Von Angst bis Zerstörung: Deutschsprachige Bühnen- und Hördramen über den Atomkrieg 1945–1975 [1 ed.] 9783737011068, 9783847111061

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Von Angst bis Zerstörung: Deutschsprachige Bühnen- und Hördramen über den Atomkrieg 1945–1975 [1 ed.]
 9783737011068, 9783847111061

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Interfacing Science, Literature, and the Humanities / ACUME 2

Volume 13

Edited by Vita Fortunati, Universit/ di Bologna Elena Agazzi, Universit/ di Bergamo

Scientific Board Susan Bassnett (Warwick University), Andrea Battistini (Universit/ di Bologna), Andreas Blödorn (Westfälische Wilhelms-Universität Münster), Wolfgang Braungart (Universität Bielefeld), Michele Cometa (Universit/ di Palermo), Susan Fairweather-Tait (University of East Anglia), Vincenzo Ferrone (Universit/ di Torino), Claudio Franceschi (Universit/ di Bologna), Susan Friedman (University of Wisconsin-Madison), Brian Hurwitz (King’s College), Giovanni Levi (Mus8um National D’Histoire Naturelle), Ansgar Nünning (Justus Liebig Universität Giessen), Vera Nünning (Universität Heidelberg), Giuliano Pancaldi (Universit/ di Bologna), Stefano Poggi (Universit/ di Firenze), Stanley Ulyaszeck (Oxford University) Editorial Board Raul Calzoni (Universit/ di Bergamo), Valeria Cammarata (Universit/ di Palermo), Zelda Franceschi (Universit/ di Bologna), Guglielmo Gabbiadini (Universit/ di Bergamo), Gilberta Golinelli (Universit/ di Bologna), Andrea Grignolio (Universit/ di Roma La Sapienza), Federica La Manna (Universit/ della Calabria), Micaela Latini (Universit/ di Cassino), Alessandro Nannini (Universit/ di Bologna), Greta Perletti (Universit/ di Bergamo), Massimo Salgaro (Universit/ di Verona), Aurelia Santoro (Universit/ di Bologna)

Emilia Fiandra

Von Angst bis Zerstörung Deutschsprachige Bühnen- und Hördramen über den Atomkrieg 1945–1975

Mit 5 Abbildungen

V& R unipress

Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available online: https://dnb.de.  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Gçttingen, Germany All rights reserved. No part of this work may be reproduced or utilized in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, or any information storage and retrieval system, without prior written permission from the publisher. Cover image: Friedrich Dþrrenmatt, Ausschnitt aus Die Physiker II (Weltraumpsalm), 1973, Sammlung Centre Dþrrenmatt Neuchâtel,  CDN / Schweizerische Eidgenossenschaft. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-1390 ISBN 978-3-7370-1106-8

Inhalt

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hinweise zur Zitierweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I Einleitung und Themenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Den Atomkrieg inszenieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Problemstellung und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zur Theatralität der Bombe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Das Atomzeitalter tritt auf die Bühne . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Versuch einer Periodisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire . 2.1 Visualisierung thematischer Schwerpunkte . . . . . . . . . . 2.2 ›Grüner Drache‹ und japanische Fischer : die Japan-Dramatik 2.3 Bildung eines Klischees: das Pilotendrama . . . . . . . . . . . 2.4 Antiamerikanismus und Sowjetophilie . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Sozialismus und aktivistischer Pazifismus: das DDR-Friedensdrama . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Faschismus made in USA und amerikanischer Antibolschewismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Kalter Krieg und Geheimagentenwesen: das Atomverratsdrama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Affirmation, Optimismus und ›gutes Atom‹ . . . . . . . 2.5 Pessimismus und Apokalyptik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Die Angst Nummer Eins . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Weltende als Dramenende . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Fortschritt als Weltende . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Das Katastrophen- und Survival-Drama . . . . . . . . . 2.6 Naturwissenschaftsdramen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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89 95 100 100 107 110 116 122

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Inhalt

2.6.1 Wissenschaft und Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Der gottnahe und der gottferne Physiker . . . . . . . . . . 2.6.3 E = mc2 und andere Formeln . . . . . . . . . . . . . . . .

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975 . . . . . . . . . . . . . . . 1. Franz Fassbind: Atom Bombe. Ein gesprochenes Oratorium (1945) . 2. Max Frisch: Die Chinesische Mauer (1946) . . . . . . . . . . . . . 3. Karl Valentin: Die Atombombe (1946/47) . . . . . . . . . . . . . . . 4. Oskar Wessel: Hiroshima (1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fred Denger : Bikini (1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Curt Langenbeck: Der Phantast (1948) . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ingeborg Drewitz: »Unio mystica« – ein Spuk? (1948) . . . . . . . . 8. Rudolf Freese: Das stärkere Gesetz (1948) . . . . . . . . . . . . . . 9. Otto C. A. zur Nedden: Das Testament des Friedens (1948) . . . . . 10. Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt (1949) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Gerhard Traugott Buchholz: Reich Gottes auf Erden (1949) . . . . . 12. Helmut Schilling: Passagier sieben (1949) . . . . . . . . . . . . . . 13. Matthias Josef Weiss: Gebündelte Strahlen (1950) . . . . . . . . . . 14. Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen (1950) . 15. Autorenkollektiv und Herbert Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor (1950) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (1950) . . . . . . . . . . . . 17. Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (1950) . . . . 18. Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (1950) . . . . . . . . . 19. Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (1950) . . . . . . 20. Rudolf Leonhard: Kleiner Atombombenprozeß (1950) . . . . . . . . 21. Maximilian Scheer : Paris, den 28. April (1950) . . . . . . . . . . . . 22. Ernst Barnewold: Promethiden (1950) . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (1950) . . . . . . . . 24. Heinz Huber : Früher Schnee am Fluss (1950) . . . . . . . . . . . . 25. Kurt Becsi: Atom vor Christus (1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. Julius Hay : Energie (1952) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27. Alfred Andersch: Position 1951 / Menschen im Niemandsland (1951/52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28. Günther Rücker : Drachen über den Zelten (1953) . . . . . . . . . . 29. Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge (1953) . . . . . . . . . 30. Erwin Wickert: Der Verrat von Ottawa (1954) . . . . . . . . . . . . 31. Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega (1954) . . . . .

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Teil II

193 198 203 208 213 217 219 223 229 233 239 241 246 249 255 258 266 273 278 283 287 292

Inhalt

32. Erich Kuby : Die Zerstörung von Slawasch (1955) . . . . . . . . . . 33. Ilse Langner : Cornelia Kungström (1955) . . . . . . . . . . . . . . . 34. Bertolt Brecht: Leben des Galilei (1955/56) . . . . . . . . . . . . . . 35. Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer (1955) . . . . . . . . 36. Erwin Wickert: Hiroshima (1955) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37. Carl Zuckmayer: Das kalte Licht (1955) . . . . . . . . . . . . . . . 38. Werner Baecker : Atome für Millionen (1955) . . . . . . . . . . . . . 39. Günter Felkel: Narkose (1955) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40. Alfred Gong: Die Stunde Omega (1955) . . . . . . . . . . . . . . . . 41. Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen (1955) . . . . . . . . . 42. Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! Ein Atomdrama (aus dem Nachlass: 1955/56) . . . . . . . . . . . . 43. Bertolt Brecht: Leben des Einstein (aus dem Nachlass: 1955/56) . . 44. Hans Joachim Hohberg: Die Wüste (1956) . . . . . . . . . . . . . . 45. Friedrich Gentz: Pilot Herzog (1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . 46. Willy Grüb: Der Fall Dynamit (1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . 47. Willy Grüb: Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs (1956) . . 48. Willy Grüb: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (1956) . . . 49. Hans Friedrich Kühnelt: Es ist später als du denkst (1956) . . . . . 50. Hans Pfeiffer : Laternenfest (1957) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51. Hans Pfeiffer : Ein Abschied. Von dem heldenhaften Protest des japanischen Reisbauern Kosuga gegen die Atomversuche auf den Weihnachtsinseln (1957) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52. Hermann Rossmann: Testflug B 29. (Nie wieder!) (1957) . . . . . . 53. Günther Weisenborn: Göttinger Kantate. Den Aufruf der achtzehn Wissenschaftler und die großen Gefahren unseres Jahrhunderts szenisch darstellend, als öffentliche Warnung niedergeschrieben (1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54. Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen. Szenen mit verbindenden Texten und einem Sprechchor gegen den Atomkrieg / Sturm aus den Sonnen (1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55. Günther Weisenborn: Die Familie von Nevada / Die Familie von Makabah (1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56. Hans JosH Rehfisch: Jenseits der Angst (1958) . . . . . . . . . . . . 57. Alfred Gong: Zetdam (1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58. Hedda Zinner : Auf jeden Fall verdächtig (1959) . . . . . . . . . . . 59. Gerhard Stübe: Harakiri. Eine Funkerzählung (1959) . . . . . . . . 60. Harald Hauser : Weißes Blut (1959) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61. Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens / Der staubige Regenbogen (aus dem Nachlass: 1959) . . . . . . . . . . . . . . . .

7 296 300 304 310 317 321 327 334 338 342 346 352 358 363 368 373 377 380 386

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Inhalt

62. Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen. Ein Agitationsprogramm gegen den Atomtod für Chor, zugleich Sprechchor, Sänger, Spieler und Sprecher (1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63. Helmut Schwarz: Im Aschenregen (1961) . . . . . . . . . . . . . . . 64. Rolf Schneider : Prozeß Richard Waverly (1961) . . . . . . . . . . . 65. Heinrich Böll: Ein Schluck Erde (1961) . . . . . . . . . . . . . . . . 66. Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (1962) . . . . . . . . . . . . . . 67. Heinrich Heym: Asche im Wind (1963) . . . . . . . . . . . . . . . . 68. Jürgen Breest: Die Mädchen aus Hiroshima (1963) . . . . . . . . . 69. Paul Bühler : Der Wagenlenker. Drama eines Atomforschers (1963) . 70. Erasmus Schöfer : Der Pikadon (1964) . . . . . . . . . . . . . . . . 71. Dieter Rohkohl: Das unsichtbare Gepäck (1964) . . . . . . . . . . . 72. Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (1964) . . . 73. Armin Stolper : Zwei Physiker (1965) . . . . . . . . . . . . . . . . . 74. Hilde Rubinstein: Null Uhr Null (1965) . . . . . . . . . . . . . . . . 75. Helmut Schilling: Experiment Ren8 (1966) . . . . . . . . . . . . . . 76. Ludwig Harig: Haiku Hiroshima (1969) . . . . . . . . . . . . . . . 77. Gert Hofmann: Unser Mann in Madras (1969) . . . . . . . . . . . . 78. Hilde Rubinstein: Tiefgefrorenes Reh (1969) . . . . . . . . . . . . . 79. Frank Zwillinger : Kettenreaktion. Ein planetarisches Theater in 4 Zyklen (1972) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80. Karl Mickel: Einstein (1974) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81. Ernst Schumacher : Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität. Ein Biophysical (1975) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

454 457 461 468 477 483 487 494 499 504 509 518 523 527 531 537 541 545 553 561

Teil III Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Sammelbände, Monographien, Aufsätze und Handbuchartikel 3.2 Zeitungsartikel und Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . .

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573 573 578 583 583 607

Register . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dramen- und Hörspielregister 2. Personenregister . . . . . . . . 3. Sachregister . . . . . . . . . . .

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Dank

Dieses Buch ist das Produkt einer langjährigen Beschäftigung mit der deutschsprachigen Literatur gegen die Atombombe. Es wäre ohne die vielfältige Unterstützung von zahlreichen Personen und Institutionen nicht zustande gekommen. Die Anzahl derer, bei denen ich mich dafür bedanke, entspricht dem Umfang der vorliegenden Untersuchung. An erster Stelle möchte ich, in alphabetischer Reihenfolge, den Archiven, Bibliotheken und Verlagen danken, die mir ungedruckte oder schwer zugängliche Quellen zur Verfügung gestellt haben: Ahn & Simrock Bühnen- und Musikverlag Deutsches Literaturarchiv Marbach DRA (Deutsches Rundfunkarchiv) Babelsberg Goetheanum Dokumentation, Dornach Kunsthistorisches Museum Wien Landestheater Linz, Archiv Literaturarchiv der Akademie der Künste, Berlin Meisel Bühnenverlage Norddeutscher Rundfunk, Schallarchiv und Hörspielarchiv Saarländischer Rundfunk, Abteilung Hörspiel Schweizer Archiv der Darstellenden Künste Staatsarchiv Hamburg Thomas Sessler Verlag University of Maryland, Library College Park

Für die Bereitschaft zu Auskünften und das Bereitstellen von Materialien möchte ich zudem namentlich danken: Monika Brück, Bremer Volksschule Archiv Ilke Dietrich, Dramaturgie Schauspiel Leipzig Tobias Fasora, Historisches Archiv Südwestrundfunk Andreas Gumz, Norddeutscher Rundfunk, Abteilungsleitung Dokumentation und Archive Birgit Herbers, Radio Bremen

10

Dank

Für wertvolle Hinweise und Materialbeschaffung möchte ich mich des Weiteren bei dem Schriftsteller Jürgen Breest für seine interessanten Überlegungen und insbesondere bei Erasmus Schöfer bedanken, der mir verschiedene Unterlagen und Rezensionen über sein Stück Der Pikadon zugänglich gemacht hat. Zu großem Dank verpflichtet bin ich außerdem Natalia Blum-Barth, die Alfred Gongs Stück Zetdam aus dem Nachlass herausgab und es mir großzügigerweise schon vor dessen Veröffentlichung zur Verfügung stellte, und Werner Stiefele, der mich auf verschiedene Theaterstücke hinwies und mich in seine Staatsexamensarbeit über antinukleare Stücke der fünfziger Jahre Einsicht nehmen ließ. Zum Schluss gilt mein Dank noch allen Personen, die mir bei der Erstellung des Buches geholfen haben. Für die Graphiken danke ich Giuliana Freschi, Antonello Maruotti und Luciano Nieddu. Für das Korrekturlesen des Manuskripts gilt meiner Freundin Ute Weidenhiller und Anna Ertel mein besonderer Dank. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei den Herausgeberinnen, Elena Agazzi und Vita Fortunati, für die Aufnahme in die vorliegende Reihe und bei Carla Schmidt für die verlegerische Begleitung der Arbeit.

Hinweise zur Zitierweise

In den Fußnoten werden die Werke bei der ersten Nennung vollständig aufgeführt, bei jeder weiteren mit Autorennamen, Kurztitel und dem Verweis auf die erste Anmerkung (im Teil I mit der Nummer der Anmerkung, z. B. Anm. 5; im Teil II mit Angabe des Buchteils und der Nummer der Anmerkung, z. B. Anm. I, 8; Anm. II, 27). Um den ohnehin schon umfangreichen Fußnotenapparat nicht noch zusätzlich zu belasten, wird in den Einzelanalysen (Teil II) nach dem jeweils ersten Zitat aus den Primärtexten die Seitenzahl nur im laufenden Text in Klammern angegeben. Zudem befinden sich in den Anmerkungen interne Verweise auf andere Abschnitte im Buch (z. B. Teil I, Abschnitt 2.3; Teil II, Abschnitt 28).

Teil I

Einleitung und Themenstellung

1.

Den Atomkrieg inszenieren Sieh diese Sache mit der Ächtung der Atomwaffe, mit der Unterschrift – als Schriftsteller find’ ich das alles schrecklich dramatisch. (Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika…) Das Atom ist ungeduldig. Reißt uns mit in sein Tempo. (Hans Rehfisch: Jenseits der Angst) Und genauso wie unser Denken ohne den Begriff des Paradoxen nicht mehr auszukommen scheint, so auch die Kunst, unsere Welt, die nur noch ist, weil die Atombombe existiert: aus Furcht vor ihr. (Friedrich Dürrenmatt: Theaterprobleme)

1.1

Problemstellung und Forschungsstand

Als Joachim Kaiser in seinem 1965 erschienenen Kleinen Theatertagebuch eine zusammenfassende Übersicht über die Entwicklung des Nachkriegstheaters versuchte, konstatierte er zwei neue Typen deutscher Dramatik: das Atomdrama und das Widerstandsdrama. Dabei schien ihm offensichtlich der erste Dramentyp, in dem Ausmaß, das er Anfang der sechziger Jahre erreicht hatte, schon die Grenzen des Akzeptablen überschritten zu haben. Nach den Theatererfolgen von Carl Zuckmayers Das kalte Licht, Friedrich Dürrenmatts Die Physiker und Heinar Kipphardts Oppenheimer, die er explizit nannte, befürchtete Kaiser nun eine wahre Überschwemmung mit Atomstücken: »Wir würden mit noch viel mehr Atomdramen behelligt werden«, bemerkte er schneidend, »wenn nicht die meisten von ihnen, glücklicherweise, auf den Dramaturgenschreibtischen der Theater, Rundfunk- und Fernsehanstalten sozusagen als Blindgänger verende-

16

Einleitung und Themenstellung

ten«.1 Gewiss hatte Kaiser nicht ganz Unrecht mit seiner Kritik an der wachsenden Quantität dieser Textsorte. In den sechziger Jahren schien die Literatur die politische und weltanschauliche Relevanz der Physik als ›Jahrhundertwissenschaft‹, wie sie Armin Hermann 1977 bezeichnete,2 definitiv rezipiert zu haben und sie in den verschiedensten Spielformen durchdeklinieren zu wollen. Und so ganz Unrecht hatte ja Kaiser auch nicht mit der verhältnismäßig bescheidenen Qualität eines großen Teils der damals zirkulierenden Atomdramen, denn ein besonderes Charakteristikum der Theaterliteratur gegen den Atomkrieg bestand eben darin, dass sie eher politische als ästhetische Ambitionen aufwies und eine vorwiegend mahnende Funktion anstrebte, die streng zeitgebunden und zum Teil auch stark publikumsorientiert war. Diese Literatur des ›Nie wieder‹, wie der Titelzusatz eines Atomdramas von Hermann Rossmann lautet,3 wollte vor allem die Öffentlichkeit warnen. Sie wollte demonstrativ Kriegsgefahren aufzeigen, über Risiken der Kernenergie aufklären, pazifistische Werte vermitteln, das Gewissen der Menschheit aufrütteln, um eine nukleare Eskalation zu verhindern. Kurzum: Sie wollte Widerstand leisten und Theater und Rundfunk als Bühne und Tribüne des Protests und des öffentlichen Appells nutzen. Was wohl auch erklärt, warum von dem quantitativ durchaus relevanten Korpus deutschsprachiger Hör- und Bühnenspiele, die sich zwischen 1945 und 1975 mit der Nuklearthematik befassen, trotz einiger Erfolge nur wenige anhaltenden Ruhm erlangt haben. Und doch: Gerade Kaisers unverhohlenes Misstrauen gegenüber der steigenden Anzahl an Werken, die für ihn unter die Kategorie des Atomdramas fallen – so kritikwürdig und wenig trennscharf dieser Begriff auch sein mag –, belegt die damalige Brisanz eines autonomen Genres, dem eine ansehnliche, noch weitgehend unerforschte Reihe von Stücken zum Themenkomplex Atombombe, Kernphysik und atomare Aufrüstung zuzurechnen ist. Es handelt sich um eine Fülle von Produktionen, die nicht nur für das Theater, sondern auch für das Radio konzipiert wurden, wo sich bereits ab Ende der vierziger Jahre die agitatorische und didaktische Friedenshörspieldramatik als eine neue Form des dramatischen Spiels entwickelte. Viele etablierte Autoren der Nachkriegszeit schrieben Hörspiele, und dem Rundfunk als Ort der Diskussion und der Vermittlung moralischer und politischer Werte kam eine Wirkung zu, die bei der literarischen Verarbeitung der atomaren Bedrohung diejenige des Theaters ergänzte oder gar ersetzte. Physikalische Fragen und deren ethisch problematische Konsequenzen, im Atomdiskurs dominierende strittige politische Themen, wie Nuklearpolitik, Wiederbewaffnung, Friedens1 Joachim Kaiser: Kleines Theatertagebuch. Reinbek bei Hamburg 1965, S. 194. 2 Armin Hermann: Die Jahrhundertwissenschaft: Werner Heisenberg und die Geschichte der Atomphysik. Stuttgart 1977. 3 Hermann Rossmann: Testflug B 29. (Nie wieder!). Hamburg [vmtl. 1957–1958].

Den Atomkrieg inszenieren

17

kampf, Abrüstung und Entnuklearisierung, zeithistorische Schwerpunkte, wie Hiroshima, Koreakrieg, Genfer Konferenzen, Suez- und Kubakrise, aber auch apokalyptische und Science-Fiction-Endzeitvisionen wurden hier gern aufgegriffen und ins Zentrum zahlreicher Produktionen gestellt. Sicher schien die ›nukleare Muse‹4 in ihrem enormen dramatischen, narrativen, sprach- und bildschöpferischen Potential die Literatur mehrfach inspiriert zu haben. Die Literarisierung des Atomaren in der Varietät seiner historischen und politischen Erscheinungsformen – von der ersten Explosion zu den späteren Konflikten des Kalten Kriegs, von den technisch-wissenschaftlichen zu den staatlich-militärischen und ökonomischen Implikationen der Physik – eignete sich offenbar hervorragend für die Inszenierung höchst aktueller und höchst unterschiedlicher Diskursfelder: moralischer, politischer, zeitgeschichtlicher und wissenschaftlicher. Und wenn auch die literarischen Ergebnisse dieses Interesses an Atomfragen ästhetisch und formal nicht immer große Kunstwerke waren, so setzte doch um das Ende der vierziger Jahre eine richtige, im folgenden Jahrzehnt massiv anwachsende Welle von interessanten Texten über und gegen die Atombombe ein, aus denen sich die Kulturgeschichte einer ganzen Epoche rekonstruieren lässt. Das ist eine Tatsache, ebenso wie es eine Tatsache ist, dass die meisten dieser Werke nicht in den Kanon der deutschen Literatur eingegangen und heute kaum mehr bekannt sind, zumal viele davon – mit wenigen, obwohl nicht unbedeutenden Ausnahmen – nach der Uraufführung bzw. Ursendung abgesetzt wurden. Aber auch diejenigen Werke, die zu ihrer Zeit gern gelesen oder viel gepriesen wurden, sind heutzutage größtenteils vergessen. Umso mehr lohnt es sich, diesem noch nicht im Zusammenhang gewürdigten Phänomen der antinuklearen Theater- und Hörspielliteratur nachzugehen und anhand der Primärtexte die Fragen nach Unterschieden, Entsprechungen und Perspektivverschiebungen, nach Eigenheiten und Gemeinsamkeiten einer möglichen Gattung aufzuwerfen. Systematische oder gar umfassende Antworten auf diesen Fragenkomplex hat die Forschung bisher nicht gegeben. Die einschlägige Sekundärliteratur, über die hier ein kurzer Überblick gegeben werden soll, ist recht spärlich, abgesehen von wenigen Büchern und Aufsatzsammlungen, die entweder einzelnen Autoren und Einzelstücken oder Teilaspekten gewidmet sind – beispielsweise dem Amerikabild (Weßel, Wettberg), dem Koreakrieg (Stöver), der Wissenschaftlerfigur (Charbon, Knopf), dem Verrat (Horn), dem DDR-Hörspiel und -Theater (Bolik, Profitlich), der Rezeption von Physiktheorien in der Literatur (Emter), der

4 Die Definition stammt von John Canaday : The Nuclear Muse: Literature, Physics, and the First Atomic Bomb. Madison 2000.

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Einleitung und Themenstellung

Vermittlung von Katastrophenereignissen (Drux).5 Besser repräsentiert ist in der Forschung das Verhältnis zwischen Literatur und Kaltem Krieg, allerdings ohne explizite Einbeziehung einer Dramaturgie der Atombombe.6 Aber selbst wo spezielle, auf den kulturellen Niederschlag der Bombe ausgerichtete Interpretationen existieren, ist die große Varietät der teils unbekannten, teils unzugänglichen Texte weitgehend unbeachtet geblieben. Sogar gründliche Studien zu den Themen Nachkriegstheater und Naturwissenschaften im Drama – wie die Arbeiten von Heinz Geiger, Holger Hoppe, Hans Kügler, Wolfgang Lueckel, Hans Mayer, Helmut Peitsch, Ilona Stölken-Fitschen oder die jüngst erschienenen großen Untersuchungen von Julia Dall’Armi über die Kernenergie in der deutschen Literatur und von Clemens Özelt über die Interaktion der Gattungen »im 5 Daisy Weßel: Bild und Gegenbild: Die USA in der Belletristik der SBZ und der DDR (bis 1987). Wiesbaden 1989; Gabriela Wettberg: Das Amerika- Bild und seine negativen Konstanten in der deutschen Nachkriegsliteratur. Heidelberg 1987; Bernd Stöver: Geschichte des Koreakriegs: Schlachtfeld der Supermächte und ungelöster Konflikt. München 2013; R8my Charbon: Die Naturwissenschaften im modernen deutschen Drama. Zürich, München 1974; Jan Knopf: Bertolt Brecht und die Naturwissenschaften. Reflexionen über den Zusammenhang von Naturund Geisteswissenschaften. In: Brecht-Jahrbuch (1978). Hrsg. von John Fuegi, Reinhold Grimm, Jost Hermand u. der Internationalen Brecht-Gesellschaft, S. 13–38; Eva Horn: Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion. Frankfurt a. M. 2007; Sibylle Bolik: Das Hörspiel in der DDR: Themen und Tendenzen. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 1994; Ulrich Profitlich (Hrsg.): Dramatik der DDR. Frankfurt a. M. 1987; Elisabeth Emter : Literatur und Quantentheorie. Die Rezeption der modernen Physik in Schriften zur Literatur und Philosophie deutschsprachiger Autoren (1925–1970). Berlin 1995; Rudolf Drux: Zwischen Störfall und Weltuntergang. Einleitende Bemerkungen zur Vermittlung von Technik-Katastrophen. In: Rudolf Drux, Karl Kegler (Hrsg.): Entfesselte Kräfte. Technikkatastrophen und ihre Vermittlung. Moers, Lüdenscheid 2008, S. 12–36; Ders.: Untergänge mit Zuschauerinnen. Katastrophenereignisse als Beispiele für die Besonderheit literarischer Technikdarstellung. In: MarieH8lHne Adam, Katrin Schneider-Özbek (Hrsg.): Technik und Gender. Technikzukünfte als geschlechtlich codierte Ordnungen in Literatur und Film. Karlsruhe 2016, S. 9–27. 6 Aus der umfangreichen Bibliographie zum Kalten Krieg seien hier beispielhaft angeführt: Klaus Arnold: Kalter Krieg im Äther. Der Deutschlandsender und die Westpropaganda in der DDR. Münster 2002; Wilfried von Bredow : Der Atomdiskurs im Kalten Krieg (1945–1962). In: Michael Salewski (Hrsg.): Das nukleare Jahrhundert: Eine Zwischenbilanz. Stuttgart 1998, S. 91–101; Michael Hansel, Michael Rohrwasser (Hrsg.): Kalter Krieg in Österreich. Literatur – Kunst – Kultur. Wien 2010; Bernd Greiner, Christian Th. Müller, Dierk Walter (Hrsg.): Angst im Kalten Krieg. Hamburg 2009; Henning Müller : Theater im Zeichen des Kalten Krieges. Untersuchungen zur Theater- und Kulturpolitik in den Westsektoren Berlins 1945–1953. Berlin 1976; Nina Noeske, Matthias Tischer (Hrsg.): Musikwissenschaft und Kalter Krieg: das Beispiel DDR. Köln, Wien 2010; Oliver Rathkolb: Planspiele im Kalten Krieg. Sondierungen zur Kultur- und Theaterpolitik der Alliierten. In: Hilde Haider-Pregler, Peter Roessler (Hrsg.): Zeit der Befreiung. Wiener Theater nach 1945. Wien 1997, S. 40–64; Ders.: Politische Propaganda der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich (1945–1950). Ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges in Presse-, Kultur und Rundfunkpolitik. Wien 1981; Günther Stocker, Michael Rohrwasser (Hrsg.): Spannungsfelder. Zur deutschsprachigen Literatur im Kalten Krieg (1945–1968). Wuppertal 2014; Bernd Stöver: Der Kalte Krieg 1947–1991: Geschichte eines radikalen Zeitalters. München 2007.

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Jahrhundert der Physik«7 – gehen meistens nur auf die drei als ›klassisch‹ angesehenen Autoren von Atomdramen: Brecht, Dürrenmatt und Kipphardt ein. Bestenfalls, wie wir schon bei Kaiser gesehen haben, kommt Zuckmayer hinzu. Es ist daher nicht verwunderlich, dass noch 2003 ein namhafter Literaturkritiker und Brecht-Forscher wie Klaus-Detlev Müller den sensationellen Erfolg von Michael Frayns Kopenhagen im Jahr 1998 als späte Fortsetzung jenes »Genre[s] des Physiker-Dramas« kommentierte, »das in Deutschland vor allem durch Brecht, Dürrenmatt und Kipphardt große Resonanz gefunden hatte«.8 Neben dieser nunmehr kanonisch gewordenen Trias werden zwar hier und da in der literaturwissenschaftlichen Forschung, außer dem schon genannten Zuckmayer, ein paar weitere nicht ganz unbedeutende Dramatiker als Atomdramenautoren berücksichtigt, etwa Hans Henny Jahnn (Die Trümmer des Gewissens) oder Günther von Weisenborn (Göttinger Kantate, Die Familie von Makabah). Sporadisch trifft man auch auf andere, weniger populäre Texte, die jedoch manchmal einen wenn auch kurzlebigen Erfolg hatten, z. B. Fred Dengers Bikini, Curt Langenbecks Der Phantast, Rolf Schneiders Prozeß Richard Waverly, Wolfgang Weyrauchs Die japanischen Fischer. Nur vereinzelt behandelt sind hingegen exzentrischere, schwer aufführbare Stücke wie Frank Zwillingers Kettenreaktion, Alfred Gongs Die Stunde Omega und Zetdam9 oder auch berühmtere Spiele, die einen Bezug zur Atomproblematik haben, ohne eindeutig dem Genre der Atomdramen zugeordnet werden zu können, wie im Fall von Max Frischs literarischem Pastiche des Untergangs Die Chinesische Mauer oder 7 Julia von Dall’Armi: Poetik der Spaltung. Kernenergie in der deutschen Literatur 1906–2011. Wiesbaden 2018; Heinz Geiger : Widerstand und Mitschuld. Zum deutschen Drama von Brecht bis Weiss. Düsseldorf 1973; Holger Hoppe: Die Sintflut ist herstellbar. Die Rolle des Wissenschaftlers im deutschen Drama des Atomzeitalters. Freiburg 2006; Hans Kügler : Dichtung und Naturwissenschaft. Einige Reflexionen zum Rollenspiel des Naturwissenschaftlers in B. Brecht, Das Leben des Galilei, F. Dürrenmatt, Die Physiker, H. Kipphardt, In der Sache J. Robert Oppenheimer. In: Ders.: Weg und Weglosigkeit. Neun Essays zur Geschichte der deutschen Literatur im zwanzigsten Jahrhundert. Heidenheim 1970, S. 209–35; Wolfgang Lueckel: Atomic Apocalypse. »Nuclear Fiction« in German Literature and Culture. PhD. University of Cincinnati 2010; Hans Mayer: Dürrenmatt und Brecht oder die Zurücknahme. In: Reinhold Grimm, Willy Jäggi, Hans Oesch (Hrsg.): Der unbequeme Dürrenmatt. Basel, Stuttgart 1962, S. 97–116; Clemens Özelt: Literatur im Jahrhundert der Physik: Geschichte und Funktion interaktiver Gattungen 1900–1975. Göttingen 2018; Helmut Peitsch: Vorbilder, Verräter und andere Intellektuelle. DDR-Friedensdramatik 1950/51. In: Ulrich Profitlich (Hrsg.): Dramatik der DDR (Anm. 5), S. 98–127; Ilona Stölken-Fitschen: Atombombe und Geistesgeschichte: Eine Studie der Fünfziger Jahre aus deutscher Sicht. Baden-Baden 1995. 8 Klaus-Detlev Müller : Brechts »Leben des Galilei« und die Folgen. Der Physiker als Gegenstand literarischer Phantasie. In: Norbert Elsner, Werner Frick (Hrsg.): »Scientia Poetica«. Literatur und Naturwissenschaft. Göttingen 2002, S. 379. 9 Auf Zwillinger geht Özelt in seiner Monographie ein (Literatur im Jahrhundert der Physik. Anm. 7, S. 386–393). Von und über Alfred Gong sind im letzten Jahrzehnt einige wichtige Ausgaben sowie Essays erschienen, s. Bibliographie zu Teil II, Abschnitte 40 und 57.

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Heinrich Bölls Überlebensdrama Ein Schluck Erde. Die Liste der in literaturkritischen Aufsätzen kaum oder gar nicht berücksichtigten Texte ließe sich aber unschwer verlängern. Einige Schau- und Hörspiele werden ausschließlich in großangelegten Theaterdarstellungen (Bortenschläger, Mittenzwei, Rühle, Schmidt),10 Schauspielführern und Lexika summarisch erwähnt. Darüber hinaus tauchen bei DDR-Forschern – Mittenzwei, Ursula und Rudolf Heukenkamp, Emmerich, um hier nur einige Beispiele zu nennen – andere wenige Namen von Schriftstellern auf, denen zumindest im Osten nahezu ein Klassikerstatus zuerkannt wurde, wie Rudolf Leonhard, Karl Mickel, Hans Pfeiffer, Maximilian Scheer, Ernst Schumacher. Es handelt sich dabei um Autoren, die mit ihren Friedensstücken einen wesentlichen Beitrag zur Behandlung von Atomfragen im Radio und im Theater geleistet haben, ohne dass sie von der Literaturkritik im Westen wahrgenommen wurden. Natürlich gibt es außerhalb der Literaturwissenschaft andere signifikante Indikatoren für die Breite der kulturellen Rezeption von der Atombombe als Sujet im Theater. Das gilt z. B. für die fast unübersehbare Zahl von Zeitungsbeiträgen und Rezensionen zu einzelnen Dramen, die für eine Rekonstruktion des intellektuellen Kontexts herangezogen werden können und die auch für diese Arbeit wichtige Quellen darstellen. Viele Werke, deren Titel uns heute nichts mehr sagen, fanden in der Presse Anklang, nachdem sie zahllose Vorstellungen erlebt hatten. Es waren richtige Bestseller-Stücke wie Gustav von Wangenheims Auch in Amerika…, Hans Pfeiffers Laternenfest oder Harald Hausers Weißes Blut. Gerade bei den beliebtesten Dramen zeugt eine Masse von Zeitungsartikeln, Theaterprogrammen und -zeitschriften von dem lebhaften Interesse der Zeit für die Inszenierung des akut gewordenen Nuklearthemas. Doch von einer kritischen Auseinandersetzung ist in den oft nur informativen, zusammenfassenden Zeitungsberichten und Besprechungen von Aufführungen selten die Rede. Eine Bestandsaufnahme der Stücke und deren Resonanz oder Nicht-Resonanz in der Öffentlichkeit, eine genaue Untersuchung der behandelten Hauptstoffe und deren Varianten, der neu entwickelten Atomsymbolik und der sich ebenfalls neu bildenden ›Atomsprache‹11 in den Theater- und Rundfunkstücken, 10 Wilhelm Bortenschlager : Theaterspiegel. Ein Führer durch das moderne Schauspiel. 4 Bde. München 1971–1972; Werner Mittenzwei u. a. (Hrsg.): Theater in der Zeitenwende. Zur Geschichte des Dramas und des Schauspieltheaters in der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1968. 2 Bde. Berlin 1971–1972; Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966. Seine Ereignisse – seine Menschen. Frankfurt a. M. 2014; Wolf Gerhard Schmidt: Zwischen Antimoderne und Postmoderne. Das deutsche Drama und Theater der Nachkriegszeit im internationalen Kontext. Stuttgart, Weimar 2009. 11 Ganz hervorragend ist in diesem Zusammenhang das Buch von Matthias Jung: Öffentlichkeit und Sprachwandel. Zur Geschichte des Diskurses um die Atomenergie. Wiesbaden 1994, das aber Belege aus der Literatur nicht berücksichtigt. Zur Rolle der Sprache bei der Kom-

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eine Gesamtanalyse der ineinandergreifenden Zusammenhänge zwischen Drama, Atombombe und nuklearer Angst sind bisher noch nicht vorgenommen worden. Eine chronologische Übersicht und eine eingehende inhaltlich-formale Interpretation der zahlreichen in Frage kommenden deutschsprachigen Werke und der daraus eruierbaren Affinitäten, Differenzen und Schnittstellen im Rahmen einer möglichen Problematisierung und Definition der Gattung scheinen in der germanistischen Forschung noch ganz zu fehlen.

1.2

Zur Theatralität der Bombe

Wer sich heute an die Aufgabe macht, die Atomdramen zu untersuchen, hat es nicht ganz leicht. Und dies schon wegen des teilweisen Verlusts und der schwierigen, oft umständlichen Auffindbarkeit des gesamten Quellenmaterials, einschließlich Rezensionen und Zeitungsbeiträgen. Ein guter Teil der Produktionen war nie – und ist es noch immer nicht – im Buchhandel oder in Bibliotheken erhältlich. Die meisten Atomtexte, die zwischen Kriegsende und Mitte der siebziger Jahre in den deutschsprachigen Ländern entstanden, wurden als unverkäufliche Typoskripte in wenigen Exemplaren vervielfältigt und blieben der Öffentlichkeit kaum zugänglich. Viele Theaterwerke waren von vornherein für die Theaterproduzenten bestimmt und lagen als Privatdrucke in begrenzter Auflage vor, so wie manche Hörspiele nur in ungedruckter Fassung in Rundfunkarchiven aufbewahrt wurden oder bloß auf Tonträgern überliefert sind. Hinzu kommt allerdings noch ein weiterer Faktor, der für den Literaturhistoriker eine zwar anregende, doch schwer zu bewältigende Herausforderung darstellt, nämlich der zunächst verwirrende Reichtum der Inhalte und der literarischen Gestaltungsweise der Problematik, in der obendrein die vielfältigsten Motive und Varianten vertreten sind. Betrachtet man die Texte, die in den ›heißesten‹ Phasen der Atomdebatte und des Kalten Kriegs die dramatische Produktion im Westen und im Osten zumindest mitbestimmt haben, so findet man, auch unbeachtet der gattungsbedingten formalen Unterschiede und Wahrnehmungsdifferenzen zwischen Hörspiel und Schauspiel, ein weit gefächertes Spektrum an ästhetisch, kulturgeschichtlich und ideologisch variierenden Inszenierungen von Aufrüstung und Nuklearkonflikten, Atombedromentierung und Rechtfertigung von Diskursen über Krieg und Frieden s. Fritz Pasierbsky : Krieg und Frieden in der Sprache. Eine sprachwissenschaftliche Textanalyse. Frankfurt a. M. 1983. Zu Sprache und Argumentationsstrukturen in der Wiederbewaffnungsdiskussion zwischen 1948 und 1955 s. auch Martin Wengeler : Die Sprache der Aufrüstung: Zur Geschichte der Rüstungsdiskussionen nach 1945. Opladen 1992, und Sonˇa Terekov#: Die Sprache in der Politik und die Diskursanalyse. In: Radoslav Sˇtefancˇ&k (Hrsg.): Jazyk a politika: Na pomedz& lingvistiky a politoljgie. Bratislava 2016, S. 57–64.

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hung und Atomangst. Dementsprechend schwierig ist es darum auch, eine eindeutige Definition des Atomdramas als Genre zu versuchen. Das liegt in erster Linie an der schon angedeuteten Vielgestaltigkeit des Phänomens, das durch die Bezeichnung ›Atomdrama‹ umschrieben werden könnte, an den diversen Verflechtungen der Bühnen- und Rundfunktexte mit anderen lyrischdramatischen oder manifest- und reportageartigen Mischformen und an den sich wandelnden historischen und geopolitischen Rahmenbedingungen, unter denen die Werke zustande kamen. Ein Grundmodell, von dem aus Abweichungen und Schattierungen erfasst werden können, gibt es allerdings nicht. Der Literaturwissenschaftler stößt hier vielmehr auf die Überlagerung oft divergierender Gestaltungen und Codierungen von Atomkraftkritik, Risiko-Argumentationen und Katastrophen-Inszenierungen, vermischt mit jenem ideologieanfälligen Arsenal der Konfliktrhetorik, das zum Rüstungswettstreit im Kalten Krieg notwendig dazugehört. Schon rein inhaltlich zeigt sich der Komplex der in den Spielen angesprochenen Themen umfangreich und ausdifferenziert. Die Palette reicht von den Atombombendesastern in Japan über die apokalyptischsten Zukunftsvisionen bis zum wiederholt inszenierten ethisch-politischen Dilemma der Wissenschaft, das stofflich und dramaturgisch vorherrschend ist und sich transversal über die verschiedenen Ebenen des ganzen Genres entfaltet. Die Spannbreite der Atomdramaturgie umfasst sowohl kulturell, sozial und historisch fundamentale Makrothemen, etwa Rüstungswettlauf, Zivilisationskritik, Atomspionage und -verrat, antinukleare Kampagnen, Feindseligkeitsbilder im Kalten Krieg, mediale Spektakularisierungsdynamiken der Katastrophe, als auch angeblich zweitrangige Aspekte. Darunter sind Motive von freilich ungleicher Bedeutung und Aussagekraft zu verzeichnen, wie diejenigen des Countdowns und der tickenden Uhr, der Atombombenformel und deren Vernichtung, des Schuhs und des Schattens (zwei Motive, die nur in den Japan-Dramen zu finden sind), der Unterschriftensammlung zur Ächtung der Atomwaffen, der vermeintlichen Hitler-Bombe, der genetischen Manipulierung usw. Hinzu kommt ein bald toposhaft werdendes Bilderrepertoire von Elend, Qualen, Schmerzen und allerlei physischen und psychischen Auswirkungen von Explosion und radioaktiven Strahlungen, die in bestimmten Strängen dieser Literatur als eine Konstante anzusehen sind und seit Hiroshima den Diskurs über Atomkriegskatastrophen und dessen bildsprachliche Ausdrucksformen prägen. Auch im Hinblick auf die Raumdimension kann man nicht davon ausgehen, dass die Atomdramen eine absolut distinktive Ortssituierung oder eine charakteristische Ikonographie entwickeln. Eine einzige geographisch dominierende Topographie liegt gewiss nicht vor. Bezogen auf die Schauplätze der Handlung sind zwar einige Szenerien identifizierbar, die für das Genre verbindlich sein können: Amerika, Japan, Korea, Sowjetunion, Pazifik-Inseln. Diese

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lassen sich wiederum in private oder gesellschaftsgestaltende Lokalisierungen unterteilen: Bevorzugte Handlungsräume sind hier natürlich Forschungszentren und Labore, gefolgt von Schulen,12 Bunkerräumen,13 Weltraumstationen,14 Schiffen und Fischerbooten.15 Aber oft führt das katastrophisch-apokalyptische Gedankengut, das seit dem Hiroshima-Menetekel nachhaltig und irreversibel Eingang in die Literatur gefunden hat, zum Entwurf trostloser Nicht-Orte und Räume des Posthumanen, die die Kultur- und Wissenschaftskritik in ScienceFiction-Visionen projizieren, in deren Rahmen sich der antitechnische Diskurs, oft in vormaschinellen Verhältnissen, entfalten kann. Zur Kulisse dieser nicht unbeträchtlichen Textgruppe werden dann zivilisationsferne Orte der Extreme, wie endlose Wasserspiegel (Heinrich Bölls Ein Schluck Erde), Konfigurationen des Weltalls (Friedrich Gentz’ Pilot Herzog, Friedrich Dürrenmatts Das Unternehmen der Wega), unwirtliche, menschenleere Gletscher (Wolfgang Weyrauchs Vor dem Schneegebirge) oder Wüsten und Steppen (Hans Joachim Hohbergs Die Wüste, Hans Friedrich Kühnelts Es ist später als du denkst). Als Handlungsort können aber auch imaginäre Städte fungieren (Ernst Barnewolds Magnetoville, Alfred Gongs Terrina, Hans Henny Jahnns Atomstadt, Erich Kubys Slawasch, Hilde Rubinsteins Menehat),16 die antiutopische Lebenswelten bilden, mit denen im Atomdrama die negativsten Entwicklungen einer fortschreitenden Technisierung durchgespielt werden. Darüber hinaus verbinden einige Stücke im Zeichen eines gewaltlosen Widerstands gegen den Atomkrieg irdische und himmlische Szenarien: Ingeborg Drewitz’ »Unio mystica« – ein Spuk?, Gerhard Traugott Buchholz’ Reich Gottes auf Erden, Ilse Schneider-Lengyels Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff!, Paul Bühlers Der Wagenlenker und Frank Zwillingers Kettenreaktion spielen zwischen historischer und kosmischer Zeit unter Verwendung christlicher oder mythischer, das Überräumliche und Übergeschichtliche repräsentierender Ebenen. Quer durch diese disparaten Welten ziehen sich ebenso disparate Personen, unter denen die freilich themabedingte Dominanz von Wissenschaftlerfiguren auffällt. In sehr vielen Texten, zu zahlreich, um sie hier aufzulisten, taucht eine 12 Maximilian Scheer : Paris, den 28. April, Szenen in Werner Baecker : Atome für Millionen und Jürgen Breest: Die Mädchen aus Hiroshima. 13 Hans Joachim Hohberg: Die Wüste, Alfred Gong: Zetdam, Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens, Hilde Rubinstein: Tiefgefrorenes Reh. 14 Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen, Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega, Friedrich Gentz: Pilot Herzog. 15 Fred Denger : Bikini, Helmut Schilling: Passagier sieben, Autorenkollektiv und Herbert Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor, Günther Rücker : Drachen über den Zelten, Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer. 16 In Ernst Barnewolds Promethiden, Alfred Gongs Die Stunde Omega, Hans Henny Jahnns Die Trümmer des Gewissens, Erich Kubys Die Zerstörung von Slawasch, Hilde Rubinsteins Null Uhr Null.

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Reihe realer historischer Physikerfiguren auf – von Galilei zu Einstein, von Oppenheimer zu Edward Teller, von Klaus Fuchs zu Alan Nunn May und JoliotCurie –, die als dramatis personae direkt agieren. Aber auch Nicht-Atomphysiker wie Guglielmo Marconi (Matthias Josef Weiss’ Gebündelte Strahlen) und Alfred Nobel (Otto C. A. zur Neddens Das Testament des Friedens, Oskar Wessels Dynamit. Ein Hörspiel um Bertha von Suttner) treten zuweilen als handelnde Protagonisten auf, stellvertretend für die moderne »Tragödie der Technik«17 und für all jene Forscher, die vom Konflikt zwischen Berufung und Gewissen beherrscht sind. Neben den realen Wissenschaftlerfiguren schafft die Atomdramaturgie fiktive Helden, regelrechte ›Typen‹, die geradezu genrebestimmend werden: An erster Stelle stehen hier ohne Zweifel der verantwortungsbewusste, oft von Skrupeln gequälte Physiker und dessen Gegenpol, der verrückte Wissenschaftsfanatiker. Zum ›reinen‹ Atomforscher gesellen sich typische Nebenfiguren und Antagonisten: eine Tochter oder ein Sohn, die gegen die Atomaufrüstung rebellieren, eine moralisch überlegene Gattin, die den exaltierten Mann wieder zur Vernunft zu bringen versucht, oder die Gegenfigur eines jüngeren Assistenten, der sich mal als zynischer, mal als bestechlicher, mal als viel einsichtiger und vernünftiger zeigt als der Lehrer. Zur tragischen Figurenkonstellation des Atomdramas gehören fernerhin zwei zentrale Gestalten, nämlich der risikobewusste Geheimagent oder Atomspion und der reuige, auf der wahren Geschichte des Hiroshima-Aufklärungspiloten Claude Eatherly beruhende Bomberpilot, die, wie wir sehen werden, zwei florierende Untergenres hervorbringen: das Atomverratsdrama und das Pilotendrama. Rekurrente mediale und soziale Typen sind außerdem der skrupellose Militär, der intrigante Politiker, der rücksichtslose Journalist, der profitgierige Rüstungsindustrielle (vorzugsweise als aggressiver Kapitalist amerikanischer Prägung). Eine Gruppe für sich bildet endlich die besonders reiche und in sich aufgefächerte Kategorie der japanischen Figuren. Die Japan gewidmeten Stücke, davon die meisten Hördramen, spielen vorzugsweise in den atombombardierten Städten oder mitten im Pazifik und beziehen sich dezidiert auf das Schicksal der einheimischen Opfer und Hinterbliebenen der ersten Explosion sowie der folgenden Tests und des radioaktiven Niederschlags. Doch trotz oder vielleicht gerade auch dank des Figurenreichtums, der inhaltlichen Vielfalt und unterschiedlichen Herkunft, Qualität und Darstellungsform dieser Produktion kann man wohl behaupten, dass sich mit dem strikt zeitgebundenen und auf Opposition und Kritik abgestellten Typus des Atomdramas etwas literarisch völlig Neues ausbildet, etwas, das in der vermeintlichen 17 Ncl.: Tragödie der Technik. »Marconi« in Lübeck uraufgeführt. In: Die Zeit, 16. März 1950, S. 3.

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›Dürre‹18 des ersten Nachkriegstheaters durchaus eine Gattungseigenständigkeit beanspruchen kann. Denn bei aller Diversität und Heterogenität der Texte bringen die Atomstücke in ihrer Gesamtheit einerseits sehr spezifische politische und geschichtliche Konflikte der Nachkriegszeit zur Sprache, andererseits aktualisieren sie latente Ängste, aus denen eine Flut von Warnungs-, Antikriegs-, Friedensstücken und Endzeitspielen entsteht. Dabei bedienen sie sich einer Fülle zusammenhängender Inhalte und Formen, die ihrerseits wieder Subgenres mit entsprechenden Bild- und Strukturelementen kreieren. So kristallisieren sich innerhalb der antiatomaren Bühnen- und Funkdramatik gewisse Grundmodelle heraus, die in der formalen Gestaltung, in der Motivik und Metaphorik und sogar im lexikalischen Bereich über zeit- und genretypische Requisiten verfügen: das Prozess- und Dokumentarspiel, das Katastrophendrama, das SurvivalDrama, das argumentative Wissenschaftlerdrama, das kommemorative JapanDrama, der lyrische Text mit Appellstruktur, das didaktische Mahnstück, das politische Friedensdrama. Diese bisher vernachlässigte Relevanz und Komplexität der Atomdramatik im Panorama der deutschsprachigen Literatur aufgrund der analysierten Texte und mittels einer Systematisierung der jeweils wirkenden Thematiken und sprachlichen Eigenheiten zu erforschen, ist Absicht der vorliegenden Studie. Der Beginn des Untersuchungszeitraums fällt mit dem Beginn des Atomzeitaltars zusammen, dem Tag des ersten Atombombenabwurfs auf Hiroshima, am 6. August 1945, der einen epochalen Einschnitt im Umgang des Menschen mit der Technik darstellte und einen Umbruch in der Bewusstwerdungsgeschichte der menschlichen Verletzbarkeit angesichts des Risikos eines totalen Untergangs bedeutete. Als Ende wurde die Mitte der siebziger Jahre gewählt, in der die Atomdramenproduktion – auch infolge der Abschwächung der Oppositionskraft nach der gemäßigt reformistischen Wende der SPD in der Ära Brandt und der durch Unterzeichnung des NPT (Non-Proliferation Treaty), des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags, erfolgten Entspannung der internationalen Lage – einen allmählichen Rückgang des Interesses erfuhr, um dann ihren definitiven Tiefpunkt zu erreichen.

1.3

Das Atomzeitalter tritt auf die Bühne

Aber fangen wir von vorne an. Die Geburtsurkunde der Atomliteratur auf dem Theater ist kein gewöhnliches Drama, sondern ein eher atypisches Werk, eine Art gesprochenes Oratorium, das den sachlichen und direkten Titel Atom 18 Zur Diskussion dieser These in der Theaterforschung vgl. besonders Wolf Gerhard Schmidts Einleitung zu seinem Buch Zwischen Antimoderne und Postmoderne (Anm. 10), S. 1–26.

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Bombe trägt. Es stammt von Franz Fassbind und markiert bereits im Oktober 1945 den Auftritt der Bombe auf die Bühne der deutschen Literatur. Dieses erste nachweisbare Atomdrama entstand aber nicht in Deutschland, sondern nicht von ungefähr in jener neutralen Schweiz, die in der Nachkriegszeit das moralische Gewissen der Deutschen zu vertreten anstrebte. Knapp zwei Monate waren seit Hiroshima vergangen, erstmalig registrierte das Theater das Undenkbare und versuchte, das Unerhörte, das schrecklich Neuartige an dem Ereignis emotionell und künstlerisch zu verarbeiten. Mit Musik und Sprechchören forderte Fassbinds Atom Bombe den Zuschauer auf, sich mit den beispiellosen Vernichtungskapazitäten der unbekannten Waffe auseinanderzusetzen: Inmitten von feierlichen Chören, die ihr Lob auf die nunmehr vergangene Pracht »einer unerschütterlichen Welt«19 anstimmten, verkündete plötzlich ein Lautsprecher die neue Ära in der sachlichen Sprache des Geschichtskalenders: »Am 6. August fällt zum erstenmal eine Atombombe über Hiroshima. Alles Leben in der Stadt ist ausgelöscht«.20 Es war der unwiderrufliche Aufbruch des Theaters in das Atomzeitalter. Von diesem »Tag Null« datiert, wie Günther Anders 1958 in seinem Tagebuch aus Hiroshima und Nagasaki bemerkte, eine neue »Zeitrechnung«,21 ein Zeitbruch, den die deutsche Literatur mehrfach inszeniert, die deutsche Kultur mehrfach abhandelt und thematisiert. In den Thesen zum Atomzeitalter schilderte Anders mit ganz ähnlichen Worten wie Fassbind den Start in die neue Zeit als Ausgangspunkt für die Selbstzerstörung einer der Auslöschung geweihten Menschheit: »Mit dem 6. August 1945, dem Hiroshima-Tage, hat ein neues Zeitalter begonnen […]. Seit diesem Tage sind wir modo negativo allmächtig geworden; aber da wir in jedem Augenblick ausgelöscht werden können, bedeutet das zugleich: Seit diesem Tage sind wir total ohnmächtig«.22 Mit dem Realwerden der Gefahr einer kompletten Auslöschung wächst die Wahrnehmung der Angst als Ausdruck apokalyptischer Weltangst. Parallel dazu aber wächst auch die Hoffnung der Künstler, im thematischen Kontext eines sinnlosen Untergangs eine neue Sinnfindung zu ermöglichen; die Hoffnung zu zeigen, wie die Endkatastrophe abgewendet oder zum Beginn einer besseren Zukunft gemacht werden kann; die Hoffnung also, selbst eine starke Waffe in der Hand zu haben. Zur Anklage, zur Mobilisierung, zur Veränderung. 19 Franz Fassbind: Atom Bombe. Ein gesprochenes Oratorium (1945). In: Ders.: Werkausgabe in zwölf Bänden. Bd. 4: Laterna magica. Hrsg. von Peter Wild. Olten u. Freiburg i. Br. 1989, S. 84. 20 Ebd., S. 85. 21 Günther Anders: Der Mann auf der Brücke. Tagebuch aus Hiroshima und Nagasaki (1958). In: Ders.: Hiroshima ist überall. München 1995, S. 66. 22 Günther Anders: Thesen zum Atomzeitalter (1959). In: Ders.: Die Zerstörung unserer Zukunft. Hrsg. von Bernhard Lassahn. Zürich 1984, S. 67.

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Es ist diese Koexistenz von Aussichtslosigkeit und Beeinflussungswillen, die der Leser, der Hörer, der Zuschauer – in den verschiedensten Nuancen vom politischen Optimismus bis zum dumpfen Existenz- und Kulturpessimismus – bei den Atomdramen vorgeführt bekommen. Gegen die Intensivierung der kollektiven ›Ohnmacht‹, in die laut Anders die negative ›Allmacht‹ umschlägt, soll der Ruf nach Verantwortlichkeit, der Appell an die Pflicht des entscheidungsfähigen Subjekts erklingen, mit dem sich die Theaterliteratur der Nachkriegszeit direkt an die Öffentlichkeit richtet und auf unmittelbare operative Wirkung abzielt. Franz Fassbinds Atom Bombe kann als erster Bühnenversuch in dieser Richtung angesehen werden. Und auch wenn sein lyrischer, pathetisch formulierter Aufruf an das Verantwortungsbewusstsein nicht als Prototyp des aufkommenden Atomdramas gelten kann, da dieses eher auf Aktualität aus ist und zwischen Informationsvermittlung und politischer Anklage changiert, signalisiert er immerhin den Anfang jenes zunehmenden Interesses am Nuklearthema, das sich in der Kultur der Zeit allmählich bekunden und im nächsten Jahrzehnt übermäßig durchsetzen sollte. Freilich, innerhalb der Theaterproduktion der ersten zwei Nachkriegsjahre stellt Fassbinds Oratorium eine noch relativ isolierte Erscheinung dar. Und das wundert uns nicht. Es ist 1945, der Krieg ist gerade erst vorbei. Man verschätzt sich wohl nicht allzu sehr, wenn man vermutet, dass zu diesem Zeitpunkt in Deutschland nur wenige über Effekte und Spätfolgen des amerikanischen Atombombeneinsatzes gegen Japan informiert waren. Auf John Herseys aufrüttelnde Hiroshima-Reportage für das New Yorker-Magazin, die der Welt über die ungeheure Anzahl der Opfer und die totale Zerstörung der Stadt zum ersten Mal die Augen wirklich öffnen sollte, musste man noch ein Jahr warten, ja zwei bis zur deutschen Version, die ebenfalls in der Schweiz publiziert wurde.23 Außer den eher kargen Nachrichten, die dank Autoren wie Bertolt Brecht und Thomas Mann aus dem amerikanischen Exil durchzusickern begannen, wussten die meisten deutschen Schriftsteller über das wahre Ausmaß der Katastrophe noch recht wenig. Der Begriff der atomaren Bedrohung war historisch noch vage und ließ sich auch wissenschaftlich nicht genügend erhärten. Für solche unzureichenden oder gar mangelnden Auskünfte über die Ereignisse in Japan nach dem Abwurf der Bombe, für ein solches Informationsvakuum, gab es sicherlich verschiedene Ursachen – außen- und innenpolitischer Natur. Neben dem äußerst schwerwiegenden US-Zensurfilter, der jegliche Berichte über die bom-

23 Vgl. John Hersey : Hiroshima. New York 1946. Deutsch: 6. August 1945, 8 Uhr 15. Unveränderter Nachdruck der deutschen Erstausgabe von 1947. Mit einem Vorwort von Robert Jungk. Übers. von Justinian Frisch. München 1982.

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Einleitung und Themenstellung

bardierten Städte verhinderte,24 spielten auch noch weitere Faktoren eine Rolle bei der gehemmten Rezeption der Atombombe im deutschen Bewusstsein. Auf der inneren Lage des Landes lasteten allzu konkrete, besorgniserregende Umstände: die Trümmer der zerbombten Städte und die nicht minder gravierenden Ruinen der Nazi-Schuld, die ersten Schock-Bilder der KZs, die nun in ganz Deutschland zu kursieren begannen, und eine Art ›Nürnberg-Effekt‹, der zweifellos dazu beitrug, die Gefühlsreaktionen auf das ohnehin nicht hinreichend bekannte japanische Desaster wenn nicht zu verhindern, dann wenigstens zu dämpfen. Mit der eigenen nationalen Misere bereits genug beschäftigt, schien also Deutschland die nukleare Katastrophe, die sich in so weiter Ferne abgespielt hatte, zunächst nicht wahrzunehmen. Paradoxerweise begann die Atombombe ihren dunklen Schatten auch in der deutschsprachigen Literatur erst zu dem Zeitpunkt zu werfen, als sie den historischen Kriegskontext verließ, um den ebenso unheimlichen aktuellen Boden der Kernwaffentests zu betreten: Hallo Broadway! Zielgebiet ist klar. Die Bühne ist fertig, betitelte Die Welt am 2. Juli 1946 – eineinhalb Tage nach der ersten großen Atombombenzündung auf Bikini – den sensationserregenden Bericht über die amerikanische Operation Crossroads auf dem Atoll. Die starke emotionale Wirkung der Tests im Pazifik, die in allen europäischen Zeitungen für Schlagzeilen sorgten, verbunden mit den ersten Nachrichten über den radioaktiven Fallout, kehrte in Deutschland sozusagen die Chronologie des Geschehens um. Die intellektuelle Debatte über Gebrauch und Legitimität der ersten Atombombe gegen Japan ging hier der vertrackten Diskussion über die Nuklearversuche nicht voran, sondern sie ›folgte‹ auf die als weltweites Spektakel veranstalteten »frevelhaften Bikini-Atomexperimente«, bei denen man, wie eine lapidare Notiz von Thomas Mann lautet, »die Explosion der Bombe broadcasten«25 wollte. Erst nach Bikini lässt sich daher von einer beginnenden Konfrontation der Literatur mit der Thematik der ersten Atombombe sprechen. Dass dem Ereignis eine über die historische Referenz hinausgehende Bedeutung zukam, demonstriert Fred Denger mit der Verwendung der Ortsbezeichnung als Titel seines Dramas, bei dem er ausdrücklich eine »Symbolik ›Bikini‹«26 hervorhob. Die erst 24 Florian Coulmas hat gezeigt, wie die amerikanischen Besatzungsbehörden in Japan Hiroshima und Nagasaki systematisch totschwiegen, dabei jede Diskussion über das Thema sowohl aus japanischen als auch aus westlichen Medien verbannend. S. Florian Coulmas: Hiroshima: Geschichte und Nachgeschichte. München 2010, besonders Kap. IV: Hiroshima in den Medien, S. 40–54. Eine Situation, die sich übrigens auch bei den massiven nachfolgenden Nukleartests wiederholte. Vgl. dazu u. a. Carole Gallagher : American Ground Zero. Der geheime Atomkrieg in den USA. Berlin 1995. 25 Thomas Mann: Tagebücher 28. 5. 1946–31. 12. 1948. Hrsg. von Inge Jens. Frankfurt a. M. 1989, S. 15. 26 Fred Denger : Bikini. Unverkäufl. Manuskr. München 1948, S. 5.

Den Atomkrieg inszenieren

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mit Bikini eingetretene Medialisierung der Nukleartests machte den Einsatz der Bombe auf Japan auch für das breite Publikum im weiteren Sinne ›erfahrbar‹: als schockierendes Erlebnis der bereits eingesetzten und als Besorgnis über die künftig einsetzbaren Atomwaffen. Zweideutig war dabei die Position des Rezipienten: ein Konglomerat aus Angst und Staunen, Bedrohung und Macht, das gerade auch in seiner emotionellen Dimension die Literatur beschäftigte. Von der unermesslichen Kraft menschlicher Technologie rührten angesichts des zuvor nie gekannten Vernichtungspotentials der Kernenergie Mischgefühle her, die zwischen Fortschrittsstolz und antizivilisatorischen Zweifeln, zwischen Furcht und Aufregung vor dem ›beobachteten‹ Untergang schwankten. Die aufsehenerregende Serie der Kernwaffentests auf den Marshall-Inseln machte also die deutschsprachige Literatur auch für diese in sich widersprüchliche Kombination von passivem ›Zuschauen‹ und aktivem Mitwirken aufnahmefähig. So schrieb zum Beispiel der Schweizer Max Frisch in einer Tagebuchnotiz von 1946 über die vor Bildern von Bikini strotzenden Zeitungen: Etliche Stunden, nachdem die Atombombe losgegangen ist, steht der Rauch wie ein schwarzer Blumenkohl. Mit einer gewissen Enttäuschung vernimmt man, daß die Kreuzer und Zerstörer, die im Atoll verankert lagen, noch ziemlich vorhanden sind, also nicht so, daß man sie aufs Brot streichen kann. Die Ziegen, die für diesmal die Menschen vertraten, leben sogar und käuen ihr Futter, als wäre nichts geschehen […]. Das alles ändert nichts an der grundsätzlichen Freude, die dieses Ereignis auslöst. Bei Hiroshima, als Hunderttausende daran starben, war solche Freude nicht möglich. Diesmal ist es nur eine Hauptprobe. Auch die Palmen stehen noch. Aber das alles, kein Zweifel, wird sich verbessern lassen, und der Fortschritt, der nach Bikini führte, wird auch den letzten Schritt noch machen: die Sintflut wird herstellbar. Das ist das Großartige. Wir können, was wir wollen, und es fragt sich nur noch, was wir wollen; am Ende unseres Fortschrittes stehen wir da, wo Adam und Eva gestanden haben; es bleibt uns nur noch die sittliche Frage. Vielleicht dürfte man nicht von Freude reden; es tönt nach Zuversicht oder Hohn, und eigentlich ist es keines von beidem, was man beim Anblick dieser Bilder erlebt; es ist […] das Bewußtsein, daß wir uns entscheiden müssen, das Gefühl, daß wir noch einmal die Wahl haben und vielleicht zum letztenmal; ein Gefühl von Würde; es liegt an uns, ob es eine Menschheit gibt oder nicht.27

Ob es eine Menschheit gibt oder nicht: Die hier formulierte Frage nach dem bedenklichen »Fortschritt, der nach Bikini führte«, und die Auffassung einer dem Menschen allein zustehenden »Wahl« griff Frisch fast wortwörtlich in seiner ebenfalls 1946 verfassten Chinesischen Mauer auf. Und mit dem Begriff einer ›herstellbaren‹ Sintflut28 – wie er sie schon im Tagebuch definierte – gab er als einer der Ersten im Bereich des deutschsprachigen Atomtheaters der Pro27 Max Frisch: Tagebuch 1946–1949. In: Ders.: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Hrsg. von Hans Mayer. Bd. 2, Frankfurt a. M. 1976, S. 400–401. 28 S. hierzu Holger Hoppe: Die Sintflut ist herstellbar (Anm. 7).

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Einleitung und Themenstellung

phezeiung einer Do-it-yourself-Apokalypse – jener ›selbstgemachten‹ Apokalypse, die auch Günther Anders diagnostizierte29 – dramatischen Ausdruck. Offensichtlich vermochte gerade die Spektakularisierung, die mit Bikini auf den Plan trat, die nötige imaginative, emotionale und ideologische Tragweite auszulösen, die in die Atomdramenliteratur einfloss und sie zunehmend auch für Erkenntnisse und Ergebnisse der modernen Kernphysik öffnete. Das Zitat von Max Frisch belegt aber nicht nur, wie sich in der Auseinandersetzung mit der Atombombe ein neues Verständnis des Themas konstituierte, sondern es macht auch auf zwei von nun an unerlässliche Implikate der Darstellung aufmerksam: das Gefühl der Schaulust und, damit verknüpft, jene Vermengung von Attraktion und Schrecken, Ohnmacht und Entscheidungsgewalt, die das Atomtheater mit Blick auf unterschiedliche Konstellationen dramatisierte. In Fred Dengers Theaterstück Bikini von 1948 ist die neue apokalyptische Ära vor dem Hintergrund einer eindrucksvollen Explosionskulisse explizit als Szenario der ›Sensationslust‹ ausgemalt: Es sind hier die Protagonisten selbst, die sich an Bord eines amerikanischen Schiffs als ›aktive‹ Zuschauer erleben. Und der Dramentitel markiert bewusst den geschichtlichen Wendepunkt, ab dem die Gefahr begann, sich ihren Weg in das kollektive Bewusstsein zu bahnen. Es war ein Umbruch in der Wahrnehmung, ein Umbruch im kollektiven Imaginären, aber auch ein Aufbruch neuer Darstellungscodes. Denn ein so radikaler Umbruch verlangte und bewirkte ein ebenso radikales Umdenken. Er zwang die Schriftsteller zu neuen Vorstellungen, die einen Wandel der Mentalität und damit auch eine neue Sprache mit sich brachten. Bei dem ›ultimativen‹ Charakter der atomaren Zerstörung wurde die Frage nach dem Narrativitätsgrad eines Prozesses zentral, der mit seinen Exzessen und Überschreitungen nach neuen Beschreibungsmustern suchte. Die Paradoxie der Darstellbarkeit des über das sinnvoll Darstellbare Hinausgehenden wurde in den Atomdramen mehrfach problematisiert und metapoetisch reflektiert. Mit den Worten von Langenbecks ›Phantasten‹ im gleichnamigen Drama handelt es sich hier um »eine ins Unvorstellbare potenzierte Katastrophe«,30 um etwas – so auch Rudolf Freese in seinem Drama Das stärkere Gesetz –, was in seinen extremen Möglichkeiten »nicht auszudenken« sei, weil es eben »alles Vorstellbare übertrifft«.31 Im Hinblick auf diese neue Herausforderung, die schon Anders im Oxymoron des ›nicht vorgestellten Nichts‹32 zusammengefasst hatte, stieß nun die Kunst auf nie erahnte Grenzen. Die Nachkriegsdramatiker versuchten sich mit wechselnden Erfolgen an erstmaligen literarischen Perspektiven, um das 29 Günther Anders: Hiroshima ist überall (Anm. 21), S. 223. 30 Curt Langenbeck: Der Phantast. Unverkäufl. Manuskr. München [o. J., vermutlich 1950, Military Government for Bavaria Information Control License Number US-E-101], S. 54. 31 Rudolf Freese: Das stärkere Gesetz. Berlin [1948], S. 9, vorheriges Zitat auf S. 3. 32 Vgl. Günther Anders: Thesen zum Atomzeitalter (Anm. 22), S. 69.

Den Atomkrieg inszenieren

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absolut ›Neue‹ zu sagen und dadurch eine im Medium der dramatischen Literatur strategische Rolle zur Versprachlichung und Deutung der durch die Atombombe in jeder Hinsicht ausgelösten ›destruktiven‹ Mechanismen zu spielen. Das Ergebnis war ein mehrschichtiges, einem nach innen stark differenzierten Kontext zuzuordnendes Phänomen, bei dem psychologische und sprachliche, politische und historisch-geographische Elemente ineinandergreifen und ebenso relevant sind wie die Vielfalt von Formen und Thematiken, die darin entwickelt werden. Dieser mit Hiroshima und verstärkt mit Bikini beginnende Prozess geistiger Wahrnehmung und künstlerischer Verarbeitung der Atombedrohung setzte sich gegen Ende der vierziger Jahre in der deutschsprachigen Kultur schlagartig durch, vielfach genährt durch die Radikalisierung der Konfrontation zwischen West und Ost im Kalten Krieg. In der Bundesrepublik wurde die Literatur gegen die Atombombe kulturell und ideologisch vor allem durch die Mobilisierungskampagnen unterstützt, die durch die heftige Aufrüstungsdebatte der ersten Adenauer-Ära ausgelöst wurden. In der ostdeutschen Literaturlandschaft schöpfte die Gattung des pazifistisch-antiatomaren Theaters und Rundfunks ihre Lebenskraft aus jener antifaschistisch-demokratischen ›Umwälzung‹, die den militärischen Imperialismus als amerikanische Spielart des westlichen Kapitalismus begriff, das Friedenskonzept für sich vereinnahmte und zur prosowjetischen Propagandaparole machte. Beiderseits, im Westen wie im Osten, verstanden sich die Atomdramatiker durchweg als ›Aktivisten‹ oder Herolde der neuen Apokalypse, als Nein-Sager oder Kassandras. Sie betrachteten ihre Kunst als Mittel zur Kritik oder Verbreitung von Informationen mit dem Zweck der Warnung oder der Bildung und Steuerung der öffentlichen Meinung und sahen ihre Hauptaufgabe darin, dem Zuschauer/Zuhörer über den Text eine ›Idee‹ zu vermitteln. Und diese Idee konnte für sie nur im Diskurs einer von der Atombedrohung befreiten Welt entstehen; sie war deshalb notwendigerweise kämpferisch, manchmal utopisch-naiv, manchmal aggressiv-aufrührerisch formuliert. In ebendiesem Rahmen einer sozial und politisch bewusst engagierten Literatur blühte die Atomdramaturgie, auf die hier im Einzelnen eingegangen werden soll. Mag sie auch keine fest abgrenzbare Gattung sensu stricto bilden, so umfasst sie doch – in den hier untersuchten Formen des Schauspiels und des Hörspiels – insgesamt mehr als 80 Werke, die noch einer gründlichen Periodisierung, Klassifizierung und Analyse bedürfen. In der vorliegenden Einleitung sollen erstmals eine chronologische und themenbezogene Anordnung und eine datenmäßige Beschreibung dieser Produktion auch mit Hilfe graphischer Darstellungen versucht werden. Zur besseren Veranschaulichung werden quantifizierende Verfahren eingesetzt, die insbesondere drei Parameter berücksichtigen, die sich zur systematischen Erfassung der Problematik als hilfreich erwiesen

32

Einleitung und Themenstellung

haben: das Entstehungsjahr der betrachteten Werke, die häufigsten Motivkomplexe und die länderspezifischen Koordinaten. Im Folgenden werde ich mich größtenteils auf die ersten zwei Aspekte beziehen. Dadurch ergeben sich im Zusammenhang mit der nationalliterarischen Herkunft der Texte weitere Analysemöglichkeiten, die dann in den Einzelinterpretationen des zweiten Teils herausgearbeitet und zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen.

1.4

Versuch einer Periodisierung

Sehen wir uns zunächst die Aufteilung der Atomdramen auf chronologischer Ebene an. Das nachfolgende Balkendiagramm soll einen Überblick über die Erscheinungsdaten der Hör- und Bühnentexte zur Atombombe in den Jahren von 1945 bis 1975 geben. Aus der Graphik lassen sich bereits einige interessante Schlussfolgerungen über die Verteilung der Werke ableiten. Es ist sofort erkennbar, dass die Entwicklung zwischen 1945 und 1959, d. h. dem Jahr, in dem sie auch ihren absoluten Gipfelpunkt erreicht, einen kontinuierlich steigenden Trend aufweist. Gleich danach beginnt die Produktion, trotz eines letzten, allerdings im Verhältnis zur vorhergehenden Phase mäßigen Aufschwungs am Anfang der sechziger Jahre, deutlich abzufallen, um dann bis 1975 einen stetigen Rückgang zu erfahren. Wenn wir aber den Verlauf von Anstieg und Abnahme der Texte genauer betrachten, weist die Visualisierung vor allem auf zwei aussagekräftige Daten hin, die näher kommentiert werden sollen: einerseits den beachtlichen Anteil der Werke in den zumindest quantitativ alles andere als ›mageren‹33 fünfziger Jahren – mit einem auffallend starken Zuwachs von 1955 bis 1959 –, andererseits eine definitiv sinkende Tendenz ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Fragen wir uns zunächst nach den Gründen für die erhöhte Rezeptionsfähigkeit für Themen, Motive und Figuren aus dem atomaren Bereich in der deutschsprachigen Theater- und Rundfunkliteratur im Jahrfünft 1955–1959, so finden wir sie in einer signifikanten Interaktion historisch-politischer Faktoren, die auf die internationale Lage und zugleich auf deutschlandspezifische Entwicklungen zurückzuführen sind. Im Allgemeinen waren es vor allem die tiefgreifenden, weltweiten Ängste vor radioaktiven Niederschlägen nach den amerikanischen Nukleartests im Pazifik, die die Entstehung vieler literarischer Texte beeinflussten und nährten. Daneben war es aber auch der Koreakrieg, der besondere Aufmerksamkeit fand. Damit handelte sich der Atomdiskurs in Deutschland eine ganz neue Problematik von politischer und gleichzeitig 33 Vgl. Werner Mittenzwei (»die mageren fünfziger Jahre«) in: Ders.: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 bis 2000. Berlin 2003, S. 173.

Den Atomkrieg inszenieren

33

Abb. 1: Entwicklung der Atomdramen zwischen 1945 und 1975 in Fünf-Jahres-Abständen

symbolischer Bedeutung ein. Die Eröffnung einer Kriegsfront in Asien, die international als Auftakt zu einem dritten Weltkrieg gedeutet wurde, stand im deutschen Kulturbereich auch stellvertretend für die feindliche Gegenüberstellung zweier politischer Systeme und zweier Brüdervölker, die, in Analogie zum geteilten Deutschland, nur eine schmale Grenze voneinander trennte.34 Bezeichnenderweise beschäftigte sich schon wenige Monate nach Kriegsausbruch eine Flut von Sachbüchern mit Korea. Am stärksten schien das Interesse in der DDR vorhanden zu sein, wo das Amt für Information der Regierung gleich 1951 mehrere Berichte zum Krieg herausgab.35 Die Dramenliteratur ihrerseits nahm sich der heiklen »Koreasache«36 ziemlich intensiv an. Der Nord-Süd-Konflikt auf der koreanischen Halbinsel wurde mindestens in vier Hörspielen – Alfred Anderschs Menschen im Niemandsland, Rudolf Leonhards Der achtunddreißigste Breitengrad, Heinz Hubers Früher Schnee am Fluss, Günther Rückers Drachen 34 Vgl. hierzu Bernd Greiner : Angst im Kalten Krieg. Bilanz und Ausblick. In: Bernd Greiner, Christian Th. Müller, Dierk Walter (Hrsg.): Angst im Kalten Krieg (Anm. 6), S. 7–31, und Bernd Stöver : Geschichte des Koreakriegs (Anm. 5), der interessante Überlegungen zur Wirkung des Kalten Kriegs auf die Kulturszene im Westen und Osten bietet. 35 Korea. Ein Volk kämpft um nationale Einheit und Unabhängigkeit. Hrsg. vom Amt für Information der Regierung der DDR. Berlin 1951. Zur Diskussion aus DDR-Perspektive vgl. u. a. Dieter Krüger : Der »Koreaschock« 1950. In: Bernd Bonwetsch, Matthias Uhl (Hrsg.): Korea – ein vergessener Krieg? Der militärische Konflikt auf der koreanischen Halbinsel 1950–1953 im internationalen Kontext. Berlin 2012, S. 167–175, und Rüdiger Wenzke: Der Koreakrieg als Katalysator der geheimen Aufrüstung in der DDR?. In: Ebd., S. 157–166. 36 Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika…. Berlin 1950, S. 22.

34

Einleitung und Themenstellung

über den Zelten – direkt aufgegriffen, indirekt aber auch in anderen Stücken berührt, wie aus der Tabelle über die Motivverteilung (Tab. 3) hervorgeht. Neben der Brisanz der Korea-Frage sind weitere historische Gründe zu erwägen, die dabei helfen können, den Anstieg des literarischen Interesses am Nuklearproblem in diesem kurzen Zeitraum zu erklären. In erster Linie ist hierbei die kaum überschätzbare Relevanz der Pariser Verträge von Oktober 1954 zu nennen, die zwar Restriktionen hinsichtlich einer selbstbestimmten Nuklearpolitik der Bundesrepublik einführten, die in der Anfangsphase von manchen Pazifisten sogar mit Beifall begrüßt wurden,37 faktisch aber die deutsch-deutsche Teilung ratifizierten und die als hegemonial empfundene USStellung als Schutzmacht Westeuropas bestätigten. Auch wenn Deutschland bei den reziproken Maßnahmen zur Rüstungsbeschränkung auf die Herstellung von ABC-Waffen auf eigenem Boden verzichten musste, waren mit den Pariser Verträgen und der bundesdeutschen Einbeziehung in den NATO-Pakt Westintegration und Wiederbewaffnung der BRD unwiderruflich besiegelt. Bundesweit wurden große Anlagen mit Bunkern für die Lagerung von Atomgranaten ausgestattet, was allgemein für Unmut und Unruhe sorgte. Das Theater fiktionalisierte vielfach diese Entwicklung, verurteilte scharf die »Riesengeschäfte« und die »düstere[n] Atombasen«,38 schuf die Typen des willfährigen Investors, der wie Bankier Parochlitz in Hausers Stück Weißem Blut enorme Summen »in den Bau von Abschußrampen für Mittelstreckenraketen«39 steckt, und des kriegstreibenden Politikers, der Kapital in »die militärische Entwicklung der Bundeswehr«40 fließen lässt. Auflehnung und Protest gegen Spaltung und Remilitarisierung wurden immer lauter, die Unzufriedenheit führte zu einer Welle von Aktionen und Demonstrationen, die, wie einer der Protagonisten in Rehfischs Atomdrama Jenseits der Angst bemerkt, »die Errichtung von Abschußbasen« zu »verhindern« suchten.41 Und es war dieser diffuse Widerstand, der zu einer organisierten antinuklearen Ideologie wuchs und zum ersten Kern und Gründungsmoment jener außerparlamentarischen Opposition wurde, die für das

37 Zu den Argumenten der Pazifismus-Diskussion zur Zeit der Pariser Verträge s. u. a. Heiner Timmermann: Die europäische Nachkriegsordnung im Umbruch – 1950–1955. In: Ders. (Hrsg.): Deutschlandvertrag und Pariser Verträge. Im Dreieck von Kaltem Krieg, deutscher Frage und europäischer Sicherheit. Münster 2003, S. 8–15. 38 Günther Weisenborn: Göttinger Kantate. Den Aufruf der achtzehn Wissenschaftler und die großen Gefahren unseres Jahrhunderts szenisch darstellend, als öffentliche Warnung niedergeschrieben (1958). Mit einem Vorwort von Robert Jungk. Berlin 1984, S. 26–27. 39 Harald Hauser : Weißes Blut (1959). Berlin 1961, S. 31. 40 Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig. Unverkäufl. Manuskr. Berlin [o. J. 1959], S. 111. 41 Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (1958). München 1962, S. 10.

Den Atomkrieg inszenieren

35

politische – oft ideologisch verbrämte – Atomdrama einen so günstigen Nährboden bildete.42 Zudem sind, nach 1957, mindestens noch zwei ausschlaggebende Anstöße zu nennen, die thematisiert und dramatisch verwertet wurden. Erstens das negative Echo auf die Pressekonferenz Adenauers vom 5. April 1957, bei der der Kanzler, wie vielfach bekannt, »die taktischen Atomwaffen« als »eine Weiterentwicklung der Artillerie«43 herunterspielte. Zweitens, in unmittelbarer Verbindung damit, die imposante Resonanz der eine Woche später von 18 Naturwissenschaftlern (darunter Persönlichkeiten vom Rang eines Max Born, Walther Gerlach, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker) abgefassten ›Göttinger Erklärung‹, die zum bemerkenswertesten Bezugspunkt für die westlichen Antiatomkampagnen wurde. Günther Weisenborns Göttinger Kantate, laut Widmung »all jenen zugeeignet, die irgendwo in der Welt aufstehn und ihr Wort für die Menschlichkeit erheben«,44 wurde als explizite Huldigung an den politischen Wert des Göttinger Appells konzipiert, zu Ehren jener »aufrechte[n] Haltung der Göttinger Professoren«45 – so Hedda Zinner im Atomdrama Auf jeden Fall verdächtig –, die auch in der DDR hochgeschätzt und gepriesen wurden. Im Kielwasser der ›Göttinger Achtzehn‹ häuften sich Kundgebungen, Manifeste und öffentliche Dokumente für den Verzicht auf die militärische Anwendung der Kernenergie.46 Die geschichtlichen Ereignisse sind zu bekannt, um hier im Einzelnen erwähnt werden zu müssen. In Bezug auf unseren Untersuchungsfokus ist aber unübersehbar, dass der Göttinger Protest die Koordinaten vorgegeben hat, an denen sich viele Autoren der Zeit in ihrem Kampf gegen die Aufrüstung mit Atomwaffen orientierten. Darunter waren auch die 20 Schriftsteller, die im September 1957 ihren Appell47 gegen die Bewaffnungspo42 Über die Rolle der außerparlamentarischen Opposition im Spannungsfeld von Politik und Kultur informieren u. a. Hans Karl Rupp: Außerparlamentarische Opposition in der Ära Adenauer : Der Kampf gegen die Atombewaffnung in den fünfziger Jahren. Eine Studie zur innenpolitischen Entwicklung der BRD. Köln 1970, und Karl J. Newman: Politisch-soziologische Problematik der außerparlamentarischen Opposition mit besonderer Berücksichtigung der Wechselwirkung und gegenseitigen Austauschbarkeit von Rechts- und Linksradikalismus. Opladen 1974. 43 Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1957. Hrsg. für das Bundesarchiv von Hans Booms und Ulrich Enders. Bd. 10. München 2000, S. 16. 44 Günther Weisenborn: Göttinger Kantate (Anm. 38), S. 13. 45 Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig (Anm. 40), S. 122. 46 Vgl. dazu die sehr gut informierte Habilitationsschrift von Elvira Scheich: Von »Forschergewissen« und »Friedensfrauen«. Das politische Gedächtnis der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft und die Wissenschaft der Physik. Zum politischen Kontext und den historischen Bedingungen des soziologischen Wissenschaftsverständnisses. Berlin 2003. 47 Appell der 20. Schriftsteller. In: Blaubuch über den Widerstand gegen die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik. Hrsg. von dem Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland. Mit einem Vorwort von Franz-Paul Schneider. Bd. 1. O. O. 1957, S. 30.

36

Einleitung und Themenstellung

litik der CDU-Regierung veröffentlichten, sowie die 44 Professoren, die am 26. Februar 1958 »das ganze deutsche Volk« aufforderten, »die Mahnungen und Warnungen der Wissenschaftler nicht unbeachtet zu lassen«.48 Alles das legte – wie Raimund Kurscheid in seiner 1981 erschienenen Dissertation Kampf dem Atomtod! Schriftsteller im Kampf gegen eine deutsche Bewaffnung nachgewiesen hat – die Basis zu jenem kurzlebigen, aber deshalb nicht weniger folgenreichen, von SPD und Gewerkschaften unterstützten Arbeitsausschuss KdA, ›Kampf dem Atomtod‹, von 1957–1958,49 dessen ersten Aufruf am 10. März 1958 u. a. Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Heinrich Böll und Hans Henny Jahnn oder der Theologe Helmut Gollwitzer unterzeichneten. Böll schrieb nur wenige Jahre darauf sein apokalyptisches Erstlingsdrama, Ein Schluck Erde, über die Auslöschung der Zivilisation infolge einer durch einen Atomkrieg ausgelösten Sintflut. Jahnn widmete kurz vor seinem Tod im Jahr 1959 der Spannung zwischen nach Macht strebender Politik und ohnmächtiger Physik einen der düstersten und unversöhnlichsten Dramentexte der gesamten Atomliteratur, Die Trümmer des Gewissens. Gollwitzer, der seinerseits auch lange mit Böll kooperierte, hatte kurz zuvor durch seine bekannte und viel debattierte Schrift Die Christen und die Atomwaffen (1957) eine neue Phase der protestantischen Auseinandersetzung mit der bundesdeutschen Atompolitik eingeleitet und den Atomkrieg nicht nur als Mittel der Machtpolitik kritisiert, sondern als Verstoß gegen christlich-humane Werte schlechthin abgestempelt. Übrigens war Gollwitzer selbst Teil einer breit angelegten Reflexion über Religion und Untergangsparadigmen, die bereits 1954 die Veröffentlichung des erfolgreichen Buchs des Jesuitenpaters Klemens Brockmöller Christentum am Morgen des Atomzeitalters ausgelöst hatte, der in diesem Zusammenhang die Frage nach der schicksalhaften Verbindung von Christenheit und Abendland stellte.50 In dieser Phase intensivster Beschäftigung mit Atomthemen erschienen auch in Zeitungen und Zeitschriften relevante religiöse, soziale und politische Diskussionsbeiträge sowie Manifeste, Programme, Appelle und Pamphlete über die Entwicklung der Kernkraft und deren zivile und militärische Nutzung. Dem48 Zitiert nach Blaubuch 1958: Kampf dem Atomtod – Dokumente und Aufrufe. Hrsg. von Peter Brollik, Klaus Mannhardt. Essen 1988, S. 27. Zur außerordentlichen Wirkung des Appells der 44 Professoren s. auch Hans Karl Rupp: Außerparlamentarische Opposition in der Ära Adenauer (Anm. 42). 49 Vgl. Raimund Kurscheid: Kampf dem Atomtod! Schriftsteller im Kampf gegen eine deutsche Bewaffnung. Köln 1981, und »Kampf dem Atomtod!«. Die Protestbewegung 1957/58 in zeithistorischer und gegenwärtiger Perspektive. Hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. München 2009. 50 S. Klemens Brockmöller : Christentum am Morgen des Atomzeitalters. Frankfurt a. M. 1954. Vgl. dazu Nicolai Hannig: Klemens Brockmöller, S. J.: Christentum am Morgen des Atomzeitalters (1954). In: Elena Agazzi, Erhard Schütz (Hrsg.): Handbuch Nachkriegskultur. Literatur, Sachbuch und Film in Deutschland (1945–1962). Berlin, Boston 2013, S. 364–368.

37

Den Atomkrieg inszenieren

entsprechend mehrten sich zur gleichen Zeit die spezifisch dem Atomkrieg gewidmeten und sich programmatisch an die Öffentlichkeit wendenden literarischen Texte wie Schauspiele und Hördramen. Die starke Erweiterung der Atomdramenproduktion in den fünfziger Jahren lässt sich im Detail aus Tab. 1 deutlich erschließen. Die Tabelle beinhaltet die vollständige Dramenliste mit Namen, Herkunftsland der Autorinnen und Autoren und jeweiliger Darstellungsform (Bühnendrama/Hördrama) der Texte. In der ersten Spalte steht entweder das Jahr der Uraufführung bzw. der ersten Rundfunksendung oder – soweit bekannt – das Veröffentlichungs-/Entstehungsjahr, je nachdem, ob die Werke nur zu Bühnen- und Hörspielzwecken gedruckt wurden, in Buchform erschienen oder ausschließlich im Nachlass der Autoren überliefert sind.51 Tab. 1: Liste der Bühnendramen (Bd) und Hördramen (Hd) zur Atombombe 1945

Atom Bombe

Schw.

Bd

1946 M. Frisch 1946–47 K. Valentin

F. Fassbind

Die Chinesische Mauer Die Atombombe

Schw. Westdt.

Bd –52

1948 1948

O. Wessel F. Denger

Hiroshima Bikini

Westdt. Westdt.

Hd Bd

1948 1948

C. Langenbeck I. Drewitz

Der Phantast »Unio Mystica«. Ein Spuk?

Westdt. Westdt.

Bd Bd

1948 1948

R. Freese O. C. A. z. Nedden

Das stärkere Gesetz Das Testament des Friedens

Ostdt. Westdt.

Bd Bd

1949 1949

M. Scheer, K. G. Egel G. T. Buchholz

Und Berge werden versetzt Reich Gottes auf Erden

Ostdt. Westd.

Hd Bd

51 Berücksichtigt wurden dabei nur die auf deutschsprachigem Boden entstandenen Theaterwerke, also nicht die für das Verständnis der Tragweite des Phänomens vielleicht genauso wichtigen deutschen Versionen von ausländischen Atomstücken, welche im jeweils eigenen Entstehungsland kaum Aufmerksamkeit fanden, jedoch sofort ins Deutsche übersetzt, im deutschsprachigen Kontext aufgeführt und in namhaften Zeitungen besprochen wurden. Es sei hier beispielhaft nur auf Hans Th. Asbecks Übertragungen zweier wenig bekannter italienischer Atomdramen verwiesen: Luigi Candoni: Edipo a Hiroshima. Genova 1963, das im selben Jahr im Frankfurter Ricordi-Verlag unter dem Titel Ödipus in Hiroshima. Drama in einem Prolog und zwei Teilen erschien, und Salvato Cappelli: Duecentomila e uno. Racconto in due tempi. In: Il dramma. Rivista mensile di commedie di grande successo 42 (1966), Nr. 358, S. 9–32, das unter dem Titel Zweihunderttausend und Einer. Ein Bericht in 2 Aufzügen und 13 Bildern 1966 ebenfalls bei Ricordi publiziert wurde. Vgl. hierzu Emilia Fiandra: »Und wenn die Atombombe fällt, dann bleiben wir ewige Jungfern«. Italienische Atomdramen und ihre deutschsprachige Rezeption in den 1950er und 1960er Jahren. In: GermanischRomanische Monatsschrift (2014), H. 4, S. 469–484. 52 Es handelt sich um einen kurzen, nicht aufgeführten Theatersketch, der dennoch für das Verständnis des Aneignungs- und Kommunikationsprozesses der neuen ›Atomsprache‹ höchst kennzeichnend ist.

38

Einleitung und Themenstellung

((Fortsetzung)) 1949

H. Schilling

Passagier Sieben

Schw.

Bd

1950 1950

M. J. Weiss R. Gottschalk E. Kowalzig

Gebündelte Strahlen Die letzten Menschen

Westdt. Westdt.

Bd Hd

1950

Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor Gebt acht auf die Welt!

Ostdt.

Hd

1950

Autorenkollektiv u. H. Ziergiebel Ch. Bock

Westdt.

Hd

1950 1950

R. Leonhard G. Menzel

Der achtunddreißigste Breitengrad Der Ruhm Frankreichs

Ostdt. Ostdt.

Hd Hd

1950 1950

K. G. Egel R. Leonhard

Hiroshima – Fünf Jahre danach Kleiner Atombombenprozeß

Ostdt. Ostdt.

Hd Hd

1950 1950

M. Scheer E. Barnewold

Paris, den 28. April Promethiden

Ostdt. Westdt.

Hd Bd

1950 1950

G. v. Wangenheim H. Huber

Auch in Amerika… Früher Schnee am Fluss

Ostdt. Westdt.

Bd Hd

1951 1952

K. Becsi J. Hay

Atom vor Christus Energie

Bd Bd

1952

A. Andersch

1953

G. Rücker

Position 1951 / Menschen im Niemandsland Drachen über den Zelten

Österr. Ostdt./ Ung. Westdt. Ostdt.

Hd

1953 1954

W. Weyrauch E. Wickert

Vor dem Schneegebirge Der Verrat von Ottawa

Westdt. Westdt.

Hd Hd

1954 1955

F. Dürrenmatt E. Kuby

Das Unternehmen der Wega Die Zerstörung von Slawasch

Schw. Westdt.

Hd Hd

1955 1955

I. Langner B. Brecht

Cornelia Kungström Leben des Galilei

Westdt. Ostdt.

Bd Bd

1955 1955

W. Weyrauch E. Wickert

Die japanischen Fischer Hiroshima

Westdt. Westdt.

Hd Hd

1955 1955

C. Zuckmayer W. Baecker

Das kalte Licht Atome für Millionen

Westdt. Westdt.

Bd Hd

1955 1955

G. Felkel A. Gong

Narkose Die Stunde Omega

Westdt. Österr./ USA Schw. Westdt.

Bd Hd

Ostdt. Westdt.

Bd Bd

1955 U. Becher 1955–56 I. Schneider-Lengyel

Die Kleinen und die Großen Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff!

1956 1956

Leben des Einstein Die Wüste

B. Brecht H. J. Hohberg

Hd

Bd Bd

39

Den Atomkrieg inszenieren

((Fortsetzung)) 1956

F. Gentz

Pilot Herzog

Ostdt.

Bd

1956 1956

W. Grüb W. Grüb

Der Fall Dynamit Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs

Westdt. Westdt.

Hd Hd

1956

W. Grüb

Westdt.

Hd

1956

H. F. Kühnelt

Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo Es ist später als du denkst

1957 1957

H. Pfeiffer H. Pfeiffer

Laternenfest Ein Abschied

1957 1958

H. Rossmann G. Weisenborn

Testflug B 29. (Nie wieder!) Göttinger Kantate

1958 1958

Ch. Hamm G. Weisenborn

Heller als alle Sonnen Die Familie von Nevada / Makabah

1958 1958

H. J. Rehfisch A. Gong

Jenseits der Angst Zetdam

Westdt. Österr./ USA

Bd Bd

1959 1959

H. Zinner G. Stübe

Auf jeden Fall verdächtig Harakiri

Ostdt. Ostdt.

Bd Hd

1959 1959

H. Hauser H. H. Jahnn

Weißes Blut Der staubige Regenbogen

Ostdt. Westdt.

Bd Bd

1960 1961

R. Otto H. Schwarz

Wenn wir alle nicht wollen Im Aschenregen

Bd Bd

1961 1961

R. Schneider H. Böll

1962 1962

F. Dürrenmatt P. Bühler

1963 1963

H. Heym J. Breest

1964 1964

E. Schöfer D. Rohkohl

1964 1965

H. Kipphardt A. Stolper

1965 1966 1969 1969

H. Rubinstein H. Schilling L. Harig G. Hofmann

1969

H. Rubinstein

Ostdt. Österr. Prozeß Richard Waverly Ostdt. Ein Schluck Erde Westdt. Die Physiker Schw. Der Wagenlenker Schw. Asche im Wind Westdt. Die Mädchen aus Hiroshima Westdt. Der Pikadon Westdt. Das unsichtbare Gepäck Westdt. In der Sache J. Robert Oppenheimer Westdt. Zwei Physiker Ostdt. Null Uhr Null Westdt. Experiment Ren8 Schw. Haiku Hiroshima Westdt. Unser Mann in Madras Österr. Tiefgefrorenes Reh Westdt.

Österr. Ostdt. Ostdt. Westdt. Westdt. Ostdt. Westdt.

Bd Bd Bd Bd Bd Bd Bd

Bd Bd Bd Bd Bd Hd Hd Bd Bd Bd Bd Bd Hd Bd Bd

40

Einleitung und Themenstellung

((Fortsetzung)) 1972

F. Zwillinger

Kettenreaktion

1974 1975

K. Mickel E. Schumacher

Einstein Die Versuchung des Forschers

Österr. Ostdt. Ostdt.

Bd Bd Bd

Neben einer ersten Orientierung über die geopolitische Konstellation, auf die hier später eingegangen wird, bestätigt die Tabelle nicht nur, dass im Jahrzehnt 1950–1959 49 der 81 Werke zum Thema (61 % der Gesamtproduktion) konzentriert sind. Sie dokumentiert auch, wie das Interesse von Theater und Rundfunk an Nuklearfragen allein im Zweijahreszeitraum 1955/56 mit 18 Texten seinen Höhepunkt erreichte. Diese genau Mitte der fünfziger Jahre auftretende Häufung der Texte ist dem Zusammenspiel verschiedener ursächlicher Faktoren zuzuschreiben, die das Jahr 1955 als ein Wendejahr in der Geschichte der kulturellen und politischen Auseinandersetzung mit dem Thema der Atombombe erscheinen lassen.53 1955 war in erster Linie das Todesjahr Einsteins, das vielerlei Anlass zu Debatten, retrospektiven Aufsätzen und Presseartikeln über Einsteins Relativitätstheorie und dessen vermeintliche Verstrickung in den nuklearen Holocaust gab. Einsteins Mitschuld oder zumindest seine Mitverantwortung für die japanische Hekatombe durch die Erfindung der Masse-Energie-Formel und den berühmten Roosevelt-Brief von 1939 stießen eine intensive, aber auch kontroverse Diskussion an, die sogar einen Dramatiker wie Brecht zu dem Einstein-Projekt inspirierte, das den späteren Einstein-Dramatisierungen (und -Ikonisierungen) – allen voran Karl Mickels Einstein und Ernst Schumachers Die Versuchung des Forschers – Pate gestanden hat. Ein zusätzlicher Grund für die erhöhte Anzahl von Atomdramen um und unmittelbar nach 1955 lässt sich vielen in Tab. 1 aufgeführten Werktiteln entnehmen, und dieser Grund heißt Japan. In der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur tritt die Bevölkerung Hiroshimas als Inbegriff des Märtyrers in Erscheinung, auf dem Altar des Atomgottes geopfert. Schon die Titel von zehn Texten haben hier Signalwirkung. Fünf von ihnen beinhalten den bis dato über Japan hinaus wenig bekannten Stadtnamen Hiroshima, der von nun an als Katalysator und Symbol für sinnlose Zerstörung, Entsetzen und Abscheu fungieren sollte: Oskar Wessels Hiroshima, Karl Georg Egels Hiroshima – Fünf Jahre danach, Erwin Wickerts Hiroshima, Jürgen Breests Mädchen aus Hiroshima, Ludwig Harigs Haiku Hiroshima. Aber auch dort, wo Hiroshima nicht explizit genannt wird, klingt der Bezug auf japanische Motivkomplexe mehr oder we53 Vgl. Ulrich Ott, Friedrich Pfäfflin (Hrsg.): Konstellationen. Literatur um 1955. Marbacher Kataloge 48, Marbach 1995.

Den Atomkrieg inszenieren

41

niger direkt an. So z. B. in dem bereits oft erwähnten Drama Bikini von Fred Denger, in Wolfgang Weyrauchs Hörspiel Die japanischen Fischer, in Hans Pfeiffers äußerst erfolgreichem Drama Laternenfest, dessen Titel auf den Totengedenktag in Japan verweist, in Gerhard Stübes satirischem Funkdialog Harakiri und in Erasmus Schöfers Hördrama Der Pikadon, d. h. ungefähr ›Blitzdonner‹, wie die Atombombe im japanischen Volksmund genannt wurde. Für die Durchsetzung der zeitgenössischen Literatur mit japanischen Themen zu gerade diesem Zeitpunkt spielten vor allem zwei Aspekte eine entscheidende Rolle. Erstens: die bereits erwähnte Mischung aus Sympathie und Mitleid, welche die bisher wenig berücksichtigten Opfer von Kernstrahlung und Strahlenwirkung ausgerechnet nach der weltweiten Publizität der Nukleartests erregten. Zweitens, und vielleicht noch ausschlaggebender : das Schwellenjahr 1955. Denn die Gedächtnisfeiern aus Anlass des zehnten Jahrestags der Bombe setzten ein erneutes Interesse für die japanische Welt im Allgemeinen und die damalige Katastrophe im Besonderen in Gang. In beiden deutschen Staaten förderten 1955 Presse und Rundfunksender eine Vielzahl von gezielten Initiativen und kulturellen Veranstaltungen über die Atombombe, die zu Interviews, Dossiers und neuen Hörspielen führten. Aber auch ältere Stücke aus den ersten Nachkriegsjahren, wie Wessels Hiroshima (gleichnamig mit Wickerts Rundfunkhörfolge), wurden bei der Zehnjahresfeier nochmals gesendet und neu aufgelegt. Wenn wir uns nun nach den vier Zäsurjahren 1950 (Kuba), 1954 (Pariser Verträge), 1955 (Einsteins Tod und zehnter Jahrestag der Atombombe), 1957 (Adenauer-Rede, Göttinger Erklärung und ›Kampf dem Atomtod‹) den sechziger Jahren zuwenden, können wir anhand der Abb. 1 zwei wesentliche Tendenzen konstatieren. Die Graphik zeigt, wie schon in den sechziger Jahren die Gesamtzahl der Werke zu sinken beginnt. Aber auch wenn im ganzen Zeitraum 1960–1975 ein erheblicher Schwund zu verzeichnen ist, liefert doch die Darstellung noch eine zweite Information, nämlich dass die Zahl der Atomdramen im ersten Jahrfünft der sechziger Jahre zwar abnahm, das Atomthema aber nach wie vor präsent blieb, offenbar durch den agitatorischen Effekt neuer Bewegungen gegen Rüstung und Krieg bedingt. Denn trotz des abrupten Endes der 1958 von den Sozialdemokraten aufgegebenen KdA-Aktion erzielten die Mobilisierungskampagnen für die Abschaffung von Kernwaffen immer noch beträchtliche Resultate. Einer Gruppe religiös-pazifistisch motivierter Aktivisten gelang es, nach dem britischen Vorbild der Campaign for Nuclear Disarmament und der auch durch mediale Berichterstattung sehr berühmt gewordenen Aldermaston-Märsche eine breite, weit über die Parteizugehörigkeit hinausgehende Friedensbewegung in Deutschland zu organisieren, die sich ab 1960 in

42

Einleitung und Themenstellung

den bekannten Ostermärschen manifestierte und auch unter den Intellektuellen eine bemerkenswerte Resonanz erfuhr.54 Neben dem Einfluss der Ostermarschbewegung waren auch noch andere markante historische Einschnitte, vor allem der Beginn des Mauerbaus in Berlin und die Auswirkungen der Schweinebucht-Invasion in Kuba, für den noch relativ großen Bestand an Atomdramen in den frühen sechziger Jahren (elf Werke, d. h. fast 14 % der ganzen Atomdramenproduktion in einem Zeitraum von knapp vier Jahren, von 1960 bis 1964, wie Tab. 1 angibt) mitentscheidend. Beide Ereignisse, durch die Medien ebenfalls weltweit vermittelt, lösten in der DDR und in der Bonner Republik hitzige Polemiken gegen die militärische Nutzung von Kernenergie aus und schürten neue Ängste vor der Militärpolitik der Supermächte. Die Berliner und vor allem die Raketenkrise auf Kuba, die im Oktober 1962 bis zur maximalen Schwelle der atomaren Gefahr zu eskalieren schien und somit die ganze Welt in Atem hielt, dienten mit all ihren sozialen und politischen Implikationen vielen Dramatikern als Stoff- und Inspirationsquelle, die nun zum zweiten Mal nach dem Koreakonflikt – diesmal vielleicht noch bewusster – erlebten, wie groß und wie nah das Risiko eines Atomkriegs war. Es wuchs die Bedrohung der wechselseitig zugesicherten Vernichtung, des »Mord[es], mit dem man glaubt / durch Abschreckung den Frieden zu erreichen«.55 Ein Gefühl des Ausgesetzt- und Ausgeliefertseins breitete sich aus. »Ich habe Angst«, lautet, lakonisch und hoffnungslos, die abschließende Aussage in Helmut Schwarz’ Atomdrama Im Aschenregen. Diese Präsenz einer absoluten, alles durchdringenden ›Angst‹ – schon rein lexikalisch eines der am häufigsten vorkommenden Wörter der Gattung –, verbunden mit der Erkenntnis der Hilflosigkeit des Einzelnen gegenüber der Unkontrollierbarkeit der Umstände hinter dem Eisernen Vorhang, ging vielfach in die Dramenliteratur ein. Deswegen sind in den Atomstücken der Zeit zahlreiche Andeutungen und Anspielungen auf die sich zuspitzende internationale Lage im Kalten Krieg und speziell auf die furchterregendsten Momente der amerikanisch-sowjetischen Konfrontation im Pulverfass der Kubakrise zu finden. Auch die bekanntesten und am 54 S. hierzu Andreas Buro: Die Entstehung der Ostermarschbewegung als Beispiel für die Entfaltung von Massenlernprozessen. In: Friedensanalysen für Theorie und Praxis. Bd. 4. Frankfurt a. M. 1977, S. 50–78; Christoph Butterwegge, Joachim Dressel (Hrsg.): 30 Jahre Ostermarsch: Ein Beitrag zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland und ein Stück Bremer Stadtgeschichte. Bremen 1990; Claus Clausen: Ohne-mich, Atomtod, Ostermarsch. Kampf der Friedensbewegung für Frieden und Demokratie von 1945–70. Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner. Köln 1977; Markus Gunkel: Unser Nein zur Bombe ist ein Ja zur Demokratie. Ostermarsch Nord 1960–1969. Köln 1995; Holger Nehring: Die Friedensbewegung. Münster 2008; Karl A. Otto: Vom Ostermarsch zu APO: Geschichte der ausserparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik 1960–1970. Frankfurt a. M., New York 1977. 55 Paul Bühler : Der Wagenlenker. Drama eines Atomforschers. Dornach 1963, S. 14.

Den Atomkrieg inszenieren

43

häufigsten genannten Atomdramen, In der Sache J. Robert Oppenheimer und Die Physiker, wären ohne diesen Hintergrund nicht denkbar. Auf literarischer Ebene lässt sich – nicht überraschend – vor allem eine qualitative Wende feststellen. Prägende intellektuelle Figuren der deutschsprachigen Kultur und Literatur der Zeit wie Günther Anders, Hannah Arendt, Hans Blumenberg, Hans Magnus Enzensberger, Martin Heidegger, Karl Jaspers, Robert Jungk, Erich Kästner und Karl Löwith beschäftigen sich in Schriften und öffentlichen Gesprächen mit der nun extrem heikel gewordenen Nuklearproblematik. Kein Wunder also, dass es – auch angesichts der intensivierten geistigphilosophischen Diskussion – maßgebende Autoren waren, die jetzt mit ihrer Persönlichkeit für das brisante Thema eintraten. Dies wird evident, wenn man Tab. 1 im Einzelnen betrachtet. Im Unterschied zum größten Teil des vorherigen Produktionsschubs lässt sich schon an den Autorennamen – wie Böll, Dürrenmatt, Kipphardt, aber auch Hilde Rubinstein und Rolf Schneider – erkennen, dass sich nun angesehene Schriftsteller in der Nukleardebatte engagierten. Und im Gegensatz zu den manchmal nur zu Aufführungszwecken gedruckten Texten der ersten Dramenwelle erschienen die meisten Texte aus dieser Zeitspanne, wie wir im zweiten Teil genauer sehen werden, bei renommierten Verlagen. Der Ruhm der Autoren verstärkte Erfolg und Wirkung der Stücke, die in viele Sprachen übersetzt und auf den wichtigsten europäischen Bühnen gespielt wurden. Es war ein Höhepunkt in der Reflexion und in der Literatur über die Nuklearbedrohung, die sich aber paradoxerweise auch ihrem Ende näherten. Fast symbolisch für diese absteigende Kurve war das editorische Unterfangen, das der von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper gegründete Kleinverlag studio neue literatur mit dem Sammelband Gegen den Tod realisierte.56 Die 1964 von Ensslin und Vesper, die beide in der Antiatom- und Ostermarschbewegung aktiv waren, herausgebrachte Anthologie versammelte laut Untertitel Stimmen deutscher Schriftsteller gegen die Atombombe. Der Band enthielt die Protestbeiträge namhafter Intellektueller und Essayisten wie Günther Anders, Max Brod, Erich Fried, Stephan Hermlin, Robert Jungk, Nelly Sachs, Anna Seghers, Arnold Zweig sowie Autoren, die im Rahmen der atomaren Thematik bereits Theater- oder Rundfunkstücke verfasst hatten, wie Böll, Brecht, Jahnn und Weyrauch. Dass nur wenige Jahre danach, zu Zeiten des RAF-Terrors, gerade der vornehmlich pazifistisch orientierte Ansatz der Anthologie und deren ausdrückliche Titelbotschaft ›gegen den Tod‹ die Bedeutung einer unbarmherzigen Anklage gegen ihre Herausgeber gewinnen sollte, ahnte wohl kaum einer. Die fortschreitende politische Radikalisierung der Protestbewegung war schon im Begriff, die Auf56 Bernward Vesper-Triangel (Hrsg.): Gegen den Tod. Stimmen deutscher Schriftsteller gegen die Atombombe. Stuttgart 1964.

44

Einleitung und Themenstellung

merksamkeit der Öffentlichkeit auf neue Stoffe zu lenken, die nun in die Literaturwelt eindrangen und den Atomdiskurs nicht mehr so aktuell und dramaturgisch ergiebig erscheinen ließen. Und eines dieser neuen Themen – politisch und emotional stark aufgeladen – war eben der linke Terrorismus.57 Generell lässt sich schon nach 1965 eine deutliche Abschwächung des Interesses an der Atombombe feststellen. Deshalb zeigt Abb. 1 ausgerechnet nach dem letzten, quantitativ und qualitativ bedeutsamen Höhepunkt von 1964 einen ab 1965 allmählichen und nach 1969 irreversiblen Rückgang. Zwischen 1966 und 1969 belegt Tab. 1 (mit lediglich sechs Werken, von denen zwei nie aufgeführt wurden) die literarische Erschöpfung eines durch Wiederholungen und Varianten verbrauchten Genretypus, der auf dem Theater kaum mehr Beachtung fand. Innerhalb der Atomfrage selbst waren Veränderungen eingetreten, politische Umwälzungen, die zum Abklingen der Oppositionsfront in der Antiatombewegung führten und konsequenterweise auch eine Abnahme der Atomdramenproduktion mitbedingten. Eine folgenschwere Rolle spielte dabei zunächst die Entschärfung der politischen Spannungen nach dem Teststoppabkommen von 1963, das zweifellos die Gefahr einer möglichen Eskalation in weitere Ferne rücken ließ. Aber auch auf dem Gebiet der deutschen Innenpolitik führte die unbestreitbare Milderung der Konflikte durch die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt die Ausblendung eines Theatergenres herbei, das sich besonders aus den Formen des Dissenses und der Provokation gespeist und diese ostentativ zur Schau gestellt hatte. Damit schwand auch eine Dramaturgie, die in vielen Fällen Protokolle (Kipphardts Oppenheimer), Prozesse (Rudolf Leonhards Kleiner Atombombenprozeß, Schneiders Prozeß Richard Waverly und Willy Grübs drei Atomverräter-Hördramen), Aufrufe und Manifeste (Weisenborns Göttinger Kantate, Rainer Ottos musikalisches Agitationsprogramm gegen den Atomtod) demonstrativ auf der Bühne präsentiert hatte. An diese Stelle traten dringender gewordene Problematiken: Unter dem Eindruck der Frankfurter Auschwitz-Prozesse zwischen 1963 und 1965, die schmerzliche Traumata erneut ans Tageslicht gebracht hatten, und der großen Verjährungsdebatten der sechziger Jahre begann das schriftstellerische Interesse am Thema Kernwaffen allmählich zu erlöschen, ersetzt durch das Wiederauftauchen anderer Themenkomplexe, wie der des Holocaust. Ein paradigmatisches Beispiel für eine solche Interessenverschiebung, die sich in erfolgreichen Werken der Zeit wie Rolf Hochhuths Stellvertreter oder Peter Weiss’ Ermittlung exemplarisch kundtat, bot Anfang der achtziger Jahre der Paradeautor des Atomdramas, 57 Das bestätigt auch die auffallende Häufigkeit von literarischen Texten, die sich wenig später mit dem RAF-Terror beschäftigen, wie Cordia Baumann in ihrem Buch (mit umfassender Bibliographie) zum Thema RAF in der Literatur ausführlich darlegt. Vgl. Cordia Baumann: Mythos RAF. Literarische und filmische Mythentradierung von Bölls ›Katharina Blum‹ bis zum ›Baader Meinhof Komplex‹. Paderborn 2012.

Den Atomkrieg inszenieren

45

Kipphardt, mit seinem Dokudrama über den Eichmann-Prozess: Der von Gewissensskrupeln geplagte Physiker war dem von keinem Skrupel berührten Holocaustplaner gewichen. Außerdem darf man nicht außer Acht lassen, dass das Jahr 1968 weitere Themenbereiche wie Menschenrechte, Emanzipation der Frau, sexuelle Befreiung ins Zentrum des politischen Diskurses rückte und einen Stimmungswechsel bewirkte, der neue Werte ins Spiel brachte und neben experimentellen Formen von Aktions- und Straßentheater oft auch eine gefühlsbetonte, eher individuell geprägte und an Subjektivität und Innerlichkeit orientierte Literatur hervorbrachte. Kein Zufall ist es, dass ab 1969 – dem Jahr von Gert Hofmanns Einakter Unser Mann in Madras, Hilde Rubinsteins nie aufgeführtem Überlebensdrama Tiefgefrorenes Reh und Ludwig Harigs Hörspiel Haiku Hiroshima, das übrigens nur die stereophonische Bearbeitung eines schon acht Jahre zuvor erschienenen lyrischen Sinnspruchs ist – das Antiatomtheater bis auf wenige isolierte Stimmen verstummte. In den siebziger Jahren schrumpfte die deutschsprachige Produktion auf drei Stücke zusammen, die in vielerlei Hinsicht epigonal und marginal konnotiert sind. Es sind dies der Zyklus planetarischen Theaters Kettenreaktion des Österreichers Frank Zwillinger, der nie aufgeführt wurde, und zwei ambitiöse, inhaltlich und intellektuell sehr komplizierte Schauspiele aus der sozialistisch ausgerichteten Kulturszene der DDR: die schon erwähnten Einstein-Stücke von Karl Mickel und Ernst Schumacher, die Brechts Fragment gebliebenes Stück Einstein programmatisch wiederzubeleben versuchten. Es waren die letzten literarischen Produkte, die aus den Erscheinungsformen der ersten großen Antiatombewegung hervorgingen. Danach erschöpfte sich diese einmalige Produktionswelle. Als nach Tschernobyl Hans Werner Richter auf Wunsch von Walter Jens für den Sammelband Leben im Atomzeitalter einen autobiographischen Rückblick auf sein Engagement gegen die Atombombe schrieb, stellte er resignierend fest, dass trotz des damaligen so heftigen »Protestes«, wie er »ihn in dieser Form nicht wieder erlebt habe«, diese »größte und stärkste Bewegung« allmählich an »Strahlkraft«58 verloren habe. Der Super-GAU im April 1986 in Tschernobyl sollte zwar zu einer Remobilisierung der Aktionen gegen die Nutzung von Kernenergie führen und die Diskussionen um die Sicherheit von Atomkraftwerken neu anfachen. Aber das unwiederholbare Ineinanderfließen von politischer und kultureller Identität, das in der ersten Antiatombewegung zum Ausdruck gekommen war und das Theater so lange und nachhaltig geprägt hatte, war nicht mehr da.

58 Hans Werner Richter : Was ist geblieben? In: Walter Jens (Hrsg.): Leben im Atomzeitalter. Schriftsteller und Dichter zum Thema unserer Zeit. München 1987, S. 111–112.

46

2.

Einleitung und Themenstellung

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

Reporter: Uhrzeit null neun fünfzehn, heute morgen. Hiroshima liegt friedlich schimmernd unter einem klarblauen Morgenhimmel, ahnungslos, geschäftig, von Menschen, Autos und Trams wimmelnd, wie irgend eine andere beliebige Stadt auf dieser Erde, – – und rascher als es irgendjemand aussprechen könnte, – ein Zehntel eines millionsten Teils einer Sekunde später, – ist es von einer berstenden Feuerwolke verschlungen, – so, als habe es niemals da unten eine Stadt mit einigen hunderttausend Einwohnern, namens Hiroshima, gegeben. (Hermann Rossmann: Testflug B 29. [Nie wieder!])

Nach der Auswertung chronologischer Daten zur historischen Entwicklung der Atomdramatik, aus der sich neben der generellen Relevanz der fünfziger Jahre auch die einzelne Bedeutung zweier herausragender Produktionswellen (1955– 1959 und, wenn auch in geringerem Ausmaß, 1960–1964) im Untersuchungszeitraum ergeben hat, wenden wir uns nun der thematisch-inhaltlichen Ebene der Texte zu. Dabei muss man vorausschicken, dass die Reichweite der Motive und die Heterogenität der Formen als gemeinsamen Nenner die Dominanz der politisch-realistischen Komponente haben, obwohl das vorherrschende Register des Politischen andere stilistische und rhetorische Register nicht ausschließt. Aber trotz der Präsenz von Dramen, die eine Deklination des Themas in den Kategorien des Grotesken, Karikaturesken und sogar Karnevalistischen leisten,59 und trotz auch etlicher Beispiele von mystisch-religiös geprägten Werken60 artikulieren sich die jeweiligen Ausdrucksmodi des Engagements überwiegend in der Sprache der dokumentarischen Schilderung, der direkten Anklage und des kritischen Anprangerns politischer und gesellschaftlicher Missstände. Aus äußerst unterschiedlichen Perspektiven und in unterschiedlichen thematischen Kontexten setzen die ost- und westdeutschen Atomdramenautoren auf die Tagesordnung vor allem die Abrüstungsfrage, die mindestens bis Mitte der sechziger Jahre das ganze Genre prägen sollte. Und wenn auch dabei, wie wiederholt betont wurde, ein starrer Kanon nicht eindeutig bestimmbar ist, so kann hier ungeachtet der Varietät der thematisierten Protest- und Warnungsformen zumindest der Versuch unternommen werden, erste Textgruppierungen vorzunehmen und wiederkehrende Motivfelder zu eruieren. 59 Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen, Heinrich Böll: Ein Schluck Erde, Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker, Max Frisch: Die Chinesische Mauer, Alfred Gong: Zetdam, Gert Hofmann: Unser Mann in Madras, Karl Mickel: Einstein, Karl Valentin: Die Atombombe. 60 Kurt Becsi: Atom vor Christus, Gerhard Traugott Buchholz: Reich Gottes auf Erden, Paul Bühler : Der Wagenlenker, Ingeborg Drewitz: »Unio mystica« – ein Spuk?, Franz Fassbind: Atom Bombe, Helmut Schwarz: Im Aschenregen, Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! Ein Atomdrama, Frank Zwillinger : Kettenreaktion.

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

2.1

47

Visualisierung thematischer Schwerpunkte

Um den vielfach verzweigten Fragenkomplex nach der Verwendung von spezifischen Themen und den dafür ausgewählten Motiven und Strukturmodellen zu beantworten, kann zunächst ein multidimensionales Scaling (MDS) zur Visualisierung der wichtigsten Elemente in Form einer Karte eingesetzt werden. Mit Hilfe des MDS-Verfahrens können wir Similaritäten, d. h. Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen den untersuchten Werken erfassen. Die multidimensionale Skalierung macht uns ›Cluster‹ zugänglich, die den Werken (in alphabetischer Reihenfolge von 1 bis 81 nummeriert, s. Legende 2) bestimmte Motive zuordnen. Dabei sollen die Zeitkoordinaten, auf die wir bereits eingegangen sind, nicht primär berücksichtigt werden. Die Zuordnung ist eher agglomerativ und soll die Breite der Palette an motivisch-thematischen und formalen Variablen, die das deutschsprachige Atomtheater bietet, graphisch vermitteln. Qualitative Requisiten gattungstypologischer Natur (z. B. kategoriale Genrebestimmungen, wie christliches oder apokalyptisches Drama, lyrische Oper, Komödie, Dokumentartheater) wurden nicht hierarchisch angelegt, sondern ›neben‹ und ›zusammen mit‹ der geopolitischen Situierung der Werke und mit Stoffen und Motiven von variierender Bedeutung behandelt. Bei der Klassifizierung wurden 43 Kategorien (Abk. Legende 1) extrapoliert, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern einen repräsentativen Querschnitt durch die Charakteristika der Gattung liefern. Jedem Werk wurden jeweils fünf bis zwölf Kategorien zugeteilt. Es geht um Daten disparater Konsistenz, untereinander nicht immer leicht vergleichbar, die daher auch einen unterschiedlichen Wert für eine ästhetische sowie kulturhistorische Analyse beanspruchen können. Beispielsweise scheint die Herkunfts-Achse vor dem Hintergrund der Ost-West-Polarisierung von größerer Bedeutung zu sein als anscheinend sekundäre Elemente, wie z. B. das Schattenmotiv, das gleichwohl in den Dramen über Japan in beträchtlichem Maße verarbeitet wird, oder der Geheimhaltungskomplex, der doch vielen Autoren – wie Friedrich Dürrenmatt, Günter Felkel, Willy Grüb, Heinar Kipphardt, Erwin Wickert, Carl Zuckmayer – einen idealen Stoff für dramaturgisch spannungsreiche Konfliktinszenierungen gab. Außerdem schließen einige der angewandten Makrokategorien (d. h. übergeordnete Kategorien wie Survival-Drama, Konflikt zwischen Politik und Ethik, Katastrophendrama, Japanische Szenerie) schon die Varianten oder Subkategorien ein, in die sie aufgeschlüsselt werden könnten (z. B. Science-Fiction-Modalitäten, Radioaktivität, Komplex der Geheimhaltung oder weitere detailbildende Motive, wie Schattenmotiv, Opfermotiv, Formelmotiv, Pilotenfigur usw.). Diese unterschiedliche Wichtigkeit der Daten ist sicher ein Nachteil bei ihrer Auswertung. Ein Vorteil ist aber, dass das Diagramm flexible Häufungen erzeugt und rekursive Elemente in den gegenseitigen Beziehungen veranschaulicht.

48

Einleitung und Themenstellung

Abb. 2: Multidimensionale Skalierung der inhaltlichen und formalen Kategorien Legende 1: AA Antiamerikanismus, AB Atombombenblitz, ABC ABC-Waffen, AD Apokalyptisches (Katastrophen-)Drama, AM Angstmotiv, AN Anwendungen der Atomenergie, AS Antisowjetismus/Antikommunismus, B Bombardierungen (im Krieg), BM Bikini-Motiv (Motiv der japanischen Fischer), CD Christlich-religiöses Drama, D Dokumentarische Einschübe, E Explosion, FM Formelmotiv, G Genetische Rassenselektion, GK Generationenkonflikt, GM Motivkomplex Geheimhaltung (Spionage, Verschwörung, Agenten), HB Hitler-Bombe, I Das Irreal-Phantastische, JS Japanische Szenerie, K Koreakrieg, KK Kalter Krieg, LO Lyrische Oper, MS Mahnstück, N Nihilismus/Pessimismus, NE Negatives Ende, NT Nukleartests, O Opfermotiv (Aufopferung, Opfertod, Entsagung, Buße), P Pilotenfigur, PA Philoamerikanismus, PD Pazifistisches Drama, PE Positives Ende, PR Prozessdrama, PK Konflikt zwischen Politik und Ethik, R Radioaktivität, RL Repertoire von Leidensbildern, SD Survival-Drama (Day-afterMotiv), SF Science Fiction, SM Schattenmotiv, TJ Technischer Jargon, U Unbeschreiblichkeits-/ Unvorstellbarkeitstopos, VM Motiv der Verantwortung der Wissenschaft, W Wissenschaftlerfigur als Protagonist, ZK Zivilisationskritik

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

49

Legende 2: 1 Asche im Wind, 2 Atom Bombe, 3 Atom vor Christus, 4 Atome für Millionen, 5 Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo, 6 Auch in Amerika…, 7 Auf jeden Fall verdächtig, 8 Bikini, 9 Cornelia Kungström, 10 Das kalte Licht, 11 Das stärkere Gesetz, 12 Das Testament des Friedens, 13 Das unsichtbare Gepäck, 14 Das Unternehmen der Wega, 15 Der achtunddreißigste Breitengrad, 16 Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs, 17 Der Fall Dynamit, 18 Der Phantast, 19 Der Pikadon, 20 Der Ruhm Frankreichs, 21 Der staubige Regenbogen, 22 Der Verrat von Ottawa, 23 Der Wagenlenker, 24 Die Atombombe, 25 Die Chinesische Mauer, 26 Die Familie von Nevada / Makabah 27 Die japanischen Fischer, 28 Die Kleinen und die Großen, 29 Die letzten Menschen, 30 Die Mädchen aus Hiroshima, 31 Die Physiker, 32 Die Stunde Omega, 33 Die Versuchung des Forschers, 34 Die Wüste, 35 Die Zerstörung von Slawasch, 36 Drachen über den Zelten, 37 Ein Abschied, 38 Ein Schluck Erde, 39 Einstein, 40 Energie, 41 Es ist später als du denkst, 42 Experiment Ren8, 43 Früher Schnee am Fluss, 44 Gebt acht auf die Welt!, 45 Gebündelte Strahlen, 46 Göttinger Kantate, 47 Haiku Hiroshima, 48 Harakiri, 49 Heller als alle Sonnen, 50 Hier Welle Nullpunkt, 51 Hiroshima (Wessel), 52 Hiroshima (Wickert), 53 Hiroshima – Fünf Jahre danach, 54 Im Aschenregen, 55 In der Sache J. Robert Oppenheimer, 56 Jenseits der Angst, 57 Kettenreaktion, 58 Kleiner Atombombenprozeß, 59 Laternenfest, 60 Leben des Einstein, 61 Leben des Galilei, 62 Narkose, 63 Null Uhr Null, 64 Paris, den 28. April, 65 Passagier Sieben, 66 Pilot Herzog, 67 Menschen im Niemandsland, 68 Promethiden, 69 Prozeß Richard Waverly, 70 Reich Gottes auf Erden, 71 Testflug B 29. (Nie wieder!), 72 Tiefgefrorenes Reh, 73 Und Berge werden versetzt, 74 »Unio Mystica«. Ein Spuk?, 75 Unser Mann in Madras, 76 Vor dem Schneegebirge, 77 Weißes Blut, 78 Wenn wir alle nicht wollen, 79 Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor, 80 Zetdam, 81 Zwei Physiker

Angesichts der Datenfülle kann hier nicht auf alle Komponenten der resultierenden Konfiguration eingegangen werden. Es sollen jedoch die wesentlichen inhalt- und formbestimmenden Schwerpunkte nachgezeichnet werden. Dabei soll hinterfragt werden, wie sich die einzelnen Motivfelder zusammenfügen und wie sie manchmal eigenartige Motiv-Ensembles bilden, die dann Subgenres konstituieren. So können z. B. das Pilotendrama, d. h. das Gewissensdrama des Hiroshima-Piloten, als Subkategorie des Japan-Dramas und das Survival-Drama als Subgenre des Katastrophendramas aufgefasst werden. Manchmal aber sind die Kategorien so eng miteinander verknüpft und aufeinander bezogen, dass die Grenzen zwischen ihnen verschwimmen. So kommt es häufig vor, dass der politisch-ethische Konflikt, der ein dominantes Merkmal des Wissenschaftlerdramas ist, auch ein Charakteristikum des Pilotendramas darstellt. Die Pilotenthematik kann sich ihrerseits oft mit einem weiteren gattungstypischen Element verbinden, dem Gerichtsverfahren, das ebenfalls ein bevorzugtes Sujet des Atomdramas ist. Die Dramenliteratur gegen die Atombombe ist nämlich reich an Prozessen und diese bilden darin fast ein transversales Subgenre, das Prozessdrama, das diverse Figuren braucht – Wissenschaftler, Piloten, Spione – und sich als besonders geeignet erweist, in die rhetorische Partitur der Gerichtsverhandlung die Gesichtspunkte pro und kontra die Nutzung wissenschaftlicher Entdeckungen einzubetten.61 Aber auch bei diesem beliebten Sub61 Das Prozessdrama hat wichtige Werke hervorgebracht. Darunter Kleiner Atombombenprozess von Rudolf Leonhard (1950), die drei Stücke Der Fall Dynamit, Der Atomgeheimnis-

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Einleitung und Themenstellung

genre überschneiden sich dann die strukturellen und stilistischen Darstellungsmerkmale, die simultan vorliegen können. Der Rekurs auf dokumentarische oder pseudo-dokumentarische Einschübe, der für eine der Sachlichkeit verpflichtete Kategorie wie der des Prozessdramas typisch ist oder sein sollte, schließt dabei keineswegs aus, dass einige Atomdramen Gerichtsszenen ins Bild setzen, die auf eine unrealistische (traumhafte, himmlische, göttliche) Dimension verweisen und lyrisch oder musikalisch angelegt sind. Offensichtlich ist das Irreal-Phantastische mit dem anvisierten Aktualitätsdrang eines so engagierten Theaters nicht unvereinbar. Bei dieser Fülle an thematischen und strukturell-stilistischen Merkmalen des Atomgenres wird hier versucht, die signifikantesten Werkgruppierungen herauszugreifen und jeweils auf ihre besonders bezeichnenden Kategorien hin zu untersuchen. Dabei fokussiert die Analyse auf die Hauptmotivbereiche, die sich aus den folgenden Themenkreisen entwickeln: 1. Japan-Dramatik; 2. Pilotendrama; 3. Sozialistisches Hördrama; 4. Atomverratsdrama; 5. Apokalyptisches Theater ; 6. Naturwissenschaftliches Drama. Allerdings darf hierbei nicht vergessen werden, dass es kaum ein Werk gibt, das sich exklusiv nur einer einzigen Gruppe zuordnen lässt, und dass innerhalb der einzelnen Texte fundamentale Thematiken (und Metaphernkomplexe) koexistieren, wie Antiamerikanismus, Antibolschewismus, Zivilisationskritik, Generationenkonflikt, Chiffren der Entsagung und des Opfertodes, Repertoire an Vorstellungsbildern menschlicher Leiden und Schmerzen und (nicht zuletzt) jene Angstdimension, die pervasiv und konstant die Produktion durchzieht.

2.2

›Grüner Drache‹ und japanische Fischer: die Japan-Dramatik

Ich gehe von dem reichhaltigen Cluster aus, das sich oben, im mittleren und rechten Teil des Diagramms (Abb. 2), entlang der Achse mit den Variablen Bikini-Motiv (BM), Explosion (E), Japanische Szenerie (JS), Nukleartests (NT), Radioaktivität (R), Repertoire von Leidensbildern (RL) und Schattenmotiv (SM) herausbildet. Wenig entfernt davon befinden sich weitere, damit thematisch verbundene Abkürzungen, wie AB, P und MS, die für Atombombenblitz, Pilotenfigur und Mahnstück stehen. Vielen der Nummern, die sich rund um diese verräter Dr. Klaus Fuchs und Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo von Willy Grüb (1956), Prozeß Richard Waverly von Rolf Schneider (1961), In der Sache J. Robert Oppenheimer von Heinar Kipphardt (1964). Aber auch in Ilse Schneider-Lengyels Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! (1955), Hans Friedrich Kühnelts Es ist später als du denkst (1956), Erasmus Schöfers Der Pikadon (1964), Karl Mickels Einstein. Die Schrecken des Humanismus (1974) und Ernst Schumachers Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität (1975) sind bedeutende realistische und unrealistische Gerichtsszenen vorhanden.

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Ankerpunkte gruppieren, entsprechen Werke, die das Japan-Thema verarbeiten. Es handelt sich um die folgenden Texte, die eine ausschließlich auf japanischem Boden lokalisierte Handlung aufweisen. Oskar Wessel: Hiroshima (1948) Fred Denger : Bikini (1948) Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (1950) Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer (1955) Erwin Wickert: Hiroshima. Authentischer Bericht aus der Stadt, die der Atombombe zum Opfer fiel (1955) Hans Pfeiffer : Laternenfest (1957) Hans Pfeiffer : Ein Abschied (1957) Gerhard Stübe: Harakiri (1959) Jürgen Breest: Die Mädchen aus Hiroshima (1963) Erasmus Schöfer : Der Pikadon (1964) Ludwig Harig: Haiku Hiroshima (1969)

Dazu muss noch Christoph Hamms Szenenstück Heller als alle Sonnen von 1958 genannt werden, in dem mindestens die Hälfte der Szenen in Japan spielt und genrespezifische Motive illustriert: etwa den Hiroshima-Piloten, die Bikini-Fischer, strahlenverursachte Missgeburten, Bilder von Qual und Entsetzen in japanischen Krankenhäusern. In allen Fällen geht es um Stücke mit japanischen Protagonisten, die als Akteure eines Opferdiskurses inszeniert werden, dessen Fluchtpunkt die Unwissenheit und die Unschuld der Betroffenen ist. Denn allgemein gelten die Japaner der Atomdramen als Prototypen des Opfers. Opfer der Unsinnigkeit des Krieges und, besonders aus ostdeutscher Sicht, unsinnige Opfer amerikanischer Überwältigung und Selbstherrlichkeit, also Opfer der »Barbaren«, wie die Amerikaner in Pfeiffers Laternenfest wiederholt bezeichnet werden. In der Repräsentation ihres Leidens gibt es verschiedene Varianten. Es gibt Kranke, Sterbende und Tote, es gibt aber auch viele Überlebende, die mit der Last und den Konsequenzen des Geschehenen weiterleben müssen. Sie vergrößern die Schar der ›Hibakusha‹, d. h. wörtlich ›Menschen‹, die an der ›Bombe‹ ›leiden‹, deren Phänomen Hersey im Kapitel Die Nachwirkungen (The Aftermath) der erweiterten Neuauflage seines Buchs Hiroshima ausführlich behandelte.62 Japan62 John Hersey : Hiroshima (Anm. 23). Die Neuauflage (A new edition with a final chapter written forty years after the explosion) erschien 1985 bei Knopf in New York. S. dazu das Kapitel: John Hersey : Hiroshima. In: Roland Harweg: Zeit in Mythos und Geschichte. Weltweite Untersuchungen zu mythographischer und historiographischer Chronographie vom Altertum bis zur Gegenwart. Münster 2009, Bd. 4, S. 288–301. Zu den ›Hibakusha‹ vgl. u. a. Robert Jay Lifton: Death in Life: Survivors of Hiroshima. New York 1967; Stephen Salaff: Help for the Hibakusha. In: The Bulletin of the Atomic Scientists (1980), H. 10, S. 61–63. Eine reichhaltige Bibliographie zum Thema findet sich in Susan Southard: Nagasaki: Life After Nuclear War. London 2017.

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Dramen, die die Tragödie der Bevölkerung problematisieren, konzipieren spezifische Figuren von Hibakusha, die nicht einfach als Opfer der Bombe erscheinen. Sie wecken teils Mitleid, teils Furcht und manchmal auch Abscheu und Argwohn seitens der restlichen Gesellschaft, die nur vergessen will und sie nicht als Individuen wahrnimmt, sondern höchstens als soziale oder ökonomische Bürde. Als Gegenstand von sozialen Ausgrenzungsprozessen werden die Hibakusha in eine Unsichtbarkeitsdimension abgedrängt, die noch bitterer ist als der Tod. So in Schöfers Hörspiel Der Pikadon die 17-jährige Yasuko, die sich in ihrer erzwungenen Isolierung nur noch wie »ein Gespenst«63 fühlt. Nicht anders ergeht es den von Narben verunstalteten Mädchen aus Hiroshima in Breests gleichnamigem Hörspiel: »Seht mich an!«,64 fleht eine der unglücklichen Frauen, den angeekelten und fast anklagenden Blick der Neugierigen dabei registrierend. Mit dieser paradoxen »zweite[n] Ewigkeit«65 des Leidens seit und nach dem Bombenabwurf sind vor allem die Hiroshima-Dramen konfrontiert. Der lokale Bezug ist in dieser Art von Texten programmatisch und fast obsessiv hervorgehoben. Nicht nur in den Titeln und auch nicht nur als konkret geographischer Standort. Manchmal fungiert der Hiroshima-Verweis als intertextuelles Spiel. In einem in der obigen Liste nicht enthaltenen Drama, dem Experimentalstück Wenn wir alle nicht wollen von 1960, lässt z. B. der ostdeutsche Kabarettist Rainer Otto Szenen aus dem Film Kinder von Hiroshima (1952) des Regisseurs Kaneto Shindo¯ vorführen. Oft hat die Erwähnung von Hiroshima eine stark symbolische Funktion. Oskar Wessel, Autor eines Hiroshima betitelten Hörspiels, sagt es deutlich: Was ihn am meisten interessiere, sei das »›Sinnbild‹ Hiroshima«.66 Und das gilt auch für Dramen außerhalb der strikt japanischen Thematik. So kommt im Atomdrama Es ist später als du denkst, 1956 vom Südtiroler Hans Friedrich Kühnelt verfasst, inmitten einer surrealen, postatomaren Steppenlandschaft unter den dramatis personae sogar eine Gestalt namens Hiroshima vor. Er ist blind, flicht Strohhüte, ergreift nie das Wort, nimmt überhaupt keine Rolle in der Handlung ein. Und trotzdem ist er da, um durch seine bloße Präsenz die Erinnerung an den großen Tod wachzuhalten. Offen63 Erasmus Schöfer : Der Pikadon. In: WDR Hörspielbuch 1964. Hrsg.: Westdeutscher Rundfunk Köln. Mit einem Vorwort von Hans Gerd Krogmann. Köln 1964, S. 15–44. Wiederabgedr. in: Lutz Volke (Hrsg.): Der gute Gott von Manhattan. Hörspiele aus der BRD, der Schweiz und Österreich. Berlin 1990, S. 99–124. Nach der Erstausgabe zitiert, hier S. 35. 64 Jürgen Breest: Die Mädchen aus Hiroshima. Eine Hörfolge (1963). Produktionsmanuskr. Radio Bremen. Schallarchiv, S. 37. 65 Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach. Manuskript im Karl Georg Archiv. O. O., o. J. [Datierung im Katalog: 1957, 37 maschinengeschriebene Seiten]. Bestand Egel 5, Archiv Akademie der Künste, S. 22. 66 Oskar Wessel: Hiroshima. In: Hansjörg Schmitthenner (Hrsg.): Sechzehn deutsche Hörspiele. München 1962, S. 220.

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sichtlich reichte schon der Name Hiroshima aus, um das historische Einmalige zu symbolisieren, das der Bombenabwurf in der Weltgeschichte darstellte. Allein die Nennung der ›Atomstadt‹ mobilisierte beim Publikum ganze Assoziationsketten von dramatischen Bildern, wie Harigs als stereophonisches Hörspiel bearbeiteter Text Haiku Hiroshima mit seinen schrecklich-schönen Metaphern zeigte. Interessanterweise führen aber lediglich zwei Werke aus der Liste, Wickerts und Wessels Hiroshima-Hördramen, den Moment der ersten Atomexplosion spezifisch vor, während die anderen meistens deren radioaktive Nachwirkungen und die Folgen der Nukleartests (s. Abb. 2, Abk. R und NT) herausarbeiten. So etwa die beiden Dramen von Pfeiffer, Laternenfest – zugleich das einzige Schauspiel, das zur Zeit der Untersuchungen der durch die Strahlung entstandenen Schäden in Nagasaki spielt – und Ein Abschied, das bereits im Untertitel den »heldenhaften Protest des japanischen Reisbauern Kosuga gegen die Atomversuche auf den Weihnachtsinseln«67 betont. Nahezu allen in Japan angesiedelten Texten ist ein konstanter Gebrauch von neuartigen Bildern und Motivkombinationen gemeinsam, die schon in den Japan-Dramen der frühen Nachkriegszeit auftauchten, um sich dann weitgehend in den späteren Dramen zu entfalten, in denen sie fast toposhaft verwendet wurden. Dabei entstanden stark codifizierte narrative Paradigmen der Atomkatastrophe, in die sich verschiedene Motive einbinden lassen, auf die im Folgenden hingewiesen werden soll: Atombombenblitz, Schatten- und Schuhmotiv, japanische Fischer, Hiroshima-Pilot. Zur Narrativität der Atombombe aus japanischer Perspektive gehören allgemein die Argumente der unwissenden, nichtsahnenden Bevölkerung und vor allem die Darstellung des Undarstellbaren, die sich als rhetorischer Topos durch das ganze Genre zieht. Dazu gesellt sich konsequenterweise der Versuch, eine Sprache zu schaffen, die das Unbeschreibliche und Unfassbare, das unerhörte Ausmaß von Leid und Zerstörung zu artikulieren vermag. In nahezu allen Atomdramen finden sich deshalb immer wieder Metaphern, die das Ereignis mit den Attributen des Unbegreiflichen und Unvorstellbaren verknüpfen, Wendungen, die den Bombenabwurf über Hiroshima in einem Bereich situieren, der alle Vorstellungskraft übersteigt und sogar »das menschliche Hirn übertrifft«,68 wie Max Frisch bereits 1946 in Die Chinesische Mauer erkennt. Typisch für die literarische Ikonisierung des ersten Bombenabwurfs in den Japan-Dramen ist zunächst der Darstellungscode, der auf der Vermengung von Atombombenblitz und fassungsloser Bestürzung der Betroffenen beruht. Das 67 Hans Pfeiffer : Ein Abschied. Von dem heldenhaften Protest des japanischen Reisbauern Kosuga gegen die Atomversuche auf den Weihnachtsinseln. Kassel, Basel 1958. 68 Max Frisch: Die Chinesische Mauer. Eine Farce (1946). Zit. aus der Version für Paris (1972). Frankfurt 1976, S. 35.

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Motiv des unerwarteten und rätselhaften Atombombenblitzes katalysierte auf unauflösbare Weise Trauma, Gedächtnis und Wahrnehmung des Geschehens. Darum griff ihn der schon erwähnte Hörspieltitel Schöfers, Der Pikadon, bereits im synästhetischen Bild des Donnerblitzes auf. In Wickerts Hiroshima wird der topische Moment des überwältigend hellen Lichts als Übergang von einem weißen Glanz zu einem unerklärbaren Schwebezustand heraufbeschworen, der durch eine komplette Dunkelheit charakterisiert ist: »Ich weiß nicht, woran ich gedacht habe«, so eine Dramengestalt, »dann hatte ich das Gefühl zu schweben. Und alles war dunkel«. Was nach der Katastrophe in Erinnerung bleibt, ist eben nur ein »Blitz«, den man »nicht beschreiben kann. Es war als ob das Auge selbst brannte«.69 Zweifellos wurde durch diese Erweiterung des Metaphernfeldes um den Blitzbegriff der gesamte Atomdiskurs auch außerhalb der kanonischen Japan-Dramen um gestalterische Dimensionen bereichert, die sehr unterschiedliche figurative und sprachliche Bedeutungsebenen gewannen. Hatte schon das früheste Werk des Genres, Fassbinds Atom Bombe, das LichtblitzSymbol – freilich in fast mystischer Weise – verwendet, um durch die blinde Priscilla, der der Explosionsstrahl die warnende Gabe des ›inneren‹ Sehens verleiht, den erlösenden Weg aus der Zerstörung zu weisen, so entwickelten sich bald zusätzliche Assoziationen mit dem unermesslichen Lichtblitz, und zwar mit ambivalenten, widersprüchlichen Implikationen. In Dengers Bikini wird das gleißende Licht der Explosion – »durch die blauen Brillen mit angstverzerrten Gesichtern«70 gesehen – zum Signal, das als Tremendum und als Faszinosum zugleich angstvolle und sensationslustige Emotionen erweckt. Als blendende und tödliche Instanz wird der Atombombenblitz allerdings immer mehr als Ausdruck einer kolossalen Macht aufgefasst. So ist der Blitz in Ernst Barnewolds eher mythisch angelegtem Atomdrama Promethiden fast vergöttlicht: Das potente Sonnenlicht der Bombe wird dabei mit dem Blitz des Zeus gleichgesetzt, dem »heiligen Brand«, den der Mensch als Prometheus-Erbe, »mächtiger als einst der Titan«,71 auf die Erde trägt. Insgesamt ist aber der Blitz in den JapanDramen, trotz der ebenso deutlichen Faszination, eindeutiger negativ konnotiert. Der Begriff etabliert sich hier in Kombination mit dem Augenblick der Explosion, der ungeheuren Helle, die Hiroshima in wenigen Sekunden annullierte. Er koinzidiert deshalb meistens mit dem unheilvollen Anfang, als dessen symbolträchtige Chiffre schlechthin er bald steht. Im Kalender der Geschichte kündigt er den Aufbruch in das ›Danach‹ an: »Heute vor fünf Jahren ist etwas geschehen: Ein greller Blitz ist aufgezuckt. Sein gespenstiger Widerschein liegt 69 Erwin Wickert: Hiroshima. Authentischer Bericht aus der Stadt, die der Atombombe zum Opfer fiel. Weinheim [o. J. 1959], S. 6–7. 70 Fred Denger : Bikini (Anm. 26), S. 45. 71 Ernst Barnewold: Promethiden. Bremen 1950, S. 11.

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noch heute über diesem Tag«,72 heißt es programmatisch in Karl Georg Egels im August 1950 ausgestrahltem Hörspiel Hiroshima – Fünf Jahre danach. Überhaupt muss man feststellen, dass mit und seit dem Auftreten dieser Thematik das ganze Wortfeld um die Begriffe ›Blitz‹ und ›Licht‹ intensiv gebraucht wurde und in seinen Begleiterscheinungen (Hitze, Glut, Feuer, Funken, Flammen) die Sprache des sich in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren konstituierenden Atomdiskurses maßgeblich bestimmte. Bei der Aufnahme völlig neuer sinnlicher Wahrnehmungen und der Darstellung der schrecklichsten Erinnerungsbilder, die mit dem Ereignis der Explosion verknüpft waren, wurden in Verbindung mit den Vorgängen des Sehens und dessen physisch-technischen Extensionen (Augen, Brillen, Blitzlichtlampen) auch Neuprägungen in den Wortschatz aufgenommen, die sich allmählich im allgemeinen Sprachgebrauch sowie im Nuklearvokabular festigten. Wie in den Einzelanalysen im zweiten Teil dieser Arbeit zu zeigen sein wird, tauchten in den Dramen gängig werdende Wendungen auf – Lichtball, Lichtexplosion, Atombombensonne, Wärmestrahlen –, mit denen sich der Literatur auch ein neues Reservoir an Bildern und gedanklichen Repräsentationen erschloss. Es entwickelte sich dabei eine unerschöpfliche Feuer- und Aschenmetaphorik – Feuerball, Feuersäule, Aschenregen, Aschenwolke, Rauchpilz, Rauchwolke –, die einige Spiele bewusst schon in den Titel aufnahmen.73 Gleichzeitig verbreiteten sich auf sprachlicher Ebene aber auch eine gewisse Verwissenschaftlichung des Lexikons und eine Versachlichung der Informationen, die sich in vielen Stücken nachweisen lassen, die über technische Daten wie »Reichweite« und »Temperatur«,74 »Durchmesser«, »Hypozentrum« und »Epizentrum«75 der Bombe berichteten. Diese Beschäftigung mit der Fachsprache schlug sich ferner in der Häufung von physikalischen Begriffen wie »Radiowellen durch Richtstrahler«,76 »Uranbarren«, »Schweres Wasser«, »Geschwindigkeit von Neutronen«, »elektrische Ladung«,77 »allerstabilste Isotope«, »Halbwertszeit«78 sowie in Werktiteln 72 Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (Anm. 65), S. 1. 73 S. Christoph Hamm: Sturm aus den Sonnen, Heinrich Heym: Asche im Wind, Helmut Schwarz: Im Aschenregen. Der Begriff ›Asche‹ als Kristallisationspunkt der atomaren Angst steht im Mittelpunkt verschiedener Texte, wie z. B. in Hans Pfeiffers Ein Abschied. Zu den Bildern von ›Asche‹ und ›Staub‹ s. auch Helga Raulff: Asche und Ambivalenz. In: Dies. (Hrsg.): Strahlungen. Atom und Literatur. Mit zum Teil unveröffentlichten Texten von Hermann Broch, Hans Blumenberg und Karl Löwith. Kommentiert von Marcel Lepper, Jan Bürger und Reinhard Laube. Marbach am Neckar 2008, S. 25–41. 74 Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (Anm. 65), S. 20. 75 Erwin Wickert: Hiroshima (Anm. 69), S. 9. 76 Ernst Barnewold: Promethiden (Anm. 71), S. 13. 77 Maximilian Scheer : Paris, den 28. April. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 2: Mut zur Freiheit. Berlin 1951, S. 53. 78 Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen. Neue Zauberposse in zwei Akten. München 1956. Nachgedr. in: Ders.: Spiele der Zeit. Hamburg 1957, S. 388.

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wie Gebündelte Strahlen, Energie, Das kalte Licht, Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! und Kettenreaktion nieder.79 Neben der Thematisierung des Blitzes, der ein beliebtes Motiv der JapanDramen darstellt, aber auch in vielen anderen Kontexten zum Einsatz kommt, ist hier noch ein weiteres Element zu erwähnen, das hingegen als exklusives Merkmal der Japan-Dramatik angesehen werden kann: der Schatten. Dies ist in der MDS von Abb. 2 deutlich erkennbar. Das Diagramm ermöglicht, den Zusammenhang der einzelnen Motive innerhalb des Clusters um die Japan-Dramen zu verfolgen. Hier erscheinen die Texte, in denen die Metaphorik aus dem Sinnbezirk ›Feuer‹ und ›Atombombenblitz‹ (Abk. AB) massiv präsent ist, nicht von ungefähr nur durch eine geringe Entfernung von den Variablen JS und SM getrennt. JS bezieht sich auf die geographisch-räumliche Einbettung der Handlung in die japanische Szenerie, während SM für das Motiv des Schattens steht, der große evokative Kraft besitzt und für den Moment der ersten Explosion spezifisch ist. Gerade in diesem Zusammenhang verdient er es, hier näher analysiert zu werden. Den entscheidenden Anstoß zur Behandlung des Motivs gab die von mehreren Zeitungen verbreitete Nachricht über einen durch radioaktive Strahlen eingebrannten Schatten oder besser über einen Schattenriss, eine Silhouette von Menschen, die durch die Atombombendetonation im Asphalt wie eingraviert blieb. Dieses Motiv des Schattens, der Anders in seinem Tagebuch aus Hiroshima als »das letzte Bild vom letzten Menschen«80 galt, wurde in vielen Dramen verarbeitet, beginnend mit Oskar Wessels Hiroshima, in dem ein Schatten, der seinen eigenen verbrannten ›Träger‹ überlebt, als Protagonist eingesetzt wird. Daraus resultiert eine unheimliche Verquickung des substanzlosen Schattenbegriffs mit der paradoxen ›Körperlichkeit‹ des weiterlebenden Schattens, der für den Zuhörer die letzte halbe Stunde seines ahnungslosen Besitzers, Herrn Tagota, an jenem 6. August rekonstruiert, ohne es selbst zu verstehen: »Er war sofort tot. Ich aber, der Schatten des Herrn Tagota, lag auf dem Boden«. Die Bombe stürzt nicht nur die Welt um, sie stürzt auch deren Ordnung um: »Gegen alle Regel lebte ich noch. Wahrhaftig. Ich lebte und begriff es nicht. Und begreife es nicht; denn der Mensch und sein Schatten gehören zusammen«.81 Ein wörtlicher Verweis auf die Schatten in Anlehnung an Anders findet sich nicht von ungefähr bei Rolf Schneider, der im Stück Prozeß Richard Waverly eben gerade von Anders und dessen Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten ausgeht. So Waverly in seiner Schlussrede: 79 Vgl. Matthias Josef Weiss: Gebündelte Strahlen, Julius Hay : Energie, Carl Zuckmayer: Das kalte Licht, Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! Ein Atomdrama, Frank Zwillinger : Kettenreaktion. Ein planetarisches Theater in 4 Zyklen. 80 Günther Anders: Der Mann auf der Brücke (Anm. 21), S. 132. 81 Oskar Wessel: Hiroshima (Anm. 66), S. 222.

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Das Entsetzlichste waren die Schatten. Sir, es gibt Straßen und Brücken in Hiroshima, in denen die Hitze der Bombe den Asphalt geschwärzt hat. Aber mittendarin sind helle Flecke, die vor der Hitze geschützt waren, helle Flecke, die die Umrisse eines Menschen haben: Hier waren Menschen gestanden, die in einer Sekunde verbrannt sind, und nichts ist mehr von ihnen, nichts mehr als diese hellen Schatten im dunklen Asphalt!82

Auch bei Erwin Wickert klingt die sogenannte »Geschichte von den Schatten«83 direkt an das bekannte Anders’sche Bild des Mannes auf dem Brückenbogen an.84 In der kurzen Hör- und Leseszene Hiroshima berichtet Pater Lasalle von beklemmenden Schatten »auf dem Gehweg einer Brücke« und von einem in die Wand eingebrannten Soldatenschatten: »Er hatte seine Hand erhoben, um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen. In diesem Augenblick leuchtete die Atombombe auf. Die Schatten waren alles, was von ihm und den Menschen auf der Brücke übrigblieb«.85 In Christoph Hamms Heller als alle Sonnen ist der Schatten ebenfalls die übrig gebliebene Spur der menschlichen Existenz: Als ein japanischer Bauer erstaunt einen Schatten entdeckt, der »auf der Treppe geblieben« ist, erklärt ihm ein Mädchen, wie im Augenblick der Explosion »hier ein Mann gesessen habe«.86 In Wolfgang Weyrauchs Die japanischen Fischer lässt sich eine fast gespenstische Variante des Motivs erkennen: Der Begriff begegnet uns hier immer wieder als Epitheton des Überlebenden. Im verseuchten Fischerdorf irren Schatten herum. Die Frau des Protagonisten ekelt sich vor ihrem Mann, aus dem der Grüne Drache, wie die Bevölkerung die nukleare Rauchwolke nennt, nur einen Schatten gemacht hat: »Schatten kann man nicht anfassen. Schatten können nicht lieben. Schatten kann man nicht lieben«.87

82 Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (1963). In: Ders.: Stücke. Berlin 1970, S. 102. Die hier kursiv wiedergegebenen Stellen sind im Original gesperrt gedruckt. 83 Erwin Wickert: Hiroshima (Anm. 69), S. 13. 84 Der Anders’schen Figur des Schattens auf dem Brückenbogen hat Günter Kunert sein Sonett Der Schatten gewidmet. Vgl. Günter Kunert: Der Schatten (1962). In: Ders.: So und nicht anders: Ausgewählte und neue Gedichte. München, Wien 2002, S. 24. In seinem Gedicht La bambina di Pompei (Das Mädchen von Pompeji) nimmt in Italien auch Primo Levi die in mehreren Zeitungen wiedergegebene Nachricht der eingebrannten Schatten wieder auf und verflicht sie mit der Chiffre der Einäscherung. »Nichts bleibt von der Schülerin in Hiroshima, / Schatten, von dem Licht von tausend Sonnen in die Mauer eingebrannt, / Opfer auf dem Altar der Angst. / Ihr Mächtigen auf der Erde, Herren neuer Gifte, / Ihr heimlichen, traurigen Wärter des endgültigen Donners, / Es genügt schon das Leid, das uns der Himmel schenkt. / Bevor ihr auf den Knopf drückt, haltet ein und denkt nach«. (Primo Levi: La bambina di Pompei. In: Ders.: Opere. Torino 1997, Bd. II, S. 549. [Übersetzung: E. F.]). 85 Erwin Wickert: Hiroshima (Anm. 69), S. 13. 86 Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen. Szenen mit verbindenden Texten und einem Sprechchor gegen den Atomkrieg. Archiv-Manuskript Städt. Theater Leipzig [Titel auf dem Deckblatt: Sturm aus den Sonnen. O. J., vermutlich 1958, Bibliothek-Nr. 91], S. 4, Szene 5. 87 Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer (1956). In: Ders.: Das grüne Zelt. Die japanischen Fischer. Zwei Hörspiele. Stuttgart 1963, S. 54.

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Ein ebenso topisch gewordenes Bild findet die apokalyptische Thematik des Schattens im Untermotiv der Schuhe, deren Verlust zum metonymischen Merkmal des Entblößtseins, der Herabwürdigung und sogar des Todes selbst werden kann. Zwischen dem Schatten, dem Schicksal und dem Schuh als belebtem Objekt entspannt sich bei Wessel ein vielschichtiges Beziehungsspiel. Herrn Tagota, der selbst seine traditionellen Holzsandalen, die Getas, nachlässig verliert, stellt sich im Text die Figur von Hiromito entgegen. Bei der Erinnerung an sein Soldatenleben kommt es Hiromito vor, als ob sich das Bild der Schuhe an den geschwollenen Soldatenfüßen in das spukhafte Leben der schreitenden Schatten einfügte. Beim Anblick seiner zu weit entfernt abgestellten Schuhe habe ihn ein Kamerad schon gewarnt: »Der Tod sucht Schuhe, der Tod sucht immer Schuhe«.88 Schuhe darf man also nicht nachlässig behandeln. Für die weibliche Hauptfigur, das Garderobe-Mädchen, das »nur noch in Schuhen« ›denkt‹, bedeuten Schuhe und Menschen schließlich dasselbe, denn »man bewacht die Schuhe und möchte die Menschen bewachen«. Das ganze Leben sieht sie sogar sub specie animierter Schuhe, die »wie eine Herde« durch die zerbombten Straßen fliehen: »Und manchmal laufen sie, laufen sie schrecklich. Laufen sie hierhin, laufen sie dorthin, weil die Flieger kommen und die Bomben fallen und die Straße brennt und die Häuser ohne Obdach sind«.89 Auch in Füßen und Schuhen kann übrigens das tausendjährige Vermächtnis der Ahnen verankert sein, das von der Überheblichkeit der US-Usurpatoren vernachlässigt wird. Die Amerikaner kennen nicht den verborgenen Sinn der Schuhe und behandeln sie daher nicht mit dem ihnen gebührenden Respekt: »Sie behalten ihre Schuhe an, ja?«, fragt ganz entrüstet Hans Pfeiffers Yamamoto in Laternenfest, und urteilt über sie infolgedessen mit hochfahrender Geringschätzung: »Barbaren! Barbaren in meinem Haus!«.90 Also Schatten und Schuhe, scheinbar unbedeutende Motive, oft miteinander verschränkt. Und mögen sie auch auf den ersten Blick weniger bezeichnend sein als andere Motive von größerer politischer Relevanz, so bestätigt gerade ihre vermeintliche Marginalität die Breite der behandelten Themen sowie die Fähigkeit der multidimensionalen Skalierung, auch nichthegemoniale Kategorien zu erfassen, um dabei Fülle und Vielfalt der Übersicht zu garantieren. Im Diagramm der Abb. 3 veranschaulicht das blau umrandete Cluster die Verbindung weiterer nebeneinanderliegender Abkürzungen innerhalb der Japan gewidmeten Texte. In der Nähe von SM und JS (oben, in der Mitte) liegen in derselben Gruppe zwei Indikatoren, die in unmittelbarerem Zusammenhang mit Japan stehen: RL 88 Oskar Wessel: Hiroshima (Anm. 66), S. 229. 89 Ebd., S. 226. 90 Hans Pfeiffer : Laternenfest. Berlin 1958, S. 14.

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Abb. 3: Multidimensionale Skalierung: Cluster mit Japan-Kategorien

und BM. Der erste steht für das Reservoir von Bildern und Vorstellungen des Leidens und des Grauens, das in Verbindung mit dem entsprechenden Unbeschreiblichkeitstopos zwar dem ganzen Genre anhaftet, zugleich aber auch eines der Spezifika von Japan-Dramen darstellt. Der zweite betrifft, wie im Einzelnen zu sehen sein wird, das genau für dieses Untergenre zentrale Motiv der BikiniFischer. Die Schilderung von Zerstörung und von radioaktiven Verwesungsprozessen nach dem Bombenabwurf schuf in der kulturpolitischen Semantik der Bombe einen nahezu bombastischen Vorrat an grässlichen Vorstellungen, aus dem die Atomdramatiker in der gesamten Untersuchungszeit von 1945 bis 1975 mit

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vollen Händen schöpften. Insbesondere den Autoren von Japan-Dramen boten aber die verheerenden Effekte von Explosion und Nukleartests die Gelegenheit, ein schier unendliches Bilderreservoir für die Darstellung von all dem Leid, der Qual und den Gräueln zu aktivieren, das in der folgenden Dramaturgie der Bombe ein wesentlicher Eckfeiler werden sollte. Zu einem solchen Repertoire zählen die häufigen Beschreibungen jener »Kettenreaktion der Hölle« – wie sich Gustav von Wangenheims Protagonist in Auch in Amerika… über eine Hiroshima-Ausstellung äußert –, die das Leben unmöglich macht und auf typischen und rekurrenten Konstellationen beruht: »verdorrte Menschen, verweste und verwesende – brennende See-Stücke, Menschenstücke! Bombenstückwerk – alles in Atome zerrissen«.91 Überall nur noch »Kadaver / Kadaver / in Sonne zergangene Samurais«, meint trocken auch Ludwig Harig, »verkohlt / gebraten / gegrillt«.92 Zu dieser wiederkehrenden Konstellation der Grausamkeit zählen auch zwei Topoi der Verunmöglichung menschlichen Lebens, die eng miteinander verbunden sind. Zum einen wird der Topos der fatalen Unfruchtbarkeit eingesetzt, um zu zeigen, wie auf der atomaren Erde »jeder Türgriff, jeder Klingelknopf« »steril« wird, »steril wie die Menschen«.93 Zum anderen kristallisiert sich der Topos der Auslöschung der Nachkommenschaft heraus. Dabei lautet die Hauptfrage, ob und wie der Mensch die entsetzliche Zukunft vor seinen eigenen Enkeln verantworten kann. Darauf wissen die Dramatiker oft keine Antwort. In Asche im Wind lässt z. B. Heinrich Heym seinen strahlenverseuchten Helden im Alptraum dem Schreckgespenst seiner Ängste begegnen, der absurden, makabren (und, wie wir noch sehen werden, fortschrittsfeindlichen) Vision eines Nachkommens, den sich der Protagonist in der Form eines rumpflosen Kopfes vorstellt; »nur noch Kopf […]. Nichts als Kopf«, ein unglückliches Wesen, das weder riechen noch schmecken kann, weil es »nur aus Wissen und Denken zusammengesetzt«94 ist. Die Atomliteratur gesteht den nächsten Generationen keine Zukunft zu, ihr Schicksal wird in den schwärzesten Farben ausgemalt: »Es werden sich vermehren die erblichen Krüppel«, setzt hier Heym fort, »die Epileptiker, die Schwachsinnigen, Menschen mit Hasenscharten, zeugungsunfähige Männer und Frauen«.95 Von vornherein sind direkt oder indirekt strahlenverseuchte Neugeborene zum Sterben verdammt, sie sind »ohne Lunge, ohne Darmausgang«, mit »Hirnhautgeschwülsten oder zusammengewachsenen 91 Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (Anm. 36), S. 33. 92 Ludwig Harig: Haiku Hiroshima. Als Hörspiel bearbeitet und für Stereophonie eingerichtet von Hellmut Geißner [1968]. Sendungsmanuskript Saarländischer Rundfunk. Abteilung Hörspiel, S. 8, 21. 93 Dieter Rohkohl: Das unsichtbare Gepäck. Unverkäufl. Manuskr. Hamburg 1964, S. 118. 94 Heinrich Heym: Asche im Wind (1963). Manuskript Wien [o. J.], S. 44. 95 Ebd., S. 18–19.

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Speise- und Luftröhren«,96 um hier nur wenige Beispiele aus der Fülle der Todesdarstellungen herauszugreifen. Ein Junge in Hans Henny Jahnns Trümmer des Gewissens sagt es ausdrücklich: »Uns im Rücken stehen keine Nachkommen«.97 In der atomaren Ära können die Frauen »nicht einmal ein Kind machen, außer es ist eine Missgeburt«,98 und »die Neugeborenen sind verseucht, weil ihre Mütter verseucht sind«.99 Das Licht der Welt erblicken also nur noch missgestaltete Kinder, die Frauen erleiden »Fehlgeburt[en]« oder sie gebären tote Kinder in Gestalt von »Äffchen«.100 Wie das letzte Zitat von Wolfgang Weyrauch belegt, amalgamieren in vielen Texten die Bilder der Missgeburten und allerlei Deformationen nach Hiroshima mit denen der armen Bikini-Fischer, die nicht nur zu den bevorzugten Sujets der Japan-Dramatik zählen, sondern sich als sehr produktiv auch für andere Dramen erwiesen, in denen sie oft als Verweis oder als Zitat benutzt wurden. Von Weyrauch stammt das sicher bekannteste Werk zu den japanischen Fischern, die der Dichter zu Titelfiguren seines Hörspiels erkor. Dabei ging er auf den traurigberühmten Atomtestunfall zurück, der sich am 1. März 1954 im Pazifik ereignete und den Kutter Fukuryu-maru 5 (Glücklicher Drache 5) traf. Der Protagonist selbst, der Fischer Susushi, übernimmt im Stück die Aufgabe, von der amerikanischen Versuchsexplosion zu berichten. Susushi erzählt vom tödlichen Fischfang und vom »Atom«, das »von den Stürmen über den Wolken tausend Meilen weit geweht«101 wurde, vom Dorf, das mit radioaktiver Asche bedeckt war, und von den Bewohnern, die durch die Strahlenkrankheit umkamen. Weyrauch beschreibt schonungslos das Ringen der wenigen Überlebenden mit der Entscheidung für einen Feuertod: eine symbolische Paraphrase über den nuklearen Holocaust, in dem das Spiel kulminiert. Diese dem Fall der japanischen Fischer inhärente Dramatik inspirierte zahlreiche Autoren von Atomdramen. Noch 1975 ließ Ernst Schumacher in seinem Einstein-Drama Die Versuchung des Forschers auf der Bühne einen Dokumentarfilm projizieren über »die Fischer des japanischen Fischerbootes ›Glücklicher Drache‹, die in den radioaktiven Wind der Wasserstoffbombenexplosion auf Eniwetok am 1. März 1954 geraten sind«.102 Heinrich Heyms Asche im Wind wurde laut Angabe des Dichters unmittelbar durch die Nachrichten 96 Gerhard Stübe: Harakiri. Eine Funkerzählung. Berlin 1959, S. 23. 97 Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens. In: Ders.: Werke und Tagebücher. Sektion Dramen II. Hrsg. von Thomas Freeman, Thomas Scheuffelen. Hamburg 1974, Bd. 5, S. 355. 98 Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen (Anm. 86), S. 8, Sz. 5. 99 Hans Pfeiffer : Laternenfest (Anm. 90), S. 8. 100 Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer (Anm. 87), S. 55. 101 Ebd., S. 46. 102 Vgl. Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität. Ein Biophysical. Berlin 1975, S. 72.

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über den nach der Explosion gefallenen Aschenregen angeregt, so dass »der Krankheitsablauf auf der Bühne« »den Krankheitsberichten dieser Männer«103 genau folge. Den Bikini-Opfern kam offensichtlich eine über den historischen Wert des Ereignisses weit hinausreichende Bedeutung zu. Das Erlebnis der strahlenbelasteten Fischer wurde zur negativen Quintessenz des Atomkriegs stilisiert. Von einem Kutter namens »Leuchtender Drachen« berichtet die Stimme von Hakamada in der gleichnamigen Szene von Gerhard Stübes Harakiri: Im Wirkungsbereich einer Wasserstoffbombenexplosion wird das Boot »mit radioaktivem Staub überschüttet«.104 Auch bei Christoph Hamm klingt die Trauer um die Vorfälle im Bikini-Atoll in Szenarien an, die von Klagen und Anklagen durchzogen sind. In einer Szene aus Heller als alle Sonnen sind die armen japanischen Fischer der Berührung mit radioaktiven Ausdünstungen ausgesetzt: Sie geraten »in die radioaktiven Schwaden der letzten Versuchsexplosion«.105 In einer anderen Szene nimmt die junge Braut eines todkranken, wegen seiner strahlengeschädigten Zunge konkret und metaphorisch zum Schweigen verurteilten Fischers die Aufgabe auf sich, der Welt zu verraten, wie ihr Mann »an der falschen Sonne von Bikini«106 gestorben sei. Dieses Beharren auf dem bisher unbekannten Faktor des radioaktiven Fallouts in den Bikini-Dramen brachte ansatzweise aber auch eine Schwerpunktsetzung hervor, die Jahre später im Atomdiskurs zentral werden sollte: die Herausstellung eines fast modernen Verständnisses der Umwelt. In Ulrich Bechers satirischem Atomdrama Die Kleinen und die Großen zeigt sich diese Themenentfaltung nicht nur durch die menschlichen Opfer, die Fischer, denen »das Knochenmark« austropfte und »die Hoden, die Leber, die Milz« schwollen, sondern auch durch die Darstellung der Tiere, der tausenden in die »Giftbrise« geratenen Schwalben, die »mit himmelwärtsgekrampften Krallen«107 am Strand verendeten. Nach den Tests im Pazifik ist das Ökosystem gefährdet, weil »die aus Japan kommenden Fischkonserven und Fischerzeugnisse« wegen »der Versuche mit nuklearen Waffen radioaktiv verseucht sind«.108 Auch Günther Weisenborn schiebt in den Vordergrund seiner in die Göttinger Kantate eingefügten Ballade vom Bikini-Fisch nicht die Menschen, sondern das schrecklich entstellte »Fischgetier von Bikini« (»zerfressene Ungetüme, / die Eingeweide nachzie103 Vgl. die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienene Pressenotiz zur Seminardiskussion im Frankfurter Volksbildungsheim, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Mai 1963, S. 19 (s. dazu auch Anm. II, 496). 104 Gerhard Stübe: Harakiri (Anm. 96), S. 47. 105 Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen (Anm. 86), S. 51. 106 Ebd., S. 5 der Sz. IV. 107 Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen (Anm. 78), S. 388. 108 Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen. Ein Agitationsprogramm gegen den Atomtod für Chor, zugleich Sprechchor, Sänger, Spieler und Sprecher. Musik von Horst Irrgang. Leipzig 1960, S. 23.

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hend«, die »Köpfe an Fäden und Flossen«) und das denunziatorische Motiv der durch Strahlung ausgelösten genetischen »Mutation«, »die den Fisch nicht nur trifft, / auch den Menschen…«.109 Hans Henny Jahnn scheint dieses Motiv der genetischen Veränderung durch radioaktive Strahlen noch stärker im Blick zu haben. In seinem letzten Drama, Trümmer des Gewissens, überlagern sich wissenschaftliche Kenntnisse über Atomkrafterzeugung mit Experimenten über künstliche Zeugung und Fortpflanzung: Der perverse Arzt Lambacher arbeitet an der Züchtung von Riesenlibellen, mit dem frevelhaften Plan, die Resultate auf den Menschen zu übertragen. Alles in allem begegnet dem Zuschauer ein Leben oder ein ›Unleben‹ nach dem Sündenfall der Atomenergieentdeckung. Es ist die Feststellung jener »blauschimmernde[n] Wüste«,110 mit der Dürrenmatts Möbius am Ende der Physiker resigniert, das öde Bild einer verseuchten Welt, eines »Planet[en] ohne Leben«,111 die Prophezeiung einer progressiven Sterilität nach der Erschöpfung aller Lebensformen. Kein »Vogel«, »kein Grün«, »kein Baum, kein Strauch, kein Rasenhalm«.112

2.3

Bildung eines Klischees: das Pilotendrama

Untrennbar von der Frage nach der historischen und moralischen Rechtfertigung der ersten Atombombe auf Japan ist die Figur des Hiroshima-Piloten. Das im Atomdrama wiederholt auftretende Motiv der Gewissensqual des Bomberpiloten ist, wie im MDS-Raum die Korrelation zwischen der Kategorie P (im rechten oberen Quadranten von Abb. 3) und den auf Japan bezogenen Items zeigt, der Japan-Thematik eng benachbart, gehört jedoch wegen der breiten thematischen Auffächerung des Motivs nicht exklusiv der Gruppe der JapanDramen an. Es soll hier deshalb separat behandelt werden. Der Hauptprototyp des literarischen Hiroshima-Piloten war der amerikanische Major Claude Eatherly, der am 6. August 1945 das Aufklärungsflugzeug Straight Flush flog, das die Freigabe für den Atombombenabwurf auf Hiroshima gab. Hinterher gelangte er zur Erkenntnis seiner unauslöschlichen Schuld und war darüber zutiefst niedergeschlagen. Von der Obsession besessen, verurteilt zu werden, ließ sich Eatherly verschiedene Verbrechen zuschulden kommen, erlangte schon in der ersten Nachkriegszeit zumal wegen seines nicht gerade

109 110 111 112

Günther Weisenborn: Göttinger Kantate (Anm. 38), S. 41–42. Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker: eine Komödie in zwei Akten. Zürich 1962, S. 87. Max Frisch: Die Chinesische Mauer (Anm. 68), S. 82. Dieter Rohkohl: Das unsichtbare Gepäck (Anm. 93), S. 118.

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untadeligen Verhaltens fragwürdigen Ruhm,113 wurde von der Air Force in einer psychiatrischen Anstalt in Texas interniert und einem Strafprozess unterzogen. Im April 1957 widmete ihm das Nachrichtenmagazin Newsweek einen langen Bericht mit dem Titel Hero in Handcuffs (Held in Handschellen), der Fall wurde »zur Weltaffäre«114 und rückte seitdem ins Zentrum politischer und sozialer Debatten. Durch den 1961 als Off limits für das Gewissen von Robert Jungk herausgegebenen Briefwechsel zwischen dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly und Günther Anders115 wurde das Schicksal des Bombenfliegers auch in Europa populär und literarisch mehrfach verarbeitet. Der Pilot, der bei der japanischen Atomkatastrophe eine so fatale Rolle spielte, tritt bereits ab Ende der vierziger Jahre als Dramen- und Hörspielfigur im deutschsprachigen Bereich auf, mitunter als Protagonist oder zumindest als eine der zentralen Figuren, mitunter aber auch als völlig nebensächliche Figur. Nicht selten werden Zitate und Verweise auf Piloten im Atomdrama nur zweckmäßig als Signal der menschlichen Fähigkeit zur Reue und Einsicht oder als Mittel sinnloser Zerstörung eingesetzt. Da genügt die bloße Nennung ebenso wie die Mitteilung einer gerüchteweise verbreiteten Information – in Aussagen wie »Der Bomberwerfer von Hiroshima soll wahnsinnig geworden sein«,116 »67,3 % aller USA-Piloten sind nervenkrank […] unzurechnungsfähig«117 –, um die übrigen Bestandteile der Atombombennarrative mental aufzurufen. So oder so, ob das Atomdrama über Piloten sachliches Interesse, Missbilligung oder Mitleid formuliert, ob es sie zu großen Opfern idealisiert oder zu zweitrangigen Symbolen instrumentalisiert – ihre Literarisierung gehört zu den speziellen Leistungen der antinuklearen Nachkriegsdramatik. Aus der folgenden Tabelle lässt sich die Konzentration auf die Thematik leicht ermitteln.

113 Er fälschte Schecks, beging, ohne Geld mitzunehmen, wiederholt Einbrüche, verübte Überfälle mit Spielzeugpistolen. S. dazu Ronnie Dugger : Dark star: Hiroshima reconsidered in the life of Claude Eatherly of Lincoln Park. Cleveland 1967. 114 O. A.: Eatherly. Unschuld und Sühne. In: Der Spiegel, 29. April 1964, S. 124. 115 Günther Anders: Off Limits für das Gewissen. Briefwechsel zwischen dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly und Günther Anders (1959–1961). Hrsg. von Robert Jungk. Reinbek bei Hamburg 1961. Wiederabgedr. mit einem Vorwort von Bertrand Russel und der Einleitung von Robert Jungk in: Ders.: Hiroshima ist überall (Anm. 21), S. 191–360. S. dazu Georg Geiger : Der Täter und der Philosoph – Der Philosoph als Täter. Die Begegnung zwischen dem Hiroshima-Piloten Claude R. Eatherly und dem Antiatomkriegphilosophen Günther Anders oder: Schuld und Verantwortung im atomaren Zeitalter. Bern, Frankfurt a. M., New York, Paris 1991. 116 Hans Pfeiffer : Laternenfest (Anm. 90), S. 37. 117 Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen (Anm. 108), S. 13.

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Tab. 2: Liste der Pilotenfiguren in Bühnen- und Hördramen Autor

Stück als Protagonist

Pilotenfigur unter den Hauptpersonen

Maximilian Scheer

Und Berge werden versetzt (1949)

Gustav v. Wangenheim

Auch in Ronald (ExAmerika… Kriegspilot, Ko(1950) Protagonist) Atom vor Bruder Thomas Christus (1951) (Mönch gewordener Bomberpilot)

Kurt Becsi

Erwin Wickert

Hiroshima (1955)

Ilse Langner

Cornelia Kungström (1955)

Carl Das kalte Licht Zuckmayer (1955) Friedrich Gentz Pilot Herzog (1956) Hans Friedrich Kühnelt Hans Pfeiffer Hermann Rossmann

Albert (Bomberpilot über Hiroshima)

Captain Lewis (HiroshimaKo-Pilot) Erik (Bombenabwerfer bei der Royal Air Force) Roy (Testpilot) Titelfigur (Opfertod)

Es ist später als du denkst (1956) Laternenfest (1957)

Christoph Hamm

Testflug B 29. (Nie wieder!) (1957) Heller als alle Sonnen (1958)

Gerhard Stübe

Harakiri (1959)

Rainer Otto

Wenn wir alle nicht wollen (1960)

als Motiv/ Verweis

Ikarus (in PilotenUniform) Major Kennedy (Bombenflieger über Nagasaki) Pilot Jon (begeht Selbstmord) John (Bomberpilot über Hiroshima) Pilot (geht ins Kloster) Piloten als nervenkranke Todesbomber

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Einleitung und Themenstellung

((Fortsetzung)) Autor

Stück als Protagonist

Rolf Schneider

Prozeß Richard Waverly (1963)

Jürgen Breest

Die Mädchen aus Hiroshima (1963)

Paul Bühler

Der Wagenlenker (1963)

Hilde Rubinstein

Null Uhr Null (1965)

Ludwig Harig

Haiku Hiroshima (1969)

Pilotenfigur unter den Hauptpersonen

als Motiv/ Verweis

Eatherly/ Waverly Pilot (der Maschine, in der die ›Mädchen‹ fliegen) Nennung von Eatherly (im Nachwort) Spritty (Armeeflieger, der die Bombe abwarf) Major Eatherlys Wespe Straight Flush (Vers)

Der Gebrauch, den die Atomdramatik von diesem verbreiteten Motiv macht, stützt sich vornehmlich auf wenige einzelne Klischees – vor allem auf das Klischee des fast psychotischen, von der Reue gequälten, zur Buße bereiten Helden –, die auffallend mit dem Deutungsmuster übereinstimmen, das Günther Anders’ Briefwechsel mit Eatherly vermittelt hat. Diesem Deutungsmuster folgend leben die meisten Piloten der Atomdramen als Außenseiter, enden im Wahnsinn oder Selbstmord. Einige aber versuchen, ihre schreckliche Sünde im Kloster zu verbüßen, schwören der Welt ab und werden Mönche. Die prägnanteste, wohl auch der historischen Realität am nächsten kommende Eatherly-Inszenierung stammt von Rolf Schneider. 1961 schrieb er über das Entmündigungsverfahren gegen den Piloten das erfolgreiche Hörspiel Prozeß Richard Waverly, das 1963 in Berlin auch als Schauspiel auf die Bühne kam. Dabei thematisierte der ostdeutsche Schriftsteller Eatherlys Gewissensqualen nach dem Abwurf, machte aus ihm einen überzeugten Kämpfer gegen die Nuklearwaffen und – gemäß dem von Robert Jungk dem Briefwechsel vorangestellten dichotomen Motto »Der Täter als Opfer« – eben eine ›Helden-OpferFigur‹. Schneiders Eatherly-Waverly erscheint als Ziel und Gegenstand des übergeordneten Plans, mit dem das US-Rechtssystem die Schuldgefühle des in

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Amerika so gefeierten Heroen, der »sich während des Krieges ausgezeichnet«118 hatte, als Geisteskrankheit einzustufen versuchte. Für seinen halbdokumentarischen Text verwendete der Autor mehrere Quellen, darunter die lange Reportage über den Eatherly-Prozess und die gerichtsmedizinischen Gutachten, die Ray Bell als Korrespondent des texanischen Lokalblatts Waco News-Tribune in einer großen französischen Zeitung erscheinen ließ. Schneider noch nicht zugänglich waren hingegen die kontroversen Materialien, die erst 1964 in dem 300 Seiten starken Buch The Hiroshima Pilot von William Bradford Huie119 vorgelegt wurden und die ein eher widersprüchliches Porträt Eatherlys entwarfen: das Porträt eines hohlen, fast schizoiden Mannes, eines egozentrischen Opportunisten, der mit allen Mitteln versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. Im Unterschied dazu bietet das deutschsprachige Atomdrama in anschaulicher Weise ein mythisiertes Bild des Legende gewordenen Piloten ganz im Sinne des gerechten, spirituell zerrissenen Menschen, den Anders neben Eichmann in den Rang einer der »beispielhaften Figuren der heutigen Epoche«120 erhoben hatte. Mit unterschiedlicher Akzentuierung leisteten viele dramatische Texte ihren Beitrag zu dieser beliebten Thematik, für die Rolf Schneiders Drama die Rahmenparadigmen abgesteckt hatte. Wurde hier eine neue Semantik der ›Opferschaft‹ – die Hiroshima-Obsession, das Erschrecken über das »Ausmaß der Zerstörung«,121 die «grauenvolle Schuld«122 des Einzelnen, der Beispielcharakter von Reue, Umkehr und Opfer, das Verantwortungsprinzip vor dem eigenen Gewissen – als politisches Korollarium der Abrechnung mit der amerikanischen Militärideologie und der Selbstverschanzung der Staatsmacht entwickelt, so begegnen in vielen Werken mehrere Varianten des Motivs. Es gibt die reumütigen sowie die wagemutigen, die politisch engagierten sowie die resignierenden und aufopferungsbereiten Piloten. Manchmal ist es der Autor selbst, der ihnen die gerechte Strafe für ihre Verbrechen an der Menschheit auferlegt. In einer Szene aus Heller als alle Sonnen von Christoph Hamm kehrt der Bomberpilot John, der »eine Bombe […] auf die Stadt Hiroshima« geworfen, »Kinder […], 118 Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (Anm. 82), S. 59. 119 Vgl. William Bradford Huie: Der Hiroshima-Pilot. Übers. von Willy Thaler. Wien 1964. Einen Überblick über den Diskussionsstand 1964 bietet der Zeitungsartikel von Dieter E. Zimmer : Der Bomberpilot von Hiroshima. Claude Eatherly oder Die Suche nach dem einen Gerechten. In: Die Zeit, 28. August 1964. Vgl. dazu auch die schon zitierte recht positive Spiegel-Rezension zum Buch: O. A.: Eatherly. Unschuld und Sühne (Anm. 114), S. 122–125, und das Resümee von David Johst: Die Legende vom reumütigen Piloten. In: Die Zeit, 6. August 2015, Online-Ausgabe, unter URL: https://www.zeit.de/2015/32/hiroshima-pilotatombombe-claude-eatherly. 120 Günther Anders: Off Limits für das Gewissen (Anm. 115), S. 346, Brief 65. 121 Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (Anm. 82), S. 61. 122 Ebd., S. 63.

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Frauen, Mädchen, Greise« umgebracht, die »Unvorbereiteten […] am Frühstückstisch« und »die Ahnungslosen am Herd« »gemordet« hatte, nach Hause zurück und lässt sich aus Reue und vor Gewissensqualen von seinem pazifistischen Bruder hinrichten: »Schiess! […] so ist es recht«.123 Bei Gustav von Wangenheim wird der Pilot Ronald nur deswegen von dem Sohn, der die Pistole gegen ihn richtet, begnadigt, weil er sich schließlich überzeugen lässt, seinen »Kriegsjob«, d. h. seinen »Bombenjob«,124 aufzugeben. Unter den Aufopferungsbereiten gibt es bisweilen auch Asketen und Büßer, die hinter einer Klostermauer (vergeblich) Ruhe zu finden versuchen, wie der Mönch gewordene Pilot in Kurt Becsis Atom vor Christus. »Der den Tod auf Hiroshima warf / Ging ins Kloster«,125 heißt es auch in einem berühmten Vers aus Marie Luise Kaschnitz’ Hiroshima-Ballade. »Der amerikanische Fliegeroffizier […] ist vor Gewissensqualen ins Kloster gegangen«,126 sagt mit ähnlichen Worten Gerhard Stübes Hakamada in Harakiri. Doch beschränkt sich die Pilotentypologie nicht nur auf Dynamiken der Viktimisierung dieses Helden moderner Zeiten, nicht nur auf die niedergeschlagenen und deprimierten Flieger als tragische Repräsentanten kriegsbedingter Verzweiflungsvisionen. Sie umfasst auch – obgleich in geringerem Ausmaß – ganz gegensätzliche und aggressivere Beispiele wie den Sohn der Titelfigur in Ilse Langners ›Tragödie‹ Cornelia Kungström von 1955. Erik, ein exaltierter Bombenabwerfer bei der Royal Air Force, der der Mutter Geld für seine Experimentierflüge abzuknöpfen versucht, fungiert hier als Inbegriff des Wahnsinns, der die Welt zu überrollen und mit sich fortzureißen droht, denn »die Menschheit bedeutet für ihn gar nichts«,127 wie die Mutter schmerzlich erkennt. Öfter treten innerhalb dieser negativen Konstellation auch Versuche pseudohistorischer Varianten hervor. Es sind z. B. die triumphierenden, stolzen oder gar bornierten amerikanischen Piloten, die sich »in prächtiger Stimmung«128 an Bord ihrer realistisch beschriebenen Todesbomber befinden. Unter diesen Pilotengestalten, die kaum angeschlagen und sogar übermutig sind, gibt es auch Hans Pfeiffers Major Kennedy in Laternenfest. Die Figur des Offiziers, der sich am Abwurf der Atombombe auf Nagasaki direkt beteiligt hatte, erfährt bei Pfeiffer eine höchst pejorative Umdeutung als Stereotyp des aufgeblasenen Helden, der nach dem Krieg überglücklich ist. Der ehemalige Militär ist Bon123 124 125 126 127

Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen (Anm. 86), S. 9. Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (Anm. 36), die zwei Zitate auf S. 48 u. 63. Marie Luise Kaschnitz: Hiroshima. In: Die Gegenwart 6 (1951), H. 20, S. 16. Gerhard Stübe: Harakiri (Anm. 96), S. 23. Ilse Langner : Cornelia Kungström. In: Dies.: Dramen. Hrsg. von Eberhard Günter Schulz, Bd. 1. Würzburg 1983, S. 269. 128 Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 1: Frieden. Berlin (DDR) 1950, S. 41.

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bonfabrikant geworden und präsentiert sich im Stück als erfolgreicher Geschäftsmann. Von Reue keine Spur. Ebenso wie der Ex-Pilot, der bei Kaschnitz dem Fotografen »hinter der Hecke« – dem »Auge der Welt« – das Gesicht »verzerrt von Lachen« zuwendet,129 steht Kennedy voller Stolz da, kühl und selbstgerecht, gleichmütig seine fruchtsauren Bonbons kauend, die »das körperlich-seelische Wohlbefinden«130 befördern. Aber sei es, dass sie zynisch sind, sei es, dass sie sich von patriotisch gefärbten Idealen mitreißen lassen oder an der Last ihrer Schuld zerbrechen, jedenfalls bewegen sich Piloten in auffallend großer Zahl durch die Atomdramenliteratur. In der Regel fliegen sie Boeings B 29, die Langstreckenbomber der amerikanischen Streitkräfte, die als Symbol des verheerenden Kriegs in der kollektiven Imagination fest verankert waren und in ebenso auffallenden Scharen den Himmel der Atomdramen bevölkern. Eingeflochten in die Handlungsstränge vieler Atomstücke sind zahlreiche Erwähnungen des Flugzeugs. Im Hörspiel des DDR-Autors Maximilian Scheer Und Berge werden versetzt sind z. B. alarmierende Funkgespräche über B-29-Flüge vor dem akustischen Hintergrund der amerikanischen Nationalhymne in den Text eingestreut, Dialogfetzen vom Gefechtsstand B 29, die die begeistert erregte Stimmung vor dem Abwurf vermitteln. Zum leitmotivischen Symbol der nuklearen Bedrohung wird das berüchtigte Bomberflugzeug in Hermann Rossmanns Stück Testflug B 29. (Nie wieder!), das es schon im Titel in direkter Korrelation mit der beschwörenden Mahnung nennt, die danach in Klammern folgt. Das Bild der Enola Gay – die Maschine, die die Atombombe Little Boy auf Hiroshima abwarf – kehrt in den alptraumartigen Visionen des im Delirium liegenden Protagonisten obsessiv wieder : »Jeden Augenblick muß sie eintreffen, die Enola Gay […]. Da ein Flugzeug! – […] Die Enola Gay! – Unverkennbar, es ist die Enola Gay! […] Die Enola Gay setzt zur Landung an«.131 Aber es ist auch der wiederkehrende Refrain des im Stück vorkommenden Songs, in dem ›Gay‹ einen unheimlichen Reim mit ›O-Kay‹ und ›way‹ bildet.132 Einige Autoren versuchen, wie gesagt, die Rolle des Piloten in einen streng sachlich-dokumentarischen Kontext zu stellen. Dazu verwenden sie historisch echtes Material wie Prozessakten, authentische Berichte und Interviews. In Erwin Wickerts Hiroshima tritt Captain Robert Lewis, der amerikanische KoPilot der B 29 Superfortress Enola Gay, die die Titelstadt bombardierte, in einem Interview auf, das bei der Erstsendung, am 10. August 1955, im Original aus129 130 131 132

Marie Luise Kaschnitz: Hiroshima (Anm. 125). Hans Pfeiffer : Laternenfest (Anm. 90), S. 33. Hermann Rossmann: Testflug B 29 (Anm. 3), S. 14–15. Vgl. ebd., S. 25: »mit der Enola Gay / nach Hiroshima – nach Hiroshima – / o kay – o kay – / It’s a long – long way, / a long – long way / […] Kennt ihr das lustige Mädchen, / Enola Gay – Enola Gay – […] Three cheers for the Enola Gay! – «, s. auch Anm. II, 384.

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gestrahlt wurde. Das Interview kommt ohne Emphase daher, der Autor will den Piloten weder besonders reuig noch sonderlich überheblich zeigen. Lewis selbst scheint sich als ein Rädchen im Getriebe des Kriegs zu begreifen. Er räumt zwar ein, dass ihm vor dem Abwurf »die Knie zitterten«, gibt jedoch zugleich an, dass er schon monatelang »auf diesen Einsatz vorbereitet worden«133 sei und lediglich einem Befehl gehorcht habe. Damit wird das Dilemma der aktiven oder passiven Dimension der Pflichterfüllung aktualisiert, das für die im ganzen Genre massiv vorhandene Problematisierung der Befehlsausführung von zentraler Bedeutung ist. Denn auf die Befehle kommt es letzten Endes an. Und dies gilt, wie wir sehen werden, nicht nur für die Militärgestalten, sondern auch für die Wissenschaftlerfiguren. In der Gehorsamkeitsproblematik liegt die volle Tragik der Mitschuld, die Frage nach dem Verantwortungsgrad des Einzelnen in einem hierarchischen System, das in nahezu allen Atomtexten den tragischen Prozess in Bewegung setzt. Soldaten, für die Pflicht und Befehl als militärische Selbstverständlichkeit gelten, sollen dem Gewissen keinen Maßstab einräumen. In den meisten Pilotendramen wird darum das Hauptgewicht weniger auf die Formen des politischen oder militärischen Ungehorsams gelegt, sondern vielmehr auf die viel später aufkommende Reue. Die Art und Weise, wie ihre Bewältigung erfolgt, ist von Text zu Text verschieden. Eine dem Fall Eatherly und der Anders’schen Interpretation des schuldbewussten und -beladenen Piloten nahestehende, aber in sozialistische Ideologie übersetzte Variante des Themas bietet Scheers Nebenfigur des Piloten Albert im schon erwähnten Hördrama Und Berge werden versetzt. Entsprechend dem Schicksal, das Eatherly über sich ergehen lassen musste, beabsichtigen auch hier die Amerikaner, die unbequemen Schuldgefühle des Piloten radikal loszuwerden, indem sie ihn in eine Irrenanstalt zu überweisen versuchen. Sergeant Albert ist aber alles andere als zerbrechlich. Und er vermag es, die staatlichen Mechanismen der Konsensmanipulation und -gewinnung zu desavouieren. Nur allzu gut weiß er, dass Amerika Soldaten braucht, die die Rolle des nationalen Helden mitspielen: »Mich in ein Irrenhaus stecken, Sir, damit ich schweige? Ich weiß, das ist eine bekannte Methode. Aber ich warne Sie, Sir. Der Held von Hiroshima ein Irrer! Wie gefällt Ihnen das, Sir?«.134 Im Bewusstsein, nur ein Werkzeug in der Hand der Machtpolitik zu sein, kündigt daher Albert, um sich mit Leib und Seele der friedlich und sozialistisch orientierten Protestbewegung gegen den Atomkrieg widmen zu können. Eine weitaus dramatischere Konnotation bekommt die Figur des Bombenfliegers Jon in Rossmanns Testflug B 29. In den fürchterlichen Phantasien des sterbenden Protagonisten, der als Sühne für den Bombenabwurf auf Hiroshima 133 Erwin Wickert: Hiroshima (Anm. 69), S. 5. 134 Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt (Anm. 128), S. 65.

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einen Selbstmord unternimmt, spiegeln sich demonstrativ alle Schuldgefühle wider, die das Atomdrama mit dem inneren Trauma des Piloten verbindet. Sie sind nicht nur von seinen Gewissensskrupeln geprägt, sondern auch vom ganzen Komplex von Reue, Sühne, Buße und Entsagung, der auch Rossmanns Piloten ins Kloster führt. Selbst dort bleibt aber die Vergangenheit ein Fluch und eine Verdammung, die sich im Text zur Halluzination eines pausenlos dröhnenden Flugzeuggeräuschs verdichtet: »Woher soll der Friede kommen? – […] Herrgott, Gekreuzigter, woher soll Friede kommen? […] Im hohen Himmel? – […] Da ist es wieder! – Es kommt! Es kommt näher! Ich will’s nicht hören, ich will nicht! […] Und ich höre es doch! Immer noch! Vater! – Vater – Hilf mir! […] Ich kann nicht mehr! – Ich kann nicht mehr!«.135 Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Mönch-Piloten Thomas Forebee in Kurt Becsis Atom vor Christus. Anders als sein historisches Vorbild, der Bombenschütze der Enola Gay Thomas Ferebee, der seinen Kriegsauftrag in der Überzeugung von der Notwendigkeit dieser Maßnahme stolz übernahm und nie bereute,136 will Becsis Held seine Sünde als B-29-Pilot abbüßen, einen Weg finden, der »zweihunderttausend Menschen so schnell das Leben schenkt, wie ich sie gemordet habe«.137 Ebenso wie Schneiders Waverly geht es ihm um eine definitive Abrechnung mit der Schuldfrage: »Begreift Ihr nicht? Zweihunderttausend Menschen … Nicht wahr, – das kann man sich nicht vorstellen und doch habe ich es getan […] und niemand hat mich gerichtet! Niemand!!! (Er lacht verbittert auf) Im Gegenteil! Man hat mich mit Orden ausgezeichnet«.138 Die Piloten der Atomliteratur entsagen aber nicht nur in Resignation und Ohnmacht der Welt. Manchmal mythisiert das Atomdrama ihre Selbstaufopferung zum Akt heroischen (und siegreichen) Kampfes um das Fortleben der Menschheit. Der Titelheld von Friedrich Gentz’ Pilot Herzog rehabilitiert eine ganze Kategorie von schuldbewussten, doch passiven Figuren durch die tapfere Tat, mit der er die dämonischen Macht- und Zerstörungspläne eines herrschsüchtigen Physikers vereitelt. Auf dem Raumschiff, mit dem er zusammen mit dem verrückten Wissenschaftler die Supernova zum Mond bringen soll, damit diese den Satelliten sprengt und einen feurigen Gesteinsregen auf die Erde verursacht, entscheidet er, bis »zur Sonne« zu fliegen, »um die Bombe in Sonnennähe unschädlich zu machen«139 und durch seinen frei gewählten Tod den 135 Hermann Rossmann: Testflug B 29 (Anm. 3), S. 12–13. 136 Vgl. Douglas Martin: Thomas Ferebee Dies at 81; Dropped First Atomic Bomb. In: The New York Times, 18. März 2000, S. 11: »I’m convinced that the bombing saved many lives by ending the war«. 137 Kurt Becsi: Atom vor Christus. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1952, S. 6. 138 Ebd., S. 5–6. 139 Friedrich Gentz: Pilot Herzog. Drama in vier Akten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1956, S. 103–104.

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Einleitung und Themenstellung

Planeten Erde vor dem sicheren Untergang zu retten. Aber die völlige Remoralisierung und Rehabilitierung des Piloten im Sinne einer Wiedergutmachung der Geschichte gelingt vielleicht nur Jürgen Breest im Hörspiel Die Mädchen aus Hiroshima, das die Thematik der Befehlsausführung wiederum aufgreift und mit dem Motiv der Verdrängung des historischen Gedächtnisses assoziiert. Fünf japanische Mädchen mit furchtbar zerfetzten Gesichtern und Körperteilen, von denen die Gesellschaft gern den Blick abwendet, fliegen in die USA, um durch chirurgische Operationen die verlorene Würde des menschlichen Aussehens wiederzuerhalten. Doch die amerikanische Regierung will den Flug und die mediale Aufmerksamkeit, die dieser auf sich zieht, um jeden Preis stoppen. Den eigentlichen Inhalt der Handlung macht eben der Flug zwischen Hiroshima und New York aus. Hier, in dem Schwebezustand zwischen dem ›Nie-mehr‹ von Hiroshima und dem ›Vielleicht‹ der neuen Welt, eröffnet sich die Möglichkeit einer vielfachen Kompensation der traumatischen Vergangenheit, die der Text durch eine die gewohnten Sichtweisen paradox umkehrende Flugperspektive schafft. Denn schon die Flugbahn, von unten nach oben, von der zerbombten Stadt zum befreienden Himmel, vor allem aber von Japan nach Amerika, ändert den fatalen Kurs der Geschichte – »jetzt fliegt man nach New York. Hiroshima versinkt. Fort von Hiroshima. Vergessen. Alles vergessen«140 – und bietet Gelegenheit zu jener Wende, die sich im Text durch die Gestalt des amerikanischen Flugzeugpiloten vollzieht. Der Mut zu Widerstand und Insubordination, der den Hiroshima-Piloten der anderen Atomdramen so sehr zu fehlen scheint, ist bei Breest im Überfluss vorhanden. Und dies ist wichtig, nicht nur, weil der Pilot derjenige ist, der in seiner Tapferkeit den humanitären Plan zugunsten der armen Mädchen ausführt. Ihm verleiht der Autor auch die fundamentale, heroische Chance, eine ganze Reihe reuiger Kollegen wiederaufzuwerten und die Bedeutung der Befehle anders zu ›interpretieren‹. Hatte Eatherly im Namen des Militärgehorsams ein Delikt gegen die Menschheit verübt, um es nachher ostentativ zu beklagen, erspart Breest seinem Helden, an einem Verbrechen schuld zu sein. Er wird zwar ›gehorchen‹, doch ist dieser Akt nun einmal positiv besetzt. Auf dem ihm am Anfang anvertrauten Auftrag beharrend, ignoriert der Pilot die nachfolgende Anordnung, die von ihm eine Kehrtwendung verlangt, und beruft sich auf den »letzte[n] Befehl: bring die Mädchen aus Hiroshima nach New York. Ich gehorche. Ein Befehl«.141 Durch die wiederholte Beteuerung dieser besonderen Art ›Dienstbarkeit‹ in den Szenen, die dem Handlungsstrang des Piloten zukommen, macht ihn Breest zur Schlüsselfigur einer Opposition, die auf dem Paradoxon des Gehorsams beruht und eine doppelte kathartische

140 Jürgen Breest: Die Mädchen aus Hiroshima (Anm. 64), S. 8. 141 Ebd., S. 7.

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

73

Valenz hat: die Entschädigung der japanischen Opfer und die symbolische Erlösung des Westens von der Schuld seines Verbrechens.

2.4

Antiamerikanismus und Sowjetophilie

Die Position des Clusters mit den für die Japan-Dramen typischen Kategorien in Abb. 4 zeigt noch eine andere für die Geschichte des Genres konstitutive Eigenschaft: die auffallende Kontiguitätsbeziehung, die eine große Zahl von Werken und Variablen mit den zwei Kategorien Ostdeutschland und fünfziger Jahre (Abk. Ostdt. und 1950er) vereint. Man sieht, wie die Daten im rechten, oberen Teil der Konfiguration dichter beieinander lokalisiert sind. Diese Konzentration löst interessante Assoziationen aus und regt zu Hypothesen an. Entlang der Achse rund um die Variable Ostdt. situieren sich nämlich Kategorien, die besonders in der DDR das Genre kennzeichnen. Auf die wesentlichsten und markantesten – AA, AS, KK, PD, PE (Abk. Legende 1, S. 48) – soll hier im Folgenden eingegangen werden.

2.4.1 Sozialismus und aktivistischer Pazifismus: das DDR-Friedensdrama In der ostdeutschen Nachkriegsliteratur gegen die Atomwaffen, zu einer Zeit also, da der DDR-Kommunismus versuchte, der Kriegsmaschinerie des westlichen Imperialismus Widerstand entgegenzusetzen, hat eine Reihe von Autoren wie Karl Georg Egel, Harald Hauser, Rudolf Leonhard, Gerhard W. Menzel, Rainer Otto, Hans Pfeiffer, Maximilian Scheer und Gustav von Wangenheim auf dem Gebiet der Atomdramaturgie erfolgreiche pazifistische Bühnen- und Hördramen geschrieben. Die meisten von ihnen waren energische Apologeten des Friedens, sozusagen kriegerische Pazifisten, denn »es genügt nicht, den Frieden zu wünschen; aus jedem Friedenswünscher mub ein Friedenskämpfer werden«,142 wie Scheer im Vorwort zum Band Frieden proklamierte, mit dem der Deutsche Funk-Verlag 1950 eine unter dem Sammeltitel Das Hörspiel unserer Zeit in Ostberlin veröffentlichte Reihe eröffnete. Sie verlangten dem aktiven Widerstand eine Verpflichtung auf edlere Zwecke ab, auf die Rebellion gegen »das Bombengeschäft«,143 auf den »Kampf für das Leben, gegen den Tod«.144 142 Maximilian Scheer : Ein Wort. Vorwort zu: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 1: Frieden (Anm. 128), S. 4. 143 Kollektiv junger Autoren und Herbert Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 1: Frieden. Berlin (DDR) 1950, S. 18. 144 Maximilian Scheer : Ein Wort (Anm. 142), S. 5.

74

Einleitung und Themenstellung

Der in den Atomdramen auftauchende sozialistische Friedensbegriff war vage und bellizistisch zugleich. Er konnte ein utopisch-naiver Begriff sein, der auf den Traum von einer Welt, in der »keine Bomben mehr fallen«,145 einer Welt »ohne Atombombe«146 hindeutete. Oder er konnte – im Zusammenhang mit Aufrufen zur Abrüstung und zum Verbot von Nuklearwaffen und mit Friedensmärschen und Unterschriftensammlungen – einen prononcierten Kampfbezug haben. Im ganzen Genre ist eine Vielfalt von Ausdrucksformen und Orten des antiatomaren Protests anzutreffen. Der Samen des Widerstands gedeiht überall. Sogar auf dem Meer kann der Protest in Form von Meutereien lauern.147 Es ist aber vor allem die Straße, die sich als privilegierter Schauplatz spontaner sowie politisch artikulierter Protestmärsche erweist. Laute Massenproteste hallen durch die Straßen der Atomdramen, recht oft in Paris,148 manchmal auch in London.149 Versammlungen und Demonstrationszüge bilden sich aber »in allen großen Städten der Welt«,150 wo es an »zahlreichen Kundgebungen gegen den Atomtod«151 nicht fehlt und die Arbeiter revolutionäre Rufe wie »Hände weg von Korea«152 erschallen lassen. Auch das Motiv der Unterschriftensammlung zur Ächtung der Atomwaffen und insbesondere des Stockholmer Appells vom 19. März 1950 ist in den DDR-Dramen allgegenwärtig. Von einem Zusammenhang von Frieden und Kampf durch die Verbreitung des vom jungen Protagonisten Larry unterzeichneten Stockholmer Appells geht zum Beispiel Wangenheims Drama Auch in Amerika… aus. Mit dem Einblenden von Worten aus der Stockholmer Atomächtung in allen Sprachen, vom Klang der Nationalhymnen aus aller Welt begleitet, endet Egels Hörspiel Hiroshima. Bei Rudolf Leonhard wird der Student Manfred dem im Titel angegebenen ›Atombombenprozess‹ eben »wegen Unterschriftensammlung«153 unterzogen: Als ›Aktion‹ einer de145 Rudolf Leonhard: Der kleine Atombombenprozeß. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 3: Die Stimme gegen den Krieg. Hrsg. von Rudolf Leonhard. Berlin 1951, S. 159. (Zum Hörspieltitel s. Anm. II, 120). 146 Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (Anm. 36), S. 64. 147 Vgl. Autorenkollektiv und Herbert Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor (1950) und, außerhalb des DDR-Bereichs, Helmut Schilling: Passagier Sieben (1949). 148 Vgl. Maximilian Scheer : Paris, den 28. April (Anm. 77), s. besonders S. 63–64; Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (1950). Tonträger DRA Babelsberg (Deutsches Rundfunkarchiv). Archivnummer 3000085, in dem die musikalische Begleitung der Marseillaise den Protest unterstreicht. Auch in Julius Hays Energie sind in Paris Demonstrantenrufe zu hören (vgl. Julius Hay : Energie. Schauspiel in drei Akten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1952, S. 59). 149 Vgl. die Schweigedemonstration bei Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen (Anm. 86), Sz. IX. 150 Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 3: Die Stimme gegen den Krieg (Anm. 145), S. 39. 151 Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig (Anm. 40), S. 122. 152 Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (Anm. 150), S. 39. 153 Rudolf Leonhard: Der kleine Atombombenprozeß (Anm. 145), S. 153.

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

75

mokratischen Gesellschaft wird die Unterschriftensammlung selbst »zur Anklageschrift«.154 In Rainer Ottos Wenn wir alle nicht wollen lobpreist der letzte Chor die »tausend Unterschriften« von Gleichgesinnten, die in der ganzen Welt gemeinsam gegen die »Kriegsbrandstifter«155 vorgehen. Für den Frieden vereinnahmte die ostdeutsche Rhetorik Parolen und Helden, darunter auch Wissenschaftlerikonen wie Einstein und Joliot-Curie, als Wortführer des zu verbreitenden Pazifismus. Symptomatisch ist in dieser Hinsicht der pathetische Schluss von Schumachers Einstein-Stück Die Versuchung des Forschers: Dem Publikum ist hier ein einziges Wort »beschieden«, damit es »Wurzeln schlägt«: »Frieden heißt es! Es heißt Frieden«.156 Auch in Joliot-Curie – Hauptfigur von Gerhard W. Menzels Der Ruhm Frankreichs und Maximilian Scheers Paris, den 28. April – sah man aus DDR-Perspektive neben dem Widerstandskämpfer, der gegen Hitler die Sabotage in Norwegen unterstützte, auch den Pazifisten, der den »Weg der Generäle«157 verwarf und es ablehnte, »Atombomben anzufertigen«, weil die Atomenergie »das Leben fördert, nicht den Tod«.158 Frieden wurde also zum Kampf- und Schlagwort, das sich mit Begriffen wie Leben, Mut und Arbeit, Freiheit und Demokratie, Volk und Unbestechlichkeit zu einer Einheit verband, die keinen Zweifel an der Überlegenheit der sozialistischen Welt aufkommen lassen sollte. Aber diese allgemein akzeptierte Notwendigkeit, dass die Kulturschaffenden in der DDR aktiver Teil des politischen Friedenslagers sein mussten, gewann ihre spezifische Bedeutung »erst, indem die Stellungnahme für den Frieden«, wie Helmut Peitsch 1987 in seinem Beitrag zur DDR-Friedensdramatik festhielt, »gleichgesetzt wurde mit einer solchen für die Sowjetunion oder zumindest mit der Identifikation von Krieg und Vereinigten Staaten«.159 Wie hoch die Korrelation zwischen den Themenfeldern Frieden und Antiamerikanismus in der DDR-Atomdramatik war, verdeutlicht die folgende Tabelle mit der Verteilung der Motive nach Ländern, in der links die Motive stehen und in der Mitte die Zahl der Texte, in denen sie jeweils vertreten sind.

154 Ebd., S. 168. 155 Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen (Anm. 108), S. 35. 156 Ernst Schumacher : Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 163. Zur Ikonisierung der Einstein-Figur in den DDR-Atomdramen s. Emilia Fiandra: Einstein-Rezeptionen. Theorie der Relativität und Relativität des Gewissens bei Brecht, Mickel und Schumacher. In: Luca Renzi (Hrsg.): Arte e Scienza / Kunst und Wissenschaft. Schriften der Villa Vigoni. Bd. 4. Stuttgart 2018, S. 211–221. 157 Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (Anm. 148). Digitalisiertes Tondokument der Originalaufnahme, Time Code-Angabe 36:28. 158 Maximilian Scheer : Paris, den 28. April (Anm. 77), S. 46. 159 Helmut Peitsch: Vorbilder, Verräter und andere Intellektuelle. DDR-Friedensdramatik 1950/ 51 (Anm. 7), S. 100.

76

Einleitung und Themenstellung

Tab. 3: Motive verteilt nach Ländern (Legende der Abkürzungen, S. 48) 4. Österr.

Total

8

1

31

4 2

0 0

6 3

3 3

12 11

3 1

18 16

7 4

2 0

10 5

2 0

21 9

B BM

2 4

0 1

1 7

0 0

3 12

CD D

0 8

1 0

3 9

1 1

5 18

E FM

7 1

1 3

14 5

1 2

23 11

G GK

0 6

0 1

2 4

0 1

2 12

GM HB

6 5

3 0

10 2

0 1

19 8

I JS

2 5

4 0

11 7

3 0

20 12

K KK

4 7

0 4

2 6

0 0

6 17

LO MS

2 6

1 1

4 8

0 2

7 17

N NE

1 1

2 2

11 15

4 3

18 21

NT O

7 5

1 3

10 14

1 2

19 24

P PA

7 0

0 0

5 1

2 0

14 1

PD PE

13 15

3 1

10 6

1 2

27 24

PK PR

7 1

2 0

8 4

2 1

19 6

R RL

6 6

1 2

10 10

2 3

19 21

SD

0

0

4

1

5

MOTIV

1. Ostdt.

2. Schw.

3. Westdt.

AA AB ABC

21

1

1 1

1 0

AD AM

0 1

AN AS

77

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

((Fortsetzung)) MOTIV

1. Ostdt.

2. Schw.

3. Westdt.

4. Österr.

Total

SF

1

1

6

0

8

SM TJ

0 5

0 1

2 2

0 1

2 9

U VM

4 13

1 4

2 14

1 4

8 35

W ZK

11 0

4 0

15 4

4 2

34 6

Total

203

58

300

55

616

Aus der Tabelle erkennt man unmittelbar, dass neben den Variablen des Motivkomplexes Verantwortung und Wissenschaft (Abk. VM und W), der unabhängig von nationalen Besonderheiten das ganze Genre durchzieht, vor allem drei Kategorien existieren, die für das ostdeutsche Drama numerisch signifikant sind: AA (Antiamerikanismus), PD (Pazifistisches Drama) und PE (Positives Ende). Mindestens 13 in der DDR erschienene Produktionen sind pazifistisch angelegte Atomdramen, d. h. Texte, die eine explizite Thematisierung und Inszenierung von Frieden vornehmen. Die meisten dieser Werke sind, wenn auch nicht immer streng dokumentarisch, doch auf Authentizität bedacht. Von der Technik her sind viele, wie wir sehen werden, innovative Rundfunktexte, gehören also zu der Gattung, in der nach 1945 die vielleicht experimentierfreudigste Auseinandersetzung mit Aktualität und Engagement Ausdruck fand. Von der Darstellung her streben sie vornehmlich eine realistische Abschilderung der Gesellschaft an, die sie durch dokumentarisch-fiktionale Mischformen erreichen, z. B. durch Einfügung authentischer neben erfundenen Gestalten und durch Verwendung historischer Daten, die oft von externen Sprechern vorgetragen werden. Im Radio-Repertoire der DDR lässt sich eine ganze Reihe von Friedensstücken finden, die den Kampf um den Frieden propagieren und die Rüstungspolitik der Vereinigten Staaten und deren Verbündeten heftig attackieren. In ihrer ideologisch codierten Botschaft stehen nämlich Frieden und Sozialismus immer in einem engen Sinnzusammenhang mit einem virulenten antiamerikanischen Ressentiment. Besonders engagierte sich dabei Ende der vierziger Jahre der neu installierte Deutschlandsender, der, wie Generalintendant Kurt Heiß in seinem typisch proklamatorischen Ton erklärte, »von Anfang bis zu Ende in all den 18 Stunden Tag für Tag darauf eingestellt« war, »den amerikanischen Imperialisten entgegenzutreten, deren Wut und Haß gegen uns Deutsche immer schlimmer

78

Einleitung und Themenstellung

und wahnwitziger wird«.160 Und dementsprechend setzte der DDR-Rundfunk in seinem Spielplan auf parteiorientierte, eindeutig antiamerikanisch eingestellte Autoren. Eine solche antiwestliche und antikapitalistische Ideologisierung des Kampfes gegen den Atomkrieg reflektiert die Produktion von Maximilian Scheer, der als Leiter der Abteilung Künstlerisches Wort beim Berliner Rundfunk auch viele der in der schon erwähnten Hörspielreihe des Deutschen Funk-Verlags erschienenen, von ihm und Rudolf Leonhard herausgegebenen Atomstücke ausstrahlen ließ. Im Berliner Rundfunk und im Deutschlandsender wurden alle zwischen 1949 und 1950 verfassten Atomdramen von Scheer, Leonhard und Egel gesendet, die zu dieser Zeit eng miteinander zusammenarbeiteten: Maximilian Scheer und Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt (1949) Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (1950) Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (1950) Rudolf Leonhard: Kleiner Atombombenprozeß (1950) Maximilian Scheer : Paris, den 28. April (1950)

Dazu kam noch das ebenfalls im Band Frieden des Funk-Verlags publizierte Hördrama Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor, das ein Autorenkollektiv unter der Leitung des Budapester Korrespondenten des Neuen Deutschland Herbert Ziergiebel schrieb. In all diesen Hörspielen sowie in den vielen anderen Radio- und Bühnenproduktionen der fünfziger und sechziger Jahre gegen die Atombombe, in denen ein sozialistisch-pazifistisches Engagement eindeutig im Vordergrund steht,161 wird die für die Friedensliteratur der DDR so charakteristische Propaganda gegen die Vereinigten Staaten emphatisch betrieben. Zahllose Beispiele offener Kritik und Stigmatisierung von politischen und wirtschaftlichen US-Machtansprüchen lassen sich hier nennen. Amerikaner sind geldbesessen: »die wollen ja Bomben«,162 weil sie daran »glänzend verdienen«.163 Amerikaner sind zynisch, wie das folgende Zitat von Eisenhower 160 Zit. nach Fünf Jahre demokratischer Rundfunk. 13. Mai 1945–13. Mai 1950. Hrsg. vom Amt für Information der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1950, S. 8. Zur kulturpolitischen Rolle Heiß’ im parteiorientierten DDR-Radio der fünfziger Jahre vgl. Christoph Classen: Faschismus und Antifaschismus. Die nationalsozialistische Vergangenheit im ostdeutschen Hörfunk (1945–1953). Köln 2004 (s. besonders Kap. 4). 161 Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen (1958), Harald Hauser : Weißes Blut (1959), Julius Hay : Energie (1952), Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (1950), Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen (1960), Hans Pfeiffer : Laternenfest (1957) und Ein Abschied (1957), Günther Rücker : Drachen über den Zelten (1953), Rolf Schneider : Prozeß Richard Waverly (1963), Gerhard Stübe: Harakiri (1959), Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (1950), Hedda Zinner : Auf jeden Fall verdächtig (1959). 162 Maximilian Scheer : Paris, den 28. April (Anm. 77), S. 40. 163 Kollektiv junger Autoren und Herbert Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor (Anm. 143), S. 18.

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

79

bei Rainer Otto andeutet: »Nach meiner Meinung wird die Verwendung der Atombombe von folgenden Voraussetzungen abhängen: Nützt sie mir oder nützt sie mir nichts, wenn ich in den Krieg gehe. Wenn ich sehe, der Gewinn ist auf meiner Seite, dann werde ich sie sofort anwenden«.164 Amerikaner sind kriegstreiberisch, »stolz, stets und ständig eine Politik am Rande des Krieges geführt zu haben«.165 Amerikaner sind unkultiviert und grob, wie Hedda Zinners Sicherheitsdienst Thormann, der ein »untersetzte[r] Mann mit schlechten Manieren«166 ist, oder Hans Pfeiffers Major Kennedy, der Bonbonpapier »achtlos zu Boden«167 wirft. Kurz gesagt: Sie sind »Barbaren«, wie sie in Laternenfest wiederholt diskreditiert werden. Wegen der negativen Stereotypisierung der Amerikaner als gehässige, ungehobelte Menschen, als rücksichtslose, despotische Kriegsbefürworter können sie kaum als anständige Figuren imaginiert werden, denn dann müsste ihnen die Schilderung auch ›Tugenden‹ wie Liberalität, Fortschrittlichkeit oder Freigiebigkeit zuschreiben, was sich mit der Dämonisierung des Imperialismus nicht verträgt. Dennoch trifft man mitunter auf Repräsentanten eines positiveren Amerikanertums, Gestalten, die sozusagen aus der Rolle fallen, wenn auch oft nur um zu zeigen, dass es doch immer die Hoffnung gibt, durch eine Annäherung an die wahren Werte des Sozialismus den rettenden Weg zu finden. Abgesehen von der Schar reuiger, von den USA enttäuschter Piloten, die bereits vorher behandelt wurden, treten andere Typen auf, in denen der Antiamerikanismus versöhnlichere Formen annimmt. Zu ihnen zählt die idealistische Figur des Studenten Larry, der pazifistische Geist des Stücks Auch in Amerika… von Gustav von Wangenheim, der die Pläne des militärisch gesinnten Vaters konterkariert und sich zum Schluss für einen neuen Kurs ausspricht, »einen amerikanischen – ohne Atombombe«.168 Nicht von ungefähr widmet der Autor sein Drama dem im Text mehrfach explizit erwähnten, auf McCarthys blacklist gesetzten US-Schriftsteller Howard Fast: »Howard Fast und der Jugend Amerikas, die den Krieg nicht will«.169 Auf gute Amerikaner scheint auch der Stabsoffizier James Sargent in Leonhards Korea-Stück Der achtunddreißigste Breitengrad zu hoffen: »Es gibt auch noch wirklich demokratische Amerikaner«, verkündet er zuversichtlich, »es gibt auch vernünftige Amerikaner«. Sargent selbst bekennt sich als »ein Mann von Amerika«, und zwar »aus dem Amerika Jeffersons, Abraham Lincolns und Franklin Delano Roosevelts, dem echten, dem unver-

164 165 166 167 168 169

Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen (Anm. 108), S. 22. Ebd., S. 18. Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig (Anm. 40), S. 86. Hans Pfeiffer : Laternenfest (Anm. 90), S. 14. Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (Anm. 36), S. 64. Ebd., S. 2.

80

Einleitung und Themenstellung

zeichneten, dem unverschrobenen«.170 Diese Beispiele befinden sich jedoch in der Minderheit und bestätigen, ja bekräftigen das jeweilige Stereotyp, dem sie sich oft schematisch entgegensetzen. Denn selbst ein ›guter Amerikaner‹ wie Leonhards Sargent fungiert hauptsächlich als Gegenfigur zu dem martialischen, skrupellosen, mit den Vereinigten Staaten alliierten Polizeichef Tschan Tek San. Und auch der positiv geschilderte Larry aus Auch in Amerika… bekämpft die im Stück durchaus vorherrschenden negativen Aspekte der amerikanischen Mentalität, verschlungen im schwarzen Loch der Hexenjagd, überschattet von den Vorurteilen pseudopatriotischer Vereine mit dem »Flammenkreuz«, dem »Warnzeichen der weißen Rasse«,171 also von der unheimlichen Präsenz jenes Ku-Klux-Klans, dem sogar Larrys Vater Ronald angehört. Das Bild des dunklen, bösen, korrupten, barbarischen Amerika scheint bei weitem dramaturgisch interessanter und ideologisch verwertbarer zu sein. Deshalb durchzieht der Antiamerikanismus wie ein ›basso continuo‹ die gesamte Dramenliteratur gegen den Atomkrieg und deshalb kommt – nicht nur in den DDR-Atomdramen, sondern in der ganzen Gattung – die Komponente des Philoamerikanismus kaum vor. Nicht von ungefähr liegt die Variable Philoamerikanismus, abgekürzt PA, eher am Rand (unten rechts) der MDS-Konfiguration (Abb. 2), weit entfernt von den in diesem Kapitel diskutierten Items. Das wird auch in Tab. 3 bestätigt, in der das Motiv des Philoamerikanismus ein einziges Mal erscheint, und zwar in einem Werk aus Westdeutschland, in dem die dezidiert amerikafreundliche Position eine stark antisowjetische und antikommunistische Einstellung erkennen lässt. Es handelt sich um Das kalte Licht, das Stück des routinierten, in der Bundesrepublik höchst beliebten Dramatikers Carl Zuckmayer. Seiner Hauptfigur Kristof Wolters – die auf dem Schicksal jenes deutsch-englischen Physikers Klaus Fuchs beruht, der, wie noch zu zeigen sein wird, im 20. Jahrhundert zum widersprüchlichen Typus des ethischen Atomspions schlechthin aufgestiegen war172 – wird hier keineswegs begeisterte Einwilligung ins Atomprojekt vorgeworfen. Als unmoralisch und falsch wird lediglich dargestellt, dass Wolters, in der festen Überzeugung, »daß die Kommunisten eine bessere Welt machen«,173 sein ganzes Wissen in den Dienst der Russen stellt und dadurch den Vorsprung des Feindes begünstigt. Zuckmayers Atomdrama hatte außerordentlichen Erfolg, was ein Indiz dafür ist, dass um 1955 wenigstens in der BRD 170 Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (Anm. 150), S. 21. 171 Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (Anm. 36), S. 56. 172 Vgl. dazu unter anderem Günter Flach, Klaus Fuchs-Kittowski (Hrsg.): Ethik in der Wissenschaft – Die Verantwortung der Wissenschaftler. Zum Gedenken an Klaus Fuchs. Berlin 2008. 173 Carl Zuckmayer: Das kalte Licht (1955). In: Ders.: Gesammelte Werke in Einzelbänden. Theaterstücke 1955–1961. Hrsg. von Knut Beck und Maria Guttenbrunner-Zuckmayer. Frankfurt a. M. 20032, S. 146.

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

81

einem Teil der Rezipienten die proamerikanische, verhalten atomkritische Stückaussage plausibel war.

2.4.2 Faschismus made in USA und amerikanischer Antibolschewismus Zuckmayers Lob auf das von Amerika und dessen Verbündeten im angespannten Klima des Kalten Kriegs garantierte Gleichgewicht ist kein völlig isolierter Fall. Zum Genre der Atomverratsdramen gehören auch Texte, die ein vielschichtiges und kritisches Bild der Sowjetunion zu geben anstreben und in manchen Fällen die britisch-amerikanischen Sicherheitssysteme sogar als Schutzwall gegen antidemokratische Entwicklungen betrachten. Jedoch ist ein so profilierter Philoamerikanismus wie der Zuckmayers die große Ausnahme. Normalerweise gesteht die Atomliteratur ihren Helden, zumal im Osten, aber auch im Westen, nur ausgeprägt antiamerikanische Gefühle zu. In DDR-Texten drückt sich dies – in etwas markanterer Weise als in den westlichen Ländern – in einer tiefsitzenden Aversion aus, genährt durch die ideologische Verquickung von Antimilitarismus, Antikapitalismus und Antiimperialismus, in Texten aus der BRD in Warnungen vor der drohenden Militarisierung oder, besser, ›Remilitarisierung‹174 Deutschlands als US-gesteuerter Politik. Insgesamt kann man wohl festhalten, dass das deutsche Verständnis des nuklearen Kriegs als durchwegs amerikakritisch zu bezeichnen ist, sei es in Bezug auf die historische Verarbeitung des ersten Atombombeneinsatzes, sei es im Rahmen des Rüstungswettlaufs und der bipolaren nuklearen Konkurrenz der Blockführungsmächte im Kalten Krieg. Gewiss fungiert der Antiamerikanismus in der gegenüber der Nazi-Vergangenheit durch ambivalente Scham- und Reuegefühle bestimmten deutschen Rezeption der Atombombe auch als projektive Verschiebung. Das mag einer der Gründe sein, weshalb die schriftstellerische Anklage gegen Atomenergie und Nukleartests immer eine ausgedehnte antiamerikanische Polemik involviert, die sich einmal gegen den Bombenabwurf auf Japan, einmal – indirekter – gegen die Einmischung der Vereinigten Staaten in die deutsche Politik richtet, die als Risiko einer drohenden Renazifizierung empfunden wurde. In dieser Einstellung schlägt sich eine besondere Verarbeitungsform der dunkelsten Kapitel der eigenen Vergangenheit nieder. »Wir wußten um viele Verbrechen«, heißt es bei dem deutschen Physiker Severin in Rehfischs Jenseits der Angst, »da haben wir beschlossen, dieses einen Verbrechens wird Deutschland sich nicht schuldig 174 Zu Verwendung, Verständnis und Bedeutungsspektrum des neuen Wortes Remilitarisierung am Anfang der fünfziger Jahre vgl. Martin Wengeler : Die Sprache der Aufrüstung (Anm. 11), besonders S. 111–137.

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Einleitung und Themenstellung

machen. Die Atombombe wurde von uns nicht gebaut«.175 Severins Narrativ der Bombe greift einen Aspekt des deutschen Atomdiskurses auf, der sich offensichtlich einer Schuldzuweisung an die Amerikaner bedient, die zur Entlastung im Blick auf die eigene historische Schuld beiträgt. Höchst kennzeichnend ist in dieser politisch-ideologischen Verantwortungskonstruktion die Kontroverse zwischen Kipphardt und dem über das Theaterstück In der Sache J. Robert Oppenheimer erbosten Oppenheimer, der dem Dramatiker in einem Interview mit der Washington Post Amnesie gegenüber der schweren deutschen Verantwortung vorgeworfen hatte. Kipphardts pikierte Replik auf den ihm unterstellten »Unsinn, etwa Auschwitz mit Hiroshima entschuldigen zu wollen«,176 beruht eben auf dem einfachen Argument, dass die Deutschen keine Atombombe gebaut hätten. Auf die provokatorisch klingende Frage des Amerikaners, warum Kipphardt die Problematik seines Schauspiels nicht in Deutschland, also »nicht im eigenen Hause«, sondern in den USA lokalisiert habe, antwortet der Schriftsteller irritiert, das liege nur »an dem Umstand, daß es ein deutsches Atombombenprojekt glücklicherweise nicht gab, und, so hoffe ich, auch fernerhin nicht geben wird«. Eine Polemik, die nicht nur für den kulturpolitischen Kontext im Kalten Krieg von großer Bedeutung ist, sondern auch einen nützlichen Schlüssel zur Interpretation des vehementen deutschen Antiamerikanismus liefert, der sich in den Atomdramen kundtut. Diese Distanzierung vom US-Militarismus und die Thematisierung der inneren Verwobenheit von Nuklearkrieg und Rüstungswettlauf lassen sich besonders aus dem DDR-Theater unschwer herauslesen. Wie untrennbar die Absage an die aggressive amerikanische Außenpolitik und die Ablehnung von Krieg und Atomwaffenindustrie miteinander verbunden und voneinander abhängig waren, verdeutlicht exemplarisch Karl Georg Egels Hördrama Hiroshima – Fünf Jahre danach. Der Text ist für die antiamerikanische Perspektive insofern interessant, als er mit vielen der Klischees gespickt ist, die die DDR-Vorstellungen über die USA prägen und die anschlussfähig sind für Diskurse um wachsende ›Nuklearisierung‹ und US-Ansprüche auf Weltkontrolle und -herrschaft.177 Egels Hiroshima enthält mindestens drei Kernpunkte des offiziellen Amerikabildes der DDR und deren Auffassung der ausschließlichen Verant175 Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 50. 176 Heinar Kipphardt: Wahrheit wichtiger als Wirkung. Heinar Kipphardt antwortet auf J. R. Oppenheimers Vorwürfe. In: Die Welt, 11. November 1964, S. 7. Abgedr. in: Heinar Kipphardt: Materialien. In: Ders.: In der Sache J. Robert Oppenheimer. Ein Stück und seine Geschichte. Hrsg. von Uwe Naumann. Unter Mitarbeit von Pia Kipphardt. Reinbek bei Hamburg 2002, S. 171–175, hier S. 175. Daraus auch das folgende Zitat Kipphardts. 177 Zu diesen Klischees s. auch Uta A. Balbier, Christiane Rösch (Hrsg.): Umworbener Klassenfeind. Das Verhältnis der DDR zu den USA. Berlin 2006; Felix Knappertsbusch: Antiamerikanismus in Deutschland: Über die Funktion von Amerikabildern in nationalistischer und ethnozentrischer Rhetorik. Bielefeld 2016.

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wortung der USA bei der Schaffung der Atombombe: die immer noch und immer mehr macht- und kriegsorientierte Mentalität der Amerikaner, ihre Freiheitsunterdrückung dank eines wuchernden Systems von Überwachung und Monopolisierung von Informationen, ihre Manipulation der Angst durch gezielte Abschreckungsstrategien. Selbst bei der fatalen Entscheidung für den ersten Atombombeneinsatz hätte Amerika nur eigensüchtige Interessen durchsetzen wollen. In der folgenden Aussage über den Bombenabwurf treten Gewinnsucht und menschenverachtender Sarkasmus der Amerikaner unverschleiert und unmissverständlich zutage: Das Wesentlichste sei, behauptet Sheffield in Egels Hiroshima, »dass unsere Dupont-Aktien in acht Tagen den doppelten Wert haben«, alles andere könne ruhig »unseren braven Jungs«178 überlassen werden. Die Verurteilung der Atombombe impliziert aber nicht nur die Anklage des lukrativen Atomwaffenmonopols in den USA. Sie fordert die Enthüllung des auf Überheblichkeit und Triumphalismus eingestellten »Schleier[s] der Propaganda«, der wie »der Rauch des fünf Meilen hohen Atompilzes«179 die wahre Realität des Kriegs verbirgt. Hier, wie übrigens auch in westdeutschen Atomproduktionen der fünfziger und sechziger Jahre – etwa bei Weisenborn, der in seinem Fabelchen vom Interessenten in der Göttinger Kantate das politisch-mediale Kartell der Angstmanipulation anvisiert –, erscheint die Beeinflussung der Öffentlichkeit als integrierender Bestandteil eines komplexeren Diskurses der Macht. Egel betont das Gewicht des amerikanischen Büros »für psychologische Kriegsführung«180 bei der Steuerung der Kommunikation über die Atombombe. Denn Amerikaner erscheinen nicht nur als geldbesessen, zynisch, kriegstreiberisch. Sie sind auch anmaßende Heuchler, die ihre Macht durch eine »Kette von Lüge, Verwirrung, Terror und Atombedrohung«181 erschlichen haben. Sie wähnen sich – nach den Worten von General Groves – dazu berufen, »die heiligen Güter der Christenheit und des Abendlandes zu schützen«.182 Sie präsentieren sich als ein »Bollwerk gegen die Rote Gefahr«,183 wie der Amerikaner Ed in Christoph Hamms Heller als alle Sonnen mit kaum verhohlener Selbstzufriedenheit erklärt. Hinter all diesen Äußerungen steht wiederum die für den ganzen Atomdiskurs geltende Frage nach Amerikas Schuld an der größten Katastrophe der modernen Geschichte. Im gesamten Genre wird der Abwurf der ersten Bombe allgemein als Anzeichen eines historischen Überwältigungsakts aufgefasst, so dass die Überzeugung des militärisch unnötigen Einsatzes das Amerika178 179 180 181 182 183

Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (Anm. 65), S. 13. Ebd., S. 3. Ebd., S. 15. Ebd., S. 29. Ebd., S. 26. Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen (Anm. 86), S. 11.

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Feindbild noch stärker untermauert. Die meisten DDR-Autoren von Atomdramen hegen also nicht den geringsten Zweifel daran, dass die USA bei ihrer Kriegspolitik primär das Ziel verfolgten, den Russen zuvorzukommen, die die ohnehin schon geschwächten japanischen Landstreitkräfte »aller Voraussicht nach in kurzer Zeit zerschlagen«184 würden. Ein »Eingreifen der Russen in den japanischen Krieg«185 zu verhindern, so Rolf Schneider in Prozeß Richard Waverly, schien Amerikas einzige und dringendste Aufgabe zu sein. Als politisch ruchlos, als moralisch verwerflich gilt daher der Allmachtanspruch eines Staates, der die Atombombe als entscheidende Kraftprobe gegen den Kommunismus benutzt, um dadurch nur »seine Überlegenheit«186 – wie sich auch Gerhard W. Menzel im dokumentarischen Hörspiel Der Ruhm Frankreichs ausdrückt – zur Schau zu stellen. Diese in vielen Dramen angeführten Motivationen für den strategischen Bombenangriff gegen Japan entsprachen vollends der offiziellen DDR-Lesart des Abwurfs und des Kriegsendes. Wie Daisy Weßel in ihrem Buch Bild und Gegenbild sehr einleuchtend argumentiert, hatte die Tatsache, dass die Amerikaner die Atombombe einsetzten, aus ostdeutscher Perspektive zwei Hauptursachen: Zum einen hätten sie der Welt ihre Macht und ihre moralische Unbedenklichkeit demonstrieren – sie hatten das Atombombenmonopol – und so ihren Führungsanspruch begründen wollen; zum anderen habe die Rote Armee auf dem asiatischen Kriegsschauplatz einzugreifen begonnen, und die USA hätten befürchtet, zuviel Einflußsphären an die Sowjetunion zu verlieren, weshalb der Atombombenabwurf als Drohung gegen die sozialistische Führungsmacht zu verstehen sei.187

In dieser Deutung des Angriffs auf Japan sind die wichtigsten Einwände gegen die USA gebündelt, allen voran der amerikanische Antibolschewismus und die Akzeptanz – und Rechtfertigung – der Atombombe als einziges Mittel, dem Krieg ein Ende zu bereiten. Beide Argumente – die Russen und ein möglichst rascher und günstiger Kriegsausgang – werden in der Auffassung von Professor Harrison gekoppelt, die Anwalt Anderson in Schneiders Prozeß Richard Waverly vor Gericht zusammenfasst: »Der einzige Sinn der Bombardierung Hiroshimas sei es gewesen, die Russen so weit wie möglich aus Japan herauszuhalten, das heißt: den Krieg so schnell wie möglich und ohne lange Vorbereitungen zu beenden«.188 Gewiss eine »gewaltige Aufgabe« – wie auch Egel die Erzählerstimme in Hiroshima stolz berichten lässt – sei Amerika beschieden worden, 184 Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (Anm. 65), S. 15. 185 Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (Anm. 82), S. 95. 186 Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (Anm. 148). Digitalisiertes Tondokument der Originalaufnahme, Time Code-Angabe 36:07. 187 Daisy Weßel: Bild und Gegenbild (Anm. 5), S. 155. 188 Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (Anm. 82), S. 94–95.

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eine Aufgabe, die »von keinem anderen Land durchgeführt werden« könne »als von unseren herrlichen Vereinigten Staaten«.189 Die von den Vereinigten Staaten verwendete Rhetorik der schnellen Beendigung des Konflikts ist ein wiederkehrendes Darstellungsmuster, das das falsche Bild einer an der Hegemonie desinteressierten Kriegsintervention Amerikas zurechtrücken sollte. In Gerhard Stübes Harakiri spricht z. B. Colonel Austen Thayers, Militärkommandant in Japan, ein halbes Zugeständnis an die Japaner in Form einer rhetorischen Frage aus: »Zugegeben, die Atombombe war schrecklich, aber hat sie nicht auch den Krieg radikal beendet, weiteres Blutvergießen verhindert?«.190 Und in Hans Pfeiffers Laternenfest kann der Nagasaki-Pilot Kennedy seine Begründung für den Abwurf nur noch stotternd hervorbringen: »Ich – – – wollte – – – den Krieg – – – beenden«.191 Dass der Kriegseinsatz der Atombomben trotz nachträglicher Absegnung und der damit beanspruchten Legitimation des Los-Alamos-Projekts – wie in den Wissenschaftlerdramen noch näher zu sehen sein wird – keine humanitären Beweggründe hatte, sondern auf Eigennutz beruhte, will das Atomdrama auch an der antidemokratischen Expansionspolitik zeigen, mit der die USA in der Nachkriegszeit ein von Amerika gelenktes, auf dem Atombombenmonopol basierendes Weltgleichgewicht anstrebten. Neben Profitgier, Zynismus, Kriegshetzerei und Heuchelei gehört nämlich ins Repertoire antiamerikanischer Beschuldigungen auch die Unterstellung von Missachtung der Volksrechte, Unmenschlichkeit und sogar Grausamkeit. Denn die Amerikaner der Atomliteratur können nicht nur respektlos, sondern auch recht brutal sein. Ihre »schonungslose Rücksichtslosigkeit«192 – so Rudolf Leonhard in Der achtunddreißigste Breitengrad – macht sich in den besiegten oder besetzten Ländern breit. In Günther Rückers Drachen über den Zelten betreibt ein südkoreanischer Mediziner als Söldner und Komplize der Amerikaner inhumane klinische Tests, die an die Experimente erinnern sollen, welche Nazi-Ärzte in Konzentrationslagern durchgeführt hatten. In Pfeiffers Japan ignorieren die Amerikaner die lokalen Sitten und treten sie mit Füßen; in Leonhards Korea verbrennen sie »jedes Dorf, in dem geschossen worden ist«. Und »jeder Südkoreaner, der verdächtig ist, Partisan zu sein, wird ohne Rücksicht erschossen«.193 Um den Widerstandswillen der heimischen Bevölkerung zu schwächen, zögern Amerikaner auch nicht, jede Art identitärer Formen abzuschaffen. Sie respektieren die Einhei-

189 190 191 192 193

Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (Anm. 65), S. 2. Gerhard Stübe: Harakiri (Anm. 96), S. 23. Hans Pfeiffer : Laternenfest (Anm. 90), S. 66. Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (Anm. 150), S. 25. Ebd.

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mischen nicht, wollen sie von ihrer eigenen Tradition entfremden, »weil das läppische Sitten des niederen Volkes«194 sind. Der Parallelismus der US-Praxis und jener Tilgung demokratischer Freiheiten, durch die der Faschismus eine Gewaltherrschaft schafft, liegt hier auf der Hand. In den Atomdramen sind die Amerikaner oftmals die als undemokratisch, intolerant und totalitär porträtierten ›Faschisten‹ von heute. Rudolf Leonhard berichtet über Zensurmechanismen und gewaltsame Unterdrückung der Wahrheit seitens der US-Presse. Im Dialog mit einer mutigen Reporterin formuliert ein äußerst aufgebrachter John Foster Dulles unmissverständlich, was für ihn Pressefreiheit bedeutet: »Journalismus ist für uns […], daß Sie veröffentlichen, was zu sagen wir Ihnen auftragen! […] wenn Sie viel sagen von dem, was Sie zu viel wissen, zerschmettre ich Sie«.195 Viele der in den Mund der Dramenpersonen gelegten antiamerikanischen Urteile zeugen von diesem im Denkarsenal der sozialistischen Schriftsteller aufkommenden Prozess der ›Faschisierung‹ der Vereinigten Staaten.196 Im Drama Energie des ungarischdeutschen Dichters Julius Hay bemerkt der Pole Stanislaw rückblickend, der Abwurf der ersten Bombe über Hiroshima habe nur bewirkt, »daß anstelle des gestürzten japanischen Faschismus sich der neue amerikanische Faschismus breitmachen konnte«.197 Bei Rudolf Leonhard regiert der Oberkommandant der Alliierten Mächte in Japan Douglas MacArthur – also gerade derjenige, der den Demilitarisierungs- und Demokratisierungsprozess des besetzten Landes hätte leiten sollen – als ein Diktator, der »mächtiger, strenger und willkürlicher über Japan herrscht, als Shogun und Mikado geherrscht haben«.198 Sogar Brecht macht in seinem Einstein-Fragment von dieser Vorstellung Gebrauch, wenn er in der Figur Einsteins das Paradox eines antifaschistischen Aktivisten sieht, der aus Furcht vor der Hitler-Bombe »dem Feind des Faschismus die tödliche Waffe aushändigte«,199 so dass »der Feind des Faschismus […] Faschist« wurde und

194 Ebd. 195 Ebd., S. 49. 196 Auf die negative Zuspitzung des Bildes der Amerikaner als Faschisten verweist Sasha Penshorn: Von »Befreiern« zu »Militärfaschisten« – Die USA und ihre Literatur in der Zeitschrift ›Aufbau‹, 1945–1953. In: Günther Stocker, Michael Rohrwasser (Hrsg.): Spannungsfelder (Anm. 6), S. 129–152. Vgl. dazu auch Christoph Classen: Faschismus und Antifaschismus in der Geschichtskultur der frühen DDR. In: Heiner Timmermann (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung in Europa im 20. Jahrhundert. Berlin 2010, S. 23–41. 197 Julius Hay : Energie (Anm. 148), S. 73. 198 Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (Anm. 150), S. 39. 199 Bertolt Brecht: Leben des Einstein. In: Ders.: Werke, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlev Müller. Berlin, Weimar, Frankfurt a. M. 1988ff., Bd. 10: Stückfragmente und Stückprojekte. Berlin, Weimar 1997, S. 985 (im Folgenden GBA, mit Band- und Seitenzahl).

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»die Besieger des Faschismus […] sich als Faschisten zu erkennen«200 gaben. Als besonders autoritär, ja beinahe als ›naziähnlich‹ gilt in der ganzen Produktion Präsident Truman, über den Maximilian Scheer im Aufbau eine Charakterisierung als Inbegriff des zunehmend faschistischen amerikanischen Regimes gab: ihm kam Truman vor »wie ein stellungsloser Angestellter, der SS-Standartenführer wurde«.201 Trumans Stimme ist in den Dramen wiederholt zu hören und immer ist sie die Stimme eines Tyrannen. Zahlreich sind die Äußerungen von ihm, in denen die unterschiedlichen Elemente seiner politischen Einstellung sich zum negativ zugespitzten Stereotyp des kriegshetzenden Faschisten zusammenfügen. In Gustav von Wangenheims Auch in Amerika… berichtet Florence über Trumans ›koreanische‹ Entscheidung: »Darum hat Truman gesagt, wir müssen Milliarden für die Aufrüstung geben«.202 In Karl Georg Egels Hiroshima zeigt sich Truman für die Not der Japaner und das ihnen zugefügte Leid taub und unempfänglich. Eine im Stück ausgestrahlte Originalaufnahme von Truman kommentiert der Autor folgendermaßen: »Zwischen Truman und Hiroshima liegt der Pazifik. Auch er hört die Stadt nicht, während er spricht. Aber es geschieht gleichzeitig«.203 Bei Rudolf Leonhard verlangt Truman »die Bewilligung von weiteren zweihundertsechzig Millionen Dollar für die beschleunigte Herstellung von Atombomben und für die Weiterentwicklung der Wasserstoff- oder Helium-Bombe«. Seine Stimme überschneidet sich im Text mit der von Winston Churchill, der die Bedrohung eines atomaren Kriegs zur Durchsetzung seiner Interessen instrumentalisiert: »Sollte es den Kommunisten 200 Ebd., S. 984–985. Inwieweit in der Selbstinterpretation der amerikanischen Politik das Argument der Furcht vor einer Atombombe die Entscheidung für das Los-Alamos-Projekt beeinflusste und die darauf folgende politisch-militärische Strategie der Abschreckung mitbestimmte, zeigt ein äußerst interessantes rückblickendes Statement, das Oppenheimer im Herbst 1964 abgab. Für ihn habe das Thema einer »offenen Welt« eine neue Bedeutung bekommen, »als man die ersten Atombomben entwickelte. Damals, noch mitten im Krieg, gab es meiner Meinung nach zwei Gründe, es neu zu stellen. Der erste war Hitler – und ich denke, es war ein guter Grund. Der zweite war für mein Gefühl ebenfalls gerechtfertigt, und zwar durch den Glauben, die Entwicklung würde die Welt von Ypern und Verdun, von Guernica und Warschau grundlegend verändern – man hoffte, daß sie sich zum Besseren ändern würde. Als dann die Niederlage Hitlers klar auf der Hand lag, gab es, jedenfalls in meinem Land, zwei Ansichten über die Zukunft, die sich vermutlich überlagerten und vermischten. Die eine ging dahin, daß die neuen ›Instrumente‹, wenn sie funktionierten, dazu helfen würden, den Frieden zu bewahren. Die andere ging noch weiter und meinte, daß diese Instrumente zu einer internationalen wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit führen würden und sollten – und damit auch zu einer Kontrolle ihrer Gefahren und zu einer Überwindung jener nationalistischen Mächte, die Kriege entfesseln und die Völker isolieren und in Lügen verstricken, wie Hitler und Stalin es getan hatten«. Robert Oppenheimer : Das Persönliche und das Allgemeine. In: Merkur XXI (1967), H. 4, S. 303. 201 Maximilian Scheer : Fünf Jahre nach Roosevelts Tod. In: Aufbau (1950), H. 4, S. 316. 202 Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (Anm. 36), S. 22. 203 Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (Anm. 65), S. 25.

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gelingen, den Kampf in Korea zu gewinnen, dann wird ein dritter Weltkrieg kommen«.204 Es ist dabei signifikant, dass in Schumachers Versuchung des Forschers eine Bildprojektion mit dem Händedruck zwischen Truman und Churchill gerade in dem Augenblick läuft, als Einstein bekennt, dass ihn die imperialistische US-Außenpolitik an »die Haltung Deutschlands unter Kaiser Wilhelm II«205 erinnert. Die Naivität, mit der viele DDR-Dramen in den frühen fünfziger Jahren vor der Verbreitung eines neuen amerikanischen Faschismus warnen, ist aufschlussreich im Kontext des Selbstverständnisses der ostdeutschen Nachkriegsliteratur und deren Erziehungsmission. Wie der US-Germanist und Literaturwissenschaftler Jack Zipes in einem Aufsatz über das Bild der Vereinigten Staaten in der DDR-Literatur darlegt, bestand für die DDR »die wichtigste Funktion des Amerikabildes« vor allem darin, »eine Selbstdarstellung zu geben«.206 Es galt, sich als Hüter der Gerechtigkeit und Bewahrer des Friedens besser zu etablieren. Nicht minder wichtig war daneben das Bestreben, ein positives Bild der Russen zu zeichnen und die Atompolitik der Sowjetunion zu rechtfertigen, zumal man erfahren hatte, dass auch dort, am 29. August 1949, die erste Atombombe erfolgreich gezündet worden war. In Hedda Zinners Drama Auf jeden Fall verdächtig – eine Fundgrube für Ideologeme dieser Art – ist das im sozialistischen Denken fest verankerte Bild des bösen Amerikaners und des mit ihm unter einer Decke steckenden Westdeutschen scharf konturiert. Dabei kommt die Sowjetunion selbstverständlich stets besser weg: Im Unterschied zu den Russen, die um des Weltfriedens willen bereit seien, ihre rein ›defensiven‹ Atomversuche aufzugeben, blasen die deutschen »Hohlköpfe […] in dasselbe Horn«207 der Amerikaner und lehnen bewusst die sowjetische Aufforderung zum Rüstungsabbau ab. In den ideologischen Schlachten, die die DDR-Propaganda verbreitet, gibt es häufig ein Hier und ein Drüben. Und das ist auch bei Hedda Zinner der Fall. Anders als die Russen ›drüben‹, die das »Volk eines Schiller und Goethe, eines Beethoven und Brahms« bewundern und nie »ein gehässiges Wort über die Deutschen« sagen, sähen die amerikanisch gesinnten Bundesdeutschen in den Russen »nur die Bolschewisten«,208 muss der Physiker Pieper während seines temporären Aufenthalts in der BRD konstatieren. Trotz anfänglicher Zweifel und trotz auch zufriedenstellender Arbeits- und Forschungsangebote 204 Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (Anm. 150), S. 57–58. 205 Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 47. 206 Jack Zipes: Die Freiheit trägt Handschellen im Land der Freiheit. Das Bild der Vereinigten Staaten von Amerika in der Literatur der DDR. In: Sigrid Bauschinger, Horst Denkler, Wilfried Malsch (Hrsg.): Amerika in der deutschen Literatur. Neue Welt – Nordamerika – USA. Stuttgart 1975, S. 329–352, hier S. 335. 207 Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig (Anm. 40), S. 10. 208 Ebd., S. 12–13.

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aus Amerika und Westdeutschland fällt am Ende Pipers Entscheidung erwartungsgemäß für den definitiven Umzug in den Osten. Zumeist jedoch erspart die DDR-Atomdramenliteratur ihren Protagonisten einen politisch-ideologischen Gewissenskonflikt zwischen Westen und Osten, zwischen Kapitalismus und Demokratie. Nicht nur durch ihre Verschlagenheit, ihre Skrupellosigkeit und ihre arglistige und aggressive Politik, sondern auch schon durch ihren groben Antibolschewismus, ihre antisowjetisch voreingenommene Propaganda dekuvrieren sich die echten amerikanischen – aber auch die proamerikanischen – Figuren derart, dass es leicht fällt, sich ohne Bedenken auf die Seite der Gerechten zu stellen. Man kann wohl behaupten, dass die ›Diffamierung‹ der Sowjetunion eine der bevorzugten Strategien darstellt, die Korrektheit und Ehrlichkeit Amerikas und des Westens von vornherein zu entwerten. Die Semantik des westlichen Antisowjetismus hat vielfache, sowohl politisch als auch moralisch sehr profilierte Konnotationen. Es gebe eine manifeste Intoleranz gegenüber der hemmungslosen ›Aufwiegelei‹ der Roten, denn »Rot ist alles, was die Ordnung stört«,209 meint Bankier Parochlitz in Harald Hausers Drama Weißes Blut. In Julius Hays Energie gelten »Die Roten« ihren Feinden als frech und unverfroren. Lieber sollten sie ihre untergeordnete Position im Weltsystem akzeptieren und »sich nicht erfrechen«, Amerika zu behindern: »Moskau wird zu Schutt und Asche werden, wenn es an etwas Ähnliches überhaupt zu denken wagt«,210 droht hier der Kapitalist Morton. Den Sowjets werden alle möglichen Untüchtigkeiten unterstellt. Russen hätten zwar nicht viel, bemerkt der Amerikaner Ronald in Gustav von Wangenheims Auch in Amerika…, »aber was sie haben, verpulvern sie für Propaganda und Spione. Unsummen!«.211 Auch unterschiebt man ihnen im Westen allerlei Laster und sittenwidrige Gewohnheiten auf ethischer Ebene. Hedda Zinner belastet die nicht gerade sympathischen (bundesdeutschen und amerikanischen) Antagonisten ihres Helden Piper, für die der Physiker »der russischen Hölle entronnen«212 sei, mit krassen Vorurteilen gegen die Sowjetunion, einschließlich der moralischen: »Man badet nackt« in Russland, »Männer und Frauen zusammen«, und Frauen seien buchstäblich »sozialisiert, sie gehören allen«.213 2.4.3 Kalter Krieg und Geheimagentenwesen: das Atomverratsdrama Während in der DDR die Positivzeichnung der Russen meistens an Konzepten wie ›russische Verbündete‹, ›russische Sozialisten‹ festhält und in ideologisch 209 210 211 212 213

Harald Hauser : Weißes Blut (Anm. 39), S. 30. Julius Hay : Energie (Anm. 148), S. 58. Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (Anm. 36), S. 22. Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig (Anm. 40), S. 2. Ebd., S. 28.

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codierte Feststellungen wie »Gottseidank, dass die Russen so schnell in Berlin waren, sonst hiesse es jetzt Berlin statt Hiroshima«214 mündet, nehmen die BRDAtomdramen eine artikuliertere Haltung ein, die sich gleichwohl oft schwarzweißer Schematisierungen bedient. Die Skala ist breit und reicht von der Bemühung um sachliche Dramatisierung der politischen Gegensätze im Klima des Eisernen Vorhangs bis hin zur kompakten Abwehr des Sowjetismus als eines undemokratischen Systems. Alfred Anderschs gemäßigt-antiamerikanisches, aber deshalb nicht auch schon prosowjetisches Feature Menschen im Niemandsland (1952) ist ein typisches Beispiel für den Versuch, möglichst objektiv und dokumentarisch darzulegen, wie die Gegnerschaft zu den Russen in der konservativen Haltung militärischer US-Führungsschichten irrationale fanatische Feindbilder produzierte. Im Stück diskutieren die Senatoren Fulbright und McArthur die Idee des Kommunismus, den sie an den Begriff ›Sünde‹ schlechthin assimilieren. »Der Kommunismus ist eine Form der Sünde«, dekretiert Fulbright, der nicht glaubt, eine solche Sünde »mit sichtbaren Dingen bekämpfen«215 zu können. McArthurs prompte Erwiderung bestätigt, wie der Kommunismus als willkommene Argumentation in der politischen Auseinandersetzung instrumentalisiert werden kann: »Die Sünde kann man mit ganz handgreiflichen Mitteln bekämpfen, und deshalb kämpfen wir gegen den Kommunismus mit der Waffe in der Hand«. Auch Kipphardt bemüht sich in seinem berühmten Oppenheimer-Drama, einen dokumentierten Einblick in die Kommunismus-Paranoia – die »Kommunistenhysterie«,216 wie sie Oppenheimer selbst definiert – und den undifferenzierten amerikanischen Antisowjetismus der fünfziger Jahre zu geben. Kipphardt arbeitet Aspekte heraus, wie etwa die blinde Verfolgung von ehemaligen Sympathisanten und fellow travellers des Kommunismus, die die Deformationen des amerikanischen Sicherheitssystems in der McCarthy-Ära sichtbar machen sollten. Und die Textprojektionen am Ende der Zwischenszenen unterstreichen in diesem Sinne die politische Signifikanz der Themenstellung: »Guilty through Association?«, »Sind ehemalige kommunistische Sympathien mit geheimer Kriegsarbeit vereinbar?«, »Darf ein Mensch seiner Ansichten wegen verfolgt werden?«.217 Kipphardts Werk wirft hier ganz neuartige Fragen auf, die den von Rechtsanwalt Robb geprägten Begriff des ›Gedankenverrats‹ umreißen. Es liege hier »eine Form des Verrats vor«, erklärt Robb in seinem Plädoyer, »die unsere Gesetzbücher nicht kennen«, eine Kategorie, bei 214 Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (Anm. 65), S. 2. 215 Alfred Andersch: Menschen im Niemandsland. Ein Rückblick. Manuskript. NDR-ArchivNr. D 51 211/1–3 [29 maschinengeschriebene Seiten], S. 12. Die hier kursiv gedruckten Stellen sind im Manuskript unterstrichen. Daraus auch das folgende Zitat von Andersch. 216 Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. 176), S. 56. 217 Ebd., S. 20, 23, 29.

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der der Verrat in einen ethischen Zusammenhang rückt, ein Verrat nicht an dem Staat, sondern an der eigenen Integrität, an Ideen und Gedanken, ein Verrat, der »die Handlungen eines Mannes gegen dessen Willen unaufrichtig macht«.218 Damit ist ein Themenkomplex angesprochen, der den problematischen Nukleus vieler Kalter-Krieg-Stücke ausmacht, die den Diskurs von Staatstreue und ideologischem Verrat, Konspiration, Überwachung und Geheimhaltung dramatisch gestalten. Dass der Rüstungswettlauf auch einen Wissenswettlauf bewirkte und dass Forschungsergebnisse auch durch Spionage zirkulieren konnten, kursierte zur Zeit des Kalten Kriegs als diffuse Vorstellung, die in vielen Atomdramen mit mehr oder weniger Emphase in Erscheinung tritt. Des Atomverrats wird Professor Pieper bei Hedda Zinner beschuldigt, der, wie der Dramentitel andeutet, [a]uf jeden Fall verdächtig ist. Spionageaufträge führen Madame Pr8r8al in Helmut Schillings Passagier sieben, der Journalist namens Nova und die Contessa Aldina in Matthias Josef Weiss’ Marconi-Stück Gebündelte Strahlen, Dürrenmatts Physiker Kilton und Eisler aus. Von Geheimagenten ist das ›Goldene Haus‹ in Hans Henny Jahnns Die Trümmer des Gewissens überwacht und Zuckmayers Physikerassistent Fillebrown stellt selbstironisch die physikalische Anstalt, wo alles »furchtbar militärisch«219 zugeht, als »eine der geheimsten Geheimdienststellen des geheimsten Geheimdienstes«220 vor. Offensichtlich strahlte das Thema der Atomgeheimhaltung eine hohe Attraktivität aus, die auch als Nebenplot für Dramatik sorgte, zumal die dabei thematisierten Debatten über Loyalität und Nutzung bzw. Weitergabe von Informationen das in vielen Dramen vermittelte Bild des moralisch ambivalenten Wissenschaftlers erhärteten. Viele Autoren wählten deshalb gerade den Agentenstoff als zentralen Plot und etablierten damit fast ein Genre für sich: das Atomverratsdrama. Als spezifische Verrats- und Agentenstücke, bei denen Geheimagenten – ›Atomgeheimnisverräter‹, wie sie Grüb in seiner Hörspielreihe nennt – als Protagonisten und Handlungsträger fungieren, können die folgenden Texte angesehen werden: Erwin Wickert: Der Verrat von Ottawa (1954) Carl Zuckmayer : Das kalte Licht (1955) Günter Felkel: Narkose (1955) Willy Grüb: Der Fall Dynamit (1956) Willy Grüb: Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs (1956) Willy Grüb: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (1956)

218 Ebd., S. 101. 219 Carl Zuckmayer: Das kalte Licht (Anm. 173), S. 44. 220 Ebd., S. 43.

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Mit der Ausnahme von Felkels Narkose sind sie alle westliche Produktionen, in denen Kommunismus als Synonym für systematische Kontrollapparate, Bespitzelungs- und Repressionsformen der sowjetischen Politik verstanden wird. Im Unterschied zum Tribunal-Stück von Kipphardt, der die verschärfte Hetze und den ungehemmten Verfolgungswahn des Kalten Kriegs konkret und symbolisch im antikommunistischen Kontext der USA ansiedelt, sind andere Dramatiker mit ihren Atomverratsdramen darauf aus, ein überwiegend negatives Bild der Sowjetunion zu liefern. Dabei konzipieren sie Figuren, deren politische Gesinnung oder Widersprüchlichkeit der moralischen Evidenz abträglich wird, wie im Skandalfall von Klaus Fuchs, der Carl Zuckmayer und Willy Grüb zu den Stücken Das kalte Licht und Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs anregte. Wie Margret Boveri in ihrem vierbändigen Standardwerk Verrat im 20. Jahrhundert zutreffend ausführt, war der Verrat in den Jahren des bröckelnden Vertrauens in die diplomatischen Beziehungen zwischen Ost und West zu einer wahren ›Epidemie‹ – so auch der Titel eines Bandes – geworden.221 Und auch Eva Horn erhebt in ihrer kulturwissenschaftlichen Untersuchung über die als ›geheimer Krieg‹ gekennzeichnete Struktur des »geheimdienstlichen Wissens«222 diesen endemischen Verrat zur »Signatur des 20. Jahrhunderts«.223 Das Zusammentreffen von Geheimhaltung und Spitzelwesen und die verbreitete Mediatisierung der Spionagefälle und -prozesse lieferten also vielen Autoren der fünfziger und sechziger Jahre einen idealen und höchst debattierfähigen Stoff für eine spannungsvolle, intrigen- und konfliktreiche Dramatik. Nicht unwichtige Impulse waren in diesem Kontext auch von der Veröffentlichung von Alan Mooreheads Buch The Traitors (1952) ausgegangen, das unter dem Titel Verratenes Atomgeheimnis. Nunn May, Klaus Fuchs, Pontecorvo im Braunschweiger Verlag Westermann mit großer Resonanz erschien und zur Literatur gehörte, die von mehreren Atomdramenautoren verwendet wurde.224 Mooreheads gemeinsame Nennung der drei ›exemplarischen‹ Fälle machte Schule. Innerhalb der thematischen Reihe Unter Falscher Flagge. Von Spioninnen und Spionen, die 1956 vom Süddeutschen Rundfunk ausgestrahlt wurde, präsentierte Willy Grüb in kurzer Zeitspanne seine halbdokumentarische Hörspieltrilogie gerade über Allan Nunn May, Klaus Fuchs und Bruno Ponte221 Vgl. Margret Boveri: Der Verrat im 20. Jahrhundert. Fazit. Hamburg 1956–1960. Bd. 4: Verrat als Epidemie: Amerika (1960). 222 Eva Horn: Der geheime Krieg (Anm. 5), passim (s. insbesondere S. 309–337; 382–419). 223 Ebd., S. 79. 224 Vgl. Alan Moorehead: Verratenes Atomgeheimnis. Nunn May, Klaus Fuchs, Pontecorvo. Ins Deutsche übertragen von Maria v. Schweinitz. Braunschweig 1953. Auch Heinar Kipphardt, der Mooreheads Aufsatz als eine seiner Quellen benutzte, erwähnt an einer Stelle seines Oppenheimer-Stücks alle drei Physiker zusammen: »die Atomspione Klaus Fuchs, Nunn May und Pontecorvo«. Vgl. Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. 176), S. 31.

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corvo. Und genauso wie Moorehead setzte er schon im ersten Hörspiel, Der Fall Dynamit, die Geschichte des englischen Atomphysikers Nunn May in explizite Beziehung nicht nur zur Fuchs-Affäre, sondern auch zu jenem Fall Igor Gusenkos, den zwei Jahre zuvor schon Erwin Wickert in seinem Verrat von Ottawa dramatisiert hatte. So verschieden diese Texte untereinander auch waren, so dominierte doch in ihnen allen die Darstellung eines neuen Typus von Spion, der nicht wegen des Geldes, sondern wegen einer Art ausgleichender Gerechtigkeit verrät: »Wir haben den Typus des Verräters aus ethischen oder weltanschaulichen Motiven gerade auf dem Atomgebiet kennengelernt«,225 lautet diesbezüglich eine beinahe metatextuelle Bemerkung von Anwalt Robb in Kipphardts Oppenheimer. Dieser Typus, der sein Doppelspiel vor allem aus politischer Überzeugung treibt, ist im Atomdrama durch eine große Anzahl von Physiker-Agenten vertreten, die zumeist technische Informationen über Kernwaffen an die Sowjets weitergeben und daher eher als Opfer ideologischer Indoktrination denn als Schuldige anzusehen sind. Sie irren, weil sie »unter kommunistischem Einfluß«226 stehen. Manche, wie Nunn May, scheinen zwar ihre Fehler einzugestehen, der Grad ihrer Reue wird aber gemildert »durch die spürbare Überzeugung, die besten Ziele verfolgt zu haben«.227 Sie wollen ihre Geheimnisse »dem Feind verraten« und nennen es »Rehabilitieren«,228 sagt kritisch der Physiker Clausen aus Paul Bühlers Drama Der Wagenlenker. Ohne es zu wissen, werden sie meistens hinterlistig manipuliert, denn sie sind »wie May, Fuchs und Pontecorvo nur kleine, unscheinbare Rädchen«.229 Manchmal bereuen sie hinterher ihr sozialistisches Vertrauen ebenso, wie die Bomberpiloten hinterher ihre Teilnahme am amerikanischen Massenmord verfluchen. Als einen drastischen Fall dieser Art schildert Zuckmayer die Geschichte Wolters in seinem Drama Kaltes Licht. Am Ende erscheint der Protagonist als frustrierter Marxist, der sich nach der heimlichen Kooperation mit russischen Geheimagenten von den »Methoden der Sowjetunion« sogar angeekelt fühlt, weil er erkennt, dass dort »von dem ethischen Kern des ursprünglichen Sozialismus nichts übriggeblieben ist«.230 Im Hörspiel Der Verrat von Ottawa des weitgereisten Botschafters und Schriftstellers Erwin Wickert begegnet eine etwas andere Typologie des Spitzels und Kommunisten. Der ukrainische Chiffrierbeamte der UdSSR-Botschaft in 225 Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (s. Anm. oben), S. 19. 226 Willy Grüb: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (1956). Manuskript: Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/8, S. 38. 227 Willy Grüb: Der Fall Dynamit (1956). Manuskript: Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/6, S. 34. 228 Paul Bühler : Der Wagenlenker (Anm. 55), S. 27. 229 Willy Grüb: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (Anm. 226), S. 40. 230 Carl Zuckmayer: Das kalte Licht (Anm. 173), S. 130.

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Ottawa Igor Gusenko (übrigens eine reale Figur) deckt das Ausmaß des verzweigten Geheimgewerbes über »das Geheimnis der Atombombe«231 auf, das die Moskauer kontrollierten, und legt damit den Konflikt zwischen sowjetischer Überwachungsideologie und westlicher Demokratie offen. Der Freiheit liebende Gusenko hat es aber nicht leicht, jemanden zu finden, dem er die heiklen Geheimdokumente überreichen kann. Fast scheitert sein Unterfangen an den Bürokraten des kanadischen Ministeriums. Sie schenken dem Sowjetbürger keinen Glauben: »Sie suchen nach einem Motiv«, stellt Gusenko resigniert fest. »Die Freiheit ist für sie kein ausreichender Grund, weil sie nie in einer Diktatur gelebt haben«.232 Zur Verdichtung der suspekten Atmosphäre, in die man hier hineinmanövriert wird, lässt der Autor die Sowjets unter sich Russisch sprechen und die Verfolgung des abtrünnigen Genossen mit allen Mitteln der Rechtsbeugung und Gewalt vorantreiben. Kein Wunder, dass sich schließlich der nunmehr desillusionierte Russe nach (kurzem) Überdenken für die westliche Freiheit und gegen die sowjetische Tyrannei entscheidet. Einen entgegengesetzten Weg, von den enttäuschten Hoffnungen auf den Westen zur Rückkehr in den gesunden Osten, geht in den Atomverratsdramen nur Eugen, Ko-Protagonist des vielleicht einzigen wahren Agentenstücks, das die DDR-Literatur lieferte, Günter Felkels Drama Narkose von 1955, ebenfalls ein Spiel, das mit allen Elementen der Konstellation des Kalten Kriegs ausgestattet ist: Verrat, Korruption, Betrug und heimliche Kriegsvorbereitungen. Nach kurzer Zeit drüben, im dekadenten Westen – »Dort packen sie die Verwesung in Neonröhren. Dort taumeln sie einem zweiten Stalingrad entgegen«233 –, kehrt der reuige Freiheitsschwärmer erbittert in die DDR zurück. Hier gelingt es ihm, zusammen mit der Ex-Freundin und ebenso reuigen Geheimagentin der BRD Hanna, das westliche Vorhaben zu vereiteln, einen Sonderzug mit Molotow in die Luft zu sprengen, der das defensive Nuklearprogramm der Sowjetunion inhibieren sollte. Dadurch wird das Risiko einer Verschärfung des Atomkonflikts für die Welt vermieden, alles scheint ein gutes Ende zu nehmen, die Dramenhelden Eugen und Hanna werden nun »helfen, den Feind zu zerschlagen, an der äußeren Front und an der inneren, überall«.234 Ihnen, den reumütigen Spionen, die den Weg in den Sozialismus gehen, steht die Zukunft offen.

231 Erwin Wickert: Der Verrat von Ottawa (1954). Manuskript: Deutsches Literaturarchiv Marbach. Signatur : A:Wickert, Erwin. Nachlass. Mediennummer : BF000134514. Fernsehfassung, Sendung, 17. Juni 1956, zitiert mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Literaturarchivs Marbach, S. 10. 232 Ebd., S. 37. 233 Günter Felkel: Narkose. Berlin 1955, S. 43. 234 Ebd., S. 112.

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2.4.4 Affirmation, Optimismus und ›gutes Atom‹ Extreme Ost-West-Polarisierung und ein glücklicher Ausgang der Handlung, darauf beruht oft die Literatur des sozialistischen Realismus, der sich zwar aus schroffen Gegensätzen speist, dennoch aber eine vornehmlich tröstende Weltsicht fordert und eine harmonisierende Gestaltungsweise der Realität predigt, die keine unüberwindlichen Hindernisse, keine unlösbaren Spannungen kennt. Auch die Atomdramenliteratur folgt größtenteils dem vom Staat erwünschten optimistischen Darstellungsmodus, der eine positive Auflösung der Konflikte nahelegt und mit einem bejahenden Humanismus verbunden wird. Wenn wir auf die Skalierung von Abb. 2 zurückgreifen, zeigt sich dies deutlich an der Stellung der Variable PE (Positives Ende), die sich in der Mitte rechts im Diagramm befindet, wo die schon analysierten Variablen Ostdt. und PD (Pazifistisches Drama) dicht beieinanderliegen. Bezeichnenderweise weisen diese Items zu den Kategorien AD (Apokalyptisches Drama) und Westdt., die sich links situieren, eine beträchtliche Distanz auf. Wie Tab. 3 erkennen lässt, ist die apokalyptisch-katastrophale Variante der Atomdramen in Ostdeutschland nicht vertreten, während sie 18-mal in den Spalten 2–4 erscheint. Auch abgesehen von spezifischen Katastrophendramen stellen nämlich westliche Atomstücke, die in einer wahren Hekatombe münden, keine Rarität dar, sondern eine ganz gewöhnliche Situation. Viele Beispiele ließen sich hier nennen: das kollektive Opfer in Wolfgang Weyrauchs Die japanischen Fischer, das zynische Zerstörungsspiel in Hans Joachim Hohbergs Die Wüste, der fatale Ausgang in Kurt Becsis Atom vor Christus, bei dem die Frau des Physikers ihren Gatten ermordet und die Tochter Selbstmord begeht, oder der apokalyptische Haufen von Toten, der in Hans Henny Jahnns Trümmer des Gewissens mit dem »apokalyptischen Plan«235 der Regierung koinzidiert. Im Gegensatz zu diesen pessimistischen Kommunikationsmodellen, auf die später detailliert eingegangen wird, signalisieren die meisten ostdeutschen Werke einen unbeirrbaren Glauben an die großartigen und fortschrittlichen Geschicke der Menschheit, eine feste Hoffnung auf eine bessere Zukunft und vor allem auf eine verantwortungsbewusstere Nachfolgegeneration. Am bündigsten formulieren es Hans Pfeiffers Romeo-und-Julia-Figuren, der Amerikaner James und die junge Japanerin Yuki, in der letzten Szene des Schauspiels Laternenfest, die schon lexikalisch und bildlich mit allen zum happy end gehörenden Zutaten ausgestattet ist: Lächeln, Semantik des Lichts und des Neubeginns und, mit beiden eng verbunden, der symbolisch stark aufgeladene Begriff des Endes der Nacht.

235 Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens (Anm. 97), S. 384.

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Yuki: […] Denk an die, die du aufgerufen hast gegen den Mann mit der Bombe. Mit ihnen zusammen wollen wir den Frieden erkämpfen. James: Wir sind nicht allein. […] Yuki, ich glaube, mit uns beginnt eine neue Welt. Yuki (bläst das Licht in der Laterne aus): Das Laternenfest ist zu Ende. Die Nacht ist zu Ende. Ich sehe dich an – und lächle.236

Nur so kann sich die junge Generation von ihren hasserfüllten Eltern distanzieren, die Gewaltspirale durchbrechen und den Schluss schreiben, der einen Neuanfang signalisiert. »Zusammen« und »nicht allein« sind die politischen Schlüsselwörter der letzten Dramenzeilen. Mit allen Wohlgesinnten, »mit ihnen zusammen», werden Yuki und James »den Frieden erkämpfen«. Die Nacht der Totenfeier, das ›Laternenfest‹ des Titels, geht zu Ende, es bricht ein neuer Morgen an, an dem sich das Gefühl der Weltgemeinschaft zum erhellenden Bild einer neuen Solidarität verdichtet. Innerhalb dieses stereotypisierten Hoffnungshorizonts eröffnen sich für die DDR-Atomdramen viele Möglichkeiten. Manchmal weicht das Ende, wie hier, in plakativer Symbolik einem Neubeginn. Das geschieht zunächst durch gemeinsames Gewissenserwachen. Hier liegen ein robustes Vertrauen in die Steuerbarkeit historischer Verläufe und eine unerschütterliche Zuversicht in das belehrende Mittel der Sichtbarmachung der Wahrheit vor, die aussagen, dass eine Massenbeteiligung an den politischen Prozessen erreicht werden kann. Gerade eine solche Aktivierung der öffentlichen Meinung versucht z. B. der Staat in Harald Hausers Schauspiel Weißes Blut mit allen Mitteln der Repression zu verhindern. Nicht das schon im Titel anklingende Risiko, wegen Strahlenbelastung an Leukämie zu erkranken, nicht also die Gefahr der radioaktiven Verseuchung, die an der Krankheit des Protagonisten Manfred, eines Bundeswehrmajors in Amerika, schuld ist, wird von der Regierung gefürchtet, sondern dass sich die Informationen über die Schädlichkeit der Radioaktivität – wie eine Epidemie – weltweit verbreiten können. Dementsprechend erfolgt die Lösung aus dem Mut zur Bekanntgabe und direkten Anklage anlässlich eines Friedenskongresses – in Anwesenheit von tausend Journalisten aus aller Welt. Die in der aufgeregten Schlussszene von dem Mediziner Soltau abgehaltene Pressekonferenz ermutigt den Kranken zur Tat, sie zeigt ihm den einzigen Weg: Manfred tut »zum erstenmal das Richtige«,237 wie er selbst erkennt. Er geht an das Sprechgerät und erklärt sich vor der versammelten Presse bereit, die Anwesenden und die ganze Welt über das Verstrahlungsrisiko aufzuklären. Dadurch erschließt sich Manfred eine neue Gewissheit: die ihm bislang unbekannte Dimension der Menschensolidarität.

236 Hans Pfeiffer : Laternenfest (Anm. 90), S. 71. 237 Harald Hauser : Weißes Blut (Anm. 39), S. 62.

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Das emphatische ›Wir‹ ist die privilegierteste Form sozialistischer Begeisterung. Auch Rainer Otto verspricht sich ausdrücklich eine Gemeinschaft Gleichgesinnter »gegen den Atomtod«; so der Untertitel seines musikalischen ›agitatorischen‹ Aufrufs, für den die solidarisch und kämpferisch anmutende Überschrift Wenn wir alle nicht wollen exemplarisch stehen soll.238 Gerhard W. Menzel lässt am Anfang und Schluss seines Curie-Hörspiels Der Ruhm Frankreichs den vielstimmigen Rhythmus der Marseillaise als eindeutig revolutionäres Symbol für Joliot-Curies couragierten Einsatz für Frieden und Freiheit unter lauten Demonstrationsrufen triumphal ertönen. Am Ende des Dramas Heller als alle Sonnen wendet sich der Autor, Christoph Hamm, direkt an das Publikum, um erneut Sinn und Zweck des Kampfes anzudeuten. Das erklärte Ziel des finalen Liedes ist es, »unseren Zorn« zu erregen. Hamm vertraut auf seinen kollektiven Appell: »Nicht von der Erde getilgt werden die Menschen durch Elend; / doch von der Erde getilgt wird das Elend durch Menschen«. Das WirEthos findet seinen Höhepunkt im allerletzten Vers des Dramas: »Wir kommen!«.239 Umgekehrt handeln oft aber die Atomtexte auch davon, wie ein einzelner Funke genügt und die Hoffnung auf eine bessere Welt der siegreichen Initiative eines Einzelmenschen überantwortet werden kann, sei es die Sabotage beim Ausladen der radioaktiven Fracht in Herbert Ziergiebels Hörspiel Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor oder die Flugblattaktion des Angeklagten in Rudolf Leonhards Kleiner Atombombenprozeß. Eine zunächst isolierte Aktion ist auch der ungestüme Einsatz des Studenten Larry in Gustav von Wangenheims Auch in Amerika … für die Unterschriftensammlung, die anfangs kaum eine Chance zu haben scheint und auf Vorbehalte und Ablehnung der älteren Generation stößt. Doch Larrys mitreißende Leidenschaft für den Frieden besitzt die Kraft, sich direkt auf den Zuschauer zu übertragen. Deshalb kann sich auch in seiner Rede das Ich schließlich in ein Wir verwandeln, das das ›Jetzt‹ der neuen Jugend einschließt: »Es hat immer Atome gegeben. Jetzt erst entfesseln wir Kräfte, die sie zertrümmern. Es hat immer Kriege gegeben. Jetzt erst entfesseln wir Kräfte (leise und eindringlich:) Hunderte von Millionen – die sie für immer beenden. […] Wir sind stark«.240 In Analogie dazu fordert die Jugend in Maximilian Scheers Hörspiel Und Berge werden versetzt ihr Recht auf einen Anfang ein, der mit der schuldbeladenen Vergangenheit Schluss macht. Die Hoffnung liegt hier im stoischen, von der tüchtigen Dr. Barbara Calmar um des Friedens willen geleisteten Verzicht auf die Wissenschaft. Die Physikerin weigert sich, mit den Amerikanern zu kooperieren, verliert ihren Job und wird Hut238 Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen (Anm. 108). 239 Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen (Anm. 86), nicht nummerierte S. 4 der Szene X. 240 Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (Anm. 36), S. 54.

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macherin, bis die auch in diesem Fall höchst emotional besetzte Schlussszene ihr eine bessere Welt in der Sowjetunion aufschließt und eine neue Chance gibt, nämlich die Chance, »den Traum der Atomwissenschaft, unseren Traum, zu verwirklichen: Energie für Frieden, Reichtum in Gerechtigkeit, Fülle in Freiheit«.241 Diese Utopie einer fortschrittsweisenden, ausschließlich zivilen Nutzung der Kernenergie ist wohl in den fünfziger Jahren die andere Seite einer doppelgesichtigen Mentalität, bei der der Akzent nicht ausschließlich auf Gefahr und Bedrohung liegt, sondern auf dem sozial und wirtschaftlich impulsgebenden Potential der Atomforschung. In populärwissenschaftlichen Publikationen sowie in Werbung und Presse wurde die Atomkraft oft als Schöpferkraft verherrlicht, hinter der Begriffe wie Erzeugung unbekannter Ressourcen, Erschließung neuer geographischer Gebiete, technische Entwicklung futuristischer Verkehrs- und Transportmittel stehen. Selbst einige Künstler und Intellektuelle ließen sich für solche Zukunftsvisionen gewinnen, plädierten für das Atom und äußerten eine mögliche positive Bewertung der Atomkraft. Auch die vielzitierte Aussage von Ernst Bloch in seinem 1959 erschienenen Buch Das Prinzip Hoffnung ist von dem Glauben an die technische und industrielle Verwertung des Atoms regelrecht beseelt, die imstande sei, eine leblose in eine lebende Natur, Wüste in »Fruchtland« und Eis in »Frühling« umzuwandeln: Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie, in anderer Maschinerie als der der Bombe, in der blauen Atmosphäre des Friedens aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordamerika, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln.242

Das Bestreben, zu einer moralisch ›guten‹ Kernphysik beizutragen, den »Traum der Atomwissenschaft«, den die schon erwähnte Physikerin des Hörspiels von Scheer verfolgt, teilen viele Helden der Atomdramen in der DDR. Auffallend an den literarischen Phantasien vom guten Atom ist die Einfachheit und Naivität der Äußerungen: Worte der Bewunderung für die unermessliche Energie des Atoms, für die »Gewinnung von Energiequellen«243 kommen besonders in einer frühen Phase der Auseinandersetzung mit der Kernkraft häufig vor. Fluch und Segen der Atomenergie, das gute und das schlechte Atom stehen am Anfang noch dicht nebeneinander. Der sozialistische Held kennt aber meistens keine Zweifel. Er verkörpert das Gute schlechthin und bezieht seine Würde aus seinem unbeugsamen und eben deshalb auch siegreichen Kampf für das Wohl der 241 Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt (Anm. 128), S. 74. 242 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Bd. 1. Frankfurt a. M. 1959, S. 775. 243 Rudolf Freese: Das stärkere Gesetz (Anm. 31), S. 5.

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Menschheit. Zu einer »Atomenergie für den Frieden«244 bekennt sich in Maximilian Scheers Paris, den 28. April Juliot-Curie, dem der Zwiespalt eines Oppenheimers fremd ist. Für Bakonyi, den guten Physiker von Hays Drama Energie, bedeutet Atomforschung nur »Herstellung von Atomenergie für zivile, wirtschaftliche Zwecke«.245 In späteren Stücken aber, als das Wissen um die steigende Gefahr des radioaktiven Fallouts nicht unbedingt positive und fortschrittsoptimistische Reaktionen auslöste, sondern auch andere Konnotationen ins Spiel brachte, werden die Optionen einer militärischen und einer zivilen, friedlichen Nutzung der Atomenergie weniger kategorisch und mehr dubitativ und konfrontativ diskutiert. Jenseits der Angst, das letzte Drama des in beiden deutschen Staaten bekannten Schriftstellers Hans JosH Rehfisch, reflektiert zwei gegensätzliche Vorstellungen vom Energiegebrauch, die sich gegenüberstehen und im Stück selbst von den beiden Kernphysikern Branting und Severin repräsentiert werden. Freilich sind auch hier die Fronten klar. Während der durchaus falsche und ehrgeizige Branting die schreckliche Vision von Atompilzen in den Wüsten, die seine Frau ängstigt, mit der Betonung der Differenzen zwischen gutem und bösem Atom zu neutralisieren versucht (»Zum Teufel! Mußt du denn immer noch Kernenergie mit Bomben verwechseln? Das ist doch genau so unsinnig, als wollte man bei der bloßen Erwähnung von Elektrizität den elektrischen Stuhl vor Augen haben«),246 ist für den verantwortungsbewussten Severin jede friedliche Atomenergie so lange zum Scheitern verurteilt, als jene »Wandlung zur Humanität« nicht vollgezogen wird, mit der die Menschheit die leider allzu gut gelungene »Wandlung zur Bestialität«247 endlich hinter sich lassen wird. Für einen bedingungslosen, vorbehaltlosen Glauben an die Utopie einer positiven Kernkraft ist anscheinend schon kein Platz mehr. Und dennoch: Was Rehfischs Professor Severin wirklich bekämpft, ist die »Irrenhauslogik«,248 die Nichtbeachtung jener Auswirkungen der Physik, welche als »Abzahlung auf die Rechnung« zu verbuchen seien, »die der Teufel den Atomforschern überreicht«.249 Auf die provokatorische Frage, ob er angesichts der letzten Entwicklungen glaube, dass man das Atom hätte »ungespalten lassen sollen«, antwortet Severin entschlossen: »Wenn die Furcht vor Waldbränden unsere Urväter davor [sic] abgehalten hätte, Feuer zu machen, wir säßen heute noch zähneklappernd in kalten Erdhöhlen«.250 Eine explizite, in die Leere eines alles relativierenden Ni244 245 246 247 248 249 250

Maximilian Scheer : Paris, den 28. April (Anm. 77), S. 59. Julius Hay : Energie (Anm. 148), S. 37. Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 43. Ebd., S. 68. Ebd., S. 45. Ebd., S. 23. Ebd., S. 14.

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hilismus führende Fortschrittskritik zeichnet sich hier noch nicht in besonderer Weise aus. Im Grunde seiner Seele bleibt Severin noch zuversichtlich. Keineswegs sind bei Rehfisch deutliche Elemente jenes antifortschrittlichen und zivilisationskritischen Denkens zu finden, das doch so viele andere westliche Atomdramen prägte. Und es ist kein Zufall, wie das DDR-Zentralorgan Neues Deutschland anlässlich des Todes des Schriftstellers berichtete, dass eine erfolgreiche Lesung aus dem Atomdrama kurz zuvor vor dem ›Klub der Kulturschaffenden‹ in Leipzig stattgefunden hatte.251

2.5

Pessimismus und Apokalyptik

Zuversicht und Zukunftsglaube dominieren das Atomdrama in Ostdeutschland, das westdeutsche Atomdrama hingegen ist vorwiegend von Skepsis geprägt. Für die dramatis personae öffnet sich hier oft keine zukunftsträchtige Perspektive. Stattdessen grassieren Fortschrittsungläubigkeit und Endzeitgefühle, der Blick auf die Zukunft trübt sich, anwachsende Sorgen um die schnell vorangehende Aufrüstung beherrschen das Bewusstsein und generieren Zivilisationsängste und apokalyptische Schreckensbilder. Dass im Hinblick auf die zwischen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre fortschreitende Ausstattung der Bundesrepublik mit Nuklearwaffen die westdeutschen Autoren keinerlei Anlass zu Euphorie und Friedensoptimismus sahen, belegen zahlreiche Atomdramen der Zeit, die sich mit dem Komplex Katastrophe und Apokalypse direkt auseinandersetzen. Abb. 4 verdeutlicht, wie sich links um die horizontale Linie herum, im Cluster, in dem sich bezeichnenderweise auch die Kategorie Westdeutschland befindet, Items mit vorwiegend negativen Konnotationen platzieren. Die mit dem hellblauen Kreis umrahmte Gruppierung umfasst viele Variablen, wie Apokalyptisches Drama (AD), Angstmotiv (AM), Survival-Drama (SD), Nihilismus (N), Negatives Ende (NE), Zivilisationskritik (ZK), die im stark apokalyptisch konturierten Genre des Atomkatastrophendramas verortet sind. Diesem Themenkomplex in der Vielfalt seiner Ausdruckskombinationen soll in den folgenden Abschnitten anhand einiger Beispiele nachgegangen werden. 2.5.1 Die Angst Nummer Eins Die Angst Nummer Eins (La paura numero uno) heißt eine italienische Komödie von Edoardo De Filippo, und ein guter Teil der deutschen Atomdramen könnte diesen Titel tragen. Die titelgebende Angst des Stücks, das 1950 unmittelbar 251 W. K.: Hans J. Rehfisch gestorben. In: Neues Deutschland, 12. Juni 1960, S. 6.

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Abb. 4: Multidimensionale Skalierung: Katastrophenkomplex

nach den ersten beängstigenden Meldungen über den Koreakonflikt entstand, ist die Kriegs- und Bombenphobie des Protagonisten Matteo Generoso, seine wahre Paranoia vor der Entfesselung eines Dritten Weltkriegs, die ständige Panik vor einer womöglich bevorstehenden Atombombenexplosion, die sein Leben wortwörtlich lähmt. Was De Filippo hier verabsolutiert und zugleich ins Absurde und Groteske hinüberspielt, ist eben jene Angst vor der Zerstörungskraft der neuen Waffen, die als Warnung und Abmahnung, als Klage und Aufruf zum Widerstand den ganzen Atomdiskurs besonders in den fünfziger Jahren entscheidend bestimmt. Die thematische Omnipräsenz des Angstbegriffs, mit den entsprechenden Einfärbungen und Varianten von Furcht, Panik, Gefahr, Dro-

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hung, Schrecken, ist auffällig und lässt sich auch lexikalisch belegen. Nicht von ungefähr handelt es sich dabei auch um die am häufigsten verwendeten Wörter in beinahe allen Stücken dieser Zeit. Dabei darf nicht übersehen werden, dass einige Aussagen in Formulierung und Argumentation fast austauschbar sind und oft dazu neigen, das Angstphänomen zu generalisieren. Viele Autoren greifen gern zu apodiktischen Verallgemeinerungen, wie etwa »Die Angst vor dem Atom muss weg«252 oder »mit der dumpfen Furcht der Millionen«,253 und erklären Angst als integrativen Bestandteil einer ›falschen‹ Friedenspolitik. So sieht z. B. die Japanerin Yuko in Hans Pfeiffers Laternenfest das Ziel der Regierungen darin, »den Frieden auf die Angst zu gründen«,254 und in Maximilian Scheers Paris, den 28. April nennt Joliot-Curies Assistent Moulin den von den Mächten garantierten Frieden vorwurfsvoll einen »Frieden der Angst«.255 In Paul Bühlers Drama Der Wagenlenker klagt Fiona: »Oh, die Furcht bringt nie den Frieden«256 und in Werner Baeckers Radiofeature Atome für Millionen präsentiert der Sprecher die Atomgeschichte selbst als eine »Geschichte der Angst«,257 um hier nur wenige Beispiele zu erwähnen. In der gesamten Produktion finden sich extrem unterschiedliche Artikulationsformen und Kontextualisierungen von Angst, die mal als Metapher, mal als Leitmotiv benutzt, mal als Indiz für moderne Verunsicherung oder als Zeichen einer beunruhigenden Dekadenz der Menschengeschichte gesehen wird. Das Angsterlebnis wird einerseits psychologisch vertieft, zum dramatischen Movens oder zum Kristallisationspunkt der Handlung gemacht. Andererseits zeichnet sich im Angstmotiv die politische Dialektik von Feindschaft und Unterdrückung, von Gewalt und Macht ab, durch die, wie wir sehen werden, der Angstbegriff als strategisches Mittel zur Rechtfertigung von Abschreckungstheorien eingesetzt wird. Dabei ist meistens die Darstellung der Angst mit Vorstellungen von verbrecherischen und egoistischen Interessen der Machtpolitik verschränkt. Ein psychischer Zustand subtiler Angst im Zusammenhang mit der Reflexion der Nuklearbedrohung wird schon in einem der frühesten Atomdramen, in Fred Dengers Bikini, dargestellt. Hier ist Angst nicht so sehr durch etwas begründet, was schon geschehen ist, sondern durch das, was noch geschehen könnte: Ein zunächst unbestimmtes Angstgefühl nährt die zunehmende Wahrnehmung der Atomgefahr auf dem Schiff, wo sich die ganze Handlung abspielt. Nicht die 252 Werner Baecker : Atome für Millionen. Digitalisiertes Tondokument der Originalaufnahme. Audiofile NDR-Hörspielarchiv, Standort Hamburg, Archivnummer : F837503000, Timecode-Angabe: 21:17–21:18. 253 Alfred Andersch: Menschen im Niemandsland (Anm. 215), S. 4. 254 Hans Pfeiffer : Laternenfest (Anm. 90), S. 66. 255 Maximilian Scheer : Paris, den 28. April (Anm. 77), S. 47. 256 Paul Bühler : Der Wagenlenker (Anm. 55), S. 28. 257 Werner Baecker : Atome für Millionen (Anm. 252), Timecode-Angabe: 06:03–06:05.

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Bikini-Explosion, die der Titel andeutet, ist hier Thema, sondern das Warten darauf. Angst tritt im Motiv des fiebrigen Countdowns der schlaflosen Passagiere und der Schiffsbesatzung auf, in der ablaufenden Zeit, die von den Bühnenfiguren immer obsessiver und hektischer skandiert wird. Angst durchnässt das Hemd des Heizers, der sie zu vertreiben sucht (»Schweiß, Schweiß, Schweiß, Schweiß, Schweiß. / Es wird schon gut gehen […]. Das ist der Schweiß. – Ach Quatsch! Wieso denn Angst! Haha – ich Angst«),258 Angst wohnt den schrecklichen Bildern inne, welche die Träume der Passagiere mit Schreien und makabren Figuren bevölkern, und erfüllt das ganze stöhnende Schiff mit Leiden und Schluchzen, »als wenn es durch die Wände weinte«.259 Die Darstellung dieser bis dahin in solchem Ausmaß nicht gekannten Erfahrung soll hier das Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit vermitteln, das Menschen, Dinge und Werte befällt. Vergeblich versuchen die Protagonisten, Strategien zu entwickeln, um die Angst zu bändigen.260 Was aber bei Denger auch interessant ist, ist der in mehreren Dramenszenen explizierte Zirkel von Angst und Lust. Denn neben den Strategien, Angst durch Alkohol und Spiel zu verdrängen, gibt es noch einen Weg zur Neutralisierung der Angst, der dem Atomdiskurs – man denke nur an die makabre Bildung des Neologismus, mit dem Louis R8ard den Badeanzug schon wenige Tage nach den ersten Tests auf Bikini von Juli 1946 getauft hatte – nicht fremd ist: die Erotik der Bombe. Der sinnliche Liebesdurst, mit dem die Stewardess des Schiffs ihre Angst betäubt, stellt den Nexus zwischen Eros, Sterben und Begehren, zwischen Ablenkung von Todesängsten und deren Sublimierung im Liebesspiel deutlich her, denn je mehr Angst man hat (»Angst […], morgen könnt’ es enden«), »desto wilder« wird, wie die Frau sagt, das »Blut«.261 Diese »Konversion von Angst in Lust«,262 die Richard Alewyn in seinem klassischen Beitrag über die literarische Angst eingehend analysiert hat, diese ungestillte, im Angesicht des Risikos und des Todes noch stärker gespürte Körperlichkeit, nimmt an Bord des Bikini-Schiffs die Form einer Reise in den Tod an, bei der der Countdown vor der Atombombenzündung die Sinne entflammt und dies sogar die mystische Bedeutung einer Vereinigung mit Gott gewinnt.263

258 Fred Denger : Bikini (Anm. 26), S. 40. 259 Ebd., S. 30. Daraus auch das folgende Zitat. 260 Vgl. ebd., S. 33: Die Figuren versuchen, ihre Angst im Alkohol zu ertränken oder sie sogar zu »verwürfeln«, wenn man »um den Untergang der Erde« würfelt. 261 Ebd., S. 35. 262 Richard Alewyn: Die Lust an der Angst. In: Ders.: Probleme und Gestalten. Essays. Frankfurt a. M. 1974, S. 315. 263 Fred Denger : Bikini (Anm. 26), S. 43: »Ich sehn’ mich so – verzeih mir lieber Gott – / Ich habe Angst – nur einen Kuß – ich habe / doch Angst – nur einen Kuß – / … und mach mich fromm…«. Dieser Überlebensdimension, die sich aus einer eigenartigen Dialektik aus Angst und Sinnlichkeit, Liebe und Weltuntergang inmitten der Apokalypse nährt, hat

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Die Angststruktur in ihren psychologischen Dimensionen wird als zentrales Medium gegenseitigen Misstrauens in ausgeklügelter, komplizierter Weise in Hans Joachim Hohbergs Drama Die Wüste eingesetzt, in dem die Furcht vor einem nicht explodierten Nuklearsprengkörper als effektvolles Mittel fungiert, um eine spannende Ausgangssituation zu entwickeln. Das Stück kreist um den Versuch der Entschärfung einer Atombombe in der bunkerartigen Atmosphäre einer Hütte in der Wüste. Zugleich inszeniert es aber auch die Mechanismen selbst, auf denen der Plot basiert: die Aktivierung und die Entschärfung der Angst. Laut Absicht des hier alles steuernden Generals soll es den involvierten Soldaten gelingen, »mit sich selbst fertig zu werden und mit der eigenen Panik«,264 sie sollen endlich »das ganze Fluchtgepäck der Angst«265 aufgeben. In der Tat handelt es sich um einen grausamen, tragisch endenden Bluff, »eine Übung […], ein Experiment«,266 das darauf beruht, den Soldaten kleine Schrecken einzuflößen, damit »der große, der tödliche Schrecken niemals eintreten kann«.267 Eine Abschreckungsmaschinerie, deren Akzent aber von der großen Politik der Staaten auf die persönliche und private Sphäre des Einzelnen verlagert wird. Manchmal deckt sich die Angstthematik mit den Inhalten einer allgemein apokalyptischen Stimmung, bei der abstrakte Ängste vor dem Unbekanntem mit ganz konkreten Befürchtungen über die bisher ebenso unbekannten Effekte der Radioaktivität zusammenfallen, gegen die es – wie der ›Heutige‹ in Max Frischs Die Chinesische Mauer sagt – »keine Arche«268 gibt. Öfter jedoch wird Angst als Einsatz und strategisches Instrument der Politik angesehen. Macht herrscht durch Furcht, suggeriert Alfred Andersch: Es sei klar, »wer den Eisernen Vorhang erfunden hat: Die Furcht ist es gewesen. Überall, wo die Furcht herrscht, rasseln eiserne Rolläden herunter«.269 Diese Verbindung zwischen Furcht und Krieg, zwischen Angst und Weltuntergang, die eines der tonangebenden Motive des antiatomaren Theater ist, wird wohl in keinem Text so konsequent entfaltet und als Ansatz selbst thematisiert wie in den beiden Atomdramen von Günther Weisenborn. Weisenborn greift den Angstbegriff in seinem breiten assoziativen Umfeld auf, um ihn vor allem politisch durchzudeklinieren. Sowohl in der Göttinger Kantate als auch in der Familie von Makabah bilden Angst und Drohung einen Themenkomplex, der zahlreiche Aspekte vereint, die in den Textanalysen im zweiten Teil dieser Arbeit

264 265 266 267 268 269

Wolfgang Lueckel einige scharfsinnige Beobachtungen gewidmet. S. Wolfgang Lueckel: Atomic Apocalypse (Anm. 7), besonders Lovemaking in the Face of Death, S. 235–250. Hans Joachim Hohberg: Die Wüste. Unverkäufl. Manuskr. Berlin [o. J. 1956], S. 86. Ebd., S. 17. Ebd., S. 30. Ebd., S. 18. Max Frisch: Die Chinesische Mauer (Anm. 68), S. 81. Alfred Andersch: Menschen im Niemandsland (Anm. 215), S. 25.

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näher beleuchtet und hier daher nur angedeutet werden: von allgemein politisch-geschichtlichen Inhalten über das politisch-mediale Kartell der Angstmanipulation bis hin zur individuellen Wahrnehmung des Einzelnen. Bei Weisenborn ist Angst ein Zustand der Unsicherheit, der sich nach dem Einsatz von Atomwaffen auf alles ausgeweitet hat, was mit Kernspaltung zu tun hat: »Seit dieser Stunde aber leben […] die Hersteller in Sorge, […] die Handhaber in Angst… und alle Völker dieser Erde […] in Unruhe«.270 Aber Angst tritt auch in personifizierter Gestalt auf, als »bleiche Angst«, die »durch die blühenden Provinzen der Welt«271 läuft. In der Göttinger Kantate, aus der diese Zitate stammen, grenzt der Angstbegriff einen Bereich ab, der unterschiedliche Facetten, die für den Kalter-Krieg-Kontext aufschlussreich sind, aufweist. Die nukleare Angst fußt auf dem gegenseitigen Misstrauen, das selbst Gewalt erzeugt und einen Teufelskreis in Gang setzt, mit dem der Domino-Effekt der internationalen Politik rechnet: »Der kalte Krieg ist da. / Die Angst ist da. / Die Drohung ist da«.272 Zur Kultur der Angst gehört nämlich auch die Drohung: »Wir setzen die Bomben natürlich nicht ein«, versichert z. B. Außenminister Wood in Dürrenmatts Hörspiel Das Unternehmen der Wega, »[i]ch habe nur damit gedroht«.273 Auch Weisenborn moniert an einer Stelle ausdrücklich die Verwendung der atomaren Angst als Abschreckungsmittel: »Die Tochter der Angst heißt Drohung«.274 Die Entlarvung der Angststrategien, die den kriegsorientierten politischen Diskurs in den fünfziger Jahren entscheidend mitbestimmen, ist ein wesentlicher Bestandteil der didaktisch mahnenden antinuklearen Dramatik. »Schüren wir diese Angst zur Panik«, fordert Mac Intire, ein amerikanischer Physiker in Scheers und Egels Hördrama Und Berge werden versetzt, »und die Menschen hören auf zu denken. Je mehr sie vor Angst geschüttelt werden, desto weicher werden sie; und je weicher sie werden, desto besser kann man sie kneten«.275 Das ›Gleichgewicht des Schreckens‹,276 das Albert Wohlstetter als trügerische Formulierung für eine alles andere als gleichgewichtige Situation galt und das er später als Delicate Balance of Terror bezeichnete, bildet im atomaren Zeitalter ein neues Paradigma des Kriegs. Wortwörtlich taucht der Ausdruck auch bei Kipphardt auf als »das Gleichgewicht des Schreckens, das uns heute lähmt«. Günther Weisenborn: Göttinger Kantate (Anm. 38), S. 15–16. Ebd., S. 25. Ebd., S. 27. Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega (1954). In: Ders.: Hörspiele und Kabarett. Zürich 1986, S. 117. 274 Günther Weisenborn: Göttinger Kantate (Anm. 38), S. 19. 275 Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt (Anm. 128), S. 52. 276 Vgl. dazu u. a. Ron Robin: Gleichgewicht des Schreckens oder des Irrtums? In: Bernd Greiner, Tim B. Müller, Claudia Weber : Macht und Geist im Kalten Krieg. Hamburg 2011, S. 276–297. 270 271 272 273

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Deshalb habe es Oppenheimer, nach Aussage seines Verteidigers Marks, »ahnungslos befürchtet«.277 Am Ende von Frank Zwillingers Kettenreaktion prangert Enrico Fermis Assistent Riccardi mit ähnlichen Worten die Strategie des »ungesunden Wetteifers« an, der »ein neues politisches Gleichgewicht, das des Schreckens, geschaffen hatte«, und setzt dieses ›Gleichgewicht‹ in direkte Beziehung zur Problematik der Friedenserhaltung durch Angst (»durch Angst dient es dem Frieden«).278 Diesen spezifischen Angstmechanismus der wechselseitig zugesicherten Zerstörung – der Mutual Assured Destruction, die das englische Akronym MAD recht treffend charakterisiert – zu brandmarken, ist also vielen Atomdramenautoren ein zentrales Anliegen. Sie wollen zeigen, wie und in welchem Grad die Staaten die allgemeine Angst ausnutzen, um wiederum Angst zu verbreiten. Und damit hoffen sie, Mut zu machen, um ›jenseits der Angst‹, wie der Titel von Hans Rehfischs Drama verspricht, zu leben und gegen die Politik »der psychologischen Kriegsführung«279 zu kämpfen. Die beinahe konstruktive Funktion einer ›nützlichen‹ Angst als eines bedeutenden Faktors für politisches Engagement zeigt sich auch da, wo Angst in einen expliziten Zusammenhang mit einer erhöhten Wachsamkeit gebracht wird. »Ich habe Angst! Die Angst hat mich wach gemacht. Wach und mißtrauisch«,280 sagt bei Rehfisch die ehemalige Assistentin des Physikers Severin. Dementsprechend wird oft den ›Mutigen‹ eine ›aufrüttelnde‹ Rolle zugewiesen: »Sie müssen uns erschrecken, sie müssen uns mit Posaunen in die Ohren blasen, dass wir vor Schreck hochfahren«.281 Ansonsten sind aber in der Gesamtproduktion zum Atomkrieg positive Konnotationen der Angst weniger nachweisbar als skeptische Aussagen, und der Angstbegriff paart sich viel häufiger mit einem pessimistischen Ausblick in die von der verbreiteten Kultur der Furcht und Unsicherheit, der Feindlichkeit und des Verdachts vergiftete Zukunft der Menschheit. Angst und gegenseitiges Misstrauen gewinnen die Oberhand über die Möglichkeit eines glücklichen Ausgangs. Und wie in Dürrenmatts WegaHörspiel der Physiker Bonstetten Minister Wood prophezeit, wird es dazu kommen, eben wegen jenes weiter bestehenden »Stäubchen[s] Furcht, […] daß wir uns vielleicht mit euren Feinden verbünden könnten, und um dieses

277 Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. 176), S. 103. 278 Frank Zwillinger: Kettenreaktion. Ein planetarisches Theater in 4 Zyklen. In: Ders.: Geist und Macht. Dramen. Wien 1973, S. 351. 279 Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt (Anm. 128), S. 51. 280 Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 73. 281 Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (1950). Manuskript Historisches Archiv SWR. Archivnummer 515, S. 36. Die hier kursiv gedruckte Stelle ist im Manuskript gesperrt gedruckt.

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Stäubchens Furcht willen, um dieser leichten Unsicherheit willen in deinem Herzen wirst du die Bomben abwerfen lassen. Auch wenn sie sinnlos sind«.282

2.5.2 Weltende als Dramenende Auf das Ende warten: fast ein Axiom, das das Atomdrama zu seinen äußersten, auch metatheatralischen Konsequenzen treibt: Kiderlen: Ich warte, Mädchen. Amely : Worauf ? Kiderlen: Auf das Ende. Amely : Auf was für ein Ende? Kiderlen: Auf das Ende von allem. Auf das Ende der Grenzwache Schneegebirge, auf mein eigenes Ende, ja, und auf das Ende von dir warte ich auch.283

In den Texten, die sich in die Kategorien dieses atomaren Pessimismus einfügen lassen und in abgewandelter Form von apokalyptischen Mustern und Bildern Gebrauch machen, sind Angst und Wahrnehmung von nuklearer Bedrohung immer an ein negatives Ende gebunden. Betrachten wir noch einmal die Tabelle 3, so fällt die große Zahl der Werke mit negativem Ausgang (Abk. NE) auf, die in westliche Länder einzuordnen sind: Insgesamt sind es 20 im Westen (davon 15 in Westdeutschland, drei in Österreich, zwei in der Schweiz) und nur eines in der DDR. Die Möglichkeit jener tröstenden, befriedigenden Lösung, durch die der Osten dem vernichtenden System der kapitalistischen Rüstungsindustrie eine Utopie der sozialistischen Gemeinsamkeit und des erkämpften Friedens entgegenstellte, bleibt offensichtlich der westlichen Atomdramatik verwehrt. Das wird schon an der Atmosphäre kalter, hoffnungsloser Verzweiflung deutlich, die die Dramenschlüsse vieler in der BRD entstandener Werke durchtränkt. Recht häufig scheinen die Autoren ein tragisches Ende mit pathetischem Vernichtungsfuror zu bevorzugen, dabei sogar jene »Lust am Untergang« zu verspüren, die Friedrich Sieburg als eine Art ›Behagen‹ an der Katastrophe beschreibt.284 In Hans Henny Jahnns Trümmer des Gewissens gipfelt die Existenz der abgeriegelten Forschungsgemeinschaft – die weit entfernt von der nunmehr »menschenleere[n] Atomstadt« im »Goldene[n] Haus«285 lebt – in einer Serie von Tötungen und Selbstmorden, welche die Zahl der verantwortungslosen Atomwissenschaftler und machtgierigen Politiker strafend dezimiert. Das schick282 Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega (Anm. 273), S. 117. 283 Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge (1953). In: Hansjörg Schmitthenner (Hrsg.): Sechzehn deutsche Hörspiele. München 1962, S. 474. 284 Friedrich Sieburg: Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene. Mit einem Vorwort und einem Nachwort von Thea Dorn. Frankfurt a. M. 2010, besonders S. 74–98. 285 Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens (Anm. 97), S. 312.

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salshafte Ende markiert ein beinahe triumphales Hinscheiden von Erwachsenen und missgebildeten Neugeborenen, Ministern und Militärs, skrupellosen Wissenschaftlern und sogar kompromittierten Geistlichen. Ein erbarmungsloses Finale, bei dem Pessimismus und Endzeithorror überhandnehmen. Die letzten wie ein Verdikt klingenden Worte des Dramas spricht eine Gestalt, die im Begriff ist, Gift zu nehmen. Der Schlusssatz lässt keinem Hoffnungsschimmer auf eine positive Entwicklung der menschlichen Geschichte Raum: »Sie tun das Falsche!« – sagt der Groom Robert zu der noch zaudernden Frau des Physikers – »Sie hoffen!«.286 Eine ähnlich finstere Grenzsituation auswegloser Gefährdung in einem antiatomaren Bunker bestimmt bei Hilde Rubinstein den dramatischen, fast kitschigen Epilog der Trockenbierverlobungsparty, auf der das titelgebende ›tiefgefrorene Reh‹ serviert werden soll. Der Höhepunkt der Feier, die mit dem Dramenende koinzidiert, ist eine wahre Vernichtungsorgie: Die Kinder stechen sich gegenseitig nieder, während einer der Söhne, Maxwell, auf alle anderen inklusive der Eltern schießt. Vom unheimlichen Röcheln der Sterbenden begleitet, verlässt Maxwell seine Unterwelt mit Gasmaske und geht ins Ungewisse. Eine eher satirische Variante dieses aussichtslosen Überlebenskampfes in einem unterirdischen Bunker ist Alfred Gongs posthum ediertes Drama Zetdam. Die Handlung führt zu einem bitteren tragikomischen Ausgang, der nicht nur die vielleicht sehr bald eintretende Auslöschung parodistisch vorführt, sondern in den letzten Zeilen die Auslassung eines glücklichen Endes metatheatralisch reflektiert: »Sind Sie enttäuscht?«, fragt der fiktive Schreiber Bubi das Publikum, »Haben Sie etwa ein Happy End erwartet? Fühlen Sie sich um Ihr Eintrittsgeld betrogen?«.287 Manchmal decken sich in den Dramen die ganze Desolatheit der humanen Dimension im Atomzeitalter und die Stimmung des Am-Ende-Seins mit der Idee einer göttlichen Verwerfung, eines Fernseins von Gott selbst. Man denke hier nur an die kosmische Todesvision in Kurt Becsis Stück Atom vor Christus, in dem die ganze Erde als eine »Summe von Widersprüchen« geschildert wird, »eine Stätte der Qual«, mit der einzigen Aufgabe, »die raffinierteste Folterkammer zu sein«,288 oder an den Schluss von Curt Langenbecks Phantast, bei dem die Vorhersage der Atomkatastrophe auch eine Klage über die Unabwendbarkeit und Unergründlichkeit des göttlichen Vorhabens ist. In der letzten Aussage von Langenbecks Protagonisten, dem Physiker Brückmann, relativiert ein entsetzlicher Nihilismus Sinn und Wert individueller Entscheidung und Verantwortlichkeit: »Gott, dem ich diente; Gott, von dem ich gerufen war zu tun, was ich 286 Ebd., S. 390. 287 Alfred Gong: Zetdam. Ein Satyrspiel. Hrsg. von Natalia Blum-Barth unter Mitarbeit von Annika Saß. Aachen 2017, S. 70. 288 Kurt Becsi: Atom vor Christus (Anm. 137), S. 80.

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getan: er hat diesen Verrat geschehen lassen. Also hat er ihn gewollt. Also hat er mich verworfen. Da er aber mich gerufen hatte zu tun, was er jetzt verwirft, so verwirft er sich selbst«.289 Zuweilen drückt sich das Pathos des Endes in demonstrativen Gesten oder Akten des Endgültigen aus. So lässt z. B. die Schlussszene von Weiss’ Wissenschaftsdrama Gebündelte Strahlen Marconi und die weibliche Protagonistin Aldina Hand in Hand den Weg zum Todespavillon, dem von ›gebündelten Strahlen‹ beladenen Forschungslabor, gehen, während im Hintergrund das Abschiedslied des Aida-Duetts erklingt: Leb wohl, o Erde, Leb wohl, o du – Tal der Tränen. In Ilse Schneider-Lengyels im Nachlass als ›Atomdrama‹ bezeichnetem Theaterstück Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! fließt die ganze Welt wie in einer großen Hyperbel im letzten Satz zusammen, in der spektakulären »Detonation der Atombombe«,290 über der laut Regieanweisung der Vorhang fallen soll. Damit vollzieht sich das von Anfang an angekündigte Erlöschen alles Lebens. Diese Art gewaltsames Finale als Umkehrpunkt, von dem an es kein Zurück mehr gibt, lässt sich in vielen Werken beobachten, in denen die ganze Klimax nur der zielgerichteten Zerstörung der Welt entgegenzugehen scheint. Auch Fred Dengers Bikini endet mit einer sensationellen Atombombenexplosion. Die feierliche Warnungsbotschaft der Schlussverse wendet sich an die ganze Menschheit – »Welt hör’ zu! (Fanfare) Welt! wach! auf!«291 –, lässt aber zugleich ernste Zweifel aufkommen, ob »es den Frieden«292 wirklich bringe. Eher entlässt die darauffolgende adversative Aussage »Oder den Tod!« den Zuschauer ohne Trost und ohne Hilfe. Bei der offenbleibenden finalen Wendung senkt sich auch hier real und metaphorisch der Vorhang, während sich im Hintergrund ein wütendes Donnern bis an die Grenze des Erträglichen steigert. Explizite Formulierungen einer individuellen oder kosmischen Skepsis runden den Pessimismus solcher Dramen ab. So endet Frank Zwillingers ›planetarisches‹ Theaterstück Kettenreaktion mit den Worten: »Der Mensch wird nicht besser als er werden muß, um fortzuleben! In allem, was wir sind und tun, bleiben wir dem Kosmos und seinen in Raumzeit wirkenden schicksalsbildenden Mächten unterworfen«.293 Und Möbius-Salomo beschwört am Schluss von Dürrenmatts Tragikomödie Die Physiker eine Drohkulisse herauf, in der eine »radioaktive

289 Curt Langenbeck: Der Phantast (Anm. 30), S. 92. 290 Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff. Ein Atomdrama. Aus dem Nachlass. Ms. Bayerische Staatsbibliothek, BSB Ana 372, S. 46. 291 Fred Denger : Bikini (Anm. 26), S. 45. 292 Ebd., S. 46. 293 Frank Zwillinger: Kettenreaktion (Anm. 278), S. 351. Der hier kursiv wiedergegebene Satz ist im Original gesperrt gedruckt.

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Erde«294 »sinnlos« kreist. Unverkennbar ist dabei, dass sich in diesen Finalen ein Weltbild offenbart, das von Vorsicht gegenüber der Technik, von Misstrauen gegenüber dem Fortschritt und nicht zuletzt gegenüber der menschlichen Vernunft geprägt ist. Auch hier sind aber die Akzente in den einzelnen Texten sehr unterschiedlich gelagert und es finden sich, wie wir sehen werden, neben apokalyptischen Ausgestaltungen der atomaren Angst sehr politisch gefärbte Darstellungen sowie ganz phantastische Science-Fiction-Dramen. 2.5.3 Fortschritt als Weltende Der unausweichliche Untergang wird oft als Albtraum einer selbstverschuldeten Zukunft inszeniert, bei dem sich der Fortschritt gegen die Menschen selbst kehrt. In der großen Traumszene des Zwischenspiels Tote im Drama Im Aschenregen des Österreichers Helmut Schwarz ist es der Chor, der auf das Falsche der menschlichen Entwicklung verweist: »Wenn aber Fortschritt einmal / Zur Bedrohung fortschreitet – / Welch Rückschritt!«.295 In der onirischen Vorstellung, in der die Protagonisten die unheimlichen Bilder ihrer Ängste zu Gesicht bekommen, breitet sich über alle Geschöpfe jener fast barock anmutende Geist des Endes und der Verwesung aus (»Blindgeborne, hinfällig Lahme! / […] Zweiköpfig, ineinander verwachsen: / Eine Brut, die zu bescheinen, / Die Sonne sich weigert!«),296 der im damaligen Repertoire der Atombombenikonographie schon weitgehend kanonisiert war. Die antifortschrittliche und antiwissenschaftliche Haltung, die in Schwarz’ Argumentation hervortritt, ist nur eines der zahlreichen Beispiele, in denen eine direkte Beziehung zwischen technischem Fortschritt und zerstörter Lebenswelt hergestellt wird. Ihren allerersten Ausdruck findet die Verachtung der technologischen Entwicklung bereits in der Gegensätzlichkeit von Geist und Materie, die Franz Fassbind seinem dramatischen Oratorium Atom Bombe zugrunde legt. Im Stück bricht eine wahre dialektische Schlacht zwischen den beiden rivalisierenden als personae auftretenden Prinzipien aus, dem schwachen Geist (»Ich entscheide mich nicht! / Ich kann mich nicht entscheiden«)297 und der bloßen Materie als »Kraft des rohen, sinnlosen Stoffes«.298 Bei Fassbind sind aber beide Prinzipien noch in gleicher Weise ohnmächtig gegenüber der ebenso als dramatis persona erscheinenden Großfinanz, die den Geist versklavt, sich mit 294 Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (Anm. 110), S. 87. 295 Helmut Schwarz: Im Aschenregen. Zwei Akte und ein Zwischenspiel (1961). Typoskript aus dem Nachlass Helmut Schwarz. Theatermuseum Wien. Abteilung: Sammlungen, S. 34. 296 Ebd., S. 36. 297 Franz Fassbind: Atom Bombe (Anm. 19), S. 95. 298 Ebd., S. 87.

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der Kernwissenschaft verbündet und in den Besitz aller »Pläne zur Atombombe mit der zwanzigtausendfachen Sprengwirkung der ersten Atombombe«299 gelangt. Später radikalisiert sich die Dichotomie von Geist und Materie, und zwar so, dass eine konservative Negierung des ›materiellen‹ Fortschritts nicht zu überhören ist. Ein fortschrittsfeindlicher, bisweilen mit regressiven und antimaterialistischen Elementen gesättigter Ansatz ist in vielen westlichen Atomdramen mit ganz unterschiedlichen Nuancen zu beobachten. Bei einigen Vertretern der zivilisationskritischen Thesen ist eine Dämonisierung des Denkens anzutreffen: »Am Denken liegts [sic], nur am Denken! Wir haben das Feuer, die Waffe, die Technologie – alles haben wir entdeckt, wir fliegen, fahren, bauen – – – schießen, morden!!! Alles vom Denken!«,300 stöhnt der Titelheld in Friedrich Gentz’ Pilot Herzog kurz vor dem eigenen Opfertod, mit dem das Stück endet. Auch der Mönch Thomas in Kurt Becsis Atom vor Christus beklagt vehement »Hass in Analyse und Spaltung – kalten Intellekt« und stigmatisiert dies definitiv als »unsere Schuld«.301 Thomas beruft sich auf das Konzept einer einst untrennbaren Natur, die die Tradition analytisch-wissenschaftlichen Denkens buchstäblich ›gespalten‹ hat: »Wir haben Dämonen beschworen […], wir sind einen falschen Weg gegangen – seit der Renaissance. […] Statt uns der Natur zu nahen […], – haben wir sie gespalten – hinab bis zum Atom…«.302 Damit partizipiert das Atomdrama an dem kulturkritischen, strikt antizivilisatorischen Diskurs, der angesichts der beängstigenden atomaren Entwicklung Tod und Schuld als unvermeidliche Folgen des wissenschaftlichen Impetus ausgibt: »Zum Fortschritt sind wir verurteilt«,303 sagt Rektor Fischer in Christian Bocks Hörspiel Gebt acht auf die Welt! (1950), der zudem eine Synonymie-Relation zwischen Fortschritt und Untergang hervorhebt: »Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Das ist nebenbei dasselbe, was ich schon sagte: Der Untergang ist nicht aufzuhalten«.304 Die in den Texten wiederholt ausgesprochenen und oft verblüffend ähnlichen Warnungen vor der Gefahr eines technischen Fortgangs, der in seinen Nebenwirkungen undurchschaubar und unüberschaubar geworden ist, bedeuten für die Autoren nicht nur ein Urteil über die unmotivierte Wissenschaftseuphorie und -versessenheit, die ein Monster wie die Atombombe geboren hat. Die insgesamt recht diffusen pessimistischen Bilder eines sich verselbständigenden technologischen Systems implizieren auch eine spezifische Reflexion über den 299 300 301 302 303 304

Ebd., S. 100–101. Friedrich Gentz: Pilot Herzog (Anm. 139), S. 105. Kurt Becsi: Atom vor Christus (Anm. 137), S. 53. Ebd., S. 48. Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (Anm. 281), S. 35. Ebd., S. 21.

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blinden wissenschaftlichen Glauben, die Natur korrigieren oder gar überwinden zu können. In diesem Zusammenhang, der mit simplen Oppositionen wie Natur/Technik, Mensch/Maschine operiert, bieten sich in der Dramenliteratur verschiedene Darstellungsmuster, die die ›gegen‹ die Natur gerichtete Gewalt als frevelhafte Nichtbeachtung der menschlichen ›Schranken‹ interpretieren. Manchmal wird der Einsatz von Wissenschaft und Technik als Fabrizieren einer Unnatur oder gar einer Antinatur inszeniert. In Hermann Rossmanns Testflug B 29. (Nie wieder!) stellt der Text sofort einen drastischen Zusammenhang zwischen Atomwissenschaft und Verkehrung der Natur in Unnatur her. In den fast biblisch klingenden Worten des Arztes des Flughafenlazaretts auf der Pazifikinsel, auf der die Handlung spielt, taucht die Metapher des faszinierend-destruktiven ›Pilzes‹ als sündhaftes Produkt einer neuartigen Vegetation auf, in der eine fremde Flora Wurzeln geschlagen hat: »Ein netter, neuer Atompilz, in dieses ›Paradies der Südsee‹ hier gepflanzt. – Wäre nicht der erste Sündenfall, nur wahrscheinlich folgenschwerer als der erste«.305 Auch in Hans Henny Jahnns Drama Die Trümmer des Gewissens sind Kernforschung und schändliche Naturmanipulation in den Experimenten korreliert, welche genetische Mutationen und Anomalien künstlich herbeiführen. Damit bestimmt der Text die Menschheit von vornherein zum Aussterben und erhebt dadurch die individuelle Schuld des Wissenschaftlers zum Kollektivschicksal. Dieses Bestreben, die Wissenschaft moralisch zu verurteilen, überlagert oft den informativ-dokumentarischen Anspruch. In den Stücken, in denen das Böse und Frevelhafte an einer Forschung reflektiert wird, die jegliche Frage nach den Risiken und der ethischen Akzeptabilität des Experimentierens ausklammert, tritt das Verwerfliche eines schuldhaften Vergehens an der Natur in unterschiedlichen Darstellungsformen der Narrativierung auf, die vom Visionären und Irrealen bis zum Humoristischen reichen. Konstant aber bleibt die dichotomische Gegenüberstellung von Positivum und Negativum, von ›ungestörter Natur‹ und ›Verstoß‹ gegen Naturgesetze. In den meisten Varianten entpuppen sich die nuklearen Experimente als ein vorsätzlich verstecktes Verbrechen an der natürlichen Ordnung. Im bereits erwähnten Stück von Helmut Schwarz sieht Mary, die Frau eines durch radioaktiven Regen verseuchten Soldaten, auf einem Spaziergang im Wald »ein scheussliches kleines Ungeheuer«, eine zweiköpfige Kröte, die sie sofort als »Missgeburt« einstuft: »Nie quasi bin ich solcher Unnatur begegnet«,306 erzählt sie danach entsetzt. Anscheinend nur ein kleiner Zwischenfall, fast bedeutungslos für die Handlung. Jedoch ein beklemmendes Signal, befremdlich, weil gegennatürlich und zugleich bedrohlich real, wie die bestürzende Vision des nuklear bedingten ›Unfalls‹ des Kindes »mit zwei Köpfen 305 Hermann Rossmann: Testflug B 29 (Anm. 3), S. 2. 306 Helmut Schwarz: Im Aschenregen (Anm. 295), S. 16.

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und drei Armen«307 im ersten der Träume von Günter Eich. Im Hörspiel Hiroshima veranschaulicht auch Oskar Wessel das Bild einer radikalen Umkehrung der natürlichen Ordnung am Beispiel der völlig unschuldigen und völlig überrumpelten Tierwelt. Und es ist auch hier ein Reptil, eine Eidechse, die sich ohne Vorahnung des bevorstehenden Endes in der Sonne von Hiroshima wärmt, »obwohl die Tiere«, wie die Erzählfigur des Schattens bemerkt, »doch manchmal Witterung haben selbst vor einem Erdbeben«.308 Und auch hier ist es vor allem eine Kritik an der unheimlichen Verzerrung der Naturgesetze, die der Text anvisiert. Verloren ist bei den hilflosen Tieren der angeborene Selbsterhaltungstrieb im Kontext von Naturkatastrophen, der bislang das Überleben auf der Erde garantiert hatte, das instinktive Erkennen von Gefahr. Die Ursache des Untergangs führt Wessel unmissverständlich auf die Anmaßung des technischen Zeitalters zurück. Eine der Hördramengestalten, Hirohito, glaubt, dass es am maßlosen Rhythmus von Technisierung und Verwissenschaftlichung liegt, »an den Menschen, die immer schneller, an den Schornsteinen, die immer höher, an den Bohrtürmen, die immer dichter werden. Das Maß geht verloren, Öl fließt in Blut. […] Und der Fuji steht und unsere Städte verbrennen. Ich möchte auf den Berg rennen und fragen: Was haben wir falsch gemacht? Was habe ich falsch gemacht? Gib uns unser Maß zurück, Fuji, Berg, Ehrwürdiger!«.309 Deutlich wird das Paradigma des Verstoßes gegen die Natur auch in Wolfgang Weyrauchs Szenarium einer empörten Natur im Hörspiel Vor dem Schneegebirge. Ein furchtbares Schmelzen der Gletscher lässt hier Menschen und Tiere vereisen. Der Weltuntergang wird in sintflutartigen Bildern ausgemalt, die an einen biblischen Exodus erinnern: »viele hundert Tiere […] Hirsche, Rehe, Haustiere, Singvögel, Raubvögel, Löwen. […] auch Hunderte von Schlangen, Ratten und so weiter. Eine Minute später waren es nicht mehr Hunderte, sondern Tausende«.310 Bis schließlich eine dichte ›Wand‹ aus Insekten die Sicht versperrt. Im Zeitalter der Bombe rächt sich die Natur am Menschen für seine Verbrechen. Selbst in einem eher satirischen Atomdrama – wie Ulrich Bechers Zauberposse Die Kleinen und die Großen – bleibt der Frevel an einer gottgewollten natürlichen Ordnung nicht ungestraft. Denn auch die ›Hinze‹, die liliputanischen Hausgeister, die unter dem Boden leben und schließlich über den kriegstrei307 Günter Eich: Träume. In: Ders.: Gesammelte Werke in vier Bänden. Revidierte Ausgabe, Bd. 2: Die Hörspiele I. Hrsg. von Karl Karst. Frankfurt a. M. 1991, S. 385. In der ersten Fassung (1951) endet das Werk mit dem spezifischen Hinweis auf die nukleare Bedrohung: »Und mit der Wasserstoffbombe« (S. 385), ersetzt in der Druckausgabe durch einen allgemeineren Satz über die unbekannte Zukunft: »Und was kommen mag, unsere Enkel mögen es ausfechten« (ebd., S. 384). 308 Oskar Wessel: Hiroshima (Anm. 66), S. 227. 309 Ebd., S. 228. 310 Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge (Anm. 283), S. 476.

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benden, Zinnoberbomben werfenden Machthaber den Sieg erringen, erblicken in der Entdeckung der Atomspaltung etwas Antigöttliches: »Ein Holzscheit zu spalten, mag gottgefällig sein. Das K-l-e-i-n-s-t-e jedoch in der Schöpfung zu spalten, ist wider Gott; es schmerzt ihn. In der großen Explosion entlädt sich Gottes jäher Schmerz und Zorn. Sein Jähzorn«.311 Freilich entbehrt diese Kritik am Wetteifern zwischen Natur und Wissenschaft als sündigem Überschreiten sowohl der Grenzen des Humanen als auch der des Göttlichen nicht einer gewissen Anerkennung jener Schöpferkraft, die bahnbrechende Umwälzungen gebracht hat, wie die Beschäftigung mit dem Prometheus-Stoff augenfällig macht. In vielen Atomdramen wird der ›Techniker‹ Prometheus zur prototypischen Figur der Hybris und zum Sinnbild der Ambivalenz zwischen Bewunderung und Skepsis für den technischen Fortschritt. In Ingeborg Drewitz’ unveröffentlicht gebliebenem Stationendrama »Unio mystica« – ein Spuk? (1948) gilt Prometheus als Held der widersprüchlichen Sage der europäischen Zivilisation, als Träger eines wissenschaftlichen Fortschritts, der dem Menschen aus der Hand geglitten ist: Die Freisetzung von unkontrollierten Naturgegebenheiten begann mit seinem Feuer und führte zur Atomenergie. Das erkannte die Dichterin in einem Interview selbst. In einem kritischen Gespräch über ihre Jugendproduktion berichtete sie, dass für sie die lebenslange Auseinandersetzung mit dem Prometheus-Thema »eine Auseinandersetzung mit der Atombombe und dem menschlichen Größenwahn, mit der Welt herumzuspielen«,312 bedeute. In »Unio mystica« geht der Weg der Menschheit von der »furchtbare[n] Finsternis«313 des Prologs aus, schreitet dann durch die Stufen der Schöpfung und Prometheus’ Feuerraub fort, um schließlich zur atomaren Vernichtung zu gelangen, auf die die Robotisierung der Massen durch den einzig überlebenden Prometheus folgt. In einer der letzten, in der Zukunft spielenden Stationen wird die atomare Apokalypse, zu der der prometheische Erkenntnisdrang geführt hat, in ihren unheilbringenden Folgen heraufbeschworen. Prometheus maßt sich das Recht an, Tod und Ende zu vereiteln, nachdem die Bombe »die Gebeine der Menschen […] zu Asche« verbrannt und »das Leben zerstört«314 hat. Von einer Schalttafel aus reguliert er das Wetter, beugt Naturkatastrophen vor und treibt die Produktion von Homunkuli voran, mit denen er einen nicht mehr von Tod, Schmerzen und Hunger bedrohten Planeten neu zu bevölkern beabsichtigt. Ihm selbst ist aber das Leben 311 Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen (Anm. 78), S. 315. 312 Ingeborg Drewitz: Interview mit Cettina Rapisarda vom 30. 10. 1987: »…und damit waren unsere Anfangsjahre richtig zerteppert«. In: Petra Schrott (Hrsg.): Eine Kulturmetropole wird geteilt. Literarisches Leben in Berlin (West) 1945–1961. Berlin 1987, S. 10. 313 Ingeborg Drewitz: »Unio mystica« – ein Spuk?. Manuskr. in: Ingeborg-Drewitz-Archiv. Akademie der Künste, Mappe 1/59/524 [1948, handgeschr. Jahresangabe der Autorin], S. 2. 314 Ebd., S. 67.

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zuwider geworden: »Ich kenne die Struktur der Sterne wie meine innere Hand, mir ist die Erde bis ins Mark zueigen, mich reizt’s nicht mehr, in ihre Schächte einzufahren, […] meine Augen […] haben zu viel Glanz geschaut«.315 Dass Prometheus im Klima des europäischen Pessimismus zum Symbol des hochmütigen Erkenntniswahns und des blinden Fortschrittglaubens wurde, bestätigt das Auftreten dieses Deutungsmusters auch in weiteren Texten der westlichen Atomdramatik. Wie Walter Jens in seiner Einführung zur Anthologie Leben im Atomzeitalter schrieb, fungierte die Verarbeitung der prometheischen Schuld in der Literatur »zwischen Hiroshima und Tschernobyl« als Mittel zur Darstellung des Menschen »in seiner Plenipotenz, seiner technischen Allmacht und moralischen Ohnmacht«.316 Das ist genau die Funktion, die Ernst Barnewold in seinem programmatisch betitelten Drama Promethiden dem Mythos des Helden zuschreibt. Als »Prometheus-Erben […] mächtiger als einst der Titan« schaffen hier drei Erfinder eine »furchtbare Waffe«,317 mit der sie den Stoff in Kraft, die Materie in Energie verwandeln. Wie einst Prometheus das Feuer auf die Erde brachte und damit den Göttern die Macht abtrotzte, sind auch sie »über Menschendasein und sterbliche Form hinausgetreten«.318 Durch die neu entdeckte Energie wollen sie »noch einmal den heiligen Brand auf die Erde« tragen, »doch nicht zum verderbensvollen Geschenk für die Menschheit, sondern daß sie sich seiner Macht zu ihrem Heil unterwerfe«.319 Mit ihrer ›Gabe‹ wähnen sie sich in der Lage, den Krieg endgültig zu verbannen: »Achtung! Achtung! Es höre uns die ganze Welt: […] Wir verbieten den Krieg! Gehorcht die Menschheit diesem Ruf, wird ihr eine Gabe zuteil, wie sie die Erde nie wieder empfangen hat, seit der Titan Prometheus das Feuer vom Himmel riß«.320 Auch bei Barnewold schwankt offensichtlich der Begriff der Energie zwischen der positiven Kraft, welche »unendliche Ströme von Licht und Kraft erzeugt, um der Menschheit zu dienen«, und der vernichtenden Macht, die »mit einem einzigen Donnerschlag den ganzen Planeten zerreißen kann«.321 Die Menschheit missachtet aber alle Mahnungen der Erzeuger und die Entdeckung bringt nicht das ersehnte Heil, den Frieden, sondern die gebaute Maschinerie hat von den moralisch passiven Menschen Besitz ergriffen. Der Dramenschluss ist auch hier tragisch und glorifiziert nur den Opfertod der Protagonisten. Aus Enttäuschung über seine Mitmenschen möchte einer von ihnen den Hebel des Richtstrahlers betätigen, der den Erdball »wie einen Kristall« zerbrechen und »aus den größten Städten, 315 316 317 318 319 320 321

Ebd., S. 65. Walter Jens (Hrsg.): Leben im Atomzeitalter (Anm. 58), S. 15 (Hervorhebung von W. J.). Ernst Barnewold: Promethiden (Anm. 71), S. 11, 12. Ebd., S. 10. Ebd., S. 11. Ebd., S. 35–36. Ebd., S. 36.

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Metropolis und Zentren in einem Moment Vergangenheit«322 machen kann. Um die Welt zu retten, werfen ihn die Freunde in eine Felsenspalte, sprengen das tödliche Gerät in die Luft und stürzen selbst ab. Ihre letzte Botschaft ist eine vage, nämlich dass sich »alle Gewalt […] künftig selbst so ein Ende setzen«323 möge. Das bei vielen Dramenschlüssen zum Einsatz kommende Dröhnen der Explosion besiegelt Barnewolds Verdammung des ›Promethiden‹-Zeitalters, in dem der Autor eben eine Art Prometheus-Wahn erblickt. In einer späteren Auseinandersetzung mit der ›prometheischen‹ Kultur des Abendlandes, Ernst Schumachers Einstein-Drama Die Versuchung des Forschers, erscheint Prometheus erneut als Ausdruck der Unfreiheit und der Ohnmacht des Menschen gegenüber der Technik. Er tritt unter den Erzvätern der Physik auf, die in der großen visionären Gerichtsszene ihre Position zum Bau der Atombombe erläutern. Während auf der Leinwand Bilder von Kernreaktionen und Beschleunigungsprozessen projiziert werden, fragt er erstaunt: »Wer macht das, wer ist größer als ich?«, »Wozu verwendet ihr dieses himmlische Feuer?«, »Was ist Overkill«, »Aber wie zünden sie diese gewaltigen himmlischen Feuer über die Erde an?«.324 An dieser Stelle scheinen Prometheus’ tiefe Ratlosigkeit und seine Enttäuschung über seine ungeratenen Erben durch: »Nein, Erfinder solchen Verderbens können nicht meine Söhne sein. Nicht ihretwegen raubte ich das Feuer, sondern um der Menschen willen«. Solch ein Gefühl, das den eigenen Stolz verleugnet, die »prometheische Scham«, die im Sinne Günther Anders’ die Scham gegenüber den eigenen Kreationen involviert, markiert jenen Grad der Entfernung zwischen dem Menschen und seinen Produkten, den Anders im ersten Band seiner bekannten Antiquiertheit des Menschen als »prometheische Gefälle«325 bezeichnet. Schumachers Prometheus, der sich in Schuld verstrickt sieht, stellt hier die vollkommene Verkörperung eines schändlichen Scheiterns dar : Er entzieht sich dem Blick, »hüllt sich in eine Kummerwolke«326 und verschwindet für immer. 2.5.4 Das Katastrophen- und Survival-Drama Wie in der westdeutschen Literatur die Kritik an der Atombombe mit antitechnischen und endzeitlichen Vorstellungen von Katastrophe und postatomarer Apokalypse verschränkt ist, zeigen einige typische Texte der Day-afterDramatik, die vor allem zwischen Ende der vierziger und Anfang der sechziger 322 323 324 325

Ebd., S. 82. Ebd., S. 84. Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 67, 71, 75, 76. Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München 1956, S. 16. 326 Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 82.

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Jahre entstanden. Während in diesen Jahren das DDR-Theater Stücke vorweisen kann, die das Vorwärtsschreiten der Wissenschaft in deren Plänen zur friedlichen Nutzung der Atomenergie und zur Umgestaltung der Natur zum Segen des Sozialismus verherrlichen, nehmen die meisten Atomdramen im Westen eine pessimistisch-negative Einstellung gegenüber den herrschenden politischen und ökonomischen Verhältnissen ein. Schauen wir uns noch einmal in Abb. 4 das Cluster im linken oberen Teil der Skalierung an, so erkennen wir, dass das apokalyptische und das ›Survival-Drama‹ (in den Graphiken durch AD und SD abgekürzt) – neben der Science-Fiction-Kategorie (Abk. SF) und den bereits erörterten ›negativen‹ Items – in demselben Cluster erscheinen, wo sich auch die Kategorie Westdeutschland befindet. Das verdeutlicht auch Tab. 3, in der AD, SD und SF insgesamt nur einmal (und zwar mit dem einzigen Item SF) in der Spalte 1 (d. h. Ostdt.) auftreten, während sie in den Spalten 2–4 20-mal vorhanden sind. Die dramatischen Apokalypsen kommen also aus den westlichen Ländern, die ein Faible für nukleare Untergänge zu haben scheinen. Hier, im Westen, findet der diskursive Schlagabtausch zwischen dem Wirtschaftswunder und dem ›Anti-Wunder‹ in Form der Atomkatastrophe statt. Und hier, auf den westlichen Bühnen sowie im Bereich der Science Fiction in Spielfilmen und Unterhaltungsliteratur, floriert innerhalb des Atomdramas jenes Untergenre des Katastrophen- und Überlebensdramas, das residuale Gesellschaften imaginiert. Charakteristische und repräsentative Beispiele für apokalyptische Untergangsvisionen, atomare oder gar nachatomare Modellgesellschaften, die in quasi vorzivilisatorische Zustände regredieren, bieten die folgenden Atomdramen und Atomhörspiele: Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen (1950) Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge (1953) Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega (1954) Erich Kuby : Die Zerstörung von Slawasch (1955) Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! Ein Atomdrama (aus dem Nachlass, 1955–1956) Hans Friedrich Kühnelt: Es ist später als du denkst (1956) Alfred Gong: Zetdam (1958) Heinrich Böll: Ein Schluck Erde (1961) Hilde Rubinstein: Null Uhr Null (1965) Hilde Rubinstein: Tiefgefrorenes Reh (1969)

Dabei handelt es sich nicht nur um die gängigen Atomkatastrophenwarnungen, die mit mehr oder weniger hoher Intensität allen Dramen des Genres gemein sind, sondern um postapokalyptische Fiktionalisierungen, die die Prophezeiung kommenden Unheils in den Formen der großen Katastrophe artikulieren und die wachsenden Atom- und Zukunftsängste besonders im Rahmen des SurvivalDiskurses thematisieren. Ihnen fehlt zwar nicht die Überbietung, d. h. die

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Möglichkeit einer Zeit ›nach der Katastrophe‹. Zumindest nicht ganz. Diese neuen Chroniken der Apokalypse verlängern das Gegenwärtige ins Zukünftige hinein und zaubern eine andere Welt nach dem nuklearen Armageddon herbei. Aber sie ist nicht unbedingt besser : Die Grundstimmung bleibt die des Scheiterns, des Scheiterns einer Kultur und des Scheiterns einer Zivilisation. Die Atomdramen der Apokalypse spielen meistens in einer unbestimmten Zukunft nach der Atomexplosion an phantastisch-fiktionalen Orten: in imaginären, von Menschen noch bevölkerten Städten wie z. B. Menehat (Hilde Rubinsteins Null Uhr Null) und Slawasch (Erich Kubys Zerstörung von Slawasch) oder in menschenverlassenen Einöden (Rudolf Gottschalks und Erwin Kowalzigs Die letzten Menschen und Wolfgang Weyrauchs Vor dem Schneegebirge). Es können unterirdische, symbolisch fast im Schoß der Erde versenkte Räume wie Sauerstoffhöhlen und Atombunker (Alfred Gongs Zetdam und Hilde Rubinsteins Tiefgefrorenes Reh) oder überirdische (Ilse Schneider-Lengyels Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff!) und welträumliche Dimensionen (Dürrenmatts Unternehmen der Wega) sein. Immer sind es aber extreme Landschaften wie die absolute Trockenheit der Steppe in Hans Friedrich Kühnelts Es ist später als du denkst oder die ›Waterworld-Erdlosigkeit‹ in Heinrich Bölls Ein Schluck Erde. Eines der frühesten deutschsprachigen Beispiele für diese dramaturgischen Untergangsszenarien im atomaren Kontext ist das oben genannte Hörspiel Die letzten Menschen, in dem schon die zeitliche Fokussierung des Titels auf den Begriff der ›Letztlichkeit‹ die Perspektive des Endes konnotiert. Der Binnenhandlung nach ist es ein ziemlich typisches Drama der Postkatastrophe, jedoch ist dabei die Verknüpfung des Themas mit dem Rahmentext interessant, der das inhaltsbestimmende Motiv der Zerstörung auch auf formaler Ebene organisiert. Der Umgang mit dem Leitmotiv der Destruktion konstituiert hier selbstreflexiv den radiophonischen Text, in dem eine bewusste Demontage mit Unterbrechungen und Störungen (»Störsender«, »Knacken«) arbeitet, die dem Zuhörer den »besonderen Kunstgenuss«327 programmatisch verwehren sollen. Dazwischen begleiten auf metatextueller Ebene handlungsexterne Komponenten, wie z. B. der Song aus dem Tonfilm Weltuntergang, konsequent den Themenbereich. Die Handlung an sich erzählt im herkömmlichen Register des Weltendes eine desolate Nachatomkriegssituation. Bei der Rückkehr von einer Mondexpedition müssen die Protagonisten konstatieren, dass sie, wie der Titel besagt, ›die letzten Menschen‹ sind und dass »die Welt tot ist«.328 Alles Leben auf der Erde ist infolge eines Nuklearkriegs verstummt, bis auf die in der irrealen Stille des Hördramas vernommene Stimme eines Mädchens, das die Männer symbolisch Eva nennen. 327 Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen. Manuskript im Radio-BremenSchallarchiv. Archivnummer : HO00166, S. 2–3. 328 Ebd., S. 11.

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Wie bei mehreren Schilderungen eines alles ausradierenden Atomdesasters zu beobachten, trägt auch hier die Posthistorie fast die Züge einer vortechnologischen Prähistorie, in der das Kleinste und scheinbar Unbedeutende wieder aufgewertet wird. Und auch hier, wie später bei Kühnelt und Böll, lautet die Überlebensparole »Verwaltung der Vorräte«.329 Ist es bei Böll ein zufällig gefundenes Feuerzeug, das in dieser zum Naturzustand zurückgekehrten Welt als das höchste Zivilisationsgut bewahrt wird, gewinnt bei Rudolf Gottschalk und Erwin Kowalzig ein Streichholz den Wert eines unentbehrlichen Guts. In der Zeit des Endes kehrt alles zu seinen Uranfängen zurück, der Anfang kann wiederum Geschichte generieren und das Leben kann – vielleicht – noch einmal von vorne beginnen. Diese Hoffnung ist erst nur ein Funke. Ob daraus ein Flämmchen wird, bleibt aber fraglich. Die meisten Texte apokalyptischer Prägung folgen dem Muster der unabwendbaren Regression in die Vorzeit als Preis des nachatomaren Überlebens. In Ilse Schneider-Lengyels visionärem Sammelsurium des Weltuntergangs Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! wird die Rückkehr in die Prähistorie sogar durch das Wiedererscheinen ausgestorbener Lebewesen wie Dino- und Tyrannosaurier in Szene gesetzt, die sich auf der unbevölkerten Erde ausbreiten und eine tausendjährige Zivilisation zunichtemachen können. Unaufhaltsam geht die Menschheit ihrer totalen Austilgung entgegen, jenem ›Nullpunkt‹, den der warnende Titel heraufbeschwört und den die finale Detonation als Punkt der Nicht-Umkehr markiert. Viele Autoren lassen in ihren Atomdramen regressive Erscheinungsformen der Katastrophe Revue passieren. Hans Friedrich Kühnelt und Heinrich Böll skizzieren postatomare Praktiken des Überstehens der Katastrophe in ganz antithetischen Szenarien, die gleichsam komplementär zueinander sind. Sowohl in Kühnelts Wüste als auch in Bölls totaler Wasserwelt erschließt sich nämlich dem Zuschauer das beunruhigende und surreale Bild eines geradezu subhumanen Raums, der von einem kargen Dasein außerhalb jeglicher Zivilisation erzählt. Kühnelts didaktisch-mahnendes Drama mit dem herausfordernden Titel Es ist später als du denkst siedelt die Zeit nach dem mehrmals im Text als ›große Nacht‹ etikettierten Tag der Weltzerstörung in einer Steppenlandschaft an, wo die wenigen Überlebenden in einem Zustand seelischen und kulturellen Elends leben und nomadisierend dahinvegetieren. Erinnerungslos ziehen sie umher, was der Dramatiker konkret und metaphorisch meint. Denn die Hinterbliebenen der kosmischen Explosion – seitdem sie »aus [ihrer] Ohnmacht erwachten«330 – irren richtungslos durch die Einöde ihres ausgelöschten Gedächtnisses und zugleich in der wüstenhaften Landschaft umher, die »das Ge329 Ebd., S. 14. 330 Hans Friedrich Kühnelt: Es ist später als du denkst. Manuskript. Wien 1962, S. 22.

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rümpel der alten Welt«331 buchstäblich mit Sand verschüttet hat. Tief im Sand eingegraben liegen Fragmente aus der vergessenen Vergangenheit, Reststücke, deren Funktion und Gebrauchsziel die bizarren Protagonisten von Kühnelts Stück nicht mehr zu identifizieren vermögen. Inmitten dieser verwahrlosten Gegend, inmitten zerlumpter, längst verwilderter Menschen lässt der Autor plötzlich die Figur eines mit technisch-wissenschaftlichen Kompetenzen ausgestatteten Fachmanns – eines Ingenieurs als Vertreter der entgegengesetzten Zivilisationssphäre – auftreten. Und ausgerechnet er ist der Raketenexperte, der für die ›große Nacht‹ der Menschheit verantwortlich ist. Der Ingenieur kommt »in den schwarzen Aschenkreis, vor das Gericht der Steppe«, in dem die rachsüchtigen, zornigen Steppenbewohner in zyklische Ausrufe ausbrechen: »Er ist der Kobalt! Der Kobalt! Aufhängen! Totschlagen! Lebendig begraben! Aufhängen!«.332 Die Dämonisierung eines blinden technologischen Impulses, der sich gegen die Menschheit wendet, ist sicher eine der bevorzugten Warnungsstrategien des apokalyptischen Atomdramas. Auch Bölls Stück Ein Schluck Erde spielt nach der Zerstörung der Zivilisation durch einen Atomkrieg. Hier leben die Überlebenden auf einer schwimmenden Plattform, einer Art künstlichen Insel, die zum Ort einer umgekehrten Utopie wird. Der Menschheit weissagt der Schriftsteller ein dunkles Geschick: Nachdem auch die letzten Erdkörner unter Wasser verschwunden sind, verzehren sich seine arglosen Protagonisten vor Sehnsucht nach einer vergangenen, erloschenen Welt, deren prosaische Relikte – Kühlschränke, Konservendosen, Fernsehapparate – das naive ›Krestenvolk‹333 kindlich neugierig und begierig vom Meeresboden hochholt. Der Titel sendet eine eindeutige Botschaft aus: früher oder später wird es Menschen ›ohne Erde‹ geben. Daher sehnen sich Bölls Protagonisten wortwörtlich nach einem ›Schluck Erde‹, eine allzu konkrete Metapher für die einfachen, doch leckeren Bissen, die die Zukunftsmenschen, nostalgisch und mühsam, pausenlos aus dem Meer der Vergangenheit filtern. Eine dystopisch-apokalyptische Zukunftsvision stellt auch das im Weltall spielende Hörspiel Das Unternehmen der Wega dar, in dem sich Dürrenmatts langjähriges Interesse am Themenfeld ›Atombombe/Kalter Krieg‹ ankündigt, das Jahre später in das Bühnenstück Die Physiker münden sollte. Durch sein bitteres Ende, die Auslöschung der Venusbewohner durch den Einsatz einer Wasserstoffbombe, signalisiert das Unternehmen der Wega nicht nur das Versagen aller diplomatischen Beziehungen in der für den Kalten Krieg konstitu331 Ebd., S. 21. 332 Ebd., S. 11. 333 Im Unterschied zur Gruppe der ›Wisser‹ und ›Wisserinnen‹ gehören die ›Kresten‹ im Stück zur untersten Klasse, die von den ›Wissern‹ drangsaliert wird. S. Teil II, Abschnitt 65.

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tiven Welt der Spaltung und der Gegensätze, sondern darüber hinaus die Unausweichlichkeit des Nuklearuntergangs: »Nun sind die Bomben gefallen, und bald werden sie auch auf der Erde fallen«.334 Dürrenmatt lässt keinen Zweifel daran, dass Städte und Länder, eingezwängt zwischen konkurrierenden Atommächten, von Atombomben völlig ausradiert werden. In der Vielfalt von Ausdruckskombinationen, die sich im Komplex Katastrophe und Apokalypse antreffen lassen, prägt das Erlebnis der Terminalität, die wir schon bei Gottschalk und Kowalzig konstatiert haben, Sprache und Inhalt vieler Atomdramen unverkennbare Züge auf. In Wolfgang Weyrauchs Hördrama Vor dem Schneegebirge präsentiert sich der Grenzwächter Kiderlen, der von seinem einsamen Posten aus über den Ausbruch einer neuen Eiszeit im Zeitalter des totalen Atomkriegs berichten soll, als »der letzte Mensch«.335 Ein unermessliches Ereignis wird gleich zu Beginn angekündigt, etwas, »was entsetzlicher ist als alles, was bisher passiert ist«. Bei der Schilderung des Unfassbaren, das im Stück mit allen Merkmalen der apokalyptischen Grenzüberschreitung charakterisiert wird, spielt das refrainartige Motiv des ›letzten Menschen‹ eine strukturbestimmende Rolle: »Ich bin der letzte Posten«, erzählt Kiderlen, »ich bin der letzte Augenzeuge. Ich bin der letzte Berichterstatter«. Metatextuell stellt der Mann am Hörspielschluss fest, wie in dieser Grenzerfahrung jeder materielle und immaterielle Kontakt, jede Brücke zum Leben abgebrochen, jedes Radio verstummt, jeder Kommunikationskanal für immer verschlossen ist. Noch radikaler ist die Symbolik der Liminalität in Alfred Gongs satirischem Endzeitdrama Zetdam, in dem die Protagonisten selbst, die in ihrer unterirdischen Unterkunft segregiert leben, als bloße Chiffren für den Weltuntergang stehen. Ihr ›residualer‹ Charakter, der Charakter des Bald-nicht-mehrSeins, liegt schon in der Initiale ihrer Namen, Zetdam, Zophia, Zilli, Zyx, ZillZoll-Zulluchen, die eine den gesamten Text prägende Konnotation des Endes gewinnt: Das ›Z‹ als apodiktisches Zeichen der Endkatastrophe, des Schlusspunktes, an dem die Menschheit – seit A-dam, über die Reihenfolge ihrer misslungenen B-dam, C-dam usw. bis zu ihrem allerletzten Vertreter Zet-dam – angelangt ist. Bedeutsam ist dabei, dass gerade der im Grunde ›temporale‹ Begriff des Endes im endzeitlichen Diskurs eine räumliche Situierung und eine narrative Strukturierung durch die topographische Verortung der Handlung in Grenzräumen erhält – z. B. Weyrauchs Schneegebirge »am Ende der Welt«,336 Hans Friedrich Kühnelts Wüste, Heinrich Bölls Wasserplattform, Alfred Gongs Bun334 Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega (Anm. 273), S. 124. 335 Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge (Anm. 283), S. 468. Dort auch das folgende Zitat. 336 Ebd., S. 469.

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ker : Darin kann die Darstellung bis zum Äußersten getrieben werden. Eine metaphorische Verräumlichung des Endes durch extreme Räume findet sich auch in den zwei Katastrophendramen von Hilde Rubinstein, Null Uhr Null und Tiefgefrorenes Reh. In dem ersten, nicht veröffentlichten Werk verlegt die Autorin das Geschehen in eine vage Zukunft, in der ein Atombombenabwurf die imaginäre Stadt Menehat ausradiert hat. Dabei wählt sie bereits für den Dramentitel die symbolische Ziffer der irreversiblen Nullifizierung. Die Konfrontation mit einer nunmehr versunkenen Vergangenheit erwächst in der Fabel aus dem Wunsch des Protagonisten, in der radioaktiven Stadt seine verschollene Mutter zu finden. Dadurch koinzidiert auch hier die Suche nach der vermissten Mutter mit der Sehnsucht nach dem verloren gegangenen Ursprung der Natur. Ein der Natur entgegengesetztes Modell von anorganischem Leben tritt in Menehat auf, wo alles »Stilleben […], nature morte. Mehr morte als Natur«337 ist. In Tiefgefrorenes Reh kehrt der für die Genretypologie charakteristische Topos des Bunkers in dem geschlossenen Raum unter der Erde wieder, wo sich vier Familien nach der Atomkatastrophe verkrochen haben. Auf diese Weise tragen sie selbst zu ihrer gegenseitigen Zerstörung bei. Wie schon Alfred Gong, so wirft auch Rubinstein einen schonungslosen, indiskreten Blick in das Innere der Familie, um die Parallele zwischen der Auflösung privater Verhältnisse und dem allmählichen, doch unaufhaltsamen Zerfall der äußeren, Amok laufenden Welt zu ziehen: Im Crescendo entfaltet sich die atomare Katastrophe, die mit dem progressiven Verfall einer brutal gewordenen Humanität einhergeht.

2.6

Naturwissenschaftsdramen

Dieser Technikpessimismus, der die Zivilisation verteufelt und die ›unschuldige‹ Natur verherrlicht, diese Dämonisierung der Wissenschaft, die als eine dem Menschen feindliche Macht angesehen wird und einen dominanten Zug in der Entwicklung des Katastrophendramas bildet, führt uns auf die hegemoniale Kategorie zurück, die hinsichtlich der Datenzahl und der Komplexität der Variablen das dichteste Cluster im MDS-Diagramm bildet. In nicht zufälliger Nähe zu den Items VM (Motiv der Verantwortung der Wissenschaft), W (Wissenschaftlerfigur), PK (Konflikt zwischen Politik und Ethik), FM (Formelmotiv) und AN (Anwendungen der Atomenergie) befindet sich eine große Zahl von Texten, die den Wissenschaftskomplex unter dem Aspekt der politischen Rolle der Physik in der Nachkriegszeit und zur Zeit des Kalten Kriegs anschaulich darstellen. Der untere rechte Teil der folgenden Skalierung enthält nämlich 337 Hilde Rubinstein: Null Uhr Null (1965). In: Hilde-Rubinstein-Archiv. Akademie der Künste Berlin. Signatur : Rubinstein 17, S. 77.

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Werke (Abk. Legende 2) innerhalb des Themenfeldes, das eine der repräsentativsten Richtungen des Atomtheaters monopolisiert: das auf Rolle und Verantwortung des Forschers aufgebaute Naturwissenschaftsdrama.

Abb. 5: Multidimensionale Skalierung: Wissenschaftskomplex

Die Hördramen und Bühnenstücke, die von dieser Problematik inspiriert sind, bieten ein umfassendes Spektrum an inhaltlichen und dramaturgischen Darstellungsweisen. Die Hauptpersonen sind hier Wissenschaftler, größtenteils Kernphysiker, die entweder schuldbewusste Erfinder oder unempfindliche Wissenschaftseiferer sind. Je nachdem, ob sie im Namen ihres Gewissens auf Forschung und Karriere verzichten oder im Übermut ihre frevelhaften Pläne bis

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Einleitung und Themenstellung

zum Ende durchführen, lassen sie an einen moralisch zerrissenen Helden oder eher an einen unmoralischen Antihelden denken. Jedenfalls stellen sie eine zahlenmäßig recht ansehnliche Gruppe dar. In der folgenden Tabelle werden nur die Texte aufgelistet, in denen historische oder fiktive Wissenschaftler als Hauptfiguren agieren. Interessanterweise machen sie etwa 38 % der Gesamtproduktion zum Atombombenthema aus. Tab. 4: Liste der Wissenschaftlerfiguren als Protagonisten Stück

Autor

Protagonist

Curt Langenbeck

Der Phantast (1948)

Prof. Brückmann

Rudolf Freese Otto C. A. zur Nedden

Das stärkere Gesetz (1948)

OKH-Physiker Hollberg (Oberkommando des Heeres) Alfred Nobel

Maximilian Scheer

Und Berge werden versetzt (1949)

Gerhard Tr. Buchholz

Reich Gottes auf Erden (1949)

Prof. Lerner Dr. Barbara Calmar Dr. Tom Mac Intire Prof. Lanka

Matthias Josef Weiss Christian Bock

Gebündelte Strahlen (1950)

Guglielmo Marconi

Gebt acht auf die Welt! (1950)

Dr. Clemens

Gerhard W. Menzel Maximilian Scheer

Der Ruhm Frankreichs (1950)

Fr. Joliot-Curie

Paris, den 28. April (1950)

Fr. Joliot-Curie

Kurt Becsi

Atom vor Christus (1951)

Julius Hay

Energie (1952)

Präsident Lindsay (Vorstand Kernphysiker Cambridge) Nobelpreisträger Pereszl8nyi Prof. Bakonyi

Ilse Langner

Cornelia Kungström (1955)

Bertolt Brecht

Leben des Galilei (1955–1956)

Carl Zuckmayer Alfred Gong

Das kalte Licht (1955)

Bertolt Brecht Willy Grüb

Leben des Einstein (Nachlass, 1955–1956) Der Fall Dynamit (1956)

Das Testament des Friedens (1948)

Die Stunde Omega (1955)

Nobelpreisträgerin für Biologie Prof. Dr. Kungström Galileo Galilei Deutsch-englischer Atomphysiker Klaus Fuchs Pan, Hirte, früher Prof. Gant Albert Einstein Englischer Atomphysiker Allan Nunn May

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Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

((Fortsetzung)) Stück

Autor

Protagonist

Willy Grüb

Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs (1956)

Deutsch-englischer Atomphysiker Klaus Fuchs

Willy Grüb

Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (1956) Die Familie von Nevada / Makabah (1958)

Italienischer Atomphysiker Bruno Pontecorvo Dr. Cricot Forschungsinstitutschef Greppi

Hedda Zinner Hans Henny Jahnn

Auf jeden Fall verdächtig (1959)

Prof. Pieper

Die Trümmer des Gewissens (Nachlass, 1959)

Dr. Chervat (Präsident einer Forschungsgemeinschaft)

Friedrich Dürrenmatt

Die Physiker (1962)

Paul Bühler

Der Wagenlenker. Drama eines Atomforschers (1963)

Möbius Newton/Kilton Einstein/Eisler Prof. Funk

Dieter Rohkohl Heinar Kipphardt

Das unsichtbare Gepäck (1964)

Armin Stolper Helmut Schilling

Zwei Physiker (1965)

Günther Weisenborn

In der Sache J. Robert Oppenheimer (1964)

Dr. Shellac (Forscher am Kellogg-Institut) J. Robert Oppenheimer

Experiment Ren8 (1966)

Sowjetischer Physiker Tulin Sowjetischer Physiker Krylow Physiker Ren8 Daguet

Frank Zwillinger Karl Mickel

Kettenreaktion (1972)

Historische Physikerfiguren

Einstein (1974)

Albert Einstein

Ernst Schumacher

Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität (1975)

Einstein und weitere historische Physikerfiguren

Die in der Tabelle aufgeführten Wissenschaftlergestalten bilden in der Variationsbreite ihrer Erscheinungen und in der typologischen Auffächerung ihrer Charaktere eine zwar facettenreiche, jedoch insgesamt durch die Konstante einer gewissen seelischen Ambiguität geprägte Figurengruppe. Freilich gibt es die Guten und die Bösen, die Kaltblütigen und die Unentschiedenen, die Reuigen und die Übermütigen, die Ehrenhaften und die Verräter, aber der Typ des in sich gespaltenen, mit sich in Widersprüchen lebenden Forschers ist unter ihnen bei weitem vorherrschend. Unter den Wissenschaftlerfiguren, die sich in die große Schar der Physiker einreihen, die in einen tragischen Konflikt mit ihrem Bewusstsein geraten, sind viele von vornherein als Opfer des politischen Systems prädestiniert. Für die-

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Einleitung und Themenstellung

jenigen, die standhaft und kompromisslos in ihrer Haltung bleiben, kommt es meist zu einem negativen Ausgang: Wissenschaftler werden verhaftet, wie Professor Hollberg in Rudolf Freeses Drama Das stärkere Gesetz, Professor Piper in Hedda Zinners Auf jeden Fall verdächtig oder die wirkliche Figur des Physikers Salomon in Gerhard W. Menzels Dokumentarhörspiel Der Ruhm Frankreichs. Manchmal werden sie getötet, wie Lindsay in Kurt Becsis apokalyptischem Drama Atom vor Christus, oder sie töten sich selbst wie die Protagonisten der Stücke Die Familie von Makabah von Günther Weisenborn, Gebt acht auf die Welt! von Christian Bock und Die Trümmer des Gewissens von Hans Henny Jahnn. Manchmal feiert das Dramenende mit großem Pathos die Modalität des Helden- und Opfertodes des Wissenschaftlers. Der ›Passagier Sieben‹ in Helmut Schillings gleichnamigem Drama opfert z. B. sein Leben, um den von ihm selbst erfundenen Sprengkörper auf einem weit entfernten Boot detonieren zu lassen, dadurch die Menschheit vor dem Untergang zu retten und seine eigene Vergangenheit zu rehabilitieren. Andere Physiker hingegen begnügen sich damit, die Nuklearforschung aufzugeben, und ziehen sich resigniert zurück. Der Verzicht auf Wissenschaft fungiert als Handlungsparadigma in mehreren Atomdramen, so bei Rudolf Freeses Kernphysiker Hollberg (Das stärkere Gesetz), bei Alfred Gongs Professor Gant (Die Stunde Omega), der als einsamer Hirte lebt, bei Friedrich Dürrenmatts Möbius, der sich in einer Irrenanstalt versteckt, bei Heinar Kipphardts Oppenheimer, der schließlich zur Forschung zurückfindet und »fernerhin an Kriegsprojekten nicht arbeiten«338 wird. In vielen solcher Fälle greifen, wie wir noch sehen werden, die der Verlockung der Physik entsagenden Wissenschaftler aus Verzweiflung und Skepsis gegenüber dem Menschengeschlecht zum dramaturgischen Mittel der Vernichtung ihrer Erfindung, d. h. der im ganzen Genre topisch gewordenen Formelverbrennung. Um das Schicksal der Wissenschaftler kreist und strukturiert sich auf mehrfache Weise der dramatische Plot: Um ihnen Geheimnisse zu entlocken und sie für ihre Dienste anzuwerben, werden von Politikern Intrigen geschmiedet, wie z. B. von Hans Henny Jahnns Regierungskommissar Sarkis (Die Trümmer des Gewissens), Friedrich Dürrenmatts Minister Wood (Das Unternehmen der Wega) und Friedrich Gentz’ ›Herrn vom Ministerium‹ (Pilot Herzog). Finstere Ränke werden auch von Günther Weisenborns Staatssekretär Nabokow (Die Familie von Makabah) und Curt Langenbecks Staatssekretär Kliff (Der Phantast) eingefädelt, um die zwei ›schwachen‹ Physiker Jönsson und Kreiss auf die Seite der Macht zu bringen. Neben den käuflichen Physikern, die Ruhm, Profit und Prestige nachjagen und sich deshalb leicht bestechen lassen, gibt es aber auch die Rechtschaffenen, die oft mit den Attributen des wider338 Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. 176), S. 109.

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ständigen Ideenpuristen ausgestattet sind. Ein solcher ist per definitionem Professor Brückmann, der paradigmatische ›Phantast‹ in Curt Langenbecks gleichnamigem Stück. Auch bei dem Atomphysiker Stanislaw Grib in Julius Hays Energie verbindet sich mit der Liebe zur reinen Forschung die totale Absage an ihre Hybris. Natürlich leiden diese Wissenschaftler sehr unter den Folgen ihrer Spaltung und natürlich stehen die Autoren meistens auf der Seite ihrer gequälten, manchmal verstörten und verwirrten Helden, die sie als quasi unschuldig darstellen. Auf dieser Quasi-Unschuld ist die Handlung vieler Dramen aufgebaut. Manche Physiker lassen sich ahnungslos manipulieren – wie der scheinbar irre Möbius bei Friedrich Dürrenmatt –, oder sie unterliegen der Skrupellosigkeit von Schülern, die keinen Augenblick zögern, ihnen die allvernichtende ›Formel‹ zu entwenden. Das gilt beispielsweise für Jenseits der Angst von Hans JosH Rehfisch, wo sich Brantig verabscheuenswert gegenüber seinem ehrwürdigen Mentor Severin verhält, sowie für Langenbecks ›Phantasten‹, der von seinem eigenen Assistenten enttäuscht ausruft: »mein Schüler hat sein Wort gebrochen und mich verraten«.339 Doch ab und zu finden sich unter den Physikern auch trotzige, strebsame Fanatiker, die unempfindlich gegen jeden Versuch der jüngeren Wissenschaftler sind, sie zur Einsicht zurückzuführen; eine Modalität des Generationenkonflikts, der in mehreren Texten nur leicht verändert auftaucht: als Lehrer-SchülerVerhältnis oder als explizite Vater-Sohn-Relation. Man denke hier nur an den Streit zwischen Lord Lindsay und seinem ›guten‹ Assistenten Campell in Kurt Becsis Atom vor Christus, an den Gegensatz zwischen alten und jungen Physikern in Karl Mickels Einstein oder an den Konflikt zwischen Professor Lankas »frommer Metaphysik« und Dr. Ramuz’ »physikalische[er] Unfrommheit«340 in Gerhard Traugott Buchholz’ Reich Gottes auf Erden. Ebenfalls präsent sind in den Werken kriegswütige, atomwaffenbegeisterte Väter, die von ihren nüchternen, verantwortungsbewussteren Kindern bekämpft werden, so bei Hans Henny Jahnn der Physiker Chervat, dessen Sohn Elia sich ihm entgegenstellt, oder Kurt Becsis Lindsay, dessen zwei Kinder gleichzeitig seine Todfeinde sind. Was in allen diesen Varianten der Wissenschaftlerfigur unter Anklage steht, ist aber nicht so sehr der Wissenschaftler an sich, sondern die Konzeption eines rein instrumentell und technisch bestimmten Charakters der Wissenschaft. Das Dilemma der außerwissenschaftlichen Folgen von Forschungserkenntnissen, das transversal das gesamte Textkorpus durchzieht, gestaltet sich demgemäß in den zu Beginn dieses Abschnitts genannten Schwerpunkten wie Verantwortungsmotiv (VM), Konflikt zwischen Politik und Ethik (PK) und Formelmotiv 339 Curt Langenbeck: Der Phantast (Anm. 30), S. 92. 340 Gerhard Traugott Buchholz: Reich Gottes auf Erden. Schauspiel in zwei Zeiten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin [1949], S. 44.

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(FM). Aber in allen unterschiedlichen Dimensionen des Komplexes thematisiert das naturwissenschaftliche Drama immer wieder die alles übergreifende Frage nach den Grenzen der Physik: Wo endet die Aufgabe des Wissenschaftlers und wo beginnt die der Politik?

2.6.1 Wissenschaft und Schizophrenie Den meisten Wissenschaftlertypologien gemeinsam ist die ambivalente Macht der ›Versuchung des Forschers‹, wie sie Schumacher im Titel seines Dramas nennt. Sie repräsentiert jene Hybris der Wissenschaft, die gerade deshalb auch Grund für das Ausgeliefertsein des Menschen an deren zerstörerisch wirkende Folgen ist. Solche Ambivalenz bedingt bei den Physikerfiguren, die sich am Bau der Atombombe aktiv beteiligt haben oder sich mit der Entwicklung von Nuklearenergie weiter befassen, entweder eine tiefsitzende leidvolle Gespaltenheit des Bewusstseins oder den maßlosen, arroganten Dünkel des Größenwahns. Der erste Typus, der zerrissene Wissenschaftler, erfährt im Atomdrama vielschichtige Ausprägungen, die freilich von Stereotypen nicht immer frei sind. Bei einigen Gestalten zeigt sich ein eindeutig positiv konturiertes Bild der Berufung, aber auch schon das Bewusstsein einer Krise der zeitgenössischen Wissenschaft, die im Zeitalter der Atombombe nicht mehr in der Vorstellung eines reinen, idealisierten Denkens verankert sein kann. Erkenntnisdrang und Verantwortung lösen deshalb im Wissenschaftler unheilbare Gegensätze aus. Sie rufen eine seelische Spaltung hervor, als deren ›infernalisches‹ Korrelat die von ihm entdeckte Kernspaltung erscheint. »Ich weiß nicht, ob ich darf, ich weiß nicht, was ich nicht darf … Was ist Pflicht, was ist Wille, was ist Bestimmung?«, fragt sich verzagt Zuckmayers Fuchs/Wolter, um dann verbittert festzustellen: »Alles spaltet sich auf – wie unter einem infernalischen Strahlenbeschuß«.341 In symbolischer Bedeutung wird gerade der Spaltungsbegriff, der eines der bestimmenden Merkmale der Kernphysik bezeichnet, für den unaufhaltsamen Prozess der Korrosion auch im emotionalen Bereich verwendet. Oft transferieren die Autoren die zentrale Problematik der Spaltung in physikalischen Vorgängen auf der inhaltlichen Ebene der Dramen in die der Auffächerung von ethischen und sozialen Bezugssystemen. Die Kettenreaktion bringt eine Proliferation von negativen Zuständen mit sich, die das Atomdrama in Prozessen atomarer Zerstörung thematisiert. Wie der zynische General in Hans Joachim Hohbergs Drama Die Wüste in einem Gespräch mit dem Colonel beobachtet, gehen »an dieser Bombe offenbar noch mehr kaputt, als Sie bis zu diesem Augenblick ahnten. Denn sie zerstört in weitreichender Kettenreaktion sogar 341 Carl Zuckmayer: Das kalte Licht (Anm. 173), S. 55.

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Existenzen, die ich davor sicher glaubte, einfach so auf wirklich lächerliche Weise annulliert zu werden«.342 In solcher ›Kettenreaktion‹ liegt aber auch die besondere Energie, mit der die Naturwissenschaftsdramen aufgeladen sind, das Potential, das oft die Handlung selbst in Gang setzt und sie vorantreibt. In Frank Zwillingers Kettenreaktion implizieren schon die Titel der vier Zyklen, aus denen das Werk besteht, die metaphorische Übertragung der physikalischen Umwandlung in einen anderen – individuellen und sozialen – Code: Atomspaltung, Weltspaltung, Spaltung der Seelen, Spaltung der Herzen. Von der Spaltung des Atoms ist es nur ein kleiner Weg zur Spaltung der Gesellschaft und zur zweiflerischen Seelenspaltung der Physiker. Zwillinger dringt in seinem Werk in die Tiefen der Gewissenskrise des modernen Wissenschaftlers vor und stellt sich schließlich der Finsternis einer Welt, die infolge des »Zusammenwirkens vielfacher Kraftfelder […], darin sich die einzelnen Menschen wie ›Die Blinden‹ Pieter Breughels gebärdeten«,343 progressiv vernichtet wird. In Ernst Schuhmachers Versuchung des Forschers grübelt Einstein über die Folgen der ›Atomisierung‹ des Gewissens. Auffällig ist auch hier die Bedeutungserweiterung der technischen Begriffe ›Spaltung‹ und ›Atom‹ auf die private Sphäre der menschlichen Schuld, wo Atom- und Gewissensspaltung explizit ineinander überlaufen: »Wir haben ihnen die Atome gespalten«, gibt Einstein fatalistisch zu, »sie unser Gewissen«.344 Der ›gespaltene‹ Wissenschaftler der deutschsprachigen Atomdramen macht sich natürlich Gedanken darüber, welche verheerenden Konsequenzen sein Handeln für die Welt haben wird, kann sich jedoch der Faszination der Technik, dem »idealistischen Machtrausch«345 der Forschung – wie Gerhard Traugott Buchholz’ Held, der Physiker Lanka, dies nennt – nicht entziehen. Meistens gesteht er sein Versagen ein, indem er es in den Zusammenhang des zum Topos gewordenen Gegensatzes zwischen Begeisterung und Entsetzen rückt. Der Atomforscher Clemens, der in Christian Bocks Hördrama Gebt acht auf die Welt! Selbstmord begeht, ist in diese Mechanismen des Rausches verstrickt und sich dieser Verstrickung auch wohl bewusst. Er gibt seine fast fieberhafte Begeisterung für die neuen Entdeckungen zu, die erst später in Abscheu übergegangen sei: »Als ich diese Formeln gefunden hatte, […] da tat ich es zuerst mit dem Fieber, das einen Forscher überfällt, wenn er sich ganz nahe vor etwas unerhört Neuen sieht. – Dann, mit der Zeit, wurde es anders. Ich fing an, mich vor diesen Formeln zu entsetzen«.346 Schizophrenie ist in diesem Zusammenhang einer der treffendsten und im Kontext der reuegeplagten Physikerfiguren wohl meistbe342 343 344 345 346

Hans Joachim Hohberg: Die Wüste (Anm. 264), S. 54. Frank Zwillinger : Kettenreaktion (Anm. 278), S. 351. Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 58. Gerhard Traugott Buchholz: Reich Gottes auf Erden (Anm. 340), S. 47. Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (Anm. 281), S. 20–21.

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nutzten Begriffe für die innere Zerrissenheit und die Dissoziation des Beruflichen vom Ethischen. Pate stand hier der reale Physiker und Geheimagent Klaus Fuchs, der 1950 in seinem Geständnis gegenüber dem britischen MI5-Beamten William Skardon den besonderen psychischen Zustand, in den er als Kernwissenschaftler geraten sei, folgendermaßen umschrieb: »Wenn ich jetzt darauf zurückschaue, scheint mir, daß es am besten zu erklären ist, wenn ich es eine kontrollierte Schizophrenie nenne«.347 Schizophrenie ist also das Stichwort, das Fuchs lancierte und das im Atomdrama immer wieder fällt. Zuckmayer beruft sich im Nachwort zu seinem Fuchs-Drama ausdrücklich darauf, indem er gerade die oben erwähnte Formulierung zitiert und sie als »Kapazität, auf zwei Seiten zu navigieren«,348 qualifiziert. Auch Grüb greift in seinem Atomverratsstück über Fuchs diese »Art bewusster Schizophrenie«349 wortwörtlich auf und profiliert sie als Schlüssel zum Verständnis des modernen Physikers, »der sich von der beherrschenden Hälfte seines Ich dazu verleiten liess, Dinge zu tun, die er mit der anderen Hälfte dieses Ich ganz klar als Unrecht erkannte«.350 Und als bei Kipphardt der Anwalt Robb die Tendenz der Wissenschaftler moniert, »das Ding zu machen, die Ziele auszusuchen, die Zündhöhe zu bestimmen und dann über den Folgen in moralische Skrupel zu fallen«, sieht dies Oppenheimer als »die Art von Schizophrenie, in der wir Physiker seit einigen Jahren leben«.351 Besonders bei Kipphardt findet sich übrigens eine ganze Reihe von Aussagen, die in diese Richtung weisen und nach dem oppositiven Schema ›einerseits/andererseits‹ angelegt sind. Der moderne Wissenschaftler schwankt zwischen »Vermessenheit« und »Sünde«,352 ist »wissenschaftlich begeistert und menschlich tief erschrocken«,353 findet zwar »die wissenschaftlichen Ideen zur Herstellung einer Wasserstoffbombe verführerisch und wundervoll«, aber »das mögliche Ergebnis, die Wasserstoffbombe, abscheulich«. Wiederholt – und sprachlich kaum differenziert – beteuert Oppenheimer, er habe nach dem Abwurf der ersten

347 Zit. in Margret Boveri: Der Verrat im 20. Jahrhundert (Anm. 221). Bd. 4: Verrat als Epidemie: Amerika (1960), S. 223. Vgl. dazu auch Michael Goodman: Who Is Trying to Keep What Secret From Whom and Why? MI5-FBI Relations and the Klaus Fuchs Case. In: Journal of Cold War Studies 7 (2005), 3, S. 124–146, und Ronald Friedmann: Der Mann, der kein Spion war: das Leben des Kommunisten und Wissenschaftlers Klaus Fuchs. Rostock 2005, besonders S. 257–272. 348 Carl Zuckmayer: Nachwort zu: Das kalte Licht (Anm. 173), S. 243: »Der historische Fuchs erklärte seine Kapazität, auf zwei Seiten zu navigieren, recht fadenscheinig als eine Art von ›kontrollierter Schizophrenie‹«. 349 Willy Grüb: Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs (1956). Manuskript: Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/7, S. 44. 350 Ebd. 351 Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. 176), S. 14. 352 Ebd., S. 16. 353 Ebd., S. 68. Dort auch das folgende Zitat.

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Bombe »schreckliche moralische Skrupel gehabt«,354 die ihn vor dem weiteren Bau der ›Super‹, der Wasserstoffbombe, zurückschrecken ließen, räumt jedoch unumwunden ein, dass er 1951 hinsichtlich des Super-Programms »von den sehr verlockenden wissenschaftlichen Ideen begeistert«355 gewesen sei. Durch Oppenheimers wiederholten Rekurs auf den Terminus ›Skrupel‹ wird aber nicht nur das Begriffsfeld ›moralisch‹ hinterfragt, sondern auch dessen Relevanz einigermaßen relativiert. Damit stößt man auf die evidentesten Widersprüche der Wissenschaftsfunktion, die sich in eine passive, ›desengagierte‹ Position zurückzieht und sich jeder Verantwortung enthoben glaubt. »Wir sind in den Wissenschaften jenseits von gut und böse«,356 behauptet bei Langenbeck der hemmungslose Physiker Dr. Kreiß. Auch Kipphardts Protagonist beansprucht für die Physikerkategorie eine Art moralische Immunität: Brüsk fordert er den Staatswalt ausdrücklich auf, »die Kategorie des Moralischen«, weil verwirrend, »wegzulassen«.357 An sich selbst sieht er allerdings trotz aller Skrupel »keine Schuld«.358 Denn auch für ihn, ebenso wie für die ansehnliche Schar von Wissenschaftlern, die seiner Typologie folgten, tut sich eine regelrechte und definitive Kluft zwischen der Idee und deren perversen Anwendungsmöglichkeiten auf. Wie es bei Rehfisch lapidar heißt, sind Kernforscher »seelisch nicht vorbereitet, ihre Arbeiten praktisch genutzt zu sehen«.359 Ins Visier genommen wird dabei insbesondere die Diskrepanz von Theorie und Produkt, von Erkenntnis und Ergebnis, welche zu jenem Prozess des Sich-unabhängig-Machens von der Erfindung führt, den Dürrenmatts Newton am Bild der Glühbirne einprägsam exemplifiziert: »Ich stelle nur aufgrund von Naturbeobachtungen eine Theorie […] auf. […] Dann kommen die Techniker. […] Sie stellen Maschinen her, und brauchbar ist eine Maschine erst dann, wenn sie von der Erkenntnis unabhängig geworden ist, die zu ihrer Erfindung führte. So vermag heute jeder Esel eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen – oder eine Atombombe zur Explosion«.360 Das Versagen des Forschers und seine Machtlosigkeit gegenüber der Verselbständigung der Erkenntnisse bei deren Anwendung in der Sphäre des Politischen und Militärischen betont nachdrücklich auch Oppenheimer : »Es ist nicht die Schuld der Physiker«, verteidigt er sich vor dem Sicherheitsausschuss, »daß gegenwärtig aus genialen Ideen immer Bomben werden«.361 Interessanterweise ist es gerade diese selbstrechtfertigende Bemerkung, 354 355 356 357 358 359 360 361

Ebd., S. 13. Ebd., S. 67. Curt Langenbeck: Der Phantast (Anm. 30), S. 6. Ebd., S. 65. Ebd., S. 108. Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 13. Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (Anm. 110), S. 22. Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. 176), S. 68.

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die noch viele Jahre später in Schumachers Atomdrama auftauchen sollte. In der Versuchung des Forschers legt sie der Autor wortwörtlich in den Mund von Linus Pauling: »Es ist nicht die Schuld der Physiker«, sagt hier Pauling, »daß gegenwärtig aus genialen Ideen immer Bomben werden. Solange das so ist«, fügt aber Pauling hinzu, dabei Kipphardts Oppenheimer leicht variierend und erweiternd, »kann man von einer Sache wissenschaftlich begeistert und als Bürger dieses Landes, nein dieser Welt zutiefst erschrocken sein«.362

2.6.2 Der gottnahe und der gottferne Physiker Der Zwiespalt des Kernwissenschaftlers, das Schwanken zwischen der faszinierenden Kühnheit der Idee und der Einsicht in die fatale Tragweite der Erfindung, das das gesamte Korpus der Atomdramen durchzieht, erfährt aufgrund der Komplexität und Bedeutungsvielfalt der Thematik differenzierte Realisierungen, die den Akzent auf entsprechend differenzierte Aspekte legen. Die Bewusstseinsspaltung, die so viele Physiker in ihrem Inneren erleben, verselbständigt sich in gegensätzlich-komplementär angelegten Gestalten – dem gottähnlichen und dem gottverlassenen, dem exaltierten und dem verzweifelten Wissenschaftler –, die allerdings voneinander nicht immer scharf abzugrenzen sind. Alle überspannt, alle von der Suche nach der großen, monistischen Formel, dem »System aller möglichen Erfindungen«,363 der »Weltformel«, der »Superformel«364 besessen, alle entschlossen, den Geist der Wissenschaft um keinen Preis zu verraten, verkörpern sie eine ganze Skala hochtypischer – und doch unterschiedlicher – Eigenschaften des Wissenschaftlers, vom Übermut bis zur Zerknirschung, vom Narzissmus bis zur Selbstanklage, vom Machtstreben bis zum Wahnsinn. Auffallend an den literarischen Gestaltungen der Figur des Physikers in den Atomdramen ist zunächst die Hervorhebung und in vielen Fällen auch die Bestrafung seiner Hybris. Die blasphemische Selbststilisierung zum gottesgleichen Schöpfer ist geläufig und dient den Autoren dazu, die Gefährlichkeit der Grenzüberschreitung herauszustellen und die Mahnung vor der Missachtung der göttlich oder natürlich gesetzten Schranken und vor dem, was da auf die Menschen zuzukommen droht, zu verstärken. Leitmotivisch begegnen in den Dramen die angestrebte Omnipotenz des Physikers, seine Illusion der Allmacht, sein »schöpferischer Rausch«365 und der Stolz darauf, sich eine Fähigkeit anzumaßen, die allein Gott zusteht: Sonnenenergie zu schaffen. Gott gegenüber hat 362 363 364 365

Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 53. Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (Anm. 110), S. 69. Daraus auch das folgende Zitat. Carl Zuckmayer: Das kalte Licht (Anm. 173), S. 90. Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 13.

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sich also dieser neue Typus des Wissenschaftlers etwas Großes zuschulden kommen lassen, dem Schöpfer hat er »die Kraft aus den Händen gewunden«,366 wie Gott selbst vor dem grandiosen Gericht anklagt, das in Ilse SchneiderLengyels Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! über Menschen und Götter gehalten wird. Auch im Zwischenspiel von Helmut Schwarz’ Drama Im Aschenregen wird der göttlichen »Kompetenz«367 die Stärke einer Wissenschaft entgegengesetzt, die das Weltall »bezwingen«, Krankheit, Alter und »sogar noch den Tod« »besiegen« will. Sich auf die göttliche Macht beziehend, erklärt hier hochmütig und fast spöttisch ein Strahlenbiologe: »Ich erlaube mir, Ihre Existenz zu bezweifeln, / Und setze uns, die Wissenschaft, an ihre Stelle. / Unerreicht noch ist manches, / Unerreichbar für immer – nichts«.368 Der Konflikt zwischen der Suche nach Erkenntnis und dem Argwohn gegenüber einer wissenschaftlichen Arroganz, die zugleich als Frevel und Sünde gilt, zieht sich durch die meisten naturwissenschaftlichen Dramen, die nicht zufällig viele Bezüge zum religiösen Wortschatz und viele christlich-religiöse Aussagen enthalten. Eines der prägnantesten Beispiele hierfür ist Oppenheimers berühmt gewordene und vielzitierte Reaktion im Moment des ›Dreifaltigkeitstests‹, des Trinity-Tests auf dem Versuchsgelände von Alamogordo in New Mexico, wo die erste Atombombe gezündet wurde. Dabei fällt dem Physiker eine eindeutig religiös gefärbte Erinnerung an den göttlichen Gesang der Hindus, die Bhagavadgita, gerade dann ein, als »das Licht aus tausend Sonnen« den Himmel durchbricht und er selbst sich als Spender von »Glanz« und »Tod«369 empfindet. Dieser immer wiederkehrende Topos des Wissenschaftlers, der sich als Schöpfer und Zerstörer gerieren kann, wird in den verschiedenen Argumentationszusammenhängen nuanciert dargestellt, bleibt aber in seinem konstitutiven Kern ziemlich konstant – was übrigens auch durch die geringe lexikalische Variabilität bestätigt wird, die sich dabei in Wiederholungen von Äußerungen und formelhaften Wendungen manifestiert. Nobels Aussage in Otto C. A. zur Neddens Wissenschaftlerdrama Das Testament des Friedens – »Ich fühlte mich wie Gott«370 – dürften wohl auch alle anderen Wissenschaftler der Atomdramen unterschreiben. Auf der Handlungsebene aber ergeben sich für diese Situation mehrere Möglichkeiten und Unterschiede, je nachdem, ob der Kernforscher seinem Schöpferdrang völlig entsagt, dem Götzen Wissenschaft abschwört und die eigenen Entdeckungen vernichtet oder ob der ›Gott spielende‹ Wissen366 367 368 369 370

Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt (Anm. 290), S. 31. Helmut Schwarz: Im Aschenregen (Anm. 295), S. 33. Ebd., S. 33–34. Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. 176), S. 72. Otto C. A. zur Nedden: Das Testament des Friedens. Ein Schauspiel um den Erfinder des Dynamits. Unverkäufl. Manuskr. Frankfurt a. M. 1948. Wieder abgedruckt: WuppertalBarmen 1973. Aus dieser Ausgabe wird im Text zitiert (hier S. 26).

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schaftler auf seiner schier infiniten Potenz beharrt und damit die ganze Menschheit in den Abgrund zieht. In die erste Typologie fallen viele der bereits erwähnten ›schizophrenen‹ Forscher, die noch mehr von Zweifeln gemartert werden, als sie ihrer Grenzüberschreitung innewerden und sie als schuldvolle Anmaßung auffassen. So erkennt z. B. Gongs Protagonist Gant, »der die moderne Physik revolutioniert hat«,371 im eigenen Verhalten jene Kombination von gottesnahem Übermut und wissenschaftlicher Besessenheit, die ihn – wie übrigens die meisten Physiker – scheitern ließ: »Mir war’s als schwebte ich über der Flut, höher und höher, über die Sterne hinaus, der letzten Lösung zu, die Formel findend, einfach und klar wie Gott«.372 Selten erscheint jedoch dieses ekstatische Machterlebnis, dieser »Wettbewerb mit dem Kosmos selber«,373 getrennt von der schmerzlichen Erfahrung einer substantiellen Fragilität des menschlichen Wesens. Auch Nobel, der sich rückblickend ebenfalls als »besessen«374 beschreibt, gesteht an der schon zitierten Dramenstelle auf der einen Seite ein maßloses Selbst- und Gottähnlichkeitsgefühl ein, auf der anderen Seite ergänzt er es durch das Bewusstsein einer ihn niederschmetternden Gottlosigkeit: »Ich fühlte mich wie Gott und war doch nie so gottlos wie in diesem Augenblick!«.375 Worte analogen Inhalts spricht Möbius-Salomo in Dürrenmatts Physikern aus. Seine »Kapitulation«376 als Vertreter einer gottlos gewordenen Wissenschaft, in der man »an die Grenzen des Erkennbaren gestoßen« ist, öffnet ihm den Blick für die eigene Verblendung und Vermessenheit: »meine Weisheit zerstörte meine Gottesfurcht, und als ich Gott nicht mehr fürchtete, zerstörte meine Weisheit meinen Reichtum«.377 Was in all diesen Formulierungen greifbar wird, ist die negative Besetzung eines als exzessiv wahrgenommenen Strebens nach Wissen, einer »Wissensgier«, wie Langenbecks Physiker Brückmann bedauert, »die der menschliche Geist nicht ohne zu freveln überschreitet«.378 Aber diese maßlose ›Gier‹ impliziert meistens bereits die gnadenlose Abrechnung mit der Hybris selbst. Es ist dies der Moment der Eitelkeit der Physiker, die in den antiatomaren Texten zum handlungstragenden Motiv gewählt wird. Es ist aber auch der Moment der Diagnose, die zu einem Befund des Scheiterns führt: Einem Ikarus gleich ist der Physiker »weit hinaufgestiegen, um Gott auszuforschen, um ihm gleich zu sein und ist heruntergestürzt, um ein Mensch zu werden«.379 371 Alfred Gong: Die Stunde Omega. In: Ders.: Die Stunde Omega / Um den Essigkrug. Zwei dramatische Werke aus dem Nachlass Alfred Gongs. Hrsg. von Bärbel Such. Bern 2007, S. 31. 372 Ebd., S. 33. 373 Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 24. 374 Otto C. A. zur Nedden: Das Testament des Friedens (Anm. 370), S. 24. 375 Ebd., S. 26. 376 Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (Anm. 110), S. 74. Dort auch das folgende Zitat. 377 Ebd., S. 87. 378 Curt Langenbeck: Der Phantast (Anm. 30), S. 13. 379 Hans Friedrich Kühnelt: Es ist später als du denkst (Anm. 330), S. 59.

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In dieser aufsteigenden und dann wieder absteigenden Parabel folgt der Erkenntnisdrang des vom Erfolg seiner Entdeckung berauschten Forschers oft einem faustischen Muster. Werner Heisenberg selbst hatte übrigens in seiner Rede über Das Naturbild Goethes und die technisch-naturwissenschaftliche Welt in der Faustfigur das Bild eines ›enttäuschten Physikers‹ erkannt,380 und nicht zufällig hatte Kipphardt auf die Signifikanz dieser Verbindung hingewiesen und im Oppenheimer-Stoff »die äußerst tragische Geschichte einer heutigen Faustfigur«381 aufgespürt. Die Parallele des dramatischen Strebens von Faust zum Schicksal des modernen Kernwissenschaftlers wurde im Atomdrama mehrfach betont. Beispielgebend ist in dieser Hinsicht Gustav Gründgens Faust-Inszenierung im Mai 1958. Wie Heinz Politzer in seiner Faust-Studie hervorhebt, ersetzte Gründgens »das ›hochgewölbte, enge gotische Zimmer‹ der Eingangsszene mit einem ›Glaskugelsystem, das dem Brüsseler Atomium‹ ähnelte«.382 Noch eindrucksvoller und für unseren Diskurs relevanter ist, dass die Regie bei der ersten Walpurgisnacht gerade jenen Atombombenpilz auf der Bühne aufleuchten ließ, der seit Bob Carons Mushroom-Cloud-Foto weltweit zur furchteinflößenden, zugleich faszinierenden und beklemmenden Medien- und Repräsentationsikone der neuen Waffe und deren wissenschaftlicher Herausforderung geworden war.383 Diese Übertragung des Faust-Mythos mit all seinen (oft dämonischen) 380 Werner Heisenberg: Das Naturbild Goethes und die technisch-naturwissenschaftliche Welt [1967]. In: Ders.: Schritte über Grenzen. Gesammelte Reden und Aufsätze. München 1989, S. 212: »Faust ist neben vielem andere[n] auch ein enttäuschter Physiker. […] Und diese ganze Welt der Chiffren und der Instrumente, jener unersättliche Drang nach immer weiterer, immer tieferer, immer abstrakterer Erkenntnis veranlaßt ihn, den Verzweifelnden, den Pakt mit dem Teufel zu schließen. Der Weg, der aus dem natürlichen Leben heraus in die abstrakte Erkenntnis führt, kann also beim Teufel enden. Das war die Gefahr, die Goethes Haltung der naturwissenschaftlich-technischen Welt gegenüber bestimmte. Goethe spürte die dämonischen Kräfte, die in dieser Entwicklung wirksam werden, und er glaubte, ihnen ausweichen zu sollen. Aber, so wird man vielleicht antworten müssen, so leicht kann man dem Teufel nicht ausweichen«. 381 Heinar Kipphardt: Brief an den Süddeutschen Rundfunk vom 6. September 1960. In: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. 176), S. 120. 382 Heinz Politzer : Vom Baum der Erkenntnis und der Sünde der Wissenschaft. Zur Vegetationssymbolik in Goethes Faust. In: Ders.: Das Schweigen der Sirenen: Studien zur deutschen und österreichischen Literatur (1968). Stuttgart 2017, S. 255. 383 Als Mitglied der Besatzung der B 29 Superfortress, die die Little Boy über Hiroshima abwarf, schoss Georg Robert »Bob« Caron mit einer Handkamera das weltbekannt gewordene Foto des aufsteigenden Atompilzes über der japanischen Stadt. S. dazu Christoph Hamann: Bilderwelten und Weltbilder. Fotos, die Geschichte(n) mach(t)en. Berlin 2001, S. 66; Ders.: Mushroom Cloud: George Caron, Hiroshima 1945. In: Praxis Geschichte 4 (2005), S. 54–56. Zu der Verbreitung des Mushroom-Cloud-Bildes als Ikone der Atombombe vgl. auch den fundamentalen Beitrag von Gerhard Paul: »Mushroom Clouds«. Entstehung, Struktur und Funktion einer Medienikone des 20. Jahrhunderts im interkulturellen Vergleich. In: Ders. (Hrsg.): Visual History : ein Studienbuch. Göttingen 2006, S. 243–264; Ders.: »Mushroom

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Aspekten des Strebens auf den Bereich der gegenwärtigen Physik ist in mehr oder weniger expliziter Weise in vielen Atomdramen vorhanden, obwohl sie nicht unbedingt in einer Verdammung des Wissenschaftlers gipfelt. In Ulrich Bechers Zauberposse Die Kleinen und die Großen, die den Stolz der Wissenschaft auf moderne Entdeckungen persifliert, wird die Figur des Gelehrten zwar in Verbindung mit der Kernspaltung gebracht, jedoch von den liliputanischen ›Hinzen‹ des Stücks eher als Inbegriff von Wissen und Weisheit gesehen: Die Spaltung als Prinzip alles Lebens sei immer schon wichtig gewesen, sie sei ja »das Alpha und Omega aller Kraft. […] Der Doktor Faustus wußte das. […] Auch das Atom zu spalten war Fausto geglückt; doch behielt er das Kunststück für sich«, weil er »ein Privatgelehrter ohne Ehrgeiz«384 war. Darin ist Bechers ironischharmloses Faustbild offensichtlich Lichtjahre vom Bild der macht- und profitgierigen Physiker anderer Atomdramen entfernt, in denen das ›Faustische‹ meistens für die Tragik des wissenschaftlichen Ehrgeizes schlechthin steht, für einen titanischen Trieb zu schrankenloser Macht. Der tückische Assistent Branting bei Hans Rehfisch spricht es unumwunden aus: »Macht ist der letzte Sinn der Wissenschaft«.385 Und diese Aussage wird wiederum durch faustische Leitbilder untermauert: Für Brantings Mentor, Severin, sei in einer so gemeinten Wissenschaft »ein faustischer Drang« deutlich spürbar, »getrieben vom dämonischen Durst nach Wissen und Macht«. Besonders verbreitet ist in der Faust-Wahrnehmung der antiatomaren Dramatik gerade dieses Paradigma des Dämonischen. Wie Ilona Stölken-Fitschen in ihrer Untersuchung zur geistesgeschichtlichen Bedeutung der Atombombe zutreffend herausarbeitet, ist der Physiker in der Literatur der Nachkriegszeit »der Faust des zwanzigsten Jahrhunderts, der sich auch noch im atomaren Zeitalter auf den Teufelspakt eingelassen hat«.386 Durch den Faust-Verweis legen also die Autoren den Finger genau auf die ›diabolische‹ Wunde der modernen Wissenschaft: den ›Teufelspakt‹ als zentrale Metapher für die Versuchung zur Entfesselung unbegrenzter Energien. Otto C. A. zur Neddens Nobel im Drama Das Clouds«. Bilder des atomaren Holocaust. 1900 bis heute. In: Ders. (Hrsg.): Bilder, die Geschichte schreiben. Göttingen 2011, S. 132–139. 384 Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen (Anm. 78), S. 315–316. 385 Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 29. Dort auch das folgende Zitat. 386 Ilona Stölken-Fitschen: Atombombe und Geistesgeschichte: Eine Studie der Fünfziger Jahre aus deutscher Sicht. Baden-Baden 1995, S. 221. S. dazu auch Herbert Knust: From Faust to Oppenheimer : The Scientist’s Pact with the Devil. In: Journal of European Studies XIII (1983), H. 1, S. 122–141. Auch in Italien tritt 1949 die Figur eines Physikers faustischer Ausprägung in Riccardo Bacchellis Atomdrama L’alba dell’ultima sera (Die Dämmerung des letzten Abends) auf, das offensichtliche Anklänge an Goethe aufweist. Die Handlung kreist hier um eine mephistophelische Wette. Die Hauptfigur ist der Atomwissenschaftler Ruben Etzelius, um dessen Seele das Gute und das Böse, in den Gestalten eines Engels und eines leicht hinkenden Teufels namens Astarot, streiten. Vgl. Emilia Fiandra: »Und wenn die Atombombe fällt, dann bleiben wir ewige Jungfern« (Anm. 51), besonders S. 471–472.

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Testament des Friedens erkennt bei seinen Entdeckungen den Fluch, der speziell auf der wissenschaftlichen Berufung lastet: Er sei »in aller Ewigkeit verloren, verflucht, – – verdammt – – als Knecht der Hölle«.387 Auch bei Ernst Schumacher, der schon im Titel seines Einstein-Stücks die Problematik der ›Versuchung des Forschers‹ andeutet, sind die Anspielungen auf die Goethe’sche Vorlage und auf den ›Pakt‹ unübersehbar. Nicht nur weil hier Einstein zwischen dem berückenden Betreiben der Forschung einerseits und deren furchterregenden, verderblichen Entwicklungen andererseits schwankt. Es ist die Handlung selbst, die ihren Schwerpunkt auf einen faustischen Kern setzt: die Wette um Einsteins Seele. Im Vorspiel auf dem Theater rivalisieren zwei entgegengesetzte Triebkräfte, die als Nebenprotagonisten agieren, um die Gunst des Physikers und bestimmen dadurch auch den dramatischen Ablauf. Ebenso unübersehbar wie die höllische Verlockung, die im faustischen Kampf zwischen Gut und Böse auftritt, ist die teuflische Besessenheit, die dem Stereotyp des mad scientist zugrunde liegt.388 Der geniale, wahnsinnige Wissenschaftler, der allen anderen überlegen und von einem bedingungslosen Entdeckungseifer getrieben ist, zweifelt am Guten und an der Existenz Gottes und schreckt auch vor Mord und Zerstörung nicht zurück. Anders aber als in der Science Fiction, die ihn oft satirisch karikiert, ist sein Image in der antinuklearen Dramatik eher melancholisch oder tragisch überzeichnet. Selten besitzt er die komischen Züge des zerstreuten, realitätsfernen, doch im Grunde nicht so bösartigen Genies vieler Filme und Romane. Der vorherrschende Typus ist der des gefährlichen, von undifferenzierter Forschungsbegierde und fast diabolischer Machtgier besessenen Physikers. Diese Dämonie der Wissenschaft, die einen in ihren Bann zieht und einem jeden Willen nimmt, variiert und amplifiziert Kurt Becsi in seinem bis zum totalen Vernichtungswahn fanatischen Protagonisten Lindsay, der die luziferi387 Otto C. A. zur Nedden: Das Testament des Friedens (Anm. 370), S. 69. 388 Diese Eigenschaft ist, besonders für den Bereich der Science-Fiction-Romane und -Spielfilme, bereits ausführlich untersucht worden. Vgl. beispielsweise David Dowling: The Atomic Scientist: Machine or Moralist?. In: Science Fiction Studies 13 (1986), H. 3, S. 139– 147; Petra Pansegrau: Zwischen Fakt und Fiktion – Stereotypen von Wissenschaftlern in Spielfilmen. In: Bernd Hüppauf, Peter Weingart (Hrsg.): Frosch und Frankenstein. Bilder als Medium der Popularisierung von Wissenschaft. Bielefeld 2009, S. 373–386; Philipp Sarasin: Das obszöne Genießen der Wissenschaft: Über Populärwissenschaft und ›Mad Scientists‹. In: Ders. (Hrsg.): Geisteswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt a. M. 2003, S. 231–257; Martina Erlemann: Menschenscheue Genies und suspekte Exotinnen. Mythen und Narrative in den medialen Repräsentationen von PhysikerInnen. In: Torsten Junge, Dörthe Ohlhoff (Hrsg.): Wahnsinnig genial: Der Mad Scientist Reader. Aschaffenburg 2004, S. 241–265; Roslynn Haynes: From Faust to Strangelove. Representations of the Scientist in Western Literature. Baltimore, London 1994; Dies.: Von der Alchemie zur künstlichen Intelligenz: Wissenschaftlerklischees in der westlichen Literatur. In: Stefan Iglhaut, Thomas Spring (Hrsg.): Science + Fiction: Zwischen Nanowelt und Globaler Kultur. Berlin 2003, S. 192–210.

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sche Seite der Kernforschung sogar selbst bekennt: »Das ist das Satanische: keiner kann los aus dem Bannkreis der Formeln, der nur einmal begonnen hat, sie zu berühren«.389 Lindsay, »das grösste wissenschaftliche Genie Englands«,390 entspricht in allem dem kulturellen Bild des überragenden Forschers, der sich wegen seiner Obsession von Familie und Gesellschaft isoliert und von diesen wiederum isoliert wird. Lindsays Sohn und Tochter wenden sich entrüstet von ihrem Vater ab. Die Genialität ist Auszeichnung und Fluch zugleich, Einsamkeit eine natürliche Konsequenz, die durch megalomane Ziele kompensiert wird. Und der hemmungslose Physiker verschweigt sie nicht: »Jetzt halte ich den Erdball, fünf Kontinente, Milliarden Menschen samt den Spinnennetzen ihres Schicksals zwischen diesen meinen Händen… verloren ist die Welt, – zu Tode krank, – doch verklärt wird sie wieder erstehen nach dem Untergang… Unter einem neuen Himmel, – einer neuen Erde, wahre Liebe!«.391 Die Pläne dieser Art von Wissenschaftlern sind immer anspruchsvoll, Untergangsphantasien von grandioser Weite. Der Professor der kosmischen Physik aus Gentz’ Drama Pilot Herzog, auch ein »Genie des Genies«,392 hat die Reaktion entdeckt, welche Wasserstoffkernteile zur Spaltung bringt. Aufgrund seiner Formel ist eine Superwasserstoffbombe von unerhörter Sprengkraft gebaut worden. Wie er beinahe beseelt sagt, kann die Bombe »alles im Umkreis von zweitausend Kilometern – – und in einer Tiefe von fünfhundert Kilometern« vernichten. Ihre Kapazität ermöglicht, »bei entsprechender Dosierung […] das gesamte Weltall, so wie es zur Zeit besteht, im Bruchteil einer Sekunde aufzulösen«. Gentz’ Professor besitzt alle Eigenschaften, die das symbolisch codierte Amalgam des mad scientist bestimmen. Er ist genial aber unmoralisch, ignoriert die Folgen seiner Experimente, strebt nur nach Macht und Ruhm. Zum Delirium seines destruktiven Rausches gesellt sich überdies noch ein weiteres Element, das das Bild des verrückten Physikers vollendet: ein Mix aus Kriegs- und Rassenkult. Seine Verblendung mündet in trunkenen Auslöschungsvisionen, bei denen die Atombombe im Dienst einer rassistisch inspirierten Politik steht: »In Feuer und Rauch werden sie [sic] aufgehen ihre Städte, Wälder und Felder, verdorren werden ihre Landschaften, aussterben die niederen Rassen, austrocknen die Meere, in radioaktiven Staub wird alles, alles zerfallen! Und übrig bleiben wird allein unser Reich!«.393 Interessant ist dabei, dass sowohl Becsi als auch Gentz ihre extrem größenwahnsinnigen Figuren am Ende des Stücks mit einem gerechten Tod aus der Handlung ausscheiden lassen. Beide Physiker werden vom Autor bestraft, getötet im Namen des Überlebens der Menschheit oder zumin389 390 391 392 393

Kurt Becsi: Atom vor Christus (Anm. 137), S. 22. Ebd., S. 27. Ebd., S. 123. Friedrich Gentz: Pilot Herzog (Anm. 139), S. 98. Hier auch die folgenden zwei Zitate. Ebd., S. 99. Die hier kursiv wiedergegebene Stelle ist im Original gesperrt gedruckt.

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dest im Namen einer vagen Zukunftshoffnung, von der freilich dahingestellt bleibt, ob sie erfüllt wird oder nicht. Dem Typus des verrückten Wissenschaftlers in manchem assimilierbar, etwa in der Experimentierlust und der grenzenlosen Amoralität, erscheinen auch andere Figuren des Atomdramas, wie diejenigen der Arzt-Wissenschaftler, die sich wie mad scientists aufführen und deren Beschreibung triviale Elemente des Makabren und des Absurden enthält. Ein karikaturistisches, ins Groteske verzerrtes Beispiel für die Radikalisierung des Wahnsinns bei der Figur eines Arztes bietet zweifelsohne der Anspruch auf irdische und überirdische Macht, den Dürrenmatts verrückte Psychiaterin Mathilde von Zahnd durch irrwitzige Aktionen zu verwirklichen sucht, die die Welt an den Rand des globalen Rüstungswettlaufs und der Selbstvernichtung bringen. In das Repertoire typischer Bilder und Motive, die in der Darstellung des kriminellen Arzt-Wissenschaftlers eingesetzt werden, gehört aber im Atomdrama vor allem das Experimentieren mit verschiedenartigen Versuchsobjekten. Ärzte missbrauchen Menschen als »Versuchskaninchen« für politische Kriegszwecke, klagt der strahlenkranke Protagonist von Heinrich Heyms Asche im Wind im Dialog mit einem Kliniker, als »Studienmaterial für spätere Fälle. Für Massenfälle. Für den Fall, daß es Euch einfällt, die Probleme der Menschheit mit Atombomben zu lösen«.394 Um jedes Bewusstsein des Endes zu löschen, schreibt der skrupellose Arzt aus Hilde Rubinsteins Drama Null Uhr Null Gleichgültigkeitstabletten vor, die bei den Einwohnern der imaginären Stadt Menehat die ›Kaltsinnigkeitsproduktion‹ anregen sollen. In Günther Rückers Korea-Hördrama Drachen über den Zelten trägt die Wissenschaft die Fratze einer noch bestialischeren medizinischen Forschung, deren Ergebnisse pervers, egoistisch und brutal sind. Auf einem vor der koreanischen Küste liegenden Schiff mit nordkoreanischen Gefangenen unternimmt ein südkoreanischer, von Amerika angeworbener Arzt abscheuliche Menschenversuche mit Bakterienexposition, die evident an die in Konzentrationslagern von Nazi-Ärzten durchgeführten und in Nürnberg publik gewordenen Experimente erinnern, welche durch den Bericht von Mitscherlich und Mielke allmählich an die Öffentlichkeit kamen.395 Mit »mathematischer Exaktheit«396 und fast obszönem Genuss beobachtet der Arzt die »schönste Enzephalitis«397 und registriert die exanthematischen Reaktionen des Fleckfiebers,

394 Heinrich Heym: Asche im Wind (Anm. 95), S. 19–20. 395 Vgl. Alexander Mitscherlich, Fred Mielke: Wissenschaft ohne Menschlichkeit: medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg. Heidelberg 1949. 396 Günther Rücker : Drachen über den Zelten (1953). Tonträger DRA (Deutsches Rundfunkarchiv) Babelsberg, Archivnummer 3000174. Ich zitiere aus dem digitalisierten Tondokument der Originalaufnahme, mit Timecode-Angaben, hier: 33:21–33:22. 397 Ebd., 33:37–33:39.

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wobei für ihn »das Interessanteste die immer wiederkehrenden Angstzustände« sind.398 In dieser Mischung aus Neugierde und inhumanem Größenwahn setzt sich fast eine Antiethik durch, bei der der Begriff einer moralfreien Forschung als Selbstzweck überwiegt, einer Forschung, die in absoluter Verantwortungslosigkeit das Menschenleben verachtet. Ein eindringliches Beispiel dafür ist der psychopatische Dr. Lambacher in Hans Henny Jahnns Drama Die Trümmer des Gewissens, der mit kaltblütigen, grausamen Merkmalen ausgestattet ist. Ihn lässt der Autor als Repräsentanten einer unmenschlichen Wissenschaft erscheinen, die Menschen und Tiere für schaudererregende Genversuche benutzt. Wir sind irgendwo an einem fiktiven »abstrusen Ort«,399 in einem unheimlichen, in der Bühnenanweisung als »Hinterzimmer der Schöpfung« bezeichneten Atomlaboratorium, wo eine Serie von »Experimenten mit lebenden Geschöpfen« durchgeführt wird. Hier recherchiert ein Mensch, der »die Schöpfung korrigiert oder sie erweitert«. Wie viele andere mad scientists ist auch Lambacher »eine Begabung, ein Genie der Einfälle«. Er hat »vielerlei Lebendes tiefgekühlt und wieder aufgetaut« und ist »ein Meister darin, den Geschlechtsstoffen den Chromosomensatz der Gene zu verdoppeln und vervierfachen«. In seiner Manipulierkunst fungiert Lambacher als Inbegriff der fehlenden Kontrolle, der mangelnden Ethik und Transparenz in der Wissenschaft. Ähnlich wie bei Friedrich Gentz nährt auch Jahnns Arzt den wahnsinnigen Plan einer »biologisch wertvollen«400 Elite. Am Verhandlungstisch der Szene Fast eine Pantomime wird ein Programm entwickelt, um durch Spermabänke »Strahlenschäden soweit wie möglich für spätere Generationen unwirksam zu machen«. Kenntnisse über Energieerzeugung werden an Informationen über wissenschaftlich unterstützte Zeugung zur Sicherung der Vorherrschaft der weißen Rasse gekoppelt, als wären sie verschiedene Seiten des gleichen unaufhaltsamen Phänomens, das die moralischen Grenzen der Wissenschaft ignorieren kann. Nur dem von Zweifeln gepeinigten Dramenprotagonisten, dem Physiker Chervat, bedeutet ein solcher »Fortschritt in der Forschung einen Zurückfall der Wirklichkeit in bereits Verworfenes«.401 Voller Bedenken stellt er sich die entscheidende Frage: »ist es erlaubt?«. Doch umsonst. Denn auf diese Frage hat Chervat keine Antwort und kann deshalb, für sich und das Drama selbst, nur im Tod das einzig mögliche Ende des umfassenden Scheiterns der Wissenschaft finden.

398 Ebd., 33:43–33:46. 399 Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens (Anm. 97), S. 327–328. Daraus auch die folgenden Zitate von Jahnn. 400 Ebd., S. 370. Dort auch das folgende Zitat. 401 Dies und das folgende Zitat ebd., S. 328 und 329.

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2.6.3 E = mc2 und andere Formeln Wer von seiner Erfindung denkt, dass ihr etwas Verbrecherisches oder gar Dämonisches anhaftet, kann wenigstens versuchen, das Unheil abzuwenden, indem er das schon Entdeckte zerstört. Als reuiger Sünder plant mancher Forscher, durch die Vernichtung seiner Formeln das ›Verbrochene‹ auszulöschen bzw. rückgängig zu machen. In den an der Problematik des Naturwissenschaftlers spezifisch orientierten Dramen wird deshalb das Motiv der verbrannten, verschwundenen, entwendeten Formel immer wieder betont und zum wichtigsten Angel- und Drehpunkt der Handlung gemacht. Aber selbst dort, wo es nicht zentral ist, ist das Formelmotiv vereinzelt belegbar, und sei es nur als zitatorischer Rückgriff auf das für das Genre prototypische Motiv der Einstein-Formel. Bei Hans Joachim Hohberg wird die Energie-Formel fast beiläufig genannt – »E = mc2. Haben Sie mal was von Einstein gehört?«,402 fragt spöttisch der strenge General aus dem Stück Die Wüste –, jedoch als Beispiel von »todbringenden Gleichungen« angeführt. In Alfred Gongs Schauspiel Zetdam ist die an der Wand des Atombunkers abgebildete Formel E = mc2 ein wichtiger visueller Bestandteil der warnenden Choreographie des Stücks, die neben Raketen und Atomsymbolen den nächsten Generationen (nach der Katastrophe) exemplarische Sinnbilder der Gegenwart veranschaulichen soll. Diese symbolische Zurückweisung der ›Urschuld‹ auf Einsteins Formel und die damit einhergehende Vorstellung einer fehlenden Übernahme von Verantwortung seitens der Wissenschaft ist in vielen Texten der Atomdramatik zur Schau gestellt. Denn letztendlich, wie der ›Große Krumme‹ von Ernst Schumacher urteilt, war es gerade Einstein, mit dem alles anfing: Erst danach habe »Oppenheimer Einsteins große Formel ausgenutzt, um das große Ei auszubrüten«.403 Damit nimmt Schumacher eine Einschätzung der wegweisenden Rolle Einsteins auf, die vor ihm bereits von Brecht vertreten worden war, der eine direkte Schuld-Beziehung zwischen Einsteins ›abstrakter‹ Formel und der ›konkreten‹ Atombombe hervorhob. So ›rein‹ die »Forschung« auch sein mag – schreibt Brecht in einer Bemerkung um 1955 –, ist »das Produkt der Forschung« jedoch »weniger rein. Die Formel E = mc2 ist […] an nichts gebunden. So können andere die Bindung vornehmen: die Stadt Hiroshima ist plötzlich sehr kurzlebig geworden. Die Wissenschaftler nehmen für sich in Anspruch die Unverantwortlichkeit der Maschinen«.404 Direkt oder indirekt wird Einsteins berühmte Theorie der Äquivalenz von Masse und Energie in mehreren Werken erwähnt, beginnend mit Max Frischs frühem Stück Die Chinesische Mauer und endend mit den späten EinsteinStücken von Karl Mickel und Ernst Schumacher. Dabei ist das Motiv nicht immer 402 Hans Joachim Hohberg: Die Wüste (Anm. 264), S. 32. Hier auch das folgende Zitat. 403 Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 41. 404 GBA, Bd. 24, S. 252. Dort auch das folgende Zitat.

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Teil des Geschehens an sich, kann dennoch entweder zur Verstärkung der Fragwürdigkeit des Fortschritts dienen oder dazu, den Reuekomplex des Wissenschaftlers zu unterstreichen, wie z. B. in Matthias Weiss’ Marconi-Drama Gebündelte Strahlen, das schon in den ersten Zeilen erkennen lässt, wie die tragisch endende Geschichte von Guglielmo Marconi aus der Perspektive der wissenschaftsethischen Debatte über die Physik zu sehen ist. Das Stück eröffnet eben mit der berüchtigten Formel, die einer der Protagonisten, Marconis Laborgehilfe, minuziös zitiert und kommentiert: Verwandlung von Masse und Energie. Folgende Gleichung, die in Dutzenden von Fällen bestätigt und in keinem einzigen widerlegt wurde, stellte der Physiker und Mathematiker Albert Einstein schon 1905 auf: E = mc2 oder m = cE2 . Das heißt, daß schon winzige Massen ungeheuren Energien entsprechen müssen, da bei ihrer Umwandlung in Energie mit dem riesig großen Quadrat der Lichtgeschwindigkeit zu multiplizieren ist.405

Auch bei Frisch steht die wiederholte Heranziehung der Formel von Einstein im Zeichen eines Versagens. Die Kommentatorfigur des ›Heutigen‹ resümiert den fatalen Ertrag der gescheiterten tausendjährigen Geschichte des Menschheitswissens in der simplen Einstein-Formel, durch die sich das Bewusstsein der Modernität tragisch bestimmt: »Was wir wissen… Zum Beispiel: Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat«.406 In diesem von physikalischen Fragen stark geprägten Wissen der Moderne wird Frischs tragisches Bewusstsein des Endes augenscheinlich: »Masse ist Energie, eine ungeheuerliche Ballung von Energie«, warnt der Heutige, »und wehe, wenn sie losgeht! Und sie geht los. […]. Und was wird bleiben? Die Wahrscheinlichkeit (so lehrt die moderne Physik) spricht für das Chaos, für den Zerfall der Masse«.407 Und im Schlussmonolog von Einstein-Eisler in Dürrenmatts Physikern gilt die hier ebenfalls explizit zitierte Formel als Auslöser einer unbeabsichtigten und unkalkulierten Katastrophe: »Von mir stammt die Formel E=mc2, der Schlüssel zur Umwandlung von Materie in Energie. Ich liebe die Menschen und liebe meine Geige, aber auf meine Empfehlung hin baute man die Atombombe«.408 Die Formel bringt den Menschen Leid und Tod. Die Konsequenzen sind groß und gewaltig. Das Gefühl ist hier das der Resignation. Zumeist jedoch überwiegt bei fiktiven Wissenschaftlerfiguren die illusorische Vorstellung einer Wiedergutmachung des Fehlers: Nachdem sie erkannt haben, wie tödlich ihre wissenschaftlichen Fortschritte auf dem Gebiet der Kernforschung sein können, 405 Matthias Josef Weiss: Gebündelte Strahlen. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1950, S. 7. Unvollständiger Satz im Original. 406 Max Frisch: Die Chinesische Mauer (Anm. 68), S. 32. 407 Ebd., S. 32–33. 408 Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (Anm. 110), S. 87.

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meinen viele Physiker der Atomdramen, die Entdeckung einfach annullieren zu können. Als »Erfinder des Verderbens«409 treten sie dann für jene paradoxe Zurücknahme des Wissens ein, die auch Dürrenmatts Möbius mehrfach thematisiert: »Wir müssen unser Wissen zurücknehmen, und ich habe es zurückgenommen«.410 Eine Aussage, die fast wortwörtlich mit einer Notiz aus Brechts Fragment über Einstein übereinstimmt, der »die große Formel nicht zurücknehmen kann«,411 sowie mit Francis Bacons Forderung in Schumachers Versuchung des Forschers, die Wissenschaft aufzugeben. Bacon muss hier einsehen, dass die Wissenschaftlergemeinde Sinn und Zweck ihrer Aufgabe verfehlt hat: »Dann war unser Grundsatz: ›Wissen ist Macht‹ falsch und wir müssen ihn zurücknehmen. Wir müssen das Wissen für uns behalten«.412 Dieser idealistisch-programmatische Anspruch vollzieht sich konkret mal als gelungene, noch öfter aber als gescheiterte Selbstverweigerung und Aufopferung der Physiker. Otto C. A. zur Neddens August Nobel verweigert der französischen Regierung, die um eine gefährliche Erfindung von ihm, den Sprenggummi, wirbt, jegliche Form von Zusammenarbeit, zieht sich aber danach völlig desillusioniert zurück. Marconi wird im Schlussgespräch von Matthias Weiss’ Gebündelten Strahlen zum letzten Mal aufgefordert, seine mit dem faschistischen Regime nicht kooperierende Haltung zu revidieren, doch auch er lehnt entrüstet ab: »Sie raten mir, auf dem Wege der Verhandlung um die Auswertung meiner Entdeckung zu feilschen. Mit dieser Auswertung meinen Sie: Waffen! Glauben Sie, daß ich mir diese Waffen im Wege des Kompromisses abhandeln lasse?«.413 Diese heroischen Figuren verabschieden sich, stolz und zugleich niedergeschlagen, verbittert und zugleich selbstkritisch, von einer Welt, über die sie entsetzt sind. Von ihnen soll keine Wirkung mehr ausgehen. Schöne pathetische Gesten also, durchaus edel, die als symbolischer Abgang der Physik selbst zu interpretieren sind, die die Helden repräsentieren. Aber die dramaturgischen Strategeme, deren sich die Autoren bedienen, um diese Verweigerungs- und Widerstandsgesten zu inszenieren, sind oft recht trivial und repetitiv, wie diejenigen der unterschlagenen bzw. vernichteten Papiere mit den geheimen Formeln. Das zeigt sich beispielhaft an zahlreichen Protagonisten. Professor Hollberg, der in Rudolf Freeses Drama Das stärkere Gesetz von der Geheimen Staatspolizei verhaftet wird, lässt sich durch das Versprechen von Macht und Geld nicht ködern und enthält dem Militär seine wissenschaftlichen Informationen vor: Damit sie nicht missbraucht werden, zerreißt er seine Aufzeich409 410 411 412 413

Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 101. Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (Anm. 110), S. 74. Bertolt Brecht: Leben des Einstein (Anm. 201), S. 985. Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. 102), S. 101. Matthias Josef Weiss: Gebündelte Strahlen (Anm. 405), S. 49. Die hier kursiv gedruckte Stelle ist im Manuskript unterstrichen gedruckt.

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nungen und wirft sie in den Kamin. Von einer ähnlichen Vernichtung der Formeln ist auch bei Gerhard T. Buchholz die Rede: »Hast du die Aufzeichnungen verbrannt?«,414 fragt Professor Lankas Ehefrau ihren Mann. Und obwohl der Vernichtungsakt von Lankas einstigem Schüler und Gegenspieler als »Angst vor seiner eigenen Courage«415 diskreditiert wird, vollbringt ihn der alte Physiker, wenn auch mit schwacher Hoffnung auf das Endresultat: »alles sinnlos. Wir werden den Fluß der Dinge nicht aufhalten. Man wird auch ohne uns weiter kommen«.416 Die Welt geht unter, doch die Seele der Hauptfigur ist gerettet. Nicht viel anders geht es bei den anderen Wissenschaftlern zu, die dem dramaturgischen Modell des Verzichts auf die Wissenschaft folgen. In Hans Rehfischs Drama Jenseits der Angst verbrennt Aline die lange im Keller aufbewahrten Manuskripte ihres ehemaligen Lehrers Severin, der sich dagegen gewehrt hat, seine »Arbeiten praktisch genutzt zu sehen«.417 »Diese Papiere können im großen politischen Spiel ein Einsatz sein«, moniert Aline, »[w]er immer sie in Händen hat, ist gefährlich und gefährdet – sei es auch die Kirche selber. Im besten Fall sind sie ein Faustpfand«.418 Papiere mit der Formel tauchen in fast allen Wissenschaftlerdramen auf, und in fast allen rekurriert der Autor auf das Mittel der Vernichtung durch Verbrennen. Aufzeichnungen, Berechnungen, Manuskripte mit Welt- und Superformeln fallen dem Scheiterhaufen der Physik zum Opfer. Eine Art Verbrennungsritual, bei dem das Böse mit dem brennenden Papier ausgetrieben wird. In Helmut Schillings Experiment Ren8 wird H8lHne, die Frau des Physikers Ren8, am Ende des Stücks aufgefordert, das »Feuerzeug« zu nehmen (»so geht es leichter«),419 damit die Kalkulationen über die in Nuklearreaktoren erzeugte Energie »bald ausgelöscht« werden. Eingestreut in die Bühnenanweisungen der Szene sind Details, die die Materialität des Vernichtungsakts ins Blickfeld rücken: H8lHne nimmt »die letzten Aufzeichnungen« aus der Mappe und »zerreisst langsam die Papiere«, dann zündet sie das Feuerzeug an und »verbrennt das letzte Blatt«, schließlich wirft sie die restlichen »Papierschnitzel« aus dem Fenster. Direkter und weniger umständlich kommt Karl Mickels Einstein zur Sache. In der Verbrennung sieht er eine Notwendigkeit, um die fatale Wiederholung der Geschichte, der persönlichen und der weltweiten, zu vermeiden: »Vor fünfzig Jahren fand ich die Formel / Jetzt brennt die Welt. / Ich habe noch eine Formel gefunden / Dreißig Jahre Arbeit meines Alters: / Die will

414 415 416 417 418 419

Gerhard Traugott Buchholz: Reich Gottes auf Erden (Anm. 340), S. 42. Ebd., S. 45. Ebd., S. 42. Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 13. Ebd., S. 73. Helmut Schilling: Experiment Ren8. Manuskript. Stiftung Schweizerische Theatersammlung, Signatur : TS B7.2 Schil 1040, S. 73. Daraus auch die folgenden Zitate aus Schilling.

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ich verbrennen«.420 Dramaturgisch effektvoller ist die Darstellung der Verbrennung in Christian Bocks Hörspiel Gebt acht auf die Welt!, in dem die auf einer Schallplatte aufgenommene Stimme des Physikers und Selbstmörders Clemens auf die bereits erfolgte Verbrennung seiner Formeln mit Warnungen hinweist, die für eine desperate Stimmung apodiktischer Irreversibilität sorgen: »Vor einigen Minuten habe ich im Ofen des Labors Papiere verbrannt. Sie enthielten die Berechnungen und Formeln einer wissenschaftlichen Entdeckung. […] Eine Weile habe ich dann gehofft, die Formeln würden sich noch als falsch erweisen. Als ich mit Experimenten feststellte, dass sie richtig waren, habe ich sie vernichtet. Es war das Einzige, was ich für die Welt noch tun konnte«.421 Bei Ilse Langner erweist sich der Umgang mit der Formel als geradezu handlungsbestimmend für den Ablauf des Spiels. Die Titelfigur, die Chemikerin Cornelia Kungström, ist der gewöhnliche Typus des Wissenschaftlers, der aus Furcht vor den unerwarteten Folgen seiner Forschungen diese nicht mehr verantworten kann und will. Deshalb hat Cornelia ihre »Aufzeichnungen aus dem Tresor genommen, noch mal angesehen und dann Blatt für Blatt verbrannt«.422 Dabei stößt sie aber auf eine unvorhergesehene ›Wendung‹ / la Dürrenmatt: Der Sohn hat ihre Dokumente heimlich fotografiert, so dass der Wissenschaftlerin nur die radikalste, dramaturgisch spektakuläre Lösung übrig bleibt, nämlich zur Mörderin des eigenen Kindes zu werden: »Du wirst die Menschheit nicht vernichten«,423 ruft sie am Schluss des Dramas aus. Der extreme Gestus der Vernichtung, der der extremen Vernichtungsformel gemäß ist. Dass mit der simplen Zerstörung der Papiere das Problem der tödlichen Formel bei weitem nicht gelöst worden ist, gibt dem Plot vieler Dramen eine völlig überraschende Wende. Der Mechanismus der zwanghaften Eliminierung der Formel und deren Wiederauftauchens in anderen Händen führt oft zum Höhepunkt der Handlung, die anschließend bis zur Katastrophe hin wieder absinkt. Der klassische und bekannteste Fall ist das Schicksal der Superformel bei Dürrenmatt. Die Manuskripte mit den Rechnungen, die Möbius – der Illusion nachjagend, dadurch Schlimmes zu verhindern – sorgfältig verbrannt hat, werden von der wahnsinnigen Anstaltsleiterin kopiert, um einen Welttrust aufzubauen und die Weltherrschaft zu übernehmen. Auch in Curt Langenbecks Drama Der Phantast erweist sich der Versuch des Protagonisten, des Physikers Brückmann, »eine Entdeckung von höchster Wichtigkeit einfach verschwinden zu lassen«,424 als sinnlos. Wie später bei Dürrenmatt schwebt auch hier die 420 Karl Mickel: Einstein. In: Ders.: Einstein / Nausikaa. Die Schrecken des Humanismus in zwei Stücken. Berlin 1974, S. 37. 421 Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (Anm. 281), S. 20–21. 422 Ilse Langner : Cornelia Kungström (Anm. 127), S. 268. 423 Ebd., S. 279. 424 Curt Langenbeck: Der Phantast (Anm. 30), S. 4.

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Einleitung und Themenstellung

Unwiderruflichkeit des einmal Entdeckten, des einmal Gedachten, das nicht mehr ›zurückzunehmen‹ ist, wie ein Damoklesschwert über dem Schicksal der Menschheit: Aus winzigen, nur ihm noch zugänglichen Details setzt Brückmanns ehrgeiziger Schüler Thomas die vernichtete Formel wieder zusammen und übergibt sie – »siegreich«,425 wie es hier heißt – an die Regierung. Durch skrupellose Mitarbeiter wird oft die Entscheidung für die Abschaffung der Formel zunichtegemacht. »Ich werde die Formeln unsers Labors vernichten«, erklärt mit feierlichem Nachdruck der schuldbewusste Professor Funk in Paul Bühlers Der Wagenlenker. Drama eines Atomforschers. Das böse Schicksal in der Gestalt seines eigenen Assistenten Clausen liegt jedoch auch hier auf der Lauer, Papiere braucht der junge Physiker nicht: »Was ich bei Ihnen lernte, trug ich im Gehirn / und kann es jederzeit reproduzieren, / ja, weiter steigern, wenn es nötig ist«.426 Das Postulat der ›Wiederherstellung‹ der Formel schließt also nicht nur ein, dass die nunmehr als unvermeidlich angesehenen Folgen einer Erfindung – die ›Produkte‹, wie sie Brecht genannt hatte – nicht gestoppt werden können, sondern bedeutet auch eine durchaus defätistische Relativierung der Problematik. Die temporäre Abwendung des Unheils durch die Zerstörung der Formel oder die physische Beseitigung des Forschers – wie im Fall Lindsays, der in Atom vor Christus von seiner Frau erschossen wird, oder des Professors der kosmischen Physik aus Gentz’ Pilot Herzog, der auf einem Raumschiff mitsamt Pilot und Superwasserstoffbombe explodiert – kann nicht verhindern, dass dieselbe teuflisch-geniale Idee nicht wieder von jemandem rekonstruiert oder neu gedacht wird. Der unmittelbare Imperativ kann höchstens lauten: »Zeit gewinnen!« – so Rehfischs Physiker Branting –, da man eines Tages »anderswo, in andern Ländern, andern Erdteilen«427 zu ähnlichen Ergebnissen kommen wird. Und auch Pilot Herzog, dem es gelingt, die Drohung der an Bord platzierten Superbombe zu entschärfen, gibt am Schluss entmutigt zu: »Wenn der die Superwasserstoffbombe nicht macht, macht sie nach zehn Jahren ein anderer«.428 Lindsays düster-bittere Voraussage über den unpersönlichen Charakter wissenschaftlicher Erfindungen – »Hätten wir sie nicht erfunden, – so wäre es ein anderer gewesen«429 – muss sich bewahrheiten, denn »[b]rillante Ideen«, wie Teller in Kipphardts Oppenheimer einmal sagt, »sind organisierbar, und sie sind nicht an einzelne Leute gebunden«.430 So gesehen führt eine gerade Linie von der Herstellbarkeit der Sintflut bei Max Frisch hin zur Reproduzierbarkeit der Ideen am Ende der 30-jährigen Entwicklung der Atomdramen. Was nach der rituellen 425 426 427 428 429 430

Ebd., S. 96. Paul Bühler : Der Wagenlenker (Anm. 55), S. 27. Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. 41), S. 72. Friedrich Gentz: Pilot Herzog (Anm. 139), S. 105 (»der« im Original gesperrt). Kurt Becsi: Atom vor Christus (Anm. 137), S. 55. Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. 176), S. 76.

Atomszenarien: Topographien der Bombe und Motivrepertoire

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Formelverbrennung bleibt, ist ein bedrohliches Fanal. Es ist die zynisch-skeptische Mahnung Einsteins, mit der Karl Mickels lyrische Oper schließt: »Hundert Jahre Pause, bis ein Andrer / Zum andern Male findet, was ich weiß«.431 Durch die oftmals proklamierte Perspektive zukünftiger Entdeckungen wird eine endgültige Rettungschance vereitelt. Dürrenmatt hatte es längst begriffen: Eine Wiedergutmachung des Geschehens ist unmöglich, das Schlimmste unabwendbar, der Weltuntergang bloß prolongiert.

431 Karl Mickel: Einstein (Anm. 420), S. 37.

Teil II

Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Alle: Welt hör’ zu! Welt! wach! auf! Steward: Dreißig! Alle: Welt sieh’ Bikini! Steward: Zwanzig! Alle: Bringt es den Frieden! Steward: Zehn! Alle: Oder den Tod! (Fred Denger : Bikini) Moulin: Joliot-Curie lehnt es ab, Atombomben anzufertigen. Er wünscht, daß die große Entdeckung der Atomenergie das Leben fördert, nicht den Tod. […] Sie wollen den Mord, wir das Leben. Hill: Sagen Sie nicht Mord. Auch wir wollen den Frieden. Moulin: Den Frieden der Angst. Vor ihrer Bombe. Den Mord des Friedens. (Maximilian Scheer : Paris, den 28. April) Newton: Verrückt, aber weise. Einstein: Gefangen, aber frei. Möbius: Physiker, aber unschuldig. (Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker)

Nachdem im ersten Teil der gattungsgeschichtliche Rahmen und die Problemstellung dargestellt sowie die zeithistorischen Grundlagen, die ästhetischen Merkmale, die thematischen Konstanten und die zugrundeliegenden Kategorien beschrieben wurden, die für die verschiedenen Typologien von Atomdramen und Atomhörspielen charakteristisch sind, sollen nun die einzelnen Texte interpretiert werden, die diesen Genres in ihren unterschiedlichen Spielarten zuzuordnen sind.1 Die Anordnung der Stücke folgt der Chronologie ihrer Entstehung oder ihres Erscheinens, ihrer ersten Aufführung oder Rundfunksendung, je nachdem, ob die Werke in Buchform erschienen, ausschließlich zu Bühnen- und Hörspielzwecken gedruckt wurden oder nur im Nachlass über1 Zur Zitierweise in diesem Teil vgl. die Hinweise auf S. 11.

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liefert sind. Allerdings werden auch innerhalb der Einzelanalysen inhaltlichthematische Verzahnungen der Texte untereinander, historische Kontextualisierungen sowie die Erarbeitung verwandter Motivkreise der Stücke argumentativ zueinander und zum ersten Teil der Untersuchung in Beziehung gesetzt oder in ihren Zusammenhängen durch Verweise in den Fußnoten dokumentiert. Um das Nachschlagen zu erleichtern, bieten die einschlägigen Einzelinterpretationen jeweils tabellarische Informationen über Autor, Darbietungsform des Werks, Uraufführung oder Ursendung, Handlungsort und -zeit. Allen Textinterpretationen ist eine kurze Bibliographie nachgestellt, die wenn möglich auch die zeitgenössischen Zeitungsartikel und Rezensionen erfasst, die ich in dieser Arbeit berücksichtigt habe.

1.

Franz Fassbind: Atom Bombe. Ein gesprochenes Oratorium (1945)

Autor : Franz Fassbind (Pseud. Thomas Martin, 1919–2003) Darbietungsform: gesprochenes Oratorium in vier Teilen Uraufführung: 27. Oktober 1945, Tonhalle Zürich Ort: ortlose Szenerie Zeit: Gegenwart, nach Hiroshima

Der erste überlieferte deutschsprachige Theatertext über Kernenergie und nukleare Bedrohung stammt vom Schweizer Dramatiker und Journalisten Franz Fassbind. Der junge Fassbind, der sich während des Kriegs mit den dramaturgischen Potentialitäten vor allem des Mediums Radio intensiv befasst hatte,2 war erst 26, als er, unter dem Schock des ersten Bombenabwurfs auf Japan, in wenigen Wochen ein Spiel mit dem schlichten Titel Atom Bombe entwarf. Bereits im Herbst wurde das Atomdrama in Zürich als Der letzte Akt unter der Regie des bekannten Schauspielers Heinz Woester aufgeführt und von der Schweizer Presse in zahlreichen Rezensionen überwiegend positiv aufgenommen. 1946 strahlte es auch der Deutschschweizer Rundfunk DRS als Hörspiel aus.3 Atom Bombe will ein ethisch-politischer Aufruf sein. Franz Fassbind wählt dafür die Form eines gesprochenen Oratoriums, das aus Sprech-Chören, Monologen und Dialogen besteht, die von symbolischen Figuren (dem Geist, der Materie, der Großfinanz, dem Arbeiter usw.) auf einer abwechselnd mit weißen und schwarzen Vorhängen verhangenen Szene in freien Rhythmen vorgetragen werden. An der Nahtstelle zwischen Drama und Lyrik, zwischen Musik und 2 Vgl. Franz Fassbind: Dramaturgie des Hörspiels. Zürich 1943. 3 Der Tonträger befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach (CD, verlegt vom SR DRS. Interpr.: Lukas Ammann, Hermann Frick, Walter Wefel. Regie: Hans Bänninger).

Franz Fassbind: Atom Bombe. Ein gesprochenes Oratorium (1945)

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Wort, nutzt das ›gesprochene Oratorium‹ die Bühne als (katholisch-)moralische Anstalt. Zeithistorische oder spezifisch politische Lösungen werden weder gesucht noch in Betracht gezogen. Angesichts der unerhörten Tragweite des Vernichtungspotentials der neuen Waffe appelliert zwar Fassbind an das Verantwortungsbewusstsein des Menschen, versucht aber vor allem, durch religiöse Emphase Metaphysisches darzustellen. Das Spiel fordert den Gläubigen auf, sich mit dem Göttlichen auseinanderzusetzen. Als Komponente der Schöpfung selbst wird dabei die Atomkraft nicht zum Inbegriff des Negativen – wie bei den meisten Autoren späterer Nukleardramen. Die Menschheit muss eher lernen, mit ihr nicht im Sinne der rohen Macht und der Gewaltanwendung, sondern des Schöpfers umzugehen. In einem der Metapher und dem Klang verpflichteten Pathos gibt das Oratorium zunächst dem Konflikt zwischen Geist und Materie Ausdruck. Diese Gegenüberstellung beruht am Stückanfang auf einer Architektur- und Baumetaphorik, die von einem Einst-Jetzt-Gegensatz ausgeht und von zwei Chören in einem unaufhörlichen Wiederholungsspiel dargebracht wird. Einerseits werden die unvergänglichen, »in der Bauhütte der Welt«4 erdachten Denkmäler von einst (Tempel von Karnak und Luxor, Pyramiden, Kolosseum, San Marco, Washingtoner Kapitol) hymnisch gepriesen, andererseits sind es die schmerzlichen »Ruinen der Gegenwart«, die feierlich beklagt werden. Resigniert muss der Mensch erkennen, dass »die Grundmauern der Welt« doch »nicht ewig« sind, seitdem »zu den schönen Ruinen von Karnak und Luksor / zahllose häßliche Ruinen in Conventry, Köln und Warschau« und zu »den schönen Ruinen der Vergangenheit / zahllose häßliche Ruinen der Gegenwart im fernen Osten, in China und Japan kamen« (83–84). Aber gerade während Vorsprecher und Chöre ihr Lob auf die »unerschütterlichen Grundmauern einer unerschütterlichen Welt« (84) anstimmen, passiert das Undenkbare. Durch Lautsprecher verkündet eine Stimme, definitiv und irreversibel, den Atombombenabwurf: »Am 6. August fällt zum erstenmal eine Atombombe über Hiroshima. Alles Leben in der Stadt ist ausgelöscht« (85). Mit diesem ›ersten Mal‹, das den Zeitbruch prägt, beginnt und behauptet sich auf der Szene der Theaterliteratur das neue Atomzeitalter. In der symbolträchtigen Dunkelheit, die hier hereinbricht, hat die ›Materie‹, in der Gestalt eines eleganten, schwarz gekleideten Herrn, ihren ersten, plötzlichen Auftritt, von grellen Schweinwerfern beleuchtet. Einer Einführung bedarf die Materie allerdings nicht. Selbstbewusst präsentiert sie sich in ihrer tausendjährigen Macht:

4 Franz Fassbind: Atom Bombe (Anm. I, 19), S. 81–82.

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Der Mensch selbst hat mich vorgestellt […]./ Ich bin soeben volljährig geworden, ich die Kraft der Materie, / die Kraft des rohen, sinnlosen Stoffes! / […] Wie haben sie mich gepflegt, meine Eltern vom menschlichen Geiste! / Wie haben sie mich verhätschelt und gekleidet! / Jahrtausende lang haben sie geschunden und gerackert, meine Eltern vom menschlichen Geiste, / um mir den Weg in die Welt zu ebnen! / Zwei Millionen Dollar hat man für meine Kinderstube und meine Erziehung ausgegeben. / Bitte, wo ist der Mensch, der je eine solche Erziehung genossen hat wie ich, die Kraft des rohen, sinnlosen Stoffes! (86–87)

Sachlich-zynisch, zugleich aber auch rhetorisch und iterativ, stellt die Materie fest, wie die neue Gerechtigkeit die Gerechtigkeit der Atombombe, der neue Glaube der Glaube an die Atombombe und die neuen Gesetze die Gesetze der Atombombe seien. Fast mit Skepsis wird an dieser Stelle als Disputant der ›Geist‹ herausgefordert (»wo bleibt er, der menschliche Geist?«, 88), gegen den die Materie, im zweiten und mittleren Teil des Oratoriums, eine wahre dialektische Schlacht inszeniert. Einigermaßen identisch mit seinem Autor, erscheint der Geist als ärmlich gekleideter Mann. In den Augen der Materie sieht er »wie ein mittelloser Philosophiestudent, / ein Diasporapriester in einer Großstadt, / oder wie ein Poet« (89) aus. Den intellektuellen Fluch der weltabgewandten Schwäche erkennt er wohl gut: »Ich entscheide mich nicht! / Ich kann mich nicht entscheiden. / Sie haben sich längst für mich entschieden« (95). Deshalb möchte er die Materie zu einem gerechten, gemeinsam geteilten Handeln überreden: »Uns beiden stehen die gleichen Kraftquellen zur Verfügung. / Ich trage sie in mir. / Ihr habt sie über euch. / Sichert euch beide« (96). Metapoetisch lässt ihn Fassbind vor dem Abschied seine Verwendungsart künstlerlisch-lyrischer Sprache kommentieren: »und nun gebe ich mein Pathos auf und kehre zu der bekannten zynischen Ausdrucksweise zurück, die meiner Natur eher entspricht« (96). Das Gegengewicht zum idealistischen Weg der Durchdringung von Geist und Materie sollen im dritten Teil drei weitere Gestalten aus der Sphäre der praktischen Welt darstellen: »Der vollendete Gentleman«, der für die friedliche Auswertung der Atomenergie plädiert, »der Mann in den öffentlichen Ämtern«, der durch die neue Waffe die Schmach des verlorenen Kriegs vergessen machen will, und die Großfinanz, die schon im Besitz aller »Pläne zur Atombombe mit der zwanzigtausendfachen Sprengwirkung der ersten Atombombe« ist. Zusammen erklären sie, die »Kontinente ausradieren« zu wollen (100–101). Eine surreale Szene glossiert ihren Eifer mit einer konsolidierten Spielmetapher : Die Bühne wird zum Schauplatz der Partie zwischen zwei unbesiegbaren, ohne jeglichen Schiedsrichter spielenden Mannschaften. Aufgeregte und überreizte Zuschauer sehen sich das Fußballspiel an, in dem der Ball eine Atombombe ist. Ein grausames Spiel, das der Geist in den Schlussszenen – als Stimme hinter der Bühne – zu verhindern versucht.

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Dieses Spiel braucht nicht gespielt zu werden. Dieses Spiel darf nicht gespielt werden. Dieses Spiel wird nicht gespielt werden. Ihr könnt wohl eure Feinde gegeneinander ausspielen. […] Aber ihr könnt nicht die Schöpfung gegen sich selbst ausspielen. Ihr könnt nicht die Kraft der Schöpfung gegen sich selbst ausspielen. Ihr könnt nicht den Geist der Schöpfung gegen sich selbst ausspielen. Ihr könnt nicht Gott gegen sich selbst ausspielen […]. (102–103)

Vergeblich, denn alles scheint in dieselbe potentiell destruktive Richtung zu weisen. Diese Zusammenhörigkeit von Geist und Materie, Geist und Kraft veranschaulicht Fassbind am biblischen Gleichnis von Moses brennendem Busch, bei ihm in ›Stahlbusch‹ umbenannt. Wie »der gewaltige Stahlturm«, der die Atomenergie entfesselte, »als sich die Kraft der Schöpfung kundtat«, so habe auch die Stimme im Stahlbusch gesprochen: »Ich habe das Elend meines Volkes gesehen. […] Ich kenne seine Leiden. / Doch nun ist das Geschrei meiner Söhne zu mir gedrungen. / Gehet hin und führet das Volk in ein gutes Land« (105). Dass der Autor dabei der Energie eine widersprüchliche Valenz zuschreibt, die die ›kreativen‹ Aspekte der Freisetzung der Kernenergie nicht ausschließt, kann ihm an diesem diskursgeschichtlich noch anfänglichen Punkt der Atomdiskussion nicht zum Vorwurf gemacht werden. Ebenfalls nicht verwunderlich sind in dieser frühen Phase der literarischen Auseinandersetzung mit der Bombe die doppelwertigen Assoziationen mit dem gewaltigen Lichtblitz der Explosion – auch ein Motiv, das in zahlreichen späteren Atomdramen mit ganz anderen, überdeutlich negativ gefärbten Implikationen auftauchen wird. Fassbind benutzt das Bild des Atombombenblitzes, um die Möglichkeit einer erlösenden Umkehr zu verdeutlichen. Hoffnungsvoll lässt er zum Schluss das blinde Mädchen Priscilla zu Hilfe kommen, dem der Blitz die Gabe des inneren, warnenden Sehens verleiht: »das Augenlicht ohne es zu erlangen« (104). Hier knüpft der Schweizer Dichter an eine Grunderfahrung der Mystik an, bei der der Verlust des Augenlichts Vorbedingung für eine höhere Weisheit ist. Indem er das Erlebnis der inneren Schau symbolisch mit der Erleuchtung der Menschheit gleichstellt, die in geistiger Finsternis versunken ist, zeigt er dem Menschen seinen religiös gefärbten Weg zur Rettung: Beide Chöre: Wir sind blind gegen die Schöpfung. Wir sind blind gegen die Kraft der Schöpfung. Wir sind blind gegen den Geist der Schöpfung. Wir sind blind gegen Gott und gegen den Geist und die Kraft Gottes. […] Arbeiter : Amen, sage ich, […] Amen aus ganzem Herzen. Denn die [sic] blind waren, sahen das Elend des Volkes, zu dem ich gehöre. Denn die da blind waren, hörten die Klagen des Volkes, zu dem ich gehöre.

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Denn die da blind waren, fühlten die Leiden des Volkes, zu dem ich gehöre. Und durch die Schöpfung wurde das Elend getilgt. Und durch die Kraft der Schöpfung wurden die Frontvögte vertrieben. Und durch den Geist der Schöpfung wurden die Klagen gestillt. Und durch Gott wurden die Leiden gesühnt. (105–107)

Beim grandiosen kosmischen Finale können Personen und Chöre die refrainartige Laudatio gemeinsam singen, der sich alle, Engel und Heere, Gestirne, Lichter und Wasser, der Geist und die Materie, bis auf die abgespaltenen Elementarteilchen, in einem Lob anschließen, das der überall waltenden göttlichen Macht gilt, »zum Heil aller Menschen, / jetzt und in alle Ewigkeit« (107). Franz Fassbind: Dramaturgie des Hörspiels. Zürich 1943. Ders.: Atom Bombe. Ein gesprochenes Oratorium. Einsiedeln, Zürich 1945. Nachgedr. in: Ders.: Werkausgabe in zwölf Bänden. Bd. 4: Laterna magica. Hrsg. von Peter Wild. Olten und Freiburg i. Br. 1989, S. 81–108. L.: Franz Fassbind: Atom-Bombe. In: Die Tat, 9. Dezember 1945. Franziska Schläpfer : Aus Pflicht zur Leidenschaft. Franz Fassbind – Leben und Werk. Schwyz 1997. Eugen Teucher : Über einen Hörspieldichter. In: Tages-Anzeiger, 30. Juni 1945.

2.

Max Frisch: Die Chinesische Mauer (1946)

Autor : Max Frisch (1911–1991) Darbietungsform: Farce in 24 Szenen in Prosa und Blankversen Uraufführung: 10. Oktober 1946, Schauspielhaus Zürich Ort: ortlose Szenerie (diese Bühne) Zeit: zeitlose Handlung (heute und vor 2000 Jahren)

Dass sich die Gesellschaft nach dem fraglichen »Fortschritt, der nach Bikini führte«, wie es in einer Tagebuchnotiz Max Frischs von 1946 heißt, Lasten und Vorteile der Entscheidung, »ob es eine Menschheit gibt oder nicht«,5 aufbürden muss, ist Inhalt und Botschaft des Schauspiels Die Chinesische Mauer, dessen erste Fassung ebenfalls 1946 erscheint und, wie wir sehen werden, die Tagebuchpassage wortwörtlich übernimmt. Die Chinesische Mauer ist kein Atomdrama im kanonischen Sinn, es bildet dennoch den Auftakt zu jener auf das Gefühl der kommenden Katastrophe fokussierten Dramenliteratur, die sich im nächsten Jahrzehnt unaufhaltsam entwickeln wird. In Gestalt eines allegorischen Maskenzugs kommt hier bereits die Voraussage eines herannahenden Weltuntergangs zum Vorschein, die dann im Genre der Atomdramen vielfachen Ausdruck finden sollte, auch wenn bei Frisch die Warnung nicht explizit politisch 5 Max Frisch: Tagebuch 1946–1949 (Anm. I, 27), S. 400–401.

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durchdekliniert und auch nicht in die Gegenwart hineinversetzt wird, sondern in das vorchristliche China, wodurch sie fast ins Surreale verfremdet wird. Frischs Chinesische Mauer ist ein komplizierter Text mit verschachtelten und thematisch heterogenen Handlungsebenen,6 auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Im Folgenden sollen nur jene Aspekte herausgestellt werden, die unter einer genrespezifischen Warnungs- und Endkatastrophendimension zu subsumieren sind. Den Stückrahmen bildet ein großes Fest: die Feier zur Errichtung der Chinesischen Mauer vor 2000 Jahren, die Kaiser Hwang Ti in der schon ganz zu Anfang erklärten Absicht vornimmt, »die Zeit aufzuhalten«.7 Daneben läuft eine jede Zeit und jeden Raum aufhebende Handlung, die durch allerlei anachronistische Begegnungen zwischen der Kommentatorfigur, dem ›Heutigen‹, und den ›Masken‹, meistens historischen oder auch nur literarischen Figuren aus verschiedenen Zeitaltern (z. B. Schillers Maria Stuart, Romeo und Julia usw.), bestimmt ist. Vom Tyrannenmörder Brutus zur betörenden Cleopatra – die sich allen Männern verkauft, »die Geschichte machen« (46) –, vom scheinheiligen Pilatus zum Inquisitionsfanatiker Philipp von Spanien, vom gelangweilten, europamüden Don Juan zu Zola mit seinem wiederholten J’accuse, von Iwan dem Schrecklichen zum wissbegierigen Columbus lässt Frisch am Zuschauer eine Parade vorüberziehen, die phantasmatisch ist: »Lemuren einer Geschichte, die nicht zu wiederholen ist« (17). Durch die zahlreichen Gestalten, die sich als klischeehafte Kulturarchetypen und Geschichtsreminiszenzen auf der Bühne abwechseln, fließen die diversen Vergangenheiten und die wiederkehrenden Kriege der Menschheit ineinander, bis zu ihrer jüngsten, verheerendsten Form, dem Atomkrieg. »Exzellenz« – verkündet der Heutige –, »das Atom ist teilbar«. »Was heißt das?«, fragt der ahnungslose Napoleon, der nicht versteht, wie die Radioaktivität alle seine Eroberungskampagnen außer Kraft setzt. Die Antwort des Heutigen konzeptualisiert Begriff und Gefahr eines Nuklearkriegs im Rahmen der technischen Reproduzierbarkeit der Apokalypse: »Die Sintflut ist herstellbar. Sie brauchen nur noch den Befehl zu geben, Exzellenz. Das heißt: Wir stehen vor der Wahl, ob es eine Menschheit geben soll oder nicht« (16). In der Verkleidung des Hofnarren ist es also der Heutige, der als Warner aus der Zukunft fungiert. Durch ihn verknüpft Frisch, innerhalb des chinesischen Rahmens, die Fäden der inneren Handlungsebene mit den drängenden Pro6 Diesen Aspekt behandelt hervorragend Cegienas de Groot: Zeitgestaltung im Drama Max Frischs: die Vergegenwärtigungstechnik in Santa Cruz, die Chinesische Mauer und Biografie. Amsterdam 1977, s. besonders S. 105–160. 7 Max Frisch: Die Chinesische Mauer (Anm. I, 68), S. 7. Von der Chinesischen Mauer gibt es vier Fassungen. Die erste, die 1946 entstand, wurde in demselben Jahr in Zürich unter der Regie von Leonard Steckel uraufgeführt; es folgten die Fassungen von 1955, 1965 und die sogenannte Pariser Ausgabe von 1972, aus der ich zitiere.

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blematiken der historischen Zeit des Zuschauers. Vor dem Kaiser, dem Errichter der »als Schutzwall gegen die barbarischen Völker« (7) gedachten Mauer, und vor einer bunten Reihe von ungläubigen Zuhörern hält der Heutige jene desorientierenden Plädoyers gegen radioaktive Waffen und deren Anwendung im Krieg, die für den ganzen Atomdiskurs in den vierziger Jahren höchst bedeutungsvoll sind. Aus einer seiner Warnungsreden seien hier selektiv die markantesten Passagen zitiert, bei denen übrigens der Begriff der ausweglosen Katastrophe mit dem traditionsreichen, in der Schweizer Literatur oft wiederkehrenden Sintflutmotiv8 gekoppelt wird: Wir befinden uns, meine Herrschaften, im Zeitalter der Wasserstoffbombe, beziehungsweise Kobaltbombe, das bedeutet […]: Wer heutzutag ein Tyrann ist, gleichgültig wo auf diesem Planeten, ist ein Tyrann über die gesamte Menschheit. Er hat (was in der Geschichte der Menschheit erstmalig ist) ein Mittel in der Hand, um sämtlichem Leben auf dieser Erde – aus einem Bedürfnis heraus, das absurd erscheint, jedoch bei schweren Neurotiker nicht selten ist – den Garaus zu machen. […] Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit (denn bisher war der Tyrann, der sein Rom in Flammen aufgehen ließ, immer bloß eine temporäre und durchaus lokale Katastrophe) – zum ersten Mal (und darum, meine Herrschaften, hilft uns keine historische Routine mehr!) stehen wir vor der Wahl, ob es die Menschheit geben soll oder nicht. Die Sintflut ist herstellbar. Technisch kein Problem. Je mehr wir (dank der Technik) können, was wir wollten, um so nackter stehen wir da, wo Adam und Eva gestanden haben, vor der Frage nämlich: Was wollen wir? Vor der sittlichen Entscheidung… Entscheiden wir uns aber : Es soll die Menschheit geben! so heißt das: Eure Art, Geschichte zu machen, kommt nicht mehr in Betracht. Eine Gesellschaft, die den Krieg als unvermeidlich erachtet, können wir uns nicht mehr leisten, das ist klar – […] Denn Krieg bedeutet Sintflut. […] Wobei ich Sie aufmerksam machen darf, meine Herrschaften: Es gibt keine Arche gegen Radioaktivität. (80–81)

Obwohl diese Beschwörung der Apokalypse von den anderen Dramenfiguren als romantische Schrulle belächelt wird, obwohl sie manchmal durch gezielte Unterbrechungen sogar bagatellisiert oder verdrängt wird (»Kellner sind erschienen, Aperitif anbietend. Kellner : Mit oder ohne Gin? Mit oder ohne Gin?«, 26), ist es interessant zu bemerken, wie die besorgten Aufrufe und Voraussagen des Heutigen auch eine weitere Funktion erfüllen: sie sollen den ›chinesischen‹ Geschehnisstrang durchbrechen, um Distanz zu schaffen und den Zuschauer selbst zum Vergleich mit der ihm drohenden Gegenwart anzuregen. Aus diesem Grund wendet sich der Heutige auf der Bühne sowohl an das Publikum als auch an die dramatis personae, die dadurch verwirrenden Vergegenwärtigungen ausgesetzt sind. Durch seine Einschübe zerstört das Stück die Chronologie, 8 Vgl. Peter Utz: Kultivierung der Katastrophe: Literarische Untergangsszenarien aus der Schweiz. München 2013 (besonders das Kapitel: Noahs Arche, Die Sintflut und die alpine Insel, S. 149–176).

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verlässt den Boden der Vergangenheit und lehrt, wie die technologische Wende eine radikale Neuorientierung des Denkens erfordert: Die Beseitigung der historisch und ideologisch bedingten Vorstellung einer kreisförmigen, sich ewig wiederholenden Geschichte der Kriege. Direkt fordert der Heutige die umstehenden Monarchen und Regierenden, Tyrannen und Eroberer auf, niemals »wieder[zu]kehren. […] Eure Siege, eure Reiche, eure Throne von Gottesgnaden, eure Kreuzzüge hin und Kreuzzüge her, es kommt nicht mehr in Frage. Wir wollen leben. Eure Art, Geschichte zu machen, können wir uns nicht mehr leisten« (26). Und noch expliziter drückt er sich gegenüber der Kaisertochter Mee Lan aus, als er sie von der Geschichte des wissenschaftlichen Fortschritts in Kenntnis setzen will. Dabei benutzt er die Einstein-Formel als fatales Resümee des gescheiterten tausendjährigen Menschheitswissens: »Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat« (32). Erläutert wird an dieser Stelle die Quintessenz der verhängnisvollen Theorie durch die kritische Aushöhlung des ursprünglich tendenziell positiv konnotierten Begriffs ›Energie‹. Denn »die moderne Physik« habe nunmehr gelehrt, wie die Energiefreisetzung in das unausweichliche Oxymoron eines »Wärme-Todes« ausmünde. Masse ist Energie, eine ungeheuerliche Ballung von Energie, und wehe, wenn sie losgeht! Und sie geht los. Schätzungsweise seit zwei Milliarden Jahren. Was ist unsere Sonne? Eine Explosion. Das ganze All: eine Explosion. Es stiebt auseinander. Sozusagen. Und was wird bleiben? Die Wahrscheinlichkeit (so lehrt die moderne Physik) spricht für das Chaos, für den Zerfall der Masse. […] Und bleiben wird Energie, die kein Gefälle mehr hat, die nichts vermag. Wärme-Tod der Welt, so nennt man das: das Endlose ohne Veränderung, das Ereignislose. (32–33)

Ironisch nimmt der Heutige die passive Anpassung an die Folgen der Wissenschaft wahr – die Wissenschaftsergebnisse, an die man sich leicht »gewöhnt« (35) –, allen voran die Wasserstoffbombe, die den Krieg ohne Wasserstoffbombe nicht verhindert, da er genauso wie zur Zeit des chinesischen Mauerbaus getrieben wird. Paradox ist diese Gewöhnung an das Ungewöhnliche, paradox der Versuch, das gedanklich Unfassbare in Worte zu fassen: »nur haben wir dafür noch eine Maschine, die das menschliche Hirn übertrifft, sie errechnet im Nu, was den Herrschern nützt, ein Druck auf die Schalter, und sie weiß« (35). Es trägt zur Komik des Textes bei, dass die darin entworfene kosmisch-apokalyptische Vision einer »Erde, die keine mehr ist, Planet ohne Leben, kreisend in der sturen Finsternis des Alls« (82) – »die streifenden Schatten ihrer Gebirge, das Violett ihrer Meere, die tot sind […], kein Vogel, kein Kind, keine Stimme […]. Nichts […]; taub und blind wie die Dinge ist Gott, blind und leer und ohne Schöpfung« – im Stück selbst mit einem Lyrikpreis ausgezeichnet wird. Jede Warnung vor Krieg und Atomtod weiß der nach Macht strebende Herrscher auf perverse Art dem eigenen totalitären Konzept anzupassen, um sie als Druckmittel gegen die

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politischen Feinde einzusetzen. Nichts nützt das Bewusstsein der Zukunft, das sich der Heutige mit seinen Reden zu erwecken vornimmt. Ebenso vergeblich versucht die Kaisertochter Mee Lan, die Sicherheit ihres Vaters zu beeinträchtigen und seine Illusion zu entlarven, durch die Mauer könne man »die Zukunft verhindern«. Mee Lan: Ich weiß nicht, Papa, ob du es weißt? Hwang Ti: Was? Mee Lan: Wegen der Zukunft… Der Mensch fliegt auf den Mond, und das alles weißt du nicht, Papa, und auf der Erde lebt er im Zustand der Entfremdung. Hwang Ti: Was sagst du? Mee Lan: Du kommst 2000 Jahre zu spät, Papa, die Zukunft hat schon stattgefunden. (41)

Alles sehr typisch, sehr charakteristisch für den Atomdiskurs. Hwang Tis hartnäckiger Ahnungslosigkeit gegenüber den neuen Herausforderungen der Zukunft entsprechen symbolisch zwei grundlegende Thesen der damals noch sehr jungen Nukleardebatte: Erstens wird hier die fatale Ignoranz, die ›Blindheit‹ der Menschheit für eine unsichtbare und unbeachtete Bedrohung angedeutet. Zweitens steht die Auffassung der Mauer als Schutzwall gegen politische Gegner stellvertretend für die verbreiteten defensiven Argumente, mit denen die weitere Produktion von Atomwaffen als Schutzmittel vor von außen kommenden atomaren Gefahren befürwortet wird. Aber so wenig die Chinesische Mauer gegen Aggressoren taugen kann – (»Denn die Barbaren, das sind immer die andern. […] Und die Kultur, das sind immer wir«, 44) –, so wenig kann die Herstellung der Atombombe als Verteidigungsmittel der Menschheit nachhaltigen Schutz bieten. In Frischs Verkleidung der Vergangenheit vermengt sich alles in einem gleichgültigen, misstrauischen Spiel. Das Karussell der Schlussszene lässt den Teufelskreis der Geschichte wieder von vorne beginnen, »während die Figuren ihre Sprüche wiederholen: lauter und leiser, alle gleichzeitig und durcheinander, bis die Bühne dunkel geworden ist« (92). Frischs groteskes, bezeichnenderweise als ›Farce‹ untertiteltes Werk kann, wie gesagt, nicht als typisch zeitpolitisches Atomdrama charakterisiert werden, aber es thematisiert dennoch zum ersten Mal die für das ganze Genre grundlegende Frage des Überlebens der Menschheit nach der Atombombe. Es reflektiert die ab dem Biennium 1946/47 einsetzende und sich in den Medien abspielende Debatte über Reichweite und Grenzen der Nuklearoption, die sich dem Publikum im Stück als dramatische Wahl aufdrängt, »ob es eine Menschheit geben soll oder nicht« (16). Sie konfrontiert den Menschen mit dem merkwürdig freudigen Gefühl jener ›selbstgemachten‹ Apokalypse, von der auch Günther

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Anders spricht,9 bei der sich der Mensch als freie Entscheidungsinstanz wähnt. Die hier in den Blick genommene Alternative zwischen Überleben und Auslöschung versteht Frisch selbst, wie sein Kommentar zur Don-Juan-Figur seines gleichnamigen Dramas einige Jahre später zeigt, als Alternative zwischen den zwei Extremen von Tod und Kapitulation, an denen sich sogar das Bestehen und Fortbestehen des »männlichen Geistes« entscheide: Lebte er in unseren Tagen, würde Don Juan (wie ich ihn sehe) sich wahrscheinlich mit Kernphysik befassen: um zu erfahren, was stimmt. Und der Konflikt mit dem Weiblichen, mit dem unbedingten Willen nämlich, das Leben zu erhalten, bliebe der gleiche; auch als Atomforscher steht er früher oder später vor der Wahl: Tod oder Kapitulation – Kapitulation jenes männlichen Geistes, der offenbar, bleibt er selbstherrlich, die Schöpfung in die Luft sprengt, sobald er die technische Möglichkeit dazu hat.10

Eine äußerst interessante, aktualisierende Anmerkung, in der Frisch seinen Protagonisten zum Typ des modernen Intellektuellen macht, der in seinem bedingungslosen Erkenntnisdrang Menschen und Welt zum Forschungsobjekt erniedrigt, selbst auf das Risiko hin, die Menschheit ganz auszulöschen. Noch eine Variante der immer typischer werdenden Wissenschaftlerfigur des 20. Jahrhunderts. Mahmoud Al-Ali: Die Problematik der Identität in Max Frischs Drama »Die Chinesische Mauer«. In: Claudia Gunz, Thomas F. Schneider (Hrsg.): Krieg und Literatur / War and Literature. Jahrbuch / Yearbook XIX, Osnabrück 2008, S. 39–47. R8my Charbon: Die Lemuren der Vergangenheit. Max Frisch: »Die chinesische Mauer«. In: Ders.: Die Naturwissenschaften im modernen deutschen Drama. Zürich 1974, S. 62–70. Max Frisch: Die chinesische Mauer. Eine Farce. Basel 1947. Ders.: Die chinesische Mauer. Eine Farce. Version für Paris (1972). Frankfurt a. M. 1976. Ders.: Tagebuch 1946–1949. In Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Hrsg. von Hans Mayer. Bd. 2, Frankfurt a. M. 1976. Joseph Gregor : Die Chinesische Mauer (Max Frisch). In: Ders.: Der Schauspielführer. Bd. 7. Stuttgart 1957, S. 56–58. Cegienas de Groot: Zeitgestaltung im Drama Max Frischs: die Vergegenwärtigungstechnik in »Santa Cruz«, »Die Chinesische Mauer« und »Biografie«. Amsterdam 1977. Volker Hage: Max Frisch. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1983. Manfred Jurgensen: Max Frisch. Die Dramen. Interpretationen. Bern, München 1968. Gerhard P. Knapp (Hrsg.): Max Frisch. Aspekte des Bühnenwerks. Bern, Frankfurt a. M., Las Vegas 1979.

9 Günther Anders: Hiroshima ist überall (Anm. I, 21), S. 223. 10 Max Frisch: Nachträgliches zu »Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie«. In: Ders.: Stücke. Bd. 2. Frankfurt a. M. 1962, S. 319.

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Jürgen Kost: Geschichte als »Farce des Inkommensurablen« – Max Frisch. In: Ders.: Geschichte als Komödie: zum Zusammenhang von Geschichtsbild und Komödienrezeption bei Horv#th, Frisch, Dürrenmatt, Brecht und Hacks. Würzburg 1996, S. 99–126. Klaus Müller-Salget: Max Frisch. In: Alo Allkemper und Norbert Otto Eke (Hrsg.): Deutsche Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Berlin 2000, S. 334–354.

3.

Karl Valentin: Die Atombombe (1946/47)

Autor : Karl Valentin (1882–1948) Darbietungsform: kleines Kabarettstück Uraufführung: nie gespielt Ort: Deutschland Zeit: Gegenwart

Zwischen 1941 und 1946 tritt der Münchener Komiker Karl Valentin kaum öffentlich auf. Jedoch verfasst er in den Kriegsjahren zahlreiche kleine Sketche, monologische und dialogische Kabarettstücke, die meistens nicht gespielt und erst lange nach seinem Tod veröffentlicht werden. Einige zeitkritische Texte bringt der Verleger Willi Weismann 1946 und 1947 – in der kurzen Laufzeit seines Münchner Magazins – heraus, darunter auch den Dialog Die Atombombe, der vermutlich schon 1946 entstanden war und zu Lebzeiten des Autors nie aufgeführt wurde. Im Jahr 1947 überarbeitet,11 erscheint Die Atombombe im Dezemberheft des ersten Jahrgangs von Weismanns Zeitschrift. Für Valentin wird die Bombe in Japan zum Inbegriff globaler Vernichtung, zum Inbild des Mangels an Zukunft schlechthin. Im Oktober 1947 bringt Valentin in einem Brief an Kiem Pauli dieses pessimistische Gefühl einer kompletten Ausweglosigkeit deutlich zum Ausdruck: »Nachwelt??« – fragt Valentin den oberbayerischen Volksliedsammler – »Glauben Sie noch an eine Nachwelt?«. Friedrich Schiller paraphrasierend fügt er hinzu: »Die Atombomben sind schon da: ›Wehe, wenn sie losgelassen – wachsend ohne Widerstand – durch die volksbelebten Länder […]‹«.12 Bewusst naiv, wie üblich halb im Dialekt, dramatisiert der Sketch in einem laut Untertitel »tiefsinnigen Gespräch, gelauscht von Karl Valentin«,13 zunächst das Ungeheure, das Unbekannte des Ereignisses. Auf knapp drei Seiten unter11 Im Typoskript des Nachlasses findet man den handschriftlichen Zusatz: August 1947. Vgl. den Stellenkommentar zum Text bei Karl Valentin: Sämtliche Werke in acht Bänden. Hrsg. von Helmut Bachmaier und Manfred Faust. Bd. 4: Dialoge. Hrsg. von Manfred Faust und Andreas Hohenadl. München 1996, S. 432. 12 Karl Valentin: Sämtliche Werke in acht Bänden (Anm. oben). Bd. 6: Briefe. Hrsg. von Gerhard Gönner und Helmut Bachmaier. München 1991, S. 218. 13 Karl Valentin: Die Atombombe. In: Ders.: Sämtliche Werke in acht Bänden. Bd. 4: Dialoge (Anm. II, 11), S. 222–225, hier S. 222. Hier auch die folgenden Zitate.

Karl Valentin: Die Atombombe (1946/47)

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halten sich Frau Huber und Frau Maier, also die Huberin und die Maierin, über die schicksalhafte Bombe. Ihr konstitutives Requisit ist ›Neuheit‹. In dem Gespräch, das die zwei Frauen beim Einkaufen führen, ergibt sich das Neue aus der Superlativierung der Attribute, die das Undenkbare emphatisieren. Über die Bombe weiß nur die Huberin Bescheid, die, wie sie selbst sagt, »immer auf dem Laufenden und noch dazu sehr belesen« ist, während die Maierin das unwissende, nichtsahnende Volk verkörpert, das über die plötzlich bevorstehende Gefahr eher aufgeklärt werden muss. Die »neue Atombombe« – erklärt die Huberin – sei »nicht nur furchtbar«, sondern »das Katastrophalste […], was je erfunden wurde«. Für das Unvorstellbare fehlt aber ein vertrauter Wortschatz: Das Unbeschreibliche ist im wahrsten Sinne des Wortes das ›Unaussprechliche‹. »So, das Katrophalste, wie ham S’ gsagt?«, fragt sprachverzerrend die Maierin. »Das Ka-ta-stroh-stroh-fall-steh«, buchstabiert die Huberin, dabei freilich zugebend, es sei »schwer zum Ausdrücken« (222). Scharfsinnig und ironisch verdeutlicht Valentin an dieser Stelle die zunehmende Schere zwischen Gemeinsprache und Fachausdrücken im Bereich der Kerntechnik, die in ihrer terminologischen Komplexität schwer nachvollziehbar sein können. Nicht jedoch für die gut informierte Huberin, die eine pädagogische Ader zu haben scheint: »Ein Katastrophal« – doziert die Frau fleißig – »ist eine Art Energie, und wenn die exeplidiert, dann gehts los, dann is dö ganze Welt hi«. Für die Explosion sorge ja »net der Amtom selber«, sondern der Kern: »Der is innen drin im Amtom, genau wia bei de Zwetschgn, da is aa der Kern inner drin« (223). Die neu angeeigneten, im Grunde noch fremden Kenntnisse in Sachen ›Atom‹ schlagen sich in falsch ausgesprochenen ›Amtom‹-Komposita wie »Amtombombenkernzertrümmerung« (223), »Amtomenergiekernzertrümmerungsmethode« (224) und anderen Neubildungen aus der Werkstatt der Atomenergie nieder, die verwirrend wirken. So sind Moleküle in der Sprache der belesenen Huberin »Molikühle«, die die kleinsten Teile des Kerns bilden – »de san um aa Drionstel mal kleiner, als wia der winzigste Amtomkern selber« (223). Und die sprachlichen Missverständnisse, die einen Begriff mit unterschiedlichen, doch vom Thema weit entfernten Inhalten verbinden, werden für den komischen, deplatzierenden Effekt benutzt. Die ›Molikühlen‹ der Huberin sind für die Maierin »kleine Maniküren«, die die Huberin ihrerseits als »Maiküren« vernimmt. So wird mit Sprachwagnissen, die ganz neue Sinnzusammenhänge erschließen, auch der Zustand von Unwissen und Desorientierung thematisiert, der nach dem ersten Atombombenabwurf das tradierte Weltbild völlig ins Wanken bringt. Neben diesem Gefühl allgemeiner Verunsicherung ist da aber noch etwas. Karl Valentins Dialog spiegelt auch jene unmittelbar nach dem Einsatz der ersten Atombombe zu beobachtende diffuse Ambiguität in der Bewertung der Kernenergie wider, die trotz moralischer Verdammung des Kriegs – wie die zwei

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einfachen Frauen zeigen – an Bewunderung grenzt. Sogar die Huberin entpuppt sich hier als Verteidigerin der Kernkraft, welche »ein wahrer Segen für uns und für die ganze Menschheit« werden kann, wenn sie »einmal zu nützlichen Sachen Verwendung findet« (224). Darüber lässt Valentin die beiden Frauen einen Disput führen. Denn auch die unwissende Maierin hat eine praktische Erwiderung parat: »Ja ja, schon, aber wenn doch vor der nützlichen Verwendung die schädliche Verwendung angewandt wird, dann ist doch nach meiner Ansicht die nützliche Verwendung nicht mehr anwendbar, weil mir doch scho alle hi san«. Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit, die aber die kenntnisreiche Huberin rasch zu überspielen weiß, indem sie zum Schluss die Gefährlichkeit der Bombe einschränkt: »Na, so gfährli werds net wern. Im Krieg hats ja auch gheißn, jede Kugel trifft net, und da ists dasselbe, denn so genau als wie mit einem Gwehr oder einer Kanone könnas’ mit der Amtombombe niemals zielen« (224). Getrost und zugleich verwundert (so die Maierin: »i muaß grad so staunen, daß Sie des alles so wissn«, 224), geht nun die Maierin kochen und bedankt sich für das stimulierende Gespräch: »Interessant war des heit, hoch- und wissenschaftlich«. Sicher keine Fachsimpelei, doch absolut aktuell. Helmut Bachmaier (Hrsg.): Kurzer Rede langer Sinn. Texte von und über Karl Valentin. München 1990. Matthias Biskupek: Karl Valentin. Eine Bildbiographie. Leipzig 1993. Monika Dimpfl: Karl Valentin. Biografie. München 2007. Michael Schulte: Karl Valentin. Eine Biographie. München 1985. Karl Valentin: Die Atombombe. In: Ders.: Sämtliche Werke in acht Bänden. Hrsg. von Helmut Bachmaier und Manfred Faust. Bd. 4: Dialoge. Hrsg. von Manfred Faust und Andreas Hohenadl. München 1996, S. 222–225.

4.

Oskar Wessel: Hiroshima (1948)

Autor : Oskar Wessel (1899–1955) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 20. Februar 1948, Nordwestdeutscher Rundfunk Berlin Ort: Japan Zeit: Gegenwart

Für das kurze Hörspiel Hiroshima wird 1948 Oskar Wessel – Leiter der Abteilung ›Wort‹ bei Radio Bremen, der schon zwischen den Kriegen für das Medium Rundfunk Pionierarbeit geleistet hatte – mit dem zum ersten Mal ausgeschriebenen Hörspielpreis des NWDR ausgezeichnet. Zwei Jahre darauf bekommt er dafür den Preis des Hörspielwettbewerbs des Bayerischen Rundfunks. Den weiteren Erfolg des Textes bestätigen die zwischen 1948 und 1955 wiederholten

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Ausstrahlungen über wichtige Radiosender wie NDR, SDR, BR14 sowie über den italienischen und den Schweizer Rundfunk.15 Relevant ist Wessels Stück vor allem, weil hier das Thema Hiroshima, das viele Autoren der frühen Nachkriegszeit beschäftigt, erstmals explizit die künstlerische Bühne betritt. Oskar Wessels erklärter Drang nach ›Aktualität‹,16 sein Bemühen, den Schrecken von Hiroshima durch einen fiktionalen Text zu dokumentieren, liefert allerdings kein realistisches Bild der ungeheuren Tragödie. Denn »nicht das ›Japanische‹, sondern das ›Sinnbild‹ Hiroshima«17 soll laut Regieanweisungen der eigentliche Inhalt des Hörspiels sein. Das Motiv des Atombombenabwurfs hebt der Dichter auf eine symbolische Ebene und verleiht ihm archetypische Bedeutsamkeit. Die genaue Wirklichkeit der Zerstörung wird im Spiel nicht abgebildet. Es ist vielmehr das Gefühl der Unbegreiflichkeit des Ganzen, das durch die traumhaft gesteigerte Existenz eines Schattens wahrnehmbar gemacht wird. Der Protagonist ist nämlich ein Schatten, der am 6. August die Katastrophe übersteht und die letzte halbe Stunde seines ahnungslosen Besitzers, Herrn Tagotas – vor 8 Uhr 16 an jenem verhängnisvollen Tag –, heraufbeschwört: »Wußte Herr Tagota, daß er dreißig Minuten später tot sein würde? Er wußte es nicht, und ich, sein Schatten, wußte es auch nicht« (222). Anstoß zur Hörspielhandlung gibt eine in mehreren Zeitungen wiedergegebene Nachricht, wonach man, lange Zeit nach dem Atomknall, einen durch radioaktive Strahlen eingebrannten Schatten gefunden habe. Der Schattenriss, d. h. die Silhouette von Menschen, die durch die Atombombendetonation wie auf einer Chalkographie in den Asphalt oder die Wände eingemeißelt blieb, überlebt also die sofortige Vernichtung seiner verbrannten Träger. Wessel geht von diesem Schattenmotiv aus, das – wie wir schon im Teil I (Abschnitt 2.2) gesehen haben – auch in späteren Dramen über Japan in beträchtlichem Maße verarbeitet wird, gibt aber das Schicksal des sprechenden Schattens und seines Trägers mit evokativer und visionärer Kraft wieder. Originell und suggestiv ist die daraus resultierende Kombination des immateriellen Schattenbegriffs mit dem Paradoxon der weiterlebenden ›Körperlichkeit‹ des Schattens: Gegen solche unheimliche Spaltung, die nicht nur alle physikalischen Gesetze umkehrt, sondern auch jede menschliche und göttliche Logik zerschlägt, wehrt sich der Schatten im Text selbst mit beinahe empörtem Erstaunen: Er war sofort tot. Ich aber, der Schatten des Herrn Tagota, lag auf dem Boden. Etwas Glühendes, Heißes nagelte mich fest. Gegen alle Regel lebte ich noch. Wahrhaftig. Ich 14 Vgl. dazu die Hörspieldatenbank des Deutschen Rundfunkarchivs, unter URL: http://www. dra.de/index.html. 15 Vgl. dazu O. A.: Mörderische Angelegenheit. In: Der Spiegel, 18. April 1951, S. 32–33. 16 Oskar Wessel: Aktualität im Hörspiel. In: Rundfunk und Fernsehen 3 (1955), S. 47–52. 17 Oskar Wessel: Hiroshima (Anm. I, 66), S. 220.

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lebte und begriff es nicht. Und begreife es nicht; denn der Mensch und sein Schatten gehören zusammen oder ich begreife die Welt nicht mehr. […] Ich will kein Gespenst sein. Wenn der Mensch stirbt, hat sein Schatten auszulöschen. Das war unser Gesetz, seit Gott die Schöpfung schuf. Wer kann das aufheben, wer hat den Mut gehabt, dies aufzuheben? (221–222)

Von der Figur des Ansagers zum Berichten aufgefordert, bricht der Schatten sein Schweigegebot (»stöhnt Sprechen! Schatten sprechen so mühsam, Herr! Wir sind ein grauer Orden, der Schweigen gelobt hat«, 222), um von den letzten Augenblicken Tagotas zu erzählen, bevor ihn die Bombe trifft. Er redet vom Tod seines Herrn, meint aber damit den Abschluss einer ganzen Epoche: Es ist das Ableben eines Volks mit seinen Bräuchen und seinen Traditionen, das sich an dem Schicksal des reichen und alternden Industriellen Tagota zu erfüllen scheint. Das Wissen des Zuschauers um das nahe Ende lässt von vornherein Tagotas Illusion verblassen, durch die Liebe zu einem jungen Mädchen aus dem Volk die Zeit aufhalten zu können. Seine »kleine Flucht aus der ›großen‹ Zeit« (225) ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, ein leerer Wahn der Wunsch, die Zeiger der biologischen Uhr zurückzudrehen. In jener verdünnten Zeitpause, kurz vor der Apokalypse, versucht der Alte mit »Herzklopfen«, die Liebe von MichikoSan, einem armen Garderobe-Mädchen, zu gewinnen, das seine Getas – die typisch japanischen Holzschuhe – nicht sorgfältig aufbewahrt hat. Unter diesem Vorwand trifft er die »schöne Wächterin der Sandalen« (224) und führt mit ihr ein Gespräch, in dem dem Leitmotiv des Schattens unterschiedliche Bedeutungen zukommen, die manchmal positive Konnotationen zulassen. Zum Beispiel als Tagota dessen schüchterne, zarte Berührung an der Schulter spürt (Tagota: »Aber siehst du meinen Schatten, und – … wie deiner an meine Schulter rührt?«, 224) oder bei der Evokation der traditionellen Schattenspiele (»Als ich noch jung war wie du, hatte ich noch Freude an der stummen Musik, die die Schatten machen«, 225). Noch häufiger sind aber Schatten nur Gespenster, Schreckbilder der Opfer : »Zu viel Schatten sind da«, resigniert Michiko-San, »der Krieg, die Zeit, die Zukunft« (ebd.). Eine Empfindung verzweifelter Skepsis durchzieht die Gefühle der jungen Generation. Das Böse »sitzt in den Menschen« selbst (225), in der ständigen Bedrohung des Friedens, den seelischen und körperlichen Verstümmelungen, die jeder Krieg mit sich bringt – wie bei Hiromito, dem Verlobten von Michiko, der bei einer Explosion den linken Arm verloren hat. Seine Figur greift nur kurz in die Dramenhandlung ein, um die Ursache des Menschheitsuntergangs auf die Maßlosigkeit der progressiven Technisierung zurückzuführen. Ich glaube, es liegt an den Menschen, die immer schneller, an den Schornsteinen, die immer höher, an den Bohrtürmen, die immer dichter werden. Das Maß geht verloren,

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Öl fließt in Blut. […] Und der Fuji steht und unsere Städte verbrennen. Ich möchte auf den Berg rennen und fragen: Was haben wir falsch gemacht? Was habe ich falsch gemacht? Gib uns unser Maß zurück, Fuji, Berg, Ehrwürdiger! (228)

In Hiromitos Dialog mit Tagota verflicht sich das Schattenmotiv mit der im Stück nicht minder zentralen Schuhmetapher. Den alten Tagota bittet Hiromito, »nicht so lässig« von den »verschollenen Sandalen« (229) zu sprechen, sie nicht als Vorwand zu missbrauchen, um das junge Mädchen zu umwerben. In einem komplexen metaphorischen Beziehungsspiel kreuzt sich in seinen Worten die geisterhafte Existenz der schreitenden Schatten mit dem Bild der sorgsam aufzubewahrenden Schuhe an den geschwollenen Soldatenfüßen: »[…] dann sagte mein Kamerad Yamashita: ›Stell sie nicht zu weit ab, Freund! Der Tod sucht Schuhe, der Tod sucht immer Schuhe –‹. Herr Tagota, warum suchen Sie Ihre Sandalen nicht?« (229). Ihrerseits sieht Michiko-San das ganze Leben sub specie animierter Schuhe, ein Universum laufender Getas und Sandalen. Sie denkt sogar »in Schuhen«. In einem traumhaften, von Schritten und dem Klappern der Holzschuhe begleiteten Monolog imaginiert sie die autonome Flucht der Schuhe vor Bomben und zerstörten Städten: Manchmal, Herr Tagota, denke ich wirklich nur in Schuhen. Wenn ich knie, seh’ ich den Menschen nicht ins Gesicht, aber immer auf die Schuhe und Sandalen. Sie stehen wie eine Herde um mich herum […]. Und dann denke ich, woher die Schuhe kommen und wohin sie gehen, ob sie manchmal müde sind oder hastig. Und wenn es […] so still ist in der Garderobe, dann höre ich die Sandalen gehen… Kurzes Klappern Getas, die es eilig haben, nach Hause zu kommen, ein Kind weint, ein Brief ist da, der Regen wischt das Fenster – Langsamer Takt Oder es macht einen schweren Schritt, weil einer in die Kaserne muß und übermorgen ins Feld, in eine endlose Straße entlang wie die von Tokio und Yokohama. – Gescharr von Schritten Und manchmal laufen sie, laufen sie schrecklich. Laufen sie hierhin, laufen sie dorthin, weil die Flieger kommen und die Bomben fallen und die Straße brennt und die Häuser ohne Obdach sind, und fallen, stehen auf, stehen still und stürzen weiter – man hört es, man kann es nicht hören, man mag es nicht mehr hören und hört es immer wieder… Die Uhr tickt. Am Ende denkt man nur noch in Schuhen, Herr Tagota. Und man bewacht die Schuhe und möchte die Menschen bewachen. (225–226)

Schritt für Schritt verlieren hier die Zeitkoordinaten ihre Geltung: Michiko lebt nicht mehr in der erzählten Handlung vor dem Bombenabwurf. Flieger und Bomben sind schon da, während die unaufhörlich tickende Uhr das Vergehen der Minuten vor dem Ende des Lebens unerbittlich verkündet, das mit dem Ende des Hörspiels zusammenfällt. Ihre Worte gipfeln in einer halluzinatorischen

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Vorwegnahme der Katastrophe. Eher bewachungsbedürftig als die Schuhe erweist sich die ganze Menschheit, die ihrem selbstverursachten Tod entgegengeht. Nicht von ungefähr teilen bei Wessel dieses Zerstörungsschicksal auch die unschuldigen Tiere, die im Fall der Atombombenexplosion nichts von dem bevorstehenden Tod ahnen, »obwohl die Tiere« – bemerkt der Schatten des Protagonisten – »doch manchmal Witterung haben selbst vor einem Erdbeben« (227). So wie Herr Tagota scheint auch die kleine, sich in der Sonne wärmende Eidechse keine Ahnung von dem herannahenden Ende gehabt zu haben. Wie in Hiromitos Klage über die fortschreitende Technisierung der Umwelt lässt auch hier der Schriftsteller das Bild einer radikalen Umkehrung der natürlichen Ordnung entstehen. Durch den verantwortungslosen Einsatz des Menschen scheint jedes Naturgesetz nunmehr verzerrt zu sein. Genauso unwissend wie die Menschen am Vorabend ihres Sterbens erkennen die Tiere keine Bedrohung mehr. Verloren ist der angeborene Selbsterhaltungstrieb vor Naturkatastrophen, der bislang das Überleben auf der Erde garantiert hatte, die instinktive Witterung der Gefahr. In dieser Vorstellung der völlig überrumpelten Tierwelt sowie in der kunstvollen Verflechtung von Schatten- und Schuhmetapher schafft Oskar Wessels Hörspiel Hiroshima prototypisch grundlegende Motive, die zahlreiche weitere Japan-Dramen in verschiedenen Variationen durchdeklinieren sollten. Ulrich Ott, Friedrich Pfäfflin (Hrsg.): Oskar Wessel: Hiroshima. In: Dies.: (Hrsg.) Konstellationen. Literatur um 1955. Marbacher Kataloge 48, Marbach 1995, S. 201–202. Oskar Wessel: Hiroshima. In: Hansjörg Schmitthenner (Hrsg.): Sechzehn deutsche Hörspiele. München 1962, S. 219–233. Ders.: Aktualität im Hörspiel. In: Rundfunk und Fernsehen 3 (1955), S. 47–52.

5.

Fred Denger: Bikini (1948)

Autor : Alfred Denger (1920–1983) Darbietungsform: aktlose Folge aus 29 Szenen18 im jambischen Pentameter Uraufführung: erste Hälfte Januar 1948, Göttinger Schauspiel-Studio Ort: an Bord des Flugschiffs Mount MacKinley Zeit: Mai 1946

»Hätten wir doch mehr Wangenheims und Dengers«,19 schreibt die Berliner Zeitung nach der begeisterten Diskussion, die der Uraufführung des ersten 18 Bei der Uraufführung waren es 31 Szenen. Vgl. O. A.: Bikini hinterm Bullauge. Experiment in Göttingen. In: Der Spiegel, 17. Januar 1948, S. 16–17. 19 A. R.: Jugend kämpft um ihren Dichter. »Hätten wir doch mehr Wangenheims und Dengers«. In: Berliner Zeitung, 16. April 1946, S. 3.

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Stücks von Fred Denger, Wir heißen euch hoffen, folgte.20 Das hochaktuelle Drama hatte dem jungen Autor, in der Inszenierung Gustav von Wangenheims im April 1946 im Studio des Deutschen Theaters, eine gewisse Popularität verschafft. Die erfolgreiche Linie des Zeitstücks setzte Denger mit dem Theaterversuch Bikini bewusst fort, einem experimentellen Text, den der Dramatiker selbst als »filmisches Theater« bezeichnete und mit dem Heinz Dietrich Kenter, einflussreicher Oberspielleiter am Stadttheater Göttingen, mit großer Resonanz das ›Schauspiel-Studio 1948‹ eröffnete. Gerade in seiner »außerordentlichen« Regie, »unterstützt von den suggestiv andeutenden Schwarzweiß-Bühnenbildern Hans Plochs und der unheimlichen Geräuschkulisse der stampfenden Maschine und der heulenden Schiffssirene«,21 erkannten einige Rezensenten die meisten Verdienste der Aufführung, die die Schwächen des etwas lehrhaften Textes kunstvoll versteckt habe. Nach der Göttinger Uraufführung kamen allerdings weitere Theatervorstellungen zustande, die mit Beifall aufgenommen wurden. Das Drama, das laut Widmung zu »dem Frieden der Welt«22 seinen Beitrag leisten möchte, beschreibt das Abwarten – auf dem amerikanischen Flaggschiff Mount MacKinley – eines Atombombenabwurfes auf die Bikini-Inseln. Wie schon im ersten Teil (Abschnitt 1.3) bemerkt, beginnt zu diesem Zeitpunkt Bikini in der literarischen Topographie der Atomdramen eine besondere symbolische Bedeutung zu erhalten. Genauso sinnbildlich, wie Oskar Wessel sein ›Hiroshima‹ gemeint hatte, ist auch der Begriff ›Bikini‹ für Denger : Ihm liege es daran, die dramatische Intensität Szene um Szene zu steigern, um »die Symbolik ›Bikini’s‹« (5) zu offenbaren. Selbst dort, wo Denger mit Reportagemitteln arbeitet, beabsichtigt er keine realistische Zustandsschilderung, sondern die atmosphärische Verdichtung von Neurosen und Ängsten der Passagiere im Bauch des Schiffs, die der Zuschauer durch ein Bullauge – ein genialer Bühneneinfall – ›indiskret‹ beobachtet. Die Lust am Beobachten der Katastrophe, die auch Frisch thematisiert hatte, wird durch die fast voyeuristische Perspektive emphatisiert. Darin lässt Denger jene Problematik der Spektakularisierung und Mediatisierung des Bikini-Ereignisses durchschimmern, für die schon Thomas Mann in einer lapidaren Tagebuchnotiz den Ausdruck broadcasten verwendet hatte.23 Nicht von ungefähr sind in das Stück auch Radiosendungen und Medienberichte über die sich anbahnende Explosion eingeschaltet, die beweisen sollen, wie der Steuern zahlende Bürger – von zu Hause aus – bequem und getrost eine große Emotion erleben kann, also »sein Sensatiönchen auf das Frühstücksbrötchen« 20 Vgl. dazu auch Ilse Jung: Fred Denger: »Wir heißen Euch hoffen«. In: Tägliche Rundschau, 6. April 1946, S. 3. 21 O. A.: Bikini hinterm Bullauge (Anm. II, 18), S. 17. 22 Fred Denger : Bikini (Anm. I, 26), S. 7. 23 Thomas Mann: Tagebücher (Anm. I, 25), S. 15.

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(15). Die Nachrichten über die kriegerischen Ereignisse lassen sich in ein Kontinuum von Kommunikationsverfahren einfügen. So kommentiert die Stimme des Funkers: Dein Vater fiel in Flandern? Interessant. Dein Bruder vor Paris? Wie interessant. – Und fallen morgen vor Bikini tausend und auf der ganzen Kugel die Milliarden – zum Teufel, was ist dann? Wie? Interessant? (15)

In dieser Optik des Endes wird alles ›interessant‹. Jene beinahe krankhafte »Lust am Untergang«24 tut sich hier kund, die Sieburg in dem allgemeinen Behagen an der Katastrophe ironisch konstatiert. Die ganze Klimax geht der finalen Zerstörung entgegen. Nicht nur Luft, Wasser und Meeresboden sind darin miteinbezogen (»zuletzt wirft man die Bombe vielleicht dem Ätna, dem Vesuv ins Maul«, 14). Die gesamte Summa der erdenklichen, aber auch der undenkbaren Möglichkeiten des vermeintlichen Fortschritts der Menschheit wird apokalyptisch ausgemalt: »Propheten alle Welt verkünden Sintflut. / Weltuntergang und ähnlich schlimme Dinge« (18). Dramatisiert wird also nicht der Nukleartest an sich. Vielmehr sind es Erwartung, Spannung und Aufschub des Endes, die hier paradigmatisch gezeigt werden. Und insbesondere ist es die Angst – die menschliche Panik vor dem Tod, die kreatürliche Schwäche im Augenblick der Schmerzen, die nervöse Furcht vor dem Ungewissen –, die in ihren facettenreichen Nuancen, in ihren Kombinationen mit Liebe, Macht und Geld erwacht und über dem ganzen Stück wie der Gazeschleier schwebt, der laut Regieanweisungen zwischen den Szenen heruntergelassen werden soll. Diesen Schleier erklärt der Autor am Stückanfang programmatisch »lüften« zu wollen. Was metaphorisch dahintersteht, ist das verängstigte, geradezu erschrockene Verhalten von Besatzung und Passagieren. Die Psychologie der Apokalypse feiert hier ihren Triumph. Die ganze Skala der wachsenden Angst wird in den vielen Gestalten aufgeboten. An Bord des Versuchsflaggschiffs versammelt findet sich ein Konzentrat menschlicher Gesellschaft, vom Arbeiterpersonal zu Vertretern der geistlichen, gelehrten, militärischen und künstlerischen Szene. Junge und Alte, Europäer und Amerikaner, verliebte und verzweifelte Paare, ein Admiral im Konflikt mit der eigenen, verantwortungsbewussten Tochter, die neugierige Stimme einer erregten Reporterin und eine von Sponsoren unterstützte Schauspielerin gehören zur bunten Schar der dramatis personae. Die emotionalen Reaktionen, zu denen sie von der bevorstehenden Explosion gedrängt werden, kommen unterschiedlich zur Sprache. 24 Friedrich Sieburg: Die Lust am Untergang (Anm. I, 284).

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Den jungen Lift Boy friert und schauert – wie er selbst der Krankenschwester wiederholt gesteht – bei den Vorbereitungen gegen die Explosion, deren Blitz auch bei Denger wie bei zahlreichen anderen Dramatikern der Zeit zum leitmotivischen Symbol der Atombombe wird: Boy : […] Oben wird gebastelt. Sie färben alle Scheiben dunkelblau. – – Sie haben Ihre Brille schon empfangen? Ich auch. Hier ist sie. Dunkelblaues Glas. Damit der Blitz uns nicht erblinden macht. Als wenn er’s könnte! Schwester, kann er das? Schwester : Gewiß nicht, Boy. Er kann uns gar nicht schaden. Boy : Dann sagen Sie mir nur, warum mich friert. Schwester : Doch Angst, mein Junge? Boy : (nickt) Weiß nicht, wie das kommt, auf einmal schüttelt’s mich am ganzen Körper – – das ist, als wenn ich in die Kissen weinte, ganz naß geschwitzt am Morgen, alles naß. Und Träume in der Nacht, von Totenköpfen, und Schreie hallen aus den dünnen Wänden, und Blut fließt irgendwo aus großen Boilern. [leises Stampfen] Ganz schrecklich, Schwester, wirklich fürchterlich. (12)

Die Aufregung des Jungen, der zu viele Fragen stellt (»So viel mußt du nicht fragen. / Von Politik versteh’n wir beide nichts. / Es hat schon alles seinen Sinn hier / mit Bikini!«, 13), bagatellisiert die Schwester zwar als natürliche Spannung der Wartezeit. Er solle sich »nicht zuviel Gedanken machen« (12); es gehe ja allen so, die auf die schicksalhafte Stunde harrten, bis es aufblitzt und donnert und »der Spuk« vorbei ist (13). Aber so sehr sie auch relativiert wird, die Angst grassiert auf dem ganzen Schiff. Sie tritt im fiebrigen Countdown der schlaflosen Passagiere und Offiziere auf, sie erscheint in der ablaufenden Zeit, die von den Bühnenfiguren immer hektischer skandiert wird, und in dem an Tempo immer mehr zulegenden Stampfen, das die spärliche Handlung hämmernd begleitet. Angst durchnässt das Hemd des Matrosen, der, den Tod ahnend, in der Dunkelheit mit der Taschenlampe herumgeistert (38), und zeigt sich im Angstschweiß des Heizers (»Oh, diese Hitze! Schweiß, Schweiß, Schweiß, Schweiß, Schweiß. / Es wird schon gut gehen […]. Das ist der Schweiß. – Ach Quatsch! Wieso denn Angst! Haha – ich Angst – der Herr Bikini-Smith!!!«, 40). Angst kommt auch als treibendes Motiv einer unendlichen Jagd auf die Gespenster ins Spiel, die die Menschen verfolgen: Sie wohnt den schrecklichen Bildern inne, welche die Träume der Admiralstochter mit Schreien und makabren Figuren bevölkern (sie »hatten ihren Kopf am Haarschopf und schleppten ihn und

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schlenkerten damit herum, als wäre es ein Beutel Apfelsinen«, 20). In den Ohren eines nervenüberreizten Professors erfüllt die Angst das ganze stöhnende Schiff mit Leiden, »als wenn es durch die Wände weinte«, und mit »Schluchzen« die stampfenden Maschinen (30–31). Überhaupt wird Angst in ihrem assoziativen Umfeld, in Verbindung also mit Wörtern wie ›Furcht‹, ›Grauen‹, ›zittern‹, ›gruseln‹, ›schaudern‹, ›Zähneklappern‹, zum obsessiven Kristallisationspunkt der zunehmenden Wahrnehmung der Atomgefahr. Oft dient die Darstellung der Angst vor allem dazu, die Idee einer Sinnlosigkeit, einer Leere zu vermitteln, die in der allgemeinen Zerstörung Menschen und Dinge, Werte und Gefühle befällt, ja sogar das Vertrauen in die eigene Mutter zunichtemachen kann.25 Oder die Figuren versuchen – vergeblich –, sie zu besiegen; man kann sie im Whisky ertränken, in dem letzten Endes auch Atome »schwimmen« (30), man kann sie sogar ›verwürfeln‹: In einem grausamen Gesellschaftsspiel, wo man »um den Untergang der Erde« würfelt (33). Neben diesen Überwindungsstrategien, die sich im Grunde selbst desavouieren, stellt Denger auch einen weiteren Weg zur Neutralisierung der Angst dar, der dem Atomdiskurs nicht fremd ist: die Erotik. Der sinnliche Liebesdurst, mit dem die Stewardess ihre Angst maskiert, stellt den Nexus zwischen Eros und Leiden, Tod und Begehren, Ablenkung von Todesängsten und ihre Sublimierung im Liebesspiel deutlich her : Mich brennt die Sehnsucht manchmal fast wie Feuer Und wühlt in meinem Leib wie tausend Teufel. […] Je mehr ich Angst hab, morgen könnt’ es enden, es könnte enden, desto wilder wird mein Blut, rebellisch wie ein Regiment von Fliegern, – Fischen die man aus dem Wasser und Bäume, die man tags aus ihrem Boden herausnimmt, ohne sie vor Licht zu schützen! (36)

Diese ausschließlich physisch gelebte Leidenschaftlichkeit, das ungestillte Wünschen und Sehnen der Frau nehmen an Bord des Atomversuchsschiffs die Form einer Reise in den Tod an, wo das Atombombenfeuer mit der Flamme der Sinnlichkeit verglichen wird und dies sich bis zur Vereinigung mit Gott steigert. Noch vierundzwanzig. Lieber Gott, ich sterbe vor lauter Sehnsucht – sterbe ich, lieber Gott – (Schreit.) Ich will nur einen Kuß! (Murmelt.) … und mach mich fromm… (Weint.) 25 So der Lift Boy : »so lang das Biest noch lebt und existiert, / traut keiner einem andern, und selbst ich / – zum Kuckuck – würde meiner eignen Mutter / weit aus dem Wege gehen, wenn sie es hätte« (27). Zum Angstmotiv s. Teil I, Abschnitt 2.5.1.

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Ich sehn’ mich so – verzeih mir lieber Gott – Ich habe Angst – nur einen Kuß – ich habe doch Angst – nur einen Kuß – … und mach mich fromm… (43)

Es wäre aber verkehrt, eine solche Hervorhebung einer äußersten, im Angesicht des Todes genossenen Sexualität als ein Element der Trivialliteratur anzusehen. Vielmehr handelt es sich, wie Wolfgang Lueckel in seinem Kapitel über Lovemaking in the Face of Death scharf und zutreffend beobachtet hat, um eine Überlebensdimension; eine Erfahrung der physischen und emotionalen Selbsterhaltungsmodalitäten inmitten der Apokalypse, die das Liebesmotiv im Theater gegen den Nuklearkrieg mehrfach inszeniert.26 Auch der in mehreren Szenen von Bikini explizierte Kreis von Angst und Krieg ist für den Atomdiskurs üblich. Erstens als Argument der dem Menschen absichtlich eingeflößten Angst und deren Verbreitung als scheinbar harmloses Warnungsmittel: Denn »[g]ewarnt ist nicht bedroht!«, wie der Offizier erklärt, und schließlich müsse man im Frieden ausprobieren, »was man im Kriegsfall zu benutzen denkt« (35). Zweitens als das schon angedeutete, mit ambivalenten Gefühlen von Angst und Erregung genossene Vergnügen am Risiko, umso mehr, wenn es weit von uns entfernt zu sein scheint. Denger entwickelt mit großer Geschicklichkeit dieses Szenario purer Sensationslust. Vor dem Hintergrund der eindrucksvollen Explosionskulisse am Ende des Stücks sind es die Protagonisten selbst, die, dicht gedrängt am Bullauge, durch ihre »blauen Brillen mit angstverzerrten Gesichtern« (45) auf das BikiniAtoll starren. Sie nehmen also direkt die Zuschauerrolle ein. Unterdessen werden Scheinwerfer ins Publikum gerichtet, um es zu ermahnen und zu aktivieren. Und an das Publikum und die ganze Menschheit wendet sich die Anrede der Schlussverse, von Fanfarentönen begleitet: »Welt hör’ zu! […] Welt! wach! auf! Welt sieh’ Bikini!« (45–46). Ein Chor stellt die Frage, ob das den Frieden bringen wird. Die darauffolgende adversative Aussage »Oder den Tod!«, ohne Fragezeichen, relativiert jedoch jede einfach zu handhabende Friedensperspektive und entlässt den Zuschauer ohne jeglichen Lösungsversuch. Bei der offenbleibenden finalen Wendung senkt sich der Vorhang, während sich ein wütendes Donnern bis an die Grenze des Erträglichen steigert. Fred Denger : Bikini. Unverkäufl. Manuskr. München 1948. [Military Government for Bavaria Information Control License Number US-E-117]. Ilse Jung: Fred Denger : »Wir heißen Euch hoffen«. In: Tägliche Rundschau, 6. April 1946, S. 3.

26 Vgl. Wolfgang Lueckel: Atomic Apocalypse (Anm. I, 7), S. 235–250.

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Wolfgang Lueckel: Atomic Apocalypse. »Nuclear Fiction« in German Literature and Culture. PhD. University of Cincinnati 2010. O. A.: Bikini hinterm Bullauge. Experiment in Göttingen. In: Der Spiegel, 17. Januar 1948, S. 16–17. Gertrud Runge: Bikini. Uraufführung in Göttingen. In: Die Zeit, 22. Januar 1948, S. 5–6. A. R.: Jugend kämpft um ihren Dichter. »Hätten wir doch mehr Wangenheims und Dengers«. In: Berliner Zeitung, 16. April 1946, S. 3.

6.

Curt Langenbeck: Der Phantast (1948)

Autor : Curt Langenbeck (1906–1953) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 4. Dezember 1948, Staatstheater Stuttgart Ort: Amerika Zeit: Gegenwart

In der Spiegel-Rezension zur Uraufführung von Langenbecks dreiaktigem Schauspiel Der Phantast berichtet der Rezensent davon, dass der Münchener Verleger Kurt Detsch auf die Frage, »wen von den zur Zeit ›politisch unerwünschten‹ Autoren er am liebsten verlegen möchte«, ohne Zögern »Curt Langenbeck!«27 geantwortet habe. ›Unerwünscht‹ war der ehemalige Chefdramaturg des Bayerischen Staatsschauspiels, der, wie Boguslaw Drewniak in seinem Buch zum Theater im NS-Staat schreibt, »wegen seiner Erfolge im Dritten Reich nach dem Krieg als ›Nazi-Dramatiker‹«28 galt, obwohl er keiner NS-Institution konkret zuzuordnen war. Dass Langenbeck zur Nazizeit eine explizit kooperierende Haltung bezog, ist tatsächlich schwer zu behaupten, aber er hatte doch gewiss am ›Resi‹, dem Münchner Residenztheater, eine führende Position gehabt, die er bei dem großen Revirement Anfang der fünfziger Jahre verlassen musste.29 Interessant ist allerdings, dass Karl Künkler, ab 1937 Leiter der Theaterabteilung für Fragen der NS-Propaganda, ihm sogar eine suspekte »weltanschauliche Position« vorgeworfen hatte, »die nicht in Einklang zu bringen war mit der nationalsozialistischen Weltanschauung«.30 Offensichtlich meinte hier Künkler jene eher nihilistische Einstellung zur Welt und zur Kunst der Zeit, die sich aus der

27 O. A.: Um das Abendland zu retten. In: Der Spiegel, 11. Dezember 1948, S. 23. 28 Boguslaw Drewniak: Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte 1933– 1945. Düsseldorf 1983, S. 218. 29 Vgl. Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966 (Anm. I, 10), S. 352. 30 Zitiert in: ebd.

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»Erfahrung der Gott- und Sinnlosigkeit«31 ergibt, welche Langenbeck in seinem mäandernden Lebensweg mehrfach zum Ausdruck brachte. Eine derartig betrübte, pessimistische Stimmung erscheint eben auch im Atomdrama Der Phantast als negative Quintessenz und radikale Hoffnungslosigkeit des menschlichen Handelns. Die genaue Entstehungszeit des Werks ist nicht bekannt. Sicher ist es aber das letzte Opus der dramaturgischen Tätigkeit des westfälischen Dichters. In der spärlichen Sekundärliteratur werden unterschiedliche Veröffentlichungsdaten angegeben. Laut dem Spiegel-Rezensenten habe sich der Autor nach dem Krieg sozusagen eine mehrjährige Reflexionspause gegönnt, bevor er mit seinem Antiatom- und Antikriegsdrama wieder an die Öffentlichkeit getreten sei. Der Phantast dürfte aber eher kurz nach dem ersten Bombenabwurf geschrieben worden sein. Denn von spezifischen Fragen der Radioaktivität, die erst einige Jahre später in den Mittelpunkt des Atomdiskurses rücken, ist im Text noch gar nicht die Rede. Publiziert wurde das Bühnenmanuskript jedenfalls zwischen 1949 und 1950, auch hier fehlt jegliche Jahresangabe. Die Uraufführung hatte schon am 5. Dezember 1948 in Stuttgart stattgefunden. Und mit relativ guter Resonanz, wenn es wahr ist, dass das Publikum »sich dankbar für die bedrückende Aktualität des gescheiten und fesselnden Stückes« zeigte und den Autor, »den Phönix aus der Asche«,32 wiederholt vor den Vorhang klatschte. Ziemlich negativ äußert sich hingegen Karl F. Reinking in der Zeit. Ein »dramaturgisch stellenweise sehr schwaches Stück«, heißt es in der Rezension vom 16. Dezember 1948.33 Trotz mancherlei unbestreitbarer rhetorisch-argumentativer Spitzfindigkeiten, die der allzu klügelnden Kunst des gewandten Dramatikers nicht fremd sind, muss man jedoch Langenbeck als Verdienst anrechnen, mit seinem Phantast ein Themenfeld eröffnet zu haben, das als eine der repräsentativsten Richtungen des Atomtheaters die Produktion nahezu monopolisieren sollte: das auf Rolle und Verantwortung des Wissenschaftlers aufgebaute Physikerdrama. In seiner Studie Widerstand und Mitschuld weist Heinz Geiger darauf hin, dass der Autor mit Der Phantast schon die Position beziehe, die Jahre später bei Dürrenmatts Physikern vorkomme.34 Auch bei Langenbeck erweist sich die Vernichtung der weltbedrohenden Formel durch ihren Urheber als sinnlos, und auch bei ihm ist, 31 Curt Langenbeck: Über Sinn und Aufgabe der Tragödie in unserer Epoche. In: Völkische Kultur 3 (1935), S. 241–252, hier S. 248. Vgl. dazu auch Peter Bumm: Drama und Theater der konservativen Revolution. München 1971, S. 233–235. 32 O. A.: Um das Abendland zu retten (Anm. II, 27). 33 Karl F. Reinking: »Der Phantast«. Zu einer Langenbeck-Uraufführung. In: Die Zeit, 16. Dezember 1948, S. 5. 34 Vgl. Heinz Geiger : Widerstand und Mitschuld (Anm. I, 7), insbesondere das Kap. III: Galilei und die Folgen: Reflexionen über die gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers, S. 68–96.

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wie bei Dürrenmatt, das bereits Erforschte, das einmal Entdeckte unwiderruflich: Genauso wenig wie für Dürrenmatts Möbius das einmal Gedachte am Ende ›zurückzunehmen‹ sein wird, genauso wenig ist das hier geschilderte Schicksal der Menschheit zu ändern und ihr Untergang zu vermeiden. Keine Gemeinsamkeiten mit der Dürrenmatt’schen Groteske haben jedoch bei Langenbeck die drückende Düsterkeit der Handlung, der schwere Ernst, der aus der Gestaltung des Protagonisten Professor Brückmann spricht, seine unerschütterliche religiös-ethische Haltung. Viele der üblichen Klischees, die in den späteren Atomdramen über naturwissenschaftliche Fragen verbreitet sind, treten freilich schon hier auf, wie die bald ins Schablonenhafte abgleitende Idee von der Unbeschreiblichkeit der Atombombe, die begriffliche Extremisierung und die Superlativierungsspirale. Die Bombe stellt »eine ins Unvorstellbare potenzierte Katastrophe« dar, in der »der Krieg ad absurdum geführt werden wird«,35 man rechnet »mit der furchtbarsten und allgemeinsten Verstümmelung, woraus dann freilich der Tod folgen muss«, und zwar so, »dass auch diejenigen unserer Ärzte, die das bisher Schlimmste sahen, sich keine Vorstellung davon machen könnten« (25). Auch das Handlungsschema enthält eine Kombination vieler inhaltlicher Stereotypen, wie wir sie bei mehreren Autoren von Wissenschaftlerdramen finden: Der ›Phantast‹ des Titels – ein deutscher Physiker, der an einem amerikanischen Institut arbeitet – ist ein unverbesserlicher »Schwärmer« (11), der zum eigenen Vergnügen Flöte spielt. Er hat eine weltumwälzende Entdeckung gemacht, die an Zerstörungspotential alles bisher Hergestellte übertrifft. »Sie könnten sich ebenso gut vorstellen, dass es gelänge« – warnt er erschrocken –, »die Bewohner der Stadt New York oder des Ruhrgebietes […] zu lähmen; nicht für Stunden oder Tage, sondern unrettbar, für immer« (50). Die Erfindung ist aber für die Industriewelt wegen geringer Kosten sehr vorteilhaft, sogar »billiger […] als die Atombombe; etwa im Verhältnis eins zu achthundert« (51). Die lange und äußerst strukturierte Diskussion um die Folgen wissenschaftlicher Leistungen, um den Konflikt zwischen dem menschlichen Gewissen und der Berufung zum Forscher, um Zweifel und moralische Skrupel des Atomphysikers im politischen und gesellschaftlichen Kräftefeld bestimmt größtenteils den Ablauf der Szenen. In eindringliche Dialoge eingebunden und in betont lehrhafter Sprechweise stehen sich im Drama entgegengesetzte Standpunkte und Meinungen gegenüber. Als polare Wortführer und Träger der Argumentation fungieren zunächst Professor Brückmann und sein Assistent Thomas Kreiß, die der typischen Lehrer-Schüler-Konstellation entsprechen, deren Modell sich schon in Brechts Galilei als Grundkonflikt zwischen der Titelfigur und Andrea Sarti angekündigt 35 Curt Langenbeck: Der Phantast (Anm. I, 30), S. 54.

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hatte. Kreiß gelingt es, die von Brückmann vernichtete Formel zu rekonstruieren, und er stellt sie dem Staat zur Verfügung. Seine verräterische Handlungsweise – ein »Judas. Und mit reinem Gewissen« (67) – ist aber genauso wissenschaftlich und, auf eine gewundene Weise, moralisch begründet wie die Brückmanns: Thomas’ Engagement zugunsten der praktischen Auswertung der Atomenergie entspringt einer seiner Meinung nach unvoreingenommenen Auffassung von kompletter Freiheit und Ungebundenheit der Wissenschaft. Als autonomer, totaler Wissenschaftler setzt er sich dem gläubigen Brückmann entgegen, für den die Atombombe ein Frevel gegen Gott ist: »Ein Erforschtes vernichten« – meint Thomas – »unter der Devise, es sei dem ›Schöpfer‹ geraubt worden«, sei bloß ein gefährlicher Wahnsinn. »Wir sind in den Wissenschaften jenseits von gut und böse« (6), beteuert er schon am Dramenanfang mit Nachdruck. Den unlösbaren Widerspruch – für ihn fast eine contradictio in terminis – in der Position Brückmanns hebt er deutlich hervor : Kann sich die Naturwissenschaft »nach einem Sittengesetz richten, das in der Natur nicht vorkommt?«, fragt folgerichtig der junge Physiker, »[o]der nach einem Gott, der in der Natur nicht vorkommt?« (7). Ganz anders Professor Brückmann, der Christ, der eine Freiheit befürchtet, die ihm »schrecklich ist« (75), und der jeglichen Forschungstrieb nicht als »eine Angelegenheit der Moral, sondern der Religion« (17) betrachtet. Ein Idealist ist Brückmann in seinem Glauben, Gott seine Forschungsergebnisse zum Opfer zu bringen, ein armer Träumer in seiner Überzeugung, / la Möbius, durch die bloße Vernichtung der experimentellen Unterlagen die Menschheit vor dem Untergang retten zu können. Das Modell dieses weltfremden, reinen Wissenschaftlers konfrontiert aber Langenbeck nicht nur mit dem ehrgeizigen, zielstrebigen Schüler Kreiß, sondern auch mit der sehr praktischen, nicht unsympathischen Figur des USStaatssekretärs Kliff, der für den atomaren Vorsprung des Abendlandes plädiert. Kliff ist im Grunde ein aufgeschlossener Mensch. Genauso wenig, wie Brückman ein Mann ist, der Brücken schlägt, kann man Kliff für ›felsig‹ halten.36 Im Gegenteil, er wirkt – vielleicht gegen den Willen des Autors selbst – ziemlich flexibel; ein Mann von Welt, mit einer Prise Amoralität, wie auch seine Einschätzung der Gegner Amerikas beweist. Ich bin weit davon entfernt, unsre Eigenschaften und Methoden für fleckenlos zu halten. Ja, wenn ich mir nicht den Luxus leidenschaftlicher Verachtung reserviert hätte für – Denunzianten und deren Parasiten oder Nutzniesser : ich würde nicht ungern die gefährlichen Narren einbeziehen, die von früh bis spät ihrer Nation ein Loblied singen, 36 Eine Gestein-Metaphorik ist in vielen Anspielungen zu verzeichnen. Vgl. zum Beispiel S. 69: »Wir stehen wie ein rocher de bronze in dem tobenden Meere dieser verderblichen Verrücktheiten! Und was Sie, Herr Professor, getan haben, das erhebt Sie mit einem Schlage auf die Spitze dieses Felsens!«.

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das nicht weniger stinkt als jedes einzelne Eigenlob auch. Dieses kritische Sehen kann mich aber nicht hindern zu erkennen, dass in diesem Lande die Möglichkeit echter Toleranz und persönlicher Freiheit gegeben ist und erstrebt wird – wovon bei unsrem Gegenspieler beim besten Willen nicht die Rede sein kann. Ich sage das übrigens ohne Geringschätzung; der Zwang, auf irgend eine Weise die Massen in Form zu bringen, stellt uns vor so ungeheure Aufgaben, dass ich mich sehr wundern würde, wenn die Völker und Regierungen nicht auf verschiedenen Wegen oder Irrwegen die Lösung suchten. (54–55)

Der pragmatische Ton entspringt einer logischen Vision der Tatsachen, für die Brückmanns Katastrophismus ein spätes, gefährliches Kind des ›europäischen Pessimismus‹ ist (»Gut. Gut. Das sind Gedanken eines europäischen Pessimisten […]. Aber ich habe keine Untergangsgefühle«, 51). In allem ist Kliff ein Realist, den Langenbeck, nicht ohne Ironie, mit einer ausgeprägten Vorliebe für Paradoxien ausstattet. Wohl weiß er, dass »oft mit unchristlichen Mitteln für eine christliche Welt gestritten werden musste, und dass es also nötig werden könnte, um der Toleranz willen intolerant zu sein. […] Ich bin sicher, dass ein Mann Ihrer Art« – sagt er Brückmann – »mich nicht zwingen möchte, auf übermenschliche Weise menschlich zu sein«. (56) Brückmann hingegen ist kein Mann der Vermittlung. Was sein Name andeutet, dementiert seine Natur : Er baut keine Brücken, wie er selbst dem Staatssekretär ausdrücklich erklärt (»weil ich Sie verstanden habe, ist mir gewiss geworden, dass von mir zu Ihnen keine Brücke sich bauen lässt«, 55). Ebenso wenig nimmt er, nach dem sittlichen Entschluss zum persönlichen Rückzug in ein Leben ohne Forschung und Wissenschaft, die Verantwortung nur auf sich: Er resigniert vielmehr in einer eher schicksalhaften Auffassung von Religion und der Funktion Gottes, die ihm letzten Endes Last und Qual der Entscheidung abnimmt. Seine Auslegung des von seinem Schüler Thomas an ihm und an der Wissenschaft geübten Verrats deckt sich mit einer fast fatalistischen Idee der Unabwendbarkeit und Unergründlichkeit des göttlichen Vorhabens: Ich vermute, dass ich mich zu einer Gotteslästerung durchrechnen muss. Erstens: mein Schüler hat sein Wort gebrochen und mich verraten. Das ist eine verhältnismässig geringfügige Angelegenheit. Aber, Zweitens: Gott, dem ich diente; Gott, von dem ich gerufen war zu tun, was ich getan: er hat diesen Verrat geschehen lassen. Also hat er ihn gewollt. Also hat er mich verworfen. Da er aber mich gerufen hatte zu tun, was er jetzt verwirft, so verwirft er sich selbst. (92)

So relativiert am Schluss ein entsetzlicher Nihilismus jedes Verhalten – und damit auch den Wert jeder individuellen Handlung. Übrig bleibt nur die bornierte Begeisterung der Schlussworte, mit denen Thomas’ Freundin, »ein geschminkter Witz« (30), den Bräutigam davon überzeugt, dass seine Rekonstruktion der Formel doch »nötig« gewesen sei: »Er [Brückmann] lebt mit heiligen Schmerzen nun. Wir meistern die Welt« (97). Über dieses unbesonnene

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Siegesgefühl der jüngeren Generation fällt der Autor kein explizites Urteil. Das symbolische Endwort im Drama spricht aber die Künstlerin, die als Karikaturenzeichnerin auftaucht und an einer Stelle dem unüberwindlichen Pessimismus des Autors ihre Stimme verleiht: »Ja, meine Damen: Wahrheit ist heute nur noch in der Karikatur. Das lässt tief blicken, den, der sehen kann!« (64). Für die dilemmatische Position des Atomphysikers, seine Unfähigkeit oder gar Unmöglichkeit, zu entscheiden, kann Langenbecks Schauspiel keine eindeutige Lösung bieten. Joseph Gregor : Der Phantast (Curt Langenbeck). In: Ders.: Der Schauspielführer. Bd. 2. Stuttgart 1954, S. 74–75. Uwe-K. Ketelsen: Langenbeck, Curt. In: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 584–585. Curt Langenbeck: Der Phantast. Unverkäufl. Manuskr. München [o. J., vermutlich 1950, Military Government for Bavaria Information Control License Number US-E-101]. Ders.: Über Sinn und Aufgabe der Tragödie in unserer Epoche. In: Völkische Kultur 3 (1935), S. 241–252. Manfred Lotsch: Der Dramatiker Curt Langenbeck (1906–1953). Sein Leben und Seine Entwicklung bis 1932. Hamburg 1958. O. A.: Um das Abendland zu retten. In: Der Spiegel, 11. Dezember 1948, S. 23. Karl F. Reinking: »Der Phantast«. Zu einer Langenbeck-Uraufführung. In: Die Zeit, 16. Dezember 1948, S. 5.

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Ingeborg Drewitz: »Unio mystica« – ein Spuk? (1948)

Autor : Ingeborg Drewitz (1923–1986) Darbietungsform: Schauspiel in neun Bildern, mit Musik und Chorstimmen Uraufführung: nie aufgeführt (unveröffentlicht) Ort: phantastische, kosmische und mythische Szenerie Zeit: ahistorische Gegenwart / Ende der Zeiten

Ingeborg Drewitz’ Schauspiel »Unio mystica« – ein Spuk? ist ein Stationendrama, das zeitlich in einer Reihe von neun Bildern abläuft und die Menschheitsund Heilsgeschichte von der Schöpfung über die Vorzeit, das dantische Mittelalter, die kopernikanische Wende und die Französische Revolution bis in die Zukunft umfasst. Als wiederkehrende dramatis persona in diesem Wiederholungsmuster welthistorischer Konstellationen fungiert der Tod, der in verschiedener Gestalt in allen neun Bildern auftritt. Mit dem Sensenmann, der dem Menschen »das zeit- und grenzenlose Sein verwehrte«,37 ringt Prometheus als Herausforderer und Gegenspieler Gottes. Das Werk ist Teil eines großangelegten Prometheus-Projekts, das weitere erzählerische und essayistische Texte ein37 Ingeborg Drewitz: »Unio mystica« – Ein Spuk? (Anm. I, 313), S. 80.

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schließt. Wie Ursula Heukenkamp bereits im Titel ihres Aufsatzes über die Autorin ganz richtig betont, ist nämlich Prometheus »ein Thema, das Ingeborg Drewitz begleitet«.38 Noch im Roman Eingeschlossen von 1986 ist der Protagonist, ein an der Entwicklung der Atombombe arbeitender Physiker aus dem Manhattan-Team namens P. von der Gestalt des Prometheus besessen. Gerade als Bilanz dieses ›Prometheus-Pakets‹ lässt sich für die Kritikerin feststellen, »daß Ingeborg Drewitz an der Erfahrung der Geschichtsumwälzung im Bannkreis der Atomerfahrung gearbeitet hat«.39 In einem viele Jahre nach der Niederschrift von Unio Mystica gegebenen Interview verweist die Schriftstellerin selbst auf den Jugendtext im Rahmen eines Werkzyklus, dessen Bezug zur Atombombe sie ausdrücklich unterstreicht: »Zuerst schrieb ich an einem Theaterstück. Dann fing ich an, einen Roman zu schreiben, der hieß Prometheus II. […] Es war eine Auseinandersetzung mit der Atombombe und dem menschlichen Größenwahn, mit der Welt herumzuspielen«.40 Der ›Techniker‹ Prometheus gilt hier als Inbegriff der gesamten Sage der europäischen Zivilisation, als widersprüchlicher Träger eines wissenschaftlichen Fortschritts, der dem Menschen entglitten ist. Gerade diese Konzeption der prometheischen Schuld bringt auch Walter Jens in seiner Einführung zur Anthologie Leben im Atomzeitalter in Verbindung mit der Tendenz der Literatur »zwischen Hiroshima und Tschernobyl« zur Darstellung des Menschen »in seiner Plenipotenz, seiner technischen Allmacht und moralischen Ohnmacht«.41 So wird also Prometheus im Klima des diffusen westeuropäischen Pessimismus der Nachkriegszeit zur symbolischen Angelfigur der Kritik am technologischen Erkenntniswahn und Fortschrittsglauben. Drewitz’ Prometheus entspricht der Typologie des gefallenen Engels, der über der Wissenschaftshybris jede Moral vergisst und dadurch den kollektiven Tod vorbereitet. Dieser nihilistisch gefärbten Perspektive dramatische Form zu geben, ist aber der Autorin nicht überzeugend gelungen. Im Grunde wirkt Drewitz’ Unio Mystica sowohl im Aufbau als auch in der mit jugendlichem Pathos beladenen Sprache an vielen Stellen verwirrend, manchmal übercodiert. Das ambitionierte Jugendstück, dessen Manuskript im Ingeborg-Drewitz-Archiv die handgeschriebene Jahresangabe 1948 trägt, blieb jedenfalls unaufge38 Ursula Heukenkamp: Prometheus und die Atombombe: ein Thema, das Ingeborg Drewitz begleitet hat. In: Barbara Becker-Cantarino, Inge Stephan (Hrsg.): »Von der Unzerstörbarkeit des Menschen«. Ingeborg Drewitz im literarischen und politischen Feld der 50er bis 80er Jahre. Bern 2005, S. 201–207. Heukenkamp schreibt: »Das Prometheus-Paket von Ingeborg Drewitz umfaßt noch vier weitere Texte, die Erzählungen Das Urteil und Prometheus und die Ameisen, das Fragment Prozeß gegen Prometheus und den Essay Die Angst des Prometheus«, S. 205–206. Zur Figur des Prometheus im Atomdiskurs vgl. Teil I, Abschnitt 2.5.3. 39 Ebd., S. 207. 40 Interview mit Cettina Rapisarda vom 30. 10. 1987 (Anm. I, 312). 41 Walter Jens (Hrsg.): Leben im Atomzeitalter (Anm. I, 58), S. 15 (Hervorhebung von W. J.).

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führt und unpubliziert. Eine zusätzliche Archiv-Mappe enthält verschiedene Briefe von Verlegern und Radio-Abteilungsleitern, die auf die Einreichung des Textes alle ziemlich brüsk reagierten. Die Urteile über das Werk fallen meistens scharf und negativ aus. Der NWDR und die Hörspielabteilung der RIAS Berlin finden das als Hördrama angebotene Stück für die Rundfunkwiedergabe schier ungeeignet.42 Noch entschiedenere Absagen erhält die beharrliche Schriftstellerin von Piper und vom Gustav Kiepenheuer-Verlag. Dieser erklärt unverhohlen, sich zur Annahme des Spiels nicht entschließen zu können, nicht nur weil er »an einen wirklichen Erfolg beim Publikum« nicht glaube, sondern weil es dem Drama an »eigentlich dramatische[r] Kraft«43 fehle. Auf eine Veröffentlichung des Werks muss demnach die Autorin relativ rasch verzichtet haben. Das Stück soll dennoch im Februar 1949 mindestens vorgelesen worden sein. Von der öffentlichen Urlesung in Berlin berichtet das von Titus Häussermann herausgegebene Ingeborg-Drewitz-Materialienbuch, das diesbezüglich auch die Teilnahme an einem Dramenwettbewerb im Jahre 1950 und die Auszeichnung mit dem ersten Preis der Wolfgang-Borchert-Bühne nennt.44 Im expliziten Zusammenhang mit Unio Mystica erwähnt den Wolfgang-Borchert-Preis auch Wolf Gerhard Schmidt in seinem umfangreichen Band über das deutsche Theater der Nachkriegszeit.45 Weitere Hinweise auf Schicksal und Rezeption des Werks sind sonst nirgendwo anders auffindbar. Das Stück, thesenhaft, mit historischen und mythologischen Reminiszenzen vollgestopft, rekonstruiert eine Universalgeschichte vom Uranfang bis zum Alptraum einer modernen Automatisierung des Menschen. Es geht vom beklemmenden Nichts des Prologs in dem von »furchtbare[r] Finsternis« (2) verschlungenen Himmel aus, schreitet durch die Stufen der Schöpfung und von Prometheus’ Feuerraub fort und gelangt schließlich zur atomaren Zerstörung und der darauffolgenden Robotisierung der Massen durch den einzig überle42 Vgl. den Brief der NWDR-Hörspielabteilung vom 9. Juni 1949. In: Ingeborg-Drewitz-Archiv. Akademie der Künste, Mappe 4013, 1 (NWDR 1949–1955: »für unsere Zwecke leider nicht geeignet«). S. auch den Brief von der RIAS vom 30. März 1949, Mappe 4361, der betont, wie das Stück »ohne optische Unterstützung nicht zur vollen Auswirkung kommen kann und deshalb für die Rundfunkwiedergabe nicht geeignet ist – auch wenn man eine einfühlsame Bearbeitung voraussetzt, die dem Hörer die Umstellung von Szene zu Szene erleichtert«). 43 »Aber bei aller gedanklichen Zusammenballung und allen Visionen, die Ihr Schauspiel aufweist, fehlt eben doch die eigentliche dramatische Kraft und es wird immer wieder (trotz anscheinender amerikanischer Gegenbeweise) schwierig sein, Stücke ohne eigentliche Handlung dem Publikum nahezubringen«. Brief vom Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb vom 16. Mai 1950. In: Ingeborg-Drewitz-Archiv, Mappe 3209. S. auch den Brief vom R. Piper et Co. Verlag vom 14. September 1949, Mappe 4188. 44 Vgl. Titus Häussermann (Hrsg.): Ingeborg Drewitz. Materialien zu Werk und Wirken. Stuttgart 1983, S. 9. 45 Vgl. Wolf Gerhard Schmidt: Zwischen Antimoderne und Postmoderne (Anm. I, 10), S. 217 (über Unio Mystica s. auch S. 198).

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benden Prometheus. Dazwischen kommen verschiedenartige Stationen, die in Zeitsprüngen die Etappen des menschlichen Werdegangs Revue passieren lassen. Da ist Coppernicus, der im Unterschied zu Prometheus und den Physikern nur zu gut weiß, wie prekär und begrenzt die Menschen sind, denn »das eine Lot Erkenntnis der unmeßbaren Wahrheit berechtigt uns Menschen nicht, uns herrlich und gottverwandt zu dünken«; und gerade darauf ruhe »das Bewußtsein unsrer Verantwortung vor Gott« (34). Da sind aber auch die verbissene und verheerende Wut der Jakobiner und die Gräuel des Ghettos in dem von den Nazis besetzten Warschau. Wichtiger ist in unserem Zusammenhang das vorletzte Bild, wo die atomare Apokalypse, zu der der ›prometheische‹, durch kein Verantwortungsgefühl gestützte Erkenntnisdrang führt, in ihren Unheil bringenden Folgen heraufbeschworen wird. Das Bild spielt in einem verglasten Raum in der Zukunft. Die Sonnenenergie ist in »irdische Dauer« verwandelt, das schmerzliche ›Werden‹ durch das ›Dasein‹ ersetzt worden. Prometheus maßt sich das Recht an, Tod und Ende zu vereiteln, nachdem die Menschen »die Gebeine der Menschen […] zu Asche« verbrannt und »das Leben zerstört« (67) haben. Von einer Schalttafel aus reguliert er das Wetter, beugt Naturkatastrophen vor und treibt die Produktion von Menschenserien, Homunkuli, voran, mit denen er eine von Tod, Schmerzen und Hunger nicht mehr bedrohte Erde neu bevölkert. Ihm selber ist aber der Planet zuwider : Ich kenne die Struktur der Sterne wie meine innere Hand, mir ist die Erde bis ins Mark zueigen, mich reizt’s nicht mehr, in ihre Schächte einzufahren, mich locken die Ozeane nicht, zu trübe ist das Licht auf den unterirdischen Gebirgen, meine Augen sind aber auch stumpf für das Flimmern der Gletscher, sie haben zu viel Glanz geschaut. (65)

Nicht viel besser geht es den gezüchteten Homunkuli. Die Unsterblichkeit verdrießt sie. Getrübt von der Sehnsucht (»einer längst ausgerotteten Krankheit«, 66), sehnen sie sich nach dem Tod, den sie im Chor singend anrufen: »Recke dich, Tod, laß die Knochen knacken. Du sollst noch einmal deine Glieder schwingen« (66). Eingedenk der vergangenen Zerstörungen möchte sie Prometheus nicht sterben lassen: »Schon einmal«– klagt er – »habe ich eine Welt in Trümmern gesehen. Die Menschen hatten damals die Atomkraft entdeckt. Die machte sie wohl tausendmal mächtiger, als der Tod. Sie sind sich nur selber zum Opfer gefallen, sie waren noch nicht mächtiger, als ihr Neid« (66). Doch muss er letztlich in die Zersprengung des Universums einwilligen, das er mit Atomen beregnen lässt. In Anbetracht des Endes will der Mensch-Prometheus den wirren Lauf der Sterne anhalten und bittet Gott um Grenzen. In einem vieleckigen Raum, dessen Wände Spiegel sind, erkennt er in der widergespiegelten Gestalt mal den Buddha, mal Allah, mal die Heilige Mutter, vor der er erkennen muss, gefrevelt zu haben, als er es wagte, Menschen in Brutkästen zu züchten. Er gibt zu, »das

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Leben versäumt« (74) zu haben. »Wo ist Rettung? Wo ist ein Halt?« (77), fragt er sich nun verzweifelt. Erst in dem eschatologischen Szenarium des letzten Bildes lässt ihn die Dichterin den Grad seiner Vermessenheit durchschauen. Im Bewusstsein der Beschränktheit sieht er das Nichts und begreift die ›Unio mystica‹ mit Gott, der seinerseits allein durch den Menschen wirklich ist. So die Stimme Gottes ganz am Ende des Dramas: »Mensch, endlich fühl’ ich das Werden, endlich begreif ’ ich mich in dir, endlich spür’ ich den Hauch des Lebens! Endlich kehrst du mir zurück, hilflos, ganz mein« (80). Erst jetzt kann es deshalb zur paradoxen Feststellung des Chors kommen: »Es ist erreicht. Es endet eine Ewigkeit im Glück« (83). Und im wiederholenden Repräsentationsmuster des Schauspiels beginnt alles wieder von vorne. Während feurige Kugeln, wie am Spielanfang, durch die Dunkelheit kreisen, senkt sich der Vorhang über das Wort ›Ende‹ mit einem Fragezeichen. Davor hatte der Chor die allerletzte Frage gestellt: »Wird sich ein Überlebender finden, der einen Neuanfang starten wird?« (83). Ingeborg Drewitz: »Unio mystica«. Ein Spuk?. Manuskr. in: Ingeborg-Drewitz-Archiv. Akademie der Künste, Mappe 1/59/524 [1948, handgeschr. Jahresangabe der Autorin, 83 maschinengeschriebene Seiten]. Titus Häussermann (Hrsg.): Ingeborg Drewitz. Materialien zu Werk und Wirken. Stuttgart 1983. Ursula Heukenkamp: Prometheus und die Atombombe: ein Thema, das Ingeborg Drewitz begleitet hat. In: Barbara Becker-Cantarino, Inge Stephan (Hrsg.): »Von der Unzerstörbarkeit des Menschen«. Ingeborg Drewitz im literarischen und politischen Feld der 50er bis 80er Jahre. Bern 2005, S. 201–207. Margaret E. Ward: Ingeborg Drewitz’s Forgotten Dramas of the 1950s. In: Thalia’s Daughters: German Women Dramatists from the Eighteenth Century to the Present. Tübingen 1996, S. 173–190.

8.

Rudolf Freese: Das stärkere Gesetz (1948)

Autor : Rudolf Freese (1914, Todesjahr unbekannt, vermutlich 2011) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten, unterteilt in neun Bilder Uraufführung: 13. Februar 1949, Landestheater Eisenach Ort: Deutschland Zeit: September 1939

Das erste Atomdrama, das in der sowjetischen Besatzungszone, knapp vor der Gründung der DDR, zur Aufführung kommt, stammt vom Brandenburger Autor Rudolf Freese. Im Jahre 1948 vom Verlag Bruno Henschel als Manuskript abgedruckt, wird das Schauspiel Das stärkere Gesetz im Folgejahr in Eisenach unter der Spielleitung von Wolrad Rube mit ziemlichem Erfolg aufgeführt. Obwohl

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aber das Premierenpublikum – wie die Erfurter Zeitung Thüringer Volk schreibt – »nach der sehr eindrucksvollen und mitreißenden Schlußszene […] aufrichtig gemeinten Beifall«46 spendete, verschwindet das Werk danach, genauso wie sein Verfasser, der sich später als Wilhelm-von-Humboldt-Herausgeber große wissenschaftliche Verdienste erwerben sollte, völlig aus der literarischen Szene. Freeses Bühnenstück markiert zusammen mit Curt Langenbecks Der Phantast den Beginn des deutschen ›Wissenschaftsdramas‹ im engeren Sinne und ist überhaupt eines der ersten Nachkriegsstücke über den Bewusstwerdungsprozess des Physikers und seine Verantwortung vor Mensch und Gesellschaft. Zugleich ist es interessanterweise der einzige Text über die Entwicklung der Atomenergie, dessen historische Handlung noch im Zweiten Weltkrieg, also vor dem japanischen Bombenabwurf, angesiedelt ist, und dazu auch eines der relativ wenigen Atomdramen, die nur in Deutschland lokalisiert sind. Untypisch für die Atomtexte dieser Jahrzehnte ist der nationalsozialistische Hintergrund von Das stärkere Gesetz, eine wahre Ausnahme in der eher vom Paradigma des Antiamerikanismus beherrschten Atomdramenproduktion. Kein Wunder also, dass das Werk sowohl in der propagandabestimmten Phase der jungen DDR als auch in der ersten bundesrepublikanischen Zeit keine weitere Aufführung erfuhr. Im Osten bemängelte die Kritik das Fehlen einer profiliert antikapitalistischen Haltung: Dem Autor sei trotz des »packenden und wichtigen dramatischen Stoffes« nicht gelungen, »den internationalen Kapitalismus als Feind Nr. 1 der Humanität, als Zerstörer und skrupellosen Förderer des Bestialischen sichtbar zu machen«.47 Auch habe Freese die Gesellschaft auf einer zu idealistischen Ebene attackiert, so dass seine Gestalten »nur Sprachrohre ihrer Weltanschauungen sind«,48 wie in einer kurzen Pressenotiz der Neuen Zeit zu lesen ist. Im Westen war dagegen der Kulturbetrieb immer noch vom Imperativ einer mehr oder weniger verhehlten Kooperation mit den ExNationalsozialisten beherrscht,49 der Inhalt, Szenerie und Gestalten des zeitgeschichtlichen Dramas von Freese als übertrieben verabscheuungswürdig erscheinen lassen musste. Das stärkere Gesetz spielt zur Zeit des Angriffs auf Polen im NS-Militärmilieu, vom Autor als grob, unfair und korrupt dargestellt. Vor diesem Hintergrund bietet das Drama anhand der Erfindung der Atombombe eine Auseinander46 Zitiert nach: U. T.: »Das stärkere Gesetz«. Schauspiel in drei Akten von Rudolf Freese. Uraufführung am Theater der Stadt Eisenach. In: Theater der Zeit. Blätter für Bühne, Film und Musik (1949), H. 4, S. 37. 47 Ebd. 48 O. A.: Das stärkere Gesetz. In: Neue Zeit, 22. Februar 1949, S. 4. 49 Vgl. dazu Evelyne Polt-Heinzl: Der Kalte Krieg schriebt Literaturgeschichte oder der Mythos vom langen Schweigen der Literatur zum Nationalsozialismus. In: Michael Hansel, Michael Rohrwasser (Hrsg.): Kalter Krieg in Österreich. Literatur (Anm. I, 6), S. 123–137.

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setzung mit dem Problemkomplex ›Wissenschaft und Politik‹, zentriert um Professor Hollberg, einen namhaften Physiker im Dienst des Oberkommandos des Heeres (OKH). Als Hollberg seine revolutionäre Entdeckung über die Kernspaltung macht, unterliegt sein Gewissen dem Zweifel an der Richtigkeit einer militärischen Nutzung. Von Natur aus ist der Protagonist rechtschaffen, seine Strenge ist die des unbestechlichen Menschen. Sogar als sein Sohn, der Student Walter – der einer Münchener Widerstandsgruppe nahesteht, in der die Weiße Rose unschwer erkennbar ist –, von der Geheimen Staatspolizei verhaftet wird, lässt sich Hollberg nicht erpressen und verweigert die Anwendung seiner Formel für Kriegszwecke. Obwohl er sich dadurch der Nazipolizei unrettbar ausliefert, verbrennt er schließlich seine Aufzeichnungen und damit die Ergebnisse eines der Forschung allein gewidmeten Lebens. Das ist in Kürze die Fabel, welche jenen Aspekt der außerwissenschaftlichen Folgen von Forschungserkenntnissen behandelt, der erstmals bei Langenbeck deutlich aufgetreten war und eines der wesentlichsten Merkmale des ganzen deutschsprachigen Atomtheaters darstellen sollte. Die entscheidende Frage, ob Kernfusion einen Fortschritt bedeutet oder zur Austilgung der Menschheit verdammt ist, lässt Freese seinen Helden gleich am Anfang des Dramas in einem Gespräch über den Zusammenhang von Leistung und Verantwortung aufwerfen: Frohlocken wir nicht zu früh! Wir kennen nicht den Weg, den wir nun betreten haben. Wissen Sie, mich packt das Grauen, wenn ich bedenke, wohin wir unseren Fuß gesetzt haben! Diese Verantwortung, mit der wir fertig werden müssen! Wir zitieren die Geister und – denken wir nur an die Entwicklung der Technik – werden sie nicht mehr los! […] Aus einem Kubikmeter Materie – wenn wir einmal ganz simpel rechnen wollten – eine Energiemenge zu befreien, die eine Masse von einer Milliarde Tonnen 27 km hochzuheben vermag! Ist das nun der archimedische Punkt, an dem wir die Welt aus den Angeln heben könnten?50

Dieser zentrale Konflikt zwischen einer zweckfreien Wissenschaftseinstellung und deren Freigabe für politische oder militärische Ziele wird im dramatischen Raum durch die Konfrontation von Protagonist und Antagonist veranschaulicht. Der reine Wissenschaftler Hollberg, der träumt, »unabhängig zu sein auch von Verpflichtungen, die mit der wissenschaftlichen Arbeit im Grunde nichts zu tun haben« (6), und der pragmatische, regimenahe Kollege Professor Hübner, für den es sich bei der Entwicklung neuer Waffen nur »um die Ausrichtung der Wissenschaften entsprechend den Aufgaben der Kriegsführung« (5) handelt, stehen einander als Gegner gegenüber. Aber der niederträchtige Hübner ist auch dramaturgisch insofern wichtig, als er die negative ›Energie‹ des Stücks im Verhältnis zu den makellosen Idealen Hollbergs verkörpert und damit die 50 Rudolf Freese: Das stärkere Gesetz (Anm. I, 31), S. 3.

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Handlung vorantreibt: Mit seiner kruden Rechtfertigungsphilosophie bringt er jedes Wissenschaftlerethos zum Schweigen und stellt es in den Dienst der Machtpolitik und des hereinbrechenden Kriegs. Er ist es, der unter der Hand Gerüchte über Hollbergs Sohn kursieren lässt und die Intrigen spinnt, die die Geschichte überhaupt in Gang setzen. Sprachlich und inhaltlich klingen in der Gesamtthematik bereits viele Elemente und Motive an, die sich auch in späteren naturwissenschaftlichen Dramen wiederholen. Erstens der Widerspruch zwischen dem Erkenntnisdrang, ja der Illusion, »man habe den Stein der Weisen gefunden, eine Revolution der Technik stehe bevor« (2), und dem Umgang mit den neuen Kenntnissen in praktischen Verwendungszusammenhängen; zweitens die Spaltung zwischen dem Ziel einer friedlichen Verwertung der Kernenergie und den entgegengesetzten Machtprinzipien von Wirtschaft, Politik und Militär. Gleichzeitig korreliert der Haupthandlungsstrang des Verantwortungsbewusstseins auch schon mit der Perspektive der Aufopferung, in die so viele Atomdramen münden sollten. So Hollberg in der letzten Szene beim schwierigen Entschluss, sich der Forschung zu entziehen und alle Aufzeichnungen zu vernichten: Wir haben eine Wahrheit gefunden und müssen sie davor bewahren, mißbraucht zu werden – das ist alles. Zwar werden wir hierdurch die Welt nicht ändern oder die Entwicklung aufhalten – aber das eine werden wir : unsere Verantwortung erfüllen… […] Sie wissen, daß ich einzig und allein für meine Arbeit gelebt habe, Sie werden begreifen, was dieser Augenblick für mich bedeutet! … Sparen wir uns alle weiteren Worte… Aber das muß ich Ihnen noch sagen: mein Sohn hatte früher als ich erkannt, was wir dieser Welt schulden… dem Geist… dem Menschen…Er hat sich für seine Überzeugung geopfert…. ich habe von ihm lernen müssen…! (78)

Somit wird hier auch die These aufgestellt, die einige Jahre später in Hans Rehfischs Drama Jenseits der Angst vertreten wird: Dass die deutsche Wissenschaft in voller Absicht das Atombombenprojekt der Nazis wenn nicht direkt sabotiert, dann zumindest durch passiven Widerstand verhindert habe. Als Konsequenz daraus entwickelt sich das dramaturgische Modell des Verzichts auf die Wissenschaft, das hier den Schluss des Stücks bildet. Auch rein lexikalisch tauchen in Freeses Handhabung des Themas Wendungen und Formulierungen auf, die sich für die Diskursmuster des Atomkriegs als besonders anschlussfähig erweisen.51 Bilder der unfasslichen Tragweite der atomaren Katastrophe – »Es ist ja nicht auszudenken, welches Ausmaß von Vernichtung man schaffen würde« (9), »unkontrollierbare Zerstörung« (62) – verbinden sich mit dem dominierenden Topos der Unvorstellbarkeit, des Undenkbaren und der Grenzüberschreitung, der sich in den fünfziger Jahren fest 51 Vgl. Matthias Jung: Öffentlichkeit und Sprachwandel. Zur Geschichte des Diskurses um die Atomenergie (Anm. I, 11).

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etabliert: »unvorstellbare Energiequellen seien entdeckt« (2); eine »unvorstellbare Vernichtung« (34). »Überlegen Sie bitte« – warnt Hollberg – »was es heißt, eine Energie zu erzeugen, die alles Vorstellbare übertrifft!« (3). Zu dem geschichtlichen Kenntnisstand im Jahr 1939, als die Dramenhandlung einsetzt, sind freilich manche Vorstellungen nicht besonders passend, da sie vor dem ersten Atombombeneinsatz nicht zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören konnten. Beispiele für solche Anachronismen, außer den schon erwähnten Klischees von Undenkbarkeit und Unübertrefflichkeit der Atomzertrümmerung, sind auch die kriegsrechtfertigende These der durch die japanische Atombombe vermiedenen Opfer (12) sowie, auf entgegengesetzter Seite, die Vorstellung einer atomaren »Bedrohung der gesamten Kultur« (35). Vorausweisend auf die später topisch gewordene Thematisierung der Wissenschaftlerverantwortung ist die Frage nach dem Recht auf das geistige Eigentum an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die in der Atomdramenproduktion der sechziger Jahre höchst relevant wird. So setzt der ›böse‹ Physiker Hollbergs idealistischem Glauben an das eigene Gewissen – «Aber die Verantwortung trägt immer der einzelne Mensch und ich werde sie tragen!« (36) – die Überzeugung entgegen, dass »die wissenschaftlichen Erkenntnisse Gemeingut des Volkes« seien: »ihm allein gehören sie«, erwidert Hübner an gleicher Stelle. Zu typischen Ausdrucksweisen im späteren Atomdiskurs zählen auch Äußerungen der Bewunderung für die unermessliche ›Energie‹, die das Atom besitzt (3), und für die Gewinnung von Energiequellen (5). Wobei hier unübersehbar zu sein scheint, dass der Begriff ›Energie‹ in dieser Phase vor dem genaueren Wissen um die steigenden Gefahren des radioaktiven Fallouts noch positive, fortschrittsoptimistische Konnotationen auslöst, die nicht im Widerspruch zu parallelen Aussagen über den verbrecherischen Missbrauch von Entdeckungen in ihren praktischen Anwendungen stehen: Hübner : […] Sie gebrauchten eben den Ausdruck »Mißbrauch«…. Man könnte daraus falsche Schlüsse ziehen…. Hollberg: Ich sehe es als Mißbrauch des Geistes an, wenn man ihn dazu benutzt, die Vernichtung des Menschen zu ersinnen!« (37)

Das gute und das schlechte Atom, Fluch und Segen der Atomenergie, stehen also bei Freese noch dicht nebeneinander, und dem gerechten Menschen steht noch die letzte Entscheidung zu. Gegen die Bösewichter und die Friedensstörer, gegen die Verfechter der »militärische[n] Notwendigkeiten« kann deshalb Freeses ›guter‹ Wissenschaftler noch seine freilich wohlbegründeten »sittliche[n] Bedenken« (60) erheben. Kritik und Kampf, offene Ablehnung und radikal negative Bewertung des Atoms in der diskursgeschichtlichen Entwicklung der Atomthematik werden in der Theaterproduktion noch einige Jahre auf sich warten lassen.

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Bernd Balzer : Der verdrängte Diskurs. »Junge deutsche Dramatik« in der SBZ/DDR. In: Paolo Chiarini, Antonella Gargano, Ursula Heukenkamp, Frank Hörnigk (Hrsg.): DDRTheater. Theater in der DDR. Roma 2010, S. 35–62 (bes. S. 45–52). Rudolf Freese: Das stärkere Gesetz. Berlin [1948]. Rudolf Freese. In: Wilhelm Kosch u. a. (Hrsg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert, Bd. 9. Berlin 2006, S. 2158. O. A.: Das stärkere Gesetz. In: Neue Zeit, 22. Februar 1949, S. 4. U. T.: »Das stärkere Gesetz«. Schauspiel in drei Akten von Rudolf Freese. Uraufführung am Theater der Stadt Eisenach. In: Theater der Zeit. Blätter für Bühne, Film und Musik (1949), H. 4, S. 37.

9.

Otto C. A. zur Nedden: Das Testament des Friedens (1948)

Autor : Otto C. A. zur Nedden (1902–1994) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 12. März 1951, Landestheater Detmold Ort: Nobels Wohnung in Paris Zeit: um 1890

Die Nedden-Bühne in Köln war eine Schmiede junger Theatertalente. Hier ließ Professor Otto Carl August zur Nedden in den frühen sechziger Jahren Studenten mit neuen Stücken experimentieren.52 Lebenslang pflegte Nedden, der zwischen 1934 und 1944 Chefdramaturg am Deutschen Nationaltheater in Weimar gewesen war, diese Leidenschaft für das Theater, zu dessen gründlichen Kennern er gehörte. Die ausgeprägte pädagogische Berufung, die seine ganze Tätigkeit als Dozent und Theaterwissenschaftler prägt und die sich auch in der Mitherausgeberschaft des berühmten Reclam-Schauspielführers und der Duisburger Beiträge zur Theatergeschichte ausdrückt,53 wirkt sich vollends auf das Bühnenstück Das Testament des Friedens aus, das ein didaktisch-belehrendes Schauspiel ist. Wie der Untertitel deutlich macht, kreist das Stück »um den Erfinder des Dynamits Alfred Nobel«, und obgleich es nicht als spezifisches Atomdrama geplant worden war, ist in der Tat die thematische Parallele zu Grundinhalten von Wissenschaftlerdramen und pazifistischen Dramen der Zeit kaum zu übersehen. Ihnen gemeinsam sind das Beharren auf ethischen Fragen der Wissenschaft im modernen Zeitalter und die – wenn auch etwas vereinfachte – Thematisierung einer Technologie, die nunmehr im Dienst der globalen Vernichtung und nicht des menschlichen Fortschritts steht. 52 Vgl. Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966 (Anm. I, 10), S. 1020. 53 Weitere Informationen über Otto C. A. zur Nedden enthält die Monographie von Uwe Hossfeld: Kämpferische Wissenschaft: Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus. Köln, Weimar 2003, passim.

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Das Testament des Friedens ist ein zugleich realistisches und idealisiertes Porträt von Selbsttäuschung und Reue eines Forschers, welcher zunächst der verhängnisvollen Anmaßung eines unbegrenzten Wissensdrangs erliegt, um dann am eigenen Leib zu begreifen, dass er in eine unwiderruflich zerstörerische Bahn gezogen wurde. In dieser Perspektive spiegelt das Werk die durch die Erfindung der Atombombe heraufbeschworene Problematik einer bedrohlich gewordenen Wissenschaft wider. Neddens Protagonist wird aber durch Hilfe und Unterstützung von außen, nämlich durch seine starke und mutige Hausdame Bertha von Suttner, aus seiner Krise gerettet und zu einem positiven Abschluss geführt. Wie in Oskar Wessels fast gleichzeitig entstandenem Hörspiel Dynamit54 wird auch hier die zentrale Rolle explizit betont, die die tapfere Comtesse von Kinsky, spätere Baronin Suttner, bei der Bildung eines Friedensbewusstseins und der Gründung tragfähiger Organisationen gegen Krieg und Bewaffnung spielte. Bei Neddens Nobel muss die Einsicht in ein neues Bewusstsein aber erst wachgerufen werden. Aus einer Art moralischer Lethargie wird der ruhmreiche Erfinder gleich eingangs durch den unerwarteten Besuch von Dr. Revenant aufgerüttelt, der den Zuschauer sofort mit den unheilvollen Nebenwirkungen des Dynamits konfrontiert. Symbolisch genug ist der Name des gebrechlichen Mannes, der als Memento auftritt und dem verdutzten Nobel seine schon im Namen verkündete Wiederkehr verspricht (»Das Dynamit, es wird Deine Seele sprengen, daß sie in tausend Fetzen fliegt, wie die ›Maria Margareta‹! – Wir sehen uns wieder, Herr Nobel«).55 Als einziger Überlebender einer durch eine große Ladung von Dynamit verursachten Explosion an Bord des Schiffs ›Maria Margareta‹, welche seinem Weib, seinem Kind und weiteren 125 Menschen das Leben kostete, kommt Revenant, um Nobel »sein ›Ich klage an!‹ mit höchst brutaler Wahrheit ins Gesicht zu schleudern« (23). In einer fast visionären Rede konturiert er das Szenario einer wahren Apokalypse, das in seinem vehementen Vokabular den nihilistischen Schilderungen der nuklearen Vernichtungen, der »Menschheitsdämmerung«, in nichts nachsteht: Ich stehe hier für Hunderte, für Tausende, für Millionen, die einst das Dynamit wie mich zugrunde richten wird. Ich stehe hier für die Menschheit, Herr Professor Nobel! Was Sie erfunden haben, ist keine Tat des Menschgeistes mehr, ist eine Ausgeburt der Hölle, ist Wahnsinn, ist Verbrechen, ist Menschheitsdämmerung! – – Ich sah’s vor mir, als ich vom Luftdruck hochgeschleudert zwischen Meer und Wolken hing, sekun54 Wessels Hörspiel, das den Untertitel Ein Hörspiel um Bertha von Suttner trägt, wurde am 20. Oktober 1948 vom Süddeutschen Rundfunk gesendet. Es rekonstruiert durch schnelle Dialoge zwischen der Suttner und ihrem Mann, zwischen ihr und Alfred Nobel die Gedankenwelt und das Schicksal der radikalen pazifistischen Heldin vor allem während ihres Pariser Aufenthalts. 55 Otto C. A. zur Nedden: Das Testament des Friedens (Anm. I, 370), S. 17.

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denschnell zog es an meinem Blick vorüber : das Schiff, das brennend, berstend, tief unter mir im Wasser lag, es wuchs zu riesenhafter Größe! Der ganze Erdball ging am Dynamit zugrunde, zersprang wie die »Maria Margareta« und eine Fahne qualmigen Rauchs verlor als letzter Rest der stolzen Schöpfung sich im Weltenall – – (16)

Der nächste und auch endgültige Schlag trifft Nobel, als er von dem zweiten Unglück, auch eine Explosionskatastrophe, im Hafen von Santander erfährt: »fünfundzwanzig Kisten Dynamit! Ungeheure Verheerungen! […] Der Hafen im Brand! Ganze Schiffe in die Luft geflogen! Weit über tausend Tote!! […] Ein ganzer Eisenbahnzug in Trümmern! Zahllose Häuser in Schutt und Asche! Die Luft seit Tagen durch den Brand von Pulver und Petroleum verpestet!« (21). Die Bedenken, die den Chemiker über Sinn und Bedeutung seiner Arbeit bereits zu plagen angefangen hatten, äußern sich nun vollends in dem langen Geständnis der Schuld (»mea culpa, mea maxima culpa«, 21), das er der Comtesse macht. Es ist ein Monolog, der in Motiven und Terminologie die Klischees des Genres von verantwortungsethisch orientierten Atom- und Wissenschaftlerdramen abrundet. Zahlreiche Schablonen des Atomdiskurses sind darin enthalten. Erstens bestätigt Nobel die typische Besessenheit des Forschers, für die er vielfach die Begriffe ›Raserei‹, ›Dämon‹, ›Tier‹, ›Rausch‹ (25) verwendet. Ebenso wie die ganze Reihe von Atomwissenschaftlern, die auf ihn folgen wird, sieht er sich selbst als »Zauberer dämonischer Höllenmächte« (27). Die Faszination, die von der Wissenschaft ausgeht und die Nobel wie eine Erbsünde in sich trägt – schon seinem Vater erwarben Sprengstofferfindungen »Ruhm und Vermögen« (24) –, steigert sich zu einer unheilvollen Spirale: »Wir forschten, suchten, wie man das Pulver besser mischen kann. Die Sprengkraft sollte sich erhöhen!« (24). Selbst nach der Zerstörung der väterlichen Fabrik geht Nobel, nach eigener Aussage, »den Weg, als wäre ich besessen, weiter!« (24). Genauso wie die Entdeckung der Atombombe in den meisten Atomdramen steht auch bei Nedden die Erfindung des Dynamits als Metapher für einen schuldhaften Wettstreit mit Gott und Natur, der die Menschheit wieder in das uralte Chaos zurückstürzt: Ich fühlte mich wie Gott und war doch nie so gottlos wie in diesem Augenblick! […] Ich sehe nun selbst den Tag, da es [= das Dynamit] den Menschen beherrschen wird, sich ihn, der immer blind, zum Werkzeug macht und über Sinn und Denken triumphierend das Chaos schafft, aus dem der Mensch sich mühsam durch Jahrtausende emporgerungen! (26)

Die globale Verflechtung dieses Prozesses ist irreversibel, seine Wirkungen sind unkalkulierbar, sie sind ein »Gift« (25), ein Morbus, der das menschliche und gesellschaftliche Leben verunstaltet (»die Folgen meiner Taten fingen an sich wie Bakterien auszubreiten«, 25). Das Dynamit als »Anfang von dem Ende« (52) wird im Text vielfach evoziert, es »leiht dem Menschen Kräfte, die er einst nicht mehr zu bändigen versteht« (52), erklärt Nobel später dem Repräsentanten der

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Rüstungsfabrikanten. Diese unerhörte Stoßkraft des Dynamits, die konkret und symbolisch nicht mehr abzufangen ist, bestraft den blinden Wissenschaftler für seinen Ehrgeiz und belädt ihn mit dem Gefühl eines unsühnbaren Verbrechens: »Es ist ein Anfang erst, das Dynamit! Allein, der ist nun da! Und ich, ich bin es, der dies trübe Werk begonnen!« (26). Die Warnung, »zwei-, drei-, nein hundertmal […] überhört«, macht ihn schuldig ohne Vergebung: »Das sehe ich jetzt ein! Und jetzt ist es zu spät dazu! Und niemand, niemand spricht von dieser Schuld mich frei!« (26). Aus der Einsamkeit dieses qualvollen Gewissensabgrunds gibt es keine wahre, innere Rettung. Der Autor gewährt ihm freilich den – illusorischen – Versuch, den in Gang gesetzten industriellen Herstellungsprozess des Dynamits »einzudämmen, aufzuhalten« (28). Nobel erhebt Anspruch darauf, die Patente zurückzuerwerben. Angesichts der Käuflichkeit der »Bestien, die am Krieg verdienen wollen« (28), der »›Dynamiteurs‹ der ganzen Erde« (30), die Nobel »in Gold ersticken« will, jagt er kurz dem Traum nach, die Entwicklung rückgängig zu machen, »das Rad der Zeit zurückdrehen« (28), um den »Massenmord« (52) zu verhindern. Doch, wie leicht voraussehbar, stößt sein von den Rüstungsfabrikanten als »Wahn« (51) etikettiertes Angebot auf die Ablehnung aller Großindustriellen. Nedden lässt deren Vertreter, Zacharoff, sich hinter Argumenten des Fortschritts verschanzen: »Dem Schöpfer des Dynamits gehört die Achtung des Jahrhunderts. […] Ich stehe hier, Ihr Werk vor Ihnen selber zu verteidigen. […] Es geht um Geld nicht, Herr Professor Nobel, und nicht um den Gewinn! Es geht um Ihren Wahn, das Rad der Zeit, den Fortschritt der Erfindungen gleich einem Kinderspielzeug hin und her zu drehen« (51). Um keinen Preis darf und kann nunmehr die vermeintliche Entwicklung der Wissenschaft gestoppt werden. Bitter bekennt Nobel, dass auch ihm, wie vielen anderen Physikergestalten der Atomdramen, die Frucht seiner Forschung nicht mehr gehört: Er zählt nicht, wie man ihm deutlich zu erkennen gibt (»allein das Dynamit, Ihr Werk, es lebt!«, 54), und er muss sich fragen: »Soll […] ich selbst nicht mehr der Herr sein meiner Taten und Erfindungen?« (54). Von dieser Erkenntnis ist es nicht weit zur allgemein verbreiteten Klage über die Allmacht der Technik über den Menschen: »Die Technik raubt ihm die Seele« (55). Grimmig formuliert der Wissenschaftler den Weg des Menschengeschlechts vom Kampf mit der Natur zur Rückkehr zur Bestialität: »Vom Tier ward es zum Menschen, vom Kampf mit der Natur zu ihrem Herrn, jetzt will es sich zurückverwandeln und wieder werden, was es war, ein Tier« (54–55). An dieser Stelle bricht Nobel zusammen, zumal die Comtesse, trotz ihrer tiefen und echten Anteilnahme an dem Schicksal des älteren Freundes, dem Ruf des Herzens folgt und ihren zukünftigen Mann in Wien erreicht. Enttäuschungen über Enttäuschungen lassen den Protagonisten im dritten und letzten Akt noch tiefer an der Menschheitsvernunft zweifeln. Als die französische Regierung noch

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einmal um eine gefährliche Erfindung von ihm, den Sprenggummi, wirbt, verweigert er seine Zusammenarbeit und beteuert dabei – auch ein Topos der Wissenschaftsdramen – den durchaus unpolitischen, internationalen Charakter seines Berufs, der nicht einem einzigen Staat, sondern der ganzen Welt dient: »Ich bin ein Mann der Technik, meine Herren, und nicht der Politik. Was wir Erfinder leisten, gehört uns nicht, nicht einem Volk, gehört der Welt!« (63). Die Drohung des Ministers, ihn sonst aus dem Land auszuweisen, entlarvt den üblichen Konflikt zwischen Staatsführung und freier Forschung, demaskiert die politischen Manöver als Ränke und lässt Nobel seinen Glauben an Wert und Zukunft seiner Arbeit endgültig verlieren. Ganz verzweifelt äußert er : »Was wird nach mir? Wer wird die Welt erlösen? […] Millionen werden seufzen, leiden, sterben« (67). Währenddessen erscheint ihm im Traum das Gespenst von Revenant, um ihm ein letztes Mal sein ›Ich klage an‹ vorzutragen. Als einziger Ausweg profiliert sich, in einem Augenblick zerstörenden Rausches, die Verdammung des Welttodes, die in einem emphatischen und hyperbolischen Wirbel die unausweichliche Tragödie ins Unbegrenzte und Inkommensurable erweitert, in die »Katastrophe aller Katastrophen«: Allein – – Allein – – in aller Ewigkeit verloren, verflucht, – – verdammt – – als Knecht der Hölle – – kein Weg mehr – – keinen – – nur noch den letzten! – – Den Tod des Todes – – das Nirwana – das ewige Nichts – – für mich – – für alle, alle, alle! – – Der Erdball – tausend Stücke – Staub in Millionen Stäubchen. Die Menschheit töten – – je eher, je besser! Millionen vor dem Leid bewahren – nur noch ein Zerrbild – die Katastrophe aller Katastrophen – – (69)

Dass am Dramenschluss der Besuch der Baronin Suttner den Physiker aus seiner Verzweiflung reißt und die Schauspielhandlung auf einen positiven Ausgang hinlenkt, erscheint angesichts des trostlosen Pessimismus des Dramas im Grunde fast unwichtig für die Gesamtthematik. Bertha von Suttner kommt, um Nobel die neuen Bahnen zu weisen, die eine Wende in Richtung Frieden einleiten können. Die Umkehrung basiert auf der Umwidmung des enormen, durch die Erfindung des Dynamits angehäuften Reichtums zu friedlichen Zwecken und überzeugt den Dramenhelden mit der Verheißung einer edleren Zukunft sofort. Damit soll Nobels großes Vermögen »ein Werk des Friedens stiften« (75) und, wie Nobel hofft, »die Millionen, die aus dem Dynamit, dem Werkzeug der Vernichtung, in meine Hände kamen, zurück zum Segen der gequälten Menschheit fließen lassen« (75). Damit ist auch das ideale ›Testament‹ vollbracht, das für Nobel die »Entsühnung« seiner Schuld bedeutet. Die friedliebenden Worte, mit denen sich der Wissenschaftler in der »Stunde der Begnadung« zufrieden gibt, weisen zuversichtlich auf den Weg »aus dem Ozean der Schmerzen« »zu neuem, besserem Leben«. Dies sind auch die letzten Worte des Dramas. Nobel konnte die Verheerungen der Atombombe nicht erleben, aber dass Neddens Testament des

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Friedens zu einem Zeitpunkt entstand, als die Potentialität mächtigerer und weit wirksamerer Zerstörungsmittel Nobels Aussicht auf eine Regeneration der Menschheit schon völlig dementiert hatte, wirft trotz und jenseits der Intention des Autors auf die ganze Emphase des Endes ein eigentümliches, zweifelhaftes Licht. Joseph Gregor : Das Testament des Friedens (Otto C. A. zur Nedden). In: Ders.: Der Schauspielführer. Bd. 2. Stuttgart 1954, S. 103–104. Otto C. A. zur Nedden: Das Testament des Friedens. Ein Schauspiel um den Erfinder des Dynamits. Unverkäufl. Manuskr. Frankfurt a. M. 1948. Wiederabgedr. WuppertalBarmen 1973. Lisa Neumann, Eike Pies (Hrsg.): Otto C. A. zur Nedden – Bühnentexte, Dokumentation zum 75. Geburtstag. Wuppertal 1977. Eike Pies (Hrsg.): Otto C. A. zur Nedden. Festgabe zum 68. Geburtstag. Mönchengladbach 1970. Ders. (Hrsg.): Otto C. A. Zur Nedden. Gesamtbibliografie. Herausgegeben zum 80. Geburtstag. Düsseldorf 1982.

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Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt (1949)

Autor : Maximilian Scheer (1896–1978), Karl Georg Egel (1919–1995) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: vermutlich 20. Dezember 1949, Berliner Rundfunk Ort: USA Zeit: Gegenwart (vor und nach Hiroshima)

Von 1949 bis 1952 ist Maximilian Scheer Leiter der Abteilung »Künstlerisches Wort« im Rundfunk der DDR.56 In dieser Zeit entsteht in Zusammenarbeit mit Karl Georg Egel, dem späterem Chefdramaturgen der DEFA, das Hörspiel Und Berge werden versetzt und damit auch das erste ostdeutsche Radiodrama gegen den Atomkrieg. Scheer selbst gibt ein Jahr nach der ersten Ausstrahlung im Berliner Rundfunk das Manuskript heraus. Es erscheint im Band Frieden, mit dem der Funk-Verlag 1950 eine unter dem Sammeltitel Das Hörspiel unserer Zeit veröffentlichte Hörspielbücherreihe eröffnet, die vorwiegend Arbeiten von Scheer und Rudolf Leonhard enthält und einen wichtigen Beitrag zur ideologi-

56 Scheer, unter dessen Pseudonym Walter Maximilian Schlieper schrieb, gehörte zum Friedensrat der DDR. Für seinen lebenslangen Kampf gegen Militarismus und Krieg erhielt er verschiedene Ehrungen und Orden, wie die Carl-von-Ossietzky-Medaille, mit der er 1965 ausgezeichnet wurde, und 1966 den Orden Stern der Völkerfreundschaft.

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schen Profilierung der DDR-Rundfunkpolitik in den fünfziger Jahren leistet.57 Absicht und Zweck der Publikation werden im Vorwort zum ersten Band folgendermaßen beschrieben: In diesem ersten Bändchen wird […] die Frage behandelt, die wirklich alle vor allem angeht: der Friede. Nur im Frieden können wir menschenwürdig leben, können wir Wohlstand planen und erzielen, können wir den großartigen Kulturaufbau vollziehen, wie er in den Kulturverordnungen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik entworfen wurde, können wir für die Einheit unseres Landes wirken. Es genügt nicht, den Frieden zu wünschen; aus jedem Friedenswünscher mub ein Friedenskämpfer werden. Darum ist das Thema dieses ersten Bändchens unserer Hörspielreihe der Kampf für den Frieden in unserer Zeit, – der Kampf für das Leben, gegen den Tod.58

Und Berge werden versetzt weist alle Merkmale des politisch-didaktischen Hörspiels auf. Schon die biblische Redensart des Titels hat in dieser Hinsicht Signalwirkung: Der Glaube an die richtigen Werte vermag unerwartete Erfolge zu erringen. Das pädagogische Ziel wird durch die Lern- und Entwicklungsfähigkeit erreicht, die aus dem Entscheidungsprozess der Figuren hervorgeht. Neben dieser Wandlungsperspektive, die im Text die Atomwissenschaftler verkörpern, besitzt das Hörspiel weitere, politisch orientierte Funktionen, die dem Denken der DDR-Kulturführung entsprechen. Grundlegend dafür ist die Erziehungsarbeit, die die Intellektuellen gegen den amerikanischen Weltimperialismus leisten sollen.59 Aufgabe des von Scheer im Vorwort evozierten ›Friedenskämpfers‹ ist es folglich, die Politik der Atombedrohung durch die USA aufzudecken, ferner die ›gute‹ Atompolitik der Sowjetunion zu rechtfertigen, von der man eben erfahren hatte, dass auch sie am 29. August die erste Atombombe erfolgreich gezündet hatte. Zu dem didaktischen Charakter des Stücks passt weiterhin, dass der Text eine realistische Abschilderung der gesellschaftlichen und historischen Wirklichkeit anstrebt, die er durch eine dokumentarisch-fiktionale Mischform erlangt: erstens dank der Einfügung authentischer Figuren (wie z. B. General Groves), die neben erfundenen Gestalten auftreten, zweitens durch die Verwendung historischer Daten, die meistens von externen Sprechern vorgetragen werden. Scheer versucht, einen typisch amerikanischen Hintergrund zu vermitteln. Gleich in der ersten Rahmenszene sendet das Radio besorgniserregende Nachrichten über die in der Dramatik der Zeit sonst kaum erwähnten Bom57 Vgl. dazu E. L.: »Das Hörspiel unserer Zeit«. In: Neues Deutschland, 30. Januar 1951, S. 3. Zur zentralen Funktion der Radiopropaganda in der Politik des Kalten Kriegs siehe u. a. Klaus Arnold: Kalter Krieg im Äther (Anm. I, 6). 58 Maximilian Scheer : Ein Wort (Anmerkungen I, 128 und I, 142), S. 4. 59 Zum Antiamerikanismus in der DDR-Literatur vgl. besonders Daisy Weßel: Bild und Gegenbild (Anm. I, 5) und oben, Teil I, Abschnitt 2.4.

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bardierungen im Krieg, d. h. die »im Jahre 1943 rund 44 700 000 Tonnen Bomben«,60 die nach offizieller Statistik des United States Bombing Commando auf Deutschland abgeworfen worden seien. Somit ist eine Brücke geschaffen zwischen den deutschen Opfern und den Opfern der Atombombenkatastrophe, die zu verhindern Ziel der positiven Helden des Hörspiels ist. Über Kurzwelle werden beunruhigende Funkgespräche über Flüge der B 29 übertragen, der amerikanischen Langstreckenbomber, die in der kollektiven Vorstellungswelt nach dem Krieg auch stellvertretend für die verheerende Vernichtungskraft eines Atomkriegs standen.61 Alarmierende Notizen aus der New York Times, der Zeitschrift Life und anderen Zeitungen sind in den Text eingestreut. Das USKriegsministerium verkündet die Absicht, »alle Personen, die direkt oder indirekt mit der Erzeugung der Atombombe oder der Arbeit am Atomkern beschäftigt sind, […] Tag und Nacht vom zuverlässigen Personal des Sicherheitsdienstes zu überwachen« (55). Die Stimmung ist die des sich herauskristallisierenden Kalten Kriegs. Auch bei Scheer und Egel, ebenso wie in den anderen in dieser Arbeit untersuchten Hördramen des Bandes, gibt es eine antikommunistische Behörde, die versucht, demokratisch denkende Fortschrittsmenschen von ihren Friedensplänen abzuhalten. Gestützt auf eine gezielte Konfliktualitätspolitik, welche in der DDR-Ideologie die internationalen Spannungen »zum Vorwand für eine weitere Forcierung der Aufrüstung«62 nimmt, verfolgen die USA den aggressiven Zweck, ein Atombombenmonopol zu errichten. In dieser komplexen und politisch heiklen Situation sollen bei Scheer drei Physiker entscheiden, ob sie am Atombombenprojekt weiter mitwirken. Das sind Professor Lerner, seine Assistentin Barbara Calmar und Dr. Tom Mac Intire, Lerners Mitarbeiter und Barbaras Verlobter. Die beiden Erstgenannten kommen aus Deutschland, der Professor vermutlich als ehemaliger V2-Spezialist Hitlers, beide sind jedenfalls vor den Nazis geflohen. Während aber Professor Lerner und Barbara Bedenken gegen die Spirale der Aufrüstung tragen, schließt sich der Amerikaner Mac Intire vorbehaltlos der Regierung an. Eine an und für sich dürftige Handlung. Dennoch ist das Hörspiel interessant, gerade weil es zwei Motivkomplexe emblematisch verdichtet, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Diskussion zum Thema Atombombe und Atombombenaufrüstung ziehen: Erstens die höchst verbreitete Problematik der Wissenschaftsverant-

60 Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt (Anm. I, 128), S. 39. 61 Hermann Rossmanns Testflug B 29. (Nie wieder!) ist dafür symptomatisch (s. unten, Teil II, Abschnitt 52). 62 Kalter Krieg. In: Waltraud Böhme u. a. (Hrsg.): Kleines politisches Wörterbuch. 3. Aufl., Berlin (Ost) 1978, S. 421.

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wortung und zweitens das in der (nicht nur deutschsprachigen)63 Atomliteratur ebenso geläufige Motiv des Piloten, das innerhalb der ganzen Gattung ein Paradigma bilden sollte. Zu dem Dreieck der Protagonisten gesellt sich nämlich noch die unvermeidliche Figur des von Gewissensskrupeln geplagten Bomberpiloten, der zur üblichen Staffage der Atombombenkonstellation dient. Entsprechend dem Fall Claude Eatherly, der in einer ganzen Reihe von späteren Atomdramen vorkommt, wollen ihn die Amerikaner in ein Irrenhaus stecken, um seine unbequemen Schuldgefühle loszuwerden. Die wissenschaftsethische Reflexion über Atomenergie wird durch den Professor und die junge Forscherin Barbara eingeleitet, die an der Hiroshimabombe gearbeitet haben. Die Explosion ergibt sich live im Laufe der Handlung. In drei Parallelszenen wird sie kommentiert. Direkt gibt die Nachricht ein begeisterter Mac Intire, der sie mit einem Orchideenstrauß feiert: »Ein großer Tag, Barbara. Für dich und für uns alle. Eure Atombombe soll heute auf Japan abgeworfen werden. […] In dieser Stunde, Professor. Die Andeutung, die ich bekommen habe, ist zuverlässig« (40). Unterdessen kündigen Funkgesprächsfetzen vom Gefechtsstand B 29 an, dass die »Jungens an Bord in prächtiger Stimmung« sind, während im Hintergrund die amerikanische Nationalhymne und die entfernte Deflagration zu hören sind (41). In der Zwischenszene im Kriegsministerium stoßen General Groves und ein Senator mit nahezu makabrer Freude auf »die historische Stunde dieses 6. August 1945« an: General: Senator, lassen Sie uns trinken… […] Die Leute von Hiroshima haben noch eine Viertelstunde Zeit. Hier, sehen Sie unsere Karte. Wird sich zeigen, ob unsere Berechnungen richtig sind. Danach muß hier das mittlere Quadrat bald völlig ausradiert sein. Fünf Kilometer weiter muß die Zerstörungswelle genau so wirken wie durch einen normalen Bombenangriff. Senator: Die werden sich wundern. General: Werden keine Zeit dazu haben. (40–41)

Nach dem ersten Abwurf sollen nun Professor Lerner und Dr. Barbara Calmar die schwere Entscheidung treffen, ob sie sich ein weiteres Verbrechen an der Menschheit zuschulden kommen lassen, denn zu diesem Zeitpunkt plant Amerika noch eine Bombe über Nagasaki (»Wenn die Japaner nicht sofort kapitulieren – so der Senator an den Professor – schmeißen wir eine zweite«, 42). Die sich anschließende Diskussion verdeutlicht die unterschiedlichen Positionen und das Spannungsverhältnis zwischen Politikern und Militärs einerseits und Wissenschaftlern andererseits. Der Senator berichtet vom Stolz des USPräsidenten: Er sei »überglücklich«, die Zahl der Toten schätze er »auf 100 000 63 Zur Pilotenfigur im italienischen und deutschsprachigen antiatomischen Theater s. Emilia Fiandra: »Und wenn die Atombombe fällt, dann bleiben wir ewige Jungfern« (Anm. I, 51). Zur Pilotenthematik s. auch Teil I, Abschnitt 2.3.

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bis 200 000«, er wolle den Physikern »seinen Dank persönlich aussprechen« (42). Den bestürzten Professor Lerner und Dr. Calmar zeigt hier General Groves das Foto des großen Augenblicks, wenn auch »mehr als eine Rauchsäule« auf dem Bild leider kaum zu sehen sei. In ihren unterschiedlichen Reaktionen deuten Professor Lerner, die Assistentin und Dr. Mac Intire drei mögliche Alternativen der Wissenschaft an. Den ersten beiden Physikern hat Hiroshima die Augen über die wahren Ziele der Bombe als Machtinstrument zur Beherrschung der Weltpolitik und -ökonomie geöffnet. Um die Arbeit am Atombombenprojekt vor sich selbst rechtfertigen zu können, verbergen sie sich hinter der These der vermeintlichen Hitler-Bombe. Die amerikanische Atombombe sei nur für den Fall da gewesen, »daß Hitler seine Drohung mit fürchterlichen Geheimwaffen wahrmachen sollte« (43). Auch warnen sie vor dem Risiko einer Weiterentwicklung der Atomforschung in anderen Ländern. Aus Furcht vor Erpressung und Arbeitslosigkeit lässt sich dennoch der alte Physiker zum kooperativen Bleiben überreden, während der junge Mac Intire – angesichts der grassierenden Atom-Skepsis – entschieden für eine Politik »der psychologischen Kriegsführung« (51) und eine Strategie der Angst plädiert, um »mit der Flut der Panik« jedes Argument zu »überspülen« (53): Sehr einfach, Senator, in der Sorge um den Alleinbesitz der Atombombe und im Entsetzen über unsere Zerstörung von Hiroshima liegen als Hauptkomponente, die Angst davor, daß es New York einmal so ergehen könnte wie Hiroshima. Schüren wir diese Angst zur Panik – und die Menschen hören auf zu denken. Je mehr sie vor Angst geschüttelt werden, desto weicher werden sie; und je weicher sie werden, desto besser kann man sie kneten. (52)

Dass Scheers Amerika sich nicht scheut, für politische Zwecke die niedrigsten Mittel der medialen Propaganda anzuwenden, gehört zur tiefen Missbilligung des US-›Polizeistaates‹, die sich durch das ganze Stück zieht. Der Autor lässt hier die Amerikaner nicht nur mit der Sicherheit protzen, in der Atomforschung einen Vorsprung zu haben (»und die Macht, die dieser Vorsprung uns gibt, werden wir dazu auszunutzen wissen, unseren Frieden zu machen«, 46), sondern auch das Recht behaupten, andersdenkende Wissenschaftler »gefügig zu machen oder sie auszuschalten« (ebd.). Keinen Augenblick zögert die Regierung, ihre gefürchteten Gegner abzuschaffen, wie eben den reuigen Piloten Albert, der die patriotischen Mechanismen der Konsensgewinnung als Machtausübung zu desavouieren vermag: »Mich in ein Irrenhaus stecken, Sir, damit ich schweige? […] Aber ich warne Sie, Sir. Der Held von Hiroshima ein Irrer! Wie gefällt Ihnen das, Sir?« (65). In ihm wächst allmählich das Bewusstsein, zum Werkzeug eines herrschsüchtigen Plans gemacht worden zu sein. So wie »der berühmte Professor«, der die Atombombe gemacht hat, ist auch »der berühmte Bomber«, der sie »ausgeklinkt« hat, nur ein Werkzeug der Machtpolitik, beide sind also »zwei

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Püppchen. Zwei berühmte Püppchen in der gleichen Hand« (59). Anders als eines seiner historischen Vorbilder, der Bomberpilot Thomas Ferebee, der auf seine Tat immer stolz war und den Job bei der Air Force auch nicht aufgab,64 kündigt Sergeant Albert und widmet sich dem Kampf gegen den Atomkrieg. Das Stück kann mit der Zuversicht schließen, »daß es nicht verloren ist, solange Menschen wie du hier kämpfen«, wie sich Barbara anerkennend äußert. Dem Beispiel dieses ›braven‹ Amerikaners folgend, bringt auch die tüchtige Physikerin den Mut zur heldenhaften Aufopferung auf und die Bereitschaft zu neuem Weg. Die finale Hoffnung des Textes liegt in ihrem stoischen, um des Friedens willen geleisteten Verzicht auf die Wissenschaft. Sie weigert sich, mit den Amerikanern zu kooperieren, verliert ihren Job und wird Hutmacherin, bis die letzte pathosbeladene Dramenszene ihr eine bessere Welt aufschließt und die Chance gibt, zum ›guten‹ Atom in der Sowjetunion beizutragen: »Hier werden nur Bomben gemacht. […] Ich will mithelfen, den Traum der Atomwissenschaft, unseren Traum, zu verwirklichen: Energie für Frieden, Reichtum in Gerechtigkeit, Fülle in Freiheit« (74). Rudolf Heukenkamp: Dichter im Dienste der Nuklearrüstung? Die literarischen Beiträge zum Atomdiskurs der DDR zwischen 1945 und 1957 mit einem Blick auf Brechts »Leben des Galilei«. In: Krieg und Literatur 2 (1990), 3, S. 117–133. E. L.: »Das Hörspiel unserer Zeit«. In: Neues Deutschland, 30. Januar 1951, S. 3. Wgg.: Und Berge werden versetzt. In: Neues Deutschland, 24. Januar 1950, S. 3. Maximilian Scheer : Ein unruhiges Leben. Autobiographie. Berlin 1975. Maximilian Scheer, Karl Georg Egel: Und Berge werden versetzt. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 1: Frieden. Berlin (DDR) 1950, S. 37–74. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 21. Zu Karl Georg Egel s. die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 19.

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Gerhard Traugott Buchholz: Reich Gottes auf Erden (1949)

Autor : Gerhard Traugott Buchholz (1898–1970) Darbietungsform: Schauspiel in zwei Teilen (in sechs Bilder unterteilt) Uraufführung: nicht nachweisbar Ort: Konstantinopel, Alexandria und irgendein Land Zeit: Mitte des 6. Jh. und zwischen 1937 und 1945

Bei religiös angelegten Stücken wie Gerhard Traugott Buchholz’ zweigeteiltem Schauspiel Reich Gottes auf Erden tritt die Atomproblematik anscheinend nicht in den Vordergrund, so dass man nur mit einer gewissen Vorsicht von einem 64 »I’m convinced that the bombing saved many lives by ending the war«. Douglas Martin: Thomas Ferebee Dies at 81; Dropped First Atomic Bomb (Anm. I, 136), S. 11.

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Atomdrama sprechen kann. Dennoch entspricht der zweite Teil den thematischen Richtlinien und den Handlungsschemata des typischen Atomwissenschaftlerdramas, in dem sich die Liebe zur Forschung mit der verantwortungsbewussten Absage an ihre Hybris verbindet. Beide Teile weisen allerdings einen gemeinsamen Glaubenshorizont auf, der unter massiver Verwendung katholischer Terminologie und Vorstellungen konturiert wird. Wie in vielen anderen Werken des produktiven Künstlers und Schriftstellers – Buchholz war nicht nur Autor zahlreicher Bühnenstücke, sondern auch Maler und Bühnenbildner, Übersetzer, Drehbuchautor und Regisseur65 – ist auch in Reich Gottes auf Erden eine starke Kirchenpropaganda nicht zu überhören. Wesentliche Aspekte sind dabei die optimistische Färbung, die der Diskussion über das anbrechende Atomzeitalter verliehen wird, die Zuversicht, mit der der Übergang erwartet wird, und jene Wendung ins Positive des Energiepotentials des Atoms, welche um die fünfziger Jahre in vielen christlichen Kulturkreisen Fuß gefasst hatte. So kann z. B. Buchholz’ Held, der Physiker Lanka, im Zeichen Gottes die apokalyptische Stimmung nach Hiroshima mit der Hoffnung des Wieder-vonvorne-Anfangens in Einklang bringen: Ich hatte einer Art Gesicht, einen Traum, der die Helle des Tages nicht scheute. […] ich sah Gott. Ganz nahe. […] Und er lächelte und sprach mit mir […]. Ich verstand nicht gleich. Dann sah ich plötzlich, was er meinte: die ungeheuren Gebiete der Vernichtung neu belebt! Die Urwälder der Erde, die Ursümpfe, die Steppen, die furchtbaren Wüsten sah ich in blühender Fruchtbarkeit, ohne Schrecken. Den Schweiß von den Leibern frohnender [sic] Menschen weggewischt, die Qualen des Hungers und der Lebensangst aus ihren Augen. Haß und Neid auf ihren zusammengepreßten Lippen verwandelt in das Lächeln froher Menschen. Und ihre Herzen und Sinne rein und stark dafür gemacht, mit diesem neuen Leben auf neue und gute Art fertig zu werden.66

Gerade hinsichtlich der hier angestrebten Vergegenwärtigung der Anwesenheit Gottes in allen Lebensreichen stellt Wolf Gerhard Schmidt in seinem großen Buch zum Nachkriegstheater fest, dass sich Buchholz’ Drama dem agapistischen, christlich-religiösen Diskurs zuordnen lässt, in dem »›Liebe‹ als Universalprinzip« gilt.67 Solche rettende Botschaft unterstreicht im Stück eine programmatisch Zuvor betitelte Vorbemerkung des Autors, die zugleich auch die Prämisse für eine allumfassende Theorie der Liebe ist. Heilsam und sinnspendend erscheint sie, »in welcher Form sie auch auftreten mag, im Trieb verborgen, als Liebe zwischen Mann und Frau, als Liebe zwischen Mensch und 65 Sehr berühmt wurde u. a. sein Film Postlagernd »Turteltaube« – 1952 mit seiner Kölner Occident-Produktion gedreht und bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin gezeigt – gegen die DDR-Politik in der Phase der Verschärfung des Kalten Kriegs. Vgl. dazu O. A.: Komödie gegen die Angst. In: Der Spiegel, 11. Juni 1952, S. 30–31. 66 Gerhard Traugott Buchholz: Reich Gottes auf Erden (Anm. I, 340), S. 66–67. 67 Wolf Gerhard Schmidt: Zwischen Antimoderne und Postmoderne (Anm. I, 10), S. 239.

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Mensch, und Mensch und Gott, immer aber als […] ewigkeitsträchtige, gottsuchende Kraft« (5). Für diese Macht der Liebe, die alles durchquert, eignet sich die ›transversale‹ Darstellung immerwährender Probleme auf verschiedenen Daseins- und Zeitebenen, die sich der Autor in dem »Schauspiel in zwei Zeiten« – wie der Werkuntertitel lautet – vornimmt. Die synchronische Achse der zeitlosen Liebe wird durch die Sukzession zweier Epochen überlagert, in denen die Dramenteile spielen: im Konstantinopel des 6. Jahrhunderts n. Chr. und in einem chemiephysikalischen Institut irgendeines Landes zwischen 1937 und 1945. Beide Szenerien sind durch eine gewollt einfache architektonische und dramaturgische Rahmung eingefasst, die sowohl in den Vorspielen zum ersten und zweiten Teil als auch im Nachspiel mit wenigen Zügen eine frühromanische Kapelle andeutet, wo Einzelfiguren ihr Gebet verrichten. Alle Hauptfiguren besetzen eine Doppelrolle. Die Protagonistin spielt im ersten Teil Theodora, die verführerische Prostituierte, in die der fromme Christ Justinian verliebt ist. Zunächst ist sie in einem prächtigen Freudenhaus, dann in einem armen Hafenbordell, wo sie – heruntergekommen und geschunden – den Liebesworten von Thomas, dem exaltiertem Anhänger des heiligen Paulus, zuhört. Im dritten Bild fördert sie als byzantinische Kaiserin karitative Initiativen und versucht, die Politik ihres Mannes Justinian sozial – und kirchlich – gemeinnützig zu beeinflussen. Schließlich leistet sie Verzicht auf die Liebe des zurückgekehrten Thomas, um Justinian nicht fallen zu lassen, damit das Reich Gottes auf Erden weiter bestehen kann.68 Die »Rennparteien« der Blauen und der Grünen, die in den »Circusspielen« des ersten Teils wie »Brot und Spiele«, »Gott und Böse«, »Mann und Weib« »beieinander liegen« (14–15), kehren als Polarität des Daseins in der zweiten, dem zeitgenössischen Atomzeitalter gewidmeten Hälfte des Schauspiels wieder. Hier tritt die Protagonistin in Gestalt von Alexandra Lanka auf, der attraktiven Frau des Wissenschaftlers Lanka. Und Thomas’ Figur taucht als Dr. Ramuz, ehemaliger Assistent von Professor Lanka, wieder auf. Letzterer trägt seinerseits die Züge Justinians. Auch hier tut sich eine tiefe Kluft zwischen verschiedenen Meinungen auf, die als politische Polarität zwischen zwei Parteien erscheint, den Blau- und den Grünhemden, den Gläubigen und den »Gegenwartsapostel[n]« (47). Gleichzeitig sind es zwei entgegengesetzte ethische Forderungen, die Buchholz in den Konflikt zwischen dem »Sozialrevolutionär« (51) Ramuz und Lanka, dem »Naturforscher, der an Gott glaubt«, hineinversetzt. In der Mitte Alexandra. Genauso wie Theodora auch eine ehemalige Hure, die sich durch die

68 »Was soll ich tun, Gott, wofür mich entscheiden? Gib mir ein Zeichen. Dein Reich auf Erden, noch bevor es steht, versinkt, wenn Justinian jetzt fällt« (39).

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Prostitution bereicherte und nun, als reuige Sünderin, dem Forschungsfortschritt ihre reichen Mittel zur Verfügung stellt. Dabei bilden Politik, Ethik und Wissenschaft ein Assoziationsdreieck, in dem die Frage nach Bewusstsein und Verantwortung der Katalysator in jeder Konfliktsituation ist. Um diesen dramaturgischen Kern entwickeln sich Handlungsstränge, bei denen einige thematische Knoten des naturwissenschaftlichen Atomdramas deutlich erkennbar sind, wie das Motiv der geheimen Formel, der Gegensatz von Politik und Ethik, die Freiheit der Physik und ihr Verhältnis zur staatlichen Kontrolle sowie der Generationenkampf, der hier in der Modalität der Lehrer-Schüler-Beziehung vorkommt. Das Motiv der ›Formel‹ wird deutlich fixiert: Alexandra spielt auf die Aufzeichnungen an, die Professor Lanka verbrennt, wenn auch, angesichts der prinzipiellen Realisierbarkeit technischer Entdeckungen, mit schwacher Hoffnung auf die Wirksamkeit seiner Tat (»alles sinnlos. Wir werden den Fluß der Dinge nicht aufhalten. Man wird auch ohne uns weiter kommen«, 42). Die Frage nach Rolle und Aufgabe des Physikers geht zunächst aus den beiden Weltanschauungen hervor, die sich hier bekämpfen: Professor Lankas »fromme Metaphysik«, mit der er sich »um seinen wissenschaftlichen Namen« bringen wird, und Ramuz’ »physikalische Unfrommheit«. Diese entlarvt Alexandra als »Machtanspruch« (44), als schuldhafte Illusion, durch die Wissenschaft »das goldene Zeitalter […], das Reich Gottes auf Erden« (46) zu schaffen. Alexandra hat, wie angedeutet, in ihrem Leben eine radikale Kehrtwendung vollzogen. Im zentralen Gespräch des ersten Bildes im zweiten Teil stehen sich die beiden ehemaligen Liebenden Auge in Auge gegenüber : Während Ramuz den Professor als feige verleumdet (er habe nur »Angst vor seiner eigenen Courage! Das ist es!«, 45), weigert sie sich, »mit Bomben für den Frieden [zu] kämpfen«. Sie teilt Lankas Meinung, gefährliche Entdeckungen nicht »in die Hand einer überstaatlichen Macht« legen zu dürfen. Ramuz unterliegt hingegen einer exaltierten Forschungshybris, einem »idealistischen Machtrausch«, wie Lanka ihn definiert (47). Deshalb lässt er sich nicht zur Besinnung bringen, nicht von dem Plan ablenken, »in dieser Welt und in diesem Leben«69 für die Menschheit zu kämpfen. Was all dies für den jungen Wissenschaftler (freilich auch für Buchholz) bedeutet, wird die spätere Verhaftungsursache erklären: Ramuz wird »wegen anarchistischer Umtriebe und Zusammenarbeit mit einer fremden Macht« (48) festgenommen. Damit eröffnet sich im Schauspiel eine neue Front des ethisch-politischen Konflikts. Sie profiliert sich vor allem als Bestreben des Staates, die Wissenschaft unter Schutz und Kontrolle der Regierung zu stellen. Der Staatssekretär hat im Namen des Vaterlandes das ganze Gelände um die Laboratorien mit dem Zweck 69 Gesperrt im Text.

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besetzt, den Zugang »einer gutgetarnten Fremdmacht« (52) zu den Versuchsanstalten und zu Lankas Forschungsergebnissen zu verhindern. Das unverhohlene Ziel des Manövers legt aber der Autor klar und offen in den Mund des Militärs, der die Einwände des Professors entschieden zurückweist: »Kein Aber, Herr Professor! Handeln Sie endlich! Wir brauchen Bomben, Bomben, Atombomben!« (54). Zentrale Bedeutung unter den Diskursen, die im Drama verhandelt werden, nehmen an dieser Stelle Lankas Worte über die »Vermessenheit« (55) der Wissenschaft ein, die ihn so viel Leid gekostet hat. Zugleich sind sie Ausdruck der Ehrfurcht vor der Größe der Schöpfung. So begründet Lanka seine Kooperationsverweigerung: Ich will, daß die Bäume grün bleiben und die Pflanzen durch die Blätter atmen. Ich will nicht den bleichen, unorganischen Tod …. […], eine Zeitlang glaubte auch ich an das, was Ramuz in seinem schönen Wahn ausmalte, von dem Reich Gottes auf Erden …. […] geschaffen durch Energie, durch Kraft, die überall wirken kann […]. Dann erkannte ich die Vermessenheit meines Gedankens. Ich sah die nackte Wirklichkeit in Gestalten von politischen Parteien, von organisierten Weltanschauungen, von Heilssystemen jeder Art, jedes für sich mit dem eitlen Machtanspruch, alleiniger Hüter oder Richter oder Vollstrecker des Menschenheils zu sein. Jede für sich entschlossen, mit den brutalsten Mitteln der Unmenschlichkeit, das Ziel der Menschlichkeit zu verwirklichen. Was blieb, war Vernichtung. Ich wollte keine Vernichtung. Ich wollte nicht den bleichen, stummen, ätzenden Tod von Kindern, Eltern, Greisen, Völkern. Von Bäumen, Gräsern, Blumen, Tieren, von Bergen und Meeren, von Welten vielleicht. Ich hatte an die Möglichkeit dieser Vernichtung gerührt, ohne zu begreifen. Gott verzeih’ mir. (54– 56)

Hier unterbricht sich der Handlungslauf im Jahr 1937. Das nächste Bild führt uns, acht Jahre später, ins Arbeitszimmer der Wohnung Lankas. Der Zuschauer erfährt, dass der Professor und seine Frau inzwischen jahrelang voneinander getrennt eingesperrt waren. Im ersten Gespräch, mit einem Mitarbeiter Lankas, gibt Alexandra ihren Zweifeln an der Existenz Gottes Ausdruck: »Oder glauben sie [sic], die Nachricht vom 6. August 1945, die Nachricht von Hiroshima, die doch schließlich auch nur das Lautwerden einer Welle ist, sei denkbar, wenn er sie erhalten könnte? Ein Gott der Liebe, der das duldet?« (60). Die gegenwärtige Außenwelt drängt sich durch einen Zeitungsjungen in die Handlung, der »Sensationsnachrichten aus Hiroshima« ausruft und pathetisch das neue Atomzeitalter verkündet: »Unvorstellbare Vernichtungswirkungen« (62). Wie es in Wirklichkeit namhaften Wissenschaftlern geschah, brandmarkt die Presse Lankas Zögern bei der Erzeugung der Bombe als Verrat und »eitle Überheblichkeit«. Denn Hiroshima habe »erwiesen, daß etwas, was er ein gefährliches und willkürliches Instrument der Vernichtung nannte, in der Hand des Rechts zu einem Werkzeug des Friedens werden kann« (63). Lanka ist aber unterdessen zur wahren Einsicht gekommen, er findet zur Kraft und beginnt von vorne. Das

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›Reich Gottes auf Erden‹ ist erreichbar, wenn man der Gleichzeitigkeit von Nah und Fern, Groß und Klein innewird. In der Entscheidung, sich um zwei kleine Bettlerkinder zu kümmern, spiegelt sich das Gesetz dieser einfachen und zugleich heiligen Entsprechung: »Ein Keim zwar nur, ein Kern abgespalten von ganz Großem, diese zwei. Aber, wie bei unseren Atomen: die ganz große in der ganz kleinen Kraft« (68). Nun könnten sie, Alexandra und er, »wirklich Berge versetzen« (69). Die Ereignisse spitzen sich hier dramatisch zu: Alexandras verklärender Tod, von dem aber nur das Nachspiel – parallel zur Verkündung von Theodoras Krebstod im ersten Teil – Nachricht geben wird, kann Lankas Prozess der Bewusstwerdung der neu gewonnenen Chance zur Veränderung nicht aufhalten. Die Kinder, die »Phantasie genug haben, den tödlichen Sog der aus den Angeln gehobenen Welt zu ertragen und zu beherrschen, statt von ihm beherrscht zu werden« (68), stellen den verheißungsvollen Schlüssel zum Durchbruch in eine positive Zukunft dar, die schon angefangen hat. Gerhard Traugott Buchholz: Reich Gottes auf Erden. Schauspiel in zwei Zeiten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin [1949]. O. A.: Komödie gegen die Angst. In: Der Spiegel, 11. Juni 1952, S. 30–31.

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Helmut Schilling: Passagier sieben (1949)

Autor : Helmut Schilling (1906–1984) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 20. Oktober 1950, Stadttheater Bern Ort: Stiller Ozean Zeit: Mitte des 20. Jahrhunderts

Passagier sieben ist Helmut Schillings erster Dramentext gegen die vernichtende Macht der Atomwaffen, ein Thema, das der gebürtige Berner, der sich in der Schweiz einen Namen als Dramatiker machte und Präsident der Gesellschaft der Schweizerischen Dramatiker wurde,70 später im Schauspiel Experiment Ren8 wieder aufgreifen sollte.71 Das Zeitstück Passagier sieben wurde vermutlich zwischen 1948 und 1949 geschrieben. Die erste Ausgabe des Bühnentextes erschien ohne Jahresangabe im Bühnenvertrieb M. Kantorowitz in Zürich und wurde 1949 in bearbeiteter Fassung vom S. Fischer Verlag veröffentlicht. Die Uraufführung erfolgte am 20. Oktober 1950 in Bern und »der Abend wurde zu 70 Helmut Schillings Werke wurden in der Schweiz vielfach ausgezeichnet. Vgl. Tobias Hoffmann-Allenspach: Helmut Schilling. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Zürich 2005, Bd. 3, S. 1605–1606. 71 S. Teil II, Abschnitt 75.

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einem Erfolg«,72 wie die Berner Tageszeitung Der Bund berichtete: Das Publikum habe die Warnung und den Appell geschätzt, die das Stück trotz mancher expositorischer Schwächen ausstrahle, so Arnold Hans Schwengeler, Feuilletonchef des Bund. In Passagier sieben wird das Problem des Zerstörungspotentials der Kernenergie auf allegorische Weise bearbeitet, exemplifiziert am Beispiel einer ›tragbaren‹ Atombombe an Bord eines Transpazifikfrachters. Wie in vielen Werken der ersten Phase des Atomzeitalters wird hier die Bombe in der totalen Unfassbarkeit und Unbegreiflichkeit ihrer unerhörten Wirkung fast ›verabsolutiert‹, d. h. losgelöst von allen Bezügen zur historisch-politischen Umwelt. Sie ist sozusagen ein ›Objekt‹, das sich im Koffer eines blinden Passagiers befindet. Die Lokalisierung des dramatischen Geschehens an keinem konkreten geographischen Ort, sondern im flüssigen, koordinatenlosen Raum des Stillen Ozeans kommt dieser Verselbständigung des Sprengkörpers als Inbegriff des gegenständlich gewordenen Untergangs zugute. Von einer richtigen Handlung kann demnach kaum die Rede sein. Das Werk will ja ein Bild des bevorstehenden Risikos, der großen Angst vor der Atombombe (»die Menschheit hat Angst«)73 und der Rettung durch Entschlusskraft und (stellvertretende) Opferbereitschaft eines Menschen malen. Entsprechend der vom Autor anvisierten didaktischallegorischen Botschaft nähern sich die Figuren eher Idealtypen oder Vertretern von Ideen und Konzeptionen an als wirklichen Individualitäten, sie sind mehr Sprachrohre verschiedener Glaubensformen und Ideologien als wahre Gestalten. Im Mikrokosmos des Schiffs, dieser komprimierten Welt im Kleinformat, gelten also die personae als Repräsentanten von Menschenkategorien und -auffassungen, die einander gegenüberstehen. Aus diesem Grund ist es nicht die Handlung, sondern die argumentierende Phase, die den eigentlichen Inhalt des stark dialogischen Dramas ausmacht und den Ausgang selbst vorbereitet. An Bord versammelt Schilling insgesamt zehn Menschen, drei Mann Besatzung und »zufällige sechs Passagiere« (5), denen sich im achten Auftritt ein ›Passagier sieben‹ anschließt, der sich illegal Zugang zu dem Frachtschiff verschafft hat. Die Passagier-Konstellation deutet keine homogene Gruppe an: Ein pensionierter, lebensfroher Postbeamter mit seiner pragmatischen Gattin, ein rational handelnder und doch idealistischer Physiker und dessen romantische Frau, eine weltgewandte Dame französischer Abstammung, Madame Pr8r8al, die sich später als Geheimagentin entpuppt, schließlich ein einsamer, verdächtig wirkender Mann (»ein absonderlicher Fahrgast. Schweigsam, ungesellig«, 39), 72 A. H. S. (Arnold Hans Schwengeler): Stadttheater Bern. »Passagier sieben«. Schauspiel von Helmut Schilling. In: Der Bund, 23. Oktober 1950, S. 3. 73 Helmut Schilling: Passagier sieben. Zürich [o. J.]. Wiederabgedr.: Passagier sieben. Schauspiel in drei Akten. Frankfurt a. M. 1949, S. 64.

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der sich dann als der Erfinder der auf dem Schiff versteckten Bombe herausstellt. In den Augen der Besatzung haben alle Passagiere eines gemeinsam: Sie seien »eine Handvoll Nichtstuer« (5), extravagante Wesen auf Abenteuersuche. Sie selbst sehen sich am Anfang als eine »Schicksalsgemeinschaft«, sie »gehören […] alle zusammen«, »halten zueinander. Wie in einem kleinen Rettungsboot« (23). Dem Zuschauer wird allerdings sofort klargemacht, dass es sich um keine normale Reise handeln kann, »weil unserem Schiff«, wie der Schiffsjunge bereits bei Fahrtbeginn sagt, »nicht ganz zu trauen ist« (6). Dass die Reise nicht unter den günstigsten Voraussetzungen stattfindet, bestätigt kurz danach auch der Wortwechsel zwischen Kapitän Shrulley und dem ersten Offizier, Lippertow, geführt in einer Mischung aus Zweifeln und Begierde, Angst und Abgebrühtheit. Zugleich wird dabei die gewöhnlich den Wissenschaftlerfiguren anhaftende Verantwortung auf die Schiffführer übertragen. Shrulley : Verdammt, und der Koffer wochenlang auf meinem Schiff! Ungemütlich. Eine Explosion… […] Zu wissen, dass die entsetzlichste Waffe darin ist! Lippertow : Wichtiger sind die Papiere, die Pläne, Berechnungen, Photographien. Shrulley, noch in dieser Stunde werden wir die wertvollste Ladung der Welt an Bord haben. Sie kostet… Shrulley : Vielleicht unsern Kopf! Lippertow : Kann einen Weltkrieg kosten, das Leben ganzer Völker. Shrulley : (nervös) Ich weiss, ich weiss, ich weiss. Verteufelte Idee, mir das aufzuladen! Lippertow : Angst? – Auf so einem Rumpelkasten der grosse Herr! Aber wenn’s die Welt ist… Shrulley : Dass es so etwas gibt! So etwas Hundsgemeines, was nur zur Explosion gebracht werden muss – und eine Stadt ist vernichtet. Lippertow : Zum Lachen! Eine Stadt! Das war 1945. Uretnitratom zerstört nicht nur 1,8 Kilometer im Radius; […] Shrulley : (stiller) Da draussen dreht sich die Welt, atmet, lebt. Und wir sind die Mitte. Für einige Wochen die Mitte der Welt. Wenn wir wollen, stürzen die Mauern über betenden Händen und brechenden Augen. Wenn wir wollen… (ausbrechend) Herrgott, warum ist jeder armselige Wicht einmal die Mitte der Welt! Lippertow : Wir sind bloss ein Schiff von Ufer zu Ufer. Sozusagen eine Poststelle. Was unter den Händen durchläuft, geht uns nichts an. (15–16)

Das unvorstellbar enorme Vernichtungspotential des ›Uretnitratoms‹, das hier zum ersten Mal erwähnt wird, geht sie also nichts an. Überhaupt stellt sich hier keiner selbst in Frage, sondern alle wälzen die Verantwortung auf einen anderen ab. Die negativen Signale häufen sich und deuten auf das nahende Unglück hin. Der Kapitän zeigt sich »nervös. Kein gutes Zeichen für ein Schiff. Wir möchten nicht«, wünscht sich halb im Spaß ein Passagier, »wie sagt der Seemann so treffend, haha? – zugrundegehen« (20). Schon ab den ersten Dialogen fallen große Worte wie »Todesmut«, »letzte Fahrt«, »vorgeschriebene Bahn«, »die

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Fäden des Schicksals« (27) und pompöse, barock anmutende Formulierungen wie »nur der Tod befreit«, »uns Menschen fehlt ein Engel« (30) oder »unter – jedem Gesicht ein Totenschädel« (31), »der Tod an Bord«, »unser Tod fährt mit« (34). Die Ausdrücke des Sterbens und der Todesgefahr vermehren sich im zweiten Akt, nachdem der siebte Passagier, ein gewisser Kunter, der mitsamt Gepäck an Bord des bereits fahrenden Schiffs genommen wird, vom schauerlichen Inhalt seines Koffers erfährt, von dem er bisher keine Ahnung gehabt hat: die Uretnitratombombe, für deren Transport und Übergabe jemand bezahlt hat. Die fatale Schuld der unverantwortlichen Wissenschaft – der Erfinder »rannte entsetzt vor seinem eigenen Werk davon« (56) – fällt auf die nichtsahnende Menschheit zurück. Kunter, der schon als unglückbringend galt, weil ihn der Krieg bei jeder Schlacht ausgespart hatte (»Schon in den ersten Gefechten hiess es, ich sei der Tod! […] Immer dasselbe! Ich blieb verschont! […] Unglück gebracht«, 50), muss auch diesmal das grausame Schicksal auf sich nehmen (»Ich trage den Tod mit mir!«, 56), er allein muss die Verantwortung für die auf dem Frachter versammelte Gesellschaft tragen: »Jetzt sind Sie verantwortlich! Sie« (56), ruft ihm Lippertow zu. Kunters Anwesenheit an Bord verursacht Schrecken und Zorn: »Seit Sie an Bord sind, redet jeder nur noch von Angst« (68), wirft ihm die französische Passagierin vor. Als Liebling des Todes, der ihn »stets verschont« hat, scheint Kunter für das Unheil prädestiniert zu sein, er wird »immer dorthin geschickt, wo es ein Ende gibt« (61). Da entscheidet sich Kunter, die fatale Kette seines Schicksals zu unterbrechen. Er setzt die kleine Schiffsgesellschaft von der unheimlichen Ladung in Kenntnis und warnt sie unverblümt vor dem nun hereinbrechenden Unheil: Die Welt schafft jetzt, im Frieden, Gedanken, die so schlimm sind wie die Waffen des Krieges. Mordgedanken! Die Atombombe, das wissen Sie, wirkte verheerend. Noch fürchterlicher wird die Waffe des Uretnitratoms sein. Das Modell und die Pläne sind der Tod von Ländern, Städten, Menschen. […] Sind der Tod! Beide wurden entwendet. Für eine andere Nation. (deutlich) Ohne mein Wissen trug ich Pläne und – Modell gestern abend hierher an Bord. (61–62)

Das sich anschließende Gespräch zwischen dem Erfinder Boresky und dem Physiker Eric lässt geradezu manichäisch zwei Kategorien von Wissenschaftlern erkennen, nämlich den Fanatiker der Wissenschaft, der sich über seine übertriebenen Bestrebungen keine Gedanken macht, und den Wissenschaftler im Dienst der Menschheit. Boresky : (gequält) Ich kämpfte um das Grosse. Tag und Nacht. Und als es da war, endlich – musste ich davor fliehen. Musste! Weg, fort! Irgend – wohin. Namenlos – Bis hierher… […] Eric: (streng) Sie konnten Ihr Werk vernichten.

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Boresky : Vernichtet man, was grösser ist als alles auf der Erde? […] Eric: Lump! Ist das Wissenschaft? Auch ich arbeite in Atomen, Elektronen, Energien. Kraft holen für den Menschen! Leben fördern! Aufbauen! Boresky : Kann einer widerstehen – sagen Sie es selbst! – wenn es ihn treibt, wenn eines das andere bedingt! Eric: Ich suche andres! Boresky : Ich fand andres! (63–64)

Seit die ganze Gruppe die Gefahr kennt, die sie und die Erde bedroht (»Die kleine runde Bombe ist eine Erdkugel. Wir stehen nicht mehr auf unserer eigenen Erde, seit wir solche Dinge schufen. Wir leben auf Vulkanen!«, 68), spitzt sich die Lage auf dem Schiff zu. Der dritte Akt beschreibt die Situation als unausweichlichen Weg zur Selbstopferung. Die Alternative lautet: Einzelopfer oder Zerstörung ganzer Länder. Boresky wirft sich ins Meer und ertrinkt. Doch opfert er sich nicht direkt für die Menschheit auf, sondern um der Geheimagentin Madame Pr8r8al zu entgehen, die die Aufgabe hatte, Boresky und seine Geheimnisse »hinüberzubringen« (88). Nun heißt es, sich so schnell wie möglich der Bombe, dieser »ekelhafte[n] Verantwortung«, zu entledigen. Nach dem ersten Versuch, das Schiff zu wenden, um die Bombe, »das schrecklichste Werkzeug«, zurückzubringen, wird aber den Menschen an Bord bewusst, dass dadurch der Gefahr noch kein Ende gesetzt wird. An dieser oder an jener Küste bleibe die Erfindung sowieso »die grösste Beleidigung, die wir Menschen uns selbst antun« (85). Es solle also verhindert werden, dass die Weltbedrohung das andere Ufer erreicht. Die erlösende Tat geht aus einem von vornherein voraussehbaren Täter-OpferSchema hervor. Die Titelfigur gibt das eigene Leben hin, um den Sprengkörper auf einem weit entfernten Boot detonieren zu lassen. Kunter hört endlich auf, seiner Umwelt nur Unheil zu bringen, und rettet nicht nur das Schiff, sondern die ganze Menschheit vor dem Untergang. Durch seine heroische Tat rehabilitiert der Passagier sieben seine Vergangenheit. Der Kreis schließt sich. Sein Opfersuizid schafft den Tod aus dem Universum, in das er ihn unwissend, und doch durch seine Passivität schuldig, hereingetragen hatte. Hans Amstutz, Ursula Käser-Leisibach, Martin Stern: Schweizertheater. Drama und Bühne der Deutschschweiz bis Frisch und Dürrenmatt 1930–1950. Zürich 2000. Hans Erpf (Hrsg.): Ein Wort bereit: Helmut Schilling zum 75. Geburtstag. 28. August 1981. Bern 1981. Friedrich Heer : Wenig Neues vor Neujahr. (Wiener Bühnen. H. Schilling: »Passagier Sieben«; Sacha Guitry: »Nicht zuhören, meine Damen«). In: Die österreichische Furche, 1. Januar 1951, S. 6. Tobias Hoffmann-Allenspach: Helmut Schilling. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Zürich 2005, Band 3, S. 1605–1606.

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Helmut Schilling: Passagier sieben. Zürich [o. J.]. Wiederabgedr.: Passagier sieben. Schauspiel in drei Akten. Frankfurt a. M. 1949. A. H. S. (Arnold Hans Schwengeler): Stadttheater Bern. »Passagier sieben«. Schauspiel von Helmut Schilling. In: Der Bund, 23. Oktober 1950, S. 2–3. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 75.

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Matthias Josef Weiss: Gebündelte Strahlen (1950)

Autor : Matthias Josef Weiss (1903, Todesjahr unbekannt) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 28. Februar 1950, Kammerspiele der Städtischen Bühnen Lübeck Ort: Italien Zeit: 1937

Kaum noch bekannt ist heute Matthias Josef Weiss, der schon zur NS-Zeit als Dramatiker und Komponist tätig war.74 Nicht einmal sein Todesdatum ist auffindbar ; in dem 2010 bei De Gruyter erschienenen Literaturlexikon ist es nicht angeführt.75 Ebenso wenig weiß man über sein Marconi-Stück, das Schauspiel Gebündelte Strahlen. Eine kurze Notiz vom 27. Februar 1950 in der Frankfurter Allgemeinen verkündet, dass am folgenden Tag das neue Schauspiel des Essener Dramatikers an den Städtischen Bühnen Lübeck uraufgeführt werde,76 und die Zeit berichtet darüber zwei Wochen später. Dabei unterstreicht die Wochenzeitung, dass der Schriftsteller nicht wisse, »wo er das Fahrgeld für die Rückreise von Lübeck nach seinem Wohnort im Ruhrgebiet hernehmen sollte«.77 Dass sich Weiss in einer üblen finanziellen Lage befand, wie es damals übrigens auch vielen anderen Bühnenautoren erging, beweist zumindest, dass die literarische Resonanz des Dramatikers nach dem Krieg die vorhergegangenen Erfolge nicht überlebt hatte. Die am Anfang des Zeit-Artikels rhetorisch gestellte Frage, »haben idealistische Autoren, die die Sache des Friedens vertreten, unter allen Umständen Anspruch auf Wohlwollen?«, lässt wenig Zweifel an der Geringschätzung des Rezensenten. Nach Gebündelte Strahlen ist allerdings kein weiteres Theaterwerk von Weiss nachweisbar. Weiss’ kurzlebiges Marconi-Stück gehört zur ansehnlichen Kategorie der Wissenschaftlerdramen, die sich in der deutschsprachigen Literatur der Zeit durchzusetzen beginnt und genrespezifische Motive aufweist. Marconi steht hier stellevertretend für jene Physiker der Gegenwart, die einen Konflikt zwischen 74 Vgl. Boguslaw Drewniak: Das Theater im NS-Staat (Anm. II, 28), S. 316. 75 Vgl. Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Hrsg. von Wolfgang Achnitz, Lutz Hagestedt u. a., Bd. 30. Berlin 2010, S. 45. 76 O. A.: Notizen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Februar 1950, S. 5. 77 Ncl.: Tragödie der Technik (Anm. I, 17).

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der inneren Berufung und ihren Gewissensskrupeln ausfechten. Es ist der Autor selbst, der im Vorwort ausdrücklich auf die gattungsrelevante Thematik des Atomforschers Bezug nimmt: »Dies ist die erste Gestaltung der Anfänge der atomwissenschaftlichen Praxis, dargestellt an dem Schicksal eines der größten und erfolgreichsten Forscher der Menschheitsgeschichte, des Physikers Guglielmo Marconi«.78 Dabei erklärt er, er wolle die Abhängigkeit »von Segen oder Vernichtung der Menschheit von dem Verantwortungsbewußtsein der die Atomkraft beherrschenden Mächte der Wissenschaft« (6) zeigen. Die Perspektive geht vom Bild Marconis als eines Idealisten aus, der – im Unterschied zum wirklichen Marconi, der an einem Schlaganfall starb – Selbstmord begeht, um während des Faschismus den militärischen Missbrauch seiner Experimente mit allen Mitteln zu verhindern. Auch Marconis vermeintlichen Widerstand gegen das Regime idealisiert der Autor, die historische Realität erheblich verzerrend, denn nie war der Physiker in Wirklichkeit feindlich gegenüber Mussolini eingestellt.79 Der Marconi von Weiss wird hingegen zum vorbildlichen Prototyp des Atomwissenschaftlers, der sich mit den zerstörerischen Folgen seiner Entdeckung konfrontiert sieht. Die motivisch repetitive Frage, ob seine Erfindung nur dem Frieden und dem Aufbau dient, taucht leicht variiert an zahlreichen Stellen des Textes auf. Die Handlung ist in Marconis Todesjahr, 1937, in Italien angesiedelt. Gleich in den ersten Worten des Dramas wird das Thema der Atomwissenschaft programmatisch angeschlagen: Carlo, der Laborgehilfe, fängt an, indem er feierlich die Einstein-Formel der Relativitätstheorie zitiert. Von ihm erfahren wir auch, dass der Chef soeben neue Strahlen erfunden hat, aber »ganz andere Strahlen als diejenigen, mit denen unser Professor damals seine erste drahtlose Botschaft über den Atlantischen Ozean schickte – die ihn berühmt gemacht haben« (9). Diese neuen Strahlen, die »die Motore [sic] zum Stillstand bringen – die sich bündeln lassen – die sogar Substanzen zersetzen, zertrümmern« (31), sind aber nach Absicht des Professors lediglich für Friedenszwecke bestimmt. Neben diesem Hauptstrang – der Verantwortlichkeit der technischen Wissenschaft – spielen Machtgier und erotische Leidenschaft eine zentrale Rolle in der Entwicklung der opernartigen Handlung. Ansprechpartner des Protagonisten sind einerseits ein Kultus- und ein Kriegsminister, ein Major »mit lauerndem Blick« (11) und ein Journalist mit dem vielsagenden Namen Nova, der sich später als Geheimagent einer Fremdmacht entpuppt; auf der anderen Seite 78 Matthias Josef Weiss: Gebündelte Strahlen (Anm. I, 405), S. 5. 79 In Anspielung auf die Etymologie von Faschismus aus lateinisch fascis, d. h. ›Bündel‹, soll er einmal in einer offiziellen Rede sogar gesagt haben, er sei der erste ›faschistische‹ Funker, weil er Wellen zu parallelen Strahlen ›gebündelt‹ habe. Vgl. Ruggiero Romano, Corrado Vivanti: Storia d’Italia. Dall’Unit/ a oggi. La storia politica e sociale. Bd. 4.3, Turin 1976, S. 2173. Zu seinem Tod gewährte ihm Mussolini ein pompöses Staatsbegräbnis.

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steht die Contessa Aldina, Schwester des Ministerialrats Lubrano, die auch eine namhafte Opernsängerin ist. Den melodramatischen Charakter des Werks unterstreichen Arien aus Verdis Aida, die an entscheidenden Stellen eingestreut sind. Dem Liebreiz der schönen Sängerin erliegt der musikbesessene Physiker natürlich sofort, ohne den gegen ihn geschmiedeten Komplott zu wittern, durch den ihm mit Hilfe der verführerischen Contessa (»im geheimen Auftrage des Ministers«, 20) seine Forschungsgeheimnisse entlockt werden sollen. Das Stück eröffnet mit einem unbegreiflichen Ereignis neben Marconis Villa – »Ich habe keine Erklärung dafür« (10), sagt der Conte Lubrano. Es ist ein Autounfall, der von etwas Sonderbarem zeugt, »einer unsichtbaren Wand« (ebd.), vor der der Wagen mit der Opernsängerin, die sich dabei leicht verletzt, plötzlich ruckartig anhält. Der Unfall soll zugleich dem Zuschauer vor Augen führen, dass etwas mit dem Ort nicht stimmt. Die Gegend ist irgendwie strahlenverseucht. Marconi selbst hegt den Verdacht, dass gerade sein Experiment daran schuld sein könne: Marconi: Was war das mit dem Auto-Unfall? Ganz hier in der Nähe? Ein Zusammenstoß? Lubrano: Nein – gewissermaßen Unfall [sic] auf völlig leerer Straße. Mir gänzlich unerklärlich, Herr Professor. Eine etwas mysteriöse Angelegenheit! Barello: Reichlich mysteriös – finde auch ich. […] Marconi: Eh – Sie haben zu scharf gebremst! Lubrano: Nein – das ist ja das Unerklärliche – ich habe überhaupt nicht gebremst! Marconi: Sonst kein Hindernis auf der Straße? Lubrano: Nichts; ich sagte ja schon: die Straße war leer! Barello: Der Wagen stand, als wäre er gegen ein Hindernis gestoßen. […] Marconi: Ja… ich überlege… und … aber, das wäre ja… Meine Herren nur eine Vermutung – – – Lubrano: Was vermuten Sie? Marconi: Conte Lubrano – Sie sind ein hoher Regierungsbeamter. Ich kann Sie und Major Barello ins Vertrauen zieh’n. Ihr Unfall ist vielleicht das Ergebnis meines Experiments – – (13–14)

Regieanweisungen informieren zwar über die sofortige Meinungsänderung des Professors, der das vorzeitige Eingeständnis des Experiments bereut (»erschrickt über seine eigenen Worte«, »gezwungen lächelnd«, »betretenes Schweigen«, 14), das bestrahlte Auto jedoch vorsichtshalber in die Luft sprengen lässt. Und in dem darauffolgenden Gespräch mit der Contessa Aldina gibt dann der Wissenschaftler seinen Bedenken offen Ausdruck: Marconi: […] Können Sie verstehen, daß ich Angst vor neuen Entdeckungen haben könnte, die ich vielleicht noch machen werde?

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Aldina: Warum haben Sie Angst vor Ihrer Forschungsarbeit? Die kann doch der Menschheit nur zum Segen sein! Marconi: Sie kann ein Segen, sie kann auch ein Fluch sein! Wieviele Dinge wurden erfunden, entwickelt, entdeckt, um die Menschen glücklich zu machen. Und dann kam immer eine unheimliche, große Macht, die das Neue, das Aufbauende magnetisch zu sich heranzog und es zum Werkzeug des Bösen machte. […] Die kleine Wunde, die ich Ihnen durch diesen Auto-Unfall unbewußt zufügte, soll der einzige Schmerz sein, den meine Entdeckung verursacht! (18)

Die Unfallwunde der Contessa gewinnt hier fast symbolischen Charakter und verhilft dem Wissenschaftler zur Entscheidung, diesmal etwas zu «schaffen, was den Zerstörer zerstört!«. Wie Marconi selbst im Ministerzimmer des Kultusministeriums, das über seine Entdeckung ermittelt, pathetisch erklärt: »nie soll der Krieg davon profitieren! Nur der Frieden! Nur der Frieden!« (28). Die Szenen im Kultusministerium nehmen den ganzen zweiten Akt ein und charakterisieren die politischen Sphäre als Raum der Intrige und der Korruption, der Verstellung und des Ehrgeizes. Durch Indiskretionen sind Notizen über Marconis Experimente an die Presse gelangt und haben großes Aufsehen erregt. Ebenso halböffentlich ist nunmehr das besondere Interesse des Mannes für die bezaubernde Sängerin geworden, da man »von gewissen Beziehungen […] munkelt« (25). Verschiedene Konversationen finden im Ministerium statt und sollen die Handlung vorantreiben: Erstens unter den Regierungsvertretern selbst. Obwohl Marconi als Universitätsprofessor zum Ressort des Kultusministeriums gehört, wird die Angelegenheit dem Kriegsministerium zugeteilt, das ihn vorerst in dem Glauben lässt, dass seine Erfindung »nur zum Zwecke ›kultureller und friedlicher Entwicklung‹« (31) benutzt werde. Zweitens ein Dialog zwischen Ministerialrat Lubrano und der Schwester Aldina, die, von echter Liebe zu Marconi ergriffen, dem bestürzten Bruder gesteht, den hässlichen Spionageauftrag zurückgeben zu wollen (26). Schließlich das offene Gespräch zwischen Marconi und dem Kultusminister Brigo, der ihn »auf die politischen Auswirkungen« seiner Erfindungen vergebens hinweist: Unter Berufung auf sein eigenes Gewissen beteuert hier Marconi entschieden die absolute Unabhängigkeit der Wissenschaft, weil seine Arbeiten »nichts mit Politik zu tun haben« (33). Genauso wie die Sängerin den Wandel von der bewunderten Bühnenberühmtheit zur aufrichtigen Liebenden vollzieht, so erfährt auch der Protagonist eine tiefgehende innere Veränderung. Sein Bewusstsein als Mensch und Wissenschaftler wächst allmählich im Laufe der Handlung und der politischen ›Verhandlungen‹. Zur Überredung des Physikers verwendet Weiss das übliche Mittel des Angebots eines reich ausgestatteten Staatslaboratoriums, das Marconi ebenso stolz und resolut ablehnt (»Meine Weltanschauung kennt keine Furcht!«, 33). Er habe schon während der Experimente die Möglichkeit einer militärischen Verwendung »gefürchtet« (34), dagegen könne man durch die Ausnutzung der

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frei werdenden Energie neue Energiequellen für die Menschheit finden. Die Rolle eines Strategen weist er von der Hand. Als Wissenschaftler bedeutet für ihn die Forschung nur »Aufbau, Fortschritt, Dienst am Menschheitsgedanken« (35). Dementsprechend desavouiert er auch das Propaganda-Argument der Staatsverteidigung: »Waffe ist Waffe!«, sagt er entrüstet, »[a]lle Waffen wurden zur ›Verteidigung‹ gebaut und alle Kriege entstanden aus Angst vor dem Angriff – des andern!« (35), und ist von der möglichen Gleichzeitigkeit bei der Ideenzirkulation überzeugt: »Dass eine Entdeckung meiner Art, völlig unabhängig von meinen Forschungen, irgendwo auf unserer technisch so lebendigen Erde, gleichzeitig gemacht worden wäre. Nicht der erste Fall von Homogenität« (37). In der Rede auf dem Balkon, zu der er vom Minister gezwungen wird – vor der ihn bejubelnden, von der Regierung ›bestellten‹ Studentenschaft –, dementiert Marconi öffentlich die eigenen Erkenntnisse, erneuert aber das Versprechen, dass ein zukünftiges Gelingen der Experimente nur »dem Frieden aller Völker« dienen wird. Dadurch erntet er freilich Pfiffe, Gemurmel und allerlei enttäuschte Reaktionen seitens der Studenten, bei denen die Regieanweisung empfiehlt, die Triumphhymne der faschistischen Bewegung Giovinezza (Jugend) spielen zu lassen. In Anwesenheit aller beteiligten Personen wird Marconi im letzten Gespräch des Akts zum letzten Mal aufgefordert, seine nicht kooperierende Position zu revidieren, aber noch einmal weigert sich der Wissenschaftler, um die Auswertung seiner Entdeckungen zu »feilschen« (49). Fragen und Positionen sind einander überdeutlich entgegengesetzt: »Rocca: Wollen Sie Ihre Entdeckung uneingeschränkt unserer Regierung überlassen? Marconi: Wollen Sie mir im Namen dieser Regierung versprechen, daß meine Entdeckung nicht dazu verwendet wird, um Menschen zu töten?« (49–50). Ab diesem Punkt bis zum Schluss des Dramas wird jeder weitere Schritt überflüssig. Die Lage spitzt sich schnell zu, Marconi wird einer wachsenden Brief- und Telefonzensur unterworfen, samt dem Verbot, sein Grundstück zu verlassen. Gleichzeitig wird das Labor unter militärischen Schutz gestellt. Das Fluchtangebot des fremden Geheimagenten Nova lehnt Marconi mit einer respekteinflößenden Entscheidung ab (»durch Ihre Entscheidung haben Sie mir gezeigt, daß es die erste Wahrheit und die letzte Weisheit ist, der Menschheit in Frieden zu dienen. Ich danke Ihnen für diese Erkenntnis«, so Nova an Marconi, 52). Die Dynamik der Handlung läuft nun auf ihr dramaturgisch einzig mögliches Ende hinaus: Nichts anderes als der Freitod bleibt Marconi übrig. Aldina wird ihn darin begleiten. In der Schlussszene gehen sie langsam, Hand in Hand, den Weg zum Todespavillon, das die ›gebündelten Strahlen‹ enthält. Währenddessen tönt im Hintergrund die Abschiedsmusik des traurigen Duetts am Schluss von Aida: Leb wohl, o Erde, Leb wohl, o du – Tal der Tränen.

Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen (1950)

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Ncl.: Tragödie der Technik. »Marconi« in Lübeck uraufgeführt. In: Die Zeit, 16. März 1950, S. 3. Matthias Josef Weiss: Gebündelte Strahlen. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1950.

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Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen (1950)

Autor : Rudolf Gottschalk (1904, Todesjahr unbekannt), Erwin Kowalzig (1911–1994) Darbietungsform: Hörspiel in drei Akten Erstsendung: 3. Mai 1950, Radio Bremen Ort: imaginäre Szenerie Zeit: Gegenwart

Über die Autoren des Hörspiels Die letzten Menschen ist außer ihrer politischen und eher journalistischen Tätigkeit wenig bekannt.80 Ebenso wenig weiß man über das Stück, das am 3. Mai 1950 vom RB urgesendet wurde.81 Nach der Absicht von Gottschalk und Kowalzig sollte es allerdings als präventive Mahnung und satirischer Nekrolog auf die Menschheit fungieren, wie der ironische Untertitel, »ein vorsorglicher Nachruf«, signalisiert. Ganz im Zeichen des Endes, für das programmatisch bereits das Attribut ›letzten‹ im Titel steht, entwickeln Gottschalk und Kowalzig ein Szenario totaler Vernichtung, das zum Genre des postatomaren Überlebensdramas zu zählen ist (Teil I, Abschnitt 2.5.4). Das Leitmotiv der Zerstörung organisiert das Werk auf inhaltlicher und formaler Ebene. Es ist einerseits die Weltgeschichte, die durch Katastrophe und Untergang strukturiert wird, andererseits konstituiert der Umgang mit dem Thema der Destruktion selbstreflexiv den Text, wo die Demontage von Anfang an Unterbrechungen und Störungen (»Störsender«, »Knacken«)82 bewirkt, die 80 Beide waren engagierte Sozialdemokraten, beide arbeiteten als Journalisten. Gottschalk war Mitbegründer der ab 1955 in Hamburg erschienenen Wochenzeitung Die andere Zeitung, um die sich namhafte Linksintellektuelle sammelten (vgl. dazu Christoph Jünke: Sozialistisches Strandgut: Leo Kofler – Leben und Werk [1907–1995]. Hamburg 2007, S. 328). Über Kowalzig, der schriftstellerisch aktiver war, s. die editorischen Anmerkungen in der OnlineAusgabe zum Beitrag: SPD und London. In: Sozialistische Mitteilungen der London-Vertretung der SPD (1947), Nr. 106. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bearbeitung und Annotierung von Werner Krause unter Mitarbeit von Mario Bungert und Wolfgang Stärcke. Bonn 2003, unter URL: http://library.fes.de/fulltext/sozmit/1947-106.htm#P12_670. 81 Das Datum vom 3. Mai steht auf dem unten zitierten RB-Manuskript. Zum Datum der Ursendung vgl. Werner Faulstich: Literaturerfolg und Geschichte: Untersuchungen zu Medien-Bestsellern des Jahres 1950. Bardowick 1991, S. 231. Zur Ursendung s. auch die wohlinformierte und ohnehin reichhaltige Publikation vom Deutschen Rundfunkarchiv : Hörspiel 1950–1951. Eine Dokumentation. Hrsg. vom Deutschen Rundfunkarchiv. Zusammengestellt und bearbeitet von Ulrike Schlieper. Potsdam 2003, S. 269. 82 Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen (Anm. I, 327), S. 2–3.

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den Zuhörern den »besonderen Kunstgenuss« (2) verwehren. Dadurch schafft Gottschalks und Kowalzigs Hörspiel eine interessante abstrahierende Distanz zum Medium Radio selbst. Auf metatextueller Ebene begleiten handlungsexterne Komponenten konsequent den Themenbereich. So kündigt z. B. eine Sprecherin zum Abschluss einen Song aus dem neuen Tonfilm Weltuntergang an und die Cutterin fragt nach der Angemessenheit der Inhalte des Hörspiels (»Dass wir sowas im Rundfunk bringen. Verstehen Sie das?«, 3). Ein einheitlicher Rahmen wird gezielt verhindert durch Hörfetzen, die nicht zusammengebracht werden: Inspizient: […] Aber nun schnellstens weg mit der Sendung für das Hörspiel. STÖRSENDER 1. Sprecher : Achtung! Achtung! Amerikanische Truppen haben soeben – Sprecherin: Wir bitten um Entschuldigung für die Störung – STÖRSENDER – KNACKEN 1. Sprecher : Unsere tapferen Flieger befinden sich über … Sprecherin: … Nina Costa. Sie ist die entzückendste Chansonsängerin, die Europa zur Zeit … STÖRSENDER 1. Sprecher : … die grösste Luftaktion der Weltgeschichte … DAZWISCHEN BRUCHSTÜCKE EINES CHANSONS 1. Sprecher : Fallschirmspringer in der Nähe von … England mit Bakterien zugedeckt … dieser uns aufgezwungene Krieg … MOTORENGERÄUSCH […] CHANSON SCHMELZEND ZU ENDE Inspizient (erschrocken): Stellen Sie endlich den verfluchten Störsender ab. Sie verursachen noch eine Panik bei den Hörern. (3)

Genau da, bei dem kalkuliert eingesetzten Hinweis auf die Panik, setzt die Handlung ein: Mit der Rückkehr der vermeintlich letzten Menschen von einer Mondexpedition. Die Landschaft, die sich vor den Augen der vier Männer ausbreitet, ist die einer »Ruine« (4). Eine »Naturkatastrophe« (6) oder ein Krieg, vielleicht sogar »mit Bakterien«, allerdings einer, über den sich die Rückkehrenden gar nicht wundern – »es würde merkwürdig sein, wenn in den zwei Jahren unserer Abwesenheit im Weltraum kein Krieg stattgefunden hätte. Als wir abreisten, lag der letzte Weltkrieg immerhin schon eine ganze Weile hinter uns« (7) –, haben den Planeten Erde total vernichtet. Die Gegend ist dem Erdboden so gleichgemacht, dass nicht einmal das Land zu erkennen ist, wo die Mondfahrer gelandet sind: Die »geschmolzene Erde« (4) erinnert einen der Mondfahrer, den Russen Iwanowitsch, an Persien. Inmitten von Verwirrung und Desorientierung misslingt jeglicher Versuch, über Rundfunk nützliche Nachrichten zu hören. Wie später eine der Personen, auch hier metareflexiv, bemerken wird, ist ja das Schweigen der Radiosender »der beste Beweis dafür, dass die Welt tot ist« (11).

Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen (1950)

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Alles Lebendige ist auf der Erde verstummt, bis auf eine weibliche Stimme, die in der irrealen Stille vernommen wird. Die Stimme ist die des vermutlich einzigen von der radioaktiven Atmosphäre verschonten Wesens, eines Mädchens, das die Männer Eva nennen. Sie ist es, die Zuhörer und Raumschiffbesatzung über den Stand der Dinge, die »restlose Vernichtung der Menschheit« (10), informiert und sie von dem neuartigen, in verwandelter Form geführten Krieg (»Iwanowitsch: ›Es war also wirklich Krieg?‹. Eva: ›ja, wenn man diesen veralteten Ausdruck noch dafür verwenden will‹«, 9) in Kenntnis setzt. Bakteriologische Waffen hätten die Menschheit in vielen Ländern schon ausgerottet, bevor sie »mit Atombomben zugedeckt« (11) wurden. Wie es bei vielen Katastrophendarstellungen vorkommt, trägt die Posthistorie die Züge einer – vortechnologischen – Prähistorie, in der auch kleine Gegenstände den Wert unentbehrlicher Güter gewinnen können. Für die Überlebenden lautet die Parole »Verwaltung der Vorräte« (14). Vor allem mit Streichhölzern muss man sparsam umgehen, wie sie nicht müde werden, in einer grotesken, viele Minuten hindurch fortgesetzten Diskussion um die Verteilung der Zündhölzer zu betonen. In dem paradoxen, neu entstandenen Naturzustand wird jedes Streichholz als das höchste Zivilisationsgut bewahrt und Evas Funktion als Hüterin des Herdfeuers sinnbildlich unterstrichen. Gibson: Darf ich Ihnen im Namen aller Anwesenden unseren Streichholzvorrat zur sorgsamen Verwaltung überreichen. Es ist das Wertvollste, was wir besitzen. Eva: Ich werde ihn sorgfältig hüten. Brodline: Feuer wird also in Zukunft nur noch bei Ihnen zu haben sein, Eva. Gibson: In jeder Beziehung. Eva: Hoffentlich. (17)

Die Aufforderung zur sorgsamen Aufbewahrung der Zündmittel, die symbolisch ungehört verhallt, ist eine metaphorische Umschreibung für die Situation der Menschheit, die nunmehr auf einem Pulverfass sitzt – der Inspizient sagt überdeutlich im Rahmentext, »dass man auf einem Vulkan lebt« (3) –, aber auch, handlungsintern, für die Entflammbarkeit der Personen selbst, die sich in der Grenzsituation dann gegenseitig ausschalten und umbringen werden. Das Hörspiel beschreibt, wie eine Art Parabel, das Scheitern aller guten Vorsätze bis hin zur reziproken physischen Eliminierung. Sind die Mondfahrer am Anfang von der Absicht getrieben, »eine neue Welt der Freundschaft und der Nächstenliebe« (18) zu bauen, so registriert der weitere Weg klägliche Ergebnisse im multiethnischen Kontext der Gruppe. Gerade die Illusion, alles wieder von vorne zu beginnen, lässt sie dieselben Fehler begehen, die die Menschheit ruiniert haben. Die Bildung eines Parlaments und die Fixierung von geopolitischen »Demarkationslinien der einzelnen Einfluss-Sphären« (20) sind die ersten Schritte auf einer Bahn, die sie nach Gezänk und Reibereien zwischen den

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russischen und den amerikanischen Mitgliedern um Grenzen und Zuständigkeiten aufgeben sollen.83 Feierlich schwören sie deshalb vor Eva, sich »jeglicher Politik« zu enthalten, ferner in »keine Parteisammlung« zu gehen, sogar »keine Parteizeitung« (24) zu lesen. Doch schon bei dem letzten Schritt, ihre ›politiklose‹ Freizeit (»was fangen wir mit unserer freien Zeit an, wenn wir keine Politik mehr treiben dürfen«, 25) zu gestalten, bahnt sich die Zerstörung an. Für zwei von ihnen wird sich der Wunsch nach Waffen (gegen eventuelle Feinde oder auch nur um der widerspenstigen Eva zu imponieren) sofort als fatal herausstellen. In dem kleinen Kreis lauern die Gefahren der sexuellen Ausbeutung und der Gewalt. Bei einem »Jagdunfall« wird der erste von ihnen, der Brite Brodline, »der Vertreter des untergehenden alten Abendlandes« (31), der freilich durch seinen Tod »dem Frieden, der Freiheit und der Gerechtigkeit auf der Welt den grössten Dienst erwiesen« (30) hat, von Iwanowitsch erschossen. Aus Eifersucht gegenüber Eva wird aber dann auch der Russe von dem Amerikaner getötet. Den zwei übrig gebliebenen Expeditionsmitgliedern, Gibson und dem Wissenschaftler der Gruppe, dem Franzosen Professor Lorieux, bleibt nun die Planung möglicher Überlebensstrategien überlassen, zumal der Professor technikversessen ist (»nicht die Natur, die Technik ist in Gefahr. Sie ist die Grundlage der Kultur« 36) und sehen will, ob sie »die Strahlung nicht als Energie nutzbar machen können« (34). Er misstraut hingegen der Natur und sieht die Schuld des Verderbens nicht in der Technik oder etwa in der Politik, sondern »in der menschlichen Natur begründet«: »Der Mensch ist schlecht« (38), so argumentiert er. In der Tat scheint der weitere Verlauf der Handlung ihm völlig Recht zu geben: Der resignierten Weltanschauung des Wissenschaftlers stellen die Autoren die kriegerische Arroganz von Gibson gegenüber, der Keulen herzustellen beginnt. Der Amerikaner will einer veralteten Welt den Rücken kehren, um sich eine neue zu erobern, also ganze »Requisiten der Vergangenheit über Bord werfen« (41) und »bei Null anfangen«, denn »von Null an kann es nur vorwärts gehen« (42). Eine wichtige Motivation für seine Vorgehensweise ist der als Ausdruck typisch amerikanischer Besitzergreifung dargestellte Hochmut: »Was sind Sie doch für ein seltsamer Mensch geworden«, wirft ihm Eva vor, »seitdem Ihnen die ganze Erde gehört! Können Sie sich denn gar nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die nur ihrer Idee leben? Ich glaube, Sie ahnen nicht einmal, wie falsch Sie die Dinge, wie falsch Sie vor allem den Professor beurteilen« (43). Sicher auch als Folge von Gibsons Neid gegen den Professor kommt es zum Herzanfall, an dem der Professor stirbt und der den Wissenschaftler noch mehr an der Natur des

83 »Iwanowitsch: ›Ich bin nicht gewillt, mich durch Ihr kapitalistisches Machtstreben an die Wand drüben zu lassen [sic]! Nieder mit den Kapitalisten‹ […], Gibson: (schlägt mit der Faust auf dem Tisch) ›Der Angelpunkt der Welt gehört Amerika!‹« (21–22).

Autorenkollektiv, Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor (1950)

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Menschen verzweifeln lässt. Melodramatisch, wenn auch apathisch, sagt er im Sterben, dass die Menschheit »der grösste Versager der Schöpfung« (44) sei. Aber immerhin wird am Ende dann doch einer Hoffnung Genüge getan. Ein tröstender ferner Lichtschimmer des Mondes feiert bei Eva und dem Professor einen vorläufigen Sieg. Das weibliche Prinzip versöhnt die Konflikte und appelliert noch einmal an die Vernunft: Eva: Sollte man es nicht doch noch einmal versuchen? Vielleicht haben die letzten Menschen mehr Glück mit ihren Nachkommen als die ersten. Professor : Auf Ihre Verantwortung, Eva Eva: Das hat Adam seinerzeit auch schon gesagt. (46)

Dadurch vermittelt die Frau die Zuversicht, dass die Weltgeschichte allen zyklischen Katastrophen zum Trotz weitergehen kann. Alles kehrt zu seinen schöpferischen Anfängen zurück und kann daher wiederum Geschichte generieren und das Leben noch einmal von vorne beginnen lassen. So relativiert der Schluss den Untergang selbst, indem er einen Neuanfang andeutet, der noch möglich ist. Oder vielleicht auch nicht. Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen. Manuskript im Radio-BremenSchallarchiv. Archivnummer : HO00166. SPD und London. In: Sozialistische Mitteilungen der London-Vertretung der SPD (1947), Nr. 106. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bearbeitung und Annotierung von Werner Krause unter Mitarbeit von Mario Bungert und Wolfgang Stärcke. Bonn 2003 (zu Kowalzig: s. editorische Anmerkungen), unter URL: http://library.fes.de/fulltext/ sozmit/1947-106.htm#P12_670.

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Autorenkollektiv und Herbert Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor (1950)

Autor : Kollektiv junger Autoren und Herbert Ziergiebel (1922–1988) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 14. Juli 1950, Berliner Rundfunk Ort: ein Schiff vor der französischen Küste Zeit: Gegenwart

Unter der Leitung des damals in Budapest lebenden Schriftstellers und Neues Deutschland-Korrespondenten Herbert Ziergiebel verfasst 1950 ein Kollektiv junger DDR-Autoren das kurze Hördrama Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor, ein Text – wie der Untertitel verdeutlicht – »über die amerikanischen Waffenlieferungen nach Frankreich«. Gedruckt wird das Hörspiel vom Deutschen Funk-Verlag, der es im ersten Band, Frieden, der Hörspielbücher-

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reihe Das Hörspiel unserer Zeit veröffentlicht.84 Nach 1950 ist es, wie die meisten Werke der Reihe, nie erneut gesendet worden.85 Ziergiebel variiert im Stück das klassische Motiv vom fliegenden Holländer und liefert davon mit Agitprop-Darstellungsmitteln eine Art ›atomare‹ Version, die auf einer Wandlung der mitwirkenden Personen basiert. Nicht aber das Ziel ist wichtig, das hier in der Schiffmetapher verkörpert ist, sondern der schrittweise kollektive Lernprozess, der dahintersteht, nicht das Wohin, sondern gerade nur das Wie, das der Titel an erster Stelle nennt. Die ebenso im Titel genannte und verlorene Wette betrifft Kapitän Brown, Führer des amerikanischen Schiffs Ohio, das nicht anlegen kann, weil es an der französischen Küste keinen Hafen für seine Ladung findet. Brown geht mit einem französischen Hafenkapitän die Wette ein, dass er es schließlich doch schaffen werde, während der Franzose an den Ausladungschancen des Schiffs von Anfang an ernste Zweifel hegt. Nie wird übrigens der Inhalt der geheimnisvollen Ladung im Text explizit erwähnt, allmählich entlarvt er sich jedoch als ein »Bombengeschäft«, an dem die Amerikaner »glänzend verdienen«.86 Diesem vom Geld besessenen american style, wie er in der DDR wahrgenommen wurde, wird der rebellische Freiheitssinn Frankreichs entgegengesetzt. Mit der Hilfe proletarischer Arbeitskraft, der Schiffarbeiter selbst, welche Sabotage an Bord treiben, beginnen Tausende von Hafenarbeitern verschiedener französischer Häfen die Ausladung zu verweigern. Wegen ihrer pazifistischen Ideale gelten die Arbeiter in ihrem hartnäckigen Kampf gegen das »Mordzeug« mal negativ als »verfluchte Rote[]« (22), mal halb positiv als »Phantasten« (19). Sie sind also entweder gefährliche Kommunisten oder abstrakte Idealisten – denn oft, wie schon Langenbeck gezeigt hatte, passt eine gewisse Dosis von utopischem Purismus zu einer pazifistischen, antinuklearen Einstellung. Doch gelingt es diesen Friedensschwärmern, auf der Militärbasis von Toulon, dem letzten möglichen Ausladungshafen, sogar die Truppen zur Meuterei zu überreden: »Ben, Ben« – ruft der Matrose Robert aus – »sieh dort, die Soldaten gehen zu den Arbeitern! (Gesang, Rufe von weitem)«. Mit tiefer Ergriffenheit und Zuversicht in den Aufbau einer friedlichen Welt stimmt Ben ein: »das ist die Zukunft!« (33).

84 S. Teil II, Abschnitt 10. 85 Vgl. Ulrich Ott, Friedrich Pfäfflin (Hrsg.): Konstellationen (Anm. I, 53), S. 204. Ziergiebel selbst verlegte nach seiner engagiertesten antifaschistischen Phase vor allem Romane, darunter vielbeachtete Science-Fiction-Romane. Vgl. Heinz Entner : Herbert Ziergiebel. In: Erik Simon, Olaf R. Spittel (Hrsg.): Die Science-fiction der DDR. Autoren und Werke. Ein Lexikon. Berlin 1988, S. 282–287. 86 Kollektiv junger Autoren und Herbert Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor (Anm. I, 143), S. 18.

Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (1950)

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Der Effekt ist überall motivierend und ansteckend. Auch die Bevölkerung an Land sieht befriedigt zu. Eine mutige Frau beteiligt sich am Protest und warnt die Soldaten vor dem Entladen, während der Chor der Arbeiter singend die Manöver begleitet: Hört mal, Soldaten, ich habe im letzten Krieg zwei Kinder verloren, versteht ihr? Zwei Kinder. Die waren auch so jung wie ihr. Wenn ihr schon nicht an euch denkt, dann denkt an eure Eltern… was würde deine Mutter dazu sagen, wie? Oder hast du keine Mutter mehr – und du, und du? Arb. im Chor : Sol – daten, Sol – daten, nicht ent – laden… (30)

Die Wette mit dem Hafenkapitän um 20 Flaschen Burgunder wird deshalb am Ende Kapitän Brown verlieren. Und mit ihm lässt das emphatische Hörspiel auch die Förderer aller Atomaktivitäten, die Macher der ›Bombengeschäfte‹, verlieren. Das Schiff mit seiner todbringenden Ladung muss zurückkehren. Während sich im Hintergrund moderne Jazzmusik aus dem Radio mit revolutionären Chören aus der Marseillaise und der Internationale abwechselt, singt triumphierend der Chor »Keinen Handschlag für den Krieg – keinen Handschlag für den Krieg!« (31). Die Amerikaner sollen schließlich »das Zeug wieder mitnehmen« (31). Ziergiebels Botschaft ist, dass Europa im Kampf gegen das Atom nicht allein steht. Der Pazifismus ist vielleicht noch nicht klassenübergreifend, aber er ist international: Der Saboteur, der als Erster die Störaktion heimlich in Gang gesetzt hatte, kündigt feierlich an, dass er willentlich vor Gericht kommen wird, denn »die Welt soll erfahren – sie muß erfahren, daß auch die amerikanischen Arbeiter für den Frieden kämpfen« (33). Im Zeitalter der Kommunikation wird eine weltweite Friedensbewegung erwartet, die einen kompakten Klassenkampf gegen das machtpolitische System des Kapitalismus führen soll. Heinz Entner : Herbert Ziergiebel. In: Erik Simon, Olaf R. Spittel (Hrsg.): Die Sciencefiction der DDR. Autoren und Werke. Ein Lexikon. Berlin 1988, S. 282–287. Kollektiv junger Autoren und Herbert Ziergiebel: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 1: Frieden. Berlin (DDR) 1950, S. 9–36. E. L.: »Das Hörspiel unserer Zeit«. In: Neues Deutschland, 30. Januar 1951, S. 3.

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Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (1950)

Autor : Carl Cristian Bock (Pseud. peng, Werner Schorl, 1906–1975) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 19. Juli 1950, Süddeutscher Rundfunk Ort: Deutschland Zeit: Gegenwart

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Christian Bock, der schon zwischen den Kriegen unter verschiedenen Pseudonymen als freier Schriftsteller arbeitete und von 1938 bis 1939 Dramaturg bei der Berliner Tobis-Filmkunst-Gesellschaft war, widmete sich nach 1945 fast ausschließlich dem Radio und Fernsehen und zeichnete sich insbesondere als Hör- und Fernsehspielautor aus.87 Sein 1950 gesendetes Atomhördrama mit dem mahnenden und explizit auffordernden Titel Gebt acht auf die Welt! ist eine von gründlicher Skepsis getragene Warnung vor dem Weltende und gleichzeitig ein moralischer Aufruf zum verantwortlichen Handeln für das Leben der Menschheit. In diesem Aufruf hat das Schicksal des Protagonisten, eines Selbstmord begehenden Atomphysikers namens Clemens, den paradigmatischen Charakter eines ›Vermächtnisses‹. Die hinterlassene Botschaft wird im Hörspiel auf Schallplatten gesprochen, erläutert Dr. Clemens’ Motivation für den Freitod und lässt seinen Entschluss als historische Erfahrung der Widersprüchlichkeit der Wissenschaft und als Bewusstwerdung der Notwendigkeit eines gewissenhaften Umgangs mit potentiell gefährlichen Erfindungen erscheinen. Das Hörspiel beginnt fast wie ein Krimi mit dem unerwarteten Suizid des Forschers und mit der polizeilichen Ermittlung. Clemens’ Tod gibt Rätsel auf (»Ahnt denn keiner, warum er das getan haben könnte?«);88 niemand, nicht einmal seine eigene Frau, kann ihn sich erklären. Frau Clemens: Merkwürdig – wenn man so etwas in der Zeitung liest – einer hat sich das Leben genommen – – dann steht gleich immer dabei, warum er es getan hat – aus – aus Not – aus Liebeskummer – nicht wahr? Es ist immer etwas ganz Verzweifeltes. – Aber was ist es denn hier? Was wollen sie denn hier dazu schreiben? Aus Not, aus Liebeskummer kann da nicht stehen, aber was gibt es denn noch? Ausser Not, ausser – Es muss doch noch irgendetwas anderes geben. Was liest man denn sonst noch für Gründe – – ? Ich kann nicht mehr denken, ich kann ja nicht mehr das Allereinfachste denken. (4)

Das Geheimnis wird immer undurchsichtiger, als man beim Abspielen der im Labor entdeckten, von Clemens selbst besprochenen Schallplatten von seinem letzten Willen erfährt. Die Schallplatten sollten nur von »einem bestimmten Kreis von Menschen« (13) abgehört werden, dem außer seiner Frau und dem Mitarbeiter Forster auch Clemens’ Laborkollege Landau und sein Anwalt angehören. Die Stimme verlangt endgültig, »abzuschalten, bis die Genannten zusammen sind. Bitte jetzt abschalten! – Bitte jetzt abschalten!« (13). 87 Zu Bocks biographischen Daten s. Christof Schneider : Nationalsozialismus als Thema im Programm des Nordwestdeutschen Rundfunks (1945–1948). Potsdam 1999, S. 243, und Ulrich Lauterbach: Ein vergessener O-Ton-Pionier. Zum Tod von Christian Bock. In: Kirche und Rundfunk (1975), Nr. 74, S. 2–3. 88 Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (Anm. I, 281), zweite der zwei Manuskriptseiten, die die Nummer 5 tragen. Im Manuskript sind die in den folgenden Zitaten kursiv gedruckten Stellen entweder unterstrichen oder gesperrt gedruckt.

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Über die Anwesenden, vor allem aber über sich selbst und die ganze Kategorie der modernen Wissenschaftler hält Clemens Gericht: »Das ist wie ein – wie ein Gerichtsverfahren« (13), staunt seine Frau. Clemens’ langer Monolog enthält gleich eingangs viele der Motive und Überlegungen, die die Physikerfiguren der meisten Dramen beschäftigen: Die übliche Verbrennung der geheimen Formel, die fieberhafte Begeisterung der ersten Entdeckung und die spätere Abscheu, ja das Entsetzen vor deren Folgen, das Bewusstsein des Weltendes und das Scheitern der Wissenschaft, alles in der pessimistischen Vision eines ohnehin unabwendbaren Fortschritts zusammengeflossen. Vor einigen Minuten habe ich im Ofen des Labors Papiere verbrannt. Sie enthielten die Berechnungen und Formeln einer wissenschaftlichen Entdeckung. Als ich diese Formeln gefunden hatte, als ich sie immer wieder nachprüfte, immer wieder durchrechnete, da tat ich es zuerst mit dem Fieber, das einen Forscher überfällt, wenn er sich ganz nahe vor etwas unerhört Neuem sieht. – Dann, mit der Zeit, wurde es anders. Ich fing an, mich vor diesen Formeln zu entsetzen: sie enthüllten erst allmählich ihr Ausmaß und ihre Gefährlichkeit. Eine Weile habe ich dann gehofft, die Formeln würden sich noch als falsch erweisen. Als ich mit Experimenten feststellte, dass sie richtig waren, habe ich sie vernichtet. Es war das Einzige, was ich für die Welt noch tun konnte. Man kann vielleicht den Untergang der Welt nicht mehr aufhalten. Mit der Vernichtung meiner Formel aber habe ich ihn wenigstens verzögert. […] Wenn es einen Sinn hätte, müsste ich jetzt meine Kollegen in aller Welt dazu aufrufen, keine Wissenschaft mehr zu treiben. Hört auf, zu forschen! Vernichte, was ihr entdeckt! Vergesst, was ihr wisst! Löscht alle Formeln des Fortschritts aus! – aber ich weiß, dass es sinnlos wäre. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Das ist nebenbei dasselbe, was ich schon sagte: Der Untergang ist nicht aufzuhalten. (20–21)

Damit partizipiert das Werk an einem kulturkritischen, antizivilisatorischen Diskurs, der Schuld als unvermeidliche Folge der technischen Entwicklung ausgibt. Wie Rektor Fischer später glossiert, ist die Menschheit »zum Fortschritt […] verurteilt« (35). Konsequent führt der Autor Clemens’ enigmatisches Geständnis der Grenzen seines Könnens fort und lässt es als Aussprechen der Unwiderruflichkeit des einmal Gedachten erscheinen, eine Thematik, die dann bei Dürrenmatt, mit einer verblüffend ähnlichen Formulierung, zentral werden sollte: »Was einmal gedacht ist«, erklärt nämlich Clemens’ Stimme, »das ist in der Welt. Ob es auf ein Papier geschrieben ist oder nicht. Auf irgendeine Weise findet so ein Gedanke einen Weg nach draußen« (23–24). Immer wieder unterbricht Bock den Erzählfluss seines Protagonisten durch den Einschub der bestürzten Aussagen der Hörer. Zu Beginn stehen sie alle ungläubig-ratlos da und, dem Muster des Kriminalstücks entsprechend, fragen sich nach den ›Motiven‹ des Selbstmordes (»trotzdem ist das Ganze eine Kaschierung der wahren Motive für seinen Selbstmord. Dieser Selbstmord muss andere Gründe haben«,

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22), nach dem geheimnisvollen Irgendetwas, den obskur gebliebenen Hintergedanken, die Clemens’ Frau zu wittern scheint: »Ich weiss ja auch nicht, was! Ich weiss nichts, ich ahne nichts, aber ich werde auch dieses Gefühl nicht los, dass irgendetwas – – Gerhard hören Sie: wissen Sie irgendetwas? Irgendetwas anderes, etwas was ich vielleicht nicht weiss?« (29–30). Durch die Kommentare werden aber auch weitere vieldiskutierte Aspekte der Problematik von Aufgabe und Grenzen der Atomphysik offensichtlich. Erstens wird hier auf den sozusagen ethisch-sozialen Pertinenzbereich der Wissenschaft eingegangen, ebenfalls ein Thema, das auch Dürrenmatt in seinen 21 Punkten zu den Physikern als Gefälle zwischen Inhalt und Auswirkungen, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, explizit erörtern sollte. »Trotz allem begreife ich nicht«, so Rektor Fischer im Gespräch mit Dr. Landau, »wie ein Wissenschaftler der möglichen Folgen wegen ein Forschungsergebnis vernichten kann. […] Die möglichen Folgen einer Entdeckung gehen uns gar nichts an, wir haben Wissenschaft zu treiben, sonst nichts! Reine Wissenschaft!« (34). In diesem zentralen Wortwechsel – in der zwölften Szene – berührt das Spiel ein historisches und politisches Grundproblem, das über den Entschluss des Einzelnen hinausgeht: Der Verzicht auf jede Forschung, d. h. das, »was Kollege Clemens getan hat«, ist »kein Ausweg. […] Wer noch an den Fortschritt glaubt, macht sich lächerlich – aber wer ihn bremsen will, macht sich ebenso lächerlich« (35). Den Intellektuellen (»vielleicht werden es ein paar Schreiber sein«, 36) wird zwar, wenn auch mit Vorbehalt und wenig Überzeugung, die Rolle zugewiesen, dem Menschen »ins Gewissen zu reden«. Sie haben doch eher eine abschreckende Funktion: »sie müssen uns erschrecken, sie müssen uns mit Posaunen in die Ohren blasen, dass wir vor Schreck hochfahren« (36). Und letzten Endes begnügen sich die beiden anwesenden Gelehrten mit der resignierenden und relativistischen Beobachtung, dass dies kein Gespräch sei, »mit dem man zuende kommen kann« (36). Ein direktes Urteil bleibt allerdings aus: »es steht uns nicht an, darüber zu urteilen, ob unser Kollege Clemens richtig gehandelt hat oder nicht« (53). Die Bedeutsamkeit von Clemens’ Selbstmord bleibt aber für den Autor im Gestus der Denunziation bestehen. Sein Tod ist ein Plädoyer gegen die grassierende »Gleichgültigkeit«, als »Lethargie« (43), an der die Welt, so wie es im selben Jahr auch Heinz Huber formulierte,89 zugrunde gehen wird: »Was ich tue«, sagt Clemens’ Stimme auf der Schallplatte, »wäre nicht nötig gewesen, wenn die Welt, in der wir leben, nicht so voll von Gleichgültigen wäre. Aber das 89 »Wenn die Welt zugrunde gehen wird, so geht sie zugrunde nur durch die grenzenlose Gleichgültigkeit der Menschen«, Heinz Huber : Früher Schnee am Fluß (1952). In: Hörspielbuch 1953. Hrsg. vom Norddeutschen Rundfunk und Süddeutschen Rundfunk. Frankfurt a. M. 1953, S. 14. S. darin auch S. 28. Zu Heinz Huber s. unten, Teil II, Abschnitt 24.

Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (1950)

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ist sie. Auf je einen Guten und einen Bösen kommen hundert Gleichgültige« (42, 43). Die Bilanz kann niederschmetternd sein, denn diese »Gleichgültigen lassen die Welt treiben, wohin sie will« (42). Da hilft der Menschheit nur eine sofortige Kursänderung. Im letzten Teil des aufgenommenen Monologs kehrt bezeichnenderweise der Titel wieder (»Wir müssen mehr acht geben auf die Welt«, 42) und rundet das Mahnungsbild mit der im vorsichtigen Konjunktiv (»wenn es nur bald gelingen könnte«) formulierten Hoffnung ab, »die Gleichgültigen aufzurütteln« (43). Freilich darf dabei nicht übersehen werden, dass sich diese erweckende, bewusstmachende Funktion mit der eher suspensiven Feststellung der knappen Frist überschneidet, die der Menschheit gegeben ist und die von dem entsagenden Todesentschluss des Protagonisten nicht beseitigt, sondern höchstens ›etwas verlängert‹ werden kann (»Nur um diese Frist etwas zu verlängern, vernichte ich meine Entdeckung so endgültig wie möglich«, 43). Christian Bock: Gebt acht auf die Welt! (1950). Manuskript Historisches Archiv SWR. Archivnummer 515. Ulrich Lauterbach: Ein vergessener O-Ton-Pionier. Zum Tod von Christian Bock. In: Kirche und Rundfunk (1975), Nr. 74, S. 2–3.

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Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (1950)

Autor : Rudolf Leonhard (1889–1953) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 5. August 1950, Berliner Rundfunk Ort: Deutschland, Korea, New York Zeit: 1950

Rudolf Leonhards post-expressionistische Werke sind in erster Linie von politischem Interesse. In dem für die Neue Deutsche Biographie verfassten Lexikonartikel schreibt Wolfgang Emmerich über ihn: »Überhaupt liegt die Bedeutung L.s seit 1933 eindeutig auf dem Feld der Literaturpolitik«.90 Leonhard, der sich nach dem Ersten Weltkrieg zur Spartakusbewegung bekannt hatte, war während seines Pariser Exils in den dreißiger Jahren unter den Mitbegründern der Ligue des Combattants de la Paix. Von deren deutscher Sektion wurde er mit Einstein auch Präsident.91 Nach dem Exil kehrte er 1950, schon schwer erkrankt, 90 Wolfgang Emmerich: Rudolf Leonhard. In: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 14. Berlin 1985, S. 251. 91 Von Paris aus hatte er sich an der sogenannten Expressionismus-Debatte in der Moskauer Exil-Zeitschrift Das Wort aktiv beteiligt und, im Juli 1938, mit Alfred Kurella einen regen Briefwechsel darüber geführt. Vgl. Dieter Schiller : Der Traum von Hitlers Sturz: Studien zur deutschen Exilliteratur 1933–1945. Frankfurt a. M. 2010, insbesondere S. 392–394. S. darin auch das Kapitel über Leonhard, S. 641–664.

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nach Ostberlin zurück. In dieser Zeit entstanden viele von starkem Engagement geprägte Aufsätze und Hördramen, mit denen Leonhard zum Erneuerungsprozess einer demokratischen Nachkriegsliteratur beizutragen beabsichtigte. Im dritten Band der vom Deutschen Funk-Verlag produzierten Reihe, die vorwiegend Hörspiele von Maximilian Scheer und Leonhard selbst herausbrachte, erschienen 1951, unter dem Titel Die Stimme gegen den Krieg, fünf »dem Freund, dem Schriftsteller, dem Kampfgefährten, dem Wegbereiter des Hörspiels« Scheer gewidmete Texte von Leonhard.92 Darunter auch das Hörspiel Der achtunddreißigste Breitengrad, das der ›Freund‹ Scheer in einer späteren Würdigung als »unvergessen« bezeichnete. Ihn selbst nannte hier Scheer einen »Pionier des Hörspiels« mit »zeitbezogener Dramatik«.93 Aktuell und strikt ›zeitbezogen‹ war zweifelsohne Der achtunddreißigste Breitengrad, knapp anderthalb Monate nach Ausbruch des Koreakriegs, am 5. August 1950, erstmals vom Berliner Rundfunk und drei Tage danach vom Deutschlandsender ausgestrahlt.94 Mit seinem Korea-Thema stand Leonhard keineswegs allein. Das Hörspiel gehört ja zur Welle der zahlreichen Produktionen, die in den fünfziger Jahren den Konflikt in Korea als Auftakt zum dritten Weltkrieg und den amerikanischen Einsatz als einen Angriff darstellen, gegen den sich ein regelrechter Befreiungskampf des Volkes entfachte. Innerhalb des Atomdiskurses ist die Problematik auch nicht zufällig, da der eifrig debattierte Konflikt in Korea die Ängste zu nähren schien, dass eine noch viel schlimmere Atomkatastrophe unmittelbar bevorstünde. Dazu kommt bei der DDR-Darstellung des Koreakriegs, die etliche Sachpublikationen der Zeit dokumentieren,95 seine stellvertretende Dimension mit Blick auf die Spaltung Deutschlands. Der 38. Breitengrad wurde zur Chiffre der Teilung schlechthin. In doppelter Hinsicht gilt auch bei Leonhard die geographische Koordinate des Titels als Symbol, und zwar für die ideologische, wenn auch im Stück etwas grob vereinfachte Gegenüberstellung von Kapitalismus und Demokratie und für die neu entstehende Grenze zwischen zwei Völkern, die sonst brüderlich miteinander leben könnten. Das Hörspiel versucht nämlich eine Konfrontation nicht nur mit den politischen, sondern auch mit den menschlichen Implikationen des Konfliktes. Dabei liegt Leonhard erstens daran, dass die Hörer Einsicht in die Strategie der Vereinigten Staaten gewinnen, dadurch aber zugleich 92 Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (Anm. I, 150). Ich zitiere aus dieser Ausgabe. Der Text war aber in einer für die Sendung gekürzten Form schon 1950 im ersten Band derselben Reihe publiziert worden: Rudolf Leonhard: Der 38. [sic] Breitengrad. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 1: Frieden (Anm. I, 143), S. 75–118. 93 Maximilian Scheer : Pionier des Hörspiels. Eine unerläßliche Ergänzung. In: Neue Zeit, 21. Oktober 1962, S. 4. 94 Vgl. die Pressenotiz in: Neues Deutschland, 5. August 1950, S. 6. 95 S. Anm I, 35.

Rudolf Leonhard: Der achtunddreißigste Breitengrad (1950)

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auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene mitimplizierte Aspekte der Logik des Kalten Kriegs erkennen. Auf gleicher Linie mit der üblichen DDR-Repräsentation des Überfalls auf Nordkorea im literarischen Bereich96 will Leonhard besonders Amerikas politisches Interesse an der Hegemonie im asiatischen Gebiet enthüllen und das ökonomische Interesse des Westens an den reichen nordkoreanischen Bodenschätzen (»bei uns wächst im Bauche der Erde Kohle, Graphit, Kupfer, Eisen und Blei«, 33) anprangern. Aber das Spektrum der behandelten Motive reicht von der Landwirtschaft über die Geschichte bis zu bildungsbezogenen Fragen. Formal präsentiert sich der Text als Hörfolge, zusammengesetzt aus einer Reihe thematisch aufeinander abgestimmter Segmente, die den Hörer in zeitlich und örtlich variierende Kontexte hineinversetzen. In der ersten Szene sind es Schulkinder, die zunächst bloß mit dem geographischen Begriff des 38. Breitengrads konfrontiert werden. Wie in einem vom Lehrer gesteuerten Einkreisungsmanöver um das Thema führt die Geographiestunde von der Erde über die Ozeane bis hin zu den Kontinenten und der pointierten Aussage: »die Welt dreht sich heut um den achtunddreißigsten Breitengrad« (14). In der Szene der KoreaBauern, die Leonhard als Vorkämpfer einer Weltfront für die Freiheit aller Völker begreift, geht es um den Unterschied zwischen der Abstraktheit der geographischen Koordinate und der Konkretheit der solidarischen Einheit von Land und Volk, die keine Trennung erduldet: Lin Chan: Ich geh in den Süden, San Phun; in unseren Süden. San Phun: Über den achtunddreißigsten Breitengrad? Lin Chan: Hinweg über ihn […]. San Phun: Siehst du den Breitengrad? Lin Chan: Nein, Bruder San Phun, ich sehe ihn nicht. San Phun: Weißt du, was das ist, Schwester Lin Chan? Der Breitengrad, der achtunddreißigste Breitengrad? Lin Chan: Im Norden dort ist Korea, das Land meines Volkes, mein Land. Im Süden dort ist Korea, das Land meines Volkes, mein Land. (15–16)

Nicht von ungefähr wird in den Bauernszenen – die im Text meistens die Funktion haben, die soziale Kohäsion (»Korea soll eins sein, und seine Menschen sollen frei sein und glücklich sein«, 34) zu beteuern – der Reis, das Grundnahrungsmittel der Koreaner, das sowohl im Norden als auch »südlich des achtunddreißigsten Breitengrades« (33) wächst, als symbolisches und konkretes Zeichen dieser Einheit oft erwähnt. Wie ein pflanzlicher Organismus sollen auch die Menschen verbunden sein: »Menschen wachsen auf dem achtunddreißigsten Breitengrade! Südlich von ihm, nördlich von ihm, Menschen – « (34). 96 Vgl. Daisy Weßel: Der Koreakrieg. In: Dies.: Bild und Gegenbild (Anm. I, 5), S. 220–228.

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Der reelle Hintergrund des Kriegs, als Angriff auf das asiatische Volk dargestellt, wird hingegen durch die erbarmungslos zynischen Dialoge zwischen drei amerikanischen Vertretern beziehungsweise Vertretern von Börse, Militär und Presse ausgeleuchtet. Ersterer baut angesichts der Krise (»Wir fallen von Katastrophe zu Katastrophe«, 17) gerade auf den ausbrechenden Konflikt (»Uns kann nur Krieg helfen«, 18). Aus der Sicht einfacher Soldaten wird dann der 38. Breitengrad noch einmal als Inhalt willkürlicher Befehle und Lügen der Kommandeure aufs Tapet gebracht, die wie John Foster Dulles und Harry Truman (beide werden dann auch als Hörspielfiguren auftreten) in Tokio oder in Florida sitzen und mit den Breitengraden ›spielen‹ (20): Korporal Tom: […] »Ihr müßt über den achtunddreißigsten Breitengrad gehn«, sagten sie uns. »Wir müssen über den achtunddreißigsten Breitengrad gehen. Wir müssen den Südkoreanern helfen, Nordkorea zu erobern«, sagten sie, »und wir müssen auch in Korea die Vereinigten Staaten schützen«, sagten sie […]. Sergeant Joe: Und da horchten und hörten und gehorchten wir, wir Idioten, und da gingen wir über den achtunddreißigsten Breitengrad, zwei Kilometer weit, und da – Korporal Tom: – da, lieber Joe, standen die Nordkoreaner, und widerstanden ganz anders, als die uns gesagt hatten […], und die Südkoreaner waren auch ganz anders, als die uns gesagt hatten, und wollten nicht kämpfen – […] Sergeant Joe: – und da schrien die, die uns kommandiert hatten »Vor über den achtunddreißigsten Breitengrad«, die schrien nun »zurück über den achtunddreißigsten Breitengrad« […]. (18–19)

Leonhard ist manchmal zwar bemüht, zu vermitteln, dass es auch ein anderes Amerika gibt, ein »Amerika Jeffersons, Abraham Lincolns und Franklin Delano Roosevelts«, wie das Gespräch zwischen dem südkoreanischen Polizeichef, für den »die sogenannten demokratischen Kräfte liquidiert werden« müssen, und dem dieser Lösung widerstrebenden James Sargent beweist (»Weil ich kein Mann von Wallstreet bin, sondern ein Mann von Amerika. Aus dem […] echten, dem unverzeichneten, unverschrobnen [sic]«, 21). Doch ist das Gesamtbild eindeutig negativ. Die Amerikaner werden grausamer Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt (» – Verbrennen – jedes Dorf, in dem geschossen worden ist, wird verbrannt […] – Jawohl – Jeder Südkoreaner, der verdächtig ist, Partisan zu sein, wird ohne Rücksicht erschossen […] Natürlich – Schonungslose Rücksichtslosigkeit«, 25). Und es wird wiederholt betont, wie die von den Amerikanern mit Waffen unterstützten Südkoreaner97 das Volk von seiner eigenen Tradition entfremden wollen, »weil das läppische Sitten des niederen Volkes« (25) sind. Denn die Abschaffung von identitären Formen zielt offen97 Im Text ist von beachtlichen Waffenlieferungen (28) die Rede. Auch die politische Beihilfe, die dem Amerika ergebenen Li Synman (Rhee Syng-man) gewährt wurde, der seinen Namen »in Syngmann Rhee amerikanisiert« (22) hatte, wird in diesem Zusammenhang genannt.

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sichtlich darauf, den Widerstandswillen der heimischen Bevölkerung zu schwächen. Die Szene der Pressekonferenz Trumans soll hinsichtlich der Beurteilung Amerikas und dessen unbedachten Vorgehens ein Kompendium des amerikanischen Ehrgeizes darstellen. Der Präsident selbst erscheint – nach der Charakterisierung, die im selben Jahr auch Scheer im Aufbau von ihm gab (»wie ein stellungsloser Angestellter, der SS-Standartenführer wurde«)98 – als die Verkörperung eines zunehmend faschistischen Staates. Aufgrund einer Kriegsentwicklung, die »nicht günstig ist«, kann Truman auf der Pressekonferenz in der siebten Hörspielszene nicht leugnen, dass die USA Unterstützungsmaßnahmen ergriffen haben, die einen dritten Weltkrieg auslösen könnten, und dass Amerika, wie ein Journalist anklagt, die Befehlsmacht, also »die Vollmacht« (28), im Koreakrieg gegeben worden ist. Das Hörspiel enthält viele drastische Momente, die das US-Bestreben entlarven sollen, als Weltmacht zu agieren. Ein ›roter‹ Hauptmann erzählt, Vizepräsident Alban [sic] Barkley habe auf einem Bankett der Streitkräfte überdeutlich erklärt, »daß die Vereinigten Staaten vielleicht weitere Länder besitzen müßten, ehe der kalte Krieg zu Ende gehe« (37). Die Rede des Ministerpräsidenten der Demokratischen Volksrepublik Korea Kim Ir Sen (Kim Il-Sung) markiert im Stück den Punkt, an dem das, was Leonhard als Resultat der politischen Weltentwicklung schildert, für Korea zur klassenideologischen Selbstapologetik wird: Kim Ir Sen: Arbeiter in der Volksrepublik Nordkorea, nicht von mir will ich zu Euch sprechen, und auch von Euch nicht; wir wissen alles von einander. Aber sagen will ich Euch, erzählen will ich allen, daß die Hafenarbeiter im nordchilenischen Tocopilla, so weit von uns, sich geweigert haben, Kupfer und Salpeter für den Krieg in Korea zu verfrachten – obwohl der Diktator von Chile, Videla, Schmach über seinen Namen, sein Land an die amerikanischen Imperialisten verkauft hat. Daß die Hafenarbeiter von Tamuga in der Nähe von Zokohama die Verladung amerikanischen Kriegsmaterials verweigert haben – obwohl doch der Tyrann Douglas MacArthur mächtiger, strenger und willkürlicher über Japan herrscht, als Shogun und Mikado geherrscht haben. Daß in allen großen Städten der Welt, und auch in den kleineren, die Arbeiter in ihren Straßen gehen und auch in den Straßen der Reichen, und in die Ohren der Angreifer und der Unterdrücker den Ruf schallen lassen »Hände weg von Korea« – (39)

Als Vollstrecker der amerikanischen Verbrechen im Land sind die Südkoreaner selbst genannt, meistens als Belogene und Betrogene: »Erklärt hat er, versprochen hat er, der Amerikaner, daß wir nicht leiden würden, daß das gar kein Krieg sein werde, daß die Volksrepublik gar nicht widerstehn und sofort verlieren 98 Maximilian Scheer : Fünf Jahre nach Roosevelts Tod. In: Aufbau (1950), H. 4, S. 316.

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würde« (38). In diesem Zusammenhang reflektiert das Hörspiel auch über den absichtlichen »Wechsel vom ›Kalten‹ zum ›Heißen‹ Krieg« (44), berichtet über die blutigen Kämpfe, die Amerikanern und Südkoreanern das Leben kosteten, sowie über Verleugnung und gewaltsame Unterdrückung der Wahrheit seitens der Amerikaner. Auf krasse Weise wird im Dialog zwischen einer Journalistin und Dulles die faschistische Zensurpolitik der USA dargestellt. So bedroht ein äußerst aggressiver Dulles eine zu kämpferische Journalistin: »Journalismus ist für uns […], daß Sie veröffentlichen, was zu sagen wir Ihnen auftragen! […] alles andere ist Landesverrat! […] Und wenn Sie nicht klein beigeben, wenn Sie viel sagen von dem, was Sie zu viel wissen, zerschmettre ich Sie – wie ich diese chinesische Teetasse zerbreche!« (49). In den letzten drei Szenen kommen weitere Topoi der DDR-Literatur gegen Amerika zum Ausdruck, z. B. der Vergleich der Bombenangriffe auf Pjöngjang mit der ›Ausradierung‹ von Coventry »und dann Warschau und Rotterdam und Leningrad« (51), die für militärisch nutzlose Massaker gehalten werden. Auch Amerikas Bündnis mit dem konservativsten Europa wird scharf kritisiert. Winston Churchill kommt zu Wort und erwähnt zum ersten Mal direkt und instrumentalisierend die Drohung eines atomaren Kriegs: »Die Immunität Europas gegen einen Angriff hängt hauptsächlich von dem größeren Atombombenvorrat der Vereinigten Staaten ab. […] Sollte es den Kommunisten gelingen, den Kampf in Korea zu gewinnen, dann wird ein dritter Weltkrieg kommen« (57–58). Seine Stimme überschneidet sich mit der betrüblichen Botschaft, die Truman an den Kongress der Vereinigten Staaten richtet: »Ich fordere die Bewilligung von weiteren zweihundertsechzig Millionen Dollar für die beschleunigte Herstellung von Atombomben und für die Weiterentwicklung der Wasserstoff- oder Helium-Bombe« (58). Die Gefahr gewinnt hier aber gerade deshalb Warncharakter und spornt die Völker der Welt zur Verdammung der Atombombe an. Ein einziger Ruf erhebt sich unter ihnen: »Ächtet die Atombombe! Ächtet die Atombombe!« (58). Eine breite Widerstandsbewegung tut sich kund, denn »wer die Ächtung der Atombombe nicht unterschreibt, ist ein Narr, ein Komplice [sic] von Mördern, also selbst ein Mörder, und ein Selbstmörder« (58). Am Ende verschmelzen in dem weltweiten Aufruf gegen die Bombe auch die Stimmen der Kriegsverweigerung und des Einsatzes für Koreas Freiheit: »Ächtet die Atombombe! Ächtet den Krieg! Hindert den Krieg! Hände weg von Korea!« (60). Im Zeichen des Titels kehrt der Schulkinderchor des Anfangs ganz am Schluss wieder und ruft den Sieg in der Form der endgültigen Abschaffung des 38. Breitengrads aus: »Der achtunddreißigste Breitengrad ist keine Demarkationslinie mehr – […] Der achtunddreißigste Breitengrad ist nur noch ein geographischer Begriff« (60). Für den Sozialisten Leonhard ein verheißungsvoller Ansatz zum Frieden auf der

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Welt, für die Geschichte ein grober Interpretationsfehler, wie die politisch-historische Entwicklung zur Genüge bewiesen hat. Edith Bauroth: Das Menschenbild in Rudolf Leonhards dramatischem Schaffen. Diss. Jena 1976. Wolfgang Emmerich: Rudolf Leonhard. In: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 14. Berlin 1985, S. 251–253. Bettina Giersberg: Die Arbeit des Schriftstellers Rudolf Leonhard im französischen Exil 1933–1945. Diss. TU Berlin 2005. Bernd Jentzsch (Hrsg.): Rudolf Leonhard, »Gedichteträumer«: Ein biographischer Essay, Dokumente und Bibliographie. München 1984. Helmut Kreuzer : Zu frühen deutschen Hörspielen und Hörspielkonzeptionen (1924–1927/ 28): Hans Flesch, Alfred Auerbach, Rudolf Leonhard, Oskar Moehring. In: Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft (SPIEL) 18 (1999), H. 2, S. 216–228. Rudolf Leonhard: Der 38. Breitengrad. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 1: Frieden. Berlin (DDR) 1950, S. 75–118 [gekürzte Fassung]. Ders.: Der achtunddreißigste Breitengrad. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 3: Rudolf Leonhard: Die Stimme gegen den Krieg. Berlin (DDR) 1951, S. 11–60. E. L.: Blitzlicht über Korea. »Der 38. Breitengrad«, ein Hörspiel von Rudolf Leonhard. In: Neues Deutschland, 10. August 1950, S. 5. Maximilian Scheer (Hrsg.): Freunde über Rudolf Leonhard. Berlin 1958. Ders.: Vorwort zu: Rudolf Leonhard: Segel am Horizont. Dramen und Hörspiele. Berlin 1963, S. 5–15. Ders.: Pionier des Hörspiels. Eine unerläßliche Ergänzung. In: Neue Zeit, 21. Oktober 1962, S. 4. Rudolf Stöber : Rudolf Leonhard. Seine literarische und weltanschauliche Entwicklung. Diss. Halle 1963. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 20.

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Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (1950)

Autor : Gerhard W. Menzel (1922–1980) Darbietungsform: Dokumentarhörspiel Erstsendung: 9. August 1950, Mitteldeutscher Rundfunk Ort: Frankreich Zeit: 1935–1950

In der DDR gab es 1950 zwei Produktionen, eine beim Mitteldeutschen Rundfunk und eine beim Deutschlandsender, die im Abstand von wenigen Monaten die Figur von Fr8d8ric Joliot-Curie thematisierten: Das Hörspiel Der Ruhm Frankreichs von Gerhard Walter Menzel, das am 9. August erstmals gesendet

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wurde, und, drei Monate später, Maximilian Scheers Paris, den 28. April.99 Der französische Atomphysiker genoss in der Wissenschaft und Publizistik der DDR hohes Ansehen: Aus DDR-Perspektive sah man in ihm vor allem den Friedenshelden, den Kommunisten, den prosowjetischen und antinationalistischen Widerstandskämpfer. Er wurde zu zahlreichen offiziellen Anlässen eingeladen und hielt in der DDR wiederholt öffentliche Reden.100 Menzel, der zwischen 1948 und 1952 Chefdramaturg der Hörspielabteilung des Leipziger Senders war und überhaupt als einer der geachtetsten Hörspielautoren in der DDR galt,101 zelebrierte Joliot-Curie in dem Originalhörspiel mit dem eloquenten Titel Der Ruhm Frankreichs, einem der mehr als 20 Rundfunktexte, meistens erfolgreiche Bearbeitungen von klassischen Vorlagen, die Menzel in den Jahren seiner Tätigkeit am Leipziger Sender verfasste. Das Werk, zusammengesetzt aus dokumentarisch belegten Fakten und Musikanteilen, rekonstruiert laut Untertitel »Episoden aus dem Leben eines großen Forschers. Nach den Tatsachen berichtet«. Menzel versucht dabei eine Würdigung der Figur Joliot-Curies als Beispiel für die Vereinigung wissenschaftlicher Leistungen und verantwortungsbewussten politischen Engagements. Auch im Handlungskonzept des Stücks gehen die zwei Aspekte, Joliot-Curies Beitrag als Förderer der Weltfriedensbewegung und seine hohen Verdienste auf dem Gebiet der Kernforschung, miteinander einher. Die Etappen reichen von der Verleihung des Nobelpreises, als Joliot-Curie 1935 die Berufung an die Harvard University mit dazugehörigem Laboratorium ablehnte, über die Jahre der R8sistance gegen das deutsche Besatzungsregime und die ersten Nachkriegsjahre bis zum Akt der Absetzung, als der Physiker 1950 seines Amtes als Hochkommissar für die Atomenergieforschung enthoben wurde. Was den Autor interessiert, ist hier 99 S. unten, Teil II, Abschnitt 21. 100 Vgl. dazu DRA-Info Audio (2008), Nr. 3. Hrsg. vom Deutschen Rundfunkarchiv, S. 73–74, unter URL: http://www.dra.de/online/hinweisdienste/dra_info_audio/dia_2008-3.pdf. 101 Vgl.: Gerhard W. Menzel: Wir stellen vor: Gerhard W. Menzel, Dramaturg und Hörspielautor. In: Der Rundfunk Leipzig (1950), H. 32, S. 4. Auch als Rundfunkregisseur und Theaterstückeschreiber erzielte Menzel erhebliche Erfolge, die die DDR mit Auszeichnungen würdigte, darunter der Lion-Feuchtwanger-Preis, der ihm 1979, ein Jahr vor seinem Tod, von der Berliner Akademie der Künste verliehen wurde. Trotz des Ansehens, das Menzel in Schriftstellerkreisen genoss, zog er sich aber schon gegen Mitte der fünfziger Jahre nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern auch wegen unakzeptabler Zensurmaßnahmen gegen seine Werke aus allen öffentlichen Ämtern zurück und widmete sich in Leipzig nur noch seiner schriftstellerischen Tätigkeit. In den Leipziger Städtischen Bibliotheken wird heute sein Nachlass bewahrt. Zur Biographie vgl. Felix Mantel: Zur Erinnerung an Gerhard W. Menzel. In: Die Weltbühne 35 (1980), S. 446–447, und die LexikonArtikel: Menzel, Gerhard Walter. In: Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. 20. Jahrhundert. Hrsg. von Kurt Böttcher. Hildesheim, Zürich, New York 1993, S. 512; Christian Schwarz: Menzel, Gerhard Walter. In: Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): Killy Literaturlexikon: Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Bd. 8. Berlin, Boston 2010, S. 169.

Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (1950)

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nicht das übliche Atomdramenmotiv der inneren Spaltung des Physikers. Vordergründig ist die unbeugsame Integrität des Forschers und späteren Präsidenten des Weltfriedensrates, der ohne Schwanken dem Weg folgt, den ihm seine demokratische Gesinnung vorzeichnet, d. h. seinen Geist in den Dienst am Gemeinwohl und gegen jene kapitalistischen Interessen zu stellen, die für Menzel, wie für viele andere ostdeutsche Dramatiker auch, von Amerika als dem imperialistischen Feind par excellence verkörpert werden. Bereits die erste Szene, bei der der ehrenfeste Preisträger dem US-Gesandten den Verkauf des Patents seines künstlich hergestellten Radiums nicht nur aus »Vaterlandsliebe«,102 wie man ihm vorwirft, sondern aus uneigennütziger Liebe zur Forschung verweigert, kündigt die politisch-ethische Qualität an, die die zentrale Dimension der Figur ausmacht. Zugleich umreißt die stolze Verweigerung jeder Bestechung den Rahmen der Wissenschaftsproblematik im Stück. Die US-Argumente – Joliot-Curies Erfindung müsse als »Segen für die leidende Menschheit«103 der ganzen Welt zugänglich sein und die geläufige These einer vermeintlichen Vaterlosigkeit der Wissenschaft (»die Wissenschaft darf nicht patriotisch sein«)104 – werden vom Physiker heftig kritisiert und in ihren Absichten als profitorientiert entlarvt: »Sie sagen Wissenschaft und ich höre Profit. […] Wir sprechen eben zwei verschiedene Sprachen«.105 Neben der Herausarbeitung der Einstellung von Joliot-Curie gegenüber dem möglichen Missbrauch wissenschaftlicher Entdeckungen befasst sich Menzel mit Aufgaben und Herausforderungen der modernen Wissenschaft und lässt den Protagonisten gegen die politische Neutralität der Forschung polemisieren. In der dunklen Zeit der nationalsozialistischen Besatzung, trotz der zunehmenden Zahl an Festnahmen von politisch Verdächtigen und Morden an widerständigen Intellektuellen und Wissenschaftlern – wie dem von den Nazis erschossenen Philosophen Georges Politzer und dem Physiker Solomon, der selbst eine Figur im Hörspiel ist – vertritt Joliot-Curie sein unerschütterliches Credo. Menzels Lehre lautet also: »hier kann sich keiner heraushalten«, denn »wer zur Barbarei nicht ›nein‹ sagt, sagt ›ja‹ dazu«.106 Ähnlich wie Maximilian Scheer in seinem Joliot-Hörspiel betont auch Menzel vor allem die Heldenhaftigkeit des Physikers. Seine Courage zeigt sich besonders deutlich bei der Rettung von schwerem Wasser vor der Beschlagnahmung durch die Gestapo, die das Labor in Paris aufsucht, um sich für die Herstellung von 102 Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (Anm. I, 148). Ich zitiere aus dem digitalisierten Tondokument der Originalaufnahme. Im Folgenden: RF, mit den Timecode-Angaben in Fußnoten (hier : 03:47–03:48). 103 RF, 03:58–04:00. 104 RF, 04:14–04:17. 105 RF, 04:30–04:35. 106 RF, 20:42–20:52.

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Kernenergie geeignetes Material zu beschaffen. In diesem Teil des Hörspiels kommen Gräuel und Verbrechen der Nationalsozialisten, Armut und Leiden der Bevölkerung durch den Einschub von Songs / la Brecht zum Ausdruck. Kohärent und entschlossen verhält sich der Protagonist auch bei der Ablehnung eines »Zusammenschluss[es] der Widerstandsgruppen«,107 ein Vorschlag, der von De Gaulle ausgeht, dessen Vorgehen gegen die Okkupanten dem Präsidenten des Front National als zu passiv und abwartend vorkommt: »Sagen Sie dem General, dass wir uns nicht für die strategischen Pläne seiner Freunde einspannen lassen«.108 Im mittleren Teil des Hörspiels unternimmt es Menzel, die Ereignisse der Atomenergieentwicklung in der Nachkriegszeit zu beschwören. »Der Krieg ist aus, aber der Frieden lässt auf sich warten«,109 Joliot-Curie wird 1946 als Beobachter zu dem ersten Atombombenabwurf nach Kriegsende eingeladen, dem Nukleartest von Bikini. Das Reaktionsrepertoire wird dabei aufgefächert. Grandiose Bilder, die einen an das Jüngste Gericht erinnern, überwältigen die Gäste. Daneben taucht aber auch ein Mischgefühl aus Empörung und Panik auf. Es ist einerseits die Entrüstung über den Überhebungs- und Allmachtsanspruch, mit dem Amerika »seine Überlegenheit«110 buchstäblich zur Schau stellen will, andererseits die Angst vor radioaktiver Verseuchung, als der Wind die Atomwolke in Richtung Schiff treibt. Mit Blick auf diese militärische Drohung der USA erhebt Joliot-Curie seinen warnenden Ruf, aber auch seine durchaus kritische Stimme dagegen: »Das ist der Weg der Generäle. Aber diesen Weg gehen wir nicht, heute so wenig wie damals«.111 Und es sind gerade solche ›kommunistischen‹ Unterstellungen,112 die dem Hörspielhelden teuer zu stehen kommen werden. Amerika schlägt hart zu: »Der Mann ist uns gefährlich. Sie werden ihn absetzen«,113 befiehlt der Verteidigungsminister. Nach der Absetzung, 1950, bleibt aber das Szenario weiterhin unverändert. Immer noch mit demselben Engagement – unverdrossen und aktiv – kämpft Joliot-Curie gegen Wiederbewaffnung, Atomtod und Aufrüstung weiter, wie die musikalische Begleitung durch die Marseillaise unterstreicht. Paradox erscheint freilich, dass als Tonspur des pazifistisch orientierten Hörspiels ausgerechnet der Aufruf zum Marsch auf Leben und Tod – »Marchons, Marchons, qu’un sang impur abreuve nos sillons!« – erklingt, der im Refrain der Hymne vorkommt. Aber Menzel verwendet das ruhmreiche Lied als eindeutig 107 108 109 110 111 112 113

RF, 26:07–26:09. RF, 27:30–27:35. RF, 30:27–30:31. RF, 36:07. RF, 36:28. Vgl. RF, 26:10–26:11. RF, 57:28–57:30.

Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (1950)

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revolutionäres Symbol für Joliot-Curies ›kämpferischen‹ Einsatz für Frieden und Freiheit und lässt es am Anfang und Schluss in Anlehnung an den Titel freudig-triumphal ertönen. Felix Mantel: Zur Erinnerung an Gerhard W. Menzel. In: Die Weltbühne 35 (1980), S. 446– 447. Gerhard W. Menzel: Wir stellen vor : Gerhard W. Menzel, Dramaturg und Hörspielautor. In: Der Rundfunk Leipzig (1950), H. 32, S. 4. Gerhard W. Menzel: Der Ruhm Frankreichs (1950). Tonträger DRA Babelsberg (Deutsches Rundfunkarchiv). Archivnummer 3000085. Menzel, Gerhard Walter. In: Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. 20. Jahrhundert. Hrsg. von Kurt Böttcher u. a. Hildesheim, Zürich, New York 1993, S. 512. Christian Schwarz: Menzel, Gerhard Walter. In: Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): Killy Literaturlexikon: Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, Bd. 8. Berlin, Boston 2010, S. 169.

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Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (1950)

Autor : Karl Georg Egel (1919–1995) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 17. August 1950, Deutschlandsender Ort: Deutschland, Japan, Amerika Zeit: 6. August 1946, 6. August 1951

Neben Maximilian Scheer, mit dem er einige Hörspiele gemeinsam schrieb, war Karl Georg Egel eine zentrale Figur des ostdeutschen Rundfunks. Egel war höchst vielfältig als Mensch und als Künstler, wie etwa sein Beruf als Arzt und seine Karriere als Film- und Drehbuchautor, als Journalist und Schriftsteller zeigen. Nachdem er in der Kriegszeit in England Erfahrungen mit Sendungen für deutsche Kriegsgefangene bei der BBC gemacht hatte, war Egel zunächst bei wichtigen Radiosendern im Westen, darunter NWDR und BR, dann als Redaktionsleiter im Deutschlandsender der DDR tätig.114 Hier wurde am 17. August 1950 sein Hörspiel Hiroshima ausgestrahlt,115 nach Oskar Wessels gleichnamiger Arbeit der zweite Rundfunktext, der die zerbombte Stadt im Titel explizit benennt, und ohnehin eine der zahlreichen Produktionen, die Japan als

114 Bernd-Rainer Barth: Egel, Karl Georg. In: Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Handbuch. Frankfurt a. M. 1995, S. 211. 115 Vgl. Hörspiel 1950–1951. Eine Dokumentation (Anm. II, 81), S. 212. Am darauffolgenden Tag wurde das Hörspiel vom Berliner Rundfunk gesendet. Vgl. die Pressenotiz in: Neues Deutschland, 17. August 1950, S. 3.

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Ziel und die Japaner als Opfer der Atombombe und der folgenden Nukleartests behandeln.116 Mit Hiroshima – Fünf Jahre danach wollte Egel eine Mischung aus authentischer Faktizität und persönlichem Kommentar liefern. Das Stück verbindet Berichte, Zeugnisse und Dokumente mit Schreckenserlebnissen und Erinnerungen auf zwei Zeitebenen, der retrospektiven und der aktuellen Zeitebene, die dabei die Haupterzähllinie bestimmt. In dem Eingangsmonolog, begleitet von unprätentiöser Volksmusik – es ist ein ruhiger Ballabend auf dem Lande –, leitet eine Erzählerstimme die Hiroshima-Diskussion ein. Wie man bald erfährt, sind seit dem ersten Atombombenabwurf fünf Jahre vergangen. Und Andenken und Trauer machen gleich das sorglose Genießen der friedlichen Stimmung fragwürdig. Hast du’s dir bequem gemacht für eine behagliche Abendstunde? Lass uns ein Weilchen gemeinsam unseren Gedanken nachgehen, an diesem heutigen 6. August. Sagt dir dieses Datum etwas? Heute vor fünf Jahren ist etwas geschehen: Ein greller Blitz ist aufgezuckt. Sein gespenstiger Widerschein liegt noch heute über diesem Tag […]. Für uns alle ist dieser 6. August bedeutungsvoll. Heute vor fünf Jahren wussten wir davon noch nichts. Erst morgen Abend vor fünf Jahren sprach ein Mensch namens Truman, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, über den Rundfunk, was sich ereignet hatte.117

Die aufgeblasene Rede des zweiten Erzählers sorgt sofort für Abwechslung. Sie rundet in leerer Arroganz das Bild eines triumphalistischen Amerikas ab und zeigt, wie groß dort die Akzeptanz der Atombombe als einziges Mittel zur Beendigung des Kriegs ist: »Diese gewaltige Aufgabe konnte von keinem anderen Land durchgeführt werden, als von unseren herrlichen Vereinigten Staaten mit seinen industriellen Erfahrungen und seiner Bereitschaft, zwei Milliarden Dollar für dieses grandiose Werk zur Verfügung zu stellen« (2). In der sozialistischen Deutung des Eingriffs werden die wichtigsten Argumente und Einwände gegen Amerika gebündelt: Die Verteidigungsrolle der Roten Armee (»Gottseidank, dass die Russen so schnell in Berlin waren, sonst hiesse es jetzt Berlin statt Hiroshima«, 2), der »Schleier der Propaganda«, der wie »der Rauch des fünf Meilen hohen Atompilzes« (3) die Wirklichkeit von Hiroshima verbirgt, die wachsende Eskalation des Kriegs, der sich auf dem Erdball ausweitet. Die Erwähnung eines Globus soll an dieser Stelle die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf 116 Für eine sehr vollständige Bibliographie der bis 1990 erschienenen Publikationen zu Hiroshima und Nagasaki auch im literaturhistorischen Bereich, mit literarischen Zeugnissen, kulturhistorischen Studien, Lebensberichten und anderem Material (in englischer Sprache) vgl. James R. Bennett, Karen Clark: Hiroshima, Nagasaki, and the Bomb: A Bibliography of Literature and the Arts. In: Arizona Quarterly: A Journal of American Literature, Culture, and Theory 46 (1990), Nr. 3, S. 33–64. 117 Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (Anm. I, 65), S. 1.

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die geopolitische Perspektive lenken. Das Anfang der fünfziger Jahre hochaktuelle und in der literarischen Debatte schon verbreitete Thema ›Koreakrieg‹ ist natürlich auch dabei, mit all seinen ideologischen Implikationen, vor allem der rettenden Offensive der dort kämpfenden »Partisanen […] gegen die japanischen Faschisten« (4). Die vielen Japanszenen, die mit Unterbrechungen und Ausblendungen in den berichtenden Rahmen eingelegt sind, sind emotionsgeladene Momentaufnahmen aus dem gewöhnlichen Alltagsleben, Situationen aus Straßenleben und Krankenhäusern, wo die Explosion die nichtsahnenden Menschen mitten in den kleinen Genüssen des Lebens heimsucht: Ein frühstückendes Kind, ein Paar, das sich am Badestrand verabredet, eine Mutter mit quäkendem Säugling, das erste Mal eines Jungen. Progammatisch wechselt aber dann das Szenarium von Japan nach Amerika: »Lassen wir die Menschen in Hiroshima einen Augenblick. Sie eilen ihrer Stunde entgegen – 8.15 Uhr« (10), mahnt der erste Erzähler und bittet das Publikum, sich noch einmal auf dem Globus den Teil des Erdballs zu suchen, wo jene Stunde festgesetzt wurde. Hier werden viele der Stereotype evident, von denen das DDR-Amerikabild geprägt ist. Gespräche aus dem Kriegsministerium, die in der Nacht vom 5. auf den 6. August zwischen General Groves und dem Industrie-Giganten Dupont [sic] fallen, veranschaulichen, wie für die DDRAutoren die Verurteilung der Atombombe mit der Anprangerung des lukrativen Atomwaffenmonopols in den USA einhergeht. So treten z. B. die Profitgier der Amerikaner und ihr menschenverachtender Zynismus in Sheffields Worten über den Bombeneinsatz unmissverständlich zutage: »Bleiben wir beim Wesentlichen, dass unsere Dupont-Aktien in acht Tagen den doppelten Wert haben und überlassen wir das Andere unseren braven Jungs« (13). Auch hier geht es um den Komplex Verantwortung und Vergangenheitsbewältigung, aber nur in dem Sinne, dass Amerika, im Unterschied zur deutschen Verarbeitung der Untaten des eigenen Vorgängerstaates, jede Schuld von sich abwälzt, während in Nürnberg »der letzte Hauptkriegsverbrecher […] nach den zwischen Stalin, Roosevelt und Churchill vereinbarten Grundsätzen abgeurteilt« (13–14) wird. Unerhört findet der Schriftsteller, dass gerade das Land der Todesstrafe (14) wähnt, über Freiheit und Menschenrechte bestimmen zu können. Als Teil eines Diskurses über das Verhältnis von Macht und Manipulation der Wahrheit wird auch die amerikanische Handhabung der Öffentlichkeit genannt. In den USA hatte das Büro »für psychologische Kriegsführung« (15) genau die Art und Weise der Mitteilungen über die Bombe studiert. Die hier angeführten Motive entsprechen der üblichen Version des strategischen Bombenangriffs gegen Japan. Wie Daisy Weßel überzeugend schreibt, hatte der amerikanische Einsatz der Atombombe in der offiziellen DDR-Lesart vor allem zwei Ursachen: die Demonstration ihrer »moralische[n] Unbedenklichkeit« als Kraftprobe der Macht und die Befürchtung, »zuviel Einflußsphären an die Sowjetunion zu

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verlieren, weshalb der Atombombenabwurf als Drohung gegen die sozialistische Führungsmacht zu verstehen sei«.118 Und auch nach Ansicht Egels hätten die Amerikaner – in der Vorkenntnis, dass »die Rote Armee die geschwächten und auseinandergezogenen japanischen Landstreitkräfte angreifen und aller Voraussicht nach in kurzer Zeit zerschlagen wird« (15) – den Angriff geplant, um den Russen zuvorzukommen. Innerhalb dieses historisch-politischen Rahmens ergibt sich die dramatische Spannung aus dem Effekt des Aufschubs und der Verzögerung. Durch Mitteilungen, Reden und Argumentationen wird der Augenblick der Explosion immer wieder retardiert. Für einen allerletzten Moment evoziert der zweite Erzähler die Stadt noch »lachend und lebendig« (16) und appelliert an die Vorstellungskraft des Zuhörers (»Sieh sie dir noch einmal an«, 16). In den eingeblendeten Flugzeugszenen schieben wiederholte Zwischenrufe den fatalen Augenblick noch um Sekunden auf (»Achtung, Zielpunkt«, »Fertig«, »Let it go«, »Los« »Tinian, Tinian«, 17). Die Zeit ist wie suspendiert (»Dies ist der Augenblick von Hiroshima. Zwei Sekunden, in denen die Stadt stirbt. Ein Augenblick, hörst du? Wie lang er ist…«, 18). Der Zuschauer wird direkt aufgefordert, Atem und Zeit anzuhalten: »Halten wir die Zeit an – diese Spanne, in der du atmest und die hier angefüllt und komprimiert ist mit einem Furiosum voll Verwüstung und Elend – halten wir diese Zeit an, damit wir Leid und Tod zwischen Beginn und Ende der Explosion einer ganzen Stadt von 245.000 Menschen mitempfinden« (18). Der angehaltene Atem und die durch Whisky narkotisierte Equipage auf dem Bomber werden in einem Assoziationsgeflecht mit den Narkotisierten im Krankenhaus verknüpft, und zwar in der Sekunde, in der diese den tödlichen Blitz erfahren. Die in den ersten Szenen vor der Explosion bereits präsenten Gestalten erleben nun schreiend den Augenblick der ungeheuren Helligkeit in einem Pandämonium, das in zwei Sekunden das 463-jährige Hiroshima annulliert, und mit ihm die 10 000 Menschen im Stadtkern, die »in dieser Zeitspanne zwischen Lächeln und Atemholen verdorrt sind« (20). Detaillierte technische Berichte informieren inzwischen über Reichweite, Temperatur und Leichenzahl der Bombe. Die Erzählerfigur führt uns durch die »Panikstimmung« (22), sie ermuntert den Zuhörer, aktiv zu sein, und fordert ihn auf, die Überlebenden »durch die brennenden Straßenhöhlen an den Flussarmen entlang in die Aussenbezirke« (21) zu begleiten, bei denjenigen zu bleiben, »die stolpern und liegen« (21). Darauf folgt chronologisch und dramaturgisch das ›Danach‹ (»Die Sekunde des Todes in Hiroshima ist vorüber«, 22), das der zweite Titelteil thematisiert, die absurde »zweite Ewigkeit« des Leidens. Hier bietet die Opferbereitschaft von Dr. Sasaki im Krankenhaus dem Autor Gelegenheit, ein ganzes Kompendium der 118 Daisy Weßel: Bild und Gegenbild (Anm. I, 5), S. 155.

Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach (1950)

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Qualen der Verletzten zu schaffen. Dazu gehören blinde Augen, Verbrennungen, platzende Blasen, der unerträgliche Geruch (23), also all das unermessliche »Grauen«, vor dem, so der Erzähler, »jedes Begreifen versagt« (24). Der Topos der Unbegreiflichkeit, der mehrmals im Text vorkommt (»Hörst du die Apokalypse, die Summe menschlicher Qual, die die Grenze überschreitet, der unsere Vorstellungskraft folgen kann?«, 26), und die Hervorhebung einer Realität, die sich jeder Rationalität entzieht, machen zugleich die peinlich genauen Berichte der US-Armee an die medizinische Gesellschaft (24) surreal. Ebenso surreal und in diesem Zusammenhang inhuman klingt die faktische Meldung mit der Originalaufnahme Truman: »Damit hat das amerikanische Volk sich zum ersten Mal die Atomkraft dienstbar gemacht« (25). Die Tragödie von Hiroshima bleibt ihm fremd, er ist taub gegenüber den Schmerzensschreien der Stadt. Hiroshima bleibt allein, »isoliert«: »Zwischen Truman und Hiroshima liegt der Pazifik. Auch er hört die Stadt nicht, während er spricht. Aber es geschieht gleichzeitig« (25). Vor diesem Hintergrund der Unmenschlichkeit politischer Kriegsmechanismen sollen hochtrabende Aussagen der Vertreter von Regierung und Militär dazu dienen, die amerikanische Heuchelei zu demaskieren. So z. B. die Worte von General Groves 1946, während man eine wimmernde Kinderstimme hört: »Die USA sind ihrer Tradition und göttlichen Weisung nach berufen, die heiligen Güter der Christenheit und des Abendlandes zu schützen« (26). Nicht minder verfremdend wirkt der Satz, den John Foster Dulles beginnt: »um die freien Völker im Kampf um ihre höchsten Rechte zu stützen« (27), und den Trumans Stimme fortsetzt: »… unser herrliches Land, das Bollwerk der Freiheit und der christlich-abendländischen Welt beglückenden Humanität [sic]« (27). Auch die Religion taugt nichts: Die Versicherungen von US-Bischof Münch, der – im Namen der Gesittung und der »demokratischen Staatsform« – »das Geheimnis der Atombombe als Monopol« rechtfertigt, weil es »die Verwaltung der Atomenergie zum Wohle der gesamten Menschheit« (27) garantiert, können niemanden überzeugen. Senator Borah weitet das Feld der amerikanischen ›Strategie‹ aus und lässt dadurch die Verbindungen mit der Machtgier ans Licht kommen, die dahinterstehen: »Es muss garantiert bleiben, dass das Atomgeheimnis keine andere Nation entwickelt, wenn nötig im Interesse der gesamten Menschheit durch Vernichtung der rebellischen Nation mit Hilfe unserer Atomwaffen« (27–28). Durch wiederholte Sprecherstimmen wird die anaphorische Erwähnung »Panzer und Bomben« mit politisch-strategischen Kriegszielen kombiniert (»für Tschiankaischek gegen das chinesische Volk«; »für die Faschisten gegen das griechische Volk«; für die Kolonialherren gegen die Völker Malayas, Burmas, Siams, Vietnams, Indonesiens«, 28). Das leere Pathos der amerikanischen Reden wird also Lügen gestraft, wie die auktoriale Stimme selbst wenig später erklärt: »die Stunde von Hiroshima

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übersetzt und zerlegt nüchtern und hart die tönenden Phrasen aus Washington« (29). Weitere Aussagen und Überzeugungen der Machtvertreter des imperialistischen Staates bieten Ansatzpunkte für Egels Kritik an der Blindheit der Amerikaner. Groves Feststellung, mit Hiroshima habe »eine neue Ära der Menschheitsgeschichte […] das amerikanische Zeitalter« begonnen, ist für Egel durch die unleugbare Tatsache dementiert, dass mit Hiroshima eine Epoche zu Ende gegangen sei. Daran knüpft Egel die pädagogische Hoffnung auf eine wenn auch bittere Lektion der Geschichte: »Die Völker haben den Anschauungsunterricht von Hiroshima begriffen und der fünfjährigen Kette von Lüge, Verwirrung, Terror und Atombedrohung mit täglich härter werdenden Schlägen geantwortet« (29). Ein dozierender, zwei Seiten langer Appell des Erzählers zelebriert den gerechten Aufstand aller Völker »gegen den Vernichtungswillen der Kriegsherren« (31). Den negativen Kontrapunkt zu diesem uneigennützigen Redeschluss bildet die letzte Szene, die erneut in Amerika spielt und Groves, Dupont und Mc Intire [sic] vom psychologischen Kriegsamt miteinander verhandeln sieht. Dabei steht viel auf dem Spiel, nicht nur »das kleine Korea«, sondern Ruf und Macht der Vereinigten Staaten. Mc Intires Aufforderung zur Vorsicht angesichts einer neuen opponierenden Öffentlichkeit (»[…] die öffentliche Meinung lässt es nicht zu. Die Atomwissenschaftler sagen. Nein. […] Die Streiks wachsen an«, 33) stößt auf Duponts Glauben an den »unbegrenzten Kredit« (34), an die Käuflichkeit von Medien und Völkern. Dennoch müssen auch Groves und Mc Intire gegen ihren Willen von der Wandlung Kenntnis nehmen, die seit der ersten Atombombe eingetreten ist: »Seit Hiroshima ist alles anders. All unsere wissenschaftlichen Erfahrungen über die Reaktionsweise der Massen stimmen nicht mehr« (34). Die sich verbreitende Ächtung der Atombombe feiert ihren Triumph in den »beängstigende[n] Ausmaße[n]« (34) der globalen Unterschriftensammlung. Mit dem Einblenden von Sätzen aus der Stockholmer Atomächtung in allen Sprachen und den entsprechenden Nationalhymnen aus aller Welt endet das Hörspiel. Bernd-Rainer Barth: Egel, Karl Georg. In: Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Handbuch. Frankfurt a. M. 1995, S. 211. Karl Georg Egel: Hiroshima – Fünf Jahre danach. Manuskript Karl Georg Egel Archiv, Bestand Egel 5. Akademie der Künste [37 maschinengeschriebene Seiten, o. J., Datierung im Katalog: 1957]. Pas: Hiroshima. Eine Hörfolge im Berliner Rundfunk. In: Berliner Zeitung, 18. August 1950, S. 3.

Rudolf Leonhard: Kleiner Atombombenprozeß (1950)

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Rudolf Leonhard: Kleiner Atombombenprozeß (1950)

Autor : Rudolf Leonhard (1889–1953) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 6. Oktober 1950, Berliner Rundfunk Ort: Berlin Zeit: Gegenwart

Im dritten Band der schon genannten Hörspielreihe, die Rudolf Leonhard und Maximilian Scheer für den Deutschen Funk-Verlag herausgaben,119 erschien von Leonhard außer der erfolgreichen Korea-Hörfolge Der achtunddreißigste Breitengrad auch das nur wenige Seiten umfassende Hörspiel Kleiner Atombombenprozeß.120 Trotz seiner Kürze ist der Text interessant, weil er Motive und formale Charakteristiken anspricht, die für die ganze Dramatisierung der Atombombe zentrale Bedeutung besitzen. Wie der Titel andeutet, verbindet sich bei Leonhard – der übrigens Rechtswissenschaft studiert hatte – das Motiv der Unterschriftensammlung zur Ächtung der Atomwaffen, das auch bei Menzel, Scheer und Wangenheim vorhanden ist,121 mit einem weiteren stil- und gattungsbildenden Mittel, das für das Atomtheater als ›Genre‹ charakteristisch werden sollte: dem Prozess-Drama. Die prozessuale Handlungsstruktur erweist sich nämlich als besonders geeignet, in der Rhetorik der Gerichtsverhandlung die Gesichtspunkte für und wider das Atom zu theatralisieren. Der Ablauf von Leonhards Stück folgt einem kurzen Gerichtsverfahren, das in dem in Sektoren aufgeteilten Berlin stattfindet. Dem Prozessschema gemäß beruht das Hörspiel auf einer bipolaren Figurenkonstellation: Richter, Staatsanwalt, Polizeiwachtmeister und eine Denunziantin auf der einen Seite; die angeklagte Hauptperson, ein friedlich gesinnter Zeuge und der größte Teil des Publikums auf der anderen. Ziel der Verhandlung ist die Verurteilung eines jungen Angeklagten, der sich, zum Erstaunen des vermutlich westdeutschen Richters (»Das geht doch nicht!«, 158), als Monteur und Student an der Arbeiter- und Bauernfakultät ausweist. Den Gegenstand der sofort angekündigten Strafsache »wegen Unterschriftensammlung« (153) bildet der vermeintliche Vertrieb illegaler Druckschriften. Damit bezieht sich die Anklage

119 S. Teil II, Abschnitt 10. 120 Im Index des Bandes ist jedoch das Werk als Der Kleine Atombombenprozeß verzeichnet. Auf S. 151 hingegen lautet der Titel Kleiner Atombombenprozeß (also ohne Artikel). Rudolf Leonhard: Der kleine Atombombenprozeß (Anm. I, 145), S. 151–168. Unter dem Titel Hausfriedensbruch. Laienspiel erscheint kurz darauf auch eine von Georg Kaufmann bearbeitete Fassung des Hörspiels (Halle 1951). 121 In Menzels Der Ruhm Frankreichs, Scheers Paris, den 28. April und Wangenheims Auch in Amerika…, s. Teil II, Abschnitte 18, 21 und 23.

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auf die Petition zur Ächtung der Atombombe, für die der Protagonist Manfred im französischen Sektor Unterschriften gesammelt hat. In der gewandten Selbstverteidigung, die der Student mit allen Mitteln meisterhafter advokatorischer Eloquenz führt, weist er aber die Anschuldigung in vielerlei Hinsicht zurück: erstens gälten solche Verbote im Besatzungsstatut nicht für Berlin. Dabei beruft er sich auf die historische Figur des Generals Jean Ganeval, Leiter der französischen Militärregierung in Berlin, für seine demokratischen Verdienste mit dem amerikanischen Orden Legion of Merit ausgezeichnet: Fest steht, daß zu einem früheren Prozeß dieser Art der General Ganeval, damals Kommandant des französischen Sektors von Berlin, erklärt hat, daß keine alliierte Bestimmung der Sammlung von Unterschriften für die Ächtung der Atombombe entgegenstehe. Sie ist also erlaubt, und verhaftete Unterschriftensammler müssen freigelassen werden und sind freigelassen worden. (161)

Außerdem ist nach Ansicht des Angeklagten der Druck der Schriften gar nicht illegal, sondern »lizensiert, und ich«, beteuert er mit Nachdruck, »habe sie nicht vertrieben, denn ich habe sie nur vorgelegt und nicht weggegeben« (166). Auch lexikalische Spitzfindigkeiten, die sich der gründliche Kenner der französischen Sprache, der Leonhard war, mit Humor gönnt, dienen der gerechten Sache der Verteidigung: Manfred: Vertreiben heißt an eine nicht vorher bestimmte Menge von Menschen so verteilen, daß diese die Schrift behalten. Ich habe nicht eine Vielzahl von Listen verteilt, und ich habe die Liste behalten. Die bloße Tatsache, daß man mir bei der Verhaftung die Liste hat abnehmen können, beweist, daß ich sie nicht vertrieben habe. Ich habe ein mir gehöriges und in meinem Besitz bleibendes Druckstück mit Unterschriften versehen lassen. […] Von Vertrieb kann also nicht die Rede sein. Zeigen Sie mir den Befehl der Alliierten, der das Unterschriftensammeln verbietet. […] Richter : Es ist den deutschen Gerichten überlassen, unter Vertrieb auch das Sammeln zu verstehen. Manfred: Ach, – das deutsche Gericht ist also berechtigt, Befehle der französischen Militärregierung abzuändern? Richter : Mann – im Französischen heißt distribuer vertreiben! Manfred: Nein. Es heißt verteilen, also auch wieder : weggeben. Ich habe nicht weggegeben, im Gegenteil. Richter : Mensch, wollen Sie mich französisch lehren? Manfred: Wenn es sein muß, sogar deutsch. […] Richter : Vertreiben ist vertreiben. Das Gericht hat das Recht, zu interpretieren. Manfred: Hat das Gericht das Recht, die deutsche Sprache abzuändern? (166–167)

Maximilian Scheer: Paris, den 28. April (1950)

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Geschickt mobilisiert er in seinem Plädoyer, in dem die meistgebrauchte politische Parole »Ächtung der Atombombe« ist, ein Reservoir an schmerzlichen Erlebnissen für die Nachempfindung der Ideale und Anschauungen, die er im Gerichtssaal schildert: Kriegswaisenkind, zwei Geschwister und die Großmutter unter Bombentrümmern umgekommen, sein Freund von der Polizei überfallen, »als er in einer Diskussion sagte, Korea gehöre den Koreanern« (155). Wie hätte man behaupten können, dass er aufwieglerische Aktionen anzettele, wenn er doch nur den Frieden anstrebe? Wer soll gegen den Krieg sein, wenn ich es nicht bin? Wer soll für den Frieden arbeiten, wenn nicht ich? Ich hab’s gespürt. Ich weiß, was alle wissen müssen. Alle sollen es wissen! Ich gehe rum und schreie. Es sollen keine Bomben mehr fallen. Ich verlange die Ächtung der Atombombe. […] Ich verlange, daß alle die Ächtung der Atombombe verlangen. (159)

In der »schlimmste[n] Angriffswaffe« (159) der Welt will aber Manfred das ganze militärische System treffen. Die Unterschriften selbst sollen als ›Aktion‹ einer demokratischen Gesellschaft »zur Anklageschrift« (168) werden. Bravorufe aus dem Publikum spornen den jungen Studenten zur Fortsetzung seiner politischen Aktion an (»Dann gehen wir weiter, gegen den ganzen Krieg, gegen alles, was Krieg ist«, 160) und bestätigen in den Augen des Autors, wie eine aktive Anteilnahme das Gehäuse der passiven Hörigkeit rissig macht. Freilich resultiert daraus – verstärkt – auch der entscheidende Beitrag des davon berichtenden Schriftstellers im Kampf um die Verbreitung der Wahrheit und der Verantwortung. Der positive Ausgang beweist, dass die Initiative eines Einzelnen zählt, damit sich auch ein ›kleiner Atombombenprozeß‹ in einen großen Weltprozess gegen den nuklearen Krieg verwandeln kann. E. L.: »Das Hörspiel unserer Zeit«. In: Neues Deutschland, 30. Januar 1951, S. 3. Rudolf Leonhard: Der kleine Atombombenprozeß. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 3: Rudolf Leonhard: Die Stimme gegen den Krieg. Berlin (DDR) 1951, S. 151–168. Wiederabgedr. in: Ders.: Segel am Horizont. Dramen und Hörspiele. Berlin 1963, S. 381–401. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 17.

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Maximilian Scheer: Paris, den 28. April (1950)

Autor : Maximilian Scheer (1896–1978) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 28. November 1950, Deutschlandsender Ort: Paris Zeit: 1950

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

»Scheer arbeitet nicht mit dramatischen Knalleffekten, nicht mit äußerlicher, mühsam erzeugter Spannung: er schöpft alle Dramatik aus der dem Stoffe natürlich innewohnenden Spannung«.122 Solch ein spannender Stoff war für Scheer gewiss die Antiatomthematik, die er zeitlebens mit großem Interesse verfolgte. Mit Paris, den 28. April, nach Gerhard W. Menzels Der Ruhm Frankreichs das zweite Hörspiel über Fr8d8ric Joliot-Curie,123 das in der kurzen Zeitspanne von August bis November 1950 in der DDR gesendet wurde, versuchte Scheer, die Aktualität der Atomproblematik mit der Brisanz des politischen Friedensstücks zu vereinen. Der Text ist in der dreibändigen, speziell dem Frieden gewidmeten Hörspielausgabe des Deutschen Funk-Verlags enthalten, die Scheer zwischen 1950 und 1951 in Ostberlin herausgab. Kurz zuvor, am 28. November 1950, war das Curie-Hörspiel vom Deutschlandsender urausgestrahlt124 und am 12. Januar 1951 vom Berliner Rundfunk wiederholt worden. Paris, den 28. April ist ein typisches Physikerstück, der reichhaltigen Typologie jener Physikergestalten verpflichtet, die von Ethos und Verantwortung der Wissenschaft geprägt sind. Das Datum im Titel bezieht sich auf den Tag, an dem 1950 der unbestechliche, friedlich eingestellte französische Physiker seines Auftrags als Hochkommissar für Atomenergie enthoben wurde und der gerade dadurch symbolische Bedeutung als Ausdruck politischer Unterdrückung gewinnt. Im Unterschied zum gleichthematischen Spiel von Menzel kreist aber hier die Handlung eher um Umwelt und Auswirkungen von Joliot-Curies Schaffen als um seine Figur, die nicht einmal als Person, sondern nur als Gesprächsstoff und in ganz wenigen Textpassagen als Schallplattenstimme eingeführt wird. Viel von dem, was wir von ihm wahrnehmen, ist durch die Perspektive einer Schulklasse gefiltert. Wie sein Freund und Rundfunkkollege Rudolf Leonhard, mit dem er lange kooperierte, greift auch Scheer zum dramaturgischen Mittel der Unterrichtsszene, die die didaktische Intention des Textes unmittelbar auf der Inhaltsebene des Hörspiels umsetzt, den Hörer als Lerner direkt anspricht und ihn zur aktiven Teilnahme heranzieht. Die Anfangsszenen spielen in einer französischen Klasse. Der Lehrer bringt in der Physikstunde seinen Schülern die Grundsätze der Atomphysik bei. Es wird der instruktive Versuch unternommen, die Schüler – freilich auch die Zuhörer – mit der Skala von Fachausdrücken vertraut zu machen, die sich allmählich in der Entwicklung der Kernphysik begrifflich konsolidiert haben. Die Palette reicht vom Atomkern bis zur Kettenreaktion und umfasst eine Vielzahl von technischen Begriffen und Phänomen, wie zum Beispiel Radioaktivität, Uranbarren und schweres Wasser, Ge122 In: Die Weltbühne, zit. in: Maximilian Scheer : Paris, den 28. April (Anm. I, 77), vorletzte, nicht nummerierte Seite. 123 S. Teil II, Abschnitt 18. 124 Vgl. dazu die Pressenotiz aus dem Funkprogramm in: Neues Deutschland, 28. November 1950, S. 7.

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schwindigkeit der Neutronen, Spaltung und Wärme, elektrische Ladung und Kilowatt. Eine Reihe von gezielten Fragen der Schüler selbst eröffnet das Hörspiel und dient dazu, dem Hörer die ersten wissenschaftlichen Hinweise zu vermitteln: Wie sieht eine Atomsäule aus, wie erzeugt sie Dampf, was machen die Amerikaner damit? Schon die ersten Antworten profilieren den didaktischen Rahmen, den sich Scheer für sein Stück ausgedacht hat. Und es ist ein antiamerikanischer und pazifistischer : Pierre: […] Die Explosion der Atome erzeugt Hitze. Klar? Jean: Na ja. Pierre: Also wird die Atomsäule heiß. […] Wenn sie sehr ergiebig ist, muß man sie abkühlen. Jean: Womit? Pierre: Die Amerikaner haben Röhren im Innern der Atomsäule. In diese Röhren lassen sie kaltes Wasser laufen. Es kommt am anderen Ende heiß heraus. […] Jean: Und wo ist der Dampf ? Pierre: […] Man könnte das Wasser in der Atomsäule zum Verdampfen bringen, den Dampf auffangen und mit ihm Turbinen treiben. Verstanden? Jean: Machen das die Amerikaner? Pierre: Eben nicht. Die wollen ja Bomben. (40)

Damit wird sofort der Akzent auf die bellizistischen Ziele der Amerikaner und, umgekehrt, auf die friedensfördernden Anwendungen der Technik seitens des französischen Physikers gelegt. Joliot-Curies Entdeckung der Atomsäule Zoe, über die übrigens die DDR-Presse reichlich berichtete,125 galt als Resultat uneigennütziger Forschungsbemühungen, deren ausschließliches Ziel die zivile Nutzung der Atomenergie war, und als »Ende des USA-Atom-Monopols«,126 wie die Berliner Zeitung vom 23. Februar 1949 feierlich betonte. Die Erläuterung der Funktion von Joliot-Curies Atomsäule nimmt der Lehrer im Hörspiel zum programmatischen »Anlaß, […] Geschehnisse zu erzählen, die sein Leben betreffen« (40). Durch Beiträge der beteiligten Schüler, biographische Einleitungen des Lehrers und wiederholte Einblendungen werden Informationen gesammelt und Ausschnitte aus Joliot-Curies Leben und Wirken als Atomforscher und Friedenskämpfer aufgezeigt. Es wird zunächst geschildert, wie die Widerstandsgruppe, die sich am CollHge de France »gegen den Faschismus« (45) gebildet hatte, mit der Sabotage in Norwegen zu tun hatte 125 Vgl. O. A. (ADN): Joliot-Curies Atomsäule. In: Neues Deutschland, 21. Dezember 1948, S. 1, O. A. (ADN): Joliot-Curie kapituliert nicht. Antwort des Atomforschers auf Verleumdungen / Für die ganze Welt. In: Berliner Zeitung, 7. Januar 1949, S. 1, Fr8d8ric Joliot-Curie: Die Atomsäule Zoe und meine Zukunftspläne. In: Neues Deutschland, 1. Juni 1949, S. 3. 126 O. A. (ADN): Ende des USA-Atom-Monopols. In: Berliner Zeitung, 23. Februar 1949, S. 1. Vgl. auch O. A. (ADN): Atommonopol zerschlagen. In: Neues Deutschland, 23. Februar 1949, S. 1.

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(»Joliot-Curie hat zu Beginn des Krieges zweihundert Liter Schweres Wasser aus Norwegen gerettet und nach England schaffen lassen«, 46) und der Befreiungsbewegung von Paris Flaschen mit Sprengstoff zur Verfügung stellte (»Sie wagten es und hatten Erfolg. […] Paris war frei. Eine neue Epoche sollte beginnen«, 45). Die Pariser Einblendungen zeigen ferner, wie der Wissenschaftler alle Angebote zur Bereitstellung von Energie für Kriegszwecke ablehnt. Als Erstes kommt der großzügige Vorschlag des amerikanischen Botschaftsrats Hill. Zu Joliots Wortführer macht sich im folgenden Gespräch sein Assistent Moulin und verwendet dabei interessanterweise Bilder und Argumente, die in ihrer einfachen Formulierung völlig austauschbar mit zahllosen Aussagen sind, denen wir auch in anderen Wissenschaftsdramen der Zeit begegnen: Hill: Meine Regierung schlägt Mister Joliot-Curie vor, nach Amerika zu kommen und dort zu arbeiten. […] Mister Joliot kann fordern, was er für angemessen hält. Wir werden es zahlen. Moulin: Für welche Arbeit? Hill: Atomenergie. Moulin: Für den Frieden. Hill: Für Atombomben. Moulin: Ich darf erklären, daß er ablehnt. […] Joliot-Curie lehnt es ab, Atombomben anzufertigen. Er wünscht, daß die große Entdeckung der Atomenergie das Leben fördert, nicht den Tod. […] Sie wollen den Mord, wir das Leben. Hill: Sagen Sie nicht Mord. Auch wir wollen den Frieden. Moulin: Den Frieden der Angst. Vor ihrer Bombe. Den Mord des Friedens. (46–47)

Gebraucht werden dabei eindrucksvolle, schroffe Gegensätze – Leben/Tod, Mord/Frieden – und die Kritik an der verbreiteten Methode der Abschreckung. Nur dass man hier Schuld und Verantwortung noch entschiedener auf der »Kapitalisten«-Seite findet, der »Herren der Elektrizität« und »Herren von Öl und Kohle«. Denn »immer, wenn eine Erfindung gemacht wurde, die den großen Industrieleuten nicht paßte, haben sie die Anwendung verhindert« (55). Die besondere Qualität der Atom-Ära besteht nun in einer neuen Zweckrichtung, die Lage sei heute »noch schlimmer« geworden: »jetzt wollen sie nicht nur die Entwicklung der Atomenergie für den Frieden verhindern, sondern sie benutzen die Atomenergie, um Bomben daraus zu machen« (55). Dass Joliot-Curie ein weiteres Angebot zur Kooperation vom Erlangener Physik-Dozenten Ernst Rödel bekommt, einem Ex-Nazi, der einst »von der großartigen Stimmung in Deutschland, von der Wunderwaffe« (49) begeistert war und nun fast völlig amerikanisiert ist (»Sie sind ja schon Amerikaner, Herr Rödel«, 49), erlaubt Scheer, das nicht bewältigte faschistische Erbe in Deutschland zu unterstreichen. Zugleich formuliert er damit die grundlegende, in der DDR der fünfziger Jahre durchaus übliche These von der Affinität von USA und Faschismus. Amerikas unheilvolle Übermacht wird darüber hinaus

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dadurch veranschaulicht, dass es den Amerikanern trotz oder gerade wegen Joliots Integrität und Unbiegsamkeit gelingt, die Absetzung des berühmten Wissenschaftlers zu erkaufen. Botschafter Hill vermag Frankreich zu zwingen, den Physiker aus allen seinen Ämtern zu entfernen. Was eben an dem im Titel genannten Datum geschieht. In einem Dialog zwischen Hill und dem französischen Premier wird über den Preis der Operation verhandelt. Joliots Worte auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei können nach Aussage des Premiers als »Vorwand für seine Absetzung« benutzt werden. Aus Joliots angefochtener Rede bekommt auch der Hörer zwei entscheidende Originalpassagen zu hören. Joliot Curie (von der Schallplatte): … es ist dieser Weg des Ruins und des Todes, auf dem die fortschrittlichen Menschen ihren Sieg zu erringen wünschen. Das Weltkomitee der Kämpfer für den Frieden hat einen erregenden Appell zur Ächtung der Atombombe erlassen. (Bricht ab) Premier : Nein, das ist nicht die Stelle, die ich meine. Warten Sie. Er spricht von der Sowjetunion. […] Hier muß es sein. Joliot Curie (von der Schallplatte): … Wissenschaftler, die uns ein herrliches Beispiel geben. Ich denke an all diese Menschen, welche die Welt schon einmal gerettet haben, und welche die Hoffnung der Welt sind. Darum werden fortschrittliche Wissenschaftler, kommunistische Wissenschaftler, niemals ein Teilchen ihrer Wissenschaft dafür hergeben, Krieg gegen die Sowjetunion zu führen. Und wir sind unbeugsam, gestützt auf unsere Überzeugung, daß wir, wenn wir so handeln, gleichzeitig Frankreich und der Menschheit dienen. Premier : […] Das gibt uns den Vorwand zu seiner Absetzung. Sagen Sie Washington, Mister Hill, daß wir bereit sind – für siebzig Milliarden Franken. (61–62)

Der didaktische Unterrichtskontext, der den Rahmen bildet, liefert die Kulisse für die letzte Szene, die am 28. April 1950 in der Schulklasse spielt. Noch einmal geht es hier um die soziale Tragweite der Entdeckungen im Zusammenhang mit dem ›guten‹ Gebrauch der neuen Erfindungen und um einen gerechten Protest. Die 17-Jährigen beschließen, »gegen die Entscheidung der Regierung zu demonstrieren« (63). Unter den Rufen für Frieden und Forschungsfreiheit (»Es lebe Joliot-Curie! Es lebe der Friede«, 64) lässt der Autor die Friedensmärsche auf der Straße im Triumph nachhallen. Pas: Ein vielschichtiges Hörspiel. In: Berliner Zeitung, 28. November 1950, S. 3. Maximilian Scheer : Paris, den 28. April. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 2: Mut zur Freiheit. Berlin 1951, S. 37–64. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 10.

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Ernst Barnewold: Promethiden (1950)

Autor : Wilhelm Nolting-Hauff (1902–1986) Darbietungsform: Drama in fünf Akten Uraufführung: Ende November 1950, Theater der Freien Hansestadt Bremen Ort: imaginäre Stadt Magnetoville Zeit: Zukunft

»Wer ist Barnewold?«, fragt sich am 30. November 1950 der Rezensent der Zeit nach der Uraufführung der »Dramatischen Zukunftsschau in neun Bildern«, die unter dem Titel Promethiden auf die Bühne des Theaters der Freien Hansestadt Bremen gebracht worden war.127 Einige Tage später löst Der Spiegel das Identitätsrätsel: Unter dem Pseudonym Ernst Barnewold verbirgt sich der Jurist und FDP-Politiker Wilhelm Nolting-Hauff, der von 1945 bis 1962 Finanzsenator in Bremen war.128 Besonders unerbittlich äußert sich die Spiegel-Rezension nicht nur zu den auffallenden dramaturgischen Mängeln des Spiels, sondern sie arbeitet auch die fragwürdige Haltung von Autor und Intendant heraus. Aufgrund und infolge der finanziellen Unterstützung seitens der sponsornden Finanzbehörde soll Theaterintendant Willy Hanke nach der Wiedereröffnung des großzügig umgebauten Theaters am Goetheplatz der Aufführung der bereits mehrfach eingereichten, doch von seinen Vorgängern immer wieder abgelehnten Promethiden zugesagt haben. Laut Spiegel habe dafür der Bremer Verleger Walter Dorn, bei dem das Stück 1950 erschien, sogar eine Defizitgarantie übernommen und auf den Zahltisch des Theaters geblättert. Die Premiere war jedenfalls ein totales Fiasko. Trotz der Aktualität des Komplexes ›Kernenergie/ Massenvernichtung‹ reagierte das Gros der Zuschauer irritiert auf den deklamatorischen Gestus der Sprache und die Naivität der verworrenen Handlung. Wie auch eine kurze Besprechung in der FAZ berichtet, wurde »das Bühnenwerk […] vom Publikum abgelehnt und teilweise auf offener Szene verlacht«.129 Das Drama fiel also bei der Presse ganz durch und erlebte keine weitere Aufführung. Die verschwommene Bedeutung vieler Szenen und die mitunter fast abstrusen Bilder sind tatsächlich so verwickelt, dass einem schon die bloße Inhaltsangabe des Stücks schwerfällt. Weitschweifigkeit, übersteigertes Pathos, düstere und bizarre Allegorien häufen sich im konfusen Durcheinander eines schwülstigen Stils. Und auch die vom Autor beanspruchte klassische fünfaktige Anlage kann nicht vermeiden, dass das Drama alles andere als linear ist. Der mythologische Anklang des Titels verrät die Absicht, die aktuelle Themenstellung in einen kosmischen Kontext einzuspannen, der einerseits auf eine ent127 Manfred Hausmann: Wer ist Barnewold. In: Die Zeit, 30. November 1950, S. 3. 128 O. A.: Zeuge: Der Senator. In: Der Spiegel (1950), 6. Dezember 1950, S. 38–40. 129 O. A.: Kulturelle Notizen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. November 1950, S. 6.

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fernte Zukunft vorausweist, andererseits vor der immerwährenden Bedrohung warnen soll, die dem Vernichtungsdrang der Menschen innewohnt. Die Handlung trägt sich in einer unbestimmten, technologisch weit fortgeschrittenen Zeit zu, in der die Konstellation des Kalten Kriegs in der Zweiteilung der Weltmacht leicht wiederzuerkennen ist. Von der Liga und der Konföderation beherrscht, schwebt der Erdplanet in Gefahr, jeder Freiheit beraubt zu werden. Einen Ausweg aus der Konfliktsituation versuchen die drei Hauptfiguren des Dramas zu finden, zwei Männer namens Marc und Walt und eine Frau namens Wera, die sich als »dritte Macht«130 profilieren. Die Eröffnungsszene zeigt sie in dem Versuchsraum eines Energieerzeugungswerks der erfundenen Stadt Magnetoville, wo sie sich die Verwirklichung ihres gemeinsamen »Götterwerkes« (7) erträumen, eines komplizierten Strahlenapparats, dessen Zielvorrichtung »auf die äußerste Insel von Feuerlands Ramirezgruppe« (8) eingestellt ist, um sie dann augenblicklich zu vernichten. Als dies passiert, gibt die Frau – in der Ekstase einer exaltierten Sprache, die den Stil des ganzen Stücks prägt – das gewaltige Bild der brennenden Insellandschaft wieder, wie sie auf der Membrane des Apparats sichtbar ist. Hier wie überall im Text ist das metaphorische Feld aus dem Sinnbezirk des Feuers in reicher Auffächerung präsent: emporflammende Felsen, ein unbekannter Vulkan, das glühende Atoll, ein Atombrand, ein blitzdurchzuckter Sturm, lohende Riffe, sterbende Fackeln, verkohlter Wald (8–9). In den Worten der Militärs und Politiker, die sich zu der Konföderation bekennen, gehört das Unternehmen der drei Menschen in den Bereich der »hohe[n] Schule der Kernphysik« (13). Nolting-Hauff bemüht sich, das Auffallendste an diesem Prozess, das für ihn offensichtlich in der Entfaltung des immensen Energiepotentials atomischer Vorgänge liegt, durch die Anhäufung technischer Fachbegriffe aus dem Gebiet der Radioaktivität hervortreten zu lassen. Doch liegen oft moderne Wortbildungen und Formulierungen (»Atomzertrümmerung«, »Radiowellen durch Richtstrahler«, »Kraftströme«, 13) und archaisierende Formulierungen vom »Donnerschlag, der die gesamte Erde zerreißt« (14), und dem »Feuer […], das die Atmosphäre des ganzen Planeten verzehrt« (14), dicht beieinander. Gemäß dem ehrgeizigen Plan, die Welt neu zu formen, bevor der Krieg zwischen den zwei Supermächten ausbricht, lässt der Autor seine Helden in die Arktis fliehen. Von hier aus lassen sie ihre hochtrabende visionäre Rede an die Welt anonym in der Form einer Warnung erschallen: Achtung! Achtung! Es höre uns die ganze Welt: Wir warnen die Konföderation! Wir warnen die Liga! Wir verbieten den Krieg! Gehorcht die Menschheit diesem Ruf, wird 130 Ernst Barnewold: Promethiden (Anm. I, 71), S. 39.

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ihr eine Gabe zuteil, wie sie die Erde nie wieder empfangen hat, seit der Titan Prometheus das Feuer vom Himmel riß. Was wir vermögen, sichert dem Weltkreis ewiges Glück. Ein Gerät ist in unserer Hand, das unendliche Ströme von Licht und Kraft erzeugt, um der Menschheit zu dienen, doch ebenso, wenn wir es wollen, mit einem einzigen Donnerschlag den ganzen Planeten zerreißen kann. Drum senkt die Waffen, die Ihr erheben wollt, Euch sinnlos zu töten, Völker der Erde! Sie sind ein törichtes Spielzeug gegen die Macht, die uns zu Gebote steht. Wir warnen alle, die Nationen und Staaten dem schrecklichsten Selbstmord zutreiben wollen. Wer dennoch wagte, den ersten Schuß zu lösen, beschwört den letzten Tag seines Reiches herauf. (35–36)

Doch erntet der mysteriöse Antikriegsaufruf »nur Spott und Hohn« (42). Die meisten Menschen schenken ihm keinen Glauben, weil für sie »das Vorkommnis völlig außerhalb des Entwicklungsganges unserer physikalischen Wissenschaft liegt« (40) und er »törichterweise zu Ausbrüchen von Panik und Verzweiflungsstimmung geführt hat« (41). Ihrerseits unterstellen sowohl der Sender der Liga als auch derjenige der Konföderation den unbekannten Urhebern des Appels Unglaubwürdigkeit und politisch gezielte Böswilligkeit (»Mystifikation«, »Verzweiflungstat von bündnischer Seite«, »gewagte Propaganda«, 41). Als die Flotten der zwei Mächte zum Kampf antreten, vermögen aber die drei Dramenhelden, magnetische Stürme auszulösen, welche die Motoren von Schiffen und Flugzeugen auf eine allen unerklärliche Weise lahmlegen: Ein »merkwürdiger Spannungszustand eines Nichts« (46). Der Ausbruch eines Weltkriegs wird für den Augenblick vermieden, aber »die Menschheit hat kein Ziel mehr« (57). Die zwei Männer wollen ihr deshalb die Hoffnung zurückgeben, kehren nach Magnetoville zurück, liefern weitere Beweise für die unheimliche Macht ihrer Entdeckung und versprechen das goldene Zeitalter des Friedens, wenn die Menschheit »gehorsam« bleibt. Noch einmal werden sie aber für Betrüger gehalten. Die Missachtung aller Mahnungen erschöpft nun die Geduld von Marc. Ist er an der Herstellung des Friedens von der Dummheit der Menschheit gehindert worden, so will er in seiner Enttäuschung den Hebel betätigen, um zu zeigen, wie »aus den größten Städten, Metropolis und Zentren in einem Moment Vergangenheit« (82) werden kann. Walt wirft ihn aber kurz zuvor in eine Felsenspalte und stürzt selbst ab, gefolgt von Wera, die den Apparat in die Luft sprengt und der Menschheit ihre letzte Botschaft hinterlässt: Die Hoffnung, dass sich »alle Gewalt […] künftig selbst so ein Ende setzen« (84) möge. Hier fällt der Vorhang. Dröhnen der Schaltanlage und Rauchschwaden erfüllen die Szene und besiegeln Nolting-Hauffs chaotische Kritik am technologischen Fortschrittsglauben des 20. Jahrhunderts, in dem der Autor eine Art Promethiden-Wahn verurteilen wollte. Ernst Barnewold: Promethiden. Bremen 1950. Manfred Hausmann: Wer ist Barnewold. In: Die Zeit, 30. November 1950, S. 3.

Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (1950)

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O. A.: Zeuge: Der Senator. In: Der Spiegel, 6. Dezember 1950, S. 38–40. O. A.: Kulturelle Notizen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. November 1950, S. 6.

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Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika… (1950)

Autor : Gustav von Wangenheim (1895–1975) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 5. Dezember 1950, Kammerspiele Deutsches Theater Berlin Ort: USA Zeit: 1950

Dass die Finsternis der Diktatur nicht nur den europäischen Himmel verdunkelt hat, sondern auch den Horizont des scheinbar liberalen Amerika bedroht, bemüht sich das schon im Titel programmatische Drama Auch in Amerika… zu beweisen. Entsprechend den Parteiprinzipien eines ›demokratischen‹ Deutschlands reagiert damit Gustav von Wangenheim auf ein Phänomen von weltweiter Bedeutung wie die internationale Zustimmung zum Stockholmer Appell vom 19. März 1950. Der pazifistische Autor, ehemaliges KPD-Mitglied, dann Gründer der revolutionären Berufstheatergruppe Truppe 1931, hatte der Landwirtkarriere – er war Freiherr von Wangenheim – den Rücken gekehrt, um sich im Theatermilieu als Schriftsteller durchzuschlagen. Nach dem Exil in der Sowjetunion, wo er Sprecher bei Radio Moskau wurde, war Wangenheim nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekommen und hatte im Osten zur Bildung einer prosowjetisch und antiamerikanisch gesinnten Intellektuellenelite wesentlich beigetragen.131 Bevor er DEFA-Regisseur wurde, war Wangenheim kurze Zeit Intendant des Deutschen Theaters in Berlin. Gerade auf der Bühne des Deutschen Theaters, das vielen damals als »ein Forum kommunistischer Agitation«132 galt, erzielte Auch in Amerika… sofort beachtliche Erfolge. Nach der Premiere vom 5. Dezember 1950133 erreichte es, wie Helmut Peitsch berichtet, mit 45

131 Vgl. Helmut Peitsch: Vorbilder, Verräter und andere Intellektuelle (Anm. I, 7). 132 Heinz Kersten: Korea im Deutschen Theater. Antiamerikanismus auf Langhoffs Bühne. In: Die Zeit, 29. Januar 1953, S. 5: »Gustav von Wangenheim verfaßte nach dem Vorbild Simonows das antiamerikanische Pamphlet ›Auch in Amerika‹. Dieses traurige Machwerk trat ebenfalls vom Deutschen Theater aus seinen Weg über fast sämtliche Bühnen der ›DDR‹ an, denen es zum Pflichtstück erklärt wurde«. 133 Günther Rühle datiert aber die Uraufführung auf den 3. Februar 1951 (Schauspiel Dresden, mit dem leidenschaftlichen kommunistischen Regisseur Paul Lewitt). Vgl. Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966 (Anm. I, 10), S. 1378. Als Hörspiel wurde es am 20. Februar 1951 vom Mitteldeutschen Rundfunk gesendet.

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Aufführungen in ganz Ostdeutschland die höchste Vorstellungszahl der Saison 1950/51.134 Wangenheims Auch in Amerika… ist ein ausgeprägt politisches Zeitstück. Dort, wo die Politik in der Ära der Wiederbewaffnung den demokratischen Spielraum reduziert und der Mensch das Gefühl seiner Grenze verliert, lauert für den DDR-Autor der Keim einer kurz bevorstehenden Katastrophe. Umso mehr, als sie sich hinter der beruhigenden Idylle verbirgt. Der Stückanfang versetzt uns in eine pittoreske Naturkulisse. Doch hinter der vertrauten Welt steckt die Tragödie, die sie verheeren kann. Eine öldruckartige Szenerie, ein Garten »vor einem Häuschen an einem See in den USA«, rahmt die laut Regieanweisung »an einem sonnigen Tag mit mildem Abend im Jahre 1950«135 stattfindende Handlung ein. Der locus amoenus wird aber gleich zu Beginn gestört und Angst und Wahnsinn unterminieren den Schein des unbekümmerten amerikanischen dreams. Keine sorglose, friedliche Rückkehr nach Hause erfährt in der allerersten Szene Florence, die Frau, die im Reisekostüm auftritt, von ihrem Schwiegervater Alvah begleitet. Nur wenige Sätze, und schon erfährt der Zuschauer die alarmierende Vorgeschichte: Die Entlassung der Frau aus der Psychiatrie, ihre wiederholten Selbstmordversuche. Als einzige weibliche Figur des Stücks steht sie einsam und verlassen da, fast erdrückt von ihrer männlichen Umwelt. Um Florence bewegt sich ein klassisches Drei-Generationen-Dreieck, drei Männer, die sich im Drama radikal herausfordern: Erstens der schon erwähnte Familiengründer und Ex-Unternehmer Alvah; in der Mitte sein Sohn und Florences Mann Ronald, ehemaliger Pilot und Fluglehrer, und schließlich Alvahs Enkel, der Student und angehende Schriftsteller Larry, Sohn von Ronald und Florence. Bereits ab dem ersten Auftritt verrät der Großvater die Anzeichen eines Scheiterns, das über die private Dimension hinausweist und die widersprüchlichen Züge einer ganzen Epoche trägt. Nachdem er durch die Erfindung eines Nervenberuhigungsmedikaments Millionär geworden war, hatte der Zusammenbruch von 1929 ihn und seine Fabrik in die Pleite geführt: »Da kommt die Krise und schlupps [sic]! hat alles der Chemietrust geschluckt« (7). Infolgedessen war der Alte zum antikapitalistischen, marxistischen Glauben übergegangen. Aber nur heimlich, denn im intoleranten Amerika der Zeit traut er sich immer noch nicht, daraus Konsequenzen zu ziehen. Ganz anders hingegen sein Sohn Ronald. Dieser schwankt in einem totalen Vakuum an Werten und ethisch-politischen Überzeugungen. Er stellt ausnahmsweise keine Variante der 134 Vgl. Helmut Peitsch: Vorbilder, Verräter und andere Intellektuelle (Anm. I, 7), S. 104. Auch Max Schröder, der erste Cheflektor des Aufbau Verlags, lobte es als zeitgenössisches Stück, das höchst aktuelle Probleme zeige, vgl. Max Schröder : »Auch in Amerika«. Ein Kampfstück gegen die Atombombe in den Kammerspielen. In: Sonntag. Wochenzeitung für Kultur, Politik und Unterhaltung, 10. Dezember 1950. 135 Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika…. (Anm. I, 36), S. 3.

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positiven, bußfertigen Pilotenfigur dar, die in der Atomdramatik vorherrscht, sondern einen eher erbitterten, nun arbeitslosen Kriegsveteran, der für einen neuen Job und 125 000 Dollar zu allem bereit ist, und sei es auch die Weltvernichtung. Als sein Gegenspieler im Text erscheint die idealistische Figur des Sohnes Larry, der pazifistische Geist des Stücks, der die Pläne des Vaters konterkariert. Darin wird er von der Mutter Florence unterstützt, in der Wangenheim ein zerbrechliches, realitätsfremdes Wesen schildert, das dennoch allmählich an Bewusstsein und Entscheidungskraft gewinnt. Florences Krankheit entspringt aus einer auf das unausweichliche Paradoxon einer beinahe ›historischen‹ Krise zurückzuführenden Depression. Wie Schwiegervater Alvah kommentiert, vermag die zarte Empfindlichkeit der Frau ihr »Dilemma« nicht zu verkraften: »es sah für einen Menschen wie Florence eben leider so aus, daß sie an einem Tag denken mußte: ›Um Gotteswillen, es gibt Krieg, alles ist verloren! Atombomben! Alles geht zugrunde!‹ Und am andern Tag: ›Um Gotteswillen, es gibt keinen Krieg, alles ist verloren. Mein Mann wird entlassen. Die ganze Familie geht zugrunde‹« (9). Also Krieg und Atombomben. Man kann wohl behaupten, dass ›nicht nur‹ in Amerika, sondern auch und gerade auf der Bühne das Atom seine fatale ›Kettenreaktion‹ auslöst. Die Bombe zerstört nicht nur das Leben ganzer Völker und Länder. Sie führt die Aushöhlung der Gesellschaftsordnung herbei, zermürbt den Geist, akzentuiert die depressiven Störungen der Frau. Vor allem bricht sie die Heiligkeit der Familienbande auf, indem sie hier Mann und Frau voneinander trennt, einen jungen Sohn gegen den Vater und Letzteren gegen den eigenen alten Vater aufhetzt. Diese generationsübergreifende Konfrontation wird durch Ronalds neuen Job ausgelöst: Die geheim gehaltene Produktion einer Art perfektionierten NordenGeräts, d. h. eines völlig neuartigen und vereinfachten Bombenzielapparats. Der Mann selbst ist es, der – in Uniform – seiner von der finanziellen Unsicherheit der Familie bedrückten Frau die gute Nachricht gibt, dabei die wahre Natur seiner Arbeit verschleiernd. Ronalds Beruf stellt also den dramaturgischen Antrieb dar, mit dem der Autor versucht, das Gewissen des Publikums zu schärfen. Der todbringende Beruf ist die verschwiegene Wahrheit des Textes, zugleich aber auch eine schwerwiegende Lüge der Kriegspolitik, letal wie die zunehmende Aufrüstung, die im Hintergrund der primären Handlung mitschwingt, über die die Bürger im Dunkeln gelassen werden. Der verheimlichte Job erweist sich in jeder Hinsicht als ein »Bombenjob« (63), wie Florence ohne Schnörkel am Dramenschluss klagen wird, ein zynischer Beruf, der sittlich und gesellschaftlich unvereinbar ist mit der aktivistischen Tätigkeit des 19-jährigen Sohnes. Larrys Leidenschaft und Enthusiasmus, sein Pathos für den Frieden, werden ausdrücklich als eine neue Qualität des politischen Engagements thematisiert: »Vater, ich bitt’ dich, laß mich doch pathetisch sein. Was heißt denn das, pathetisch? – Leidenschaftlich! Ich bitte dich leidenschaftlich, unter-

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schreib«, so Larry, als er dem Vater den Zettel mit dem Stockholmer Aufruf vorlegt, »mit Zynismus macht man keine Weltgeschichte« (44). Das Spiel ist an sich handlungsarm, dramatische Spannung wird vorwiegend durch straffe Dialogführung und Argumentation erzeugt. Eher durch den Familienkonflikt als durch die dürftige Handlung arbeitet Wangenheim das Gewirr von Motivationen und Instrumentalisierungen heraus, das für den Autor Verhaltensweise und Mentalität in den USA bedingt. Besonderes Augenmerk legt das Stück auf die ideologischen Aspekte des zeitgenössischen Amerikas, verschlungen vom schwarzen Loch der Hexenjagd, durchzogen von der Intransigenz pseudo-patriotischer Vereine, hinter denen Wangenheim den makabren Schatten der Ku-Klux-Klan-Geheimgesellschaft sich erheben lässt. Ronald: Ein Flammenkreuz, das kennst du nicht? Das ist auch eine alte Tradition. Das haben wir erfunden bei uns in den Staaten schon lange, lange, vor achtzig Jahren, als wir gegen dies verrückte Gesindel kämpfen mußten, gegen dies revolutionäre Pack – genau wie heute! […] Das war das Warnzeichen der weißen Rasse: Wir sind da! Florence: Wer? Ronald: Der Ku-Klux-Klan. […] Und alle andern hatten Angst. – Angst! Und haben immer gesagt, wo sich einer aufhält, wenn er gesucht wird, und was er gesagt hat, und wer irgendwas unterschrieben hat. Larry hatte doch viele solcher Zettel. Da hatten doch noch andere unterschrieben… Wer hat alles unterschrieben? Was wißt Ihr? Wo ist Larry? Heraus damit! (56)

Im Laufe der drei Akte ermöglicht die heftige Familiendiskussion um die Unterzeichnung der Petition dem Autor, die ganze Reihe von – freilich klischeehaft und stereotyp gezeichneten – Vorstellungen zur Schau zu stellen, mit denen die DDR-Einstellung zu den USA versehen ist. Die Amerikaner hätten schwere Schuld auf sich geladen. Es sei z. B. die »Koreasache« gewesen, die Trumans Entscheidung überstürzt habe, »für gewesene und zukünftige Kriege […] drei Viertel [des] ganzen Budgets« (22) auszugeben. Die ausgesprochene Russenfeindlichkeit der Amerikaner kommt natürlich auch nicht gut weg im Stück: Die Russen seien zwar arm, »aber was sie haben, verpulvern sie für Propaganda und Spione. Unsummen!«. Jedenfalls betont Ronald die Notwendigkeit, sich von jedem Übermut in Sache Politik fernzuhalten, was er sich auch für seinen ungestümen antiamerikanisch gesinnten Sohn wünscht, denn jeder »Russenknecht« riskiere, vom Ausschuss für unamerikanische Tätigkeit verhaftet und wegen irgendetwas, z. B. »wegen Kinderraub[s]«, vernommen zu werden. Die Amerikaner hätten »neulich so einen […] erwischt – und haben ihn geteert und gefedert, wie einen Neger. Und der hat auch nur solche Unterschriften gesammelt« (23). Ein Argument, das zuerst volles Verständnis in Florences mütterlichem Geist findet: »Ich hab’ verstanden. Ich war unvorsichtig«, gibt sie zu, »und Larry hat auch verstanden. Er wird so etwas nie tun. Sonst kriegt er auch nie so einen feinen Job wie du und keine Lebensversicherung« (25). Ein umsichtiges

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Benehmen sei immer vonnöten, wolle man bei der amerikanischen Regierung keinen Argwohn und Verdacht aufkommen lassen. Den Vorwurf des Antiamerikanismus behandeln viele Szenen im Drama. Über ihnen allen schwebt aber eine grundlegende Frage: Was ist amerikanisch? Und ihr notwendiges Korollarium: Was kann ›unamerikanisch‹ sein? Dazu fragt der junge Larry, nicht ohne metaliterarische Rhetorik, ob es letzten Endes besser sei, unamerikanisch oder unmenschlich zu sein. Sieh diese Sache mit der Ächtung der Atomwaffe, mit der Unterschrift – als Schriftsteller find’ ich das alles schrecklich dramatisch. […] Ich betrachte die Unterschrift als etwas Dramatisches, und darum würde es mich reizen, in der Wirklichkeit zu sehen, wie der eine ja und der andere nein sagt. Gott ja – wenn man durchaus Tragödien schreiben will – wie ich – (lachend) sieht man vielleicht in die Welt Tragödien hinein, wo gar keine sind. Und ob es einer nun so einen Zettel unterschreibt oder nicht, das ist natürlich – vielleicht! an sich noch lange keine Tragödie. An sich! […] Es kann eine Tragödie sein, wenn man unterschreibt, weil welche sagen, es ist unamerikanisch, und es kann eine Tragödie sein, wenn man nicht unterschreibt, weil welche sagen, es ist unmenschlich. Da soll sich ein armer, angehender Schriftsteller auskennen mit dem Tragödienschreiben. (27)

Wangenheims Kritik am Amerika des Kalten Kriegs trifft aber natürlich nicht wahllos alle Amerikaner. Die positive Haltung von Larry eignet sich z. B. zum humanitären Kampf »mit anderen Amerikanern gegen die Atombombe als Angriffswaffe« (49) und zur Verherrlichung des Friedens. Das scharfe Bewusstsein für das Ausmaß des Risikos, das seine Figur charakterisiert, versucht Larry auch bei den anderen zu entwickeln, wie die folgende fast didaktische Veranschaulichung der Gefährdung zeigt, die er, wie der Autor selbst, unternimmt: »Hier sitze ich, und nehmen wir an, so eine Atombombe fällt. Sehr nah. Dann ist hier im Umkreis alles im Nu Staub, Asche, Nichts […]. Fällt sie etwas weiter, gibt es nur Tod und Verbrennung. Alles Innere zersetzt sich. Das Gehirn gerinnt. Die Augen erblinden«. Für seine Aufklärungszwecke bedient sich der Dramatiker verschiedener inhaltlicher und sprachlicher Mittel. Interessant ist dabei, dass die vernichtende Tragweite des Atomkriegs ihre Entsprechung in Formulierungen findet, die fast eine neue Grammatik der Ausradierung des Subjekts schaffen: »Ich! – Du! – Er, sie, es, wir, ihr, sie. Alle Subjekte verschwinden«. (39) Dazu gesellen sich eloquente und in Atomdramen immer wiederkehrende Schreckensbilder von Japan, die im Text an verschiedenen Stellen evoziert werden. Mit Violet – der anderen rebellischen Dramenfigur, die sich dem Vater, einem Atomfabrikanten, auch widersetzt, im Stück aber meist nur in dritter Person erwähnt wird – ist Larry auf einer Fotoausstellung über Hiroshima, die Wangenheim Gelegenheit gibt, die übliche visionäre Liste der Bilder abzufassen, die zum herkömmlichen, fast bombastischen Repertoire der atomaren, hier als infernalisch gedeuteten Apokalypse gehören:

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Eine Ausstellung von Bildern über Hiroshima: verdorrte Menschen, verweste und verwesende – brennende See-Stücke, Menschenstücke! Bombenstückwerk – alles in Atome zerrissen. Der wahnwitzige Restbestand von etwas, was einmal vernünftig und greifbar war […]. Und dann erfährst du von einem ohne Augen, der dabei war, als Kriegsgefangener : Das Gemalte gibt gar kein Bild. Die Oberfläche ist nicht das Schlimmste. Von innen ist alles faul, heute nach Jahren verrottet, Lunge und Leber, das Herz zersetzt sich und die Früchte im Mutterleibe. – Es ist die Kettenreaktion der Hölle, die Menschheitstragödie in Permanenz. – Und der in Hiroshima dabei war, als Kriegsgefangener, der ohne Augen, der forderte mich auf zur Unterschrift und da hab’ ich unterschrieben. (33)

Dieses Ineinandergreifen von dargestelltem Thema und Bearbeitung der Motive auf inhaltlich-formaler und symbolischer Ebene ist für den ganzen Text konstitutiv. Die Formulierung »Kettenreaktion der Hölle«, mit der konkret und metaphorisch die teuflischen Effekte der Atomexplosion und die Strategie der Angst gemeint sind, wandelt sich hier ins Positive und löst eine Art Kettenreaktion des Guten aus. Ebenso wie der junge Larry, der vom augenlosen Mann zur Beteiligung an der Unterschriftensammlung überzeugt wird, erfährt nämlich auch Großvater Alvah nach eigener Aussage eine positiv gemeinte »russische ›Kettenreaktion‹«. Der Drang nach Information und Freiheit und gegen »Verfolgung, Gefängnis« (34) habe sich mit der Zeit bei ihm durchgesetzt. Hier legt das Stück sein offenes Bekenntnis zum weltweiten Kommunismus als Ökumene aller friedlich gesinnten Völker ab. Darin liegt eben der Sinn jener virtuosen Spirale, die für Wangenheim Menschen wie Howard Fast aktivieren können, der US-Schriftsteller jüdischer Herkunft, der auf die McCarthy-Blacklist kam und im Text mehrmals genannt wird.136 »Dieser Howard Fast« – prophezeit Alvah seinem Enkel – »ist bei dir der Anfang« (34). Tatsächlich lässt sich der Student immer stärker zur Begeisterung für den Friedenskampf hinreißen. Die Bühne selbst wird zum Ort des Appells. Zielsetzung und Prinzipien des Aufrufs werden in Stichpunkten vor dem Publikum erörtert: »In Korea das Feuer einstellen […], sich mit der Sowjetunion einigen […] eine Kampagne gegen die Atomwaffe nach dem bekannten Vorschlag des Internationalen Roten Kreuzes« (25). Sinn und Bedeutung der Aktion fasst Larry folgendermaßen zusammen: »Ich fordere das bedingungslose Verbot der Atomwaffe. – Ich bin dafür, jede Regierung, die als erste von der Atomwaffe Gebrauch macht, als eine Regierung von Kriegsverbrechern zu brandmarken« (16). Es geht nur noch darum, immer mehr Menschen zu befähigen, die Zusammenhänge in der Politik und im Militär zu 136 Howard Fast »und der Jugend Amerikas, die den Krieg nicht will« (2), ist auch das Schauspiel gewidmet. Der Amerikaner dankte Wangenheim für die Übersendung des Stücks mit einem ausführlichen Brief, den die Zeitung Neues Deutschland veröffentlichte. Vgl. Howard Fast: Auch Amerika erwacht. Howard Fast an Gustav von Wangenheim. In: Neues Deutschland, 22. März 1951, S. 3.

Heinz Huber: Früher Schnee am Fluss (1950)

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durchschauen und ideologische Feinde zu beseitigen. Zum Schluss erzeugt Wangenheims Neigung zum Paradox die einzige Lösung, die Larrys militanter Optimismus ermöglicht: Der überzeugte Pazifist richtet den Revolver gegen den Vater, um ihn zu »zwingen, keine Gewalt anzuwenden«. Zugleich fordert er den Großvater, und damit auch den Zuschauer, auf, den neuen Weg mitzugehen, einen »amerikanischen – ohne Atombombe! Komm!« (64). Georg Luk#cs: Gustav von Wangenheim – ein bedeutender, aber unbekannter deutsche Dramatiker. In: Alternative 15 (1972), H. 84–85, S. 124–30. O. A.: Gustav v. Wangenheim. 60 Jahre. In: Neues Deutschland, 18. Februar 1955, S. 2. Johanna Rudolph: Mit Leidenschaft für den Frieden. In: Neues Deutschland, 6. Dezember 1950, S. 3. Max Schröder : »Auch in Amerika«. Ein Kampfstück gegen die Atombombe in den Kammerspielen. In: Sonntag. Wochenzeitung für Kultur, Politik und Unterhaltung, 10. Dezember 1950. Ernst Schumacher : Der Freiherr mit Monokel und FDJ-Hemd – Gustav von Wangenheim, dem ersten Nachkriegsintendanten des Deutschen Theaters, zum 100. Geburtstag. In: Berliner Zeitung, 17. Februar 1995. Onlinefassung unter URL: http://www.berliner-zei tung.de/archiv/gustav-von-wangenheim-dem-ersten-nachkriegsintendanten-des-deut schen-theaters-zum-100-geburtstag-der-freiherr-mit-monokel-und-fdj-hemd,108105 90,8915652.html. Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika…. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1950.

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Heinz Huber: Früher Schnee am Fluss (1950)

Autor : Heinz Huber (1922–1968) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 1950 (Datum unbekannt), Sender Beromünster ; 9. Oktober 1952, Nordwestdeutscher Rundfunk Ort: Korea Zeit: 1950

Genau am Ausstrahlungstag von Heinz Hubers Korea-Hördrama Früher Schnee am Fluß im Nordwestdeutschen Rundfunk schreibt Heinz Schwitzke, langjähriger Leiter der NWDR-Hörspielabteilung, einen Brief an den Autor. Dem von vielen als zu kommunistisch eingestuften Rundfunk- und Fernsehredakteur Huber137 gesteht Schwitzke, dass sein Stück beinahe Gefahr gelaufen wäre, von 137 Zu Heinz Hubers Beitrag zur Entwicklung der sogenannten Stuttgarter Schule und deren fernsehdokumentarischem Projekt Zeichen der Zeit vgl. Martin Emele: Heiße Eisen. Politik im Fernsehen des Süddeutschen Rundfunks 1954–1958. Tübingen 1989, und Kay Hoffmann: Zeichen der Zeit. Zur Geschichte der »Stuttgarter Schule«. Hrsg. vom Haus des Dokumentarfilms. Mit einem Vorwort von Dieter Ertel. München 1996.

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der Programmierung abgesetzt zu werden, weil es »angeblich in der Form auch vom Sender Leipzig gesendet werden könnte«.138 Ein Umstand, den der SpiegelRezensent bereits am Tag vorher emphatisch hervorgehoben hatte: Passionierte Hörspielhörer werden am nächsten Donnerstag, wenn das Programm nicht noch in letzter Minute geändert wird, kurz nach 21 Uhr wahrscheinlich verwundert die Skala beäugen und am Einstellknopf drehen. Was da über die NWDRMittelwelle kommt, klingt verdächtig nach dem bisher Mitteldeutschen Rundfunkprogramm der Sowjetzone. Thema: Alliierte Kriegsgreuel in Südkorea.139

Die »Courage«, die der anonyme Artikelschreiber im Spiegel dem NDWR attestiert, »das seinerzeit bereits als ›untauglich‹ abgelehnte«140 und bisher nur im Ausland ausgestrahlte Hördrama zurückerworben zu haben, gibt zugleich zu bedenken, wie das Korea-Thema immer noch ein delikates Terrain eröffnete und der westdeutschen Rundfunkprogrammierung politische Unannehmlichkeiten bereitete. Dass in der Bundesrepublik das 1950 eingereichte Manuskript erst zwei Jahre nach dessen Ursendung im Schweizer Radio Beromünster141 akzeptiert wird, lässt sich auch mit der schwierigen und widersprüchlichen Aufnahme des Textes begründen, wie sie anhand der Ansage- und Absagetexte zum Sendemanuskript rekonstruiert werden kann. Wie Wakiko Kobayashi in ihrer außerordentlich gut informierten Untersuchung des NWDR-NDR-Hörspielprogramms in den fünfziger Jahren ausführt und belegt, oszilliert hier die Kritik zwischen dem Lob gegenüber dem wenn auch harten Gewissensappell, der im Werk an die Menschheit gerichtet wird, und der Herausarbeitung des »DDRkritischen Kontext[es]«,142 in dem das Hörspiel angeblich entstand oder zumindest genutzt wurde. In der Refunktionalisierung der koreanischen Thematik für die Zwecke der politischen Rechtfertigung des freien Westens liegen alle Widersprüche der Rezeption des Textes. An sich ist der Inhalt in erster Instanz von der Missbilligung der Brutalität und Erbarmungslosigkeit geprägt, mit der die mit den Amerikanern verbündeten Südkoreaner die Gefangenen misshandeln, drangsalieren und foltern. Berichtet wird von der Hinrichtung von 27 Verurteilten, unter denen zwei Frauen sind: Eine Partisanin und ein KiisangMädchen, das »Freudenmädchen« Lee-Chang-Ho – vermeintliche Geliebte des kommunistischen Parteichefs –, dem vor der Exekution das nur wenige Monate alte Baby fortgenommen wird. Doch sind die im Hörspiel beschriebenen Vor138 Heinz Schwitzke: Brief an Heinz Huber vom 9. Oktober 1953. In: NWDR Korrespondenz Akte, Autoren H–L, 1.8.52–28.2.53, Archiv Hörspielabteilung NDR Hamburg. 139 O. A.: Schnee in Korea. In: Der Spiegel, 8. Oktober 1952, S. 23. 140 Ebd., S. 24. 141 Vgl. O. A.: Das Gewissen im Weltbürgerkrieg. »Früher Schnee am Fluß«, Hörspiel von Heinz Huber. In: Kirche und Rundfunk (1952), Nr. 21, S. 15. 142 Wakiko Kobayashi: Unterhaltung mit Anspruch: das Hörspielprogramm des NWDR Hamburg und NDR in den 1950er Jahren. Münster 2009, S. 215.

Heinz Huber: Früher Schnee am Fluss (1950)

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kommnisse kaum als politisches Bekenntnis problematisiert. Sie bleiben eher pure Anklage. Durch die geschilderten Grausamkeiten, denen laut Titelblatt »eine Zeitungsmeldung vom Nov. 1950«143 zugrunde liegt, will Huber nicht Gericht über die eine oder die andere Kriegsfront halten. Er fällt kein historischpolitisches Urteil, sondern lässt den Zuhörer zu einem Urteil kommen, indem er ihn mit Bildern der Unmenschlichkeit schockiert. Der Koreakrieg nimmt also, wie der Rezensent von Hubers Hörspiel in der Zeitschrift Kirche und Rundfunk schreibt, den »Charakter eines Weltbürgerkrieges«144 an, er wird ja zur Metapher der Barbarei des Kriegs schlechthin. Als solcher ist er ein Kind der Inhumanität und sät selbst Inhumanität in Form von Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit, die nicht nur die Ebene der politischen Beziehungen, sondern auch die der familiären vergiften. Das besagt der Satz, mit dem – »raumlos«, wie die Regieanweisung verlangt – das Hörspiel beginnt und endet: »Wenn die Welt zugrunde gehen wird, so geht sie zugrunde nur durch die grenzenlose Gleichgültigkeit der Menschen« (14, 28). Wer den traurigen Vorgang der Hinrichtung registriert, ist die Hauptperson des Hörspiels, der Korrespondent Stein, der direkt spricht und mit seinen potentiellen Radiozuhörern interagiert, was auch das Interessanteste an der besonderen technischen Realisierung dieses Hörspiels ist. Die Zweideutigkeit der medialen Kommunikation wird hier explizit artikuliert. Als Kriegsberichterstatter versucht der Amerikaner zunächst eine fesselnde Reportage nach den »goldenen Regeln« seines Chefs zu schreiben, d. h. die »richtige Mischung« zu erwischen. Das sei »das altbewährte Rezept: ein wenig Politik, ein wenig Krieg und Nervenkitzel, ein Schuß Blut und Grausamkeit, ein bißchen Erotik, ein bißchen Sentimentalität und lyrische Soße – […]. Kurz und gut: es muß eben alles dran sein, damit Familie Schneider auch zuhört, wenn sie beim Abendessen sitzt und das Radio einschaltet« (14). Bald muss aber der Reporter, am »dreckigen Fluß« des »verdammten« Landes sitzend, mit seinem Gewissen abrechnen. In einem Augenblick der ethischen und sozialpolitischen Eingebung bildet er sich ein, eine neue, eine höhere Schreibaufgabe in Angriff zu nehmen, die auch neue und höhere Inhalte und Ziele entwickelt: Hier bin ich am Ufer des Flusses, ich, der Korrespondent der N.P.A., und ich habe Bericht zu erstatten über den Krieg, sonst nichts. Und ich werde es tun, denn es ist eine erhebende Aufgabe für einen Journalisten in unserer Zeit. Ich werde es tun für die Agentur, für den Chef und für die Familie Schneider und für alle, die es hören wollen, und für alle, die es nicht hören wollen. Ich werde das schneegraue Schweigen der 143 Heinz Huber : Früher Schnee am Fluß (Anm. II, 89), S. 11 (Titel im Inhalt des Buches mit scharfem ß, S. 9. Innen auf der Titelseite des Hörspiels findet sich die Variante mit Doppel-s, S. 11). 144 O. A.: Das Gewissen im Weltbürgerkrieg (Anm. II, 141), S. 15.

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Dämmerung am Fluß zerstören mit dem unangenehmen Geräusch meiner Schreibmaschine. […] Geschrieben am 3. November an einem dreckigen Fluß in einem verdammten Land, während früher Schnee fiel, geschrieben zur Verteidigung unserer Ideale von Freiheit und Menschlichkeit. (26–27)

Der bittere Schluss lässt aber die Illusionen der »journalistischen Aufklärung«145 ins Leere laufen. Steins wachsendes Mitgefühl mit den unschuldigen Opfern des Kriegs kollidiert völlig mit der fehlenden Aufmerksamkeit und Anteilnahme der Rezipienten und legt die indolente Apathie bloß, mit der die von Huber eingeblendete typisch deutsche Familie Schneider beim Abendessen Rundfunk hört. Vor seinen »Frikandellen« [sic] reagiert das Familienoberhaupt verärgert auf den ruhestörenden Bericht: »Junge, mach mal das Radio leiser, oder such’ etwas anderes, (schluckt hinunter) Musik oder sowas. Ich kann dieses ewige Gequassel nicht mehr hören […]. – Ich will meine Ruhe haben beim Essen. – Danke« (28). In dieser gefühllosen, abgestumpften Reaktion der Unbeteiligten liegt die »grenzenlose Gleichgültigkeit«, die der schon zitierte Eröffnungs- und Schlusssatz evoziert. Und gerade solche Indifferenz besitzt eine Tragweite, die für die Menschheit noch tödlicher als eine Atomwaffe, noch bedrohlicher als ein nuklearer Weltkrieg wirkt, denn daran – wie die kommentierende Sprecherstimme bitter klagt – »geht sie zugrunde« (14, 28). Heinz Huber : Früher Schnee am Fluß (1952). In: Hörspielbuch 1953. Hrsg. vom Norddeutschen Rundfunk und Süddeutschen Rundfunk. Frankfurt a. M. 1953, S. 11–28. Wiederabgedr. in: Kreidestriche ins Ungewisse. Zwölf deutsche Hörspiele nach 1945. Hrsg. von Gerhard Prager. Darmstadt 1960, S. 59–72. O. A.: Das Gewissen im Weltbürgerkrieg. »Früher Schnee am Fluß«, Hörspiel von Heinz Huber. In: Kirche und Rundfunk (1952), Nr. 21, S. 15–16. O. A.: Schnee in Korea. In: Der Spiegel, 8. Oktober 1952, S. 23–24.

25.

Kurt Becsi: Atom vor Christus (1951)

Autor : Kurt Becsi (1920–1988) Darbietungsform: Drama in drei Akten Uraufführung: 20. Mai 1952, Städtisches Theater Köln Ort: Irland Zeit: Gegenwart (zum Teil zeitlos)

1951 gab Herbert Maisch, Generalintendant der Städtischen Bühnen Köln, dem Österreicher Kurt Becsi ein Stück in Auftrag. Becsis dazu eingereichtes Spiel, das historische Don-Carlos-Drama Das Spanische Dreieck, wurde jedoch vom Köl145 Margret Bloom: Die westdeutsche Nachkriegszeit im literarischen Original-Hörspiel. Frankfurt a. M. 1985, S. 316.

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ner Erzbischof Frings als ungeeignet abgelehnt. So verfasste der Wiener Autor in wenigen Wochen das apokalyptische Drama Atom vor Christus, das mit dem bischöflichen Imprimatur am 20. Mai 1952 auf der Kölner Bühne uraufgeführt werden konnte.146 In der Rezension zur Premiere verweist Ulrich SeelmannEggebert auf den revolutionären Geist des »mit allerhand gedankliche[m] Sprengstoff«147 geladenen Textes. Zweifellos weist das äußerst komplexe und komplizierte Stück schockierende Thesen und katastrophale Endzeitvorstellungen auf, wie sie bis dahin im Nachkriegstheater gegen die Atombombe mit solcher Virulenz noch nicht vorgekommen waren. Das Drama spielt laut Regieanweisung in der Gegenwart, kurz nach dem ersten Atombombenabwurf. Trotz der aktuellen Themenstellung deutet aber schon der Titel an, wie das Werk – in der kosmisch-religiösen Perspektive, die Becsi für sich in Anspruch nimmt – das geschichtliche Phänomen der Atomenergie und -anwendung transzendiert und in einen abstrakten Zusammenhang stellt. Der Titel deutet auf die Doppelfrage hin, ob das Atom, d. h. die reine Technik, den Vorrang ›vor‹ Christus, d. h. vor der Ethik, hat, aber auch, ob es ›vor‹ Christus eine zeitlose Dimension gegeben hat, in der das Atom als vitalistischer Ausdruck einer in der Natur vorhandenen, immerwährenden Energie zu verstehen ist. Zur Gestaltung dieser vornehmlich religiösen Fragestellung wählt Becsi den Rahmen einer von inneren Spannungen zerrissenen Familie und lässt den sozialen und kulturellen Konflikt zwischen Ethos und Wissenschaft von zwei in mehrfacher Hinsicht für das Genre der Atomdramen prototypischen Figuren tragen, dem Wissenschaftler und dem Hiroshima-Piloten: D. h. dem mehrmals preisgekrönten Physiker Jack Lindsay, Entwickler der Atombombe, und dem zum Mönch gewordenen Hiroshima-Piloten Thomas. Um diesen zentralen Kern kreist eine dichte Konstellation von Familienfiguren, die in ebenso vielen Konflikten involviert sind. Die tragende Nebenrolle spielt dabei Lindsays Frau Judith, die in ihrem Mann nicht mehr den »moderne[n] Ritter« der Jugend erblickt, »der den Tod besiegt und dem Leben die Tore öffnet«,148 sondern nur den fanatischen Weltzerstörer. Dem biblischen Vorbild entsprechend ist sie im Spiel dazu bestimmt, als weltgerichtliches Racheinstrument zu fungieren. Aus der gestörten Mann-Frau-Beziehung entsteht ein Geschlechter- und Ideenkonflikt, der für den Dramenschluss, Judiths Mord an ihrem Mann, fatal ist. Parallel dazu läuft ein Generationenkampf, der doppelt konnotiert ist. Als Vater-Sohn-Kon146 Über das genaue Datum der Uraufführung gibt es leicht divergierende Angaben. Die oben genannte Angabe ist von Becsis Biograph und Interpret Wilhelm Bortenschlager, Verfasser der bislang einzigen Monographie über ihn: Kurt Becsi. Dramatiker einer neuen Weltsicht. Innsbruck 1981, S. 63. 147 Zit. in: Kurt Becsi: Theater der dreifachen Revolution. Versuch einer Selbstinterpretation. In: Österreich in Geschichte und Literatur 14 (1970), H. 6, S. 297. 148 Kurt Becsi: Atom vor Christus (Anm. I, 137), S. 20.

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flikt bestimmt er einen wichtigen Handlungsstrang: Lindsays Sohn Robert, der den Vater als »egoistisch und gefährlich« verurteilt und sein Handeln als nihilistisch bezeichnet (»Lindsay und das Nichts«, 16), wird die Arbeiter der Versuchsanlagen gegen den Vater, den »Totengräber« (15), aufhetzen und zur Zerstörung der Labore anstiften. Nicht weniger relevant ist aber die Tragweite des zweiten Generationenkonfliktes des Stücks: zwischen Lindsay und seinem Mitarbeiter Campell, der im dichten Beziehungsnetz der Handlung mit Lindsays Tochter verlobt ist. Im Lehrer-Schüler-Verhältnis – eine in zahlreichen Atomdramen auftauchende Variante des Generationenkampfes – ist der Abstand zwischen dem alten und dem jüngeren Physiker nicht nur emotionell, sondern auch theoretisch bedingt. Die doktrinäre Auseinandersetzung zwischen Lindsay und dem Assistenten, der vergeblich versucht, den trotzigen Fanatiker der Wissenschaft zur Einsicht zurückzuführen, bringt grundsätzliche Fragen der Auswirkungen atomarer Waffenanwendung dialektisch zur Debatte. Es werden Pflichten und Konsequenzen, Lösungen und Auswege erwogen, die von Lindsays Vorhaben, sich »bis zur letzten Grenze des Erkennbaren zu wagen« (76), über Politiken der »Kontrolle« (78) bis zu dem in der Atomliteratur topisch gewordenen Argument des möglichen Formelverrats (77) reichen. Die beiden wandeln auf vollkommen getrennten Wegen: Auf der einen Seite steht der unbedingte Pessimismus von Lindsay, für den die Erde eine »Stätte der Qual« und »die raffinierteste Folterkammer« ist (80); auf der anderen der Idealismus von Campell, der sich mit den Plänen des Lehrers nicht abfinden kann (»Nicht mehr stehe ich mit meinem Gewissen hinter meiner Arbeit«, 77). Zum typischen Atomdramen-Motivkomplex Forschung/Verantwortung gesellen sich in Becsis Stück auch Bildfigurationen, die alles aufbieten, was das Theater gegen den nuklearen Krieg in der Ikonographie der Atombombe verarbeitet hat: vom Topos der Unvorstellbarkeit des Ausmaßes der Vernichtung (»Begreift Ihr nicht?«, fragt Bruder Thomas, »Zweihunderttausend Menschen … Nicht wahr, – das kann man sich nicht vorstellen«, 5) über schaudererregende Erzählungen (»Kinder und Frauen, Greise und Mütter […] von den Trümmern erschlagen, […] bei lebendigem Leibe verbrannt«, 6) bis zu den üblichen lexikalischen und semantischen Stereotypen der Explosion (»einem schwarzen Wolkenberg […], eine weisse Wolke doppelt so hoch […] wie ein Schwamm […], die Erde versunken […], kleine Feuerlöcher«, 43–44).149

149 Vgl. dazu weitere Wendungen und metaphorische Übertragungen, die ebenso typisch sind, wie beispielsweise die »Hitze, die den Atem nimmt« (43), Hiroshima als »Riesengrab« (44), die Bombe als »furchtbares Gesicht […] über Hiroshima« und »ungeheure Maske« (67). Aber die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

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Dies beschreibt in Kürze die Figuren- und Motivkonstellation im Spiel, dessen Handlung an sich eher dürftig ist, da es, abgesehen von der abschließenden Serie von Toden und Selbstmorden, mehr von der Thematisierung der Atomkraft als von Aktionen geprägt ist. Inhaltlich und expositorisch ist die ganze Atomfrage in einen verwickelten christlich-religiösen Diskurs eingebettet.150 Dafür eignet sich auch das örtlich und zeitlich separate Vorspiel, das als Pendant zum Nachspiel zur handlungsexternen Exposition der Thematik gehört. Es spielt in einem Franziskaner-Refektorium in Florida. Leonardo da Vincis Gemälde Das letzte Abendmahl an der Rückwand unterstreicht den apostolischen Rahmen der Szene und stellt sie unter eine eindeutig sakrifikale Chiffre. Rund um den Tisch befinden sich ein Abt und zwölf Mönche. Ein Bruder liest die Bibelstelle der vergeblichen Suche nach 40 Gerechten in Sodom und Gomorra vor. Die intertextuelle Referenz postuliert eine erste begriffliche Äquivalenz zwischen Religion und Geschichte, göttlicher Strafe und historischer Weltvernichtung durch Atombomben, biblischen Sünden und menschlicher Schuld in der Gegenwart. »Bedroht bis auf den Tod ist die Welt, – bedroht bis zum Schosse des Weibes« (4) ist die Menschheit für Bruder Thomas, der die Warnung vor der imminenten Katastrophe als Obsession einer tickenden Uhr wahrnimmt. Wie verrückt ruft er – Kriegsverwüstungen und Atombombenverheerungen auf die gleiche Ebene stellend – den anderen Mönchen zu: Eine Uhr tickt, eine ungeheure Uhr, – ein Zeitzünder bei einer Bombe… und dann, – dann kommt das Feuer aus Sodom und Gomorra, – auf London, Coventry, Rotterdam, Berlin, Dresden und München; – auf Hiroshima!!!!! […] Ich sage Euch, – die Uhr tickt, – noch tickt sie, doch wenn sie aufhört morgen, heute, in diesem Augenblick, dann ist alles zerfetzt, zerrissen, verbrannt […]. Immer lauter tickt sie, die Uhr – immer lauter… Und wisst Ihr, wann sie lauter tickt? vor der Explosion! Knapp vorher… Ganz knapp… (2, 4–5)

Am Bild dieser Atomkriegsuhr – fast einer doomsday clock, wie sie nach dem ersten Atomwaffeneinsatz in der Nachkriegszeit vom Bulletin of Atomic Scientists bekanntlich konzipiert worden war – verdeutlicht Becsi symbolisch das Risiko des kurz bevorstehenden Untergangs. Den umgekehrten Weg, vom Kloster in die Welt, nimmt deshalb Bruder Thomas, um die Menschheit davor zu retten. Vor allem möchte er aber seine Schuld als Pilot der im Spiel oft vorkommenden Boeing B 29 wiedergutmachen und ein Mittel finden, »das zweihunderttausend Menschen so schnell das Leben schenkt, wie ich sie gemordet habe« (6). In Becsis Stück heißt der Mönch Thomas Forebee, dessen Name nicht zufällig fast identisch ist mit dem des historischen Enola-Gay-Bombenschützen 150 Vgl. Emilia Fiandra: »Auferstehen müssen die Toten«. Atomare Apokalypse in Kurt Becsis »Atom vor Christus«. In: Studia austriaca XXIII (2015), S. 37–50.

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Thomas Ferebee.151 Reue, Strafbedürfnis und eine unüberhörbare Selbstbemitleidung (»und doch habe ich es getan, – mit einem Druck, – […] und niemand hat mich gerichtet! Niemand!!!«, 6); übertriebene Gesten wie das Aufschreien oder das verzweifelte und irrsinnige Lachen, Sühnungs- und Aufopferungsgefühle (»nichts musste so kommen – Nur weil wir zu feige gewesen sind, die Liebe zu bekennen. Weil wir den harten Weg des Entweder-Oder gescheut haben«, 57) sind seine Requisiten. Zur Darstellung des reuigen Piloten gehört aber bei Becsi auch eine fast transgressive Erfahrung der Gottesabwesenheit. Angesichts der ungeheuren Kriegskatastrophe bahnt sich im Spiel das zerreißende Gefühl eines gewissen religiösen Vakuums an, »die Enigmatik der Heilsordnung«, wie sie Wolf Gerhard Schmidt expliziert.152 Quälend wirken auf Bruder Thomas die Zweifel am Göttlichen, die sich in seiner Argumentation der Gottesferne nach den maßlosen, unbegreiflichen Gräueltaten auf der Erde erkennen lassen: »Er kann keine Gnade mehr geben … er schweigt« (45). Aber gerade daraus erwächst der höchst ambivalenten Figur des Mönchs zugleich auch eine verwegene Intensität im Kampf um eine neue Gerechtigkeit, jene utopische Suche nach einem Heilsplan, um derentwegen Thomas im Vorspiel die feste Absicht verkündet, sich auf den Weg nach den zehn Gerechten zu machen. Erst mit Thomas’ Vorsatz kann die Dramenhandlung wirklich einsetzen. Den damaligen Vorgesetzten, Lindsay, will Thomas in Irland aufsuchen, ihn nach seinem Gewissen befragen, zur Rechenschaft ziehen und überzeugen, dass der Geist von Assisi die einzig mögliche Lösung ist, »weil die Liebe zur Natur die Antwort auf die Atomphysik ist« (47). Doch findet er in Lindsay ein so entartetes Wesen, dass es jeden Liebessinn verleugnet und lediglich die »naturwissenschaftlichen Disziplinen. Real, exakt« vergötzt: Also »nicht Gefühl sondern Zahl, nicht Dichtung sondern Mathematik« (47), eine Dämonie der Macht, deren ›satanischen‹ Charakter Becsi amplifiziert, wie Lindsays Dialog mit seiner Frau exemplarisch zeigt: Lindsay : […] Das ist das Satanische: keiner kann los aus dem Bannkreis der Formeln, der nur einmal begonnen hat, sie zu berühren. Ein Spiegel, eine Kristallwelt ist es, die nicht den Gesetzen der Natur, nicht denen der Menschen gehorcht, sondern nur der Welt des Intellekts, der dieses Leben nicht kennt, der es hasst. Eine logische Welt, eine Welt ohne Gnade… Judith: Warum suchst du sie, diese Spiegelwelt? Lindsay : Weil ich muss… (22)

151 Übrigens nur einer der vielen Namen, die identisch (Einstein, Tibbets, Russel, Rutherford) oder leicht verändert (Enrico Termi, Openheimer, sic) in den Dialogen des Stücks auftauchen. Zum historischen Vorbild der Figur Forebees, Thomas Fereebe, vgl. Douglas Martin: Thomas Ferebee Dies at 81 (Anm. I, 136). 152 Wolf Gerhard Schmidt: Zwischen Antimoderne und Postmoderne (Anm. I, 10), S. 247.

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Dieser Besessenheit des Bösen in seiner paradoxen materialistischen Rationalität steht das Modell eines christlichen Zugangs zur Natur in ihrer ungeteilten Totalität gegenüber, das Bruder Thomas verkörpert. So prallen im Gespräch zwischen Thomas und Lindsay zwei Anschauungen aufeinander. Der Mönch beruft sich auf den Begriff einer allumfassenden Liebe und unzertrennlichen Natur, die von der Tradition analytisch-wissenschaftlichen Denkens frevelhaft gespalten wurde.153 Im Namen dieser verlorenen Einheit teilt Thomas Judiths Wunsch nach einem »Orden des Lebens« (51), der gewisse Analogien zu dem einige Jahre später (nicht zufällig auch von einer Frau, der Gattin des Physikers) in Jahnns Atomdrama Die Trümmer des Gewissens theoretisierten ›Bund der Schwachen‹ aufweist. »Ja, man müsste einen Orden gründen…« – so denkt auch Thomas – »einen Orden der grossen Liebenden! Diese müssten ausziehen, um in den Wölfen die Liebe zu wecken« (51–52). Demgegenüber bekennt sich Lindsay zu dem mehrmals im Drama evozierten Geist der Vernichtung, der in seinen Augen das Wertdefizit moderner Gesellschaftsordnungen kompensiert: »Frage doch einen Politiker, einen Militär, einen Techniker und diese drei bestimmen unsere Zeit, ob sie an die Liebe glauben. Macht und Geld, darauf schwören sie« (49). Vor dieser negativen Folie gewinnt für ihn auch die Zerstörung erhabene Größe, die Auslöschung der verachteten Menschheit gilt als ein Akt vollkommener, uneingeschränkter Freiheit, der sie aus ihrer Bedingtheit enthebt. Die Zukunft wird zur verklärten Dimension, in der sich das Nichts mit einem neuen Leben ausgleicht. Und in einem kosmisch und erotisch gefärbten Delirium sieht er in seiner »Formel des Todes« (57), im Elektronengehirn, das er konstruiert, das Potential einer kollektiven Auferstehung der Toten, darunter auch des geliebten im Koreakrieg gefallenen ersten Sohnes Austen.154 Da Lindsay unbeirrbar auf seiner berauschten Logik der apokalyptischen Vernichtung beharrt, lässt Becsi die Dramengestalten zu extremen Lösungen greifen. Einerseits in der Form eines christlichen Sozialismus, der den aufständischen Charakter nicht scheut: Es sind hier sowohl Bauern als auch La153 »Wir sind einen falschen Weg gegangen – seit der Renaissance. […] Statt uns der Natur zu nahen in Ehrfurcht, Demut, Liebe, damit sie uns ihre Geheimnisse erschliesst wie eine Geliebte ihre Reize, – haben wir sie gespalten – hinab bis zum Atom…«; »Hass in Analyse und Spaltung – kalten Intellekt… […] das ist unsere Schuld« (48, 53). 154 »Vielleicht gibt es ein Leben nach dem Tode – eine Auferstehung. Vielleicht suchen die Seelen gierig ihre Leiber […] – doch magisch, magnetisch – elektromagnetisch ziehen die Seelen alle Atome an, die sie einmal zu Leibern gebildet, – denn grosse Ordnungen sind die Seelen – System den Atomen [sic], – dasselbe Bild wie in den Sternen … Auferstehen müssen die Toten – und so müssen sie frei werden, die Atome! […] Atom um Atom zu den Seelen, zu denen sie gehören, – durch die sie bestimmt sind. Seit ewig… So wird ein neuer Himmel, eine neue Erde, – so wird Austen wieder auferstehen – wie alle Toten zu neuem Leib! Verklärt!« (67–68).

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borarbeiter, die von Thomas beziehungsweise Lindsays Sohn Robert gegen das Atomkraftwerk mobilisiert werden. Dabei findet aber auch ein eigenartiges Überstürzen der Ereignisse statt, das eine tragische ›Kettenreaktion‹ auslöst, so dass die Auffächerung von ethischen und sozialen Bezugssystemen, die das Drama im sinnlosen Krieg und in der Zerstörung durch das Atom thematisiert, sozusagen auch strukturbildend wirkt und eine Proliferation von negativen Zuständen erzeugt. Die Tochter begeht Selbstmord, als sie in dem von den Arbeitern angestifteten Brand, im flammenroten Himmel, den Beweis für das Gelingen des allerletzten Atomexperiments des Vaters zu sehen glaubt. Der sie liebende Assistent, Charles Campell, folgt ihr in den Tod nach. Ebenso extrem, wenn auch von einem mehrere kritische Situationen umfassenden Handlungsablauf gesteuert, erscheint Judiths bewusste Entscheidung, Lindsay zu erschießen. Freilich ist ihr Akt in christlicher Hinsicht fragwürdig. Doch der Autor gesteht ihr eine fast archaische Gelassenheit bei dem Gedanken an den schrecklichen Mord zu. Judith ist eine ganz und gar dramatische Gestalt und Becsi bereitet die große Geste schon in den ersten Szenen vor. Der Traum von Lindsays Frau am Stückanfang, der das Dramenende vorwegnimmt, legt eine beinahe revolutionäre Deutung der Mordtat nahe. In der Vision wird Judith wegen Mordes an ihrem Gatten vor einem »hohen Gericht« zwar angeklagt, bereut ihre Tat aber nicht. So wird der Mord auch als »Notwehr« (13) im Zeichen des Lebens legitimiert. Becsi gönnt natürlich seiner tapferen Heldin auch Zweifel, die sie im widersprüchlichen Gespräch mit dem Onkel, Bischof O’Brien, artikuliert. Vor allem gönnt er ihr eine Frage, deren neuartige Quintessenz im Text selbst ausgesprochen wird (»wie sie noch nie gestellt worden ist, doch jetzt Wirklichkeit ist«, 90): Darf ein Mensch zum Bestehen der Menschheit einen Mann töten? Die Antwort des Alten kann keine Rechtfertigung, geschweige denn eine Lösung bieten. Seine vielverzweigte Rede über eine jede Unterscheidung von Gut und Böse bestimmende Weltordnung berührt den Sinn selbst der Apokalypse als »letzte Offenbarung Gottes« (95).155 Als solche kann und darf sie für den Geistlichen nicht vermieden werden. Der Schluss, mit dem er schließlich resigniert, lässt keine Hoffnung zu: »darum ist nichts sinnvoller als dieser Untergang« (95). Was Becsi hier zu formulieren bemüht ist, ist kein isoliertes Denkphänomen in der Diskussion über den Nexus zwischen Apokalypse und Atomzeitalter am Anfang der fünfziger Jahre. Dieser christliche Relativismus, der sich hier angesichts der zunehmenden Macht der Wissenschaft kundtut und jede wenn auch negative Lebenserscheinung nur als Fügung eines göttlichen Willens betrachtet, 155 Becsis tiefe Beschäftigung mit dem Thema der Apokalypse wird auch durch seine Essayistik in prägnanter Weise dokumentiert. Vgl. Kurt Becsi: Aufmarsch zur Apokalypse: Grobe Allianz oder Dritter Weltkrieg? Wien 1971.

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ist im Gegenteil Teil einer verbreiteteren Reflexion über Religion und Untergangsparadigmen, die ein paar Jahre später ihren Zenit in der regen Debatte um Klemens Brockmöllers Christentum am Morgen des Atomzeitalters erleben sollte.156 Im Bereich des christlichen Glaubens sind es ja nicht wenige, die die atomare Apokalypse als Möglichkeit für den Anbruch des Reich[s] Gottes auf Erden ansehen, wie es Gerhard T. Buchholz bereits 1949 im Titel seines Atomdramas beschworen hatte.157 Auch bei Becsi verkündet der Bischof, visionär und ekstatisch, einen Aufbruch aus dem Untergang (»noch nie sind wir dem ersten Schöpfungstag so nah gestanden«, 97). Judith bekämpft aber diese mystische Koinzidenz von Nichts und Wiedergeburt und widersetzt sich dem nihilistischen Drang nach Auferstehung durch Zerstörung, dem ihr Mann Lindsay blind gehorcht. Als sie ihn in einer von Sinnlichkeit durchtränkten Szene tötet – einer Szene, die nach Aussage von Lindsay selbst »zu kitschig« ist, als dass ein Autor »wagen« wird, »sie zu schreiben« (128) –, ruft sie Gottesgnade an und fordert vor ihrem unvermeidlichen Suizid Verzeihung. Der Kreis schließt sich und Becsi greift auf die Traumvision zurück. Judith wendet sich an den Zuschauer und spricht sich auch hier von jeder Schuld frei, indem sie die drückende Last des Verbrechens als unentrinnbare Last zum Wohl der Menschheit zu tragen erklärt. Aber auch damit ist der Zerstörung noch kein Ende gesetzt. Die ›kitschige‹ Liebes- und Mordszene steigert sich nämlich bis zum höhnischen Umkippen ins Zynische. Das Drama schließt defätistisch ab: Die vorläufige Abwendung des Unheils durch den Mord wird von der Entdeckung desselben in einem anderen Erdteil zunichtegemacht. Lindsays realistische Voraussage über den unpersönlichen Charakter wissenschaftlicher Erfindungen hat sich bewahrheitet (»Hätten wir sie nicht erfunden, – so wäre es ein anderer gewesen«, 55), der Weltuntergang ist nur aufgeschoben. Bei dieser letzten, verblüffenden Relativierung der Problematik – noch ein jäher Perspektivenwechsel im Stück – überlässt Becsi Bruder Thomas, einem der wenigen Überlebenden, das Schlusswort im Nachspiel im Kloster. Seiner These der Fehlentwicklung der westlichen Kultur nach der Renaissance folgend, urteilt Thomas über das Schicksal der Menschheit und bestätigt, dass »ein anderes Gesetz« (133) in der Welt wirksam sei als die reine Vernunft. Trotz oder auch gerade bei der Verzweiflung des entsetzlichen Epilogs versucht der Dramenschluss, dem Menschen einen kleinen Trost zu spenden und neben dem tragischen Warnungsgefühl, das den Inhalt des Dramas ausmacht, zumindest den Funken eines Auswegs zu entzünden. So lässt der Dichter den Klosterabt erklären, dass die Erde um der vielen Gerechten willen bestehen wird, die »ohne Schuld verbrennen und vergehen« (138). Dem Zuschauer bleibt es vorbehalten, über den versöhnlichen Ausgang im Kloster hinaus weiterzu156 Klemens Brockmöller : Christentum am Morgen des Atomzeitalters (Anm. I, 50). 157 S. Teil II, Abschnitt 11.

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denken und hinter dem christlichen Glauben das ferne Licht einer immer noch vorhandenen Zukunft oder das Anzeichen für ein prolongiertes Ende zu entdecken. Kurt Becsi: Aufmarsch zur Apokalypse: Grobe Allianz oder Dritter Weltkrieg? Wien 1971. Ders.: Atom vor Christus. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1952. Ders.: Theater der dreifachen Revolution. Versuch einer Selbstinterpretation. In: Österreich in Geschichte und Literatur 14 (1970), H. 6, S. 294–308. Wilhelm Bortenschlager : Kurt Becsi: Dramatiker einer neuen Weltsicht. Innsbruck 1981. Emilia Fiandra: »Auferstehen müssen die Toten«. Atomare Apokalypse in Kurt Becsis »Atom vor Christus«. In: Studia austriaca XXIII (2015), S. 37–50. Heinz Geiger : Widerstand und Mitschuld. Zum deutschen Drama von Brecht bis Weiss. Düsseldorf 1973, S. 68–96. Joseph Gregor : Atom vor Christus (Kurt Becsi). In: Ders.: Der Schauspielführer. Bd. 7. Stuttgart 1957, S. 71–74. Harald Zusanek: Dramatiker einer Generation. Stücke von Harald Zusanek, Kurt Klinger, Helmut Schwarz und Kurt Becsi. Innsbruck 1982.

26.

Julius Hay: Energie (1952)

Autor : Gyula (Julius) Hay (1900–1975) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 25. Februar 1952, Katona Jjzsef Sz&nh#z Budapest; 4. März 1953, Maxim Gorki Theater Berlin Ort: Budapest, Kalifornien und Paris Zeit: 1948–1950

Die Energie-Aufführung im Ostberliner Maxim Gorki Theater fiel in den imposanten zeremoniellen Rahmen der Trauerfeiern, die die SED nach Stalins schwerem Schlaganfall vom 3. März 1953 veranstaltete. Angesichts des nunmehr für imminent gehaltenen Todesereignisses wurden alle geistigen Kräfte des demokratischen Landes mobilisiert. Dem Andenken des großen Genossen Stalin zu Ehren boten die wichtigsten Berliner Bühnen am Vorabend der Beisetzung ›exemplarische‹ Werke: Neben Beethovens Fidelio, Brechts Jeanne d’Arc und Frau Carrar und Schillers Fiesko wurde auch Hays Energie gespielt.158 Der zweisprachige Ungar Gyula H#y, der sich in seinem Moskauer Exil zu einem eisernen Stalinisten gewandelt hatte, galt Anfang der fünfziger Jahre als einer der einflussreichsten Repräsentanten des sozialistischen Establishments, wenn auch nicht immer als einer der geschätztesten. Mit Brecht war es gar zu 158 Vgl. Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966 (Anm. I, 10), S. 453–454.

Julius Hay: Energie (1952)

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heftigen Auseinandersetzungen theoretisch-ideologischer Natur gekommen.159 Dem Brechtkreis, mit dem »nicht nur der parteilose Brecht, sondern auch die Parteigenossin Helene Weigel« gemeint waren, hatte Hay schon 1936 »mieseste[n] Defaitismus und Liquidatorentum« vorgeworfen;160 seinerseits beschuldigte ihn Brecht, ein ›Murxist‹ zu sein, der zur Nomenklatura gehöre,161 ein Vertreter jener mächtigen »Moskauer Clique«,162 die sich anmaße, die kulturpolitischen Direktiven für die deutsche Intelligenzija vorzuzeichnen. Brecht konnte allerdings nicht erleben, wie sich Hay nach seiner Rückkehr in die eigene Heimat dort immer unbeliebter machte, 1956 mit der Aufstandsbewegung sympathisierte und deshalb bis 1960 auch inhaftiert blieb. Nach den Gefängnisjahren verschlechterten sich Hays Beziehungen zur Regierung in Budapest zusehends, so dass er 1965 beschloss, in die Schweiz zu emigrieren, wo er bis zu seinem Tod lebte. Das dreiaktige Schauspiel Energie entstand 1951, also zu einer Zeit, die literarisch noch völlig im Zeichen der SED-Beschlüsse auf der 5. Plenartagung des ZK vom 15.–17. März stand. Kulturelle Ablehnung gegenüber jeder Art Amerikanismus, Aufbauthematiken innerhalb der gewünschten Erfüllung des Fünfjahrplans, Friedensdramatik gegen imperialistische Kriegspolitik wurden auch für Hay zu Hauptaufgaben der Kunst.163 Dazu kamen das intensive Interesse am spezifischen Thema der Verantwortung der Atomwissenschaft in der sozialistischen Gesellschaft, das übrigens schon mehrere ungarische Dramatiker erfasst hatte,164 und die weltweit wichtiger werdenden Massenaktionen für die Verteidigung des Friedens, die auch in der Energie-Handlung deutliche Spuren hinterlassen. Durch all dies angeregt, verfasste Hay sein Atomstück zunächst auf

159 Hay selbst berichtet darüber in der 1971 erschienenen Autobiographie Geboren 1900, Reinbek bei Hamburg 1971, besonders S. 129–134. Von einer wahren »Brecht-Gegnerschaft« spricht auch J#nos Szabj in der bis heute einzigen deutschsprachigen Monographie über Hay : Der »Vollkommene Macher« Julius Hay. Ein Dramatiker im Bann der Geschichte. München 1992, S. 38 (über das schwierige Verhältnis zwischen den beiden und Luk#cs’ Beteiligung an der Kontroverse s. vor allem das Kapitel 4: Im Moskauer Exil: 1933–1945, besonders S. 36–63). 160 Georg Luk#cs, Johannes R. Becher, Friedrich Wolf u. a.: Die Säuberung – Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung. Hrsg. von Reinhard Müller. Reinbek bei Hamburg 1991, S. 430. 161 Vgl. Werner Hecht: Brechts Leben in schwierigen Zeiten: Geschichten. Frankfurt a. M. 2007, S. 114. 162 Bertolt Brecht: Journale I. In: GBA (Anm. I, 199), Bd. 26, S. 438. 163 Vgl. Helmut Peitsch: Vorbilder, Verräter und andere Intellektuelle (Anm. I, 7), S. 98–99. 164 J#nos Szabj nennt hier mindestens drei Autoren, die sich zur gleichen Zeit damit beschäftigten: P8ter Sz#sz: K8t tal#lkoz#s [Zwei Begegnungen], Mikljs Gy#rf#s: Hu˝s8g [Treue], L#szlj Tabi: K#rtyav#r [Kartenburg]. Vgl. J#nos Szabj: Der »Vollkommene Macher« Julius Hay (Anm. II, 159), S. 110.

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Ungarisch für die Budapester Aufführung von 1952165 und, ein Jahr später, auf Deutsch für die Darstellung im Haus der Kultur der Sowjetunion in Berlin. Das Drama war sehr erfolgreich, wurde fast gleichzeitig ins Russische, Chinesische und Italienische übersetzt und am 6. Juli 1954 als Hörspiel vom Deutschlandsender, dem Hauptsender der DDR, ausgestrahlt. Die Premiere im Maxim Gorki Theater, unter der gelungenen Regie von Otto Lang, nahm das Publikum begeistert auf. Das SED-Zentralorgan Neues Deutschland bejubelte das Schauspiel als überzeugendes Manifest der »Atomkraft für den Friedenskampf«.166 Mit einem fast ähnlichen Titel erschien auch die lobende Kritik der Tageszeitung.167 Insgesamt fanden die Brisanz der Thematik, die gegenwartsbezogene Handlung – sie spielt zwischen 1948 und 1950 –, die antiimperialistische und stark antiamerikanische Tendenz der ideologischen Perspektive allgemeine Anerkennung in der zeitgenössischen ostdeutschen Presse. Auch die Rezension in Theater der Zeit, das zu den wichtigsten Fachpublikationen im Theaterbereich der DDRLiteratur zählte, fällt überwiegend positiv aus. Rühmend unterstreicht Lily Leder, Stephan Hermlins zweite Ehefrau, die Gesamtproblematik des Stücks, die »echt und tief ist« und »uns mitten in unseren augenblicklichen Auseinandersetzungen mit unseren Wissenschaftlern«168 trifft. Doch äußert sie sich vorsichtig kritisch zu den Schwächen des Textes, die eine weitere Rezeption des Werks verhindern könnten. Vor allem kritisiert sie eine wenig realistische Ausführung des dramatischen Konflikts und eine blasse Schilderung von Schlüsselfiguren, wie dem ungarischen Gelehrten Buda, »der sich selbst noch nicht ganz klar über die Rolle der Wissenschaft in einem neuen sozialistischen Staat ist«.169 Hays Energie ist ein vorwiegend argumentatives Stück. Trotz des Wechsels der Ortsebenen, die in drei verschiedenen Szenarien angesiedelt sind, geschieht kaum etwas im Drama. Entsprechend der Orientierung der Kulturdiskussion im 5. ZK-Plenum der SED artikuliert Hay das Stück als Austragungsort der politischen Debatte, als diskursive Plattform: Gegen »die amerikanische Kultur-

165 Gyula H#y : Erj. In: Csillag 12 (1951), S. 1491–1506. Hay schrieb außerdem sogar eine gekürzte Fassung, den Einakter In der Mördergrube (Gyilkosok tanyäjän. Budapest 1953), der in den USA spielt. Allerdings ist davon keine Aufführung nachgewiesen. Vgl. J#nos Szabj: Der »Vollkommene Macher« Julius Hay (Anm. II, 159), S. 115. 166 So der Titel des Artikels von Horst Knietzsch: Atomkraft für den Friedenskampf. In: Neues Deutschland, 31. März 1953, S. 4. Vgl. auch Wolfgang Heise: »Energie« im Maxim-GorkiTheater, Berlin. In: Tägliche Rundschau 76 (1953), S. 4. 167 Hans Ulrich Eylau: Atomkraft für den Frieden. Julius Hays Schauspiel »Energie« im MaximGorki-Theater. In: Berliner Zeitung, 19. März 1953, S. 3. 168 Lily Leder : »Energie« von Julius Hay am Maxim Gorki Theater. In: Theater der Zeit (1953), H. 4, S. 53. 169 Ebd., S. 54.

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barbarei«,170 die mit Kriegstreiberei gleichgesetzt wird, und für die Sowjetunion, die als Garantie für Frieden und gesunde Menschlichkeit gilt. Überdeutlich sollte auch der historische Zusammenhang sein, »die Geschichte«, die »den Globus in zwei Teile geteilt«171 hat. Als Sinnbild des bilateralen Konflikts fungieren gegensätzliche Auffassungen von Wissenschaft und Berufung, die sich in der Auseinandersetzung zwischen zwei Physikerfiguren konkretisieren: dem Nobelpreisträger Pereszl8nyi und dem jüngeren Professor Bakonyi. Beide haben eine revolutionäre Wasserstoff-Helium-Konzeption entdeckt, die das Schicksal der Menschheit verändern würde. Während aber der Erstere die Anpassung an die falschen Chimären des amerikanischen Traums und einen eitlen Kosmopolitismus belegt, der sich in der Tat von Ruhm, Macht und Vermögen allzu gern lenken lässt, gerät der Letztere zur Verkörperung der menschenwürdigeren Ideale von Treue und Verantwortung. Bakonyi besitzt die dramatische Qualität des positiven Helden schlechthin, entspricht in allem dem Menschenbild des guten Sozialismus, ist ein ehrlicher Wissenschaftler, der nur bestrebt ist, zum Wohle des Menschen zu forschen. Lediglich aus naivem Vertrauen in die Redlichkeit der Agenten verlässt er das geliebte Ungarn, um zusammen mit seinem weltberühmten Lehrer Pereszl8nyi in den USA über mehr Forschungschancen verfügen zu können. Dort erhofft er sich besser ausgestattete Labore zur Fortsetzung der gemeinsamen Arbeiten über neue Formen der Energiegewinnung. Das bedeutet für ihn die »Herstellung von Atomenergie für zivile, wirtschaftliche Zwecke« (37). Von der imperialistischen Falschheit enttäuscht und in seinem Glauben an eine ethisch höhere Wissenschaft im Dienst des Friedens gestärkt, kann Bakonyi aber dann getrost in seine sozialistische Heimat zurückkehren. Diese dünne Handlung ist auf drei Schauplätze verteilt, die in den drei Akten des Spiels aufeinanderfolgen: das Universitätslaboratorium in Budapest, eine luxuriöse kalifornische Villa und ein Hotel in Paris. Die ersten Sätze lassen aber schon ahnen, worauf es hinausläuft: Etwas Besorgniserregendes liegt in der Luft, durch Signale großer Spannung und Unruhe angekündigt, wie der Titel des Buches, das sich Bakonyi ausgeliehen hat: Der Atomkrieg. »Du bist seit Tagen voll Aufregung«, sagt ihm bekümmert Pereszl8nyis Gattin Judith, »findest nirgends deine Ruh. Sogar unter den Büchern wählst du eins, das dich womöglich am meisten beunruhigt: ›Der Atomkrieg‹« (4). Im Laboratorium findet gerade ein Experiment statt, dem angesehene Journalisten beiwohnen. Dabei lautet Bakonyis Frage: »Wie kann die bei der Umwandlung des Wasserstoffs in Helium freiwerdende Unmenge von Energie gezügelt, gezähmt, gelenkt und rationalisiert werden?«. Auf die Wozu-Ergänzung einer Journalistin antwortet er selbst 170 Zit. nach Klaus Jarmatz, Christel Berger, Renate Drenkow (Hrsg.): Kritik in der Zeit. Literaturkritik der DDR 1945–1975. Bd. 1. Halle, Leipzig 1978, S. 152. 171 Julius Hay : Energie (Anm. I, 148), S. 67.

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mit klaren Worten: »Um sie dem Menschen dienstbar zu machen – damit sie für den Menschen arbeitet« (16). Dadurch nimmt die Szene alle thematischen Koordinaten des Geschehens vorweg. Gleich werden die Reise zum Genfer Kongress geplant, um der Weltgemeinde der Physiker die neuen Entdeckungen vorzulegen, und die Entscheidung des Budapester Teams bekanntgegeben, aus Ungarn wegzufahren, um dorthin zu gehen, wo die technisch besten Voraussetzungen für ihre Arbeit zu finden sind: nach Amerika. Unbestrittenes Ziel ist es, die Geheimnisse der Atomenergie zu ergründen, jedoch »nicht, um weitere Mittel zum Zerstören zu schaffen sondern um das Leben der Menschheit zu verbessern« (20). Es nützt hier nichts, dass Mikljs Buda, ranghoher Funktionär des ungarischen Außenministeriums, mit weitblickender Skepsis versucht, Bakonyi nicht nur von dem Umzugsplan in die USA abzubringen, sondern ihn auch von seinem gefährlichen Wissenschaftsidealismus zu heilen: »Ich möchte Dir eine große Enttäuschung ersparen. Die Resultate der Wissenschaft können das Verschiedenste bedeuten, je nachdem, wann und wo sie entstehen, im Dienste welcher Kräfte sie zur Welt kommen. Die Quelle deiner Kraft ist dein Vaterland: daß du freier Bürger eines Landes bist« (21). Die vorausgesehene Enttäuschung bleibt nicht aus, freilich auch nicht ihre lehrreiche Wirkung. Alles kommt im zweiten Akt, dem eigentlichen Kern der Handlung, deutlich zum Ausdruck. Nicht zufällig ist die Kurzfassung des Schauspiels – der nie aufgeführte Einakter In der Mördergrube – nur darauf beschränkt.172 Die Protagonisten befinden sich nun seit zwei Jahren in Kalifornien. Auffallend ist hier, wie Hay bemüht ist, im amerikanischen Denken eine Kopplung von Antibolschewismus und aggressiver Machtpolitik zu entlarven. So der Kapitalist Morton zu den außenpolitischen Strategien bei interstaatlichen Verhältnissen: Wir wollen den industriell zurückgebliebenen Ländern, den unselbständigen Völkern geben, jedem nach Verdienst. Sie sollen die Hände nach neuen, gefährlichen Energiequellen niemals ausstrecken. Und die Roten sollen sich nicht erfrechen, sie zu so was aufzuhetzen. Moskau wird zu Schutt und Asche werden, wenn es an etwas Ähnliches überhaupt zu denken wagt. (58)

Fast alle in den Mund von Amerikanern gelegten antisowjetischen Worte zeugen von dem im Denkarsenal der sozialistischen Schriftsteller aufkommenden Prozess der ›Faschisierung‹ der Vereinigten Staaten, die als antidemokratisch tout court angesehen werden. Der Abwurf der ersten Bombe über Hiroshima wird hier als Ausgangspunkt der im Stück aufgeworfenen Fragen in die Dialoge einbezogen und als Anzeichen eines historischen Überwältigungsakts aufge172 Vgl. J#nos Szabj: Der »Vollkommene Macher« Julius Hay (Anm. II, 159), S. 113, und Anm. II, 165.

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fasst, so dass die Überzeugung des militärisch unnötigen Atombombeneinsatzes das Amerika-Feindbild noch stärker untermauern kann. Auch der Pole Stanislaw Grib, der sich in die große Schar der reuigen Physiker einreiht, die in Konflikt mit ihrem Gewissen geraten, versteht das neue Amerika als totalitären Staat. In dem folgenden Rückblick, in dem er ein Resümee der amerikanischen politischen und militärischen Strategie zu ziehen versucht, fungiert der Begriff Faschismus als semantischer Hauptkern des Feindbildes: Ich habe eine große Schuld zu begleichen. Sie wissen alle, daß ich auf der Flucht vor den Faschisten mein Vaterland verließ. Amerika nahm mich auf und gab mir Gelegenheit, mein Wissen der Vernichtung des Faschismus zu widmen. Ich durfte an jener großen Arbeit teilnehmen […], deren Endresultat die Atombombe war… […] Bravo sagte auch der größte Teil der Menschheit, als, infolge unserer Arbeit, während weniger Minuten in Nagasaki vierzigtausend und in Hiroshima achtzigtausend Japaner starben. Ich aber habe seitdem diesen Augenblick verflucht. […] Ich erfuhr nämlich […], dass man unsere Bomben nicht gegen den Faschismus abgeworfen hatte. Der japanische Faschismus war damals schon unrettbar vernichtet. Den Atomtod der hundertzwanzigtausend Japaner brauchte man nur als Feuerwerk zu einer fürchterlichen Gaukelei. Die Herren des japanischen Kaiserreichs durften die Waffen nur so strecken, daß anstelle des gestürzten japanischen Faschismus sich der neue amerikanische Faschismus breitmachen konnte. Dazu mußte unsere Wissenschaft herhalten! (73)

Das Land der unendlichen Möglichkeiten, das ›gelobte Land‹, wie es auch Paul Dessau in seinem Einstein-Fragment nannte,173 strotzt also für Hay vor schroffen Kontrasten, die er variiert im Text aufscheinen lässt. Das Gefühl einer scheinbar unbegrenzten Freiheit stößt auf die wiederholten Drohungen, denen sich die Wissenschaftler ausgesetzt sehen und auf die sie unterschiedlich reagieren. Im 21-Zimmer-Haus Pereszl8nyis stehen die brillante Laufbahn des Professors, sein finanzieller Aufstieg und der zur Schau getragene Luxus dem Physiker Bakonyi mehr als je zuvor fern. Bakonyis Edelsinn und Hingabe wollen nichts mit Geldinteressen zu tun haben. Er unterwirft sich nicht den Forderungen der Regierung, die ihn deshalb ins Visier nimmt. Man geht so weit, Bakonyi den ungarischen Pass zu entziehen, damit er nicht »von den Roten am Gängelband geführt wird« (56), und man lässt ihn schließlich zum Pariser Symposion nur mit dem erpressten Versprechen fahren, dass er dort die Thesen des französischen Physikers Meunier (als dessen Vorbild Fr8d8ric Joliot-Curie dient) öffentlich dementieren wird. Doch auf dem Kongress weigert sich Bakonyi, Meunier zu widerlegen, der die Unbegründetheit der Theorien Bakonyis und Pereszl8nyis illustriert und für eine friedliche Verwendung der Atomenergie plädiert.

173 S. Teil II, Abschnitt 80.

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In den Pariser Szenen hallen Demonstrantenrufe (»Paris will Frieden und Freiheit«, 59). Sie sollen an die einzige Aufgabe der Wissenschaft mahnen. Nur ihnen folgt eben der gerechte Meunier, der als Wissenschaftler behauptet, dem ausschließlichen Bedürfnis des Volkes nach Frieden Rechenschaft zu schulden. Von den Amerikanern ebenso wie Joliot-Curie mit dem Ausschluss aus der Atomkommission bedroht, appelliert der Franzose auf dem Weltkongress an die sowjetische Wissenschaft (»Mir hilft der Stärkste«) als »die fortschrittlichste Wissenschaft der Welt« (72). Bakonyi, der ohne Zögern für ihn Partei nimmt und sich dadurch endgültig von Pereszl8nyi trennt, entschließt sich dazu, in seine Heimat zurückzukehren. Dort wird er die Leitung des Forschungsinstituts übernehmen, des »große[n] neue[n] Institut[s]«, das »im vierten Jahr des Fünfjahrplanes erbaut« (65) wird. Mit neu gewonnener ›Energie‹, in solidarischer Umarmung mit allen Pazifisten, kann er sich nun in den letzten Sätzen zur Rettung der Welt bekennen: »Der Mensch wird gerettet. Wir… (weist auf die Demonstranten) … und sie zusammen … retten ihn. Wir haben dazu die Kraft…« (76). Hans Ulrich Eylau: Atomkraft für den Frieden. Julius Hays Schauspiel »Energie« im Maxim-Gorki-Theater. In: Berliner Zeitung, 19. März 1953, S. 3. Pva H#y : Auf beiden Seiten der Barrikade. Leipzig 1994. Gyula H#y : Erj [Energie]. In: Csillag 12 (1951), S. 1491–1506. Ders.: Gyilkosok tanyäjän [In der Mördergrube]. Budapest 1953. Julius Hay : Energie. Schauspiel in drei Akten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1952. Ders.: Die Rolle der Wahrheit in der Lebensgestaltung des Schriftstellers. In: Heinz-Joachim Heydorn (Hrsg.): Wache im Niemandsland. Zum 70. Geburtstag von Alfred Kantorowicz. Köln 1969, S. 113–115. Ders.: Geboren 1900, Reinbek bei Hamburg 1971. Wolfgang Heise: »Energie« im Maxim-Gorki-Theater, Berlin. In: Tägliche Rundschau, 31. März 1953, S. 4. Horst Knietzsch: Atomkraft für den Friedenskampf. Zur Aufführung des Schauspiels »Energie« von Julius Hay im Maxim-Gorki-Theater. In: Neues Deutschland, 31. März 1953, S. 4. Lily Leder : »Energie« von Julius Hay am Maxim Gorki Theater, Berlin. In: Theater der Zeit (1953), H. 4, S. 53–56. P. R. Skil: »Energie« von Julius Hay. In: Die Neue Gesellschaft 6 (1953), S. 469–471. J#nos Szabj: Der »Vollkommene Macher« Julius Hay. Ein Dramatiker im Bann der Geschichte. München 1992. Herbert Wehner : Über Julius Hay : Geboren 1900. Wo die Kesselpauken stehen. In: Der Spiegel, 17. Mai 1971, S. 164–165.

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Autor : Alfred Andersch (1914–1980) Darbietungsform: Feature Erstsendung: Position 1951: 31. Dezember 1951, Hessischer Rundfunk; Menschen im Niemandsland: 3. Juni 1952, NWDR Hamburg Ort: Berlin, Amerika, Korea Zeit: Gegenwart

1952 arbeitete Alfred Andersch, der die Feature-Reihe für den Hessischen Rundfunk verantwortete, das am Silvestertag 1951 gesendete Hörspiel Position 1951 um. Aus der ursprünglich als Jahresrückblick vorgelegten Sendung wurde nun die vom NWDR produzierte Fassung von Menschen im Niemandsland, die am 3. Juni 1952 ausgestrahlt wurde und im NDR-Archiv als ›Feature‹ katalogisiert ist. Unter diesem umstrittenen Begriff verstand Andersch selbst eine transversal aufgebaute, gegenwartsorientierte Reportage, die sich durch eine dynamische Montage auszeichnet.174 In Menschen im Niemandsland montiert er heterogenes Material, wie Meldungen, Tagebuchzitate, musikalische Einblendungen, und reiht einzelne Szenen assoziativ aneinander. Vor dem Hintergrund des Eisernen Vorhangs – durch die akustische Metapher der herunterrasselnden Rollläden versinnbildlicht – behandelt Andersch fünf aktuelle Themenkomplexe, die vorwiegend um Atombombe und Kalten Krieg kreisen. Das Gefühl einer allgegenwärtigen Furcht ist mit ihren vielen Implikationen darin hineinverwoben. Wie eine Sprecherstimme nämlich erklärt, »so wird es klar, wer den Eisernen Vorhang erfunden hat: Die Furcht ist es gewesen. Überall, wo die Furcht herrscht, rasseln eiserne Rolläden herunter«.175 Das Risiko eines atomaren Weltkriegs und die dadurch entstehende Verunsicherung aktivieren tiefliegende Ängste, die ideologische Konflikte eskalieren lassen. Aus dieser Perspektive treten der Koreakrieg, der übersteigerte Antikommunismus, die Suez-Krise, die kolonialistische Aufteilung, die Grenze zwischen Ost und West als Vergegenwärtigung des Zwiespalts der Welt in den Mittelpunkt der Szenen. 174 Andersch beschreibt 1953 das Feature wie folgt: »Niemals aber ist das Feature die Reportage oder Dichtung selbst, so wenig, wie ein Sonett schon Gedicht ist. Es bedeutet vielmehr die Herrichtung einer Reportage oder Dichtung, das ›making‹, die Übertragung, das InForm-Bringen eines Inhalts, das Machen einer Spezialität, es ist in der Praxis eine MontageKunst par excellence«. In: Alfred Andersch: Gesammelte Werke in zehn Bänden: kommentierte Ausgabe. Hrsg. von Dieter Lamping. Zürich 2004. Bd. 8, S. 351. 175 Alfred Andersch: Menschen im Niemandsland. Ein Rückblick (Anm. I, 215), S. 25. Die hier kursiv gedruckten Stellen sind im Manuskript entweder gesperrt oder unterstrichen. Die Aufnahme befindet sich im Hörfunkarchiv NDR Hamburg unter der Archivnummer F827147 als Audiofile.

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Mit dem kompositorischen Prinzip des Werks wird der Hörer schon in der Rahmenhandlung unvermittelt konfrontiert: »Sie werden eine Reihe von Szenen hören, in denen versucht wurde, festzustellen, wo eigentlich der Mensch sich in der Zeit befindet« (1). Zugleich wird er aber an den Titel direkt erinnert, indem er als Mensch »im Niemandsland unserer Zeit« angesprochen wird, wo es an Anhaltspunkten und Orientierung fehlt. Doch oder gerade deshalb widerlegt der kühne Aufbau des Hörspiels den anfänglich behaupteten Mangel an Stützpunkten. In Menschen im Niemandsland beruht das formale Gerüst auf einer äußerst präzisen Kombination von Dialogen, Nachrichteneinblendungen, Auszügen aus dem Tagebuch des 1951 verstorbenen Andr8 Gide sowie Musikstücken des ebenfalls 1951 gestorbenen Schönberg. Als privilegiertes Medium verwendet aber der Autor vor allem illustrierte Berichterstattungen des Magazins Life. Auf diese Primärquelle geht Christian Gerlinger in seiner detaillierten Analyse von Schnabels und Anderschs Hörspielen besonders ausführlich ein und zeigt auf überzeugende Weise, wie sich aus den Life-Bildern und -Berichten heraus alle fünf Szenen des Hörspiels entwickeln.176 In dem schon erwähnten Rahmen bildet der in der Welt latente Kriegszustand die Folie zur Beschreibung jener aggressiven Rüstungspolitik, die durch eine Meldung über die beträchtlichen Unkosten bei dem »Rüstungsvorhaben und […] Zivilverteidigungsprogramm der Vereinigten Staaten« (1) angekündigt wird. Infolgedessen berühren zwei Sprecherstimmen gleich das Problem der Atomversuche in Nevada, deren Gefährlichkeit man erst zu ahnen begann,177 und erwähnen dabei den Bericht von Gladwin Hill in The New York Times. Wichtiger noch als diese journalistische Anregung ist aber – wie Gerlinger schreibt – das in Life erschienene Foto eines durch die nächtliche Explosion zerbrochenen Drugstore-Schaufensters in Las Vegas, von dem Andersch sogar den Namen des Besitzers, Jerry Davis, übernimmt. Ebenso getreu versucht das Feature den atmosphärischen Kontext im Gespräch wiederzugeben, das sich zwischen dem Ladenbesitzer, seiner Frau und einem Nachbarn entspinnt. In unserer Perspektive ist es wichtig, wie hier Andersch fundamentale Problematiken der frühen Phase des öffentlichen Atomdiskurses anschneidet – die Verquickung von Furcht und Faszination (»Es war doch herrlich gestern Nacht, das Licht!«, 3), die Inkaufnahme von Opfern und Sachschäden im Namen des technischen Fortschritts, das Testen von Atomwaffen im Dienst des höheren 176 Vgl. Christian Gerlinger: Die Zeithörspiele von Ernst Schnabel und Alfred Andersch (1947–1952). Von der Aufhellung der Aktualität zu ihrer dichterischen Durchdringung. Berlin 2012, dem ich zahlreiche wichtige Aufschlüsse verdanke. 177 Wie Carole Gallagher überzeugend nachweist, waren zur damaligen Zeit die Informationen über die physischen Auswirkungen noch sehr spärlich. Die von den frühen Nukleartests in Nevada verursachten Langzeitschäden wurden von der amerikanischen Regierung lange geheim gehalten. S. dazu Carole Gallagher : American Ground Zero (Anm. I, 24).

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Zwecks der Staatssicherheit (»Meine Scheibe ist kaputtgegangen, damit Millionen Scheiben in den USA ganz bleiben«, 3). Der Themenkomplex ›Experimentieren‹ stellt überhaupt den Schwerpunkt der ganzen Szene dar, die durch den darin eingeschobenen Einstein-Ausschnitt ergänzt wird. In genauer Anknüpfung an das Life-Foto von Einstein mit Elektroden am Kopf – um die Messbarkeit der Gehirntätigkeit seines Genies bestimmen zu können – antizipiert hier Andersch die aufkommende Mythisierung von Einsteins Gehirn, die Roland Barthes nur wenige Jahre später in seinem berühmten Essay Einsteins Gehirn als instrumentalisierte Sakralisierung der Zerebralsubstanz Einsteins entziffern sollte.178 Andersch’ Einstein-Szene umreißt und enthüllt den tiefen Nexus Technik/Furcht. »Experimente in der höchsten Bewusstseins-Sphäre des Menschen mischen sich mit der dumpfen Furcht der Millionen« (4), kommentiert von außen ein Sprecher, während der fingierte Dialog zwischen dem Physiker und dem Experimentator, Dr. Newman, die übliche Frage nach der politischen Verantwortung der Wissenschaft thematisiert. Einstein: Ich wollte, mein Gehirn funktioniert leider nicht so hübsch, wie Sie sich das vorstellen. Eben hat es gar keine Antwort gegeben. Newman: Worauf haben Sie sich dann konzentriert, Professor? Einstein: Auf ein politisches Problem leider. Newman: Schade. Meine Karte hätte vielleicht ganz andere Ergebnisse registriert, wenn Sie wissenschaftlich gearbeitet hätten. Einstein: (lachend) Sie finden, dass ich mich für die Politik nicht recht eigne? Newman: Sie sind Wissenschaftler, Professor Einstein! Das ist Ihre Spezialität. Einstein: Meine Wissenschaft hat leider sehr viel mit der Politik zu tun. Sie hätten nicht von Atomforschung sprechen sollen. Wenn ich dieses Wort höre, frage ich mich sofort, wozu ich Atomforschung betreibe. Nur, damit sich die Forschung in der Vernichtung realisiert? Das ist eine politische Frage, mein Lieber. Newman: Vielleicht wäre es richtiger, die Antwort darauf den Politikern zu überlassen? Einstein: Das kann ich nicht, Doktor. Das lassen meine Nerven nicht zu […]. (5–6)

Nach dem Nevada-Einstein-Komplex lässt auch die folgende Szene eine analoge Doppelgliederung in zwei Hauptkerne erkennen, die dem aufgeheizten Klima der frühen fünfziger Jahre Ausdruck geben, nämlich den Koreakrieg und die antikommunistische Haltung des Westens. Im Feldlager in Korea unterhalten sich ein schottischer und ein englischer Soldat – beim »geheiligte[n]« (8), ebenfalls durch ein Life-Foto belegten Ritual des Fünf-Uhr-Tees – über den Sinn ihres dortigen Kampfes gegen die ›Roten‹: »Sie ham uns hierher geschickt, weil die Roten ausprobieren wollten, was passiert, wenn sie Ernst machen. Na, und nun ham wir ihnen gezeigt, was passiert« (10), so die Einstellung des Engländers. 178 Vgl. Roland Barthes: Einsteins Gehirn (1957). In: Ders.: Mythen des Alltags. Übers. von Helmut Scheffel. Frankfurt a. M. 1964, S. 24–26.

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Im Bewusstsein des strengen Zweikampfs der Weltmächte, »zerrieben zwischen den Weltbeglückern und den Kreuzzüglern« (12), kritisieren sie aber beide die engstirnige Sichtweise der zwei Fronten, denn »für beide Seiten ist der Gegner ein Verbrecher« (12). Die sture Gegnerschaft zu den Russen, die sich in der konservativen Haltung militärischer Führungsschichten in den USA als fanatisches Feindbild ausdrückt, wird von den Soldaten anhand eines Senatsberichtes diskutiert. Im Hörspiel sind es die Senatoren Fulbright und McArthur selbst, die als Sprecherfiguren über die Idee des Kommunismus debattieren und ihn an den Begriff der Sünde schlechthin assimilieren. Fulbright: […] Sie können den Kommunismus nicht mit Kanonen bekämpfen. Der Kommunismus ist eine Form der Sünde.179 Gegen die Sünde sind wir uns alle einig – aber Sie können sie nicht mit sichtbaren Dingen bekämpfen. McArthur : Irrtum, Senator : Die Sünde kann man mit ganz handgreiflichen Mitteln bekämpfen, und deshalb kämpfen wir gegen den Kommunismus mit der Waffe in der Hand. (12)

An diese unüberbrückbaren politischen Gegensätze lässt sich die globale Konfliktsituation anschließen, die in der dritten Szene am Beispiel Asiens expliziert wird. Als Vermittler zwischen den verschiedenen Ebenen fungiert hier der LifeJournalist Harrer, der nicht nur bei der Dalai-Lama-Flucht aus Tibet anwesend war, sondern auch durch den afrikanischen Kontinent reisen will. In dieser Phase des Ideologienkampfes, des Konfliktes zwischen altem kulturellem Erbe und neuen Weltanschauungen bekennt er sich zur Maxime, »dass wir noch lange Zeit einen Zustand aushalten müssen, in dem es auf keine Frage eine Antwort gibt« (20). Ein Unsicherheitsgefühl, das man auch in der fragenden Formulierung aus Andr8 Gides Tagebuch bestätigt findet, mit der die Szene schließt: »Wieviel Zeit wird mir gelassen werden, um noch unter dieser Epoche der Umwälzung zu leiden?« (21). Den Eisernen Vorhang, erneut durch das auditive Signal vom dröhnenden Rasseln eines Rollladens mit heraufbeschworen, dramatisiert die folgende vierte Szene in der starken Episode der Passagiere eines tschechischen Zuges. Erneut ist es ein historisches Ereignis, das hier als Vorlage benutzt wird. Ein Sprecher beschreibt in Einzelheiten das Szenario an der tschechoslowakischen Grenze bei Asch, »erst ein paar hundert Meter hinter der Grenze, in der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands«. Den »geflüsterten Unterhaltungen« (22) zweier Fahrgäste entnimmt der Autor die Tragik des Augenblicks, die Unschlüssigkeit zweier Leben am Kreuzweg zwischen kontrollierter Sicherheit (»Ich mag einfach nicht mehr : immer die Polizei und die Polizei und die Polizei«, 23) und unbegrenzter, doch unentschiedener Freiheit, zwischen der vermeintlichen Gebor179 Die hier und in den folgenden Zitaten kursiv gedruckten Stellen sind im Manuskript unterstrichen.

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genheit der Gegenwart und einer riskanten Zukunft (»ja, man geht direkt ins Ungewisse«, 23), zwischen Heimatgefühl und Anziehungskraft des Westens. Vor die große Wahl gestellt, »zu bleiben oder zurückzukehren« (22), treffen die zwei fiktiven Gestalten entgegengesetzte und doch beide in ihrer Art schwerwiegende Entscheidungen: Watzek: Ich bleib’ hier, Herr Raiski. Ich bin froh, dass es so gekommen ist. Raiski: Aber schaun’s, das kann man doch einfach net machen. Wo kommen wir denn da hin, wenn wir alle davonlaufen? […] Ich kann net einfach meine Frau und die Kinder in Prag sitzen lassen. […] aber ich frage mich, was dabei g’wonnen ist, wenn mir alle davonlaufen. Watzek: Ich will einfach schaun, dass ich nach Amerika komm und meine Ruh haben. Raiski: Ob’s die da drüben finden? Watzek: Ich weiss auch net. Aber wenigstens werd’ ich sagen können, was ich denk’. […] Vielleicht komm’ ich ja einmal zurück. Wann’s nicht mehr verboten ist, dass man über die tschechische Grenz’ fahrt. (22–24)

Eine Regieanweisung, die Schönbergs Musik als zwischenszenische Verbindung vorschreibt, führt den Hörer danach in das Themenfeld der letzten Szene ein, die das Motiv der Grenze in der geopolitischen Variante der innerdeutschen Teilung noch einmal aufgreift. Durch die metatextuelle Anspielung (»Freilich gibt es Menschen, die niemals in die Verlegenheit geraten, sich eine so tragische Musik anhören zu brauchen. Das Anhören pessimistischer Musik wird ihnen ganz einfach verboten«, 26) knüpft der Text mit dem ›Musikverbot‹ zunächst an ein Land an, wo sicher vielerlei Verbote in Kraft sind. Die Meldung über das spöttische Lachen des sowjetischen Außenministers über amerikanische Abrüstungsvorschläge wird hier mit dem Missgeschick eines am Anhalter Bahnhof von der Grenzpolizei ohne Papiere aufgegriffenen Paares geschickt verbunden, das keinen Grund zum Lachen hatte: Ein in England lebender Deutscher, zu Familienbesuch im Osten Deutschlands, sei vom eigenen Vater angezeigt worden. Noch einmal taucht am Hörspielende der Begriff der Furcht auf: Angst hatte der Vater, »Angst, det sie ihm’s ankreiden, det er’n Sohn hat, der in England jeblieb’n is und der es in England schön findet« (27). »Die Schnauze voll«, sei daher das Paar »bei Nacht und Nebel«, in Eile und ohne Papiere abgehauen. Also Frau und Mann ohne Ausweis, ein »harmloses Exemplar«, wie der Kommissar zugibt, für Niemandsland-Menschen. Und Deutschland ist, laut dem Kommentar des Sprechers, eben »ein einziges Niemandsland« (28). Die das Feature abschließende Tagebucheintragung Gides vermittelt die Erwartung, dass wir uns als »Teil des Ganzen« fühlen. Dadurch soll »einer gespaltenen Welt« (28) und der am Textbeginn aufgeworfenen Frage nach der Position des Menschen Antwort gegeben werden.

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Alfred Andersch: Menschen im Niemandsland. Ein Rückblick. Manuskript. NDR-ArchivNr. D 51 211/1–3 [29 maschinengeschriebene Seiten]. Jörg Döring, Markus Joch: Alfred Andersch ›revisited‹: Werkbiographische Studien im Zeichen der Sebald-Debatte. Berlin 2011. Christian Gerlinger : Die Zeithörspiele von Ernst Schnabel und Alfred Andersch (1947– 1952). Von der Aufhellung der Aktualität zu ihrer dichterischen Durchdringung. Berlin 2012. Irene Heidelberger-Leonard,Volker Wehdeking (Hrsg.): Alfred Andersch: Perspektiven zu Leben und Werk. Opladen 1994. Bernhard Jendricke: Alfred Andersch. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1988. Stephan Reinhardt: Alfred Andersch. Eine Biographie. Zürich 1990. Ursula Reinhold: Alfred Andersch. Politisches Engagement und literarische Wirksamkeit, Berlin 1988.

28.

Günther Rücker: Drachen über den Zelten (1953)

Autor : Günther Rücker (1924–2008), Paul Dessau (1894–1979) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 29. April 1953, Rundfunk der DDR Ort: Südkorea Zeit: 1950–1953

Eine wichtige Rolle in der Vermittlung der antiamerikanisch orientierten Friedenspolitik der DDR spielte der in Leipzig tätige Günter Rücker, der, wie Mittenzwei schreibt, »auf vielen Gebieten Anerkennung erlangte, vor allem als Hörspiel- und Filmautor«.180 Rücker, der ein linientreuer Sozialist war und später als IMS (Inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit) ›Günther‹ Kollegen und Mitglieder der Akademie der Künste beobachtete,181 lieferte mit seinem Hörspiel Drachen über den Zelten ein typisches Beispiel für die DDR-Friedenspropaganda und für die östliche Unterstützung der Demokratischen Volksrepublik Nordkorea, die die DDR bereits 1949 anerkannt hatte.182 Vom Sender Rundfunk der DDR wurde das Stück zwischen 1953 und 1955 mehrmals ausgestrahlt.183 180 Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen (Anm. I, 33), S. 481 (s. dazu auch S. 380). 181 Vgl. die MfS-Akten der BStU (Archive der Behörde des Bundesbeauftragten für die StasiUnterlagen): AOP (Archivierter Operativer Vorgang) Nr. 3706/87. 182 Zur Problematik s. Volker Grabowsky : Zwei-Nationen-Lehre oder Wiedervereinigung? Die Einstellung der Partei der Arbeit Koreas und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zur nationalen Frage ihrer Länder seit dem zweiten Weltkrieg: ein Vergleich. Bochum 1987, und Bernd Stöver: Geschichte des Koreakriegs (Anm. I, 5). 183 S. dazu den Archivnachweis des Dokuments Nr. 3000174. DRA (Deutsches Rundfunkarchiv) Babelsberg.

Günther Rücker: Drachen über den Zelten (1953)

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So wie bei Leonhard im Hörspiel Der achtunddreißigste Breitengrad184 von 1950 gilt auch bei Rücker der Koreakrieg als Stellvertreterkrieg des Kalten Kriegs und des Zwiespalts zweier antithetischer Systeme und zweier Brüdervölker, die ebenso wie im geteilten Deutschland nur durch eine dünne Zone voneinander getrennt sind. Und genauso wie schon Leonhard will auch Rücker dem Hörer den heldenhaften Widerstandskampf der koreanischen Kommunisten gegen die mit den amerikanischen Imperialisten verbündeten Aggressoren nahebringen. Angesichts des veränderten historischen Kontexts kann er aber konsequenter als Leonhard den Konflikt auf der koreanischen Halbinsel als Auftreten des ersten Kriegs schlechthin interpretieren, bei dem der Kalte Krieg ›heiß‹ wird und die Vereinigten Staaten in ihren Gräueltaten ihr schlimmstes Gesicht zeigen. Das Geschehen siedelt Rücker deshalb in einem US-Camp in Südkorea und auf einem vor der südwestlich von Pusan gelegenen Insel Koje liegenden Schiff mit Gefangenen an. In den Mittelpunkt stellt er nordkoreanische Freiheitskämpfer, die selbst unter der Folter ihre Ideale nicht aufgeben. Die ganze Hörspielhandlung ist mit vielen der Topoi versehen, die den antiamerikanischen, pazifistischen Diskurs ausmachen: Warnung vor Atomkraftnutzung, Kritik an einer Politik der unbedingten Machtausübung, Appell zum solidarischen Widerstand. Die inhumane und degradierende Gefangenschaft – ›gefangen‹ ist übrigens ein Wort, das im Text gleich zu Anfang und dann immer wieder fällt –, die verbrecherische Verwendung bakteriologischer Mittel und der Keim des Verrats, den die Feindmächte ausnutzen, um den Zwiespalt zu nähren und dadurch den Widerstandskampf zum Scheitern zu bringen, sind dabei die thematisch zusammenhängenden Handlungskerne. Die Kriegsszenerie, die, durch die eindrucksvolle Musik von Paul Dessau untermauert, das Grauenhafte an den amerikanischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vermitteln soll, ist hart und erschütternd, die politische und ideologische Botschaft klar und deutlich. Nur die Sprache, in die sie Rücker fasst, ist an manchen Stellen zu pathetischlyrisch inspiriert oder sie wirkt manchmal gedanklich zu dicht, als dass man sie leicht verstehen könnte, was gewiss die Unmittelbarkeit der vom Autor intendierten Botschaft beeinträchtigt.185

184 S. Teil II, Abschnitt 17. 185 Der Rezensent der Nationalzeitung findet die Sprache des Hörspiels »so gedankenschwer, daß man ihren Sinn nur langsam begreift. […] Erschwerend kommt hinzu, daß Rücker die Sprecher […] auf einen Flüsterton abstimmt, der auf lange Strecken hin völlig unverständlich ist«: N. P.: »Drachen über den Zelten«. Ein neues Hörspiel über Korea. In: National-Zeitung, 5. Juli 1953. Auch in dem sonst lobenden Artikel der Neuen Zeitung wird auf die Redeweise hingewiesen: »Unpassend wirkt dagegen die belustigend-heisere, plappernde Sprechweise des zynischen Aufsehers Un Bek«, Me: Drachen über den Zelten. In: Neue Zeit, 27. Juni 1953, S. 4.

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Gleich am Anfang lanciert das vielleicht etwas zu lang geratene (90-minütige) Hörspiel das Motiv der ›Atomstadt‹, um die Kette von Schrecken, Leiden und physischen Qualen zu evozieren, die die tonangebenden Motive der meisten Atombombendarstellungen sind. Auf das Schiff in der Bucht vor der ›Todesinsel‹ Koje werden 200 Koreaner gebracht, die durch die amerikanischen Truppen gefangen genommen wurden. Alle sind »Ladung für die Atomstadt«,186 an ihnen werden bakteriologische Tests vorgenommen. Allzu genau wissen sie, »wie der Tod aussieht, in der Atomstadt, […] die Sinne sterben, die Haut verfault und löst sich vom Leib, Blut fällt aus Mund und Ohren, das Hirn zerfällt … mit dem überwuchernden Körper, der Mensch spürt wie er bei lebendem Leib verwest«.187 Rücker inszeniert die Koreaner als wahre Schlachtopfer, die die peinigendsten Verhöre und das Martyrium erleiden, nur weil sie sich weigern, ihrem Land gegenüber Verrat zu begehen. Hinzu kommen die neuen Arten von barbarischer Kriegsführung, mit der Amerika die ›Rebellen‹ bekämpft, wie Abspritzversuche mit Bazillen oder Pest-Erreger, die durch von Flugzeugen abgeworfene infizierte Rattenkadaver verbreitet werden.188 Insofern ist Drachen über den Zelten auch als Ausdruck der Debatte zu begreifen, die Anfang der fünfziger Jahre in der DDR über die Verbindung von Atom- und Biowaffen geführt wurde und in denselben Jahren Europas Öffentlichkeit alarmierte.189 Obwohl es damals keine Beweise für den Einsatz von Insekten und Bakterien im Koreakrieg gab, wusste man, dass US-Verteidigungsminister Johnson mit Präsident Truman die Möglichkeit einer bakteriologischen Kriegsführung erwogen hatte. In diesem Zusammenhang zirkulierten Meldungen darüber, dass Amerika seinen Generälen den Befehl zum Bakterienkrieg erteilt habe, obgleich er international verboten war. 186 Günther Rücker : Drachen über den Zelten (Anm. I, 396). Digitalisiertes Tondokument. Im Folgenden: DZ, mit den Timecode-Angaben in Fußnoten, hier : 05:08. 187 DZ, 10:09–10:10. 188 Vgl. DZ, 36:44–37:42: »Da brachte die Katze eine Ratte ins Haus, zwei Tage spielte meine Mutter noch mit der Katze, dann starb die Katze. Meine Mutter bekam Fieber und Beulen im Gesicht und am Körper und … starb auch. Im Ort waren viele Katzen und alle starben. Und viele Menschen starben, wie meine Mutter. Die Ratten waren mit Pest infiziert. Flugzeuge hatten sie abgeworfen. Sie lagen tot auf den Dächern«. 189 S. dazu insbesondere die zwei Publikationen des Amts für Information der Regierung der DDR und des Deutschen Friedenskomitees: Pestflöhe: Tatsachenberichte über den verbrecherischen Bakterienkrieg der imperialistischen Aggressoren. Hrsg. vom Amt für Information der Regierung der DDR. Berlin [o. J.]; Amerika und der bakteriologische Krieg. Hrsg. vom Deutschen Friedenskomitee. Berlin 1952. Das Interesse am Thema zeigte sich in der DDR auch in den nächsten Jahrzehnten. S. ABC-Waffen, Abrüstung und Verantwortung der Wissenschaftler: Report über eine Internationale Konferenz der Weltföderation der Wissenschaftler, Berlin (DDR), 21.–23. November 1971. Red.: Kurt Baudisch. Hrsg. von dem Zentralvorstand der Gewerkschaft Wissenschaft für die Weltföderation der Wissenschaftler. Berlin 1971.

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Der Begriff der drohenden, unsichtbaren Bakterien verbindet sich im Text metaphorisch mit einem anderen Virus, der sich im ideologisch überhöhten Mächtekrieg einnistet, dem der ›Spitzel‹, bis sie fast zu einem Begriffspaar im Stück verschmelzen. Neben den biologischen und bakteriologischen Kampfmitteln thematisiert nämlich Rücker das vorherrschende Bespitzelungsklima als typisches System amerikanischer Prägung, das Leiden, Tortur und Tod noch unerträglicher macht. Denunziation, Bedrohung und Verfolgung sind die Mittel, deren sich für Rücker die Perfidie des Feindes bedient, um jeden Widerstand zu ersticken. Koloniale Unterdrückungspolitik und Bakterienkrieg laufen in dieser Hinsicht in einer Form parallel, die eben wie eine Epidemie wirkt. Die Bakterien, mit denen ein menschenunwürdiger Krieg geführt wird, breiten sich mit derselben Schnelligkeit des Misstrauens aus, das eben wie ein Virus die meisten Inhaftierten ansteckt. So Li Gi En: »Das habe ich meinem Freund erzählt und der hat es einem weiter erzählt und… der war ein Spitzel. Das ganze Lager ist doch voller Spitzel«.190 Die Kommunikation erfolgt nur über heimliche Kassiber, keiner kann dem anderen trauen und niemand weiß, wie der andere wirklich heißt (»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wer Du bist. […] Deinen wahren Namen wollte ich wissen«).191 Das Ausspielen der Gefangenen gegeneinander (»Gut ausgedacht. Der eine überrennt mich, der andere macht mich zum Spitzel und jetzt wollt ihr mich ausquetschen«),192 das ständige daraus entstandene Gefühl, von undurchschaubaren Spitzeln umgeben zu sein, erzeugt unter den Koreanern wachsenden Argwohn, Isolationsangst, gegenseitige Verunsicherung und macht schon auf diese Weise humane und politische Solidaritätswerte zunichte. Gegen all dies führen ihren tapferen Kampf wenige fortschrittliche Partisanen, die im Namen der Freiheit Leben und Gesundheit riskieren, um die Menschen auf dem Albtraumschiff zu retten. Wegen der »parasitologischen Folgen« der Bakterien – Fleckfieber, Gehirnpathologien und Inkubation weiterer Krankheiten193 – steht das Schiff unter Quarantäne. Die Wissenschaft erscheint hier in der gehässigen Fratze eines sadistischen Arztes. Wie die Neue Zeit schreibt, ist es »die intellektuell-überhebliche, dabei satanische und antihumanistische Rede- und Denkweise des amerikanischen Arztes«.194 In der Tat handelt es sich im Stück nicht um einen Amerikaner, sondern um einen südkoreanischen Mediziner, fast ein mad scientist im Sold der Amerikaner, der die Fälle mit einer krankhaften Leidenschaft untersucht, die an die Experimente erinnert, welche Nazi-Ärzte während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrati190 191 192 193 194

DZ, 22:43–22:53. DZ, 18:32–18:40. DZ, 23:24–23:35. Vgl. DZ, 26:00–27:00. Me: Drachen über den Zelten (Anm. II, 185).

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onslagern durchgeführt hatten. Der Arzt beobachtet mit wissenschaftlichem Genuss den Krankheitsverlauf bis zur mit »mathematischer Exaktheit«195 eintretenden »schönste[n] Enzephalitis«196 und beschreibt – übrigens mit einer fachmännischen Terminologie, die dem Verständnis des Laien manche Schwierigkeiten bereitet – die exanthematischen Reaktionen des Fleckfiebers, wobei ihm in seinem Zynismus »das Interessanteste die immer wiederkehrenden Angstzustände sind«.197 Um so notwendiger und dringender erscheint, auch gerade angesichts dieser abscheulichen Grausamkeit, die Befreiungsaktion. Den Hauptfaden bildet hier der Einsatz einer kühnen Frau, Genossin Og Dong Ya, die den Auftrag erhält, unter falscher Identität den Partisanenführer Tschoe zu finden und ihm die Namen der 32 Spitzel zu geben, die an Inhaftierung und Tod der Rebellen mitschuldig sind. Zugleich ist sie von der Hoffnung getragen, im Lager ihren Mann Rhi Jung San wiederzufinden, der mit Tschoe in Gefangenschaft kam. Als Krankenschwester getarnt, muss sie auf dem Schiff die abscheuliche Bestialität des Arztes und den herzbrechenden Alltag der Gefangenen erleben, unter denen sie den anscheinend dem Tode nahen Ehemann wiederfindet. Der Heldin gelingt es endlich, ihre Mission zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, das das plötzliche Erscheinen von roten Drachen über den Zelten versinnbildlicht. In ihrer Doppelvalenz von Stärke und Freiheit steigen sie auf, während Dessaus Musik sanft erklingt. Die totale Befreiung der Kommunisten ist noch nicht ganz erreicht – die Gefangenen werden auf die Todesinsel zurückgebracht, wo sie Drohung und Misshandlung weiter ausgesetzt werden –, doch leuchtet im Himmel das Drachenbild des Titels, um einen Hoffnungsschimmer zu bieten (»Wir sind schon am Weg«).198 Genau an diesem Punkt wechselt die Szene, mitten ins Chaos tritt eine fast magische Stille ein und man hört die tiefe, ruhige Stimme von San, der in einem Lazarett nahe der nordchinesischen Grenze, fern oder doch nur anscheinend fern (»aber das täuscht«)199 von allem Getöse des Kriegs, liegt. Mit narbenentstelltem Gesicht hofft er auf die Rückkehr seiner Kampfgenossen aus dem Lager und wartet auf die Ankunft von Dong Ya, die ihm ein Kind geben wird, »denn das Leben muss ja weiter gehen«.200 Aus den allerletzten Worten des Hörspiels lässt nun Rücker das Pathos eines über Hass und Krieg triumphierenden Friedens erschallen: »Oh, mein Herz ist voll Liebe«.201

195 196 197 198 199 200 201

DZ, 33:21–33:22. DZ, 33:37–33:39. DZ, 33:43–33:46. Zum Stereotyp des mad scientist s. Anm. I, 388. DZ, 01.23:58–01.23:59. DZ, 01.24:39–01.24:40. DZ, 01.25:55–01.25:56. DZ, 01.26:20–01.26:23.

Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge (1953)

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Peter Gugisch: Drei Versuche über Rücker. In: Beiträge zur Film- und Fernsehwirtschaft 24 (1983), H. 5, S. 5–21. Me: Drachen über den Zelten. In: Neue Zeit, 27. Juni 1953, S. 4. N. P.: »Drachen über den Zelten«. Ein neues Hörspiel über Korea. In: National-Zeitung, 5. Juli 1953. Günther Rücker : Drachen über den Zelten (1953). Tonträger DRA (Deutsches Rundfunkarchiv) Babelsberg, Archivnummer 3000174. Ders.: Bericht Nr. 1. In: Gerhard Rentzsch: Kleines Hörspielbuch. Berlin 1960, S. 49–88, und in: Karl Heinz Brokerhoff (Hrsg.): Wie sie uns sehen. Schriftsteller der DDR über die Bundesrepublik. Bonn, Bad Godesberg 1970, S. 96–119.

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Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge (1953)

Autor : Wolfgang Weyrauch (1904–1980) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 5. April 1954, Süddeutscher Rundfunk Ort: fiktive Szenerie Zeit: nicht genau definierte Gegenwart oder Zukunft

Ein unermessliches Ereignis wird gleich zu Beginn von Weyrauchs 1954 urgesendetem Stück Vor dem Schneegebirge angekündigt: Es geht um etwas, »was entsetzlicher ist als alles, was bisher passiert ist«.202 Dieses Unfassbare ist der Ausbruch einer neuen Eiszeit im Zeitalter des totalen Atomkriegs. Vor dem Schneegebirge wurde fast zwei Jahre vor dem berühmteren Hörspiel über Die japanischen Fischer geschrieben, in dem Weyrauch das Inferno radioaktiver Verseuchung direkt dramatisieren sollte. Aber schon in diesem vorhergehenden Text finden sich die Kritik am Gebrauch der Atomenergie und die Forderung nach einem anderen Umgang mit der Wissenschaft, als ihn die Nachkriegswelt pflegt, nämlich einem, der menschliche Werte in den Vordergrund stellt. Der Autor entwickelt eine ins Albtraumhafte übersteigerte, ins Extrem getriebene Handlung, die den Ablauf eines horrenden Desasters beschreibt und mit den Paradigmen des Außerordentlichen korreliert ist. Wie immer bei Weyrauch beanspruchen die dargestellten Vorgänge keine naturwissenschaftliche Plausibilität oder gar Exaktheit. Vielmehr ist es das Gefühl von innerer Verwundbarkeit und Fragilität eines gott- und weltverlassenen Menschen, das die apokalyptische Perspektive des Werks bestimmt. Am Stückeingang ist es Nacht und im Dunkeln ist die Wahrnehmung noch stärker auf das Hören ausgerichtet und mit expliziten Bezügen zum Akustischen gefüllt. Die Banjospielerin Amely merkt, dabei die Grenzerfahrung selbst unterstreichend, dass sie heute Nacht »anders als sonst« (467) spielt, und hört inzwischen aus der Ferne 202 Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge (Anm. I, 283), S. 468.

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eine fremde Stimme. Wer hier spricht, ohne je als Person zu erscheinen, ist der Grenzwächter Kiderlen, der von seinem einsamen Posten aus – vor dem Schneegebirge »am Ende der Welt« (469) – über ein unerhörtes Geschehen berichtet, die Vorankündigung eines Untergangs, der dann am Schluss tatsächlich eintritt. Die Banjospielerin fungiert als textinterne Zuhörerin, an die er seine Warnung richtet: Als Adressatin und als Mittel zur Verbreitung seiner Botschaft spricht er sie direkt an. Kiderlen: Du kannst mir nicht helfen. Du sollst mir nicht helfen. Du sollst dir bloß anhören, was ich sage. Du sollst es gewissermaßen in Gedanken mitstenographieren. Hast du mich verstanden? Amely : Sicher. Aber wieso bist du ausgerechnet auf mich verfallen? Kiderlen: Ich habe mir gedacht: Kiderlen, du mußt jemanden finden, der, genau so wie du selber, an irgend etwas denkt, das Tausende von Kilometern entfernt ist. Vielleicht treffen sich dann deine Gedanken, Kiderlen, mit denen des anderen, und du kannst ihm zurufen, was passiert ist. Er kann es dann allen andern mitteilen, die noch leben, damit sie sich darauf vorbereiten, bevor es zu ihnen kommt. Amely : Was? Kiderlen: Das Schneegebirge. (469)

An diesem idealen Treffpunkt, wo Reales und Irreales ineinander übergehen, stellt sich wie eine intime Synchronizität eine Art räumliche und zeitliche Gedankenbrücke zwischen den beiden her. Kapitän Kiderlens Worte evozieren Szenarien einer katastrophalen, fast empörten Natur, die die Erde geradezu zu bestrafen scheint: Zunächst ein furchtbares Schmelzen der Gletscher, dann eine unsägliche Kälte, bei der Menschen und Tiere vereisen, Vögel im Flug und Säuglinge in ihren Kinderwagen erfrieren. Trotz des Verbots hat er über die unverwechselbaren Zeichen des kommenden Unheils Tagebuch geführt: »1) Temperaturschwankung. 2) Himmelserscheinung […], überhelles Licht […] mit einem giftgrünen Schimmer« (473). Der Grenzwächter sieht darin das herannahende Ende, ja das alles auffressende »Böse« schlechthin: Kiderlen: Ich warte, Mädchen. Amely : Worauf ? Kiderlen: Auf das Ende. Amely : Auf was für ein Ende? Kiderlen: Auf das Ende von allem. Auf das Ende der Grenzwache Schneegebirge, auf mein eigenes Ende, ja, und auf das Ende von dir warte ich auch. […] Das Böse hat angefangen, es wird fortsetzen, was es angefangen hat, es wird nicht eher aufhören, als bis es alles aufgefressen hat. (474)

Noch deutlicher wird das Paradigma der apokalyptischen Grenzüberschreitung in den Passagen, wo Kiderlen die Massenflucht der Tiere vor dem Weltuntergang ausmalt. Aus den ins Wachbuch eingetragenen Gesprächen mit dem Zentralkommando tauchen schreckliche, sintflutartige Bilder einer Tierflucht auf, die

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mit der vereinzelten Erscheinung einer Gämse ansetzt, um dann in einem fast biblischen Exodus zu gipfeln: Innerhalb einer halben Minute kamen viele hundert Tiere über den Kamm. […] Hirsche, Rehe, Haustiere, Singvögel, Raubvögel, Löwen. […] Es kamen auch Hunderte von Schlangen, Ratten und so weiter. Eine Minute später waren es nicht mehr Hunderte, sondern Tausende. Insekten kamen so viele, daß ich zeitweilig die Tiere nicht mehr sehen konnte, die den Gletscher herunterliefen. (476)

Trostlos hört die Wache den Erzählungen der Flüchtlinge zu, die zu Tausenden den Tieren folgen und ins Nichts verschwinden. Die geschilderte Atmosphäre ist die beklemmende Sinnlosigkeit eines Kriegs. Die Eintragungen des Tagebuchs registrieren die Zeugnisse der Flüchtlinge, belegen unerklärliche Umstände – Feuer, das die Flüchtlinge von innen ausdörrt, das Schwarz, das alles Sichtbare überzieht, das Zittern aller Tierarten –, geben Einblick in den Zustand geistiger Verwirrung fremder Menschen, die auf die Fragen der Wache keine Antwort zu geben vermögen und nur eine unbestimmte, gegenstandslose, allumfassende Angst äußern: Amely : Was erzählte der vierte Flüchtling? Kiderlen: Ich brachte ihn kaum dazu. Er hatte solche Angst. Er und sie alle. Sie alle hatten eine doppelte Angst, ach, was sage ich, sie hatten vor allem Angst, sie hatten bloß Angst und sonst nichts. Sie hatten Angst vor denen, die die Katastrophen verursacht hatten, sie hatten Angst vor den Katastrophen, die sie erlebt hatten, und sie hatten Angst vor den Katastrophen, die noch kommen würden. Sie waren vor Angst halb irre. (481)

Bald ist der ganze Gletscher von Flüchtlingen besetzt. Erschöpft und verängstigt greifen sie zur Waffe. Sie schießen und werden erschossen. Es entfaltet sich eine irreversible Spirale der Zerstörung, die sich auf die ganze Welt verheerend auswirkt und in Kiderlens Bericht monoton wie ein trauriger Singsang klingt. Für die Wache ging es schlecht aus. Und da es für die Wache schlecht ausging, ging es für die Zentrale schlecht aus. Und da es für die Zentrale schlecht ausging, wird es für unser Land schlecht ausgehen. Und da es für unser Land schlecht ausgeht, wird es für die ganze Erde schlecht ausgehen. Die Erde ist groß. Die Erde ist eins. (485)

Das Gefühl eines katastrophalen Zeitumbruchs, in der bürokratischen Sprache des Kommandeurs als »welthistorischer Moment« (476) zelebriert, geht mit dem Empfinden der Terminalität Hand in Hand. Amely präsentiert sich Kiderlen gleich am Anfang als »der letzte Mensch« (468), seine Einsamkeit ist das Refrain des Stücks (»Mich liebt keiner. Mich kennt keiner«, 469; »Ich bin auch so allein. Das letzte Wesen, das bei mir war, war die Ziege. […] Jetzt lebt sie auch schon längst nicht mehr«, 478; »ich war mutterseelenallein. Ich war so allein, daß ich mit einem Mal merkte, daß ich nichts mehr hörte«, 486). Überhaupt spielt das

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Motiv des ›letzten Menschen‹ eine zentrale Rolle in der Haltung des Berichtenden und ist integrierender Bestandteil der endzeitlichen Vision, die die Grundspannung von Weyrauchs Hörspiel ausmacht: »Ich bin der letzte Posten. Ich bin der letzte Augenzeuge. Ich bin der letzte Berichterstatter«. Metatextuell stellt der Mann fest, wie in der Grenzsituation jeder materielle und immaterielle Kontakt, jede Brücke zum Leben abgebrochen ist. Jeder Kommunikationskanal ist für immer verschlossen und Kiderlen reflektiert nicht nur über die Lage, sondern über das Medium, in dem sein Diskurs zur Darstellung (und Kritik) hätte kommen sollen: Amely : Warum spielte das Radio nicht mehr? Kiderlen: Ich hatte es mit meinen Pistolen zerschossen. […] Ich ging zum Diktaphon. Ich stellte es ein. Da merkte ich, daß es kaputt war. […] Es war gestört, und es stand nicht mehr zu meiner Verfügung. Nie mehr. […] Ich mußte die Begebenheiten durchtelephonieren oder durchfunken, die noch kommen würden. Aber konnte ich noch telephonieren? Amely : Ja, konntest du noch telephonieren? Kiderlen: Nein. Die Verbindung war abgerissen. Amely : Konntest du noch funken? Kiderlen: Nein. Amely : Konntest du noch Meldungen der Zentrale empfangen? Kiderlen: Auch nicht. Es war alles aus. Ich weiß nicht, was passiert war. Ich wußte bloß, daß alles aus war. (486)

Ein letztes Zeugnis seiner öden Verzweiflung zu hinterlassen bleibt ihm also versagt. Chancen für das Gelingen von Kommunikation im apokalyptischen Chaos gibt es nicht: »Wenn ich jemanden wüßte, der an mich denkt, würde ich ihm jetzt einen Abschiedsbrief schreiben. […] Und auch wenn ich einen wüßte, könnte ich ihm doch keinen Abschiedsbrief schreiben. Ich habe kein Papier mehr. Ich habe nichts mehr. Ich habe bloß noch mich selbst« (487). Der Zuhörer spürt das ganze Mitleid des Autors mit seinem vereinsamten Helden, aber es ist zugleich Mitleid mit dem Zuhörer selbst. Dass als Ausgang dieser Tragödie nur der Ausdruck einer namenlosen Leere möglich ist, thematisiert das Stück auch sprachlich. Bei der unaufhörlichen Bewegung des Schneegebirges, das am Ende über Kiderlen ist, sieht er nichts, denn »es ist nichts darin. Das Schneegebirge ist vollkommen leer. Vollkommen leer. Leer, leer« (488) und unerfüllt bleibt Amelys Wunsch, mit einem versöhnlicheren Wort zu schließen: »Leer. Sag noch ein Wort, Kiderlen, damit das Wort ›leer‹ nicht das letzte Wort von dir ist«. Kiderlen schweigt, und nur Amelys Banjo wird bestimmen können, ob ›leer‹ auch das letzte Wort der Menschheit sein wird. Ausdrücklich wird die Botschaft durch den Äther weitergeschickt, der damit selbst zum Medium eines abstrakten, idealen Diskurses über politischen Protest wird. Das Musikinstrument selbst, das Banjo, wird zu einer »Antenne«, zum akustischen ›Signal‹ von Hoffnung und Warnung,

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über das schließlich der Künstler, der an die Stelle der Wache tritt, sozusagen als ethischer Wächter, das letzte Wort sagen kann: »Alle Banjos werden Empfänger und Sender« und die »Melodien werden die Gewalten«, gerade wie Gletscher am Schneegebirge schließlich »schmelzen« (488). Margret Bloom: Die westdeutsche Nachkriegszeit im literarischen Original-Hörspiel. Frankfurt a. M. 1985. Reinhard Döhl: Zu den Hörspielen Wolfgang Weyrauchs. In: Ders., Bernhard Willms u. a.: Zu den Hörspielen Wolfgang Weyrauchs. Hrsg. von Irmela Schneider und Karl Riha. Siegen 1981, S. 10–34. Heinz Schwitzke: Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge. In Ders. (Hrsg.): Reclams Hörspielführer. Stuttgart 1969, S. 606–607. Wolfgang Weyrauch: Vor dem Schneegebirge. In: Hansjörg Schmitthenner (Hrsg.): Sechzehn deutsche Hörspiele. München 1962, S. 465–488, und in: Ders.: Dialog mit dem Unsichtbaren. Sieben Hörspiele. Mit einem Nachwort von Martin Walser. Olten u. Freiburg i. Br. 1962, S. 29–57. Max Zihlmann: Wolfgang Weyrauch – ein Hörspielautor?. In: Das Wort. Literarische Beilage der Monatsschrift Du 23 (1963), H. 9, S. 66. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 35.

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Erwin Wickert: Der Verrat von Ottawa (1954)

Autor : Erwin Wickert (1915–2008) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 26. April 1954, RIAS – Rundfunk im amerikanischen Sektor, Berlin Ort: Ottawa Zeit: Herbst 1945

Eine beliebte Strömung im Genre der Atomdramen in der schärfsten Phase des Kalten Kriegs stellt die breite Richtung der Agenten- und Spionagestücke (Teil I, Abschnitt 2.4.3) dar, die den Spagat zwischen Spannung und Information, zwischen Unterhaltung und Engagement versucht. Der Verrat von Ottawa des Diplomaten und weitgereisten Schriftstellers Erwin Wickert203 fügt sich ganz in den Rahmen dieser Gattung ein, die anhand der Geschichte der Atombombe die Enthüllung internationaler Spionagenetzwerke darstellt und das Dilemma zwischen Freiheit und Verrat offenkundig werden lässt. Dem Stück, das zunächst als

203 Im Zweiten Weltkrieg war er Rundfunkattach8 in China und Japan. 1976 wurde er deutscher Botschafter in China. Vgl. seine Autobiographie in zwei Teilen: Mut und Übermut. Geschichten aus meinem Leben. Stuttgart 1991, und Die glücklichen Augen. Geschichten aus meinem Leben. Stuttgart 2001 (s. auch unten, Teil II, Abschnitt 36).

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Hörspiel, dann als erfolgreiches Fernsehspiel ausgestrahlt wurde,204 legte Wickert den Fall des Ukrainers Igor Gusenko, Chiffrierbeamter der sowjetischen Botschaft im kanadischen Ottawa, zugrunde, dessen Tat – nach Gusenkos eigener Aussage – »der schlimmste Schlag« gewesen sei, »den je ein einzelner dem Spionagesystem der Sowjets versetzt hat«.205 Der russische Botschaftsangestellte hatte im September 1945 streng vertrauliche Akten an die kanadische Regierung geliefert und damit bewiesen, dass der Sowjetunion, durch ein wucherndes amerikanisches und kanadisches Geheimagentennetz, wertvolle Informationen über die Herstellung der Atombombe längst bekannt waren. Interessanterweise war aber der eklatante Fall noch zehn Jahre nach dem Ottawa-Ereignis in Deutschland weitgehend unbekannt. Erst mit der Ausstrahlung des GusenkoFilms im NWRV-Fernsehen und nach seinem Bestseller-Roman The Fall of a Titan, der 1955 auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde,206 war der Ukrainer groß herausgekommen. Da begannen viele Zeitungen und Magazine, über die enigmatische Figur des ›Maskenmannes‹, wie er allgemein bezeichnet wurde, zu berichten.207 Das Hörspiel Der Verrat von Ottawa verfolgt den Weg des Protagonisten vom Abend des 5. September 1945, an dem Gusenko sein Botschaftsgebäude mit einer Mappe kompromittierender Akten verlässt, bis zum Punkt, an dem Kanadiern und Amerikanern das Ausmaß des kapillaren Geheimgewerbes klar wird, das die Moskauer kontrollierten. Denn die sensationellen Dokumente »beweisen, dass das Geheimnis der Atombombenherstellung von einem sowjetischen Spionagering in Kanada, den USA und Großbritannien verraten worden ist«.208 Somit thematisiert Wickert den Verrat zweifach: einerseits historisch kontextualisiert, als Ausspähung und Preisgabe von geheimen Informationen im sich anbahnenden Kalten Krieg, andererseits in der subjektiven Besonderheit der landesverräterischen Untreue des Ukrainers, der zum Erstaunen der ihn nicht ernst nehmenden Kanadier zu den Westalliierten übergelaufen war. Im Unterschied zu den zahlreichen DDR-Stücken, die im Spio204 Im Kulturprogramm Deutschlandradio Kultur wurde das Hörspiel gesendet. Das Fernsehspiel lief, unter der Regie des berühmten österreichischen Film- und Theaterregisseurs Michael Kehlmann, am 17. Juni 1956 im Hamburger NWRV. 205 Zit. in: O. A.: Emigranten-Roman. Angst unter der Maske. In: Der Spiegel, 25. August 1954, S. 26. 206 Igor Gusenko: Der Sturz des Titanen. Übers. von Igor und Ingo-Manfred Schille, Frankfurt 1955. 207 Bei seinen Interviews mit der Presse zog er eine Ku-Klux-Klan-artige Kapuze über den Kopf. S. das Foto im 2015 erschienenen Online-Beitrag: Uwe Klußmann: Stalins Atombombe. Kämpfer an der unsichtbaren Front. In: Spiegel Online, 16. August 2015, unter URL: http://www.spiegel.de/einestages/bau-der-sowjetischen-atombombe-spione-und-zwangs arbeiter-a-1047699.html. 208 Erwin Wickert: Der Verrat von Ottawa (Anm. I, 231), S. 9.

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nagemilieu des Westens angesiedelt sind und es als faschistisch attackieren, verherrlicht Wickert den Wahrheits- und Freiheitswillen des Beamten gegen Angst und Diktatur des sowjetischen Polizeistaates. Der Autor prangert zwar die naive, bornierte Verständnislosigkeit kanadischer Dienststellen an, die entweder die Unverfälschtheit des Materials bezweifeln oder kein Risiko eingehen wollen – »Du siehst ja«, sagt Gusenkos schon verzagte Frau mit der Absicht, die Akten zurückzubringen, »es will niemand die Dokumente sehen. Sie wollen nicht einmal sehen, was drinsteht« (33) –, doch am Schluss triumphiert der Wert der Tapferkeit, die Mutprobe des Einzelnen, der einen »verzweifelten Kampf gegen […] Blindheit und Selbstsicherheit« (58) kämpft. Das Stück beginnt mit der Mauer aus Argwohn und Ablehnung, die die Ottawa-Regierung zum Selbstschutz gegen Gusenko aufbaut, und endet mit seiner Anerkennung als politischer Flüchtling. Die paradoxe Odyssee, die der Protagonist im Umgang mit der Bürokratie durchlebt, um sie von der Echtheit seiner Enthüllungen zu überzeugen, für die er obendrein kein Geld verlangt, macht den dramatischen Inhalt der Handlung aus, die teils auf authentischen Dokumenten beruht, teils, etwa in den persönlichen Beziehungen der zentralen Gestalt, frei erfunden ist. Dadurch will Wickert zeigen, wie Chefdramaturg Heinz Schwitzke betont, inwiefern »Menschen, von einer Machtapparatur erfaßt, ihre individuelle Existenz immer mehr verlieren«.209 Der Konflikt zwischen westlicher Demokratie und sowjetischer Ideologie erfolgt nämlich nicht auf politischer Ebene, sondern eher auf einer psychologischen und moralischen. Der freie Westen, der zunächst den Ruf des Mannes »nicht eigentlich böswillig, sondern nur gleichgültig« (Seite 0) überhört und ihn aus Loyalität gegenüber dem russischem Verbündeten sogar wieder an sein Herkunftsland ausliefern will, und die ränkeschmiedende Sowjetunion, die sich von der Atombombe Chancen für ihren Aufstieg zur Weltmacht erhofft, stehen einander als schwarzweiße Fronten gegenüber, die sich dann allmählich versteifen. Am Anfang ist es die Furcht vor den gefährlichen Informationen (»das Geheimnis der Atombombe«, 10), aufgrund derer die ganze Welt »jedem Angriff der Sowjetunion ausgeliefert« (10) sein könne, die Gusenko bewegt, den Verrat gegenüber seinem eigenen Staat zu begehen. »Mir ist der Entschluß sehr schwer gefallen, aber mir liegt die Freiheit der westlichen Welt ebenso am Herzen wie Ihnen« (22), gesteht Gusenko dem Beamten der kanadischen Justizminister, der Grund und Zweck des kleinen Beamten nicht zu durchschauen vermag. Aber gerade im Namen dieser Freiheit profiliert sich dann auch die wahre »Gegenleistung«, auf die Gusenko pocht: »Ich will nichts dafür haben. Die einzige Gegenleistung, die ich erbitte, ist politisches Asyl und Gewährung des kanadischen Bürgerrechts« (22). Doch scheint auch die Freiheit für das auf Nutzen und 209 Heinz Schwitzke: Das Hörspiel, Dramaturgie und Geschichte. Köln, Berlin 1963, S. 271.

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Verdienst ausgerichtete moderne Denken kein glaubwürdiger Begriff zu sein, wie der Autor nicht müde wird, in vielen Dialogen zu unterstreichen: Redakteur : Sagen Sie mal – mich interessiert das rein psychologisch. Warum kommen Sie eigentlich mit den Akten zu mir? Wenn Sie kein Geld haben wollen – wollen Sie in die Zeitung kommen? Wollen Sie jemand ärgern? Ihren Chef oder einen Kollegen? Na? Igor: Ich will, dass sie alle in Freiheit vor Furcht leben können. (11) Igor: Die Zeitungen! Du hättest sehen sollen, wie interessiert der Redakteur an der Freiheit der Welt war. Wenn ich Geld für die Akten gefordert hätte, dann hätte er sie mir vielleicht abgekauft. Das hätte er verstanden. Aber wer von der Freiheit spricht, macht sich verdächtig. (17) Crow : Das Merkwürdige ist, der Mensch will kein Geld haben. Er sagte, er wolle sie uns geben, um die Freiheit der Welt zu sichern. Staatssekretär : Ja, das ist natürlich faul. Glauben Sie, er ist verrückt? (24)

Manchmal ist der Freiheitsbegriff so facettenreich, dass er in sich sogar widersprüchlich ist und eine Wertverschiebung von Gut und Böse bewirkt. Igor: […] Ich habe mich geirrt. Die Freiheit ist doch schlimmer, als das Netz, sie ist ein Dschungel. Nina: Aber warum glauben sie dir nicht? Igor: Sie suchen nach einem Motiv. Die Freiheit ist für sie kein ausreichender Grund, weil sie nicht in einer Diktatur gelebt haben. Nina: Aber glauben sie denn nicht an das Gute? Igor: Sie glauben nicht an das Böse, und das ist noch schlimmer. (37–38)

Der Widerwille, mit dem die Nachkriegsdemokratien mit der Problematik der Involvierung des Einzelnen in ein Diktatur-Regime zurechtkommen – ein Thema, das den Autor selbst als ehemaligen Diplomaten des Hitler-Reiches bedrängt haben dürfte –, spielt hier mit hinein. Der Held des Hörspiels muss sich durch mehrere Instanzen kämpfen, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Erst nach langer Mühe gelingt es ihm, im Verteidigungsministerium jemanden zu finden, der ihm Gehör schenkt. Mittlerweile muss er sich der brutalen Verfolgung seitens der Sowjets widersetzen, die ihn wegen Gelddiebstahls öffentlich anzeigen und seine Wohnung durchsuchen. Aber dass man aufhört, die Stichhaltigkeit seiner Dokumente in Frage zu stellen, hat der Protagonist letzten Endes gerade der rohen Reaktion der Russen zu verdanken, die sich durch die Fahndung nach dem untreuen Genossen dekuvrieren, wie Oberst Galloway ganz offen eingesteht: »Seit dem Überfall auf Ihre [Gusenkos] Wohnung zweifle ich nicht daran, dass sie [die Akten] für uns sehr wichtig sind« (56). Der Authentizitätsanspruch des behandelten Falls wird dann am Ende durch Rundfunkansagen und Konferenzreden erhöht. Dabei versichert der Premierminister, dass er »keinen Grund gefunden habe, an dem Ernst und an der Aufrichtigkeit Gusenkos zu zweifeln«, und preist einen Kampf, »der dennoch erfolglos geblieben wäre, wenn

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einige als Botschaftsangehörige getarnte Funktionäre der sowjetischen Staatspolizei gestern nicht in seine Wohnung eingebrochen wären und uns auf die Wichtigkeit der Dokumente hingewiesen hätten« (58). Gesichtspunkt und Polarität des Kalten Kriegs sind hier schon deutlich vertreten, die Gegner bereits konturiert. Streng kontrapunktisch spricht es im Text Gusenkos Nachbar Macdonald aus, Feldwebel der kanadischen Luftwaffe, der den Protagonisten und dessen Familie vor dem Besuch der russischen NKWD, d. h. des späteren KGB, rettet und in seiner bewusst vereinfachten Logik Freiheit und Repression, Wahrheit und Verrat als unversöhnliche Gegensätze einander gegenüberstellt: NKWD? Was hat die sowjetische Geheimpolizei in unserem Haus zu suchen! Wir sind in Kanada und nicht in Moskau. (47) Solche Methoden können Sie vielleicht in Moskau anwenden, aber nicht hier. Und wenn Sie sich nicht zivilisiert benehmen können, werde ich die Polizei rufen. (48) Hier in meine Wohnung wird niemand einbrechen! Wir sind in Ottawa und nicht in Moskau. (50)

Wickert war diese enorme politische und symbolische Tragweite des Falls Gusenko wohl sehr bewusst. Der Skandal, der auch in diplomatischen, ihm gut bekannten Kreisen großes Aufsehen erregte, führte zur Aufdeckung infiltrierter Agenten, die keine ›feindlichen Ausländer‹ waren, sondern französische und englische Wissenschaftler, wie zum Beispiel der Brite Alan Nunn May, der ebenfalls ein überzeugter sowjetischer Spion war und deshalb 1946 auch inhaftiert wurde. Schwerwiegend und folgenreich wurde aber der Fall vor allem, weil er innerhalb der Welt der internationalen Beziehungen eine Trennungslinie markierte, die nicht unwesentlich zur Zuspitzung jener »paranoide[n] Struktur«210 beitrug, von der Enzensberger in seiner Theorie des Verrats spricht und die das besondere Verdachts- und Misstrauensklima des beginnenden Kalten Kriegs kennzeichnen sollte. j. a.: Diplomatie, Atom und Verrat. In: Die Abendpost. Frankfurt, 26. Juni 1956. Hendrik van Bergh: Unter dem Deckmantel diplomatischer Missionen. Durch Igor Gusenko wurde der Ring der Atomspione gesprengt. In: Das Ostpreußenblatt, 6. Oktober 1979, S. 20, unter URL: http://archiv.preussische-allgemeine.de/1979/1979_10_06_40.pdf. Dr. Erwin Wickert Schriftsteller und Botschafter a. D. im Gespräch mit Dr. Franz Stark. Interview. Gesendet am 10. Juni 1999, 20.15 Uhr, Bayerischer Rundfunk. Online-Text:

210 Hans Magnus Enzensberger : Zur Theorie des Verrats. In: Ders.: Politik und Verbrechen. Frankfurt a. M. 1964, S. 361–383, hier S. 371. Zur Verbindung von Spionage und Fiction im Kalten Krieg vgl. Eva Horn: Der geheime Krieg (Anm. I, 5). Zur Position der Physiker in diesem Kontext s. auch: Christian Forstner, Dieter Hoffmann (Hrsg.): Physik im Kalten Krieg: Beiträge zur Physikgeschichte während des Ost-West-Konflikts. Wiesbaden 2013.

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https://www.yumpu.com/de/document/view/318393/dr-erwin-wickert-schriftstellerund-botschafter-ad-im-gesprach-mit-. Christian Ferber : Erwin Wickert. In: Klaus Nonnemann (Hrsg.): Schriftsteller der Gegenwart. Dreiundfünfzig Porträts. Olten 1963, S. 320–324. Karl-Heinz Güldenpfennig: Am Fenster zur Welt. In: Telegraf, 24. Juni 1956. Uwe Klußmann: Stalins Atombombe. Kämpfer an der unsichtbaren Front. In: Spiegel Online, 16. August 2015, unter URL: http://www.spiegel.de/einestages/bau-der-sowjeti schen-atombombe-spione-und-zwangsarbeiter-a-1047699.html. Danny Kringiel: Spionage im Kalten Krieg. Geburt des amerikanischen Alptraums. In: Spiegel Online, 30. Juni 2010, unter URL: http://www.spiegel.de/einestages/spionageim-kalten-krieg-a-946503.html. Luchs: Bemerkungen zu den jüngsten deutschen Fernsehsendungen. In: Kölnische Rundschau, 23. Juni 1956. Deutsches Literaturarchiv Marbach. Bestand: A:Wickert, Erwin. O. A.: Emigranten-Roman. Angst unter der Maske. In: Der Spiegel, 25. August 1954, S. 26– 28. O. A.: Funk für Anspruchsvolle. In: Die Zeit (1955), 10. Februar 1955. O. A.: Staatsbegräbnis. In: Der Tagesspiegel, 24. Juni 1956. O. A.: Ungleiche Welten. »Der Verrat von Ottawa«. Fernsehspiel von Erwin Wickert. In: Kirche und Rundfunk, Juli 56. Deutsches Literaturarchiv Marbach. Bestand: A:Wickert, Erwin. Mattias Richl: Scharf gesehen. In: Radio Revue 28 (1956). Deutsches Literaturarchiv Marbach. Bestand: A:Wickert, Erwin. Victor Sebestyen: 1946: Das Jahr, in dem die Welt neu entstand. Übers. von Hainer Kober, Henning Thies. Berlin 2015 (besonders das Kapitel 6: Der Spion kam aus der Kälte, S. 96–102). Erwin Wickert: Der Verrat von Ottawa (1954). Manuskript: Deutsches Literaturarchiv Marbach. Bestand: A:Wickert, Erwin. Nachlass. Mediennummer : BF000134514. Ders.: Das Feature und seine Hörer. In: Der kluge Mann und das Radio. Hrsg. von der Evangelischen Akademie für Rundfunk und Fernsehen. München 1956, S. 45–50. Ders.: Mut und Übermut. Geschichten aus meinem Leben. Stuttgart 1991. Ders.: Die glücklichen Augen. Geschichten aus meinem Leben. Stuttgart 2001. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 36.

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Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega (1954)

Autor : Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 18. Januar 1955, Bayerischer Rundfunk Ort: Planet Venus Zeit: im Jahr 2255

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Dürrenmatts langjähriges Interesse am Themenfeld ›Atombombe/Kalter Krieg‹, das im Bühnenstück Die Physiker seinen Gipfelpunkt erreicht,211 kündigt sich bereits in dem 1954 entstandenen Hörspiel Das Unternehmen der Wega an, einer dystopisch-apokalyptischen Zukunftsvision, die mit der Auslöschung der Venusbewohner durch den Einsatz einer Wasserstoffbombe endet. Die Handlung spielt anno 2255. Wega ist der Name des Raumschiffs, mit dem eine westliche Delegation – »Mitglieder der freien verbündeten Staaten«212 – auf die Venus geschickt wird. Die schon auf ein Jenseits verweisende Räumlichkeit und die Dimension des Unterwegsseins lassen im Text sofort ein Vakuum entstehen, in das der Autor Aggressionslüste, Lügen und Ängste hineinströmen lässt.213 Das besondere ›Unternehmen‹, das der Titel nennt, besteht darin, die Venus-Bewohner in die heimliche Vorbereitung eines Nuklearangriffs zu verwickeln, für die sich die dichte Atmosphäre des Planeten strategisch ausgezeichnet eignet: Durch seine jede Beobachtung der Oberfläche unmöglich machende Wolkenschicht soll das Militärgeheimnis am besten bewahrt werden. Gleich am Anfang der Raketenfahrt stellt das Werk den später auch in den Physikern zentralen Nexus zwischen Atomwaffen und Machtaufteilung in der Konstellation des Kalten Kriegs her. Außenminister Wood gibt einen alarmierenden Überblick über die Steigerung der politischen Konfliktualität auf der Welt und die daraus folgende Dringlichkeit eines resolutiven »Wasserstoff- und Kobaltbombenangriff[s] auf Asien und Rußland« (87): Seit 1945 haben wir keinen Weltkrieg mehr gehabt, das sind nun dreihundertzehn Jahre. Es folgte die Periode der partiellen Konflikte: der Koreakrieg, der Bürgerkrieg in Indien, die australische Niederlage, und wie diese Konflikte alle heißen. Jetzt ist ein neuer Weltkrieg unvermeidlich geworden, so schrecklich dies auch für einen Außenminister zuzugeben ist. Dreihundert Jahre lang hat sich die Welt auf ihn vorbereitet. Die Diplomatie ist am Ende ihrer Künste, der Kalte Krieg läßt sich nicht mehr verlängern, ein Friede ist unmöglich, die Notwendigkeit, einen Krieg zu führen, größer als die Furcht vor ihm. Die freien, verbündeten Staaten Europas und Amerikas stehen Rußland und dem verbündeten Asien, Afrika und Australien gegenüber. Die beiden Gegner sind annähernd gleich mächtig. Annähernd. (88)

Damit wird dem Zuhörer angedeutet, dass das bipolare Machtgefüge parallele Kolonisationsstrategien auswählt. Sowohl die USA als auch die Sowjetunion 211 Näheres zu Dürrenmatts Auseinandersetzung mit der modernen Physik und zur entsprechenden Bibliographie im Teil II, Abschnitt 66. 212 Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega (Anm. I, 273), S. 84. Das 1955 in Deutschland zugleich im BR, SDR und NDR ausgestrahlte Stück wurde erst 13 Jahre später, am 1. Dezember 1968, in leicht modifizierter Fassung in der Schweiz, vom damaligen DRS2, urgesendet. 213 Zur symbolischen Valenz des Ortes ›Raumschiff‹ vgl. den Beitrag (mit Bibliographie) von Rebekka Ladewig: Das Raumschiff. In: Alexa Geisthövel, Habbo Knoch (Hrsg.): Orte der Moderne: Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt 2005, S. 57–67.

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benutzen die übrigens lebensfeindliche Venus als Ansiedlungsort für »moralisch minderwertiges Menschenmaterial« (87), und zwar die einen für »Kriminelle und dann in erster Linie jene Leute, die kommunistische Ideen vertreten und aus Sicherheitsgründen entfernt werden müssen«, die anderen für »Kriminelle und dann natürlich jene Leute, die westliche Ideen vertreten und aus Sicherheitsgründen entfernt werden müssen« (87). Wie immer bei Dürrenmatt gibt es doch ein paradoxes Aber. Womit die beiden Mächte nicht gerechnet haben, kommt dem, was der Dramatiker in den Physikern als schlimmstmögliche Wendung charakterisieren sollte,214 schon sehr nahe. Gerade die dorthin verbannten Verbrecher und politischen Sträflinge erweisen sich nämlich – in der stolzen Ablehnung irdischer Machtlogiken, von denen sie sich nunmehr entfernt und befreit haben – als überlegen. Wenn auch unter oder besser : ausgerechnet unter schrecklichen Bedingungen, von Gewittern, Überflutungen und Eruptionen geplagt, haben die Venusbewohner ein pragmatisches, unpolitisches, weil regierungsloses System entwickelt (»Wir müssen kämpfen, wenn wir leben wollen. Wir können uns Politik nicht leisten«, 95), ein System freier Zusammenarbeit, das nur auf gegenseitiger Verantwortung basiert, wie Minister Wood erkennt: »die Leute da oben sind frei. […] Keine Regierung. Jeder in der Lage, Bevollmächtigter zu sein« (99). Die Astrokolonie lässt sich für staatliche Machtinteressen nicht dienstbar machen. Während also die Mitglieder der RaumschiffKommission nur leere Phrasen parat haben: Die vereinigten freien Nationen der Erde, deren Vertreter wir sind, wissen, daß die Ideale – krachender Donner – daß die Ideale, denen wir uns untergeordnet haben und denen wir nachzuleben versuchen – langanhaltender Donner – die Ideale – Donner – der Humanität – Donner – und der Freiheit – krachender Donner – auch auf der Venus zu finden sind, wenn auch vielleicht unter einer anderen Form – tosender Donner – und so sind wir denn nicht aus irgendwelchen Berechnungen zu Ihnen gekommen – heranbrüllender Wind – sondern aus dem spontanen Entschluss, wie schon der alte Thomas Eliot sagte – Krachender Donner, unermeßliche Windstöße, Regenrauschen (93),

weigern sich die ›asozial‹ gewordenen Venusgefangenen, »aus der Menschheit entlassen« (116), am Krieg gegen Russland teilzunehmen, und verschmähen die dafür ausgesetzte Belohnung, auf »die milde Erde« (115) – so Minister Wood – zurückkehren zu dürfen. Ihr Argument ist ein doppeltes. Zum einen beklagen sie die fehlende Attraktivität ihres Herkunftsplaneten, der ihnen trotz seiner Schönheit und wegen sozialer Ungleichheiten nicht mehr begehrenswert erscheint: »Die Erde ist zu schön. Zu reich. Ihre Möglichkeiten sind zu groß. Sie verführt zur Ungleichheit. Auf ihr ist Armut eine Schande, und so ist sie geschändet. Nur hier ist die Armut etwas Natürliches. […] Und so haben wir 214 Vgl. hier Teil II, Abschnitt 66.

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Furcht vor ihr. Furcht vor ihrem Überfluß, Furcht vor dem falschen Leben, Furcht vor einem Paradies, das eine Hölle ist« (116–117). Zum anderen wollen sie das Risiko nicht eingehen, sich auf der Erde noch etwas zuschulden kommen zu lassen: »Wir müßten töten, wenn wir zurück wollten, denn helfen und töten ist bei euch dasselbe« (116). Deshalb finden sie, ungeachtet aller Drohungen der Raumschiffpassiere, die Umstände nicht dazu angetan, mit ihnen zu kooperieren (»›Ihr setzt die Bomben ein, wenn wir euch nicht helfen?‹. Wood: ›Wir müssen‹«, 118). Obwohl eine konkrete Erpressung oder wenigstens eine klare amerikanische Zusage in dieser Richtung bei den Verhandlungen zunächst nicht vorliegt, nehmen Bonstetten und die anderen Venusianer das »Ultimatum« (112) in Kauf, das ihnen die Wega-Kommission im Weigerungsfall stellen wird: Den Abwurf von Wasserstoffbomben »mit einem Kobaltmantel«. Sie wissen, dass geplante Taten kein reversibler Prozess sind und dass auch nur gedachte Handlungen (genauso wie die von Möbius theoretisierten wissenschaftlichen Kenntnisse) nicht mehr ›zurückgenommen‹ werden können. Die verbreitete Kultur der Angst und der Unsicherheit, der Feindlichkeit und des Verdachts wird über jene des Mitleids unweigerlich die Oberhand gewinnen. Am Ende wagt das Hörspiel einen prophetischen Ausblick in die von Misstrauen vergiftete Entwicklung der Menschheit: Wood: Wir setzen die Bomben natürlich nicht ein, Bonstetten. Ich habe nur damit gedroht. Da wir euch nicht zwingen können, wäre dies nur eine sinnlose Grausamkeit. Ich gebe dir mein Wort. Bonstetten: Ich nehme es dir nicht ab. Wood: Ich bin kein Schächter. Bonstetten: Aber ein Mensch von der Erde. Du kannst die Tat nicht zurücknehmen, die du denken konntest. Wood: Ich verspreche dir – Bonstetten: Du wirst dein Versprechen brechen. Deine Mission ist gescheitert. Noch hast du Mitleid mit mir. Doch wenn du auf dein Schiff zurückkehrst, wird dein Mitleid verblassen und dein Mißtrauen erwachen. Die Russen könnten kommen und mit uns ein Abkommen schließen, wirst du denken. Du wirst zwar wissen, daß dies unmöglich ist, daß wir die Russen behandeln würden, wie wir euch behandelt haben, aber an deinem Wissen wird ein Stäubchen Furcht kleben, daß wir uns vielleicht mit euren Feinden verbünden könnten, und um dieses Stäubchens Furcht willen, um dieser leichten Unsicherheit willen in deinem Herzen wirst du die Bomben abwerfen lassen. Auch wenn sie sinnlos sind, auch wenn du Unschuldige triffst, und so werden wir sterben. (117)

Ein bitteres Ende. Es signalisiert nicht nur das Versagen aller diplomatischen Beziehungen in der für den Kalten Krieg konstitutiven Welt der Spaltung und der Gegensätze, sondern darüber hinaus die Unausweichlichkeit des Untergangs. Dürrenmatt lässt keinen Zweifel daran, dass auf dieser Basis das Universum völlig ausgelöscht werden kann: »Nun sind die Bomben gefallen, und bald

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werden sie auch auf der Erde fallen« (124). Dem Außenminister bleibt auf der Rückfahrt von dem gescheiterten Venus-Unternehmen nichts anderes übrig, als sich auf die terminale Aussicht auf seinen »atombombensicheren Keller« zu freuen. Hansueli Beusch: Die Hörspiele Friedrich Dürrenmatts. Diss. Zürich 1979. Elisabeth Brock-Sulzer : Friedrich Dürrenmatt. Stationen seines Werkes. Zürich 1960. Friedrich Dürrenmatt: Das Unternehmen der Wega (1954). In: Ders.: Hörspiele und Kabarett. Zürich 1986, S. 77–124. Urs Jenny : Friedrich Dürrenmatt. München 1973. Eugenio Spedicato: Ästhetik des Kalten Kriegs bei Friedrich Dürrenmatt. In: Günther Stocker, Michael Rohrwasser (Hrsg.): Spannungsfelder. Zur deutschsprachigen Literatur im Kalten Krieg (1945–1968). Wuppertal 2014, S. 213–232. Renate Usmiani: Die Hörspiele Friedrich Dürrenmatts. Unerkannte Meisterwerke. In: Gerhard P. Knapp: Friedrich Dürrenmatt: Studien zu seinem Werk. Heidelberg 1976, S. 125–144. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 66.

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Erich Kuby: Die Zerstörung von Slawasch (1955)

Autor : Erich Kuby (1910–2005) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 10. März 1955, Südwestrundfunk Ort: fiktive Stadtinsel Zeit: Zukunft

In den zahlreichen Nachrufen auf den vielseitigen Publizisten und Schriftsteller Erich Kuby stößt man immer wieder auf die Betonung seiner ausgeprägt kämpferischen Attitüde. Als »›linkes Gewissen‹ der Bunderepublik«,215 »respektlos, bissig, unnachsichtig«, als »gnadenloser Polemiker«, »ein ewig Empörter, ein Gerechtigkeitsfanatiker«,216 »ein unbeugsamer Aufklärer«, »einer der letzten Aufsässigen«217 wird er mehrfach bezeichnet. Tatsächlich lassen sich in seinem ganzen Opus ein luzides Engagement und ein profiliertes politisches Verantwortungsbewusstsein schon seit den ersten Jahren der Bundesrepublik erkennen, in denen Kuby mit äußerster und konsequenter Vehemenz begann, 215 O. A.: »Linkes Gewissen«. Publizist Erich Kuby ist im Alter von 95 Jahren gestorben. In: Spiegel Online, 12. September 2005, unter URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ linkes-gewissen-publizist-erich-kuby-gestorben-a-374266.html. 216 Theo Sommer : Zum Tode von Erich Kuby. In: Zeit Online, 15. September 2005, unter URL: https://www.zeit.de/2005/38/Pointiert. 217 Ekkehart Krippendorff: Ein Solitär… und unbeugsamer Aufklärer gegen den Zeitgeist. In: Der Freitag, 37, 16. September 2005, S. 7.

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gegen den Zeitgeist und die deutsche Wiederbewaffnung heftig zu kämpfen. Die enge Verwandtschaftsbeziehung zu Werner Heisenberg, seinem Schwager, trug ohne Zweifel nicht unwesentlich zur Vertiefung seiner Kenntnisse im atomwissenschaftlichen Bereich und zu seinem starken Interesse an den damit zusammenhängenden Fragen bei. Das lange, kaum bekannte und unpublizierte Hörspiel Die Zerstörung von Slawasch, das der Südwestrundfunk am 10. März 1955 sendete, spricht gerade von dieser intensiven Auseinandersetzung mit der atomaren Abschreckungspolitik der Großmächte und von dem leidenschaftlichem Einsatz gegen die Nuklearrüstung, den der Autor in jenen Jahren unmittelbarer Bedrohung und tiefer Verunsicherung demonstrierte. Die Zerstörung von Slawasch ist ein antikriegerisches und stark antimilitaristisches Werk. Es spielt an einem imaginären Ort in einer imaginären Zeit, darf jedoch laut Spielanweisungen nicht »ins Traumhafte« abgleiten, sondern bezweckt eine realistische Dichte (»um der Realistik willen«).218 Den Ausgangspunkt bildet auf der kommentierenden Handlungsebene eine »viele Jahre nach dem dritten Weltkrieg« (1) von fremden Kolonisten entdeckte, dem Feuer wunderbarerweise entgangene Kiste voller Papiere, die die letzten Tage von Slawasch dokumentieren. Die Geschichte dieser Zerstörung, die auf der eigentlichen Handlungsebene erzählt wird, setzt mit der Ankunft einer Flugzeugstaffel vor der Toren der Kleinstadt ein, eines ruhigen, regeltreuen Nestes, wo keiner ohne Erlaubnis »eine Fliege tötet« (4). Die Raumsemantik weist einerseits eine deutliche Antithese zwischen der landschaftlich idyllischen Lage und dem militärischen Klima auf, andererseits aber auch eine enigmatische, ja unheimliche Spannung innerhalb der ländlichen Sphäre selbst. Auf das »Beinahe-Märchen« (9), das einem in Slawasch begegnet, folgt bald die suspekte Stimmung eines unbeweglichen, gespenstischen Vakuums – »alle Fenster sind geschlossen« (9) und »die Strassen sind leer« (10), bemerken gleich die dorthin kommandierten Besatzungsmilitärs. Ein Friedenseindruck, dem niemand traut (»komisch still«, 11). Es stellt sich heraus, dass die Zurückgezogenheit der Bevölkerung mit dem Neutralitätsstatus der Stadt zusammenhängt, denn »die Bürger haben die Anweisung, beim Eintreffen einer neuen Besatzung sich in ihren Häusern zu halten« (16), bis zwischen den Behörden des neutralen Territoriums und den eintreffenden Truppen ein Abkommen getroffen wird. Interessant ist dabei, dass hier trotz des für das Hörspiel typischen Fehlens einer optischen Dimension die Räumlichkeit eine Zentralität gewinnt, die zugleich konkret und symbolisch ist. Die Relevanz von Ort und Gegenständen ist konstant und jedes Raumelement wird für das metaphorische Gefüge funktionell, wie z. B. das im Rathaus hängende Bild des 218 Erich Kuby : Die Zerstörung von Slawasch. SWR, Historisches Archiv Baden-Baden. Hörspiel-Manuskript 301, zweite, nicht nummerierte Seite.

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alten Herrschers, das bei jeder Besatzung durch das Bild des neuen Machthabers abgelöst wird, und die zonale Teilung der Friedhofsfläche in zwei verschiedene Totentypologien, für die Armee der ehemaligen Feinde und für die aktuellen Besatzer. Auch die Diskussion über Organisation und Anordnung der einzuquartierenden Besatzer aufgrund der Mappe der begehbaren Orte ist ganz realistisch, soll aber gleichzeitig kontrapunktische Verhaltensmuster hervorrufen und das pragmatische Denken des Regiments als umweltfeindliches Bewusstsein versinnbildlichen. Nicht von ungefähr verschmäht der Oberst der Garnison sorglos den »mit der Ziffer 17 auf der Karte« (23) bezeichneten Platz, der für die Truppe sehr geeignet wäre, zugunsten eines Gebiets, das landwirtschaftliche Nutzfläche ist und durch die Truppenlagerung deshalb einen »Flurschaden« (23) erleiden wird. Die Trennung zwischen den zwei Realitäten – Dorf und Truppen – ist tief in ihrer historischen und ideologischen Distanz verankert. In den Soldaten, die nur »Schulungslager, Übungsplätze; und dann: Krieg, Trümmer, Wüste, Transporter, Absprung, Bunker, Bunker, Transporter, Landeplatz, Zeltlager, Bunker, die halbe Zeit im Schutzanzug, blaue Brille, Bleiplatten an den Füssen« (52) kennen, erweckt Slawasch unermessliches »Heimweh« (52), eine nicht mehr zu löschende Sehnsucht nach der verlorengegangenen Dimension von Häuslichkeit und Gemütlichkeit, Liebe und intakter Natur. Der warme Heuduft am Abend entzündet in ihnen eine nicht gesättigte Sinnlichkeit, viele scharen sich um den Zaun, nur um die Bäuerinnen anzuschauen (»sie haben rote Röcke, braune nackte Arme, weisse Kopftücher«, 50), und ändern die Wellenlänge der Fernsehprogramme ab, um ›neutrale‹, aufheiternde Sendungen zu empfangen. Als Gegenmittel für ihre wachsende Unzufriedenheit mit dem Sperrgebiet und für das latente Unbehagen an einer nunmehr als inhuman empfundenen Welt wendet der Oberst die strengste Disziplin an. Damit glaubt er, das Regiment von der Stadt fernhalten zu können, und hofft, dass sich seine Soldaten nicht in »knochenweiche Zivilisten« (53) verwandeln. Sie würden anfangen, über das Glück nachzudenken. […] Ich frage: wie wollten Sie unter solchen Umständen noch mit Männern kämpfen und siegen, die darüber nachdenken, wie schön es in Slawasch gewesen ist? Wie wollen Sie dem einfachen Mann begreiflich machen, dass dieses Slawasch nur zufällig existiert, dass seine Existenz jeden Tag zu Ende sein kann, dass es nur von unserer Gnade abhängt, ob es existieren darf, und dass es also kein Ort ist, wo das Glück wohnt, sondern wo der Tod wartet auf seine leichteste Beute. (54)

Doch Überläufer stellen sich bezeichnenderweise aus beiden Lagern ein. Jenseits aller scharfen Kontraste bleibt im Text so etwas wie eine Grauzone bestehen, die deplatzierend wirkt, denn selbst die von den Soldaten so beneideten Kleinstädter entbehren nicht einer gewissen Leere, eines Mangels an Werten, der sich in ihrer

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eher ataraxischen Neutralität widerspiegelt. Kuby projiziert also keine regressive Sehnsucht auf eine unberührte Bauernwelt. Die militärische Entwicklung hat alle Lebenssysteme unwiderruflich verbaut und der Entzug, das reglementierte Nichtteilnehmen der Slawascher am öffentlichen Leben der Gemeinde, erweist sich als keine Lösung. Auch in der Friedensoase Slawasch kann daher die Lust auf ein anderes Dasein keimen, die Lust zum Beispiel, die einen der Bewohner, Fackler, in die Nähe der Garnison treibt, ihn zum Verrat führt und, in Kombination mit anderen ununterdrückbaren Impulsen, wie Leidenschaft und Neid, sich für das Schicksal der Kleinstadt fatal auswirkt. Fackler: Ich heisse Fackler. Der Offizier : Schön. Und was noch? Fackler: Ich möchte Soldat werden. Der Offizier : In unserer Armee? Wie alt sind Sie? Fackler: 26 Der Offizier : Sind Sie in Slawasch geboren? Fackler: Ja, mein Vater ist Rechtsrat der Stadt. Der Offizier : Und warum wollen Sie Soldat werden? Fackler: Ich glaube, es ist der einzige Weg, unsere Insel zu verlassen. Der Offizier : Welche Insel? Fackler: Die Insel unserer Neutralität. Der Offizier : Die gefällt Ihnen nicht? Fackler: Das Leben auf dieser Insel ist sinnlos. Der Offizier : Sie glauben, als Soldat werden Sie einen Sinn finden? Fackler: Sie sind Soldat. Haben Sie ihn nicht gefunden? Der Offizier : Ich habe ihn noch nie gesucht, glaube ich. Wozu? Wir sterben doch alle bald. Fackler: Es ist leichter, sinnlos zu sterben als sinnlos zu leben. (100–101)

Solch einen höheren Lebenssinn erstrebt an der entgegengesetzten Front auch Neufforge, ein Soldat, der keiner ist (»ich hasse sie, sie und ihren Krieg, und ihre Gemeinheit und ihre Rohheit«, 70), zumindest nicht so einer, wie die Militärs sie brauchen. Neufforge verliebt sich in Slawash und in die schöne Tochter des Bürgermeisters, der ihm zur Flucht verhilft, und erhält als erster Fremder in Slawasch Asyl. Und es ist gerade dieses exogene Element, das dem abgeschlossenen Dorf zum Verderben wird. Als sich der Bürgermeister weigert, den Militärs den von Fackler aus Eifersucht verratenen Flüchtling auszuliefern, wird die Stadt atomar bombardiert und dem Erdboden gleichgemacht. Die letzte Szene ist eine trostlose, ausweglose Szene des Überlebens. Nur Neufforge und seine Verlobte, vom Bürgermeister in eine Höhle geschickt, haben sich aus Slawasch gerettet. Die verbliebenen Sachen wirken in dieser Verwüstung surreal wie das Szenario selbst. Das Paar hält sich am Leben dank Schutzanzügen und Bleischuhen und sieht der vom Titel angekündigten Zerstörung zu, die in die Szene akustisch eingeblendet ist (»Lärm einer brennenden

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Stadt, stürzender Dächer, rauschender Flammen, herabfallender Ziegel«, 118). Die Quelle versiegt, »die Erde ist vergiftet, und sogar der Himmel brennt«. Die Überlebenden tappen durch die Trümmer und suchen wieder in ihrer Grotte Unterschlupf. Aber es ist nur eine bittere Zuflucht: »Laß uns in die Höhle zurückgehen, wir wollen uns verkriechen, damit uns Gott nicht sieht« (122). Letzte ärmliche Zeugen einer Menschheit, die viel zu verdorben ist, als dass sie der Gnade Gottes noch teilhaftig werden kann. Ekkehart Krippendorff: Ein Solitär… und unbeugsamer Aufklärer gegen den Zeitgeist. In: Der Freitag, 37, 16. September 2005, S. 7. Erich Kuby : Die Zerstörung von Slawasch. SWR, Historisches Archiv Baden-Baden. Hörspiel-Manuskript 301. O. A.: Atom-Gegner. Sind dagegen. In: Der Spiegel, 14. Januar 1959, S. 21. Heinrich Senfft: Mit durchdringendem Blick. In: Die Tageszeitung, 13. September 2005, S. 6. Theo Sommer : Zum Tode von Erich Kuby. In: Zeit Online, 15. September 2005, unter URL: https://www.zeit.de/2005/38/Pointiert.

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Ilse Langner: Cornelia Kungström (1955)

Autor : Ilse Langner (1899–1987) Darbietungsform: Tragödie in drei Akten Uraufführung: 26. März 1955, Tribüne Berlin Ort: Stockholm Zeit: 1939–1950

»Ich sehe sie zwischen den Schauspielern der Tribüne (Berlin) nach der Uraufführung der ›Cornelia Kungström‹ (1955), ihrem Versuch, der Verantwortung des Wissenschaftlers im Atom-Zeitalter im Drama beizukommen, ein Versuch, der noch keinem gelungen ist. Daß sie’s gewagt hat, davon zu schreiben, bleibt ein Verdienst«.219 So würdigte Ingeborg Drewitz die Schriftstellerin und vielgereiste Journalistin Ilse Langner anlässlich ihres 80. Geburtstages. Zweifellos ignorierte Drewitz die zum Zeitpunkt der Tribüne-Aufführung schon erheblich angewachsene Dramenliteratur über Atom, Wissenschaft und Verantwortung, in der sie sich selbst anfangs wenig glücklich versucht hatte.220 Doch sind ihre Worte auch ein deutliches Zeichen für die Wiederentdeckung der produktiven und engagierten, wenn auch schon längst vergessenen Autorin 219 Ingeborg Drewitz: Die Selbstgewißheit Ilse Langners. In: Ilse Langner : Mein Thema und mein Echo. Hrsg. von Ernst Johann. Darmstadt 1979, S. 137–143, hier S. 137. 220 S. Teil II, Abschnitt 7.

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Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre.221 Relativ spät hat sich nämlich die literaturwissenschaftliche Forschung der Breslauer Schriftstellerin angenommen. Vor allem war es die Frauenforschung, die ab den achtziger Jahren das emanzipatorische Potential von Ilse Langners Figuren in Prosa und Dramatik erkannte und die Stärke der teils subversiven, teils idealistischen Protagonistinnen ihrer Werke in den Vordergrund der Untersuchungen stellte.222 Solch eine Frau – radikal, entschlossen, edelmütig – ist auch die Chemikerin im nie aufgeführten Drama Die Große Zauberin von 1938, aus dem nach verschiedenen Umarbeitungen das Ende der vierziger Jahre beendete Manuskript Schwarz-Weiße Magie entstand, das dann, leicht überarbeitet, 1955 unter dem Titel Cornelia Kungström in Berlin zur Premiere kam. Diese Fassung ist in die zweibändige Dramenausgabe von 1983 aufgenommen worden.223 Gewiss ist der ursprüngliche Text von 1938 von der Rüstungspolitik zwischen den Weltkriegen, dem politischen Klima nach dem Genfer Protokoll und dem Einsatzverbot chemischer und bakteriologischer Kampfmittel stark beeinflusst. Explizite Hinweise auf die neuen atomischen Waffen werden dann in die folgenden Umarbeitungen eingefügt, ohne jedoch, dass das Grundkonzept des Dramas davon berührt wird. Dem entspricht das tiefe Misstrauen gegen jegliche Anwendung ›absoluter‹ Waffen. Cornelia Kungström ist zentriert auf die Thematik von Massenvernichtungsmitteln, vor denen es keinen Schutz gibt. Kein Stück über die Atombombe an sich, sondern ein Drama über Segen und Fluch der Forschung, über die Anwendung wissenschaftlicher Vorgänge in Bereichen, wo sich die Grenzen zwischen den Branchen der Naturwissenschaft immer mehr verwischen.224 Grundlegend für die Handlung in beiden Nachkriegsfassungen ist die Überzeugung der Protagonistin, dass chemische Waffen unter Umständen eine ähnliche Zerstörungskraft entfesseln können wie Kernenergie. Die gleichnamige Heldin der letzten Version ist die berühmte, mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Prof. Dr. Dr. hc. Kungström. Nahezu von allen wird sie ›hofiert‹. Der Mann, Leiter 221 Einen gewissen Erfolg hatte die Langner zwischen den Kriegen besonders mit ihrem Drama über die Gründerin der Christian-Science-Bewegung Mary Baker-Eddy gehabt, Die Heilige aus USA von 1931, das von Max Reinhardt inszeniert worden war. 222 Vgl. Inge Stephan: Weiblicher Heroismus: zu zwei Dramen von Ilse Langner. In: Dies., Regula Venske, Sigrid Weigel (Hrsg.): Frauenliteratur ohne Tradition? Frankfurt a. M. 1987, S. 159–189, Helga Kraft: Ein Haus aus Sprache. Dramatikerinnen und das andere Theater. Stuttgart 1996, Friederike Bettina M. Emonds: Gattung und Geschlecht. Inszenierung des Weiblichen in Dramen deutschsprachiger Theaterschriftstellerinnen. Ann Arbor 1998; Monika Melchert: Die Dramatikerin Ilse Langner. »Die Frau, die erst kommen wird…«. Eine Monographie. Berlin 2002. 223 Ilse Langner : Die große Zauberin. Berlin 1938; Dies.: Schwarz-Weiße Magie. Unverkäufl. Manuskr. Hamburg [o. J., 1958]; Dies.: Cornelia Kungström (Anm. I, 127), S. 229–279. 224 Vgl. Robert Gerwin: Atome helfen der Biologie. In: Westermanns Monatshefte (1955), H. 10, S. 38–40.

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der Kungström-Werke, hängt an ihren Lippen und an ihren Entdeckungen, die er kühn zu realisieren und kommerziell zu verwerten vermag. Der gemeinsame Jugendfreund, der wohlhabende Bankier Niels Peterson, bewundert sie und unterstützt finanziell ihre Forschungen. Die Tochter, Karin, folgt derart dem Vorbild der von so viel Erfolg gekrönten Mutter, dass sie sich in der Wissenschaft mit ihr misst: Ich habe Dir nie von meiner Arbeit erzählt. – Biologische Pflanzenkunde, darüber lachst Du doch nur. Aber haben wir nicht das gleiche Ziel, Mutter? Die Gesundheit des Menschen. Nur daß Du die bereits Kranken mit künstlichen Heilmitteln gesund machst, während ich von Grund auf beginne. Ich bemühe mich, durch Vermeidung anorganischer Präparate eine Vergiftung der Pflanzennahrung von vornherein auszuschalten. (237)

Nur zeigt die Wissenschaft im Drama von Anfang an ihre Kehrseite. Und das ist eine riskante Seite. In den Worten des Geheimrats bedeutet sie immer »auch ein wenig Spiel mit dem Feuer« (239), und auch in vielen Medien werden deren Praktiken als ethisch zweifelhaft angeprangert: Am Tag der Preisverleihung erscheinen auf derselben Zeitungsseite ein lobender Artikel über die Auszeichnung der Chemikerin und eine erschreckende Notiz über den plötzlichen, unverständlichen Tod eines Arbeitslosen. Durch die Nähe der zwei allem Anschein nach voneinander unabhängigen Berichte (»Hier oben […] ›Die höchste wissenschaftliche Ehre, die eine Frau bisher errang‹ und darunter der Bericht über den furchtbaren Todesfall«, 239) wird gleich ein Kontrast zwischen wissenschaftlichen Entdeckungen und deren unkontrollierten Auswirkungen gebildet: »Ruhm der Chemie und ihre Verderblichkeit«, »Wissenschaft mordet Arbeitslosen« (240), lauten einige Schlagzeilen. Der mysteriöse Vergiftungstod beginnt aber bald, Rätsel aufzugeben: »Es ist grauenhaft, wohin uns die Wissenschaft führt. Selbst Mutter wird mir unheimlich« (240), bemerkt dazu Karin. Erst durch den Toten wird aber Cornelia auf die toxische Wirksamkeit des von ihr erfundenen Mittels aufmerksam, das »nicht zu sehr menschenfreundlich zu sein scheint« (260) und, wie sich herausstellen wird, in die Reihe der absoluten Waffen gehört. Der skrupellose Sohn Erik, Bombenabwerfer bei der Royal Air Force, der die Mutter ständig aufsucht, um ihr etwas Geld angeblich für seine Experimentierflüge abzuknöpfen, versucht Cornelias Geheimnis zu ergründen: »Phantastisch, wenn’s bei Dir tatsächlich ums Heil der Menschheit geht! Professorin schweigt. Oder ums Unheil?! Da haben wir doch schon ganz flotte Dinger! Atombombe – H-Bombe – Neutronenbombe? Viel bleibt da nicht zu erfinden übrig!« (260). Doch will das Stück gerade das unermessliche Erdvernichtungspotential von wissenschaftlichen Erfindungen aufzeigen, die der Nuklearenergie leider in nichts unterlegen sind: »Müssen es immer Bomben sein?« (260), fragt die

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Mutter, dabei die letale Tragweite ihrer Entdeckung langsam ahnend. Das Undenkbare liegt hier in einer »Art Vergiftung«, einer neuen »Pest«, wie sie im Stück bezeichnet wird, die genauso verwüstend auf das Menschengeschlecht wirken kann wie die Atombombe: »da könnten die Atomstädte aussterben, ehe neue Bomben hergestellt würden« (261). Aber genau diese Möglichkeit fasziniert den Sohn (»was ihr vorzüglichster Vernichtungsstoff überhaupt bedeutet: den allerhöchsten Ruhm und unausdenkbare Macht!«, 273). In seinen herrschsüchtigen Plänen verkörpert er den Inbegriff des Wahnsinns, der über die zukünftige Welt hereinbrechen kann, denn »die Menschheit bedeutet für ihn gar nichts« (269), wie die Mutter in einem Gespräch mit der Tochter schmerzlich erkennt. Überhaupt werden die meisten männlichen Gestalten im Drama negativen Eigenschaften zugeordnet, amoralischem Opportunismus, zynischem Kalkül, Geld- und Machtgier. Nicht einmal Cornelias Mann und der Freund Niels sind davon frei. Die beiden, die schon nach der Verbreitung der ersten Nachrichten über das unglückliche Opfer die negativen Effekte der Gerüchte auf Unternehmen und Börse befürchtet hatten, begeistern sich sogar für Eriks Vorsatz, aus der Erfindung der Mutter ein Riesengeschäft zu machen und sie schließlich dem Kriegsministerium anzubieten. Erik: Ein unauffälliges neues Gift – Niels: Im Zeitalter der Atombombe! Erik: Trotzdem – wirkungsvoller. […] Niels: Das Monopol eines – Stoffes, gegen den es keine Abwehr gibt – […] Erik: Weltherrschaft – mit immensem Gewinn! […] Niels: Wie stellst Du Dir das Ganze vor? […] Erik: Vater gibt mir seine Erfahrung, und Du gibst mir einen Hundert-Millionen-Kredit – dadurch seid Ihr beide beteiligt. (273–274)

Cornelia aber zählt zu den zahlreichen Wissenschaftlerfiguren, die aus Furcht vor den unerwarteten Folgen der Forschung die Weiterarbeit an ihrer Entdeckung nicht mehr verantworten können. Sie durchläuft den Kampf zwischen innerem Gewissen und wissenschaftlichem Berufensein: Allein – Das ist der Triumph des Tages – Der Triumph meines Lebens? Allein mit dieser furchtbaren Entdeckung – Kein Gott nimmt uns die Verantwortung ab. (256)

Und wie zahlreiche andere Physiker in den Atomdramen ist sie auch bereit, die gefundene Formel zu vernichten. Vom Laboranten Jensen erfahren wir, dass sie »die Aufzeichnungen aus dem Tresor genommen, noch mal angesehen und dann Blatt für Blatt verbrannt« hat (268). Als ihr jedoch der Sohn, in ein triumphierendes höllisches Gelächter ausbrechend, offenbart, dass er – darin Vorgänger

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und Beispiel für die Figur von Mathilde von Zahn in Dürrenmatts Physikern – ihr Geheimnis heimlich fotografiert hat, bleibt der Wissenschaftlerin nur die radikalste Lösung übrig: Kaltblütig greift sie zur Pistole und wird zur Mörderin des eigenen Kindes. Die Worte »Du wirst die Menschheit nicht vernichten« (279) bilden den tragischen Schluss des Dramas, den extremen Gestus, der der extremen Vernichtungsformel gemäß ist. Dass der Stoff, an dem die Schriftstellerin 20 Jahre lange arbeitete, auch später nicht an Aktualität einbüßte, beweist die erneute Inszenierung des Dramas, das am 9. Februar 1985 im Stadttheater Pforzheim vom Publikum mit großem Beifall aufgenommen wurde. Friederike Bettina M. Emonds: Gattung und Geschlecht. Inszenierung des Weiblichen in Dramen deutschsprachiger Theaterschriftstellerinnen. Ann Arbor 1998. Helga Kraft: Ein Haus aus Sprache. Dramatikerinnen und das andere Theater. Stuttgart 1996. Ilse Langner : Die große Zauberin (1938). Manuskript Berlin 1938. Dies.: Schwarz-Weiße Magie. Unverkäufl. Manuskr. Hamburg [o. J., 1958]. Dies.: Cornelia Kungström. In: Dies.: Dramen. Hrsg. von Eberhard Günter Schulz, Bd. 1. Würzburg 1983, S. 229–279. Dies.: Mein Thema und mein Echo. Hrsg. von Ernst Johann. Darmstadt 1979. Monika Melchert: Die Dramatikerin Ilse Langner. »Die Frau, die erst kommen wird…«. Eine Monographie. Berlin 2002. Brigitta M. Schulte: Ich möchte die Welt hinreißen… Ilse Langner 1899–1987. Ein Porträt. Rüsselsheim 1999. Agnieszka Sochal: »Es ist grauenhaft, wohin uns die Wissenschaft führt«. Zur Verantwortung der Wissenschaft für die Vernichtung der Welt durch moderne Waffen auf der Grundlage der Theaterstücke von Maria Lazar, Ilsa Langner und Hilde Rubinstein. In: Studia niemcoznawcze 37 (2008), S. 351–362. Inge Stephan: Weiblicher Heroismus: zu zwei Dramen von Ilse Langner. In: Dies., Regula Venske, Sigrid Weigel (Hrsg.): Frauenliteratur ohne Tradition? Frankfurt a. M. 1987, S. 159–189.

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Bertolt Brecht: Leben des Galilei (1955/56)

Autor : Bertolt Brecht (1898–1956) Darbietungsform: Schauspiel in 15 Bildern Uraufführung: 16. April 1955, Kammerspiele Köln Ort: Italien Zeit: 1609–1637

Die drei Fassungen von Bertolt Brechts Leben des Galilei (1938/39, 1947, 1955/ 56) sind zu oft besprochen und zu sehr bekannt, als dass sie hier detailliert analysiert werden müssten. Und die Literatur dazu ist zu umfangreich, um hier

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aufgeführt zu werden. Es wird deshalb nur kurz auf jene Aspekte eingegangen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Atomdiskurs und den Problematiken der hier diskutierten Atomdramatik stehen. Geht man von der langen Entstehungsgeschichte des Stücks aus, so merkt man deutlich, wie stark und ausgeprägt Brechts Interesse an Naturwissenschaften, insbesondere an der Physik war.225 Der Autor selbst berichtet, dass er sich bereits bei der ersten Fassung im dänischen Exil in physikalischen Fragen »bei der Rekonstruktion des ptolemäischen Weltbilds« von »Assistenten Niels Bohrs, arbeitend an dem Problem der Zertrümmerung des Atoms« habe beraten lassen.226 Als er aber 1945, zusammen mit dem Schauspieler Charles Laughton, daran ging, die English Adaption des Galilei für die amerikanische Bühne zu erarbeiten, sah er sich mit der nach dem ersten Atombombeneinsatz hereingebrochenen Lage konfrontiert, in der er rückblickend einen fundamentalen Epochenumbruch erkannte: Das ›atomarische Zeitalter‹ machte sein Debüt in Hiroshima in der Mitte unserer Arbeit. Von heute auf morgen las sich die Biographie des Begründers der neuen Physik anders. Der infernalische Effekt der Großen Bombe stellte den Konflikt des Galilei mit der Obrigkeit seiner Zeit in ein neues, schärferes Licht. Wir hatten nur wenige Änderungen zu machen, keine einzige in der Struktur.227

Die ›wenigen Änderungen‹, die das Spiel in dieser zweiten, nur Galilei betitelten Fassung erfährt – vor allem in Szene acht (Galileis Auseinandersetzung mit Virginias Bräutigam Ludovico, später Szene neun) und in der 14. Szene (Galileis Gespräch mit dem Schüler Sarti) –, bedingen eigentlich eine signifikante Akzentverschiebung in Richtung Schuld und Scheitern der Physik. In dem bei den späteren Überarbeitungen nicht mehr verwendeten Prolog zur Aufführung von 1947 fällt nicht zufällig der Begriff »Sündenfall«: Der Fall Galilei musste nun als Bekenntnis und als Vergehen gegen die Wissenschaft gelesen werden. Zum Prolog gehört auch ein in Knittelversen geschriebener, ebenfalls in die Druckversion nicht mehr aufgenommener Epilog der Wissenschaftler, in dem Brecht

225 Vgl. zu dieser spezifischen Thematik Meinhard Adler : Brecht im Spiel der technischen Zeit. Naturwissenschaftliche, psychologische und wissenschaftstheoretische Kategorien im Werk Bertolt Brechts. Ein Beitrag zur Literaturpsychologie. Berlin 1976, Werner Mittenzwei: Brecht und die Naturwissenschaften. In: Bertolt Brecht 73. Hrsg. von Werner Hecht. Berlin 1973, S. 153–167, Jan Knopf: Bertolt Brecht und die Naturwissenschaften (Anm. I, 5), Florian Vassen: Bertolt Brechts Theaterexperimente. Galilei versus Lehrstück. In: Stefanie Kreuzer (Hrsg.): Experimente in den Künsten. Bielefeld 2012, S. 91–130, Fang Wang: »Man experimentiert auch mit Menschen …« – zur Thematik der Einheit von Wissenschaft und Kunst bei Bertolt Brecht. Würzburg 1992. 226 GBA (Anm. I, 199), Bd. 24, S. 241. 227 Ebd.

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die frevelhafte politische Eingebundenheit der Physiker noch radikaler brandmarkt. Denn sie widmen feig der Schröpfung Einer Menschheit ihre Schöpfung Bis die Letzte alles wendet Bis die Gnomische Weiße, Atomische Sie und uns und alles endet.228

Den besonderen historischen Kontext betonend, in dem die Aufführungen der sogenannten amerikanischen Fassung zwischen Juli und Dezember 1947 in Beverly Hills und New York – mit Laughton selbst in der Rolle des Protagonisten und dem berühmten Joseph Losey als Regisseur – stattfanden, schreibt der Autor in der Vorrede: Man muss wissen, unsere Aufführung fiel in die Zeit und das Land, wo eben die Atombombe hergestellt und militärisch verwertet worden war und nun die Atomphysik in ein dichtes Geheimnis gehüllt wurde. Der Tag des Abwurfs wird jedem, der ihn in den Staaten erlebt hat, schwer vergesslich sein. Der japanische Krieg war es, der die Staaten wirklich Opfer gekostet hatte. […] Es war der Sieg, aber es war die Schmach einer Niederlage. Dann kam die Geheimhaltung der gigantischen Energiequelle durch die Militärs und Politiker, welche die Intellektuellen aufregte. Die Freiheit der Forschung, das Austauschen der Entdeckungen, die internationale Gemeinschaft der Forscher war stillgelegt von Behörden, denen stärkstens mißtraut wurde. Große Physiker verließen fluchtartig den Dienst ihrer kriegerischen Regierung.229

Bei dieser Rekonstruktion des Ereignisses und seines historischen Rahmens zieht Brecht ein herbes Fazit: »Es war schimpflich geworden, etwas zu entdecken«.230 Angesichts des zunehmenden Gewichts politischer und militärischer Kontrollinstanzen lässt er nun die ethische Verantwortung des Wissenschaftlers, die Frage nach seiner Widerstandskraft und der Rechtfertigung eines abstrakten, gesellschaftsfernen Forschereifers entschiedener in den Vordergrund des Spiels rücken. So macht er aus der ursprünglichen Kämpferfigur des Galilei einen bewussten ›Verräter‹: As a scientist I had an almost unique opportunity. In my day astronomy emerged into the market-places. At that particular time, had one man put up a fight, it would have had wide repercussions. I have formed the opinion, Sarti, that I was never in real danger ; for some years I was as strong as the authorities, and I surrendered my

228 Bertolt Brecht: Gesammelte Werke. Hrsg. von Elisabeth Hauptmann. Bd. 10. Frankfurt a. M. 1967, S. 937. 229 GBA (Anm. I, 199), Bd. 25, S. 66. 230 Ebd.

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knowledge to the powers that be, to use it, abuse it. Just as it suits their ends. I have betrayed my profession.231

Freilich, indem Brecht die »›Erbsünde‹ der modernen Naturwissenschaften«232 auf Galileis Abschwörung zurückführt, bürdet er dem Titelhelden auch ein Scheitern auf, das wissenschaftsgeschichtlich anachronistisch ist, da es die spätere Unterscheidung zwischen reiner und angewandter Wissenschaft voraussetzt. Wie Ursula Heukenkamp formuliert, auferlegt Brecht seinem Galilei »eine Entscheidungskompetenz […], die deren Interessen als lebendiges Individuum zuwiderläuft«.233 Aber ausgerechnet durch das vermeintliche Versagen seiner Figur schafft Brecht den motivischen Rahmen, in dem Galilei zahllosen Physikerdramen der deutschsprachigen Literatur Pate stehen sollte. Der Leitfaden der Verantwortungslosigkeit in der Wissenschaft, der in der zweiten Fassung schon ganz da ist, bestimmt auch die gewichtige Abrechnungsszene am Stückende, in der Galileis Bewusstwerdung gipfelt. Danach wird sich durchweg die dritte Fassung richten, an die der Dramatiker, nach Ostberlin zurückgekehrt, wieder Hand legt, anfänglich nur um die englische Version ins Deutsche zurückzuübersetzen. Mit Hilfe von Elisabeth Hauptmann, Benno Besson und Ruth Berlau fertigt Brecht einen Bühnentext an, der – nicht zuletzt unter dem entscheidenden Eindruck des vermeintlichen Spionagefalls Julius und Ethel Rosenberg und vor allem des gerichtlichen Verfahrens gegen Oppenheimer – das negative Urteil über Galileis Widerruf sogar noch verschärft. Diese dritte Fassung, die 1955 in der Reihe der Versuche wieder unter dem ursprünglichen Titel Leben des Galilei im Suhrkamp Verlag erscheint und in Köln uraufgeführt wird, überarbeitet dann der Dichter ein allerletztes Mal für die Bühneninszenierung des Berliner Ensemble, mit Ernst Busch in der Titelrolle. Den weiten internationalen Widerhall, den die Aufführung am 15. Januar 1957 im Theater am Schiffbauerdamm fand, konnte Brecht nicht mehr erleben, sowie auch jene außerordentliche Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Stücks, die Hans Mayer in seinem Essay über Brecht und Dürrenmatt von einer »Zurücknahme des Galilei von Bertolt Brecht«234 reden ließ. Im Grunde hält sich die Berliner Fassung, wie gesagt, an das Modell der amerikanischen Aufführung. Die in Bild 14 schon eingefügte Textpassage war von nun an bestimmt, der Atomproblematik auch in der deutschsprachigen Literatur eine neue und weitere Ausdehnung zu geben. Wie in der englischen 231 Ebd., Bd. 5, S. 180. 232 Ebd., Bd. 24, S. 240. 233 Ursula Heukenkamp: Drama der verlorenen Revolution. Rekonstruktionsversuche einer anderen deutschen Geschichte in Dramen der Nachkriegsjahre. In: Paolo Chiarini, Antonella Gargano, Ursula Heukenkamp und Frank Hörnigk (Hrsg.): DDR-Theater. Theater in der DDR. Roma 2010, S. 76. 234 Hans Mayer: Brecht und Dürrenmatt. In: Ders.: Brecht. Frankfurt a. M. 1996, S. 400.

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Fassung verurteilt auch hier Galilei den eigenen Verrat an der Wissenschaft. Ihr einziges Ziel, »die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern«, habe er verfehlt. Bitter erkennt er : »ich überlieferte mein Wissen den Machthabern, es zu gebrauchen, es nicht zu gebrauchen, es zu mißbrauchen, ganz wie es ihren Zwecken diente«.235 Dabei muss er leider auch einräumen, dass sich auf der Basis seines Widerstands eine ganz andere, positive Wissenschaftsentwicklung hätte anbahnen können, eine Art Ehrenpflicht, etwas wie ein hippokratischer Eid für Wissenschaftler, ohne den sie höchstens »ein Geschlecht erfinderischer Zwerge« seien, die »für alles gemietet werden können«.236 So wird Galilei nach KlausDetlev Müller »zum Stammvater der Tuis, der ›Vermieter des Intellekts‹, deren Produktivität Brecht seit dem Beginn seiner Emigration mit Sorge beobachtet und kritisch kommentiert hatte«.237 Durch ihn vollzieht sich exemplarisch die Verwandlung der neuen Astronomie aus einer Wissenschaft für alle zu einem Spezialfach. Und die »Kluft«, wie sie Galilei selbst an dieser Stelle bezeichnet, zwischen Wissenschaft und Volk erweitert sich in unwiederbringlichem Maße. Die Folge ist Galileis paradigmatisch gewordene apokalyptische Voraussage vom »universalen Entsetzensschrei«, der in der Zukunft auf das ›Heureka!‹, den »Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft«, antworten werde. Wie Müller zu Recht betont, war Brecht der Sinn dieser schwerwiegenden Entwicklung schon lange zuvor bewusst.238 1939 hatte der Dichter im Essay Über experimentelles Theater die »immer schreckliche Bedrohung der Menschheit« deutlich vorhergesehen und mit ganz ähnlichen Worten formuliert, dass »heute beinahe jede Erfindung nur mit einem Triumphschrei empfangen wird, der in einen Angstschrei übergeht«.239 Brechts These des Galilei als Kreuzfigur zwischen Aberglauben und Moderne, als eines Vorläufers, der sich in vollem Bewusstsein, wenn auch nicht ohne Bedenken, in die Rolle des Erneurers hineinversetzt und sich selbst als Wissenschaftler der neuen Zeit versteht, entspricht übrigens der Perspektive, unter der seine Epoche den italienischen Gelehrten sieht. Es sei hier nur kurz darauf hingewiesen, dass 1953 auch der Österreicher Frank Zwillinger ein Galileo Galilei betiteltes Drama liefert. Es trägt ursprünglich den vielbedeutenden Titel Der Baum der Erkenntnis und kommt erst 1960 auf die Bühne. Hier wird ein Bild von Galilei gezeichnet, der trotz aller Zweifel an der »Blindheit des Menschen« dennoch von seiner höheren Aufgabe überzeugt ist. Nicht von ungefähr stellt die Burgtheaterfassung an den Schluss der Uraufführung eine Aussage, die die Botschaft einer positiven, zukunftweisenden Vi235 GBA (Anm. I, 199), Bd. 5, S. 284. 236 Ebd. 237 Klaus-Detlev Müller : Bertolt Brechts »Leben des Galilei«. In: Walter Hinck (Hrsg.): Geschichte als Schauspiel. Frankfurt a. M. 1981, S. 251. 238 Vgl. Klaus-Detlev Müller : Brechts »Leben des Galilei« und die Folgen (Anm. I, 8), S. 392. 239 GBA (Anm. I, 199), Bd. 22, S. 549.

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sion der Wissenschaft enthält: »Die Frucht vom Baume der Erkenntnis stellt eine neue Aufgabe: sie mit dem Herzen aufzuwiegen«.240 Bei allen ästhetischen und dramaturgischen Unterschieden haben Zwillingers und Brechts Protagonisten doch eines gemeinsam: Beide besitzen bei weitem nicht die viel wissenschaftsskeptischeren Züge, mit denen die meisten späteren Physikerdramen ausgestattet sind. Brechts Hinzufügung des 15. Bildes in der Berliner Fassung, das im englischen Text fehlt, zielt eben darauf, die Selbstverurteilung Galileis zu mindern, und gibt ihn zumindest partiell seiner Historizität zurück. Galileis Discorsi überschreiten die Grenze, der Schüler Sarti kann dem pessimistischen Ausgang der vorletzten Szene eine vielleicht zuversichtlichere Wendung gegenüberstellen: »Wir wissen bei weitem nicht genug, Giuseppe«, so lauten Andreas letzte Worte, »wir stehen wirklich erst am Beginn«.241 Ein Beginn – damit kann textimmanent die Geburtsanzeige des neuen Zeitalters, konkreter noch die Aufnahme und wirkungsgeschichtliche Verbreitung der Lehre Galileis gemeint sein, rezeptionsgeschichtlich signalisiert aber dieser ›Beginn‹ auch den unbestreitbaren Einfluss des Galilei auf die beachtliche Reihe von Atomdramen, die in mehr oder weniger direkter Anknüpfung an Brechts parabolische Wissenschaftlerfigur geschrieben werden sollten. Meinhard Adler : Brecht im Spiel der technischen Zeit. Naturwissenschaftliche, psychologische und wissenschaftstheoretische Kategorien im Werk Bertolt Brechts. Ein Beitrag zur Literaturpsychologie. Berlin 1976. Bertolt Brecht: Werke, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlev Müller. Berlin, Weimar, Frankfurt a. M. 1988ff. (Leben des Galilei, Bd. 5. Die drei Fassungen, S. 7–389). Ders.: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Hrsg. von Elisabeth Hauptmann. Frankfurt a. M. 1967. Werner Hecht (Hrsg.): Bertolt Brecht. Über Politik auf dem Theater. Frankfurt a. M. 1971. Rudolf Heukenkamp: Dichter im Dienste der Nuklearrüstung? Die literarischen Beiträge zum Atomdiskurs der DDR zwischen 1945 und 1957 mit einem Blick auf Brechts »Leben des Galilei«. In: Krieg und Literatur (1990) 2, H. 3, S. 117–133. Jan Knopf: Bertolt Brecht und die Naturwissenschaften. Reflexionen über den Zusammenhang von Natur- und Geisteswissenschaften. In: Brecht-Jahrbuch (1978). Hrsg. von John Fuegi u. a., S. 13–38. Hans Mayer: Brecht und Dürrenmatt. In: Ders.: Brecht. Frankfurt a. M. 1996, S. 398–419. Werner Mittenzwei: Brecht und die Naturwissenschaften. In: Bertolt Brecht 73. Hrsg. von Werner Hecht. Berlin 1973, S. 153–167. Klaus-Detlev Müller : Bertolt Brechts ›Leben des Galilei‹. In: Walter Hinck (Hrsg.): Geschichte als Schauspiel. Frankfurt a. M. 1981, S. 240–253.

240 Frank Zwillinger : Galileo Galilei. In: Ders.: Geist und Macht. Dramen. Wien 1973, S. 83– 167, hier S. 155 und S. 163. S. dazu auch Teil II, Abschnitt 79. 241 GBA (Anm. I, 199), Bd. 5, S. 289.

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Ders.: Brechts ›Leben des Galilei‹ und die Folgen. Der Physiker als Gegenstand literarischer Phantasie. In: Norbert Elsner, Werner Frick (Hrsg.): »Scientia Poetica«. Literatur und Naturwissenschaft. Göttingen 2002, S. 379–402. Axel Schalk: Als Galilei abschwor. Bertolt Brecht und Heiner Müller und die Bombe. In: Ian Wallace, Dennis Tate, Gerd Labroisse (Hrsg.): Heiner Müller : Probleme und Perspektiven. Bath-Symposium 1998. Amsterdam 2000, S. 155–170. Ernst Schumacher : Der Fall Galilei. Das Drama der Wissenschaft. Darmstadt 1964. Ders.: Drama und Geschichte. Bertolt Brechts »Leben des Galilei« und andere Stücke, Berlin 1968. Florian Vassen: Bertolt Brechts Theaterexperimente. Galilei versus Lehrstück. In: Stefanie Kreuzer (Hrsg.): Experimente in den Künsten. Bielefeld 2012, S. 91–130. Robert Heinz Vellusig: Dramatik im Zeitalter der Wissenschaft. Die Fiktionen des Bertolt Brecht. Erlangen 1989. Fang Wang: »Man experimentiert auch mit Menschen …« – zur Thematik der Einheit von Wissenschaft und Kunst bei Bertolt Brecht. Würzburg 1992. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 43.

35.

Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer (1955)

Autor : Wolfgang Weyrauch (1904–1980) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 24. Mai 1955, Bayerischer Rundfunk Ort: Japan Zeit: Gegenwart

Anlass von Wolfgang Weyrauchs bekanntem Hörspiel Die japanischen Fischer ist der nukleare Unfall, der sich am 1. März 1954 bei den amerikanischen Atomtests im Pazifik ereignete und den japanischen Fischkutter Fukuryu-maru 5, Glücklicher Drache 5, traf. Unter dem Eindruck der Katastrophe, die über die Fischer und das Dorf hereinbrach und in der öffentlichen Meinung allgemeines Aufsehen erregte, schreibt Weyrauch einen ausdrucksstarken und bildmächtigen Text, der bald in beiden deutschen Staaten ein Klassiker der Gattung wird. Das Hörspiel wird im Mai 1955 vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt. In demselben Jahr trägt es der Autor selbst auf der Frühjahrstagung der Gruppe 47 bei einer – wie Fritz Raddatz in seiner Rezension für die NDL betont – »inhaltlich sehr aufrüttelnden Lesung«242 vor. Ein Jahr später wird es auch in der DDR, im Mitteldeutschen Rundfunk Leipzig, unter der Regie von Hans Goguel gesendet und in Sinn und Form erstmals veröffentlicht. Mehrere Schülergenerationen haben es danach in verschiedenen Ausgaben gelesen. 242 Fritz J. Raddatz: Wiedersehen mit der »Gruppe 47«. In: Neue Deutsche Literatur 3 (1955), H. 7, S. 158–160, hier S. 159.

Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer (1955)

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Zum großen Erfolg von Weyrauchs Japan-Stück trug nicht nur die damals besonders beliebte Form der funkdramaturgischen Gestaltung bei Themen von äußerster Aktualität, sondern auch der stark emotional aufgeladene Ausnahmezustand auf der von Radioaktivität verstrahlten Insel bei. Im Unterschied zu anderen Japan-Atomstücken der Zeit (Teil I, Abschnitt 2.2) ist es hier nicht mehr der erste Atombombenabwurf, der thematisiert wird, sondern die inzwischen zur Wirklichkeit gewordene Möglichkeit der radioaktiven Verseuchung infolge eines Wasserstoffbombentests. Das Spiel erzählt von den entsetzlichen Leiden der vom Fischfang zurückkehrenden Fischer und der Verstrahlung der heimgebrachten Fische, von der allmählichen Kontamination der Umwelt und dem Aussterben des vom radioaktiven Niederschlag betroffenen Dorfes, von den Bewohnern, die an der Strahlenkrankheit umkommen, und den wenigen Überlebenden, die mit der Entscheidung für einen Feuertod ringen. Eine zentrale Dimension gewinnt dabei auch der Opfer-Diskurs, der eine Radikalisierung in Richtung Entsagung und Selbstopferung erfährt. Den Hörern wird die Geschichte rückblickend vom Protagonisten, dem Fischer Susushi, berichtet, der »als einziger am Leben geblieben«243 ist und mit Hilfe anderer Stimmen den Augenblick des Unfalls und das Schicksal von Fischern und Dorf rekonstruiert. Als technisches Konstruktionsprinzip des Szenenübergangs verwendet der Autor die Zeitblende, die hier drei Realitäts- und Zeitstufen ermöglicht: Vermittels akustischer Variationen im Stimmenspiel, Senkung und Anhebung der Lautstärke – erzielt durch die verschiedenen Entfernungen der Sprechergruppen vom Mikrophon244 – können im Text drei gekoppelte Handlungsebenen zusammengedrängt werden. Ineinander verwoben sind erstens die gespielte Gegenwart, d. h. Susushis Ausheben des eigenen Grabes und seine direkten Worte an den Zuhörer ; zweitens die unwirkliche, fast geisterhafte Dimension, die aus Geräuschen, Schritten, Stimmen der Verstorbenen besteht, und drittens die berichtete Vergangenheit, wie sie aus der Erinnerung an das reale Geschehen bei der Explosion und in der Phase danach hervorgeht. Schon die erste Szene steht im Zeichen des Todes. Sie beginnt mit dem schon erwähnten Bild des Grabes, das Susushi scharrt (»Ich grabe mein Grab. […] Ich grabe es mit den Händen«, 35). Währenddessen hört man die Stimmen der 243 Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer. In: Sinn und Form 8 (1956), H. 3, S. 373–402. Wiederabgedr. in: Ders.: Dialog mit dem Unsichtbaren. Sieben Hörspiele. Mit einem Nachwort von Martin Walser. Olten, Freiburg i. Br. 1962, S. 59–90, und in: Ders.: Das grüne Zelt, Die japanischen Fischer. Zwei Hörspiele (Anm. I, 87), S. 37. Aus dieser Ausgabe wird hier zitiert. 244 Nach dem Wortlaut der Bühnenanweisungen: »Sprecher im 1. Raum: so dicht wie möglich am Mikrophon. Sprecher im 2. Raum: normales Mikrophon. Sprecher im 3. Raum: weit entferntes Mikrophon« (33).

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durch atomare Strahlung kontaminierten Bewohner, die bereits vor einer Stunde dem selbst gewählten Tod entgegengezogen sind (»Nein, Sie irren sich nicht, mein Herr«, wendet sich Susushi an den Hörer, »Sie hören die Schritte von Leuten, die tot sind«, 37). Den Wald um sich herum haben die wandernden Fischer, die toten Lebenden (»Wir sind tot, obwohl wir leben«, 35), angezündet, sich selbst dann verbrannt, um den Rest der Menschheit nicht zu kontaminieren. Hinten – am Ende des erbärmlichen Fischerzuges im Bergwald – geht, ganz allein, Susushi. Bevor er sich in das Grab hineinlegt, verkündet er der Menschheit seine allerletzte Botschaft. Zusammen mit den Stimmen seiner ExKameraden lässt er in lyrischem Stil die unseligen Ereignisse vorüberziehen, mit denen alles am fatalen Tag des Thunfischfanges begonnen hatte. Wir fingen den Thunfisch Wir fingen ihn in denselben Fischgründen wie immer. In der Nähe lag die Insel, wo sie immer ihre Versuche machen. Mit dem Atom. Dem grünen Drachen. Aber das machte uns nichts aus. In den Zeitungen stand, daß sie uns schonen wollten. Uns kleine Fischer. Wer tut schon Fischern etwas. Niemand. Wir dachten überhaupt nicht an die Leute mit ihren Versuchen. Wir dachten nur an unsre Beute. Wir sind arme Fischer. (39–40)

In symbolischer Anspielung auf den Namen des Bootes tritt hier gleich das wiederholte Bild des grünen Drachens in Erscheinung, zu dem sich die Wahrnehmung der Atombombe bei den Fischern verdichtet, eines der mythischen Deutungsmuster, zu denen die Fischer in ihrem totalen Unwissen greifen, um sich das Unerklärliche verständlich zu machen. Das Atom, ob als Drachenmonster begriffen oder als Infektion (»Dann kann ich niemanden anstecken, 37), ob als willkürliches Spiel (»Wir dürfen nicht zufällig sterben«, 44), als gerechte Strafe für einen kollektiven Verstoß (»Das muß seinen Grund haben. Sind wir besonders böse gewesen?«, 45) oder als Weltuntergang gedeutet (»es war wie am Jüngsten Tag«, 60), erscheint als das Rätsel schlechthin. In seinem Buch über Das nukleare Jahrhundert ordnet Michael Salewski die Phantasien der japanischen Fischer beim Anblick des zum Himmel aufragenden Atompilzes den typischen Bildern der »biblischen Apokalypse« zu, »mit denen die nukleare Weltvernichtung thematisiert wird«, und nennt in diesem Zusammenhang die »Anbetung des Tieres«.245 Eine solche Anbetung ist auch in Weyrauchs Hörspiel 245 Michael Salewski (Hrsg.): Das nukleare Jahrhundert (Anm. I, 6), S. 193.

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vorhanden, in dem das unbestimmte Gefühl einer apokalyptischen Angst mit dem Bedürfnis nach der Verehrung des ›neuen Wesens‹ einhergeht: Fischer : Es ist ein Ding am Himmel, das aus der Hölle stammt. Fischer : Was ist das bloß für ein Ding? Fischer : Das Ding ist gar kein Ding. Es ist ein Wesen. Fischer : Es reicht vom Meer bis zum Himmel. Fischer : Das Wesen frißt den Mond auf. Susushi: Betet. […] Fischer : Ich bete nicht mehr so, wie ich sonst gebetet habe. Fischer : Wie denn? Fischer : Ich bete das neue Wesen an. (41)

Das Atom kann alles sein. An manchen Stellen ist es der Teufel, der Speisen und Menschen vergiftet.246 Es macht den »Thunfisch schön und fett«, der »gleichzeitig […] der Mörder dessen [ist], der ihn fängt und verkauft und ißt« (62). Ein anderes Mal nimmt es die unsichtbare Form eines in die Menschen hineinspringenden Insekts an (»Das Atom ist in mich hineingesprungen«, 37; »Das Atom ist in dich hineingefahren«, 53) oder die parasitäre Gestalt eines Wurms, der sich durch die Körper frisst, es ist ein »Bandwurm«, von dem »die Ärzte […] den Kopf nicht gefunden« (59) haben. Charakteristisch für diese in vielen Varianten bald kanonisch werdende ikonische Codierung der Bombe sind die naiven Reaktionen, die durch das Ereignis ausgelöst werden. Auffällig ist dabei, wie der Autor unterstreicht, dass das Nuklearrisiko die nichtsahnenden Seeleute völlig unvorbereitet trifft. Die unfreiwilligen Zeugen des geheimnisvollen Blitzes fliehen verstört und in fieberhaftem Zustand unter einem Regen zurück, der »kein richtiger Regen« ist: »Der Regen war Regen und kein Regen. Er war Atomregen«, »nicht naß wie Wasser, sondern naß wie Öl« (46). Als der mutige Susushi alle nach Hause rudert, wähnen sich die armen Fischer in Sicherheit und zögern keinen Augenblick, ihren Fischfang zu verkaufen, durch den sie, schuldlos schuldig, dann die Atomseuche verbreiten. Von der Untersuchungskommission monatelang beobachtet und isoliert, kehren sie jedoch nach der Quarantäne getrost (»fast wieder gesund«, 57) ins Dorf zurück, aber nur um eine noch kläglichere Isolierung zu erfahren: »Keiner kommt zu uns. Alle schlagen einen Bogen um unser Dorf. Sie fürchten sich vor uns« (58). Das Resultat dieser Ahnungslosigkeit ist auf allen Ebenen verheerend, die Bombe hat schon die Grundlagen selbst der Gesellschaft gefährdet, sie hat den einen gegen den anderen gehetzt, den alten 246 »Was war das für ein Fisch, den du mir gestern verkauft hast?«, fragt ein Käufer Susushi nach dessen Rückkehr ins Dorf. »Er war so böse, daß ich ihn noch immer nicht bei mir behalten kann […] so verdorben, als ob ihn der Teufel vergiftet hätte«. »Der Teufel hat ihn vergiftet«, bestätigt Susushi, indem er versucht, sich für den Verkauf zu entschuldigen: »Käufer: ›Und da hast du ihn mir verkauft?‹. Susushi: ›Ich habe nicht nachgedacht‹« (55).

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Gemeinsamkeitssinn zerstört (»Sie halten uns für aussätzig«, 58). Auf jeder Lebensstufe – der individuellen, familiären, physischen – hat sich die zersetzende Kraft des Atoms auf fast mythische Weise des Dorfes ermächtigt: Das Atom wurde von den Stürmen über den Wolken tausend Meilen weit geweht. Zu uns. Zu unserm Dorf, kann man sagen. […] Jetzt ist unser Dorf ganz leer. […] Die Hütte, die einmal meine Hütte war, ist voll Atom. […] Ich habe Brot angefaßt, und das Atom ist ins Brot gekrochen. Ich habe mich ins Bett gelegt, und das Atom hat sich dazugelegt. Ich wasche mein Bettzeug im Bach, das Atom fließt im Bach zu meinem Nachbarn, der seine Wäsche wäscht, und der sein Hemd anzieht… (46)

Zu dieser Fokussierung auf die Unwissenheit der Menschen um Bedeutung und Nebenwirkungen der Verstrahlung sowie auf die Wehrlosigkeit der armen Fischer gegenüber der Macht des Atoms gesellen sich in Weyrauchs Hörspiel auch viele der üblichen Figurationen der radioaktiven Verseuchung, so wie sie das antinukleare Theater in der Darstellung der schaudererregendsten Folgen des Fallouts verarbeitet hat. Bilder des Grauens tauchen hier mit jenem »katastrophale[n] Kitzel« auf, den Peter Sloterdijk mit Bezug auf die Wahrnehmung von Atomunfällen herausstellt.247 Auch bei Weyrauch kommen die bizarrsten und hyperbolischsten Beschreibungen des Entsetzens vor. Es sind »Fratzen statt Gesichter«, während das »Gesicht eine einzige Blase« (48) und die Haut »ganz schwarz« (53) ist. Manche können sich »die Haut abziehen. Wie bei einem Pfirsich« und haben »keine Haare mehr« (53), andere »hatten Durchfall […] husteten Blut« (52). Der Fischkäufer hat »keine Galle mehr« (55) und die schwangere Frau hat »eine Fehlgeburt«, ein totes Kind, das »wie ein Äffchen« aussieht. Hungrige Säuglinge stoßen »mit der Zunge die Warze« aus ihrem Mund und die Kinder im Bauch der Mütter sind »keine richtigen Kinder […]. Keine Augen. Kein Hirn« (60). Zu den weiteren Motiven, die für das Genre der Japan-Dramen besonders charakteristisch sind, lässt sich bei Weyrauch auch eine interessante Variante des typischen Schattenmotivs rechnen. Es wird mehrmals im Text gesagt, dass alle von dem Nuklearversuch betroffenen Dorfeinwohner nur noch Schatten ihrer selbst sind. Auch in dieser Hinsicht wird ihnen alles Menschliche abgesprochen. Susushis Frau kann sich aus Ekel sogar nicht mehr vorstellen, mit ihrem Mann zusammen zu sein, aus dem der grüne Drache – wie sie sich explizit ausdrückt – einen Schatten gemacht hat, denn »Schatten kann man nicht anfassen. Schatten können nicht lieben. Schatten kann man nicht lieben« (54). Vor diesem nunmehr ausweglos gewordenen Hintergrund beschreibt Weyrauch die letzte Entscheidung der Überlebenden, von allen wie eine Leprakolonie gemieden, sich in die Berge zu verkriechen, um dort zu sterben, als die 247 Peter Sloterdijk: Wieviel Katastrophe braucht der Mensch? In: Psychologie Heute 13 (1986), Nr. 10, S. 28–37, hier S. 32.

Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer (1955)

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einzige Möglichkeit, ihren Leidensweg zu beenden. In den Chormonologen der Fischer wird dieser trostlosen Aussichtslosigkeit Ausdruck verliehen. Und in der genauen Wiederholung derselben syntaktischen Figuren einmal in der Präteritumsform und einmal im Futur gewahrt man die Unwiderruflichkeit alles Geschehenen auch für die Zukunft: Ja, es wird wie am Jüngsten Tag. Es wird wieder wie am Jüngsten Tag sein. Drachen schwirrten über uns. Sie werden über uns schwirren. Sogar die Toten waren verseucht. Sie werden verseucht sein. Der Phosphor in ihren Knochen strahlte den Tod aus. Die Phosphorknochen werden den Tod ausstrahlen. Es gab mehr Tote als Lebendige. Es wird mehr Tote als Lebendige geben. Es waren so viele Tote da, daß das Holz für die Särge nicht ausreichte. Das Holz wird für die Särge nicht reichen. […] Es waren gar keine Bäume da. Es werden keine Bäume da sein. Die Wälder waren verkohlt. Die Wälder werden verkohlt sein. Alles war verkohlt. Die Häuser waren verkohlt. Sie werden verkohlt sein. Die Leute flohen in die Flüsse, weil sie es in den glühenden Gassen nicht aushielten. Sie werden in die Flüsse fliehen. […] Das Atom war auch in die Flüsse gesprungen. Es wird in die Flüsse springen. (61)

Der gemeinsame Opfertod, der sich als der einzige Ausweg erweist, denn »wer zusammen gelebt hat, stirbt auch zusammen« (59), soll daher eine fast kathartische Wirkung haben, die sich auf die Rezipienten übertragen soll. Bei seinem Abschied spricht Susushi den Hörer direkt an und fordert ihn zur Wachsamkeit auf: »Gleich höre ich auf. […] Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte. Ich bin froh darüber. Seid wachsam, ihr!« (64); ein Schluss, der Weyrauch übrigens von manchen Kritikern als eine »eher resignative Haltung«248 angekreidet wurde. In der Beschreibung seines Gedichtes Atom und Aloe für Hans Benders Anthologie Mein Gedicht ist mein Messer, die ebenfalls 1955 erschien, hat Weyrauch jedoch 248 Margret Bloom: Die westdeutsche Nachkriegszeit im literarischen Original-Hörspiel (Anm. II, 145), S. 289. »Eine Kritik an dem Hörspiel«, so argumentiert die Kritikerin, »hat vor allem darauf hinzuweisen, daß der Autor nicht die Zustände und Verhältnisse der Realität ändern will, sondern die innere Einstellung des Menschen zur Welt, die von ausschlaggebender Bedeutung zu sein scheint« (ebd.).

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ausdrücklich seinen Anspruch auf eine Auseinandersetzung mit der politischen Realität seiner Zeit betont und sich vehement zu der Aufgabe bekannt, gegen den atomaren Untergang zu schreiben: »Atom, das frißt an uns, und bald wird es, unser Trauma, uns auffressen. Auch mich. Es sei denn, wir empörten uns dagegen. Das heißt, wir lehnten uns gegen das auf, was böse daran ist. Auch ich. Gegen die Entmenschlichung des Menschen durch den Menschen. Wie könnten wir es aber? Wie könnte ich es? Ich schreibe. Also könnte ich versuchen, das Atom schreibend zu atomisieren«.249 »Das Atom schreibend zu atomisieren«, eine prägnante Formulierung, in der Weyrauchs Anliegen zum Ausdruck kommt, vor der Bedrohung zu warnen, wie er selbst sein Ziel in dem Begleitschreiben des Hörspiels an den Bayerischen Rundfunk kennzeichnete.250 In diesem bewussten Anschreiben gegen das wachsende Zerstörungsrisiko liegt auch der Sinn eines starken politischen Vermächtnisses, »denn wozu wären die Schriftsteller sonst da,« – fragt sich der Dichter im nuklearen Zeitalter – »als die Summe des Bösen zu vermindern und die Summe des Guten zu vermehren? […] Das Moos ist schön und es ist schön, das Moos zu schildern. Aber das Moos ist vom Atom bedroht«.251 Helmut Günther : Lebendige Monotonie. In: Kirche und Rundfunk, 28. Mai 1955. O. A.: Eine Dichterstimme gegen die Atomwaffe. In: Funk-Korrespondenz, 1. Juni 1955. Ulrich Ott, Friedrich Pfäfflin (Hrsg.): Wolfgang Weyrauch: Die japanischen Fischer. In: Dies.: (Hrsg.) Konstellationen. Literatur um 1955. Marbacher Kataloge 48, Marbach 1995, S. 202–204. Wolfgang Weyrauch: Mein Gedicht ist mein Messer. In: Hans Bender (Hrsg.): Mein Gedicht ist mein Messer. Lyriker zu ihren Gedichten. Heidelberg 1955, S. 22–34. Ders.: Die japanischen Fischer. In: Sinn und Form 8 (1956), H. 3, S. 373–402. Wiederabgedr. in: Ders.: Dialog mit dem Unsichtbaren. Sieben Hörspiele. Mit einem Nachwort von Martin Walser. Olten u. Freiburg i. Br. 1962, S. 59–90, und in: Ders.: Das grüne Zelt, Die japanischen Fischer. Zwei Hörspiele. Stuttgart 1963, S. 33–64. Ders.: Autobiographisches Nachwort. In: Ders.: Das grüne Zelt, Die japanischen Fischer. Stuttgart 1963, S. 65–68. Ders.: Dialog mit dem Unsichtbaren. Fragmente zu einer Hörspieldramaturgie. In: Rundfunk und Fernsehen 9 (1961), S. 40–48. Ders.: Mit dem Kopf durch die Wand: Geschichten, Gedichte, Essays und ein Hörspiel. Darmstadt 1972. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 29.

249 Wolfgang Weyrauch: Mein Gedicht ist mein Messer. In: Hans Bender (Hrsg.): Mein Gedicht ist mein Messer. Lyriker zu ihren Gedichten. Heidelberg 1955, S. 22–34 (hier S. 22). 250 Vgl. Margaret Bloom: Die westdeutsche Nachkriegszeit im literarischen Original-Hörspiel (Anm. II, 145), S. 288. 251 Wolfgang Weyrauch: Mein Gedicht ist mein Messer (Anm. II, 249), S. 25.

Erwin Wickert: Hiroshima (1955)

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Erwin Wickert: Hiroshima (1955)

Autor : Erwin Wickert (1915–2008) Darbietungsform: Hörfolge Erstsendung: 10. August 1955, Süddeutscher Rundfunk, Nordwestdeutscher Rundfunk, Sender Freies Berlin, Österreichischer Rundfunk Ort: Hiroshima Zeit: einige Jahre nach dem Bombenabwurf

Im Unterschied zu Oskar Wessels und Karl Georg Egels gleichnamigen Stücken von 1948 und 1950252 fällt Erwin Wickerts Hiroshima schon in eine Zeit, in der der Bekanntheitsgrad der Schäden und Opfer der Bombe auch in Europa erheblich gestiegen war, wo Anfang der fünfziger Jahre viele Veröffentlichungen zum Thema zu zirkulieren begonnen hatten.253 1955 ging der langjährige Botschafter und Schriftsteller, der sich bis ins hohe Alter mit dem Orient beschäftigen sollte,254 nach Hiroshima und befragte selbst die Überlebenden der ersten Atombombe. Mit dem Ziel, den Deutschen das neuartig Schreckliche und das Unerhörte des ungeheuren Erlebnisses nahezubringen und es durch Zeugnisse der Ereignisse lebendig zu gestalten, verfasste er nach vielen Interviews einen dokumentarischen Funktext, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 9. August 1955, anlässlich des 10. Jahrestags des zweiten Atombombenabwurfs über Nagasaki, in Auszügen veröffentlichte. Einen Tag darauf wurde das Stück von verschiedenen Radiosendern simultan ausgestrahlt. Unter dem Titel Hiroshima und dem Untertitel Authentischer Bericht aus der Stadt, die der Atombombe zum Opfer fiel erschien es dann vier Jahre später im Deutschen Theaterverlag als exemplarische ›Leseszene‹ für den Gebrauch in Schulen.255 Als Genre ist Wickerts Hiroshima eben eine Hörfolge, also kein Hördrama sensu stricto, sondern eher ein aus Collage und Montage entwickeltes Feature, das, durch verschiedene Sprecher (im Lesetext sind es fünf) und kurze Einblendungen von authentischen Aussagen, Informationen über Art und Effekte des unfassbaren Ereignisses vom 6. August 1945 übermitteln will. Das neutrale Register der Wiedergabe stärkt die bewegende Intensität der Erinnerungen. Abwechselnd werden die verschiedenen Gesichtspunkte berücksichtigt, aus denen sich das Katastrophenbild zusammensetzt: aus der Perspektive von Amerikanern und Japanern, Siegern und Besiegten, Zeugen und Opfern, aus dem Vorher und Nachher. Und ganz unterschiedlich sind auch die daraus re252 S. Teil II, Abschnitte 4 und 19. 253 S. dazu Anm. II, 116. 254 Über China und den Orient hat Wickert Verschiedenes geschrieben. S. die Bibliographie am Ende dieses Abschnitts und Anm. II, 203. 255 Erwin Wickert: Hiroshima (Anm. I, 69).

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sultierenden Gegensätze von Zertrümmerung und Friedensdenkmälern, Hypozentrum und Epizentrum, blendender Strahlung und bleierner Dunkelheit. Beschrieben werden in erster Linie, und in erster Person, die Schicksale von Japanern, die den tragischen Augenblick erlebten, darunter Ärzte und Krankenhauspersonal. Da ist der Kinderarzt Sasada, der nachts immer noch »das Geschrei des Kindes« (12) hört, das er vor den Flammen nicht retten konnte. Dann kommt jener Dr. Hachiya Michihiko zu Wort, der jeden Tag im August und September 1945 von der zerstörten Stadt und den Überlebenden in sein weltweit bekannt gewordenes und in Übersetzung auch in Deutschland viel gelesenes Tagebuch schrieb.256 Eine andere Stimme – Professor Tsusuki, der den medizinischen Untersuchungsausschuss für Atombombenschäden tatsächlich leitete – schildert in Einzelheiten die entsetzlichsten Symptome von Explosion und radioaktiven Strahlungen, je nach Entfernung vom Hypozentrum, die unerträglichen Schmerzen, die anschwellenden Narben und das erstmalige Auftreten von nie gesehenen Missbildungen (13–14). Die Krankenschwester Hiroko führt weitere Bilder ein, wie die Hand, die sie wegen der Hitze vor das Gesicht hielt und an der sie danach keine Haut mehr spürte; ein Motiv, das in Hiroshima mehrmals aufgegriffen und von Hiroko selbst in einen Zusammenhang mit dem ebenso oft wiederholten Lichtblitz-Symbol gestellt wird. Das Mädchen erinnert sich an den Blitz in der Dunkelheit: »Ich weiß nicht, woran ich gedacht habe. Dann hatte ich das Gefühl zu schweben. Und alles war dunkel« (6). Auch Frau Kitayama sah »einen Blitz, den [sie] nicht beschreiben kann. Es war als ob das Auge selbst brannte: Oder als ob Millionen Funken im Augen sind. […]. Und dann war alles dunkel« (7). Analog dazu beschwört der Staatspolizist Isamu Kamie den Augenblick der Katastrophe als blitzartigen Wechsel von Licht und Finsternis, dessen vernichtende Potenz in einem angsterregenden Kontrast zur schützenden Funktion der Buddhastatue steht: Auf einmal hing im Nebenzimmer ein goldgelbes Licht wie ein Stab von der Zimmerecke. Und Buddha – die Buddhastatue in der Zimmerecke streckte eine Hand aus, als wolle sie mich schützen. Dann war alles auf einmal grellweiß. Ich habe nichts gehört. Nur ein leises Knistern, wie bei einer Blitzlichtaufnahme. Dann sah ich überhaupt nichts mehr. (7)

Vielen Äußerungen gemein ist ein chromatisch reiches Spektrum an Nuancen, denen etwas Unwirkliches anhaftet: Der dritte Sprecher redet von einem »roten Rauchstreifen« (5); Hiroko von »hellweiß« (6), Isamu Kamie von »grellweiß« 256 Hachiya Michihiko: Hiroshima-Tagebuch. Aufzeichnungen eines japanischen Arztes vom 6. August bis 30. September 1945. Aus dem Amerikanischen von Arno Dohm. Freiburg i. Br. 1955. Darüber schrieb auch Canetti einen kurzen Essay : Elias Canetti: Dr. Hachiyas Tagebuch aus Hiroshima (1971). In: Ders.: Das Gewissen der Worte. Essays. Frankfurt 1982, S. 220–228.

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(7); Frau Kitayama sah »rotgelbe und bunte Dinge« (7). Für den ersten Sprecher hatte die Bombe »rötlich-blaue oder dunkelbraune Flammen« (8). Der Berichterstatter des Begleitflugzeugs erzählt von einem bläulich-grünen Licht und der dreifarbigen Rauchsäule (»Der Fuß war dunkelbraun, die Mitte bernsteinfarben und der Kopf weiß«, 8). Der Widerschein der Explosion, »von weißer Kleidung reflektiert«, brannte »dunkle Stoffmuster« (9) in die Haut der sie tragenden Menschen, und »der Regen war schwarz« (13) – um nur einige Beispiele dieser dissonanten Farbigkeit zu nennen. Überhaupt wird das Wortfeld ›Licht‹ – grell, hell, Blitz, Funken – in allen sinnlich wahrnehmbaren Begleiterscheinungen, wie Hitze, Glut, Feuer, Flammen, Rauch, und in Verbindung mit Begriffen des Sehens und dessen physischer und technischer Extensionen (Augen, Brillen, Blitzlichtlampe) intensiv gebraucht. Aller als ›Stimmen‹ bezeichneten Personen rekonstruieren visuelle Wahrnehmungen, die suggestiv an die Stelle fehlender akustischer Wahrnehmungen und Erinnerungen treten. Dadurch wird eine Art ›Hörbild‹ erzeugt, das die übermittelten Wirklichkeitseindrücke stimulieren soll. Ohne Ausnahme betonen Sprecher und Zeugen der Explosion, nichts oder nur wenig davon gehört zu haben. »Eine Detonation hörte ich nicht« (7), erklärt Frau Kitayama. Pater Lasalle, Missionar in Hiroshima, berichtet, in seinem lichterfüllten Zimmer eigentlich nicht an eine Atombombe gedacht zu haben, »denn ich hörte nichts, keinen Schall – nichts. Und dann, einige Sekunden später, schien alles über mir zusammenzubrechen, und alles war dunkel« (6). Auch Isamu Kamie habe »nichts gehört. Nur ein leises Knistern« (7). Und mit eben denselben Worten (»ich habe nichts gehört«) umschreibt auch Dr. Hachiya das Geschehen. In seiner chorähnlichen Rolle rekapituliert schließlich der dritte Sprecher, wie alle Menschen nur ein »helles Licht gesehen« hätten. Niemand habe aber »die Explosion gehört, höchstens ein knisterndes Geräusch, wie das einer Blitzlichtlampe« (9). Sogar Captain Robert Lewis, der amerikanische B-29-Führer, verweilt in seinem Interview bei dem Eindruck heftiger Stöße, denn die Männer der Flugbesatzung – präzisiert er weiter – »hörten kein Geräusch« (7). Dabei verwenden die Stimmen einen Wortschatz, der sich zehn Jahre nach der ersten Bombe im allgemeinen Sprachgebrauch sowie im Nuklearvokabular nunmehr etabliert hatte. Es tauchen gängige Wendungen auf, wie Aschenregen, Rauchpilz, Rauchwolke, Lichtball, Lichtexplosion, und das übliche Repertoire der Feuermetaphorik: Feuerball, Feuersäule, Atombombensonne. Aber zugleich macht sich auch eine Verwissenschaftlichung der Sprache in Komposita – Magnesiumblitz, Gammastrahlen, Wärmestrahlen, Druckwelle – bemerkbar, die einer neuen Phase in der Diskursgeschichte der Atomenergie entspricht, wie sie sich auch in einer gewissen Versachlichung der Informationen zeigt. Wickert lässt die drei Arten der Energieentwicklung bei einer Bombenexplosion ausführlich erläutern: »1. Wärme- und Licht-Energie – 2. mechanische Energie –

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3. radioaktive Energie« (8–9). Äußerst technische Erklärungen werden nicht vermieden, aber um einer Ermüdung der Zuhörer möglichst entgegenzuwirken, wechseln sich die Stimmen der Sprecher mit sehr kurzen Textabschnitten ab. Variiert wird der Text auch durch den Einschub von Zitaten aus dem Interview, das kurz nach dem Abwurf der Ko-Pilot der Enola Gay gegeben hatte. In der Erstsendung werden sie im Original ausgestrahlt. Captain Lewis erscheint hier vorwiegend als ein Rädchen im politisch-militärischen Getriebe: »Ich hoffte, das Wetter über Japan werde auch heute wieder schlecht sein, wie während der vier Tage, an denen ich vergeblich geweckt worden war« (4). Es sei außerdem nicht sicher gewesen, ob sie »der Wirkung der Bombe entkommen könnten« (5). Beinahe ein Opfer also und keineswegs von jenen Reuegefühlen belastet, die die Pilotenfigur so vieler Atomdramen sonst kennzeichnen. Neben diesem weitverbreiteten, wenn auch hier anders konnotierten Pilotenmotiv ist noch ein anderes Requisit zu erwähnen, das in zahlreichen antiatomaren Texten über Japan erscheint, nämlich der Schatten-Topos, der wie bei Oskar Wessel, so auch bei Wickert seine eindringliche Kraft entfaltet. Der Bericht kommt von Pater Lasalle. Die Geschichte von den Schatten! Anfangs sagte man mir, es seien die Toten wieder auferstanden. Ich erwiderte, das sei wohl nicht wahrscheinlich. Nachher stellte es sich heraus, daß die Leute die Schatten von Personen gesehen hatten, die die Atombombensonne an Wände, Mauern und auf den Asphalt geworfen hatte. Noch Monate nach der Explosion konnte man auf dem Gehweg einer Brücke die Schatten von Menschen sehen. In die Wand eines Hauses war der Schatten einer Leiter und eines Soldaten eingebrannt, der gerade vom Hausdach, seinem Beobachtungsposten, herabgestiegen war. Er hatte seine Hand erhoben, um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen. In diesem Augenblick leuchtete die Atombombe auf. Die Schatten waren alles, was von ihm und den Menschen auf der Brücke übrigblieb. (13)

Im Andenken an all diese Menschen, von denen nichts als ein Schatten »übrigblieb«, errichtete die Stadt Hiroshima hinter der Kuppel der Gedächtnisruine den »Park des Friedens«, mit dem der Autor das Stück eröffnet und beendet. Von diesem Ort aus richtet der erste Sprecher am Anfang und am Schluss seinen Appell an die Menschheit, seine »Bitte um Frieden« (16), die sich seit jenem unseligen Tag täglich um 8 Uhr 15 bei dem Gedenkgottesdienst für die immer noch ungezählten Toten wiederholt. Ulrich Ott, Friedrich Pfäfflin (Hrsg.): Der Schatten von Hiroshima. In: Dies.: (Hrsg.) Konstellationen. Literatur um 1955. Marbacher Kataloge 48, Marbach 1995, S. 199–206. Erwin Wickert: Atom-Pilot geht nicht ins Kloster. Wie sich Hiroshima heute ansieht – Der vorexerzierte Weltuntergang – Von den Überlebenden lernen. In: Die Zeit, 4. August 1955, S. 19. Ders.: Hiroshima. Authentischer Bericht aus der Stadt, die der Atombombe zum Opfer fiel. Weinheim [o. J. 1959].

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Ders.: China in der Wandlung. Vortrag vor deutschen Industrie- und Handelskammern im Januar 1979. Düsseldorf und Wien 1979. Ders.: China von innen gesehen. Stuttgart 1982. Ders.: Vom politischen Denken der Chinesen. Wiesbaden 1983. Ders.: Der fremde Osten. Stuttgart 1988. Ders.: Konfuzius. Stuttgart 2001. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 30.

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Autor : Carl Zuckmayer (1896–1977) Darbietungsform: Drama in drei Akten Uraufführung: 3. September 1955, Deutsches Schauspielhaus Hamburg Ort: England, Nordamerika und auf dem Atlantik Zeit: 1939–1950

Die Spiegel-Ausgabe vom 7. September 1955 erscheint mit einer Nahaufnahme des Gesichts von Carl Zuckmayer auf dem Cover, gebräunt, entspannt, die unvermeidliche Pfeife im Mund. Eine acht Seiten lange Reportage im Heftinneren schildert den wachsenden Erfolg des Dramatikers, der mit Bertolt Brecht im Theaterbetrieb zwischen den zwei Kriegen schon eine führende Rolle gespielt hatte und nach der Rückkehr aus dem Exil seine gewichtige Position mühelos zurückeroberte. Zum 75. Geburtstag des Autors dokumentierte eine Ausstellung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach die außerordentliche Resonanz des Autors in der Nachkriegszeit257 und der S. Fischer Verlag legte in den neunziger Jahren eine neue Gesamtausgabe seiner Werke vor. Obwohl aber Zuckmayer bis Ende der fünfziger Jahre zweifellos unter den beliebtesten und gefeiertesten deutschen Dramatikern war, sind heute seine Dramen bis auf wenige Ausnahmen auf deutschsprachigen Bühnen kaum noch zu finden. Das kalte Licht entstand 1955. Nach der äußerst beifälligen Aufnahme des Udet-Dramas Des Teufels General – mit 2069 Aufführungen in der Spielzeit 1948/ 49 wohl eines der meistgespielten Nachkriegswerke auf westdeutschen Bühnen – verfasste Zuckmayer damit noch ein weiteres erfolgreiches Zeitstück, das ebenso wie Des Teufels General ein historisches Vorbild hat, den deutsch-englischen Physiker Klaus Fuchs. Die Bekanntheit des Falls Fuchs und die Regie von Gustav Gründgens sorgten bei der Uraufführung am Schauspielhaus Hamburg für großes Aufsehen. Wenn auch in der Rangliste nicht an den wahren Triumph herankommend, den Zuckmayer mit Des Teufels General erreicht hatte, erlebte Das kalte Licht in seinem Entstehungsjahr immerhin fast 500 Aufführungen an 257 Vgl. Günther Nickel, Ulrike Weiß: Carl Zuckmayer 1896–1977. »Ich wollte nur Theater machen«. Marbach am Neckar 1996.

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27 Theatern, eine Fernseh- und eine Hörfunkfassung, die schon im Dezember vom Südwestrundfunk gesendet wurde.258 Das Echo der Presse war gewaltig und die Zeitungstitel verausgabten sich mit Superlativen jeder Art: »Stück der Saison«,259 der »erste durchschlagende Abend der Hamburger Gründgens-Aera«,260 »die Atmosphäre eines außerordentlichen Ereignisses«.261 Der Spiegel gab Gründgens’ Äußerung wieder, Zuckmayers Drama sei »eine große Symphonie in drei Sätzen«,262 und die Zeit berichtete über die halbe Million Zuschauer des Fernsehspiels.263 Hingegen schwächte Willy Haas in der Welt vom 5. September 1955 sein überschwängliches Lob über Aufbau, Eleganz und dramaturgisches Tempo des Stücks mit der gezielten Hervorhebung jener technischen Bravour des Dramatikers ab, die von dem Stück »mehr eine Nervensache als eine Herzenssache« mache, »mit einem Wort: ein kaltes Licht«.264 Haas’ pointiertes Urteil, das auf den Titel – eine Metapher aus der Sprache der Kernphysik – zurückgreift, trifft hier auch den ›Nerv‹ der Sache, weil Zuckmayer aus der wahren Begebenheit, die er geschickt und seiner Mittel sicher verarbeitete, einen fast kolportagehaften, auf Spannung ausgerichteten »Spionageplot« kreiert, wie Julia von Dall’Armi in ihrer umfassenden Untersuchung über die Kernenergie in der deutschen Literatur zu Recht herausstellt.265 Zuckmayers Stück, das von vielen Kritikern zur übergreifenden Kategorie des Atomdramas gezählt wird, lässt sich nämlich korrekter als ein dem schon erwähnten Subgenre der Agentenstücke zugehöriges ›Atomverratsdrama‹ bezeichnen. Denn es basiert halb originalgetreu, halb romantisierend auf Phasen von Fuchs’ Leben, in denen sich dieser als fideler englischer Atomphysiker gerierte, obwohl er sich später als geheimer Staatsverräter entpuppen sollte. Fesselnd und packend wirkt im Spiel der Spionagefall, aufgrund dessen auch der reale Fuchs einige Jahre zuvor zu einer Zuchthausstrafe von 14 Jahren verurteilt worden war. Der Szenenablauf an sich ist Fuchs’ biographischen Etappen ziemlich genau entnommen: Kommunistische Mitgliedschaft, Exil und Studium in England, Deportation als ›feindlicher Ausländer‹ nach Kanada, Rückkehr nach Europa – dank der Protektion eines 258 Vgl. Hörspiel 1954–1955. Eine Dokumentation. Hrsg. vom Deutschen Rundfunkarchiv. Zusammengestellt und bearbeitet von Ulrike Schlieper. Potsdam 2007, S. 292–293. 259 Friedrich Luft: ›Kaltes Licht‹ – Stück der Saison. In: Welt am Sonntag, zit. in: Konstellationen. Literatur um 1955 (Anm. I, 53), S. 257. 260 Rezension in: Tagesspiegel, 6. September 1955, zit. in: ebd. 261 O. A.: Zwischen Politik und Kunst. Berliner Festwochen – Betrachtung aus westdeutscher Sicht. In: Die Zeit (1955), H. 41, 13. Oktober 1955, S. 6. 262 O. A: Die Bombe fällt vor der großen Pause. Schauspiel vom Atomverrat: Carl Zuckmayer. In: Der Spiegel, 7. September 1955, S. 46. 263 O. A.: »Kaltes Licht« im Fernsehstudio. In: Die Zeit, 20. Oktober 1955, S. 19. 264 Willy Haas: Verräter aus reiner Gesinnung? »Das kalte Licht« von Carl Zuckmayer aufgeführt – Gustav Gründgens inszenierte. In: Die Welt, 5. September 1955, S. 4. 265 Julia von Dall’Armi: Poetik der Spaltung (Anm. I, 7), S. 161ff.

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anderen Flüchtlings deutscher Abstammung, des Physikers Rudolf Peierls266 – und britische Einbürgerung, dann Teilnahme am amerikanischen Atombombenprojekt in Los Alamos und gleichzeitige Lieferung von Geheiminformationen an die Sowjetunion, schließlich Enttarnung, Schuldbekenntnis und Verurteilung; das alles wird bei Zuckmayer berücksichtigt. Trotz des dokumentarischen Anspruchs des Textes schreckt aber der Autor nicht vor einer psychologisierenden und moralisierenden Dramatisierung zurück und erlaubt sich sogar knallige Effekte, die die historische Grundlage durchdringen. Im Programmheft der Hamburger Aufführung hebt Zuckmayer ausdrücklich hervor, er habe in den Mittelpunkt des Werks nicht die geschichtliche Rekonstruktion des Falls stellen wollen, sondern eine existentielle Konfliktualität, nicht die Spaltung des Atoms, sondern die Spaltung des Gewissens. Deshalb sei das eigentliche Thema des Dramas eine Epochen-Krise, die »Krise des Vertrauens«.267 Zuckmayers Held, der Christoph Wolters heißt, ist nämlich nicht wie viele seiner Kollegen ein ›Berufsverräter‹. Vielmehr ist er von der ungebührlichen Internierung in Kanada enttäuscht, ein d8racin8, dem Glauben und ›Vertrauen‹ abhandengekommen sind und dem jede engere menschliche Beziehung verwehrt bleibt, zumal auch die in der Handlung äußerst wichtige Liebe zu einer norwegischen Kollegin an seiner Befangenheit kläglich scheitert. Diese Hauptproblematik der Wurzel- und Hoffnungslosigkeit thematisiert Zuckmayer auf drei Ebenen: auf der politischen, in der Kritik an den Machtansprüchen der Regierungen; auf der wissenschaftlichen, in der Diskussion über Urheberschaft und Recht auf Anwendung technischer Erfindungen; und auf der menschlichen, in Bezug auf jenes Fehlen an individuellen und sozialen Werten, das den Protagonisten zur Suche nach einem festen Halt treibt. Und gerade diesen Halt hofft und bildet sich Wolters ein, in der sozialistischen Utopie zu finden. So gelingt es dem Autor, seinen Helden als Produkt der westlichen Vertrauenskrise und zugleich als Opfer der ideologischen Indoktrination zu zeichnen. Zunächst lässt Zuckmayer Kontaktleute auftreten, welche dem jungen Physiker mit Argumenten zusetzen, die einer inneren Plausibilität nicht entbehren. Der sowjetische Agent Buschmann, »Berufsrevolutionär, Parteisoldat, sozusagen« (14), appelliert an den Sinn einer ungeteilten Ethik und wirft Wolters einen moralisch fragwürdigen Wissenschaftsansatz vor. Buschmann: Ich verstehe eins nicht: wie ein Mensch, der sich mit Mathematik befaßt, die Logik der Ereignisse verleugnen kann, die alle in eine bestimmte Richtung weisen – 266 Zu den nach Großbritannien und in die USA emigrierten Physikern in den Kriegsjahren und im Kalten Krieg s. Ulrike Wunderle: Experten im Kalten Krieg. Kriegserfahrungen und Friedenskonzeptionen US-amerikanischer Kernphysiker 1920–1963. Paderborn 2015. 267 Das Programmheft wurde auch als Nachwort zur Buchausgabe im Fischer Verlag publiziert: Nachwort zu: Carl Zuckmayer: Das kalte Licht (Anm I, 173), S. 241–244, hier S. 243.

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und eine Gesellschaft akzeptieren, die offensichtlich keine Aufgabe mehr hat, als an ihrer eigenen Planlosigkeit zugrunde zu gehen. Wolters: Wer sagt, daß ich sie akzeptiere? Prinzipiell bin ich mit Ihnen ganz einer Meinung. Buschmann: Aber moralisch? Moralisch hocken Sie in Ihrem Schneckenhaus und schwitzen Millesimalbrüche aus. Das können Sie gar nicht verantworten! Ein Mensch wie Sie wird gebraucht. Sie haben sich da, scheint’s, eine ganz merkwürdige Moral zurechtgelegt, Sie glauben, Sie könnten sich teilen, aufspalten, in einen, der politisch denkt, und einen andern, der sich geistig darüber hinaushebt. Aber ich glaube nicht, daß ein Mensch sich heute solchen Luxus leisten kann. (16)

Der Versuchung, sich zum Werkzeug eines gerechten Schicksals zu machen, um die Welt in Ordnung zu bringen, kann Wolters nicht lange widerstehen. Fest glaubt er, dass ihm als Erfinder entscheidender Atomformeln ein wesentlicher Teil der Verantwortung für die Verhinderung des Unheils in der Welt zustehe. Als entscheidender Handlungsauslöser wirkt im Stück das Subjekt des Bösen schlechthin: Sir Elwin Ketterick, Chef des Instituts für nukleare Forschung, an das Wolters auf Fürsprache der ehemaligen norwegischen Studienkollegin Hjördis – inzwischen Frau des angesehenen Ketterick geworden – berufen wird. Ketterick gehört nicht zur Schar der idealistischen Wissenschaftler, die ihre »Sache […] humanitär verbrämen« (49). Er zielt auf die bedingungslose Vernichtung Deutschlands. Den Frieden findet er insofern gefährlich, als man darin – anders als im Krieg, der Kontrapositionen und Kontraste postuliert – »keine Fronten mehr« erkennt (»Im Frieden kann jeder dein Feind sein«, 96). Ketterick ist im Drama eine völlig negative Figur, die als Gelenk der Handlung fungiert und dem Protagonisten zum Verhängnis wird. Als Wolters in Kettericks Gefolge nach New Mexico geschickt wird, um die Atombombe zu entwickeln, wird er sich seiner Aufgabe bewusst: Nach Moskau – immerhin ein Verbündeter der Alliierten, wie er sich zur Selbstrechtfertigung einredet – muss er alle Informationen zur Herstellung der Bombe übermitteln, damit das Übergewicht der Macht nicht auf einer Seite allein liegt. Im Sozialismus sucht er nämlich das Rezept zur »Eliminierung des Unrechts« (25). Auf diese Weise versucht Zuckmayer, den Verrat sowohl psychologisch als auch ideologisch zu begründen. Damit wird aber die Schuld des Verräters einerseits gemildert, andererseits politisch relativiert. Durch die Entscheidung für die Spionage, wenn auch zugunsten des ›falschen‹ Glaubens, will der ewige Emigrant – der obendrein wie ein Verbrecher deportiert worden war – sein Ausgrenzungsgefühl zudecken, sich an einer Gesellschaft rächen, in der er sich ständig zurückgesetzt fühlte. Wolters, scheint der Autor zu suggerieren, ist also fast genötigt, sein doppeltes Spiel zu treiben – »das letzte Spiel um die Macht auf Erden« (18) nach der emphatischen Definition des Sowjetagenten Buschmann –,

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ein Verhalten, das an die »kontrollierte Schizophrenie«268 erinnert, die der Spion Klaus Fuchs im Prozess eingestand. Wie die im Stück häufig verwendete Spielmetapher signalisiert, merkt Wolters nicht, wie er selbst zum Ball wird, mit dem das Schicksal spielt.269 Dass er eben nur ein Instrument in den Händen verschiedener Mächte geworden ist, muss er aber am Schluss seiner Tragödie erkennen. Die neu gewonnene Einsicht, dass es doch ein inneres Licht gibt (»ein schwaches Flämmchen […]. Doch es strahlt eine große Wärme aus«, 150), ein Licht, das ›wärmer‹ sein kann als das ›kalte‹ Licht der Politik, soll auch Wolters Entwicklung als Dramenfigur besiegeln. Diese Erkenntnis bedeutet einen tiefen Wandel in dem kathartischen Bekehrungsprozess, den ihn der Autor durchmachen lässt. Zunächst wirkt Wolters – wenn auch anfänglich zögernd – von der heimlichen Kooperation mit den russischen Sozialisten überzeugt. Allmählich entfremdet er sich jedoch den »Methoden der Sowjetunion«, zumal dort »von dem ethischen Kern des ursprünglichen Sozialismus nichts übriggeblieben ist« (130). Schließlich muss er sich fragen: »Ob ein Mensch, der gemordet hat, es einfach vergessen kann und ruhig weiterleben, wenn er nicht entdeckt und zur Rechenschaft gezogen wird. Darin besteht das ganze moralische Problem« (138). Gerade die Paradoxie dieser ›moralischen‹ Qualität des Verrats wird im Dramenverlauf hin und wieder exponiert und debattiert, z. B. in der häufigen Judasmetapher, durch die die Unwiderruflichkeit des Verrats angesprochen ist. Die Geldbelohnung für die Preisgabe seiner Informationen soll Wolters, der sich aus ideellen Gründen zu handeln wähnte, gegen seinen besseren Willen »quittieren«, also »nehmen – wie das Siegel auf einen Pakt« (116); eine Art teuflische innere Gefangenschaft, die auch im Bild des Stricks (»Ich habe es genommen. Jetzt habe ich den Strick gekauft«, 116) ausgedrückt ist. Das endgültige Bekenntnis über diese ›Verstrickungen‹ wird Wolters gegenüber der noblen, idealisierten Gestalt des Beamten Northon ablegen. Der Agent im britischen Geheimdienst, ein in seinem englischen Wesen verankerter Seelenadel,270 ist es, der die Diskussion um »den Gegensatz zwischen göttlicher Allmacht und menschlicher Willensfreiheit, zwischen der Vorbestimmtheit des Ganzen und dem freien Spielraum des Einzelwesens« (139) auf eine höhere geistige Ebene bringt. Northons den Ausgang des Stücks bestimmende Figur 268 Zit. in: Margret Boveri: Verrat als Epidemie: Amerika (Anm. I, 221), S. 223. 269 R8my Charbon schreibt in Bezug darauf: »Wurzel des Verrats ist Wolters’ spielerisches Verhältnis zur Macht« und findet in der Ballmetapher »das Grundmotiv des Stückes«. R8my Charbon: Die Naturwissenschaften im modernen deutschen Drama (Anm. I, 5), S. 73. 270 So Northon über sich selbst: »Weil ich ein britischer Beamter bin. Das heißt: die äußerste Treue zum Gesetz mit dem höchsten Respekt vor der Person und dem Recht jedes Einzelnen zu verbinden« (136). Hinter ihm steht die Figur des MI5-Beamten William Skardon, der Fuchs im Januar 1950 zum Geständnis seines Verrats zwang. S. dazu auch Anm. I, 347.

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prägt die Handlung des dritten Akts, der durch ethische Fragen über den Motivkomplex Verdacht/Vertrauen/Geheimhaltung gekennzeichnet ist. Wolters besitzt keine moralischen Richtlinien und vertritt einen sittlichen Relativismus, der nur vom Applikationsfeld des Bösen abhängig ist: »Das Wohl und Wehe liegt ja allein in der Anwendungsart gewisser Erkenntnisse, die auch heute noch nur den wahrhaft Eingeweihten zugänglich sind« (127). Im Unterschied also zu den sozialen Implikationen, die Dürrenmatt wenige Jahre danach in seinen 21 Punkten zu der Komödie Die Physiker ausdrücklich theoretisierte, geht die Physik für Wolters nicht die Allgemeinheit, sondern nur die Physiker an, wenigstens »solang es noch keine wirklich wirksame internationale Kontrolle der Atomforschung gibt« (127). Was Wolters am meisten befürchtet, ist eine Einmischung von außen, welche die Arbeit und die Ergebnisse der Forschungsgemeinschaft sogar beeinträchtigen könnte: »daß im Falle der Aufdeckung – oder auch nur der öffentlichen Erörterung – unsere ganze Arbeitsgruppe hier […] einen furchtbaren Stoß erleiden würde« (131). Zuckmayers eigene Einstellung zu den Implikationen der Atomwissenschaft lässt sich dabei nicht deutlich erkennen. Aber gerade darin, dass er seiner Physikerfigur nicht die begeisterte Einwilligung ins Atomprojekt vorwirft, sondern nur den Verrat an der politisch delikaten Vertraulichkeit seiner Aufgabe, profiliert sich die Botschaft einer im Dienst einer deutschen Westpolitik geführten Nuklearforschung. Als wirklich unmoralisch betrachtet Zuckmayer lediglich, dass Wolters sein Wissen der Sowjetunion zur Verfügung stellt und dadurch den Vorsprung des Feindes begünstigt. Nicht zufällig weist der Text dem englischen Geheimdienstmann die Funktion zu, Wolters verstörte und verkalkte Seele zu retten, »ein Blitzlicht in dieses Dunkel« (132) zu werfen. Northon ist es auch, der den Protagonisten zu der einzigen Tat bewegt, die eine Auflösung des dramatischen Knotens bewirken kann: Dem freiwilligen Geständnis, mit dem der Physiker das Sühneopfer bringt, nach dem er sich sehnt. Am Ende des Tunnels gibt es für den Reuigen ein Licht. Und kein ›kaltes‹. Hjördis, die sich auch von dem skrupellosen Ketterick abgewandt hat, verspricht Northon, dass sie auf Wolters warten wird: »Sagen Sie ihm, dass ich ihm ganz vertraue«. Und genau diese Worte glossiert Northon in den letzten Dramensätzen, denn das Vertrauen sei »das Beste«, was man »ihm sagen kann« (152). Durch Verurteilung und Gefangenschaft kann der Wissenschaftler seinen Verrat wiedergutmachen und endlich in den ›Vertrauenskreis‹ der Gerechten wiederaufgenommen werden. Wilfried Adling: Die Entwicklung des Dramatikers Carl Zuckmayer. Diss. Leipzig 1957. In: Schriften zur Theaterwissenschaft. Hrsg. von der Theaterhochschule Leipzig. Bd. 1. Berlin 1959, S. 9–286. Thomas Ayck: Carl Zuckmayer in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1977.

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Julia von Dall’Armi: Poetik der Spaltung, Kernenergie in der deutschen Literatur 1906–2011. Wiesbaden 2018 (s. vor allem das Kapitel 5.: »Eure Gewissensbisse, das ist doch wunderschöne Physik« – Die Struktur der »Physikerdramen«, S. 161–205). Ronald Friedmann: Der Mann, der kein Spion war : das Leben des Kommunisten und Wissenschaftlers Klaus Fuchs. Rostock 2005. Michael Goodman: Who Is Trying to Keep What Secret From Whom and Why? MI5-FBI Relations and the Klaus Fuchs Case. In: Journal of Cold War Studies 7 (2005), 3, S. 124– 146. Joseph Gregor: Das kalte Licht (Carl Zuckmayer). In: Ders.: Der Schauspielführer. Bd. 7. Stuttgart 1957, S. 61–62. Willy Haas: Verräter aus reiner Gesinnung? »Das kalte Licht« von Carl Zuckmayer aufgeführt – Gustav Gründgens inszenierte. In: Die Welt, 5. September 1955, S. 4. Hellmut Jaesrich: Verwirrungen des Menschen. Zu Carl Zuckmayers Zeitdrama »Das kalte Licht«. In: Der Monat 85 (1955), S. 79–82. Harro Kieser (Hrsg.): Zuckmayer Carl, Materialien zu Leben Carl Zuckmayers und Werk. Frankfurt a. M. 1986. Günther Nickel, Ulrike Weiß: Carl Zuckmayer 1896–1977. »Ich wollte nur Theater machen«. Marbach am Neckar 1996. O. A.: Licht – das weder brennt noch wärmt: Atomverrat und Menschenschicksal. In: Die Welt, 17. März 1955, S. 6. O. A.: Die Bombe fällt vor der großen Pause. Schauspiel vom Atomverrat: Carl Zuckmayer. In: Der Spiegel, 7. September 1955, S. 38–46. O. A.: »Kaltes Licht« im Fernsehstudio. In: Die Zeit, 20. Oktober 1955, S. 19. Siegfried Sudhof: Carl Zuckmayer. In: Benno von Wiese (Hrsg.): Deutsche Dichter der Gegenwart. Ihr Leben und Werk. Berlin 1973, S. 64–82. Hans Wagener : Carl Zuckmayer. In: Alo Allkemper, Norbert Otto Eke (Hrsg.): Deutsche Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Berlin 2000, S. 249–266. Ders.: Carl Zuckmayer. München 1983. Carl Zuckmayer: Das kalte Licht. In: Ders.: Gesammelte Werke in Einzelbänden. Theaterstücke 1955–1961. Hrsg. von Knut Beck und Maria Guttenbrunner-Zuckmayer. Frankfurt a. M. 20032, S. 7–152. Ders.: Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft (1966) . Frankfurt a. M. 2006. Carl-Zuckmayer-Gesellschaft e. V. (Hrsg.): Festschrift für Carl Zuckmayer. Zu seinem 80. Geburtstag am 27. Dezember 1976. Mainz 1976.

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Werner Baecker: Atome für Millionen (1955)

Autor : Werner Baecker (1917–1993) Darbietungsform: Feature Erstsendung: 29. November 1955, Nordwestdeutscher Rundfunk Ort: Genf Zeit: Gegenwart

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Als Fernsehjournalist und politischer Redakteur pendelte Werner Baecker zwischen Hamburg und New York, wo er zu den bekanntesten deutschen Fernsehreportern zählte. Der amerikanischen Metropole widmete er die erfolgreiche ARD-Reportagereihe New York, New York, die er von 1967 bis 1985 leitete.271 In Hamburg war er unter anderem beim Nordwestdeutschen Rundfunk tätig, der in den fünfziger Jahren eine eigene, höchst blühende FeatureAbteilung hatte und am 29. November 1955 auch Baeckers Radiofeature Atome für Millionen sendete. Seiner journalistischen Berufung getreu, lieferte Baecker damit kein klassisches Hörspiel. Atome für Millionen ist eher ein inhaltlich dichter Hörbericht pädagogischer und zum Teil dokumentarischer Art über die Angst vor der Atombombe und die friedlichen Anwendungsmodalitäten der Wissenschaft, wie der Zuhörer gleich eingangs aus einem Zeitungsartikel vom November 1819 erfährt. Aus der Kölnischen Zeitung wird ein alter Beitrag gegen technologische Risiken vorgelesen, der unter dem Titel Gasbeleuchtung »einen flammenden Protest gegen die Einführung neumodischer Sitten«272 bietet. Mit rasch wechselnder Perspektive wendet sich dann der Sprecher der Gegenwartspresse zu, um einen nachträglichen Beweis dafür zu liefern, dass auch moderne Entdeckungen nicht immer mit offenen Armen empfangen werden: »Die ungeheuren Veränderungen unserer Welt, die durch den Umgang mit Atom unvermeidlich geworden waren, hatten eine Welle der Skepsis, vielleicht sogar der Bestürzung, ausgelöst«.273 Von hier aus ist der Schritt zum inhaltlichen Kern des Hörspiels, den die Genfer Konferenz für den Frieden darstellt, nicht groß. Die Handlung teilt sich in zwei Hauptstränge auf, die sich überschneiden: die Konferenz-Handlung und die Handlung in der Pension bei Madame Doret. Anhand dokumentarischer Einschübe und durch die Kommentare eines Sprechers geht der Autor auf die ausschlaggebende Tragweite ein, die die internationale Atomkonferenz von 1955 für die öffentliche Debatte um Kernenergie und Abrüstung hatte. Die Widergabe von Fakten und authentischen Originalaufnahmen ist aber zwischen die privaten Gespräche eingestreut, die im Frühstückssaal der Genfer Pension geführt werden. Durch die orientierenden Erklärungen einer Sprecherstimme werden sie in den gutbürgerlichen Salon von Madame Doret, die Zimmer an die Konferenzteilnehmer vermietet, hineingeblendet. Der behagliche, gut ausgestattete Raum vermittelt ein Gefühl der Sicherheit, doch ist das, wovon dort die Rede ist, alles andere als ein ›sicheres‹ 271 Zu seiner Biographie vgl. den Online-Beitrag: Werner Baecker – 200 Jahre Barmen, unter URL: http://www.barmen-200-jahre.de/index.php/home/item/168-baecker. 272 Werner Baecker: Atome für Millionen (Anm. I, 252). Ich zitiere aus dem digitalisierten Tondokument der Originalaufnahme. Im Folgenden: AM, mit den Timecode-Angaben in Fußnoten (hier : 00:23–00:27). 273 AM, 01:30–01:39.

Werner Baecker: Atome für Millionen (1955)

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Thema. Diskutiert wird bei Madame Doret über nichts Geringeres als die Vermeidung eines dritten Weltkriegs. Am Frühstückstisch gemütlich plaudernd bringen die Gäste ihre Argumente für eine Begrenzung der Atomwaffen, zugleich aber auch ihre Bedenken gegen die Korrelation zwischen Nuklearrüstung und – wenn auch legitimen – sicherheitspolitischen Bedürfnissen des Westens vor. Der internationale Kongress habe sich um die Lösung dieser Problematiken bemüht. Trotz der wachsenden Zahl von Konferenzskeptikern,274 die den Pazifismus oft nur mit leeren Phrasen abspeisen, begrüßt die Off-Stimme eines Kommentators Genf als einen »Hoffnungsschimmer«,275 als »Wendepunkt einer Geschichte«,276 deren tragischer Auftakt im Hörspiel ein ohrenbetäubender Knall ist, der mit langsam verhallendem Dröhnen den stillen Hörraum durchbricht.277 Somit gilt im Stück die Genfer Konferenz als Dreh- und Angelpunkt der Atomgeschichte und, wie der Sprecher präzisierend hinzufügt, der Geschichte der Angst überhaupt, die das Hörspiel explizit thematisieren will. Auf die dialogisierende Sequenz folgt im mittleren Teil des Features ein Exkurs über die Kernspaltung, von der früheren Illusion, sie würde »der Anfang einer neuen Zeit mit einem besseren und bequemeren Leben für Alle«278 sein, bis zur harten Gegenwart, vor der alle Erwartungen und Phantasien kümmerlich verblassen. Kobaltbombe, Atommeiler, sowjetische Wasserstoffbombe, dazu das Wissen um das stete Anwachsen der Zahl der Hiroshima-Opfer charakterisieren den beunruhigenden Status quo. Breiter Raum ist dabei dem gewidmet, was Baecker für eine konstruktive Wende in der Orientierung der Atomentwicklung hält, der Rede Atoms for Peace, die Eisenhower am 8. Dezember 1953 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York hielt. Mit seinem Atomsfor-Peace-Programm habe Eisenhower versucht, »das furchtbare Atomdilemma«279 durch eine zukunftsträchtige Vision von einer friedlichen Nutzung der Atomkraft zu lösen. Man könne zwar die Atombombe »nicht ungeschehen« machen, sie aber wohl »von neuen Aspekten her betrachten«,280 um das weltweite Angstgefühl abzubauen.281 Dass es dem US-Präsidenten auch darum ging, Verbündete zur Stärkung des Westens zu finden und die große Furcht vor Atomwaffen durch die Betonung des ›guten‹ Atoms zu zähmen oder zumindest 274 »Die Skala der Skeptiker reichte hinauf bis zu dem Beauftragten der amerikanischen Atomenergiekommission, der den Auftrag hatte, gemeinsam mit einem russischen Wissenschaftler den Stoff zu sondieren, unter den vorgeschlagenen Referaten aus 25 Ländern die Auswahl zu treffen«, AM, 05:20–05:33. 275 AM, 05:54–05:55. 276 AM, 06:00–06:02. 277 Vgl. AM, 06:09–06:32. 278 AM, 07:06–07:11. 279 AM, 08:44–08:46. 280 AM, 09:19–09:23. 281 Vgl. auch AM, 21:17–21:18: »Die Angst vor dem Atom muss weg«.

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zu mildern, rückt hier in den Hintergrund. Im Vordergrund steht hingegen die für den Technikglauben jener Jahre typische Wandlung der Atomauffassung vom Inbegriff des Schrecklichen zum Träger eines möglichen Fortschritts. Die erwähnte Rede, deren Titel im Titel des Hörspiels selbst variiert ist, ist auch insofern von besonderem Interesse für den Text, weil sie auf thematischer Ebene eine Brücke zwischen der anfänglichen Wissenschaftsfrage und der Genfer Konferenz schlägt, die als unmittelbare Folge von Eisenhowers Stellungnahme angesehen wird. Denn erst danach sei nach Ansicht Baeckers beschlossen worden, eine wissenschaftliche Konferenz über die Anwendung von Atomenergie zu zivilen Zwecken abzuhalten. Um ein genaueres Bild von dem Verlauf der Konferenz und den besprochenen Fragen zu geben, lässt Baecker die Teilnehmer bei Madame Doret noch einmal selbst davon erzählen und aus verschiedenen Reden und Vorträgen vorlesen. Dementsprechend reichhaltig ist das Spektrum der atomaren Thematiken, die Impulse und Anregungen zur Diskussion geben. Drei Aspekte werden dabei besonders hervorgehoben: Die Forschungs- und Produktionskonversion der Energie, die Popularisierung technischen Wissens und der atomare Sprachgebrauch als Gegenstand der Reflexion selbst. Was den ersten Aspekt betrifft, so berichtet zum Frühstück eine der Gestalten – aus amerikanischer Sicht und mit der kurz nach der Genfer Konferenz noch bestehenden Zuversicht in deren Wirkungen – über das Konversions-Experiment in der berühmt-berüchtigten Kleinstadt Oak Ridge in Tennessee. Von der ehemaligen geheimen Produktionsstätte der ersten Atombomben, in der Anreicherungsanlagen für Uran-235 gebaut wurden, wird nun die pragmatische Umstellung auf ein Produktionssystem von Energie zu therapeutischen Zwecken gepriesen.282 Der im Werk parallel laufende ›Genf-Kommentar‹ informiert über die sowjetische Ausstellung auf der Konferenz, die analog zum Oak-Ridge-Experiment beweist, wie die Atomenergie zum Wohl des Menschen benutzt werden kann: Bilder der Krankheitsgeschichte einer Bäuerin, die sich der Bestrahlungsbehandlung unterzogen hatte, dokumentieren auf der Tagung den Erfolg der Strahlentherapie. Wichtig für die metareflexive Argumentation des Hörspiels, das – wie der Titel doppeldeutig bestätigt – auch daran interessiert ist, die Atomwissenschaft als Ganzes und »für Millionen« zu popularisieren, ist der zweite Punkt, d. h. die Aufwertung der freien Ideenzirkulation, die die Konferenz gefördert hat: »Vor Genf waren das alles streng gehütete Geheimnisse bis zum 8. August 1955, dem 282 Die Devise in der Stadt habe gelautet: »die Atomenergie wird bleiben jetzt und für alle Zukunft. Und danach bitte richtet euch«, AM, 11:49–11:56. Für die Neuorientierung bei der Energieverwendung habe ein Versuchshospital zur Erforschung von Krebskrankheiten gesorgt.

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Tag der Eröffnung der Atomkonferenz«.283 Ebenso wie der Text, der in einer Art Widerspiegeln im Quadrat den Hörer mit ›geheimen‹ Themen der Konferenz vertraut macht, leistet Genf einen entscheidenden Beitrag zur Enthüllung lange geschützter Informationen und zu einer »Atomverbrüderung«284 der Nationen. Der Übergang von dem verallgemeinernden Kontext in die Doret-Handlung erfolgt konsequent gerade durch dieses wiederkehrende Motiv der nach und seit Genf aufgehobenen Geheimhaltung: Am Schluss des Konferenztages liegen die »bis dahin streng gehüteten«285 und der Welt nunmehr offengelegten Geheimnisse in Form von Notizen und Aufzeichnungen verstreut über Stühle, Tische, Teppiche in der Wohnung von Madame Doret. Das neue physikalische Wissen wird also zum konkret debattierten Gemeingut. Damit hat zwar das Atom – darin sind sich alle Konferenzteilnehmer einig – »einen zu schlechten Start gehabt«,286 da die Menschen die ohnehin schwer zu begreifenden unsichtbaren Radioisotope automatisch mit den Strahlen gleichsetzen, von denen sie nach Hiroshima nur die schrecklichen Effekte kennen. Doch zwingt das Atomzeitalter, an der Schwelle der zweiten industriellen Revolution, zu ganz neuartigen Vorstellungen, die eines neuen Verständnisses bedürfen, obwohl oder gerade deswegen, weil die Spezialisierung des Wissens die Aufnahme und die Verarbeitung von Informationen erheblich erschwert. Während sich aber der Berichterstatter Niemeyer damit abfindet, dass die Atomrevolution nur in ihren Auswirkungen begriffen werden kann und die rein technischen Vorgänge kein breites Verständnis in den Massen finden – mit stark französischem Akzent liest Madame Doret stotternd die neuen Begriffe vor, ohne sie zu verstehen –, gibt sich der Lehrer, der der Begeistertste ist, damit nicht zufrieden. In den wiederholten Schulszenen, die einen Nebenstrang des Themas Popularisierung darstellen, beantworten die Schüler im Chor gezielte Fragen zum Atomzeitalter und sprechen in Gruppen die wichtigsten Begriffe nach, die im atomaren Bereich üblich geworden sind. Auf diese Weise macht der sprachliche Umgang mit dem Thema das Atom zu einem festen Bestandteil sowohl der Bildungs- als auch der Alltagssprache. An diese didaktische Vermittlung des Stoffes schließt sich der pädagogische Anspruch des Hörspielautors selbst an, der im zweiten Teil Bedeutung und Rolle radioaktiver, strahlender Isotopen und deren zahlreicher Anwendungsmöglichkeiten im Detail aufzuzeigen versucht. Authentische Erklärungen von Experten werden von explikativen Kommentaren begleitet, die Begriffe zugänglicher machen sollen und zahlreiche Beispiele für mögliche Verwendungsarten 283 284 285 286

AM, 15:01–15:10. AM, 18:31–18:32. AM, 18:35–18:37. AM, 20:54–20:56.

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von künstlich erzeugter Radioaktivität anführen.287 Noch einmal betont wird dabei das Konversionsprinzip, das die Zerstörungskraft der Strahlen in einen »Segen«288 verwandeln kann, wie z. B. bei dem Kobalt als Waffe in der Bekämpfung von Krebs, womit noch einmal das Motiv aufgegriffen wird, das bereits mit Oak Ridge eingeführt worden war. Ein weiterer als Beleg zitierter Fall ist das berühmte US-Laboratorium von Brookhaven mit seinen Verdiensten im Bereich der Pflanzenforschung und der Verbesserung von Qualität und Effizienz in der Landwirtschaft. In unmittelbarer Verbindung dazu wird der Akzent in der nächsten Szene erneut auf Genf gelegt, und zwar auf die Unterbreitung der handgreiflichsten Ergebnisse, die auf dem Gebiet der Energiegewinnung aus dem Atom vorgelegt worden sind.289 Ein suggestiver Szenensplitter im Flugzeug ist in dieser Hinsicht dem Chef der britischen Produktionsstätte für Kernenergie, Christopher Hinton, gewidmet, dem Ingenieur, der erkannte, wie das Atomzeitalter auch der Wirtschaft ein neues Feld eröffnet. Auf dem Flug nach Genf beschäftigen den im Schlaf versunkenen Sir Hinton die Bruchstücke seiner ausgearbeiteten Rede. Im Traum nuschelt er Worte wie Planung bis 2000, Pluto, Strom aus Atomenergie.290 Nach der Landung wird er den Journalisten erklären, dass das Atomzeitalter »keine Sache der Ideale, sondern der Wirtschaft« sei; sein und Englands Ziel sei es infolgedessen, »Absatzmärkte zu erkunden«.291 In den folgenden Konferenz- (und Hörspiel-)Sektionen geht es noch mehr ins Detail. Der Laie erfährt nicht nur die Querschnittswerte von Uran und Plutonium, sondern auch die verblüffende Übereinstimmung der Resultate im Westen und Osten, so dass sogar die Fachleute die endgültige Sinnlosigkeit erkennen müssen, weitere Geheimhaltungsmaßnahmen zu treffen. Die Vorteile der zweiten industriellen Revolution – z. B. Haltbarkeit und künstliche Erzeugung von Lebensmitteln, Sonnenenergie, Bewässerung von Wüsten, klimatische Veränderung und Atommotoren bei Atomflugzeugen und Atomschiffen – werden in ihren futuristischen technischen Erfindungen erwogen. Doch zeichnen sich am Horizont der Zukunft auch die Nachteile ab, die »unübersehbaren Schattenseiten« der radioaktiven Verseuchung. Unheimlich wirkt die Unsichtbarkeit der Gefahr (»Man kann die Strahlen nicht sehen, man kann sie nicht 287 »Die Möglichkeiten andeuten, die für Industrie und für die Forschung ganz allgemein jetzt schon gegeben sind«, AM, 27:52–28:00. 288 AM, 28:54. 289 Zu den Verwendungsformen einer friedlichen Atomkraft bemerkt Bredow, dass »die erste Welle der Ablehnung von Kernwaffen als einem Mittel der Politik in den fünfziger Jahren begleitet war von sehr positiven Urteilen über die friedliche Nutzung von Kernenergie«, Wilfried von Bredow : Der Atomdiskurs im Kalten Krieg (1945–1962) (Anm. I, 6), S. 91. 290 Vgl. AM, 33:28–33:35. 291 AM, 37:36–37:44.

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hören, man kann sie nicht schmecken, man kann sie nicht fühlen«),292 ein Thema, das später auch Günther Anders in seinen Zehn Thesen zu Tschernobyl ausdrücklich behandelt und als zentral für eine Bestimmung des Atomdiskurses betrachtet.293 Der letzte Teil umfasst, in der Sprache der Kerntechnik, die auch Fachtermini enthält, verschiedene Teilaspekte: Fragestellungen der Medizin, der Biologie und der Ökologie, wie z. B. Fragen der Abfallbeseitigung, die sich als »das schwierigste Problem« der modernsten Atomtechnik herausstellt.294 Die Sorgen und die Befürchtungen, die sich mit dem Heraufziehen des Atomzeitalters verbinden, machen sich auch unter den Gästen von Madame Doret bemerkbar. In der Abschlussszene gestehen sie, bei aller Begeisterung einige Sorgen nicht loszuwerden, vor allem bezüglich der Veränderung der menschlichen Erbsubstanz durch Strahlen. Im Frühstückszimmer stellen sie sich die schicksalhafte GalileiOppenheimer-Frage, ob man nicht ganz von vorne anfangen sollte und wie weit der Wissenschaftler mit seiner Forschung überhaupt gehen könne.295 Oppenheimer selbst wird dabei in seinem Bewusstsein des Punktes zitiert, von dem an es kein Zurück mehr gibt (»Was wir einmal wissen, das werden wir nicht mehr los«).296 Anstelle von Geheimhaltungsanordnungen werden ganz im Sinne einer »Atomcharta«,297 die die friedliche Anwendung der Atomenergie regelt und den Missbrauch verhindert, staatsübergreifende Maßnahmen gefordert, wie Atompolizei, Überwachung, Messstationen, Austausch der Erkenntnisse, kurz: eine »Atompolitik«, ohne die »die Welt dem Untergang geweiht«298 ist. Was nach dem Kongress von all den geweckten Erwartungen übrig bleibt, ist dennoch am Ende fraglich. Denn allzu dürftig erscheinen die Spuren und Ergebnisse der gemeinsamen Bemühungen. Die Abreise der Teilnehmer befreit endlich den Teppich von Madame Doret von den Bergen von Atombroschüren und die Stadt von dem Ballast und den Sorgen der Wissenschaft. Entlang der Stadtpromenaden beginnen die Genfer wieder zu bummeln, und die Antwort auf die Frage, was mit radioaktivem Müll geschehen kann, überlassen sie schnell 292 AM, 49:50–49:59. 293 Die Unsichtbarkeit der Gefahr ist die erste der 1986 in der Tageszeitung veröffentlichten Thesen (Günther Anders: Zehn Thesen zu Tschernobyl. In: Die Tageszeitung, 3. Juni 1986, S. 8) und nimmt das Motiv der unsichtbaren Bedrohung wieder auf, das Anders schon in seinen Wurzeln der Apokalypse-Blindheit als »Überschwelligkeit« der Gefahr bezeichnet hatte. S. Günther Anders: Die Wurzeln der Apokalypse-Blindheit (1962). In: Ders.: Die Zerstörung unserer Zukunft (Anm. I, 22), S. 52. 294 »Die Beseitigung der in den Atommeilern und Kraftwerken anfallenden Strahlen und Abfallstoffe«, AM, 51:45–51:51. 295 AM, 53:53–53:57. 296 AM, 54:00–54:01. 297 AM, 55:04. 298 AM, 49:30–49:34.

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und getrost der Zukunft. Die Hörspielmusik verklingt, und verblüffend schnell, nach der pädagogischen Eingebung des Autors, verhallen auch alle Nachklänge der Konferenz. Werner Baecker : Atome für Millionen. Audiofile NDR-Hörspielarchiv, Standort Hamburg, Archivnummer : F837503000. Werner Baecker – 200 Jahre Barmen, unter URL: http://www.barmen-200-jahre.de/index. php/home/item/168-baecker.

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Günter Felkel: Narkose (1955)

Autor : Günter Felkel (1921–2001) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 7. September 1958, Städtische Bühnen Erfurt Ort: Berlin Zeit: Gegenwart

»Ein Stück, das mit dem Agentenunwesen in Westberlin abrechnet«, so fasst die ostdeutsche Zeitung Neues Deutschland das Schauspiel Narkose zusammen.299 In seiner Geschichte der Schönen Literatur in der DDR bezeichnet Hans Dietrich Sander das Theaterstück des Dresdener Autors, Schauspielers und Regisseurs Günter Felkel als einen »Reißer« mit »obskure[r] Agentenstory«, fügt aber irrtümlich hinzu: »das Stück wurde allerdings nie aufgeführt«.300 Das Schauspiel wurde hingegen, wie die Berliner Zeitung berichtet, drei Jahre nach seiner Entstehung in Erfurt inszeniert.301 Der Text muss bei der Uraufführung ganz ohne Pausen gespielt worden sein – wie übrigens auch die Regieanweisungen vorschreiben –, denn im Widerspruch zum dreiaktigen Henschel-Manuskript von 1955 ist im Zeitungsartikel von einem Anderthalbstunden-Einakter die Rede. Jedenfalls rühmt der Rezensent trotz »kleine[r], behebbare[r] Fehler in der Motivierung« den Gegenwartsstoff als »brennend« und spricht von »effektvoller, energisch drängender Darstellung« und »erregenden Szenen auf Kriminalstückmanier«; kurz, »ein Stück, das wert ist, gespielt zu werden«. Die Fabel führt die Zeitung auf den damals aufsehenerregenden Fall der BurianekBande zurück, einer, laut dem großen ›Schauprozess‹ von 1952,302 von Ameri299 O. A.: Das Deutsche Theater soll Vorbild sein. In: Neues Deutschland, 27. Februar 1959, S. 4. 300 Hans Dietrich Sander : Geschichte der Schönen Literatur in der DDR: ein Grundriß. Freiburg 1972, S. 143. 301 Vgl. Walter Pollatschek: Vier neue Dramen in drei Wochen. DDR-Bühnen überwinden Stagnation vergangener Theater. In: Berliner Zeitung, 17. September 1958, S. 3. Aus diesem Artikel stammen auch die folgenden Zitate in diesem Abschnitt. 302 Vgl. dazu: Rudi Beckert: Die erste und letzte Instanz. Schau- und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR. Goldbach 1995, S. 237–248.

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kanern ausgehaltenen Spionagegruppe, die den Auftrag hatte, im DDR-Gebiet Bespitzelungsaktionen, Morde und Attentate auszuführen. Und tatsächlich verwendet Felkel Stilmittel und Klischees, die dem Genre der Spionagegeschichte im Kalten Krieg eigen sind. Verrat, Enthüllungsszenen, Korruption, Betrug, heimliche Kriegsvorbereitungen liegen der Dramatik des Stücks zugrunde. Die Handlung spielt in einem Zeitraum von knapp zwei Stunden, zwischen 22 und 24 Uhr, im Ostberlin der Gegenwart. Auf einer schlichten Bühne hebt die im Nebenzimmer schlagende Uhr den mahnenden Effekt der gedrängt vergehenden Zeit hervor. Die spärliche Besetzung mit nur drei Personen, die auch eine Art Liebesdreieck bilden, kommt dem Ziel einer straffen Akzentuierung der Hauptspannungen entgegen. Im Mittelpunkt steht die historische und politische Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Alles in allem mehr ein Spiel über den Kalten Krieg als ein Anti-Atomdrama. Zwar wird die Nuklearfrage im Text sofort angeschnitten, doch dient sie hier eher als Vorwand für die Darstellung der Grundwidersprüche der Zeit. Der Kampf zwischen entgegengesetzten Werten und Ideologien erfasst auch die drei Dramengestalten und spitzt sich zu einem inneren Konflikt zu. Die dichten, meistens aber an der Oberfläche bleibenden Dialoge der Protagonisten drehen sich um ethische Fragen und persönliche Verantwortung. Moralitätskonformität der Ziele, Legitimität der Mittel, Grenzen der Skrupellosigkeit werden gestreift, ohne tiefer auf die Motivationen einzugehen. Wie oft in der Dramatik zum Thema Krieg und Frieden ist es eine Frau, die unglückliche Heldin Hanna, die innerhalb der Paarkonstellation des Stücks die pazifistisch orientierte Seite vertritt. Sie wird als eine nervöse, labil gewordene Operationsschwester dargestellt, über die schon der erste Akt zwei handlungsrelevante Informationen liefert: Erstens, dass sie morphiumsüchtig – was dem vom Titel suggerierten Rausch- und Betäubungszustand entspricht – und daher auch leicht erpressbar ist, zweitens, dass sie eine Spionin ist, die den westlichen Funkverkehr abhört. Auch als Frau scheint sie zuerst nicht gerade zuverlässig zu sein. Felkel stellt sie zwischen zwei Männer : Der eine ist ihr Freund Fred Wansky, auch nicht eben ein vertrauenerweckender Typ. Dieser machtexaltierte ExFeldwebel, der in Orel 17 Partisanen zusammenschoss, nachdem er sie gezwungen hatte, »sich ihr eigenes Grab zu graben«,303 ist nun wegen seiner Kriegsverbrechen in die Hände westlicher Organisationen gefallen, die ihn für seine finsteren Dienste rekrutiert haben. Der andere, Eugen Stübe,304 als »Idealist« und »Marxist« (16) geschildert, ist in jeder Hinsicht sein Gegenspieler. 303 Günter Felkel: Narkose (Anm. I, 233), S. 99. 304 Nach Pollatschek (Anm. II, 301) heißt er Heinz Stübe. In der Buchfassung trägt er aber den Namen Eugen.

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Nach kurzer Aufenthaltszeit im Westen ist er enttäuscht zurückgekommen. Erbittert und abgeklärt setzt Eugen, in seiner Jugend »ein lächerlicher, existenzunfähiger Phantast« (50), wie ihn Hanna definiert, auf politische Ideale keine Hoffnungen mehr : Drüben? […] Dort packen sie die Verwesung in Neonröhren. Dort taumeln sie einem zweiten Stalingrad entgegen. – Hier? Aufbruch zum Sozialismus. – Es ist furchtbar, zwischen den Fronten zu pendeln. […] Sozialismus? Kapitalismus? Frieden? – Interessiert nicht. Interessant allein ist der klirrende Beutel. […] Wandelnde marxistische Lexika sind es, ideologische Rastellis – alles sind sie, nur keine Marxisten. (43–44)

Für Sander macht der Autor sein Stück »zum Vehikel einer Abrechnung mit dem sozialistischen Establishment, das den 17. Juni unbeschadet überstanden hatte«.305 Gewiss bietet Narkose ein von tiefer politischer Skepsis durchdrungenes Bild. Schon mit Hannas Selbstgespräch vor dem Spiegel beginnt das Spiel im negativen Zeichen einer individuell und allgemein konnotierten Krise: In ihren Gesichtszügen sieht die Frau nur noch das Wrack, das aus ihr geworden ist; eine Funkmeldung, deren Morsesignale sie entschlüsselt und stenographiert, soll dann den Zuschauer auf das Schlimmste vorbereiten: »Die Stunde des Handelns ist gekommen. Hintergründe: Russische Atomphysiker drohen Atomwissenschaft des Westens zu überflügeln. Letzte Chance – ein drittes Serajewo [sic] zu schaffen. Letzte Chance – den Bolschewismus zu liquidieren« (2). So versetzt die erste Szene den Zuschauer in medias res und bringt ihm den drohenden historisch-politischen Hintergrund des Stücks gleich zur Kenntnis. Inhalt der geheimen Nachricht ist das westliche Vorhaben, einen Sonderzug mit Molotow an Bord in die Luft zu sprengen, um das Nuklearprogramm der Sowjetunion zu inhibieren. Die Aussicht auf einen dritten Weltkrieg erweckt aber in der sonst entgegenkommenden Agentin Verachtung und Widerwillen. Die Pazifistin in ihr entscheidet, diesmal nicht mitzumachen und die Welt vor der imminenten Gefahr zu warnen: »Ein neuer Krieg, die Toten des letzten sind noch nicht verwest. Sie haben mich in der Hand. Sie haben jeden von uns in der Hand. Bis hierher bin ich mitgegangen. – – Der Zug wird passieren. Die Brücke wird nicht gesprengt werden. Dieser zu erwartende Auftrag wird nicht erfüllt. Wie denken sich das diese Leute in Westberlin? Wie denken die sich das bloß?!« (3). Im Gegensatz zu ihr freut sich der zynische Freund Fred über eine Welt, die ihrem Ende entgegengeht. Über dem Machtrausch vergisst er die Menschheit, wie ihm auch sein Antagonist Eugen vorhält: »Das ist der Weg, Wansky. Links – rechts, links – rechts, und hinter uns Atomkanonen, über uns Superatomfestungen, und vor uns – radioaktive, verbrannte Erde, auf der kein Halm mehr

305 Hans Dietrich Sander : Geschichte der Schönen Literatur in der DDR (Anm. II, 300), S. 143.

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wächst« (100). Freds Wahnsinn und Herrschsucht sind aber grenzenlos und unheilbar : Dann habe ich für Sekunden das Schicksal Deutschlands in der Hand. (Nimmt sie [Hanna] am Handgelenk, zieht sie zum Fenster.) Schau, die habe ich alle in dieser Hand. Die – dort drüben, wo das Licht brennt. Die – und die – und die, alle – alle in dieser Hand. Weißt du, was das bedeutet, was das für ein Gefühl ist, eine Sekunde Herr über Deutschland zu sein? Du weißt es nicht. Woher solltest du es wissen? – Aus ist es mit der verdammten kommunistischen Einheit. Vorbei! Verweht! (35)

Aus ihm macht Felkel den typischen Vertreter einer sturen antikommunistischen Verbissenheit, die kein Mittel scheut, um ihre Zwecke zu erreichen: »Was heißt – mit solchen Mitteln?«, fragt er Hanna zynisch, als er ihre Zweifel bemerkt, »[d]enkst du, wir können uns erst mit dem Papst zusammensetzen und ihn fragen, welche Mittel wir gebrauchen dürfen, um die hier vom Bolschewismus zu befreien?« (86). Und als er Hannas Absicht durchschaut, die Zugsabotage zu verhindern, will er auf jeden Fall seinen Komplizen die »Konserven«, das heißt den in Dosen abgefüllten Sprengkörper, bringen. In Gewissensnot gerät er nur, als er von dem Autounfall erfährt, den die Agenten planen, um die Verräterin zu ermorden: Er weigert sich, ihnen die Frau zu übergeben, und schickt an ihrer Stelle den nichtsahnenden Eugen zum verabredeten Ort. Dieser übersteht jedoch den Mordanschlag und kommt zurück, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Der Schluss ist eine etwas forcierte Wiedergutmachung vergangener Schuld: Eugen und Hanna gelingt es, das Attentat zu vereiteln. Der widerstrebende Fred wird von Eugen erschossen, der sich zusammen mit Hanna dem Gericht stellen wird. Ein notwendiger Akt, der kein Ende ist, sondern das Tor zu einem besseren Leben, das Freiheit verheißt (»durch dieses Tor müssen wir gehen«, 112). Aber die Zukunft, die Felkel seinen Gestalten und dem Zuschauer mit den letzten Dramenworten eröffnet, bietet keineswegs einen Schutz vor dem Kampf zwischen politischen Weltfronten und ist immer noch von Kriegsfeindlichkeit geprägt: »Und wenn wir wieder frei sind, Hanna, werden wir helfen, den Feind zu zerschlagen, an der äußeren Front und an der inneren, überall« (112). Nur dass diesmal der zu besiegende Gegner nicht die kommunistische Gefahr sein wird, sondern für Felkel das imperialistische und menschheitsfeindliche System der Unterdrückung jedes freien Denkens. Günter Felkel: Narkose. Berlin 1955. O. A.: Das Deutsche Theater soll Vorbild sein. In: Neues Deutschland, 27. Februar 1959, S. 4. Walther Pollatschek: Vier neue Dramen in drei Wochen. DDR-Bühnen überwinden Stagnation vergangener Theater. In: Berliner Zeitung, 17. September 1958, S. 3.

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Alfred Gong: Die Stunde Omega (1955)

Autor : Alfred Gong (1920–1981) Darbietungsform: Hörspiel in drei Akten Erstsendung: nie gesendet, Erstausgabe aus dem Nachlass: 2007 Ort: ein entlegenes Dorf Zeit: Gegenwart

Wie Paul Celan, mit dem er befreundet war, wurde der deutschsprachige Autor jüdischer Herkunft Alfred Liquornik in Czernowitz geboren. Wie Celan musste er auch die Folgen der sowjetischen Annexion erfahren – seine Eltern wurden nach Sibirien vertrieben – und erlitt nach der deutschen und rumänischen ›Purifizierung‹306 der Bukowina 1941 Ghetto und Deportation. Von Budapest aus, wohin er geflohen war, emigrierte der Schriftsteller 1946 nach Wien, wo er fünf Jahre bis zu seiner Übersiedlung als displaced person in die USA lebte. In New York ließ er sich endgültig nieder. Hier verbrachte er unter dem Rilke zu Ehren nach der Einbürgerung veränderten Namen Alfred Gong die letzten drei Jahrzehnte seines Lebens.307 In New York schrieb Gong im Sommer 1955 das Hörspiel Die Stunde Omega. Das Werk, das unter dem starken Eindruck der zahlreichen Atomtests entstand, die aus der Abschreckungsstrategie als Resultat des wachsenden nuklearen Wettrüstens hervorgingen und im Klima des sowjetisch-amerikanischen Kalten Kriegs auf beiden Seiten des Konflikts durchgeführt wurden, wurde nie gesendet. Sicher hatte ein so kritisch veranlagter Text im damaligen Amerika es nicht leicht, im Radio aufgenommen zu werden. Ebenso schwierig dürfte es gewesen sein, ihn veröffentlichen zu lassen, und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass er am Ende in der Schublade landete. Erst 2007 hat Bärbel Such das Stück, das sich im Archiv der University of Cincinnati befindet, aus dem Nachlass herausgegeben. Die Stunde Omega spielt an einem einzigen Tag in einer zeitlosen Gegenwart. Schauplatz des Geschehens ist die idyllische Landschaft von Terrina, eines imaginären Dorfes in der Nähe der Stadt Paxella, das – wie eine Erzählerfigur vor Beginn erklärt – links von einer alten Burg und rechts durch einen grünen Hügel begrenzt und wie in einen »Zauberschlaf«308 versunken ist. Unberührt vom technischen Fortschritt, scheinen die Terriner Bürger auch abseits jeder Zivilisation zu leben. Sie bebauen die Felder und sind nur durch spärliche Verkehrswege, die sie zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Esel zurücklegen, mit ihrer 306 Vgl. Helmut Braun (Hrsg.): Czernowitz: die Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole. Berlin 2006, S. 71. 307 S. dazu vor allem die grundlegenden Informationen und Beobachtungen von Natalia Shchyhlevska: Alfred Gong. Leben und Werk. Bern 2009, S. 37. 308 Alfred Gong: Die Stunde Omega (Anm. I, 371), S. 11.

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Umwelt verbunden. Kaum dringt die Außenwelt durch wenige Zeitungsexemplare ein. Das Märchenhafte am ganzen Bild stört eigentlich nur ein Detail, dem die Erzählerstimme durch das rhetorische Mittel des Understatements zusätzlichen Nachdruck verleiht: Es gebe ja etwas, was er zu nennen »beinah […] vergessen« hätte, ein neulich erbautes »Militärdepot oder so ähnlich«, nach dessen unklarer Funktion niemand fragt, denn »wozu sich auch den Kopf zerbrechen?« (11). Damit wird der Zuschauer bereits auf die Rolle vorbereitet, die das mit Sonnenenergie und -strahlen arbeitende Lager für die Entwicklung der Handlung und – wie es sich herausstellen wird – für die unvermeidliche Katastrophe spielen wird. Der verfremdenden Strategie des unterbrochenen Idylls folgend leitet ein als »friedlich« bezeichnetes Flötenspiel den ersten Akt ein, das im abgeschiedenen Wald eine romantisch-malerische Atmosphäre schafft. Die Melodie, so schön, dass sie ein vorbeikommendes Liebespaar »verzaubert« (12), soll ein Lobgesang auf die einfache Ursprünglichkeit der Natur sein, denn damit will der Spieler den herumstehenden Schafen die Musik »anschaulich machen«: »Ich spielte euch das Gras«, sagt der Hirte Pan zu seinen menschlichen und tierischen Zuhörern, »nichts Besseres als das Gras gibt es auf Erden. Groß und bescheiden« (14). Die Sprache ist hier lyrisch und der Stil erhoben, wie es sich für die höfische Welt schickt. Die zwei Liebenden, deren Anblick Pan »ergötzt«, sind nämlich die »Kastellbesitzer« auf der Wanderung durch die heile Ruhe des Sommermorgens, in der man »Gottes Atem hört« (12). Dieser Begegnung folgt Pans durchaus fundamentales Gespräch mit dem jungen Zeitungsverkäufer Pipo, ein Gespräch, das im Text ein völlig neues Szenarium eröffnet. Es ist gerade der zehnte Geburtstag des Jungen. Als Geschenk erfleht Pipo zunächst Pans alte Flöte, auf deren symbolische Bedeutung der Schluss auch später ausdrücklich Bezug nehmen wird. Im ersten Akt zielt aber Pipos Bitte anscheinend nur darauf, den Hirten und dessen Zuneigung zu ›prüfen‹. Eigentlich möchte er viel lieber die Geschichte von Pans Leben hören. Dadurch wird der Flötenspieler zunächst zum Bänkelsänger, der dem Jungen die Abenteuer seiner Jugend in Afrika erzählt, bis dieser ihn böse unterbricht und als Lügner apostrophiert. Erst diese Szene bringt den Leser zum Kern der Sache: Dem erstaunten Alten legt Pipo eine Zeitung mit dessen Bild als Professor Peter Gant vor, dem Gelehrten, »der die moderne Physik revolutioniert hat« (31). Unter dem Versprechen, alle Zeitungsexemplare zu zerstören, entlockt ihm das Kind endlich die Wahrheit über seine Vergangenheit. Als aber Pan gerade in Begriff ist, sein allerletztes Geheimnis zu enthüllen, setzt ein scharfes Sausen Pipos Leben und dem Akt selbst ein jähes Ende. Im zweiten Akt, der einen brüsken Orts- und Stimmungswechsel verkündet, steigt aus dem Himmel hinunter auf die ›kleine Erde‹ (nach der Bedeutung des Namens Terrina von lateinisch terra, Land) – der Reporter Bill Angelo. Als alles

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andere als ein ›Engel‹ erweist sich aber der Journalist, der mit einem Hubschrauber in Paxella (›kleiner Frieden‹, ebenso aus dem Lateinischen) landet. Bill Angelo arbeitet für den Fernsehsender Interstar sowie für angeschlossene Funksender, denen der Autor die ironisch gemeinten Namen Felicia und Progress gibt, und will »als erster, direkt vom Schauplatz« (22) der Welt von der sensationellen Nachricht berichten. Durch ihn erfährt der Zuschauer von der Strahlenexplosion, die sich vor einer halben Stunde am Ort ereignet hat, und von dem geheimnisvollen Sonnenessenz-Geschoss, das in das Kastell eingeschlagen, den umliegenden Wald verheert und in Kohle und Asche verwandelt hat. Inzwischen ertönen aus dem Jenseits die wehen Stimmen des Kastellbesitzerpaares und des jungen Pipo, die die Katastrophe tödlich getroffen hat. Erblindet hat sie aber auch den alten Pan. Der verhängnisvolle Unfall zwingt ihn, sich mit seiner verdrängten Identität als Professor Gant auseinanderzusetzen. Im Nachwort zur Nachlassedition bringt Bärbel Such die Wissenschaftlerfigur des Pan-Gant in Verbindung mit dem Physiker Möbius in Dürrenmatts Physikern. Genauso wie Möbius habe auch Gant auf die Wissenschaft in der Illusion verzichtet, sich den praktischen Auswirkungen seiner genialen Ideen entziehen zu können.309 Auch bei dem Protagonisten von Alfred Gong manifestiert sich die typische Physiker-Hybris in der Kombination von gottesnahem Übermut und wissenschaftlicher Begeisterung. So bedauert Pan-Gant seinen eigenen Abstieg von einem stolzen, vom Forschungsdrang besessenen Mann zum enttäuschten Spielball des Militärstaates (»eine Mauer aus Draht und Schweigen«), und er beklagt die Verwandlung vom ›Licht‹ der Erfindungen – Luxor hieß das Institut – zum Dunkel eines Überwachungssystems (»die Wolken […] standen plötzlich da, – wer sah sie kommen?«), das nur zur Sicherung der nationalen Hegemonie (»Vaterlandsverteidigung«) dient: Mir war’s als schwebte ich über der Flut, höher und höher, über die Sterne hinaus, der letzten Lösung zu, die Formel findend, einfach und klar wie Gott. […] Ehre und Gold… Sie bauten mir ein Institut, ein Märchenschloß aus Glas und Stahl: LUXOR – ein Fest aus Spiegeln und aus Linsen. Vierzig aus aller Welt, die Besten, kamen um mitzutun. Sonnenessenz: Urstoff des Lebens; Ende der Seuchen, die seit Erdbeginn die Menschheit plagten; neue Gebiete, ewig in Eis gebunden, fruchtbar zu machen und grün… Ein kleines Beispiel hier : Im Flora-Raum gelang es uns den Apfelbaum im Laufe einer einzigen Woche durch Blüte, Frucht und Herbst zu jagen. Und diese Äpfel schmeckten paradiesisch. Am nächsten Tag gelang es uns den gleichen Baum im Laufe eines Atemzuges in Asche zu verwandeln. Was sag ich: Asche? Asche der Asche, wär das Wort dafür… So schufen wir in Luxor nüchtern, fleißig, und hörten hier wie eine große Glocke das Herz der Erde. Die neue Zeit schien an den Toren Luxors anzubrechen. So hell war es in Luxor, bis die Wolken uns bezwangen… […] sie verliehen Orden, sie gaben uns dreifachen Lohn, sie sprachen: »Halt! Mit Menschenglück hat’s keine Eile. 309 Bärbel Such: Nachwort. In: ebd., S. 127.

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Vor allem kommt die Vaterlandsverteidigung!« Und eine Mauer ward aus Draht und Schweigen geschlossen um Z-17, der neue Name für das junge Luxor… (33)

Wie viele andere namhafte Physiker, darunter auch Oppenheimer, dessen Fall Gong allzu gut kannte,310 zieht sich sein Wissenschaftler aus der Forschung und der Verantwortung für ihre Zwecke endgültig zurück. Als Hirte Pan glaubt Gant dann in Terrina »das Ende [einer] Irrfahrt« (34) gefunden zu haben und die frühere Schuld wiedergutmachen zu können. In seiner inneren Tragik stellt aber Gants Schicksal nur einen missglückten Fluchtversuch dar, den der Reporter Bill Angelo in bündiger Kürze zusammenfasst: »Professor flieht, wird Hirt. Geheimwaffe, die er erfunden hat, geht los und tötet einen Knaben« (34). Es ist eben der Tod des unschuldigen Kindes, der im Text die entscheidende Handlungswende bewirkt, Gant die Augen endgültig öffnet und zum Bekenntnis führt, dass sein friedliches Leben nur Selbstbetrug war. Seinerseits wird der junge Pipo zum sakralen Opfer, das auf dem Altar der Wissenschaft für das Heil der Menschheit dargebracht wird. Deshalb ist er auch der einzige, der die Antwort auf die trostlose Frage der Mutter (nicht von ungefähr heißt sie Maria) kennt, warum Gott ein Kind nimmt, »das nichts von Sünde ahnte«. In der schmerzlichen Stille des Schweigens Gottes (»du schweigst, mein Gott, Du schweigst«, klagt Maria, 35) weiß nämlich nur Pipo, »warum der Reine leiden muß und zahlen für fremde Schuld« (35). Wie Christus zeigt er also den Weg, der »tausend Schuldige bekehrt und wie ein Regen großer Gnade ihre Seelen läutert« (36). Dank seiner Vermittlung erhalten der Wissenschaftler und die ganze Erde eine letzte Chance zur Besinnung und zur Rettung. Am Ende berichtet der Erzähler von Gants Heimkehr zu seiner längst verlassenen Familie und wieder von einem fernen Flötenspiel. Seine Töne werden zur symbolischen Chiffre einer ersehnten, vielleicht immer noch möglichen Harmonie mit der Natur, denn darin – so Pan-Gant in den abschließenden Worten des Stücks – »glimmt uns noch Hoffnung« (36). Alfred Gong: The Case of J. Robert Oppenheimer. In: The American-German Review 31 (1965), H. June-July, S. 27–28, 39. Ders.: Die Stunde Omega. In: Die Stunde Omega / Um den Essigkrug. Zwei dramatische Werke aus dem Nachlass Alfred Gongs. Hrsg. von Bärbel Such. Bern 2007, S. 9–36 (Kommentar von B. S.: S. 120–133). Joachim Herrmann: Zum deutsch-amerikanischen Dichter Alfred Gong. Eine biographische und bibliographische Einführung. In: Yearbook of German-American Studies 21 (1986), S. 201–213.

310 Vgl. seine Rezension von Heinar Kipphardts In der Sache J. Robert Oppenheimer : Alfred Gong: The Case of J. Robert Oppenheimer. In: The American-German Review 31 (1965), H. June–July, S. 27–28, 39.

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Ders.: Leben und Werk von Alfred Gong. In: Dietmar Goltschnigg, Anton Schwob (Hrsg.): Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. Tübingen 1990, S. 385–394. Natalia Shchyhlevska: Alfred Gong. Leben und Werk. Bern 2009. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 57.

41.

Ulrich Becher: Die Kleinen und die Großen (1955)

Autor : Ulrich Becher (1910–1990) Darbietungsform: Zauberposse in zwei Akten Uraufführung: nie aufgeführt Ort: ein Phantasiestaat Zeit: 2000 n. Christus

Ulrich Bechers Zauberposse ist eine ambitionierte, teilweise sehr reizvolle, jedoch auch recht komplizierte und inhaltliche dichte Persiflage auf das explosive Klima des Kalten Kriegs und den maßlosen Machtwillen eines Diktaturregimes, das im Besitz atomarer Vernichtungswaffen ist. Becher schreibt das Stück 1955, veröffentlicht einige Teile davon in der ostdeutschen Zeitschrift Aufbau311 und lässt es ein Jahr darauf in München bei Desch erscheinen. 1957 wird das Werk parallel von Rowohlt und dem in der DDR ansässigen Aufbau Verlag neu aufgelegt.312 Becher genoss damals schon einen festen Ruf als Dramatiker im ganzen deutschsprachigen Bereich. 1955 erhielt er den Dramatiker-Preis des Deutschen Bühnenvereins. Einen dauerhaften Erfolg hatten seine Werke auf zahlreichen Bühnen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und besonders in der Schweiz, wohin der geborene Berliner nach seinem Exil in den USA umsiedelte und wo er bis zu seinem Tod in Basel lebte. Obwohl aber Becher neben Hans J. Rehfisch und Günther von Weisenborn sogar zu den wenigen WestAutoren gehörte, die in den fünfziger Jahren auch an ostdeutschen Theatern stets zu sehen waren, ist eine Aufführung des Spiels Die Kleinen und die Großen nicht bekannt. Die Bühnenrezeption dürfte wohl durch die phantasievolle und höchst verwickelte Struktur der Zauberposse behindert worden sein. Wie der Titel signalisiert, baut die Handlung auf zwei sich überschneidenden und wohl auch schwer aufführbaren Ebenen auf, und die Trennung zwischen den Welten der ›Kleinen‹ und der ›Großen‹ sorgt für einen unkonventionellen magischen Grundton, der befremdend und zugleich auch altmodisch wirken konnte. Mit 311 Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen. Neue Zauberposse in zwei Akten. In: Aufbau (1955), 11, S. 1069–1077. 312 Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen. Nachgedr. in: Ders.: Spiele der Zeit (Anm. I, 78), S. 293–404. Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden zitiert.

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der ›großen‹ Menschenwelt auf der Oberfläche koexistiert nämlich eine liliputanische Sphäre von Hausgeistern, den winzigen »Hinzen«, die unter dem Boden wohnen, im Kostüm vergangener Zeiten auftreten und vom Protagonisten, dem Hausherrn, zuweilen für Ratten gehalten werden. Dieser ist niemand Geringerer als der General Valdemario Adolar, Presidente Neo Absolutissimo von Quion, einem Phantasiestaat, in dem Spanisch gesprochen wird und eine Diktatur südamerikanischer Art herrscht. Der Despotismus des Präsidenten ist so umfassend, dass sich keine Opposition auszusprechen wagt, zumal die Eliminierung der »subversiven Elemente im Inland« durch die »altbewährte Erdrosselungsmethode« (303) häufige Praxis ist. Es fehlt auch nicht an einem »Generalinquisitor gegen unquionische Umtriebe« (304), der schon rein lexikalisch an die gängige amerikanische Formel für die unter McCarthy tätigen Ausschüsse ›gegen unamerikanische Umtriebe‹ erinnert. Von Adolars tyrannischem Wahn ist die Handlungs- und Sprachebene der ›Großen‹ völlig bestimmt, seine Figur ist von hochstaplerischen Vorstellungen befallen, sein Jargon prahlerisch und aufschneiderisch, die ganze Stimmung mit Elementen seines zügellosen Luxus durchsetzt: vom amerikanischen Drehsessel aus purem Gold zur malaiischen üppigen Riesenpython-Tigerschlange Kaa, einem tierischen Wesen »von exotisch-animalischem sex appeal« (295), das in einem gläsernen Käfig (»hinter der Scheibe, zur Schau«, 295) regungslos lebt. In ihrer grausamen Gefräßigkeit – sie isst lebende Kaninchen – übt die höchst symbolträchtige Schlangenfrau eine mächtige Anziehungskraft auf den exzentrischen, psychisch labilen Presidente Absolutissimo aus, der zwar mit Dona Pilar, genannt Mama Patria, verheiratet ist, in Kaa aber leidenschaftlich verliebt ist. Auch die Bühnendekoration soll die unheilvolle Machtgier des kriegslustigen quionischen Chefs widerspiegeln. An den Wänden des Palacio Presidental stechen plakatgroße Fotos von nächtlichen Atombombenexplosionen hervor. In enger thematischer Verbindung dazu verwendet Becher als Auftakt zur eigentlichen Handlung des Stücks das ›Zinnober-Ultimatum‹, wie der ursprüngliche Untertitel der Tragikomödie eigentlich lautete. Nachdem Adolar den deutschen Erfinder des Zinnobergeheimnisses beseitigt hat, erwählt er das Johannisfest, um sein Ultimatum »sowohl an die Ostgroßen wie an die Westgroßen« der Welt zu richten; daraufhin soll Adolar unter Einsatz der Zinnoberbombe »den zweifrontalen Atomkrieg« (312) starten. Weitere geheimnisumwitterte Requisiten, z. B. Zinnoberuniformen für alle Bürger zum Schutz gegen Radioaktivität und Geigerzähler »zwecks Feststellung radioaktiver Strahlen« (299), werden ebenfalls im Text genannt, um eine plausible Atomszenerie heraufzubeschwören. Auch Darstellungsparadigmen der Atomzerstörung werden in vielen Passagen verwendet, wie das Bild des unermesslichen Potentials einer ›kosmischen‹ Kernenergie, d. h. die »erste aus kernphysikalischer Forschung hervorgegangene kosmische Bombe auf japanische Hafenstadt

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Hiroshima« (315). Fach- und Gemeinsprache verquicken sich in der geschichtlichen Rekonstruktion der Etappen des atomaren Zeitalters seitens der Kleinen. Eine neue Ära habe begonnen, »als sie [die Großen] mit der H-Bombe experimentierten auf dem Atoll im Stillen, im Stillen Ozean« (388). Das verwendete Wortinstrumentarium gehört hier einerseits zur Popularisierung der apokalyptischen Vorstellungen, etwa bei der ›kumulativen‹ Beschreibungsart der Verseuchung bei dem Unfall der japanischen Fischer : »Den Fischern schwollen die Hoden, die Leber, die Milz an der vergifteten Brise, und das Knochenmark tropfte ihnen aus«; wegen »Luftgift« und »Giftbrise« verendeten Tausende Schwalben am Strand »mit himmelwärtsgekrampften Krallen« (ebd.). Andererseits wird aber auch die technisch-wissenschaftliche Begriffsentwicklung nachvollzogen: »Durch die Beschießung des Luftstickstoffs 14 mittels Neutronen bilden sich allerstabilste Isotope. Die Halbwertszeit des C 14 beträgt über fünftausend Menschenjahre. Bis zum Ablauf dieser Frist wird die Hälfte des radioaktiven Kohlenstoffs in der Atmosphäre spuken« (ebd.). Dabei wird nicht versäumt, gerade durch das den Drameninhalt bestimmende Wortspiel von Groß und Klein das Verwerfliche und Frevelhafte an der Atomforschung an sich zu unterstreichen: ROSSTRAPP dann: Eine Frage, Kolumbi. Kosmische Bomben, wie fummeln sie die? WAPPER […] Simpel-simpel. Indem sie das Kleinste zertrümmern, entladen sie das Größte. ROSSTRAPP: Hummm… Aus dem Kleinen wird schwupp-diwupp das Große? […] KRETPFUHL: Ein Holzscheit zu spalten, mag gottgefällig sein. Das K-l-e-i-n-s-t-e jedoch in der Schöpfung zu spalten, ist wider Gott; es schmerzt ihn. In der großen Explosion entlädt sich Gottes jäher Schmerz und Zorn. Sein Jähzorn. (315)

Dieses Gespräch, in dem Nukleartermini wie ›kernphysikalisch‹ und ›spalten‹ neben vagen archaisierenden Metaphorisierungen der ›kosmischen‹ Wirkung erscheinen, wird – wie der Text ausdrücklich betont – »in einer anderen Dimension« (308) geführt: Auf der unteren Ebene, wo die Hinze, unter dem Rauchtischfuß lebend, seit Jahrhunderten ü ber die Menschheit wachen. Die sieben Geister sind die einzigen, die dem wahnsinnigen Treiben des Diktators Einhalt gebieten können. Deshalb macht Becher die kleinen Fabelwesen – die historische und literarische Figuren, wie Spinoza, Wallenstein, Kolumbus, Toulouse-Lautrec verk ö rpern – auch zu den zentralen Tr ä gern der scharfen und zugleich humorvollen Kritik am Totalitarismus, die er in das St ü ck miteinflie ßen l ä sst. Ihr Handlungsstrang kreist um die Pläne, die sie sich ausdenken, um die Vernichtung der Erde durch Atomwaffeneinsatz und zinnoberartige Verstrahlung zu verhindern. Zu ihrer Verbündeten erwählen sie – dem Schema des Generationenkonflikts entsprechend, der auch in vielen an-

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deren Atomstücken als Handlungsmotor fungiert – Adolars Tochter Mignon, für diese Kooperationsrolle schon durch ihren Namen prädestiniert. Anders als die übrigen Untertanen von Quion liebt sie Literatur und Musik und erträumt sich als Bräutigam einen kleinen Mann »mit einem kleinen Vollbart. Einem kleinen Pincenez«, der so aussieht wie »Toulouse-Lautrec. Porträtiert von seinem Freund Bonnard« (298). Ihr übertragen die Hinze die Aufgabe, den Vater vor der Ausführung seines ruchlosen Projekts abzumahnen. Doch fruchten ihre Bemühungen wenig und deshalb muss sie, wenn auch unter Zweifeln, »die Tat […] die vatermörderische« vollbringen: »Bin ich im Wahn? Wie die Peliastöchter, die verhext von Medeia, hinschlichen, einen König zu schlachten und Vater? … Gebt mir ein Zeichen, dann will ich es tun… […] Dann muß ich es tun, das Gräßliche … denn anders ist es nicht abzuwenden, Das Größte Unheil Der Zeiten« (368). Aber die Natur, in Verbindung mit den Kleinen, kommt ihr und der ganzen Menschheit zu Hilfe. Als der exaltierte Adolar hinter dem Mikrophon im Begriff ist, am Ende seiner hochtrabenden Rede eine offizielle Kriegserklärung zu erlassen und der jubelnden Masse von Quion die endgültige Parole »Zinnoberkrieg-Zinnobersieg« (372) emphatisch zu verkünden, lassen die Hinze Jacques Offenbachs Barkarole ausstrahlen. In »marionettenhafter Gesteiftheit […], die Miene ein Grauen des Widerstrebens« (373), singt der wie immer mit Drogen »vollgestopft[e]« (383) Adolar mit. Das angekündigte verbrecherische Vorhaben zur vermeintlichen »Rettung abendländischer Kultur«, die der General nur als pompöse, eroberungsreiche Dynastien-Geschichte versteht, wird also durch das musikalische Erbe des Abendlandes vereitelt. So erwächst buchstäblich aus dem »alte[n] Untergrund« (337) die revolutionäre Bewegung (»ganz Quion im Aufruhr«, 397), die plötzlich auf der oberen Ebene ausbricht und Adolars »Grand Guignol« (388) – freilich in einem selbst grandguignolesk ausgeführten Schlussbild – ein Ende setzt. Die Riesenschlange wird befreit, um ihrem Urwald zurückgegeben zu werden, Mama Pilar erliegt beim Anblick der großen Pythonfrau, die sie zischend umringt, einem Herzanfall und stirbt in ihrem Goldsessel, der Presidente, von der paranoiden Obsession zischender Ratten verfolgt, erschießt sich. Ein junger CompaÇero namens Toledano – in dessen Aussehen Mignon den ersehnten Toulouse-Lautrec wiederzuerkennen meint und der übrigens wie der berühmte Maler leidenschaftlich Absinth trinkt – rettet Adolars Tochter und bleibt bei ihr. Den weiteren Verlauf der »quionistischen Untergrundbewegung« erfahren wir von einer Ansagerstimme, die neben der Entdeckung der Leiche des Generals die Nachricht von der Rückkehr des Revolutionsführers Jos8 Agirre aus dem Exil bekannt gibt und eine Welt ohne nukleare Angst verkündet: »Die universellste Drohung der Zeiten, der allmächtige Zinnoberterror ist gebannt. Arriba la Gran Paz!« (400). Die Zauberversion des Atomstücks hat ihr glückliches Ende gefunden. In der Leichtigkeit

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der literarischen Possenform erscheint die feierliche Ankündigung des ›Großen Friedens‹ als möglich. Becher, Ulrich: In: Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. 20. Jahrhundert. Hrsg. von Kurt Böttcher u. a. Hildesheim, Zürich, New York 1993, S. 52–53. Ulrich Becher : Die Kleinen und die Großen. Neue Zauberposse in zwei Akten (1955). In: Aufbau (1955), 11, S. 1069–1077. Nachgedr. in: Ders.: Spiele der Zeit. Hamburg 1957, S. 293–404. Vera Botterbusch: Zoom auf Ulrich Becher. Porträt. In: Kürbiskern (1980), H. 4, S. 124–130. Paul Hühnerfeld: Auf der Suche nach dem alten Europa. Die Wege und Irrwege des Schriftstellers Ulrich Becher. In: Die Zeit, 23. Mai 1957, S. 6. Doris Neumann-Rieser : Ulrich Becher, Die Kleinen und die Großen. Neue Zauberposse in zwei Akten (1955), unter URL: kk-diskurse.univie.ac.at.

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Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff ! Ein Atomdrama (aus dem Nachlass: 1955/56)

Autor : Ilse Schneider-Lengyel (1903–1972) Darbietungsform: Versdrama in neun Bildern Uraufführung: nie aufgeführt (nicht veröffentlicht) Ort: irdische und himmlische Szenerie Zeit: ahistorische Gegenwart / Ende der Zeiten

»Die Götter drohen über uns zusammenzubrechen«,313 sagte Ilse SchneiderLengyel einmal in einem Radio-Interview. Der Zusammenbruch der Götter als Symbol des nahen Weltendes ist einer der Topoi, den die apokalyptische Strömung der Atomdramen am häufigsten benutzt und variiert hat. Ein pazifistisches Endzeitbewusstsein, gemischt mit einem tiefen Zivilisationspessimismus, durchtränkt auch die sehr heterogene Produktion von Schneider-Lengyel, die um die Wende der fünfziger Jahre in Deutschland einen regen Beitrag zum geistigen und kulturellen Leben der frühen BRD leistete. Besonders bei der Gründung der Gruppe 47 war die exzentrische und höchst vielseitige Figur der Münchener Schriftstellerin, Kunstkritikerin und Ethnologin eine zentrale Erscheinung.314 In seinem Aufsatz über die Dichterin und Hans Werner Richter 313 Nachlass Ilse Schneider-Lengyel. Ms. Bayerische Staatsbibliothek, BSB Ana 372 [Ordner : Projekt ›Puppen‹]. 314 In ihrem Wohnhaus am Bannwaldsee im Allgäu fand am 6. und 7. September 1947 das erste Treffen des Kreises um Hans Werner Richter statt, fast die offizielle Geburt der Gruppe, wie ihr ›Oberhaupt‹ zwei Wochen danach schrieb: »Aus der Tagung im Bannwaldsee hat sich nun folgendes ergeben: wir haben uns sozusagen als literarische Gruppe konsolidiert und sind auf den schlichten Namen ›Gruppe 47‹ gekommen. Bei diesem Namen wird es wahrscheinlich auch bleiben«, zit. in: Heinz Ludwig Arnold: Zur Geschichte der Gruppe 47. In:

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rekonstruiert Peter Braun die Etappen der kurzen, doch intensiven Teilnahme Schneider-Lengyels an der literarischen und editorischen Tätigkeit der Gruppe bis 1950 und bis zur Vergessenheit, in die ihr vorwiegend lyrisches Werk relativ bald geriet, und der späten Wiederentdeckungsgeschichte ihres größtenteils ungedruckt gebliebenen Gesamtwerks.315 Der umfangreiche Nachlass, darunter auch viele Briefe, die von der Bekanntschaft mit berühmten Intellektuellen der Zeit zeugen, wie Alfred Andersch, Gottfried Benn, Paul Celan, Erwin Piscator,316 ist zwar zerstreut, aber der größte Teil befindet sich im Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek. Dieser beinhaltet, außer Interviews, Korrespondenzen, Fragmenten und Projekten aus den Jahren 1950 und 1960, unter anderem auch einen Roman, einen Lyrikband und das im Nachlass als ›Atomdrama‹ bezeichnete Theaterstück Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff!, ein Manuskript ohne Datum – laut Peter Braun in die Jahre 1955/56 datierbar –, von dem keine Aufführung nachgewiesen ist. Der etwas dunkle und manchmal verworrene Text – den die Regieanweisungen als »Gegenwartsgeschehen«317 präsentieren – setzt aktuelle Ereignisse voraus, die von der zunehmenden Angst vor Radioaktivität und den Schreckvorstellungen eines dritten Weltkriegs unmissverständlich geprägt sind. Unaufhaltsam geht die Menschheit im Schauspiel ihrer totalen Austilgung entgegen, jenem ›Nullpunkt‹, den der warnende Titel ankündigt und der das gewaltsame Finale – die atomare Detonation am Dramenschluss – als Umkehrpunkt markiert, von dem an es kein Zurück mehr gibt. Trotz des beteuerten Gegenwartsbezugs geht es hier dennoch eher um eine kosmische Koexistenz von Prähistorie und menschenloser Zukunft, von Realität und Visionen. Und wenn auch die letzte »Wahl […] auf der Stirn des Menschen« (37) steht, überwiegt im Spiel eine vertikale Transzendenz, eine fast unpersönliche Ebene, die Himmel und Erde umfasst. Deshalb steht im Mittelpunkt des Entwurfs der Prozess Gottes, der allein 20 Seiten des Manuskripts Hans Werner Richter, Heinz Ludwig Arnold: Der Skorpion 1. Reprint. Mit einer Dokumentation zur Geschichte des »Skorpions« und einem Nachwort zur Geschichte der Gruppe 47 von Heinz Ludwig Arnold. Göttingen 1991, S. 74. S. dazu auch das gut dokumentierte Buch von Wiebke Lundius: Die Frauen in der Gruppe 47. Zur Bedeutung der Frauen für die Positionierung der Gruppe 47 im literarischen Feld. Berlin 2017 (über Ilse Schneider-Lengyel, S. 135–151). 315 Peter Braun: »Die klein gebliebene Hoffnung ist ein Anfang«. Hans Werner Richter und Ilse Schneider-Lengyel. In: Carsten Gansel und Werner Nell (Hrsg.): »Es sind alles Geschichten aus meinem Leben«. Hans Werner Richter als Erzähler und Zeitzeuge, Netzwerker und Autor. Berlin 2011, S. 211–223. Vgl. dazu auch Cornelia Staudacher : Das Wort ist ein unerklärliches Geräusch. Die Schriftstellerin und Kunsthistorikerin Ilse Schneider-Lengyel, wiederentdeckt von Cornelia Staudacher. Berlin o. D. [vmtl. um 1977]. Typoskript im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg. Nachlass Walter Höllerer, 10 Bl. 316 Viele davon sind im Deutschen Literaturarchiv Marbach, im Literaturarchiv SulzbachRosenberg und im Archiv der Akademie der Künste in Berlin erhalten. 317 Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff. Ein Atomdrama (Anm. I, 290), S. 2.

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umfasst (12–33): In einem traurigen Chor vereint, ziehen Menschen und Tiere den Schöpfer selbst vor Gericht und klagen ihn des Chaos und des »kosmischen Mord[es]« (12) an. Im Sinne einer apokalyptischen summa, die sich, wie es im apokalyptischen Diskurs üblich ist, in der Spur der überlieferten Apokalypsen bewegt und eine Fülle an intertextuellen Verweisen enthält, versucht SchneiderLengyel eine mystisch realisierte Gesamtschau von Mensch, Maschinen und Gottheit und macht aus dem Werk ein visionäres Manifest des Endes als globalen Weltuntergangs. Der Untertitel charakterisiert das Spiel als »magisches Tonrelief mit Elektronenmusik« und schließt damit – trotz mancher Regieanweisungen, die mit Dekorationen und Lichtschildern auf eine optische Sphäre hindeuten – eine mögliche Bestimmung des Textes als Rundfunkvorführung nicht ganz aus. Akustische Elemente stechen deutlich hervor und unterstreichen vielfach die verwickelte, aperspektivische Handlung durch eine komplexe Geräuschkulisse, welche motivische Verknüpfungen herstellt. So wird der Wechsel von Schweigen und Tönen ausgespielt, um das Oppositionspaar ›göttlich/menschlich‹ hervorzuheben: Mit der Betonung der »Beinahe-Stille« verbindet sich immer das Gottesmotiv, alterniert mit dem Trompetenklang, der in der Arena unter freiem Himmel die verschiedenen Phasen des Prozesses verkündet. Fast unaufhörlich begleitet hingegen ein elektronisches Surren die nukleare Dimension im Text: Die Atombombe – als Panther-Bombe vorgestellt – durchbricht in progressiver Bewegung fünf Atmosphärenschichten, um in den definitiven großen Aufprall des Schlusses auszumünden. Dazwischen erklingen Stimmen, rhythmische Chöre, Gesänge, Geschrei und Tanzschritte, während der seltsame Rhythmus eines Wasserzählers den beängstigenden Countdown durchführt und der Atomsender – ein obsessiver Refrain, der immer wiederkehrt – den zweiten Teil des Werktitels, »Achtung Stickstoff!«, in regelmäßigen Abständen wiederholt. Das Stück ist in neun Bilder und sechs Phasen unterteilt. Die erste, die »mystische Voruntersuchung« (12), die dem zentralen Prozess gegen Gott vorangeht, soll eine Vorschau auf die herannahende Apokalypse bieten. In visionärer Verdichtung füllt sich die Szene mit wechselnden Stimmen aus der personifizierten Tier- und Gegenstandswelt, Schwärme toter Vögel und schnaubende »Mörderhengste« (7) strömen in die Welt. Technische Errungenschaften wachsen sich zu Bedrohungen aus. Eine Erdölkolonne ragt über eine frevlerische Erde empor, wo »Kathedrale und Tankstelle«, wie »die kräftigen Schultern« (6) klagen, fast nur ein und dasselbe sind. Einzelne Körperteile – zusammengepresste Lippen, welche die »gottlose Zeit« (6) anprangern, löchrige Lungen, Splitter, die als der Materie zugehörig betrachtet werden wollen – und personifizierte Objekte ziehen in halluzinativer Folge vorüber : Die anklagende Wasserkolonne, Teufelshufe, Särge mit gebrochenen Engelflügeln, eine ebenfalls sprechende Prozession. Diese ist übrigens die einzige Stimme, die noch an Gott

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glaubt, denn »die Brennpunkte des PANTHERS sind Einfälle des Menschen« (8a). Die Szene schließt mit der symbolträchtigen Figur des Atomwissenschaftlers, der an dieser Stelle »Standgericht über Gott« fordert. In der zweiten Phase, der Prozesshandlung gegen Gott, sind die drei konstitutiven Faktoren eines gerichtlichen Verfahrens vorhanden: erstens die Anklage (12–20), zweitens die als Zeugenwahrnehmung fungierenden »Chöre der Menschenzeitalter« (20–30) und schließlich die Verteidigungsrede des »Großen Angeklagten« (31–33). Das Ganze ist gewaltig: Auf einem Ölbohrturm sitzend urteilen Gottes Sohn und ein Richter abwechselnd über den Angeklagten. Der unsichtbare Gott lässt seine Stimme aus in Brand gesteckten Panzern vernehmen. Bei der Anklage werden »Einzelstimmen« (12) vernommen, die ein schauderhaftes Panoptikum des Grauens bilden: zerrissene Schädel, Leichenteile, Würmer, Totentanz der Skelette, ein dem Schächter erlegenes Kalb, sogar eine Blutkaskade, die an Gottes Existenz zweifelt. Auch die Atombombe in Person tritt im Stück auf und schiebt, genauso wie der Atomwissenschaftler am Ende der ersten Phase, nur Gott jegliche Verantwortung zu. Doch der Schöpfer weist die Schuld weit von sich. »Und Euch hab ich / all dies in die Hände gegeben…?« (12), fragt er die Menschen. »Die Kriege habe ich nicht gemacht«, beteuert er, »Ihr habt euch erschlagen in Mordlust / Habt gebetet für den Tod der Feinde und – – « (13). In dieses Sammelsurium unterschiedlichster Elemente greifen die schon erwähnten »Chöre der Menschenzeitalter« ein, eigentlich Chöre der Jahrzehnte in absteigender Linie von 1970 bis 1940. Sie folgen dicht aufeinander, um ergreifend grauenhafte, schwer entzifferbare Bilder zu evozieren, die auf einer komplexen Symbolik beruhen. Aus der Zukunft berichten zunächst die Stimmen der siebziger Jahre von einer bereits menschenleeren Welt, wo die Tiere nur den Tod »wie eine schwarze Flüssigkeit in einem staubigen Glas« (20) erwarten. Die in vielen Texten apokalyptischer Prägung durchaus übliche Theatralisierung des historischen Pessimismus drückt sich hier in der Rückkehr in die Prähistorie, in der Wiedererscheinung ausgestorbener Lebewesen wie Dino- und Tyrannosaurier aus, die sich auf der unbevölkerten Erde ausbreiten und eine tausendjährige Zivilisation zunichtemachen können. Im Chor der sechziger Jahre schaut die Stadt nur in Abgrund und Chaos: Die Weltordnung hat sich umgekehrt, die Kapelle ist in ein Irrenhaus verwandelt worden, das Irrenhaus in einen Gottesdom. Der Tanz der Besessenen in den fünfziger Jahren nimmt das Bild von Dämonen und Engeln der ersten Phase wieder auf, schaltet aber jedes Überirdische aus. Teufel auf Krücken und unglückliche Engel weichen Menschen aus, den wahren Besessenen, die »vor Wildheit vor Krankheit / vor Unzulänglichkeit / vor schlaflosen Nächten / und verfemten Wünschen« (21) tanzen. Der Mensch hat an Würde eingebüßt: »IN SCHERBEN UNSERE SEELE / WO IST DIE WÜRDE?« (28).

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Dem ganzen Drama wohnt dieser Sinn tiefer Skepsis inne. Durch den MörderGott hat sich für die Chöre »das Unbegreifliche« durchgesetzt, die Geschichte ist ein einziger Betrug (»Es lügt die Geschichte nach Cäsaren«, 28). Durch das Böse und die entsetzlichen Verbrechen der Menschheitsgeschichte wird aber auch das Dogma der Gottebenbildlichkeit des Menschen vielfach in Frage gestellt. Die Schuldzuweisung an Gott droht nämlich auf den Menschen selbst zurückzufallen. So im Chor der siebziger Jahre: Denn wenn DU wärst, könnte ich nicht verzeihen Du hättest das nicht tun können, was geschieht. Ich wäre nicht dieser Stein des Anstosses dem die Vögel verfallen und die Blumen – ich wäre gut! Oder wolltest DU mich um des Genusses willen taumeln sehen? Dann wärst DU nicht besser als ich. Erschreckend Dein Treiben – mein Treiben. (23)

Gott spricht aber dem Menschen jedes Recht auf Beschuldigung ab. Der Tirade der Chöre will er sich nicht anpassen und seine Reaktion, die lange Verteidigungsrede, ist ein grandioser Anklageakt gegen die nur um Macht und Profit feilschende Menschheit: Nun, wo eure Herzen vor der Atombombe zittern vor den kosmischen Strahlen und Kräften da steht Ihr ohne Endziel könnt nicht aufhalten, was Ihr entfesselt. Ihr habt mir die Kraft aus den Händen gewunden. IHR STANDET IM MITTELPUNKT WART DIE ACHSE – Ihr habt das Rad zum kreischenden Zermalmen geschunden […] Zugegeben, das Wort verflacht es war durch andere Begriffe zu ersetzen. (31–32)

Alles in allem scheint die Richtung schon vorgegeben zu sein. Der sündhaften Welt folgt die Katastrophe. Der Katastrophe folgt eine Art Jüngster Tag, die große Abrechnung, der Prozess, wie in einem Perpetuum mobile, bei dem das Spiel wieder von vorne anfangen könnte. Während sich das Surren der Atombombe in der drohenden Stunde verstärkt, bittet Gottes Sohn – ein müder, gealterter Christus – um eine Audienz und fleht den Vater vergebens an, die unaufhaltsame Bombenbahn zu stoppen. Es folgen Lieder, gesungen am Fuß des ›Großen Kristalls‹ der Vergangenheit. Sechs Knaben an einer Strickleiter zelebrieren die Schönheit der Schöpfung, Schwäne, Freundschaft, idyllische Ruhe. Lyrische Requisiten, märchenhafte Bilder aus einer verschollenen Welt, die den schroffen Kontrast zur Hoffnungslosigkeit und Gottverlassenheit der zukunftslosen Welt aufrechterhalten.

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Mit dem letzten Lied, der dreiteiligen Anrufung Magdalenas (»Tiefenlied der Magdalene«, 42–46), enden Prozess und Werk. Die Angst vor dem »Nichts« vermischt sich hier mit dem Motiv der Entheiligung des menschlichen Körpers und dem Appell an die sinnliche Liebe. Sie verschmelzen sich zu dem »ekstatischen Gesang« (43) der halbnackten Frau, die die Kontiguität von Phallus und Kreuz (»können nebeneinander bestehen«, 45) zum fruchtbaren Lebensgesetz erhebt, um in einer fast nietzscheanischen kosmischen Begattung die Kopulation von Tag und Nacht zu feiern. In diesem mystischen Augenblick der zeugenden Vereinigung bringt Ilse Schneider-Lengyel das Ganze mit jener zum letzten Mal ausgerufenen Warnung »Achtung Stickstoff!« zum Abschluss, in der die Erfahrung des Endes, dem der Mensch ausgesetzt ist, sich so steigert, dass sein Puls plötzlich stehen bleibt. Wie in einer großen Hyperbel fließt die ganze Welt im letzten Satz zusammen, der Vorhang fällt über der »Detonation der Atombombe«, die mit der von Anfang an angekündigten Auslöschung der Erde koinzidiert. Peter Braun: »Die klein gebliebene Hoffnung ist ein Anfang«. Hans Werner Richter und Ilse Schneider-Lengyel. In: Carsten Gansel, Werner Nell (Hrsg.): »Es sind alles Geschichten aus meinem Leben«. Hans Werner Richter als Erzähler und Zeitzeuge, Netzwerker und Autor. Berlin 2011, S. 211–223. Gerhard Köpf: Eine Asphodele. Über Ilse Schneider-Lengyel. In: Literatur für Leser (1996) 19, H. 1, S. 32–45. Wiebke Lundius: Ilse Schneider-Lengyel. In: Dies.: Die Frauen in der Gruppe 47. Zur Bedeutung der Frauen für die Positionierung der Gruppe 47 im literarischen Feld. Berlin 2017, S. 135–151. Rosmarie Mair : Zu Gast bei Ilse Schneider-Lengyel: das erste Treffen der Gruppe 47 am Bannwaldsee bei Füssen. In: Der Schwabenspiegel (2002) 3, S. 191–199. Ilse Schneider-Lengyel: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff. Ein Atomdrama. Aus dem Nachlass. Ms. BSB (Bayerische Staatsbibliothek München) Ana 372. Bernhard Setzwein: Die George Sand vom Bannwaldsee: Ein Porträt der Ilse SchneiderLengyel. (Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, 14. September 1997). Manuskript. München 1997. Cornelia Staudacher : Das Wort ist ein unerklärliches Geräusch. Die Schriftstellerin und Kunsthistorikerin Ilse Schneider-Lengyel, wiederentdeckt von Cornelia Staudacher. Berlin o. D. [vmtl. um 1977]. Typoskript im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg. Nachlass Walter Höllerer , 10 Bl.

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Bertolt Brecht: Leben des Einstein (aus dem Nachlass: 1955/56)

Autor : Bertolt Brecht (1898–1956) Darbietungsform: Entwurf Erstdruck: Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, 1997 Ort: Deutschland und Amerika Zeit: Gegenwart

Kurz nach Einsteins Tod schreibt Brecht in einem Brief vom 7. Mai 1955, dass er »Material über Einstein«318 sammle. Die DDR-Dramaturgin und Mitarbeiterin beim Berliner Ensemble Käthe Rülicke-Weiler bestätigt im Sommer, dass Brechts Neuinszenierung des überarbeiteten Galilei und die ersten Szenenentwürfe zu einem Einstein-Drama zeitlich parallel verliefen.319 Auch gegenüber dem Theaterwissenschaftler und gefeierten »Begründer der marxistischen Brecht-Forschung« Ernst Schumacher320 soll der Autor in demselben Jahr geäußert haben, er plane »eine Art Chorwerk im Stile der Maßnahme, in dem Chöre von Arbeitern gleich den Chören in der antiken Tragödie vor den Folgen der ›reinen Wissenschaft‹, ihrer Isolierung von den progressiven Kräften in der Gesellschaft warnen und ein Gericht über die Wissenschaft vollziehen sollten«.321 Schumacher selbst, der seinerseits für die Deutsche Woche den Nachruf auf Einstein verfasste, berichtet 2005 in seinem Artikel Wie Brecht beinahe ein Einstein-Stück schrieb,322 dass ihn der Dramatiker um die Besorgung der zu benutzenden Literatur bat – beispielsweise um die eben publizierte EinsteinBiographie von Antonina Vallentin und den Abdruck von Leopold Infelds Erinnerungen an Einstein in der Deutschen Woche. Brechts geplantes Drama kam über den Entwurf nicht hinaus, aber im Suhrkamp-Kommentar dazu findet sich u. a. eine Aussage von Manfred Wekwerth, dem späterem Intendanten des Ber318 Brief an Ruth Berlau. Zit. in: Bertolt Brecht: Leben des Einstein (Anm. I, 199), Kommentar, S. 1294–1299, hier S. 1294. 319 Kommentar (Anm. oben), S. 1295. 320 So wurde er in der Begründung für die Verleihung des Lessing-Preises der Akademie der Künste 1974 genannt. In: Vorschläge der Akademie der Künste für die Verleihung des Lessing-Preises. Archiv der Akademie der Künste. Bestand Adk-O, 2596, Bl. 16. S. dazu auch Helmut Peitsch: »Aber ein Teil von Deutschland gehört ihnen nicht mehr«. Ernst Schumacher, der bayerische ›Begründer der marxistischen Brecht-Forschung‹. In: Andreas Degen, Margrid Bircken: Reizland DDR: Deutungen und Selbstdeutungen literarischer West-OstMigration. Göttingen 2014, S. 233–262. 321 Ernst Schumacher : Drama und Geschichte. Bertolt Brechts »Leben des Galilei« und andere Stücke, Berlin 1968, S. 324. 322 Ernst Schumacher: Wie Brecht beinahe ein Einstein-Stück schrieb. In: Freitag. Die Ost-WestWochenzeitung, 15. April 2005, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wie-brecht-bei nahe-ein-einstein-stuck-schrieb. S. dazu auch Emilia Fiandra: Einstein-Rezeptionen (Anm. I, 156).

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liner Ensemble, die beweist, wie der Dichter bis in seine letzten Tage bemüht war, das Einstein-Projekt zu verfolgen.323 Die hinterlassenen Notizen und Aufzeichnungen dazu sind zwar kurz und unvollständig, aber das gesamte Vorbereitungsmaterial ist dennoch umfangreich: Der Nachlass schließt diesbezüglich Briefe, Aufsätze, Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitte sowie politische Dokumente zu Einstein und zur Pazifismus-Debatte ein.324 Über Brechts langjährige Auseinandersetzung mit dem Ulmer Physiker ist viel geschrieben worden. Bekanntlich datiert sie schon seit den frühen dreißiger Jahren. 1930 wohnt Brecht einem von Einstein in der MASCH, der Marxistischen Abendschule, gehaltenen Vortrag bei, den er – wie die Anfangspassagen des Einstein zeigen – im Stück dramatisieren wollte. Zwei Jahre darauf fasst Brecht unter dem schlichten Titel Einstein-Freud seine Überlegungen zum Briefwechsel zwischen den beiden kurz zusammen, in denen er die ersten Vorbehalte gegen Einstein und dessen politische Einstellungen formuliert. Gipfeln werden sie, mehr als ein Jahrzehnt später, in einem abfälligen Urteil im Arbeitsjournal über das »brillante Fachgehirn, eingesetzt in einen schlechten Violinspieler und ewigen Gymnasiasten mit einer Schwäche für Generalisierungen über Politik«.325 Nachvollziehbar ist übrigens diese Kritik in zahlreichen Äußerungen des Dramatikers. »Einstein spielt Quartett und ist Umanista, und irgendwo gibt es Atombombenfabriken, die Nacht und Tag Arbeiten«,326 glossiert Brecht im April 1948. Auch zu Einsteins berühmter Formel drückt er sich drastisch aus. Die folgende Bemerkung, die vermutlich um 1955 geschrieben wurde, postuliert einen direkten Kausalzusammenhang zwischen der berüchtigten Entdeckung, ihrem ›Produkt‹ in Hiroshima und dem jeder Verantwortung baren Wissenschaftler : »Das Ziel des Forschers ist ›reine‹ Forschung, das Produkt der Forschung ist weniger rein. Die Formel E = mc2 ist ewig gedacht, an nichts gebunden. So können andere die Bindung vornehmen: die Stadt Hiroshima ist plötzlich sehr kurzlebig geworden. Die Wissenschaftler nehmen für sich in Anspruch die Unverantwortlichkeit der Maschinen«.327 323 Vgl. Manfred Wekwerth: Die letzten Gespräche. Zit. in: GBA (Anm. I, 199), Bd. 10, S. 1295. 324 Im Brecht-Archiv der Akademie der Künste gibt es viele Belege für den antiatomischen Friedensaktivismus des Schriftstellers. Manche interessanten darin aufbewahrten Vorstandsitzungsprotokolle des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums zeigen, dass auf Brechts Anregung hin ein Band über Literatur und Wasserstoffbombe für das Jahr 1956 geplant wurde, voraussichtlich mit »Beiträgen aus der Feder von Bernal, Einstein und Blacket [sic]«, und dass auf dem Hamburger Kongress vom März 1955 die Frage nach »der literarischen Bekämpfung drohender Weltkatastrophen« auf der Tagesordnung stand. Vgl. die vorzügliche Dokumentation von: Doroth8e Bores: »Wenn Du kein Spektakel machen kannst…« – Die Ära Bertolt Brecht (1953–1956). In: Dies.: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin 2010, S. 238–320, hier S. 310–311. 325 Bertolt Brecht: Journale 2. In: GBA (Anm. I, 199), Bd. 27, S. 235. 326 GBA (Anm. I, 199), Bd. 27, S. 268. 327 Ebd., Bd. 24, S. 252.

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Gerade aus dem Kontext dieses »fatalen Kurzschluss[es] von Wissenschaft und Ethik«328 erwächst Brechts Vorsatz, Einstein auf die Bühne zu bringen. Und das, obwohl er sich, wie Mittenzwei mehrfach betont, der schwierigen Dramatisierbarkeit des Stoffes, zumal wegen des Fehlens eines eindeutigen Antagonisten, völlig bewusst war. Er begann wie gesagt eine beträchtliche Menge von Büchern, Presseartikeln und Notizen zu sammeln und gedachte, den Physiker zur Titelgestalt eines Schauspiels zu machen, das – in strikter Analogie zu Leben des Galilei – Leben des Einstein heißen sollte. Die Parallelen zu Galilei und seiner Position in der Wissenschaftsgeschichte schienen ihm immer deutlicher. In ihrem sehr lesenswerten Buch über Das Bild des Naturwissenschaftlers im Spiegel der Literatur fasst sie Judith Wisser wie folgt zusammen: Einstein trägt mit seinen bahnbrechenden Forschungen zur Relativitätstheorie in ähnlicher Weise wie Galilei dazu bei, seinen Zeitgenossen ein neues Weltbild zu vermitteln. Darüber hinaus scheint Einstein ebenso wie Galilei die Konsequenzen seines Handelns nicht zu überdenken. Er erlebt, wie seine theoretischen Erkenntnisse im Dienste einer zweckfreien Wissenschaft zur Durchsetzung politischer Machtansprüche praktisch missbraucht werden. Damit beweisen Einstein und Galilei sowohl ein unreflektiertes Verhältnis gegenüber ihren Forschungen als auch politische Naivität. Die Figur [Einstein] interessiert Brecht folglich auch, weil er hiermit an den Fall Galilei anknüpfen und diesen durch eine zeitgenössische Erfahrung schärfer herausarbeiten kann.329

In dem Fragment, das in der Großen kommentierten Ausgabe eine durch Absätze gegliederte Abfolge von sechs Textkomplexen (A1– B3) enthält, geht Brecht bezeichnenderweise von Einsteins Lebensende aus: »Da zersprang ihm die Herzader. (Schluß)«.330 Schicksal und Rolle des bahnbrechenden Physikers sind für Brecht offensichtlich nur vom Standpunkt des Todes her zu bewerten. Insgesamt umfasst der Entwurf kaum drei Seiten. Eines geht dennoch klar hervor : Was Brecht, abgesehen von seinen spezifischen Interessen an den Naturwissenschaften, an eben diesem Projekt reizte, war vor allem seine ethisch-politische Tragweite. Deshalb findet sich bereits unter den ersten Stichpunkten, die Brecht zur geplanten Handlung notierte, die schlichte Erwähnung der Diskussion, die Einstein in der MASCH mit einem Arbeiter über die Kausalitätsfrage 328 Marco Castellari: »Sia lodato il dubbio!«. Figure di scienziati in Bertolt Brecht. In: Ders. (Hrsg.): Formula e metafora. Figure di scienziati nelle letterature e culture contemporanee. Milano 2014, S. 304 [Übersetzung: E. F.]. 329 Judith Wisser : Das Bild des Naturwissenschaftlers im Spiegel der Literatur. Materiale Rekonstruktion der nach historischem Vorbild gestalteten Naturwissenschaftlerfigur in der deutschsprachigen Literatur des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Würzburg 2013, S. 217. Zur Rolle und Funktion der Wissenschaftlerfigur im Atomdrama s. auch Holger Hoppe: Die Sintflut ist herstellbar (Anm. I, 7). 330 GBA (Anm. I, 199), Bd. 10, S. 984 (A1, Z. 8). Im Folgenden stehen hinter dem Zitat in Klammern die Sigle des Textkomplexes und die Angabe der Zeilennummer.

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führte (A1, 20–21). Das nächste Fragment führt den Kausalitätsbegriff weiter aus und präzisiert ihn im Hinblick auf den dramatischen Aufbau: »Zusammenzubringen« seien für Brecht drei hier aufgezählte Komponenten: erstens »der Protest des Arbeiters« gegen Einsteins Vortrag, zweitens »Einsteins Kampf gegen de Broglie« und dessen Quantentheorie und drittens der Begriff einer »gute[n] Kausalität« (A2, 26–34). Der Text A2 ist auch der einzige dialogische Teil des Entwurfs. Es geht dabei um den Unterschied zwischen Kausalität und Gesetzmäßigkeit, die der Arbeiter geltend machen will, damit »Voraussagen und Planen möglich bleibe«. Der Kontrast, auf den bezeichnenderweise auch Schumacher 1975 in seinem Einstein-Drama Die Versuchung des Forschers eingehen sollte, schließt mit dem Satz, den Brecht den Arbeiter sagen lässt – »Ihre Theorie ist ein Aufstand und für Aufstände benötigt man eine gute Kausalität« –, also jene Kausalität, durch die der Arbeiter das Eingreifen in die Realität gewährleistet sehen will. Der in der fiktionalen Atomliteratur durchaus häufig behandelte Wissenschaftskonflikt entfaltet also nach Intention des Autors seine dramaturgische Potentialität nur dort, wo er in den Klassenkampf eingebettet ist. Von diesem Ansatz aus verfolgt Brechts Skizze einen weiteren Strang der Physikerauffassung, der dem antiatomaren Theater ebenfalls eigen ist. Auf Dessaus Einstein-Entwürfe ausdrücklich Bezug nehmend, die – wie Dessaus Frau und Regisseurin Ruth Berghaus vor ihrer Inszenierung der Premiere von Dessau-Mickels Einstein bestätigt – Brecht zu lesen bekommen hatte,331 berührt er einen Themenkreis, der für die folgenden Atomdramen weichenstellend ist: Die tödliche Unwiderruflichkeit alles Gedachten. Sowohl das bei Dessau und Mickel handlungstreibende Motiv des Bücherbrands als auch das bei Dürrenmatt so zentral gewordene Paradigma der Unmöglichkeit, das einmal Entdeckte zurückzunehmen, sind in enger Verwobenheit schon bei Brecht angeschnitten: Zur Dessauoper X sieht, wie die Nazis seine Schriften den Flammen übergeben. Er weiß, dass nur er, nicht sein Werk, etwas von ihnen zu fürchten hat. Die große Formel kann nicht zurückgenommen werden. Dies ist der Anfang. Am Ende weiß er, dass sein Triumph sich in seine Niederlage verwandelt hat, da auch er die große Formel nicht zurücknehmen kann, wenn ihre Tödlichkeit sich erwiesen hat. (A3, 4–11)

Von der folgenschweren Bürde, die auf dem Gewissen des Physikers lastet, rühren auch für Brecht alle Paradoxe der Theatralisierung der Einstein-Figur her. Die geplante Zeit des Geschehens war offensichtlich der sich ausweitende 331 Vgl. Hans-Joachim Kynaß: Vergnügen an einem ernsten Gegenstand. ND-Gespräch vor der Uraufführung der Einstein-Oper von Dessau/Mickel im Hause Unter den Linden. In: Neues Deutschland, 14. Januar 1974, S. 4.

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Kalte Krieg, denn sein ahnungsloser Einstein unterliegt der Instrumentalisierung durch die gegeneinander kämpfenden, doch einander ähnelnden »zwei Mächte«, ohne »die Ähnlichkeit ihrer Gesichtszüge« wahrzunehmen (A3, 13– 17). Die zwei Thesen in den folgenden Textkomplexen B1 und B2 beziehen sich auf die schon in Galilei thematisierte Abspaltung der Wissenschaft von der Gesellschaft (»Fortschritt in der Erkenntnis der Natur / Bei Stillstand in der Erkenntnis der Gesellschaft / Wird tödlich«, B1, 26–28) und auf die in sich widersprüchliche Thematik von Einsteins Pazifismus. Diese Aporien des Einstein’schen Friedensverständnisses sind es eben, was Brecht am Physiker so fasziniert und was Einstein nicht nur für ihn, sondern auch für seine Nachfolger Mickel und Schumacher überhaupt dramatisierbar und literaturfähig macht.332 Brechts Fragment entwirft das Paradoxon eines antifaschistischen Aktivisten, der aus Furcht vor der Nazi-Bombe die US-Atombombe befürwortet, dadurch »dem Feind des Faschismus die tägliche Waffe« aushändigt und selbst Faschist wird, wie er dazu apodiktisch erklärt (»Und der Feind des Faschismus wird Faschist«, B2, 34–36).333 Der Schlussmonolog gilt daher, selbstkritisch und selbstreflexiv, Einsteins diskrepanter Einstellung gegenüber Krieg und Frieden: – Daß man mich jemals sagen hörte, ich Sei gegen Krieg, ist dumm, dieweil’s ein dummer Satz war. Nämlich ein halber. Wollte ich doch sagen: Ich sei drum gegen Krieg, weil er viel Ungemach Für mich und andre brächte. Daraus wär Hätt ich es so gesagt, gefolgt, ich sei Für Krieg, wenn Frieden je mehr Ungemach Als Krieg für mich und andre brächte. (B3, 3–10)

Diese Bedenken gegen einen »Ungemach« nicht ausschließenden Begriff des Friedens sind freilich nicht unproblematisch. Sie weisen auf die schon damals brisant gewordene Alternative der Gewaltanwendung in allen Fällen, wo Gewalt gegen Gewalt eingesetzt und Krieg durch den Krieg verhütet wird. Brecht selbst hatte kurz vor seinem Tod in einem für die Zeitung Neues Deutschland geschriebenen Brief an Eugen Gerstenmaier, den ehemaligen Präsidenten des Bundestages, vor der großen Gefahr durch Wiederbewaffnung öffentlich gewarnt334 und darin noch einmal die grundlegende Frage nach der kontroversen 332 Zur Problematik der facettenreichen Ikonisierung und Literarisierung der Figur von Einstein s. Michael Hagner (Hrsg.): Einstein on the Beach. Der Physiker als Phänomen. Frankfurt a. M. 2005. 333 Vgl. auch A1, 16–18: »Die Besieger des Faschismus geben sich als Faschisten zu erkennen. Einsteins Schüler werden Untersuchungen unterworfen; ihre Zuverlässigkeit gegenüber den Faschisten wird geprüft«. 334 Bertolt Brecht: Bertolt Brecht appelliert an den Bundestag. An den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Eugen Gerstenmaier. In: Neues Deutschland, 4. Juli 1956, S. 1.

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Vereinbarkeit wissenschaftlicher und politischer Geschichts- und Realitätsauslegung gestellt. Emblematisch musste er diese Frage im Fragment gebliebenen Einstein offenlassen. Doroth8e Bores: »Wenn Du kein Spektakel machen kannst…« – Die Ära Bertolt Brecht (1953–1956). In: Dies.: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin 2010, S. 238–320. Bertolt Brecht: Leben des Einstein. In: Ders.: Werke, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, KlausDetlev Müller. Bd. 10: Stückfragmente und Stückprojekte. Berlin, Weimar, Frankfurt a. M. 1997, S. 984–986 (Kommentar, S. 1294–1299). Ders.: Bertolt Brecht appelliert an den Bundestag. An den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Eugen Gerstenmaier. In: Neues Deutschland, 4. Juli 1956, S. 1. Marco Castellari: »Sia lodato il dubbio!«. Figure di scienziati in Bertolt Brecht. In: Ders. (Hrsg.): Formula e metafora. Figure di scienziati nelle letterature e culture contemporanee. Milano 2014, S. 289–314. Michael Hagner (Hrsg.): Einstein on the Beach. Der Physiker als Phänomen. Frankfurt a. M. 2005. Leopold Infeld: Leben mit Einstein. Kontur einer Erinnerung. Wien 1969. Ines Langemeyer: Einflüsse Kurt Lewins und der modernen Physik auf Bertolt Brecht, unter URL: http://www-user.tu-cottbus.de/~lanines/LangemeyerBrechtLewin.pdf. Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln. 2 Bde., Berlin, Weimar 1986. Ernst Schumacher : Drama und Geschichte. Bertolt Brechts »Leben des Galilei« und andere Stücke. Berlin 1968. Ders.: Wie Brecht beinahe ein Einstein-Stück schrieb. In: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung, 15. April 2005. Online unter URL: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ wie-brecht-beinahe-ein-einstein-stuck-schrieb. Antonina Vallentin: Das Drama Albert Einsteins. Eine Biographie (aus dem Franz. übers.: Le drame d’Albert Einstein). Stuttgart 1955. Judith Wisser : Das Bild des Naturwissenschaftlers im Spiegel der Literatur. Materiale Rekonstruktion der nach historischem Vorbild gestalteten Naturwissenschaftlerfigur in der deutschsprachigen Literatur des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Würzburg 2013 (Kap. 5: Bertolt Brecht – »Leben des Einsteins« (1955/56), S. 216–220). Erdmut Wizisla: Vortreffliches für die verbildeten Zeitgenossen: Einstein schreibt Brecht über Galilei. In: Jürgen Renn (Hrsg.): Albert Einstein. Ingenieur des Universums. Hundert Autoren für Einstein. Weinheim 2005, S. 350–353. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 34.

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Hans Joachim Hohberg: Die Wüste (1956)

Autor : Hans Joachim Hohberg (1920–1983) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: (4.) 10. Februar 1956, Städtische Bühnen Frankfurt Ort: amerikanische Wüste Zeit: 1937

Die Wüste als Metapher für Lebensfeindlichkeit und Hilflosigkeit, aber auch als Symbol der Prüfung, steht in Hans Joachim Hohbergs gleichnamigem Stück im Zusammenhang mit jenem Reservoir von Grenzerfahrungen, die für die Hintergrundszenerie zahlreicher Atomdramen typisch sind. Wenige Monate später sollte auch Hans Friedrich Kühnelt seine apokalyptischen Endvisionen in dem mythischen Nirgendwo einer Wüstenlandschaft lokalisieren.335 Das dreiaktige Schauspiel von Hohberg, Berliner Dramatiker, späterer Leiter der Feature-Abteilung des Senders Freies Berlin und erfolgreicher Drehbuchautor, wurde Anfang Februar 1956,336 also in einer Zeit intensiver nuklearer Testtätigkeit, in Frankfurt uraufgeführt. Es ist die Geschichte der Entschärfung einer Atombombe, eine ins Absurde gewendete Variation über das Thema der Kernversuche und der anomalen Lebensbedingungen in der Klaustrophobie eines bunkerartigen Raums. Trotz Aktualität richtete aber das Drama beim Publikum wenig aus. Am Ende der Uraufführung verzeichnete die Rezensentin der Frankfurter Allgemeine nur einen »Beifall aus Höflichkeit«.337 Die auf dem Ganzen lastende Bunkeratmosphäre liefert eine zugespitzte, bedrückende Dramatik, die offensichtlich für das Publikum beklemmend, ja schwer erträglich wurde. Dazu kommt, dass sich die Dichte der fast psychoanalytischen Kommentare in den langen Bühnenanweisungen, die eher für ein Lesedrama gedacht scheinen, auch nicht einfach darstellen lässt. Neu und originell ist jedoch im Text die forcierte Psychologisierung der Bombe, die sich in einem recht ungewöhnlichen und an symbolischer Bedeutung reichen Plot widerspiegelt. Darin lassen sich neben Konstanten der Atomdramen – wie dem Themenkomplex ›Angst/ Misstrauen‹ und dem Spannungsfeld der Grenzüberschreitung beziehungsweise der Sprengung aller Konventionen – zwei Leitfäden in ihrer figurativen Dimension erkennen, die den Fabelaufbau begleiten: eine ausgeprägte Spielmetaphorik, besonders bei der obsessiven Metapher vom Krieg als Schachpartie, 335 S. unten, Teil II, Abschnitt 49. 336 Nach Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966 (Anm. I, 10), S. 1393, fand die erste Aufführung am 10. Februar 1956 statt. Die Datenbank der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH gibt hingegen den 4. Februar für die UA an, s. unter URL: https://www.ki epenheuer-medien.de/Werke/data_werke/350/showWerk. 337 Helene Rahms: Dialog im Bunker. Zur Uraufführung des Stückes »Die Wüste« in Frankfurt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Februar 1956, S. 10.

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und die wiederholte Thematisierung von Zündungs- und Verbrennungserscheinungen. Zur Symbolik des Textes gehört auch die schon angedeutete Pervasivität des Sandes, die der Titel suggeriert. Es ist evident, dass die Sandwüste hier viel mehr bedeutet als eine rein örtliche Bestimmung. Sie ist nicht nur als Szenario atomarer Tests zu verstehen, sondern als Inhalt prägendes Motiv und strukturelles Element des Stoffs. Die Wüste ist Gehalt und Gestalt, Wesen und Erscheinung, die selbst zur Handlung wird: »Man braucht der Wüste gar nicht entgegenzulaufen«, bekennt der Protagonist, der unbeugsame General des Kommandos, die Wüste »kommt einem nach ins Haus. Ein feiner Staubregen durch alle Schlüssellöcher, knirschender Sand im Eßnapf, und eines Tages wird man lautlos erstickt wie in Watte, verschluckt. Man braucht gar nichts zu tun, als zu warten«.338 Kennzeichnend für die Düne ist deren Mobilität: Sie steht nicht nur für geographische Labilität, sie steht für die Desorientierung der Menschen schlechthin (»jeden Tag wandert sie ein Stück weiter nach rechts. Moment, wo ist rechts?«). Gleich einer »Fata Morgana […], einer Karawane, einer Kolonne, die man nicht erreicht«, laufen die im Bunker versammelten Figuren der Illusion eines neuen Lebens nach. Ihre eigene Wurzellosigkeit eignet sich nämlich perfekt dafür, »dauernd am Rande der Wüste zu leben«. Die Handlung ist ausgeklügelt und beruht, wie wir sehen werden, auf einem Bluff. Wie Werner Mittenzwei überzeugend nachweist, fungiert hier die Bombe zunächst als effektvolles Mittel, um eine spannende Ausgangssituation zu entwickeln.339 Ein amerikanischer Trupp ›freiwilliger‹ Soldaten, zu dem auch ein Sanitär und ein Arzt gehören, wird in der Wüste zur Entschärfung einer blindgegangenen Atombombe eingesetzt. Doch die Soldaten selbst erweisen sich im übertragenen Sinne des Wortes als ›Blindgänger‹, bei denen die nicht explodierte Bombe buchstäblich zum Zünder der szenischen Konflikte wird. Es ist erneut der Kommandeur, der in einem Dialog mit dem Colonel den innergeschichtlichen dramaturgischen Mechanismus ergründet: »An dieser Bombe gehen offenbar noch mehr kaputt, als Sie bis zu diesem Augenblick ahnten. Denn sie zerstört in weitreichender Kettenreaktion sogar Existenzen, die ich davor sicher glaubte« (54). In dieser besonderen ›Kettenreaktion‹ liegt auch die Textenergie, das Potential, das das Stück vorantreibt und bis zum Äußersten führt. Der Ablauf der Szenen schwankt zwischen der unkontrollierten Gefährlichkeit des Draußen in der offenen Wüste und der dumpfen Bunkerstimmung des inneren Raums, in dem die abkommandierten Militärs untergebracht sind. Hier 338 Hans Joachim Hohberg: Die Wüste (Anm. I, 264), S. 74–75. 339 Vgl. Werner Mittenzwei: Dramatik gegen die Atomkriegsgefahr. In: Ders.: Kampf der Richtungen: Strömungen und Tendenzen der internationalen Dramatik. Leipzig 1978, S. 434.

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warten sie in verzweifelter Muße auf ihren Schichtwechsel, hier unterhalten sie sich ununterbrochen beim Karten- und Schachspiel und streiten sich gelangweilt. Der dialogische Charakter wird durchgehalten; als »eine Art DialogHörspiel im Hemingway- oder ›Caine‹-Stil«340 ist das Stück beschrieben worden. Wie um einen Fetisch sind die Figuren um das wahre Zentrum der Szene sowie des Spiels versammelt, einen unter Verdächtigungen und mit Skepsis beobachteten Sandkasten, der neben dem in die Bühnenmitte vorspringenden großen kryptischen ›M‹ herrscht, dessen Bedeutung der Text nie eindeutig erklärt.341 Aus dem Kasten schaut allerdings das »dicke Osterei« (3) tückisch hervor, das maßstabgetreu verkleinerte Modell der riesigen Atombombe in der Wüste, um derentwegen die Protagonisten dort sind. Suggestiv glossiert die schon genannte FAZ-Rezension diese fast göttliche Zentralität: »Die Atombombe beginnt, die Rolle einer Gottheit zu spielen«. Statt des Kreuzes beginnen also die Menschen die Atombombe anzubeten. Sie gelte nicht mehr, so setzt der Rezensent der FAZ fort, »als ein von Menschenhirn erdachtes, durch Menschenwille lenkbares Instrument, sondern ist eine aus der Rationalität herausgetretene Macht, Dämon, dem die irrationalen Spekulationen der Eingeweihten als priesterliches Zeremoniell dienen«.342 Dramaturgisch gesehen ist die miniaturisierte Bombe der – emphatisierte und metaphorisch zentrale – Kern, in dem die Mechanismen verborgen sind, die dann die Geschichte explodieren lassen. Der Bunker wird Ursache und Schauplatz der Entlarvungsszenen, denen die Soldaten schonungslos ausgeliefert sind. Der strenge General überprüft die Reaktionen der Freiwilligen, dieser hartnäckigen Teilnehmer an lebensgefährlichen Aktionen, und stellt sie als Scheinhelden bloß, »die zu feige sind zu leben – Todesfetischisten« (30). Sadistisch sondiert der General deren Beweggründe und diagnostiziert die Dynamiken ihres Selbstbetrugs. Fest glaubt er daran, seine Männer über Motivationsfragen abhärten zu können: »Man muß sie durch das Schlammbad ihrer Feigheit gezerrt haben, damit die die nötige Kruste ansetzen, um hart zu werden« (17). Durch die Verhöre sollen sie schließlich »das ganze Fluchtgepäck der Angst« fallen lassen, »freie Hände und einen freien Blick« gewinnen. Seine Strategie beruht darauf, den Soldaten kleine Schrecknisse einzuflößen, damit »der große, der tödliche Schrecken niemals eintreten kann« (18).

340 PE: Heldentraining in Nevada. Hohbergs »Wüste« in Frankfurt uraufgeführt. In: Hamburger Abendblatt, 14. Februar 1956, Nr. 38, S. 7. 341 Wir können nur Hypothesen formulieren: Das ›M‹ könnte ganz einfach die Mitte signalisieren oder der Anfangsbuchstabe des Versuchsorts in (Neu-)Mexiko oder auch das ›M‹ des vergrabenen Monsters sein. 342 Helene Rahms: Dialog im Bunker (Anm. II, 337).

Hans Joachim Hohberg: Die Wüste (1956)

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Die Kasuistik der Fälle unter den Militärs, die das mangelnde Entscheidungsvermögen durch »den Kurzschluß der Gefahr«343 wettmachen, wird vom Autor zur psychologischen Studie versachlicht. Da gibt es den Arzt: Aus Leichtfertigkeit und Trunkenheit machte er sich des Mordes an einem einflussreichen Mann schuldig, mit dessen Frau er eine Affäre hatte. Der Skandal wurde zwar unterdrückt, er gab aber danach seine Berufung mutlos auf. Da gibt es Turk, den ›Familiendeserteur‹, der »sich von einem Weibstück in eine Bombe jagen« lässt und »Roulette mit dem Ding […] draußen«, der Bombe in der Wüste, nur um der hohen Prämie willen spielt, mit der er sich von der Familie »loskaufen« und den Schein des »treusorgend[en] Vater[s]« (16) wahren will. Und dann gibt es Rogorski, den Anhänger einer antimilitaristischen Religionsgemeinschaft gegen das »Waffenhandwerk«, der angeblich durch die Entschärfung der Bombe »den Tod aus der Welt schaffen« will. Dennoch hat er für seine neun Kinder »eine angemessene Obstplantage in Kalifornien« erworben und scheut sich daher nicht – wie ihm der General vorhält –, »zu Mars und ein bißchen auch zu Pluto« (32) zu beten. In seiner Glaubensheuchelei ist der Landwirtanwärter willentlich nicht imstande, »die Wurzeln auch aus todbringenden Gleichungen zu ziehen«. Und mit Tod und Bedrohung werden vom Kommandeur auch Einstein und seine Formel auf den Plan gerufen: »E = m c2. Haben Sie mal was von Einstein gehört?«, lautet seine spöttische Frage (31–32). Und schließlich gibt es den allzu ernsthaften Johnson, der von der Erinnerung an sein nicht gerade heldenhaftes Kriegsverhalten geplagt ist, daheim die alte Mutter, einsam und allein, die unter einer blauweißen Markise Kaffee trinkt. Aber auch der gute Johnson scheitert kläglich und vergeblich an der Illusion seiner Rehabilitierung: Als er vor dem Sprengkörper in der Wüste, einen Schraubenschlüssel in der Hand, völlig durchdreht, erschießt ihn sein Leutnant, um den Trupp nicht zu gefährden. Das Arkanum der seltsamen Situation besteht darin, dass niemand von den Anwesenden die Wahrheit kennt, d. h., dass die Handlungsfäden von der Figur des Generals gesponnen werden. Ihn macht Hohberg zum unheimlichen Puppenspieler, der im Namen eines falsch verstandenen heroischen Kriegsethos die Menschen zu Werkzeugen macht. So wie die Dramenpersonen ahnt auch der Zuschauer am Anfang nichts davon. Erst in der Mitte des ersten Akts macht ein Gespräch zwischen dem General und dem Colonel klar, worum es eigentlich geht: Einen inszenierten, aufreibenden Bluff. Alles sei nur »eine Übung […], ein Experiment«, bei dem die zu entschärfende Bombe gar nicht geladen ist und die unwissenden Soldaten »die Manöverrolle ›Bombenentschärfen‹« spielen; also 343 Heinz Beckmann: Notbremse gegen das Absurde. Max Frisch: »Graf Öderland«, John Whiting: »Der Tag des Heiligen«, Hans Joachim Hohberg: »Die Wüste«. In. Ders.: Nach dem Spiel. Theaterkritiken. München, Wien 1963, S. 153.

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eine »toternste Rolle« (30), die nicht ausschließt, dass es an der ungefährlichen Bombe dennoch »sehr viel Zündstoff« gibt, der eine Folge von Aktionen und Reaktionen entstehen lässt. Ein an Entflammungsbildern verschiedener Art – Funken, Explosionen, Detonationen, Sprengstoffen – obsessiv orientierter Wortschatz begleitet und unterstreicht das Geschehen. Zur Demaskierung der Täuschung gelangen die Beteiligten erst im letzten Akt. Als sich die Wahrheit über die Zündvorrichtungen herausstellt, sagt der General zu den Soldaten, die gegen ihn meutern und die nunmehr »entehrte« Prämie ablehnen: Natürlich fühlen Sie sich betrogen – aber doch nur um Ihren Tod. Oder – besser gesagt – um Ihr Schicksalsroulette da draußen – Ihr Gottesurteil. Und Sie sehen sich plötzlich in die peinliche Situation versetzt, selbst über Ihr Leben entscheiden zu müssen. Diese tollkühne Flucht in die Gefahr ist noch immer die kleinere Unbequemlichkeit gewesen, gegenüber dem Entschluß, mit sich selbst fertig zu werden und mit der eigenen Panik. (86)

Es war lediglich ein »Heldentraining«, wie der Rezensent des Hamburger Abendblattes tituliert, eine Übungsattrappe. Die dennoch – überflüssigerweise – ein Menschenleben gekostet hat. Und die Attrappe hat letzten Endes bestätigt, dass niemand dem eigenen, wenn auch noch so banalen Schicksal entfliehen kann. Nichtsdestotrotz hat der General seinen Zweck erfüllt: mehr noch als die Kompetenzen der Soldaten wollte er nur ihren Mut zur Entscheidung auf die Probe stellen. Mit diesem eher als individuell zu betrachtenden Schluss nimmt Hohberg sicher zu Krieg und Frieden nicht eindeutig Stellung, wie Werner Mittenzwei kritisiert.344 Interessant ist jedoch der ad absurdum geführte Appell an die individuelle Verantwortung und gegen jedes unbedachte, unsinnig ›spielerische‹ Umgehen mit Atomtests. So der General in seiner Rechtfertigungsrede, in der die Spielmetapher zur Darlegung seiner Tat herangezogen wird. Ich habe Sie davor bewahrt, eine todernste Aufgabe risikolos zu verspielen. Denn ich halte mich nicht für befugt, ein Instrument der Zerstörung, das die Angst der Menschheit am Kochen hält, zum läppischen Objekt geruhsamer Bastelstunden zu degradieren. Diese Arbeit braucht einen Aufwand äußerster Selbstbeherrschung und der Bereitschaft zum Letzten – und nicht die fahrlässige Routine, mit der man gern Übungsattrappen zu behandeln pflegt, und bei der Sie vergessen hätten, was später – im Ernstfall – dabei auf dem Spiel gestanden hätte – auf Ihrem – »Spiel«. (85)

Damit erweist sich Hohbergs Wüste selbst als ein Spiel um und über das Leben. Aber ein sehr ernstes und pessimistisches.

344 Vgl. Werner Mittenzwei: Dramatik gegen die Atomkriegsgefahr (Anm. II, 339).

Friedrich Gentz: Pilot Herzog (1956)

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Heinz Beckmann: Notbremse gegen das Absurde. Max Frisch: »Graf Öderland«, John Whiting: »Der Tag des Heiligen«, Hans Joachim Hohberg: »Die Wüste«. In: Ders.: Nach dem Spiel. Theaterkritiken. München, Wien 1963, S. 151–154. Heinz Friedrich: Blindgänger in der Wüste. Atombombe als Hauptakteur / Uraufführung in Frankfurt. In: Hessische Nachrichten Kassel, 14. Februar 1956. Hans Joachim Hohberg: Die Wüste. Unverkäufl. Manuskr. Berlin o. J. [1956]. Werner Mittenzwei: Dramatik gegen die Atomkriegsgefahr. In: Ders.: Kampf der Richtungen: Strömungen und Tendenzen der internationalen Dramatik. Leipzig 1978, S. 349–435. PE: Heldentraining in Nevada. Hohbergs »Wüste« in Frankfurt uraufgeführt. In: Hamburger Abendblatt, 14. Februar 1956, S. 7. Helene Rahms: Dialog im Bunker. Zur Uraufführung des Stückes »Die Wüste« in Frankfurt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Februar 1956, S. 10.

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Friedrich Gentz: Pilot Herzog (1956)

Autor : Friedrich Billerbeck (1903, Todesjahr unbekannt) Darbietungsform: Drama in vier Akten Uraufführung: 11. März 1956, Theater der Stadt Greiz Ort: an einem Flugplatz, im Raumschiff Zeit: unbestimmt (zwischen Gegenwart und Zukunft)

Über Friedrich Billerbeck, der in der DDR, wo sein Atomdrama 1956 erfolgreich uraufgeführt wurde, als Friedrich Gentz auftrat, liegen nur spärliche und ungewisse Angaben vor. Nicht einmal sein Todesjahr konnte ermittelt werden. Sicher war aber der 1903 in Landsberg an der Warthe geborene Autor ein Schriftsteller mit höchst vielseitigen Interessen. Schon in den dreißiger Jahren trat er der NSDAP als etablierter Chefdramaturg des Zentral-Verlags bei und befasste sich als Theaterkritiker mit verschiedenen Gattungen, darunter der Operette, über die Gentz einen vielzitierten Aufsatz schrieb.345 Ferner war er Autor verschiedener Erzählwerke und Bühnenverleger und versuchte sich auch als Schauspieler. Es ist aber sicher nicht uninteressant, zu erwähnen, dass sein Name – als Friedrich Billerbeck-Gentz – sogar auf der Liste der Mitglieder der Astronomischen Gesellschaft erscheint.346 Denn gerade dieses große Interesse für Stern- und Himmelskunde als exakte Naturwissenschaft dringt in das Drama 345 Friedrich Billerbeck-Gentz: Operettenkunst im Kampf. In: Deutsche Bühnenkorrespondenz, 3 (1934), 5, 17. Januar 1934, zit. in: Marion Linhardt: Residenzstadt und Metropole: Zu einer kulturellen Topographie des Wiener Unterhaltungstheaters (1858–1918). Tübingen 2006, S. 192. 346 Vgl. Mitteilungen der Astronomischen Gesellschaft. Bd. 11, S. 61. Vgl. auch die Datenbank SAO/NASA Astrophysics Data System unter URL: http://adsabs.harvard.edu/abs/1943A N….274..140B.

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Pilot Herzog ein. Gentz’ Faszination für das Weltall und die Raumforschung schlägt sich vollends in der Tätigkeit des Professors der kosmischen Physik nieder, der im Werk als Inbegriff der negativen Wende moderner Naturwissenschaften im ausschließlichen Dienst der Macht und des Todes fungiert. Wie in zahlreichen Atomdramen steht auch bei Gentz dieses zentrale Wissenschaftlermotiv in enger Verknüpfung mit einem weiteren Topos des Genres, dem vom Titel genannten Motiv des Piloten. Im Unterschied aber zur üblichen Schilderung der Verdammung des im Bewusstsein seiner Schuld reuigen Bomberpiloten rehabilitiert hier der Titelheld die ganze Figurenkategorie durch die heroische Tat, mit der er sich aufopfert, die teuflischen Pläne des herrschsüchtigen Physikers vereitelt und den Planeten Erde vor dem Untergang rettet. Diese Motivverflechtung kam beim Publikum gut an. Nach dem Rezensenten von Theater der Zeit, dem DEFA-Drehbuchautor Günter Kaltofen, löste die Premiere des Stücks – in der Rezension irrtümlicherweise als »das erste […] dieser Art« kategorisiert – »größtes Interesse und eine unverkennbare richtige Wirkung« bei den Zuschauern aus. Am Werk wird vor allem »ein politisches und damit menschliches Anliegen zwingender Aktualität«347 gelobt. Eine Gegenwartsbezogenheit, auf die übrigens auch die Bühnenangaben zu Ort und Zeit ausdrücklich hinweisen, dabei die Dringlichkeit des Problems betonend, das am Horizont der Menschheit bedrohlich lauert: »Vielleicht schon heute, vielleicht erst morgen«.348 Die Fabel, die der Knalleffekte und reißerischen Details nicht entbehrt, schöpft ihre Hauptspannung aus dem Wahnsinn des schon erwähnten Professors der kosmischen Physik, einer mit allen dramaturgisch sehr ergiebigen Merkmalen des mad scientist ausgestatteten Figur, die in das übliche Repertoire der populärwissenschaftlichen Vermittlung des Katastrophenthemas in fiktionaler Literatur und Filmen gehört. Dieses »Genie des Genies« hat – freilich »nur zum Nutzen der freien Forschung, der Erkenntnis und des menschlichen Fortschritts« (98) – die Reaktion entdeckt, die Wasserstoffkernteilchen zur Spaltung bringt. Dank seiner Formel ist eine neue Superwasserstoffbombe von unerhörter Sprengkraft gebaut worden. »Die von ihr hervorgerufene Kettenreaktion zerstört alles im Umkreis von zweitausend Kilometern – – und in einer Tiefe von fünfhundert Kilometern«; ihre Wirkung lässt sich ad infinitum potenzieren: »bei entsprechender Dosierung müßte es möglich sein, das gesamte Weltall, so wie es zur Zeit besteht, im Bruchteil einer Sekunde aufzulösen« (98). 347 Günter Kaltofen: »Pilot Herzog«, Schauspiel von Friedrich Gentz im Theater der Stadt Greiz. In: Theater der Zeit (1956), H. 5, S. 54. 348 Friedrich Gentz: Pilot Herzog (Anm. I, 139), zweite, nicht nummerierte Seite. Im Text der Uraufführung findet sich aber noch die folgende Bühnenanweisung: »Das Stück spielt in naher Zukunft in einem autoritären Staat«, zit. in: Günter Kaltofen: »Pilot Herzog« (Anm. II, 347).

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Das Zerstörerisch-Apokalyptische zeichnet sich durch eine Geheimsprache aus. Gelehrte Fachsimpelei und zukunftstechnologische Begriffe markieren im Spiel die Schere zwischen Gemeinsprache und terminologischen (Macht-)Systemen. Für ein zunächst nicht genauer definiertes »Unternehmen Ypsilon« wird der Regierung ein »VRS 13« zur Verfügung gestellt, das Versuchsraumschiff, mit dem bereits die »Umkreisung der Erde in der Exosphäre« (38–39) unternommen wurde. Die gezielte Unkommunizierbarkeit (und deshalb auch Unmenschlichkeit) der technischen Subtilitäten der Wissenschaft wird mehrfach thematisiert: »Feldgleichung X, plus minus unendlich, Individualitätskomponente gleich Null« (46). Übersetzt in das allgemeine Verständnis der Öffentlichkeit bedeutet »das mit der Feldgleichung und dem Individualpunkt« etwas furchtbar Einfaches: »Die Einzelnen haben überhaupt keinen Wert, das Ganze dagegen den überhaupt möglichst größten« (46). Dass hinter der verschlüsselten Sprache der Physik ihre politische Verwendung steckt, begreift bald auch Pilot Herzog, der sich für eine ›De-Terminologisierung‹ der Fachwörter deutlich ausspricht: »Es wäre nett, es wäre schön, dies Geheimnis nun auch mal in menschlicher Sprache zu erfahren« (56). Im Bewusstsein dieser machtorientierten technischen Sprache versucht Herzog das ›Geheimnis‹ zu lüften. Er will begreifen, wie groß die Staatsbestrebungen sind, zur ersten Weltmacht aufzusteigen, d. h. »ausserhalb der Erde im ewigen Raume zu stehen und alle Staaten der Erde zu beherrschen!« (75). Dem Autor liegt offensichtlich vor allem daran, dem Zuschauer die kriegstreibenden Wesenszüge totalitärer Staaten zu beleuchten, die sich die Wissenschaft zunutze machen. Obwohl aber ein gleich in den Bühnenanweisungen als ›rechtlos‹ angeprangerter Staat den überschwänglichen Eifer des Professors für kosmische Physik ausnutzt (in den Hauptquartieren der Macht wird auf die Trias »Staatsführung, […] Wissenschaft und Technik« angestoßen, 41), bleibt diese politische Ebene im Text ziemlich verschwommen und geht über eine vage Verurteilung der wachsenden Militarisierung nicht hinaus. Zu Beginn des Dramas legt Gentz dem Piloten Stenziger, Freund und Kamerad der Hauptfigur Herzog, das folgende gegen Krieg und Rüstung gerichtete Plädoyer in den Mund: Alles wegen dieser verfluchten Menschenschinderei! Weil sie alles, jeden Mann, jeden Flieger, in ihrem lächerlichen Verfolgungswahn in ihre verdammte Rüstung, in ihre Luftwaffe stecken […]. Und warum? Damit die Geschichte irgendwie in Gang bleibt, damit auch ja kein Mann aus der Luftwaffe für den Verkehrsdienst abgezogen wird, denn diese blödsinnige Soldatenspielerei, die die besten Kräfte des Volkes verbraucht und nichts einbringt als Tränen, die ist ja wichtig, allzuwichtig für die großen Herren! Die verbürgt ja den Absatz ihrer verdammten Bomben und Granaten! Ihrer Geschütze und Flugzeuge, die bringt Ihnen Geld, Geld und abermals Geld. Und Menschen sind ja fast umsonst. (8–9)

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Das ist eine recht simple Militarismuskritik. Sie unterscheidet zwischen »großen Herren« und Menschen, die für die geldgierigen Regierungen »fast umsonst« sind. Den Konflikt lässt aber Gentz – statt zwischen den Institutionen und eventuellen politischen Gegnern – zwischen den zwei Figuren austragen, welche als Gegenpole die Handlungsachse bilden und doch einen gemeinsamen Nenner in der utopisch-individuellen Veranlagung des Stücks haben: dem exaltierten Physiker und dem tapferen Piloten. So wie ein einzelner Verrückter aus purem Forschungsfanatismus ganze Nationen, ja die ganze Menschheit ausrotten kann (»Hast auch Du noch nicht bemerkt, daß immer nur um einen, oder zwei oder drei Verrückte ganze Völker in den Tod marschierten?«, 103), so kann auch ein einzelner Mutiger das Wunder der Rettung vollbringen. Dem übergeschnappten Professor, dieser teuflischen Personifizierung eines zur Hybris gesteigerten Fortschritts, stellt der Dramatiker in der Gestalt des Piloten Herzog den Typ eines sympathischen Schwerenöters gegenüber, der in den frechen, aber äußerst menschlichen Zügen und in seinem selbst gewählten Tod an die anziehende Figur des Fliegers Harras in Zuckmayers Des Teufels General (1947) erinnert. Beide Figuren sind stark typisiert, ihr Handeln kennt keine Konfliktualität. Im vierten Akt lässt Gentz die zwei Protagonisten in eine direkte Auseinandersetzung treten. Es ist die lange Raumschiff-Szene, in der die dramatische Spannung ihren Höhepunkt erreicht. Herzog und sein treuer Freund Stenziger haben den Auftrag erhalten, das Raumschiff zum Mond, »Zielscheibe für den ersten Versuch« (99), zu fliegen. An Bord ist auch die Supernova, die den Satelliten sprengen und einen feurigen Gesteinsregen auf die Erde verursachen wird. Angesichts der beabsichtigten Zertrümmerung wirkt die Romantik der Raumfahrt fast provozierend. Durch große Bullaugen betrachten Herzog und der mitfliegende Freund Stenziger von weitem Erde und Mond. Im Gegensatz zur nüchternen technischen Vollkommenheit erscheint der menschliche Planet als Bewahrer einer uralten Schönheit, die Herzog, »Tränen im Auge« (92), im lyrischen Drang besingt: War alles schon da. – Sieh Dir das an! Oben Sterne, unten Sterne, rechts Sterne – nur links der schwarze gähnende Fleck, wie ein Abgrund – wie der sich plötzlich am rechten Rande erhellt – wie das glitzert! – tausend Brillantnadeln – eine feine rote Sichel – – Mensch, da geht die Sonne auf der Erde auf! Heraus aus dem Erdschatten – goldklar, schmerzend hell, wie flüssiges Eisen – – Junge, Junge, da sind die Protuberanzen – das ist das Zodiakallicht – natürlich, dieser milchige, elliptische Schleierring – – – (91–92)

Das Argument der Schönheit der Welt, der »stille[n], wolkenumsäumte[n] Erde« (94), findet aber kein Gehör bei dem Professor, für den die schönen Bilder von oben nur auf geometrische Berechnungen verweisen: »Ausfallswinkel gleich Einfallswinkel«. In den vorwiegend kommentierenden Dialogen des letzten Akts tauschen die beiden Männer Argumente aus. Auf der Seite des Gelehrten ist eine

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bürokratisierte Sprache zu verzeichnen, die in der Pseudo-Versachlichung des Berichts das Subjekt völlig verbannt. Als Herzog die medizinischen Bemühungen zur Beseitigung von Krankheiten und Epidemien, die nur Tausende von Menschenleben kosteten, in Anbetracht der Tatsache, »daß einige Millionen sich gegenseitig totschlagen«, ironisch als vergeblich markiert, predigt der Professor die Bedeutungslosigkeit des Einzelwesens: »Menschenleben unwesentlich, Idee alles!«. Auch formal haben seine Sätze kein Subjekt, sie leben von der additiven Reihung von Substantiven; und anstelle einer finiten Verbform bedient er sich oft der Infinitive und Partizipien: »Idee der Weltwirtschaft – – Absatzquellen erschließen – Angebot – Nachfrage – Erzeugung neuer Bedürfnisse«. Herzogs Vorwurf der Emotionslosigkeit (»Klopft dir nicht das Herz in der Brust, wenn Du die Sterne, den Weltenraum siehst? Und du redest von Weltwirtschaft«) widerlegt der Professor durch den trockenen Hinweis auf die wissenschaftliche Distanz: »Habe zu arbeiten – zu denken – zu rechnen – Gefühle eliminiert« (95). Nur in kurzen Augenblicken nimmt der Physiker einen plötzlichen Registerwechsel vor und geht von der Kälte der technischen Rationalität zur expressiven Ausdrucksweise einer katastrophalen Szenerie globalen Ausmaßes über. Die ungebändigte Rede des Professors über die unverkennbare Faszination des radioaktiven Zerfalls des Planeten zeigt die ganze Doppelbödigkeit des in seinen energetischen Konnotationen attraktiv wirkenden Begriffs ›Radioaktivität‹ an. Unübersehbar ist der explosive Mix aus Machtwahnsinn und Rassenfeindlichkeit, der in einen Duktus apokalyptischer Visionen ausmündet: »In Feuer und Rauch werden sie aufgehen, ihre Städte, Wälder und Felder, verdorren werden ihre Landschaften, aussterben die niederen Rassen, austrocknen die Meere, in radioaktiven Staub wird alles, alles zerfallen! Und übrig bleiben wird allein unser Reich!« (99). Da es Kapitän Herzog nicht gelingt, das »gebildete Luder« von seinem Vorhaben abzubringen, fliegt er, zusammen mit dem verrückten Professor, in den Tod, »um die Bombe in Sonnennähe unschädlich zu machen« (103–104). Vorübergehend wird seine Aufopferung den frevlerischen Zerstörungsplan entschärfen. Aber eben nur vorübergehend. Letzen Endes sei der Professor, so Herzog in seinem einsamen Selbstgespräch, nur »ein Irrer, wie es Tausende gibt«: Der sitzt und tüftelt wie ein dummer Junge an der Gasleitung, der sich freut, daß es so hübsch zischt, wie das Gas da ausströmt und so prächtig riecht. So tüftelt der Kerl und hats plötzlich raus: Großartig! Das gibt eine Superwasserstoffbombe, – zweitausend Kilometer im Umkreis, – fünfhundert Kilometer Tiefenwirkung – großartig, noch nie dagewesen – machen wir – wir werden der berühmteste Gelehrte des zwanzigsten Jahrhunderts. Im Mittelalter, der Waffenschmied, der hat sich auch erst einmal am Glanz seines neuen Schwertes gesonnt – – wem es dann den Hals abschnitt, war ihm ganz egal!

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Ja, so sind die Menschen. Willst Du sie ändern, Raumschiffpilot Herzog? […] Wenn der die Superwasserstoffbombe nicht macht, macht sie nach zehn Jahren ein anderer. (105)

Herzogs Gedanken vor seinem Opfertod sind Trauer und Hoffnung zugleich. Eine beinahe fortschrittsfeindliche These und eine fast konservative Dämonisierung des Denkens – »Am Denken liegts, nur am Denken! Wir haben das Feuer, die Waffe, die Technologie – alles haben wir entdeckt, wir fliegen, fahren, bauen – – – schießen, morden!!! Alles vom Denken!« (105) – schließt das Streben nach Rettung durch gemeinsamen Einsatz nicht aus, denn »eines Tages werden es mehr und mehr sein, die nicht mehr den allgemeinen Schlendrian mitmachen« (106). Der letzte Satz des Textes steht im Zeichen einer apodiktischen, allgemeinen Weltbejahung, die das Subjekt noch einmal ausklammert: »Und wenn wir beide drauf gehen! Die Welt ist mehr wert als wir!« (108). Friedrich Billerbeck-Gentz: Operettenkunst im Kampf. In: Deutsche Bühnenkorrespondenz 3 (1934), 5, 17. Januar 1934. Ders.: Die Bedeutung der Kunst im Kriege. In: Deutsche Dramaturgie 3 (1944), S. 5–8. Friedrich Gentz: Pilot Herzog. Drama in vier Akten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin 1956. Günter Kaltofen: »Pilot Herzog«, Schauspiel von Friedrich Gentz im Theater der Stadt Greiz. In: Theater der Zeit (1956), H. 5, S. 53–56.

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Willy Grüb: Der Fall Dynamit (1956)

Autor : Willy Grüb (1912–1998) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 3. September 1956, Süddeutscher Rundfunk Ort: England (teilweise Ottawa und Moskau) Zeit: 1940–1946

Als Stückeschreiber hatte sich der baden-württembergische Autor Willy Grüb schon in den vierziger Jahren bekannt gemacht. In der Nachkriegszeit, als Grüb Programmchef des Süddeutschen Rundfunks war, verfasste er verschiedene Hördramen, darunter auch den kurzen radiodramatischen Text Der Fall Dynamit über den englischen Atomphysiker Allan Nunn May, der nach dem Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle in der Weitergabe von geheimen Informationen an die Russen spielte. Das Hörspiel wurde als sechste Folge der 1956 vom SDR produzierten Sendereihe Unter Falscher Flagge. Von Spioninnen und Spionen ausgestrahlt, die außer dem May-Stück in der Zeitspanne von drei Wochen noch zwei weitere Texte von Grüb über Atomspitzel sendete, die in den fünfziger Jahren das politische und kulturelle Imaginäre des Kalten Kriegs

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entscheidend prägten: Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs und Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo.349 Wie die eloquenten Titel bereits sagen, gehören alle drei Hörspiele zu jener zugkräftigen Strömung der Verratsstücke, die fast ein Genre für sich in der Literatur über und gegen den Nuklearkrieg bilden. Wie Eva Horn in ihrer kulturwissenschaftlichen Untersuchung des ›geheimen Kriegs‹ einleuchtend ausführt,350 lieferte das Zusammentreffen von Geheimhaltung und Atomspionage vielen Dramatikern der fünfziger und sechziger Jahre – ich nenne hier nur Grüb, Zuckmayer, Wickert, Felkel, Dürrenmatt, Kipphardt – einen geradezu perfekten Stoff für ein spannungs- und perspektivenreiches Szenario. Rekurrente Gestalten waren dabei bekanntgewordene Atomphysiker, die als Spione und Informanten entlarvt worden waren, wie May, Fuchs und Pontecorvo, deren Schicksale gerade in jenen Jahren auch Alan Moorehead im Bestsellerbuch The Traitors behandelte, das unter dem Titel Verratenes Atomgeheimnis. Nunn May, Klaus Fuchs, Pontecorvo in Deutschland ein großes Echo ausgelöst hatte.351 Auch in Grübs Fall Dynamit wird die Geschichte von May – »Allan Nunn Mays Verrat«352 – in Zusammenhang mit Klaus Fuchs gesehen und vor dem Hintergrund jener damit ebenfalls verbundenen Gouzenko-Affäre entfaltet, die Erwin Wickert zwei Jahre zuvor in seinem Hörspiel dramatisiert hatte.353 Wie Wickert hebt Grüb nachdrücklich die symbolische Valenz »jenes denkwürdigen 6. Septembers« (5) hervor, an dem der sowjetische Chiffre-Spezialist und Botschaftsbeamte in Kanada Gouzenko durch wichtige Geheimdokumente die Enttarnung des im Westen stationierten Informantennetzes des Kremls einleitete, dem auch May und Fuchs ihre Dienste angeboten hatten. Er wählt dabei die in der Dramaturgie der Atombombe häufige Metapher der politischen und sozialen Explosivität, welche die erzählerisch produktive Energie des Stoffs selbst miteinbezieht und vom Titel bis zum Schluss das ganze Stück durchzieht: »Das Ergebnis war eine Ungeheuerlichkeit von höchster Explosivkraft« (6). Gouzenkos Entlarvung britischer Spione bildet den konkreten Rahmen, in den der Autor die Figur des Protagonisten einfügt, denn in Gouzenkos Dokumente, die er aus der russischen Botschaft in Ottawa entwendet hatte, kehrte ein Name immer wieder : […] Alek – ! Alek – – Alek – – Ein Codewort, hinter dem sich einer der bekanntesten, namhaftesten und von den Ame-

349 S. unten, Teil II, Abschnitte 46 und 47. Zur Problematik des Atomverrats s. auch Teil I, Abschnitt 2.4.3 und Anm. II, 210. 350 Vgl. Eva Horn: Der geheime Krieg (Anm. I, 5). 351 Zu Alan Moorehead s. Anm. I, 224. 352 Willy Grüb: Der Fall Dynamit (Anm. I, 227), S. 40. Die kursiv gedruckten Stellen in den Zitaten sind im Manuskript gesperrt und/oder unterstrichen. 353 S. Teil II, Abschnitt 30.

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rikanern und Engländern geschätztesten Atomphysiker verbarg: Dr. Allan Nunn May! – dessen Geschichte wir Ihnen nun in kurzen Zügen erzählen wollen. (6)

Die in der Literatur der Nachkriegszeit typische Spionageabwehr-Konstellation schließt hier unmittelbar an die dialektisch fundierte Rhetorik des Gerichtsverfahrens und an dessen dramatische und sprachliche Potentialität an. Es geht Grüb nicht so sehr darum, Geheimnisse und internationale Intrigen auszuphantasieren, sondern die in vielen Dokumenten und Zeitungen berichteten Ermittlungen und Verhandlungen über eklatante Spionagefälle zu erzählen. Deshalb ist es der Prozess als Ort des argumentativen Aufbaus von Anklage und Verteidigung, der in allen von Grübs Atomverräter-Hördramen das Zentrum und das Ziel der Handlung darstellt. In Vor- und Rückblenden wird der Fall May – beginnend ab den frühen vierziger Jahren – realistisch und dokumentarisch aufgefächert. Die Illoyalität setzt schon in England mit Mays Teilnahme am geheimen Nuklearprogramm Tube Alloys (»legierte Metallrohre«, 10) ein, das infolge der »deutsche[n] Luftangriffe auf England« (9) – im Einvernehmen mit Churchill (»Winston Churchill hat […] seine Zustimmung gegeben«, 9) und in Zusammenarbeit mit amerikanischen »hervorragende[n] Köpfe[n] auf dem Gebiet der Atomphysik« (10) – im Cavendish-Laboratorium in Cambridge beschlossen wurde und dann teilweise nach Amerika übersiedelte. Das sei »die englische Vorgeschichte« (7) des Geschehens und zugleich die Vorgeschichte der konspirativen Welle von Spionage und Verrat, die Nunn May auszulösen scheint. Wie bei Fuchs und Pontecorvo lässt Grüb auch Nunn May das Doppelvergehen der Preisgabe geheimer Informationen und des Eidbruchs, nicht nur gegenüber der englischen Regierung, sondern gegenüber dem westlichen Wertsystem überhaupt, wegen eines irrigen Lebensentwurfs begehen, der sich einbildet, das politische Ungleichgewicht der Mächte im Kalten Krieg durch die Zirkulation von Wissen und Ideen ausgleichen zu können: May »glaubte, damit einen Beitrag leisten zu können zur Sicherheit der ganzen Menschheit« (36). Insofern kann der Wissenschaftler nach der Enttarnung seiner dunklen Taten durch Scotland Yard mit gutem Gewissen die Idealität seiner Vorsätze rational perorieren, wenn er sich auch, auf der Ebene der staatspolitischen Treue zum Vaterland, seines strafwürdigen Verhaltens allmählich bewusst wird. Jedoch findet sich im Text kaum ein Eingeständnis des Verrats als solchem, kaum ein wirkliches Reueempfinden. In Mays Herzen wohnen gegensätzliche Gefühle, die eine in Klammern gesetzte Regieanweisung als inneren, jede Schuld relativierenden Kontrast präzisiert: »(im Bewusstsein zwar einer ›Schuld‹, aber doch ganz klar, sachlich, ohne Reue, ein ›Geständnis‹ auf dem Boden der Vernunft, erleichtert durch die spürbare Überzeugung, die besten Ziele verfolgt zu haben)« (34).

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In der verhältnismäßig langen Verhandlungsszene sucht Grüb – auch darin demselben Handlungsschema folgend, das in den Fuchs- und Pontecorvo-Stücken zur Ausführung kommt –, die verwickelte Überlagerung von abstrakten Idealen und ideologisch orientierten Gedanken transparent zu machen, welche hinter der besonderen Art von Spionage steckte, die so viele Physiker betrieben. Seine Stimme verleiht der Dramatiker mal dem Verteidiger, mal der kommentierenden Gestalt des Sprechers. Diskret und fast sachlich erläutert dieser zunächst, er präsentiere »das Bild eines Wissenschaftlers, der allem Anschein nach geglaubt hatte, er müsse seine Forschungen nicht nur zum Segen seiner Mitmenschen betreiben, sondern müsse das Ergebnis dieser Forschungen dann auch allen diesen Mitmenschen – ohne Ansehen der Nationalität oder Regierungsformen – zur Kenntnis geben« (39). Dementsprechend erklärt Mays Anwalt Gardiner, der damit die Funktion des Autors selbst übernehmen zu wollen scheint, seine »Pflicht, alles in die Waagschale zu werfen, was Allan Nunn May zu seiner Handlungsweise veranlasst haben kann!« (41). Ohne dass die Atombombe als technische Errungenschaft und politische Entscheidung je in Frage gestellt wird, lässt Grüb in dem Plädoyer des Verteidigers die uneigennützigen und letzten Endes menschenfreundlichen Gründe des Angeklagten mit zwei Hauptargumenten befürworten, die in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Entdeckung der Atombombe im Kalter-KriegDiskurs über den Amerikanismus und Antikommunismus zur Debatte standen: Die Frage nach der Internationalität der Recherche, der ein freies Kursieren von Informationen innerhalb der Forschungsgemeinde zugrunde liege, und die historische Kontextualisierung der Feindschaft gegen die Russen, die zuvor sogar Verbündete gewesen seien. Zugegeben, Eure Lordschaft, sei von vornherein: dass der Agent, mit dem Allan Nunn May zu tun hatte, Russe war. Doch, frage ich: hat Allan Nunn May das tatsächliche Geheimnis der Atombombe preisgegeben? Ich glaube: Nein. Was er getan hat: Er hat ausländischen Wissenschaftlern, Kollegen anderer Nationen, Informationen zugeleitet, Informationen, die – zugegeben – diesen Wissenschaftlern eine gewisse Zeit erspart und damit ihre Forschungsarbeit auf dem gleichen Gebiet abgekürzt haben. – Ist das strafbar? Der Angeklagte kann angesichts dieses Faktums mit einem Mediziner verglichen werden. Denn auch Mediziner vertreten – zu Recht oder Unrecht – die Ansicht, sie wären, sobald sie etwas entdeckt haben, was dem Wohle der ganzen Menschheit dient, verpflichtet, dieses segensreiche Mittel der ganzen Menschheit zugänglich zu machen und es nicht nur einer bestimmten Gruppe besonders Begünstigter zu sichern. – Nun, es gibt Wissenschaftler, die im wesentlichen den gleichen Standpunkt vertreten! Gewiss: Allan Nunn May kann man vorwerfen, dass er seine Entscheidung auf eigene Verantwortung getroffen hat, dass er sich also nicht mit einem oder mehreren seiner englischen Kollegen in Verbindung gesetzt hat. Aber : Als das, was man »Allan Nunn Mays Verrat« nennt, vor sich ging, da kämpfte die britische Armee in Holland und die

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Russen standen vor den Toren Berlins. Wie England, so erfüllte damals auch Russland eine notwendige Kriegspflicht – und keinem Menschen wäre es eingefallen, damals von den Russen als unseren »Feinden« zu sprechen. (39–40)

Dieses in den Augen der Verteidigung evidente Bild von May als Mann von Wissenschaft und Ehre widerlegt der Staatsanwalt durch wenige gezielte Sätze. Seine Anklage beschränkt sich auf die schlichte Betonung des Risikos: Das Vergehen bestehe »in der Preisgabe einer Information an eine unbefugte Person«, so dass Informationen »in feindliche Hände geraten« könnten (41). Der Verharmlosungsversuch, mit dem der Verteidiger das Fehlverhalten des Physikers als eines Mannes, »der nur getan hat, was er für recht hielt« (43), zu rechtfertigen trachtet, stößt auf das geradläufige Urteil, das der Richter ohne Zögern und mit aller Härte gegen May fällt: »dass Sie so etwas getan haben, ist schlechthin furchtbar! Ich bin der Überzeugung, Sie handelten nicht als ein Mann von Ehre – sondern als ein Mann ohne Ehre! Sie haben sich mit dieser Tat entehrt!« (43). Und doch, die Relativierung der Tat, die der Ausgang der Verhandlung radikal verleugnet, nimmt das Ende des Hörspiels wieder auf, ohne auf die vielen Fragen des ersten Sprechers Antwort zu geben: »Ist das Strafmaß – zehn Jahre Zuchthaus – zu hart, ist es der Tat angemessen – oder ist es zu niedrig?«. Im allerletzten Kommentar resigniert der zweite Sprecher mit der Unmöglichkeit eines eindeutigen Schlusses: »Wer mag – wer darf – wer kann das entscheiden?!« (44). Zum Schluss scheint den Autor nur noch die fast metaliterarische Bestätigung der dramaturgisch fruchtbaren Kraft zu interessieren, die der Atomverrat ausübt. Das ist die historisch und symbolisch über sich hinausgehende Beispielhaftigkeit des Falls May, das explosive Potential, das im Titel direkt ausgesprochen ist und das Gouzenkos Akten – ›Dynamit‹ gewordene Dokumente – als erste enthüllt hatten: Mit der Entdeckung des »Falles D. Allan Nunn May« war jedenfalls eine kleine Ladung Dynamit zur Explosion gebracht worden […]. Explodierendes Dynamit – und der zündende Funke war Dr. Allan Nunn May. Ein Einzelner unter Milliarden von Menschen – Aber doch Hauptakteur in einer dramatischen Episode, die in der Geschichte der Spionage heute und in der Zukunft als »Der Fall Dynamit« verzeichnet bleiben wird. (44–45) Willy Grüb: Der Fall Dynamit (1956). Manuskript: Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/6. Eva Horn: Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion. Frankfurt a. M. 2007. Alan Moorehead: Verratenes Atomgeheimnis. Nunn May, Klaus Fuchs, Pontecorvo. Ins Deutsche übertragen von Maria v. Schweinitz. Braunschweig 1953. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitte 47 und 48.

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Autor : Willy Grüb (1912–1998) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 10. September 1956, Süddeutscher Rundfunk Ort: England (teilweise Deutschland) Zeit: 1934–1950

Dem Themenkomplex ›Atomverrat und Spionage‹ widmete Willy Grüb gleich nach dem Fall Dynamit354 ein weiteres Hörspiel, das er diesmal speziell über den »bedeutender[en]«355 Fall des deutsch-englischen Atomspions Klaus Fuchs schrieb und das ebenfalls in der Sendereihe Unter Falscher Flagge. Von Spioninnen und Spione, eine Woche nach der May-Sendung, ausgestrahlt wurde: Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs. Ein Jahr zuvor hatte die Fuchs-Affäre bekanntlich schon Carl Zuckmayer zu dem erfolgreichen Bühnenstück Das kalte Licht356 angeregt. Sowie Zuckmayer lehnt sich offensichtlich auch Grüb in seinen ›Spionen-Stücken‹ – Grüb sogar im Titel – an Alan Mooreheads Informationen über die Entlarvung internationaler Machenschaften und die widersprüchliche Rolle an, die May, Fuchs und Pontecorvo bei der Preisgabe geheimer Atomdaten an die Sowjetunion gespielt hatten.357 Allen diesen Fällen ist eine Besonderheit gemeinsam, die sie von anderen, zuvor bekannten Typen von Spionen maßgeblich unterscheidet und für das Atomrepertoire inhaltlich und strukturell prägend ist: der Verrat nicht aufgrund von Geld- oder Machtgier, sondern lediglich aufgrund einer subjektiven, nahezu ethischen, wenn auch zweideutigen Gesinnungs- und Wertentscheidung. Grübs Werk setzt sich bewusst mit der Symbolhaftigkeit des Falls Fuchs für den Spionagediskurs und die Angst vor kommunistischer Infiltration358 auseinander : »In der neueren Geschichte der Spionage spielt der Fall des Dr. Klaus Emil Julius Fuchs die wohl bedeutendste Rolle« (1). Die typische Janusgesichtigkeit des Agententypus, die Grüb auch in dem folgenden ›Atomverratsstück‹, dem Hörspiel über Pontecorvo, ausdrücklich nennt,359 lässt er im Fall Fuchs nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus politisch und historisch moti354 355 356 357

S. oben, Teil II, Abschnitt 46. Willy Grüb: Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs (Anm. I, 349), S. 1. S. Teil II, Abschnitt 37. Vgl. Alan Moorehead: Verratenes Atomgeheimnis. Nunn May, Klaus Fuchs, Pontecorvo (Anm I, 224). 358 S. dazu Jessica Wang: American Science in an Age of Anxiety : Scientists, Anticommunism, and the Cold War. Chapel Hill 1999. 359 »Januskopf«, Willy Grüb: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (Anm. I, 226), S. 17 und 40.

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vierten Notwendigkeiten erwachsen. Grüb – wie schon vor ihm Zuckmayer – hebt die innere Gespaltenheit und Ambivalenz der Figur hervor, identifiziert aber zugleich in Fuchs eine epochale Form der ›Zerrissenheit‹: Gewiss: Dieser Verräter am Atomgeheimnis hatte einen Vorgänger gefunden in Dr. Allan Nunn May, den man am 4. März 1946 unter dem Verdacht der Atomspionage in England verhaftet hatte – doch ist der Fall Fuchs deshalb bedeutender, weil die Quellen, die ihn genährt und heraufbeschworen hatten, in einer einzigen Figur die ganze undurchsichtige Zerrissenheit unseres Jahrhunderts spiegeln. (1)

Solch eine unergründliche Zerrissenheit hat in Wirklichkeit tiefe Wurzeln. Sie ist die Orientierungslosigkeit einer Generation, die in Nazideutschland aufgewachsen ist (»Da marschieren sie wieder durch die Strassen unserer schönen Stadt Kiel – mit ›ruhig festem Schritt‹ – – (gequält): ah – ich kanns bald nicht mehr hören!«, 3), und spiegelt die private Niedergeschlagenheit, die Fuchs’ Kindheit und Jugend prägte, seine Familie – die Schwester, die Mutter, den Vater – bis zur Neurose beziehungsweise zum Selbstmord im Konzentrationslager brachte. Mit dieser problematischen, politisch und psychisch bedingten Mangelsituation der Herkunft soll die eingangs explizit gestellte Frage: »wie eigentlich war Klaus Fuchs nach England gekommen« (3) beantwortet und begründet werden. Grüb verfolgt also den Werdegang Fuchs’ als Physiker und Geheimagent auf wissenschaftlicher und politischer Ebene, vertieft ihn aber psychologisch. Die verweigerte Erteilung der britischen Staatsbürgerschaft im Jahr 1929 – obwohl »Dr. Klaus Fuchs sechs Jahre lang ein loyaler Bürger gewesen« war und »in den britischen Laboratorien mit ausserordentlichem Erfolg gearbeitet« (12) hatte –, seine Verhaftung als ›feindlicher Ausländer‹ und die spätere Deportation nach Kanada »in ein Lager für überzeugte Hitler-Anhänger« (14) waren ebenso viele nicht zu vernarbende Wunden. Sie waren bestimmt, den entschlossenen und aufrechten Kommunisten noch mehr zu radikalisieren. Dass die kommunistische Ideenwelt in der Seele des erst Neunundzwanzigjährigen erneut Wurzel fassen konnte, liegt auf der Hand – und dass Karl Marx und sein »Kapital«, das vor Jahren in Deutschland mit Inbrunst gelesene Standardwerk der kommunistischen Weltanschauung, in der Hoffnungslosigkeit des Lagerlebens wie ein tröstliches Licht leuchtete, darf nicht wundernehmen. (14)

Als nun Fuchs, dank der Hilfestellung seiner Professoren, nach England zurückkehren durfte und dort seine glänzende Laufbahn, freilich auch sein Verwirrspiel, auf dem Gebiet der Atomforschung begann, schien er also durch die Kooperation mit den Russen fast ein Manko kompensieren zu wollen. Fuchs, der Mitarbeiter am Kernwaffenprojekt wurde, das britische und kanadische Wissenschaftler unter dem Codenamen Tube Alloys verfolgten,360 ließ sich als bri360 Interessant ist dabei die Szene, an der auch Born teilnimmt, über den Wissenschaftler-

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tischer Untertan naturalisieren und legte gegenüber der britischen Majestät den Eid der Treue ab. Ein Eid, der dem Hörspielsprecher Gelegenheit gibt, mit einer rhetorischen Frage den Gegensatz zwischen Loyalität und Verrat zu emphatisieren: »›Ein treuer und ergebener Untertan König Georgs VI.‹ … zugleich aber Hoch- und Landesverräter grössten Ausmaßes! […] Wie – wie war das möglich … wie konnte das Klaus Fuchs gelingen –?!« (19). Dieses ›Wie‹ ist die endgültige Entscheidung für den Sozialismus und wird in dem Klaus Fuchs und Simon Kremer betitelten Teil beantwortet. Er beschreibt Fuchs’ Bekanntschaft mit Vertretern »der alten roten Garde« (20) und vor allem mit Kremer, einem ehemaligen Sekretär des sowjetischen Militärattach8s in London, in Wahrheit einer der erfolgreichsten Agenten des russischen Spionagenetzes, der zwischen Ende 1941 und 1942 Daten »von weittragender Bedeutung« bekam, wie beispielsweise Fuchs’ Abschrift seines Monatsberichts für Peierls über die »Abspaltung der Uran-Isotopen« (22). Immer wieder – so der Sprecher – gelangten bei den Zusammenkünften mit ihm und, nach seinem Ausbleiben, mit einer anderen Frau technische Informationen in sowjetische Hände, deren Wichtigkeit und Umfang man nicht abschätzen konnte (»in welchem Umfang und von welcher Bedeutung im einzelnen … das ist nie ganz klargeworden«, 24). Das Stück zeichnet das progressive Anwachsen des Verdachts nach, die Ermittlungen des Sicherheitsoffiziers des englischen Atomforschungszentrums Harwell – des Staffelkapitäns Arnold, der auch im Pontecorvo-Stück als Person auftreten wird –, ferner die für viele Atomstücke typische Prozessdramaturgie mit »Verhör«, »Geständnis«, »Verhandlung und Verurteilung«, wie die Szenentitel lauten. Grüb eröffnet das vom Sicherheitschef von Harwell Henry Arnold in Gang gebrachte Verfahren mit der direkten Vernehmung des Atomspions durch den Kriminalisten William James Skardon, den »Häscher«, vor dem Fuchs, wie »ein gejagtes Wild«, seinen Verrat gesteht, ohne jedoch ein »eigentliches Schuldgefühl« (39) dabei zu empfinden. Eher versucht der Angeklagte seine Handlungsweise zu begründen. Dabei bringt er dem Hörer aus der Vorgeschichte bereits bekannte Ursachen vor, die ihn zum Treubruch hätten bewegen können. ausschuss, der sich pro und kontra Fuchs’ Teilnahme an dem Geheimprojekt aussprechen soll. Dieser findet in Fuchs’ Position als feindlicher Ausländer keinen Misstrauensgrund, da eben kein Risiko bestehe, dass er »Deutschland mit Informationen über seine Forschungsarbeit […] versorgen« (17) könnte. Ebenso wenig sehen die anderen Physiker eine Gefahr darin, dass eine eventuelle ›Untreue‹ die Russen begünstigen würde, »solange Russland zu unseren Verbündeten im Kampe gegen Deutschland gehört« (18). Unter Berufung auf die »Ansicht Winston Churchills, ›Jeder der befähigt ist, England im Kampf gegen Deutschland zu helfen, muss zum Kriegsdienst herangezogen werden‹« (18), billigt dann auch das Ministerium für Luftwaffen die Entscheidung des Wissenschaftlerteams.

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Was eigentlich soll ich Ihnen sagen?! Meine Geschichte kennen Sie ja – zur Genüge. Und Sie wissen auch, wer ich bin und was ich – also meine Arbeit – was also meine Arbeit und ich selber bedeuten – also ich meine: für Harwell bedeuten. […] Gewiss: Ich habe Harwell viel zu verdanken. Harwell aber noch mehr mir – – nicht wahr? […] Und schliesslich – wer hätte nach meinen Erlebnissen in Deutschland, in England – und im amerikanischen Interniertenlager – – (abrupt): Nicht wahr? (39–40)

Grüb schließt sich hier an die Interpretation an, die auch Zuckmayer von der Mischung aus Unruhe, Schwäche und Doppelzüngigkeit angeboten hatte, die Fuchs quälte und ihn zu dem fast erlösenden, in seiner enormen Tragweite durchaus überraschenden Vollgeständnis veranlasste. Das unerwartete Geständnis dieses die Welt in ihren Fugen erschütternden Verrats wurde von zwei Menschen in einer Person abgelegt: Von einem Dr. Fuchs, der mit jedem Worte um Verständnis bat für das, was er getan hatte – und zugleich von einem Dr. Fuchs, der dieses Verständnis als selbstverständlich voraussetzte. Ein Dr. Fuchs bereute nicht, weil er geglaubt hatte, aus der Forderung seines Gewissens heraus so handeln zu müssen – und der andere Dr. Fuchs war plötzlich die Inkarnation der Reue selbst, weil er erkannte, dass er mit dem Atomgeheimnis zugleich seine besten Freunde verraten hatte – seine Freunde an dem Ort, den er als seine zweite Heimat lieben gelernt hatte: das Forschungszentrum Harwell in England. Aus freien Stücken – also nicht unter sowjetischem Druck – hatte er seinen Verrat begangen … aus ebenfalls freien Stücken entschloss er sich dann aber auch zu einem Geständnis, wahrscheinlich im Wahne lebend, dass diese Freiwilligkeit seinen weiteren Verbleib in Harwell ermöglichen könnte. (41)

Nach dem Schuldbekenntnis enden der Prozess und das Hörspiel mit der Verlesung des Urteils, das Fuchs’ Kommunismus als »die wahre Tragödie seines Falles« (44) bezeichnet und jene von Fuchs selbst als eine »Art bewusster Schizophrenie« (44) genannte Gespaltenheit zitiert, die von nun an ein Leitbegriff für die Auslegung des Atomwissenschaftlers werden sollte. Profiliert wird hier noch einmal die besondere Art von Zerrissenheit, an der der moderne Physikertypus leidet, der die zwei auseinandergerissenen Hälften seines Ichs nicht verbinden kann (»der beherrschenden Hälfte seines Ich« und »der anderen Hälfte dieses Ich«, 44). Die noble Rede, mit der sich ein reuevoller Fuchs ganz zum Schluss für die »rücksichtsvolle Behandlung« (47) bedankt, bleibt offensichtlich nicht ohne Beifall: In der Einsamkeit der Haftjahre wird ihm der Besuch vieler ihn schätzender Wissenschaftler zum Trost. Aber trotz des Trostes, den die Gemeinde der Physiker ihm noch zu gewähren scheint, lässt der Autor auch bei Fuchs, wie schon im Stück über Pontecorvo, das eigentliche Hörspielende unentschieden und offen. Dem Hörer bleibt nur noch der letzte Eindruck der Undurchsichtigkeit einer Welt härtester Gegensätze, die sich dem vollen Begreifen entzieht. Und ein Bild der Relativität der Dinge: »Und wir, die wir in dieser Welt zu leben gezwungen sind, können aus der Geschichte

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des Atomspions Klaus Fuchs lernen und die alte Erkenntnis bestätigt sehen, dass es nichts, aber auch nichts gibt, was den Anspruch erheben darf auf das, was wir nennen: Endgültigkeit« (48). Willy Grüb: Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs (1956). Manuskript: Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/7. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnite 46 und 48.

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Willy Grüb: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (1956)

Autor : Willy Grüb (1912–1998) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 17. September 1956, Süddeutscher Rundfunk Ort: England (teilweise Italien) Zeit: 1950

Für die SDR-Sendereihe Unter Falscher Flagge schrieb Willy Grüb zum Motiv des Atomverrats noch ein drittes, fast wie das zweite betiteltes ›Spionenstück‹,361 in dem er die bekannte, dennoch immer noch rätselhaft gebliebene PontecorvoAffäre aufrollt: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo. Im Klima der wachsenden Spannungen zwischen den zwei Machtblöcken USA und USSR hatte das brüske Verschwinden des italienischen Physikers am 31. August 1950 die britischen und amerikanischen Sicherheitsdienste die Preisgabe geheimer Informationen an die Sowjets befürchten lassen und überhaupt im Westen für großes Aufsehen gesorgt.362 Auch Grüb greift zunächst diesen Rezeptionsaspekt der außerordentlichen Resonanz auf, die der Fall Pontecorvo in der Öffentlichkeit fand, und lässt sein Stück mit schreienden Zeitungsverkäufern beginnen, die in der Einleitung den Aufenthalt des Physikers in der Sowjetunion ankündigen: »Die neuesten Illustrierten – die Abendpost – der Sportbericht – die Rundschau – Pontecorvo arbeitet in Russland – ein Mitarbeiter des Atomverräters Dr. Klaus Fuchs meldet sich – «.363 Ein Hörspielsprecher holt hier anscheinend weit aus, berichtet von den Familienschicksalen im Italien Mussolinis, das die Pontecorvos zur Emigration zwang, begründet aber zugleich die Notwendigkeit dieser Erzählung mit der jüdischen Abstammung der Titelfigur : »Die jüdische Herkunft der Eltern von Bruno Pontecorvo muss in Verbindung mit der Geschichte seines Verrats, die wir Ihnen erzählen wollen, erwähnt werden« (2). Aus den Familien- und Verwandt361 S. oben, Teil II, Abschnitt 47. 362 Vgl. dazu Stefano Salvia: »From Russia with Love«. Die Pontecorvo-Affäre. In: Christian Forstner, Dieter Hoffmann (Hrsg.): Physik im Kalten Krieg (Anm. II, 210), S. 149–162. 363 Willy Grüb: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (Anm. I, 226), S. 1.

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schaftsverhältnissen löst dann der Sprecher selbst die Personen heraus, die an den behandelten Ereignissen mitwirken, und macht auf die Figuren von Brunos Bruder, dem in der Nachkriegszeit nach Italien zurückgekehrten Filmregisseur Gilberto, der älteren Schwester Giuliana, die einen Kommunisten heiratet, und des Vetters Emilio Sereni aufmerksam,364 einem bedeutenden Mitglied des PCI, d. h. der wohl stärksten kommunistischen Partei des Westens. Die eigentliche Handlung setzt in medias res mit einer regelrechten Inszenierung des Verdachts ein. ›Live‹ wird ein Fragebogen – so auch der Titel des Hörspielteils – ausgefüllt, den Pontecorvo angesichts seiner Einstellung im britischen Atomforschungszentrum in Harwell vorzulegen hat. Im Gespräch mit dem Staffelkapitän Arnold, den der Hörer schon aus der vorhergehenden Sendung über Fuchs kennt, gibt zwar Pontecorvo, der sich nervös zeigt und die Befragung für inkulpativ zu halten scheint, seine kommunistischen Beziehungen (den Bruder, den Schwager, den Cousin) zu, ohne jedoch eine persönliche Nähe zum Kommunismus einzugestehen. Entsprechend den inhaltlichen Merkmalen der Gattung zeigt der weitere Ablauf das engmaschige Bespitzelungsnetz, das über Pontecorvos Leben und Freunde ausbreitet wurde, um Erkundigungen über ihn einzuziehen (Teil 3, Die ersten Recherchen, 13), wobei die Sprecherstimme den Ausbruch eines neuartigen Kriegs kundgibt. Damit ist der politisch-historische Rahmen des Kalten Kriegs explizit genannt, in den die Überwachungsstrategien gestellt sind. Es ist in erster Linie ein offiziell ›nicht erklärter‹ Krieg, ein Krieg, der sich von Zweideutigkeit, von Heimlichkeiten und Verhüllungen nährt: »Der bewaffnete Krieg allerdings, der war zu Ende. Nicht aber jener Krieg, der unterirdisch weiterging, der unsichtbare Kampf der Geheimdienste, der Spione, der dunklen Gestalten ohne militärische Uniform, deren Schlachtfeld das Zwielicht ist« (17). In dieser von Eva Horn zutreffend als ›geheimem Krieg‹ gekennzeichneten Struktur des »geheimdienstlichen Wissens«365 gewinnen die Physiker als Hüter der Atomgeheimnisse eine Signalbedeutung, die der Text deutlich herausstreicht: Dr. Allan Nunn May und Dr. Klaus Fuchs waren Signale gewesen, die zur Vorsicht mahnten – doch Dr. Bruno Pontecorvo ließ sich mit keinem dieser beiden vergleichen. Er war nicht der Typ des stillen, bescheidenen Wissenschaftlers mit einem Januskopf – er war ein bekannt offenherziger Charakter, unproblematisch und unkompliziert, dessen Natur weder mit politischen noch mit allgemein weltanschaulichen Problemen belastet schien. Ein allerdings schon sprichwörtliches Merkmal war sein ihn zu ständiger Unruhe zwingender Ehrgeiz, der ihn fast pausenlos auf der Jagd sein ließ nach noch besseren und noch glänzenderen Positionen. (17–18) 364 Ihn verwechselt aber der Autor mit Palmiro Togliatti, Generalsekretär der Kommunistischen Partei: »Pontecorvos Vetter, der italienische Kommunisten-Führer Sereni Togliatti, der nach 1950 mehrfach in Moskau gewesen war« (37); »Emilio Sereni Togliatti« (39). 365 Eva Horn: Der geheime Krieg (Anm. I, 5), passim (s. insbesondere S. 309–337; 382–419).

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Der prinzipielle Unterschied, den hier Grüb zwischen Pontecorvo und der üblichen Typologie ›bescheidener‹ Wissenschaftler »mit einem Januskopf« markiert – ein zur Unruhe neigender Ehrgeiz –, ist der Gegenstand des zweiten Hörspielteils, der sich zum einen mit der Flucht und den verschiedenen Versionen der von Geheimnissen umwitterten Flugreise befasst. Wie die interviewten Verwandten und Bekannten der Hauptfigur bezeugen, »verschwand« die Familie des Forschers »hinter dem Eisernen Vorhang, und kein Mensch konnte sagen, was aus ihr geworden war« (37). Zum anderen werden einige grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die man sich über Pontecorvos politische Einstellung stellte und die im vergifteten Klima des Kalten Kriegs zur Debatte standen: War Pontecorvo wirklich ein Spion – ? War er ein Verräter – ? Wenn ja – was hat er verraten – ? War er Kommunist – ? Oder stand er unter kommunistischem Einfluß?366 (38)

Schließlich gibt sich der Autor unschlüssig darüber, ob die Beantwortung dieser Fragen möglich oder gar notwendig sei. Angesichts des Mangels an genauen Angaben und Dokumenten – zumal man zur Entstehungszeit des Hörspiels doch eigentlich recht wenig darüber wusste, inwieweit Pontecorvo Zugang zu geheimen Informationen westlicher Nuklearprojekte gehabt hatte – suspendiert er sein Urteil: Kein Mensch konnte das damals sagen – und auch heute noch weiß keine Menschenseele, was Dr. Bruno Pontecorvo bewogen haben mochte, in der Geschichte der Atomspionage neben Dr. Allan Nunn May und Dr. Klaus Fuchs und dessen amerikanischen Hintermännern einen so unrühmlichen Platz einzunehmen. Von May und Fuchs kennen wir etwa die Triebfedern ihres Verrats – von den letzten Ursachen des Verrats, den Dr. Pontecorvo begangen hat, wissen wir so gut wie nichts. (39)

Wenn auch danach ein in der Prawda erschienener Brief aus dem Jahr 1955 bestätigte, »daß Pontecorvo in Russland auf dem Gebiete der Atomwissenschaft für die Sowjets arbeitet« (39), bleibt im Stück jegliche Bewertung seiner Handlungen aus: »Dürfen wir deshalb über ihn richten – dürfen wir ihn verurteilen […]?« (39). Eine moralische Bilanz zu ziehen, überlässt der Sprecher dem Hörer, der aufgerufen wird, sich selbst über das Schicksal der Welt Gedanken zu machen, einer Welt also, wo »Männer wie May, Fuchs und Pontecorvo nur kleine unscheinbare Rädchen sind« (40). In dem auch hier wie in seinen anderen Agentenstücken offenen Ende liegt aber zugleich die Aufforderung, an 366 Die hier kursiv gedruckten Stellen sind im Manuskript unterstrichen.

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der Bestimmung des Schicksals der Menschheit teilzuhaben (»Solange nämlich die Menschheit sich nicht einig ist im Willen, jeden Krieg zu vermeiden und nur dem Frieden zu dienen, so lange wird der Januskopf des Verrats unserer Welt immer ihr Gepräge geben«, 40). Eine Mahnung, die sich in den allerletzten Worten des Sprechers mit dem unvermeidlichen Motiv der tickenden Atomuhr verbindet (»Die Atomuhr tickt schneller und schneller«, 40), die vielleicht noch zurückgedreht werden kann. Willy Grüb: Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (1956). Manuskript: Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/8. Stefano Salvia: »From Russia with Love«. Die Pontecorvo-Affäre. In: Christian Forstner, Dieter Hoffmann (Hrsg.): Physik im Kalten Krieg: Beiträge zur Physikgeschichte während des Ost-West-Konflikts. Wiesbaden 2013, S. 149–162. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnite 46 und 47.

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Hans Friedrich Kühnelt: Es ist später als du denkst (1956)

Autor : Hans Friedrich Kühnelt (1918–1997) Darbietungsform: Schauspiel in zwei Teilen Uraufführung: 15. Februar 1963, Stadttheater Saarbrücken Ort: Steppenlandschaft Zeit: unbestimmte Zukunft, sieben Jahre nach der großen Katastrophe

Bei der Thematisierung von Zukunftsängsten gedeihen zwischen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre postapokalyptische Fiktionalisierungen im Bereich eines Genres, das man als Survival-Drama (Teil I, Abschnitt 2.5.4) bezeichnen könnte. Eines der frühesten Beispiele dafür ist Hans Friedrich Kühnelts Atomdrama mit dem mahnenden Titel Es ist später als du denkst, das seine Untergangsvisionen in einer Steppenlandschaft ansiedelt, wo eine Restgesellschaft von Zukunftsmenschen primitiv und nomadierend dahinvegetiert. Das Stück, das der gebürtige Südtiroler schon 1956 verfasste und das ein Jahr später im Bregenzer Schauspielwettbewerb mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde, wurde erst 1963, allerdings mit »Enttäuschung«, wie der Rezensent einer lokalen Zeitung feststellt, in Saarbrücken uraufgeführt.367 367 Am 17. Januar 1960 waren aber bei einer Matinee am Wiener Akademietheater einige Ausschnitte daraus gelesen worden. Zur Aufnahme des Stücks in Saarbrücken s. dreb.: Friedrich Kühnelts Atomdrama eine Enttäuschung. Uraufführung von »Es ist später als du denkst« im Stadttheater. In: Saarbrücker Landeszeitung, 19. Februar 1963, S. 10; Heinz Mudrich: »Es ist später als du denkst« von Hans Friedrich Kühnelt. In: Deutsche Rundschau 89 (1963), H. 5, S. 55–56. Auch Der Spiegel erwähnt in einem Bericht über die neuesten Produktionen in Deutschland »das dürftige Anti-Atomstück« von Kühnelt. Vgl.: O. A.: Theater. Wellershoff. Nabel-Schau. In: Der Spiegel, 9. März 1963, S. 90.

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Der Autor entwirft ein beunruhigendes, surreales Nach-Atomkriegs-Szenario, das von einem kargen Dasein außerhalb jeglicher Zivilisation erzählt. Dem Zuschauer erschließt sich das trostlose Bild eines geradezu subhumanen Raums, einer postatomaren Archäologie, wo die wenigen Überlebenden einer Weltkatastrophe in tiefer sozialer und kultureller Regression versunken sind. Erinnerungslos ziehen sie in der Wüste umher. Das ist abstrakt, aber auch ganz konkret. Denn die bunte Schar der handelnden Personen irrt zugleich in der Dürre eines ausgelöschten Gedächtnisses umher und in der Öde, die den Kram der zivilisierten Welt mit Sand und Trümmern verschüttet hat: »Als wir aus unserer Ohnmacht erwachten, krochen wir aus Spalten und Erdlöchern, in denen uns der große Tod wohl nicht erreicht hatte und die der Sandsturm bald wieder zuwehte«.368 Als Fragmente aus der Vergangenheit tauchen aus dem Sand halbverkohlte Holzstücke auf, in denen der Zuschauer ehemalige Gebrauchsgegenstände wie Tischbeine, Besenstangen, Kleiderbügel usw. erkennen kann, Objekte, die aber für die naiven Steppenleute nur recht begehrte Tauschwaren darstellen, um welche unaufhörlich und fast kindisch gestritten wird. Für die Entzifferung der Funde sorgt mit geringem Erfolg die Figur eines ›Lehrers‹, der im Besitz eines wie die Bibel verehrten Wörterbuchs ist. Im Dunkeln ihrer Unwissenheit tappend, schweben die vereinsamten Steppenleute zwischen einem Zustand prähistorischer Ignoranz und der vagen Reminiszenz eines schuldbeladenen Erbes. In ihren Sagen stößt man immer wieder auf eine legendäre Substanz, in der sich die Anfänge verlieren (obwohl sie nur sieben Jahre zurückliegen): einen mehrmals im Text als ›große Nacht‹ etikettierten Tag der Atomapokalypse, die einem nicht näher identifizierten Wesen namens Kobalt zugeschrieben wird – »der Kobalt, dieser Schuft, hat in der einen großen Nacht alles zerstört: Nur aus Bosheit! […] Ein böser Mensch! Ein menschliches Ungeheuer!«, »[m]it Schlangenarmen und einer gespaltenen Zunge!« (9). Seit der großen Nacht trennt ein Nebelschleier – »der Vorhang, der die alte Welt verbirgt« (14) – die mythisierte Vergangenheit (»eine viel bessere Welt«, 9) von der zeitlosen Gegenwart der Überlebenden. Einmal abulisch, ein anderes Mal aggressiv, schleppt sich das bunte »Rudel« (8) verschiedener Rassen – ein melting pot mehrerer Nationalitäten, einschließlich zweier »Neger« und eines blinden stillen Japaners, den die anderen Hiroshima nennen – durch die weite, sonnendurchglühte Ebene, wo es Ziegen weidet, sich von Schlangen nährt und gegen Milch, Fetzen und Felle Nägel, Federn und bunte Glassplitter tauscht. Inmitten dieser verwahrlosten Landschaft, inmitten dieser zerlumpten, längst verwilderten Menschen lässt aber Kühnelt unversehens einen Vertreter 368 Hans Friedrich Kühnelt: Es ist später als du denkst (Anm. I, 330), S. 22. Auch im Almanach Lebendige Stadt wurde 1962 die einleitende Szene veröffentlicht (Lebendige Stadt. Hrsg. vom Amt für Kultur und Volksbildung der Stadt Wien. Wien 1962, S. 183–187).

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der entgegengesetzten Wissenschaftssphäre auftreten, Albert, d. h. ausgerechnet den Mann, der für die große Nacht der Menschheit verantwortlich ist. Er allein sei »an der Steppe schuld« (13). Interessant ist dabei, dass die Funktion, die in diesem Themenumfeld normalerweise die allgegenwärtigen zwei Typen des ›sündigen‹ Physikers und des bußfertigen Piloten für die Verantwortungs- und Schuldproblematik haben, hier durch die Figur des reumütigen Ingenieurs, eines Raketentechnikers, abgelöst wird. Unerwartet erscheint der Fremde mit verstörtem Blick, um nahezu gegen seinen Willen die Lunte der Erinnerung zu entzünden und den Zerstörungsgang der Menschheit zu rekonstruieren. Nicht von ungefähr hat der Eindringling ein Gerät von stark symbolischer Bedeutung und unschätzbarem Wert für die Nomaden bei sich, das Feuerzeug (»Du bist ja reich!«, sagt ihm Marie, 7). Darauf steht die kurze, aber alles sagende Inschrift, die dem Triumvirat des Steppenvolkes – dem ›Alten‹, dem ›Lehrer‹ und dem ›Schielauge‹, einer Art Halbschamanen der Gruppe – Alberts Vergangenheit zu ermitteln ermöglicht: »Atomenergiezentrum – Kobalttechnikbüro« (14). Als erster Konstrukteur von Raketen bei der Versuchsstation für Astronautik demaskiert, kommt nun Albert, wie »jeder, der etwas verbrochen hat«, »in den schwarzen Aschenkreis, vor das Gericht der Steppe« (11). Dabei verbindet sich die übliche Wissenschaftlerthematik mit einem weiteren gattungstypologischen Element, das auch viele Atomdramen der Zeit kennzeichnet: die prozessuale Dimension des Textes, die im dialektischen Frage-Antwort-Muster ihre argumentative Dynamik entwickelt. In dem Prozess muss sich Albert für seinen Beruf im Dienst der »Fabriken, die den großen Tod vorbereiteten« (14), verantworten. Freilich handelt es sich an einigen Textstellen beinahe um ein ›tribales‹ Gericht, in dem die rachsüchtigen, zornigen Steppenbewohner in zyklische Ausrufe ausbrechen: »Er ist der Kobalt! Der Kobalt! Aufhängen! Totschlagen! Lebendig begraben! Aufhängen!« (11). Das dialogische Verfahren, in das mehrere symbolische und reale Figuren aus Alberts Leben involviert werden, bringt den logischen Ablauf der Ereignisse und Zusammenhänge ans Licht, die zur großen Nacht führten, und gibt dadurch den Bewohnern der Steppe auch die ersehnte Vergangenheit zurück. »Sie hätten recht gern zu ihrer Steppe auch eine Vergangenheit, einen Hintergrund« (14), sagt der Autor am Anfang. Kühnelt arbeitet auf unterschiedlichen Raum- und Zeitebenen mit Rückblenden, in denen Alberts Erinnerungen Gestalt gewinnen, die oft eine Metatheater-Situation herbeiführen, wie der folgende Kommentar beweist: »›Die Verbrennung der Atomwolken und Kobaltgase! Die neuen Satelliten im Weltraum!‹ Das interessiert unsere Hörer! Das macht Stimmung!« (15). Doch ist das Publikum der Steppenleute, die um Albert herumsitzen, mit der ›Vorführung‹ unzufrieden. Es lärmt, pfeift und klagt missmutig über die unverständliche Sprache, den abstrusen Wortschatz des 20. Jahrhunderts, den keiner mehr begreift: »Was heißt Friseur – Konsum – Neutronen – Einstein –

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Silvester – Konkurs? Was ist Life – Reportage – Urlaub – Journal? Was heißt Nylon – Camel – Rankfilm?« (19). In den Erzählfluss der Rede Alberts dringen obendrein noch ›modernere‹ Termini ein, z. B. ›Atom‹, ›Zyklotron‹, ›radioaktiv‹ (18), die für die Steppenbewohner ebenfalls unbekannt klingen; Worte, die man nach der großen Nacht hat verdrängen müssen, um wieder von vorne anzufangen, denn »wie hätten sie auch beginnen können, ohne die Gnade des Vergessens«? (18). Weitere metaliterarische Bemerkungen kommen durch die aus der Vergangenheit heraufbeschworenen Gespensterfiguren zum Ausdruck, die der Protagonist in lockerer Szenenfolge in die Wirklichkeit des Steppenverhörs hineinprojiziert, wie beispielweise »die drei Herren vom Film«, die im letzten Teil des Stücks ihre Nummer aufführen und in einem langen Filmbericht die Schreckbilder der zerstörten Denkmäler der Welt (»das Münster von Straßburg! Die Brücken von Prag! Die Kuppel von Rom! Die Tempel Indiens! Die Straßen New Yorks […] als Staub, als Staub, als Staub!«, 55) ablaufen lassen. Aus der inszenierten Katastrophe (»Millionen Mitwirkende! Grandiose Massenzenen«) lässt sich die deutliche Kritik an der zunehmenden Trivialisierung der Atomkatastrophe herauslesen, die der Autor auch selbstkritisch als Gefahr des medialen Umgangs mit dem toposhaft dargestellten Thema präsentiert. Der Kameramann: Detonationen! Explosionen! Der Produzent: Spannung, Liebe und Abschied! In Technicolor! Der Regisseur : Schwenkung nach rechts! Die Menschen laufen zum Meer! Der Produzent: Mit ihnen die Tiere! Die drei Herren: Alle werfen sich hinein! Frauen, Männer, Soldaten, Pferde, Hunde und Katzen! […] Der Produzent: Millionen Mitwirkende! Grandiose Massenzenen Der Kameramann: Großaufnahme! Einblenden! Der Regisseur : Mutter mit schreiendem Kind versinkt im Schlamm! […] Der Produzent: Die Menschen und Tiere, alle verbrannt! Der Regisseur : Der Film, der Sie erschüttert! Der Film, der an Ihre Menschlichkeit appelliert! Der Produzent: Das Meer verdampft! Offenbarung Johannis! Der Kameramann: Herrliche Bilder! […] Der Produzent: Der große Kulturfilm! Zehn Oskars [sic]! […] Der Regisseur : Der Film des Jahres! Der Produzent: Der teuerste Film aller Zeiten! (54–57)

Gerade solche Sensationalisierung des atomaren ›Spektakels‹ habe Herr Co. erstrebt, der in der ansehnlichen Gruppe der nur als Erscheinung anwesenden Dramenpersonen als die widersprüchliche Inkarnation des Bösen schlechthin

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auftritt. Wie Albert im Prozess berichtet, war er »der geschäftliche und sozialpolitische Chef der Atomwerke; er war für die moralische Aufrüstung, für den fortschrittlichen Geist und die staatstreue Einstellung aller Arbeiter und Angestellten verantwortlich« (20). Auch den Start der neuen Superrakete hatte Herr Co. als groteskes Schauspiel organisiert, »zwanzig Autobusse bestellt, mit Platzkarten für die Luxusbunker! Tausend Prospekte gedruckt! ›Jemand einmal bei der Katastrophe! Menü und Übernachtung inbegriffen‹!« (20). Je vollständiger Alberts Gedächtnis im Laufe des Verhörs zurückkehrt, desto schwerer wiegt die Verantwortung, die für ihn auf dieser Kategorie skrupelloser Machthaber und Politiker lastet: »Kein Physiker, in keinem Staat, konnte forschen nach was und wie er wollte. Die Aufgaben stellte immer die Regierung und der ging alles zu langsam! Wenn man sich nicht beeilte, hatte ein anderer Staat schon eine neue stärkere Waffe entwickelt, die man wieder übertrumpfen musste« (23). Am Krieg aber schuld zu sein, bestreitet der Wissenschaftler am heftigsten: »Sie wissen, was ich vom Krieg halte! Und unsere Forschung hat damit nichts zu tun!« (24). Aus den Gesprächen zwischen dem Ingenieur und den teils wirklichen, teils allegorischen Gestalten, die auf der Bühne vorüberziehen (seine Frau, eine Tante, ein Ikarus, ein Omega, La Lune) gehen interessante Elemente hervor, die nicht nur das Versagen des Wissenschaftlers vor der politischen Realität offenbaren, sondern auch das idealistische Pathos des Dramatikers, der oft in Utopie und Rhetorik befangen bleibt. Dazu gehören Gemeinplätze des Atomdiskures, wie der im Text vielzitierte Begriff von der »Stunde Nulle« als Ausdruck radikaler Nullifizierung, aber auch als Strategie des Schreckens369 und die Topoi der verbrannten Formel oder des geheimen Formelverkaufs an einen rivalisierenden Staat. Im zentralen Dialog des Textes, der Auseinandersetzung mit dem ›Werkmeister‹ – der positiven Figur eines naturliebenden und friedfertigen Mannes –, räumt Albert noch einmal den Zwang der Staatszensur ein, dem die Forscher nachgeben mussten. Man erfährt z. B., wie jegliche öffentliche Rede über Strahlenkrankheiten untersagt wurde (30). Und auch das schuldige Wissen des Forschers um die Schädlichkeit der durchgeführten Experimente wird nicht verschwiegen. Nur der Werkmeister scheint sich in seiner Einfachheit der Hybris bewusst, mit der die Wissenschaft glaubt, alles selbst in der Hand zu haben: »Wir spalten Atome, aber nicht einen Grashalm können wir nachmachen« (25). Deshalb wird er Albert »als Talisman« (25) die Weizenkörner schenken, die am 369 Vgl. z. B. S. 26: »Carter : (liest seine Frage vom Blatt) ›Einige Zeitungen schreiben, im Falle eines Atomkriegs, im Falle der Stunde Null, würde es keinen Sieger geben?‹. Herr Co: ›Die Stunde Null wird derjenige überleben, der als erster den Finger auf dem Druckknopf hat! Haben wir die schnelleren Atomwaffen, wird kein Staat der Welt es wagen, uns anzugreifen!‹«. Und S. 36: »Die Stunde Null hat sich selbständig gemacht, sie läuft ab und braucht uns nicht mehr. – Übrigens, wir hatten uns doch geirrt und auch die anderen hatten den Finger auf dem Druckknopf, es gab keinen Sieg«.

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stereotypen Ende des Spiels zum Sinnbild des vom großen Tod auferstehenden Steppenvolkes werden. Ziemlich schablonenhaft wirkt der positive Schluss, der den Weg der Wissenschaftler – die, Ikarus gleich, in ihrem Hochmut die Grenzen des Möglichen überschreiten und daran scheitern – in der absteigenden und wieder aufsteigenden Bahn des Dramenhelden exemplifiziert. »Er ist weit hinaufgestiegen«, urteilt der Alte, »um Gott auszuforschen, um ihm gleich zu sein und ist heruntergestürzt, um ein Mensch zu werden« (59). Im Kontext des Weltendes erfährt das Gericht selbst seine Umdeutung als ›Selbstgericht‹: »Wir wollten über dich Gericht halten und sind selbst gerichtet worden, haben eine Richtung bekommen. Nie mehr können wir so leben, als wüßten wir von nichts, als kämen wir aus dem Nichts«. Nur jetzt, wo sich die Steppenleute wieder in den Besitz ihrer Geschichte gebracht haben, können sie auch ihre Zukunft planen und den fremden reuigen Ingenieur eingemeinden, als den einzigen, der der Wiederherstellung der Welt Form und Gesicht geben kann. Was wie eine regressive Katastrophe beginnt, endet schließlich in der einfachen Utopie eines neuen Anfangs. Eine aussichtsvolle Wissenschaft zeichnet sich am Horizont ab, die endlich der Menschheit zu Diensten steht, ein aufbrechender, wachsender Keim der Hoffnung, der sich wie die Weizenkörner entfalten kann, die Albert in seiner Tasche aufbewahrt. Wilhelm Bortenschlager : Der Mensch und die Technik: Hans Friedrich Kühnelt. In: Hermann Kuprian (Hrsg.): Tiroler Drama und Dramatiker im 20. Jahrhundert. St. Michael 1982, S. 61–71. dreb.: Friedrich Kühnelts Atomdrama eine Enttäuschung. Uraufführung von »Es ist später als du denkst« im Stadttheater. In: Saarbrücker Landeszeitung, 19. Februar 1963, S. 10. Bruno Frei: Wiener Premieren. In: Tagebuch (1963), H. 7–8, Juli–August, S. 12. Desiree Hebenstreit, Stefan Maurer, Doris Neumann-Rieser : Hans Friedrich Kühnelt, unter URL: kk-diskurse.univie.ac.at. Hans Friedrich Kühnelt: Es ist später als du denkst. Erste Szene in: Lebendige Stadt. Hrsg. vom Amt für Kultur und Volksbildung der Stadt Wien. Wien 1962, S. 183–187. Ders.: Es ist später als du denkst. Manuskript. Wien 1962. Heinz Mudrich: »Es ist später als du denkst« von Hans Friedrich Kühnelt. In: Deutsche Rundschau 89 (1963), 5, S. 55–56. Ders.: Hans Friedrich Kühnelt. »Es ist später als du denkst«. In: Theater heute (1963), H. 5, S. 46. Christine Riccabona, Sebastian von Sauter, Anton Unterkircher : Hans Friedrich Kühnelt. In: Lexikon Literatur in Tirol, unter URL: https://orawww.uibk.ac.at/apex/uprod/f ?p= TLL:2:0::::P2_ID:388. Girid Schlögl: Hans Friedrich Kühnelt. Ein österreichischer Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Wien Dipl.-Arb. 1991.

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Hans Pfeiffer: Laternenfest (1957)

Autor : Hans Pfeiffer (1925–1998) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 1. September 1957, Staatsschauspiel Dresden (gleichzeitig an elf weiteren Theatern der DDR) Ort: Nagasaki Zeit: Juli 1946

Am Weltfriedenstag, dem 1. September 1957, fand eine Ring-Aufführung von Hans Pfeiffers Japan-Drama Laternenfest gleichzeitig auf zwölf ostdeutschen Bühnen statt. Pfeiffer, der mit zahlreichen Hörspielen, Fernsehfilmen, historischen und Kriminal-Romanen zu den bekanntesten Autoren der DDR gehörte, errang damit einen großen Erfolg. In der Saison 1957/58 wurde Laternenfest in 30 Inszenierungen mit insgesamt 860 Aufführungen zum meistgespielten Stück Ostdeutschlands. Aber auch in Westdeutschland und Japan wurde Pfeiffers Nagasaki-Stück, ebenso wie der nur wenige Monate später entstandene JapanEinakter Ein Abschied,370 aufgeführt. Diese begeisterte Aufnahme verdankt das Werk verschiedenen Faktoren, darunter vor allem der Kombination aus Familientragödie, Liebesdrama und politischem Gegenwartsdrama, die den Inhalt des Schauspiels ausmacht. Inmitten der Ruinen und der vegetierenden Opfer der Atombombenexplosion treffen und verlieben sich, gegen den Willen der verfeindeten Väter, eine japanische Krankenschwester und ein amerikanischer Medizinstudent, Mitglied der Untersuchungskommission, die vor Ort »die Auswirkungen des Bombenabwurfs«371 erforschen soll. Dem Publikum schien als Erstes die bestürzende Aktualität des nuklearen Themas zu gefallen, das nach dem zehnten Jahrestag des Einsatzes der Atombombe im kulturhistorischen Interesse wieder sehr an Bedeutung gewonnen hatte. Aber sicher wirkten dabei auch die sprachlich und dramatisch virtuose Rhetorik der Gestaltung sowie die emotional ergreifende Handlung mit. Dazu gesellten sich weitere Elemente, welche Zuschauer und Medien in der damaligen DDR zufriedenstellen sollten, wie die zeitgeschichtlichen Anspielungen auf die politischen Fronten des Kalten Kriegs, die Friedensthematik des Stücks – die einer scharfen antiamerikanischen Propaganda nicht entbehrt – und nicht zuletzt die zukunftsträchtige Lösung des ›glücklich-unglücklichen‹ Ausgangs, bei dem sich Tod und Hoffnung auf neues Leben plakativ und doch effektvoll begegnen. Im Unterschied zu den vielen dramatischen Arbeiten, die sich anlässlich des Jahrestags der ersten Atombombenabwürfe mit diesem Thema eher dokumen370 S. unten, Teil II, Abschnitt 51. 371 Hans Pfeiffer : Laternenfest (Anm. I, 90), S. 12. Die in den folgenden Zitaten kursiv wiedergegebenen Textstellen erscheinen im Original gesperrt gedruckt.

Hans Pfeiffer: Laternenfest (1957)

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tarisch auseinandersetzen und meistens in Hiroshima lokalisiert sind, bettet Pfeiffer seine Thematik in eine Liebesparabel ein,372 die im Juli 1946, knapp ein Jahr nach dem Fall der Bombe, in Nagasaki spielt. Die Beziehung zwischen der Japanerin Yuki und dem jungen Amerikaner James Kennedy ist eine optimistisch gefärbte Variante des Romeo-und-Julia-Motivs, das im Stück selbst zitiert wird: James: […] kennen Sie die Geschichte der Liebenden aus feindlichen Häusern? Sie begegnen sich auf einem Maskenfest. Alle trugen Masken, lächelnde, verzerrte, sanfte und grelle: Tanz der Masken! Aber hinter den Larven sahen die Liebenden ihr menschliches Gesicht. Und sie liebten einander, inmitten des Krieges ihrer Väter… Yuki: Und – – wie – endete ihre Liebe? (James antwortet nicht) Ich weiß. Wie jede Liebe im Krieg endet… James: Es ist nur eine Sage. (27)

Auch hier sind die rivalisierenden Väter unnachgiebig, von gegenseitigem Hass und übersteigertem Nationalbewusstsein erfüllt. Dahinter stehen aber ein Stück Weltgeschichte und die Tücke des Zufalls, der zwei Feinde unter einem Dach zusammenführt. Hier treibt das Schicksal ein grausames Spiel mit den zwei Männern. Der Japaner Akira Yamamoto erweist sich als kein anderer als der Flieger, der die erste Bombe bei jener Attacke auf Pearl Harbour abgeschossen hatte, der auch James’ Bruder, Major Kennedys ältester Sohn, zum Opfer fiel. Eine gerechte Vergeltung für Pearl Harbor und die japanische Unmoral fordernd, beteiligte sich seinerseits Kennedy aus Zorn und persönlicher Rachsucht gegenüber Japan am Abwurf der Atombombe auf Nagasaki, die Yamamotos Familie fast gänzlich auslöschte und ihn selber blind und lahm werden ließ. Trotz dieses erkünstelten Handlungschiasmus und des naiven Dogmatismus der Botschaft vermittelt aber Pfeiffers Drama einen guten Eindruck von der Breite an Themen und Perspektiven, die für die politische Einstellung des pazifistisch orientierten Anti-Atom-Theaters repräsentativ sind. Dazu gehören beispielsweise die Absage an die Angst als Vorwand und Mittel der Verteidigungsstrategie und die Ablehnung der gegenseitigen Abschreckungsdoktrin, die hier der alte Amerikaner als friedenssichernd verficht: Major : Ich – – – wollte – – – den Krieg – – – beenden. Yuki: Beenden? Diese Bombe war die erste Bombe eines neuen, des kalten Krieges! Major : Den Menschen – – Frieden – – bringen. Yuki: Den Frieden der Leichengruben. Major : Sie werden – – – Angst – haben – vor der Bombe – alle! Und die Angst – – – die Angst – – – sichert – – – den Frieden – – – 372 Dass es Pfeiffer »vor allem auf den ›Gleichnisgehalt‹ ankommt« und dass er sich deshalb über historische Tatsachen hinwegsetzt, unterstreicht der Spiegel-Rezensent nach der Premiere in Dresden. Vgl. O. A.: Ach Yuki. In: Der Spiegel, 25. September 1957, S. 58–59.

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Yuki: Ist der Frieden Angst? O Major, das ist ein schrecklicher Irrtum, den Frieden auf die Angst zu gründen. (66)

Ein weiteres Merkmal für den vorherrschenden Warnungscharakter des Atomdramas ist hier die übliche Problematisierung der Zukunft durch die Fokussierung auf das Schicksal der nächsten Generationen, das Mitgefühl mit den verlassenen und verwaisten Säuglingen, den verstümmelten Kindern, das Mitleid mit den Neugeborenen, ermordet »im Schlaf der Erwartung«: Yuki: Die Kinder kommen – – – […] Sie gehen ganz langsam. Ihr Körper schwingt zwischen zwei Stöcken. Hörst du das Klappern der Krücken? Manche gehen Arm in Arm. Eins davon ist immer blind. Eine lange schwarze Reihe – – – […] Man gewöhnt sich daran. Man gewöhnt sich daran? Nein, nein, jeden Morgen wenn ich ins Spital gehe, habe ich wieder Angst. Seit drei Wochen bin ich in der Kinderabteilung des Spitals. Die Neugeborenen sind verseucht, weil ihre Mütter verseucht sind. Oder werden tot geboren. Denn die Bombe mordete sie schon im Schlaf der Erwartung. (8)

Darüber hinaus findet sich in Laternenfest auch eine Vielfalt von Ausdrucksformen, die für die Antiatomliteratur, insbesondere für das Untergenre des ›Japan-Dramas‹ typisch sind – die grausige Anhäufung von Bildern des Entsetzens (»ihre Haut ist zerfressen, das Fleisch bröckelt mürbe ab«; ein »Kopf ohne Augen […] mit leeren Höhlen«, 18), die Beschreibung der qualvollen Todesfälle infolge von Strahlung und Verbrennung (»verdampft von der Glut der Bombe«, 36). Stumm läuft die Tragödie ab, das unvorstellbare Ausmaß von Schrecken und Elend in der Bevölkerung, denn manches »schreit nicht. Es schüttelt lautlos seine Arme« (8). Das fast visionäre Erlebnis einer Hekatombe, an die es trotz des täglichen Grauens keine Gewöhnung gibt, spiegelt sich im sprachlichen Register des Werks wider. Angst und Tod reißen nicht nur den Geist fort, sie blenden auch den Verstand. Akira Yamamotos Gedanken sind wie Alpträume, die von Blut und Verwesung triefen: »Von den Beinen kriecht der Brand empor, die Haut ist schwärig, die Haare fallen aus, die Augen sind zerstört. Ein Stück Mensch, das langsam verfault und sich stinkend auflöst, wie eine Muschel, die am Ufer verwest« (11). Der Gedanke an die Bombe erweckt in ihm die Erinnerung an die 75 000 Toten seiner Stadt, deren man am Abend des Obon,373 des Laternenfesttags, gedenkt. Und die Erinnerung an die unschuldig Verstorbenen entflammt sein stolzes Samurai-Herz mit Hass und Mordlust: Könnte er nur dem Bomberpiloten nachsetzen, so würde er ihm »hoch in die Luft, eine MG-Garbe in den Leib jagen, daß er zu Boden muß – muß, muß mitten ins Glutmeer hinein, durchlöchert, zerfetzt, verbrannt« (13). 373 Vgl. Sepp Linhart, Sabine Früstück (Hrsg.): The Culture of Japan as Seen through Its Leisure. Albany 1998, S. 206, und Monika Nawrot: Das Phänomen des Heiligen in japanischen Religionen. Münster 2015, S. 142.

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Sehr interessant ist dabei die Spirale der Gewalt, die auf beiden Seiten Tausende von Opfern forderte. Das Dialogschema zwischen Akira und Kennedy ist fast symmetrisch, vertauschbar die Rollen der beiden Väter in der Dynamik der Schuldzuweisung: »Mitten im Frieden bombardierten sie unsere Flotte in Pearl Harbour« (40), sagt der ›Yankee‹, der den ›Gelben‹ die Verantwortung für den Kriegsbeginn zuschiebt: »in Pearl Harbour fing es an. […] Nagasaki wäre niemals in Rauch und Asche aufgegangen, wenn diese gelben Räuber nicht ihren Krieg begonnen hätten« (40–41). Genauso wie sein Antagonist ist auch der Major stolz und eitel. Seine Geste hat er übrigens nie bereut. Anders als bei den meisten Piloten von Atomdramen, die mindestens die positiven Konnotationen der Reue haben, erfährt hier die Figur des Fliegers eher eine Umdeutung in Richtung eines kalten und arroganten Helden, wie ihn z. B. Marie Luise Kaschnitz in ihrem Hiroshima-Gedicht beschreibt, wo der Pilot sein Gesicht »verzerrt von Lachen« zeigt, während »das Auge der Welt«, »der Photograph / Hinter der Hecke«, ebenfalls kalt und ohne Gewissensregungen das Geschehen registriert.374 Reziprok ist im Text auch der Aufbau von Feindbildern, die das beiderseitig hasserfüllte Verhältnis dokumentieren. Der Ring, den sich der Amerikaner aus dem Stahlsplitter der Bombe hat machen lassen, die seinen Sohn in Pearl Harbour zerfetzte, ist für ihn ein ewiges Memento, der Gewaltakt des japanischen Gegners muss mit einem Racheakt vergolten werden: »Stahl um Stahl, Bombe um Bombe, Sohn um Sohn. Sie begannen den Krieg, mit Bomben. Ich beendete ihn – mit der Atombombe. Der Schrecken, den Sie losließen, fiel hundertfach auf Sie zurück!« (65). Seinerseits klopft Yamamoto mit dem eigenen Ring auf das Metall des Rollstuhls – ebenfalls ein Memento – und zählt bei der tickenden Uhr der Bombe mit, die er wie besessen immer noch in seinem Kopf hört. Unausrottbar ist sein Abscheu vor dem Feind, er verachtet die Amerikaner, »fremde, weiße Sieger« (12), die »Barbaren«, die »nichts von […] Stolz, nichts von […] Hass« wissen (24). Im elementaren Antagonismus der zwei rassenfeindlichen Kriegshelden kondensiert der Dramatiker die unselige Dynamik, die in gegenseitiger Vernichtung eskaliert. Beide sind zu allem bereit, um die Liebe zwischen ihren Kindern um jeden Preis zu zerstören, denn »die Verbindung einer Tochter der Sonne mit einem Weißen ist unauslöschliche Schande«, wie Yamamoto sagt, und »die Verbindung eines Sohnes der Freiheit mit einer Gelben ist Entartung«, wie der Major schlagfertig ergänzt (44). In der vorletzten Szene lässt Pfeiffer Yamamoto ein Messer in die Brust des Majors stoßen, der im Sterben seine Unschuld beteuert (»Ich – bin – – kein – – – Mörder«, 65) und noch einmal die These des militärisch notwendigen Abwurfs im Japankrieg wiederholt: »Ich beendete ihn – mit der Atombombe« (65). Als aber der Japaner die opferbereite 374 Marie Luise Kaschnitz: Hiroshima (Anm. I, 125).

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Tochter erdolchen will (»Yamamoto: ›[…] Nur der Tod kann dich trennen von ihm. Du mußt dich trennen‹. Yuki: ›Ich bin bereit‹. Yamamoto: ›Wirst du mir verzeihen?‹«, 67), tritt James im letzten Augenblick dazwischen und rettet das Mädchen, während der alte Yamamoto Harakiri begeht. Dem unaufhaltsamen Gang von Krieg und Tod ein Ende zu machen, ist nun Aufgabe der Kinder. Vorerst müssen sie sich aber aus dem Wirbel der Feindschaft ihrer Völker ziehen, den inneren Kampf mit der schweren Last der Herkunft und der Tradition durchkämpfen, die Stimmen ihrer toten Väter verscheuchen: Yamamoto: Wir sind da – in euch! Major : Wir schlagen den Takt eurer Herzen – Yamamoto: Schickt ihn fort. Ich lebte noch, wären sie nicht gekommen. Ich lebte noch – – – Yuki: Mein Vater – – lebte noch – – wenn – – – Major : Du weißt, was sie sagen will: Wir sind schuld. James: Sag’s doch! Ich bin schuld, ich allein! Yuki: Ich – – – Yamamoto: Hörst du’s ticken? Die Uhr in der Bombe! Sein Vater warf sie! Yuki: Die Bombe – – – dein Vater … warf sie… Major : Ihr Vater begann den Krieg! James: Dein Vater begann den Krieg! Yamamoto: Sie töteten deine Mutter, deine Brüder! Yuki: Ihr habt meine Mutter – meine Brüder … getötet. Major : Und sie deinen Bruder! James: Und ihr habt meinen Bruder getötet! Yamamoto: Jag ihn davon! Major : Laß sie liegen! Yamamoto: Töte ihn! Major : Laß sie sterben! (69–70)

Der Clou des Generationenkonflikts liegt gerade in dieser geisterhaften Szene. Die jungen Protagonisten selbst kommentieren die unheimliche Anwesenheit der toten Väter : Die Stimmen »drängen sich mordend« zwischen sie und die Kinder müssen ihren endgültigen Tod dekretieren: »Sie wollten uns töten, aber wir haben sie getötet – auch in uns« (70), sagt Yuki. Nur so kann die junge Generation die Gewaltspirale stoppen, zur »Erkenntnis« (71) gelangen und das Schlusswort schreiben, das einen Neuanfang ermöglicht. Mit allen Wohlgesinnten, »mit ihnen zusammen«, werden sie »den Frieden erkämpfen« (71). Die Nacht der Totenfeier, das Laternenfest, ist zu Ende, das Gefühl einer neuen Weltgemeinschaft verdichtet sich zum leuchtenden Bild der Solidarität und der Hoffnung: »Wir sind nicht allein […] ich glaube, mit uns beginnt eine neue Welt« (71).

Hans Pfeiffer: Ein Abschied (1957)

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Rudolf Hilger: »Laternenfest« von Hans Pfeiffer. In: Neuer Weg, 13. März 1959, S. 4. Werner Mittenzwei u. a. (Hrsg.): Theater in der Zeitenwende. Zur Geschichte des Dramas und des Schauspieltheaters in der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1968. Berlin 1972, Bd. 2, S. 121–123. O. A.: Ach Yuki. In: Der Spiegel, 25. September 1957, S. 58–59. O. A. (ADN): »Laternenfest« in zwölf Theatern. In: Neues Deutschland, 23. Juli 1957, S. 4. Pfeiffer, Hans. In: Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. 20. Jahrhundert. Hrsg. von Kurt Böttcher u. a. Hildesheim, Zürich, New York 1993, S. 565. Hans Pfeiffer : Laternenfest. Berlin 1958. Balduin Thieme: Laternenfest. In: Sächsisches Tageblatt, 1957. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 51.

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Hans Pfeiffer: Ein Abschied. Von dem heldenhaften Protest des japanischen Reisbauern Kosuga gegen die Atomversuche auf den Weihnachtsinseln (1957)

Autor : Hans Pfeiffer (1925–1998) Darbietungsform: Einakter Uraufführung: April 1958, Dramatischer Zirkel des Messeamtes, Leipzig Ort: Japan Zeit: Gegenwart

Die Atombombe als Scheide- und Kreuzweg der Weltgeschichte beeindruckte den Ostdeutschen Hans Pfeiffer tief und weckte sein Interesse für Japan. Im Spiel Ein Abschied beschäftigte er sich erneut mit jener Japan-Problematik, die er schon in dem kurz vorher entstandenen Werk Laternenfest in die Romeo-undJulia-Parabel angelegt hatte. Der Einakter Ein Abschied wurde zu Ostern 1958 in Leipzig von den Mitgliedern des Dramatischen Zirkels des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen uraufgeführt, wurde aber auch vom BRD-Publikum gut aufgenommen.375 Und es besagt viel, dass noch 1986 das Volkskunstkollektiv 375 Von einer »hochkarätig besetzte[n] Podiumsdiskussion« nach der westdeutschen Premiere berichten die Göttinger Zeitungen. Zitiert in Dietmar Coors: Theater als Gottesdienst. Das geistliche Schauspiel als moderne Verkündigungsform. Rezeption eines historischen Modells. Münster 2015, S. 188. Coors spricht aber hier irrtümlicherweise von einer Uraufführung des Werks in der BRD (er schreibt, dass »die Aufführung zum ersten Mal in der BRD stattfand«), während die DDR-Aufführung schon mehrere Monate zuvor stattgefunden hatte, wie das Foto beweist, das die Neue Zeit am 21. November 1958 (S. 6) veröffentlichte. Nähere Einzelheiten zum Stück sind nicht überliefert. Der Autor verweist auf das Entstehungsjahr 1957 sowohl für Laternenfest als auch für Ein Abschied: »Im Laufe des Jahres 1957 ist eine umfassende Diskussion über die ideologischen und methodischen Grundlagen unserer Kriegsliteratur in Gang gekommen. […] Ich glaube, daß meine seitdem entstandenen dramatischen Arbeiten, ›Nachtlogis‹, ›Laternenfest‹ und ›Ein Abschied‹, eine geeignetere und praktische Antwort auf die kritischen Stimmen sind als ein Disput über

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Studie 69 ausgerechnet mit der Inszenierung dieses Stücks sich die Entsendung zu den Arbeiterfestspielen erkämpfen wollte.376 Nach dem unumstrittenen Erfolg des Nagasaki-Dramas Laternenfest greift Pfeiffer hier das Atombombenmotiv noch einmal auf, führt es aber in einem größeren Kontext weiter, indem er sich der neuen konjunkturellen Phase zuwendet, in die die Nuklearentwicklung eingetreten ist. Hatte sein vorheriges Schauspiel die menschlich und gesellschaftlich verheerenden Folgen des ersten Atombombeneinsatzes thematisiert, so ist es die neue Realität der Atomtests im pazifischen Raum, die in Ein Abschied dargestellt wird. Nicht ein Ereignis aus der – wenn auch nahen – Vergangenheit, sondern die Zukunft in ihrer Aussichtslosigkeit, nicht das Schicksal der Väter, wie in Laternenfest, sondern die Chancen der Noch-nicht-Geborenen stehen im Mittelpunkt seines Textes. Für genau diese Chancen kämpft der Protagonist. Den Kern des Spiels bildet seine Teilnahme an einer kollektiven Widerstandsaktion gegen die sich ausweitende amerikanische Kriegs- und Nuklearmaschinerie. Deshalb lautet der Untertitel: »Von dem heldenhaften Protest des japanischen Reisbauern Kosuga gegen die Atomversuche auf den Weihnachtsinseln«.377 Um diesen Protest durchzuführen, muss Kosuga seine Welt und seine Familie verlassen. Dem Autor geht es, wie der Titel programmatisch ankündigt, nicht um die praktische Verwirklichung der politischen Aktion, sondern um den ›Abschied‹, um die Motivationen des im Text wiederholt als ›armselig‹ apostrophierten Reisbauern. »Gänzlich uninteressant gegenüber den großen Helden der Geschichte« (29), wie Kosuga selber im Nachspiel betont, will der ›kleine Held‹ mit 70 anderen Kameraden, Arbeitern und Gelehrten, »den möglichen Tod vor Augen, in die Zone des Schreckens« (17) fahren. Diese sei ein gesperrtes Wasserstoffbomben-Versuchsgebiet um die britischen Weihnachtsinseln im Stillen Ozean,378 die schon in ihrem symbolhaften Namen Ausdruck jener paradoxen, widersprüchlichen Strategie des Friedens ist, welche nach Pfeiffer die Theorie der atomaren Abschreckung der ganzen Welt aufgezwungen hat. Klar und deutlich lässt er deshalb Kosuga das Ziel seiner Protestaktion aussprechen: »Der Krieg soll der letzte gewesen sein. Deshalb muß ich fort« (23). längst geklärte Probleme«, zit. in: Nochmals: Die Falsche Hoffnung [Zu Hans Pfeiffers »Die Höhle von Babie Doly«]. In: Neue deutsche Literatur 6 (1958), H. 5, S. 128. 376 Vgl. Lutz Pretzsch: Ein breites Repertoire, alles in eigener Regie. »Studio 69« beim III. Volkskunstfestival dabei. In: Berliner Zeitung, 26. April 1985, S. 7, und Ingrid Försterling: Junge Volkskünstler proben für die Arbeiterfestspiele. Das »Studio 69« bereitet seine 39. Inszenierung vor. In: Neues Deutschland, 15. Februar 1986, S. 8. 377 Hans Pfeiffer : Ein Abschied (Anm. I, 67). 378 Offenbar liegt hier ein geographischer Irrtum Pfeiffers vor. Die britische Insel, wo Atomtests durchgeführt wurden, ist nicht die im Indischen Ozean südlich von Java gelegene Weihnachtsinsel, sondern ein zu Kiribati (d. h. Christmas Island, auf Deutsch »Weihnachtsinsel«) gehörendes Atoll im Zentralpazifik.

Hans Pfeiffer: Ein Abschied (1957)

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Die Gründe pro und kontra den Widerstand, pro und kontra Kosugas Abschied von zu Hause, werden im Binnentext, der die Familiendiskussion retrospektiv wiedergibt, aufgelistet und abgewogen. Davor und danach illustriert bzw. kommentiert der räsonierende Dramenheld im fast als Beiseitesprechen gestalteten monologisierenden Rahmen »die traurige Geschichte« (29) seines Abschieds, indem er sich direkt ad spectatores richtet. Im Vorspiel stellt er sich dem Publikum vor, verweilt bei der Ausweglosigkeit seiner Entscheidung, hebt von vornherein die Last des Abschieds hervor : Bitte verzeihen Sie. Ich sehe nicht gut aus. Sie müssen meine armselige Gestalt erblicken. Aber es geht nicht anders. Ich muß hier vorbei. Es gibt keinen andern Weg, leider. […] Ich – – – aber Verzeihung, ich spreche von mir, und Sie kennen mich noch gar nicht. Ich bin Kosuga Arakichi, ein Japanischer Reisbauer, Arbeiter in den Reisplantagen meines Gutsherrn Nomura Teichi. […] Bis gestern stand ich im Wasser in den Sumpfplantagen meines Herrn. Warum ich sie heute verlassen habe? Sehen Sie, Sie hätten nicht fragen sollen. Denn nun muß ich Ihnen auch erzählen, wohin ich gehe. Ein Schiff wartet auf mich. […] Es ist kein leichter Weg, und auch der Abschied zu Hause war schwer. Der Abschied, das ist vielleicht das Schlimmste daran. (4–5)

Erst nach dieser Einleitung hebt sich der Vorhang und Kosuga tritt in das Stück und dessen traditionelles Familiengefüge ein. Eine schlichte, fast archetypische Figurenkonstellation, die ihn physisch und ideell in den Mittelpunkt der Bühne stellt. Auch darin spiegelt sich die historische Konfliktstruktur zwischen Vergangenheit und Zukunft, die Diskrepanz zwischen den alten Männerprinzipien von Ehre und Krieg einerseits und dem Anspruch der Söhne auf Liebe und Frieden andererseits, die Pfeiffer schon in Laternenfest darstellte. Verkörpert werden hier diese Grundspannungen in zwei Dramengestalten, dem Vater des Protagonisten – der, genauso wie in Laternenfest, seit der Atombombe blind und verstümmelt ist und Akira heißt – und Kosugas schwangerer Frau, O-Tojo. Beide nehmen sich vor, den Sohn und Gatten zum Verbleib zu überreden. Die japanische Kultur des Gehorsams gegenüber den Vätern prallt aber auf Kosugas Verantwortungsgefühl gegenüber der ›ganzen‹ Welt und vor allem gegenüber den künftigen Generationen. So argumentiert der Protagonist im Gespräch mit seiner Frau: »Die Bombe hat meinen Vater kaputtgemacht. Und sie wird eines Tages auch unser Kind kaputtmachen. Ich muß etwas dagegen tun…« (20). Diesem Figurendreieck fügt der marxistische Schriftsteller als Inbegriff der gesellschaftlichen Ausbeutung eine vierte Figur hinzu, die des Gutsherrn Teichi, der auch keinerlei Absicht hat, auf seinen Reisbauern zu verzichten (»Teichi: ›Und die Aussaat? Was wird aus dem Reis?‹. Kosuga: ›Ich sehe, es geht Ihnen nicht um den Menschen, sondern um den Reis‹«, 19). Dem Ruf von Haus, Familie und Arbeit widersteht Kosuga nicht ohne inneren Kampf. Im Nachwort zu der 31-seitigen Bärenleiter-Ausgabe des Textes sind die dramaturgischen Erläuterungen des Verfassers abgedruckt, der das innere

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Ringen des Protagonisten mit sich selbst als Hauptkomponente des Stücks sieht. Gleichzeitig bieten die Erläuterungen auch eine bündige Zusammenfassung des Inhalts und verdeutlichen die Absicht des Autors: Dieses Stück hat keine äußere, sondern nur eine bewegte innere Handlung. Es zeigt, wie ein Mensch um eine Entscheidung ringt, die ihn das Leben kosten kann, und es zeigt, wie schwer er sich diese Entscheidung erkämpfen muss. […] Da es dem Autor in der Hauptsache darauf ankam, die Entwicklung des inneren Konflikts darzustellen, muß die Wirkung des Stückes ganz vom Wort her leben, und dem Wort kommt demgemäß gegenüber dem Spiel die größere Bedeutung zu. (30)

Also eine Wirkung »ganz vom Wort her«, so geht es im Drama zu, handlungsarm, dafür aber argumentativ und darlegend: Auf der Bühne der liegende Vater, die hockende Frau und der stehende, sich kaum bewegende Protagonist. Der später auftretende Herr Teichi schließt sich ihnen nur an, um dem »Aufrührer« (19) Kosuga egoistische Beschwerden vorzutragen. Als nämlich Teichi empört zur Kenntnis nimmt, dass Kosuga im Begriff ist, sich einzuschiffen, äußert sich sein Unmut in politischer Voreingenommenheit und Rachelust: »Ich brauche dich für die Aussaat. Bleib! […] Ein Rebell! Geh mir aus den Augen! Geh! Die Bombe wird dich fertigmachen!« (26). Die auf seinem Grundstück stehende Hütte des Reisbauern will er »in Schutt und Asche legen lassen« (27). Dass gleich darauf Kosuga das Wort ›Asche‹ wiederholt und in einem Kontext subvertiert, in dem es die Vernichtungskraft der Atombombe konnotiert, zeugt von der allumfassenden Tragweite des Nuklearthemas, das sich auf alle Ebenen, die inhaltliche und die formale, die Realität und die sie darstellende Sprache, verhängnisvoll erstreckt: »In Asche? Asche! Aschenregen hier. Aschenregen dort. Das macht Ihr aus der schönen Welt: Asche!« (27). Überhaupt bietet sich der Begriff der Asche im Text als Kristallisationspunkt der Angst vor dem als bedrohlich empfundenen Ungewissen an, das mit dem unbekannten, uneingeschränkten Entwicklungspotential neuer Atomwaffen assoziiert wird. Das Bild vom »riesige[n] Pilz aus Rauch und tödlichem Staub am Himmel« (16), die diffuse Furcht vor dem Fallout, »wenn die Luft sich verfinstert vom Regen der schwarzen Asche« (17), sollen Kosuga Beweggründe zur Fahrt liefern. Das Gespräch unter den Dramenpersonen vor der Reise, das den ganzen Einakter ausmacht, vermischt eine anthropologische und eine historische Dimension. Es wird zum Beispiel die menschliche Unfähigkeit angesprochen, dem wissenschaftlichen »Taumel« emotional und kognitiv angemessen zu begegnen: »Seid doch nicht kindisch!«, warnt der alte Teichi vor der Forschungsexpedition, »[w]er wird euch hören, wenn die Bombe die Hölle entfesselt? […] Wer euch beachten im Taumel der Begeisterung, die die neuen Erkenntnisse der Bombenkonstrukteure auslösen werden?« (17). Aber auch die Perspektive des Gedächtnisses und die Problematik des Nicht-vergessen-Wollens werden in den

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Dialog eingeflochten. Bedauert wird das unsägliche Leid, das Japan nach der Explosion hat ertragen müssen. Die erste Atombombe hat Kosugas Vater »ruiniert. Die Augen zerstört, der Körper zerfressen von der Strahlung, die Haut schwärig, mit Blasen bedeckt. Was bin ich weiter als ein stinkendes Bündel fauliges Fleisch! So sieche ich dahin seit zwölf Jahren« (15). Aber »die Bombe über Hiroshima«, die Bombe, »die Hunderttausend tötete und noch mehr verstümmelte« (13), wird auch im Zusammenhang mit den »neuen Bomben« thematisiert: »Nein, es ist kein Krieg«, erklärt der Sohn dem Vater. »Es sind neue Versuche, weißt du, mit neuen Bomben. Das sind andere, als die du in Hiroshima kennengelernt hast« (ebd.). Gegen diese ›neue‹ »fressende Pest der Strahlung« (24) Widerstand zu leisten und ein anderes, ebenfalls neues, Japan vorzubereiten, ist die Absicht des Protagonisten und seines Autors, für den der Verzicht auf private Wünsche und Interessen kein zu hoher Preis ist, um den Frieden in der Welt zu erreichen. Der kollektive Kampf setzt die Entsagung und die Bereitschaft zum Abschied voraus. Daher trägt das Drama im Titel auch keinen bestimmten Artikel. Denn es ist nicht ›der‹, sondern – wie Rudolf Mirbt im Nachwort betont – ›ein‹ Abschied, der allen (den Rezipienten einbegriffen) gleichermaßen gilt: »den Russen, den Amerikanern, den Engländern, den Franzosen und uns«.379 Also nur einer der vielen ›Abschiede‹, die folgen werden, wenn sich die gesamte Menschheit von der gerechten Sache überzeugen lässt. Auch darin sieht Pfeiffer die mahnende Aufgabe des Intellektuellen und dessen vermittelnde und bewusstseinsbildende Funktion im atomaren Zeitalter. Ingrid Försterling: Junge Volkskünstler proben für die Arbeiterfestspiele. Das »Studio 69« bereitet seine 39. Inszenierung vor. In: Neues Deutschland, 15. Februar 1986, S. 8. Hans Pfeiffer : Ein Abschied. Von dem heldenhaften Protest des japanischen Reisbauern Kosuga gegen die Atomversuche auf den Weihnachtsinseln. Kassel und Basel 1958. Lutz Pretzsch: Ein breites Repertoire, alles in eigener Regie. »Studio 69« beim III. Volkskunstfestival dabei. In: Berliner Zeitung, 26. April 1985, S. 7. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 50.

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Autor : Hermann Rossmann (1902–1983) Darbietungsform: Drama in drei Akten Uraufführung: Voraufführung 11. Oktober 1957, Wagnerschule Ulm; UA: 18. Oktober 1957, Städtische Bühne Ulm 379 Rudolf Mirbt: Nachwort an die Spieler. In: Hans Pfeiffer : Ein Abschied (Anm. I, 67), S. 31.

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Ort: Flughafenlazarett auf einer Südseeinsel Zeit: Gegenwart

Zunächst als Hörspiel für den Hessischen Rundfunk konzipiert,380 wurde Hermann Rossmanns Experimentalstück Testflug B 29 am 11. Oktober 1957 in der Wagnerschule Ulm vor einer Schülerschaft fast privat uraufgeführt. Die zirka 16bis 20-Jährigen drückten ein begeistertes Urteil vor allem über den antimilitärischen Appell des Dramas und daher den Wunsch aus, dass ein kostenloser Besuch allen Angehörigen der Bundeswehr gestattet würde. Einen durchaus positiven Widerhall fand eine Woche danach auch die offizielle Uraufführung in vielen baden-württembergischen Zeitungen, welche am Stück die Themenstellung, »die ethische Botschaft«, »die Ehrlichkeit der Auseinandersetzung« und zugleich die »echte, gewachsene, sprachliche Formsicherheit« rühmten.381 Rossmanns Schauspiel ist eine interessante Variante des in der Theaterliteratur der Zeit weitverbreiteten Motivs des Hiroshima-Piloten (Teil I, Abschnitt 2.3). Die berüchtigte Boeing B 29, die am 6. August 1945 die erste Atombombe über Hiroshima abwarf und in den Atomdramen der vierziger und fünfziger Jahre als Symbol der Zerstörung immer wieder erwähnt wurde, tritt hier bereits im Titel in Erscheinung und wird im expliziten Zusammenhang mit der beschwörenden Aufforderung genannt, die als Zusatz in Klammern erscheint: nie wieder! Das ist keine bloße Ergänzung, sondern ein notwendiger Bestandteil des Stücks, der die mahnende und belehrende Intention des Autors gleich erkennen lässt und als Aufruf gegen die Verwendung moderner Waffen, gegen Nuklearversuche und Testflüge verstanden werden will. Obwohl aber das Spiel ein aktuelles politisches Problem dramatisiert, ist die Anlage des Textes weniger dokumentarisch als vielmehr psychologisch und halluzinativ. Experimentell ist in dieser Hinsicht Testflug B 29 auf verschiedenen Ebenen: Thematisch verbindet das Drama in der Hauptfigur des amerikanischen Piloten Jon Gestern und Heute, Kriegs- und Zeitgeschehen, verbrochene Schuld und immerwährende Reue; formal verschmelzen miteinander Realität und Imagination, gespielte Handlung und onirische Elemente. Das Stück spielt in einem Flughafenlazarett in den Jahren nach dem ersten Bombenabwurf auf Japan. Hier wird der tüchtige Oberst der US-Luftwaffen Jon nach einem allen unbegreiflichen Flugzeugabsturz eingeliefert. Den realistischen Rahmen bilden die drei Figuren im Krankenhaus, die sich auf verschie380 Unter dem alleinigen Titel Nie wieder. Erstsendung am 7. Juli 1957. Als Nie wieder wurde es dann auch als Hörspiel vom ORF-OO am 14. Oktober 1958 ausgestrahlt. 381 Die hier zitierten Äußerungen – die entsprechend der Reihenfolge ihrer Erwähnung im Text in folgenden Zeitungen belegt sind: Mannheimer Morgen, Stuttgarter Zeitung und Ulmer Nachrichten – sind der bei Ahn & Simrock verlegten Manuskriptausgabe entnommen: Hermann Rossmann: Testflug B 29. (Nie wieder!) (Anm. I, 3), erste drei nicht nummerierte Seiten nach dem Titelblatt. Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden auch zitiert.

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dene Weise um ihn kümmern: Erstens der Kommandant, der den Verlust der teuren Maschine beklagt (»Da sind wieder allerhand Dollars verheizt!«, 4) und mehr als alles will, dass sein Fliegerass »wieder verwendungsfähig« wird, »ganz gleich, wie, nur rasch!« (6); dann der Arzt und die Krankenschwester, die dem Protagonisten durch sofortige Operation das Leben zu retten versuchen. Zwischen den Szenen im Lazarett liegen – als retrospektive Interferenzen, die den zeitlichen Sprung in die Vorgeschichte des Dramas markieren – die introspektiven Sequenzen des Fliegers, die sein tragisches Schicksal und den ganzen Ballast seiner schrecklichen Verantwortung theatralisieren. Das ästhetische Prinzip – aber auch die Kraft, welche die Dramenhandlung antreibt – ist gerade die kühne Fusion von Innen und Außen, die ohne Unterbrechung ineinander übergehen. Sie ermöglicht dem Zuschauer die simultane Ansicht des konkreten Handlungsraums und des Deliriums, in das der Pilot nach dem Unfall versinkt und bei dem er in bewusstlosem Zustand die Stationen seiner Qual noch einmal durchläuft. In visionären Bildern und Figuren zieht sein Leben an ihm vorüber. Und alles nimmt auf der Bühne zugleich reale und traumhafte Gestalt an. Die Personen im Operationssaal verwandeln sich für den kranken Piloten in Figuren seines wirklichen Lebens – der Arzt in den Vater, den Professor, den Prior und in einen japanischen Doktor ; die Krankenschwester in die ehemalige Frau und eine in Japan kennengelernte Krankenschwester ; der Kommandant in den General und in den Major (immer mit dem gleichen Darsteller in den entsprechenden Rollen). Das Atombombenmotiv wird sofort durch die Anspielung auf Eniwetok eingeführt, wo die USA 1952 die erste thermonukleare Bombe zündeten. Auf der Pazifik-Insel, wo die ganze Handlung spielt, habe eine fremde, unnatürliche Flora Wurzeln geschlagen. Gleicht taucht das Bild der pilzförmigen Wolke auf, das seit Carons berühmtem Foto des aufsteigenden Pilzes über Hiroshima zum Haupticon der Auslöschung geworden war :382 »Ein netter, neuer Atompilz, in dieses ›Paradies der Südsee‹ hier gepflanzt. – Wäre nicht der erste Sündenfall, nur wahrscheinlich folgenschwerer als der erste« (2). Damit stellt der Text von Beginn an einen expliziten Nexus her zwischen Bombe und Schuld, zwischen Atomenergie und Verkehrung der Natur in Unnatur. Bereits im ersten Gespräch, vor der Ankunft des noch unbekannten Piloten, fallen Worte wie »Sünde« und »Massenmord« (2). In der Frage des vor Ankunft des Patienten noch nichtsahnenden Arztes, ob die Krankenschwester »etwa dem Mann die Hand geben« würde, »der die Bombe auf Hiroshima warf«, kündigt sich inhaltlich schon das grundlegende Thema des Dramas an. Als »Henker« (3) wird hier solch ein Mensch ohne Umschweife etikettiert und als solcher verdammt. Aber der Zufall spielt ihnen einen unheimlichen Streich. Der nun im Sterben liegende Mann ist 382 Zur Geschichte und Mediatisierung der Pilzikone s. Anm. I, 383.

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kein anderer als der Hiroshima-Pilot, der als Sühne für den Bombenabwurf einen Selbstmordversuch unternahm. Der Zuschauer bekommt Jons Visionen vorgeführt. Sie sind von seinen Gewissensskrupeln, seinem Leidensweg und seiner Reue geprägt, von der vergeblichen Suche nach Buße und Ruhe, die sich, wie bei Becsis Piloten Thomas,383 im Rückzug ins Kloster zeigt, wo aber der Fluch der Vergangenheit ihn nicht loslässt und das Schuldgefühl zum halluzinatorischen Bild unaufhörlicher Flugzeuggeräusche wird: Prior : Es läutet zum Gebet. – Hier, mein Sohn, – – deine Zelle. […] Hier wirst du den Frieden finden, den du suchst. […] (11) Jon: Friede! Friede sei mit dir! – Woher soll der Friede kommen? – (er wirft sich auf die Knie) Herrgott, Gekreuzigter, woher soll Friede kommen? […] (nimmt die Hände von den Augen und lauscht) Im hohen Himmel? – (lauscht) Da ist es wieder! – Es kommt! Es kommt näher! Ich will’s nicht hören, ich will nicht! […] Und ich höre es doch! Immer noch! Vater! – Vater – Hilf mir! […] Ich kann nicht mehr! – Ich kann nicht mehr! (12–13)

Während er im Kloster versucht, zu Gottvater zu beten, dringen in seinen Kopf die Worte des begeisterten Reporters ein, der triumphierend den Erfolg des Bombenabwurfs verkündet. Mit nahezu religiösem Eifer berichtet dieser vom ersten Abwurf (für den Rossmann irrtümlich die Uhrzeit 9 Uhr 15 nennt), der Hiroshima wie eine ›Mücke‹ totschlägt: Reporter : Der große Augenblick war da. Der Oberst hob die Hand. Der Bombenschütze klinkte aus. Die Bombe fiel. General: Wann geschah der Abwurf ? […] Reporter : Uhrzeit null neun fünfzehn, heute morgen. Hiroshima liegt friedlich schimmernd unter einem klarblauen Morgenhimmel, ahnungslos, geschäftig, von Menschen, Autos und Trams wimmelnd, wie irgend eine andere beliebige Stadt auf dieser Erde, – – und rascher als es irgendjemand aussprechen könnte, – ein Zehntel eines millionsten Teils einer Sekunde später, – ist es von einer berstenden Feuerwolke verschlungen, – so, als habe es niemals da unten eine Stadt mit einigen hunderttausend Einwohnern, namens Hiroshima, gegeben. (Er schlägt sich auf den Schenkel) Wie man eine Mücke totschlägt, – aus! (18–19)

Das Bild, das seine Phantasien obsessiv beherrscht, ist aber die Enola Gay : »Jeden Augenblick muß sie eintreffen, die Enola Gay […]. Da ein Flugzeug! – […] Die Enola Gay! – Unverkennbar, es ist die Enola Gay! […] Die Enola Gay setzt zur Landung an« (14–15). Ein Liedchen über das Flugzeug, das als Kristallisationspunkt aller Schuld fungiert, beendet den ersten Akt.384 Es ist aber 383 Zur Figur von Thomas Fereebe/Foreebe in Kurt Becsi Drama Atom vor Christus s. Teil II, Abschnitt 25 und Anm. II, 151. 384 »Wir fliegen mit der Enola Gay / nach Hiroshima – nach Hiroshima – / o kay – o kay – / It’s a long – long way, / a long – long way / nach Hiroshima – nach Hiroshima – / o je – o je! / Kennt ihr das lustige Mädchen, / Enola Gay – Enola Gay – / wir fliegen zu einem Städtchen, / nach

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nicht so sehr die allgemeine Bedrohung, die hier im Mittelpunkt steht, sondern das individuelle Verhalten zu sich selbst und dem eigenen Gewissen. Im zweiten Akt gewinnt dieses Verantwortungsmotiv einen zusätzlichen Akzent. Nicht allein der Pilot, sondern auch der Arzt sieht sich vor eine schwierige Wahl gestellt. Als ihm der Kommandant die wahre Identität des Piloten enthüllt, peinigt das Gewissen auch seine Seele. Der Arzt schwankt zwischen der beruflichen Pflicht und der Pflicht der Menschheit gegenüber. Soll er dem glorreichen Hiroshima-Helden, der gewiss weitere Aufträge erhalten würde, durch die Operation eine erneute Chance zum Töten geben? Das Geflüster des sterbenden Piloten lässt aber keinen Zweifel an der Echtheit und Tiefe seiner Reue sowie an dem schmerzlichen Läuterungsprozess, den er durchgemacht hat. Im Zustand der Betäubung schweben allerlei Bilder an ihm vorbei: Seine Frau Ann, die ihm Blindheit vorwirft und ihn deswegen verlässt (»Meine Frau hat mir zuerst die Augen geöffnet«, 62), die Eltern, die den Sohn als »Massenmörder« (43) verstoßen, und viele japanische Figuren. Aber es ist vor allem in Hiroshima, wohin ein jäher Szenenwechsel Jon in seinen Alpträumen führt, dass sich der Pilot der apokalyptischen Tragweite seiner Handlungen bewusst wird. In den Gesprächen mit dem japanischen Professor – der die amerikanische Ideologie als antijapanische Einstellung entlarvt – begegnet dem Piloten das elende »Nachbleibsel der Atombombe« in den für diese Darstellungen charakteristischen Bildern der atomaren Verstümmelung der Körper : Es sind Kinder »ohne Gesicht […] ohne Hände – ohne Füße – ohne Münder – sogar einige ohne Hirn!« (49); es sind Frauen, denen die Lichtwirkung der Explosion die Muster dunkler Chrysanthemen in die Haut brannte, »sozusagen als Souvenir« (51). Es tauchen auch die häufigen Metaphern aus dem semantischen Feld des Feuers in allen möglichen Verbrennungserscheinungen auf,385 die sein Gedächtnis in Verbindung mit apokalyptischen Vorstellungen plagen (»so ungefähr habe ich mir den Weltuntergang vorgestellt!«, 32). Und es fehlt auch nicht der Bezug auf die japanischen Fischer, »die in die radioaktiven Schwaden der letzten Versuchsexplosion gerieten« (51). Die Gewissheit, dem unaufhaltsamen Rüstungsprozess keinen Einhalt gebieten zu können, führt Jon in den Tod. Im Halbschlaf erscheint ihm die Figur des Generals, der das »ganz gewöhnliche, hirnlose Pazifistengewäsch« (61) baHiroshima – nach Hiroshima – / den Japsen, denen wird weh, / so weh! – so weh! / Three cheers for the Enola Gay! – « (24–25). 385 »Ein blutroter Funke […] wie ein glimmender Streichholzkopf. Aber das Streichholz zündete. […] eine Feuerkugel […]. Und dieser Feuerball […] der explodierte plötzlich […] eine riesige Masse von Flammen und brennend roten Wolken […] wie eine ungeheuerliche, glühende Qualle […] unter diesem riesigen Wolke von Flammen« (30–32); »daß der Blitz in jeden Augenblick niederfahren kann, uns vernichten, versengen, verbrühen, zu Asche brennen« (71).

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gatellisiert. Dieser wollte den zögernden und unschlüssigen Piloten zur Entscheidung drängen. Sie wollen sich die Hände nicht schmutzig machen […] Sie waschen Ihre Hände in Unschuld […] Aber hören Sie gut zu: die drüben – die haben jetzt die Bombe auch! […] Wer wird verhüten, daß die sich an uns die Hände schmutzig machen […]! Oberst, wollen Sie zuschauen, wenn das einmal auf unsere schutzlosen Frauen und schuldlosen Kinder niedergeht? […] Wenn wir das verhüten wollen, gibt es nur einen einzigen Wege: weitermachen! – Noch mehr Bomben, – noch größere Bomben! […] Überlegen Sie sich’s! Überlegen Sie sich’s genau, Oberst! Aber überlegen Sie nicht zu lange! Es brennt! (63–64)

Doch kann Jon »kein Flugzeug mehr hören, […] keine Frau im bunten Kleid mehr ansehen, […] keinen spielenden Kindern zuschauen, […] in keinen Babywagen mehr sehen«, keine »Höllenbombe« (68) mehr werfen. Rossmann lässt ihn den schmerzlichen Vorsatz, nicht ›weiterzumachen‹, konsequent durchführen. Der Tod am Ende des dritten Akts besiegelt den Sieg des Geistes. Der verzweifelte Einsatz des Arztes hat das Leben des Schwerverletzten nicht retten können. Doch »vielleicht ist er«, in seinem faustischen Kampf mit sich selbst, »gerettet« (76), wie der Doktor nach der Operation sagt. Und mit ihm ›vielleicht‹, freilich nur vielleicht, auch die Zukunft der Menschheit. Damit gewinnt bei Rossmann Jons Selbstmord einen entschieden sakralen Aspekt: er stellt die moralische Überwindung der sinnlosen massenvernichtenden Barbarei dar, die die Menschheit befallen hat, und rechtfertigt deshalb die Hoffnung des allerletzten Aufrufs, mit dem das Dramenende an den Titel anknüpft und den Zirkel schließt: »Nie wieder! – Nie wieder!«. O. A.: Testflug B 29. In: Hamburger Abendblatt, 25. September 1958, S. 7. Hermann Rossmann. In: Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, unter URL: http://www.munzinger.de/document/00000004040. Hermann Rossmann: Testflug B 29. (Nie wieder!). Hamburg [vermutlich 1957/58].

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Günther Weisenborn: Göttinger Kantate. Den Aufruf der achtzehn Wissenschaftler und die großen Gefahren unseres Jahrhunderts szenisch darstellend, als öffentliche Warnung niedergeschrieben (1958)

Autor : Günther Weisenborn (1902–1969) Darbietungsform: 22 Bilder Uraufführung: 18. Mai 1958, Stuttgarter Liederhalle Ort: Westdeutschland Zeit: April 1957

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Als antifaschistischer Widerstandskämpfer musste der rheinische Dramaturg und Drehbuchautor Günther Weisenborn Zensur und Verhaftung erleiden, seine Bücher wurden von den Nationalsozialisten verbrannt, sein Name tauchte in der Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums auf.386 Seine politische Einstellung trieb ihn ins Exil: 1936 emigrierte Weisenborn nach Argentinien und dann als Reporter nach New York, kehrte aber bald nach Berlin zurück, wo er unter Pseudonym schreiben musste.387 Dort kooperierte er mit der von der Gestapo als ›Rote Kapelle‹ gebrandmarkten Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen.388 Infolgedessen saß er drei Jahre im Zuchthaus, aus dem ihn die sowjetischen Truppen erst 1945 befreiten. Mit unverändertem Mut widmete er sich nach Kriegsende seiner schriftstellerischen und kritischen Tätigkeit: In Berlin, wo ihm in den späten zwanziger Jahren auch Brecht und Piscator begegnet waren, gründete er das Hebbeltheater und gab, zusammen mit Herbert Sandberg, die kurzlebige Satire-Zeitschrift Ulenspiegel heraus, mit der bedeutende Vertreter der Nachkriegsliteratur zusammenarbeiteten, wie Wolfgang Weyrauch und Günter Kunert. Doch auch diesmal musste Weisenborn Druck und Kontrolle erleben, die Ostberliner Zeitschrift wurde der SED bald suspekt und der Dramatiker zog in die Bundesrepublik, wo er Chefdramaturg in Hamburg wurde. Aber das starke politische Engagement, mit dem er bereits im Nationalsozialismus und in der DDR hervorgetreten war, prägte auch nach dem Umzug nach Westdeutschland sein Theaterschaffen weiter. Lebenslang war und blieb er, wie Ernst Schumacher in seinem Nachruf für die Berliner Zeitung betonte, ein ›Partisan des Friedens‹.389 Als am 12. April 1957 18 namhafte Wissenschaftler auf Adenauers Pressekonferenz über die »taktischen« Atomwaffen als eine Form von »Weiterentwicklung der Artillerie«390 mit dem öffentlichen Appell reagierten, der als Göttinger Erklärung bekannt wurde, befand sich Weisenborn unter den zahlreichen Intellektuellen, die an den imposanten Antiatomkampagnen teilnahmen. Den Aufruf der sogenannten Göttinger Achtzehn setzte er in die szenischen Bilder der Göttinger Kantate um, das erste der zwei thematisch und ideologisch eng 386 Vgl. Helmuth Heyer : 10. Mai 1933. »Ehrentag der freien deutschen Literatur«. In: Bonner Geschichtsblätter 51/52 (2001–2002), S. 285–328, hier S. 319. 387 Er veröffentlichte als Christian Munk und als Eberhard Foerster. 388 Zu diesem bis heute noch relativ wenig erforschten Thema vgl. Hans-Peter Rüsing: Das Drama des Widerstands: Günther Weisenborn, der 20. Juli 1944 und die Rote Kapelle. Frankfurt a. M. 2013. Zum ›Gestapo-Mythos‹ der Roten Kapelle s. auch Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges: Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes ›Rote Kapelle‹. Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission. Berlin 2016. 389 Vgl. Ernst Schumacher : Er war einer der »Partisanen« des Friedens. Zum Tode von Günther Weisenborn. In: Berliner Zeitung, 28. März 1969, S. 6. 390 Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1957 (Anm. I, 43).

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miteinander verknüpften Stücke, in denen sich Weisenborn mit atomarer Bedrohung und Wiederaufrüstung in Deutschland direkt auseinandersetzte.391 Ostentativ und programmatisch wird die Göttinger Kantate »als öffentliche Warnung niedergeschrieben«, wie der Untertitel angibt. Weisenborns Hoffnung auf Wirkung seines Appells ist in der Widmung direkt und klar ausgesprochen: Das Stück ist ausdrücklich »all jenen zugeeignet, die irgendwo in der Welt aufstehen und ihr Wort für die Menschlichkeit erheben«.392 Diesem Imperativ zufolge wurde die Kantate zum Auftakt des Stuttgarter SPD-Parteitags am 18. Mai 1958 uraufgeführt, die Regie übernahm Weisenborns langjähriger Freund Erwin Piscator,393 die Musik komponierte Piscators Mitarbeiterin Aleida Montijn. Eine geschlossene Voraufführung hatte kurz vorher schon die IG Metall in der Berliner Kongresshalle für die Gewerkschaftsmitglieder mit Erfolg veranstaltet. Doch das veränderte politische Klima, das auf die Wende der SPD im Thema Rüstungspolitik und auf das Verbot der Volksbefragung über Atomwaffen seitens des Bundesverfassungsgerichts 1958 folgte, erschwerte weitere Aufführungen. Weisenborns gesprochen-gesungener Bühnentext fand eine geteilte Aufnahme, Akklamation, aber auch viel Ablehnung, vor allem im Westen. Der Spiegel schrieb harte Worte gegen das Proteststück und der Rezensent beanstandete, dass es eine »Atom-Tod-Moritat im Holzhammer-Stil«394 sei. Der Autor antwortete mit einem Leserbrief, in dem er die feindseligen Urteile auf den »herrschenden Belagerungszustand gegen die Linke« zurückführte. Die Kantate selbst habe aber »nichts mit Parteidingen zu tun«. Sie diene »ausschließlich der Bewegung gegen eine nukleare Aufrüstung«.395 Durch den eindringlichen Rückgriff auf wahre Berichte wollte Weisenborn vor allem die historischen und gesellschaftlichen Zustände rekonstruieren, in denen sich die 1957 gestartete Aktion ›Kampf dem Atomtod‹ entfaltete und sich gegen das Vorhaben der

391 S. unten: Günther Weisenborn: Die Familie von Nevada / Die Familie von Makabah (Teil II, Abschnitt 55). Zu den beiden Stücken vgl. Emilia Fiandra: »Ist Ihnen bekannt, daß sechs Wasserstoffbomben genügen, um die ganze Bundesrepublik in einen Atomsumpf zu verwandeln?«. Günther Weisenborns Stücke gegen die nukleare Aufrüstung. In: Studia Theodisca XXIII (2016), S. 71–88. 392 Günther Weisenborn: Göttinger Kantate (Anm. I, 38), S. 13. 393 Vgl.: Erwin Piscator: Das ABC des Theaters. Literarische Tradition. Hrsg. und mit einem Nachwort von Rudolf Wolff. Berlin 1984, S. 62 und 69. 394 O. A.: Revolte im Parkett. In: Der Spiegel, 28. Mai 1958, S. 20: »Es waren halbe und ganze Wahrheiten mit ganzen und halben Unwahrheiten durcheinandergerührt, in der Manier der roten Theater-Avantgardisten aus den frühen zwanziger Jahren gestammelt«. In demselben Heft veröffentlichte Der Spiegel auch einige ›Leseproben‹ aus der Kantate: Die Partei ist die Kultur. Leseproben aus der »Göttinger Kantate« von Günther Weisenborn (S. 23). 395 Zit. in: Sibylle Hentschke: Nachwort zu: Günther Weisenborn: Göttinger Kantate (Anm. I, 38), S. 67–74, hier S. 73.

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Bundesregierung richtete, die Bundeswehr mit Nuklearwaffen auszurüsten.396 Gerade mit Blick auf diesen grundlegenden politischen Aspekt des Werks hat Mingyi Yuan in ihrer Studie Zwischen dramatischer Ballade und Dokumentartheater. Bühnenstücke von Günther Weisenborn die besondere Rolle der Göttinger Kantate für die Entwicklung des ganzen Dokumentartheaters zu Recht betont.397 Inhaltlich ist das Werk ein Anklageakt gegen den Prozess der Remilitarisierung und deshalb auch mit vielen dokumentarischen Einschüben versetzt. Der Handlungsablauf ist in nummerierte kurze Abschnitte eingeteilt, die anhand des Göttinger Appells die Entstehung der Atombombe, ihren Einsatz und die zunehmende Drohung der Nuklearpolitik vergegenwärtigen. In der formalen Gestaltung ähnelt aber das Spiel eher einem Oratorium, das Sprache und Musik verbindet und einen fast liturgischen Charakter hat, wie der Eingangsgesang (»Introitus«, 15–16) und der Gebrauch der Kanzel in der Choreographie deutlich zeigen. In seiner Gesamtheit bietet der Text eine eigenartige Montage aus Manifest-Passagen, Zeitungsartikeln und Zitaten aus politischen Reden, vermischt mit Projektionen und lyrischen Balladen. Musikalische Einlagen schalten sich in die Darstellung unterstützend ein. Die Kantate besitzt eine argumentative Dynamik, die sich aus dem Wechselverhältnis zwischen Wissenschaftlern und Politikern – die im Stück als ›Hersteller‹ und ›Handhaber‹ auftreten – ergibt. Eingeschobene Kommentare des ›Berichters‹ erläutern das Geschehen. Damit suggeriert das Stück eine dialektische Auslegung der Geschichte der Kernenergie, bei der der wissenschaftliche Fortschritt seine Kehrseite in den Interessen der Machthaber hat. Einerseits werden Physiker wie Einstein, Chadwick, Fermi, Straßmann, Hahn, Meitner, Bohr und Joliot-Curie lobend genannt (20): »In unserem schwer atmenden Jahrhundert / nahmen sie Jahrhunderte voraus / durch Denken, Experiment und Erfahrung« (21). Andererseits sprechen sich die Handhaber – als Exekutivkräfte der politischen Ordnung und als Verfechter der Staatsverteidigung – von jeder Schuld frei: 2. Handhaber : Wir vertreten die Politiker dieser Welt, […] Wir dienen als… Die Handhaber : …Präsidenten Andere Handhaber : …Minister …Staatsekretäre …Generäle 2. Handhaber : wie oben … dem Wohle unserer Völker an verantwortlicher Stelle. (19)

396 Vgl. dazu Raimund Kurscheid: Kampf dem Atomtod! und »Kampf dem Atomtod!«. Die Protestbewegung 1957/58 in zeithistorischer und gegenwärtiger Perspektive (Anm. I, 49). 397 Mingyi Yuan: Zwischen dramatischer Ballade und Dokumentartheater. Bühnenstücke von Günther Weisenborn. Mit einem Vorwort von Volker Klotz. St. Ingbert 2002.

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1. Handhaber : […] Wir brauchen eine ausreichende Verteidigung, sonst sind wir schutzlos den Drohungen gegenüber. […] Die Handhaber : Jawohl! Verteidigung! (29)

Aber auch die Hersteller fühlen sich für den schrecklichen Lauf der Dinge nur halb verantwortlich, sie wurden »einfach gezwungen, die große Bombe zu bauen« (22), lautet die Entschuldigung der Wissenschaftler. Dabei kommt auch bei Weisenborn jene im Genre der Atomdramen oft thematisierte Diskrepanz von Idee und Ergebnis zum Vorschein, die einige Jahre später Dürrenmatts Newton am Bild der Glühbirne, die letzten Endes jeder Esel zum Leuchten zu bringen vermag, so eindrucksvoll veranschaulichen wird.398 Fast parallel dazu heißt es in der Kantate: »Die Erfindung überwältigt die Erfinder« (22). An einer anderen Stelle formulieren die Hersteller den im moralisch fragwürdigen Handeln des Wissenschaftlers verankerten Gewissenskonflikt noch bündiger : »Viele lobenswerten Absichten haben Krieg entfacht. / Den Absichten des Menschen steht der Effekt / oft erstaunlich fremd gegenüber« (55). Verwirrend überlagern sich hier Vorhaben und Folgen, Forschung und Anwendung, Gebrauch und Missbrauch. Und allen in den Prozess involvierten Akteuren ist auch der wiederholt beteuerte Motivkomplex von ›Angst‹ und ›Drohung‹ gemeinsam. Nicht zufällig sind dies auch – zusammen mit ›Sorge‹ – die am häufigsten gebrauchten Wörter in der Kantate. Angst ist ein konstanter Zustand der Unsicherheit, die seit der Kernspaltung herrscht. In ihr scheinen auch Sorge und Unruhe der Völker fundiert zu sein: Handhaber : Die Politiker aber im Kriege verwickelt forderten die Bombe, und Militär ließ aus dem kobaltblauen Himmel Japans zwei gezielte Atombomben auf zwei Städte niedersinken Sprecher: Seit dieser Stunde aber leben Hersteller : die Hersteller in Sorge, Handhaber : die Handhaber in Angst Sprecher: … und alle Völker dieser Erde Chor: … in Unruhe. (15–16)

Aber die Atomangst besitzt dann auch die unheimliche ›Fähigkeit‹, sich von ihren Ursachen zu autonomisieren: In der kühnen katachrestischen Wendung der »bleiche[n] Angst«, die »durch die blühenden Provinzen der Welt« (25) läuft, überträgt sich ihre Wirkung auf die Erscheinung selbst. Das beklemmende Hintergrundgeflüster »Angst… Angst… Angst… Drohung« (19) wird im Text 398 S. Teil II, Abschnitt 66.

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mehrmals vernehmbar. Und während die Hersteller zugeben müssen, sie »arbeiten weiter… aber in Sorge… Sorge… Sorge« (20), täuschen die Handhaber die Bevölkerung mit falschen Beschwichtigungen: »Keine Beunruhigung, keine Sorge, keine Angst! / Wolken sind nichts als Regen, ungefährlich…« (36). Der Angst-Begriff grenzt also einen Bereich ab, der unterschiedliche Elemente des sozialen, historischen und politischen Systems enthält. Die Besorgnis der Menschen um ihre Zukunft ist erstens aus ihrer Geschichte heraus zu verstehen (»Nicht lange nach dem ersten Weltkrieg / entstand aufs neue Angst in der Welt, / jene Angst, die Drohungen produziert«, 17). Seit Hitlers Machtergreifung ist Angst »ein Gespenst in der Welt: Angst, / die Angst vor jenem verwilderten Volk, / das ein Land nach dem andern überfiel« (21). Die Angst hat die Nachkriegsgeschichte über Jahre hinweg geprägt und selbst Gewalt erzeugt. Angst zieht gegenseitiges Misstrauen nach sich, setzt also einen Teufelskreis in Gang, mit dem der Domino-Effekt der internationalen Politik rechnet: Die Großmächte »leben in Angst voreinander«, und die Angst wird als Drohung instrumentalisiert. »Die Tochter der Angst heißt Drohung«, so die Handhaber, »[d]arum benützen wir sie« (19). Die Gleichsetzung der Angst mit Bomben und Krieg liegt auf der Hand. Sie ist ja »das Ziel« schlechthin, wie der Titel der neunten Szene deutlich ankündigt: Überall wachsen düstere Atombasen […] überall bereitet man sich emsig auf den Atomkrieg vor. Bomben sind genügend da. Der kalte Krieg ist da. Die Angst ist da. Die Drohung ist da. (27)

Der Chor kommentiert die eskalierende Phase der Weltkriege und die Perfektionierung der »Tötungstechnik« (16, 17), skandiert die unheilvollen Jahre der Geschichte: »1918!«, »1945…« (17–18), begleitet stöhnend und singend Reden, Ausrufe und Rezitative, während ein »Blutpegel« die Millionen Toten mehrmals im Text anzeigt. Der ›Berichter‹ macht sich zum Wortführer des Verfassers, zum Sprecher seiner Fragen (»Und die Entwicklung geht weiter – wohin?«, 18) und wendet sich direkt mal an das Publikum, mal an die dramatis personae selbst: »Ich rufe die Regierungen, die Männer, die über die Bombe verfügen, die Handhaber der Bombe« (18). Er wechselt sich mit der Figur des ›Instruktors‹ ab, so dass die beiden den Atomkriegsverlauf mit detaillierten Informationen ergänzen. Es wird zunächst über den »schweren Gewissenskonflikt« berichtet, in den die Atomforscher gerieten, »als im Dezember 1941 / ein Kriegsrat« beschloss, »die Atomenergie voll für den Krieg einzusetzen« (22). Hierbei weisen dann Instruktor und

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Berichter (Bild V: Die erste Anwendung) auf die militärisch neuralgischen Punkte des Japankriegs genau hin: Den Start von Okinawa, den US-Bomber über »de[m] klarblauen Sommerhimmel der Großstadt Hiroshima«, die Vernichtung von 100 000 Menschen, »davon an Kindern etwa 15 000«, die Ausradierung Nagasakis (23). In der daraus resultierenden Konstellation (wie das folgende Bild heißt) sind die Adressaten von Weisenborns Tadel »die vier Sieger«, die sich die Spaltung des besiegten Deutschlands (»die Hälften in ihren Händen: die Hälften Deutschlands«, 24) und den politischen Frontwechsel zunutze machen: »Aus dem Waffengefährten aber / war ein Feind geworden, / aus dem besiegten Feind aber / ein Waffengefährte« (24). Was aber Weisenborns Protest am meisten anstrebt, ist die Entlarvung der Angststrategie, die für ihn den kriegsorientierten politischen Diskurs in den fünfziger Jahren entscheidend mitbestimmt. In Bild VIII, Das Fabelchen vom Interessenten, wird Manipulation zum zentralen politisch-ideologischen Kampfbegriff. Dem Dramatiker liegt besonders viel daran, die Rolle der »Meinungsproduzenten« beim Erwecken unverantwortlicher Vorstellungen hervorzuheben. Was er wenige Monate später im Drama Die Familie von Makabah als »geschminkte Informationen, kosmetische Berichte«399 zusammenfassen sollte, taucht schon hier als Gefahr »listig vorfabriziert[er]« (24) Meinungen auf. Bei diesem Prozess der Meinungsbildung stellt der Autor eine demagogische Beeinflussung der Gedanken fest, die sich in dem folgenden aggressiven »Vorstellungsschema« kristallisieren: Der sich christlich nennt, greift zur Bombe. Der Sicherheit sagt, wählt die Katastrophe. Der Freiheit sagt, lobt den Selbstmord. Der Frieden sagt, rüstet zum Krieg. (25)

Die Aufmerksamkeit wird dabei nochmals auf die Kurzsicht der Politiker gelenkt, die den geschichtlichen Ablauf »von der Angst in die Drohung, / von dort in die Rüstung, von dort in das Wettrüsten / mit der Atombombe« (30) geschickt manipulieren und dirigieren. Angst wird hier zu einer Spirale, die sich zu einem verheerenden Punkt verdichtet, in dem sie gipfelt, einem neuen Weltkonflikt. »Es ist alles bereit für den 3. Weltkrieg« (26), kündigt der Berichter an. Das imminente Risiko wird in Bild XV (Der dritte Krieg) beschrieben. Aber da können die Hersteller nur ihre Unfähigkeit bekennen, »große Bevölkerungsmengen vor dieser Gefahr sicher zu schützen« (43). Der Text geht hier mit dokumentarischen Teilen weiter : authentischen Zitaten aus Adenauers Rede und dem Göttinger Manifest (Bild XII), Tellers Äußerungen 399 Günther Weisenborn: Die Familie von Makabah. In: Ders.: Theater. München, Wien, Basel 1964–1967, Bd. 4, S. 143.

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(51), Berichte zu Nukleartests und deren letalen Auswirkungen (Bild XIII: Die sanfte Strahlung). Ungehörte Oppositionsstimmen werden genannt, wie z. B. Ossietzky, Toller, Tucholsky, Mühsam, Brecht, Hans Otto, Wiechert, Mierendorff (32), und Wissenschaftler, die zu Tausenden unter Paulings Führung (53) vor der Bombe warnten. Es wird natürlich auch an Robert Oppenheimer erinnert, der – wie all diejenigen, die »in die Atomgeheimnisse eingeweiht« sind – nunmehr »eine apokalyptische Gefahr für die Menschheit« (42) voraussieht.400 Es fehlt aber auch in diesem Teil nicht an liedhaften Einlagen, wie das didaktischmahnende Alte Lied vom alten Lehrer Leid (Bild XVI) und Die Ballade vom Bikini-Fisch (Bild XIV) über das ebenfalls in dem beachtlichen Korpus von Japan gewidmeten Atomdramen immer wiederkehrende Motiv des Unfalls des radioaktiv verseuchten japanischen Fischkutters, des Glücklichen Drachen. Die abschließende Bildergruppe ist eher politisch-theoretischer Natur und erörtert die Angstthematik in der Deutschen Diskussion (Bildtitel XVII), wo Uneinigkeit über die Lagerung von Nuklearbomben und die Vorbereitung von Vorrichtungen herrscht. Die Rekonstruktion der Debatte über »bereits neue Superbomben« (50) und die »wahnwitzigen Pläne«, die hinter sogenannten »Schutzmaßnahmen« (51) stecken, soll die Unwissenheit der Handhaber aufdecken, die Weisenborn durch den anaphorischen Gebrauch der Frage »Ist Ihnen bekannt…« (50–51) rhetorisch unterstreicht. Damit wird dem Werk der Charakter eines Verhörs verliehen (»Jawohl, ein Verhör Ihrer Vorstellungen, / Ihrer primitiven und veralteten Denkweise«, 50). In den letzten zwei Szenen bildet »die Stimme der Vernunft« den idealen Schluss der Kantate. Unter der Ägide des Göttinger Manifests – selbst ein »Manifest der Vernunft«, für das sich der Schriftsteller bei der »Elite der deutschen Atomforscher« (61) bedankt – gesellt sich zum Autor noch Einstein, der die Notwendigkeit der Warnung betont (»warnen und immer wieder warnen«), während sich Albert Schweitzer für ein Weltabkommen zum Atombombenverzicht (61) ausspricht. Im Finale ist es noch einmal der Chor, der die Widerstandsbedeutung resümierend herausarbeitet. Im Namen des »großen Plan[s] der Vernunft«, der »zwischen den Völkern Gespräche! / zwischen den Feinden Verhandlung / und Frieden für dieses Jahrhundert« (62) fordert, ruft Weisenborn mit dem wiederholten Imperativ »Widersteht!« (62–63) explizit zum Protest gegen den »kleinen Plan der Angst, der Drohung« (62) auf und bringt die musikalische Szene des Finales zu ihrem pathos-beladenen Ende. 400 Es handelt sich hier, wie auch an zahlreichen anderen Stellen des Textes, um die wörtliche Wiedergabe eines Interviews, in diesem Fall um ein Gespräch Oppenheimers mit einem Pariser Journalisten. Vgl. dazu Gerhard Gollwitzer : Globales Hiroshima oder globale Entspannung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 3 (1958), S. 433–437, hier S. 433; und Klaus Hoffmann: J. Robert Oppenheimer : Schöpfer der ersten Atombombe. Berlin, Heidelberg, New York 1995, S. 265.

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Ilse Brauer, Werner Kayser : Günther Weisenborn. Eingeleitet v. Ingeborg Drewitz u. Walter Huder. Hamburg 1971. Manfred Demmer : Vor vierzig Jahren starb Günther Weisenborn. »Menschen bewegen, ihr Leben zu ändern«. In: Kulturvereinigung Leverkusen e. V. (2009), unter URL: http:// www.kulturvereinigung.de/index.php?option=comcontent& view=article& id=241: vor-vierzig-jahren-starb-guenther-weisenborn& catid=81:literatur& Itemid=42. Emilia Fiandra: »Ist Ihnen bekannt, daß sechs Wasserstoffbomben genügen, um die ganze Bundesrepublik in einen Atomsumpf zu verwandeln?«. Günther Weisenborns Stücke gegen die nukleare Aufrüstung. In: Studia Theodisca XXIII (2016), S. 71–88. Wilhelm Karl Gerst: Kantate gegen Atomtod. In: Berliner Zeitung, 22. Mai 1958, S. 3. Bernd Heimberger : Lebenslinie literarisch. Weisenborn-Ausstellung in der Stadtbibliothek. In: Berliner Zeitung, 22 Juli 1982, S. 7. Daniel Hoffmann-Ostwald: Sein Werk hat geholfen, das Leben zu verändern. Günther Weisenborn – ein kämpferischer Schriftsteller. In: Neues Deutschland, 12. Juli 1982, S. 4. B. K.: Ort der Veränderung des Menschen. Theater-Gespräch mit Günther Weisenborn in Berlin. In: Neue Zeit, 21. November 1967, S. 4. Willi Köhler : Ein Übergang auf die Plattform des Monopolkapitals. In: Neues Deutschland, 12. August 1958, S. 4. Robert Lorenz: Protest der Physiker: Die ›Göttinger Erklärung‹ von 1957. Bielefeld 2011. Dirk Niefanger: Die Dramatisierung der Stunde Null. Die frühen Nachkriegsstücke von Borchert, Weisenborn und Zuckmayer. In: Dirk Niefanger, Walter Erhart (Hrsg.): Zwei Wendezeiten. Blicke auf die deutsche Literatur 1945 und 1989. Tübingen 1997, S. 47–70. O. A.: Revolte im Parkett. In: Der Spiegel, 28. Mai 1958, S. 20–22. Frank Overhoff (Hrsg.): Günther Weisenborn zum 100. Geburtstag. Oberhausen 2002. I. R.: Dem streitbaren Humanisten. Zum Ableben des Schriftstellers Günther Weisenborn. In: Neue Zeit, 28. März 1969, S. 2/B. Hans-Peter Rüsing: Das Drama des Widerstands: Günther Weisenborn, der 20. Juli 1944 und die Rote Kapelle. Frankfurt a. M. 2013. Hansjörg Schneider : Die theatralische Praxis Günther Weisenborns. In: Sinn und Form 20, H. 6, Berlin 1968, S. 1508–1516. Ders.: Seine Worte für die Menschlichkeit. In der Akademie: Weisenborns »Familie von Nevada«. In: Berliner Zeitung, 20. Januar 1983, S. 7. Ernst Schumacher : Er war einer der »Partisanen« des Friedens. Zum Tode von Günther Weisenborn. In: Berliner Zeitung, 28. März 1969, S. 6. Ders.: Aufrüttelnder Text wider die atomare Menschheitsbedrohung. In: Berliner Zeitung, 27. Januar 1983, S. 7. Günther Weisenborn: Göttinger Kantate. Den Aufruf der achtzehn Wissenschaftler und die großen Gefahren unseres Jahrhunderts szenisch darstellend, als öffentliche Warnung niedergeschrieben (1958). Mit einem Vorwort von Robert Jungk. Berlin 1984. Ders.: Im Zuchthaus. In: Neues Deutschland, 9. Mai 1965, S. 15. Günther und Joy Weisenborn: Wenn wir endlich frei sind. Briefe, Lieder, Kassiber 1942–1945. Hrsg. von Elisabeth Raabe. Hamburg und Zürich 2008. Mingyi Yuan: Zwischen dramatischer Ballade und Dokumentartheater. Bühnenstücke von Günther Weisenborn. Mit einem Vorwort von Volker Klotz. St. Ingbert 2002. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 55.

Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen / Sturm aus den Sonnen (1958)

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Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen. Szenen mit verbindenden Texten und einem Sprechchor gegen den Atomkrieg / Sturm aus den Sonnen (1958)

Autor : Christoph Hamm (1933–1986) Darbietungsform: zehn Szenen mit einem Sprechchor Uraufführung: 12. Oktober 1958, Studio des Leipziger Schauspielhauses Ort: Japan, Bundesrepublik, London Zeit: 1945–1958

In der Kulturforschung zur DDR wird Christoph Hamm vorwiegend als Theaterwissenschaftler und Chefdramaturg wahrgenommen; seine Tätigkeit an den Städtischen Theatern Leipzig, wo er erstmalig in der DDR eine soziologische Publikumsumfrage durchführte, wurde weitgehend geschätzt.401 Ende der sechziger Jahre brachte man seinen Namen vor allem mit der Dramatisierung von John Reeds berühmtem Roman Ten Days that Shook the World in Verbindung.402 Als Dramenautor erscheint Hamm hingegen kaum in den Literaturgeschichten, und es ist auch nicht einfach, aus Theater- und Verlagsarchiven das Schicksal seines einzigen Atomdramas zu rekonstruieren. Das Werk ist in einigen wenigen Lexika unter drei verschiedenen Titeln nachgewiesen und auch bei Premierendaten erhält man aus verschiedenen Quellen keine übereinstimmenden Angaben. Die Bühnenfassung liegt allerdings im Archiv des Leipziger Schauspielhauses vor, wo das Stück am 12. Oktober 1958 uraufgeführt wurde und bis zum 10. Juni 1959 29-mal gespielt wurde. Das Typoskript trägt den Titel Heller als alle Sonnen, aber auf dem Deckblatt ist der vermutlich ursprüngliche Titel gestrichen und handschriftlich durch den neuen Titel Sturm aus den Sonnen ersetzt. Eine Berliner ›Uraufführung‹ von Hamms Sturm aus den Sonnen ist ebenfalls in den Kammerspielen des Deutschen Theaters am 21. Januar 1961 nachweisbar.403 Sogar die Zahl der Szenen ist umstritten. In seiner Rezension zur 401 Vgl. Christoph Hamm: Publikum. Über eine Befragung an den Städtischen Theatern Leipzig und die ersten Ergebnisse ihrer Auswertung. In: Theater der Zeit (1965), H. 11, S. 23–25, und ders.: Das Gespräch. In: Theater der Zeit (1965), H. 12, S. 23–25. S. dazu auch Werner Mittenzwei u. a. (Hrsg.): Theater in der Zeitenwende (Anm. I, 10), Bd. 2, S. 237, 441. 402 Die szenische Montage 10 Tage, die die Welt erschütterten nach John Reed von Christoph Hamm wurde am 3. November 1967 im Schauspielhaus Leipzig-Städtische Theater Leipzig uraufgeführt. Vgl. Rainer Kerndl: Aus heutiger Sicht. Christoph Hamms »Zehn Tage, die die Welt erschütterten« nach John Reed in Leipzig uraufgeführt. In: Neues Deutschland, 8. November 1967, S. 6; O. A.: Politisches Engagement auf der Bühne. Das NZ-Interview der Woche. In: Neue Zeit, 16. September 1967, S. 3. 403 Dem informationsreichen Band von Wolfgang Engel und Erika Stephan: Theater in der Übergangsgesellschaft: Schauspiel Leipzig 1957–2007. Berlin 2007, S. 269, entnimmt man auch als Uraufführungsdatum den 12. Oktober 1958 bei den Leipziger Kammerspielen, während eine weitere ›Uraufführung‹ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters am 21. Januar 1961 im folgenden Lexikon nachgewiesen ist: 25 Jahre Theater in Berlin. Thea-

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Inszenierung in Berlin – die aus dem Werk nur die vier Szenen wählte, die Hiroshima galten – erwähnt der Theaterkritiker Herbert Ihering die frühere Aufführung in Leipzig und berichtet von zwölf Szenen statt der zehn, aus denen das Leipziger Archiv-Bühnenmanuskript heute besteht. Es erfolgte jedenfalls keine Veröffentlichung, ausgenommen die Auswahl von zwei Bildern, die Anfang 1959 in der Monatsschrift Neue Deutsche Literatur unter dem Titel Szenen gegen den Atomkrieg erschien.404 In seiner Kritik, einer der wenigen zum Drama, lobt Ihering die Relevanz und politische Zentralität der Fragestellung (»Es ist notwendig, daß Stücke gegen den Atomtod geschrieben werden«), unterstreicht aber unmissverständlich das künstlerische Scheitern des Autors bei der Übersetzung des Themas »in eine dichterische Sprache«, denn, so Ihering, »mit oberflächlichen Versuchen schadet man auch der politischen Bewegung«.405 Es ist in der Tat offensichtlich, dass Hamm bei seiner Darstellung bemüht war, vor allem große Emotionen zu erwecken, starke Ablehnungsgefühle gegenüber dem Gebrauch der Bombe zu provozieren. Kontrastreich entfalten sich im äußerst szenen- und figurenreichen Stück Zerstörung und Hoffnung, Trauer und Widerstand, Resignation und Zukunftsglaube. Aber gerade diese Fülle an Erscheinungen, die ein breites Spektrum aus dem Inhaltsbereich des antiatomaren Theaters abdeckt, ist besonders aufschlussreich für das Verständnis des historischen und ideologischen Feldes, in dem sich das Genre bewegt. Eingeführt durch das beständige Gegenspiel von Chor und Sprecher, die in kurzen Zwischenszenen immer wieder auftreten, bietet nämlich das Stück in dieser Hinsicht zahlreiche genrespezifiterpremieren 1945–1970. Hrsg. im Auftrag des Senats von Berlin. Bearb. von Hans J. Reichhardt u. a. Berlin 1972, S. 137. Zu dieser Inszenierung vgl. auch die Dokumente in der Deutschen Fotothek, unter URL: http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/715002 94. Das Dramenlexikon von Allgayer (Wilhelm Allgayer, Friedrich Ernst Schulz: Dramenlexikon. Bd. 2. Mit Nachtrag 1957–1960. Köln, Berlin 1962, S. 48–49) gibt hingegen für die UA das Jahr 1959 an und nennt das Werk irrtümlicherweise Heller als tausend Sonnen. Eine kurze Nachricht über Sturm aus den Sonnen / Szenen gegen den Atomtod erschien in Neues Deutschland am 28. April 1959. 404 Christoph Hamm: Szenen gegen den Atomkrieg. In: Neue Deutsche Literatur 7 (1959), H. 1, S. 109–112. Diese Szenen erwähnt auch Wolf Gerhard Schmidt in seinem umfassenden Buch über das deutsche Drama (Zwischen Antimoderne und Postmoderne, Anm. I, 10, S. 239), der aber in der Bibliographie daneben das Stück mit dem falschen Titel Heller als tausend Sonnen zitiert (also wie Allgayer: Dramenlexikon, Anm. oben), vermerkt mit der Abkürzung n. n. (nicht nachweisbar). 405 Herbert Ihering: Kunst und Theater in Widersprüchen. In: Die Andere Zeitung, 3. Februar 1961, S. 13. Als »ein Stück mit Schwächen – aber ein Stück, das Ansätze realistisch-dramatischer Konzipierung zeigt«, mit »einige[n] bemerkenswerte[n] Szenen«, bewertet der Rezensent der Berliner Zeitung das Spiel nach der Leipziger Inszenierung (Walther Pollatschek: Ein neuer Name im Theater. In: Berliner Zeitung, 25. Oktober 1958, S. 3). S. auch Klaus D. Winzer : Die falsche Sonne von Bikini. Szenen gegen Atomtod von Christoph Hamm in Leipzig. In: Neue Zeit, 15. November 1958, S. 4.

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sche Motive und Standardsituationen, von denen viele um Japan kreisen: BikiniFischer und Hiroshima-Piloten, Kernphysik-Labore und japanische Krankenhäuser, strahlenverursachte Missgeburten und Testversuche in der NevadaWüste, amerikanische Waffenpolitik und Protestaktionen. Als Kommentatoren von außen rahmen der Chor und der Sprecher die Hauptproblematik. Zwei verschiedene Auffassungen vom Schicksal der Menschheit vertretend, stehen sie schon in der Eröffnungsszene einander gegenüber. Klagt der Chor über den »vernichtenden Blitz«, über die Entdeckung, die »in der Hand des Menschen […] zum Fluch« wird, so weist die Sprecherstimme auf den »aufdämmernden Tag«406 hin, an dem der Protest den Sieg erzwingen wird. Der Friedhof im Hintergrund – mit Totengräbern, Kindersarg, heulender Frau und segnendem Pfarrer – rundet die schuldhafte Todesatmosphäre ab, die die zweite Szene mit dem Selbstmord einer Frau markiert. Im Stillen, ohne Aufsehen zu erregen, erhängt sie sich, nachdem sie von der Gemeinde gezwungen worden ist, über die Gefährlichkeit der verpesteten Luft in der Gegend zu schweigen. Kurze Szenen folgen in eiligem Wechsel und ohne Einheit des Ortes aufeinander. Gleich am Anfang findet die übliche Diskussion statt »was für Folgen Wissen haben kann« und ob die Wissenschaftler »zum Wohle der Menschheit bestimmt sind« (5). Über die Frage nach Aufgaben und Grenzen der Wissenschaft teilen sich natürlich die Meinungen der Physiker, wie das folgende in der Hauptargumentation schülerhaft wirkende Gespräch zwischen dem Professor und seinem Mitarbeiter deutlich zeigt: Älterer Mitarbeiter : So also bin ich der Meinung, daß nichts, was geschieht, in seinen Folgen überschaubar ist. Erfinde ich heute ein Gift gegen wilde Kaninchen, weiß ich morgen nicht, ob man damit Säuglinge umbringt. Professor : Also wollen Sie sagen, besser wäre, keiner erfände etwas, das geeignet sein könnte, zum Schaden der Menschen verwendet zu werden. Älterer Mitarbeiter : Abgesehen von dem Umstand, daß prinzipiell alles und jedes zum Schaden der Menschheit benutzt werden kann, will ich sagen, daß keiner, der etwas erfindet, schuldig sein wird an möglichem Unheil, das daraus entsteht. Uns kommt es zu, zu entdecken und zu erfinden, uns gebührt der Ruhm derer, die wissen. Was nachher damit geschieht, sei uns gleichgültig, muss uns gleichgültig sein. […] Professor : Und heißt es nicht, daß wir zum Wohle der Menschheit bestellt sind? Älterer Mitarbeiter: Was aber heißt »Wohl der Menschheit«? Vielleicht besteht das Wohl der Menschheit in ihrem Untergang. (6)

Im Zeichen solchen Untergangs weicht hier die theoretische Wissenschaftlerdebatte, die am Schluss des Werks zurückgenommen wird, der Darstellung eines 406 Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen (Anm. I, 86), S. 1.

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additiven Nebeneinanders verschiedener Trauerfälle. Dem dialektischen Schema von Rede und Gegenrede folgend, das das gesamte Werk entscheidend bestimmt, lässt Hamm in der nächsten Szene einen symbolischen Konflikt in der geschlossenen Welt einer amerikanischen Familie um 1945 aufflackern. Hier existiert, der Mutter ungeachtet, eine drastische Diskrepanz zwischen zwei Brüdern. John ist Bomberpilot, Charles ist friedlich gesinnt: »Beide kämpfen wir gegen den Feind. Aber es sind verschiedene Feinde« (8), erklärt Charles, der den Bruder des Mordes bezichtigt. John hat eine Bombe geworfen auf die Stadt Hiroshima und hat sie zerstört. Umgekommen sind hunderttausend Menschen und es waren wenig Soldaten darunter. John hat Kinder umgebracht, Frauen, Mädchen, Greise. Die Unvorbereiteten hat er getötet am Frühstückstisch, gemordet hat er die Ahnungslosen am Herd, und die keinen Gedanken hatten an ihr Ende hat er zerschmettert in den Strassen. (9)

In der kurzen Zeitspanne zwischen den zwei Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki kehrt der Flieger nach Hause und wird, in einem Augenblick der Reue, auf eigenen Befehl von dem pazifistischen Bruder getötet (»Schiess! […] so ist es recht«, 9). Nicht viel besser ist es um die Personen der folgenden Amerika-Szene im Jahr 1950 bestellt. Hier fungiert der Stacheldraht als Symbol der Unfreiheit, unter der die Kernphysik leidet. Als »Bollwerk gegen die rote Gefahr« manipuliert, sind die Atomwissenschaftler berufen, »der Welt die atomare Erlösung zu bringen« (11). Die Erträge dieser mörderischen Wissenschaft werden im japanischen Szenenblock zur Schau gestellt. Als Träger von Widerstandsaktionen gegen die Nuklearstrategien der Weltmächte dienen hier verschiedene Figuren, wie z. B. die Freundin des strahlenkranken Fischers in der Szene, die 1957, also nach den »Vorfälle[n] bei den Bikini-Inseln«,407 in einem Krankenhaus spielt. Klar ist, dass der Fischer, der anscheinend aufgrund seiner strahlengeschädigten Zunge zum Schweigen gezwungen ist, nur in der Befürchtung isoliert wird, er könne als negatives Exempel dienen: »Sein Leiden ist weiter nicht ansteckend«, sagt der amerikanische Arzt. »Aber das, was er spricht« (2, IV), erwidert der amerikanische Offizier. Der Autor überlässt es der jungen Braut des Fischers, zu beweisen, dass der Mann doch »nicht umsonst liege« und der Tod ja »nutzbringend« sein könne. Das Mädchen wird die Aufgabe auf sich nehmen, der ganzen Welt zu verraten, wie der Fischer »an der falschen Sonne von Bikini« gestorben ist (»und sie werden zornig sein. Das ist gut so«, 5, IV). Daraufhin verkündet der Sprecher den Einsatz eines ungeheuren Heeres von Arbeitern und Unterdrückten, das sich gegen seine Mörder aufstellen wird (6, IV). Die fünfte 407 Nach S. 21 der ersten Durchzählung im Manuskript beginnt die Seitennummerierung bei jeder Szene wieder von vorne. Hier: zweite nummerierte Seite der Szene IV. Im Folgenden wird die Seitenzahl (in arabischen Ziffern) wieder im laufenden Text zitiert, gefolgt aber von der Szenenzahl in römischen Ziffern, um Verwechslungen zu vermeiden.

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Szene auf dem japanischen Land versetzt den Zuschauer zurück in die Zeit der ersten Hiroshima-Explosion und konfrontiert ihn mit der Geburt eines missgestalteten Wesens, »dem das Hirn fehlt, und auch die Hände« (2, V). Auch hier wird die gerechte Reaktion aufgerufen: Der zornige junge Bauer, der die Frau zunächst verstoßen möchte, wird aufgefordert, sich zu fragen, wohin der »Zorn sich zu richten hat«. Die Bewusstwerdung erfolgt über die Erkenntnis der Sinnlosigkeit des Kriegs: »Schuldig an dem Geschehen ist nicht die Mutter, schuldig ist der Krieg« (3, V). Nach den Japanszenen verlagert sich das Szenarium in die Bundesrepublik. Auch hier versucht der Staat, eine Bauernfamilie durch Krieg und Nuklearpolitik schwer zu beschädigen, indem er ihr im Auftrag der Atomfernwaffendivision das Grundstück abkaufen will. Als Identifikationsfiguren des Protests fungieren dabei der Vater, der sich weigert, auf seinen Boden zu verzichten, und der abwesende Sohn, dessen Schicksal der Vater erst nach Jahren erfährt: »sein Sohn steht vor Gericht. […] Und seither sagt er voll Stolz: ›Mein Sohn‹«.408 Diesen Widerstandskampf verbindet die Bauernfamilie mit den Personen der NevadaSzene, die ihre Wut in einen kollektiven Aufstand gegen die Atomkraft plakativ umsetzen. Die Regieanweisung gibt das Jahr 1957 an. Eine bunte, aus einem Lehrer, einem Piloten, einem Pfarrer, einem weißen Arbeiter und einem Schwarzen bestehende Expedition unternimmt einen verzweifelten, zum Tode verurteilten Marsch in die Wüste, »um gegen eine neue Serie von Atomversuchsexplosionen zu protestieren« (1, VII). Dem fast metaliterarischen Einwand des Chors, dass die Auswahl der Fälle nicht repräsentativ sei (»Gezeigt hast Du, Abgesandter der Unterdrücker, / wie Deine Klasse sich sammelt. / Noch aber sprichst Du allein von der Tat, / nicht aber das Beispiel«),409 begegnet der Sprecher mit zwei weiteren Ausdrücken des Kampfes »in den Ländern der Knechtung« (ebd.). Der Kampf findet also im Westen statt. Bei dem ersten Fall erzählt ein in westdeutscher Haft sitzender Gefangener, worin seine ›Straftat‹ besteht: Er »habe in einer Versammlung der Arbeiter […] gesagt, dass die Umstellung der Produktion auf Atomwaffen ein Verbrechen ist« (1, VIII). In der anderen Szene preist ein Londoner Arbeiter die Courage des Sohnes bei einer Schweigedemonstration, die ihm vielleicht Freiheit und Karriere kosten wird. Nach solchen Mutproben, bei denen der Einzelne durch seine beispielhaften Taten ein Vorbild für seine Mitmenschen sein kann, führt uns das allerletzte Rahmenbild in das Forschungslabor des Anfangs zurück. Es erörtert wieder das Pro und Kontra der Forschung und die »Möglichkeit des Missbrauchs« (1, X), um ganz im Sinne der zahlreichen Appelle und Manifeste gegen Atomprojekte 408 Nicht nummerierte Seite, nach S. 4, VI. 409 Zweite nicht nummerierte Seite, nach S. 8, VII.

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die verantwortungsbewussten Wissenschaftler zu zelebrieren: Ihr Name ist »in jener Liste zu finden […], deren Unterzeichner von den Machthabern gehaßt werden um ihrer Friedensliebe willen« (3, X). Am Schluss enthüllt die direkte Anrede des Sprechers an den Zuschauer noch einmal Sinn und Ziel des Kampfes und endet mit einem pathetischen Lied über die wohlbegründete Angst der »Erzeuger der Wüsten« und die Kraft des Zorns: »Eure tödlichen Sonnen erregen / unseren Zorn, nicht unsere Furcht. / Eure Angst ist begründet. / Wir kommen« (4, X). Christoph Hamm: Heller als alle Sonnen. Szenen mit verbindenden Texten und einem Sprechchor gegen den Atomkrieg. Archiv-Manuskript Städt. Theater Leipzig [Titel auf dem Deckblatt: Sturm aus den Sonnen. O. J., vermutlich 1958, Bibliothek-Nr. 91]. Ders.: Szenen gegen den Atomkrieg. In: Neue Deutsche Literatur 7 (1959), H. 1, S. 109–112. Ders.: Publikum. Über eine Befragung an den Städtischen Theatern Leipzig und die ersten Ergebnisse ihrer Auswertung. In: Theater der Zeit (1965), H. 11, S. 23–25. Ders.: Das Gespräch. In: Theater der Zeit (1965), H. 12, S. 23–25. Herbert Ihering: Kunst und Theater in Widersprüchen. In: Die Andere Zeitung, 3. Februar 1961, S. 13. O. A.: Von den Bühnen der DDR. In: Neues Deutschland, 28. April 1959, S. 4. O. A.: Politisches Engagement auf der Bühne. Das NZ-Interview der Woche. In: Neue Zeit, 16. September 1967, S. 3. Walther Pollatschek: Ein neuer Name im Theater. In: Berliner Zeitung, 25. Oktober 1958, S. 3. Klaus D. Winzer : Die falsche Sonne von Bikini. Szenen gegen Atomtod von Christoph Hamm in Leipzig. In: Neue Zeit, 15. November 1958, S. 4.

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Günther Weisenborn: Die Familie von Nevada / Die Familie von Makabah (1958)

Autor : Günther Weisenborn (1902–1969) Darbietungsform: Schauspiel in zwei Teilen Uraufführung: 18. Oktober 1984, Maxim Gorki Theater Berlin Ort: fiktives Land Zeit: zeitloses Heute

Aus dem gleichen Kontext von Bedrohung und Nukleargefahr heraus, in dem Weisenborn die Göttinger Kantate geschrieben hatte,410 entstand auch das Schauspiel Die Familie von Nevada. Nur dass diesmal die Botschaft nicht auf dokumentarischer Authentizität beruht, sondern am fiktiven ›Leben‹ einer Puppenfamilie exemplifiziert wird, die Atomtests ausgesetzt wird. Entsprechend 410 S. oben, Teil II, Abschnitt 53.

Günther Weisenborn: Die Familie von Nevada / Die Familie von Makabah (1958)

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der sich konsolidierenden Typologie der Wissenschaftlerdramen411 entwirft hier Weisenborn eine Triade von Forschern, die in unterschiedlichem Ausmaß in das Nuklearvorhaben verwickelt sind und eine differenzierte Palette an Verhaltensmöglichkeiten der Wissenschaftlerfiguren aufzeigen, drei Möglichkeiten, die auch die Grundformen der Reaktion auf das Nuklearthema strukturieren: der bewusste Widerstand, die schuldige Unschlüssigkeit, die profitgierige Skrupellosigkeit. So wie die Göttinger Kantate hatte aber auch dieses Proteststück zu Weisenborns Lebzeiten wenig Glück auf den Bühnen. Von der unter dem Titel Die Familie von Makabah wiederabgedruckten Fassung soll es zwar 1962 eine Lesung gegeben haben, aber richtig uraufgeführt wurde das Spiel erst 1984 (als Die Familie von Makabah) durch das Arbeitertheater Maxim Gorki in Berlin. Die vom Autor selbst vorgenommene Ersetzung des historisch-geographischen Bezugs im Ortsnamen Nevada – auf den zu trauriger Berühmtheit gelangten USBundesstaat des Atomtestgeländes in der Wüste – durch die fiktive Ortsbezeichnung Makabah im endgültigen Titel zeigt, wie Weisenborn sein Konzept einer »ortlosen Dramaturgie« an einem Zeitstück erproben wollte.412 Auch darin offenbart sich seine Absicht, den Einzelfall für das Schicksal des Menschengeschlechts jenseits jeglicher Koordinaten metonymisch zu benutzen und die Drohung, die über der Puppenfamilie schwebt, zu universalisieren: »Sie sollen Menschen vertreten«,413 sagt überdeutlich eine der Figuren im Stück. Die Gefahrproblematik – wie man in den einleitenden Bemerkungen des Dramatikers liest – betrifft nicht ein bestimmtes Land: Die »auftretenden Personen sind nicht national identifizierbar«, ihr Ort liegt »mitten unter allen Nationen […], auf dem Meridian der Menschheit« (118). Ein solcher Meridian der Menschheit kann überall sein, er sieht überall gleich aus und rückt Weisenborns Gestalten in eine fast epische Distanz. Gerade dieser Versuch, seiner dramatischen Welt trotz der dringenden Aktualität der Nuklearfrage eine epische Distanz und zeitlose Dimension zu verleihen, reiht Weisenborn in die Schar der deutschen Brecht-Rezipienten der Nachkriegszeit ein; für Wolf Gerhard Schmidt ist er sogar »der bedeutendste«414 411 Vgl. R8my Charbon: Die Naturwissenschaften im modernen deutschen Drama (Anm. I, 5) und Teil I, Abschnitt 2.6. 412 Vgl. Günther Weisenborn: Ortlose Dramaturgie [1951–1954]. In: Ders.: Theater. München, Wien, Basel 1964–1967, Bd. 4, S. 197–204. Auch bezüglich der Ballade vom Eulenspiegel hatte der Autor geschrieben, er sei bemüht, »den szenischen Ablauf von zwei der drei aristotelischen Einheiten zu befreien, denen des Ortes und der Zeit« (ebd., S. 279). 413 Günther Weisenborn: Die Familie von Makabah. In: Ders.: Theater (Anm. II, 399), S. 132. Daraus wird auch zitiert. (Erste Fassung: Die Familie von Nevada und ihre Darstellung auf dem Theater. Unverkäufl. Bühnen-Ms. Berlin 1959.) Einige Szenen aus Die Familie von Nevada veröffentlichte 1960 die Zeitschrift Theater der Zeit, H. 12, S. 6–9. 414 Wolf Gerhard Schmidt: Zwischen Antimoderne und Postmoderne (Anm. I, 10), S. 604.

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unter ihnen. In seiner parabelhaften Aussagekraft verfolgt das Spiel Die Familie von Makabah einen ausgeprägt lehrhaften Zweck ganz im Brecht’schen Sinne der Aufforderung zum Denken und Handeln. In diesem Zusammenhang weist Schmidt zu Recht auch auf den »metapoetischen Charakter« des Stücks hin, »denn bei Weisenborn wächst die Präsenz epischer Muster mit der Bedeutung des Themas – in diesem Fall das kaum zu überbietende ›Ende der Kultur‹«.415 In seiner Argumentation zur Krisenzeit von Vernunft und Zivilisation offenbart Weisenborn ein Weltbild, das von Misstrauen und Vorsicht gegenüber dem Fortschritt geprägt ist, der als barbarisch und kannibalisch angeprangert wird. Im Werk sind es die drei Physiker, die den Zusammenhang zwischen falschem Fortschritt und Wissenschaftsanwendungen herausarbeiten. Erstens der positiv geschilderte Dr. Cricot, der sich als Einziger offen gegen die Kernversuche einsetzt; zweitens sein ehemaliger Kollege und Leiter des Forschungsinstituts Greppi, der sich aus ohnmächtiger Verzweiflung umbringt, nachdem ihn Cricot im Namen der Menschheit zu überreden versucht hat, von den Testexplosionen abzulassen; und schließlich Jönsson, der den üblichen Typ des skrupellosen, von der Regierung unterstützten Atomphysikers vertritt. Unverhohlen skeptisch drückt sich vor allem Cricot, zweifelsohne die Person im Text, mit der sich Weisenborn am meisten identifiziert, über den Nexus von Krieg, Angst und Tod im ›troglodytischen‹ Zeitalter aus. Auch der wissenschaftlich verfeinerte Kannibalismus bleibt Mord. Die Welt befindet sich heute noch im troglodytischen Zeitalter. Statt in Erdhöhlen hausen wir in Mietszimmern. Aber sind wir wirklich nicht Kannibalen mit Achtzylinder, Eisschrank und Neonlicht? Gewiß, gewiß, wir haben außerhalb ein wenig Zivilisation entwickelt, gewiß, und unsere Außenwelt technisch aufbereitet, prächtig, prächtig … Aber hier tief innen in unseren Hirnen herrscht immer noch der alte Urwald, und der heisere Schrei des Raubtieres bellt immer noch in unseren Schädeln, und heult: Krieg … Angst … Tod … und Megatod! … Oh, gewiß, gewiß, unsere rosarasierten Brillengesichter sind gewaschen und kühl, aber dahinter denkt es barbarisch, und um so gefährlicher, weil der Kannibale heute Technik und Wissenschaft gelenkig handhabt. (143)

Vor dem Hintergrund dieser auf »Technik und Wissenschaft« abzielenden Entwicklung der Kultur, die das Raubtier »in unseren Schädeln« nicht auszuradieren vermag, lässt Weisenborn auch seine Marionetten agieren. Diese Masken tragenden Schaufensterpuppen, die »menschenähnliche Bedingungen« (132) darstellen, treten als bewegliche Figuren auf, nur um Tests mit Nuklearwaffen unterzogen zu werden. Um sie kreist die erschreckende Thematik der modernen »Kannibalen«, der Wissenschaftler, die eine neuartige Tötungsmethode eingesetzt haben. Sie sind es, die für die Menschen als Versuchsobjekte »den Tod wissenschaftlich erdenken, einen so großen Tod, daß man vorher nicht 415 Ebd., S. 607.

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weiß, ob nachher noch ein einziger Mund in der Welt Atem hat« (137). Doch im Unterschied zum Repertoire der in den meisten Dramen topisch gewordenen Wissenschaftskonflikte findet sich bei Weisenborn auch eine höchst originelle, metatheatralische Dimension der Handlung, die gerade das zum Gestaltungsprinzip erhebt, wovon der Text handelt. Denn es ist der Autor selbst, der zusammen mit seinen Forschern ein Experiment im Quadrat durchführt; ein Paradoxon, bei dem sich die gespielte Situation mit der Spielsituation geschickt überlagert. Genauso wie der Dichter ist der gute Cricot der Künstler, der seine Geschöpfe – seine »Komplizen im Gleichnis« (121) – buchstäblich erschafft: Am Anfang lässt Cricot die Puppenfamilie aus einer projizierten Gigantographie heraustreten; er ist es, der sie mit seinem Lebenshauch belebt und ihren Charakter formt. So gleitet er bewusst in die Rolle eines ›Erzeugers‹, der, wie er selbst bekennt, einen wahren Schöpfungsvorgang vollzieht. Das ist die erste Stufe. Sie lernen ihre Beziehungen zu Mitmenschen und Dingen kennen. Damit werde ich mich nicht lange aufhalten. Sie vergessen, daß sie Industrieprodukte sind. Sie haben zu atmen angefangen, sie sind erwacht. Ein Schöpfungsakt ist vollzogen. Aber ich sollte ein wenig Pfeffer in die Familie geben, einen komischen Kontrast. Eine Prise »Freut euch des Lebens«. (124)

Der Figur Cricots stellt Weisenborn als stereotype lebensverneinende Fanatiker die bösen Physiker gegenüber, die Kannibalen von heute, die sich in »die geheimen Katakomben der Physik« (157) zurückgezogen haben und mit den Menschen wie mit Marionetten »etwas […] ausprobieren« (132). Die produktive Dynamik dieser doppelt gerichteten ›Kreation‹ bestimmt im Text die Koexistenz zweier Ebenen: der realen und geschichtlich konkreten – wo von »Kernenergie« (135), Einstein und »Kernreaktoren« (148), »Globalkatastrophe« (154), »Versuchsexplosion« (174), »Strahlungsblindheit« (176) usw. die Rede ist – und der irrealen, die doch eine ethisch höhere und unverfälschtere Realität aufweist. Darin bewegen sich die Schaufensterpuppen wie Menschen und produzieren manchmal zärtliche, manchmal komische Effekte: Sie ziehen sich an und befreien sich von den unbequemen angehängten Preisschildern, sie ernähren und verlieben sich sogar, wie das glückliche Liebespaar Gog und Lal. Auf diese Puppen, als einfache Wesen und rebellierende Opfer, wird schließlich alle Hoffnung gesetzt. Durch beide Handlungssphären geht auch hier, so wie in der Göttinger Kantate, das »Gesetz der Angst« (135), das das atomare Zeitalter wie ein Leitfaden kennzeichnet: Es ist einerseits das individuelle Gefühl, das vor der angekündigten Explosion von den Mitgliedern der kleinen Puppenfamilie Besitz ergreift, andererseits die sich allgemein verbreitende Weltangst vor Zukunft und Zerstörung. Und auch hier, so wie in der Göttinger Kantate, taucht der AngstBegriff in mannigfachem Zusammenhang mit Tod und Krieg auf, meistens im

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Gegensatz zum Feld der Vernunft- und Friedensbestrebungen, die Cricot verfolgt. Klar und nüchtern sieht er in der großen »Stunde der Geschichte« – jener Stunde, in der die Menschheit »an der Wende der Welt« steht – nur zwei Alternativen, entweder »Angst, Drohung, Rüstung, Krieg, Megatod, Abschaffung der Menschheit in der Globalkatastrophe, oder Vernunft, Verständigung, Abschaffung des Götzen ›Waffe‹, Frieden« (154). Aus der Überzeugung, dass die Mobilisierung von Angst einen absichtlich funktionalen Wert im Rahmen der Kriegs- und Nuklearpolitik der Staaten hat, macht Cricot-Weisenborn kein Hehl. Die Hauptfrage lautet: »warum aller Reichtum in materialisierter Angst angelegt wird, in Waffen!« (155), denn selbst die »Forderung der Superbombe stammt aus der Angst! Nämlich, schwächer zu sein als der Feind« (140). Die Verantwortlichen müssen für Weisenborn mithin alles daran setzen, diese Eskalationsspirale zu durchbrechen, sie sollen konstruktive Zweifel hegen: »Ist es richtig, was wir tun? Ist es falsch, ist es ein Verbrechen? Glauben Sie mir, wenn ein Wissenschaftler nicht einmal weiß, ob seine Arbeit einem guten Ziel dient oder einem Verbrechen, so lebt er im Niemandsland der Moral« (147). In diesem verzweifelten ›Niemandsland‹ verirrt, von der Unfreiheit seines Berufs und der Staatskontrolle, der er unterliegen muss, unterdrückt, ist jeder Wissenschaftler, der sich vom Staat und Militär knechten lässt, zum Scheitern verurteilt. Weisenborns Greppi, der als Forscher mit der eigenen »Gewissensschaukel« (149) zu kämpfen hat, begeht Selbstmord. Dem Physiker Cricot, der gerade aus der Angst vor dem bevorstehenden Risiko atomarer Verwüstung konsequent seinen Glauben an eine vernünftigere Zukunft schöpft (»die Kernspaltung befiehlt uns den großen Stop«, 154), gelingt es hingegen, die fiktive Musterfamilie für ein warmes, gefühlvolles Leben im Zeichen der Erkenntnis zu gewinnen. Freilich setzt der von Weisenborn an dieser Stelle befürwortete Prozess der Bewusstwerdung den engagierten Beitrag der Intellektuellen voraus, die sich an die Spitze der Massen setzen sollen, um sich am demokratischen Kampf gegen den Atomkrieg aktiv zu beteiligen. Wie der Autor selbst in einem Gespräch zuversichtlich ausführt, sind der menschliche Geist und seine »Hirnzentren« nur lahmgelegt: »Man sollte sie anrufen, wecken, neue Allgemeinheiten entwickeln. Der Weltfrieden wird durch die denkenden Gehirne gesichert, wenn sie die Massen erreichen«.416 Im Drama Die Familie von Makabah sorgt die große Schlusswarnung / la Brecht eben für diese Anregung zum Protest und Nachdenken. Während eine Radiostimme den unvermeidlichen Countdown bis zur Explosion herunterzählt, evoziert die 19., laut Regieanweisung »akustische

416 Josef-Hermann Sauter : Interviews mit Schriftstellern. Texte und Aussagen. Leipzig, Weimar 1982, S. 75.

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Szene« die Gewissensentscheidung der »Masse«, die im dezidierten Ruf eskaliert: »Wir wollen eine Welt ohne Angst …!« (171). Der gottähnliche Cricot verhindert die Explosion und lässt seine Puppen direkt vor das Publikum treten: »Steht auf und geht!« (177). Der erste Schritt zur Vertreibung der Angst ist getan. Endlich tragen die lebendig agierenden Marionetten keine Maske mehr, endlich sind sie mit allen Menschen identisch. Hinter anderen Schaufenstern der Welt schlummern aber noch Tausende von Puppen, die nichts verstehen und erweckt werden sollen: »Sie hören immer nur ihr altes babylonisches Sprachgewirr! Aber sie werden die neue Sprache lernen«. Die Zuschauer werden feierlich zur Tat aufgefordert, sie sollen das metaphorische »Schaufensterglas einschlagen, damit sie uns hören« (178). Verheißungsvoll wird die kapillarische Wirkung der Warnung verkündet: »Vielleicht verstehn sie euch heute schon! Sprecht! Sprecht mit aller Energie! Da drüben versteht uns einer schon … dort auch! … und dort! Sprecht!« (178). Das von Weisenborn-Cricot beschlossene happy end refunktionalisiert noch einmal didaktisch-politisch den Begriff der Drohung (»die Gefahr ist ein großer Lehrer«, 178) und bringt dadurch die von Anfang an ins Visier genommene moralische Belehrung zum Ausdruck. Werner Stiefele: Kampf dem Atomtod – Stücke der 50er Jahre. In: Kürbiskern (1982), H. 1, S. 104–113 (besonders S. 108–111). Günther Weisenborn: Aus »Die Familie von Nevada«. In: Theater der Zeit (1960), H. 12, S. 6–9. Ders.: Die Familie von Nevada und ihre Darstellung auf dem Theater. Unverkäufl. BühnenMs. Berlin 1959. Ders.: Die Familie von Makabah. In: Ders.: Theater. München, Wien, Basel 1964–1967, Bd. 4, S. 117–179. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 53.

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Hans Josè Rehfisch: Jenseits der Angst (1958)

Autor : Hans JosH Rehfisch (Pseud. Ren8 Kestner, Sydney Phillips, Georg Turner, 1891– 1960) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 29. September 1961, Staatstheater Braunschweig Ort: Westdeutschland Zeit: Gegenwart

Am 2. Oktober 1955 fand in der Tribüne – der kleinen Bühne, die im Juni 1945 als erstes Berliner Theater nach dem Krieg wieder eröffnet wurde – ein Gespräch über Dramaturgie und Politik statt. Die Veranstaltung gehörte zu einer Reihe von Initiativen zum Thema ›Politisches Theater‹, die von der Dramaturgischen

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Gesellschaft gefördert wurden. Ein Teil der Referate erschien in einer später vom Münchener Verlag Langen-Müller im Band Theater im Gespräch herausgegebenen Publikation. Die Debatte leitete Hans JosH Rehfisch ein, der zwischen den Kriegen mit Piscator an der Leitung des Central-Theaters in Berlin beteiligt gewesen war und als Vorsitzender des Verbandes deutscher Bühnenschriftsteller und Komponisten zu einer gewissen Popularität gelangt war ; freilich auch einer ›negativen‹, da sein Name während des NS-Regimes in einer Liste verbotener Autoren auftauchte.417 Die Tribüne-Diskussion von 1955 setzte Rehfisch mit der rhetorischen Frage in Gang, ob es »ein unpolitisches Bühnenwerk?« gebe – eine Frage, die er entschieden verneinte: Ich lege meine Karte auf den Tisch und gebe die Antwort: nein! Das Theater ist seinem Wesen nach ein aus der Gemeinschaft, der Gemeinde, der Polis oder der staatlichen Gesellschaft hervorgegangenes Werk, das aus dieser Gemeinschaft heraustritt und sich zu ihr zurückwendet, schützend, bejahend oder angreifend, verneinend. Es kann nicht anders als politisch sein, wenn wir unter politisch im weitesten Sinn das Verhältnis, die Beziehung des Individuums oder einer Gruppe von Individuen zu dem Begriff, zu dem Wesen der staatlichen, gemeindlichen oder der Rechtsordnung schlechthin sehen.418

Von diesem zeitpolitischen Ansatz her lieferte Rehfisch mehrere Werke, meistens szenische Reportagen und Dokumentartexte (wie z. B. die erfolgreiche Affäre Dreyfus von 1929), die nach dem Krieg im Repertoire der Theater einen festen Platz hatten, heute aber nunmehr, wie überhaupt sein Gesamtwerk, in Vergessenheit geraten sind. Das Anklagestück gegen Atomwaffentests und Kriegsdrohung Jenseits der Angst ist sein letztes Schauspiel. Es entstand, in zwei Fassungen, in der Phase der Intensivierung des nuklearen Wettrüstens zwischen Amerika und der Sowjetunion nach 1955 und sicher schon vor Ende 1958,419 doch es wurde zu Rehfischs Lebzeiten weder gedruckt noch gespielt. Ob Rehfisch seine Arbeit am Stück als beendet betrachtete, lässt sich nicht genau sagen. Jedenfalls berichtet die DDR-Zeitung Neues Deutschland davon, dass der

417 Im August 1932 veröffentlichte das NSDAP-Organ Völkischer Beobachter die Liste der ›Unerwünschten‹ Schriftsteller, unter denen auch Rehfisch war. Bereits im Februar 1932 hatte er das Land verlassen müssen. Vgl. Helmuth Heyer: 10. Mai 1933 (Anm. II, 386), S. 292. 418 Hans J. Rehfisch: Politik, Dichtung, Theater. In: Theater im Gespräch. Ein Forum der Dramaturgie. Hrsg. von Friedrich Schultze, Albert Langen, Georg Müller. München, Wien 1963, S. 73–74. 419 Im Vorlass Leopold Ahlsen in der Münchener Monacensia befindet sich Ahlsens Beurteilung des Stücks für den Funk, mit folgender Datierung verzeichnet: 08. 02. 1957–21. 09. 1958 (Münchener Stadtbibliothek, Monacensia Signatur LA M 581).

Hans Josè Rehfisch: Jenseits der Angst (1958)

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Schriftsteller vor seinem Tod 1960 aus Jenseits der Angst in Leipzig gelesen habe.420 Die zweite Fassung, die 1961 am Braunschweiger Staatstheater posthum zur Uraufführung kam, hatte trotz der Inszenierung des damals auf dem Gipfel seiner Karriere stehenden Schauspielers und Regisseurs Hans Musäus wenig Erfolg. Die Zeit erkannte in der »Unlösbarkeit des moralischen Problems«, die dem Stück anhafte, einen typischen Mangel aller Atomdramen. Dementsprechend schloss sich der Zeit-Rezensent dem negativen Urteil der Welt an, für die in Jenseits der Angst das Nuklearproblem »nur angerissen« werde. Rehfisch wurden »Kolportage« und Undeutlichkeit attestiert, so dass im Werk »alles […] unverbindlich, vage« bleibe.421 Tatsächlich liegen der etwas trivialen Konstruiertheit des Plots, der um die Rückkehr eines Atomwissenschaftlers an den Ort seiner Jugend kreist, Motivationen zugrunde, die nicht genügend nachvollziehbar dargelegt werden. Und insgesamt erscheint die Vorgeschichte, die Vergangenheit des Protagonisten-Redivivus, Professor Severin, zu geheimnisvoll und abenteuerlich. Jedoch berührt das Stück zentrale Themenkomplexe der intellektuellen und politischen Debatte um Atomenergie in den späten fünfziger Jahren: Vor- und Nachteile der Atomkraftanwendung, Beherrschbarkeit der atomaren Bedrohung, Verantwortlichkeit der technischen Wissenschaft, Widerstreit von Wissenschaft und Politik sowie ihr Verhältnis zu Natur und Umwelt. Und auch bei der Themengestaltung greift Rehfisch Motive auf, die in den Atomdramen der Zeit eine Rolle spielen: die Darstellung des Lehrer-SchülerKonflikts, die deutsche Sabotage des Atombombenprojekts Hitlers, das PostHiroshima-Reuegefühl, die Verbrennung der Formel, das Aufopferungsmotiv. Es geht in dem Spiel um den lange vermissten Physiker Severin, der nach 15 Jahren, völlig unerwartet, wieder in der Welt auftaucht, um den frevelhaften Gebrauch seiner gefährlichen Entdeckung zu verhindern. Sein Gegenspieler im Stück, der ehemalige Assistent Branting, will Severins alte Berechnungen für den Bau des Cosmorators, eines Fusionsreaktors, in der arabischen Wüste auswerten. Wie in zahlreichen anderen Stücken dieser Art besteht Severins Hauptziel darin, die Katastrophe durch die Vernichtung der berüchtigten Formel abzuwenden. In diesem zentralen Handlungsverlauf unterscheiden sich die zwei Fassungen nicht wesentlich. Für beide inhaltlich und weltanschaulich konstitutiv ist der Antagonismus zwischen den konträren Wissenschaftlertypologien, 420 W. K.: Hans J. Rehfisch gestorben (Anm. I, 251). Die Information findet sich in einer Nachricht bestätigt, die in Band 27 von Weltstimmen: Weltbücher in Umrissen (1958) erscheint: »Vor dem Leipziger ›Klub der Kulturschaffenden‹ las der Hamburger Dramatiker Hans J. Rehfisch Szenen aus einem Bühnenstück ›Jenseits der Angst‹, das sich mit der Situation der Atomphysiker befaßt und im Herbst in der Bundesrepublik uraufgeführt werden soll« (S. 316). 421 O. A.: Theater. In: Die Zeit, 9. März 1962, S. 2.

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die Severin und Branting verkörpern. Dabei ist aber die in Atomdramen übliche Modalität der Lehrer-Schüler-Konstellation (und der damit ebenfalls implizierten Vater-Sohn-Beziehung) missachtet, wo der Jüngere meistens vernünftiger und friedlicher orientiert ist als der fanatische Vater bzw. Professor. Hier ist es hingegen der Assistent, der sich offen für schädliche Atomprojekte ausspricht und Severins geheime Kalkulationen zur Energiegewinnung aus der Kernfusion schonungslos missbraucht, um die Regierungspläne zu unterstützen. In beiden Fassungen hat sich der ältere Wissenschaftler von der »damalige[n] Besessenheit« seiner Jugend losgesagt und geweigert, seine »Arbeiten praktisch genutzt zu sehen«.422 Mit den Wissenschaftlerfiguren vieler anderer Atomtexte teilt er den anfänglichen »schöpferische[n] Rausch« (13) der Forschung und die darauffolgende schmerzliche Absage an deren tödlichen Reiz. Der erste Akt dient größtenteils zur Darlegung dieser Vorgeschichte: Professor Severin, der ohne Wissen der Kollegen – ausgenommen sein Assistent Branting und dessen Frau Aline, ebenfalls Severins Schülerin – heimlich über Atomverschmelzung weiter recherchiert hat, hat sich nach Hiroshima aus aller Forschung endgültig zurückgezogen. Denn die erste Bombe auf Japan hat ihm die Unermesslichkeit der Sünde klargemacht, deren er sich als Physiker gegen die Menschheit schuldig gemacht hat und weiter machen würde, wenn er noch an der Kernenergie arbeitete (»Verdammt nochmal, ich will kein zweites Hiroshima – vertausendfacht!«, 28). Rehfisch, der seinen Helden zur im August 1945 internierten FarmHall-Gruppe gehören lässt, emphatisiert genau diesen Augenblick als Scheideweg in Severins Leben. So der Protagonist selbst im Dialog mit dem Gemeindepfarrer : Niemals vergeß ich den Morgen. Wir waren noch interniert. Werner Heisenberg klimperte auf einem verstimmten Flügel. Otto Hahn schrieb an seine Familie in Deutschland. Ich las […] in einem Kriminalroman. […] Dann fiel die Sonne vom Himmel. Wir hörten die Sondermeldung: auf eine japanische Stadt war eine Atombombe gefallen. […] Man fürchtete um Otto Hahns Verstand – und um meinen. (12)

Auf diese persönliche und epochale Wende führt der Autor Severins spurloses Verschollensein zurück. In der zweiten Fassung ist seine Heimkehr nach der mysteriösen Abwesenheitszeit überzeugender motiviert als in der ersten (wo Severin irrtümlicherweise als Terrorist festgenommen wird) und vor allem wird die räumliche Lokalisierung der ursprünglich in Italien spielenden Handlung nach Deutschland verlegt. Dadurch kann sich Rehfisch direkt auf die politischgeschichtliche Realität der Bundesrepublik beziehen, wobei er auch die verbreitete These der absichtlichen Sabotage des Atombombenbaus seitens der Physiker in Nazideutschland aufstellt, auf die sich Robert Jungk und später 422 Hans Rehfisch: Jenseits der Angst (Anm. I, 41), S. 13.

Hans Josè Rehfisch: Jenseits der Angst (1958)

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Thomas Powers stützten.423 »Ich habe die Atombombe nicht gebaut«, rechtfertigt sich Severin vor dem Pfarrer, »keiner von uns. ›Wenn Hitler die Atombombe jemals bekommt, dann bringe ich mich um‹, hat ein Kollege einmal gesagt« (14). Weiterhin kann der Autor in der ›deutschen‹ Version wirkliche Ereignisse aufgreifen, relevante Begebenheiten in westdeutschen Kleinstädten und Dörfern – z. B. die lokalen Proteste und Widerstandsaktionen der Bürger gegen Rüstungsbestrebungen, die er im Stück mehrfach schildert – sowie die Auseinandersetzung der hiesigen Bevölkerung und Kirche mit der Bonner Politik. Als bundesdeutscher Vertreter erscheint im Text der skrupellose, immer noch im nationalsozialistischen Denken verfangene Regierungsrat Bosshard. In Rehfischs Bild von Deutschland und seiner Vergangenheit sind, außer dem schon erwähnten Boykott der deutschen Physiker gegen die Hitler-Bombe, auch die fraglichen Resultate der Entnazifizierung in der Nachkriegszeit und besonders die Kritik an der vermeintlichen ›Landesverteidigung‹ eng miteinander verknüpft. Übrigens ist ›Verteidigung‹ ein Begriff, den Rehfisch als Beispiel für die machtpolitische Durchsetzung der Eigeninteressen des Staates häufig verwendet. Das Ineinanderweben solcher verschiedener Bereiche im folgenden Gespräch zwischen Regierungsrat Bosshard, Professor Severin und Brantings Frau Aline führt deutlich vor Augen, wie für Rehfisch zu den identitätsstiftenden Merkmalen der BRD auch kaum versteckte Bezüge zum Nationalsozialismus gehören: Severin: Wir brachten es fertig, den Herren einzureden, der Stand der Forschung gestatte noch auf viele Jahre keine Herstellung einer einsatzfähigen Uranbombe. Und so ließ dann im Sommer ’42 der Rüstungsminister den Gedanken endgültig fallen. Bosshard (eiskalt): Also eine Gruppe von Wissenschaftlern hat sich unterfangen, Vorsehung zu spielen. Und uns um den Endsieg zu bringen. So ist es doch wohl, Professor Severin?! Severin: Wir wußten um viele Verbrechen, da haben wir beschlossen, dieses einen Verbrechens wird Deutschland sich nicht schuldig machen. Die Atombombe wurde von uns nicht gebaut. Aline (aus tiefstem Herzen): Gott sei Dank… Bosshard: ›Gott sei Dank…‹, sagen Sie – eine deutsche Frau? Aline: Haben Sie Ursache, sich taub zu stellen, wenn von Verbrechen die Rede ist, die man im Ausland keineswegs vergessen hat? Bosshard (erregt): Bitte, ich bin unwiderruflich entnazifiziert. Und was mir auch Denunzianten anzuhängen versuchten – Landesverrat war nicht darunter. (49–50) 423 Vgl. Robert Jungk: Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher. Stuttgart 1958, und Thomas Powers: Heisenbergs Krieg. Die Geheimgeschichte der deutschen Atombombe. Übers. von Wilfried Sczepan. Berlin 1993. Vgl. zur Einstellung Jungks gegenüber der deutschen Atomforschung auch pro zukunft (2012), H. 4: Sonderausgabe: 100 Jahre Robert Jungk (1913–2013), unter Url: https://www.prozukunft.org/v1/wp-content/uploads/ 2016/09/Robert-Jungk-Jubil%C3%A4umsausgabe.pdf.

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Hier wird Bosshards faschistisches Denken, das den nicht geleisteten Beitrag zum Sieg Nazideutschlands als »Landesverrat« wertet, eindeutig mit dem bundesdeutschen politischen Willen zur Aufrüstung und Militarisierung gleichgesetzt. Dass davor eine Form ›gesunden‹ Angstgefühls schützen kann, ist das, was Rehfisch, schon im Titel, zu thematisieren beabsichtigt. Der oft in Atomdramen als strategisches Mittel im Dienst der Theorie gegenseitiger Abschreckung verachtete Angst-Begriff erhält bei Rehfisch eine beinahe konstruktive Konnotation: als weitblickende Vorsicht und Bewusstwerdung der Gefahr. Von einer ausdrücklichen Kopplung von Angst und Wachsamkeit spricht Aline, als sie ihre Bereitschaft erklärt, die lange im Keller aufbewahrten Papiere Severins zu verbrennen.424 Aline: Diese Papiere können im großen politischen Spiel ein Einsatz sein. Wer immer sie in Händen hat, ist gefährlich und gefährdet – sei es auch die Kirche selber. Im besten Fall sind sie ein Faustpfand. […] Ich habe Angst! Die Angst hat mich wach gemacht. Wach und mißtrauisch. Severin: Und so sollst du bleiben. Für uns beide. (73–74)

Dagegen fällt über Branting, der laut den Worten des Pfarrers »keine Furcht« kennt und »die Wissenschaft zu seiner Religion« (68) gemacht hat, das schreckliche Urteil, das im Titel zum Ausdruck kommt. Klar und direkt formuliert es Severin: Der junge Wissenschaftler »befindet sich jenseits der Angst. Man muß um ihn und seinesgleichen einen weiten Bogen machen. Er hat den Bezirk des Menschlichen verlassen und ist bereit zu jedem Verbrechen« (68). Entlang dieser idealen Grenzlinie zwischen Angst und Nicht-Angst entfaltet sich das kontrastive Verhalten beider Forscher, das sich durch das ganze Stück hindurch zieht. Sie skandiert die Kluft zwischen Wissenschaft als »faustische[m] Drang, getrieben vom dämonischen Durst nach Wissen und Macht« (29), einerseits425 und dem Bewusstsein, dass alles gefährlich ist »in der Hand von Leuten, die eigens dazu eingesetzt sind, es für andere gefährlich zu machen« (67), andererseits. Wie man sieht, liegt hier das Gewicht eindeutig auf dem Anwendungsbereich. Die Option einer zivilen Nutzung der Atomenergie wird mehrmals im Text in Erwähnung gezogen und vielfach diskutiert. Auch da bestehen aber erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Wissenschaftlern. 424 Anders die erste Fassung. Hier endet das Stück mit der Übergabe der Forschungsergebnisse in die vertrauenswürdigen Hände des Pfarrers. Vgl. Werner Mittenzwei: Dramatik gegen die Atomkriegsgefahr (Anm. II, 339), S. 394. 425 Unzählige Stellen belegen im Text die Negativität eines Ansatzes, der keine Schranken und ethische Vorstellungen kennt: Branting sieht im Cosmorator einen »Wettbewerb mit dem Kosmos selber« (24), bekennt sich »zu der unabdingbaren Freiheit, der der schöpferische Geist der Wissenschaft keine Grenzen setzt« (27), schwärmt von »unumschränkte[r] Macht über die Natur« und dem »kommenden Wärmetod des Universums« (46). Für ihn ist »Macht […] der letzte Sinn der Wissenschaft« (29).

Hans Josè Rehfisch: Jenseits der Angst (1958)

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Während Branting die schreckliche Vision von Atompilzen in den Wüsten, die seine Frau Aline ängstigt, mit der Betonung der Differenzen zwischen gutem und bösem Atom zu neutralisieren versucht (»Zum Teufel! Mußt du denn immer noch Kernenergie mit Bomben verwechseln? Das ist doch genau so unsinnig, als wollte man bei der bloßen Erwähnung von Elektrizität den elektrischen Stuhl vor Augen haben«, 43), hegt Severin ernste Bedenken gegen »eine gezähmte Wasserstoffbombe als Energiequelle«, besonders »in unserer Zeit der Katastrophenpolitik« (67). Grillparzers berühmtes Diktum wird dabei paraphrasiert: Für Severin ist jede friedliche Atomenergie solange zum Scheitern verurteilt, als die »Wandlung zur Humanität« nicht vollgezogen wird, mit der die Menschheit die leider allzu gut gelungene »Wandlung zur Bestialität« (68) hinter sich lässt. Keineswegs unterstellt aber Rehfisch seinem Protagonisten die antifortschrittliche und konservative Haltung, die ihm Branting vorwirft (Severin benimmt sich nach Ansicht des jüngeren Physikers »unwissenschaftlich und reaktionär«, 29). Als der Pfarrer Severin fragt, ob er angesichts der letzten Entwicklungen der Meinung sei, »man hätte das Atom ungespalten lassen sollen«, erklärt sich Professor Severin von der Qualität des Fortschritts fest überzeugt: »wenn die Furcht vor Waldbränden unsere Urväter davor abgehalten hätte, Feuer zu machen, wir säßen heute noch zähneklappernd in kalten Erdhöhlen« (14). Kein Zeichen also von Fortschrittsskepsis. Was Severin bekämpft, ist eher die »Irrenhauslogik« (45), das wahnsinnige »Tempo, mit dem man daran geht, die Spaltungsenergie nutzbar zu machen« (44), die Nichtbeachtung der Auswirkungen, wie das ungelöste »Problem des radioaktiven Abfalls« (45) und weitere Nebenerscheinungen,426 welche als »Abzahlung auf die Rechnung« zu verbuchen sind, »die der Teufel den Atomforschern überreicht« (23). So doppelbödig wie diese Argumentation ist auch die Lösung: Sie bleibt fragil und problematisch. Durch die Verbrennung der Papiere wird zwar die unmittelbare Gefahr einer neuen Wasserstoffbombe abgewendet, fest steht dennoch, dass man eines Tages »anderswo, in andern Ländern, andern Erdteilen« (72) zu ähnlichen Ergebnissen kommen wird: Wie in zahlreichen Atomdramen ist auch bei Rehfisch die Eliminierung des Unheils nur vorläufig, eine endgültige Rettungschance ist vereitelt, durch die Perspektive zukünftiger Entdeckungen zunichtegemacht. Das dabei trotzdem von Severin geäußerte Vertrauen, dass »das chronische Rüstungsfieber« nachlässt, erscheint nach alledem als unbegründet optimistisch. Unter dem ausschließlichen Imperativ »Zeit gewinnen!« beschränkt sich Severin

426 Darunter wird sogar Brantings Sterilität kurz erwähnt (S. 23), ebenfalls ein Problem, das in Atomdramen als genetische, durch radioaktive Strahlung hervorgerufene Veränderung oft angesprochen wird. Vgl. auch Gerhard Stübes Harakiri, Hans Henny Jahnns Die Trümmer des Gewissens, Heinrich Heyms Asche im Wind und Dieter Rohkohls Das unsichtbare Gepäck (Teil II, Abschnitte 59, 61, 67 und 71).

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darauf, alle Hoffnung an die künftigen Menschen eines nicht genauer definierten ›vereinigten Europas‹ zu übergeben. Daniel Fulda: Rehfisch, Hans Jos8. In: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 280–281, unter URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd116392401.html. Claus Hammel: Klassiker und Zeitgenosse Rehfisch. In: Neue Deutsche Literatur 9 (1961), H. 1, S. 148–153. Hugo Huppert: Hans J. Rehfisch oder die überwundenen Verführungen. In: Sinn und Form 23 (1971), H. 6, S. 1331–1344. W. K.: Hans J. Rehfisch gestorben. In: Neues Deutschland, 12. Juni 1960, S. 6. Martin Linzer : Hans J. Rehfisch oder Die Späte Entscheidung. Zum 10. Todestag des Dichters. In: Neue Deutsche Literatur 18 (1970), H. 8, S. 160–163. Eva Maria Quatember : Hans Jos8 Rehfisch. Eine Einführung in sein dramatisches Werk. Diss. Wien 1983. Hans JosH Rehfisch: Ausgewählte Werke. Mit einem Nachwort von Hansjörg Schneider. Hrsg. von der Deutschen Akademie der Künste. 4 Bde. Berlin 1967. Ders.: Jenseits der Angst. Unverkäufl. Manuskr. München 1962. Ders.: Politik, Dichtung, Theater. In: Theater im Gespräch. Ein Forum der Dramaturgie. Hrsg. von Friedrich Schultze, Albert Langen, Georg Müller. München, Wien 1963, S. 73–85. Rehfisch, Hans JosH. In: Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. 20. Jahrhundert. Hrsg. von Kurt Böttcher u. a. Hildesheim, Zürich, New York 1993, S. 591–592. Rolf Seeliger : Gegen die Zerstörung der Vernunft. In: Neue Deutsche Literatur 8 (1960), H. 8, S. 158–60. Werner Stiefele: Kampf dem Atomtod – Stücke der 50er Jahre. In: Kürbiskern (1982), H. 1, S. 104–113 (besonders S. 111–113).

57.

Alfred Gong: Zetdam (1958)

Autor : Alfred Gong (1920–1981) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: nie aufgeführt (Erstausgabe aus dem Nachlass: 2016) Ort: eine Sauerstoffhöhle Zeit: Gegenwart

Wie sehr das Interesse an Atomfragen und apokalyptischem Denken Alfred Gongs Produktion prägte, beweist das zweite Werk, das er nach dem einige Jahre zuvor entstandenen Hörspiel Die Stunde Omega427 dem Motiv des Überlebens im Atomkrieg widmete: das Schauspiel Zetdam. Der Text, 1958 verfasst und 1960 noch einmal am Schluss verändert, wurde 1964 zum Wettbewerb um den Gerhard-Hauptmann-Preis eingereicht. Die Auszeichnung wurde Heinar Kipp427 S. oben, Teil II, Abschnitt 40.

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hardts Oppenheimer zuerkannt und Zetdam blieb, genauso wie Die Stunde Omega, zu Gongs Lebzeiten unveröffentlicht. Erst vor kurzem hat es Natalia Blum-Barth aus dem Cincinnati-Nachlass herausgegeben. Das Endzeitbewusstsein, das in der Stunde Omega zum Entwurf der fiktionalen Welt von Terrina geführt hatte, ist im Schauspiel Zetdam zur satirischen Posse verarbeitet. Humorvoll präsentieren schon die ersten Regieanweisungen die Höhle, »praktisch und traditionsbewusst eingerichtet« (7), wo die Familie der Titelfigur mitsamt Butler lebt und die ganze Dramenhandlung spielt. Ursprünglich sollte ja das Werk, wie die Herausgeberin ausführt, Die Sauerstoffhöhle heißen, ein Titel, der die Grenzsituation des postatomaren Überlebens in einem materiellen und metaphorischen Rahmen auffangen sollte.428 Diese sozusagen ikonisch sperrige Raumdimension des Textes ersetzt tatsächlich die Zeit, die wie aufgehoben scheint, weil der Moment vor dem Ende buchstäblich bis ins Unendliche ausgedehnt ist: Die Zeiger der Uhr bleiben »während des ganzen Stückes konsequent auf fünf Minuten vor zwölf« (8). Alles, was im Bunker ist und geschieht, ist abstrakt und konkret, symbolisch und physisch, faktisch und mythisch gemeint. Das Stück leidet in dieser Hinsicht an einer Überfracht an bedeutungsträchtigen Bezügen. Gewollt symbolisch wie die beklemmende Schutzhöhle und die stehende Uhr ist z. B. die Zeichenkomposition, die die Choreographie für die Wände des Bühnenraums vorschreibt. Nach Absicht des Malers, der kein anderer ist als der Hausdiener Bubi, soll sie den potentiellen Zukunftsgenerationen nach der Katastrophe Sinnbilder der Gegenwart veranschaulichen. Auf der Wand sind ein Auto, Landes- und Fremdwährung und selbstverständlich ausdrückliche Symbole der atomaren Zeit abgebildet, wie die unvermeidliche Einstein-Formel E = mc2, eine Rakete und das »Symbol des Atoms« (7). In diesem mit zeittypischen Elementen der Moderne, aber auch des kitschigsten Luxus (Stühle in Purpur und Gold, Himmelbett, Thron usw.) emblematisch ausgestatteten Innenraum leben – und sollen weiterhin überleben – ebenfalls symbolisch typisierte Naturen. Auch sie sind in ihren Lastern und in den Fehlern ihrer unverbesserlichen Selbstsucht einerseits höchst real, andererseits bleiben sie jedoch nur Chiffren für das Weltende. Ihr ›residualer‹ Charakter liegt schon in der Initiale ihrer Namen (Zetdam, Zophia, Zilli, Zyx, neben den Kosenamen »Zill-Zoll-Zulluchen«, 10), die sogar auf der Bekleidung mancher dramatis personae zur Schau gestellt wird. Damit gewinnt der Buchstabe Z eine das gesamte Drama prägende Doppelkonnotation: Die gezielt didaktische 428 Vgl. Natalia Blum-Barth: Einige Anmerkungen zur thematischen Einordnung und zu stilistischen Besonderheiten von Alfred Gongs Drama Zetdam. In: Alfred Gong: Zetdam. Ein Satyrspiel (Anm. I, 287), S. 87 (benutzt wurde das mir von der Herausgeberin freundlichst zur Verfügung gestellte Druckmanuskript).

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Bedeutung einer exhibierten, rein bühnenmäßigen Existenz und die abschließende Perspektive des Z als apodiktischen Zeichens der Endkatastrophe, des Schlusspunktes, an dem die Menschheit – seit A-dam über die Reihe ihrer misslungenen B-dam, C-dam usw. bis zu ihrem letzten Vertreter, Zet-dam – angelangt ist. Die ironische Dimension der Namengebung betrifft alle exzentrischen Gestalten des Dramas: vom versklavten Typus des schon erwähnten Butlers für alles, Bubi – Vater von acht Buboiden, ein gerissener Kerl, der böse Bubenstreiche vollführt und die Oberhand über seinen Herrn und Ausbeuter Zetdam und dessen Familie gewinnen wird – bis zum Ingenieur Omega, der für die bunkerartige Ausstattung der Villa sorgt. Durch die Konstellation grotesk überhöhter Figuren erscheint das Schema der künftigen Apokalypse sofort in der verblüffenden Form der Karnevalisierung. In der mit einfallsreichen Sprachspielen durchsetzten Satire tritt der Protagonist »als Achtziger mit weißer Mähne, jeder Zoll Patriarch, Patrizier, Patriot, […] in einem bunt karierten Schlafrock« (20) auf, an dem zwei Dutzend Auszeichnungen angesteckt sind. Familie und gesamte Vorräte hält er in der unterirdischen Villa wie in einer Arche (»Hier drinnen soll nach dem Krieg die neue Menschheit entstehen«, 19) eingeschlossen. Im Grunde ist er ein krasser Egoist, ein zickiger Alter mit unendlicher Macht über das Schicksal seines Umkreises. In seiner Gewalt stehen alle anderen Personen, die stets ›besoffene‹ Ehefrau Zophia, deren Namen sowohl an Zoff als auch an ›Suff‹ erinnert, das verwöhnte, kokette Enkelkind Zilli und vor allem Bubi, ehemaliger mittelloser Künstler, dessen sich Zetdam und der Autor selbst bedienen, denn Bubi fungiert zugleich als Faktotum des Herrenhauses und als Deus ex machina des Stücks. Mit der auktorialen Figur einigermaßen zusammenfallend, webt nämlich Bubi die Fäden der Handlung so gut wie die des Lebens der Gestalten. Ihn lässt Gong nicht zufällig auch die eigentliche Atombombenthematik gleich in den ersten Sätzen einführen: Der Diener-Dichter sucht einen Reim auf Hiroshima und resigniert schließlich mit dem Unmöglichkeitstopos der Dichtung nach Hiroshima. Blaupause – Brause… Hiroshima… Wo finde ich einen Reim auf Hiroshima?… Klima!… Lächerlich. Nichts reimt sich auf Hiroshima. Wozu reimen? Reime sind Artefakte, Fesseln, Lüge. Mir aber geht es nur um die Wahrheit. Wahrheit reimt sich nicht oder ganz selten. Die Wahrheit gibt sich ungeschliffen. Eine Kladde, karg und provisorisch. Das zeitgenössische Gedicht gleiche einem zerbrochenen Spiegel, der in seinen Scherben die Fragmente unseres zerschlagenen Zeitbildes einfängt. Das Gedicht als unvollendetes Puzzle-Spiel, als eine Rechnung, die nicht aufgeht… Also weg mit den Reimen, Bubi. (8)

Bubis naiver Gedankengang über die gekünstelte Natur des Reims im Gedicht und die ›Ungereimtheit‹ der Dinge in dem fragmentarisch gewordenen Weltbild

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der atomaren Zeit thematisiert die farceähnliche Reduktion der Katastrophe auf die Überlebensdimension einer kleinen Gruppe von clownesken Einzelwesen als einzige Darstellungsmöglichkeit der Apokalypse. Dem Ernst der Lage kann nur das Komische gewachsen sein. In einer der vielen metapoetischen Textpassagen spekulieren Bubi und der Ingenieur Omega darüber, ob und wie sich das Tragische in »heitere Geschichten« einbetten lässt. BUBI: Möchte nicht melodramatisch werden. Die Zeiten sind viel zu ernst. Wir können heutzutage nur heitere Geschichten brauchen. OMEGA: Ich glaube, es gibt nichts an so Tragischem, das sich nicht ins Komische verwandeln ließe, bemühte man sich nur ein wenig darum. (16)

Im Namen des Komischen, in der Variante des Possenhaften durchdekliniert, werden Gongs oft skurrile und verzerrte Protagonisten zum zynisch-sardonischen Inbegriff der Niedertracht, die der menschlichen Natur innewohnt, und lassen sich angesichts des nahen Endes verwerfliche, jedoch lächerlich wirkende Taten zuschulden kommen. Die alte Zophia ist zu allem bereit, um ein paar Tropfen Alkohol trinken zu können; ihren Mann sähe sie auch gerne tot, um ihre Soprankarriere in Wien wiederaufnehmen zu können. Die junge Zilli, die ohne Bedenken den Aufenthalt in der kellerartigen Villa gegen ein Leben voller Genüsse tauschen würde (»Genug. Mir dreht sich der Magen um. Ich will frische Weichselkirschen. […] Ich muss Weichselkirschen haben!«, 21), würde im Notfall die anderen beseitigen, nur um allein mit dem Abenteurer Zyx weiterleben zu können: »Die Luft hier reicht gut für zwei Wochen – hat Omega gesagt. Wenn wir beide hier allein wären, könnte die Luft sogar für vier Wochen ausreichen« (62). Der Titelheld täuscht seinerseits Großzügigkeit vor und schenkt der Gattin zu jedem feierlichen Anlass Diamanten, die er dann wieder an sich nimmt und in einem Säckchen versteckt. Blindwütig wird er, wenn er merkt, dass ihm jemand das Diamantensäckchen zu entwenden versucht, was am Ende dem Diener Bubi auch erfolgreich gelingen wird. Angesichts der fast barocken Fülle an allegorischen Typen und sketchhaften Situationen und angesichts des kaskadenartigen Bilderreichtums erweist sich die Handlung insgesamt als arm an echter dramatischer Entwicklung. Figuren und Aktionen sind, wie gesagt, nur Beispiele für eine karnevaleske Vermischung, die oben und unten, Untergebene und Vorgesetzte, das Heilige und das Profane in ihr groteskes Gegenteil verkehrt und durch zahlreiche religiöse Anspielungen die Vernichtung der Erde mit der biblischen Apokalypse gleichsetzt.429 In der ganzen vielfältigen Galerie des Überspannten und des Negativen, die das Werk vorführt, schlägt sich aber vor allem Gongs pessimistische Einstellung zum 429 Auf die biblischen Inhalte und die Verfremdung von Bibelsprache und -stil im Werk geht Natalia Blum-Barth in ihrem Kommentar ausführlich ein (Anm. oben, s. insbesondere S. 87–90).

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Begriff der Entwicklung nieder, die die aggressivsten Instinkte des Menschen mobilisiert hat. In dem »Jahrhundert der galoppierenden Sklaverei« (18), der »gespaltenen Sklavenwelt« (19) geht Gewalt mit Überwältigung und Unterdrückung einher : »Die einen halten die anderen für unterjocht und umgekehrt«, sagt Bubi, »sie feuern sich gegenseitig zur ›Befreiung‹ an, sie drohen, sie werben, sie bekriegen sich gelegentlich kalt und warm – alles im Namen der Freiheit – und sie haben noch nicht erkannt, dass es mit der Freiheit für die nächsten tausend Jahre aus ist« (18). Auch die Wissenschaft trägt zum Untergang bei, weil ihre Betreiber nicht verhindern können, dass der Mensch ein »Opfer« (18) der Technik wird. Die Tragik dieser Menschengeschichte, die eine Geschichte des Versagens ist, führt uns das unerbittliche Dramenende schonungslos vor Augen, wo die Satire in totale Ausweglosigkeit übergeht. Während sich die ganze Menschheit selber in Bunker eingräbt (67), weigert sich Bubi, der inzwischen nicht nur die freie Luft, sondern auch die Diamanten gewonnen hat, die eingesperrte Familie Zetdam zu befreien. Bewusst und reuelos entscheidet er sich zum notwendigen Schritt des ›Massenmordes‹, der ihm als Schuld zugeschrieben wird (»ALLE: ›Mas-sen-mörder, Mas-sen-mörder, Mas-sen-mör-der!‹, BUBI: ›Ich ein Mörder? Sehe ich wie ein Mörder aus?‹. ALLE: ›Ge-no-zid!‹«, 69), und lässt, als Gottes ›Schreiber‹ und Vollstrecker, die letzten Menschen, die Zetdams, in ihrem Egoismus verfaulen: ZETDAM: […]. Es geht um den letzten Menschen, um Zetdam! Die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel. Ich bin der Zetdam! Das Zet steht für die Zukunft des Adam. So befehle ich dir, mich zu retten! BUBI: Der gute Zetdam befiehlt. Fast zum Beneiden, dass er noch nicht seine Lage eingesehen hat. […]. ZETDAM: Du hast dich verrechnet, Bube! Gott sieht uns, und Er sieht auch dich. Er wird bald wieder hier erscheinen, dich zerschmettern und uns befreien. […] BUBI: Er ruft Gott an und erwartet einen Deus ex machina. Allein die Machina ist kaputt. Gott war hier erschienen, sah und hörte die Causa Zetdam und fällte sein Urteil mit Schweigen. Ich bin nur Sein Schreiber. (68)

Wahrscheinlich. Denn sicher ist der Ausgang nicht. Wir wissen nicht genau, ob und wann die Familie unterliegen wird, ob und wann ein neuer Krieg ausbricht (»Krieg? – – Es wird wohl irgendwo Krieg geben. Es hat schon immer Kriege gegeben und solange die menschliche Natur…«, 60). Jeder Bewertungsmaßstab lässt sich dabei relativieren. Nicht einmal über den Mordbegriff kann man einig sein. Der von der Menschheit enttäuschte Bubi fragt sich und sein Publikum: »Nennen Sie das, was hier geschieht: Mord? Ich nenne es den Sieg des Geistes über den Ungeist der Materie. Mord? Meinetwegen!« (69). Er bezieht seine Funktion, den Vorgang und das Publikum in die Vorführung mit ein (»Bei mir hat das Publikum das letzte Wort«, 70) und schafft einen reflexiven Abstand zum Medium selbst. Metatextuell vergegenwärtigt er noch einmal dem Zuschauer

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seine Rolle im Stück und fordert ihn auf, das eigene Urteil über die Zetdams (»die endgültige Verurteilung oder die Begnadigung der Zetdams«, 70) zu fällen. Das scheinbar offene Ende, das den Rezipienten zur Ergänzung einlädt, ist aber im Grunde nur noch ein resigniertes Bekenntnis zur Ratlosigkeit. Im Unterschied zu den trivialsten Erwartungen des Theaterpublikums (»Sind Sie enttäuscht? Haben Sie etwa ein Happy End erwartet? Fühlen Sie sich um Ihr Eintrittsgeld betrogen?«, 70) eröffnet der fiktive Schreiber keine Chance auf ein happy end, keinen Weg, »um zu retten, was nicht mehr zu retten ist«: Bubis unverblümte, unverhohlene Behauptung am Dramenschluss gewinnt dezidiert entsagende Züge: »Ich sehe keine Rettung« (70). Alfred Gong: Zetdam. Ein Satyrspiel. Hrsg. von Natalia Blum-Barth unter Mitarbeit von Annika Saß. Aachen 2017. Natalia Shchyhlevska: Komik der Realität im Drama ›Zetdam‹ von Alfred Gong. In: Carsten Jakobi, Christine Waldschmidt (Hrsg.): Witz und Wirklichkeit: Komik als Form ästhetischer Weltaneignung. Bielefeld 2015, S. 407–426. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 40.

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Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig (1959)

Autor : Hedda Zinner (1905–1994) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 11. April 1959, Theater Erfurt Ort: Westdeutschland Zeit: um 1955

»Das nennen sie Demokratie. Was kümmert’s die, wenn morgen die Welt zugrunde geht?«430 So lautet gleich am Anfang von Auf jeden Fall verdächtig, dem Physikerdrama von Hedda Zinner, die bittere Frage des Dramenhelden, eines kurz zuvor nach Westdeutschland übergesiedelten Wissenschaftlers. Mit dem Werk, dessen Datierung zwischen 1957 und 1959 schwankt, setzt die Dichterin die Linie jenes Zeitstücks fort, die sie mit ihrem Erstling Caf8haus Payer (1939– 1941) begonnen hatte. Daran hatte schon Luk#cs die Fähigkeit der Schriftstellerin geschätzt, die politische Lage mit dem menschlichen Schicksal in Übereinstimmung zu bringen.431 Auch in Auf jeden Fall verdächtig behandelt Hedda 430 Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig (Anm. I, 40), S. 10. »Von der Anregung zum Thema« redet die Autorin in einer Ansprache an das Publikum, die im Archivbestand der Akademie der Künste in Berlin aufbewahrt wird (Hedda-Zinner-Archiv, Signatur Zinner 286). 431 Georg Luk#cs: Rezension im Besitz von H. Z., zit. in: Simone Barck: Hedda Zinner. In: Literatur der DDR. Einzeldarstellungen. Hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Hans Jürgen Geerdts. Berlin 1987. Bd. 3, S. 534.

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Zinner die Effekte der Politik auf die Sphäre des Einzelnen. Zu dieser Verzahnung von subjektiver Handlung und sozialen Auswirkungen eignet sich, das Widerstandsstück im Gewand von Atomdramen in seiner kanonisch gewordenen Wissenschaftlerproblematik besonders gut. Protagonist ist hier Professor Peter Pieper, der, genauso wie seine Autorin,432 aus dem sowjetischen Exil zurückgekehrt ist. Als angesehener Physiker war er nach Kriegsende dem sowjetischen Angebot gefolgt, dort seine elektro-physikalischen Forschungen fortzusetzen. Die Handlung setzt ein, als er nach Vertragsablauf »anstandslos durch die Ostzone« (2) in die BRD zurückreist, um seine mittlerweile dorthin umgezogene Frau zu erreichen. In diesen Familienrahmen bettet Hedda Zinner die zwei Grundaspekte ihres eindeutig pazifistisch-marxistischen Dramas ein: die militärisch-zivile Ambivalenz atomarer Technologie und, wie schon Harald Hauser in seinem erfolgreichen Stück Am Ende der Nacht von 1955, die finale Entscheidung exzellenter Forscher für die DDR als dem sozialistischen deutschen Staat, in dem man sich ohne jeden Druck nur der Forschung widmen kann. Die aus der dürftigen Fabel erwachsenden Konflikte lässt Hedda Zinner im Wechselspiel individueller und gesellschaftlicher Dynamiken austragen. Denn die bereits im Titel annoncierte Politik des Argwohns vergällt der Hauptperson die öffentliche sowie die private Lebenssphäre: »Seit ich zurückgekommen bin«, so klagt Pieper, »hören die Menschen aus allem, was ich sage, etwas Verdächtiges heraus […]. In meinem Bewußtsein hat sich nichts verändert; aber diese Reaktion der Menschen auf alles, was ich sage, auf die harmlosesten Dinge […] hat mich stutzig gemacht« (14). Sogar seine Gattin Maria beäugt ihn mit Misstrauen, aber auch ihre naive ›Blindheit‹ ist das Produkt des vergifteten Klimas des Kalten Kriegs: »Du bist, wie so viele hier« – wirft ihr der Mann vor – »das Objekt, um nicht zu sagen das Opfer einer Propaganda, die den Leuten aufgeschwätzt hat, die anderen machten Propaganda« (12). Die Schilderung dieses politischen Klimas ist in den Intentionen der Autorin wichtiger als das Geschehen selbst. Piepers Enttäuschung über die Haltung seiner engsten Mitmenschen soll überdeutlich machen, dass die westliche antikommunistische ›Propaganda‹ Opfer dahinrafft. Von Pieper und dessen Berichten über den russischen Aufenthalt erwartet sich seine Umwelt nur eine Bestätigung ihrer negativen Vision vom Sozialismus. Von Anfang an ist Hedda Zinner bemüht, zu zeigen, wie Freunde und Verwandte des Heimkehrers, wie er gelegentlich genannt wird, überzeugt sind, er sei »der russischen Hölle entronnen« (2). In westdeutschen Augen ist der Physiker »furchtbaren Strapazen da 432 Zinner, gebürtige Wienerin jüdischer Abstammung, wurde – nach sowjetischem Exil – als Schauspielerin, Regisseurin, Schriftstellerin und Journalistin in der DDR berühmt und einflussreich.

Hedda Zinner: Auf jeden Fall verdächtig (1959)

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drüben« (21) ausgesetzt gewesen. Seinen Statistiken der imposanten Zahlen, die die sowjetische Wirtschaft in der Produktionssteigerung aufweist, schenkt man in der Bundesrepublik keinen Glauben, und dies, obwohl in der Hamburger Zeit Graphiken erschienen seien, die solche Erfolge beweisen (24). Vergebens erzählt Pieper begeistert vom ›einmaligen‹ (ebenfalls ein Wort, das bezeichnenderweise oft im Drama verwendet wird) Erlebnis in Russland, der prächtigen Unterkunft, dem reichlichen Essen, vor allem aber von den ausgezeichneten Laboren und der guten Zusammenarbeit mit sowjetischen Kollegen. Pieper bleibt ›auf jeden Fall verdächtig‹, das vorhandene Misstrauen hält an und verhindert die Anerkennung der positiven Werte der Sowjetunion. Seinerseits wird der Protagonist immer verbitterter über die bundesrepublikanische Politik, welche Deutsche zur nuklearen Remilitarisierung aufhetzt. Ihm aber »ist alles zuwider, was nach Militär riecht« (9). Hedda Zinners Bild der bösen Westdeutschen ist scharf konturiert und in der sozialistischen Ideologie fest verankert. Im Unterschied zu den Russen, die die Atomversuche aufgegeben hätten, blasen für Pieper die deutschen »Hohlköpfe […] in dasselbe Horn« (10) der Amerikaner und widersetzen sich einem möglichen Rüstungsabbau. Die Westdeutschen seien vielen Irrtümern »durch das Lesen und Hören […] einseitiger, bewußt irreführender Berichte zum Opfer gefallen« (29), wie der Physiker Pieper nicht müde wird zu betonen, indem er immer wieder auf die Propagandarolle Bezug nimmt. Auf auffallend hohem Skalenwert steht selbstverständlich die Sowjetunion. Während ›drüben‹ nie »ein gehässiges Wort über die Deutschen fällt« – die in der Sowjetunion als »Volk eines Schiller und Goethe, eines Beethoven und Brahms« (12–13) bewundert werden –, sähen die Bundesdeutschen in den Russen »nur die Bolschewisten« (13). Auch die anscheinend neutralen Gesprächsthemen bei Tisch, in der vorwiegend dialogischen Struktur des Textes, enthüllen sich als Diskussion um Divergenzen zwischen Ost und West und reflektieren deshalb ein manichäisches Korollar zu dem politisch-ideologischen Vorrat an Intoleranz und Stereotypen, der im Drama zentral ist. Man streitet sich z. B. über die Urheberschaft der Hornhautverpflanzungsmethode, die Professor Pieper im Unterschied zu seinen Tischgästen nicht den Amerikanern, sondern einem sowjetischen Gelehrten zuschreibt. In der hitzigen Unterhaltung schießen alle gegeneinander Giftpfeile jeder Art ab; ganz entgegengesetzte Meinungen über Wissenschafts- und Lebensmodelle konkurrieren miteinander. Russische Mode rivalisiert mit amerikanischem Design (»Frau Siewersen […]: ›Vielleicht bekommen wir eines Tages auch noch das Russenhemd als Modeneuheit vorgesetzt.‹; Peter : ›Sie meinen statt der Cowboyhemden?‹«, 39) und manche Gäste sind sicher, dass die Frauen »dort alle Hosen tragen, so / la Mannweib« (40). Hedda Zinner lässt auch die Moral in der Sowjetunion von ihren unsympathischen westdeutschen Figuren grob und oberflächlich in Frage stellen: Die russischen Sitten sind für Piepers Gäste »entsetzlich verkommen«, »man badet

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nackt, Männer und Frauen zusammen« und Frauen seien »sozialisiert, sie gehören allen« (28). Seinerseits zeigt sich Pieper über die Skrupellosigkeit der Westdeutschen recht empört: Beim Plaudern über Autounfälle und Versicherungsgesellschaften anlässlich des Falls eines reichen deutschen Autounfallversicherers fragt er sich, worin der Kern einer wahren Moral liege. Dabei beteuert er, er könne nicht »moralisch rechtfertigen, daß aus dem Unglück von Menschen ein Geschäft gemacht wird« (33), wie es in der Bundesrepublik vorkomme. Solche westlich-östlichen Zwistigkeiten, deutsch-russische Gegensätze, kapitalistische und sozialistische Bewertungen bilden also den roten Faden der Dialoge. Überhaupt wird das Problem ›Vorurteile und Klischees‹ häufig berührt und von der Autorin dramatisiert. Im Sozialismus fokussiert das Drama einen gesunden Gerechtigkeitssinn, der sich der amerikanischen Perversion der kapitalistischen Interessen und der damit verknüpften Nuklearpolitik widersetzt. Langsam versteht der Physiker, dass dem bundesdeutschen Verteidigungsministerium, das ihn zur Forschung drängt, daran liegt, seine Experimente mit Rechenautomaten als Raketenleitwerke zu verwenden. Die Regierung beansprucht seine Ergebnisse nur zu Kriegszwecken, denn man will sie nicht »in Feindeshand fallen lassen […]. Das Vaterland wäre gefährdet« (105), zumal sie »für die militärische Entwicklung der Bundeswehr – und darüber hinaus die Streitkräfte der Vereinten Nationen – höchst bedeutsam sind« (111). Piepers anschauliche Missstimmung ist groß. Hier der Physiker in einem aufgeregten Gespräch mit Oberst Heidemann: Peter : Meine elektronischen Automaten dienen einzig und allein der Wissenschaft, der Industrie, der Automatisierung der Produktion […]. Ich habe nichts mit dem Verteidigungsministerium oder mit sonstigen militärischen Institutionen zu tun und will es auch nicht! Heidemann: Sag’ mal, bist du wirklich so weltfremd oder tust nur so? Es ist doch selbstverständlich, daß die ERA vom Verteidigungsministerium kontrolliert wird. In solch angespannten Zeiten hat sich eben alles der militärischen Notwendigkeit unterzuordnen. Das ist doch klar. Peter : […] Ich arbeite nicht für den Krieg. […] Ich habe einmal in meinem Leben für den Krieg gearbeitet und mir geschworen: Nie wieder! Nie wieder – hörst du?! (50–51)

In dem Wissenschaftlerdrama mischen sich hier Merkmale des Verrats- und Geheimagentenstücks. In der Ära des sich aufschaukelnden Kalten Kriegs werden Kernforscher in der BRD streng kontrolliert. Einspannen möchte man sie für Spionagezwecke, und Pieper wird um eine ›Vermittlungsrolle‹ gebeten, um einen Physiker der Ostzone »abzuwerben« (57). Als aber der Professor erfährt, dass sich für seine Projekte auch »die Amerikaner […] interessieren« (64) und dass die von ihm verlangte zusätzliche Abmachung zum Vertrag (»daß die Ergebnisse meiner Forschungen bei keinerlei Kriegsproduktion Verwendung

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finden werden«, 62) abgelehnt wird, kündigt er. Interessant ist dabei, dass Pieper zu einem exemplarischen Fall in der Typologie der immer zahlreicher werdenden Wissenschaftler gemacht wird, die sich gegen atomare Aufrüstung einsetzen: »Diese Professoren – nicht zuletzt gerade die Physiker – machen uns in letzter Zeit immer mehr zu schaffen«, beklagt man im Ministerium. »Da muß endlich mal energisch gestoppt werden. Man muß all diesen Herrschaften begreiflich machen, daß die zugespitzte Situation keine persönlichen Extravaganzen mehr zuläßt« (105). Dem Idealtypus von Langenbecks Phantasten kommt Professor Pieper sehr nahe. Er hat »weltfremde Ideen« (113) und ist ein Romantiker, wie der Amerikaner Mr. Hearvest konstatiert: Sonderbare Menschen seid ihr Deutschen. […] Dieser Pieper ist doch ein intelligenter Mensch, ein exakter Wissenschaftler, ein Mann der Zahlen und Fakten –, aber im praktischen Leben? Ein – wie sagen Sie deutsch? – ein trotziger Knabe. Einfach dumm. Wir haben es versucht mit Argumenten der Vernunft: er sagt nein. Wir haben ihm gedroht: er sagt nein. Wir haben ihm Geld geboten, sehr viel Geld: er sagt nein. Verstehen Sie so eine Dummheit von einem klugen Mann? Er arbeitet für den Frieden, und das will er schriftlich! […] Als ob ihm das eine Garantie geben könnte. Einfach dumm. Ich glaube Ihr Deutschen nennt das: Ein Romantiker. Stimmt es? (102)

Um die dramatische Wirkung zu erhöhen und das DDR-Bild als edelmütiger Hüter und Bewahrer des Friedens zu veranschaulichen, werden hier alle üblichen Stimmungselemente eines Spionagedramas – Überwachungsnetz, Erpressung, Auskundschaftung – kunstvoll in Szene gesetzt. Von einem Agenten des amerikanischen Sicherheitsdienstes, Thormann – einem laut Regieanweisung »untersetzte[n] Mann mit schlechten Manieren« (86)433– lässt die Autorin ihren Helden heimlich verhaften und des Verrats anklagen (»Sie haben versucht, diese Geheimnisse an die Russen zu verkaufen«, 88), falls er seine Kündigung nicht zurücknimmt. Der tödlichen Logik des Kapitalismus (»Entweder soundsoviel Dollars oder ins Zuchthaus wegen Verrat militärischer Geheimnisse«, 104) zeigt sich aber Pieper weit überlegen. Er, der sich geschworen hat, sich »nie wieder mitschuldig zu machen an einem Kriege« (82), widersteht allen Bestechungsversuchen und Verlockungen der deutschen und der amerikanischen Regierung. Hier kann Zinners pazifistisch orientierter Physiker seine Wandlung vollends vollziehen und auf die politische Hauptfrage des Textes, ob es richtig sei, in die DDR überzusiedeln, seine Antwort geben. Erst jetzt wird ihm der elende Sinn der West-Demokratie endgültig und unwiderruflich klar : »Jetzt weiß ich auch, was das ist: Ihre weltgerühmte ›westliche Freiheit‹ […]. Freiheit, Maria. Freiheit«, erklärt er seiner Frau, »man will mich erpressen, daß ich in der ERA bleibe, für den Krieg arbeite« (92). Seine Absage ist sein Triumph. Um eine 433 Dagegen ist der aus der DDR stammende Dr. Dreher »leise, höflich« und »hat gutes Benehmen« (118).

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von der westlichen Regierung gefürchtete Konferenz mit der ausländischen Presse zu vereiteln, wird Pieper freigelassen. Unterstützt wird er dabei von Dr. Wels, einem Advokaten aus der DDR, der im Stück eine wesentliche Rolle bei der Erörterung der verschiedenen Argumente pro und kontra die Übersiedlung in die DDR spielt. Er ist es auch, der Pieper »mit der Rhetorik des Rechtsanwalts und der Klarheit des Sozialisten«434 überredet, in die DDR zu gehen. Mit seiner Familie kann Pieper nun planen, nach Dresden umzuziehen, wo er endlich frei forschen wird. Die Entscheidung für den Sozialismus gewinnt damit den Charakter einer Entscheidung nicht nur für die Freiheit, sondern auch und im Besonderen für den Frieden. Auch in dieser Hinsicht wird Zinners Held zum positiven Beispiel für moralische Haltung und politische Verantwortung: »Die aufrechte Haltung der Göttinger Professoren und der vielen anderen Wissenschaftler, die Bundestagdebatte, die Streiks […], die zahlreichen Kundgebungen gegen den Atomtod […] nun, […] es ist doch einleuchtend, daß all diese Dinge den Herren Militaristen höchst unangenehm sind« (122). Der Familienkonflikt, von dem die Handlung ausgegangen war, erweitert die ursprüngliche private Perspektive zur Dimension eines Kollektivbewusstseins; der Einzelfall kann seine gerechte Reaktion auslösen, die »wirksame Mobilisierung gegen den Atomtod« (126). Das Drama, das »im Charakter eines Kammerspiels« begonnen hatte, verwandelt sich in ein engagiertes Zeitstück. Diese direkte kämpferische Attitüde im Doppeldienst des Sozialismus und des Friedens ist gewiss der Grund für die breite politische Akzeptanz, die Auf jeden Fall verdächtig bei der Uraufführung am Vorabend des Erfurter Arbeiterjugendkongresses fand. Simone Barck: Hedda Zinner. In: Literatur der DDR. Einzeldarstellungen. Hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Hans Jürgen Geerdts. Berlin 1987. Bd. 3, S. 530–547 (Bibliographie, S. 639–643). Uta Klaedtke, Martina Ölke: Erinnern und erfinden: DDR-Autorinnen und »jüdische Identität«; (Hedda Zinner, Monika Maron, Barbara Honigmann). In: Ariane Huml, Monika Rappenecker (Hrsg.): Jüdische Intellektuelle im 20. Jahrhundert. Literatur- und kulturgeschichtliche Studien. Würzburg 2003, S. 249–274. Willi Köhler : Auf jeden Fall verdächtig. Uraufführung eines neuen Stückes von Hedda Zinner in Erfurt. In: Neues Deutschland, 11. April 1959, S. 4. Gerhard Piens: Konsequenz der Friedensliebe. In: Theater der Zeit (1956), H. 5, S. 55–57. Walther Pollatschek: Auf jeden Fall verdächtig. Schauspiel von Hedda Zinner. In: Berliner Zeitung, 3. April 1959, S. 3. Jana Rahders: Kann man sein Leben lang die Wahrheit verleugnen? Das sozialistische Weltbild der DDR-Autorin Hedda Zinner. In: Siegfried Lokatis, Theresia Rost, Grit

434 Gerhard Piens: Konsequenz der Friedensliebe. In: Theater der Zeit, H. 5, 1956, S. 55.

Gerhard Stübe: Harakiri. Eine Funkerzählung (1959)

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Steuer (Hrsg.): Vom Autor zur Zensurakte: Abenteuer im Leseland DDR. Halle 2013, S. 73–80. Irena Swiatlowska: Hedda Zinners Gewissensprüfung im Angesicht der Wende 1989. In: Joanna Ławnikowska-Koper, Jacek Rzeszotnik (Hrsg.): Literarische Koordinaten der Zeiterfahrung. Dresden 2009, S. 196–203. Hedda Zinner : Auf jeden Fall verdächtig. Unverkäufl. Manuskr. Berlin [o. J. 1959]. Dies.: Von der Anregung zum Thema [Ansprache von Hedda Zimmer an das Publikum anläßlich einer Inszenierung, o. O., ca. 1959]. In: Hedda-Zinner-Archiv. Akademie der Künste Berlin. Signatur: Zinner 286.

59.

Gerhard Stübe: Harakiri. Eine Funkerzählung (1959)

Autor : Gerhard Stübe (1921–2006) Darbietungsform: Funkerzählung Erstsendung: 1958 Ort: Japan Zeit: um 1955

Gerhard Stübes langjähriges Wirken als Rundfunkredakteur in den DDR-Radiosendern Berliner Rundfunk, Radio DDR und Deutschlandsender während der fünfziger Jahre sowie seine späteren Arbeiten für das Fernsehen bekunden ein starkes und vorrangiges Interesse an Themen von politischer und historischer Aktualität.435 Im Stück Harakiri geht er mit sozialistischer Zuversicht in die mahnende Funktion der Literatur das Problem der radioaktiven Verseuchung an und wendet sich gegen die amerikanischen Atomtests im Pazifik. Der Kommentar auf dem hinteren Umschlag des 1959 in der Taschenbuchserie ›Die Reihe‹ vom Aufbau-Verlag erschienenen Textes stellt den behandelten Fall explizit als »alarmierendes Zeichen« dar und fügt belehrend hinzu: »Dieses Zeichen muss verstanden werden«. Der Rostocker Schriftsteller greift dabei noch einmal auf den katastrophalen Unfall bei den Fischern einer kleinen japanischen Insel zurück, den schon Weyrauch drei Jahre zuvor zum Gegenstand seines choralen Hörspiels Die japanischen Fischer gemacht hatte. Im Mittelpunkt von Harakiri steht dennoch nicht eine Gruppe oder etwa ein Dorf, sondern die Verzweiflung eines Einzelnen, der aus Schuld und Ohnmachtsgefühl den im Titel angedeuteten Freitod wählt. Es ist diese Tragödie, die der Text teils durch eine 435 Über Gerhard Stübes Rolle bei der Literaturvermittlung im Betrieb des Rundfunks berichtet Ingrid Pietrzyinski in ihrem mit wichtigen Informationen versehenen Beitrag: »Die Menschen und die Verhältnisse bessern…«. Literaturvermittlung in Literatursendungen des DDR-Rundfunks. In: Monika Estermann, Edgar Lersch (Hrsg.): Buch, Buchhandel und Rundfunk 1950–1960. Wiesbaden 1999, S. 160–180. Zu Stübes Biographie s. auch Hanns Peter Karr : Lexikon der deutschen Krimi-Autoren – Internet-Edition, unter URL: http:// www.krimilexikon.de/stuebe.htm.

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berichtende Sprecherstimme, teils durch knappe dialogisierende Momente heraufbeschwört. Mit dem 1958 urgesendeten Werk,436 das sich im Untertitel als »eine Funkerzählung« ausgibt, liefert Stübe ein in monologisierender Form stark abgewandeltes Hörspiel, das sich der evokativen Macht des Wortes in einem Amalgam aus lyrischen, epischen und dramatischen Elementen bedient.437 Harakiri ist über weite Strecken reine Schilderung und Wiedergabe in der Vergangenheitsform. Insgesamt weist es eine episodenhafte Struktur auf, die aus lockeren Bildern besteht. Erzählt wird die Geschichte von Anesaki, hinter dem die Figur des bekannten Arztes und Biologen Shikemidshu steht, dessen Selbstmord auf dem Gipfel der Berühmtheit ganz Japan erschüttert und berührt hatte.438 Die erste Situation auf dem Berg der toten Kiefern – der den Mechanismus von Aufstieg und Fall (»auf jegliche Erhebung folgt der Fall«)439 spiegelt, den das Schicksal des Protagonisten parabelhaft verkörpert – wird mit der Stimme von Hakamada eröffnet, der vom Leben Anesakis, seines Lehrers und geistigen Vaters, berichtet. Die Szene, die in einem Bergkloster stattfindet, gibt den Dialog zwischen Anesaki und einem Mönch wieder und umgrenzt den Tätigkeitsbreich des Arztes. In der Diskussion geht es um Wert und Bedeutung des Fortschritts für die Kultur- und Menschheitsentwicklung. Im Unterschied zur skeptischen Einstellung des Mönchs, der der Technik eher ablehnend gegenübersteht (»ein Fortschritt, der im Rauchpilz der Atombombe von Hiroschima440 endete«, 7), bejaht der Mediziner in seiner unbedingten Forschungsliebe jeden Fortschritt und erhofft sich daraus – als »Antwort auf die Atombombe«, wie er selbst in dem folgenden Rückblick bekennt – eine Strukturveränderung des menschlichen Erbgutes: Jener Mönch war nach der Vernichtung Hiroschimas, die auch meine Seele zerstörte, in das Kloster eingetreten. Er möchte ins Nirwana entfliehen, wo die Erinnerung an das Grauen erlischt. Aber, mein lieber Dr. Hakamada, es gibt einen besseren Weg. Man muß die Feinde des Lebens bekämpfen, in welcher Gestalt sie auch auftreten mögen, Sie verstehen. Meine Antwort auf die Atombombe ist die Erneuerung der menschlichen Zellkörper … (11) 436 Ein genaues Sendedatum konnte ich bisher nicht nachweisen. Für Sibylle Bolik findet die Ursendung schon 1958 statt. Vgl. Sibylle Bolik: Das Hörspiel in der DDR (Anm. I, 5), S. 320. 437 Zu den rundfunkeigenen Spielformen einschließlich der Funkerzählung vgl. Otto-Heinrich Kühner : Dramaturgie des Hörspiels, der Funkerzählung und des Features. Nachwort zu: Ders.: Mein Zimmer grenzt an Babylon. Hörspiel, Funkerzählung, Feature. München 1954, S. 201–245. 438 Diese Information findet sich im Artikel von Karl Burckheiser : Das Brandmal des Kain. In: Heute und Morgen (1955), S. 183. 439 Gerhard Stübe: Harakiri (Anm. I, 96), S. 5. 440 Im Text immer mit ›sch‹ geschrieben. Eine Ausnahme bildet die Stelle (S. 23), die ich mit [sic] signalisiert habe.

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Dramaturgisch stellt ihm der Autor, in der simplen Konstellation der zwei rassen- und traditionsverschiedenen Typen komprimiert, die Frechheit eines Amerikaners gegenüber : Colonel Austen Thayers von der Militärkommandantur in Japan, durch den Stübe dem zunehmenden Zorn der Japaner über die Arroganz der amerikanischen Militärpräsenz in ihrem Land Ausdruck gibt. Thayers gehört nämlich für den Erzähler Hakemada »zu jenen Amerikanern, die mit der Betriebsamkeit christlicher Missionare die Segnungen der westlichen Demokratie in unserem alten Inselreich zu verbreiten bemüht waren, in einer manchmal aufdringlichen, taktlosen Weise« (17). In dem zentralen Gespräch zwischen Thayers und Hakamada selbst, im zweiten Bild Monsun, klingen viele Grunddynamiken des Atomdiskurses an. Vorherrschend ist im wiederholten Austausch von beiderseitigen Argumenten die Fokussierung auf die Abwürfe der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, die der Colonel als japanische Obsession kritisch ironisiert: »Immer wieder : Hiroschima und Nagasaki, Nagasaki und Hiroschima, wohin man auch kommen mag in eurem sonst so angenehmen Land. Japan muß sich endlich aus diesem Traum lösen« (22). Stübe lässt aber noch andere gängige Motive und thematische Stränge des Atomdiskurses einfließen.441 Die Reue des Bomberpiloten und die Buße des Westens, die Rhetorik des Atombombeneinsatzes zur Beendigung des Weltkriegs, alles ist hier versammelt und mit dem wiederkehrenden Repertoire von Gräueln und Schrecken der Explosion und dem entsprechenden Unbeschreiblichkeitstopos verbunden. Auch die US-Perzeption der Atombombe, in die Richtung einer notwendigen Reaktion auf Pearl Harbour gelenkt – nach dem Muster, das bereits in Hans Pfeiffers Laternenfest zu sehen war –, ist hier vorhanden. Hakamada erregt: Der amerikanische Fliegeroffizier, der sich dafür hergab, ist vor Gewissensqualen ins Kloster gegangen. Meinen Sie, damit sei der moralischen Entrüstung der Weltöffentlichkeit Rechnung getragen? Thayers gereizt: Die ersten Bomben des Krieges im Pazifik sind auf Pearl Harbour gefallen. Es waren japanische. Hakamada ruhig: Ich verurteile diesen Überfall genauso wie Sie, Colonel Thayers, aber nicht die dreihunderttausend Toten von Hiroshima [sic] und Nagasaki trugen Schuld daran. Thayers ungeduldig: […] Zugegeben, die Atombombe war schrecklich, aber hat sie nicht auch den Krieg radikal beendet, weiteres Blutvergießen verhindert? Hakamada erregt: Sie hat die Menschheit auf die Stufe des Kannibalismus zurückgeworfen. Schlimmer noch: Heute, fast zehn Jahre später, sterben noch Menschen an den Auswirkungen der radioaktiven Strahlen. Tausende junger Männer und Frauen sind 441 Zur Spannbreite von Bildern und Modellen, die den frühen Diskurs über die Atombombe prägen, vgl. die wertvollen Ausführungen von Wilfried von Bredow : Der Atomdiskurs im Kalten Krieg (Anm. I, 6).

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zeugungsunfähig. Kinder ohne Lunge, ohne Darmausgang werden geboren, andere kommen mit Hirnhautgeschwülsten oder zusammengewachsenen Speise- und Luftröhren auf die Welt. In Nagasaki gibt es ganze Klassen radioaktiv verseuchter Schulkinder, deren geistiger Entwicklungsstand demjenigen von Drei- oder Vierjährigen entspricht. Für diese Abnormitäten reicht ein Wort wie »schrecklich« nicht aus, Mister Thayers… (23)

Der zynische Amerikaner, der sich wie vorhergesehen grob und ungehobelt benimmt,442 fungiert also im Text als Gegenfigur zur unbeugsamen Moralität des Arztes (»ein notorischer Idealist«, 33), der ungeachtet des Verdienstes sein Leben nur in den Dienst der menschlichen Gesundheit stellt. Als »Samurai der Wissenschaft« (13) dient Anesaki seiner hohen Aufgabe mit der Besessenheit, die ihm eigen ist. Und gerade daraus entspringt auch die für seine an Stoffwechselkrankheiten leidenden Patienten fatale Anordnung, sie wegen der positiven »Einwirkungen der Sonnenstrahlen« und der »Verdunstungen des salzhaltigen Meerwassers« (31) auf die See hinauszuschicken. Gleichzeit soll der medizinische Versuch »die Wissenschaft um neue Forschungsergebnisse bereichern« (32). Mit der Einwilligung der amerikanischen Behörden, die »keine Schwierigkeiten machen« (»in Fragen der Humanität niemals, Professor. Wir werden die Sache unterstützen, todsicher« (33), wie der Autor, nicht ohne eine gewisse Ironie, Thayers vermerken lässt), gelingt es Anesaki, unter der Führung seiner Assistentin Michiko das Experiment auf dem Fischkutter namens »Leuchtender Drachen« durchführen zu lassen, d. h. genau auf jenem Boot, das in die amerikanischen Nukleartests involviert war und der radioaktiven Verstrahlung ausgesetzt wurde. Der »Leuchtende Drachen«, berichtet die Stimme von Hakamada im gleichnamigen Bild, »war hundertachtzig Meilen östlich des Bikini-Atolls in den Bereich einer Wasserstoffbombenexplosion geraten und mit radioaktivem Staub überschüttet worden« (47). Nüchtern erklärt Hakamada, welche Weisungen das amerikanische Militärhospital aus Gründen der militärischen Sicherheit erteilt habe, um die Verunglückten völlig zu isolieren, wie und woran die Schiffsbesatzung starb, dem Zuhörer dabei keine unangenehmen, aufrüttelnden oder sogar abstoßenden Einzelheiten ersparend. Ebenso nüchtern endet das Bild mit der ruhigen Stimme von Anesaki, der, vom Gefühl der Schuld gegenüber seinem Patienten durchdrungen (»Ich bin’s, Professor Anesaki […]. Dein Mörder«, 49), »in tiefer Resignation vor dem brutalen Ansturm des Antihumanen« (53) Harakiri begeht. 442 Gerne würde er Dr. Anesaki eines seiner prächtigen Erbstücke, ein Schwert oder eine Scheide, abkaufen (»Lassen Sie mir eine. Ich gebe Ihnen hundert Dollar. – Vielleicht die weiße, ein wundervolles Stück. Sie können sie entbehren, Professor. Lacht. Der moderne Japaner schlitzt sich nicht mehr den Bauch auf«, 44).

Harald Hauser: Weißes Blut (1959)

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Aber sein vermeintliches Scheitern als Mensch und als Wissenschaftler, der sich im Besitz einer Antwort auf den Atomtod wähnte (»seine Antwort auf den Atomtod von Hiroschima war der Kampf um die Verlängerung des menschlichen Lebens gewesen«, 53), trägt jedoch nicht das Signum des Versagens, sondern eher das der Herausforderung zur weiteren Kampfbereitschaft. Der Gestus des Suizids entlarvt ja noch stärker den Zynismus des Amerikaners, der die von der Entscheidung des edlen Mannes ausgelöste emotionale Welle durch Lüge und Bestechung bändigen will. Mit allen Mitteln ist er bemüht zu verhindern, dass Anesakis Selbstmord »als ein Menetekel empfunden« (56) wird. Angesichts der als »Krokodilstränen der Kommunisten« abgewerteten Proteste bietet er Hakamada eine beachtliche Geldsumme, damit dieser vor der Presse den Tod des Professors auf »persönliche Gründe« (57) zurückführe. Bei der entrüsteten Reaktion des Japaners kommt die ganze US-amerikanische Anmaßung der Macht zur Geltung: sie verhaften Hakamada, um ihn zum Schweigen zu bringen. Im letzten Bild besucht die Erzählfigur noch einmal die junge Assistentin von Anesaki, Michiko, der als – wenn auch schon erkrankten – Überlebenden des Bootsunfalls auferlegt ist, die Forschungs- und Lebensaufgabe des Lehrers zu erfüllen. Das Stück endet dort, wo schon Pfeiffers Abschied endete und wo ein weltweiter Protest beginnen könnte: mit der Teilnahme von Michiko und Hakamada an der Flottenfahrt in Richtung auf die Weihnachtsinseln, »um die geplanten Wasserstoffbombenversuche der Briten verhindern zu helfen« (64). Karl Burckheiser: Das Brandmal des Kain. In: Heute und Morgen (1955), S. 183. Hanns Peter Karr : Stübe, Gerhard. In: Lexikon der deutschen Krimi-Autoren – InternetEdition, unter URL: http://www.krimilexikon.de/stuebe.htm. Ingrid Pietrzyinski: »Die Menschen und die Verhältnisse bessern…«. Literaturvermittlung in Literatursendungen des DDR-Rundfunks. In: Monika Estermann, Edgar Lersch (Hrsg.): Buch, Buchhandel und Rundfunk 1950–1960. Wiesbaden 1999, S. 160–180. Gerhard Stübe: Harakiri. Eine Funkerzählung. Berlin 1959.

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Harald Hauser: Weißes Blut (1959)

Autor : Harald Hauser (1912–1994) Darbietungsform: Schauspiel in zwei Akten Uraufführung: 9. Januar 1960, Städtische Theater Leipzig (Kammerspiele) Ort: München Zeit: Gegenwart

Die für die Friedensdramatik der DDR charakteristische antiamerikanische Tendenz wird in Harald Hausers Stück Weißes Blut emphatisch und stigmati-

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sierend zur Schau getragen.443 Im Mittelpunkt steht ein Bundeswehroffizier, Major Manfred von der Lohe, der von einer Spezialausbildung in den USA strahlenverseucht zurückkehrt. Die konkrete Einbeziehung der Antiatombewegung in die Handlung soll die demokratische Beteiligung des Volkes umreißen, aber auch die sozialen Klassenkonflikte, die im Westen von dem Fortbestehen einer alten Gesellschaftsordnung zeugen. Dadurch wird hier das Überdauern von faschistischen Denkmustern in der Ära Adenauer angedeutet und für die Remilitarisierung und nukleare Bewaffnung verantwortlich gemacht. Die Lokalisierung des Dramengeschehens in Westdeutschland steckt den politischen Themenkreis noch genauer ab und bringt ihn zugleich in enge Verbindung mit der Kritik an der Rüstungspolitik nicht nur der Vereinigten Staaten, sondern auch ihrer militärischen Bündnispartner. Hausers zunächst für das Fernsehen konzipiertes, dann auch für das Kino verfilmtes Werk444 setzt das publizistische und literarische Engagement fort, mit dem der Autor schon in seiner Jugend gegen den Nationalsozialismus und auf Seiten der KPD, in die er 1932 infolge einer Moskauer Studienreise eintrat, gekämpft hatte. Auch nach seiner Ausbürgerung aus Deutschland leistete Hauser politischen Widerstand. Während des illegalen Aufenthalts in Frankreich unter dem Decknamen Jean-Louis Maurel gab er die illegale Zeitung Volk und Vaterland heraus, das Organ des von ihm mitgegründeten Komitees Freies Deutschland für den Westen (KFDW). Über diese Erlebnisse im Exil berichtet Hauser selbst in seinem 1947 in Berlin erschienenen autobiographischen Roman Wo Deutschland lag. Ein stark agitatorischer Zug, ein Zug von zivilem und politischem Ungehorsam, haftet auch nach Kriegsende seiner schriftstellerischen Produktion an. Wie Günter Wirth schreibt, ist Harald Hauser im Grunde genommen »immer ein bisschen Jean-Louis Maurel geblieben«.445 Aktiv beteiligte er sich in der ersten Nachkriegszeit an der Reorganisation der Kommunistischen Partei im Westen Deutschlands, zog danach voller Erwartungen und Hoffnungen in die DDR, wo 443 In der von DDR-Kritikern unter Leitung von Horst Haase herausgegebenen Literatur der deutschen demokratischen Republik liest man bezeichnenderweise, dass »die antiimperialistische Thematik […] im Werk von Harald Hauser (geb. 1912) eine zentrale Rolle« spielte: Geschichte der deutschen Literatur. Literatur der deutschen demokratischen Republik. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Horst Haase und Hans Jürgen Geerdts, Erich Kühne, Walter Pallus. Berlin 1976, S. 386. 444 Zu den Adaptionen vgl. Heinz Hoffmann: Dramatischer Aufruf in drei Gestaltungsformen. »Weißes Blut« von Harald Hauser in Leipzig. In: Theater der Zeit (1960), H. 3, S. 70–73. Einige Szenen aus dem Stück waren schon vorher in der Rubrik Aus neuer Dramatik in Theater der Zeit (1959, H. 10, S. 26–29) veröffentlicht worden. 445 Günter Wirth: Mit dem Lautsprecher in vorderster Linie. Zum Gedenken an den 10. Todestag Harald Hausers alias Jean Luis Maurel. In: DRAFD e. V., Verband Deutscher in der R8sistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung »Freies Deutschland« e. V., unter URL: http://www.drafd.de/?Harald_Hausers.

Harald Hauser: Weißes Blut (1959)

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er eine immer mächtiger werdende intellektuelle und organisatorische Stellung im Kulturleben der jungen Demokratischen Republik bekleidete. Er arbeitete mit den etabliertesten Zeitungen und Zeitschriften des Regimes zusammen (Neues Deutschland, Die Neue Gesellschaft, Freie Welt) und wurde mit zahlreichen Staatsauszeichnungen geehrt. Als Weißes Blut entstand, war Hauser auf dem Gipfel seiner Berühmtheit. Das Schauspiel genoss weite Verbreitung in allen seinen Fassungen. Die gleichnamige Filminszenierung lief am 22. März 1959 im Fernsehen und schon wenige Monate später folgte der DEFA-Film des Regisseurs Gottfried Kolditz.446 Die Schauspielfassung kam, nach der Leipziger Uraufführung vom 9. Januar 1960, am 26. April desselben Jahres in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin mit großer Resonanz auf die Bühne. Laut Theater in der Zeitenwende wurde das Stück »im Verlauf der Spielzeiten 1959/60 bis 1962/63 in 14 Theatern 374 mal aufgeführt«.447 Dafür bekam Hauser 1960 auch den Nationalpreis der DDR. Zweifellos erfüllte die Problemstellung des Textes die hohe »Aufgabe«, die »sich Harald Hauser als Verpflichtung zu Ehren des V. Parteitages der SED gestellt«448 hatte, wie die Berliner Zeitung noch während der Entstehung des Werks notierte. Es besaß tatsächlich die besten inhaltlichen Voraussetzungen, um die kulturpolitischen Ansprüche der Partei befriedigen zu können: Opfer und Biester, korrupte Alte und zukunftsorientierte Junge, rüstungsbegeisterte Militärs und hemmungslose Unternehmer, prosowjetische Pazifisten und amerikafreundliche Bundesdeutsche mit unbeirrbaren antikommunistischen Grundsätzen (»Rot ist alles, was die Ordnung stört. Mancher, der sich subjektiv für einen freien Menschen hält, ist geschichtlich ein Agent Moskaus«).449 Außer diesem Gut-Böse-Schema besaß aber die Fabel auch die notwendigen Zutaten für einen wahren Publikumserfolg, da sie auch auf das in der DDR-Nachkriegszeit bedeutende Thema des Durchbrechens des Schweigens eingeht. Hauser entwickelt es am Beispiel einer einfachen Familienkonstellation: Ein reicher, aber völlig menschen- und gefühlverachtender Vater, eine schwangere Tochter, die dem leukämiekranken Ehemann, Major Manfred von der Lohe, zur 446 Vgl. Horst Knietzsch: Weißes Blut – made in USA und »Bevor der Blitz einschlägt«. Zwei Filme der DEFA zum 10. Jahrestag. In: Neues Deutschland, 12. Oktober 1959, S. 3; H. U.: Den unaufhaltsamen Tod im Blut. Der DEFA-Film »Weißes Blut« uraufgeführt. In: Neue Zeit, 8. Oktober 1959, S. 3. Auch die Zeit rezensiert den durchaus gut gemachten, jedoch in Sachen Propaganda allen Forderungen der SED entsprechenden Film, vgl. Gottfried Paulsen: Neue Welle: Kohlen, Küsse, Friedenskampf. In: Die Zeit, 23. Oktober 1959, unter URL: http://pdf.zeit.de/1959/43/neue-welle-kohlen-kuesse-friedenskampf.pdf. 447 Vgl. Werner Mittenzwei u. a. (Hrsg.): Theater in der Zeitenwende (Anm. I, 10), Bd. 1, S. 125. 448 O. A.: »Weißes Blut«. In: Berliner Zeitung, 8. Juli 1958, S. 3. Mit genau denselben Worten kommentiert auch die Neue Zeit (10. Juli 1958, S. 4) das Fernsehspiel. Zwischen 1958 und 1959 erscheinen in den DDR-Zeitungen zahlreiche kurze Pressenotizen über das Ereignis. 449 Harald Hauser : Weißes Blut (Anm. I, 39), S. 30.

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Seite steht, ein vielleicht etwas ungehobelter, dennoch liebenswerter und vertrauenswürdiger Arzt, der das junge Paar unterstützt und schließlich dem Major zum öffentlichen Geständnis der bei der Durchführung von Nukleartests sich zugezogenen Krankheit verhilft. Die Handlung wird aber so angelegt, dass der individuelle Konflikt zwischen dem kranken Protagonisten und der moralisch fragwürdigen Figur des Schwiegervaters über das Private und Familiäre hinausgeht und eine gesellschaftliche Konfrontation zwischen den Kräften produziert, die an der Nuklearaufrüstung interessiert sind, und denjenigen, die ihren tapferen Kampf gegen den Atomtod führen. Bedeutungsvoll ist in dieser Hinsicht die Ansiedlung der Geschichte in der Bundesrepublik, wo sich das Böse in dem Bündnis von Finanzund Militärmacht offenbart. Der Münchener Bankier Parochlitz, der mit dem Bau von Abschussrampen Geschäfte macht, erhofft sich durch die Vermittlung des Schwiegersohns Manfred die Vergabe neuer Aufträge seitens der Bonner Regierung. Doch etwas Unvorhergesehenes hindert ihn an seinen Plänen, ein kleiner, banaler Nuklearunfall, der dem Offizier in den United States zugestoßen ist. Dort hat nämlich eine defekte Maske bei der nicht voll gelungenen »Explosion einer mittelsauberen H-Bombe« (38) Manfreds unheilbare Leukämie verursacht. Übrigens eine Krankheit, die ihm in Amerika kein Arzt hat diagnostizieren wollen, wie Manfred im Nachhinein verbittert erzählt: In Amerika ist alles »Militärgeheimnis« […] …Unter Umständen auch die … Gesundheit… […] Als ich Colonel Brenstone, dem Chefarzt unseres military districts, von meinen … Beschwerden sprach, hat er mir geantwortet: Sprechen Sie mit niemandem darüber, auch nicht im Gebet mit dem lieben Gott! Ihre »Vermutungen« sind Hirngespinste! (16–17)

Es ist jedoch nicht die Gefahr der radioaktiven, am Unheil des Protagonisten schuldigen Verseuchung, nicht das schon im Titel anklingende Leukämie-Risiko, das von dieser Regierung gefürchtet wird, sondern die ›epidemische‹ Verbreitung von Informationen über die Schädlichkeit der Radioaktivität. Um zu verhindern, dass die Erkrankung durch Bestrahlung publik gemacht wird (»Das Bekanntwerden der Krankheit gefährde die Bundewehr und den Staat«, 36), plant nun Parochlitz – freilich in totaler Übereinstimmung mit Manfreds Obersten, Brinkhaus –, den atomverseuchten Offizier aus Deutschland zu entfernen. Und er beschränkt sich nicht nur darauf, dem Schwiegersohn einen langen Urlaub in Brasilien zu offerieren, sondern er rät sogar der Tochter zur schnellen Abtreibung und Scheidung von ihrem Gatten. Den Schlüssel zur individuellen Lösung der Konflikte sowie den dramaturgischen Drehpunkt der Fabel markiert die zentrale Gestalt von Professor Soltau, in der Liste der Personen als »Ordinarius für Innere Medizin« eingeführt, der trotz aller Verbote und Drohungen die medizinische Behandlung des vielleicht

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schon zum Tode verurteilten Leukämie-Patienten aufnimmt. Von Soltau stammen die Worte, die den Dramentitel liefern: Als ihn Eleonore, Manfreds Frau, fragt, warum er »von ›rotem‹ Blut« spreche, erwidert der Arzt lapidar : »Es gibt auch weißes… made in USA« (40). Als echter Bayer, etwas derb im Ausdruck, aber aufrichtig im Gefühl, ein alter Freund von Manfreds Vater, einem bei dem Hitler-Attentat ums Leben gekommenen Offizier, wird Soltau von Parochlitz als Träger der Rebellion und als »Aufwiegler« (30) gehasst und gefürchtet. Als Vorsitzender der »Wissenschaftliche[n] Vereinigung gegen den Atomtod« (47) stellt Soltau in den Augen Parochlitz’ die ›andere Seite‹ dar, die in schonungslosen, subversiven Zeitungsartikeln Franz Josef Strauß’ Rüstungspolitik attackiert. Parochlitz (öffnet die Aktentasche, entnimmt ihr eine Zeitung): Richtig. Du kannst die Meinung der »anderen Seite« zufällig heute in der Zeitung lesen… Wo steht es? Da (Liest vor :) … »Die durch Verteidigungsminister Franz Joseph Strauss [sic] während seiner Bundestagsrede als landesverräterisch bezeichnete Äußerung Prof. Soltaus lautet: (Liest langsamer.) … Weder die Fortsetzung der Tests mit Massenvernichtungsmitteln, noch die Ausrüstung der Bundeswehr mit nuklearen Waffen kann durch Hinweise auf Notwendigkeiten irgendeiner ›Landesverteidigung‹ gerechtfertigt werden. Tests und Atombewaffnung kommen der Vorbereitung des kollektiven Selbstmordes gleich…« […] Die »altera pars« läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, nicht wahr? (19)

Seine Figur Soltau lässt Hauser auch die Kontinuität der bundesdeutschen Regierungspolitik zur nationalsozialistischen Vergangenheit artikulieren, die die junge Bonner Demokratie belastet. So der Arzt in einem Gespräch mit Manfred, der ihm Voreingenommenheit unterstellt: Manfred: Du traust der Armee einiges zu: mich aus deiner Klinik herausholen, wegen einer Pressekonferenz! Soltau: Dena trau i noch viel mehr zu! […] Manfred: Du nimmst das zu leicht! Soltau: Was nehm’ i zu leicht?! Daß deine Vor’gesetzten a paar Millione Juden und Polen und Russen »rausg’holt« und vergast hab’n, wie?! Manfred: Das sind nicht die gleichen. Soltau: Die gleichen! Und dieselben! Ich kann dir ihre Namen nennen! Als dein Vater sich gegen sie aufg’lehnt hat, hab’n s’ ihn in den Tod g’hetzt, hernach verraten, und heute pflanzen s’ ihre uniformierten Ärsch’ auf seinen Grabstein! Du wärst g’sund, wann sich do was g’ändert hätt’! (57)

Dabei schlägt Soltau als einzige Möglichkeit eines neuen demokratischen Engagements die ausgedehnte Teilnahme an einer Front von fortschrittlich und antiautoritär denkenden Intellektuellen vor, die sich für die Freiheit einsetzen

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und im Geiste Thomas Manns den Kommunismus nicht zum Schreckgespenst machen (»›Ich kann nicht umhin, in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Wort Kommunismus… etwas Kindisches zu seh’n, die Grundtorheit der Epoche!‹ – woaßt, wer dös g’sagt hat?«, 43). Soltau übernimmt also im Stück die Funktion des öffentlichen Anklägers und öffnet dem zunächst zögernden Manfred die Augen über die Machtziele eines Systems, dessen Spitzel- und Repressionswesen – wie man im Laufe des Dramas immer stärker erkennt – dem amerikanischen nichts zu beneiden hat. Einen Vorgeschmack auf die Methoden der Regierung, die sowohl das Ehepaar von der Lohe als auch Professor Soltau überwacht und heimlich zu eliminieren versucht, gibt eine vertrauliche Mitteilung von Eleonores treuem Hausdiener, durch die die Frau zu ihrem Bedauern einen Einblick in das Manfred erwartende Schicksal bekommt: Wenn es Ihrem Vater nicht gelingt, Herrn von der Lohe dahin zu bringen, daß er den Professor verläßt und nach Südamerika abreist, wird die Wehrmacht eingreifen. Ein Offizier und vier Mann halten sich ab zwölf Uhr am Wassergrundstück bereit. Sie haben Befehl, den Herrn Major in die Isolierstation des Militärhospitals einzuliefern (51).

Die in der aufgeregten Schlussszene von Soltau abgehaltene Pressekonferenz ermutigt Manfred zur Tat, indem sie ihm nicht nur eine konkrete Alternative zu Isolierung und Resignation bietet, sondern auch den einzigen Weg zeigt, um »die Weichen richtig zu stellen« (59), wie der Arzt resolut sagt. Durch die aktive Beteiligung am Friedenskampf erschließt sich Manfred eine neue Gewissheit, eine ihm bislang unbekannte Dimension der Menschensolidarität. Während ihn Oberst Brinkhaus bewacht, weicht Manfred ihm blitzschnell aus und geht an das Sprechgerät. Er erklärt sich vor der versammelten Presse bereit, die Anwesenden und die ganze Welt über das Verstrahlungsrisiko aufzuklären, und verleiht dadurch dem Stück ein plakatives, ethisch befriedigendes Ende: Manfred: Vorsicht, Oberst. Die Welt hört mit. Der Apparat ist eingeschaltet. Brinkhaus (fegt das Gerät vom Schreibtisch): … Wi…. wissen Sie, was … was Sie tun? Manfred: Zum erstenmal das Richtige. (62) Hans Ulrich Eylau: Weißes Blut. Harald Hausers Schauspiel in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. In: Berliner Zeitung, 6. Mai 1960, S. 6. Klaus Hammer : Harald Hauser. In: Literatur der DDR. Einzeldarstellungen. Hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Hans Jürgen Geerdts. Berlin 1979. Bd. 2, S. 119–134. (Bibliographie 489–494). Wolfgang Hanke: Der Tod in den Adern. Harald Hausers Schauspiel »Weißes Blut« in Leipzig. In: Neue Zeit, 2. Februar 1960, S. 4. Harald Hauser : Weißes Blut (Szenen). In: Aus neuer Dramatik. In: Theater der Zeit (1959), H. 10, S. 26–29.

Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens / Der staubige Regenbogen (1959)

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Ders.: Weißes Blut. Berlin 1961. Heinz Hoffmann: Dramatischer in drei Gestaltungsformen. »Weißes Blut« von Harald Hauser in Leipzig. In: Theater der Zeit (1960), H. 3, S. 70–73. Henryk Keisch: Atombarbaren über dir! »Weißes Blut«, Schauspiel von Harald Hauser in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. In: Neues Deutschland, 4. Mai 1960, S. 4. Horst Knietzsch: Weißes Blut – made in USA und »Bevor der Blitz einschlägt«. Zwei Filme der DEFA zum 10. Jahrestag. In: Neues Deutschland, 12. Oktober 1959, S. 3. Werner Mittenzwei u. a. (Hrsg.): Theater in der Zeitenwende. Zur Geschichte des Dramas und des Schauspieltheaters in der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1968. Berlin 1972, Bd. 2, S. 123–126. O. A.: »Weißes Blut«. In: Berliner Zeitung, 8. Juli 1958, S. 3. Gottfried Paulsen: Neue Welle: Kohlen, Küsse, Friedenskampf. In: Die Zeit, 23. Oktober 1959, unter URL: http://pdf.zeit.de/1959/43/neue-welle-kohlen-kuesse-friedenskampf. pdf. H. U.: Den unaufhaltsamen Tod im Blut. Der DEFA-Film »Weißes Blut« uraufgeführt. In: Neue Zeit, 8. Oktober 1959, S. 3. H. U.: Ein Menschenschicksal als Warnung. »Weißes Blut« von Harald Hauser in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. In: Neue Zeit, 3. Mai 1960, S. 4. Günter Wirth: Mit dem Lautsprecher in vorderster Linie. Zum Gedenken an den 10. Todestag Harald Hausers alias Jean Luis Maurel. In: DRAFD e. V., Verband Deutscher in der R8sistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung »Freies Deutschland« e. V., unter URL: http://www.drafd.de/?Harald_Hausers.

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Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens / Der staubige Regenbogen (aus dem Nachlass: 1959)

Autor : Hans Henny Jahnn (1894–1959) Darbietungsform: Drama in elf Bildern Uraufführung: 17. März 1961, Städtische Bühnen Frankfurt Ort: imaginäre Stadt in einem Machtstaat Zeit: Gegenwart

Fast als ein politisches und kulturelles Vermächtnis kann Hans Henny Jahnns letztes Werk, Die Trümmer des Gewissens, betrachtet werden, ein hartes und unversöhnliches Endzeitdrama, in dem sich seine wiederkehrenden Themen – Naturbegeisterung und -zerstörung, inzestuöse Triebe und gesunde Kreatürlichkeit, politische Gewalt und jugendliche Rebellion, Regression und Fortschrittswahn – zum finsteren und manchmal verworrenen Bild eines universalen Atomtodes entfalten. Jahnns geistige und wissenschaftliche Vielseitigkeit als Dichter, Historiker und Hormonforscher, aber auch manche seiner manischautobiographischen Motive, wie Kastration und homosexuelle Knabenliebe, konvergieren in der düsteren Dramenhandlung und gipfeln in einem schicksalhaften Schluss, der ein beinahe triumphales Hinscheiden von Erwachsenen

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und missgebildeten Neugeborenen, Ministern und Militärs, skrupellosen Wissenschaftlern und kompromittierten Geistlichen andeutet. Das knapp einen Monat vor seinem Tod vollendete Schauspiel markiert, wie Raimund Kurscheid nachgewiesen hat, den Höhepunkt eines jahrelangen Interesses an der Frage der Atomenergie, das schon aus Jahnns Schulzeit datiert, als der Schüler in Einsteins Relativitätstheorie die potentielle Gefährlichkeit der Kettenreaktion erkannte.450 Die Mobilisierung von Technik und Wissenschaft zu kriegerischen Zielen, gegen die sich Jahnn bereits im letzten Romanfragment von Perrudja (1929) ausgesprochen hatte, bekämpfte er nach Kriegsende durch die Veröffentlichung zahlreicher Texte zu den Zerstörungskapazitäten der Nuklearenergie und durch Teilnahme an verschiedenen Aktivitäten gegen die Militarisierung Deutschlands. Im Aufsatz Der Mensch im Atomzeitalter aus dem Jahr 1956 äußerte er deutlich dieses Gefühl einer unmittelbar bevorstehenden Weltkatastrophe und konstatierte in der Lebens- und Geschichtssituation seiner Zeit nicht »die Reife zu echter Sittlichkeit«, sondern »die Reife zum Untergang«.451 Im September 1957 trug Jahnn auf einem Schriftstellerkongress in Bonn seine Thesen gegen Atomrüstung vor und gründete kurz danach zusammen mit anderen prominenten Intellektuellen die Aktion Kampf dem Atomtod. Bei der Hamburger Riesendemonstration der Bewegung am 17. April 1958 formulierte er noch einmal seine Prognose zur Weltkriegsentwicklung in der apokalyptisch eingestimmten Rede Militärisches und politisches Denken allein rettet die Menschheit nicht vor dem Untergang, die er auf dem Rathausplatz vor 150 000 Menschen hielt. Ferner unterschrieb Jahnn die Petition an die Bundesregierung für die Verabschiedung einer Rot-Kreuz-Konvention zur Ächtung von Kernwaffen und wurde in Rainer Barzels sogenanntem Rotbuch II452 des von Franz Josef Strauß und Barzel selbst gegründeten Komitees Rettet die Freiheit unter den kommunistisch gesinnten Autoren denunziert.453 Gegenüber der Widerstandseuphorie der späten fünfziger Jahre zeigte sich dennoch Jahnn als wesentlich realistischer, ja pessimistischer, wie Kurscheid 450 Vgl. Raimund Kurscheid: Kampf dem Atomtod! (Anm. I, 49), S. 349–359, hier S. 349. 451 Hans Henny Jahnn: Der Mensch im Atomzeitalter. In: Ders.: Werke und Tagebücher. Sektion Tagebücher. Hrsg. von Thomas Freeman und Thomas Scheuffelen. Hamburg 1974, Bd. 7, S. 403. 452 Verschwörung gegen die Freiheit: die kommunistische Untergrundarbeit in der Bundesrepublik. Hrsg. von der Münchner Arbeitsgruppe »Kommunistische Infiltration und Machtkampftechnik« im Komitee »Rettet die Freiheit«. Bad Godesberg 1960. 453 Ein aufschlussreiches Bild des Antikommunismus in der Adenauer-Ära bieten die Beiträge von Axel Schildt: Antikommunismus von Hitler zu Adenauer. In: Norbert Frei, Dominik Rigoll (Hrsg.): Der Antikommunismus in seiner Epoche: Weltanschauung und Politik in Deutschland, Europa und den USA. Jena 2017, S. 186–203, und Klaus Körner : »Die rote Gefahr«. Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950–2000. Hamburg 2003.

Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens / Der staubige Regenbogen (1959)

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anhand der äußerst kritischen Äußerungen des Schriftstellers zum eigentlichen Umfang des Anti-Atom-Protests betont, der in der Tat nur eine Minderheit der Gebildeten umfasse.454 Im Grunde und trotz aller persönlichen Bemühungen durchzog Jahnn eine Skepsis, die die Wahrscheinlichkeit von Abrüstungsvereinbarungen in Frage stellte, wie gerade sein trostloses Atomdrama Die Trümmer des Gewissens bezeugt. Nukleargefahr, Angst vor dem Aussterben der Menschheit, vor allem aber die Frage nach Funktion, Verpflichtung und effektivem Wirkungsbereich des Wissenschaftlers im modernen Überwachungsstaat sind die zentralen Themen eines Textes, der schon in der symbolischen Polarisierung des Titels – ›Trümmer‹ und ›Gewissen‹ – die Chiffre des äußeren und inneren, des konkreten und moralischen Zerfalls des Menschen enthält und jedes Vertrauen in die menschliche Vernunft relativiert. Das Drama erschien posthum in der 1961 von Walter Muschg betreuten Ausgabe bei der Europäischen Verlagsanstalt. Im Nachwort lehnte Muschg die Formulierung des von Jahnn angeblich auf Rat anderer ausgewählten neuen Titels, Der staubige Regenbogen, zugunsten des ursprünglichen Titels ab und kritisierte mit scharfen Worten die starke Umarbeitung von Piscator und Karlheinz Braun, dem damaligen Leiter des Suhrkamp-Theaterverlags, die kurz zuvor, im März desselben Jahres, die Frankfurter Premiere (als Der staubige Regenbogen) inszeniert hatten. Für Muschg hatte die Bearbeitungsfassung »Jahnns Drama bis zur Unkenntlichkeit« umgeformt. Damit meinte er »tiefe Eingriffe in den Text« – wie z. B. modifizierte Formulierungen, umgebildete Szenenschlüsse, gestrichene Bilder und Gestalten, Unterschiebung von ganzen Sätzen – »zur Auflockerung oder effektvolleren Gestaltung des Dialogs«. Als misslungenes Resultat dieser »Verstümmelung« sah er ein »gedanklich und sprachlich verwässertes Konversationsstück«.455 Piscators umstrittene Textrevisionen und Veränderungen hatten eigentlich darauf gezielt, die dichte, ad absurdum geführte negative Utopie des Stücks in das sich literaturgeschichtlich konsolidierende Schema des Anti-Atom-Theaters hineinzuzwängen und dabei das Bündel von Motiven, das hier in existentielle Grundlosigkeit, Todesvorstellungen, Gräuel und horrorhafte Vernichtungsvisionen einmündet, zu entwirren. Obwohl aber die Regie bemüht gewesen war, viele der nicht leicht in die Typologie des zeitpolitischen Physikerdramas einzustufenden Elemente wegzulassen, obwohl sie versucht hatte, die Krankhaftigkeit der Gefühlsstimmung wenigstens abzuschwächen und die härtesten Beweise für morbide Neigungen 454 Vgl. Raimund Kurscheid: Kampf dem Atomtod! (Anm. I, 49), S. 33. 455 Walter Muschg: Nachwort. In: Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens – Der staubige Regenbogen – Drama. Hrsg. von W. M. Frankfurt a. M. 1961, S. 200–208, hier S. 206–208. Piscators Bühnenmanuskript Der Staubige Regenbogen. Schauspiel in 7 Bildern neu eingerichtet von Erwin Piscator und Karlheinz Braun erschien in Frankfurt bei Suhrkamp [o. J.,wahrscheinlich 1960].

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sorgfältig zu tilgen, ist es interessant zu bemerken, dass der gewünschte Publikumserfolg ausblieb. »Die Reihen lichteten sich, ehe noch die sieben Bilder […] vorüber waren. Die verlassenen Sitze zeugten für jene, die gekommen waren, ein Atomstück zu sehen, sich jedoch bald allerlei erotischen Eigenarten konfrontiert sahen«.456 In seiner Vielschichtigkeit und Komplexität eher als thesenhaftes Lesedrama zu bezeichnen, ist das Stück Die Trümmer des Gewissens eine dunkle, verwickelte Tragödie, die jedoch heute, wie Schmidt schreibt, »abgesehen von Schablonen des Nukleardiskurses komplexer, radikaler und moderner als bisher angenommen«457 wirkt. Vor allem ist es eine bittere Abrechnung mit jeglichem Fortschrittsglauben und Wissenschaftsvertrauen. Das Drama vollzieht sich in einer abgeriegelten Forschungsgemeinschaft, dem »Goldene[n] Haus«, wie die erste Szene heißt, weit entfernt von der »menschenleere[n] Atomstadt«.458 Geschildert wird die innere Wandlung des Physikers Chervat, sein Entwicklungsprozess vom engagierten Leiter eines Forschungsteams zum bewaffneten, schließlich doch aussichtslosen Kämpfer gegen den Nuklearkrieg. Mit diesem Hauptstrang verflechten sich im Text noch weitere für das Theatergenre gegen die Atombombe typische Leitmotive, um die viele Nebenhandlungen kreisen, wie Generationenkonflikt, Verschwörung, Sektierertum und Spionage in der Wissenschaft, Wechseldynamiken von Natur und Technik, von Ziel und Mittel und noch vieles mehr, alles Themen, die Jahnn variiert und in anderen Bezügen weiterführt. Er lässt biologische, schaudererregende und gegennatürliche Experimente mit Lebewesen durchführen, genetische Mutationen eintreten, im asphyktischen Raum der Dramengestalten aggressive Rassentheorien keimen. Er lässt den Sohn rabiat gegen den Vater und die Mutter gegen die Tochter vorgehen, ein »Nichtwesen« (352) ohne jegliche Empfindungen und Sinnesorgane, das sofort nach der Geburt beseitigt wird. Er bestimmt infolge frevelhafter Manipulation von Erb-Chromosomen die Menschheit von vornherein zum Aussterben und erhebt dadurch die individuelle Schuld zum Kollektivschicksal. Das Chervat-Geschehen, das inhaltlich den Schwerpunkt des Atomdramas bildet, bietet wieder die gewohnte Handlungsbahn des reuigen Physikers an, die eine große Anzahl zeitgenössischer Dramen dieser Gattung auszeichnet. Der Forscherkreis im ›Goldenen Haus‹ ist durch vorbehaltlose Hingabe an die Wissenschaft charakterisiert, eine Art »Andacht zur Wissenschaft« (314), die Chervats Frau ihrem Mann ausdrücklich vorwirft und gegen die auch ihr strahlengeschädigter Sohn Elia rebelliert. Chervat selbst bekennt es und nennt 456 O. A.: Jahnn-Premiere. Tod unterm Regenbogen. In: Der Spiegel, 29. März 1961, S. 83. Für eine nahezu komplette Liste der Zeitungsrezensionen vgl. Jochen Meyer: Verzeichnis der Schriften von und über Hans Henny Jahnn. Berlin 1967, S. 142–145. 457 Wolf Gerhard Schmidt: Zwischen Antimoderne und Postmoderne (Anm. I, 10), S. 338. 458 Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens (Anm. I, 97), S. 312.

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sich und seine Mitarbeiter »Verschwörer, die zur Wahrheit stehen, mag sie nützlich, schädlich, willkommen, unterwünscht sein« (313). Die Wissenschaftler gehören fast zu einer geheimen Kongregation, die sich aus engem Zusammenhalt, aber auch aus dem Imperativ des Schweigens speist (»Schweigen und Verschweigen ist die Tugend des Ordens«, 314). Lebt der Chervat der Anfangsszenen in der Illusion, dass letztlich die wissenschaftliche Erkenntnis »die Wohlfahrt aller anstrebt« (313), so muss er bald die irreversiblen Konsequenzen seiner Arbeit erkennen, die sich gegen die Natur und den Menschen richten. Im Laufe des Textes wird ihm immer deutlicher bewusst, dass er sich zu einer Marionette in den Händen des Regierungskommissars Sarkis hat machen lassen, der ihm die 8000 Opfer einer Reaktorexplosion verschwiegen hat. Erst durch den inzwischen Redakteur gewordenen Jugendfreund Ducasse erfährt er von der immensen Katastrophe, die er unwissend angerichtet hat. Zur Rechenschaft gezogen, setzt ihm Sarkis – der Chervats Genie, »der Schönheit und Unbestechlichkeit« seiner Formeln zwar vertraut, ihn jedoch für charakterlich schwach hält – einen tiefgreifenden Zynismus entgegen: Als Politiker habe ihn Sarkis nur ›schonen‹ wollen. Das klärende Gespräch zwischen den beiden ist zugleich einer der wenigen Dialoge über den Nexus Schuld/Verantwortung im Text, der eine politische Weite aufweist. Sarkis ein wenig hochmütig: Niemand beschuldigt Sie, Ihre wissenschaftlichen Aufgaben unaufrichtig erledigt zu haben. Für die Energieanlagen sind Sie nicht verantwortlich. […] Es ist eine Art von Anmaßung, wenn Sie die Katastrophe auf sich oder auf die von Ihnen gelieferten Grundlagen beziehen. Chervat: Es ist doch meine Arbeit. Sarkis: Und die Auswertung durch tausend andere. Ich will Ihre Verdienste nicht schmälern, einzig Ihre Verantwortung. Chervat: Ich muß fragen, was durch mich angerichtet wird. Sarkis: Die Rechenschaft, die Sie sich abverlangen, ist Ihrer kaum würdig. Chervat: Die Folgen zu bedenken, wäre eines Menschen unwürdig? Sarkis: Wer der Zukunft so sehr verpflichtet ist wie Sie, kann durch Zaudern schuldig werden. Wir haben, dank Ihrer Verdienste, vor anderen Gruppen im Ausland einen Vorsprung von mehreren Jahren vielleicht. […] Unsere Nation stirbt nicht mit achttausend Toten und bricht nicht wirtschaftlich zusammen, weil irgendwo im Lande ein großes Loch entstanden ist, das sich allmählich mit Wasser füllt. […] Sie möchten uns Ihre Mitarbeit fürderhin versagen; so ist Ihnen zumute: Aber Sie haben strenge Verträge mit uns geschlossen. Wir haben Ihnen fast unumschränkte Rechte eingeräumt; dafür haben Sie sich zu vielem verpflichtet. (322–323)

Daraus entsteht für den Protagonisten das Gefühl des Ausgeliefertseins, das für den weiteren Verlauf des Dramas von entscheidender Bedeutung ist. Als Chervat auch noch die schrecklichen Auswirkungen wahrnimmt, die der Unfall auf seine eigene Familie hatte – auf die Schwangerschaft seiner Frau, die ein Monster (»ein toter Körper, und doch nicht tot. Nicht lebensfähig«, 352) zur Welt bringt, und

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auf den strahlenkranken, impotent gewordenen Sohn (»mit seinen achtzehn Jahren ist er kahlköpfig, und ein Krüppel dazu«, 321) –, verliert er seinen Glauben an die Wissenschaft und sieht in ihr nur noch einen unausgesetzten Zerstörungsprozess. Dieser entwickelt sich dennoch in Jahnns Stück nicht auf politischer, sondern eher auf biologischer Ebene. Zwar schüttet der Dichter in der explizit als Fast eine Pantomime (369) betitelten Szene über den Gipfel im Konferenzzimmer seinen totalen Pessimismus gegenüber den Regierungsmethoden aus. Doch enthüllt die exhibierte Duplikation von Aussagen – das Gespräch am Tisch der Militärs ist Echo des Gesprächs am Tisch, an dem Forscher und Politiker sitzen – die zwei Gesichter einer Hybris, die in den Mächtigen aller Sphären, der politischen sowie der militärischen und wissenschaftlichen, den gleichen wahnsinnigen Plan einer biologischen Elite nährt. Entwickelt wird am Verhandlungstisch das Programm eines Präventivkriegs zur Sicherung der Vorherrschaft der weißen Rasse. Wie Chervat erzählt, ist der Politiker Sarkis »ein Menschenverächter«. Angesichts der drohenden Überbevölkerung ist ihm nur »der Bevölkerungsdruck der weißhäutigen Rassen willkommen«. Diese hätten »ein Vorrecht vor anderen«, denn »[n]ur die Vermehrung der asiatischen Völker soll unterbunden werden. Mit den dunkelhäutigen Afrikanern wird man irgendwie fertig werden, so meint er ; die weiße Intelligenz werde ihnen gegenüber nicht versagen. Die Asiaten fürchtet er, ihre Zahl, ihre Geschicklichkeit, ihre Anspruchslosigkeit« (379). Für alle Konferenzteilnehmer gibt es also nur eins: »Gewalt, Ausrottung« (379). Und im Fall einer Explosion sind alle Einrichtungen (»mehr als dreitausend Bunker«, 369) so geschaffen, dass nur eine Anzahl an »biologisch wertvollen jüngeren Menschen« (370) am Leben erhalten werden. Die Phantasie der verrückten Wissenschaftler, die hier mitmachen, erregt sich an der Vorstellung von unterirdischen Spermabänken, »eingebaut in Bergwerke oder auf dem Grunde tiefer Seen, damit man im Bedarfsfall wenigstens einen wertvollen unbeschädigten männlichen Zeugungsstoff in ausreichender Menge bereit hat« (370). Kenntnisse über »Energieerzeugung« (371) werden an Informationen über wissenschaftlich assistierte Zeugung und geschlechtliche Fortpflanzung gekoppelt, als wären sie nur zwei verschiedene Standpunkte des gleichen unaufhaltsamen Phänomens. Der Arzt im Stück, Dr. Lambacher, arbeitet bereits an der Züchtung und Paarung künstlich erzeugter Riesenlibellen, die Tausende von Kaulquappen verschlingen – wohl ein Symbol für Gier und heillose Verwüstung –, und ist bereit, seine Experimente auf Menschen zu übertragen. Der junge Indianer Tiripa, dessen Familie und Sippe wegen strategischer Interessen am Erdölgewinn ausgerottet wurden, wird bereits für Genversuche verwendet, die seinen Leib von innen her auffressen. Als unnütz erweist sich der Versuch der Jugend, sich durch einen alternativen »Bund der Schwachen« – so der Titel der vorletzten Szene – zu retten, der den

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»fossilen Vorstellungen« (380) einer »Patriomanie der Weißhäutigen« (381) standhalten kann. Überhaupt umfängt aber die künftige Generation die Ausweglosigkeit eines angekündigten Endes. Es ist das Todesbewusstsein, das Charles Linsmayer im Gesamtwerk von Jahnn vorherrschen sieht.459 Das letzte Dramenbild gipfelt in einer Serie von Tötungen und Selbstmorden, bei der Chervats Familie mitsamt Wissenschaftlern und Politikern strafend dezimiert wird. Das Ende des Stücks koinzidiert mit dem Ende des »apokalyptischen Plan[s]« (384) der Regierung. Die letzten Worte spricht eine Gestalt, die selbst im Begriff ist, Gift zu nehmen. Der Schluss läst keiner Hoffnung auf eine positive Entwicklung Raum: »Sie tun das Falsche!«, sagt der Groom Robert zu der noch zaudernden Frau des Physikers Chervat, »Sie hoffen!« (390). Ein erbarmungsloses Finale, bei dem Pessimismus und Endzeithorror grassieren. Heinz Beckmann: Vor der schwarzen Wand. Hans Henny Jahnn: Der staubige Regenbogen. In: Ders.: Nach dem Spiel. Theaterkritiken 1950–1962. München, Wien 1963, S. 297– 300. Ulrich Bitz, Jan Bürger, Alexandra Munz: Hans Henny Jahnn. Eine Bibliographie. Aachen 1996. Jan Bürger : Hans Henny Jahnn. In: Alo Allkemper, Norbert Otto Eke (Hrsg.): Deutsche Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Berlin 2000, S. 234–248. Hugo Jacob Eichhorn: Mythus und Tragik. Hans Henny Jahnns Dramen. Diss. Univ. Zürich 1973. Thomas Freeman: Hans Henny Jahnn. Eine Biographie. Hamburg 1986. Theo Girshausen: Aktualität des Unzeitgemäßen? – Jahnns »Trümmer des Gewissens« im Theater heute. In: Bernd Goldmann, Hedda Kage, Thomas Freeman (Hrsg.): HansHenny-Jahnn-Woche 27. bis 30. Mai 1980. Eine Dokumentation. Kassel 1981, S. 134– 162. Ulrich Greiner: Die sieben Todsünden des Hans Henny Jahnn. Zum 100. Geburtstag am 17. Dezember 1994. In: Die Zeit, 11. November 1994, S. 53–54. Hans Henny Jahnn: Die Trümmer des Gewissens. In: Ders.: Dramen. Frankfurt a. M. 1963– 1965, Bd. 2, S. 749–943. Ders.: Die Trümmer des Gewissens. In: Ders.: Werke und Tagebücher. Sektion Dramen II. Hrsg. von Thomas Freeman, Thomas Scheuffelen. Hamburg 1974, Bd. 5, S. 305–390. Ders.: Der Mensch im Atomzeitalter. In: Hans Henny Jahnn Werke und Tagebücher. Sektion Schriften Tagebücher. Hrsg. von Thomas Freeman und Thomas Scheuffelen. Hamburg 1974, Bd. 7, S. 308–404. Hans Krah: »Zeichen, die wir deuten müßten« – Raumentwurf, Zeiterfahrung und Selbstfindung in Hans Henny Jahnns »Der staubige Regenbogen« (1959). In: Forum Homosexualität und Literatur 39 (2001), S. 5–25. Charles Linsmayer: Das Todesproblem bei Hans Henny Jahnn. Diss. Augsburg 1973. Hans Mayer : Versuch über Hans Henny Jahnn. Aachen 1984. 459 Vgl. insbesondere das Kap. Hans Henny Jahnns Weltentwurf und das Todesproblem. In: Charles Linsmayer : Das Todesproblem bei Hans Henny Jahnn, Diss. Augsburg 1973, S. 178.

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Adolph Meurer: Jahnns hinterlassenes Schauspiel »Der staubige Regenbogen«. Piscator inszenierte die Uraufführung in Frankfurt. In: Kultur und Gesellschaft. Mitteilungs- u. Ausspracheblatt für Mitglieder und Freunde des Demokratischen Kulturbundes Deutschlands (1961), Nr. 5, S. 13. Ders.: »Der staubige Regenbogen«. Jahnns hinterlassenes Drama gegen Atomwaffen. In: Das Gewissen 6 (1961), S. 34–35. Jochen Meyer: Verzeichnis der Schriften von und über Hans Henny Jahnn. Berlin 1967. Walter Muschg: Nachwort. In: Hans Henny Jahnn, Die Trümmer des Gewissens – Der staubige Regenbogen – Drama. Hrsg. von W. M. Frankfurt a. M. 1961, S. 200–208. Ders.: Gespräche mit Hans Henny Jahnn. Frankfurt 1967. O. A.: Jahnn-Premiere. Tod unterm Regenbogen. In: Der Spiegel, 29. März 1961, S. 83–85. Armin Schäfer : Biopolitik des Wissens. Hans Henny Jahnns literarisches Archiv des Menschen. Würzburg 1996. Elsbeth Wolffheim (Hrsg.): Hans Henny Jahnn mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1989.

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Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen. Ein Agitationsprogramm gegen den Atomtod für Chor, zugleich Sprechchor, Sänger, Spieler und Sprecher (1960)

Autor : Rainer Otto (1939) Darbietungsform: musikalisches Stück in sechs Szenen Uraufführung: nie aufgeführt Ort: verschiedene Bühnenbilder (darunter Amerika und Japan) Zeit: Gegenwart

Mit dem nie aufgeführten Experimentalstück Wenn wir alle nicht wollen knüpft der damals kaum 21-jährige Rainer Otto – später eine zentrale Figur der Kabarettszene in Ostdeutschland – an die Tradition der Agitprop-Bewegung der zwanziger und dreißiger Jahre an und liefert laut Untertitel ein Agitationsprogramm gegen den Atomtod. Das kurze und bewegte Stück ist eine anspruchsvolle Mischung aus Sprechgesängen und Liedern in Reimform, die vom Magdeburger Komponisten Horst Irrgang komponiert wurden, sowie aus Gesprächen und Filmeinblendungen, zwischen die sich Klang- und Geräuscheffekte schieben. Sie alle verbindet das Bild des Kriegs zu einem Zusammenhang, dessen Repräsentation dem Menschen eine Erkenntnis von Grenzen und Gefahr der Atomrüstung ermöglichen soll. Schon in den ersten Szenen weckt das Lied von der Kriegsvorbereitung die Ängste der Menschheit vor dem geplanten »millionenfache[n] Leid«.460 Auffallend ist hier die in fast allen Songs des Stücks präsente Kehrreimstruktur, die 460 Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen (Anm. I, 108), S. 5.

Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen (1960)

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jede zweite Strophe »Krieg, Krieg, Krieg, Krieg« als Refrain der »Stahlbarone« und der »Monopole« (5) wiederholt. Eine explizite Drohung, gegen die Ottos musikalischer Aufruf jene Dramaturgie der Mahnung und des kollektiven Dissenses entwickelt, für die die solidarisch anmutende Überschrift Wenn wir alle nicht wollen exemplarisch steht. Das sozialistische Subjekt kann sich »als Teil des objektiven ›Wir‹«461 begreifen. In den Appell sind alle involviert, »Männer und Frauen, / Arbeiter, Bauern, Wissenschaftler! / […] Mütter und Väter, / Greise und Kinder« (6). An sie wenden sich Sprecher und Sprechchor mit einhämmernden Aufforderungen: »Wir mahnen euch! / […] Wir warnen euch! / […] Seid wachsam, Menschen! / […] Der Friede ist in Gefahr« (6). Wie es bei vielen Inszenierungen der atomaren Angst üblich ist, wird auch bei Otto das Nuklearrisiko mit Reminiszenzen an die erste A-Bombe verknüpft: In der zweiten Bildsequenz lässt der Autor Szenen aus dem Film Kinder von Hiroshima (1952) des Regisseurs Kaneto Shindo¯ vorführen. Überhaupt fungiert Japan als Hauptreferenz für die Thematisierung der Gefahr, die zur Rebellion aufrufen soll. Ist es hier der »8. August 1945, / acht Uhr zehn«, der evoziert wird, um den Song von der großen Gefahr einzuleiten, so sind andere Szenen von dem bekannten Unfall der Bikini-Fischer inspiriert. Der verharmlosenden Propaganda des Marineoffiziers ungeachtet (»Es wird niemand gefährdet oder betroffen!«, 29) lässt ein japanischer Fischer seine gramerfüllte Stimme hören: Und ich…? Ich habe Hiroshima überlebt. Meine Frau und meine Mutter sind tot. Meine ältere Tochter starb zwei Jahre nach der Explosion, die jüngere vor zehn Monaten. Einzig mein Sohn lebt noch. Ich bin fast blind, kann nicht mehr arbeiten. Alles durch Ihre verfluchte Bombe… Nennen Sie das auch »nicht betroffen«, mein Herr? (31)

Die Nukleartests im Pazifik rufen aber neue beunruhigende Folgen hervor, Vergiftungsformen nicht nur bei den betroffenen Menschen, sondern auch bei den Fischen, die der Weltmarkt feilbietet. So preist die Radioansagerin importierte »japanische Fischkonserven« (24) an, die gesund machen, während der Minister aus Washington, der heimlich anordnet, »alle aus Japan kommenden Fischkonserven und Fischerzeugnisse auf Radioaktivität zu untersuchen«, den Verdacht äußert, »daß solche aus Japan stammenden Fischlieferungen auf Grund der Versuche mit nuklearen Waffen radioaktiv verseucht sind« (23). Auch die Zerstörung der Ökosysteme durch einen plötzlichen Klimawandel taucht im Stück auf. In den als »Dokumentation« (25–27) bezeichneten Einschüben zählt es seltsame Naturkatastrophenfälle auf (»einen der fürchterlichsten Schneestürme ihrer Geschichte«, »von verheerenden Wirbelstürmen«, »Kältewelle«, 461 Johannes Maczewski: Der adaptierte Held: Untersuchungen zur Dramatik in der DDR. Bern, Frankfurt a. M., Las Vegas 1978, S. 15. Zu dieser Rhetorik des ›Wir‹ vgl. auch das Nachwort von Wilfrid Adling zu der von ihm herausgegebenen Reclam-Anthologie: Der Weg zum Wir. Anthologie neuer deutscher Dramatik. Leipzig 1959.

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Überschwemmungskatastrophe«, 25–26), die sich zwischen Februar und August 1955 in den USA, nicht weit von der kontaminierten Wüste von Nevada, ereignet hatten. An anderen Stellen werden wortwörtlich Auszüge aus der Presse, besonders aus den Zeitungen Neues Deutschland und Neue Berliner Illustrierte wiedergegeben, in denen beängstigende Opferzahlen und weitere Topoi des Atomdiskurses vorkommen, wie z. B. die Pilotenfiguren als labile »Todesbomber«, die »nervenkrank« und »unzurechnungsfähig« (12–13) seien. Vor diesem Hintergrund weitet Otto das Atomproblem auf die Frage nach der Politik des Kriegs überhaupt aus und schiebt die Verantwortung hierfür dem USMachtanspruch zu. Ein Zitat von John Foster Dulles’ steht auf dem Schild, das den amerikanischen Militärhochmut anprangern soll: »Ich bin stolz, stets und ständig eine Politik am Rande des Krieges geführt zu haben« (18). Auf einem anderen Schild entlarven Eisenhowers Worte den Militarismus der amerikanischen Außenpolitik. Eine Lautsprecherstimme verliest das zynische Zitat: »Nach meiner Meinung wird die Verwendung der Atombombe von folgenden Voraussetzungen abhängen: Nützt sie mir oder nützt sie mir nichts, wenn ich in den Krieg gehe. Wenn ich sehe, der Gewinn ist auf meiner Seite, dann werde ich sie sofort anwenden« (22). Weitere Projektionen werden im Text verwendet, um aggressive Manifestationen des Imperialismus made in USA zu verkünden. Hier nur einige der zahlreichen Beispiele: »USA unterstützen Algerienkrieg« (ND 4.1.58, S. 5) »USA-Angriff in Süd erprobt« (ND 4.2.58, S. 5) »USA überfallen Libanon« (ND 16.7.58, S. 1) »USA provozieren Volkschina« (18)

Wie Jack Zipes in seinem Beitrag zum Amerika-Bild in der Literatur der DDR betont, funktioniert für die meisten DDR-Autoren das Amerikabild in erster Linie »als Selbstdarstellung«.462 Auch Rainer Otto benutzt Amerika und die vielen Kriegsszenarien dazu, die Überlegenheit des Sozialismus über die kapitalistische Logik der Rüstung zu beweisen. Es sind Slogans, die vor allem darauf zielen, die DDR als kommunistisches Land auszuweisen und eine Volksbewegung gegen den Atomtod zu mobilisieren. Nicht von ungefähr berichten Schlagzeilen aus dem DDR-Organ Neues Deutschland von 1958 über Streikaktionen und Petitionen (30–31), mit denen eine direkte Antwort an einen westdeutschen Pessimisten (31) – so der Titel eines der Lieder – geliefert wird. Am Ende zelebriert das Agitationsprogramm das Vorbild von Widerstandsfiguren, die den nötigen Mut fassen, um sich gegen das System zu wehren. Da ist z. B. ein Wissenschaftler an Bord einer Jacht im Pazifik, dem es gelingt, eine Wasserstoffbombenexplosion zu verhindern: 462 Jack Zipes: Die Freiheit trägt Handschellen im Land der Freiheit (Anm. I, 206), S. 335.

Helmut Schwarz: Im Aschenregen (1961)

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WISSENSCHAFTLER: Falls Sie über den Zweck unserer Fahrt noch nicht durch den FBI informiert wurden: Wir sind hier, um die Einstellung der Atomwaffenversuche zu fordern. MARINEOFFIZIER (höhnisch): Und was versprechen Sie sich davon? WISSENSCHAFTLER: Daß endlich diese furchtbare Bedrohung und Gefährdung der Menschheit aufhört. (29)

Und da sind sogar auch neapolitanische Hafenarbeiter, die – analog zur Protesthandlung im Kollektivstück von Ziergiebel – die kriegerischen Pläne der Mächtigen sabotieren, indem sie sich weigern, die Kisten mit den als Konservendosen getarnten Atomgranaten auszuladen. Schließlich jubelt der Chor im letzten Lied, dem Song von der Weiterführung des Kampfes, den »tausend Unterschriften« von Gleichgesinnten zu, welche in der ganzen Welt gegen die »Kriegsbrandstifter« (35) gemeinsam vorgehen. Rainer Otto: Wenn wir alle nicht wollen. Ein Agitationsprogramm gegen den Atomtod für Chor, zugleich Sprechchor, Sänger, Spieler und Sprecher. Musik von Horst Irrgang. Leipzig 1960. Rainer Otto. Im Kabarettarchiv, unter URL: http://www.kabarettarchiv.de/KabaPDF/OttoRainer.pdf. »Wir hinken hinterher«. Rainer Otto, Chef der »Leipziger Pfeffermühle«, über das DDRKabarett. In: Der Spiegel, 27. November 1989, S. 224–228.

63.

Helmut Schwarz: Im Aschenregen (1961)

Autor : Helmut Schwarz (1928–2009) Darbietungsform: Drama in zwei Teilen und einem Zwischenspiel Uraufführung: 25. November 1961, Landestheater-Kammerspiele Linz Ort: USA Zeit: Gegenwart

Nach dem erfolgreichen Zeitstück Arbeiterpriester, mit dem er schon mit 22 Jahren den Ruf errang, szenische Originalität und gesellschaftskritische Themen zu verbinden, hat Helmut Schwarz mit seiner Tätigkeit als Dramatiker, Regisseur und Literaturwissenschaftler das Theater- und Kulturleben Österreichs lange mitbestimmt. Ab 1960 leitete Schwarz, vorher Dramaturg am Wiener Burgtheater, das renommierte Reinhardt-Seminar in Wien und ab 1977 die dortige Universität für Musik und darstellende Kunst. 1961 schrieb er das Atomdrama Im Aschenregen, das noch im selben Jahr in Linz uraufgeführt wurde, jedoch nie zur Veröffentlichung kam. Zwischen Religion und Zivilisationsskepsis suchte Schwarz in einem Thema von brennender Aktualität seine Forderung nach christlichen und politischen Werten auszudrücken. Die Darstellung des atomaren Todes durch Strahlungs-

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

prozesse dient hier als Ansatzpunkt für die Beschäftigung mit den Zukunftschancen der Menschheit nicht nur angesichts der beängstigenden Entwicklung der Wissenschaft, sondern auch der moralischen Degeneration im Familienund Gesellschaftsleben. Das für die erste Projektion im Text verwendete und dann wenige Seiten später im profanen Kontext eines Fernsehquiz mit Geldpreis wieder aufgegriffene Sodom-und-Gomorra-Zitat463 steht dabei symbolisch für die Aufhebung jeder Ordnung, die Negation jeglichen Schöpfungsgeistes, die Rückkehr in Chaos und Tod. Die beiden Akte, aus denen sich das Schauspiel zusammensetzt, spielen vorwiegend im Haus von Professor Bernings, Leiter der strahlenbiologischen Station, und dessen Frau Laura. In diesem geschlossenen Raum, der nach dem Krieg speziell eingerichtet wurde, um »Soldaten Erholung zu schenken« (25), werden drei im ›Sonderurlaub‹ befindliche US-Soldaten untergebracht, die bei einem Übungsmanöver eine Panne erlitten haben. Dieses Ereignis ist im Handlungsgefüge so wichtig, dass das Stück ebenso gut Die Panne oder Der Unfall betitelt sein könnte. Denn um einen vertuschten Nuklearunfall kreist im Grunde der ganze Drameninhalt. Durch einen streng vertraulichen Armeebericht wird sich nämlich bald herausstellen, wie die im Titel evozierte Aschenwolke die ganze Gegend verseucht hat (»Gefahrenzone«, »Strahlungszone«, »Spuren von Asche. Ein Staub, dem Auge nicht sichtbar«, 15) und wie sich die unwissenden Soldaten bei der Panne ihrer Schutzbekleidung entledigt haben. Ein vierter Teilnehmer an der militärischen Übung, Mac, der, um den Fahrzeugschaden besser überprüfen zu können, inmitten der Strahlungszone umhergeirrt ist und die vergiftete Luft direkt eingeatmet hat, ist schon wegen alarmierender Symptome dringend und in aller Heimlichkeit ins Krankenhaus eingeliefert worden. Dies ist die Ausgangssituation des Dramas. Außer dem Biologen Bernings und Dr. Lewis, der bei einem anderen Soldaten im Haus die ersten Verstrahlungsanzeichen zu bemerken beginnt, ahnt aber am Anfang noch keiner, selbst die Soldaten nicht, etwas von der besorgniserregenden Aussicht. Nur Mary, die schwangere Frau des Schwerkranken, durchschaut intuitiv die Tragik der Lage, als sie auf einem Waldspaziergang die unheimliche Erscheinung (»Unnatur«, »Missgeburt«) einer zweiköpfigen Kröte sieht. So berichtet sie von der sonderbaren Begegnung: Mary : ich trat aus dem Wald – der Mond spiegelte hell sich in einer Pfütze – darin ein Tier – kein Tier, nein – zwei Köpfe auf einem qualligen Körper, ein scheussliches kleines Ungeheuer mich anstarrte und unbeholfen davonsprang. Bernings: Eine Kröte – vom Mondlicht verzerrt!

463 Vgl. Helmut Schwarz: Im Aschenregen (Anm. I, 295), erste, nicht nummerierte Seite und S. 3. Bei den Zitaten werden die handschriftlichen Korrekturen berücksichtigt.

Helmut Schwarz: Im Aschenregen (1961)

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Mary. Eine Missgeburt. Fast wäre mein Fuss über sie hinweggeschritten, doch erstarrt hielt ich ein – Nie quasi bin ich solcher Unnatur begegnet. (16)

Eine gegennatürliche Vision, bedrohlich und befremdlich, die an den ersten der Träume Günter Eichs erinnert, der in der ursprünglichen Radiofassung die erschreckende Nachricht der Missgeburt eines Kindes »mit zwei Köpfen und drei Armen«464 wiedergibt. Auch im Stück von Helmut Schwarz entpuppen sich die nuklearen Experimente als ein absichtlich versteckt gehaltenes Verbrechen an der Natur, düster und ausweglos. Das beklemmende Gefühl einer Geheimniskonstellation, die ein klassisches Szenario vieler Atomdramen bildet, kombiniert mit der dunklen Ahnung eines heraufziehenden Verhängnisses, beginnt das Leben der Figuren zu prägen. Mary drückt als Erste diesen unbehaglichen Zustand von Unwissenheit und Angst aus: »Es gibt keine Erklärung. Hier waltet ein Geheimnis, ein Rätsel« (21). Langsam wächst aber auch in allen anderen Dramengestalten das Bewusstsein für das unsichtbare und doch wachsende Risiko. Immer merkwürdiger kommt den Militärs allerdings diese Art Zwangsurlaub vor, für den sie keine Erklärung finden, wie Roger der ehemaligen Freundin Laura gesteht, die inzwischen die Gattin von Bernings geworden ist. Roger : Was meinst du, warum man uns eigentlich hierher verschleppt hat? Laura: Ein Sonderurlaub – so sagtest du doch. Roger : Damit lassen andere sich belügen – nicht ich. Laura: Was sonst also? Roger : Irgendetwas ist schief gegangen. Diese Krankheit von Mac – da steckt dahinter mehr. (25)

Dabei durchschaut Roger die Absicht der Armee, die Beschwerden der Kranken als Bagatellfälle abzutun: »Man bemüht sich, alles möglichst im Dunkel zu lassen, alles sei harmlos – völlig harmlos« (26). Diese anfangs eher vereinzelt auftretenden Intuitionen verdichten sich zu Halluzinationen in dem visionären und teils chorartig gestalteten Zwischenspiel, das in einer albdruckartigen Zukunft spielt. Schwarz lässt hier seine Figuren an einer Mauer miteinander reden, die Lebende und Tote trennt. Grauenvoll sind die Bilder, die das Zwischenspiel zutage bringt. Hinter einer allmählich transparenter werdenden Schleierwand wird – von Mary zur Rede gestellt – eine surreale Schar von Soldaten in Uniform verschiedener Zeitalter und Völker sichtbar. Es tauchen der »Siechentod« und »der Heldentod auf dem Schlachtfeld« (27) auf, sie sind bereit, »den glorreichen Soldatentod« (28) zu teilen. Plötzlich tritt der Chor beiseite und gibt Marys Mann Mac frei, der nunmehr zum Tod gehört (»Einer der Ihren geworden«, 30). Das Bild der Kriegszerstörung verschmilzt mit düsteren Vorahnungen über das Schicksal verseuchter 464 Günter Eich: Träume (Anm. I, 307), S. 385.

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Geschöpfe. Die Frauen der anderen beiden Soldaten zeugen missgestaltete Kinder, von denen eines – ein von der Mutter, der einstigen Schönheitskönigin Miss Pennsylvania, gehasster »Auswurf«, der dem eitlen Mädchen »aus dem Leib kroch« (31) – nach der Geburt nur drei Wochen lebt, während das andere im Leib der Mutter stirbt und sie das Leben kostet. Die Botschaft dieser zwischen Leben und Tod angesiedelten Phantasieszene ist Schwarz’ explizite Warnung vor der imminenten Gefahr einer wissenschaftlichen und technischen Zivilisation, die in ihren Nebenwirkungen undurchschaubar geworden ist, seine Mahnung gegen jegliche Fortschrittseuphorie, gegen den blinden Glauben des Wissenschaftlers, der sich berufen wähnt, die Natur zu korrigieren. Ein solcher Wahn ist auch Bernings’ anfängliches Vertrauen in die unbegrenzte Potentialität der Wissenschaft. Der göttlichen »Kompetenz« (33), der sich Dr. Lewis im Fall einer strahlenverursachten Frühgeburt anvertraut (»empfiehlt sich schon eher, zu beten«, 33), setzt der Strahlenbiologe im Zwischenspiel die Macht der Wissenschaft entgegen: …den Worten meines verehrten Vorgängers, Kann ich in einem Punkt nicht umhin, Sehr energisch zu widersprechen. Was die andere Instanz, die zitierte, angeht – Wo ist sie, ich bitte? Ich erlaube mir, Ihre Existenz zu bezweifeln, Und setze uns, die Wissenschaft, an ihre Stelle. Unerreicht noch ist manches, Unerreichbar für immer – nichts. Wir bezwingen soeben das Weltall, Besiegen Krankheit und Alter, Vielleicht einmal sogar noch den Tod. Ersinnen Maschinen, die regen sich für uns, Und Herren sind wir des selbst bald Wie des eroberten Paradieses! (33–34)

Es ist der wahnsinnige Traum einer (selbstverschuldeten) Zukunft, an deren Beginn die frevelhafte Suche nach ewigem Leben und auf deren Gipfel die Offenbarung eines Untergangs steht. Der Fortschritt kehrt sich schließlich gegen die Menschen selbst, wie der Chor verdeutlicht: »Wenn aber Fortschritt einmal / Zur Bedrohung fortschreitet – / Welch Rückschritt!« (34). Am Ende triumphiert ein fast barock anmutender Geist der Verwesung, der sich über alle Geschöpfe ausbreitet (»Blindgeborne, hinfällig Lahme! / […] Launen des Himmels, / Zweiköpfig, ineinander verwachsen: / Eine Brut, die zu bescheinen, / Die Sonne sich weigert!«, 36). Es ist das Bild eines totalen Zerfalls, das der Chor als »Botschaft« und »Mahnung« explizit artikuliert:

Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (1961)

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Wir aber, Fröstelnde, wollen eng aneinanderrücken. Und harren, was weiter folgt! Ob man unsere Botschaft missachtet, Wie es geschah, hundert und tausendmal Und danach zu leben gedenkt! In unserem Dunkel liegen wir auf der Lauer – Eine von Ewigkeit geschlagene Armee! (38)

Nach dem traumartigen Zwischenerlebnis dieser mittleren Szene hat das Drama auf der Handlungsebene nur noch wenig zu bieten. Der kurze letzte Akt ist vor allem eine Abrechnung mit der menschlichen Hybris. Bernings muss erkennen, dass das Maß aller Dinge schon längst nicht mehr der Mensch ist, und redet von einem nunmehr deplatzierenden »Niemandsland«, das den Wissenschaftlern den Boden unter den Füßen wegzieht (»Mit einem Mal entdecken wir uns im Niemandsland. Unser Fuß misstraut dem Boden, der uns sonst sicher trug, unser Auge den Grenzen des Horizonts«, 42). Die vermessene Sprengung der Grenzen, das Eintreten in »unermessliche Räume« (42), führt zur entscheidenden Frage, »ob es erlaubt ist, die Schöpfung zu wiederholen« (42). Die Nachricht über den Tod der zwei strahlenkranken Soldaten und die Zweifel am Überleben der zwei anderen und am Schicksal ihrer Nachkommenschaft lassen das Ende offen. Es ist aber kein wahres open end. Eher warnend, ja abschreckend wirkt die lakonische Aussage einer Gestalt, die abschließend Sinn und Mahnung des Dramas noch einmal bündig zusammenfasst: »Ich habe Angst« (57). Heinz Gerstinger : Helmut Schwarz. In: Wort in der Zeit 9 (1963), H. 1, S. 9–17. Desiree Hebenstreit, Stefan Maurer, Doris Neumann-Rieser : Helmut Hermann Schwarz. In: Diskurse des Kalten Krieges, unter URL: kk-diskurse.univie.ac.at. Wilhelm Kosch u. a. (Hrsg.): Schwarz, Helmut. In: Deutsches Theater-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch. Bd. 3. Bern 1992, S. 2138. Doris Neumann-Rieser : Helmut Schwarz, Im Aschenregen (ca. 1961). In: Diskurse des Kalten Krieges, unter URL: kk-diskurse.univie.ac.at. Susi Nicoletti, Leo Mazakarini: Wege zum Theater. Max Reinhardts Schüler. Wien 1979. Helmut Schwarz: Im Aschenregen. Zwei Akte und ein Zwischenspiel [1961]. Typoskript aus dem Nachlass Helmut Schwarz. Theatermuseum Wien. Abteilung: Sammlungen. Ders.: Max Reinhardt und das Wiener Seminar. Wien 1973.

64.

Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (1961)

Autor : Rolf Schneider (1932) Darbietungsform: Schauspiel Erstsendung als Hörspiel: 6. Juli 1961, Berliner Rundfunk Uraufführung: 12. Juli 1963, Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Ort: Gericht in Texas Zeit: 1961

Als Robert Jungk 1961 den Briefwechsel zwischen dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly und Günther Anders herausgab, stellte er ihm das Motto voran: »Der Täter als Opfer«. Genau diesen Motivkomplex erkennt Rolf Schneider im Nachwort zum Stück Prozeß Richard Waverly465 als grundlegend für die Entstehung seines halbdokumentarischen Textes, mit dem er den Fall Eatherly noch einmal aufnimmt und dem antinuklearen Theater seinen Beitrag zum beliebten Genre des Pilotendramas liefert. Nach der im Januar 1961 in der texanischen Stadt Waco stattfindenden Verhandlung gegen Eatherly machte sich der Schriftsteller, der in der ehemaligen DDR als einer der führenden Intellektuellen galt,466 an die Dramatisierung des Falls und entwickelte daraus zunächst ein Hörspiel für den DDR-Rundfunk und dann ein Schauspiel, das 1963 in den Berliner Kammerspielen erstmals auf die Bühne kam. Abgesehen von den gattungsbedingten Differenzen, auf die hier nicht eingegangen werden kann, divergieren die zwei Fassungen inhaltlich vor allem in den zusätzlichen Informationen zum Leben Eatherlys, über die der Autor zum Zeitpunkt der umgearbeiteten Theaterfassung verfügen konnte. Als eine seiner Hauptquellen kennzeichnete Schneider selbst den Bericht über den texanischen Entmündigungsprozess gegen Eatherly, den Ray Bell, Reporter des Lokalblatts Waco News-Tribune, für eine große französische Zeitung verfasste und der zahlreiche medizinische Zeugenaussagen und gerichtsärztliche Gutachten wiedergab. Noch nicht zugänglich waren zu dieser Zeit jedoch die – freilich höchst umstrittenen – Materialien, die William Bradford Huie erst 1964 in seiner Publikation The Hiroshima Pilot bekannt gab und die weltweit großes Aufsehen erregten.467 Im Gegensatz zur regelrechten Legende des bußfertigen Piloten, den Anders’ Briefwechsel Off limits für das Gewissen neben Eichmann zu einem der »beispielhaften Figuren der heutigen Epoche«468 stilisiert hatte, entwirft Huie ein widersprüchliches Porträt Eatherlys als eines hohlen Opportunisten, der sich eher aus überbordendem Egozentrismus und Gesinnungslumperei in jenen schulderfüllten Menschen verwandelt habe, der beinahe zu einem Mythos geworden war. 465 Rolf Schneider: Der Autor über sein Stück. In: Ders.: Stücke. Berlin 1970, S. 107–109, hier S. 107. 466 Schneider, der auch als Redakteur der Zeitschrift Der Aufbau tätig war, genoss im Kulturbetrieb der DDR bis zur Unterzeichnung der Petition von 1976 gegen die Ausbürgerung Biermanns großes Ansehen, wurde aber danach aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen. Vgl. dazu seine Autobiographie Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland. Berlin 2013 (besonders Kapitel 12). 467 Zu William Bradford Huie und dem Diskussionsstand im Jahre 1964 s. Anm I, 119. 468 Günther Anders: Off Limits für das Gewissen (Anm. I, 115), Brief 65, S. 346.

Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (1961)

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Aus eben diesem Mythos schöpft hingegen Schneider die Handlung seines Dramas, indem er aus der Figur des Piloten, der hier Richard Harrington Waverly heißt, einen Verfechter des Pazifismus schlechthin macht, das amerikanische Rechtswesen bloßstellt und als verachtenswertes Symbol westlicher Justizwillkür aufdeckt. Die Piloten-Thematik bettet er dabei in das konsolidierte Schema der Gerichtsverhandlung ein, die den Ausgangspunkt des dramaturgischen Aufbaus in einem Großteil der politisch ausgerichteten Dokumentarliteratur der Zeit bildet. Dass das Verfahren im Titel als Prozess bezeichnet wird, soll von vornherein auf den Zusammenhang von Schuld und Urteil, auf die gerechte Strafe hinweisen, nach der die Titelfigur dürstet. Ein richtiger Prozess fand jedoch bei Eatherly nicht statt. Vielmehr handelte es sich äußerlich um einen Entmündigungsverlauf, hinter dem jedoch, finanziell und ideologisch, die Air Force steckte, die das Verfahren ad hoc einleitete und den vom Bruder des Majors gestellten Antrag auf Geld und Verwaltung des Vermögens von Claude mehrfach unterstützte. Auf dieser ›Instrumentalisierung‹ seitens der Air Force baut der Dramatiker sein Stück auf und rekonstruiert in vier Teilen die Phasen des ›Prozesses‹ gegen den anscheinend an den Belastungssymptomen der sogenannten combat fatigue (»battle fatigue«)469 leidenden Piloten. Im Mittelpunkt des Bestrebens der amerikanischen Behörden, Waverly für unzurechnungsfähig zu erklären, steht im Text der politische Wille der Vereinigten Staaten, den Heldenmythos nach außen unangetastet zu lassen, Waverlys Reuegefühle und Gewissensskrupel zugleich aber als Zeichen typischer Heimkehrer-Krankheit und Reintegrationsproblematiken zu verharmlosen: »Ein Erschöpfungszustand, der durchaus nichts Ungewöhnliches hatte und der in der Armee ziemlich verbreitet war. Es gab sogar einen Namen dafür : battle fatigue« (63), wie Waverlys Verteidiger Anderson erklärt. Der Ablauf des Dramas ist in Sitzungen unterteilt. Schon in der ersten wird eine breit gefächerte Problematik angeschnitten, die ebenso historische wie auch grundlegende wissenschaftsethische Aspekte der Reflexion im Atomdiskurs miteinbezieht. Zum Vorschein kommen die häufigsten und typischsten Motive der Nukleardebatte. Die zentrale Frage nach der Zweckmäßigkeit atomarer Waffen in Japan beantwortet vom rein militärischen Standpunkt aus General Stout, Ex-Kommandeur der Bombertruppe und damals, nach eigener Angabe, »Chef auf dem Luftstützpunkt Tinian« (56). Als Soldat, der nur die Logik des Befehls kennt, macht er sich über Waverlys moralische Skrupel lustig und räumt dem Gewissen keine Macht über Kriegshandlungen ein: »fertig«, »durchgedreht«, »völlig übergeschnappt« (60) sei der Pilot nach Hiroshima gewesen, sogar im Begriff »nach Nürnberg zu fahren«, um »sich selber vors Kriegsverbrechertribunal […] wegen Mord an hunderttausend Menschen« (60) zu stellen. Bei seiner detaillierten Darstellung der Ereignisse im 469 Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (Anm. I, 82), S. 63.

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Sommer 1945 und der Vorbereitung des Bombenabwurfs, die gut zwei Seiten umfasst und eine sehr konkrete Schilderung sowohl der Zustände und der seelischen Veranlagung bei den »Jungs« (56, 57) als auch der technischen Vorrichtungen der Bomber »vom Typ B-29« (56) bietet, fällt die Bilanz des Angriffs insgesamt positiv aus. Die sittliche Legitimation der Nuklearoption definiert sich für ihn von den Folgen her : »Wir wußten, daß der Krieg bald zu Ende sein mußte« (57). Befragt über die historische Notwendigkeit, Atombomben einzusetzen, um einen »praktisch schon geschlagen[en]« Gegner zur Kapitulation zu zwingen, postuliert der General noch einmal die Nichtbeurteilbarkeit des amerikanischen Einsatzes (»Sir, es war Krieg«, 64) und die ausschließlich politische Qualität einer Entscheidung, bei der das letzte Wort nicht dem Militär zustehe. Anderson: Ist die Anwendung eines so massiven Vernichtungsmittels nicht ein bißchen übertrieben bei einem Gegner, der praktisch schon geschlagen ist? Stout: Darüber stand mir kein Urteil zu. Anderson: Sehen Sie wenigstens ein, daß man sich über dieses Mißverhältnis Gedanken machen kann? Wenn man an der Sache beteiligt ist, schon ganz und gar? Stout: Ich kann mich dazu nicht äußern. Anderson: Wie war eigentlich die Reaktion bei Ihrer Truppe, als Sie erfuhren, welche Auswirkung die Bombe in Hiroshima gehabt hat? Stout: Wir erfuhren zunächst überhaupt nichts. Drei Tage darauf war der Angriff auf Nagasaki, und dann hat Japan kapituliert. (61)

Stout negiert genaue Vorkenntnisse seitens des Heers über das, was auch hier mit dem geläufigen und in nahezu allen Atomdramen unverändert verwendeten Begriff vom »Ausmaß der Zerstörungen in Hiroshima« (61) beschrieben wird. Die zutiefst bestürzte Reaktion der ›Jungs‹ wird daher als selbstverständlich und mithin als normal betrachtet (»Anderson: ›Haben sie irgendeine Reaktion bei Ihren Leuten bemerkt, als sie wußten, was in Hiroshima geschehen war?‹. Stout: ›Wir waren erschrocken, aber es war schließlich nicht mehr zu ändern‹. Anderson: ›Mr. Waverly?‹. Stout: ›Er war genauso erschrocken wie die andern.‹«, 61). Im Vergleich zu dieser weitverbreiteten und allgemein akzeptierten Verwirrung bei den heimgekehrten Soldaten profiliert sich Waverlys Gefühl einer »persönliche[n] Schuld« (64) in den Augen der Anklage immer mehr als Schrulle und Selbstquälerei, die in die Kategorie der pathologisch selbstzerstörerischen Verhaltensweisen oder gar als Megalomanie eingestuft wird. »Der Mann hat’n Tick. Er will sich unbedingt wichtig machen und will vor Gericht«, urteilt Polizeiinspektor Webbs über Waverlys wiederholte Einbrüche und Überfälle – allerdings ohne Mitnahme von Geld (65). Auch der Gerichtsmediziner, Dr. Humphrey, will ein Krankheitsbild geltend machen, das die These der Geistesstörung des Angeklagten vereinfacht, indem es sie auf eine quasi angeborene,

Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly (1961)

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durch Umwelteinflüsse nur intensivierte psychische Veranlagung zurückführt. Wie Anwalt Anderson resümiert, will Humphrey den naiven Verdacht bekräftigen, dass Waverly »nicht an einem Schuldgefühl wegen der Ereignisse in Hiroshima leidet, sondern an einem Ödipuskomplex« (82). Die amerikanische Verwässerung der Ich-Psychologie, die einer Auseinandersetzung mit Angst und Reue die einfache Version der angeborenen Geistesverwirrung vorzieht und jede tiefere Beschäftigung mit dem Thema Gewissen und Verantwortung verweigert, steht somit bei Schneider für die Blindheit einer Kultur, die zur Abwehr der Schuld und zur Banalisierung der Grausamkeit des Kriegs führt. Ein Beispiel dafür ist auch Richards geschiedene Frau Gladys, die in der zweiten Sitzung ebenfalls unter den Zeugen der Anklage auftritt und die übertriebene Haltung des zurückgekehrten Aufklärungspiloten bedauert. Er habe »ununterbrochen von Hiroshima gesprochen«, sei allnächtlich »aus dem Schlaf geschreckt«, habe immer »Die Kinder, die Kinder!« (87) geschrien und daraufhin, aus Reue und Mitleid, sogar »fünf elternlose Kinder aus Hiroshima adoptiert«. Ja, »fünf schmutzige, gräßliche Japs-Kinder«, wie Gladys der Jury schluchzend erzählt. Die ganze Auswahl der Zeugen in der dramatischen Nachgestaltung der Verhandlung ist darauf bedacht, die Strategie der Anklage zu entlarven. Wie R8my Charbon überzeugend darlegt, sieht Schneider seine Aufgabe darin, die innere Widersprüchlichkeit des Falls in ihren Spiegelungen in einer sich auflösenden, verunsicherten Gesellschaft aufzuzeigen.470 Der Autor lässt den Staatsanwalt in einer Pause selbst die soziale und politische Relevanz des Falls als Präzendenzfall gestehen: »Wenn alle dächten wie er [Waverly], können wir unsere Nation begraben. Wenn sein Beispiel Schule macht, wird unsere Armee bald nur noch aus Befehlsverweigerern und Moralisten bestehen. Und irgendwo will er, daß es Schule macht. […] Waverly hat verrückt zu sein, Sir! Es gibt keine andere Lösung!«471 (90). Ja, es gibt keine andere Lösung. Schneider geht es aber dabei nicht um die psychologische Sphäre des Piloten, sondern um die Hörigkeit des ›Regierungstribunals‹. Er will bei dem Zuschauer den Eindruck erwecken, dass das Urteil schon feststeht. Deshalb ›muss‹ das Verfahren auf die partielle und gesellschaftlich unschädliche Lösung der Anerkennung der Krankheit ohne Entzug des Vermögens hinauslaufen: Jegliche politische Frage nach Verantwortung und Verpflichtung im Atomkrieg bleibt dadurch ausgeklammert, jegliche Dis470 »Nähme sie [die Gesellschaft] Waverlys Gewissensqualen ernst, müßte sie sich einer gnadenlosen Selbstprüfung unterziehen, die Tragfähigkeit ihrer Ideale an der Realität messen und ihrem blinden Glauben an die Vortrefflichkeit des amerikanischen way of life entsagen. Da sie zu einem solchen Prozeß der Selbstreinigung nicht bereit ist, hat in ihr Waverly, der kompromißlose Moralist, der Fanatiker der Gerechtigkeit, keinen Raum«. R8my Charbon: Die Naturwissenschaften im modernen deutschen Drama (Anm. I, 5), S. 83. 471 Hervorhebungen (durch Sperrung) im Original.

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kussion um eine Kollektivschuld wird damit gemieden. Und deshalb erweisen sich auch die ›verteidigenden‹ Zeugenaussagen von Harrison, Dozent für Neuere Geschichte, und des Angeklagten selbst für den Prozessausgang als kaum entscheidend. Der Erstere fungiert aber dramaturgisch als Mittel zur Explikation der Atombombengeschichte, die hier ausführlich geschildert wird. Die Darlegung, die genau den historischen Zusammenhang wiedergibt, in dem das Stück entsteht, soll unmittelbar an das Widerstandspotential des Publikums appellieren. Es soll klar werden, dass der im Prozess besprochene Fall einen Menschen betrifft, der nur deswegen dort ist, weil er die landläufige »Auffassung nicht teilt«, dass »der Einsatz der Bombe in Hiroshima richtig und notwendig« (96) gewesen sei. Mit Blick auf die naturwissenschaftlichen Etappen, die zu Erfindung und Bau der Bombe führten, und auf die darin uneinigen Kernphysiker – auf den 1945 von James Franck unterschriebenen Minderheitsbericht, den sogenannten Franck-Report, wird dabei direkt angespielt (93) – gibt der Historiker zu erkennen, dass es bei der Entscheidungsfindung keineswegs einträchtig zugegangen sei. Auch sei sie offenbar durch das übliche Argument der ›deutschen‹ Atombombe maßgeblich bedingt worden. Anderson: Diese Leute [die Physiker] lebten in dem Glauben, Hitler würde eine Atombombe bauen. Als der Krieg ausbrach, haben sie Präsident Roosevelt bestimmt, den Deutschen zuvorzukommen? Harrison: Ja, Sir, so war es. Präsident Roosevelt hat ihr Ersuchen gebilligt, und in Los Alamos wurde mit den Arbeiten an der Bombe begonnen. Anderson: Um sie gegen Deutschland einzusetzen? Harrison: Ursprünglich ja. Anderson: Weil man in der Furcht lebte, die Deutschen würden ihrerseits diese Waffe einsetzen? Harrison: Ja, Sir. Anderson: Wann waren die Arbeiten in Los Alamos beendet? Harrison: Im Sommer 1945 […]. Anderson: Aber damals hatte Deutschland bereits kapituliert? Harrison: Allerdings. Anderson: Ohne eine Atomwaffe eingesetzt zu haben? Harrison: Wir erfuhren beim Einmarsch, daß die Deutschen überhaupt noch nicht soweit waren, diese Waffe zu bauen. Anderson: Damit war also die Verwendung der Bombe gegenstandslos geworden? Harrison: Wie man’s nimmt, Sir. Die Bombe existierte nun einmal. Die Arbeiten daran haben Milliarden gekostet. Es ist der Sinn einer Waffe, daß sie eingesetzt wird. (92–93)

Die Verhandlung bewegt sich in diesem Teil auf der Ebene der inneren Ideologiekonfrontation und des rationalen Schlagabtauschs zwischen den Beteiligten, vor allem den Anwälten – Verteidigung und Anklage –, die sich der Aussagen Harrisons verschiedentlich bedienen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Der offensichtlich demokratischere Anderson stellt auch ihm die schon anfangs

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erwähnte Frage nach der Lage im Fernen Osten und der Notwendigkeit des Abwurfs auf die Japaner, obwohl diese, wie Harrison vom historischen Geschichtspunkt her bestätigt, schon »praktisch geschlagen« (93) waren. Der Zuschauer sieht sich hier mit dem traditionellen Oppositionsmuster des Kalten Kriegs explizit konfrontiert: Hier das mögliche »Eingreifen der Russen in den japanischen Krieg« (95), dort die daraus entspringende strategische Unaufschiebbarkeit des Kriegsendes, d. h. die Notwendigkeit, »den Krieg so schnell wie möglich und ohne lange Vorbereitungen zu beenden« (95). Auf einer Seite stehen »nationalstaatliche Standpunkte«, auf der anderen »Kritiker oder Gegner«, »Kommunisten und ihre Mitläufer«, »linke Leute«, »Pazifisten« (96). Wie bei Kipphardts Oppenheimer wenige Jahre später ist auch in Schneiders Text von der Feststellung einer »kommunistischen Mitläuferschaft« als »Diskriminierung« und Politik des Verdachts (96) die Rede, was dann in Kipphardts Stück den Fortgang des Haupthandlungsfadens vorantreiben wird. Die letzten Sequenzen des Spiels zeigen die überspannte Figur des Protagonisten, der unter Verwendung der üblichen Klischees die berüchtigte Szene der Luftaufklärung – »ein klarer Morgen mit ausgezeichneter Sicht« (99), »ein wunderbarer heller Himmel« (100) – in seiner Phantasie wieder und wieder erlebt, während ihn die Erinnerung (»ich kann mich an alles erinnern. An jede Kleinigkeit«, 99) laut Regieanweisung »überwältigt«. Auch das zur kriegsanklagenden Ikone gewordene Bild der gigantisch emporsteigenden Rauchwolke taucht in seiner Erzählung auf, »diese Wolke. Diese runde, helle, grauenhafte Wolke, die so schnell aufstieg und so riesig wurde. Danach war nichts mehr zu sehen. Nur noch Rauch und Helligkeit« (100). Dasselbe Bild gesellt sich zu dem vagen Gefühl einer damals »vielleicht« unbestimmten Ahnung der Katastrophe (»vielleicht schon damals geahnt«). Doch erst nachdem der Pilot erfahren und begriffen hat, »welche Auswirkungen die Bombe gehabt hat« (100), divergieren die Wege der Nation und die des Soldaten. Erst da trennt sich der ›Mörder‹ vom Bild des gefeierten Helden. Ich habe eine Menge Unsinnigkeiten begangen. Ich glaube, ich mußte sie begehen, damit ich am Ende begriff, was wirklich zu tun war. […] Ich habe jedem zu erklären versucht, was geschehen war, aber alle wollten mir nur gratulieren. Sie sagten, ich wäre ein Held. Sie wollten meine Hand schütteln. Sie wollten nicht begreifen, daß es doch die Hand eines Mörders war! (100–101)

Diese wichtige Problematik des schuldig unschuldigen Verbrechers, dem es nicht um die historische oder politische Rechtfertigung der Tat geht, sondern nur um die ethische Tragweite des Verbrechens, treibt ihn nach Nürnberg (»ich wollte sofort nach Nürnberg fahren«, 100) als Ausdruck einer symbolischen Abrechnung mit der Militärideologie und der aktiven und passiven Dimension der Pflichterfüllung. Die volle Tragik der Befehlsausführung, die den Einzelnen

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vernichten kann, liegt im Schluss: Wie immer der Fall entschieden wird, behauptet der Anwalt vor der Verkündung des Urteils, bleibt ein Mensch zurück, der »gottverlassen« (105) ist. Doch weit über den Prozess und den Richterspruch hinaus geht der Sinn des Verfahrens, der eine höhere kollektivbildende Bedeutung anvisieren soll, denn Waverlys Bestreben sei wohl letzten Endes, begreiflich zu machen, wie »grauenvoll« gewesen sei, »was die Leute in Hiroshima erlebt haben« (105). Die Reaktion von Anderson gibt ihm Genugtuung: »Sie wollen sehen, daß es begriffen wird, ich selber hab’s jetzt begriffen. Wenn Ihnen das was sagt« (105). So oder so hat Waverly für Schneider seine Aufgabe nicht verfehlt. Er hinterlässt dem Menschen den bitteren Geschmack eines Versagens, aber auch den Sinn einer neuen möglichen Sittlichkeit. R8my Charbon: Die Naturwissenschaften im modernen deutschen Drama. Zürich, München 1974 (besonders: Schuld und Sühne. Rolf Schneider : »Prozeß Richard Waverly«, S. 80–85). Georg Geiger : Der Täter und der Philosoph – Der Philosoph als Täter. Die Begegnung zwischen dem Hiroshima-Piloten Claude R. Eatherly und dem Antiatomkriegphilosophen Günther Anders oder : Schuld und Verantwortung im atomaren Zeitalter. Bern, Frankfurt a. M., New York, Paris 1991. Liane Krause: Prozeß Richard Waverly. In: Theater der Zeit (1963), H. 16, S. 28–29. Karl-Heinz Müller : Der Prozess Waverly [Hörspiel]. In: Theater der Zeit (1962), H. 6, S. 71– 72. Rolf Schneider: Prozeß Richard Waverly. In: Hörspiele 2. Hrsg. vom Staatlichen Rundfunkkomitee der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1962, S. 111–145. Ders.: Prozeß Richard Waverly (1963). In: Ders.: Stücke. Berlin 1970, S. 47–109. H. U. (Helmut Ullrich): Hiroshima und das Weltgewissen. In: Neue Zeit, 17. Juli 1963, S. 4. Dieter E. Zimmer : Claude Eatherly oder die Suche nach dem einen Gerechten. In: Die Zeit, 28. August 1964, S. 9–10.

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Autor : Heinrich Böll (1917–1985) Darbietungsform: Drama in drei Akten Uraufführung: 22. Dezember 1961, Schauspielhaus Düsseldorf Ort: künstliche Meeresinsel Zeit: um 2500

Literatur der Warnung und der Mahnung wird oft zur Beschwörung postatomarer Gesellschaften. Neue Chroniken der Apokalypse verlängern das Gegenwärtige ins Zukünftige hinein und zaubern ein neues Zeitalter nach dem nuklearen Armageddon herbei. Die Auswirkungen einer solchen Endkatastrophe schildert Heinrich Böll in seinem sehr umstrittenen Survival-Drama Ein Schluck

Heinrich Böll: Ein Schluck Erde (1961)

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Erde, in dem die Überlebenden einer globalen Atomvernichtung auf einer schwimmenden Plattform leben, einer Art künstlichen Insel, die zum Ort einer Zukunftsdystopie wird.472 Es war Karl Heinz Stroux’ »ehrgeiziges Suchen nach neuen Stücken«473 – als Gründgens-Nachfolger hatte Stroux die Leitung des Düsseldorfer Schauspielhauses übernommen –, das Heinrich Bölls erstes Drama förderte. Stroux, der sich für die internationale Avantgarde radikal einsetzte, förderte das Talent des Kölner Dichters, in dem er einen rheinischen Ionesco sah, und unterstützte mit seiner Regie die Uraufführung des Stücks, das nach Bölls Absicht eine Satire auf den Zusammenbruch der Menschheit sein sollte. Und dennoch: Trotz der zeitpolitischen Brisanz der nuklearen Problematik, trotz auch der damals schon großen Bekanntheit des Autors und der hochkarätigen Leitung von Stroux ergaben sich bei der Düsseldorfer Premiere, wie Günther Rühle bemerkt, »Chöre von Buhs für das theatertote Kunstprodukt mit verfremdeter Sprache und für den Autor«. Auch Die Zeit berichtet davon, wie Böll »am Ende der Uraufführung allerdings ganz persönlich und gezielt ausgepfiffen worden war«.474 Scharf kritisiert wurden in den zahlreichen Besprechungen, die das Schauspiel erfuhr, die etwas naive Schilderung der Wasserszenarien und das ans Lächerliche grenzende Repertorium der Fundgegenstände aus dem Meer, die aus einer weit entfernten, inbrünstig ersehnten Vergangenheit stammen. Doch im Mittelpunkt der Kritiken standen eindeutig die Abstrusität einer Sprache, die – wie man schrieb – der »Dolmetscherei«475 bedürfe, und die befremdlichen Neubildungen, die wie kindliches Lallen klängen. Dazu gehören z. B. Vokabeln und Ausdrücke wie die mehrfach wiederholten Gebetanrufungen »barme-kres-barme-kres«,476 das Wort ›Mahne‹ (d. h. die verdrängte Legende von jener vorsintflutlichen Menschheit, die mehrfach als ›die Trunkerer‹ bezeichnet wird) oder die oft heraufbeschworene ›Möge‹, die, wie wir sehen werden, die Quintessenz der Sehnsucht schlechthin verkörpert. Für Joachim Kaiser, der das Vorwort zu der ersten Stückausgabe von 1962 schrieb, ist die gewollte, wenn auch manchmal 472 Vgl. dazu u. a. Emilia Fiandra: Wasserarchäologie nach der Zivilisation. Zukunftsdystopie und Science Fiction in Heinrich Bölls Erstlingsdrama »Ein Schluck Erde«. In: Cultura Tedesca (2018), S. 205–218, und Valentina Serra: Ein Schluck Erde. (Gemeinschafts-)Utopie und Dystopie im Werk von Heinrich Böll. In: Prospero (2017), S. 113–137. 473 Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966 (Anm. I, 10), S. 1000. Daraus auch das folgende Zitat von Rühle. 474 Johannes Jacobi: Böll amüsiert seine Schauspieler. Über »Ein Schluck Erde« wäre in Düsseldorf beinahe der Vorhang gefallen. In: Die Zeit, 5. Januar 1962, S. 2 der Online-Ausgabe, unter URL: http://pdf.zeit.de/1962/01/boell-amuesiert-seine-schauspieler.pdf. 475 »Ohne eine kleine Dolmetscherei lässt sich über das erste Theaterstück von Heinrich Böll Ein Schluck Erde schlecht reden«, Heinz Beckmann: Heinrich Böll. Ein Schluck Erde. In: Ders.: Nach dem Spiel (Anm. II, 343), S. 317–318. 476 Heinrich Böll: Ein Schluck Erde. Köln 1962, S. 44.

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grotesk wirkende Seltsamkeit der Sprache ein mutiges Zeichen für Bölls experimentelle Suche nach verlorenen Worten, deren Widerhall die Erinnerung an die Reste einer durch Macht, Krieg und Zivilisation verspielten Natürlichkeit wecken soll: Die Erde ist fern und wird beschworen; die Liebe, das Vertrauen usw. – sie sind zwar selbst unter den gegenwärtigen Umständen nicht ausgestorben, haben aber Unterschlupf gefunden in einer archaisierenden Ursprache, die von dem modernistischen Jargon der Herrscher und Beherrschten (»besetzen«) durchaus typisch abweicht. Man kann natürlich darüber lachen […] aber man darf doch den Hintergrund nicht außer Acht lassen, der solche Experimente entließ. Böll […] sicherte sich nicht ab, sondern ließ brutal warnend »Zukunft« spielen. Ungeschützt, wie wir es sind.477

Auch Claudio Magris versucht im Vorwort zu der italienischen Einaudi-Ausgabe die Funktion der stilisierten, oft komisch karikierten Sprache von der allegorischen Phantastik her zu verstehen, die dieses aprHs le d8luge spielende Drama bestimmt: Die Szenerie von Ein Schluck Erde (1962) ist eine apokalyptische, an ihr Ende gekommene Welt, von dem Wasser überflutet, das sogar die Erinnerung an die Erde gelöscht hat; eine märchenhafte und körperlose Welt, ganz entfleischt, die ein beinahe flüchtiges, unstabiles Bild auf dem Ozean ist. […] Bölls poetische Phantasie entflammt sich am fernen Echo entfremdeter Wörter, menschlicher Wörter, die von dem fatalen Wasser ebenfalls überflutet worden sind, an der Erinnerung und dem Geschmack nach der verlorenen und unerreichbar gewordenen Erde. So dass bereits in den ersten Sätzen bemerkbar wird, wie die irreale Welt von Ein Schluck Erde […] die ergreifende und rührende Allegorie eines keineswegs mit vergnügt distanziertem Blick betrachteten, sondern innerlich betroffenen Menschenzustandes ist.478

Allerdings fand das Stück in Deutschland nie besonderen Beifall. Gut möglich, dass auch daraus der erfolgreiche Erzähler und Romancier Böll hervorging, der sich danach am Theater kaum noch versuchte. Aber das tiefe Interesse am Themenfeld Wiederbewaffnung/Radioaktivität, das Ein Schluck Erde inspirierte, wurde durch den Misserfolg nicht geschmälert und blieb bei dem Schriftsteller während seines ganzen Lebens konstant bestehen. Bölls kontroverser Erstling baut auf einer Allegorie des wissenschaftlich bedingten Untergangs auf. Wie viele seiner Zeitgenossen hegte auch Böll eine gewisse Skepsis gegenüber der Entwicklung der Nuklearenergie und dem Anspruch der Naturwissenschaften, die Wirklichkeit auf eine Dimension der Planmäßigkeit und Lenkbarkeit der Natur zu verkürzen. Und er beklagte den Primat ökonomischer Interessen. Über die Wissenschaft wisse die Bevölkerung 477 Joachim Kaiser : Vorwort zu: Heinrich Böll (Anm. oben), S. 8–9. 478 Claudio Magris: Prefazione. In: Heinrich Böll: Un sorso di terra. Ital. von Hansi Cominotti, Torino 1978, S. 5–6 [Übersetzung: E. F].

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nicht, dass »man in blinder Brutalität, einzig und allein auf Umsatz und Profit bedacht, diese Erde, die unsere Heimat ist, vernachlässigt hat«.479 Deshalb solle sich die zivile Gesellschaft der Wissenschaft zur Seite stellen, um das Überlebensrisiko der Menschheit zu kontrollieren und deren »kollektiven Selbstmord«480 zu verhindern. Schon 1953 hatte Böll im Aufsatz Der Zeitgenosse und die Wirklichkeit die tödlichen Implikationen der Atomphysik moniert und sich dabei ausdrücklich auf Oppenheimers Begriff der ›Sünde‹ berufen: Und der Vorsitzende der Atomkommission in den USA, Robert Oppenheimer, sagte: »Die Physiker haben die Sünde kennengelernt, und das ist ein Wissen, das sie nicht abschütteln können. Es gibt nichts, kein Recht und keine Sache in der Welt, die die Anwendung der Atombombe rechtfertigen könnte. Der Präsident sollte dem Volke mitteilen, daß die Bombe von Grund auf und ethisch falsch ist.« Das ist ein starkes Wort aus dem Mund eines Wissenschaftlers: Die Physiker haben die Sünde kennengelernt. Damit ist die Physik in Bezirken angekommen, wo nicht mehr bloß wissenschaftliche, sondern theologische Begriffe gelten.481

Die Dringlichkeit einer definitiven Kursänderung (»es geht auf Leben und Tod«)482 im vermeintlichen Fortschrittslauf der technischen Intelligenz hat Böll noch in den achtziger Jahren immer wieder betont und »diese neue Energie in ihrer gegenwärtigen Massierung als Tötungspotential, im täglich sich steigernden Overkill«483 angeprangert. Und immer ist die ›Erde‹ in seinen vielen Vorträgen und Essays »gegen die atomare Bedrohung« – wie der Titelanfang der Rede lautet, die Böll auf der großen Bonner Friedensdemonstration vom 10. Oktober 1981 hielt484 – ein absolut zu schützender Wert. Denn »was man Umweltschutz genannt hat, ist doch nichts anderes als der Wunsch nach Erhaltung des Bodens, den man auch Erde nennen kann, und die Erde ist nicht ›der letzte Dreck‹«.485 In den Zusammenhang dieser religiös und politisch gefärbten Grundhaltung gegen die frevelhaften Grenzüberschreitungen zwischen Natur und Mensch muss auch das Endzeitspiel Ein Schluck Erde eingereiht werden, wo der eben 479 Heinrich Böll: Wahlrede in Kleve (1972). In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 2. 1964–1972. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1977, S. 604. 480 Heinrich Böll: Der Zeitgenosse und die Wirklichkeit (1953). In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 1. 1952–1963. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1977, S. 73. 481 Ebd., S. 74. 482 Ebd., S. 75. 483 Heinrich Böll: Ein Erbauungsbuch für Abschreckungschristen (1984). In: Ders.: Schriften 1984–1985. München 1987, S. 125. 484 Vgl. Heinrich Böll: Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen. Rede auf der Friedensdemonstration am 10. 10. 1981 in Bonn. In: Ders.: Schriften und Reden 1978–1981. München 1985, S. 205–208. 485 Heinrich Böll: Handwerker sehe ich, aber keine Menschen (1975). In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 3. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1979, S. 225.

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zitierte »Wunsch nach Erhaltung des Bodens, den man auch Erde nennen kann«, durch den metonymischen ›Schluck‹ konkret und metaphorisch geäußert wird. Schon der Titel soll in dieser Hinsicht eine eindeutige Botschaft aussenden: früher oder später wird es Menschen ›ohne Erde‹ geben. Deshalb ist der ›Schluck Erde‹ zunächst verbaliter zu verstehen. Bölls Protagonisten sehnen sich nur nach einem Erdkörnchen, eine klare Metapher für die einfachen Bissen, welche die Zukunftsmenschen nostalgisch aus dem Meer der Vergangenheit filtern. Von der ehemaligen Erde haben sie nur eine vage, aber süße und sehnsuchtsvolle Vorstellung. Dräs: Sie hatten Erde, Erde genug. Erde für Menschen, für Kind und Tier, sie liefen über die Erde. Steht auf und macht eine Trampelbewegung. Sie traten auf die Erde. Berlet lacht: Ich soll glauben, daß sie die Erde mit Füßen getreten haben? Dräs: Ich weiß es. Berlet nachdenklich: Wenn ich Erde hätte, würde ich sie in diesen Eisenschrank verstecken, in dem die Trunkerer ihr Essen versteckt haben. Essen ist einmal Essen – Erde ist immer wieder Essen … Dräs leise: Sie hatten mehr Essen als wir – – – und mehr, viel mehr Erde. (39–40)

Also Erde zum Essen. Primitiv und doch kompliziert. Denn Böll imaginiert hier eine residuale, hierarchisch gegliederte Gesellschaft, aufgeteilt in durch die Farbe ihrer Kostüme voneinander unterschiedene Rangstufen, die um das Jahr 2500 auf dem und unter dem Wasser lebt. Nachdem auch die kleinste Erdscholle verschwunden ist, verzehren sich seine arglosen Figuren vor Verlangen nach der zerstörten und fast völlig vergessenen Welt, deren prosaische Relikte sie kindlich neu- und begierig vom Meeresboden heraufholen. Mittels fahrstuhlartiger Vorrichtungen ziehen sie ihnen unbekannte Funde aus dem Wasser heraus und versuchen dabei, sie zu entziffern, was beim Publikum eine komische und verfremdende Wirkung herbeiführt. Es tauchen Schränke, Maschinen, Dosen und vielerlei Nippsachen auf, in denen der Zuschauer Gebrauchsgegenstände wie Kühlschränke, Fernsehapparate, Konservendosen, Reklameschilder erkennen kann und die für das naive ›Krestenvolk‹ – so heißen die Floßbewohner – begehrte Streitobjekte sind. Die meistens farblos – oder nur schwach farbig – gekleideten Kresten, unter denen einige Kritiker die ›Christen‹ haben sehen wollen,486 gehören zur untersten Klasse; rechtlose Sklaven, die von den farbentragenden ›Wissern‹ schikaniert werden, obwohl oder gerade weil an ihrem einfachen Wesen ein ferner Eindruck der Vergangenheit in unbewussten Gedächtnisspuren haften geblieben ist. In verschiedenen und doch beständig der verlorenen Welt nachtrauernden Versionen wird die Erde von den Kresten immer wieder evoziert und bis zum 486 Vgl. z. B. Walter Koch: Heinrich Böll. Ein Schluck Erde. In: Organon – Revista da faculdade de filosofia 8 (1963), S. 99.

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starren, fast klischeehaften Symbol des Verlusts gesteigert. Erde war in erster Linie Nahrung. Aber nicht nur das: Sie war Buntheit und positive Abwechslung, Schutz und Liebe, Klang und Freude, sie war Bleibe für die Lebenden und Ruhestätte für die Toten. Gleich am Anfang lässt Böll den im Käfig gefangenen ›farblosen‹ Krest namens Dräs die alte Mahne der entschwundenen Erde »singsanghaft« (15) erzählen. Fast eine Fabel, die in lexikalisch höchst repetitiven Varianten im ganzen Text vorkommt: »Es wuchs das Wasser über die Erde, wuchs die Welle, wuchs das Wasser über Brot und Blume, war das Wasser der Tod, es nahm unsere Erde den Grund, auf dem Grund des Wassers ruht nun unsere Erde: sie war Brot und Blume, sie war Baum und war Bett für die Mögenden, sie war der Toten Ruhe – das Wasser verschlang sie« (15). Doch nur »leise« dürfen die drangsalierten Gestalten auf der Plattform von der großen Katastrophe reden, weil die ›Wisser‹ und die zwei golden gekleideten ›Kenner‹ über mächtige Unterwerfungsmittel verfügen: Angst und Schweigezwang. Die hochrangigen Personen wollen den Kresten »das Sprechen verbieten«, sie »wie die Fische« zum Verstummen bringen, ihnen sogar »die Zungen nehmen« (38–39). Interessant ist die Thematisierung dieses Misstrauens der höheren Klasse gegenüber der Sprache, in der sich die verborgene Spur der Erde wie ein gefährlicher Funke bewahrt. Daher wird das Wort als Zivilisationswert, der im nachatomaren Zeitalter untergeht, im Untergangsdiskurs zentral. Denn erst das Wort führt zur Befreiung und zur Bewusstwerdung. Worte zergehen auf der Zunge mit dem Genuss eines verbotenen Bissens, ebenso wie ein Klumpen Erde oder ein Schluck der unbekannten weißen Flüssigkeit in der Flasche, die der Gefangene Dräs fischt. Ihr Inhalt ist wie eine Flaschenpost aus einer fremden, vergangenen Epoche. Beim Trinken rufen Dräs und Berlet im Einklang und, wie die Regieanweisung aussagt, in »seliger Verzückung« »Mutter – Mutter. Mahne« (34). Mutter und Mahne, Ursprung und Legende: Wie eine alte Volkssage ruft der süßliche Milchgeschmack die angenehme Wärme eines uralten Gefühls wach. Gerade dieses Wissen um Herkunft und Geschichte wird von den Machthabern tabuisiert: »Es ist den Farblosen verboten, sich irgendwelche Hypothesen, ja verboten, sich Gedanken zu erlauben. Ihre Position ist eine geduldete, bestenfalls eine dienende, jeder Kommentar zu unserer, zu ihrer und zur Existenz unserer Vorfahren ist ihnen verboten« (49). Jede wenn auch dumpfe Ahnung dessen, was einmal war, wird verbannt, jeder Hoffnungsschimmer, der in der bedrückenden zeitlosen Homogenität des Ganzen ein Anderssein enthält, sorgfältig vermieden. Deshalb empfindet eine der weiblichen Dramenfiguren das verbotene Hendiadyoin »Erde und allein« als »lustig« (62), weil es den potentiellen Sieg der Identität über die totalitäre Macht der Wisser aufschimmern lässt.

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Die von Konformismus geprägte Zukunftswelt ist streng von oben rationalisiert. Es ist der Plan einer lieb- und freudlosen Menschheit, bei der sogar die Kinderzeugung fest geregelt ist. In ihrem latent gebliebenen Drang nach Humanität schaffen es jedoch die Kresten, das gefühllose Gerüst des Systems zu durchlöchern, Ausdrucksformen einer andersartigen Menschlichkeit ans Licht zu bringen, etwa durch unreglementierte Handlungen, wie spontanes Ballspiel, Verzehr außerhalb der dafür vorgesehenen Zeit und plötzliches freies Lachen, das im Text eine symbolische Tragweite gewinnt.487 Zum befreienden Potential des Lachens gesellt sich im Text das Ethos der ›Möge‹, die mancherlei Bedeutung hat, von dem reinen Vergnügen an der Nahrung über die Fröhlichkeit einer harmlosen, freundlichen Zuneigung bis hin zur unbefangenen Möge einer Liebesumarmung: dem ›Beischlaf‹ in der allerdings im hierarchisch-autoritären Universum des Werks streng verbotenen Form der ›großen Möge‹. Durch die – und dank der – Möge dringt in die uniforme Wasserwelt ein Echo der Menschlichkeit, eine schüchterne Form der Begeisterung. Zur Metapher des sich wenn auch zögernd entflammenden Enthusiasmus wird auch bei Böll – wie schon in Kühnelts Überlebensdrama Es ist später als du denkst488 – ein Fundgegenstand von sinnbildlicher Bedeutung, ein noch funktionierendes Feuerzeug, das die Hoffnung weckt, dass das Feuer in jeder Hinsicht eine neue Ära einleitet. So Simone: »Die Flamme wird die Bleibe wärmen; die Flamme hat auch – Beginnt zu lachen, stockt, spricht weiter – sie hat die Suppe gekocht« (74). Als Meilenstein der Geschichte wird das Gerät beklatscht und bejubelt: »es ist wirklich die Sonne, die wehende, atmende Sonne. Wir haben die Sonne gefunden, die Flamme – den Sonnenatem« (70). Gefährlich ist in den Augen der Herrscher diese Freude über die – symbolisch und zugleich materiell gemeinte – wiedergewonnene ›Wärme‹, und Böll lässt die revolutionäre Stoßkraft der Wiederentdeckung des Feuers besonders deutlich hervortreten. Die Kenner befürchten die neue Leichtigkeit der Knechte (»lachende Kresten, ohne Angst! Wir müssen […] durchgreifen«, 80), sie ahnen die Gefahr und lehnen die Wendung ab, die damit eintreten könnte: »Die Flamme, Exzellenz! Es muß rasch gehandelt werden, Exzellenz. Die Seile, an denen der 487 »Trenner hilflos zu Schuster : ›Ist Ihnen bekannt, was wir gehört haben?‹. Schuster : ›Wir haben – – haben Lachen – gehört, Exzellenz. […]‹. Trenner nüchtern: ›Gut – – haben Sie noch nie Lachen gehört? […]‹. Trenner: ›Was war denn das Fürchterliche an diesem Lachen?‹. Schuster : ›Es waren – Kresten, die lachten, Exzellenz‹. Trenner : ›Schön – – wie lautet eine der obersten Verhaltensweisen für Kresten?‹. Schuster : ›Ein Krest hat nichts zu lachen‹. Trenner: ›Ausgezeichnet – Nickt ihm zu – – und doch war noch etwas in diesem Lachen, etwas, das über das Verbotene hinaus fürchterlich war. Können Sie es definieren?‹. Schuster : ›Es war – – war gemeinsames Lachen, Exzellenz. Es war ein gemeinsames – – und – – ich wage das Wort – – freies Lachen, Exzellenz‹. Trenner: ›Ein gemeinsames, freies Lachen‹« (73). 488 S. Teil II, Abschnitt 49.

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Käfig hängt, könnten jeden Augenblick reißen« (75). Doch bleibt die politische Lösung, die der Dichter für sein Endzeitspiel gefunden hat, ambivalent. Aus dem Dramenschluss spricht vor allem Vergebungswille. Dräs gelingt es, die aufsässigen Kresten daran zu hindern, Trenner ins Wasser zu werfen. Und er vermag es, sie von dem Wunder und der Versöhnungskraft der gegenseitigen Liebe zu überzeugen. Berlett zu Dräs: Du selbst hast gesagt, wir sollen sie wassern wie leere Flaschen – gluck – gluck – gluck – und weg – Berlett und Hack: gluck – gluck – weg Simone und Dräs: Nein – nein – nein – laßt ihn. Berlett zu Dräs: Du hast es gesagt. Hack: Du hast es gesagt. Dräs: Gesagt ist nicht getan. Hack und Berlett: Gesagt ist nicht getan? Dräs: Das Wort ist nicht die Tat, und die Möge ist mehr als beide. Gebt ihm die Möge. Versteht ihr das nicht? Seht, ich gebe sie ihm. Dräs umarmt Trenner, läßt dann das Feuerzeug anspringen. (81–82)

Bei dem Katholiken Böll wird der rein gewaltlose Charakter der Auflehnung also nicht einen Moment in Frage gestellt. Das Ende verbindet den Liebe und Nachkommenschaft verheißenden Segen des Feuers mit einer fast kathartischen Lust am Spiel. Der prometheische Raub des Feuers als Inbegriff der Zivilisation, den viele Autoren von Atomdramen als extreme Form der Hybris und der fatalen Herausforderung gegenüber Gott und Natur thematisieren, rückt bei Böll in den Hintergrund. Das Feuermotiv gilt hier zugleich als zukunftsweisender Funke und als Memento der Bedrohung, die die Menschheit selbst hervorgebracht hat, und des Schicksals, das ihr bevorsteht, wenn sie nicht den richtigen Weg einschlägt. Das zweckfreie, zwanglose und legere Ballspiel in der letzten Szene, begleitet vom Chor, bei dem alle das Mitleidswort »Barme« (82) rufen, suggeriert eine Alternative zum Machtsystem. Das brennende Feuerzeug bleibt dabei in Dräs’ Hand als ideales Zentrum des Bühnengeschehens. Die einzige Möglichkeit, die Zukunft zu retten und den Weg der menschlichen Kultur wieder von vorne in Angriff zu nehmen, kann und muss für Böll nur von der interesselosen ›Möge‹ ausgehen. Heinz Beckmann: Heinrich Böll. Ein Schluck Erde. In: Ders.: Nach dem Spiel. Theaterkritiken 1950–1962. München-Wien 1963, S. 317–320. Werner Bellmann (Hrsg.): Das Werk Heinrich Bölls. Bibliographie mit Studien zum Frühwerk. Opladen 1995. Heinrich Böll: Der Zeitgenosse und die Wirklichkeit (1953) In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 1. 1952–1963. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1977, S. 71–75.

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Ders.: Ein Schluck Erde. Mit einem Vorwort von Joachim Kaiser. Köln 1962; wieder abgedruckt in: Ders.: Werke. Hörspiele, Theaterstücke, Drehbücher, Gedichte I 1952–1978. Bd. 1. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1979, S. 403–463. Ders.: Wahlrede in Kleve (1972). In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 2. 1964–1972. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1977, S. 599–604. Ders.: Handwerker sehe ich, aber keine Menschen (1975). In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 3. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1979, S. 220–225. Ders.: Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen. Rede auf der Friedensdemonstration am 10. 10. 1981 in Bonn. In: Ders.: Schriften und Reden 1978–1981. München 1985, S. 205–208. Ders.: Ein paar Worte über ein paar Wörter, die uns da dauernd um die Ohren fliegen (1983). In: Ders.: Feindbild und Frieden. Schriften und Reden 1982–1983. München 1987, S. 63–68. Ders.: Ein Erbauungsbuch für Abschreckungschristen (1984). In: Ders.: Schriften 1984–1985. München 1988, S. 121–134. Emilia Fiandra: Wasserarchäologie nach der Zivilisation. Zukunftsdystopie und Science Fiction in Heinrich Bölls Erstlingsdrama »Ein Schluck Erde«. In: Cultura Tedesca (2018), Nr. 54, S. 205–218. Johannes Jacobi: Böll amüsiert seine Schauspieler. Über »Ein Schluck Erde« wäre in Düsseldorf beinahe der Vorhang gefallen. In: Die Zeit, 5. Januar 1962, S. 2 der OnlineAusgabe, unter URL: http://pdf.zeit.de/1962/01/boell-amuesiert-seine-schauspieler. pdf. Walter Koch: Heinrich Böll. Ein Schluck Erde. In: Organon – Revista da faculdade de filosofia 8 (1963), S. 95–105. Manuel Montesinos Caperos: La didascalia en el drama de Heinrich Böll »Ein Schluck Erde«. In: Maria Jos8 Dom&nguez V#zquez, Emilio Gonz#lez Miranda, Meike Meliss, Victor Millet (Hrsg.): La palabra en el texto. Festschrift für Carlos Buj#n. Santiago de Compostela 2011, S. 189–198. Manfred Moschner : Ein Schluck Erde – kaum ein Tropfen Theater. In: Kölnische Rundschau, 24. Dezember 1961. O. A.: Böll. Barme Barme. In: Der Spiegel, 10. Januar 1962, S. 69–70. O. A.: Böll. Brot und Boden. In: Der Spiegel, 6. Dezember 1961, S. 71–86. O. A.: Heinrich Bölls erstes Stück. Uraufführung von »Ein Schluck Erde« in Düsseldorf. In: Die Presse, 24. Dezember 1961. O. A.: Scherbengericht über Heinrich Böll. Die Uraufführung von »Ein Schluck Erde« in Düsseldorf enthüllte ein Blut- und Bodendrama. In: Die Presse, 3. Januar 1962, S. 9. Albert Schulze-Vellinghausen: Eine Feuertaufe. Heinrich Böll: Ein Schluck Erde. Uraufführung in Düsseldorf. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Dezember 1961. Hans Schwab-Felisch: Heinrich Böll. Ein Schluck Erde. In: Neues Rheinland 24 (1962), S. 46. Ders.: Heinrich Böll – zwischen Satire und Mysterienspiel. In: Süddeutsche Zeitung, 27. Dezember 1961. Valentina Serra: Ein Schluck Erde. (Gemeinschafts-) Utopie und Dystopie im Werk von Heinrich Böll. In: Prospero (2017), S. 113–137. Wolfgang Stolz: Der Begriff der Schuld im Werk von Heinrich Böll. Frankfurt a. M. 2009. Heinrich Vormweg: Der andere Deutsche: Heinrich Böll. Eine Biographie. Köln 2000.

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Werner Tamms: Bölls seltsame »Möge« zum Theater. In: Westdeutsche Allgemeine, 27. Dezember 1961.

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Autor : Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) Darbietungsform: Komödie in zwei Akten Uraufführung: 20. Februar 1962, Schauspielhaus Zürich Ort: Salon einer Irrenanstalt Zeit: Gegenwart

Wenn es um Friedrich Dürrenmatts Komödie Die Physiker geht, reihen sich die Superlative. Die Physiker sind wohl das klassischste und vielleicht auch das bekannteste Atomdrama, das die deutschsprachige Literatur hervorgebracht hat. Nach dem außerordentlichen Erfolg der Züricher Uraufführung489 wurde es in Deutschland zum meistgespielten Stück der Saison 1962/63 und gehört seitdem weltweit zum Theaterrepertoire der Bühnen. Auch ist inzwischen die Bibliographie dazu ins Unermessliche angeschwollen und die Fragen nach den thematischen Implikationen des Textes sind in der Sekundärliteratur bereits ausführlich und erschöpfend besprochen worden. Daher soll hier nur auf einige Schwerpunkte eingegangen werden, die für den Atomdiskurs besonders relevant sind, beginnend mit Dürrenmatts großem Interesse für die schon im Hörspiel Das Unternehmen der Wega490 auf satirisch-visionärer Ebene behandelte Problematik des Kalten Kriegs und für die zeitgenössische Naturforschung, der das Stück seine Entstehung verdankt.491 489 »Seit ›Des Teufels General‹ hatte kein Stück mehr solchen Zuspruch gehabt«, so Günther Rühle in seiner Studie Theater in Deutschland (Anm. I, 10, S. 896), die wertvolle Beobachtungen über die erste Inszenierung enthält (S. 894–896). Aber nicht alle Stimmen waren positiv, es gab auch Verrisse: »Verehrter Herr Dürrenmatt, wann endlich bekommen wir auf Ihrer Bühne einen Menschen zu sehen, um den es wahrhaftig schade wäre, wenn die große Bombe platzte?«, Heinz Beckmann: Drei Leichen – drei Physiker. Friedrich Dürrenmatt. Die Physiker. In: Ders.: Nach dem Spiel (Anm. II, 343), S. 328–331, hier S. 330. Beckmann, Theaterkritiker des Rheinischen Merkur, äußert auch ästhetische Zweifel an der »abgestandenen Ironie« der »blasierten Komödie« (S. 331). Jedenfalls hatte das Stück auch bei seiner freilich erst 1977 stattfindenden DDR-Erstaufführung in Magdeburg »einen außerordentlichen Premierenerfolg«, wie die Zeitung Neues Deutschland kurz berichtet (14. November 1977, S. 4). 490 S. Teil II, Abschnitt 31. 491 In ihrer ausführlichen, aufwendig recherchierten Studie Literatur und Quantentheorie zeigt Elisabeth Emter, wie wichtig Dürrenmatt die Naturwissenschaft war und wie viel sein Denken und literarisches Schaffen den philosophischen Studien des englischen Astronomen Arthur Eddington verdanken. S. Elisabeth Emter : Friedrich Dürrenmatt. Dramaturgie des Unwahrscheinlichen. In: Dies.: Literatur und Quantentheorie (Anm. I, 5), S. 218–270.

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Bereits 1956, als Robert Jungks Bestseller Heller als tausend Sonnen veröffentlicht wurde, fasste Dürrenmatt in der für die Züricher Weltwoche geschriebenen Besprechung die Aspekte zusammen, die zum Angelpunkt des theoretischen Hintergrunds sowie der dramatischen Handlung der Physiker werden sollten. Die Jungk-Rezension behandelt nicht nur den wissenschaftlichen und historischen Zusammenhang, aus dem die Kernphysik hervorgegangen war, sondern wirft mit allem Nachdruck auch die Frage nach dem Grad der Bedrohung auf, die aus dem globalen Wettrüsten erwächst: »Es tut gut zu wissen«, mahnt der Autor gleich in den ersten Zeilen, »wie weit der Ast angesägt ist, auf dem wir sitzen«.492 Bemerkenswert ist hier, wie Reflexionen und Grundsätze auftauchen, die dann im Stück leicht wiederzuerkennen sind, wie etwa die politische Strategie (»irrsinnige[r] Versuch«), »die Atombombe geheimzuhalten, Wissenschaft als ein Staatsgeheimnis zu behandeln«, und die »Zertrümmerung einer internationalen Elite von Wissenschaftlern«, die durch die übergroße Rolle der Politik ausgelöst worden sei. Nüchtern und direkt durchdenkt Dürrenmatt die bipolare Ordnung im Kalten Krieg (»wie beide Mächte die Bombe besitzen«), die dann die Komödie an der Gegenüberstellung der zwei Physiker-Geheimdienstagenten Kilton und Eisler exemplifizieren sollte, und erörtert die Voraussetzungen der »technisch süß[en]« Versuchung, die die Wissenschaftler »verführte«, d. h. die auf ihnen lastende Unmöglichkeit, aus dem moralischen Dilemma der Physik schuldlos hervorzugehen. Ferner zeigt sich darin schon jene fundamentale Neigung zum Paradoxon, die für Dürrenmatt der Physik geradezu natürlich innezuwohnen scheint und die im Stück Die Physiker ihren exemplarischen Ausdruck finden sollte: »ihr Erfolg war ihr Versagen«, heißt es lapidar in der Buchbesprechung, »denn sie konnte die Atombombe bauen, indem sie sich den Politikern und Militärs auslieferte«. Hier stellt Dürrenmatt Menschheitsgeschichte und Wissenschaft noch einmal kontrapunktisch gegenüber und unterstreicht folgendermaßen die höllische Aporie ihrer Entwicklung: »Daß alles menschlich verständlich ist, macht die Geschichte teuflisch«. Als Korollar dieser grundlegenden Verkehrung, die ebenfalls für die auf den Kopf gestellte Sanatorium-Welt der Physiker konstitutiv sein wird, ergibt sich der Leitgedanke, nach dem es »keine Möglichkeit [gibt], Denkbares geheim zu behalten«, denn »jeder Denkprozeß ist wiederholbar«. Es geht hier um die unumgängliche Wiederholbarkeit der Denkakte, die Dürrenmatt in dem Spiel immer wieder aufnimmt und durch das groteske Schicksal seiner den Wahnsinn 492 Friedrich Dürrenmatt: »Heller als tausend Sonnen«. Zu einem Buch von Robert Jungk. [Die Weltwoche, 7. Dezember 1956]. In: Ders.: Werkausgabe in dreißig Bänden. Hrsg. von Daniel Keel. Bd. 28, Zürich 1980, S. 20–24, hier S. 20. Dort auch alle folgenden Zitate aus der Rezension.

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fingierenden Helden ad absurdum führt. Ausdrücklich, ja fast wortwörtlich, wird diese These von der einzigen tatsächlich Irren im Werk, Frl. Dr. von Zahnd – Chefin der Nervenheilanstalt, in die sich die drei Physiker zurückgezogen haben – formuliert, als sie in Bezug auf den Protagonisten Möbius die Vergeblichkeit jeder Anstrengung erkennt, die Welt vor den unheilvollen Folgen der Atomerfindungen zu bewahren: »Er versuchte, zu verschweigen, was nicht verschwiegen werden konnte. Denn was ihm offenbart worden war, ist kein Geheimnis. Weil es denkbar ist. Alles Denkbare wird einmal gedacht. Jetzt oder in der Zukunft«.493 Dagegen hegt Möbius am Anfang die illusorische Vorstellung der Selbständigkeit des Einzelnen und der eigenen Fähigkeit, seine ›explosiven‹ Ideen unter Kontrolle zu halten: »Wir müssen unser Wissen zurücknehmen, und ich habe es zurückgenommen« (74), behauptet er in der naiven Überzeugung, »unentdeckt zu bleiben« (75). Aber die Theorie der Geborgenheit im Irrenhaus als Hort von Autonomie und Gedankenfreiheit in einer machtgetriebenen Welt (»Nur im Irrenhaus sind wir noch frei. Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff«, 75) erweist sich als scheinheilig und verlogen. Und die Flucht vor der gesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaft stellt sich als fataler Irrtum heraus, so dass auch Möbius am Ende einsehen muss: »Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden« (85). Machtlosigkeit und Versagen des modernen Wissenschaftlers werden mehrfach im Text thematisiert. Vor allem wird der im Genre des antinuklearen Theaters oft anzutreffende Prozess der Verselbständigung der Erfindung ins Visier genommen und damit die Diskrepanz von Idee und Ergebnis fokussiert, ein Phänomen, das einer der Physiker im Stück am Bild der Glühbirne eindrucksvoll veranschaulicht: Ich stelle nur aufgrund von Naturbeobachtungen eine Theorie […] auf. Diese Theorie schreibe ich in der Sprache der Mathematik nieder und erhalte mehrere Formeln. Dann kommen die Techniker. Sie kümmern sich nur noch um die Formeln. Sie gehen mit der Elektrizität um wie der Zuhälter mit der Dirne. Sie nützen sie aus. Sie stellen Maschinen her, und brauchbar ist eine Maschine erst dann, wenn sie von der Erkenntnis unabhängig geworden ist, die zu ihrer Erfindung führte. So vermag heute jeder Esel eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen – oder eine Atombombe zur Explosion. (22)

Von dem Wort ›brauchbar‹ ausgehend, wird hier das Problem der politischen Auswertung der wissenschaftlichen Entdeckungen aufgeworfen, bei denen das Endprodukt als rein technisches Resultat mathematischer Formeln unabhängig von der »Auswirkung« ist, die – so Dürrenmatt in seinen 21 Punkten zu den Physikern – im Unterschied zum »Inhalt der Physik« alle Menschen« angeht. 493 Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (Anm. I, 110), S. 82.

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Deshalb glossiert der Autor in Punkt 18 das elitäre Bewusstsein des Wissenschaftlers mit der radikalen Feststellung: »Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muß scheitern«. Und deshalb scheitert der Atomwissenschaftler Möbius an der Zuversicht, dass ihm der Rückzug aus der Welt »wenigstens die Sicherheit« geben könne, »von Politikern nicht ausgenützt zu werden« (75). Zwischen dem Plan des Physikers, sich mitsamt seinem katastrophalen Wissen im Sanatorium zu vergraben, und der schließlichen Entscheidung zum dortigen Verbleib als allerletzte »Kapitulation vor der Wirklichkeit« (74) entwickelt sich auch die Fabel des Textes. Als Entdecker des »System[s] aller möglichen Erfindungen« (69), das die Welt vernichten kann, hat Möbius Familie und Karriere, Vermögen und Ruhm aufgeopfert. Schon längst lebt er im Irrenhaus, nur um die verheerende Wirkung seiner Entdeckungen zu verhüten (»Es gibt Risiken, die man nie eingehen darf: der Untergang der Menschheit ist ein solches«, 73). Versteckt und heimlich hat er dennoch in all den Jahren weitergeforscht, allabendlich, wohlgemerkt, jeden Papierschnipsel sorgfältig verbrennend. Genauso wie die anderen beiden Physiker – die sich für Newton und Einstein ausgeben und sich am Ende als Spione entpuppen, der eine aus einer östlichen, der andere aus einer westlichen Macht, die die Dienste des genialen Möbius für den eigenen Staat beanspruchen – spielt er verrückt. Besessen von den Visionen des Königs Salomo, inszeniert er eine Tarnung, die als Form der Verstellung auch von Dürrenmatt selbst im Text praktiziert wird. Das Atomdrama verkleidet sich nämlich als Kriminalstück und kreist inhaltlich um den Mord an drei Krankenschwestern, deren einzige Schuld darin besteht, dass sie die drei Physiker durchschaut haben. Mit einer polizeilichen Ermittlung beginnen die beiden parallel gebauten Akte des Werks. Und jedes Mal tritt die Figur des sympathischen Kriminalinspektors Voß auf die Bühne, der den Fall und die verkehrten Gesetze des Universums in der Villa zu erforschen versucht. Doch auch die Ermordungen im Namen des Geheimnisschutzes erweisen sich als sinnlos, denn die theatralische Pointe – »die schlimmstmögliche Wendung«, die Dürrenmatts Punkte drei und vier anstreben – erfordert den imponderablen Triumph des Zufalls in der grotesken Gestalt der verwachsenen, verrückten Leiterin des Hauses, die selbst die Physiker ausspioniert und alles geschickt und berechnend manipuliert: »Ich mußte euch unschädlich machen. Ich hetzte die Krankenschwestern auf euch. Mit eurem Handeln konnte ich rechnen. Ihr wart bestimmbar wie Automaten und habt getötet wie Henker« (84). In den Wiedererkennungsszenen des Finales erfährt man von ihrem planmäßigen Vorgehen, d. h., wie von Anfang an ihr Ziel nur Möbius’ Manuskripte gewesen seien und wie sie jeden Abend die Papiere vor der Verbrennung fotokopiert habe. Nun ist sie es, die im Besitz der Weltformel ist. Damit kann sie in einem eskalierenden Allmachtswahn die Welt dominieren: »Nun werde ich mächtiger sein als meine

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Väter. Mein Trust wird herrschen, die Länder, die Kontinente erobern, das Sonnensystem ausbeuten, nach dem Andromedanebel fahren. Die Rechnung ist aufgegangen. Nicht zugunsten der Welt, aber zugunsten einer alten, buckligen Jungfrau« (85). Nach der Aufdeckung der unvorhersehbaren Ränke der Chefin schlüpfen die Physiker, trostlos und ohnmächtig, von Welt und Menschheit auf immer abgesondert, in die Maske des Wahnsinns oder, besser gesagt, in den »Maskenwahnsinn«494 zurück, wie Sandra Heinrici formuliert. In den Schlussmonologen nennen Newton und Einstein wissenschaftliche und biographische Umstände aus ihrem Leben und stellen dabei deutlich den Bezug zu Motiven der Apokalypse und der Atombedrohung her (»Newton: ›Ich schrieb auch theologische Bücher. Bemerkungen zum Propheten Daniel und zur Johannes-Apokalypse‹. Einstein: ›Von mir stammt die Formel E = mc2, der Schlüssel zur Umwandlung von Materie in Energie‹«, 86). Der assoziative Zusammenhang verdichtet sich in der Phantasie von Möbius zum Bild der »radioaktiven Erde«, mit dem das Stück schließt. Die biblische Figur des legendären, einst allmächtigen Salomo, mit dem sich Möbius nach der Simulation vorbehaltlos identifiziert, wird jetzt zum Inbegriff von scheiterndem Hochmut und Grenzüberschreitung: Ich bin Salomo. Ich bin der arme König Salomo. […] meine Weisheit zerstörte meine Gottesfurcht, und als ich Gott nicht mehr fürchtete, zerstörte meine Weisheit meinen Reichtum. Nun sind die Städte tot, über die ich regierte, mein Reich leer, das mir anvertraut worden war, eine blauschimmernde Wüste, und irgendwo um einen kleinen, namenlosen Stern kreist, sinnlos, immerzu, die radioaktive Erde. (87)

Salomos Vermessenheit gilt als Metapher für das Schicksal des modernen Physikers, der in seiner gottvergessenen Wissenschaft »an die Grenzen des Erkennbaren gestoßen« (74) ist. Die vorläufige Abwendung der Katastrophe durch die Isolation ist von der Wirklichkeit und der Hybris der Menschen zunichtegemacht worden. Fräulein von Zahnds zynisch-realistische Voraussage über die Unausweichlichkeit des Denkbaren (»jetzt oder in der Zukunft«, 82) hat sich bewahrheitet. Der Weltuntergang ist vielleicht aufgeschoben, doch die nukleare Bedrohung scheint in der apokalyptischen Endvision vom radioaktiv verseuchten Planeten nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Heinz Ludwig Arnold: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. Materialien. Stuttgart 1980. Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker: eine Komödie in zwei Akten. Zürich 1962. Ders.: »Heller als tausend Sonnen«. Zu einem Buch von Robert Jungk. In: Ders.: Werkausgabe in dreißig Bänden. Hrsg. von Daniel Keel. Bd. 28, Zürich 1980, S. 20–24. Manfred Eisenbeis: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. Stuttgart 2009. 494 Sandra Heinrici: Maskenwahnsinn. Darstellungsformen des Wahnsinns im europäischen Theater des 20. Jahrhunderts. Bonn 2008 (zu den Physikern s. insbesondere S. 62–67).

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Elisabeth Emter : Friedrich Dürrenmatt. Dramaturgie des Unwahrscheinlichen. In: Dies.: Literatur und Quantentheorie. Die Rezeption der modernen Physik in Schriften zur Literatur und Philosophie deutschsprachiger Autoren (1925–1970). Berlin 1995, S. 218– 270. Sandra Heinrici: Maskenwahnsinn. Darstellungsformen des Wahnsinns im europäischen Theater des 20. Jahrhunderts. Bonn 2008 (besonders S. 62–67). Herbert Ihering: Bemerkungen zu Theater und Film. In: Sinn und Form 14 (1962), H. 4, S. 650–652. Oskar Keller : Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. München 1970. Gerhard P. Knapp: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas, Frankfurt a. M. 1982. Jan Knopf: Apokalyptisches Narrenspiel. In: Dramen des 20. Jahrhunderts. Bd. 2. Stuttgart 1996, S. 109–125. Dieter Martin: Friedrich Dürrenmatt: »Die Physiker«. Braunschweig 2010. Bernd Matzkowski: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. Hollfeld 2011. Hans Mayer: Dürrenmatt und Brecht oder die Zurücknahme. In: Reinhold Grimm, Willy Jäggi, Hans Oesch (Hrsg.): Der unbequeme Dürrenmatt. Basel, Stuttgart 1962, S. 97– 116. Edgar Neis: Erläuterungen zu Dürrenmatts »Der Besuch der alten Dame« und »Die Physiker«. Hollfeld 1965. August Obermayer : Dürrenmatts Drama »Die Physiker« im Spannungsfeld von Modernität und Tradition. In: Kerry Dunne, Ian R. Campbell (Hrsg.): Unravelling the Labyrinth. Decoding Text and Language. Festschrift für Eric Lowson Marson. Frankfurt a. M. 1997, S. 87–96. Franz-Josef Payrhuber : ›Naturwissenschaftler zwischen Forschungsinteresse und moralischer Verantwortung‹ als Thema des deutschen Gegenwartstheaters. In: Ders.: Deutsches Gegenwartsdrama im Literaturunterricht der Sekundarstufe I. München 1978, S. 102–121. Ders.: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. Stuttgart 2001. Klaus Dietrich Petersen: Friedrich Dürrenmatts Physiker-Komödie. Eine Interpretation für den Deutschunterricht. In: Die Pädagogische Provinz (1967), 5, S. 289–302. Karl Richter : Grenzen und Grenzüberschreitungen. Ein Versuch zum Drama Dürrenmatts am Beispiel seiner Physiker. In: Uwe Grund, Günter Scholdt (Hrsg.): Literatur an der Grenze. Der Raum Saarland – Lothringen – Luxemburg – Elsaß als Problem der Literaturgeschichtsschreibung. Festgabe für Gerhard Schmidt-Henkel. Saarbrücken 1992, S. 135–151. Alexander Ritter : Erläuterungen und Dokumente zu Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. Stuttgart 1991. Ian F. Roe: Dürrenmatt’s Die Physiker. Die drei Leben des Galilei? In: Forum for Modern Language Studies 3 (1991), S. 255–267. Peter Rüedi: Dürrenmatt oder die Ahnung vom Ganzen. Zürich 2011. Eugenio Spedicato: Ästhetik des Kalten Kriegs bei Friedrich Dürrenmatt. In: Günther Stocker, Michael Rohrwasser (Hrsg.): Spannungsfelder. Zur deutschsprachigen Literatur im Kalten Krieg (1945–1968). Wuppertal 2014, S. 213–232. Lutz Tantow : Friedrich Dürrenmatt: Moralist und Komödiant. München 1992.

Heinrich Heym: Asche im Wind (1963)

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Heimtraud F. Taylor : The Question of Responsibility in »The Physicists«. In: Bodo Fritzen: Friedrich Dürrenmatt: A collection of critical essays. Ann Arbor/Mich. 1983, S. 19–35. Karl S. Weimar : The Scientist and Society. A Study of Three Modern Plays. In: Modern Language Quarterly (1966) 27, H. 4, S. 431–448. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 31.

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Heinrich Heym: Asche im Wind (1963)

Autor : Heinrich Heym (1921–1975) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: 9. März 1963, Theater am Turm von der Landesbühne Rhein-Main, Frankfurt Ort: Südseeinsel und Deutschland Zeit: Gegenwart

Radioaktive Ausschüttung und genetische Mutation, politische Ränke zur Verdunkelung der Gefahr und ärztliche Konnivenz, europäische Machenschaften und amerikanische Nukleartests im Pazifik, dies alles konvergiert in der Handlung von Asche im Wind, dem Erstling des Journalisten und Theaterkritikers Heinrich Heym. Das Schauspiel, mit dem die Landesbühne Rhein-Main am 9. März 1963 das neue Haus der Frankfurter Volksbühne eröffnete,495 blieb auch das einzige Bühnenstück des Schriftstellers, der vor allem als Dramaturg der Bad Hersfelder Festspiele und als Verfasser von erfolgreichen Büchern über die Geschichte seiner Wahlstadt Frankfurt bekannt wurde. Asche im Wind, eine »dichterische Fabel mit Wirklichkeitscharakter«, wie sie Heym selbst bei einer Diskussion definierte, über die die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet,496 wurde nach eigenen Angaben des Autors durch den Unfall der japanischen Fischer und des Atomstaubs inspiriert, der wie eine Art Aschenregen auf sie gefallen war. Mit Bezug auf die strahlengeschädigten Fischer betonte Heym, wie »der Krankheitsablauf auf der Bühne […] genau den Krankheitsberichten dieser Männer« entspreche. Mit solch einem radioaktiven Fallout beginnt auch sein nukleares Drama. Ein sonderbarer »Schnee«497 trifft die Hauptfigur, den jungen Ingenieur Stefan Hartung, und seine Mitarbeiter auf einer Südseeinsel. Die Gruppe erleidet schwere, für einige von ihnen sogar tödliche Verletzungen; er selbst wird hingegen nach langer Behandlung in einem 495 Am Tag der Premiere wurden auch einige Szenen im Fernsehen gezeigt. Vgl. die Erinnerungen der Schauspielerin Christine Mattner, Hauptdarstellerin in Heyms Stück: Christine Mattner : Theater mein Leben. Books on Demand 2013, S. 31. 496 Die Diskussion fand am 15. Mai 1963 im Frankfurter Volksbildungsheim auf Einladung des Seminars Künstler im Gespräch statt. Vgl. die ausführliche Pressenotiz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Anm. I, 103). 497 Heinrich Heym: Asche im Wind (Anm. I, 94), S. 2.

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»Strahlenkrankenhaus« (19) zwar für gesund erklärt, doch wegen »Veränderung der Erbsubstanz« (18) vor der Zeugung eigener Kinder gewarnt. Aus dieser politischen, vor der Öffentlichkeit geheim gehaltenen Tragödie radioaktiver Verseuchung infolge nuklearer Rüstung erwächst das private Drama des Protagonisten, das der Autor parallel zum konventionellsten Liebesdrama entwickelt. Die bevorstehende Heirat mit der Tochter eines reichen Textilfabrikanten, Anette, die bereits das Aufgebot bestellt und eine elegante Terrassenwohnung eingerichtet hat, trifft auf den Widerstand der künftigen Schwiegermutter, die für die Nachkommenschaft das Schlimmste befürchtet. »Du wirst also alles versuchen, diese Heirat zu verhindern?«, fragt sie der künftige Schwiegersohn. »Ja. Alles«, antwortet ihm ohne Zögern Anettes Mutter, »wenn Du genau nachdenkst, Stefan, weißt Du, daß Du zum Mörder wirst, wenn Du hier bleibst. Du mordest meine Familie. Geh. Geh, ich flehe Dich an. Geh. Oder bleib, wenn Du es verantworten kannst« (31). Bei diesem dramatischen Hauptkonflikt, der sich in der expliziten Gegenüberstellung von nuklearer Bedrohung und Fortpflanzung der Menschheit kondensiert, überschneiden sich inhaltlich und strukturell mindestens drei Ebenen im Werk, welche Wirklichkeit, Erinnerung und Zukunftsperspektiven ineinanderfließen lassen. In zwei Rahmenszenen, die formal den Anfang und den Schluss des Dramas bilden, debattieren Politiker und Diplomaten verschiedener Epochen und disparater Herkunft abstrakt und klischeehaft über Rüstung und Macht, Frieden und Krieg. Heym vertritt hier die These, dass die Heuchelei der defensiven Strategie in der internationalen Friedensrhetorik nur das Wettrüsten der Staaten untermauern hilft, ein ›Hinterziel‹, das die Eröffnungsrede des ersten Diplomaten gleich in den ersten Dramenzeilen erkennen lässt. Ladies and Gentlemen! Ich spreche heute im Namen aller friedliebenden Völker der Welt. Ich spreche im Namen der Zivilisation, im Namen der Kultur, im Namen des Wohlstandes. Ladies and Gentlemen! Lassen Sie mich Ihnen heute nochmals versichern, daß unserer Regierung nichts so sehr am Herzen liegt, wie der Friede. Der Friede jedoch, Ladies und Gentleman, war gefährdet, ist gefährdet und wird gefährdet sein. Wir haben uns deshalb entschlossen, in der Politik der Stärke fortzufahren. Wir haben uns deshalb entschlossen, jetzt und in Zukunft die Produktion von Atomwaffen nicht einzustellen. Wir werden im Gegenteil unsere Anstrengungen verdoppeln. Wir werden weiterhin zu Testversuchen Atombomben jeder Art explodieren lassen, wann immer und wo immer wir es für richtig und angebracht halten. So lange, Ladies and Gentlemen, bis unsere Feinde und die Feinde unserer Freiheit eingesehen haben, daß jede Anwendung von Gewalt sinnlos geworden ist. (1)

Dass der Mensch bis dahin noch eine lange Strecke zurückzulegen hat, soll die eigentliche Dramenhandlung krass und unverblümt darstellen, indem sie in den unvermeidlichen Selbstmord des Protagonistenpaares mündet. Es ist die Mi-

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schung aus konsequentem Realismus angesichts einer skrupellosen Gesellschaft und apokalyptischer Einbildungskraft, die Heyms finstere Diagnose der dem Untergang geweihten Menschheit charakterisiert und auch formal Sprache und Aufbau des Textes bestimmt. Im ganzen Stück überlagern sich wirklichkeitsnahe Dialoge und rein evokative oder gar halluzinative Teile, die von surrealen Bildern durchdrungen sind. Medizinische Vorträge, die alle Symptome der Krankheit und deren schreckliche Folgen im Detail erläutern, vermischen sich schon im ersten Akt mit Hartungs wehmütigen Erinnerungen, welche vergangene Szenen seiner Liebesgeschichte mit Anette auf der Bühne wieder lebendig machen und den realistischen Kontext durchbrechen. Auch stilistisch macht sich eine Vielfalt von Registern bemerkbar. Wie die meisten Kritiker betonten, scheint sich das Spiel größtenteils als »Konversationsstück«498 zu entfalten, mit umgangssprachlichen Einschüben in den kurzen, dicht gedrängten Gesprächen, die den Zuschauer auf das unerbittliche Ende im dritten Akt vorbereiten und sein aktives Mitgefühl erwecken sollen. Aber während in den meisten Szenen eine fast saloppe Alltagsrede überwiegt, die jeden erreichen soll, strotzen die ärztlichen Erklärungen dann von schablonierten Wendungen und Fachausdrücken. Im zentralen Dialog zwischen der Hauptfigur und Dr. Hiller, Mediziner der Spezialklinik für Strahlengeschädigte, wo man Stefan lange behalten hat, nennt der Arzt Begriffe wie Mutation, erbliche Mängel, veränderte und beschädigte Gene, Muster der Erbanlagen (18, 19). Dabei ist von aktuellen Fragestellungen die Rede, die Aspekte berühren, die auch Darstellungskonventionen des nuklearen Risikos benutzen. Einerseits wird hier den künftigen Generationen (»1000 Jahre […] von Geschlecht zu Geschlecht«, 18) keine Chance gelassen: »Es werden sich vermehren die erblichen Krüppel, die Epileptiker, die Schwachsinnigen, Menschen mit Hasenscharten, zeugungsunfähige Männer und Frauen« (18–19). Andererseits liegt Heym auch daran, das Verhalten des Arztes selbst, der sich hier wie die übrigen Wissenschaftlerfiguren in anderen Atomdramen der Last der Mitschuld entzieht, als Beweis für eine Fahrlässigkeit gegenüber dem kollektiven Schicksal abzuwerten. Dem Arzt und Forscher hält Stefan den Missbrauch seiner Person »als Versuchskaninchen« vor: »Ihr braucht nur Studienmaterial für spätere Fälle. Für Massenfälle. Für den Fall, daß es Euch einfällt, die Probleme der Menschheit mit Atombomben zu lösen« (19–20). Und als ihn Dr. Hiller der Undankbarkeit beschuldigt (»Sie haben dem Staat in diesem Jahr eine Menge Geld gekostet«, 20), formuliert Stefan eine deutliche Anklage gegen die selbstzerstörerische Experimentierlust des Systems und die Verantwortungslosigkeit der Wissenschaft:

498 Vgl. O. A.: »Asche im Wind« von Heinrich Heym. In: Die Zeit, 15. März 1963, unter URL: http://www.zeit.de/1963/11/theater.

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Stefan: Ich pfeife drauf. Ich kann nichts dafür, daß ihr mit Kräften experimentiert, die ihr nicht in der Gewalt habt. Hiller: Was wollen Sie eigentlich von mir? Ich habe die Atomzertrümmerung nicht erfunden. Die Atombombe auch nicht. Ich lagere sie nicht und drohe niemandem mit ihr. Stefan: Aber Sie lassen es geschehen. Sie sind Mediziner. Wenn Sie an das glauben, was Sie mir vorhin alles erzählt haben, warum gehen Sie nicht auf die Strasse und schreien: Schreien laut: es gibt Leute, die sägen den Ast ab, auf dem die Menschheit sitzt. Hiller: Das ist nicht mein Amt. Ich bin kein Politiker. (20)

Damit stellt der Autor jenes Hauptmotiv der Risiken, die das Fortleben der Menschheit beeinträchtigen – ein Motiv, das fast alle Rezensenten in engen Zusammenhang mit Jahnns Atomdrama Der staubige Regenbogen gebracht haben –, in seinen individuellen, menschlichen Implikationen dar. Im Unterschied zu Jahnn betrifft hier die fundamentale Frage nicht so sehr den Missbrauch der genetischen Manipulation, sondern ob und wie jeder Mensch die entsetzliche Zukunft vor seinen eigenen Enkeln und Urenkeln verantworten kann. Darauf weiß Heyms tiefer Pessimismus keine Antwort. Seinem Helden lässt er die Schreckgespenster seiner Ängste und Alpträume begegnen, die Schatten der atomgeschädigten ehemaligen Mitarbeiter, entsetzlich verstümmelt »wie der Atomgott befahl« (33), und des Urenkels, den sich Stefan in der grausigen Form eines körperlosen Kopfes vorstellt: »Er wird nur noch Kopf sein. Nichts als Kopf« (41). In seinen Visionen erscheint der Nachkomme als ein unglückliches Wesen, das »nur aus Wissen und Denken zusammengesetzt« (44) ist und weder riechen noch schmecken kann: »Was ich hinunterwürge ist fade. Nur fade. […]. Es ist keine Freude in mir… […] Ich fühle nichts. Ich liebe nichts« (43–44). Die seit Hiroshima verfügbaren Stereotype des unmessbaren, unsichtbaren, nicht erkennbaren Todes (»als Hiroshima unterging, kam ein neuer Tod in die Welt. Von dem wir bisher keine Ahnung hatten. Du kannst ihn nicht sehen. Du kannst ihn nicht messen«, 39) legitimieren den tragischen Ausgang. Das Stück überspannt die Liebe-und-Tod-Thematik ins Extreme und korreliert sie mit der ebenso extremen Konstellation des Menschheitsuntergangs. Erschöpft und trostlos fasst Stefan nach seiner ersten und einzigen Liebesnacht mit Anette den verzweifelten Entschluss, die Verlobte zu verlassen. Doch will Anette Leid und Qualen mit ihm teilen. Zusammen stürzen sie sich von der Terrasse ihres Liebesnestes (»Wir wohnen sehr hoch. Wir werden fallen. Zwei junge, schreiende Vögel«, 45). Die zu Beginn geplante Heirat weicht der Resignation vor der Ausweglosigkeit ihres Schicksals, der Tod der Liebenden ist unausweichlich, die Tragödie des Suizids erweist sich als Korrelat des Selbstmordes, auf den die Menschheit zusteuert. Das Liebespaar stirbt im Gestus der Helden, die stellvertretend den freien Tod wählen und die kollektive Schuld auf sich nehmen, um

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vielleicht der Welt ein noch schlimmeres Ende zu ersparen. In der DiplomatenSzene des Rahmens hallen nach ihrem Tod im Raum noch die allerletzten Worte des Paares nach und vermischen sich mit den unveränderten Vorsätzen der Politiker : Stefan: Unser Tod wird nicht umsonst sein, hört Ihr? 3. Diplomat, Stefan: Wir werden 3. Diplomat: weiterhin Stefan: schreien!!! 3. Diplomat: Atombomben explodieren lassen… (46) Hans Jürgen Dietz: 60 Jahre Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine e. V. – GründungsVerein der Bad Hersfelder Festspiele – eine Chronik. Hrsg. von der Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine e. V. Bad Hersfeld. Bad Hersfeld 2010, S. 75, 157. Heinrich Heym: Asche im Wind (1963). Manuskript Wien [o. J.] O. A.: »Asche im Wind« von Heinrich Heym. In: Die Zeit, 15. März 1963, unter URL: http:// www.zeit.de/1963/11/theater. O. A.: Diskussion mit dem Autor. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Mai 1963, S. 19. O. A.: Frankfurter Gesichter : Heinrich Heym. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Januar 1972, S. 24. O. A.: Die gebrochene Linie. Zum Tod von Heinrich Heym. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Dezember 1975, S. 19. g. r.: Nukleare Dramen. Heinrich Heyms »Asche im Wind«. Uraufführung in Frankfurt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. März 1963, S. 24.

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Autor : Jürgen Breest (1936) Darbietungsform: Hörfolge Erstsendung: 15. August 1963, Radio Bremen Ort: Japan und an Bord eines Flugzeugs nach New York Zeit: 1955

1963 schrieb der Karlsruher Jurgen Breest, damals junger Radio- und Fernsehredakteur und später erfolgreicher Autor von Erzählungen und Kriminalromanen,499 für die Abteilung Wort bei Radio Bremen eine ›Hörfolge‹ über die Opfer des Atombombenabwurfs auf Hiroshima. Der Text, der mit suggestiver Intensität auf die wahre Begebenheit einer amerikanischen Hilfsaktion für einige von der Explosion betroffene Mädchen zurückgeht, wurde nie veröffentlicht. Heute liegt lediglich das Sendungsmanuskript des RB vor. 499 Über Jürgen Breest ist wenig bekannt. Zu seiner schriftstellerischen Produktion vgl. die Online-Datenbank: http://www.krimi-couch.de/krimis/juergen-breest.html und das Lexikon der deutschen Krimiautoren, unter URL: http://www.krimilexikon.de/breest.htm.

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Die Mädchen aus Hiroshima ist ein Hörspiel über die Facetten des unverantwortlichen Umgangs der Menschen mit Vergessen und Erinnerung. Es vertieft das Thema des Grauens von Hiroshima, jenes Verbrechens, das die Wiederaufbaumentalität der Nachkriegszeit aus dem historischen Gedächtnis zu löschen versuchte. »Die öffentliche Meinung«, lässt der Autor eine der männlichen Stimmen im Drama sagen, »will von Hiroshima nichts wissen. Keine Schuldgefühle. Kein falsches Mitleid«.500 Die Dynamiken der Prozesse, die Verdrängen und Gedenken, Bewältigung und Rekonstruktion prägen, stehen im Mittelpunkt des Textes. Hiroshima als »Stadt des Friedens« steigt zum Ausdruck und Symbol einer widersprüchlichen Verarbeitungsstrategie empor : Die »weiße Taube der Rhetorik«, so heißt es gleich zu Beginn des Hörspiels, verbirgt »das schlechte Gewissen unseres Jahrhunderts« (3). Trotz der gedanklich-metaphorischen Zuspitzung und des oft lyrischen Tenors der Sprache reflektiert Breests Werk eine kulturell und historisch aktuelle Problematik: Fast zwei Jahrzehnte nach dem schrecklichen Ereignis vom 6. August hatte die Heftigkeit der Debatte über die amerikanische Verantwortung nachgelassen, die politische Reflexion über Gebrauch und Legitimität des ersten Bombeneinsatzes allmählich an Interesse verloren. Auch der emotionale Impakt der nachfolgenden ›Spektakularisierungen‹ der Nuklearexperimente, die die Medien vermittelten, hatte dazu beigetragen, die Erinnerung an die Atombombe stark zu dämpfen. Im kollektiven Bewusstsein und in der allgemeinen Vorstellungswelt war die erste Explosion zuerst von der Diskussion über das Risiko der H-Bombe, dann von der Welle der Tests in Nevada und auf den pazifischen Atollen in den Hintergrund gedrängt worden. Breest lässt hingegen das Bild von den unermesslichen Gräueln wieder aufleben und bringt es sowohl mit politischen als auch mit existentiellen und psychologischen Aspekten ins Gleichgewicht. Das Stück thematisiert die Hoffnung von fünf Mädchen, fünf Atombombenopfern, in den USA durch chirurgische Operationen ihre von großen Brandnarben furchtbar entstellten Gesichtszüge zu korrigieren. Konkret dargestellt werden aber dabei nur der Flug der Mädchen von Hiroshima nach New York, mit all ihren intimen Ängsten und Unruhen, und der politische Versuch der USA, den in medialer Hinsicht nicht gerade wünschenswerten Flug um jeden Preis zu stoppen. Während des Fluges verschwimmen die Handlungs- und Gesprächsstränge zwischen Wirklichkeit und Traum, zwischen der Gegenwart und dem erlittenen Schicksal der Explosion. Eine Ebene der dramatischen Handlung verlagert sich in die innere Welt der Passagierinnen. Die Bodenlosigkeit des Fluges füllt sich mit dem Klang der wehen Gedanken, die die Mädchenstimmen im Traum artikulieren, dem scheuen Flüstern und den Entsetzensschreien, dem Echo der 500 Jürgen Breest: Die Mädchen aus Hiroshima (Anm. I, 64), S. 12.

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Erinnerungen an die fernen Verwandten, die Toten, die kranken Eltern zu Hause, mit der ganzen schweren Bürde des Leidens, die in ihnen schlummert. Die Kakophonie der Vergangenheit äußert sich in verschiedenartigen Sprachen, die sich übertönen, im Kontrapunkt der Stimmen, die aus dem Abgrund des Schmerzes auftauchen und dadurch das Schweigen der Gesellschaft über die Wunden einer ganzen Opfergeneration brechen. Insofern stellt der Text eine Herausforderung für den Hörer dar, sich das Unvorstellbare vorzustellen, die Gedankenketten der Stimmen mental nachzuvollziehen, zugleich aber auch das eigene Verhältnis zur Realität des Schreckens und des Todes zu hinterfragen. Die Spannung des Entsetzens – auf das Schicksal der Opfer projiziert – wird durch die kathartischen Effekte der Auseinandersetzung mit der Schuld und ihrer Akzeptanz abgelöst. Dies gelingt, indem das Stück durch die Überlebenden, durch ihre traumatischen Erlebnisse, an die emotionale Reaktion des Rezipienten appelliert und in ihm eine Überlagerung, ja zuweilen einen Widerstreit der Gefühle auslöst, Mitleid, Rührung und Teilnahme ebenso wie Unbehagen, Ärger und Ekel. Aber vor allem wird dem Hörer klar, dass sich in den hässlichen Narben, in den abstoßendsten Gesichtsverunstaltungen, auch die Last einer Vergangenheit ausdrückt, die immer noch der kritischen Reflexion bedarf. Dieser grundlegende, höchst schmerzliche Rezeptionsprozess wird bereits in der Rahmenszene angesprochen, wo eine Reihe von historischen Daten zur Atombombe, diesem »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« (1, 2), den Kindern einer vermeintlich westlichen Schule – musikalische Jazz-Begleitung ist dabei hörbar – monoton eingedrillt wird. Ein akustischer Schnitt verweist dann auf den Perspektivenwechsel, der den Hörer nach Japan versetzt und den ein Sprecher erläutert: Andere Räume, andere Zeiten, andere Kinder, die im Unterschied zu den mechanisch auswendig lernenden Schülern (»Sie lernen es brav. Sagen ihr Sprüchlein auf. Wissen nicht, was Verbrechen ist. Wissen nicht, was Menschlichkeit ist«, 2) die Realität der Bombe am eigenen Leib erfahren haben. Lebendige Manifeste gegen das Vergessen. Aber es gab Kinder, die dabei waren. Kinder am 6. August in Hiroshima. Sie sahen es, mußten es früh lernen und wußten es dann. Kinder, die das Verbrechen kannten… Menschlichkeit? – Kinder waren dabei und blieben zurück. Verwaist, verbrannt, hungernd. Wurden durch das Verbrechen zu Verbrechern. Diebe, Betrüger, Kuppler. Viele von ihnen waren gezeichnet. Große Brandnarben verhinderten das Vergessen. (2)

Erst nach dieser Art Einführungskommentar beginnt die eigentliche Hörspielhandlung. In Gang setzt sie ein sonderbarer Zug, der die Flughafenhalle von Hiroshima schweigend durchquert. An der Spitze ein Amerikaner und ein japanischer Pfarrer, hinter ihnen die im Titel genannten Mädchen, deren Körper die grausige Sprache des Leidens sprechen, vor dem der Westen die Augen

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verschließt. Eine merkwürdige Prozession, eine verwunderliche »Einheit von zerstörten Gesichtern und Händen«, die in der Wirkung auf die den Blick davon abwendenden Flughafengäste (»Ich kann es nicht sehen. Furchtbar«) einen »Faschingsmummenschanz« (5) weit übertrifft. Im krassen Gegensatz zur aseptischen Atmosphäre des Flughafens (»die saubere Glashalle«, »Ventilation und Chlor«, 5) wird hier das für das Genre der Japan-Dramen501 durchaus typische Register des Grauens ausgeschöpft: verstümmelte Hände, »verzerrtes […] Fleisch«, zerfetzte Gesichter, wo oft nur noch die teilweise freundlichen Augen als »schreiende[r] Widerspruch« (5) vorhanden sind, keine Nase, keine Lippen. Noch einmal hat also ein Krieg seine Kollektion von gueules cass8es hervorgebracht, Gesichtszüge, die paradoxerweise genauso verwischt sind wie die von der Bombe hinterlassenen Spuren in dem frühlingsduftenden, nunmehr renoviertem Hiroshima: »Natürlich die Kirschbäume. Blütenschnee und Duft. Warum nicht? Frühling. Unleugbar. Lotosblüten gehören dazu. […] Eine Großstadt mit Sinn für Natur« (4). Zuversichtlicher Rekonstruktionswille scheint in Japan zur ästhetischen und politischen Parole geworden zu sein, denn »ein handfester Optimismus hilft immer […], alles gepflegt […]. Keine Erinnerung an Zerfall« (5). Thematisch ist diese ›Rekonstruktion‹ in der Polyvalenz ihrer Ambiguität neben dem Flugmotiv der rote Faden in Breest Hörspiel. Rekonstruktion ist alles, »reparierte Verzweiflung, retuschierter Haß, Wiedergutmachung« (36). Es geht um Rekonstruktion sowohl bei der Stadtsanierung in Hiroshima als auch bei seinen menschlichen Opfern, aber auch der Erinnerungsprozess und die Auseinandersetzung mit dem Problem der historischen Schuld sind eine Form der Rekonstruktion. Die Aussicht auf physische Wiederherstellung durch plastische Chirurgie fungiert in der berichteten Handlung als Anlass der Reise der entstellten Mädchen nach New York. Im dramatischen Aufbau ist sie die treibende Energie des Geschehens selbst, der wahre Vektor des ›Heilflugs‹, der inhaltlich den Schwerpunkt des Textes ausmacht. Der Flug ist dementsprechend als völlig real und dennoch gleichzeitig als metaphorisch zu verstehen: Er entpuppt sich als Metapher – des Verschwindens und Wegfliehens aus einem angstbesetzten Alltag und des Aufbruchs zu neuen Welten – und besitzt auch eine metatextuelle Funktion. In seiner ätherischen Substanz verkörpert nämlich der Flug selbst die von den Mädchen überbrachte Botschaft, die sich wie der Rundfunktext in den offenen Raum hinein entfaltet. So stiftet das Hördrama genau das, wovon es handelt: Eine im wahrsten Sinne des Wortes ›transitive‹ Fabel, bei der sich der dynamische Charakter des Flugs mit seiner metadramatischen Ebene im Text wirkungsvoll verkoppelt. Dieser gegenstandslosen Potentialität des Mediums, das das Spirituelle und Emotionelle des Menschen in seine Kommunikations501 Vgl. dazu Teil II, Abschnitt 2.2.

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funktion aufnimmt und über den Äther weitergibt, vertraut der Autor die Entmaterialisierung der Schatten, die in der Dunkelheit des Flugs die Mädchen bedrängen. Durch die dabei evozierten Traumbilder gibt Breest Einblicke in die unterschiedlichsten Seelenzustände der Mädchen. Sie gehören zu den ›Hibakusha‹, d. h. den ›Menschen‹, die an der ›Bombe‹ ›leiden‹, den Überlebenden, die auch John Hersey Jahre später in der ergänzten Neuauflage seines Buchs Hiroshima unter den Nachwirkungen (The Aftermath) der Bombe präsentieren sollte.502 Die Hibakusha waren nicht einfach Opfer der Katastrophe, sondern auch Opfer der systematischen Ausgrenzungsprozesse, die sie in eine gesellschaftliche Unsichtbarkeit abdrängten, bei der sie mit Mitleid – oft aber auch mit allgemeinem Argwohn – als soziale Bürde betrachtet wurden. Auch Breests Mädchen leben in einer erzwungenen Isolation. Und deshalb sehnen sich einige von ihnen nur nach Wärme und Berührung. Im Chor der gegensätzlichen Aussagen vermischen sich die enttäuschten Hoffnungen ihrer Mütter und die scheuen Liebesphantasien der Jungfrauen: »Ich sage ja und bleib. Du darfst mit mir sprechen«, sagt eine der Figuren zu ihrem erträumten Mann, »und ich habe keine Angst. Laß deine Hand auf meinem Arm […]. Sei gut zu mir. Nimm meine Hand. Unsere Schritte nebeneinander […] sind ein Geräusch. Ein ersehntes Geräusch – ein ›Endlich‹« (36). Manchmal können aber die Stimmen nur die Tragik eines sinnentleerten Lebens erzählen, die Sehnsucht nach einem Todessprung ins Wasser (»Nein. Nein! Nicht das Messer. Es tut weh. In den Fluß springen. Nachts. […] Das Gesicht für die kranken Fische«) oder auf die spiegelglatten Straßen des neuen Hiroshima, wo man »den Flecken schnell wegwischen« wird (23). Und manchmal gleichen die Erinnerungen bitteren Albträumen, die das Ressentiment und den antiamerikanischen Hass der Väter – ebenfalls ein Topos in vielen Japan-Dramen der Zeit – ins Bewusstsein rufen: Mädchenstimme: Verzeih, Vater. […] Dein Haß auf die Amerikaner – ich verstehe dich. Haben dich untersucht – immer wieder. Aber haben dir nicht geholfen. Wollten alles nur auswerten. Dein Leben für Forschungszwecke. […] Männerstimme: […] Also morgen fliegt ihr. Grüß mir das Land, aus dem die Bombe kam. (15, 21)

Rachesüchtige Absichten verfolgen aber dann auch die jungen Mädchen, selbst bereit, den Amerikanern ihre ekelerregenden Entstellungen als Maske der Anklage zur Schau zu stellen: »So komme ich nach Amerika und will es nicht anders. Laßt mein Gesicht, wie es ist. Aber seht es! Nehmt es abends mit ins Bett und versäumt euren Schlaf. Seht es als Maske auf dem Gesicht der Geliebten, die Ihr im Bett habt. Projiziert es auf eure Kinder, wenn ihr Wahrheit ertragt. Seht mich an!« (37). 502 Zu John Hersey und zu den Hibakusha s. Anmerkungen I, 23 und I, 62.

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Auf halbem Weg zwischen nationalem Stolz und Hoffnung auf Zukunft, zwischen dem verletztem Vaterland und einem doch verheißungsvollen Siegerland, eröffnet sich aber die Möglichkeit einer vielfachen – auch in diesem Fall physisch greifbaren und ideellen – Wiedergutmachung. Diese doppelte Wirkung, die einerseits eine Entschädigung für die Leiden der Opfer, andererseits die Erlösung des Westens von seiner schrecklichen Schuld bedeutet, schafft der Text durch die Flugperspektive, die die gewohnten Sichtweisen paradox umkehrt. Denn schon die Umkehr der Flugrichtung, diesmal von Japan nach Amerika, von der bombardierten Stadt zum Himmel, verändert den historischen Verlauf und bietet Gelegenheit zu einem wichtigen Umschlag, wenngleich – wie eine Off-Stimme zugibt – im Zeichen des Vergessens: »Und das kleine Hiroshima in der Tiefe. […] Aus dieser Perspektive geschah es. Der Druck eines Fingers auf einen Knopf. Sekunden später verlor eine Stadt ihr Gesicht. Mit ihr diese Mädchen… Aber jetzt fliegt man nach New York. Hiroshima versinkt. Fort von Hiroshima. Vergessen. Alles vergessen…« (8). Eine relevante Funktion für den Ausgang der Handlung hat hier die Gestalt des amerikanischen Piloten, nicht nur, weil er es ist, der in seiner Tapferkeit den Hilfeplan konkret ermöglicht, sondern auch, weil ihm der Autor die einmalige Chance verleiht, eine ganze Figurentypologie zu rehabilitieren. Diesmal begegnet Breests Vertreter des Typus, der in der Nachkriegszeit in vielfältigen Variationen des Pilotenstücks auffindbar ist503 und in Rolf Schneiders expliziter Dramatisierung des Falls Claude Eatherly im Stück Prozeß Richard Waverly gipfelt, einer wichtigen Aufgabe: der Interpretation des ›Befehls‹. Im Unterschied zu Eatherly, der aus absolutem Befehlsgehorsam ein Delikt gegen die Menschheit verübt und ostentativ bereut hatte, hütet sich Breests Pilot davor, ein weiteres Verbrechen zu begehen. Sein Pilot ›gehorcht‹ zwar, aber dieser Akt ist positiv besetzt. Er ignoriert die amerikanische Fernost-Abteilung, die ihm zu einer Kehrtwendung zwingen würde, und beruft sich auf den letzten Befehl (»Der letzte Befehl: bring die Mädchen aus Hiroshima nach New York. Ich gehorche. Ein Befehl«, 7). Die wiederholte Beteuerung seiner Dienstbarkeit in den Szenen, die zu seinem Handlungsstrang gehören, macht ihn zur Schlüsselfigur einer Rebellion, die auf dem Paradoxon des Gehorsams beruht. Glücklich über den ihm anvertrauten Auftrag, widersetzt er sich der späteren Anordnung, die die inopportune Ankunft der Mädchen in Amerika verhindern will. 2. Männerstimme: Ein Flugzeug der Airforce und entstellte Mädchen aus Hiroshima? Undenkbar. 1. Männerstimme: Wozu gibt es eigentlich die Fernost-Abteilung? Unmöglich. 2. Männerstimme: Warum haben wir das nicht früher erfahren? Unerhört. 503 S. Teil I, Abschnitt 2.3.

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1. Männerstimme: Verbrannte Mädchen aus Hiroshima in New York? Unmöglich. […] 4. Männerstimme (langsam): Flug mit japanischen atomgeschädigten Mädchen sofort abbrechen Stop Wieder Kurs auf Hiroshima nehmen Stop… […] Pilot: Nein! Nein. Nicht umkehren. Ich kann nicht. Die Mädchen zurückbringen? Nein. (10–11)

Das happy end, das das Böse austreibt, wird aber im Text immer wieder aufgeschoben. Eingetretene »Kompetenzstreitereien« (32), die die Erfüllung der US-Pläne und damit den Handlungsablauf verlangsamen, den sie auf die Alternative »umkehren oder nicht« festlegen, sorgen in jeder Hinsicht für dramatische Spannung, wie es sich an den Worten des amerikanischen Förderers der Expedition verdeutlichen lässt: Unerträgliche Spannung. Immer das eine Gedankenspiel: umkehren oder nicht, umkehren oder nicht. Man denkt nicht mehr an Washington. Kann nicht daran denken, daß dort Menschen leben, die uns verurteilen wollen. Nur noch die Frage: umkehren oder nicht. […] Die ideale Atmosphäre zum Nachdenken oder träumen. Einen Artikel entwerfen. Einen Essay konzipieren. Aber nichts läßt sich denken außer : umkehren oder nicht. (29)

Mit dem Flugzeug, das sich New York endlich nähert, nähert sich auch das Hörspiel seinem Schluss und die Geschichte kann sich auch auf räumlicher Ebene abrunden: »wieder ein Flugplatz. Riesig, sauber, hell. Und Menschen, die warten. Blumen. Lächeln. Worte« (40). Aber damit ist der Text noch nicht zu Ende. Die Dialektik des Themas erfährt noch einmal ihre besorgniserregende Relativierung durch die Umschreibung der Anfangsszene in der Schulklasse. Kein Pathos der Apokalypse tut sich hier kund. Nur nüchternes Überlebenstraining, das sich eher als Untergangstraining präsentiert und das Risiko einer Atombombenexplosion – »Kind: ›Hitzestrahlung‹. Kind: ›Druckwelle‹. Kind: ›Radioaktive Strahlung‹« (40) – als den normalen Tod beschwört, auf den man sich einstellen kann. Dafür gilt »der oberste Grundsatz«, mit dem Breests Hörspiel ironisch und grotesk abschließt: »Vor allem Ruhe bewahren« (41). Wie bei den Duck-and-cover-Übungen, die in Zivilschutzschulungen den amerikanischen Kindern das richtige Verhalten im Fall eines Atombombenabwurfs beibrachten,504 wird im Chor der ›instruktive‹ Imperativ der Ruhe von den Schülern monoton nachgesprochen. Eine fast skurrile Didaktisierung der Katastrophe in der Illusion, die Katastrophe selbst zähmen zu können.

504 Der Kinderfilm Duck and cover with Bert the turtle (Archer Productions, U.S. Federal Civil Defense Administration) wurde ab 1951 in allen US-Grundschulen vorgeführt. Der Film ist online verfügbar unter URL: https://archive.org/details/DuckandC1951.

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Jürgen Breest: Die Mädchen aus Hiroshima. Eine Hörfolge. Produktionsmanuskript Radio Bremen. Schallarchiv. O. A.: Jürgen Breest. In: Krimi-Couch.de, unter URL: http://www.krimi-couch.de/krimis/ juergen-breest.html. O. A.: Jürgen Breest. In: Lexikon der deutschen Krimiautoren, unter URL: http://www.kri milexikon.de/breest.htm.

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Paul Bühler: Der Wagenlenker. Drama eines Atomforschers (1963)

Autor : Paul Gerhard Bühler (1903–1966) Darbietungsform: Prolog, Vorspiel und drei Akte Uraufführung: 29. Dezember 1963, Goetheanum-Theater Dornach Ort: ein Forschungsinstitut (zum Teil ortlos) Zeit: Nachkriegszeit (zum Teil zeitlos)

Der gebürtige württembergische Dramatiker, Lyriker und Essayist Paul Bühler, der neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch die Arbeit des Chefredakteurs der von Rudolf Steiner in Dornach gegründeten anthroposophischen Wochenzeitschrift Goetheanum übernahm, schrieb zwischen 1962 und 1963505 ein laut Untertitel »Drama eines Atomforschers«: Der Wagenlenker. Den Stoff entnahm er der Zeit- und Wissenschaftsgeschichte, insbesondere den Fällen Fuchs und Oppenheimer, beim Leitmotiv der Handlung nahm er Bezug auf die Bhagavadgita, aus der Oppenheimer selbst nach dem Bombentest von Alamogordo zitiert hatte und die auch in Kipphardts Oppenheimer-Stück erscheint. Der Gedanke an ein Wissenschaftsdrama hatte Bühler schon drei Jahrzehnte zuvor beschäftigt. Bereits im Jahr 1935 hatte er ein Bühnenwerk niedergeschrieben, das das Verantwortungsgefühl des Wissenschaftlers ins Zentrum rückte: Alfred Nobels Verantwortung. Auch Der Wagenlenker entstand – so Bühler im Nachwort –, »um die Verantwortung mitzutragen«.506 Damit reihte sich der Schriftsteller nach eigener Aussage in die Galerie jener verantwortungsbewussten Menschen ein, deren »Seelen« durch »die Auswirkung der entfesselten Atomkräfte« erschüttert waren, wie der von Reue gepeinigte Ea505 Das Stück wurde 1963 publiziert und aufgeführt, aber die wohlinformierte anthroposophische Forschungsstelle Kulturimpuls datiert die Entstehung bereits auf das Jahr 1962. Vgl. die biographische Dokumentation (mit Bibliographie) von Christiane Haid: Bühler, Paul. In: Forschungsstelle Kulturimpuls – Biographien Dokumentation, unter URL: http:// biographien.kulturimpuls.org/detail.php?& id=108. Diese Datierung findet sich auch bei Bodo von Plato: Anthroposophie im 20. Jahrhundert: Ein Kulturimpuls in biografischen Porträts. Dornach 2003, S. 118. 506 Paul Bühler : Nachwort in: Ders.: Der Wagenlenker (Anm. I, 55), S. 69. Daraus auch die unmittelbar folgenden Zitate.

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therly, »jener Flieger, der auf dem Flug nach Hiroshima beim Bombenabwurf dabei war und nachher von Schuldgefühlen aufs schwerste bedrückt wurde«. Obwohl aber die Thematik im zeithistorischen Boden wurzelt, ist die Hauptfigur, der Atomforscher Professor Funk, frei erfunden und die – oft fragmentarische – Handlung bewegt sich auf zwei Ebenen. Zum einen auf der geschichtlich-gesellschaftlichen, auf der Funk als Physiker agiert und gegen despotische Institutionen kämpft, zum anderen auf der transzendentalen Ebene, die die Kernproblematik des Stücks in eine geistig-philosophische Sphäre transponiert, wo das Naturwissenschaftsverständnis mit der seelischen Erkenntnis einer höheren Welt gleichbedeutend ist. Diese tiefere Erkenntnisdimension, die in ihren inneren Bezügen für den Nichtanthroposophen nicht immer leicht zu fassen ist,507 wird bereits in dem für den symbolhaften Dramentitel gewählten Bild evoziert. Das Motiv des Wagenlenkers verweist – halb in der Goethe’schen Tradition, wo es als »Symbol künstlerischer Meisterschaft«508 fungiert, halb in derjenigen der hinduistischen Bhagavadgita, wo es als Bild idealer Geistesführung der Menschheit gebraucht wird – auf das Aufsteigen in erhabene Himmelsräume. Als Dramenfigur erscheint der Wagenlenker auch in dem teils realistischen, teils traumhaften zweiten Akt als Lehrer, als Mittler und Helfer und verhilft den Protagonisten zur Erfüllung ihrer Lebensaufgabe. Aber schon am Anfang wird dem Zuschauer die symbolische Parallele zwischen der Fahrt und dem Heilsweg suggeriert, den der Physiker einzuschlagen hat. Es wird klar, wie Professor Funk, im Einklang mit dem anthroposophischen Glauben und im selbstbewussten Vergleich mit dem hinduistischen Helden Ardshuna, seine Fahrt zu Gott zu einem Erlebnis überformt, das dem Forschenden einen schwankenden Weg von Abstieg und Wiederaufstieg, Untergehen und Emporkommen, Bruderkampf und Heil aufzwingt: mein größter Schatz, den ich stets bei mir führte: die Schrift der Inder, die Bhagavadgita, die mir Berechtigung zu geben schien für meine Forschung, – das Buch, in dem Ardshuna – von einem Wagenlenker zum Gotte Krishna hingeführt – gewiesen wird, mit seinem Denken 507 In der Tat kann von dem Stück nur eine einzige Aufführung, die Premiere am Goetheanum, dem Sitz der anthroposophischen Gesellschaft, nachgewiesen werden. Und sie soll im vollbesetzten Theater vom Publikum mit »langanhaltende[m] Beifall, der nach dem Hellwerden im Saale laut wurde«, aufgenommen worden sein. Sn.: Wissenschaft und Verantwortung. Eine Bühler-Uraufführung in Dornach. In: National-Zeitung, 2. Januar 1964, nachgedr. in: Das Goetheanum (1964), S. 23. 508 Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Briefe. Tagebücher und Gespräche. II. Abt. Bd. 1: Briefe. Tagebücher und Gespräche vom 23. Mai 1764 bis 30. Oktober 1775. Hrsg. von Wilhelm Große. Frankfurt a. M. 1997, S. 256.

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hineinzugehen in den Bruderkampf, – in dem ihm aber auch versprochen wurde, daß ihm das Seelenheil bewahrt wird, wenn er zu Krishna wiederkehre. (8)

Innerhalb dieser kosmischen, fast äonenhaften Entwicklung, in deren Horizont die Hauptfigur ihr eigenes Schicksal interpretiert, wird von Bühler das konkrete Drama eines Atomforschers inszeniert, dem – wie üblich im Genre der Wissenschaftlerdramen – die eigene Schöpfung aus der Hand geglitten ist: Nur ich kenn die Gewalten, die ich entfesselt habe. Sie zeugen die Vernichtung endlos fort, wenn sie in andre Hand geraten. (11)

Schuldhaft und doch ohnmächtig muss auch Bühlers Dramenheld zusehen, wie seine Erfindung für verbrecherische Macht- und Kriegszwecke ausgenützt wird. Sie werden morden, morden – durch meine Tat, die nun die Waffe möglich macht. Oh, sie beschwören den Weltuntergang herauf. (11)

Mit unzähligen Physikerfiguren teilt Funk diese Tragik von Zweideutigkeit und Unentschlossenheit, die auf der modernen Wissenschaft lastet, die fatale Ratlosigkeit und totale Verzagtheit, mit der der Wissenschaftler der Übermacht von Staat und Militär hilflos gegenübersteht, auf die er die Konsequenzen für seine Atomforschungen abzuwälzen versucht, bevor er im vollen Bewusstsein seiner Schuld zur Buße gelangt. Es findet sich deshalb im Text auch eine entsprechend große Anzahl von sprachcharakterisierenden und inhaltlichen Topoi, die zur Atomdramenliteratur gehören: Erstens Motive und Leitmetaphern, die in den einschlägigen Dramen der Zeit immer wieder anzutreffen sind. Derartige Motive sind z. B. die Unterschriftensammlung (12), der Appell als Mittel der Warnung, die Professor Funk an die Öffentlichkeit richtet, bald erfahrend, dass diese seinen Appell in den Wind schlägt (»ja, warnen, warnen! […] die Welt hat ihn vergessen. Ich muß sie wieder dran erinnern«, 11, 14), oder das in den Physikerdramen so häufige Motiv der Vernichtung der tödlichen Formel (»Ich werd die Formeln unseres Labors vernichten«, 27). Auch in der Ikonographie der Bombe lassen sich literarisch kanonisierte Bilder deutlich erkennen. Es tauchen viele typische Metaphern auf, so z. B. Höllenblitz, Feuersturm, giftverseuchter Staub, verseuchte Asche (40, 41) und düstere Beschreibungen von Zerstörung, Verfall und Verwesung: Da haben Hände »Schwären«, da liegen »geschmolzene Steine«, die »weinten und bluteten«; Verstümmelte wimmern, Skelette splittern

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wie Glas (40) und ein augenloses Pferd, »verbrannt die Mähne«, stößt sich »an zermalmten Mauern« (41). Zweitens wird der Zusammenhang zwischen Instrumentalisierung der Wissenschaft und Strategie der Abschreckung auch bei Bühler herausgearbeitet und als Methode der Verschleierung rüstungspolitischer Prozesse konzeptualisiert. Funk: […] (Er liest aus der Zeitung): »Professor Funk verdanken wir den Frieden…« (Er wirft die Zeitung fort.) … durch eine Waffe, die uns die Politiker erzwungen, die beim Versuch, damit die Gegner zu erschrecken, das Leben Hunderttausender zerstörte. Und für den Mord, mit dem man glaubt durch Abschreckung den Frieden zu erreichen, gebraucht man meinen Namen: Professor Funk verdanken wir die Waffe, heißt es. (14)

Drittens beinhaltet der Text eine paradigmatische Figurenkonstellation, in der sich die Spannung zwischen den verschiedenen Positionen spiegelt. Es sind einerseits die staats- und rüstungsfreundlichen Ideen des Schwiegervaters von Funk, des Direktors Schmidt, der die Forschungserträge als Eigentum seines Instituts betrachtet und die Akten beschlagnahmt, andererseits die staatsfeindlichen kommunistischen Ideale der in zahlreichen Atomdramen unvermeidlichen Gegenfigur des Assistenten, Clausen, der schon mit seinem Namen die Assoziation mit dem Spion Klaus Fuchs weckt. Ebenso wie dieser glaubt er, die Physiker hätten »wie Götter« (26) das Recht, das politische Schicksal der Staaten zu lenken, »die Welt zu schützen / vor solchen, die die Waffen uns genommen / und die damit die Welt bedrohen / und uns dafür die Schuld zuschieben / für alles, was daraus entsteht« (26–27). »Besessen von Berechnung« (60), wie sein Lehrer Funk erkennt, will deshalb Clausen »die Geheimnisse dem Feind verraten« und nennt es »Rehabilitieren« (27). Daneben tritt als einzige weibliche Figur die geistreiche Frau des Physikers auf, Fiona, mit deren innerem Widerstand und heller Empörung ein weiteres Element in die Figurenkonstellation einbezogen wird, das Liebe und Licht, mystisches Streben nach Unschuld und überirdisches Gespräch mit Toten in das Werk hineinbringt. Jede Gestalt wird auf ihre Weise zum Träger eines bestimmten Handlungsstranges, der parallel zum Läuterungsprozess der Hauptfigur verläuft. Während sich Funks Schwiegervater, ungeachtet der Mittel und Folgen, nur um die Rettung seiner Position in einem mächtigen Reich kümmert und sich mit der Scheinruhe und -sicherheit eines Atombunkers abfindet, intrigiert der zynische Assistent gegen den eigenen Staat. Er zögert nicht, zum Feind überzulaufen und ihn durch sein verantwortungsloses Handeln in den Stand zu setzen, über »eine neue Waffe« zu verfügen, »die um die Erde kreist / und ganze Kontinente aus-

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radieren kann« (57). Reue empfindet er keine: »Es ist nur kalter Krieg« (62). Durch seine Strategie der Furcht meint Clausen, das weltpolitische Gleichgewicht zu stabilisieren: Niemand auf dieser Erde wird es künftig wagen, die Waffe, die wir ausgesonnen, anzuwenden, wenn mir mein Plan gelingt. Für jeden wäre es nur Selbstmord. […] Nur ich erhalte euch den Frieden durch mein Denken. (27, 63)

Hingegen ist Fiona, die als Malerin eine tiefe Einsicht in den Naturgeist besitzt, die Einzige, die die Macht der Liebe erkennt (»Die Liebe war stets der Beginn / von einer neuen Welt«, 62), und die im Spiel, geführt vom Wagenlenker, die Funktion des Gegengewichts zu den unaufhaltsam zur Zerstörung drängenden Kräften erfüllt. Durch sie wird der Weg heraus aus dem »›Elfenbeinturm‹ der Gelehrsamkeit«509 in die Welt gefunden: Es wird ja heute keine Arche kommen und uns dem Sündflutuntergang entführen. Wir müssen mitten drin bestehn, uns in der Liebe tragen. […] Wir wollen in die kranken Städte gehen, durch die die Reiter zogen mit ihrem Geistgericht. Wir wollen die Verzweifelten dort suchen Und ihnen Hoffnung geben. (66)

Die Läuterung kann allein durch die Teilnahme des Physikers am Leben und Leiden der Menschheit erfolgen. Am Ende bestätigt der Schlusschor der Toten, in der Ferne verklingend, den gemeinsamen Weg der Hoffnung, »den Weg / zu unsren Sternen, / ein Götterziel / in Zukunftsfernen« (67). Nur durch ein Heraustreten aus der Zurückgezogenheit der reinen Forschung wird es dem Atomforscher möglich sein, seine Schuld zu erkennen und die Verantwortung für das Schicksal der Menschheit zu übernehmen. Paul Bühler : Der Wagenlenker. Drama eines Atomforschers. Dornach 1963. Ders.: Vorspiel zu dem Drama eines Atomforschers: »Der Wagenlenker«. In: Das Goetheanum (1963), S. 60–61. Reto Caluori: Paul Bühler. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Zürich 2005, Bd. 1, S. 294. 509 So der Autor selbst im Nachwort (Anm. II, 506).

Erasmus Schöfer: Der Pikadon (1964)

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Albin Fringeli: Der Dichter Paul Bühler. Ansprache im Heimatmuseum des Schwarzbubenlandes in Dornach am 22. September 1963 zum 60. Geburtstag des Dichters. Dornach 1963. Erwin Gaubatz: »Der Wagenlenker«. Drama eines Atomforschers von Paul Bühler. In: Das Goetheanum (1963), S. 22–23. Winfrid Gurlitt: Mythos und Wirklichkeit. Gedanken anlässlich der Uraufführung von Paul Bühlers Drama »Der Wagenlenker«. In: Das Goetheanum (1964), S. 13–14. Christiane Haid: Bühler, Paul. In: Forschungsstelle Kulturimpuls – Biographien Dokumentation, unter URL: http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?& id=108. Martin Hein: Vor 50 Jahren starb der Bietigheimer Literat Paul Gerhard Bühler. In: Bietigheimer Zeitung, 5. August 2016, unter URL: https://www.swp.de/suedwesten/sta edte/bietigheim-bissingen/vor-50-jahren-starb-der-bietigheimer-literat-paul-gerhardbuehler-22991159.html. Mario Howald-Haller: »Der Wagenlenker« – Ein Lichtdrama. In: Das Goetheanum (1964), S. 22–23. O. A.: Zur Aufführung des »Wagenlenker«. In: Das Goetheanum (1964), S. 416. Sn.: Wissenschaft und Verantwortung. Eine Bühler-Uraufführung in Dornach. In: National-Zeitung, 2. Januar 1964, nachgedr. in: Das Goetheanum (1964), S. 23.

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Erasmus Schöfer: Der Pikadon (1964)

Autor : Erasmus Schöfer (1932) Darbietungsform: Hörspiel Erstsendung: 25. Januar 1964, Westdeutscher Rundfunk Ort: Gefängnis und Gericht in Japan Zeit: Gegenwart

Das japanische Wort ›Pikadon‹, zusammengesetzt aus pika (Blitz) und don (Donner), bedeutet auf Deutsch ›Blitzdonner‹. Der Begriff meint die optischen und akustischen Wahrnehmungen im Augenblick der Atombombenexplosion, Licht und Lärm, die den Japanern als Trauma und Grenzerfahrung unauslöschlich in Erinnerung bleiben sollten. Mit der Vielfalt an symbolischen und materiellen Aspekten, an psychischen, moralischen und physischen Auswirkungen des Pikadons beschäftigt sich in seiner gleichnamigen Funkarbeit Erasmus Schöfer, ein sozial und politisch engagierter Kritiker und Schriftsteller, der in den sechziger Jahren in der DKP aktiv war und die deutsche Ostermarschkampagne gegen Militarismus und Atombewaffnung unterstützte.510 510 Über das stete Engagement von Erasmus Schöfer, der 1969 aus der Dortmunder Gruppe 61 den Werkkreis Literatur und Arbeitswelt mitbegründete, vgl. die entsprechenden OnlineEinträge: Werner Jung, Alexandra Klein: Erasmus Schöfer. In: Munzinger Online/KLG – Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, unter URL: http://www.munzinger.de.348942125.erf.sbb.spk-berlin.de; O. A.: Erasmus Schöfer. In: NRW Literatur im Netz. Autoren und literarische Einrichtungen aus

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Das Hörspiel Der Pikadon, das Anfang 1964 beim Westdeutschen Rundfunk und 1965 bei Radio-DDR gesendet wurde, erhielt den Förderpreis der KurtMagnus-Stiftung und erlebte in den achtziger Jahren noch weitere Ausstrahlungen. Es ist ein psychologisch differenzierter und sprachlich präzise und wirkungsvoll gestalteter Text zum Komplex Zerstörung und Überleben, historische Rechtfertigung und Wiedergutmachung. Angeregt wurde das Werk laut Angabe im Vorwort von Robert Jungks Strahlen aus der Asche und John Herseys Reportage Hiroshima. Und tatsächlich weist das Hörspiel, besonders in der Darstellung von Schrecken und Leid nach dem Abwurf, deutliche Bezüge zu den bestürzenden Berichten von Jungk und Hersey auf. Die unmittelbare Wiedergabe des Grauens eines dem Boden gleichgemachten und mit Leichen angefüllten Hiroshimas durch erschütternde Bilder von Schmerz und Ekel – die zerfetzten und verkohlten Leiber auf den Straßen, die verbrannten Kleider, der langsame Tod durch kontaminiertes Wasser – sollte dem Zuschauer ermöglichen, einen Eindruck von der schwer vorstellbaren, ungeheuren Verwüstung in Japan zu gewinnen. Unbarmherzig wirkt im Spiel die detaillierte Schilderung der Qualen, die die grässliche Explosion über die Stadt und ihre Bewohner brachte und zum spezifischen Bilderrepertoire der Japan-Dramen gehört. Genauso typisch für diese beachtliche Gruppe von thematisch verwandten Texten ist die Thematik der Abflachung der Individualität durch den – zugleich konkreten und symbolischen – Zerfall der Gesichtszüge, die die Bombe verwischt, als ob mit dem atomaren Massenmord auch der letzte Rest menschlicher Identität und Würde verloren ginge. So der Protagonist Toshio, der im Nachhinein immer wieder von dem Schock heimgesucht wird und durch die asyndetische Reihung von körperlichen Entstellungen einen wahren Schauerkatalog aufstellt, der von typischen Post-Hiroshima-Bildern schier überquillt: Ich hab Flaksoldaten gefunden, in Hiroshima, nach der Bombe. Eine ganze Abteilung. Sahen alle gleich aus. […] Verbrennungen. Sie hatten die beiden B-29 beobachtet als die Bombe fiel. Sie lagen im Gebüsch im Asano-Park und als sie mich hörten sagten sie Wasser! Wasser bitte! Sie haben ja keine Gesichter / das sind Fleischköpfe / keine Haare / die Haut ist vom Schädel in Fetzen gebrannt / die Augen sind geschmolzen / Wasser! röcheln sie aus den lippenlosen Mündern / und sie leben / sie leben wirklich / ich geb’ zwei von ihnen Wasser in meiner Mütze das sie nicht sehn / sie können nicht trinken / sie können nur noch sterben / sie machen’s nicht mehr lange dann werden sie Nordrhein-Westfalen im Internet, unter URL: http://www.nrw-literatur-im-netz.de/daten bank/autoren/280-schoefer-erasmus.html. Für das spezifische Thema Werkkreis und Literatur eine wichtige Quelle ist der Überblick von Horst Hensel: Werkkreis – Die Organisierung politischer Literaturarbeit. Köln 1980; s. dazu auch: Realistisch Schreiben. Der Werkkreis in der Entwicklung einer antikapitalistischen Literatur in der Bundesrepublik. Hrsg. vom Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. Erkenschwick 1972. Zu den Ostermärschen s. Anm. I, 54.

Erasmus Schöfer: Der Pikadon (1964)

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die Lider schließen über die Augen die sie nicht mehr haben / die verbrannten Augen / und das war auch gut so, es gab nur noch Grauen zu sehen in dieser Stadt.511

Obwohl die eigentliche Hörspielhandlung gut anderthalb Jahrzehnte nach dem Ereignis spielt und sich ganz im geschlossenen Raum eines Gefängnisses vollzieht, rekonstruiert das Hörspiel in Rückblenden und Erinnerungen die entsetzliche Vorgeschichte und die erste Phase des Stadtlebens nach dem Bombenabwurf. Woran Schöfer hier liegt, ist, das Schicksal der Bevölkerung aus der Perspektive der ›Opfer‹ selbst zu beleuchten. Damit sind dennoch nicht so sehr die Toten der Explosion gemeint, sondern vielmehr deren Überlebende mit ihrem dramatischen Ballast an Gedächtnismaterial. Im Mittelpunkt des Textes steht, zugleich als Täter und Opfer, der Japaner Toshio Kado, der auf seinen Prozess harrt. Er wird wegen Raubmordes an dem amerikanischen Arzt und Forscher Thomson angeklagt, der zu Untersuchungszwecken die Leiche von Toshios Adoptivtochter obduzieren wollte. Erst allmählich erfahren wir, dass das Mädchen, im Nachhinein an den Auswirkungen der Radioaktivität gestorben, die jüngere Schwester der damaligen Braut von Toshio ist, die gleich nach der Explosion durch das Feuer und die Strahlung direkt ums Leben kam. Gegenwart und Vergangenheit werden zu einer dramatischen Simultaneität, die Toshios widersprüchliche Schuld- und Ressentimentgefühle und die kunstvoll miteinander verflochtenen Handlungsfäden zusammenführt. Die individuelle Ebene, die von Toshios Empfindungen und Gedanken, von seiner Reue über die gewaltsame Beseitigung eines Menschenlebens und seinem Verlustgefühl gegenüber den zwei geliebten Mädchen erzählt, bildet die persönliche Grundlage seiner Mordtat und der Handlung selbst. Die andere Dimension wird hingegen von der kollektiven Trauer dominiert und hat überindividuelle Relevanz. Sie betrifft das in Japan weitverbreitete Phänomen der ›Hibakusha‹, der Überlebenden, denen auch Breest in seinem wenige Monate zuvor gesendeten Hörspiel Die Mädchen aus Hiroshima eine Stimme verliehen hatte. Ein Hibakusha ist in Schöfers Hörspiel die 17-jährige Adoptivtochter Yasuko, die unter unmenschlichen Segregationsbedingungen gelebt hatte und unter unmenschlichen Qualen starb. Zart und ergreifend sind die rückblendenden Szenen, die wichtige Stationen ihrer Kindheit und der beginnenden Liebesgeschichte mit Toshio nachholen: Yasuko: Toshio, manchmal hab’ ich gedacht, wir würden einmal heiraten – Toshio: Ich denk’ es auch, Yasuko. Wir gehören so sehr zusammen. Jetzt noch mehr als früher. Und du bist nun eine Frau. Yasuko: Warum hast du dies nicht früher gesagt, Toshio? Jetzt ist es zu spät. Toshio: Du warst doch noch ein Kind – wie durfte ich das. Yasuko: Ein Kind, ein Mädchen, eine Frau – die dich geliebt hat und liebt. Nicht immer 511 Erasmus Schöfer : Der Pikadon (Anm. I, 63), S. 21. Schrägstriche im Original.

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hast du dich so an die Gesetze gehalten. Ach Toshio, warum muß ich schon sterben? Ich habe noch nicht gelebt! (40)

Erschütternd sind die sozialen und historischen Umstände, die Yasukos kurzes Leben durchschimmern lässt: die Isolierung, die erzwungene ›Unsichtbarkeit‹, das Gefühl, »immer ein Gespenst [zu] sein« (35), die Scham vor dem eigenen Aussehen. »Ich kann mich nicht an den Pidakon erinnern«, sagt Yasuko, »aber ich denke an ihn, wenn ich in den Spiegel sehe und wenn die Leute mir ins Gesicht starren« (35). Die Lebensbedingungen der viele Jahre nach der Katastrophe nicht mehr als Opfer, sondern nur noch als Last empfundenen Hibakusha, die mangelnde Unterstützung von Staat und Gemeinde, das missachtete Recht auf Krankenpflege, die nur den Betroffenen in der sogenannten Todeszone – dem Epizentrum der Explosion – gewährt wurde, das alles stellt in Schöfers Text ein äußerst wichtiges gesellschaftliches Problem dar. Dazu kommt die kollektive Unterschätzung der gesundheitlichen Folgen der Strahlungen. Sogar Toshio zeigt sich hilflos gegenüber den unbekannten Krankheitssymptomen des Mädchens (»Vielleicht hast du eine Krankheit, von der wir nichts wissen«), die eine ärztliche Behandlung benötigten. Nur wolle Yasuko nicht »einen Arzt wegen ein bißchen Kopfschmerz! Wir brauchen doch unser Geld für andres« (35). Toshios Respekt vor dem toten Körper des geliebten Mädchens, den er niemals, und obendrein nicht einem Amerikaner, zur Obduktion freigeben würde,512 ist für ihn ein Zeichen der Pietät gegenüber den Leiden aller Opfer. Deshalb lehnt er auch Prozessstrategien zur Vermeidung der Strafe ab und perhorresziert als patriotische Instrumentalisierung jene nationalistische Lesart seines Verbrechens, die ihm aus unterschiedlichen Gründen von dem Richter Morimoto und dem Anwalt Hirata nahegelegt wird. Morimoto: Jetzt hören Sie mal gut zu, Toshio Kado. Sie sind Japaner. Ich bin Japaner. Der Ermordete ist ein Amerikaner. Ich war im Krieg Militärrichter. Diese Hand habe ich bei einem amerikanischen Bombenangriff verloren. […] Wir haben doch ein Vaterland! Ihr Fall interessiert mich, Herr Kado! Toshio: Ich verstehe nicht, weshalb Sie mir das sagen. Morimoto: Sind Sie nicht ein Opfer dieses Krieges und unserer Niederlage genau wie ich? Wir alle haben wegen dieser heimtückischen Bombe verloren – ich, Sie, Japan! Und dann hat man Sie provoziert. Sie haben gekämpft. Ich verstehe Ihre Reaktion. Jeder gute Japaner wird sie verstehen – Toshio: Ah, was hab’ ich mit dem allen zu schaffen! Ich kann nichts mehr dazu sagen. 512 »Thomson: ›Verzeihen Sie, Mr. Kado, daß ich mich Ihnen aufdränge, aber ich komme im Auftrage auch der japanischen Regierung. Machen Sie mir meine traurige Pflicht nicht unnötig schwer‹. Toshio: ›Es ist ganz zwecklos. Sparen Sie Ihre Mühe‹. Thomson: ›Warum zwecklos? Andern zu helfen, ist es nie zu spät. Sehen Sie – ‹. Toshio: ›Ich sehe, daß Sie Amerikaner sind und nun auch noch die Leiche meines Kindes wollen, das Sie getötet haben!‹« (33).

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Was wolln Sie immer noch von mir? Was wolln Sie schon wieder? Ich kann niemand sehen, hören Sie – niemand! Am allerwenigsten einen Amerikaner! (33)

Seinerzeit strebt auch der Verteidiger als »Anwalt der Opfer von Hiroshima und Nagasaki« (37) nur danach, mit Hilfe des Falls die Frage der in der Nachkriegszeit stigmatisierten Hibakusha endlich zur Diskussion zu bringen, die Zensurpraxis der Öffentlichkeit mit einem aufsehenerregenden Prozess einzudämmen und in »die Vergesslichkeit der Welt« (37) einzubrechen. Toshio will jedoch nicht die Rolle des Helden spielen, der aus Nationalstolz einen Amerikaner getötet habe. Seine Sünde will er büßen: »Ich bin bereit, meine Tat zu sühnen. Deshalb habe ich verhindert, daß die Richter mich entlasteten«, gesteht er am Ende des Hörspiels seinem alten Lehrer Mishima. Die Frage der Schuld, die dabei zentral wird, erfährt durch Übernahme der subjektiven Verantwortung die Möglichkeit eines Erlösungsprozesses, der allerdings den Schluss und die Zukunft offenlässt. Zwischen den zwei Alternativen, die ihm Mishima bei seinem Besuch im Gefängnis anbietet, dem Dolch einerseits und Schreibheft und Bleistift andererseits, wählt der Protagonist die zweite, d. h. »noch eine Waffe« (43), den Weg des Schreibens als Form der inneren Heilung und als Zeugnis des Unfassbaren, das für die Welt fassbar gemacht werden soll. Renate Bach: Die Atombombe als erster Sündenfall. »Der Pikadon« von Erasmus Schöfer: Hörspiel und Diskussion in der Zentralbibliothek. In: Kölnische Rundschau, 5. April 1984. Werner Jung, Alexandra Klein: Erasmus Schöfer. In: Munzinger Online/KLG – Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. URL: http://www.munzinger.de.348942125.erf.sbb.spk-berlin.de/document/16000000 687. Ernst Käufer, Rolfrafael Schröer (Hrsg.): Erasmus Schöfer. In: Dies.: Sie schreiben zwischen Goch und Bonn: bio-bibliografische Daten, Fotos und Texte von 61 Autoren. Wuppertal 1975, S. 187–191. KHK: Gott sagt »nein« zur Zerstörung. Das Hörspiel »Der Pikadon« von Erasmus Schöfer in der Zentralbibliothek. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 14. April 1984. O. A.: Die Selbstverwirklichung des Individuums. Zum WDR-Hörspielbuch 1964. In: Neue Züricher Zeitung, 23. April 1965, S. 29. O. A.: Erasmus Schöfer. In: NRW Literatur im Netz. Autoren und literarische Einrichtungen aus Nordrhein-Westfalen im Internet, unter URL: http://www.nrw-literatur-im-netz. de/datenbank/autoren/280-schoefer-erasmus.html. Jens Prüss: Das gleißende Licht des Todes. »Der Pikadon« von Erasmus Schöfer in der Hörspielgalerie im Palais Wittgenstein. In: Rheinische Post, 7. April 1984. Erasmus Schöfer: Der Pikadon. In: WDR Hörspielbuch 1964. Hrsg.: Westdeutscher Rundfunk Köln. Mit einem Vorwort von Hans Gerd Krogmann. Köln 1964, S. 15–44. Wiederabgedr. in: Lutz Volke (Hrsg.): Der gute Gott von Manhattan. Hörspiele aus der BRD, der Schweiz und Österreich. Berlin 1990, S. 99–124.

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Rüdiger Scholz: Gesellschaftskämpfe in der BRD – E. Schöfers Winterdämmerung. In: Peter-Weiss-Jahrbuch für Literatur, Kunst und Politik im 20. und 21. Jahrhundert 18 (2009), S. 35–61. Thomas Wagner : Das Epos von Sisyphos. In: Der Freitag, 6. Juni 2011, unter URL: https:// www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-epos-von-sisyphos.

71.

Dieter Rohkohl: Das unsichtbare Gepäck (1964)

Autor : Dieter Rohkohl (Pseud. Ernst M. Dietrich, Fred Rixen, 1919–1971) Darbietungsform: Schauspiel in drei Akten Uraufführung: nie aufgeführt; Erstsendung als Hörspiel: 2. September 1964, WDR Ort: Gasthaus an der Pazifikküste in den USA Zeit: Juli 1957

Das unsichtbare Gepäck ist eine bittere Schilderung der physischen, psychischen und sozialen Folgen des Unfalls in einem Atomkraftwerk, über den 1957 die amerikanische und europäische Presse ausführlich berichtet hatten. Der Autor, Dieter Rohkohl, der 1953 die Leitung der Unterhaltungsabteilung Hörfunk am Bremer Sender übernommen hatte, die er bis zu seinem Tod innehatte, bemühte sich vergebens, sein Atomdrama auf die Bühne zu bringen. Zu seinem großen Bedauern gelangte das Stück nie zur Aufführung. Nur als Hörspiel wurde es im deutschsprachigen Bereich vom WDR und dem Österreichischen Rundfunk gesendet.513 Absagen erhielt Rohkohl übrigens auch von verschiedenen Fernsehsendern, für die er Das unsichtbare Gepäck als Fernsehspiel einrichten wollte, was ihm dann 1966 ebenfalls in Österreich gelingen sollte.514 In einem Brief an Hans Arnold, Programmdirektor des NDR, beklagt sich der Dramatiker über die kühle Reaktion bundesdeutscher Intendanten beim Empfang des Manuskripts und erwähnt im Gegensatz dazu die gute Aufnahme des Werks in osteuropäi513 Am 18. Februar 1965 fand im WDR, unter der Leitung von Rolf Schroers, auch eine Diskussion über das Hörspiel »Das unsichtbare Gepäck« von Dieter Rohkohl statt. Vgl. dazu: Das Hörspiel. Ein Literaturverzeichnis. Hrsg. von dem Westdeutschen Rundfunk. Teil 3. Manuskripte. Köln 1978, S. 16, und die Hörspieldatenbank HspDat.to, unter URL: https:// hspdat.to/pages/Datenbank/?p7=Diskussion+%C3%BCber+das+H%C3%B6rspiel+%22 Das+unsichtbare+Gep%C3%A4ck%22+von+Dieter+Rohkohl. 514 Rohkohl gehörte zu den zahlreichen Hörspielautoren, deren Hörspiele oft als Fernsehspiel adaptiert wurden, vgl. Knut Hickethier : Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur, Theorie und Geschichte 1951–1977. Stuttgart 1980, S. 159. Wie Gerald Szyszkowitz angibt, war Das unsichtbare Gepäck unter den österreichischen MAZ-Fernsehproduktionen für das Jahr 1966. Vgl. Gerald Szyszkowitz: Ein Beitrag zur Geschichte des Fernsehspiels in Österreich 1954–1977. In: Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft 24 (1978), S. 256. Die Regie übernahm der berühmte Wiener Film- und Theaterregisseur Wolfgang Glück; s. dazu die Filminfo unter URL: https://www.skip.at/film/25550/.

Dieter Rohkohl: Das unsichtbare Gepäck (1964)

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schen Ländern, wie der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn, wo das Drama aufgeführt und sogar in Übersetzung veröffentlicht worden war.515 Freilich hatte der Autor Recht, als er behauptete, der Auslöser des Stücks, ein wahrer Fall radioaktiver Verseuchung in Amerika, sei höchst aktuell und gehöre »ins Fernsehen, um diskutiert zu werden«,516 zumal die politischen Institutionen – wie der Dramatiker selbst in seiner »Bemerkung zur Handlung« bedauert – das schreckliche Ereignis »bald in Vergessenheit«517 hatten geraten lassen. Der wirkliche Vorfall war einige Jahre zuvor in einem texanischen Laboratorium geschehen. Der Chefassistent war mit nuklear erzeugtem Material in Berührung gekommen. Dem Dramatiker lag aber nicht daran, das bestehende Risiko für die menschliche Gesundheit allgemein zu schildern, sondern die unbarmherzigen gesellschaftlichen Auswirkungen zu rekonstruieren, die nach dem Unfall auf dem Schicksal der verseuchten Familie wie ein ›unsichtbares Gepäck‹ voller Furcht und Verdacht lasteten. Eine solche Bürde von Vorurteilen und Misstrauen schleppt im Text auch die Familie des Protagonisten Daniel Shellac mit sich herum. Vom zukünftigen Schwiegersohn verraten, einem skrupellosen Journalisten, der ohne Bedenken den Fall an die Öffentlichkeit bringt, von der Gemeinde wie ein Leprakranker gemieden (»Atompest«, 60), versucht Shellac, fern von der eigenen Stadt, inkognito ein neues Leben zu beginnen. Die Handlung spielt ganz im Innenraum eines Gasthauses, wo die Shellacs nach einer Autopanne Zuflucht suchen. Die Einheit von Raum, Zeit und Geschehen wird streng eingehalten. Eine fast klassische Tragik entspringt aus der psychologisch und sozial bedingten Handlungsweise der beteiligten Akteure. In dem »Drecknest« (13) Rocky Road, einem trostlosen »Kaff« (13, 16) an der amerikanischen Ostküste, will sich die sechsköpfige Familie – Ehepaar Shellac mit drei großen Kindern und einem kleineren Kind – von den Anstrengungen der Fahrt ausruhen; außerdem ist das große Mädchen, Phyllis, das vom Verlobten sofort nach dem Unfall verlassen wurde, »in anderen Umständen« (23). Hinter ihnen liegt eine Reise, deren Ziellosigkeit von Anfang an die deprimierende Perspektivlosigkeit der Figuren andeutet: Cleo: Wie lange soll das Vagabundieren noch dauern? Wir fressen die Kilometer wie Neurotiker ihre Pillen. Greg: Man ist unterwegs, bis das Ziel erreicht ist.

515 Vgl. Brief vom 15. Juni 1965 an Programmdirektor Arnold. In: Staatsarchiv Hamburg. Akte 1041, NDR 621/1, (die Mappe enthält auch die Texte der Schauspiele Das unsichtbare Gepäck und Besuch aus Prag). 516 Ebd. 517 Im Folgenden wird auf die Schauspielfassung Bezug genommen: Dieter Rohkohl: Das unsichtbare Gepäck (Anm. I, 93), sechste, nicht nummerierte Seite.

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Cleo: Welches Ziel. […] Welches Ziel? Du weisst keine Antwort. Niemand weiss eine Antwort. Wir fahren und fahren. Keine Antwort. (14)

Die gemeinsame Familienbekleidung aus blauem Leinenstoff sorgt für Anonymität, drückt aber zugleich auch das unter den Angehörigen bestehende Einvernehmen aus, ein Einverständnis und ein geteiltes Geheimnis. An ihnen ist eine beeindruckende »Harmonie« (34) zu spüren, die der ahnungslose Sohn des Gasthausbesitzers bewundert. Familie Shellac stellt sich anscheinend schützend vor den Vater, der mit verbundener Hand im Text auftritt und in einem sich allmählich verschlimmernden Gesundheitszustand immer stärker an den Folgen der Verstrahlung leidet. In der Tat versucht die Familie eher, ihre quälende Wahrheit »mit dem dünnen Mäntelchen eines scheinbaren Familienglückes [zu] überdecken« (46). Das für den Atom- und Weltuntergangsdiskurs konstitutive Motiv der Angst wird hier psychologisch durchdekliniert.518 Nicht die Gefahr einer imminenten und globalen Zerstörung interessiert den Autor, sondern die moralischen Vorstellungen, denen man bei einer realen oder auch nur gefürchteten Strahlengefährdung begegnet. Und die Implikationen wirken sich verheerend auf das Familienleben aus. Die Angst vor Ansteckung verdirbt die Beziehungen der Familienmitglieder zueinander und gipfelt in einer Art Abscheu vor dem Vater, die die Merkmale einer Stigmatisierung aufweist und sich in einem Berührungsverbot bzw. -tabu artikuliert. Daniel (geht zu Greg): Greg, mein Junge! Greg (weicht zurück): Bei mir schlug der Geigerzähler nicht aus. Daniel: Er schlug aus, aber der Ausschlag war gering. Wir verbrannten deine Kleider und – . Wir wollen uns nicht mehr erinnern. […] Ihr habt immer noch Angst vor mir. Gut, gut, es soll vorläufig bei unserer Abmachung bleiben. Sicher ist sicher. (geht zu Pitt) Phyllis: Bitte, Papa, rühre Pitt nicht an. Daniel (verwundert): Phillis, eben sagtest du – Phyllis: Trotzdem. Daniel: Du bist die einzige in der Familie, die alle Scheu vor einer Berührung überwunden hat. Ich mach euch anderen keinen Vorwurf wegen eurer Skepsis. Im Gegenteil, ich war es, ich habe darauf gedrungen, dass ein gewisser Zeitraum vergehen muss, bevor wir wie früher – Phyllis, bestätige ihnen, dass sie sich nicht mehr vor mir zu fürchten brauchen. Phyllis: Niemand fürchtet sich vor dir. Daniel: Vor einer Berührung mit mir, dass es sich lediglich um eine Vorsichtsmassnahme handelt, dass ich als Verantwortlicher für die Familie darauf bestehe, diese Vorsichtsmassnahme solange einzuhalten – . (52–53) 518 Zu den Erscheinungsformen und der Medialisierung der Apokalypse und des Weltuntergangs vgl. Tanja Busse: Weltuntergang als Erlebnis: Apokalyptische Erzählungen in den Massenmedien. Wiesbaden 1999 (besonders das Kapitel 5.3).

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Auch äußerlich scheint an den Familienmitgliedern etwas spürbar Beklemmendes zu haften, etwas Geisterhaftes, das Verdacht und Argwohn erweckt. Der Inhaber des Gasthauses merkt, dass sie sich »wie Marionetten« bewegen, sie »scheuen vor jeder Berührung zurück, als wären sie aussätzig« (28); wenn auch unsichtbar, wird doch ihr ›Gepäck‹ auch von den anderen wahrgenommen, das Geschehene kann nicht einfach ausgelöscht werden wie die verbrannten Kleider. Extrem bitter ist diese Situation der existentiellen Ausweglosigkeit, in die die Gestalten geraten. Sie gewinnt den größten symbolischen Charakter angesichts einer Schuld, bei der die Shellacs, wie die tragischen Helden der Antike, tatsächlich nur passive Opfer sind, Opfer einer »Krankheit […], die man eines Tages als die Pest unseres Jahrhunderts nennen wird. Über die Familie Shellac brach das Atomzeitalter mit all seinen Rätseln und Schrecken herein« (61). Deshalb würde das Kind, das Phyllis erwartet, das »Kainsmal unseres Jahrhunderts« tragen, ein Kind »mit dem unsichtbaren Zeichen des Atoms auf der Stirn« (71). In den ersten zwei Akten des Stücks zeugt die Handlung von den verzweifelten Versuchen des Vaters, das unsichtbare, doch erdrückende Gewicht von Angst und Ungunst von sich und seiner Familie abzustreifen. Zunächst zeigt er sich noch zuversichtlich, an dem neuen Ort »wieder Mensch unter Menschen sein zu dürfen. Von diesem entsetzlichen Makel befreit nicht länger zur Untätigkeit verdammt sein zu müssen« (51). Doch diesem Streben, sich unbelastet von der Vergangenheit eine neue Existenz aufzubauen, stellt Rohkohl eine antagonistische Figur gegenüber : Major Bayonet. Er ist das wesentliche Hindernis bei der Erreichung der Familienziele, seine intensive und obsessive Suche nach der Aufdeckung des Geheimnisses wird zum dramaturgischen Antrieb der Handlung. Bayonet stellt die Personifizierung jener brutalen, mitleidlosen und menschenverachtenden Auffassungen dar, die das Klima eines immer intoleranter werdenden Amerikas trüben, er »verdächtigt […] jeden Fremden, der seine Stiefel in Rocky Road zeigt, des Mordes oder zumindest der Unzucht mit Minderjährigen« (9). Aber Bayonet ist auch kein isolierter Fall im gewandelten Weltbild des Atomzeitalters. Er ist das Symptom und nicht die Konsequenz jener aseptischen Gesellschaft, die aus Angst vor Ansteckung die Angst vor Berührung schürt und sich in Shellacs schrecklicher Vision einer automatisierten, unpersönlichen Welt ohne Kontakte expliziert, eines Zustands der räumlichen und menschlichen Sterilität. Das zur gleichen Zeit bei Marlene Haushofer verwendete Motiv der Glaswand dient hier als Symbol für eine ›nuklearisierte‹ Wirklichkeit. Daniel imaginiert im Traum »eine ganze Stadt im Zeichen des Pilzes. Eine ganze Stadt unter einer riesigen Plexiglaskuppel«, bewohnt von »Menschen aller Nationen in Schutzanzügen, ohne Unterschied der Geschlechter. Wie Weltraumfahrer, wie Marsmenschen sehen sie aus in der Uniform ihrer isolierten radioaktiven

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Bruderschaft. Die Stadt ist in jeder Weise vorbildlich und modern. […] Jeder Türgriff, jeder Klingelknopf ist steril. […] Steril wie die Menschen. Jede Leidenschaft ist ihnen fremd. Sie lieben nicht, sie hassen nicht, ihr Gott ist der Geigerzähler« (118). Der Gedanke einer definitiven Sterilität des Planeten im Sinne einer endgültigen Erschöpfung aller Lebensformen (»sie hören keinen Vogel singen, kein Grün gedeiht […], kein Baum, kein Strauch, kein Rasenhalm«, 118) knüpft an die Gefahr einer unfruchtbaren Zukunft an, zu der die Menschheit verdammt zu sein scheint. Gleich nach der Erzählung des Traums erwähnt das Stück das Risiko der missgebildeten Nachkommenschaft, das den Dramenfiguren droht. Auf seine Frage, welches »unsichtbare Gepäck« er »sonst noch mitzuschleppen habe« (120), erhält der Sohn Greg keine andere Antwort als die totale Unsicherheit über die Chancen des Humanen und das Bekenntnis der Fehlleistung der Wissenschaft: Phyllis (stockend): Es bleibt wie bisher, alles bleibt wie bisher. Ungewiss. Greg: Ungewiss? Phyllis (nickt): Ungewiss. Greg: Was heisst das – ungewiss? Phyllis: Die Antwort bleibt uns bis heute noch die Wissenschaft schuldig. Greg: Werde ich ein Mädchen lieben, heiraten können? […] Phyllis: Wir haben wochenlang, ohne es zu wissen, in einer verseuchten Wohnung gelebt. Was in dieser Zeit mit uns geschehen ist, welchen Schaden wir genommen haben, wird sich wahrscheinlich erst in Jahren herausstellen. Solange wird die Ungewissheit für uns bleiben. Für uns alle. (121)

Der Pessimismus dieser Aussagen und die refrainartige Wiederholung des Titelmotivs – die Unsichtbarkeit der Last – berühren das grundlegende Problem der Schuld und der Verantwortung. Als Atomtechniker ist der Protagonist, wenngleich Opfer eines Nuklearunfalls, zugleich auch ein potentieller Mörder. Der traumatische Unfall lässt ihn selbst allerdings sich schuldig fühlen (»seit dem Tage verfolgte mich das Gefühl, eine furchtbare Schuld auf mich geladen zu haben«, 127) und der Sohn zieht ihn explizit zur Rechenschaft über die »Gefährlichkeit seiner Arbeit« (»Warum weigerte er sich nicht?«, 122). Die Dichte technisch-wissenschaftlicher Verweise soll die Ausweglosigkeit des Einzelnen beim Kampf gegen die Verseuchung seiner Umwelt bloßlegen und hervorheben. Wiederholt betont und verurteilt wird das Wissen der Physiker um die Tödlichkeit von radioaktiver Strahlung für alle organischen Formen (»dass radioaktive Strahlen Schäden an menschlichen Organen hervorrufen können, ist ja schon lange bekannt«, 127). Und trotzdem wäre es verfehlt, hier einen Schuldigen finden zu wollten. In der modernen, mechanisierten, ja fast entpersonalisierten Sphäre der atomaren Gegenwart scheint die Verantwortung nicht bei

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dem Einzelnen zu liegen. Die Katastrophe ist eine subjektlose, dem Subjekt ist jeder Bezugspunkt entzogen. In der unmenschlichen Welt, die die Familie verbannt hat und die Bayonet, »dieser mickerige Abgott aller Furchtsamen« (129), im Werk vertritt, grassieren Misstrauen und Feindseligkeit, die sich auf die Opfer selbst negativ auswirken. So muss sich auch Greg fragen, ob ein Ort, der die Ursache ihres Leidens ist, auch der amorphe Gegenstand seines Hasses werden kann: »Soll ich das Kellogg-Institut hassen, weil’s dort passiert ist? Ein Gebäude mit Labors, Büros und Klosetts? Soll ich die Welt hassen, die Menschheit hassen, irgendeine amorphe Masse?« (123). Die trostlose Frage suggeriert keine über den Text hinausweisende Alternative. Die vertriebene Familie wird ihre Reise ins Ungewisse fortsetzen, um den vielen Bayonets der Welt aus dem Weg zu gehen, während das Ehepaar der Wirtshausbesitzer sich gegenseitig vulgär beleidigt: »zur Hölle! Zur Hölle«. Mit dieser Beschimpfung schließt bezeichnenderweise das Werk ab. Ein unversöhnliches Ende, das dem Zuschauer keine Hoffnung auf eine versöhnliche Lösung lässt. Filminfo zum Fernsehfilm Das unsichtbare Gepäck, unter URL: https://www.skip.at/film/ 25550/. Dieter Rohkohl: Das unsichtbare Gepäck. Unverkäufl. Manuskr. Hamburg 1964. Ders.: Das unsichtbare Gepäck, Besuch aus Prag. Mappe mit Text und Brief vom 15. Juni 65 an Programmdirektor Arnold. In: Staatsarchiv Hamburg. Akte 1041, NDR 621/1.

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Autor : Heinar Kipphardt (1922–1982) Darbietungsform: Dokumentardrama in zwei Teilen Uraufführung: 11. Oktober 1964, Freie Volksbühne Berlin und Kammerspiele München (Fernsehfassung: 23. Januar 1964, Hessischer Rundfunk) Ort: Raum der Atomenergiekommission in Washington Zeit: 12. April bis 14. Mai 1954

Am 11. Oktober 1964 fand in Berlin, unter der Regie von Erwin Piscator, und in München, unter der Regie des Niederländers Paul Verhoeven, eine simultane Uraufführung von In der Sache J. Robert Oppenheimer statt. Aufgrund der großen Resonanz der vorab im deutschen Fernsehen gesendeten und mit dem neuen Filmpreis der Akademie der Darstellenden Künste ausgezeichneten Fassung war die Wirkung schon vorher garantiert.519 Alle Zutaten für den Tri519 Vgl. Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966 (Anm. I, 10), S. 994, und Felix Butzlaff: Von Atombomben und Kommunisten. Heinar Kipphardt und das Dokumentarische Theater der 1960er Jahre. In: Robert Lorenz, Franz Walter (Hrsg.): 1964 – das Jahr, mit dem ›68‹ begann. Bielefeld 2014, S. 55.

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umph der Doppel-Premiere – hervorragende Regie und Besetzung, Ruf des Autors, evidente Aktualität und universelle Relevanz des Falls – waren da. Kipphardt selbst zweifelte nicht an dem Erfolg, zumal es bereits »einen Haufen Nachspielverträge« gab, »in Deutschland, der Schweiz, Belgien, Österreich, Frankreich, England und Italien«,520 wo die Strehler-Inszenierung am Piccolo Teatro in Mailand den Autor mit besonderem Stolz erfüllte. In der Sache J. Robert Oppenheimer wurde in der Saison 1964/65 zum meistgespielten Stück auf bundesdeutschen Bühnen. Am 12. April 1965 wurde es auch im Osten in der Berliner-Ensemble-Inszenierung von Manfred Wekwerth am Schiffbauerdamm erfolgreich aufgeführt.521 Die Suhrkamp-Ausgabe des Textes wurde immer wieder neu aufgelegt und weltweit übersetzt. Die Literatur darüber ist inzwischen ins Unermessliche angewachsen. Kipphardts sehr bekanntes Atomdrama war das Ergebnis der intensiven und langjährigen Beschäftigung des Schriftstellers mit Fragen der Naturwissenschaften und deren Zusammenhang mit Ethik und Politik. In einem Interview, das er der Prager Zeitung Kulturni tvorbo gab, berichtete er, bereits 1956, also noch zu seiner DDR-Zeit, mit den Vorbereitungsarbeiten am Oppenheimer angefangen zu haben.522 Neben dem Leben des Galilei habe ihn das intellektuelle Klima in der deutschsprachigen Nukleardebatte – Walther Gerlach, Karl Jaspers, Robert Jungk – dazu bewogen. Aber bedeutende Anregungen für die literarische Verarbeitung des Falls Oppenheimer kamen auch von den vier Bänden über den Verrat im 20. Jahrhundert der renommierten deutsch-amerikanischen Journalistin Margret Boveri523 und von den Schriften mehrerer Physiker, die er sorgfältig gelesen hatte – Haakon Chevalier, Isidor Rabi, Edward Teller. Vor allem aber hatte Kipphardt die Unterlagen des Untersuchungsverfahrens studiert, das der Sicherheitsausschuss der US-Atomenergiekommission im Frühjahr 1954 gegen den »Vater der Atombombe«524 eingeleitet hatte, um über die Erteilung der Sicherheitsgarantie zur weiteren Mitarbeit Oppenheimers an amerikanischen Rüstungsprojekten zu urteilen. In einem 1959 datierten Brief an den Drei 520 Brief im Nachlass Kipphardts, Angelsbruck, abgedr. in: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. I, 176), S. 138. 521 Vgl. Manfred Wekwerth: »In der Sache J. Robert Oppenheimer« von Heinar Kipphardt. In: Ders.: Notate. Über die Arbeit des Berliner Ensembles 1956 bis 1966. Frankfurt a. M. 1967, S. 144–167. 522 Typoskript im Nachlass, zit. in: Nachwort des Herausgebers. In: Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. I, 176), S. 303. Zu der von Kipphardt verwendeten wissenschaftlichen Literatur vgl. die ausführliche Bibliographie in den oben angegebenen Materialien, S. 314. 523 Margret Boveri: Der Verrat im 20. Jahrhundert. Fazit (Anm. I, 221). Siehe darin vor allem das große Kapitel: Eine Spezies für sich: Die Physiker. Bd. IV: Verrat als Epidemie: Amerika (1960), S. 187–254. 524 Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. I, 176), S. 11.

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Masken Verlag, in dem Kipphardt andeutete, er müsse für den Oppenheimer »ungeheuer viel Zeug« übersetzen, »Sachen, die zu Teilen schwer zugänglich sind«,525 bezog er sich explizit auf die umfangreichen Washingtoner Hearings gegen den Wissenschaftler. Aus den rund 3000 Seiten Material kondensierte er ein zweiteiliges Bühnenstück. Bei der Dramatisierung der Vorlage traf er eine Auswahl der relevantesten Passagen und reduzierte die überreichliche Zahl der Zeugen von 40 auf sechs. Aber sein Anspruch war und blieb ausgesprochen ›dokumentarisch‹: »ich mache den Stoff historisch, das heißt faktengenau«, erklärte er in dem oben angeführten Brief und hielt sich im Wesentlichen an die Protokolle. Obwohl aber Kipphardt bestrebt war, in seiner szenischen Montage ganz im Sinne Hegels – wie er in der Nachbemerkung bekennt – »›Kern und Sinn‹ einer historischen Begebenheit« zu erfassen, ohne die Wahrheit zu beschädigen,526 kam es zwischen ihm und der historischen Figur seines Bühnenhelden zu einer Auseinandersetzung, die zu Oppenheimers Lebzeiten jede Aufführungsmöglichkeit des Spiels in den USA blockierte. Daraus entstand ein reger Briefwechsel, der für das Verständnis des kulturpolitischen Kontextes im Kalten Krieg von großer Bedeutung ist und einen nützlichen Schlüssel zur Interpretation des Textes sowie des deutschen Atomdramas in den sechziger Jahren überhaupt liefert.527 Am Tag nach der deutschen Uraufführung schrieb der Atomphysiker aus Princeton einen pikierten Brief über die Unwahrheiten bzw. Entstellungen der Wahrheit, die er im Stück beanstandete.528 Besonders erbost schien er aber vor allem über das Statement zu sein, das ihm der Dramenschluss in den Mund 525 Brief vom 16. Oktober 1959 an Hans Joachim Pavel (Drei Masken Verlag). Abgedr. in: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. I, 176), S. 117. 526 »Ein abgekürztes Bild des Verfahrens […], das szenisch darstellbar ist und das die Wahrheit nicht beschädigt«, Heinar Kipphardt: Nachbemerkung. In: Ders.: In der Sache J. Robert Oppenheimer (Anm. I, 176), S. 110. 527 Vgl. dazu Emilia Fiandra: Il processo alla bomba. Kipphardt e Oppenheimer a confronto. In: Massimo Bonifazio, Nadia Centorbi, Alessandra Schinin/ (Hrsg.): Tra denuncia e utopia. Impegno, critica e polemica nella letteratura tedesca moderna. Studi in onore di Giuseppe Dolei. Roma 2010, S. 161–176. 528 »I am again struck by the number of instances in which you invent things which not only did not happen, but which could not happen, und [sic] and are thus in some important sense untrue«, Brief vom 12. Oktober 1964. Abdgedr. in: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. I, 176), S. 164–165, hier S. 164. Daraus auch das folgende Zitat. Vgl. dazu auch Oppenheimers – nie abgeschickten – Brief vom 2. Dezember 1966 an den Schüler David Bohm: »My principle [sic] remaining disgust with Kipphardt’s text is the long and totally improvised final speech I am supposed to have made, which indeed affirms such regret«, in: J. Robert Oppenheimer Papers, ed. by Carolyn H. Sung e David Mathisen, Library of Congress, Box 20. Eine ausgezeichnete Rekonstruktion des Briefwechsels zwischen Kipphardt und Oppenheimer im Rahmen einer kritischen Übersicht über die politische Bedeutung der Auseinandersetzung findet sich in: Charles Thorpe: Oppenheimer: The Tragic Intellect. Chicago, London 2006.

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gelegt habe – »you make me say things which I did not and do not believe«529 –, und er zürnte wegen des seriösen Protestcharakters, den Kipphardt dem Plädoyer des Protagonisten verliehen habe. Aus der einstigen politischen ›Farce‹ hätten »these people« nun eine ›Tragödie‹ gemacht.530 In der Tat wünschte der Amerikaner, der sich nach der Verleihung des Enrico-Fermi-Preises aus Präsident Johnsons Hand endlich wieder rehabilitiert fühlte, die alten schmerzlichen Geschichten nicht aufgerührt zu sehen. Und er schien auch nicht die Feststellung zu teilen, mit der die Bühnenfigur am Ende resigniert: »Wir haben die Arbeit des Teufels getan, und wir kehren nun zu unseren wirklichen Aufgaben zurück« (108). Dagegen habe er, wie er selbst in einem Brief an Kipphardt versichert, seine Los-Alamos-Vergangenheit nie geleugnet: Befragt auf einer Genfer Konferenz, ob er noch einmal tun würde, was er im Krieg getan habe, habe er yes geantwortet. Und auf die verärgerte Frage eines Journalisten: »Even after Hiroshima«, habe er sein yes nur bestätigen können.531 Die Heftigkeit der Polemik zwischen beiden erreichte ihren Höhepunkt, als Kipphardt erfuhr, dass die Washington Post am 9. November 1964 ein Interview veröffentlicht hatte, das Oppenheimers Einwände enthielt. Gleich am Tag danach ließ er in der Zeitung Die Welt eine lange Replik drucken (Wahrheit wichtiger als Wirkung), in der er die erzieherisch-humanitären Zwecke seines literarischen Unternehmens mit einer gewissen Redundanz folgendermaßen zusammenfasste: »Die Fragen, die ich im Stück behandele, sind, wie der menschenfeindliche Aspekt der neuen Entdeckungen von uns abgewendet werden könne und wie der menschenfreundliche Aspekt der Entdeckungen zu fördern wäre«.532 Dass er dieses Kernproblem nicht in Deutschland, also »nicht im eigenen Hause«, sondern im amerikanischen Bereich lokalisiert habe, liege nur »an dem Umstand«, schloss Kipphardt mit einem für die deutsche Intelligenz sehr charakteristischen Seitenhieb auf die Absichten des US-Imperialismus, »daß es ein deutsches Atombombenprojekt glücklicherweise nicht gab, und, so hoffe ich, auch fernerhin nicht geben wird«. Kipphardt wandte sich hier vehement gegen den von Oppenheimer an die Adresse Deutschlands gerichteten Vorwurf des Vergessens, der Amnesie gegenüber der eigenen Schuld im Krieg.533 Und im 529 Brief vom 12. Oktober 1964. Abdgedr. in: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. I, 176). 530 »The whole damn thing was a farce, and these people are trying to make a tragedy out of it«. Zit. in: Abraham Pais, Robert P. Crease: J. Robert Oppenheimer: a life. Oxford, New York 2006, S. 268. 531 Brief vom 12. Oktober 1964. Abdgedr. in: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. I, 176). 532 Heinar Kipphardt: Wahrheit wichtiger als Wirkung. Heinar Kipphardt antwortet auf J.R. Oppenheimers Vorwürfe, in: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. oben), S. 175. Daraus auch das folgende Zitat. 533 »It seems to me that you may well have forgotten Guernica, Dachau, Coventry, Belsen, Warsaw, Dresden, Tokyo. I have not«. Brief vom 12. Oktober 1964. Abdgedr. in: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. oben), S. 165.

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Stück entwickelte er sein amerikanisches Gegenbild von einer Schilderung der aggressiven US-Politik her, die den Komplex Herrschaft und Freiheit implizierte und dem Zuschauer die Widersprüche der ›faschistischen‹ McCarthy-Ära und deren antidemokratische Konzepte verdeutlichen sollte. Kipphardts Atomdrama strebt vor allem danach, einen Einblick in die Hetze der »Kommunistenhysterie« (56) und des Antisowjetismus in der amerikanischen Gesellschaft der Zeit zu geben. Zugleich wirft aber das Stück auch eine ganze Reihe grundlegender Fragen des Atomdiskurses auf, die fast alle Autoren des Genres beschäftigen: die Berechtigung des Einzelnen zu Entscheidungen, die die Menschheit betreffen, die neutrale oder moralische Qualität der Entdeckungen, der Unterschied zwischen Gebrauch und Missbrauch der Wissenschaft. Ferner interessieren ihn Fragen nach den Grenzen von Funktion und Macht des Staates beim Schutz seiner Bürger in Kriegsfällen, aber auch beim Schutz ihrer Meinungsfreiheit. Dementsprechend groß sind im Drama die Figurenkonstellation und die Bandbreite der Motive, in denen sich die im Kalten Krieg vorkommenden Problematiken widerspiegeln. Dieses so großzügig konzipierte Spektrum an Möglichkeiten versucht Kipphardt in zwei Hauptanklagepunkte des Verfahrens einzuzwängen, die ganz verschieden sind und doch in dieselbe Richtung weisen; sie konvergieren nämlich in der kollektiven Psychose des red scare zur Zeit des McCarthyismus, die breite politische Bereiche erfasste und angeblich prosowjetische Verhaltensweisen als subversiv und gefährlich brandmarkte. Dramaturgisch hat Kipphardt die Konstruktion der Anklage gegen Oppenheimer um zwei Handlungskerne herum aufgebaut: erstens Oppenheimers frühere Beziehungen zu kommunistischen Freunden und Verwandten und zweitens seine fehlende Unterstützung bei der späteren Entwicklung der Wasserstoffbombe. Diese Unterscheidung von privater und öffentlicher Sphäre, von fernliegender und naher Vergangenheit entspricht dem strukturellen Aufbau des Stücks in zwei dem Umfang nach ungleichen Teilen. Der erste, längere Teil behandelt in sechs Szenen, die durch kurze reflektierende, kommentierende und desillusionierende Zwischenszenen / la Brecht unterbrochen sind, die Figur Oppenheimers als fellow traveller, als »Mitreisenden« – wie sich der Protagonist im Text selbst mehrmals bezeichnet – der kommunistischen Partei, begleitet die Jahre der Entwicklung der A-Bombe und enthält die Vernehmung der Zeugen. Der zweite Teil konzentriert sich hingegen auf die Frage der Zuverlässigkeit Oppenheimers aufgrund seiner zögerlichen Einstellung gegenüber dem Bau der H-Bombe. Zwei Themenfelder, die die Brenn- und Ausgangspunkte der politisch-historischen Atomdebatte der Nachkriegszeit in sich tragen. Kipphardt selbst war sich der Wichtigkeit und hohen Beispielhaftigkeit Oppenheimers für die Diskussion der Zeit sehr wohl bewusst. Für ihn ist in so

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einem Fall »die ganze Atomproblematik wie in einem Ei«534 eingeschlossen; eine Repräsentativität, die auch der Anwalt des Angeklagten, Garrison, zum Gegenstand einer fast metaliterarischen Reflexion macht, als er feststellt, dass es bei der Anhörung nicht um »Tatsachen« geht, sondern um Oppenheimer »als politisches Exempel« (28). Es genügt diesbezüglich, die Fragen der Textprojektionen am Ende jeder Zwischenszene zu lesen, um die politische Signifikanz der Themenstellung zu erkennen: »Sind ehemalige kommunistische Sympathien mit geheimer Kriegsarbeit vereinbar?« (23); »Darf ein Mensch seiner Ansichten wegen verfolgt werden?« (29); »Was sind Physiker für Leute?« (34); »Was ist absolute Loyalität? Gibt es eine hundertprozentige Sicherheit? Was wäre ihr Preis?« (39). Überhaupt berührt das Stück wichtige Dimensionen von Privatheit und Öffentlichkeit und enthält eine Vielzahl von Motiven und Problematisierungen der Überwachung. In diese Richtung gehen z. B. die vom Ausschussmitglied Evans geäußerten Zweifel am modernen Sicherheitsverfahren: »Wird noch mehr Unterwerfung benötigt?«; »Hat Los Alamos die Physik in eine militärische Disziplin verwandelt?«; »Ist der Totalitätsanspruch des Staates unabweisbar geworden?« (22). Ein Kondensat der historischen Etappen und der politisch-psychologischen Aspekte des Kalten Kriegs ist der Text allerdings in mehrfacher Hinsicht. Erwähnt werden im Werk aktuelle Ereignisse und zentrale Begriffe in der politischen Debatte der Zeit wie der Kriegsschauplatz Korea (71), die Balkankrise (95), das China-Debakel (76), das amerikanische Dringlichkeitsprogramm (76–78), der Nuklearkrieg als »Präventivkrieg« (71), das »Gleichgewicht des Schreckens« (103), die »mögliche Apokalypse« (69), die Kategorien von Geheimdienst und Spionageabwehr (43). Aber schon der Oppenheimer-Stoff an sich scheint alle klassischen Requisiten aufzuweisen, mit denen die Wissenschaftlerdramen ausgestattet sind. Durch den üblichen Begriff einer nur partiellen Verantwortung der Wissenschaft in Abgrenzung von derjenigen der Politik bemüht sich der Protagonist, seine Teilnahme am Manhattan-Projekt zu rechtfertigen, um sich zu ›entlasten‹: »Wir waren Physiker, keine Militärs, keine Politiker […] Es war eine fürchterliche Entscheidung« (15), erklärt er. Und später fügt er verschärfend hinzu: »ich habe gesagt, daß es nicht unsere Entscheidung war, die Bombe zu werfen« (66). Ebenso typisch für das im ganzen Atomdrama als ›schizophren‹ thematisierte Denken der Wissenschaftler ist die Spannung zwischen der Idee und deren tödlicher Wirkung, zwischen »Vermessenheit« und »Sünde« (16). Diese besondere Bewusstseinsspaltung der Atomphysiker, dieses Schwanken zwischen der Illusion von Ohnmacht (»Wir hätten jede Art von Waffe gemacht«, 65) und der Einsicht in die Tragweite der Erfindung, das leitmotivisch das Atomtheater 534 Brief vom 23. Juli 1960 an Helmut Pigge (Süddeutscher Rundfunk). Abgedr. in: Heinar Kipphardt: Materialien (Anm. oben), S. 119.

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durchzieht, bestimmt auch den Ablauf der Gerichtsverhandlung in Kipphardts Spiel. Schon die provokatorischen Fragen des Anklägers legen den Finger auf die paradoxe Wunde des modernen Physikers, der »wissenschaftlich begeistert und menschlich tief erschrocken« (68) sein kann: Oppenheimer : Ich war von den sehr verlockenden wissenschaftlichen Ideen begeistert. Robb: Sie fanden die wissenschaftlichen Ideen zur Herstellung einer Wasserstoffbombe verführerisch und wundervoll, und Sie fanden das mögliche Ergebnis, die Wasserstoffbombe, abscheulich. Ist das richtig? Oppenheimer : Ich glaube, das ist richtig […]. (67–68)

In der inneren Unvereinbarkeit dieser Grundgedanken erkennt auch der positiv eingestellte Evans – wohl der Einzige in der Kommission, der für Oppenheimer Partei ergreifen wird – »den Widerspruch, einerseits eine Sache voranzutreiben, deren Ergebnis man andererseits fürchtet« (71). Mitunter kann aber sogar diese Furcht »eine zweifache« sein, wie Oppenheimer selbst seine Wahrnehmungen nach der Explosion in Alamogordo beschreibt: »Die Furcht, der Test könne mißlingen, und die Furcht, er könne gelingen« (72). Und da gingen ihm durch den Kopf zwei entgegengesetzte Verse »aus dem Gesang der Hindus«, der Bhagavadgita, bei denen sich der als Gott idolisierte Physiker wie ein Schöpfer und ein Zerstörer vorkommt und seine eigene Macht über Leben und Tod erkennt. Der eine: »Wenn das Licht aus tausend Sonnen am Himmel plötzlich hervorbräche, das wär der Glanz des Herrlichen.« Der andere: »Ich bin der Tod, der alles raubt, Erschütterer der Welten.« (72)

Immer wieder beschwört der Text solche Divergenzen in allen möglichen thematischen, dennoch manchmal sprachlich kaum variierten Formen. An einer anderen Stelle gibt Oppenheimer zum Beispiel noch einmal explizit zu, bei dem Bau der Super 1951 »von den wissenschaftlichen Ideen fasziniert« gewesen zu sein und sie darum, »aller Skrupel ungeachtet« (66), in kurzer Zeit gebaut zu haben. Nicht minder ambivalent als diese häufige Kombination von Faszination und Skrupel ist die zentrale Kategorie von Loyalität und Loyalitätskonflikt – der eigentliche Drehpunkt des Gerichtsverfahrens –, die oftmals angesprochen und in bestimmte Beziehungsmuster eingebunden ist. Es geht mal um »absolute Loyalität« (39), mal um »Loyalität einem Bruder gegenüber«, mal um Loyalität »gegenüber dem Staat« und mal »der Menschheit gegenüber« (68); es geht um »geteilte« (30), »ungeteilte« (68) und selbst um »unbewußte« (101) Loyalität. Das Doppelproblem der Treue gegenüber der hohen Instanz der Regierung einerseits und der Gewährung des Spielraums des Einzelnen andererseits grenzt an das

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Gebiet der Moral. Denn es involviert die Frage, wo die Loyalität gegenüber einem Staat beginnt und wo sie endet, ein Dilemma, bei dem Oppenheimer versichert, der Staatsloyalität immer »den Vorrang« gegeben zu haben, ohne sich natürlich von Skrupeln freimachen zu können (»obwohl ich meine starken Zweifel behielt«, 68). Für diese Art Bedenken taucht im Text wiederholt der bereits erwähnte Terminus ›Skrupel‹ auf, mit dem das Begriffsfeld ›moralisch‹ hinterfragt und ständig relativiert wird, eine kritische Relativierung, zu der der Protagonist selbst den Zuschauer auffordert: »Robb: ›Wann? Wann bekamen Sie hinsichtlich der Entwicklung der Wasserstoffbombe moralische Skrupel?‹. Oppenheimer : ›Wir wollen das ›moralisch‹ weglassen‹« (65); und er wiederholt die Aufforderung später fast wortwörtlich noch ein zweites Mal: »Ich bat Sie schon einmal, die Kategorie des Moralischen wegzulassen, das verwirrt« (69). Jenseits der Moral, des herkömmlichen Begriffs von ›Schuld‹ befindet sich für Oppenheimer, wie für die ansehnliche Schar von Physikern, die ihm auf der Bühne vorangegangen ist, die Kluft zwischen Erfindung und deren perverser Anwendung: »Es ist nicht die Schuld der Physiker«, beteuert er, »daß gegenwärtig aus genialen Ideen immer Bomben werden« (68). Er selbst gesteht unverhohlen, »keine Schuld« (108) an sich zu finden. Daraus entspringt eine Tragik, die sogar Staatsanwalt Robb aus seiner Sicht nicht bestreitet, indem er sie auf den Widerspruch zwischen den »unbewußt oder unterbewußt« befolgten »utopischen Idealen einer internationalen klassenlosen Gesellschaft« und der »Loyalität den Vereinigten Staaten gegenüber« (101) zurückführt. Es ist die Tragik eines Verbrechens, das mit den anderen nichts gemein hat, eine neuartige Definition von Vergehen, für die es gilt, neue Maßstäbe zu begründen, neue Wörter zu prägen. Ein solches ist der Begriff ›Gedankenverrat‹, den Robb in seinem Plädoyer prägt: »Es liegt eine Form des Verrats vor, die unsere Gesetzbücher nicht kennen, der Gedankenverrat, der aus den tiefen Schichten seiner Persönlichkeit kommt und die Handlungen eines Mannes gegen dessen Willen unaufrichtig macht« (101). Damit wird die Sphäre dessen umrissen, was den Zwiespalt des modernen Forschers in geradezu exemplarischer Weise vorführen soll. Deshalb nimmt auch die Titelfigur die Kategorie des Gedankenverrats in ihrem Schlusswort wieder auf, wo der Verratsbegriff in einen neuen Zusammenhang rückt: ›Verraten‹ seien hier nicht der Staat, sondern die Gedanken, die »Ideen des Kopernikus«, die »Entdeckungen Newtons«. Der Protagonist muss sich daher fragen, ob die Physiker »den Geist der Wissenschaft nicht verraten haben«, als sie ihre Arbeit »den Militärs überließen« (109). Am Ende steht Kipphardts Oppenheimer verzweifelt und ratlos da und lässt an dieser Stelle jene Parallelisierung zwischen der militärischen Anwendung der Physik und der dämonischen Natur der Schuld bei den Forschern zustande kommen (»wir haben die Arbeit der Militärs getan«, »Wir haben die Arbeit des Teufels getan«), die den amerikanischen Atomwissenschaftler so irritiert hatte.

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Ganz anders als dieser Ausschuß frage ich mich infolgedessen, ob wir Physiker unseren Regierungen nicht zuweilen eine zu große, eine zu ungeprüfte Loyalität gegeben haben […]. Wir haben die besten Jahre unseres Lebens damit verbracht, immer perfektere Zerstörungsmittel zu finden, wir haben die Arbeit der Militärs getan, und ich habe in den Eingeweiden das Gefühl, daß dies falsch war […]. Wir haben die Arbeit des Teufels getan, und wir kehren nun zu unseren wirklichen Aufgaben zurück. (109)

Mit der selbstkritischen Forderung nach einer Rückkehr der Forschung zu ihrem längst vergessenen Aufgabenfeld im Dienste des Menschheitswohles schließen Oppenheimers Plädoyer und Kipphardts Dokumentarstück. Die Nachbemerkung des Autors mit der ästhetisch begründeten excusatio gegenüber dem Amerikaner sollte dem Werk einen Zusatz hinzufügen, der ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen im politisch-kulturellen Klima des Kalten Kriegs darstellt. Lotte Bartelheimer, Maximilian Nutz (Hrsg.): Materialien. Heinar Kipphardt. »In der Sache J. Robert Oppenheimer«. Stuttgart 1984. Felix Butzlaff: Von Atombomben und Kommunisten. Heinar Kipphardt und das Dokumentarische Theater der 1960er Jahre. In: Robert Lorenz, Franz Walter (Hrsg.): 1964 – das Jahr, mit dem ›68‹ begann. Bielefeld 2014, S. 55–66. Ferdinand Fasse: Heinar Kipphardt. In der Sache J. Robert Oppenheimer. München 1988. Sven Hanuschek: Heinar Kipphardt. Berlin 1996. Ferdinand van Ingen: Heinar Kipphardt. In der Sache J. Robert Oppenheimer. Frankfurt 1978. Walter Karbach: Mit Vernunft zu rasen: Heinar Kipphardt. Studien zu seiner Ästhetik und zu seinem veröffentlichten und nachgelassenen Werk. Oberwesel 1989. Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer. Ein Stück und seine Geschichte (1964). Reinbek bei Hamburg 2002. Ders.: Schreibt die Wahrheit. Essays, Briefe, Entwürfe. Bd 1: 1949–1964. Reinbek bei Hamburg 1969. Hans Kügler : Dichtung und Naturwissenschaft. Einige Reflexionen zum Rollenspiel des Naturwissenschaftlers in B. Brecht, Das Leben des Galilei, F. Dürrenmatt, Die Physiker, H. Kipphardt, In der Sache J. Robert Oppenheimer. In: Ders.: Weg und Weglosigkeit. Neun Essays zur Geschichte der deutschen Literatur im zwanzigsten Jahrhundert. Heidenheim 1970, S. 209–235. Lothar Kusche: Wissen um die Physiker. »In der Sache J. Robert Oppenheimer« von Heinar Kipphardt. Notizen zur Regie für die Aufführung am Berliner Ensemble. In: Theater der Zeit (1965), H. 10, S. 21–23. Stephan Lohr : »Literatur, die die Wahrheit nicht beschädigt«. Hinweise, Materialien und ein Interview mit dem Autor zu Kipphardts »In der Sache J. Robert Oppenheimer«. In: Praxis Deutsch (1980), H. 39, S. 54–60. Tsutomu Moriya: Aus dem Archiv : Physiker-Figuren in Heinar Kipphardts »In der Sache J. Robert Oppenheimer«. In: Sven Hanuschek, Laura Schütz (Hrsg.): Stören auf lustvolle Weise. Heinar Kipphardt zum Neunzigsten. Hannover 2014, S. 97–118.

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Edgar Neis: Erläuterungen zu Heinar Kipphardt. In der Sache J. Robert Oppenheimer. Hollfeld 1985. Manfred Nössig: Physik und Gesellschaft. »In der Sache J. Robert Oppenheimer« von Heinar Kipphardt im Berliner Ensemble. In: Theater der Zeit (1965), H. 11, S. 9–11. Helga Raulff: Strahlungen. Atom und Literatur. Mit zum Teil unveröffentlichten Texten von Hermann Broch, Hans Blumenberg und Karl Löwith. Kommentiert von Marcel Lepper, Jan Bürger und Reinhard Laube. Marbach am Neckar 2008, S. 97–110. Jürgen Scharfschwerdt: Heinar Kipphardt: »In der Sache J. Robert Oppenheimer«. In: Interpretationen. Dramen des 20. Jahrhunderts. Bd. 2. Stuttgart 1996, S. 182–201. Carl Steiner : Heinar Kipphardt, »Robert Oppenheimer« and »Bruder Eichmann«: Two plays in search of a political answer. In: Heinz D. Osterle (Hrsg.): America! New Images in German Literature. German life and civilization 2. New York 1989, S. 199–211. Adolf Stock: Heinar Kipphardt. Reinbek bei Hamburg 1987. Christian W. Thomsen: Die Verantwortung des Naturwissenschaftlers in Mary Shelleys »Frankenstein« und Heinar Kipphardts »In der Sache J. Robert Oppenheimer«. Zur literarischen Gestaltung eines Problems. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht (1971), H. 1, S. 16–26. Silvia Volckmann: Auf ideologischem Schlachtfeld. Heinar Kipphardt: »In der Sache J. Robert Oppenheimer«. In: Walter Hinck (Hrsg.): Geschichte als Schauspiel. Deutsche Geschichtsdramen. Frankfurt a. M. 1981, S. 322–389. Franz Vossen: Oppenheimer-Stück. In der Sache Jean Vilar. In: Der Spiegel, 16. Dezember 1964, S. 86–87. Manfred Wekwerth: »In der Sache J. Robert Oppenheimer« von Heinar Kipphardt. In: Ders.: Notate. Über die Arbeit des Berliner Ensembles 1956 bis 1966. Frankfurt a. M. 1967, S. 144–167.

73.

Armin Stolper: Zwei Physiker (1965)

Autor : Armin Stolper (1934) Darbietungsform: Szenenfolge in 22 Szenen mit Prolog, Epilog und Zwischenszenen Uraufführung: 8. Mai 1965, Bühnen der Stadt Gera Ort: Moskau Zeit: Gegenwart

Eher eine lose dramatische Szenenfolge als ein Bühnenstück ist schon im Untertitel die Unchronologische Geschichte, die Armin Stolper 1965 nach dem kurz zuvor erschienenen und gleich ins Deutsche übersetzten Roman Dem Gewitter entgegen des Russen Daniil Granin schrieb. Allerdings ist dies nur eine der vielen Adaptionen sowjetischer Vorlagen, denen sich Stolper auf einer Linie mit vielen anderen DDR-Autoren zuwandte.535 Obwohl das Spiel Zwei Physiker nicht spe535 S. dazu den Kommentar von Haase zur ›produktiven‹ Verwendung sowjetischer Literatur in der DDR-Literaturgeschichte: »Da die Autoren der Sowjetunion die entwickelte sozialistische Gesellschaft bereits eher abbildeten als die Künstler befreundeter Länder, vermochte

Armin Stolper: Zwei Physiker (1965)

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zifisch auf die Nuklearfrage fokussiert ist, bestand Stolpers Hauptanliegen bei der Dramatisierung darin, »die neue Rolle des Wissenschaftlers mit den Mitteln des Theaters anschaulich zu machen«,536 wie der Rezensent der Berliner Zeitung betont. Der Text kann also durchaus in das weitverbreitete Genre der Wissenschaftlerdramen eingereiht werden und in diesem als Beispiel für eine aktive, ethisch bewusste und sozialistisch gestimmte Dramatik gelten. Zwei Physiker wurde ursprünglich für die Aufführung am Deutschen Theater in Berlin geplant.537 Da dieses jedoch – nach Ernst Schumachers Bilanz der Spielzeit 1964/65 – das Stück »als ›nicht tragend‹ in der Fabel«538 vom Spielplan absetzte, brachte es Wolfgang Pintzka, damaliger Theaterintendant in Gera, zum 20. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai 1965 dort zur Uraufführung. Laut Aussage des Regisseurs war aber auch die Geraer Premiere nicht vollends gelungen und die Inszenierung entbehrte nicht der Kritik an der allzu locker gefügten Szenenreihe539 und an der »(Blitzlicht)-Dramaturgie«.540 Das Werk wurde deshalb in neubearbeiteter Fassung an den Städtischen Theatern Karl-Marx-Stadt und, ein Jahr später, am Weimarer Nationaltheater gespielt. Kurz zuvor hatte Stolper, der sich allmählich in der DDR trotz seiner Jugend einen guten Ruf als Dramatiker errungen hatte,541 eine revidierte Version in der Beilage der Neuen Sozialistischen Dramatik zu Theater der Zeit publizieren können. Im einflussreichen Theaterorgan der DDR war anlässlich von Erwin Arlts Inszenierung in Karl-Marx-Stadt auch schon eine lange Rezension von Gerhard Horst erschienen, die Vorzüge und Nachteile von Stolpers experimenteller Herangehensweise an das Thema Wissenschaft und Verantwortung

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Stolper der innersozialistischen Problematik besonders interessante Aspekte abzugewinnen«, Geschichte der deutschen Literatur. Literatur der deutschen demokratischen Republik (Anm. II, 443), S. 672. Joachim Scholz: »Zwei Physiker«. Zum Gastspiel des Weimarer Nationaltheaters. In: Berliner Zeitung, 15. Oktober 1966, S. 6. Vgl. O. A.: Was gibt es Neues, Herr Stadtrat? Kultur nicht nur im Theater (Interview mit Ernst Hoffmann, Berliner Stadtrat für Kultur, Körperkultur und Sport). In: Berliner Zeitung, 6. März 1965, S. 6. Ernst Schumacher: Berliner Kritiker. Ein Theater-Dezennium 1964–1974. 2 Bde. Berlin 1975, Bd. 1, S. 70. Vgl. dazu auch ders.: Bilanz der Berliner Sprechbühnen. In: Berliner Zeitung, 5. August 1965, S. 6. Vgl. Erwin Reiche: Der Jugend Schwung nimmt alle Hürden. In Gera notiert von Dr. Erwin Reiche. In: Neue Zeit, 12. Juni 1965, S. 9: »Ist es eine Mode geworden, etwa um der Aktualität willen oder mangels ausreichender eigener Phantasie aus bedeutenden, vielschichtigen Prosawerken dramatische Szenenfolgen herauszudestillieren?«. Rainer Kerndl: Genie und Charakter. »Zwei Physiker« in Gera uraufgeführt. In: Neues Deutschland, 11. Mai 1965, S. 4. Vgl. Klaus Siebenhaar: »Der freundliche Blick auf die Widersprüche«. Volksstücktradition und Realismus im DDR-Drama. In: Ulrich Profitlich (Hrsg.): Dramatik der DDR (Anm. I, 5), S. 375–396, und Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945–1966 (Anm. I, 10), S. 514– 515.

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

erwog und das Ganze als »gedankliche[s] Puzzlespiel«542 bewertete. Tatsächlich wirkt die stark episodenhafte Gestaltung des in der Atomdramatik der Nachkriegszeit fast kanonisch gewordenen Motivs der Wissenschaftsverantwortung – mit Zwischentexten in Versform und Vor- und Rückblenden – etwas kompliziert und zerebral, und es fällt dem Leser und Zuschauer sicher nicht leicht, die eingeblendeten Zeitebenen auseinanderzuhalten und den Ablauf des Geschehens zu verfolgen. Die Zusammenfassung des Werks im Karl-Marx-Städter Programmheft versucht, den Inhalt mit dem ideellen Sinn des Spiels in Zusammenhang zu bringen: Stolpers Zwei Physiker sei ein Stück »von der Jugend, ein Stück über das Schöpfertum der jungen Generation. Es ist ein Stück von den Schwierigkeiten des Schöpfertums«.543 Zweifellos enthält der Text theoretisch-philosophische Passagen, die die verschiedenen Auffassungen über Wissenschaft und Ethos, über das Verhältnis der Forschung zum Staat und die staatliche Funktion bei der Förderung und Kontrolle der Wissenschaft, über Grenzen und Perspektiven von Innovation und Technik erörtern. Die Eingangsworte des Prologs stellen Disparates in den Raum – Freunde und Feinde, »Leid und Glück«, »Vernunft« und »Leidenschaft«, »Bürokraten« und »Helden«, »Gegner« und »Parasiten« –, deuten aber auch gleich auf Stolpers Intention hin: Sie sehen, es geht um solche Sachen, Die uns und ihnen Sorgen machen; Um Widersprüche, Schwierigkeiten, Die auftreten beim Vorwärtsschreiten, Dann, wenn der Mensch die Wissenschaft Benutzt als produktive Kraft.544

Die Wissenschaftler des Titels sind zwei junge sowjetische Physiker, die Gewitterforschung betreiben und sich mit riskanten Flugexperimenten messen. In ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten verkörpern sie zwei Ansätze, die im Stück ausdrücklich zur Diskussion stehen: Der eine, Tulin, ist ein begabter und vorwärtsdrängender Typ, der in den Dienstbeziehungen eine gewisse ›Taktik‹ nicht verschmäht. Darum will er auch alles sofort erreichen, gibt aber umso schneller auf, wenn man es ihm nicht gestattet. Hingegen erweist sich der andere, Krylow, im Laufe der Handlung immer mehr als die Inkarnation des sozialis-

542 Gerhard Horst: Neues zum Spielzeitschluss: »Zwei Physiker«. In: Theater der Zeit (1965), H. 15, S. 8. 543 Zit. in: ebd., S. 9. 544 Armin Stolper: Zwei Physiker : ein Stück nach dem Roman »Dem Gewitter entgegen« von Daniil Granin. In: Neue sozialistische Dramatik (1965), Nr. 31. Sonderheft zu: Theater der Zeit 24 (1965), S. 1.

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tischen Helden, der Diffizilitäten erkennt, eine argumentative Dimension hat und sich mit kleinen, aber sicheren Schritten auf den Weg zum Ziel begibt. Gleich zu Beginn des Stücks wird die zentrale Frage verhandelt, ob im Dienste der Wissenschaft sogar Menschenopfer gebracht werden müssen. In der ersten Szene soll eine Kommission abschätzen, ob die gefahrvollen Testflüge nach einem schweren Unglück fortgesetzt werden sollen. Mit der Beschreibung des Unfalls fängt die eigentliche Handlung an. Als sich die Kommission für den Abbruch der Experimente entscheidet (»Die Flüge werden eingestellt«, 3), reagieren die Protagonisten unterschiedlich. Tulin »kapituliert« (3), wie der kommentierende erste Zwischentext unterstreicht, während Krylow, der »standhaft und fest« (3) erscheint, sich nicht geschlagen gibt. Der Autor will ihr Verhalten vor dem Publikum motivieren und greift auf die Vergangenheit (»Wir drehen die Zeit jetzt um Jahre zurück«, 3) und auf die Entstehung ihrer Freundschaft in Leningrad zurück. Eine Gruppe von Rückblenden unterbricht hier den dramatischen Ablauf, um die Geschichte von Krylow zu rekonstruieren, von der Zeit des Leningrader Studiums bis zu seiner heutigen Situation. Diese ersten retrospektiven Szenen leben von Disputen und Sentenzen, die manchmal »wie AperÅus um ihrer selbst willen in der Luft standen«,545 und von gelehrten Darlegungen über Ziel und Methodik wissenschaftlicher Experimente. Die Hauptdebatte findet statt zwischen Vertretern der »reinen Welt der Wissenschaft« (8), wie Dankewitsch, und »Kalkulator[en]«, wie Lagunow, der Dankewitsch aus dem Weg räumt und dessen leitende Funktion annimmt. Dankewitsch, der vor Gram stirbt, wird als Prototyp einer demokratischen Auffassung dargestellt, der die Wissenschaft mit dem Ideal einer sozialistischen Gesellschaft konjungiert: Der Wissenschaftler darf jede Frage stellen, jede Behauptung anzweifeln, für alles den Beweis fordern. Seine Arbeit gründet sich nicht auf die Macht der Autorität, sondern auf die Beweiskraft von Fakten, Fakten sind von ständigem Wert, Ideen wechseln. Ich arbeite an wissenschaftlichen Themen und jeder, der etwas kann, kann mitreden. In der Wissenschaft herrscht Demokratie. Wenn sich eine Ansicht als Irrtum entpuppt, braucht man mit dessen Aufdeckung nicht jahrelang zu warten. (7)

Sein Schüler, Krylow, lässt sich aber in einer »Kampagne gegen Dankewitsch« manipulieren und trägt zu dessen Ruin bei. Am Ende dieser Bildergruppe evoziert ein Zwischentext noch einmal das Unglück der havarierten Maschine, aufgrund dessen man den beiden Titelfiguren das Projekt entziehen will, und Tulins schon erwähnte resignierte Haltung. Es folgt eine neue Reihe von Rückblenden nach Moskau, die der Entwicklung der Gedankenwelt Tulins als Student, Privatmensch und Wissenschaftler gewidmet sind. Ein stark geraffter 545 Rainer Kerndl: »Zwei Physiker« – Variante II – Karl-Marx-Städter Inszenierung zur 800Jahr-Feier. In: Neues Deutschland, 30. Juni 1965, S. 4.

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Überblick der Stationen seines Lebens skizziert das Studium und lässt daraus die fast besessene Hartnäckigkeit hervorgehen, mit der Tulin, gegen die Meinung seines Widersachers Professor Golyzin, am Anfang die gewagten Flugtests durchgesetzt hatte. Der zweite Teil führt uns wieder in die Gegenwart zurück. Als die Handlung wieder einsetzt, sind vier Monate seit dem Kommissionsbeschluss vergangen. Tulin und seine Verlobte Shenja verzichten endgültig auf ihre Arbeit im Labor, in dem jetzt lediglich Krylow verbissen auf seiner Forschungsabsicht beharrt. Dabei entdeckt Krylow, inwiefern Tulins Methode irreführend gewesen ist. Dem ungestümen Vorgehen seiner Jugend folgen kluge Besonnenheit und Argumentier- und Kooperationsfähigkeit. Dank dieser Entwicklung kann er am Ende auch Professor Golizyn, der sich den Experimenten streng widersetzt hatte, vom Wert und Nutzen seiner Theorien überzeugen sowie das Zentralkomitee, das ihnen schließlich Recht gibt. Das wichtigste Resultat ist aber der Reifeprozess, den Krylow inzwischen durchlaufen hat. Denn mit ihm zielt Stolper auf die Gestaltung einer Figur, die sich von jener Reihe der von Hybris übermannten Physiker entfernt, die Freud und Leid der modernen Physik ausmachen. Seinem Krylow gelingt es hingegen, jedem wissenschaftlichen Größenwahn zugunsten der Teilnahme an einer neuen, den Kommunismus aufbauenden Gesellschaft zu entsagen. Der Widerspruch zwischen perspektivischer Wissenschaft und voreiliger Nutzanwendung der Entdeckungen, auf den das Theater gegen die Nuklearforschung ständig verweist, wird hier nicht beseitigt, erfährt jedoch eine partielle Lösung dank des Zusammenhangs des Einzelnen mit einer fortschrittlichdemokratischen Gesellschaft. Das Negativum, das sich in den meisten Physikerdramen als Scheitern der Physiker im Umgang mit den konkreten Instanzen der Wirklichkeit manifestiert, wendet sich durch die Figur von Krylow ins Positive und überwindet die Nachteile einer weltfremden Wissenschaft. Wilhelm Bortenschlager : Armin Stolper : Zwei Physiker. In: Ders.: Theaterspiegel. Ein Führer durch das moderne Schauspiel. Bd. 3, S. 410–412. Christine Cosentino: Bekehrter Held und Einzelgänger : Zu Fragen der DDR-Jugendproblematik bei Armin Stolper, Ulrich Plenzdorf und Reiner Kunze. In: The Journal of English and Germanic Philology 77 (1978), Nr. 4, S. 495–503. Gottfried Fischborn: Armin Stolpers Passion – das Theater. In: Weimarer Beiträge (1977), H. 7, S. 67–79. Ders.: Interview mit Armin Stolper. In: Weimarer Beiträge (1977), H. 7, S. 45–66. Ders.: Gespräch mit Armin Stolper. In: Theater der Zeit (1979), H. 1, S. 49–53. Ders.: Stückeschreiben. Claus Hammel, Heiner Müller, Armin Stolper. Berlin 1981, S. 127– 163. Gerhard Horst: Neues zum Spielzeitschluss: »Zwei Physiker«. In: Theater der Zeit (1965), H. 15, S. 8–10.

Hilde Rubinstein: Null Uhr Null (1965)

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Hermann Kähler : Arbeit und Persönlichkeit in Theaterstücken Armin Stolpers. Nachwort zu: Armin Stolper: Stücke. Berlin 1974, S. 341–356. Rainer Kerndl: Genie und Charakter. »Zwei Physiker« in Gera uraufgeführt. In: Neues Deutschland, 11. Mai 1965, S. 4. Ders.: »Zwei Physiker« – Variante II – Karl-Marx-Städter Inszenierung zur 800-Jahr-Feier. In: Neues Deutschland, 30. Juni 1965, S. 4. Erwin Reiche: Der Jugend Schwung nimmt alle Hürden. In Gera notiert von Dr. Erwin Reiche. In: Neue Zeit, 12. Juni 1965, S. 9. Ders.: Die dritte Variation. Deutsches Nationaltheater Weimar mit »Zwei Physiker«. In: Neue Zeit, 16. Oktober 1966, S. 4. Gunter Reus: Oktoberrevolution und Sowjetrußland auf dem deutschen Theater. Bonn 1978. Marlis Sailer : Untersuchungen zum dramatischen Werk von Armin Stolper. Diss. Halle 1981. Joachim Scholz: »Zwei Physiker«. Zum Gastspiel des Weimarer Nationaltheaters. In: Berliner Zeitung, 15. Oktober 1966, S. 6. Ingrid Seyfarth: Werkstattgespräch mit Armin Stolper. In: Theater der Zeit (1970), H. 4, S. 38–42. Klaus Siebenhaar : »Der freundliche Blick auf die Widersprüche«. Volksstücktradition und Realismus im DDR-Drama. In: Ulrich Profitlich (Hrsg.): Dramatik der DDR. Frankfurt a. M. 1987, S. 375–396. Armin Stolper: Zwei Physiker: ein Stück nach dem Roman »Dem Gewitter entgegen« von Daniil Granin. In: Neue sozialistische Dramatik (1965), Nr. 31. Sonderheft zu: Theater der Zeit 24 (1965). Ders. : Stücke. Berlin 1979.

74.

Hilde Rubinstein: Null Uhr Null (1965)

Autor : Hilde Rubinstein (1904–1997) Darbietungsform: Drama in 16 Phasen Uraufführung: nie aufgeführt Ort: imaginäre Stadt Menehat Zeit: unbestimmte Zukunft nach der Atombombe

Das umfangreiche Werk der vielgereisten Augsburger Schriftstellerin und Malerin Hilde Rubinstein, die in Deutschland als Jüdin und noch dazu als KPDMitglied Gefängnis und Vertreibung erlitt, entstand größtenteils nach ihrer Emigration nach Schweden. Hier ließ sie sich nach vielen erschütternden Erlebnissen nieder, darunter der enttäuschende Aufenthalt in Moskau, wo Rubinstein 1936 unter Anklage des Trotzkismus verhaftet wurde.546 In Schweden, 546 Vgl. Hilde Rubinstein: Ich wollte nichts als glücklich sein…: Gefängnistagebücher unter Hitler und Stalin, Erzählungen, Gedichte und Essays. Hrsg. von Maria Empting und Stefan Greif. Paderborn 1994.

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wo sie fast ununterbrochen lebte und in hohem Alter auch starb, veröffentlichte die Dichterin als Katarina Brendel den antinuklearen Roman Atomskymning (Atomdämmerung), für den sie 1952 den ersten Preis des Stockholmer Verlags Folket i Bild gewann. Die deutsche Fassung, die 1960 im Züricher Scheffel-Verlag erschien, kam aber, wohl auch wegen der schlechten Übersetzung,547 beim deutschsprachigen Publikum nicht gut an. In den folgenden Jahren arbeitete Hilde Rubinstein an der Dramatisierung des Romans, die sie 1965 beendete. Das nie veröffentlichte und nie aufgeführte Antiatom- und Antikriegsdrama, das auf Schwedisch, nach dem Namen des Handlungsortes, den Titel Menehat trägt und auf Deutsch Null Uhr Null heißt, ist mit einem Teil des Nachlasses im Archiv der Akademie der Künste Berlin aufbewahrt. Wie auch im späteren Theaterstück Tiefgefrorenes Reh548 will Hilde Rubinstein in Null Uhr Null vor den ruinösen Folgen einer leichtfertigen Nuklearpolitik warnen, Folgen, die hier nicht so sehr die politische und historische Ebene betreffen, sondern kapillarisch die tiefsten Zellen des sozialen und humanen Gefüges durchdringen. Das Geschehen verlegt die Dichterin in eine unbestimmte, allerdings nicht allzu ferne Zukunft, in der ein Atombombenabwurf die imaginäre Stadt Menehat völlig ausradiert hat. Nicht von ungefähr wählt Hilde Rubinstein für den Dramentitel die symbolische Chiffre der irreversiblen Nullifizierung. Die Konfrontation mit der versunkenen Welt von Menehat erwächst in der Fabel aus dem Willen der Hauptfigur Robert, in der nunmehr radioaktiven Stadt die dort verschollene Mutter zu finden. Dadurch koinzidiert die Suche nach der vermissten Mutter mit der Sehnsucht nach der verlorengegangenen Natur in einer Welt, die sich, wie wir sehen werden, als Anti-Natur konstituiert. In den 16 ›Dramenphasen‹ – wie sie der Untertitel bezeichnet – durchläuft der mutige Robert verschiedene Stationen einer als Reise konzipierten Handlung und bewältigt, wie ein Held der antiken Tragödie, verschiedene Schwierigkeiten wie Unterkunftsnot, Elend, Verwüstung, Leiden und Krankheit. Dabei trifft er, unterwegs und dann in Menehat selbst, auf vielerlei Figuren, die aus persönlichen oder allgemein politischen Gründen eine schwere Verantwortung für das Geschehene tragen und ethisch mehr oder minder schuldig sind. Insgesamt – trotz des stark mahnenden Tons antinuklearer und antikriegerischer Kritik – wirkt aber der Verlauf der Szenen eher zufällig und, in seiner manchmal fragmentarischen Verworrenheit, schwer zu deuten. Doch eines steht sofort fest: Die untergegangene Stadt Menehat begegnet uns gleich anfangs in der Form eines ganz und gar unattraktiven Ortes, dem man besser fernbleiben sollte. Schon in 547 Vgl. Anne Stürzer : Dramatikerinnen und Zeitstücke. Ein vergessenes Kapitel der Theatergeschichte von der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit. Stuttgart, Weimar 1993, S. 242. 548 S. unten, Teil II, Abschnitt 78.

Hilde Rubinstein: Null Uhr Null (1965)

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der ersten Zugszene – während der Fahrt, die um Punkt ›Null Uhr Null‹ beginnt – versucht ein Passagier, ein Orthopäde namens Simson, Robert von seiner Reise zur Stadt abzubringen (»Fahren Sie lieber nicht nach Menehat«, »Ich möchte Ihnen unangenehme Überraschungen ersparen«).549 Seinerseits fährt Simson, später als »Spekulant« (73) bezeichnet, wegen seiner vermeintlichen »Wohlfahrts-Organisation« (3) hin, da er, wie sich bald herausstellt, aus der Herstellung künstlicher Prothesen für die durch Atombombenexplosion und Strahlung geschädigten Opfer Gewinne erzielt. Die gruseligsten Bilder radioaktiver Verseuchung runden die Darstellung ab. Im Zug darf man die Fenster nicht öffnen, weil ein schlafender Passagier aus Menehat, dem übrigens an der rechten Hand drei Finger fehlen, »keine feste Hirnschale« (3) hat. Der Eindruck, den der Ort schon vom Zugfenster aus macht, ist der einer apokalyptisch anmutenden Landschaft. Der Blick der Passagiere schweift über ein desolates Panorama: »Hier ist es kahl wie auf dem Mond. Da! Die erste Ruine! Die Höhe hat sie noch – die Breite ist abgespalten« (5). Simson erklärt obendrein, dass eine ständige Dunstschicht das Licht verdunkelt: »wenn die Morgendämmerung aufhört, fängt die Abenddämmerung an. Hängt mit den Dunstschleiern zusammen« (5). Auch der Moment der Ankunft ist eindeutig negativ konnotiert. Robert sieht sich von »Ruinen und Ruinen« (7) sowie von künstlichen Ersatzszenarien umgeben, wie dem Stadtpark mit Papierrosen, wo ein der Natur entgegengesetztes Modell von anorganischem Leben auftritt. Alles ist hier »Stilleben […], nature morte. Mehr morte als Natur« (77). Kein frisches Leben gedeiht in Menehat, »nicht ein Grashalm, trotz Düngung« (46), kein Kind kommt zur Welt, weil »die Behörde jeden Mann hier steril haben will« (38). Kinderzeugen bedeutet daher »Mord in Menehat« (37): »Wir dürfen nicht Kinder kriegen«, sagen die Bürger, »[s]ie mißglücken meistens (31). Roberts Aufenthalt in der toten Stadt ist durch allerlei Missstände geprägt. Wegen »Unterkunftsmangel[s]« (23), wie es euphemistisch heißt, ist er in einer möblierten Gefängniszelle untergebracht. Inzwischen plant die Regierung der ohnehin schon vernichteten Stadt weitere zerstörende Nuklearmanöver, »Vorbereitungen für einen vorbeugenden Krieg«, mit denen das in den Atomdramen oft angesprochene Problem des Präventivkriegs gemeint ist, freilich als »hygienische Maßnahme«. In dem Zeitungsartikel, den Robert vorliest, steht deutlich und ausdrücklich: »Wenn eine Nation rüstet, müssen alle es tun, und wenn alle Nationen gerüstet sind, muß eine Entladung als hygienische Maßnahme betrachtet werden« (25). Um die Not- und Entbehrungslage zu verkraften, benebeln sich die Bewohner mit Gleichgültigkeitstabletten, die ihnen ein skrupelloser Arzt verschreibt, was am Anfang allerdings auch bei Robert ganz gut klappt, wie der Arzt selbst konstatiert: »bei Ihnen haben die Gleich549 Hilde Rubinstein: Null Uhr Null (Anm. I, 337), S. 3.

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gültigkeitstabletten ungewöhnliches Entgegenkommen bewirkt. Sie werden kaltsinniger werden als ein mittelalterlicher Henker« (45). Die Bevölkerung berauscht sich mit Alkohol (»Traumwasser«, »Wasser des Vergessens«, 45), um die Strahlungsschmerzen zu lindern oder auch nur ihre Schuld zu verdrängen. Das ist eben der Fall des gutmütigen Spritty, mit dem Hilde Rubinstein ihre Version des Pilotenmotivs liefert. Die Autorin lässt im Stück ein gutes, ja entlastendes Wort für ihn einlegen. Spritty, der sich am Ende als der ehemalige »Armeeflieger« (71) erweist, der »den Höllenpilz« (69) auf die Menschen warf, bereut es nun. Im Grunde ist er ein guter Teufel und wird von seinen Mitmenschen als »Soldat« gerechtfertigt, der letzten Endes nur »seine Pflicht erfüllt hat«. Er sei praktisch bloß ein »Werkzeug« gewesen, ein Rädchen im Getriebe, das sich kaum wehren konnte. Es hätte auch wenig Sinn gemacht: »Sie hätten dich bloß eingesperrt und einen andern genommen« (70), versucht ihn ein Mitbürger zu trösten. Angesichts der Unabwendbarkeit dieses vom Menschen selbstverschuldeten Untergangs, den Rubinstein ab und zu mit fast spöttischem Humor schildert, ist eine wenn auch im Stück etwas konfus profilierte Rückkehr in eine bessere Welt das einzige Mittel, um eine Kehrtwendung zu vollziehen. Als alles verloren zu sein scheint, weist der Text auf jene letzte Spur von lebendiger Natur hin, die in der Sphäre des Gedächtnisses übrig geblieben ist. Die Natur überlebt wenigstens als narrative Erinnerung in der Vergangenheit des Protagonisten, der aus einer idyllischen, ja arkadischen Herkunftslandschaft gekommen war : »unser Land«, erzählt er sehnsuchtsvoll, »ist ein saftiger Erden-Garten mit Wäldern und Tieren, unserer Wonne. Und wir lieben nicht nur mit dem Herzen oder mit dem Unterleib, sondern mit beiden Teilen und mit dem Kopf dazu« (47). Und die Natur soll in der Kunst überleben. Deshalb überlässt es Hilde Rubinstein ihrem Helden, der (genauso wie seine Autorin) einmal ein Maler gewesen war, zu entscheiden, ob er die negativen Erscheinungen des Untergangs passiv dulden oder sich aktiv damit auseinandersetzen möchte, um ein Gegenbild zu entwerfen, das einen Ausweg aus der Katastrophe aufzeigen kann. Schon nach der Ankunft in Menehat lässt sie Robert seine Kunst in den Dienst der Körpergliederrekonstruktion stellen. Der ursprünglich Landschaftsmaler gewesene Robert zeichnet fehlende Gesichtsteile und nimmt sich verschiedener Extremfälle an, nasen- und ohrenlosen Menschen, einer Frau mit »Gesichtskrater« (28), Krüppel, die »Mutationskrüppel« (29) sind, Menschen die auf einen unförmigen Rumpf reduziert sind. Gegenüber Simson, der ihm alberne Sentimentalitäten vorwirft und von einem Künstler nur Schönheit fordert, träumt er davon, »das Häßliche ins Schöne zu verwandeln« (28). Am Ende wird ihm daran liegen, dem Menschen den aussichtslosen Zustand, in dem er sich befindet, bewusst zu machen und ihm schon dadurch den richtigen Weg zu weisen. Wie seine ›Scheuerfrau‹ mit Zyklopenauge sagt, muss er dazu aber die Reise zurück in die Welt machen.

Helmut Schilling: Experiment René (1966)

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Um wirken zu können, muss er Menehat verlassen, das eben nur eine »Station« seiner Entwicklung war. Psychoanalytisch wird seine künftige Aufgabe als Möglichkeit gedeutet, der Menschheit die erlebte Hölle vor Augen zu stellen. Robert wird nun »Kulissen malen, zu ›Orfeus in der Unterwelt‹« (77). Die düstere Perspektive von Menehat wird vielleicht dem Menschen helfen, das Böse zu vermeiden und auszumerzen. Die letzte Regieanweisung vor dem Wort ›Ende‹ erklärt Roberts Schritt, seinen Gang durch die Tür zusammen mit der einäugigen Frau, als Eingang in ein neues Leben: »Die Scheuerfrau öffnet mit mächtigem Stoß die Tür, nimmt Roberts Hand in ihre große Arbeitshand und rast mit ihm davon. Durch die offene Tür sieht man die beiden laufen« (80). Dabei begleitet sie auf der Bühne der wehmütige Klang einer Flöte. Peter Czoik: Hilde Rubinstein. In: Autorenlexikon. Literaturportal Bayern, unter URL: https://www.literaturportal-bayern.de/autorenlexikon?task=lpbauthor.default& pnd =11913845X. Anneliese Mehlmann: Ku¨ nstler und Mensch Hilde Rubinstein. Eine Bio-Bibliographie. Stockholm 1970. Hilde Rubinstein: Atomdämmerung. Zürich 1960. Dies.: Null Uhr Null (1965). In: Hilde-Rubinstein-Archiv. Akademie der Künste Berlin. Signatur : Rubinstein 17. Dies.: Ich wollte nichts als glücklich sein…: Gefängnistagebücher unter Hitler und Stalin, Erzählungen, Gedichte und Essays. Hrsg. von Maria Empting und Stefan Greif. Paderborn 1994. Claudia Schoppmann: Rubinstein, verheiratete Weinreich, Hilde. In: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 157–158. Anne Stürzer : Dramatikerinnen und Zeitstücke. Ein vergessenes Kapitel der Theatergeschichte von der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit. Stuttgart, Weimar 1993 (über H. R.: Hilde Rubinstein – eine emanzipierte Kommunistin, S. 50–55; In Schweden isoliert: Hilde Rubinstein, S. 150–158). S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 78.

75.

Helmut Schilling: Experiment René (1966)

Autor : Helmut Schilling (1906–1984) Darbietungsform: Schauspiel Uraufführung: 7. April 1966, Atelier-Theater Bern Ort: Zimmer einer europäischen Stadt Zeit: Gegenwart

Der Titelheld von Experiment Ren8 vom Berner Schriftsteller und Journalisten Helmut Schilling, der sich mit dem Nuklearthema schon in seinem frühen

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Drama Passagier sieben befasst hatte,550 gehört in die Galerie jener Physiker von puristischem Typus, welche die Liebe zur Wissenschaft mit der zur Menschheit verbinden, um die Anerkennung ihrer Ideale kämpfen und dafür Familienglück, Ruhm und Reichtum opfern. Als das Atelier-Theater in Bern das Stück zur Uraufführung brachte, begrüßte man darin die Erfüllung einer »ethische[n] Aufgabe«, die Inszenierung eines Werks, »das die Erlösung der Menschheit von der Atomfurcht zum Thema hat«.551 Gleich zu Beginn wird die im Titel genannte Figur mit allen Attributen des Schwärmers ausgestattet. Als der Physiker Ren8 Daguet, in einen weißen Arbeitskittel gekleidet, die Bühne betritt, heißt es über ihn in der Regieanweisung, er sei »der idealistische verschrobene Sucher«.552 Im Werk häufen sich die Epitheta Idealist, Träumer, Mensch der Illusionen. Selbst seine Frau H8lHne apostrophiert Ren8 als »[e]rdfremd! Weltfremd!« (6), er habe engelhafte Vorstellungen, »schneerein! Makellos!« (61). Nicht von ungefähr ist von einer »Strickleiter« (13, 54, 72) zum Himmel, wie schon der ursprüngliche Titel andeutete,553 mehrmals die Rede. Ren8 sei auf einer »Strickleiter irgendwo in den Wolken« (13), und darauf phantasiere er (»du träumst auf deiner Strickleiter«, 72). Genauso wie Professor Brückmann in Curt Langenbecks Schauspiel Der Phantast554 wird auch Daguet als ein »Phantast« (6, 26) etikettiert, der die Erde »retten« (6) will. Radikal widersetzt er sich den »Theorien der Kernphysik«, die »sich bis heute fast nur mit dem Zerfall« (21) beschäftigen, und plädiert für eine neue Forschung: »Durch eure Formeln entfesselt ihr Energien«, klagt er die anderen Physiker an, »durch meine Formeln werde ich Energien bannen«. Sein Traum ist, die negativen Effekte atomarer Entdeckungen zu neutralisieren, kurz, die »Zerstörung der Zerstörungsidee« (6). Die Antagonisten zerreißen sein Wirken mit Spott und einer Kaskade von meistens herabwürdigenden Bezeichnungen: Ren8 wolle »seinen beglückenden Schleim über die Erde ziehen«

550 S. Teil II, Abschnitt 12. 551 Redaktionsnotiz o. A. in: Theater heute 7 (1966), S. 274. S. auch die Rezension der Neuen Züricher Zeitung, die Schillings Intentionen lobt, auch wenn sie dabei die verwendete »Schwarzweißtechnik« kritisiert: R. N.: »Experiment Ren8«. Uraufführung im Berner Atelier-Theater. In: Neue Züricher Zeitung, 13. April 1966, S. 4–5. Fast ein Jahrzehnt danach, am 26. März 1975, wurde die Hörspielfassung im ORF gesendet. 552 Helmut Schilling: Experiment Ren8 (Anm. I, 419), S. 2. Gesperrt gedruckte Worte sind hier kursiv wiedergegeben. Für das genaue Entstehungsdatum des Stücks gibt es jedenfalls keinen endgültigen Beweis. Habel gibt das Jahr 1959 als Jahr der Entstehung an. Vgl. Walter Habel (Hrsg.): Wer ist Wer? Das deutsche Who’s who. Berlin, Frankfurt a. M., Lübeck 1983, S. 1052. 553 Als Die Strickleiter erwähnt das Dramenlexikon von Allgayer eine mir nicht bekannte Fassung von 1960. Vgl. Wilhelm Allgayer, Friedrich Ernst Schulz: Dramenlexikon (Anm. II, 403), S. 35. 554 S. Teil II, Abschnitt 6.

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(24) und pflege »immer noch seine phantastischen Pläne zur Errettung der Menschheit«, die »doch zu nichts« (30) führten. Abwechselnd bewegt sich die straffe Handlung, in wenigen scharf zugespitzten Gestalten verkörpert, zwischen der Gegenwartssphäre und der Gedächtnisebene, die jeweils als zwischenszenische ›Vision‹ vorhanden ist. Eine Einblendung, die Zweite Vision, führt uns in die Vorgeschichte des Geschehens, zu den frühen Plänen des noch jungen Physikers. Die Ideale einer höheren und edleren Berufung werden hier durch Ren8s unbedingte Begeisterung für die reine Aufgabe seiner Wissenschaft nachdrücklich betont. So der Protagonist selbst im Dialog mit seiner künftigen Frau. Ren8: Ich muss etwas tun, was sich andere nicht zu tun getrauen. Alle reden sie von Kriegsgefahr ; wie Heilande laufen sie umher : Man müsste, man sollte! […] Nur : getan wird nichts. – Meinetwegen, wir sind keine Kerle mehr, unser Inneres ist ausgekohlt, verantwortungslos wie Maschinen. Wir Maschinen bauen Maschinen. Atomwaffen. Bedrohung. Hörst du noch zu? H8lHne: Du wirst die Bedrohung von uns nehmen. Ren8: Das ist es! Von uns nehmen – durch dieselbe Kernphysik, die meint, die Explosivkraft sei das Letzte, was wir erreichen können – um ihr dann ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Nein, H8lHne, genau so, wie wir die Formeln finden, Energien freizubekommen, müssen Formeln zu finden sein, Energien zu kontrollieren, vielleicht sogar in Materie umzuwandeln, Zerstörung der Zerstörungsidee. (20–21)

Der weitere Handlungsverlauf zeigt dann tatsächlich, wie Daguet auf die Chimäre schneller Gewinne verzichtet, ein kümmerliches, bewusst entbehrungsvolles Dasein führt – dabei die Folgen der harten wirtschaftlichen Bedrängnis für sein Privatleben mit H8lHne nicht beachtend – und in einer sublimierten Gedankenwelt lebt (»Unsre Gedanken sind unsre Gegenwart«, 10). Ein solcher Idealist lässt sich selbstverständlich leicht ausnutzen. Diese Art heimtückischer Manipulierung eines rechtschaffenen Wissenschaftlers seitens gewissenloser Schurken kommt in zahlreichen Atomdramen vor. Auch hier befindet sich der Protagonist fast in der Mitte einer Verschwörung, die aus Macht- und Geldgier auf seine Formeln aus ist. Der Autor organisiert um den Protagonisten eine dreieckige Figurenkonstellation, die den Physiker zu einer Kursänderung seines Lebens drängt: die nunmehr mit dem »Käfig« eines kalten Zuhauses unzufriedene Frau (»ich sehne mich nach warmem Atem, nach […] Familie, Kindern. Ich habe einen Käfig – Ren8s Gedanken haben die ganze Welt!«, 28) und zwei andere Wissenschaftler, die Ren8s Studienfreunde sind, Filip Koas und Rupert Kemp. Die beiden Nebenfiguren stehen in einem diametralen Gegensatz nicht nur zu Ren8, sondern zueinander selbst, und Schilling beschreibt sie konsequent als soziale und ethische Extreme, die gegensätzliche Lebens- und Wissenschaftsauffassungen vertreten.

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Der eine, Filip, hat zwar keine tragende Rolle in dem wissenschaftlichen Handlungsstrang, fungiert jedoch als negativer Bezugspunkt des Geschehens. Da ihm Ren8 unbedacht strahlungschemische Kontrollen übertragen hat, pocht er unaufhörlich auf Geld. »Kein Idealist wie Ren8, kein Tatsachenmensch wie Rupert« (23), hat Filip »zuviel Talent und zu wenig – Gewissen« (34), wie der Antagonist Rupert in apodiktischem Ton konstatiert. Im Text wird er als vollkommene Inkarnation von Gewinnsucht und Profitgier dargestellt, fast ein »Erpresser« (18), der den Protagonisten überredet, ihm ein Patent herzugeben. »In Wirklichkeit will er Geld« (3), warnt mit bitterem Vorwurf Ren8s Frau und prophezeit ihrem Mann, dass Filip ihn »noch ganz aussaugen wird« (4). In Filips Taten tut sich, wie H8lHne bemerkt, ein alter Frust gegenüber den Kollegen kund (»er fühlt sich von euch bedroht, überholt«, 22), eine »Mischung von Überheblichkeit und Minderwertigkeit« (23), die ihn fragil und rachsüchtig macht: »Wer mir jetzt in die Quere kommt, dem geht es verdammt schlecht!« (23). Rupert Kämp ist hingegen aus anderem Holz geschnitzt. Er tritt zunächst nur in einer Vergangenheitsvision auf: ein enigmatischer, seit langem verschwundener Kamerad, der vor seiner Flucht Ren8 eine wichtige Mappe zur Aufbewahrung übergab. In der Tat kehrt Kämp wenig später als der erfolgreiche Atomwaffenindustrielle Robert Kent in die Gegenwartshandlung zurück. Er sei ja »der leibhaftige Weltkrieg« (32) geworden. Nach eigener Aussage ist er »ein ausgekochter Realist« (33). Schon sein Aussehen verrät einen selbstsicheren Hang. Laut Regieanweisung ist er »der Weltmann Mitte Vierzig« (29), er hat »offenbar Erfolg gehabt« (30), reist gern und hat »die Welt um sich« (31). Die Züge einer Ren8 und Filip fernen pragmatischen Natur haben sich in einer brillanten Laufbahn im Ausland niedergeschlagen. Als Leiter eines Rüstungskonzerns in Harwell kehrt er nun in seine Heimatstadt zurück, um Ren8 unter finanziellen Versprechungen, die vor allem dessen Frau beglücken, für seine Dienste anzuwerben. Freilich bietet er ihm auch Labore und einzigartige Forschungsmöglichkeiten, die den Physiker in Versuchung führen. Als er Ren8 sogar in Aussicht stellt, er »könne ausschliesslich gegen das nukleare Wettrüsten arbeiten« (39), gerät der Held in Konflikt mit sich selbst. Der Autor lässt Ren8 aber den »Teufel« (60) erkennen, der auch in ihm wie in vielen anderen ›Wissenschaftsbesessenen‹ schlummert. Ren8 bricht in einen selbsterlösenden Schrei aus: »Die Waffen nieder! – Die Waffen nieder!« (61). In dicht geführten Dialogen verdeutlicht das Stück die Gesamtthematik in ihren verschiedenartigen Gesichtspunkten. Der lehrhafte Schluss wirft ein Licht auf Ruperts zynische Absicht, Ren8s Experimentieren gegen die nukleare Bewaffnung zum Gradmesser für das Gelingen der eigenen Reaktorenforschung zu machen, und erklärt den Titel. Als sich nämlich herausstellt, dass Rupert nur wissen möchte, wie weit Rupert mit seiner Erfindung einer tödliche Atomstrahlen auffangenden Maschine gekommen ist, »verpfuscht« ihm der Prot-

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agonist dieses »Experiment Ren8« (71). Nach der mittlerweile kanonisch gewordenen Praxis der Formelvernichtung (Teil I, Abschnitt 2.6.3) lässt Ren8 seine Aufzeichnungen von der wiedergewonnenen Gattin verbrennen und ist bereit, wieder von vorne zu beginnen. Damit ist das Ende kein Ende und zelebriert die im Text klar und direkt ausgesprochene Möglichkeit eines neuen, hoffnungsvollen Anfangs (74). R. N.: »Experiment Ren8«. Uraufführung im Berner Atelier-Theater. In: Neue Züricher Zeitung, 13. April 1966, S. 4–5. Helmut Schilling: Experiment Ren8. Manuskript [o. J.]. Stiftung Schweizerische Theatersammlung, Signatur TS B7.2 Schil 1040. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 12.

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Autor : Ludwig Harig (1927) Darbietungsform: lyrischer Text als Hörspiel bearbeitet Erstsendung: 8. Januar 1969, Saarländischer Rundfunk/Westdeutscher Rundfunk Ort: Japan Zeit: Gegenwart

In Max Benses und Elisabeth Walthers Stuttgarter Reihe ›rot‹ erschien 1961 Ludwig Harigs erste Buchpublikation, der Gedenktext Haiku Hiroshima, der als Ergebnis der sogenannten Stuttgarter Schule noch ganz im Zeichen experimenteller Produktion und konkreter Poesie stand. Das »aus einem japanischen Haiku entwickelte Permutationspoem«,555 wie es Harig selbst viele Jahre später kennzeichnete, wurde 1969 in einer stereophonischen Funkbearbeitung, an der der Sprachwissenschaftler Hellmut Geißner mitwirkte, vom Saarländischen Sender mit dem Westdeutschen Rundfunk koproduziert und als Hörspiel gesendet. Wie stark diese Hiroshima-Problematik in ihren vielverzweigten Fragen den Autor ansprach und auch weiterhin inspirieren sollte, zeigt übrigens auch der spätere Einstein-Zyklus Zeit und Raum verschwinden mit den Dingen, eine siebenteilige Folge, die Harig zwischen 1974 und 1976 für den NDR realisierte. Dabei verfolgte aber Harig weniger ein literarisches Ziel als vielmehr ein didaktisch-informatives Projekt, bei dem es – wie Werner Jung schreibt – »akademischer« zuging.556 In enger Kooperation mit prominenten Persönlichkeiten 555 Ludwig Harig: Offenheitsprinzip. Eine Legende lebt. Max Benses Reihe »rot« und die ewige Jugend des Experiments. In: Die Zeit, 14. April 1995. 556 Werner Jung: »Du fragst, was Wahrheit sei?«. Ludwig Harigs Spiel mit Möglichkeiten. Bielefeld 2002, S. 84.

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aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen wurden sieben Montage-Stücke ausgestrahlt,557 bei denen jeweils die theoretischen und praktischen Folgen der Relativitätstheorie erörtert werden sollten. Noch ein Beweis für die außerordentliche Fruchtbarkeit der medialen Inszenierung des Atomthemas und für Harigs intensive Auseinandersetzung damit. In dem vielgepriesenen Hörspiel von 1969 adaptierte der Dichter die traditionelle Form des Haikus und funktionierte sie zum antinuklearen Argument um. Der japanische lyrische Sinnspruch gewinnt damit eine Bewegung, bei der einzelne Elemente, die einander kontrastieren, sich zugleich paradox ineinander verschränken, so dass am Ende der Eindruck einer frappierenden Spirale entsteht, die fast widerstandslos in das hereinbrechende Ereignis von Hiroshima mündet. Das ästhetische Klang- und Tonerlebnis des von vielen Stimmen rezitierten Haikus wird dadurch zum politischen Erlebnis, das dank der Kraft synthetisch-kühner Sprachgebilde die geschichtliche Tragödie der Explosion heraufbeschwört und in Realitätsfetzen wiedergibt. Diese Bewegung erzeugt Harig durch die für ihn typischen stilistischen und inhaltlichen Verfahren, die von Bense und von Raymond Queneaus Lyrik, die Harig auch ins Deutsche übersetzt hatte, beeinflusst worden waren. Permutation und Montage von mehreren Sprachschichten, gewagte anakoluthische Strukturen verquicken sich mit Geräusch- und Musikeinblendungen, die den Hörer durch ein Gegeneinander erzählter historischer Geschehnisse und ahistorischer Bilder einfangen. Gleich eingangs verweist das Stück ironisch auf das eigene Medium. Es beginnt mit dem leisen Knistern eines »hörbar«558 eingeschalteten Radioapparats, bei dem jemand versucht, das Empfangsgerät auf den gewünschten Sender einzustellen. Nach der hellen Stimme eines Ansagers liest eine laut Anweisungen »dunkle, harte, hochsteigerungsfähige Männerstimme« die Nachrichten von der Bombeneskalation in Vietnam vor. Sofort ist das Titelmotiv da: »Ausländische Beobachter befürchten, daß Präsident Johnson dem Druck der Militärs nachgeben und noch vor den Wahlen die Atombombe zur Kriegsentscheidung einsetzen wird. Wie am 6. August 1945 in Hiroshima« (1). Ein weiteres Suchgeräusch führt aber danach sofort in die ganz veränderte Stimmung eines anderen Senders ein, wo originales Nachtigallengezwitscher den Hörer auf eine eher lyrische Sequenz von Erhabenheit und Natur vorbereitet. Es ist das Lied der Nachtigall, das Haiku von Sumi Taigi, einem der bedeutendsten Vertreter der Haiku-Tradition im 18. Jahrhundert, das den inhaltlichen und strukturellen Schwerpunkt des Hörspiels ausmacht: »Laut als sähe sie / ihres Käfigs Stäbe 557 Hier die Titel der einzelnen Stücke: 1. anthropologisch mit Wolf Lepenies, 2. kunsthistorisch mit Wieland Schmied, 3. politisch mit Werner Stein, 4. theologisch mit Eberhard Jüngel, 5. rationalistisch mit Karl Popper, 6. musikalisch mit Isang Yun, 7. relativistisch mit Lepenies, Schmied, Stein, Jüngel, Yun, Einstein. 558 Ludwig Harig: Haiku Hiroshima (Anm. I, 92), erste, nicht nummerierte Seite.

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nicht / singt die Nachtigall«. In gleicher Gestalt oder variiert, einfach oder wiederholt tauchen die schlichten Verse von Sumi bis zum Schluss als Refrain immer wieder auf. Durch Ausblendungen und abrupte Schnitte empfindet man hier, wie überall im Text, den jähen Perspektivenwechsel, der dem anmutigen Bild des singenden Vogels die Wahrheit des nuklearen Holocausts entgegenstellt. Als dominierende Ikone und Projektionsfläche globaler Todesängste werden emporschießende Pilze zu einem der Schlüsselbilder des Haiku.559 Schale im Schlamm Keime gekappt schießen Pilze empor schießen Pilze empor schießen Pilze empor schießen Pilze empor gestern in Hiroshima heut in Nevada morgen über den Tuilerien (2–3)

Die Ruhe des Menschen, der sich »aber gesichert / im Paradiese« (3) fühlt, betont – im Topos des von uns doch fernen Unheils – die schuldige Praxis der Abschottung vor der Bedrohung (»schattige Pergola / Treibhaus / Chamignonzucht«, 3). Genauso wie bei dem Bild der im Käfig unwissend singenden Nachtigall werden hier Todeserfahrung und -wissen nicht im befreienden Flug transzendiert, sondern buchstäblich im Käfig eingefangen. Die graziöse Metapher des Vogels wird aber auch explizit mit einem Fragezeichen versehen, während der anaphorische Gebrauch die Nachtigall mit dem Flug über Hiroshima und dessen ›Mahr‹ direkt verbindet: laut als sähe sie ihres Käfigs Stäbe nicht ….. Käfigs Stäbe nicht Nachtigall Nachtigall? Nachtflug Nachtigall Nachtmahr (8)

Nicht zufällig gipfelt die häufige Sequenz Nachtigall, Nachtvögel, Sturmvögel in den »Totenvögeln« (19) und im aggressiven Bild der stacheligen Wespe, deren 559 Im ersten Teil des Textes lassen sich weitere Beispiele für die beklemmende Insistenz finden, mit der das Hörspiel dieses nunmehr kanonisch gewordene Symbol zitiert, s. z. B. die folgenden Stellen: »Pilze / und Pilze / und Pilze / und Pilze / und Pilze / empor […] Pilze schießen empor«, S. 3; »Asche / und / Schlacke schießen Pilze / schießen Pilze / schießen Pilze / schießen Pilze«, S. 5–6.

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Flug der Autor mit der Figur Eatherlys und seines B-29-Flugzeugs Straight Flush verknüpft: Laut als sähe sie ihres Käfigs Stäbe nicht singt die Nachtigall Nachtigall? Nachtvögel Nachtvögel schlagen klopfen stampfen Motoren Major Eatherlys Wespe Straight Flush Stachel ausgefahren pralle Drüse Air Force-Gifte eingesackt in Wespendrüse Straight Flush stampfen Nachtmotoren (12)

In einem hämmernden, höchst komplexen Crescendo von scharfen und schrillen Tönen, männlichen und weiblichen Stimmen im Staccato oder im Furioso, wird der Zuhörer mit einem mal assoziativen, mal kontrastiven Strom von Bildern und Wörtern überschüttet, der eine Kombinatorik von wiederkehrenden und doch deplatzierten Varianten schafft. Die Anhäufung von Alliterationen, wie z. B. Samurais, Seele, Schwert, schwarze Botschaft (8); Bibel, Bomben (9); »Doppel Duell / aus Kränzen / aus Kränzen / Kreuzen / Kreuzen« (11) – um hier nur einige zu nennen –, verbindet jeweils das Sakrale mit der Immoralität des Atomkriegs, japanische Tradition mit Kriegskonnotationen, die Heilige Schrift mit der Bombe, das christliche Zeichen des Kreuzes mit dem Siegeskranz. Auffällig ist dabei die rekursive Verwendung von Vokabeln aus dem semantischen Feld ›Tod und Körper‹, so dass die physische Zerstörung mit der Zerstörung einer Sprache einherzugehen scheint, die zur Fragmentierung und Isolierung von Klängen und Bildern führt: ritz deine Haut schneide sein Fleisch schneidet dein Fleisch brech sein Gebein bricht dein Gebein spalte sein Hirn Schädel und Schale mit Hirn und Gebein

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mit Hirn und Gebein mit Fleisch und Haut mit Fleisch und Haut und hau seine Knochen […] (7) Oder : doch Hirn und Hand ›to surrender‹ in Menschen-opfer Totemtafel Blut und Fleisch Verschlungen Leichenschmaus (13)

Das ganze konkrete und existentiale Gewicht des Wortes schafft ungewohnte Bedeutungen und unterläuft jegliche Selbstverständlichkeit.560 Das Textspiel erzeugt eine neue ›Emergenz‹ des Ausdrucks, durch die höhere Zusammenhänge aus den einzelnen Worteinheiten entstehen – den »permutiert[ierten] Wörter[n]«, die die Regieanweisungen (13) vorgeben –, die dadurch neue Qualitäten gewinnen. Ein deutliches Beispiel dafür ist der fast obsessive Verweis auf die US-Flagge als Symbol amerikanischer Gewalt. »Vermählt« (13) wird das häufige Hendiadyoin »Blut und Fleisch« mit »Stern und Streif«, in unendlichen Kombinationen variiert: »Stern und Fleisch«, »Streif und Schmaus« (15); »Blut und Streif«, »vermählt / vermählt / mit / Fleisch / und / Stern« (16); »vermählt / vermählt / mit / Streif / und / Blut« (17); »Fleisch und Blut«, »vermählt / vermählt / mit / Schmaus / und / Stern« (17). Bei alledem tauchen in grausam-ironischer Verknüpfung die Bilder der Tafel und des Schmauses (für sich stehend oder in den Komposita Leichenschmaus, Opferschmaus) als Bankett und Totenmahl der Sieger, der Victory Boys (9, 30), auf. Daran knüpfen aber auch sachliche Informationen an den Hörer an, die wie im gesamten Atomdiskurs üblich die Hyperbel der Toten bei der Katastrophe und die Kasuistik der schädlichen Auswirkungen der Atombombe auf den menschlichen Körper thematisieren: 560 Über diese Art von Hörspiel, die Ende der sechziger Jahre zu einer experimentellen Literatursparte geworden war und nur für eine Hörerminderheit bestimmt sein konnte, entfachte sich aus politisch engagierter Perspektive eine lebhafte Diskussion, wie die in der Zeitschrift epd / Kirche und Rundfunk 1970 geführte Debatte (Nr. 23, 27, 30, 33, 34), an der unter anderen auch der Hörspielautor Erasmus Schöfer (S. Teil II, Abschnitt 70) teilnahm.

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-zweihundert-fünfzig-mal-tausendweiße Asche nur Moose und Pilze lebendig verfaulen die Masse Fleisch zahnloses Loch ohne Lippe […] nicht Nase zu riechen […] nicht mehr Finger […] und augen- und haarlos -zweihundert-fünfzig-mal-tausend […] (19–20)

In regelmäßigen Abständen kehrt diese Zahlenangabe wieder. Meistens wird sie in Kontexten genannt, wo auch der Begriff Asche erscheint (»Strahlen und Asche«, 20; »weiße Asche«, »Asche und Asche«, »Asche aus Asche«, 22; »gemahlene Asche«, 23), der wiederum den Anstoß zu einem negativen Assoziationsgeflecht gibt. Darunter fällt beispielsweise die Erwähnung von Vergasungen und allerlei Verbrennungsprozessen, die ebenfalls zu den bevorzugten Darstellungen des Atom-Genres gehören: »Kadaver / Kadaver / in Sonne zergangene Samurais« (8), »verkohlt / gebraten / gegrillt« (21), »gescheucht in die Öfen« (22), »sengende Strahlen« (25), »glosende / aschende / Schlacken« (25). Immer mahnender klingen am Ende die noch einmal auf »Major Eatherlys Kinder! / die Kinder! / die klinischen Schocks« (30) weisenden Worte des Hörspiels. Explizit appelliert Harig an »die Warner / Jungk / Rapacki / Schweitzer« (31) und greift durch das Haiku von Sumi Taigi das Motiv des schuldbeladenen Nicht-wahrnehmen-Wollens der imminenten Gefahr wieder auf. Der zentrale Vers, »ihres Käfigs Stäbe nicht«, der auf der letzten Seite (34) neun Mal in Bezug auf die Nachtigall zitiert wird, die laut singt, »als sähe sie / ihres Käfigs Stäbe nicht«, soll hier den Text rahmenartig abschließen und das Ganze effektvoll abrunden. Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Ludwig Harig. Text und Kritik, H. 135. München 1997. Hellmut Geißner : Verleihung des Kunstpreises des Saarlandes an Ludwig Harig. Rede. In: Saarheimat 11 (1967), S. 16–18. Ders.: Sprechen und Hören – und doch kein Gespräch. Über das Neue Hörspiel im Allgemeinen, das von Ludwig Harig im Besonderen. In: Gerhard Sauder, Gerhard SchmidtHenkel (Hrsg.): Harig lesen. München 1987, S. 92–111. Ludwig Harig: Haiku Hiroshima. Stuttgart 1961 (Reihe »rot«, Nr. 5). Ders.: Haiku Hiroshima. Als Hörspiel bearbeitet und für Stereophonie eingerichtet von Hellmut Geißner (1968). Sendungsmanuskript Saarländischer Rundfunk. Abteilung Hörspiel. Werner Jung: »Du fragst, was Wahrheit sei?«. Ludwig Harigs Spiel mit Möglichkeiten. Bielefeld 2002. Ders.: Bibliographie Ludwig Harig 1950–2012. Bielefeld 2013.

Gert Hofmann: Unser Mann in Madras (1969)

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Uta Kutter, Guntram Zürn (Hrsg.): Im Anfang war das Wort. Literarisches Porträt. Ludwig Harig zum Achtzigsten. Stuttgart 2010. Petra Lanzendörfer-Schmidt: Die Sprache als Thema im Werk Ludwig Harigs. Eine sprachwissenschaftliche Analyse literarischer Schreibtechniken. Tübingen 1990. Heinz Mudrich: Am Mikrofon: Der Computer. Ein SR-Hörspiel mit technischer Premiere. In: Saarbrücker Zeitung, 13. September 1968, S. 6.

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Gert Hofmann: Unser Mann in Madras (1969)

Autor : Gert Hofmann (1931–1993) Darbietungsform: Einakter Uraufführung: 13. Februar 1969, »Die Spielvögel«-Theater im Keller, Graz Ort: ein (vmtl. amerikanisches) Büro Zeit: Gegenwart

Während seines Aufenthalts in den USA zwischen 1965 und 1968 verfasste Gert Hofmann verschiedene Werke mit ausgeprägt amerikanischer Thematik und Motivik, die die politischen Verhältnisse in den USA satirisch anprangern sollten, darunter auch den Einakter Our Man in Madras, in dem er sich mit den Folgen einer riesigen Atombombenexplosion witzig und sarkastisch auseinandersetzte. Die deutsche Version erschien 1967 im Januar-Heft der Neuen Rundschau und wurde als Hörspiel gesendet. 1969 wurde das Stück in bearbeiteter Fassung, zusammen mit Tod in Miami, vom S. Fischer-Verlag unter dem Titel Kündigungen. 2 Einakter neu herausgebracht. Aufgeführt wurde das Stück allerdings nur in Österreich, was bei dem damals schon ziemlich berühmten und sehr produktiven Romancier, Übersetzer, Dramatiker und Hörspielautor eine gewisse Missstimmung erregte, so wie das Fernsehspiel beim SDR, das ihn wegen dessen zu statischer Inszenierung ebenfalls nicht zufriedenstellte.561 Gewiss ist der Text unter dem Aspekt der Darstellbarkeit ziemlich spröde und minimalistisch in seiner Ereignisarmut. Die Starrheit der unveränderten Szene und das refrainartige, monologisierende Register, das in schroffem Gegensatz zur eskalierenden Katastrophe steht, wirken etwas provokativ und kommen – wie Hans-Georg Schede zutreffend formuliert – der Schaulust des Publikums nicht gerade entgegen.562 Das Thema des Stücks erwächst aus dem Spannungsfeld zwischen Lachen, Schrecken und Lust am Untergang. Den eigentlichen Inhalt macht ein einziges 561 Eine Hörspielfassung war bereits am 12. Dezember 1968 urgesendet worden. Zur Entstehungsgeschichte des Stücks, zur Chronologie der Übersetzung, der Rundfunk- und Fernsehfassung vgl. die gut dokumentierte Monographie von Hans-Georg Schede: Gert Hofmann: Werkmonographie. Würzburg 1999, insbesondere S. 156–159 und 188–190. 562 Vgl. Hans-Georg Schede (Anm. oben), S. 157.

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Telefongespräch aus, das das Absurde tangiert,563 ein Gespräch zwischen der Zentrale einer Firma und deren Agenten Bob in Indien, der eine Atombombenexplosion um kurze Zeit überlebt. Diese Überlebenszeit koinzidiert mit der Dauer des Spiels. Nichts passiert aber auf der Bühne, alles geschieht buchstäblich im Äther, im Hauch des gesprochenen Wortes, nachdem die Atombombe die materielle Substanz der Menschheit geschädigt hat und Bob auf eine immer leiser, immer schwächer und unverständlicher werdende Stimme reduziert ist, die übrigens nur der Firmenangestellte, und nicht der Zuschauer, zu hören bekommt. Hofmann gibt keinen direkten Regiehinweis auf Zeit und Ort. Das nur flüchtig erwähnte Desaster könnte sich in der Gegenwart oder in einer nahen Zukunft ereignet haben. Der Raum – Büro mit Schreibtisch und Telefon – deutet aber auf einen Rahmen westlich-kapitalistischer Unternehmenstätigkeiten hin, zumal sich die einzige auf der Bühne anwesende Person als Jim »vom New Yorker Hauptbüro«564 am Apparat meldet. Das Ganze besteht eben aus Jims langem Monolog. Als Provokation fungiert dabei das Stilmittel der Ellipse. Die zwei Gesprächspartner – die Sekretärin Jane und vor allem der wichtige Titelheld, der Mann aus Madras – treten in concreto nicht auf: die Erste kommuniziert bloß als Off-Stimme aus der in kurzen, regelmäßigen Abständen eingeschalteten Wechselsprechanlage, während Bob, wie gesagt, nie selbst zu Wort kommt. Seine apokalyptischen Berichte werden nur durch Jims Bemerkungen und Einschübe wiedergegeben. Das Telefonat als Kommunikationskanal wird damit formell emphatisiert und verabsolutiert, so dass die reelle Inkommunikabilität zwischen den zwei wirtschaftlichen und menschlichen Sphären von Jim und Bob nur noch bitterer und unerträglicher erscheint. Die Realitäten des Konzernmanagers der amerikanischen Zentrale einerseits und des Konzernvertreters in Indien andererseits bleiben einander nicht nur geographisch, sondern auch sozial und kulturell fern. Die interpolierten Teile der Sekretärin Jane verweisen auf die Herrschaftsstruktur, die dahintersteht, und legen zugleich deren bornierte Sinnlosigkeit bloß. Der ursprüngliche Grund des Anrufs, insofern auch die Voraussetzung der dramatischen Handlung, ist finanzieller Natur. Die Zentrale, »das heißt LM, der Leiter Übersee, der Leiter Verkauf und meine Wenigkeit« (7), wie Jim präzisiert, steht vor der schwierigen Entscheidung, Bobs Vertrag in Madras, »der am Monatsende ohnehin abläuft«, zu verlängern oder nicht. Daher verlangt Jim einen genauen Report der Lage vor Ort. Inzwischen soll ihm Jane möglichst schnell 563 Eine deutliche Anlehnung an die Literatur des Absurden erwägt die Frankfurter Allgemeine. Vgl. Joachim Stosch: Die Lust am Schrecklichen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Mai 1982, S. 24. 564 Ich zitiere im Folgenden aus der Fischer-Ausgabe: Gert Hofmann: Unser Mann in Madras. In: Ders.: Kündigungen. 2 Einakter. Frankfurt a. M. 1969, S. 7. Alle kursiven Stellen innerhalb von Zitaten stammen von Hofmann.

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geographisch-ökonomische Informationen über Madras liefern. Zugleich soll sie versuchen, sich mit der unerreichbaren, fast kafkaesken ersten Instanz, dem mächtigen Boss LM, in Verbindung zu setzen, der »eben in die Badewanne gehoben« (9), dann »eben frottiert« (16), schließlich »eben angezogen« (19) wird und der sein Ja oder Nein zur Weiterführung des Madras-Projekts erteilen soll. Hofmann zeichnet eine Extremsituation auf, die er zum definitiven Untergang verdichtet. Zwischen Jim und Bob, der über »das Ausmaß der Katastrophe« (12) und »über das Ausmaß des Schadens« (16) in Indien zu berichten hat, entspinnt sich eine abstruse Konversation, die in Wirklichkeit keine ist und keine sein kann, zumal Bob im Laufe des Gesprächs immer weniger imstande ist, überhaupt zu sprechen. Infolge einer gigantischen, offensichtlich nuklearen Explosion (»was denn für Strahlen, Bob?«) wird die referierte Lage von Minute zu Minute schlechter, bis sie sich zur unwiderruflichen Verheerung steigert: »Wenn ich Sie recht verstanden habe«, resümiert Jim am Telefon, »sagten Sie eben: ›Madras steht nicht mehr!‹ Nicht nur Madras? Was denn noch? Ganz Südindien? Machen Sie keine Witze, Bob. Gewußt? Aber natürlich habe ich nichts gewußt!« (8). Allmählich wird der Zuschauer über die – wenn auch als »zu traurig« und sogar als ›übertrieben‹ (16) gedeuteten – Einzelheiten in Kenntnis gesetzt, die Jim mit lauter Stimme aufschreibt: »Sie sehen … wird notiert! […] Die Straße ist womit besät! Nicht das, Bob, bitte, nicht das! […] ›…. pulverisiert … geschmolzen … verkohlt … entlaubt … verschüttet …‹ Übertreiben Sie auch nicht? Gut, ich glaube Ihnen!« (16). Hofmann rekurriert auf die schon weit konsolidierte Untergangsprache und reflektiert dabei über die additive und spiralförmige Erzählstruktur der Bombe selbst, die von einer Rhetorik der Hyperbolik und des Exzesses reichlich Gebrauch macht. Das Konzept der Irreversibilität eines unaufhaltsamen Prozesses ist hier deutlich zu erkennen. Die räumliche Verwüstung läuft fast wollüstig mit dem progressiven Körperverfall parallel, dem der Autor Bob in einem schauerlich-komischen Crescendo aussetzt: »Die Hände verbrannt«, »Sie schälen sich? Wieso? Nicht nur die Hände?« (8); »Ihre Haare fallen aus? Wirklich? Das tut mir leid!« (9); »Das linke Ohr ist jetzt doch ab? Tut mir leid!« (11); »Wieso wird es dunkel um Sie? […] Sehn Sie die Ruinen noch? Nein? Das Fenster? Auch nicht? Und es wird immer dunkler? […] Das tut mir leid, Bob« (16); »Ihre Stimme klingt furchtbar! Als hätten Sie etwas im Mund! Was haben Sie denn im Mund? Sie haben Blut im Mund? Tut mir leid!« (18); »Wie meinen Sie? Noch mehr Blut? Das tut mir leid!« (20). Stereotype Formulierungen sollen Bob versichern, dass es ihm doch ausgezeichnet gehe: »Aber natürlich kriegen Sie Luft, Bob! Ich höre doch, wie Sie Luft kriegen! Sie kriegen ausgezeichnet Luft! Ganz wunderbar kriegen Sie Luft! Sie sind nur ein Pessimist, Bob! Ein Schwarzseher, jawohl!« (20). Der Autor entlarvt hier Jims Sprache als Mittel einer Ideologie, die

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dazu tendiert, den Risikobegriff einzudämmen, den von den Machthabern als gefährlich empfundenen Virus des Pessimismus und der Panikmacherei zu bekämpfen: Glauben Sie nicht, daß Sie etwas zu sehr um sich besorgt sind, Bob? […] Ich wette, daß die Strahlen, die Sie fürchten, von Mutter Erde längst absorbiert und unschädlich gemacht worden sind! Ich bin sogar sicher, Bob, daß Sie von den Strahlen inzwischen nichts mehr zu befürchten haben! Im Gegenteil! In gewissen Dosen sollen sie auf den menschlichen Organismus sogar stimulierend wirken! Wie lange halten die Strahlen an? Neunundzwanzig Jahre? […] Neunundzwanzig Jahre, Bob, halte ich für maßlos übertrieben! Falls es sich dabei nicht überhaupt um politische Propaganda handelt! (18)

Am Ende stellt sich heraus, dass angesichts der aussichtslosen Lage in Madras der unsichtbare, allmächtige Boss LM an Investitionen in eine Markterweiterung in Indien nicht mehr interessiert ist. Doch kann daran auch Bob kaum noch interessiert sein. Da er »keine Ohren mehr« hat und sogar »nicht mehr röcheln« kann (23), verstummt seine Stimme, das Telefonat ist zu Ende und mit ihm auch das nach Bob benannte Stück: »Streichen Sie unsern Mann in Madras«, befiehlt Jim seiner Sekretärin und lässt die ferne Nuklearkatastrophe ihren Lauf weitergehen. Johannes Eichenthal: Unser Mann in Madras. In: LitteratA, 29. Januar 2016, unter URL: https://www.mironde.com/litterata/5184/reportagen/unser-mann-in-madras. Gert Hofmann: Unser Mann in Madras. In: Neue Rundschau (1967), H. 78, S. 22–34. Ders.: Unser Mann in Madras. In: Ders.: Kündigungen. 2 Einakter. Frankfurt a. M. 1969, S. 5–23. Jens Jessen: Gelächter und Schrecken. Zum Tode des großen Erzählers Gert Hofmann. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juli 1993, S. 25. Debbie Pinfold: »Das war schon einmal da, wie langweilig!«? »Hörspiel« and narrative in the work of Gert Hofmann (1931–1993). In: German life and letters 52 (1999), Nr. 4, S. 475–489. Achim Roscher : Nach Lebensmaterial graben. Gespräch mit Gert Hofmann. In: Neue Deutsche Literatur (1992), H. 6, S. 33–42. Hans-Georg Schede: Gert Hofmann: Werkmonographie. Würzburg 1999. Joachim Stosch: Die Lust am Schrecklichen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Mai 1982, S. 24. Klaus Walther : Der Tänzer auf dem Seil. In: Freie Presse, 28. Januar 2016, unter URL: http://www.freiepresse.de/KULTUR/Der-Taenzer-auf-dem-Seartikel9419556.php.

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Autor : Hilde Rubinstein (1904–1997) Darbietungsform: Theaterstück in drei Akten Uraufführung: nie aufgeführt; Erstsendung als Hörspiel: 27. Oktober 1974, Schwedischer Rundfunk; Deutsche Fassung: 7. August 1984, Sender Freies Berlin (ARD) Ort: unterirdischer Bunker Zeit: unbestimmte Zukunft

Dem Thema der Apokalypse hat sich Hilde Rubinstein schon immer zugewandt. Bereits 1952 hatte sie es zum zentralen Gegenstand des auf Schwedisch geschriebenen Romans Atomskymning (Atomdämmerung) gemacht, der 1965 als Vorlage für das unpublizierte antiatomare Stück Null Uhr Null diente.565 Im schwedischen Exil verfasste Hilde Rubinstein zahlreiche weitere Theatertexte, die unveröffentlicht blieben, bis sie mit 78 Jahren für einige Zeit nach Westberlin zog. Erst nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurde das bereits 1969 entstandene Atomdrama Tiefgefrorenes Reh in Deutschland, allerdings als Hörspiel, ausgestrahlt. Den Bühnentext, der nie aufgeführt worden ist, brachte 1987 der Henschelverlag in der DDR heraus. Mit Null Uhr Null teilt Tiefgefrorenes Reh die unentrinnbare Trostlosigkeit des Überlebens nach einem Atombombenabwurf. Nur lehnt sich dieses spätere Stück noch radikaler an das Muster der extremen Survival-Literatur an. Tiefgefrorenes Reh ist eine Mischform aus apokalyptischer Phantastik und existentialistischem Stück mit Grenzsituationen auf halbem Weg zwischen Beckett und Strindberg.566 Schon der Raum ist ein ›Grenzraum‹, wo das Undenkbare geschehen kann. Die Protagonisten bewegen sich in einem asphyktischen Szenario, einem mit allem Komfort ausgestatteten Bunker, der in seiner unterirdischen Typologie an die Zufluchtsstätte von Zetdam in Alfred Gongs gleichnamigem Drama erinnert.567 Hier haben sich vier Familien nach der Atomkatastrophe verkrochen. Wie schon Gong, so wirft auch die Autorin einen schonungslosen Blick in das Innere der Familie und stellt, in der totalen Aussichtslosigkeit der postatomaren Welt, Fäulnis und Brüchigkeit aller persönlichen Beziehungen heraus. Diese Kritik an der Auflösung der privaten und fa565 S. oben, Teil II, Abschnitt 74. 1981 entstand dann auch der Einakter Nichts, der laut Untertitel »der Neutronenbombe mit Kratzfuß zugeeignet« war. Das 14-seitige Typoskript, das den Titel Nichts. Ein Finale trägt, befindet sich im Hilde-Rubinstein-Archiv der Akademie der Künste (Signatur : Rubinstein 16). Das Spiel erschien dann in: Bateria. Zeitschrift für künstlerischen Ausdruck (1988), S. 108–113. 566 Dass sich die Verfasserin ihre Inspiration dazu aus der Lektüre von Strindbergs Totentanz und dessen Muster des Tanzfestes geholt hatte, hebt Anne Stürzer in ihren feinsinnigen Beobachtungen über das Drama der Rubinstein hervor. Vgl.: Anne Stürzer : Dramatikerinnen und Zeitstücke (Anm. II, 547), S. 245. 567 S. Teil II, Abschnitt 57.

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miliären Verhältnisse und an dem, was sie aufdecken, geht einher mit der Kritik an der Atom- und Militärpolitik. Bereits auf den ersten Seiten des Dramas wird klar, wie sehr Hilde Rubinstein die verdorrte Innenwelt der Figuren als Spiegel einer unwiderruflich ausgetrockneten, nunmehr abgestorbenen Außenwelt versteht. Schon als sie in den ersten Dialogen von Familie Johnson die übersteigerten Formen ihres Miteinanderseins seziert, zeigt sie, wie der Zynismus der jungen, »genusssüchtig[en]«568 Generation vor allem gegen die Verstrickungen der Erwachsenen gerichtet ist, die den deutschen historischen Ereignissen passiv zugeschaut haben. Damit tragen die Eltern in den Augen ihrer Kinder eine Art Überlebensschuld, bei der sie zugleich Opfer und Täter sind. Herr J. Kinder – laßt uns doch vernünftig reden. Wäre es nicht besser, ihr würdet euch ernsthaft den Studien widmen? […] Jossy Wäre es vernünftig, daß Gaby Rechtsanwalt wäre? Wen sollte sie verteidigen? Gaby Papa und Mama, wenn sie vor dem Jüngsten Gericht stehen. Herr J. Ja, es wäre vernünftiger, sich mit Büchern zu befassen anstatt mit nichtsnutzigem Schabernack und »Glückspillen«…! Frau J. Sie sind immer zu genußsüchtig gewesen. Jossy ernst Nicht genügend genußsüchtig. Wir haben die Erde nicht genügend geliebt – nicht die Bäume, nicht die Wiesen, nicht die Quellen und die Tiere nicht… Gaby Ach, wie mein Bruder begabt ist für Ackerbau und Viehzucht und wird niemals den Acker bebauen und das Vieh züchten … Jossy Ach, wie meine Schwester begabt ist, die Schuldigen anzuprangern und wird sie nie anprangern können … Gaby Ach, wie gern hätte ich Unschuldige verteidigt – aber es gibt keine Unschuldigen mehr, sie sind untergegangen mit den Schuldigen … (85–86)

In dem hermetisch von der oberen Welt abgeriegelten Schutzkeller, den sich die Schriftstellerin ausgedacht hat, unter den »Maulwurfmenschen« dieser in sich eingekapselten Gesellschaft (»Gaby ›Maulwurfmensch, Bruder!‹. Kriecht schaufelnd am Boden. Frau J. ›Ihr hört jetzt auf damit, so was spieln wir nicht!‹. Jossy ›Brauchen wir nicht zu spielen. Wir sind Maulwürfe, Mama – wie lange haben wir das Tageslicht nicht gesehen? Wochen? Monate?‹«, 83) grassieren Überdruss und Stagnation. Ein regungsloser, jenseits aller Koordinaten liegender Raum, in dem sich auch die Zeit nicht bewegt. Um sie dramaturgisch in Gang zu setzen, bedarf es eines trivialen Einfalls, der der wirklichen Handlung den Anstoß gibt: Es ist die Veranstaltung eines kitschigen ›Trockenbierverlobungsmaskenballs‹. Dabei sollen Pulverbier und tiefgefrorenes Reh serviert werden – denn nichts Frisches gedeiht in der künstlichen Atmosphäre der postatomaren Ära – und, nach Wunsch der Eltern, die vier erwachsenen Kinder 568 Hilde Rubinstein: Tiefgefrorenes Reh (1969). In: Dies.: Tiefgefrorenes Reh. Stücke, Lyrik, Prosa. Mit einem Nachwort von Klaus Selbig. Berlin 1987, S. 85.

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dreier Familien miteinander verlobt werden, nicht zuletzt um inzestuöse Triebe zwischen Geschwistern einzudämmen. Hinter der kleinen Begebenheit der Party steckt aber eine große Tragödie, die zwei Generationen umfasst und diese auch auslöschen wird. In den Schwächen, in der fragwürdigen seelischen Substanz der gelangweilten Familien liegt schon der Keim der Dekadenz. Es ist die unausweichliche Verfallsbewegung, die im Text am Werk ist, das Fest feiert eine moralische Degeneration, die wie der Untergang draußen schon geschrieben ist. Der dramatische Clou ist in dieser Hinsicht ein d8j/ vu. Während sich die »ekligen Eltern« (95) mit Sex und obszöner wechselseitiger Anzüglichkeit unter den vier Ehepaaren betäuben (»wie dein Papa Frau Hilters Busen knetet, und hör deine Mama wie ein ängstliches Ferkel quietschen!«, 95), umgehen die Kinder ihre Langeweile und Angst mit Glückspillen und erotischen Flirts, obwohl sie auf ihrem Anderssein bestehen (»Maxwell ›Gewiß. Und wir wollen nicht desgleichen tun‹. Jossy ›Das können wir auch nicht, denn wir sind anders‹«, 95). Für keinen der Überlebenden gibt es jedenfalls ein Entkommen. Die egoistische Illusion der Eltern, der Katastrophe entgangen zu sein (»Sie rechnen stets mit Rettung der eigenen Person«, 94), beseitigen die Jugendlichen mit dem Bewusstsein, an einem Punkt angelangt zu sein, von dem es kein Zurück mehr gibt. Auch bei der scheinbar harmlosen Episode der Kostüme für das Fest wird durch die Anspielung auf die Uniform des Vaters der ultimative Charakter der »großen Abrechnung« demaskiert. Als der Vater seinem Sohn Jossy die Uniform verwehrt, die sich dieser für das Fest leihen möchte, sagt ihm der Junge: »Der Staat brauchte doch keine Uniformen! Kein einziges Stück deiner enormen Kollektion, Papa, war zur großen Abrechnung notwendig! Kein einziger Soldat war notwendig« (84). Im Unterschied zum Vater ist sich also Jossy durchaus bewusst, dass die neuartige Qualität des Atomkriegs die Nutzlosigkeit konventioneller Waffen und traditioneller Truppen augenfällig macht. In der Dramenfabel ist dieser zugespitzte Generationenkonflikt immer vorhanden. Und während die Erwachsenen ihre Schuld keineswegs erkennen, halten die Kinder den Eltern ihre Blindheit und Verantwortung vor. Jossy Warum reißt ihr uns in Stücke? Warum reißt ihr auch uns in Stücke … genügt es nicht, daß ihr uns in die Unterwelt verbannt habt? Herr J. Wir…? Wir…?! Jossy Ja. Ihr Erwachsenen. Frau J. Wir haben alles für euch getan, alles haben wir geopfert, Tag und Nacht gearbeitet, ein Vermögen haben wir geschaffen – für euch! Herr J. Auf keine Weise ist es unsere Schuld, daß wir hier sitzen – lebend begraben. (88)

Die Eltern sind nicht einmal imstande, die politische und historische Situation realistisch zu beurteilen, wie das folgende Gespräch beweisen soll:

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Herr J. Wir pfeifen auf Europa! Frau L. Ja, dort haben sie die schrecklichen Erfindungen gemacht, die die Welt zerstört haben! Jossy Nein, hier hat’s angefangen. Nur wir hatten die Mittel für die schrecklichen Erfindungen, Mama. Und die haben wir in Asien ausprobiert. (87)

Die Wechseldynamik der gegenseitigen Schuldzuweisung zwischen Eltern und Kindern ist für den gesamten Handlungsaufbau entscheidend, aber auch repetitiv genug, sowie die stete Beteuerung der Kontaktunfähigkeit zwischen beiden Sphären. Sogar das Inzest-Motiv gewinnt für die Kinder schier die Bedeutung eines Gegenideals, das nicht so engstirnig ist wie die heuchlerische Konstruktion des Zusammenlebens bei der älteren Generation. Den Figuren der Jugendlichen verleiht Hilde Rubinstein fast ein Exklusivrecht auf Nüchternheit und klaren Verstand. Als Einzige haben sie »Katastrophenwitterung«, sie besitzen »Tentakeln der Haut, während die Haut der Alten narbig ist, und Narben sind gefühllos« (94), sie haben gewarnt, während die Eltern gegen die Perspektive des nahenden Endes taub blieben (»sie [die Eltern] wünschten nicht unsre Warnung – sie wünschten unsren Waffendienst«, 94). Wie die Dramatikerin besonders durch die Worte von Maxwell zu erkennen gibt, stehen dabei natürlich auch »große ökonomische Werte […] auf dem Spiel« (92). Es ist die Unabdingbarkeit eines vermeintlich »optimale[n] technische[n] Fortschritt[s]« (93). Doch ist es hier nicht nur ein profitorientiertes Wirtschaftsdenken, das ins Visier der Autorin gerät, sondern auch die Trägheit derjenigen, die diese Politik des Kriegs und der Vernichtung passiv hingenommen haben. Maxwell, der sich im Stück von den verzweifelten, »ästhetisierenden« (95) Todeslüsten der anderen distanziert, plädiert z. B. für »große Anstrengungen«, die vielleicht »die totale und mondiale Abrüstung« (96) hätten erreichen können. Mit Nachdruck betont er die politischen und wissenschaftlichen Gründe für das Versagen ganzer Generationen: »Die Naturordnung ist mangelhaft und es wäre unsre Aufgabe gewesen, aus der rein-physikalischen eine menschengemäße Ordnung zu machen« (94). Am Schluss lässt Hilde Rubinstein die Kinder mit der Feststellung resignieren, dass sie »Zukunftslose« sind, »zukunftslos wie das tiefgefrorene Reh« (98). Der kollektive Tod wird als unabwendbar erlebt. In der Schlüsselszene der Party, bei der die Eltern immer noch ahnungslose Akteure sind, die nicht verstehen, was sie tun und was sie erwartet, ist es deshalb die junge Generation, die den festen Willen zeigt, ihrer sinn- und ausweglosen Existenz irgendein Ende zu setzen. In dem verzweifelten Wunsch, davor ein allerletztes Mal die Erde zu sehen, schlägt Maxwell vor, dass die Kinder ausbrechen«: »Möglich, daß die Luft wieder atembar ist. Nicht sicher, aber dieses Risiko gehen wir ein. Da wir hier unten überhaupt keine Chancen haben« (117). Durch das groteske Sehrohr, das im Drama den optischen Zugang zur Erdoberfläche ermöglicht, erblickt man

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jedoch nur die desolate weißliche Ebene, auf der einige Menschen bewegungslos liegen. Die Szene nach der Nuklearexplosion wird in Bildern von Leere und aseptischer Eintönigkeit ästhetisiert: »Der nukleare Schluß ist eine vollständige Niederschmelzung, eine sehr große Sauberkeit… […] Die Sonne ist von unsern selbstgemachten Wolken ausgesperrt worden« (117–118). Der dramatische Epilog – der von den Kindern selbst herbeigeführte gewaltsame Ausgang – ist daher der einzig mögliche, einzig erlösende Ausweg, der hier denkbar ist. Die Kinder stechen sich gegenseitig nieder, während Maxwell auf alle anderen schießt. Danach verlässt er, begleitet vom unheimlichen Röcheln der Sterbenden, seine Unterwelt mit Gasmaske. Hilde Rubinstein lässt das Finale offen für zwei Schlüsse, die man auf einem Bildschirm zu sehen bekommt. Entweder schreitet Maxwell über die obere Ebene, unwissend um den Schädlichkeitsgrad der Atmosphäre, oder er bricht gleich zusammen: Dem Zuschauer wird die Wahl gelassen, sich sein eigenes Bild des Endes zu machen. So oder so ist es kein gutes. Hedwig Rohde: End-Party im Atombunker. »Tiefgefrorenes Reh«. Hörspiel von Hilde Rubinstein. In: epd. Kirche und Rundfunk, 8. August 1984, S. 19. Hilde Rubinstein: Gespräch unter Kollegen. In: Kürbiskern (1984), H. 4, S. 33–34. Dies.: Nichts. Ein Finale. In: Bateria. Zeitschrift für künstlerischen Ausdruck (1988), S. 108–113. Dies.: Tiefgefrorenes Reh (1969). In: Dies.: Tiefgefrorenes Reh. Stücke, Lyrik, Prosa. Mit einem Nachwort von Klaus Selbig. Berlin 1987, S. 75–120. Agnieszka Sochal: »Es ist grauenhaft, wohin uns die Wissenschaft führt«. Zur Verantwortung der Wissenschaft für die Vernichtung der Welt durch moderne Waffen auf der Grundlage der Theaterstücke von Maria Lazar, Ilse Langner und Hilde Rubinstein. In: Studia Niemcoznawcze XXXVII (2008), S. 351–362. Anne Stürzer : Die negative Utopie als Warnung in »Das tiefgefrorene Reh«. In: Dies.: Dramatikerinnen und Zeitstücke. Ein vergessenes Kapitel der Theatergeschichte von der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit. Stuttgart, Weimar 1993, S. 244–251. S. auch die Bibliographie zu Teil II, Abschnitt 74.

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Autor : Frank Gerhard Zwillinger (1909–1989) Darbietungsform: Bühnenwerk in vier Zyklen Uraufführung: nie aufgeführt Ort: Simultanszenen in verschiedenen Ländern; reale und imaginäre Szenerie Zeit: 1920–1945

Dem Themenkreis der Wissenschaft widmete der Wiener jüdische Schriftsteller und Germanist Frank Gerhard Zwillinger einen bedeutenden Teil seiner dra-

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matischen Produktion. Diese entstand meistens in Paris, wohin Zwillinger in der Nachkriegszeit nach verschiedenen Missgeschicken emigrierte, über die er in seinen autobiographischen Notizen Aspekte meines Lebens und Schaffens berichtete.569 Nach dem ersten Bühnenerfolg, dem schon 1953 verfassten, aber erst 1960 uraufgeführten Galileo Galilei,570 schrieb Zwillinger noch zwei Wissenschaftlerdramen, eines über Archimedes und eines über die Kernwissenschaft unter dem expliziten Titel Kettenreaktion, ein Bühnenwerk in vier Zyklen, das, wie der Untertitel sagt, ein Stück ›planetarischen‹ Theaters sein wollte. Das sehr ambitionierte und sehr sorgfältig dokumentierte Projekt, das der Autor nach eigener Aussage im Sommer 1972 beendete, wurde ein Jahr später im Dramenband Geist und Macht in Wien publiziert. Auf die Bühne kam es nie. Die große Physikerparade, die im Spiel auftritt, ist wirklich imposant. Als dramatis personae der Wissenschaftsgeschichte sind versammelt: Niels Bohr, Dirk Coster, Fr8d8ric und IrHne Joliot-Curie, Enrico Fermi, Wolfgang Gentner, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Fritz Houtermans, Lise Meitner, Fritz Straßmann und Leo Szilard. Hinzu kommen Einstein als stumme Figur und einige ›Stimmen‹, wie die von Paul Harteck und dem Privatgelehrten und Szilards Vertrauensmann Alexander Sachs. Entsprechend dieser Personenzahl sind die Handlungsorte über die gesamte Welt verteilt: Berlin, Kopenhagen, Los Alamos, New York, Rom, Paris und Washington. An diesen fernab liegenden Schauplätzen, die sich durch Lichtsignale vom kulissenartigen Hintergrund einer quer über die Bühne gespannten geographischen Karte abheben, finden Simultanszenen statt. Die Synchronie der Orte, denen jeweils bestimmte Figuren stabil zugeordnet sind, und das wechselseitige Spiel von Reden und Gegenreden der jeweils involvierten Akteure scheren sich gewiss nicht um Aufführbarkeit. Wie Clemens Özelt zu Recht betont, sind es nicht »Bewegungsabläufe, die die Szenen verknüpfen, sondern theoretische Einsichten und technische Prozesse«.571 Der Komplexität einer solchen Anlage, die hier den Eindruck der grandiosen 569 Frank Zwillinger : Aspekte meines Lebens und Schaffens. In: Ders.: Geist und Macht. Dramen. Wien 1973, S. 353–359. Der Autor erzählt, wie er in seinem vielfältigen Leben viel unternommen und viel durchgestanden habe. Schon in der Jugend habe er das Schrecklichste erleben müssen, den »Märtyrertod« (356) der Eltern, die eigene Gefangenschaft und Internierung als »feindlicher Ausländer« in Indochina, wo er auf französischer Seite gekämpft habe, bei einem Überfall der Japaner schwer verwundet worden sei und ein Bein verloren habe. Nach dem Krieg emigrierte Zwillinger nach Amerika und dann nach Paris, wo er Unternehmer wurde und im Alter als freier Schriftsteller lebte. 570 S. Anm. II, 240. Zwillingers Galilei wurde am 22. Juli 1960 bei den Bregenzer Festspielen durch das Burgtheater Wien aufgeführt und hielt sich zwischen 1960 und 1961 ein volles Jahr auf dem Spielplan des Burgtheaters. S. zur Galilei-Figur im Atomdrama auch Teil II, Abschnitt 34. 571 Clemens Özelt: Der Sturz der Atomphysiker. Frank Zwillinger: Kettenreaktion. In: Ders.: Literatur im Jahrhundert der Physik (Anm. I, 7), S. 388.

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Gleichzeitigkeit außergewöhnlicher Ideen und Entdeckungen, freilich aber auch des globalen Risikos erwecken soll, war sich allerdings Zwillinger völlig bewusst. In seinem Essay über Das planetarische Theater, das sich als besonders aufschlussreich für das Verständnis von Kettenreaktion erweist, thematisiert und differenziert er anhand des Stücks die in dessen Untertitel explizit genannte Gattungstypologie des planetarischen Theaters. So wie sein Landsmann Kurt Becsi will nämlich auch Zwillinger die Atomfrage in einen weitgreifenden kosmischen Rahmen einbetten.572 Der ideelle Ausgangspunkt der Problematik ist bei Zwillinger der feierliche Schwur an die ganze Menschheit, mit dem schon sein Archimedes-Drama endete: »Ich werde das Studium der Physik und ihre Forschung zur Mehrung der Welterkenntnis betreiben und einzig zum Wohl der Menschheit. Ich werde meine geistige Freiheit wahren gegen alles und jedermann. Im Vereine meinesgleichen werd ich darüber wachen, daß nie wieder der Fortschritt des Wissens den Aufstieg des Gewissens übertrifft!«.573 Ob der Wissenschaftler mit ›seinesgleichen‹, wie Archimedes sagt, diese so hochgesteckte Aufgabe absolvieren könne, ist eben Thema des Physikerdramas Kettenreaktion. Der Fokus ist aber hier nicht mehr auf den Einzelnen gerichtet, sondern, in dem vom Autor intendierten ›planetarischen‹ Sinn, auf die Rolle der gesamten Gemeinschaft der Kernforscher in einer immer enger zusammenrückenden Welt. Dazu verwendet Zwillinger, wie sein Vermerk auf der ersten Seite von Kettenreaktion besagt, eine »solide Dokumentation«, d. h. »Bücher kompetenter Autoren«,574 zu denen, wie Zwillingers Nachlass bezeugt, nicht von ungefähr Heller als tausend Sonnen von Robert Jungk primär gehört. Im Stück Kettenreaktion wird die von Jungk postulierte Verflechtung der geistigen, historischen und politischen Beziehungen der Physiker untereinander und in ihrem Verhältnis zur staatlichen Macht repräsentiert und durch die Simultaneität der Dramenschauplätze und des Dramengeschehens plakativ hervorgehoben. Zugleich wird sie in einen zeitlich weiten historischen Rahmen gestellt. In dem schon erwähnten Essay zum planetarischen Theater wird diese großangelegte Theaterdimension vom Autor ausdrücklich postuliert: Ein solches Theater neuer Dimensionen, die unserer verwandelten Vorstellung von Raum und Zeit und unserer anthropo-exzentrischen Weltsicht entsprechen, verlangt auch nach einer entwicklungsgeschichtlichen und relativierenden Perspektive. Dies umso mehr als sich auch das spezifisch Tragische für uns gewandelt hat. Es deckt sich gewissermaßen mit der Vorstellung der auf weite Sicht unausweichlichen Unstim572 In seinem langen Aufsatz Dramatik in Österreich seit 1945 bezeichnet ihn Gotthard Böhm als einen »Außenseiter«, der »dem ›kosmischen‹ Drama Becsis ein ›planetarisches Welttheater‹ an die Seite stellt«. Gotthard Böhm: Dramatik in Österreich seit 1945. In: Hilde Spiel (Hrsg.): Die Zeitgenössische Literatur Österreichs, Zürich 1976, S. 570. 573 Frank Zwillinger: Archimedes. In: Ders.: Geist und Macht. Dramen (Anm. II, 569), S. 245. 574 Frank Zwillinger : Kettenreaktion (Anm. I, 278), S. 247.

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migkeit der menschlichen Kondition mit den schicksalsbildenden Kräften und Konstellationen des kosmischen Ereignisses.575

Die ›entwicklungsgeschichtliche‹ Perspektive, von der hier die Rede ist, ist im Stück durch eine Plethora an Stimmen getragen, die einerseits für eine raumzeitliche Erweiterung (»Der Ablauf des Bühnengeschehens sollte also nach allen Seiten hin durch eine optische und akustische Illustration der Vorgeschichte und der Zeitumstände erweitert werden«),576 andererseits für eine menschlich-psychologische Vertiefung der tragischen Zustände sorgen. Der dazu nötige Aufwand theatralischer und filmischer Mittel, auf den hier nicht genauer eingegangen werden kann, läuft inhaltlich mit dem Aufwand technologischer Mittel parallel, die auf dem Gebiet der Raketen- und Atomrüstung den ersten atomaren Stoßprozess herbeiführen und den Wettlauf beschleunigen. In dieser Hinsicht ist auch der Titel doppeldeutig. Er meint einerseits den physikalischen Vorgang der Kernspaltung – jeder der vier Zyklus-Titel enthält den ebenso doppeldeutig verwendeten Begriff der Spaltung (Atomspaltung, Weltspaltung, Spaltung der Seelen, Spaltung der Herzen). Die ›Kettenreaktion‹ impliziert aber im übertragenen Sinn auch einen autonom ablaufenden, sich selbst erhaltenden und verbreitenden Prozess, der außer Kontrolle gerät. Die Zerstörung, wenn sie einmal ausgelöst ist, geht irreversibel weiter. Die unaufhaltsame Flut von Worten, Gedanken, politischen Aussagen und wissenschaftlichen Erklärungen, die sich bei der Darstellung überschlagen, und die ›Stimmen‹ des Bewusstseinskampfes der Physiker bei ihren Konflikten mit Politikern und Militärs (einschließlich der stereophonischen ›inneren‹ Stimmen, die im Laufe der Dialoge die Gedanken der Gestalten a parte artikulieren) überrumpeln den Leser/Zuschauer und rufen kettenreaktionartig immer neue Ereignisse hervor. Fragmentarisch tauchen Fakten, Zeugnisse, Berichte, wirkliche Begebenheiten in einer Art experimentellem Dokumentartheater auf, in dem die Physiker, im Guten wie im Bösen, Protagonisten sind. Dass Einstein dabei nur als stumme Figur erscheint, ist ein durchaus origineller Einfall des Autors. Erst in der letzten Szene wird der Ulmer Physiker zur Sprache kommen, um »gedämpft« und »leidvoll« (350) seiner Reue Ausdruck zu geben. Sonst kehrt er meistens dem Publikum den Rücken und betont damit seine im politisch-geschichtlichen Geschehen passive Position als reiner »Schau-spieler«,577 wie Zwillings Erläuterungen zum planetarischen Theater erklären. Gegenspieler treten im Stück nur kurz auf, und zwar in der Gestalt von zwei Militärs: der eine ist der nur als Stimme anwesende SS-Oberst Schumann, der zweite der bekannte Colonel Boris Pash, der, ähnlich wie in 575 Frank Zwillinger : Das planetarische Theater. Ein Essay. In: Modern Austrian Literature 8 (1975), Nr. 3–4, S. 289. 576 Ebd. 577 Ebd., S. 287.

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Kipphardts Oppenheimer, die Staatsmacht verkörpert. Und ähnlich wie bei Kipphardt erscheint im Zusammenhang mit dem militärischen Einsatz der Atombombe auch der Begriff ›Menetekel‹, ein feuchtroter Schriftzug, der das Bild des Blutvergießens evozieren soll. Abgesehen von sporadischen Stellen strebt aber das Stück im Ganzen dem Ideal einer vollkommen realistischen Bestandaufnahme der Weltsituation im Hinblick auf die historische und politische Entwicklung der Atomenergie nach. Die Eröffnungsszene steht im Zeichen des Doppelanspruchs auf Verwissenschaftlichung der Theaterdarstellung und literarische Vermittlung und Verarbeitung von technischem Wissen. Es fällt auf, wie die Fachsprache, die hier in den Bühnenraum eindringt, neben der Kenntnis der Fachsprache selbst auch ein angemessenes Fachwissen benötigt, das den komplexen wissenschaftlich-technologischen Aussagen der Protagonisten gewachsen ist.578 Der Diskurs bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Popularisierung der Technik einerseits und der Offenlegung der Risiken und unerhörten Zustände andererseits, die bei der Wechselwirkung der Neutronen entstehen. Nach den einleitenden Worten der Physiker, die den Prozess der Kettenreaktion sofort nennen und als ein »Unausdenkbares« (252) bezeichnen, sieht der Zuschauer einzeln beleuchtete Vorgänge auf der Bühne, die sich in den Laboratorien aus aller Welt abspielen. Die Zukunft des Planeten steht auf dem Spiel. Alle Physiker sind darin verwickelt, das Spektrum ihrer Verhaltensweisen ist aber sehr unterschiedlich. Am Anfang machen viele begeistert mit. In Rom sind es Enrico Fermi und dessen Assistenten, die die Entdeckung der durch langsame Neutronen ausgelösten Kernreaktionen vorantreiben. Es folgt das Kaiser-Wilhelm-Institut in BerlinDahlem, wo sich Hahn und Meitner mit den Verwandlungen des Urans befassen, während eine »Epiprojektion« dem Zuschauer das Periodensystem der Elemente vorführt: »ORDNUNGSZAHL = KERNLADUNG, Anzahl der im Atomkern vorhandenen Elektronen« (256). Inzwischen wechselt die Szene nach Paris, das Ehepaar Joliot-Curie trägt dem Publikum die eigenen Verdienste auf dem Feld der Alphastrahlen stolz vor und jubelt laut, als der Minister die Verleihung des Nobelpreises ankündigt. Das Sich-Überstürzen der Auftritte lässt auf Zwillingers besorgte Einstellung zu diesen Entwicklungen schließen. Es zeigt, wie sich die Wissenschaft fast in eine Religion verwandelt, die jegliche Forschung im Kultus der Leistung und des Primats heiligt. Zwillingers Physiker rivalisieren miteinander. In den jeweiligen Bereichen wollen sie die Weltbestleistung erzielen 578 Hier nur einige Beispiele: »Uranen unter dem Beschuß von Neutronen«, »Wir haben es mit einer gewaltsamen Teilung des Urankerns zu tun, dem die Ordnungszahl 92 entspricht. Ist nun einerseits Barium entstanden mit der Kernladung 56, dann muß andererseits – 92 minus 56 – ein Stoff auffindbar sein, dessen Atomkern 36 Elektronen aufweist«, »Bestrahlung mit verlangsamten Neutronen […] Neutronenabsorption«, Frank Zwillinger: Kettenreaktion, S. 265, 269, 312.

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und schrecken weder vor Tod noch Vernichtung zurück, um ihre Ziele anerkannt zu sehen. Hahn: […] Am Ende befinden wir Atomforscher uns auch nur in einer Art von Dämmerzustand. Meitner : Das glaube ich nicht. Es sei denn, du spielst auf Madame IrHne Joliot-Curie an, die Tochter, die Aluminium mit Neutronen beschießt, aber nach ihren Phantasieberichten zu schließen, nur schlecht zielt. Hahn […]: Mach dir nichts draus, Lise. Die ungenaue IrHne der Rue d’Ulm in Paris wird dir nicht den Rang ablaufen. Dafür werden wir schon sorgen. […] Fr8d8ric […]: Du wirst dich doch über diese Meitner und ihr »Hähnchen« nicht ständig so aufregen! […] Hattest du nicht mittlerweile auch die Genugtuung, daß wir gerade auf den Ergebnissen aufbauend, die sie bekrittelt hatte, schließlich die künstliche Radioaktivität entdeckten?! […] Mittlerweile soll sich sogar Fermi in Rom an uns ein Beispiel genommen und alle Elemente der Reihe nach unter Neutronenbeschuß gesetzt haben, wie wir das Aluminium. Daraus ersiehst du am besten, was man in der wissenschaftlichen Welt auf die Meckereien der Berliner gibt. (257–258)

Freilich lässt der Autor in seinen Helden manchmal Zweifel aufkommen, ob »die entfesselte immense Energie […] zu einer himmelsstürmenden, alles vernichtenden Kettenreaktion« (270) werden könne. Doch er will demonstrieren, dass das von Forschungseifer und Machtgier gezeichnete Schicksal schließlich eintreffen wird. Den Eindruck eines unentrinnbaren Endes vermitteln viele Aussagen im Text. So beispielsweise Rutherfords Studenten: »Wenn es uns auch hie und da gelingen mag, von unserem vorgezeichneten Weg abzuweichen und obenauf zu sein, der Richtung des Stromes entgehen wir nie« (271). Ebenso unwiderruflich geht die »Atomspaltung« des ersten Zyklus in die »Weltspaltung« des zweiten über. Anstelle der Karte Europas tritt die der neuen Welt hervor. In Amerika weisen die Physikerteams nach, dass die Atomzertrümmerung in großem Maßstab durchführbar ist. Vor die schreckliche Entscheidung gestellt, tödliche Waffen bauen zu helfen, verhalten sie sich auch in diesem Fall äußerst ambivalent. Auf der Bühne ist es Werner Heisenbergs Stimme, die dieses Motiv der zweideutigen Reaktionen hervorhebt: »Bewußte Preisgabe – willentliche Zurückhaltung des Wissens, entgegengesetzte zwangsläufige Wege hier und dort, gegeneinander und dennoch oft auf das gleiche Ziel gerichtet – wider den totalitären Staat. Die übernationale Familie der Atomwissenschaftler war – wie unzählige andere – auseinandergerissen durch die Spaltung der Welt« (291).579 Von der Spaltung der Welt zur »Spaltung der Seele« (292), wie der dritte Zyklus betitelt ist, ist es nur ein kleiner Schritt. Zwillinger liegt ersichtlich daran, die danach eintretende Gewissenskrise der Wissenschaftler darzustellen. Und 579 Die hier kursiv wiedergegebene Stelle ist im Original gesperrt gedruckt.

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das nicht nur bei denjenigen, die an der amerikanischen Bombe zusammenarbeiteten. Er schildert im Werk auch das moralische Dilemma jener deutschen Physiker, die sich zum Verbleib in Nazi-Deutschland entschlossen hatten. Sie hätten von Anfang an »das Ziel im Auge [gehabt], das ›Uranprojekt‹ unter Kontrolle zu behalten« (292). Houtermans lässt der Autor z. B. erklären: »Eine Erfindung, die man nicht will, macht man auch nicht« (293). Auch Heisenberg muss gestehen, er habe die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts nur deswegen übernommen, »um die Atomentwicklung in Deutschland zu kontrollieren, zum Schutz vor gewissenlosen Elementen« (314). Und doch, bei allen edlen Intentionen, wird gerade ihm eine politisch riskante Position zugeschrieben, die zwischen Apathie und Zögern schwankt (»Ich pflege nicht, nach der Mitgliedskarte zu fragen«, 288; »Und dennoch, ja trotz allem, schrecke ich vor dem Gedanken einer deutschen Niederlage und ihren vernichtenden Folgen zurück«, 315). Sogar Houtermans hält ihm den »innere[n] Widerspruch« seiner Haltung vor: Houtermans: […] Wäre es für Sie nicht eindeutiger und zugleich wirkungsvoller gewesen, von den Machenschaften dieser Regierung offen abzurücken und damit voraussichtlich eine andere Kettenreaktion auszulösen, nämlich unter den Wissenschaftlern, die Gegner dieser abenteuerlichen Gewaltherrschaft sind und die Ihr Vorbild zu wirksamem Widerstand aufgerüttelt hätte? Heisenberg (entrüstet): Das ist leicht gesagt. Sind Sie sich klar darüber, was das bedeutet? Houtermans (mit Überzeugung): Einem totalitären Regime gegenüber muß jeder anständige Mensch den Mut haben, Hochverrat zu begehen. (315)

Die Skala der Reaktionen der Physiker ist höchst vielschichtig. Sie reicht von dem bedingungslosen Wissensdrang, der moralische Prinzipien als wissenschaftlich irrelevant einstuft (»Fr8d8ric: […] ›Wie kommt gerade der [Szilard] dazu, uns Moral zu predigen und Vorschriften zu machen? […] So etwas entzieht sich doch der Privatinitiative einzelner Kollegen‹«, 279), über die unschlüssige Haltung von Wissenschaftlern wie Fermi, der im Namen der reinen Forschung für eine unbegrenzte Ideenzirkulation plädiert, bis zur Entscheidung Bohrs – nach dem Gespräch mit Heisenberg, auf das auch Michael Frayn im Stück Kopenhagen eingeht –, die Amerikaner über den vermeintlichen Stand der Hitler-Bombe zu informieren und das Platz-Ypsilon-Projekt einleiten zu helfen. Dieser facettenreichen Figurengalerie entzieht sich im Werk die Figur von Szilard, als einer der wenigen, die die heikle Lage erkennen, in der sich die Physik auf dem Höhepunkt ihres technischen Erfolgs befindet. Szilard plädiert für eine Art Selbstzensur : »Wir sind mit unserem Forschen an einem Punkt angelangt, wo uns die bloße Daseins- und Arterhaltung eine freiwillige Selbstzensur vorschreibt« (275). Deshalb empfiehlt er : »wir müssen von nun an unsere Kenntnisse für uns behalten und die wissenschaftlichen Informationen vor fremdem

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Zugriff sichern« (277). Als der ungarische Physiker von der Columbia University, wie er sagt, »unter Druck« (281) gesetzt wird, damit er seine Erfindungen verwertet und an die Öffentlichkeit gibt, antwortet er mit einem sarkastischen Wortspiel (»Wenn man mich unter Druck setzt, kann ich mich dem Druck der Setzer nicht widersetzen«, 281), das die Ausweglosigkeit moderner Physik nur allzu deutlich erkennen lässt. Im letzten Zyklus mit dem trostlosen Titel Die Spaltung der Herzen tritt Szilard im Zuschauerraum auf und gibt sich geschlagen: »Zuerst, bis ins Jahr 1944 hinein, war unsere größte Sorge, die Deutschen könnten noch vor der Landung in Europa eine Atombombe fertigbringen und gegen uns verwenden; nun aber – wir schreiben den 12. April 1945 – bangen wir Wissenschaftler schon seit einiger Zeit, gegen welche Länder die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika unsere Atombombe einsetzen könnte« (345). Gegenüber einem immer substanzloser werdenden Einstein (»das Antlitz Einsteins tritt vage und durchscheinend hervor«) unterstreicht Szilard den Effekt des von ihm mitunterschriebenen Briefs an Roosevelt (»hat gewirkt«) und warnt »die Forscher von Platz Ypsilon« (»Die Atombombe darf nicht ohne Not fallen«, 345). Neben Szilard ist es Fermis Assistent, Carlo Riccardi, der am Ende noch einmal eine Bilanz der Kettenreaktion zieht, Verfehlungen und Unterlassungen der Wissenschaft abwägt und die Menschheit in ihrer schicksalhaften ›Blindheit‹ direkt anspricht: Wir müssen lernen, die Ereignisse wie die Dinge […] von verschiedenen Seiten zu betrachten. Für die Entmystifizierung der Atombombe ist es wichtig zu zeigen, daß ihr Entstehen wie ihre Explosion Resultate des Zusammenwirkens vielfacher Kraftfelder waren, darin sich die einzelnen Menschen wie »Die Blinden« Pieter Breughels gebärdeten. Als die neue Waffe da war, von der Wissenschaft angeregt und vom Staate ihr abgefordert, aus den Händen der Technik empfangen, wurde sie eingesetzt, wofür sie niemals geschaffen hätte. In die Welt entlassen, mußte sie Gegenstand ungesunden Wetteifers werden, der bis heute fortwirkt. Unversehens aber wurde man inne, daß gerade dieser ein neues politisches Gleichgewicht, das des Schreckens, geschaffen hatte; durch Angst dient es dem Frieden. Wie geringfügig war doch menschliche Einsicht und Kraft, um solches zu bewirken? – Wer hätte dies bewußt vermocht? (350– 351)

Und Carlo gehört eben auch das Schlusswort, das völlig von Zwillingers kosmischen Pessimismus geprägt ist: »Der Mensch wird nicht besser als er werden muß, um fortzuleben!580 In allem, was wir sind und tun, bleiben wir dem Kosmos und seinen in Raumzeit wirkenden schicksalsbildenden Mächten unterworfen« (351).

580 Im Originaltext gesperrt.

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Erika A. Blumenthal: Science and the State in Frank Zwillinger’s Dramatic Tetralogy »Geist und Macht«. Diss. Rutgers, New Brunswick 1997. Franz P. Haberl: Frank Zwillinger Geist und Macht. In: Books Abroad 49 (1975), Nr. 1, S. 112–113. Dagmar C. G. Lorenz: Frank Zwillinger : Wiener Welttheater. In: Modern Austrian Literature 21 (1988), Nr. 1, S. 61–82. Clemens Özelt: Der Sturz der Atomphysiker. Frank Zwillinger : Kettenreaktion. In: Ders.: Literatur im Jahrhundert der Physik: Geschichte und Funktion interaktiver Gattungen 1900–1975. Göttingen 2018, S. 386–393. Harry Zohn: Aspects of Frank Zwillinger’s Theater. In: Mark H. Helber, Hans Otto Horch, Sigurd Paul Scheich (Hrsg.): Von Franzos zu Canetti. Jüdische Autoren aus Österreich. Neue Studien. Tübingen 1996, S. 357–367. Ders.: In Memoriam. Frank Zwillinger 1909–1989. In: Modern Austrian Literature 23 (1990), Nr. 3–4, S. 217–219. Frank Zwillinger : Das planetarische Theater. Ein Essay. In: Modern Austrian Literature 8 (1975), Nr. 3–4, S. 282–290. Ders.: Kettenreaktion. Ein planetarisches Theater in 4 Zyklen. In: Ders.: Geist und Macht. Dramen. Wien 1973, S. 247–351 (der Band enthält auch das Drama Galileo Galilei, S. 83–167, und das Nachwort von F. Z.: Aspekte meines Lebens und Schaffens, S. 353– 359).

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Autor : Karl Mickel (1935–2000), Komponist: Paul Dessau (1894–1979) Darbietungsform: Oper in drei Akten Uraufführung: 16. Februar 1974, Deutsche Staatsoper Berlin Ort: Deutschland und USA Zeit: 1933–1955

In einem Gespräch mit der Zeitung Neues Deutschland kurz vor der Uraufführung der Einstein-Oper versuchte der sächsische Dichter Karl Mickel ein Resümee des Inhalts, das Personen- und Handlungsfülle des Werks vorwiegend auf die Dynamik eines Physikerdreiecks reduziert: Kurz, soviel zur Fabel: Wir erzählen die Geschichte einer Freundschaft Einsteins mit zwei Physikern, wir nennen sie 1. Physiker und 2. Physiker. Nach der Bücherverbrennung der Nazis scheiden sich die Geister und die Wege. Der 2. Physiker offenbart sich als der gewissenlose Mitläufer, als Stoiker mit geistigen und charakterlichen Eigenschaften, die einem Volk zum Verhängnis werden können. Der 1. Physiker hat für seine aufrechte humanistische Gesinnung zu kämpfen und viel durchzustehen. Er wird Kommunist.581

581 Hans-Joachim Kynaß: Vergnügen an einem ernsten Gegenstand (Anm. II, 331).

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In der Tat enthält das komplexe und etwas verkopfte Stück – eine Komposition aus Text und Musik von Mickel selbst und dem damals schon fast 80-jährigen Dirigenten Paul Dessau, der in der DDR eine beachtliche Karriere hinter sich hatte – viel mehr als diese schlichte Physikergeometrie. Offensichtlich wollte Mickel in dem Interview mit dem einflussreichen DDR-Organ die kommunistisch orientierten Züge einer engagierten ›Fabel‹ überbetonen. Dennoch unterscheidet sich Mickels und Dessaus Einstein in mehrfacher Hinsicht von den gewöhnlichen Stücken über die Bombe und die Kernphysik. Erstens, weil das Werk schon in eine Phase fällt, in der das Atomdrama als Genre bis auf wenige Ausnahmen in beiden deutschen Staaten an Aktualität und daher auch an literaturgeschichtlicher Relevanz eingebüßt hat. Zweitens wegen der musikalischen Ausrichtung des Textes, die die Darbietungsformen des Themas beeinflusst und dessen sprachliche und dramatische Gestaltung bedingt. Die Entschärfung der politischen Konfliktualität zwischen den Fronten des Kalten Kriegs nach dem Teststoppabkommen von 1963 und die daraus folgende Abschwächung der Oppositionskraft in der ganzen europäischen Antiatombewegung hatten auf dem Gebiet der Bühnenliteratur eine erhebliche Abnahme der Atomdramenproduktion zur Folge. In diesem Sinne lässt sich Einstein als die epigonale Erscheinung eines sozialistisch ausgerichteten Theaters bewerten, die im Kielwasser der Berliner-Ensemble-Tradition mitschwimmt und den Suggestionen von Brechts Einstein-Fragment ihren Tribut schuldet, was sich als maßgebend für das Konzept des Stücks selbst erweist. Nicht nur weil hier die Musik, stärker noch als bei Brecht, ein wesentlicher Bestandteil des Werks ist, sondern aufgrund der Überfrachtung mit didaktischen Inhalten der Botschaft, die in den separaten Teilen von Prolog, Epilog und den allegorischen Intermezzi klar zutage liegt. Den politischen Hintergrund der Atombombe als solchen zu analysieren und zu verurteilen, strebt Einstein im Unterschied zu den meisten in der DDR entstandenen Atomdramen nicht an. Das Werk ist kein Zeit- oder gar Dokumentarstück. Auch wollte der Textdichter keine faktentreue Biographie über den Begründer der Relativitätstheorie liefern, sondern die Parabel des von Gewissenszweifeln geplagten Wissenschaftlers mit den Mitteln eines modernen, an szenischen Einfällen reichen Musiktheaters vorführen. Groß ist die Vielzahl witziger Figuren und gebildeter Zitate, mit der Mickel das alte Thema der Verantwortung des Wissenschaftlers herausfordernd und halb spielerisch durchdekliniert. Das Resultat ist ein knappes Libretto, das in blitzschnellen Szenen – in drei Akten und zwei Zwischenszenen plus einem Epilog volkstheaterhafter Natur – zwischen Lyrik und Alltagssprache, zwischen Ernstem und Heiterem vermittelt und von einem Komponisten des Kalibers von Dessau mit einer Art Montagetechnik vertont wurde, die Schnipsel aus Bach und Strauss, aus Vivaldi und Mozart, aus Pop und Spiritual zusammenbringt. Seinerseits hatte auch

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Dessau – wie seine Gattin und Regisseurin Ruth Berghaus vor der von ihr inszenierten Berliner Premiere berichtete582 – schon im Todesjahr des Physikers, 1955, mit Brecht über die dramatischen Potentialitäten des Einstein-Stoffes geredet und ihm bereits seine ersten Entwürfe (Alle Menschen werden Brüder und Das gelobte Land) zu lesen gegeben.583 Doch erst durch die Zusammenarbeit mit dem jungen Lyriker Mickel kam das Werk allmählich zustande. Die erste Fassung des Opernlibrettos datiert schon auf das Jahr 1965. Mickel hielt sich dabei größtenteils an Dessaus Handlungsskizzen, nahm sich aber die Freiheit, historische Daten fiktional zu manipulieren – z. B. darin, dass er seinen Einstein zur Zeit der Bücherverbrennung, in der die Handlung ansetzt, noch in Deutschland lokalisiert. Die Geschichte variiert Mickel also ironisch durch Invention und kühne Bilder und fügt eigenes Material hinzu, wie beispielsweise das bereits 1965 geschriebene Gedicht Leben des Physikers/Lamento, das Einsteins Monolog am Ende des zweiten Akts fast wörtlich zitiert und einen wichtigen Schlüssel zur tragischen Substanz bildet, die Mickel seiner Figur geben wollte: »Ich wars! ich bins! ich bin der Tod / Der alles raubt, ich bin die Finsternis« (29). Trotz der nicht immer leicht zugänglichen Vielschichtigkeit der Komposition, vor allem wegen der fast unüberschaubaren Vielfalt von Zitaten und historischen Anspielungen,584 fand die Einstein-Uraufführung an der Staatsoper große Resonanz. Wichtige Presseorgane (Neues Deutschland, Der Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Neue Zeit)585 hoben mit Nachdruck künstlerische Leistung und zeitpolitische Brisanz des Themas hervor, und die Literaturzeitschrift Theater der Zeit zelebrierte das Spektakel in einer Ausgabe mit Stückabdruck und Sonderbeiträgen.586 1976 reiste die Deutsche Staatsoper nach Florenz, um zur 39. Veranstaltung des Maggio Musicale Fiorentino, des für die zeitgenössische 582 Vgl. ebd. 583 S. dazu Emilia Fiandra: Einstein-Rezeptionen (Anm. I, 156). 584 Zu dieser gelehrten Zitatschichtung vgl. das Kapitel über Mickels Einstein in: Judith Wisser : Das Bild des Naturwissenschaftlers im Spiegel der Literatur (Anm. II, 329, besonders S. 221–268). 585 Vgl. Heinz Josef Herbort: Spaziergang auf dem Rasiermesser. Paul Dessaus Oper »Einstein« in Ostberlin. In: Die Zeit, 22. Februar 1974, S. 9; Hans-Joachim Kynaß: Vergnügen an einem ernsten Gegenstand (Anm. II, 331); Sybill Mahlke, Pazifist mit tödlichen Waffen. Paul Dessaus »Einstein« in der Deutschen Staatsoper uraufgeführt. In: Der Tagesspiegel, 19. Februar 1974, S. 4; Hansjürgen Schaefer : Parabel von der Verantwortung der Wissenschaft. Paul Dessaus Oper »Einstein« uraufgeführt. In: Neues Deutschland, 19. Februar 1974, S. 4; Eckart Schwinger : Hintersinnige Heiterkeit und Angriffslust. Uraufführung der »Einstein«Oper von Paul Dessau in der Berliner Staatsoper. In: Neue Zeit, 20. Februar 1974, S. 4; Manfred Schubert: Musikalisches Ideendrama mit Brillanz und Schärfe. Zur Uraufführung von Paul Dessaus Oper »Einstein«. In: Berliner Zeitung, 20. Februar 1974, S. 6. 586 Vgl. Theater der Zeit. Ausgabe 4/1974: Gegen die Gleichgültigkeit (Stückabdruck S. 55–64). Für die anderen Beiträge s. Bibliographie am Abschnittsende.

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Musik berühmten florentinischen Musik-Mai, den Einstein mit dem Dirigenten Otmar Suitner auf die Bühne zu bringen. Das Ereignis wurde auch in der italienischen Presse groß gefeiert.587 Für eine bundesdeutsche Erstaufführung musste man jedoch bis 1980 warten, als die Ruhrfestspiele die Inszenierung nach Recklinghausen einluden. Sie soll ebenfalls vom Publikum gut aufgenommen worden sein.588 Ungeachtet ihrer ansehnlichen Erfolge wurde aber die Oper in der DDR kaum nachgespielt. Das mag wohl auch an den Auseinandersetzungen mit der Zensur gelegen haben, die sich in die Konzeption des Textes stark einmischte und Dichter und Komponisten zur Umstellung und Veränderung vieler Szenen nötigte. Die zwei im Westen und im Osten beziehungsweise im Rotbuch Verlag und im Henschel Verlag erschienenen Ausgaben des Stücks divergieren in ihrem jeweiligen Schluss. Von der letzteren Ausgabe, die der Ostberliner Aufführung zugrunde lag und am Ende die richtunggebende Funktion des Sozialismus durch das Lied der Internationale untermauert, distanzierte sich danach Dessau, der die revidierte Szene aus der autorisierten Version tilgte.589 In der Rotbuch-Fassung wird die von der Gestalt des jungen Physikers ausgesprochene »Hoffnung«590 auf die Völkerbrüderschaft durch das Bewusstsein des steilen Wegs, den der Mensch zur Erlangung der Freiheit noch zu bewältigen hat, abgeschwächt: »Die müssen Alles erfahren, und wenn / ich auf den elektrischen / Stuhl komme« (37). Ein metatheatralischer Zusatz, welcher einen deutlichen Bezug auf die Verantwortung des Künstlers hat, der vor Zensur und Strafe nicht zurückschreckt.

587 Vgl. Piero Dallamano: La scienza e la coscienza di ribellarsi al potere. »Einstein« di Dessau a Firenze. In: Paese Sera, 2. Juni 1976; Massimo Mila: Il Maggio musicale fiorentino. »Einstein« di Dessau. Scienza responsabile. In: La Stampa, 1. Juni 1976; Gerhard Müller: Paul Dessaus »Einstein« enthusiastisch gefeiert. Gastspiel der Berliner Staatsoper in Florenz. In: Neues Deutschland, 12. Juni 1976, S. 10; Erasmo Valente: Einstein di fronte alla disumanit/ dei potenti. Rievocata in ventidue episodi l’opposizione dello scienziato alla barbarie nazista e alla forza distruttiva dell’imperialismo. Lo spettacolo presentato dalla Deutsche Staatsoper con la mirabile regia di Ruth Berghaus sotto l’intensa direzione di Otmar Suitner. In: L’Unit/, 1. Juni 1976; Michelangelo Zurletti: Einstein salvato dal coccodrillo. Al Maggio Musicale Fiorentino l’opera di Paul Dessau sul grande scienziato. In: La Repubblica, 1. Juni 1976. 588 Vgl. Max Nyffeler : Die Oper Einstein von Paul Dessau. Zur westdeutschen Erstaufführung bei den Ruhrfestspielen 1980 in Recklinghausen. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 19. Juni 1980, unter URL: http://www.beckmesser.de/komponisten/dessau/einstein.html. 589 Die Oper Einstein ist Dessaus vorletzte Komposition. Zu der erlittenen Zensur vgl. die sehr gut dokumentierte Arbeit von Matthias Tischer : Komponieren für und wider den Staat. Paul Dessau in der DDR. Köln, Weimar, Wien 2009, S. 278. Zur Erforschung der Zusammenhänge von Widerstand und Unterdrückung in der Musik der DDR zur Zeit des Kalten Kriegs s. auch den Band von Nina Noeske, Matthias Tischer (Hrsg.): Musikwissenschaft und Kalter Krieg (Anm. I, 6). 590 »Das ist die Hoffnung / es gibt keine andere«. Karl Mickel: Einstein (Anm. I, 420), S. 37.

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In beiden Fassungen ist allerdings dieser Kontext aus Terror, Repression, Dominanz staatlicher Kontrolle als zeitgeschichtliche Folie der Handlung leicht erkennbar. Die Naziaufmärsche, die Bücherverbrennung als Autodaf8 der westlichen Kultur – die »Schrecken des Humanismus«, wie der Untertitel der Rotbuch-Ausgabe lautet –, der Machtwahnsinn Hitlers, des »Führorr[s]« (12– 13), der wie in Goebbels’ Sportpalastrede »den totalen Krieg« (13) proklamiert, leiten das Geschehen ein. Der Einstein, den wir hier erleben, ist ein enttäuschter Auswanderer : »Unsre Köpfe / Sind zu groß für dieses Land« (9). Als die zwei KoProtagonisten – der ›Alte Physiker‹ und der ›Junge Physiker‹ – ihn vor der Todesgefahr warnen (»Du bist verbrannt. Du mußt verschwinden«, 8), verlässt er sein Geburtsland, allerdings nicht bevor er die symbolische Auswahl des in die USA mitzunehmenden Buches getroffen hat. Die an dieser Stelle genannten, dann auch als dramatis personae anwesenden Galilei, Giordano Bruno und Leonardo fungieren als Beispiele für alternative Visionen der Wissenschaft. Insofern illustriert die Buch-Episode schon das künftige Schicksal des Genies. Der Lektüre von Galilei und Giordano, dem Abschwörenden und dem »Verbrannte[n]«, zieht Einstein den »Emigrant[en]« Leonardo vor (»steckt das Buch ein«, 9), der seine Resultate »nicht veröffentlichen und verkünden [will] wegen der böswilligen Natur der Menschen« (9). Mit ihm, mit Leonardo als ›Entsagendem‹, identifiziert sich von vornherein der Titelheld, der dadurch auch den Opernschluss, die Verzichtserklärung auf eine schuldig gewordene Wissenschaft, vorankündigt. Von der Entscheidung für Leonardo bis zur Erkenntnis der tödlichen Wirkung aller Entdeckungen führt die Oper von diesem Anfang, der schon ein Ende ist, zu einem burlesken Epilog, der eine fabelhafte Auferstehung schildert und dennoch keine Hoffnung übrig lässt. Schon die Vorgeschichte in Deutschland emphatisiert die fatale Funktion der Wissenschaft durch den Befehl, den Hitler den anderen beiden im Land gebliebenen Physikern erteilt: »Daß ihr mir abbrecht die Erdteile / Welche sich mir widersetzen, weil ich / Nicht Alles allein machen kann« (13). Der Autor beobachtet die entgegengesetzten Reaktionen der beiden Forscher und lässt ihre Stimmen im Duett-Teil abwechselnd »Ja« und »Nein« (13–14) singen. Der ›Alte Physiker‹ laviert sich durch, der ›Junge‹ rebelliert und erreicht in Amerika Einstein, der sich nach der Nachricht von der Hitler-Bombe (»Unser Freund in Deutschland / Baut die Atombombe«, 18) für das Nuklearprojekt entscheidet. Ebenso wie die vorherige Figur des Brecht’schen Entwurfs sieht Einstein zu diesem Zeitpunkt in der Bombe das allerletzte Mittel zur Erreichung des Friedens: Gift gegen Gift, wenn nichts als Gift hilft Feuer frißt sich, Tod verschlingt den Tod

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Im Bauch des Schreckens wächst die Leibfrucht Frieden: So ist die Welt. Ich laß mich nicht verbieten. (20)

Gemäß der in vielen Werken der DDR-Literatur weitverbreiteten antiamerikanischen Propaganda lässt hier der Autor die enorme US-Macht durch das großzügige Angebot des Präsidenten an die Physiker zur Geltung kommen: »Sie brauchen Geld, hier ist Geld. Sie brauchen eine Wüste, hier ist eine Wüste. Sie brauchen Mitarbeiter, hier sind Mitarbeiter« (23). Das Nazi-Deutschland erfährt seine Niederlage (»Deutschland ist hin«, 26), doch das Los-Alamos-Projekt wird weitgehend fortgesetzt und Einstein wird zum aktiven Teil des Geschehens. Sogar der ›Alte Physiker‹, der inzwischen ein ähnliches Schicksal erlebt hat wie der deutsche, später US-amerikanische Raketenkonstrukteur Wernher von Braun, der kurz vor der Kapitulation Deutschlands die Seiten wechselte und nach Amerika floh, ist nun mit seinen atombesessenen Technikern (»Hol mir das Beil, ich will ein Atom spalten«, 25) im »gelobte[n] Land« (27) und macht begeistert mit. Erst die Zündung der Atombombe über Japan löst dramatische Skrupel aus. Das Genie ist schockiert. Ein desolates Bild der Erde überfällt es in seinem apokalyptischen Lamento: Cities consumed, forests set in fire The meagre by the meagre were devoured The brows of men by the despairing light Wore an unearthly aspect, die schöne Sonne Verglüht, totes Gestirn Weglos und ohne Strahl, die Luft erstickt sich Rostend die Schiffe im starren Abgrund Leer die Welt, ein Klumpen Arm und Reich. (29)

Die verheerende Erfindung bringt nicht nur die physische, sondern auch die geistige Welt zum endgültigen Einsturz. Ein unerhörtes Verbrechen, das nach Buße ruft. Die Sünde bleibt an Einstein haften. Deshalb ist die Szene am Richtertisch, im letzten Akt, eine Prozess- und Abrechnungsszene, die auf ein jenseitiges Gericht verweist. Furchtbar klingt das Einstein verkündete Urteil. »Sie sind verurteilt. / Sie werden, solange Sie leben / sowie nach Ihrem Tode / für die Waffen, die / Sie erdacht haben und abschaffen wollen / in einem fort geehrt werden« (34). Mickels Figur erhält die Dimension der damnatio. Es gehört zur Groteske dieser Oper, dass Galilei, Giordano und Leonardo dieses Schicksal in der Szene mit dem pompösen Titel Unsterblichkeit bei einem Bier trivial kommentieren: Einstein ist nunmehr eins mit den selbstverschuldeten Trümmern, »denn er ist ein Wrack, seit er berühmt ist. Alle Welt besichtigt die Ruine. Sie lassen ihn leben, das ist das Ende« (35). Ein Ende, aber was für ein absurdes. Die eingeschobenen Intermezzi, Hanswurst- und Krokodilszenen, welche Lage und Geschichte der Menschheit allegorisieren sollen, vermögen die Tragik

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dieser Entwicklung kaum zu mindern. Ein gefräßiges Krokodil, das den Imperialismus verkörpert, frisst im zentralen Intermezzo den Hanswurst, dem es vorab gelungen war, das Krokodil durch einen Witz abzulenken. Im Epilog aufersteht der mutige Volksheld und Lebenskünstler (»ich lebe gern«, 16) und wagt, nunmehr im vollen Bewusstsein der Tücke des Krokodils, einen »Spaziergang auf dem Rasiermesser« über den Krokodilweiher, über den Abgrund des Todes. Das Risiko lauert immer, die Gefahr ist nicht gebannt. Der parallele Ausgang der Einstein-Handlung entspricht einem ähnlichen Pessimismus, dem Gefühl eines drohenden Damoklesschwerts, das die Entsagung an die Wissenschaft im Dienst des ›Krokodils‹, des Imperialismus, einfordert: Wie zahllose Gestalten aus Physikerdramen verbrennt schließlich auch Einstein seine Manuskripte. Vor fünfzig Jahren fand ich die Formel Jetzt brennt die Welt Ich habe noch eine Formel gefunden Dreißig Jahre Arbeit meines Alters: Die will ich verbrennen. (37)

Freilich: Die Geste der Verbrennung ist auch hier – wie in den anderen Atomdramen – keine Lösung, sondern nur eine Verzögerung der Katastrophe. Und auch bei Einstein schließt sich an die rituelle Vernichtung der Formel die skeptisch-zynische Prophezeiung über die Zukunft des Menschengeschlechts an: »Hundert Jahre Pause, bis ein Andrer / Zum andern Male findet, was ich weiß« (37). Der Wissenschaftler, selbst ein Akrobat auf dem Rasiermesser, kann sein unbedachtes Handeln nicht wiedergutmachen, der Weltuntergang ist bloß verschoben, das Schlimmste scheint unabwendbar zu sein. Theo Adam: Während der Proben notiert. In: Theater der Zeit (1974), H. 4, S. 10–11. Stefan Amzoll: Versuch, das Jahrhundert zu bilanzieren. Stefan Amzoll im Gespräch mit Karl Mickel. In: Neue Deutsche Literatur (2000), H. 6, S. 5–12. Ders.: Die Oper singt, wo das gemeine Leben schweigt. Was ist die Atombombe gegen die Unsterblichkeit eines Genies? Die einzigartige Geschichte des »Einstein«-Librettos. In: Der Freitag, 12. August 2005, unter URL: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ die-oper-singt-wo-das-gemeine-leben-schweigt. Karsten Bartels: Aspekte der »Einstein«-Partitur. In: Theater der Zeit (1974), H. 4, S. 11–13. Ders.: »Einstein« an der Berliner Staatsoper – Dokumente eines Inszenierungsprozesses. Hrsg. vom Verband der Theaterschaffenden der DDR. Berlin 1977. Volker Braun: Blicke du durch. Karl Mickels gedenkend. In: Der Freitag, 30. Juni 2000, unter URL: http://www.freitag.de/2000/27/00271701.htm. Eleonore Buening: Welt im Ei. In: Zeit Online, 23. Februar 1996, unter URL: https://www. zeit.de/1996/09/Welt_im_Ei. Piero Dallamano: La scienza e la coscienza di ribellarsi al potere. »Einstein« di Dessau a Firenze. In: Paese Sera, 2. Juni 1976.

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Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität. Ein Biophysical (1975)

Autor : Ernst Schumacher (1921–2012) Darbietungsform: Schauspiel in zwei Teilen (mit Vorspiel und Zwischenspiel in Versen) Uraufführung: 4. April 1975, Volkstheater Rostock Ort: Princeton und fiktive Szenerie Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Als der bayerische, nach Ostberlin übergesiedelte Theaterkritiker und Brechtforscher591 Ernst Schumacher kurz vor Brechts Tod mit dem Dramatiker über dessen Einstein-Plan sprach,592 wusste er wahrscheinlich nicht, dass er selbst sich mit dem Unterfangen messen würde, die widersprüchliche Tragik der Physikerfigur in ein Bühnenstück zu verwandeln. Das tat er 1975, fast 20 Jahre nach Brechts Fragment, mit einem provozierenden Stück ausgeprägt experimentellen Charakters. Angekündigt wurde die Uraufführung mit dem explikativen Titel E gleich M mal C-Quadrat oder die Versuchung des Forschers.593 Aber 591 S. dazu den mit reichen Angaben versehenen Aufsatz von Helmut Peitsch: »Aber ein Teil von Deutschland gehört ihnen nicht mehr«. Ernst Schumacher, der bayerische ›Begründer der marxistischen Brecht-Forschung‹ (Anm. II, 320). 592 Ernst Schumacher: Wie Brecht beinahe ein Einstein-Stück schrieb (Anm. II, 322). 593 Vgl. dazu die Pressenotiz ohne Autor : Rostocker Volkstheater mit Neuinszenierungen. In: Neue Zeit, 1. Dezember 1974, S. 4.

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schon im Henschel-Bühnenmanuskript fällt die Formel weg, der Titel gewinnt an symbolisch-idealer Qualität – Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität – und das Stück gibt sich im Untertitel programmatisch als Ein Biophysikal aus: Daten aus Einsteins Leben und physikalische Fragen sollten dabei in der integrativen Gestalt des Erfinders der Relativitätstheorie konvergieren. Außer diesem fast als gattungsbegriffliche Kategorie verwendeten Binom von Biographie und Wissenschaft signalisiert der oxymorische zweite Teil des Titels, Visionen aus der Realität, die untergründig phantastische Dimension, die der Autor im Text entwirft. Auf die Bühne treten phantasmatische Erscheinungen aus vorherigen Jahrhunderten, die in unterschiedlichem Maß dem Entwicklungsprozess physikalischer Kenntnisse Pate gestanden haben. Dazu tauchen im Spiel auch diverse dramaturgische und genrespezifische Darbietungsformen auf, die eine gattungsgeschichtliche Einordnung äußerst erschweren: von der italienischen Commedia dell’arte zum Agitprop, vom allegorischen zum Dokumentartheater. Das Ganze mit einem Überschuss an Figuren belastet, welche im Manuskript etwa 100 Personen, einschließlich Allegorien und Funktionen, umfassen. Die Diskontinuität der Zeit- und Raumstruktur des Textes und die Dichte intertextueller Bezüge auf Brechts Galilei und Einstein und auf Goethes Faust kennzeichnen noch mehr die Komplexität und die Vielschichtigkeit eines variantenreichen Atomdramas, das nicht nur für Kritiker, sondern auch für Zuschauer und Leser eine wahre Herausforderung darstellt. Und dennoch – die Uraufführung des Stücks am Volkstheater Rostock, kurz vor dem 20. Todestag von Albert Einstein, wurde mit Begeisterung aufgenommen, zumal wegen der ausgezeichneten Besetzung der Hauptrolle mit einem Schauspieler des Kalibers von Hans-Peter Minetti. Es gab zwar viele Rezensenten, die sich unschlüssig waren, wie sie mit dem »spröde[n] Text«594 umgehen sollten. Und einige fanden Worte der Kritik an den »ziemlich verschlungenen Denkwegen«595 und der »mit knappen gedanklichen Faktologien überfrachtet[en]«596 Handlung. Doch im Osten wie im Westen wurde die Aktualität der schon seit Ende der vierziger Jahre im Atomdrama intensiv angestellten Überlegungen zur Frage nach der historischen Verantwortung der Wissenschaft als humanistischer Verantwortung des Intellektuellen gelobt: Ein Stück von drüben

594 Wolfgang Dalk: Spröder Text verhindert Wirkung. Ernst Schumachers Stück »Die Versuchung des Forschers« am Rostocker Volkstheater. In: Neue Zeit, 28. April 1975, S. 4. 595 O. A.: Albert Einstein im Kreuzverhör. In: Nationalzeitung Berlin, 10. April 1975. 596 Karl-Heinz Hafranke: Die Versuchung des Forschers. In: Berliner Zeitung, 10. April 1975, S. 6.

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– ein Thema für uns betitelte bezeichnenderweise die Düsseldorfer Deutsche Volkszeitung ihre Rezension.597 Am Ringen des Ulmer Physikers um die Rechtfertigung seines Beitrags zur Realisierung der Atombombe, an seinen Konflikten um Ziel und Zukunft einer Technik, die jeglichen Sinn für das Menschliche verloren hat, schildert das Werk einen »Fall, der klassisch ist«,598 einen Fall also, der von vornherein exemplarisch sein sollte, um den Zwiespalt naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zwischen Fluch und Segen erkennen zu lassen. Diese Paradigmatik von Einsteins Leben, die im Stück Vorrang vor einer chronologisch geordneten Dokumentation hat, wird im Vorspiel metatheatralisch betont. Hier kündigt der Theaterdirektor dem als Person auftretenden Autor die Darstellung einer genialen Lebensparabel an, die Unheil bringt, zugleich aber aus sich selbst heraus die Gegenmittel erschaffen kann: Du hast doch einen Fall, der klassisch ist: Dein Held beweist, daß er, der hoch vergeistet Ex ovo et ad finem bis zum Genialen, Nicht nur sich selbst, nein auch die Menschheit in Gefahren zieht, Weil, was er denkt, Bankiers und Generalen Die Macht gibt, alles, was nach Volk aussieht, Nach Freiheit, Gleichheit, Brüderschaft, Zu unterdrücken, ja es zu vernichten. Er wirkt jedoch auch mit, die Gegenkraft Aus seinesgleichen und dem Volke zu errichten. (9–10)

Auch die im Titel der Bühnenfassung zentral gewordene ›Versuchung‹ greift Schumachers Anliegen auf, Einsteins inneren Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen ›purer‹ Forschung und furchterregender, verderblicher Entwicklung der Atomenergie unter dem Gesichtspunkt der Faszination zu behandeln. Diese besondere Art der Versuchung wird in Einsteins erstem Streitgespräch mit Edward Teller auf ein Konzentrat von Begriffen (Grenze, Konflikt, Wissen, Gewissen, folgenschwer) eingegrenzt, die übrigens im Assoziationsgeflecht der Wissenschaftsverantwortung gängig sind. Einstein: […] Ja, meine Forschungen auf dem Grenzgebiet zwischen Mathematik und Astronomie führen zu Folgerungen, die ebenso interessant wie folgenschwer sind. Teller : Sicher auf dem Grenzgebiet zwischen Materie und Antimaterie. Das ist meine Idee! Einstein: O ja, ich weiß, Sie geraten mit Ihrem Wissen nicht in Konflikt mit Ihrem Gewissen. Ich jedenfalls werde der Versuchung widerstehen, auf diesem Gebiet weiterzuforschen. (19) 597 Oskar Neumann: Ein Stück von drüben – Ein Thema für uns. In: Deutsche Volkszeitung Düsseldorf, 1. Mai 1976. 598 Ernst Schumacher: Die Versuchung des Forschers (Anm. I, 102), S. 9.

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Das Motiv der Grenzüberschreitung lässt sich aber leicht auch auf den faustischen Schwerpunkt der Handlung zurückführen: die entgegengesetzten Triebkräfte, die um Einsteins Seele wetten und mithin den dramatischen Ablauf bestimmen. In dem auf der Goethe’schen Vorlage deutlich fußenden Vorspiel auf dem Theater erwecken zwei allegorische Figuren, der Große Krumme und der unter ausdrücklichem Bezug auf Ibsens Peer Gynt (10) so genannte Kopfgießer, die Gestalt Einsteins (»Ich denke, wir holen jetzt den Alten«, 14). Der Große Krumme als Vertreter reaktionärer Ideologien und der Kopfgießer als Anwalt freiheitlicher und demokratischer Gesinnung sollen den greisen Einstein zur Abrechnung mit sich selbst bringen: Der eine in der Überzeugung, dass das Schicksal des Helden schon entschieden sei (»ihm folgen immer Flüche«, 12), der andere hingegen in der Annahme, dass noch nichts »verloren« (12) sei. Die Zuversicht des fortschrittlich denkenden, mit dem Autor solidarischen Kopfgießers gründet im Vertrauen in die Vernunft und Erziehbarkeit des Menschen, denn schließlich ist es »der Mensch, der sich zum Menschen macht, / Auch wenn er irrt, verstrickt im Bösen, / In Wahn und Schuld und Unzulänglichkeit. / Da niemand außer ihm, wird er sich selbst erlösen / Und sich befrein von Eigenbänglichkeit« (12). Es entsteht ein symbolisches Gericht, bei dem Einsteins Widerparte die Handlung in einem Kaleidoskop von vernommenen ›Zeugen‹ vorantreiben. Das juristische Modell mit Rollenverteilung und szenischer Skandierung, das schon Mickel in seiner Einstein-Oper angewandt hatte, dient Schumacher dazu, Gestalten ins Spiel zu bringen, die die Entscheidung des Physikers zugungsten oder gegen die Nuklearenergie beeinflussen können. In loser Folge erscheinen die namhaftesten Kernphysiker und Biologen – von Born, Joliot-Curie und Oppenheimer über Planck und Rutherford bis hin zu Szilard und Teller – und erörtern Aspekte der Vor- und Nachkriegsgeschichte der Atombombe. Dazwischen schieben sich die Erzväter der Wissenschaft, von der Mythologie (Prometheus) zur Philosophie (den Atomisten), von der Alchimie zur Naturwissenschaft. Es treten hier Bacon, Dryden, Leonardo, Galilei, Kepler und Newton auf. Berühmte Politiker, aber dann auch noch Tierfiguren, abstrakte Ideen und Laster (die Furcht, die Dummheit, die Habgier), Gegenstände und Funktionen – wie die aktiv mitspielenden Bomben Little Boy, Big Boy und Mrs. Overkill – wirken an dem historischen Rekonstruktionsprozess mit. Fiktion und Dokument gehen miteinander einher und korrelieren mit dem Einsatz dramatischer und theatralischer Mittel, die die Interaktion der im Titel angedeuteten visionären und wirklichen Ebenen gewährleisten. So sollen auf der Bühne Masken und kühne Trachten, Ein- und Ausblendungen von Dokumentarfilmen und verschiedenartigen Bildprojektionen, Musik und Szenenausstattung dazu beitragen, die simultane Verbindung von Vergangenheit und Realität, Erinnerung und szenischem Präsens vorzutäuschen.

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Der weit kohärentere und stärker gegenwartsbezogene erste Teil lässt die Stationen des pazifistischen Engagements Einsteins vorüberziehen. Wie bei Brecht wird auch hier die politisch scharf konturierte Position des Physikers kommentiert, beginnend mit seiner frühen Opposition gegen das »säbelrasselnde Berlin« der »gedrillten Soldaten« und »bramarbasierenden Generale« (24). Genannt werden in diesem Zusammenhang Einsteins politisch profilierte Entscheidungen, wie die frühen Sympathien für den Bolschewismus, der mit Nicolai unterschriebene Antikriegsaufruf im Namen des klassischen deutschen Erbes (»Das Deutschland Schillers und Goethes verurteilt diesen Krieg«, 25) und die berühmte Diskussion mit den Schülern der Berliner Marxistischen Arbeiterschule, der MASCH (30–33), die bereits Brecht in seinem Fragment interessiert hatte. Bei alledem entfaltet sich der Disput zwischen Einstein und dem Großen Krummen, der einerseits die Unzulänglichkeit seiner Versuche gegen die faschistische Entwicklung in Europa (»Was haben deine ganzen Aktivitäten genutzt?«, 33), andererseits die Fragwürdigkeit der Interventionen entlarven will, mit denen der Protagonist sein Schuldgefühl unterdrücke: »Immer nur Briefe unterschreiben, gewiß, nichts weiter« (36). Einsteins inkonsequentes Handeln in Bezug auf die finale Zustimmung zum Nuklearprojekt wird zusammen mit dem ›Mythos‹ der Hitler-Bombe genannt: Die Angst davor, die Nazis würden sich der Uranlager bemächtigen, um eine Atombombe zu bauen, habe ihn zur definitiven ›Abdankung‹ des Pazifismus geführt. Unzählige Dramenpersonen – Wigner, Szilard, Teller, Sachs, Lenard, General Groves, McCarthy, McMahon, Dulles, Semjonow, Keldysch – wohnen unter anderem der wirklich komplexen Szene bei, in der die Furcht vor einem Nazi-Sieg als politisch und historisch inkonsistenter Beweggrund debattiert wird. Somit wird Einsteins Verstrickung in den Bau der Bombe vergrößert. Einstein: […] Meinen Pazifismus mußte ich schon 1933 als untauglich kennzeichnen; 1939 hatte ich keine andere Wahl, als Roosevelt diese Warnung zu schicken, so sehr mir die Vorstellung widerstrebte, den Anstoß zum Bau einer solchen Mordwaffe zu geben. Kopfgießer : Du konntest nicht wissen, daß sich die Nazis gerade mit der Verdammung der speziellen Relativitätstheorie und (zu Lenard) – Ihr später Triumph, Herr Lenard –, als jüdisch-bolschewistische Physik den raschen Zugang zur kriegerischen Nutzung der Atomenergie verbauten. […] Großer Krummer (zu Einstein): Nun, dann hat eben Oppenheimer Einsteins große Formel ausgenutzt, um das große Ei auszubrüten. Szilard: Ja, aber von unseren Machthabern hat sich dann, als das große Ei ausgebrütet war, keiner mehr um die Nazi-Bombe gekümmert. General Groves wußte schon im Frühjahr 1945, daß eine deutsche Bombe nicht existierte. Diese Nachricht hat er verheimlicht und trieb uns Wissenschaftler zu noch größerer Eile beim Bau der Bombe an. […] Einstein: »Wenn ich gewußt hätte, daß es den Deutschen nicht gelingen würde, die

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Atombombe zu bauen, so hätte ich keinen Finger gerührt.« Großer Krummer : Ja, das hast du nachher gesagt… (41)

Im Laufe der langwierigen Diskussion zeichnet sich ein bedeutender Wandel in den Reaktionen Einsteins ab, der sich mal zu entlasten versucht, mal von den Aussagen affiziert wirkt, die er selbst zugunsten der Nuklearoption gemacht hatte. Mit etlichen Vorwürfen konfrontiert (z. B. der Unterstützung von Szilards Memorandum an Roosevelt im März 1945 oder der im Atlantic Monthly befürworteten Notwendigkeit, »das Geheimnis der Bombe nicht an die Organisation der Vereinten Nationen auszuliefern«, 43), verwickelt er sich in Widersprüche, die ein Auf und Ab von Schuld und Rechtfertigung, von Scham und resignierter Einfügung in das politische System zeigen. Aufgrund vieler antiamerikanischer Klischees, die auch in diesem Stück zutage treten, lässt ihn der Autor »offen bekennen«, dass ihm die US-Außenpolitik der Nachkriegszeit in ihrem imperialistischen Charakter »die Haltung Deutschlands unter Kaiser Wilhelm II« (47) ins Gedächtnis ruft. Die inzwischen im Hintergrund laufenden, mit dem Abwurf auf Hiroshima verbundenen Bildprojektionen (der Bomber Enola Gay, der Atompilz, die Stadt in Asche und Schutt, der Händedruck zwischen Truman und Churchill) sollen dabei Einstein an die Folgen seiner Forschung erinnern, die ab 1946 – allen Illusionen zum Trotz (46) – nicht zu zivilen Zwecken, sondern für »die nächsten Versuchsexplosionen« (47) eingesetzt wurde. Es fehlt hier nicht die in Atomdramen häufige Erwähnung von Bikini, übrigens in der skurrilen Form von R8ards Badeanzug (46). Aber nicht nur für die Bomben auf Japan, sondern auch für das Projekt der HBombe ist Einstein berufen, die »intellektuellen Versuchungen« (52) zu verantworten, denen die Physiker, diese neuen Götter der Moderne – wie sie der Große Krumme bezeichnet –, nicht zu widerstehen vermögen. Die Diskussion, bei der auch Teller, Pauling, Szilard und Oppenheimer das Wort ergreifen, bringt viele der Fragen zum Ausdruck, die schon in früheren Bearbeitungen des Wissenschaftlermotivs ähnlich vorkommen. Und es tauchen sogar Formulierungen auf, die uns fast wortwörtlich aus anderen Werken, in primis Kipphardts Oppenheimer, bekannt sind. Auch bei Schumacher spricht Teller seine Ansicht der Nicht-Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der Politik deutlich aus (51). Und Linus Pauling zitiert wortgetreu, was schon Kipphardts Held beteuert hatte: »Es ist nicht die Schuld der Physiker, daß in unserem Land aus genialen Ideen immer Bomben werden« (53). Dabei erkennt er auch den Topos gewordenen Riss zwischen dem Erkenntnisrausch (»von einer Sache wissenschaftlich begeistert«) und der Furcht vor den Resultaten (»und als Bürger dieses Landes, nein dieser Welt, zutiefst erschrocken sein«, 53). Noch eine weitere ›Versuchung‹ wird aber bei Schumacher spürbar, nämlich dass die Physiker der freilich instrumentalisierten Verrats- und Angstproble-

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matik – möglicherweise zur eigenen Entlastung gegenüber dem Vorwurf, nichts gegen die Atombombe unternommen zu haben – ein ausschlaggebendes Gewicht beimessen. Eine solche Verrats- und Angstpolitik habe für Einstein Amerika nach dem Fall des Atomspions Klaus Fuchs und im Koreakrieg (51) betrieben. Nicht nur die fehlende Opposition der Intellektuellen sei deshalb an der Spirale des Wettrüstens schuld, sondern das vergiftete Klima im Kalten Krieg, der »politische Terror, der Druck auf jedermann, die Verdächtigungen, kein ›guter Amerikaner‹ zu sein, die Hexenjagd auf die Intellektuellen, diese ganze Inquisition der Dummköpfe und Spitzbuben« (55). Aus dieser beinahe fatalistischen Haltung ergibt sich die Bedeutungserweiterung und -übertragung der technischen Begriffe ›Spaltung‹ und ›Atom‹ auf eine Sphäre, in der die Schuld des Einzelnen nicht so schwer wiegt: »Wir haben ihnen«, gibt Einstein zu, »die Atome gespalten, sie unser Gewissen«. Atom- und Gewissensspaltung gehen also ineinander über und erfahren als Begriffsfeld eine Relativierung, die durch die Skepsis des Großen Krummen noch ironisch gesteigert wird: »Ach was, nichts ist übrig geblieben von den Skrupeln, sie wurden gleichsam atomisiert« (58). Ob diese Atomisierung des Gewissens in der Physik selbst verwurzelt sei, hinterfragt auf historisch-visionärer Ebene der lange zweite Teil, wo der Dramatiker dank einer Zeitmaschine Einstein, Teller, Pauling, die Atomisten und Prometheus vor dem Gericht zusammenfinden und die projizierten Wechselwirkungen von Kernreaktionen und Beschleunigungsprozessen kommentieren lässt. Die verblüfften Aussagen der griechischen Mythengestalt bei der Explosion einer H-Bombe (»Wer macht das, wer ist größer als ich?«, 67; »Was ist Overkill«, 75; »Aber wie zünden sie diese gewaltigen himmlischen Feuer über die Erde an?«, 76) und die Zweifel der Atomisten (»Was haben sie? Das Unteilbare der Natur gespalten? Das ist doch nicht möglich!«, 68; »Das Unteilbare teilbar!«, 71) drehen sich alle um Zweck und Kosten des Geheimnisses der Sonnenentzündung, die »ein bißchen Vergewaltigung« (68) verlangt, wie der Große Krumme glossiert. Alchimisten: Aber was kann man mit diesen Geheimnissen anfangen, die ihr in diesen Anlagen lüftet? Prometheus: Wozu verwendet ihr dieses himmlische Feuer? Atomisten: Wozu habt ihr das Unteilbare gespaltet? Pauling: Nun, Doktor Teller, Sie haben es entdeckt! Stehen Sie Rede und Antwort! Teller : Zum Schutz der Menschen, zum Schutz unserer Art zu leben, zum Schutz der Freiheit… (71)

Wie hoch und sinnlos der Preis für diesen vermeintlichen »Schutz« der Menschen ist, zeigt der Kopfgießer mit einem Dokumentarfilm über das Fischerboot Glücklicher Drachen und den ebenfalls zum Leitmotiv vieler Atomdramen der

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fünfziger und sechziger Jahre gewordenen Unfall der verseuchten japanischen Fischer. Auf die verzagte Frage der Atomisten, ob »bei all diesen Anstrengungen nichts Brauchbares herausgekommen« (74) sei, antwortet der Text mit dem Auftritt von Mrs. Overkill, die dem Zuschauer technische Informationen über das Megatonnenpotential des neuen Atomtodes gibt und dabei zärtlich ihre Lieblingsatomsprengköpfe masturbiert. Dass ein erotischer Stimulus jedem Kriegsimpuls innewohnt, bestätigt später der Gröfaz, so die Abkürzung für den Größten Führer aller Zeiten, der sich in seinem Refrain »Ausradier’n! Atomisier’n« an Mrs. Overkill »aufgeilen« (133) kann. Prometheus’ Enttäuschung über seine ungeratenen Söhne wächst an dieser Stelle ins Unermessliche, ebenso wie die Ratlosigkeit der Väter der Wissenschaft: »Nicht dafür habe ich geforscht!« (83), empört sich Kepler. Die allzu detaillierten Erklärungen der verschiedenartigsten Physikexperimente sollen in der Intention der ›Anklage‹ die schiefe Bahn beweisen, auf die die Skrupellosigkeit der Forschung geraten ist. Einsteins ›Anwalt‹, der Kopfgießer, wagt zwar ab und zu schüchterne Einwände, um die Kehrseite – den nicht unbedingt nur negativen Wert der geleisteten Vorarbeit – hervortreten zu lassen, ohne die es »auch keine Sputniks, keine Fotos von der Rückseite des Mondes« (83) geben würde. Jedoch wirken die Bildprojektionen aller möglichen Massenvernichtungsmittel (97–99) – vom Zykon B zu den Gaskammern, vom Nervengas zu den Bakterienwaffen, deren Funktion Epstein und Meselson genau erläutern, und zu den anderen Psychochemikalien, die die Aggressionslust der Militärs steigern – niederschmetternd auf die anwesenden Wissenschaftler. Als »Erfinder des Verderbens« (101) akzeptieren sie ihre Schuld und treten, wofür auch Dürrenmatts Möbius ausdrücklich plädierte, für die Zurücknahme ihres Wissens ein. Francis Bacon: Dann war unser Grundsatz: »Wissen ist Macht« falsch und wir müssen ihn zurücknehmen. Wir müssen das Wissen für uns behalten. Sprat: Es war falsch, daß wir geglaubt haben, die Mehrung des Wissens von den natürlichen Dingen ohne Theologie, ohne Metaphysik, ohne Moral, ohne Politik vornehmen zu können (Zu den zeitgenössischen Wissenschaftlern:) Sie müssen sich vom Bösen enthalten! (101)

Bei aller Erbitterung erweist sich aber Schumachers Perspektive der Einsteinfigur letztendlich als versöhnlich. Schon die unerschöpfliche Vielzahl der in die Entwicklungsgeschichte der Energie involvierten Akteure relativiert die Schuld, schließt eine individuell zu tragende Verantwortung aus und macht die Grausamkeit einer »Massenvaterschaft« (142) der Bombe zum Objekt des kollektiven Nachdenkens. Ein Zurück ist zwar nicht mehr denkbar, aber die Zukunft erfordert den vielleicht noch gangbaren Schritt der Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen. Schumachers Einstein nimmt an der Seite fortschrittlicher, pazifistisch gesinnter Wissenschaftler wie Joliot-Curie, Keldysch und Linus

Schumacher: Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität (1975)

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Pauling gegen den Atomtod Partei und diktiert vor dem Publikum einen langen Appell. Mit dieser Chance für den Frieden koinzidiert, ganz am Schluss des Dramas, der Auftritt des Schulmädchens Mabel, das sich, wie am Stückeingang, noch einmal an den alten Lehrer wendet, um ihre Physikhausaufgaben zu lösen. Einsteins gutmütige Freude, als er dem Kind hilft, soll als ein Zeichen für die Verpflichtung zu einer menschenfreundlichen Wissenschaft zum Mitmachen bewegen. Autor und Direktor sprechen am Ende ein letztes Wort aus, und es ist ein zuversichtliches: »Es heißt Frieden!« (163). Einsteins Ambivalenz bleibt, aber die finale Botschaft weitet sich zu einer positiven Aufwertung seiner widersprüchlichen Figur aus. Wolfgang Dalk: Spröder Text verhindert Wirkung. Ernst Schumachers Stück »Die Versuchung des Forschers« am Rostocker Volkstheater. In: Neue Zeit, 28. April 1975, S. 4. Emilia Fiandra: Einstein-Rezeptionen. Theorie der Relativität und Relativität des Gewissens bei Brecht, Mickel und Schumacher. In: Luca Renzi (Hrsg.): Arte e Scienza / Kunst und Wissenschaft, Schriften der Villa Vigoni. Bd. 4. Stuttgart 2018, S. 211–221. Wolfgang Grahl: »Die Versuchung des Forschers« – Einstein-Stück in Rostock. In: Norddeutsche Neueste Nachrichten Rostock, 10. April 1975. Karl-Heinz Hafranke: Die Versuchung des Forschers. In: Berliner Zeitung, 10. April 1975, S. 6. Rainer Kerndl: Ein Wissenschaftler in der Entscheidung. Ernst Schumachers »Einstein«Stück in Rostock. In: Neues Deutschland, 29. Mai 1975, S. 4. Peter Kruuse: Im Spannungsfeld der Lebensfragen. Einstein im Mittelpunkt des Stückes »Die Versuchung des Forschers« von Ernst Schumacher. In: Der Demokrat Schwerin, 14. April 1975. Oskar Neumann: Ein Stück von drüben – Ein Thema für uns. In: Deutsche Volkszeitung Düsseldorf, 1. Mai 1976. O. A.: Albert Einstein im Kreuzverhör. In: Nationalzeitung Berlin, 10. April 1975. Helmut Peitsch: »Aber ein Teil von Deutschland gehört ihnen nicht mehr«. Ernst Schumacher, der bayerische ›Begründer der marxistischen Brecht-Forschung‹. In: Andreas Degen, Margrid Bircken: Reizland DDR: Deutungen und Selbstdeutungen literarischer West-Ost-Migration. Göttingen 2014, S. 233–262. Sigurd Schmidt: »Erst, wenn mit Sinn die Phantasie sich paart…«. In: Ostsee-Zeitung Rostock, 18. April 1975. Klaus Schuhmann: Das Galilei-Thema in unserem Zeitalter. Zu Ernst Schumachers »Drama und Geschichte«. In: Berliner Zeitung, 11. November 1966, S. 6. Ernst Schumacher : Mein Brecht. Erinnerungen. 1943 bis 1956. Leipzig 2006. Ders.: Die Versuchung des Forschers. In: Neue Deutsche Literatur (1975), 3, S. 64–73. Ders.: Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität. Ein Biophysical. Berlin 1975. Ders.: Wie Brecht beinahe ein Einstein-Stück schrieb. In: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung, 15. April 2005, unter URL: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wiebrecht-beinahe-ein-einstein-stuck-schrieb.

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Atomdramen und Atomhörspiele 1945–1975

Michael Schwartz (Hrsg.): Ernst Schumacher. Ein bayrischer Kommunist im doppelten Deutschland, Aufzeichnungen des Brechtforschers und Theaterkritikers in der DDR 1945–1991. München 2007.

Teil III

Bibliographie

In der Bibliographie folgen sowohl die Quellentexte als auch die Sekundärliteratur (Monographien, Sammelbände, einzelne Aufsätze, einschließlich Presseartikel und Rezensionen) alphabetisch aufeinander. Theater- und Rundfunkstücke (Stücke), die oft unveröffentlicht blieben und nur als Manuskript gedruckt wurden, sind aus kulturhistorischen und buchwissenschaftlichen Gründen auch mit dem Verlag aufgeführt, sowie mit allen nachweisbaren Archivstandorten. Bei Hördramen, von denen kein Manuskript mehr, sondern nur noch Tondokumente zugänglich sind, wird als bibliographische Quelle das Audiofile benutzt.

1.

Stücke

Andersch, Alfred: Menschen im Niemandsland. Ein Rückblick (1952). Manuskript NDRHörspielarchiv, Archivnummer D 51 211/1–3 [Tonträger NDR-Schallarchiv, Archivnummer F827147]. Baecker, Werner : Atome für Millionen. Audiofile NDR-Hörspielarchiv, Archivnummer F837503000. Barnewold, Ernst: Promethiden. Bremen: Walter Dorn Verlag 1950. Becher, Ulrich: Die Kleinen und die Großen. Neue Zauberposse in zwei Akten. In: Aufbau (1955), 11, S. 1069–1077. Wiederabgedr. in: Ders.: Spiele der Zeit. Hamburg: Rowohlt 1957, S. 293–404. Becsi, Kurt: Atom vor Christus. Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Felix Bloch Erben 1952. Bock, Christian: Gebt acht auf die Welt! (1950). Manuskript Historisches Archiv SWR. Archivnummer 515. Böll, Heinrich: Ein Schluck Erde. Mit einem Vorwort von Joachim Kaiser. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1962. Wiederabgedr. in: Ders.: Werke. Hörspiele, Theaterstücke. Drehbücher, Gedichte I 1952–1978. Bd. 1. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln: Kiepenheuer & Witsch, S. 403–463. Brecht, Bertolt: Leben des Einstein. In: Ders.: Werke, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 10: Stückfragmente und Stückprojekte. Berlin, Weimar,

574

Bibliographie

Frankfurt a. M.: Aufbau-Verlag, Suhrkamp 1997, S. 984–986 (Kommentar, S. 1294– 1299). – Leben des Galilei. In: Ders.: Werke, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlev Müller. Bd. 5, Berlin, Weimar, Frankfurt a. M.: Aufbau-Verlag, Suhrkamp 1988, (die drei Fassungen) S. 7–389. Breest, Jürgen: Die Mädchen aus Hiroshima. Eine Hörfolge (1963). Produktionsmanuskr. Radio Bremen. Schallarchiv. Buchholz, Gerhard Traugott: Reich Gottes auf Erden. Schauspiel in zwei Zeiten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Kiepenheuer Bühnenvertrieb [1949]. Bühler, Paul: Der Wagenlenker. Drama eines Atomforschers. Dornach: Literarischer Verlag 1963. Denger, Fred: Bikini. Unverkäufl. Manuskr. München: Drei Fichten Verlag 1948. [Military Government for Bavaria Information Control License Number US-E-117]. Drewitz, Ingeborg: »Unio mystica« – ein Spuk?. Manuskr. in: Ingeborg-Drewitz-Archiv. Akademie der Künste Berlin, Mappe 1/59/524 [1948]. Dürrenmatt, Friedrich: Das Unternehmen der Wega (1954). In: Ders.: Hörspiele und Kabarett. Zürich: Diogenes 1986, S. 77–124. – Die Physiker: eine Komödie in zwei Akten. Zürich: Verlag der Arche 1962. Egel, Karl Georg: Hiroshima – Fünf Jahre danach (1950). Manuskr. in: Karl Georg Egel Archiv. Akademie der Künste Berlin, Bestand Egel 5 [o. J., Datierung im Katalog: 1957]. Eich, Günter : Träume. In: Ders.: Gesammelte Werke in vier Bänden. Revidierte Ausgabe, Bd. 2: Die Hörspiele I. Hrsg. von Karl Karst. Frankfurt a. M. 1991, S. 349–390. Felkel, Günter : Narkose. Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Henschelverlag 1955. Franz Fassbind: Atom Bombe. Ein gesprochenes Oratorium. Einsiedeln, Zürich: BenzigerVerlag 1945. Wiederabgedr. in: Ders.: Werkausgabe in zwölf Bänden. Bd. 4: Laterna magica. Hrsg. von Peter Wild. Olten und Freiburg i. Br.: Walter-Verlag 1989, S. 81–108. Freese, Rudolf: Das stärkere Gesetz (1948). Berlin: Bruno Henschel & Sohn [o. J.]. Frisch, Max: Die Chinesische Mauer. Eine Farce. Basel: Schwabe 1947. Wiederabgedr.: Die Chinesische Mauer. Eine Farce. Version für Paris (1972). Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976. Gentz, Friedrich: Pilot Herzog. Drama in vier Akten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Henschelverlag 1956. Gong, Alfred: Die Stunde Omega (1955). In: Ders.: Die Stunde Omega / Um den Essigkrug. Zwei dramatische Werke aus dem Nachlass Alfred Gongs. Hrsg. von Bärbel Such. Oxford, Bern u. a.: Peter Lang 2007, S. 9–36. – Zetdam. Ein Satyrspiel (1958). Hrsg. von Natalia Blum-Barth unter Mitarbeit von Annika Saß. Aachen: Rimbaud 2017. Gottschalk Rudolf, Erwin Kowalzig: Die letzten Menschen (1950). Manuskript im RadioBremen-Schallarchiv. Archivnummer HO00166. Grüb, Willy : Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (1956). Manuskript. Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/8. – Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs (1956). Manuskript. Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/7.

Stücke

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– Der Fall Dynamit (1956). Manuskript. Süddeutscher Rundfunk. Hörspielabteilung. Archivexemplar Nr. 261/6. Hamm, Christoph: Heller als alle Sonnen. Szenen mit verbindenden Texten und einem Sprechchor gegen den Atomkrieg. Archiv-Manuskript Städt. Theater Leipzig [Titel auf dem Deckblatt: Sturm aus den Sonnen. O. J., vermutlich 1958, Bibliothek-Nr. 91]. – Szenen gegen den Atomkrieg. In: Neue Deutsche Literatur 7 (1959). H. 1, S. 109–112. Harig, Ludwig: Haiku Hiroshima. Als Hörspiel bearbeitet und für Stereophonie eingerichtet von Hellmut Geißner (1968). Sendungsmanuskript Saarländischer Rundfunk. Abteilung Hörspiel. Hauser, Harald: Weißes Blut (Szenen). In: Aus neuer Dramatik. In: Theater der Zeit (1959), Nr. 10, S. 26–30. – Weißes Blut. Berlin: Henschelverlag 1961. H#y, Gyula: Erj [Energie]. In: Csillag 12 (1951), S. 1491–1506. – (Julius Hay): Energie. Schauspiel in drei Akten. Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Henschelverlag 1952. Heym, Heinrich: Asche im Wind (1963). Manuskript Wien: Georg Marton Verlag [o. J.]. Hofmann, Gert: Unser Mann in Madras. In: Neue Rundschau (1967), H. 78, S. 22–34. Wiederabgedr. in: Ders.: Kündigungen. 2 Einakter. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1969, S. 5–23. Hohberg, Hans Joachim: Die Wüste (1956). Unverkäufl. Manuskript. Berlin: Kiepenheuer Bühnenvertrieb [o. J.]. Huber, Heinz: Früher Schnee am Fluß (1952). In: Hörspielbuch 1953. Hrsg. vom Norddeutschen Rundfunk und Süddeutschen Rundfunk. Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt GmbH 1953, S. 11–28. Wiederabgedr. in: Kreidestriche ins Ungewisse. Zwölf deutsche Hörspiele nach 1945. Hrsg. von Gerhard Prager. Darmstadt: Moderner Buch-Club 1960, S. 59–72. Jahnn, Hans Henny : Der Staubige Regenbogen. Schauspiel in 7 Bildern neu eingerichtet von Erwin Piscator und Karlheinz Braun. Bühnenmanuskript Frankfurt a. M.: Suhrkamp [o. J., wahrscheinlich 1961]. – Die Trümmer des Gewissens. In: Ders.: Dramen. Frankfurt a. M.: Heinrich Heine Verlag 1963–1965. Bd. 2, S. 749–943. Wiederabgedr. in: Ders.: Werke und Tagebücher. Sektion Dramen II. Hrsg. von Thomas Freeman, Thomas Scheuffelen. Hamburg: Hoffmann und Campe 1974, Bd. 5, S. 305–390. Kipphardt, Heinar : In der Sache J. Robert Oppenheimer. Ein Stück und seine Geschichte (1964). Hrsg. von Uwe Naumann. Unter Mitarbeit von Pia Kipphardt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2002. Kuby, Erich: Die Zerstörung von Slawasch (1955). SWR Historisches Archiv Baden-Baden, Hörspiel-Manuskript 301. Kühnelt, Hans Friedrich: Es ist später als du denkst (1956). Manuskript. Wien: Thomas Sessler Verlag 1962. – Es ist später als du denkst. Erste Szene. In: Lebendige Stadt. Hrsg. vom Amt für Kultur und Volksbildung der Stadt Wien. Wien 1962, S. 183–187. Langenbeck, Curt: Der Phantast (1948). Unverkäufl. Manuskr. München: Kurt Desch Verlag [o. J., vermutlich 1950, Military Government for Bavaria Information Control License Number US-E-101].

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Bibliographie

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Stücke

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Schilling, Helmut: Experiment Ren8 (1966). Manuskript. Stiftung Schweizerische Theatersammlung, Signatur: TS B7.2 Schil 1040. – Passagier sieben. Zürich: Bühnenvertrieb M. Kantorowitz [o. J.]. Wiederabgedr.: Passagier sieben. Schauspiel in drei Akten. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 1949. Schneider, Rolf: Prozeß Richard Waverly. In: Hörspiele 2. Hrsg. vom Staatlichen Rundfunkkomitee der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin: Henschelverlag 1962, S. 111–145. – Prozeß Richard Waverly (1963). In: Ders.: Stücke. Berlin: Henschelverlag 1970, S. 47– 109. Schneider-Lengyel, Ilse: Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! Ein Atomdrama (1955). Aus dem Nachlass. Ms. BSB (Bayerische Staatsbibliothek München) Ana 372. Schöfer, Erasmus: Der Pikadon. In: WDR Hörspielbuch 1964. Hrsg.: Westdeutscher Rundfunk Köln. Mit einem Vorwort von Hans Gerd Krogmann. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1964, S. 15–44. Wiederabgedr. in: Lutz Volke (Hrsg.): Der gute Gott von Manhattan. Hörspiele aus der BRD, der Schweiz und Österreich. Berlin: Henschelverlag 1990, S. 99–124. Schumacher, Ernst: Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität. Ein Biophysical. Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Henschelverlag 1975. Schwarz, Helmut: Im Aschenregen. Zwei Akte und ein Zwischenspiel (1961). Typoskript aus dem Nachlass Helmut Schwarz. Kunsthistorisches Museum Wien. Abteilung: Sammlungen [Arbeitsfassung]. Stolper, Armin: Zwei Physiker: ein Stück nach dem Roman »Dem Gewitter entgegen« von Daniil Granin. In: Neue sozialistische Dramatik (1965), Nr. 31. Sonderheft zu: Theater der Zeit 1965 (24). Stübe, Gerhard: Harakiri. Eine Funkerzählung. Berlin: Aufbau-Verlag 1959. Valentin, Karl: Die Atombombe (1946–1947). In: Ders.: Sämtliche Werke in acht Bänden. Hrsg. von Helmut Bachmaier und Manfred Faust. Bd. 4: Dialoge. Hrsg. von Manfred Faust und Andreas Hohenadl. München, Zürich: Piper 1996, S. 222–225. Wangenheim, Gustav von: Auch in Amerika…. (1950). Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Bruno Henschel und Sohn [o. J.]. Weisenborn, Günther : Die Familie von Nevada und ihre Darstellung auf dem Theater. Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Henschelverlag 1959. Wiederabgedr. als Die Familie von Makabah (1962). In: Ders.: Theater. München, Wien, Basel: Desch 1964–1967, Bd. 4, S. 117–179. – Göttinger Kantate. Den Aufruf der achtzehn Wissenschaftler und die großen Gefahren unseres Jahrhunderts szenisch darstellend, als öffentliche Warnung niedergeschrieben (1958). Mit einem Vorwort von Robert Jungk. Berlin: Arani 1984. Weiss, Matthias Josef: Gebündelte Strahlen. Unverkäufl. Manuskr. Hamburg: Bühnenvertrieb »Die Rampe« 1950. Wessel, Oskar: Hiroshima (1948). In: Hansjörg Schmitthenner (Hrsg.): Sechzehn deutsche Hörspiele. München: Piper 1962, S. 219–233. Weyrauch, Wolfgang: Die japanischen Fischer. In: Sinn und Form 8 (1956), H. 3, S. 373– 402. Wiederabgedr. in: Ders.: Dialog mit dem Unsichtbaren. Sieben Hörspiele. Mit einem Nachwort von Martin Walser. Olten u. Freiburg i. Br. 1962, S. 59–90, und in: Ders.: Das grüne Zelt, Die japanischen Fischer. Zwei Hörspiele. Stuttgart 1963, S. 33–64.

578

Bibliographie

– Vor dem Schneegebirge. In: Hansjörg Schmitthenner (Hrsg.): Sechzehn deutsche Hörspiele. München 1962, S. 465–488, und in: Ders.: Dialog mit dem Unsichtbaren. Sieben Hörspiele. Mit einem Nachwort von Martin Walser. Olten u. Freiburg i. Br. 1962, S. 29– 57. Wickert, Erwin: Der Verrat von Ottawa (1954). Manuskript: Deutsches Literaturarchiv Marbach. Bestand: A:Wickert, Erwin. Nachlass. Mediennummer : BF000134514. – Hiroshima. Authentischer Bericht aus der Stadt, die der Atombombe zum Opfer fiel (1955). Weinheim: Deutscher Theaterverlag [o. J., 1959]. Ziergiebel, Herbert und Kollektiv junger Autoren: Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor. In: Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer. Bd. 1: Frieden. Berlin (DDR): Deutscher Funkverlag 1950, S. 9–36. Zinner, Hedda: Auf jeden Fall verdächtig. Unverkäufl. Manuskr. Berlin: Henschelverlag [o. J., 1959]. Zuckmayer, Carl: Das kalte Licht (1955). In: Ders.: Gesammelte Werke in Einzelbänden. Theaterstücke 1955–1961. Hrsg. von Knut Beck und Maria Guttenbrunner-Zuckmayer. Frankfurt a. M.: Fischer 20032, S. 7–152. Zwillinger, Frank: Kettenreaktion. Ein planetarisches Theater in 4 Zyklen. In: Ders.: Geist und Macht. Dramen. Wien: Österreichische Verlagsanstalt 1973, S. 353–359.

2.

Sonstige Quellen

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Sonstige Quellen

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– Theater der dreifachen Revolution. Versuch einer Selbstinterpretation. In: Österreich in Geschichte und Literatur 14 (1970), H. 6, S. 294–308. Billerbeck-Gentz, Friedrich: Die Bedeutung der Kunst im Kriege. In: Deutsche Dramaturgie 3 (1944), S. 5–8. Blaubuch über den Widerstand gegen die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik. Hrsg. von dem Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland. Mit einem Vorwort von Franz-Paul Schneider. Bd. 1. O.O. 1957. Blaubuch 1958: Kampf dem Atomtod – Dokumente und Aufrufe. Hrsg. von Peter Brollik, Klaus Mannhardt. Essen 1988. Böll, Heinrich: Der Zeitgenosse und die Wirklichkeit (1953) In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 1. 1952–1963. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1977, S. 71–75. – Ein Erbauungsbuch für Abschreckungschristen (1984). In: Ders.: Schriften 1984–1985. München 1988, S. 121–134. – Ein paar Worte über ein paar Wörter, die uns da dauernd um die Ohren fliegen (1983). In: Ders.: Feindbild und Frieden. Schriften und Reden 1982–1983. München 1987, S. 63–68. – Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen. Rede auf der Friedensdemonstration am 10. 10. 1981 in Bonn. In: Ders.: Schriften und Reden 1978–1981. München 1985, S. 205–208. – Handwerker sehe ich, aber keine Menschen (1975). In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 3. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1979, S. 220–225. – Wahlrede in Kleve (1972). In: Ders.: Werke. Essayistische Schriften und Reden 2. 1964–1972. Hrsg. von Bernd Balzer. Köln 1977, S. 599–604. Born, Max, Hedwig Born: »Der Luxus des Gewissens«. Erlebnisse und Einsichten im Atomzeitalter. München 1969. Canetti, Elias: Dr. Hachiyas Tagebuch aus Hiroshima (1971). In: Ders.: Das Gewissen der Worte. Essays. Frankfurt a. M. 1982, S. 220–228. Dessau, Paul, Karl Mickel, Ruth Berghaus, Gerd Rienäcker, Hans-Joachim Kynaß: Paul Dessau: »Einstein« – eine Antioper? Diskussionssendung vom 11. 03. 1974. In: Radio DDR-Musikklub – Ein Treffpunkt für Freunde »ernst zu nehmender Musik«. Deutsches Rundfunkarchiv. Standort Babelsberg, Archivnummer MG2228. Das Hörspiel unserer Zeit. Hrsg. von Maximilian Scheer, Rudolf Leonhard. 3 Bde (Bd. 1: Frieden, Bd. 2: Mut zur Freiheit, Bd. 3: Die Stimme gegen den Krieg). Berlin 1950–1951. Das Nein zum nuklearen Selbstmord: der Kreuzzug des Gewissens. Hrsg. vom Arbeitsausschuss »Kampf dem Atomtod«. Bonn 1958. Der Kampf gegen die Bombe. In: Vaterland, Muttersprache: Deutsche Schriftsteller und ihr Staat seit 1945. Zusammengestellt von Klaus Wagenbach, Winfried Stephan, Michael Krüger und Susanne Schlüsser. Mit einem Vorwort von Peter Rühmkorf. Berlin 1979, S. 139–158. Dr. Erwin Wickert Schriftsteller und Botschafter a.D. im Gespräch mit Dr. Franz Stark. Interview. Gesendet am 10. Juni 1999, 20.15 Uhr, Bayerischer Rundfunk, unter URL: https://www.yumpu.com/de/document/view/318393/dr-erwin-wickert-schriftstellerund-botschafter-ad-im-gesprach-mit-. Drewitz, Ingeborg: Die Selbstgewißheit Ilse Langners. In: Ilse Langner : Mein Thema und mein Echo. Hrsg. von Ernst Johann. Darmstadt 1979, S. 137–143.

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3.

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Forschung

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Forschung

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Register Das Dramen- und Hörspielregister erfasst alle direkt oder indirekt genannten Stücke. Im Personenregister sind die Namen aller im Text, in den Anmerkungen und in der Bibliographie genannten Personen aufgenommen worden. Das Register erstreckt sich auch auf historische Personen, die als fiktive Gestalten in den literarischen Werken auftreten. Das Sachregister hat das Ziel, das Aufspüren thematischer Zusammenhänge und mehrfach vorkommender Leitmotive und Themen in den Dramen zu erleichtern und das Auffinden von Stellen sowohl nach übergeordneten Stichworten als auch nach Unterbegriffen zu ermöglichen.

1. Dramen- und Hörspielregister Alfred Nobels Verantwortung (Paul Bühler) 494 Am Ende der Nacht (Harald Hauser) 432 Arbeiterpriester (Helmut Schwarz) 457 Archimedes (Frank Zwillinger) 546f. Asche im Wind (Heinrich Heym) 39, 49, 55, 60f., 139, 425, 483–487, 575, 608, 611 Atom Bombe. Ein gesprochenes Oratorium (Franz Fassbind) 26f., 37, 46, 49, 54, 110, 152–156, 574, 610 Atom vor Christus (Kurt Becsi) 38, 46, 49, 65, 68, 71, 95, 108, 111, 124, 126f., 138, 146, 258–266, 398, 573, 588, 590 Atome für Millionen (Werner Baecker) 23, 38, 49, 102, 327–334, 573 Atomgeheimnisverräter Bruno Pontecorvo (Willy Grüb) 39, 50, 91, 93, 125, 369, 373, 377–380, 574 Auch in Amerika… (Gustav von Wangenheim) 20, 33, 38, 49, 60, 65, 68, 74, 78– 80, 87, 89, 97, 239, 249–255, 577, 610, 613 Auf jeden Fall verdächtig (Hedda Zinner) 34f., 39, 49, 74, 78f., 88f., 125f., 431– 437, 578, 610, 613 Bikini (Fred Denger) 19, 23, 28, 30, 37, 41, 49, 51, 54, 102f., 109, 168–174, 574, 611, 613

Caf8haus Payer (Hedda Zinner) 431 Cornelia Kungström (Ilse Langner) 38, 49, 65, 68, 124, 145, 300–304, 576 Das kalte Licht (Carl Zuckmayer) 15, 38, 49, 56, 65, 80, 91–93, 124, 128, 130, 132, 321–327, 373, 578, 590, 593, 609, 612 Das Spanische Dreieck (Kurt Becsi) 258 Das stärkere Gesetz (Rudolf Freese) 30, 37, 49, 98, 124, 126, 143, 183–188, 574, 605, 611 Das Testament des Friedens (Otto C.A. zur Nedden) 24, 37, 49, 124, 133f., 137, 188–193, 576 Das unsichtbare Gepäck (Dieter Rohkohl) 39, 49, 60, 63, 125, 425, 504–509, 576, 581 Das Unternehmen der Wega (Friedrich Dürrenmatt) 23, 38, 49, 105, 107, 117, 120f., 126, 292–296, 477, 574 Der achtunddreißigste Breitengrad (Rudolf Leonhard) 33, 38, 49, 74, 78–80, 85f., 88, 223–229, 239, 279, 576 Der Atomgeheimnisverräter Dr. Klaus Fuchs (Willy Grüb) 39, 49, 91f., 125, 130, 369, 373–377, 574 Der Fall Dynamit (Willy Grüb) 39, 49, 91, 93, 124, 368–372, 575 Der kleine Atombombenprozeß (s. Kleiner Atombombenprozeß)

618 Der Phantast (Curt Langenbeck) 19, 30, 37, 49, 108f., 124, 126f., 131, 134, 145, 174–179, 184, 435, 528, 575, 590, 612f. Der Pikadon (Erasmus Schöfer) 10, 39, 41, 49–52, 54, 499–503, 577, 607, 610, 613 Der Ruhm Frankreichs (Gerhard W. Menzel) 38, 49, 74f., 78, 84, 97, 124, 126, 229–233, 239, 242, 576 Der staubige Regenbogen (s. Die Trümmer des Gewissens) Der Verrat von Ottawa (Erwin Wickert) 38, 49, 91, 93f., 287–292, 578, 608f. Der Wagenlenker. Drama eines Atomforschers (Paul Bühler) 23, 39, 42, 46, 49, 66, 93, 102, 125, 146, 494–499, 574, 589f., 592, 598 Des Teufels General (Carl Zuckmayer) 321, 366, 477 Die Angst Nummer Eins, s. La paura numero uno Die Atombombe (Karl Valentin) 37, 46, 162–164, 577 Die Chinesische Mauer (Max Frisch) 19, 37, 46, 49, 53, 63, 104, 141f., 156–162, 574, 583, 590 Die Familie von Makabah (Günther Weisenborn) 19, 39, 49, 104, 125f., 402, 406, 408, 414–419, 577 Die Familie von Nevada (s. Die Familie von Makabah) Die große Zauberin (Ilse Langner) 301, 304, 576 Die japanischen Fischer (Wolfgang Weyrauch) 19, 23, 38, 41, 49, 51, 57, 61, 95, 283, 310–316, 437, 577, 608, 611, 614 Die Kleinen und die Großen (Ulrich Becher) 38, 46, 49, 55, 62, 113f., 136, 342–346, 573, 598 Die letzten Menschen (Rudolf Gottschalk, Erwin Kowalzig) 23, 38, 49, 117f., 213–217, 574 Die Mädchen aus Hiroshima (Jürgen Breest) 23, 39, 40, 49, 51f., 66, 72, 487– 494, 501, 574

Register

Die Physiker (Friedrich Dürrenmatt) 15, 19, 39, 43, 46, 49, 63, 109f., 120, 125, 131f., 134, 142f., 293, 326, 477–483, 517, 574, 583, 587, 592–599, 601 Die Stunde Omega (Alfred Gong) 19, 23, 38, 49, 124, 126, 134, 338–342, 426f., 574 Die Trümmer des Gewissens (Hans Henny Jahnn) 19, 23, 36, 61, 63, 91, 95, 107, 112, 125f., 140, 263, 425, 447–454, 575, 589, 613 Die Versuchung des Forschers oder Visionen aus der Realität. Ein Biophysical (Ernst Schumacher) 40, 49f., 61, 75, 88, 116, 125, 128f., 132, 137, 141, 143, 355, 561–570, 577, 608–611, 613–615 Die Wüste (Hans Joachim Hohberg) 23, 38, 49, 95, 104, 128f., 141, 358–363, 575, 608, 613 Die Zerstörung von Slawasch (Erich Kuby) 23, 38, 49, 117f., 296–300, 575 Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie (Max Frisch) 161 Drachen über den Zelten (Günther Rücker) 23, 33, 38, 49, 78, 85, 139, 278– 283, 576, 610 Duecentomila e uno (Salvato Cappelli) 37 Dynamit. Ein Hörspiel um Bertha von Suttner (Oskar Wessel) 24, 189 Edipo a Hiroshima (Luigi Candoni) 37 Ein Abschied (Hans Pfeiffer) 39, 49, 51, 53, 55, 78, 386, 391–395, 441, 576, 608, 613 Ein Schluck Erde (Heinrich Böll) 20, 23, 36, 39, 46, 49, 117f., 120, 468–477, 573, 588, 594, 597, 603, 609–612, 614 Einstein. Die Schrecken des Humanismus (Karl Mickel) 40, 45f., 49f., 125, 127, 141, 144f., 147, 355, 553–561, 576, 578f., 583f., 588, 590, 595, 599, 607–611, 613– 615 Energie (Julius [Gyula] Hay) 38, 49, 56, 74, 78, 86, 89, 99, 124, 127, 266–272, 575, 595, 608, 610, 614

Dramen- und Hörspielregister

Es ist später als du denkst (Hans Friedrich Kühnelt) 23, 39, 49f., 52, 65, 117–119, 134, 380–385, 474, 575, 597, 608, 619 Experiment Ren8 (Helmut Schilling) 39, 49, 125, 144, 203, 527–531, 577, 613 Früher Schnee am Fluss (Heinz Huber) 33, 38, 49, 222, 255–258, 575, 598, 612 Galileo Galilei (Frank Zwillinger) 308f., 546, 553 Gebt acht auf die Welt! (Christian Bock) 38, 49, 106, 111, 124, 126, 129, 145, 219– 223, 573 Gebündelte Strahlen (Matthias Josef Weiss) 24, 38, 49, 56, 91, 109, 124, 142f., 208–213, 577, 610, 612 Göttinger Kantate (Günther Weisenborn) 19, 34f., 39, 44, 49, 62f., 83, 104f., 400–408, 414f., 417, 577, 582, 608, 610, 612, 614 Haiku Hiroshima (Ludwig Harig) 39, 40, 45, 49, 51, 53, 60, 66, 531–537, 575, 580, 610 Harakiri (Gerhard Stübe) 39, 41, 49, 51, 61f., 65, 68, 78, 85, 425, 437–441, 577 Heller als alle Sonnen. Szenen mit verbindenden Texten und einem Sprechchor gegen den Atomkrieg (Christoph Hamm) 39, 49, 51, 55, 57, 61f., 65, 67f., 74, 78, 83, 97, 409–414, 575, 609, 613 Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff! Ein Atomdrama (Ilse Schneider-Lengyel) 23, 38, 46, 49f., 56, 109, 118f., 133, 346–351, 577 Hiroshima – Fünf Jahre danach (Karl Georg Egel) 38, 40, 49, 51f., 55, 78, 82– 85, 87, 90, 233–238, 574, 612 Hiroshima (Oskar Wessel) 37, 40f., 49, 51–53, 56, 58, 113, 164–168, 577, 612 Hiroshima. Authentischer Bericht aus der Stadt, die der Atombombe zum Opfer fiel (Erwin Wickert) 40, 49, 51, 54, 55, 57, 69f., 317–320, 578

619 Im Aschenregen (Helmut Schwarz) 39, 42, 46, 49, 55, 110, 112, 133, 457–461, 577, 598 In der Mördergrube (Julius [Gyula] Hay) 268, 270, 272 In der Sache J. Robert Oppenheimer (Heinar Kipphardt) 15, 19, 39, 43f., 49f., 82, 90, 92f., 106, 125f., 130–133, 146, 341, 467, 494, 509–518, 549, 566, 575, 584, 588, 592, 595–598, 602, 605f. Jenseits der Angst (Hans JosH Rehfisch) 34, 39, 49, 81f., 99, 106, 127, 131f., 134, 136, 144, 146, 186, 419–426, 576, 612 Kettenreaktion. Ein planetarisches Theater in 4 Zyklen (Frank Zwillinger) 19, 23, 40, 45f., 49, 56, 106, 109, 125, 129, 545– 553, 578 Kleiner Atombombenprozeß (Rudolf Leonhard) 38, 44, 49, 74, 78, 97, 239–241, 576 L’alba dell’ultima sera (Riccardo Bacchelli) 136 La paura numero uno (Eduardo De Filippo) 100 Laternenfest (Hans Pfeiffer) 20, 39, 41, 49, 51, 53, 58, 61, 64f., 68f., 78f., 85, 95f., 102, 386–393, 439, 576, 609, 611 Leben des Einstein (Bertolt Brecht) 38, 40, 45, 49, 86, 124, 143, 352–357, 554, 561, 569, 573, 582, 588 Leben des Galilei (Bertolt Brecht) 19, 38, 49, 124, 176, 198, 304–310, 352, 354, 357, 482, 510, 517, 562, 574, 591, 595, 598, 601, 603 Menschen im Niemandsland (Alfred Andersch) 33, 38, 49, 90, 102, 104, 273– 278, 573 Narkose (Günter Felkel) 38, 49, 91f., 94, 334–337, 574, 611, 613 Nichts. Ein Finale (Hilde Rubinstein) 541, 545, 576

620 Null Uhr Null (Hilde Rubinstein) 23, 39, 49, 66, 117f., 122, 139, 523–527, 541, 576

Ödipus in Hiroshima (s. Edipo a Hiroshima) Paris, den 28. April (Maximilian Scheer) 23, 38, 49, 55, 74f., 78, 99, 102, 124, 230, 239, 241–245, 576, 612 Passagier Sieben (Helmut Schilling) 23, 38, 49, 74, 91, 126, 203–208, 528, 577, 607, 609 Pilot Herzog (Friedrich Gentz) 23, 39, 49, 65, 71, 111, 126, 138, 146, 363–368, 574, 593 Position 1951 (s. Menschen im Niemandsland) Promethiden (Ernst Barnewold) 23, 38, 49, 54f., 115f., 246–249, 573, 612 Prozeß Richard Waverly (Rolf Schneider) 19, 39, 44, 49f., 56f., 66f., 78, 84, 461– 468, 492, 577, 595, 597, 609 Reich Gottes auf Erden (Gerhard Traugott Buchholz) 23, 37, 46, 49, 124, 127, 129, 144, 198–203, 265, 574, 612 Schwarz-Weiße Magie (Ilse Langner) 301, 304, 576 Sturm aus den Sonnen (s. Heller als alle Sonnen) Testflug B 29. (Nie wieder!) (Hermann Rossmann) 16, 39, 49, 65, 69–71, 112, 195, 395–400, 576, 612 Tiefgefrorenes Reh (Hilde Rubinstein) 23, 39, 45, 49, 117f., 122, 524, 541–545, 576, 613 Träume (Günter Eich) 113, 459, 574, 612

Register

Und Berge werden versetzt (Maximilian Scheer, Karl Georg Egel) 37, 49, 65, 68–70, 78, 97f., 105f., 124, 193–198, 576, 615 Unio mystica – ein Spuk? (Ingeborg Drewitz) 23, 37, 46, 49, 114, 179–183, 574 Unser Mann in Madras (Gert Hofmann) 39, 45f., 49, 537–540, 575, 587 Vor dem Schneegebirge (Wolfgang Weyrauch) 23, 38, 49, 107, 113, 117f., 121, 283–287, 578 Weißes Blut (Harald Hauser) 20, 34, 39, 49, 78, 89, 96, 441–447, 575, 592, 608– 610, 612 Wenn wir alle nicht wollen. Ein Agitationsprogramm gegen den Atomtod für Chor, zugleich Sprechchor, Sänger, Spieler und Sprecher (Rainer Otto) 39, 49, 52, 62, 64f., 75, 78f., 97, 454–457, 576 Wie es kam, daß Kapitän Brown seine Wette verlor (Autorenkollektiv und Herbert Ziergiebel) 23, 38, 49, 73f., 78, 97, 217–219, 578 Wir heißen euch hoffen (Fred Denger) 169, 173, 609 Zeit und Raum verschwinden mit den Dingen: Hörspiel über Einstein und das Relative (Ludwig Harig) 531 Zetdam (Alfred Gong) 10, 19, 23, 39, 46, 49, 108, 117f., 121, 141, 426–431, 541, 574 Zwei Physiker (Armin Stolper) 39, 49, 125, 518–523, 577, 592, 610, 613 Zweihunderttausend und Einer, s. Duecentomila e uno

Personenregister

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2. Personenregister Achnitz, Wolfgang 208 Adam, Marie-H8lHne 18 Adler, Meinhard 305, 309, 583 Adling, Wilfrid 326, 455, 583 Agazzi, Elena 36 Al-Ali, Mahmoud 161, 583 Alber, Jan 588 Alewyn, Richard 103, 583 Allgayer, Wilhelm 410, 528, 583 Allkemper, Alo 162, 327, 453, 585, 598, 606 Amstutz, Hans 207, 583 Amzoll, Stefan 559, 583, 607 Anders, Günther 26, 30, 43, 56f., 64, 66f., 70, 116, 161, 333, 462, 468, 578, 589 Andersch, Alfred 33, 38, 90, 102, 104, 273–278, 347, 573, 587, 589, 591, 593, 601 Arendt, Hanna 43, 607 Arlt, Erwin 519 Arnold, Hans 504 Arnold, Heinz Ludwig 346f., 481, 499, 503, 536, 581, 583 Arnold, Henry 375 Arnold, Klaus 18, 194 Asbeck, Hans Th. 37 Assmann, Jan 583 Ayck, Thomas 326, 583 Bach, Renate 503, 607 Bachmaier, Helmut 162, 164, 577, 584 Bacon, Francis 143, 564, 568 Baecker, Werner 23, 38, 102, 327–334, 573 Baker-Eddy, Mary 301 Balbier, Uta A. 82, 584 Balzer, Bernd 188, 471, 475f., 573, 579 Barck, Simone 431, 436, 584 Barkley, Alben W. 227 Barnewold, Ernst (Pseud. von Wilhelm Nolting-Hauff) 23, 38, 54f., 115f., 246–249, 573, 609, 612 Bartelheimer, Lotte 517, 584 Bartels, Karsten 559, 584

Barth, Bernd-Rainer 233, 238 Barthes, Roland 275, 584 Barzel, Rainer 448 Basker, David 584 Baumann, Cordia 44 Bauroth, Edith 229, 584 Bauschinger, Sigrid 88, 584 Becher, Johannes R. 267, 578 Becher, Ulrich 38, 46, 55, 62, 113f., 136, 342–346, 573, 585, 598, 609 Bechtol, Bruce E. 584 Beck, Knut 80, 327, 578 Becker-Cantarino, Barbara 180, 183, 592 Beckert, Rudi 334, 584 Beckmann, Heinz 361, 363, 453, 469, 475, 477, 584 Becsi, Kurt 38, 46, 65, 68, 71, 95, 108, 111, 124, 126f., 137f., 146, 258–266, 398, 547, 573, 578, 582, 585, 588, 590 Beethoven, Ludwig van 88, 266, 433 Bell, Ray 67, 462 Bellmann, Werner 475, 584 Bender, Hans 315f., 582 Bennett, James R. 234, 584 Bense, Max 531f. Berger, Christel 269, 593 Berger, Doris 584 Bergh, Hendrik van 291, 607 Berghaus, Ruth 355, 555f., 560f., 579, 614 Berlau, Ruth 307, 352 Bernal, John Desmond 353 Besson, Benno 307 Beusch, Hansueli 296, 584 Bienek, Horst 584 Biess, Frank 584 Bigg, Charlotte 584 Billerbeck, Friedrich (s. Friedrich Gentz) Bircken, Margrid 352, 569, 599 Bisicchia, Andrea 584 Biskupek, Matthias 164, 584 Bitz, Ulrich 453, 584 Blackett, Patrick M.S. 353 Bloch, Ernst 98

622 Bloom, Margret 258, 287, 315f., 584 Blum-Barth, Natalia 10, 108, 427, 429, 431, 574 Blumenberg, Hans 46, 55, 518, 600 Blumenthal, Erika A. 553, 585 Bock, Christian Carl 38, 106, 111, 124, 126, 129, 145, 219–223, 573, 595 Boehnke, Klaus 585 Böhm, David 511 Böhm, Gotthard 547, 585 Böhme, Waltraud 195 Böhmer, Gerd 585 Böhn, Andreas 585 Bohr, Niels 305, 403, 546, 551 Bolik, Sibylle 17f., 438, 585 Böll, Heinrich 20, 23, 36, 39, 43f., 46, 117– 121, 468–477, 573, 579, 584, 588, 594, 597, 603f., 606, 609, 611f., 614 Bonifazio, Massimo 511, 588 Bonwetsch, Bernd 33, 585 Booms, Hans 35, 593 Bores, Doroth8e 353, 357, 585 Born, Max 35, 579 Bortenschlager, Wilhelm 20, 259, 266, 385, 522, 585 Böttcher, Kurt 230, 233, 346, 391, 426, 595, 601 Botterbusch, Vera 346, 585 Boveri, Margret 92, 130, 325, 510, 585 Brandt, Willy (Pseud. von Herbert Frahm) 25, 44 Brauer, Ilse 408, 585 Braun, Helmut 338, 585 Braun, Karlheinz 449, 575 Braun, Peter 347, 351, 585 Braun, Volker 559, 607 Braun, Wernher v. 558 Brecht, Bertolt 18f., 27, 38, 40, 43, 45, 75, 86, 124, 141, 143, 146, 162, 176, 198, 232, 266f., 304–310, 321, 352–357, 401, 407, 415f., 418, 482, 513, 517, 554f., 557, 561f., 565, 569f., 573, 582–586, 588f., 591, 594f., 597–600, 602f., 605f., 608 Bredow, Wilfried v. 18, 332, 439 Breest, Jürgen 10, 23, 39f., 51f., 66, 72, 487–494, 501, 574

Register

Brendel, Katarina (Pseud. von Hilde Rubinstein) Briese, Olaf 585 Brockmöller, Klemens 36, 265, 585 Brock-Sulzer, Elisabeth 296, 585 Brody, Alan 585 Brokerhoff, Karl Heinz 283, 581 Brollik, Peter 36, 579 Bruce, Little 587 Bruno, Giordano 557f. Brutus, M. Junius 157 Buchholz, Gerhard Traugott 23, 37, 46, 124, 127, 129, 144, 198–203, 265, 574, 612 Buddecke, Wolfram 585 Bühler, Paul 23, 39, 42, 46, 66, 93, 102, 125, 146, 494–499, 574, 586, 589–591, 614 Bumm, Peter 175, 585 Bungert, Mario 213, 217, 604 Burckheiser, Karl 438, 441, 608 Bürger, Jan 55, 453, 518, 584f., 600 Burmeister, Klaus 586 Buro, Andreas 42, 586 Busch, Ernst 307 Busse, Tanja 506, 586 Butterwegge, Christoph 42, 586 Butzlaff, Felix 509, 517, 586 Caluori, Reto 498, 586 Campbell, Ian R. 482, 598 Canaday, John 17, 586 Candoni, Luigi 37 Canetti, Elias 318, 579 Cappelli, Salvato 37 Caron, Bob (George Robert) 135, 397, 591 Castellari, Marco 354, 357, 586 Celan, Paul 338, 347 Centorbi, Nadia 511, 588 Chadwick, James 403 Charbon, Remy 17f., 161, 325, 415, 465, 468, 586 Chevalier, Haakon 510 Chiarini, Paolo 188, 307, 586 Churchill, Winston 87f., 228, 235, 370, 375, 566

Personenregister

Clark, Karen M 234, 584 Classen, Christoph 78, 86, 586 Clausen, Claus 42, 586 Cleopatra 157 Colombo, Cristoforo (Columbus, Kolumbus) 157, 344 Coors, Dietmar 391, 586 Cosentino, Christine 522, 586 Coster, Dirk 546 Coulmas, Florian 28, 586 Crease, Robert P. 512, 599 Da Vinci, Leonardo 261, 557f., 564 Dalk, Wolfgang 562, 569, 608 Dall’Armi, Julia von 18f., 322, 327, 586 Dallamano, Piero 556, 559, 608 de Broglie, Louis-Victor 355 De Filippo, Eduardo 100f. De Gaulle, Charles 232 Degen, Andreas 352, 569, 599 Denger, Alfred (Fritz) 19, 23, 28, 30, 37, 41, 51, 54, 102f., 109, 168–174, 574, 607, 609, 611 Denkler, Horst 88, 584 Dessau, Paul 271, 278f., 282, 355, 553– 556, 559–561, 579, 590, 595, 599, 605, 608–611, 613–615 Dietrich, Ernst M. (Pseud. von Dieter Rohkohl) Dietz, Hans Jürgen 487 Dimpfl, Monika 164, 586 Döhl, Reinhard 287, 587 Döring, Jörg 278, 587 Dorn, Thea 107, 603 Dorsey, John T. 587 Dowling, David 137, 587 Drenkow, Renate 269, 593 Dressel, Joachim 42, 586 Drewitz, Ingeborg 23, 37, 46, 114, 179– 183, 300, 408, 574, 579, 585, 591f. Drewniak, Boguslaw 174, 208, 587 Drux, Rudolf 18, 587 Dryden, Hugh Latimer 564 Dugger, Ronnie 64, 587 Dulles, John Foster 86, 226, 228, 237, 456, 565

623 Dunne, Kerry 482, 598 Dürrenmatt, Friedrich 15, 19, 23, 38f., 43, 46f., 63, 91, 105–107, 109f., 117f., 120f., 125–127, 131f., 134, 139, 142f., 145, 147, 162, 175f., 207, 221f., 292–296, 304, 307, 309, 326, 340, 355, 369, 404, 477–483, 517, 568, 574, 580, 583–585, 587, 593– 599, 601, 604f. Eatherly, Claude 24, 63f., 66f., 70, 72, 196, 462f., 468, 492, 534, 536, 578, 587, 589, 609, 611, 615 Egel, Karl Georg 38, 40, 51f., 55, 65, 68, 70, 73f., 78, 82–85, 87, 90, 98., 105f., 124, 193, 195, 198, 233–238, 317, 574, 576, 612 Eich, Günter 113, 459, 574, 612 Eichenthal, Johannes 540, 587 Eichhorn, Hugo Jacob 453, 587 Eichmann, Adolf 45, 67, 462, 518, 604 Einstein, Albert 24, 40f., 75, 86, 124f., 137, 141–143, 145f., 159, 209, 223, 262, 275, 352–357, 361, 382, 403, 407, 417, 427, 448, 480f., 531f., 546, 548, 552–569, 573, 576, 578f., 582–584, 588, 590, 592, 595, 599, 605–601, 613–615 Eisenbeis, Manfred 481, 587 Eisenhower, Dwight D. 78, 329f., 456 Eke, Norbert Otto 162, 327, 453, 585, 598, 606 Elliot, Jim 587 Elsner, Norbert 19, 310, 598 Emele, Martin 255, 587 Emmerich, Wolfgang 20, 223, 229, 587 Emonds, Friederike Bettina M. 301, 304, 587 Emter, Elisabeth 17f., 477, 482, 587 Enders, Ulrich 35, 593 Engel, Wolfgang 409, 587 Entner, Heinz 218f., 587 Enzensberger, Hans Magnus 43, 291, 587, 607 Epstein, Brian 568 Erhart, Walter 408, 598 Erlemann, Martina 137 Erpf, Hans 207, 588

624 Ertel, Dieter 255, 588, 592 Esselborn, Hans 588 Estermann, Monika 437, 441, 600 Eylau, Hans Ulrich 268, 272, 446, 608 Fassbind, Franz 26f., 37, 46, 54, 110, 152– 156, 574, 580, 602, 610, 614 Fasse, Ferdinand 588 Fast, Howard 79, 254, 608 Faulstich, Werner 213, 588, 590 Faust, Manfred 162, 164, 577 Felkel, Günter 38, 47, 91f., 94, 334–337, 369, 574, 611, 613 Ferber, Christian 292, 588 Ferebee, Thomas 71, 198, 262, 610 Fermi, Enrico 106, 403, 546, 549f., 551f. Fiandra, Emilia 37, 75, 136, 196, 261, 266, 352, 402, 408, 469, 476, 511, 555, 569, 588 Fischborn, Gottfried 522, 588 Flach, Günter 80, 588 Fludernik, Monika 588 Foerster, Eberhard (Pseud. von Günther Weisenborn) Försterling, Ingrid 392, 395, 608 Forstner, Christian 291, 377, 380, 588 Frahm, Herbert (s. Brandt, Willy) Franck, James 466 Freeman, Thomas 61, 448, 453, 575, 580, 588f. Freese, Rudolf 30, 37, 98, 124, 126, 143, 183–188, 574, 605 Frei, Bruno 385, 588 Frei, Norbert 448, 602 Freud, Sigmund Schlomo 353 Frick, Hermann 152 Frick, Werner 19, 310, 598 Friedmann, Ronald 130, 327, 589 Friedrich, Heinz 363, 589, 608 Fringeli, Albin 499, 589 Frings, Josef 259 Frisch, Justinian 27, 580 Frisch, Max 19, 29, 37, 46, 53, 63, 104, 141f., 146, 156–162, 574, 583, 590, 593f., 598 Fritzen, Bodo 483, 605

Register

Frühstück, Sabine 596 Fuchs, Klaus 24, 39, 49f., 80, 91, 92f., 124f., 128, 130, 321f., 325, 327, 369–379, 494, 487, 567, 574, 588–590, 597 Fuchs-Kittowski, Klaus 80, 588 Fuegi, John 18, 309, 594 Fuhrmann, Helmut 585 Fulbright, J. William 90, 276 Fulda, Daniel 426, 589 Galilei, Galileo 7, 19, 24, 38, 49, 124, 175f., 198, 304–310, 333, 352, 354, 356f., 482, 517, 546, 553, 557f., 564, 569, 574, 591, 595, 598, 601–603, 605f., 613 Gallagher, Carole 28, 274, 589 Galle, Heinz J. 589 Ganeval, Jean 240 Gansel, Carsten 347, 351, 585 Gargano, Antonella 188, 307, 586 Gassert, Philipp 589 Gaubatz, Erwin 499, 589 Gebhardt, Lisette 608 Geerdts, Hans Jürgen 431, 436, 442, 446, 561, 584, 589, 591, 604 Geiger, Georg 64, 468, 589 Geiger, Heinz 18, 175, 266, 589 Geißner, Hellmut 60, 531, 536, 575, 589 Geisthövel, Alexa 293, 589 Gentner, Wolfgang 546 Gentz, Friedrich 23, 39, 65, 71, 111, 126, 138, 140, 146, 363–368, 574, 579, 593 Gerlach, Walther 35, 510 Gerlinger, Christian 274, 278, 589 Gerst, Wilhelm Karl 408, 608 Gerstenmaier, Eugen 356f., 608 Gerstinger, Heinz 461, 589 Gerwin, Robert 301 Gide, Andr8 274, 276f. Giersberg, Bettina 229, 589 Girshausen, Theo 453, 589 Goebbels, Paul Joseph 557 Goethe, Johann Wolfgang 88, 135–137, 433, 495, 562, 564f., 580, 600 Goguel, Hans 310 Goldmann, Bernd 453, 589 Gollwitzer, Gerhard 407, 590

Personenregister

Gollwitzer, Helmut 36, 590 Gong, Alfred (Pseud. von Alfred Liquornik) 10, 19, 23, 38f., 46, 108, 117f., 121f., 124, 126, 134, 141, 338–342, 426– 431, 541, 574, 580, 603 Gönner, Gerhard 162 Gonz#lez Miranda, Emilio 476, 597 Goodbody, Axel 590 Goodman, Michael 130, 327, 590 Gordon, Jerold James 590 Gottschalk, Rudolf 23, 38, 117–119, 121, 213–217, 574 Grabowsky, Volker 278, 590 Grahl, Wolfgang 569, 608 Granin, Daniil 518, 520, 523, 577 Greffrath, Mathias 608 Gregor, Joseph 161, 179, 193, 266, 327, 590 Greiner, Bernd 18, 33, 105, 584, 590, 601 Greiner, Ulrich 453, 608 Grillparzer, Franz 425 Grimm, Gunter E. 590 Grimm, Reinhold 18f., 482, 587, 594, 597 Groot, Cegienas de 157, 161, 590 Große, Wilhelm 495 Groves, Leslie R. 83, 194, 196f., 235, 237f., 565 Grüb, Willy 39, 44, 47, 50, 91–93, 124f., 130, 368–380, 574 Grund, Uwe 482, 601 Gründgens, Gustav 135, 321f., 327, 469, 609 Gugisch, Peter 283, 590 Güldenpfennig, Karl-Heinz 292, 608 Gunkel, Markus 42, 590 Günther, Helmut 316, 608 Günther, Timo 585 Gunz, Claudia 161, 583 Gurlitt, Winfrid 499, 590 Gusenko, Igor 93, 94, 288–291, 580, 607, 611 Guttenbrunner-Zuckmayer, Maria 80, 327, 578 Haas, Willy 322, 327, 609 Haase, Horst 442, 518, 589

625 Haberl, Franz P. 553, 590 Hachiya, Michihiko 318f., 579f. Haese, Jürgen 590 Hafranke, Karl-Heinz 562, 569, 609 Hage, Volker 161, 590 Hagestedt, Lutz 208 Hagner, Michael 356f., 590 Hahm, Claudia 590 Hahn, Otto E. 35, 403, 422, 546, 549f. Hahnemann, Andy 590 Haid, Christiane 494, 499, 591 Haider-Pregler, Hilde 18, 600 Hamann, Christoph 131, 591 Hamm, Christoph 39, 51, 55, 57, 61f., 65, 67f., 74, 78, 83, 97, 409–414, 575, 580, 609, 612–614 Hammel, Claus 426, 522, 588, 591 Hammer, Klaus 446, 591 Hanke, Willy 246 Hanke, Wolfgang 446, 609 Hansel, Michael 18, 184, 591 Hanuschek, Sven 517, 591, 597 Hardtwig, Wolfgang 590 Harig, Ludwig 39, 40, 45, 51, 53, 60, 66, 531–537, 575, 580, 583, 589, 593, 595, 610 Harteck, Paul 546 Harweg, Roland 51, 591 Hauptmann, Elisabeth 306f., 309 Hauser, Harald 20, 34, 39, 73, 78, 89, 96, 432, 441–447, 575, 591f., 606, 608f., 612 Haushofer, Marlene 507 Häussermann, Titus 181, 183, 591 H#y, Julius (Gyula) 38, 56, 74, 78, 86, 89, 99, 124, 127, 266–272, 575, 580, 591, 595, 605, 608, 610, 614 Haynes, Roslynn 137, 591 Hebenstreit, Desiree 385, 461, 591 Hecht, Werner 86, 267, 305, 309, 357, 574, 591, 597 Heer, Friedrich 207, 609 Heidegger, Martin 43 Heidelberger-Leonard, Irene 278, 591 Heimberger, Bernd 408, 609 Hein, Martin 499, 591 Heinrici, Sandra 481f., 591

626 Heise, Wolfgang 268, 272, 609 Heisenberg, Werner 16, 35, 135, 297, 422, 423, 546, 550f., 580, 591, 600 Heiß, Kurt 77 Helber, Mark H. 553, 607 Hannig, Nicolai 36 Hennig, Jochen 584 Hensel, Horst 500, 591 Herbort, Heinz Josef 555, 560, 609 Hermann, Armin 16, 591 Hermlin, Stephan 43, 291, 580 Hersey, John 27, 51, 491, 500, 580, 591 Heukenkamp, Rudolf 20, 198, 309, 560, 581, 591 Heukenkamp, Ursula 20, 180, 183, 188, 307, 560, 586, 592, 605 Heyer, Helmuth 401, 420, 592 Heym, Heinrich 39, 55, 60f., 139, 425, 483–487, 575, 608, 611 Hickethier, Knut 504, 592 Hilger, Rudolf 391, 609 Hill, Gladwin 274 Hinck, Walter 308f., 518, 598, 606 Hinton, Christopher 332 Hitler, Adolf 22, 75, 87f., 195, 197, 223, 290, 374, 405, 421, 423, 445, 448, 466, 523, 527, 551, 557, 565, 581, 602 Hochhuth, Rolf 44, 580 Hoffmann, Dieter 291, 377, 380, 588 Hoffmann, Ernst 519, 612 Hoffmann, Heinz 442, 447, 592 Hoffmann, Kay 255, 592 Hoffmann, Klaus 407 Hoffmann-Allenspach, Tobias 203, 207, 592 Hoffmann-Ostwald, Daniel 408, 609 Hofmann, Gert 39, 45f., 49, 537–540, 575, 600, 601f., 609, 614 Hohberg, Hans Joachim 23, 38, 95, 104, 128f., 141, 358–363, 575, 608, 613 Hohenadl, Andreas 162, 164, 577 Hoppe, Holger 18f., 29, 354, 592 Horch, Hans Otto 553, 607 Horn, Eva 17f., 92, 291, 369, 372, 378, 592 Hörnigk, Frank 188, 307, 586 Horst, Gerhard 519f., 592

Register

Hossfeld, Uwe 188, 592 Hostetter, Robert D. 592 Houtermans, Fritz (Friedrich Georg) 546, 551 Howald-Haller, Mario 499, 592 Huber, Heinz 33, 38, 222, 255–258, 575, 598, 612 Huder, Walter 408, 585 Hühnerfeld, Paul 346, 609 Huie, William Bradford 67, 462, 580 Huml, Ariane 436, 594 Hüppauf, Bernd 137, 599 Huppert, Hugo 426, 592 Huyssen, Andreas 592 Iglhaut, Stefan 137, 591 Ihering, Herbert 410, 414, 482, 592, 609 Infeld, Leopold 352, 357, 592 Ingen, Ferdinand van 517, 592 Irrgang, Horst 61, 454, 457, 576 Ismayr, Wolfgang 593 Iwan IV, der Schreckliche 157 Jacobi, Johannes 469, 476, 609 Jaesrich, Hellmut 327, 593 Jäggi, Willy 19, 482, 597 Jahnn, Hans Henny 19, 23, 36, 39, 43, 61, 63, 91, 95, 107, 112, 125–127, 140, 263, 425, 447–454, 486, 575, 580f., 584f., 587–589, 595–598, 602, 607f., 611, 613 Jakobs, Silke 593 Jarmatz, Klaus 269, 593 Jaspers, Karl 43, 510, 580, 595 Jefferson, Thomas 79, 226 Jendricke, Bernhard 278, 593 Jenny, Urs 296, 593 Jens, Inge 28 Jens, Walter 45, 115, 180, 593, 606 Jentzsch, Bernd 229, 593 Jessen, Jens 540, 609 Joch, Markus 278, 587 Johnson, Louis Arthur 280 Johnson, Lyndon B. 512, 532 Johst, David 67, 609 Joliot-Curie, IrHne 546, 550

Personenregister

Joliot-Curie, Jean Fr8d8ric 24, 75, 97, 99, 102, 124, 229, 230–233, 242–245, 271f., 403, 546, 564, 568, 580, 611 Jung, Ilse 169, 173, 609 Jung, Matthias 20, 186, 593 Jung, Werner 499, 503, 531, 536, 593 Jüngel, Eberhard 532 Jungk, Robert 27, 34, 43, 64, 66, 408, 422f., 462, 478, 481, 500, 510, 536, 547, 577f., 580 Jünke, Christoph 213, 593 Jurgensen, Manfred 161, 593 Kage, Hedda 453, 589 Kähler, Hermann 523, 593 Kaiser, Joachim 15f., 19, 469f., 476, 573, 593 Kaltofen, Günter 364, 368, 593 Karbach, Walter 517, 593 Karst, Karl 113, 574 Kaschnitz, Marie Luise 68f., 389, 581 Käser-Leisibach, Ursula 207, 583 Kasten, Jürgen 593 Kästner, Erich 43 Käufer, Hugo Ernst 503, 593 Kaufmann, Georg 239 Kayser, Werner 408, 585 Kegler, Karl 18, 587 Kehlmann, Michael 288 Keisch, Henryk 447, 609 Keldysch, Mstislaw Wsewolodowitsch 565, 568 Keller, Oskar 482, 593 Kepler, Johannes 564, 568 Kerndl, Rainer 409, 519, 521, 523, 569, 610 Kersten, Heinz 249, 610 Kestner, Ren8 (Pseud. von Hans JosH Rehfisch) Ketelsen, Uwe-K. 179, 593 Kiem, Pauli (Pseud. von Emanuel Kiem) 162 Kienzle, Siegfried 593 Kieser, Harro 593 Kim Il-Sung (s. Kim Ir Sen) Kim Ir Sen 227

627 Kipphardt, Heinar 15, 19, 39, 43–45, 47, 50, 82, 90, 92f., 105f., 125f., 130–135, 146, 341, 369, 467, 494, 509–518, 549, 566, 575, 581, 584, 586, 588, 591–593, 595–598, 602, 604–606 Kipphardt, Pia 82, 575 Kirsch, Griseldis 594 Klaedtke, Uta 436, 594 Kleopatra (s. Cleopatra) Klotz, Volker 403, 408, 607 Klunker, Heinz 594 Klußmann, Uwe 288, 292, 610 Knapp, Gerhard P. 161, 296, 482, 594, 605 Knappertsbusch, Felix 82, 594 Knietzsch, Horst 268, 272, 443, 447, 610 Knoch, Habbo 293, 589 Knopf, Jan 18, 86, 305, 309, 357, 482, 574, 594 Knust, Herbert 594, 602 Kobayashi, Wakiko 256, 594 Koch, Lars 599 Koch, Walter 472, 476, 594 Köhler, Willi 408, 436, 610 Kolditz, Gottfried 443 Kolumbus (s. Columbus) Kompa, Markus 594 Komska, Yuliya 594 Köpf, Gerhard 351, 594 Körner, Klaus 448, 594 Kosch, Wilhelm 188, 461 Kost, Jürgen 162, 594 Kotte, Andreas 203, 207, 498, 586, 592 Kraft, Helga 301, 304, 594 Krah, Hans 453, 594 Krause, Liane 468, 595 Krause, Werner 213, 217, 604 Kreuzer, Helmut 229, 595 Kreuzer, Stefanie 305, 310, 605 Kringiel, Danny 292, 610 Krogmann, Hans Gerd 52, 503, 577 Krüger, Dieter 33 Krüger, Ingrid 595 Krüger, Jonas Torsten 595 Krüger, Michael 579 Kruuse, Peter 569, 610 Kubaczek, Martin 595

628 Kuby, Erich 23, 38, 117f., 296–300, 575, 612, 614 Kügler, Hans 18f., 517, 595 Kühlmann, Wilhelm 230, 233 Kühne, Erich 442, 589 Kühnelt, Hans Friedrich 23, 39, 50, 52, 65, 117–121, 134, 358, 380–385, 474, 575, 585, 591, 597, 601, 603, 608, 612 Kühner, Otto-Heinrich 438, 595 Kunert, Günter 57, 401, 581 Kuon, Peter 590 Kuprian, Hermann 385, 585 Kurella, Alfred 223 Kurscheid, Raimund 36, 403, 448f., 595 Kusche, Lothar 517, 595 Kutter, Uta 537, 595 Kynaß, Hans-Joachim 355, 553, 555, 560, 579, 610 Lang, Otto 268 Lange, Wolfgang 560, 595 Langemeyer, Ines 357, 595 Langen, Albert 420, 426, 581 Langenbeck, Curt 19, 30, 37, 108f., 124, 126f., 131, 134, 145, 174–179, 184, 218, 435, 528, 575, 581, 590, 593, 596, 612f. Langner, Ilse 38, 65, 68, 124, 145, 300– 304, 545, 576, 576, 579, 581, 597, 603, 604 Lanzendörfer-Schmidt, Petra 537, 595 Lassahn, Bernhard 26, 578 Laughton, Charles 305f. Lauterbach, Ulrich 220, 223, 595 Ławnikowska-Koper, Joanna 437, 605 Leder, Lily 268, 272, 595 Lemke, Michael 595 Lenard, Philipp von 565 Leonhard, Rudolf 20, 33, 38, 44, 49, 73f., 78–80, 85–88, 97, 193, 223–229, 239– 242, 279, 576, 579, 581, 584, 587, 589, 593, 595, 604, 608 Lepenies, Wolf 532 Lersch, Edgar 437, 441, 600 Lewis, Robert A. 65, 69f., 319f. Lewitt, Paul 249 Ley, Hermann 595

Register

Lifton, Robert Jay 51, 596 Lincoln, Abraham 79. 226 Lindenberger, Thomas 596 Linhardt, Marion 363, 596 Linhart, Sepp 388, 596 Linsmayer, Charles 453, 596 Linzer, Martin 426, 596 Liquornik, Alfred (s. Alfred Gong) Lohr, Stephan 517, 596 Lokatis, Siegfried 436, 600 Lorenz, Dagmar C.G. 553, 596 Lorenz, Robert 408, 509, 517, 586, 596 Losey, Joseph 306 Lotsch, Manfred 179, 596 Löw, Bernd 596 Löwith, Karl 43, 55, 518, 600 Lueckel, Wolfgang 18f., 104, 173, 596 Luk#cs, Georg 255, 267, 431, 578 Lundius, Wiebke 347, 351, 596 MacArthur, Douglas 86, 227 Maczewski, Johannes 455, 596 Magris, Claudio 470 Mahlke, Sybill 555, 560, 610 Mair, Rosmarie 351, 596 Malsch, Wilfried 88, 584 Mann, Thomas 27f., 169, 446 Mannhardt, Klaus 36, 579 Mantel, Felix 230, 233, 596 Marconi, Guglielmo 24, 91, 109, 124, 142f., 208–213, 610 Maria Stuart 157 Maring, Matthias 596 Martin, Dieter 482, 596 Martin, Douglas 71, 198, 262, 610 Martin, Thomas (Pseud. von Franz Fassbind) Mattenklott, Gert 596 Mattner, Christine 483, 596 Matzkowski, Bernd 482, 596 Maurel, Jean-Louis (Pseud. von Harald Hauser) Maurer, Stefan 385, 461, 591 Maurizi, Stefania 596 Mayer, Hans 18f., 29, 161, 307, 309, 453, 482, 580, 597

Personenregister

Mazakarini, Leo 461, 598 McCarthy, Joseph 79, 90, 254, 343, 513, 565 McIntire, Ross T. 250 McMahon, Brien 565 Mehlmann, Anneliese 527, 597 Meitner, Lise 403, 546, 549f. Melchert, Monika 301, 304, 597 Meliss, Meike 476, 597 Menke, Bettine 592 Menke, Christoph 592 Menzel, Gerhard W. 38, 74f., 78, 84, 97, 124, 126, 229–233, 239, 242, 576, 581, 596 Meselson, Matthew Stanley 568 Messeri, Patrizia 597 Metzner-Szigeth, Andreas 585 Meurer, Adolph 454, 597 Meyer, Jochen 450, 454, 597 Mickel, Karl 20, 40, 45f., 50, 75, 125, 127, 141, 144f., 147, 355f., 553–561, 564, 569, 576, 578f., 591, 583, 588, 592, 595, 599, 600, 604, 607f., 610f. Mielke, Fred 139 Mierendorff, Carlo (Carl) 407, 560 Mila, Massimo 556, 560, 610 Millet, Victor 476, 597 Minetti, Hans-Peter 562 Mirbt, Rudolf 395 Mitscherlich, Alexander 139, 597 Mittenzwei, Werner 597 Montesinos Caperos, Manuel 476, 597 Montesperelli, Francesca 597 Montijn, Aleida 402 Moorehead, Alan 92f., 369, 372f., 597 Moriya, Tsutomu 517, 597 Moschner, Manfred 476, 610 Mudrich, Heinz 380, 385, 537, 597, 610 Mühsam, Erich 407 Müller Strassnig, Annina Barbara 598 Müller, Georg 420, 426, 581 Müller, Gerhard 556, 560, 610 Müller, Heiner 310, 522, 588, 602 Müller, Henning 18, 598 Müller, Karl-Heinz 468, 597

629 Müller, Klaus-Detlev 19, 86, 308f., 357, 574, 598 Müller, Reinhard 267, 578 Müller, Tim B. 105, 601 Müller-Salget, Klaus 162, 598 Müller, Christian Th. 18, 33, 584, 590 Mulsow, Martin 583 Munk, Christian (Pseud. von Günther Weisenborn) Münster, Clemens 581 Munz, Alexandra 453, 584 Musäus, Hans 421 Muschg, Walter 449, 454, 581, 598 Mussolini, Benito 209, 377 Muzzioli, Francesco 598 Mytze, Andreas W. 560 Naumann, Uwe 82, 575 Nawrot, Monika 388 Nedden, Otto C. A. zur 24, 37, 124, 133f., 136f., 143, 188–193, 576, 598f. Nehring, Holger 42, 598 Neis, Edgar 482, 518, 598 Nell, Werner 347, 351, 585 Neumann, Lisa 193, 598 Neumann, Oskar 563, 569, 611 Neumann-Rieser, Doris 346, 385, 461, 591, 598 Newman, Karl J. 35, 598 Newton, Isaac 125, 481, 516, 564 Nickel, Günther 321, 327, 598 Nicoletti, Susi 461, 598 Niefanger, Dirk 408, 598 Nobel, Alfred 24, 124, 133f., 136, 143, 188–193, 494 Noeske, Nina 18, 556, 598 Nolting-Hauff, Wilhelm (s. Ernst Barnewold) Nonnemann, Klaus 292, 588, 598 Nössig, Manfred 518, 598 Nunn May, Alan / Allan 92f., 124, 291, 368–374, 378f., 597 Nuti, Leopoldo 588 Nutz, Maximilian 517, 584 Nyffeler, Max 556, 560, 611

630 Obermayer, August 482, 598 Oesch, Hans 19, 482, 597 Ölke, Martina 436, 594 Oppenheimer, J. Robert 15, 19, 24, 39, 43f., 49f., 82, 87, 90, 92f., 99, 106, 125f., 130–133, 135f., 141, 146, 307, 333, 341, 407, 467, 471, 494, 509–518, 549, 564– 566, 575, 580f., 584, 588, 592, 594–599, 602, 606–606, 614 Orthofer, Michael A. 560, 599 Ossietzky, Carl v. 407 Osterle, Heinz D. 518, 604 Ott, Ulrich 40, 168, 218, 316, 320, 599 Otto, Hans 407 Otto, Karl A. 42, 599 Otto, Rainer 39, 44, 49, 52, 62, 64f., 73, 75, 78f., 97, 454–457, 576, 600 Otto, Werner 560, 599 Overhoff, Frank 408, 599 Özelt, Clemens 18f., 546, 553, 560, 599 Pais, Abraham 512, 599 Pallus, Walter 442, 589 Pansegrau, Petra 137, 599 Pash, Boris Theodore 548 Pasierbsky, Fritz 21, 599 Paul, Gerhard 135, 599 Pauling, Linus 132, 407, 566–569, 616 Paulsen, Gottfried 443, 447, 612 Pavel, Hans Joachim 511 Payk, Marcus M. 599 Payrhuber, Franz-Josef 482, 599 Peierls, Rudolf 323, 375 Peitsch, Helmut 18f., 75, 249f., 267, 352, 361, 569, 599 Peng (Pseud. von Carl Cristian Bock) Petersen, Klaus Dietrich 482, 599 Pfäfflin, Friedrich 40, 168, 218, 316, 320, 599 Pfeiffer, Hans 20, 39, 41, 51, 53, 55, 58, 61, 64f., 68f., 73, 78f., 85, 95f., 102, 386– 395, 439, 441, 576, 608f., 611, 613 Philipp II. 157 Phillips, Sydney (Pseud. von Hans JosH Rehfisch) Piens, Gerhard 436, 599

Register

Pies, Eike 599 Pietrzyinski, Ingrid 437, 477, 600 Pietzcker, Carl 600 Pigge, Helmut 514 Pilatus 157 Pinfold, Debbie 540, 600 Pintzka, Wolfgang 519 Piscator, Erwin 347, 401f., 420, 449, 454, 509, 575, 597, 606 Planck, Max (Marx Karl Ernst Ludwig) 564 Plasger, Georg 600 Plato, Bodo von 494 Politzer, Georges 231 Politzer, Heinz 135, 600 Pollatschek, Walther 334f., 337, 410, 414, 436, 613 Pontecorvo, Bruno 39, 49, 50, 91–93, 125, 369–373, 375–380, 574, 597 Pontecorvo, Gillo (Gilberto) 378 Pontecorvo, Giuliana 378 Poore, Carol 587 Popper, Karl 532 Powers, Thomas 423, 600 Prager, Gerhard 258, 510, 575 Pretzsch, Lutz 392, 395, 613 Preusser, Heinz-Peter 560, 600 Profitlich, Ulrich 17–19, 519, 523, 600 Prüss, Jens 503, 613 Pulcini, Elena 597 Quatember, Eva Maria 426, 600 Queneau, Raymond 532 Rabi, Isidor Isaac 510 Raddatz, Fritz J. 310, 600 Rahders, Jana 436, 600 Rahms, Helene 358, 360, 363, 613 Rappenecker, Monika 436, 594 Rathkolb, Oliver 18, 600 Raulff, Helga 55, 518, 600 R8ard, Louis 103 Reed, John 409 Rehfisch, Hans Jos8 34, 39, 81f., 99, 100, 106, 127, 131f., 134, 136, 144, 146, 186,

Personenregister

342, 419–426, 576, 581, 589, 591f., 596, 600f., 612, 614 Reiche, Erwin 519, 523, 613 Reinhardt, Max 301, 457, 461, 598 Reinhardt, Stephan 278, 601 Reinhold, Ursula 278, 601 Reinking, Karl F. 175, 179, 613 Reitzammer, Wolfgang 601 Rentzsch, Gerhard 283, 601 Renzi, Luca 75, 569, 588 Reus, Gunter 523, 601 Riccabona, Christine 385, 601 Richl, Mattias 292, 601 Richter, Hans Werner 45, 346f., 351, 581, 585 Richter, Karl 482, 601 Riedel, Heide 601 Rienäcker, Gerd 560, 579 Rigoll, Dominik 448, 602 Riha, Karl 287, 587 Riordan, Colin 590 Rischbieter, Henning 601 Ritter, Alexander 482, 601 Rixen, Fred (Pseud. von Dieter Rohkohl) Robin, Ron 105, 601 Roe, Ian F. 482, 601 Roessler, Peter 18, 600 Rohde, Gerhard 613 Rohde, Hedwig 545 Rohkohl, Dieter 39, 60, 63, 125, 425, 504– 509, 576, 581 Romano, Ruggiero 209 Rohrwasser, Michael 18, 86, 184, 296, 482, 591, 604 Roosevelt, Franklin Delano 40, 79, 87, 226f., 235, 466, 552, 565f., 582 Rösch, Christiane 82 Roscher, Achim 540, 584, 601 Rossmann, Hermann 16, 39, 65, 69–71, 112, 195, 395–400, 576 Rost, Theresia 436, 600 Rube, Wolrad 183 Rubinstein, Hilde 23, 39, 43, 45, 66, 108, 117f., 122, 139, 304, 523–527, 541–545, 576, 581, 597, 604, 613

631 Rücker, Günther 23, 33, 38, 78, 85, 139, 278–283, 576, 581, 590 Rudolph, Johanna 255, 613 Rüedi, Peter 482, 601 Rühle, Günther 20, 174, 188, 249, 266, 358, 469, 477, 509, 519, 601 Rühmkorf, Peter 579 Rülicke-Weiler, Käthe 352 Runge, Gertrud 174, 613 Rupp, Hans Karl 35f., 602 Rusinek, Bernd-A. 602 Rüsing, Hans-Peter 401, 408, 602 Russel, Bertrand 64, 262, 578 Rutherford, Ernest 262, 550, 564 Rzeszotnik, Jacek 437, 605 Sachs, Alexander 546, 565 Sachs, Nelly 43 Sailer, Marlis 523, 602 Salaff, Stephen 51, 602 Salewski, Michael 18, 312, 602 Sälter, Gerhard 401, 602 Salvia, Stefano 377, 380 Sandberg, Herbert 401 Sander, Hans Dietrich 334, 336, 602 Sander, Volkmar 137, 602 Sarasin, Philipp 602 Saß, Annika 108, 431, 574 Sauder, Gerhard 536, 589 Sauter, Josef-Hermann 418 Sauter, Sebastian von 385, 601 Schaefer, Hansjürgen 555, 560, 613 Schäfer, Armin 454, 602 Schalk, Axel 310, 602 Scharfschwerdt, Jürgen 518, 602 Schede, Hans-Georg 537, 540, 602 Scheer, Maximilian (Pseud. von Walter Maximilian Schlieper) 20, 23, 37f., 55, 65, 68–70, 73–75, 78, 87, 97–99, 102, 105f., 124, 193–195, 197f., 224, 227, 229–231, 233, 239, 241–245, 576, 578f., 581, 612 Scheffel, Helmut 275, 584 Scheich, Elvira 35, 602 Scheich, Sigurd Paul 553, 607 Schildt, Axel 448, 602

632 Schiller, Dieter 223, 602 Schiller, Friedrich 88, 157, 162, 266, 433, 565 Schilling, Helmut 23, 38f., 74, 91, 125f., 144, 203–208, 527–531, 577, 588, 592, 607, 609 Schinin/, Alessandra 511, 588 Schipper, Bernd Ulrich 600 Schläpfer, Franziska 156, 602 Schlieper, Ulrike 213, 322, 592 Schlieper, Walter Maximilian (s. Maximilian Scheer) Schlögl, Girid 385, 603 Schmidt, Sigurd 569, 613 Schmidt, Wolf Gerhard 20, 25, 181, 199, 262, 410, 415f., 450, 603 Schmidt-Henkel, Gerhard 482, 536, 589, 601 Schmied, Wieland 532 Schmitthenner, Hansjörg 52, 107, 168, 287, 577f., 582 Schnabel, Ernst 274, 278, 589 Schneider, Christof 220, 603 Schneider, Franz-Paul 35, 579 Schneider, Hansjörg 408, 426, 613 Schneider, Irmela 287, 587 Schneider, Rolf 19, 39, 43f., 44, 50, 56f., 66f., 71, 78, 84, 461–468, 492, 577, 582, 595, 597, 609 Schneider, Thomas F. 161, 583 Schneider-Lengyel, Ilse 23, 38, 46, 50, 56, 109, 117–119, 133, 346–351, 577, 585, 594, 596, 603f. Schneider-Özbek, Katrin 18, 587 Schöfer, Erasmus 10, 39, 41, 49–52, 54, 499–504, 535, 577, 603, 607, 610, 613f. Scholdt, Günter 482, 601 Scholz, Joachim 519, 523, 613 Scholz, Rüdiger 504, 603 Schönberg, Arnold 274, 277 Schorl, Werner (Pseud. von Carl Cristian Bock) Schröder, Max 250, 255, 613 Schröer, Rolfrafael 503f., 593 Schrott, Petra 114, 603 Schubert, Manfred 555, 560, 613

Register

Schuhmann, Klaus 569, 613 Schulte, Brigitta M. 304, 603 Schulte, Michael 164, 603 Schultze, Friedrich 420, 426, 581 Schulze-Boysen, Harro 401 Schulze-Vellinghausen, Albert 476, 614 Schumacher, Ernst 20, 40, 45, 50, 61, 75, 88, 116, 125, 128f., 132, 137, 141, 143, 255, 310, 352, 355–357, 401, 408, 519, 561–570, 577, 582, 588, 599, 603, 608– 611, 613–615 Schütz, Erhard 36, 590 Schütz, Laura 517, 597 Schwab-Felisch, Hans 476, 614 Schwartz, Michael 570, 603 Schwarz, Christian 230, 233 Schwarz, Helmut 39, 42, 46, 49, 55, 110, 112, 133, 266, 457–461, 577, 582, 589, 598 Schweitzer, Albert 407, 536 Schwengeler, Arnold Hans 204, 208, 607 Schwinger, Eckart 555, 561, 614 Schwitzke, Heinz 255f., 287, 289, 603 Sczepan, Wilfried 423, 600 Sebestyen, Victor 292, 603 Seelig, Carl 582 Seeliger, Rolf 426, 603 Seelmann-Eggebert, Ulrich 259 Selbig, Klaus 542, 545, 576 Semjonow, Wladimir 565 Sereni, Emilio 378 Serra, Valentina 469, 476, 603 Setzwein, Bernhard 351, 603 Seyfarth, Ingrid 523, 603 Shchyhlevska, Natalia 338, 342, 431, 603 Shindo¯, Kaneto 52, 455 Siebenhaar, Klaus 519, 523 Sieburg, Friedrich 107, 170, 603 Simon, Erik 218f., 587 Skardon, William James 130, 325, 375 Skott, Gronau 601 Sloterdijk, Peter 314, 603 Sochal, Agnieszka 304, 545, 603 Solomon, Jacques 231 Sommer, Theo 216, 300, 614 Southard, Susan 51, 604

633

Personenregister

Spedicato, Eugenio 296, 482, 604 Spiel, Hilde 547, 585 Spinoza, Baruch 344 Spittel, Olaf R. 218f., 587 Spring, Thomas 137, 591 Stalin, Josef 87, 235, 266, 288, 292, 523, 527, 581, 610 Stärcke, Wolfgang 213, 217, 604 Stark, Franz 291, 579 Staszak, Heinz-Jürgen 561, 604 Staudacher, Cornelia 347, 351, 604 Steckel, Leonard 157 Sˇtefancˇ&k, Radoslav 21, 605 Stein, Werner 532 Steiner, Carl 518, 604 Steiner, Rudolf 494 Stephan, Erika 409, 587 Stephan, Inge 180, 183, 301, 304, 592, 604 Stern, Martin 207, 583 Steuer, Grit 600 Stiefele, Werner 10, 419, 426, 604 Stöber, Rudolf 229, 604 Stock, Adolf 518, 604 Stocker, Günther 18, 86, 296, 482, 604 Stölken-Fitschen, Ilona 18f., 136, 602, 604 Stolper, Armin 39, 125, 518–523, 577, 586, 588, 593, 602f., 613 Stolz, Wolfgang 476, 604 Stosch, Joachim 538, 540, 614 Stöver, Bernd 17f., 33, 278, 604 Straßmann, Fritz (Friedrich Wilhelm) 403, 546 Strauß, Franz Joseph 445, 448 Stübe, Gerhard 39, 41, 51, 61f., 65, 68, 78, 85, 425, 437–441, 577 Stürzer, Anne 524, 527, 541, 545, 604 Such, Bärbel 134, 338, 340f., 574 Sudhof, Siegfried 327, 604 Suitner, Otmar 556, 561, 614 Suttner, Bertha v., geb. Kinsky 24, 189, 192 Swiatlowska, Irena 437, 605 Syngman Rhee (Lee Seungman, Yee Sungman) 226 Szabj, J#nos 267f., 270, 272, 605

Szilard, Leo 546, 551f., 564–566 Szyszkowitz, Gerald 504, 605 Taigi, Sumi 532, 536 Tamms, Werner 477, 614 Tantow, Lutz 482, 605 Taylor, Heimtraud. F. 483, 605 Teller, Edward 24, 146, 406, 510, 563–567 Terekov#, Sonˇa 21, 605 Teucher, Eugen 156, 614 Thompson, James 605 Thomsen, Christian W. 518, 605 Thorpe, Charles 511, 605 Tibbets, Paul Warfield Jr. 262 Timmermann, Heiner 34, 86, 605 Tinterri, Alessandro 597 Tischer, Matthias 18, 556, 561, 598, 605 Togliatti, Palmiro 378 Toller, Ernst 407 Tophoven, Jonas 605 Toulouse Lautrec, Henri-Marie-Raymond de 344f. Trinks, Ralf 605 Truman, Harry S. 87f., 226–228, 234, 237, 252, 280, 566 Tsuchiya, Masahiko 595 Tucholsky, Kurt 407 Turner, Georg (Pseud. von Hans JosH Rehfisch) Udet, Ernst 321 Uhl, Matthias 33, 585 Ullrich, Helmut 468, 609 Unterkircher, Anton 385, 601 Usmiani, Renate 296, 605 Utz, Peter 158, 605 Valente, Erasmo 556, 561, 614 Valentin, Karl 37, 46, 162–164, 577, 584, 586, 603 Vallentin, Antonina 352, 357, 605 Vassen, Florian 305, 310, 605 V#zquez, Maria Jos8 Dom&nguez 476, 597 Vellusig, Robert Heinz 310, 605 Verhoeven, Paul 509 Vesper-Triangel, Bernward 43, 606

634 Vivanti, Corrado 209 Volckmann, Silvia 518, 606 Volke, Lutz 52, 503, 577 Vormweg, Heinrich 476, 606 Vossen, Franz 518, 614 Wagener, Hans 327, 606 Wagner, Thomas 504, 614 Walden, Gustav 614 Waldschmidt, Christine 431 Walker, Mark 606 Wallenstein, Albrecht v. 344 Walser, Martin 287, 311, 316, 577f. Walter, Dierk 18, 33, 584, 590 Walther, Elisabeth 531 Walther, Klaus 540, 614 Wang, Fang 606 Wang, Jessica 373, 606 Wangenheim, Gustav von 20, 33, 38, 60, 65, 68, 73f., 78–80, 87, 89, 97, 168f., 174, 239, 249–255, 577, 607f., 610f., 613 Wannemacher, Klaus 606 Weart, Spencer R. 606 Weber, Claudia 105, 601 Wehdeking, Volker 278, 591 Wehner, Herbert 272, 614 Weimar, Karl S. 483, 606 Weingart, Peter 137, 599 Weisenborn, Günther 19, 34f., 39, 44, 62f., 83, 104f., 125f., 342, 400–408, 414– 419, 577, 582, 585f., 588, 598f., 602f., 607–610, 612–614 Weisenborn, Joy 408, 582 Weismann, Willi 162 Weiss, Matthias Josef 24, 38, 56, 91, 109, 124, 142f., 208–213, 577, 610, 612 Weiss, Peter 19, 44, 266, 589 Weiß, Ulrike 321, 327, 598 Weizsäcker, Carl Friedrich von 35 Wekwerth, Manfred 352f., 510, 518, 606 Wendt, Ernst 601 Wengeler, Martin 21, 81, 606 Wenzke, Rüdiger 33 Weßel, Daisy 17f., 84, 194, 225, 235f., 606

Register

Wessel, Oskar 24, 37, 40f., 49, 51–53, 56, 58, 113, 164–169, 189, 233, 317, 320, 577, 582, 612 Wettberg, Gabriela 17f., 606 Weyrauch, Wolfgang 19, 23, 38, 41, 43, 51, 57, 61, 95, 107, 113, 117f., 121, 283–287, 310–316, 401, 437, 577, 582, 587, 607f., 611, 614 Wickert, Erwin 38, 40f., 47, 49, 51, 53–55, 57, 65, 69f. 91, 93f., 287–292, 317–320, 369, 578f., 582, 588, 601, 608f., 612 Wiechert, Ernst 407 Wigner, Eugene Paul 565 Wild, Peter 26, 156 Wilhelm II. 88, 566 Willms, Bernhard 287, 587 Winzer, Klaus D. 410, 414, 614 Wirth, Günter 442, 447, 606 Wisser, Judith 354, 357, 555, 561, 606 Wizisla, Erdmut 357, 606 Woester, Heinz 152 Wohlstetter, Albert 105 Wolf, Friedrich 267, 578, 582 Wolff, Rudolf 402 Wolffheim, Elsbeth 454, 607 Wong, Becky 585 Wunderle, Ulrike 323, 607 Yuan, Mingyi 403, 408, 607 Yun, Isang 532 Zagari, Luciano 607 Zeman, Scott C. 607 Ziergiebel, Herbert 23, 38, 73f., 78, 97, 217–219, 457, 578, 587 Zihlmann, Max 287, 607 Zimmer, Dieter E. 67, 468, 615 Zinner, Hedda 34f., 39, 74, 78f., 88f., 91, 125f., 431–437, 578, 584, 594, 600, 605, 610, 613 Zipes, Jack 88, 456 Zohn, Harry 553, 607 Zola, Pmile 157 Zuckmayer, Carl 15, 19, 38, 47, 56, 65, 80f., 91–93, 124, 128, 130, 132, 321–327,

Sachregister

366, 369, 373f., 376, 408, 578, 582f., 588, 590, 593, 598, 604, 606, 609, 612 Zurletti, Michelangelo 556, 561, 615 Zürn, Guntram 537, 595

635 Zusanek, Harald 266, 582 Zwillinger, Frank 19, 23, 40, 45f., 56, 106, 109, 125, 129, 308f., 545–553, 578, 582, 585, 590, 596, 607

3. Sachregister ABC-Waffen 34, 48, 215, 277–281, 301, 583 Abrüstung 17, 46, 54, 88, 277, 280, 328, 449, 544, 583 Abschreckungstheorie 42, 83, 87, 102, 104f., 197, 212, 244, 254, 297, 338, 387, 392, 424, 497, 406, 522, 566f. (s. auch Gleichgewicht des Schreckens und Mutual Assured Destruction) Adenauer-Rede 35, 41, 406 Agitprop 218, 454, 462 Amerikabild 17, 82, 88, 235, 440, 456, 594 (s. auch Antiamerikanismus) Angstmotiv 18, 21f., 25f., 29, 42, 48, 50, 54f., 100–107, 110, 170–173, 197, 204– 206, 244, 273, 277, 285, 295, 313, 329, 351, 358, 360, 362, 387f., 394, 404–407, 416–419, 424, 461, 473, 506f., 566, 583, 585, 589, 599, 602 (s. auch Abschreckungstheorie) Antiamerikanismus 48, 50, 73, 75, 77–82, 84–86, 90, 184, 194, 227f., 234, 243, 249, 252f., 268, 278f., 386, 441, 456, 491, 512, 558, 566, 594, 610 (s. auch Auch in Amerika… im Dramen- und Hörspielregister) Antibolschewismus 48, 50, 80f., 84, 89f., 270, 373, 433, 513 (s. auch Kommunismus und Sozialismus) Antiimperialismus 31, 73, 78f., 81, 184, 194, 227, 250, 267f., 279, 337, 442, 559 (s. auch Antiamerikanismus) Antitechnischer Diskurs 23, 29, 100, 110f., 116f., 120, 122, 180, 188, 221, 248, 328, 365, 368, 425, 432, 588 (s. auch Zivilisationskritik)

Apokalypse 17, 22f., 30f., 48, 50, 95, 100, 103, 114, 116–121, 157–160, 170, 182, 189, 199, 237, 254, 261, 264–266, 283f., 293, 312, 333, 346, 348f., 367, 381, 399, 407, 429, 448, 453, 470, 481f., 506, 514, 525, 541, 558, 560, 578, 586, 588–590, 600 Arztfigur 63, 85, 96, 139f., 281f., 318, 361, 397, 399f., 412, 438, 440, 444, 452, 464, 483, 485f., 525 (s. auch Mad Scientist) Aschenmetaphorik 55, 57, 61f., 114, 120, 182, 190, 253, 319, 340, 389, 394, 399, 458, 483, 496, 533, 536, 566 (s. auch Asche im Wind und Im Aschenregen im Dramen- und Hörspielregister) Assistentenfigur 24, 106, 127, 136, 144, 146, 176–178, 195, 197, 200f., 260, 264, 411, 421f., 497, 552 (s. auch LehrerSchüler-Beziehung) Atomblitz, s. Lichtblitz-Symbolik Atombomben-Ikonen: Atompilz, Rauchpilz, Atomwolke 55, 83, 99, 112, 135, 232, 234, 312, 319, 382, 394, 397, 425, 438, 507, 526, 533, 536, 545, 566 (s. auch Atomregen, Aschenmetaphorik, Mushrooom-Cloud und Rauchmetaphorik) Atombombenabwurf auf Hiroshima 25f., 53f., 63, 68f., 70, 86, 153, 196, 202, 234, 236–238, 253, 260f., 270, 386, 395– 398, 412, 428, 438f., 486f., 533, 566 (s. auch Explosionsbilder) Atomexperimente und Nukleartests 28f., 32, 41, 48, 50, 53, 60f., 81, 112, 232, 234, 264, 274, 310, 338, 362, 392, 407, 414f., 437, 440, 444f., 455, 483, 488, 515 (s. auch Bikini, Glücklicher Drache, Nevada und Japanische Fischer)

636 Atomkraftanwendung 17, 35, 48, 79, 98, 122, 131, 158, 164, 185–187, 211, 231, 243f., 259f., 271, 301, 323, 326, 328, 330f., 333, 354, 356, 404, 413, 416, 421, 424, 464, 471, 513, 516, 522 (s. auch Remilitarisierung) Atomkraftwerk 45, 264, 504, 593 Atompest 303, 395, 411, 505, 507 Atomregen 112, 182, 313, 319, 394, 405 (s. auch Atombomben-Ikonen) Atomsäule 243 Atomspaltung, s. Kernspaltung Atomspionage und Atomverrat 18, 22, 24, 48–50, 89, 91–94, 125f., 130, 211, 252, 287f., 291f., 307, 322, 324f., 327, 335, 368–380, 434f., 450, 480, 497, 514, 529, 567 (s. auch Geheimhaltung und Fuchs, Klaus im Personenregister) Atomwaffenmonopol 83–85, 195, 235, 237, 243, 303, 455 Aufopferungs- und Verzichtsmotiv 48, 50, 61, 65, 67f., 71, 97, 111, 115, 123, 126, 143f., 186, 198, 200, 207, 222f., 236, 262, 311, 315, 340f., 364, 367f., 395, 421, 465, 481, 522, 557, 559 (s. auch Selbstmord) B-29 69–71, 112, 135, 195f., 261, 319, 395–400, 464, 500, 534 (s. auch Enola Gay, Testflug B 29. [Nie wieder!] im Dramen- und Hörspielregister, und Tibbets, Paul im Personenregister) Bakteriologische Waffen, s. ABC-Waffen Bhagavadgita 133, 494f. Bikini 28–31, 48, 50f., 59, 61f., 103, 156, 169, 232, 407, 410–412, 414, 440, 455, 566, 607 (s. auch Japanische Fischer und Bikini im Dramen- und Hörspielregister) Bolschewismus 88, 336f., 433, 565 (s. auch Antibolschewismus) Bombe als Fetisch 360, 568 Bunkertopos 23, 34, 104, 108, 118, 122, 141, 298f., 358–360, 384, 427f., 430, 452, 497, 541, 545, 613

Register

Chemische Waffen 190, 200, 301, 530 (s. auch ABC-Waffen) Christliche Thematik und Figuren 23, 35, 47f., 133, 178, 199, 237, 261, 263–266, 341, 350, 439 (s. auch Religiöse Metaphorik und Atom vor Christus im Dramen- und Hörspielregister) Countdown 22, 103, 171, 348, 418 Crossroads, Operation 28 Darstellbarkeits- und Unvorstellbarkeitsfrage 30, 48, 53, 55, 163, 176, 186f., 202, 260, 388, 489, 511, 537 (s. auch Unbeschreiblichkeitstopos) DDR-Rundfunk 17, 31, 78, 193f., 233, 437 Deutsche Teilung 33f., 224, 239, 277, 279, 406 Diabolische, das 99, 135–138, 192, 313, 325, 348f., 364, 366, 425, 512, 516f., 530 (s. auch Faust) Didaktisierung 493 (s. auch Schule) Dokumentarische, das 25, 46–48, 50, 67, 69, 77, 84, 90, 92, 112, 126, 194, 229f., 255, 317, 323, 328, 370, 403, 406, 420, 462f., 509, 511, 517, 548, 562, 564, 567, 586, 607 Donnerblitz 54 (s. auch Atomblitz und Pikadon) Doomsday Clock 261 Drache 57, 61f., 282, 310, 312, 314f., 407, 440, 567 (s. auch Glücklicher Drachen und Drachen über den Zelten im Dramen- und Hörspielregister) Dritter Weltkrieg 33, 88, 101, 224, 227f., 264, 297, 329, 336, 347, 406, 578, 590 Duck and Cover 493 Dynamit 24, 188–193, 372 Einsteinfigur, s. Energie-Formel, Relativitätstheorie und Einstein, Albert im Personenregister Eiserner Vorhang 42, 90, 104, 273, 276, 379, 601 (s. auch Kalter Krieg) Endzeithorror 60, 314, 349, 388, 449, 453, 459–460, 500, 616 (s. auch Schreckensund Leidensrepertoire und Verwesung)

Sachregister

Energie-Formel 40, 141f., 159, 209, 353, 361, 427, 481, 559, 565 Energiequellen 98, 187, 212, 270, 306, 425, 588 Enola Gay 69, 71, 261, 320, 398f., 566 (s. auch Tibbets, Paul im Personenregister) Erkenntnisrausch und -besessenheit 129, 132, 135, 138, 190, 192, 201, 263, 422, 566 (s. auch Forschungshybris und Gottesgleiche Wissenschaftler, der) Erotik 103, 172, 209, 257, 263, 265, 298, 351, 450, 486, 543, 568 Ethisch-politischer Konflikt der Wissenschaft 16, 22, 47–49, 77, 80, 92f., 112, 122, 127f., 130f., 142, 176f., 188, 190, 196, 200f., 222, 231, 242, 259, 269, 302, 306, 323–326, 335, 354, 379, 404, 421, 436, 463, 471, 478, 513, 516, 519f., 551, 596, 599 (s. auch Verantwortungskomplex) Explosionsbilder 28, 48, 50, 53–57, 60, 109, 116, 155, 190, 196, 235, 260f., 274, 311, 318–320, 340, 343, 362, 383, 388, 413, 493, 499–502, 515, 537 (s. auch Lichtblitz-Symbolik) Exzess-Rhetorik 30, 53, 67, 109, 134, 186, 192, 314, 351, 388, 464, 535, 539 (s. auch Frevel- und Grenzüberschreitungsmotiv) Fallout 28, 62, 99, 187, 314, 394, 483 (s. auch Radioaktivität) Farcenhafte, das 113, 136, 160, 342, 346, 427, 429, 512, 594 (s. auch Groteske, das und Karnevalisierung) Faschismus und ›Faschisierung‹ 78, 86– 88, 143, 209, 212, 235, 237, 243f., 270f., 289, 356, 424, 442, 513, 519, 565, 586 (s. auch Nationalsozialismus) Faust 135–137, 144, 400, 424, 562, 564, 591f., 594, 600 Feature 90, 102, 273, 292, 317, 328, 358, 438 Feuer- und Zündungsmetaphorik 55–57, 99, 114–116, 119, 138, 144, 171f., 181, 215, 247f., 260f., 264, 285, 300, 311,

637 318f., 359, 362, 367, 372, 382, 388, 398f., 474f., 496, 501, 557, 567 Figurenkonstellation 23–24 (s. auch Arztfigur, Assistentenfigur, Mad scientist, Militär, Pilotenfigur und Wissenschaftlerfigur) Film 18, 36, 44, 52, 61, 117f., 137, 199, 214, 220, 233, 278, 288, 364, 378, 383, 386, 442f., 447, 454f., 482, 493, 504, 509, 564, 567, 587, 595, 599, 609 Formelmotiv 22, 47f., 122, 126f., 129, 132, 134, 138, 141–147, 175, 177f., 185, 201, 221, 260, 263, 303f., 324, 340, 355, 364, 384, 421, 479f., 496, 528f., 531, 559 (s. auch Energie-Formel) Forschungshybris 114, 127f., 132, 134, 180, 199, 201, 340, 366 (s. auch Erkenntnisrausch und-besessenheit und Gottesgleiche Wissenschaftler, der) Frankreich 218, 230, 232, 240, 242, 244f., 271f., 442 (s. auch Der Ruhm Frankreichs und Paris, den 28. April im Dramen- und Hörspielregister) Frevel- und Grenzüberschreitungsmotiv 30, 63, 112–114, 121, 123, 132f., 134, 136, 177, 182, 186, 189, 192, 202, 237, 263, 284, 306, 358, 385, 424, 450, 460f., 471, 481, 564 (s. auch Exzess-Rhetorik) Friedens- und Warnungsappelle 34–36, 46, 97, 101, 109, 111, 158, 238, 245, 248, 284, 320, 351, 356, 402, 407, 413f., 418f., 455, 460, 496, 536, 569 (s. auch Göttinger Erklärung und Stockholmer Appell) Geheimhaltung 18, 24, 47f., 89–94, 130, 143, 185, 204, 207, 209f., 212, 237, 251, 274, 288f., 291, 293, 306, 323, 325f., 330–333, 336, 339–341, 343, 365, 368– 380, 384, 407, 417, 423, 434f., 444, 451, 459, 478f., 497, 506f., 514, 566f. (s. auch Atomspionage und Atomverrat) Gehorsamsproblematik 70, 72f., 226, 248, 320, 393, 442, 463, 465, 467, 492, 526

638 Generationenkonflikt 48, 50, 79f., 127, 138, 201, 250f., 255, 259f., 302, 344, 390, 422, 450, 506, 543 Genetische Mutation 22, 48, 63, 112, 140, 425, 450, 483, 485f., 526 Genfer Konferenz 17, 270, 328–333, 512 Genfer Protokoll 301 Gericht 49f., 67, 84, 116, 120, 133, 219, 221, 239–241, 264, 307, 334, 337, 348f., 370, 382, 385, 413, 462–464, 499, 515, 558, 564, 567 (s. auch Prozessdrama) Gewissenskrupel 24, 45, 71, 130f., 176, 196, 209, 398, 463, 515f., 558, 567 (s. auch Ethisch-Politischer Konflikt der Wissenschaft und Verantwortungskomplex der Wissenschaft) Gleichgewicht des Schreckens 81, 105f., 498, 514, 552 (s. auch Abschreckungstheorie und Mutual Assured Destruction) Glücklicher Drache 61f., 310, 407 Göttinger Erklärung 35, 41, 436, 596 (s. auch Göttinger Kantate im Dramenund Hörspielregister) Gottesgleiche Wissenschaftler, der 114f., 132–134, 177, 179, 201f., 340, 360, 385, 422, 515 Groteske, das 46, 101, 108, 139, 160, 176, 179, 215, 384, 428f., 470, 478, 480, 493, 544, 558 (s. auch Farcenhafte, das und Karnevalisierung) Gueules cass8es 490 (s. auch Plastische Chirurgie) Gutes Atom 95, 98, 194, 198, 237, 329

Register

Hibakusha, Japanische Fischer und Nagasaki Japanische Fischer 48, 50f., 53, 57, 59, 61f., 312, 344, 399, 411f., 437, 455, 483, 567f. (s. auch Bikini, Glücklicher Drachen und Die Japanischen Fischer im Dramen- und Hörspielregister) Jüngstes Gericht 232, 542

Happy End 48, 74, 77, 94–96, 108, 156f., 219, 238, 255, 282, 289, 337, 345, 385, 390, 419, 493, 531 H-Bombe, s. Wasserstoffbombe Hibakusha 51f., 491, 501–503, 602 Hitler-Bombe 48, 82, 197, 356, 422f., 466, 512, 551, 557, 565, 600, 606 Holocaust 44f., 445

Kalter Krieg 17f., 21f., 31, 33, 42, 48, 81f., 89, 91f., 94, 105, 120, 122, 184, 194, 199, 225, 227, 247, 253, 273, 279, 287f., 291– 293, 295f., 323, 335, 338, 356, 368, 370f., 378–380, 386f., 401, 405f., 432, 434, 467, 477f., 498, 511, 513f., 530, 554, 567 (s. auch Abschreckungstheorie, Eiserner Vorhang, Gleichgewicht des Schreckens und Mutual Assured Destruction) Kampf dem Atomtod 36, 41, 402f., 448, 579, 593, 604 Karnevalisierung 46, 157, 387, 428f., 490 Kernfusion 185, 421f. (s. auch Kernspaltung und Kettenreaktion) Kernspaltung 114, 128f., 136, 185, 323, 329, 404, 418, 548, 550 Kettenreaktion 60, 98, 128f., 242, 251, 254, 264, 359, 364, 448, 548–552 (s. auch Kettenreaktion im Dramen- und Hörspielregister) Kommunismus 80, 87, 90, 92f., 130, 218, 228, 230, 232, 245, 249, 254, 256, 276, 279, 282, 294, 322, 337, 373f., 376, 378f., 441, 446, 448, 467, 509, 513f., 522, 553 (s. auch Antibolschewismus, Bolschewismus und Sozialismus) Konversionsprinzip 103, 332 Koreakrieg 17f., 22, 32–34, 42, 48, 74, 79, 85, 87f., 101, 139, 223–229, 235, 238f., 241, 249, 252, 254–258, 263, 273, 275, 278–283, 293, 514, 567, 584f., 594, 604, 610 Kubakrise 17, 41f.

Japan, s. Atombombenabwurf auf Hiroshima, Bikini, Glücklicher Drachen,

Legitimierungsthesen des Atombombeneinsatzes 28, 63, 84f., 197, 234f., 329,

639

Sachregister

387, 439, 464, 466f., 488, 514, 563, 566 (s. auch Schuldzuweisung) Lehrer-Schüler-Beziehung 127, 176, 201, 260, 305, 309, 421f., 521 (s. auch Assistentenfigur) Lichtblitz-Symbolik 48, 50, 53–56, 155, 171, 234, 236, 313, 318f., 326, 399, 411, 496, 499 (s. auch Pikadon) Little Boy 69, 135, 564 Los Alamos 85, 87, 323, 466, 512, 514, 546, 558 (s. auch Manhattan-Projekt) Loyalitätsfrage 91, 288f., 322, 370, 374f., 514–517 Mad scientist 24, 71, 137–140, 281f., 364, 452, 602 Manhattan-Projekt 180, 514 (s. auch Los Alamos) McCarthyismus 79f., 90, 252, 254, 343, 513 Metatextuelle Verweise 30, 93, 107f., 118, 121, 154, 213f., 253, 277, 286, 372, 382f., 416f., 429f., 490, 556, 563 (s. auch Selbstreflexivität, mediale) Militarismus (und Militärfiguren) 17, 24, 34, 68, 70, 72, 75, 79, 82f., 85–87, 90f., 104, 108, 128, 131, 141, 143, 170f., 173, 184, 193f., 196f., 202, 212, 226, 232, 235, 237, 240f., 247, 254, 276, 280, 284, 297, 299, 320, 343, 345, 359–362, 367, 375, 378, 389, 397–399, 403f., 406, 412, 434, 439f., 442–446, 448, 452, 455f., 458f., 463f., 467, 478, 499, 502, 548, 563, 565 (s. auch Remilitarisierung) Missgeburt 51, 61, 108, 112, 411, 450, 458f., 508 Mönchsmotiv 65f., 68, 71, 111, 259, 261– 263, 265, 398, 438f. Mord 95, 107, 126, 138, 145, 215f., 255, 259, 264f., 304, 337, 345, 361, 390, 412, 430, 480, 484, 501–503 Mushrooom-Cloud 135f. Musik 74, 142, 176, 210, 212, 219, 230, 232, 234, 258, 273f., 277, 279, 282–284, 286, 334, 339, 341, 345, 348, 353, 402f., 407, 454f., 457, 489, 527, 532, 554–556

Mutual Assured Destruction 106 Nagasaki 26, 28, 51, 53, 65, 68, 85, 196, 234, 271, 317, 386f., 389, 392, 406, 412, 439f., 464, 503, 584, 590 Nationalsozialismus und Entnazifizierung 28, 81, 85, 87, 139, 174, 182, 184– 186, 195, 231f., 244, 281, 355f., 374, 401, 422–424, 451, 553f., 556–558, 565 (s. auch Hitler-Bombe und Hitler, Adolf im Personenregister) Nevada 274f., 363, 411, 413, 415, 456, 488, 533 Null-Motiv 26, 119, 122, 216, 384, 398, 408, 524 (s. auch Hier Welle Nullpunkt und Null Uhr Null im Dramen- und Hörspielregister) Nürnberg 28, 139, 235, 463, 467 Oak Ridge 330, 332 Ökologie 62, 113, 166, 168, 202, 298, 302, 311, 332f., 350, 421, 471, 508, 542 (s. auch Tierwelt) Opfermotiv 40, 47f., 51f., 66f., 125, 186, 234, 280, 323, 462, 502 (s. auch Aufopferungs- und Verzichtsmotiv) Ostermärsche 42f., 499f., 586, 590, 599 Overkill 116, 471, 564, 567f. Pariser Verträge 34, 41, 605 Pazifismus und pazifistische Motive 31, 34, 41f., 48, 73, 75, 77–79, 88, 95, 188, 194, 218f., 232, 243, 249, 254f., 267f., 272, 279, 329, 336, 353, 387, 399, 412, 435, 446, 463, 467, 471, 565, 568 (s. auch Friedens- und Warnungsappelle) Pikadon 10, 41, 499 (s. auch Der Pikadon im Dramen- und Hörspielregister) Pilotenfigur 24, 47–51, 53, 56, 63–72, 79, 85, 93, 146, 196–198, 250f., 259, 261f., 320, 364f., 382, 388f., 396–399, 411f., 439, 456, 462f., 492f., 526, 578 (s. auch B 29, Reuegefühl, Pilot Herzog und Prozeß Richard Waverly im Dramen- und Hörspielregister, und Eatherly, Claude im Personenregister)

640 Plastische Chirurgie 72, 488, 490, 525 Politikerfiguren, Rolle der 24, 34, 107, 126, 196, 247, 263, 306, 403f., 406, 451– 453, 478, 484, 487 Popularisierung des Atoms 98, 137, 243, 330f., 344, 364, 549 (s. auch Sprachgebrauch, atomarer, Didaktisierung und Schule) Prometheus 54, 114–116, 179–184, 248, 475, 564, 567f., 592 (s. auch Promethiden im Dramen- und Hörspielregister) Protestbewegungen 34, 36, 43, 70, 74, 97, 232, 245, 374, 403, 413, 448, 471 (s. auch Kampf dem Atomtod, Ostermärsche und Widerstand) Prozessdrama 44, 48f., 50, 92, 375, 239, 382 (s. auch Gericht) Radioaktivität 22, 24, 28, 32, 47f., 50, 53, 56, 59, 61–63, 96, 97, 99, 104, 109, 112, 122, 138, 157f., 165, 175, 187, 215, 232, 242, 247, 283, 311, 314, 318, 320, 331– 333, 336, 343f., 367, 383, 399, 407, 425, 437, 439f., 444, 455, 481, 483f., 493, 501, 505, 507f., 524f., 550 RAF 43f. Rassenfeindlichkeit 138, 367, 387–389, 439, 450, 452, 491 Rauchmetaphorik 29, 55, 57, 83, 138, 190, 197, 234, 248, 318f., 367, 389, 394, 438, 467 Raumfahrt und Raumschiff 23, 71, 120, 146, 215, 293–295, 363, 365f., 368 Relativitätstheorie 40, 75, 209, 354, 448, 532, 554, 562, 565 (s. auch Einstein, Albert im Personenregister) Religiöse Metaphorik 54, 112f., 133, 153, 155, 194, 259, 261, 312, 360, 429, 481, 534 (s. auch Gottesgleiche Wissenschaftler, der) Remilitarisierung und militärische Nutzung der Atomenergie 34–36, 42, 81, 99, 185, 187, 209, 211, 306, 365, 403, 424, 432–434, 442, 448, 514, 516f., 532, 542, 549

Register

Reportage 22, 27, 67, 169, 257, 273, 321, 328, 383, 420, 500 Reuegefühl 64, 66, 67–71, 81, 129, 142, 189, 191, 196, 207, 210, 262, 320, 326, 370, 375f., 389, 396, 398f., 412, 421f., 439, 463, 465, 467, 488, 494–496, 498, 501, 503, 506, 508, 526, 548, 558, 565 Romeo und Julia-Motiv 95, 157, 387, 391 Rote Kapelle 401 Ruinen- und Trümmerbilder 58, 153, 190, 300, 381, 386, 525, 539, 566 Sandmotiv 120, 359f., 381 (s. auch Wüste) Schattenmotiv 22, 47f., 50, 53, 56–58, 113, 165f., 314, 320, 486, 491, 581 (s. auch Hiroshima [Oskar Wessel] im Dramen- und Hörspielregister und Anders, Günther im Personenregister) Schaulust 29f., 107, 169, 173, 537f. (s. auch Spektakularisierung der Katastrophe) Schifffahrt und Schiff 23, 30, 102f., 139, 168–172, 189f., 204–207, 217–219, 248, 279–282, 393f., 440 Schizophrenie 128–130, 134, 325, 376, 514 Schreckens- und Leidensrepertoire 48, 50, 59–61, 110, 253, 260, 314f., 318, 349, 358, 388, 395, 399, 439, 486, 489f., 496f., 500f., 534f., 539f. (s. auch Endzeithorror und Verwesungsbilder) Schuhmotiv 22, 53, 58, 166–168 Schuldzuweisung, historische 81–83, 235, 389 Schule 23, 242–243, 341, 489, 493, 565 Science Fiction 17, 23, 47f., 110, 117f., 120, 137, 218, 293, 469 (s. auch Raumfahrt) Selbstmord 65f., 71, 95, 107, 129, 145, 207, 209, 220–222, 228, 250, 261, 264f., 374, 398, 400, 411, 416, 418, 438, 441, 453, 484, 486 (s. auch Aufopferungsmotiv) Selbstreflexivität, mediale 118, 213, 257, 286, 383, 513, 539

Sachregister

Sintflutmotiv 19, 29, 36, 104, 113, 146, 157f., 170, 284, 469f., 498, 583 Sonnenmetaphorik 54f., 57, 60, 62, 113, 132f., 319f., 340, 409, 412, 414, 422, 474, 515, 545, 567 (s. auch Feuer- und Zündungsmetaphorik) Sowjetunion 22, 31, 75, 81, 84, 88f., 92– 94, 98, 125, 194, 198, 235, 245, 249, 254, 268f., 272, 288f., 293, 323, 325f., 330, 336, 373, 375–377, 420, 432f., 443, 518 (s. auch Antibolschewismus; Bolschewismus und Sowjetisches Feindbild) Sowjetisches Feindbild 80, 89, 92, 94, 277, 288f., 291, 323 (s. auch Antibolschewismus) Sozialismus 45, 70, 73–75, 77–79, 84, 86, 88f., 93f., 97f., 107, 117, 234, 266–270, 278, 324f., 336, 375, 432, 434, 436, 455f., 518f., 521, 554, 556 Spaltungsbegriff 19, 111, 114, 121, 128f., 132, 165, 231, 263, 323, 356, 406, 418, 514, 548, 550, 552, 567 Spektakularisierung der Katastrophe 22, 28, 30, 54, 109, 169, 173, 202, 340, 383f., 488 Spielmetaphorik 154, 325, 358, 360, 362, 474f. Sprachgebrauch, atomarer 20f., 30, 37, 42, 53, 55f., 81, 102, 133, 163, 172, 186f., 190, 242, 247, 253f., 260, 282, 319f., 322, 330f., 333, 340, 344, 362, 365, 382f., 485, 534, 539, 549, 585 (s. auch Aschenmetaphorik, Feuer-und Zündungsmetaphorik, Superlativierungsformen und Unfassbare, das) Steinmetaphorik 71, 177, 366 Sterilität 60, 63, 425, 140, 440, 452, 484f., 507f., 525 Stockholmer Appell 74, 238, 249, 252 Suez-Krise 17, 273 Superlativierungsformen 163, 176, 322 (s. auch Exzess-Rhetorik) Supernova 71, 366 Survival-Drama (und Figurationen des Überlebens) 20, 25, 45, 47–49, 56f., 61, 100, 108, 114, 116–120, 161, 168, 173,

641 183, 213, 215f., 236, 299f., 311, 314, 317, 380f., 384, 426f., 429, 461, 468f., 474, 489, 491, 493, 500f., 526, 538, 541–543 Terminalitätsdimension 30, 56f., 63, 109, 118, 121, 214, 217, 223, 284–286, 296f., 300, 312, 348, 377, 425, 430, 471, 508, 539, 542f., 558 (s. auch SurvivalDrama) Tickende Uhr 22, 167, 261, 335, 380, 389f. (s. auch Doomsday Clock) Tierwelt 62, 112f., 168, 284f., 347, 349, 383, 458, 542 Tube Alloys 370, 374

Überwachung 83, 91, 94, 195, 201, 260, 333, 340, 378, 418, 435, 446, 449, 514, 557 Unbeschreiblichkeitstopos 48, 53, 59, 163, 176, 439 (s. auch Darstellbarkeitsfrage und Unfassbare, das und das Unbegreifliche) Unfassbare, das und das Unbegreifliche 53, 121, 159, 165, 186, 204, 237, 262, 283, 317, 350, 503 (s. auch Darstellbarkeitsfragen und Unbeschreiblichkeitstopos) Unsichtbarkeit der Gefahr 160, 210, 281, 313, 331–333, 459, 486, 505, 507 (s. auch Das unsichtbare Gepäck im Dramenund Hörspielregister) Unterschriftensammlung 22, 74f., 97, 238–241, 252, 254, 457, 496 (s. auch Stockholmer Appell) Unwiderruflichkeit des Denkens 143, 146, 176, 221, 265, 295, 355, 479, 568 Verantwortungskomplex der Wissenschaft 24, 40, 48, 64, 67, 77, 80, 82, 99, 107, 122f., 127f., 131, 140f., 175, 178, 182, 184–187, 190, 199, 201, 205–207, 209, 230, 242, 260, 267, 275, 280, 300, 303, 306, 324, 341, 349, 353, 382, 384, 414, 436, 451, 479, 482, 485, 494, 497f., 508, 514, 519f., 529, 554, 562f., 566, 568 (s. auch Ethisch-politischer Konflikt)

642 Verantwortungskomplex des Piloten, s. Pilotenfigur und Reuegefühl Verbannung des Subjekts 253, 365, 367f., 455, 509 (s. auch Wir-Ethos) Verselbständigung der Idee 131f., 204, 265, 384, 404, 479, 516, 548, 566 Versuchungsmotiv 126, 128, 130f., 136f., 324, 422, 478, 530, 515, 563, 566 (s. auch Diabolische, das, Erkenntnisrausch und -besessenheit, Faust, Forschungshybris, Gottesgleiche Wissenschaftler, der und Die Versuchung des Forschers im Dramen- und Hörspielregister) Verwesungsbilder 59f., 110, 280, 367, 388, 395, 460, 496 (s. auch Endzeithorror und Schreckens- und Leidensrepertoire) Verwissenschaftlichung und Spezialisierung des Atomwissens 55, 113, 236, 247, 308, 319, 331, 549 Wagenlenkermotiv 495, 498 Wahnsinn 64, 66, 68, 132, 137, 139f., 145, 177, 189, 250, 303, 344, 364, 367, 425, 452, 478, 481, 557 (s. auch Mad Scientist) Wasserstoffbombe 61f., 113, 120, 130f., 146, 158f., 293, 295, 302, 311, 329, 344,

Register

353, 364, 367, 392, 407, 418, 425, 440f., 444, 456, 488, 513, 515f., 567 Widerstand 74, 185, 279, 392, 413, 449, 455f. (s. auch Kampf dem Atomtod, Ostermärsche, Protestbewegungen, und Widerstand) Wir-Ethos 75, 96f., 198, 272, 390, 455 Wissenschaftlerfigur, s. Diabolische, das, Formelmotiv, Erkenntnisrausch und -besessenheit, Faust, Forschungshybris, Gottesgleiche Wissenschaftler, der und Versuchungsmotiv Wüste 23, 63, 98, 99, 119, 121, 199, 298, 381, 411, 413–415, 421, 425, 456, 481, 558 (s. auch Die Wüste im Dramen- und Hörspielregister) Zehnjahresfeier der Atombombe 40f., 317, 386 Zensur 27, 86, 212, 228, 230, 384, 401, 503, 556 Zivilisationskritik 22f., 36, 48, 50, 100, 111, 114, 118–120, 122, 346, 349, 381, 416, 457, 460, 470, 473, 475 (s. auch Antitechnischer Diskurs) Zweiter Weltkrieg 184, 278, 281, 287, 368, 405, 439, 590