miniſterpoſten lange behalten. Uudy fie wurden als Werkzeuge, deren man nicht mehr bedurfte, ſobald als möglid, beſeitigt.

So wurde der von Napoleon umgeſtoßene Thron Ludwig's XVIII. von den fiegreichen Verbündeten früher wieder aufgerichtet, als der Friede zwiſchen ihnen und Frankreich zu Stande kam , und es trat

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der fonderbare Umſtand ein , daß der von den Fürſten Europas ale ihr Verbündeter anerkannte König von Frankreich für fein mit ihnen im Kriege befindliches Sand Frieben foloß. Die Eile, womit Wellington die Wiederherſtellung des bourboniſchen Königthums be trieb , beweiſt zur Genüge , daß Oeſterreich, England und Rußland, als ſie am 25. März ihre übrigen Verbündeten beſtimmten den da mals aus feinem lande bereits vertriebenen Ludwig als gleid berech tigten Souverän in das Bündniß gegen Frankreich aufzunehmen, fich beffen , was ſie thaten , recht wohl bewußt waren . Die widfürliche Annahme von der Fortbauer der Königsgewalt Ludwig's, indem ſie ihn ihren Verbündeten nannten , ſollte die weſentliche Abänderung des erſten pariſer Friedens verhindern , welche, wie ſte vorausſahen , von ihren deutſchen Bundesgenoſſen würde beantragt werden , um jeßt wenigſtens eine gegen fernere Angriffe der Franzoſen ficherſtellende Grenze zu erhalten . Die bem zweiten pariſer Frieden vorausgehen den Unterhandlungen liefern hierzu mehr, als hinreichende Belege. Nach der Einnahme von Baris fanden nur infofern nod Feind feligkeiten ſtatt, als noch einige Feſtungen belagert und erobert wur

den . Inter ihnen befand ſich Häningen , beffen Befehlshaber, be vor er am 28. Aug. zur Uebergabe gezwungen wurde, Baſel und Kleinhüningen mit Kugeln überſchüttete. Die Saiſer von Rußland und Deſterreich, ſowie der König von Preußen hielten am 10. Juli ihren Einzug in Frankreidys Hauptſtadt. Ihre und threr Verbündeten Heere befekten die öftlichen Provinzen Frankreichs, und wurden auf Roſten bes Landes unterhalten. Seit länger als zwanzig 3ahren hatten die "franzöſiſchen Heere die Länder Europas burchzogen und in ihnen die Herren geſpielt; jeßt wurde , obſchon in milderer Weiſe, das Wiedervergeltungsrecht geübt. Nur Wellington zeigte unter den ver bündeten Heerführern einen ſo großen Eifer den Franzoſen die trie geriſche Befeßung ihres Landes ſo wenig , als irgend möglich fühl bar zu machen , daß ſein Bewunderer der Staatsrath de Labes nardière erklärte : er fei franzöfiſcher , als ein Franzoſe. Dagegen erregten die übrigen fremden Anführer , beſonders die preußiſchen deſſen Born. Blücher nannte er einen Elefanten und Gneiſenau einen Tiger, denn beide waren für ſtrenge Maßregeln, welche jedoch größtentheils nicht ausgeführt wurden . Daß die aus faſt allen euro päiſchen Ländern zuſammengeraubten Schäße der Kunſt und Wiffen fdaft , welde bie pariſer Muſeen bereichert hatten , wieder zurüd gegeben werden mußten, war hauptſächlich Blücher’s Verdienſt. Dem von ihm zum Beſten Deutſcủlands gegebenen Beiſpiele folgten auch 20 *

308 Deſterreich, die Niederlande, Spanien und Italien ; Gemälde, Sta tuen , Bücher, Handſchriften und andere berartige Gegenſtände tamen wieder in den Beſit ihrer frühern Eigenthümer. In den erſten Wochen freuten die Verbündeten ſich nur des ge wonnenen Sieges und ſuchten in den Genüſſen der franzöſiſchen Hauptſtadt Entſchädigung für die gehabten Anſtrengungen. Auch die Diplomaten, welche freilid höchſtens von den Beſchwerden der Reiſe ſprechen konnten , folgten dieſem Beiſpiele. Das erſte Zeichen ihrer Thätigkeit war die am 24. Juli erfolgte Feſtlegung einer Linie, welche von den Truppen der Verbündeten ſowol , wie von den jenigen Frankreichs nicht überſdritten werden ſollte. Am 3. Aug. wurde ein Ausſchuß gebildet, dem die Oberaufſicht darüber oblag, daß den Bedürfniſſen der verbündeten Heere genügt werde. Der ſelbe hatte ſich jedoch mit dem zu dem nämlichen Zwecke gebildeten franzöſiſden Ausſchuſſe zu verſtändigen , welcher die Behörden zur Erfüllung der geſtellten Forderungen anwies , fodaß überall die Re gierungsgewalt des Königs von Frankreich keine Einſdränkung erlitt. Nur in Paris ſelbſt wurde die Nationalgarde und Gensdarmerie als bewaffnete Macht, aller Verwahrungen der Franzoſen ungeachtet, unter die Befehle des preußiſden Generals von Müffling geſtellt, und die daſelbſt ertheilten Päſſe mußten , was das linke Ufer der Seine anlangte , die genehmigende Unterſchrift des preußiſchen Oberſten von Pfuel, was das rechte Ufer betraf , die des engliſchen Oberſten Barnarb tragen. Das über die Loire zurüdgegangene franzöſiſche Heer wurde auf Neſſelrode's. Antrag theils über das Land hin vertheilt , theils verabſchiedet, und die königliche Regierung war hiermit vollfommen einverſtanden, denn ſie mißtraute dem Geiſte der unter kaiſerlicher Herrſchaft gebildeten Truppenkörper. Ja , fie begnügte fich nicht mit dieſen Vorſidytsmaßregeln , ſondern ver urtheilte einige Anführer, welche bei dem allgemeinen Uebertritte zu Napoleon eine hervorragende Rolle geſpielt hatten , zum Tode. Dieſe Bluturtheile, namentlich die Hinrichtung des Marſchals Ney , weit davon entfernt die Herrſchaft der Bourbonen zu befeſtigen, ent freundeten vielmehr ihnen die Herzen des Volks , welches in ſeiner großen Mehrzahl die Schuld der Gerichteten mehr oder weniger theilte ; ſie legten den Grund zu jener ſtets wachſenden Unzu friedenheit , deren gewaltſamer Ausbruch ſpäter den bourboniſchen Thron für immer umſtürzte.

Sechster Abſchnitt.

Shilderung der politiſchen Lage , aus welcher der zweite Friebe von Baris hervorging. Dentſchrift des rufftfchen Bevollmächtigten Capodiſtrias. Talleyrand's Eingehen auf die felbe. Dentſớriften des preußiſchen Bevollmächtigten von Humboldt und des preußiſchen General: von Aneſebec . Des Hannoverſchen BevoUmächtigten Grafen Münfter Bemühun gen um eine Frankreios öftliche Nachbarn beſſer fichernde Grenze. Gründe , weshalb der Elſaß und lothringen bei Frankreich blieben. Metternich's Dentſdrift. Caftlereagh's Friedensvorſchläge. Rechtfertigungsverſuch der vier verbündeten Großmächte wegen der Xusſchließung ihrer Bundesgenoſſen von den Friedensunterhandlungen. Wie die Großmächte in Wien die Begründung einer neuen ſtaatlichen Ordnung für ihre ausſchließliche Aufgabe erklärt, und den übrigen Staaten wenig mehr verſtattet hatten , als ihre Be fdplüſſe zu genehmigen , ſo übernahmen es auch England , Ruß land , Deſterreich und Breußen (leşteres freilich mehr der Form nady als in Wirklichkeit ) in Paris dem beſiegten Feinde das Geſetz des Friedens allein zu dictiren , ohne den mit ihnen verbündeten Bei den deshalb Staaten hierbei eine Mitwirkung einzuräumen. angeknüpften Unterhandlungen wurde England von Caftlereagh, Wellington , Stewart und Clancarty , Rußland von Raſumowſki, Neſſelrode, Capodiſtrias und Bozzo di Borgo, Deſterreich von Met= ternich, Weſſenberg und Schwarzenberg , und Preußen von Harden berg , Humboldt , Gneiſenau und Aneſebed vertreten . Einen engern Rath bildeten jedoch Caftlereagh, Neſſelrode, Metternich und Harden berg. Die Bevollmächtigten Frankreichs waren Talleyrand, Dalberg und Louis ; ſie wohnten jedoch mit wenigen Ausnahmen den Sißungen der Verbündeten nidt bei , ſondern empfingen nur die

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Sißungsprotokolle, um ſie der franzöſiſchen Regierung mitzutheilen. Indeſſen waren die Grundlagen des Friedens ſchon vor Eröffnung dieſer Sitzungen zwiſchen England und Rußland einerſeits , und Frankreich andererſeits beſprochen worden. Theils noch in Belgien, theils in Paris hatten Wellington und Capodiſtrias ſich mit Talleys rand dahin verſtändigt, daß keine Gebietsabtretungen von Frankreich gefordert werden follten , welche den Beſibſtand von 1790 verleßten. In Bezug auf

das engliſche Cabinet iſt dies um ſo auffallender,

als es offenbar deſſen Vortheile entſprochen hätte ſeinen Erbfeind Frankreich zu ſchwächen , und nicht nur ſeine Vertreter zu Baris es einräumten , daß man Frankreich im vorjährigen Friedensſchluſſe zu ſtark gelaſſen habe , ſondern audy der an der Spiße des engliſden Miniſteriums ſtehende ford Liverpool anfänglich ſich dahin ausſprach: die Haupteroberungen { udwig's XIV. müßten von Frank reich herausgegeben werden , damit deſſen Nachbarſtaaten leidt zu vertheidigende Grenzen erhielten. der

Die öffentliche Meinung in England war ebenfalls , wie es in Natur der Sache lag , burchaus nicht geneigt Frankreich zu

ſchonen.

In einer literariſchen Geſellſchaft, deren Vorſißender der

Herzog von Stent war, der Bater der jegigen Königin von England, wurde, um ein Beiſpiel anzuführen, im Mai 1815 ein Gedicht vor geleſen , in welchem eine Stelle folgenden Inhalts den lebhafteſten Beifal aller Zuhörer fand : ,, Das zu lange mißbrauchte Mitleid wird ſeine Fürſprache einſtellen, wenn die Welt den Blutmann nun ſelbſt zu bluten verurtheilt, und unterſtüßt das entartete Frankreich ſein Beginnen , ſo theilt es ſeine Schuld und ſoll auch ſeine Strafe theilen .“ 1) Aus den Denkſdhriften ſelbſt, welche Caſtlereagh und Wellington in Paris einreichten , erhält man keinen Aufſchluß über ihren unter die ſen Umſtänden räthſelhaften Inhalt, denn die Gründe , welche für die empfohlenen und einer entgegengeſepten Anſicht entſprechenden Maß regeln angeführt werben , ſind offenbar mit Mühe herbeigeholt, um leştere zu befchönigen, und machen die Annahme unſtatthaft, als wären fie einer wirklichen , obſchon irrigen Ueberzeugung entnommen . Die engliſchen Staatsmänner müſſen daher , als fie einen ihrer Ueber zeugung entgegengeſegten Weg einſchlugen, dem überwiegenden und beſtimmenden Einfluſſe einer fremden Macht nachgegeben haben. Wer dieſe Macht geweſen ſei, kann aus den zu Wien und Paris gepflogenen 1) Servinus, Geſchichte des 19. Jahrhunderts, I , 237. Morning-Post vom 5. Mai 1915.

311 Unterhandlungen nur gefolgert werden ; da Urkunden, welche hierüber unmittelbaren Aufſchluß zu geben vermöchten, nicht veröffentlicht find Doch dürften die , ſpäter näher zu begründenden Folgerungen keinen Gegenbeweis zu ſcheuen haben. Eine Zeit lang ging die ultraroyaliſtiſche Partei , deren Führer der Graf von Artois war , mit dem Plane um für dieſen Brinzen aus den weſtlichen , jenſeit der Loire liegenden Ländern ein beſon deres Königreidy Gascogne zu errichten , während Ludwig das übrige Frankreich beherrſchen folle. Dieſer Partei war der Gedanke uner: träglich , daß die von Ludwig gegebene Verfaſſung die Wiederher ſtellung der Staatseinrichtungen, wie ſie vor der Revolution beſtanden , unmöglich machen werde. Das weſtliche Frankreich, in welchem Adel und Briefterſchaft noch eine ſehr einflußreiche Stellung behaupteten, ſchien ihr für die Errichtung eines unbeſchränkten Königthrons ge= eignet , deshalb hätte ſie es gern unter dieſer Form für ihre Inter: effen ausgebeutet. Indeſſen erwies ſich bei näherer Prüfung die Sache als unausführbar, und es iſt wol anzunehmen , daß diejenigen Großmächte, welche der Schmälerung des franzöſiſchen Gebiets fich widerſeßten , einer Maßregel entgegen geweſen find, die mehr , als irgendeine andere den franzöſiſchen Einfluß auf die europäiſchen Verhältniſſe, wenigſtens für die Regierungsbauer des finderloſen Ludwig'e , gelähmt und fobann einen noch weit heftigern und hart nädigern Kampf der Legitimität mit den Grundfäßen der Revolution herbeigeführt haben würde. Ludwig blieb alſo König des ungetheil ten Frankreide, und es war nur zu entſcheiden, unter welchen Bes dingungen der durch Napoleon's Rüdkehr geſtörte Friede wiederher zuſtellen ſei. Das verſchiedene Intereſſe, welches die verbündeten Großmächte in dieſer Beziehung hatten , oder zu haben glaubten , erzeugte auch die verſchiedenartigſten Beſtrebungen. - Rußland und England waren durch ihre geographiſche Lage verhindert von etwaigen Ge bietsabtretungen Frankreichs Nußen zu ziehen ; bei Deſterreid , Preußen und den übrigen deutſchen Bundesſtaaten war dies nicht der Fall. Als in Paris aber entſchieden wurde, daß die 3oniſchen Inſeln unter Englands Schugherrſchaft geſtellt werden ſollten , ließ Alexander die Abficit blicken einen Theil von Galizien zu bean ſpruchen , wofür Defterreich nur durch einen von Frankreich abzu tretenden landſtrich hätte entſchädigt werden können . Allein Metternich wollte davon nichts hören , und Alexander ſelbſt hielt es bei reif lichem Nachdenken für vortheilhafter für die Unantaſtbarkeit der

{

312 franzöſiſchen Grenzen von 1790 -aufzutreten, und die Vortheile eines künftigen Bündniſſes mit Frankreich ins Auge zu faſſen. Für Deutſchland und die Niederlande ſchien dagegen der Augenblic gekommen , alle landftridie, welche Frankreich, als e$ fiegreich war , von ihnen abgeriſſen hatte, nun nad deſſen Beſiegung wiederzuerlangen. Mindeſtens erſchien es nothwendig, daß Deutſch land ſeine, jedem Angriffe preisgegebene füdweſtliche Grenze ver beſſere. Ungeachtet ſeit länger als anderthalb Jahrhunderten der Elſaß unter franzöſiſche Oberherrſchaft gekommen war , ſprach das Volt doch noch immer deutſch. Erſt jenſeit ſeiner, durch den Ge birgszug der Vogeſen gebildeten Grenze herrſchte größtentheils fran zöſiſche Sitte und Sprache. Seine meiſten Städte, vor allen die ehemals freie deutſche Reichsſtadt Strasburg , deren Ludwig XIV. mitten im Frieden durch verrätheriſchen Ueberfal ſich bemächtigt hatte, waren Feſtungen. Natur und Kunſt machten den Elſaß zu einem Boll werke für Deutſdyland, deſſen es zur Vertheidigung gegen ſeinen ge wiffenloſen Nachbar nicht ohne die größten Nachtheile entbehren konnte; ja um Deutſchlands Grenze vollſtändig zu ſichern , mußte Frankreich wenigſtens auch die deutſchen Bezirke Lothringens mit den Feſtungen Met und Thionville zurüdgeben. Alle Gründe des Rechts und der Billigkeit ſprachen dafür, daß dies geſchehe. Auch war es offenbar, daß es keinen ficherern Weg gab fünftigen Eroberungsgelüften der Franzoſen vorzubeugen ; benn blieben ſie in dem Beſige des Eljaſjes und des linken Ufers des Oberrheins , dieſer drohenden Angriffs ſtellung gegen Deutſchland , ſo war vorauszuſehen , daß ihre Gelüfte nach den übrigen Ländern der linken Rheinufers , und mit ihnen das Geſchwäß von den ſogenannten natürlichen Grenzen Frankreichs wiedererwachen würden , welche ſie doch mit dem Gebirgszuge der Vogeſen bereits überſchritten hatten. Dieſer ſchied das obere Rhein thal und ſeine deutſchredenden Bewohner von Frankreich und deſſen franzöſiſchredender Bevölkerung. Es giebt keine vollkommenere Grenze, als die von der Natur aufgerichtete Sdranke des Bodens, wenn ſie, wie hier , mächtig genug geweſen iſt die Vermiſchung zweier Nachbarvölker verſchiedener Abſtammung und Sprache zu verhindern. Daß Rußland als erobernder Staat alles aufbot , um das benachbarte Dendland an Wiedergewinnung einer feſten , leicht zu vertheidigeriden Grenze gegen Frankreich zu hindern , kann keine Ver wunderung erregen . Je gefährdeter Deutſchland gegen Weſten war, deſtoiveniger vermochte es den Eroberungsplanen ſeines öſtlichen

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Nachbars Widerſtand zu leiſten , mochten dieſelben nun auf Erweiterung ſeiner Grenzen gegen Weſten , oder gegen Süden gerichtet ſein , die Einverleibung Oſtpreußens, des preußiſchen und öſterreichiſchen Bos lens, Ungarns, oder der Türkei bezweden. Je ſtärker und eroberungs luſtiger Frankreich war , deſto leichter konnte Rußland an Ausgeh nung ſeiner Grenzen denken , wenn es erſteres veranlaßte dagegen auf Koſten Deutſchlands und der übrigen Nachbarländer fich zu ver größern und ihm dazu feinen Beiſtand zuſagte. Mit beſonderer Genugthuung hatte es daher Rußland geſehen, daß eine kräftige deutſche Bundesverfaſſung, von der man glauben konnte , ſie würde ſich in der Stunde der Gefahr bewähren , auf dem wiener Congreſſe nicht zu Stande fam . Doch war Alexander viel zu ſchlau dies merken zu laſſen ; vielmehr wußte er fogar in einem einſichtsvollen Manne wie Stein den Glauben zu erregen , er nehme warmen Antheil an dem Zuſtandekommen einer zweđmäßigen, Deutſchland kräftigenden Bundesverfaſſung. Die Nebenbuhlerſchaft der beiden deutſchen Großſtaaten und die Unabhängigkeitsgelüfte der kleinern Staaten erſparten ihm die Mühe die Schöpfung eines kräf tigen Bundesſtaates zu verhindern. Schon während der Feldzüge von 1813 und 1814 und beim erſten pariſer Frieden war von den Großmächten in Bezug auf Deutſchland beſchloſſen worden , daß die Staaten , aus welchen es beſtand , völlig unabhängig, und nur zu ihrer gegenſeitigen Bertheidigung durch ein beſtändiges völkerrecht liches Bündniß vereinigt ſein ſollten. Alerander kannte aus der Ge ſchichte den Werth ſolcher Bündniſſe zu gut, um in einem derartigen deutſchen Bunde ein Hinderniß für die ruffiſche Eroberungspolitik zu erbliden. Beim Abſchluſſe des erſten pariſer Friedens hatte er darauf gedrungen , daß das wehrloſe Frankreich diefelben , ja noch günſtigere Friedensbedingungen erhalte , als in Chatillon dem noch unbezwun= genen Napoleon angeboten worden waren. Indem man den Franzoſen großmüthig diejenigen Grenzen bewillige, fagte er, welche ihr Vaterland bei Ausbruch der Revolution gehabt habe, ja noch einige Landſtriche mehr ihnen laffe , wähle man den ficherſten Weg einen Dauerhaften Frieden zu erlangen , weil ihre Dankbarkeit fie abhalten werde ben felben zu brechen. Solchen unerhörten politiſchen Grundfäßen hatte der Umſtand Anerkennung verſchafft, daß die übrigen Großmädyte, mit Ausnahme Preußens, aus verſchiedenen Gründen ebenfalls gegen eine, Deutſch land ſichernde Schmälerung der franzöſiſchen Grenzen waren. Als nun Napoleon's Rückkehr nach Frankreich noch innerhalb Jahresfriſt den

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Wiederausbruch des Krieges veranlaßte, galt es daher einen neuen Vorwand dafür zu finden , daß man der ſoeben gemachten Erfahrung ungeachtet, Frankreichs Madhtgebiet dennoch nicht ſchmälere , deſſen gefährdete Nachbarländer dennod nicht ſicherer ſtelle, als bisher, und dieſen Vorwand fand man in der theoretiſchen Bundesgenoſſenſchaft des entthronten Ludwig's XVIII., gegen den man ebendeshalb ein Eroberungsrecht ſeiner Zeit als unzuläſſig zu erklären entſchloſſen war , mindeſtens inſoweit daſſelbe Deutſchland zum Vortheile ge reichen könnte . Unerklärlich ſcheint es auf den erſten Anblic , daß England bei feinem völlig verſchiedenen, ja dem ruſſiſchen entgegengeſetzten Inter effe bennod dieſelbe Bolitik verfolgte. Frankreich war Englands Erbfeinb. Seit einer Reihe von Fahrhunderten hatten beide länder mit einer Wuth ſich bekämpft, welche den glühendſten gegenſeitigen Haß hervorgerufen hatte. Rein anderer Staat vermochte wie Frant reich die von England errungene Seeherrſchaft demſelben ſtreitig zu machen. Ohne franzöſiſchen Beiſtand hätten die nordamerikaniſchen Colonien ſchwerlich ihre Unabhängigkeit vom britiſchen Mutterlande zu erkämpfen vermocht, und ohne Napoleon's faſt gelungenen Plan ganz Europa ſeinem Scepter zu unterwerfen , wäre England nicht genöthigt geweſen zu deffen Bekämpfung ſich mit einer ſo unge heuern , nie tilgbaren Schuldenlaſt zu beladen . War nicht zu fürch ten , daß Frankreichs Feindſchaft und Eroberungsluft fünftig England von Neuem gefährlich werde ? War nicht eine Wiederkehr ſolcher Zuſtände um ſo eher zu beſorgen , wenn Frankreich aus dem Rampfe mit ganz Europa zwar beſiegt und fernern Widerſtandes unfähig, aber dennoch mit vergrößertem Gebiete hervorging ? Hatte es nicht durch den Bruch des erſten pariſer Friedens gezeigt, daß die ihm bewieſene Schonung nur dazu gedient habe es ihm unbedenklich er ſcheinen zu laffen das Kriegsglück von Neuem zu verſuchen ? Englands Staatsmänner erkannten auch die Gefahr, welche aus der ungebrochenen Macht Frankreichs für ganz Europa hervorgehe. Damit das Königreich Sardinien fähiger ſei franzöfiſche Einfälle in Stalien zu verhindern , hatte man es durch Einverleibung des genueſiſchen Freiſtaats verſtärkt, obgleichy Corb Bentink die Wiederher ſtellung des leßtern im Namen Englands und im Geiſte des angeblich leitenden Grundſaßes der Legitimität feierlich verheißen hatte . Um Qollands Widerſtandsfähigkeit gegen Frankreich zu erhöhen , hatte man Belgien mit demſelben verbunden , obſchon die Bevölkerung beis der Länder verſchiedener Religion und Sprache war, auch franzöſiſch

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ſprechende Wallonen Belgiens und Frankreichs Grenzbevölkerung bildeten . Da an der nordöftlichen und füdöſtlichen Grenze Frant reiche ſolche Vorkehrungen gegen deſſen Uebergriffe getroffen wur ben, ſo hätte man denken ſollen , daß in der Mitte zwiſden beiden Endpunkten , wo den franzöſiſchen Vergrößerungsgelüſten am meiſten zu ſteuern war , das deshalb Nöthige vom engliſchen Cabinete um ſo eifriger befördert werden würde , als es ja ſonſt den durch jene Borkehrungen beabſichtigten Erfolg ſelbſt verhinderte, ja zugleich das Fortbeſtehen ſeiner Schöpfung , des niederländiſchen Königreichs, immerwährend gefährdete . England, welches Macht und Wohl fahrt ſeinem ausgebreiteten Handel verdankte , mußte ebendeshalb mehr als jeder andere Staat für die Fortbauer des Weltfriedens ſorgen , da nur in friedlichen Zeiten der Handel blüht. Es ent ſprach ſeinem wahren Vortheile, daß Deutſchland, dem feine politi iden Verhältniffe jeden Eroberungskrieg unmöglich machten , leicht zu vertheidigende Grenzen , mindeſtens gegen Frankreich erhielt, welches ſeit der Mitte des 16. Jahrhunderts begonnen hatte ein Stück land nach dem andern von dem deutſchen Reiche abzureißen . Je ſchwieriger, je weniger lohnend ein franzöſiſcher Angriff auf DeutſcẠland erſchien, deſto weniger war ein ſolcher zu beſorgen, deſto . länger blieb der Friede Europas ungeſtört; denn ein in Deutſch land , dem Herzen Europas, geführter Krieg erſchütterte mehr die allgemeine Ruhe , als ein in irgendeinem andern Theile des Welt theils entbrannter Kampf. War Deutſchland nicht ſtark genug den Eroberungsgelüften Frankreichs im Weſten und Rußlands im Oſten zu widerſtehen , derhießen vielmehr ſeine vertheidigungsloſen Grenzen dem Angreifer einen günſtigen Erfolg , dann ftanden bei jeder Ge legenheit fich erneuernde Kriege in Ausſicht. Dazu kam endlichy, daß Deutſchland weder eine Kriegsflotte, noch Colonien beſaß , in dieſen Beziehungen alſo nicht wie Frankreich mit England wett eifern fonnte , deſſen Hauptſtärke eben hierin beruhte , während feine Landmacht eine unzureichende war . Deutſchland konnte mit ſeinen zahlreichen Heeren dieſem Mangel abhelfen , und war deshalb , wie aus den übrigen angeführten Gründen , Englands natürlicher Bundesgenoffe. Dennoch erbliden wir das engliſde Cabinet eifrig beſtrebt wider Recht, flugheit, ja eigene Ueberzeugung Frankreich im Beſite ber geraubten beutſchen Länder zu ſchüßen . Kann da noch ein Zweifel darüber vorhanden fein , daß es, indem es ſo handelte, hierzu burdy die Haltung

einer

andern Macht

veranlaßt

wurde,

derſelben

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Macht, welche dhon auf dem wiener Congreſje die briti dhen Staatsmänner genöthigt hatte dem , was ſie als ibre a uptaufgabe erkannt und offen erſtrebt hatten , plößlich zu entſagen ? Hatte nicht forb Caſtlereagh erklärt: der von Rußland begehrte Beiß des Herzogthums Warſchau vernichte das europäiſche Gleichgewicht, und man dürfe nicht dulben , daß es die Weichfel überſdreite ? Satte er ſich nicht in ſeinen Noten mit der größten Entſchiedenheit dahin ausgeſprochen , es liege im Intereſſe des europäiſchen Gleichgewichts, daß ein ſtarkes Breußen den Norden Deutſchland be düşe; Breußen könne aber , ohne ſich Saden einzuver leiben , wozu es als Sieger in einem gerechten Kriege nach dem vom Völkerrechte anerkannten Eroberungs redte befugt ſei , dieſer gemeinnütigen Aufgabe nicht genügen ? Bon allem dieſen aber geſchah das Gegentheil , weil es das öſterreichiſche Cabinet ſo wollte. Der Staatsſecretär des ſtolzen Englands unterzog ſich der Demüthigung alles , was er in jenen Beziehungen in Wort und Schrift mit großer Lebhaftigkeit behauptet hatte, plößlich fallen zu laſſen , und ſeine Ueberzeugung wie einen Rock zu wechſeln . Er that dies ſogar zu einer Zeit, wo der zwiſchen England und Nordamerika abgeſchloſſene Friebe erſterem verſtattete alle ſeine reichen Mittel der Gründung einer neuen ſtaatlichen Ord nung in Europa zuzuwenden. Und weshalb machte Lord Caſtlereagh zum böſen Spiel gute Miene , und bekehrte ſich plößlich zu Metter Es war nich's Anſicht, welche der ſeinigen entgegengeſeßt war ?

eine herbe Nothwendigkeit, England allein war nicht im Stande Rußlands Beſignahme des Herzogthums War dau zu hindern , denn übermächtig zur See , vermochte es we niger , als jede andere Großmacht zu Lande. Preußen hätte Ruß lands Anſprüchen nur dann ſich ernſtlich widerſett, wenn ihm von Deſterreich der Beſitz von ganz Sachſen gewährleiſtet worden wäre ; dies aber wollte Metternich eben um jeden Preis verhindern , damit Breußen nicht bis zur böhmiſchen Grenze vorrüde. Deshalb mußte die polniſche Frage von europäiſcher Bedeutung der weit minder wichtigen fächſiſchen , welche zunächſt nur Deutſchland betraf , und erſt mittelbar die europäiſchen Mädje intereſſirte, nachſtehen. Wie Preußen zu Wien durch Metternich's erfolgreiche Beſtrebungen ſchwer zu vertheidigende Grenzen erhielt, welche ſein Gebiet ruſſiſchen und franzöſiſchen Angriffen bloßſtellten , ſo bewirkte Metternich zu Paris

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im 3. 1814 und 1815 daſſelbe hinſichtlich der Grenzen Süddeutſch lands gegen Frankreich. Bei den Verhandlungen , welche dem Uebertritt Deſterreich

zu den

Verbündeten vorausgingen , nöthigte es dieſelben durch die Drohung, ſonſt ſeine Waffen gegen ſie zu richten , in die Rheingrenze zu willigen . Als nach der Schlacht bei Leipzig Napoleon mit den Trüm mern ſeines Heeres über den Rhein geflohen war , und keine Streit kräfte mehr befaß den Verbündeten den Marſch nach Paris zu weh ren , da war Metternidy eifrigſt darauf bedacht die Ueberſchreitung der franzöſiſchen Grenze zu hindern , und bot aus freien Stüden dem Kaiſer der Franzoſen immer noch die Rheingrenze an . Im Feld zuge von 1814 lähmten die geheimen Befehle des öſterreichi fchen Cabinets die Thätigkeit des ohnehin nicht eben kampfluſtigen Fürſten Schwarzenberg , und Metternich bot alle ſeine Ueber redungskunſt auf, damit Napoleon durch Annahme der zu Chatillon vorgeſdlagenen Friedensbedingungen ſeine Strone rette , obſchon er den ſelben gut genug kannte, um nicht überzeugt zu ſein, daß ein etwaiger Friede mit demſelben nichts , als ein Waffenſtilſtand ſein werde. Die Grenzen von 1790 betrachtete der öſterreichiſ dhe Mini ſter als das Aeußerſte, was für Deutſchlands Wiederherſtellung ge than werden dürfe ; er hielt dieſe Grenzen auch ſpäter , wo weit mehr gefordert und erlangt werden konnte, feſt. Belgien hatte ſchon der Miniſter Thugut einen Mühlſtein am Halje Deſterreichs ge nannt; den Geiſt, welcher im Breisgau herrſche, fand Metternich mit öſterreichiſcher Anſchauungsweiſe unverträglidy, deshalb ſorgte er dafür, daß beide länder, damit Deſterreich außer Berührung mit Frankreich komme, gegen reichliche Entſchädigung in 3talien abge treten wurden. So wenig England ohne Deſterreichs Mitwirkung im Stande geweſen war in Wien Rußlands Anſprüche auf das Herzogthum Warſchau zu beſchränken , ebenſo wenig vermochte es das von Ruß land unterſtüşte Frankreich zu zwingen , daß es den Elſaß , Deutſch Lothringen und Flandern zu Herſtellung einer von Deutſchland und den Niederlanden leicht zu vertheidigenden Grenze abtrete , wenn Deſterreich dieſe Forderungen nicht unterſtütte. Gleichwol wirkte England eifrig dafür , daß die Niederlande im zweiten pariſer Frie den die ſpäter noch namhaft zu machenden acht belgiſchen Bezirke erhielten. Millionen hatte England zugeſichert, damit Belgiens Grenze gegen Frankreid befeſtigt werde ; es ſorgte auch dafür , daß ihm zu dieſem Zwecke 60 Millionen Francs von Frankreich aus

1 318

gezahlt wurden. Wer aber verſchafft dem Gegner einer wirklich be freundeten Macht Gebietsabtretungen auf Koſten derſelben , wer ift bereit des erſtern Grenzen mit großen Opfern gegen etwaige An griffe der leßtern zu befeftigen ? Noch am 19. Febr. 1816 vertheidigte Lord Liverpool die Politik des engliſchen Cabinets mit folgenden Worten : „ Es gab in der That Leute, welche behaupteten , daß es beffer geweſen wäre Frank reich kleiner zu machen , als fortwährend fich in deffen Angelegen heiten zu miſchen. 3ch felbft würde die Frage, ob id Frant reich zerftidt zu fehen wünſche ? ſicherlich nicht der neinen. Aber e$ war noch eine andere Frage vorhanden , nämlich bie : wem die Frankreich 17 werben follten ? "

zu nehmenden Stüđe gegeben

Flandern freilich konnte nur mit den Niederlanden vereinigt werden . Aber man wollte die Rüderſtattung der franzöſiſchen & r= oberungen vor der Revolution vollſtändig, oder gar nicht fordern . Es fragte fich hauptſächlich wer den Elſaß und Lothringen erhalten folle ? In beiden Ländern felbft waren nur für Defterreich Sympathien vorhanden , theils weil feine Dynaſtie bort früher ge berricht hatte, theils weil man keinem Kleinſtaate anzugehören wünſchte. Defterreich ſelbſt, wohl einfehend, daß Rußland and Preußen dies , weil es die bisherigen Machtverhältniſſe zu fehr ver ändert hätte, nicht zugeben würden , wollte ſie, wie ſpäter noch aus führlicher gezeigt werden wird , einem ſeiner Prinzen dem Erzherzoge Karl zuwenden. Nach dem Mißlingen dieſes Plants befihloß Defterreich, daß fie audy beinem andern Deutſchen Fürſten zu Theil werden follten , und da das cuffiſdye Cabinet hiermit ganz einverſtanden war, ſo hielt es das englifdhe Miniſterium , izu = mal bei der ſchlaffen Haltung des preußiſchen Staatskanzlers und der von ihm unflugerweiſe geduldeten Ausſchließung der deut idhen Staaten von den Friedensunterhandlungen , nicht für räthlich für die Trennung jener Provinzen von Frankreich ſich auszu ſprechen , indem es daran verzweifelte die Maßregel gegen Rußlands und Defterreichs Willen burchzuſeßen. Waren bod erſt Monate verfloſſen , ſeitdem Caftlereagh in Wien in der polniſch - fädyſi idhen Frage ſo unangenehme Erfahrungen gemacht hatte. Er wollte ſich nicht wieder der Beſchämung auslegen mit ſich ſelbſt im Wider ſpruche das zu befördern , was er früher bekämpft hatte. Die engliſchen Staatsmänner machten alſo aus der Noth eine Tugend, als ſie der Schmälerung der franzöſiſchen Grenzen über

1

319 den Stand von 1790 hinaus fich widerſeßten.

Sie thaten dies nur

deshalb mit ſcheinbarem Eifer, weil England ohne Deſterreichs Mitwirkung , und auf diejenige Preußens und Deutſchlands be ſchränkt, fich außer Stande fühlte die Frage über Frankreiche Oft grenze im Intereſſe Deutſchlands und des europäiſchen Friedens be friedigender zu löſen . Auf dieſe Weiſe brachte Metternich , um dem öſterreichiſchen Kaiſerſtaate die Leitung Deutſchlands zu fichern , es babin, daß Preußen und Baiern dywer zu vertheidigende Landftridye an der franzöſiſchen Grenze als ungenügende Entſchädigung erhiel ten ; ja er rühmte fich , daß er beide Staaten hierburch ,,compro mittirt “ D. h . in eine Tage gebracht habe, wo fte Frankreiche An Wäre das natürliche Bollwerk Süd griffe zu fürchten hätten. deutfdlande, der Elſaß, wären die lothringiſchen Grenzfeſtungen wieder beutfd geworben , dann waren franzöſiſche Angriffe, felbft wenn Deſterreich ſeine Bundespflicht nicht erfüllte , keines wegs zu fürchten , und Metternich hätte nicht darüber jubeln kön nen , baß Preußen und Baiern , und mit ihnen Süddeutſchland in Gefahr feien ! Er jubelte aber hierüber, und betrachtete eß als ein diplomatiſches Meiſterſtück, daß Deutſchland bei Vertheidigung ſeiner Grenzen gegen Frantreich ' ben Beiſtand Deſterreiche nicht entbehren könnte, und deshalb deffen Schußherrſchaft dulden müffe. Da Defterreich als deutſche Großmacht ſchidlicherweiſe nicht Bffentlich dafür wirken tonnte , daß die an Frankreich verlorenen, zu Deutſchlands Sicherheit unentbehrlichen Grenzländer franzöſiſch blieben , ſo ließ es andere Großmächte bafür wirken , und berbarg ſeine wahre Abficht Deutſchland in Hülfebedürftiger Lage zu erhalten hinter einem erheuchelten Eifer für deſſen Wohl. 3ft es bei auf merkſamer Prüfung ſeiner ſdyriftlichen Erklärungen fdyon unverkenn bar , daß ihm an einer Sicherung der deutſden Grenzen durch Zu rüdforderung ehemaligen deutſchen Gebiets von Frankreich nichts gelegen war , wie viel mehr noch mag Metternidy ſchon lange vorher mündlich den ruſſiſchen und engliſchen Diplomaten dies zu erkennen gegeben haben ? Andere haben das an innern Widerſprüchen ſo reiche Benehmen der engliſchen Staatsmänner allerdings auf andere Weiſe zu erklä ren verſucht; allein das, was ſie deshalb anführen, läuft nur darauf hinaus denſelben eine unglaubliche Kurzſichtigkeit und theilweiſe ein angeblich perſönliches Intereſſe zuzuſchreiben . So wird in erſterer Beziehung behauptet, das engliſche Cabinet habe, als es für die An nahme der Frankreich ſo unerwartet günſtigen Bedingungen des

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erſten und zweiten pariſer Friedens bemüht war , felben zu ſchließendes Bündniß im Auge gehabt, Rußland in gleicher Weiſe bemüht geweſen ſei . dieſem Wetteifer um das Kleinod der franzöſiſchen

nur ein mit dem um welches auch England habe in Dankbarkeit Ruß

land den Rang ablaufen zu können gehofft, weil Ludwig XVIII. unumwunden geäußert hatte, daß er nächſt Gott dem Prinzregenten von England die Wiedererlangung ſeiner Krone verdanke, és aud bekannt war, daß zwiſchen den Bourbonen und dem Kaiſer Alerander eine gewiſſe Spannung herrſchte, und Ludwig die in Mitau erlebten Widerwärtigkeiten dem Kaiſer nicht verziehen habe. Die zweifelhafte Dankbarkeit eines altersſchwachen Könige, wurde ſie nicht überhaupt bloß zur Schau getragen, um die Eitelkeit Aleran der's zu kränken , eines Könige , welcher, von fremden Waffen auf den Thron gefeßt , ſchon deshalb der Zuneigung ſeines Volfs ent behrte , wäre alſo den damaligen Leitern der engliſchen Politik als genügende Grundlage zu einem Bündniſſe mit dem von jeher unab läſſig bekämpften Frankreich erſchienen, mit jenem Frankreich, welches in England gehaßt wurde , und dieſen Haß in vollem Maße er widerte ? Aber ſelbſt angenommen , Ludwig und das engliſche Cabinet hätten ein wunderbares Bedürfniß gefühlt , ohne Rüdricht auf die ſich freuzenden Intereſſen und auf den gegenſeitigen Haß der beiden Bölfer , ein Bündniß zwiſchen Frankreich und England abzuſchließen , ſo mußten doch die engliſchen Miniſter, da Bündniſſe der Zukunft wegen eingegangen werden , bevor ſie an den Abfdluß eines ſolden dachten , fidy die Frage beantworten , ob dem eroberungsſüchtigen Frankreich im entſcheidenden Augenblide Rußlands Freundſchaft nicht werthvoller erſcheinen werde , als diejenige Englands. Dieſes wäre nur bereit geweſen für Aufrechthaltung des gegenwärtigen Bejibſtandes ein Bündniß einzugehen; verſtändigte ſich aber Ruß land mit Frankreich , ſo konnte letzteres hoffen ſeine ſogenannten natürlichen Grenzen wiederzuerlangen , wenn es dafür die ruſſiſchen Eroberungsgelüſte unterſtüşte. Englands Verdienſte um Frankreich gehörten der Vergangenheit an , da Niemand daran dachte deſſen rechtmäßigen Beſitſtand durch einen Eroberungskrieg zu ge fährden ; Rußland aber vermochte einen Preis zu bieten , um welchen , wurde er errungen , die Franzoſen in ihrem Gefühle be friedigter Eitelkeit der bourboniſchen Dynaſtie verziehen hätten , daß ſte ihnen durch, fremde Waffengewalt aufgedrängt worden war. Daß nur Karl's X. Sturz ein hierauf gerichtetes franzöſiſch ruſſiſches Bündniß

nicht zur Ausführung

kommen ließ ,

321

ift bekannt.

Ronnte wol unter dieſen Umſtänden bei den eng

liſchen Staatsmännern ein Zweifel · darüber vorhanden ſein , daß das rufftſche Bündniß dem engliſchen vorgezogen werden würde ? Hätten ſie ſonſt wol , wie z. B. Lord Liverpool, die Zerſtüdelung Frankreichs für wünſchenswerth erklärt ? Wellington endlich , der einflußreidiſte unter Englands Ver tretern , habe, ſo behauptet man , der Schmälerung der franzöſiſchen Grenzen über den Stand von 1790 hinaus deshalb die militä riſche Belegung einiger Grenzprovinzen vorgezogen , weil ſein Ehr geiz durch den ihm über das Befaßungsheer übertragenen Oberbes fehl fich geſchmeichelt gefunden habe. Deshalb habe er Friedens bedingungen gut geheißen , welche Frankreich, wie er ſelbſt zugeſtand, viel zu ſtark für die Ruhe Europas ließen . Wie konnte aber ein ſiegreicher Feldherr ſich durch den Oberbefehl über ein Heer geſchmei chelt fühlen, welches dazu beſtimmt war Polizeidienſte gegen ein neuerungsſüchtiges Volk zu verrichten ! Zeigten ihm nicht, troß aller Zuvorkommenheit des engliſchen Cabinets , troß der muſterhaften Mannszucht ſeiner Truppen , die Franzoſen ihren Haß in einer Weiſe , welche ihm den Aufenthalt in Frankreich ſehr peinlich machen mußte ? Vertrieb nicht ihre Berhöhnung ihn aus dem Theater, wo er in beſcheidener bürgerlicher Kleidung erſchienen war ? Trachtete man ihm nicht ſogar nach dem Leben ? Nein , berartige Beweggründe konnten die engliſchen Staatsmänner nicht veranlaſſen mit den ruſſiſden Diplomaten in Bewerbungen um die Gunſt des franzöſiſchen Hofes zu wetteifern. Sie thaten nur , was ſie thun mußten, und wie es ihnen am vortheilhafteſten ſchien. Denn gleichviel ob ihr Verſuch das ruffiſch - franzöſiſche Bündniß zu verhindern gelang, oder nicht, es änderte dies nichts an der wirklichen Lage der Sadhe, nach weldier Deſterreich der natürliche Bundesgenoſſe Englands blieb . England fügte ſich den Anſichten Deſterreichs über die beſte Art und Weiſe deſſen Machtſtellung in Deutſchland zu verbeſſern, weil die Bundesgenoſſenſchaft mit Deſterreich in dem felben Verhältniſſe werthvoller wurde, als ſeine Macht ſich vermehrte. Daß England der öſterrei difchen von Metternid geleiteten Bolitik nur nothgedrungen fid fügte , nicht aber aufrichtigen Beifall zollte, dürfte auch in dem Umſtande Beſtätigung finden, daß Metternich, obſchon durch die höchſten Drden aller übrigen europäi ſchen Monarchen geziert, doch keines engliſchen Ehrenzeichens fich rühmen konnte. 21 II.

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Noch andere ſuchen der Weiſe zu erklären . zöfiſche Abtretungen ſo ſtandes nidyt bedurfte,

die befremdliche Politit Englands in folgen Wurde Deutſchlands Weſtgrenze burch fran gut befeſtigt, daß es fortan fremden Bei um die Eroberungsverſuche der Franzoſen

erfolgreich zurückzuweiſen , fo hätte dies zur Folge gehabt, daß Eng= land ſeinen Einfluß auf die Politik des Feſtlandes zum großen Theil eingebüßt, und ihr Schwerpunkt nach Deutſchland verlegt worden wäre. Um ftets unentbehrlich zu bleiben, mußte daher England dahin wirken , daß Frankreich ein an Macht gleiches Gegengewicht gegen Deutſchland bilde . Das Entgegenſtreben zweier ſolchen Pole konnte dann nicht ausbleiben ; welche vortreffliche Ausſicht alſo die Regulirung ihrer Kräfte in den Händen zu behalten ? Die Vertheidiger dieſer Anſicht räumen ſelbſt ein , daß , abge ſehen von der Unehrlichkeit dieſer Politik, ſte zu fein war, um den beabſichtigten Zweck damit zu erreichen. Allein bei näherer Brüfung iſt es auch durchaus unglaublich, daß das engliſche Cabinet bei Er wägung der politiſchen Verhältniſſe ſich einem ſo groben Frrthume Denn wurde auch Frankreich genöthigt hingegeben haben ſollte. Flandern an die Niederlande, ben Elſaß und Lothringen an Deutſch land abzutreten , ſo bewies ja eben die Vergangenheit über zeugend genug , daß es dennod feinen Grenznad barn überlegen blieb , und nur deren einiges Zuſammenhalten im glücklichen Falle franzöſiſche Angriffe ſcheitern machen konnte . Die betreffenden Länder waren ja theils erobert, theils behauptet worden , ungeachtet Mitteleuropa im Bunde mit England Ludwig XIV. mit Auf bietung aller Kräfte bekämpft hatte . Ein großes, unter einheitlicher Leitung ſtehendes Reich mit ſo regem Nationalgefühle, wie Frankreich, hatte von einem Bunde verſchiedener Staaten, welche nur die ge meinſame Gefahr vereinigen konnte, nie etwas für ſeinen Beſibſtand zu fürchten , ſdon deshalb nicht, weil die gegenſeitige Eiferſucht der Verbündeten untereinander fie der Erfahrung gemäß hindern mußte Eroberungen zu machen. Dagegen war die unverhältnißmäßige Ueberlegenheit Frankreichs über einzelne ſeiner Nachbarn für deſſen eroberungsluſtiges Volt ſtets eine große Verſuchung bei günſtiger Gelegenheit ſeine Grenzen zu erweitern . Doch ſelbſt bei vollſtändi gem Gleichgewichte der Machtverhältniſſe zwiſdien Frankreich und Deutſchland hätte immer diejenige Bartei, welche des engliſchen Bündniſſes fich erfreute, das Uebergewicht über die andere erhalten : Grund genug für beide dies durch angemeſſene& Benehmen zu ver hüten .

323

Endlich aber war ja England ein Staat, beffen Bolitit nicht von dem Ehrgeize eines Monarchen , fondern von der Meinung des Parlaments darüber abhing, welches Verhalten den Intereſſen des Da nun das Wohl Englands, Landes am heilſamſten ſein werde. als eines Handelsſtaates, vom Blühen des Handels, der nur im un geſtörten Frieden gedeihen kann, bedingt war, ſo durfte das engliſche Miniſterium keiner andern als einer Friedenspolitik huldigen, Ber ſäumte es hinreichende Bürgſchaften für einen künftigen bauerhaften Frieden in Paris zu erlangen , ſo mußte es wenigſtens mit der anſcheinenden Unmöglichkeit ſie zu erlangen und mit deshalb drohen den hoffnungsloſen Striegen ſich entſchuldigen können , oder es hatte feinen Sturz zu erwarten . Es ſteht auch feſt, daß Lord Liverpool jene Erklärungen über die Feſtſtellung der Grenzen Frankreich nur deshalb im Parlamente gab, weil das Ergebniß dort getadelt wor den war . Was die Durchführung der Aufgabe betrifft, die Nachbarländer Franfreiche durch Erzwingung der fraglichen Abtretungen von Seiten des legtern dauernd zu ſichern , ſo wird wol Niemand die Behaup tung wahrſcheinlich zu machen vermögen , der Kaiſer Alexander würde ernſtlich daran gedacht haben wider Defterreich , Breußen , Deutſchland, England und die übrigen von dieſem beeinflußten Staaten das von der Gnade feiner Sieger abhängige Frankreich mit Waffengewalt zu vertheidigen.

Von ſeinem Reiche durch die Länder

feiner bisherigen Bundesgenoſſen getrennt, welche er durch ſeine Treuloſigkeit in erbitterte Feinde verwandelt hätte, durfte er nicht daran denken einen ſolchen, in jeder Beziehung hoffnungsloſen Kampf zu unternehmen . Fa er hätte wol eine Empörung feiner eigenen Truppen zu beſorgen gehabt , da dieſe ſchwerlich gewillt geweſen wären für Frankreich, welches den Brand Moskaus, die Verwüſtung ihres Vaterlandes, den Tod und das Elend unzähliger Landsleute verſchuldet hatte , ihr Blut zu vergießen indem ſie ihre bisherigen Waffengefährten bekämpften. Das franzöſiſche Bolt aber , durch drei unglüdlide Feldzüge entmuthigt, eines ſeit dreiundzwanzig Jahren faum unterbrochenen Kampfes müde, und nach Napoleon'& Gefangens nehmung in Parteien zerſpalten , würde weder den Willen , noch die Kraft beſeffen haben ſich der Rückerſtattung der fraglichen Grenz länder zu widerſeßen , in denen nicht einmal ſeine Sprache die herr jdende war. Daß

der Elſaß

und

Deutſch - lothringen 21 *

nicht

an

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Deutſchland abgetreten wurden , daß man hiermit nicht künftigen Kriegen vorbeugte , welche franzöſiſche Erobe rungsluft ſeitdem entzündete und noch entzünden wird , bat Deutſchland und Europa nidyt ſowol der ruſſiſchen , als vielmehr der öſterreichiſchen Cabinetspolitik zu dan fen . Der verderbliche Einfluß von Rußlands offener Feindſchaft wäre zu beſeitigen geweſen , gegen Deſterreide heimliches Wirken zum Nachtheil Deutſchlands gab es kein Gegenmittel. Als die Vertreter der vier Großmächte die Friedensunterhand (ungen begannen , ſuchten fie theils in perſönlichen Zuſammenfitnften durch mündlichen Austauſch ihrer Anſichten , theils durdy Dent ſdriften ein Einverſtändniß unter fidh herbeizuführen ; denn war ein ſolches erzielt, ſo verſtand es ſich nach Lage der Sachen von ſelbſt, daß Frankreich dem gemeinſamen Beſchluſſe ſich zu unterwerfen habe. Den Vertretern der kleineren deutſchen Staaten , welche zuſammen ein weit zahlreicheres Heer , als England ins Feld geſtellt, und die vor allen ein Intereſſe hatten , daß ihr beim legten Friedens ſcluſie nicht berücfidhtigtes Recht auf eine geſicherte Grenze gegen Frankreich jeßt endlich anerkannt werde, geſtattete man nicht an den Unterhandlungen theilzunehmen , und doch war ihre Berechtigung hierzu unbeſtreitbar; ja dem Könige von Würtemberg gegenüber hatte England, welches im Namen der übrigen Großmächte denſelben in den Bund gegen Frankreich aufnahm , dieſe Berechtigung ausbrück= lich anerkannt. Daß durch Zulaſſung der Vertreter anderer verbün deter Staaten zu den Friedensunterhandlungen die Schwierigkeit zu einem Einverſtändniſſe zu gelangen zu ſehr geſteigert werde , war nur ein Vorwand , denn man bewilligte den kleineren deutſchen Staaten nicht einmal die Befugniß fich durch einen Geſammt bevollmächtigten vertreten zu laſſen. Es wäre dies um ſo gerechter und billiger geweſen, als ihre bloße Vertretung durch Deſterreich und Preußen auch dem ſoeben abgeſchloſſenen deutſchen Bundesver trage nicht entſprach. In Wien hatte man zwar die kleineren deut fchen Staaten bei Ordnung der Gebietsfragen auch nicht gehört. Allein dort handelte es ſich zuvörderſt um die Wiederherſtellung der deutſchen Großmächte; die zur Verfügung ſtehenden Länder reichten für deren Befriedigung nicht einmal vollkommen hin, und die Rhein bundesglieder hatten ihnen die verlangten Zugeſtändniſſe bereits gemacht. In Paris kam es dagegen darauf an von Frankreich ge raubte deutſche Grenzländer zur Sicherſtellung Süddeutſchlands wie derzuerlangen. Preußen wirkte zwar hierfür mit redlichem Eifer,

325

je mehr es aber Urſache hatte ein gleiches Verfahren von

Deſter

reich nicht zu erwarten , deſto weniger hätte es ſich den Beiſtand des übrigen Deutſchlands entgehen, und die Gelegenheit unbenupt laſſen ſollen deſſen Sympathien durch Anerkennung des von ihm bean ſpruchten unbeſtreitbaren Rechts zu gewinnen. Die Dentſchriften, in welchen die Mächte ihre Anſichten bei den Friedensunterhandlungen entwidelten , geben von dieſen das treueſte Bild , denn ſie zeigen in geordnetem Zuſammenhange die Gründe und Gegengründe , welche von den Parteien zur Geltendmachung ihrer Forderungen angeführt wurden, während die Sitzungsprotokolle dieſelben nur kurz andeuten , die darin enthaltenen Beſchlüffe aber aus der Friedensurkunde ſelbſt hervorgehen. Der ruſſiſche Bevollmächtigte Capodiſtrias ſprach ſich zuerſt in ſeiner Denkſchrift vom 28. Juli über die dem Friedensvertrage zu gebenden Grundlagen , und zwar in folgender Weiſe aus : Der Zwed , zu deſſen Erreichung Europa fich verbunden , habe darin be ftanden Frankreich von Buonaparte und dem revolutionären Syſteme zu befreien , welches dieſen wieder auf den Thron feyte , ſowie die durch den Frieden von Baris und den wiener Congreß geſchaffene Ordnung der Dinge wiederherzuſtellen , und ihre Dauer zu ſichern. Der erſte Theil der Aufgabe ſei gelöſt, und es bliebe daher nur übrig ben legtern Theil derſelben zu erfüllen , was durch Gewäh rung moraliſcher und reeller Bürgſchaften geſchehen könne. Gine Prüfung derſelben werde zeigen, ob man ſich für jene oder für dieſe, oder für beide zugleich zu entſcheiden habe. Die reellen Bürgſchaften könnten darin beſtehen : a)

die Frankreich durch den Grenzen zu verengen ;

Frieden von Paris

angewieſenen

b)

ihm die Bertheidigungslinie , welche ſeine Grenzen umgürtet , zu nehmen , oder deren Befeſtigung zu zerſtören ;

c)

ihm alles Kriegsmaterial unter Verſchüttung der Quellen deſ ſelben zu entziehen ;

d)

dem franzöſiſchen Volfe eine ſtarke Gelbſteuer aufzulegen, welche es demſelben für lange Zeit unmöglich mache fich aus ſeiner ießigen Lage emporzuſchwingen.

Da die verbündeten Mächte, als ſie gegen Buonaparte und ſeine Anhänger die Waffen ergriffen , Frankreich nicht als ein feindliches Land betrachtet hätten , könne auch gegen daſſelbe das Eroberunge. recht nicht ausgeübt werden, und zwar um ſo weniger, als dies mit

326 den Beſtimmungen des pariſer Frieden und des wiener Congreſſes im Widerſpruch ſtände, beren Aufrechthaltung der Krieg bezwedt habe. Werde das franzöſiſche Gebiet geſchmälert, ſo müßten neue Ländertheilungen ſtattfinden, um das geſtörte Gleichgewicht wieder herzuſtellen , was ſchwierig ſei , und mit den verkündeten großmüthi Während gen Grundfäßen der Verbündeten nicht übereinſtimme. der Zeit , wo Buonaparte ſich die Herrſchaft Frankreiche angemaßt habe , ſei von den Verbündeten Ludwig als deſſen König anerkannt worden . Durch Gewalt der Waffen hätten ſie ihn wieder auf den Thron geſegt. Gerechtigkeit und eigener Vortheil erheiſche ſein An ſehen zu befeſtigen ; ihn zu Abtretungen zu nöthigen , würde das Gegentheil bewirken. Die Kraft des franzöſiſchen Volkes auf irgend eine Weiſe ſchwächen , um es zu Anerkennung der rechtmäßigen Re gierung zu nöthigen , würde lektere als ein Unglüc für Frankreich erſcheinen laſſen, in den Augen der Nachwelt alle Gräuel einer mög lichen Revolution rechtfertigen, den Krieg zu einent unbeendigten machen , und die Mächte nöthigen zu deſſen erfolgreicher Führung ſich vorzubereiten. Was die moraliſchen Bürgſchaften betreffe, ſo werde zwar die Beſeitigung der buonapartiſchen Dynaſtie für ewige Zeiten den König in den Stand ſeßen fein verfaſſungsmäßiges Anſehen dergeſtalt wieder herzuſtellen, daß die geſunde Mehrheit des Volks ſich um ſeinen Thron ſchaare; allein es gebe kein Regierungsſyſtem , welches Frankreich vollkommen vor einem neuen Umſturze bewahren könne. Man müſſe daher moraliſche mit reellen Bürgſchaften verbinden, bei legteren jedoch auf Geltendmachung des Eroberungsrechts verzichten. Dies würden die verbündeten Mächte baburch erreichen , daß ſie 1 ) unter Erneuerung ihres Vertrags vom 25. März Napoleon Buonaparte und deſſen Familie von der Herrſchaft in Frank reich ausſchlöſſen, und für eine gewiſſe Zeit gegen jede etwaige Störung der Ruhe Europas von Seiten Frankreich nach der Uebereinkunft von Chaumont verbunden blieben ; ferner aber 2) indem ſie in Frankreich mit Einwilligung der franzöſiſchen Regie rung, ſo lange dies nöthig ſcheine, zu deren Sicherung Streit kräfte aufſtellten , und zugleich den angrenzenden Staaten die Mittel gewährten ihre Bertheidigungslinie zu verſtärken. Frankreich müſſe demnach eine Summe bezahlen , welche nicht nur

hierzu , ſondern auch zum Erſaße der veranlaßten Ariegskoſten hin = reiche; dies ſei nur gerecht, denn Frankreichs ſtaatliches Daſein werbe daburd nicht gefährbet. Da dieſe Summe nicht ſofort, ſondern

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erſt binnen geraumer Zeit bezahlt werden könne, fo wären die Ver bündeten berechtigt bis zur vollſtändigen Berichtigung derſelben einen Theil des franzöſiſchen Gebiets befekt zu halten, was zugleich noch den Vortheil gewähre die moraliſche Bürgſchaft, welche in der Ber beſſerung der franzöſiſchen Verfaſſung liege , zu erproben . Um alle dieſe Bürgſchaften zu erlangen , müſſe man den Weg freundſchaftlicher Unterhandlung mit der franzöſiſchen Regierung ein ſchlagen , denn ſie ſei die Verbündete Europas , welches ſeit ihrer Wiedereinſeßung ſich wieder in Frieden mit Frankreicy befinde. Dieſe Unterhandlungen ſeien um ſo mehr zu befchleunigen , als die fran zöſiſche Regierung wol nicht ihre Feſtungen den Verbündeten ein räumen und ihr þeer auflöſen werbe, bevor ſie von deren Abſichten unterrichtet ſei. 1) Günſtiger für Frankreich, als der Vertreter Rußlands hätte auch ein franzöſiſcher Diplomat die politiſche Lage nicht auffaſſen und daran entſprechende Borjdläge knüpfen können . Was dieſer Dent ſchrift einen ganz eigenthümlichen Charakter verleiht , iſt, daß man ihrer Abfaſſung nach denken ſollte, die Verbündeten hätten den Krieg gegen Napoleon nicht zu ihrer eigenen Sicherheit, zu Aufrechthaltung der von ihnen erkämpften neuen ſtaatlichen Ordnung Europas ge führt , ſondern nur , um Ludwig XVIII. wieder auf den Thron zu ſeben. Ihn auf demſelben zu befeſtigen , darin beſtehe nun ihre Hauptaufgabe , da die Herrſchaft der Bourbonen in Frankreich die beſte Bürgſchaft dafür ſei, daß lepteres nicht wieder die Ruhe Euro pas ſtöre. Gleichwol war dem Verfaſſer die einmüthige , auf Englands Antrag ausgeſprochene Erklärung , daß man den Franzoſen keine ihnen mißliebige Regierung aufdrängen wolle , ebenſo bekannt , als die Thatjade , daß faſt alle bourboniſden berrider icon vor der Revolu tion es ſich zur Aufgabe gemacht hatten ihre Nachbarn mit Krieg zu überziehen und zu berauben. Ludwig's XIV . Kriegführung übertraf ſogar bei weitem diejenige Napoleon's an Barbarei. Es kam dem ruſſiſchen Cabinete aber auch nur darauf an , den in der ſogenannten Bundesgenoſſenſchaft Ludwig's XVIII. gefundenen neuen Vorwand, Frankreich mit Gebietsabtretungen zu verſchonen , geltend zu machen . Talleyrand , welcher ſchon in Wien fich des Umſtandes gefreut

1) 0. Gagern , v , 2 , 24 — 37. Schaumann , Actenftüde zum zweiten pariſer Frieden , Nr. 1.

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hatte, daß die leitenden Großmächte den Krieg gegen Frantreich in einen Krieg gegen Napoleon und ſeine Anhänger umzuſtempeln unter nahmen , und wußte , daß nur Preußen Deutſchlands Rechte zu ver treten entſchloſſen ſei , war gar nicht erſtaunt bieſe Anſicht in der ruffiſchen Denkſchrift wiederzufinden . Ueberhaupt läßt niớt nur ſein gutes Einverſtändniß mit den ruſſiſchen , Öſterreichiſchen und engliſchen Staatsmännern vermuthen , daß Capodiſtrias ſich mit ihm über den Inhalt beſagter Denkſchrift berathen habe, ehe er ſie verfaßte und übergab , ſondern dieſe Annahme findet auch darin ihre Beſtätigung, daß kurz darauf im Anfange des Monats Auguſt im ,, Journal des Débats ein Artikel veröffentlicht wurde , welcher in genauer geiſti ger Verwandtſdiaft mit der Auffaſſungsweiſe des ruffiſchen Bevoll mächtigten ftand, die doch den wirklichen Verhältniſſen ſo wenig entſprach. Auch hier wurde behauptet, die Monarchen hätten nichts weiter gewollt, als den Rechten Ludwig's , ihres Verbünde ten , Anerkennung zu verf daffen , ebendeshalb fei es undenk bar , daß ſie von demſelben eine Gebietsabtretung, oder ſonſt etwas Läftiges verlangen würden . Unter Hinweiſung auf die von den Verbündeten am 13. und 25. März zu Wien erlaſſenen Bekannt machungen , daß fie nur gegen Napoleon und ſeine Anhänger Krieg führen wollten , wurde die Meinung ausgeſprochen , daß, da Napoleon fich bereits in den Händen der Engländer befinde, ein förmlider Friede gar nicht nöthig ſei. Endlich fam auch der Ausbrud ,, moraliſde Bürgidaften ", deſſen nur Capodiſtrias in ſeiner obenerwähnten Denkſchrift bei den pariſer Friedensunterhandlungen fich bedient hat , in beſagtem Artikel vor. Man ging nämlich aus bem Gebiete der Politik auf das ber Moral über, und führte ſehr kunſtreich aus , daß erſtere immer auf leştere fich fügen müſſe. Die Moral erheiſche bie Erfüllung jener Verheißungen ; eine ſoldie Band lungsweiſe würde die Völker am beſten beruhigen und den Frieden berbürgen ; moraliſche Bürgſchaften , die in der Ueberzeugung der Völker wurzelten , böten mehr Sicherheit für die Staaten , als alle politiſchen Bürgſchaften . Talleyrand beeilte fich in einer zu derfelben Zeit überreichten Rote die von Capodiſtrias fo vortheilhaft für Frankreich eröffnete Bahn weiter zu verfolgen, indem er Betrachtungen darüber anſtellte, Er theilte mit, daß der Mönig die wie Frankreich zu regieren ſei. Berabſchiedung des bisherigen Heeres und die Aufſtellung eines neuen angeordnet habe, und zählte eine Reihe politiſcher Einrichtun gen auf , welche den Franzoſen zu Theil werden würden .

329

.

,, Der Geiſt der Eroberung " fuhr er ſodann fort ,, beſeelte nicht Frankreich, für welches er ein hartes Mißgeſchick war, er herrſchte nur in dem Heere. Genährt durch den Erfolg , erliſcht er im Unglüce; die voraus gehenden Feldzüge hatten ihn bereits allmälig verringert. Es ſcheint un möglich , daß er den leßten Feldzug überlebe. Diejenigen , welche ihn etwa noch hegen , können es ſich nicht verhehlen , daß ſie nicht, wie ehemals, Europa uneinig finden würden , gegenüber dem einigen Europa aber hätten ſie nichts zu hoffen. Niemand hält hoffnungsloſe Wünſche hartnädig feft. Außerdem wurde die Eroberungsluſt durch die faſt endloſe Dauer des Kriegs dienſtes erhalten , welche bewirkte, daß der Soldat endlich kein anderes Vaterland kannte, als das Heer. Dieſer Grund wird durch den gegen wärtigen Organiſationsplan beſeitigt werden , welcher , indem er die Krieger häufig der Gewohnheit und Traulichkeit des häuslichen Lebens zurücgiebt, fie geneigter machen wird in Intereſſen und Geſinnungen ſich nicht im Wi derſpruche mit ihrem Vaterlande zu befinden . Der König glaubt, daß dieſer Verein von Thatſachen , Einrichtungen und Maßregeln für Europa11 und Frankreid alle wünſchenswerthe Bürgſchaften der Sicherheit barbietet. Welches

Bewußtſein

des

Uebergewichts

über

andere Staaten

mußte aber Frankreich beſißen , wie unbeſtritten mußte dies ſein, wenn ber vorſichtige Talleyrand fogar glaubte, feine Verſicherung, das franzöſiſche Heer gebe dem vereinigten Europa gegenüber die Hoffnung auf Eroberungen auf, werde einen guten Eindruck auf die Verbündeten maden ! Wie mangelhaft mußte das zu Paris und Wien geſchaffente europäiſche Gleichgewicht ſein , wenn der ruſſiſche Staatsmann , ungeachtet er von einer Aenderung deſſelben nichts wiffen wollte, dennoch zur Sicherung der Ruhe Europas gegen eine Friedensſtörung von Seiten Frankreichs die Fortbauer eines Schußbündniſſes aller übrigen Großmächte für eine ge wiſſe Zeit anempfahl ! Die Franzoſen und ihre Freunde ſtellten Napoleon und die revolutionären Grundfäße fortwährend als alleinige Quelle der franzöſiſchen Eroberungskriege dar , und dennoch hatten Frankreichs Eroberungen ſchon Jahrhunderte früher begonnen. Ludwig's XIV. unerſättlicher Eroberungsluſt hatte erſt ein Bündniß vieler europäi den Mächte nach einem dreizehnjährigen Ariege Schranken zu legen vermocht, und ſeine Gegner mußten , ungeachtet aller ihrer Siege, es ſich gefallen laſſen , daß er faſt alle älteren Eroberungen behielt, während ſein Enkel auf dem angemaßten ſpaniſchen Throne ficy be hauptete und nur die europäiſchen Nebenländer Spaniens an das Dieſem ſchon ſo übermächtigen erbberechtigte Deſterreich abtrat. Frankreich hatte Subwig XV. nod Lothringen , der erſte pariſer Frieden die von franzöſiſchem Gebiete umſloffenen frem den Befißungen und einen Theil von Savoyen hinzugefügt ; und aller dieſer Thatfaden ungeachtet entblödete man ſich nicht zu

330

behaupten , daß eine Schmälerung der franzöftſchen Grenzen europäiſche Gleichgewicht zerſtören würde !

bas

Gewiß war es weit weniger wunderbar , daß die Franzoſen, nachdem ihre mehr, als zwanzigjährigen Eroberungskriege mit ihrer Beſiegung geendet hatten , nun plötlich die Moral als Leitſtern für die krummen Wege der Staatskunſt empfahlen , weil die eigenthüm liche Art , wie ſie dieſelbe auffaßten , ihnen Strafloſigkeit für die eigene Immoralität verhieß , als daß die Verbündeten felbft durch ihre ſeltſamen Erklärungen ihnen Veranlaſſung gegeben hatten ſo unerhörte politiſche Theorien aufzuſtellen. Preußen war von allen Großmächten die einzige, welche eine folche Auffaſſungsweiſe bekämpfte. Hätte Humboldt ſtatt þardenberg Preußens Politik geleitet , fo würde er ſich wahrſcheinlich ber uns dankbaren Aufgabe überhoben geſehen haben berartige Behauptungen ſeiner Gegner zu widerlegen , weil er die Thatfachen, auf welche ſie fid ſtüßten , zu verhindern gewußt hätte. Was nüßte ſeine glän zende Beweisführung Diplomaten gegenüber, weldie entſchloſſen waren ſich nicht überzeugen zu laſſen ? Wo die Macht ſtatt des Rechtes die Entſcheidung giebt , iſt der Beweis , daß man leşteres beſige, unfruchtbar. Die Denkſchrift, mit welcher Humboldt die von Capodiſtrias aufgeſtellten Behauptungen widerlegte , erörtert die Ber hältniſſe Frankreich zu den Verbündeten und was für die Ruhe Europas geſchehen müffe mit einer ſolchen Meiſterſchaft , ihre Bewei&gründe bilden eine ſo engverbundene Stette, daß ſie ungeachtet ihrer Umfänglichkeit vollſtändig wiedergegeben zu werden verdient. Sie lautet: Die Stellung der verbündeten Mächte Frankreich oder der franzöſi iden Regierung gegenüber iſt zu verwidelt , als daß es nicht ſehr noths wendig wäre ſie mit großer Genauigkeit zu beſtimmen. Einerſeits war ſie ſeit der Entweichung Napoleon's von der Inſel Elba in verſchiedenen Zeit abſchnitten offenbar verſchieden , andererſeits ſind wir noch nicht an dem Punkte angelangt , wo Frankreich und die franzöſtſche Regierung als gleich bedeutende Ausdrücke betrachtet werden können. Als die Mächte ihre Erklärung vom 13. März veröffentlichten , beſtand in Frankreich noch die geſeßmäßige Regierung und war nur von einer Hand vou Menſchen angegriffen , oder wenigſtens (hien es fo. Denn wahrſchein lich würde dieſe Handbol Menſchen nie den Thron umgeſtürzt haben ohne die Gleichgültigkeit, womit wenigſtens ein ſehr großer Theil der Nation und zwar die Einen mit Genugthuung, die Andern ohne Schmerz und Bes Dauern den Ausgang der bevorſtehenden Umwälzung erwarteten . Damals waren die Mächte wirklich die Verbündeten Ludwig's XVIII. Die Erklä rung verſpricht dem Könige von Frankreich und dem franzöftidhen Volte, welches man auf ſeiner Seite glaubte, Hülfe, und zwar nur in dem Falle, daß Külfe begehrt würde. Sie regt eine unabhängige Regierung in Frank reich voraus , und achtet deren Anſehen .,

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Der Vertrag vom 25. März iſt noch in demſelben Sinne abgefaßt. Der achte Artikel bezeichnet als Zwed : Frankreich gegen Napoleon zu unters ſtügen, und es iſt die Rede davon, daß Ludwig XVIII. die Streitkräfte der Mächte in Anſpruch genommen habe. Aber gleichzeitig wird von der Hülfe geſprochen, welche der König für den Gegenſtand des Vertrags leiſten werde, woraus hinreichend hervorgeht, daß man dieſe Beſtimmung als ausführbar anſah. Uebrigens iſt dieſer Vertrag augenſcheinlich darauf gerichtet für die Sicherheit Europas gegen einen ſie bedrohenden Zuſtand der Dinge in Frankreich einen europäiſchen Bund zu ſchließen . Dies iſt ſein weſentlicher Zwed. Der erſte Artikel ſpricht nur davon , und dieſer Vertrag unterſcheidet fich ſchon dadurch ſehr von der Erklärung vom 13. März . Seine aller riftlichſte Majeſtät iſt dieſem Bündniſſe nicht burd Unterzeiðinung eines förmlichen Vertrags beigetreten , man hat ſich darauf beſchränkt eine zuſtims, mende Note von Seiten ihres Miniſters zu verlangen und zu erhalten . Im Augenblice , wo dieſer Vertrag genehmigt wurde , hatten die Um und ſtände fich geändert. Die britiſche Regierung erklärte ausdrüdlich die andern Mächte traten dieſer Erklärung bei daß ſie nicht die Ver pflichtung übernehme den Krieg in der Abſicht zu führen : Frankreich eine Regierung aufzunöthigen. Unfälle, welche jeßt ſo rühmlich wie der gut gemacht ſind , hatten den rechtmäßigen König aus ſeinem König reiche entfernt. Man unterſchied amtlich zwiſchen der Regierung und Frant reich , man hielt es für möglich, daß die Regierung ihre Rechte nicht wiedererlange. Das Bündniß nahm nun den wohl ausgeſprochenen und ganz entſchiedenen Charakter eines für die eigene Siderð eit der Mächte gegen Frankreich gerichteten Bundes an. Die Heere ſeşten ſich in María , Napoleon begann den Krieg , der 18. Juni endigte ihn , und die Verbündeten zogen in Paris ein. Man müßte alle Begriffe umkehren , und willkürlich den Sinn der Worte ver ändern , wollte man leugnen , daß Frankreich damals der Feind der Ver bündeten war , und daß der unterjochte Theil ihre Eroberung ward . Der König Ludwig XVIII. befand ſich nicht darin . Sicherlich hatte er ſeine ſtets unverjährbaren Rechte behalten . Seine Rechte waren von den Verbün deten anerkannt, aber in der That übte er kein Anſehen aus , und hatte zum Erfolge nichts beigetragen. Die ſeitens der Mächte gegen ihn eingegangenen Verbindlichkeiten hatten , wie der Inhalt und die Genehmigung des Vertrags vom 25. März es beweiſen , mindeſtens nicht mehr Geltung wie andere Rüct ſichten , und legten ihnen feine unbedingten Berpflichtungen auf. Frankreich andererſeits würde vergebens den Verſuch machen alles Unrecht auf Napoleon zu wälzen , es hatte und dies iſt der einzige praktiſche Geſichtspunkt einen ſolchen Antheil daran , daß es den Verbündeten unmöglid ge . macht war das Volk vom Inhaber der angemaßten Gewalt zu trennen. Dieſer hatte fidy nicht etwa wieder auf den Thron geſegt, indem er ſich mit Bajonneten umgab und Schređen einflößte , ſondern er hatte eine Regierung eingeſett, Kammern verſammelt, Formen eingeführt , welche ein zuführen unmöglich geweſen wäre , wenn nicht der Wille eines ſehr großen Theils des Volkes unmittelbar oder mittelbar dabei mitgewirkt hätte.Was auch die Gegenpartei ſagen mag , das, was während der drei Monate ſeiner angemaßten Herrſchaft geſchah, war nicht allein das Werk der Gewalt. Man kann nicht einmal ſagen, daß er viel gewaltthätige Handlungen beging . Er ſtellte den Verbündeten nicht eine Handvoll ſeiner Parteigänger , ſondern ein Heer von beinahe 200000 Mann entgegen, das ziemlic in allen Theilen Frant reichs ausgehoben war, und dies Heer ſchlug fich mit Muth und Aus bauer. Es wird kaum ein Franzoſe daran zweifeln ,daß er , wenn die Sølacht vom 18. Juni günſtig für ihn ausgefađen, im Stande geweſen wäre ſein Heer neu zu verſtärken , den Krieg in die Länge zu ziehen, und , wenn

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die Verbündeten es ihm geſtattet hätten , Frieden zu ſchließen und zu regies ren , wie er vor 1813 regierte. Unmittelbar nach der Einnahme von Paris durd die Verbündeten kehrte der König zurüc , beſtieg wieder den Thron , und die verbündeten Mächte begannen zu unterhandeln. Nun erſt ſtellte ſich der Zuſtand der Dinge, wie er vor ihrem Umſchwunge geweſen war , allmälig wieder her , aber dennoch in zwiefacher Hinſicht mit unermeßlicher Verſchiedenheit. 1) Die verbündeten Mächte haben unter großen Opfern eine furchtbare Erfahrung gemacht. Sie haben geſehen , daß die königliche Regierung in Frankreich dem tollkühnſten und abenteuerlichſten Unternehmen erliegen konnte, daß weder die Idee ihrer Rechtmäßigkeit, noch die Ueberzeugung von ihrer Mäßigung und Milde, noch der Einfluß, welchen ſie beinahe ein Jahr lang auf Frankreich ausgeübt , das Volt zu hindern vermocht hat unter Napoleon's Befehle ſich gegen Europa zu bewaffnen, und daß ohne die ſo ausgezeichnete Tapferkeit der Heere, ohne jo" ſeltene Talente der Ge nerale , gegen welche der erſte Stoß gerichtet war, Europa leicht in einen ebenſo langen , als unheilvollen Krieg verwidelt worden wäre. Sie find alſo ermächtigt und ſelbſt gegen ihre Unterthanen verpflichtet aller nöthigen Vorſichtsmaßregeln ſich zu bedienen , um zu verhüten , daß ein ähnliches Unheil fic erneuere, und ihre Beziehungen zu der wieder auf den Thron geſeßten Regierung müſſen natürlich durch dieſe erſte und wichtigſte ihrer Pflichten bedingt werden. Da ihr Bündniß von Anfang an und in der Folge ausſchließlich ein Schutzbündniß gegen den drohenden Stand der Dinge in Frankreich war , ſo muß es dieſen Charakter bewahren , und ſie haben dieſem Zwecke jede andere Rückſicht unterzuordnen . Wenn dieſe Erwägun gen an Bürgſchaften zu denken auffordern , ſo erheiſchen die Opfer Ent dädigungen . 2) Ungeachtet der König zurüdgekehrt iſt, und faſt ganz Frankreich das äußere Zeichen der Unterwerfung unter ſeine Macht aufgepflanzt hat, ſo kann man doch den König und Frankreich noch nicht als eine und dieſelbe Macht betrachten. Das königliche Anſehen iſt zur Zeit weder gefidiert, noch befeſtigt , und man ſett ſich in einen augenſcheinlichen Widerſpruch, wenn man, um es zu befeſtigen , Frankreid, läſtigeBedingungen erſparen will. Man ſchwächt hierdurd , was im gegenwärtigen Augenblice noch ſeine wahrhafte Stüße iſt, die Ueberlegenheit der fremden Heere. Da das Bolt ſich in eine durchaus feindliche Stellung gegen die verbün deten Mächte geſegt hat , ſo können dieſe es nicht als ihnen þlöglich befreundet anſehen . Sie fönnen ſich der Beſorguiß nicht entſchlagen, daß, ſowie die Schonung, welche man im pariſer Frieden zeigte, ohne ein glüdliches Zuſammentreffen von Umſtänden in der That Buonaparte ge dient hätte,eine jeßt gezeigte Nachficht nur zum Vortheite desjenigen Theiles des Volks ausſchlüge, welches ſich von Neuem den Bourbonen widerſeken würde. Die Beziehungen der Verbündeten zum König ſind alſo noch durch die Erwägung bedingt, daß die Dauer des föniglichen Anſehens und die Unterwerfung des Volks von den Maßregeln abhängen , welche ſie zu neh men in Begriff ſind. Wenn man nach dieſer rein geſdichtlichen Ueberſicht fragt, was die Berbündeten Frankreich und ſeiner Regierung gegenüber zu thun berechtigt ſind , und was unrecht wäre, wenn ſie es ſich geſtatteten , ſo iſt die Löſung der Frage leicht, ſobald ſie gehörig geſtellt wird . Da die Sicherheit Europas die Urſache des Krieges und der Zwed des Bündniſſes geweſen iſt, ſo muß ſie auch der Grund der Friedensftiftung ſein , und die Verbündeten haben das unbeſtreitbare Recht von Frankreich und ſeiner Regierung alles zu verlangen , was ſie für dieſe Sicherheit für nothwendig halten . Weder der König ,

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noch das Volk fönnen dieſes Recht beſtreiten . Das Volk ohne den König hat kein Forderungsrecht , es hat geduldet mit Napoleon als Begriffseinheit zu erſcheinen , und iſt mit ihm beſiegt worden . Der König iſt durch die ünglüdsfälle, welche ihn betroffen haben , außerhalb des Bundes geſtellt worden, in welchem er nur den Beiſtand der Verbündeten verlangt hatte ; und da dieſe ihr Unternehmen allein beginnen und endigen mußten, ſo ſteht ihnen auch allein das Urtheil über das zu , was nothwendig ſein werde , um ihnen künftig dieſelben Opfer zu erſparen . Man behauptet, das Recht der verbündeten Mächte erſtrede ſich nicht ſo weit die Ganzheit Frankreichs anzutaſten ; denn da die verbündeten Mächte, als ſie gegen Napoleon und deſſen Anhänger die Waffen ergriffen , Frankreich nicht als feindliches Land betrachteten , ſo könnten ſie jest nicht ein Eroberungsrecht gegen daſſelbe ausüben. Aber bieſe Sdlußfolgerung , welche ſchon deshalb unrichtig iſt, weil ſie den verſchiedenen Charakter durchaus nicht berücfichtigt, welchen das Bündniß der Mächte annehmen mußte , erſcheint höchftens von einer Seite wahr. Es iſt ſehr gewiß , daß der gegenwärtige Krieg weder ein Eroberungskrieg ſein ſollte, noch je wer den ſoll. Die Mächte würden ganz gegen ihre Abſichten und Grundſäße han deln , wenn ſie ſich auf Frankreiche Koſten vergrößern wollten , einzig um aus deſſen Unglüde Vortheil zu ziehen. Aber demungeachtet beſteht die Er oberung thatſächlich; und wenn die Maßregel die Grenzen Frankreichs zu verengern als die geeignetſte erkannt wäre den vornehmſten Zweck ihres Bundes zu erreichen , ſo iſt es unbeſtreitbar, daß ſie völlig berechtigt ſind ſie auszuführen. Weder der Vertrag vom 25. März, nody die vom Bevollmächtigten Frankreichs übergebene Beitrittsnote, noch die Erklärungen vom 13. März und 12. Mai enthalten ein unmittelbares und ausdrüdliches Verſprechen der Mächte die Ganzheit Frankreichs nicht anzutaſten . Man hat ſich darauf be ſchränkt die Aufrechthaltung des Friedens von Paris zu verkündigen , und wenn man recht aufmerkſam die Worte des erſten Vertragsartikels prüft, welcher die Grundlage aller ſpäteren Erklärungen iſt , lo wird man ſehen , daß er weit mehr eine gegenſeitige Verpflichtung der Verbündeten einſóließt nicht zu dulden , daß der Friede von Paris gegen ſie abgeän dert werde, als eine Verpflichtung von ihrer Seite Frankreid gegenüber nichts an demſelben zu ändern. Wenn der Artikel dieſen legtern Sinn gehabt hätte , ſo würde die bei ſeiner Genehmigung zugefügte Beſchränkung ſeine Natur gänzlich geändert haben. Aber ſelbſt wenn man ihn ſo auslegen wollte, ſo bleibt es immer unzweifelhaft, daß Frankreich durch ſein Betragen , indem es , ſtatt die verbündeten Mächte bei der Ver treibung Napoleon's zu unterſtüßen , gegen ſie die Waffen ergriff, ihnen volles Necht gegeben habe an nichts weiter, als an ihre eigene Sicherheit zu denken . Nichts iſt im allgemeinen ſo ſonderbar, als die Schlußfolgerung, daß , weil Napoleon gefangen , der Krieg beendet ſei und die Verbündeten nichts weiter von Frankreich zu verlangen haben . Der Krieg wird erſt dann be endigt ſein , wenn die Mächte diejenigen Bürgſchaften und Entſchädigungen werden erhalten haben, welche ſie zu fordern berechtigt find ; und die Mächte fordern auch nach der Entfernung Napoleon's mit Recht von Frankreich Pfänder dafür , daß nicht ein neuer Verſuch fie nöthige von Neuem die Waffen zu ergreifen . Wenn die Mächte durch ihren Ausſpruch , daß fie nur Napoleon und ſeine Anhänger bekriegten , das Volk von ihm getrennt haben , ſo hätte das Volk , um dieſe Erklärung zu ſeinen Gunſten in An ſpruch nehmen zu dürfen , fich auch wirklich von ihm trennen , nicht partei los bleiben , viel weniger für den Kronenräuber kämpfen , ſondern im Gegen theil dazu beitragen müfien fich ſeiner zu entlebigen. Die Denkſchrift, welche dieſe Betrachtungen entſtehen ließ , macht einen

334 großen Unterſchied zwiſchen einer Gebietsabtretung und der Auſlegung einer Kriegøfteuer, ſollte dieſe auch eine Befeßung der Provinzen in ihrem Gefolge haben . Beſteht aber dieſer Unterſchied in rechtlicher Beziehung ? Uebt man nicht auch ein Eroberungsrecht aus , wenn man dergleichen Kriegsſteuern auflegt ? ' 3ft nicht jedes Eroberungsrecht nach einer gefunden lehre des Völkerrechts durch die Nothwendigkeit der Sicherheitsleiſtung und Entſchädi gung beſbränkt ? Wenn man eine Entſchädigung verlangen kann , darf man fie nicht entweder in Gebiet , oder in Geld beſtimmen ? Und kann man ſagen, daß eine beträchtliche Kriegsſteuer von Frankreich gezahlt werden darf als ein Mittel die Erhaltung der Ganzheit ſeines Gebietes mit dem , was es der allgemeinen Sicherheit ſchuldet , zu vereinigen , wenn man behaups tet, daß die Verbündeten kein Recht haben dieſe Ganzheit anzutaften ? Wes halb ſollte Frankreich Opfer zu Erhaltung deffen bringen , was man nicht das Recht hat anzugreifen ? Nad Feſtſtellung der Rechtsfrage handelt es ſich darum zu beſtimmen, welches die Bürgichaften und Entſchädigungen ſind , die man von Frankreich wird fordern können , und welche ge eigneten Maßregeln zu ergreifen ſein werden , um ſich niot neuen Gefahren von ſeiner Seite auszuſeßen. Alle Welt iſt darüber einig, daß es zweiMittel giebt dieſen Zweck zu erreichen , das eine : die Ruhe in Frankreich wiederherzuſtellen , indem man , wie man ſich ausdrüdt, die Revolution beendigt; das andere: auf verſchie dene Weiſe vorübergehend, oder bleibend eine andere Machtvertheilung zwiſchen Frankreich und den benachbarten Staaten vorzunehmen , damit es gehindert werde deren Rechte ferner zu beeinträchtigen . Nichts iſt gewiß ſo heilſam und auch ſo nothwendig , als Frantreichs Beruhigung zu verſuchen , die Leidenſchaften dafelbft unſchädlich zu maden, und ade Intereſſen an die Erhaltung der rechtmäßigen Regierung zu knüpfen. Aber da eine geſunde Politik fich ftets vorzugsweiſe an das halten muß , was zu thun vollkommen in ihrer Macht liegt, ſo muß dieſe Aufgabe der andern untergeordnet ſein : ein den Umſtänden angemeſſenes Machtverhältniß zu begründen ; und nichts , was unter legterem Gefichts punkte wahrhaft nothwendig iſt, darf wegen des Erſteren verſäumt wers den. Der öffentliche Geiſt und der Volkswille ſind, wo einer beſteht , aus ſo verſchiedenen Elementen zuſammengeſeßt, daß es außerordentlich ſchwer hält bei einer ins Einzelne gehenden Beurtheilung felbft grobe frrthümer zu vermeiben ; mehr noch iſt dies der Fall, wenn man dabei einen unmittel baren Einfluß ausüben will. Der Einfluß fremder Mächte verlegt natür lich den Nationalftolz, und ſelbſt das Recht ihrer Einmiſdung iſt weit zweifel hafter, als dasjenige: vollftändig fülr ihre eigene Sicherung zu forgen . Die Berbündeten haben der Regierung allen ihnen möglichen Beiftand geleiſtet, in dem ſie deren grauſamſten Feind vernichteten , die übrigen aber zerſtreuten und entwaffneten . Dieſelbe muß fich jeßt aus eigener Kraft aufrecht halten, aber es ift immer gar zweifelhaft, ob ſie ihr Anſehen und ihre Unabhängig keit ſo feft wird bewahren können , daß ſie noch lange Europa eine hinreichende Bürgſchaft bietet, um andere Maßregeln der Vorſicht und Sicherheit unnöthig zu machen. Die franzöſiſche Revolution war die Folge von der Schwädje der Regierung, ſie kann nur durch eine ſtarke, aber zu gleich gerechte und rechtmäßige Regierung beendet werden . Deshalb wird man fie ſchwerlich enden ſeben , ſolange die fremden Mächte eine Vors mundſchaft über Frankreich ausitben. Dieſe Vormundſchaft wird h 8 oſten's ſo lange jie dauert Gefahren verhindern. Die Ber ſuche dem Volke die Regierung angenehm zu machen , ſie in den Stand zu eßen ſich Verdienſte um daſſelbe zu erwerben werden nie großen Erfolg baben . Der Theil des Volke , welcher dieſe Verdienſte zu würdigen weiß,

335 iſt nicht derjenige , welcher Unruhen macht, und der Theil , welcher ges wohnt iſt Unruhen zu machen , kann nur durch die Kraft der Regierung ge bändigt werden . Die Aufrechthaltung der Regierung in ihrer wirtlichen Unabhängigkeit wird alſo lange ein Gegenſtand ſehr begründeten Zweifels ſein , und jeder Plan jeßt Frieden zu ſtiften , bei welchem die aūgemeine Sicherheit davon abhängt, oder welcher nur fordert, daß man darüber ein ſicheres und beſtimmtes Urtheil fälle, wird große Unzuträglichkeiten mit ſich bringen und irrig genannt werden können . Aber es iſt deshalb nicht weni ger wahr , daß, indem die verbündeten Mächte für ihre Sicherheit ſorgen , zugleich die Erhaltung der königlichen Regierung beſtändig eine ihrer erſten Sorgen ſein müſſe. Eine andere Vertheilung der gegenſeitigen Macht bleibt alſo das einzige Mittel, welches Europa wirklich vor neuen Gefahren ſchüßen kann ; und unter den verſchiedenen Methoden , die man zur Sdwächung Frankreichs, oder zur Stärkung ſeiner Nachbarn anwenden könnte, würde als die ein fachſte, folgerichtigſte und mit dem allgemeinen Syſteme der verbündeten Mächte am meiſten übereinſtimmende diejenige erſcheinen , welche den Nach barſtaaten Frankreichs eine geficherte Grenze verſchafft, indem man ihnen ale Vertheidigungsmittel die feften Pläße giebt , beren Frankreich , ſeit es diefelben beſißt, fich als Angriffspunkte bedient hat. Die Bergrößerung, welche ſich daraus für die Staaten ergiebt, würde von zu geringer Bedeutung ſein , um eine neue Arbeit über die Gründung des europäiſchen Gleichgewichts und eine weſentliche Veränderung der wiener Congreßacte nöthig zu machen. Es liegt im Geiſte dieſer Urkunde, daß die Unabhängigkeit der Niederlande und Deutſchlands nicht beeinträdhtigt werden folle , und das würde die Folge dieſer Maßregel ſein . Belgien würde mehrere wichtige Punkte erwerben , Deutſchland würde ſich am Oberrhein ausdehnen , was um ſo weniger ſchaden könnte , als die zu Wien ge ſchloſſenen Verträge noch immer eine Abfindung zwiſchen Deſterreich und Baiern offen laſſen , die nur auf Koſten einiger kleinen Fürſten Deutſch lands verwirklicht werden kann, durch eine Erwerbung auf dieſer Seite aber ſehr erleichtert werden würde. Preußen würde hinreichend gewin nen, wenn es ſeine Nachbarn fo verſtärkt ſähe, und könnte ſich auf wenige Gegenſtände beſchränken , welche einzig bezwedten ſein eigenes Bere theidigungsſyſtem zu vervollſtändigen. Nidit erſt ſeit Napoleon oder ſeit der Revolution hat Frankreich Eins fälle in Deutſchland und Belgien verſucht. Es hat ſie ſtets von Zeit zu Zeit erneuert, und die Pläße, welche man ihm jeſt abverlangte , haben zu Stüõpunkten ' ſeiner kriegeriſchen Unternehmungen gedient. Deutſchland feinerſeits iſt ein weſentlid friedlicher Staat. Europas Ruhe kann daher durch dieſe Veränderung der Grenze nur gewinnen. Uebrigens müſſen die deutſchen Höfe einen beſondern Werth darauf legen mindeftens einen Theil deſſen wiederzuerlangen, was ihnen ungerechterweiſe entriffen worden iſt. Alle andern Mittel Frankreich zu ſchwächen , welche die fragliche Dent ſchrift unter dem allgemeinen Namen reeller Bürgſchaften umfaßt, ob gleich dieſes Wort, um dies im Vorübergehen zu bemerken , den moralis iden Bürgſchaften nicht eigentlich entgegengeſett iſt , da legtere ohne Zweifel auch ſehr reell ſein können , ſind entweder unmöglich , oder ſogar ungerecht, wie jene : Frankreich allen Kriegsmaterials zu berauben und deſſen Quellen zu zerſtören , oder ſo verwickelt , daß ihre Anwendung ſelbſt neue Unzuträglichkeiten herbeiführen würde. Dieſer Vorwurf ſcheint vor züglich demjenigen gemacht werden zu können , was ſchließlich zur Ausfüh rung in der Denkſchrift vorgeſchlagen wird . Nachdem man durch ein europäiſches Geſet Napoleon Buonaparte und ſeine Familie vom franzöſiſchen Throne ausgeſchloſſen hat , was faſt den

336 Anſchein gewinnt, als legte man einem Mante, den man nach St. - Helena ſendet, und Leuten, welche nur durch ihn einen Rang einnahmen , zu viel Wichtigkeit bei, und nachdem man den die Bertheidigung betreffenden Theil des Vertrags von Chaumont wieder in Wirkſamkeit gefeßt hat , ſollen die verbündeten Mächte eine kriegeriſche Stellung in Frankreich zu dem doppelten Zwede behaupten : eine ſtarke Kriegsſchabung einzutreiben und zu beobachten, ob der innere Zuſtand Frankreichs ſich befeſtige; und dieſe Kriegsſchabung ſoll von den Nachbarmächten Frankreichs dazu angewendet werden ihre Grenzen durch neu zu errichtende feſte Bläte zu verſtärken . Der erfte Einwurf, welchen man gegen dieſen Plan machen kann, iſt der, daß anſtatt die Sorge für ihreeigene Vertheidigung und für die Aufrecht haltung der Ruhe in dieſem Theile von Europa den Nachbarſtaaten Frank reichs ruhig überlaſſen zu können , wenn man ihre Grenzen durch die An griffspunkte dieſes Königreichs verſtärkte, er eine verlängerte Ueberwachung der äußern und innern Ruhe Frankreichs ſeitens der verbündeten Mächte an ordnet , Truppenlagerungen und Märſche veranlaßt, und die Rückkehr eines wahrhaft frieblichen Zuſtandes auf eine faft unbeſtimmte Reihe von Jahren hinausſchiebt. Wie ſollte das Ende der für die Zahlungen derKriegsſchaßung feſtgelegten Friſt gerade mit dem Zeitpunkte zuſammenfallen, wo der innere Zuſtand Frankreichs eine fernere Ueberwachung entbehrlich macht, und aus welchen hinreichend zuverläſſigen Anzeichen könnte dieſer leştere anerkannt werden ? Denn die Annahme, daß es dem Könige von Frankreidy gelingen werde die franzöſiſche Monarchie ſo umzubilden, daß der Vortheil aller Par teien ſich in einen einzigen verſchmelze, und daß daraus eine ſittliche Bürg ſchaft für die gänzliche Beendigung der Revolution in Frankreich fidh ergebe, wovon die Denkſchrift ſpricht, wird ſich kaum verwirklichen , und man wird, wie bei aứen menſdlichen Dingen , ſich mit einem im beſten Falle dieſem nahekommenden Zuſtande begnügen müſſen . Indem man fordert , daß die Sdayung zu Erbauung von Fes ſtungen verwendet werde, verwechſelt man die Begriffe von Bürgidaft und Entſchädigung, und ſtellt eine augenſcheinliche Ungleich heit zwiſchen den Verbündeten her , weil allein die Nachbarſtaaten Frank reichs mit dieſer Laſt beſchwert würden. Oft es überhaupt ein Mittel den Frieden zu bewahren , wenn man Feſtungen Feſtungen gegenüberſtellt ? Und wäre es nicht einfacher diejenigen , welche nach dem Zugeſtändniſſe der Denkſchrift ſelbſt eine unermeßlich drohende linie bilden , den dadurdy Bes brohten zu geben, deren friedliche Geſinnungen unzweifelhaft ſind, die Sorge neue zu bauen aber Frankreich zu überlaſſen ? Leşteres würde übrigens mehr nach dem Synern des Königreichs zu immer noch feſte Pläße behalten. Die zweite Betradtung iſt auf Frankreich und das königliche Anfehen ſelbſt gerichtet. Abtretung von Feſtungen und Gebiet iſt ein Loos, dem alle Staaten unterworfen find ; es iſt dies eine ſchmerzliche Wunde, die jedoch bernarbt und in Vergeſſenheit geräth. Aber es giebt nichts Demüthigenberes, beſonders für ein Solf, welches die Oents ſchrift nicht ohne Grund trunken von Stolz und Eigenliebe nennt, als die verlängerte Anweſenheit fremder Truppen im Pande . Wie beſtimmt auch die Anordnungen und wie ſtreng deren Ausführung ſein mag , es entſtehen in ſolchen Fällen Zwiſtigkeiten, welche der Regierung nur die Wahl laſſen zwiſchen einer den Nationalſtolz verlegenden Nachgiebigkeit, oder der Gefahr ſich mit den verbündeten Mächten zu überwerfen. iſt auch unvermeidlich, daß die beſetzten Provinzen bedeutend leiden , und daß dies die Einwohner äußerſt unzufrieden macht. Dieſe Klagen erneuern ſich täglich, ſie werden fich alle unfehlbar gegen die Regierung kehren . Man wird ihr nicht allein vorwerfen durch dieſes Abkommen ihre Rüdkehr nad Frankreich erkauft zu haben , ſondern aud die Urſache der Berlängerung

337 dieſes Zuſtandes zu ſein , um ſich freuider Streitkräfte zu ihrer Stüte zu . bedienen , und ſie wird unendlich unbeliebter durch dieſe Maßregel werden, als durch eine Abtretung, welche als die unmittelbare Folge des Kriegs nodi Buonaparte zugerechnet werden könnte . Ein Dritter Einwurf, und vielleicht der wichtigſte von allen iſt der , daß das vorgeſ ( ylagene Mittel eine wahrhafte Sicherſtellung gar nicht dar bietet. Es hat im Gegentheil den Fehler die Nachbarſtaaten Frankreidys, nicht hinreidend zu ſtärken , dem franzöſiſchen Volke aber die vornehnt ſten Mittel zum Ängriffe zu laſſen , und es aufs äußerſte zu reizen und zu erzürnen. Vergebens möchte man entgegnen , Frankreich werde, nađịdem es zur Bezahlung großer Summen genöthigt worden , das zur Kriegs führung nöthige Material ſich nicht beſchaffen können . Preußen hat ges zeigt, worin im Gegentheil eine ſolche Behandlung führt, und was ein Staat vermag , ſelbſt wenn er von allen Mitteln entblößt ſdheint. Frank reich diejenigen Feſtungen nehmen , welche ſeine Nachbarn be droben, Das iſt die einzige zuverläſſige Siderheit, die man er langen kann . Ohne ſie würde weder die Regierung, nodi Europa vor einem neuen Angriffe geſichert ſein , ſobald die Räumung des franzöſiſchen Gebiets erfolgt iſt , die doch eines Tages erfolgen muß , weil eine dauernde Beſetzung durd) fremde Truppen , obſchon ſie die Denkſchrift auch unter den thatſächlichen Bürgſchaften nennt, kaum einen ausführbaren Gedanken darbietet. Während die Nachbarſtaaten Frankreichs bann feinen andern Vortheil beſäßen , als ihre neuerbauten Feſtungen, würde Frankreich die feinigen behalten haben , und den Krieg mit aller Thatkraft führen , welche der gedemüthigte Nationalſtolz und die durd) bezahlte Schabungen verurſachte Armuth verleihen . Die Stelle der Denkſchrift, welche ſich auf die an Frank reich im Falle ſeiner Beſetzung zu leiſtende Bürgſchaft bezieht, iſt nicht klar genug, um eine vollſtändige Beurtheilung zu geſtatten . Aber es iſt ſehr zweifelhaft, ob der Umſtand allein das Volk über die fünftige Rückgabe des beſetzten Gebietes ganz beruhigen würde, daß nid)t diejenigen Truppen einen Theil von Frankreich beſetzten , welche am geeignetſten wären eine kriegeriſche Stellung daſelbſt einzunehmen. Uebrigens würden ſchwerlich die fremden Mächte,welche gewohnt ſind ſtets den Grundſatz vollkommener Gleichheit zu befolgen , in einem ſo wichtigen Falle davon abweiden wollen . Dieſen Betrachtungen gemäß würde eine Gebietsabtretung , welche, indem ſie beſonders die Feftungen beträfe , nur dahin abzielte die Grenzen der Niederlande , Deutſchlands und ser Schweiz zu verſtärken , als Sidherſtellung, und eine Kriegsſchatzung als Entſchädigung die Abſichten der verbündeten Mächte , und den Zwed ihres Bündniſſes beſſer erfüllen , den König mehr in die Lage bringen die Zügel der Regierung in unabhängiger Weiſe wieder zu ergreifen, wirkſamer die Aufregung des Volks verhüten , welche aus einer verlängerten Gegenwart der fremden Truppen und jeder zu nahen Berührung mit den Verbündeten wäh rend der nächſten Jahre nothwendig entſtehen müßte, endlich, käme es dennoch zu einem neuen Kriege mit Frankreich, deſſen Nachbarſtaaten in den Stand legen einen hinreichenden Widerſtand zu leiſten , ohne ſich durch übermäßige Anſtren gungen zu erſchöpfen. Was den gegenwärtig einzuſchlagenden Weg betrifft, lp iſt es unbeſtreitbar, daß derjenige, welchen die Denkſchrift vorſchreibt: fidh ohne Berzug itber die Sicherſtellungen und Entſdädigungen zu vers einigen, alsdann mit der franzöſiſchen Regierungzu unterhandeln und einen Vertrag zwiſchen Frankreich und den Verbündeten abzuſchließen, von äußerſter Dringlichkeit iſt und zugleich als der einzig mögliche er: deint. i 1) ) v. Gagern, V , 2 , 45. — 64. Schaumann, Nr. III . II.

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338

Hätten Gründe des Nechts und der Staatsklugheit im Rathe der Verbündeten den Ausſchlag für die zu faffende Entſcheidung zu geben vermocht, ſo würde Humboldt's Meinung über die Grundlagen des abzuſchließenden Friedens ficherlich den Sieg davongetragen haben . Seine Gegner erkannten die Unwiderleglich keit ſeiner Ausführung ſtillfdweigend dadurch an , daß ſie auf deren Widerlegung fich gar nicht einließen , ſondern es vorzogen bei ihren Behauptungen einfach ſtehen zu bleiben . Sie ſelbſt waren weit entfernt fie für rrahr zu halten , allein fie fanden ſie ihrem Vor theile entſprechend, und dies verhinderte jede Nadgiebigkeit von ihrer Seite. Wer die Entſchiedenheit kannte , womit Kaiſer Alexander ſich gegen jede Eroberung auf Koſten Frankreichs ſchon

in Wien

ausgeſprodhen hatte , als man den Krieg gegen daſſelbe, oder wie man ſich auszudrücken vorzog , den Kampf gegen Napoleon und ſeine Anhänger beſdiloß , der konnte davon nicht überraſcht ſein , daß die ruffiſchen Diplomaten an jeden erdenklichen Scheingrund für die Un verleßlichkeit des franzöſiſchen Gebiets ſich anklammerten . Solange es galt die Herrſchaft Napoleon's zu vernichten , welcher ſich den Fürſten Europas ſo furchtbar gemacht hatte , ſprach Niemand eifriger für die Wiederherſtellung des politiſchen Gleichgewichts , als Alerander. Nachdem es jedoch den vereinigten Anſtrengungen der Verbün deten endlich gelungen war den franzöſiſchen Kaiſerthron umzuſtürzen , wurde es offenbar, daß Alerander nur danad ſtrebte an die Stelle des franzöſiſchen das ruſſiſde Uebergewicht zu ſegen. Humboldt beſchränkte ſich in ſeiner Denkſchrift darauf, unter Wi derlegung der von Rußland für die Friedensbedingungen aufgeſtellten Grundfäße, feinerſeits diejenigen im allgemeinen zu bezeichnen , welche Recht und Klugheit empfahlen. In den mündlichen Verhandlungen ge hörte er zu den Staatsmännern, welche die Freigrafſchaft, einen Theil von Burgund , das früher den Niederlanden entriffene Flandern , lothringen und den Elſaß mit einer Geſammtbevölke rung von 4,762000 Seelen an die Nachbarländer zur Befeſtigung von deren Grenzen abgetreten wiſſen wollten . Er forderte jedoch bloß deshalb ſo viel , um fidy manches abdingen laſſen zu fön nen , und dennoch die für Sicherung der deutſchen Grenzen noth wendigen Landſtriche zu erhalten . Dies geht deutlid aus jenen Worten der Dentſdrift hervor , wo er davon ſpricht, die deutſchen Höfe müßten mindeſtens einen Theil deſſen wiedererlangen , was ihnen ungerechterweiſe entriſſen worden ſei. Die Rüdgabe des El ſaß und Deutſch - Lothringen mit den Feſtungen Met und

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Thionville an

Deutſchland würde nach ſeiner Anſidit völlig ge

nügt haben deſſen Grenzen zu ſidern . Auf dieſen ridhtigen Grundſat : keinen Landſtrich mit franzöſiſch rebender Bevölkerung mit Deutſland zu vereinigen , ſelbſt wenn es denſelben früher rechtmäßig beſeſſen hatte, ſtügten ſich auch im weſent lichen die beiden Denkſchriften des Generals von Kneebed , durch welche derſelbe am 4. Aug. den theoretiſchen Säßen Humboldt's eine praktiſche Unterlage gab . Hinſiditlid, der den Franzoſen aufzuerlegen den friegsidaßung bemerkte er , daß keine noch ſo große Kriege chaßung völlige Entſchädigung zu gewähren vermöge . Dies war deshalb unmöglich , weil Preußen allein durd franzöſiſche Erpreſſun gen 1,181,228,574 Franc& verloren hatte , wie dies in einer Dent ſdrift nachgewieſen wurde.

Weldhje fabelhafte Summe würde ent

ſtanden ſein , wenn hierzu nody die von Deſterreich und andern Staaten erlittenen Verluſte , nach Geld veranſchlagt , hinzugerechnet worden wären ! Die angrenzenden Staaten ſollten nad Kneſebed's Vorſchlag mit land , die entfernteren mit Geld entſchädigt werden. Dies ſei für die Verbündeten vortheilhaft, für die Franzoſen weniger brückend. Abtretungen von Landſtrichen , da ſie nur den Staat, nicht die Einzelnen beträfen , würden bald berſd merzt ſein , die Bezahlung ſehr des heit gen

großer Summen , ſowie eine vorübergehende Beſeßung des lan dagegen belaſte die Einzelnen und errege dauernde Unzufrieden und Rachbegierde. Die franzöſiſdhe Beſegung preußiſcher Feſtun habe die Nußloſigkeit einer ſolchen Maßregel bewieſen. Wolle

man einen dauerhaften Frieden , ſo könne dies nur vermittelft Grenzen geſchehen, welche, durch Kunſt und Natur befeſtigt, beiden Theilen Sicherheit gewährten. Solche Grenzen würden hergeſtellt, indem Frankreid auf ſeine Feſtungslinien jenſeit der Vogeſen bedränkt werde. Wenn ein Volk diejenigen Grenzen überſdritten habe , welche zu ſeiner Selbſtvertheidigung nothwendig ſeien , ſo bleibe es eroberungs luftig , ſolange es die bereits gemachten Eroberungen behalte. Frant reid befinde ſich in dieſem Falle, ſeitdem es Ludwig's XIV . Ehr

1 geiz gelang ſeinen Nachbarn die zu deren Vertheidigung dienenden Feſtungen in den Niederlanden und an der Maas , Deutſchland aber den Elſaß und die feſten Pläße an der Moſel und Saar zu rauben. Dieſe Feſtungen bildeten gegenwärtig die erſte und theilweiſe auch die zweite franzöſiſche Feſtungslinie. Deshalb müßten dieſe Erobe rungen zurückerſtattet werden . Geſchehe dies nicht, ſo ſei vorauszu ſehen, daß Frankreich bei der erſten günſtigen Gelegenheit das ganze 22 **

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linke Rheinufer zu erobern ſuchen werde . Zum Heile Europas, ja Frankreichs ſelbſt müſſe man den günſtigen Augenblick, wo die Stiftung eines feſten dauerhaften Friedens möglich ſei , ſich nicht entſchlüpfen laſſen . Man habe eingewendet, daß die für die Sicherheit Europas als nothwendig bezeichnete Grenzlinie Frankreidhs von der Freigrafichaft an bis nach Calais nur Feſtungen zweiten Ranges behalten werde. / Es fei dies zwar wahr , aber die Feſtungen erſten Ranges Lille, Met , Strasburg dienten nicht zu ſeiner Vertheidigung , ſondern nur als Angriffspunkte gegen die Nachbarn . Beſançon , Grenoble und Toulouſe , obwol ebenfalls Waffenplätze erſten Ranges, würden nicht beanſprudt, da ſie von der Grenze entfernter lägen und Gebirgszüge ihnen als Gegengewicht dienten , fodaß fie die Nachbarſtaaten nicht bedrohen könnten . Der Einwand : die von Frankreid) abzutreteuben Feſtungen wür : den in den Händen ihrer neuen Beſiger nur als Angriffspunkte ge gen Frankreid) dienen , ſei deshalb unbegründet, weil 1 ) die an Frankreidy grenzenden Länder von Nizza bis Dünfirden fünf verſdsiebene Staaten bilden , Frankreich aber eine einzige Pandermaſſe ausmache ;

2 ) Frankreich drei bis fünf Mal ſo groß ſei , als jedes dieſer Länder , alſo von keinem derſelben einen vereinzelten Angriff zu fürdyten habe ;

3) ſie alle auf einer Kreislinie lägen , deren Mittelpunkt Frank reich ſei , und die mächtigſten derſelben an der franzöſiſchen Grenze nur abgeſonderte Provinzen hätten. Alles dies bewirke , daß dieſe Staaten und Feſtungen fidy Frank reich gegenüber in keiner angriffdrohenden , fondern in vertheidigender Stellung befänden . Die Sdyleifung beſagter Feſtungen würde theils nicht hinreichende Sicherheit gewähren , theils würde Frankreich ein etwaiges , deshalb gegebenes Verſprechen nicht halten und es auf Erneuerung des Krieges ankommen laſſen ; es fei daher beſſer auf Wären neue dieſe Gefahr hin fidy ihrer jetzt zu bemächtigen. Feſtungen zu bauen , ſo fordere die Gerechtigkeit, daß Frankreich, welches den Krieg verurſacht habe , dieſe Laſt übernehme. Fordere man die zur Sicherheit Europas nöthigen Opfer von den Franzoſen, ſo ſei zwar ein Aufſtand derſelben möglid ), aber angeſichts der 600000 Mann , weldie ſich in Frankreich befänden , nid )t zu fürchten ; die Ur ſachen , welche den Aufſtand der Spanier hätten gelingen laſſen , feien hier nicht vorhanden. Weit ungünſtiger würde die tage ſich geſtalten,

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wenn fpäter , wo man nicht ſo vorbereitet für denſelben ſei, ein Krieg ausbreche ; man müſſe ſich daher vor halben Maßregeln hüten , welche nur reizten ohne wirklich zu nutzen . Die Aufrechthaltung der bourboniſchen Herrſchaft hänge nicht das von ab , ob man mehr oder weniger Friedensbürgſchaften von Frant reid verlange , ſondern von deſſen ſtaatlichen Einrichtungen. Die in dieſer Beziehung von den Franzoſen gehegten Wünſche müffe man erfül len , indem man ihnen die durch die Charte des Königs verheißene frei ſinnige Verfaſſung gewährleiſte, und die Thronfolge in der Weiſe regfe, daß der Herzog von Orleans , welchen das Volk für zeitgemäße Ideen empfänglicher halte , nach dem Tode des Königs den Thron beſteige. Thue man dies nicht, ſo würden, felbſt wenn die verbündeten Trup pen zehn Jahre lang in Frankreich aufgeſtellt blieben, ſofort nach ihrer Entfernung lInruhen ausbreden . Die Verbündéten , welche allein dieſe ſtaatlichen Einrichtungen durch ihre Vermittelung ins Leben rufen fönnten , dürften daher dies nicht verſäumen. Uebrigens würden die hierdurch gegebenen ſtaatlichen Bürgſdyaften viel dazu beitragen die Franzoſen mit dem zu verſöhnen , was man von ihnen zur Siderſtellung gegen fünftige Angriffe verlangen müſſe. Uus dieſen ſtaatlidyen Bürgſchaften könnten ſich fittliche ergeben , dergleichen Ein Geduledyt, augenblicklich in Frankreich nicht zu finden ſeien . weldies alle Begriffe ſo miteinander vermiſcht habe , daß es keine Idee mehr für wahr halte, vermöge fittliche Bürgſcaften nicht zu geben , deshalb müſſe man andere Maßregeln treffen , um es ruhig zu erhalten . Eine der preußiſden Denfſchrift beigefügte farte machte die in derſelben vorgeſchlagene Grenze durch einen blauen Strid anſchaulich. Dieſe fdied von Frankreich : Dünfirdent, Grevelingen , Safjel , Lille , Condé , Douay , Valenciennes, Quesnoy , Landrechy, Avesnes , Maubeuge, Philippeville , Marienburg, Charles mont , Givet , Rocroy , Mézières , Montmed , long w ty, Thionville , Meß , Saarlouis , Saargemünd, Bitídy, lan bau , den Elfaß , Befort , Mümpelgard , Fort Four , Fort de l'Ecluſe, ben bei Frankreich verbliebenen Theil Savoyens , Fort Barreaux und Briançon . 1) Kneſebed's Anſichten und Ausführungen fanden ebenſo wenig, wie diejenigen Humboldt's eine Widerlegung . Man fühlte zwar wie richtig ſie ſeien , erkannte dies aber nicht an , weil man ſie an maßgebender Stelle dem eigenen Vortheile nicht entſprechend glaubte, ) v. Gagern , V , 2 , 72 – 89. Schaumann , Nr. VIII , IX.

342 Einzelne ſeiner Borſ( läge find getabelt worden.

Man hat innern Wi

derſpruch darin gefunden , daß er, nachdem die Auflegung einer Kriege ſchaßung als eine Maßregel bezeichnet worden war , welche, weil fie jeden Einzelnen traf, nod mehr als Gebietsabtretungen das fran zöfiſche Volk erbittern würde , dennoch vorſchlug die entfernte ren Mächte durch Geld , die an Frankreich grenzenden Staaten mit Land zu entſchädigen. Allein um die Kriegsidaßung nicht drüđend zu madjen , kam es nur darauf an die þöhe des von den Franzoſen zu bringenden Geldopfers ſoviel als möglich herabzuſeßen. Die der geſtalt bedeutend ermäßigte Summe konnte durch eine den Abgaben pflichtigen wenig bemerkbare Anleihe beſchafft werden , denn daß die entfernteren Mädyte auf die ihnen in Geld allein gewährbare Ent ſchädigung verzichten würden , war nicht denkbar. Ueberhaupt war nur dahin das Abſehen zu richten die Härte der Friedensbedingungen, wo dies geſchehen konnte , zu mildern , nicht diejenigen zu beſeitigen, welche fernere Friedensſtörungen zu hindern vermochten. Ferner hat man den Vorſchlag den Herzog

von Orleans zum

Thronfolger Ludwig's XVIII. zu erklären , unpolitiſch genannt, weil die Ausſchließung des ältern Zweigs der Bourbonen voraus fiditlich Umtriebe , welche die Ruhe Frankreichs geſtört hätten , her vorgerufen haben würde. Adein gerade dieſer Rath zeigt von einem richtigen , politiſchen Blice. Hätte man ihn befolgt , ſo wäre die Julirevolution vermieden worden , welche den ältern Zweig der Beur bonen aus Frankreich vertrieb und den Herzog von Orleans auf den Thron jetzte. War es endlich bei der Unbeliebtheit des äl tern Zweiges denkbar , daß der Herzog, dem Volfe angenehm und von Europa als Thronfolger anerkannt, Umtriebe und Bürgerkrieg zu fürchten gehabt hätte ? Daß ſpäter deſſen Partei, ungeachtet Europa das Recht des ältern Zweiges auf die franzöſiſche Krone anerkannt hatte , dennoch mächtig genug geweſen iſt ſie ihrem Anführer zuzu wenden , widerlegt thatſächlich eine ſolche Annahme. Ueberall wo Parteien beſtehen , ſind Parteiumtriebe unvermeidlich; trifft man aber unter den Parteien eine Wahl, fo gebührt der mächtigſten der Vorzug, und daß die orleaniſtiſche Partei durch die reactionären Be ſtrebungen der Legitimiſten bald zur Herrſchaft gelangen werde, war vorauszuſehen. Der Gedanke die Franzoſen durch Erfüllung ihrer Wünſche in Bezug auf die Beſeitigung eines ihnen verhaßten Herr ſcherhauſes, ſowie durch Gewährung innerer Freiheit für die mit Auf opferung einiger Eroberungen erkaufte neue und beſſere Ordnung der Dinge zu gewinnen , anſtatt fie durch jahrelange Beſetzung fran

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zöſiſcher Provinzen mit fremden , von ihnen zu ernährenden Truppen und durch hohe Kriegsſchagungen zu erbittern , iſt eines einſichtsvollen Staatsmannes würdig . Sicherlich würden ſeine Vorſchläge in jeder Beziehung den gehegten Erwartungen entſprochen haben . Die von Humboldt und Aneſebed empfohlenen Friedensgrund lagen waren vom Standpunkte des Staatsrechts , der Politik und Kriegswiſſenſchaft unwiderlegbar , wenn man das europäiſche Gleic = gewicht als Maßſtab der Entſcheidung annahm . Ihre Gegner ver ſuchten es auch gar nicht ſie zu widerlegen. Eine ſpätere Zeit hat durch Thatſachen die Richtigkeit ihrer Anſichten und ihren propheti ſchen Blick glänzend beſtätigt. Metternich war bei den pariſer Friedensunterhandlungen mit den Vertretern Rußlands und Englands vollkommen darüber einverſtan den , daß Frankreich ſeine für Deutſchland bedrohliche Grenze behalte; er war nur beſtrebt Beſchönigungsgründe dafür zu finden , daß er den deutſchen Diplomaten nicht beipflichtete, welche die Abtretung Flandern , Lothringens und des Elſaß forderten. Da die Bevollmächtigten der kleineren deutſchen Staaten zu den Friedensunterhandlungen nicht zugelaſſen wurden , ſo wendete ſich Graf Münſter , nachdem er vergebens Lord Caftlereagh für eine Deutſchland fichernde Grenze günſtig zu ſtimmen verſucht hatte, mit einer betref fenden Vorſtellung an den Prinz - Regenten von England. Er ſchrieb : ,,Die Pyrenäen , die Alpen und das Meer [eben dem Ehrgeize Frant reichs Schranken , weshalb ſo Üten nicht der Jura , die Vogeſen und die Arden nen Deutſchland die Sicherheit gewähren , deren Spanien und Italien fich erfreuen ? Man wagt dreiſt zu behaupten , daß wenn die Höfe 'von Eng land , Rußland und Defterreid im Fall wären die Frage , um die es ſichy handelt , beshalb zu erörtern , weil ſie von Frankreich entriffene Grenzpro vinzen zurückzufordern hätten , ſie ſich nicht bedenken würden dieſelben zu beanſpruden ." Er ſchloß ſeine Vorſtellung damit, daß man Deutſchland ſeine natürlichen Grenzen zurüdgeben , oder wenigſtens franzöſiſche An griffspunkte wie Strasburg fortſchaffen müſſe ... Auf jeden Fall den Zuſtand von 1792.1) War auch der Prinz - Regent wegen ſeines Erblandes Hannover, welches erſt vor kurzem vom franzöſiſchen Foche befreit worden war, felbſt bei einer ſeine deutſchen Beſigungen gegen Frankreich ſichernden Grenze betheiligt, fo hätte doch Münſter beſſer gethan, ſtatt nur von Deutſchlands Rechten, vielmehr davon zu reden , daß Englands Vortheil

1) v . Gagern , V , 1 , 187.

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deren Anerkennung erheiſde; dann würde er vielleicht eher auf die Räthe der britiſchen Krone den gewünſchten Eindrud hervorgebracht haben. Denn þannover fümmerte dieſelben nicht , ja mancher war ſchon ſo offenherzig geweſen zu bekennen , er jähe Hannover lieber auf dem Grunde des Meeres liegen , als Kriege wegen feines Verhältniſſes zur engliſchen Krone entſtehen. Au ßerdem ſtand die Löfung dieſes Verhältniſſes mit dem Tode des Brinz Regenten , wegen der in England und Hannover verſchiedenen Erb folge , in nicht gar ferner Ausſicht. Niditsdeſtoweniger wurden im Rathe der engliſden Rrone Stimmen laut , welche Münſter's Anſicht theilten . Als Caſtlereagh zu Ende Auguft ſeinen Bruder Stewart nach London fendete, um das engliſche Cabinet von den vorläufigen Beſchlüſſen der Verbündeten in Kenntniß zu ſegen , behauptete vor allen Wellesley Pole , daß Frankreichs Oſtgrenze behufs leichterer Ber theidigung Deutſchlands und der Niederlande zurücverlegt werden müſſe. Englands Intereſſe fordere eine dauernde Befeſtigung des europäiſchen Friedens , dieſer ſei aber nur dann hinreichend geſichert, wenn jener Grenze die den Nad barn drohenden Angriffspunkte ge nommen wären . Auch die öffentliche Meinung ſpracy rich in ähnlicher Weiſe für eine Beſchränkung des franzöſiſchen Gebietes aus , und der Prinz - Regent trat wegen Bildung eines neuen Miniſteriums mit der Oppoſition , welche für eine Schmälerung der franzöſiſchen Macht war , in Unterhandlung. Allein ihm behagten die von derſelben ge machten , ſein Privatintereſſe berührenden Bedingungen nicht, und da ihm überhaupt ſein Vergnügen weit mehr am Herzen lag , als die Geſchäfte des Staates , ſo ging der Augenblick , wo mit Verän derung des engliſchen Miniſteriums aud) ein Wechſel der engliſchen Politik in Bezug auf Frankreichs Grenzen hätte bewirkt werden fönnen , unbenugt vorüber , weil Deutſchlands Staatsmänner nicht die deshalb nöthigen Anſtrengungen madyten. In Paris verſuchte Graf Münſter den engliſchen Staatsſecretär durch den Hinweis , darauf, daß er bei ſeiner der öffentlichen Mei nung in England entgegengeſepten Politik Gefahr laufe ſeine Mi niſterſtelle zu verlieren , andern Sinnes zu madjen. Es gelang ihm dies aber ſo wenig , daß es vielmehr ſcheint als ſei er ſelbſt von leşte rem zu einer andern Auffaffung der Sache bewogen worden. Die Haupt gründe, welche Caſtlereagh, wie Gagern berichtet, ihm ins Ohr raunte, betrafen die Nothwendigkeit das Bündniß aufredyt zu halten , alſo ſeine eigene Meinung der von den vorherrſchenden Großmächten bis her befolgten Politik unterzuordnen , weil er jene ſiegreich durchführen

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zu können verzweifelte. Sobann, fügte der engliſche Staatsſecretär hinzu , müſſe man Rußland , weldes Neigung zeige fidh mit Frankreich zu verbinden , hieran hindern , indem man es an Großmuth und Mäßi gung zu übertreffen ſuche. 1) Unter der Bedingung , daß der Elſaß und Lothringen Dem Erzherzog fart als ein eigenes Reid zugetheilt wor den wären , hätte Deſterreid allein ſich beſtimmen laſ fen auf Trennung dieſer ehemals deutſchen Länder von Franfreid zu beſtehen . Durch den Breisgan , welchen es dann zurückgefordert hätte , und mittelft des Bodenſees würde dieſer neue, einer Seitenlinie des lothringiſdy - habsburgiſchen Hauſes gehörende Thron mit dem Kaiſerſtaate die nöthige unmittelbare Verbindung un terhalten und deſſen Gewicht bedeutend vermehrt haben. Auch hätte Kaiſer Franz, eiferſüchtig auf ſeinen Bruder wegen der Anhäng lichkeit des Heeres an ihn , denſelben gern in einer Stellung außer halb ſeiner Staaten geſehen . Schon bei den Berathungen , welche dem erſten pariſer Frieden vorausgingen , hatte Deſterreid , die Abſicht gezeigt den Elſaß und Lothringen , dieſe alten Beſitzungen ſeines Hau ſes, wiederzuerwerben . England wurde unter Hinweiſung darauf, daſ es in ſeinem Intereſſe liege das ihm befreundete Oeſterreidy ſtark zu ſehen, um Beförderung dieſes Planes angegangen . Es ſcheiterte der ſelbe aber an dem entſchiedenen Widerſpruche Rußlands und Preu ßens. England , in der Ueberzeugung , daß beſagter Plan unter folchen Umſtänden nicht durchführbar ſei, madyte dies dem öſterrei diſden Cabinete begreiflich. Dieſes ſudyte nun Rußland dafür zu gewinnen , indem es eine eheliche Verbindung zwiſchen dem Erzherzoge Karl und der Schweſter des Raiſers Alerander , der Großfürſtin Atas tharina anſtrebte. Ram die beirath zu Stande , fo dien das Wiederaufblühen eines ſelbſtändigen Lothringens geſichert. Nody im März 1815 hatte die Großfürſtin dem Erzherzoge farl eine von ihr eigenhändig geſtickte Fahne verehrt , in welder die Namen der von ihm gewonnenen Schlachten prangten . Die Radyricht davon wurde damals überall als ein bedeutungsvolles Zeichen einer bevor Allein bie Weigerung ſtehenden Familienverbindung betradytet. Alerander's feiner Schweſter jene Länder als Mitgift zu verſchaffen mag die Heirath , und mit ihr die beabſichtigte politiſche Schöpfung verhindert haben . Sarl's bald darauf erfolgte Werbung um die Prinzeſſin Henriette von Naſſau - Weilburg , mit welcher er am “ ) v. Gagern , V , 1 , 190.

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17. Sept. 1815 fich vermählte , nachdem die Verlobung ſchon meh rere Monate zuvor ſtattgefunden , beweifet , daß bereits vor Be ginn der Friedensunterhandlungen zu Paris jeder Ge danke an jenen Plan aufgegeben worden war. Hieraus erklärt

. ſich auch Metternich'8 Benehmen denen gegenüber, welche in Un kenntniß hiervon fich in einer Weife äußerten , als ſeie dies nicht der Fall. Schon der Umſtand , daß Gagern , wie er erzählt, im Funi , als er im Hauptquartiere zu Seidelberg verweilte, in den Fall kommen konnte durch ſeinen Einſprud, zu bewirken , daß in der Be kanntmachung Schwarzenberg's nach dem Ausdruce : ,, Europa will den Frieden " die Worte , und nichts, als den Frieden " ge ſtrichen wurden , zeigt den Entſchluß des öſterreichiſchen Cabinets, daß Frankreich mit Gebietsabtretungen verſchont werden ſolle. Stein kam bei derſelben Gelegenheit , indem er ſich der auf dem Tiſche liegen= den Karte bediente , darauf zu ſprechen , daß der Erzherzog Karl de Elſaß und Lothringen erhalten müfle. Metternich hörte ihn zwar ohne zu widerſprechen an , begnügte ſich aber , indem er mit dem Finger auf Franzöſiſch - Flandern zeigte , gegen Gagern zu äußern : Hier , als auf dem wichtigſten Punkte , iſt eine Verſtärkung der Grenze nöthig . Auch von einer in der Mitte des Juli mit Metternich gehabten langen Unterredung berichtet Gagern, daß er ihn dabei an Stein's Meinung erinnert , weldier davon geſprochen habe, Erzherzog Karl müſſe den Elſaß und Lothringen erhalten. Der ſonſt ſo wortreiche öſterreichiſche Miniſter erwiderte aber auch jeħt kein Wort der Zuſtimmung, ſondern beſchränkte ſich darauf, als Gagern ihm wegen ſeiner Thätigkeit am wiener Congreſſe Schmeicheleien ſagte, die Ergebniſſe des Congrefies als ein Meiſterſtück zu bezeichnen.-) Da Oeſterreich die boffnung hatte aufgeben müſſen den Elſaß und Lothringen für einen Prinzen feines Hauſes zu erwerben , ſo war es nun auch entſchloſſen die Abtretung dieſer Provinzen an irgendeinen andern deutſchen Fürſten zu verhindern. Jegt galt es auf die Hülfs bedürftigkeit Deutſchlands bei fünftigen Angriffen der Franzoſen deſſen Botmäßigkeit unter die öſterreichiſce Politik zu gründen , und deg= halb erklärte nun Metternich in Uebereinſtimmung mit dem ruſſiſchen Cabinete , daß nur die Aufredythaltung des erſten pariſer Friedens von den Verbündeten bezweckt werde , die Bürgſchaften dafür aber in andern Dingen als in Gebietsabtretungen zu ſudjen feien . Wie frü ber das engliſche Cabinet es für hoffnungslos hielt für die Abtretung

1) v. Gagern , V , 1 , 65 -99.

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des Elſaß und Lothringens an Erzherzog Karl im Bunde mit Deſter reich zu wirken , fo badyte es aus demſelben Grunde nicht daran ge gen Rußlands und Deſterreichs Willen die von Preußen beantragte Metternich Schmälerung der franzöſiſchen Grenze zu unterſtüßen. aber zeigte in feiner Denkſchrift, wie künſtlich er die Aufgabe zu löſen wußte fcheinbar für die Verbeſſerung der deutſchen Grenze thätig zu ſein , und dabei body den Gegnern dieſer Maßregel zu verſtehen zu geben , er fei eigentlich ihrer Meinung .

Er beſtärkte fie dadurch in

dem Vorſage auch die billigſten Anträge für Deutſchlands Siche rung gegen Frankreich , welche Preußen ſtellte, im Gefühle ihrer llebermacht zu verwerfen . Der nachſtehende wörtliche Inhalt von Met ternidh's Denkſchrift wird dies beſtätigen. ,, A . Der Krieg von 1815 iſt kein Eroberungskrieg. Er iſt nur zu dem doppelten Zwecke unternommen worden die gemaßte Gewalt Napo leon Buonaparte's niederzuwerfen und in Frankreich eine Regierung auf Grundlagen zu errichten , welche ſtark genug ſind, um für Frankreich wie für Europa Bürgſchaften der Ruhe darzubieten . Dieſer Krieg darf durchaus nicht in einen Eroberungskrieg ausarten , denn die Erklärungen der Mächte und der Wortlaut der Verträge ſtehen einem ſolchen Zwecke entgegen. Nicht weniger muß eine geſunde Politik die Mächte abhalten ihn in einen Erobes rungskrieg ausarten zu laſſen , weil eine erhebliche Veränderung des durch den wiener Congreß feſtgeſtellten Beſitzſtandes einen allgemeinen Umſchwung nach ſich ziehen würde, wobei der Zweck des Krieges: die dringende Noth wendigkeit den die geſellſchaftliche Ordnung umſtürzenden Grundſäßen , auf welche Buonaparte ſeinen Machtraub ſtüßte und die ihm , ſo kurz er auch war, die gefährlidiſte Ausdehnung gab , Schranken zu ſeßen , fich ſofort in einer Maſſe neuer Intereſſen verlieren würde , welche ſich aus einem derartigen Umſchwunge ergäben. Es iſt endlich Zeit dem Uebel, welches wir in Frankreich bekämpfen, einen Namen zu geben . Der bewaffnete Jakobinismus al ſein könnte hoffen einen wirklichen Vortheil daraus zu ziehen , wenn die po litiſchen Beziehungen der Mächte von Neuem umgeſtürzt würden , Beziehungen , weldie ſtets an deren geographiſche und ſtatiſtiſche Verhältniſſe geknüpft ſind .' Mit dieſen Worten waren nicht etwa die Trümmer des franzö fifden Heeres gemeint , ſondern ſie wurden als eine Anklage gegen das preußiſche Heer geſchleudert, in deffen Reihen , ja von deſſen Führer underhohlene Wünſche für innere Freiheit und äußere Unab hängigkeit Deutſchlands ausgeſprochen wurden , welche Metternidh's äußerſtes Mißfallen erregten. Er war ſicher, daß dieſer Ausfall des Beifalls Alexander's , ja ſogar Wellington's fich erfreuen , und von Der Kaiſer von Rußland der beabſichtigten Wirkung ſein werde. hatte mehrfach geäußert : er würde es bedauern , wenn er in die Nothwendigkeit verſekt würde dem preußiſchen Heere wegen des in ihm herrſchenden zügelloſen Geiſtes feindlich gegenüberzutreten. Der engliſche Feldherr aber hatte in einem Geſpräche mit Gagern geäu Bert : ,, Ich halte Preußen für eine politiſche Körperſchaft, welche noch

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fränker iſt, als Frankreich . Id fange an von Frankreich eine beſſere Meinung zu bekommen . Aber in Preußen giebt es weder eine Autorität, nody Achtung für eine ſolche. Der König hat fein hinreichendes Ge wicht, Hardenberg ebenſo wenig.

Unter ihren Generalen giebt es

einige Gutgeſinnte: Bülow , Ziethen , Müffling. Blücher iſt ein vortrefflidyer Mann , aber er iſt ſdylecht umgeben und übel berathen .“ 1 ) Hiermit waren hauptſächlich) Gneiſenau und neſebed gemeint, an deſſen Denkjdyriften man ebenſo wenig Geſchmack fand , als an der ſđarfſinnigen Veweisführung Humboldt's. Dieje Männer und ihre Beſtrebungen waren ärgerliche Hinderniſſe auf dem Wege , weldien Metternich verfolgte , um Deſterreidis Politik in Deutſdland maß gebend zu madyen. Es gelang ihm nur zu wohl ſie zu überwinden . Metternic, fährt in ſeiner Denkſchrift fort : „ I di ſchließe daher von meiner Bered nung eine jede Ueber einkunft unter den Verbündeten aus , mit welcher Gebietsver änderungen verbunden ſein würden. B. Je mehr ich davon überzeugt bin , daß dieſer Grundjat die Sdritte der Mädyte leiten muß, deſto weniger dürfen ſie, wie es mir andererſeits deint, fich über die Nothwendigkeit täuſdien von Frankreich Bürgſchaften zu fordern , und dieſe Bürgſchaften nid) t auf ſolche zu beſdhränken , welde man nur in ſtaatlichen Einrichtungen und einer vorübergehenden militäriſchen Beſetzung zu ſuchen gemeint wäre . Frankreid, wird lange nicht in der Lage ſein dem Syſteme ſeiner Re gierung eine ſolche Unterlage zu geben , um in ſeinen Einrichtungen allein Pfänder der Sicherheit für Europa darzubieten . Die militäriſche Beſeßung , fände ſie in großem Maßſtabe ſtatt, würde ebenſo ſehr , ja nod) mehr Frankreid): Nationalgefühl verletzen , als Abtre tungen, auf weldie es gefaßt iſt. Wir würden ohne Zweifel nicht weniger in Gefahr ſein unſern Zwed zu verfehlen , wenn dieſe Beſetung nur eine beſchränkte wäre. Es iſt alſo gewiß , daß die unermeßlichen Anſtrengungen, weiche Europa ſo eben gemacht hat , nur dann von einem völligen Erfolge ge krönt ſein fönnen , wenn die vier großen Höje ſids offen über ein Syſtem vereinigen , weldes gleichmäßig auf den Geiſt der Verträge, auf die wirf liche Lage der Dinge in Franfreid) und auf die Nothwendigkeit gegründet ift dieſem Theile des Feſtlandes die Nube wiederzugeben , weld)e Franfreich den Mächten gewähren muß , und welche es berechtigt iſt ſeinerſeits zu verlangen . Ich werde verſuchen die Grundſätze zu entwideln , welche ich am entſprechends ften für dieſe verſdiedenen Geſiditspunkte halte. Die Mächte haben das Recht von Frankreich zu verlangen : 1 ) eine Entſchädigung für die Kriegskoſten ; 2) eine wirkliche und dauernde Bürgſchaft, indem es ſeine angreifende Stellung in eine vertheidigende verwandelt, welche derjenigen der an dern Mädyte näher kommt; 3) die Annahme einer Regierungsform und ſolcher Einrichtungen , welche ſich mit den Einrichtungen der andern großen Mädyte Europas ver tragen , und welche durd richtiges Gleichgewicht der Mad)t für Franf reich und das Ausland Bürgidaften des Beſtehens fichern können ; 1 ) v. Gagern , V , 1 , 233 , 343,

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4) baß Frankreich endlid fich Maßregeln innerer und augenblicklicher Polizei unterwirft, welche der föniglichen Regierung die rechte Stütze und Europa Pfänder der Ruhe gewähren. Zu 1 ) Da dieſe Entſchädigung nur mittelſt einer Zwangsſteuer erfolgen kann , ſo genügt es , daß ich, um mich nicht vom Zwede der gegenwärtigen Denkjd rift zu entfernen, die Schapung an ſich als zuläſſig bezeichne, die Be ſtimmung ihrer Höhe aber einer beſondern Erörterung vorbehalte. Zu 2) Europa und vor allen die Nadbarmächte Frankreidis haben das Necht zu verlangen , daß dieſer Staat nicht in einer angreifenden Stellung verharre . Frankreios angreifende Stellung ſtitzt fidi: a. auf Angriffsſtellungen , weldie es ſeit der Regierung Ludwig's XIV. fich zu verſdşaffen Mittel gefunden hat durch Anlegung großer Waffenplätze und Feſtungen auf Punkten , die bedrohlich für die Ruhe ſeiner Nachbarn ſind, oder durch Feſtungen , welche auf hinreichend vorgerückten Punkten lies gen , um die Bildung und Entwicelung von Heeren zu hindern , die nur die Vertheidigung ihres eigenen Gebietes bezweden ; b . auf ein Befeſtigungsſyſtem , welches fich außer Verhältniß mit den Bertheidigungsmitteln der benachbarten Staaten und nidit minder außer Ver hältniß mit allen denjenigen vefindet, über welche ſie je verfügen können , um ein Gleichgewidit in ihrer gegenſeitigen kriegeriſchen Lage herzuſtellen. Das Befeſtigungsſyſtem Frankreichs iſt entweder durch die Eroberung der feſten Plätze gebildet worden , welche ſeine Regierung erhalten und ver mehrt hat, wie die Feſtungen im franzöfiſchen Flandern , oder durch die Er bauung neuer Plätze in den eroberten Provinzen , und unter dieſer Zahl ſind die Feſtungen des Elſaß , Lothringens , der Freigrafſchaft und der jüdlichen Linie. Dieſes Befeſtigungsſyſtem Frankreichs hat in den letzten Zeiten einen neuen Werth durd) zwei Umſtände erlangt, welchen nicht genug Rechnung ge tragen werden kann. Der eine iſt die Einrichtung der Nationalgarde, jener Vertheiðigungskraft, welche für den Bedarf aller feſten Plätze Frankreichs hinreicht , und feiner Regierung erlaubt die ganze regelmäßige Kriegs madt ungeſtraft ins Ausland zu werfen. Der andere iſt die Zerſtörung aller feſten Pläte in den Niederlanden und in Deutſchland, durch Frankreich ſelbſt in allen Kriegen ſeit Ludwig XIV. bewirkt. Ehrenbreitſtein , Philippsburg , Ingolſtadt und verſchiedene andere Pläße von größter Bedeutung ſind gänz lid ; abgetragen worden . Aue Städte wie Frankfurt, Ulm u . ſ. w . , welche einen Wall und einige Bertheidigungsmittel hatten , find deren beraubt worden . Savoyen hat völlig die Verpflichtung übernehmen müſſen ſeine Bergpäſſe nicht zu befeſtigen. Alle Kriege , welche Frankreich unter allen ſeinen Regierungen ſeit Lud wig XIV. unternommen hat, liefern den Beweis , daß dieſe Macht mit einer unwandelbaren Beharrlichkeit die Gründung eines Befeſtigungs- und Ver theidigungsſyſtems auf Koſten aller ſeiner Nachbarn verfolgt hat. Es würde der verbündeten Mächte, welche ſich der edlen Aufgabe geweiht haben die Ruhe Europas auf ſtarken und wahrhaften Grundlagen wiederherzuſtellen, un würdig ſein ſich über ſo unbeſtreitbare Thatſachen , als folgende find, einer Täudung hinzugeben : 1 ) Daß dieſes angriffsdrohende Vertheidigungsſyſtem weit weniger von den Grundſägen herrührt, welche die Revolutionskriege hervorgerufen haben, als es in dem des franzöſiſchen Königsthums ſelbſt liegt. 2) Daß wegen des franzöſiſchen Befeſtigungsſyſtems es der gänzlichen Vernichtung des franzöſiſchen Heeres in dem Feldzuge von 1812 , des Ver luftes alles zur Ausrüftung der Feſtungen nothwendigen Materials in dem

350 ſelben Feldzuge , und vor allem der vereinten Anſtrengungen von ganz Eu repa bedurft hat, um die Erfolge der Jahre 1813 , 1814 und 1815 zu fichern. Wenn Frankreich ſeine dreifache Linie von Feſtungen behält , ſo wird es ſtets und unter jeder Regierungsform ſtark genug ſein , um ſo viel oder mehr Mannſchaft ſeine Grenzen überſchreiten zu laſſen , als ihm jede andere Madyt erſten Ranges entgegenſtellen kann , und bei dem Verluſte von Schlach ten , welche es ſtets auf fremdem Gebiete liefern wird , nichts weiter auf: Spiel ſegen , als auf einen Eroberungsplan verzidhten zu müffen. Es wird ſogar ſtark genug ſein , um in gewöhnlichen Zeiten dem Angriffe zweier, oder dreier Mächte erſten Ranges , welche ſich für dieſelbe Sadie vereinigt haben , zu widerſtehen. Die Ueberzeugung, welche das franzöſifdie Volk haben muß , daß die Kriege ihm nur Menſdhen und hödjſtens Geld koſten, daß dem Privat eigenthume aber feine Zerſtörung droht, daß die Bürger nicht zu beſorgen haben den von der Gegenwart feindlicher Heere unzertrennlichen Plagen ausgeſett zu werden , iſt ohne Widerſpruch eine der Urſachen , welche am meiſten Angriffsmittel zur Verfügung der revolutionären Regierung geſtellt hat. Es genügt die Selbſtſucht und den gänzlichen Mangel des öffentlichen Geiftes zu kennen , welche die franzöſiſche Nation charakteriſiren , um dieſer Erwägung einen ganz beſondern Werth beizulegen. Es ſcheint mir alſo , das dauernde Intereſſe Europas erheiſche: a. daß Frankreich die Angriffspunkte verliere , welche ihm der parijer Vertrag gelaſſen hat ; b. daß die Feſtungen der erſten Linie entweder unter fremde Herr chaft fommen und fortan zur Grenzvertheidigung der Nachbarſtaaten dienen , oder wenigſtens geſchleift werden . Wenn die erſte linie der flandriſchen Feſtungen fortan die Grenze der Niederlande bilden ſollte, ſo würden dieſe hierdurd, nicht in eine Angriffs ſtellung gegen Frankreich geſeßt werden , denn es blieben in dieſem Fale bem leßtern Königreiche noch zwei befeſtigte Bertheidigungslinien. Wenn die Feſtungen des Éljaß mit Ausnahine von Landau geſchleift würden , wel djes meiner Anſicht nadı mit Deutſchland vereinigt werden muß , um den Berluſt von Philippsburg auszugleichen , und mit Ausnahme eines andern Plates , weldier nur zur Vertheidigung der Grenze zu dienen vermag , ohne wie Hüningen die Sicherheit einer benadhbarten Hauptſtadt zu bedrohen , wenn Strasburg nur ſeine Citadelle behielte, um dieſe große und wichtige Stadt zu ſchützen , welche in dieſem Augenblicke nichts als ein großes ver ſchanztes Lager iſt, ein Waffenplap , worin ſich ſtets ein Heer bilden und zuſammenziehen wird, das wegen ſeiner Stellung an der äußerſten Grenze vom Beginne eines Feldzuges an den Kriegsidauplaß auf fremdes Gebiet verſetzen kann , ſo würde Frankreichs Sicherheit durchaus nicht be droht ſein . Die Engpäſſe und Stellungen der Vogeſen und des Jura , die Feſtungen der zweiten Linie , welche großer Bervollſtändigung fähig ſind, würden mehr , als hinreichende Wälle bilden , denen bei dem Mangel an feſten Plätzen im Süden Deutſchlands zu Gunſten der benachbarten Mächte nidhte Ebenmäßiges entgegenzuſeßen wäre . Daſſelbe gilt hinſidtlich Be ſançons und mehrerer Befeſtigungen auf der ſüdlichen Linie , welche geſchleift werden müſſen . Es genügt die Geſchichte aller Zeiten zu befragen , und die Ents blößung von Geldmitteln , in der ſich die Mächte befinden , in Erwä gung zu ziehen , um die vorgeſchlagene Erbauung von Feſtungen als keine Sicherheit barbietend zu betrachten , was man auch für eine Geldbei hülfe hierzu aus Frankreich zu erhalten vermöchte. Die Fürſten , welche ſo ruhmwürdige Anſtrengungen für die Unterſtügung der gemeinſamen Sache der Regierungen und Völker gemacht, haben dem Ehrgeize auch jeßt keinen

351 Spielraum gönnen , und nur in Erwägung nehmen wollen , was ſie der Si cherheit Europas ſchuldig find. Sie müſſen ihr Abſehen darauf richten ihr großes Unternehmen durch Maßregeln zu krönen , weldie über den Erfolg der Anſtrengungen ihrer Völker keinen Zweifel übrig laſſen ; und dieſer Zweck wird nur dann wirklich erreicht ſein , wenn Frankreich nicht mehr ſeine Nachbarn mit ſicherer Ungeſtraftheit angreifen und überfallen kann. Mit einem Worte, es ſcheint mir , Frankreidy muß hinſichtlich der Vor theile und Gefahren den andern Mächten erſten Ranges gleichgeſtellt werden . Auf dieſe Weiſe wird eine ſtarke Regierung in Frankreich weniger in Ver ſudjung gerathen ihre Nachbarn zu unterjochen , eine ſchwache Regierung weniger der Spielball von Parteien werden , welche, geſchüßt von uneinnehm baren Wällen , erſt durch Vereinigung der Streitkräfte von ganz Europa Ge fahr laufen in ihren verbredjeriſchen Unternehmungen ſich gehemmt zu ſehen. Die Erfahrung der lebten 150 Jahre hat bewieſen , daß dieſe Anſichten auf alle Regierungen paſſen, welche in Frankreich einander gefolgt ſind, und daß ſie ohne Zweifel die ſorgfältigſte Erwägung der Mächte verdienen. Zu 3) Die Verbindeten haben unſtreitig das Recht ſich zu ver gewiſſern , daß die Einrichtungen, auf weldie ſich die Ruhe Europas und des Innern von Frankreich gründen ſoll , auf feſten und für dieſen Zweck geeigneten Grundlagen ruhen . Der Weg , welchen die vereinigten Cabinete in dieſem Augenblicke verfolgen , ſcheint der einzige , der dieſer Abſicht ent ſpricht, und der den Umſtänden angemeſſenſte. Zu 4) Unter Maßregeln innerer Polizei verſtehe ich die verlängerte An weſenheit fremder Truppen in Frankreich. Dieſe Maßregel bietet ſo wichtige Geſichtspunkte dar, daß ſie in ihrer Anwendung das Ergebniß einer beſondern Ueberlegung ſein muß , welche ſich auf folgende Punkte zu erſtrecken bat: a . Von welchen Heeren ſoll der fremde Truppenkörper gebildet werden ? Es ſcheint zweđmäßig, um von einer einfachen Sicherheitsmaßregel jeden Gedanken an Eroberung zu entfernen , daß die Mächte, welche die Grenzen Frankreid ): berühren , dieſen Truppentörper nicht liefern dürfen. b. Welche Zahl müſſen die zu ſtellenden Truppen erreichen ? Ich glaube , daß die Geſammtzahl aller fremden Truppen in Frankreich mindeſtens auf 100 bis 150000 Mann ſich belaufen müßte. c. Das Verhältniß, in welchem die dieſe Truppen befehligenden Ge nerale der franzöſiſchen Regierung gegenüber ſtehen ſollen , wäre zu be ſtimmen . d. Zu beſtimmen wären ferner die für die Einlagerung der Truppen anzuweiſenden Bezirke. Dieſe Bezirke würden ſowol nach militäriſchen als adminiſtrativen Rückſichten abzumeſſen ſein , und müßten auf alle Fälle die fremden Truppen von jeder Berührung mit franzöſiſchen Heereskörpern entfernt halten . e. Es wäre in Erwägung zu ziehen , bis zu welchem Bunkte es paffend und nütlich ſei dieſe Hülfstruppen zur Ausführung der in künftigen Verträ gen Frankreich aufzuerlegenden Verpflichtungen zu gebrauchen .“ 1) Vergleicht man den Ideengang der ruſſiſchen , preußiſchen und öſterreichiſchen Denkſdyriften über die Grundlagen des abzuſchließenden Friedensvertrags , ſo übernahm Metternich offenbar die Rolle eines Vermittlers. In dem Hauptergebniſſe der angeſtellten Erörterung ſtimmt er dem Vertreter Rußlands bei , daß man von Frank

:) 8. Gagern , V , 2 , 90-100. Schaumann , Nr. IV.

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reid keine Gebiete abtretungen fordern dürfe , nur die in Sahre 1704 von den Franzoſen eroberte Feſtung Landau folle aus nahmsweiſe an Deutſchland zurückgegeben werden. Während aber die

ruffiſde Denkſchrift

den Sturz

der revolutionären

Regierung

gleichſam als Selbſtzweck des Krieges aufſtellt, und darauf , daß man dem König von Frankreich, als einem Verbündeten , Gebietsabtre tungen nicht anſinnen dürfe , das Hauptgewicht legt , und nur neben her auf den aus ſolchen Gebietsabtretungen ſich ergebenden Nachtheil hinweiſet , daß dann unter den Verbündeten neue Ländertheilungen ſtattfinden müßten , begnügt ſid, die öſterreichiſche Denkfdhrift mit leß terem Umſtande ihren Widerſpruch gegen die von Preußen beantragte Sdimälerung der Grenzen Frankreidys zu begründen ; ſie giebt aber zu , daß der Krieg audy deshalb geführt worden ſei , um die Ruhe Eu ropas zu ſichern. Das Wunderbarſte iſt, daß Metternidy den preu Biſden Staatsmännern darin vollkommen beipfliditet, Frankreidys Eroberungsſucht habe nicht erſt ſeit der Revolution feine Nachbarn gefährdet, ſondern ſdjon ſeit Ludwig's XIV. Regierung , und dieſer unerträgliche Zuſtand der Dinge werde ſo lange dauern , als Frank reid im Beſige der Angriffspunkte und eines Befeſtigungsſyſtems bleibe , wodurch es , wenn nicht ganz Europa fich gegen daſſelbe ver bünde , ſelbſt bei mißlungenen Angriffen auf ſeine Nachbarn vor de ren vergeltenden Einfällen ſicher ſei. Allein zu der von jenen hieraus gezogenen natürlichen Folgerung: Frankreich müſſe gezwungen werden die geraubten deutſden Grenzländer , welche ihm eben die bedroh lichen Angriffsſtellungen gewährten , zurückzugeben , gelangt er nicht, obſdjon er nicht umhin fann dies als ein Mittel zum Scute Deutſch lands anzuerkennen ; er meint vielmehr, nach Schleifung der äußerſten Reihe der franzöſiſdien Feſtungen werde Deutſchland fünftig nichts zu beſorgen haben . Dieſe Schleifung ſei aber nothwendig , weil die vorgeſchlagene Erbauung neuer Feſtungen , wie groß auch die von Frankreich dazu gezahlte Geldſumme fein möge, allen Erfahrungen nach den beabſichtigten Schuß nicht gewähren könne . Die geſchichtliche Thatfade , daß eben Frankreichs ue bermacht über ſeine Nachbarn den Raub jener Grenz länder herbeiführte , und daß erſt hierauf die Errichtung des Feſtungsgürtels erfolgt war , deren Schleifung er be antragte , überfah er gefliſſentlich; denn ſonſt hätte er ja be kennen müſſen , daß das übermächtige Frankreidy, welches kein Be denken getragen hatte unter nichtigen Vorwänden jene Länder den Nachbarſtaaten zu entreißen , noch weniger durch ein etwaiges

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Verſprechen ſich abhalten laſſen werde die Feſtungen , zu deren Schleifung man es etwa gezwungen hätte , ſo bald als möglich wie der aufzubauen, und wieder ſeine frühere drohende Angriffsſtellung einzunehmen. Schwächung dieſer Uebermacht Frankreichs und gleich zeitige Stärkung der Nachbarländer mittelſt Zurüdgabe der fraglichen durch Kunſt und Natur befeſtigten Grenzländer, war alſo das einzige Erfolg verſprechende Mittel, um dem europäiſchen Feſtlande die langentbehrte Ruhe zu fichern. Allein von dieſem Mittel wollte ja eben

das

öfterreichiſche Cabinet nichts

hören.

Schon

hieraus

wäre man zu dem Schluffe berechtigt, daß Metternich trot aller feiner gegentheiligen Verſicherungen auch den Zwed , welcher nur durch beſagtes Mittel zu erreichen war , nicht ernſtlich gewollt habe . Deſterreich beſtand aber auch nicht einmal auf Anwen dung des Mittels , welches es doch ſelbſt für Deutſch lands Sicherheit als unerläßlich erklärt hatte; und die Folge wird lehren, daß von allen jenen , den äußern Feſtungsgürtel bildenden Pläßen nur die Wälle von Süningen geſchleift wurden, die mit ihren Kanonen nicht ſowol Deutſchland als das ſchweizeriſche Baſel bedroht hatten. Alle übrigen Feſtungen , von denen Deutſch land unmittelbar bedroht war , felbſt das auf einer Rheininſel liegende Fort Louis, welches mit ſeinen Geſchügen das deutſche Ufer beherrſchte, blieben als ebenſo viele Denkmäler des von falſchen Freunden damals an Deutſchland begangenen Verraths in ihrer vollen Stärke beſtehen. Deſterreich verlegte dadurch, daß es die von Breußen nicht zu eigener Gebietsvermehrung , ſondern zum Beſten Deutſch lands beantragten Gebietsabtretungen Frankreichs verhinderte, nicht bloß feine Pflichten gegen Deutſchland im allgemeinen , ſondern war ſich auch dabei wohl bewußt , daß es gleichzeitig die außerdem noch vorhandene Möglichkeit ausſchloß dem von ihm übervortheilten Baiern die verſprochene

vollſtändige

zurückgegebenen ,

ehemals

Entſchädigung für die von demſelben

öſterreichiſchen

Provinzen

zu

gewähren.

Denn nicht es zu befriedigen, ſondern es zu ,, compromittiren “ lag ja in Metternich's Abſicyt, wie er fich deſſen ſogar rühmte. Bei einer ſolchen Haltung des öſterreichidhen Cabinets war es natürlich, daß Rußland und England fortfuhren darin mit ein ander zu wetteifern das Intereſſe Frankreichs auf Koſten Deutſch lande zu begünſtigen . Wenn Capodiſtrias in ſeiner Dentſchrift die Mittel Frankreiche Macht zu ſchwächen nur deshalb nacheinander aufgeführt zu haben ſchien , um das Verdienſt Rußlands , welches ihre Anwendung nicht dulde , deſto bemerkbarer zu machen , ſo war 23 II.

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Caftlereagh ſo rüdfichtsvoll der empfindlichſten jener Mittel gar nicht einmal zu erwähnen . Ohne ſich um die Denkſchriften Humbolbt : und Knefebed'o zu befümmern, bezeichnete er in zwei eigenen Schrift: ſtüden die Grundfäße, welche bei den Friedensunterhandlungen mit Frankreich feſtzuhalten ſeien. In dem erſten begnügte er fich die ſelben ohne logiſchen Zuſammenhang unter acht Nummern zuſammen zuſtellen , in dem zweiten ſuchte er fie durch einige Bemerkungen zu erläutern . Weber Form , nody Inhalt dieſer Schriftſtücke machen dem engliſchen Staatsſecretär Ehre. Sie nehmen unter den Leiſtuns gen der Diplomaten zu Paris offenbar die leßte Stelle ein . Wozu ſollte er ſich aber auch in einer Sadje beſondere Mühe geben, deren Ordnung zufolge der unter den vorherrſchenden Großmächten ge troffenen Verabredung bereits geſichert war ! Er begann ſeine Erörterungen mit der fonderbaren Bemerkung: die Verbündeten müßten ſich beeilen über die Frankreich aufzuer legenden Friedensbedingungen fich zu verſtändigen , damit dieſelben den am 15. Sept. zuſammentretenden franzöſiſchen Rammern vor gelegt werden könnten ; auch habe der Kaiſer von Rußland erklärt, daß ſein Heer nicht über dieſen Zeitpunkt hinaus in Frankreich bleiben könne , weil es ſonſt Wintermärſchen ausgefeßt ſein würde ; überhaupt aber werde die Verzögerung eines Einverſtändniſſes den Einfluß der Verbündeten verringern und die außerordentliche Gefahr einer neuen Umwälzung der Dinge vermehren . In welchem Lichte erſcheinen ſolche Leußerungen , da body den auf 600000 Mann ſich belaufenden Streitkräften der Verbündeten nicht einmal mehr jene 100000 Franzoſen hätten entgegengeſtellt werden können , welche von Napoleon's Heer übrig geblieben waren , indem

die unternommene Umbildung der kaiſerlichen in

königliche

Truppen die Verabſchiedung eines großen Theils der Mannſchaften herbeigeführt hatte , und die Beſetung eines großen Theils von Frankreich in den betreffenden Landſtrichen die Bildung von Streit kräften hinderte! Außerdem war aber auch noch eine halbe Million Soldaten in allen Theilen von Europa bereit einen etwa den nod, unternommenen Widerſtand Frantreidhs niederzuſchlagen . Unter dieſen Umſtänden bedurften die Verbündeten nicht einmal des ruſ fiſchen Heeres , um ihre herrſchende Stellung zu behaupten , wenn fie überhaupt daran gedacht hätten aus derſelben erheblichen Bor theil zu ziehen. Die den ſiegreichen Verbündeten angeſonnene Rüdficht auf den Zuſammentritt der franzöſiſchen Kammern kehrte geradezu die beſtehenden Verhältniffe um. Damit er aber einer

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ſolchen Begriffsverwirrung die Krone aufſeße, geſteht Caftlereagh ſchließlich ſelbſt ein , daß noch nie ein Staat mehr von der Gnade ſeiner Gegner abgehangen habe , der Fall ſei.

als dies zur Zeit mit Frankreich

Nach ſeiner Anſicht war ferner beſonders darauf zu achten , daß die Friedensbedingungen keinen ſtörenden Einfluß auf das zwiſchen den Mächten beſtehende Schußbündniß von Chaumont hätten , welchem Europa ſeine Befreiung verdanke. Das Wohlverhalten Frankreichs müßten politiſche und militäriſche Maßregeln verbürgen. Hinſichtlich der erſteren ſei Aufredythaltung der königlichen Regierung der wich tigſte; gelinge dies ungeachtet aller Anſtrengungen der Verbündeten nicht, ſo bleibe ihnen doch der Troſt deren Sturz nicht beſchleunigt zu haben . Während der ſieben bis zehn Jahre, ſolange die militäriſche Befeßung Frankreichs dauere, ſei jedoch in dieſer Beziehung keine Gefahr vorhanden. Nicht gegen Frankreich als Staat, ſondern gegen die in dieſem Staate vorhandene gefährlidhe Bartei feien die Vorſichts Der dem Könige gewährte maßregeln der Verbündeten gerichtet. Sdug

würde

aber wirkungslos

bleiben ,

wenn er durd erniedri

gende Bedingungen erkauft werden müßte. Wieſe ihn der König in dieſem Falle nicht zurück, ſo würden derartige Bedingungen es demſelben unmöglich machen ſein Anſehen zu befeſtigen. Deshalb müffe die Schyleifung von Feſtungen , ja ſogar die Be ſegung von Hauptwaffenpläten wie Strasburg und Lille unterbleiben. Von Frankreich dürften nur inſofern Ab tretungen verlangt werden , als dadurch deſſen im I. 1790 beſtandene Grenzen ' wiederhergeſtellt würden ; doch ſollten demjenigen Staate , welcher fremde Gebietstheile um ſchlöſſe, dieſelben einverleibt werden , auch die zu ziehenden Grenzen von den bereits beſtehenden nicht weſentlich abweichen. Da die Ver bündeten Ludwig XVIII. als ihren Bundesgenoſſen zu betrachten hätten , ſo müßten die an ihn zu ſtellenden Forderungen fo gering als möglich ſein. Die ewige Ausſchließung der Familie Buonaparte vom Throne Frankreichs, die Art und Weiſe , wie die von den Ver bündeten daſelbſt zurückzulaſſende Truppenmacht von 150000 Mann zu verwenden , nöthigenfalls zu verſtärken ſei , und die Beſtim mung , wonach ein etwaiger Aufſtand für Aenderung der Thronfolge das Verſprechen ungültig mache, daß die militäriſche Befeßung einiger namhaft gemachten Feſtungen zu einer beſtimmten Zeit auf hören werde , ſollten die Hauptſtüßen der neuen Ordnung der Dinge ſein. Der Auferlegung einer Kriegsdagung war nicht gedacht, und 23 *

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es zeigte alfo England mehr als jede andere Macht die Abſicht Frankreich zu fchonen . Wellington übergab ebenfalls eine unbedeutende Denkſchrift, worin er die Beſegung Frankreichs als heilſam für die Befeſtigung der königlichen Regierung bezeichnete. Er hielt ein Seer von 100000 Mam hierzu für hinreichend und beantragte eine kleinere Anzahl von Feſtungen , als vorgeſchlagen war, zu beſeßen , um einer zu großen Zerſtreuung der Truppen vorzubeugen . ) Bezeichnend für die Nichtigkeit der engliſden Friedensvorſchläge war es , daß ihr Urheber lord Caſtlereagh ſelbſt nicht verhehlte, wie wenig er durch die empfohlenen Maßregeln die Herrſchaft der Bour bonen und den Frieden geſichert glaubte. Nie hat ein Staatsmann größere Rathloſigkeit und Begriffsverwirrung gezeigt , als er. Db wol die äußerſte Scyonung Frankreichs im erſten pariſer Frieden die Franzoſen nicht abgehalten hatte noch vor Ablauf eines Jahres dieſen Friedensvertrag zu brechen , obwol Ludwig'8 XVIII. Unbe liebtheit und Regierungsunfähigkeit thatſächlich feſtſtand ,

ſtellte der

engliſche Staatsſecretär dennoch die , wider ſoeben gemachte Erfah rungen ſtreitende Behauptung auf : nur wenn die Verbündeten ihre Forderungen an Frankreidy lo fehr als möglich herabſtimmten, könnte das Anſehen des Königs in Frankreich ſich befeſtigen. War es auch nur denkbar , daß Ludwig , der durch ſein Benehmen die ihm bei ſeiner erſten Rüdkehr von den Franzoſen gezeigte Zuneigung ſehr bald in die größte Abneigung verwandelt hatte, nun unter weit mißlicheren Umſtänden ſeine und ſeiner Familie Øerrſchaft werbe be feſtigen können , da er es zuvor in einer weit günſtigern Lage nicht vermocht hatte ? Caſtlereagh, als Organ der engliſchen Regierung, war dem Bündniſſe der europäiſchen Mädyte gegen Napoleon nur unter dem Vorbehalte beigetreten , daß den Franzoſen nicht eine ihnen verhafte Regierungsform aufgenöthigt werden ſolle. Der Widerwille derfelben gegen die Bourbonen war ferner eine unzweifel hafte Thatfadye. Aber alles beſſenungeachtet war ſeiner nunmehrigen Behauptung nach Ludwig XVIII. Bundesgenoſſe der Frankreich be kriegenden Fürften geblieben , und kein Anderer zu Beherrſchung Frankreichs geeigneter. Bald ſpricht er von der außerordentlichen Gefahr einer neuen Umwälzung, balt von der Widerſtandsloſigkeit Frankreich . Für die Befeſtigung der Föniglichen Gewalt weiß er kein anderes Mittel, als frembe Bajonnete und triegeriſche Belegung

1) Schaumann , Nr. V, VI.

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des ſcheinbar befreundeten Landes auf eine lange Reihe von Jahren ; gleichzeitig geſteht er aber , daß mit dem Aufhören des Ausnahme zuſtandes auch ſofort neue Kriegsgefahr drohe. Die Vertreter Ruß lands und Deſterreichs befolgten zwar diefelbe Bolitik, allein fie waren nicht ſo ungeſchidt ſich in ſo ſchreiende Widerſprüche zu ver wideln , wie der engliſche Staatsſecretär. Uebrigens lag es doch am Tage , daß , wenn man wirklich nur zwiſchen zwei Uebeln zu wählen hatte , nämlich entweder den Bour bonen die Sicherung ihres Thrones ſelbſt zu überlaffen, oder die Nach barländer Frankreichs nicht gegen fünftige Angriffe deffelben zu fichern, das erſtere, wenn es eins war, gewählt und für die Sicherung der Nachbarländer in vollkommen ausreichender Weiſe geſorgt werden mußte. Leşteres erſchien wenigſtens möglich, während eine neue Umwälzung Frankreichs ohne fortwährende Einmiſdung in deſſen innere Angelegenheiten nicht verhütet werden konnte , folche Ein miſchung aber gegen die Grundbegriffe des Völkerrechts verſtieß. Die Nichtberückſichtigung der Intereſſen der an Frankreich gren zenden deutſchen Staaten von Seiten der drei vorherrſchenden Große mächte mußte natürlich die Unzufriedenheit

der erſteren mit ihrer

Ausſchließung von den Friedensverhandlungen aufs Neußerſte ſtei gern. Ihre deshalb erhobene Beſchwerde hatte jedoch nur nach ſtehende, von Neſſelrode, Caſtlereagh , Metternich und Humboldt unterzeichnete Antwort zur Folge : ,, Die dem Bündniſſe vom 25. März beigetretenen Höfe , welche durch dieſen Vertrag das Recht erlangt haben an den Friedensunterhandlungen theilzunehmen , haben durch ihre Geſandten bei den vier Mächten anges fragt, welche Anwendung jener Vertragsbeſtimmung unter den gegen wärtigen Umſtänden gegeben werden würde ? Nachdem die Verſammlung der Miniſter über die Frage berathen hat , ſind die Unterzeichneten darüber einig geworden, daß, wenn dieſen Höfen auch das Recht bewilligt wurde bei der Beſchlußfaſſung über jeden Act, welcher den Krieg mit dem gemeinſamen Feinde beendigt, mitzuwirken, ſowie zu verlangen , daß vor dem Schluſſe der Únterhandlung ihre Intereffen berückſichtigt würden, die Einmiſdung berſel ben doch nicht auf die vorläufigen und vorbereitenden Beſprechungen ſich er ftreden dürfe, wodurch die vier Mächte ſich zuvörderſt über die Grundfäße zu verſtändigen ſuchen , welche ihre Beziehungen zu Frankreich und die dieſer Macht aufzuerlegenden Bedingungen regeln jollen. Demzufolge hat man beſchloſſen ihnen zu erwidern, daß die gegenwärtigen Verhandlungen nur als vorläufige Beſprechungen betrachtet werden können. Man behält ſich vor die dem Bunde beigetretenen Höfe einzuladen daran theilzunehmen, ſobald die Ideen und Anſichten der vier Cabinete zu einem größern Grade der Reife werden gediehen ſein. Jedenfalls wird man ihnen den Plan der allgemeinen Uebereinkunft mittheilen , und ſie einladen ſelbige ge meinſchaftlich und zu gleicher Zeit mit den übrigen Mächten zu unter zeichnen."

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Der langen Rede kurzer Sinn war demnach der , daß die Groß mächte die Friedensbedingungen feſtſtellen und ihren minder mächti gen Bundesgenoſſen nur geſtatten wollten ſie zu genehmigen. Man hatte legteren zwar die Pflicht auferlegt zur Bezwingung Frant reichs mitzuwirken , die daraus entſpringende Berechtigung aber an den Friedensunterhandlungen theilzunehmen erkannte man nicht an , obſdon dieſelbe in den Beitrittsverträgen Würtemberge , Badens und Heſſen - Darmſtadt ausdrüdlich zugeſagt worden war . ) Das preußiſche Cabinet war ſo kurzſichtig einer ſolchen Politik der andern Großmädyte beizutreten , und hierdurch ſich der Unter ſtüßung der deutſchen Fürſten für die von ihm empfohlene Sicherung der weſtlichen Grenze Deutſchlands zu berauben . Selbſt wenn es von Zuziehung der kleinern deutſchen Staaten keinen Erfolg für ſeine im gemeinſamen Intereſſe geſtellten Anträge erwartet hätte , gebot ihm die Klugheit durch Anerkennung und Förderung des Rechts ſeiner deutſchen Bundesgenoſſen deren Vertrauen und Zuneigung zu gewinnen , nicht aber einem nichtigen Großſtaatsvünkel zu fröhnen, zumal da Deſterreich den Vorſchlag Breußens, welcher eine Theilung ihres beiderſeitigen Einfluſſes auf Deutſchland bezweckte, don in Wien zurüdgewieſen hatte.

1 ) De Martens , VI , 146 , 148 , 153.

Siebenter Abſchnitt.

Fruchtloſe -Beſtrebungen der Mächte zweiten Rangs bei den pariſer Friedensunterhandlungen mitzuwirken. Graf Winzingerobe für Würtemberg und von Gagern für kuremburg unter ftügen in ihren Dentſdriften die preußiſche Forderung einer beſſern deutfen Grenze. Wet lington's dagegenſprechendes Gutachten . Stein's vergebliches Bemühen Alexander zu Zuge ftändniſſen für Deutſchland zu bewegen. Hardenberg's Dentſchriften. Verhandlungen über die von den Verbündeten aufgeſtellten Friedensbedingungen. Franzöſiſche Dentiớrift über dieſelben . Rußlands Einfluß, denjenigen Englands überwiegend, verdrängt Taleyrand und feßt Richelieu an deſſen Slelle. Antwort der Verbündeten auf die franzöfiſche Dentſdrift. Stiftung der heiligen Alliance . Abſchluß des zweiten pariſer Friedens. Urſamen, weshalb derſelbe die durch den erſten pariſer Frieden feſtgeſtellten Gebietsverhältniſſe nur in un weſentlichen Stüden abänderte.

Ließen die vier Großmächte ihre übrigen Bundesgenoſſen audy nicht an den Sißungen , wo über den Frieden berathen wurde, theil nehmen , ſo konnten ſie doch nicht wehren , daß dieſelben in Denk ſchriften ihrer Meinung Geltung zu verſchaffen ſuchten. Von allen deutſchen Staaten mußten Baden , Würtemberg und Baiern wegen ihrer geographiſchen Lage am meiſten eine leicht zu vertheidigende Grenze gegen Frankreich wünſchen. Baden , deſſen Bevölkerung wie die Bewohner des Elſaß dem alemanniſchen Stamme angehörte, deſſen Gebiet mit dem Elſaß zu ſammen das Thal des Oberrheins ausmachte, welcher in ſeinem Laufe nicht zwiſchen den Bewohnern ſeiner Ufer eine natürliche Grenze zog , vielmehr zur Erleichterung gegenſeitigen Verkehrs diente , war ebendeshalb dasjenige deutſche Land , mit dem der El faß , wurde er von Frankreich abgetreten , am natürlichſten ein poli tiſches Ganze gebildet hätte. Allein in anderer Beziehung ſtanden

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einer ſolchen Vereinigung ſo große Hinderniſſe entgegen , daß von Seiten der badiſchen Regierung nicht einmal ein Verſuch dazu gemacht wurde . Der Großherzog ſelbſt kümmerte ſich nicht um die Regierung& geſchäfte, und da weder er, noch ſein Oheim Nachkommen hatten , ſo ſchien das Ausſterben des zur Erbfolge berechtigten Manns ſtammes nahe , das ſtaatliche Fortbeſtehen Badens alſo um ſo un wahrſcheinlicher, als für dieſen Fal Baiern sie badiſche Pfalz und Deſterreich den Breisgau erhalten ſollten . Baiern , welches durch die Rheinpfalz für ſeine Abtretungen an Deſterreich noch nicht vollſtändig entſchädigt war , ſtrebte dafür den an die baieriſche Rheinpfalz angrenzenden Elſaß zu erwerben und richtete zu dieſem Zwede eine Denkſchrift an Deſterreich, die jedoch fehr kalte Aufnahme fand und ihrem Inhalte nach nicht näher be kannt geworden iſt. Metternich hatte nichts Eiligeres zu thun , als ſie dem franzöſiſchen Cabinete mitzutheilen , welches alles aufbot ſie erfolglos zu machen und ſogar mit Volksaufſtand drohte , eine Dro hung , deren Verwirklichung zwar unwahrſcheinlich und auch an fich nicht zu fürchten war , aber den drei mit Frankreich einverſtandenen Großmächten einen erwünſchten Vorwand mehr bot die Abtretung des Elſaß für unzuläſſig zu erklären . Auch der Kronprinz von Würtemberg , welcher wegen des übeln Vernehmens, worin er zu ſeinem despotiſden Vater ſtand, einen auswärtigen Wirkungsfreis wünſchte , hatte ſeine Blice auf den Elſaß gerichtet. Er glaubte , Raiſer Alerander werbe aus Liebe zu feiner Schweſter, der Verlobten des Kronprinzen , dafür mit wirken , daß der Elſaß mit den Ländern verbunden werde , welche deren fünftiges Königreich bildeten. Der Gebietszuſammenhang

des Elſaß mit Würtemberg hätte freilich nur durch Abtretung des Breisgaues oder der Rheinpfalz von Seiten Badens bewirkt werden können ; doch einerſeits hatte der Großherzog in Gebietsabtretungen zum Beſten Deutſchlands willigen zu wollen ſich verpflichtet, anderer ſeits ſtand das Erlöſchen ſeiner Dynaſtie, wodurch dem ſtaatlichen Daſein Badens ein Ende gemacht worden wäre , in naher Ausſicht. Die nachſtehende, vom Grafen Winzingerode unterzeichnete Denk ſdrift, welche vor dem 8. Aug. überreicht wurde , war größtentheils des fronprinzen Wert und wetteiferte in der Fauptſache an Treff lichkeit der Beweisführung mit den Arbeiten Humboldt'8 und Knefes bed's . Sie lautete : Der Krieg iſt geendet. Napoleon iſt außer Stand gefeßt die Ruhe Europas von Neuem zu ſtören ; die Dynaſtie der Bourbonen iſt wieder auf

361 Frankreiche Thron geſeßt. Der Augenblid zu Unterhandlungen iſt getom men . Die von Frankreich hinſichtlich ſeiner fünftigen Ruhe zu fördernden Bürgſchaften müſſen nothwendig der Dauptgegenſtand derſelben ſein. Die jüngſte Erfahrung hat bewieſen , daßdie Einſebung der Bourbonen auf den Thron von Frankreich hierzu nicht hinreiche , und die Ereigniſſe, welche in dieſem Lande ftattgefunden haben , waren ſolcher Natur , daß man glauben muß Napoleon's Antheil an ihnen ſei mehr untergeordnet, als maßgebend geweſen. Wenn man hieraus ſchließen darf, daß ſeine Entfer nung und die Wiederherſtellung der Bourbonen keine hinreichende Bürg ſchaften bieten , und wenn man nicht in Abrede ſtellen kann , daß die zeit weilige Befeßung von Provinzen und Feſtungen nur eine unzuverläſſige fein würde , während der vereinigte Ruf aller Bölker Europas dauerhafte und ftarke Bürgſchaften verlangt, ja ernſtlich fordert, ſo kann man ſich der Ueber zeugung nicht erwehren , der erſte Zweck der Friedensunterhandungen müſſe Ďarin beſtehen die angrenzenden Staaten Frankreichs mit hinreichend mäch tigen Bouwerken zu verſehen , um ſie von jeder Beſorgniß zu befreien . Der Friede von Paris und die Beſtimmungen des wiener Congreffes haben in dieſer Beziehung faſt alle jene Staaten , mit alleiniger Ausnahme der im Süden Deutſchlands, befriedigt. Die jüddeutſchen Staaten haben durch ihre Anſtrengungen dazu beigetragen Oeſterreich und Preußen den im I. 1805 eingenommenen Rang wiederzuverſchaffen , Rußland mit einem neuen ſtarken Gürtel von Provinzen , welcher ſeine Vorpoſten von den Ufern des Bug an die der Wartha verſeßt , zu umgeben , die Throne Sardiniens, der Niederlande, Hannovers, Braunſchweigs, Heffen -Raffels wieder aufzus richten. Es giebt keine Macht in Europa, ſei fie klein oder groß , welche nicht bei der Theilung der großen , durch die Verbündeten im Kriege von 1814 Frankreidy abgenommenen Eroberungen irgendeinen Vortheil davon getragen hätte. Weshalb waren allein die ſüddeutſchen Staaten davon aus geſchloen ? Weshalb will man ſie, ſoweit die politiſche Lage von Beſchaffen heit der Grenzen und Vertheilung der Macht abhängig iſt, in derſelben Lage laſſen , welche ihnen Frankreich als ſeinem eigenen Syſteme vortheilhaft an gewieſen hatte ? Geſchieht es etwa deshalb , um ſie zu nöthigen früher oder ſpäter fich dieſem Syſteme wieder zu fügen, und dadurch den Bergrößerungs abſichten irgendeiner andern Macht einen Vorwand zu liefern ? Die be kannte Redlichkeit und Mäßigung der Cabinete, welche dieſer Verdacht treffen könnte, laffen einen ſolchen nicht aufkommen . Áber es iſt nicht weniger wahr, daß dieſelben Urſachen dieſelben Wirkungen hervorbringen müſſen , und daß die Staaten Süddeutſchlands nur durch die Bernachläſſigung ihrer Intereſſen zu Baſel , Lüneville , Regensburg und Campo Formio dem franzöſiſchen Sy ſteme gewaltſam zugeführt worden ſind, durch die Vernachläſſigung, über welche fie fich zu Paris und Wien eben nur beklagt haben, durch die Vernachläſſi gung , über welche ſie , wie ſie fürchten , fich noch jeßt zu beklagen haben .“ Dieſe Stelle iſt die einzige ſchwache der Dentſdrift. Denn die Vernachläſſigung der Intereffen Süddeutſchlands in den angeführten Friedensídlüffen war nur die nothwendige Wirkung der von den Franzoſen erfochtenen Siege. Die Gründe, weshalb die ſüddeutſchen Staaten fich Frankreich zuwandten , beſtanden vielmehr darin , daß Deſterreich ſie deſſen Angriffen idhußlos preisgab , und hinſichtlich Baierns das alte Gelüſte zeigte ſich daſſelbe einzuverleiben. Auch die folgenden Worte wären beſſer weggeblieben , denn nady dem Siege von Leipzig hatten die Verbündeten allerdings das Recht Würtemberg

362 und Baden als eroberte Länder zu behandeln.

Daß dies nicht ges

fdah, auch nicht von der ausbedungenen Befugniß: Gebietsabtretun gen ohne entſprechende Entſchädigung zu verlangen , Gebrauch gemacht wurde , hatten ſie nur der Abneigung Deſterreichs Baiern die ver ſprochene volle Gebietsentſchädigung zu gewähren und dem Umſtande zu danken , daß leßteres durch ſeine politiſche Haltung während des Congreſſes Rußland und Preußen verleşte. Man hätte ſich auf den einzigen , aber hinreichenden Grund beſchränken ſollen , daß Deutſchlands, ia Europas Intereſſe die Wiederherſtellung der natür lichen Grenzen Deutſchlands gegen Frankreich fordere. « Sie behielten ja, was ſie hatten », wird man ihnen vielleicht antwor ten ; « indem die Verbündeten das Gebäude Napoleon's niederriffen , haben ſie dieſen Theil deſſelben verſchont und dadurch ihre Schuld gegen Süddeutid lands Souveräne abgetragen .» Die jüddeutſchen Souveräne kennen niemans den , welcher das Recht hätte dieſen Theil des Gebäudes niederzureißen , und außerdem handelt es ſich nicht um Souveräne, es handelt ſich um Völker, um Staaten , es handelt ſich darum zu entſcheiden , ob das Intereffe Europas erheiſcht, daß fie vor Einfällen Frankreich geſchüßt und dergeftalt befeſtigt werden , daß ſie ihm widerſtehen können . Nur indem die verbündeten Mächte den gegenwärtigen , ſchwerlich zum dritten Male wiederkehrenden Augenblic benutzen , um das nachzuholen , was die Unterhandlungen von Paris und Wien in dieſer Beziehung zu wünſchen übrig gelaſſen haben, können ſie nicht allein dieſen Staaten , ſondern allen an deren Sicherheit betheiligten Völkern Europas die Entſchädigung bieten , welche ihren uner hörten Opfern entſpricht. Auf keinem andern Punkte der Grenzen Frant reichs, von den Alpen bis zur Nordſee , ſind die Vormauern der angren zenden Staaten auf eine ſo entſchiedene Weiſe durch die Natur gezogen , wie die Vogeſen dies für Süddeutſchland thun. Es wäre überflüſſig hier alle die Grünbe zu wiederholen , welche für die Wiedervereinigung der öſtlich von den Vogeſen liegenden Provinzen mit ihrem Mutterlande ſprechen, keineswegs aber auf die Einwürfe zu antworten , welche man etwa gegen dieſe Behauptung erheben könnte. « Der Vortheil der Verbündeten» , fönnte man ſagen , « erheiſcht in Frant reich eine fefte Regierung zu gründen. Die Bourbonen ſind wiederhergeſtellt, aber fie können ſich nicht halten , wenn man ſie zu Abtretungen und Zer ftüdelungen zwingt , welche Frankreich aus dem Berzeichniſſe der Großmächte ftreichen , und das Gleichgewicht Europas ſtören würden .» Dieſer Einwurf verdiente vielleicht einige Beachtung , wenn die Bo bonen Sicherheit dafür gewährten, daß ſie, wenn man ſie nicht zu Abtretungen nöthigte ; fich halten würden, und daß bie franzöfiſche Regierung niemal : Angriffsmittel, welche man ihr am linken Rheinufer ließe, anwenden würde , um von Neuem Europas Ruhe zu ftören. Da aber eine ſolche Sicherheit nicht gewährt werden kann, wäre es um ſo unverzeihlicher einer für die Bourbonen gün ftigern Möglichkeit den Vortheil und die fünftige Sicherheit mehrerer, oder vielmehr aữer Verbündeten zu opfern , als man die Sicherſtellungen nicht von den Bourbonen , ſondern von dem franzöſiſchen Volke verlangen kann und muß , als nicht davon die Rede iſt einen Theil des franzöſiſchen Königreichs abzutreten , ſondern nur eine Provinz zurüđzugeben , welche demſelben bloß durch das Eroberungsrecht gehört , als nicht davon die Rede iſt das von Frankreich ſeit 25 Jahren gegebene Beiſpiel nadzuahmen , indem man eine Zerſtüdelung von ihm forderte, welche es aus der Reihe der zur Aufrecht

363 haltung des europäiſchen Gleichgewichts berufenen Großmächte verſchwinden laſſen würde ,ſondern nur davon Frankreich und Deutſchland, den von den verbündeten Mächten verkündeten Grundſäßen gemäß , in ihre natürlichen Grenzen zurückehren zu laſſen , und in den Schooß Deutſdýlands weſentlich deutſche Provinzen zurückzuführen , welche Gewalt und liſt ihm entriffen baben. Durch deren Zurüderſtattung wird Frankreich nicht ſeine Vormauern verlieren , dies ſind die Vogeſen mit ihren ſtarken Befeſtigungen ; es wird nur die Angriffsmittel verlieren, welche ihm der Beſiß des linten Rhein ufers , ſei es mit , ſei es ohne Feſtungen , fichert, und es wird im mer noch an Bevölkerung , wie an Hülfsmitteln allen andern Großmädten gleid , ja jogar #berlegen bleiben . « Die Verbündeten haben Verträge mit den Bourbonen , dieſe Ber träge berbürgen die Ganzheit Frankreich ſo , wie es gegenwärtig ift.» Es ift unmöglich, daß diejenigen, welche dieſen Einwurf machen, guten Glaubens ſind. Ein Vertrag ſeßt, um gültig zu bleiben , nach allen natür lichen und gegebenen Geſeßen voraus , daß die vertragſchließenden Theile im Stande bleiben ihre Verpflichtungen zu erfiillen. Indem aber die Bourbonen ihren Thron verloren, ſei es durch eigene oder durch fremde Schuld, wurde es ihnen unmöglich ihre Obliegenheiten zu erfüden , und durch dieſe That fache eben hören ihre Verträge mit den Verbündeten auf für dieſe verbind lich zu ſein. Die Bourbonen haben nicht verhindern können , daß Frant reich die Ganzheit des Gebietes der Verbündeten bedrohte. Von dieſem Augenblice an haben die Bourbonen nicht mehr das Recht zu verlangen, daß die Ganzheit Frankreichs geachtet werde. Nicht von den Bourbonen , man muß dies wiederholen , von Frankreich muß man Sidherſtellung verlangen. Mit dieſem allein hat man es zu thun , ſeitdem es ſeine Sache von derjenigen Ludwig's XVIII. trennte, um ſich der des Madyträubers anzuſchließen; denn Niemand wird fich von denen hintergehen laſſen , welche behaupten , daß es nicht das Volk, ſondern die Gewalt der Bajonnete geweſen ſei , welche dieſe Veränderung herbeiführte. Die Gewalt von 200000 fremden Bajonneten ſeşte im ver gangenen Jahre Ludwig XVIII. auf den Thron ; die Gewalt von 800000 fremden Bajonneten feßt ihn jeßt wieder ein ; nicht ein Tropfen franzöſi chen Bluts wurde vergoffen , um ihn auf ſeinem Throne zu erhalten. 600 Franzoſen reiten für Napoleon bin, um ſich beffelben zu bemädtigen , und die Blüte des franzöſiſchen Volkes opferte ſich ,um ihm den Beſitz zu wah ren . Dieſe Thatſachen ſtehen feft, und die Nachwelt wird ebenſo wenig , wie alle unparteiiſden Zeitgenoſſen in Verlegenheit ſein die Frage zu ent ſcheiden , welcher von beiden der Mann des Volks , oder wenigſtens der überwiegenden Mehrheit deſſelben war. « Aber Ludwig XVIII. befindet ſich nun einmal wieder auf ſeinem Throne, und von dem Augenblice an treten die Verträge der Verbündeten wieber in volle Gültigkeit.» Weshalb wurde Ludwig XVIII. wieder eingeſegt? Um den Verbün deten alle Früchte ihrer Siege zu entreißen ? Unmöglich ! Wer hat ihn wieder eingeſeßt ? Die Verbündeten ? Auch dies iſt unmöglich . Meine der verbündeten Mächte hat die gemeinſchaftliche Sache verrathen können, und Berrath wäre es geweſen die Verbündeten in die falſche Lage zu bringen, mit einem feindlichen Volke und einer befreundeten Regierung zu thun zu haben , und den gegen leßtere zu nehmenden Rücfichten das Intereſſe ihrer Bölfer und der andern Bundesgenoffen aufopfern zu müffen , welches Opfer von erfterem erheiſcht. Es iſt alſo unmöglich, daß die Verbündeten Ludwig XVIII. zurüdführen konnten , bevor dieſe Opfer nicht vollftändig gebracht find, und die Thatſache , daß man ihn bereits auf dem Throne erblidt, erklärt

364 ſich nur durch die Annahme, daß er ſelbſt ſeine Wiedereinſeßung verlangt hat. In dieſem Falle hat er die Sache ſeines Volts , wie ſie gegenwärtig liegt , mit allen Wechſelfällen zu der ſeinigen gemacht; denn das Volt und die Regierung fönnen nicht zweierlei ſein , und fönnen keine verſchiedene Sache haben . Áber die Sache der legitimität erheiſchte Ludwig XVIII. ſeine Krone wieder zu geben .» Niemand behauptet das Gegentheil. Die Sache der legitimen Souveräne iſt die heiligſte von allen ; es iſt die Sache aller Völker, denn ihre Rube hängt davon ab , und wenn die Erklärung der Souveräne vom 12. Mai den Völkern Europas einen Augenblick die Beſorgniß einflößen konnte dieſe Sache von den Regierungen verlaffen zu ſehen, ſo muß man mit Dankbar teit wahrnehmen ,daß dieſelben wieder deren Bertheidigung ergreifen . Aber vielleicht würde ſie erfolgreicher vertheidigt worden , vielleicht würde ihr Triumph ſchöner und geſicherter geweſen ſein, wenn Ludwig XVIII. gewar tet hätte, bis dieſelbe einſtweilige Regierung, dieſelben Vertreter, welche fie eben erſt geächtet hatten , durch ihr Gewiſſen , oder in Ermangelung deffen durch die ſtrengſten Bedingungen des Siegers genöthigt worden wären fick in ſeine Arme zu werfen , und ſelbſt ihm den Thron zurüdzugeben , von dem ſie ihn ſo ungerechterweiſe herabſteigen ließen , wenn man ihnen die traurige Sorge überlaſſen hätte ſelbſt die Frucht ihrer Verbrechen zu ernten, indem ſie denjenigen Theil der Bedingungen unterzeichneten , von dem die künftige Sicherheit Europas etwas nachzulaffen nicht geſtattet , und wenn mit ihm der Erlaß jenes andern Theils eingetreten wäre, welchen Grou, Rache und Unwillen zu dictiren das Recht gehabt hätten als eine von alen Völkern der Sache der rechtmäßigen Souveräne dargebrachte Huldis gung , als einen Beweis der Achtung der Völker für die Tugenden und Mißgeſchide des Bruders Ludwig's XVI., endlich als ein Pfand der Aus föhnung Europas mit Frankreich . C ( Außerdem hätten die Verbündeten ſich untereinander vereinigen müſ ſen über die Bedingungen , welche wirklich nothwendig ſind zur Aufrecht haltung der fünftigen Ruhe , und über diejenigen , welchen nur Rache zu Grunde lag ; ſie hätten fid über die Frage vereinigen müſſen , ob es nothwendig ſei der Vogeſen als Grenze Deutſchlands ſich wieder zu bes mächtigen , oder ob es hinreiche Frankreich bie Angriffspunkte zu neh men , indem man es zwinge einige Feftungen abzutreten , andere zu ſchlei fen , u. ſ. w. » Wenn in dieſer Beziehung eine Verſchiedenheit der Meinungen zwiſchen den Verbündeten beſteßen könnte, ſo wiró ohne Zweifel die Meinung der meiſt betheiligten Parteien ben Ausſchlag geben, derjenigen welche ſeit Jahr hunderten gegen Frankreiche Ehrgeiz kämpfen , welche endlich unterlagen, und während langer und grauſamer Jahre der Trauer, Verzweiflung und Demüthigung das Foch Frankreichs trugen , nicht die Meinung der Staa ten , welche dieſe Gefahren nicht theilen. Daß die Nothwendigkeit die füddeutſchen Staaten mehr zu befeſtigen vorzüglich zu dieſen Mitteln zähle , das iſt durch manche traurige Erfahrung bewieſen , und von allen erleuchteten Cabineten anerkannt. Dieſe Befeſtigung würde nicht durch Abtretung oder Schleifung von Feſtungen am Rheine bewirkt werden. Zwingt man ein Volk Feftungen zu ſchleifen , ſo demüthigt und erbittert man es, ohne es zu ſchwächen , und ohne ſelbft dadurch ſtärker zu wer den. Eine Feſtung ohne die Provinz, zu welcher ſie gehört, iſt eine ebenſo beſchwerliche Laft für den Staat, welcher fie erwirbt, als ſie drüdend für denjenigen iſt, welcher fie verliert. Eine mit Feſtungen aus geſtattete , durch natürliche Bollwerke vertheidigte Provinz wiederzuerobern iſt ebenſo ſchwierig, als die Eroberung einer vereinzelten Feſtung oder der

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Wiederaufbau geſchleifter Befeſtigungen nach dem geringſten Erfolge leicht zu bewirken ift. Nicht die feften Pläße Hüningen , Schletſtadt, Strasburg und bliebe es Landau , ſondern der Beſitz des linken Ufers des Oberrheins bei Frankreich - würde früher oder ſpäter die Sicherheit Süddeutſchlands, der Rheinſtaaten , des Königreiche der Niederlande und endlich die Rube Europas beeinträchtigen. Es iſt nicht vorauszuſeßen , daß man von irgendeiner Seite einwerfen könnte : « der Süden Deutſchlands bedürfe keiner Bollwerke gegen Frant reich , weil die Heere der Großmächte nahe genug ſind, um in jedem Augenblicke ihm zu Hülfe zu kommen. » És hieße dies das Unglück der Völker Süddeutſchlands verhöhnen , welche ſeit zwanzig Jahren abwechſelnd die Heere aller Bölfer beherbergen , und durch Ströme von Blut und die peinlichſten Opfer das Recht erlangt haben zu fordern , daß man fte end lich in den Stand lege fich ſelbſt zu vertheidigen . Sie beanſpruchen dieſes Recht, und die Regierung, welche ihnen ihre Stimme leiht, wird dadurch nur eine geheiligte Pflicht erfüllen . Möchte man ſie hören, möchten die erleuchteten Cabinete, welche in dieſem Augenblice' berufen ſind die Ges ichide Europas zu entſcheiden, den gegenwärtigen öffentlichen Geiſt in Deutſchland mit in die Wage legen , und den Schrei des Unwillens richtig würdigen , der auf dem linken , wie auf dem rechten Ufer des Rheins ertönen würde, wenn der einſtimmig ausgeſprochene Wunſch der daran wohnenden Brudervölker noch ein Mal zurüdgewieſen, ihre Erwartung noch ein Mal getäuſcht, und der Deutſche des Breisgaues oder von Zwei brüđen nodi ein Mal verdammt wäre einen Feind in dem Deutſchen von Mümpelgard oder Strasburg zu ſehen. « Derſelbe Schrei des Unwillens und der Verzweiflung wird in ganz Frankreich widerhallen , wenn man ſeine Ganzheit nicht achtet.» Jebe unſanfte Berührung der franzöſiſchen Eigenliebe wird diejen Sorei widerhalen machen. Die Abtretung Belgiens hat ihn ſchon widerhallen laj ſen , ohne daß man darauf gehört hätte ;weshalb ſollte man auf ihn hören, wenn es ſich um eine ebenſo gerechte Abtretung handelt , welche nur eine nothwendige Folge der erſteren iſt ? Niemals wird der Befit Belgien ohne denjenigen de Elſaß geſichert ſein. Wenn man den Franzoſen lieber Gehör ſchenken will, als ſeinen Bun desgenoſſen , ſo wird man keine Feſtung, kein Denkmal, ja nicht einmal ihre Börſe anzutaſten wagen , und ganz Europa wird ſich nur erhoben , ſich arm gemacht, und alle Arten Opfer gebracht þaben, um unfruchtbare lor bern und die gewiſſe Ausſicht zu gewinnen bei erſter Gelegenheit dieſelben Opfer noch ein Mal bringen zu müffen . « Abtretungen von Seiten Frantreichs » , könnte man endlich entgegnen , « würden andere nach fich ziehen, und jenen fortwährenden Wechſel der Pro vinzen hervorbringen , denen ein Ziel zu ſeßen um ſo mehr an der Zeit iſt, als ſie auf eine gefährliche Weiſe die Beziehungen zwiſchen den Regierungen und Regierten erſchüttern. Dieſer Wechſel könnte wirttid nothwendig werden, wenn die von Frankreich abzutretenden Provinzen zur Vergrößerung einer ihren Nachbarn ſchon furchtbaren Macht dienten , und dieſe Nachbarn nun ebenfalls Abtretungen fordern müßten . Aber bieſe Unzuträglichkeit wird verſchwinden , wenn man die Abtretungen dazu verwendet , um diejenigen Staaten Süddeutſchlands zu befeftigen , welche ſich in erſter Linie gegen Frankreich befinden . Die unbedeutende Vergrößerung , welche für ſie daraus entftände, wird Niemandes Argwohn erregen ; aber mindeſtens würden ſie fich dadurch im Stande ſehen die Zahl von Truppen und Feſtungen

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zu unterhalten , welche' nöthig find, um einem erften Stoße zu widers ſtehen .“ 1) Dem Raifer Alexander mißfiel dieſe Denkſchrift, in welcher mit Scharfſinn und Freimüthigkeit Deutſchlands Recht gewahrt wurde, ganz außerordentlich. Er war es ſich bewußt , daß er ſeinen deut= ſchen Bundesgenoſſen ein Recht verkümmere, welches nicht nur an fid, unbeſtreitbar , ſondern audy, als ſeine Heere im 3. 1813 den deutſchen Boden betraten , ruſſiſcherſeits ausdrüdlich anerkannt wor den war. Die ſehr gelungene Beleuchtung der Vorwände, deren man fich zur Beeinträchtigung der deutſchen Bundesgenoſſen bisher bedient hatte, warf auf die ruſſiſche Bundestreue ein ſehr ungünſti ges Licht. Je mehr Alexander die Gerechtigkeit des Vorwurfes der Treulofigkeit fühlte , die in der fofortigen Wiedereinſeßung Lud wig's XVIII. und den baran geknüpften Folgerungen lag, deſto mehr fühlte er ſich durch denſelben verlegt. In mehreren Beſprechungen, welche er mit dem Kronprinzen von Würtemberg hatte , gab er die ſem auch ſein Mißfallen deutlich zu erkennen . Er erklärte fidh ent ſchieben gegen die beantragten GebietSabtretungen Frankreiche, und behauptete , die Schleifung verſchiedener franzöſiſcher Grenzfeſtungen reiche zu Deutſchlands Sicherheit hin . Satte er in Wien darauf beſtanden , daß Weimar, weil feine Schweſter Maria , die Gemahlin des Erbprinzen , einſt dort Großherzogin ſein werde , mit benachbar ten deutſchen Landſtrichen vergrößert wurde , ſo wollte er doch in ' Paris nicht zugeben , daß Würtemberg, weil ſeine Schweſter Katha rina deſſen künftige Königin war , auf Koſten Frankreichs eine Ge bietsvergrößerung erhalte. Rußlands Abſichten auf die Türkei fonn ten ſeiner Zeit nur mit Sülfe Frankreichs verwirklicht werden. Frankreichs Bundesgenoſſenſchaft ſchien ihm fernere Eroberungen zu verſprechen, und dieſer Erkenntniß mußte jede andere Rückſicht weichen. Da eine geſicherte Grenze Deutſchlande, des natürlichen Bundes genoffen der Niederlande, diefen die einzige Bürgſchaft gewährte den Befik Belgiens und Luxemburgs gegen Frankreich zu behaupten, ſo über reichte auch der Freiherr von Gagern für den König der Nieder lanbe , welcher als Großherzog von Luxemburg Mitglied des deuts ſchen Bundes war, am 10. Aug. naciſtehende Denfſchrift, in welcher er die Anträge Preußens und Würtemberg & unterſtüşte. Die in dieſer Dentſchrift enthaltene Darſtellung, wie der Elſaß von Deutſchland 1) v. Gagern , V , 2 , 11 — 23. Schaumann , Nr. X.

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abgeriffen worden und zu Frankreich gekommen ſei , war beſonders geeignet der aufgeſtellten Theorie, daß dem mit den Monarchen verbündeten Ludwig XVIII. keine Gebietsabtretung zugemuthet wer den dürfe, zur praktiſchen Widerlegung zu dienen ; denn der mit den deutſchen Proteſtanten im dreißigjährigen Kriege verbündete König von Frankreich hatte, ungeachtet er ausdrüdlich auf Gebietserwer bungen auf Koſten Deutſchlands verzichtet, dennoch beim Friedens abſchluſſe ſich des Elſaſſes bemächtigt. Eine ſolche Verzichtsleiſtung vor Beginn des Krieges war aber von den Verbündeten niemals ausgeſprochen worden . ,,Zwei große Theile Europas haben ſich bekriegt. Der eine augen ſcheinlich in der Abſicht fein Gebiet zu vergrößern , zu erobern , wenn es glückte. ' Napoleon rufen , zulaſſen , oder zujauchzen war nichts anderes, als Krieg, Ruhm , Plünderung und Eroberung wollen. Europa verlangte von Frankreich eine friedlichere Regierung, und die alte Herrſcherfamilie , welche keines andern Glanzes bedurfte, erſchien dazu am geeignetften. Napoleon erſcheint wieder, alles beugt ſich vor ihm. Der Krieg bricht aus , Napoleon verwendet Frankreichs Kräfte, er unterliegt mit ihnen, und dieſes weiſt jeßt den Gedanken zurück mit derſelben Münze bezahlt zu werden. Ich werde die Sophismen ſich dem zu entziehen kurz zergliedern , und fte vermittelft des geſunden Menſchenverſtandes widerlegen . Es handelt ſich um Gebietsabtretungen . « Die franzöſiſche Ehre würde dadurch verlegt werden !» Iſt dieſe franzöfiſche Ehre anders beſchaffen , als diejenige der andern Völ. fer ? Ich glaubte an dieſe franzöſiſche Ehre , und werde noch an ſie glau ben. Aber ſprechen wir jeßt nicht von ihr. Die Ehre iſt nur dann etwas. werth, wenn ſie ihre Grundbeſtandtheile vereinigt. Wort, Eid und Gehor ſamsgelöbniß halten iſt der erſte, weſentlichſte ihrer Grundbeſtandtheile und Eigenſchaften . Napoleon's Rüdkehr , geſtüßt auf das Heer und die Blüte der jungen Mannſchaft, iſt einer der häßlichſten Fleden , welchen dieſe Ehre erhalten hat feitbem das Menſchengeſchlecht gefittet ift. « Das Gebiet dieſes Königreichs iſt untheilbar.» Seit langer Zeit haben die franzöſiſchen Diplomaten fich über dieſe angeb liche Untheilbarkeit luftig gemacht. Gebiet verlieren iſt eine Folge des « Wehe den Beſiegten». « Es handelt ſid um das claffiſche land Frankreich 8.» Das heißt um das Land ihrer Habgier und ihrer Eitelkeit , um die Frucht ihrer Kriege, ihrer Siege , ihrer Liften. Ueberlegene Tapferkeit, Einſicht und Glüd ſind im Begriffe es ihnen wieder zu nehmen. Um mit den drei Bisthümern zu beginnen , Meß , Toul, Verdun und ihren Sprengeln, hat man ſich ihrer im offenen Kriege bemächtigt ? Keinesweges , ſondern unter dem Vorwande des Wohlwollens , der Freundſchaft und des Schußes. Es genügt ihr eigenes Geſtändniß über dieſe uſurpation zu leſen, und was die Geſandten Ludwig'& XIV. oder der Königin Regentin im Congreffe zu Münſter in den amtlichen, unter dem 17. Sept. 1646 ausgeſtellten Schrifts ftüden hierüber ſagen. «Aber nicht minder werthvoll iſt, Madame , daß ein Schuß ein anderes war nicht vor recht über die drei Bisthümer ießt in eine unbedingte und unabhängige Ober banden herrſchaft verwandelt worden iſt, welche ſich nun über dieſe drei Sprengel erftredt. Obichon wir vom Anfange an die

368 Wichtigteit dieſer Erwerbung redt wohl tannten , fo haben wir doch uns eine Zeit lang geſtellt , als ob wir ſie gering achteten , und zwar bis ſie uns vollftändig gelungen war. » Der dreißigjährige Krieg war ſeinem Urſprunge nach ein Bürgerkrieg. Die proteſtantiſche Partei hatte Schweden und Frankreich zur Herſtellung des Gleichgewichts herbeigerufen . Dieſe Höfe verlangten als Bergeltung damals Ariegsſchaßungen und Abtretungen , welche durchaus nicht der urs ſprüngliche Zweck des Krieges waren. Wir verlangen daſſelbe mit weit größerem Rechte, und nöthigenfalls bedienen wir uns , oder werden uns ders felben Ausdrücke bedienen. Schlagen wir die Denkwürdigkeiten der Zeit auf , werfen wir einen Blick auf die kurze beigefügte Schilderung des Suffragan Abami, welcher felbft Bevollmächtigter bei dieſem Congreffe und einer der von allen Par teien geachtetſten Männer war. In dem Verlaufe der Unterhandlungen ge ftel fich Contarini, der venetianiſche Vermittler, über die beiden Elſaffe und ben Sundgau zum franzöſiſchen Geſandten , welcher mit jedem Zugeſtänds niffe ſeine Forderungen ſteigerte , zu äußern : « er habe ſeinem Herrn drei Provinzen in einem Briefe geſchidt ». Nach ſechzigjährigem Beſige machte Prinz Eugen noch gegen den franzöſiſchen Unterhändler Torcy die Bemers kung: «übrigens ſei der Elſaß keine franzöfiſche Provinz, ſondern ein erober tes land , welches Frankreich ohne Schmerz aufgeben dürfe». Nad 160 Jahren ſagen wir noch daſſelbe. Nichts iſt vergeſſen , nichts hat ſich ges ändert. Die Berjährung iſt eine Erfindung des bürgerlichen Rechts , welche dem Naturrechte unbekannt iſt. Ohne Zweifel vergißt man Vertragsver hältniffe und Familienanſprüche, und um mit unverſtändlichen und endloſen Proceſſen bald fertig zu werden , hat der menſchliche Wiß den Gedanken der Verjährung erfunden , indem er eine gewiſſe Anzahl von Fabren: 3, 10 , 30 , oder endlich die unvordenkliche Zeit hierzu erforderte. In der Politik giebt es nichts Unvordenkliches. Die Geſchichte iſt dazu da , um uns klar und beſtimmt den Urſprung der Kriege, die Uebertragung des Beſiges, die Friedensverträge und ihre Urſachen zu zeigen. Eine geſunde Moral will, daß Friedensverträge, ſelbſt unvortheilhafte, aufrecht erhalten wer den . Bricht man ſie aus andern Gründen, ſo kommt man , falls ein Krieg ausbricht, auf den Grundſaß zurüc : das , was für euch gerecht, billig oder zuläſſig war , wird es nun auch für uns ſein. Sagen , daß man Buonaparte bekriegt habe , iſt eine der abgeſchmad teften Behauptungen, welche jemals vernünftige Leute fich erlaubt haben, und die man nur erdacht haben kann , um ſich über uns luſtig zu machen. Wir werden ihr erſt dann Glauben beimeſſen , wenn man uns bewieſen haben wird, daß er allein zu Quatrebras , ligny und Waterloo kartätíchte, ſchoß und niederſäbelte. Daß es in Frankreich nicht Leute gegeben habe, welche klug genug waren ben Krieg nicht zu wollen und deſſen Folgen zu fürchten , wer zweifelt daran ? Karl XII. war auch ein ehrgeiziger , erobe rungsluſtiger König. Schweden ſeufzte über ſeine Maßloſigkeiten , und ein großer Theil des Volks wünſchte lebhaft den Frieden . Er ſelbſt grübelte und fann bereits über ein anderes Syſtem von Bündniſſen, und begann ſogar um Rußlands Freundſchaft zu werben . Die Kugel erreicht ihn , und die Schweden bedienten ſich ungefähr eben auch ſolcher Beweisgründe. Dies hielt aber Peter den Großen nicht ab ſich die ſchönſten Provinzen von Schweden abtreten zu laſſen. Und derjenige , welcher im Reiche und Nuhme ſein Nachfolger iſt, verſtand es großmüthig zu ſein , aber er wird auch gerecht ſein . Man verfidiert, daß man Gebiet8unverletlichkeit verſprochen hätte. Wo ? Wer ? Wie ? Eine derartige Redensart hatte ſich allerdings in einen

369 Erklärungsentwurf eingeſchlichen. Aber der Miniſter der Niederlande am Con greſie, welcher ohne Zweifel am meiſten dabei intereſſirt war , hat es für feine Pflicýt' gehalten auf diesfallfige falſche Folgerungen aufmerkſam zu maden . Er hat ſich in einem Briefe an den britiſchen Miniſter gewendet, und die Faſſung , die Unterzeichnung hat nicht ſtattgefunden. Hier iſt dieſer eilig geſchriebene Brief: « Wien am 11. April 1815. Bei meinem Eintreten , Mylord , finde ich das beigefügte Schriftſtüd, um meine Unterſchrift darunter zu ſeten . Da die Stelle: daß der Vertrag vom 30. Mai und die vom Congreſſe hinſicht lich des Gebiets getroffenen und ſonſtigen politiſchen Beſtimmun gen maßgebend für daſſelbe ( Frankreich) und die andern Staaten Europas bleiben werden , meiner moraliſchen und politiſchen Ueberzeugung durchaus widerſpricht, ſo fann ic mich nicht zur Unterzeichnung entſchließen. Ew. Excellenz iſt afts heimgeſtellt dieſe Weigerung in den Protokollen mit Stillſchweigen zu über gehen , oder ihrer zu erwähnen. Des unruhigen Frankreichs Kräfte ent falten ſich , um uns Provinzen zu nehmen. Um es zu ſtrafen , entfalten ſich die unſerigen in derſelben Abſicht. Unſere Grenzen ſind ungünſtig , man muß ſie verbeſſern.» Inbeſſen bin ich weit entfernt zu viel Wichtigkeit dieſem Widerſpruche beizulegen . Denn wenn jene Erklärung veröffentlicht worden wäre , ſo würde ihr Sinn ein ganz anderer geweſen ſein , als derjenige, welchen man ihr beizulegen ſucht. Ich werde dieſen wirklichen Sinn wiederherſtellen : Der Friede von Paris iſt abgeſchloſſen ; ſo ungenügend er uns auch ſcheint, werden wir ihn doch aufrecht erhalten . Die Ausídließung Napoleon's vom franzöſiſdien Throne iſt die Hauptgrundlage. Jagt ihn fort, jagt ihn fort, während wir uns vorbereiten Euch von ihm zu befreien , denn an Euer Gebiet machen wir keine Anſprüche! Wenn Ihr aber auf ſeine Seite tretet, wenn wir ernſtlich handgemein werden , ſo ſchreibt Euch ſelbſt die nachtheiligen Folgen zu . Bekämpften wir bei Waterloo eine Partei ? Sicherlich nicht. Das Heer , die Jugend Frankreichs , ſein Kern war dort, und ſchlug ſich mit Erbitterung und bewunderungswirdiger Tapferkeit. Wir bleiben alfo das bei nach dem Siege zu ſagen : die Uebereinkunft war getroffen , Ihr brachet fie, bezahlt alſo die Kriegskoſten ! In Frankreich hält man eine ſolche Solußfolgerung und die Gerechtigkeit der Entſchädigung für zuläffig, denn nirgends macht man, wofern man nur den Willen dazu hat, beffere Schluß folgerungen. Aber man glaubt ſich mit Geldopfern abfinden zu können. Wer geſtattet ihnen dieſe Wahl? Zu Münſter und Osnabrück ließ man Entſchädigung in Geld und in Gebietsabtretungen nebeneinander zu. Die eine beſtimmte die andere. Unſer Bundesvertrag iſt mit großer Vorſicht abgefaßt und wählt die Ausdrüđe trefflich : « Die in Europa ſo glüdlich wiederhergeſtellte Ordnung der Dinge gegen jeden Angriff zu wahren , und die wirkſamſten Mittel zu be iließen, dieſe übereinkunft zu volftreden, ſowie ihr unter den gegen wärtigen Umſtänden alle die Ausdehnung zu geben , welche dieſe ge bieteriſd fordern .» Und weiter Artikel 1 : Die obengenannten boben bertragidhließenden Mächte verpflichten ſich feierlich die Mittel ihrer betreffenden Staaten zu vereinigen , um die Bedingungen des am 30. Mai 1814 zu Baris abgeſchloſſenen Friedens in ihrem ganzen Umfange aufrecht zu erhalten , ſowie die Beſtimmungen , welche im wiener Congreffe getroffen und unterzeichnet II . 24

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murden , um die Bertragsbeſtimmungen zu ergänzen , fie gegen jeden Angriff und vorzüglich gegen die Abſichten Napoleon Buon aparte's jidher zu ſtellen .» Der þauptzwce des pariſer Friedens war alſo ficherlich nicht die Schonung ber ſogenannten franzöfident Ehre, oder ihre Rubmed; die Sicherheit des Königs und der Bourbonen, die Widfährigteit für dieſe øerr: jQherfamilie nahm unzweifelhaft erft die zweite Stelle ein. Ein dauerhafter Friede, eine richtige Vertheilung der Macht, das Gleichgewicht Europas , ſeine Ruhe, dies war das Ziel. Die Greigniſſe haben aber ſofort den Beweis geliefert, daß man ſich verrechnet hatte , daß man der Bereinigung aller Kräfte bedurfte, um zu fiegen . Den Frieden von Paris zu vervollſtändigen , dieſen Stand der Ruhe, dieſes Syſtem des Gleichgewichts zu befeſtigen , die ſicherſten Mittel hierzu zu ſuchen, darin bes ſteht der große und edle Zwed unſeres Bündniffes, und es ift unſere Sade zu beurtheilen , worin dieſe Ergänzung beſteheu jou . Fern von mir und jedem Staatsmanne, welcher Europa kennt, iſt der Gedanke: Frankreich , das alte Frankreich zu zerſtüđeln , fern von mir die Abſicht es in einen Zuſtand wirklicher Schwäche zu verſetzen. Befißun gen am Rheine, den Elfaß_zu haben nährt nur ihren Stolz, ift für Fie nur eine Berſuchung, ein Stachel noch mehr zu haben, den ganzen Rhein als Grenze zu haben . Zwiſden der Schweiz und Holland find wir einans der im Wege, der Eine muß dem Undern Plat machen. Schöpflin , einer der ausgezeichnetften Gelehrten Frankreichs, ſelbft ein Eljaſſer, ſagt von ſeinem Lande :« Der Elſaß, jener mächtige Wädter des Oberrheins , öffnete in der Vorzeit den Germanen Gal lien , uns Galliern öffnet er ießt Germanien. » Und wer wird ſagen , daß er unrecht habe ? Herr von Bignon , ein geſchidter Diplomat, dem man das Porte feuille der auswärtigen Angelegenheiten beſtimmte, drüdt ſich in ſeiner ver gleichenden Abhandlung über den finanziellen , militäriſden , politiſchen und moraliſden Stand Frankreichs und ber vornehmſten Mächte Europas, einem in mehr als einer Beziehung leſenswerthen Werke, S. 173 , jo aus : « Es iſt allgemein bekannt, daß ſeitmehreren Jahrhunderten die Rhein grenze eine Erwerbung iſt, welche Frankreich nicht aus den Augen verloren bat. Ung von Neuem von dieſer Grenze zurüdtreiben , in deren Beſtee wir zwanzig Jahre lang geweſen ſind, iſt ein Act hinterliſtiger Politik, welcher uns zu unbeſonnenen Schritten anſpornt, um bavon Nußen zu ziehen. Täuſchen wir folche Erwartung durch edle Verzichtleiſtung und heldenhafte Geduld ! » Wir haben ſoeben erſt dieſe edle Verzichtleiſtung, dieſe heldenhafte Ges duld wahrgenommen , und drei Jahre werden nicht vorübergehen, ſo werden wir noch ein Mal Zeugen und vielleicht Opfer dieſer heldenhaften , bem Volkscharakter ſo fern liegenden Geduld ſein . Es iſt beffer ihnen jeden Vorwand zu nehmen, jeden Berührungspunkt mit den Rheinufern , welche ſeit Tauſenden von Jahren unſer altes Erbgut bildeten. Frankreich wirb uns balb befriegen , drohen wird es ſtete. Meinetwegen . Ich glaube es . Droben wird es, gleichviel ob e8 Pbtretungen macht, oder nicht. Die Auf regung iſt zu ſtark und zu ausgeſprochen, der Stolz zu ſehr verwundet, als daß es anders ſein könnte. Bereiten wir uns auf dieſen Kampf vor. Aber nehmen wir ihm einige große Mittel uns Uebel zuzufügen. Um die Zu neigung, die Dankbarkeit der Franzoſen zu gewinnen , was Euch nie ges lingen wird, iſt es doch wol nicht nöthig, ganz Deutſchland unwillig zu machen , ja es zu empören ? Ein Schrei des Unwillens wird von einem Ende zum andern ertönen , ich ſage es vorher . Die deutſchen Monarchen und Friedrich Wilhelm werden nicht mit allen Ehren, mit Subefruf und Xubm in ihre Gauptſtädte zurüdfehren , ſie werden vielleicht ihre Zukunft

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371 getrübt haben . Ihren Miniſtern , wären fie au bie tugendhafteſten , die meiſeften , wird ſofort Ungereimtheit und Beftedung vorgeworfen werden, und nidhis wird fie diefer Vorwürfe entheben . Ich höre ſagen : es giebt kein Deutſchland. Es ſcheint mir jedod , daß wir nicht übel bewieſen haben , es gebe ein ſolches , ein Deutſchland ſowol, als Deutſche, ein Deutſchland, das man nicht reizen und beleidigen darf, ein Deutſchland, das ſeine Art von öffentlidhem Geiſte beſitt. Frant reich hat ſeine Umwälzungen gehabt , weil es fich vernachläffigt glaubte und man ſeinen Königen ſĐuld gab Beleidigungen und Unrecht geduldet zu haben. Das beſte Mittel Umwälzungen zu verhüten , dard welche die Mon archen in Verruf kommen , beſteht darin ihren Urſachen zuvorzukommen. Für die Niederlande liegt, wenn man ihnen die ohne Grund weggenome menen Bezirke zurüdgegeben haben wird , teine Frage des Ehrgeizes' noc, für Deutſdland aber iſt es eine der Krieg weſentlich angehende, eine volte thümlidie Frage. In einem Sinne giebt es ohne Zweifel kein Deutſchland. fener Geſammteindruck iſt nicht vorhanden , mit dem ein großes Reich ſeine Nachbarn durch Gebietsvergrößerung in Soređen ſeßt. Deutſchland als ſolches iſt ein Staatenbund, feiner Natur nach im Frieden mit der ganzen Welt; es vergrößern iſt nur ein Pfand mehr für die Aufrechthaltung des europäiſchen Friedens, und dieſer höhere Geſichtspunkt gilt auch für die Niederlande. $ err von Bignon war zu beweiſen bemüht, daß ſelbft nadi den Opfera des pariſer Friedens Frankreich der mächtigſte, der in jeder Beziehung überwiegende Staat ſei. Jo bin davon innigſt überzeugt. Selbſt nach der Abtrennung von Stjaß , Lothringen, Flandern wird er nod Recht behalten. Id könnte dieſer Aufzählung eroberter Provinzen noch Artois und die Frei grafſchaft hinzufügen , wenn das meine Ueberzeugung wäre. Der Arieg , um mich der Ausbrudsweiſe der Alten zu bedienen , ift mir ſtets als ein verberbliches Spiel erſchienen , wo die Wedſelfälle des Ge winns und Verluſtes für die eine und die andere Partei gleich ſein ſollten . Das Gegentheil: alles auf der einen Seite und nichts auf der andern , ift eine Ungereimtheit. Niemand kann mehr, als ich dieſem tapfern , gaft freundlichen , liebenswürdigen , geiſtreichen, aber durch Glüđ und Unordnung verwöhnten Volke Gerechtigkeit widerfahren laſſen . Ich wünſche ihm Glück und Gedeihen , Ruhe nach ſo vielen Stürmen und den ihm zukommenden hohen Kang unter den Bölfern. Aber andere Bedingungen, als diejenigen, welche allen unglüdlichen Kriegen gemein find , würden mir weit härter und erniedrigenber erfdeinen . " ) Die beigefügte Stelle Adami's filderte wie Ludwig XIII. burch ſeine Bevollmächtigten den Proteſtanten auf& Feierlichſte verſprochen habe , alle in Deutſchland gemachten Eroberungen, namentlid auch den Elſaß beim Friedensſchluſſe zurückzugeben , da er fich mit dem Ruhme begnüge ihnen beigeſtanden zu haben , wie aber dann unter mancherlei Vorwänden dies Verſpreden gebrochen worden ſei . Un geſchidten Ausführungen ,

daß

die Verbündeten

nicht nur

berechtigt, fondern auch zu Sicherung ihrer Deutſden Bundesgenoſſen und zur Befeftigung des europäiſchen Friedens verpflichtet ſeien Frankreich zur Herausgabe einiger ber mit Gewalt und lift abgenom menen Landſtriche zu zwingen , fehlte es alſo nidt. Mit logiſcher 0. Gagern , V , 2 , 130-142; Schaumana , Nr. XI.

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Schärfe war dargethart, wie die Verträge und Erklärungen der Ver bündeten auszulegen ſeien , und daß aus ihnen nicht gefolgert wer den könne, fie hätten im Voraus darauf verzichtet Gebietsabtretungen von Frankreich zu fordern , weldie unter den obwaltenden Umſtänden unerläßlich ſeien. Ein bundesrechtliches Verhältniſ zwiſchen den Frankreich bekriegt habenden Mädyten und deſſen Könige beſtehe nicht, weil dieſer einerſeits den Bundesvertrag nicht erfüllte , welder überhaupt unter falſchen Vorausſeßungen mit ihm abgejdsloffen wor den , andererſeits ſogar ſeine Wiedereinſeßung von der Einwilligung der Franzoſen abhängig gemacht worden ſei. Endlich habe man in Napoleon nicht ein Parteioberhaupt, ſondern den von der überwie genden Mehrheit des Volks auf den Thron gerufenen Herrſcher Frankreichs bekämpft. In der dieſe Punkte betreffenden Beweisfüh rung hatte vor allen Humboldt fich ausgezeidhnet. Kneſebeck hatte vorzugsweiſe die politiſche und militäriſche Zwedmäßigkeit der ge forderten Abtretungen in Bezug auf die Parteien und für die Ruhe Europas nadygewieſen , und unter prophetiſdhen Warnungen den Weg gezeigt eine dauerhafte Regierung in Frankreich zu begründen. In der würtembergiſchen Denkſchrift war hervorgehoben worden , daß die zu ihrer Selbſtvertheidigung nothwendige Vergrößerung der jüd deutſchen Staaten das Gleichgewicht unter den europäiſchen Großmächten nicht beeinträchtige, ſondern vervollkommne, indem Frankreichs bisherige, für ſeine Nachbarn höchſt bedrohliche Uebermacht dadurdy, wenn auch nicht völlig beſeitigt, doch ſehr bedeutend vermindert werde. Gagern endlich hatte unter dem geſchichtlichen Nachweiſe, daß Frankreich ſich nicht entblödet habe die feierlichſten Zuſagen zu brechen, um Deutſch land der feine Grenze ſchüßenden Landſtriche zu berauben , gefordert, daß von dieſen wenigſtens Flandern, Lothringen und der Elaß zurüd zuerſtatten ſei, und darauf hingewieſen, daß unter ähnlichen Verhält aber mit weit geringerm Rechte niſſen Alerander's großer Vorfahr von dem Eroberungsrechte Gebrauch gemacht habe. Gagern's damals ausgeſprochene Idee Lothringen und Elſaß, wofern ſie nicht an Deutſchland zurückfallen ſollten , zu einem Can tone vereinigt, dem Schweizerbunde zuzuweiſen , iſt freilich eine ſehr unglüdliche zu nennen . Einem ſo kleinen Staate wie die Schweiz Länder als einen Canton einzuverleiben , welche er gegen Frant reichs vorausſichtliche Angriffe nicht zu vertheidigen im Stande war bätte ſtatt den Frieden zu befeſtigen den Grund zu einem, bei erſter Gelegenheit entbrennenden Kriege gelegt. Die Schweiz ſelbſt würde eine ſo unheilvolle Bergrößerung icon

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deshalb zurüdgewieſen haben ; aber audy in anderer Beziehung wäre fie ihr nachtheilig geweſen . Da der neue Canton an Bevölkerung und Umfang die übrigen Cantone , aud Bern bei weitem überragte , jo hätte der Schwerpunkt ihrer Macht fortan außerhalb der eigentlichen Sdweiz fich befunden, und das ziemlich harmoniſche Verhältniß der Cantone und ihrer gegenſeitigen ſtaatlichen Bedeutung wäre zerſtört worden. An Aufrechthaltung einer fortwährenden Parteiloſigkeit endlich, welche ihr von den europäiſchen Mächten zugeſtanden war , würde nidit zu denken geweſen ſein , weil ſie nur dann , wenn ſie inner halb ihrer alten Grenzen mit Ilmſicht vermied ihren übermächtigen Nachbarn Anlaß zur llnzufriedenheit zu geben , im glüdlidyſten Falle hoffen durfte unangefodyten zu bleiben. Trat Frankreich wirklich Lothringen und den Eljaß ab , jo durfte dies nur an den deutſchen Bund geſchehen , weil dieſer allein ein Intereſſe und die Macht hatte den wiedererlangten Beſitz dieſer ſeine Grenze ſchützenden Länder zu vertheidigen , hierzu audy allein fähig war. Ein jo gewandter Dis plomat wie Gagern hätte denn doch keinen ſo großen Werth auf den Sdu legen ſollen, welchen die der Sdweiz von den europäi idhen Mädyten verheißene beſtändige Parteiloſigkeit dem neuen Can tone zu gewähren dien. Sdion die Erinnerung an das Schicfal der vom Kaiſer Karl VI . , dem leßten Habsburger , zu Stande ge brachten pragmatiſden Sanction in Bezug auf das Erbredyt feiner Tochter Maria Thereſia hätte ihn davor bewahren ſollen. Wie dieſe ſofort nad dem Tode des Raiſers von allen Mächten , welche ſie unterzeichnet hatten , gebrochen wurde , fo würde aud Frankreich die Neutralitätsurkunde der Schweiz ebenſo bald zerriſſen haben , als jeden andern auf ewige Zeiten abgeſd loſſenen Friedensvertrag, wenn es dadurdy Vortheile zu erlangen hoffte. In allen jenen Denfſchriften war die Begründung der in ihnen aufgeſtellten Forderungen ebenſo wohl gelungen , als die Wider legung der entgegenſtehenden Behauptungen , und in ihrer Geſammt heit zumal lieferten ſie einen Beweis , deſſen Unumſtößlichkeit jedem Urtheilsfähigen vollkommen einleudytet. Allein Deſterreid), Eng Sie fragten land und Rußland wollten nicht überzeugt werden . nicht danad), was recht ſei , ſondern was ihnen vortheilhaft dünke. Deſterreich, als erſte deutſche Großmacht, trat zwar weniger offen auf , als England und Rußland, und Metternich bemühte ſich ſogar für Deutſchlands Sicherheit beſorgt zu erſcheinen. Allein feinen Bemühungen iſt, wie oben gezeigt wurde , es zuzujdyreiben , daß England eine an inneren Widerſprüchen fo reidje Bolitik beim zwei

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ten pariſer Frieden befolgte.

Der ſchlaue Metternich verſtand

andere für die von ihm verfolgten Zwede arbeiten zu laſſen.

es Ein

gegen Frankreiche Angriffe durch ſich ſelbſt geſdyütte$ Deutſchland würde ſich weit weniger lenkſam gezeigt haben , als eins, das feine wehrloſen Grenzen behielt , zu deren Vertheidigung es des öfter reichiſchen nur durch Gehorſam zu erkaufenden Beiſtandes bedurfte. Auch Wellington , groß als Feldherr, klein als Staatsmann, ſprach ſeine Meinung über die Frankreich angefonnenen Gebietsab tretungen in einem vertraulichen Schreiben vom 11. Aug. aus, nachdem Caſtlereagh ihin die darauf bezüglichen Dentídriften mitge theilt hatte. Es ift dies Schreiben wegen des Schluſſes merkwür dig. Mie ift wol aus richtigen Vorberfäßen eine fo verkehrte Slug folgerung gezogen worden , wie in nadhiftehender Weiſe. Mit einer fichwer begreiflichen Offenheit ſagte er : „ Meine Meinung iſt, daß die franzöfiſche Revolution und der pariſer Vertrag Frankreich zu ſtart gegen das übrige Europa gelaſſen haben . ulle europäiſchen Mächte ſind geſchwächt durch die Kriege, in welche ſie mit Frankreich verwidelt worden ſind , durch die hauptſächlich durch die Fran zoſen bewirkte Zerſtörung aller Feſtungen und Vertheidigungswerte in den Niederlanden und Deutidland, und durd die Bernichtung der Finanzen aller Mächte des Feſtlandes. Ungeachtet dieſe Meinung ſo ſtart, wenn nicht ſtärker in meiner Seele ausgeprägt iſt, als bei irgendeinem von denjenigen , deren Papiere mir türzlich zur Erwägung vorlagen, fo zweifle ich dod , daß es jeßt in unſerer Macht ſteht folche Aenderungen in den Verhältniſſen Frank reichs zu andern Mächten zu machen , die von weſentlichem Nußen ſein möchten . Erſtens halte ich dafür, daß unſere Erklärungen und Berträge ſowie der, obwol in unregelmäßiger Form erfolgte Beitritt, welchen wir Ludwig XVIII. zu dem Bündniſſe vom 25.März verſtatteten , uns abhalten müſſen irgendeinen ſehr weſentlichen Einbruch in den Beſibſtand des pariſer Vertrags zu machen. Ich ſtimme nicht den Folgerungen (Humboldt's) bei, daß entweder die Gewähr im Vertrage vom 25. März einzig auf uns ſelbft Anwendung haben ſollte , oder das Betragen der Franzoſen ſeit dem 20. März fte der Wohlthat dieſer Gewähr zu berauben geeignet ſei. Die Franzoſen imter warfen ſich Buonaparte, aber es würde lächerlich ſein zu glauben , daß die Verbündeten 14 Tage nach einer Sølacht im Beſiße von Paris ge weſen wären , wenn nicht die Franzoſen im allgemeinen der Sade ge neigt waren , welche die Verbündeten , wie man vorausſette , begiin ſtigten " u. ſ. w. Wie kam es aber

dieſe Betrachtung drängt ſich unwillkürlich

auf - daß Wellington bei ſeiner ebenſo richtigen, als tiefen Ueber zeugung von der Uebermadt Frankreidys, welche der erſte parijer Friebe nicht brach, bei den eben dieſem Frieden vorausgebenden Unterhandlungen keineswegs dieſer Ueberzeugung gemäß handelte, da er doch an Einfluß alle übrigen engliſchen Staatsmänner weit überragte ?

Weshalb hatte er nicht don im 3. 1814 , wo er bei

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feiner am 4. Mai erfolgten Untunft in Paris die glänzendſte Auf nahme fand , weshalb nicht in Wiert, als man fich verband den Bruch jenes Friedens zu rächen , dafür gewirkt, daß die ungeheuert Anſtrengungen ſeines Vaterlandes, daß feine eigenen Siege einen für die Sicherung des europäiſchen Friedens winſchenswertben Erfolg hatten ? Weshalb widerſprach er einfach den Schlußfolgerungen Humboldt's , ohne ſie zu widerlegen , da ja , deren Richtigkeit vor : ausgefeßt, der von ihm ſelbſt zugeſtandene Fehler des erſten parifer Friedens verbeſſert werden konnte ? War eß nicht ungereimt zu be haupten , die verbündeten Mädyte hätten in Lubwig XVIII. einen gleichberechtigten Bundesgenoffen zu erblicken , da ja gerade auf Enge lands Verlangen das Bündniß vom 25. März nur unter dem Zu+ ſaße genehmigt worden war, man ergreife nicht die Waffen , um den Franzofen irgendeine beſondere Regierung alſo auch nicht die Ludwig's -aufzudrängea ? Es war alſo teint verpflichtendes Berſprechen vorhanden den entthronten König von Frankreich wieder auf den Thron zu legen. Wäre eß, aber dennoch vorhanden geweſen, ſo waren die Mädte zu beffen Erfüllung nicht verbunden , weil Ludwig XVIII. außer Stande geweſen war fein Gegenverſprechen zu erfüllen ; ihre einſeitige Erfüllung des Ber : trags war alſo eine freiwillige. Dennoch war es gerade Welling . ton geweſen, welcher nach dem Siege von Waterloo ludwig XVIII, als Rönig von Frankreich behandelte , und auf jede Weife bafür wirkte , daß derſelbe das Scepter wieder ergriff, obſchon die Frans zoſen nach Napoleon's Abdankung nur darin einig waren , daß Ludwig nicht von Neuem den Thron beſteigen folle. Gerade bieſe ſeine Handlungsweiſe hatte die Verwidelung der Verhältniſſe herbeige führt, welche, wie er meinte , es rechtlich unmöglich machte das, was früher hinſichtlich der Sicherung des europäiſchen Friedene ver fäumt worden war, nachzuholen ; denn hätte man naturgemäß mit der einſtweiligen Regierung Frankreichs den Frieden verhandelt und abgeſchloſſen, fo war weder Ludwig den Franzoſen für denſelben ber antwortlich, noch waren die Verbündeten durch alle jene Spitfindigkeiten gehindert, welche aus der muthwilligen Verwirrung an ſich einfacher Verhältniſſe entſprangen.

Waren endlich die Verbündeten an die Bedingungen des erſten pariſer Friedens gebunden , fo durften ſie auch nicht mehr, als eine Entſchädigung für die Kriegskoſten und die erneuerte Anerkennung beſagten Friedensvertrags verlangen. Jede Bürgſchaft für eine ge= wiſſenhaftere Beobachtung deſſelben wäre als eine Neuerung ungu :

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läffig geweſen. Waren die Verbündeten aber berechtigt den Fran= zoſen eine Kriegsſteuer aufzuerlegen , ihr Land mit einem , von den Bewohnern zu erhaltenden Heere auf eine Reihe von Jahren zu befeßen , franzöſiſche Feſtungen zu ſchleifen , alles dies , weil ſie hierin Side rungsmittel für die beſtehende Ordnung der Dinge erblidten , ſo war aud fein Rechtsgrund vorhanden auf das kräftigſte Siderungs mittel , welches in angemeſſenen , feſte Grenzen herſtellenden Gebiete : abtretungen lag , zu verzichten. Wellington's verkehrte Logit ließ aber Veränderungen des erſten pariſer Friedensvertrags zu , wofern ſie nur nicht ſehr erheblich waren. Eine geringe Gebietsabtretung, die eben deshalb ziem lich wirkungslos war , ſchien ihm zuläſſig , eine Gebietsabtretung, welche die von ihm eingeſtandene liebermacht Frankreichs beſeitigt, oder doch vermindert hätte, unzuläſſig. Kann es eine größere Ber höhnung des geſunden Menſchenverſtandes geben ? Hätten aber auch nicht alle dieſe Gründe gegen die Aufrichtigkeit des englijchen Cabinets geſprodjen , wer wäre wol ſo leichtgläubig demſelben zuzu trauen , daß es aus reiner Achtung für das Volk auf die dem Gegner günſtigſte Auslegung des Wider denſelben geſchloſſenen Bundes ge drungen habe ! Bei folder Geſinnung wäre ja eine ſo empörende Ver leßung des Völkerrechts wie die Beſchießung Kopenhagens und die Wegführung der däniſchen Flotte ohne vorherige Striegserklärung un möglid geweſen , und doch hatte das englifdye Cabinet kein Bedenten getragen dem Vortheile das Recht zu opfern , und jene ſchreiende Un gerechtigkeit zu begehen ! Wellington's fernere Behauptung, die Verbündeten würden nad dem Siege von Waterloo nidyt ſo ſchnell Baris erobert haben, wären die Franzoſen ihrer Mehrzahl nad Napoleon's Sade geneigt geweſen , ift theils an fid; unhaltbar, theils einflußlos. Wie viele Hauptſtädte öffneten nach einem einzigen großen Siege des Feindes demſelben ihre Thore ? 3m vorliegenden Falle aber fam zu der furchtbaren Niederlage des franzöſiſchen Heeres nod Napoleon's vier Tage ſpäter erfolgte Thronentſagung. Wenn er ſelbſt ſeine Sache als verloren aufgab, wenn ſein gewaltiger, an Hülfsmitteln uner ſchöpflicher Geiſt daran verzweifelte gegen innere und äußere Feinde fich auf dem Throne zu behaupten , konnte man ſich dann noch wundern , daß auch das franzöſiſche Volk dieſelbe Anſicht hatte , und die auf etwa 100000 Mann ſich belaufenden Trümmer des französ fiſchen Heeres für unzureichend hielt einer mehr als zehnfachen Uebermadit zu widerſtehen ? Hätten aber auch die Franzoſen einen

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längern und erfolgreichern Widerſtand leiſten können, als es geſchah, fo lag doch in dieſem Umftande durchaus kein Rechtfertigungsgrund für den von ihnen begangenen Friedensbruc ; im Gegentheil hätten dann die Verbündeten wegen der hierdurch bewieſenen Gefährlichkeit um fo mehr darauf bebadit fein müffen die feinen Nachbarn ver derbliche Uebermacht Frankreichs zu brechen, und noch wirkſamer, als vorher einem neuen Friedensbruche vorzubeugen , denn ungünſtigere Umſtände zur Friedensſtörung waren für Frankreich kaum denkbar. Ebenſo feicht ſind die Gründe, mit denen Wellington ſeine Mei nung weiter vertheidigt. Nicht Frankreich in ſeiner Geſammtheit, ſondern nur die Champagne, der Elſaß und Theile von Lothringen, Burgund und der Dauphiné hätten den Verbündeten Widerſtand ge leiſtet, wagt er nämlich zu behaupten , und doch wußte Federmann, daß Napoleon aus der Bevölkerung von ganz Frankreid; feine Seere gebildet hatte . Diejenigen Theile des Landes , welche nicht zum Kriegeſchauplaş gehörten , befanden ſich ebenfalls im Kriegszuſtande, obſchon auf ihren Gefilden kein feindlicher Zuſammenſtoß ſtattfand. Mit demſelben Recht hätte auch behauptet werden können , daß Frankreich den Verbündeten nidit feindlich gegenübergeſtanden habe, als fein Heer dieſelben noch in Belgien bekämpfte. Große Abtretungen , fährt er fort, würden den Zweck des Kriegs vereiteln, welcher darin beſtehe, die Revolution zu beendigen, für die Verbündeten und ihre Unterthanen den Frieden zu erhalten, ihre übergroßen Heere zu vermindern und die Lage der Völker zu verbeſſern. Sei es nun , daß der König in eine Abtretung willige, oder nicht , jedenfalls würden die Verbündeten ſich in großer Ver legenheit befinden. Weigere fich der König , und werfe fidh dem Bolke in die Arme, ſo würden die innern Spaltungen aufhören ; die Verbündeten könnten dann zwar die Feſtungen und Landſchaften, die ihnen gefielen , nehmen , aber ein wahrer Friede würde der Welt nicht zu Theil, Niemand würde entwaffnen können . Willige der König ein, was unwahrſcheinlich ſei, ſo müßten die Verbündeten ſich zurück ziehen. In welcher Lage befänden ſie ſich aber dann ? Sie wür den wie im 3. 1814 genöthigt ſein die Hälfte der im Vertrage von Chaumont beſtimmten Truppenzahl auf den Beinen zu erhalten, um ihre Eroberungen zu behaupten. Die Unbeliebtheit der Bourbonen habe nur darin ihren Grund, daß man ſie für abgeneigt halte die Rheingrenze wiederzuerobern . Würden von Frankreid große Ab tretungen gemacht, ſo könne kein Staatsmann rathen die Heere auf den Friedensfuß zu feßen , ſondern der Krieg werde nur ſo lange

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verſchoben , fangen, um ben durch Hülfemittel

bis Frankreich eine gute Gelegenheit finde wiederanzx = das Berlorette zurüdjaerhalten. Die Berbündeten wür Unterhaltung übergroßer Seere in Friedenszeiten ihre erſchöpfen , und die Abtretungen würden ſich als wenig

nüblich bewähren gegen einen volksthümlichen Verſudy fie wiederzu erobern. Wahrer Frieden und Ruhe der Welt müffe das Ziel der gegenwärtigen Unordnungen ſein , und da Frantreich im Stande der Revolution viel eher die Welt beunruhige, als unter einer ordent lichen Regierung, felbft mit ſeinen gegenwärtigen ſtarken Grenzen , ſo müffe man es in dieſer Lage laffen. Daher ziehe er zeitweilige Befeßung einiger Feftungen und Erhaltung eines bedeutenden Heeres in Frant reich, beides auf deffen Koſten , den Abtretungen vor. Der König werbe daburda Stärke und Sicherheit erhalten und Muße ein beer zu bilden , die Berbündeten für die Zeit ber Belegung die erforder liche militäriſdie Sicherheit. Die in Snefebed's Dentſchrift dagegen aufgeſtellten Einwürfe fielen weg , da die Befetung Frankreichs im Sinne des Friedens und für Erhaltung des Königs geſchehe, wähs rend bei der Befeßung Preußens ſofortige Blünderung und dem nächſt frieg die Abſicht geweſen ſei. Die Zeit der Beſetzung werbe auch den übrigen Staaten die Muße gewähren ihre eigenen Boll werke wieder aufzubauen und ſich fo für immer zu ſichern , ſo= daß am Ende des Zeitraumes Frankreich freilich noch immer zu ſtark für ſeine Nachbarn , aber der Zuſtand der einzelnen Nachbarn und des Ganzen ſo verbeſſert ſein werde, daß wenig zu wünſchen übrig bleibe. Da es dem Herzoge von Wellington offenbar nur darum zu thun war Scheingründe für die Politik des engliſchen Cabinets auf: zuſtellen , von welcher, wie gezeigt worden , anzunehmen iſt, daß fie nur auf Metternich's Berlangen gewählt wurde , ſo iſt es eigentlich wunderbar, daß er den Grund , auf den Preußen und Deutſchland dieſe ihre Forderungen ſtüßten , als in Wahrheit be ruhend zugeſtand, und ſich hierdurch ſeine Aufgabe die Unzuläſſigkeit jener Forderungen zu zeigen unmöglich machte. Die ruſſiſchen Di plomaten waren vorſichtiger, und verwidelten ſich nicht wie er in Widerſprüche und nichtige Behauptungen. Seine Denkſdrift begann und ſchloß mit dem Zugeſtändniſſe von Frankreichs Uebermacht, ja er räumte ſogar ein , daß die Franzoſen aller gemachten Erfahrun gen ungeachtet noch immer an die Eroberung der linken Rhein ufers dächten . Dennoch wußte er , um die geforderten Abtretungen franzöſiſchen Gebiets als unzwedmäßig barzuſtellen , nicht weiter

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anzuführen, als baß, wenn dieſe erfolgt wären , die Verbündeten fich zurüđziehen müßten , ohne ihre Heere wegen eines drohenden neuen franzöſiſchen Angriffes auf den Friedensfufi feßen zu können . Gaben demnach die Franzoſen in keinem Falle ihre Eroberungsplane auf, fo war es ja widerſinnig ſie in dem Beſige von Feſtungen und Landſtrichen zu laſſen , welche ihnen die Angriffe auf Deutſchland erleichterten. Schien aber trot alles beſſen , was über die Nußloſiga feit und Gebäſſigkeit einer militäriſchen Befeßung Frankreich geſagt worden war , dieſe dennoch zur Befeſtigung der bourboniſchen Dy naſtie und des Friedens erforderlich, ſo konnte ſie ja auch erfolgen, nadidem die zur Sicherſtellung der deutſchen Grenze nothwendigen Gebietsabtretungen geſchehen waren ; denn wie Caſtlereagh einge räumt hatte hing ja das Schicfal Frankreichs gänzlich von dem Willen ſeiner Sieger ab . Wahrlich nie iſt eine fchlechte Sache un geſchickter vertheidigt worden , als es von den engliſcheu Diplomaten in Paris geſchah ! Der Freiherr vom Stein war infolge von Aufforderungen, welche der Kaiſer Alerander durch Neſſelrode und der preußiſche Staatskanzler an ihn gerichtet hatten , gegen die Mitte deo Monats Auguſt in Paris angekommen, und ſuchte nun für die Schaffung einer leidyter zu vertheidigenden Grenze Deutſchlands gegen Frantreich zu wirken. Er glaubte weiſe zu handeln , wenn er , nachdem die er ſchöpfenden Denkſdriften preußiſcher und deutſcher Staatsmänner zu Gunſten einer naturgemäßen ſichern Grenze erfolglos geblieben waren , ſeine diesfallfigen Forderungen ſo viel als irgend möglich beſchränke, um wenigſtens etwas mehr als die Grenze von 1790 für Deutſchland zu erreichen. Stein's Stellung brachte es mit ſich, daß dies nur in einem dem Kaiſer von Rußland am 18. Aug. über reidten Privatgutachten geſchehen konnte . Er begann daſſelbe mit der Anführung von Wellington's Zugeſtändniß, daß der erſte pariſer Friede Frankreidys Uebermacht nod nicht gebrochen habe , erörterte fodann die von den deutſchen Staatsmännern und ihren Gegnern aufgeſteli= ten Grundlagen für einen dauerhaften Frieden , und hob die Ge fährlichkeit der bisherigen Grenzverhältniſſe hervor. Die Völker " fuhr er dann fort verlangen mit Recht von den jetzt zu Baris verſammelten Miniſtern , daß man neuen Eroberungskriegen zuvorkomme und aufhöre ihr Blut zu vergießen , und ihre Habe zu opfern. Es deint mir aber möglidh eine verhältniſmäßige Mittellinie zu finden , indem man beide Syſteme in ihren weſentlichen Punkten vereinigt. Man müßte ſich über die zeitweilige Belegung einer hinreichend ausgedehnten Feſtungslinie dereinigen , um das regierende Haus zu ſtützen, und die auf

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rühreriſchen und revolutionären Bewegungen im Zaume zu halten. Nach Eintritt des für die Zurüdgabe der Feſtungen feſtgeſtellten Zeitpunktes aber wären dieſelben zurückzugeben. Die Dentſchrift des Herzogs von Wellings ton bezeichnet die zur Erreichung dieſes Zweđes nothwendigen feſten Pläte, und ihre Wahl ; die Form ihrer Beſetzung, der Zeitpunkt der Zurüdgabe würden Gegenſtand der Unterhandlungen der Cabinete unter ſich, und der verbündeten Cabinete mit Frankreich bilden. Die verderblichen Folgen , welche die Wiederherſtellung einer , kriege riſche Angriffe begünſtigenden Grenze für Frankreich und das übrige Europa haben würde, können nur dadurch verhütet werden , daß man die Grenze ändert, indem man den Nachbarn die für ihre Bertheidigung unentbehrlichen Punkte giebt, Frankreich aber die nur zum Angriffe dienenden Punkte nimmt. Wenn man ſich auf dieſe Betrachtungen beſchränkt, ſo wird es hinreichen einer ſolchen Beſitz veränderung nur ſechs bis ſieben Punkte zu unterwerfen, um Frankreich die leich tigkeit ſeine Nachbarn zu beunruhigen zu nehmen , und dieſen eine vollkom mene, oder doch mindeſtens größere Bürgſchaft gegen Grenzverletzungen zu ver ſchaffen . Die Kriegsgeſchichte Belgiens und Deutſchlands bezeichnet uns die obere Maas bei Dinant, Namur u. ſ. w. und den Oberrhein als die ſchwächften Punkte dieſes Kriegstheaters . Die Vertheidigung der obern Maas würde alſo die Abtretung von Maubeuge, Sivet, Philippeville an Belgien fordern , und die Abtretung der Linie von Thionville, Saarlouis auf Strasburg würde den Oberrhein vertheidigen. Man könnte ſich ſelbſt über die Schleifung mehrerer der zahlreichen , zu dieſer Linie gehörenden Feſtungen verſtändigen . Bei den Unterhandlungen von Gertruidenburg im Anfange des 18. Jahr hunderts wollte kubwig XIV . Lille und Strasburg abtreten, obgleich ihm ein zahlreiches Heer unter dem Marſchall Villars blieb, und er auf die Treue ſeines Volkes zählen konnte. Die franzöſiſche Geſchichte bietet alſo in dieſem Beiſpiele dem gegenwärtigen Geſchlechte , welches ſich in einer unendlich ſchlimmeren Lage, als feine Väter befindet, einen Troftgrund dar. England könnte ſehr dazu beitragen das Gefühl der Bitterkeit, welches dieſe Opfer Frankreich verurſachen müſſen , zu verſüßen , indem es ióm einige der Inſeln und Befißungen , welche es im Frieden zu Paris erwora ben hat, zurüdgäbe , und man kann von dem Edelmuthe dieſer Großmacyt und ihrem Wunſche den Frieden zu erleichtern alles erwarten .“

Einem Staate nach einem fiegreich geführten Kriege zumuthen, er folle ihm bereits gemachte Gebietsabtretungen zurüdgeben , iſt ſo unerhört, daß man ſich mit Recht wundern muß, wie ein ſo ein fichtsvoller Staatsmann wie Stein ſo etwas habe äußern können . Schließlich machte er darauf aufmerkſam , wie bedenklid , es ſei , wenn nachdem die militäriſche Befeßung Frankreichs aufgehört habe, deſſen Grenze nach wie vor ſeine Nachbarn gefährde. Jene Bez ſeßung ſei weit empfindlicher, als die Abtretung der obengenannten Feſtungen, und der König werde leşteres auch vorziehen , ſobald er ſich von dem deshalb gefaßten feſten Entſchluffe der Mächte werde überzeugt haben . 1 )

?) v. Gagern, V , 2, 38–44.

381 Die von Stein in febr allgemeinen Umriffen angedeutete Grenz linie war weit entfernt Deutſchlands Grenze gegen Frankreich zu fichern . Er ſelbſt fühlte dies auch , und ſagte deshalb zu Gagern : ,, Es iſt flar, die Ruſſen wollen, daß wir verwundbar bleiben . Man muß ihnen beweiſen , daß wir es bleiben werden , ſelbſt nach dieſen und jenen Abtretungen ." Nichtsdeſtoweniger äußerte Alexander in der Unterredung, welche er mit Stein hierütber hatte : wenn man Ludwig XVIII. zu folchen Abtretungen zwinge , ſo made man ihn den Franzoſen verächtlich und führe ſeinen Sturz herbei. Deshalb müſſe man ſich mit zeit weiliger Beſetzung franzöſiſcher Feſtungen begnügen, und Deutſchland ſeine Grenze durch Erbauung neuer Feſtungen ſtärken, wozu die von Frankreich zu erlegende Kriegsſchaßung zu verwenden ſei. Ungeachtet nun Stein ihm vorſtellte, daß die Erſchöpfung Deutſch lands die Regierungen der an Frankreich grenzenden Staaten hin dere die von demſelben gezahlten Entſchädigungen zn Erbauung von Feſtungen zu verwenden , fo beharrte der Kaiſer dennoch bei ſeiner Meinung , und verwies ihn endlich an Capodiſtrias, welcher ihm die neu zu ziehende franzöſiſche Grenze bezeichnen möge. Dieſer ſchloß nur landau nebſt dem zu deſſen Verbindung mit Frankreich im 3. 1814 abgetretenen deutſchen Landſtriche und die Feſtung Hünin gen vom Gebiete Frankreichs aus. Unter dieſen Umſtänden ſchien es faſt , als habe man Stein nur deshalb nach Baris berufen , da mit er , deſſen Meinung ſo viel in Deutſchland galt , ſich perſönlich davon überzeuge, die ſo ſehnlich gehoffte Sicherung der deutſchen Grenze ſei nicht zu erlangen . So vollſtändig auch alle Gründe gegen die Wiedervereinigung des Elſaſſes . und eines Theiles von Lothringen mit Deutſchland widerlegt worden waren , ſo erfolglos blieb dies dennoch, da nicht Recht und Billigkeit, ſondern Macht und Eigennuß im Rathe der Verbündeten maßgebend waren . Man entblödete ſich nicht darauf hinzuweiſen , daß ein anderthalbhundertjähriger Beſig Frankreichs Recht auf den Elſaß geheiligt habe , obſchon der rechtmäßige unvor dentliche Beſit dieſer Landſtriche Deutſchland nicht vor deren Bers luft geſchübt hatte , und die dort noch herrſchende deutſche Sprache und Sitte auch äußerlich den begangenen Raub noch bezeugten. Ebenſo leicht war die Anführung, es ſei wünſchenswerth , baß der Elſaß die Aufgabe erfülle den Uebergang zweier großen Nationen allmählich zu vermitteln ; denn dieſer angeblichen Aufgabe konnte ja auch unter deutſcher Herrſchaft genügt werden .

!

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Schon in der Mitte des Auguſts zweifelte kein wohlunterrichteter Staatsmann mehr daran , daß die Bedingungen des erſten pariſer Friedens in der Hauptſadye auch die Grundlage des neuen Friedens vertrags bilden würden . Franzöſiſche und engliſche Zeitungen ſprachen es bereits offen aus . Männer der Börſe waren derſelben Anſicht, und bethätigten dies durch höhere Curſe .

Nichtsbeſtoweniger machte

der preußiſche Staatskanzler in einer Denkſchrift vom 28. Aug. noch einen Verſuch fich mit dem Fürſten Metternich über günſtigere Bes dingungen zu verſtändigen , und beurkimbete dabei, wie genügſam er im Bergleich mit den übrigen preußiſchen Bevollmächtigten ſei. Das ſicherfte Mittel für die Beruhigung Europas, ſagte er , fei die Befeftigung der Bourbonen auf dem franzöſiſchen Throne; was die übrigen Mittelben Sanptzwed zu erreichen anlange, fo fei man verſchiebener Meinung, und man müſſe fich hierüber ſobald als möglich verſtändigen . Nad Uufführung der von Saftlereagh und Wellington in ihren Dentſchriften angerathenen Maßregeln machte þardenberg über diefelben folgende Bemerkungen : Das Bündniß zwiſchen den vier Höfen zur Erreichung des an gegebenen Zwede müſſe aufrecht erhalten werden . Hierüber gebe es Man bürfe ohne Zweifel nicyto thun , was den nur eine Stimme. Sturz des in Frankreich regierenden Kaufe & veranlaſſen , oder be ſchleụnigen könne, aber natürlich müffe dieſer Grundfaß dem , was die eigene Sicherheit erfordere, nachſtehen , ja der Zweck die Bour bonen zu ftüßen würde durch halbe Maßregeln verfehlt werden . Beſchränke man die zeitweilig in Frankreich verbleibenden Streitkräfte der Verbündeten auf 100000 Mann , ſo blieben nach Befeßung der betreffenden Feſtungen nur höchſtens 50000 Mann im Felde ver wendbarer Truppen übrig , mit denen man einen etwaigen Verſuch Zur Unter die Regierung zu ſtürzen dwerlich vereiteln werde. ftügung ber Truppen könnten wir bie Streitkräfte der Niederlande und der Rheinprovinzen dienen . Dieſe aber, abgeſehen davon , daß ſie nicht fehr zahlreich feien , müßten erſt auf den Kriegsfuß gelegt werden . Seit 1792 habe man wiederholt die Erfahrung gemacht, daß Frankreich ſehr ſchnell ein Heer von 300000 Mann ins Feld ſtellen könne; auf den Angriff eines folchen , von Rachbegierde ent flammten für ſeinen Heerd kämpfenden Heeres müſſe man alſo gefaßt ſein. Während ein Theil dieſes Heeres die verbündeten Befaßungs truppen im Schach halte, könnte die Mehrzahl deſſelben über Stras burg in Deutſchland einfallen , ſich im Schwarzwalde feſtlegen , dem Laufe der Donau folgen , und ſo ben Truppentheilen der ſüda

383 deutſchen Staaten den Rüdzug abſchneiden. Dieſer ganze Theil Deutſchlands würde gefährdet fein und Schaden erlitten haben , bevor dem hätte vorgebeugt werden können . Uebrigens ſcheine auch zur Bertheidigung der Linie von Condé und Maubeuge an bis nach Das verbündete Seer Hüningen ein einziges Heer unzureichend. ſolle die betreffenden Feſtungen befeßen, deren bürgerliche Verwaltung aber in franzöſiſchen Händen bleiben . Wolle man , wie doch nicht zu bezweifeln, dieſe Feſtungen in vertheidigungsfähigem Zuftande er : halten , wer würde die daraus erwachſenden Koften tragen ? Sei bieg von der franzöſiſchen Regierung, wenn ſie es auch verſpreche, ju erwarten ? Die Beerführer könnten derſelben doch nicht untergeordnet werben , oder mit ihr beshalb unterbandeln . Sollten ferner fie, oder die Regierung in den feften Pläßen die Polizei ausüben ? Wer würde die nothwer:digen Bauten unternehmen ? Die bloße Belegung einer Anzahl von Feftungen ſei weder hins reichend, noch ohne Schwierigkeiten ; darum müßten die Verwaltung und die Einfiinfte des Landestheiles , in welchem jene Feſtungen fich befänden, in den Händen der Verbündeten, und ihr Heer mindeſtens 240000 Mann ſtark fein . Einen Theil der Kriegeſchaßung zu Erbauung von Feſtungen zu beſtimmen , ſei nuglos , denn theils müften die Souveräne dieſe Gelber zu unterſtügung ihrer zu Grunde gerichteten Unterthanen verwenden , theils werde man einer ſolchen Maßregel überhoben, wenn Frankreich die Angriffspunkte, welche mit Deutſchlands Sichers heit unverträglich ſind, abtrete. Condé , Balenciennes , Charles mont , Givet ſchienen deshalb für die Niederlande unentbehrlich, für Breußen die Feſtungen Luxemburg , Thionville und Saar louis ; Bitſch , Landau , Fort Vauban ( oder St. - Louis auf einer Rheininfel unweit Raſtadt) und Hüningen für Süddeutſch land ; Fort pour und Fort l'Ecliſe für die Schweiz und Savonen . Die Feſtungswerke Strasburgs und feine Citadelle müß = ten geſchleift werden ; beſſer noch ſei es , wenn man es mit einem angemeſſenen Gebiete zu einer freien deutſchen Stadt mache, die Frankreich es noch nach dem weſtfäliſden Frieden geweſen ſei. würde die Feſtungen Dünkirchen, St.- Omer, Bethüne, Lille, Douay behalten ; gegen Condé und Balenciennes hätte es : Bouchain, Gam : bray und Beronne, gegen Maubeuge : Landrech) und Avesnes, gegen Philippeville : Marienburg , gegen Charlemont: Rocroy , gegen Luxemburg und Thionville: Meß und Verdun , gegen Saarlouis : Salins , Morſal und Pfalzburg, gegen Bitſch: , Petit - Pierre, gegen

384

Hüningen

enblid Befort.

Es

würde Breifach,

Schletſtabt und

Colmar behalten. Indem man ſo mit dem Syſteme zeitweiliger Beſeßung dasjenige einiger bleibenden Abtretungen verbände, würde, ohne gegen Lord Caſtlereagh'& Grundfäße zu verſtoßen , mindeſtens einige Sicherheit gegen Einfälle eines unruhigen Nachbars ge wonnen. Eine Ariegsſchjagung von 1200 Millionen France , welche die Verbündeten unter fich zu theilen hätten , könne von Frankreich ohne Unbilligkeit gefordert werden . 1) Der preußiſche Staatskanzler hatte alſo den von Humboldt, Ane ſebeck, dem Kronprinzen von Würtemberg und Gagern feſtgehaltenen Standpunkt bei Beurtheilung der Grenzfrage verlaſſen , ohne daß die betreffenden Denkſchriften widerlegt worden waren . Wellington's einfacher Widerſpruch gegen , Humboldt's logiſche Auslegung der be treffenden Verträge, welcher um ſo weniger zu beachten geweſen wäre, als die gefährliche Uebermacht Frankreichs von ihm ſelbſt zu = geſtanden wurde, ſowie die in demſelben Sinne abgegebenen Erklä rungen der Vertreter Rußlands und Deſterreichs bei den mündlichen Berathungen hatten auf den fchwachen Lenker des preußiſchen Cabi nets die Wirkung gehabt , daß er nur noch von der Abtretung we niger unbedeutender franzöſiſcher Feſtungen ſprach. Während Met= ternich in ſeiner Denkſchrift die Schleifung der äußerſten Feſtungslinie Frankreichs als nothwendig für Deutſchlands. Sicherheit bezeichnet hatte, freilich ohne den Vorſaß auf der Anwendung dieſes Aus kunftsmittels zu beſtehen , iſt in Hardenberg's Dentſchrift nur die Rede davon die Feſtungswerke Strasburg8 zu fchleifen . Die daran geknüpfte Bemerkung: es würde noch beſſer ſein Strasburg wieder zu einer freien deutſchen Stadt zu machen , ift charakteriſtiſch für feine leichtfertige Behandlung der Geſchäfte; denn wozu nükte eine derartige beiläufige Meinungsäußerung Diplomaten gegenüber, denen im glüdlichſten Falle nur durch beharrliche Entſchloſſenheit ein Zu geſtändniß hätte abgerungen werden können ? Rechnet man hierzu feine Beigerung den kleineren deutſchen Staaten eine Bertretung durch einen Geſammtbevollmächtigten im Rathe der Verbündeten zu zugeſtehen , obgleich die Beſtimmung der franzöſiſchen Grenze gegen Deutſchland Niemand fo nahe anging, als fie, und man ſich gegen ſte deshalb nicht bloß einer Verlegung allgemeiner völkerrechtlicher Grundfäße, ſondern ſogar des Bruches diesfallfiger ausdrüdlicher Berſprechen ſchuldig machte; erwägt man babei, daß ohne eine ſolche

' ' ) Schaumant , Nr. VII.

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beſondere Vertretung Deutſchlands eine Förderung der deutſchen In tereſſen unter den obwaltenden Umſtänden offenbar unmöglich war, ſo drängt ſich die Ueberzeugung auf, daß Hardenberg überhaupt gar nicht den ernſtlichen Willen gehabt habe den Redten Deutſchlands in Paris Anerkennung zu verſdjaffen : Die von vaterländiſchem Geiſte durchdrungenen trefflidhen Denkſchriften Humboldt's und Atne ſebed's hatte er abgehen laſſen , um den Schein zu wahren , als handle er im Sinne der öffentlichen Meinung in Deutſchland; doch verwendete er ſeitdem Humboldt nur zur Erledigung minder wichtiger Geſchäfte, während er die Ordnung der Grenzfragen ſich allein vorbe hielt und ſie in kraftloſer Weiſe behandelte. Bereits in Wien kannte Hardenberg die Ungeneigtheit der übrigen Großmächte von den Grundſägen des erſten pariſer Friedens abzuweichen. Da nun der Vorwand, Großmuth gegen Frankreich werde den Frieden am beſten fichern , nicht mehr brauchbar war , ſo hätte er die Fiction den ent thronten König Ludwig XVIII. als Bundesgenoſſen zu betrachten, welche offenbar keinen andern Zwed hatte als das Erſaßmittel für jenen unbrauchbar gewordenen Vorwand zu bilden, nicht genehmigen, ſondern auf Bekanntmachung der Erklärung dringen müſſen , wonacy nicht für die Rechte Ludwig's , ſondern zur Wiederherſtellung der Ruhe Europas die Waffen ergriffen worden waren . Die Aeußerungen Humboldt's gegen Gagern zu Anfang Sep tembers beſeitigen jeden Zweifel an der lauen Geſinnung þarden berg's. Andererſeits erregt es Verdacht wider Gagern's Aufrichtig keit, oder ſein Verſtändniß , wenn er berichtet, Humboldt habe ihm nach einem Gaſtmahle in fieberhafter Aufregung folgende auffallende Mit theilungen gemacht: 1 ) ,, Er ſagte ſoviel Uebles , als er nur konnte von dem Syſteme des großen Bündniſſes, und von den vier Mächten , ihrer Unbeſtän digkeit, Anmaßung, Ungereditigkeit u. f. w. — Und Preußen ſpielt doch dabei eine Hauptrolle ! 2) Er ſchonte nicht Herrn von Metternich , deſſen ſchwachen, Und er galt doch für doppelzüngigen , verfdyrobenen Charakter deſſelben. Vertrauten und Freund guten einen 3 ) Er beurtheilte ohne Schonung den leichtfertigen , foldatenhaften Ton des Herrn Herzogs von Wellington , wenn es ſich darum ban dele auf die Noten der Verbündeten zu antworten .“ 1) Wer die über jene Zeit veröffentlichten Urkunden fennt und un 1 ) 0. Gagern , y , 1 , 218 . II.

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parteiiſch beurtheilt , wird ſich nicht über Humboldt*8 derartige, ihn ehrende Neußerungen , ſondern darüber wundern , daß der Freiherr von Gagern , welcher in Paris ſo oft betonte , er ſei nicht nur niederländiſcher Bevollmächtigter, ſondern auch deutſcher Edelmann, daß er , welcher Zeuge und Mithandelnder bei jenen verhängniß vollen Ereigniſſen war und ſdhriftlich Deutſchlands Recht mit Ge ichid vertheidigte, dieſe Lenßerungen ohne ein Wort der Billigung, ja als ſei er davon befremdet, mittheilen konnte. Humboldt hat in Wien ficherlich eine ehrenvollere, wenn auch undankbarere Rolle geſpielt, als Gagern. Die Rückehr Stewart's, welcher in London die Genehmigung des Brinz - Regenten zu den in der Sauptſache bereits feſtgeſtellten Grundlagen des Friedens eingeholt hatte , und am 1. Sept. in Paris wieder eingetroffen war , veranlaßte Caſtlereagh am folgenden Tage dem Rathe der Verbündeten eine zweite Denkſchrift zu über geben . Er erklärte in derſelben, daß der Prinz - Regent den Vorſchlägen

des Kaiſers von Rußland im Principe beitrete. England verweigere ſeine Zuſtimmung zu einer Schmälerung der franzöſiſchen Grenzen, wolle auch nicht, daß man Frankreich einige Feſtungen nehme , welche ohne ſonſtige Hülfsmittel den Staaten , welche ſie erhielten, bei Ausbruch eines neuen Krieges mehr zur Laſt gereichen , als ihre Wehrhaftigkeit vermehren würden . Es ſei weiſer mit einer von den verbündeten Mächten beſchloſſenen genteinſamen Maßregel ſich zu be gnügen , welche von Frankreid drohenden Gefahren vorbeuge , als den Verſuch zu machen dem Mißverhältniſſe abzuhelfen , das etwa ſchon vor der franzöſiſchen Revolution unter den europäiſchen Staa ten beſtanden habe. Gegen die von Großbritannien und Rußland vorgeſchlagene zeitweilige Beſetung Frankreichs und Wiederherſtellung der franzöſiſchen Grenzen vom Jahre 1790 laſſe ſich nichts Erheb liches einwenden , da jene Befeßung für die nächſten ſieben Fahre ihren 3 weď erfülle , und erſt dann die Vorſchläge Breu Bens von irgendeinem Nußen ſein könnten. Wegen eines ſo ſpäten, und nicht einmal fichern Nußens dürften aber die Verbündeten ſich nicht der Gefahr ausſegen einen Souverän zu bekriegen , den man faſt als einen bisherigen Verbündeten betrachten müſſe. Mit ihm dürfe man nicht in der ſonſt üblichen Weiſe unterhandeln , nach welcher man mehr verlange , um durch ſcheinbare Nachgiebigkeit doch ſeine eigentlichen Forderungen durchzuſeßen , ſondern man müſſe freiwillig felbige von vornherein auf das äußerſte Maß beſchränken.

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Früher hatten die Diplomaten eine Ehre darin geſucht, daß fie ſich ſtellten , als ſchlöſſen ſie den betreffenden Frieden auf ewige Zei ten . Lord Caftlereagh verfiel in den entgegengeſegten , unendlich grö Bern Fehler , indem er den Gipfelpunkt ſtaatsmänniſcher Weisheit darin ſuchte mit Frankreich , welches feit faſt einem Vierteljahrhundert den europäiſchen Frieden geſtört hatte und , wie er ſelbſt zugeſtand, von der Gnade ſeiner Sieger abhing , einen Frieden zu ſchließen, der eigentlich nichts weiter war , als ein mehrjähriger Waffen ſtilſtand , lang genug um dem jeſt wehrloſen Feinde es unter ginta ſtigeren Umſtänden möglich zu machen den Krieg mit Ausſicht auf Er folg wieder zu beginuen . Caſtlereagh erklärte ferner : nur ſoweit den Anſichten Deſter reiche und Preußens beitreten zu können , als dadurch das Anſehen der königlichen Regierung in Frankreich nicht vermindert, und leştere in eine feindliche Stellung zu den Verbündeten gebracit würde. Die mit einer zeitweiligen Beſetung Frankreichs verbundenen Schwierig keiten wären bei gutem Willen ſchon zu überwinden. Da die Beſik nahme oder Sdyleifung Strasburgs nur zum Sduge DeutſQlands dienen , nicht aber Frankreich des Elſaß berauben ſolle, ſo madhe er darauf aufmerkſam , ob dieſer Zwed nicht erreicht werden könne , wenn man dieſe Feſtung ſieben Jahre lang entwaffne, und alle Truppen bis auf die ſtädtiſchen daraus entferne. Daſſelbe tönnte mit Lille ſtattfinden , und auf dieſe Weiſe würde die Befeßung der genannten Feſtungen durch verbündete Truppen hinreichende Sicher heit gewähren . Dieſe unerhörte Art wichtige Fragen zu löſen , indem man nach einem ſiebenjährigen Zwiſchenzuſtande alles auf den bisherigen Stand zurückkommen ließ , würde gewiß weniger Befremden erregt haben , hätte man damals vorausſehen können , daß Lord Caſtlereagh nach Verfluß dieſes Zeitraumes ſeiner diplomatiſchen Thätigkeit durdy Selbſtentleibung ein freiwilliges Ziel ſetzen und alſo außer Stande ſein werde deren Folgen ſelbſt zu beobachten. So ſehr endlidy, fuhr der engliſche Staatsſecretär fort, es feiner Regierung am Herzen liege Preußen und Belgien am linken Rhein ufer in Vertheidigungsſtand zu ſeben , ſo ſei es dody klüger und wirk ſamer einen ſolchen durch zwedmäßige Befeſtigung der eigenen Pro vinzen herzuſtellen , als durd, rüdſiditsloſe und erbitternde Aneignung eines Landſtriche, welcher ſchon länger als ein Jahrhundert zu Frant Leşteren Weg einzuſchlagen ſhmeichle zwar dem reich gehöre. 25 *

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Nationalſtolze, und entſpredje dem jegt gegen Frankreich gehegten Kaffe, aber ſolche Gefühle wären von geringem Gewichte für Staatsmänner, deren Pflicht es ſei der Welt den Frieden zu geben . Gleichwol hatte er täglich Gelegenheit durch die Erzeugniffe der franzöſiſchen Preſſe ſich zu überzeugen , daß dieſelbe ihre Regierung mit einer Heftigkeit zu Gewaltmaßregeln gegen die Verbündeten auf forderte , als ob dieſe die ausſchweifendſten, die Nationalunabhängig Die Erbitterung keit gefährdenden Forderungen gemacht hätten . ſchien keiner Steigerung mehr fähig zu ſein . Man predigte die Nothwendigkeit das Volk durd Läuten der Sturmglocken zur Bekrie gung und Vernichtung der eingedrungenen Feinde aufzurufen. Bar ras, das ehemalige Directoriumsmitglied , hatte auch perſönlich in einer ihm bewilligten geheimen Unterredung Ludwig XVIII. hierzu aufge fordert. Dieſer aber lehnte einen Kampf ab , und es wurden Briefe mit ſeiner Unterſchrift veröffentlicht, worin er klagte, daß Alter und Frankheit ihn hinderten kraftvoll aufzutreten. Ueberhaupt fah jeder, welcher die Verhältniſſe des Landes kannte , daß an einen Volksauf ſtand , wie er in Spanien ſtattgefunden , in Frankreich nicht zu denken ſei , theils wegen des Mangels hinreichender Gründe, theils wegen Hierzu kam , daß die roya Verſchiedenheit des Nationaldarafters. liſtiſche Partei ſich nie zu einer Maßregel entſchloſſen haben würde, welche Frankreich wieder in revolutionäre Zuſtände geſtürzt hätte. kam es aber dennoch zu einem Volkskriege, ſo waren die Verbün deten , welche über mehr als eine Million Krieger geboten , ſtark genug ihn ſofort zu unterbrüden . Caſtlereagh's Behauptungen waren nicht einmal gefdi&t genug aufgeſtellt, um glauben zu machen , daß mindeſtens ihr eigener Ur heber von ihrer Wahrheit überzeugt ſei; es tonnte dem Fürſten Mar denberg daher nicht ſchwer fallen ſie durch eine zweite Denkſchrift vom 8. Sept. zu entkräften . Nadidem es endlich gelungen ſei ſagte er in derſelben - die Herrſchaft Frankreichs zu ſtürzen , welche im Jahre 1812 beinahe ganz Europa in Feſſeln geſchlagen , habe man es mit beiſpielloſer Große muth behandelt , und dadurch nur einen neuen Kampf mit demſelben hervorgerufen. Der vollſtändigſte Sieg habe Frankreich wieder in die band der Verbündeten gegeben ; jolle nun zum zweiten Male eine ungerechtfertigte Schonung zum Schaden der Sieger geübt wer Deutſchland, Breußen und die Niederlande , welche andern entfernteren Mächten zur Vormauer gegen Frankreich dienten , hätten die Pflicht und das Recht ſich einer ſolchen ſie gefährdenden Scho

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nung zu widerſeßen.

Man könne fidy nidyt davon überzeugen , daß

die Erklärung vom 13. März die Verbündeten zu Ludwig XVIII. in ein Verhältniß gebracyt hätte , welches ſie hindere auf ihre eigene Sicherheit Rückſicht zu nehmen . Man dürfe den Franzoſen nidyt die Mittel laſſen ihren rechtmäßigen Herrſcher wieder vom Throne zu ſtürzen und Europas Ruhe von Neuem zu ſtören . Hiervon würde Frankreich durch eine ſiebenjährige Beſeßung , während welcher es neue Kräfte ſammeln könne , nicht abgehalten werden . Eine ſolche Maßregel würde nur den Haß und die Rachſucht der Franzoſen ver= mehren, und ihr König würde deren Ausbrüche nicht zu verhüten im Stande fein . Gebe man den Franzoſen die betreffenden Angriffspunkte zurück, ſo brächen ſie vielleicht in einem Augenblicke wieder hervor, wo ihnen nicht wie jeçt vereinte Kräfte entgegengeſtellt werden könn ten . Hardenberg fährt fort : Die engliſchen Bevollmächtigten werfen uns vor , daß wir zur Ab wendung einer entfernten und ungewiſſen Gefahr ſofort den Krieg wieder entzündeten , während eine zeitweilige Belegung ihn verhindere , und uns in den Stand ſetze uns zu rüſten. Sie meinen, die Abtretung einiger Feſtungen ſei gefährlich , und um Frankreich angemeſſene Grenzen anzuweiſen , müſſe man von ihm weit beträchtlichere Opfer fordern. Aber die von uns befürchtete Gefahr iſt nicht ſo fern. In ſieben Jah ren ſind wahrſdheinlich nod; dieſelben Menſchen , dieſelben Geſinnungen wie heute vorhanden ; dagegen iſt von dem jeßt in Ausſicht geſtellten Kriege, fäme er, was nicht wahrſcheinlich , zum Ausbruch , nichts zu befürchten, wenn man Einigkeit und Entſchloſſenheit zeigt. Ohne Zweifel hätten wir das Recht ganze Provinzen von Frankreidy, welches uns ſo viel Uebles zufügte , zu fordern, um uns für immer gegen ſeine Ängriffe zu ſchützen . Wir wür ben nur das uns entriffene Erbe unſerer Väter zurüdfordern . Allein aus Nach giebigkeit gegen die andern Mächte , welde dem entgegen ſind , hat Preu ßen ſich darauf beſchränkt die Abtretung zwar nicht bloß einiger Feſtungen , ſondern einer ganzen Linie von Angriffspunkten zu fordern ; die vorge ichlagene Maßregel iſt gewiß nicht als unwirkſam zu betracyten ." Statt aber nun feſt auf Annahme dieſes Vorſchlags zu be ſtehen , welcher die Sicherheitsmittel der an Frankreich grenzenden Staaten ſchon auf ein ſo beſcheidenes Maß zurückführte, ſtatt ſich zu er innern , daß er ſelbſt es ſoeben erſt für ſeine Pflicht erklärt hatte der beabſichtigten gefährlichen Schonung Frankreidys ſich zu widerſeben, fdhließt Hardenberg ſeine Erörterungen mit folgenden unerwarteten Worten : „ Der König , mein erlauchter Souverän , befiehlt mir zu erklären , daß er , im Hinblic auf die widerſprechende Anſicht aller ſeiner hohen Verbün deten bereit iſt ſeine eigene zu opfern , um vor allem das glückliche Ein verſtändniß , welches unter den vier Höfen herrſche, aufređịt zu erhalten. Se. Maj. ſchmeichelt ſid, jedod , daß man die Abänderungen , welche ich die Ehre gehabt habe vorzuſchlagen , berückſichtigen werde, zumai fie den von Lord Caftlereagh aufgeſtellten und von Sr. kaiſerl. Maj. aller Neußen gebilligten

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Grundſätzen , nach welchen Frankreich auf den Stand von 1790 zurüdgeführt werden ſoll, keinen Eintrag thun.“ In einer beigefügten Ueberſicht waren die und javoviſchen Landſtriche zuſammengeſtellt , erſten pariſer Frieden behalten hatte , obſchon nicht zu ſeinem Gebiete gehört hatten , jedoch

belgiſchen , deutſchen die Frankreich im ſie im Jahre 1790 mit Ausnahme der

meiſten, damals von Frankreich umſchloſſenen deutſchen Gebiete. Fene Landſtriche enthielten angeblich eine Bevölkerung von 557000 Ein wohnern. Da nun Frankreich Mümpelgard, Avignon und Venaiſſin mit einer Bevölkerung von 200000 Einwohnern erſt beim Ausbrudye der Revolution ſeinem Gebiete einverleibt habe , und dieſe Länder ihm verbleiben ſollten , ſo wurde vorgeſchlagen Landſtriche mit einer gleich großen Bevölkerung , welche idon vor 1790 von den Niederlanden und Deutſchland abgeriſſen waren, mit dieſen beiden wieder zu vereinigen. Gegen dieſe von Hardenberg beantragte Abänderung der Grenzen ron 1790 konnte bei einer unparteiiſden Beurtheilung der Sache nichts eingewendet werden , weil es ja höchſt unbillig war zu ver langen , daß etwaige Abweichungen nur zum Nachtheil DeutſĐlands ſtattfinden ſollten , indem ihm die Rüderſtattung der in früheren un glüdlichen Ariegen entriſſenen Länder jeßt , wo es Sieger war , zum zweiten Male auf Veranſtaltung treuloſer Bundesgenoſſen verweigert würde. Behielt Frankreich im Frieden an Land und Leuten ſo viel, als es im Jahre 1790 beſeſſen hatte , ſo war der willkürlich ange nommene Grundſatz ſein damaliges Machtverhältniß aufrecht zu er halten vollſtändig gewahrt. Allein die engliſchen und ruſſiſchen Diplomaten hielten ſich an die von Hardenberg erklärte Bereitwillig keit des Königs von Preußen ſeine Meinung der ihrigen unter zuordnen , und beſtanden zu Metternid's Genugthuung darauf, daß jene , in Frankreich eingeſchloſſen geweſenen fremden Gebiete dem ſelben einen reinen Zuwadys gewähren ſollten. Nur die Wieder vereinigung von Saarlouis und Landau mit Deutſchland , Erobe rungen Ludwig's XIV. aus dem 17. Jahrhunderte , machten eine unerhebliche Ausnahme zu Gunſten Deutſchlands. Der Ueberſicht über die von Frankreich

abzutretenden Gebiete

und deren Bertheilung war noch eine ausführliche Widerlegung der Behauptung beigefügt , daß Frankreich nicht im Stande ſei die ge forderte Kriegsidatzung von 1200 Millionen Francs an die Ver bündeten zu zahlen . Eine nicht bedeutende Erhöhung der Abgaben würde die Zinſen der Anleihe deđen , welche das Geld zu dieſer Zah Lung Liefere .

Die Vertheilung der Summe unter die Verbündeten

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ſollte bei den Großmächten zu gleichen Theilen , bei den mit ihnen verbündeten kleineren Staaten nach dem Zahlenverhältniß der von ihnen aufgeſtellten Streitkräfte erfolgen , doch wurde vorgeſchlagen dem engliſchen und preußiſchen Heere nach der Theorie der engliſchen Priſengelder eine beſondere Geldbelohnung wegen der Einnahme von Paris zu bewilligen . Die preußiſche Dentſchrift macht auf den Leſer den Eindrud , als rechtfertige ſie die in ihr aufgeſtellte Behauptung gegen die Einwürfe der übrigen Großmädyte nur deshalb , um dem Vorwurfe zu entgehen Deutſchlands Rechte nicht gebührend vertreten zu haben , keineswegs aber um Zugeſtändniſſe zu erlangen ; denn welchem Unterhändler ſind von der Gegenpartei je Zugeſtändniſſe gemacht worden , nachdem er bereits erklärt hatte fich ihrer Anſicht fügen zu wollen ? Die Worte, mit denen der Staatskanzler Preußens ſeine Denkſchrift ſchließt, rechtfertigen ein folches Urtheil auch in Bezug auf die von den klei neren Staaten nachgeſuchte Theilnahme an den Friedensunter handlungen. Er ſchreibt: Die verbündeten Höfe , wie die von Sardinien , den Niederlanden , Baiern und Würtemberg zeigen zum Theil ein dringendes Verlangen von unſern Unterhandlungen unterrichtet zu werden , ſich an ihnen zu betheiligen, Sie haben hierauf einen rechtlichen Anſpruch, inſofern dies in ihrem Intereſſe liegt, und man muß ſich über den deshalb einzuſchlagenden Weg verſtändi gen , ſobald wir unter uns einig ſind.“ 1) War dies aber der Fall, dann mußten die kleineren Staaten einſehen , daß von ferneren Unterhandlungen , waren ſie in ihrem Intereſſe auch noch ſo nöthig , vernünftigerweiſe nicht die Rede ſein konnte. Sie hatten ſich dann der Meinung der Großmächte zu fügen und die Friedensbedingungen einfach anzuerkennen , welche anzufechten ſie nicht die Macht beſaßen. Die Unterſtüßung des von jenen Staa ten geſtellten Verlangens war alſo nur eine ſcheinbare, und geſchah, um den Vertretern derſelben , welche beſonders den preußiſchen Staats kanzler um ſeine Unterſtüßung erſucht hatten , ſagen zu können : er habe fid ihrer angenommen . Der Bevollmädytigte Hannovers , Graf Münſter, welcher uns geachtet ſeiner Stellung zu England dennoch von Anfang an auf die Vertretung der kleineren deutſchen Staaten bei den Friedensunter handlungen gedrungen hatte , bekundete durch ſeine am 22. Sept.

erfolgende Rüdkehr nad Hannover , daß er unter ſolchen Umſtänden

> ) Schaumann , Nr. XII.

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fein Verweilen bis zum förmlichen Friedensſchluffe für überflüſſig halte. Den Antheil Hannovers an der Kriegsſdagung zu berechnen überließ er

Frankreich aufzulegenden Wahrſcheinlich andern .

glaubte er auch, daß die am 20. Sept. der franzöſiſchen Regierung vorgelegten Friedensbedingungen als unabänderlich zu betrachten ſeien ; denn nachdem die Großmächte die zur Herſtellung einer beſſern Grenze gegen Frankreich von Seiten der Vertreter Preußens , Baierns, Wür tembergs und der Niederlande geſtellten , weit umfaſſenderen Anträge zurückgewieſen und die neue Grenze. endlich unter ſich vereinbart hatten , (dien es ihrer Würde zuwider an dem , was ſie als uner läßlich zur Erreichung des Kriegszweds anerkannt hatten , durdy den Widerſpruch des beſiegten Frankreichs etwas ändern zu laſſen. Sie hätten ſich damit dem verdienten Vorwurfe ausgeſetzt die als gerecht anerkannten Forderungen ihrer Bundesgenoffen den eben Deshalb nicht zu beachtenden Gegenvorſtellungen des bisherigen ge meinſchaftlichen Feindes treulos unterzuordnen. Die Friedensbedingungen , deren Anerkennung man von Frank reich verlangte , beſtanden in folgenden Punkten : Art. 1. Der Friede von Paris vom 30. ( 18. ) Mai 1814 wird im allgemeinen beſtätigt und aufrecht erhalten , und nur durch folgende Beſtim mungeni modificirt : Art. 2. In Beziehung auf die öftliche Grenze Frankreichs , ſo wie fie durch den Art. 2 des gedachten Friedens feſtgeſetzt iſt, ſoll folgende neue Demarcationslinie verabredet werden , die gleich günſtig für die Ruhe Eu ropas, als der Billigkeit angemeſſen iſt. Im Norden bleibt die bisherige alte Grenze bis dahin , wo die Schelde in das Departement von Jemappes tritt, dann folgt ſie dieſem Fluffe bis zum Diſtrict Condé , welcher nicht mit zu Frankreich kommen wird ; weiter bleibt die Grenze meiſt die alte ge gen die belgiſchen Brovinzen , nur Philippeville, Marienburg und der Canton von Givet werden an die Niederlande fallen . Bis Perle tritt derſelbe Fall ein , dann ſcheidet eine von 8a bis Houvre gezogene Grenze den leßten Staat von Frankreich. Die Gegenden der Saar, namentlich Saarbrück und Saarlouis bleiben bei Deutſchland. Gegen dieſes bildet nach wie vor das Departement der Moſel die Grenze bis zur Lauter , dann dieſer Fluß bis zu ſeiner Mündung in den Rhein , ſodaß Landau an Deutſchland kommt , Lauterburg und Weißenburg dagegen bei Frankreich bleiben , dann tritt dem Laufe des Doubs entlang bis zuin Fort Jour keine Veränderung ein ; letz teres kommt an die Schweiz, dagegen Pontarlier am rechten Ufer des Doubs belegen an Frankreich. Vom Fort Jour läuft die Grenze gegen die Rhone hin , ſodaß das Fort Ecluſe nicht zu Frankreich kommt. Von der Rhone bis zum Mittelmeer wird gegen Savoyen die alte Grenze von 1790 hergeſtellt; dazu verzichtet Frankreich auf das Beſaßungsrecht in Monaco , und die Neutralität der Schweiz wird ſo anerkannt , wie es der Art. 92 der wiener Congreßacte vorſchreibt. Urt. 3. Die Befeſtigungen von Hüningen , welche das naheliegende ſchweizeriſche Gebiet, vornehmlich Baſel bedrohen , follen geſchleift werden , und Frankreich verpflichtet ſich ſie nie wiederherzuſtellen , und im Umkreiſe dreier Meilen von Baſel auch keine neue Feſtung anzulegen .

393 Art. 4. Die Verpflichtungen , welche die verbündeten Monarchen gegen ihre Völker haben , zwingen ſie dazu eine Schabloshaltung wegen der Kriegs koften von Frankreich zu fordern . Hierzu iſt die Summe von 600 Millionen Francs feſtgeſett; Art und Termine der Zahlungen ſollen durch beſondere Berträge beſtimmt werden. Art. 5. Da die an Frankreich grenzenden Staaten , vorzüglich die Nie derlande , Deutſchland und Piemont in den Kriegsjahren meiſt gezwungen wurden die ihre Grenzen deckenden Befeſtigungen zu ſchleifen , ſo iſt es nöthig jetzt der eigenen Bertheidigung wegen neue Feſtungen zu bauen. Frankreich wird dazu noch außerdem die Summe von 200 Millionen Francs bezahlen und die Pläte Condé , Givet, Charlemont und Saarlouis mit den im Art . 2 beſtimmten Gebieten abtreten. Art. 6. Da man ungeachtet der väterlichen Intentionen gegen alle Stände, welche Ludwig XVIII. in ſeiner Charte ausgeſprochen , doch nicht wiſſen kann , wie lange der Zuſtand der Ruhe in Frankreich dauern werde , fo iſt es zum Beſten deſſelben , wie Europas , wenn eine temporäre Occupa tion , die jedoch in keiner Hinſicht der Souveränetät Ludwig's XVIII. Ein trag thun ſoll , verfügt wird . Die dazu auserſehene Truppenzahl , von einem von den Verbündetenzu ernennenden Feldherrn befehligt, wirð 150000 Mann nicht überſteigen und die Pläße Valenciennes , Bouchain , Cambray , Mau beuge , Landrecy , Quesnoy , Avesnes, Rocroy , Longwy , Thionville, Bitſch und den Brückenkopf des Forts Louis beſetzen. Aus Strasburg ſoll alles Linienmilitär zurückgezogen und der Platz nur der Bürgergarde zur Bewachung übergeben werden. Es wird eine Linie beſtimmt werden , welche die Truppen der Verbündeten von denen Frank reichs ſondert. Alle in das Gebiet fallende Bläße , welche nicht von den Verbündeten beſeßt ſind , werden allein der Bürgergarde zur Bewachung übergeben. Ueber den Unterhalt der Armee wird man beſonders überein kommen . Die Dauer der Beſetung iſt vorläufig auf fieben Jahre feſtgeſtellt, doch kann dieſer Zeitraum nach Umſtänden abgekürzt werden . Nachher wers den die Verbündeten jedenfalls Frankreich räumen und alle Pläße wieder an Ludwig XVIII. oder ſeine geſetzmäßigen Erben und Nachfolger zurück geben. " Da man bei Feſtſtellung dieſer Grenze bald den Beſitſtand von 1790, bald den von 1792 als maßgebend betrachtet hatte , ſo darf es nicht Wunder nehmen , daß bei Ermangelung einer feſten Regel von Seiten Frankreichs der Verſuch gemacht wurde mehrere wichtige Ab änderungen zu feinen Gunſten durchzuſeßen , namentlich die Abtretung Die franzöſiſchen Commiſſarien, der feſten Plätze zu verweigern. der Fürſt von Benevent , der Baron Louis und der Herzog von Dal berg , trugen auch nicht das geringſte Bedenken die Vertreter der Großmächte dadurdy in Verlegenheit zu ſetzen , daß ſie in einer ſchon am 21. Sept. überreichten Antwort deren Bedingungen verwarfen, und dies unter Bezugnahme auf die von den Verbündeten gegen Napoleon erlaſſenen Erklärungen und die Aufnahme Ludwig '& in den Nadi gegen Napoleon geſchloſſenen Bund zu rechtfertigen ſuchten. kurzer Aufzählung der an Frankreich geſtellten Forderungen und der Verſicherung, daß der König den Abſchluß einer Vereinigung fehn lich wünſdie, ſprachen ſie ſich in folgender Weiſe aus :

394 Der Mangel eines gemeinſamen Richters , welcher Anſehen und Macht befißt, um die Streitigkeiten der Souveräne zu ſchlichten , läßt ihnen , wenn ſie ſich nicht gütlich verſtändigen können , nichts übrig , als die Entſchei bung dieſer Streitigkeiten dem Looſe der Waffen anheimzuſtellen , und jo tritt der Kriegszuſtand unter ihnen ein . Wenn hierbei nun Beſitungen des Einen von den Streitkräften des Andern beſeßt werden , ſo erwirbt dieſer durch das Eroberungsrecht ihren Nießbrauch für die ganze Zeit , wo ſie in ſeiner Gewalt bleiben bis zur Wiederherſtellung des Friedens . Er iſt berechtigt als Bedingung zu fordern , daß die Gebiete, die er befeßt hält, ihm ganz oder theilweiſe abgetreten werden , und findet die Abtretung ſtatt, ſo wird der Nießbrauch zum Eigenthume , der einfache Beſiger zum Sou verän. Dies iſt eine Erwerbsart, zu welcher das Völkerrecht die Ermäch tigung giebt. Aber der Kriegszuſtand, die Eroberung und das Recht Ges bietsabtretungen zu fordern ſind Dinge, welche in ihrer Entwickelung von einander dergeſtalt abhängen , daß das Erſte das Zweite , und dieſes das Dritte unbedingt vorausſeßt. Denn außerhalb des Kriegszuſtandes kann keine Eroberung gemacht werden , und da, wo Eroberung nicht ſtattgefunden hat , oder nicht mehr ſtattfindet, iſt ein Recht Gebietsabtretungen zu verlan gen nicht vorhanden , weil man nicht verlangen kann etwas zu behalten , was man gar nicht, oder nicht mehr hat. Eroberung außer dem Kriegszuſtande findet nicht ſtatt, und wie man einem , welcher nichts hat , nichts nehmen kann , ſo kann man nur von dem erwerben , der etwas beſißt, woraus folgt, daß , um eine Eroberung möglich zu machen , der Eroberer den Beſitzer befriegen müſſe , das heißt den Souverän , indem das Beſißrecht eines Landes und die Souveränetät untrennbare , oder vielmehr ein und bieſelben Dinge ſind. Wenn man alſo in einem Lande Krieg führt , und zwar gegen eine mehr oder minder große Anzahl von Einwohnern dieſes Landes , unter de nen jedoch der Souverän ſich nicht befindet , ſo bekriegt man nicht das Land, indem lekterer Ausdruck nur eine Redefigur iſt, vermöge deren das Beſikthum an die Stelle des Beſiger8 tritt. Nun aber wird ein Souverän von dem Kriege nicht berührt , welchen Fremde in ſeinen Beſißungen führen , wenn ſie ihn anerkennen , und mit ihm in gewohnten , friedlichen Beziehungen ſtehen . Der Krieg wird dann gegen Leute geführt , deren Rechtsnachfolger derjenige, welcher ſie bekämpft, nicht werden kann , weil ſie kein Recht beſißen, und von denen er alſo unmöglich erobern kann , was ihnen nicht gehört . Der Gegenſtand oder die Wirkung eines ſolchen Krieges kann nicht eine Erobes rung, ſondern nur eine Beſchlagnahme ſein ; wer aber etwas in Beſchlag nimmt, was ihm nicht gehört, kann es nur für denjenigen thun , den er als rechtmäßigen Befiter anerkennt. Damit man ſich mit einem Lande im Kriege glauben könne , ohne daß man denjenigen bekriegt , welchen man zuvor als deffen Souverän anerkannte , muß von zwei Dingen nothwendig eines ſtattfinden : entweder muß man aufhören ihn als ſolchen zu betrachten und die Souveränetät auf diejenigen übertragen ' anſehen , welche man Bekämpft , d. h . jene Lehren anerkennen , befolgen und dadurch zum Geſetz erheben , welche ſo viele Throne umgeſtürzt haben , und gegen welche ganz Europa fich hat waffnen müſſen ; oder man muß glauben , daß die Souveränetät eine doppelte ſein könne. Aber ſie iſt ihrem Weſen nach einzig und untheilbar. Sie kann unter verſchiedenen For men beſtehen , mehreren , oder einem einzigen zuſtehen ; aber in einem und demſelben Lande kann es nicht zwei Souveräne geben . Nun haben aber die verbündeten Mädyte weder in jenem Sinne , noch in dieſem gehan delt , in keinem von beiden . Sie haben das Unternehmen Buonaparte's als das größte Verbrechen , welches von Menſchen begangen werden kann , ja als ein ſolches angeſehen , beffen bloßer Verſuch ihn außerhalb des Böl

393 terrechte ſtelle. Sie haben in ſeinen Anhängern nur Mitſchuldige dieſes Verbrechens erblickt , welche betämpft, unterworfen und beſtraft werden müßten : was unbeſtreitbar die Annahme ausſchließt , daß ſie irgendein Recht haben erwerben , ertheilen oder übertragen können . Die berbündeten Mächte haben nicht einen Augenblid aufgehört Se . allerchriſtlichſte Maj . als König anzuerkennen, und folglich auch die Rechte,welche ihm in dieſer Eigenſchaft zuſtehen . Sie haben keinen Augenblic anfgehört mit ihm in friedlichen und freundlichen Beziehungen zu ſtehen , was allein ſchon die Verpflichtung einſchloß ſeine Nechte zu achten . Sie haben dieſe Ver pflichtung förmlich übernommen , wenn ſie audy in ihrer Erklärung vom 13. März und in ihrem Vertrage vom 25. März nicht deutlich ausgeſprochen iſt. Sie haben ſich noch feſter verpflichtet, indem ſie den König durdi ſeinen Beitritt zu dieſem Vertrage in ihr Bündniß gegen den gemeinſamen Feind aufnahmen ; denn wenn man von einem Freunde nicht erobern kann , ſo kann man es noch weniger von einem Verbündeten. Wende man nicht ein , der König habe nur unter der Bedingung Bundesgenoffe der Mächte ſein konnen , daß er ihnen thätige Beihülfe leiſtete, und dies habe er nicht gethan . Wenn der gänzliche Abfall des Heeres , welcher zur Zeit des Vertrags vom 25. März ichon bekannt war, oder als unvermeidlich betrachtet wurde, ihm nicht ge ſtattet hat regelmäßige Streitkräfte wirken zu laſſen , ſo ſind doch ſowol die Franzoſen, welche in der Zahl von 60 bis 70000 in den weſtlichen und ſüdlichen Departements die Waffen für ihn ergriffen , als auch diejenigen, welche, indem ſie ſich hierzu bereit zeigten , den Machträuber in die Nothwen digkeit verſetzten ſeine Streitkräfte zu theilen , endlich diejenigen , welche nach der Niederlage von Waterloo Napoleon , ſtatt ihm Unterſtüßung an Mann ſchaft und Geld , die er verlangte , zu gewähren , nichts anderes mehr übrig ließen , als allen Widerſtand aufzugeben, für die verbindeten Mächte ſehr wirkſame und nügliche Helfer geweſen. Endlich haben die verbündeten Mächte in dem Maße , als ihre Streitkräfte in den franzöſiſchen Provinzen vorrückten, daſelbſt das Anſehen des Königs wiederhergeſtellt , welche Maßregel die Erobe rung würde haben aufhören laſſen , wenn dieſe Provinzen wirklich erobert ge weſen wären . Es iſt alſo augenſcheinlich , daß die Forderung von Gebiets abtretungen nicht auf das Eroberungsrecht gegründet ſein kann. Ebenſo wenig fann man ſich auf die von den verbündeten Mächten gemachten Aus gaben berufen , denn wenn es gerecht iſt, daß die Opfer, zu denen ſie durch einen für das allgemeine Beſte unternommenen Krieg , welcher jedoch Frank reidh zunächſt zu Gute fam , gezwungen waren , nicht unerſett bleiben , ſo iſt es ebenſo geredyt, daß ſie ſich mit einer der Natur des Opfers ange meſſenen Entſchädigung begnügen; Opfer an Gebiet haben aber die verbün deten Mächte nicht gebracht. Wir leben in einer Zeit , wo es mehr , als in jeder andern darauf an kommt das Vertrauen in das Wort der Könige zu befeſtigen . Abtretungen, welche man Sr. allerchriſtlichſten Majeſtät abforderte , würden die entgegen geſeßte Wirkung hervorbringen nach der Erklärung, durch welche die Mächte verkündet haben , daß ſie ſich nur gegen Buonaparte und deſſen Anhänger bewaffneten , nach dem Vertrage , durch welchen ſie ſich verpflichtet haben die Unverleßlichkeit des Vertrags vom 30. Mai1814 gegen jeden Eingriff aufrecht zu erhalten dieſe kann aber nicht aufrecht erhalten werden , wenn die Unverleßlichkeit Frankreichs nicht gewahrt bleibt — , endlich nadi den Be kanntmachungen ihrer oberſten Generale, worin dieſelben Zuſicherungen wie derholt ſind . Abtretungen , welche man Sr. allerchriſtl. Maj. abforderte, würden ſie außer Stand ſetzen gänzlich und für immer bei ihren Völkern jenen Geiſt der Eroberung zu beſeitigen , welcher, von einem Machträuber angefacht, ſich unfehlbar an dem Wunſde wieder entzünden würde das wieberzuerlangen, von deſſen gerechtem Verluſte Frankreich fich nie würde

396 Die Sr. allerchriſtl. Maj. abverlangten Abtretungen überzeugen fönnen . würden ihr als Verbrechen angerechnet werden , als ob ſie damit die Hülfe der Mächte erkauft hätte ; ſie würden ein Hinderniß für die Be feſtigung der königlichen Regierung ſein , welche ſo wichtig für die rechtmä bige Dynaſtie und ſo nothwendig für die Ruhe Europas iſt, inſofern dieſe von der innern Ruhe Frankreichs abhängt. Endlich würden Sr, allerchriſtl. Mai: abverlangte Abtretungen jenes Gleichgewicht zerſtören , oder mindeſtens beeinträchtigen , welchem die Mächte ſo viele Opfer , Anſtrengungen und Sorgen geweiht haben. Sie haben be ftimmt, welche Ausdehnung Frankreich behalten ſolle. Wie könnte das, was ſie vor einem Jahre für nothwendig hielten , bereits aufgehört haben es zu ſein ? Es giebt auf dem Feſtlande Europas zwei Staaten , welche Frant reich an Umfang und Bevölkerung übertreffen. Ihre beziehentliche Größe würde in demſelben Verhältniſſe wachſen, als Frankreichs Größc an fich verringert würde. Wäre dies dem Intereſſe Europas angemeſſen ? Würde dies den Intereſſen jener beiden Staaten ſelbſt in ihren gegenſeitigen Bes ziehungen zueinander entſprechen ? Wenn in einer kleinen Demokratie des Alterthums das verſammelte Volk , als es vernahm , daß einer ſeiner An führer eine ſehr vortheilhafte, aber ungerechte Sache ihm vorzuſchlagen habe , den einſtimmigen Ruf ertönen ließ , es wolle nicht einmal wiſſen , worin die Sache beſtände; wie kann man daran zweifeln , daß die Monarchen Europas einmüthig ſeien in einer Sache, wo das Ungerechte zugleich verderblich ſein würde ? Doch wird Se. Maj. ungeachtet der Unzuträglichkeiten , welche unter "den gegenwärtigen Umſtänden mit jeder Gebietsabtretung verbunden ſind, in die Wiederherſtellung der alten Grenzen auf den Punkten einwilligen, wo das alte Frankreich durch den Vertrag vom 30. Mai einen Zuwachs erhal ten hat. Sie wird gleichfalls in die Zahlung einer Entſchädigung willigen , welche ihr die Mittel übrig läßt den Verwaltungsbedürfniſſen des König reichs zu genügen , und es ihr nicht unmöglich macht zur Wiederherſtellung der Ordnung und Ruhe zu gelangen , die doch der Zweck des Krieges geweſen iſt. Sie wird auch in eine einſtweilige Befeßung willigen. Deren Dauer , die Zahl der Feſtungen und der Umfang des zu beſeßenden Landes werden Ge genſtände der Unterhandlung ſein ; aber der König fteht nicht an ſchon in dieſem Augenblicke zu erklären , daß eine ſiebenjährige Beſetung, als durchaus un verträglich mit der innern Ruhe des Königreichs, gänzlich unzuläſſig iſt. Alſo willigt der König im allgemeinen : in Abtretungen von Ge biet , welches nicht zum alten Frankreich gehörte, in die Zahlung einer Entſchädigung, in die einſtweilige Befeßung, welche hinſichtlich der Anzahl der Truppen und des Zeitraumes feſtzuſtellen iſt. Se. Maj. ſchmeichelt ſich , daß die Souveräne, ihre Verbündeten , ein. willigen werden die Unterhandlung auf dieſe Grundſäte zu ſtützen , ſowie bei Beredinung des Maßes den Geiſt der Gerechtigkeit und Billigkeit, welcher ſie belebt, walten zu laſſen ; dann wird die Uebereinkunft ſchnell zu gegenſeitiger Befriedigung abgeſchloffen werden können . Wenn jedoch dieſe Grundlagen nicht angenommen werden , ſo finden ſich die Unterzeichneten außer Stande andere anzuhören oder vorzuſchlagen .“ 1) Diefe vom Staatsrathe de Labesnardière geſchickt abgefaßte Dent ſchrift iſt das Gegenſtück zu derjenigen , durdy welche Humboldt die

1) v. Gagern , v , 2 , 155 – 167.

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aus den Erklärungen der Verbündeten gezogenen nachtheiligen Fol Seine Aufgabe war gerungen zu entkräften unternommen hatte. weit leichter und dankbarer , als die bes Letzteren , welcher mühſam nachweiſen mußte, daß die wirklichen Verhältniſſe den von den Ver bündeten wider beſſeres Wiſſen angenommenen Verhältniſſen ebenſo wenig , als die aus dieſen gezogenen Folgerungen einem vernunft gemäßen Staatsrechte entſpracen. Labesnardière dagegen brauchte nur die aus den Erklärungen der Verbündeten von ſelbſt ſich er gebenden Folgerungen zu ziehen . Er brauchte ferner nur die nicht von der königlichen Regierung, ſondern von einigen ihrer Anhänger ge machten und ſchon vor dem Beginn des Kriegs unterdrückten Ver ſuche dem zurückgekehrten Kaiſer zu widerſtehen , die Unluſt der Fran zoſen einen hoffnungsloſen Krieg fortzuſeßen , ſowie die Verſuche des Rönigs zu einer thätigen Mitwirkung zum Sturze Napoleon's etwas auszuſchmücken , hauptſächlich aber auf die legitimiſtiſchen Grundſätze der verbündeten Höfe fid) zu beziehen , um ſeinen Zweck zu erreichen . Die Denkſchrift Labesnardière's war das legte öffentliche Acten ftück, welches Talleyrand unterzeichnete. Aue feine der Sache der Bourbonen geleiſteten Dienſte konnten ebenſo wenig ihn gegen den þaß der vom Grafen von Artois geleiteten Ultraroyaliſten ſchüßen, als Fouché, welcher ſeine Stelle als Polizeiminiſter verlor und durch Uebertragung eines Geſandtſchaftspoſtens aus Frankreid entfernt wurde. Nachdem Taleyrand die Friedensunterhandlungen ſo weit geführt hatte, daß der Unterzeichnung des Friedensvertrags wenig mehr im Wege ſtand, wurde an ſeiner Statt der Herzog von Richelieu Mi niſter der auswärtigen Angelegenheiten. Man hat bezweifeln wollen , daß der großmüthige und chriſtlich geſinnte Kaiſer Alexander an dem Sturze Talleyrand's Antheil ge habt , weil er ſich äußerlich gegen denſelben benahm , als habe er ihm ſein feindſeliges Benehmen in Wien berziehen , und weil beide hinſichtlich der beim Friedensſchluſſe zu befolgenden Grundfäße der = felben Anſicht waren . Allein nie war ein ſtärkerer Anzeichenbeweis für das Gegentheil vorhanden. Rache und Eigennut find ſo mäch tige Beweggründe menſchlicher Handlungen , daß man aus der mög lichen Befriedigung ſchon eines einzigen dieſer Triebe auf den un bekannten Urheber einer That zu ſchließen ſich für berechtigt hält. Im vorliegenden Falle gereichte der Miniſterwechſel nicht nur zur Genugthuung und zum Vortheile Alexander's, ſondern es kann auch nicht als Zufall betrachtet werden , daß gerade der Herzog von Richelieu Taleyrand '& Nachfolger wurde , welcher elf Jahre lang in

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Odeſſa als ruſſiſcher Generalgouverneur dem Kaiſer Alexander die erſprießlichſten Dienſte geleiſtet hatte , und ihm äußerſt ergeben war . Der Haß der Ultraroyaliſten gegen Talleyrand , ben abtrünnigen Biſchof von Autun , den Revolutionär ,

welder,

nachdem

er der

Republik und dem Kaiſerreiche gedient hatte, als einer der Urheber der franzöſiſchen Verfaſſung die völlige Wiederherſtellung der Zu ſtände vor der Revolution verhinderte, gab dem Kaiſer von Rußland einen unwiderſtehlichen Hebel in die Hand den ihm mißliebigen Mann zu beſeitigen , ungeachtet derſelbe das von ihm jeßt idhulgerecht ge rittene Roß der Legitimität ſo ergöglide Sprünge machen ließ. Indem Ludwig XVIII. dem Andringen der Royaliſten nachgab, und den von dieſen gehaßten , ihm ſelbſt trop der ihm geleiſteten

Dienſte nicht angenehmen Miniſter entfernte, erkaufte er zugleich damit Rußlands entidheidenden Beiſtand zu noch größerer Milderung der Friedensbedingungen. Rußland und England wetteiferten mit einander in dienſtwilliger Ergebenheit, um Frankreichs Freundſchaft zu gewinnen , welche bei dem verſchiedenen Intereſſe beider Ne benbuhler doch nur von einem derſelben ausgebeutet werden konnte. Talleyrand war für Frankreichs Einverſtändniß mit England und Deſterreich; folglich mußte das Ziel der ruf fiſden Diplomaten darauf gerichtet ſein ihn durch einen Rußland günſtigen Miniſter zu erſeßen , und hierzu konnte keine paſſendere Perſönlichkeit gefunden werden , als der durch ſeine legitimiſtiſchen Verbindungen einflußreiche, durd Dankbarkeit an den Kaiſer Aleran der gefeſſelte Herzog von Richelieu. Die nochmalige Milderung der Friedensbedingungen war das erſte Unterpfand der ruffiſchen Freundſdhaft. Die engliſchen Staatsmänner ſahen nun erſt, als es zu ſpät war , ein , wie vergeblich ſie ſich bemüht hatten ihrem ſchlauen , durch alle Verhältniſſe begünſtigten Nebenbuhler den Vorrang beim fran zöſiſchen Hofe ftreitig zu machen. Umſichtigere und dharaktervollere Männer hätten dies gar nicht verſucht. Pitt hätte die Pfiffigkeit verachtet, mit welcher Caſtlereagh, durch anſcheinend günſtige Um ſtände verführt, um Frankreichs Gunſt warb und durch dynaſtiſche Freundidaft den ungebändigten þaß zweier Völker zu zügeln, den natürlichen Lauf der Dinge verändern zu können wähnte . Pitt würde in Uebereinſtimmung mit der unendlichen Mehrheit des bris tiſchen Volke den Frieden Europas durch Schwächung des frieben ſtörenden Frankreichs zu ſichern beſtrebt geweſen ſein. Er würde die diesfallſigen Anträge der preußiſchen, deutſchen und niederländi

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fchen Bevollmächtigten unterſtüßt und dem verſchlagenen , aber fraft voller Handlungsweiſe unfähigen Metternich nur die Wahl gelaſſen haben offen Deutſchland zu befehden , oder in die von dieſem ge wünſchte, ihm Sicherheit verbürgende Grenze zu willigen . Er würde durch alles dieſes vielleicht ſogar bewirkt haben , daß Kaiſer Aleran der , ſtatt in weiter Ferne liegende Erfolge des Ehrgeizes vorzube reiten, es vorgezogen hätte ſich den gegenwärtigen Dank ſeiner Schweſter, der künftigen Königin von Würtemberg , dadurch zu verdienen , daß er ihr den Elſaß als Brautſchaß verſchaffte. Jedenfalls hätte jener große engliſche Staatsmann fich lieber der Möglichkeit ausgefegt in einem ſol chen, dem wohlverſtandenen Intereſſe ſeines Vaterlandes, ja ganz Euro pas entſprechenden Unternehmen zu unterliegen, als mit Rußland einen ebenſo unrühmlichen , als hoffnungsloſen Wettſtreit um Frankreichs Gunft zu beginnen . Lag dodh in dieſer djarakterloſen Sandlungs weiſe eine thatfädliche Verurtheilung der bisherigen Politik Englands, von der es nur in der ſchmachvollen Zeit Stuart'ſcher Herrſchaft abgewichen war ; und es war eine ſonderbare Laune des Zufalls, daß der engliſche Miniſter , welcher zuerſt wieder in ähnlicher Weiſe handelte , denſelben Namen trug , wie jene , verdientem Mißgeſchide unterlegene Königsfamilie. Wie verderblich dieſes Abweichen von der wohlerwogenen Politik ſeiner Väter geweſen iſt, hat das engliſche Bolt jeitdem nur zu oft zu erkennen Gelegenheit gehabt. Möge daſſelbe und ſeine Leiter durch die gewonnene Erfahrung fähi ger geworden ſein zu unterſcheiden , wen das Schickſal ihm zum Freunde , wen zum Gegner beſtimmt! Die Denkſchrift labesnardière's war den Begünſtigern Franf reidys im Rathe der Verbündeten deshalb unbequem , weil ſie aus ihren eigenen Grundſäßen und Handlungen in folgerichtigen Sdlüf= ſen zu Ergebniſſen gelangte , die jenſeit der von ihnen ſelbſt ge ſtedten Grenze lagen , und hierdurch zugleich weit mehr , als die Widerlegungsſdriften Humboldt's und ſeiner Geſinnungsgenoſſen die Ungereimtheit ihrer Grundfäße und Handlungen augenfällig machte. Hatte doch labesnardière ſich erfühnt in Abrede zu ſtellen , daß ein Krieg im ſtaatsrechtlichen Sinne gegen Frankreich geführt worden ſei, weshalb es eigentlich eines Friedensſchluſſes gar nicht bedürfe, da der Friedensvertrag vom 30. Mai 1814 noch zu Recht beſtehe, und ein diesfalſiges einfaches Anerkenntniß genüge . In den mör deriſchen Schlachten, wo die Blüte des franzöſiſchen Volks die ver bündeten Heere mit äußerſter Erbitterung bekämpft hatte , erblicte der franzöſiſche Hof alſo nur Kämpfe gegen die mitſchuldigen

An

400

hänger eines großen Verbrechers, burch welche

die

friedlichen und

bundesfreundlichen Beziehungen des Königs von Frankreich zu den verbündeten Mächten nicht aufgehoben worden wären , weil Lekterer jal nicht in den Reihen des franzöſiſchen Heeres geſtanden habe. Der franzöſiſchen Denkſchrift zufolge war ein franzöſiſcher Staat ohne Ludwig XVIII. undenkbar , Frankreich deſſen Eigenthum und ſelbſt deffen Beſißentfeßung ohne rechtlidye Wirkung. lInter Verwechſelung des Rechts auf den Beſit mit dem Beſige ſelbſt wurde der nidt beſigende Ludwig beſſenungeachtet trachtet. Derartiger legitimiſtiſcher hindert , daß Frankreich unter der Europa Gefeße vorgeſchrieben , und

als fortwährender Beſiger be Aberwiß hatte freilich nicht ver Republik und dem Kaiſerthume daß der ſogenannte Rönig von

Frankreich wie ein Privatmann von fremder Unterſtüßung gelebt hatte . Er würde trop feines geträumten Beſites wieder hierzu ge nöthigt worden ſein , wäre Napoleon Sieger geblieben . Nur der Sieg hatte die Verbündeten davor bewahrt , daß ſie nicht wie früher den Beſitz ihrer Staaten ganz , oder theilweiſe verloren. Es war daher widerſinnig zu behaupten : ſie hätten nur das Recht Entſcha digung für die Kriegskoſten zu verlangen , nicht aber , zur Verhütung ſolcher Gefahr für die Zukunft und damit daſſelbe nidt von Neuem unter einem kriegeriſchen Häuptlinge das politiſche Daſein ſeiner Nach barn gefährde , Frankreiche Grenzen zu fdymälern. Im Rathe der Verbündeten fowol, als im franzöſiſchen Cabinete war man ſich alles beſſen auch wohl bewußt.

Allein da die Ver

bündeten die fraglichen Rechtsfictionen zu Erreichung ſelbſtſüchtiger Zwede als Rechtswahrheiten aufgeſtellt und einen entthronten Rönig als verbündeten Souverän behandelt hatten , ſo war es den franzöſiſchen Staatsmännern durchaus nicht zu verdenken, daß ſie dieſe Ungereimthei ten ſo ſehr als möglich im Intereſſe ihres Vaterlandes ausbeuteten. Mit verbiſſenem Aerger ( potteten die in ihrem eigenen Netze gefangenen Diplomaten über Labesnardière's Denkſchrift, und Metter nich, welcher nie ſeinen Namen unter ein geſchickter abgefaßtes Schriftſtück gefett hatte, äußerte zu Gagern höhniſch die Ver muthung: e8 rühre jene Arbeit nicht von Labesnardière, ſondern von deſſen Schweſter her , welche dem þauſe ihres unverehelichten Brus ders vorſtand. Widerlegen konnte und wollte man nicht ſeine Be weisführung , weil man ſonſt genöthigt geweſen wäre auf den Standpunkt Humboldt's fich zu ſtellen , mithin auch die Gerechtigkeit der von dieſem und andern deutſchen Staatsmännern geſtellten For derungen anzuerkennen . Man zog es por die vom franzöſiſchen

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Cabinete aufgeſtellte Anſicht einfach als unhaltbar, die eigene aber als richtig zu bezeichnen und anzukündigen , daß man der leşteren Geltung verſchaffen werde . Demungeachtet blieb der Charakter des abzuſchließen den Friedensvertrags ein ſolcher, als wenn das franzöſiſche Cabinet in ſeiner Erörterung von deſſen rechtlicher Grundlage die Wahrheit geſagt hätte. Die geringen Abweichungen von befagter Grundlage dienten nur dazu dies weniger grell hervortreten zu laſſen, dem ein ſichtigen Forſcher aber die Ueberzeugung zu gewähren , daß weder wahre , noch irrthümliche Grundfäße , ſondern eine ſchlecht ver ſchleierte Widfür die Bedingungen des Friedens dictirt habe. Die Antwort der Großmächte vom 22. Sept. lautete : Die Unterzeichneten haben die Note empfangen , durch welche die Herren Bevollmächtigten Frankreichs auf die ihnen in der Zuſammenkunft am 20. d . M. gemachten Mittheilungen antworten. Sie ſind erſtaunt ge weſen in dieſem Schriftſtücke eine lange Reihe von Bemerkungen über das Eroberungsrecht , über die Natur der Kriege, auf die es anwendbar ſei, und über die Grinde zu finden , welche die Mächte hätten hindern ſollen im gegenwärtigen Falle ſich darauf zu berufen . Die Unterzeichneten glauben ſich um ſo mehr überhoben den Herren Bevollmächtigten Frankreichs in dieſen Erörterungen zu folgen, als keiner der Vorſchläge, welche ſie auf den Befehl ihrer erlauchten Souveräne ges macht haben , um die gegenwärtigen und fünftigen Beziehungen zwiſchen Frankreich und Europa zu regeln ,ſich auf das Eroberungsrecht ftübt, und als ſie ſorgfältig in ihren Mittheilungen alles vermieden haben , was auf eine Beſprechung dieſes Rechtes führen konnte. Indem die verbündeten Höfe die Wiederherſtellung des königlichen Anſehens in Frankreich lange Zeit als den Hauptgegenſtand ihrer Schritte betrachteten , zugleich aber die Ueber zeugung hegten, daß Frankreich nie eines dauerhaften Friedens ſich erfreuen werde , wenn die benachbarten Völker nicht aufhörten ihm gegenüber ent weder bittern Groll , oder fortwährende Beſorgniſſe zu hegen, haben fie den Grundſatz einer geredten Entſchädigung für die gehabten Verluſte und Opfer, ſowie denjenigen einer hinreichenden Bürgſchaft für die künftige Siderheit der benad barten Länder als die geeignetſten betrachtet, um aller Unzufriedenheit, aller Beſorgniß ein Ziel zu ſeßen , und folglich auch als die einzigen wahren Grundlagen eines feſten und dauer haften Uebereinkommens. Nur allein auf dieſe beiden Grundfäße haben die verbündeten Höfe ihre Vorſchläge geſtüßt , und die Faſſung des Entwurfs , welchen die Unter zeichneten die Ehre gehabt haben den Herren Bevollmächtigten Frankreichs zuzuſtellen , gibt ihnen in jedem einzelnen Artikel Ausdruck. Die Herren Bevollmächtigten Frankeichs erkennen ſelbſt den erſten dieſer Grundfäße an, während ſie über den zweiten Stillſdhweigen beobachten . Doch iſt es augen ſcheinlich, daß die Nothwendigkeit der Bürgſchaften für die Zukunft jeßt mehr, oder dringender empfunden wird, als dies zur Zeit der Ünterzeichnung des pariſer Friedensvertrags der Fall war.“ zu ſolchen nichtsjagenden Redensarten waren alſo die Verbün deten genöthigt, um ihre Anſprüche zu begründen, nachdem ſie durch Anerkennung der Bundesgenoſſenſchaft Ludwigʻ8 XVIII. und ihre II. 26

402

Erklärungen , daß fie ein Eroberungsredyt gegen Frankreich nicht geltend machen wollten , ſich die Hände gebunden hatten. Der von ihnen hervorgehobene Grundſaß einer hinreichenden Bürg daft für die künftige Sicherheit der benachbarten Länder konnte, da er durch Gebietsabtretungen , waren ſie auch noch ſo unbedeutend, geltend gemacht werden ſollte , auf nichts anderes , als auf das Er oberungsrecht geſtüßt werden ; denn dieſes beſteht eben in der Befugniß den beſiegten Gegner zu nöthigen , daß er ſeinem Sieger zu deſſen Sicherung gegen fünftige Angriffe Gebietsabtretungen mache. Berlangt man größere Abtretungen , als beſagter Zweck es erheiſcht, ſo wird das Eroberungsrecht mißbraucht, wie dies von Seiten Frankreich bei allen Striegen der Fall geweſen war, welche ſeit zwölf Jahrhunderten ſtets nur zu willkürlicher Ausdehnung der Reichsgrenzen von ihm unternommen wurden . Da die verbündeten Höfe aber ihre dem Völkerrechte ent ſprechende Stellung gegen Frankreich freillig aufgegeben hatten , fo mußten ſie ſich begnügen unhaltbare Behauptungen aufzuſtellen , dem fie unter Eroberungen nur mißbräuchlich vom Sieger Gebietserwerbungen verſtanden wiſſen wollten , während burch Waffengemalt erzwungene Erwerbung, geſchieht ſie zu eigener Sicherheit, nichts anderes als eine Eroberung

in

gemachte doch jede auch nur iſt. Die

Note fuhr fort: Die jüngſten Ereigniſſe haben Beſtürzung und Unruhe in alle Theile Europas getragen . In einem Augenblice , wo die Fürſten und Völker ſich ſchmeichelten nach ſoviel Drangſal endlich einer langen Friedenszeit zu ge nießen , haben dieſe Ereigniffe überall die von einer allgemeinen Bewaff nung unzertrennlichen Störungen , Laſten und Opfer hervorgerufen. Es iſt unmöglich in dem Geiſte der Zeitgenoſſen das Andenken an einen ſolchen Umſturz ſobald zu verwiſchen . Was ſie 1814 zu befriedigen vermochte, vers mag ſie deshalb 1815 nicht mehr zufrieden zu ſtellen . Die Grenzlinie, welche zur Zeit des Vertrags vom 30. Mai die Nachbarſtaaten Frankreichs ficher zu ſtellen ſchien , kann nicht mehr den gerechten, heute von ihnen gemachten Forderungen entſprechen. Frankreich muß ihnen nothwendig ein neues Pfand der Sicherheit bieten . Es muß ſich hierzu ebenſo ſehr aus einem Gefühle der Gerechtigkeit und Billigkeit, als in ſeinem eigenen , wohlver ftandenen Intereffe entſchließen. Denn damit die Franzoſen glücklich und ruhig ſein können, iſt es unerläßlich, daß ihre Nachbarn és aud ſind. Dies ſind die mächtigen Beweggründe, welche die verbündeten Şöfe beranlaßt haben von Frankreich einige Gebietsabtretungen zu verlangen . Der wenig beträchtliche Umfang dieſer Abtretungen , die Wahl der Punkte ſelbft, wo ſie ſtattfinden ſollen , beweiſet hinreidend, daß ſie nichts mit Vergrößerung und Eroberung gemein haben , und daß einzig und allein die Sicherheit der angrenzenden Staaten ihr Gegenſtand ift. Dieſe Abtre tungen ſind nicht derart, daß fie die Ganzheit Frankreichs weſentlich beein trächtigen ; fie umfaffen nur abgetrennte Landſtriche oder ſehr vorgeſchobene Punkte ſeines Gebiete, fie vermögen es in keiner adminiſtrativen oder mili

403 täriſchen Beziehung wirklich zu fchwächen . Sein Vertheidigungsſyſtem wird davon nicht berührt. Frankreich bleibt demungeachtet einer der abgerundet ſten und am ſtärkſten befeſtigten Staaten Europas, einer der reidyſten an Mitteln aller Art , um den Gefahren eines feindlichen Einfalls zu wider ſtehen . Ohne in dieſe wichtigen Erörterungen einzugeben , laffen doch die Herren Bevollmächtigten Frankreichs den Grundſatz der Abtretungen rücſichtlich berjenigen Punkte gelten , welche der Vertrag von Paris dein alten Frank reich binzugefügt hatte. Die Unterzeichneten haben Mühe zu begreifen, wo rauf dieſe Unterſcheidung gegründet ſein könne, und worin unter dem von den verbündeten Mächten aufgeſtellten Geſichtspunkte der weſentliche Unter ſchied zwiſchen altem und neuem Gebiete beruhe. Es iſt unmöglich anzunehmen , daß die Herren Bevollmächtigten Frant reichs bei den gegenwärtigen Verhandlungen die Lehre von der ſogenann ten Unverletzlichkeit des franzöſiſchen Gebiets wieder auftiſchen wollen. Sie wiſſen nur zu wohl , daß dieſe von den Anführern und Apoſteln des revos lutionären Syſtems erfundene Lehre eins der abſtoßendſten Kapitel jenes willkürlichen Geſetzbuchs bildete, welches fie Europa aufdringen wollten. Es hieße jede Idee von Gleichheit und Gegenſeitigkeit unter den Mächten zerſtöųen , wenn man den Grundſaß aufſtellte, daß Frankreich ohne Schwie rigkeit ſich ausdehnen , Provinzen erwerben und mit ſeinem Gebiete vereini gen konnte, ſei es durch Eroberungen oder Verträge, während es allein des Brivilegiums genöſſe niemals etwas von ſeinen alten Beſißungen zu verlieren , weder durch Kriegsunglück, noch durch Staatsverträge, die daraus folgten. Was den legten Theil der Note der Herren Bevollmächtigten Frank reichs anbetrifft, ſo behalten ſich die Unterzeid;neten vor fich hierüber aus führlicher in einer nächſtens ſtattfindenden Beſprechung zu äußern , welche fie die Ehre haben werden den Herren Bevollmächtigten Frankreichs vorzu chlagen . " ) Eine ſo höfliche Sprade war freilich nicht geeignet das fran zöfiſche Cabinet zur Nadiygiebigkeit zu ſtimmen. Auf ſeine Streit kräfte konnte es nicht pochen , denn das hinter die Loire zurück gegangene Heer, welches, weil von Napoleon gebildet, den Bourbonen gegründete Beſorgniſſe einflößte, war großentheils aufgelöſt, und für ein neues königliches Heer waren nur unbedeutende Unfänge vorhanden. Deshalb fuchten die franzöfiſchen Diplomaten , beſonders Talleyrand, in den Verbündeten die Beſorgniß zu erregen , ein allgemeiner Volks aufſtand ſei zu befürchten , wenn nicht ein ehrenvoller Friede zu Stande fäme. Dieſe waren zwar nicht leichtgläubig genug hierauf Gewicht zu legen , allein Rußland und England, welche um die Freundſchaft Frankreiche zu buhlen fortfuhren , ſtellten ſich als ob ſie an die vorgeſpiegelte Gefahr glaubten und empfahlen die größte Mäßigung, als ob man nicht bereits deren zu viel gezeigt hätte . Caſtlereagh ſudste gegen diejenigen ſeiner welche hiermit nicht einverſtanden waren

diplomatiſchen Collegen, Metternich befand ſich

?) v. Gagern , V, 2 , 168-172. Schaumann , Nr. XVII. 26 *

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natürlich nicht unter ihnen -, ſeine diesfallfige Anſicht damit zu rechtfertigen , daß ein Bündniß Rußlands mit Frankreich zu befürch ten ſei , wenn man ſich ſtrenger zeige , als dieſes . Ein þauptgrund ſeiner Nadigiebigkeit, welchen er jedoch verſchwieg, war ſein Beſtre ben den Friedensabſchluß und damit den Zeitpunkt zu beſchleunigen, wo die monatlichen Zahlungen der engliſchen Hülfsgelder für die verbündeten Truppen aufhörten . Darüber , daß dieſer Zeitpunkt noch nicht eingetreten ſei , war man in England ſehr ungehalten . Als daher die ruſſiſchen BevoUmächtigten ſich dafür ausſprachen, daß man auf die Frankreich angeſonnene Abtretung mehrerer feſter Pläße verzichten, und die Kriegsentſchädigung herabſeßen möge, ſtimm ten auch Caſtlereagh und Metternich dafür, und der vereinzelte Wider ſpruch Preußens blieb unter dieſen Umſtänden erfolglos. Auf dieſe unter den Bevollmächtigten der Verbündeten herrſchende Stimmung redineten die franzöfiſchen Staatsmänner bei ihrer Weigerung die Friedensbedingungen , welche die Verbündeten unter ſich vereinbart hatten , anzunehmen , und wie der Erfolg lehrte , täuſchten ſie ſich hierin auch nicht. Je treuloſer Rußland, England und Deſterreich durch ein ſolches Benehmen ihre gegen Deutſchland übernommenen Bundespflichten verlegten , und je hervorragender dabei die vom Kaiſer Alerander geſpielte Rolle war , deſto mehr muß es überraſchen , daß gerade er damals unter dem Namen die heilige Alliance “ einen Re gentenbund ſtiftete, welcher in ſalbungsvoller Sprache die Ausübung chriſtlider Tugend einſchärfte, und daher mit ſeiner eigenen Hand lungsweiſe in ſchreiendem Widerſpruche ſtand. Eine fromm gewor dene , früher ſehr weltlidy geſinnte Livländerin , Juliane von Strüde ner , geborene von Vietinghof, rühmte ſich den Kaiſer Alerander, welcher mit ihr religiöſen Schwärmereien ſich hingab, zu Stiftung dieſes Bundes begeiſtert zu haben. Die Bundesurkunde, welche er am 14/26. Sept. in drei Eremplaren dem Kaiſer Franz und dem Rö nige Friedrich Wilhelm unter feierlicher Rede vorlegte und fodann mit ihnen unterzeichnete, war folgenden , für ein diplomatiſches Schrift ſtück fehr ungewöhnlichen Inhalts :

,, Im Namen der heiligen untheilbaren Dreieinigkeit. Ihre Majeſtäten der Kaiſer von Oeſterreich , der König von Preußen und der Kaiſer aller Reußen haben infolge der großen Ereigniſſe in Europa , welche den lauf der drei leßten Jahre bezeichneten , und beſonders infolge der Wohlthaten , welche es der göttlichen Vorſehung auf die Staaten auszu ſchütten gefiel , deren Regierungen ihr Vertrauen und ihre Hoffnung auf ſie ađein ſeizten , die innige Ueberzeugung erlangt , daß es nothwendig iſt als

405 Leitſtern auf dem von den Mächten in ihren gegenſeitigen Beziehungen ein zuſchlagenden Wege die erhabenen Wahrheiten zu wählen , welche uns die ewige Religion unſeres göttlichen Heilandes offenbart. Sie erklären feierlich , daß die gegenwärtige Urkunde nur den Zweď habe im Angeſichte der Welt ihren unerſchütterlichen Entſchluß zu befunden für ihre Thätigkeit, ſei es in der Verwaltung ihrer betreffenden Staaten, ſei es in den politiſchen Beziehungen zu jeder andern Regierung , lediglich die Vorſchriften dieſer heiligen Religion als Richtſchnur zu nehmen , jene Vorſchriften der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, welche, weit davon entfernt nur auf das Privatleben anwendbar zu ſein die Beſchlüſſe der Fürſten beſtimmen und ihre Schritte leiten ſollen , da ſie das einzige Mittel find menſchliche Einrichtungen zu befeſtigen und ihren Mängeln abzuhelfen. Demzufolge ſind Ihre Majeſtäten über folgende Ar tikel übereingekommen : Artikel 1. In Gemäßheit der Worte der heiligen Schrift , welche allen Menſchen gebieten ſich als Brüder anzuſehen , werden die drei vertragſchlies Benden Monarchen durch die Bande einer wahren und unauflöslichen Freund ſchaft verbunden bleiben , und indem ſie ſich wie Kinder deſſelben Landes be trachten , werden ſie fich bei jeder Gelegenheit überall Unterſtüßung , Hülfe und Beiſtand leiſten . Ihren Unterthanen und Heeren gegenüber ſich als Familienväter anſehend , werden ſie dieſelben in dem Geiſte der Brüder lichkeit leiten , von dem ſie beſeelt ſind , um Religion , Frieden und Gerech tigkeit zu beſchüßen. Artikel II. Demzufolge wird ſowol zwiſchen den bejagten Regierungen, als zwiſchen ihren Unterthanen als einziger Grundſat nur der gelten ſich gegenſeitig Dienſte zu erzeigen , fic in wandelloſem Wohlwollen die gegen ſeitige Zuneigung zu beweiſen , von der ſie beſeelt ſein müſſen , ſich als Glieder eines und deffelben chriſtlichen Volks anzuſehen. Indem die drei verbündeten Fürſten ſich nur als Geſandte der Vorſehung betracten , um brei Zweige berjelben Familie zu regieren , nämlid Deſterreich , Breußen und Rußland , legen ſie das Bekenntniß ab , daß die chriſtliche Nation, die ſie und ihre Völfer ausmachen, in Wirklichkeit keinen andern Herrſcher habe , als denjenigen , welchem allein die Macht gehört , weil in ihm allein alle Schäße unendlicher liebe , Kenntniß und Weisheit fich finden, nämlich Gott, unſern göttlichen Heiland Jeſus Chriſtus , das Wort des Alerhöchſten , das Wort des Lebens . Ihre Majeſtäten empfehlen daher ihren Völkern mit zärt lichſter Sorgfalt, als einziges Mittel jenen Frieden zu genießen , der aus dem guten Gewiſſen entſpringt und allein aushält , ſich jeden Tag mehr in den Grundſätzen und der Ausübung der Pflichten zu befeſtigen , welche der göttliche Heiland den Menſchen offenbart hat. Artikel III. Alle Mächte, welche die heiligen Grundſäte, die den gegen wärtigen Vertrag dictirt haben , bekennen , und anerkennen wollen , wie wichtig es für das Glück der nur zu lange beunruhigten Völker iſt, daß dieſe Wahrheiten fortan auf die menſchlichen Geſchicke allen gebührenden Einfluß ausüben , werden mit ebenſo viel Zuvorkommenheit, als Zuneigung in dies ſen beiligen Bund aufgenommen werden .“ 1) Der Sapft, nad katholiſchem Lehrbegriffe der Statthalter Gottes auf Erden, billigte natürlich nicht einen Bund, deſſen Stifter, abge ſehen davon daß er das weltliche und geiſtliche Oberhaupt des griechiſch - katholiſchen Rußlands war , für ſich und ſeine Bundes - ) De Martens , Suppl. , VI , 656. Die geheimen Artikel der heiligen Alliance find nicht bekannt worden. 3hr Vorhandenſein hat lord Liverpool im Oberhauſe zugeftanden.

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brüder das von erſterem ſelbft fich angemaßte ausſchließliche Recht beanſpruchte im Namen Gottes die Chriſtenheit ſeiner väterlichen Leitung zu unterwerfen, und verweigerte ſeine Unterſchrift. Die Republiken der Vereinigten Staaten von Nordamerika und der Schweiz erkannten innerhalb ihrer Grenzen den Begriff väterlich beherrſchter Unterthanen nicht an , weil es dort nur gleichberechtigte Bürger mit ſelbſtgewählten, zeitweiligen Oberen gab , und traten deshalb der heiligen Alliance nicht bei. Ebenſo wenig durften dies die Könige von Großbritannien und von Frankreid, als Oberhäupter ihrer Staaten thun , deren Ver faſſung dem Fürſten keine väterliche Gewalt einräumte, ſondern nur eine mit ihrem Volfe getheilte Regierungsgewalt. Sie waren jedoch fo höflich für ihre Perſon dem Bunde beizutreten , und die darin ausgeſprochenen frommen Geſinnungen zu geneh migen. Die übrigen Regenten Europas traten dem Chriſtlich - politiſchen Bunde bei , ohne daß ihre Politik den Grundſäten der chriſtlichen Sittenlehre mehr Rechnung getragen hätte, als vorher. Die Völker dagegen machten bald die Erfahrung , daß die Stifter der heiligen Aliance den Bund als ein Mittel betrachteten , um mit gemeinſamier Kraft überall , wo ſie es vermochten , die neuen ſtaatsrechtlichen Grundſäge zu unterdrücken , weldie die franzöſiſche Revolution ins Leben gerufen hatte , jene Grundfäre , die darauf hinausliefen , daß die Völker nicht bloß Pflichten , ſondern auch Rechte befäßen und das Staatsoberhaupt nicht des Landes Herr , Eigenthümer und Nutz nießer, fondern der erſte Diener des Staates ſei. Der Bund jener drei Fürſten , welche verſchiedenen Glaubens bekenntniſſen angehörten , von denen zwei dem eigenen Glaubens begriffe die alleinfeligmachende Kraft zuſchrieben , war nach der öffent lichen Meinung nicht aus der Abſicht hervorgegangen die kirchlichen und ſtaatlichen Verhältniſſe im Geiſte dyriſtlicher Bruderliebe zu ver beſſern , ſondern aus dem Streben die väterliche Gewalt im Sinne des heidniſdyen Roms, welches die Kinder dem väterlichen Willen unbedingt unterwarf, ſich gegenſeitig zu ſichern. Dem Um ſtande, daß die drei Häupter des heiligen Bundes mehr oder min= der große Stücke von Polen befaßen , und dieſes von ihren Re gierungsvorgängern durd, und riſtliche Mittel erworbene Beſitthum , welches die Unbotmäßigkeit der neuen widerwilligen Unterthanen ſehr unſicher machte, zu behaupten wünſchten , ( dhrieb man eine be fondere einigende Straft zu . Die unparteiiſche Geſchichte hat den

407 Bölfern Recht gegeben und nichts Heiliges in der heiligen Alliance gefunden , als dies dem Bunde wilfürlich gegebene Beiwort. Die Erhaltung des europäiſchen Friedens, welche die heilige Al liance vor allem bezweden follte , wäre freilich weit ſicherer erreicht worden , wenn das eroberungsfüchtige Frankreich in der von den deutſchen Staatsmännern empfohlenen Weiſe gehindert worden wäre künftig mit Ausſicht auf Erfolg den Frieden wieder zu ſtören. Dies lag aber durchaus nicht in dem Plane Alerander's , denn wäre auf ſo einfache Weiſe der Friede geſichert worden , ſo hätte es ja der heiligen Alliance nicht bedurft, welche ihrem frommen Stifter als Mittel dienen follte ſeine beiden Bundesbrüder und Nach barn fich wilfährig zu machen . Unbekümmert jedoch um die über fchwenglichen Verheißungen der heiligen Alliance verfolgten die am Friedenswerke zu Baris thätigen Diplomaten ihre bisherigen Ziele. Nach mehreren vorbereitenben , vertraulichen Beſprechungen ver fammelten ſie ſich am 2. Oct. zu einer feierlichen Sißung, um in dem abzufaſſenden Protokolle das endlich gewonnene Ergebniß der Unterhandlungen als Grundlage des Friedens niederzulegen. Ruß land wurde durch Raſumowſki und Capodiſtrias , England durch Caſtlereagh und Wellingtox , Defterreich durch Weſſenberg, Breußen durch Hardenberg und Humboldt , Frankreidy durch Richelieu ver treten . Als Maßſtab für die feſtzuſtellenden Grenzen Frankreiche foute der Stand dienen , in welchem ſie fich im 3. 1790 befanden , ſodaß die jenſeit dieſer Linie liegenden Theile Savohens , Deutſchlands und Belgiens , weldie im 3. 1814 bei Frankreich gelaſſen worden waren , nun von demſelben zu trennen feien. In Bezug auf den franzöſiſch gebliebenen Theil von Savoyen iſt zu bemerken , daß dej fen Wiedererwerbung dem Könige von Sardinien in dem Bertrage vom 9. April 1815 , mittelſt deſſen er bem Bunde gegen Frankreidy beitrat , bereits in Ausſicht geſtellt wurde , während in allen itbrigen derartigen Verträgen eine ähnliche Verheißung nicht vorkommt. In dieſem Falle alſo dachten die Verbündeten allerdings , der gegenthei figen Verſicherungen ungeachtet, an eine auf Koſten Frankreichs zu machende Eroberung. Sie ſollte dazu dienen Piemont und mit ihm das öfterreichiſche Oberitalien vor franzöſiſchen Einfällen beſſer zu fichern.

Wo es galt dieſen Zwed zu erreichen ,

fand Metternich

alle jene Einwürfe unzuläſſig , welche er als richtig anerkannte, wenn es ſich darum handelte Deutſchlands Grenze zu ſichern. Auch

408

Raiſer Alexander war mit dieſer ſowie mit einer andern , ſogleich zu erwähnenden Schmälerung des franzöſiſchen Gebiete einverſtanden . ) Den Verbündeten wurden nämlich ferner die zu Belgien , dem Bisthume Lüttich und Herzogthume Bouillon gehörenden acht Be zirke Gedinne , Beauraing , Florence , Walcourt , Chimay , Beaumont , Merbes le Chateau und Dour nebſt den feſten Legtere Pläßen Philippeville und Marienburg zugeſichert. waren im pyrenäiſchen Frieden ( 1659 ) ) von Spanien an Frankreich abgetreten worden , hingen jedoch mit deſſen Gebiete bis zum Aus Durch jene acht Bezirke brudh der Revolution nicht zuſammen . wurden ſie im F. 1814 zur Abründung der franzöſiſchen Grenze mit Frankreid verbunden , nun aber wieder von demſelben ge ſchieden. Außerdem wurde die von Ludwig XIV. auf deutſch -lothringiſchem Gebiete angelegte Feſtung Saarlouis und Saarbrück, ſowie der bei Frankreich gebliebene Theil des Bezirks Lebad , ferner landau , welches derſelbe ebenfalls erobert und befeſtigt hatte, nebſt dem deut ſchen Landſtriche, durch den es im I. 1814 mit dem franzöſiſchen Gebiete in Zuſammenhang kam, den Verbündeten überwieſen ; ebenſo Verſoix nebſt Gebiet , um den Canton Genf in unmittelbare Ver bindung mit der Schweiz zu bringen. Die Schleifung der Feſtungs werke Hüningens wurde verſprochen , ſowie daß innerhalb des dreimeili gen Umkreiſes von Baſel keine Befeſtigungen angelegt werden ſollten. Von einer Schleifung anderer, nicht die Schweiz, ſondern Deutſoland bedrohender Feſtungen , welche doch Metternich ſogar für noth wendig erklärt hatte, um feinen Widerſpruch gegen die Schmälerung der franzöſiſchen Grenzen zu beſchönigen , war aber nicht mehr die Rede . Nachdem auf dieſe Weiſe die beantragten Gebietsabtretungen beſeitigt worden waren, brachte man es auch glüdlich dahin, daß ſtatt der Sdíleifung der ganzen erſten Feſtungsreihe Frankreichs die Schleia fung Süningens für ausreichend gefunden wurde. Frankreich entſagte ferner feinem Beſaßungsrechte im Fürſten thum Monaco ; dagegen wurde ihm der Fortbeſit von Avignon , Venaiſſin , Mümpelgard und jeder andern fremden Ge biets innerhalb der franzöſiſchen Grenzen von Neuem zugeſichert. Frankreich verpflichtete fich endlich eine Summe von 700 Millionen Francs als Entſchädigung für die Kriegskoſten in näher zu beſtimmenden Friſten zu bezahlen. Eine militäriſche finie, geſtügt -) De Martens , Suppl., VI , 132.

409 auf die im Friedensvorſchlage vom 19. Sept. genannten feſten Plätze, ſolle von einem verbündeten Heere von 150000 Mann, welches auf Frankreichs Koſten zu unterhalten ſei , fünf Jahre hindurdy befest werden ; doch würde nach drei Jahren eine Erörterung darüber 'ſtatt finden , ob jener Zeitraum in Betracht der genügend befeſtigten Ord nung und Ruhe abgekürzt werden könne. Sdließlich wurden Beſtimmungen über die Abfaſſung des Frie densvertrage , über Niederſetzung eines Ausſchuſſes für alle das Bejagungsheer betreffende Angelegenheiten , über die Zahlungsweiſe der Entſchädigungsſumme, und über die Forderungen mehrerer Mächte wegen der unterlaſſenen Ausführung gewiſſer Artikel des Friedensvertrags vom 30. Mai 1814 , ſowie über die Ratification der wiener Congreßacte getroffen . ). Die Ausführung dieſer Arbeiten nahmen den Monat October und zwei Drittel des Monats No vember in Anſpruch . Die förmliche lleberweiſung beſagter von Frankreich im allge meinen bewilligter Abtretungen an die betreffenden Mächte erfolgte erſt in dem Protokolle, welches über die Sißung vom 3. Nov. ab gefaßt wurde . Den Niederlanden wurden jene act ihnen im 3. 1814 vorenthaltenen Diſtricte mit den Feſtungen Marienburg und Philippe ville, Breußen wurde Saarlouis nebſt Zubehör , Deſterreich die von Frankreich im Departement des Niederrheins abgetretenen Landſtridye nebſt landau zugeſichert, und zwar um ſolche zu ſeinen Ausgleichungen mit Baiern oder andern deutſchen Staaten verwenden zu können . Deſterreich verſprach :

1 ) an Preußen Saarburg und andere Theile des Saardeparte ments, welche Frankreich dhon im 3. 1814 abgetreten hatte, 2 ) an effen - Darmſtadt , wegen der von demſelben an Preußen ( das Herzogthum Weſtfalen ), Baiern und Heffen - Homburg gemadsten Abtretungen, das heutige Rheinheſſen , 3) an Baiern , gegen Rüdgabe von deſſen ehemals öſterreichiſchen Provinzen , Landau und die heutige baieriſdie Rheinpfalz ab zutreten. Außerdem wurde Baiern der Anfall der badiſchen Pfalz nach dem Erlöſchen der regierenden Linie des großher zoglich badiſchen þauſes , ein verhältniſmäßiger Antheil an der franzöſiſchen Kriegsſchaßung, eine Militärſtraße durch das badiſche Gebiet von Würzburg nach Frankenthal, und das Be ſagungsrecht in dem

zur Bundesfeſtung

1 ) 8. Gagern , V, 1 , 317 – 322. Schaumann, Nr. XVIII.

beſtimmten Landau

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von Oeſterreid, zugeſichert. Unter Gewährleiſtung dieſer Ver ſpredungen verpflichteten ſich Rußland, England und Breußen alle ihre Mittel anzuwenden , damit Baiern dagegen ſeiner feite Deſterreidy befriedige. Dem ſardinifden Hofe wurde der nach dem erſten pariſer Frieden bei Frankreid gebliebene Theil von Savoyen mit Aus nahme der Gemeinde St. - Julien, welche an den Canton Genf fallen folle, verheißen. Der Artikel IV , in welchem die Vereinigung von Verſoir und einem Theile des Landſtriches Ger mit Genf ausge ſprochen wird , iſt durch folgende Schlußworte merkwürdig: Die Neutralität der Schweiz ſoll auf das Gebiet ausgedehnt werden , welches ſich nördlich von einer Linie befindet, die von udine, einſchließlich dieſer Stadt, mitten durch den See von Annecy und weiter nach dem See von Bourguet bis zur Rhone gezogen wird , und zwar in derſelben Weiſe , wie ſie durch den Artikel 92 der Schlußacte des wiener Congreffes auf die Provinzen Chablais und Faucigny erſtreckt worden iſt.“ 1) Es find oben bei Erwähnung dieſes Artikel bereits die innern Gründe angeführt worden , aus welchen erhellt, daß die Neutrali firung der betreffenden Theile Savoyens zum Beſten der Schweiz, nicht des Königreicis Sardinien ausgeſprochen wurde. Zu ihnen kommt nodi der äußere , aus der Form der Beſtimmung entlehnte Grund hinzu, daß der mit der Ueberſchrift ,,Schweizerbund" ver fehene und nur dieſen betreffende Artikel IV beſagte Neutralitäts beſtimmung enthält, nicht der Artikel v , welcher mit der Ueberſchrift ,,Sardinien " von dieſem allein handelt. Wäre die Neutraliſirung des nördlichen Savoyens aus Rückſicht anf Sardinien angeordnet worden , ſo würde ſie auch in dem daſſelbe betreffenden Artikel aus geſprochen ſein , dies liegt am Tage . Zehn Millionen Francs wurden dem Könige von Sardinien zur Befeſtigung ſeiner Grenze gegen Frankreich , 60 Millionen dem Rönige der Niederlande zu demſelben Zwecke zuerkannt, wogegen der Antheil beider Fürſten an den Entſchädigungsgeldern an Deſter reid, und Preußen überwieſen wurde. Sechzig Millionen Francs follten zur Befeſtigung der deut : fchen Grenze gegen Frankreich verwendet werden ; davon waren 20 Millionen dem Könige von Preußen für den Niederrhein, 15 Millionen dem Könige von Baiern oder einem andern , dem Rheine , Frankreich und Preußen benachbarten Fürſten , 20 Mil lionen zur Errichtung einer vierten Bundesfeſtung, 5 Millionen

1) v. Gagern , V, 1 , 384 — 388 .

411 zur Verſtärkung der Befeſtigung von Mainz beſtimmt. Wer die Koſtſpieligkeit großer Feſtungsbauten fennt, wird einſehen, daß mit dieſen Summen der angegebene Zweck nicht erreicht werden konnte. In der That wußte Federmann , daß damit nur bem Scheine, nicht der Abhülfe eines wirklichen Bedürfniffes genügt wer den ſollte.

In dem Protokolle über die am 6. Nov. gehaltene Sißung, wo über die franzöſiſche Kriegsſteuer von 700 Millionen Francs verfügt wurde , erhielt der König von Spanien 71/2 Million Francs zu dem gleidhen Zwecke für ſeine Grenze zugewieſen . Als Kriegsentſchädigung wurden nachſtehenden Staaten 12/2 Milion Francs zugeſprochen. Auf Spanien , obgleich es im Auguſt mit 80000 Mann in Frankreich hatte einrücken wollen, fielen nur 5 Millionen , auf Portugal 2 Millionen , auf Dänemark Als Grund des 2/2 Million , auf die Schweiz 3 Millionen . für die Entſchädigung dieſer Staaten gewählten niedern Maßſtabes wurbe angegeben , daß die Truppen der erſten drei Staaten den vaterländiſchen Boden gar nicht verlaſſen hatten ; was die Schweiz anlange, ſo feien deren Truppen zwar nur zur Vertheidigung ihrer Grenzen gegen Frankreich beſtimmt geweſen , ſie habe jedoch der gemeinſchaftlichen Sache andere ſehr weſentliche Dienſte geleiſtet. Schweden erhielt gar nichts, weil man von ihm wegen ſeiner ent fernten lage keine Mitwirkung verlangt habe . Die demnach verbleibenden 500 Millionen France. wurden fo vertheilt, daß Deſterreich , Breußen , Ruſland und England je 100 Millionen , alle übrigen dem Bündniſfe derſelben beigetrete nen Staaten zufammen ebenfalls 100 Millionen erhielten,

obſdon

der auf 235000 Mann berechnete Geſammtbetrag ihrer Truppen die von jeder der Großmächte geſtellte Truppenmenge nicht erreicht habe. Dies konnte zwar in Bezug auf Deſterreich, Preußen und Rußland, nicht aber hinſichtlich Englands geſagt werden. Das öſterreichiſche Heer war nämlid) auf 320000 , das ruſſiſche auf 250000 Mann , das preußiſdie einſchließlich der ihm zugewieſenen Truppen einiger kleinen deutſchen Staaten auf 310000 , das engliſche unter Finzu : rechnung der mit ihm vereinten niederländiſchen , hannoverſchen und braunſchweigiſdyen Truppen auf 128000 Mann veranſchlagt wor= den. Auf jeden Soldaten famen demnach 425 Francs und einige Sentimes. Endlich hatte Frankreich durch eine beſondere Militärconvention fidh verpflichtet für den Sold und andere Bedürfniſſe des zur Be

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feßung Frankreich beſtimmten verbündeten Heered 50 Millionen France zu zahlen. Die Bertheilung dieſer Summe wurde fo ver einbart, daß Deſterreich, Preußen, England und die übrigen Staaten, welche Truppen zu dem Beſaßungsheere ſtellten , als eine Geſammt heit betrachtet, je 10,714285 Francs 71 Centimes , Rußland dagegen nur 7,142857 France 16 Centimes erhalten ſollten. Zum Bes ſagungsheere ſtellten die vier Großmächte je 30000 , Baiern 10000 , Würtemberg , Dänemark , Hannover und Sachſen je 5000 Mann. Als eine charakteriſtiſche Sonderbarkeit iſt zu bemerken , in wel der Weiſe man es zu bemänteln ſuchte, daß die Summe von 200 Millionen France , die urſprünglich zu Befeſtigung der an Frankreiche Oſtgrenze ſtoßenden Länder beſtimmt war, durch Herab ſegung der Frankreich auferlegten Kriegsſchagung von 800 auf 700 Millionen France , ſehr weſentlid) verringert und Deutſchland alſo abermals benachtheiligt worden ſei . Man ſchäşte nämlich den Werth der Feſtung Saarlouis willkürlid) auf 50 Millionen France , und meinte , zu den von jenen 700 Millionen zu Anlegung von Feſtungs werken verwendeten 1371/2 Million müſſe man den Werth der Feſtungswerke von Saarlouis , alſo 50 Millionen hinzurechnen, wodurch 1871/2 Million Francs (es fehlten alſo nur 124/2 Million an 200 ) der Befeſtigung der Grenze zugute kämen . Man hat ſich aber nicht ſowol über die ungeheuere Uebertreibung in der Ab ſchätzung einer ſo mittelmäßigen Feſtung wie Saarlouis, als darüber zu wundern , daß nicht auch Landau , Marienburg und Philippeville in gleicher Weiſe abgeſchäßt wurden, um hierdurch den Ausfall von 112/2 Million wegzuvernünfteln. Die Entſchädigung für die der hamburger Bank in den Jahren 1813 und 1814 entnommenen Gelder , wegen welcher im erſten pariſer Frieden Anordnung einer Unterſuchung zugeſagt worden war, wurde durch die Verhandlungen über den zweiten pariſer Frieden nur vorbereitet . Erſt am 27. Oct. 1816 wurde zwiſchen Frankreich und der Stadt Hamburg ein Vertrag abgeſchloſſen , durdy welchen beſagte Entſchädigung auf 10 Millionen France feſtgeſtellt und das für eine Renteneinſdyreibung von 500000 Francs auf das große Budy der öffentlichen Schulb, und zwar auf den Namen des Senators Sillem lautend, gewährt wurde. Frankreich verpflichtete ſich davon Zinſen zu 4 Brocent vom 20. Nov. 1815 bis zum 22. März 1816 mit 134784 Fr. 52 Cent. ſowie die rüdſtändigen Zinſen der Renten verſchreibung vom 22. März bis 22. Sept. 1816 im Betrage von

413 250000 Fr. baar zu bezahlen , wogegen Hamburg auf alle weitere diesfallſige Anſprüche Berzicht leiſtete. ) Nad Erledigung aller Nebengeſchäfte wurde der Friedensver trag auf obigen Grundlagen abgeſchloſſen , und am 20. Nov. 1815 Außerdem enthielt er noch zwei Zuſatartikel. In unterzeichnet. dem erſten wurde dem engliſchen Cabinete die Verſicherung ertheilt, Frankreich werde mit ihm ohne Zeitverluſt wegen einer vollſtändigen allgemeinen Unterdrückung des Negerhandels das Nöthige verab reden ; in dem zweiten wurde gegen Rußland die Ungültigkeit des Vertrags von Bayonne nochmals anerkannt, und die unverzügliche Ordnung der gegenſeitigen Forderungen des Herzogthums Warſchau und Frankreichs durch beiderſeitige Commiſſarien in Warſchau ver heißen . ) Es war mithin dem franzöſiſchen Cabinete durch geſchickte Be nußung der ihm günſtigen Umſtände gelungen nicht nur eine Er mäßigung der Kriegsſchaßung um 100 Millionen zu erlangen , ſon dern ſich auch in dem Beſitze der Feſtungen Condé , Givet und Charlemont , ſowie der Forts Four und Ecluſe zu behaupten . Der Beſit der legtern hatte die nun gänzlid, wehr loſe Schweizergrenze vor einem plöglichen franzöſiſchen Einfalle be hüten ſollen. Jeßt war ſie nur durch die von Frankreich anerkannte Neutralität geſchüßt, eine Vertragsbeſtimmung, welche kaum unver leßlicher ſein dürfte, als andere auf ewige Zeiten abgeſchloſſene und dennoch gebrochene Friedensverträge. Die Feſtungen Charlemont und Givet konnte man , da ſie auf einer tief in das niederländiſche Gebiet einſpringenden Landzunge liegend, einen gefährlichen Angriffskeil bilden, auch mit dem beſten Willen nicht als nothwendig für die Ver theidigung des franzöſiſchen Gebiets anſehen . 3m 3. 1680 , zu der felben Zeit wie Landau, war das von farl V. erbaute Charlemont von Ludwig XIV. erobert und durch die Befeſtigung des am rechten Maasufer gegenüberliegenden Givet aus einer Schußwehr Belgiens zu einem furchtbaren Angriffspunkte gegen daſſelbe umgeſchaffen worden. Dennoch wurden beide Feſtungen in Frankreichs Beſitz ge laſſen , und nicht einmal die Schleifung jo drohender Werke ges fordert, indem der Beißſtand von 1790 auch hier als für die Begrenzung maßgebend zu Gunſten Frankreichs gel Gleidywol bildeten die vier Fcſtungen tend gemacht wurde. 1) Mirus , Diplomatiſches Archiv für die deutſchen Bundesſtaaten, Bd. 1 , Abth. 2 ; S. 1494 fg. 2) v . Gagern , V , 1 , 248. De Martens, Suppl., VI , 669_700 .

414 und Landau , welche damals ebenfalls in franzöſiſchem Beſiße waren , die einzigen Ausnahmen dieſer Regel zu Gunſten der Niederlande und Deutſch Marienburg ,

Philippeville ,

Saarlouis

lands , während die Ausnahmen von derſelben zu Gunſten Frank reichs daffelbe, 'wie aus nachſtehender Ueberſicht erhellt, ganz unver hältniſmäßg begünſtigten : Frankreich erwarb nämlich an Quadratmeilen, Einwohnern und Einkünften : Gulden . Q. -Meilen . Einw . 1 ) Avignon und Benaiſſin 2 ) die Stadt Mühlhauſen .

3) Beſißungen deutſder Fürſten , Gra fen und Herren im Elſaß . 4) dergl . Beſitzungen in Lothringen 5 ) Befißungen der katholiſchen Geiſt lichkeit und Ritterorden im Elſaß

200000

1,000000

10000

40000

6034 160000 6 10000

1,049600

45

14

80000

56

120000

548000

zuſammen alſo 168

500000

2,717600

Die von Frankreich im 3. 1815 an die Niederlande und Sardinien abgetretenen landſtriche waren franzöſiſche, erſt ſeit dem Ausbruch der Revolution gemachte Eroberungen , ebenſo wie die im vorſtehenden Verzeichniſſe aufgeführten Beſißungen , deren hier angegebene ſtatiſtiſche Verhältniſſe aus dem 3. 1799 noch weit hinter denjenigen von 1815 zurüdblieben. Das Verzeichniß, welches Hardenberg feiner Denkſdrift vom 8. Sept. beifügte , war nicht mit der nothwendigen Genauigkeit abgefaßt, indem die Bevölkerung viel zu niedrig, der Flächenraum und die Einfünfte gar nicht angegeben waren. Hur durch möglichſte Genauigkeit der Angaben und durch Hervorhebung der ganz unverhältniſmäßigen Begünſtigung Frant reichs bei dieſen Abweichungen vom Normaljahre hätten aber beſſere Bedingungen für Deutſchland erlangt werden können. Allein Harden berg war weit entfernt den Eifer Humboldt's und inefebed'e für die Verbefferung von Deutſchlands Grenze zu theilen. Seine dies falfige Thätigkeit hatte weniger einen zu erreichenden Erfolg, als Dedung ſeiner Verantwortlichkeit im Auge ; zu der Erkenntniß , daß Preußens Vortheil von demjenigen Deutſchlands unzertrennlich ſei, vermochte er ſich nicht emporzufdwingen. Wo Preußens unmittelbares Intereſſe in Frage kam , zeigte er beim zweiten pariſer Frieden wenigſtens mehr Eifer, als während der beiden vorhergehenden Fahre, wo er durd Bernachläffigung der nöthigen Vorſicht demſelben ſehr geſchadet hatte. So bemühte er ſich

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fortwährend, obwol vergeblich , ben niederländiſchen Hof zu bewegen die Feſtung Luremburg mit ungefähr einem Fünftel des gleich namigen Herzogthume an Preußen zu überlaſſen , und dafür die Städte Cleve und Emmerich mit einem in jeder Beziehung ent ſprechenden Gebiete einzutauſchen. Hierdurch würde der an Frank reich grenzende Theil Preußens eine weit beſſere Dedung erhalten haben. Er mußte ſich jedoch damit begnügen , daß Luxemburg zur deutſchen Bundesfeſtung erklärt wurde , unb Preußen den Oberbefehl über die aus drei Vierteln mit Preußen und einem Viertel mit Niederländern zu bildende Beſaßung erhielt. Von dem volkommenen Einverſtändniſſe, welches zwiſchen Deſter reich und England während der Friedensunterhandlungen auch in Beziehung auf des legtern, Deutſchland ſo ſehr benachtheiligende Pos litik herrſchte, zeugt der am 5. Nov. zwiſchen beiden Mädyten unter Mitwirkung Rußlands und Preußen abgeſchloſſene Vertrag , wo durd die Schußherrſchaft über die Foniſchen Inſeln an England übertragen wurde , obſchon dieſelbe zu Wien bereits dem öſterreichiſchen Hofe als ein Zubehör von Venetien zugeſtanden worden war. Frei lich mochte die Abneigung der Bevölkerung und der Mangel hins reidender Seeſtreitkräfte zu Vertheidigung dieſer Inſeln für das öſterreichiſche Cabinet maßgebend fein; allein nichtsdeſtoweniger bleibt das Benehmen Deſterreichs, welches ſich keinen Vortheil für ſeine Nachgiebigkeit ausbedang , ein ſeltener und die politiſchen Ver hältniffe dharakteriſirender Fall .) Wie wenig die verbündeten Großmächte durch den zu Baris am 20. Nov. abgeſchloffenen Frieden Frankreichs Uebergewicht über ſeine Nadybarn für beſeitigt , wie nöthig ſie die Fortbauer außerordent lidher Maßregeln auf unbeſtimmte Zeit hielten , um die durch ihn begründete ſtaatliche Ordnung Europas aufrecht zu halten , be weifet der an demſelben Tage zu dieſem Zwede zwiſchen England , Deſterreich , Rußland und Preußen erneuerte Bundesvertrag. Auch nach Zurüdziehung der zur einſtweiligen Beſeßung Frankreichs verwendeten Bundestruppen follte er forts beſtehen , und ſollte dies von Zeit zu Zeit burd, wiederholte diesfalls fige Erklärungen zu lebhafterem Bewußtſein gebracht werden . erſt vor kurzem zu Wien gemadyte Erfahrung, wie das verſchiedene Intereffe der Mächte ben für denſelben Zweck auf zwanzig Jahre abgeſchloſſenen Bund nach wenigen Monaten bereits auflöſte und 1) De Martens, Suppl. , VI , 663—667.

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deſſen Glieder einander feindlich gegenüberſtellte, hatte die betreffen den Cabinete nicht weiſer gemacht ; ihre Selbſtſucht bewog ſie , trok der von England hervorgehobenen Geneigtheit Rußlands auf Frank reiche Seite zu treten , es darauf ankommen zu laſſen , ob ein eta waiger neuer Verſuch Frankreichs zur Bredjung der Verträge von 1815 fie bereit finden werde einem folchen Unternehmen mit ver ' einten Aräften ſich zu widerſeßen. Die Geſchichte hat ſeitdem von Neuem bewieſen , wie nuglos für die Sicherung ſtaatlicher Verhält niſſe folche Verträge find. In einer ebenfalls am 20. Nov. 1815 von Caſtlereagh, Mets ternich, Capodiſtrias und Hardenberg unterzeichneten Note feşten die Verbündeten den franzöfiſchen Hof davon in Renntniß , daß ſie dem Herzoge von Wellington den Oberbefehl über ihre in Frankreich zu rügbleibenden Truppen übertragen hätten . Obſchon dieſe Maßregel hauptſächlich ihre eigene Sicherheit bezwecke, ſo folle fie doch auch die königliche Gewalt , ohne deren freie Ausübung in irgendeiner Weiſe zu bedyränken , gegen neue Umwälzungen düßen. Da jedoch ein Umſturz unter mannichfaltigen Formen verſucht werden könnte , ſo gebe man dem Herzog von Wellington keine beſondern Verhaltungs befehle, ſondern ſtelle ſeinem Ermeſſen die Art und Weiſe anheim, wie jenes Ziel am beſten zu erreichen ſei . Derſelbe werde im Ein verſtändniſſe mit dem Könige von Frankreich zu handeln ſuchen und von dem Willen der verbündeten Höfe durch regelmäßige Mitthei lungen der Geſandten in Paris in Renntniß geſetzt werden . ) Nie hat ein von der Gnade feiner Sieger abhängender Staat nach muthwilligem Vertragsbruche einen ſo ehren vollen Frieden abgeſchloſſen , wie derjenige war , wel : den Frankreich zu Paris am 20. Nov. 1815 unterzeich nete. Denn es ging aus den Kriegen , die feine Revolution entzündet hatte , obgleich beſiegt, dennoch auf Koſten des ſiegreichen, von ſeinen Bundesgenoſſen verrathenen Deutſchlands mit abgerun detem und bedeutend vergrößertem Gebiete hervor. Nichtsdeſto weniger hielt es der Herzog von Ridjelieu für nothwendig wegen der maßloſen Eitelkeit ſeiner landsleute , die ſich durch denſelben nicht geſchmeichelt fand , das Mißgeſchick eines folchen Friedens in theatraliſchem Tone zu beklagen. ſchrieb er. Alles iſt nun vorüber " ,, Ich habe mehr todt , als lebendig meinen Namen unter dieſen verhängnißvollen Bertrag geſeßt. Ich 1) De Martens , Suppl., VI , 134

140 ,***

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batte mir gelobt es nicht zu thun , und þatte es dem Könige geſagt. Dieſer unglüdliche Fürſt beſchwor mich aber , indem er in Thränen zerfloß , ihn nicht zu verlaſſen, und von dieſem Augenblicke an habe ich nicht mehr ge zögert. Ich habe die Ueberzeugung, daß Niemand es beſſer gemacht hätte, und Frankreich, welches unter der niederbeugenden Laft erlag , forderte ge bieteriſch ſofortige Erlöſung. Sie wird morgen beginnen , mindeſtens ver fichert man es mir , allmählich und unverzüglich wird fie bewerfftelligt werden .“ Solche überſdwenglide Rebensarten finden nur in

dem Um=

ſtande ihre Erklärung, daß die Franzoſen, in einer ſeltenen Begriffs verwirrung, weit entfernt waren das durch ein günſtiges Zuſammen treffen von Umſtänden veranlaßte ſchonende Benehmen ihrer Sieger als ein Glück zu betrachten . Sogar den Umſtand , daß die Ber bündeten die ihnen geraubten und in Baris aufgehäuften Schäße der Runft und Wiffen daft wiebernahmen und in ihre alten Stätten zurückführten , betrachteten ſie als eine unerträgliche Demüthigung.

1

Deutſchland bewillkommte freudig ſeine heimkehrenden Krieger, empfand es aber ſchmerzlich, daß zwar durch unermeßliche Opfer das Joch der Fremdherrſchaft zerbrochen , aber zum zweiten Male die koſtbare Gelegenheit verſäumt worden war der Wiederkehr neuer Eroberungs friege ſeines gewiffenloſen Nachbars vorzubeugen . Verrätheriſches Einverſtändniß ſeiner Bundesgenoſſen mit dem gemeinſamen Feinde hatte Deutſchland die verdiente Frucht blutiger Siege : Wiedervereini gung mit den ihm entfremdeten Stammesgenoſſen und Sicherung ſeiner Grenze durch Wiedererwerbung der in unglüdliger Zeit verlorenen Grenzlande , abermals entriſſen. In England ſpottete man über einen Frieden , für deſſen Dauer man nach den größten Erfolgen keiner beſſern Bürgſchaften fidy rühmen konnte , als die militä rife Befetung des feindliden landes und ein neues Bündniß währten .

zur

Ahndung

fernern

Vertragsbrud eß

ge

Bei der Friedensfeier in London waren nur die öffentlichen Ges bäude und die Wohnungen derer erleuchtet, welche purch ihre Stel lung zur Regierung fich hierzu verpflichtet glaubten. Die Regierungs organe wußten den laut werdenden allgemeinen Unwillen , daß man trots aller theuer erkauften Siege nichts erlangt habe , als einen Zuſtand , der mehr einem Waffenſtillſtande, als einem ge ficherten Frieden gleidhe, nur die unbefriedigende Entſchuldigung ent gegenzuſeßen: es wären leider keine beſſern Friedensbedingungen zu erlangen geweſen. Eine genügende Erklärung dieſer befremdenden Behauptung ward nicht gegeben. II.

27

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In Deutſchland ſuchten bezahlte Federn , vor allen diejenige des feilen Genç, die empörte öffentliche Meinung zu beruhigen und jener auch hier aufgeſtellten Behauptung Glauben zu verſchaffen . Es ge lang zwar Gený ſo ungeſchickte Aeußerungen eines geredyten Zornes, wie Görres ſie im ,, Rheiniſchen Merkur" that , zu widerlegen , nicht aber die nur zu wohl begründete Ueberzeugung des deutſchen Volks von dem erlittenen Unrechte zu erſchüttern . Alle Großmächte außer Preußen und Deutſchland gingen mit abgerundetem und vergrößertem Gebiete aus den friegen hervor , welche die franzöfide Revolution hervorgerufen hatte . Rußland war Finnland , Beſſarabien und der größte Theil des Herzogthums Warſdjau zu Theil worden , England hatte werthvolle Colonien und wichtige militäriſche Stellungen, Deſterreich bei vollkommener Abrundung die Lombardei, Venedig und beſtim menden Einfluß über ganz Italien erhalten , ja das beſiegte Frankreich hatte alle von ſeinen Grenzen umſchloſſenen fremden Gebiete, deren es fich bemächtigt, behalten dürfen. Preußen dagegen war für ſeine polniſchen Länder mit einem Verluſte von 634, nadı Andern 570 Quadratmeilen und mit Verſchlechterung ſeiner militäriſchen Stellung in Deutſch land entſchädigt worden ; Deutſchland hatte nicht nur die ihm zu ſeiner Vertheidigung unerläßlichen Grenzländer von Frankreich nicht wiedererlangt, ſondern demſelben auch alle deutſchgebliebenen Gebiete in Lothringen und Elſaß laſſen müſſen, und ebenſo gegen Rußland durch deſſen Erwerb eines großen Theils des preußiſdien und öſterreichi ſchen Polens eine gefährdete Grenze erhalten. Bei dieſem unglüdlichen Ergebniſſe, welches dem ſiegreich und ruhm voll beendigten Kampfe ſo wenig entſpradı, iſt das Schmerzliciſte, daß weniger Rußlands und Englands offene Bemühungen daſſelbe herbeiführten, als vielmehr, wie gezeigt worden , Deſterreis , des mächtigſten deutſchen Staates verſteckteres Benehmen . Hätte Oeſterreich mit demſelben Eifer wie Preußen für die Herſtellung einer geſicher ten deutſchen Grenze ' gewirkt, ſo würde England aus den angeführten Gründen dies unterſtüßt, ſtatt der entgegengeſetzten Politik Rußlande fidy angeſchloſſen haben , und Rußland allein wäre nicht im Stande geweſen ſeinen deutſchen Bundesgenoſſen den verdienten Siegespreis zu verkümmern. Nachdem der Verſud Deſterreichs mißlungen Elſaß und Lothringen dem eigenen Herrſcherhauſe zuzuwenden , widerſeşte es ſich ihrer Wiedervereinigung mit Deutſchland, weil es in Deutſch lands wehrloſen Grenzen die beſte Bürgſchaft der von ihm erſtrebten Schußherrſchaft über daſſelbe erblickte. Deshalb hinderte es zu Wien nicht, daß Rußland nahezu das ganze Herzogthum Warſchau zuge

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ſprochen erhielt ; deshalb bewirkte es , daß der Elſaß und Deutſch Lothringen , dieſe natürlichen Schußwehren Deutſchlands, unter fran zöſiſcher Botmäßigkeit blieben. Die Erkenntniß der Urſachen, warum uns ein Uebel betroffen hat, hebt freilid, deſſen Folgen nid )t auf , iſt , aber geeignet unſere Auf merkſamkeit zu ſdärfen, ſodaß wir bei Zeiten gerüſtet ſind der Wie derkehr ähnlichen Uebels vorzubeugen . In der politiſd)en Welt iſt kluge Selbſtſucht eine Eigenſchaft, die der Lenker jedes Staates be ſißen muß , um deſſen Wohlfahrt und Madyt zu befördern. Desa halb iſt es zwar dem öſterreichiſchen Cabinete an ſid, nicht zu ver argen , daß es damals um vermeintliden eigenen Vortheils willen Deutſdland, deſſen Intereſſe ein von dem ſeinigen weſentlich ver ſchiedenes iſt, benadytheiligte; allein gehäſſig bleibt es , daß dies unter erheudelten Freundſdyaftsverſicherungen geldjah. Deutſdland hat das gegen das Redt und die Pflicht ſich in Zukunft vor dergleichen Be nadytheiligungen zu wahren . Dies kann nur durch innigen Anſdyluß an Preußen geſchehen , deſſen Intereſſen mit den feinigen in jeder Be ziehung zuſammenfallen , weil Preußen eben nur ein Stück von Deutſchland iſt, und beide länder, das einheitlidhe Preußen und das vielgetheilte Deutſchland , burd) inniges Aneinanderſchließen fidy ergänzen und ſo die Bedingung erfüllen , unter welcher allein ſie den ihnen gebührenden ehrenvollen Plat unter den europäiſdyen Staaten einnehmen fönnen . Aud Deſterreich, beſitt deutſde län der , und trägt deshalb , und weil ſein Naiſerhaus ein deutſches iſt, den Namen der erſten deutſchen Großmacht . Allein der Schwer punkt ſeiner Macht, ſeiner Intereſſen liegt außerhalb Deutſdlands, ja ſeine deutſden Bewohner ſelbſt, großen Theils mit Slaven , Magyaren und Waladsen zuſammenwohnend, haben aus dieſem Grunde und wegen einer verſchiedenen gejdhidytlichen Entwidelung nicht die = ſelben Ziele im Auge , wie ihre deutſchen Stammesbrüder. Deutſchlands und Deſterreichs Heil liegt alſo zwar in dem Fortbeſtehen eines unauflöslichen völkerrechtlichen Bundes, weldier dem ſlaviſchen Oſten und dem romaniſchen Weſten bei neuen Eroberungs verſuchen erfolgreich die Spite zu bieten vermag ; allein auch das zwiſchen dem weſentlich deutſchen Preußen und den kleinern deutſchen Staaten beſtehende Bundesverhältniß muß enger geknüpft , und damit dem Wunſche und Bedürfniſſe des deutſchen Volkes genügt werden . Von eroberungsſüchtigen und an Zahl ihm überlegenen Nationen umgeben, kann Deutſchland nur auf dieſe Weiſe ſeine innere Freiheit und äußere Unabhängigkeit bewahren . Auch die Lenker des öſterreichi 27 *

420 fchen Kaiſerſtaats werden wol endlich erkennen , daß ein deutſcher Bundesſtaat unter Breußens Führung ihr natürlicher und nütlich ſter Bundesgenoffe iſt, und daß nur gegenſeitiger Beiſtand gegen die Großmächte des Dſtens und Weſtens Deſterreich und Deutſchland Eine Frucht gegen deren Eroberungsgelüſte zu fichern vermag.

dieſes ungetrennten völkerrechtlichen Bündniffes

würde

für

Defter

reich die langerſtrebte Erwerbung der Donaufürſtenthümer ſein , für Deutſchland die bundesſtaatliche Vereinigung mit dem deutſchen Theile der cimbriſchen Halbinſel. Beides würde im Intereſſe der ſtammverwandten Betheiligten fowol , wie in demjenigen Europas liegen . Denn Deſterreichs Beſiß der Moldau und Walachei würde Rußland hindern durch die Eroberung der europäiſchen Türkei der Zwingherr Europas zu werden . Schleswig - Holſteins Einverleibung in den deutſchen Bundesſtaat würde Deutſdland mit den herr lidhſten Häfen bereichern. In der ſo bewirkten Verbindung des deutſchen Meeres mit der Oſtſee aber würde die faſt unerläßliche Bedingung einer deutſchen Seemacht erfüllt ſein , deren Vorhandenſein wiederum mehr als alles andere geeignet wäre das politiſdhe Gleichgewicht unter den Seemächten zu erhalten. Sollte die Ausſicht auf einen fo herrlichen Preis der Eintracht dieſe nicht endlich herbeiführen , nicht die Zwie tracht enden , welche Deutſdland, den erſten Staat Europas , zu einem geographiſchen Begriffe hinabgebrüdt hat ? Berbindet ſich nur mit der ridtigen Erkenntniß die unermüdliche Beharrlichkeit, ſo wird auch dem Wunſche und dem Bedürfniffe des deutſchen Bolfe volte Befriedigung werden .

Anhang.

7 Beilage

I.

Artifel, welche im Namen der Höfe von Wien, Berlin und Hannover in der Verſammlung der Bevollmächtigten von Oeſterreich, Breußen , Baiern , Hannover, Würtemberg am 16. Oct. 1814 vorgelegt wurden und un beſchadet der ſpäter eingereichten Bundesverfaſſungsentwürfe zur Grundlage der Verhandlungen gedient haben . I. Die Staaten Deutſchlands (mit Inbegriff Deſterreichs und Preußens für ihre deutſchen Länder) vereinigen ſich zu einem Bunde , welcher den Namen des deutſchen führen wird. Jeder Eintretende leiſtet Verzicht auf das Recht fich ohne Zuſtimmung der übrigen davon zu trennen. II. Der Zweck dieſes Bundes iſt die Erhaltung der äußern Ruhe und Unabhängigkeit und der innern Schonung der verfaſſungsmäßigen Rechte jeder Klaſſe der Nation. III. Indem die Bundesglieder zu Erreichung dieſes , auf das Wohl des gemeinſamen Vaterlandes gerichteten Endzwecks zuſammentreten, behalten ſie alle und jede den vollen und freien Genuß ihrer Regierungsrechte , inſoweit dieſelben nicht durch den im vorigen Artikel beſtimm ten Zweck eingeſchränkt , und dieſe Einſchränkungen in der Bundes urkunde namentlich ausgedrüdt ſind. IV . Der Zwed des Bundes wird erreicht a) durch die mit einer Eintheilung Deutſdlands in eine Anzahl von Kreifen verbundene Anordnung einer Bundesverſammlung, welche aus einem Rathe der Kreisoberften und einem Rathe der übrigen Stände beſteht; b) burd den Einfluß , welcher jedem Kreisoberſten nach dem Inhalte der Bundesurkunde und unter der Aufſicht der Bundesverſammlung über Die Stände ſeines Areiſes anvertraut wird. V. Im Rathe der Kreisoberſten erſcheinen : 2 Stimmen , Oeſterreich mit > 2 Baiern 1 Hannover )) 1 Stimme. Würtemberg » Er iſt ununterbrochen in derſelben Stadt verſammelt , entſcheidet nad der Mehrheit der Stimmen , und es werden ſo viele Preiſe gebildet , als Stimmen in deffen Rathe find. Ihm gebührt :

422 a) ausſchließlich und allein die feitung der ausübenden Gewalt des Bundes , die Vertretung deſſelben , da er als ein Ganzes gegen auswärtige Mädyte erſcheinen muß , die Entſcheidung über Krieg und Frieden ; b) zugleich mit dem Fürſten- und Ständerath die Beſorgung der jenigen Gegenſtände, welche den Wirkungskreis dieſes letztern aus machen . VI. Der Kath der Stände beſteht : a) aus einer Anzahl fürſtlicher Häuſer , den Kreisoberſten mit ein gerechnet , mit Virilſtimmen. Dieſe Häuſer würde man nach dem Alter der Fürſtenwürde, dem Glanze der Geſchlechter und der Volksmenge dergeſtalt auswählen , daß außer allen altfürſtliden Häuſern einige neu fürſtliche darin wären, jedoch nur porche, deren Länder in ihren verſchiedenen Zweigen eine Bevölkerung von mehr als 200000 Seelen in ſid, faſſen ; b) aus den übrigen fürſtliden Häuſern und den freien Städten mit Suriatſtimmen . Ihm gebührt aber zugleich mit dem Rathe der Kreisoberſten, jedodi ſo , daß beide in abgejonderten Kammern rathidlagen , die gelebgebende Ger walt des Bundes , und er beſchäftigt ſich daher hauptſächlich mit allge meinen , auf die innere Wohlfahrt gerichteten Anordnungen . Er ver ſammelt fid nur alljährlich ein Mal , und bleibt nur bis zu Ab machung der jedes Mal vorliegenden Geſchäfte beiſammen. VII. Die Kreisoberſten ſind in ihren Rechten vollfommen gleich; nur führt Oeſterreich in beiden Räthen der Bundesverſamm lung das Directorium , worunter jedoch bloß eine formelle Leitung der Geſchäfte zu verſtehen iſt. VIII. Den Kreisoberſten ſteht das Geſchäft zu : a) die Bundesvertretung und die Bundesbeſchlüſſe aufrecht zu erhalten , b) die Hreisverſammlungen zu leiten , c) die hö dy fte Aufſicht über das Kriegsweſen des Kreiſes auszu üben, d) mit ihen Gerichten die leßte Inſtanz für diejenigen Kreisſtände zu bilden , welche nach dem Bundesvertrag nicht ſelbſt eine höchſte Inſtanz haben ſollen . Ihr Verhältniß zu den einzelnen Kreisſtänden wird verſchieben , nach der größern oder geringern Beträchtlichkeit derſelben be ſtimmt, wozu die obige Eintheilung der mit Viril- und Curiatſtimmen be gabten zur Anleitung dienen kann . Die Nedite, welche den Kreisoberſten nach dem Bundesvertrage zuſtehen , üben dieſelben nicht vermöge einer eigenen , mit ihrer Eigenſchaft als Landesherren verbundenen Gewalt , da vielmehr in dieſer Hinſicht alle übrigen deutſchen Stände gleiche Rechte mit ihnen haben , ſondern als Beauftragte des Bundes und vers möge des ihnen von demſelben übertragenen Amtes aus. IX. Um zu verhindern, daß nicht ein einzelner Bundesſtaat die äußere Sicherheit Deutidlands in Gefahr bringen könne , verpflichtet ſich jeder , welcher keine Länder außerhalb Deutſchlands beſigt , keine Ariege für ſich mit auswärtigen Mächten zu führen, noch an ſolchen theilzunehmen , auch ohne Vorbehalt der Zuſtimmung des Bundes keine darauf Bezug habende Bündniſſe, noch Subſidien , oder an dere die lieberlaſſung von Truppen betreffende Verträge ein zugeben . Wenn diejenigen Staaten , welche außerhalb Deutſchlands Länder be ſitzen , in Krieg mit andern Mächten verwickelt werden , ſo bleibt es der

423

Berathung des Bundes überlaſſen auf den Vorſchlag des kriegführenden Theils daran theilzunehmen . X. Die deutſchen Fürſten begeben ſich gleichfalls des Rechts der Betrie= gung untereinander und unterwerfen ihre Streitigkeiten ( inſofern ſie fich nicht durch Aufträg alinſtanz abmachen laſſen ) nach feſtzuſetzender Beſtimmung der zugleich von dem Rathe der Kreisoberſten und einem Bundesgericht zu erlaffenden richterliden Entſcheidung. Das zu dieſem Behufe anzuordnende Bundesgericht ſpricht auch Recht über Klagen , die wegen Verletzung des Bundesvertrags in einzelnen Ländern bei demſelben erhoben werden . XI. Der Bundesvertrag ſetzt die Nothwendigkeit einer ( land - ) ſtändi dhen Verfaſſung in jedem einzelnen Bundesſt a ate feſt, und be ſtimmt ein Minimum der ſtändiſchen Rechte , überläßt es aber übri gens den einzelnen Staaten ihren (Land-) Ständen nicht nur ein Mehreres einzuräumen, ſondern auch ihnen eine der Landesart, dem Charakter der Einwohner und dem Herkommen angemeſſene Einrichtung zu geben. XII. Der Bundesvertrag beſtimmt gewiſſe Rechte , wie z . B. das der Auswanderung unter gewiſſen Beſchränkungen, der Annahme von Krieg 8 = oder bürgerliden Dienſten in andern deutſchen Staaten u.ſ.W., welche jeder Deutſche in jedem deutſchen Staat ungekränkt genießen ſou . Bei den zwei letzten Paragraphen bleibt Deſterreich und Preußen die Berückſichtigung ihrer beſondern Verhältniſſe in Hinſicht ihres größern Umfangs und ihrer Zuſammenſeßung aus Ländern , die nicht zum Bunde gehören , unbenommen.

Beilage

II .

Entwurf einer Verfaſſung des zu errichtenden deutſchen Staaten bundes mit Eintheilung der Bundesſtaaten in Kreiſe. Von den königlich preußiſchen Bevollmächtigten vorgelegt im Februar 1815 .

Borbemerkung . Man hat in dem folgenden Entwurfe zugleich eine ſyſtematiſchere Ord nung , als in den bisherigen Arbeiten herrſchte, zu befolgen geſucht. Um jedoch diejenigen Paragraphen fenntlich zu machen , welche don in Bera thung genommen worden ſind, hat man neben der Zahl der Paragraphen diejenige Zahl bemerkt , welche ſie in dem aus den Conferenzprotokollen ge machten Auszuge führen . ueberſicht der befolgten Ordnung. Allgemeiner Begriff des Bundes § . 1. 2. Bundesverſammlung § . 3 . Erſter Nath derſelben §. 4–17. Zweiter Rath derſelben §. 18—24 . Unter perſonal beider Räthe $ . 25. Kreisvorſteher $ . 26–44. Verhältniſſe ders felben als Beauftragte des Bundes g . 27–39. (Allgemein §. 27-30. Ins beſondere : 1. in Abſicht auf Vollſtreckung der Bundesbeſchlüſſe § . 31. 32 ; 2. das Kriegsweſen 9.33; 3. die Rechtspflege g . 34–39.) Verhältniß der Kreisvorſteher als Directoren der Kreisverſammlung $ . 40–44. Verhältniß der einzelnen Staaten § . 45 ---54 . ( Algemein § . 45. Insbeſondere : 1. in

424 Abficht auf Bas Berhältniß zum Ausland § . 46 ; 2. die Erfüllung des Bundes vertrags und der Bundesbeſchlüſſe $ . 47–49 ; 3. das Kriegsminiſterium §. 50 ; 4. die Rechtspflege; 5. die Beiträge zu den Bundeskoften §. 52-54.) Verhältniß der mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsſtände insbefondere § . 55–79 . Berhältniffe einzelner Staaten gegeneinander 6.80.81. Verhältniß derſelben gegen ihre Unterthanen . 82–97. Bundesgericht §. 98-120 .

Allgemeiner Begriff des Bundes . $ . 1. ( Auszug $ . 1.). Die Staaten des Bundes mit Inbegriff Defterreichs und Breußens für ihre Länder N. N. vereinigen fich zu einem Bunde, weldjer den Namen des deutſchen führen wirð . Jeder eintretende Staat leiftet Verzicht auf das Redit ſich ohne Zuſtimmung der übrigen davon zu trennen . § . 2. (2. ) Der Zwed dieſes Bundes iſt die Erhaltung der äußern Ruhe und Unabhängigkeit und die Siderung der Verfaſſungsmäßigen Rechte jedes Einzelnen , ſowie des Ganzen , nach den in den folgenden $$. beſtimmten Grundfäßen . Bundesverſammlung . 9. 3. (4.) Die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten des Bundes werden durch eine Bundesverſammlung beſorgt, in welcher die Bevollmächtigten aller Mitglieder deſſelben Siß und Stimme haben , und die aus einem erften und zweiten Kath beſteht. Zugleich wirb Deutidland in folgende treije (hier ſind die Namen und Grenzen der Kreiſe einzuſchalten ) abgetheilt , über welche folgende Fürſten ( hier werden die Namen der Kreisvorſteher angegeben ) das Kreisvorſteheramt führen ſollen. Grfter Rath . § . 4. (5. ) In den erſten Rath treten die Bevollmächtigten folgender Staaten zuſammen Die Bevollmächtigten von Oeſterreich und Preußen führen jeder zwei Stimmen , sie der übrigen nur eine Stimme. Wie és , um ein beſtändiges Hebergewicht der vier erſten Stimmen zu verhindern , in dem Falle gehalten werden ſolle , wenn denfelben die drei andern entgegenſtehen würden , beſtimmt $. 8. $ . 5. ( 7 ) Der erſte Rath iſt ununterbrochen in der Stadt N. verſammelt.

$ . 6. (5.) Die von Mitgliedern des erſten Rathes Abgeordneten find als Geſandte zu betrachten , und werden mit Vollmachten und Inſtructionen verſehen .

$. 7. Der vorfigende Bevollmächtigte ift befugt von den an den Rath ein gehenden Sachen Kenntniß zu nehmen ; er iſt aber verbunden ſie den übri gen Mitgliedern vor der Berathung ohne Unterſchieb mitzutheilen , und ſie

425 ohne Aufſchub zur Berathung zu bringen. Daſſelbe findet in Anſehung der jenigen Vorſchläge ftatt, welche jedes der übrigen Mitglieder des Rathes in Antrag zu bringen für gut findet.

$. 8. (9. ) In allen vor den erſten Rath gehörenden Geſchäften enticheidet die Mehrheit der Stimmen . Falls jedoch Defterreich und Preußen zuſammen genommen einer andern Meinung , als die übrigen drei Mitglieder wären , ſo entſcheidet die Mehrheit der erſten nicht , ſondern es wird die Sache lo angeſehen , als ob Gleichheit der Stimmen vorhanden wäre. In dieſem Falle werden die Häuſer der Fürſten N. N. durch ihre Bevollmächtigten zu der in ihrer Gegenwart anzuſtellenden abermaligen Berathung und zu Ab legung ihrer Stimmen zugezogen . $ . 9. (8. ) Die Rechte des erſten Rathes find theils ſolche , die ihm allein zuſtehen , theils ſolche , die er mit Zuziehung eines Ausſchuffes des zweiten Rathes, theils endlich ſolche , die er gemeinſchaftlich mit dem ganzen zweiten Rathe ausübt. Allein kommen ihm zu : 1 , die Leitung und ausiibende Gewalt des Bundes , 2. die Vertretung deſſelben da , wo er als ein Ganzes gegen aus wärtige Mächte erſcheinen muß. (Auszug $. 12.) Mit Zuziehung eines Ausſchuſſes des zweiten Rathes berath ſchlagt und entſcheidet er über Krieg und Frieden. Gemeinſchaftlich mit dem ganzen zweiten Rathe übt er diejenigen Rechte aus , welche zu dem Wir tungsfreiſe des legtern gehören. Inwiefern der erſte Rath zugleich Theil an der richterlichen Gewalt haben ſolle , beſtimmt $ . 105-107.

§ . 10. ( 11.) Kraft der dem erſten Rathe zuſtehenden Leitung und ausübenden Gewalt des Bundes liegt ihm ob : 1. die abgefaßten Bundesbeſchlüſſe zur öffentlichen Kenntniß zu bringen; 2. vermittelft der Kreisvorſteher die Vollziehung der Bundesbeſchlüſſe, ſowie die der Erkenntniſſe des Bundesgerichts zu bewirken und zu dem Ende die nöthigen Weiſungen an die Kreisvorſteher er gehen zu laſſen. $ . 11. ( 17. ) Bei der Vertretung des Bundes gegen auswärtige Mächte läßt der erſte Rath der Regel nach keine auswärtigen Geſandten bei ſeiner Verſammlung zu. Jedoch hat derſelbe das Recht außerordentliche Geſandte von auswär tigen Mächten anzunehmen. Dieſe überreichen ihre Beglaubigungen dem geſammten Nathe durd , den Vorſitzenden. Der Vorfigende iſt befugt ihre Vorträge anzuhören , und verpflichtet fie dem Bunde ſogleich mitzutheilen. Zu Unterhandlungen mit ihnen ordnet der Rath , inſofern er nicht für gut findet in der Geſammtheit baran theil zunehmen , dem Vorfitenden wenigſtens zwei ſeiner Mitglieder zu .

$ . 12. Obgleich der deutſdie Bund feine Gejandtſchaften bei auswärtigen

426

Staaten unterhält, ſo ift der erſte Rath gleichwol befugt zu einzelnen Unters handlungen Bevollmächtigte an dieſelben abzuſenden .

§ . 13. eit chk des Bundes , jedes Mitglied deſſelben gegen Kraft der Verbindli jede widerrechtliche Gewalt einer auswärtigen Macht in Schut zu nehmen , iſt es die Pflicht des erſten Rathes zu unterſuchen , ob der Fall oder die Gefahr einer ſolchen Gewalt vorhanden ſei , und alsdann ſchleunigft die nöthi gen Mittel zu ergreifen , um dem verleşten Bundesgliede diejenige Sicher heit und Genugthuung zu verſchaffen , welche die Natur der von ihm ers littenen oder zu befürchtenden Verlegung ſeiner Rechte oder ſeines Gebiets erheijdt . Bei einem wirklichen Einfall in ein deutſches Gebiet muß die thätige Hülfe des Bundes ſogleich nach der, in den weiter unten folgenden $$ . feſt geſetzten Art , wie die Bundestruppen in Bewegung zu ſeben ſind, geleiſtet werden. $ . 14. (20.) Sft der erſte Rath in dem Falle über Krieg und Frieden einen Schluß zu faſſen , ſo wird von demſelben ein Ausſchuß des zweiten zuge zogen , welcher bei der Schlußfaſſung mit zwei Stimmen zu erſcheinen hat. N. N.'ſind als erſte Repräſentanten des zweiten Raths Beftändige Mitglieder dieſes Ausſchuſſes . Dieſen werden drei andere zuge theilt, welche von dem zweiten Rathe durdh Mehrheit der Stimmen auf die Dauer von einer Sibung zur andern erwählt werden .

§ . 15. (22.) Bei einem abzuſchließenden Frieden ſteht dem erſten Rathe nicht zu über das Gebiet eines Bundesgliedes, oder über einen Theil deſſelben zu verfügen ohne Zuziehung des Betheiligten , und ohne daß daraus für den Bund die Verbindlichkeit entſpringe dieſes Bundesglied für den ohne deffen Sąuld erlittenen Verluſt verhältnißmäßig möglichſt zu entſchädigen . Die Beſtimmung der Art , wie demſelben genügt werden könne, muß mit Zu ziehung des Betheiligten geſchehen. $ . 16. (23.) Staatsverträge , welche mit Auwärtigen geſchloſſen werden , find, ſofern ſie Geſete zu ihrer Bollziehung erfordern , ber Genehmigung des erſten und zweiten Rathes , als geſeßgebenden Körpers, zu unterwerfen. $ . 17. (24.) Der Antheil des erſten Raths an der Geſetzgebung , dem eigentlichen Geſchäfte des zweiten Raths, beſteht darin , daß er 1. Gefeßentwürfe zur Berathung mittheilt , 2. über die von dem zweiten Rathe hierauf , oder von ſelbſt an ihn kommenden Geſetvorſchläge auch an ſeinem Theile in Berathung eingeht . Wie alsdann aus dieſer ſeiner Berathung und dem vom zweiten Nathe ge machten Vorſdlag ein wirkliches Geſetz entſtehe, iſt 9. 22 beſtimmt. 3 weiter Rath .

§ . 18. Der zweite Rath beſteht aus allen Mitgliedern des Bundes, welche mit Stimmrechte bei den Berathungen begabt ſind. Dieſelben üben entweder Viril- oder Curiatſtimmen aus.

427 Die Aufzählung der Stimmen muß bis zur Feſtſetzung des Beſikſtan des aller deutſchen Staaten vorbehalten bleiben.

9. 19. Er verſammelt ſich jährlich in der nämlichen Stadt , wie der zweite Rath . Die Dauer der Verſammlung hängt von der Natur der vorliegenden Geſchäfte ab ; der Rath iſt aber befugt diejenigen Gegenſtände, deren Vollendung die Sitzung zu ſehr verlängern würde , für die nächſte aufzuſdieben .

$ . 20. Der Wirkungsfreis des zweiten Raths dehnt ſich auf alle Gegen ftände aus, welche Stoff zu einem allgemeinen , für ganz Deutſchland geltenden Geſetze abgeben können . Das erſte Mitglied im Range führt wie in dem erſten Rathe den Vor fiß , ohne mit demſelben beſondere Vorrechte zu verbinden . Die Abſtimmung der Bevollmächtigten geſchieht im zweiten Bundes rathe , wie in dem erſten nach der Ordnung, welche dieſelben im ehe maligen deutſchen Reiche unter ſich beobachteten . Die Ordnung begründet jedoch außer dem Kreiſe der deutſchen Angelegenheiten keinerlei Rang verſchiedenheit unter den Höfen und Staaten jelbft.

§. 21 . Die Gegenſtände werden durch den erſten Rath in Vorſchlag gebracht, indeffen ſteht es jedem Mitgliede des zweiten Rathes zu einen Vorſchlag in Berathung zu bringen , inſofern er wirklich auf Bundesangelegenheiten Be zug hat.

§ . 22. Der in Vorſclag gebrachte Gcgenſtand wird von dem zweiten Rathe in Berathung genommen , und darüber nach Mehrheit der Stimmen ein Beſchluß gefaßt. Dieſer Schluß wird ſodann an den erſten Rath gebracht , und von demſelben entweder angenommen oder verworfen. Im letzten Falle wird er von dem erſten Rathe nebſt Zuziehung des Ausſchuſſes des zweiten Rathes neuerdings in Berathung genommen und die definitive Entſcheidung durch abermalige Abſtimmung hervorgebracht. In Fällen , wo es zweifelhaft iſt, ob ein Gegenſtand zum Vortrage im zweiten Kathe geeignet jei , wird darüber von dem erſten Rathe mit Zu ziehung des Ausſchuſſes des zweiten Rathes entſchieden .

§ . 23. In den Fällen , wo der erſte Rath über Krieg und Frieden einen Schluß zu faſſen hat, wird von demſelben ein Ausſchuß des zweiten Rathes zugezogen , wie ſolcher § . 14 feſtgeſetzt worden .

§ . 24 . Der § . 14 beſtimmte Ausiduſ des zweiten Rathes bleibt an dem Orte der Bundesverſammlung beſtändig beiſammen . Er wird von dein zweiten Rathe für alle jene Fäűle bevollmächtigt, welche eine ſchleunige Berathung erfordern, oder in welchen derſelbe bei den Verhandlungen des erſten Rathes zu erſcheinen hat .

428

Unterperſonal beider Räthe.

§. 25. e en he de Kanzlei und ein Archiv , jedoch in zwei ein nur Rät hab Bei Abtheilungen geſchieden . An der Wahi der dabei anzuſtellenden Perſonen nehmen beide Räthe theil . Kreisvorſteher. $. 26 . Die Kreisvorſteher haben ein doppeltes Verhältniß : 1. als Fürſten , welche im Namen des Bundes handeln ; 2. als Kreisſtände , welche als Directoren der Kreisverſammlungen mit ihren Mitftänden für das Wohl ihrer Kreiſe thätig ſind. Berhältniß der Kreisvorſteher als Beauftragte des Bundes. Allgemein .

§ . 27. In Abſicht des erſten Verhältniſſes ſind ſie Beauftragte des Bun des , und ſtehen als ſolche unter der Aufſicht des erſten Rathes , welchem ſte für die Gegenſtände ihres Amtes untergeordnet und verantwortlich ſind. Der Bundesvertrag und die ihnen mitzutheilenden Bundesbeſchlüſſe bilden die Riddnur ihres Betragens. $. 28 . Der Wirkungsfreis der Kreisvorſteher beſchränkt ſich genau auf die ihnen im Bundesvertrage übertragenen Arten von Gegenſtänden . Beſchwer : den von Ständen ihrer Kreiſe fönnen daher nicht bei ihnen , ſondern nur unmittelbar bei dem erſten Rathe oder bei dem Bundesgerichte angebracht werden . §. 29. (13. ) Beſchwerden gegen die Kreisvorſteher ſelbſt, fie mögen Gegen ſtände ihrer Amtsführung betreffen , oder nicht , werden wie die gegen andere Mitglieder des Bundes bei dem erſten Rathe angebradit und von demſelben unterſucht. Wenn ſie gegründet gefunden worden , ſo folgt die Abhülfe auf eben die Weiſe wie S. 49 beſtimmt iſt. Nur daß die Voll ziehung des deshalb zu ertheilenden Auftrags einem andern Kreisvorſteher übertragen wird . $ . 30.

Die zu dem Amte des Kreisvorſtehers gehörenden Gegenſtände find folgende : a) die Aufrechthaltung des Bundesvertrage und die Vollſtredung ber Beſchlüſſe in feinem Kreiſe ; b) die oberſte Aufſicht über das Kriegsweſen aller Stände deſſelben ; c) die Bildung eines gemeinſchaftlichen Gerichtshofes für diejenigen Štände des Kreiſes, welchen nach unten zu beſtimmenden Grundfäßen das Recht der dritten Inſtanz nicht zuſteht. Insbeſondere . 1. In Abſicht auf die Golftredung der Bundesbejdlüffe.

$ . 31 . Die Bundesbeſchlüffe werden den Kreisvorſtebern vom erſten Bundes rathe zugeſchickt. Dieſe theilen ſie den Ständen ihres Kreiſes mit , fordern

429 ſie auf denſelben Genüge zu leiſten , und üben die gehörige Aufſicht über die Befolgung aus . 9. 32. s weder bei dem § . 30. a, noch bei dem weg ben och ht nes ſel Jed ſte den kei $. 31 erwähnten Falle die Befugniß zu , wenn dieſe Befolgung von einem Kreisſtande verſäumt oder verweigert wird , für ſich die Vollziehung zu er zwingen . Sie haben vielmehr in einem ſolchen Falle die Sache vorher bem erſten Bundesrathe anzuzeigen , und deſſen Entſchließung und Aufträge darüber abzuwarten . Daffelbe findet in dem Falle ſtatt , wenn die Kreisvorſteher Verleşung des Bundesvertrags bei einem der Stände des Kreiſes wahrnehmen . Nur bei Militärangelegenheiten ſind die Kreisvorſteher ermächtigt ohne Zuziehung des erſten Bundesrathes auf ihre eigene Verant wortlichkeit zu nöthigenden Maßregeln zu ſchreiten , jedoch alsdann aud ver bunden dem Rathe jedes Mal ſogleich Renntniß davon zu geben , und die Gründe ihres Verfahrens ausführlich auseinanderzuſeßen . 2. In Abſicht auf das Kriegsweſen .

$ . 33. Dieſer ganze Abſchnitt bleibt der Bearbeitung des Militärcomités über laſſen . 3. In Abſicht auf die Rechtspflege.

$. 34. Diejenigen Staaten , welche weniger als 300000 Einwohner zählen , beſigen nicht das Recht der dritten Inſtanz. Wenn von mehreren Zweigen deſſelben Fürſtenftammes einige die Zahl von 300000 erreichen, andere aber nicht, ſo ſchließen ſich die leßten an einen der erſten in Anſehung der Rechtspflege in dritter Inſtanz an . Wenn hin gegen zwar keiner einzeln , allein aữe zuſammengenommen die erwähnte Volkszahl erreichen , ſo ſteht es ihnen frei gemeinſchaftlich einen oberſten Gerichtshof zu bilden . § . 35 . Um den im vorigen § . bezeichneten Staaten eine dritte Inſtanz zu ver ſchaffen , werden dem oberften Gericht8 bofe der Kreisvörfteber Beiſißer von demſelben zugeordnet, und er bildet dann in dieſer erweiterten Geftalt ein gemeinſchaftlides freisgericht. Die Zabt dieſer von den Staaten , welche die Bevölkerung von 300000 nicht erreichen , zu eċ nennenden Beifißer wird von den Ortsverhältniffen für jeden freis be ſonders , und zwar dergeftalt beſtimmt, daß auf 50000. Seelen ein Beiſiter kommt. $. 36. Dieſes ſo gebildete Kreisgericht ſpricht natürlich nur in denjenigen An gelegenheiten , welche aus den Ländern der Kreisſtände an daſſelbe gelangen , nicht in denjenigen , welche die eigentlichen Unterthanen des Kreisvorſtehers betreffen . In jenen dagegen nehmen alle Beiſiter gleichen Antheil an allen Arbeiten ohne Unterſchied des Landes , von welchem die Appellationen ein geſandt worden ſind.

§ . 37. Das Kreisgericht ſpricht in den aus den 9. 34 erwähnten Kreisländ an daſſelbe kommenden Sachen nach den in dieſen geltenden Gefeßen .

430

§ . 38. Ate Sabre ſollen die Kreisgerichte die zu ihrem Gerichtsſprengel ge hörigen Gerichte viſitiren laſſen . Bemerken fie in der Juſtizverwaltung irgendeine Unregelmäßigkeit, ſo find ſie verpflichtet zu deren Abſtellung die nad Lage der Sache erforderlichen Einrichtungen zu treffen.

$ . 39 . Die in denjenigen Ländern , welche das Recht der dritten Inſtanz nicht befigen , abgefaßten peinlichen Erkenntniſſe müffen gleichfalls den Kreisgerichten in zweiter Inſtanz vorgelegt werden. Die alsdann von den ſelben beſtimmten Strafen kann die Landesregierung zwar lindern , oder er laſſen , aber nicht ſchärfen . Verhältniß des Kreisvorſtehers als Directors der Kreiss verſammlung .

§ . 40 . Die Kreisverſammlung beſteht aus allen Kreisſtänden unter Vorſiß des Kreisvorſtehers. Kreisſtände ſind alle diejenigen Regierungen , welche Län der in dem Kreiſe beſigen , und mit einer Viril- oder Curiatſtimme in dem Bundesrathe begabt ſind. In denſelben gehören namentlid alle mediatiſirten Reichs ſtände , welche ehemals auf dem Reichstage eine Viril- oder Curiatſtimme führten. Dieſelben üben aber auch in den Kreisverſammlungen nur Ge ſammtſtimmen aus , deren Zahl in jedem Kreiſe feſtgeſeßt wird . § . 41 . Die Kreisverſammlungen werden jährlich zwei Monate vor der Zuſammenkunft des zweiten Bundesrathes in der Hauptſtadt des Kreiſes gehalten . Der Kreisvorſteher kann dieſelben auch außerordent lich zuſammenberufen . $ . 42.

Die Folge ihrer Siķung und der des Bundesrathes dient dazu die in den einzelnen Theilen Deutſchlands bemerkten Geſetzesbedürfniſſe zu einer allgemeinen Berathung vorzubereiten. Ihr Wirkungskreis erſtreckt ſich da her theils auf diejenigen Gegenſtände, welche, als bloß den einzelnen Kreis betreffend , zur Wohlfahrt deſſelben feſtgeſett, angeordnet und ausgeführt werden ſollen , theils auf ſolche, über die man für gut hält ſich unterein ander zu vereinigen , um ihre Ausführung in ganz Deutſchland in Vor fdlag zu bringen . $. 43 . Der Kreisvorſteher übt, ſeines Vorſiges ungeachtet , kein weiteres Vor recht in der Kreisverſammlung aus. Er hat nur eine Stimme darin, und die Beſchlüffe werden nach Mehrheit der Stimmen gefaßt. Falls die ſelben gleich find , ſo entſcheidet die des Kreisvorſtehere.

$ . 44. Die Vollziehung der Kreisſchlüffe gehört zu dem Wirkungskreiſe des Kreisvorſtehers. Er iſt jedoch hierbei nicht befugt zu nöthigenden Maßregeln zu ſchreiten; es müßten denn gleich bei Faffung der Beſchlüffe Strafen feft geſeßt ſein , welche alsdann alsConventionalſtrafen anzuſehen ſind. Glaubt er in dringenden Fällen weiter gehen zu müſſen, ſo ift er ver pflichtet die Genehmigung des Bundes einzuholen..

431

Verhältniß der einzelnen Staaten zu dem Bunde. Algemein.

$ . 45.

(3. )

Indem die Bundesglieder zur Erreichung des § . 2 angegebenen Zweđes zuſammentreten , behalten ſie alle und jedes den vollen und freien Ge nuß ihrer Regierungsrechte , inſoweit ſolche nicht durch den § . 2 be ſtimmten Zweck eingeſchränkt und dieſe Einſchränkungen in der Bundes urkunde namentlich ausgedrückt ſind. Insbeſondere. 1. In Abſicht auf das Verhältniß zum Auslande.

§ . 46. (21. ) Um zu verhindern, daß ein einzelner Bundesſtaat die Sicherheit Deutſch lands in Gefahr bringe, verpflichten ſich ſämmtliche Mitglieder des Bundes , ſie mögen nun Staaten außerhalb Deutſchlands beſißen , oder nicht, keine Verbindungen mit Auswärtigen einzugehen , die gegen den ganzen Bund oder einzelne Mitglieder deſſelben gerichtet ſind, oder dem ganzen Bunde oder deſſen einzelnen Mitgliedern unmittel bar oder mittelbar " gefährlich werden können ; dieſe Verbindungen mögen auf Krieg oder Frieden oder Subſidien , oder was immer für eine Hülfeleiſtung Bezug haben. 2.

In Abſicht auf die Erfüllung des Bundesvertrags und der Bundesbefolüfie.

$ . 47 . Sedes Mitglied des Bundes macht ſich verbindlich ſowol den Bundes beſchlüſſen , als den rechtskräftigen Urtheilen der Auſtragalinſtanz und des Bundesgerichts unbedingt Folge zu leiſten, ſowie ihm bieſelben in geſeßlicher Form mitgetheilt werden .

§ . 48. Jedem Mitgliede ſteht es frei dem erſten Rathe Anzeige von denjenigen Fällen zu machen , welchen es Verletzung dieſer Verbindlichkeit wahr nimmt . § . 49. Der erſte Rath unterſucht ſodann die angebrachten Beſchwerden , mit oder ohne Zuziehung des Kreisvorſtehers, welchem er , wenn er es nöthig findet, einen zweiten beiordnen kann. 3. In Abſicht des Kriegsweſens.

$. 50. Hierüber iſt ſdon § . 33 das Nöthige verfügt. 4. In Abſicht auf die Rechtspflege.

$ . 51 . Die hierher gehörenden Beſtimmungen find bereits $. 34-39 enthalten .

432

5.

In Abſicht auf die Beiträge zu den Bundeskoſten .

§ , 52 . gemeinſchaftlich von allen Mit werden Die Roften des Bundes gliedern zuſammengeſchoſſen . Dieſelben tragen in folgenden Verhältniſſen dazu bei : ( Hier iſt das Verhältniß einzuſchalten .)

§ . 53. Ueber die gewöhnlichen Ausgaben des Bundes wird , ſobald die Bun desverſammlung conſtituirt ift, von beiden Räthen ein Etat gefertigt. Er höhungen dieſes Etats oder außerordentliche Ausgaben können nur unter Zuſtimmung beider Räthe gemacht werden . Bloß in dringenden Fällen fann der erſte Rath mit Einwilligung des Ausſchufies des zweiten Rathes, ohne die Zuſammenkunft des leßtern abzuwarten , damit vorſchreiten. $ . 54 . Die Ausgaben felbft werden unter Aufſicht des erſten Rathes beſorgt und berechnet , und die Rechnungen alljährlich dem zweiten zur Prüfung vorgelegt. Die Beiträge der Bundesglieder werden unter Autorität des erſten Kathes eingezogen , welcher , wo es nöthig , dabei ebenſo wie bei der Volftreekung der Bundesbeſchlüſſe verfährt. Verbältniß der mittelbar gewordenen ehemaligen Heio eftände insbeſondere.

S. 55. Die mittelbar gewordenen ehemaligen Reichs ftände , welche auf dem Reichstage Sit und Stimme hatten , ſollen jeßt Geſammtſtimmen im zweiten Bundesrathe und auf den Kreisverſammlungen ausitben , allein zugleich im engern , in nachſtehenden s $. näher beſtimmten , und unter den Schutz und die Garantie des Bundes geſtellten Berhältniß zu größern Staa ten ſtehen . g . 56. Wenn mittelbar gewordene Fürſten oder Grafen Beſißungen , welche auch in dem ehemaligen deutſchen Reiche als unmittelbar anerkannt wurden, in mehr , als einem Kreiſe haben , ſo genießen ſie in jedem die Rechte der Kreisſtände, ohne daß dieſes jedoch in ihrer Geſammtſtimme im zweiten Bundesrathe eine Aenderung hervorbringt .

§ . 57. Diejenigen , deren Befißungen zu noc gegenwärtig beftehenden Regie rungen geſchlagen wurden , und von denſelben auc buro die gegenwärtigen Gebietsveränderungen nicht getrennt worden ſind , genießen in dem Staate, zu welchem ſie gehören , folgende Rechte. $ . 58 . Sie bilden , in ihrer Verpflichtung und in ihrem Rechte geborene Ver treter ihrer Unterthanen zu ſein , als Standesherren die erſten Landſtände der Staaten , zu welchen ſie gehören . 8. 59. Als ſolchen Standesherren ſichert ihnen der gegenwärtige Bundesvers trag ferner alle diejenigen ihre Perſonen , Familien und Beſtßungen

433 betreffenden Rechte zu , welche mit den Regierungsrechten der Staaten , wel chen ſie angehören , vereinbar ſind , es mögen ſolche bisher in dieſen Staa ten mittelbaren Unterthanen zugeſtanden haben oder nicht. Namentlich ſol len ſie :

. 60. 1. unbeſchränkte Freiheit für ſich und ihre Familien genießen , ihren Aufenthalt nach Gutdinken in jedem mit dem Bunde in Frieden lebenden Staate zu nehmen , und in Kriegs- oder Civildienſt jeder deutſchen Macht zu gehen ;

§ . 61 . 2. des Vorzugs , nach dem Grundſaße der frühern deutſchen Verfaſſung über ihre Giiter- und Vermögensverhältniſſe ſelbſtändig für ihre Nachkom menſchaft verbindliche Verfügungen zu treffen , theilhaftig bleiben. Alte Ges ſeze und Verordnungen, wodurch die auf Verträgen und andern Titeln be rubenden Brimogenitur- und Familieneinrichtungen aufgehoben, die Stamm gutseigenſchaft der Familienbeſitzungen vernichtet, und das alte Familiengut ber Dispoſition des gemeinen Rechts unterworfen worden iſt , ſind außer Wirkung geſegt .

§ . 62. 3. Es wird ihnen das Eigenthum der Fürſtenthümer , Graf- und Herr ſchaften , über welche der pariſer Vertrag vom 12. Juli 1806 in Bezug auf Souveränetät disponirt hat , mit allen daraus herzuleitenden Ausflüffen garantirt. Keine Regierung , ſie müßte denn auf Beſtandtheile dieſer Beſitungen frühere beſondere Anſprüche haben , kann die Beibringung der Erwerbstitel verlangen , und wenn der Fiscus auf einen oder den andern Gegenſtand rechtliche Anſprüche vorbringen zu können vermeint, ſo ſoll er ſolches nur im ordentlichen Wege und vor den competenten Richtern thun können. $. 63. 4. Die mittelbar gewordenen ehemaligen deutſchen Reichsſtände behalten zwar da , wo ihnen ſolche im ehemaligen deutſchen Reiche zugeſtanden hat, die Rechtspflege in zwei Înſtanzen , jedoch nur alsdann , wenn ihre mit einer und derſelben Regierung verbundenen Beſißungen eine Bevölkerung von we Wo das nicht der Fall iſt, nigſtens 20—25000 Seelen in fich faffen. ſteht ihnen nur das Recht einer Inſtanz zu. Jedoch können mehrere zu demſelben Familienſtamme gehörende Häuſer, wenn zugleich ihre Befißungen bei einander liegen , ihre Unterthanen zur Bildung einer gemeinſamen zweiten Inſtanz zuſammenzählen . Die Rechtspflege in den Beſigungen der ehemas ligen Reichsſtände iſt aber immer den Gefeßen des Landes , zu welchem fie gehören , unterworfen .

$. 64. 5. Die Ausübung der Polizei unter denſelben Einſchränkungen.

§ . 65. 6. Die Steuern betreffend , ſo ſtehen zwar a) alle Steuern , weldje verfaſſungsmäßig am 12. Juli 1806 in die lan des- und Contributionskaſſen ploffen , den die höheren Regierungs rechte ausübenden Fürſten zu ; hingegen bleiben alle ſolche, welche nicht II. 28

434 zur Kategorie der directen und indirecten Steuern zu zählen ſind, den Mediatiſirten ; b) die Mediatiſirtan ſelbſt ſind den außerordentlichen Steuern gleich den übrigen Unterthanen unterworfen ; c) Auch genießen ſie keiner Eremtion von den ordentlichen Landesſteuern ; jedoch iſt das Quantum , mit welchem ſie zu den leşteren beitragen ſol len , idon vor der Organiſation der Stände nach einem richtigen Ber hältniffe zwiſchen den Steuern und dem reinen Einkommen aus dem zu beſteuernden Gegenſtande auszumitteln .

§ . 66. 7. Zu den oben erwähnten , nicht zur Kategorie der directen und indi recten Steuern gehörigen und daher den Mediatiſirten verbleibenden Renten werden namentlich gezählt: a ) Die ſogenannten lehen und Herrenrechte, die Frohnen , Zinſen , Gül ten und andere grundherrliche Abgaben. Die über die Abſchaffung ſolcher Gerechtſame ettra erlaffenen Gefeße werden jedoch dergeſtalt außer Kraft geſetzt, daß da , wo die Ablöſung wirklich erfolgt, es bei dein getroffenen Abkommen ſein Bewenden haben ſoll. Glauben jedoch ehemalige Reicheſtände durd geſchehene Ablöſungen in ihren Rechten ſich verlegt, ſo ſteht es ihnen frei binnen ſechs Monaten von Unterzeichnung des Bundesvertrags an rechtliche Hülfe deshalb nachzuſuchen . b) Gleich dem übrigen Eigenthume wird das der Waldungen den Media tiſirten zugeſichert. c) Auch bei dem Beſit der Zehntgerechtſame, ſo wie ſie ſolche bis jegt beſeffen haben , werden ſie ferner geſchüßt. Und der Rott- und Neu bruchzehnt in den mediatifirten Diſtricten wird ihnen von der bisher vorgenommenen Ausrottung und der fünftigen ſo lange verbleiben , bis etwa dieſes Recht durch die Gefeßgebung ganz aufgehoben werden ſollte . d) Aud; die Bergwerke gehören zu dem Eigenthume der ehemaligen Reichs ſtände. Was ſie von ſolchen in ihren Gebieten befißen, verbleibt ihnen , und zwar frei von allen Bergzehnten. Der Bau neuentdeckter, ſowie die Ertheilung der Schurfſcheine ge hört nicht zu den höheren Regierungsrechten der Landesfürſten , auch fönnen dieſe nicht neue Bergwerke mit einer andern Abgabe , als der gewöhnlichen Steuer belegen. Jedoch müſſen die Mediatiſirten nicht nur bei dem Betrieb ihrer Bergwerke die allgemeinen Bergwerks anordnungen genau befolgen und ſich der Oberaufſicht über den Betrieb und den Anordnungen des Staats zum Beſten deſſelben fügen, ſondern auch bei allen Erzeugniſſen derſelben der Landesregierung das Vorkaufs recht zu den laufenden Preiſen einräumen . e) Wenn ehemaligen Reichsſtänden durch den Reichedeputations - Receß Zölle zur Entſchädigung angewieſen ſind, ſo ſollen ihnen dieſelben ents weder verbleiben , oder ſie eine Schadloshaltung dafür empfangen. $ . 67. 8. Die mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsſtände behalten das Recht der Beſeßung der Pfarr- und Schulftellen , der Aufſicht über ihr Kirchen und Schulweſen und die Verwaltung des Vermögens ihrer Kirchen und mil den Stiftnngen durch eigene Behörden , jedoch immer unter Befolgung der Landesgeſete und unter Leitung der oberſten Kirchen- und Schulbehörden . § . 68 . 9. A18 Ehrenrechte ſollen den mediatifirten vormaligen Reichsſtänden insbeſondere zuſtehen :

435 a ) Der perſönliche Gerichtsſtand bei der höchſten Gerichtsſtelle des landes , ſofern andere von Adel und der Fiscus dieſes Vorrecht genießen. b) Der privilegirte Gerichtsſtand der den oberſten Landesgerichten unmit telbar untergeordneten ( ſchriftfäffigen ) Vafallen als Realforum. c) Das Recht der Aufträgalinſtanz in peinlichen Fällen , welches jedody nur die Häupter der Familien genießen. d) Die Ertheilung des Prädicats ,, Herr “ in allen Ausfertigungen der Landescollegien . e) Das Kirchengebet. f) Das Trauergeläute bei Sterbefällen in der Familie der Mediatifirten .

$ . 69. Diejenigen mittelbar gewordenen vormaligen Reichsſtände, deren Bes ſigungen zu nicht mehr beſtehenden Regierungen geſdylagen worden , oder von den noch beſtehenden , zu welchen ſie gehörten , getrennt worden ſind, werden in folgendes Verhältniß zu denjenigen Staaten geſeßt , mit welchen fie gegenwärtig vereinigt werden ,

$. 70. Sie gehören nicht zu den Landſtänden , ſondern bleiben als eigene Kreiss ftände für ſich beſtehen . § . 71 . Sie können aber feine eigenen Truppen halten , ſondern ihre Unter thanen ſind der Militärconſcription des Staates unterworfen . Jedoch ſteht ihnen frei Ehrenwachen zu halten.

§. 72. In Abſicht der Rechtspflege treten ſie , wenn ſie ehemals zwei Inſtanzen gehabt haben , und ihre Beſißungen eine Volkszahl von 20—25000 See len erreichen , in das Berhältniß derjenigen Kreisſtände, welchen das Recht der dritten Inſtanz nicht zuſteht; ſie ernennen Beiſitzer zu den Kreisgerich ten im Verhältniß der Zahl ihrer Unterthanen . Die von ihren Gerichten gefällten peinlichen Erkenntniſſe ſind gleichfalls der Reviſion der Kreisgerichte in zweiter Inſtanz unterworfen , allein die alsdann erkannte Strafe kann von ihnen gemildert, oder erlaffen werden. Haben ſie im ehemaligen Reiche nur das Recht einer Inſtanz gehabt, oder enthalten ihre Beſißungen nicht eine Volkszahl von 20—25000 Sees len , ſo müſſen ihre Unterthanen in der zweiten bei den Gerichten des Staats , mit dem ſie verbunden ſind, Necht nehmen , und ſteht ihnen bei peinlichen Erkenntniſſen nicht das Recht der Begnadigung zu.

§ . 73 . Ade allgemeinen Polizeilichen Münz- , Bergwerks- und Handelsverord nungen des Staats gelten auch für ihre Unterthanen und Beſigungen ; fie beſorgen aber überall die Ausführung durch ihre Behörden . Ebenſo nehmen ſie daſſelbe Geſezbudy und daſſelbe proceſſualiſche Verfahren mit dem Staate an , ſowie gleichfalle dieſelben allgemeinen firchlichen und Sculeinrichtungen .

§ . 74. Ihre Unterthanen werden ebenſo wie die Unterthanen des Staats be ſteuert. Die directen Steuern verbleiben den Mediatiſirten und werden von 28 *

436 ihnen erhoben ; die indirecten dagegen zieht der Staat und läßt ſte durch ſeine Behörden erheben. Von ihren Domanialbeſigungen erlegen die Me diatiſirten keine Steuer , können ſich dagegen von der Theilnahme an außers ordentlichen zum Behufe oder infolge eines Kriegs ausgeſchriebenen Steuern 1 nicht ausichließen .

§ . 75 . Die in den ss . 71 und 74 aufgefithrten Ausnahmen abgerechnet , ſteht ihnen aber übrigens der Genuß aller Rechte zu , welche ſie ehemals auf ihren Beſişungen ausübten , dieſelben mögen zu den Regalien gerechnet wer den oder nicht . Nur bleibt dem Staate daß § . 66, d feſtgeſepte Vorkaufsrecht der Berg werferzeugniſſe vorbehalten. § . 76 . Die ehemals unmittelbare Neichsritterſchaft tritt als erſter Land ſtand in das Recht der Landſtandſchaft ein. Außer alen übrigen dem Adel in denjenigen Ländern , zu welcher ſie gehört, zuſtehenden Rechten genießt ſie : a) die Autonomie in ihren Familienverhältniſſen nach den in g. 61 ent haltenen Beſtimmungen ; b) das Recht des privilegirten Gerichtsſtandes , und c ) der nad der algemeinen Landesverfaſſung modificirten Patrimonial gerichtsbarkeit auf ihren Gütern. Die beiden Rechten ad. b und c ſtehen ihr auch da zu , wo dieſelben ſonſt mittelbaren Unterthanen nicht eingeräumt werden . § . 77 . Sie iſt den außerordentlichen und ordentličen Steuern unterworferi ; jedoch müſſen die leßteren in ein richtiges Verhältniß mit dem dermaligen Einkommen der Güter geſeßt werden . $ . 78. Alle lehensverbindungen , mit welchen ihre Güter beſchwert ſind, wer den in Abſicht des dominii directi, und ſoviel es unbeſchadet der Rechte der Agnaten geſchehen kann , hierdurch aufgehoben, und das Gleiche findet auch bei den Leben der ehemals mit Stimmrecht begabten Fürſten und Gra fen ſtatt.

§ . 79. Es verſteht ſich übrigens von ſelbſt , daß die Verfügungen der $ 8 . 76 –78 , inſofern ſie die liegenden Gründe betreffen , nicht auf ſolche Güter ausgedehnt werden können , welche Mitglieder der unmittelbaren Reichsritter: ſchaft nur als mittelbare Güter beſißen . Verhältniſſe der einzelnen deutſchen Staaten zu einander.

§ . 80. ( 14.) Die Bundesglieder ohne Ausnahme machen ſich verbindlich einander unter keinerleiVorwand zu bekriegen , oder ihre Streitigkeiten durch Gewalt zu behaupten , den Fall der Nothwehr ausgenommen. Sie wollen vielmehr , wenn Streitigkeiten entſtehen , ſolche auf die Weiſe entſcheiden laſſen , welche $ . 103-108 näher angegeben iſt.

437

8. 81 . Dagegen verpflichten ſich ſämmtliche Bundesglieder ebenfalls ohne Auss nahme einander gegen auswärtige Gewalt mit allen ihren Kräften und Mitteln beizuſtehen . Verhältniſſe der einzelnen deutſchen Staaten zu ihren Uns , terthanen.

§. 82 . In allen deutſchen Staaten fou entweder die ſchon vorhandene ſtän diſche Verfaſſung erhalten , oder aufs Neue eingeführt werden . $ . 83 . Die Art der Einrichtung derſelben ſteht jedem Staate frei , und richtet ſich nach den Lokalverhältniſſen und der bisherigen Verfaſſung des Landes . Es dürfen aber in Abſicht der periodiſchen Verſammlungen der Stände, des Rechts der Regierung ſie wieder auseinandergehen zu laſſen, und des in Bezug auf die zwiſchen den Ständen und der Regierung nothwendigen Mittheilungen eingeführten Geſchäftsganges keine Verordnungen erlaſſen wer den , welche den Endzweď der Einrichtung ganz oder größtentheils vereiteln wiirden .

$ . 84. Die eingerichtete Verfaſſung wird dem Bunde vorgelegt und befindet fich, ſo wie dies geſchehen , unter dem Schuße deſſelben , wird von ihm vertreten , und kann nicht ohne Zuſtimmung der Stände und neue Mitthei lung an den Bund abgeändert oder aufgehoben werden . Daſſelbe gilt von allen nachher zwiſchen den Landesherren und Ständen geſchloſſenen Verträgen . $ . 85. Unabhängig von der Verſchiedenheit landſtändiſcher Verfaſſungen in den einzelnen Ländern beſigen alle deutſchen Stände folgende Rechte : a) Das der Mitberathung bei Ertheilung neuer , allgemeiner , die perſön lichen und Eigenthumørechte der Staatsbürger betreffenden Gejege . $ . 86 . b) Das der Bewilligung bei Einführung neuer Steuern oder bei Erhö hung der ſchon vorhandenen .

S. 87. c) Das der Beſchwerdeführung über Mißbräuche oder Mängel in der Landesverwaltung, worauf ihnen die Regierung die nöthige Erklärung darüber nicht verweigern darf.

S. 88 . d) Das der Beſchüßung und Vertretung der eingeführten Verfaſſung und der durch dieſelbe und den Bundesvertrag geſicherten Rechte der Ein zelnen bei dem Landesherrn und bei dem Bunde. S. 89. Alle Mitglieder des Bundes machen ſich verbindlich jedem ihrer Un :

438 terthanen folgende Rechte als ſolche, deren jeder Deutſche genießen muß , unverbrüdlich einzuräumen : a) Die Freiheit ungehindert und ohne , Entrichtung irgendeiner Abgabe in jeden andern zum Bunde gehörigen Staat auszuwandern. Hiervon wird bloß der Austritt in aufrühreriſchen Abſichten, wie bei Zu ſammenrottirungen von Handwerkern, ferner der um der Unterſuchung wegen eines Verbrechens zu entgehen , und der um ſich der Kriegspflicht zu ent ziehen ausgenommen . In dieſer legtern Rüdficht iſt jedoch jeder zum Kriegsdienſt, ſei es im ſtehenden Heere oder der Landwehr, Verpflichtete nur von ſeinem 18. bis 25. Jahre ohne erhaltenen Abſchied in ſeinem Vater lande zu bleiben verbunden. Während eines Kriegs hört alles Auswande rungsrecht für jeden zu irgendeiner Art der Vaterlandsvertheidigung Ver pflichteten auf.

$. 90. b) Die Freiheit in Civil- oder Kriegsdienfte eines andern Bundesſtaats zu treten . Bei dieſem §. gelten dieſelben Einſchränkungen , welche bei 9. 89 bemerkt ſind.

. 91 . Solche, welche Unterthanen mehrerer Staaten zugleich ſind , bleiben zwar für ihre Beſibungen und die darauf haftenden Realrechte Un terthanen jedes der Staaten , in welchen dieſe Beſißungen liegen . Allein für ihre Perſon müſſen ſie ſich erklären , wen ſie als ihren Landesherrn an erkennen wollen , und die Umänderung ihrer Erklärung ſteht ihnen nacher nur unter denſelben Beſtimmungen frei, welche nach § . 89 das Recht der Auswanderung beſchränken. c) Die Freiheit fich auf jeder deutſchen lebranſtalt zu bilden . Da das Studium auf fremden Univerſitäten nicht einer Auswanderung gleichzuſtellen iſt, ſo finden bei dieſem §. auch nicht die bei §. 89 bemerkten Einſchränkungen ſtatt, ſondern auch die zum Kriegsdienſte verpflichteten jun gen Leute brauchen Erlaubniſ auf fremden Univerſitäten zu ſtudiren , nur inſofern nachzuſudien , als ſie , den in ihren Ländern über den Kriegsdienſt beſtehenden Geſeben nach, einer ſolchen Erlaubniß zu jeder weſentlichen Ents fernung von ihrem Wohnorte bedürfen. Uebrigens iſt es genug , wenn ſie ſich auf die an ſie ergehenden Auf rufe unverzüglich ſtellen. In Abſicht jener Erlaubniß machen ſich die Mit glieder des Bundes gegen einander verbindlich dieſelbe nicht zu erſchweren und nicht anders als in denjenigen Fällen zu verweigern, wo das Gleiche auch bei der Nadſudung der Erlaubniß eine gleich weit entfernte inländiſche Univerſität zu beſuchen , geſchehen würde. $ . 92. d) Die geſekmäßige Freiheit und Sicherheit der Perſon , ſodaſ keine dieſelbe kränkende Verfügung getroffen werden kann , welche nicht genau mit den Landesgeſeßen übereinſtimmt, und durch den ordent lichen Richter verfügt wird .

$ . 93 . e) Die Sicherheit des Eigenthums gegen jede Beeinträchtigung und mithin auc gegen den Nachdrud.

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$. 94. Ueber den legten Gegenſtand fol zwar ein eigenes organiſches Geſetz gegeben werden , indeſſen wird icon hier beſtimmt, daß teine mit dem Privilegium eines deutſchen Bundesſtaats gedruckte Sørift während der lebenszeit der Verfaſſers und während dreißig Jahre nach ſeinem Tode in nerhalb der Grenzen Deutſchlands ſoll nachgedruckt werden können.

$ . 95 . f) Die Freiheit , Beeinträchtigungen der perſönlichen oder Eigens thumsrechte gegen Jedermann nach den Geſegen vor dem ordent lichen Richter verfolgen, und wegen verweigerter , berzögerter, ober gejegwidrig geübter Rechtspflege Beſchwerde bei dem Bunde führen zu können .

§ . 96. g) Auf die Verantwortlichkeit der Schriftſteller , oder fals dieſe nicht genannt ſind , der Buchhändler und Druder gegründete und mit der nöthigen polizeilichen Aufficht über die Herausgabe periodiſcher Schriften vereinigte Breßfreiheit.

$. 97. h) Gänzliche Aufhebung der Leibeigenſchaft (worunter jedoch nicht bloße an dem Beſiße gewiffer Grundſtücke haftende Leiſtungen zu verſtehen ſind) , wo ſolche noch vorhanden iſt, mit allen aus derſelben fließen den Rechten . Bundesgericht.

$ . 98 . Um in denjenigen Fällen , wo die Gerechtigkeit nur von dem Bunde ſelbft gehandhabt werden kann , dieſelbe nach feſten und unwandelbaren Grundſäßen auszuüben , und alle Willkür und jeden perſönlichen Einfluß davon auszuſáließen , wird ein beſtändiges Bundesgerict, welches in derſelben Stadt , wie der Bundesrath ſeinen Sitz hat , errichtet. . 99. Daſſelbe beſteht aus ... Beiſigern , und alle mit Virilſtimmen begabten Mitglieder des Bundes nehmen nach folgender Beſtimmung an der Belegung der Stellen theil. (Hier iſt die namentliche Beſtimmung einzuſchalten .) Das erſte Mal ernennen die Bundesglieder ſelbſt, können jedoch nur ſolche Perſonen erwählen , welche ſchon Richterftellen in höheren Gerichts höfen, oder in Juriftenfacultäten wirklich bekleidet haben, oder bei angeſtell ten Prüfungen zu denſelben tauglich befunden worden ſind. In der Folge aber wechſelt bei der Erledigung von Beiſißerſtellen die Ernennung Purch die Bundesmitglieder mit der Wahl des Gerichte, zu welcher jedoch die Bundesmitglieder den Vorſchlag machen , ab. Bei der Ernennung wird der Ernannte dem Gerichte angezeigt und von demſelben zur Prüfung zugelaſſen . Bei der eigenen Wahl des Gerichts werden demſelben zwei Perſonen von dem oder den zu dem Vorſchlage bei der erledigten Stelle Berechtigten präſentirt.

440 Dieſes entſcheidet ſich nach der Mehrheit der Stimmen für eine von beiden , unterwirft den alſo Gewählten einer Prüfung, und nimmt ihn , wenn er die Prüfung beſteht, in die Zahl ſeiner Mitglieder auf. Fällt die Prüfung ungünſtig aus, ſo tritt der andere der beiden Vorgeſchlagenen an die Stelle des untüchtig Befundenen . Beſteht auch dieſer die Prüfung nicht, ſo verlangt das Gericht neue Vorſchläge von dem oder den zur Be ſeßung Berechtigten , muß jedoch die Untauglichkeit der abgewieſenen Per fonen durch Mittheilung des Priffungsprotokols darthun. Daſſelbe findet ſtatt, wenn die Prüfung gegen einen von einem Bun desgliede wirklich Ernannten ausfällt. Das untergeordnete Perſonal wird vom Gericht ſelbſt ohne Zuziehung des Bundes angeſtellt. Da es noch zweifelhaft ſcheint, ob es nothwendig ſein wird das Bun desgericht in verſchiedene Senate zu theilen , ſo wird dieſer Punkt für’s erſte hier übergangen .

$ . 100. Die Mitglieder des Bundesgerichts fönnen ihrer Stellen nur durch einen Urtheilsſpruch des Gerichts ſelbſt verluſtig geben. Doch iſt jeder be fugt Klage gegen ſie auch beim Bunde zu erheben . $ . 101 . Das Präſidium in dem Bundesgerichte führt der Bundesrichter. Er wird von dem erſten Bundesrathe mit Zuziehung des Ausſchuſſes des zweis ten gewählt , und dieſe Wahl ift nicht an die Mitglieder des Gerichts ge bunden .

§ . 102. Zur Befugniß des Bundesgerichts gehören nur zwei Arten von Rechtes händeln , nämlich : a ) die Streitigkeiten der unmittelbaren Bundesglieder unter einander ; b) die Klagen mittelbarer Perſonen gegen unmittelbare Bundesglieder wegen Verleßung der innern Landesverfaſſung und folcher in derſelben begründeten einzelnen Rechte , welche durch den Bundes- oder einen andern Staatsvertrag ausdrüdlich zugeſichert ſind. $ . 103. 1. Streitigkeiten der unmittelbaren Bundesmitglieder unter einander. Für dieſe Streitigkeiten giebt es zwei Inſtanzen : a) die der Austräge ; b) die des erſten Bundesrathes und des Bundesgerichts , jedes einzeln oder beide verbunden. Es hängt jedoch von der Uebereinkunft beider ſtreitenden Theile ab auf eine von dieſen Inſtanzen Verzicht zu leiſten , und ſich entweder ſogleich an den Bund zu wenden , oder im Voraus übereinzukommen bei der Entſchei dung der Austräge ſtehen zu bleiben.

$. 104. Bei Ergreifung der Aufträgalinftanz ſchlägt der Beklagte bem Kläger drei unmittelbare Bundesglieder vor , aus welchen dieſer eines zum Richter

!

441 auswählt. Der zum Richter ausgewählte Bundesſtand läßt die Sache ſo dann durch ſeinen oberſten Gerichtshof entſcheiden. Es können jedoch zu Austrägalrichtern audy folche Bundesglieder, welche drei Inftanzen in ihren Staaten haben , oder eines der Kreisgerichte, oder eine Juriſtenfacultät vorgeſchlagen werden.

$ . 105 . Beruhigen ſich die ſtreitenden Theile nicht bei dem Erkenntniß der Aufträgalinſtanz , ſo geht die Sache an den erſten Bundesrath , wenn nicht beide Parteien übereinkommen diefelbe dem Bundesgerichte zu übergeben . $ . 106 . Gelangt die Sache zum erſten Bundesrathe , ſo unterſucht derſelbe, ob fie einer ſtreng richterlichen Entſcheidung fähig iſt, oder mehr eine mit Rüd ſicht auf die Verhältniſſe unabhängiger Staaten gegen einander (welche doch ihre Streitigkeiten von einer ihnen gleichen Behörde geſchlichtet zu ſehen fordern können ) abgefaßte richterliche Entſcheidung erheiſcht, und ſchlägt hier nach einen der folgenden beiden Wege ein : a) fie entweder an das Bundesgericht zu verweiſen , b) oder ſie mit Zuziehung des Ausſchuſſes des zweiten Rathes und einer ſolchen Anzahl von Beiſigern des Bundesgerichts , daß die Bundesräthe die abſolute Stimmenmehrheit haben , ſelbſt zu entſcheiden .

$ . 107. Die Beiſißer des Gerichts , welche der erſte Bundesrath ſich zuordnet , hängen allein von der Beſtimmung des Bundesgerichts , nicht von der des Rathes ab. $ . 108. So wie bei nicht ergriffener Appellation die Auſträgalinſtanz, oder bei eingetretener der erſte Bundesrath oder das Bundesgericht geſprochen haben , iſt das Urtheil rechtskräftig , und es findet kein weiteres Rechtsmittel da gegen ſtatt. $ . 109. 2. Klagen mittelbarer Perſonen gegen unmittelbare Bundesglieder . Dieſe Klagen finden bei dem Bundesgerichte nur dann ſtatt : a) wenn über die Verlegung der Verfaſſung, oder ſolcher in der ſelben begründeten einzelnen Rechte, welche durch den Bundes oder einen andern Staatsvertrag ausdrücklich zugeſichert ſind, Be ſchwerde geführt wird , und nachdem b) vorher die gewöhnlichen Mittel , Abhülfe zu erhalten , nach dem Inhalte des § . 111 vergebens angewendet worden ſind. § . 110. Sie können daher gar nicht angeſtellt werden bei bloßen Forderungen mittelbarer Perſonen an ihren eigenen oder einen fremden Landesherrn. Dieſe müſſen vielmehr bei dem ordentlichen Landesgerichte an gebracht werden , das aber für ſolche Fälle ſeines Eides gegen ſeinen Landes herrn entbunden iſt, und bloß auf die Vorſchrift der Gefeße zu ſehen hat .

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Die Ausnahmen von dieſem § . find im folgenden ad c namentlich bemerkt.

$ . 111 . Klagen von der §. 109 beſchriebenen Art können erhoben werden : a) von den Landſtänden , als verfaſſungsmäßig beftehendem Staats förper ; b) von den mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsſtänden gemein ſchaftlich oder einzeln ; c) von einzelnen Unterthanen . In allen dieſen Fällen aber muß vorher nach § . 109 , b die Rechts hülfe bei dem Landesherrn ſelbft vergebens verſucht worden ſein , und die Zuflucht zum Bundesgericht findet nur alsdann ftatt, wenn in dem einzelnen Staate, gegen welchen geflagt wird, das Recht verweigert , verzögert , oder in ſeinen geſegmäßigen weſentlichen Formen verlegt worden iſt. § . 112. Wenn der Fall eintritt , daß das Bundesgericht ein Verfahren eines Landgerichts in Sachen der $. 109 beſchriebenen Art bei einer Klage über verlegte Gerichtsform für nichtig erklärt, und daher der ſtreitige Gegenſtand noch einmal entſchieden werden muß , ſo ſchiďt es die Sache zwar an das Gericht zurüc , bei weldem die Nulität vorgegangen iſt, ſchreibt ihm aber dabei vor , was es zur Verbeſſerung derſelben thun ſod. $ . 113. Bei allen § . 109 erwähnten Klagen findet gegen das Erkenntniß des Bundesgerichts kein ferneres Rechtsmittel ftatt. Hier tritt die Frage ein , ob die Eintheilung eines Bundesgerichts in zwei Senate und die Beſtellung des zweiten als Appellationsſenates für Beſchwerden dieſer Art rathſam erſcheint. $. 114. Das Bundesgericht entſcheidet nad Mehrheit der Stimmen . Wenn Gleichheit derſelben eintritt, entſcheidet der Bundesrichter , welcher ſonſt keine Stimme hat.

$. 115. Das Bundesgericht überſchickt ſeine Erkenntniffe dem erſten Bundes rathe zur Vollftreďung, welcher dieſelbe nicht zu verweigern , noch auf zuſchieben befugt iſt. Die Vollſtređung dieſer Erkenntniſſe, ſowie der nady ſ. 106 von ihnen ſelbſt gefälten , geſchieht durch die Kreisvorſteher nach den Beſtimmungen der $ 8. 31 und 32 .

§ . 116. Beſchwerden gegen das Bundesgericht ſelbſt fönnen bei dem erſten Rath, als der ausübenden Macht des Bundes , welchem ſein Gericht untergeordnet iſt, angeſtellt werden . Sie können aber nur Ueberſchreitungen der Befug nifie, Berzögerung der Sachen und Berabſäumung der vorgeſchriebenen Formen betreffen . $ . 117. Bei jeder Berathung über Beſchwerden dieſer Art muß der erſte Rath den Ausſchuß des zweiten mit zuziehen . Wird aber alsdann nach vorher

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gegangener Unterſuchung die erhobene Klage für gegründet erklärt, ſo ſteht dem erſten Rathe das Recht zu dem entdeckten Mißbrauche zu ſteuern , und dazu diejenigen Mittel anzuwenden , welche die Umſtände nöthig machen. Der erſte Rath kann in dieſem Falle zu einer außerordentlichen Unterſuchung des Bundesgerichts durch Commiſſarien ſchreiten . Regelmäßige Unterſuchun gen des Bundesgerichts werden auf die gleiche Weiſe vom erſten Bundess rathe alle ſechs Jahre angeordnet.

$ . 118 . Die Mitglieder des Bundesgerichts ſtehen die Dauer ihres Am tes hindurch für ihre Perſonen und Familien lediglich unter dem Bunde , und genießen einer vollkommenen Freiheit, ſowol von dem Staate , in dem der Siß des Gerichts iſt , als von den Staaten , deren Unterthanen ſie waren , ehe fie ihre Stelle erhielten . Perſönliche Klagen gegen ſie können daher nur bei dem Bundesgerichte ſelbſt angebracht werden , dingliche folgen den Vor ſchriften des gemeinen Rechts . Die Beſtimmung der Art , wie bei dieſen Klagen zwei Inſtanzen , auch wenn das Gericht nur einen Senat hätte, entweder durch Beſtellung eines Nusſchuſſes aus deſſen Mitte, oder durch Verſchickung der Acten gebildet werden ſollen , wird der Abfaſſung der Gerichtsordnung vorbehalten. In dieſer wird gleichfalls feſtgeſetzt werden, inwiefern auch das Unterperſonal des Gerichts an der Eremtion der Mitglieder theilnehmen ſoll.

$ . 119. Sobald das Bundesgericht beſtellt iſt, muß es ſich damit beſchäftigen : 1. in einer Bundesgerichtsordnung das Gerichtsverfahren , welches bei demſelben beobachtet werden ſoll, zu beſtimmen ; 2. diejenigen Grundſätze feſtzuſeßen , nach welchen außer den Fa milien- und andern Berträgen und den allgemeinen ſtaats- und völkerrechtlichen Grundſäten auch noch die ehemaligen Reichsgeſebe zur Richtſchnur bei Entſcheidung der Streitigkeiten der unmittels baren Bundesglieder dienen ſollen. Beide Entwürfe müſſen , als fünftige Bundesgeſeße, dem Bundesrathe zur Prüfung und Beſtätigung vorgelegt werden . 8. 120 . Da es aber unumgänglich nothwendig iſt das Bundesgericht ſogleid in Thätigkeit zu leben , ſo wird gleich jeßt durch ein aus rechtsverſtändigen Perſonen zuſammengeſetztes Comité ein Proviſorium über die beiden ,im vorigen § . enthaltenen Punkte entworfen und den Höfen zur Vollziehung vorgelegt werden . Dies Proviſorium wird dem Bundesgerichte bis zur Vođendung der künftigen Bundesgerichtsordnung zur Norm dienen .

Beilage

III.

Deutſche Bundesacte , unterzeichnet zu Wien den 8. Juni 1815. Im Namen der allerheiligſten und untheilbaren Dreieinigkeit. Die ſouveränen Fürſten und freien Städte Deutſchlands, den gemeinſamen Wunſch hegend den fünften Artikel des pariſer Friedens vom 30. Mai 1814 in Erfülung zu ſeben, und von den Vortheilen über zengt, welche aus ihrer feſten und dauerhaften Verbindung für die Sicherheit und die Unabhängigkeit Deutſchlands und die Ruhe und das Gleichgewicht Europas hervorgehen würden , ſind übereingekommen ſid) zu einem beſtän digen Bunde zu vereinigen, und haben zu dieſem Ende ihre Geſandten und Abgeordneten am Congreſſe zu Wien mitVollmachten verſehen , nämlich : (Folgen die Namen .) In Gemäßheit dieſes Beſoluſjes haben die vorſtehenden Bevollmächtigten nach geſchehener Auswechſelung ihrer richtig befundenen Vollmachten folgende Artikel verabredet:

I. Allgemeine Beſtimmungen . Artikel I. Die ſouveränen Fürften und freien Städte Deutſchlands , mit Einſchluß Ihrer Majeſtäten des Kaiſers von Oeſterreich und der RT 3 nige von Preußen , von Dänemark und der Niederlande und zwar der Kaiſer von Oeſterreich und der König von Preußen ' beide für ihre ge ſammten , vormals zum deutſchen Reiche gehörigen Befißungen , der Kö nig von Dänemark für Holſtein , der König der Niederlande für das Großherzogthum furemburg, vereinigen ſich zu einem beſtändigen Bunde , welcher der Deutſche Bund heißen ſoll.

Artikel II. Der Zweď deſſelben ift: Erhaltung der äußern und innern Sicherheit Deutſchlands und der Unabhängigkeit und Unverleßbarkeit der einzelnen deutſchen Staaten . Artikel III. Alle Bundesglieder haben , als ſolche, gleiche Rechte. Sie verpflichten fich alle gleichmäßig die Bundesacte unverbrüchlich zu halten. Artikel IV. Die Angelegenheiten des Bundes werden durch eine Bundesvers ſammlung beſorgt, in welcher alle Glieder deſſelben durch ihre Bevoll mächtigten theils einzelne, theils Geſammtſtimmen , jedoch unbeſchadet ibres Ranges führen : 1. Defterreich 1 Stimme , >> 1 2. Preußen . 1 3. Baiern 1 4. Sachſen . 1 5. Hannover 1 6. Würtemberg

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7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

Baden 1 Stimme, >> 1 Kurheffen » 1 Großherzogthum Heſſen 1 Dänemark wegen Holſtein Niederlande wegen des Großherzogthums > Luremburg . 1 Die großherzoglich und herzoglich fächfis 1 ſchen Häuſer 1 Braunſ weig und Naſſau Međlenburg - Schwerin und Medlenburg 1 Strelit Holſtein -Oldenburg, Anhalt und Schwarz » 1 burg Hohenzollern, liechtenſtein , Reuß , Schaum 1 burg - lippe , lippe und Walded Die freien Städte Lübeck, Frankfurt, Bres 1 men und Hamburg Zuſammen 17 Stimmen . Artikel V.

Defterreich hat bei der Bundesverſammlung den Vorſit . Jedes Bunbeeglieb iſt befugt Borſchläge zu machen und in Bortrag zu bringen, und der Vorſigende iſt verpflichtet ſolche in einer zu beſtimmenden Zeitfriſt der Berathung zu übergeben. Artikel VI. Wo es auf Abfaſſung und Abänderung von Grundgeſeßen des Bundes, auf Beſchlüſſe, welche die Bundesacte ſelbſt betreffen , auf or ganiſche Bundeseinrichtungen und auf gemeinnüßige Anord nungen ſonſtiger Art ankommt , bildet ſich die Verſammlung zu einem Plenum , wobei jedoch mit Rüdſicht auf die Verſchiedenheit der Größe der einzelnen Bundesſtaaten folgende Berechnung und Bertheilung der Stimmen verabredet iſt : 1. Deſterreich erhält 4 Stimmen , )) 4 2. Preußen . )) 4 3. Sachſen » 4. Baiern 5. Hannover 4 6. Würtemberg 7. Baden 3 >> 3 8. Kurbeffen » 3 9. Großherzogthum Heſſen ) 3 10. Holſtein » 3 11. Luremburg 2 12. Braunſchweig . 2 13. Medlenburg - Schwerin . 2 14. Naſſau 1 Stimme, 15. Sachſen - Weimar 1 16 . Gotha ) ") Das herzoglich Sachſen - Gothaiſche Haus erloſch im Manneftamme im Jahre 1825 und damit auch ſein Stimmrecht. Durch Erbtheilungsvertrag vom 12. Nov. 1826 wurden die Herzogthümer Sachſen - Roburg - Gotha , Sachſen - Meiningen - Hildburghauſen und Sachſen - Altenburg gebildet.

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Sachſen - Koburg 1 Stimme, > » 1 Meiningen > 1 Hildburghauſen > 1 Medlenburg - Strelitz )) 1 Holſtein - Didenburg )) 1 Anhalt- Deſſau >> 1 Bernburg ) > 1 Köthen ?) Sdwarzburg - Sondershauſen 1 1 Rudolſtadt » 1 Hohenzollern Sechingen 3) 1 Liechtenſtein >> 1 Þohenzollern - Siegmaringen ) 1 Walded 1 Reuß ältere Linie . 1 jüngere Linie )) 1 Schaumburg - Lippe lippe 1 1 Die freie Stadt Lübeck . ) > Frankfurt 1 1 Bremen Hamburg 1 Zuſammen 69 Stimmen. 5) Ob den mediatiſirten vormaligen Reichsſtänden auch einige Curiatſtimmen im Pleno zugeſtanden werden ſollen , wird die Bundes verſammlung bei der Berathung der organiſchen Bundesgeſetze in Erwägung nehmen . 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23, 24 . 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38.

Artikel VII. Inwiefern ein Gegenſtand nach obiger Beſtimmung für das Blenum geeignet ſei , wird in der engern Verſammlung durch Stimmenmehrheit entſchieden . Die der Entſcheidung des Pleni zu unterziehenden Beſchlußent würfe werden in der ' engern Verſammlung vorbereitet, und bis zur Sowol in der Annahme oder Verwerfung zur Reife gebracht. engern Verſammlung, als im Pleno werden die Beſchlüſſe nach der Mehr heit der Stimmen gefaßt , jedoch in der Art , daß in der erſtern die ab folute , in dem lettern aber nur eine auf zwei Drittheilen der Ab ftimmung beruhende Mehrheit entſcheidet. Bei Stimmengleichheit in der engern Berſammlung ſteht dem Vorſitenden die Entſcheidung zu. Wo es aber auf Annahme odes Abänderung der Grundgefeße , auf organiſche Bundeseinrichtungen , auf jura singulorum oder Religions angelegenheiten ankommt, kann weder in der engern

1) Das herzoglich Anhalt-Bernburgiſche Haus erloſch im Jahre 1863 und deſſen Befigun gen erbte Anhalt - Deſſau. 2) Das herzoglich Anhalt- Röthenſche Haus erloſch im Jahre 1847 und deſſen Befißungen gingen auf Anhalt - Deſſau über. 3) und 4) Die beiden Hohenzollernſchen Häuſer traten ihre Beſitungen im Jahre 1848 an die jüngere linie ihres Hauſes, Preußen ab. 5) Nachdem zu obigen 69 Stimmen im Jahre 1817 diejenige des Landgrafen von Heſſen Homburg als neununddreißigſten Bundesmitgliedes hinzugefügt worden war , hat die Stim menzahl durch obgedachte Todesfälle und Verzichte um 5 fich vermindert, ſodaß noch 65 Stimmen im Plenum vorhanden find.

447 Verſammlung nod im Pleno ein Beſchluß durch Stimmenmehrheit ge faßt werden . Die Bundesverſammlung iſt beſtändig , hat aber die Befugniß , wenn die ihrer Berathung unterzogenen Gegenſtände erledigt ſind, auf eine be ſtimmte Zeit , jedoch nicht auf länger als vier Monate ſich zu vertagen. Ale näheren , die Vertagung und die Beſorgung der etwa während derſelben vorkommenden dringenden Geſchäfte betreffenden Beſtimmungen werden der Bundesverſammlung bei Abfaſſung der organiſchen Gefeße vor behalten . Artikel VIII. Die Abſtimmungsordnung der Bundesglieder betreffend , wird feſtgeſeßt, daß ſolange die Bundesverſammlung mit Abfaſſung der organis ſchen Gefeßebeſchäftigt iſt, hierüber keinerlei Beſtimmung gelte, und die zufällig fich fügende Ordnung teinem der Mitglieder zum Nachtheil gereichen, noch eine Regel begründen fout. Nach Abfaſſung der organiſchen Geſeße wird die Bundesverſammlung die fünftige, als beſtändige Folge einzuführende Stimmenordnung in Berathung nehmen , und ſich darin ſo wenig als möglich von der ehemals auf dem Reichstage , und namentlich in Gemäßheit des Reichs depu tation 8 - Hauptſchluſſes von 1803 beobachteten Ordnung entfernen. Auch dieſe Ordnung kann aber auf den Rang der Bundesglieder überhaupt, und ihren Vortritt außer den Verhältniſſen der Bundesverſammlung keinen Einfluß üben. Artikel IX. Die Bundesverſammlung hat ihren Siß zu Frankfurt am Main . Die Eröffnung derſelben iſt auf den 1. Sept. 1815 feftgeſett.

Artikel X. Das erſte Gefdäft der Bundesverſammlung nad ihrer Eröffnung wird die Abfaſſung des Grundgeſebes des Bundes , und deſſen organiſche Ein ridh tung in Rückficht auf ſeine auswärtigen , militäriſchen und in neren Verhältniſſe ſein. Artikel XI. Ade Mitglieder des Bundes verſprechen ſowol ganz Deutſchland , als jeden einzelnen Bundesſtaat gegen jeden Angriff in S d uß zu nehmen und garantiren ſich gegenſeitig ihre ſämmtlichen unter dem Bunde begriffenen Befigungen . Bei einmal erklärtem Bundeskrieg darf kein Mitglied einſeitige un terhandlungen mit dem Feinde eingehen , noch einſeitig Waffenſtills ſtand oder Frieden ſchließen. Die Bundesglieder behalten zwar das Recht der Bündniſſe aller Art, verpflichten fich jedoch in keine Verbindungen einzugehen, welche gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelner Bundesſtaaten gerichtet wären. Die Bundesglieder machen fich ebenfalls verbindlich einander unter keinerlei Vorwand zu befriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen , ſondern ſie bei der Bundesverſammlung anzubringen . Dieſer liegt alsdann ob die Vermittelung durch einen Ausid uß zu verſuchen , und falls dieſer Verſuch fehlſchlagen ſollte, und demnach eine richterliche Entſcheidung nöthig würde , folche durch eine wohlgeordnete Aufträgalinſtanz zu bewirken , beren Ausſpruch die ſtreitenden Theile fich ſofort zu unterwerfen haben.

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II . Beſondere Beſtimmungen . Außer den in den vorhergehenden Artikeln beſtimmten , auf die Feſt ſtellung des Bundes gerichteten Punkten ſind die verbündeten Mitglieder übereingekommen hiermit über folgende Gegenſtände die in den nachſtehenden Artikeln enthaltenen Beſtimmungen zu treffen , weldie mit jenen Artikeln gleiche Kraft haben ſollen . Artifel XII. Diejenigen Bundesglieder , deren Beſitzungen nicht eine Volfszahl von 300000 Seelen erreichen , werden ſich mit den ihnen verwandten Häuſern , oder andern Bundesgliedern , mit welchen ſie wenigſtens eine ſolche Volts zahl ausmachen , zur Bildung eines gemeinſchaftlichen oberſten Ge richts vereinigen . In den Staaten von ſolcher Volksmenge , wo ſchon jeßt dergleichen Ge richte dritter Inſtanz vorhanden ſind , werden jedoch dieſe in ihrer bisherigen Eigenſchaft erhalten , wofern nur die Volfszahl , über welche ſie ſich erſtređen , nicht unter 150000 Seelen iſt. Den vier freien Städten ſteht das Recht zu ſich unter einander über die Erridhtung eines gemeinſamen oberſten Gerichts zu vereinigen . Bei den folchergeſtalt errichteten gemeinſchaftlichen oberſten Ges richten ſoll jeder der Parteien geſtattet ſein , auf die Verſchickung der Acten auf eine deutſche Facultät oder an einen Schöppenftuhl zur Abfaſſung des Endurtheils anzutragen. Artifel XIII. In allen Bundesſtaaten wird eine landftändiſche Verfaſſung ſtatt finden . Artikel XIV.

Um dem im Jahre 1806 und ſeitdem mittelbar gewordenen ehemaligen Reichs ſtänden und Reichsangehörigen in Gemäßheit der gegenwärti gen Verhältniſſe in allen Bundesſtaaten einen gleichförmig bleibenden Rechts zuſtand zu verſchaffen , vereinigen die Bundesſtaaten ſich dahin : a) daß die fürſtlichen und gräflichen Häuſer fortan nichtsdeſtoweniger zu dem hohen Abel in Deutſchland gerechnet werden , und ihnen das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Bes griffe verbleibt . b) Sind die Häupter dieſer Häuſer die erſten Standesherren in dem Staate, zu dem ſie gehören . Sie und ihre Familien bilden die privilegirtefte Alalje in demſelben , insbeſondere in Anſehung der Beſteuerung. c) Es ſollen ihnen überhaupt in Anſehen ihrer Perjonen , Familien und Beſißungen alle diejenigen Rechte und Vorzüge geſichert werden , oder bleiben , welche aus ihrem Eigenthum und deſſen un geſtörtem Genuß herrühren , und nicht zu der Staatsgewalt und ben höheren Regierungsrechten gehören. Unter “ vorerwähuten Rechten ſind insbeſondere und namentlich be griffen : 1. Die unbeſchränkte Freiheit ihren Aufenthalt in jedem , dem Bunde gehörenden , oder mit demſelben in Frieden lebenden Staate zu nehmen. 2. Werden , nach den Grundfäßen der frühern deutſchen Verfaſſung, die noch beſtehenden Familienverträge aufrecht erhalten, und

1

449 ihnen die Befugniß zugeſichert über ihre Güter und Familienver hältniſſe verbindliche Verfügungen zu treffen , welche jedoch dem Souverän vorgelegt und bei den höchſten Landesſtellen zur allge meinen Kenntniß und Nachachtung gebracht werden müſſen. Alle bisher dagegen erlaſſenen Verordnungen ſollen für künftige Fälle nicht weiter anwendbar ſein. 3. Privilegirter. Gerichtsſtand und Befreiung von aller Militä rpflichtigkeit für ſich und ihre Familien . 4. Die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerech tigkeitspflege in erſter, und wo die Beſişung groß genug iſt in zweiter 3nfta 113, der Forftgericht8 barteit, Orta polizei und Aufſicht in Kirchen und Schulſachen , auch über milde Stiftungen , jedoch nach Vorſchrift der landesa gejeße , welchen ſie, ſowie der Miltärverfaſſung und der Oberaufſicht der Regierungen über jene Zuſtändigkeiten un terworfen bleiben. Bei der näheren Beſtimmung der angeführten Befugniffe fowol, wie überhaupt in allen übrigen Punkten wird zur weitern Begründung und Feſtftellung eines , in allen deutſchen Bundesſtaaten übereinſtimmenden Rechtszuſtandes der mittelbar gewordenen Fürſten , Grafen und Herren die in dem Betreff erlaſſene königlich baieriſche Verordnung vom Jahre 1807 als Baſis und Norm untergelegt werden. Dem ehemaligen Reichsadel werden die unter 1 und 2 anges führten Rechte, Antheil der Begüterten an Landſtandſdhaft, Patrimo nial- und Forſtgerichtsbarkeit, Ortspolizei, Kirchenpatronat und der privilegirte Gerichtsſtand zugeſichert. Dieſe Rechte werden jedoch nur nach Vorſchrift der Landesgeſebe ausgeübt. In den durch den Frieden von Lüneville vom 9. Febr. 1801 von Deutſchland abgetretenen und jetzt wieder damit vereinigten Pro vinzen werden bei Anwendung der obigen Grundfäße auf den ehemaligen unmittelbaren Reichsadel diejenigen Beſchränkungen ftattfinden , welche die dort beſtehenden Verhältniſſe nothwendig machen. Artikel XV. Die Fortdauer der auf den Rheinſchiffahrtsoctroi angewieſenen directen und ſubſidiariſchen Renten , die durch den Reichsdeputations Schluß vom 25. Febr. 1803 getroffenen Verfügungen in Betreff des Sculs denweſens und feſtgeſepter Penſionen an geiſtliche und weltliche Indi viduen werden vom Bunde garantirt. Die Mitglieder der ehemaligen Dom- und freien Reichsſtifter has ben die Befugniß ihre durch den erwähnten Reichsdeputations -Saluß feſtge ſeşten Penſionen ohne Abzug in jedem mit dem deutſchen Bunde in Frie den ſtehenden Staate verzehren zu dürfen . Die Mitglieder des deutſchen Ordens werden ebenfalls nach den in dem Reichsdeputations - Hauptſchluß feſtgeſeßten Grundfäßen Penſionen ers halten, inſofern ihnen ſolche noch nicht hinreichend bewilligt worden, und die jenigen Fürſten , welche eingezogene Beſißungen des deutſchen Ordens er halten haben , werden dieſe Penſionen nach Verhältniß ihres Antheils an ben ehemaligen Ordensbeſigungen bezahlen . Die Berathung über die Regulirung der Suftentationstalle und der Penſionen für die überrheiniſchen Biſchöfe und Geiſtlichen , welche Penſionen auf die Beſißer des linken Rheinufers übertragen wer den , iſt der Bundesverſammlung vorbehalten . Dieſe Regulirung iſt binnen Jahresfriſt zu beendigen ; bis dahin wird die Bezahlung der erwähns ten Penſionen auf die bisherige Art fortgeſeßt. II. 29

450 Artikel XVI. Die Verſchiedenheit der chriftlichen Religionsparteien fann in den Ländern und Gebieten des deutſchen Bundes teinen Unterſchied in dem Genuffe der bürgerlichen und politiſchen Rechte begründen . Die Bundesverſammlung wird in Berathung ziehen , wie auf eine mögs lichſt übereinſtimmende Weiſe die bürgerliche Verbeſſerung der Bes tenner des jüdiſchen Glaubens in Deutſchland zu bewirken ſei , und wie inſonderheit denſelben der Genuß der bürgerlichen Rechte, gegen Uebers nahme aller Bürgerpflichten , in den Bundesſtaaten verſchafft und geſichert werden fönne. Jedoch werden den Bekennern dieſes Glaubens bis dahin die denſelben von den einzelnen Bundesſtaaten bereits eingeräumten Rechte erhalten. Artikel XVII. Das fürſtliche Haus Thurn und Taris bleibt in dem , durch den Reichsdeputations -Schluß vom 25. Febr. 1803, oder in ſpäteren Verträgen beftätigten Beſik und Genuß der Poſten in den verſchiedenen Bundes ftaaten , ſo lange als nicht etwa durch freie Uebereinkunft anderweite Verträge abgeſchloſſen werden ſoűten. In jedem Falle werden demſelben infolge des Artikel XIII des er wähnten Reichsdeputations-Hauptſchluſſes ſeine auf Belaſſung der Poften , oder auf eine angemeffene Entſchädigung gegründeten Rechte und Ans ſprüche verſichert. Dieſes ſoll auc da ftattfinden, wo die Aufhebung der Boften ſeit 1803 gegen den Inhalt des Reichsdeputations- Þauptſchluſſes bereits geſchehen wäre, inſofern dieſe Entſchädigung durch Verträge nicht ſchon definitiv feft geſeßt ift. Artikel XVIII. Die verbündeten Fürſten und freien Städte kommen überein den Unterthanen der deutden Bundesſtaaten folgende Rete zuzu fidern : a) Grundeigenthum außerhalb des Staates , den fie bewohnen , zu erwerben und zu beſigen , ohne deshalb in dem fremden Staate meh reren Abgaben unterworfen zu ſein , als deſſen eigene Unterthanen. b) Die Befugniß : 1. des freien Wegziehens aus einem deutſchen Bundesſtaate in einen andern , der erweislich fie zu Unterthanen annehmen will; auch 2. in Civil- und Militärdienſte deſſelben zu treten. Beides jedoch nur, inſofern keine Verbindlichkeit zu Militärdien ften gegen das bisherige Vaterland im Wege ſteht; und damit wegen der dermal vorwaltenden Verſchiedenheit der geſeßlichen Vorſchriften über Militärpflichtigkeit hierunter nicht ein ungleich artiges , für einzelne Bundesſtaaten nachtheiliges Berhältniß ents ſtehen möge , ſo wird bei der Bundesverſammlung die Einfüh rung möglid ft gleid förmiger Grundfäße über dieſen Gegenſtand in Berathung genommen werden. e) Die Freiheit von aller Nad teuer ( jus detractus, gabella emigrationis ) inſofern das Vermögen in einen andern deutſchen Bundesſtaat übergeht , und mit dieſem nicht beſondere Verhältniſſe durch Freizügigkeitsverträge beſtehen . d) Die Bundesverſammlung wird ſich bei ihrer erften Zuſammenkunft mit Abfaſſung gleichförmiger Berfügungen über die Brefreiheit und Sicherheit der Rechte der Schriftſteller und Verleger gegen den Nachdruck beſchäftigen .

451 Artikel XIX . Die Bundesglieder behalten ſich vor bei der erſten Zuſammenkunft der Bundesverſammlung in Frankfurt wegen des Handel 8 und Verkehrs zwiſchen den verſchiedenen Bundesſtaaten , ſowie wegen der Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Congreß zu Wien angenommenen Grundſäge in Berathung zu treten. Artifel XX . Der gegenwärtige Vertrag wird von allen contrahirenden Theilen ratis ficirt werden , und die Ratificationen ſollen binnen der Zeit von ſechs Wo chen , oder wo möglich noch früher nach Wien an die faiſerlich öſterreichiſche Hof- und Staatskanzelei eingeſandt, und bei Eröffnung des Bundes in 118 Archiv deſſelben niedergelegt werden. Zur Urkunde deſſen haben ſämmtliche Bevollmächtigte den gegenwärti gen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Wappen beſiegelt. So geſchehen Wien ben achten Juni im Jahr eintauſend achthundert und funfzehn . ( Folgen die Unterſchriften .)

Beilage

IV .

Schlußacte der über die Ausbildung und Befeſtigung des deutſchen Bundes zu Wien gehaltenen Miniſterialconferenzen vom 15. Mai 1820. Die ſouveränen Fürften und freien Städte Deutſchlands, eingedenk ihrer bei Stiftung des Deutſchen Bundes übernommenen Vers pflichtung den Beſtimmungen der Bundesacte durch ergänzende und erläuternde Grundgeſetze eine zweđmäßige Entwickelung und hiermit dem Vereine ſelbſt die erforderliche Vollendung zu fichern , überzeugt, daß fie, um das Band, welches das geſammte Deutſchland in Friede und Ein tracht verbindet , unauflöslich zu befeſtigen , nicht länger anſtehen durften jener Verpflichtung und einem allgemein gefühlten Bedürfniſſe durch gemein ſchaftliche Berathungen Genüge zu leiſten , haben zu dieſem Ende nachſtehende Bevollmächtigte ernannt, nämlich : ( folgen die Namen), welche zu Wien nach geſchehener Auswechſelung ihrer richtig befundenen Volmachten in Cabinetsconferenzen zuſammengetreten , und nach ſorgfältiger Erwägung und Ausgleichung der wechſelſeitigen Anſichten, Wünſche und Vor ſchläge ihrer Regierungen zu einer definitiven Vereinbarung über folgende Artikel gelangt ſind:

Artikel I. Der Deutſche Bund iſt ein vöſferrechtlicher Verein der deutſchen fou veränen Fürſten und freien Städte zu Bewahrung der Unabhängigkeit und Unverlegbarkeit ihrer im Bunde begriffenen Staaten , und zur Erhaltung der innern und äußern Sicherheit Deutſchlands. 29 *

452 Artikel II. Dieſer Verein beſteht in ſeinem Innern als eine Gemeinſchaft felbſtän diger , unter fich unabhängiger Staaten , mit wechſelſeitigen gleichen Ver tragsrechten und Vertragsobliegenheiten , in ſeinen äußeren Berhältniſſen aber als eine in politiſcher Einheit verbundene Geſammtmacht. Artikel III. Der Umfang und die Schranken , welche der Bund ſeiner Wirkſamkeit vorgezeichnet hat, ſind in der Bundesacte beſtimmt, die der Grundvertrag und das erſte Bundesgeſetz dieſes Vereins iſt. Indem dieſelbe die Zwecke des Bundes ausſpricht, bedingt und ergänzt ſie zugleich deſſen Befugniſſe und Verpflichtungen . Artikel IV . Der Geſammtheit der Bundesglieder ſteht die Befugniß der Entwicke lung und Ausbildung der Bundesacte zu , inſofern die Erfüllung der darin aufgeſtellten Zwecke ſolche nothwendig macht. Die deshalb zu faſſenden Be ſchlüſſe dürfen aber mit dem Geiſte der Bundesacte nicht in Widerſpruch ſtehen , noch von dem Grundcharakter des Bundes abweichen.

Artikel V. Der Bund iſt als ein unauflöslicher Verein gegründet , und es kann daher der Austritt aus dieſem Vereine feinem Mitgliede deffelben freiſtehen. Artikel VI. Der Bund iſt nach ſeiner urſprünglichen Beſtimmung auf die gegen wärtig daran theilnehmenden Staaten beſdränkt. Die Aufnahme eines neuen Mitgliedes kann nur ſtatthaben , wenn die Geſammtheit der Bundes glieder ſolche mit den beſtehenden Verhältniſſen vereinbar , und dem Vor theile des Ganzen angemeſſen findet. Veränderungen in dem gegenwärtigen Beſitftande der Bundesglieder können keine Veränderungen in den Rechten und Verpflichtungen derſelben in Bezug auf den Bund ohne ausdrüdliche Zuſtimmung der Geſammtheit bewirken. Die freiwillige Abtretung auf einem Bundesgebiete haftender Souveränetätsrechte kann ohne folche Zu ſtimmung nur zu Gunſten eines Mitverbündeten geſchehen . Artikel VII. Die Bundesverſammlung, aus den Bevollmächtigten ſämmtlicher Bundes glieder gebildet, ſtellt den Bund in ſeiner Geſammtheit vor und iſt das be ftändige verfaſſungsmäßige Organ ſeines Willens und Handelns .

Artikel VIII. Die einzelnen Bevoúmächtigten am Bundestage ſind von ihreu Com mittenten unbedingt abhängig , und dieſen allein wegen getreuer Befolgung der ihnen ertheilten Inſtructionen , ſowie wegen ihrer Geſchäftsführung überhaupt verantwortlich . Artikel IX. Die ' Bundesverſammlung übt ibre Rechte und Obliegenheiten nur vorgezeichneten Schranken aus. Ihre Wirkſamkeit iſt zu innerhalb der nächſt durch die Vorſchriften der Bundesacte und durch die in Gemäßheit

453 derſelben beſchloſſenen , oder ferner zu beſchließenden Grundgeſetze , mo aber dieſe nicht zureichen, durch die im Grundvertrage bezeichneten Bundes zwecke beſtimmt. Artikel X. Der Geſammtwille des Bundes wird durch verfaſſungsmäßige Beſchlüſſe der Bundesverſammlung ausgeſprochen ; verfaſſungsmäßig aber ſind diejeni gen Beſchlüffe, die innerhalb der Grenzen der Competenz der Bundesver ſammlung nach vorgängiger Berathung durch die freie Abſtimmung entweder im engern Rathe , oder im Plenum gefaßt werden , je nachdem das Eine oder Ändere durch die grundgeſeßlichen Beſtimmungen vorgeſchrieben iſt. Artikel XI. In der Regel faßt die Bundesverſammlung die zur Beſorgung der ge meinſamen Angelegenheiten des Bundes erforderlichen Beſchlüſſe im engern Rathe nach abſoluter Stimmenmehrheit. Dieſe Form der Schlußfaſſung findet in allen Fällen ſtatt, wo bereits feſtſtehende allgemeine Grundſätze in Anwendung , oder beſchloſſene Gefeße und Einrichtungen zur Ausführung zu bringen ſind , überhaupt aber bei allen Berathungsgegenſtänden , welche die Bundesacte oder ſpätere Beſchlüſſe nicht davon ausgenommen haben . Artikel XII. Nur in den in der Bundesacte ausdrücklich bezeichneten Fällen , und wo es auf eine Kriegserklärung und Friedensſchlußbeſtätigung von Seiten des Bundes ankommt, wie auch wenn über die Aufnahme eines neuen Mit gliedes in den Bund entſchieden werden ſoll , bildet ſich die Verſammlung zu einem Plenum . Sft in einzelnen Fällen die Frage, ob ein Gegenſtand vor das Plenum gehört, zweifelhaft, ſo ſteht die Entſcheidung derſelben dem engern Rathe zu. Im Plenum findet keine Erörterung , noch Berathung ftatt, ſondern es wird nur darüber abgeſtimmt, ob ein im engern Rathe vorbereiteter Beſchluß angenommen, oder verworfen werden ſoll. Ein gülti ger Beſchluß im Plenum ſetzt eine Mehrheit von zwei Drittheilen der Stimmen voraus .

Artikel XIII. Ueber folgende Gegenſtände: 1. Annahme neuer Grundgeſeße, oder Abänderung der beſtehenden , 2. organiſche Einrichtungen , das heißt bleibende Anſtalten als Mitter zur Erfüllung der ausgeſprochenen Bundeszwede , 3. Aufnahme neuer Mitglieder in den Bund, 4. Religionsangelegenheiten findet kein Beſchluß durch Stimmenmehrheit ſtatt; jedoch kann eine definitive Abſtimmung über Gegenſtände dieſer Art nur nach genauer Prüfung und Erörterung der den Widerſpruch einzelner Bundesglieder beſtimmenden Gründe , deren Darlegung in keinem Falle verweigert werden darf, erfolgen.

Artikel XIV. Was insbeſondere die organiſchen Einrichtungen betrifft, ſo muß nicht nur über die Vorfrage , ob ſolche unter den obwaltenden Umſtänden noths wendig ſind, ſondern auch über Entwurf und Anlage derſelben in ihren all. gemeinen Umriſſen und weſentlichen Beſtimmungen , im Plenum und durch Stimmeneinhelligkeit entſchieden werden . Wenn die Entſcheidung zu Gun ften der vorgeſchlagenen Einrichtung ausgefallen iſt, ſo bleiben die ſämmt

454 lichen weitern Berhandlungen über die Ausführung im Einzelnen der engern Verſammlung überlaſſen , welche alle dabei noch vorkommenden Fragen durch Stimmenmehrheit entſcheidet, auch nach Befinden der Um ſtände eine Commiſſion aus ihrer Mitte anordnet , um die verſchiedenen Meinungen und Anträge mit möglichſter Schonung und Berüdfichtigung der Verhältniſſe und Wünſche der Einzelnen auszugleichen .

Artikel XV. In Fällen , wo die Bundesglieder nicht in ihrer vertragsmäßigen Ein heit, ſondern als einzelne, ſelbſtändige und unabhängige Staaten erſcheinen , folglich jura singulorum obwalten , oder wo einzelnen Bundesgliedern eine beſondere , nicht in den gemeinſamen Verpflichtungen Aller begriffene Lei ſtung oder Verwilligung für den Bund zugemuthet, werden ſollte , kann ohne freie Zuſtimmung ſämmtlicher Betheiligten kein dieſelben verbindender Beſchluß gefaßt werden. Artikel XVI. ! Wenn die Beſißungen eines ſouveränen deutſchen Hauſes durch Erbfolge auf ein anderes übergeben , ſo hängt es von der Geſammtheit des Bundes ab, ob und inwiefern die auf jenen Beſitzungen haftenden Stimmen im Plenum , da im engern Nathe kein Bundesglied mehr als eine Stimme führen kann , dem neuen Beſißer beigelegt werden ſollen . Artikel XVII. Die Bundesverſammlung iſt berufen zur Aufrechthaltung des wahren Sinnes der Bundesacte die darin enthaltenen Beſtimmungen , wenn über deren Auslegung Zweifel entſtehen ſollten , dem Bundeszweđe gemäß zu er klären , und in allen vorkommenden Fällen den Vorſchriften dieſer Urkunde ibré richtige Anwendung zu ſichern .

Artikel XVIII. Da Eintracht und Friede unter den Bundesgliedern ungeſtört aufrecht erhalten werden ſoll, ſo hat die Bundesverſammlung, wenn die innere Ruhe und Sicherheit des Bundes auf irgendeine Weiſe bedroht oder geſtört iſt, über Erhaltung oder Wiederherſtellung derſelben Nath zu pflegen und die dazu geeigneten Beſchlüſſe nadı Anleitung der in den folgenden Artikeln enthaltenen Beſtimmungen zu faſſen . Artikel ?XIX . Wenn zwiſchen Bundesgliedern Thätlichkeiten zu beſorgen , oder wirklich ausgeübt worden ſind , ſo iſt die Bundesverſammlung berufen vorläufige Maßregeln zu ergreifen , wodurdy jeder Selbſthülfe vorgebeugt und der bes reits unternommenen Einhalt gethan werde. Zu dem Ende hat ſie vor allem für Aufrechthaltung des Beſitzſtandes Sorge zu tragen .

Artikel XX. Wenn die Bundesverſammlung von einem Bundesgliede zum Schute des Beſitſtandes angerufen wird , ſo ſoll ſie für dieſen beſondern Fal bes fugt ſein ein bei der Sache nicht betheiligtes Bundesmitglied in der Nähe des zu ſchüßenden Gebietes aufzufordern , die Thatſache des jüngſten Be ſiges und die angezeigte Störung deſſelben ohne Zeitverluſt durch ſeinen oberſten Gerichtshof ſummariſ unterſuchen und darüber einen rechtlichen

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Beſcheid abfaſſen zu laſſen , deſſen Vollziehung die Bundesverſammlung, wenn der Bundesſtaat , gegen welchen er gerichtet iſt, ſich nicht auf vors gängige Aufforderung freiwillig dazu verſteht, durch die ihr zu dieſem Ende angewieſenen Mittel zu bewirken hat. Artikel XXI. Die Bundesverſammlung hat in allen , nach Vorſchrift der Bundes acte bei ihr anzubringenden Streitigkeiten der Bundesglieder die Vermitte lung durch einen Ausſchuß zu verſuchen . Können die entſtandenen Strei tigkeiten auf dieſem Wege nicht beigelegt werden, ſo hat ſie die Entſcheidung derſelben durch eine Auſträgalinſtanz zu veranlaſſen , und dabei , ſo lange nicht wegen der Aufträgalgerichte überhaupt eine anderweitige Uebereinkunft zwiſchen den Bundesgliedern ſtattgefunden hat , die in dem Bundestags. beſchluſſe vom ſechzehnten Juni achtzehnhundert und ſiebzehn enthaltenen Vorſchriften , ſowie den infolge gleichzeitig an die Bundestagsgefandten ers gehender Inſtructionen zu faſſenden beſondern Beſchluß zu beobachten . Artifel XXII. Wenn nach Anleitung des obengedachten Bundestagsbeſchluſſes der oberſte Gerichtshof eines Bundesſtaats zur Aufträgalinſtanz gewählt iſt, ſo ſteht demſelben die Leitung des Proceſſes und die Entſcheidung des Streits in allen ſeinen Haupt- und Nebenpunkten uneingeſchränkt und ohne weitere Einwirkung der Bundesverſammlung , oder der Landesregierung zu. Letztere wird jedoch auf Antrag der Bundesverſammlung, oder der ſtreitenden Theile , im Fall einer Zögerung von Seiten des Gerichte, die zur Beför derung der Entſcheidung nöthigen Berfügungen erlaſſen . Artikel XXIII. Wo keine beſondern Entſcheidungsnormen vorhanden ſind , hat das Aufträgalgericht nach den in Rechtsſtreitigkeiten derſelben Art vormals vou ben Reichsgerichten ſubſidiariſch befolgten Recht&queden , inſofern ſolche auf die jeßigen Verhältniſſe der Bundesglieder noch anwendbar ſind, zu erkennen .

Artikel XXIV . Es ſteht übrigens den Bundesgliedern frei ſowol bei einzelnen vor kommenden Streitigkeiten , als für alle künftige Fälle wegen beſonderer Austräge oder Compromiſſe übereinzukommen , wie denn auch frühere Fa milien- oder Vertragsausträge durch Errichtung der Bundesauſträgalinftanz nicht aufgehoben , noch abgeändert werden. Artikel XXV. Die Aufrechthaltung der innern Ruhe und Ordnung in den Bundes ſtaaten ſteht den Regierungen allein zu. Als Ausnahme kann jedoch, in Rüdſicht auf die innere Sicherheit des geſammten Bundes und infolge der Verpflichtung der Bundesglieder zu gegenſeitiger Hülfsleiſtung , die Mitwir kung der Geſammtheit zur Erhaltung oder Wiederherſtellung der Ruhe im Fall einer Widerſeßlichkeit der Unterthanen gegen die Regierung, eines offe nen Aufruhrs , oder gefährlicher Bewegungen in mehreren Bundesſtaaten ſtattfinden . Artikel XXVI.

Wenn in einem Bundesſtaate durch Widerſeblichkeit der Unterthanen gegen die Obrigkeit die innere Ruhe unmittelbar gefährdet , und eine Ver

456 breitung aufrühreriſcher Bewegungen zu fürchten , oder ein wirklidyer Auf ruhr zum Ausbruch gekommen iſt, und die Regierung ſelbſt, nach Er ſchöpfung der verfaſſungsmäßigen und geſeßlichen Mittel den Beiſtand des Bundes anruft, jo liegt der Bundesverſammlung ob die ſchleunigſte Hülfe zur Wiederherſtellung der Ordnung zu veranlaſſen. Sollte im lettgedachten Falle die Regierung notoriſch außer Stande ſein den Aufruhr durch eigene Kräfte zu unterdrücken , zugleich aber auch durch die Umſtände gehindert werden die Hülfe des Bundes zu begehren , ſo iſt die Bundesverſammlung nichtsdeſtoweniger verpflichtet auch ungerufen zu Wiederherſtellung der Ordnung und Sicherheit einzuſchreiten. In jedem Falle aber dürfen die verfügten Maßreln von keiner längern Dauer ſein , als die Regierung , welder die bundesmäßige Hülfe geleiſtet wird , es nothwendig erachtet. Artikel XXVII. Die Regierung , welcher eine ſolche Hülfe zu Theil geworden , iſt ge halten die Bundesverſammlung von der Veranlaſſung der eingetretenen Un ruhen in Kenntniß zu ſeben , und von den zur Befeſtigung der wiederhers geſtellten geſetlichen Ordnung getroffenen Maßregeln eine beruhigende An zeige an dieſelbe gelangen zu laſſen.

Artikel XXVIII. Wenn die öffentliche Ruhe und geſegliche Ordnung in mehreren Bun desſtaaten durch gefährliche Verbindungen und Rathſchläge bedroht iſt, und nur durch Zuſammenwirken der Geſammtheit zureichende Maßregeln das gegen ergriffen werden können , ſo iſt die Bundesregierung befugt und be rufen , nach vorgängiger Rückſpradie mit den zunächſt bedrohten Regierun gen , ſolche Maßregeln zu berathen und zu beſchließen . Artikel XXIX . Wenn in einem Bundesſtaate der Fall einer Juſtizverweigerung ein tritt , und auf geſetzlichen Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden kann, ſo liegt der Bundesverſammlung ob erwieſene , nach der Verfaſſung und den beſtehenden Geſetzen zu beurtheilende Beſchwerden über verweigerte und gehemmte Rechtspflege anzunehmen , und darauf die gerichtliche Hülfe bei der Bundesregierung , die zur Beſdiwerde Anlaß gegeben hat, zu be wirken. Artikel XXX. Wenn Forderungen von Privatperſonen deshalb nicht befriedigt werden können, weil die Verpflichtung denſelben Genüge zu leiſten zwiſchen mehre ren Bundesgliedern zweifelhaft oder beſtritten iſt , ſo hat die Bundesver ſammlung auf Anrufen der Betheiligten zuvörderſt eine Ausgleichung auf gütlichem Wege zu verſuchen , im Falle aber , daß dieſer Verſuch ohne Er folg blieb , und die in Anſpruch genommenen Bundesglieder ſich nicht in einer zu beſtimmenden Friſt über ein Compromiß vereinigten , die recht liche Entſcheidung der ſtreitigen Vorfrage durch eine Aufträgalinſtanz zu veranlaſſen .

Artikel XXXI. Die Bundesverſammlung hat das Recht und die Verbindlichkeit für die Vodziehung der Bundesacte und der übrigen Grundgeſebe des Bundes, der in Gemäßheit ihrer Competenz von ihr gefaßten Beſchlüſſe, der durch die

457 Austräge gefälten ichiedsrichterlichen Erkenntniſſe, der unter die Gewähr leiſtung des Bundes geſtellten compromiſſariſchen Entſcheidungen und der am Bundestage vermittelten Vergleiche ,ſowie für die Aufrechthaltung der vom Bunde übernommenen beſondern Garantien zu ſorgen , auch zu dieſem Ende , nach Erſchöpfung aller andern bundesverfaſſungsmäßigen Mittel, die erforderlichen Executionsmaßregeln mit genauer Beobachtung der in einer beſondern Erecutionsordnung dieſerhalb feſtgeſepten Beſtimmungen und Normen in Anwendung zu bringen.

Artikel XXXII. Da jede Bundesregierung bie Obliegenheit hat auf Bollziehung der Bundesbeſchlüffe zu halten, der Bundesverſammlung aber eine unmittelbare Einwirkung auf die innere Verwaltung der Bundesſtaaten nicht zuſteht, ſo kann in der Regel nur gegen die Regierung ſelbſt ein Execution & verfahren ſtattfinden. Ausnahmen von dieſer Regel treten jedoch ein , wenn eine Bundesregierung in Ermangelung eigener zureichender Mittel felbſt die Hülfe des Bundes in Anſpruch nimmt, oder wenn die Bundesverſammlung unter den im ſechsundzwanzigſten Artikel bezeichneten Umftänden zur Wies derherſtellung der allgemeinen Ordnung und Sicherheit unaufgerufen einzu (dreiten verpflichtet iſt. Im erſten Falle muß jedoch immer in Ueberein fimmung mit den Anträgen der Regierung, welcher die bundesmäßige Hülfe geleiſtet wird , verfahren , und im zweiten Falle ein Gleiches , ſobald die Regierung wieder in Thätigkeit geſeßt iſt, beobachtet werden. Artikel XXXIII. Die Executionsmaßregeln werden im Namen der Geſammtheit des Bundes beſchloſſen und ausgeführt. Die Bundesverſammlung ertheilt zu dem Ende , mit Berückfichtigung aller Localumſtände und ſonſtigen Verhäſt niffe , einer oder mehreren bei der Sache nicht betheiligten Regierungen den Auftrag zur Volziehung der beſchloſſenen Maßregein , und beſtimmt zugleich ſowol die Stärke der dabei zu verwendenden Mannſchaft, als die nach dem jedesmaligen Zwed des Erecutionsverfahrens zu bemeffende Dauer deſſelben . Artikel XXXIV . Die Regierung , an welche der Auftrag gerichtet iſt, und welche ſolchen als eine Bundespflicht zu übernehmen hat , ernennt zu dieſem Behuf einen Civilcommiffär, der in Gemäßheit einer nach den Beſtimmungen der Bun desverſammlung von der beauftragten Regierung zu ertheilenden beſondern Inſtruction das Erecutionsverfahren unmittelbar leitet. Wenn der Auftrag an mehrere Regierungen ergangen iſt, ſo beſtimmt die Bundesverſammlung, welche derſelben den Bundescommiſſär zu ernennen hat. Die beauftragte Regierung wird während der Dauer des Erecutionsverfahrens die Bundes verſammlung von dem Erfolge deſſelben in Kenntniß erhalten , und ſie ſo bald der Zweď vollſtändig erfüllt iſt, von der Beendigung des Geſchäfts unterrichten .

Artikel XXXV. Der Bund hat als Geſammtmacht das Recht Krieg , Frieden , Bünd niſſe und andere Verträge zu beſchließen. Nach dem im zweiten Artikel der Bundesacte ausgeſprochenen Zwede des Bundes übt derſelbe aber dieſe Rechte nur zu ſeiner Selbſtvertheidigung, zur Erhaltung der Selbſtändigkeit und äußern Sicherheit Deutſchlands, und der Unabhängigkeit und Under leßlichkeit der einzelnen Bundesſtaaten - aus.

458 Artifel XXXVI. Da in dem elften Artikel der Bundesacte ale Mitglieder des Bundes fich verbindlich gemacht haben ſowol ganz Deutſchland, als jeden einzelnen Bundesſtaat gegen jeden Angriff in Schutz zu nehmen, und ſich gegenſeitig ihre jämmtlichen , unter dem Bunde begriffenen Beſißungen zu garantiren, ſo kann kein einzelner Bundesſtaat von Auswärtigen verlegt werden , ohne daß die Verlegung zugleich und in demſelben Maße die Geſammtheit des Bundes treffe . Dagegen ſind die einzelnen Bundesſtaaten verpflichtet von ihrer Seite weder Anlaß zu dergleichen Verletzungen zu geben , noch auswärtigen Staa ten ſolche zuzufügen. Sollte von Seiten eines fremden Staates über eine von einem Mitgliede des Bundes ihm widerfahrene Verleßung bei der Bundesverſammlung Beſchwerde geführt, und dieſe gegründet befunden werden , ſo liegt der Bundesverſammlung ob das Bundesglied , welches die Beſchwerde veranlaßt hat , zur ſchleunigen und genügenden Abhülfe aufzu fordern, und mit dieſer Aufforderung nach Befinden der Umſtände Maß regeln , wodurch weitern friedenſtörenden Folgen zur rechten Zeit vorgebeugt werde , zu verbinden.

Artikel XXXVII. Wenn ein Bundesſtaat bei einer zwiſchen ihm und einer auswärtigen Macht entſtandenen Irrung die Dazwiſchenkunft des Bundes anruft, ſo hat die Bundesverſammlung den Urſprung ſolcher Irrung und das wahre Sach verhältniß ſorgfältig zu prüfen . Ergiebt ſich aus dieſer Prüfung , daß dem Bundesſtaate das Recht nicht zur Seite ſteht, ſo hat die Bundesverſamm lung denſelben von Fortſeßung des Streits ernſtlich abzumahnen , und die begehrte Dazwiſchenkunft zu verweigern, auch erforderlichenfalls zur Ers baltung des Friedenøftandes geeignete Mittel anzuwenden. Ergiebt ſich das Gegentheil, ſo iſt die Bundesverſammlung verpflichtet dem verlegten Bundess ſtaate ihre wirkſamſte Verwendung und Vertretung angedeihen zu laſſen, und ſolche ſo weit auszudehnen , als nöthig iſt , damit demſelben volle Sicherheit und angemeſſene Genugthuung zu Theil werbe.

Artikel XXXVIII. Wenn aus der Anzeige eines Bundesſtaats oder aus andern zuvers Täſſigen Angaben Grund zur Beſorgniß geſchöpft wird , daß ein einzelner Bundesſtaat oder die Geſammtheit des Bundes von einem feindlichen An griffe bedroht ſei, ſo muß die Bundesverſammlung ſofort dieFrage, ob die Gefahr eines ſolchen Angriffs wirklich vorhanden iſt, in Berathung nehmen , und darüber in der kürzeſt möglichen Zeit einen Ausſpruch thun. Wird die Gefahr anerkannt, ſo muß gleichzeitig mit dieſem Ausſpruche wegen der in folchem Falle unverzüglich in Wirkſamkeit zu ſeßenden Vertheidigungsmaß regeln ein Beſchluß gefaßt werden . Beides, jener Ausſpruch und dieſer Be ſchluß, ergeht von der engern Verſammlung, die dabei nach der in ihr gel tenden abſoluten Stimmenmehrheit verfährt.

Artikel XXXIX. Wenn das Bundesgebiet von einer auswärtigen Macht feindlich über fallen wird, tritt ſofort Der Stand des Krieges ein , und es muß in dieſem Falle, was auch ferner von der Bundesverſammlung beſchloſſen werden mag , ohne weitern Verzug zu den erforderlichen Vertheidigungsmaßregeln ge ſchritten werden.

459 Artikel XL. Sieht ſich der Bund zu einer förmlichen Kriegserklärung genöthigt, ſo kann ſolche nur in der vollen Verſammlung nach der für dieſelbe vorges ſchriebenen Stimmenmehrheit von zwei Drittheilen beſchloſſen werden . Artikel XLI. Der in der engern Verſammlung gefaßte Beſchluß über die Wirklichkeit der Gefahr eines feindlichen Angriffs verbindet ſämmtliche Bundesſtaaten zur Theilnahme an den vom Bundestage nothwendig erachteten Bertheidi gungsmaßregeln. Gleicherweiſe verbindet die in der vollen Verſammlung ausgeſprochene Kriegserklärung ſämmtliche Bundesſtaaten zur unmittelbaren Theilnahme an dem gemeinſchaftlichen Kriege . Artikel XLII. Wenn die Vorfrage , ob Gefahr vorhanden iſt , durch Stimmenmehr heit verneinend entſchieden wird , ſo bleibt nichtsdeſtoweniger denjenigen Bundesſtaaten , welche von der Wirklichkeit der Gefahr überzeugt ſind, un benommen gemeinſchaftliche Vertheidigungsmaßregeln unter einander zu ver abreden. Artikel XLIII. Wenn in einem Falle, wo es die Gefahr und Beſchützung einzelner Bundesſtaaten gilt, einer der ſtreitenden Theile auf die förmliche Vermitte lung des Bundes anträgt, ſo wird der Bund, inſofern er es der Lage der Sachen und ſeiner Stellung angemeſſen findet, unter vorausgeſeşter Ein willigung des andern Theiles dieſe Vermittelung übernehmen ; jedoch darf dadurch der Beſchluß wegen der zur Sicherheit des Bundesgebietes zu er: greifenden Vertheidigungsmaßregeln nicht aufgehalten werden , noch in der Ausführung der bereits beſchloſſenen ein Stiūſtand oder eine Verzögerung eintreten . Artikel XLIV.

Bei ausgebrochenem Kriege ſteht jedem Bundesſtaate frei zur gemein ſamen Vertheidigung eine größere Macht zu ſtellen , als ſein Bundescontin gent beträgt; es kann jedodi in dieſer Hinſicht keine Forderung an den Bund ſtattfinden. Artikel XLV. Wenn in einem Kriege zwiſchen auswärtigen Mächten , oder in andern Fällen Verhältniſſe eintreten , welche die Beſorgniß einer Verlegung der Neu tralität des Bundesgebietes veranlaſſen, ſo hat die Bundesverſammlung ohne Verzug im engern Rathe die zur Behauptung dieſer Neutralität erfor derlichen Maßregeln zu beſchließen. Artifel XLVI. Beginnt ein Bundesſtaat, der zugleid außerhalb des Bundesgebietes Beſißungen hat , in ſeiner Eigenſchaft als europäiſche Macht einen Krieg, ſo bleibt ein jolcher , die Verhältniſſe und Verpflic ;tungen des Bundes nicht berührender Krieg dem Bunde ganz fremd. Artikel XLVII. In den Fällen , wo ein ſolcher Bundesſtaat in ſeinen außer dem Bunde belegenen Beſitzungen bedroht und angegriffen wird , tritt für den Bund die Verpflichtung zu gemeinſchaftlichen Vertheidigungsmaßregeln oder zur Theil nahme und Hülfsleiſtung nur inſofern ein , als derfelbe nach vorgängiger

· 460 Berathung burd Stimmenmehrbeit in der engern Berſammlung Gefahr für das Bundesgebiet erkennt. Im letztern Falle finden die Vorſchriften der vorhergehenden Artikel ihre gleichmäßige Anwendung.

Artikel XLVIII. Die Beſtimmung der Bundesacte, vermöge welcher nach einmal erklär tem Bundeskriege kein Mitglied des Bundes einſeitige Unterhandi mit dem Feinde eingehen , noch einſeitig Waffenſtillſtand oder Frieden ſchließen darf, iſt für ſämmtliche Bundesſtaaten , fie mögen außerhalb des Bundes Beſißungen haben oder nicht, gleich verbindlich. Artikel XLIX. Wenn von Seiten des Bundes Unterhandlungen über Abſchluß des Friedens oder eines Waffenſtitſtandes ſtattfinden , ſo hat die Bundesver ſammlung zu ſpecieller Leitung derſelben einen Ausſchuß zu beſtellen , zu dem Unterhandlungsgeſchäft ſelbſt aber eigene Bevollmächtigte zu ernennen , und mit gehörigen Inſtructionen zu verſehen. Die Annahme und Beſtäti gung eines Friedensvertrags fann nur in der vollen Verſammlung ge deben . Artikel L. In Bezug auf die auswärtigen Verhältniſſe überhaupt liegt der Bundes verſammlung 06 : 1. als Organ der Geſammtheit des Bundes für die Aufrechthaltung friedlicher und freundſchaftlicher Verhältniſſe mit den auswärtigen Staaten Sorge zu tragen ; 2. die von fremden Mächten bei dem Bunde beglaubigten Geſandten anzunehmen, und wenn es nöthig befunden werden ſollte, im Na men des Bundes Geſandte an fremde Mächte abzuordnen ; 3. in eintretenden Fällen Unterhandlungen für die Geſammtheit des Bundes zu führen und Verträge für denſelben abzuſchließen ; 4. auf Verlangen einzelner Bundesregierungen für dieſelben die Verwendung des Bundes bei fremden Regierungen, und in glei cher Art, auf Verlangen fremder Staaten die Dazwiſchenkunft des Bundes bei einzelnen Bundesgliedern eintreten zu laſſen . Artikel LI. Die Bundesverſammlung iſt ferner verpflichtet die auf das Militärweſen des Bundes Bezug habenden organiſchen Einrichtungen , und die zur Sicher ſtellung ſeines Gebiets erforderlichen Vertheidigungsanſtalten zu beſchließen. Artikel LII. Da zur Erreichung der Zwecke und Beſorgung der Angelegenheiten des Bundes von der Geſammtheit der Mitglieder Geldbeiträge zu leiſten ſind , ſo hat die Bundesverſammlung 1. den Betrag der gewöhnlichen, verfaſſungsmäßigen Ausgaben , ſo weit ſolches im allgemeinen geſchehen kann, feſtzuſeßen ; 2. in vorkommenden Fällen die zur Ausführung beſonderer, in Hin ficht auf anerkannte Bundeszwecke gefaßten Beſchlüſſe erforderlichen außerordentlichen Ausgaben und die zur Beſtreitung derſelben zu leiſtenden Beiträge zu beſtimmen ; 3. das matrifelmäßige Verhältniß , nad weldem von den Mitgliedern des Bundes beizutragen iſt, feſtzuſeßen ; 4. die Erhebung , Verwendung und Verrechnung der Beiträge anzu ordnen und darüber Aufſicht zu führen.

461 Artikel LIII. Die durch die Bundesacte den einzelnen Bundesſtaaten garantirte Un abhängigkeit ſchließt zwar im allgemeinen jede Einmiſchung des Bundes in die innere Staatseinrichtung und Staatsverwaltung aus. Da aber die Bundesglieder ſich in dem zweiten Abſchnitte der Bundesacte über einige beſondere Beſtimmungen vereinigt haben , welche ſich theils auf Gewähr leiſtung zugeſicherter Rechte, theils auf beſtimmte Verhältniſſe der Unter thanen beziehen , ſo liegt der Bundesverſammlung ob die Erfüllung der durch dieſe Beſtimmungen übernommenen Verbindlichkeiten , wenn fidy aus hinreichend begründeten Anzeigen der Betheiligten ergiebt, daß ſolche nicht ſtattgefunden habe , zu bewirken . Die Anwendung der in Gemäßheit dieſer Verbindlichkeiten getroffenen allgemeinen Anordnungen auf die einzelnen Fälle bleibt jedod den Regierungen allein überlaffent. Artikel LIV. Da nach dem Sinn des Dreizehnten Artikels der Bundesacte und den darüber erfolgten ſpätern Erklärungen in allen Bundesſtaaten landſtändiſche Verfaſſungen ſtattfinden ſollen , ſo hat die Bundesverſammlung darüber zu wachen , daß dieſe Beſtimmung in feinem Bundesſtaate unerfüūt bleibe . Artikel LV. Den ſouveränen Fürften der Bundesſtaaten bleibt überlaſſen dieſe in nere Landesangelegenheit mit Berü & ſichtigung ſowol der früherhin geſeblich beſtandenen ſtändiſchen Rechte, als der gegenwärtig obwaltenden Verhältniſſe zu ordnen . Artikel LVI. Die in anerkannter Wirkſamkeit beſtehenden landſtändiſchen Verfaſſungen können nur auf verfaſſungsmäßigem Wege wieder abgeändert werden . Artikel LVII. Da der deutiche Bund mit Ausnahme der freien Städte aus ſouveränen Fürſten beſteht, ſo muß, dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge, die geſammte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben , und der Souverän kann durch eine landſtändiſche Verfaſſung nur in der Ausübung beſtimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden. Artikel LVIII. Die im Bunde vereinten ſouveränen Fürſten dürfen durch keine land ftändiſche Verfaſſung in der Erfülung ihrer bundesmäßigen Berpflichtungen gehindert oder beſdhränkt werden. Artikel LIX . Wo die Oeffentlichkeit landſtändiſcher Verhandlungen durch die Vers faſſung geſtattet iſt, muß durch die Geſchäftsordnung dafür geſorgt werden , daß die geſetzlichen Grenzen der freien Neußerung weder bei den Verhand lungen ſelbſt, noch bei deren Bekanntmachung durch den Druck auf eine die Ruhe des einzelnen Bundesſtaates oder des geſammten Deutſchlands gefährdende Weiſe überſchritten werden. Artikel LX . Wenn von einem Bundesgliede die Garantie des Bundes für die in einem Lande eingeführte landftändiſche Verfaſſung nachgeſucht wird , ſo iſt die Bundesverſammlung berechtigt folche zu übernehmen . Sie erhält das

462 durch die Befugniß auf Anrufen der Betheiligten die Verfaſſung aufrecht zu erhalten , und die über Auslegung oder Anwendung derſelben entſtandenen Irrungen , ſofern dafür nicht anderweitig Mittel und Wege geſeßlich vorge ſchrieben find, durch gütliche Vermittelung oder compromiſſariſche Entſcheis dung beizulegen .

Artikel LXI. Außer dem Fall der übernommenen beſondern Garantie einer land ſtändiſchen Verfaſſung, und der Aufrechthaltung der über den dreizehnten Artikel der Bundesacte hier feſtgeſepten Beſtimmungen , iſt die Bundesvers ſammlung nicht berechtigt in landſtändiſche Angelegenheiten , oder in Streitig feiten zwiſchen dem Landesherrn und ihren Ständen einzuwirken , ſo lange ſoldie nicht den im ſechsundzwanzigſten Artikel bezeichneten Charakter an nehmen , in welchem Falle die Beſtimmungen dieſes ſowie des ſiebenund zwanzigſten Artikels auch hierbei ihre Anwendung finden. Der ſechsund vierzigfte Artikel der wiener Congreßacte vom J. 1815 in Betreff der Verfaſſung der freien Stadt Frankfurt erleidet jedoch hierdurch keine Ab änderung. Artikel LXII. Die vorſtehenden Beſtimmungen in Bezug auf den dreizehnten Artikel der Bundesacte ſind auf die freien Städte inſoweit anwendbar, als die bes ſondern Verfaſſungen und Verhältniſſe derſelben es zulaffen. Artikel LXIII. Es liegt der Bundesverſammlung ob auf die genaue und vollſtändige Erfüllung derjenigen Beſtimmungen zu achten , welche der vierzehnte Artikel der Bundesacte in Betreff der mittelbar gewordenen ehemaligen freien Reichsſtände und des ehemaligen unmittelbaren Reichsadels enthält. Die jenigen Bundesglieder , deren Ländern die Beſißungen derſelben einverleibt worden, bleiben gegen den Bund zur unverrüdten Aufrechthaltung der durch jene Beſtimmungen begründeten ſtaatsrechtlichen Verhältniffe verpflichtet. Und wenngleich die über die Anwendung der in Gemäßheit des vierzehnten Artikels der Bundesacte erlaſſenen Verordnungen oder abgeſchloſſenen Ver träge entſtehenden Streitigkeiten in einzelnen Fällen an die competenten Behörden des Bundesſtaats, in welchem die Befißungen der mittelbar ge wordenen Fürſten, Grafen und Herren gelegen ſind,zur Entſcheidung ge bracht werden müſſen , jo bleibt denſelben doch im Fall der verweigerten geieblichen und verfaſſungsinäßigen Rechtshülfe oder einer einſeitigen , zu ihrem Nachtheile erfolgten legislativen Erklärung der durch die Bundesacte ihnen zugeſicherten Rechte der Recurs an die Bundesverſammlung vorbe halten ; und dieſe iſt in einem ſolchen Falle verpflichtet, wenn ſie die Be ſchwerde begründet findet, eine genügende Abhülfe zu bewirken. Artikel LXIV. Wenn Vorſchläge zu gemeinnütigen Anordnungen , deren Zweck nur durch die zuſammenwirkende Theilnahme aller Bundesſtaaten voúſtändig er reicht werden kann , von einzelnen Bundesgliedern an die Bundesverſamm lung gebracht werden , und dieſe fich von der Zweckmäßigkeit und Ausführ barkeit ſolcher Vorſchläge im allgemeinen überzeugt, jo liegt es ihr ob sie Mittel zur Bollführung derſelben in ſorgfältige Erwägung zu ziehen , und ihr anhaltendes Beſtreben dahin zu richten , die zu dem Ende erforderliche freiwillige Vereinbarung unter den ſämmtlichen Bundesgliedern zu be wirken.

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463 Artikel LXV. Die in den beſondern Beſtimmungen der Bundesacte , Artikel XVI, XVIII , XIX , zur Berathung der Bundesverſammlung geſtellten Gegen ftände bleiben derſelben, um durch gemeinſchaftliche Uebereinkunft zu mög lichſt gleichförmigen Verfügungen darüber zu gelangen , zur fernern Be arbeitung vorbehalten . Die vorſtehende Acte wird als das Reſultat einer unabänderlichen Ver einbarung zwiſchen den Bundesgliedern mittels Präſidialvortrags an den Bundestag gebracht, und dort infotge gleichlautender Erklärungen der Bundesregierungen durch förmlichen Bundesbeſchluß zu einem Grundgeſek erhoben werden , welches die nämliche Kraft und Gültigkeit wie die Bundes acte ſelbſt haben , und der Bundesverſammlung zur unabweidhlichen Richts ſchnur dienen fol. Zur Urkunde deffen haben ſämmtliche hier verſammelte Bevollmächtigte die gegenwärtige Acte unterzeichnet und mit ihrem Wappen unterſiegelt. So geſchehen zu Wien den funfzehnten des Monats Mai im Jahr eintauſend achthundert und zwanzig.

Ende .

0056376

95

Drud von F. A. Brodhaus in Leipzig.

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Berichtigungen.

Erſter Band. Seite 295 , 3.1 0. O. , ftatt: welche lord Caftlereag, an das Herzogthum Warſchau zur Bes tämpfung von defien übermäßigen Anſprüchen richtete , lies : welche Lord Caftlereagh in Wien an den Kaiſer Alexander zur Betämpfung von deſſen übermäßigen Anſprüchen auf das Herzogthum Warſchau richtete 497, » 17 v. 0. , ft. 10. Mai, I.: 30. Mai

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194, 222, 225, 254,

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17 d. 60. 16 v. 60.

0. , u. , u. , u. ,

Zweiter Band. ft.: jeder deutſche, I.: jeder größere deutſche ft.: von , I.: an ft.: ihern , I.: ihren ft.: Warſchau, I.: das Großherzogthum Warſchau

4 GEN 64