Vom Umgang mit der Vergangenheit / Come affrontare il passato?: Ein deutsch-italienischer Vergleich. Dialog der Historiographien / Un dialogo tra Italia e Germania. Dialogo delle Storiografia 9783110928747, 9783484670198

Both Germany and Italy take an intense interest in each other's history between the seizure of power (1922 in Italy

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Vom Umgang mit der Vergangenheit / Come affrontare il passato?: Ein deutsch-italienischer Vergleich. Dialog der Historiographien / Un dialogo tra Italia e Germania. Dialogo delle Storiografia
 9783110928747, 9783484670198

Table of contents :
Vergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik: deutsch-italienische Bruchstellen
Vom politischen Umgang mit Erinnerung und Stereoptypen
Die politischen Kulturen der Resistenza
Fare i conti con la storia - Il caso della Repubblica federale nel contesto della cultura della memoria in Europa
Fascismo e nazismo nel quadro della storia politica nazionale: una svolta storiografica?
Riconsiderando il problema dell’epurazione in Italia dopo il 1945
Die verdrängte Erinnerung: Verfolgungspolitik und Kriegsverbrechen des faschistischen Italien
Eine Frage der Ehre: Die Legendenkonstruktion der Offiziere vom »Sauberen Krieg« an der Italienfront
La storiografia italiana di fronte al fascismo: interpretazioni e rimozioni
Verdrängung, Erinnerung und historische Aufarbeitung bei einigen gesellschaftlichen Protagonisten: katholische Kirche
I giudizi su fascismo, antifascismo e resistenza nella stampa cattolica italiana (1945-1965)
Die Erinnerung an den Faschismus und der »Dämon der Analogie«
Instrumente zur Förderung von Geschichtsbildern: Mahn- und Gedenkstätten sowie Museen
Luoghi, storia e memoria del fascismo
Eine Akademie sieht ihre Vergangenheit: Das Beispiel der Akademie der Wissenschaften der DDR
»Vergangenheitsbewältigung« als politische Instrumentalisierung: Das Beispiel der Preußischen Akademie der Wissenschaften – Ein Kommentar
Die Zukunft der Erinnerung - Anmerkungen zur neuen Gedenkkultur in Mahnstätten, Kunst und Medien
Historische Landesausstellungen als Instrumente zur Förderung regionaler Identität: Das Beispiel Nordrhein-Westfalen
Das Fürstentum Liechtenstein und der Zweite Weltkrieg
Die Formung des kulturellen Gedächtnisses am Beispiel der Bundesrepublik und Italiens
Namensregister

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REIHE DER VILLA VIGONI Deutsch-italienische Studien Herausgegeben vom Verein Villa Vigoni e.V.

Band 19

Vom Umgang mit der Vergangenheit: Ein deutsch-italienischer Dialog Come affrontare il passato? Un dialogo italo-tedesco Herausgegeben von Christiane Liermann, Marta Margotti, Bernd Sçsemann und Francesco Traniello

Max Niemeyer Verlag T0bingen 2007

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Vom Umgang mit der Vergangenheit: Ein deutsch-italienischer Dialog Come affrontare il passato? Un dialogo italo-tedesco Herausgegeben von Christiane Liermann, Marta Margotti, Bernd Sçsemann und Francesco Traniello

Sonderdruck aus Villa Vigoni 19 ISBN 978-3-484-67019-8

Max Niemeyer Verlag T0bingen 2007

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet 0ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-67019-8

ISSN 0936-8965

= Max Niemeyer Verlag, T0bingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich gesch0tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulEssig und strafbar. Das gilt insbesondere f0r VervielfEltigungen, Fbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbestEndigem Papier. Satz: Dr. Gabriele Herbst, Mçssingen Gesamtherstellung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten

Inhaltsverzeichnis/Indice

Christiane Liermann Vergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik: deutsch-italienische Bruchstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gian Enrico Rusconi Vom politischen Umgang mit Erinnerung und Stereoptypen . . . . . . . . . . .

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Francesco Traniello Die politischen Kulturen der Resistenza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bernd Sösemann Fare i conti con la storia – Il caso della Repubblica federale nel contesto della cultura della memoria in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

Paolo Pombeni Fascismo e nazismo nel quadro della storia politica nazionale: una svolta storiografica? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

Michele Battini Riconsiderando il problema dell’epurazione in Italia dopo il 1945 . . . . . . .

67

Brunello Mantelli Die verdrängte Erinnerung: Verfolgungspolitik und Kriegsverbrechen des faschistischen Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Kerstin von Lingen Eine Frage der Ehre: Die Legendenkonstruktion der Offiziere vom »Sauberen Krieg« an der Italienfront . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Giovanni Belardelli La storiografia italiana di fronte al fascismo: interpretazioni e rimozioni . . .

121

Winfried Becker Verdrängung, Erinnerung und historische Aufarbeitung bei einigen gesellschaftlichen Protagonisten: katholische Kirche . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Marta Margotti I giudizi su fascismo, antifascismo e resistenza nella stampa cattolica italiana (1945–1965) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

Filippo Focardi Die Erinnerung an den Faschismus und der »Dämon der Analogie« . . . . .

177

Hermann Schäfer Instrumente zur Förderung von Geschichtsbildern: Mahn- und Gedenkstätten sowie Museen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195

Mimmo Franzinelli Luoghi, storia e memoria del fascismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hubert Laitko Eine Akademie sieht ihre Vergangenheit: Das Beispiel der Akademie der Wissenschaften der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211

Bernhard vom Brocke »Vergangenheitsbewältigung« als politische Instrumentalisierung: Das Beispiel der Preußischen Akademie der Wissenschaften – Ein Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223

Monika Boll Die Zukunft der Erinnerung – Anmerkungen zur neuen Gedenkkultur in Mahnstätten, Kunst und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229

Christoph Cornelißen Historische Landesausstellungen als Instrumente zur Förderung regionaler Identität: Das Beispiel Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . .

235

Carlo Moos Das Fürstentum Liechtenstein und der Zweite Weltkrieg . . . . . . . . . . . . .

253

Wolfram Pyta Die Formung des kulturellen Gedächtnisses am Beispiel der Bundesrepublik und Italiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christiane Liermann

Vergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik: deutsch-italienische Bruchstellen

Obwohl die Zusammenarbeit zwischen deutschen und italienischen Historikern über eine Reihe ausgezeichneter, traditionsreicher Institutionen und Instrumente verfügt, bleibt das deutsch-italienische historische Gespräch in der Regel auf einen kleinen Kreis von happy few beschränkt, die sich regelmäßig über die Forschungsergebnisse im anderen Land austauschen. Darüber hinaus besteht nur eine geringe Vertrautheit mit den Fachdiskussionen und historisch-politischen Debatten in der jeweils anderen Wissenschaftskultur. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts scheint auf den ersten Blick eine Ausnahme dieser wechselseitigen Unvertrautheit mit der Geschichte »der anderen« darzustellen: Eine vielfach behauptete »Parallelität« bestimmter historischer Entwicklungen in Deutschland und Italien im vergangenen Jahrhundert hat dazu geführt, daß sich auch der wissenschaftliche Zugriff der parallelisierenden Perspektive bedient hat.1 Dies gilt in erster Linie für die Vergleichbarkeiten und Differenzen von italienischem Faschismus und deutschem Nationalsozialismus.2 Es gilt aber auch für einzelne Phänomene der Nachkriegsgeschichte. Man denke an den Prozeß der Demokratisierung, Europäisierung und »Westernisierung«,3 an die beiden hierfür maßgeblichen christdemokratischen Regierungschefs Konrad Adenauer und Alcide De

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Davon zu unterscheiden sind Untersuchungen, die sich den direkten deutsch-italienischen Beziehungen und Interaktionen zuwenden, vgl. M. Guiotto, Italia e Germania occidentale dalla fine della seconda guerra mondiale alla fine degli anni Cinquanta, in: Italia – Germania. Deutschland – Italien, 1948–1958. Riavvicinamenti – Wiederannäherungen. Contributi di/Beiträge von M. Guiotto e/und J. Lill. Villa Vigoni studi italo-tedesci 6, Firenze 1997, S. 9–157; G. E. Rusconi, Germania Italia Europa. Dallo stato di potenza alla »potenza civile«, Torino 2003, dt. Deutschland – Italien, Italien – Deutschland. Geschichte einer schwierigen Beziehung von Bismarck bis Berlusconi, üb. von A. Peter, Paderborn 2006. Vgl. W. Schieder (Hg.), Faschismus als soziale Bewegung. Deutschland und Italien im Vergleich, Göttingen 1983; K. D. Bracher/L. Valiani (a cura di), Fascismo e nazionalsocialismo, Bologna 1986; dies. (Hg.), Faschismus und Nationalsozialismus, Berlin 1991. Daneben sind z.B. Lutz Klinkhammers Untersuchungen zu Kollaboration und Bündnispolitik von Deutschem Reich und faschistischem Italien zu nennen, vgl. L. Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung. Das nationalsozialistische Deutschland und die Republik von Salò 1943–1945, Tübingen 1993. Vgl. die Beiträge des Sammelbandes Italia e Germania 1945–2000. La costruzione dell’Europa, a cura di G. E. Rusconi e H. Woller, Bologna 2005; dt. G. E. Rusconi/ H. Woller (Hg.), Parallele Geschichte? Italien und Deutschland 1945–2000, Berlin 2006, insbesondere die Aufsätze von Paolo Pombeni und Eckart Conze.

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Christiane Liermann

Gasperi4 sowie an parallele Erscheinungen auf dem Gebiet der politischen Parteien und sozialreformerischen und -revolutionären Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.5 Speziell die Frage nach »Nähe« oder »Vergleichbarkeit« von Faschismus und Nationalsozialismus ist, auch im Gefolge von Ernst Noltes Der Faschismus in seiner Epoche (1963), vielfach diskutiert worden, nicht nur im Zusammenhang der Faschismus- und Totalitarismusforschung, allerdings ohne daß dadurch eine systematische komparatistische Forschung in Gang gekommen wäre.6 In bemerkenswertem Gegensatz zu der Intensität, mit der in Deutschland und in Italien die Geschichte beider Länder (also durchaus auch des jeweils anderen Landes) zwischen den Machtübertragungen 1922 bzw. 1933 und Kriegsende wahrgenommen und wissenschaftlich bearbeitet wird, steht – vom komparatistischen Ansatz her gesehen – die Vernachlässigung der Frage, wie Wissenschaft, Staat und Gesellschaft mit der Erblast von Diktatur und Krieg nach 1945 umgegangen sind.7 Die quantitative Schwäche der deutsch-italienischen ZusammenVergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik

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Vgl. den ebenfalls parallel montierten Sammelband U. Corsini/K. Repgen (a cura di), Konrad Adenauer e Alcide De Gasperi: due esperienze di rifondazione della democrazia, Bologna 1984; sowie Jean-Dominique Durand, Storia della democrazia cristiana in Europa. Dalla Rivoluzione francese al postcomunismo, Mailand 2002; als Interaktionsgeschichte ist hingegen angelegt T. Di Maio, Alcide De Gasperi e Konrad Adenauer. Tra superamento del passato e processo di integrazione europea (1945–1954), Torino 2004. Wobei diese von der Zeitgeschichtsforschung, soweit ich sehe, bisher weder als deutschitalienische Parallelmontage, noch komparatistisch erfaßt sind. Auf Italien konzentriert, mit einem bloß kursorischen Blick auf die deutsche Situation, A. Agosti/L. Passerini/ N. Tranfaglia (a cura di), La cultura e i luoghi del ’68, Milano 1991. Zur Methoden- und Legitimationsproblematik der Zeitgeschichte vgl. A. Nützenadel/W. Schieder (Hg.), Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven der Forschung in Europa, Göttingen 2004. Christof Dipper, Rainer Hudemann und Jens Petersen stellen zu Recht fest, daß »Nationalsozialismus und Faschismus ausgesprochen selten einander gegenübergestellt [werden]«. Zu den Gründen zählen die Autoren die Tatsache, daß der systematische Vergleich immer weniger opportun erschien, je stärker die Geschichtswissenschaft seit den siebziger Jahren den rassenideologischen Massenmord und Vernichtungskrieg als Merkmal des Nationalsozialismus herausarbeitete, vgl. dies., Vergleichende Faschismusforschung – Schwerpunkte, Tendenzen, Hypothesen, in: dies. (Hg.), Faschismus und Faschismen im Vergleich, Köln 1998, S. 9–21, hier S. 11f. Vorbildlich im komparatistischen Sinne S. Reichardt, »Faschistische Kampfbünde«. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2002; vgl. auch die systematisch vergleichend angelegten Beiträge in C. Dipper (Hg.), Deutschland und Italien 1860–1960 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 52), München 2005. Zu den löblichen Ausnahmen gehört die Präsentation teils komparatistischer, teils parallel montierter Forschungergebnisse in C. Cornelißen/L. Klinkhammer/W. Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt 22004; vgl. auch P. Schiera, Historische Forschung in Italien nach und vor dem Zweiten Weltkrieg: Neue Wege in europäischer Perspektive, in: H. Duchhardt (Hg.), Nationale Geschichtskulturen – Bilanz, Ausstrahlung, Europabezogenheit, Mainz 2006, S. 145–168; W. Schieder, Angst vor

Vergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik

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schau auf die »Vergangenheitsaufarbeitung« ist um so überraschender, als jede Seite je für sich dieses Thema bekanntlich sehr wohl in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung unter Einbeziehung unterschiedlicher Disziplinen, aber auch in einer lebhaften öffentlichen Debatte behandelt hat und weiterhin behandelt. Für Deutschland läßt sich sagen, daß die »Nach- und Bewältigungsgeschichte mit ihrem Spannungsfeld von Erinnerung und Verdrängung […] in den vergangenen zehn Jahren eine der wichtigsten zeitgeschichtlichen Forschungsperspektiven« dargestellt hat (Paul Nolte). Die Beschäftigung mit dem Umgang mit NSVergangenheit und Kriegserfahrung nach 1945 bzw. nach 1949 in den beiden deutschen Staaten sowie mit Formen der Erinnerung und einer von öffentlicher Seite geförderten Geschichtskultur hat eine facettenreiche wissenschaftliche Produktion und eine beachtliche öffentliche Resonanz erzeugt.8 Dazu tragen auch kontroverse Forschungsergebnisse bei. Man denke an die Debatte, die durch Daniel Jonah Goldhagens Publikationen ausgelöst wurde. Ebenso sind Ausstellungen und Projekte zur Errichtung von Museen, Denkmälern und Erinnerungsstätten zu nennen, die von öffentlichen Diskussionen und pädagogischen Initiativen begleitet sind.9 Für die Popularisierung solcher Themen sorgen zudem Filmund Fernsehproduktionen, als Fiktion oder Dokumentation, mit oftmals hoher Zuschauerquote. Auch die Auseinandersetzung um die Möglichkeit von Wiedergutmachung10 und Entschädigung (Stichwort: »Zwangsarbeiter«) hat in Wissenschaft, Öffentlichkeit und bei den betroffenen Einrichtungen und Unternehmen die Beschäftigung mit der Nachgeschichte des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik und in der DDR verstärkt, bisweilen aber auch zum ersten Mal überhaupt eröffnet, ja erzwungen. Eine noch andauernde Debatte behandelt zudem historische Ereignisse und Erfahrungen wie Vertreibung, Flucht und Luftkrieg, deren Opfer Deutsche waren. Bei den genannten Fragestellungen geht es nicht nur um die Rekonstruktion der Ereignisse, sondern oft gleich- oder gar vorrangig um die Rekonstruktion kollektiver und individueller Erinnerungen und deren »Verarbeitung« mittels einer mehr oder weniger intendierten vergangenheitspolitischen Steuerung.11

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dem Vergleich. Warum die italienische Zeitgeschichtsforschung wenig europäisch ist, ibd., S. 169–193. Zur Literatur vgl. N. Frei, Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Deutschland 1945–2000, in G. E. Rusconi/H. Woller (Hg.), Parallele Geschichte?, cit. (wie Fußnote 3), S. 73–87; sowie die Beiträge des Sammelbandes von H. Duchhardt (Hg.), Nationale Geschichtskulturen, cit., in dem eine Vielzahl europäischer Fallbeispiele vorgestellt wird. Zur Literatur vgl. auch M. Sabrow, Nationalgeschichte und historische Europäisierung. Bemerkungen zum Gegenwartswandel der Geschichtsschreibung, in G. E. Rusconi/H. Woller (Hg.), Parallele Geschichte?, cit. (wie Fußnote 3), S. 479–503. Vgl. Constantin Goschler, Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945–1954, München 1992. Vgl. dazu insgesamt P. Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, München 2001.

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Christiane Liermann

Einzelne gesellschaftliche Gruppen, Berufssparten, Verbände, Institutionen, Administrationen, Parteien und Kirchen sind in diesem Sinne Gegenstand der historischen Forschung geworden. Die Rekonstruktion ihrer Integrations- und Legitimationspraktiken, der gesellschaftlichen Diskurse und sozialen Aushandlungsprozesse in den Jahren nach 1945 macht Tabuisierungen und Enttabuisierungen, personelle, weltanschauliche, wissenschaftliche und wirtschaftliche Kontinuitäten und Diskontinuitäten in Deutschland deutlich. Das Panorama der italienischen Geschichtswissenschaft ist, was den Umgang mit der faschistischen Vergangenheit betrifft, weniger breit gefächert, dafür aber von höherer politisch-polemischer Aktualität. Bei allem Dissens in zentralen Forschungsfragen (einschließlich der Frage bezüglich des »Orts« des Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte) besteht doch in Deutschland ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens hinsichtlich der negativen Bewertung der NSDiktatur, was diese aus einer binnendeutschen Perspektive für die tagespolitische Instrumentalisierung ungeeignet macht. Der italienische Umgang mit dem Faschismus ist demgegenüber hochgradig politisiert und kontrovers. Die italienische Debatte tendiert dazu, den Faschismus als nationales Phänomen wahrzunehmen, während seine europäische Dimension vernachlässigt wird.12 Das Manko einer solchen Betrachtung ist die mangelnde Differerenzierung zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der Faschismen (auch in Italien selbst!) und ihren Transformationen und Anpassungen an veränderte Zeitumstände, obwohl doch gerade »die Frage nach den Dynamiken und Kontinuitäten in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spielt« (Francesco Traniello). Sie bezieht sich nicht nur auf die jeweilige nationale Vorgeschichte von Faschismus und Nationalsozialismus, sondern auch auf die unterschiedlichen Wege, in denen in Deutschland und in Italien die Diktatur überwunden wurde; sie betrifft aber auch die Frage, wie sich der Faschismus zum Postfaschismus fortentwickelt hat und welche parallelen oder abweichenden Kontinuitätsträger es daneben in Italien gibt (z.B. Kirche oder Kommunismus). Die Geschichte der Modi von »Bewältigung«, »Verarbeitung« oder »Aufarbeitung« präsentiert sich in Italien nicht in erster Linie als Rekonstruktion der diversen Erinnerungs- und Geschichtspolitiken und/oder der Kontinuitäten gesellschaftlicher Eliten oder einzelner gesellschaftlicher Protagonisten inklusive Berufsverbände, wissenschaftlicher Disziplinen etc., wie sie in den letzten Jahren die Geschichtskultur in Deutschland geprägt hat,13 sondern als Rekonstruktion eines Diskurses, in dem zunächst nicht die Nachgeschichte des Faschismus dominierte, sondern die Nachgeschichte der Resistenza und ihres Fortlebens in der 12 13

So auch W. Schieder, Angst vor dem Vergleich, cit. Zur Konfrontation mit der faschistischen Vergangenheit in den Geisteswissenschaften und in einzelnen Wissenschaftlerbiographien finden sich wichtige Hinweise bei A. D’Orsi, Intellettuali nel Novecento italiano, Torino 2001; G. Turi, Lo Stato educatore. Politica e intellettuali nell’Italia fascista, Bari 2002, F. Traniello, ›I partiti politici‹ di Carlo Morandi, in »Contemporanea«. Rivista di storia dell’800 e del’900, 1/2005, S. 135ff.

Vergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik

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politischen Kultur und im historisch verankerten Selbstverständnis der italienischen Republik.14 Die aktualisierende Vergegenwärtigung der Resistenza-Ideale zwecks politischer Aufklärung und zivil-demokratischer Erziehung galt jahrzehntelang als verbindlicher Zugriff auf die jüngste Vergangenheit, dem von Staats wegen eine Fülle von Institutionen und didaktischen Instrumenten zur Verfügung gestellt wurde. Diese Dominanz bleibt auch dort erhalten, wo versucht wurde und versucht wird, das antifaschistische »Narrativ« als Geschichtsmythos zu dekonstruieren (Wolfgang Schieder), ja, als politische Lebenslüge der Italiener nach dem Krieg zu entlarven (Renzo De Felice). Die Fokussierung führt dazu, daß für die italienische »Vergangenheitsaufarbeitung« die eigentlich geschichtswissenschaftlichen Fragen, auf welche Weise und mit welchem Selbstverständnis sich einzelne Personen und gesellschaftliche Gruppen der faschistischen Vergangenheit gestellt oder auch nicht gestellt haben, und wie sich die sozialen Transformationen und geistigen Anpassungsprozesse vollzogen haben, eine untergeordnete Rolle spielen, während moralische und ideologische Kategorien wie »Verdrängung«, »Verharmlosung« oder »Mythisierung« vorherrschen,15 die die jüngste Vergangenheit der Historisierung und historisch-wissenschaftlichen Erfassung entziehen.16 Vereinzelte Untersuchungen wenden sich dem Prozeß des Elitenaus14

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Als symptomatisch mag eine komparatistisch angelegte Tagung gelten, die am 10./11. November 1995 auf Initiative des Regionalinstituts »Ferruccio Parri« zur Geschichte der Befreiungsbewegung und der Zeitgeschichte der Emilia Romagna (Istituto regionale »Ferruccio Parri« per la storia del movimento di liberazione e dell’età contemporanea per l’Emilia Romagna) sowie des Regionalkommitees der Emilia Romagna für die Feiern des fünfzigsten Jahrestages von Widerstand und Befreiung in Bologna organisiert worden ist; vgl. die nachfolgende Veröffentlichung hg. von Giovanni Miccoli, Guido Neppi Modona und Paolo Pombeni, La grande cesura. La memoria della guerra e della resistenza nella vita europea del dopoguerra (dt. Die große Zäsur. Die Erinnerung an den Krieg und an den Widerstand im europäischen Leben der Nachkriegszeit; Üb. des Titels von mir), Bologna 2001. Dies wird deutlich in jenen zahlreichen Untersuchungen, die sich mit der kulturellenpolitischen-zivilbürgerlichen »Identität« der Italiener befassen; vgl. Giovanni Belardelli, Luciano Cafagna, Ernesto Galli della Loggia, Giovanni Sabatucci (a cura di), Miti e storia dell’Italia unita, Bologna 1999 (insbesondere die Kapitel »Die lange Fahrt durch den Faschismus hindurch«, »Auch Italien hat den Krieg gewonnen« und »Der betrogene Widerstand«, (dt. Übersetzung der Kapitelüberschriften von mir); vgl. auch die essayartigen Darstellungen der italienischen »Identität« bei Giulio Bollati, L’Italiano. Il carattere nazionale come storia e come invenzione, Torino 1983, und Silvio Lanaro, L’Italia nuova. Identità e sviluppo 1861–1988, Torino 1988. Vgl. dazu auch G. E. Rusconi, Resistenza e Postfascismo, Bologna 1995. Die »Verdrängung« der Tatsache, daß es in Italien einen antisemitischen Faschismus gegeben hat, behandelt F. Focardi, Alle origini di una grande rimozione. La questione dell’antisemitismo fascista nell’Italia dell’immediato dopoguerra, in: »Horizonte. Italianistische Zeitschrift für Kulturwissenschaft und Gegenwartsliteratur« 4/1999, S. 135–170; die fließenden Grenzen zwischen imperialen Superioritätsvorstellungen, kulturellem und biologischem Rassismus in Italien analysiert B. Mantelli, Rassismus als wissenschaftliche Welterklärung. Über die tiefen kulturellen Wurzeln von Rassismus und Antisemitismus in Italien und anderswo, in: C. Dipper (Hg.), Deutschland und Italien 1860–1960, cit., S. 207–226.

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Christiane Liermann

tauschs zu.17 Die personellen Kontinuitäten, vor allem im Kulturbetrieb, werden ansatzweise herausgearbeitet.18 Außerdem ist die Memoirenliteratur auf Interesse gestoßen (allerdings eher außerhalb des wissenschaftlichen Betriebs), nachdem prominente linke oder linksliberale Intellektuelle in autobiographischen Rückblicken ihre jugendliche Fasziniertheit durch den Faschismus bekannt haben.19 Dieses markante Phänomen der weltanschaulichen »Konversionen« vom Faschismus zum Kommunismus oder zu einem linken Liberalismus (oft vermittelt über die Tradition des philosophischen Idealismus eines Giovanni Gentile und Benedetto Croce) ist der deutschen Forschung weitgehend entgangen.20 Für den italienischen Umgang mit dem Faschismus ist es jedoch hochbedeutsam. Denn hier liegt ein Grund für die in der italienischen Historiographie und Publizistik anzutreffende Tendenz, die Geschichte der Italiener als eine einzige, einheitliche Geschichte der italienischen Nation zu (re-)konstruieren und zu definieren, in welcher Faschisten und Antifaschisten ihren letztlich doch gleichberechtigten Platz haben.21 Man kann das große Geschichtswerk des 1996 verstorbenen Historikers Renzo De Felice – die vielbändige Mussolini-Biographie – in dieser Optik lesen. Sie macht deutlich, warum jede Vergleichbarkeit mit dem Nationalsozialismus lange Zeit energisch zurückgewiesen wurde: Die Deutung des nationalsozialistischen Deutschlands als des dämonischen Widerparts Italiens gestattete es, die Identität der italienischen Nation über den Faschismus-AntifaschismusKonflikt hinweg zu behaupten. In dieser Deutungstendenz mag einer der Gründe dafür liegen, daß die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Faschismus in Italien stets mit der »Funktion« der Hypothese von der deutschen Alleinschuld verzahnt war und bisweilen noch heute ist (siehe dazu besonders die Beiträge von Filippo Focardi22 und Brunello Mantelli im vorliegenden Band). Eine weitere 17

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Vgl. beispielsweise A. Mastropaolo (Hg.), Le élites politiche locali e la fondazione della Repubblica, Milano 1991, weitere Literatur bei H. Woller, Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943–1948, München 1996, S. 403f. Vgl. A. Del Boca, M. Legnani, M. G. Rossi (a cura di), Il regime fascista. Storia e storiografia, Roma-Bari 1995; hier insbesondere der Beitrag von Gabriele Turi, Fascismo e cultura ieri e oggi, S. 529–550. Prominentes Beispiel sind die Erinnerungen des Historikers Roberto Vivarelli (La fine di una stagione. Memoria 1943–1945, Bologna 2000). Vgl. dazu auch C. Baldassini, Fascismo e memoria. L’autorappresentazione dello squadrismo, in: »Contemporanea«. Rivista di storia dell’800 e del’900, 3/2002, S. 475ff. Hinweise bei P. Schiera, Historische Forschung in Italien, cit.; und W. Schieder, Angst vor dem Vergleich, cit. Eine Überblicksdarstellung mit kritischem Tenor hierzu bietet P. G. Zunino, Interpretazione e memoria del fascismo. Gli anni del regime, Roma-Bari 1991. Der Beitrag von Filippo Focardi, den wir im vorliegenden Band in deutscher Übersetzung abdrucken, stimmt in weiten Passagen überein mit Focardis Aufsatz Il vizio del confronto. L’immagine del fascismo e del nazismo in Italia e la difficoltà di fare i conti con il proprio passato, in: G. E. Rusconi e H. Woller (a cura di), Italia e Germania, cit. (wie Fußnote 3), S. 91–121; vgl. von demselben Autor, der neben Brunello Mantelli der Hauptvertreter der jüngeren Geschichtswissenschaft in Italien ist, die den Umgang mit

Vergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik

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dramatische Eigentümlichkeit der italienischen Situation kommt hinzu: Die beiden Jahre 1943–1945, zwischen Mussolinis Sturz als Regierungschef des Königreichs Italien und Kriegsende, bilden eine ganz spezifische Zäsur- und Übergangsphase, in der viele Italiener zu Antifaschisten wurden und sich sogar der Resistenza anschlossen, die sich mit dem Faschismus bis 1943 arrangiert hatten, ihm vielleicht wohl gesonnen oder sogar treu ergeben gewesen waren. Solche (zahlreichen) Biographien sind schwer in gängige Raster einzuordnen. Sie unterscheiden sich deutlich von deutschen Lebenswegen, wie sie von der jüngeren Geschichtswissenschaft kritisch ins Visier genommen worden sind: Karrieren von Vertretern vor allem der gesellschaftlichen Apparate und Eliten, die sich erst nach 1945 vom Nationalsozialismus distanzierten, ohne Gefahr für Leib und Leben und oft genug ohne Eingeständnis der eigenen totalitären Verirrung. Insgesamt erscheint die Problematik des Umgangs mit Diktatur und Krieg nach dem Krieg in der jeweils anderen Geschichts- und Erinnerungskultur als Desiderat der historischen Wissenschaft in Deutschland und Italien. Das gilt für einen komparatistischen Ansatz23 ebenso wie für die Montage von deutschitalienischen »Parallelgeschichten« oder die Rekonstruktion deutsch-italienischer Beziehungen einschließlich deren gewalttätiger Seite.24 Zahlreiche italienische Publikationen setzen sich beispielsweise mit der deutschen Besatzung und mit einzelnen Strafaktionen und Massakern auseinander, wobei die regionale Perspektive überwiegt,25 während die Formen der spontanen ebenso wie der bewußt inszenierten und zelebrierten Erinnerung daran noch der systematischen Erforschung harren.26 Die untersuchten Fälle zeigen jedenfalls, daß ihre »Aufarbei-

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der faschistischen Vergangenheit in der italienischen Nachkriegsgesellschaft kritisch rekonstruiert, auch La memoria del fascismo e il »demone dell’analogia«, in: »Geschichte und Region. Storia e regione« 2/2004, S. 55–74. Dieser Text bildete unter dem Arbeitstitel La memoria del fascismo in Italia. Spunti e riflessioni die Grundlage von Focardis Vortrag bei der Tagung in der Villa Vigoni und die Vorlage für die hier abgedruckte deutsche Fassung. Vgl. zu den Erfordernissen einer deutsch-italienischen Komparatistik C. Dipper, Ferne Nachbarn, cit. Eine kritische Sichtung der »Erinnerungskulturen« im europäischen Vergleich, mit dem Schwerpunkt auf der (versäumten) Erinnerung an die kommunistischen Regimes, bei B. Spinelli, Il sonno della memoria. L’Europa dei totalitarismi, Milano 2001 (Der Gebrauch der Erinnerung. Europa und das Erbe des Totalitarismus, üb. von F. Hausmann, P. Kaiser und W. Kögler, München 2002). Vgl. die Untersuchungen von L. Bergonzini, La lotta armata. L’Emilia Romagna nella guerra di liberazione, Bari 1975; G. Guderzo, L’altra guerra. Neofascisti, tedeschi, partigiani, popolo in una provincia padana. Pavia 1943–1945, Bologna 2002; P. Pezzino, Anatomia di un massacro. Controversia sopra una strage tedesca, Bologna 1997; ders., Guerra ai civili. Occupazione tedesca e politica del massacro (Toscana 1944), Venezia 1997. Zwei exemplarische Fälle in J. Staron, Fosse Ardeatine und Marzabotto. Deutsche Kriegsverbrechen und »Resistenza«. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999), Paderborn 2002; vgl. auch die Untersuchungen zum (im Deutschland praktisch unbekannten) Fall der kleinen piemontesischen Gemeinde Boves:

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tung« in Italien und in Deutschland nicht unterschiedlicher ausfallen könnte: Während die Namen der Orte im italienischen gesellschaftlichen Gedächtnis traumatisch-präsent und Synonyme des deutschen Besatzungsterrors sind, sind sie im deutschen Geschichtsbewußtsein nicht gegenwärtig, wie sich nachdrücklich zeigte, als Bundespräsident Johannes Rau im April 2002 bei seinem Staatsbesuch in Italien einige dieser Stätten aufsuchte. Angesichts solcher Diskrepanzen und Ungleichgewichtungen im Umgang mit der eigenen und der anderen Geschichte hat das Deutsch-Italienische Zentrum Villa Vigoni im Jahr 2003, mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ein Kolloquium veranstaltet, bei dem sich deutsche und italienische Historiker über den Stand der Erforschung der unterschiedlichen »Aufarbeitungsformen« unterrichtet haben. Auf diese Weise ergab sich ein Dialog der Historiographien, bei dem nicht zuletzt die Geschichtswissenschaft selbst in hohem Maße zum Thema wurde. Die Präsentation der Forschungsergebnisse im vorliegenden Band soll dazu beitragen, die Parallelen und Kontraste in der wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der Diktatur- und Kriegsgeschichte zu erhellen. Wir nehmen an, daß Vergangenheitsaufarbeitung, Geschichtskultur und Erinnerungspolitik wesentliche Bestandteile des Selbstverständnisses eines Gemeinwesens darstellen. In diesem Sinne bietet der Band auch die Möglichkeit, sich mit den Konturen der politischen und kulturellen »Identität« des anderen Landes auseinanderzusetzen. Von einer solchen Auseinandersetzung sind wichtige Impulse für ein europäisches Geschichts- und Selbstverständnis zu erwarten. Ziel dieses Dialogs der Historiographien ist also nicht der Vergleich zwischen Nationalsozialismus und Faschismus, sondern die Frage nach Strukturanalogien und Differenzen in deren jeweiliger Nachgeschichte in Deutschland und Italien. Welche allgemeinen Erkenntnisse lassen sich hierzu einleitend formulieren, ohne den einzelnen Beiträgen vorzugreifen? Die Vorträge und Diskussionen bei dem Treffen in der Villa Vigoni und auch die vorliegenden Aufsätze machen die unterschiedlichen Streitebenen der deutschen und der italienischen Wissenschaftskultur im Umgang mit der Diktaturvergangenheit deutlich. Zugespitzt könnte man sagen, daß den Horizont der italienischen Diskussion auch heute noch in hohem Maße die politische Positionierung und letztlich die Problematik einer zu bestimmenden »nationalen Identität« der Italiener bilden; die deutsche Geschichtswissenschaft hingegen hat ihren Historikerstreit hinter sich.27 Sie tendiert dazu, den Zugriff auf die NS-Geschichte und deren Nachgeschichte wissenschaftlich zu objektivieren. Dabei ist sie nicht dagegen gefeit, daß die wissenschaftliche Distanzierung zur sozialethischen Neutralisierung führt, so daß die Vermittlung zwischen sozialpädagogischer Ebene und wissenschaftlicher Ebene gerade auf dem Feld der öffentlichen Erinnerungskultur problematisch werden kann. Darauf bezog sich auch Wolfgang J. Mommsen, der in seinem Vortrag die wichtigsten

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Boves. Storie di guerre e di pace, a cura di M. Calandri, mit Beiträgen von L. Klinkhammer, G. Schminck-Gustavus u.a., Cuneo 2002. Vgl. Heinz Duchhardt in seiner Einführung zu Nationale Geschichtskulturen, cit.

Vergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik

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Etappen der geschichtswissenschaftlichen Beschäftigung mit dem NS-Regime nach 1945 rekonstruierte: die methodologischen Debatten um Nutzen und Schwächen des »Totalitarismus«-Begriffs, um die Bedeutung der Person Adolf Hitlers und um die strukturalistische Interpretation des Nationalsozialismus. Mommsen betonte, daß es zwar in der deutschen ebenso wie in der italienischen Diskussion letztlich stets um die Deutungshoheit für die eigene Geschichtskultur gehe, daß aber zwischen intersubjektiv nachprüfbaren Sachverhalten, wie sie die Geschichtswissenschaft zu liefern habe, und einer Geschichtspolitik in erzieherischer oder sonstiger Absicht eine klare Unterscheidung nötig und möglich sei. Vor diesem Hintergrund ist die dekonstruierende Aufhellung der geschichtspolitischen Diskurse der fünfziger und sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wichtig, zeigt sie doch, wie durch Weglassen oder Betonen bestimmter Traditionen (z.B. durch Betonung westeuropäisch-abendländischer Traditionen) innovative Deutungs- und Identifikationsangebote gemacht wurden, die an ein älteres »Erbe« anknüpften, ohne die unmittelbar zurückliegende nationalsozialistische Vergangenheit überhaupt zu thematisieren. Geschichtsdidaktik und Geschichtspolitik offenbaren hier ihre eigene Ambivalenz, da sie sich auch bei wohlmeinender pluralistisch-demokratischer Programmatik dem herrschenden »Zeitgeist« nicht entziehen können, sondern diesen vielmehr in hohem Maße spiegeln. Im Gegensatz zur deutschen Geschichtswissenschaft hat sich die italienische Historiographie bisher wenig systematisch mit den Personen oder Verbänden und Institutionen auseinandergesetzt, die eine umstrittene, tatsächliche oder vermeintliche »Kontinuität« zwischen faschistischem Regime und Nachkriegsrepublik herstellen. Während die deutsche Forschung zum entsprechenden Thema mittlerweile umfangreich, detailliert und mit erheblicher öffentlicher Resonanz den Übergang in die demokratischen Verhältnisse und die weltanschaulichpolitische Einpassung in die junge Bundesrepublik nachgezeichnet hat, werden in Italien die eher spärlichen Untersuchungsergebnisse zum Fortleben der Apparate und der gesellschaftlichen Eliten aus Wissenschaft, Kultur, Journalismus, Wirtschaft etc. nach 1945 kaum in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert.28 Einen Schwerpunkt der wissenschaftlichen Debatte in Italien bildet dagegen die Frage nach den Gründen für die als »gering« erachtete Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen durch die Justiz. Dies gilt auch für die ebenso ungesühnten wie oftmals der öffentlichen Erinnerung entzogenen italienischen Kriegsverbrechen. Die aus heutiger Sicht oft ungenügende Aufarbeitung mit den Mitteln des Rechtsstaats wird unter anderem damit erklärt, daß es für die soziale Befriedung zweckmäßig und für den politischen Neuanfang in Italien gewissermaßen »sinnvoll« war, Schuld und Verbrechen in erster Linie den Deutschen anzulasten und den italienischen Anteil daran wenn nicht zu tabuisieren, so doch 28

Ein zentrales Kapitel beleuchtet Gabriele Turi in seiner Untersuchung zur Geschichte der Italienischen Enzyklopädie (Enciclopedia Italiana), Mussolinis kulturellem Prestigeprojekt, vgl. G. Turi, Il mecenate, il filosofo e il gesuita. L’»Enciclopedia italiana«, specchio della nazione, Bologna 2002.

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nicht systematisch aufzuhellen. Neben dem Aspekt der soziopolitischen Funktionalität der juristischen Zurückhaltung standen aber auch grundsätzliche rechtspraktische und -ethische Bedenken gegen die Aufarbeitung des Krieges per Gerichtsprozeß.29 Von einem generellen Beschweigen der faschistischen Untaten kann in Italien nach 1945 ohnehin nicht die Rede sein, wenn man an die zentrale Stellung der expliziten oder impliziten Beschäftigung mit Diktatur und Krieg in der Kunst denkt (Pier Giorgio Zunino). Während die juristische Aufarbeitung zögerlich war und die historisch-kritische Auseinandersetzung stark politisch konnotiert und kondinioniert blieb, nahmen sich vor allem Literatur und Film der Nachwirkungen des Faschismus an und legten eine beschädigte italienische Gesellschaft bloß. Die in den Kunstwerken vielfach gepflegte Vorstellung von einer geradezu »metaphysischen« Qualität des Faschismus im Sinne einer ewigen, mehr oder weniger latenten Eigenschaft des italienischen Volkes stand allerdings der kritischen Auseinandersetzung mit realen historischen Vorgängen oftmals im Wege. Dennoch wäre es verfehlt, anzunehmen, es habe sich auf diese Weise ein Geschichtsbild etabliert, das den Faschismus pauschal dämonisierte und den Antifaschismus ebenso pauschal heroisierte. In den Debatten in der Villa Vigoni wurden »revisionistische« Geschichtsentwürfe zurückgewiesen, die »der Linken« eine solche Geschichtsklitterung vorwerfen und behaupten, im Laufe der »von links« gesteuerten manipulativen Erinnerungsoperationen seien beispielsweise die Racheverbrechen seitens der Antifaschisten systematisch mit einem Tabu belegt worden.30 An der damit zusammenhängenden Frage nach der »Deutungshoheit« bezüglich Faschismus und republikanischem Italien entzündeten sich bei dem Treffen in der Villa Vigoni lebhafte Debatten, in denen Ernesto Galli della Loggia und Giovanni Belardelli den Gründungskonsens der italienischen Nachkriegsrepublik aus dem Geist des Antifaschismus als »Mythos« und »volkstümliches Glaubensbekenntnis« der Linken zu entlarven suchten, während Claudio Dellavalle als Präsident des Gesamtverbandes der Historischen Institute der Widerstandsbewegung in Italien dessen didaktische Geschichtsinitiativen verteidigte. Auch Mimmo Franzinelli wies die Unterstellung einer hegemonialen Faschismusdeutung durch die Linke zurück: Er rekonstruierte im Gegenzug die seit 1945 bestehende und immer noch kultivierte Heroisierungsliteratur von rechts, für deren Vertreter der kriminelle Charakter des faschistischen Regimes bis heute marginal ist oder komplett verdrängt wird.

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Vgl. F. Focardi e L. Klinkhammer (a cura di), La questione dei »criminali di guerra« italiani e una Commissione di inchiesta dimenticata, in »Contemporanea«. Rivista di storia dell’800 e del’900, 3/2001, S. 497–528; vgl. auch L. Klinkhammer, Die Ahndung von deutschen Kriegsverbrechen in Italien nach 1945, in: G. E. Rusconi/H. Woller (Hg.), Parallele Geschichte?, cit. (wie Fußnote 3), S. 89–106. So behauptet es zum Beispiel der Journalist Giampaolo Pansa in seinem auflagenstarken Buch Il sangue dei vinti. Quello che accadde in Italia dopo il 25 aprile, Milano 2003 (Das Blut der Besiegten. Was in Italien nach dem 25. April geschah. Üb. des Titels von mir).

Vergangenheitsaufarbeitung – Geschichtskultur – Erinnerungspolitik

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Lücken anderer Art wies bis vor kurzem die deutsche Geschichtswissenschaft in Bezug auf die deutschen Kriegsverbrechen und Massaker in Italien auf. Christiane Kohl und Gian Enrico Rusconi diskutierten die parallelen Erinnerungstabus: hier die Tatsache, daß SS, Sicherheitsdienste und auch die Wehrmacht Verbrechen an der italienischen Zivilbevölkerung begangen haben; dort die Tatsache, daß nicht nur im inneritalienischen »Bürgerkrieg« Faschisten und Antifaschisten verbrecherisch aneinander gehandelt haben, sondern daß die italienischen Soldaten an einem imperialistischen Eroberungskrieg beteiligt waren. In der historischen Kritik der Gedächtnisdiskurse zeichnet sich die Enttabuisierung stärker in der Geschichtswissenschaft als in der Öffentlichkeit ab. So kann als Fazit der Tagung festgehalten werden: Die Differenzen zwischen italienischem und deutschem Geschichtsdiskurs in der Öffentlichkeit und innerhalb der scientific community sind erheblich. In Deutschland zielt die Auseinandersetzung mit der Nachgeschichte des Nationalsozialismus vor allem auf die Dekonstruktion der Geschichtspolitik der Bundesrepublik (weniger der DDR), auf die Aufhellung von Tabus und apologetischen Operationen im öffentlichen Diskurs nach 1945 sowie auf die Rekonstruktion von personellen Kontinuitäten über die Systembrüche hinweg. In der Debatte bilden Lebensläufe mit ihren mehr oder weniger selbstkritischen, mehr oder weniger verdrängend-beschönigenden Rechtfertigungen einen Schwerpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Kritisch zu bewerten bleibt stets die Frage nach dem Grad an manipulativer Intentionalität in den geschichtspolitischen (Selbst-)Inszenierungen. In Italien hingegen steht die Einordnung von Faschismus und Antifaschismus in die nationale Gesamtgeschichte zur Debatte, weswegen die wissenschaftliche Auseinandersetzung stark am öffentlich-politischen Meinungsstreit partizipiert. Die Stärke der italienischen Historiographie – die Elitenforschung – bezieht sich weniger auf den Faschismus als auf den Antifaschismus. Gerade bei der Erforschung der Eliten im Übergang von Nationalsozialismus und Faschismus zur Republik – auch jenseits der Herrschaftsapparate im engeren Sinne – besteht noch erheblicher wissenschaftlicher Aufholbedarf; ein Gleiches läßt sich für den kulturgeschichtlichen Zugriff auf das Thema der Konsensbildung und der Partizipation in der Diktatur sagen: Funktionsweisen von Propaganda, Mediensteuerung und Medienwirkung sowie die Wechselwirkungen zwischen Führer und Gefolgschaft einschließlich deren Inszenierung gilt es im Sinne einer Kulturgeschichte der Diktatur und ihrer Spätfolgen weiter zu erforschen, wobei die komparative Betrachtung der deutschen und der italienischen Geschichte erheblichen Erkenntnisnutzen verspricht.31 Speziell dieser Aspekt wurde auch in der erfreulich breiten Berichterstattung in den Medien über die Tagung gewürdigt. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft dankt die Villa Vigoni für die finanzielle Unterstützung der Tagung. Für ihre unermüdliche Hilfe bei der redaktionel31

So mit Nachdruck Ch. Maier, Italia e Germania dal 1945: obiettivi di una storia comparata, in: G. E. Rusconi e H. Woller (a cura di), Italia e Germania, cit. (wie Fußnote 3), S. 25– 41.

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len Herstellung dieses Bandes danke ich vor allem Anke Fischer M.A. Mitgeholfen haben auch Michel Achenbach und Katharina Kerl, denen ich dafür danke. Die deutsche Übersetzung der Texte von Francesco Traniello, Brunello Mantelli und Filippo Focardi stammt von Anke Fischer und mir. Gian Enrico Rusconis Text hat Antje Peter ins Deutsche übersetzt. Bernd Sösemanns Text haben Tommaso Limonta und ich ins Italienische übersetzt.

Gian Enrico Rusconi

Vom politischen Umgang mit Erinnerung und Stereotypen

I.

›Vergangenheitsbewältigung‹ und ›Kampf der Erinnerungen‹

Grundlage aller politischen Kulturen und Subkulturen ist das kulturelle Gedächtnis. Es ist auch der Ort, an dem sich Stereotype verfestigen. Darüber hinaus gehören in diesen Kontext Fragen der ›Geschichts‹- und/oder ›Erinnerungspolitik‹ beziehungsweise der ›Vergangenheitspolitik‹. Greift man im politischen Diskurs auf die Geschichte zurück, um ihr Argumente zur Untermauerung bestimmter Thesen zu entnehmen, spricht man gemeinhin vom »öffentlichen Gebrauch der Historie« (Jürgen Habermas). Die genannten Begriffe sind deutscher wie italienischer Geschichtswissenschaft und Publizistik gleichermaßen geläufig. Sie sind Teil jenes Reflexionsprozesses, in dem Geschichtsbilder konstruiert und ihre Funktionen für die Gesellschaft ausgehandelt werden.1 Gleichwohl ist die Bedeutung der Begriffe häufig unscharf; nicht selten spielen sie eher auf etwas an, als es klar zu benennen. Und gelegentlich werden sie dazu benutzt, bestimmte Formen der Geschichtsmanipulation zu stigmatisieren. Nicht von ungefähr hat sich der im Deutschen übliche Ausdruck ›öffentlicher Gebrauch der Geschichte‹ gerade im Zusammenhang mit dem Historikerstreit in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre durchgesetzt.2 Dabei verbanden einige der Beteiligten diesen Ausdruck allerdings mit dem Vorwurf des ›historischen Revisionismus‹: Die Bedeutung des Holocaust für die deutsche Identität werde heruntergespielt oder relativiert, wenn man ihn mit anderen Völkermorden der Geschichte vergleiche und so gewissermaßen die Verantwortung Deutschlands ›erleichtere‹. Ganz abgesehen von den Begriffen, die mit dem Historikerstreit in den Sprachgebrauch – übrigens auch den italienischen – Einzug hielten, gilt der EinVom politischen Umgang mit Erinnerung und Stereotypen

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»Geschichtsbilder sind Medien der Selbstverständigung einer Gesellschaft. Die Konstruktion und Popularisierung von Geschichtsbildern sind geeignete Ressourcen für die Entfaltung politischer Identitäten und Normen mit dem Ziel der politisch-sozialen Integration.« So Hans-Ulrich Thamer, Der öffentliche Umgang mit der Vergangenheit im deutschen und italienischen Nationalstaat, in: Deutschland und Italien 1860–1960. Politische und kulturelle Aspekte im Vergleich, hg. von Christof Dipper, München 2005, S. 227–242, hier S. 227. In Italien sind die wichtigsten Beiträge erschienen in: Gian Enrico Rusconi (Hg.), Germania: un passato che non passa, Turin 1987. – Vgl. auch: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Texte von Rudolf Augstein u.a., München, Zürich 1987; dort findet sich auch ein Wiederabdruck von Jürgen Habermas, »Vom öffentlichen Gebrauch der Historie«, S. 243–255.

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wand, der ›historische Revisionismus‹ folge bestimmten politischen Interessen, im Grunde jedoch ebenso für die ›orthodoxe‹ oder ›richtige‹ Sicht auf die Geschichte. Im Falle des Historikerstreits hielten die Antirevisionisten an der ›Einzigartigkeit‹ des Holocaust und seiner essentiellen Rolle für die Herausbildung einer reifen, demokratischen Identität fest. Doch auch hierin spiegelt sich, ob man will oder nicht, eine Form von Geschichts- beziehungsweise Erinnerungspolitik, da jeder historischen Rekonstruktion bestimmte Werturteile zugrunde liegen: Immer dann, wenn Geschichte zu einem wesentlichen Bestandteil des politischen Diskurses wird, der sich zum Teil positiv als ›öffentliche Erziehung‹ manifestiert, macht man, wie bereits gesagt, unweigerlich öffentlichen Gebrauch von der Geschichte. So haben wir im Kosovokonflikt gesehen, wie die Erinnerung an die Völkermorde während des Zweiten Weltkriegs der NATO als Legitimation für ihr Eingreifen diente. In je unterschiedlicher Weise hat die nunmehr über mehrere Jahrzehnte andauernde kritische Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Faschismus entscheidend zum Entstehen und Wachsen der politischen und demokratischen Kultur in Deutschland und Italien beigetragen. Ein wesentlicher Unterschied besteht dabei sowohl in der Art und Weise, wie sich beide Länder der gemeinsamen totalitären Erfahrung stellen, als auch in ihrer wechselseitigen Wahrnehmung. So leiten die Deutschen ihre Identität unmittelbar von den Verbrechen des Nationalsozialismus ab. Diesem weniger politischen als vielmehr moralischen Ansatz folgte die gesamte bundesrepublikanische Identitätsfindung – sei es in Fragen der nationalen Identität selbst, der geopolitischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus während des Kalten Krieges oder auch der Beziehungen zu den Nachbarn im europäischen Einigungsprozeß. Gemeinhin wird für diese Problematik der Begriff ›Vergangenheitsbewältigung‹ verwendet, der in seiner zeitlichen und inhaltlichen Spannweite allerdings so unscharf ist, daß ihn ein deutscher Historiker als ebenso mißverständlich wie unübersetzbar bezeichnet hat: Eine differenziertere Betrachtung von 1945 bis zur Gegenwart sei daher wünschenswert.3 Im Italienischen wird der Begriff ›Vergangenheitsbewältigung‹ gemeinhin mit fare i conti con il passato, resa dei conti oder auch elaborazione del passato wiedergegeben. Doch keine dieser Übersetzungen vermag die spezifisch italienische Situation oder gar Analogien zu Deutschland adäquat auszudrücken. Für Italien bedeutet Vergangenheitsbewältigung vor allem die Auseinandersetzung mit der Geschichte der antifaschistischen Resistenza, die gewissermaßen als das ursprüngliche ›Gedächtnis der Republik‹ gilt. Zugleich aber ist sie Gegenstand eines ständigen ›Kriegs der Erinnerungen‹, der den master narrative der italienischen Nachkriegsgeschichte in Frage zu stellen sucht, auch wenn an der zentralen Bedeutung 3

Vgl. Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NSVergangenheit, München 1996 sowie Ders., La discussione sul nazionalismo in Germania dal 1945 al 2000, in: Italia e Germania, 1945–2000. La costruzione dell’Europa, hg. von Gian Enrico Rusconi und Hans Woller, Bologna 2005, S. 61–74.

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der Resistenza für die italienische Demokratie nicht grundsätzlich gezweifelt wird.4 Dieser ausschließlich politisch motivierte ›Krieg‹ folgt der Dynamik der miteinander konkurrierenden Parteien und manifestiert sich letzthin auf Regierungsebene als Geschichts- und Erinnerungspolitik. Dies gilt sowohl für die erste Regierung nach der Befreiung 1945, die von Ferruccio Parri, dem Anführer des Partito d’Azione, geleitet wurde, als auch für die darauffolgenden Regierungen Alcide De Gasperis (von der Regierung der nationalen Einheit bis zu den Regierungen des Centrismo unter Ausschluß von Sozialisten und Kommunisten) in den Jahren 1946 bis 1953, die entscheidend für die Stabilisierung der italienischen Demokratie waren. Ähnliches vollzog sich dann auch in den vier Jahrzehnten christdemokratischer Regierungen mit ihren unzähligen Varianten bis hin zur großen Krise des politischen Systems der neunziger Jahre, in der zum ersten Mal seit Kriegsende ›Postfaschisten‹ an der Regierung (Berlusconi) beteiligt wurden. Zuletzt reiht sich hier die Initiative von Staatspräsident Ciampi ein, der in seinen öffentlichen Ansprachen zu Beginn des neuen Jahrtausends einem ›gemeinsamen Gedächtnis der Republik‹ das Wort redete, das auf den traditionellen Motiven der Resistenza beruht. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückkommen. Dabei ist festzuhalten, daß alle Topoi der gegenwärtigen Erinnerungsdebatten – die Resistenza als Bürgerkrieg, die Verbrechen der Partisanen, die Instrumentalisierung antifaschistischer Überzeugungen seitens der Kommunisten zur Verschleierung des totalitären Charakters ihrer eigenen politischen Ziele, aber auch der Legitimitätsanspruch der Faschisten der Repubblica Sociale Italiana (RSI) und ihr Wunsch nach Befriedung und nationaler Aussöhnung – bereits Ende der vierziger Jahre bekannt waren. Dies gilt ebenso für den wichtigsten ›Erinnerungsort‹, die Fosse Ardeatine, auch wenn mit der Zeit Schauplätze ähnlicher Verbrechen an Bedeutung gewonnen haben – man denke an Marzabotto, Boves oder S. Anna di Stazzema. Eine Ausnahme bildet freilich Cefalonia, das aus Gründen, die noch zu erläutern sind, erst kürzlich wieder zum Gegenstand allgemeinen Interesses geworden ist. Auch Problemen der strafrechtlichen Verfolgung faschistischer und nationalsozialistischer Gewalttaten, die zwischen Ende der vierziger

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Vgl. Filippo Focardi, La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Rom – Bari 2005. Der Autor schlägt folgende Periodisierung vor: 1) Die Ursprünge der antifaschistischen Narrative 1943–1947; 2) Die Krise des master narrative 1948–1953; 3) Fortbestehen und Wiederbelebung des master narrative 1953–1960; 4) Die Durchsetzung des antifaschistischen Paradigmas und die Gegenüberstellung von Resistenza rossa und Resistenza tricolore 1960–1978; 5) Die Herausforderung der öffentlichen Erinnerung bezüglich der Resistenza. Von Craxis ›großer Reform‹ zu Finis Vorschlag der ›Aussöhnung‹; 6) Präsident Ciampi und die ›Neubegründung des Gedächtnisses der Resistenza‹. – Vgl. auch die sorgfältig recherchierte Analyse von Joachim Staron, Fosse Ardeatine und Marzabotto. Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999), Paderborn u.a. 2002; hier insbesondere Kapitel 4.

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und Anfang der fünfziger Jahre aufkamen, wird heute wieder größere Aufmerksamkeit geschenkt. Diese spezifisch italienische Situation hat in Deutschland kaum Parallelen. Bei dem Versuch, die Vergangenheitsbewältigung sowie den ›öffentlichen Gebrauch‹ von Geschichte und Erinnerung in Italien und Deutschland einander als identitätsstiftende Faktoren gegenüberzustellen, ist daher zunächst von den Asymmetrien zwischen beiden Ländern auszugehen. Bisher haben wir von Geschichte und Erinnerung ohne nennenswerte Differenzierung gesprochen. Hingegen muß zwischen Geschichte – als Aneinanderreihung von Ereignissen, die Objekt eines fortlaufenden kritischen Rekonstruktionsprozesses durch die Geschichtsforschung sind, – und Erinnerung – verstanden als subjektives Erinnern ebendieser Ereignisse durch Handelnde und Zeitzeugen – unterschieden werden. Die Erinnerungen an ein und dasselbe Ereignis können demzufolge äußerst unterschiedlich, fragmentarisch oder gar widersprüchlich sein.5 In Deutschland ist das kulturelle Gedächtnis in erster Linie an die Erfahrung des nationalsozialistischen Regimes und nur in zweiter Linie an das für Millionen von Menschen kaum weniger traumatische Erleben des Krieges geknüpft. Erst in jüngster Zeit konnten die Erinnerungen der Zivilbevölkerung an die Bombenangriffe und die zwar nie vergessenen, aber zu früh politisierten Erinnerungen der Vertriebenen im öffentlichen Gedächtnis verankert werden. Noch nicht in gleicher Weise gilt dies hingegen für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Aufgrund der ambivalenten Entwicklung in Italien nach 1940 (militärische Niederlagen, Krise des faschistischen Regimes, Entmachtung Mussolinis, Waffenstillstand mit den Alliierten, Auflösung des Heeres) erscheint der italienische Erinnerungshorizont gespaltener als der deutsche. So waren etwa die Erfahrungen der Soldaten, je nach Front (Afrika, Sowjetunion, Balkan) oder Gefangenschaft, äußerst unterschiedlich. Und auch die italienische Zivilbevölkerung war zugleich Opfer von Bombenangriffen, deutscher Besatzung und eines doppelten Krieges – des zwischenstaatlichen Krieges und des Bürgerkrieges im eigenen Land. Selbst die Erinnerungen der Kämpfer in der Resistenza fallen, entsprechend der äußeren Umstände, der politischen beziehungsweise parteilichen Bindung und dem Grad an Loyalität gegenüber staatlichen Institutionen, insbesondere gegenüber der Monarchie, sehr verschieden aus. Eine gesonderte Betrachtung verdienten schließlich die Erinnerungen der den Deutschen treu gebliebenen Neofaschisten der RSI zwischen 1943 und 1945.

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Dies gilt freilich auch für die Geschichtsforschung selbst, deren Ergebnisse jedoch komplexer und kontrollierbarer sind.

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II. Die Entstehung des negativen Bildes vom Deutschen Ungeachtet der Unterschiedlichkeit und Komplexität dieser Erfahrungen fand man jedoch im Ressentiment und Haß gegenüber den Deutschen, die – noch bevor sie zu grausamen Besatzern wurden – einen Austritt Italiens aus dem als Katastrophe empfundenen Weltkrieg behindert hatten, ein letztlich verbindendes Element. Und auch wenn diese Haltung politisch kaum zu rechtfertigen war, wurde sie doch von vielen geteilt. So setzte sich das aus persönlichen Erfahrungen oder gezielten politischen Maßnahmen resultierende negative Bild vom Deutschen immer mehr in den Köpfen der Italiener fest und wurde schließlich auch ein wesentliches Motiv für die Verurteilung der RSI durch die Resistenza – nicht von ungefähr bezeichnete man die Neofaschisten als ›Handlanger der Deutschen‹. Demgegenüber hatten die (von der revisionistischen Forschung im übrigen wieder aufgegriffenen) Rechtfertigungsversuche der RSI-Anhänger, denen zufolge Mussolini mit der Republik von Salò allein die legitime deutsche Rache aufzuhalten suchte, keinerlei Bestand. In jedem Fall wurde ›der Deutsche‹ für die Mehrheit der Italiener ab 1943/45 zur negativen Identifikationsfigur – eine Projektion, die über Jahrzehnte hinweg fortwirken sollte. Ohne Zweifel prägte die populäre Interpretation der Resistenza durch die Linke das Deutschlandbild entscheidend mit, bot sie doch – aus moralischen Gründen – einen Anlaß, den Stand der demokratischen Entwicklung in Westdeutschland einer permanenten kritischen Überwachung zu unterziehen – wobei es freilich mehr darum ging, mögliche Symptome der alten Krankheit zu diagnostizieren als die Anzeichen einer tatsächlichen Besserung wahrzunehmen.6 Diese zum Teil verdeckte Haltung kann man bei einigen Autoren im übrigen bis in die neunziger Jahre hinein verfolgen. Und dennoch: Der politisch links orientierte Italiener bewahrte sich, trotz der für die fünfziger bis siebziger Jahre typischen Feindseligkeit gegenüber den Deutschen, zugleich jenes andere, gewissermaßen ›ideale Deutschland‹, das sich aus mindestens drei Elementen zusammensetzte. Hier war zunächst das Deutschland der Kultur, der großen klassischen und zeitgenössischen Schriftsteller (Leitfigur war lange Zeit Bertolt Brecht), das sich innerhalb der eigenen Kultur und Gesellschaft zu behaupten hatte. Und da war das ›andere Deutschland‹, das Deutschland der demokratischen, vor allem linken Hitleropposition und der Verschwörer des 20. Juli 1944, auch wenn man sich in Italien durchaus kritisch über die national-konservativen Züge jener rechten deutschen Opposition äußerte. Und schließlich gab es die Deutsche Demokratische Republik, auf die viele italienische Kommunisten über Jahre hinweg abwegige Phantasien projizierten, wozu sie sich von einer auf antifaschistischen Mythen basierenden Propaganda und Ideologie verleiten ließen. Noch zu Beginn der Krise des SED-Regimes 1989/90 heg6

Antonio Missiroli, Un rapporto ambivalente. Le due Germanie viste dall’Italia 1945–1989 in: Storia e memoria 1996, Nr. 1, S. 99–112, hier S. 101. – Vgl. auch Ders., Italia e Germania: le affinità selettive, in: Il Mulino 44 (1995), Nr. 2, S. 26–40.

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ten einige von ihnen und insbesondere Intellektuelle, die Vorstellung, man könne etwas von jenem anderen, nichtkapitalistischen Deutschland retten. Mit den Jahren gelang es dann tatsächlich, das Feindbild vom Deutschen, das in eine nunmehr weit zurückliegende Vergangenheit verwies, vom realen, konkreten Deutschen der Gegenwart zu unterscheiden und eine in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht positive Beziehung zu ihm aufzubauen. Nichtsdestotrotz behaupten sich zuweilen noch heute jene alten, stereotypen Wahrnehmungsschemata, die sich tief in das kulturelle Gedächtnis eingegraben haben.

III. Die Wehrmacht in Italien – ein ›sauberer Feldzug‹ oder Mittel für Kriegsverbrechen? In jüngster Zeit ist ein weiterer kritischer Aspekt zum Gegenstand der deutschen Vergangenheitsbewältigung geworden: die Verbrechen der Wehrmacht – einer von genuin nationalsozialistischen Gewalttaten bislang scheinbar ›unbefleckten‹ Institution –, von denen auch Italien nicht unberührt blieb. Das Interesse deutscher Historiker am Italien der Jahre 1943/1945, jener Zeit also, in der viele Erinnerungen wurzeln, um die es uns hier geht, ist seit einigen Jahren deutlich gewachsen.7 Es ist freilich schwer auszumachen, inwieweit die jüngeren Studien über die deutsche Besatzung und die dabei verübten Verbrechen imstande sind, Einfluß auf die öffentliche deutsche Meinung zu nehmen und jene in den fünfziger bis achtziger Jahren dominierende Vorstellung zu korrigieren, die Italiener übertrieben in der Beschreibung ihres Leidens unter den Besatzungstruppen maßlos, um sich dadurch einer genauen Prüfung ihrer eigenen faschistischen Vergangenheit zu entziehen. Im übrigen seien ähnliche Verhaltensweisen der italienischen Truppen auf dem Balkan oder bei der Unterdrückung von Partisanenkämpfen in Italien selbst verschwiegen worden. Mit der Begeisterung für die Resistenza habe man zudem die Bedeutung der Kollaboration durch die Faschi7

Eine kritische Bilanz findet sich in: Lutz Klinkhammer, La punizione dei crimini di guerra tedeschi in Italia dopo il 1945, in: Italia e Germania, Rusconi, Woller, S. 75–90; Vgl. auch Ders., Zwischen Bündnis und Besatzung. Das nationalsozialistische Deutschland und die Republik von Salò 1943–1945, Tübingen 1993; des weiteren sei erinnert an Gerhard Schreiber, Die italienischen Militärinternierten im deutschen Machtbereich 1943 bis 1945. Verraten – Verachtet – Vergessen, München 1990; Ders., Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter – Opfer – Strafverfolgung, München 1996; Gerd R. Ueberschär (Hg.), Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003; Kerstin von Lingen, Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung: der Fall Kesselring, Paderborn u.a. 2004; Gabriele Hammermann, Zwangsarbeit für den »Verbündeten«: Die Arbeits- und Lebensbedingungen der italienischen Militärinternierten in Deutschland 1943–1945, Tübingen 2002; Staron, Fosse Ardeatine und Marzabotto; Rolf Wörsdörfer, Krisenherd Adria 1915–1955. Konstruktion und Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum, Paderborn u.a. 2004.

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sten der RSI nach dem 8. September 1943 herunterspielen wollen. Bedauerliche Entgleisungen, wie etwa das Massaker in den Fosse Ardeatine, seien »Ausnahmen im ritterlichen Kriege der Wehrmacht« gewesen, die letztlich auf einen »Weltbürgerkrieg«8 zurückzuführen seien. Zudem werde die Resistenza von den Italienern dazu benutzt, »die Mißerfolge des Zweiten Weltkriegs, die Besetzung durch die deutsche Wehrmacht« und »die Überlegenheit der deutschen Kriegsmaschinerie« zu kompensieren.9 Weiter wurde behauptet, die Resistenza sei ein von der Linken, insbesondere den Kommunisten kultivierter Mythos zur demokratischen Rechtfertigung der eigenen Politik. Bei dieser Sichtweise wird allerdings außer acht gelassen, daß zwischen der ursprünglichen parteipolitischen Ausrichtung der Resistenza und der, objektiv betrachtet, historischen Bedeutung der kommunistischen Partei zu unterscheiden ist. Hinsichtlich beider Aspekte hebt sich die italienische Situation grundsätzlich von der deutschen ab. Erinnern wir an die entscheidenden Fakten: Seit September 1943 wurde mit dem Nationalen Befreiungskomitee (Comitato di Liberazione Nazionale) ein offizieller, von den Alliierten formell anerkannter politischer Verbund geschaffen, der sich aus erklärt antifaschistischen Parteien zusammensetzte und als politisches Organ der Resistenza, das heißt des Kampfes gegen Deutschland und die RSI, fungierte. Dieses Komitee forderte unter anderem das Fortbestehen des italienischen Staates, wie es mit der Aufrechterhaltung der Monarchie institutionell gewährleistet wurde. Freilich: Die Kräfteverhältnisse innerhalb der neu geschaffenen Einrichtung waren fragil. Doch mit ihr wurden nicht nur die politischen und militärischen Aktionen der Resistenza legitimiert, sondern die in ihr vertretenen Parteien selbst – einschließlich der kommunistischen Partei, die im übrigen eine nicht unbedeutende Position einnahm. Vorrangiges Ziel des Comitato war der Wiederaufbau eines liberalen demokratischen Staatssystems, an dem sich nun auch die Kommunisten offiziell beteiligten. In diesem Kontext formierte sich der master narrative der Resistenza beziehungsweise das, was später zum Mythos der Resistenza werden sollte: Dem grundsätzlich grausamen Verhalten der Deutschen wurden hier, heldenhaft überhöht, die Partisanenkämpfe entgegengesetzt. Und wie übertrieben die entsprechenden Darstellungen auch sein mochten: Tatsache ist, daß die Legitimität der Partisanenkämpfe von keinem Wehrmachtsoffizier je anerkannt worden ist – nicht einmal nach dem Ende des Krieges. Hervorzuheben sind hier insbesondere die Äußerungen Albert Kesselrings, der im Oktober 1952, nach vorzeitiger Entlassung aus dem Gefängnis, in dem er seine, von einem englischen Gericht verhängte Strafe für die begangenen Kriegsverbrechen verbüßt hatte, den sauberen, ja

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So Josef Schmitz van Vorst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. 11. 1952 im Zusammenhang mit der Freilassung von Feldmarschall Kesselring. Zit. n. Staron, Fosse Ardeatine und Marzabotto, S. 229. So Heinz-Joachim Fischer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. 8. 1977 im Zusammenhang mit der Flucht Herbert Kapplers aus Italien, über die in jenen Jahren eine lebhafte Diskussion entflammte. Zit. n. ebd., S. 298.

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»ritterlichen Italienfeldzug« der Deutschen verteidigte, dem man in Italien eigentlich ein Denkmal hätte setzen müssen – was ihm energische Proteste eintrug, nicht nur seitens ehemaliger Partisanen. Diesem Mythos vom »sauberen Italienfeldzug« wurde mit der offiziellen Anerkennung der Wehrmachtsverbrechen in den neunziger Jahren dann endgültig der Boden entzogen.10 Doch kehren wir zu den politischen Ereignissen zurück. Die italienische Demokratie machte ihre ersten entscheidenden Schritte (Referendum zugunsten der Republik, Ausarbeitung der Verfassung, Ausschluß der Kommunisten aus der Regierung) zu einem Zeitpunkt, da Deutschland noch in der Hand der Alliierten war. Als die Regierung Adenauer gebildet wurde, hatte das Italien De Gasperis die ersten wichtigen politischen Proben so bereits bestanden. Zwischen 1945 und 1949 fanden in Deutschland die von den Alliierten geführten Nürnberger Prozesse statt, in deren Rahmen die Hauptkriegsverbrecher vor Gericht gestellt wurden. Ihnen folgten Maßnahmen zur Entnazifizierung, mit denen sich eine stumm gewordene, gleichsam in sich selbst zurückgezogene Bevölkerung auseinanderzusetzen hatte. Dieser Phase schloß sich mit der Regierung Adenauer Anfang der fünfziger Jahre jene Zeit an, für die der Begriff der ›Vergangenheitspolitik‹ ursprünglich geprägt worden ist: Sie zielte darauf ab, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und die Maßnahmen zur Entnazifizierung zu beenden, wobei juristische Verfahren abgebrochen und eine Politik der Amnestie und Nachsicht gegenüber jenen Verurteilten propagiert wurden, die man nun als Opfer der ›Siegerjustiz‹ hinstellte. Mehrere Jahrzehnte sollten vergehen, bis man sich – insbesondere in der jüngeren Generation – über die eigentliche Tragweite der nationalsozialistischen Verbrechen, und hier an erster Stelle des Holocaust, bewußt wurde. In jüngerer Zeit nun ist eine weitere Phase angebrochen, in der es vor allem um eine ›Vergangenheitsbewahrung‹ im Sinne eines universalistischen »Nie wieder!« geht. Ganz anders gestalten sich eine Periodisierung der in Italien unternommenen Säuberungsmaßnahmen sowie die Entwicklung der Narrative hinsichtlich der Resistenza. So ließ die italienische Regierung etwa gegenüber jenen, die im faschistischen und neofaschistischen Regime mit verantwortungsvollen Positionen betraut gewesen waren, ohne sich dabei größerer Verbrechen schuldig zu machen, von Anfang an relativ milde walten11 – ein Vorgehen, das übrigens auch von Sozialisten und Kommunisten unterstützt wurde. Im Juni 1946 erfolgte auf Initiative des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Palmiro Togliatti, Justizminister im Kabinett De Gasperi, eine umfassende Amnestie, deren politische Zielsetzung es war, die zahlreichen ehemaligen Sympathisanten des faschistischen

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Vgl. Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944, hg. vom Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburg 1995; Heribert Prantl (Hg.), Wehrmachtsverbrechen. Eine deutsche Kontroverse, Hamburg 1997; Wolfram Wette, Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden, Frankfurt a. M. 2002. Vgl. zu diesem Thema Hans Woller, Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948, München 1996.

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Regimes für die neue italienische Demokratie zu gewinnen. In den Jahren darauf wurden eine Reihe eng mit dem Regime verstrickter und bereits verurteilter italienischer Staatsbürger frühzeitig aus der Haft entlassen. In diesem Kontext versandeten im übrigen auch viele Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher, was erst etliche Jahre später (2000/01) aufgedeckt werden sollte – dazu weiter unten mehr. Diese italienische Politik der Versöhnung sowohl im eigenen Land als auch gegenüber den Deutschen geriet im Rahmen der wachsenden Spannungen zwischen der Linken und den Christdemokraten sowie des sich verschärfenden Kalten Krieges zunehmend unter Druck. Dabei wurde die Resistenza immer mehr zu einem Mittel gezielter politischer Polemik: So beschuldigte die Linke, die, im Mai 1947 aus der Regierung gedrängt, zu den Verlierern der Wahlen vom 18. April 1948 gehörte, die Democrazia Cristiana (DC) offen des Verrats an den demokratischen und gesellschaftlichen Werten des Antifaschismus und unterstellte ihr, jene alte gesellschaftliche Ordnung wiedererrichten zu wollen, gegen die die Resistenza einst gekämpft hatte. Die DC ihrerseits warf Sozialisten und Kommunisten vor, unter dem Deckmantel des Antifaschismus eine neue Form des Totalitarismus einführen zu wollen. So trat der Antikommunismus an die Stelle des Antifaschismus und wurde zum politischen Leitmotiv und Wahlspruch De Gasperis, der von einer neuen, antitotalitären Resistenza sprach, mit der es den ›brudermörderischen‹ Kampf der vorangegangenen Jahre auszumerzen gelte. Nicht ohne demagogischen Impetus verurteilte er gleichzeitig jenen ›Bolschewismus über alles‹, der das ›Deutschland über alles‹ ersetzt habe. Ungeachtet dessen verwahrte sich De Gasperi entschieden gegen die neofaschistische Rechte. Ziel seiner Politik war vielmehr eine Position der Mitte, des Centrismo.

IV. Die Versandung der Prozesse gegen mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher Seit Beginn der fünfziger Jahre benutzte die italienische Linke die negativ konnotierte Erinnerung an die deutsche Besatzungszeit vermehrt dazu, dem Bestreben der Bundesrepublik, einen Teil ihrer Souveränität zurückzugewinnen – und zwar nicht zuletzt mittels der Wiederbewaffnung –, entgegenzutreten. In kommunistischen Kreisen sprach man offen von Revanchismus und Nationalismus, die einen neuen Weg zum Nationalsozialismus bahnten. Allerdings wurde die Politik Adenauers auf diese Weise mißverstanden, auch wenn sie in mancherlei Hinsicht durchaus Anlaß zu derartigen Interpretationen bieten mochte. Nur schwerlich ist beispielsweise zu übersehen, daß ein Zusammenhang bestand zwischen der Westpolitik (hier vor allem dem Streben nach einer gleichberechtigten Teilhabe am atlantischen Sicherheitssystem) und dem Wunsch, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, der sich in Amnestien und anderen gesetzlichen Maßnahmen manifestierte, durch die – im Zuge der sogenannten ›131er‹-Regelung –

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bereits rechtskräftige Urteile gegen Tausende von Offizieren, Funktionären und Verwaltungsbeamten, die in das nationalsozialistische Regime verstrickt gewesen waren, aufgehoben wurden. Lediglich einige fanatische Anhänger des Nationalsozialismus, die sich unverzeihlicher Delikte schuldig gemacht hatten, wurden tatsächlich als ›Kriegsverbrecher‹ klassifiziert. Ausgesprochen stark war dabei der Druck seitens der Militärs, die nicht zulassen wollten, daß ein neues westliches und antisowjetisches Bündnis geschlossen wurde, solange noch Soldaten im Gefängnis saßen, die in einer extremen Kriegssituation nichts als ihre Pflicht getan hätten. Das gleiche galt für Diplomaten und hohe Funktionäre, die, ihrem eigenen Verständnis nach, lediglich versucht hatten, das Schlimmste zu vermeiden, indem sie ihrer Arbeit trotz Diktatur weiter nachgegangen waren. Ebenso diskret wie geschickt bemühte sich Adenauer persönlich, die Westalliierten davon zu überzeugen, daß nur eine großzügige Politik der Amnestie und der Auslöschung der Vergangenheit jenen diffusen Selbstzerstörungssinn aufheben könne, der notwendig zu Neutralität und Passivität gegenüber der sowjetischen Bedrohung führe. Unter den Nutznießern dieser Politik befanden sich unter anderem der im Oktober 1950 aus der Haft entlassene ehemalige Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, dessen Fall gleichsam zum Emblem der Politisierung des Kriegsverbrecherproblems wurde, sowie Feldmarschall Kesselring. An dieser Stelle muß betont werden, daß der Wunsch, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, grundsätzlich von allen politischen Kräften Deutschlands, einschließlich der Sozialdemokraten, geteilt wurde. Die entsprechenden gesetzlichen Maßnahmen sind daher stets mit großer Mehrheit angenommen worden. War nun die italienische Regierung in diesen Prozeß involviert? Immerhin sprach man von einem »politischen Abkommen zwischen Adenauers Deutschland und der Regierung in Rom, das die Blockierung der Gerichtsverfahren gegen deutsche Kriegsverbrecher [in Italien] bezweckte, um die Bemühungen Bonns um eine deutsche Wiederbewaffnung nicht zu behindern.«12 In Wirklichkeit war die Sachlage etwas komplizierter, da auch Rom ein Interesse daran hatte, die Kriegsverbrecherprozesse eher dilatorisch zu betreiben. Bereits 1946 veranlaßten die italienische Regierung und Diplomatie daher eine deutliche Einschränkung der gerichtlichen Untersuchungen und Verfahren gegen Deutsche, denen Kriegsverbrechen in Italien zur Last gelegt wurden, um zu verhindern, daß andere Staaten wie etwa die Sowjetunion, Albanien, Griechenland, Äthiopien und vor allem Jugoslawien ihrerseits mit großer Härte gegen italienische Kriegsverbrecher vorgingen, die mit ihrer Auslieferung hätte beginnen müssen. In der Tat wurde weder ein einziger Italiener der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates überantwortet – selbst wenn dieser einen entsprechenden Antrag gestellt hatte – noch wurde in Italien irgend jemand wegen begangener Kriegsverbrechen verur12

Filippo Focardi, Lutz Klinkhammer, La questione dei »criminali di guerra« italiani e una Commissione di inchiesta dimenticata, in: Contemporanea 4 (2001), Nr. 3, S. 497–528. Die Autoren beziehen sich auf das Abschlußdokument einer Untersuchung durch die Commissione Giustizia della Camera dei deputati vom 6. März 2001.

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teilt. Dies führte allerdings dazu, daß auch die Verfolgung der in Italien von Deutschen begangenen Kriegsverbrechen entweder ganz ausblieb oder aber nur ungenügend vorangebracht wurde. Bis 1965 wurden lediglich dreizehn Prozesse tatsächlich abgeschlossen. Es kann uns hier jedoch nicht darum gehen, dieses dunkle Kapitel der italienischen Geschichte bis ins Detail zu verfolgen – eine Aufgabe, der sich im übrigen die italienische historische Forschung in jüngster Zeit verschrieben hat. Vielmehr beschränken wir uns auf die Wiedergabe einiger bedeutsamer Passagen aus drei Zeugnissen, die die enge Verbindung zwischen Deutschland und Italien in der Frage der Kriegsverbrechen verdeutlichen. So schrieb der italienische Botschafter in Moskau, Pietro Quaroni, am 7. Januar 1946 an das Außenministerium: Ich verstehe voll und ganz den Wunsch der italienischen Öffentlichkeit, jene Deutschen vor Gericht zu sehen, die sich Kriegsverbrechen in Italien schuldig gemacht haben. Ebenso einleuchtend scheint mir, daß die italienische Regierung, aus naheliegenden Prestigegründen und infolge unserer allgemeinen juristischen und moralischen Situation wünscht, daß ihr das Recht zugesprochen werde, aktiv an der Bestrafung der deutschen Kriegsverbrecher teilzunehmen.13

»Leider« sähen die Bedingungen des von Italien unterzeichneten Waffenstillstandsabkommens jedoch ausdrücklich vor, daß die »Schuldigen wirklicher oder mutmaßlicher Greueltaten« an die ehemaligen Feindstaaten auszuliefern seien, und einige Länder, insbesondere die Sowjetunion, Jugoslawien, Griechenland, Albanien und Äthiopien, seien fest entschlossen, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Dies aber würde bedeuten, daß »an dem Tag, an dem der erste deutsche Kriegsverbrecher an uns ausgeliefert wird, eine Welle des Protests seitens jener Länder ausgelöst würde, die meinen, eine Auslieferung italienischer Kriegsverbrecher beanspruchen zu können.« Ein solcher Bumerang-Effekt müsse unter allen Umständen verhindert werden – und dies um so mehr, als man gerade im Begriff stehe, die Verhandlungen über den Friedensvertrag wiederaufzunehmen. Gut anderthalb Jahre später war in einem von Minister Ottavio Zoppi unter dem Datum des 20. Juni 1947 autorisierten Schreiben von ungefähr 2000 Prozessen italienischer Militärgerichte gegen deutsche Kriegsverbrecher die Rede, die nicht begonnen werden konnten oder blockiert wurden, da sich die Übergabe der Angeklagten durch die alliierten Behörden immer weiter verzögere – lediglich zwanzig von ihnen seien tatsächlich ausgeliefert worden. Dennoch ging die italienische Regierung davon aus, daß sie der Bundesrepublik im Falle einer Unterzeichnung des Friedensvertrags die Übergabe der Kriegsverbrecher anbieten könne, um sie deutschen Gerichten zu überstellen. Am 19. Januar 1948 jedoch wurde in einem Promemoria des Außenministeriums das Problem der Verflechtung zwischen den Prozessen, die Jugoslawien gegen italienische und jenen, die Italien gegen deutsche Kriegsverbrecher eröffnen wollte, wieder aufgeworfen.

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Dies und die folgenden Zitate in: ebd., S. 506–525.

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Gian Enrico Rusconi Sollten die Prozesse gegen die mutmaßlichen italienischen Kriegsverbrecher jetzt abgewickelt werden, würden sie zeitgleich mit jenen gegen die mutmaßlichen deutschen Kriegsverbrecher stattfinden, die augenblicklich von italienischen Gerichten eröffnet werden. Da die Anklagen, die wir gegen die Deutschen erheben, den jugoslawischen Klagen gegen die Italiener entsprechen, entstünde eine für unsere Gerichte äußerst unangenehme Situation, die sich sehr ungünstig auf die internationale Lage auswirken könnte.

Man versuchte daher, den Aufschub oder gar die Aufhebung der Prozesse zu erreichen, was auch gelang – eine italienische Variante der Vergangenheitspolitik, die de facto eine »Politik der Versandung« war. Allein: Die Mängel der italienischen Justiz, die deutsche Historiker schon bald zum Objekt ihrer Kritik machten, sollten nicht ohne Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis Italiens bleiben, wenngleich zunächst in Form von Verdrängung. So waren in Italien die Erinnerungen an den eigenen Angriffskrieg vollkommen aus dem Gedächtnis gelöscht worden, um den ›positiv‹ konnotierten Aspekten des erlittenen Krieges und der Resistenza gegen die deutsche Besatzung Platz zu machen. Und dieser master narrative konnte sich wiederum nicht zuletzt deshalb durchsetzen, weil kein italienisches Gericht je einen Prozeß gegen von italienischen Militärs im Ausland verübte Kriegsverbrechen angestrengt hat.14 In anderen Worten: Es waren letztendlich auch handfeste Defizite in der Justizpolitik, die dazu beitrugen, daß sich in der gegenseitigen Wahrnehmung beider Nationen die Stereotype vom ›bösen Deutschen‹ und vom ›guten Italiener‹ festsetzen konnten. Daher verwundert es nicht, wenn deutsche Historiker, die sich mit dem Faschismus und seinen Auswirkungen befassen, die Italiener dazu auffordern, sich eingehender mit den dunklen und kriminellen Aspekten ihrer eigenen Geschichte zu beschäftigen.15

V. Die Goethe-Institute als kulturelle Gegenoffensive Zum Zwecke einer intensiveren kulturellen Zusammenarbeit wurden Mitte der fünfziger Jahre in den wichtigsten italienischen Städten wie Rom, Turin und Mailand Goethe-Institute ins Leben gerufen. Tatsächlich fürchtete man in Bonn die Rückkehr antideutscher Ressentiments, die sich bereits in den intellektuellen 14 15

Vgl. Klinkhammer, La punizione, S. 75–90. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die kurzfristige Einladung Wolfgang Schieders an seine italienischen Kollegen, sich zum Historikerstreit zu äußern. Vgl. hierzu Wolfgang Schieder, Historikerstreit e dintorni: una questione non solo tedesca, in: Passato e presente 1988, S. 27–32, sowie Ders., Faschismus als Vergangenheit. Streit der Historiker in Italien und Deutschland, in: Der historische Ort des Nationalsozialismus. Annäherungen, hg. von W. H. Pehle, Frankfurt a. M. 1990, S. 135–154. – Vgl. auch Brunello Mantelli, Die Italiener auf dem Balkan 1941–43, in: Europäische Sozialgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schieder zum 65. Geburtstag, hg. von C. Dipper, L. Klinkhammer und A. Nützenadel, Berlin 2000, S. 57–74, und Ders., Rassismus als wissenschaftliche Erklärung. Über die tiefen kulturellen Wurzeln von Rassismus und Antisemitismus in Italien und anderswo, in: Deutschland und Italien, hg. von C. Dipper, S. 207–226.

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Kreisen Italiens breitmachten und nicht zuletzt auf konkrete politische Strategien der Linken zurückzuführen waren. Ausdrückliches Ziel der Goethe-Institute, die direkt von der Bundesregierung eingerichtet wurden, jedoch weitgehend autonom agierten, war es, die insbesondere in der letzten Kriegsphase entstandenen Feindbilder schrittweise abzubauen und so zu verhindern, daß sie eine Wiederaufnahme der Kontakte zwischen beiden Nationen und Kulturen erschwerten. Indem sie vor allem auf die unerschöpfliche Ressource ›Kultur‹ setzten, der nicht einmal die härtesten Kritiker Deutschlands etwas entgegenzustellen hatten, sollten die Goethe-Institute das Image der Bundesrepublik aufpolieren. Dabei griff man nicht nur auf das klassische philosophische und literarische Erbe zurück, sondern bediente sich auch moderner Literatur und Kunst. Schließlich ging es darum, Italien die neue deutsche Vitalität vor Augen zu führen und sich damit zugleich von der jüngsten Vergangenheit zu distanzieren. Besonders schwierig gestaltete sich die Anfangsphase (1955–1965), da sich, vor allem in den Kultur- und Universitätskreisen der Großstädte, hartnäckige Vorbehalte gegen Deutschland festgesetzt hatten, die von Massenmedien und populärer Kultur genährt wurden. Daß sich gerade im Bereich der Universitäten nur schleppend Kontakte zu den neu entstandenen Goethe-Instituten aufbauen ließen, war weniger auf ein mangelndes Interesse an der Philosophie, Geschichte oder Literatur Deutschlands, sondern vielmehr auf ein tiefes politisches Mißtrauen gegenüber der Bundesrepublik zurückzuführen. Erschwerend kam hinzu, daß hier der kommunistische Einfluß oft erheblich war und man mit Sympathie auf das andere Deutschland, die DDR, blickte, die als die eigentliche Wahrerin des deutschen Erbes angesehen wurde. Demgegenüber galt die Bundesrepublik als ein antiliberaler reaktionärer Staat, der es nicht vermochte, sich kritisch seiner nationalsozialistischen Vergangenheit zu stellen. Selbst viele italienische Kommunisten und Sozialisten standen der deutschen Sozialdemokratie feindselig gegenüber. Über viele Jahre hinweg zögerten die als Kulturzentren im engeren Sinn wirkenden Goethe-Institute, sich ausdrücklich und systematisch mit kontroversen politischen und historischen Fragen auseinanderzusetzen. Doch die kulturellen Neuheiten, die sie vorstellten – vor allem zeitgenössische Musik und Filmkunst – und die bekannten Namen, die dem Publikum präsentiert wurden (unter anderen Hans Georg Gadamer, Günter Grass, Max Horkheimer, Hans Mayer, Margarethe von Trotta) besaßen eine große Anziehungskraft. So etablierten sich die Goethe-Institute schrittweise als fester Bestandteil des kulturellen Lebens in Italien. Mitte der siebziger Jahre zeichnete sich dann ein Aufschwung ab, der paradoxerweise mit der sich sowohl in Italien als auch in Deutschland verschlechternden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation in Zusammenhang stand. Es waren die Jahre des Terrorismus und der sogenannten Berufsverbote – eine Zeit, in der sich der Eindruck verfestigte, daß der demokratische Staat weder in Italien noch in Deutschland, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, in der Lage sei, der Krise Herr zu werden. Die Analogien zu den frühen dreißiger Jahren – insbesondere zum Ende der Weimarer Republik – über die man in Universität, Presse

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und Fernsehen offen debattierte, schienen auf der Hand zu liegen. Zugleich machte sich bei der italienischen Linken, die abwertend vom ›Modell Deutschland‹ und von ›Germanisierung‹ sprach, eine neue Deutschlandphobie breit, wobei sie zum Teil an Positionen der radikalen deutschen Linken anknüpfte. Aus heutiger Sicht fällt es schwer zu glauben, daß man im Deutschland und Italien jener Jahre einen Untergang der Demokratie ernsthaft für möglich hielt. Ebenso erstaunlich freilich ist, daß viele Vertreter der deutschen Linken, die sich damals überkritisch zu Wort meldeten, heute, als gealterte ›Lehrmeister‹, idyllische Bilder von der guten alten ›liberalen‹ Bundesrepublik entwerfen. Als der ehemalige Wehrmachtsoffizier Herbert Kappler, der für das Massaker in den Fosse Ardeatine zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, im August 1977 aus dem römischen Militärhospital Celio, in das er vorübergehend verlegt worden war, floh, verschlechterten sich die deutsch-italienischen Beziehungen dramatisch, insbesondere deshalb, weil der in Italien als boia delle Ardeatine (Henker der Ardeatine) gebrandmarkte Kappler in Deutschland durchaus Solidaritätsbekundungen erfuhr. Die italienische Presse reagierte einhellig entrüstet16 – ein schwieriger Moment für beide Staaten. Dieser politisch angespannten Lage in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre begegneten die Goethe-Institute durch eine bewußte Auseinandersetzung mit den historisch-politischen Problemen der Weimarer Republik – wobei freilich besonderer Wert auf kulturelle Aspekte gelegt wurde. Mit einem schier unerschöpflichen Fundus an Materialien organisierte man etwa Ausstellungen zum Expressionismus oder Aufführungen von Theaterstücken und Filmen, die von den zwanziger Jahren bis in die Zeit des Nationalsozialismus reichten. Leni Riefenstahl fand dabei ebenso Berücksichtigung wie Hans Jürgen Syberberg und viele andere. Auf diese Weise wurden nicht zuletzt die Grundlagen für Diskussionen geschaffen, die von unmittelbarer politischer Relevanz waren. Das so entstehende Bild vom modernen Deutschland war entsprechend vielschichtig. Gleichzeitig war es eine weiterführende Antwort auf das lebhafte Interesse vieler 16

Vgl. Eva Sabine Kuntz, Konstanz und Wandel von Stereotypen. Deutschlandbilder in der italienischen Presse nach dem Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a. M. u.a. 1997, S. 219–320. Hier zwei typische Reaktionen der italienischen Presse: Alessandro Galante Garrone schrieb am 19. August 1977 in La Stampa: »Wir sind gespannt darauf, wie sich die deutsche Demokratie, einmal auf die Probe gestellt, verhält. Es reicht uns nicht, daß sie sich hinter humanitären Gründen versteckt […] oder sich auf die Notwendigkeit beruft, endlich einen Schlußstrich unter die Schmach der Vergangenheit zu ziehen. Es reicht uns auch nicht, daß sie es sich in der vergeßlichen Gleichgültigkeit ihres derzeitigen wirtschaftlichen Wohlstandes bequem macht. Wir erwarten zumindest ein entschiedenes Wort der moralischen und politischen Verurteilung Kapplers und all dessen, was dieser Mann – ob er nun im Sterben liegt oder nicht – […] noch symbolisiert.« – Eugenio Scalfari schrieb am 19. August 1977 in La Repubblica: »Auf die Gefahr hin, hier als verbohrter Nationalist zu erscheinen, möchte ich angesichts solcher Reaktionen hier in vollem Bewußtsein schreiben, daß ich nicht sehr zufrieden bin über die Tatsache, als Italiener geboren zu sein, aber jeden Tag meinem Schicksal dafür danke, nicht als Deutscher auf die Welt gekommen zu sein.« Zit. n. ebd., S. 296 und 302.

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Italiener an jenem widersprüchlichen und dunklen Abschnitt der deutschen Geschichte. Hervorzuheben ist hier vor allem die Auseinandersetzung mit dem deutschen Widerstand während des ›Dritten Reichs‹ – ein Motiv, das stets von großem Interesse für die Goethe-Institute sein sollte. Nicht zuletzt beschäftigte man sich auch mit konkreten politischen Themen wie etwa der Entstehung und Bedeutung des Grundgesetzes und den in der Bundesrepublik geltenden Grundrechten wie der Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch mit dem europäischen Einigungsprozeß, von dem man sich die Lösung vieler nationaler Probleme erhoffte. Ergebnis dieser Initiativen war ein ›Boom‹ der deutschen Kultur in Italien in den achtziger Jahren, der von Massenmedien sowie privaten und öffentlichen Einrichtungen getragen wurde. Wir wollen hier nicht näher auf dieses Phänomen eingehen und beschränken uns daher auf die Feststellung, daß in der Folge sowohl in Italien als auch in Deutschland Themen wie Heimat oder nationale Identität auf die Tagesordnung rückten, die bis dahin tabuisiert oder zumindest mit größter Vorsicht und Skepsis behandelt worden waren.17 1987, mitten im Historikerstreit, organisierte das Goethe-Institut in Turin ein Treffen deutscher und italienischer Historiker, unter denen sich – um nur einige der außerordentlich bekannten Namen zu nennen – Ernst Nolte, Renzo de Felice, Wolfgang J. Mommsen und Karl Dietrich Bracher befanden. Sie alle hatten hier Gelegenheit, eine Debatte fortzuführen, deren Ende keineswegs abzusehen war. Mit Beginn der neunziger Jahre wurden die Goethe-Institute in Italien – von Triest bis Palermo – der adäquate Ort für eine Debatte um die Frage ›Wohin geht Deutschland?‹, die man nun in einen neuen, europaorientierten Zusammenhang stellte. Doch die beinahe zeitgleich auftretenden Turbulenzen der italienischen Innenpolitik (Tangentopoli, Mani pulite, die Krise des politischen Systems und das Phänomen Berlusconi) beanspruchten beinahe die gesamte Aufmerksamkeit der Italiener, was sich nicht zuletzt auch auf die Aktivität der Goethe-Institute auswirkte. In dieser Zeit drangen allerdings auch aus Deutschland beunruhigende Nachrichten eines neu erwachten Fremdenhasses (Stichworte: Mölln, Rostock, Solingen) nach Italien, die alte Vorbehalte gegenüber den Deutschen und ihren offenbar unausrottbaren Defiziten wachriefen. Trotz der ungebrochen intensiven Tätigkeit der Goethe-Institute in den neunziger Jahren schien sich im internationalen Rahmen der deutsch-italienischen Beziehungen etwas grundsätzlich zu verschieben. Dies war zum einen auf die neue, zentrale Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses, zum anderen auf die insgesamt veränderte geopolitische Situation zurückzuführen. Infolgedessen

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Das Goethe-Institut in Turin tat sich hier besonders hervor. 1985 organisierte es eine Begegnung italienischer und deutscher Schriftsteller unter dem Motto »Auf der Suche nach Heimat? Nationalismus, Regionalismus und Identität in der zeitgenössischen italienischen und deutschen Literatur« sowie eine Tagung deutscher und italienischer Historiker und Politologen mit dem Titel »Wieviel Heimat braucht der Mensch? Nationalismus und Identität in Italien und Deutschland«, in der Themen vorweggenommen wurden, die in den Folgejahren für zahlreiche Diskussionen in Italien sorgten.

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verlagerte man im Hauptsitz der Goethe-Institute in München die gesamte politische Ausrichtung: Die Investitionen in Italien wurden reduziert und in andere Teile der Welt gelenkt. Dies schien die Bestätigung dafür zu sein, daß das Goethe-Institut seine historische Mission in Italien, die ihm in den nunmehr fernen fünfziger Jahren anvertraut worden war, zu einem erfolgreichen Ende gebracht hatte.18

VI. Zwei besondere Zeugnisse An dieser Stelle soll an zwei mehr oder weniger international bekannte italienische Autoren erinnert werden, deren Werke maßgeblich von der negativen Erfahrung mit dem nationalsozialistischen Deutschland bestimmt sind. Über sein berühmtes, erstmals 1947 erschienenes Buch Se questo è un uomo (in der deutschen Übersetzung: Ist das ein Mensch?) schrieb Primo Levi: […] die wirklichen Adressaten des Buches waren sie, die Deutschen. Jetzt war die Waffe geladen. […] Nicht das Häufchen der in hohem Maße Schuldigen, sondern das deutsche Volk, jene Deutschen, die ich aus der Nähe erlebt hatte, jene, unter denen die SS-Soldaten rekrutiert worden waren; aber auch die anderen, die, die geglaubt hatten, und all jene, die, obwohl sie nicht glaubten, gleichwohl geschwiegen und nicht einmal den bescheidenen Mut aufgebracht hatten, uns in die Augen zu sehen, uns ein Stück Brot zuzuwerfen, uns ein mitfühlendes Wort zuzuflüstern.19

Mit der Anfang der sechziger Jahre erfolgten deutschen Übersetzung seines Buches hoffte Levi, einen Kontakt zu den Deutschen herzustellen, um sie endlich begreifen zu können. Denn, so schrieb er, »ich kann nicht sagen, daß ich die Deutschen verstehe. Und was man nicht verstehen kann, bildet eine schmerzhafte Leere, ist ein Stachel, ein dauernder Drang, der Erfüllung fordert.« Die Reaktionen der Leser ließen nicht lange auf sich warten: Zwischen 1961 und 1964 erhielt Levi ungefähr vierzig Briefe, die seiner Frage, »ob es möglich sei, die Deutschen zu verstehen«, auf den Grund zu gehen suchten – oder aber eine Antwort generell ausschlossen. Levi las diese Briefe mit größter Sorgfalt, um sie schließlich 1986 auszugsweise in seinem Buch I sommersi e i salvati (in der deutschen Übersetzung: Die Untergegangenen und die Geretteten) zu veröffentlichen. Levis Überlegungen kreisten dabei um ein Grundproblem. Auch wenn er die

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Vgl. Gian Enrico Rusconi, Etappen einer Erfolgsgeschichte. Ein halbes Jahrhundert Goethe-Institute in Italien, in: Murnau, Manila, Minsk. 50 Jahre Goethe-Institut, hg. vom Goethe-Institut Inter Nationes, München 2001, S. 49–60. – Zum literarischen Austausch zwischen beiden Ländern vgl. Hansgeorg Schmidt-Bergmann (Hg.), Zwischen Kontinuität und Rekonstruktion. Kulturtransfer zwischen Deutschland und Italien nach 1945, Tübingen 1998 sowie Gewalt der Geschichte – Geschichten der Gewalt. Zur Kultur und Literatur in Italien von 1995 bis heute, hg. von P. Brockmeier und C. Fischer, Stuttgart 1998. Dies und die folgenden Zitate in: Primo Levi, Die Untergegangenen und die Geretteten, München 1990 [OA Turin 1986], S. 172–209.

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Vorstellung, »die Deutschen« seien ein »einheitliches, nicht differenziertes Gebilde«, das mit keinem anderen Volk verglichen werden könne, ablehnte,20 war er dennoch der Überzeugung, »daß jedes Volk seine eigene Mentalität« besitze, die gewissermaßen »die Summe aus Tradition, Gebräuchen, Geschichte, Sprache, Kultur« bilde. Doch eben diese komplexe Kultur sei in Deutschland verantwortungslos vor dem Nationalsozialismus zurückgewichen, der nun die zerstörerischsten Elemente der Politik und die brutalsten Züge der menschlichen Natur zum Vorschein brachte und Wirklichkeit werden ließ – womit Levi einen Zusammenhang aufdeckte, der erst heute recht ins historische Bewußtsein tritt. Daher habe es keinen Sinn, das deutsche Volk als solches zu hassen. Die Einzigartigkeit des Nationalsozialismus, insbesondere hinsichtlich des Systems der Konzentrationslager, ist ein Tatbestand, der in seiner tieferen Bedeutung die eigentlichen Ursachen seines Entstehens übersteigt. Er ist zum Paradigma geworden. »Ich habe das deutsche Volk nie gehaßt«, schrieb Levi an seinen deutschen Übersetzer, »und hätte ich es auch getan, so wäre ich jetzt, nachdem ich Sie kennengelernt habe, davon geheilt. Ich begreife nicht, ich ertrage nicht, daß man einen Menschen nicht nach dem beurteilt, was er ist, sondern nach der Gruppe, der er zufällig angehört.« Aus dieser Perspektive wollte Levi das Unfaßbare verstehen. Dabei fällt auf, daß sich dieser Versuch des Verstehens – im Sinne einer eindeutigen, schonungslosen Erklärung des Verhaltens seiner »Folterknechte« und ihrer Komplizen – im Grunde durch Levis gesamtes literarisches Werk zieht. Es bedarf keiner weiteren Erklärung, daß es dabei mitnichten um irgendeine Rechtfertigung ging. Doch seine Haltung wurde ambivalenter, als er sich mit der jüngeren Generation konfrontiert sah. Auf der einen Seite war er enttäuscht über einige Briefe, die »um so nichtssagender« seien, »je jüngeren Datums« sie waren: »Die Schreiber sind inzwischen die Kinder und Enkel, das Trauma betrifft sie nicht mehr, sie haben es nicht am eigenen Leib erfahren. […] Sie sind keine typischen Deutschen: von Ausnahmen abgesehen, könnte man ihre Briefe mit denen ihrer italienischen Altersgenossen verwechseln.« Auf der anderen Seite konnte Levi kaum leugnen, daß es eben die junge Generation war, die einen neuen Prozeß der Selbstkritik in Gang gesetzt hatte, wobei sie sich nicht zuletzt seiner Bücher bediente. Waren diese jungen Leute deshalb keine »typischen Deutschen« mehr? Konnte man dies nicht als Zeichen einer positiven Wandlung ansehen? Und auch wenn durch das »nationalsozialistische Gott mit uns alles anders geworden [war]«, können die Bedrohungen der Menschlichkeit, die Levi auf den letzten Seiten von Die Untergegangenen und die Geretteten beschreibt, kaum als typisch deutsch angesehen werden.

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»[…] unsere Folterknechte […] waren aus dem gleichen Stoff gemacht wie wir, mittelmäßige Menschen, mittelmäßig intelligent, mittelmäßig böse: abgesehen natürlich von einigen Ausnahmen, waren sie keine Bestien, sie hatten ein Gesicht wie wir, aber sie waren zum Schlechten erzogen. […] Alle haben sie die schreckliche Umerziehung durchgemacht, die die Schule, die Hitler und seine Konsorten wollten, vermittelte und durchsetzte und die dann vom SS-Drill vervollständigt wurde.« Ebd., S. 208f.

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Ein anderes wichtiges Buch für unser Thema ist die 1994 im Turiner Verlag Einaudi erschienene Erzählung Il disperso di Marburg (in deutscher Übersetzung: Der verschollene Deutsche) von Nuto Revelli. Sie dokumentiert die vom Autor selbst unternommene und von Historikern und Freunden unterstützte Suche nach einem im Frühjahr 1944 bei Cuneo auf mysteriöse Weise verschwundenen (und tatsächlich ermordeten) deutschen Militärs. Mit dieser Suche nach dem »einsamen Reiter« wollte Revelli jener Legende vom »guten Deutschen« auf den Grund gehen, die sich um den Verschwundenen rankte. Und dies ist auch der Schlüssel zur Erzählung selbst, die eine auf der Basis von mündlichen Zeugnissen und Archivmaterial systematisch geführte Untersuchung und zugleich eine Selbstbetrachtung ist, die den Autor zu den Wurzeln seiner Erfahrungen als Partisan zurückführt und damit eine Aufarbeitung dieser Erinnerungen ermöglicht. […] ich beharrte weiterhin darauf, daß alle Deutschen – nicht nur die Männer der SS […] – nicht Menschen, sondern Bestien waren. Aber diese instinktive, wütende Reaktion brachte mich nicht weiter. Sie genügte nicht, das Bild des ›guten Deutschen‹ zu verdrängen, das so etwas wie Unordnung in die Ordnung meiner Gewißheiten brachte. ›Vielleicht waren nicht alle Deutschen gleich‹, dachte ich mir in den wenigen Augenblicken der inneren Ruhe, aber mit zusammengebissenen Zähnen, als fürchtete ich, dem Feind, der doch nur Haß und Verachtung verdiente, schon zu weit entgegengekommen zu sein.21

Und so bewegt sich die Suche auf zwei Ebenen. Zum einen geht es um die Identifizierung der physischen Person und ihres Schicksals, zum anderen um die Erhellung der Frage, inwieweit der Verschollene ›anders‹ war als der ›normale‹, das heißt der verachtete und verachtenswerte Deutsche. Am Ende gelingt es, beide Ebenen einander anzunähern – der Deutsche wird als ein Offizier namens Rudolf Knaut identifiziert –, auch wenn sie sich nicht ganz treffen. Vermutlich entsprach jener ›einsame Reiter‹ nicht der romantischen und idealisierten Figur, von der damals die Rede war.22 Aber Revelli gab sich damit zufrieden. In seiner Erinnerung vermochte er sich »beinahe ganz in diesen ›Vermißten‹ hineinzuversetzen. 21 22

Dies und die folgenden Zitate in: Nuto Revelli, Der verschollene Deutsche. Tagebuch einer Spurensuche, München 1996 [OA Turin 1994], S. 12f. Interessant ist die Reaktion Revellis auf den Brief seines alten Freundes, Carlo Gentile, der ihn vor einer Idealisierung des verschollenen Deutschen warnte: »Der Tod von Rudolf war ›dumm‹, aber auch Rudolf trug die Uniform mit dem Adler des Nazireichs. Wenn er damals nicht gestorben wäre, hättest Du ihm vielleicht am nächsten Tag oder in der nächsten Woche als Kommandanten eines Suchtrupps in Deinen Tälern gegenüberstehen können; oder wenn Du gefangengenommen worden wärest, hätte er vielleicht das Exekutionskommando befehligt. Das wäre damals alles möglich gewesen. Vielleicht war Rudolf Knaut wirklich ein ›guter Mensch‹, vielleicht war er kein Nazi und haßte den Krieg, aber es hätte auch anders gewesen sein können.« Diese Worte des Freundes kommentierte Revelli wie folgt: »Carlo hat recht, mich an die damalige Realität zu erinnern, auch wenn ich der Meinung bin, nichts von dieser Zeit, in der die Unmenschlichkeit an der Tagesordnung war, vergessen zu haben. Aber ich will einfach manchmal die Fesseln des Verstandes lockern und mit offenen Augen träumen. Wie oft habe ich in jenen finsteren Zeiten gedacht, daß im Krieg nicht die Schlechtesten, sondern die Guten den höchsten Preis zahlen mußten.« Ebd., S. 170–172.

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Ich sah ihn vor mir als jungen Mann, aber schon vom Krieg gezeichnet, schon ›innerlich‹ müde wie ein Besiegter. Wie ich es war nach den Erfahrungen in Rußland.« Und noch Jahre später sollte er sich an die Ereignisse von damals und insbesondere das zerrissene Unterhemd des Deutschen erinnern, das ihm als »ein Symbol eines grausamen Schicksals, eines vergeudeten Lebens, des Scheiterns«23 erschienen war. Dies zu zeigen – darauf kam es dem Schriftsteller und ehemaligen Partisanen Revelli an, der seine Erinnerung an den Haß gegen die Deutschen von gestern nun mit dem freien, demokratischen und zivilisierten Deutschland von heute aussöhnen konnte. Vielleicht diente ihm dabei die Entdeckung oder gar Erfindung des ›guten Deutschen‹ nur als Vorwand, bedenkt man, daß er seine eigenen Erinnerungen an die Vergangenheit nicht durch persönliche Begegnungen mit Deutschen hatte aufwiegen können. Sein wacher Blick indes bewahrt Revelli davor, diese Erinnerungen auf die Deutschen von heute zu projizieren. Dies ist freilich nicht selbstverständlich. Hierzu bedarf es vielmehr einer zugleich wissenschaftlichen und literarischen Operation. Nicht um eine allein auf guten Absichten beruhende Fiktion handelt es sich hier also, sondern um eine eigenständige Zugangsweise, über die Historiker und Politologen nicht verfügen. Ihre Aufgabe bleibt es zu zeigen, wie aus den Deutschen von damals tatsächlich die reiferen Deutschen von heute geworden sind.

VII. Der Fall Cefalonia Beschließen wir das Thema ›Geschichte und Erinnerung‹ mit den Ereignissen in Cefalonia, deren Bedeutung auf höchster institutioneller Ebene von Staatspräsident Ciampi hervorgehoben worden ist.24 Die Fakten sind schnell erzählt. Als die Badoglio-Regierung am 8. September 1943 den Waffenstillstand mit den Westalliierten bekanntgab, befand sich die ionische Insel Cefalonia in italienischer Hand. Sie stand dabei unter Kontrolle der General Antonio Gandin unterstellten Infanteriedivision Acqui, bestehend aus 525 Offizieren und 11 500 Soldaten. Zusätzlich befand sich dort ein deutsches Kontingent, zu dem die Italiener stets in guter Beziehung gestanden hatten. Bei Bekanntgabe des Waffenstillstands nun veranlaßte das Oberkommando der deutschen Wehrmacht die Umsetzung des seit geraumer Zeit vorgesehenen Plans ›Achse‹, der die Entwaffnung des italienischen Heeres zum Ziel hatte. Entsprechend wurde auch die auf Cefalonia stationierte Division Acqui aufgefordert, die Waffen niederzulegen, wobei man ihr eine baldige Rückführung in die Heimat versprach. Der den Deutschen nicht grundsätzlich feindlich gesonnene Gandin versuchte zunächst durch Verhandlungen, Garantien für diese Rückführung zu erhalten, stieß jedoch auf den an Ungehorsam 23 24

Ebd., S. 196. Eine systematische Darstellung findet sich in: Gian Enrico Rusconi, Cefalonia. Quando gli italiani si battono, Turin 2004.

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grenzenden Protest einiger Offiziere und Einheiten, die entschlossen waren, sich den deutschen Weisungen zu widersetzen. Mangels genauer Befehle seitens des italienischen Oberkommandos fügten sich einige Ortskommandanten mittlerer Ebene, denen die Division Acqui formal unterstand, der deutschen Aufforderung. Während sich die Spannungen auf Cefalonia in den folgenden Tagen erhöhten und es immer wieder zu teilweise gravierenden Vorfällen von Disziplinverlust innerhalb der Truppe kam, führte Gandin seine mühseligen Verhandlungen mit den Deutschen weiter, die nun ihrerseits unter immer größeren Druck seitens der vorgesetzten Stellen gerieten, die bedingungslose Kapitulation der Acqui durchzusetzen. Der General befragte seine Soldaten über das weitere Vorgehen: Blieb man Bündnispartner der Deutschen, streckte man die Waffen oder leistete man Widerstand? Ergebnis dieser ›Abstimmung‹ war, daß man beschloß, sich den Deutschen zu widersetzen. In Wirklichkeit hatte sich der Kommandant bereits selbst davon überzeugt, daß es unmöglich war, sich mit den Deutschen gütlich zu einigen, als endlich präzise Anweisungen vom Comando supremo eintrafen, das der Auflösung des Heeres durch die unerbittlichen deutschen Besatzer indes machtlos zusah. Die Division Acqui jedoch war fest entschlossen, im Namen der Treue zu Heimat und König nicht nachzugeben. So nahm am 15. September 1943 auf Cefalonia ein mehrere Tage andauernder Kampf seinen Anfang. Dabei verfügten die Deutschen nicht nur über eine stärkere Luftwaffe; es war ihnen im Laufe der Verhandlungen sogar gelungen, einige Gebirgsjägertruppen auf die Insel zu transportieren, die den Italienern in jeder Hinsicht überlegen waren. Bei den Auseinandersetzungen kamen auf italienischer Seite 65 Offiziere und 1250 Soldaten ums Leben. Doch damit begann erst das eigentliche Massaker, bei dem zwischen 4000 und 5000 einfache Soldaten und Unteroffiziere, die sich bereits ergeben hatten, erschossen wurden. Währenddessen war am 18. September ein Führerbefehl eingetroffen, demzufolge – des anmaßenden und verräterischen Verhaltens des Inselkommandos wegen – keine Gefangenen genommen werden sollten. Weitere 189 Offiziere, einschließlich General Gandins, wurden hingerichtet. Es handelte sich hier um eines der schwersten Kriegsverbrechen, das an dem ehemaligen Bündnispartner verübt worden war. Dieses Verbrechens – beziehungsweise lediglich der Exekution der Offiziere – wurde 1948 in Nürnberg der deutsche Oberbefehlshaber Hubert Lanz angeklagt und zu 12 Jahren Haft verurteilt. Bereits im Februar 1951 wurde er allerdings aus der Haft entlassen, da er von der bereits erwähnten milden Politik jener Jahre gegenüber den angeblich zu Unrecht als Kriegsverbrecher behandelten Soldaten profitierte. Lanz, der sich hinsichtlich des Massakers an den italienischen Soldaten, das seiner Aussage nach Folge eines Kontrollverlusts gewesen sei, für unschuldig befand, hielt seine Verurteilung für ungerecht. Vielmehr war er der Auffassung, die Offiziere hätten Meuterei begangen und daher mit der Todesstrafe rechnen müssen. Wenn aber schon die deutsche Militärführung ihre italienischen Kollegen als ›Meuterer‹ bezeichnete, so konnte man von den Deutschen vor Ort im Grunde kein anderes Verhalten erwarten, in deren Augen die Italie-

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ner ja ohnehin alle ›Verräter‹ waren. Damit war die Lizenz zum willkürlichen Töten gegeben. Diese vereinfachte Darstellung der Geschehnisse um Cefalonia wird im übrigen auch nicht annähernd den komplexen Erzählungen und Erinnerungen gerecht, die mit diesem Namen verbunden sind. Schon im Mai 1944 sah Badoglio und mit ihm die italienische Regierung in der Tragödie von Cefalonia sowohl einen Beweis der Treue des königlichen Heeres gegenüber Krone und Regierung als auch die erste kriegerische Handlung Italiens gegen Deutschland. Die vom Comitato di Liberazione Nazionale (CLN) getragene Regierung unter Ferruccio Parri ging noch einen Schritt weiter, indem sie anhand des Verhaltens der Division Acqui eine Kontinuität zwischen den Heldentaten des Ersten Weltkriegs und dem Befreiungskampf der Jahre 1943/45 herstellte. Es ist offensichtlich, daß der deutsche Feind hier als Bindeglied zwischen einer militärisch ruhmreichen Zeit, dem Ersten Weltkrieg, und dem Kampf gegen den Nationalsozialismus fungiert. Die kommunistische Linke wiederum insistierte auf einer direkten Verbindung zwischen dem Widerstand der Italiener auf Cefalonia und der Resistenza als solcher. Die Division Acqui wurde dabei als die heroische Avantgarde aller Partisanenverbände glorifiziert. Diese ideelle Verknüpfung des Verhaltens der italienischen Streitkräfte auf Cefalonia, die sich in einer Abstimmung demokratisch für den Kampf gegen die Deutschen entschieden hatten, mit den Aktionen der Partisanen bildet einen wichtigen Aspekt in Roberto Battaglias 1953 erschienener Storia della Resistenza italiana,25 ein Buch, das entscheidenden Einfluß auf die italienische Linkskultur gewinnen sollte. Doch einer solchen Interpretation der Ereignisse wurde seitens liberal oder sozialdemokratisch geprägter Historiker und Publizisten immer wieder lebhaft widersprochen – und nicht zuletzt auch vom Militär selbst, das vor allem auf Argumente wie Pflichterfüllung und Loyalität zur Monarchie sowie den apolitischen Patriotismus der Soldaten der Acqui verwies. Dieser interpretatorische Konflikt, der in vielerlei Hinsicht geschichtspolitische Züge aufweist, ist der Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben, da bei den staatlichen Gedenkfeiern für die Division Acqui die Opfer selbst (beziehungsweise die nicht erfolgte Bestrafung der Verantwortlichen) im Vordergrund stehen. Cefalonia ist daher ein wichtiges Beispiel des für die Italiener von heute typischen ›Trauerpatriotismus‹. In der Tat finden sie sich als Nation vor allem in einem kollektiven Schmerz wieder, der nicht als unabänderliches Geschick erscheint, sondern vielmehr auf das Verhalten anderer zurückgeführt wird, ohne daß dabei je in Frage gestellt würde, daß die Verflechtung von Verbrechen und Martyrium, deren Opfer die Italiener wurden, weitaus komplexere Ursachen hatte, an denen sie selbst nicht unbeteiligt waren. So gesehen manifestierten sich im Geschehen von Cefalonia – ganz abgesehen vom kriminellen Vorgehen der deutschen Verantwortlichen – einmal mehr die 25

Roberto Battaglia, Storia della Resistenza italiana (8 settembre 1943–25 aprile 1945), Turin 1953.

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politischen und militärischen Fehler der italienischen Regierung und ihres Oberkommandos nach dem 8. September 1943, die eine grausame Rache der Deutschen nach sich zogen. Das mutige und ehrenhafte Verhalten der italienischen Soldaten aber bot den Stoff für eine Aufhellung des kollektiven Gedächtnisses. Letzter wichtiger Aspekt dieses Themas ist die Initiative Ciampis, der im Rahmen einer Gedenkfeier für die Soldaten der Acqui erklärte: »Sie haben beschlossen, die Waffen nicht niederzulegen, sondern es vorgezogen, für die Heimat zu kämpfen und zu sterben. Sie blieben ihrem Eid treu. Diese bewußte Wahl war die erste Tat der Resistenza für ein vom Faschismus befreites Italien.« Auf den ersten Blick scheint sich in diesen Worten die traditionelle patriotische Interpretation Cefalonias auszudrücken. Doch müssen sie vielmehr in den Kontext der polemischen Diskussionen über den Begriff ›Patriotismus‹ eingeordnet werden, die die gesamten neunziger Jahre durchzogen. So versuchte Ciampi einerseits, die von manchen Historikern vertretene These zu widerlegen, der 8. September sei insofern ›der Tod der Heimat‹ gewesen, als die Resistenza ebenso wie die Republik nicht mehr als Heimat hätten angesehen werden können, da diese den Interessen und Ideologien von einzelnen Parteien – insbesondere der Linken – geopfert worden sei. Andererseits widersprach Ciampi mit seinen Worten den Neo- und Postfaschisten, die die zwischen 1943 und 1945 den Deutschen verpflichtete Repubblica Sociale Italiana damit rechtfertigten, daß sie die von Badoglio und den Partisanen verratene ›Ehre der Heimat‹ retten wollte. So erscheint Cefalonia als ein verbindendes Element zwischen traditionellem Patriotismus und einer Resistenza, die jegliche Form von Opposition und eigenständigem Verhalten gegenüber den Deutschen einschließt, das heißt auch jene 600 000 in Deutschland internierten italienischen Soldaten, die sich geweigert hatten, mit den Deutschen zu kollaborieren. Es soll hier nicht darum gehen herauszustellen, wie plausibel die Position Ciampis tatsächlich ist, in der die politisch-ideologische Interpretation der Resistenza durch die Linke zugunsten einer mehr auf nationale Aspekte ausgerichteten Sichtweise zurückgestellt wird, wobei das antideutsche Element als identitätsstiftender Faktor erscheint. Paradoxerweise war es derselbe Ciampi, der sich zur gleichen Zeit um eine Aussöhnung mit Deutschland und ein tieferes Verständnis für dessen kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit bemühte. Hervorzuheben ist hier insbesondere die Begegnung Ciampis mit dem damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau im April 2002 in Marzabotto, einem anderen Ort nationalsozialistischer Kriegsverbrechen, die als eine symbolische Geste des erneuten Einvernehmens zwischen beiden Ländern unter größtmöglicher Berücksichtigung der historischen Befindlichkeiten des jeweils anderen verstanden werden kann.

Francesco Traniello

Die politischen Kulturen der Resistenza

Der Begriff »politische Kultur« ist nicht leicht zu definieren. Er verweist auf einen Gesamtkomplex aus politischen Grundsätzen, Ideen und Programmen. Dieser sollte eine gewisse organische Einheit besitzen, sich auf ein Kollektiv erstrecken (also soziale Gruppen und Milieus einer bestimmten Größe erfassen) und eine bestimmte Zeitspanne markieren. Eine politische Kultur konstituiert normalerweise einen geistigen, symbolischen und emotionalen Deutungszusammenhang über einen längeren Zeitraum hinweg. Er basiert nicht nur auf intellektuellen oder ideologischen Konzepten, sondern auf gemeinsamen Erfahrungen und Aktionen. Vor diesem Hintergrund glaube ich, daß man das Thema, um das es hier geht – »Die politischen Kulturen der Resistenza« – von zwei verschiedenen Standpunkten aus betrachten kann. Man kann zum einen die Resistenza vor allen Dingen als einen Ort verstehen, an dem politische Kulturen aufeinandertrafen, die bereits vor der ResistenzaBewegung bestanden hatten; in der Resistenza kamen sie zusammen, stritten und konkurrierten miteinander. Andererseits kann man sich aber auch fragen, inwieweit die Resistenza als eine Phase verstanden werden kann, die selbst politische Kulturen hervorgebracht hat; sei es in dem Sinne einer mehr oder weniger umfassenden Erneuerung der schon bestehenden politischen Kulturen, sei es vor allem im Sinne einer Implementierung von Ideen und politischen Projekten in eine breitere soziale Basis – anders gesagt, als Metamorphose von politischen Ideologien zu »politischen Kulturen« mit sozialer Breitenwirkung. Es ist offensichtlich, daß die Präferenz der einen oder der anderen Sichtweise weitgehend davon abhängt, welches Verständnis von Resistenza zugrunde gelegt wird. Umgekehrt kann eine Diskussion über deren politische Kulturen natürlich auch zu einer differenzierteren, allerdings auch stärker problematisierenden Definition der Resistenza beitragen. Das Thema der politischen Kulturen der Resistenza impliziert die allgemeinere Frage nach der Bedeutung der Resistenza als politisches Phänomen, sowohl im Hinblick auf ihre »objektive« politische Relevanz, als auch in Bezug auf das »subjektive« politische Bewußtsein ihrer Akteure, was nicht dasselbe ist, auch wenn beides natürlich miteinander zusammenhängt. Wenn man diese Unterscheidung vornimmt, stellt sich die durchaus heikle Frage, wer überhaupt die Akteure der Resistenza waren und welche Beziehungen sie zu der vielgestaltigen Welt der Politik unterhielten. Die Resistenza-Forschung hat in den letzten drei Jahrzehnten Beachtliches geleistet. Vor dem Hintergrund der neueren Ergebnisse sind auf der Ebene der Geschichtsschreibung (die ich von einem unkritischen Verständnis von GeschichDie politischen Kulturen der Resistenza

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te unterscheide und ebenso von der öffentlichen Kommunikation und Rhetorik) zwei entgegengesetzte, extreme Resistenza-Darstellungen obsolet geworden, die man aus unterschiedlichen Gründen »mythologisch« nennen kann. Bei der ersten geht es um die Konstruktion eines Mythos von Resistenza als Volksbewegung mit einheitlichen Gründungsmotiven und Gründungswerten. So verstanden besitzt die Resistenza per se eine unmittelbare politische Qualität, nämlich als bewußter Kampf mit dem Ziel, nicht nur einen Gegner zu besiegen (worunter pauschal der »Nazi-Faschismus« verstanden wurde), sondern zugleich die Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Errichtung eines neuen Staates und einer neuen Gesellschaft zu schaffen. Eine solche Darstellung der Resistenza hing mit der Tatsache zusammen, daß ihre Autoren oft selbst darin Protagonisten gewesen waren. Sie hatten zum Teil wichtige Positionen im Widerstand eingenommen und gehörten größtenteils zu politischen Lagern, die die aktivsten kämpfenden Gruppen der bewaffneten Resistenza gestellt hatten, wie die Kommunistische Partei und die Aktions-Partei (Partito d’Azione). Allerdings hatte die Nachkriegszeit für sie nicht die Bestätigung und Umsetzung der eigenen Pläne gebracht. Die Interpretation der Resistenza, wie oben skizziert, diente also auch dazu, die Formel von der »unvollendeten« oder gar »verratenen« Resistenza zu rechtfertigen und am Leben zu erhalten. Umgekehrt haben die zahlreichen Untersuchungen zur Resistenza auch den entgegengesetzten, negativen Mythos nicht bestätigt, wie er sich in jüngerer Zeit entwickelt hat. In diesem negativen Mythos traf die Behauptung von der Resistenza als »Randerscheinung innerhalb der italienischen Gesellschaft« mit der These zusammen, die Resistenza habe von Anfang an eine nicht gelöste (und nicht lösbare) Ambiguität besessen, die sich hauptsächlich der Rolle der Kommunisten im Widerstand verdankte. Diese Behauptung war ebenso wie die erste, vielleicht noch subtiler, darauf gerichtet, die Resistenza zu eskamotieren, insofern sie unterstellte, die Kommunisten hätten den antifaschistischen Kampf mit totalitärem Geist verdorben. Diese Interpretation ist in der Geschichtswissenschaft von bedeutenden und weniger bedeutenden Historikern lanciert worden. Sie alle haben gegen das opponiert, was man das »Großnarrativ der Resistenza« oder die »volkstümliche Resistenzaerzählung« nennen könnte (it. »vulgata resistenziale«). Auf diese Weise haben sie wertvolle Beiträge zum Abbau des Mythos geleistet, der das Monument Resistenza umgab. Tabus wurden überwunden, die sich in die Darstellungen des Widerstands eingeschlichen hatten. Gewollt oder ungewollt führte dies aber subkutan zur ethischen und politischen Delegitimierung der Resistenza an sich. Die Delegitimierung erstreckte sich schließlich in einer Art Kettenreaktion auf die republikanische Verfassung Italiens und insgesamt auf das institutionelle System und das Parteiwesen der sogenannten »Ersten Republik«, also der italienischen Nachkriegsrepublik. Wer versucht, die neuen Linien der Resistenza-Forschung als Ganze in den Blick zu nehmen, erkennt, daß sich deren Gesamtbild durch einen Perspektivenwechsel neu justiert hat, den man pauschal mit den Stichworten »Verstärkung des sozialgeschichtlichen Zugriffs«, »Ausweitung des Begriffs von Resistenza« und

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»Entdeckung der Subjektivität als Quelle und Forschungsgegenstand« charakterisieren könnte. Auch auf diesen neuen Wegen ist die Forschung immer wieder, explizit oder implizit, bei der schier unausweichlichen Frage nach der politischen Dimension der Resistenza gelandet, anders gesagt bei der Frage nach der Resistenza als politischem Phänomen. Die Anhaltspunkte, die sich dabei für die Rekonstruktion ergeben, deuten auf ein sehr viel dynamischeres, beweglicheres Szenario hin als jenes, das die apologetische Resistenza-Tradition gezeichnet hatte. In diesem Sinn kann der Begriff der »politischen Kultur«, insofern er auf etwas wenig Formales und hochgradig Mobiles verweist, einen wichtigen Schlüssel zur Deutung des Phänomens Resistenza liefern, wenn man es hinsichtlich seiner historischen Entfaltung, seiner tatsächlichen zeitlichen und räumlichen Dynamik untersuchen will. In den Untersuchungen, die die Resistenza als Forschungsgegenstand neu interpretiert haben, tritt ein Aspekt am nachdrücklichsten hervor. Er betrifft einen auf den ersten Blick widersprüchlichen Befund. Einerseits wird deutlich, daß sich die Motive am Beginn des (bewaffneten und unbewaffneten) Widerstands aus ganz unterschiedlichen, überwiegend kontingenten Beweggründen und Anlässen speisten. Dabei spielte die Abscheu gegen den Krieg eine nicht zu unterschätzende Rolle, aber ebenso die Feindseligkeit gegen die Deutschen, die sich in Haß verwandelte, sowie der Wunsch, sich dem doppelten Zugriff von deutscher Seite und von Seiten der faschistischen Regierung von Salò zu entziehen. In selteneren Fällen war die Entscheidung für den Widerstand die bewußte Reaktion auf eine besonders bedrückende Fremdherrschaft und auf das neofaschistische Regime, das sich in den Dienst der deutschen Besatzer gestellt hatte. In dieser Fülle und Pluralität von Gründen, die zugleich den fragmentarischen, fließenden Charakter der ersten Resistenza-Phase erklären, fällt es schwer, den ausdrücklich politischen Beweggründen eine dominante Rolle zuzusprechen. Erst recht läßt sich kein gemeinsames politisches Ziel erkennen. Dennoch ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß bereits diese ersten Formen von Widerstand einen latent politischen Kern enthielten, in dem Sinne, daß sie von Anfang an die Autorität des 1943 neugegründeten faschistischen Staates untergruben und de facto dazu beitrugen, ihn in seiner Herrschaftspraxis zu delegitimieren. Auf diese Weise wurde er daran gehindert, als glaubwürdige Ordnungsmacht zu agieren und die volle Kontrolle über sein Herrschaftsgebiet zu erlangen. (Viele Bergtäler und andere umkämpfte Zonen wurden ja bekanntlich überhaupt nie unter vollständige Kontrolle gebracht.) Die Abhängigkeit von der fremden Macht und ihren brutalen Methoden wurde damit zusätzlich unterstrichen. Es handelte sich also um eine nur indirekt politische, aber keinesfalls nachgeordnete Wirkung. Sie war die Folge eines Zusammenwirkens von oftmals spontanen Aktionen, deren Merkmal die NichtUnterwerfung unter einen faktisch gegebenen Zustand war, der sich auf Gewalt und Zwang gründete. Entsprechende Verhaltensweisen entsprangen oftmals einem patriotischen Gefühl von Treue und Loyalität zum italienischen Vaterland, das nicht mehr die faschistische Patria sein konnte, wohl aber weiterhin als Quelle unaufhebbarer sittlicher Verpflichtungen wahrgenommen wurde. Ich denke dabei

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insbesondere an die Soldaten des Königlichen Heeres, die nach dessen Auflösung »in die Berge gingen«, wie der idiomatische Ausdruck für den Anschluß an die Resistenza lautete. Weder reine Überlebensstrategie noch Selbstschutzkalkül zwangen sie dazu. Man kann aber auch an die Schicksale der meisten der über sechshunderttausend italienischen Gefangenen in den deutschen Lagern denken, die einen hohen Preis dafür bezahlt haben, daß sie nicht willens waren, auf Seiten der Deutschen zu kämpfen oder sich vom Heer der Republik von Salò einziehen zu lassen. Auch die Streiks der Arbeiterschaft, die das Alltagsleben und vor allem die Produktionssysteme im industrialisierten Norden des Landes erheblich behinderten, besaßen, so lautet heutzutage praktisch einhellig das Urteil der Historiker, keine spezifisch politische Bedeutung, es sei denn in dem Sinne, den ich oben skizziert habe, und sofern man sie als Gelegenheit für antifaschistische Propaganda und zur Ausbreitung geheimer (hauptsächlich kommunistischer) Zellen versteht – wobei dieses Ziel nur teilweise erreicht wurde. In jedem Fall waren die ersten Widerstandsepisoden und -aktionen das Signal dafür, daß sich ein erheblicher, allerdings schwer quantifizierbarer Teil der italienischen Bevölkerung nicht mit dem ohnehin problematischen, subalternen System der Faschistischen Sozialrepublik von Salò identifizierte. Diese Leute waren allerdings ebenso wenig bereit, der weit entfernten, irrealen und geradezu gespenstisch wirkenden monarchischen Regierung in Süditalien unter Marschall Badoglio zu folgen, wo doch deren Mitglieder noch kurz zuvor direkt zum faschistischen Regime und dessen Unternehmungen gehört hatten. In dieser doppelten Verweigerung kam der Wunsch nach mehr oder weniger nachdrücklicher Diskontinuität gegenüber der Vergangenheit zum Ausdruck. Dennoch gilt es hinzuzufügen, daß die Resistenza zunächst überleben und sich dann entwickeln und ausbreiten konnte, bis sie sich schließlich als ein Faktor erwies, den alle anderen Akteure auf der italienischen Bühne einkalkulieren mußten, eben weil sie zu einer politischen Größe mit entsprechendem Netzwerk geworden war. Festzuhalten ist außerdem, daß sich dieses entscheidende Merkmal vor allen Dingen Männern mit starker antifaschistischer Überzeugung verdankte, die aus konspirativen Kreisen, aus der Haft oder dem Exil kamen. Daneben sollte man aber diejenigen nicht vergessen, die unmittelbar vor oder nach Mussolinis Sturz am 25. Juli 1943 ins öffentliche Leben zurückkehrten, und auch diejenigen nicht, die aus den Reihen der faschistischen Organisationen stammten. Die Beziehungen und Interaktionen zwischen diesen Kerngruppen einerseits, die aus unterschiedlichen Gründen willens und imstande waren, politische Führung zu übernehmen, und den unterschiedlichen Widerstandsformationen im ganzen Land andererseits, die ihrerseits Führungsstrukturen hervorbrachten, bilden ein wichtiges, komplexes Kapitel der Resistenzageschichte, nicht zuletzt weil hier verschiedene, ganz unterschiedlich sozialisierte und geprägte Generationen aufeinandertrafen und miteinander agierten. Man kann diesbezüglich, so scheint mir, von einer zunehmenden, aber nicht-linearen Politisierung der Resistenza sprechen. Darunter verstehe ich zum einen ein effizienteres organisatori-

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sches Niveau auf politischer Basis, zum anderen, daß als Folge davon im Netzwerk der Resistenza explizitere, besser definierte politische Ziele Fuß faßten. Dieser Politisierungsprozeß war mit einer Reihe von Fragen verknüpft, die sich dank der neueren Ergebnisse der Untersuchungen und Dokumentationen mit größerer Klarheit entwirren lassen. Ein erster Punkt, den es zu betrachten gilt, ist die Tatsache, daß sich die Politisierung der Resistenza in hohem Maße unter Bezugnahme auf die antifaschistischen Parteien, ja unter deren Ägide vollzog, indem man an die spezifische Form der »zwischenparteilichen« (nicht »überparteilichen«!) Beziehung anknüpfte, wie sie die Nationalen Befreiungskomitees (Comitati di Liberazione Nazionale, CLN) darstellten. Die Besonderheit des italienischen Widerstandes liegt tatsächlich im Primat der politischen Organisation als Partei, allerdings innerhalb einer Pluralität von Parteien, die über Koordinationsgremien auf hochgradig dialektische Weise miteinander verbunden waren. Daraus ergab sich ihr besonderes Profil: Die Suche nach Einheit und Absprachen auf Konsensbasis war ständig begleitet vom Bedürfnis nach Autonomie der einzelnen Formationen. Spannungen und Konflikte waren die natürliche Folge. Entsprechend prekär war – sieht man einmal von der Schlußphase des großen Aufstands am Ende des Krieges ab – die komplette Unterordnung der Aktionen der bewaffneten Resistenza unter die Entscheidungen der politisch-militärischen Führung, selbst noch nach der Konstituierung eines Oberkommandos des Freiwilligen Freiheitskorps im Sommer 1944. Beispielhaft sei die Aussage eines christlichen Widerstandskämpfers zitiert. Er stellt mit besonderem Nachdruck fest, das Nationale Befreiungskomitee in der Provinz Modena sei trotz des Erfolgs der ersten antifaschistischen Propagandainitiativen »unfähig, die Gruppen, die sich auf den Einsatz mit Waffen vorbereiteten, effektiv zu koordinieren. Auch später war das Komitee nicht im Stande, den bewaffneten Kampf anzuführen.« Dennoch darf man nicht unterschätzen, welche Bedeutung, gerade auch auf symbolischer Ebene, der Wille besaß, eine anerkannte (und auch für die anderen erkennbare) politische Führung der Resistenza zu organisieren und durchzusetzen. Ebensowenig darf man die Funktion unterschätzen, die diese vereinigte Führung für die »politische Stimmung« oder den »politischen Geist« insgesamt besaß, die nicht mit der Anhängerschaft oder dem Profil einer einzelnen Partei gleichzusetzen waren. Um diese Situation zu charakterisieren, hat man von »Konkurrenzdenken trotz Einheit« und von »unharmonischer Einheit« der italienischen Resistenza gesprochen. Beide Oxymora gehen meines Erachtens vor allem auf die Pluralität der unterschiedlichen politischen »Seelen« der Resistenza zurück. Entscheidend ist aber, daß der plurale Charakter als typisches Zeichen des italienischen Widerstands über alle Versuche siegte, zu einer organischen Vereinigung zu gelangen. Dieser plurale Charakter war beispielsweise stärker als jene Linie, die der nachmalige erste Ministerpräsident Italiens, Ferrucio Parri, durchsetzen wollte. Der bewaffnete Widerstand sollte nach seiner Vorstellung die Züge eines patriotischen Volksheeres mit einer kompakten Führungsschicht an der Spitze annehmen. Dieser Richtung à la Parri waren die Rolle der Parteien und die »Parteipoli-

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tisierung« der Resistenza, angefangen von ihren bewaffneten Formationen, ein Dorn im Auge. Der plurale Charakter der Resistenza war auch stärker als alle Vorschläge, die Nationalen Befreiungskomitees in politische Zentren revolutionären Typs umzuwandeln, also in Keimzellen für einen neuen Staat und eine neue Sozialordnung. Eine solche Idee hatte die Aktionspartei den anderen Parteien Ende 1944 vorgeschlagen; der Plan wurde aber bekanntlich nicht weiter verfolgt. Im Vorschlag der Aktionspartei kam ein Verständnis von Resistenza zum Ausdruck, das diese als politisch autonom, ja als revolutionäre Bewegung in actu sah. Ein solches Verständnis kollidierte jedoch sowohl mit dem allgemeinen (Kriegs-) Kontext des Widerstandes, als auch mit den verschiedenen Rollen, die der Resistenza von den gleichberechtigt in den Nationalen Befreiungskomitees vertretenen Parteien zugeschrieben wurde. Zeichen für die Abhängigkeit von den Zeitumständen waren die Beziehungen zu den militärischen Kommandos und Regierungsstellen der Alliierten, die bekanntlich zwar einerseits durchaus heterogene Ziele besaßen, andererseits aber eine Reihe grundsätzlicher Pläne verfolgten, die natürlich weit über die italienische Situation hinausgingen, aber eben auch die Grenzen des Handlungsspielraums der Resistenza in Italien betrafen, nicht zuletzt damit diese effektiv aus dem Ausland unterstützt werden konnte. Schließlich war diese Unterstützung lebensnotwendig. In die gleiche Richtung im Sinne einer Einschränkung oder zumindest Konditionierung des Handlungsspielraums wirkten sich die Beziehungen zwischen der Resistenza und den politischen Stellen in den befreiten Gebieten in Süditalien aus. Hier arbeiteten ab 1944 »nationale Regierungen«, die sich aus denselben antifaschistischen Parteien zusammensetzten, welche sich in den Gebieten, wo die Resistenza noch aktiv war, zu den Nationalen Befreiungskomitees zusammengetan hatten. Voraussetzung dafür war die sogenannte »Wende von Salerno«, bei der sich die Kommunisten unter Palmiro Togliatti für den nationalen Befreiungskampf und gegen den revolutionären Umsturz entschieden hatten. Diese Rahmenbedingungen setzten der politischen Autonomie der Resistenza Grenzen und schlossen, unabhängig von allen anderen Überlegungen und Zielsetzungen, jegliche revolutionäre Bestrebung, die ursprünglich dazu gehört hatte, aus. Die Unterschrift unter die sogenannten »Römischen Protokolle« am 7. Dezember 1944 durch die Vertreter des Nationalen Befreiungskomitees/Sektion Oberitalien sowie durch das Alliierte Oberkommando für den Mittelmeerraum bedeutete einerseits die Anerkennung dieser Resistenza-Abteilung als »vertrauenswürdigen Partner« der Alliierten, übertrug dieser Sektion als dem höchsten politischen Organ der Resistenza aber andererseits klar umrissene Aufgaben für die Zukunft. Dazu gehörte die Entwaffnung der Partisanenformationen, sobald Italien befreit wäre. Im Gegenzug wurde die Übernahme ins reguläre Heer vage in Aussicht gestellt. Außerdem gehörte dazu die ausdrückliche Übertragung sämtlicher Regierungs- und Verwaltungskompetenzen, die die Nationale Befreiungskomitees übernommen hatten, in die Hände der Alliierten Militärregierung. Welche Herausforderung sich hier abzeichnete, kann man ermessen, wenn man beispielsweise

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liest, was einer der wichtigsten Resistenza-Führer, der politische Kommissar der Aktionspartei Giorgio Agosti, noch wenige Monate zuvor, in der irrigen Annahme, die Befreiung stehe unmittelbar bevor, in einem privaten Brief geschrieben hatte: »Wir dürfen uns morgen die Waffen nicht wegnehmen lassen, im Namen keines noch so unsterblichen Prinzips, egal ob von rechts oder von links. […] Wir müssen versuchen, dasselbe zu tun wie die Kommunisten, aber natürlich in unserem demokratischen Geist; als bewaffnete Demokratie, die bereit ist, den Kampf fortzusetzen, nicht als bloße Wahldemokratie.« Im Grunde zielte auch das folgende Abkommen vom 26. Dezember 1944 mit der Regierung Bonomi auf Grenzziehung: Es »beauftragte« das Nationale Befreiungskomitee/Sektion Oberitalien mit dessen ausdrücklichem Einverständnis, »die Regierung im Kampf, den die Patrioten gegen die Faschisten und die Deutschen im noch nicht befreiten Teil Italiens unternommen haben, zu vertreten.« Dieses Abkommen erkannte mithin dem Nationalen Befreiungskomitee/Sektion Oberitalien offiziell eine Regierungsfunktion zu, kappte aber im Sinne der institutionellen Kontinuität und Kontrolle, an denen den Alliierten in besonderem Maß gelegen war, das Hauptprinzip der Selbstlegitimierung der Resistenza. All dies ändert natürlich nichts daran, daß die utopische, revolutionäre Komponente konstitutiver Teil der tieferen Motivschichten des Widerstandes war und blieb. Dies hing, wie besonders Claudio Pavone eindrucksvoll gezeigt hat, mit dem drängenden »Sinn für die Zukunft« und dem »Reich der Zwecke« zusammen, dem in diesem Kontext, an der Schnittstelle zwischen Politik und Ethik, der Primat eingeräumt wurde.1 Zu Recht hat Pavone festgestellt, »daß sich das Problem der Präsenz von Politik im Widerstand nicht in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei und/oder zur Parteienkoalition erschöpfte, die im Nationalen Befreiungskomitee vertreten war.« Einen Punkt hat Pavone allerdings nicht genügend berücksichtigt, obwohl er viele wichtige Hinweise dazu gibt. Tatsächlich hing die Art und Weise, in der der Widerstand insgesamt und seine Vertreter je einzeln von Politik durchdrungen und »politisch« waren, davon ab, inwieweit sie Zwecke verfolgten, die sie in politische Formen übersetzen und auf politischem Wege erreichen wollten. Nicht minder hing die politische Qualität der Resistenza mit den Vorstellungen von Politik zusammen – man könnte sagen »des Politischen«, – die bisweilen unreflektiert zum Ausdruck kamen, aber natürlich unmittelbar mit den Vorstellungen von Demokratie verknüpft waren. In diesem Sinn muß sich eine politische Geschichte der Resistenza einerseits selbstverständlich mit dem dichten, einzigartigen Geflecht aus Erlebnissen und Geschichten von Personen und Gruppen beschäftigen. Aber ebenso wichtig ist die Bandbreite der anthropologischen »Subkulturen«, die die unterschiedlichsten Beziehungen mit der politischen Sphäre unterhielten, einschließlich solcher Beziehungen, die in einer dezidiert unpolitischen Haltung zum Ausdruck kamen. Beim Niedergang des faschistischen Staates, der bis dahin klarerweise Hauptbezugspunkt des antifaschistischen Kampfes gewesen war, ka1

Claudio Pavone, Una guerra civile. Saggio storico sulla moralità nella Resistenza, Bollati Boringhieri, Turin 1991, S. 575–581.

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men in solchen Beziehungen ganz elementare Formen von sozialem Zusammenschluß zum Ausdruck, sei es in territorialer Hinsicht, sei es in der Formation als Gruppen. Die Partizipation war intensiver, und trotz aller Verschiedenheit traf man sich und handelte gemeinsam auf der Basis freiwillig anerkannter, geteilter Regeln. Die Zusammenarbeit war durch den Kampf gegen den gemeinsamen Feind stark, der nicht nur ein politischer Feind war. Es geht mir darum zu zeigen, daß eine Reihe von Faktoren diese Bandbreite von »Subkulturen« entscheidend geprägt hat, die nicht notwendig oder vollständig mit Parteizugehörigkeit korrespondierten. Ein erster Faktor betraf die Art und Weise, wie der einzelne sich zum Faschismus stellte, womit dann auch dessen Deutung involviert war und der Sinn, den der antifaschistische Kampf haben sollte. Hier kommt ein wichtiges Kriterium ins Spiel, das meines Erachtens zu Unrecht bei der üblichen Klassifizierung der Resistenza in »radikale« und »moderate« Kräfte im Hintergrund bleibt. Mir scheint, daß zum Kampf gegen den Faschismus allgemeinere Ansichten, ja gefühlsmäßige Einstellungen gegenüber der Diktatur gehörten. Sie schlossen ein weites Spektrum an Bewertungen und Wahrnehmungen vom eigentlichen Wesen und wirklichen Charakter der faschistischen Diktatur ein, inklusive der Frage nach den möglichen Wegen, wie Italien definitiv aus dem Faschismus herausgeführt werden könnte. Man kann vielleicht summarisch sagen: Blickt man auf die großen, systematischen Darstellungen des Faschismus aus dem Umfeld des Antifaschismus selbst (also insbesondere der 30er Jahre), wird deutlich, daß sich die Ideale der Resistenza in hohem Maß auf die unterschiedlichen Positionen eben dieser antifaschistischen Kultur beriefen. Zu deren spezifischen Erfahrungen gehörte, daß sie in den 20er und 30er Jahren mit dem unerwarteten Phänomen zurechtkommen mußte, daß die Massen dem Regime folgten und daß dieses im Stande war, sich über einen beträchtlichen Zeitraum zu halten. Dazu kam die Internationalisierung der »Faschismen« im europäischen Maßstab. Trotz der Analogie zwischen antifaschistischer Kultur und Resistenza-Kultur sollte man aber eine entscheidende Wandlung nicht verkennen: Der Weltkrieg, die große Militärallianz zwischen den westlichen, liberalen Demokratien und der Heimat des Kommunismus (eine Allianz, die bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion undenkbar gewesen war), der Zusammenbruch des Regimes und die Aufteilung des nationalen Gebiets, die Errichtung des republikanischen Faschismus von Salò und seine Unterordnung unter Hitler-Deutschland – alle diese Faktoren veränderten die Rahmenbedingungen und in gewisser Hinsicht auch die Inhalte der antifaschistischen Kulturen tiefgreifend, und zwar in dem Moment, als sie sich vor die Herausforderung der Entscheidung für eine bewaffnete oder nicht-bewaffnete Resistenza gestellt sahen. Es ist klar, daß diejenigen, die einen hinreichend bewährten Deutungsapparat für das Phänomen »Faschismus« besaßen, auch Träger für klarere, eindeutigere politische Optionen waren, die für die Partei, in der diese zum Tragen kamen, den theoretischen Unterbau lieferten. Ich denke dabei an die Faschismusdeutung im Rahmen der Lehre vom Klassenkampf, wie sie von den kommunistischen Spitzenführern wie Palmiro Togliatti ausgearbeitet und neu de-

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finiert wurde. Entsprechend gab es natürlich auf der anderen Seite die Faschismusanalysen von liberal-sozialistischer oder föderalistischer Warte. Gleichwohl bestand das Hauptproblem der Resistenza darin, das Gefühl der Ablösung und des Widerwillens gegenüber dem Faschismus, das sich in weiten Teilen der Gesellschaft aus gewissermaßen endogenen Gründen eingestellt hatte, in eine positive politische Alternative zu übersetzen. Immerhin waren große Teile dieser Gesellschaft bis dahin stark von der faschistischen Ideologie und ihren Mythen durchdrungen gewesen und tendierten nun dazu, sich in sich selbst zurückzuziehen. Genau hier befand sich der neuralgische Punkt, an dem die Resistenza und die sogenannte »Grauzone« der italienischen Gesellschaft aufeinandertrafen. Darüber ist zuletzt, mit kontroversen Ergebnissen, viel geschrieben worden. Es ist klar: Wenn man davon ausgeht, daß das einzige, echte, wiedererkennbare Gesicht der Resistenza dasjenige ist, das ihr der bewaffnete Kampf gegeben hat, werden von vornerein alle weniger sichtbaren Formen des nichtbewaffneten, zivilen oder, wenn man so will, »passiven« Widerstands ausgeklammert. Klarerweise wächst dann die sogenannte »Grauzone« ins Unendliche. Gerade diese Dimension aber verdient meines Erachtens, genauer untersucht und gewissermaßen in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt zu werden. Man könnte dann beispielsweise fragen, in welchem Maß und in welche Richtung die Dynamiken, die sich innerhalb des katholischen Milieus abspielten, die zunehmende Politisierung der Resistenza mit beeinflußt haben. Die katholischen Kräfte verfügten nicht über eine eigene, klar definierte Deutung des Faschismus, auch weil sie teilweise in die Geschichte des faschistischen Regimes massiv involviert gewesen waren. Wohl aber hatte das katholische Milieu wichtige anti-totalitäre Triebkräfte hervorgebracht, die das Potential besaßen, sich in antifaschistische Richtung zu entwickeln. Zudem hatten in diesem Milieu Vorstellungen und Erwartungen von der Palingenese einer »neuen christlichen Ordnung« Fuß gefaßt, was einen Auftritt auf politischer Bühne nahe legte. Richtig ist, daß die Beziehung zwischen der katholischen Welt Italiens und einer spezifischen Partei als Bezugsgröße während der Zeit der Resistenza viel schwächer und problematischer als für andere weltanschaulich-politische Lager war, was auch damit zusammenhing, daß es unterschiedliche politische, explizit christlich inspirierte Gruppierungen gab. Dennoch erscheint es mir unbestreitbar, daß die Resistenza für das katholische Lager eine allgemeine Rückkehr zur Politik markierte. Diese kam unter anderem in der Selektion seiner Führungsschicht zum Ausdruck, die sich klar und eindeutig als »demokratisch« definierte. Zu ihr gehörten viele Vertreter der älteren, antifaschistischen christlichen Demokratiebewegung (»Popolarismo«) und die neue Generation von Katholiken, die aus dem Faschismus hervorgegangen und an der Resistenza (auch am bewaffneten Kampf) beteiligt gewesen war. Von Historikerseite ist hin und wieder unterstellt worden, daß sich die Rolle der Democrazia Cristiana in der Nachkriegszeit hauptsächlich ihrer Fähigkeit verdankte, das gesamte breite Spektrum der italienischen Gesellschaft zu repräsentieren, das der Resistenza fremd geblieben war oder sogar feindlich gegenübergestanden hatte. Diese These unterschlägt jedoch die Tatsache, daß sich in der Resistenza ein beachtli-

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cher Teil der christdemokratischen Führungsriege in Nord-Mittelitalien bewährt hat. Man sollte auch den Umstand nicht vergessen, daß die Beteiligung der Democrazia Cristiana an den Nationalen Befreiungskomitees, in denen sie die einzige Partei bildete, die sich »christlich« nannte und über eine katholische Anhängerschaft verfügte, für die Partei selbst, zum Nachteil anderer politischer »christlicher« Gruppierungen, einen erheblichen Legitimationsfaktor darstellte. Die antifaschistischen Parteien und ihre Koalition in den Nationalen Befreiungskomitees bildeten den politischen Rahmen des Widerstands, so wie umgekehrt der Widerstand einen neuralgischen Schritt zur Verankerung der Massenparteien markierte. Allerdings gilt auch, daß sich die Rollen, die die einzelnen Parteien – auch mit Blick auf die Ausbreitung der jeweiligen politischen Kulturen – hinsichtlich ihrer entstehenden sozialen Basis spielten, je nach ihrem besonderen Charakter und ideologischen Zuschnitt erheblich unterschieden. Von daher erweist sich die Verwendung eines einzigen Begriffs, also »Partei«, für sämtliche politische Subjekte des Widerstandes als problematisch. Wir haben es tatsächlich mit einer differenzierten Typologie zu tun: Eine Sache ist der Grad an Identifizierung und an Investition von Ressourcen (einschließlich der gefühlsmäßigen Ressourcen) in jener Art von »Schicksalsgemeinschaft«, die als Urkern einer zukünftigen Gesellschaft und als Garant für deren baldige Verwirklichung betrachtet und erlebt wurde, wie es für die Kommunistische Partei der Fall war. Dem entsprach eine ganz spezifische Rolle der Partei, ebenso wie eine eigene »Methodologie« der Aktionen, ja sogar eine spezifische Idee von Resistenza. Ganz anders lag der Fall, wenn der zuständigen politischen Partei die Rolle der »jakobinischen Avantgarde« übertragen wurde (man denke beispielsweise an die Aktionspartei), die eine »demokratische Revolution« herbeiführen sollte, welche auf eine vollständige Neuordnung des institutionellen Gefüges abzielte. Noch deutlicher waren die Unterschiede, sofern man in der Partei ein politisches Instrument sah, das dazu dienen sollte, mit Blick auf die Regierung des Staates und auf die Integration breiter Volksschichten in ein demokratisches, parlamentarisch-pluralistisches System Konsens herzustellen und Wählerstimmen zu sammeln. Gleichwohl gibt es einen Aspekt, in dem sich die verschiedenen Parteien der Resistenza vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen, wenn auch nicht gleich gedeuteten Erfahrung einander annäherten: Es war ihre generelle kritische Distanz zu den Parteien und Gruppierungen aus der Zeit vor dem Faschismus, ebenso wie gegenüber den Institutionen des Staates (angefangen mit der Monarchie) und dem Aufbau der damaligen Gesellschaft. Das fast einhellige Urteil lautete, daß diese zum Faschismus geführt hatten. Darin kann man, so scheint mir, das besondere Merkmal der politischen Kulturen der Resistenza sehen. Hier lag auch ein Grund für mehr oder weniger große Spannungen zu den Programmen, Einstellungen und Botschaften ihrer jeweiligen nationalen Führungsriegen, insofern diese vor allem auf Kontinuität (des Staates, der Institutionen) setzten. Dies ist ein Kapitel der Geschichte der Resistenza, das in seiner umfassenden Komplexität erforscht zu werden verdient, und zwar eben mit Blick auf eine differenziertere Rekonstruktion der unterschiedlichen politischen Lager, die das öffentliche und politische Leben im Italien der Nachkriegszeit geprägt haben.

Bernd Sösemann

Fare i conti con la storia – Il caso della Repubblica federale nel contesto della cultura della memoria in Europa

Attraverso i mezzi di comunicazione di massa ogni società trasmette informazioni su se stessa. In seguito a sconfitte militari, a gravi scandali politici o a cambiamenti sociali radicali, si creano delle aspettative su scala nazionale e internazionale che sollecitano innanzi tutto i gruppi dirigenti a confrontarsi con il passato recente: la libertà non consiste nella rimozione, bensì nella permanente presa di coscienza individuale e collettiva (in particolare, nazionale) delle basi morali e storiche della propria esistenza. La storia passata non passa mai, ma rimane attuale per le società e per i singoli individui. Conferendo alle riflessioni sul presente la profondità della prospettiva, la storia rappresenta uno dei riferimenti più importanti per modellare il futuro. Per comprendere come la memoria del passato si costruisce e quali sono le sue ricadute nel presente, è necessario considerare se essa è alimentata in maniera sistematica per essere diffusa tra il pubblico in base a un piano preciso e con fini più o meno espliciti, oppure se non possiede tali caratteristiche. Alfred Heuss, studioso di storia antica a Göttingen, nel 1984 affermò che l’immagine della storia conservata nella memoria è molto più elementare di quella restituita dalle analisi storiche, percepite come al di sopra delle parti in causa. La nostra memoria della storia si forma sulla base delle nostre esperienze, ma anche della nostra situazione e dei nostri bisogni: nel passato ci riconosciamo e rispetto a esso ci collochiamo, in quanto esso «non soltanto ci è dato, ma ci viene anche affidato come compito». La «resa dei conti con la storia» è un fenomeno presente ovunque, come mostrano i molteplici sforzi condotti attualmente nelle società dell’Europa orientale e centrale e in quelle africane e sudamericane. Ogni Stato, ogni società ed evidentemente anche ogni cultura sviluppano forme, metodi e domande specifiche per attivare il dibattito pubblico sulla storia. Per condurre uno studio comparato devono essere considerati almeno cinque livelli di analisi che permettano un confronto internazionale e transculturale sui temi, tra loro legati, «elaborazione della memoria – cultura della storia – resa dei conti con la storia». Le questioni e le prospettive da sondare sono le seguenti: 1. la disponibilità dimostrata dalla collettività ad assumersi le responsabilità della propria generazione e della propria nazione; 2. il significato generalmente attribuito a concetti quali «libertà», «crimine», «pentimento» e «riconciliazione», «diritto» e «giustizia», «colpa» ed «espiazione», «perdono» oppure «riparazione» sia della «colpa collettiva» che della «responsabilità collettiva»; 3. come sono comunemente concepiti i diritti e i doveri del cittadino, i suoi obblighi e il suo diritto alla resistenza; Fare i conti con la storia

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4. la posizione sociale dei detentori del potere, specialmente quella dei militari e della polizia segreta, e la loro auto-percezione; 5. la diffusione e l’intensità dei dibattiti sulla memoria all’interno dei mezzi di comunicazione e le matrici socioculturali e confessionali delle riflessioni che si propongono di «fare i conti con la storia». Dopo il 1945, sotto la forma della «Vergangenheitsbewältigung» (cioè la «resa dei conti con la storia»), i tedeschi si sono confrontati con la crisi della loro società durante le barbarie della Germania nazionalsocialista. Con tale concetto si riassumevano tutte le iniziative che miravano a un confronto con i fatti storici accaduti dopo il 1933, considerando le loro cause e conseguenze, i reati, le vittime e i colpevoli. Questo termine che potremmo definire di «psicologia storica» è però inesatto e, contenendo una contraddizione in termini, può essere frainteso. Temi ed eventi del passato, in realtà, possono soltanto essere «percepiti» e possono essere oggetto di domande e di confronti; si può elaborare il passato sotto forma di analisi critica, con il fine di mantenere viva la memoria per imparare dal passato. Il concetto della «Vergangenheitsbewältigung», inoltre, non è al riparo dall’accusa di contenere al suo interno l’intenzione di chiudere una volta per tutte un capitolo scomodo, puntando alla giustificazione, alla relativizzazione e alla presa di distanza dal passato. Tale scelta di confronto con la storia può nascondere, in alcuni casi, la volontà di dimenticare o di rimuovere un trauma, ma anche di sollevare dalla colpa individuale e collettiva. Il termine «Vergangenheitsbewältigung» si è ormai comunemente affermato nella cultura tedesca. Ebbe un rilevante successo nel vivace dibattito, sorto a metà degli anni Cinquanta, sulla questione della colpa collettiva dei tedeschi. I suoi contenuti, in realtà, sono strettamente legati alla politica anglo-americana di «reeducation», di «reorientation, cultural reconstruction, information and education». Il concetto «Vergangenheitsbewältigung» evocava un clima di incertezza a livello politico e sociale, ma anche nella psicologia collettiva, che rendeva evidente la difficoltà, sia nella Repubblica federale sia nella Repubblica democratica, di formazione di un’omogenea «memoria comune». In entrambe le società tedesche, i processi di costruzione di una memoria nazionale, promossa dalle istituzioni o liberamente formatisi, si svolsero in fasi e forme diverse. Tali percorsi si originarono da intenzioni differenti, seguirono direzioni e obiettivi diversi e non risultavano indenni né da interessi dei partiti politici, né da strumentalizzazioni nazionalistiche, ideologiche o da parte degli alleati. Le molteplici iniziative individuali o collettive, con il loro carico di interpretazioni, di omissioni e di rimozioni, influenzarono sia le scelte politiche sia le analisi storiografiche, spesso più intensamente di quanto i contemporanei fossero in grado di percepire. Le condizioni per ripensare la «Vergangenheitsbewältigung» tedesca dopo il 1945 sono oggi favorevoli quanto mai prima per almeno tre motivi. In primo luogo, dato che la generazione dei tedeschi direttamente coinvolti e, in parte notevole, traumatizzati dagli eventi non esiste quasi più, la riflessione sulla ditta-

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tura nazionalsocialista ha assunto una prospettiva storica. Il dibattito pubblico sulle forme e sui contenuti della memoria e della rimozione collettiva continua tuttora, ma la generazione attuale lo conduce in un modo diverso: gli adolescenti sono ancora interessati alle vicende individuali, ma ancor più alle condizioni della società tedesca durante la dittatura. Le discussioni sono generalmente dominate da una curiosità piuttosto superficiale, ma sono condotte in maniera meno emotiva e più razionale rispetto agli anni precedenti. Per la prima volta, però, nelle generazioni che sono cresciute senza legami diretti con il periodo nazista, si notano anche segni di noia e di insofferenza, derivati dalla ripetitività di certi discorsi e dall’enfasi data alle discussioni pubbliche su questi temi. Il secondo motivo che rende attualmente più agevole il confronto con il passato è legato alle conseguenze della rivoluzione pacifica avvenuta in Germania alla fine degli anni Ottanta. In seguito ai cambiamenti profondi avvenuti in Europa dopo il 1989/90, l’orizzonte di una parte consistente dell’opinione pubblica tedesca si è allargato e, insieme, si è diversificata la memoria storica. Dopo quegli anni di svolta, le discussioni sulla storia della zona sovietica e della Repubblica democratica sono state spesso accompagnate da considerazioni che in precedenza erano utilizzate per giudicare il periodo nazista. Con le rivoluzioni, i mutamenti istituzionali e i tentativi di liberazione nazionale, sia nell’Europa centrale e orientale che nei territori appartenuti all’Unione sovietica, la «Vergangenheitsbewältigung» tedesca, applicata in contesti e per periodi storici differenti, poteva diventare un concetto politico centrale. Utilizzando questo concetto, infatti, non soltanto è possibile porre domande attuali al passato recente, ma anche offrire una rinnovata base sociale, politica, filosofica e morale allo Stato di diritto, liberale e democratico. Il terzo motivo è rintracciabile nella diffusa convinzione che il nazionalsocialismo appartiene ormai definitivamente al passato. La ricerca storica sulle fonti, sovente condotta in una prospettiva sovranazionale e comparativa, permette pure di distinguere le strategie e gli interessi di quattro gruppi principali, tra loro sovente divergenti. Il primo gruppo è costituito dagli autori dei crimini e dalle loro vittime, ma anche dai colpevoli che potrebbero reclamare lo status di vittime, gruppo di solito scarsamente considerato dalla memoria collettiva. Il secondo gruppo è quello dei discendenti, che hanno conservato le categorie di valutazione delle generazioni che hanno vissuto direttamente l’esperienza del nazionalsocialismo, oppure se ne sono allontanati, alcuni sino ad assumere una posizione opposta. I politici, le istituzioni e le organizzazioni che operano attivamente per alimentare una politica della memoria oppure contribuiscono, attraverso il dispiegamento di risorse finanziarie ed umane, in modo ufficiale alla cultura della commemorazione rappresentano un terzo gruppo. Nel quarto gruppo sono comprese le personalità che devono la propria notorietà alla stima personale goduta o in quanto rappresentanti di associazioni ampiamente conosciute e le cui prese di posizione, per tale motivo, giungono facilmente all’opinione pubblica. Tutti i gruppi considerati hanno a disposizione una squadra eterogenea di comunicatori: si tratta di portavoce ufficiali, funzionari, pubblicisti e giornalisti, sociologi e teo-

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logi, psicologi e storici, che, nel migliore dei casi, riescono a utilizzare l’intera varietà dei mass media per raggiungere i loro scopi. Lo sforzo di storicizzare i fatti accaduti permette ai comunicatori di mettere in rilievo le origini del regime nazionalsocialista, le sue strutture, i condizionamenti e gli intrecci intessuti durante gli anni della dittatura. Se si osserva retrospettivamente la «Vergangenheitsbewältigung», essa appare come un processo che si svolge in maniera non lineare, con punti di svolta che hanno influenzato in maniera rilevante sia la sua diffusione nell’opinione pubblica, sia la sua elaborazione scientifica e letteraria. È possibile poi differenziare i vari soggetti produttori e fruitori della memoria, ad esempio sulla base della loro responsabilità (autori di crimini e vittime, opportunisti, simpatizzanti e indifferenti, coloro che per cause materiali, culturali o psicologiche o per la loro età sono rimasti piuttosto estranei alle vicende…). Si possono inoltre distinguere punti di osservazione differenti che permettono di considerare il confronto con il passato da un’ottica politica o giuridica o legale. L’elaborazione del passato in Germania è stata condizionata nell’immediato dopoguerra dall’esistenza di una potenza vincitrice che, sulla base del diritto internazionale, intendeva perseguire innanzi tutto dal punto di vista penale le responsabilità della nazione. Seguirono, in tempi e in modi differenti, le attività di costruzione della memoria promosse da istituzioni statali, dai diversi governi, da partiti, da chiese e associazioni, da musei specializzati e da altre istituzioni culturali, oltre che dai mezzi di comunicazione di massa. Molteplici furono gli strumenti utilizzati per rivolgersi al pubblico: monumenti, mostre, recite teatrali e discorsi, testi scolastici, libri di divulgazione popolare, accanto agli studi accademici rivolti agli specialisti e alle discussioni nei congressi che naturalmente ebbero un impatto minore sull’opinione pubblica. Propongo di considerare quattro fasi attraverso cui, a partire dal 1945, si svolse l’elaborazione e la rappresentazione del passato nazionalsocialista, e non soltanto tre, come spesso avviene nel dibattito storiografico tedesco. Se è convincente vedere delle cesure all’inizio degli anni Sessanta e Ottanta, mi pare ugualmente necessario supporre un altro momento di svolta nei primi anni Novanta. In caso contrario, i cambiamenti avvenuti dopo la rivoluzione pacifica nella Repubblica democratica, l’unificazione e i primi tentativi di confronto con la storia della DDR, non sarebbero messi in risalto in modo adeguato. In questi ultimi sei decenni, i dibattiti pubblici non hanno sempre seguito lo stesso andamento, legati com’erano spesso a interessi e a scopi diversi; le varie fasi si sovrapposero con un passaggio graduale da un modo all’altro di interpretare il passato. Una parte notevole dei contenuti e delle censure rilevate nella Germania occidentale, o almeno i loro contorni più marcati, si possono ritrovare anche nella società chiusa della DDR, dove il confronto con la dittatura nazionalsocialista fu influenzato dal dibattito in corso nella BRD, a causa dei contatti resi possibili dall’unità linguistica, dalla contiguità geografica e dai mezzi di comunicazione. I giudizi ufficiali delle autorità della DDR descrivevano la Repubblica federale in maniera evidentemente tendenziosa e sollecitavano l’isolata opinione pubblica orientale a paragonare il regime nazionalsocialista al governo di

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Bonn. La differenza fondamentale fra i due Stati tedeschi consisteva quindi nel fatto che nella DDR esistevano un monopolio dell’informazione da parte del partito comunista, un’opinione pubblica condizionata dalle istituzioni politiche, mezzi di comunicazione piegati dall’ideologia e, più in generale, un sistema che propagava un’interpretazione della storia controllata dal vertice, producendo quindi una «politica della memoria» costretta all’interno delle linee dettate dal potere. È necessario invece rilevare che nelle zone occidentali, e in particolare dopo la fondazione della Repubblica federale tedesca, la discussione pubblica si caratterizzò per la nascita di una miriade di posizioni divergenti. Da un lato, la discussione pubblica, ma anche le opere letterarie, si contraddistinsero per una lettura della storia in cui prevaleva il desiderio di chiudere con il passato e di relativizzare l’esperienza nazionalsocialista; dall’altro lato, sorsero travagliati interrogativi circa la responsabilità e la colpa individuale per ciò che era accaduto. Tra questi due poli si situava una moltitudine di opinioni diverse che erano per lo più collegate – anche se non tutte con la stessa intensità – alla volontà di ricostruire un sentimento nazionale e una cultura comune in cui riconoscersi. Per tale motivo, le diverse interpretazioni date al passato, ma anche i differenti stili narrativi a cui si ricorreva, puntavano a suscitare una reazione emotiva che si traduceva in una manipolazione del passato rintracciabile in quasi tutti gli ambiti della vita pubblica: sia nella riflessione degli studiosi, sia nei dibattiti sulle pagine culturali dei giornali a grande diffusione, sia nelle trasmissioni alla radio e alla televisione, sia tra i lettori e gli ascoltatori più esigenti, ma anche tra il pubblico meno acculturato che, però, appariva interessato alle questioni politiche e alle discussioni storiche. La prima fase fu caratterizzata dallo shock subito dai tedeschi a causa della sconfitta, della capitolazione, della liberazione e della ricostruzione e, in seguito, dalla necessità di collocarsi all’interno delle contrapposizioni della Guerra fredda. Le quattro zone d’occupazione furono immediatamente interessate da queste tensioni che, nate nel periodo in cui più evidente erano le imposizioni degli alleati, si smorzarono progressivamente fino alla seconda metà degli anni Sessanta, quando terminò il periodo più «caldo» della Guerra fredda. Nelle zone occidentali e, poi, nella Repubblica federale il tema della «Vergangenheitsbewältigung» non venne mai toccato neanche marginalmente, ma sempre escluso o passato sotto silenzio. Già dai primi momenti il confronto con il passato fu messo in stretto rapporto con la sconfitta militare, la resa incondizionata e la liberazione dalla dittatura nazionalsocialista, in una situazione di emergenza in cui prevalevano i sentimenti provocati dalla fuga e dall’emigrazione forzata dei tedeschi e, più in generale, dalle sofferenze patite dalla popolazione. La «Vergangenheitsbewältigung» si collegò, quindi, con le conseguenze portate dalla liberazione da uno Stato d’ingiustizia e con la necessità di orientarsi verso uno Stato di diritto, libero e democratico. In un primo momento, prevalsero l’angoscia per la sorte dei dispersi ed il lutto per i morti, a cui si unì l’ansia provocata dalle precarie condizioni di vita, dall’esperienza quotidiana della morte, dalle distruzioni, dalla fuga e dalle espulsioni. Le considerazioni sulla colpa e sulla vergogna per ciò che era successo erano fatte soprattutto in privato e il riferimento prevalente era ai colpevoli, con la tendenza ad addossare a Hitler la

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responsabilità principale o addirittura unica della guerra e dei crimini compiuti negli anni della dittatura. Si cercava di trovare conforto nella rievocazione dei valori dell’occidente e dell’umanesimo e nel ricordo degli ideali del classicismo che permettevano di descrivere e comprendere l’accaduto attraverso una ricchezza di metafore e rappresentazioni che però avevano scarsa concretezza. L’immagine complessiva che ne risultava non era omogenea. Per ottenere una legittimazione almeno superficiale si assistette a una fioritura di memoriali, discorsi pubblici, commemorazioni ufficiali e racconti di guerra pubblicati a puntate sulle riviste a grande diffusione che trasmettevano l’immagine di eroici combattimenti di difesa, di gloria militare, di una cultura e di un mondo occidentale innocenti, di un’Europa unita, le stesse idee che erano state diffuse dalla propaganda nazionalsocialista soprattutto nella seconda metà della guerra per mantenere alto il morale della popolazione. Le riflessioni e i commenti più articolati comparsi sulle riviste e soprattutto alla radio raggiungevano soltanto una piccola parte del pubblico. In queste sedi, si analizzava criticamente il tentativo di demonizzare soltanto i vertici del regime nazionalsocialista, si discuteva il senso della responsabilità collettiva e si mettevano in luce i meccanismi che permettevano ai tedeschi di prendere le distanze da quel passato, quando non addirittura di giungere a una discolpa collettiva. In alcuni discorsi ufficiali pronunciati in occasione delle commemorazioni del 7–8 maggio, dell’inaugurazione di mostre o di monumenti e persino durante le visite nei Lager, presidenti, cancellieri o primi ministri dei Länder elaborarono un’apologetica forzatura della storia per giustificare il loro tentativo di discolpare la nazione. Gli storici tedeschi lasciarono ai loro colleghi anglo-americani le ricerche sulle migrazioni forzate, sulla resistenza e sui temi non-militari della guerra razziale e di occupazione; nell’ambito dell’istruzione superiore, la storia del Novecento fu oggetto, al massimo, di alcune lezioni. Nella Germania federale, durante la Guerra fredda, sia la volontà di non indebolire la propria politica estera e quella degli alleati, sia le considerazioni di politica d’integrazione permisero numerosi compromessi e ampie apologie di carattere nazional-conservatore, tanto che nell’ambito dell’istruzione e dell’economia, della scienza e della giurisprudenza, dei mezzi di comunicazione, della pubblica amministrazione e nella vita politica, anche coloro che avevano avuto ruoli di rilievo durante il regime hitleriano e continuavano ad averne nella Repubblica federale poterono vivere indisturbati per un lungo periodo di tempo. Durante la seconda fase (collocabile tra gli anni Sessanta e Ottanta) si assistette a un rafforzamento della cultura pubblica della memoria. Con la fine delle tensioni più acute della Guerra fredda e con la stabilizzazione della politica europea, i reati commessi negli anni del nazionalsocialismo furono perseguiti con più decisione, mentre fu accelerato il processo di riconciliazione politica e diplomatica con Israele, che prevedeva il pagamento di riparazioni e cospicui risarcimenti, seppur a lunga scadenza. Grazie al successo economico della Germania federale e al riconoscimento da parte degli altri paesi del blocco occidentale dell’affidabilità dimostrata nelle alleanze internazionali, l’autostima dei tedeschi crebbe e con essa si sviluppò una nuova consapevolezza di sé. Tali processi tuttavia non si

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svolsero sempre pacificamente: simboli quali le rune SS e le croci uncinate vergate di notte sui muri, oppure atti di vandalismo contro i cimiteri ebraici e luoghi della memoria sollecitarono la politica a operare un deciso cambiamento di rotta. Era necessario che i governi dei Länder e della Federazione fossero credibili, nonostante una retorica della memoria ormai fossilizzata nei rituali. La condanna del passato pronunciata ufficialmente e la sua ampia condivisione da parte dei tedeschi erano la premessa di questo passaggio. Le ricerche storiche furono svolte in modo più sistematico e approfondito rispetto agli anni precedenti, anche per il nuovo clima culturale e politico portato dalla contestazione del ’68. I processi contro i responsabili del Lager di Auschwitz e quello ad Eichmann, l’acceso dibattito al Bundestag sulla prescrizione dei reati nella primavera del 1965, nonché l’inaugurazione del primo monumento alla memoria delle vittime dei campi di concentramento (Dachau) affinarono la coscienza di settori più ampi dell’opinione pubblica, suscitando una nuova sensibilità verso i reati della dittatura nazionalsocialista, i responsabili dei crimini e la «liberazione» dei tedeschi da parte degli Alleati. Nel 1955 erano passati in prescrizione i reati che prevedevano un massimo di dieci anni di reclusione, un fatto che non suscitò particolari reazioni nell’opinione pubblica. Nel 1965 dovevano essere prescritti gli omicidi commessi durante la dittatura nazionalsocialista, dato che in precedenza non era stata approvata alcuna legge speciale per tali reati. Il dibattito parlamentare si concluse con un compromesso che fissava al 1949 l’inizio del periodo di prescrizione per quei reati punibili con l’ergastolo. Di conseguenza, nel 1969 fu necessario un secondo dibattito che si concluse con un ulteriore prolungamento della scadenza e, infine, nel 1979, si decise di rendere non prescrivibili i reati di omicidio. In quell’anno la serie televisiva «Holocaust» di Julian Green sollevò per la prima volta l’interesse di un pubblico di massa. Dopo il 1969, la «resa dei conti con la storia» fu utilizzata in modo crescente nel dibattito politico per definire i contenuti dello Stato di diritto liberale, democratico e parlamentare, vale a dire i criteri da rispettare e i margini esistenti per la creazione di nuove norme legislative. Nella Repubblica federale, le richieste di alcuni movimenti di protesta antiautoritari, spesso appoggiate con gesti clamorosi, trovarono consensi soltanto nei simpatizzanti della sinistra e della sinistra radicale, a causa delle loro spiccate caratteristiche antifasciste e per la vicinanza alle posizioni sostenute dal governo della Repubblica democratica. Le opinioni dei sessantottini avevano minore presa nell’opinione pubblica per tre ordini di motivi: da un lato, non risultò convincente l’affermazione che la società tedesca avesse iniziato soltanto allora a confrontarsi con Auschwitz e la dittatura nazionalsocialista; dall’altro, gli intellettuali di sinistra si autodefinirono la nuova «élite morale della Repubblica» con un atteggiamento spesso assai arrogante; infine, nel tentativo di rappresentare un’istanza etica superiore, commisero l’errore politico e morale di identificarsi con le vittime dei crimini nazionalsocialisti. Nella terza fase, la «Vergangenheitsbewältigung» si trasformò in un più esteso movimento di opinione pubblica. All’inizio degli anni Ottanta, si registrò infatti un mutamento nel dibattito scientifico, con un graduale distacco dalle questioni di

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storia delle strutture e nuovo interesse per la storia della vita quotidiana, locale, della cultura e delle mentalità: questa tendenza fu generalmente intesa come il tentativo di «storicizzare» il nazionalsocialismo. Lo sguardo era rivolto verso la vita concreta e la «normalità» sotto la dittatura, anche attraverso la comparazione con fenomeni simili sviluppatisi in altre nazioni: il risultato fu una numerosa serie di studi, molti dei quali si occuparono dei contenuti della propaganda nazionalsocialista, che però non erano connessi l’uno con l’altro. Alcune ricerche privilegiarono l’analisi dell’organizzazione dello Stato, sottolineando con molta enfasi il ruolo svolto dai partiti e dalle associazioni, oltre che gli elementi di «seduzione della violenza»; sulla base di questi studi, la collaborazione e la responsabilità della «Volksgemeinschaft» (comunità del popolo) tendevano ad avere minor rilevanza, tanto da restituire l’impressione che si volesse, attraverso tale approccio intellettuale, discolpare l’intero popolo tedesco. Due importanti eventi segnarono però in maniera rilevante lo sviluppo del rapporto tra i tedeschi e il proprio passato nazionalsocialista: il discorso del presidente della Repubblica Weizsäcker in occasione del quarantesimo anniversario dalla fine della guerra (che sollecitava a considerare l’8 maggio come un giorno di liberazione) e il grande successo editoriale dei diari di Viktor Klemperer (che descrivevano la quotidianità nella dittatura nazionalsocialista dal punto di vista di un ebreo minacciato e perseguitato) divennero passaggi chiave della coscienza pubblica tedesca. La quarta fase ebbe inizio verso la metà degli anni Novanta e fu strettamente collegata alle discussioni intorno all’elaborazione della storia della dittatura nella DDR e alle sue conseguenze. Aumentarono in questo periodo i dibattiti, condotti spesso in modo molto emotivo, sui prigionieri di guerra nel Reich, mentre l’esposizione «Verbrechen der Wehrmacht» («Crimini dell’esercito») dell’Istituto di scienze sociali di Amburgo eliminò uno degli ultimi tabù, dimostrando fra l’altro con documenti fotografici scattati da soldati di truppa, quanto poco «normale» e per nulla «pulita» fosse stata la guerra della Wehrmacht. Notevole attenzione fu dedicata dai media e dal pubblico all’animato dibattito sui risarcimenti dovuti ai lavoratori forzati, ma anche all’interrogativo, non meno importante, circa le ragioni che avevano tenuto a lungo questo tema lontano dalla coscienza pubblica. Senza voler ignorare le vittime o sminuire il dolore vissuto da milioni di persone, a sessant’anni di distanza è possibile una «Vergangenheitsbewältigung» differenziata che eviti sia la demonizzazione e il moralismo, sia improprie analogie, sia, ancora, il relativismo storico. Tale «resa dei conti con il passato» potrebbe diventare parte di una «cultura della memoria» europea che, ampliando il tempo e i temi considerati, potrà anche in futuro continuare a interrogare i discendenti di coloro che vissero il passato. La formulazione di queste domande e delle risposte dovrebbe avvenire con lo sguardo rivolto non solo all’esperienza di distruzione e di morte, di espulsione e di sofferenza, ma anche al nesso – a volte stretto – esistito fra vittime e carnefici, in un contesto che si estende al di là della nazione tedesca e del sistema hitleriano, senza suscitare il sospetto di voler relativizzare il passato e discolpare il presente. Nonostante l’esistenza di queste prospettive, si

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notano vuoti e asimmetrie nell’informazione e nelle ricerche sul passato recente, sia nell’ambito accademico che in quello dei mezzi di comunicazione di massa. Tali carenze tendono a perpetuarsi, sino a produrre la rimozione sistematica e la formazione di leggende, se si sceglie la prospettiva globale. In Germania viene ripetutamente a galla la tendenza alla de-storicizzazione tranquillizzatrice, frutto di una tradizione antica. Accenniamo qui soltanto al film «Hitler» dell’autore della biografia hitleriana, Joachim Fest, all’interpretazione data agli appunti quotidiani di lavoro di Goebbels, ai programmi televisivi di storia realizzati da Knopp sul secondo canale tedesco ZDF e, in tempi più recenti, al film «Der Untergang» («La caduta») che ha avuto un ampio riscontro di pubblico. È auspicabile che sorgano centri simili all’Istituto polacco sulla memoria nazionale (Ipn), in grado di offrire spunti di riflessione non soltanto dal punto di vista etico-morale, ma anche sociale e politico. Sulla stessa linea, andrebbe incoraggiato lo sviluppo di progetti che, in una prospettiva comparata e interdisciplinare, studiassero le questioni emergenti attraverso gli strumenti delle scienze storiche e politiche. In modo analogo a quanto avviene attualmente in Italia e in Polonia – anche in modo più incisivo rispetto agli sviluppi che si osservano in Spagna, Norvegia e Slovacchia – tali studi condotti sistematicamente potrebbero contribuire a colmare i vuoti, a rimuovere le distorsioni nazionali di prospettiva (ad esempio, nell’analisi del collaborazionismo e dell’opportunismo sotto la dittatura), a promuovere un orientamento cosmopolita della cultura della memoria e inoltre a proporre un’adeguata contestualizzazione della Shoah. La promozione sistematica di questi «lavori sulla memoria» è particolarmente urgente in quanto la loro ricezione nei mezzi di comunicazione di massa e nell’opinione pubblica rappresenta un processo molto faticoso che richiede più tempo rispetto alla diffusione di pareri unilaterali o alla circolazione di polemiche poco fondate su un «antisemitismo eliminatorio» oppure su una «dittatura clientelare». La coscienza del passato, insieme al modo in cui è trasmessa e ai suoi contenuti, rivela aspetti rilevanti sui modi in cui si costruisce una tradizione e, più in generale, sulla cultura della memoria di una particolare società: per tale motivo, racconti difficilmente comprensibili oppure artefatti dovrebbero essere offerti con estrema cautela dai mezzi di comunicazione di massa.

Paolo Pombeni

Fascismo e nazismo nel quadro della storia politica nazionale: una svolta storiografica?

Fascismo e nazismo nel quadro della storia politica nazionale

Qualche decennio fa uno storico britannico, Richard J. Evans, intitolava una lunga rassegna di studi sulla storia politica tedesca From Hitler to Bismarck.1 Il rovesciamento dell’ordine cronologico consueto sottolineava la questione centrale che pareva allora dominante: se fosse plausibile o meno considerare la storia tedesca contemporanea come interpretabile a partire dalla «rivelazione» della dittatura nazista. Qualcosa di simile si sarebbe probabilmente potuto dire per la storia politica italiana, anch’essa tutt’altro che immune dalla tentazione di fare di quel che aveva preceduto il 1922 una specie di «lunga premessa» al fascismo. Del resto la tesi gobettiana del fascismo come «autobiografia della nazione» era stata canonica per anni e aveva appagato le domande ermeneutiche di una parte cospicua della nostra ricerca. Vi era certo una radice politica immediata in quella lettura, e fra poco ne parleremo, ma il fenomeno della sua fortuna postuma aveva spiegazioni più complesse: complice in parte la vulgata marxista sul rapporto fra struttura e sovrastruttura nella storia, si era finito per leggere ogni dinamica in riferimento al tema della presenza delle masse nella vita politica, cadendo nel cortocircuito astorico che ravvisava nella presunta assenza in età liberale di partiti di massa come canalizzatori della partecipazione democratica la debolezza di un sistema che non poteva far altro che cadere nelle mani della «reazione». Per quel che riguarda il versante tedesco vi era invece piuttosto la tendenza a individuare nella «continuità delle élites» la spiegazione di una debolezza strutturale del cosiddetto «semi-costituzionalismo» dell’Impero che poi, nonostante il confuso tentativo di uscirne con l’intermezzo repubblicano, avrebbe portato Hitler al potere. Non a caso si intitolava Bündnis der Eliten un volumetto del celebre storico di Amburgo Fritz Fischer,2 già onusto di successo per il suo studio sull’Assalto al potere mondiale,3 in cui si cercava di dimostrare una certa persistenza e circolarità delle élites politiche e sociali sin dentro alla cosiddetta rivoluzione nazista. Per la verità queste letture avevano una loro radice politica alle spalle. Vorrei qui citare il caso italiano con il famoso intervento di Ferruccio Parri alla Consulta il 26 ottobre 1945. Riproponiamo il famoso passaggio: «Quello che vi deve inte-

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Cfr. R.J. Evans, From Hitler to Bismarck: the Reich and the Kaiserreich in recent historiography, «Historical Journal», 26/1983, pp. 485–497. Cfr. F. Fischer, Bündnis der Eliten, Düsseldorf 1979. Se ne veda la traduzione inglese, From Kaiserreich to Third Reich. Elements of continuity in German history, Allen & Unwin, London 1986. Cfr. la traduzione italiana, Einaudi, Torino 1965.

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ressare di fronte a questa situazione di incertezza e che più vi deve stare a cuore è quella che io chiamo la causa democratica. Tenete presente: da noi la democrazia è praticamente appena agli inizi. Io non so, non credo che si possano definire regimi democratici quelli che avevamo prima del fascismo… (interruzioni, scambio di apostrofi, commenti, rumori). Non vorrei offendere con queste mie parole quei regimi (commenti, interruzioni, rumori). Mi rincresce che la mia definizione sia male accetta. Intendevo dire questo: democratico ha un significato preciso, direi tecnico. Quelli erano regimi che possiamo definire e ritenere liberali (Interruzioni, commenti, grida di: Viva Orlando! Vivissimi e prolungati applausi all’indirizzo dell’on. Orlando, grida di: Viva Vittorio Veneto!)«.4 Al di là della vivacissima reazione che abbiamo riportato nelle parole dello stenografo e che da sola testimonia della presenza, in una parte non piccola degli uomini che sedevano in questo embrione di parlamento post-fascista, di una diversa lettura della storia patria (sono qui significative tanto le invocazioni a Vittorio Emanuele Orlando, non si sa se come costituzionalista liberale o come «presidente della vittoria», quanto quelle a Vittorio Veneto), si terrà nel debito conto la confutazione che Croce condusse nella stessa aula pochi giorni dopo difendendo il carattere democratico e libero dell’esperienza dell’Italia pre-fascista (e non si dimentichi che Croce aveva esercitato parte del suo magistero di oppositore al fascismo proprio con il suo lavoro di storico). Disse Croce che l’asserzione di Parri destava in lui «non tanto scandalo, quanto stupore», poiché egli trovava che l’asserzione sulla mancanza di governi democratici prima del fascismo «urta in flagrante contrasto col fatto che l’Italia, dal 1860 al 1922, è stato uno dei paesi più democratici d’Europa, e che il suo svolgimento fu una non interrotta e spesso accelerata ascesa alla democrazia». Ovviamente per il filosofo napoletano il rapporto di questa democrazia col liberalismo non costituiva un problema. «Democrazia senza dubbio liberale, come ogni verace democrazia, perché se il liberalismo senza democrazia langue privo di materia e di stimolo, la democrazia a sua volta, senza l’osservanza del sistema e del metodo liberale, si perverte e si corrompe ed apre la via alle dittature e ai dispotismi».5 Non conosco nulla di analogo per esplicita drammaticità nella fase di costruzione della seconda repubblica tedesca, ma ovviamente in questo caso il ricorso al passato pre-nazista era assai più complesso, in quanto quello imperiale era, per definizione, un attacco alle democrazie (così suonava tra l’altro il verdetto della pace di Versailles),6 mentre quello weimariano sembrava rimandare a una «democrazia improvvisata», per riprendere la celebre espressione di Troeltsch,7 sistema tanto debole da essere stata premessa più o meno involontaria alla presa di potere del totalitarismo. Peraltro, anche se in termini meno conflittuali un simile 4 5 6 7

Cfr. F. Parri, Scritti 1915–1975, Feltrinelli, Milano 1976, pp. 192–193. Cfr. B. Croce, Discorsi parlamentari, Il Mulino, Bologna 2002, pp. 179–180. Sul problema della questione della «colpa tedesca» e del lunghissimo dibattito che ne seguì, si veda, J.W. Langdon, July 1914. The long debate, 1918–1990, Berg, Oxford 1991. Cfr. E. Troeltsch, La democrazia improvvisata, Guida, Napoli 1977.

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processo di confronto col passato storico ebbe luogo, come vedremo fra breve, anche nella fase costituente della Repubblica Federale Tedesca. Restava invece nelle classi politiche che si stavano adoperando per la restaurazione della democrazia nei due paesi l’idea che all’origine di essa vi fosse la grande cesura che la guerra aveva operato rispetto ai regimi fascisti che avevano governato l’ultima fase, sicché il «prima» era fatalmente sotto il segno del «mondo vecchio» cui non valeva più di tanto la pena di riferirsi. Nel caso italiano questo approccio culturale non fu tradotto in uno specifico assunto costituzionale, ma fu presentato più volte come fondativo nel corso dei dibattiti sulla costituzione. Lo esplicitò ad esempio il giovane Aldo Moro nel suo intervento del 13 marzo 1947 in una sottocommissione della Costituente, quando disse: «non possiamo dimenticare quello che è stato, perché questa costituzione oggi emerge da quella resistenza, da quella lotta, da quella negazione per le quali ci siamo trovati insieme sul fronte della resistenza e della guerra rivoluzionaria ed ora ci troviamo insieme per questo impegno di affermazione dei valori supremi della dignità umana e della vita sociale».8 Nel caso tedesco questo concetto è invece addirittura apertamente dichiarato nel preambolo del Grundgesetz in cui si proclamava il perseguimento degli scopi nazionali, individuati nella difesa e promozione dell’unità nazionale e politica, inquadrandole però nel fatto che ci si dichiarava «gleichberechtigtes Mitglied in einem vereinten Europa» («membri su un piede di parità di una Europa unita») nonché servitori della «pace mondiale»: due concetti che suonavano, neppure tanto implicitamente, ripudio tanto della teoria della «Sonderweg» tedesca rispetto alla storia europea quanto della propria tradizione di «Machtstaat» come pilastro indispensabile dell’esistenza stessa della Germania. Due concetti che, come è noto, furono buoni pilastri di una parte almeno, e certo non minoritaria, della cultura politica dell’Impero e di cui si giovò, pur reinterpretandoli e manipolandoli a modo suo, il nazismo, che anche grazie alla loro ripresa conseguì l’acquiescienza se non l’inglobamento delle élites espresse dal precedente sistema politico. Se si ripercorrono gli atti del Parlamentarischer Rat (la costituente della futura BRD) anche in questo caso si vedrà che in una prima fase si era arrivati nel Comitato per le questioni fondamentali (Ausschuß für Grundsatzfragen) (15 ottobre 1948) ad una formulazione molto più «storicistica» del preambolo su proposta dei deputati della SPD: «Die nationalsozialistiche Zwangsherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt; Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt. Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik wurde zerstört. Dem deutschen Volk aber ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben. Die Beseztung Deutschlands durch fremde Mächte hat die Ausübung dieses Rechtes schweren Einschränkungen unterworfen».9 La formulazione non era però piaciuta agli Alleati che esercitavano un certo 8 9

Cfr. Atti dell’Assemblea Costituente. Dibattiti in aula, Tipografia della Camera, Roma 1947, p. 2040. «La tirannia nazionalsocialista ha derubato il popolo tedesco della sua libertà; la guerra e la violenza hanno distrutto l’umanità riducendola in miseria. La compagine statale della

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controllo sui lavori dell’Assemblea e che temevano che la formula della «occupazione di potenze straniere» e lo stesso richiamo all’esperienza nazista creassero una pericolosa ambiguità, sicché alla fine si optò per la formulazione meno apertamente storicista che abbiamo appena citato, ma che era altrettanto chiara per i contemporanei che coglievano benissimo in quelle formule la rottura radicale con alcuni concetti cardine delle precedenti culture politiche tedesche. Ho ricordato questi due passaggi della formazione del sistema costituzionale in Italia e Germania perché si tratta evidentemente del «cuore», per così dire, della riflessione che vorrei proporre: il mutare della considerazione nella valutazione storica e politologica di fascismo e nazismo nel momento in cui essi si leggessero realmente nel quadro di una storia nazionale di più lungo periodo, soprattutto capace di valutare non solo il «prima», ma anche il «dopo». Per quanto questo a volte susciti problemi in alcuni storici che ritengono che il nostro statuto epistemologico sia quello di valutare le cose rankianamente «così come sono state (allora)», io credo che invece la storia si faccia sempre «col senno del poi», che è in definitiva quello che spiega perché essa sia una «scienza sul passato», cioè su qualcosa che possiamo valutare come altro da noi, seppure per questo non a noi estraneo. Ciò non era possibile negli anni immediatamente seguenti alla conclusione delle due grandi dittature quando molto spingeva per asseverare quella affermazione che abbiamo richiamato all’inizio: risalire, nella ricerca delle cause della «catastrofe», da Hitler a Bismarck, da Mussolini al sistema dell’Italia liberale (quantomeno a Crispi, se non proprio a Cavour). In questa direzione muovevano i giudizi degli alleati, soprattutto riguardo al caso tedesco: l’idea che la radice di tutto fosse nel «militarismo prussiano», nel fatto che la Germania fosse, come aveva detto una volta un illuminista francese, «una grande caserma», non era nata solo nelle polemiche contro il nazismo, ma risaliva già a quelle contro il Reich di Guglielmo II e se ne erano viste tracce sin dall’elaborazione del trattato di Versailles. Da un certo punto di vista questa prospettiva era stata adottata dagli stessi studiosi tedeschi, che potevano così distinguere fra le tradizioni politiche presenti e recuperare quelle «democratiche» a fondamento della legittimazione di un futuro «normale» per il loro paese. Si pensi al caso, a mio avviso interessante, dell’interpretazione dell’opera politica di Max Weber: grande enfasi sulla sua riflessione post-1917, quando egli era diventato il fustigatore delle illusioni sulla «Sonderweg» e aveva cominciato a predicare le virtù della competizione democratica «volgare» (tanto da adottare il termine di «macchine politiche» così ripugnante alla cultura etica dei «letterati»), ma un certo imbarazzato silenzio sulla fase precedente che aveva visto questo autore più che coinvolto nei sogni sulla «Machtpolitik».10

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repubblica creata a Weimar è stata distrutta. Al popolo tedesco è però rimasto il diritto irrinunciabile alla libera configurazione della sua vita nazionale. L’occupazione della Germania da parte di potenze straniere ha sottoposto l’esercizio di questo diritto a severe limitazioni». Citato in M.F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen 1998, p. 61. Cfr. W. Mommsen, Max Weber e la politica tedesca, Il Mulino, Bologna 1993.

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Nel caso italiano la questione sta invece in termini piuttosto diversi. Innanzitutto gli anglo-americani non avevano alcuna considerazione per l’Italia come potenza, l’avevano trovata debole e confusa durante la sua condotta nella prima guerra mondiale pur avendola come alleata,11 per cui non avevano bisogno di darsi spiegazioni particolari su Mussolini: si trattava del banale caso di un dittatore arrivato al potere in una nazione in crisi e che si era esaltato oltre misura. Della storia precedente dell’Italia sapevano ben poco (e ancor meno li interessava) essendosi persa quella tradizione romantica che li aveva un tempo spinti a qualche interesse per il nostro Risorgimento. Che poi l’Italia potesse tornare sulla scena come grande potenza sembrava assai poco plausibile.12 L’uso dunque della memoria del fascismo come cartina di tornasole per valutare la storia precedente arrivò per forze assolutamente interne al nostro universo culturale: da un lato la tradizione dei due partiti considerati un tempo «antisistema» e che ora si trovavano a raccogliere la maggioranza dei consensi (cattolici e «socialisti», da cui derivavano anche i comunisti), dall’altro la tradizione della ex sinistra liberale che avrebbe voluto rivalersi della sua marginalità imputata alle chiusure della vecchia classe politica dominante. Furono sostanzialmente le culture legate a queste forze, che erano state sconfitte nella crisi politica del 1920–22 dall’alleanza fra le vecchie élites dirigenti liberali e le forze di agitazione politica del fascismo, a proporre la tesi, più o meno formalizzata ed elaborata che la presa di potere di Mussolini e il successo del suo regime avessero le loro radici nella debolezza «democratica» e nelle ambiguità costituzionali del regime liberale. La vulgata corrente faceva risalire tutto all’assenza delle «masse» dal protagonismo politico nella fase che aveva preceduto la dittatura, rovesciando, credo abbastanza inconsciamente, l’assunto un tempo circolante che proprio il timore di una salita al potere delle masse fosse stata la molla che aveva consentito l’andata al governo del movimento di Mussolini. Per questa via si sviluppò anche da noi tutta una storiografia che ricercava «le origini del fascismo» e che, soprattutto, le trovava nella struttura del sistema politico italiano, giudicato oligarchico, incapace di governare il cambiamento e di conseguenza spaventato da esso. Le affermazioni di Parri alla Consulta che abbiamo già citato erano semplicemente una opinione corrente e appariva come reazione di una classe dirigente condannata dalla storia lo sdegno di Croce (e in altre occasioni di Orlando) verso coloro che non volevano riconoscere i meriti della «Italietta».13 Non a caso il termine era ripreso dalla polemica politica fascista contro il giolittismo, polemica che, a sua volta, affondava le sue radici nelle invettive degli intellettuali antigiolittiani: ma Croce, Orlando e qualche altro usavano il vocabolo in senso polemico

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Cfr. L. Riccardi, Alleati non amici, Morcelliana, Brescia 1992. Su questo punto mi permetto di rinviare al mio Churchill and Italy, 1922–1940, in: Winston Churchill. Studies in statesmanship, a cura di R.A.C. Parker, Brassey’s, London 1995, pp. 65–82. Sul punto si veda il mio L’ultimo Orlando, Il costituente, in: Vittorio Emanuele Orlando: lo scienziato, il politico, lo statista, Rubettino, Soveria Mannelli 2003, pp. 33–58.

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facendone una bandiera positiva. Anzi il filosofo napoletano, come è noto, si spinse più avanti, parlando del fascismo come di una «parentesi» nella storia del paese. La definizione suscitò polemiche non solo ampie ma perduranti nel tempo: chi scrive fa parte di una generazione allevata storiograficamente ad esecrare quella definizione come frutto del tentativo dell’Italia liberale di nascondere le sue colpe. Eppure è forse da qui che bisogna ripartire per una valutazione dei progressi storiografici compiuti in questi ultimi anni. Ciò che in sostanza è cambiato, lo voglio dire subito, è quello che definirei «il tempo storico» di inquadramento dei fenomeni. Sino a un certo punto infatti la prospettiva era quella determinata dai fascismi come punto di arrivo e di cesura: c’era stato un qualche virus maligno nel sistema politico liberale (o addirittura semi-liberale nel caso della Germania) che aveva portato alla malattia mortale dei totalitarismi; poi questa malattia era stata sconfitta con un intervento esterno (americano o sovietico a seconda delle inclinazioni politiche di chi scriveva) e si era arrivati a una fase che aveva ben pochi legami con quanto era accaduto in precedenza. Certo la linea storiografica della individuazione dei «precursori», che come si sa costituisce una metodologia classica nella ricerca, poteva venire applicata anche a quanto avvenuto dopo il 1945 e, per certi versi, addirittura durante le dittature: sia in Italia che in Germania si potevano trovare spiriti liberi che in tempi oscuri avevano intuito il regno dei lumi; si trattava però di «eccezioni», perché l’interpretazione prevalente rimaneva quella che abbiamo detto. Il revisionismo spostò questa tendenza interpretativa senza scalfirla realmente. Infatti la sua tesi fondamentale era la cosiddetta «normalizzazione» di fascismo e nazismo, che mirava a toglierli dalla collocazione nei monstra storici, sottolineando la loro appartenenza alla «modernità», che poteva anche avere aspetti poco piacevoli, ma che era inevitabile. In quest’ottica, che a dire il vero mi pare più forte e dominante in Italia di quanto non lo sia in Germania, per l’evidente ragione del minor tasso di estremismo presente nel primo caso, il fascismo era una specie di «eresia politica» che si proponeva di dare soluzione a una serie di contraddizioni del sistema liberale: comporre l’unicità del comando dello Stato e l’acculturazione politica attraverso la militanza di partito; coniugare senso di massa e senso dell’eroismo individuale; contemperare sistema capitalistico e diritti del lavoro; promuovere una presenza femminile nella politica senza per questo far uscire la donna dal suo ruolo tradizionale di subordinazione. È ovvio che quest’operazione si era resa possibile in parte per gli eccessi della storiografia legata al problema del «ripudio del passato», ma è altrettanto da rilevare che in fondo essa rimaneva tributaria di quell’ottica che intendeva contrastare: si trattava in definitiva solo di una prospettiva rovesciata, in quanto la «distruzione del liberalismo» operata dalle dittature appariva come un’operazione pur sempre determinata dalle debolezze di quest’ultimo. Anzi, riprendendo temi della cultura politica al tempo delle dittature, si prendevano spesso acriticamente per significative le pretese di risposta alle sfide epocali con cui la demagogia fascista si era autolegittimata.

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Se mi è permessa una breve digressione, direi che uno dei fatti più emblematici a questo proposito è l’acritica applicazione dell’idealtipo del «leader carismatico» a Mussolini e Hitler. In termini filologicamente corretti questa operazione sarebbe quanto meno dubbia: il potere carismatico è uno dei tre tipi di potere legittimo elaborati da Weber, e, come è noto, ciò che caratterizza il potere legittimo è un tasso minimo di ricorso alla violenza per imporsi, in quanto il potere legittimo si fonda sulla capacità di creare consenso spontaneo in base appunto o alla forza della tradizione, o del sistema legale-razionale di produzione della legge, o appunto del «carisma» di chi sa guidare il suo popolo dalle secche di un regime esaurito ad un nuovo regime capace di restaurare una forma di normalità. È praticamente impossibile applicare questa definizione nel caso dei fascismi, a meno di non accettare che la messa in scena della loro politica fosse la realtà (altra cosa è invece il concetto, sempre weberiano, di «plebiszitäre Führerdemokratie», ma questa è un’altra questione).14 Eppure ancora oggi il desiderio di vedere all’opera queste categorie ha spinto a non porsi problemi al proposito, nonostante che un caso storico seguente come quello del generale De Gaulle avesse poi mostrato cosa poteva essere ricondotto ad un idealtipo di potere carismatico legittimo. Ma si deve ricordare che quando Wolfgang J. Mommsen, subito dopo la pubblicazione del volume su Weber e la politica tedesca (1959 – la data ha una sua importanza), avanzò questa ipotesi, ebbe più critiche che consensi: del resto allora l’esperimento di De Gaulle veniva etichettato come una nuova forma di fascismo.15 La digressione ci ha deviato solo parzialmente dal nostro itinerario. Proprio il caso di De Gaulle16 mi consente di spiegare meglio il taglio di questo intervento. Ciò che infatti cambia, a mio giudizio, l’approccio storiografico ai fascismi è la possibilità di considerare la vicenda della politica europea mettendo nel conto anche il «dopo», cioè la sua ormai cinquantennale evoluzione in un contesto di democrazia. È infatti la storia posteriore che ci libera da un preconcetto che ha molto limitato la comprensione della vicenda italiana e tedesca (ma per certi versi persino di quella francese): l’idea che queste fossero contrassegnate dalla impossibilità e/o incapacità di essere aderenti, in termini di sistemi costituzionali, al «modello inglese». Solo oggi ci rendiamo conto quanto questo archetipo avesse condizionato la lettura del liberalismo fra Otto e Novecento e di conseguenza avesse influenzato anche la lettura dei fascismi, che apparivano come la prova provata delle ragioni intrinseche, starei per dire ontologiche, che avevano impedito la «rivoluzione borghese» in Germania e in Italia nel 1848 e che di conseguenza avevano portato a una sorta di tardiva e abortita rivoluzione borghese coi regimi di Mussolini e Hitler.

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Sul tema si vedano le acute pagine di F. Ferraresi, Il fantasma della comunità. Concetti politici e scienze sociali in Max Weber, Angeli, Milano 2003, pp. 384–428 (che discute ampiamente anche la letteratura specialistica sul tema). Cfr. la mia Introduzione all’edizione italiana, in: W. J. Mommsen, Max Weber e la politica tedesca, cit., pp. 11–21. Su cui si veda G. Quagliariello, De Gaulle e il gollismo, Il Mulino, Bologna 2003.

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Invece la «tenuta» dei regimi liberal-democratici nel secondo dopoguerra tanto in Italia quanto in Germania ha indotto a considerazioni più caute nell’interpretazione delle dinamiche di instaurazione e sviluppo dei loro regimi costituzionali e di conseguenza ha portato a interrogarsi maggiormente sulla forza e sulle persistenze che essi erano in grado di mettere in campo anche al di là della «parentesi» dei fascismi. Proprio per il caso tedesco per esempio, a partire da un coraggioso studio di Margaret Lavinia Anderson sul sistema elettorale e parlamentare dell’Impero,17 studio che ha aperto un largo dibattito, si è portati a considerare in maniera meno schematica quel sistema: partecipazione politica, competizione elettorale, strutturazione delle appartenenze partitiche non erano affatto sconosciute, anzi erano praticate in maniera massiccia già nell’Impero e, ovviamente, a Weimar avevano trovato ulteriore sviluppo. Se è vero, come hanno notato alcuni critici della Anderson, che, tutto questo ammesso, rimaneva il problema di un sistema burocratico-governativo impermeabile a queste dinamiche,18 è altrettanto vero che i tedeschi post-1945 avevano in sostanza conosciuto solo poco più di un decennio di interruzione nella pratica pubblica della lotta politica in un quadro elettorale a cui avevano massicciamente preso parte. Con ciò non voglio dire che il sistema partitico della Repubblica federale riproducesse quelli precedenti, perché così non è, e per ragioni fondamentali. Voglio solo richiamare l’attenzione sul fatto che il quadro e i riti di una «democrazia elettorale» non erano affatto cosa nuova nella Germania del secondo dopoguerra e che i suoi cittadini avevano a disposizione molti strumenti culturali ed esperienze personali per affrontarla. Lo stesso nazismo, del resto, aveva costantemente praticato una polemica con la struttura politica che lo aveva preceduto attraverso la quale in realtà si erano mantenuti vivi i ricordi e talora gli stessi valori che si predicavano come soppressi. Espressioni come quelle di «esilio interno» per descrivere talune esperienze in settori privilegiati quali alcuni apparati delle Forze armate, taluni settori dell’Alta burocrazia (specie il ministero degli esteri), certi ambienti delle due chiese cristiane, ci ricordano che la «cesura» dittatoriale non era stata una spugna che aveva potuto cancellare le tradizioni politiche.19

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M.L. Anderson, Practicing democracy. Elections and political culture in Imperial Germany, Princeton University Press, Princeton 2000. Cfr. Ch. Schönberger, Die überholte Parlamentarisierung. Einflussgewinn und fehlende Herrschaftsfähigkeit des Reichstags im sich demokratisierenden Kaiserreich, «Historische Zeitschrift», 272/2001, pp. 623–666. Sulla resistenza tedesca e i problemi connessi, si vedano P. Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, Piper, München 19733; H.C. Deutsch, The German Resistance. Answered and unanswered questions, «Central European History», 14/1981, pp. 322–331; T. Harrison, The red flag and the cross. New writings on the Germany Resistance, «European History Quarterly», 22/1992, pp. 99–119; H. Mommsen, Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes, Beck, München 2000; H. Wentker, Der Widerstand gegen Hitler und der Krieg. Oder: Was

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Andando ancora più avanti si può notare che la rilettura dell’attentato del 20 luglio 1944 e di tutto quel che gli stava dietro ha portato a sottolineare almeno due aspetti interessanti ai fini della nostra ricostruzione:20 da un lato quello più scontato del persistere nel sistema nazista di un legame delle élites sopravvissute e in certa misura integrate nel nuovo regime con il loro retroterra etico-politico che se non era «democratico» non era neppure «fascista»; dall’altro lato la consapevolezza in Hitler che sopravviveva un vasto ambiente di potenziali oppositori che vennero in parte sterminati, in parte sottoposti alla carcerazione. Il primo versante avrebbe fornito un buon supporto culturale alla costruzione di una legittimazione democratica che potesse far conto su un retroterra nazionale, come non si stancò di predicare Marion Dönhoff (lo ha messo proprio ora in rilievo un bel saggio di Eckart Conze).21 Il secondo ha fornito la legittimazione immediata per la nuova classe dirigente tedesca cui gli anglo-americani dovettero lasciare, più o meno di buon grado, spazio già nella fase della occupazione per la ricostruzione del sistema politico tedesco in senso democratico. Si dirà: ma ciò era favorito dal fatto che alla fin fine il nazismo era stato al potere solo dodici anni, troppo pochi per cancellare una tradizione. Ma il fascismo italiano, che di anni al potere ne aveva avuti venti, trova al momento della sua caduta una situazione molto simile. Se il re al tornante del 25 luglio 1943 giudicava che il richiamo in servizio della vecchia classe dirigente liberale prefascista fosse ricorrere a degli spettri (dei «revenants» come li definì), in realtà proprio con il ritorno sulla scena dei partiti pre-fascisti dovette fare i conti. Non solo Croce, Bonomi e Sforza, figure chiave del regno del Sud appartenevano a quel passato, ma lo stesso uomo che si sarebbe fatto carico di guidare la ricostruzione italiana, Alcide De Gasperi, era insediato nel suo nuovo ruolo dalla posizione che aveva ricoperto nell’ultimo parlamento liberale, quella di segretario del PPI al momento dell’Aventino. La storia italiana riprendeva in parte da lì, più che dalla frattura rivoluzionaria dei Comitati di Liberazione Nazionale dell’Alta Italia22 e la stessa rivolta dei capi fascisti contro Mussolini, quella capeggiata da

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bleibt vom «Aufstand des Gewissens»?, «Geschichte in Wissenschaft und Unterricht», 53/2002, pp. 4–19. Sull’attentato del 20 luglio 1944, si veda K.J. Arnold, Verbrecher aus eigener Initiative? Der 20. Juli 1944 und die Thesen Christian Gerlachs, «Geschichte in Wissenschaft und Unterricht», 53/2002, pp. 20–31, oltre naturalmente a quanto riferito a questo evento nelle opere citate alla nota precedente. Cfr. E. Conze, Aufstand des preußischen Adels. Gräfin Dönhoff und das Bild des Widerstands gegen den Nationalsozialismus nach 1945, «Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte», 51/2003, pp. 483–508. Questo tema inizia ad essere variamente discusso. Segnaliamo l’intervento di Francesco Traniello, Stato e partiti (per un dibattito storiografico), in: Democrazia Cristiana e Costituente nella società italiana del dopoguerra, vol. II, a cura di G. Rossini, Cinque Lune, Roma 1980, pp. 529–556. Esso è ritornato nella considerazione della crisi del maggio 1947; cfr. G. Formigoni, De Gasperi e la crisi politica italiana del maggio 1947, «Ricerche di storia politica», 6/2003, pp. 361–388. Per la testimonianza di un protagonista dell’epoca sul significato della contrapposizione fra CLN e ricostruzione dello Stato, si vedano le po-

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Dino Grandi, si era mossa sull’onda dell’illusione di poter rifare il miracolo di Caporetto.23 Non importa qui quanto quell’idea fosse folle nel momento specifico; vale la pena di ricordare un filo storico che si sperava potesse ancora riunire la nazione. Naturalmente in una riconsiderazione di questo tipo la teoria dei fascismi come «parentesi» rispetto al meccanismo evolutivo del sistema costituzionale europeo, cioè di quel sistema di cui Italia e Germania avevano fatto parte pur con le inevitabili peculiarità delle loro storie nazionali, può convivere con una valutazione più positiva di quelle che chiamerei certe continuità anomale dei sistemi nel quadro delle dittature. Aspetti come la definitiva affermazione di politiche orientate al benessere, la conferma della necessità della forma partito moderna come veicolo per la canalizzazione dell’obbligazione politica, la trasmissione dell’acculturazione politica attraverso la ritualità pubblica che consente ai cittadini la presenza diretta e individuale sulla «scena politica» sia pure in veste di comparse, quando non di spettatori, sono qualcosa che i fascismi ereditano in embrione dal quadro liberale che sta alle loro spalle, che poi essi elaborano portandola a stadi di evoluzione molto avanzati e consegnandola alle democrazie postbelliche per ulteriori sviluppi. Anche in questi casi il «lungo periodo» ci aiuta non poco. Prendiamo il problema del welfare. Quante volte abbiamo letto di una peculiarità delle politiche fasciste in questa direzione? Eppure ad uno sguardo attento è difficile negare che siamo di fronte ad un fenomeno che origina con Bismarck nella Germania ottocentesca, trasmigra nella Gran Bretagna di inizio Novecento, ha certo impennate a opera dei due regimi totalitari, ma poi viene teorizzato da un liberale britannico abbastanza vecchio stile, Lord Beveridge, e si espande nel continente della seconda metà del XX secolo come uno standard assolutamente comune.24 Allora possiamo continuare a parlare con meraviglia del welfare nazista o fascista, oppure ci conviene riconoscere che siamo dinnanzi allo sfruttamento propagandistico e all’appropriazione indebita di un trend di sviluppo che era intrinseco in quella presa di coscienza che il moderno stato fosse una «comunità di destini» in cui si realizzano, per citare una famosa frase di Weber del 1917, «le uguaglianze che lo stato moderno offre, in maniera realmente duratura ed indubitabile, a tutti i suoi

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lemiche sul tema condotte nel 1956 da Giuseppe Dossetti; cfr. G. Dossetti, Due anni al servizio della città. Discorsi a Bologna 1956–58, a cura di R. Villa, Aliberti, Reggio Emilia 2004 (mi permetto di segnalare qui la mia introduzione al volume in cui analizzo anche questa polemica). Questo era stato più volte richiamato dallo stesso Grandi, che aveva cercato di contattare in quest’ottica anche Vittorio Emanuele Orlando; cfr. D. Grandi, 25 Luglio. Quarant’anni dopo, Il Mulino, Bologna 1983, p. 272. Su questo tema rinvio ai miei saggi, La democrazia del benessere. Riflessioni preliminari sui parametri della legittimazione politica nell’Europa del secondo dopoguerra, «Contemporanea», 4/2001, pp. 17–43; La legittimazione del benessere: nuovi parametri di legittimazione in Europa dopo la Seconda Guerra Mondiale, in: Crisi, legittimazione, consenso, a cura di P. Pombeni, Il Mulino, Bologna 2003, pp. 357–417.

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cittadini: la sicurezza puramente fisica e il minimo esistenziale per vivere, nonché il campo di battaglia per morire»?25 E se passiamo al campo della mobilitazione politica, del coinvolgere il popolo, sia pure con una manipolazione, nel gioco delle apparenti scelte, come negare che l’inventore della tecnica fosse William Gladstone e che i fascismi anche qui non avessero fatto, per certi versi, altro che perfezionare molto quelle tecniche, anche sfruttando risorse tecnologiche nuove come la radio? E tuttavia, fra lo stupore e l’indignazione di molti liberali di vecchia scuola, quella tendenza non solo continuò ma si accrebbe notevolmente dopo il 1945. Da un certo punto di vista sto elencando delle banalità. È chiaro che soprattutto gli storici sociali hanno già colto da tempo questi fili di lungo periodo che impediscono sia di isolare dal prima e dal dopo lo sviluppo della società durante i regimi totalitari, sia di rappresentarle come impermeabili ai trend storici che provengono dal contesto internazionale. Gli storici politici hanno invece avuto più spesso attenzione alle cesure e alle peculiarità per così dire sovrastrutturali dei sistemi. Una spiegazione possibile del fenomeno è nelle stesse fonti, in quanto quelle per la storia sociale hanno quasi sempre un basso grado di automanipolazione rappresentativa (non vogliono cioè stabilire da se stesse di quale società si debba parlare e quale sia l’immagine che debbono trasmettere), mentre per quelle politiche vale esattamente il contrario. Dunque le fonti politiche dei totalitarismi li autorappresentano come rottura totale, come svolta, come salto di qualità, sicché lo storico è talora indotto a prendere per buone queste valutazioni, che non di rado appaiono avvalorate dai rilievi degli stessi avversari che accettano, sia pure in prospettiva rovesciata queste tesi (cioè accettano, per dirla in termini semplici, la tesi della svolta, considerandola però non indirizzata dal male verso il bene, ma esattamente in direzione contraria). In conclusione mi pare di poter dire che solo il «lungo periodo» consentirà una reale storicizzazione dell’età delle dittature e dei loro sistemi politici. Personalmente non concordo con la notissima tesi di Hobsbawn che vorrebbe ridurre questo lungo periodo alla «brevità» del ciclo 1919–1989. In questo caso il fenomeno fascista sarebbe troppo marcato, anziché dall’ossessione delle «cause» e delle «origini», da quella delle conseguenze e, come mi pare sia già accaduto nel caso di Ernst Nolte, dall’interpretazione dominata, anziché dall’ansietà di trovare i «precursori» del fascismo (di cui pure, sia detto per inciso, il primo Nolte fu parte),26 da quella di fare invece dei fascismi i precursori del sistema delle contrapposizioni e angosce determinate dalla guerra fredda.27 Mi sembra dunque di poter dire che sia da rivedere lo schema interpretativo classico che legge i due secoli dell’età contemporanea (Ottocento e Novecento) suddivisi in tre periodi, fra loro nettamente distinti e marcati da violente fratture. La prima fase sarebbe quella del liberalismo, a cui pone fine la prima guerra mon25 26 27

Cfr. M. Weber, Parlamento e Governo, e altri scritti politici, Einaudi, Torino 1982, p. 36. Si ricordi il suo I tre volti del fascismo, Mondadori, Milano 1971 (ed. orig. 1966). Cfr. E. Nolte, Deutschland und der Kalte Krieg, Klett-Cotta, Stuttgart 1985.

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diale con il suo travagliato dopoguerra; seguirebbe l’età dei fascismi, a cui mette fine la seconda guerra mondiale e si entrerebbe così nella terza fase, quella delle «democrazie di massa». A questo schema che, per le ragioni esposte, non mi pare convincente, propongo di sostituire il seguente: vi è una unità della storia politica europea dal 1800 ad oggi che è sotto il segno del progressivo affermarsi e dello sviluppo del costituzionalismo liberale. Dentro questa linea di evoluzione stanno vari tentativi di rigetto, il più virulento e anche il più peculiare dei quali è rappresentato dal fenomeno dei fascismi, che però costituiscono semplicemente una «parentesi», un «intervallo» nel continuum del sistema liberale dominante. Questa interpretazione è rafforzata dall’osservazione che i fascismi non si staccarono che parzialmente, anche se in settori delicati e determinanti, dalle «forme» del liberalismo, cercando più che altro di darne versioni «peculiari» (così per il partito, la produzione di norme attraverso il parlamento, la rappresentanza sindacale, il sistema fondato sull’organizzazione burocratica, ecc.). Certe analisi più ravvicinate consentono di precisare il quadro e, per esempio, portano a distinguere varie fasi nei regimi fascisti. Quantomeno se ne possono descrivere tre: quella del movimento alle sue origini, con maggiore accentuazione dei caratteri «competitivi» rispetto al retroterra liberale; quella del fascismo al potere, con il suo connubio con le élites tradizionali (o almeno parti cospicue di esse); quella infine della crisi del fascismo, in cui l’estremismo ritorna sulla scena come «integralismo», cioè con la convinzione che gli obiettivi politici del movimento non si possano raggiungere senza una radicalizzazione del dominio totalitario sulla società. Se un procedimento di questo genere aiuta ad una migliore comprensione del fascismo, esso non è però tale da mettere in discussione quella che, un po’ polemicamente, chiamerei la tesi della parentesi. A me pare dunque che i fascismi rappresentino, per quel tanto che non sono semplicemente un volto delle rispettive storie nazionali, che essi non interruppero affatto, uno stadio dell’evoluzione del sistema costituzionale occidentale: uno degli aspetti dello stadio patologico del rigetto e della fuga nell’utopia, che rientra, purtroppo, assolutamente nel campo delle «complicazioni» possibili e normali in processi di questo tipo.

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Riconsiderando il problema dell’epurazione in Italia dopo il 1945 Riconsiderando il problema dell’epurazione in Italia dopo il 1945

Negli ultimi tempi (in storiografia «gli ultimi tempi» equivalgono ad almeno dieci anni) la storiografia sull’epurazione dei responsabili del regime fascista e della Rsi, nonché quella sui processi a carico dei responsabili dell’occupazione tedesca in Italia, ha conosciuto novità importanti. Per decenni gli storici, italiani e no, – Battaglia, Zara Algardi, Marcello Flores, Lamberto Mercuri, Ralph Domenico – avevano ripetuto l’icastico giudizio di un magistrato protagonista di quegli eventi, già partigiano, e che si sarebbe fatto storico dopo la guerra. «L’epurazione del 1946–1948 fu una burletta», era stata la sentenza di Alessandro Galante Garrone. Sentenze annullate, amnistie, condoni, patrimoni restituiti: tutto sarebbe stato conseguenza dell’assurda pretesa di voler trasferire le responsabilità politiche sul piano della responsabilità penale e del giudizio formale. La voce di Galante Garrone tace dal 2003. Ma quel giudizio sull’epurazione era già cambiato negli anni Novanta per merito delle ricerche di un altro magistrato italiano, Roberto Canosa, e di un ricercatore dell’Institut für Zeitgeschichte di Monaco, Hans Woller. L’epurazione della burocrazia e degli enti locali, tramite le corti straordinarie e di assise, avrebbe avuto un carattere di massa almeno sino al luglio 1945 e sarebbe stata interrotta solo dalla «legge Nenni» del novembre 1945, che arrestò le iniziative nelle aziende industriali e mise in mora l’azione dei Comitati di Liberazione Nazionale. E anche sulla dimensione non trascurabile dell’epurazione partigiana e della giustizia sommaria dopo l’aprile del 1945 – quella che il guardasigilli Togliatti bollò come «epurazione plebea» – le ricerche – a cominciare da quella di Storchi su Reggio Emilia – hanno gettato luce ben prima delle recenti polemiche giornalistiche. Woller, in particolare, ha insistito su questo giudizio: «Anche al Nord Italia, la maggior parte dell’azione epurativa si svolse sulla base delle ordinanze alleate», cioè l’Allied Military Government of Occupied Territory e l’Allied Control Commission. Quell’azione, secondo Woller, risultò «molto incisiva». Io mi soffermerò piuttosto sull’operato di due altre istituzioni alleate in Italia. Nel 1944, il Quartier Generale delle Forze alleate fu incaricato di creare una commissione di indagine sui crimini di guerra commessi dalle truppe tedesche (e italiane) sul territorio italiano, ai danni dei partigiani, dei prigionieri alleati e delle popolazioni civili. Il lavoro della Commissione, modellata sulla United Nations War Crimes Commission istituita nel 1943 a Londra, si affidò alle Sezioni Criminali dell’esercito americano e soprattutto di quello inglese. La Special Investigation Branch di

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quest’ultimo fece un eccellente lavoro e la documentazione conservata oggi presso il Public Record Office compensa le lacune della documentazione degli Archivi militari germanici. In una ricerca che ho svolto alcuni anni fa, ho avanzato un’ipotesi sulla base di questa documentazione: se è plausibile l’interpretazione del sistema di occupazione come un sistema dotato di molteplici centri di decisione, e quindi disordinato, l’analisi del coordinamento tra la Wehrmacht e i comandi di SS, SicherheitsDienst e Sicherheits-Polizei (a proposito della controguerriglia antipartigiana e del «trattamento» della popolazione) ci porta a conclusioni diverse. La strategia di repressione della guerriglia e delle pratiche di disobbedienza delle popolazioni civili non fu affatto priva di regole e metodo. A me sembra possibile parlare di un «sistema di ordini» militari e di orientamenti politici coordinato e centralizzato dall’Oberkommando della Wehrmacht a partire da un accordo, esplicitamente riconosciuto, tra il feldmaresciallo Kesselring e il generale Wolff, comandante delle SS, alla fine del marzo 1944. Di questa ipotesi storiografica si è già molte volte discusso, anche fra colleghi presenti a questo colloquio e in diversi convegni nazionali e seminari internazionali, tra cui quello di Bologna nel giugno del 2002. È però necessario soffermare l’attenzione su un altro aspetto del problema. Mi chiedo: perché a conclusione di queste inchieste non fu mai attuata l’ipotesi avanzata dalle autorità militari britanniche tra il 1945 e il 1946, di celebrare un grande e unico processo ai responsabili militari e politici tedeschi su quella che gli inquirenti alleati definirono «the machinery of reprisals»? L’ipotesi di un processo analogo – dal punto di vista giudiziario e organizzativo – ai tredici procedimenti celebrati a Norimberga fu esplicitamente praticata, almeno sino all’aprile 1946, dal presidente del Tribunale Militare Supremo inglese (Judge Advocate General) Sir Forster Mc Geagh. Poi fu abbandonata dopo un dibattito con altre autorità giudiziarie militari e dopo pressioni degli ambienti politici inglesi. La data dell’aprile 1946 ci può illuminare sulle possibili spiegazioni di tale scelta. Nel 1946 siamo in un momento di forte tensione tra il governo italiano, gli alleati e le autorità jugoslave (appoggiate dai cecoslovacchi). Gli italiani pretendono – sin dall’epoca della istituzione nel 1944 della Commissione Centrale per i Crimini di Guerra, di partecipare al giudizio contro i militari tedeschi e di legittimarsi di fronte agli Alleati anche in quella sede come autorità «co-giudicante» (oltre che «cobelligerante»). Gli italiani rifiutano però di consegnare gli ufficiali dell’esercito regio indagati per delitti analoghi commessi nei Balcani (Roatta è fuggito sin dal 1944, con evidenti complicità nello Stato Maggiore italiano). In questa situazione, e non solo, si riflette tutta l’ambiguità della posizione internazionale dell’Italia, dopo una guerra iniziata a fianco della Germania e che è terminata dall’altra parte dello schieramento. Inoltre – è questa una seconda spiegazione possibile – esiste nel 1946 una grave divergenza tra l’Unione Sovietica e gli Alleati occidentali sulle procedure da seguire per giudicare i responsabili dell’Asse e sull’opportunità dello stesso Tribunale Internazionale.

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Vi è, infine, una forte preoccupazione (documentata nella corrispondenza del comandante del Quartier Generale Alleato in Italia) per la situazione politica italiana, dopo l’affermazione del blocco delle sinistre nelle elezioni amministrative della primavera 1946, preoccupazioni che le elezioni politiche e il referendum istituzionale di giugno avrebbero confermato. Il processo rischiava cioè di trasformarsi in una «matter of policy». Queste tre possibili cause potrebbero spiegare perché l’ipotesi della cosiddetta «Norimberga italiana» (così denominata nei documenti alleati) fu abbandonata e le carte dell’istruttoria furono disperse in decine di procedimenti ad personam. Solamente pochi di questi giunsero alla loro conclusione – tra cui il giudizio versus Mackensen (XIV Armata) e Mältzer (piazza di Roma), Simon e Kesselring. Il governo italiano si adeguò a tale condotta, celebrando pochi processi contro ufficiali di grado inferiore e facendo avocare alla Procura Generale Militare molte centinaia di pratiche contro i colpevoli presunti di massacri. Negli anni successivi le relazioni diplomatiche tra la nuova repubblica italiana e la Germania Federale avrebbero bloccato tutte quelle inchieste. Anche i processi istruiti contro gli ufficiali italiani responsabili dei massacri nei Balcani non videro mai la luce. Sono note le polemiche dell’epoca – particolarmente forti in Germania – sulla «giustizia dei vincitori». Da decenni, sui limiti giuridici e giudiziari dei processi di Norimberga continua, e non accenna a spegnersi, la polemica sulla violazione di alcuni principî del diritto, a partire da quelli della irretroattività della legge e della terzietà del giudice, emersa in quella occasione. Personalmente, concordo con Antonio Cassese: la massima morale «nullum crimen sine lege» doveva cedere di fronte al pericolo di lasciare impuniti i responsabili del Reich. Bisogna osservare però che anche la base giuridica dei processi celebrati dalle autorità militari britanniche contro pochi alti ufficiali tedeschi (in luogo del grande processo), fu una questione controversa e questa stessa incertezza contribuì a spingere gli Alleati a commutare le sentenze di morte comminate. Gli alti ufficiali tedeschi, a partire da Kesselring, non furono giudicati in base al Charter di Norimberga, bensì con il codice di guerra britannico (spesso comparato in sede processuale con quelli americano, francese e belga), che le autorità giudiziarie interpretarono come il più coerente con le convenzioni internazionali siglate all’Aja nel 1899 e nel 1907 sulla questione dei crimini di guerra. La difesa degli imputati oppose a questa scelta due obiezioni di rilievo: le macroscopiche differenze con il codice militare tedesco, il Waaltzog, e l’incoerenza della posizione degli Alleati, che avevano incoraggiato la Resistenza a pratiche e a condotte proibite anche dai codici anglo-americani. La definizione della categoria di rappresaglia e la sua capacità di includere i massacri dei civili fu oggetto di discussioni accese. Le incoerenze del diritto e le incertezze della prassi processuale resero più forti le convinzioni di coloro che – come Winston Churchill, (nel 1947 all’opposizione del governo Attlee), il generale Alexander e molti membri della Camera dei Lords – si impegnarono per evitare le esecuzioni. Sul piano storico, quello scontro rivela tutta la difficoltà che ebbe la classe dirigente britannica a valutare le responsabilità della Wehrmacht nella guerra totale

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e il coinvolgimento dei suoi quadri nella direzione del regime, come anche nella comprensione del sistema di occupazione e della sua struttura «policratica». Nei processi di Norimberga contro il vertice dell’esercito tedesco (e in particolare i comandanti Brauchitsch e Manstein) questa difficoltà si era già manifestata. Dunque a Norimberga era stata infranta, per ragioni tutte politiche ma con positive conseguenze morali, la irretroattività della legge. In Italia invece gli Alleati giudicarono sulla base di codici diversi da quelli del paese di appartenenza degli imputati, punendo i militari tedeschi che, pur perpetrando crimini contro l’umanità, avevano agito lecitamente secondo il loro diritto interno. Il merito del Tribunale di Norimberga – nonostante questi errori – fu evidentemente quello di offrire una definizione dei crimini contro l’umanità, ma il suo errore fu quello di attribuire la responsabilità solamente ai tedeschi (cancellando tutti gli orrori commessi da altri). Il merito dei processi celebrati in Italia fu quello di indagare e documentare il carattere sistematico della guerra ai civili, ma il loro errore fu quello di applicare decisioni politiche in luogo di sentenze e di operare secondo una selettività geografica e politica, escludendo dal giudizio i collaborazionisti e le responsabilità della classe dirigente italiana. Le ricerche storiche sull’amministrazione della giustizia nell’Europa del dopoguerra coordinate da Déak, Gross e Judt documentano che tutta la giustizia penale europea fu segnata da parzialità, criteri politici e una volontà di condizionare la memoria pubblica. Si vollero cancellare i legami tra il periodo della guerra e gli anni precedenti, con l’intento di far dimenticare molte pagine imbarazzanti della storia delle classi dirigenti europee e la loro disponibilità a conciliarsi con i disegni di Hitler. Questo spiega, ad esempio, l’effetto choc che ha avuto sull’opinione pubblica francese la riscoperta storiografica della deriva fascista degli anni Trenta e delle autonome responsabilità di Vichy nella persecuzione degli ebrei. Infine un’ulteriore riflessione. Molte questioni irrisolte del dopoguerra si sono ripresentate nella seconda metà del ’900, in occasione della transizione da un regime autoritario alla democrazia. Ad esempio in Spagna, dopo la morte di Franco. Negli anni Novanta, negli Stati successori dell’URSS, della Jugoslavia e della Cecoslovacchia – Russia, Bielorussia, Ucraina, Georgia, Lettonia, Estonia, Lituania, Croazia, Slovenia, Serbia, repubbliche ceca e slovacca – a tali questioni si è aggiunto l’interrogativo su chi dovesse ereditare le responsabilità delle élites governative dei regimi comunisti. Dopo il 1989 infatti, solo la Polonia, l’Ungheria, la Romania, la Bulgaria e l’Albania si sono trovate a fare (o non fare) i conti con il loro passato stalinista all’interno dei vecchi confini. Il terremoto geopolitico ha aperto nuove contraddizioni sul terreno del diritto e nella gestione della transizione. Ma la questione è rimasta in fondo la stessa del 1945: come garantire l’esigenza di giustizia dei perseguitati di avere risarciti i diritti lesi dai crimini contro l’umanità e, nel contempo, l’esigenza politica dei nuovi dirigenti di superare il passato, salvaguardando la coesione sociale? E come evitare che le esigenze di giustizia e di equilibrio politico contribuiscano entrambe a commettere l’ennesima manipolazione selettiva della memoria? Da questo punto di vista, la vicenda del dopoguerra rimane una

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lezione esemplare, perché la dimensione di massa della corresponsabilità, tipica di un regime autoritario o totalitario (come erano stati quelli fascista e nazionalsocialista e come lo sono state le cosiddette «democrazie popolari») rende molto complicata l’azione giudiziaria. Nel 1946 il ministro comunista della giustizia in Italia, Togliatti, attaccò duramente il comunista Scoccimarro – Alto Commissario per l’Epurazione – affermando che «in Italia non c’è nessuno che negli anni del regime fascista non abbia combinato un pasticcio». Nel 1989 il presidente cecoslovacco Havel ha ripetuto, senza saperlo, il giudizio di Togliatti, quando ha ammonito i suoi concittadini: «È difficile proclamare una chiara divisione tra le vittime e i persecutori» e si è rifiutato di controfirmare qualche tempo dopo la legge della «purificazione» («lustrace») contro tutti i funzionari del PCC, delle milizie del popolo, della burocrazia, ecc. Non in tutti i paesi dell’Europa centrale la saggezza di Havel ha fatto lezione. In Polonia si è passati dalla politica dell’oblio all’uso politico delle rivelazioni compromettenti sul passato dei governanti. In Ungheria sono state riscoperte le categorie del Charter di Norimberga (cospirazione per la guerra di aggressione e crimini contro l’umanità) con l’intento di giudicare i responsabili della repressione dell’insurrezione del 1956. Dalla Germania unificata mi sembra che invece siano giunte indicazioni importanti per il superamento dei limiti, forse storicamente necessari ma moralmente discutibili, della giustizia internazionale del 1946–1947. Mi riferisco alla decisione di giudicare gli ex membri della Stasi non in base ai codici della BRD, bensì in base alla violazione eventuale delle leggi della stessa DDR. Mi riferisco anche all’istituzione della «Commissione parlamentare per la valutazione del passato e delle conseguenze della dittatura della SED», ispirata al modello sudafricano della «Commissione per la ricerca della verità». In conclusione, la comparazione tra la situazione attuale e quella del periodo successivo alla seconda guerra mondiale mi sembra veramente istruttiva. Norimberga volle punire più il crimine «contro la pace», cioè la guerra di aggressione e i crimini di guerra, piuttosto che i crimini contro l’umanità. La messa al «bando della guerra» e il primato della pace, proclamati da Lauterpacht e Kelsen nel 1945 con ottime intenzioni, ha conosciuto però applicazioni quanto meno contraddittorie nella seconda metà del XX secolo. Dietro la difesa della sovranità nazionale e della «non ingerenza» negli affari degli Stati sovrani, si è celata in diverse occasioni la codardia e la scelta di non difendere i diritti umani violati. E, all’opposto, l’intervento proclamato a difesa dei diritti e delle libertà ha spesso nascosto gli interessi politici e i progetti di controllo delle grandi potenze. Nella situazione attuale l’attenzione ai crimini contro l’umanità è tornata in primo piano. Ma l’opposizione alla guerra talvolta rischia di tradursi in complicità con la violazione dei diritti umani, com’è accaduto nel caso delle guerre nei Balcani dal 1991 al 1994. Finalmente, dopo l’esperienza dei Tribunali Internazionali creati per vicende specifiche, come le stragi in Jugoslavia (1991–1994) e Ruanda (1994), e dei Tribunali misti (Sierra Leone, Timor Orientale, Kossovo, Cambo-

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gia), si è giunti nel 1998 all’istituzione della Corte Penale Internazionale e all’approvazione del suo statuto nel 2002. Un passo decisivo è stato fatto. Rimangono certamente aperte alcune questioni gravi, come l’assenza di una polizia internazionale che della Corte costituisca il braccio forte e il necessario strumento di intervento su mandato delle Nazioni Unite. Tuttavia non può che apparire come una paradossale eterogenesi dei fini l’attuale posizione degli Stati Uniti. Fu infatti il presidente americano Roosvelt, nel 1941, con l’enunciazione della «dottrina delle quattro libertà» a preparare il terreno alla proclamazione nel 1945 della Carta delle Nazioni Unite, il Charter di Norimberga e quindi alla stessa Dichiarazione Universale dei Diritti dell’Uomo nel 1948. Ma sono oggi gli stessi Stati Uniti a rifiutare – per timore di «pregiudizi ideologici» contro i propri governanti – l’ipotesi di una Corte Penale posta a tutela del diritto internazionale. Quello che voglio dire è che la soluzione delle questioni del trapasso da un regime autoritario, colpevole di crimini contro l’umanità, oggi in Iraq come nel dopoguerra in Europa o in Giappone, non può assumere il volto della «giustizia dei vincitori». La via del diritto e dei Tribunali Internazionali è l’unica che salvaguardi il principio del «giudizio equo», come condizione per emettere verdetti di colpevolezza. Ma è anche la sola garanzia per inventariare e provare i crimini perpetrati dalla dittatura, avviare un processo di pedagogia liberale e democratica, consegnare certezze alla memoria storica.

Nota sulle fonti Le tesi di Antonio Cassese sono formulate nel suo intervento in: Crimini di guerra, a cura di R. Gutman e D. Rieff, Contrasto, Roma 2003. Dello stesso autore è fondamentale il volume I diritti umani nel mondo contemporaneo, Laterza, Roma-Bari 1988, in particolare le pp. 69 segg.; sul bombardamento atomico delle città giapponesi, cfr. J. Rawls, Hiroshima, non dovevamo, Reset, Milano 1995. Osservazioni importanti anche in T. Taylor, Nuremberg and Vietnam. An American tragedy, Bantam Books, New York 2001, pp. 130 segg. Per la categoria di «giustizia dei vincitori», cfr. G.E. Gründler e A. von Manikowsky, Nuremberg ou la justice des vainqueurs, Laffont, Paris 1969, pp. 38–52, oltre a F. Buscher, The U.S. war crimes trial program in Germany, Greenwood, New York 1989, pp. 184 segg.; cfr. anche P. Maguire, Law and war. An American story, Columbia University Press, New York 2001, pp. 130 segg. Sull’amministrazione della giustizia dopo la seconda guerra mondiale, cfr. The politics of retribution in Europe, a cura di I. Déak, J.T. Gross e T. Judt, Princeton University Press, Princeton 2000. Sui singoli casi nazionali, cfr. P. Novick, The Resistance versus Vichy. The purge of collaborators in liberated France, Columbia University Press, New York 1968, pp. 269 segg.; L. Huyse, The criminal justice system as a political actor in regime transitions: the case of Belgium 1944–1950, in The politics of retribution in Europe, cit., pp. 161 segg.; P. Romijn, Snel, streng en rechtvaardig. Politiek beleid inzake de bestraffing en reclassering van «foute» Nederland-

Riconsiderando il problema dell’epurazione in Italia dopo il 1945

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ers 1945–1955, De Haan, Houten 1989. Per le epurazioni nell’Europa centrorientale dopo il 1945, cfr. L. Kettenacker, The Anglo-Soviet alliance and the problem of Germany 1941–1945, «Journal of Contemporary History», 17/1982, pp. 435–458; C. Gati, Hungary and the soviet bloc, Duke University Press, Durham 1986, pp. 28– 33; G. Ionescu, Communism in Rumania 1944–1962, Oxford University Press, London-New York 1964, pp. 90 segg.; K. Kersten, The establishment of communist rule in Poland 1943–1948, University of California Press, Berkeley-Los Angeles 1991, pp. 122 segg. Sulla transizione dal comunismo e sulle procedure della giustizia dopo il 1989, cfr. T. Garton Ash, History of the Present, Random House, New York 1999 (trad. it. Storia del presente, dalla caduta del muro alle guerre nei Balcani, Mondadori, Milano 2001, pp. 205–227). Osservazioni acute di Adriano Sofri in Altri Hotel. Il mondo visto da dentro 1997–2002, Mondadori, Milano 2002, pp. 140 segg., pp. 218 segg. La citazione di A. Battaglia è tratta da Giustizia e politica nella giurisprudenza, in Dieci anni dopo 1945–1955, Laterza, Bari 1955, p. 335. Per gli studi sull’epurazione in Italia, cfr. Z. Algardi, Processo ai fascisti, Parenti, Firenze 1958; M. Flores, L’epurazione, in L’Italia dalla Liberazione alla Repubblica, Feltrinelli, Milano 1977, pp. 140 segg.; L. Mercuri, L’epurazione in Italia 1943–1948, L’Arciere, Cuneo 1988; R.P. Domenico, Processo ai fascisti, Rizzoli, Milano 1996. Interessante è il capitolo dedicato all’epurazione degli agenti segreti in M. Franzinelli, I tentacoli dell’OVRA, Bollati Boringhieri, Torino 1998, pp. 472 segg. Cfr. infine R. Canosa, Storia dell’epurazione in Italia. Le sanzioni contro il fascismo 1943–1948, Baldini e Castoldi, Milano 1999, pp. 119 segg., pp. 299 segg. Il volume di H. Woller è intitolato I conti col fascismo, Il Mulino, Bologna 1997 (si veda in particolare il capitolo VI). Sulle responsabilità di P. Nenni, cfr. L. D’Angelo, I socialisti e la defascistizzazione mancata, Angeli, Milano 1997, pp. 83–84. L’istruttoria di quello che sarebbe dovuto divenire il processo unificato a tutti i comandanti tedeschi per i crimini di guerra commessi in Italia è contenuta nella busta Judge Advocate General Military Tribunal, London: War Crimes German Generals, presso il Public Record Office – War Office (d’ora in poi PRO-WO) 310/123. Una collezione significativa degli ordini relativi alle disposizioni di rappresaglia, deportazione e decimazione di massa delle popolazioni civile è nella busta German Orders and Notices, PRO-WO 32/12206. E’ possibile ricostruire l’evoluzione della discussione degli Alleati sulla opportunità di celebrare il «grande processo», attraverso i seguenti documenti: PRO-WO 204/2190, Allied Forces Head Quarters, Central War Crimes. From C.W. Christenberry to M. Scoccimarro, 27th June 1945; PRO-WO 32/14566, Record of the Meeting held in Hobert House (London, 10th August 1945) to discuss Trial of minor War Criminals; PRO-WO 32/12206, War Crimes in Italy, under Secretary of State 11th August 1945; PRO-WO 32/14566, (Loose Minute) Germans Reprisals against Italians for Partisan Activity, 15 March 1946; PRO-WO 32/566, Under Secretary of State. War Crimes, the War office London 9th April 1946; PRO-WO 32/14566, German Reprisals Against Italian Civilians 15th April 1946 (lettera del Deputy Judge Advocate General, col. J.E.M. Cunning, al Judge Advocate General, London Cockpur Street).

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Michele Battini

Sui processi britannici ai criminali di guerra tedeschi in Italia, rinvio al mio libro Peccati di memoria. La mancata Norimberga italiana, Laterza, Bari – Roma 2003, pp. 19 e segg.; sui processi in Germania, cfr. D. Bloxham, Genocide on trial, Oxford University Press, Oxford 2001. La letteratura su Norimberga è enorme. Mi limito a rinviare alla più aggiornata raccolta di studi: The Nuremberg trial and international law, a cura di G. Ginsburgs – V.N. Kudriavtsev, Dordrecht, Boston 1990.

Brunello Mantelli

Die verdrängte Erinnerung: Verfolgungspolitik und Kriegsverbrechen des faschistischen Italien

Es gibt zwei Hauptthemen, die in diesem Zusammenhang geklärt werden müssen: erstens die Grausamkeit der Kriegsverbrechen des monarchisch-faschistischen Regimes sowie das, was in den von diesem Regime besetzen Gebieten, z.B. in Äthiopien, im Zeitraum zwischen 1935 und 1943 geschehen ist. Das zweite zentrale Thema ist die »Logik«, in die sich diese Kriegsverbrechen einordnen: Warum haben sie stattgefunden? Kriegsverbrechen können in zahlreichen unterschiedlichen Zusammenhängen stattfinden. Das heißt nicht, daß jedes Kriegsverbrechen moralisch anders beurteilt wird: ein Mord ist ein Mord, unabhängig von den Umständen, in denen er begangen wird. Da ich jedoch Historiker bin und kein Richter, werde ich keine ethischen Bewertungen vornehmen, sondern versuchen, die Ereignisse und deren Auslöser zu rekonstruieren. Die moralische Beurteilung nimmt nicht der Wissenschaftler als solcher vor, sondern der Bürger. Was die Kriegsverbrechen betrifft, so muß man versuchen, den Kontext zu ermitteln, in dem jedes einzelne Verbrechen stattgefunden hat. Mit anderen Worten: Es gilt zu prüfen, ob es sich um ein Ereignis handelt, das zu einer übergreifenden Strategie gehört, oder ob man es mit dem Ausbruch zerstörerischer punktueller Energien zu tun hat. Als Historiker – nicht als Richter oder Bürger – muß ich unterscheiden zwischen dem Massaker von Civitella Val Di Chiana,1 bei dem nur erwachsene Männer getötet wurden, und den Massakern von Marzabotto und Sant’Anna di Stazzema,2 bei dem die Henker im Sinne einer Ausrottungspolitik handelten und jedes menschliche Wesen eliminierten, auf das sie trafen: Frauen, Alte, Kinder und selbstverständlich ohnehin die erwachsenen Männer. Es sind zwei Massaker, die unterschiedlichen Logiken zugeordnet werden müssen, wenn man sie verstehen will. Es geht hier nicht darum, daß es moralisch weniger verwerflich ist, nur erwachsene Männer zu töten. Aber in einem solchen Fall handelt es sich um eine klassische barbarische Militärstrategie: Ich töte die, die mit Waffen gegen mich vorgehen könnten. Diese Strategie ist von Lutz Klinkhammer analysiert worden, seine Untersuchungen zu den nationalsozialistischen Massakern in Italien wurden vom Donzelli-Verlag3 veröffentlicht. Die verdrängte Erinnerung

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Leonardo Paggi (Hg.), Storia e memoria di un massacro ordinario, Rom 1996. Vasco Ferretti, Le stragi naziste sotto la Linea Gotica 1944. Sant’Anna di Stazzema, Padule di Fucecchio, Marzabotto, Mailand 2004. Stragi naziste in Italia. La guerra contro i civili (1943–44), Rom 1997.

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Das dritte Thema, das uns interessiert, ist die Wahrnehmung dieser nationalen Vergangenheit durch die heutigen Italiener und durch die Institutionen, die sie repräsentieren. Denn ob es uns gefällt oder nicht: Die Regierung, der Benito Mussolini auf Auftrag seiner Majestät König Viktor Emanuels III. vorstand, war damals die verfassungsmäßig legitime italienische Regierung, als die sie auch international anerkannt war. Das Verhältnis zu dieser Vergangenheit ist folglich ein Problem, mit dem unsere Gegenwart zurechtkommen muß. Wie kommt es, daß das, was die Deutschen »Vergangenheitsbewältigung« nennen, in unserer kollektiven Vorstellungswelt so wenig Platz einnimmt? Warum mußten zwei Historikergenerationen vergehen, bevor man angefangen hat, sich mit diesen Themen zu beschäftigen? Welches Projekt steht hinter dem italienischen Imperialismus? Wie ist er einzuordnen? Trug er rassistische Züge? Wie kommt es, daß dazu erst seit sehr kurzer Zeit eine umfassende Untersuchung vorliegt?4 Das Problem der Verdrängung ist in Wirklichkeit noch weit größer, als man denkt. Selbst unter gebildeten, an Geschichte interessierten Personen dürfte es nur wenige geben, die etwas von der Hungersnot wissen, der in Griechenland während der italienischen Besatzung mehr als 40 000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Das ist die Schätzung des Internationalen Roten Kreuzes, das bekanntlich zu großer, manchmal übertriebener Vorsicht neigt. Und wer kennt schon Namen wie Debrá Libanós oder Arbe (auf kroatisch Rab)? Debrá Libanós ist der Name eines koptisch-christlichen Klosters. Es ist eine Art äthiopisches Marzabotto. Nach dem von eritreischen Widerstandskämpfern 1937 verübten Attentat auf den Gouverneur von Addis Abeba, General Rodolfo Graziani, wurde das Kloster von italienischen Truppen unter General Maletti umstellt. Sämtliche Personen, Mönche und Gläubige, die sich dort zur religiösen Feier aufhielten, wurden zusammengetrieben, in eine Schlucht geführt und erschossen, und zwar auf die gleiche Art, wie sie wenige Jahre später bei den berüchtigten deutschen Einsatztruppen, die sich im besetzten Gebiet der Sowjetunion bewegten, üblich war. Es waren nicht faschistische »Schwarzhemden«, die sich hier auf eine Weise verhalten haben, die eines zivilen Volks unwürdig ist, sondern es waren Offiziere und Soldaten der königlichen Armee, darunter hochdekorierte Militärs. Auf Arbe, einer dalmatischen Insel, wurde nach der Besatzung und Auflösung des jugoslawischen Königreichs 1941 ein italienisches Konzentrationslager gebaut, das in den zwölf Monaten seines Bestehens eine analoge Sterberate zum deutschen Konzentrationslager Dachau aufwies. Erst vor kurzem wurde eine wichtige Untersuchung zu den faschistischen Konzentrationslagern veröffentlicht;5 sie ist das Ergebnis jahrelanger Recherche und füllt eine lange Zeit bestehende Forschungslücke. 4 5

Davide Rodogno, Il nuovo ordine mediterraneo. Le politiche di occupazione dell’Italia fascista (1940–1943), Turin 2003. Carlo Spartaco Capogreco, I campi del Duce. L’internamento civile nell’Italia fascista (1940–1943), Turin 2004.

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Es scheint mir problematisch, daß die italienischen Jugendlichen und oft auch ihre Lehrer und jene, die über durchschnittliche Kenntnisse verfügen, zwar – zu Recht! – wissen, was Auschwitz, Dachau, Mauthausen und vielleicht auch Kolima sind, aber daß sie nichts oder fast nichts von Debrá Libanós und Arbe wissen. Einige Anhaltspunkte für weitere Überlegungen scheinen mir wichtig: Tatsächlich bestand die Besonderheit des monarchisch-faschistischen Regimes in der Übernahme einer hegemonialen Ausrichtung, die bereits vorher bestand, dann aber in einem offen rassistischen Sinne ausgelegt wurde und schließlich in der Besatzungspolitik zum Tragen kam, wie sie sich vor allem nach 1935 entfaltete (aber bereits ab Mitte der 20er Jahre gegeben war). Ich halte tatsächlich den Ausdruck »monarchisch-faschistisches Regime« für angemessen, um die Zeit von 1922 bis 1943 zu definieren. Für die Zeit nach der Unterzeichnung des Konkordats 1929 wäre vielleicht der Ausdruck »monarchisch-klerikal-faschistisches« Regime noch treffender. Ihm folgte mit der Wiederherstellung von Mussolinis Faschismus auf den Bajonetten des nationalsozialistischen Verbündeten von Mitte September 1943 bis zum definitiven Zusammenbruch Ende April 1945 das »faschistisch-republikanische Kollaborationsregime«. Die imperialistische Ambition des monarchisch-faschistischen Regimes kam nicht von ungefähr. Sie besaß Vorläufer. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte der ehemalige Demokrat und Garibaldi-Anhänger Francesco Crispi versucht, Äthiopien zu erobern, was zur verheerenden Niederlage von Adua geführt hatte.6 Damals wurden bei den »Irredentisten«, die sich dem Nationalismus verschrieben hatten, vehement Stimmen laut, die auf das Ostufer der Adria abzielten, allerdings nicht in dem Sinn, daß man die dort befindlichen italienischen Gemeinden »erlösen« und mit dem »Vaterland« vereinen wollte (womit implizit jede annexionistische Logik in Bezug auf einheitlich slawische Gegenden ausgeschlossen wurde), sondern weil man sie, im Sinne reiner Machtpolitik, als Raum für die eigene Ausdehnung betrachtete. Mussolinis Faschismus erbt diese Tendenzen, macht sie sich zueigen und lädt sie mit hegemonialer, extrem nationalistischer und imperialistischer Wertigkeit auf, wobei er zusätzlich rassistische Nuancen dazutut. Dieser Prozeß wird vor allem mit der Eroberung Libyens von 1922 an sichtbar. Während des Ersten Weltkriegs hatte die Regierung in Rom anderes zu tun, als sich um die Kolonien zu kümmern. Am Isonzo und entlang der gesamten Ostgrenze Italiens herrschte Krieg und verschlang jede verfügbare militärische Ressource. Deswegen hatte die italienische Kontrolle über Tripolitanien und die Cyrenaika nachgelassen, also über die Gebiete, die 1911 unter Giovanni Giolitti erobert worden waren: Sie beschränkte sich hauptsächliche auf die Städte im Küstenstreifen, während die Macht im Landesinneren von den Eingeborenen und den lokalen Machthabern zurückerobert worden war, die seither wieder ihre traditionellen Funktionen wahrnahmen. Dies galt besonders für die Cyrenaika, wo die Macht wieder an die islamische Bruderschaft der Sanussiya gefallen war. Es war Omar al Muktar, ein 6

Nicola Labanca, In marcia verso Adua, Bologna 1993.

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Angehöriger dieser Bruderschaft, der in der Folgezeit für lange Jahre den Widerstand gegen die italienischen Besatzer anführte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs unternahmen die liberal-bürgerlichen, präfaschistischen Regierungen – hin- und hergerissen zwischen einer Politik der harten Hand und der Bereitschaft, mit den traditionellen libyschen Machthabern zu einer Einigung zu gelangen – einen Feldzug zur Rückeroberung Libyens, aus dem alsbald ein neuer libyscher Krieg wurde. Nachdem Mussolini an die Macht gelangt war, berief er den damals noch jungen Offizier Rodolfo Graziani an die Spitze des militärischen Unternehmens. Graziani beschloß, nach einer Reihe auf terroristische Art geführter militärischer Operationen das Problem folgendermaßen zu lösen: Die aus kriegerischen Hirten bestehenden, schwer kontrollierbaren Nomadenstämme sollten seßhaft gemacht werden. Graziani ließ also befestigte Dörfer bauen, die in Wirklichkeit Gefängnisse waren, und ließ einen Großteil der Nomadenbevölkerung dorthin bringen. Was passiert nun, wenn man Nomaden, die in einem fast wüsten Gebiet wohnen, zwingt, seßhaft zu werden, ohne sie mit zusätzlichen Ressourcen zu versorgen? Man verurteilt sie zum Hungertod. Tatsächlich ist der Zwang zur Seßhaftigkeit eine verbreitete Form des Konzentrationslagers; Entsprechendes geschah beispielsweise zur Zeit Stalins in einigen mittelasiatischen Gebieten der UdSSR: Die Nomaden wurden gezwungen, sich in einem bestimmten Gebiet niederzulassen und bezahlten dies mit Tausenden von Toten. Graziani rühmt sich in seinen Reden und Briefen damit, daß er Libyen befriedet habe. Er habe Gutes getan, weil er Nomaden seßhaft gemacht und ihnen sogar Häuser gegeben habe. Daß dadurch viele von ihnen hungers starben, interessierte ihn nicht. Die Opfer gehen in die Zehntausende, und das ist sehr viel, wenn man bedenkt, daß es um eine Bevölkerung geht, die insgesamt nur wenige hunderttausend Personen umfaßt. Dies ist mit Blick auf Afrika ein tragisches Vorspiel. Man muß aber auch auf die Situation an der italienischen Nord-Ost-Grenze schauen. Es sei daran erinnert, daß der faschistische Squadrismo, also das gewalttätige Auftreten der faschistischen Kampfbünde, sich zum ersten Mal in aller Heftigkeit 1920 in Triest manifestiert, als der Sitz der slowenischen Kulturorganisationen zerstört wird. Ziel der »Schwarzhemden« sind die Slawen, die gewaltsam »nationalisiert« werden sollen. Gemeint sind die Slowenen und Kroaten, die in jenen Gebieten wohnen, die Italien mit dem Vertrag von Saint-Germain-en-Laye (10. September 1919) zugesprochen worden waren, nicht jene, die in den Gebieten leben, die erst später, 1941, besetzt werden. In den Blick nehmen muß man den hartnäckigen Versuch auf Seiten des monarchisch-faschistischen Italiens, den kroatischen Nationalismus und ebenso die philobulgarische nationalistische Freiheitsideologie, die es in Mazedonien gab, zu nutzen, um das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (seit 1931 Königreich Jugoslawien) zu destabilisieren und sich dann einen Teil des Gebietes einzuverleiben. Man darf nicht vergessen, daß sich Ante Pavelic´, der Anführer der Ustasˇa, und sein »rechter Arm« Eugen Kvaternik lange Zeit

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in einer Art vergoldetem »Gewahrsam« in Turin in einer Villa im öffentlichen Besitz in einem zentral gelegenen bürgerlichen Viertel aufhielten. Kvaterniks Vater Slavko wurde bekanntlich später der provisorische Anführer des »Unabhängigen Kroatischen Staates«, der aus der Krise des Jahres 1941 hervorging. Überdies schuf das faschistische Regime auf Lipari neben dem Konzentrationslager für Antifaschisten ein Camp für die Ustasˇa, das als Gefangenenlager getarnt, in Wirklichkeit aber ein Trainingslager für den Umgang mit Waffen war. All dies ist Teil einer expansionistischen Logik in der Außenpolitik, die mit der bewaffneten Aggression gegen Äthiopien 1935 eine zusätzliche Radikalisierung erfährt. Der italienische Angriff auf den Staat, der von Hailé Selassié regiert wurde, markiert in vielfacher Hinsicht einen Bruch des internationalen Gefüges, der direkt zum Zweiten Weltkrieg führt. Speziell auf Italien bezogen beginnt mit diesem Bruch das, was ich Mussolinis »zehnjährigen Krieg« nennen möchte: Von da ab befindet sich Italien praktisch ununterbrochen bis 1945 im Kriegszustand. Auf den Krieg gegen Äthiopien folgen die »Befriedungsfeldzüge« in dem eroberten Reich. Sie dauern lange, ja, im Grunde enden sie gar nicht richtig, sondern verbinden sich mit dem Zweiten Weltkrieg. Parallel dazu finden die Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg, die Besetzung Albaniens und der Kriegseintritt am 10. Juni 1940 an der Seite des nationalsozialistischen Deutschlands statt. Da sich das italienische Königreich in diesen zehn Jahren permanent im Krieg befindet, erscheint es, auf die mittlere Reichweite bezogen, sinnvoll, den Angriff auf Äthiopien als eigentlichen Beginn des Zweiten Weltkriegs zu betrachten. Wir verlassen für einen Moment den nationalen Radius und blicken auf die Zusammenhänge im Weltmaßstab. Der internationale Status Quo, so wie ihn die Vereinbarungen von Versailles7 festgelegt hatten, wurde zum ersten Mal 1931 durch die japanische Besetzung der chinesischen Mandschurei verletzt. Zwar handelte es sich um den ersten Bruch der Nachkriegsordnung, aber die Mandschurei war weit weg, und folglich erschien ihr Schicksal in den Hauptstädten der Großmächte nicht von vorrangiger Bedeutung. Nach der Krise um die Mandschurei, die bereits die Grenzen des Völkerbundes und seine Unfähigkeit, effizient zu intervenieren, aufzeigt, stellt der italienische Angriff auf Äthiopien den zweiten ›Showdown‹ dar, allerdings von ungleich größerem Gewicht: Ein europäischer Staat macht sich daran, ein anderes großes, unabhängiges Land zu besetzen (neben Liberia das einzige afrikanische Gebiet, das nicht europäische Kolonie war). Beide, Angreifer und Überfallene, sind Mitglieder des Völkerbundes, der aber nicht im Stande ist, irgendetwas Konkretes zu tun. Lediglich wirtschaftliche Sanktionen werden erlassen, die aber von Anfang an praktisch unwirksam sind, da sie Kohle und Erdöl ausschließen. Durch die Unterstützung, die Italien von »Vasallen« wie Albanien und Österreich erfährt, sowie von Ländern, die nicht 7

»Versailles« verstehe ich hier als Sammelbegriff für alle Verträge, die das Ende des Ersten Weltkrieges markieren. Hier will ich nicht weiter auf die Grenzen der Verträge und auf deren Auswirkung auf die späteren katastrophalen Geschehnisse eingehen.

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zum Völkerbund gehören (wie die USA und Deutschland, das am 14. Oktober 1933 ausgetreten war), werden sie dann vollständig bedeutungslos. Der internationale Kontext, in dem der Angriff der königlichen Truppen am Horn von Afrika stattfand, spielte dabei eine entscheidende Rolle: Wenige Monate später, am 7. März 1936, befahl Hitler der Wehrmacht, das gemäß dem Vertrag von Versailles entmilitarisierte Rheinland zu besetzen. Die Quellen belegen, daß die nationalsozialistische Führungsmannschaft und der Diktator selbst dabei Vabanque spielten. Sie übergingen die Zweifler unter den militärischen Führungskräften, von denen einige sogar den Staatsstreich in Erwägung zogen, um den »Führer« außer Gefecht zu setzen und seine Risikopolitik zu beenden, falls die Franzosen sich mit Waffengewalt der Verletzung der Friedensvereinbarungen widersetzt hätten, die ja von Deutschland mit der Unterschrift unter den Vertrag von Locarno 1924 zusätzlich anerkannt worden waren. Wie kalkuliert Hitler in dieser Situation? Der Völkerbund, Großbritannien und Frankreich haben de facto Mussolini in Äthiopien freie Hand gelassen. Das beweist ihre Dekadenz; folglich werden sie sich auch nicht widersetzen, wenn sich das neue nationalsozialistische Deutschland aus dem Käfig von Versailles befreit. Bekanntlich haben ihm die Tatsachen recht gegeben: Das Rheinland wurde remilitarisiert, und die Regierung in Paris beschränkte sich auf einen diplomatischen Protest, setzte aber die eigenen Soldaten nicht in Bewegung. Die 1919 gefundene Ordnung war damit zerstört. Schauen wir aber noch einmal auf Äthiopien: Die Eroberung des Landes wurde bekanntlich von einer Propaganda begleitet, die »rassistisch« und »antifeministisch« zu nennen, einen Euphemismus darstellt. Man denke beispielsweise an das berühmt-berüchtigte Lied »faccetta nera« (»schwarzes Gesichtchen«), das im Grunde eine Einladung zur Vergewaltigung darstellt, und sei es auch im Namen der »überlegenen lateinischen Zivilisation«. Das Bild, das dem italienischen Volk vermittelt wird, so hat es Adolfo Mignemi8 in zahlreichen Untersuchungen gezeigt, produziert eine Vorstellung von der Besatzung eines Landes, das es zum Nutzen der Heimat auszubeuten gilt; darüber hinaus geht es aber vor allem um die Verwirklichung einer Zivilisierungsmission, die es allerdings mit einer ontologisch »minderwertigen« menschlichen Qualität auf Seiten der Kolonisierten zu tun hat. Tatsächlich bedient sich Italien in Äthiopien nicht des britischen Kolonialmodells des indirect rule, bei dem den lokalen Eliten die Verwaltungsbefugnisse übertragen werden; ebensowenig hält man sich an das anders geartete französische Modell, das zur »Französisierung« der Eliten tendiert. Weder sollen die lokalen Eliten »italianisiert« werden, noch ist man bereit, ihnen auch nur einen begrenzten Machtspielraum zuzugestehen. Stattdessen will man befehlen, weil man weiß ist, weil man Träger der »lateinischen Zivilisation« und »Herrschervolk« ist. Dies ist die Kultur, die den Offizieren, den Soldaten und den Zivilpersonen, die sie beglei8

Siehe dazu A. Mignemi (Hg.), Immagine coordinata per un impero. Etiopia 1935–1936, Turin 1984.

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ten, mitgegeben wird. Nicht zufällig gehört zu dieser Kultur die Logik des großen Pogroms von Addis Abeba als Antwort auf das Attentat auf Graziani 1937. Es ist ein Massaker en masse, bei dem italienische Zivilisten, also Durchschnittsbürger, Lastwagenfahrer, Journalisten, Arbeiter, Bauern, die, auf der Suche nach Land, eingewandert waren, das »Schwarzhemd« anzogen, sich mit Gewehren, Messern, Knüppeln und Ähnlichem bewaffneten, in die Eingeborenenviertel von Addis Abeba eindrangen und sämtliche Einwohner töteten – Männer, Frauen und Kinder. Die italienischen Quellen sprechen von 3000 Toten, die äthiopischen von 30 000, unabhängige Quellen sprechen von 15 000–20 000 Opfern. Es war tatsächlich ein Massaker, das drei Tage andauerte, ohne daß die Kolonialbehörden einschritten. Es wurde vielmehr von der Parteidirektion in Addis Abeba gestoppt, als die Behörden der Ansicht waren, die Lektion reiche aus und die Eingeborenen hätten nun gelernt, wer das Kommando habe. Denn das ist letztlich die ausschlaggebende Logik: Die Besetzten müssen den Besatzern gehorchen, und wehe, wenn sie Widerstand leisten. Da gibt es keinen Unterschied zu den Grundsätzen, welche später General Kesselring während der nationalsozialistischen Besatzung Italiens nach dem 8. September 1943 leiteten. Kesselring allerdings wurde nach dem Ende des Weltkriegs der Prozeß gemacht (in Venedig), während niemand jemals für das Pogrom von Addis Abeba angeklagt worden ist. Zu später Nachtstunde hat das italienische Fernsehen vor einiger Zeit eine Dokumentation mit zeitgenössischem Originalfilmmaterial ausgestrahlt. Darin wurde gezeigt, wie die Stadtviertel von Addis Abeba nach dem Pogrom aussahen. Auch wurde die Hinrichtung der äthiopischen Rebellenanführer thematisiert. Ihnen war freies Geleit versprochen worden, falls sie sich ergäben. Tatsächlich wurden sie aber vielfach, als sie auf das Angebot eingingen, trotz der Zusagen gehängt. Auch die Art der Hinrichtung ist bedeutsam: Die Erschießung wurde von den Parteifunktionären und den Offizieren, die in der Kolonie tätig waren, als ein zu »nobler« Umgang mit »Barbaren einer minderen Rasse« betrachtet. Ebenfalls in Italienisch-Ostafrika wurde eine rassistisch-biologistische Gesetzgebung ausprobiert, mittels derer das monarchisch-faschistische Regime die Vermischung von Italienern und Eingeborenen verhindern wollte. In der Regel ging es dabei um die Beziehungen zwischen italienischen Männern und afrikanischen Frauen. Der umgekehrte Fall kam sehr selten vor. Was diesen Punkt betraf, setzte der Faschismus eine lange Tradition fort, die bis zu den Eroberungen der ersten Kolonien in der spätliberalen Ära zurückging: Es war der Kampf gegen den sogenannten »madamismo«, womit ein Brauch bezeichnet wurde, der unter den Militärs und den zivilen Funktionären in der Kolonie weit verbreitet war: Sie lebten mit einer einheimischen Frau (»madama« genannt) zusammen, unabhängig davon, ob sie in der Heimat bereits verheiratet waren. Es war abzusehen, daß mit der Eroberung Äthiopiens die Zahl der dauerhaft dort lebenden Italiener erheblich steigen würde und daß es auch zu einem Anstieg der Zahl der »madame« kommen würde. Folglich wurden neue Erlasse herausgegeben, die dieses Phänomen unterdrücken sollten. Nun allerdings basierten sie nicht mehr wie früher auf der Idee der »nationalen Ehre«, die es zu verteidigen galt, oder auf der Notwen-

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digkeit, mit der einheimischen Bevölkerung nicht zu vertraulich umzugehen, sondern auf der Verpflichtung, die Reinheit der »italischen Rasse« zu verteidigen und deren Blut nicht mit dem »minderwertiger Völker« zu vermischen. Der Briefwechsel zwischen Benito Mussolini und seinem Außenminister Galeazzo Ciano enthält diesbezüglich zahlreiche Feststellungen, die die gemeinsame Sorge um den Schutz des »Bluts« dokumentieren. Michele Sarfatti geht darauf in seinem schönen Buch Mussolini gegen die Juden (Mussolini contro gli ebrei)9 ein. Die faschistischen Maßnahmen in Äthiopien nehmen die südafrikanische Apartheid vorweg: das absolute Verbot jeder Form von intimer Beziehung zwischen Italienern und Einheimischen, sei es als Ehe oder in anderer Form, sowie schwere Sanktionen im Fall der Nichtbeachtung. Sogar das altbewährte Rechtsprinzip des Jus Sanguinis wurde gebrochen, insofern das Kind einer »gemischten« Beziehung in keinem Fall vollständig italienischer Staatsbürger werden konnte, selbst wenn der italienische Elternteil es formal anerkannt hätte. Die rassistische Gesetzgebung für Äthiopien ist das erste Beispiel für die Hinwendung des Regimes zum biologisch begründeten Rassismus, wie er dann mit entsetzlicher Wirkung in der antisemitischen Gesetzgebung von 1938 wieder aufgenommen wurde. Dabei sei festgehalten, – nicht um den Faschismus zu entschuldigen, sondern um der Klarheit willen – daß die erdrückende Mehrheit der Biologen, Demographen und überhaupt der Wissenschaftler in ganz Europa in jener Zeit davon überzeugt ist, daß es so etwas wie »Rassen« tatsächlich gebe. Ihre Existenz galt als Tatsache, die von zahlreichen italienischen Wissenschaftlern anerkannt und behauptet wurde, darunter auch von bedeutenden Fachleuten – von denen nicht wenige nach 1945 so taten, als hätten sie Dergleichen nie geschrieben oder gesagt. Der Unterschied allerdings besteht darin, daß mit den Faschismen weit verbreitete wissenschaftliche Überzeugungen (zu behaupten, daß es Rassen gibt, bedeutet noch nicht automatisch, Rassist zu sein!) und volkstümliche, mehr oder weniger tief verwurzelte Vorurteile Gesetze des Staates werden, die Verhaltensformen erzwingen, welche dem Körper, das heißt dem physischen Dasein, Gewalt antun. Ich will noch ein weiteres Beispiel anführen: Es stammt aus einer späteren Zeit, schon gegen Ende des monarchisch-faschistischen Regimes. Es ist die Zeit 1941–1943, als Italien am Rußlandfeldzug teilnahm und eine entscheidende Rolle bei der Besetzung des Balkans spielte. Beim Rußlandfeldzug hatte die Italienische Armee in Russland (ARMIR) nicht nur die Aufgabe, einen Abschnitt der Front zu halten, sondern mußte auch hinter der Front ein sehr großes besetztes Gebiet verwalten, in dem Zivilisten leben und in dem es Dörfer und Städte gibt. Thomas Schlemmer10 hat sich mit diesem Kapitel befaßt. Liest man die Befehle des Oberkommandos der ARMIR, wie die sowjetischen Zivilisten zu behandeln seien und wie man sich im Falle von Partisanenangriffen und bei Ungehorsam der Einheimischen verhalten solle, sieht man, daß sie sich 9 10

Turin 1994. Vgl. dazu Th. Schlemmer (Hg.), Die Italiener an der Ostfront 1942/43. Dokumente zu Mussolinis Krieg gegen die Sowjetunion, München 2005.

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nicht sehr von denen unterschieden, die die Deutschen als Besatzungsmacht in Italien später erließen. Bei »terroristischen Attentaten«, also bei einer Partisanenaktion, sollen Geiseln genommen werden. Wenn man selbst Verluste erleidet, soll man die Geiseln erschießen gemäß einer festgelegten Proportion, je nachdem, wie schwer die Verluste waren. Wenn »Verbrecher« (also Partisanen) in einem Dorf Zuflucht gefunden hatten, konnten die verantwortlichen Dorfbewohner bestraft werden, indem ihre Lebensmittelreserven ausgeplündert wurden, durch Brandschatzung oder ähnliche Maßnahmen. Dies sind Aspekte der italienischen Beteiligung am Rußlandfeldzug, die wenig bekannt sind und mit schöner Regelmäßigkeit in jenen Darstellungen fehlen, die von Historikern in Uniform geschrieben werden. Ich habe entsprechende Befehle in einem deutschen Militärarchivbestand gefunden. Es handelte sich um die übersetzte Fassung, die ein deutscher Verbindungsoffizier, der bei einer der großen Einheiten der ARMIR tätig war, an die eigene Heeresleitung geschickt hat. Paradoxerweise haben sich diese Soldaten und Offiziere der italienischen Rußlandarmee, die später selbst nach dem Zusammenbruch am Don eine entsetzliche Odyssee und den Rückzug erlitten haben, in ihrer Eigenschaft als Besatzer oftmals wie faschistische Besatzer aufgeführt, voller Haß auf die slawische Welt. Was noch untersucht werden muß, ist die Frage, inwieweit sie individuell dieser Ideologie anhingen und in welcher Weise und in welchem Umfang sie Befehle ausführten, die man ohne weiteres als »kriminell« bezeichnen muß. Von der Hungersnot in Griechenland, deren Hauptquelle die Dokumentation des Internationalen Roten Kreuzes ist, habe ich bereits gesprochen. Die griechische Versorgungskrise war Folge der Besatzung, da in jener Zeit die ländlichen Gegenden in puncto Getreideanbau autark waren, während die Städte von Auswärts versorgt werden mußten. Es gab mithin zwei Ebenen der Versorgung mit Lebensmitteln: Die eine basierte auf dem eigenen Verzehr. Dies betraf die ländlichen Gebiete. Die andere lebte vom Import, mit dem die größeren städtischen Zentren versorgt wurden. Vor dem Ausbruch des Krieges wurden die Städte mit Getreide versorgt, das vom britischen Empire kam. Als Griechenland von italienischen, deutschen und bulgarischen Truppen besetzt wurde, blieben die ländlichen Gegenden Selbstversorger, allerdings lastete auf ihnen die italienische Militärmaschine, die sich auf Kosten des besetzten Landes versorgte. Die Deutschen beschränkten sich darauf, die Kontrolle über einige strategische Punkte wie Athen, Piräus, Saloniki und die ägäischen Inseln zu übernehmen. Die Bulgaren besetzten Thessalien, die Italiener hingegen drängten darauf, sich aus Prestigegründen so viel Raum wie möglich anzueignen, nicht zuletzt damit die militärischen Peinlichkeiten am Beginn des Feldzuges in Vergessenheit gerieten. Allerdings konnte Rom nicht für die Versorgung der Städte sorgen. Man wußte tatsächlich nicht, wie man mit der Situation zurecht kommen sollte, die sogar in Berlin einige Unruhe hervorrief, weil man befürchtete, daß, wenn der italienische Alliierte keine Lösung fände, Chaos, Spannungen und Aufruhr der besetzten Zivilbevölkerung zu erwarten seien. Hinzukam, daß auch in den ländlichen Gebieten die Last der italienischen Besatzung das fragile Versorgungsgleichgewicht

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zum Einsturz brachte und eine allgemeine Hungersnot auslöste. In der Zeit zwischen Winter 1941 und Frühling 1943 stehen in Athen jeder Person lediglich 500– 600 Kalorien zur Verfügung. Das ist eine Größe, die den Hungertod bedeutet. Die Hungersnot wurde dann vom Internationalen Roten Kreuz gelindert, das den italienischen Besatzern vorschlug, die Versorgung mit Lebensmitteln zuzulassen, hauptsächlich Getreide aus Kanada, auf Schiffen, die unter neutraler Flagge fuhren. Dabei handelte es sich um einen komplizierten Kompromiß, bei dem auf italienischer Seite die Häfen geöffnet werden mußten, während auf britischer Seite zugelassen werden mußte, daß die griechische Zivilbevölkerung mit Getreide aus dem Common Wealth versorgt wurde. Auf diese Weise verhinderte das Rote Kreuz eine Katastrophe, die aus römischer Sicht allerdings eine durchaus positive Gelegenheit dargestellt hatte: »Die Griechen mögen uns nicht besonders; wenn sie damit beschäftigt sind, sich um ihre Ernährung zu kümmern, rebellieren sie wenigstens nicht gegen uns«, heißt es fast wörtlich in einer Depesche der italienischen Besatzungsbehörde in Athen an das römische Außenministerium im Winter 1941. Was bedeutet dies anderes, als daß man den Hungertod von Zivilisten einkalkulierte?! Was die italienische Besetzung Griechenlands betrifft, muß man mit einem Mythos aufräumen, der schwer zu beseitigen ist: In Griechenland wurden die Italiener viel mehr gehaßt als die Deutschen, was aus der Sicht der Einheimischen auch verständlich war: Tatsächlich hatten die Deutschen sie besiegt und besetzt, als Folge eindeutiger militärischer Überlegenheit, während die Italiener besiegt worden waren und sich bis weit nach Albanien hinein zurückziehen mußten, und dennoch führten sie sich wie Sieger auf. Während der gesamten ersten Phase der Besatzung in den Jahren 1941 und 1942 ist das Bild des Italieners das eines Schwächlings, der schwächer ist als die Besiegten, aber als Herrscher daherkommen will, und das sorgt für Haß und Abscheu, weil es als gemeine Dreistigkeit und nicht als Resultat einer verlorenen Schlacht wahrgenommen wird. Und dann ist da Jugoslawien. Man spricht hier von ca. 250 000 Toten als Folge der italienischen Besatzung. Es handelt sich lediglich um eine Schätzung, da es weder auf italienischer noch auf jugoslawischer Seite genauere Untersuchungen gibt. Allerdings ist die Zahl höchstwahrscheinlich eher niedrig geschätzt. Ich will hier nicht näher auf die unterschiedlichen Politiken für die unterschiedlichen Gebiete eingehen; einige wurden annektiert (der südliche und westliche Teil Sloweniens mit der Hauptstadt Ljubljana und das dalmatische Küstengebiet). Montenegro sollte nach dem Krieg ein formal autonomes Königreich werden, tatsächlich aber ein italienischer Vasallenstaat. Albanien wird vergrößert zum sogenannten Großalbanien, in dem das Kosovo und jene makedonischen Gebiete angegliedert werden, die hauptsächlich von einer albanischsprachigen Bevölkerung bewohnt werden. Das Binnenland von Dalmatien gehört zwar rechtlich zum sogenannten unabhängigen kroatischen Staat, untersteht aber de facto einem militärischen Besatzungsregime.11 Entscheidend ist aber die Haltung, mit der militärische und 11

Die italienische Herrschaft auf dem Balkan zwischen 1941 und 1943 wird ausführlich dargestellt in: L’Italia fascista potenza occupante, in: Qualestoria (2002), Nr. 1.

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zivile Behörden auf die Tatsache reagieren, daß eine große Zahl von »Slawen« – jenseits der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede – nicht bereit sind, Objekt einer »römischen Zivilisierung« zu werden, sondern Widerstand bis hin zum bewaffneten Aufstand leisten. Die Gegenmaßnahmen entsprachen denen des Belagerungszustands, das heißt, sehr rasch wurden die militärischen Behörden für zuständig erklärt, und diese verhielten sich nach Art der Kolonialherren gemäß dem Motto: »Wir bringen ihnen die überlegene lateinische Zivilisation, und statt sich zu freuen, leisten sie Widerstand; folglich sind sie tatsächlich minderwertige Barbaren und müssen entsprechend behandelt werden.« Das Oberkommando der Truppen für Slowenien und Dalmatien erarbeitete daher einen Plan, der die komplette Deportation der slowenischen Bevölkerung vorsah. Sie sollte durch »reinrassige« und »treu-faschistische« Italiener ersetzt werden. Dazu kam es allerdings nicht, weil die materiellen Möglichkeiten zur Umsetzung dieses Plans fehlten. Das wiederum ist typisch für viele italienische Projekte im Lauf des Zweiten Weltkriegs, die sich auf dem Papier immer imposant ausnahmen. Es hätte die organisatorischen Fähigkeiten der Besatzungsmacht überfordert, en bloc 300 000 Personen zu deportieren (so viele Bewohner besaß die neu errichtete »Provinz Leibach«). Ein Zehntel der Einwohner immerhin erlitt ein entsprechendes Schicksal: Tatsächlich gerieten 30 000 Slowenen in eines der »Lager des Duce«, die es von Arbe (Rab) über Gonars (im Friaul) bis nach Cairo Montenotte (auf der nach Savona abfallenden Seite des Apennin) gab. Alle diese Elemente ergeben meines Erachtens das klare Bild, daß der Führungsgruppe des monarchisch-faschistischen Regimes ein imperiales Projekt vorschwebte. Dessen Konturen waren zwar im Detail nicht festgelegt, aber sein Herzstück war die Idee von Hegemonie, verknüpft mit der Idee einer eindeutigen Hierarchie von Völkern auf der Basis des rassischen Prinzips. Die Pläne zur Vorherrschaft über Kontinentaleuropa, die zeitgleich in Hitlers Reich ausgearbeitet wurden, waren davon nicht grundsätzlich verschieden. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn das monarchisch-faschistische Italien am 25. Juli 1943 nicht zusammengebrochen wäre, aber wir wissen, wo es sich hinbewegte. Wir wissen beispielsweise, daß die Deutsche Botschaft in Rom 1942 bei der königlichen Regierung die Erlaubnis einholte, die jüdischen Bewohner aus dem Süden des »Unabhängigen Kroatischen Staates« (also aus Gebieten, die unter italienischer Militärkontrolle standen) nach Norden in das von der Wehrmacht besetzte Gebiet zu bringen. Der Text trägt die Unterschrift des Botschaftsrates Otto von Bismarck, eines Enkels des ersten Reichskanzlers, der zu den ultrakonservativen diplomatischen Kreisen gehörte, die dem Nationalsozialismus und seinem »Führer« mit Vorbehalten gegenüberstanden. Zwischen den Zeilen gab das Dokument zu erkennen, welches Schicksal die Unglücklichen erwartet hätte, wenn die italienischen Behörden der Nachfrage entsprochen hätten. Die Beamten des italienischen Außenamtes standen mit ihrem deutschen Kollegen in Verbindung und verstanden die Andeutungen, weshalb sie Mussolini schrieben, die Situation erklärten und um Instruktionen baten. Der Duce setzte hingegen ein klares »keine Einwände« auf ihr Schreiben und firmierte wie üblich mit seinem schlichten »M«.

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Zum Glück kam die praktische Umsetzung nur schleppend in Gang und blieb mit der Krise des Sommers 1943 komplett stecken. Aber vom Prinzip her war der »Führer des Faschismus« mit der Auslieferung der jüdischen Bevölkerungsgruppe einverstanden, obwohl er genau wußte, was mit ihr passiert wäre. Insgesamt läßt sich sagen, daß es zweifellos ein imperiales Projekt gab, das die Massendeportation feindlicher Bevölkerungsgruppen einschloß. Weniger leicht fällt hingegen die Antwort auf die Frage, was von diesen Plänen in die Wertewelt der Beamten und der Parteifunktionäre, aber auch der militärischen Führung und der Soldaten Eingang gefunden hat. Aber es gibt natürlich schon vielsagende Dokumente, so zum Beispiel den Brief vom 1. Juli 1942 eines Angehörigen der Freiwilligen Miliz für die Nationale Sicherheit (MVSN), der in Montenegro Dienst tat: »Wir haben alles komplett zerstört, ohne die Unschuldigen zu verschonen. Wir töten jede Nacht ganze Familien, wir prügeln sie zu Tode und töten sie. Sie brauchen sich bloß zu bewegen, dann schießen wir ohne Erbarmen. Wenn sie sterben, sterben sie. Heute Nacht gab es fünf Tote. Zwei Frauen, ein kleines Kind und zwei Männer.« Und ein in Südkroatien stationierter Landser schrieb enttäuscht an seine Familie: »Wir nehmen alles mit, was wir tragen können und zünden dann die Häuser an, aber wir von der Mörsereinheit haben wenig Glück, denn wir kommen immer zuletzt, wenn es kaum noch etwas zu holen gibt.« Es ist außerordentlich schwer zu sagen, ob dies die barbarische Logik eines Stammeskrieges ist, bei der jeder arme Teufel, kaum daß man ihm eine Waffe in die Hand drückt, denkt: »Jetzt bin ich stark und plündere«, nachdem er möglicherweise selbst jahrhundertelang Opfer von Quälereien und Ungerechtigkeiten war, oder ob es Ausdruck einer tiefen »Faschisierung« ist. Sicher können wir nicht sagen, ob und wie tief der Faschismus in die kollektive Mentalität eingedrungen ist. Das Problem besteht und bleibt vorerst ungelöst. Man muß außerdem, glaube ich, mit Blick auf den Balkan und auf die dort siedelnden slawischen Völker die zentrale Rolle unterstreichen, die dort einige hohe Funktionäre, Militärs und Diplomaten hatten, die aus Triest stammten. Sie waren Träger eines außerordentlich gewalttätigen Nationalismus und radikalen Antislawismus, die sich beide in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt hatten. Es ist kein Zufall, daß Italien Leute aus Triest auf den besetzten Balkan schickte und Deutschland ehemalige österreichisch-ungarische Untertanen, also Personen, die mit der slawischen Welt vertraut und daran gewöhnt waren, sie für barbarisch, unzivilisiert und feindlich zu halten. Ihre Anwesenheit und ihre Tätigkeit trugen zweifellos dazu bei, daß sich die Situation radikalisierte und daß es außerdem zu permanenten Reibungen unter den Achsenmächten selbst kam. Was ist von diesen Ereignissen im kollektiven nationalen Gedächtnis geblieben? Da muß man wohl antworten: ziemlich wenig. Die Schulbücher haben sich mit diesen Geschehnissen wenig beschäftigt, und heute tendiert man zwar dazu, davon zu sprechen, aber paradoxerweise vom Ende her, das heißt, von dem Drama her, für das das Stichwort Foibe12 steht. Man betrachtet hingegen nicht die Vorgeschich12

Vgl. das sehr wichtige Buch von Raoul Pupo u. Roberto Spazzali, Foibe, Mailand 2003.

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te – wobei deren Betonung klarerweise keine Rechtfertigung späterer Gewalttaten ist. Ich glaube, daß sich die Verdrängung unterschiedlichen Faktoren verdankt, internen und internationalen. Da war zunächst der übergreifende Kontext, der es den westlichen Alliierten nicht opportun erscheinen ließ, in Italien einen Prozeß vergleichbar mit dem von Nürnberg zu führen. Anfang 1943 hatten die antifaschistischen Alliierten eine internationale Untersuchungskommission ins Leben gerufen, die Angaben über von Deutschland, Japan und Italien begangene Kriegsverbrechen sammeln sollte. Man wollte nach Kriegsende drei große Prozesse führen, aber nur zwei wurden verwirklicht: Nürnberg und Tokio. Etwas Vergleichbares fand in Italien nicht statt. Wohl gemerkt, der italienische »Nürnberger Prozeß« sollte nicht, wie bisweilen zu unrecht gesagt worden ist,13 die deutschen Kriegsverbrechen in Italien nach dem 8. September 1943 anklagen, sondern er sollte gegen die italienischen Kriegsverbrecher in der Zeit von 1935 bis 1943 geführt werden. Mit der italienischen Krise vom Sommer 1943 ergab sich für die Alliierten aber ein erhebliches Problem: Mit dem 25. Juli und dann mit dem 8. September 1943 gelangten große Teile der Offiziere und der hohen Beamtenschaft, die eindeutige Verantwortlichkeiten in jenen Jahren in Afrika und auf dem Balkan besessen hatten, im Gefolge des Marschalls Badoglio in das »antifaschistische« Lager, wenn man es denn so nennen darf. Ein Name sei stellvertretend genannt: General Mario Roatta. Solchen Leuten den Prozeß zu machen, hätte bedeutet, jene Führungsschicht in Frage zu stellen, die das Kriegsbündnis gewechselt hatte, und damit wären erhebliche Probleme für den Umgang mit dem italienischen Staatsgebiet entstanden. Hätte man Badoglio und seine Leute delegitimiert, wären die radikaleren antifaschistischen Strömungen einschließlich der Kommunisten zusätzlich legitimiert worden. In den Nachkriegsjahren wog dann auch ein innenpolitischer Faktor schwer: Als man zum ersten Mal daran ging, die für Kriegsverbrechen in Italien verantwortlichen Offiziere der Wehrmacht vor Gericht zu stellen, kam die Sorge auf, damit würde entsprechenden Anfragen von jugoslawischer Seite Raum gegeben, die auf die Auslieferung italienischer Kriegsverbrecher abzielten, denen in Belgrad der Prozeß gemacht werden sollte. Man gelangte zu einer Art Tausch-Logik: Wir Italiener verlangen nicht, daß die deutschen Kriegsverbrecher vor Gericht kommen; im Gegenzug unterstützen uns die westlichen Alliierten, wenn wir die entsprechenden Forderungen aus Jugoslawien zurückweisen. Hinzu kam das Bedürfnis, die Beziehungen zur neugegründeten Bundesrepublik in der Phase des sich vertiefenden Kalten Krieges nicht zu belasten. Ein weiteres Element sei genannt, das die Haltung der antifaschistischen politischen Elite bestimmte. Sie sah sich in der Zeit 1943–44 gezwungen, ihr Verhältnis zu Deutschland zurechtzurücken. Die Arbeiten von Filippo Focardi zu diesem

13

Ein solches Mißverständnis kann man m.E. im Buch von Michele Battini, Peccati di memoria. La mancata Norimberga italiana, Rom 2003, bemerken.

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Thema sind aufschlußreich. Anfangs tendierte man zu einer Unterscheidung zwischen »Volk« und »Regime«: Ebenso wie es falsch gewesen wäre, das italienische Volk wegen des faschistischen Regimes zu bestrafen, so hielt man es auch für falsch, das deutsche Volk in toto zu verurteilen. Mit der Zeit änderte sich diese Haltung, vor allem, weil das, worauf die italienischen Antifaschisten gehofft hatten, nicht eintrat: Es machte sich in Deutschland kein massenhafter Widerstand bemerkbar. Das vom militärischen Widerstand organisierte Attentat vom 20. Juli 1944 scheiterte, und der Bruch an der Spitze blieb aus. Das Volk wurde nicht aktiv, auch wenn man kleine Widerstandskeime, wie sie in den Initiativen der Jugendlichen mit ihren zum Teil abenteuerlichen Namen zum Ausdruck kamen, nicht unterschlagen darf. Zwei Überlegungen leiteten die antifaschistische Führungsschicht: Zum einen schien Hitlers Regime stabil, zum anderen sah man, daß bei den Alliierten eine harte Haltung gegenüber Deutschland vorherrschte. Deutschland sollte, ohne Möglichkeit zur Selbstregierung, einem strengen Besatzungsregiment unterworfen und zur Abtretung beträchtlicher Gebiete gezwungen werden. Vor diesem Hintergrund entschieden sich die italienischen Antifaschisten dafür, eine klare Trennlinie zwischen den ehemaligen Achsenpartnern zu ziehen: Demnach hatten die Italiener Widerstand geleistet, die Resistenza hervorgebracht und kämpften nun an der Seite der Alliierten, während die Deutschen weiterhin ihrem Führer gehorchten. Das bedeutete, daß sie tatsächlich durch und durch Nazis waren, während sich die Italiener vom Faschismus befreit hatten. Diese Entscheidung ist politisch nicht zu beanstanden. Die antifaschistische Elite mußte das Land vor größeren Übeln bewahren, und vielleicht darf ein Politiker ja auch die Vergangenheit verdrehen, aber ein Historiker darf das nicht. Tatsache ist, daß sich die antifaschistische Führungsschicht einschließlich ihrer radikalen Flügel die These von Benedetto Croce14 zueigen machte, gemäß welcher der Faschismus in Italien lediglich eine Episode darstellte, während im Nationalsozialismus das eigentliche deutsche Wesen offenbar geworden war. Auf der theoretischen Ebene wurde diese Deutung zwar von der Linken bestritten, aber sie hat sich doch letztlich durchgesetzt, wobei sie politisch und in der kollektiven Mentalität bis heute in unterschiedlichen Varianten auftritt. Die gemäßigte Variante besagt, daß »der Faschismus im Grunde eine Komödie darstellte, während der Nationalsozialismus eine Tragödie war«. Eine radikalere Variante hingegen besagt, daß »das italienische Volk in seiner Mehrheit antifaschistisch war und dies auch gezeigt hat, sobald es dazu Gelegenheit besaß; die Faschisten waren in Wirklichkeit nur eine gewalttätige Minderheit, die an die Macht gelangt war«. Diese beiden Deutungen sind sich in sofern ähnlich, als sie die komplizierte, schmerzhafte Frage nach der Beziehung zwischen Regime und Bevölkerung ausklammern. Noch heute tendiert die Partisanentradition dazu, die Resistenza insgesamt als Massenphänomen zu definieren. Das ist sie wohl mit der Zeit geworden, aber am Anfang war sie es 14

Diese These vertrat Croce im November 1943 in einem Interview mit der amerikanischen Zeitung »The New York Times«.

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nicht.15 Und umso größer ist das Verdienst der Partisanen und der Antifaschisten, deren Entscheidung für den Widerstand ja umso eindrucksvoller ist, je weniger sie dem Trend der breiten Massen entsprach! Die Tatsache, daß sich die Fragen, die ich hier in knapper Form angesprochen habe, überlagert und überkreuzt haben, hat mit dazu geführt, daß sich eine Reihe von Gemeinplätzen als Deutungen der Vergangenheit tief ins kollektive Bewußtsein der Italiener eingegraben hat. Dazu gehört die Vorstellung, daß die Italiener in der zweiten Phase des Krieges Opfer gewesen sind und daß sie deswegen in der ersten Phase zwar Angreifer und Besatzer, aber doch sicher nicht so böse wie die Deutschen gewesen sind. Es gehört dazu auch ein Bild vom Faschismus als eines eher komödiantischen als tragischen Regimes. Man denke an die zahlreichen Mussolini-Biographien im journalistischen Stil aus der Schlüssellochperspektive, für die Paolo Monellis Mussolini, der Kleinbürger16 Modell gestanden hat. Zum Schluß noch ein Blick auf das modische Thema der »nationalen Identität«. Meines Erachtens kann Italien eine Identität, die diesen Namen verdient, nur finden, wenn es lernt, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen. Die Psychoanalyse lehrt, daß es nur, wenn man die eigenen Verletzungen analysiert, möglich ist, mit ihnen zurecht zu kommen und sie zu überwinden, ohne sie zu verdrängen. Das gilt für Individuen wie für Völker. Wenn wir den Blick nicht auf die Flecken in unserer Vergangenheit richten und uns nicht mit ihnen auseinandersetzen, werden wir nie ein präsentables (Selbst-)Bild haben. Das ist eine wissenschaftliche und eine ethisch-politische Aufgabe für Historiker und für jeden einzelnen Bürger.

15 16

Für eine sehr gute Darstellung und Zusammenfassung der Geschichtsschreibung zur Resistenza usw. vgl. Santo Peli, La Resistenza in Italia. Storia e critica, Turin 2004. Mussolini piccolo borghese, Mailand 1950.

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Eine Frage der Ehre: Die Legendenkonstruktion der Offiziere vom »Sauberen Krieg« an der Italienfront

Generalfeldmarschall Albert Kesselring nutzte seine 1953 erschienenen Memoiren zur Verbreitung seiner Sicht auf den italienischen Kriegsschauplatz, die in der These gipfelte, daß »die deutschen Soldaten trotz des blutigen Kriegshandwerks sich [in Italien] in einem Ausmaß von humanen, kulturellen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten haben leiten lassen, wie sie Kriege dieses Ausmaßes ganz selten zeigen dürften.«1 Der Oberbefehlshaber Kesselring hat seinen Untergebenen damit, gegen besseres Wissen, ein letztes Mal die »Marschrichtung« vorgegeben und die Konstruktion der Erinnerung an den Krieg in Italien aus deutscher Sicht geformt. Zweifellos war der Kriegsverbrecherprozeß gegen Kesselring die erste Plattform, auf der sich diese Sicht präsentierte, die offizielle und private Berichterstattung darüber das Vehikel, mit dem sie sich transportieren ließ. Kesselring, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C und OB Südwest, stand 1947 vor einem britischen Militärgericht in Venedig. Die Anklage gegen ihn lautete auf Durchführung einer Repressalie in den Fosse Ardeatine in Rom, bei der 335 Menschen den Tod fanden, und Aufstachelung der Truppe zum Krieg gegen die italienische Zivilbevölkerung durch Erlaß zu scharf formulierter Befehle. Hans Keller, ehemaliger Heeresrichter an der Südfront, faßte zu Beginn des Prozesses die Erwartungen der deutschen Italien-Veteranen zusammen, wenn er an einen Freund schrieb, Kesselring sei es den »Soldaten, die unter seinem Befehl gekämpft und geblutet haben, schuldig, wenn er ein letztes Mal spricht« und so »die Ehre der anständigen deutschen Italienkämpfer und die Wahrheit« rette.2 Man sei, so Keller kämpferisch, in Venedig zur »letzten Schlacht in Italien angetreten«, die es zu schlagen gelte – und die nach dem verlorenen Krieg nun wenigstens einen moralischen Sieg für die Wehrmacht bringen sollte. Dieser Brief bietet das Motto, unter dem nicht nur der Prozeß, sondern auch die spätere Begnadigungskampagne stehen sollte. Der Oberbefehlshaber würde die Gemeinschaft seiner Soldaten nicht im Stich lassen, er würde dem Heer der Wehrmachtsoldaten vorangehen, zum Leit-Kameraden werden und dadurch Identifikationsmöglichkeit und Projektionsfläche der Hoffnungen zugleich bieten. Es ist an der Zeit, das Phänomen der konstruierten Kriegserinnerung anhand eines konkreten Beispiels zu überprüfen, ist doch die Frage nach dem Sinn solEine Frage der Ehre

1 2

Albert Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag, Bonn 1953, S. 445. Archivum Monacense Societatis Jesu (AMSJ) München, Abt. 47, Nachlaß Pater Alfons Hiemer, Brief Hans Keller an Hiemer, 18. 1. 1947.

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cher Konstruktionen und deren Gehalt für die öffentliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unverändert von großer gesellschaftlicher Aktualität.3 Der Fall Kesselring steht im Zentrum der Legende um den sauberen und fairen Krieg in Italien und ist auf zwei Ebenen bedeutsam: der Prozess, in dem eine Stellvertreterinstanz für die Wehrmacht im allgemeinen angeklagt war, hatte Präzedenzcharakter, und er war bedeutsam für die Formierung einer allgemein akzeptierten Kriegserinnerung. Unterstützt wurde diese positive, selektive Kriegserinnerung durch einen Kurswechsel in der britischen Vergangenheitspolitik. Dadurch ergibt sich ein Spannungsfeld im Dreieck Kriegsverbrecherprozesse-Vergangenheitspolitik-Legendenkonstruktion, dem hier erstmals nachgegangen werden soll. Man kann anhand des Beispiels Italien und des Falls Kesselring allgemeine Aussagen zur Legendenkonstruktion als geschichtlichem Prozeß, von der Verarbeitung der Kriegswirklichkeit hin zur Legendenkonstruktion, treffen. Es geht nun um die Frage, auf welche Weise oder mithilfe welchen Mythos’ die eigenen Kriegserlebnisse und die Rolle der Wehrmacht mit Sinn versehen und in das »kulturelle Gedächtnis« der Deutschen im ersten Nachkriegsjahrzehnt eingepaßt werden konnten.4 Daher soll der Begriff hier kurz erläutert werden. »Kulturelles Gedächtnis« bezeichnet die Erinnerung einer größeren gesellschaftlichen Gruppe, hier der Kriegsteilnehmer, an ein gemeinsam Erlebtes, wobei die individuellen Erfahrungen und Erinnerungen zusammengenommen zu einer »kollektiven Erinnerung« konstituiert werden.5 Der Mythos fungiert dabei als Deutungsschema und bedient sich verschiedener Legenden, hier der Legende vom Sauberen Krieg an der Südfront. Eine solchermaßen legendenhafte Kriegserinnerung beruht auf dem Konsens der Beteiligten oder einem größeren Sinnrahmen, um dessen Willen die Legende oder der Mythos am Leben erhalten werden. Die Konstruktion trägt daher nur solange, wie der Rahmen für alle Gültigkeit besitzt: »Der Zerfall dieses Rahmens zieht Vergessen nach sich, denn er zerstört den Sinn

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4

5

Zuletzt vgl. Der Spiegel 29/2004, Gesucht: die eigene Herkunft, S. 118–120; Frankfurter Rundschau, 16. 6. 2001, Karl Heinz Bohrer, Erinnerungslosigkeit. Ein Defizit gesellschaftskritischer Intelligenz; als Antwort darauf: Frankfurter Rundschau, 7. 7. 2001, Aleida Assmann, Erinnerungslosigkeit oder Geschichtsfixierung. Karl Heinz Bohrer auf der Suche nach dem verlorenen deutschen Geschichtsbewußtsein; vgl. auch die Ausführungen bei Detlef Bald, Johannes Klotz, Wolfram Wette, Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege, Berlin 2001; S. 175f. Aleida Assmann, Externalisierung, Internalisierung und kulturelles Gedächtnis, in: Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Festschrift für Thomas Luckmann, hg. von W. Sprondel. Frankfurt/ M. 1994, S. 422–435, hier S. 424. Vgl. zu den theoretischen Grundbegriffen Jan Assmann, Unsichtbare Religion und kulturelles Gedächtnis, in: Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Festschrift für Thomas Luckmann, hg. von W. Sprondel. Frankfurt/M. 1994, S. 404– 421; Ders., Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992; Maurice Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen (1925), Frankfurt/M. 1985.

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der Erinnerung.«6 Übertragen auf das vorliegende Problem stellt sich daher die Frage nach der Funktion des Kesselring-Mythos’ für das »Kollektive Gedächtnis« der Italien-Veteranen. Im Verlauf der Untersuchung fällt auf, daß die Legende von der Sauberen Wehrmacht länger Gültigkeit besaß als der Mythos vom unschuldigen Generalfeldmarschall, als dessen Bestandteil sie von dessen Träger ursprünglich initiiert worden war. Die Frage nach dem ›Sinnrahmen‹ zieht jene nach dem Inhalt der Legende nach sich, mit deren Hilfe der Sinnstiftung für die Wehrmachtgeneration gedient werden sollte. Das im Kesselring-Prozeß durch die Verteidigung geschaffene Bild vom »anständigen deutschen Italienkämpfer« ist eine Variante des gesamtdeutschen Themas und stellte die Grundlage der Legende von der sauberen Wehrmacht in Italien dar.7 Es diente zur Sinnstiftung militärischer Tradition auch im Hinblick auf die geplante deutsche Wiederbewaffnung. Die Legende wirkte nicht nur einigend nach innen, sondern stand in einem größeren politischen Kontext. Kesselrings Begnadigung zu lebenslanger Haft 1947 ließ interessierte Gruppen hoffen, daß eine vollständige Rehabilitation des angeschlagenen Rufs deutscher Soldaten möglich sein könnte, wie sie 1952 tatsächlich erfolgte. Die Politisierung der Kriegsverbrecherfrage sorgte ab Gründung der Bundesrepublik 1949 dafür, daß auf eine sachliche Beurteilung der Einzelfälle verzichtet wurde zugunsten einer undifferenzierten Forderung nach Generalamnestie, die jeden Soldaten unterschiedslos zum Opfer der alliierten Siegerjustiz erklärte.8 Kesselrings Entlassung wurde folgerichtig von Parteien und Verbänden 1952 vor allem als »Freispruch des deutschen Soldatentums« begriffen und dementsprechend gefeiert.9 Um zu einem besseren Verständnis zu kommen, wie die Konstruktion erreicht werden konnte, soll es zunächst um den Prozeß und die in ihm transportierten Bilder vom Krieg in Italien gehen, um sich danach der Legende vom Sauberen Krieg an der Südfront und den Kontroversen hinter den Kulissen der nach außen so geschlossen auftretenden Front der Italienkämpfer zuzuwenden. Anhand der bisher unbekannten Auseinandersetzung um die Kriegserinnerung an den Waffenstillstand 1945 in Norditalien kann gezeigt werden, wie es den beteiligten Offizieren gelang, die Legende vom Sauberen Krieg weiterzuspinnen und den Korpsgeist ein letztes Mal wirksam zu beschwören, obwohl diese Gruppe sich untereinander keineswegs einig war. 6

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8 9

Nicolas Pethes, Jens Ruchatz (Hg.), Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Hamburg 2001, darin Dietz Bering, Kulturelles Gedächtnis, S. 329–332, hier S. 329. Die These zur Legende von der Sauberen Wehrmacht findet neuerdings Kritiker, vgl. Alaric Searle, Revising the myth of a ›clean Wehrmacht‹: Generals’ trials, public opinion, and the dynamics of Vergangenheitsbewältigung in West Germany, 1948–1960, in: German Historical Institute London, Bulletin, Vol. XXV, No. 2, Nov. 2003, S. 17–48. Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NSVergangenheit, München 1996, S. 165–306. Kerstin von Lingen, Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung: Der Fall Kesselring, Paderborn 2004, S. 303f.

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I.

Kerstin von Lingen

Kriegsverbrecherprozesse

Der Prozeß stellt den Ausgangspunkt der Legende dar, die auf günstige gesellschaftliche Bedingungen und ein entsprechendes politisches Umfeld treffen mußte, um weiter wirken zu können. Nun sollen der Prozeß und diese Umstände näher betrachtet werden. Die »Moskauer Erklärung über Grausamkeiten« vom 30. Oktober 1943 war der Versuch, begrifflich einen politisch für alle Alliierten verbindlichen Rahmen in der Kriegsverbrecherpolitik abzustecken. Die Außenminister Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA bekräftigten darin, daß sie die Schuldigen »bis ans äußerste Ende der Welt verfolgen« wollten, »damit Gerechtigkeit geschehe.«10 Sie einigten sich darauf, daß Kriegsverbrecher an den Ort der Tat überführt werden sollten, um ihre Verurteilung durch die Justiz des betroffenen Landes zu ermöglichen. Die Hauptverantwortlichen sollten vor einen alliierten Gerichtshof gestellt werden. Gemäß dieser Vereinbarung führten die Briten in Italien zwischen November 1946 und Juli 1947 vier Prozesse gegen militärische Oberbefehlshaber durch, da sie den Vorsitz in der alliierten Militärregierung hatten, und zwar gegen Feldmarschall Albert Kesselring, gegen Generaloberst Eberhard von Mackensen und Generalleutnant Kurt Mältzer, sowie gegen General der Waffen-SS Max Simon und Generalleutnant Eduard Crasemann.11 Italienische Gerichte sollten im Anschluß daran einzelne Täter vor Gericht bringen.12 Die britischen Kriegsverbrecherprozesse waren auf zwei Ebenen bedeutsam. Zunächst einmal ging es darum, die rechtliche Zuordnung der individuellen Verantwortlichkeit für Kriegsvergehen korrekt zu klären und nach dem Ort des Einzelnen in der Befehlskette zu fragen.13 Die Frage nach dem tatsächlichen Kriegsgeschehen wurde dadurch jedoch nicht berührt. Es ging um juristische Schuldzurechnung, nicht um die historische oder politische Beurteilung des Kriegsgeschehens. Der britische Kriegsverbrecherprozeß gegen den Oberbefehlshaber Kesselring war juristisch die Voraussetzung für eine mögliche Verurteilung der einzelnen Täter durch italienische Gerichte. Für die alliierte Anklage war es wichtig, Kesselring in einem Gerichtsprozeß die persönliche Verantwortung für die Ermöglichung eines völkerrechtswidrigen Verhaltens seiner Truppen nachzuweisen.14 Dieses juristische Verfahren wurde jedoch andererseits zu einer geeigneten 10

11 12 13 14

Zitiert nach: Foreign Relations of the United States. Diplomatic papers 1943, Volume I, General, Washington 1963, Moscow Conference, S. 749–773, Annex 10, Declaration of German Atrocities, S. 768–769, hier S. 769. Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Hamburg 1994, S. 24. Public Record Office (im Folgenden: PRO) London, WO 310/ 127, Office of the Deputy Judge Advocate General GHQ CMF an JAG London, 13. 1. 1946. 12 Seiten, hier S. 1. Lingen, Letzte Schlacht, S. 102. Kerstin von Lingen, »… wenn wir zur letzten Schlacht in Italien antreten«. Die Konstruktion von Kriegserinnerung am Beispiel des Kriegsverbrecherprozesses gegen Albert Kesselring, in: Bruno Thoß, Hans-Erich Volkmann (Hg.), Erster Weltkrieg – Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich, Paderborn 2002, S. 687–709, hier S. 690 (nachfolgend: Lingen, Konstruktion).

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Plattform für den Mythos um Kesselrings Unschuld. Juristische Mängel im Nachweis rechtlicher Verantwortlichkeit für Einzelfälle, wie z.B. nicht erfolgter Vereidigung von Zeugen, wurden von seinem Anwalt Hans Laternser genutzt, um generell Zweifel an den Taten selbst entstehen zu lassen. Laternser verkoppelte damit die beiden Ebenen des Prozesses, um das Bild einer »anständigen« Wehrmacht heraufzubeschwören, denn es erschien möglich, das Negativ-Bild durch Überbetonung eben dieser juristischen Mängel zu brechen und das positive Bild in der kollektiven Erinnerung umgekehrt gleichsam als Entlastungsbeweis zu verankern. Der Kesselringprozeß und die erfolgte Verurteilung ermöglichten somit erst den Mythos von Kesselrings Unschuld und vom »Gentleman im Kriege«. Das Diktum vom »Sauberen Krieg« steht jedoch im Widerspruch zu den Fakten.15 Es besteht heute kein Zweifel daran, daß es in Italien auf dem Rückzug der deutschen Wehrmacht seit Frühsommer 1944 zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen war, wie keinem der militärischen Befehlshaber verborgen geblieben sein kann. Die Zahl der zivilen Opfer während der Okkupationszeit von 1943 bis 1945 beläuft sich auf ungefähr 9200 Frauen, Kinder und Greise. Als Erklärungsversuch für das Blutbad gilt die ausweglose Lage der Wehrmacht, die ein Klima von Brutalität und Gleichgültigkeit erzeugte. Militärisch gesehen stand die Wehrmacht seit der Landung der Alliierten bei Anzio im Januar 1944 unter zunehmendem Druck und war gezwungen, sich unter enormen Verlusten in Stellungskriegen wie z.B. den drei Schlachten bei Monte Cassino hinhaltend zurückzuziehen. Dieser Rückzugskrieg wurde durch Sabotageaktionen der Resistenza behindert, bereitete der Wehrmacht von Anfang an erhebliche Probleme und schürte eine diffuse Angst vor der einheimischen Bevölkerung.16 Um der wachsenden Gefahr von Überfällen im Hinterland der Front Herr zu werden, erließ Feldmarschall Kesselring die sogenannten »Bandenbefehle« vom 17. 6. und 1. 7. 1944, in denen er zu scharfem Vorgehen gegen die Partisanen mahnte. Er

15

16

Michele Battini, Paolo Pezzino, Guerra ai civili. Occupazione tedesca e politica del massacro, Toscana 1944, Venezia 1997; Giovanni Contini, La memoria divisa, Milano 1997; Paolo Pezzino, Anatomia di un massacro. Controversia sopra una strage tedesca, Bologna 1997; Paolo Paoletti, Sant’Anna di Stazzema 1944: la strage impunita, Milano 1998; Friedrich Andrae, Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943–1945, München 1995; Gerhard Schreiber, Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung, München 1996; die erweiterte italienische Ausgabe berücksichtigt auch die Kontroversen um den Prozeß gegen den ehemaligen Obersturmbannführer Erich Priebke von 1996–1998 in Rom und erschien unter dem Titel: La vendetta tedesca 1943–1945. Le rappresaglie naziste in Italia, Milano 2000; Gerd R. Ueberschär (Hg.), Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003. Gerhard Schreiber, Partisanenkrieg und Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Italien 1943 bis 1945, in: Repression und Kriegsverbrechen. Die Bekämpfung von Widerstands- und Partisanenbewegungen gegen die deutsche Besatzung in West- und Südeuropa (Beiträge zur Nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik Band 14), Berlin 1997, S. 93– 129, hier S. 114.

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trug damit erheblich zur Radikalisierung der Kriegsführung in Italien bei und trägt somit auch Verantwortung für die Toten unter der Zivilbevölkerung. Für diese Toten gab es in der deutschen Führung kein erkennbares Unrechtsbewußtsein. Kesselring begann im Angesicht des Galgens von Nürnberg eine von ihm als »geschichtlichen Kreuzzug« verstandene Rechtfertigungsstrategie, die das große Ziel verfolgte, »eine deutsche Geschichte zu schreiben, die dem Namen unserer Soldaten ein Denkmal setzt«,17 was auch im Zusammenhang mit seiner Mitarbeit am Weltkriegswerk der Amerikaner, der »Historical Division«, gesehen werden muß.18 Kesselrings Italien-Kriegsbild konnte sich in der Berichterstattung der westdeutschen Öffentlichkeit fest verankern19 und soll daher kurz analysiert werden. Was wußte Kesselring von den Massakern, die sich in Italien im Sommer 1944 ereignet hatten?20 Kesselring notierte, sein Befehl vom 21. 8. 1944, mit dem er dem Morden Einhalt gebot, stelle keine »Restriktion«, sondern lediglich eine Kritik an den Vorfällen dar, die er nicht als »positives Wissen« besessen habe, sondern die er zur Überprüfung angeordnet habe.21 Kesselring schrieb nieder, ihm seien noch mehr Strafaktionen gegen Partisanen bekannt, die jedoch keinen Eingang in die Anklage gefunden hätten.22 Er hatte dagegen von anderen Massakern offenbar keine Kenntnis, wie seine Überraschung angesichts der Schilderungen der Vorfälle von Padulivo nahe legt, die 13 Zivilisten das Leben kosteten. Geschockt notierte er: »Wenn wahr, ein schlimmes Verbrechen!«23 Erkennbar ist jedoch auch sein Selbstverteidigungsmechanismus, denn Kesselring entschuldigte die Verantwortlichen damit, daß der zuständige »Offizier wohl keine Zeit hatte, in die Berge zu gehen, und deshalb die Leute im Dorf tötete«. Er gab damit viel von einer Mentalität der Sorglosigkeit zu erkennen, mit der auf deutscher Seite leichtfertig mit italienischem Leben umgegangen wurde. Als Kesselring vor Gericht stand, verschloß sich sein anfänglich empathischer Blick für die Leiden der Opfer zugunsten eines Schulddiskurses, sein Italienbild verdüsterte sich zusehends: Die gesamte Bevölkerung schien ihm von Partisanen durchsetzt gewesen,

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Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (im Folgenden: BA-MA), N 750 (Kesselring)/ 2, Londoner Tagebuch Kesselring, Ebd., S. 46 und S. 62. Bald, Mythos, S. 20f. Lingen, Letzte Schlacht, S. 255ff. BA-MA, N 431/873: Kesselring wußte überraschend detailliert Bescheid über die Massaker, wenn man seine Nürnberger und Londoner Aussagen und die Notizen auswertet, die er nach der Eröffnungsrede der Anklage am 22. und 23. 2. 1947 auf Wunsch Laternsers anfertigte. Ebd., Er sah diese Aufstellung nicht als Schuldeingeständnis: »Mängel treten immer auf; Korrekturen aus der Erfahrung sind notwendig und noch lange keine strafbare Handlung.« So z.B. Stia und Partina (April 1944), Civitella (29. 6. 1944), Guardistallo (29. 6. 1944), Montemignaio (29. 6. 1944), Palazzo del Pero (24. 6. 1944), Gubbio (20.–23. 7. 1944), Caprane (23. 9. 1944), Bussano (26. 9. 1944) und Villa dell’Albero (27. 11. 1944). Ebd., Padulivo, S. 3.

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die deutsche Wehrmacht in Italien nicht Aggressor, sondern Opfer. Diese Darstellung verschärfte sich in seinen eigenen Prozeßaussagen und wurde von ihm in den fünfziger Jahren wieder aufgegriffen. Kesselring bemerkte in London im Oktober 1946, daß in Italien »in den Bandengebieten alle unter einer Decke steckten«, mithin die Bevölkerung selbst Schuld an den Übergriffen trüge.24 Er sehe keinen Zusammenhang zwischen seinen Befehlen und den Massakern im Sommer 1944.25 Vielmehr habe er mit den Befehlen dazu beitragen wollen, den jungen, unerfahrenen Offizieren, die die Truppe nicht mehr im Zaum halten konnten, eine Richtlinie an die Hand zu geben, damit »spontane Haßausbrüche vermieden« würden. Seine Befehle, so Kesselring in seiner Londoner Aussage, seien in der Diktion unter den Vorgaben des OKW geblieben. »Ich habe den Kampf mit ›größter Schärfe‹ – nicht ›mit den allerbrutalsten Mitteln‹ entsprechend OKW – zu führen befohlen und habe im Befehl vom 1. 7. 1944 ergänzend ausgesagt, daß ich jeden Führer decken werde, der im Kampfaffekt oder im verständlichen Übereifer oder auch aus Unvermögen über das sonst normale Ziel hinausgeschossen ist.«26 Er »bedaure die Übergriffe«, meine aber, daß »nur bei einzelnen Führern eine falsche Auffassung Platz gegriffen haben kann.«27 Dennoch war er in der Lage, detailliert Truppenteile zu benennen, die als Täter für die einzelnen Massaker in Frage kamen und versuchte, sich an jeden Einzelfall zu erinnern.28 Trotz einer von ihm selbst eingeräumten »harten« deutschen Kriegführung griff auch hier ein abwertender Rechtfertigungsmechanismus: »Im Übrigen: Der völkerrechtswidrige Bandenkrieg in seinen leider nicht vermeidbaren unmoralischen Erscheinungsformen!«29 Vor Gericht in Venedig im Februar 1947 betonte Kesselring, daß er die Vorwürfe, zu Kriegsverbrechen aufgerufen zu haben, nicht nachvollziehen könne und die geschilderten Taten grundsätzlich in Zweifel zöge.30 Er hielt beharrlich an der Version fest, Grausamkeiten kämen im Krieg eben vor, »unter dem Einfluß wil-

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BA-Außenstelle Ludwigsburg, vormals Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg (ZSL), JAG 260, Aussage Kesselring in London vom 4. 10. 1946, report No. 1351 (b), (markiert als »Exhibit 2), 17 Seiten, hier S. 6. Ebd., S. 2. Ebd., S. 9. BA-MA, N 431/ 890, Proceedings of 17. 2. 1947, S. 20. Der spätere britische Ankläger im Prozeß, Colonel Richard Halse, der die Londoner Aussage Kesselrings als Grundlage für seine Eröffnungsrede benutzte, kommentierte diese Aussage, indem er darauf hinwies, diese »wenigen Offiziere« hätten immerhin 18 Vorfälle, die vor Gericht heute verhandelt werden müßten, heraufbeschworen, sowie weitere neun, die bereits von Mussolini angemahnt worden waren, also schon damals bekannt waren, ohne daß es zu einer strafrechtlichen Verfolgung von deutscher Seite gekommen wäre. ZSL, JAG 260, Aussage Kesselring in London vom 4. 10. 1946, report no. 1356 (b), (markiert als »Exhibit 3«), und report no. 1357 (b) (markiert als »Exhibit 4«). Ebd. BA-MA, N 431/ 888, Notizen Kesselring zur Eröffnungsrede Halse für Laternser, wahrscheinlich 17. 2. 1947.

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der Leidenschaft, dem Zorn des Krieges oder auch nur aus Rache«.31 Kesselring schrieb zwar in seinem privaten Tagebuch, es ginge ihm »selbst manchmal so«, daß er »über eine meiner Handlungsweisen oder Befehle den Kopf schüttele«. Doch den Anflug von Reue wußte er zu relativieren, denn er fuhr fort: »Wenn ich mich dann aber in die Lage, in die Gesamtatmosphäre hinein und zurückdenke, wird es einem sofort und zwingend klar, daß eben der Entschluß zwangsläufig und kein anderer möglich war.«32 Er entwarf für seine Prozeßstrategie das rein militärische Bild vom Krieg in Italien, der ein »Feldzug wie jeder andere« gewesen sei. Zwar habe es bedauerlicherweise auch Opfer unter der Zivilbevölkerung gegeben, diese aber provoziert durch die »völkerrechtswidrige Kampfesweise der Partisanen«. Der Wandel in Kesselrings Italienbild war hiermit abgeschlossen: Tote unter der Zivilbevölkerung waren im Rahmen der Kampfhandlungen in Kauf zu nehmen, besonders dann, wenn diese Zivilbevölkerung durch eigenes Verhalten den Schutz der deutschen Truppen sozusagen selbst verspielt hatte. Ein Wort des Bedauerns fand sich nicht mehr. Die Erklärung dafür ist: Kesselring wollte das Bild von der Wehrmacht im Krieg in Italien möglichst unbefleckt durch den Prozeß hindurch retten und möglichst wenige seiner Untergebenen ihrer gerechten Strafe zuführen. Daß deutsche Wehrmachtsangehörige schuldig geworden waren, bezweifelte ihr Oberbefehlshaber keinen Moment. Er schrieb dazu in sein Tagebuch: »Ich will mich vor meine Untergebenen stellen; das bedeutet, daß ich vieles nicht niederlegen kann, weil ich sie sonst belaste.«33 Das Phänomen der »Viktimisierung« ist erst in letzter Zeit Gegenstand der Forschung geworden und steht noch in den Anfängen.34 Gemeint ist damit ein Prozeß der Umwandlung von eigener Schuldhaftigkeit in unschuldiges Erleiden, die gegeneinander aufgerechnet werden. Was die Gruppe der Kriegsteilnehmer betrifft, war der Prozeß der Viktimisierung besonders im Verlauf der Kriegsgefangenschaft, durch persönliche, demütigende Erfahrungen mit alliierten Soldaten oder Offizieren und vor Gericht, in Nürnberg oder anderen Ländern, zu beobachten.35 Anhand von Kesselrings privaten Aufzeichnungen kann man, wie wir sahen, diese Umdeutung ganz deutlich nachvollziehen. Am 6. Mai 1947 stellte das britische Militärgericht Kesselrings Schuld aufgrund der juristisch verwertbaren Beweise fest und verkündete das Strafmaß: Tod durch Erschießen. Kesselring selbst sah den positiven Nutzen für die kollektive Kriegser31 32 33 34

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BA-MA, N 431/ 878, Notizen Kesselring zu Kreuzverhör Keller, 20./21. 2. 1947. BA-MA, N 750/ 2, Londoner Tagebuch, S. 41. Ebd., S. 42. Thomas Kühne, Die Viktimisierungsfalle. Wehrmachtverbrechen, Geschichtswissenschaft und symbolische Ordnung des Militärs, in: Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik, hg. von M. Greven, O. von Wrochem, Opladen 2000, S. 183–196. Georg Meyer, Zur Situation der deutschen militärischen Führungsschicht im Vorfeld des westdeutschen Verteidigungsbeitrages 1945–1950/51, in: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956, Band I., Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan, hg. von Foerster, Roland G. ed al., München 1982, S. 577–736.

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innerung an den eben überstandenen Krieg, den die Verurteilung haben würde. Er schrieb an seine Frau, durch die Todesstrafe werde »für das deutsche Volk ein Märtyrer geschaffen, dessen Erinnerung und Fortleben der Jugend einen Auftrieb würde geben können«.36 Ganz deutlich wird der Anspruch, ein bestimmtes Bild im Gedächtnis der deutschen Öffentlichkeit zu installieren, als er ankündigt, die ihm durch den Prozeß gebotene Plattform weiter zu nutzen. Der Vorbildfunktion wegen habe er sich entschlossen, in Revision zu gehen und »noch bis zum Schluß um mein Recht und damit um das Recht meiner Soldaten zu kämpfen.« Das Urteil gegen Kesselring blieb in Deutschland zunächst fast unbeachtet, es kann daher keineswegs davon gesprochen werden, daß eine Massensolidarisierung mit dem Oberbefehlshaber eingesetzt hätte. Vielmehr ist aus den Pressekommentaren zwar verhaltener Trotz,37 vor allem aber Kriegsmüdigkeit und Versöhnungswillen mit dem Gegner zu spüren. Die von den Amerikanern kontrollierte Neue Zeitung kommentierte: Das Ende Kesselrings sollte auch das Ende einer verhängnisvollen geistigen Lehre bedeuten. Das Ende Kesselrings müßte die Wiederauferstehung jener Lehre einer eindeutig freiheitlichen, humanen und christlichen Moral bedeuten, die Deutschlands Namen einst in der Welt freundschaftlich positiv nennen ließ. Wäre das Ende Kesselrings ein solcher Neubeginn, dann dürfte Deutschland mit Recht hoffen, aus dem Leid, das es nicht nur anderen, sondern auch sich zufügte, im Sinne einer durch Erfahrung wissend gewordenen Moral gelernt zu haben und damit neue Achtung zu ernten.38

Es stellt sich daher die Frage, wie es Kesselring gelang, die Kriegserinnerung an den Italienfeldzug trotz der juristischen Schuldzuweisung im positiven Sinne zu determinieren.

II. Vergangenheitspolitik Die Konstruktion der positiven Italien-Kriegserinnerung begann erst nach Kesselrings Verurteilung und ist teilweise auf die unklare Haltung britischer Politiker und eine fehlende Linie in der britischen Vergangenheitspolitik zurückzuführen. Kesselring wurde zwar, wie auch Generaloberst Eberhard von Mackensen und Generalleutnant Kurt Mältzer zum Tode verurteilt. Nach dem Urteil gab es in England jedoch eine Woge von Protest gegen die geplante Hinrichtung Kesselrings, angeführt von Winston Churchill und anderen hochrangigen Persönlichkeiten, die letztendlich erfolgreich war. Kesselring wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe begnadigt, die Strafe im Verlauf der Haftzeit in Werl mehrfach redu36 37

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Kesselring, Soldat, S. 444. So wurde Kesselrings Erklärung aufgegriffen, die wenigen Partisanenaktionen, an die er sich erinnern konnte, hätten lediglich »militärischen Notwendigkeiten« gedient. Süddeutsche Zeitung vom 4. 3. 1947, S. 2: »Militärische Notwendigkeiten«, Time magazine vom 19. 5. 1947, S. 29: »War Crimes«. Neue Zeitung, 9. 5. 1947. Todesurteil für Kesselring.

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ziert und schließlich nach Kesselrings Krebsoperation 1952 ganz ausgesetzt. Der Wandel der britischen Politik in der Kriegsverbrecherfrage stellt somit eine Voraussetzung für die erfolgreiche Legendenkonstruktion dar. Anhand des Todesurteils gegen Kesselring zeigte sich, daß man sich in London zutiefst uneins über die zu verfolgende Politik war. Die unterschiedlichen Argumentationsstränge der britischen Kontroverse lassen sich deutlich nachweisen: Auf der einen Seite argumentierten Regierungsstellen, eine Verurteilung Kesselrings sei nötig, um die begangenen Kriegsverbrechen zu sühnen und damit die Glaubwürdigkeit britischer Gerichte und der dahinter stehenden politischen Entscheidung sicherzustellen. Auf der anderen Seite herrschte die militärisch determinierte Argumentation vor, ein Kriegsgegner, der auf dem Schlachtfeld »ehrlich« oder »sauber« gekämpft habe, könne nicht von den Siegern wegen Kriegsverbrechen verurteilt werden.39 Ausschlaggebend für die Entscheidung zur Begnadigung von englischer Seite war jedoch die italienische Position. Die Regierung in Rom hatte sich auf Anfrage strikt geweigert, das Todesurteil an Kesselring zu vollstrecken, da die sozialistische Regierung derartige Urteile bereits aus dem Exil 1944 als »faschistische Praxis« abgeschafft hatte und aus innenpolitischen Gründen nicht gewillt war, die Todesstrafe wegen der deutschen Kriegsverbrecher formal wieder einzuführen.40 Die Überlegung, die dahinter stand, war, daß folgerichtig auch den italienischen Kriegsverbrechern, besonders in Jugoslawien, mit dem Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz die Hinrichtung drohen würde, was es zu vermeiden galt.41 Aus der italienischen Entscheidung ergaben sich weitreichende Konsequenzen für die britische Vergangenheitspolitik, denn es erschien nicht unmöglich, daß die eigentlichen Täter der unteren Offiziersebene, die aufgrund der formalen Aufteilung der Zuständigkeit vor ein italienisches Gericht gestellt werden sollten, durch die Ablehnung der Todesstrafe ein milderes Urteil erhalten würden als die Oberbefehlshaber.42 Diese Vorstellung bewirkte, daß London auch die Hinrichtung der Oberbefehlshaber Kesselring, Mackensen und Mältzer politisch nicht durchsetzbar erschien und davon Abstand genommen wurde.43 Nicht ohne Bitterkeit bemerkte Kriegsminister Bellenger gegenüber Premierminister Bevin: »Wenn wir es akzeptieren müssen, daß die Todesstrafe in keinem Fall der Kriegsverbrecher, die wir an die Italiener ausliefern, ausgeführt werden wird, sollten wir uns ernstlich fragen, ob überhaupt eines unserer eigenen Todesurteile ausgeführt werden 39 40

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Lingen, Letzte Schlacht, S. 182. Vgl. dazu die überraschte Reaktion in London in PRO, PREM 8/ 707. Brief Bellenger an Bevin, 8. 5. 1947, sowie die italienische Stellungnahme in ASMAE, AP 1952, Criminali di Guerra tedeschi, b. 176. Abschließende Notiz des Außenministeriums zum Thema Abschaffung der Todesstrafe, 13. 10. 1947. Filippo Focardi, La questione della punizione dei Criminali di Guerra in Italia, in: Quellen und Forschungen aus Italienischen Archiven und Bibliotheken 80 (2000), S. 543–624. PRO, WO 310/ 129, Brief Botschaft Rom an War Office, 2. 5. 1947; Richard Lamb, War in Italy 1943–1945. A brutal story, New York 1994, S. 76. PRO, WO 310/ 127, JAG, 8. 7. 1947.

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sollte.«44 Der Konflikt zwischen politischen und militärischen Argumenten zum Umgang mit den deutschen Kriegsverbrechern brach im Vorfeld des Prozesses gegen Feldmarschall Erich von Manstein 1948 noch einmal auf und zeigte, daß sich das Problem eher noch verschärft hatte.45 Die britische Vergangenheitspolitik wurde zum Einlenken gezwungen, das Prozeßprogramm aufgegeben. Am 19. Februar 1948, ein Jahr nach dem aufsehenerregenden Kesselring-Prozeß, gab der Judge Advocate resigniert auf: Seit die grundsätzliche Frage nach einer Fortführung der Prozesse aufgetaucht sei, habe man sie diskutiert und sei zu dem Ergebnis gelangt, »daß kein Deutscher in Zukunft von einem Britischen Gericht wegen Kriegsverbrechen, die an Italienern begangen wurden, verurteilt werden wird.«46 Zusammenfassend muß festgehalten werden, daß es, trotz der hochgradig idealistischen Bemühungen der britischen War Crimes Group, in London keine Mehrheit für die Verurteilung deutscher Offiziere gab. Die politische Entscheidung aus dem War Office zur Aufgabe des britischen Prozeßprogramms frustrierte Ermittler wie Befürworter des Sühnegedankens, besonders im Foreign Office. Es besteht die Vermutung, daß hinter dem Pragmatismus des War Office bereits Überlegungen standen, die den ehemaligen deutschen Gegnern und im Hinblick auf den sich verschärfenden Kalten Krieg eventuellen zukünftigen Kameraden mehr Zugeständnisse machen wollten, als aufgrund der Beweislage vertretbar waren. Der Wandel der Vergangenheitspolitik wurde begleitet durch den Zusammenschluß der deutschen mit der britischen Interessen zu einer schlagkräftigen, eng vernetzten »Kriegsverbrecherlobby«, ein Umstand, der auf ein gemeinsames Interesse zur Konstruktion eines allgemeingültigen Sinnrahmens hindeutet. Die Lobbyisten, namentlich des Kreises um den früheren Staatssekretär Chamberlains, Lord Maurice Hankey, in England vertraten politische Motive, die die offizielle Position der britischen Regierung um Jahre vorweg nahmen.47 Die britische Vergangenheitspolitik wurde von den versöhnlichen Haltungen Hankeys, Liddell Harts, Bischof Bells und Churchills ab 1948 nachhaltig geprägt. In der nationalkonservativ-militärischen Argumentation bezüglich einer in ihren Augen ehrenhaften Kriegsführung der Wehrmacht propagierten sie den Gedanken einer schnellstmöglichen deutschen Wiederbewaffnung zum Kampf gegen den gemeinsamen (= bolschewistischen) Feind im Osten. Durch breit rezipierte ›Ehrenerklärungen‹ leisteten sie einer von ihnen geforderten »echten Rehabilitierung« Vorschub, weil sich so in der Presseschlacht um Kesselring die öffentliche Meinung

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PRO, PREM 8/ 707. Brief Bellenger an Bevin, 8. 5. 1947. S. 3. J.H. Hoffman, German Field Marshals as War Criminals? A British Embarassement, in: Journal of Contemporary History, Vol. 23 (1988), S. 17–35, hier S. 17. PRO, WO 310/ 127, Brief des JAG an War Crimes Group South East Europe, 19. 2. 1948. Diese Zusammenhänge des Aktionskreises um den britischen Lord Maurice Hankey und die US-Senatorengruppe um Richard Langer in Verbindung mit dem National Council for Prevention of War (NPWC) werden bei Lingen, Letzte Schlacht, S. 215ff., erstmals nachgezeichnet und analysiert.

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zugunsten einer Unschuldsbehauptung verfestigte. Es ist dabei nicht zu übersehen, daß die Mehrheit der als Kriegsverbrecher-Lobbyisten hervorgetretenen Briten und Amerikaner bereits vor dem Krieg deutschfreundlichen oder zumindest antikommunistischen Positionen zuneigten. Jedoch ist festzustellen, daß es den wenigsten, die sich dieser Kampagne anschlossen, um eine Freilassung des Offiziers Albert Kesselring ging – vielmehr bot sich sein Fall als Musterbeispiel an, weil die völkerrechtliche Lage in Bezug auf Repressaltötungen nach wie vor ungeklärt war, wie im Koreakrieg erneut evident wurde. Stets vermieden es die britischen Lobbyisten, in den Forderungen nach Freilassung Kesselrings eindeutig juristisch zu argumentieren. Im Zusammenhang mit Überlegungen zu einer deutschen Wiederbewaffnung48 setzte sich die militärische Argumentation endgültig durch und wirkte damit auch auf die deutsche Politik. Erkennbar wurde dies am Rande der Ratifizierungsverhandlungen zum Deutschlandvertrag im Frühjahr 1952, als ein möglicher deutscher Verteidigungsbeitrag offen mit der zuvor erfolgten Freilassung von Kesselring und Manstein verknüpft wurde. August-Martin Euler benutze ein später in Zeitungskarikaturen oft verwendetes Bild: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß neue deutsche Truppen unter den Fenstern des Gefängnisses von Werl vorbeimarschieren, solange da außer den Generalfeldmarschällen von Manstein und Kesselring viele verdiente Offiziere und gemeine Leute sitzen, die nur ihre […] Pflicht getan haben.«49 In der Bundestagsdebatte im Juni 1952 machte der Abgeordnete Erich Mende (FDP) die Verknüpfung von politischen Entscheidungen mit der Sinnkonstruktion für die Kriegsteilnehmer noch einmal sehr plastisch, wenn er formulierte, Kesselring und Manstein verbüßten »die Haft stellvertretend für uns alle«.50 Es ist festzuhalten, daß Kesselring im Oktober 1952 nicht aus dem Gefängnis entlassen wurde, weil er unschuldig gewesen wäre, sondern weil das Zusammenspiel aus gelenkter Presse, politischen Interventionen und innerdeutschen Zwängen sich zu einer beispiellosen Kampagne ausgewachsen hatte, die unter dem Druck der Wiederbewaffnungsdebatte seine Freilassung erzwang. Die private Intervention für deutsche Kriegsverbrecher endete jedoch nicht mit der Freilassung Kesselrings und Mansteins, sondern erreichte zuletzt die höchsten Gremien. Es zeigt sich dadurch, daß nicht die Revision der Kriegsverbrecherpolitik, sondern vielmehr die politisch nutzbare, positive Sinnstiftung ins Zentrum der 48

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Es kann an dieser Stelle nur auf eine kleine Auswahl verwiesen werden, so Karlheinz Höfner, Die Aufrüstung Westdeutschlands. Willensbildung, Entscheidungsprozesse und Spielräume westdeutscher Politik 1945 bis 1950, München 1990; Wolfgang Krieger, Adenauer und die Wiederbewaffnung, Bonn 2000; Rolf Steininger, Wiederbewaffnung. Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag: Adenauer und die Westmächte 1950, Erlangen 1989; Norbert Wiggershaus, Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag 1950, in: Roland G. Foerster (Hg.), Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Band 1: Von der Kapitulation zum Pleven-Plan, München 1982, S. 325–402. Bundestagsdebatte vom 7. 2. 1952, BT-Berichte, I. Wahlperiode, S. 8132 C. Rede AugustMartin Euler (FDP). Die Debatte ausführlich bei Frei, Vergangenheitspolitik, S. 268f.

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Bemühungen gerückt war. So nutzte Lord Ismay nach seiner Ernennung zum ersten Generalsekretär der NATO 1952 diese Position aus, um die an ihn über Lord Hankey vom Verband deutscher Soldaten (VDS) herangetragene Forderung nach einer Generalamnestie im Bündnis durchzusetzen51 und die Beendigung des Prozeßprogramms gegen deutsche Kriegsverbrecher als Voraussetzung eines deutschen Verteidigungsbeitrags in der NATO zu »empfehlen«. Der italienische Außenminister Gaetano Martino, enger Freund Ismays und Mitbegründer des Dreierrates der NATO, bat am 10. 10. 1956 Verteidigungsminister Paolo Emilio Taviani, dieser möge bitte dafür sorgen, daß die italienische Militärstaatsanwaltschaft keine weiteren Auslieferungsgesuche mehr an die Bundesrepublik richte.52 Es handelt sich hierbei um nicht weniger als die als Bitte vorgetragene Anweisung des italienischen Außenministers an seinen Kollegen Verteidigungsminister, das eben gerade in Schwung kommende italienische Prozeßprogramm gegen deutsche Kriegsverbrecher zu stoppen,53 um die deutsche Verteidigungsbereitschaft und den Aufbau der Bundeswehr nicht zu gefährden.54 Martino fand zwar, daß »diejenigen, die an solch barbarischen Aktionen teilgenommen haben, persönlich keine Gnade verdienten«. Allerdings, so der Minister bedauernd, sähe die politische Lage heute eben anders aus als noch vor zehn Jahren: »Ich kann mir als Verantwortlichem für die auswärtige Politik unseres Landes nicht verhehlen, daß ein Auslieferungsgesuch heute, gut 13 Jahre nach den schmerzlichen Ereignissen, eine verheerende Wirkung auf die deutsche und internationale öffentliche Meinung haben würde, zumal, da viele der beschuldigten Generale bereits im rechten Moment, nämlich in der unmittelbaren Nachkriegszeit, von alliierten Gerichtshöfen verurteilt worden sind.«55 Taviano, selbst ehemaliger ResistenzaKämpfer und Präsident des Traditionsverbandes der Partisanen (ANPI), schien dieses Zweckbündnis nicht zu stören. Er vermerkte am 20. 10. 1956 auf den Rand des Ministerbriefes: »Bin mit Minister Martino vollkommen einig.«56 So ist es nicht weiter verwunderlich, daß die italienischen Militärgerichte bis 1965 im Gan51

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Zur Rolle der Veteranenverbände und deren Forderung nach Generalamnestie vgl. Alaric Searle, Wehrmacht Generals, West German Society, and the Debate on rearmament 1949–1959, Westport 2003, S. 139–183; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 267–306. Franco Giustolisi, Gli scheletri dell’armadio, in: Micromega 1 (2000), S. 345–355, hier S. 350. Die Briefe sind wörtlich zitiert. Leider sind sie im Original nicht einsehbar, da sich momentan ein italienischer Untersuchungsausschuß mit den Briefen beschäftigt und sie daher nicht im Archiv eingesehen werden dürfen. Giustolisi ist derjenige Journalist und Herausgeber des Wochenmagazins »L’Espresso«, der den Skandal um die verschwundenen Ermittlungsakten in Italien 1999 aufgedeckt hat und nun auch der Untersuchungskommission beisitzt und laufend über deren Ergebnisse berichtet. Vgl. auch Der Spiegel Nr. 17/ 2001, S. 56–58, Schrank der Schande. Dazu ausführlicher: Mimmo Franzinelli, Le Stragi Nascoste. L’armadio della vergogna: Impunità e rimozione dei crimini di guerra nazifascisti 1943–2001, Milano 2002. Süddeutsche Zeitung, 29. 10. 1999, S. 1: Italien schützt deutsche Kriegsverbrecher. Aus Rücksicht auf den NATO-Partner verzichtete Rom auf die Verfolgung. Autorin: Christiane Kohl. Giustolisi, Scheletri, S. 351. Ebd., S. 352.

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zen gegen 25 Angeklagte gerade einmal 13 Urteile fällten57 – eine magere Bilanz, aber aufgrund der Vorgaben aus dem NATO-Hauptquartier bei Paris bzw. der Anweisungen aus Rom auch nicht verwunderlich. Zusammenfassend läßt sich daher sagen, daß die Strafverfolgung für die deutschen Massaker in Italien zwar bereits kurz nach der Kapitulation einsetzte, ihre Wirkung aber durch den Wandel in der britischen Vergangenheitspolitik faktisch wieder aufgehoben wurde. Die Legende vom »Sauberen Krieg« erhielt nicht nur auf der Ebene der Sinnstiftung für die Kriegsteilnehmer Bedeutung, sondern bewirkte Zweifel im britischen Lager. Sie konnte sich vor allem deshalb durchsetzen, weil sie im Kontext des Kalten Krieges auf politische Bedingungen traf, die ihr Fortleben begünstigten.

III. Legendenkonstruktion Die Begnadigung Kesselrings im Oktober 1952 wurde unter dem Motto »Nicht Gnade, sondern Recht« von den Kriegsverbrecherlobbyisten zur Grundsatzentscheidung stilisiert, jedoch von den britischen Behörden mit medizinisch-sozialen Gründen durch den »schlechten Gesundheitszustand des Häftlings« begründet.58 Eine grundsätzliche Entscheidung in der Kriegsverbrecherfrage ist im Fall Kesselring nachweislich vermieden worden, Ziel war vielmehr, eine bedeutende Hilfe für die anstehenden Lesungen der Verträge im Parlament zu bieten. Die Verknüpfung der Kriegsverbrecherfrage mit politischen Forderungen und der Versuch einer Sinnstiftung für die Kriegsteilnehmer wird am Fall Kesselring besonders augenfällig: Es war Adenauers Versuch, qua Vertrag außer der deutschen Souveränität durch die Freilassung deutscher Kriegsverbrecher auch die nationale Ehre zurückerhalten zu können. Die Begnadigungskampagne für die als ›sogenannte Kriegsverbrecher‹ apostrophierten Offiziere in Deutschland zielte vor allem auf einen Meinungswandel in der deutschen Bevölkerung hin zu einem positiveren Umgang mit der militärischen Hinterlassenschaft der Wehrmacht. Durch die Ehrenrettung beispielsweise der evangelischen Landeskirchen für Kesselring, die demonstrative Akklamation zum Ehrenvorsitzenden dreier Veteranenverbände59 und die für Kesselring initiierten Pressekampagnen sollte es der Bevölkerung, besonders aber dem einfachen Soldaten, der in Italien gedient hatte, ermöglicht werden, in seinem Kriegseinsatz einen nachträglichen Sinn zu erkennen60 und die Zustimmung zu einer neuerlichen Bewaffnung mitzutragen. 57 58 59 60

Ebd., S. 353. Lingen, Konstruktion, S. 707; PRO, FO 1060/ 497, Brief Hancock an Herchenroder, 28. 8. 1952. Es handelte sich um »Der Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten«, »Afrikakorps« und »Luftwaffenring«. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 405.

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Darüber hinaus erhielt die Legende vom sauberen Krieg an der Südfront durch die Begnadigung Kesselrings und den erkennbaren Wandel der britischen Vergangenheitspolitik gleichsam eine offizielle Bestätigung des ehemaligen Kriegsgegners. Während die militärischen Argumente der britischen Lobbyisten sich tief im Gedächtnis des Offizierkorps zu verankern schienen und dort sinnstiftend bereits im Hinblick auf ein Europa der Verbündeten wirkten, griff die Berichterstattung vor allem den Aspekt der Siegerjustiz noch einmal auf.61 Dies führte dazu, daß in der Bevölkerung die Legende vom Sauberen Krieg in Italien mit anderen, positiveren Bildern gefüllt war, als beispielsweise in Soldatenkreisen, in denen das Wissen über Ausschreitungen und Massaker zu einem sorgsam gehüteten Geheimnis wurde. Kesselrings Konstruktion einer gleichsam offiziellen Kriegserinnerung ermöglichte es vielen von ihnen, dem jahrelangen »Dienst fürs Vaterland« nachträglich einen Sinn zuzuschreiben, »der den einzelnen Soldaten und die Wehrmacht insgesamt von der Verantwortung für Kriegsverbrechen entlastete«.62 Italien ist darüber hinaus, verglichen mit anderen Kriegsschauplätzen, immer ein Randthema in der allgemeinen Kriegserinnerung und Wahrnehmung geblieben. In der Öffentlichkeit verfestigte sich seit Kesselrings Prozeß 1947, getragen von Berichterstattungen in der Presse und in Leserbriefen, ein quasi idyllisches Bild vom friedlichen Krieg, gleichsam eine Legende vom Sauberen Krieg an der Südfront. Kriegsverbrechen, so der allgemeine Konsens in der deutschen Bevölkerung, hatte es allenfalls im Osten gegeben. »Forciert durch die Kriegsverbrecherdebatte breitete sich die Interpretation der NS-Zeit aus, die die Verbrechenstatbestände zwar nicht leugnete, aber zunehmend mit der ›Grausamkeit moderner Kriegführung‹, dem Partisanenwesen oder ganz allgemein mit den ›Kriegswirren‹ verwob und in nebelhafte Territorien ›im Osten‹ verlegte, in denen leibhaftige Deutsche als Täter kaum mehr vorstellbar waren.«63 Zwar weist Klinkhammer, ohne revisionistische Intention, darauf hin, daß der italienische Kriegsschauplatz einen besatzungspolitischen Sonderfall darstellte, was auch bedeutet, daß von 100 Soldaten in Italien rein rechnerisch fünf in Kriegsverbrechen verwickelt waren.64 Italien ist auf dieser Ebene mit der Brutalität der Partisanenbekämpfung in Rußland also schlecht zu vergleichen, deutlich wird dagegen auch hier die Derealisierung der Verbrechen nach dem Krieg. Viele Offiziere waren sich mit Generaloberst Heinrich von Vietinghoff-Scheel über den italienischen Kriegschauplatz einig, der in einer privaten Rückschau formulierte: »Hier wurde vom ersten bis zum letzten Tag anständig gekämpft wie in vergangenen Zeiten. Der Krieg in Italien endete wie er begonnen und verlau-

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Stern 33/1951, 12. und 19. 8. 1951: Nicht Gnade, sondern Recht. Jörg Echternkamp, Mit dem Krieg seinen Frieden schließen – Wehrmacht und Weltkrieg in der Veteranenkultur 1945–1960, in: Thomas Kühne (Hg.), Von der Kriegskultur zur Friedenskultur? Zum Mentalitätswandel in Deutschland seit 1945, Münster 2000, S. 78–93, hier S. 79. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 405. Lutz Klinkhammer, Stragi naziste in Italia, Roma 1997, S. 16.

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fen: fair.«65 Angesichts dieser positiven Bilanz wird häufig übersehen, daß Vietinghoff einer der wenigen Kommandeure war, der sich nach dem Krieg noch an Übergriffe erinnern mochte.66 Kesselring dagegen wollte sich nicht erinnern. In seiner Rechtfertigungsschrift auf die Klageerhebung der Entnazifizierungs-Spruchkammer München hatte er 1951 festgestellt: […] daß sich die Soldaten, falls die Übergriffe vorgekommen sind und meinen Truppen zur Last gelegt werden können, was in keinem Fall bewiesen ist, aus einem nicht zu fesselnden Naturinstinkt heraus gegen die völkerrechtswidrigen brutalen Banden gewehrt haben.67

Neben der Notwehrtheorie präsentierte Kesselring auch gleich die mutmaßlichen Täter, die bereits in Prozessen »ermittelt« worden seien: »neofaschistische, kommunistische italienische Gruppen und deutsche Deserteure«. Zudem verstieg er sich zu der Behauptung, man könne nicht mehr feststellen, ob wirklich Unschuldige unter den Opfern gewesen seien, da »fast alle in einem »Bandengebiet« angetroffenen Personen in irgendeiner Weise im Hilfsdienst der Banden tätig waren und viele Deutsche mit auf dem Gewissen hatten.«68 Sein ehemaliger Generalstabschef Hans Röttiger sekundierte, es sei »niemals eindeutig geklärt worden, ob diese Übergriffe durch deutsche Truppen, die dem Befehl des Gfm. Kesselring unterstanden, erfolgt sind, oder durch italienische Truppen, die sich am Bandenkampf beteiligten.«69 Zudem habe sich »bereits damals herausgestellt, daß die gemeldeten Übergriffe der bekanntlich sehr erfinderischen Phantasie der italienischen Bevölkerung entsprungen waren.«70 Die strafwürdige Tat, in einem Kriegsverbrecherprozeß verurteilt, verschwand durch derartige Äußerungen, die

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BA-MA, N 431/ 935, Brief Vietinghoff an Laternser, 21. 6. 1946, beiliegend Bericht »Der Feldzug in Italien«, 8 Seiten, hier S. 7 (wahrscheinlich verfaßt für die Historical Division). BA-MA, N 431/ 935, Vietinghoff an Laternser, 21. 6. 1946. Bericht, 8 Seiten. S. 6. Das Massaker in San Pola, von dem Vietinghoff durch eine alliierte Radiomeldung vom 14. 7. 1944 erfahren hatte, habe er zur kriegsgerichtlichen Untersuchung weitergeleitet, wie auch General Herr, der sogar den verantwortlichen Kommandeur, Oberst Evert, sofort seines Dienstes enthoben hatte. Zu den vom OKW befohlenen Zerstörungen italienischer Industrieanlagen, denen sich Vietinghoff mit Erfolg widersetzte, bekannte Vietinghoff, er habe das italienische Volk nicht ins Elend und langjährige Arbeitslosigkeit stürzen wollen, da er es »noch immer als befreundet betrachtete« – wohl eine Spitze gegen Kesselrings bekannten Ausspruch, er könne die Italiener nach dem 9. September 1943 »nur noch hassen«. BA-MA, N 422 (Röttiger)/ 15, Anträge und Einwendungen gegen Art. 33 und 34 des Befreiungsgesetzes, Albert Kesselring, 14 Seiten, 14. 12. 1951, hier S. 19 (Nachlaß-Paginierung S. 19). Ebd., S. 13 (Nachlaß-Paginierung S. 23). BA-MA, N 422/ 15, Eidesstattliche Erklärung Hans Röttiger, 20. 12. 1951. Nachlaß-Paginierung S. 25–27, hier S. 26. Ebd., S. 27.

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in der Presse breit rezipiert wurden, im Gedächtnis der Gesellschaft; der Prozeß selbst wurde in der Rückschau zur »Siegerjustiz« umgedeutet. Selbst die Behörden teilten diesen allgemeinen Konsens, wie ein internes Papier des Justizministeriums Baden-Württemberg an Bundesjustizminister Dehler vom 12. 11. 1957 zeigt.71 Darin ging es um die Frage, ob die Bundesrepublik sich für eine Begnadigung Herbert Kapplers, SS-Obersturmbannführer und Leiter der SD-Außenstelle in Rom, des »letzten deutschen Kriegsverbrechers in Italien«, einsetzen sollte, wie Interessenverbände forderten. Die württembergische Staatskanzlei riet dringend ab. Sollte Kappler begnadigt werden, sei man gezwungen, wie bei Auslieferungen üblich, in Deutschland ein Strafverfahren gegen ihn einzuleiten. Dieses werde sich aber, so die Stuttgarter Beamten in Kenntnis weiterer Kriegsverbrechen, nicht »auf die Erschießungen, die der italienischen Verurteilung zugrunde liegen, beschränken lassen«. Das Bundesjustizministerium überzeugten diese Bedenken, und es gab kein offizielles Gesuch für Kappler. Das Bild vom fairen oder sauberen Krieg ist von den Beteiligten in der Memoirenliteratur in den 50er Jahren breit aufgegriffen und mehrfach ausgeschmückt worden. Dieses Bild, das dort geschaffen wurde, hatte weniger mit der historischen Realität als mit der aktuellen zu tun – zu viele Rücksichtnahmen mußten genommen werden, zu viele alte Freundschaften oder neue berufliche Verbindungen geboten taktvolles Schweigen oder Verbreiten von »geschönten Versionen«. Kaum einer der Offiziere hat diesem positiven Kriegsbild widersprochen,72 und die einzige Kontroverse um die offizielle Kriegserinnerung an den Italienfeldzug entwickelte sich bezeichnenderweise erst nach Kesselrings Haftentlassung und um die Schilderung eines Ereignisses herum, das geeignet war, den Beteiligten nach dem Krieg Ehre zu erweisen: die nach erfolgreichen Verhandlungen des Höchsten SS- und Polizeichefs Italien, Karl Wolff, von Vietinghoff und Röttiger eingeleitete vorzeitige Kapitulation in Italien am 2. Mai 1945. Die Auseinandersetzung um Kesselrings Memoiren in dieser Frage unter den Italienkämpfern zeigt deutlich, daß es Demarkationslinien der Kriegserinnerung gab, die niemand überschreiten durfte, auch nicht der Oberbefehlshaber selbst.73 Sie soll daher hier kurz beleuchtet werden. Die vorzeitige Kapitulation der Heeresgruppe C der Wehrmacht in Norditalien, die nach langwierigen Geheimverhandlungen in der Schweiz zwischen der dortigen Dependance des amerikanischen Geheimdienstes OSS um Allen Dulles in Bern und dem SS-Obergruppenführer Karl Wolff ausgehandelt worden war, hat nach vorsichtigen Schätzungen mehreren hunderttausend deutschen und alliierten Soldaten das Leben gerettet und den Krieg in Europa entscheidend

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Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (im Folgenden: PA-AA), B 24 Italien, Band 261, Blatt 000296. Kritische Memoiren verfaßte einzig Frido von Senger und Etterlin, Krieg ohne Hass, 1956. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 23.

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verkürzt.74 Von dieser ersten und im Übrigen einzigen geglückten Verhandlungskapitulation des Zweiten Weltkriegs ging Signalwirkung für den Waffenstillstand an anderen Fronten aus. In den Schilderungen und Erinnerungen zur Kapitulation, die unter dem Eindruck des Kalten Krieges geschrieben wurden, rückten vorgeblich idealistische Motive für den vorzeitigen Waffenstillstand in Italien in den Vordergrund, der hauptsächlich antikommunistische Gründe gehabt habe. Auffällig wurden Verantwortungsgefühl für die Soldaten und Einsicht in die materielle Unterlegenheit als Argumente für den Waffenstillstand vermieden, was darauf hindeutet, daß der Goebbels’sche Vorwurf des »Defaitismus« noch immer wirksam war. Um die Rolle der Wehrmacht beim Zustandekommen der Kapitulation hatte Röttiger bereits 1948 im Rahmen einer Studie für die »Historical Division« mit Kesselring gerungen, denn Kesselring hatte zwar die antikommunistische Erklärung weitertransportiert, die Konflikte innerhalb des Offizierskorps der Heeresgruppe C, den Streit zwischen Eidhaltern und Eidbrechern, der zwischen dem 29. 4. und dem 2. 5. 1945 zum Putsch mit dramatischem Höhepunkt im Gauleiterstollen in Bozen geführt hatte, jedoch vornehm und zu seinen Gunsten verschwiegen. Kesselring läßt in seinen Formulierungen eine bemerkenswerte Distanzlosigkeit zu Hitler erkennen, und machte, ganz in nationalsozialistischer Diktion verhaftet, für die Niederlage das Zusammenbrechen der rückwärtigen Front und die von der Propaganda wiederholt geschmähten Defaitisten als Schuldige aus.75 Da angenommen werden mußte, daß die Version des Oberbefehlshabers sich durchsetzen würde, schien es den übergangenen Beteiligten geraten, frühzeitig zu protestieren. Röttiger hatte von Westphal Kesselrings Studie erhalten und nach Lektüre einige Korrekturen angebracht und diesem ins Gefängnis nach Werl zurückgeschickt.76 Röttiger schrieb Kesselring unverblümt:

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Literaturauswahl zum Kriegsende in Norditalien: Georg Kreis, Das Kriegsende in Norditalien 1945, in: Schweizer Monatshefte, 65. Jahrgg., Heft 6, Juni 1985, S. 507–521; Bradley F. Smith, Elena Aga Rossi, Operation Sunrise: The Secret Surrender, New York 1979 (Unternehmen »Sonnenaufgang«, Köln 1981); August Walzl, Kapitulationskonzepte im Alpen-Adria-Raum 1945, in: MGM 2/1986, S. 71–84; besonders umfangreich sind auch die Erinnerungen der Beteiligten: Eugen Dollmann, Dolmetscher der Diktatoren, Bayreuth 1993; Allen Dulles, Gero v. S. Gaevernitz: The Secret Surrender, New York 1966 (Unternehmen »Sunrise«, Düsseldorf 1967); Rudolf Rahn, Ruheloses Leben, Düsseldorf 1949; Edmund Theil, Kampf um Italien. Von Sizilien bis Südtirol 1943–1945, München 1983; Heinrich von Vietinghoff-Scheel, La fine della guerra in Italia. Appunti dell’ultimo commandante in capo tedesco in Italia (Recoaro, ottobre 1944-aprile 1945), a cura di P. Hattenkofer, A. Massignani e M. Dal Lago, Valdagno 1997; Max Waibel, Kapitulation in Norditalien. Originalbericht des Vermittlers, Basel 1981. Kesselring, Soldat, S. 409f. BA-MA, N 422/ 4, Stellungnahme Röttiger zu einem Punkt der von Feldmarschall Kesselring aufgeworfenen Frage der »Fortsetzung des Krieges«. 8. 1. 1948. Nachlaßpaginierung S. 8–12.

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Ich glaube, daß heute kein Mensch ehrlichen Herzens behaupten kann, daß wir spätestens nach dem Verlust der Rheinfront und der gleichzeitigen Lageentwicklung im Osten den Krieg militärisch oder auch politisch noch mit einem »Remis« oder sogar noch besserem hätten beenden können. […] Je länger der aussichtslose, jeder vernünftigen personellen und materiellen Grundlage entbehrende militärische Kampf wurde, desto häufiger wurden zwangsläufig untere und unterste militärische Führer vor die Frage der freiwilligen Einzelkapitulation gestellt. Wer diese Entwicklung nicht spätestens Anfang April 1945 erkannte, der war entweder blind, oder hatte bestimmt nicht den Überblick über die ›Zusammenhänge des völkischen Lebens‹, oder er hat diese Endentwicklung nicht sehen wollen.77

Er wandte sich entschieden gegen Kesselrings Behauptung, er habe mit seiner zögerlichen Zustimmung zur Kapitulation nur Menschenleben retten wollen, indem der Heeresgruppe E die Möglichkeit gegeben werden sollte, in den Bereich der Westalliierten zu wechseln. Röttiger erinnerte Kesselring daran, daß »jeder frühere Tag der Kapitulation« noch »mehr Truppen in die Hand der Westmächte gebracht« hätte, wenn Kesselring »beizeiten einen Rückzug statt des Haltebefehls« erlassen hätte. Auch seien noch »verschiedene Einheiten mit Einverständnis der Alliierten hinter die Demarkationslinie nach Westen vorgerückt.« Röttiger bemerkte auch die Diskrepanz der Kesselringschen Äußerungen, die zwischen Kritik an den Verantwortlichen für die Kapitulation und Rechtfertigung des eigenen Zögerns schwankte. Kesselrings Zustimmung zur Kapitulation am 2. Mai habe doch »nur noch formalen Wert« gehabt, so Röttiger, denn der Waffenstillstand sei ja bereits seit 1. 5. in Kraft gewesen; Kesselring trage daher keine Verantwortung gegenüber den den Titopartisanen in die Hände gefallenen deutschen Soldaten.78 Röttiger stellte Kesselring abschließend eine Frage: »Was ist leichter, den Kampf bis zur letzten Patrone zu befehlen, oder an Stelle dessen die gesamte Verantwortung für eine freiwillige Kapitulation auf sich zu nehmen? Ich selbst bin mir aufgrund ureigenster herber Erfahrung über die Art der Beantwortung dieser Frage nicht im Zweifel. Röttiger.«79 Auch Heinrich von VietinghoffScheel machte Kesselring auf die von ihm betriebene geschichtsverfälschende Konstruktion von Kriegserinnerung aufmerksam: Im übrigen bitte ich Herrn Feldmarschall noch einmal zu prüfen, ob diese Denkschrift nicht unbeabsichtigt neuen Anstoß geben könnte für Gerüchte oder Legenden, wie die Partei sich schon im Kriege bemüht hat, sie entstehen zu lassen. Welches bittere Unrecht damit getan würde, wissen Herr Feldmarschall besser als ich. Dieser Krieg gegen fast die ganze Welt konnte von Deutschland niemals und unter keinen Umständen gewonnen werden. Es ist allein die verhängnisvolle Schuld der »obersten Stelle«, daß das deutsche Volk in eine solche Lage gebracht worden ist. Gez.: v. Vietinghoff.80

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Ebd., S. 8. Ebd., S. 10. Ebd., S. 12. BA-MA, N 422/ 4, Stellungnahme von Vietinghoff zu Kesselring, 8. 1. 1948, Nachlaßpaginierung S. 13/14, hier S. 14.

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Röttiger entschuldigte sich geschickt für seine unverlangte Stellungnahme, die er bat, »nicht als Kritik aufzufassen, sondern lediglich als ein Beitrag im Interesse der Wahrheitsfindung.«81 Kesselring schrieb entgegen seiner Gewohnheit erst verspätet und sichtlich knapp zurück: »Seien Sie überzeugt, daß ich mich nicht mit fremden Federn schmücken wollte, ich war von der Richtigkeit der Ausführungen durchdrungen.«82 Das Thema Kapitulation wurde daraufhin von keinem der Kontrahenten zunächst mehr angeschnitten. Doch Kesselrings für ihn günstige Eigendarstellung drohte 1953, mit Erscheinen der Memoiren, den Konsens unter den Italien-Kameraden zu sprengen, die sich ärgerten, so lange geschwiegen zu haben, um dem ehemaligen Vorgesetzten nicht zu schaden. Doch nichts von der Kontroverse drang nach außen, und es zeigte sich, daß der Gruppendruck noch groß genug war, um eine öffentliche Kontroverse zu verhindern und dem Bild von der sauberen Italienarmee nicht zu schaden. Die bereits zitierte Studie Kesselrings bildet das sprachliche Kernstück seines in den Memoiren abgedruckten Kapitulationskapitels.83 Darin hat Kesselring seine Weigerung, die von Vietinghoff und Röttiger eingeleitete vorzeitige Kapitulation in Italien am 2. Mai 1945 als fait accompli zu akzeptieren, folgendermaßen begründet: Es handelte sich jetzt nicht mehr um den Kampf zur Erringung eines anständigen Friedens. Es handelte sich allein um die Erfüllung einer unabdingbaren Kameradschaftspflicht, den deutschen Kameraden nicht in die Hände der Russen fallen zu lassen. Aus diesem und allein aus diesem Grund war die Fortsetzung des Kampfes bis zum bitteren Ende notwendig.84

Gleichzeitig und in direktem Widerspruch dazu behauptete Kesselring nun plötzlich, er habe »seit Oktober 1944 über die geheimen Planungen des Waffenstillstands in Italien Bescheid gewußt«.85 Lediglich den Zeitpunkt habe er selbst bestimmen wollen, sei hierbei aber von seinen Offizieren hintergangen worden. Hier ging es um mehr als nur das Bild vom Krieg in Italien. Zu durchsichtig war Kesselrings Intention, die inzwischen allgemein gültige und von der Öffentlichkeit rezipierte Kriegserinnerung zu nutzen, um seine eigene Person in besserem Licht erscheinen zu lassen. Sichtlich hatten sich die gesellschaftlichen Parameter verschoben. In Umkehrung der damaligen Einschätzung galt nun der als vernünftig, der sich sinnlosen Haltebefehlen widersetzt hatte.86 Kesselring ver-

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BA-MA, N 422/ 4, Brief Röttiger an Kesselring, 8. 1. 1948. BA-MA, N 422/ 4, Brief Kesselring an Röttiger, 24. 3. 1948. Ein Vergleich mit Kesselrings Memoiren hat ergeben, daß er die zitierte Passage, zwar gereinigt von dem weltanschaulichen Vokabular wie »dem größten Lebenskampf« und »Versagen der Führung«, fast wörtlich übernommen hat. Kesselring, Soldat, S. 409f. Kesselring, Soldat, S. 409. Ebd. Dies wurde im Zusammenhang mit den bundesdeutschen ›Generalsprozessen‹ besonders deutlich, vgl. Alaric Searle, Revising the myth of a ›clean Wehrmacht‹: Generals’ trials, public opinion, and the dynamics of Vergangenheitsbewältigung in West Germany, 1948–

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suchte zumindest indirekt, sich dieser Umdeutung noch anzuschließen, wenn er plötzlich behauptete, selbst die riskanten Kapitulationsverhandlungen geführt zu haben, nicht Karl Wolff, Heinrich von Vietinghoff-Scheel und Hans Röttiger. Diesmal schwiegen die Kameraden nicht, denn die Rehabilitierung Kesselrings ging zu Lasten Einzelner. Zwei Lager der Offiziere standen sich unversöhnlich gegenüber, die Vertreter des Durchhaltebefehls bis zum Schluß und die Kapitulanten Röttiger, Vietinghoff-Scheel, Wolff und Rahn. Anführer der ersten Gruppe war Kesselring selbst, der unterstützt wurde von den Generälen Schultz und Wentzell, die kein Interesse daran hatten, ihren Kampf bis zum Schluß als Vasallentreue für Hitler verstanden zu wissen. Sie pochten daher auf Kesselrings Erklärung, man habe den Rückzug der Heeresgruppe E in westalliiertes Gebiet abwarten und diejenigen Offiziere, die den Amerikanern bereits ihr Wort gegeben und die Urkunde unterzeichnet hatten, aus übergeordneten Motiven gefangen nehmen müssen. Kesselrings Darstellung, die im Kameradenkreis als Entwurf zirkulierte,87 führte zu einem erregten Briefwechsel zwischen den anderen Offizieren, die an der Kapitulation beteiligt waren und sich nun erneut dem Vorwurf des Verrats ausgesetzt sahen. Erkennbar ist jedoch auch, daß sie sich nach wie vor durch den Korpsgeist zum Schweigen verpflichtet fühlten. Oberst Josef Moll, Ia im Hauptquartier des OB Südwest, schrieb an Röttiger, er fühlte sich von Kesselring hintergangen: So wenig, wie wir unmittelbar nach dem Zusammenbruch, etwa durch Veröffentlichungen der damaligen Ereignisse dem Feldmarschall schaden wollten, so sehr müßte man meinen, daß umgekehrt der Feldmarschall, dessen Haltung und Einstellung damals zweifellos und in jedem Fall als eigenartig zu bezeichnen war, heute Wert darauf legt, sein Ziel einer Rechtfertigung vor der Geschichte mit uns und nicht gegen uns zu erreichen versuchte. 88

Trotz seiner Verärgerung mahnte Moll zu diskreter Kritik unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Den »grundsätzlichen Gegnern des Soldatentums« dürfe jedoch gerade heute, zu einem »Zeitpunkt, wo alles darauf ankommt, das Vertrauen in den deutschen Offizier wieder herzustellen« durch eine Kampagne gegen Kesselring nicht ein Vorteil verschafft werden, den diese geschickt ausnützen könnten. Doch Ende März kam das Buch in der ursprünglichen Fassung in die Läden, und eine Richtigstellung der Dinge konnte nur noch öffentlich geschehen. Röttiger hielt nach dem Affront, daß das Buch nun bereits erschienen war, nichts mehr davon, mit Kesselring persönlich im Gespräch nach einer Lösung zu suchen.

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1960, in: German Historical Institute London, Bulletin, Vol. XXV, No. 2, Nov. 2003, S. 17–48, hier S. 26. Kesselring hatte Röttiger im Januar 1953 selbst gebeten, zu einigen ausgewählten Passagen seines Manuskripts »im Interesse unserer lieben alten Wehrmacht« Korrektur zu lesen. BA-MA, N 422/ 4, Kesselring an Röttiger, 15. 1. 1953. BA-MA, N 422/ 4, Moll an Röttiger, 20. 3. 1953.

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Bei der mir bekannten und durch das Buch bestätigten starren Einstellung und, unter uns gesagt, auch Eitelkeit Kesselrings verspreche ich mir von einer Aussprache mit K. kaum noch etwas. Ich glaube auch nicht, daß K. sich zu einer Berichtigung bereit finden würde. Den Weg hat er sich m.E. auch besonders dadurch selbst verbaut, daß er sehr entscheidende Handlungen von seiner Seite in der fraglichen Zeit glatt unterschlagen hat.89

Moll bat Kameraden sowie den ehemaligen Botschafter Rudolf Rahn um Stellungnahme.90 Röttiger seinerseits wandte sich an den damaligen Höchsten SSund Polizeiführer in Italien, Karl Wolff, und an Vietinghoff-Scheels Witwe, denn der Generaloberst war 1951 überraschend an einer Lungenentzündung verstorben. Elfriede von Vietinghoff-Scheel erkannte in Kesselrings Version vor allem alte Nazi-Erklärungsmuster und tadelte: »Nüchtern verstanden [war es für den Feldmarschall] Landesverrat, genau die gleiche Linie wie damals.«91 Wolff gegenüber fand auch Röttiger deutliche Worte und beklagte, er sei über Kesselrings Illoyalität und Unkameradschaftlichkeit enttäuscht: »Es ist wirklich bedauerlich, daß acht Jahre nach den Ereignissen diese Fragen von K. wieder aufgegriffen werden, und zwar in einer Art und Weise, in der alle, welche nicht derselben Ansicht sind, belastet und vor der Geschichte belastet werden durch Herrn K.«92 Dies sei »besonders bedauerlich und wenig fair, da wir alle uns in den vergangenen Jahren immer wieder dagegen gewehrt haben, uns zu der ganzen Sache eingehend zu äußern, gerade aus Rücksicht auf K.« Moll plädierte für ein gemeinsames Vorgehen mit der Bitte um eine Aussprache, in welcher man Kesselring mit sachlichen Argumenten klarmachen könne, wo er sich irre. Röttiger komme dabei die Rolle des Wortführers der Italienkämpfer zu, »denn Sie sind nach dem Tode des Generaloberst von Vietinghoff der Vertreter der Heeresgruppe, der über diese Dinge zu sprechen legitimiert ist.«93 Hierin zeigt sich nicht nur militärischer Korpsgeist, sondern das bemerkenswerte Selbstverständnis, auch acht Jahre nach der Kapitulation sich noch als Gemeinschaft zu begreifen und »im Namen der Heeresgruppe«, die längst nicht mehr existierte, zu protestieren.94

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BA-MA, N 422/ 4, Röttiger an Moll, 28. 3. 1953. Röttiger schwebte eine Artikelserie in der »Deutschen Soldatenzeitung« oder aber die Veröffentlichung einer »kleinen Broschüre« vor. PA-AA, Nachlaß Rahn, Mappe IV, Nr. 23 e. Brief Moll an Rahn, 7. 7. 1953. BA-MA, N 422/ 4, E. v. Vietinghoff an Röttiger, zitiert in Röttiger an Moll, 3. 6. 1953. BA-MA, N 422/ 4, Röttiger an Karl Wolff, 25. 3. 1953. BA-MA, N 422/ 4, Moll an Röttiger, 12. 5. 1953. Auch Elfriede von Vietinghoff spielte auf diese verschworene Gemeinschaft an, wenn sie äußerte: »Es ist traurig genug, das wiedereinmal in der »Innung« selbst solche Dinge überhaupt vorkommen – wo ist die alte preußische Kameradschaft, die selbstverständliche Korrektheit in allen sachlichen Fragen geblieben?«, und sie urteilte hart: »Alles kommt wohl von Kesselrings großem Ehrgeiz, und seiner Wut, daß er dies eine Mal nicht am auslösenden Hebel saß, und nicht sein, sondern meines Mannes Name unter dem Dokument stand, das in alle Welt hinaus ging.« BA-MA, N 422/ 4, E. v. Vietinghoff an Röttiger, 7. 6. 1953.

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Bei einem Treffen in Heidelberg kamen Röttiger, Moll, Wolff und Rahn überein, Kesselring ein Memorandum zukommen zu lassen, das eine »Anregung zur Richtigstellung« enthielt. Neben einigen Ausführungen zu den Beteiligten, die ihre Entscheidung zur Niederlegung der Waffen am 1. 5. 1945 »schweren Herzens und unter Einsatz ihrer Existenz und derjenigen ihrer Angehörigen« getroffen hätten, betonten die Autoren in eindeutiger Anspielung auf Kesselrings Position, das eigentliche Verschulden habe »bei all denjenigen« gelegen, die »noch bis zu den letzten Tagen des April 1945 annahmen oder hofften, daß sich die Lage an den Fronten wieder günstiger entwickeln werde.« Daher seien Kesselrings geschichtsfälschende Schilderungen aufs Schärfste zurückzuweisen: »Aus der vorstehend erwähnten Überzeugung heraus empfinden wir Unterzeichnenden die Art Ihrer Ausführungen über den Waffenstillstand in Italien als eine unberechtigte und verletzende Herabsetzung ihres Handelns, dessen Richtigkeit durch die politische Entwicklung der letzten Jahre zudem vollauf bestätigt wird.«95 Auch in anderen Punkten wollte man die Erinnerung des Feldmarschalls ein wenig auffrischen: »Zur Erleichterung Ihrer Erinnerung dürfen wir noch erwähnen, daß Ogr.führer Wolff Ihnen in der Besprechung am 23. 3. 1945 u.a. auch noch mitteilte, daß die Westalliierten Sie, Herrn Feldmarschall, nach erfolgreicher Konsolidierung der politischen Verhältnisse für das Amt eines Staatspräsidenten vorgesehen hatten.«96 Auch Kesselring hatte sich kompromittiert und gehörte keineswegs zu den »Soldaten bis zum letzten Tag«, wie er sich selbst in seinen Memoiren programmatisch präsentierte. Die einzelnen strittigen Punkte der Kapitulationsverhandlungen wurden anhand der unveröffentlichten Memoiren des bereits verstorbenen Vietinghoff belegt. Diesem Text kommt vor allem unter dem Aspekt besondere Bedeutung zu, als daß er bereits 1948 durch Vermittlung Indro Montanellis in Italien zur Publikation vorbereitet, von Vietinghoff selbst jedoch mit Rücksicht auf die Begnadigungsdebatte um Kesselring damals zurückgehalten wurde. 1949 war Indro Monatelli, Ressortchef bei der größten konservativen Tageszeitung Italiens, dem Corriere della Sera, an Vietinghoff herangetreten97 und machte ihm ein lukratives finanzielles Angebot.98 Vietinghoff übersandte Montanelli für eine geplante Artikelserie im Corriere bereits im Frühjahr 1950 sein Manuskript zum »Kriegsende in Italien«.99 Zu dieser Zeit begann auch der ehemalige Höchste SS- und Polizeiführer Italien, Karl Wolff, seine Erinnerungen in Form einer Artikelserie in der Münchener »Revue« zu verbreiten, nachdem es SS-Standartenführer Eugen Dollmann schon im August 1949 gelungen war, eine Serie von Artikeln zur deut-

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BA-MA, N 422/ 4, Entwurf Memorandum zum Waffenstillstand für Kesselring, Juli 1953. 8 Seiten, hier S. 2. Ebd., S. 3. Privatarchiv Vietinghoff-Scheel (übergeben an BA-MA Freiburg 2003), Brief Montanelli an Vietinghoff, 26. 11. 1949. Privatarchiv Vietinghoff-Scheel, Brief Montanelli an Vietinghoff, 13. 1. 1950. Privatarchiv Vietinghoff-Scheel, Brief Vietinghoff an Montanelli, 3. 3. 1950.

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schen Besatzung Roms in der Tageszeitung Il tempo mit beachtlich positiver Resonanz zu veröffentlichen.100 Doch noch ging es für Kesselring um Entnazifizierung und Begnadigung, und Vietinghoff, obwohl von Kesselring in den letzten Apriltagen 1945 persönlich gedemütigt, abgesetzt und mit dem Tode bedroht, zog, ganz Kamerad, Anfang 1951 sein Manuskript mit der Begründung zurück: Infolge verschiedener Orientierungen, die ich neu erhalten habe, kann ich meine – Ihnen vor einem Jahr übersandten – »Erinnerungen« keinesfalls mehr ohne vorherige Überarbeitung durch mich zur Veröffentlichung freigeben. Es handelt sich um die Beurteilung der Handlungen einiger Hauptpersönlichkeiten. Ich bitte Sie daher, mir das Manuskript zurückzusenden.101

Die »Hauptpersönlichkeiten« waren in Vietinghoffs Betrachtung in der Tat harscher Kritik ausgesetzt. Vietinghoff hatte in seinem Manuskript 1946 geschrieben: »Er (= K) betont … , daß für ihn ein Abschluß keinesfalls in Frage komme, solange der Führer noch am Leben sei‹.«102 Kesselring habe nichts wissen wollen, um nicht einschreiten zu müssen. Am 30. 4. 1945 habe er ihn, Vietinghoff, schließlich zu sich rufen lassen, nur um ihn zu beschuldigen, in seinem Stab herrsche »Defaitismus« vor, er werde ihn darum ablösen lassen. Vietinghoff habe daraufhin seinen Rücktritt angeboten, den Kesselring sofort annahm. Röttiger sollte noch zwei bis drei Tage die Geschäfte weiterführen. Über dieses Finale furioso der Kapitulationsverhandlungen hat Kesselring in seinen Memoiren gänzlich geschwiegen. Vietinghoff dagegen formulierte klar: Damit war diese unwürdige Komödie beendet – unwürdig vor allem, weil der Feldmarschall alles wußte und im Stillen gebilligt hatte, sich aber aus Scheu vor Hofer nicht zu bekennen wagte. Wie ich später von Wentzell hörte, hatte der FM nachts die Absicht gehabt, mich verhaften und standrechtlich aburteilen zu lassen. Nur die schroffe Weigerung insbesondere Wentzells, etwas Derartiges mitzumachen, habe Kesselring zur Umstellung gezwungen.103

Die Kritiker um Röttiger nutzten Vietinghoffs Text nun 1953 gegen Kesselring, bemühten sich jedoch um ein soldatisch ehrenvolles Vorgehen. Kesselring solle die Öffentlichkeit, die bisher »bewußt falsch unterrichtet« sei, durch eine Berichtigung seines Buches auf den wahren Sachverhalt aufmerksam machen. Danach würden auch sie selbst mit einer Broschüre an die Öffentlichkeit gehen, um ihre Sicht auf den Verlauf der Kapitulationsverhandlungen zu verbreiten, Darstellungen, von denen man im Übrigen bisher abgesehen habe, »mit Rücksicht auf Ihre Person, zumal Sie sich noch in Haft befanden.«104

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BA-MA, N 431/ 935, Vöchting an Laternser mit Übersendung der Dollmann-Artikel für »Il tempo«, 10. 10. 1949. Privatarchiv Vietinghoff-Scheel, Brief Vietinghoff an Montanelli, 2. 2. 1951. Ebd., S. 4. Ebd., S. 6. Ebd., S. 7.

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Doch Kesselring reagierte auf dieses Memorandum nicht. Die angedrohte Broschüre der vier Unterzeichner hat sich in den Archiven nicht verifizieren lassen. Doch offenbar hat es einen Weg gegeben, Kesselring in der Öffentlichkeit so diskret wie möglich zu widersprechen. Ein Beitrag des Nordwestdeutschen Rundfunks Köln zur Kapitulation in Italien scheint sich auf die Denkschrift zu stützen. Die Radiosendung vom 25. 4. 1955, verfaßt von Dr. Edgar von Schmidt-Pauli, folgte im großen und ganzen der Linie Röttigers und Vietinghoff-Scheels. Kesselring kam, ganz entgegen der Darstellung in seinen Memoiren, ausgesprochen schlecht weg. So sprach der »Erzähler« in dieser Sendung offen aus, was bisher noch niemand schreiben durfte: »Der Feldmarschall billigt zwar Wolffs Aktion, will sich aber zu Lebzeiten des Führers nicht exponieren.«105 Kesselring selbst sei erst in einem langen nächtlichen Telefongespräch vom 2. Mai durch Wolff überredet worden, der Kapitulation nachträglich zuzustimmen. Ebenfalls 1955 erschien ein Interview der Süddeutschen Zeitung mit Karl Wolff, in welchem Wolff die Vorwürfe gegen Kesselring in abgeschwächter Form äußerte und Kesselring direkt beschuldigte, er habe sich »von Hofer beeinflussen lassen«, Vietinghoff und Röttiger abzusetzen.106 Es ist die erste öffentliche Kritik eines der Beteiligten, und sie kam von einem SS-General. Offene Kritik an Kesselring aus den Reihen der Wehrmacht hat es – zumindest erkennbar – nicht gegeben. Auch indirekt gelang es, auf Redaktionen über alte Verbindungen gezielt Einfluß zu nehmen. 1956 plante der Spiegel anlässlich der Einstellung Röttigers als Erster Inspekteur des Heeres der Bundeswehr im September 1956 eine Titelgeschichte zum Waffenstillstand in Italien,107 die in großen Teilen fast wörtlich mit dem unveröffentlicht gebliebenen Memorandum Röttigers, Molls, Wolffs und Rahns übereinstimmt. Es ist anzunehmen, daß der Autor des Artikels, Hans Schmelz,108 der für die Organisation Gehlen arbeitete,109 mit dem Kreis um Rötti-

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BA Koblenz, N 1245 (Lindner)/45. Manuskript zur Sendung »Fünf Minuten vor Zwölf« des Nordwestdeutschen Rundfunks Köln, Verfaßt von Dr. E. von Schmidt-Pauli. Gesendet am 25. 4. 1955, 19.15 bis 20.00 Uhr. Süddeutsche Zeitung, 22. 4. 1955: Der Sturz ins Dunkel. Die Sondervereinbarungen an der Italien-Front. Interview mit General der Waffen-SS Karl Wolff. Ich bin Herrn Dr. Georg Meyer, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Arbeitsgruppe Freiburg, zu größtem Dank verpflichtet, daß er mir das Manuskript dieses Artikels, das er selbst von einem ehemaligen Mitarbeiter der Organisation Gehlen erhielt, zugänglich gemacht hat. Nennung des Namens in BA-MA, N 318/ 4, v. Gaertner an Schulz, 14. 11. 1956. Hans Schmelz, Spiegel-Redakteur, ehem. Major der Fallschirmtruppe, hatte durch seine frühere Mitarbeit bei der Organisation Gehlen, später BND, noch immer Verbindungen zum Nachrichtendienst; Schmelz war 1962 bei der »Spiegel-Affäre« 81 Tage in Haft, später gelang ihm unter Helmut Schmidt der Wechsel in die Politik (Planungsstab BMVg). Auch Moll arbeitete zeitweise vor seiner Reaktivierung als Offizier für die Organisation Gehlen, so daß ein Austausch von Manuskripten mit Schmelz auf dieser Ebene nicht unwahrscheinlich wäre. Diese Version wird gestützt durch eine briefliche Mitteilung an die Verf. von Dr. Georg Meyer, 5. 12. 2001.

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ger in Verbindung stand. Er wurde jedoch nie gedruckt. »Starke Kräfte aus Bonn«, darunter auch Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß, hatten dies in letzter Minute verhindert. Strauß schreibt später, er habe seinen Einfluß angelegentlich »des vor einiger Zeit geplanten Artikels im Spiegel dahingehend geltend gemacht«, daß er der Redaktion bedeutet hatte, eine öffentliche Debatte sei »aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt auch im Interesse der an den damaligen Ereignissen beteiligten Personen, unerwünscht«.110 Viel später machte der Spiegel seine Ankündigung doch noch wahr, die Kapitulation in Italien kritisch zu beleuchten. Ein offensichtlich auf dem Manuskript von 1956 basierender Spiegel-Text, der laut der einführenden Zeilen dem Buch von Allen Dulles und Gero von Gaevernitz über das »Unternehmen Sunrise« entnommen war, erschien 1966, also weit nach Kesselrings und Röttigers Tod und zu einem Zeitpunkt, als die Bundeswehr die ersten zehn Jahre ihres Bestehens überstanden hatte und die Westintegration als geglückt bezeichnet werden konnte.111 Es gab keine negativen Reaktionen mehr, denn man benötigte das Leitbild vom Durchhalten bis zum Schluß nicht mehr.112 So ist die Kapitulationsdarstellung in Kesselrings Memoiren doch nicht ganz unwidersprochen geblieben und gilt heute als falsch.113 Auffällig bleibt jedoch, daß die Legende vom Sauberen Krieg an der Südfront niemals in Frage gestellt wurde. Die heftige Kontroverse bezog sich nur auf die Darstellungen der Kapitulationsverhandlungen und damit auf eine Frage, die das soldatische Ehrverständnis Einzelner zu beeinträchtigen drohte. Es war dagegen niemals Gegenstand von Kritik aus Kameradenkreisen, daß Kesselring bei der Beschreibung der Partisanenbekämpfung in Italien die Rolle der Wehrmacht schönte, indem er wie gewohnt Dinge wegließ, an die er sich nicht erinnern zu müssen glaubte. Hierbei bestand offensichtlich weiterhin Konsens unter allen Beteiligten.

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Es ist nicht ausgeschlossen, daß hier auch ein Interesse der Geheimdienste an der »richtigen« Version, gegen den alten Oberbefehlshaber, zum Ausdruck kommt. BA-MA, N 318/ 3, Brief Verteidigungsminister Strauß an Schulz, 3. 12. 1957. Der Spiegel 43/ 1966, »Warum kämpft ihr nicht, statt zu verhandeln?« Die Entscheidung im Unternehmen »Sunrise«. Von Allen Dulles und Gero von Gaevernitz. S. 139–153. Schulz starb 1976. Einzig Westphal bleibt noch in seinen 1978 erschienenen Memoiren ganz Kesselrings Version verbunden. Er schreibt, Vietinghoff habe »sein Kommando vorübergehend abgegeben, aus welchen Gründen auch immer«. Heftig kritisiert Westphal dagegen seinen Nachfolger Röttiger, der Schulz und Wentzell einfach »festgesetzt« habe. Westphal, Erinnerungen, S. 340.

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Fazit Anhand des Prozesses gegen Kesselring, der zum Ausgangspunkt der Legendenkonstruktion um den Krieg an der Südfront wurde, und der Begnadigungskampagne für ihn wird deutlich, wie sich die unterschiedlichsten Gruppen in Deutschland, England und den USA zu einer schlagkräftigen Lobby zur »Lösung des Kriegsverbrecherproblems« verbanden, Argumente der Verurteilten aufgriffen und schließlich erfolgreich einen Wandel der alliierten Vergangenheitspolitik in Gang setzten – und dadurch das positive, saubere Italienbild weitertrugen. Kontroversen im Kameradenkreis wurden vor der Öffentlichkeit lange Zeit sorgfältig verborgen, um das positive Bild und dessen »Außenwirkung« nicht zu gefährden. Die Legendenkonstruktion kann erst nach dem geschichtlichen Abschluß des Tatbestandes, den sie rechtfertigen soll, einsetzen. Das heißt, erst nach Kesselrings rechtmäßiger Verurteilung als Kriegsverbrecher war es sinnvoll, eine Kampagne zu seiner Ehrenrettung zu starten. Dabei ging es nicht um den Fall Kesselring selbst, sondern um viel mehr. Zum einen mußte nun den deutschen Kriegsteilnehmern ein Sinn am gerade überstandenen Krieg geschaffen, zum zweiten sollten Zweifel an der britischen Vergangenheitspolitik geweckt werden. Gerade die scheinbare Niederlage der britischen Vergangenheitspolitik und das Zugeständnis der Freilassung bewirkten in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch letztlich den Zusammenbruch des Kesselring-Mythos. Während die deutsche Öffentlichkeit zunächst vom Kesselringprozeß kaum Notiz nahm und daher auch an der Italienlegende kaum Interesse zeigte, änderte sich dies grundlegend, als die Begnadigungskampagne zu einem politischen Machtkampf und zur Schlacht gegen die Siegerjustiz geriet. Wiederum war dabei kein genuines Interesse an der Italienlegende zu beobachten, doch diente sie als Mittel zum Zweck und wurde breit rezipiert. Allerdings brach dieser Konsens mit Erreichen des politischen Ziels zusammen, und es gelang Kesselring nicht, aus dem guten Ruf eines einzelnen Kriegsschauplatzes persönlichen Profit zu ziehen. Die durch die wiedererlangte Souveränität Deutschlands zunehmend kritischer gewordene deutsche Öffentlichkeit war nicht länger gewillt, über die Verfehlungen der Wehrmachtgeneralität hinwegzusehen. Kesselrings Popularität sank durch die Rezension seiner Memoiren, durch Auftritte vor Veteranen und als Gutachter vor Gericht ab Mitte der 50er Jahre erheblich, als er versuchte, außer der »Rehabilitierung seiner Person auch noch die Anerkennung ungewandelter politischer Überzeugungen« zu erreichen.114 Spätestens mit seiner Beerdigung 1960, acht Jahre nach der so frenetisch bejubelten Freilassung, wurde in der Presseberichterstattung deutlich, daß die Umdeutung vom »gentleman« zum »Nazigeneral« vollzogen war. Während der Kesselring-Mythos vom unschuldigen Generalfeldmarschall mit seinem Protagonisten 1960 begraben wurde, hat sich die Legende vom »Sauberen Krieg an der Südfront« noch bis in die 80er Jahre halten 114

Frei, Vergangenheitspolitik, S. 24.

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können. Dies läßt darauf schließen, daß es ein breiteres Bedürfnis nach einer sauberen Kriegserinnerung gab und somit die Konstruktion dieser Legende für die Sinnstiftung und Legitimation einer ganze Generation höchst bedeutsam war und sogar darüber hinaus wirken konnte. Denn die Legende wirkte dabei nicht nur nach außen hin determinierend für die Kriegserinnerung, sondern entfaltete auch nach innen hin disziplinierenden Charakter. Gerade die gemeinsam getragene Legende war es, die in der Gruppe der Italienoffiziere in den 50er Jahren Kohäsionskräfte entfalten konnte, die sie definierte und als Gruppe konservierte. Nicht nur die Öffentlichkeit sollte dieses positive Italien-Kriegsbild übernehmen, sondern innerhalb der Gruppe sollte um des gemeinsamen Zieles willen Frieden geschlossen werden. Die Offiziere sind dabei Träger und Nutznießer der Legende zugleich. Es zeigte sich jedoch deutlich nach dieser Kontroverse, daß es kein gemeinsames Vorgehen der Italienkämpfer mehr geben würde – Rücksichten auf andere Kameraden waren nicht mehr so unabdingbar wie noch Ende der 40er Jahre, das gemeinsame Ziel einer Rehabilitation war durch den Gang der Ereignisse überflüssig geworden. Der Fall Italien stellt zwar einen vergangenheitspolitischen Sonderfall dar, läßt aber dennoch Schlüsse gerade in der Frage einer über die deutschen Grenzen hinauszielenden Wirkung der Südfrontlegende zu. So hat etwa die Dominanz der Resistenza-Geschichtsschreibung für Jahrzehnte eine Berichterstattung über die Besatzungszeit erheblich behindert115 und damit der Legende vom »Sauberen Krieg« nicht wirkungsvoll genug widersprochen. Doch auch in Großbritannien gab es Interesse an dieser Legende vom »Sauberen Krieg« in Italien. Es fällt auf, daß sie nicht nur von Wehrmachtsveteranen weitergetragen wurde, sondern ihre britische Entsprechung fand. Feldmarschall Harold Alexander, Kesselrings Opponent auf dem Schlachtfeld, war es, der seinem Gegner vor Gericht mit dem Ausspruch zuhilfe kam, er habe »fair gekämpft«.116 Er zeigt damit mehr als Solidarität unter Militärs. Vielmehr beweist dieser Ausspruch, daß es auch einen britischen Anspruch auf diesen »Sauberen Krieg« gegeben zu haben scheint. Dabei spielt eine große Rolle, daß die siegreiche 8. Brit. Armee zuvor bereits gegen Kesselring und Rommel in Afrika gestanden hatte und demzufolge vom Nimbus des ebenfalls legendären Afrikafeldzuges mitprofitierte. Anders ausgedrückt, die britische 8. Armee war eine ›Heldenarmee‹ in der britischen Kriegserinnerung – undenkbar, daß sie gegen Verbrecher zu Felde gezogen war. Die Legende war zählebig, wie anläßlich von Kesselrings Tod evident wurde. Die britische Times brachte einen kurzen Nachruf, in welchem vor allem Kesselrings Verdienste beim Aufbau der Luftwaffe und deren »hoher Trainingsstandard« gelobt wurden117 – ein Bild, das bis heute die Wahrnehmung Kesselrings in Eng115

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Gian Enrico Rusconi, Die italienische Resistenza auf dem Prüfstand, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 42, 1994, Heft 3, S. 379–402; Claudio Pavone, Una guerra civile. Saggio storico sulla moralità nella Resistenza, Turin 1991. PRO, PREM 8/ 707, Gesprächsnotiz für Attlee über Churchills Anruf, 6. 5. 1947. The Times, 18. 7. 1960, Field Marshal Kesselring. The enemy in Italy.

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land prägt.118 Zwar, so resümiert die Times, sei er in Venedig von einem britischen Militärgericht schuldig gesprochen worden, aber »vor Gericht hatte bereits Feldmarschall Alexander darauf hingewiesen, daß Kesselring fair gekämpft habe« – ein Hinweis auf die in Großbritannien gepflegte Kriegserinnerung. Einige, die gegen ihn gekämpft hätten, hätten daher erreicht, daß sein Todesurteil in eine Haftstrafe umgewandelt worden sei. Kesselrings letzte Lebensjahre als Stahlhelm-Sprecher klammerte die Times taktvoll aus. Man kann daher abschließend behaupten, daß die Legende vom »Sauberen Krieg« in Italien von deutschen, italienischen und britischen Interessen getragen wurde und zentral für die Verarbeitung der Kriegswirklichkeit war. Mit dem Erreichen des jeweiligen, vergangenheitspolitischen Fernziels wurde sie in allen drei Ländern überflüssig: der ›Sinnrahmen der kollektiven Kriegserinnerung‹ war zerbrochen.

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Kenneth Macksey, Kesselring. The making of the Luftwaffe, London 1978.

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La storiografia italiana di fronte al fascismo: interpretazioni e rimozioni La storiografia italiana di fronte al fascismo

L’argomento del mio intervento, per la sua stessa ampiezza, rischia di coincidere con un cinquantennio di studi italiani sul fascismo, a meno di non restringere drasticamente la materia, come appunto farò, a qualche osservazione generale. In via preliminare, vorrei ricordare la generale rimozione che si verificò in Italia fin dall’ultima fase della guerra, e che avrebbe poi a lungo influenzato la storiografia e più in generale il discorso pubblico. Mi riferisco al fatto che, già nell’inverno 1942–1943, la prospettiva sempre più concreta della sconfitta, le difficoltà e i pericoli della vita quotidiana indussero settori consistenti della popolazione civile a dimenticare la precedente adesione alla guerra o comunque il favore con cui, nel 1940, era stata accolta la prospettiva di schierarsi a fianco di una Germania vittoriosa. L’idea di un conflitto «fascista», che il paese aveva soltanto subìto e del quale perciò era responsabile unicamente Mussolini, venne presto fatta propria, caduto il dittatore, dal nuovo governo Badoglio e costituì la principale giustificazione per la richiesta dello status di paese «cobelligerante». Contemporaneamente quel giudizio si riverberò all’indietro, sull’intero ventennio: divenne infatti opinione diffusa che il fascismo non avesse mai goduto di una significativa adesione da parte della maggioranza della popolazione. La stessa rapidità con cui il regime si era apparentemente liquefatto all’indomani del 25 luglio 1943 sembrava accreditare questa opinione. Nella medesima direzione agiva la nascita della Repubblica sociale italiana, che in un certo senso finiva con l’assumere su di sé l’intera eredità del fascismo. Ciò che da allora diventava soprattutto rilevante era il comportamento tenuto nei confronti del «nuovo» fascismo, tale da porre in secondo piano quel che si era fatto durante i venti anni del «vecchio» (fu appunto sulla base di una distinzione tra questi due fascismi che, nel novembre 1944, Arturo Carlo Jemolo si pronunciò in difesa del direttore amministrativo dell’Università di Roma: ciò che contava, secondo Jemolo, era appunto la condotta irreprensibile che quest’ultimo aveva tenuto dopo l’8 settembre 1943). Per anni l’atteggiamento complessivamente elusivo nei confronti del periodo fascista ha alimentato per contro, in una parte della cultura politica e della storiografia, una valutazione di tipo moralistico-recriminatorio riguardo alla mancata rottura con il passato, valutazione che si è manifestata anzitutto nella denuncia, tante volte ripetuta, della mancata epurazione di quanti avevano attivamente sostenuto la dittatura di Mussolini. Con difficoltà (e comunque solo in anni recenti) qualche storico ha cominciato a riconoscere invece la funzione importante svolta da quel fenomeno collettivo di rimozione che aveva preso corpo dopo la guerra e che, non a caso, si era verificato in forme analoghe anche in Francia, dove si dimenticò rapi-

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damente la portata del collaborazionismo di Vichy, e in Germania, dove venne accreditata l’immagine di una maggioranza del popolo tedesco dominata da una cricca di fanatici nazisti. In effetti, alla fine della guerra, riconoscere che il fascismo aveva segnato in profondità comportamenti e mentalità degli italiani di ogni ceto e generazione avrebbe significato rendere più fragile la Repubblica democratica che, col consenso di quegli stessi italiani, si stava costruendo. Dal punto di vista della stabilizzazione del sistema democratico, insomma, era necessario che si raccontasse una storia diversa dal vero, in cui si sosteneva che la maggioranza degli italiani non aveva condiviso i valori e le scelte politiche del regime. Questo almeno è ciò che avveniva in gran parte della cultura che si richiamava in vario modo all’antifascismo. Contemporaneamente, una grossa fetta della popolazione, in primo luogo grazie alle memorie personali e familiari, coltivava un’immagine diversa, che non cancellava il grado notevole di partecipazione, in mille forme, alle attività del regime né l’adesione a tante parole d’ordine del fascismo. Un secondo elemento generale che vorrei richiamare riguarda la difficoltà della storiografia italiana, almeno per i primi quindici anni successivi alla guerra, a occuparsi del periodo fascista. Scriveva Renzo De Felice nel 1961 che, «dopo la prima sintetica sistemazione, generale ed etico-politica, fatta tanto egregiamente dal Salvatorelli e dal Mira con la loro Storia d’Italia nel periodo fascista, gli studi di storia del fascismo hanno segnato in un certo senso una battuta d’arresto».1 Questo avveniva per «cause metodologiche e psicologiche; rispettivamente l’impossibilità o quasi di accedere ai documenti più importanti del periodo fascista» e la tendenza «degli studiosi antifascisti» a studiare più l’antifascismo che il fascismo in conseguenza della repulsione che quest’ultimo suscitava in loro. Sono indicativi di quel che osservava De Felice due volumi che raccoglievano i testi di due cicli di lezioni e testimonianze, presentate rispettivamente a Torino, nel 1960, e a Milano, nel 1961: Trent’anni di storia italiana (1915–1945)2 e Fascismo e antifascismo (1918–1936).3 In tutte e due le opere risultavano decisamente prevalenti le testimonianze rese da antifascisti; anche per questo non vi era posto per alcun riconoscimento di un effettivo consenso al regime, ciò che avrebbe implicato ammettere che l’antifascismo, per quanto nobile fosse stata la sua battaglia, aveva rappresentato un movimento sostanzialmente isolato rispetto agli orientamenti della grande maggioranza della popolazione italiana. «L’Italia, all’epoca del regime, è l’Italia di Farinacci e di De Vecchi», scriveva Franco Venturi, «ma è insieme l’Italia di Croce, di Omodeo, di Calamandrei, di Fermi»4 (dove, come si vede, l’opposizione antifascismo-fascismo finiva col coincidere con una irreconciliabile opposizione tra cultura e incultura). Una frase del genere, e ancor più il contenuto dei numerosi contributi che componevano quelle due opere, mostrano la tendenza a sdoppiare la storia italiana dall’avvento del fascismo alla 1 2 3 4

R. De Felice, Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo, Einaudi, Torino 1961, p. XXXIII. Trent’anni di storia italiana (1915–1945), pres. di F. Antonicelli, Einaudi, Torino 1961. Fascismo e antifascismo (1918–1936), Feltrinelli, Milano 1962. F. Venturi, Il regime fascista, in Trent’anni di storia italiana cit., p. 188.

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caduta della dittatura in due storie parallele, relative a due distinte e contrapposte Italie, quella fascista e quella antifascista. Ed era la seconda storia, con ogni evidenza, a occupare il proscenio. Una conferma delle difficoltà cui si è fatto cenno è fornita dal fatto che in quegli anni non trovò attuazione il progetto, elaborato nel 1961 all’interno dell’Istituto Gramsci, di un convegno che, limitato a «origini e natura del fascismo», avrebbe dovuto poi abbracciare un più ampio arco storico giungendo fino alla seconda guerra mondiale. La responsabilità principale della mancata realizzazione del convegno (del quale peraltro si continuò a parlare per anni) sembra da ricondurre a Palmiro Togliatti, che forse riteneva i tempi non maturi «per un’iniziativa che indagava vari aspetti di un fenomeno storico, piuttosto che limitarsi a condannarli, e che di necessità sarebbe anche dovuta penetrare nei meandri dei rapporti tra il Pci e l’Internazionale comunista».5 Veniamo ora a uno dei temi che più ha suscitato discussioni, anche assai accese, nella storiografia italiana: quello relativo al consenso tributato dagli italiani al fascismo (ai suoi caratteri e limiti, ma anche alla stessa legittimità o meno di impiegare il termine «consenso»). Il punto che soprattutto va sottolineato non riguarda tanto gli anni immediatamente successivi alla guerra. In quel momento, come ho cercato di dire, era in fondo comprensibile che si tendesse a negare o a sottovalutare tutto ciò che poteva far pensare all’esistenza di un consenso al fascismo. La questione interessante è però che, con il trascorrere del tempo, un riconoscimento del fenomeno abbia finito per apparire non più semplice, ma anzi più difficile, come se i meccanismi di elaborazione della conoscenza storica si fossero inceppati. Cerco di spiegarmi meglio. Se nei primi anni del dopoguerra appariva difficile riconoscere il consenso popolare al fascismo, sarebbe però sbagliato dire che allora di consenso non si parlasse. Basti ricordare un testo noto e che ha avuto una grande diffusione, L’Italia contemporanea di Federico Chabod, che riproduceva delle lezioni tenute alla Sorbona nel 1950. «Gli anni tra il 1929 e il 1934 – vi si leggeva – sono [per il regime] il periodo di maggior «consenso». Con le leggi razziali, secondo Chabod, si precisava poi «la frattura profonda tra il popolo e il regime»; comunque, nel 1939 «il consenso non esisteva ormai più».6 Non è escluso, peraltro, che in queste lezioni il riconoscimento del consenso di cui il fascismo aveva goduto fosse assai netto anche in virtù del fatto che Chabod non aveva intenzione di pubblicarne il testo in Italia, dove infatti comparve soltanto nel 1961, dopo la sua morte.7 Comunque, l’esempio serve semplicemente a ricordare come negli anni Sessanta il riconoscimento dell’adesione della maggioranza degli italiani al regime fosse ormai entrato nell’«agenda» della storiografia italiana: grazie al libro appena citato di Chabod appunto, ma anche grazie al pionieristico lavoro di Aquarone sull’organizzazione dello Stato totalitario, dove le afferma5 6 7

A. Vittoria, Togliatti e gli intellettuali, Editori Riuniti, Roma 1992, p. 142. F. Chabod, L’Italia contemporanea (1918–1948), Einaudi, Torino 1961, pp. 91, 98 e 100. Cfr. P. Melograni, Studenti di Federico Chabod, in: Renzo De Felice. Studi e testimonianze, a cura di L. Goglia e R. Moro, Edizioni di storia e letteratura, Roma 2002, p. 104.

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zioni in tal senso erano chiarissime.8 Ci si sarebbe potuti aspettare, così, che allontanandosi dai fatti, e dalle ragioni che avevano spinto nell’immediato dopoguerra a elaborare una certa immagine del fascismo, la storiografia ma anche più in generale l’opinione pubblica riuscissero sempre più a riconoscere il dato rappresentato dal consenso popolare al regime. Invece, alla metà degli anni Settanta, tutto questo lavoro che si stava avviando (grazie anzitutto ai primi volumi dell’opera fondamentale di De Felice) improvvisamente, in una parte della storiografia, sembrò bloccarsi, come se la «macchina» della costruzione della storia del fascismo cominciasse a funzionare in un altro modo. Cosa successe dunque? Per quanto non sia agevole collocare in un punto preciso i mutamenti negli orientamenti storiografici, è difficile in questo caso non assegnare un particolare significato a una data precisa. Nel 1974 esce il volume su Mussolini di Renzo De Felice che ha come sottotitolo Gli anni del consenso, in cui è presente una periodizzazione analoga a quella di Chabod che ho già citato poiché il periodo di maggior consenso viene collocato tra il 1929 e il 1934.9 Se leggiamo le recensioni dell’epoca, vediamo che esse evidenziano un ampio accordo sulle tesi di De Felice anche se poi, come è naturale, non mancano osservazioni critiche sull’accezione del termine stesso di consenso, sui limiti e caratteri del fenomeno e così via. Poi cosa succede? Succede che di lì a pochi mesi, a metà del 1975, esce Intervista sul fascismo di De Felice, che provocò un dibattito assai aspro, anche in relazione al tema del consenso.10 Ma come è possibile che qualcosa che appare sostanzialmente accettabile (e accettato) nel 1974 non lo sia più nel 1975, tanto da provocare discussioni esacerbate? Sono vari i motivi che bisognerebbe addurre per tentare una risposta. Certamente però c’è un dato relativo al contesto generale che non si può non citare, vale a dire ciò che furono gli anni Settanta per l’Italia: un periodo di vero impazzimento ideologico di cui risentì anche la storiografia, in particolare con la comparsa – entro l’ampio settore della storiografia che si collocava in senso lato a sinistra – di una corrente radicale che per molti aspetti, e per molti dei suoi protagonisti, si collegava alla contestazione studentesca e all’estremismo politico che essa aveva prodotto. Se andiamo dunque a vedere meglio le recensioni al volume di De Felice su Gli anni del consenso, constatiamo che una parte della storiografia di sinistra, quella che viene da esperienze politiche e culturali tradizionali, accoglie tranquillamente il volume, in larga misura condividendo quel che vi è scritto in tema di consenso. Ad essere diverse, spesso radicalmente diverse, sono invece le posizioni di una nuova sinistra storiografica (mi manca purtroppo il tempo per approfondire come mai simili qualificazioni, che normalmente si riservano agli schieramenti politici, abbiano invece avuto un effettivo significato nell’ambito della storiografia italiana). Una tale corrente storiografica (o politico-storiografica) considera l’analisi 8 9 10

Cfr. A. Aquarone, L’organizzazione dello Stato totalitario, Einaudi, Torino 1965. Cfr. R. De Felice, Mussolini il duce. 1. Gli anni del consenso, 1929–1936, Einaudi, Torino 1974. Cfr. Id., Intervista sul fascismo, a cura di M.A. Ledeen, Laterza, Roma – Bari 1975.

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del consenso svolta da De Felice, e anzi il fatto stesso di parlare di un consenso di cui il fascismo si sarebbe giovato, come l’anticamera della riabilitazione del regime. Come è evidente, questo complica enormemente il lavoro dello storico: diventa più difficile sviluppare una ricerca, se qualcuno comincia ad usare un’arma del genere accusando uno studioso di voler riabilitare la dittatura di Mussolini. Ma precisamente questo è appunto ciò che succede nel 1975, quando l’Intervista di De Felice viene giudicata come un libro in cui si riabilita il fascismo e dunque come un testo «pericoloso». Da allora, e per molti anni, vari storici parleranno magari di consenso ma solo per specificare subito dopo che esso era interamente «estorto» e «coatto», a confermare così la sostanziale impossibilità di riconoscere un’apprezzabile forma di consenso in un regime dittatoriale (come se, sia detto per inciso, da tempo gli studiosi del totalitarismo, a cominciare da Hannah Arendt, non avessero sostenuto proprio il contrario). Questo blocco, questo incepparsi del lavoro storiografico sul fascismo, ha anche una peculiarità, in relazione alla grande influenza in Italia di una cultura che si richiamava al marxismo e politicamente al comunismo. Avviene un fatto, anche qui molto significativo, che è l’altra faccia dell’incepparsi del discorso storiografico sul consenso. Proprio gli anni Settanta vedono il successo della formula togliattiana del fascismo come «regime reazionario di massa»: una formula che a rigore non è presente nelle Lezioni sul fascismo che Togliatti aveva tenuto a Mosca nel 1935, ma è impiegata da Ernesto Ragionieri nell’introduzione al volume in cui, nel 1970, quelle lezioni vengono pubblicate per la prima volta.11 Fu grazie a questa formula, che molti libri presero a riportare nelle pagine introduttive come una specie di viatico, che il tema del consenso respinto dalla porta perché ritenuto sospetto – oggi diremmo non politically correct – poteva almeno rientrare dalla finestra, rendendo possibili buone ricerche. Ma certo, il successo della formula di Togliatti-Ragionieri induceva anche una parte consistente della storiografia a utilizzare un concetto fuori dal tempo: non solo per il dato piuttosto bizzarro, che configura una curiosa peculiarità italiana, di tanti storici che si lasciano guidare da una definizione elaborata alla metà degli anni Trenta da uno dei principali dirigenti dell’Internazionale comunista. Occorre anche tener conto di come, per quanto nella definizione anzidetta si volessero enfatizzare le parole «di massa», c’era pur sempre quell’aggettivo «reazionario» che rischiava di portare fuori strada. In quegli stessi anni, infatti, la storiografia internazionale batteva produttivamente altre vie, ad esempio con i lavori di Zeev Sternhell in cui il fascismo veniva presentato come risultato di una miscela ideologico-politica insieme di destra e di sinistra. Ma in Italia l’idea del fascismo come regime reazionario di massa ribadiva invece la collocazione rigorosamente e univocamente a destra e reazionaria del fascismo, e in tal modo rendeva più difficile la conoscenza di un intero periodo della storia nazionale. Un’altra questione alla quale vorrei accennare rapidamente si lega al tema precedente. Mi riferisco alla notevole vitalità di una interpretazione (che nasce già 11

Cfr. P. Togliatti, Lezioni sul fascismo, pref. di E. Ragionieri, Ed. Riuniti, Roma 1970.

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negli anni Venti) circa il rapporto molto stretto tra fascismo e grande capitale. Qui non si tratta della questione dei rapporti storicamente esistiti tra esponenti del potere economico e il movimento (e poi il regime) di Mussolini. Ciò che è peculiare a una tesi del genere, ciò che la individua come tale, è il fatto di sostenere che i grandi industriali abbiano posto il fascismo al loro servizio: non tanto, dunque, il riferimento a un rapporto, che certamente vi era stato, ma l’idea del fascismo come marionetta del grande capitale. Si tratta di uno schema interpretativo che ha avuto, anche in questo caso, una straordinaria fortuna. Mi limito ad accennare a qualcuno almeno dei motivi per cui ciò è avvenuto. Innanzitutto, alla caduta del fascismo, quasi tutti i partiti antifascisti, non solo il socialista e il comunista ma anche il Partito d’azione e la Democrazia cristiana, hanno nei loro programmi delle misure di nazionalizzazione, convinti che esse debbano servire a sradicare definitivamente il fascismo. Questa idea che non si possa veramente eliminare il fascismo se non eliminando il potere economico della grande industria privata, dei grandi centri del potere economico, industriale e finanziario, è dunque un’idea molto diffusa. È un’idea, anche qui, che ha particolare successo e diffusione alla metà degli anni Settanta. Al riguardo, ci sono due piccoli dati che mi sembrano più eloquenti di tanti discorsi. La storia del fascismo di Enzo Santarelli, comparsa inizialmente negli anni Sessanta, viene ripubblicata nel 1973:12 ora il secondo volume si intitola La dittatura capitalistica, con un termine che viene dritto dalle interpretazioni formulate nell’ambito della sinistra comunista, e in generale dall’Internazionale, negli anni Venti e Trenta. Il secondo esempio è fornito da un libro che ebbe all’epoca una certa diffusione, cioè la raccolta di saggi curata da Nicola Tranfaglia su Fascismo e capitalismo:13 un binomio, quello racchiuso nel titolo, che all’epoca appariva ovvio, che era considerato indispensabile e primario per capire cosa fosse il fascismo. In uno dei saggi del volume, Guido Quazza scriveva ad esempio come, nell’alleanza tra il fascismo e il potere economico, il «vero padrone» fosse il secondo, che continuava a dominare le «strutture dell’economia e della società». Come si vede, ci troviamo di nuovo di fronte alla data – la metà degli anni Settanta – che ho già segnalato come il momento in cui si produsse una specie di «blocco» che interessò una parte consistente della storiografia. E’ sempre allora che la recensione molto critica all’Intervista sul fascismo di De Felice pubblicata su «Italia contemporanea», la rivista dell’Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione in Italia, non solo accusava questo storico di volere riabilitare il regime di Mussolini, ma gli imputava la colpa di voler «spogliare il fascismo dei suoi tratti di reazione di classe». Una tale interpretazione finiva con l’addebitare l’avvento al potere di Mussolini più o meno totalmente alla destra conservatrice, alla destra economica e politica, alla classe dirigente liberale; contemporaneamente sottovalutava o cancellava altre responsabilità, in primo luogo quelle delle sinistre socialiste e comuniste. Fu in quegli anni, in ogni caso, che l’idea del fascismo come una specie di marionetta nelle mani dei detentori del potere 12 13

Cfr. E. Santarelli, Storia del fascismo. 2. La dittatura capitalistica, Ed. Riuniti, Roma 1973. Cfr. Fascismo e capitalismo, a cura di N. Tranfaglia, Feltrinelli, Milano 1976.

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economico si accreditò nella cultura italiana come un dato sostanzialmente ovvio, con un evidente effetto deformante dal punto di vista della conoscenza del passato. Trent’anni dopo è importante soprattutto cercare di capire perché, riguardo al fascismo, vi sono state proprio certe rappresentazioni e discussioni e non ve ne sono state altre, cominciando dunque a interrogarsi sul significato e sulla portata di ciò che è successo. Ad esempio, è stato un problema o no studiare il ventennio utilizzando di fatto le interpretazione degli anni Trenta che raffiguravano il fascismo come burattino nelle mani del grande capitale? E’ stato un problema o no impiegare concetti elaborati, come nel caso delle famose lezioni di Togliatti, per una scuola quadri moscovita?

Winfried Becker

Verdrängung, Erinnerung und historische Aufarbeitung bei einigen gesellschaftlichen Protagonisten: katholische Kirche

I.

Die besondere Form der Erinnerung an das NS-Regime

Die Akte historischen Gedenkens, die betroffen machen oder Vergangenes positiv würdigen sollen, die Erinnerungskultur, die bewußt Zeichen setzt, die »Vergangenheitsbewältigung«, die explizit auf das Dritte Reich bezogen wurde, oder die auf alle historischen Epochen anwendbare Geschichtspolitik unterscheiden sich immer noch von einer gewissermaßen zweckfreien, methodisch betriebenen und allein der Wahrheit verpflichteten Geschichtsforschung. Mag die Gratwanderung zwischen den beiden Polen einer »vermeintlichen Objektivität« der Historie oder aber ihrer Funktion als gegenwartsbezogener »Legitimationswissenschaft« auch absturzgefährdet sein,1 beide Annäherungen an die Geschichte lassen sich immer noch als eigenständig definieren. Die Erinnerungskultur ist intensiver mit bestimmten Gegenwartstendenzen verwoben, insofern mit ebenfalls aktuell ausgerichteten Forschungskontroversen nicht gleichzusetzen. Sie will breiter in die Gesellschaft hineinwirken als die Geschichtsschreibung für Spezialisten. Sie siedelt historische Besinnung oder Vergegenwärtigung mehr im Bereich kollektiver Manifestationen an oder zielt auf die Beeinflussung und Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins. Allerdings: In Gestalt dessen, was früher als Geschichtsbild, Geschichtsbewußtsein, Wirkungsgeschichte oder historisch-politisches Denken bezeichnet wurde, gehört Erinnerungskultur schon länger zum historischen Fächerkanon. Vereinfacht lassen sich drei Formen von Erinnerungskultur unterscheiden. 1. Staatliche, städtische, dörfliche Gemeinschaften, Dynastien, Länder, Nationen, Familien oder sonstige sozial kohärente Gruppen (Adel, Patriziat) erzeugten ein Bewußtsein von Kontinuität oder Identität, indem sie Geschichtsbücher, Memoiren oder Stammtafeln verfassen ließen oder Briefbücher anlegten. Verdrängung, Erinnerung und historische Aufarbeitung

1

Dirk van Laak, Der Platz des Holocaust im deutschen Geschichtsbild, in: Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, hg. von K. H. Jarausch u. M. Sabrow, Göttingen 2002, S. 163–193; Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, hg. von C. Cornelißen, L. Klinkhammer u. W. Schwentker, Frankfurt a.M. 2003; Shoah. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst, hg. von N. Berg, J. Jochimsen u. B. Stiegler, München 1996; Johannes Fried, The Veil of Memory. Anthropological Problems When Considering the Past, German Historical Institute London, The 1997 Annual Lecture, London 1998.

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2. Neben diese Formen der Rückbesinnung, teils sie ersetzend, treten im Medienzeitalter die häufig von einzelnen oder von anonymen Kleingruppen verfaßten Produkte einer Erinnerungskultur, die Rückbezüge auf bestimmte Großgruppen nicht mehr erkennen lassen oder die Ergebnisse der Geschichtsschreibung kaum oder nur sehr partiell rezipieren, weil diese nicht publikumswirksam, bildlich oder überhaupt mediengerecht darstellbar seien. Sie reflektieren durch ihre suggestiven Bild- oder Tonsequenzen Stimmungen, die als allgemein vorausgesetzt werden, oder sie bedienen zeitgemäße Erwartungshaltungen. Zuweilen suggerieren sie Verbindlichkeit inmitten einer Gesellschaft, die als aufgeklärt und liberal gilt. Positive Bezüge zwischen dieser neuen Medienkultur und den Forschungsergebnissen herzustellen, ist eine wichtige Zukunftsaufgabe historischer Vermittlung. 3. Die Betrachtung der Geschichte des Dritten Reiches kommt schwerlich ohne moralische Wertung aus. Schon die den Aufstieg und Fall des Nationalsozialismus begleitenden Kommentare, Schriften und Stellungnahmen aller Art spiegelten die Erfahrung ihrer Autoren, einem Phänomen zu begegnen, das zu grundlegenden Reflexionen anregte. Eine »moralische Auseinandersetzung« wurde begonnen, die in eine Art politischer Pädagogik mündete.2 Der Nationalsozialismus schuf sich allerdings viele Gegner, die ihn überlebten. Sein Untergang entband verschiedene Erinnerungsstränge. Außerdem blieb die Erinnerung nicht nur bei den Opfern sehr lebendig. Für das deutsche Volk wurde sie gewissermaßen existentiell. So kann es eigentlich keine isolierte Erinnerungskultur einer Gruppe bezüglich des NS-Regimes geben, obwohl man eine solche, wie die der Kirchen, gesondert betrachten kann. Die Erfahrungen, Enttäuschungen, Schicksale der Menschen oder Generationen, die die Diktatur erlebt hatten und von ihr in Mitleidenschaft gezogen worden waren, mußten zunächst einmal privat oder individuell bewältigt werden. Sie gingen über den je eigenen Lebenshorizont hinaus, wenn sie einer breiteren Öffentlichkeit durch Publikation zugänglich gemacht wurden oder der historischen Erkenntnis dienten. Einige Fundamentalerfahrungen kamen den Bestrebungen zum Neu- oder Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland zugute, wurden dadurch gewissermaßen historisch wirksam. Den Schöpfern des Grundgesetzes etwa stand der Nationalsozialismus als großes Negativbeispiel vor Augen. Beim Aufbau der zweiten deutschen Demokratie sollte den nach 1933 eingetretenen Fehlentwicklungen, insbesondere der Wiederkehr von deren Ursachen vorgebeugt werden, das waren die Strukturschwächen der Weimarer Republik. So wurde die Stellung der Regierung durch die Einführung des konstruktiven Mißtrauensvo-

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Horst Möller, Was ist Zeitgeschichte?, in: Einführung in die Zeitgeschichte, hg. von H. Möller u. U. Wengst, München 2003, S. 13–51, 41; zu den teils schon aus der Zeitgenossenschaft entstehenden Forschungskontroversen vgl. Ian Kershaw, Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick, Reinbek bei Hamburg 21999; Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich (Oldenbourg-Grundriss der Geschichte 17), 6. neu bearb. Aufl., München – Wien 2003.

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tums gestärkt, wurden im Einklang mit den Westalliierten die föderalistischen Traditionen wiederbelebt, die der nationalsozialistische Einheitsstaat skrupellos beseitigt hatte. So traf Konrad Adenauer auf überparteilichen Konsens, als er 1951 im Bundestag die Werte der Personwürde und des Rechtstaats heranzog, um die Wiedergutmachungspflicht gegenüber dem jüdischen Volk zu begründen. Gegenüber einer Meinung, die immer wieder die mangelnde Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit behauptet, läßt sich einwenden, daß diese schon recht früh und durchaus mit der Billigung und Förderung staatlicher Stellen begann. »Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur und die Wiederbegründung der Demokratie in Westdeutschland«3 bildeten die geistigen Quellpunkte für die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte in München, die in das Anfangsjahr der Bundesrepublik fiel. Schon 1947 hatten die Ministerpräsidenten von Bayern, Hessen und Württemberg-Baden die Errichtung dieses »Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik«, wie es ursprünglich hieß, beschlossen. 1952 entstand die Kommission zur Erforschung der Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien.4 Sie trat 1960 mit einem noch heute nützlichen Werk über das »Ende der Parteien 1933« hervor.5 Bei aller gebotenen Trennung der Zugangsweisen der Politik oder der Wissenschaft zur Geschichte bleibt es bemerkenswert, daß bedeutende Vertreter dieser beiden Bereiche die Verpflichtung empfanden, die Bundesrepublik Deutschland auf das Fundament eines demokratisch geläuterten Bewußtseins zu stellen. Sie haben sich damit eine als notwendig empfundene, anspruchsvolle geschichtspolitische Aufgabe gesetzt, die nicht im Widerspruch zum wissenschaftlichen Ethos der Wahrheitsfindung stand. Eine rechtsstaatliche Demokratie lebt nicht nur von den Geschichtsbildern ihrer Eliten, sondern ist nur existenzfähig, wenn sich ihr aus einigermaßen freier Entscheidung breitere Bevölkerungsschichten innerlich aufschließen. Viele, keineswegs nur jüngere Menschen waren der raffinierten Propaganda des Nationalsozialismus erlegen oder von ihr stark beeinflußt worden. Die Nachkriegsnot erschwerte die innere und bewußte Distanzierung von der untergegangenen Diktatur vor allem für jene, die in ihrem Leben eine reale Alternative noch gar nicht kennengelernt hatten. Allgemein galt es für die westlichen Siegermächte, die Gegner des Nationalsozialismus herauszufinden und mit den ersten Ämtern in Selbstverwaltungsorganen und Länderregierungen zu betrauen. Zu diesen zählten die Westalliierten auch die Kirchen, die für sie wichtige Ansprechpartner im Nachkriegsdeutschland wurden. Im Zuge der Entnazifizierung gaben bis 12. Juni

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Horst Möller, Das Institut für Zeitgeschichte und die Entwicklung der Zeitgeschichtsschreibung in Deutschland, in: 50 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Eine Bilanz, hg. von H. Möller u. U. Wengst, München 1999, S. 1–68, 11. Der Name der Kommission wurde im Benehmen mit dem Bundesinnenminister am 19. Februar 1952 festgelegt. Das Ende der Parteien 1933, hg. von E. Matthias u. R. Morsey, Düsseldorf 1960. Ndr. 1984 (Athenäum / Droste Taschenbücher Geschichte).

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1946 nur 25 katholische Priester in ganz Bayern »der Militärbehörde Anstoß«.6 Kein Geringerer als Präsident Truman erwartete von der Wiederbelebung des religiösen Lebens eine Förderung des alliierten Programms für die Entwicklung demokratischer Prinzipien in Deutschland. Die katholische Kirche gehörte darum nach 1945, übrigens auch in den Augen maßgeblicher einheimischer Mandatsund Amtsträger, zu jenen unbelasteten Kräften, die zu der notwendigen Neuordnung herangezogen werden konnten. Schon darum wäre es nicht ganz angemessen, das Verhalten zumal der katholischen, universalistisch orientierten Kirche im Dritten Reich nur aus einer internen Perspektive zu betrachten. Die kirchliche und die allgemeine Lage waren – wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen – zwischen 1933 und 1945 ebenso verflochten wie nach 1945. Auch war die nach 1945 zunächst vorherrschende Erinnerung an die Standhaftigkeit der katholischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus transparent auf allgemeine Zukunftserwartungen hin. Diese erinnerungskulturellen Zusammenhänge präformierten gewissermaßen den Zugang zur Geschichte der Kirche im Dritten Reich als einem besonderen Gegenstandsbereich der Forschung; man näherte sich nicht etwa nur einem für Erkenntniszwecke isolierten oder präparierten Objekt. Andererseits drohte der erinnerungskulturelle Komplex zu verschwimmen, wenn das Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat nicht durch wissenschaftliche Nachweise geklärt wurde – wie überhaupt die Betrachtung der Forschungslage in ihrer Entwicklung ein notwendiges Korrektiv7 zu jeder Art von Erinnerungskultur bereithalten dürfte. Im Folgenden sollen einige wesentliche Aspekte der Interpretationen und Forschungen zur Lage der katholischen Kirche im Dritten Reich, ohne Seitenblicke auf die Rolle der Medien auszulassen, im chronologischen Aufriß und nach sachlichen Zusammenhängen dargestellt werden. Dabei sind zeitliche Vor- oder Rückgriffe unvermeidlich.

II. Dokumentationen und Vermittlungsdefizite Der Schwerpunkt der Informationen der ersten zehn bis 15 Jahre nach dem Krieg lag im Bereich der Dokumentation. Hier traten neben die »subjektiven« Quellen der Memoiren oder Lebenserinnerungen die »objektiven« Brief- oder Aktensammlungen – obwohl sich beide Bereiche nie ganz säuberlich voneinander scheiden ließen. In dieser Zeit war ein empfindlicher Mangel an umfassenden Darstel6

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Heinz Hürten, Kirchen und amerikanische Besatzungsmacht in Deutschland. Die OMGUSPapiere als kirchengeschichtliche Quelle, in: Kirche, Staat und katholische Wissenschaft in der Neuzeit. Festschrift für Heribert Raab 1988, hg. u.a. von A. Portmann-Tinguely, Paderborn 1988, S. 565–581; Armin Boyens, Die Kirchenpolitik der amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland von 1944 bis 1946. Ein vernachlässigtes Gebiet?, in: Kirchen in der Nachkriegszeit. Vier zeitgeschichtliche Beiträge von A. Boyens, M. Greschat, R. Thadden, P. Pombeni, Göttingen 1979, S. 7–99. Wie Anm. 2, vgl. die Quellenkunden 6, 1–2: Weimarer Republik, Nationalsozialismus, von H. G. Hockerts u. W. Elz (unten Anm. 48).

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lungen zu konstatieren. Die – zudem kontroversen – Werke von Guenter Lewy und John S. Conway erschienen erst während der 1960er Jahre, zunächst im Ausland, dann in deutscher Übersetzung.8 Sowohl die Dokumentensammlungen als auch die Memoiren spiegelten noch den zeitgenössischen Lebenszusammenhang mit dem Dritten Reich. Dem Nachweis des »permanenten Widerstands« verpflichtet9 fühlte sich die zweiteilige umfangreiche Quellensammlung des Münchener Domkapitulars Johann Neuhäusler.10 Der Herausgeber hatte den Terror des Regimes am eigenen Leib erfahren. Er war unter anderem wegen seiner dem Vatikan zugesandten Berichte über den Kirchenkampf im KZ Dachau inhaftiert worden. Das Bild einer Widerstand leistenden Kirche reproduzierten die meist noch nicht methodisch-quellenkritisch angelegten Dokumentationen von Bernhard Vollmer über die in den Gestapoberichten greifbar werdende »Volksopposition«,11 des Münsteraner Domvikars Heinrich Roth über die »Katholische Jugend«,12 und Albert Coppenrath mit seinen Erinnerungen.13 Elisabeth Mleinek14 schilderte aus der persönlichen Sicht einer Beteiligten den erstaunlichen Widerstand des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen im Dritten Reich, der sich von der kompromißbereiten Haltung des Katholischen Lehrerverbands durchaus abhob. Wilhelm Corsten wertete für seine Edition bereits systematisch die Bestände des Erzbistums Köln aus.15 Ein wichtiger Anfang war gemacht, wenn so die Lage in bestimmten Bistümern, ergänzt durch erste Würdigungen herausragender Bischöfe, Clemens August von Galen, Konrad von Preysing, Michael Faulhaber, sowie die Situation einiger weniger Verbände Beleuchtung durch Einzeldokumentationen erfuhren. Diese wurden bis in die 1980er Jahre, z.B. mit den Dokumentationen von Heinz

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Guenter Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich. Aus dem Amerikan. von H. Schulz, München 1965 (engl.: The Catholic Church and Nazi Germany, New York 1964); John Seymour Conway, Die nationalsozialistische Kirchenpolitik 1933–1945. Ihre Ziele, Widersprüche und Fehlschläge, München 1969 (engl.: The Nazi Persecution of the Churches, London 1968). Ulrich von Hehl, Kirche, Katholizismus und das nationalsozialistische Deutschland. Ein Forschungsüberblick, in: Katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Aufsatzsammlung, hg. von D. Albrecht (Topos-Taschenbücher 45), Mainz 1976, S. 219–251. Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand, hg. von J. Neuhäusler, Teil 1–2, München 1946. Bernhard Vollmer, Volksopposition im Polizeistaat. Gestapo- und Regierungspräsidentenberichte 1934–1936 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 2), Stuttgart 1957. Katholische Jugend in der NS-Zeit unter besonderer Berücksichtigung des Katholischen Jungmännerverbandes. Daten und Dokumente, hg. von H. Roth, Düsseldorf 1959. Albert Coppenrath, Meine Kanzelvermeldungen und Erlebnisse im Dritten Reich (Dokumente zur Zeitgeschichte 1), Köln 1946. Der Verein katholischer deutscher Lehrerinnen im Kampf mit dem Nationalsozialismus, Berlin – Tübingen 1946. Kölner Aktenstücke zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland 1933–1945, im Auftrag gesammelt u. hg. von W. Corsten, Köln 1949.

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Boberach und Sigrid Duchhardt-Bösken, fortgesetzt.16 Wenn eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung während dieser Phase zunächst noch unterblieb, so lag angesichts der Zeitverhältnisse ein Erfolg schon darin, daß die ersten Zeugnisse kirchlicher Aufklärungsarbeit von den Besatzungsmächten lizenziert wurden und publiziert werden konnten. Zu den Manifesten der ersten Stunde gehörten auch die Stimmen aus dem Exil. Der nach Frankreich und in die Schweiz emigrierte Jesuit Friedrich Muckermann begriff in seinen Memoiren und anderen 1940 bis 1942 entstandenen Niederschriften den Nationalsozialismus als Abfall vom Sittengesetz.17 Die erst 1973 von Nikolaus Junk bearbeiteten und publizierten Erinnerungen urteilen rigoros über manches passive Verhalten katholischer Amtsträger im Dritten Reich. Seismographisch reagierte dieser Mann der Feder allerdings auf die nach 1945 verbreitete Kollektivschuldthese. Er wies diese in seiner 1946 erschienenen Schrift »Der Deutsche Weg«, einer Dokumentation der Geschichte seiner Wochenschrift,18 zurück, bestritt die allzu leichtfertig angenommene Möglichkeit aktiven Widerstands gegen eine totalitäre Diktatur, erteilte dem deutschen Volk aber auch keine »kollektive Absolution«.19 Seit 1921 Mitgründer und Vorsitzender des Friedensbunds deutscher Katholiken, hatte der Dominikaner Franziskus Maria Stratmann schon 1933 den Weg ins Exil antreten müssen.20 Seine Erinnerungen erschienen 1962. Von scharfsinniger Beobachtung der Zeitverhältnisse zeugten die in wöchentlicher Folge geschriebenen »Deutschen Briefe« des nach den USA ausgewanderten frühen Totalitarismus-Kritikers Waldemar Gurian.21 Dieser bedeutende katholische Publizist und sein Mitstreiter Otto Michael Knab, entlassener Redakteur einer bayerischen Provinzzeitung, äußerten ebenfalls Kritik an der Haltung der Bischöfe. Verfolgte und isolierte katholische Laien übten in der Einsamkeit der Emigration Kritik an dem Verhalten ihrer Kirche. Umgekehrt 16

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Wertvolle, kritische Edition: Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kirchenvolk in Deutschland 1934–1944, bearb. von H. Boberach (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 12), Mainz 1971; vgl. Das Bischöfliche Ordinariat Mainz und der Nationalsozialismus bis 1933. Eine Dokumentation, zusammengestellt von S. DuchhardtBösken, Mainz-Eltville 1983. Friedrich Muckermann, Im Kampf zwischen zwei Epochen. Lebenserinnerungen, bearb. von N. Junk (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 15), Mainz 1973, 3. Aufl. 1985. Friedrich Muckermann, Der Deutsche Weg. Aus der Widerstandsbewegung der deutschen Katholiken von 1930–1945, Zürich 1946. Hubert Gruber, Friedrich Muckermann S.J. 1883–1946. Ein katholischer Publizist in der Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 61), Mainz 1993, S. 382f., 372. Franziskus Maria Stratmann, In der Verbannung. Tagebuchblätter 1940–1947, Frankfurt a.M. 1962. Stratmann (1883–1971) wurde unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs zum Pazifisten und publizierte u.a. in der von Hans Wehberg herausgegebenen Zeitschrift »Friedenswarte« (1929). Er gehörte dem Kreis um Carl Sonnenschein in Berlin an. Deutsche Briefe 1934–1938. Ein Blatt der katholischen Emigration, Bd. 1–2, bearb. von H. Hürten (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 6, 7), Mainz 1969.

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verbat sich ein deutscher Bischof 1937 Vorschriften »aus dem sicheren Versteck eines Emigranten«.22 Solche Gegensätze bestanden auch während der Nachkriegsjahre fort. Überhaupt waren das Exil und seine Literatur in Deutschland zunächst nicht beliebt. Die Notzeit bildete keinen günstigen Hintergrund für das Entstehen differenzierter Geschichtsbilder. Die genannten und weitere Quelleneditionen vermittelten einer erst im Entstehen begriffenen breiten Öffentlichkeit kein zureichendes und dauerhaftes Bild vom Kampf der Kirche im Dritten Reich. Dazu trug auch das schwer erklärliche Nachkriegsschweigen von Bischöfen, Priestern und Laien über die zwischen 1933 und 1945 erduldete Unterdrückung und Verfolgung bei. Manche Bischöfe bezogen auch sogleich eine populärere Verteidigungsstellung gegen Zumutungen der Besatzungsmächte. Das Andenken an lokale Widerstandshandlungen und Martyrien wurde vernachlässigt. Dabei mögen pastorale Erwägungen eine Rolle gespielt haben, die Rücksichtnahme auf die Gefühle der heimkehrenden Kriegsgefangenen, der Flüchtlinge, der Ausgebombten und Vertriebenen. Eine tiefere Diskussion über das Verhältnis von Religion und Nationalsozialismus hätte auch das von den beiden großen Kirchen unterschiedlich gelebte Verhältnis zur Unrechtsdiktatur aufdecken müssen. Hätte dies nicht die von Angehörigen beider Konfessionen gemeinsam empfundene Notwendigkeit, beim Neuaufbau zu helfen, beeinträchtigen können? »Eine brüderlich gewollte Zurückhaltung in den Aussagen der katholischen Kirche sollte wohl der anderen Konfession helfen, mit dem Problem ungestört fertig zu werden«.23 Bei näherer Überlegung erscheint es als plausibel, daß auch die Gründung und der überraschende Erfolg der Unionsparteien der Aufarbeitung der je besonderen Geschichten der Konfessionskirchen im Dritten Reich nicht unbedingt förderlich waren. Die Gründung der interkonfessionellen Union, der Schwesterparteien CDU und CSU, ein Novum der deutschen Parteiengeschichte, wurde von der gemeinsam erlittenen Verfolgung gläubiger Laien beider Konfessionen inspiriert. Dieser schweren Notlage verdankte sich die Verständigung über die ideologisch unverdächtige Grundsubstanz des christlichen Glaubens; so fand man eine gemeinsame Basis, um Gegenkräfte gegen die Verführung durch die politische Religion der »Volksgemeinschaft«, des Rassismus und Antisemitismus zu entwickeln. Bereits die Gestapo hatte argwöhnisch die Annäherung von katholischen und evangelischen Christen und ihre gemeinsame Ablehnung des Nationalsozialismus registriert. Die Union gedachte aus dem Glauben keine direkten politi-

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So Faulhaber im Dezember 1937, zit. nach Gruber, S. 390 Anm. 1; vgl. zu den verfassungspolitischen Ideen katholischer Emigranten Winfried Becker, Demokratie, Zentralismus, Bundesstaat und Staatenbund in den Verfassungsplänen von Emigranten, in: Exil und Neuordnung, hg. von C.-D. Krohn u. M. Schumacher, Düsseldorf 2000, S. 33–62, 36–42, 53f. N.N. an den Verf., 25. 6. 2002. Der Brief (im Privatbesitz des Verf.) fährt fort: »Dankbar müssen wir sein, wenn ›neutrale‹ Wissenschaftler […] mehr und mehr ein differenziertes Urteil gegenüber den Kirchen aussprechen«.

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schen Handlungsanweisungen abzuleiten, wollte allerdings der Exemtion der Politik aus dem Dekalog und aus den im Privatleben gültigen Maßstäben entgegenwirken. Diese Entschärfung des allzu lange unheilvoll wirkenden konfessionspolitischen Gegensatzes in Deutschland war von hoher Bedeutung für die Wiedergewinnung eines inneren Zusammenhalts des Landes nach der großen Verirrung und Katastrophe. War aber nun die Entwicklung einer katholischen oder überhaupt konfessionellen Erinnerungskultur noch angeraten? Die dezidiert interkonfessionelle Parteibildung, die allerdings noch von den bestehenden katholischen Milieus zehrte, lief implizit auf eine gewisse Distanzierung vom früheren politischen Katholizismus hinaus, begünstigte eigentlich nicht die Fokussierung auf den vom Dritten Reich entschieden bekämpften Traditionsstrang katholischer Laienorganisationen mit ihrer politischen Spitze, dem Zentrumsturm. Schon vor 1933 war diesen Organisationen eine Konkurrenz in Gestalt der von Rom favorisierten Katholischen Aktion erwachsen. Nach 1933 zurückgedrängt und weitgehend aufgelöst, machten sie nach 1945 einem zwar wieder erstandenen, aber »verkirchlichten« Verbandswesen Platz. Diese Entwicklungen komplizierten den Rückblick und ließen das traditionelle soziale Substrat einer spezifischen historisch-politischen Erinnerungskultur nicht mehr recht zur Entfaltung kommen. Zudem gerieten die ehemals katholischen Parteien in den Schattensog der Instabilitätsrepublik von Weimar. Betrachtete man den unrühmlichen Untergang der ersten deutschen Demokratie, so kam man kaum umhin zu konstatieren, daß auch das Zentrum und die Bayerische Volkspartei (schon durch ihre Existenz) zur Zersplitterung des Weimarer Parteienwesens beigetragen hatten. Auch die allgemeinpolitische Entwicklung wies in eine der Ausbildung historischer Konfessionskulturen eher abträgliche Richtung. Die soziale Marktwirtschaft rang um den Konsens der Bevölkerung. Die früh einsetzende »Westernisierung«24 beeinträchtigte oder überformte die durch die NS-Diktatur ohnehin schwer geschädigte Autonomie kultureller Institutionen in Deutschland. Der OstWest-Gegensatz und der Streit um die Atombewaffnung absorbierten geistige Energien. 1968 brachen der Studentenprotest und die Außerparlamentarische Opposition die Debatten um das Demokratiedefizit vom Zaun. Greifen wir auf die weitere Entwicklung vor, so müssen der Säkularisierungsprozeß und der damit einhergehende Wandel der Mentalität und Lebenseinstellung erwähnt werden, die spätestens seit den 1970er Jahren auch die benachbarten westlichen Länder und die USA, diese allerdings wohl weniger tief, erfaßten.

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Anselm Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert (Kleine Reihe Vandenhoeck u. Ruprecht 4017), Göttingen 1999; Ders., Dimensionen von Amerikanisierung in der deutschen Gesellschaft, in: Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 1–34.

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III. Öffentliche Diskussionen und Schuldzuweisungen Seit Beginn der 1960er Jahre wurden öffentlich scharfe Kontroversen über die Rolle der Kirchen im Dritten Reich geführt. Ein gewisser Nachholbedarf war insofern gegeben, als die NS-Zeit während der 1950er Jahre allgemein eher beschwiegen worden war; dem Nationalsozialismus war ein eher stiller Platz im deutschen Nachkriegsbewußtsein zugewiesen worden. Zwischen 1958 und 1961 veröffentlichte der katholische Staats- und Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde drei vieldiskutierte Aufsätze in der seit 1903 bestehenden, 1946 wiedergegründeten katholischen Kultur-Zeitschrift »Hochland«. Er warf dem Zentrum und den Bischöfen vor, sich zur Rettung ihrer weltanschaulichen Essentialien und überzeitlichen Naturrechtsvorstellungen Hitler sogleich nach dessen Machtergreifung gebeugt zu haben. Die Anklage kam aus der Tiefe des historischen Raumes: Nach Böckenförde lebte »das katholische politische Denken schließlich weithin aus einer prinzipiellen Verneinung von mindestens zweihundert Jahren gewordener Geschichte«.25 Ein tiefer »Antiliberalismus« habe das katholische Handeln bestimmt, das den »Eigengehalt des Politischen« verkannt und darum die Gemeinwohl-Erfordernisse eines modernen demokratisch-liberalen Staatswesens den »kirchlich-kulturpolitischen Zielen« kurzsichtig zum Opfer gebracht habe.26 Böckenförde bemerkte auch auf »fachtheologischer Seite« 1933 eine allzu große Kompromißbereitschaft gegenüber dem Nationalsozialismus »auf der Grundlage des antiliberalen katholischen Autoritäts- und Ganzheitsdenkens«.27 Das positive Merkmal der weltanschaulichen Dissidenz war damit für den Katholizismus ins Negative verkehrt. Böckenförde wertete das Spezifische des kirchlichen Auftrags wohl zu gering, wenn er allzu sehr die normativen und prinzipiellen Beweggründe kritisierte, um derentwillen die Bischöfe den Nationalsozialismus, in ihren Augen nur eine politische Bewegung, in Kauf genommen und damit zu dessen Akzeptanz beigetragen hätten. Auch stellte er die Inkompatibilität von geistlicher und politischer Autorität und die Bedeutung der naturrechtlichen Komponente der Staatstheorie des Zentrums zu wenig in Rechnung. Diese Theorie hatte die Katholiken erst in Stand gesetzt, Vorbehalte gegen das autoritäre Gebaren des Staates, beispielsweise im Kulturkampf oder auf dem Gebiet der Sozialpolitik, zu formulieren. Es ergab sich auch ein unerörtert gebliebenes Abgrenzungsproblem gegenüber der Autoritätsgläubigkeit der Nationalkonservativen und deren anfänglicher Neigung zum NS-Regime, deren Lager sonst schwerlich mit dem des Katholizismus zu verwechseln war. In der Kontroverse mit 25 26

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Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung, in: Hochland 53 (1960/61), S. 215–239, 236f. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Stellungnahme zu einer Diskussion, in: Hochland 54 (1961/62), S. 217–245; Ders., Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche, in: Hochland 50 (1957/58), S. 4–19, 15–18. Böckenförde, Katholizismus. Betrachtung (1960/61), S. 226.

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Böckenförde meldeten sich viele Autoren zu Wort, unter ihnen Karl Buchheim, Hans Buchheim und Hans Peters. Böckenfördes Thesen stellten eine wirkliche Herausforderung dar; eine angemessene Erwiderung oder Klärung konnten sie erst durch den Fortgang der Forschung finden. Der Bundesgerichtshof stellte 1957 zum Abschluß des sog. Konkordatsprozesses die grundsätzliche Weitergeltung des Reichskonkordats für die Bundesregierung fest, erlaubte aber den Bundesländern Sonderregelungen bzw. den Abschluß neuer Konkordate. Das pragmatisch endende juridische Ereignis schlug sogleich und noch nach Jahren hohe Wellen: Von 1977 bis 1981 spitzte sich die HistorikerDiskussion über das Konkordat zu. Vergessen schien Ludwig Volks gründliche Untersuchung über den bayerischen Episkopat und den Nationalsozialismus 1930–1934 aus dem Jahr 1965, als 1977 im Ullstein-Verlag der erste Band des mehrbändig konzipierten Werks über Kirchen und Drittes Reich aus der Feder des evangelischen Historikers Klaus Scholder erschien.28 Wie vor ihm schon Böckenförde und Volk legte Scholder den Akzent auf die »Vorgeschichte« (Untertitel des Buchs) der nationalsozialistischen Herrschaft. Insgeheim mit Hitler über den Abschluß eines Reichskonkordats einig, habe der Zentrumsvorsitzende, Prälat Ludwig Kaas, die Zustimmung seiner Partei zum Ermächtigungsgesetz betrieben und schließlich im Einvernehmen mit der Kurie die Auflösung seiner Partei herbeigeführt. Scholder streut in seine Schilderungen der Konkordatsverhandlungen einzelne Bekundungen des Zentrums ein, die die Abhängigkeit des Auflösungsprozesses von den Verhandlungen suggerieren. Der politische Katholizismus erscheint als eine von Hitler hoch eingeschätzte Gegenkraft, deren Beseitigung mit Hilfe des Reichskonkordats als eine wesentliche Station der nationalsozialistischen Machtübernahme dargestellt wird. An der bis in führende Tageszeitungen hinein geführten Debatte beteiligten sich von katholischer Seite vor allem die Historiker Konrad Repgen und Rudolf Morsey. Sie bestritten den kausalen Zusammenhang zwischen Konkordatsofferten bzw. Konkordatsabschluß und der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz bzw. zu der Auflösung der Zentrumspartei. Repgen arbeitete die legitime Motivation der Kurie für den Abschluß des Reichskonkordats heraus: angesichts der heraufziehenden Diktatur rechtliche Sicherungen dafür zu erwirken, daß »den Gläubigen kontinuierlich die Sakramente gespendet und Glaubensgut und Sittenlehre unverkürzt verkündet« werden konnten.29 In der Wahrung dieses Propriums habe der 28

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Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen (1918–1934), Frankfurt a.M. – Berlin – Wien 1977; Bd. 2: Das Jahr der Ernüchterung 1934. Barmen und Rom, Berlin 1985; zum Folgenden Bd. 1, S. 300–321, 482, 488, 492, 496, 506–508; vgl. Ludwig Volk, Der bayerische Episkopat und der Nationalsozialismus 1930–1934 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 1), Mainz 1965, 2. Aufl. 1966. Konrad Repgen, Über die Entstehung der Reichskonkordats-Offerte im Frühjahr 1933 und die Bedeutung des Reichskonkordats. Kritische Bemerkungen zu einem neuen Buch, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 26 (1978), S. 499–534, 531; Ders., Ungedruckte Quellen zum Reichskonkordat. Eine Dokumentation, in: Historisches Jahrbuch 99 (1979),

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Widerstand der katholischen Kirche bestanden. Morsey arbeitete unabhängig von Scholders Buch heraus, daß Hitler eine innenpolitische Situation schuf, deren Druck und Zwang sich das Zentrum ebensowenig wie die anderen »System«Parteien habe entziehen können. Dieser hervorragende Kenner der Geschichte der Zentrumspartei machte aber auch auf die schwere Führungskrise des Zentrums, dessen innere Verunsicherung und existentielle Zweifel aufmerksam.30 Die Debatte erweiterte das Spektrum, machte schließlich den Blick frei für ein Verständnis breiterer Problemhorizonte, als sie Scholders zugespitzter Darstellung zu entnehmen waren. Das Reichskonkordat ließ sich nicht nur von den Lateranverträgen, abgeschlossen mit dem faschistischen Staat Mussolinis, ableiten, sondern entsprach der von Papst Pius XI. favorisierten Praxis der Staatskirchenverträge. Mit autoritären Staaten eingegangen, dienten die Konkordate der Verteidigung und konstituierten einen eigenen Typus, das »concordatum defensionis«. Als solches bewährte sich auch das Reichskonkordat im bescheidenen Rahmen des in einer Unrechtsdiktatur Möglichen. Hitlers brutalem und raffiniertem Einsatz der Macht nach dem 30. Januar 1933 hätte eine Partei, die um ein Sechstel der Wähler auf sich vereinte, auch mit dem stärksten Rückhalt der Kurie keine effektive Gegenwehr leisten können. Dennoch verschaffte das Reichskonkordat dem parteien- und demokratiefeindlichen NS-Regime einen politischen Anfangserfolg und wirkte verunsichernd in den Reihen der Katholiken. Der katholische Jurist Alexander Hollerbach hat es als »janusköpfig« bezeichnet.31 Eine größere Wirkungsgeschichte als jeder gelehrten Abhandlung war dem Theaterstück Rolf Hochhuths »Der Stellvertreter«32 beschieden, das 1963 erstmals aufgeführt wurde. Der auch über »Guerillas« schreibende, protestantische Autor bekannte sich dazu, den historischen »Stoff«, die »Wirklichkeit« für »eine Idee« zu benutzen, statt Geschichte in ihrer Wirklichkeit zu reproduzieren. Dem

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S. 375–413; Ders.: Zur vatikanischen Strategie beim Reichskonkordat, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31 (1983), S. 506–535. Rudolf Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen christlichem Selbstverständnis und »Nationaler Erhebung« 1932/33, Stuttgart 1977; Ders.; Das »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März 1933. Quellen zur Geschichte und Interpretation des »Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich«, hg. u. bearb. von R. Morsey, Düsseldorf 1992, S. 37–90, 129–182; vgl. Winfried Becker, Die Deutsche Zentrumspartei gegenüber dem Nationalsozialismus und dem Reichskonkordat 1930–1933. Motivationsstrukturen und Situationszwänge, in: Historisch-Politische Mitteilungen 7 (2000), S. 1–37. Alexander Hollerbach, Konkordat, in: Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, hg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 3, 7. Aufl. Freiburg – Basel – Wien 1987, Sp. 620–625, 621. Die Konkordatspolitik der Päpste kann als solche nicht eigentlich historisch gewertet werden: »ceci appartient toutefois à un autre ordre d’idées et se situe hors de celui de la recherche historique«. Victor Conzemius, Le concordat du 20 Juillet 1933 entre le SaintSiège et l’Allemagne. Esquisse d’un bilan de la recherche historique, in: Archivum Historiae Pontificiae 15 (1977), S. 333–362, 362. Ein Schauspiel. 24. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2001.

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fiktionalen Text war zugedacht, dennoch die eigentliche Wahrheit zu enthüllen.33 Mit einfachen narrativen Mitteln arbeitend, setzte Hochhuth seine Fundamentalanklage gegen Papst Pius XII. in die Welt. Er spitzte dessen zwanzigjährigen Pontifikat auf ein schwerwiegendes Versäumnis zu. Pius XII. habe als Stellvertreter Christi auf Erden versagt, indem er zur nationalsozialistischen Judenvernichtung aus niederen Motiven, z.B. Geldgier, schuldhaft geschwiegen habe. Hochhuth unterschob dem Papst für die angebliche Kollaboration mit dem Nationalsozialismus auch antikommunistische Gesinnung. Diese »Papstfabel« tauchte schon in dem 1947 erschienenen Roman »The Red Danube« von Bruce Marshall auf.34 In über 40 Büchern des europäischen und englischen Sprachraums und in Tausenden von Leserbriefen fand die Debatte um das Stück Widerhall. Hochhuths erfolgreiches Stück brachte Sebastian Haffner zu der aphoristischsarkastischen Bemerkung, daß von Pius XII. in der Geschichte nur sein Schweigen übrigbleiben werde. 1999 veröffentlichte der katholische englische Journalist John Cornwell erstmals sein Buch »Hitler’s Pope: The Secret History of Pius XII«.35 Das Buch gelangte in die Bestseller-Listen. Der Titel zeigt, daß Cornwell sich der »primary effects« bediente, des Wirkungsgesetzes, daß bei den Rezipienten einer Meldung die ersten Informationen am nachhaltigsten haften.36 Pius XII. wird gleichsam unter Hitlers Kuratel gestellt, die Aufdeckung einer geheimen Geschichte suggeriert, ohne daß das Buch wirklich Neues brachte, es vielmehr mit der Wiedergabe von Dokumenten nicht so genau nahm.37 Der nur scheinbar reduktionistische deutsche Titel nahm plakativ Bezug auf Hochhuths 38 Jahre zurückliegende Stilisierung Pius’ XII. zu einem der großen moralischen Versager der Weltgeschichte. Damit wurde die zu vermittelnde Generalerkenntnis gleich zu Anfang schlagwortartig serviert, die historische Urteilsbildung kognitiv vorweggenommen. Auch Geschichtsschreibung braucht Märkte, aber dieser Autor zollte der medial-populären Vermarktung zuviel Tribut. Mehr nach ver33

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Thomas Brechenmacher, Der Dichter als Fallensteller. Hochhuths Stellvertreter und die Ohnmacht des Faktischen – Versuch über die Mechanismen einer Geschichtsdebatte, in: Geschichte als Falle. Deutschland und die jüdische Welt, für die Forschungsstelle deutschjüdische Zeitgeschichte hg. von M. Wolffsohn u. T. Brechenmacher, Neuried 2001, S. 217– 257, S. 242, 248–257; Konrad Repgen, Ein Papst im Dilemma. Verzicht Pius’ XII. auf Provokation rettete Juden, in: Die Furche Nr. 10 v. 11. März 1988; Summa iniuria oder durfte der Papst schweigen? Hochhuths »Stellvertreter« in der öffentlichen Kritik, hg. von F. J. Raddatz, Reinbek bei Hamburg 1963. Burkhart Schneider SJ, Moderne Papstfabeln, in: Archivum Historiae Pontificiae 2 (1964), S. 329–338, 337; siehe den Roman des zur katholischen Kirche konvertierten Anglikaners Bruce Marshall, Die Rote Donau, Köln-Olten 1956, S. 162, 164f.: Äußerungen des Obersten Nicobar und von Franz Burchard hier noch als alternative Narrativen, die im Gespräch auf Gegenmeinungen treffen. London-New York 1999; Pius XII. Der Papst, der geschwiegen hat. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Kochmann, München 2001. Brechenmacher, Dichter, S. 235f. Michael F. Feldkamp, Goldhagens unwillige Kirche. Alte und neue Fälschungen über Kirche und Papst während der NS-Herrschaft, München 2003, S. 22–26.

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kaufsfördernder Brisanz als nach historischer Objektivität klingen auch die Titel seiner Bücher über okkulte Phänomene im Christentum und den angeblich mysteriösen Tod Papst Johannes Pauls I.38 Auf akkusatorischer Linie bewegten sich Saul Friedländer,39 Überlebender des Holocaust, und die Bücher von Michael Phayer40 (Marquette University) und Susan Zuccotti;41 ihre Monographie erschien bei Yale University Press. Phayer kritisierte zwar Cornwell und Goldhagen dafür, daß sie einzig Antisemitismus für das Unterlassen Pius’ XII. verantwortlich machten, und lastete dem Pontifex eher Urteilsschwäche (»flaw judgement«) als Böswilligkeit (»malice«) an. Er zitiert diesen Papst allerdings vor seine »ethische« Instanz, wenn er ihm das Recht zum Beziehen politisch (mit-)motivierter Positionen bestreitet, das er z.B. weltlichen Staatsmännern wie Abraham Lincoln (in der Sklavenfrage) und Franklin D. Roosevelt (bei der Behandlung japanisch-amerikanischer Bürger im Zweiten Weltkrieg) konzediert.42 Der Autor übersieht, daß eine gewisse politische Valenz des Stuhls Petri seit dem Mittelalter gegeben war. Beherrschendes Motiv für Pacellis Schweigen ist nach Phayer dessen Antikommunismus, verbunden mit tiefer Furcht vor einem Bombardement Roms, des Mittelpunkts der katholischen Christenheit. Seine Argumentation zeigt auch insofern Schwächen, als sie sich nicht davon frei hält, Pacellis Antikommunismus (der den Nuntius in den 1920er Jahren nicht hinderte, intensiv mit Vertretern der Sowjetunion zu verhandeln) aus der Nachkriegszeit zurückzuprojizieren und sein Eintreten für zum Tode verurteilte deutsche Kriegsverbrecher mit Geringschätzung des Holocaust gleichzusetzen. Zuccotti führt die katholischen Hilfsaktionen für schwer bedrängte Juden in Rom und Italien, die gut bezeugt sind, auf Aktionen und Initiativen einzelner zurück, vermißt dafür eine schriftlich erhaltene, dokumentarisch direkt nachweisbare Direktive Pius’ XII. zur Rettung der Juden.43 Wenn eine Anweisung nicht vorliegt, 38

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John Cornwell, Wie ein Dieb in der Nacht. Der Tod von Papst Johannes Paul I., 2. Aufl. München 1992 (engl. New York 1989); Ders., Mächte des Lichts und der Finsternis. Okkulte Phänomene im Christentum – Mysterien oder Manipulation, München 1996 (engl.: Powers of Darkness, Powers of Light, London 1991). Pius XII. und das Dritte Reich. Eine Dokumentation. Mit einem Nachwort von Alfred Grosser, Reinbek bei Hamburg 1965 (amerik. Ausg. New York 1966; 1. Ausg. Paris 1964). The Catholic Church and the Holocaust 1930–1965, Bloomington/IN. 2000. Phayer bezieht dezidiert die Zeit nach 1945 ein. Under His Very Windows. The Vatican and the Holocaust in Italy, New Haven-London 2000. Der Titel geht auf eine von Ernst von Weizsäcker gewählte rhetorische Wendung zurück und unterstellt, daß sich der Abtransport der römischen Juden direkt unter den Fenstern des Vatikans, vor den Augen des Papstes, vollzogen habe. Michael Phayer, Ethical Questions about Papal Policy, in: Pope Pius XII and the Holocaust, ed. and introduced by Carol Rittner and John K. Roth, London-New York 2002, S. 221–232; anders Alfred Grosser im Nachwort zu Friedländer, Pius XII., S. 172–174: Er geht aus von einer stets gegebenen politischen Bedeutung des Handelns des Papstes. So auch in ihrem Beitrag, Pope Pius XII and the Rescue of Jews during the Holocaust. Examining Common Accepted Assertions, in: Pope Pius XII, ed. Rittner and Roth,

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bleibt es doch legitim, aus vielen konkludenten Handlungen gerade bei einer hierarchischen Institution wie der katholischen Kirche auf eine letzte zugrundeliegende oder von den Helfern vorausgesetzte Intention des Oberhaupts dieser Kirche zu schließen. Nur zum – ungewöhnlich klingenden – Vergleich: Auch für die millionenfache Ermordung der Juden liegt kein ausdrücklicher Befehl Hitlers vor. Kann man daraus folgern, daß dieses Verbrechen sich außerhalb des »Führer«-Willens und -Wissens vollzog? Zuccotti hält anscheinend die Heranziehung mündlicher und später abgelegter Zeugnisse für unzulässig, obwohl bekanntermaßen auch die Geschichte des Widerstands dieser Art von Zeugnissen bedarf. Noch eine Generation nach der Erstaufführung von Hochhuths »Lesedrama« war eine heftige, oft zustimmende Resonanz zu verzeichnen, ob es sich um Medien oder Historiographie handelte. Das Thema wurde anscheinend Bestandteil einer allgemein gewordenen historischen Gedächtniskultur, die die Schrecknisse des 20. Jahrhunderts an dessen ganz anderem Anspruch maß, die Menschheit auf den Weg des Fortschritts in Gestalt der Realisierung von Demokratie und Menschenrechten zu führen. Auch das zunehmende Engagement jüdischer Institutionen war unübersehbar. Im Unterschied zu den ersten 15 Jahren nach dem Krieg, als der Pius-Papst noch große Verehrung genoß, riefen die Angriffe auf ihn nun kaum noch großgruppen-relevante Empörung hervor. Darin mochten auch die Wirkungen einer breiten Säkularisierung oder des geschwächten Zusammenhalts und gesunkenen Ansehens der katholischen Kirche zum Ausdruck kommen. Aber die Folge einer mangelnden Aufarbeitung der Vergangenheit, wie vor allem gewisse Medienkampagnen aus durchsichtigen Gründen unterstellten, waren die Enthüllungen über Papst Pius XII. und seine Kirche nicht. Dies zeigt sich im Rückblick auf seriöse und systematische Forschungen, die um die Mitte der 1960er Jahre einsetzten. Allerdings ist zuzugeben, daß die Forschungsergebnisse erst nach längeren Planungs- und Arbeitsphasen und nur sukzessive zur Veröffentlichung kamen. Insofern war hier kein böser Wille am Werk, sondern der Zeitfaktor gehört zu jenen unbestreitbaren Eigentümlichkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens, die sich zumindest die Gegner in forscherlichen Kontroversen gegenseitig konzedieren sollten.

IV. Ernste Aufarbeitung, aber Mangel an internationaler Diskussion Bei der ersten hier zu erörternden Aktenedition war ein unmittelbarer Einfluß der zeitgenössischen Debatte allerdings unverkennbar. Auf die Anklage des »Stellvertreters« hin gab Papst Paul VI. 1964 eine große Edition vatikanischer Akten in Auftrag. Er und das Päpstliche Staatssekretariat hoben dafür die bei den Vatikanischen Archiven geltende 75jährige Sperrfrist auf. Zwischen 1965 und S. 205–220. Vgl. die ablehnende Rezension von K. M. Doyle, in: First Things 112 (April 2001), S. 52–55.

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1981 gaben vier renommierte Historiker aus verschiedenen Nationen, die zugleich auch Jesuiten waren, eine 12 Bände umfassende Aktenedition heraus.44 Die chronologisch abgedruckten Dokumente reichen vom März 1939 bis zum Mai 1945. Die ca. 5000 Stücke erfassen auf 7664 Seiten den wichtigsten Zeitabschnitt des Dritten Reiches einschließlich der unmittelbaren Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Die Reihe war auch dazu gedacht, die internationale Rolle des Papsttums in der modernen Zeitgeschichtsschreibung zu beleuchten und eine unentbehrliche Ergänzung zu den bereits in Gang gesetzten Editionen nationaler Serien der Diplomatiegeschichte zu bieten. Auf dieser aktenmäßigen Grundlage erarbeitete Pierre Blet, der zudem einer der besten Kenner der Geschichte der päpstlichen Nuntiaturen im 17. Jahrhundert45 und korrespondierendes Mitglied des Institut de France ist, sein 1997 erschienenes, 2001 ins Deutsche übersetztes Buch über Pius XII. und den Zweiten Weltkrieg.46 Die Kapitel VII bis IX behandeln die Rassengesetze, die Auswanderung und Verfolgung der Juden im Zusammenhang mit Hilfsmaßnahmen der Kurie in Deutschland, Italien, Brasilien, in der Slowakei, in Polen, Kroatien, Rumänien und Ungarn. Der Vorwurf der Unvollständigkeit und gezielten Auswahl, der gegen die »Actes et documents du Saint Siège« erhoben worden ist, hinderte einen Autor des 2002 erschienenen amerikanischen Sammelbandes über Papst Pius XII. und den Holocaust nicht, für seine Schilderung des Falles Ungarn auf diese Dokumentation zurückzugreifen: nur daß er das mutige Handeln des Apostolischen Nuntius in Budapest, Angelo Rotta, zum Nachteil der Kurie als Mandatsüberschreitung auslegte47 – was so bei Blet noch nicht zu lesen ist. Ein Epitheton ornans für die Aktion Rottas, im Herbst 1944 über 13 000 Schutzbriefe für ungarische, auch nicht getaufte Juden auszugeben, die Domenico Tardini in Rom belobigte, sucht man hier vergebens, während der spanische Diktator Francisco Franco für die Ausstellung von Pässen an verfolgte Juden von einem jüdischen Autor später belobigt worden ist. Franco protestierte allerdings nicht gegen die Deportation von Juden, was Rotta mehrfach tat.

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Actes et documents du Saint Siège relatifs à la seconde guerre mondiale, ed. par P. Blet, A. Martini, B. Schneider, R. A. Graham, Bd. 1–2, 3,1–2, 4–11, Città del Vaticano 1965– 1981. Vgl. Pierre Blet, Les nonces du pape à la cour de Louis XIV, Paris 2002, und stattliche weitere Werke (seit 1959) dieses Autors zur Geschichte von Kirche und Staat im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Man sollte diesen soliden und überaus fruchtbaren Forscher nicht als Apologeten bezeichnen. Pierre Blet SJ, Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg. Aus den Akten des Vatikans. Aus dem Französ. von Birgit Martens-Schöne, 2. durchgesehene Aufl. Paderborn u.a. 2001 (franz. Originalausg. Paris 1997). Rotta »was atypical in a number of ways« […] »able to transcend his diplomatic obligations«. John F. Morley, Pope Pius XII, Roman Catholic Policy, and the Holocaust in Hungary. An Analysis of Le Saint Siège et les victimes de la guerre janvier 1944 – juillet 1945, in: Pope Pius XII., ed. Rittner and Roth, S. 154–174, 173f; zu den Schutzbriefen: ebd. S. 170, Blet, Papst Pius XII., S. 202.

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Daß die Kurie ihre eigene Provenienz herausgeben ließ, ist auch kein Grund, generelle Einwände gegen deren Objektivität zu erheben, weil moderne Staaten mit ihren Fondseditionen ebenso verfahren.48 Zudem ist die Auslassung von Aktenstücken oder deren summarische Verwertung nicht eo ipso eine Fälschung, sondern ein normaler technischer Vorgang, der die Fertigstellung umfangreicher Editionen erst ermöglicht. Überhaupt versprachen eine internationale, zeitgenössisch vergleichende Perspektive, ergänzt um eine vertikale, die zeitliche Tiefenschichtung kurialen Handelns einbeziehende Sicht einen ausgewogeneren Zugang zu den Problemen. Bereits die einschlägigen Bände der genannten Fonds-Editionen warfen hie und da Licht auf die kuriale Politik. Viktor Conzemius49 hatte schon 1968 in einem umfänglichen Forschungsbericht eine Reihe von Arbeiten und frühen Dokumentationen zur vatikanischen Politik in Europa und in den besetzten Gebieten, z.B. in Ungarn, vorgestellt. Der englische Historiker Owen Chadwick50 untersuchte die britisch-vatikanischen Beziehungen im Zweiten Weltkrieg, über die auch Kontakte zum deutschen Widerstand liefen, behandelte hier und in weiteren Veröffentlichungen das Verhältnis Pius’ XII. zu den Juden. Michael R. Marrus, der 1981 mit einem Buch über das Regime von Vichy und die Juden hervorgetreten ist,51 warnte davor, ein Verhalten, wie man es für sich selbst angesichts des Holocaust für wünschenswert gehalten hätte, zum Maßstab für das Handeln und Versagen der Verstrickten 1933–1945 zu machen. Er fordert die Berücksichtigung einer Mehrzahl von Faktoren oder »essential themes« für jede Urteilsbildung:52 u.a. die Klärung des Verhältnisses zwischen Antijudaismus

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Z.B. Foreign Relations of the United States (FRUS), Documents on British Foreign Policy, Documenti Diplomatici Italiani, Documents Diplomatiques Français, Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik. Vgl. dazu, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg (1919–1945), 1. Teil: Akten und Urkunden, bearb. von H. G. Hockerts (Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegenwart 6,1), Darmstadt 1996; 2. Teil: Persönliche Quellen, bearb. von W. Elz (Quellenkunde … 6,2), Darmstadt 2003. Églises chrétiennes et totalitarisme national-socialiste, I–VII, in: Revue d’Histoire Ecclésiastique 63 (1968), S. 437–502, 868–948, hier S. 501 Verweis auf das Werk von Jenö Levai, Geheime Reichssache. Papst Pius XII. hat nicht geschwiegen. Berichte, Dokumente, Akten, zusammengestellt auf Grund kirchlichen und staatlichen Archivmaterials. Mit einem Vorund Nachwort von Robert Kempner, Köln 1966. Britain and the Vatican during the Second World War, Cambridge 1986; Ders., Weizsäcker, the Vatican and the Jews of Rome, in: Journal of Ecclesiastical History 28 (1977), S. 179– 199. Michael R. Marrus, Robert O. Paxton, Vichy France and the Jews, New York 1981; vgl. Limore Yagil, »L’Homme nouveau« et la révolution nationale de Vichy (1940–1944), Paris 1997, S. 261–269. Michael R. Marrus, Pius XII and the Holocaust. Ten Essential Themes, in: Pope Pius XII, ed. Rittner and Roth, S. 43–55. Marrus, Geschichtsprofessor in Toronto, gehörte zu den drei jüdischen Teilnehmern der Katholisch-Jüdischen Historikerkommission von 1999 (neben Bernard Suchecky und Robert Salomon Wistrich); von katholischer Seite nah-

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und Antisemitismus, die Abwägung der Risiken eines öffentlichen Protestes auch unter dem Aspekt der Gefährdung der Einflußmöglichkeiten des Papstes, die neben Wirkungslosigkeit zu erwartende Positionsschwächung der Kurie bei offenen Interventionen statt der bevorzugten diplomatischen Einzelschritte, die Berücksichtigung der Besonderheiten des kurialen Verwaltungsapparats und des Persönlichkeitsprofils Pius XII.; dieser habe auch gegen die schweren Verfolgungen deutscher und polnischer Priester nicht protestiert. Schließlich sei wohl eine traditionelle kirchliche Abwehrhaltung gegen den modernen Machtstaat, den Nationalismus, den Säkularismus und Sozialismus beim Anblick des durch den Zweiten Weltkrieg hervorgerufenen Meers von Leid bestärkt worden, habe die Ausrichtung auf die Transzendenz und das jenseitige Reich des Glaubens Bestätigung gefunden. Der in Toronto lehrende Historiker baut damit zwar leichtfertigen Anklagen vor, er hätte aber eine Reihe von mahnenden Worten und Weisungen aus Rom, die publiziert vorliegen, zur näheren Ausfüllung des von ihm skizzierten Problemhorizonts durchaus schon heranziehen können. Das wichtige Verhältnis des Papstes zu Deutschland untersuchten Emma Fattorini53 und der Berliner Historiker Michael F. Feldkamp.54 Von ihm stammen auch Studien über die Apostolische Nuntiatur in München (1786 bis 1934) und die päpstliche Diplomatie in der Zeitgeschichte. Feldkamp wies, wie vor ihm schon einige amerikanische Autoren, 2003 in einem vom Olzog-Verlag herausgebrachten Taschenbuch Cornwell und vor allem Goldhagen Fälschungen nach.55 Die Desorientierungen Goldhagens gingen bis in das Bildmaterial hinein, wie Presse-Rezensionen aufdeckten.56 In einem übersichtlichem Werk von 170 Seiten hat der amerikanische Historiker José M. Sánchez57 die Hauptstreitpunkte der Debatte über den angeblich schweigenden Papst emotionslos und unter Rückgriff auf die primären Quellen dargestellt.

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men daran Gerald P. Fogarty SJ, Eva Fleischner und John Morley teil. Morley, Marrus und Fleischner sind mit Beiträgen in dem oben angeführten Band vertreten. Germania e Santa Sede. La nunziature di Pacelli tra la Grande guerra e la Repubblica di Weimar (Annali dell’ Istituto storico italo-germanico, Monografia 18), Bologna 1992. Pius XII. und Deutschland, Göttingen 2000. Besonders Ronald J. Rychlak, Hitler, the War and the Pope, Columbus/MS 2000; Feldkamp, Goldhagens unwillige Kirche, S. 22–26, 100–118: Die 2001 freigegebenen Papiere des »Office of Strategic Services« zeichnen ein positives Bild von Pius XII.; vgl. dagegen Daniel Jonah Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne. Aus dem Amerik. von Friedrich Giese, Berlin 2002 (engl. 1. Ausg.: A Moral Reckoning. The Role of the Catholic Church in the Holocaust and its Unfulfilled Duty of Repair, New York 2002). Karl-Joseph Hummel, Ein Kardinal marschiert nicht. Der Vertrieb von Daniel Goldhagens neuem Buch ist zu Recht verboten worden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12. Okt. 2002. Pius XII. und der Holocaust. Anatomie einer Debatte. Aus dem Amerik. übersetzt von Karl Nicolai, Paderborn u.a. 2002 (engl. 1. Ausg.: Pius XII and the Holocaust. Understanding the Controversy, Washington D.C. 2002).

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Im Zeitalter der Ideologien zählten nicht nur handhafte Taten oder Unterlassungen, sondern auch geistige Auseinandersetzungen und Mobilisierungen. Das historische Verhältnis von Judentum und Christentum wurde im Zeichen des Nachdenkens über Schuld und Verhängnis des Dritten Reiches schon Ende der 1960er Jahre neu gesehen und thematisiert, wie zwei von Rengstorf und Kortzfleisch herausgegebene Bände zeigten.58 Aus weit zurückgreifender, die neuzeitliche Geschichte des Kirchenstaats in den Mittelpunkt rückender Sichtweise schilderte jüngst Thomas Brechenmacher59 das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum im römischen Herrschaftsbereich. Dieser Autor verweist auf die mit dem Aufkommen des rassischen Antisemitismus nicht zu verwechselnde, eigene Geschichte des Antijudaismus und auf das jahrhundertelange friedliche Zusammenleben von Juden und Katholiken im Kirchenstaat. Eine Erörterung Joseph Ratzingers über den Dialog der Religionen mag beispielhaft stehen für einen Diskussionsstand, der die jeweiligen Glaubenswahrheiten nicht preisgibt, doch über die Parallelität von Glaubensgehorsam und Messias-Verheißung ein einigendes Band zwischen der jüdischen und der christlichen Religion knüpft.60 Solche Denkansätze scheinen für Deutschland der religionsgeschichtlichen Substanz und Plausibilität zu entbehren, liest man das Buch von Olaf Blaschke über den katholischen Antisemitismus im Kaiserreich.61 Dieser Autor erklärt Ludwig Windthorsts Eintreten gegen den Antisemitismus, das von rechtsstaatlichen Erwägungen ausging, sophistisch zu dessen Privatsache,62 übertreibt den Einfluß des Klerus auf das Zentrum, passend zu seiner pompösen Gleichsetzung eines angeblich höchsten, klerikalen Grads von »Ultramontanismus« mit der intensivsten Stufe des religiösen Antisemitismus.63 Unhaltbar ist seine Behauptung, daß religiöser und rassischer Antisemitismus bezüglich ihrer Wirkungen gleichzusetzen seien.64 Wie erklärt es sich angesichts des angeblich so verwurzelten katholischen Antisemitismus im Kaiserreich, daß die Berichte und Kommentare der katholischen deutschen Tages- oder Breitenpublizistik zwischen 1923 und 1933 null bis 58

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Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellungen mit Quellen, hg. von K. H. Rengstorf u. S. von Kortzfleisch, Bd. 1–2, Stuttgart 1968–1970 [Ndr. 1988]. Das Ende der doppelten Schutzherrschaft. Der Heilige Stuhl und die Juden am Übergang zur Moderne (1775–1870) (Päpste und Papsttum 32), Stuttgart 2004. Joseph Kardinal Ratzinger, Der Dialog der Religionen und das jüdisch-christliche Verhältnis, in: Internationale Katholische Zeitschrift »Communio« 26 (1997), S. 419–428. Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 122), Göttingen 1997, S. 72–83. Blaschke, S. 239–242. Seine Analyse der Reichstagsdebatte, in der Windthorst auftrat, ist unzureichend. Blaschke, S. 158. Blaschke, S. 72–83. Jedoch wendet sich Wolfgang Altgeld, Katholizismus, Protestantismus, Judentum. Über religiös begründete Gegensätze und nationalreligiöse Ideen in der Geschichte des deutschen Nationalismus (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 59), Mainz 1992, S. 209 gegen einen letztlich verharmlosenden, weil jede Art von Judenfeindschaft gleichsetzenden Antisemitismusbegriff.

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1,1 % antijüdische Tendenzen65 aufwiesen? Welcher tiefe Umschwung durch den Ersten Weltkrieg soll hier stattgefunden haben? Anton Rauscher veröffentliche 2001 den deutschen Entwurf einer im Sommer 1938 von Papst Pius XI. in Auftrag gegebenen Enzyklika gegen Nationalsozialismus und Rassismus;66 der französische Entwurf war 1995 in französischer Sprache, 1997 in deutscher Rückübersetzung publiziert worden.67 Während der französische, auf die Jesuiten John LaFarge und Gustave Desbuquois zurückgehende Text im Schlußteil noch Einflüsse einer traditionellen, antijudaistisch beeinflußten Theologie zeigte, gelangte der Verfasser der deutschen Version, der bekannte Sozialphilosoph Gustav Gundlach SJ, unter Rekurs auf die »naturrechtliche Argumentation« und eine »für alle Menschen gültige Sittenordnung«, den Horizont der damaligen zeitgebundenen Theologie übergreifend, gerade im Schlußteil des Entwurfs des geplanten Lehrschreibens zu einer überaus deutlichen Ablehnung des »Rassismus«. Dieser leugne »im Widerspruch mit Glaube, Wissenschaft und Erfahrung die Einheit der Menschheit«.68 Nr. 182 des Enzyklika-Entwurfs der Grundlach-Version konstatierte (1938) für »heute schon« eine »durch Rassenkampf und Judenhetze verursachte Verrohung von Sprache und sittlichem Empfinden im öffentlichen Leben, in Wort und Schrift, leider auch vor und bei Jugendlichen«.69 Bereits im Herbst 1934 ordnete Papst Pius XI. auf Anregung des Rektors der deutschen Nationalstiftung in Rom, Bischof Alois Hudal, und des Hl. Offiziums eine interne Prüfung der nationalsozialistischen Ideologie an. Der katholische Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat sechs Voten/Propositionen und zwei SyllabusEntwürfe ermittelt, die, verfaßt von theologischen Sachkennern wie dem Unterstaatssekretär Domenico Tardini, den nationalsozialistischen Rassismus, den Hyper-Nationalismus und den Faschismus verurteilten.70 Die Vorarbeiten mündeten in einen auch den Kommunismus verurteilenden Syllabus-Entwurf vom Frühjahr 1937. Unter den hier aufgeführten zu verurteilenden acht Thesen figurierten auch die Blut und Rasse verherrlichenden Sätze aus Hitlers »Mein Kampf«. 65

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Walter Hannot, Die Judenfrage in der katholischen Tagespresse Deutschlands und Österreichs 1923–1933 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 51), Mainz 1990; Konrad Repgen, Judenpogrom, Rassenideologie und katholische Kirche 1938 (Kirche und Gesellschaft 152/153), Köln 1988, S. 17f. Wider den Rassismus. Entwurf einer nicht erschienenen Enzyklika (1938). Texte aus dem Nachlaß von Gustav Gundlach SJ, hg., eingeleitet u. kommentiert von A. Rauscher, Paderborn u.a. 2001. Georges Passelecq, Bernard Suchecky, Die unterschlagene Enzylika. Der Vatikan und die Judenverfolgung. Aus dem Französ. von Markus Sedlaczek, München-Wien 1997 (Originalausg.: L’Encyclique cachée de Pie XI. Une occasion manquée de L’Eglise face à l’antisémitisme. Préface de Emile Poulat, Paris 1995). Wider den Rassismus, S. 59, 61, 151–156 (Nr. 150–161). Wider den Rassismus, S. 166 (Nr. 182). Hubert Wolf, Vertagt auf unbestimmte Zeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12. April 2003; vgl. dazu die Richtigstellung im Leserbrief von Heinz Hürten, Keineswegs vertagt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22. April 2003, Nr. 93, S. 11.

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Diese beiden päpstlichen Verlautbarungen sind zwar nicht wie geplant publiziert worden; doch wurden sie, was wesentliche Aspekte ihres Inhalts betraf, weder »unterschlagen« noch auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben (»dilata sine die«). Bereits am 25. März 1928 verurteilte das Hl. Offizium »ganz besonders jenen Haß, den man heutzutage mit dem Namen des Antisemitismus zu bezeichnen pflegt«; dieser Satz wurde im Schlußartikel von Gundlachs Entwurf71 wieder wörtlich aufgenommen. Gegen die »Vergöttlichung der Rasse und die Verabsolutierung der Nation« sprach sich Kardinalstaatssekretär Pacelli am 14. Mai 1934 in einer Protestnote an die Reichsregierung aus. Die den »kulturellen Grundkonflikt« zwischen der katholischen Kirche und dem Nationalsozialismus ausdrückende breite publizistische Zurückweisung von Rosenbergs »Mythus des 20. Jahrhunderts« in den Beilagen zum kirchlichen Anzeiger der Diözesen Münster und Köln fand Entsprechung in einer Veröffentlichung des Assessors des Hl. Offiziums Alfredo Ottaviani.72 Gegen die Vergötterung der Rasse nahm eindeutig die Enzyklika »Mit brennender Sorge« vom 14. März 1937 Stellung; sie kam zeitgleich mit der gegen den Kommunismus gerichteten Enzyklika »Divini Redemptoris« heraus. Pacelli und Papst Pius XI. predigten 1937 gegen den »Götzendienst der Rasse«.73 Schließlich wurde der Syllabus-Entwurf vom Frühjahr 1937 an die Studienkongregation weitergeleitet und von dieser am 13. April 1938 an die katholischen Universitäten und Fakultäten gesandt; darauf wurde er am 1. Mai 1938 von der französischen Tageszeitung La Croix gedruckt. Nach ihrer Zusammenkunft in Fulda im August 1938 sandten die deutschen Bischöfe diesen »Syllabus gegen den Rassismus«, wie die katholische Presse das Dokument in Analogie zum »Syllabus errorum« (gegen den Liberalismus) von 1864 nannte, mit einem ausführlichen Kommentar an den Klerus. Jede Kritik an der angeblich niedrigen Ebene dieser Stellungnahmen muß sich die Frage nach der Opportunität höherrangiger Verlautbarungen angesichts eines verschärften Kirchenkampfs und der zunehmenden internationalen Spannungen während der letzten Phase der Zwischenkriegszeit gefallen lassen. Auch ein systematischer Vergleich dieser kirchlichen Bekundungen mit der Haltung und dem Handeln der westlichen Demokratien gegenüber dem Antisemitismus steht noch 71 72

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Wider den Rassismus, S. 167 (Nr. 183). Vgl. Hürten (wie Anm. 70) mit Rudolf Lill, Zur Einführung, in: »Betrifft: Nachrichtenzentrale des Erzbischofs Gröber in Freiburg«. Die Ermittlungsakten der Geheimen Staatspolizei gegen Gertrud Luckner 1942–1944, bearb. u. erläutert von H.-J. Wollasch, Konstanz 1999, S. 9f.; vgl. dazu das nach wie vor wichtige Werk von Raimund Baumgärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 22), Mainz 1977. Hürten (wie Anm. 70), vgl. auch Ders., Pius XII. und die Juden (Kirche und Gesellschaft 271), Köln 2000, S. 6f.; zur Schwierigkeit der Intervention in eine bürokratische staatliche Gesetzgebung von einer naturrechtlich oder theologisch geklärten Warte aus: Konrad Repgen, Hitlers »Machtergreifung«, die christlichen Kirchen, Judenfrage und Edith Steins Eingabe an Pius XI. vom [9.] April 1933, in: Edith Stein Jahrbuch 2004, S. 31–68, hier 49– 51.

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aus. Der Friedensappell Pius’ XII. vom 24. August 1939 hätte, wäre er befolgt worden, die Entfesselung eines »Lebensraum«-Krieges im Osten verhindert und damit den Weg nach Auschwitz verschlossen. Mag es weiterhin einen Angriffspunkt bilden, daß die Vatikanischen Archive zunächst gesperrt blieben und dann nur selektiv, für bestimmte Bereiche und Zwecke, geöffnet wurden, so wären andererseits die vielen Quellen und Darstellungen wahrzunehmen oder zu würdigen, die für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz publiziert worden sind. Natürlich können sie die Dokumente aus der Zentrale der Weltkirche nicht ersetzen, aber etwa über die Korrespondenz der deutschen Bischöfe mit Rom74 wurden doch auch von der Kurie vertretene Ansichten und Vorstellungen authentisch erschlossen. Seit 1965, praktisch zeitgleich mit dem ersten Erscheinen der »Actes et documents du Saint Siège«, aber unabhängig von diesem Unternehmen, begann die Kommission für Zeitgeschichte bei der katholischen Akademie in Bayern mit der Herausgabe einer Reihe, die zunächst unter dem Namen »Quellen und Forschungen zur Geschichte des deutschen Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert« geplant war. Der Zeit des Dritten Reiches kam dabei von vornherein besondere Bedeutung zu. Der erste Band der »Quellen« erarbeitete den Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der deutschen Regierung von 1933 bis 1937.75 Die Bildung der Kommission und das Vorhaben, ausgehend von der Krise des Katholizismus in der Weimarer Republik dessen innere Geschichte zu erhellen, resultierten aus der Zusammenarbeit ehemaliger Zentrumspolitiker mit Historikern und dem damaligen Direktor der Katholischen Akademie in Bayern, Karl Forster. Maßgeblich war zuletzt die forscherliche Intention, »das politische Wirken des deutschen Katholizismus in den Jahren wichtiger Entscheidungen in das Licht der vollen geschichtlichen Wahrheit zu rücken«.76 Die Quellenreihe reproduzierte zunächst die großen staatlichen und kirchlichen Provenienzen, die offiziellen Notenwechsel, die bayerischen Regierungspräsidentenberichte, die Akten der 74

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Aus der vatikanischen Dokumentenserie entnommen: Die Briefe Pius’ XII. an die deutschen Bischöfe 1939–1944, in Zusammenarbeit mit P. Blet u. A. Martini hg. von B. Schneider (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 4), Mainz 1966; vgl. Konrad Repgen, Die deutschen Bischöfe und der Zweite Weltkrieg, in: Historisches Jahrbuch 115 (1995), S. 411–452; einschlägig auch: Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933 bis 1945, Bd. I: 1933–1934, Bd. II: 1934–1935, Bd. III: 1935–1936, bearb. von B. Stasiewski, Bd. IV: 1936–1939, Bd. V: 1940–1942, Bd. VI: 1943–1945, bearb. von L. Volk (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 5, 20, 25, 30, 34, 38), Mainz 1968–1985. Dieter Albrecht (Hg.), Der Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der deutschen Reichsregierung, Bd. I: Von der Ratifizierung des Reichskonkordats bis zur Enzyklika »Mit brennender Sorge«, Bd. II: 1937–1945 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 1, 10), Mainz 1965, 2. Aufl. 1974, 1969. Diese Formulierung Karl Forsters bezog sich zunächst auf die Jahre 1930–1933, läßt sich aber als General-Motto verwenden. Zit. nach Rudolf Morsey, Gründung und Gründer der Kommission für Zeitgeschichte 1960–1962, in: Historisches Jahrbuch 115 (1995), S. 453–485, 470, 477.

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deutschen Bischöfe und der Bischofskonferenzen. Sie wurde ergänzt durch eine zweite Reihe »Forschungen«. In deren Rahmen erschienen eine Fülle von Monographien, Darstellungen aus Bistümern, Einzelstudien zur katholischen Presse, zur Jugend- und zur christlichen Arbeiterbewegung, Biographien und Dokumentationen einzelner Persönlichkeiten wie Michael von Faulhaber, Carl Joseph Schulte und Clemens August von Galen.77 Die ausführlichen Quellen etwa des Schriftverkehrs der Bischöfe lassen Schattierungen erkennen und enthüllen das komplizierte Interaktionsgeflecht zwischen der katholischen Kirche und dem totalitären Staat. So kam der Staat nicht immer monolithisch daher, glich eher einer vielköpfigen Hydra und stellte mit seinem »Polyzentrismus« die kirchlichen Stellen vor große Herausforderungen. Als fruchtbar erwies sich allgemein die Betrachtung auf der Ebene der Bistümer78 oder im biographischen Kontext.79 Die oft recht umfangreichen Monographien verarbeiteten eine Fülle von Quellen und entwarfen meist ein differenziertes Bild zwischen Selbstbehauptung und einer noch für möglich gehaltenen Anpassung, vermitteln auch die Dialektik von innerer Stärke und äußerer Bedrängnis. Eine zusammenfassende Darstellung80 trägt der Diskussion um die Weimarer Vorgeschichte des Nationalsozialismus Rechnung. Interkonfessionell vergleichende Arbeiten sind in Deutschland eher selten.81 Sie finden sich mehr in länderübergreifenden internationalen Handbüchern wie 77

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Auf Einzelnachweise wird hier verzichtet. Bis 2002 erschienen 93 Bände Forschungen (Reihe B) und 48 Bände Quellen (Reihe A). Vgl. zuletzt die Biographie von Norbert Trippen, Josef Kardinal Frings (1887–1978), Bd. 1: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 94), Paderborn u.a. 2003. Vgl. als Beispiele u.a. Heinrich Küppers, Herausforderungen und Bedrohungen im Zeichen des Hakenkreuzes, in: Geschichte des Bistums Trier, Bd. 5: Beharrung und Erneuerung 1881–1981, hg. von B. Schneider u. M. Persch, Trier 2004, S. 627–670; Das Erzbistum Paderborn in der Zeit des Nationalsozialismus. Beiträge zur regionalen Kirchengeschichte 1933–1945, hg. von U. Wagener (Zeitgeschichte im Erzbistum Paderborn 2), Paderborn 1993; Winfried Becker, Neue Freiheit vom Staat – Bewährung im Nationalsozialismus 1918–1945, in: Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, hg. von Walter Brandmüller, Bd. 3: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, St. Ottilien 1991, S. 337–392. Klemens August Recker, »Wem wollt ihr glauben?« Bischof Berning im Dritten Reich, 2. Aufl., Paderborn u.a. 1998; Clemens August Graf von Galen. Menschenrechte – Widerstand – Euthanasie – Neubeginn, hg. von J. Kuropka, Münster 1998; Kardinal Michael von Faulhaber 1869–1952. Eine Ausstellung des Archivs des Erzbistums München und Freising, des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und des Stadtarchivs München zum 50. Todestag, München 2002. Heinz Hürten, Deutsche Katholiken 1918–1945, Paderborn u.a. 1992; vgl. Ulrich von Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft (Enzyklopädie deutscher Geschichte 39), München 1996, S. 37–42, 96–99, 139–141. Thomas Fandel, Konfession und Nationalsozialismus. Evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz 1930–1939 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 76), Paderborn u.a. 1997; Scholder fortsetzend Gerhard Besier, Die Kirchen und das Dritte

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der »Histoire du christianisme des origines à nos jours«82 und der »Histoire religieuse de l’Allemagne«,83 die als Länderbericht innerhalb der »Histoire religieuse de l’Europe contemporaine« konzipiert ist. Diese Ansätze interkonfessionell-internationaler Zusammenarbeit sind hoch zu bewerten. Denn die gegenseitige Kenntnisnahme der Ergebnisse der deutschen und der US-Forschung zum Kirchenkampf über den Atlantik hinweg ist unterentwickelt; sie beschränkt sich zu sehr auf Ignorierung oder polemische Zurückweisung. Die Diskussion könnte auch das Verständnis für die unterschiedlichen Arbeitsmethoden und Zugangsweisen in historicis beleben: Die amerikanische Forschung kennt Quelleneditionen viel weniger als die deutsche. Umgekehrt wecken hierzulande amerikanische Medien- und Vermarktungsstrategien, die trotz höchst problematischer Auswüchse (wie bei dem Goldhagen-Rummel) angesichts der leeren Kassen staatlicher und kirchlicher Institutionen sicherlich Zukunftspotential bergen, sowie übertriebene Formen der »political correctness« eher Argwohn und Unbehagen.

V. Gruppen und Parteien, Widerstand und Weltanschauung Im Zeitalter der Medienherrschaft verdient es Hervorhebung, daß wichtige Anstöße zur Ermittlung der Lage der Kirchen im Dritten Reich gleichsam endogener Natur waren, aus dem eigentlichen Bereich der Forschung selbst kamen. Dabei ist wiederum nicht nur an die Katholizismus-Forschung im engeren Sinne zu erinnern; allgemeine Entwicklungen der Forschung reflektierten sozusagen in diesen Bereich zurück. Aus einer alltagsgeschichtlichen, zugleich historisierenden Sicht auf das Dritte Reich regte Martin Broszat, der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, Ende der 1970er Jahre an, den Widerstandsbegriff auf eine Sozialgeschichte politischen

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Reich. Spaltungen und Abwehrkämpfe 1934–1937, Berlin-München 2001; knapper Taschenbuch-Beitrag: Winfried Becker, Neueste Zeit (1803/6–1995), in: Ders., G. Christ, A. Gestrich, L. Kolmer, Red. P. Dinzelbacher, Die Kirchen in der deutschen Geschichte. Von der Christianisierung der Germanen bis zur Gegenwart (Kröners Taschenausgabe 439), Stuttgart 1996, S. 528–542; Zeugen einer besseren Welt. Christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts, hg. von K.-J. Hummel, C. Strohm, Leipzig 2000; vgl. Inventar staatlicher Akten zum Verhältnis von Staat und Kirchen 1933–1945, hg. von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte und der Kommission für Zeitgeschichte, bearb. von C. Abele u. H. Boberach unter Mitwirkung von H. Braun u. C. Nicolaisen, Bd. 1–2, Kassel 1987, Bd. 3: Indices, Kassel 1988. Tome 12, Guerres mondiales et totalitarismes (1914–1958), hg. von J.-M. Mayeur u.a. Paris 1990 (dt. Ausg.: Erster und Zweiter Weltkrieg, Demokratien und totalitäre Systeme 1914– 1958, Freiburg i.Br. 1992). Sous la direction de Paul Colonge et Rudolf Lill (Histoire religieuse de l’Europe contemporaine 4), Paris 2000, hier Teil 4, S. 181–255 (Autoren: K.-E. Lönne, G. Besier, W. Becker, U. von Hehl). Weitere Bände behandeln Großbritannien, Spanien, die Schweiz und Italien.

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Verhaltens in der NS-Zeit auszuweiten und die bisherige Fixierung auf den politischen »Fundamental-Widerstand« zu überwinden.84 Der Düsseldorfer Historiker Peter Hüttenberger trug »wesentliche definitorische Vorarbeiten« zu dem Projekt »Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933–1945« bei.85 Er ging von der sozialen Kontinuität »politisch desaggregierter Einheiten«, z.B. »verbotener politischer Organisationen«, oder weiterhin geduldeter »sozialer Einheiten« im Dritten Reich aus. Die nicht-angepaßten, non-konformen Verhaltensweisen dieser Gruppen oder Gruppenreste ordnete er einer neu definierten Kategorie von Resistenz oder passivem Widerstand zu. Klaus Gotto, Hans Günter Hockerts und Konrad Repgen haben 1980 dafür plädiert, einen passiven Widerstandsbegriff dieser Art auch auf die gefährdeten oder aufgelösten kirchlichen Organisationsformen anzuwenden und vier Widerstandsstufen von der »Nonkonformität« bis zum »Widerstand im engeren Sinne« unterschieden.86 Die ganze Skala der Verfolgung mußten viele Angehörige des Berufsstands der katholischen Priester erdulden. Eine große Zahl von ihnen wurde schon wegen der Weiterführung ihrer seelsorglichen Tätigkeiten und pastoral gemeinter, vom NS-Regime als feindlich qualifizierter Äußerungen verhaftet; viele wurden in die Konzentrationslager gebracht; eine ganze Reihe hingerichtet.87 Der Resistenzbegriff hing von der Besonderheit der die Alltagskultur tangierenden Verfolgung ab. Das bezeugten auch die aktiven Widerständler, die Geschwister Scholl, wenn sie in ihrem dritten Flugblatt den passiven Widerstand, gemeint war die »Sabotage« aller »Veranstaltungen kultureller Art«, »in allem Schrifttum«, in allen regierungsabhängigen Zeitungen und selbst bei Straßensammlungen forderten. Gegenüber den Einwänden, die neue Sichtweise inflationiere den Widerstandsbegriff, ist zuzugeben, daß totalitäre Systeme nur sehr begrenzte Möglichkeiten des Widerstands zulassen; dieser konnte sich folglich nicht nach den Mustern einer »großen Politik« durchsetzen. Davon gingen maximalistisch eingestellte Kirchenkritiker anscheinend aus, wenn sie es der Kirche zutrauten oder als Aufgabe zuwiesen, den Untergang der Weimarer Republik auf84

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Martin Broszat, Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts, in: Bayern in der NS-Zeit, Bd. 4: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil C, hg. von M. Broszat, E. Fröhlich, A. Grossmann, München – Wien 1981, S. 691–709, 698f.; vgl. Broszats Vorwort zu Bd. 2, Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil A, hg. von M. Broszat u. E. Fröhlich, München – Wien 1979, S. XVIIf. Peter Hüttenberger, Vorüberlegungen zum »Widerstandsbegriff«, in: Theorien in der Praxis des Historikers. Forschungsbeispiele und ihre Diskussion (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 5), Göttingen 1977, S. 117–134. Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus, hg. von K. Gotto, K. Repgen, Mainz 1980, 3. Aufl. Mainz 1990; vgl. Winfried Becker, Begriffe und Erscheinungsformen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, in: Jahrbuch für Volkskunde NF 12 (1989), S. 11– 42. Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung, Bd. 1–2, 4. durchgesehene u. ergänzte Aufl., unter Mitwirkung der Diözesanarchive hg. von U. von Hehl u.a. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 37), Paderborn u.a. 1998.

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zuhalten oder Grundrechte der Demokratie im welt- oder europaweiten Maßstab gegen die Herrschaft mächtiger Diktatoren zu bewahren. Da allerdings viele kirchlich gesinnte Laien im politischen Leben gestanden hatten, verwischten sich im Rückblick die Grenzen zwischen dem kirchlichen Widerstand und dem Handeln der Laien. Der Katholizismus war vor 1933 in die politische Welt integriert gewesen, hatte eine spezifische Form der säkularen Präsenz im politischen Leben gewonnen. Der Untergang des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei war auf der Ebene theoretischer Diskussion sowie lebensweltlicher Erfahrung aufs engste verknüpft mit der Neugründung der Unionsparteien, die als Antwort auf den Erfolg der braunen Diktatur gegenüber dem Parteiensystem von Weimar begriffen wurde. Diese Zusammenhänge sind besonders in Publikationen der Konrad-Adenauer-Stiftung seit den 1980er Jahren offengelegt worden.88 Sie lenkten die Aufmerksamkeit auf politische und geistige Gegenkräfte der Diktatur aus dem Bereich der christlichen Demokratie. Die Unionsgründung rückte zugleich in einen historischen Kontinuitätszusammenhang. Fragen nach der Genese eines christlich-demokratischen Politikverständnisses, das sich aus der Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und Kommunismus entwickelte oder selbst definierte, wiesen auf das 19. Jahrhundert zurück und zugleich über das unzureichende Verständnis des Katholizismus als eines abgeschlossenen, ultramontanen, notwendig in dem Untergang mündenden Gettos hinaus. Die neuen Fragen und Erkenntnisse ergaben sich aus der Sichtung und Interpretation neuen, reichen Aktenmaterials, nachdem vorher die Überlieferungslage, was Memoiren oder mündliche Berichte ehemaliger Zentrums- bzw. christlicher Politiker betraf, eher dürftig zu nennen war.89 Daß hier nicht um politischer, wissenschaftsferner Gründe willen eine opportune Forschungsrichtung installiert wurde, zeigten auch viele Publikationen über die Geschichte der christlichen Demokratie in anderen europäischen Ländern.90 88

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Hierzu zuletzt: Christliche Demokratie im zusammenwachsenden Europa. Entwicklungen – Programmatik – Perspektiven, hg. im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung von G. Buchstab u. R. Uertz, Freiburg – Basel – Wien 2004; Lexikon der christlichen Demokratie in Deutschland, hg. von Winfried Becker u.a., Paderborn u.a. 2002; Die Gründung der Union. Traditionen, Entstehung und Repräsentanten, hg. von G. Buchstab u. K. Gotto (Geschichte und Staat 254/255), München 2. Aufl. 1990 (1. Aufl. 1981); Christen und Demokratie, hg. von G. Baadte, A. Rauscher, Graz 1991; Christliche Demokratie in Europa. Grundlagen und Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert, hg. von W. Becker u. R. Morsey, Köln – Wien 1988; Hans August Lücker, Karl Josef Hahn, Christliche Demokraten bauen Europa. Mit einem Geleitwort von Leo Tindemans, Bonn 1987; Winfried Becker, Politische Neuordnung aus der Erfahrung des Widerstands. Katholizismus und Union, in: Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte, hg. von P. Steinbach, Köln 1987, S. 261–292; Verfolgung und Widerstand 1933–1945. Christliche Demokraten gegen Hitler, hg. von G. Buchstab, B. Kaff, H.-O. Kleinmann, Düsseldorf 1986. Vgl. Morsey, Gründung, S. 469–475. Auch gab es bei den Zeitzeugen Empfindlichkeiten und Opportunitätsbedenken. European Christian Democracy. Historical Legacies and Comparative Perspectives, ed. by T. Kselman and J. A. Buttigieg, Notre Dame/IN. 2003; Christdemokratie in Europa im

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Das Problem, ob durch kombinierte Parteien- und Kirchengeschichtsforschung nicht die Religion der Politik ausgeliefert werde oder umgekehrt die Politik der Religion, blieb indes bestehen. Wurde dann nicht das Verhalten der Kirche an politischen Maßstäben gemessen, am Inkommensurablen, und wurden nicht umgekehrt die Laien über ihre kirchliche Gesinnung definiert, für eine aus der Welt hinausweisende Idee ex post zu Politikern erklärt, während doch auf dem Feld der Politik pragmatische Maßstäbe und allenfalls die Orientierung am Gemeinwohl gelten? Bei der Betrachtung einer bestimmten Gruppe läßt sich unter diesem Aspekt festhalten: NS-Stellen schrieben dem katholischen Klerus schon automatisch die Zugehörigkeit zum politischen Katholizismus zu und betrachteten ihn demgemäß im Grunde als staatsgefährlich. Gegenüber dem Bestreben, das Verhalten der Kirche an politischen Kategorien – Versagen oder Bewährung im Widerstand – zu messen, hat man allerdings geltend gemacht, daß hier eigentlich ein Zeugnis abgelegt worden sei, eine Bekundung des Glaubens bis hin zum Blutzeugnis der Ermordeten, das sich nicht der politischen Intention, sondern nur religiösen Kategorien erschließe.91 Entsprechende Kriterien hat auch der Kölner Prälat Helmut Moll seinem (durch Papst Johannes Paul II. 1994 mit »Tertio millenio adveniente« angeregten) Martyrologium des 20. Jahrhunderts zugrundegelegt. Diese große Kollektivbiographie nahm die Märtyrer aus den Regimen des Nationalsozialismus und des Kommunismus, aus den Missionsgebieten und die »Reinheitsmartyrien« auf. Moll definiert den Märtyrer, der Begriff taucht schon in der Nachkriegsliteratur der 1940er Jahre auf, nach drei theologischen Aufnahmekriterien. Gegeben sein mußten: »die Tatsache des gewaltsamen Todes, das Motiv des Glaubens- und Kirchenhasses bei den Verfolgern und die bewußte innere Annahme des Willens Gottes trotz Lebensbedrohung«.92 Das von vielen Rezensenten gelobte Werk regte allerdings auch Diskussionen über die historische Verwendbarkeit des Märtyrer-Begriffs an.

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20. Jahrhundert, hg. von M. Gehler, W. Kaiser, H. Wohnout, Wien – Köln – Weimar 2001; Il fattore religioso nell’integrazione europea. Programma di ricerca »Les identités européennes au XXe siècle«. Coordinato dall’Institut Pierre Renouvin (Université Paris I-Panthéon Sorbonne), a cura di A. Canavero, J.-D. Durand, Milano 1999; Christian Democracy in the European Union [1945/1995]. Proceedings of the Leuven Colloquium, 15–18 November 1995, ed. by E. Lamberts (Kadoc-Studies 21), Leuven 1997; Cristiani in politica. I programmi politici dei movimenti cattolici democratici, a cura di B. Gariglio, Milano 1987; Jean-Marie Mayeur, Des Partis catholiques à la Démocratie chrétienne XIXe–XXe siècles, Paris 1980. »Zeugnis« zur Kennzeichnung von Widerstandsverhalten aus religiöser Wurzel. Heinz Hürten, Verfolgung, Widerstand und Zeugnis. Kirche im Nationalsozialismus. Fragen eines Historikers, Mainz 1987. Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, hg. von H. Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, Bd. 1–2, 4. erweiterte Aufl., Paderborn u.a. 2006 (1. Aufl. 1999); hier Bd. 1, S. XXXII (Ausg. 1999).

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Abschließend soll zum Thema der Verquickung von Religion und Politik bezüglich der Urteilskriterien, die an das Verhältnis Kirche und Drittes Reich angelegt werden, eine eigene Meinung vorgetragen und auf Forschungsergebnisse hingewiesen werden, die diese eventuell stützen könnten. Historiker unterschiedlicher Herkunft betonen, mit allerdings entgegengesetzter Bewertung, die Inkommensurabilität kirchlich-religiöser und politischer Kategorien, konkret den institutionellen Charakter der Kirche, ihre primäre Ausrichtung auf die Gewinnung und Vermittlung des Seelenheils, verbunden mit einer Neigung zur Ergebung in Gottes Willen und in die Macht des von Gott verhängten Schicksals, z.B. des Zweiten Weltkriegs.93 Auch die in Diktaturen gesammelte Lebenserfahrung läßt sich für eine solche Sichtweise gut anführen. Aber muß der Gläubige nicht auch die – gewiß schwer zu ermittelnden – Normen des Naturrechts beachten, muß das Zeugnis sich nicht in der Öffentlichkeit bewähren und vollzieht sich die cura animarum außerhalb der staatsbürgerlichen Tugenden und Pflichten? Man kann auch der Auffassung sein, daß besonders die totalitäre Ausnahmesituation der Kirche oder den Christen die Pflicht der Bewährung nach außen hin zwar nicht unbedingt auferlegt, daß aber vorherige Warnungen, Resistenzmotive und Verfolgungsleiden ihnen im Falle der Exponierung dennoch zum wahren Proprium transzendenter Letztorientierung werden. So unterscheidet z.B. Moll nicht zwischen Priestern und Laien im Märtyrer-Status, was den Lehren des Zweiten Vatikanums über das Volk Gottes entspricht. Wo wäre eine unüberschreitbare Grenzlinie zu ziehen gegenüber jenen Männern und Frauen, die sich aus christlicher Gesinnung, doch auch mit politischer Absicht, dem Zugriff eines den ganzen Menschen erfassenden Regimes widersetzten?94 Bleiben sie außerhalb des kirchlichen Raumes? Die Richtung einer stärkeren Einbeziehung der Grund- und Menschenrechte in den Raum christlichen Selbstverständnisses und der Verkündigung wird auch durch jene Forschungsmeinung deutscher Historiker nahegelegt, die eine besondere Leistung des Widerstands gerade in der partiellen Niederlegung konfessioneller und politischer Schranken angesichts der menschheitlichen Herausforde-

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Hürten, Verfolgung (wie Anm. 91); Repgen, Entstehung (wie Anm. 29), S. 531f.; Michael R. Marrus, The Holocaust in History, University Press of New England, Hanover – London 1987, S. 179–183: »Seeing the institutional Church as a supreme value in its own right, these in charge of its fortunes tended unhesitatingly to put these ahead of the victims of Nazism«. Vgl. Heinz Hürten, Die deutschen Katholiken und der 2. Weltkrieg, in: Militärseelsorge 39/40 (2001/2002), S. 321–329, 327f. Während Hürten und Repgen den im engeren Sinn kirchlichen Auftrag, die cura animarum und die Wahrung des Proprium positiv werten, übt Marrus daran – behutsame – Kritik; in diesem Sinne, allerdings mit Hervorhebung des überaus beschränkten Spielraums Pius’ XII., auch Stewart A. Stehlin, Päpstliche Diplomatie im Zweiten Weltkrieg. Pius XII., Deutschland und die Juden (Eichstätter Universitätsreden 109), Wolnzach 2002, S. 23. Siehe oben Anm. 88 u. 90; Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand zur Union, hg. im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung von G. Buchstab, B. Kaff, H.-O. Kleinmann, Freiburg – Basel – Wien 2004.

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rung durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts sieht. Wie jüngst bei den Mooshausener Gesprächen hervorgehoben wurde, brachte der »christliche Widerstand« sozusagen eine »kulturelle Gesamtlage« zum Ausdruck, »die ohne Elemente der christlichen Prägung gar nicht angemessen verstanden werden könnte«.95 Allein im Umkreis Münchens bündelte sich im christlichen Widerstand eine Vielfalt des politischen Spektrums von der (katholischen) Bayerischen Volkspartei über den dezidierten Monarchismus bis hin zum politischen Liberalismus in Bayern. Gerade Anhänger des Liberalismus bezeugten durch ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit, daß sie erst jetzt, unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, ihre seit den Zeiten des Kulturkampfs bezogenen Frontstellungen gegen den politischen Katholizismus verlassen hatten. Hierfür finden sich zumindest ansatzweise Belege in den Untersuchungen über die »Weiße Rose«,96 den Harnier-Kreis in München und Oberbayern97 und besonders über die Widerstandsgruppe um Franz Sperr und Otto Geßler in München und Augsburg.98 Unter dem verbindenden Aspekt einer Fragestellung, die die kirchliche wie weltliche Herausforderung durch extreme Ideologien des 20. Jahrhunderts bedenkt, lassen sich auch neueste Forschungen über den Nationalsozialismus oder Faschismus als politische Religion vorstellen. Die Interpretation des Nationalsozialismus als Ersatz-Religion, Religions-Ersatz, politische oder säkulare Religion (Franz Werfel, Lucie Varga, Raymond Aron) geht auf die 1930er Jahre zurück. Sie stand aber nicht im Mittelpunkt der Forschung und wurde erst 197199 und

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So Trutz Rendtorff, zit. bei Hans Günter Hockerts, Vielfalt christlichen Widerstandes. Das Beispiel München, in: Christlicher Widerstand im Dritten Reich, hg. von H. G. Hockerts, H. Maier (Edition Mooshausen), Annweiler o.J., S. 17–40, 28 (Kolloquium Mooshausen 19.–21. Okt. 2001); Kultur schließt auch regionale »Milieus« ein. Vgl. Anpassung, Verweigerung, Widerstand. Soziale Milieus, politische Kultur und Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland im regionalen Vergleich, hg. von D. Schmiechen-Ackermann, Berlin 1997; Bernhard Höpfl, Katholische Laien im nationalsozialistischen Bayern. Verweigerung und Widerstand zwischen 1933 und 1945 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 78), Paderborn 1997. Barbara Schüler, »Im Geiste der Ermordeten …« Die Weiße Rose und ihre Wirkung in der Nachkriegsgeschichte, Paderborn u.a. 2000; »Weitertragen«. Studien zur »Weißen Rose«. Festschrift für Anneliese Knoop-Graf zum 80. Geburtstag, hg. von M. Kißener, B. Schäfers, Konstanz 2001. Christina M. Förster, Der Harnier-Kreis. Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Bayern (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 74), Paderborn 1996. Winfried Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, in: Franz Sperr und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Bayern, hg. von H. Rumschöttel, W. Ziegler (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beih. 20 B), München 2001, S. 83–173; vgl. für München auch, Das Erzbistum München und Freising in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, Bd. 1–2, hg. von Georg Schwaiger, München – Zürich 1984. Klaus Vondung, Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971; Ders., Die Apokalypse des Nationalsozialismus, in: Der Nationalsozialismus als politische Religion, hg. von M. Ley u. J. H. Schoeps (Studien

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während der 1990er Jahre intensiver aufgegriffen. Vor allem der Politikwissenschafter Eric Voegelin trug maßgeblich zur Entdeckung dieses Phänomens bei, dessen Wurzeln in Europa mindestens bis zum säkularen Vernunft-Kult der Französischen Revolution zurückreichen. Voegelin führte den Aufstieg der ideologischen Massenbewegungen (vielleicht zu einlinig) auf in anderer Weise nicht mehr erfüllte religiöse Bedürfnisse breiter Bevölkerungskreise zurück, widersprach überhaupt der Vernachlässigung der religiösen Ordnung, die innerhalb jeder Gemeinschaft neben der profanen Ordnung existent sei.100 Die politische Religion besteht nach diesem und anderen Autoren in einer Immanentisierung der Glaubensinhalte. Der Schöpfergott werde eliminiert, aber an seine Stelle eine andere höchste Instanz, ein letztes Einheitszentrum, z.B. der Staat, die Rasse oder die klassenlose Gesellschaft, gesetzt. Diesem Vorgang korrespondiere die Ablehnung feindlicher Mächte bis hin zu deren Vernichtung, die Übernahme quasi-religiöser Symbole für politische Heldengestalten oder für rituelle Vollzüge und die Konstruktion einer weltimmanenten Heilsgeschichte. Eine Sammlung von Forschungsergebnissen auf breit vergleichender Basis hat seit 1996 Hans Maier vorgelegt.101 Solche Studien gehen noch von einem auf Transzendenz festgelegten, insofern fest umrissenen Religionsbegriff aus, vor dem die Ersatz-Religionen zu Fehldeutungen, Verirrungen oder Perversionen erklärt werden können. Aber nicht alle teilen eine solche Denk-Voraussetzung oder Übereinkunft. Steigmann-Gall z.B. hat neuerdings die durchaus verschiedenen Äußerungen und Einstellungen, die vom Nationalsozialismus seit dessen erstem Parteiprogramm bis 1945 ausgingen, zusammengestellt. Er bezeichnet sie als nationalsozialistische »conceptions of christianity«, ob es sich um das »positive Christentum«, handelte, das als neuer Synkretismus zur ›deutschen‹ Überwindung der Konfessionsgrenzen offeriert

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zur Geistesgeschichte, 20), Bodenheim bei Mainz 1997, S. 33–52, 37: »Erhebung einer innerweltlichen Entität zum Realissimum« (des Blutes). Eric Voegelin, Die politischen Religionen, hg. u. mit einem Nachwort versehen von Peter J. Opitz (Periagoge), München 2. Aufl. 1996, S. 12f., 71–77 (erstmals veröffentlicht im April 1938 in Wien). »Totalitarismus« und »Politische Religionen«. Konzepte des Diktaturvergleichs, Bd. 1, hg. von H. Maier, Bd. 2, hg. von Hans Maier u. Michael Schäfer, Bd. 3: Deutungsgeschichte und Theorie, hg. von Hans Maier (Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft 16, 17, 21), Paderborn u.a. 1996, 1997, 2003; für den »Aspektbegriff« »politische Säkularreligion« plädiert Hans Günter Hockerts, War der Nationalsozialismus eine politische Religion? Über Chancen und Grenzen eines Erklärungsmodells, in: Zwischen Religion und Politik. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus, hg. von K. Hildebrand, München 2003, S. 45–71; ClausE. Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften Dietrich Eckharts, Josef Goebbels’, Alfred Rosenbergs und Adolf Hitlers, 2. vollständig überarb. Aufl. München 2002; Einzeluntersuchung: Wolfgang Dierker, Himmlers Glaubenskrieger. Der Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933–1941 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 92), Paderborn u.a. 2002; vgl. Anm. 105.

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wurde, um den angeblich wahrhaft christlichen Kampf gegen den »jüdischmaterialistischen Geist« oder um Hitlers Berufung auf die göttliche Vorsehung oder dessen eigentümliche Zurückhaltung in seinen Äußerungen über Jesus.102 Dieser Autor rückt damit wie Goldhagen und Blaschke den religiösen eng an den rassischen Antisemitismus heran. Der Unterschied zwischen eigentlich christlichen und pseudochristlichen Inhalten oder Argumenten verschwimmt. Die nationalsozialistischen Auslegungen christlicher Grundsätze hält ein Rezensent dieses Buches für authentische, weil historisch aufzeigbare Ausprägungen des Christentums: Wenn der christliche Glaube das Gewissen des Einzelnen nicht gegenüber den illiberalen und inhumanen Kräften des 20. Jahrhunderts geschärft habe, so sei dies nicht verwunderlich, habe das Christentum doch schon gegen die Menschheitsverbrechen der Kreuzzüge, der Inquisition und der Hexenverfolgung keine verläßlichen Dämme errichten können.103 Solchen vordergründigen Analogien läßt sich die große These der vom Christentum auf den Lauf der Geschichte ausgehenden Humanisierung entgegensetzen. Die Kirchen haben wohl die am meisten in die Breite wirkenden Maßstäbe und Kultureinflüsse bereitgestellt, die Einzelne zum Beziehen resistenter Einstellungen bewogen; dafür steht eine Fülle von Zeugnissen zur Verfügung.104 Sie offengelegt zu haben, geschah zuerst aus Selbstverteidigung, sollte eigenes Erleben und unmittelbare Erinnerung dokumentieren. Dann setzte eine Reaktion auf die seit Anfang der 1960er Jahre besonders sichtbar werdende Tendenz ein, den umfassenden Wert der Menschen- und Bürgerrechte und einer entsprechenden Politik zum allgemein gültigen Richtmaß zu erheben. Auch rückte der Nationalsozialismus als solcher, wie Hermann Lübbe hervorgehoben hat, nun ins Zentrum erinnernder Aufmerksamkeit, Betroffenheit, eines kulturellen Gedächtnisses:105 Solche mächtigen Zeittendenzen und sich daraus ergebende Wertungen, die die Kirche nur an einem bestimmten gesellschaftlichen Auftrag maßen, riefen eine Besinnung auf deren Proprium hervor. Die These, daß der besondere Charakter 102

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Richard Steigmann-Gall, The Holy Reich. Nazi Conceptions of Christianity, 1919–1945, Cambridge University Press, Cambridge 2003; demgegenüber konfessionell differenzierend Doris L. Bergen, Twisted Cross. The German Christian Movement in the Third Reich, The University of North Carolina Press, Chapel Hill – London 1996. Lothar Kettenacker, Rezension Steigmann-Gall, in: German Historical Institute London. Bulletin 26/1 (May 2004), S. 116–120. Vgl. zuletzt etwa Wilm Hosenfeld, »Ich versuche jeden zu retten«. Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern, hg. von T. Vogel, München 2004; für die Freikirchen: »Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas«. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus, hg. von H. Hesse, Bremen 1998. Während die 1950er Jahre »still blieben«. Karl-Joseph Hummel, Der deutsche Katholizismus und die »Vergangenheitsbewältigung« nach 1945, in: Das Christentum und die totalitären Herausforderungen des 20. Jahrhunderts. Rußland, Deutschland, Italien und Polen im Vergleich, hg. von L. Luks (Schriften des Zentralinstituts für Mittel- und Osteuropastudien 5), Köln – Weimar – Wien 2002, S. 269–295, 271, 281–283; vgl. Hermann Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewußtsein, in: Historische Zeitschrift 236 (1983), S. 579–599.

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der Institution Kirche bei der Beurteilung des Verhaltens des Kirchenoberhaupts Berücksichtigung finden müsse, konnte zur Verteidigung und zur Kritik Pius’ XII. verwendet werden. Allgemein ließ sich zeigen, daß die Forschung sich aus eigenem Antrieb, aus internen Anstößen, aber auch auf mediale Herausforderungen antwortend und das Gespräch mit Zeitgenossen suchend, entwickelt, verästelt und verfeinert hat. Wenn es legitim ist, daß Medien Einflüsse auf Forschung nehmen, dann sollte auch das Umgekehrte gelten, daß ihre Erkenntnisse Eingang in die öffentliche Meinung finden. Eine offene und entwickelte Gesellschaft kann die Zukunft nur mit einem differenzierten Geschichtsbewußtsein bestehen.

Marta Margotti

I giudizi su fascismo, antifascismo e resistenza nella stampa cattolica italiana (1945–1965)

I giudizi su fascismo, antifascismo e resistenza

Giornali e ricorrenze Per analizzare il modo in cui, nel dopoguerra, i cattolici italiani fecero memoria del fascismo, dell’antifascismo e della resistenza si è scelto di compiere un sondaggio sulle annate dal 1945 al 1965 di tre giornali di diversa diffusione e tendenza. Le testate analizzate sono «La Civiltà Cattolica», il quindicinale nato nel 1849, voce vicina alla Santa Sede, redatto a Roma dai padri gesuiti, «Il Nostro Tempo», il settimanale culturale di proprietà della diocesi di Torino ma con una certa diffusione nazionale, e il quindicinale «Adesso», fondato da don Primo Mazzolari nel 1949 e espressione del cattolicesimo più aperto ai nuovi fermenti religiosi e al dialogo con le forze politiche di sinistra.1 Sono stati considerati, in particolare, gli articoli apparsi, lungo vent’anni, intorno alle giornate del 25 aprile e del 2 giugno in occasione delle commemorazioni della Liberazione e della fondazione della Repubblica. Questa relazione avrebbe quindi potuto intitolarsi, in maniera forse eccessivamente sintetica, Dal 25 aprile al 2 giugno. Da un lato, infatti, saranno offerti alcuni elementi per ricostruire il modo con cui cattolici italiani ricordarono il ventennio fascista; dall’altro, saranno ricercati i motivi che permisero alla Chiesa cattolica, nei decenni successivi alla seconda guerra mondiale (ma con un’opera iniziata ancor prima del termine del conflitto) di ripresentarsi quale componente essenziale della società, anzi di legittimarsi quale portatrice dell’autentico sentimento patriottico e custode dell’originaria identità dell’Italia divenuta repubblica.

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Per una sintesi delle vicende del giornalismo cattolico italiano, cfr. F. Malgeri, La stampa quotidiana e periodica e l’editoria, in: Dizionario storico del movimento cattolico in Italia (1860–1980). I/1, diretto da G. Campanini e F. Traniello, Marietti, Torino 1981, pp. 273– 295. In particolare, per le testate analizzate, cfr. L. Trincia, «La Civiltà Cattolica», la democrazia «naturaliter christiana» e la paura del comunismo (1943–1948), «Studi storici», pp. 506–538; R. Sani, «La Civiltà Cattolica» e la politica italiana nel secondo dopoguerra. 1945–1958, Vita e Pensiero, Milano 2004; L. Bedeschi, L’ultima battaglia di don Mazzolari. «Adesso» 1949–1959, Morcelliana, Brescia 1990; Mazzolari e «Adesso». Cinquant’anni dopo, a cura di G. Campanini e M. Truffelli, Morcelliana, Brescia 2000; M. Maraviglia, Primo Mazzolari nella storia del Novecento, Studium, Roma 2001; S. Golzio, Il Nostro Tempo. Settimanale per il ceto medio culturale, in: I settimanali cattolici delle diocesi nella regione ecclesiastica piemontese, a cura di G. Garneri, Alzani, Pinerolo 1985, pp. 147–151; E. di Rovasenda, Il Nostro Tempo e la svolta conciliare, in: Giornali e giornalisti a Torino, Centro studi «C. Trabucco», Torino 1984, pp. 113–122; C. Francillon, «Il Nostro Tempo», l’hebdomadaire catholique de Turin, Tesi, Université de Lyon 1993.

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Per quanto la scelta sia parziale, i tre giornali possono essere considerati rappresentativi di una vasta gamma delle posizioni presenti all’interno della Chiesa italiana del dopoguerra, istituzione che si conferma, anche da questa analisi, molto più variegata di quanto l’apologetica cattolica (ma anche parte della storiografia) abbia spesso rilevato. Sono stati circoscritti alcuni temi che saranno sinteticamente analizzati: il giudizio sul fascismo e la rilettura delle scelte della Chiesa nel ventennio, la valutazione della resistenza e del contributo in essa dato dai cattolici, l’uso della memoria per la riconciliazione nazionale. Per quanto possibile, si cercherà di offrire un’immagine in movimento delle posizioni dei giornali cattolici italiani per rilevarne l’evoluzione, il cambiamento di prospettive e il mutamento di giudizi nel corso di vent’anni. Al termine, saranno proposte alcune considerazioni utili per tentare un’interpretazione complessiva dell’atteggiamento della stampa cattolica e per rendere esplicite alcune questioni non risolte intorno al rapporto tra cattolici e memoria del fascismo nell’Italia repubblicana.

Il giudizio sul fascismo Nel dopoguerra, la Chiesa cattolica italiana si impegnò in una puntuale opera di giustificazione dell’azione svolta dai suoi pastori, dai fedeli e dalle istituzioni ecclesiastiche durante i decenni precedenti. Si trattava non soltanto di promuovere episodi e personaggi della resistenza al fascismo e di mettere in ombra gli aspetti più problematici della convivenza (ora conflittuale, ora entusiastica) con il passato regime, ma di inserirsi (più o meno direttamente) nel confronto politico nell’Italia uscita dal conflitto: concretamente, ciò si tradusse nel sostegno vigoroso all’anticomunismo e nell’affiancamento e condizionamento delle scelte della Democrazia cristiana. La rilettura del ventennio fascista offrì alla stampa cattolica la possibilità non soltanto di presentare i rispettivi giudizi sul passato, ma, ancor di più, di fornire una chiave di lettura per interpretare il presente. È necessario, innanzitutto, precisare ciò che scrissero i giornali intorno al fascismo, ma ugualmente interessante è individuare ciò che fu taciuto. Giornali più vicini alle istituzioni ecclesiastiche (come «La Civiltà Cattolica» e «Il Nostro Tempo») dedicarono ripetuti accenni alla Conciliazione tra Santa Sede e Stato italiano del 1929, agli scontri tra Azione cattolica e fascismo, all’aiuto prestato dai cattolici (e soprattutto da Pio XII) durante la guerra a chi si trovava in difficoltà e in particolare agli ebrei, e, in misura minore, descrissero la partecipazione di credenti alla lotta resistenziale; quasi del tutto assenti furono i riferimenti precisi ai provvedimenti liberticidi del fascismo, alla connivenza della monarchia, alla consonanza tra Chiesa e regime su alcuni temi (ad esempio, l’incremento della natalità, la guerra di Spagna o la battaglia contro il comunismo), ma ugualmente rari furono i cenni all’opposizione tentata dai partiti antifascisti all’avanzata di Mussolini e anche al Partito popolare di don Luigi Sturzo. Più slegato da preoccupazioni «istituzionali», il quindicinale «Ades-

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so» nasceva con forti legami a persone e idee maturate nella resistenza; il periodico affrontò quindi con maggiore ampiezza temi emarginati da altri giornali cattolici, tra cui i motivi dell’ascesa politica di Mussolini, l’opposizione condotta dai partiti antifascisti, le ambiguità della Chiesa italiana durante il ventennio, la partecipazione dei cappellani militari alla Repubblica sociale italiana. Questi temi furono oggetto di numerosi articoli stesi soprattutto per ricordare l’anniversario del 25 aprile, ricorrenza che il gruppo redazionale mise puntualmente in risalto, contrariamente a quanto accadde sulle pagine de «La Civiltà Cattolica» dove gli anniversari passarono sotto silenzio, se si escludono alcuni rapidi cenni nella sezione dedicata alle notizie dalla Santa Sede, dall’Italia e dall’estero, dove furono per lo più messi in evidenza stralci di dichiarazioni e discorsi fatti da esponenti politici democristiani. Soprattutto negli anni immediatamente seguenti il termine del conflitto, la nascita e la diffusione in Europa del fenomeno fascista furono lette come manifestazione della «crisi di civiltà» provocata dall’allontanamento degli uomini da Dio e dalla tradizione. Si trattava della ripresa di alcuni temi appartenenti all’armamentario polemico contro lo Stato liberale che «La Civiltà Cattolica» aveva utilizzato per decenni, declinati per illustrare la situazione dell’Italia degli anni Venti. Anche «Il Nostro Tempo», nel 1947, propose ai suoi lettori tale lettura religiosa degli avvenimenti politici e sociali, tratteggiando un quadro che univa richiami all’«esplosione del male» e fiducia nella provvidenza di Dio.2 Ma accanto a questo schema, debitore di temi dell’intransigentismo cattolico ottocentesco e adattabile senza grandi variazioni per tutte le epoche e per tutti gli avvenimenti storici, i giornali cattolici tentarono un’analisi del fenomeno fascista che, partendo dalla crisi dello Stato liberale, si allargava alla considerazione del ruolo giocato dai partiti «di massa» all’indomani della Grande guerra. Come scriveva «La Civiltà Cattolica» nel maggio 1946, l’instaurazione del regime fascista in Italia fu possibile a causa delle divisioni tra le forze politiche e sociali, alcune delle quali erano altrettanto o più pericolose delle squadre di Mussolini; infatti, si affermava, «sui partiti che il fascismo travolse ricade buona parte della responsabilità non soltanto dell’avvento di esso al potere, ma anche della successiva instaurazione della dittatura e della tirannide».3 Il ricorso a manifestazioni di piazza da parte dei comunisti era paragonato alla politica dei «totalitari fascisti» che «fondavano il loro prestigio tutto sul numero, sulle folle straripanti, sul tesseramento plebiscitario».4 Lo Stato, di fronte alle aggressioni fasciste, non aveva 2

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«La Germania sviluppò in un fenomeno nettamente caratterizzato ciò che negli altri Paesi covava qua e là, con meno violenza e minore chiarezza. Questa spaventosa esplosione del male, che si verificò in Germania, dimostrò, non solo per la Germania medesima ma anche per gli altri popoli, che nessuno, nessun popolo, nessun universo, potrebbe mai edificarsi sul male, ossia sulla disgregazione e sull’incoerenza», L. Mietta, Crisi della civiltà e Cristianesimo, «Il Nostro Tempo» (d’ora in poi NT), 17 maggio 1947, p. 3. «La Civiltà Cattolica» (d’ora in poi CC), a. 97, v. II, 18 maggio 1946, p. 302. Don Marzio, Senza adunate oceaniche avremmo avuto il 28 ottobre?, NT, 21 maggio 1949, p. 1.

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saputo difendere la propria autorità anche perché «le forze democratiche che lo sostenevano avevano perso la fiducia in sé stesse»,5 come scriveva il settimanale della curia torinese nel giugno 1954 introducendo un articolo sull’«operazione Sturzo», l’iniziativa tentata pochi mesi prima alle elezioni amministrative di Roma per far convergere i voti dei cattolici su una lista di destra. Soprattutto in prossimità delle elezioni politiche e amministrative, la stampa cattolica, schierandosi apertamente a favore dei candidati democristiani e condannando duramente i partiti posti alla destra e alla sinistra dell’arco parlamentare, paragonò sovente gli esiti del sistema sovietico a quelli del regime fascista. Si trattava di giudizi che volevano non tanto fornire ai lettori elementi utili per una ricostruzione storica, quanto prospettare ai cattolici i rischi molto più attuali di scelte che, attraverso l’appoggio alle tendenze politiche di destra o, soprattutto, di sinistra, avrebbero nuovamente potuto consegnare il Paese ad un regime dittatoriale.6 Le ragioni del successo del fascismo e del nazionalsocialismo erano ricercate nell’atteggiamento di disinteresse politico dei cittadini che, astenendosi dal partecipare alle elezioni, permisero l’affermazione dei totalitarismi. Il vuoto di partecipazione popolare aveva aperto la strada a Mussolini e a Hitler, ma non era chiaro quali strumenti avrebbero potuto essere messi in atto per fronteggiare l’indifferentismo dell’elettorato e, più in particolare, quale responsabilità ricadeva sulla impreparazione politica dei cattolici italiani, autoesclusisi per decenni dalle competizioni elettorali in seguito al non expedit pontificio: recarsi alle urne era presentato come un dovere di coscienza (obbligante nel 1933 in Germania come nel 1948 in Italia), ma per lo più slegato da riflessioni in grado di fornire consapevolezza politica e, soprattutto, cultura democratica ai credenti. Nel 1958, il periodico dei gesuiti articolò maggiormente la sua analisi dell’ascesa di Mussolini al potere, sostenendo che i governi dell’Italia liberale non avevano saputo interpretare i «grandi interessi spirituali e materiali delle “masse”»,7 raccolti invece dai nuovi partiti popolari e dalle organizzazioni sindacali; dopo la Grande guerra, il fascismo sembrò alla maggioranza degli italiani poter interpretare queste spinte verso la trasformazione del Paese e bloccare la sovversione

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Tendenze a destra, NT, 29 giugno 1954, p. 1. Anche riprendendo spunti proposti da «L’Osservatore Romano», nel maggio 1947 il periodico dei gesuiti paragonò alle iniziative condotte dal Partito comunista e dalla Confederazione generale del lavoro per mobilitare le piazze dell’Italia repubblicana alle violenze delle squadre fasciste che accompagnarono la salita al potere della dittatura mussolinana. Scriveva il quotidiano vaticano del 5–6 maggio 1947: «Alla vigilia della fatale «marcia su Roma», le stesse minacce, le stesse iniziative. Sott’altro nome, per fini opposti, ma della stessa natura, cioè con la stessa offesa della legalità, con la stessa denuncia alla coscienza pubblica, che la legalità era, dunque e ormai, un mito una illusione; con lo stesso proposito di sovrapporre alla forza di Stato quella di partito… Oggi, non altrimenti di ieri. Mutate le parti, non i metodi», cit. in: Cronaca contemporanea. Italia, CC, a. 98, v. II, 17 maggio 1947, p. 376. S. Lener, I partiti italiani e l’odierna esorbitante polemica sui rapporti tra Stato e Chiesa, ibid., a. 109, v. I, 15 marzo 1958, p. 572.

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delle forze di sinistra, apparendo «necessario ma provvisorio strumento» di tale mutamento.8 A volte, furono ricordati genericamente i meriti del regime mussoliniano9 (come discretamente fece pure «Adesso»),10 anche se, in un articolo a commento dei risultati delle elezioni amministrative del 1952 in cui si paventavano i pericoli dell’ascesa comunista, del fascismo furono condannati «il suo sistema di governo, le ideologie totalitarie sulle quali si appoggiava […] tragicamente finite entro il gorgo della guerra per sua colpa dichiarata e perduta».11 Gli articoli che si soffermavano sulle vicende del fascismo tendevano a spiegare il successo politico di Mussolini come reazione alla sovversione comunista, oltre che a difendere l’operato della gerarchia cattolica di fronte al regime: si trattava di due temi che potevano essere diversamente modulati e utilizzati per svolgere una battaglia politica tutta attuale a fianco della Democrazia cristiana, contro l’eversione di destra e, soprattutto, di sinistra. Il «lungo viaggio attraverso il fascismo» aveva contribuito a mutare il giudizio della Chiesa cattolica intorno alla democrazia e al ruolo che i partiti potevano svolgere nella società; ma a fianco della positiva e generica valutazione dei partiti e della democrazia, erano espressi, in maniera esplicita, limiti al pluralismo politico dei cattolici per ragioni di ordine dottrinale (in particolare a causa della dichiarata inconciliabilità tra il cristianesimo e il materialismo ateo del comunismo); si trattava di preclusioni che non erano state poste di fronte al fascismo, come si ammetteva sul periodico dei gesuiti nel 1960 che giungeva a riconoscere che l’enciclica Non abbiamo bisogno del 1931 «pur contenendo deplorazioni espresse, pur condannando determinate tendenze, non aveva voluto condannare apertamente in linea dottrinale tutto il fascismo».12 Il tentativo di rendere più organica la riflessione intorno alla dittatura fu perseguito da quei circoli cattolici, certamente minoritari nel panorama religioso italiano, eredi dell’antifascismo e della lotta resistenziale. Proprio questa origine permetteva al quindicinale «Adesso» di affrontare le questioni aperte dall’instaurazione del regime fascista in Italia attraverso argomenti tralasciati o posti al

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Ibid., p. 573. L’autore precisava: «Il fascismo non diede soltanto il colpo di grazia a codesto già impotente regime; né si limitò a debellare le forze che minacciavano la sovversione totale dello Stato. Ma, facendo proprie istanze ben mature nella società in quello organizzata, ne tentò la trasformazione, compromettendo purtroppo, prima con la crescente involuzione totalitaristica del regime dittatoriale, indi con folli avventure imperialistiche, lo stesso processo storico, di cui alla maggioranza degli italiani era sembrato potesse essere necessario ma provvisorio strumento.». «Il fascismo riempì un ventennio di storia italiana e non è a dire che non abbia avuto dei meriti e non vi abbia lasciato un’impronta difficilmente cancellabile», Antonio Messineo, Il bilancio delle ultime elezioni amministrative, ibid., a. 103, v. II, 21 giugno 1952, p. 572. Cfr. C. Silvestri, Chi ci rifabbrica il fascismo, «Adesso» (d’ora in poi AD), 15 maggio 1952, p. 8. A. Messineo, Il bilancio delle ultime elezioni amministrative cit., p. 572. A. Martini, Gli accordi per l’Azione cattolica del 2 settembre 1931, CC, a. 111, v. I, 19 marzo 1960, p. 579.

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margine da altri giornali cattolici. Don Mazzolari (parroco in un paese della bassa pianura Padana, nella diocesi di Cremona) nel decennale della Liberazione riconosceva «che la stragrande maggioranza degli italiani ha aderito al fascismo o l’ha sopportato senza eccessivo disagio morale, e che fino al 25 aprile 1943 l’opposizione, nobilissima in molti un po’ meno in altri, specialmente in certe categorie di fuoriusciti, fu un’esigua minoranza e quasi senza voce».13 Per motivi diversi ma convergenti, né «La Civiltà Cattolica» né «Il Nostro Tempo» avevano additato le responsabilità dei Savoia che, al contrario, «Adesso» indicava tra i maggiori artefici dell’ascesa e del consolidamento del potere mussoliniano. Si trattava di una colpa che la monarchia condivideva innanzi tutto con il mondo della cultura e, poi, con la «grossa e grassa borghesia terriera e industriale e [con] non poca parte del clero e dei cattolici organizzati».14 Si trattava di una disanima a tutto campo che stigmatizzava sia alcune scelte dell’antifascismo sia alcune posizioni assunte dalla gerarchia cattolica durante il fascismo. Era una condanna della dittatura fascista che, pur mantenendosi come «un cardine dell’ordine morale»,15 rivendicava la necessità di contenere e misurare il giudizio sulle singole persone «per non cadere in quell’implacabilità che nessuno ha diritto di usare, molto meno coloro che in qualche modo, «non sono senza peccato».16 Sullo sfondo delle considerazioni svolte dal quindicinale emergeva la radicale scelta antifascista dei redattori, ma anche il forte anticomunismo che, nonostante la disponibilità al confronto con esponenti della sinistra italiana, marcava la distanza della rivista dalle prospettive ideologiche del marxismo. Non si trattava tanto della volontà di mantenere una cauta linea editoriale per il timore di censure ecclesiastiche (che comunque giunsero, puntuali, a sanzionare don Mazzolari e il suo giornale nel 1951), quanto dell’espressione di una scelta di fondo che caratterizzò l’intera vicenda del giornale. L’appoggio – per quanto critico – alla Democrazia cristiana di De Gasperi e dei suoi eredi politici spingeva «Adesso» a tentare un difficile equilibrio tra antifascismo e anticomunismo che biasimava, allo stesso tempo, «la rivalutazione dell’opera nefasta degli uomini e del regime» e la «condanna indiscriminata che non salvava neppure il buono dei vent’anni e la buona fede dei galantuomini: tanti o pochi non importa».17

Chiesa e regime In realtà, il quindicinale «Adesso», pur riservando numerosi accenni alle vicende del ventennio fascista e ricordando il ruolo svolto dalla Chiesa cattolica per arginare le pretese totalitarie del regime, si concentrò soprattutto a considerare gli anni della «guerra civile» resistenziale e il suo lascito all’Italia repubblicana, linea 13 14 15 16 17

P. Mazzolari, Facciamo pace almeno tra noi prima che sia troppo tardi, AD, 15 maggio 1950, pp. 4–5. Ibid. Ibid. Ibid. C. Silvestri, Chi ci rifabbrica il fascismo cit., p. 8.

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in parte seguita dal giornale diocesano di Torino. Diversamente si mosse «La Civiltà Cattolica» che apparve preoccupato soprattutto di giustificare le scelte della Chiesa durante il ventennio fascista e la guerra e, più precisamente, di scagionare la Santa Sede e i pontefici Pio XI e Pio XII dalle accuse di collusione con il fascismo o, comunque, di colpevole omissione. La tesi costantemente ribadita tendeva a presentare i passi compiuti dalle autorità ecclesiastiche tra il 1922 e il 1943 e sino al 1945 come rispondenti alla volontà di salvaguardare i residui spazi di libertà rimasti alla Chiesa all’interno dello stato dittatoriale. Ma negli articoli rievocativi stesi nel dopoguerra, accanto alla condanna dello «spirito totalitario e statalista ad oltranza del regime d’allora»,18 riemerse con tenace continuità la pressoché esclusiva ansia per le sorti del cattolicesimo sotto il fascismo e la quasi totale indifferenza verso ciò che, nel ventennio, era accaduto all’intero Paese. Il periodico dei gesuiti dichiarò apertamente, in un articolo del 1959, che «Pio XI, servendosi delle trattative per la Conciliazione, volle ottenere sostanziali vantaggi in ordine all’educazione cristiana della gioventù e al mantenimento dell’Azione cattolica, superando, con ferma decisione e opportuno senso di misura, le pretese del totalitarismo».19 Il giornale ricordò i timori suscitati nella gerarchia cattolica dall’ideologia fascista per il futuro «dell’educazione cristiana e delle organizzazioni a ciò destinate», oltre che delle scuole cattoliche; ugualmente si sottolineava che, «anche dopo la Conciliazione, l’idolo statalista e monopolizzatore in materia di educazione rimaneva intangibile presso troppi pedagogisti e burocrati».20 Proprio intorno alla rievocazione della firma del Concordato nel 1929 questa ambiguità di fondo emerse con più chiarezza: i Patti Lateranensi avevano risolto la «questione romana» chiudendo il contenzioso politico-territoriale e avevano permesso «una profonda restaurazione delle condizioni della Chiesa in Italia»;21 si era ottenuto «cioè che la contropartita alla garanzia del territorio fosse sostituita dalla garanzia del cattolicesimo del popolo italiano»,22 portando in questo modo a compimento il Risorgimento. Si riconosceva che il fascismo aveva dissolto molte delle iniziative intraprese dai cattolici italiani nei decenni precedenti, ma, allo stesso tempo, se Pio XI «non scese in campo come non doveva scendere, nella lotta politica diretta, nutrì il disegno di permeare di cristianesimo la società italiana, e volle difendere con l’intrepidezza naturale del forte carattere ed il coraggio soprannaturale del rappresentante di Cristo in terra i diritti inalienabili stabiliti da Dio, della persona umana, della famiglia, della società e della Chiesa».23 Che la difesa di questi diritti si fosse limitata, di fatto, alla rivendicazione dei diritti della 18 19 20 21 22 23

F. Trossarelli, Note e riflessioni nel venticinquennio dell’enciclica Divini Illius Magistri, CC, a. 106, v. I, 1° gennaio 1955, p. 11. A. Martini, Pio XI e la Conciliazione nei documenti Pacelli, ibid., a. 110, v. I, 7 marzo 1959, p. 456. F. Trossarelli, Note e riflessioni nel venticinquennio dell’enciclica Divini Illius Magistri cit., p. 11. A. Martini, Pio XI e la Conciliazione nei documenti Pacelli cit., p. 466. Ibid. Id., Il conflitto per l’Azione cattolica nel 1931, CC, a. 111, v. I, 5 marzo 1960, p. 450.

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Chiesa e dei cattolici sembrava essere una questione irrilevante o, meglio, era ricordata dal quindicinale dei gesuiti con l’intento di allontanare dall’istituzione ecclesiastica le accuse di eccessiva vicinanza con il regime e di rafforzare l’immagine del papato quale continuatore dell’autentica civiltà italiana. Con motivazioni analoghe fu rivendicata più volte la sostanziale intangibilità delle norme contenute nei Patti Laternanensi garantita dall’articolo 7 della Costituzione repubblicana contro le proposte di revisione degli accordi concordatari provenienti da alcuni settori politici italiani.24 Il Concordato aveva sancito la pace religiosa in Italia e, per questo motivo, si rimproverò «l’incapacità dei laicisti di uscire da certi schemi concettuali, per guardare la storia senza preconcetti e con occhi nuovi: fermarsi alle contingenze storiche – la dittatura fascista – in cui i Patti Lateranensi furono stipulati e non saper vedere quello che di universalmente valido essi contengono significa una grave incomprensione dei processi storici, perché fu proprio con quei Patti che l’unità spirituale d’Italia, cioè lo scopo del Risorgimento nazionale, venne compiuta».25 In questo, come in articoli di uguale argomento, si tralasciava di ricordare quanto l’unità politica della Penisola si fosse compiuta attraverso l’annessione al Regno d’Italia dei territori dello Stato pontificio e quali lacerazioni avesse prodotto nel Paese la «questione romana» che proprio «La Civiltà Cattolica», dopo il 1861, aveva contribuito ad alimentare. Notevole impegno fu manifestato dal periodico dei gesuiti per difendere l’operato della Chiesa cattolica, e soprattutto di Pio XII, durante la guerra e di fronte alle persecuzioni degli ebrei,26 in particolare in occasione delle rappresentazioni dell’opera teatrale Il Vicario del tedesco Rolf Hochhuth tra il 1963 e il 1965.27 Pio XII aveva taciuto per «evitare mali maggiori», vale a dire «i danni che ne sarebbero seguiti, per la Chiesa e per i cattolici, a Roma stessa ed in tutto il territorio ove allora si estendeva il potere di Hitler».28 «Il silenzio di Pio XII»29 era quindi giusti24

25 26

27

28 29

Cfr. S. Lener, Sull’odierno momento ideologico e politico costituzionale dei rapporti tra Chiesa e Stato in Italia, ibid., a. 108, v. II, 1° giugno 1957, pp. 466–479; Id., I partiti italiani e l’odierna esorbitante polemica sui rapporti tra Stato e Chiesa cit., pp. 561–575: Id., Interessi elettorali e problemi di principio nell’odierna polemica sui rapporti tra Stato e Chiesa in Italia, ibid., a. 109, v. II, 17 maggio 1958, pp. 337–350. Cronaca contemporanea. Italia, ibid., a. 112, v. II, 6 maggio 1961, p. 321. Cfr. A. Martini, Appelli alla Santa Sede dalla Polonia durante la seconda guerra mondiale, ibid., a. 113, v. II, 7 aprile 1962, pp. 3–14; Id., Silenzi e parole di Pio XII per la Polonia durante la seconda guerra mondiale, ibid., 5 maggio 1962, pp. 237–249; Giuseppe Warszawski, Una prima tappa della lotta contro Pio XII nella Polonia durante la seconda guerra mondiale, ibid., a. 116, v. II, 5 giugno 1965, pp. 435–446. Cfr. A. Martini, Il Vicario. Una tragedia cristiana?, ibid., a. 114, v. II, 18 maggio 1963, pp. 313–325; Id., La vera storia e «Il Vicario» di Rolf Hochhuth, ibid., a. 115, v. II, 6 giugno 1964, pp. 437–454; Id., Pio XII e Hitler, ibid., a. 116, v. I, 20 febbraio 1965, p. 342–354; Cronaca contemporanea. Italia, ibid., 20 marzo 1965, p. 610; Cronaca contemporanea. Italia, ibid., a. 116, v. II, 17 aprile 1965, pp. 200–201; P. Blet, Pio XII e il Terzo Reich, ibid., 1° maggio 1965, pp. 251–258. R. Leiber, Pio XII e gli ebrei di Roma 1943–1944, ibid., a. 112, v. I, 4 marzo 1961, p. 454. Ibid., p. 455.

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ficato dalla volontà di «salvare il salvabile», garantendo, per quanto sembrava possibile, l’incolumità di persone e istituzioni cattoliche. Negli anni del secondo dopoguerra, l’autorevole periodico dei gesuiti (come «Il Nostro Tempo») affermò chiaramente l’inconciliabilità tra totalitarismo fascista e dottrina cristiana, pur mancando di evidenziare gli episodi in cui cattolicesimo e regime erano apparsi – idealmente o di fatto – vicini. Per «Adesso», invece, proprio la «dolorosa esperienza» dell’atteggiamento ambiguo del regime mussoliniano verso la religione richiamava l’attualità del rischio derivante dal considerare più pericoloso l’antagonismo dei movimenti comunisti rispetto al fascismo e ai suoi epigoni, apparentemente rispettosi di gerarchie e tradizioni cattoliche.30 Nonostante il sostanziale giudizio positivo che anche «Adesso» formulava nei confronti della Conciliazione, il giornale fondato da don Mazzolari metteva in guardia i cattolici dall’uso strumentale che i politici potevano fare della religione: molto più che i formali segni di rispetto verso la Chiesa e la sua gerarchia, era necessario imparare a osservare le scelte politiche concrete e a diffidare degli atteggiamenti che potevano nascondere intenti di manipolazione e volontà di sfruttamento della fede.

Antifascismo, resistenza e uso pubblico della memoria Dopo il 25 aprile 1945, l’appello pressante rivolto da tutta la stampa cattolica a favore della riconciliazione nazionale, oltre ad essere motivato dalla volontà di vedere rapidamente raggiunta la pacificazione sociale e politica del Paese per allontanare i rischi della sovversione comunista, segnalava la volontà della Chiesa di essere elemento moderatore tra le parti in lotta e, ancor di più, di proporsi quale asse portante nell’edificazione dell’Italia postfascista. Si trattava di un atteggiamento che si legava strettamente alle scelte politiche che la maggioranza dei cattolici italiani aveva compiuto al termine del conflitto, coagulando le proprie forze a sostegno della Democrazia cristiana, e rivelava però l’esistenza di un altro intento, meno contingente, che coniugava uso della memoria, ruolo del cattolicesimo e costruzione dell’identità degli italiani. Base di partenza di ogni discorso sul futuro della nazione era l’affermazione della necessità di ristabilire, il più rapidamente possibile, la pace sociale che era considerata continuamente compromessa dalle 30

«È chiaro, e lo sappiamo per dolorosa esperienza, che il fascismo non si mette in netto antagonismo col cristianesimo (così come in ultima analisi fa il comunismo) ma non potendo tuttavia accettare i postulati fondamentali di questo – amore del prossimo, riprovazione della violenza, libertà, ecc. – cerca di ottenere, con una forma di lenta costrizione, con un continuo imbonimento, con un pressante cerimoniale che deve mimetizzare e minimizzare l’essenza, una deformazione dell’interno cercando di modificare la coscienza cristiana medesima senza che questa possa avere il senso della propria eresia; cerca di manomettere, non senza furberia, certi insegnamenti fondamentali fino a farli combaciare persino con i motivi della propria azione quotidiana», V. Volpini, Coscienza cristiana e fascismo, AD, 1° ottobre 1952, p. 5.

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aspre contrapposizioni politiche ereditate dalla lotta antifascista. La pietà per i morti di tutte le parti in lotta e il perdono di coloro che avevano militato dalla parte sbagliata, atteggiamenti continuamente perorati su tutti i giornali cattolici, non soltanto erano ricondotti a doveri derivanti da imperativi di fede e da obbligazioni di tipo morale, ma intendevano alimentare – in maniera più o meno consapevole – un progetto politico-religioso in grado di fondare le istituzioni postfasciste. Anche in questo caso, l’uso della memoria del fascismo e dell’antifascismo faceva trasparire modi diversi di intendere tale riconciliazione. «La Civiltà Cattolica» sembrò proporre una «pacificazione dalla memoria stretta» in cui pochi temi erano variamente ricordati (il Concordato, gli attriti con l’Azione cattolica, il ruolo svolto da Pio XI e Pio XII) e se il fascismo appariva relegato sullo sfondo, quasi quale elemento accidentale delle vicende passate, l’antifascismo si esauriva nelle virtù eroiche di singoli cattolici. Per «Il Nostro Tempo», il richiamo al valore della resistenza e alla partecipazione dei cattolici puntava ad una «pacificazione antiretorica» in forza della quale, come si ricordava nella primavera del 1965, «gli uomini che hanno fatto il 25 aprile lasciano trascorrere anche questo ventennale in silenzio, quasi in un geloso pudore del proprio gesto, compiuto allora tanto disinteressatamente da respingere, oggi, ogni forma di pubblicità. […] Quegli uomini oggi tacciono perché sanno che è l’unico modo per continuare l’opera iniziata un giorno combattendo».31 La polemica contro i «professionisti della gloria» e contro l’immagine di «un’Italia trionfalistica sempre certa dei propri millenari destini»32 si ritrovava anche nel quindicinale «Adesso» che, però, tentò di proporre ai suoi lettori una «pacificazione dalla memoria larga»; da un lato, si esecrava il monopolio detenuto dai comunisti sulle manifestazioni commemorative della liberazione, ma, dall’altro, si condannava la «prudenza castigatissima»33 utilizzata dai giornali cattolici per ricordare l’anniversario del 25 aprile e, quindi, tutta la lotta resistenziale.34 Per il giornale fondato da don Mazzolari, non vi era grande differenza tra coloro che militavano su fronti politici e culturali opposti ma, allo stesso modo, manipolavano il ricordo, inghiottivano il passato, facevano sparire la memoria, anzi erano «incettatori della memoria» (perché, si affermava su «Adesso» nel giugno del 1957, «esistono due tipi di incettatori: quello che schiamazza e quello che tace troppo»).35 La scelta della stampa cattolica fu di ricordare, insieme, la spietatezza del fascismo e, soprattutto, del nazionalsocialismo, ma anche le colpe di cui si coprirono i partigiani, prima e dopo il 25 aprile. Si intendeva comporre un equilibrio tra le 31 32 33 34

35

G. Calcagno, Non è forse l’Italia che essi sognavano ma sarebbero pronti a difenderla ancora, NT, 25 aprile 1965, p. 3. Ibid. G. Fincato, A sinistra e a destra, AD, 1° giugno 1957, p. 6. «La via più breve per ricordare ciò che fu la Resistenza non è quello di ricordare ciò che fu. E il timore che qualcuno parli della Resistenza ad usum delphini non si vince spingendo la memoria di un fatto nelle ceneri e tra le scintille di alcune righe di cronaca, Quella del monopolio è questione troppo ovvia per insistere nella sua giustezza», ibid. Ibid.

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parti in lotta, che appariva delicato e sempre precario, ma, spesso, senza riuscire a evitare le ambiguità che una simile posizione conteneva. Tali ambiguità potevano essere, però, superate d’un balzo spostando l’attenzione del lettore verso le responsabilità, molto più attuali, del regime sovietico e i rischi legati ad una possibile avanzata del comunismo in Italia. Ricordando nel 1947 l’eccidio delle Fosse Ardeatine, «La Civiltà Cattolica» sottolineò che più che soffermarsi sulle atrocità «meglio è far tesoro dell’ammonimento che ne deriva e cioè che i frutti della negazione e del materialismo sono molto amari, anche se rivestiti di ideali e di progressismo. […] Insieme reca dolore vedere chi crede di dover negare fiducia al Cristianesimo, perché non ha saputo evitare tali stragi, mentre poi si affidano a chi ha commesso misfatti non meno efferati».36 Riproducendo una posizione comune al mondo cattolico del dopoguerra, negli stessi mesi anche «Il Nostro Tempo» si impegnò a mettere in evidenza luci e ombre del movimento antifascista affidando a Giuseppe Grosso, durante la guerra componente del Comitato di liberazione nazionale torinese e in seguito presidente democristiano della giunta provinciale, un articolo «fra la cronaca e la storia». Accanto agli «esempi di abnegazione, di sacrificio, di eroismo», scriveva Grosso, bisognava ribadire il «grave giudizio negativo sulla incapacità che l’antifascismo ha mostrato nel superarsi, e cioè sull’incapacità di superare, da un lato, il suo punto di partenza (che ha riportato l’Italia dopo la liberazione a riprendere le mosse da una situazione analoga a quella prefascista), dall’altro lato i metodi fatalmente assorbiti dall’avversario».37 La guerra civile che aveva lacerato l’Italia durante la guerra, con tragiche riprese nei mesi successivi la liberazione, era una pagina oscura che i cattolici intendevano voltare rapidamente, ma che, nonostante gli auspici, riemergeva puntualmente per rivelare l’esistenza di un paese non pacificato. Si era assistito a «violenze ricevute e ricambiate che forse è meglio dimenticare»,38 come consigliava nel ventennale della liberazione il direttore de «Il Nostro Tempo», per lasciare spazio al compianto, al ricordo della sofferenza che accomunava vincitori e vinti. Era riconosciuto il valore dei partigiani, il loro «dolore cosciente e combattente per fare libera l’Italia», ma, allo stesso tempo, si puntualizzava che «non siamo noi a scagliare pietre di accusa contro nessuno dell’altra parte della trincea se la sua buona fede gli fu ideale sino alla morte».39 Anche il quindicinale «Adesso», più vicino di altre testate cattoliche agli ideali resistenziali, ridimensionò il contributo portato sul piano militare dai partigiani, pure da quelli cattolici, e all’interno di articoli rievocativi della lotta di liberazione ribadì, insieme alla propria opzione antifascista, anche quella anticomunista. Nella visione della stampa cattolica, la «buona fede» dei fascisti (anche di coloro che, dopo l’8 settembre 1943, aderirono alla fallimentare avventura della Repubblica sociale italiana) sollevava i singoli dalla responsabilità morale delle azioni compiute, anche se tale giustificazione 36 37 38 39

Recensione a A. Ascarelli, Le Fosse Ardeatine, CC, a. 98, vol. II, 7 giugno 1947, p. 460. G. Grosso, Testimonianze, NT, 31 maggio 1947, p. 2. C. Chiavazza, La Resistenza vent’anni dopo, NT, 25 aprile 1965, p. 1. Ibid.

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lasciava spazio a fraintendimenti40 e ad assoluzioni politiche, ora involontarie, ora nascoste, quando non esplicitamente dichiarate. Si assisteva ad una confusione di piani (che aveva origini lontane e applicazioni recenti in campo cattolico) che avvicinava ambiguamente assoluzione religiosa della colpa individuale e giudizio politico sulle scelte dei fascisti.

I cattolici italiani e le identità della repubblica tra memoria del fascismo e lotta al comunismo L’analisi dei giornali cattolici durante vent’anni di storia repubblicana offre la possibilità di studiare da un punto di vista particolare ma significativo le complesse dinamiche di memoria, rimozione e smemoratezza che interessarono la rievocazione del fascismo da parte del cattolicesimo italiano nel dopoguerra. È però possibile andare oltre questo primo livello di analisi e tentare di delineare, proprio partendo dall’esame dei giudizi su fascismo, antifascismo e resistenza, quale ruolo la Chiesa immaginava di poter ricoprire nella società italiana dopo il 1945. Un ulteriore livello di analisi, infine, può introdurre una riflessione più generale sulla funzione svolta dal cattolicesimo italiano nella costruzione dell’identità postfascista e, poi, repubblicana della nazione. 1. Memoria, rimozione, smemoratezza La memoria del fascismo costituì per la Chiesa cattolica uno specchio opaco in cui si sovrapponevano immagini del passato e disegni per il futuro. Il risultato fu una «memoria grigia»,41 come è stata definita, che tendeva ad affondare in un’uniforme e uggiosa nebbia la rievocazione di fatti e personaggi. Furono diversi gli accenti e gli argomenti utilizzati dalle diverse tendenze presenti nel cattolicesimo italiano, in parte rappresentate dai giornali considerati in questa ricerca. Ma cangianti furono anche le intenzioni che guidarono i giornali lungo i vent’anni considerati. Proprio considerando le intenzioni che accomunarono le diverse testate è possibile proporre una periodizzazione che, ad una prima e breve fase (che terminò prima della fine dei governi di unità nazionale nel 1947) in cui la stampa cattolica propose una timida rivendicazione del contributo dei cattolici alla sconfitta del fascismo, ne seguì una seconda (che giunse sino all’inizio degli anni Sessanta, quando si costituirono i primi governi di centrosinistra) durante la quale i giornali scelsero generalmente di mantenere un tono fermo ma, allo stesso tempo, dimesso, attraverso il quale furono soprattutto sottolineate la validità del Concordato e la fedeltà alla patria dimostrata dai cattolici italiani. L’ultimo periodo fu caratterizzato da alcuni timidi tentativi di rielaborare la memoria e l’oblio del fascismo e della resistenza, tentativi che coincisero non soltanto con il mutato clima politico del paese, ma con le 40 41

Cfr. Oltre la fazione, AD, 1 aprile 1950, p. 5. Cfr. F. De Giorgi, La repubblica grigia. I cattolici e l’educazione alla democrazia nel secondo dopoguerra, in: Fare l’italiano repubblicano, «Annali di storia dell’educazione e delle istituzioni scolastiche», 8/2001, pp. 9–42.

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trasformazioni interne al cattolicesimo indotte dal Concilio Vaticano II (1962– 1965). Molti temi continuavano a essere lasciati in ombra, ma cominciavano ad emergere alcuni precisi segnali di una nuova consapevolezza e della necessità di ripensare in maniera diversa il proprio passato. La «memoria grigia» del cattolicesimo italiano aveva molteplici ragioni. Da un lato, non si voleva rammentare in maniera circostanziata le scelte compiute dalle istituzioni ecclesiastice durante il ventennio fascista perché era necessario passare il più possibile sotto silenzio la vicinanza con il regime che, nell’Italia repubblicana, risultava più opportuno non sottolineare. Dall’altro lato, rievocare con troppa enfasi l’opposizione di alcuni cattolici al regime o la partecipazione di credenti alla resistenza rischiava di avvicinare eccessivamente la Chiesa al fronte antifascista considerato saldamente guidato dal Partito comunista. Per questo motivo, i giornali cattolici scelsero spesso di rappresentare la lotta resistenziale attraverso l’atto eroico individuale oppure il martirio del singolo sacerdote o militante dell’Azione cattolica, tralasciando di sottolineare (anche quando vi era stata) la dimensione comunitaria, collettiva, di quella partecipazione. 2. Passato e presente La trasmissione della memoria da parte dei giornali cattolici aveva la funzione non soltanto di ricostruire una certa immagine dei passati rapporti delle istituzioni ecclesiastiche con il fascismo e la resistenza, ma di comunicare – innanzitutto ai fedeli – l’identità e il ruolo della Chiesa nell’Italia repubblicana. I giornali cattolici – proprio per la loro diffusione e capillarità – furono strumenti privilegiati di tale costruzione identitaria, veicoli potenti di creazione di un legame con il passato per legittimare le scelte presenti. Nel dopoguerra, la Chiesa si autorappresentò come istituzione popolare, vicina alla gente anche nei passati momenti di sofferenza, e si propose come l’interprete più autorevole dell’Italia, delle sue aspirazioni e dei suoi sentimenti più profondi; la stampa cattolica ricordò il ruolo di supplenza che la Chiesa aveva svolto nel periodo in cui erano caduti nel discredito i riferimenti politici della nazione e delle comunità locali (la monarchia, Mussolini, il fascismo, vecchi e nuovi notabili…) per rivendicare la propria capacità di guida delle sorti della nazione; la gerarchia ecclesiastica (simboleggiata dal pontefice, ma rappresentata dalle migliaia di parroci presenti in tutto il territorio nazionale) era mostrata quale garante della continuità della storia italiana e quale riferimento imprescindibile per guidare il Paese uscito dalla guerra. L’Italia cattolica degli anni Trenta descritta dalla stampa religiosa del dopoguerra appariva stranamente simile a quella degli anni Cinquanta, una cartolina stereotipata e continuamente riprodotta, capace di trasmettere un’immagine compattamente uniforme della Chiesa italiana, ugualmente vicina al papa, ugualmente preoccupata delle sorti della patria, ugualmente custode dell’autentica anima della nazione. La riconciliazione nazionale e l’amor di patria, puntualmente ricordati dalla stampa cattolica, erano considerati tra gli strumenti più efficaci per ricostruire l’unità del Paese messa in pericolo dalle lacerazioni prodotte dalla guerra di liberazione, fratture che si riteneva si fossero ulteriormente approfondite nell’Italia repubblicana a causa degli appelli alla lotta di classe lanciati dai partiti di sinistra. Opposizione al «materialismo ateo», battaglia per la civiltà cristiana,

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esortazioni alla pacificazione nazionale e richiami al patriottismo italiano si sovrapponevano e si confondevano nell’anticomunismo dei cattolici che su questa giustapposizione di piani fondarono una parte notevole del loro successo politico. Rapidamente dimenticata la questione istituzionale e la scelta tra monarchia e repubblica del 2 giugno 1946, la Chiesa italiana apparve preoccupata di difendere le posizioni sino ad allora acquisite (e formalmente sancite dal Concordato del 1929) e di conquistare nuovi spazi di influenza all’interno della società e della politica italiana. La memoria cattolica del fascismo – trasmessa anche attraverso la stampa – fu per lungo tempo funzionale a questo disegno di riconquista cristiana della società che univa capacità di mobilitazione delle masse, intransigente avversione al comunismo e collateralismo con la classe politica di governo. 3. La repubblica dei cattolici Il cattolicesimo italiano svolse un indubbio ruolo nella costruzione dell’identità repubblicana della nazione, a volte al di là delle intenzioni dei vertici ecclesiastici, dei dirigenti delle associazioni laicali, dei suoi referenti politici e dei suoi organi di stampa, e con riflessi che arrivano sino ai nostri giorni. In sintesi, legittimando se stessa all’interno dell’Italia repubblicana, la Chiesa legittimò non soltanto l’appartenenza dei cattolici alla vita nazionale, ma, in maniera più ampia, legittimò il nuovo ordine democratico sorto dalla lotta antifascista. La classe politica repubblicana era consapevole dell’apporto che la Chiesa cattolica poteva fornire alla rifondazione della nazione e, allo stesso tempo, la gerarchia ecclesiastica percepiva chiaramente che il progetto di ricostruzione cristiana della società italiana poteva essere intrapreso soltanto attraverso la promozione delle nuove istituzioni della nazione. La Chiesa ambiva a costruire una «nazione cattolica», rivendicando su basi soltanto parzialmente mutate rispetto agli anni precedenti il rapporto privilegiato con lo Stato, e per questo scopo era disposta ad alimentare la consonanza tra fede cristiana degli italiani e amor di patria dei cattolici. I vertici cattolici, preoccupati di marcare le distanze dalle sinistre che avevano raccolto una parte notevole di consenso popolare rivendicando la propria partecipazione alla guerra di liberazione, elaborarono un discorso pubblico sulla cittadinanza repubblicana (o, più sommessamente, una dottrina sociale ad uso degli italiani) che tendeva a distaccarsi nettamente dalla retorica resistenziale e dal mito antifascista. Anche su questo punto, la convergenza con il gruppo dirigente democristiano fu ampia e continua, seppure, su questo tema, restino ancora da indagare le linee di continuità e i punti di rottura tra magistero ecclesiastico e scelte del partito cattolico. L’invito alla riconciliazione nazionale e il ricordo dei morti di tutte le parti in nome dell’universalismo cristiano, atteggiamenti dei quali si fece interprete la stampa cattolica, permettevano alla Chiesa italiana di far dimenticare, almeno in parte, le ambiguità del suo passato recente e soprattutto di interpretare la volontà di riscatto nazionale e di rinascita morale del Paese. L’ambivalenza di tale atteggiamento non sfuggiva agli esponenti cattolici più critici verso le scelte ufficiali della Chiesa italiana: secondo questi gruppi cattolici – comunque marginali all’interno del cattolicesimo italiano – sostituire al «paradigma antifascista» utilizzato dalle sinistre il «paradigma anticomunista» non faceva altro che allontanare

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il momento della piena pacificazione del Paese e scavava fossati più profondi tra coloro che avevano combattuto insieme, seppur per un tempo limitato, per la causa della democrazia. Sentimento nazionale e principi cristiani, in ogni caso, furono continuamente coniugati dalla stampa cattolica di ogni tendenza, proprio perché ritenuti insieme componenti il bagaglio ideale del fedele cattolico e, quindi, del cittadino leale. Ma questi stessi temi erano variamente modulati dalle diverse «anime» del cattolicesimo italiano. Molta parte dei discorsi pubblici delle istituzioni cattoliche su fascismo, antifascismo e resistenza faceva leva su riferimenti al sacro, su rituali di commemorazione, su ideali, miti e simboli nazionalreligiosi, quasi per proporre il cattolicesimo come la religione civile degli italiani, alcuni (come «La Civiltà Cattolica») privilegiando i rapporti diretti tra i vertici ecclesiastici e quelli dello Stato, altri (come «Il Nostro Tempo») sollecitando l’opera di mediazione della Democrazia cristiana. Allo stesso tempo, frange minoritarie di credenti (in parte rappresentate dalle posizioni di «Adesso») erano sempre più consapevoli che l’«epoca della cristianità» stava definitivamente tramontando e che, nell’«epoca della secolarizzazione», bisognava interrogarsi sulla maniera di costruire una nazione in un mondo che era «uscito da Dio». La Chiesa cattolica riuscì, almeno in parte, a traghettare se stessa e una parte notevole degli italiani nella repubblica, offrendo un senso di continuità con il passato e un’identità largamente condivisa che le forze politiche protagoniste dalla lotta resistenziale non erano in grado di dare. L’identità cattolica della nazione, prima ancora che dai cambiamenti politici degli anni Sessanta e Settanta, fu però messa in crisi dalle tensioni alimentate dai diffusi fenomeni di secolarizzazione. Comportamenti individuali, mentalità collettive, modelli di consumo e di vita indotti dalla «grande trasformazione» innescatasi negli anni Cinquanta (soprattutto a seguito della massiccia urbanizzazione e del rapido sviluppo economico) rendevano inadeguato – perché irreale – il progetto di «nazione cattolica» e, al tempo stesso, richiedevano a tutte le componenti della società italiana – Chiesa cattolica compresa – di elaborare una nuova «religione civile degli italiani». Nello snodo cruciale degli anni Settanta, tra crisi economica, emergenza terroristica e inediti equilibri politici, il ruolo della Chiesa cattolica apparve, seppur ancora autorevole, più defilato e marginale: altri attori avevano assunto il ruolo di protagonisti sulla scena pubblica e tentavano, con difficoltà, di rinnovare il legame tra gli italiani e le istituzioni repubblicane.

Filippo Focardi

Die Erinnerung an den Faschismus und der »Dämon der Analogie«1

Die Erinnerung an den Faschismus und der »Dämon der Analogie«

I.

Das öffentliche Bild vom Faschismus

In einer Umfrage vom Januar 2002 wurden italienische Jugendliche nach ihrem Urteil über den Faschismus befragt. 71% äußerten sich negativ, 24% positiv, 5% hatten keine Antwort. Fast genauso war das Resultat bei der Frage nach Mussolini: 73% bewerteten ihn negativ, 25% positiv, 2% gaben keine Antwort. Dieselbe Frage wurde dann in Bezug auf Hitler gestellt und, wie zu erwarten und zu erhoffen gewesen war, äußerten sich 96% der Befragten negativ, 3% positiv, 1% hatte keine Antwort parat. Die Befragung wirft ein Licht auf den deutlichen Unterschied zwischen dem Urteil, das junge Italiener über Hitler (und vermutlich auch über den Nationalsozialismus) abgeben, und ihrem Urteil über den italienischen Faschismus und den Duce. Wie alle Befragungen sollte auch die zitierte mit Vorsicht betrachtet werden. Dennoch glaube ich, daß ein Umstand deutlich wird, den man beachten sollte. Es zeigt sich, daß Italien sich noch nicht wirklich mit der eigenen faschistischen Vergangenheit auseinandergesetzt hat, so daß unter den italienischen Jugendlichen ein abgemildertes, abgeschwächtes Bild vom Faschismus verbreitet ist, das sich klar von dem finsteren Bild vom Nationalsozialismus unterscheidet. Die Haltung der Jugendlichen überrascht nicht. Tatsache ist, daß der Unterschied zwischen den beiden wichtigsten Faschismen, dem italienischen und dem deutschen, von den Massenmedien seit Jahren mit Nachdruck betont wird, wobei eine Darstellung des italienischen Faschismus überwiegt, die diesen als »velleitario« präsentiert, das heißt, als ebenso »zaghaft« wie »anmaßend«, als einen rhetorischen Autoritarismus, als eine irgendwie letztlich harmlose, vom brutalen, blutigen Naziregime radikal verschiedene Diktatur. Woher stammt diese vage, wohlwollende Erinnerung an den Faschismus, den selbst Silvio Berlusconi bedenkenlos als »gutmütige Diktatur«2 bezeichnet hat? Ich glaube, daß dieses Bild vom Faschismus an das dämonische Bild vom Natio1

2

Dieser Beitrag wurde auf Italienisch veröffentlicht unter dem Titel La memoria del fascismo e il «demone dell’analogia» in der Zeitschrift »Storia e Regione«, Heft 2/2004, S. 55– 74. Interview mit Boris Johnson und Nicolas Farrell vom britischen »The Spectator« vom 27. 08. 2003. Veröffentlicht am 12. 09. 2003. Vgl. G. Luzzi, Berlusconi choc su Mussolini, in: »La Repubblica« vom 12. 09. 2003 sowie P. Franchi, Cavaliere, ripassi un po’ di storia, in: »Il Corriere della Sera« vom 13. 09. 2003.

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nalsozialismus gekoppelt ist und daß diese Korrelation in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückreicht, oder besser gesagt, daß sie zurückgeht auf die Art und Weise, in der Italien in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Erfahrung von faschistischem Regime und Zweitem Weltkrieg verarbeitet hat. Wie wir aus Untersuchungen über internationale Beziehungen wissen, besitzen große Kriege einen »konstituierenden Effekt« für die Weltordnung. Aber sie beeinflussen auch andere Sphären erheblich. Zum Beispiel ändern und strukturieren Kriege die Selbstwahrnehmung von Völkern ebenso wie die Wahrnehmung ihrer Gegner und Alliierten. Oft wird das Bild, das ein Volk von sich selbst hat, durch die Gegnerschaft zu einem anderen Volk definiert: Indem das Antlitz des Feindes gezeichnet wird, beschreibt jeder sich selbst, sein eigenes Bild. Dies läßt sich meines Erachtens besonders gut auf die Beziehung zwischen Italienern und Deutschen nach dem Krieg übertragen. Der identitätsstiftende Kollektivmythos vom sogenannten »anständigen Italiener« hat sich in Italien nach dem Krieg in Abgrenzung zum Bild vom »bösen Deutschen« durchgesetzt, und ist teilweise in diesem Sinne bewußt konstruiert worden. Dasselbe gilt für die Gegenüberstellung von Faschismus und Nationalsozialismus, die oben erwähnt wurde. Sie entstammt der Darstellung der beiden Regime in der unmittelbaren Nachkriegszeit – sowohl durch die antifaschistische Kultur in ihren unterschiedlichen Spielarten, als auch durch jene Kultur, die man postfaschistisch oder antiantifaschistisch nennen kann.3

II. Der Krieg und die Unterscheidung zwischen Faschismus und Nationalsozialismus Die erste klare Unterscheidung zwischen Faschismus und Nationalsozialismus stammt aus der antifaschistischen Kultur. Sämtliche antifaschistische Parteien, von den Liberalen bis zu den Kommunisten, die vom Frühjahr 1944 bis zum Mai 1947 regierten, waren sich einig in dem politischen Ziel, daß Italien keinen Straffrieden erhalten solle. Italien hatte mehr als drei Jahre lang gemeinsam mit Nazideutschland gekämpft. Es hatte die Invasion erlebt und war zur Kapitulation gezwungen worden. Trotz der »Mit-Kriegsführung« (cobelligeranza) an der Seite der Alliierten und trotz der Resistenza galt Italien in den Augen der Alliierten als feindliche Nation, die besiegt war und strengen Waffenstillstandsbestimmungen unterlag. Dieser Situation entstammte auf italienischer Seite das Bedürfnis der neuen antifaschistischen Führungsschicht, das Land zu beschützen, indem man die Gefahr eines »Cartago-Friedens« verhinderte, wie ihn die Alliierten auf Deutschland anzuwenden gedachten. Die antifaschistische Führungsriege war sich einig in der Überzeugung, daß die internationale Situation Italiens sehr pro3

Vgl. S. Lupo, Antifascismo, anticomunismo e anti-antifascismo nell’Italia repubblicana, in: Antifascismo e identità europea, hg. von A. De Bernardi und P. Ferrari, Carocci, Rom 2004, S. 365–378.

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blematisch sei, und dies beeinflußte nachhaltig die Art und Weise, in der der Antifaschismus seine eigene »Erzählung« von der Erfahrung mit 20 Jahren faschistischer Diktatur und Weltkrieg erarbeitete. Die verschiedenen antifaschistischen Kräfte stimmten in dem Wunsch überein, das Schicksal ihres Landes von demjenigen Hitlerdeutschlands abzutrennen. Sie waren in dem Wunsch geeint, die italienische Verantwortung für den Krieg der Achsenmächte gegen die Alliierten von der deutschen Schuld zu unterscheiden. Hieraus resultiert die Tendenz, die italienische Erfahrung mit der deutschen zu vergleichen und sie ihr gegenüberzustellen – sei es hinsichtlich des Charakters der beiden Systeme, sei es hinsichtlich des Verhaltens von Italienern und Deutschen während des Kriegs. Es ist klar, daß erhebliche Unterschiede zwischen den Diktaturerfahrungen in Deutschland und in Italien bestanden hatten. Gleiches läßt sich für die Kriegführung beider Länder sagen. Von diesem Standpunkt aus gaben die Männer des Antifaschismus lediglich ein politisch legitimes und historisch begründetes Urteil ab. Das zentrale politische Anliegen aber, das eigene Land zu schützen, brachte sie dazu, die Unterscheidungsmerkmale zwischen Faschismus und Nationalsozialismus stärker zu betonen als die Gemeinsamkeiten der beiden Diktaturen. Erste Überlegungen betrafen den Ursprung von Faschismus und Nationalsozialismus. Eine gewichtige Stimme kam von dem hochangesehenen Intellektuellen Benedetto Croce, der Zugang zur New York Times und zur Times hatte. Croce gilt als der Erfinder der Theorie vom »Faschismus als Episode«, gemäß welcher der Faschismus in Italien eine Art mehrjährige »Vergiftung« gewesen war: eine Art »Intervall« innerhalb einer Geschichte, die eigentlich im Zeichen der entgegengesetzten Tradition stand, die von lateinischer Zivilisation, RenaissanceHumanismus und liberalem Risorgimento geprägt war. Croce entwickelte seine Geschichtsdeutung des Faschismus kontrastiv zu seiner Interpretation vom Nationalsozialismus als »Offenbarung«. Das heißt, er stellte dem Faschismus, der angeblich in Italien keinerlei Wurzeln besaß, den Nationalsozialismus gegenüber, der als »Offenbarung« einer jahrtausendealten Geschichte Deutschlands präsentiert wurde. Die Wurzeln dieser Geschichte reichten zurück bis zur Niederlage des Varus gegen Arminius im Jahr 9 nach Christus. Hier lag der Grund dafür, daß das Land nie romanisiert worden war.4 Die deutsche Geschichte war Croce zufolge dadurch charakterisiert, daß ihr der Freiheitssinn fehlte, während sie umgekehrt durch den Kult der Macht und des unbedingten Gehorsams gegenüber der Autorität geprägt war. Dieser unterschiedliche historisch-kulturelle Hintergrund erklärte seines Erachtens die unterschiedliche kriminelle Tendenz der beiden Regime ebenso wie die Tatsache, daß diese im Nationalsozialismus viel deutlicher und verheerender zum Ausdruck kam. Croces Einlassungen waren nicht die unbeteiligten Überlegungen eines Intellektuellen. Hier ging es wiederum um das Bedürfnis, die Zukunft des besiegten Italien zu sichern. Es ist kein Zufall, daß er seine Überlegungen in politischen Diskursen 4

Vgl. B. Croce, Il dissidio spirituale della Germania con l’Europa, Laterza, Bari 1944.

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entfaltete, die sich an die Alliierten richteten, wie in dem wichtigen Beitrag vom September 1944, in dem er forderte, Italien solle nicht für den verlorenen Krieg bestraft werden, sondern solle gleichrangig als Alliierter in den Kreis der Sieger aufgenommen werden, die die Bedingungen für den zukünftigen europäischen Frieden festlegen würden.5 Croce behauptete damals mit Nachdruck, man könne Italien mit seiner Kultur der Stadtrepubliken und mit Camillo Cavour nicht auf die gleiche Stufe wie Deutschland mit Bismarck, Wilhelm II. und Hitler stellen. Diese Betrachtungsweise, die die unterschiedlichen historischen Ursprünge von Faschismus und Nationalsozialismus betonte, wurde auch von der katholischen Kirche vertreten, die in diesem Punkt mit der liberalen Kultur à la Benedetto Croce übereinstimmte, der sie traditionell kritisch gegenüberstand.6 Gemäß der Anschauung katholischer Kreise hatte der Faschismus in Italien seine totalitären und kriminellen Möglichkeiten nicht ausgelebt, weil er von einem gesunden kulturellen Ethos gebremst und behindert worden war, das, von der griechisch-lateinischchristlichen Tradition geprägt, der deutschen »heidnischen Barbarei« diametral gegenüberstand, die den Nationalsozialismus hervorgebracht hatte. So hatte der katholische französische, in Italien stark rezipierte Philosoph Jacques Maritain gesagt, der Faschismus sei ein »vom Katholizismus gebremster Totalitarismus« gewesen.7 Mit dem rassistischen Neuheidentum des Hitlerregimes hatte er also nichts zu tun. Eine ähnliche Deutung pflegte auch die marxistische Kultur, wenngleich sie eine Vorstellung vom Faschismus hatte, die sich stark von derjenigen Croces und der Katholiken unterschied: Faschismus und Nationalsozialismus galten als analoge Phänomene, als klassenspezifische Reaktion im Kapitalismus. Auch die marxistische Kultur betonte die Unterschiede zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland. In Deutschland wog demnach die antidemokratische Tradition schwer. Zu ihrer rassistischen und antisemitischen Virulenz gab es in Italien nichts Vergleichbares. Im Gegenteil: In Italien waren »Antikörper« aktiv geblieben, die die Entfaltung des Faschismus behindert hatten. Es ist interessant zu sehen, wie der Führer der Italienischen Kommunistischen Partei, Palmiro Togliatti, in einer Rede in Moskau gegen Ende des Jahres 1943 für die Beschreibung der Beziehung zwischen dem italienischen Volk und dem Faschismus zur Verteidigung der Italiener dieselben Argumente einsetzte wie der Liberale Benedetto Croce.8 Togliatti behauptete nämlich, der Faschismus sei deshalb nicht in die Herzen der Italiener eingedrungen, weil er in Italien auf »tiefverwurzelte Traditionen« gestoßen sei, »die mit der gesamten Entwicklung

5 6 7 8

Vgl. B. Croce, L’Italia nella vita internazionale, in: B. Croce, Scritti e discorsi politici (1943–1947), Bd. I, Laterza, Bari 1963, S. 97–116. Vgl. A. Giovagnoli, La cultura democristiana, Rom – Bari 1991, S. 105–123. Vgl. J. Maritain, Umanesimo integrale, Studium, Rom 1949, S. 221. Die französische Erstausgabe stammt von 1936. Vgl. P. Togliatti, L’Italia e la guerra contro la Germania hitleriana, in: Opere, hg. von F. Andreucci und P. Spriano, Bd. IV-2: 1935–1944, Editori Riuniti, Rom 1979, S. 378–379.

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der italienischen Kultur verbunden« seien. Zu diesen zählte er »Roms Zivilisation, die katholische Kultur, die Renaissance, das Risorgimento [hier betonte er die Tradition von Mazzini und Garibaldi] und schließlich die Arbeiterbewegung«. Die antifaschistische Kultur war sich auch einig, daß der Faschismus keine eigene Ideologie hervorgebracht hatte. Sie setzte den faschistischen Nationalismus herab und machte ihn ebenso lächerlich wie die tönende, hohle, oberflächliche RomIdeologie. Sie überführte den Korporativismus als substanzlos und falsch; mit anderen Worten: sie entlarvte die Darstellungen, die der Faschismus von sich selber hatte geben wollen. Die Selbstdarstellung des Nationalsozialismus als eine durch die rassistische, antisemitische Ideologie geeinte Volksgemeinschaft wurde hingegen übernommen. Während die Italiener als zutiefst unempfänglich gegenüber dem Faschismus dargestellt wurden, dem sie nur eine oberflächliche Zustimmung gewährt hatten, weil sie halt um des materiellen Überlebens willen dazu gezwungen waren, wurde ein Bild der Deutschen gezeichnet, das diese als fanatische Überzeugungstäter und Anhänger des Nationalsozialismus und ihres Führers zeigte. Sowohl Benedetto Croce als auch der kommunistische Intellektuelle Ranuccio Bianchi Bandinelli sagten es so: Die Italiener »spielen« Faschisten, die Deutschen »sind« Nazis.9 Einen grundlegenden Unterschied zwischen faschistischer und nationalsozialistischer Ideologie sah man im Antisemitismus. Die Einführung der Rassengesetze in Italien im Jahre 1938 erschien als eine Maßnahme, die von Hitlerdeutschland dem italienischen Volk gegen dessen Willen aufgezwungen worden war. Dieses hatte seine wahren Gefühle bei der Unterstützung der verfolgten jüdischen Mitbürger gezeigt.10 Ein solches Verhalten wurde zudem als weiterer Beweis für die Feindseligkeit angeführt, mit der die Italiener dem Faschismus gegenübergestanden hatten. Im Gegensatz dazu wissen wir heute, daß es in Wirklichkeit keine direkte Einwirkung Deutschlands bei der Einführung der antisemitischen Gesetzgebung in Italien gegeben hat. Im Gegenteil, was den schulischen Bereich betrifft, war man in Italien den deutschen Gesetzen sogar voraus. Und wir wissen heute auch, wie stark sich die diskriminierende Gesetzgebung durchgesetzt hat und wie effizient sie bei der Verfolgung war. Tatsächlich ist sie mit der freiwilligen Beihilfe vieler Italiener, Intellektueller, Funktionäre und einfacher Bürger zustande gekommen, die zu Denunzianten und Nutznießern wurden.11 Unter den Italienern, die sich gerne als »brava gente«, als »anständige Leute« sehen, gab es durchaus auch »mala gente«. Ohne Frage war die Praxis der Verfolgung der Juden in

9 10

11

Vgl. B. Croce, a.a.O., S. 21–22 sowie R. Bianchi Bandinelli, Dal diario di un borghese e altri scritti, Mondadori, Mailand 1948, S. 70. Vgl. F. Focardi, Alle origini di una grande rimozione. La questione dell’antisemitismo fascista nell’Italia dell’immediato dopoguerra, in: »Horizonte. Italianistische Zeitschrift für Kulturwissenschaft und Gegenwartsliteratur«, IV/1999, S. 135–170. Vgl. M. Sarfatti, Gli ebrei nell’Italia fascista. Vicende, identità, persecuzione, Einaudi, Turin 2000.

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Deutschland, speziell in ihrer letzten Phase, anders und einzigartig; dennoch ist die antisemitische Ideologie des Faschismus kein bloßes »Importprodukt«. Auch sie gründete sich auf einen biologischen Antisemitismus, besaß starke autochthone Wurzeln im Antijudaismus katholischer Prägung und in den vom Regime geförderten, sogenannten »italischen Rassewissenschaften«. Der Unterschied zwischen faschistischem Regime und NS-Herrschaft wurde von der antifaschistischen Kultur nicht zuletzt auf Unterschiede im Charakter der beiden Völker zurückgeführt. Unterfüttert wurde diese Annahme auch von jenen kulturellen Strömungen, die sich nicht an Benedetto Croces »Intervalltheorie«, sondern an den Deutungen von Pietro Gobetti und den Brüdern Carlo und Nello Rosselli orientierten, die also den Faschismus als eine Art »Autobiographie« der italienischen Nation lasen, das heißt als Ergebnis historischer, speziell im Charakter seiner Bewohner begründeter Fehler Italiens. So wurde etwa dargelegt, daß der Faschismus an die Macht gelangt war, indem er bestimmte negative Merkmale der Italiener ausgenutzt hatte, wie zum Beispiel das ausschließliche Interesse für das jeweils eigene, partikulare Gut, den Opportunismus sowie den Mangel an Staatsbewußtsein. Gleichzeitig wurde allerdings auch Wert auf die Feststellung gelegt, daß es eben diese Eigenschaften gewesen waren, die den totalitären Druck des Faschismus gebremst hatten. Die Italiener als »Volk von Individualisten« kümmerten sich um sich selbst und hatten sich deshalb dem vollständigen Durchgriff der faschistischen Herrschaft widersetzt. In Deutschland hingegen hätten sich die Nationalsozialisten nicht nur die negativen Eigenschaften der Deutschen (blinden Gehorsam, Furor und kriegerischen Geist) zu Nutze machen können, sondern auch die positiven (Opferbereitschaft, Ordnungssinn, Gesetzestreue und organisatorische Fähigkeiten). So konnten sie ein kompaktes, aggressives, totalitäres Regime schaffen, das in Italien keine Entsprechung fand. Klare Unterschiede ergaben sich bei der Darstellung der beiden Führer. Hitler wurde als Reinkarnation des Antichristen beschrieben: ein Verrückter, grausam, wahnsinnig, sexuell pervers. Eine solch dämonische Darstellung ging auf Hermann Rauschnings Gespräche mit Hitler zurück: Das Buch erschien unter dem Titel Hitler mi ha detto (»Hitler hat mir gesagt«) in italienischer Übersetzung 1945, war aber bereits vorher durch die französische Ausgabe von 1939 bekannt und übte in Italien großen Einfluß aus. Die gesamte antifaschistische Kultur übernahm dieses Bild von Hitler als blutrünstigem, verrücktem, unbarmherzigem Antichristen. Mussolini hingegen wurde als Glücksritter gesehen, als eitler Hanswurst, Möchtegern-Cäsar, als listiger Manipulator der Massen ohne eigenes authentisches politisches Konzept, dabei stets imstande, sich aus unvorhergesehenen Situationen herauszuwinden, aber meilenweit entfernt von den verbrecherischen Vorhaben, dem Wahnsinn und der Grausamkeit Hitlers, für den er nichts weiter gewesen war als ein angepaßter, unterwürfiger Diener. Während Hitler mit fürchterlichen, berüchtigten Gestalten wie Nero oder Dschingis Khan verglichen wurde, blieb für Mussolini nur der Vergleich mit italie-

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nischen Volkstribunen wie Masaniello oder Cola di Rienzo, die nur für kurze Zeit in Erscheinung getreten waren. Hitler war die große tragische Figur, Mussolini lediglich Komparse in einem Melodram. Diese Urteile wurden in antifaschistischen Tageszeitungen und Zeitschriften verbreitet und sollten die Figur Mussolinis, die in Italien noch wenige Monate zuvor durch den Faschismus mythisch besetzt gewesen war, diskreditieren und lächerlich machen. Letztlich aber schufen sie, wie Alessandro Campi gezeigt hat,12 einen abwegigen Antimythos, der die historische Figur Mussolinis als Führer einer modernen, totalitären Diktatur verkannte.

III. Italienische Verdienste und deutsche Schuld Die Unterschiede zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, zwischen Italienern und Deutschen, so wie die antifaschistische Kultur sie dargestellt hatte, schienen durch den Verlauf des Zusammenbruchs der beiden Regime nachdrücklich bestätigt zu werden. Da war auf der einen Seite Italien mit der Resistenza und dem 25. April 1945, der siegreichen Volkserhebung gegen den »Nazifaschismus«. Auf der anderen Seite stand das Ende des Reiches nach Nibelungenart, bei dem die Deutschen bis zum Ende um den Führer geschart blieben, der sich im brennenden Berlin das Leben nahm. Das Finale der beiden Diktaturen schien den Unterschied zwischen Italien und Deutschland zu besiegeln: klare Trennung zwischen Volk und Faschismus im Fall Italiens, untrennbare Einheit von Volk und »Drittem Reich« im Fall Deutschlands. Immerhin sollte daran erinnert werden, daß der italienische Antifaschismus, besonders auf Seiten der marxistischen Linken, auch eine differenziertere Deutung des Nationalsozialismus entwickelt hatte, die versuchte, zwischen NS-Regime und deutschem Volk zu unterscheiden.13 So hatte beispielsweise der Sozialistenführer Pietro Nenni mehrfach von der Existenz eines »anderen Deutschland«, eines demokratischen Deutschland, gesprochen, das nicht Komplize, sondern Opfer des Nationalsozialismus sei.14 Solche Zugeständnisse gegenüber den Deutschen nahmen jedoch mit Kriegsende ab. Unter dem Eindruck der Ereignisse übernahm fast die gesamte antifaschistische Kultur in Italien die Idee von der deutschen Kollektivschuld. Gegen die Treue der Deutschen zum Nationalsozialismus hob sich das andersartige Verhalten der Italiener um so deutlicher ab. Viele Vergehen des italienischen Faschismus wurden, wie gesagt, verschwiegen oder drastisch heruntergespielt. Die italienische Teilnahme am Krieg wurde als Resultat des Willens von Mussolini allein interpretiert, der sich auf eine Handvoll »Schwarzhemden« gestützt hatte, die gierig darauf bedacht waren, die Früchte des 12 13 14

A. Campi, Mussolini, Il Mulino, Bologna 2000. Vgl. F. Focardi, L’Italia antifascista e la Germania (1943–1945), in: »Ventesimo Secolo«, V/13, Januar–April 1995, S. 121–155. Vgl. P. Nenni, Capitolazione senza condizioni, in: »Avanti!«, 18. 01. 1945.

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Sieges an der Seite des übermächtigen Deutschland zu ernten. Der Duce allein hatte demnach das Land in einen von den Italienern »nicht gewollten und nicht gewünschten« Krieg gerissen. Italien wurde also als schwaches Opfer von Mussolini und den Deutschen dargestellt. Wir wissen jedoch, daß dieses Urteil historisch nicht zutrifft. Beträchtliche Teile des italienischen Volkes befürworteten den Krieg an der Seite der Deutschen und glaubten an einen raschen Sieg. In einem Interview vor ein paar Jahren erinnerte der kommunistische Widerstandskämpfer Antonio Giolitti, der später ein wichtiger Funktionär der Sozialistischen Partei und Kabinettsmitglied war, daran, daß im Moment des italienischen Kriegseintritts im Juni 1940 der Glaube an einen raschen Sieg der Achsenmächte weit verbreitet war: »In der Straßenbahn in Turin hieß es, daß wir Weihnachten in den französischen Bergen Skilaufen würden.«15 Viele glaubten also an einen leichten Erfolg und unterstützten daher in unbedachter, opportunistischer Oberflächlichkeit den Eintritt in den Krieg, den das Regime beschlossen hatte. Die Verschleierung oder Minimierung der italienischen Schuld am Krieg der Achsenmächte ging einher mit der Feier der Verdienste aus der Zeit nach dem 8. September 1943 im Kampf gegen den »gemeinsamen deutschen Feind« und den »faschistischen Verräter«. Die antifaschistische Kultur beschrieb den italienischen Widerstand als Massenphänomen, das das gesamte italienische Volk erfaßt habe. (Un popolo alla macchia lautete der Titel des berühmten Buchs des Kommunisten Luigi Longo, was man mit »Ein Volk geht in den Widerstand« übersetzen könnte.16) Italien erschien als ein Land, in dem von 1922 an die Rebellion unter der Asche geschwelt hatte, das die faschistische Unterdrückung ertragen, aber einen allgemeinen Aufstand entfesselt hatte, kaum daß das Regime schwankte. Auch dies war eine Betrachtungsweise, die eine sehr viel komplexere Wirklichkeit verkannte, sei es hinsichtlich der Jahre des faschistischen Regimes, sei es für die Zeit nach dem 8. September 1943, als sich das Land gespalten hatte und ein Bürgerkrieg unter den Italienern ausgebrochen war. Allerdings gab es zahlreiche politische Motive für diese Lesart. Sie war bereits nach dem Waffenstillstand favorisiert worden, um das Land für den Krieg gegen die deutschen »Unterdrücker« zu mobilisieren und um der Propaganda der republikanisch-faschistischen Regierung von Salò entgegenzutreten, welche die Italiener dazu aufforderte, weiter an der Seite der Deutschen zu kämpfen, um dem Bündnis treu zu bleiben, das der König und Badoglio verraten hatten. Überdies bestand ein Bedürfnis nach Legitimierung für die einzelnen antifaschistischen Kräfte, die eine Kontinuitätslinie zogen zwischen der antifaschistischen Opposition aus der Zeit vor dem Krieg und dem Widerstand, dessen Protagonisten sie nun waren. Auf diese Weise sollte ihr Anspruch auf eine Führungsrolle bekräftigt werden. Eine wichtige Rolle spielte außerdem, wie wir gezeigt haben, das Bedürfnis, die nationalen Interessen des eigenen, besiegten Landes wahrzunehmen.

15 16

Interview mit dem Autor im Jahre 1997. Verlegt von Mondadori 1947.

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Es sei außerdem nicht vergessen, daß das »antifaschistische Narrativ« lediglich die Themen der Propaganda der Alliierten aufgriff und weitertrug. Die Unterscheidung zwischen Italienern und Deutschen und die Vorstellung, daß die Vergehen des Krieges Mussolini anzulasten seien und nicht dem italienischen Volk, waren nämlich typische Themen der englischen, amerikanischen und sowjetischen Propaganda. Sie waren seit Kriegsbeginn eingesetzt worden, um die innere Front ins Wanken zu bringen und Italien vom deutschen Verbündeten zu trennen. Nach dem Waffenstillstand von 1943 nahmen die italienischen Antifaschisten ebenso wie das Rumpfkönigreich in Süditalien lediglich die Themen auf, die die Italiener Tag für Tag über Radio London oder Radio Moskau gehört hatten und noch weiterhin hörten.

IV. »Anständige Italiener« und »böse Deutsche« Ein anderer Aspekt, der betont wurde, um das italienische Verhalten vom deutschen zu unterscheiden, betraf die Kriegführung in den besetzten Gebieten, auf dem Balkan und in der Sowjetunion. Man versuchte, sämtliche Verbrechen auf die Deutschen zu schieben, die tatsächlich in größerem Umfang und schwerer wiegende Verbrechen als die Italiener begangen hatten; aber sie hatten sicher nicht alle Verbrechen der Achsenmächte alleine begangen. Dem Bild vom »bösen Deutschen«, der der übelsten Grausamkeiten schuldig war, wurde das Bild vom »guten Italiener« gegenübergestellt, der großzügig Juden gerettet hatte und stets bereit gewesen war, der Bevölkerung in den von ihm selbst besetzten Ländern zu Hilfe zu eilen.17 Indem man das gesamte Verbrechen den Deutschen anlastete, wurde die Verantwortung der Italiener für die zahllosen Verbrechen in Albanien, Jugoslawien, Griechenland und noch zuvor in Äthiopien verdrängt. Es waren Verbrechen, die denjenigen ähnelten, die die Deutschen in Italien begangen hatten: Aktionen gegen die Partisanen durch Niederbrennung von Dörfern, Verschleppung der Bevölkerung, Erschießungen als Vergeltungsmaßnahme. In diesem Prozeß, bei dem die schwere italienische Mitverantwortung auf die Deutschen »abgeschoben« oder verschleiert wurde, taten sich besonders die Krone, das militärische Establishment und die gemäßigten Kräfte des Antifaschismus (Liberale und Christdemokraten) hervor. Ihr Anliegen war es, die Straflosigkeit der Schuldigen sicherzustellen. Auch die Linken trugen mit dazu bei. Wohl versuchte die antifaschistische Linke in einem ersten Moment, zwischen Mitte 1944 und Beginn 1945, die italienischen Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen auf die Anklagebank zu bringen, allen voran Generäle wie Mario Roatta und Funktio-

17

Vgl. F. Focardi, »Bravo italiano« e »cattivo tedesco«: riflessioni sulla genesi di due immagini incrociate, in: »Storia e memoria«, V/1, erstes Halbjahr 1996, S. 55–83 sowie La memoria della guerra e il mito del »bravo italiano«: origine e affermazione di un autoritratto collettivo, in: »Italia Contemporanea«, Nr. 220–221, September–Dezember 2000, S. 393–399.

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näre der faschistischen Verwaltung.18 Sie besaßen jedoch dazu nicht genügend politische Macht, und der Versuch lief ins Leere. Die zeitweilige Besetzung von Triest und von Teilen Julisch-Venetiens durch Jugoslawien (Mai–Juni 1945) weckte auch auf der Linken den Instinkt zur Verteidigung der nationalen Interessen und machte sie sensibel für die antijugoslawische Stimmung in der öffentlichen Meinung, die durch die ersten Nachrichten über die Ermordung von Italienern in den Karsthöhlen alarmiert war. Angesichts der Gefahr, die wichtigen Teilen des nationalen Staatsgebietes drohte, und angesichts des in der Bevölkerung wachsenden Ressentiments gegen Tito ließ die Entschlossenheit der Linken merklich nach, gegen die Kriegsverbrecher vorzugehen, deren Überstellung vor allem Jugoslawien forderte. Die Unterscheidung zwischen »anständigem Italiener« und »bösem Deutschen« wurde auch von der antifaschistischen Linken übernommen. Im Gegensatz zu den Parteien der politischen Mitte hatte die Linke sich mit Schuldzuweisungen an die italienischen Truppen nie zurückgehalten, sie jedoch ausschließlich den »Schwarzhemden« und einigen Militärbeamten zugeschrieben, die versucht hätten, die Deutschen zu »imitieren«. Der gemeine Soldat wurde als Opfer dieses »nicht gewollten« Krieges gesehen, der ohne ausreichende Ausrüstung auf der falschen Seite gekämpft hatte. Sehr nachsichtig dargestellt, oft unter Vernachlässigung der historischen Wahrheit, schien er letztlich frei von Schuld für die von den Italienern begangenen Kriegsverbrechen. Man betonte die von den Soldaten bewiesene Solidarität mit den Völkern der besetzten Länder auf ihrem Weg »vom Besatzer zum Partisanen«. Es war ein Weg, der in Wirklichkeit nur von wenigen eingeschlagen wurde, die sich dem jugoslawischen oder griechischen Widerstand anschlossen und fortan gegen die ehemaligen deutschen Kameraden kämpften. Wir wissen heute, daß ein Großteil der Verbrechen nicht von fanatisierten »Schwarzhemden«, sondern von einfachen Männern des königlichen Heeres verübt wurde. Dasselbe galt für die deutschen Kriegsverbrechen, die nicht ausschließlich der SS, sondern auch der Wehrmacht angelastet werden müssen.

V. Faschismus und Nationalsozialismus in der postfaschistischen Kultur Die Gegenüberstellung von Faschismus und Nationalsozialismus wurde auch von der postfaschistischen Kultur aufgegriffen. Diese Kultur stand dem Antifaschismus, wie er von den Nationalen Befreiungskomitees vertreten wurde, skeptisch gegenüber. Sprachrohr dieser postfaschistischen Kultur waren die Tageszeitungen »Il Tempo« von Renato Angiolillo und »Uomo qualunque« (Otto Normalverbraucher oder Der Durchschnittsbürger). Sie gaben weiten Teilen der öffentlichen 18

Vgl. F. Focardi, L’Italia fascista come potenza occupante nel giudizio dell’opinione pubblica italiana: la questione dei criminali di guerra (1943–1948), in: »Qualestoria«, Nr. 1, Juni 2002, S. 157–183.

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Meinung eine Stimme, vor allem in Mittel- und Süditalien, wo nationalistische und nostalgische Gefühle gegenüber dem Regime fortbestanden und wo man dem faschistischen Regime in erster Linie vorwarf, den falschen Bündnispartner gewählt und den Krieg geführt und verloren zu haben.19 Der wichtigste Interpret dieser Deutungstendenz war zweifellos Indro Montanelli. Von seinem ersten Buch über den Faschismus aus dem Jahr 1947, dessen Titel man mit »Mussolini als anständiger Kerl« übersetzen könnte (Il buonuomo Mussolini), bis zum letzten Artikel seiner Rubrik »La stanza di Montanelli« in der Zeitung »Il Corriere della Sera« schrieb der toskanische Journalist eine Art Roman über den Faschismus, den er als ein sanftes Regime, einen gutmütigen, paternalistischen Autoritarismus beschrieb, der durchaus seine Verdienste habe, so die Wiederherstellung der Ordnung nach der bürgerkriegsähnlichen Zeit Anfang der Zwanziger Jahre oder das unermüdliche Engagement zugunsten der Modernisierung des Landes, das dank Faschismus endlich über »pünktliche Züge«, trockengelegte Sümpfe und unerschrockene Atlantikpiloten verfügte. Auch Montanelli griff bei seiner Beschreibung des Faschismus häufig auf den Vergleich mit dem Nationalsozialismus zurück. Ebenso wie die Kultur des Antifaschismus unmittelbar nach dem Krieg leugnete Montanelli entschieden die Existenz eines faschistischen Antisemitismus, der als eine bloße »Imitation« des wahnsinnigen nationalsozialistischen Antisemitismus der Deutschen dargestellt wurde. »Der Rassismus ist was für die Blonden, hat mir Mussolini gesagt« – so lautete der vielsagende Titel eines seiner Beiträge für den »Corriere della Sera«.20 Außerdem hat Montanelli immer starrsinnig den kriminellen Charakter der faschistischen Politik geleugnet; so hat er sich beispielsweise stets geweigert, zuzugeben, daß von italienischer Seite im Abessinienkrieg chemische Waffen eingesetzt worden sind, – was das italienische Verteidigungsministerium offiziell bestätigt hat. Auch Montanelli hat Mussolini und Hitler stark voneinander abgegrenzt und deren unterschiedliche Profile mit der jeweiligen Ausprägung der beiden Regime verknüpft: Demnach war das faschistische Regime demagogisch und »marktschreierisch«, der Nationalsozialismus dagegen barbarisch und totalitär. Montanelli steht auch für die in der postfaschistischen Kultur verbreitete Tendenz, den Faschismus zum »Mussolinismus« umzuinterpretieren, das heißt, die faschistische Ära mit der Mussolinis gleichzusetzen. Der »erzitalienische« Mussolini wird als Verkörperung aller Stärken und – vor allem – aller Schwächen der Italiener gesehen: gewitzt, eitel, rhetorisch, großsprecherisch. Ein Mann also, der ein Regime schaffen konnte, das den Italienern entsprach: voller Rhetorik, anmaßend und verzagt zugleich, aber nicht gewalttätig. Diese Sichtweise des Duce und des Faschismus stand und steht weiterhin in enger Beziehung mit dem anhaltenden morbiden Interesse der Massenmedien für das Privatleben Mussolinis – seine Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern, zu seiner Geliebten Claretta 19 20

Vgl. A. M. Imbriani, Vento del Sud. Moderati, reazionari, qualunquisti (1943–1948), Il Mulino, Bologna 1996. Vgl. die Ausgabe der Zeitung vom 2. 4. 1997.

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Petacci und zu seinem Schwiegersohn Ciano. Eine kontinuierliche Flut von Enthüllungen und Gerüchten zweifelhafter Glaubwürdigkeit hat zu einer regelrechten »intimistisch-familiären Banalisierung Mussolinis«21 geführt. Natürlich entsprangen (und entspringen) die Anstrengungen, die die postfaschistische Kultur unternahm, um die Unterschiede zwischen Faschismus und Nationalsozialismus hervorzuheben, anderen Gründen als die Intentionen der antifaschistischen Kultur: Es ging darum, zu zeigen, daß der Faschismus alles in allem ein »menschliches« Regime und daher weniger verwerflich als der Nationalsozialismus gewesen ist. Diese Interpretation trug dazu bei, die Schuldgefühle vieler Italiener, die Faschisten gewesen waren, zu mildern oder zu tilgen.

VI. Die »Untugend« des Vergleichs und De Felices Interpretation des Faschismus In der unmittelbaren Nachkriegszeit hat sich also in Italien eine merkwürdige, eigentlich »unnatürliche« Konvergenz zwischen der antifaschistischen und der postfaschistischen popularisierenden Geschichtserzählung ergeben, wobei man letztere auch als anti-antifaschistisches Narrativ bezeichnet hat. Diese beiden Narrative wichen in einigen grundsätzlichen Fragen voneinander ab, wie der Frage nach dem Grad des Konsenses, den das faschistische Regime in der italienischen Bevölkerung erzielt hatte: Die Antifaschisten bestritten stets, daß es solch einen Konsens gegeben habe, während die Postfaschisten behaupteten, es habe eine kompakte, totale Zustimmung zum Faschismus seitens der Bevölkerung bestanden. Beide Großerzählungen waren aber vereint in dem, was man die »Untugend des Vergleichs« nennen könnte, oder was David Bidussa effektvoll als »Dämon der Analogie«22 bezeichnet hat. Das heißt, die Gewohnheit, den Faschismus ausschließlich über den Maßstab des Nationalsozialismus zu definieren und zu bewerten. Diese Untugend hat unweigerlich dazu geführt, daß ein alles in allem mildes Bild des faschistischen Regimes verbreitet wurde. Der auch in Deutschland sehr bekannte, 1996 verstorbene Mussolini-Biograph Renzo De Felice hat diese Auslegung des Faschismus übernommen und seinem Interpretationsmodell den Vergleich im Sinne einer Gegenüberstellung von Faschismus und Nationalsozialismus zugrundegelegt: Er betonte die Unterschiede zwischen den beiden Phänomenen, ja behauptete sogar deren »vollkommene Geschiedenheit«. Für ihn befand sich Italien »außerhalb des Schattenkegels des Holocaust«. Er hat die Bedeutung der faschistischen Gewalt innerhalb und außerhalb Italiens geringer eingestuft und hat dabei die Grenzen des totalitären Projekts des italienischen Faschismus im Vergleich zur totalitären Wirklichkeit des Dritten Reichs betont. Damit hat De Felice eine historiographische Deutung vorgelegt, die deshalb erfolgreich war, weil sie sich im Einklang mit einem Urteil 21 22

Vgl. A. Campi, a.a.O., S. 44. Vgl. D. Bidussa, Il mito del bravo italiano, Il Saggiatore, Mailand 1996, S. 75.

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befand, das in seinem Kern (Unterscheidung/Gegenüberstellung von Faschismus und Nationalsozialismus) von der antifaschistischen wie von der postfaschistischen Kultur geteilt wurde und damit der Mehrheit der Italiener bestens vertraut war. Nicht zufällig war es dieses Kernelement in De Felices Interpretation, also die Unterscheidung zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, das am nachdrücklichsten von den Massenmedien aufgegriffen und verbreitet wurde. Seit Mitte der 70er Jahre machte sich eine Reihe eifriger Journalisten und Publizisten in den Zeitungen und im Fernsehen breit – »Illustriertenhistoriker« oder »Talk-ShowHistoriker« hat man sie kritisch genannt23 – und unterstützte, neben dem Meister Montanelli, eine revisionistische, zweifellos erfolgreiche Erzählung von der italienischen Vergangenheit, die sich auf die bekannten Klischees gründete und den Faschismus als Operettenregime beschrieb. Noch im Jahr 2000 lockte ein Buch mit dem Titel »An Mussolinis Hof«. »Industriebosse, Abenteurer, schöne Frauen und Bauernmädchen« erschienen als dessen Protagonisten. Hier wurde erneut die Idee vom »widerwillig faschistischen« Duce kolportiert, den Hitler gezwungen habe, die italienischen Bürger jüdischen Bekenntnisses für vogelfrei zu erklären.24

VII. Neue Geschichtsschreibung und öffentliche Rede in Berlusconis Italien In den letzten 20 Jahren hat sich die akademische Geschichtsschreibung in die entgegengesetzte Richtung entwickelt und wesentliche Fortschritte bei der Faschismusforschung gemacht. Dies gilt sowohl für die Historiographie im Sinne Renzo De Felices als auch für die Richtung seiner Gegner, wobei dies eigentlich missverständliche Kategorien sind. Denn längst befaßt sich auch die antifaschistische Geschichtsschreibung nachdrücklich mit der Frage nach der »Zustimmung der Bevölkerung zum Regime«, die lange Zeit und teils noch bis heute ein schwerverdauliches Tabu war. Im 2002 erschienenen »Faschismuslexikon«25 des (linken) Verlags Einaudi findet sich dazu ein ausgewogener, scharfsinniger Artikel. In den letzten Jahren sind auch bedeutende Fortschritte bei der Erforschung des faschistischen Antisemitismus als italienischem Phänomen (und nicht länger als deutschem Importgut) gemacht worden. Zudem hat man wichtige Aspekte des faschistischen Imperialismus untersucht,26 und zum ersten Mal wurde die Frage nach den faschi23 24

25 26

Vgl. S. Luzzatto, La crisi dell’antifascismo, Einaudi, Turin 2004. Gemeint sind Arrigo Petacco, Antonio Spinosa, Mario Cervi oder Roberto Gervaso. Vgl. A. Spinosa, Alla corte di Mussolini. Capitani d’industria, avventurieri, belle donne e massaie rurali, Mondadori, Mailand 2000, und A. Spinosa, Mussolini razzista riluttante, Mondadori, Mailand 2000 (erste Ausgabe: Bonacci, 1994). Dizionario del fascismo, vol. I; hg. von V. De Grazia, S. Luzzatto, Einaudi, Turin 2002, S. 347–352. Vgl. z.B. E. Collotti, Fascismo e politica di potenza. Politica estera 1922–1939, La Nuova Italia, Mailand 2000.

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stischen Konzentrationslagern gestellt.27 Jüngere Historiker haben wichtige Untersuchungen über ein bisher wenig erforschtes Thema wie das der Besatzungspolitik des faschistischen Italiens während des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht.28 In den Blick genommen wurden ebenfalls die Kampfbünde (der »Squadrismo«),29 die Organisation des Polizeiapparats30 und die Organisation von Schule und Kultur.31 Zahlreiche Studien sind zur faschistischen Ideologie erschienen, wobei hier vor allem die Forschungsergebnisse von Emilio Gentile32 hervorzuheben sind. Die Fortschritte der Geschichtsschreibung, die den Faschismus nicht länger aus ideologisch geprägtem Blickwinkel betrachtet, spiegeln sich jedoch nicht in der Urteilsfähigkeit der öffentlichen Meinung wider. Gerade Emilio Gentile hat die überhandnehmende »rückwirkende Defaschistisierung« in den Massenmedien gebrandmarkt, welche den Faschismus allenfalls als »ein unangenehmes, aber nicht verachtenswertes Regime«33 darstellen. Gentile hat Wissenschaftler und Medienleute unterschiedlicher Couleur ermahnt, den Faschismus als totalitären Versuch mit eigenen Charakteristika ernst zu nehmen und ihn nicht länger als blasse Kopie des Nationalsozialismus darzustellen. Gentile hat auch an einige weniger bekannte Schriften Renzo De Felices erinnert, in denen dieser seine vorherigen Stellungnahmen korrigierte, den totalitären Charakter des Faschismus unterstrich und die Notwendigkeit betonte, nicht mehr auf »abstrakte Modelle« zurückzugreifen, »die den Totalitarismus mit dem Maß des Nationalsozialismus oder des Stalinismus definieren«.34

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Vgl. C. S. Capogreco, I campi del duce. L’internamento civile nell’Italia fascista (1940– 1943), Einaudi, Turin 2004; I campi di concentramento in Italia. Dall’internamento alla deportazione (1940–1945), hg. von C. Di Sante, Angeli, Mailand 2001. Vgl. D. Rodogno, Il nuovo ordine mediterraneo. Le politiche di occupazione dell’Italia fascista in Europa (1940–1943), Bollati Boringhieri, Turin 2003; L. Santarelli, Il sistema dell’occupazione italiana in Grecia. Aspetti e problemi di ricerca, in: Annali dell’Istituto milanese per la storia dell’età contemporanea, della resistenza e del movimento operaio, 5, Angeli, Mailand 2000, S. 365–379; L. Santarelli, Fra coabitazione e conflitto: invasione italiana e popolazione civile nella Grecia occupata (primavera–estate 1941), in: »Qualestoria«, Jahrgang XXX, Nr. 1, Juni 2002, S. 143–155. Vgl. z.B. für den Bereich der Lokalgeschichte G. Albanese, Alle origini del fascismo. La violenza politica a Venezia 1919–1922, Il Poligrafo, Padua 2001, und allgemein M. Franzinelli, Squadristi. Protagonisti e tecniche della violenza fascista 1919–1922, Mondadori, Mailand 2003. Vgl. z.B. M. Canali, Le spie del regime, Il Mulino, Bologna 2004. Vgl. z.B. M. Galfrè, Una riforma alla prova. La scuola media di Gentile e il fascismo, Angeli, Mailand 2000, und L. La Rovere, Storia dei Guf, Bollati Boringhieri, Turin 2003. Vgl. E. Gentile, Le origini dell’ideologia fascista, Laterza, Rom – Bari 1974; E. Gentile, Il mito dello Stato nuovo, Laterza, Rom – Bari 1982; E. Gentile, Il culto del littorio, Laterza, Rom – Bari 1993. Vgl. das Simonetta Fiori gegebene Interview in »La Repubblica« vom 12. 9. 2004 mit dem Titel »Dai revisionisti bugie sul regime«. Vgl. E. Gentile, Renzo De Felice. Lo storico e il personaggio, Laterza, Rom – Bari 2003, S. 107–111. Das Zitat De Felices ist folgendem Werk entnommen: R. De Felice, Le fasci-

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Wie gesagt entspricht diesen historiographischen Fortschritten bislang noch keine neue Ausrichtung der öffentlichen Meinung. Es hat sich im Gegenteil die Tendenz zur »Defaschistisierung des Faschismus« einschließlich der Verdrängung von dessen krimineller Seite in den letzten Jahren gefährlich in Richtung einer schleichenden Rehabilitation der faschistischen Zeit eingestellt. Dies begann mit der Mitte-Rechts-Regierung unter Silvio Berlusconi, vor allem nach dem zweiten Wahlsieg im Jahr 2001. Die Partei Alleanza Nazionale (AN) hat mit Unterstützung der anderen Parteien des Regierungsbündnisses unter Berlusconi auf institutioneller Ebene eine besonders aktive Erinnerungspolitik betrieben. Auf kommunaler Ebene sind große Anstrengungen für neue Straßennamen unternommen worden. Mittlerweile finden wir überall in Italien Straßen, Plätze und öffentliche Bauwerke, die faschistischen Politikern gewidmet sind. In L’Aquila wurde ein städtisches Schwimmbad nach Adelchi Serena benannt, einem Parteisekretär der Faschistischen Partei. In einer Kleinstadt in der Provinz Catania (Sizilien) wurde vorgeschlagen, eine Straße »Mussolini statista« (»Staatsmann Mussolini«) zu nennen, was dank des Einspruchs des Präfekten verhindert werden konnte. An der Strandpromenade von Bari wurde eine Bronzestatue in Erinnerung an Araldo di Crollalanza errichtet, einen bekannten Parteifunktionär. Auch in Fernsehsendungen finden sich beunruhigende Signale. Das staatliche italienische Fernsehen RAI hat mit großem Pomp die Verleihung des »Giorgio Almirante-Preises« übertragen – in Erinnerung an den legendären Sekretär des Movimento sociale italiano (Italienische Sozialbewegung), der auch in der Faschistischen Republik von Salò Funktionär und dort für die Judenverfolgung mitverantwortlich war. Die Hauptausgabe der Fernsehnachrichten der RAI brachte im November 2003 einen langen Bericht, in dem es um den Besuch einiger römischer jüdischer Studenten im römischen Stadtviertel »EUR« ging, das unter dem Faschismus errichtet worden war. Mit leuchtenden Augen brachten die Jugendlichen ihre Überraschung zum Ausdruck: Sie hatten nicht gewußt, daß der Faschismus so schöne, moderne Bauwerke errichtet hatte, die damals zur Avantgarde gehörten. Die Tatsache, daß hier junge Vertreter der jüdischen Gemeinde, die 1938 Opfer der faschistischen Verfolgung gewesen war, sprachen, sollte, so die offensichtliche Absicht der Redaktion, das positive Urteil der Jugendlichen über den Faschismus noch verstärken. Dies war natürlich die perfekte Ergänzung zur Linie der Versöhnung mit Israel, die vom Vorsitzenden der Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, angeführt wurde, der nur wenig später zu einem historischen Besuch nach Tel Aviv flog (2003). Bei dieser Gelegenheit verurteilte Fini die »infamen Rassengesetze des Faschismus« – eine lobenswerte Geste, die jedoch weit davon entfernt war, eine ernsthafte Reflexion innerhalb seiner Partei über die gesamte Erfahrung des Faschismus in Gang zu bringen. Sie diente vielmehr dazu, das Gewissen oberflächlich zu beruhigen, um anschließend sofort lautstark vom politischen Gegner zu verlangen, die Verbrechen des Kommunismus aufzuarbeiten. Die aggressive sme. Un totalitarisme à la italienne?, Fondation Nationale des Sciences Politiques, Paris 1988.

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Schlacht um die Erinnerung, die in den Jahren zuvor begonnen hatte, wurde also von Neuem im großen Stil geführt. Die Regierung hat auch im Parlament intensiv in diesem Sinne gearbeitet. So gab der Senat 2004 grünes Licht für einen von der Alleanza Nazionale vorgelegten Gesetzesentwurf, der für die Kämpfer der Faschistischen Sozialrepublik die Anerkennung als Soldaten (belligeranti, »Kriegführende«) vorsieht. (Gleichzeitig wurden die Fonds für die Resistenza drastisch gekürzt35). In den letzten Jahren beschloss das Parlament die Einführung von zwei »Tagen der Erinnerung«: der eine dient der Erinnerung an die italienischen Opfer der Shoa, der andere den Märtyrern der Foibe, also den im grenznahen Karstgebiet ermordeten und verscharrten Personen, und den aus Istrien und Dalmatien vertriebenen Italienern. Als Datum für den ersten »Tag der Erinnerung« wurde der 27. Januar gewählt, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Zu Recht hat man diesbezüglich kritisch von einem »Akt der Feigheit« gesprochen: Man hat nämlich vermieden, ein Datum zu wählen, das an die faschistische Judenverfolgung36 erinnert, und hat stattdessen ein – sicherlich sehr bedeutsames – Datum gewählt, das allerdings auf eine fast ausschließlich deutsche Verantwortung verweist. Abgesehen davon enthält der Gesetzestext zum »Tag der Erinnerung« den ausdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit, an diejenigen Italiener zu erinnern, die »sich dem Vernichtungsprojekt entgegengestellt haben«. Dieser Wunsch wurde gern und prompt erfüllt, wie die Fülle an Artikeln über Giorgio Perlasca beweist, der Tausende ungarische Juden gerettet hat und über den ein sehr erfolgreicher Fernsehfilm gedreht wurde. Perlasca und weitere anständige und mutige »Judenretter« wie er verdienen sicherlich jegliche Dankbarkeit und ein würdiges, unvergängliches Gedenken. Zu häufig jedoch werden diese Beispiele für »gute Italiener« von den rechten Parteien instrumentalisiert (Perlasca war ein überzeugter Faschist), um das Ausmaß der antisemitischen Verfolgung durch das MussoliniRegime zu überdecken. Diskutabel sind auch die Wahl und der Gebrauch des Datums, 10. Februar, zur Erinnerung an die Opfer der Foibe (Karsthöhlen) und an die italienischen Vertriebenen aus Istrien und Dalmatien: Denn am 10. Februar 1947 wurde der italienische Friedensvertrag unterzeichnet, mit dem der vom Faschismus gewollte Krieg formal endete, der großes Leid über die Nation gebracht hatte. In der Berichterstattung der Medien anläßlich dieses Gedenktages kam nicht zum Ausdruck, daß der Verlust italienischer Gebiete und die damit verbundene Vertreibung von Zehntausenden Italienern die Konsequenz des vom Faschismus verursachten Krieges war. Auch der Eifer, mit dem die Mitte-Rechts-Regierung unter Berlusconi an die italienischen Opfer der jugoslawischen Gewalttaten erinnerte, entsprach in keiner Weise der Erinnerung an die zuvor begangenen Verbrechen der italienischen Besatzungsmacht in eben diesen Gebieten. 35 36

Vgl. Riconoscimento ai militi di Salò niente soldi per la Resistenza, »La Repubblica«, 20. 5. 2004. Vgl. den Leserbrief von Claudio Giusti, veröffentlicht in der Ausgabe von »La Repubblica« vom 12. 1. 2003.

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Ein neuer Faktor, der auf die Erinnerung an den Faschismus in Italien einwirken könnte, ist die veränderte Haltung der europäischen und internationalen öffentlichen Meinung in den letzten Jahren. Bis heute war jede kritische Aufmerksamkeit hinsichtlich des Umgangs mit der Erinnerung an die Vergangenheit auf Deutschland gerichtet, das mit Skepsis beobachtet wurde, in der Angst, hier könne von Neuem eine nationalistische Gefahr entstehen. Auch dank dieses Drucks hat Deutschland mutig und sorgfältig die eigene nationalsozialistische Vergangenheit aufgearbeitet und ein kritisches Bewußtsein entwickelt, das südlich des Brenners keine Entsprechung findet. Italien hat keine solche Aufmerksamkeit mit Blick auf seine faschistische Vergangenheit auf sich gezogen. Im Gegenteil wurde Italien sogar in seiner bequemen Selbstwahrnehmung, zu der das Bild vom letztlich harmlosen Faschismus und von den »anständigen« Italienern gehörte, unterstützt. Viele Historiker – von Daniel Carpi bis Jonathan Steinberg37 – haben die Verdienste der Italiener bei der Verteidigung der Juden während des Zweiten Weltkriegs betont. Auch viele Kinofilme haben ein friedfertiges, leicht spöttisches Bild der Italiener im Zweiten Weltkrieg gezeichnet: Es sind Bilder, die dem folkloristischen Stereotyp des ein wenig heruntergekommenen Soldaten entsprechen, dem seine Familie über alles geht, oder dem Bild vom ewigen Spielmann oder romantischen Latin Lover, wie im Film Corellis Mandoline, der auf einem englischen Erfolgsroman beruht. Diese Situation scheint sich nun zu ändern. Während Berlusconis zweiter Amtszeit als Regierungschef haben die europäischen und amerikanischen Medien begonnen, mit besorgtem Interesse zu beobachten, wie Italien mit seiner faschistischen Vergangenheit umgeht. Die Medien hegten Mißtrauen gegenüber einem Kabinett, dessen Chef die Regeln der demokratischen Kontrolle lästig waren und das von der post-faschistischen Partei Alleanza Nazionale und der rassistischethnizistisch geprägten Partei Lega Nord unterstützt wurde. In den ausländischen Medien und in der öffentlichen Meinung wurde eine gewisse Furcht laut – weniger vor einem möglichen Wiederaufkommen des Faschismus (was 60 Jahre nach dessen definitivem Scheitern auszuschließen ist), als vielmehr davor, daß sich ein neues, beunruhigendes politisches Phänomen durchsetzt, das sich auf einen modernen nationalistischen, charismatischen Populismus gründet. So veröffentlichte der »International Herald Tribune« wenige Tage nach Berlusconis unvorsichtigen, allarmierenden Aussagen über den »gutmütigen« Diktator Mussolini, der »nie jemanden ermordet« habe und der »die Leute in die Verbannung in den Urlaub geschickt«38 habe, einen Artikel über das Lager von Arbe,39 eines der größten italienischen Internierungslager in Kroatien, wo Tausende jugoslawischer

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Vgl. D. Carpi, Between Mussolini and Hitler: Jews and the Authorities in France and Tunisia, University of New England, Hannover/London 1994; J. Steinberg, All or nothing. The Axis and the Holocaust 1941–1943, Routledge, London 1990. Vgl. G. Luzzi, a.a.O. Vgl. Survivors of war camp lament Italy’s amnesia, in: »International Herald Tribune«, 29. 10. 2003.

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Bürger – auch Frauen und Kinder – an Krankheit und Entbehrung starben (gesichert ist die Zahl von 1500 Personen, aber Schätzungen gehen von mindestens doppelt so vielen Todesfällen aus). Daneben recherchierten die BBC und Zeitungen wie »The Guardian« zur »Rückkehr des Faschismus«40 in Italien und führten Interviews mit nostalgischen, in Schwarzhemden gekleideten Besuchern der Geburtsstadt des Duce, Predappio, die sich dort zuhauf treffen. Auch die Rolle Deutschlands hat sich gewandelt. Die Bundesrepublik, die früher aufgrund ihrer Vergangenheit unter besonderer Beobachtung stand, ist nun das Land, das am sorgfältigsten über Italien wacht und die Rückkehr der Schatten der faschistischen Vergangenheit anprangert. Bezeichnend für die Haltung Deutschlands ist zum Beispiel der Artikel, den »Die Zeit« im Zuge der Ereignisse des G8-Gipfels in Genua im Juli 2001 veröffentlicht hat, als sich Polizisten der Gewalttätigkeit gegen junge Protestler schuldig gemacht haben.41 Der Titel des Artikels lautete: »Schaut auf dieses Land«; eine großformatige Abbildung zeigt einen italienischen Polizisten in Schutzkleidung, der brutal einen jungen Demonstranten am Boden hält. Im Inhaltsverzeichnis wird der Leser vor der drohenden »Rückkehr des autoritären Staats in Italien« gewarnt. In der deutschen Presse findet man häufig Artikel zur nicht ausreichend erfolgten italienischen Bewältigung der faschistischen Vergangenheit. Auch meine eigenen Arbeiten über die mangelnde Bestrafung der italienischen Kriegsverbrecher haben in Deutschland die größte Resonanz gefunden, und es sind große Artikel zu diesem Thema in renommierten Tageszeitungen, wie der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«44 und der »Süddeutschen Zeitung«45 erschienen. Aber weder die Fortschritte in der Geschichtsschreibung noch die Kritik der ausländischen Medien haben Einfluß auf die öffentliche Meinung in Italien. Ein kritisches Bewußtsein der Italiener bezüglich der faschistischen Vergangenheit Italiens ist noch keine Realität geworden. Noch immer spielt der »Dämon der Analogie« zum Nationalsozialismus die dominante Rolle. Es ist zu hoffen, daß die Italiener möglichst bald das bequeme Alibi vom »bösen Deutschen« aufgeben und sich ernsthaft, ohne Heuchelei, den dunklen Seiten ihrer Geschichte stellen, die bislang verdrängt oder versteckt worden sind.

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Vgl. z.B. K. Goldberg, Italians struggle with Mussolini legacy, in: BBC News, 24. 11. 2002. Vgl. U. Ladurner, Schaut auf dieses Land, in: »Die Zeit«, 2. 8. 2001. Vgl. J. Petersen, Nürnberg, aber wo liegt es?, in: »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 25. 8. 20001. Vgl. W. Schieder, Die römische Werwölfin, in: »Süddeutsche Zeitung«, 7. 1. 2002.

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Instrumente zur Förderung von Geschichtsbildern: Mahn- und Gedenkstätten sowie Museen Instrumente zur Förderung von Geschichtsbildern

Kultur ist ohne Geschichte undenkbar. Eine Gesellschaft ohne Geschichtsbewußtsein gleicht einer amorphen Masse. Sie steht in Gefahr, entweder permanenter Hysterie oder dumpfer Indolenz zu verfallen. Kurzum: Es fehlt ihr an Maßstäben und Orientierungspunkten. Erst der Blick in die Geschichte macht aus Menschen soziale Wesen, die um ihre Leistungsfähigkeit aber auch um ihre potentiellen Abgründe wissen. Der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker hat es einmal auf den Punkt gebracht: »Was den Menschen auszeichnet, ist nicht, daß er Geschichte hat, sondern daß er etwas von seiner Geschichte begreift.« Und – so ist hinzuzufügen –, daß er aus der Erkenntnis Konsequenzen zieht für sein Handeln.

I. Staatliche Förderung des Geschichtsbewußtseins unterliegt einem ständigen Reflexionsprozeß. Wie viel Erinnerung braucht der Mensch? Wie viel Geschichte braucht der Staat? Wer ist für Geschichtspolitik zuständig, wer daran beteiligt? Diesen Fragen müssen sich die »Experten« des kulturellen Gedächtnisses immer wieder stellen. In einem demokratischen Staat konkurrieren verschiedene Parteien, Gruppen und Institutionen um öffentliche Anerkennung ihrer Geschichtsbilder und -deutungen. Auch die staatlichen Kulturträger beteiligen sich an diesem Wettbewerb, dessen Debatten um historische Inhalte in erster Linie von gegenwärtigen Interessen bestimmt sind. Staatliche Geschichtspflege kommt den Bedürfnissen der Menschen nach, ihre eigene Herkunft zu kennen, historische Entwicklungsstränge zu verstehen, traumatische Ereignisse zu verarbeiten und Gründungsgeschichten der sie umgebenden Institutionen zu feiern. In der Erinnerung an die Vergangenheit wird Gegenwart gestaltet, werden Zukunftsvisionen formuliert. Zur permanenten Arbeit am kulturellen Gedächtnis gehört es, Gedenkstätten und Gedächtnisorte zu unterstützen, kollektive Symbole zu bestimmen und öffentliche Räume für Auseinandersetzungen über das kollektive Geschichtsbild bereitzustellen. Wichtige Instrumente in diesem Zusammenhang sind Publikationen und Museen, die – sei es als Angebote zur Orientierung, sei es als Anlaß zum Widerspruch – in die Gesellschaft wirken. In der Bundesrepublik ist die staatliche Erinnerungskultur und Geschichtspolitik föderal und pluralistisch organisiert – soweit sich in diesem Zusammenhang Organisationen und Zuständigkeiten definieren lassen. Die formalen Hauptzuständigkeiten liegen jedenfalls bei den Ländern und Gemeinden, die mehr als 90 Prozent

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aller Kulturausgaben tragen. Aber auch im Bundeshaushalt sind in der Titelgruppe »Pflege des Geschichtsbewußtseins« bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zahlreiche Institutionen versammelt, deren Aufgabe in der Erforschung und Vermittlung unserer Vergangenheit besteht. Das Spektrum reicht vom Bundesarchiv mit seinen diversen Außenstellen über die Museen (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Deutsches Historisches Museum Berlin, Jüdisches Museum Berlin, Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst oder die Vertriebenenmuseen nach Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes) und Ausstellungshäuser (Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland oder Martin-Gropius-Bau) bis hin zur Ottovon-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh und zur Zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in der Neuen Wache in Berlin. Für die vielen Gedenkstätten für die Opfer von NS-Terrorherrschaft und SED-Diktatur als authentische Orte der Erinnerung hat der Kulturstaatsminister 1999 ein neues Förderungskonzept entwickelt. Nicht zuletzt ihrer eigenen Geschichte nimmt sich die Bundesrepublik in besonderer Form an – ganz im Sinne der trotzigen Vorbemerkung, die die renommierten Herausgeber der bahnbrechenden fünfbändigen »Geschichte der Bundesrepublik Deutschland« ihrem opus magnum 1983 mit auf den Weg gaben: »Wie sehr sie sich dagegen gesträubt hat, die Bundesrepublik Deutschland hat eine Geschichte, und diese soll erzählt werden. Sowohl die Älteren, die sie miterlebt, wie die Jüngeren, die sie geerbt haben, sollen erfahren, wie der geschichtliche Boden beschaffen ist, auf dem sie stehen.« In der Tat: Die Bundesrepublik Deutschland ist in dem Sinne museumsreif, daß sie museumswürdig ist. Über fünfzig Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes, dessen politische Realität für die überwiegende Mehrheit der Deutschen erlebte Vergangenheit darstellt, erscheint es sinnvoll, die demokratischen Traditionen, die historischen Entwicklungslinien, die Leistungen und Defizite der Bundesrepublik auch museal zu würdigen. Bevor ich näher auf die Erfahrungen und die Arbeit der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingehe, möchte ich kurz beleuchten, mit welch hoher Sensibilität das Thema deutsche Geschichte behandelt werden muß. Im Jahr 1999 standen die Feierlichkeiten zum fünfzigsten Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland an. Das Haus der Geschichte war zum einen der »natürliche« Ansprechpartner für die Vorbereitung einer Wanderausstellung, die sich diesen 50 Jahren widmen sollte, zum anderen war uns bewußt, daß eine Jubiläumsausstellung lediglich zur Gründung des westlichen Teilstaates sowohl historische Schieflagen aufweisen und Fehldeutungen provozieren würde, als auch wenig Akzeptanz im Osten unseres Vaterlandes gefunden hätte. Und so lautete der Titel unserer Wanderausstellung, die 1999 in 26 Städten zu sehen war: »40+10. Fünfzig Jahre deutsche Geschichte«. Wir hatten bewußt das Motto »40+10« gewählt: Nach vierzig Jahren Teilung war der zehnte Jahrestag des Mauerfalls zu feiern: 50 Jahre deutsche Geschichte. Die Ausstellung präsentierte politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklungen, Aspekte des All-

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tags der Bürger in Ost- und Westdeutschland sowie die Ereignisse um den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung in den Jahren 1989/90. Der schwierige Prozeß des Zusammenwachsens und die zukünftigen Aufgaben Deutschlands im vereinten Europa waren weitere Schwerpunkte. Die Ausstellung tourte mit großem Erfolg durch die Bundesrepublik. Zwischen den Reaktionen in Ost und West konnten wir trotz systematischer Evaluationen keine signifikanten Unterschiede feststellen. Soweit ein erstes gleichsam innerdeutsches Beispiel – und ein überzeugendes dazu. In das Licht der internationalen Öffentlichkeit tritt die deutsche Erinnerungskultur nur selten – jedenfalls jenseits der regelmäßig ebenso aufmerksam wie mißtrauisch betrachteten »Ausrutscher« auf dem glatten Parkett der Erinnerung an den Völkermord an den Juden. Kritische Reaktionen auf die Reden von Philipp Jenninger, Martin Walser und anderen zeigen, wie hoch die Meßlatte liegt – inhaltlich, aber auch rhetorisch. Vor diesem Hintergrund darf es schon als herausragende Ausnahme gelten, wenn der Europarat eine deutsche Institution der Geschichtsvermittlung positiv als internationales Vorbild herausstellt und zur Nachahmung empfiehlt. Die Vollversammlung des Europarats verabschiedete am 22. Januar 1996 die »Empfehlung 1283. Über Geschichte und das Lernen der Geschichte in Europa«. Darin schreibt der Europarat unter der Überschrift »European collaboration should be encouraged in the field of history«: Die Europäische Ministerkonferenz »should encourage member states to establish national history museums on the lines of the German ›House of History‹ in Bonn«. Darüber hinaus hatte der Europarat dem Haus der Geschichte bereits 1995 seinen begehrten Museumspreis des Jahres verliehen. Allein die Dauerausstellung des Hauses der Geschichte besuchten seit der Eröffnung am 14. Juni 1994 etwa sechs Millionen Menschen, nahezu drei Millionen zusätzlich die Wechselausstellungen. Während Anfang der 1980er Jahre lediglich eine Institution unter dem Titel »Haus der Geschichte« firmierte, ahmen mittlerweile ein gutes Dutzend unterschiedlicher Einrichtungen das Erfolgsmodell nach, indem sie sich beispielsweise den Namen »Haus der Geschichte« zulegen. Nur in der Rückschau klingt diese Geschichte wie ein Erfolgsmodell. Tatsächlich war das Projekt anfangs höchst umstritten. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte in seiner Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 vorgeschlagen, »eine Sammlung zur Deutschen Geschichte seit 1945« aufzubauen, »gewidmet der Geschichte unseres Staates und der geteilten Nation«. In den folgenden Jahren wurde das Projekt auch im Zusammenhang mit dem sogenannten Historikerstreit heftig in der Öffentlichkeit und zwischen den Parteien diskutiert. So traf auch nicht ein, was am 11. April 1984 Henri Nannen in einem Brief an Freimut Duve, dem Obmann der AG »Kunst und Kultur« der SPD-Bundestagsfraktion, prophezeit hatte: »Ich sage Ihnen voraus: Aus der ganzen Sache wird nichts.« Viele Kritiker glaubten zu erkennen, daß die Bundesregierung im Begriff war, parteigebundene Geschichtsdeutungen zu kanonisieren. Sogar das Wort von der nationalen Identitätsstiftung machte die Runde. Aber »to be or not to be a Museum of ›National‹ History is not the Question«. Ein Museumsbesuch stiftet

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aber nicht Identität, er ist – wohl verstanden – die Aufforderung, Identität zu suchen, vielleicht auch zu finden oder aber abzulehnen. Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat mit ihrer Arbeit dazu beigetragen, Zeitgeschichte als »Epoche der Mitlebenden« (Hans Rothfels) etwas mehr ins Bewußtsein und im Schulunterricht in den Vordergrund zu rücken. Sie nimmt in der lebendigen Erinnerung an die deutsche Nachkriegsgeschichte eine herausragende Stellung ein, denn die museale Darstellung der Zeitgeschichte prägt die Kultur mit – in der Bundesrepublik insgesamt und auf besondere Weise in den »jungen« Bundesländern. Die Chance, das erfolgreiche Konzept des Hauses der Geschichte auf diese zu übertragen, bot sich 1992. Die »Unabhängige Föderalismuskommission«, ein Gremium aller Verfassungsorgane, der Obersten Bundesbehörden und unabhängiger Persönlichkeiten, das wichtige Entscheidungen zu Kultur und Geschichte in den Neuen Ländern trifft, beauftragte die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, ein »Ausstellungs-, Dokumentations- und Informationszentrum zur deutschen Einheit« zu konzipieren. Das »Zeitgeschichtliche Forum Leipzig« zur Geschichte von Diktatur und Widerstand in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR wurde am 9. Oktober 1999 von Bundeskanzler Gerhard Schröder eröffnet. Mehr als 700 000 Besuche waren in den ersten viereinhalb Jahren in der Dauerausstellung und in den Wechselausstellungen zu zählen. Opposition und Widerstand in der DDR-Diktatur haben hier eine zentrale und beispielgebende Darstellung gefunden – Impulse für den Unterricht sind inzwischen deutlich geworden und wirken damit auch auf den kulturellen Diskurs über die Erinnerung. Ein über vierzig Jahre geteiltes Geschichtsbild läßt sich allerdings nicht gleichsam über Nacht vereinen. Um so mehr muß es Ziel sein, durch Ausstellungen und Veranstaltungen zum Zusammenwachsen der beiden Geschichtskulturen beizutragen. Erinnerung im öffentlichen Raum ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstdarstellung, auf die keine gesellschaftliche Gruppe verzichtet. Auch der Staat macht seine Identität nach innen wie nach außen erkennbar: gegenüber dem einzelnen Bürger, gegenüber den Kräften der pluralistischen Gesellschaft sowie im Verhältnis zu anderen Staaten. Während die monarchische Repräsentation im 19. Jahrhundert von der »Erfindung von Traditionen« (Eric Hobsbawm) geprägt war, und die Diktaturen des 20. Jahrhunderts das Repertoire der öffentlichen Erinnerung, seine Rituale, Symbole und Monumente ideologisch bestimmten, ist Staatsrepräsentation in der demokratischen Bundesrepublik ein heikles Thema, wo »auf das Übermaß an sinnlicher Repräsentation ein Untermaß« (Josef Isensee) antwortet. Überhaupt ist unser Land arm an Kulturdebatten, zwar weniger in den Feuilletons der großen Zeitungen, aber besonders im Deutschen Bundestag und in den Landtagen, von Stadt- und Gemeinderäten ganz zu schweigen. Das Thema Geschichte war in den bisherigen Diskussionen alles andere als dominant. Selbst mit den Debatten, die sich um Geschichte drehten, hatten wir wenig Glück: Der sogenannte Historikerstreit Mitte der 1980er Jahre hat unserer Kultur keine bleibenden Forschungserträge beschert. Der Disput über die Wehrmachtsausstellung

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hatte sich ohne besseres Wissen der beteiligten Bundestagsabgeordneten am – insoweit – untauglichen Objekt entzündet, als das Projekt schließlich eingestampft und völlig neu konzipiert werden mußte. Leider sah darin anschließend niemand einen Anlaß für eine neue Debatte. Man stelle sich vor, der Bundestag hätte im Plenum eine Diskussion über Architektur am Beispiel eines Gebäudes geführt, das anschließend wegen baulicher Mängel abgerissen werden mußte, oder eine neue Technologie nach einem Patent erörtert, das sich dann als Fälschung erwies. Gewiß wären diese Themen wieder auf die Tagesordnung gesetzt und neu verhandelt worden. Darf mit Geschichte leichtfertiger umgegangen werden? Leiden wir nicht unter einem Mangel an Auseinandersetzungen über die Zusammenhänge zwischen Kultur und Geschichte? Auch dieser Punkt gehört zu den offensichtlichen Defiziten in diesem Zusammenhang. Allein die Themen, die der Ausschuß für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages in den letzten Jahren auf die Agenda gesetzt hat, zeigen, wie schwer es der nicht mehr ganz so jungen Demokratie immer noch fällt, mit ihrer wenig demokratischen Vorgeschichte umzugehen. Man denke nur an die sich schier endlos hinziehenden Debatten über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, an die Errichtung eines HolocaustMahnmals oder an die jüngst entbrannte Diskussion über die Gründung eines »Zentrums gegen Vertreibungen«. Selbst Formen der Selbstdarstellung, die bei allen Staaten der Erde üblich sind, werden hierzulande zum Problem: Nationalhymne und Fahne, Hauptstadt und Staatsarchitektur, Uniformen und – nicht zuletzt – staatliche Festakte.

II. Für das 1994 eröffnete Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland existierte kein Vorbild, an das sich Konzeption und Gestaltung hätten anlehnen können. Seine Dauerausstellung orientiert sich an einem strukturgeschichtlichen Ansatz, der die langfristigen Entwicklungen in der Alltags-, Sozial-, Wirtschaftsund Kulturgeschichte thematisiert. Die eher kurzfristig ausgerichtete Politikgeschichte bildet den »roten Faden« durch die Dauerausstellung. Drei Grundsatzentscheidungen bestimmen unsere Arbeit: Wir wollen 1.) Menschen ansprechen, die Museen bisher mieden, 2.) Besucherorientierung ernst nehmen und uns nicht davor scheuen, auch Emotionen zu wecken. Unsere dritte Grundsatzentscheidung zielt darauf, interaktiv und multimedial zu arbeiten, unter anderem durch Filmund Tondokumente als Originalquellen, um den Besuchern ein ebenso lebendiges wie kommunikativ zeitgemäßes Bild der Vergangenheit zu vermitteln. Das Haus der Geschichte hat sich also zum Ziel gesetzt, Vergangenheit auch als »Erlebnis Geschichte« zu vermitteln. Ein Schwergewicht der Arbeit liegt auf der Kommunikation mit den Besuchern bis hin zu einfacher Sprache und Nutzerfreundlichkeit der in die Ausstellung integrierten Medienstationen. Die Nutzung von Tonund Filmdokumenten verstärkt den kommunikativen Charakter der Ausstellung.

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Die Geschichte seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist nahezu vollständig durch Wochenschauen und Radioreportagen dokumentiert. Diese Medien werden als originäre historische Quellen verwendet. Die Kombination unterschiedlicher Objekte – Filme, Tonbänder, dreidimensionale Großobjekte und historische Plakate, um nur einige zu nennen, – tragen maßgeblich zur lebendigen Atmosphäre im Haus der Geschichte bei. In der Bundesrepublik gibt es derzeit über 6000 Museen und Ausstellungshäuser, und ihre Besucherbilanz mit derzeit jährlich etwa 100 Millionen Besuchen ist beeindruckend. Nicht selten bemühen Kulturpolitiker den Vergleich mit den Zuschauern auf Fußballplätzen, die weitaus geringer seien. Wer die Zahl der Museenund Ausstellungsbesucher genauer betrachtet, muß nachdenklich werden: Nur rund ein Drittel der Bevölkerung geht regelmäßig in Museen und Ausstellungen, während zwei Drittel dies selten oder gar nicht tun. Der Museumsbesuch ist eine Freizeitbeschäftigung, die in direkter Konkurrenz zu anderen Freizeitaktivitäten steht. Mit der Entscheidung für den Weg ins Museum setzt der Besucher eindeutig Prioritäten. Was erwarten die Besucher von einem Besuch in einer Ausstellung oder einem Museum? Wir sind dieser Frage für das Haus der Geschichte nachgegangen. Eine in unserem Auftrag durchgeführte Telefonbefragung auf repräsentativer Basis vermittelt Einsichten: An erster Stelle steht die Erwartung des Erlebnisses authentischer Objekte, die eindeutige Bezüge zu historischen Ereignissen oder Persönlichkeiten aufweisen. Ferner hoffen unsere Besucher auf die Vermittlung neuer Einsichten in historische Zusammenhänge. Der Wunsch, die Allgemeinbildung zu verbessern, ist einer der Hauptantriebe für den Besuch unserer Ausstellungen. Darüber hinaus wird der Zugang zu solchen historischen Informationen gesucht, die nach Ansicht der Besucher in Büchern nicht zu finden sind. Das Lernen im Museum kann jedoch nicht mit dem formellen Lernen in der Schule oder an der Universität gleichgesetzt werden. Die Besucher erwarten, daß ihnen Informationen angeboten werden, die sie weitgehend nach persönlichen Schwerpunkten auswählen können und wollen. Die lebendige Gestaltung der Ausstellungen, die viele Sinne – mindestens Augen und Ohren – anspricht, ermöglicht den Besuchern ein »Lernen en passant«. Keiner von uns sollte darum mit erhobenem Zeigefinger argumentieren, sondern Raum lassen für unterschiedliche Sichtweisen und Interpretationen. Gerade in der Zeitgeschichte – also gegenüber den Mitlebenden – würde eine Wahrheitsverkündung sozusagen »ex kathedra« jeden eigenen Antrieb der Besucher, die sich ja auch als Zeitzeugen verstehen, zum Erliegen bringen. Unsere Telefonerhebung belegt eindrucksvoll, daß diese Offenheit des Hauses der Geschichte von den Besuchern geschätzt wird. Die Akzeptanz der Dauerausstellung ist außerordentlich hoch. Drei empirisch ermittelbare Gründe sprechen für die hohe Akzeptanz des Hauses der Geschichte: Erstens geben über 60 Prozent der Besucher an, daß sie gefühlsmäßig berührt worden seien, zweitens erklären ebenso viele Besucher, daß sie der Besuch zum Nachdenken angeregt habe und drittens hebt ein Drittel hervor, daß sie der Besuch im Haus der Geschichte

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zur weiteren Beschäftigung mit historischen Fragestellungen motiviert habe. Alle Indizien und Erhebungen belegen, daß sich die übergroße Mehrheit der Besucher intensiv mit den Ausstellungen des Hauses der Geschichte auseinandersetzt. Es gibt keine bessere Bestätigung dafür, daß unsere historischen Ausstellungen ein narratives Konzept haben müssen und sich nicht scheuen dürfen, auch Emotionen zu wecken. Wir wollten der Sache auf den Grund gehen und fragten die Teilnehmer der Telefonbefragung nach ihren persönlichen Präferenzen. Die Ergebnisse sind ein überwältigendes Votum für das Haus der Geschichte als Vermittlungsmedium für zeithistorische Zusammenhänge. Je etwa 90 Prozent der befragten Besucher schätzen den Ertrag eines zweistündigen Museumsbesuchs höher ein als eine Doppelstunde Geschichtsunterricht, als historische Vorträge oder als Buchlektüre zum gleichen Thema. Der Vorrang des Museumsbesuchs wird auch gegenüber zeitgeschichtlichen Filmen (80 Prozent) und Gesprächen mit Zeitzeugen (60 Prozent) sowie mit Familienangehörigen (58 Prozent) betont. Deutlich treten aus dieser Untersuchung die Vorteile eines Museumsbesuches gegenüber anderen Informationsquellen hervor: Besucher bewerten visuelles Erleben höher als audielles; authentisches höher als nachgestelltes; konkretes höher als abstrakt vermitteltes. Ein weiterer Faktor, der offensichtlich für den Museumsbesuch spricht, ist das Gefühl der Selbstbestimmung während der Informationsvermittlung im Museum gegenüber den Zwängen vorgegebener Abläufe bei anderen Medien. Diese eindrucksvollen Zahlen belegen, daß das Haus der Geschichte von Menschen, die bereits die Ausstellungen des Museums gesehen haben, als hervorragende Informationsquelle zu zeitgeschichtlichen Fragen eingeschätzt wird. Jedoch sollten auch die Grenzen des Lernens im Museum nicht übersehen werden. Wie die Telefonbefragung ebenfalls erbracht hat, fällt es besonders jenen Besuchern schwer, ihr Wissen im Museum zu erweitern, die nicht in der Lage sind, sich über ihre Erlebnisse und Erfahrungen auszutauschen. Isolierte Individuen, die in unserer multimedialen Gegenwart dem Ansturm der Eindrücke etwas entgegensetzen wollen, benötigen also den Kontakt zu anderen Menschen. So erweist sich das Museum als offener Lernort, der um so stärker wirkt, wenn er Anstöße zur Kommunikation gibt. Das moderne Museum wird zum Medium. Es übernimmt die Funktion des Vermittlers von in der Wissenschaft erarbeiteten Ergebnissen. Diese Brückenfunktion wird in den nächsten Jahren noch stärker in den Vordergrund gestellt werden. Gewiß werden nicht nur unsere Besucher, sondern auch viele Geschichtsinteressierte vom – vielleicht unbewußten – Wunsch geleitet, aus der Geschichte lernen zu wollen. Ob dies überhaupt möglich ist, darüber streiten die Gelehrten seit mehr als 3000 Jahren. Aber eines scheint doch sicher: Wenn wir auch nicht in der Lage sind, klare Leitsätze aus der Geschichte abzuleiten, die uns in jeglicher Lage den Weg zu einer »richtigen« Antwort – was immer das im jeweiligen Kontext heißen mag – weisen, so liegt doch auf der Hand, daß Menschen aus Erfahrung lernen. Diese kollektiven Erinnerungen bilden gleichsam das Rückgrat der Zivilisation.

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III. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben im Spannungsfeld von Kultur und Geschichte, daß die Auseinandersetzung mit den beiden deutschen Diktaturen fortgeführt wird. Die Erinnerung an das Leid der Opfer muß wachgehalten werden für künftige Generationen. 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg verändern sich allerdings die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Gedenkstätten. Daß sie auf diese neuen Herausforderungen werden reagieren müssen, wenn sie ihre wichtige gesellschaftliche Funktion auch in Zukunft erfolgreich ausgestalten wollen, liegt auf der Hand. Kurzum: Die Veränderung der Zeitzeugensituation wird eine sehr viel stärkere Musealisierung zur Folge haben. Natürlich existieren große Unterschiede zwischen zeitgeschichtlichen Museen und Gedenkstätten, weil die Gedenkstätten zumeist Orte des Verbrechens sind, nicht selten auch Friedhöfe. Aber die klassischen musealen Aufgaben – Sammeln, Bewahren und Ausstellen – werden zukünftig stärker die Gedenkstättenarbeit prägen. Was jedoch kulturelle Dienstleister verbinden sollte, ist die Einsicht, daß im Zentrum aller unserer Bemühungen der Besucher steht. Wir sollten wissen, mit welchen Erkenntnissen wir ihn konfrontieren können, was er schon mitbringt an Wissen, wir sollten wissen, was er mitnimmt, inwieweit er sich intensiv erinnern kann. Erst wenn Gedenkstätten sich systematisch mit diesen Fragen auseinandersetzen, wenn sie sich Evaluationen und Besucherbefragungen stellen, dann werden sie sich erfolgreich behaupten können. Sicher ist es richtig, daß die Erhaltung der Gedenkstätten einen Wert sui generis darstellt. Sicher ist es auch richtig, daß eine immer noch reiche Kulturnation wie die Bundesrepublik Deutschland diese Aufgaben nicht vernachlässigt und Gedenkstätten mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausstatten muß. Doch führt an der Einsicht ebenfalls kein Weg vorbei, daß eine Gedenkstätte, die kaum Besucher aufweist oder nicht mit ihren Besuchern kommuniziert, ihren eigentlichen Auftrag verfehlt hat. In letzter Konsequenz sind Gedenkstätten – wie alle anderen kulturellen Dienstleister – für die Menschen da, die sie durch ihre Steuern finanzieren. Sie sind Teil eines umfangreichen Angebotes, das der Staat den Menschen in Deutschland macht. Es ist unsere Pflicht, daß wir diese Offerte so zugänglich wie irgend möglich gestalten. Intellektueller Hochmut und heutzutage leider gelegentlich schicke Verzweifelung über die Unwissenheit und das Desinteresse der Menschen sind nur zwei Ausweichstrategien, um ansatzweise vom eigenen Versagen abzulenken. Dies zumal, da wir aus demoskopischen Erhebungen wissen, daß das Interesse an geschichtlichen Themen seit Jahren kontinuierlich ansteigt. Es bleibt unsere Aufgabe, die Menschen zu erreichen, ihr Interesse zu wecken und sie für unsere Angebote zu gewinnen.

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IV. Abschließend noch ein Seitenblick auf Europa. Es mangelt vielfach – nicht nur in Deutschland – am emotionalen Zugang zu diesem Thema. Immer noch ist Europa für viele Menschen keine Herzensangelegenheit, Brüssel und Straßburg scheinen weit entfernt. Um so wichtiger ist es, das Bewußtsein unserer kulturellen Identität in Europa bei allen Unterschieden im einzelnen wach zu halten. Wir müssen unsere gemeinsamen historischen Wurzeln offenlegen, und wir müssen uns die Fortschritte des europäischen Einigungsprozesses nach 1945 stärker vor Augen führen. Was vor 60 Jahren visionär erschien, ist heute in vielen Lebensbereichen schon Realität. In der Tat ist der erreichte Status der Europäischen Union, wie der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt in seinem jüngsten Buch über die »Selbstbehauptung Europas« betont hat, ein fast unglaublicher Erfolg, wenn man ihn vor dem Hintergrund der Lage Europas am Ende des Zweiten Weltkrieges betrachtet. Allerdings sollte uns die Genugtuung über diese historische Leistung nicht dazu verführen, die Hände in den Schoß zu legen. Das vereinte Europa bleibt das Ziel, aber am wichtigsten ist der Weg dorthin. Europa wird nie ein fertiger Zustand sein, sondern vor allem Entwicklung. Europa ist Weg und Ziel zugleich. Die Überwindung der nationalen Perspektive der Erinnerungspolitik leistet einen Beitrag gegen nationalstaatlich eingeschränkte Deutungsmuster der eigenen Vergangenheit. Die Diskussion um Inhalt und Standort des »Zentrums gegen Vertreibung« zeigt die Gefahren, aber auch die Chancen einer solchen überstaatlichen Erinnerungspolitik. Auf dem Weg zu einem europäischen Gedächtnis können sowohl regionale und nationale Identitäten entfaltet werden, wie das gemeinsame kulturelle Erbe Europas und dessen Werte in den Vordergrund treten. Diese europäischen Traditionen verlieren auch im 21. Jahrhundert nichts von ihrer Gültigkeit, sondern spielen vielmehr eine zentrale Rolle für die europäische Einigung.

V. Eines ist sonnenklar: Kultur ohne Geschichte ist unmöglich, denn sie ist, wie der große niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga gesagt hat, die geistige Form, in der sich eine Kultur über ihre Vergangenheit Rechenschaft gibt. Eine Kultur der Geschichtsvergessenheit aber wird kaum zu einer Lebensweise in Würde und Freiheit beitragen. Geschichte ist immer auch Entstehungsgeschichte der Gegenwart. Ein Staat, der geschichtslos lebt, wird kontinuierlich versuchen, das »Rad« neu zu erfinden. Er wird sich ständig emanzipieren wollen, aber er wird gar nicht wissen wovon. Ihm fehlt die Basis, auf der eine vernünftige Zukunft aufzubauen ist. In einer Zeit der weltanschaulichen Beliebigkeit ist Geschichte vielleicht die einzige Instanz, die uns vor uns selbst bewahren kann. Kultur beginnt im Bewußtsein. Ohne Erinnerung bleibt sie substanzlos, wird undenkbar, löst sich auf. »Historisches Wissen«, wußte schon José Ortega y Gasset, »ist eine Technik ersten Ranges zur Erhaltung und zur Fortsetzung einer gereiften Zivilisation.«

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Bibliographie Council of Europe (Hg.), History and its interpretations. Preface by Marc Ferro, Straßburg 1997. Hermann Schäfer, Ist Europa museumsreif?, in: Die Politische Meinung 334 (1997), S. 77–87. – Museen und ihre Besucher, in: Deutsches Jahrbuch für Kulturmanagement 1997, hg. von Werner Heinrichs und Armin Klein, Baden-Baden 1998, S. 29–53. – Geschichte neu erleben – Die aktuelle Ausstellung, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Erlebnis Geschichte, 4., neu bearbeitete und ergänzte Aufl., Bergisch-Gladbach 2003, S. 8–19. – Eine neue Ausstellung für ein neues Land, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig (Hrsg.), Einsichten. Diktatur und Widerstand in der DDR, Leipzig 2001, S. 7–15. – Toward a Common History in a Unified Nation, in: Museum Ireland 9 (1999), S. 7–20. – Zeitgeschichte im Museum – Möglichkeiten und Grenzen, in: Erinnern für die Zukunft. Formen des Gedenkens – Prozess der Aufarbeitung, XI. BautzenForum der Friedrich-Ebert-Stiftung, 14. und 15. September 2000, Leipzig 2000, S. 27–41. – Anlocken – fesseln – vermitteln. Was Besucherforschung uns lehrt(e): ein Plädoyer für die Grundrechte der Besucher, in: Besucherforschung in Museen. Instrumentarien zur Verbesserung der Ausstellungskommunikation, hg. von Annette Noschka-Roos, München 2003, S. 83–109. – Geschichte und Kultur, in: Beiträge zur Debatte über Kulturstaat und Bürgergesellschaft. Alles nur Theater?, hg. von Norbert Lammer, Köln 2004, S. 93–114. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft, Bonn, Berlin 1996. – Europäische Geschichtskultur im 21. Jahrhundert, Bonn, Berlin 1999, (auch in englischer Übersetzung). Heiner Treinen, Ist Geschichte im Museum lehrbar?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B23/94 (10. Juni 1994), S. 31–38. Harald Weinrich, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, München 1997.

Mimmo Franzinelli

Luoghi, storia e memoria del fascismo

Luoghi, storia e memoria del fascismo

La molla che mi ha spinto agli studi storici è stata l’insoddisfazione e il sospetto nei confronti delle versioni ufficiali: non credo quindi nella possibilità di una storia ricomposta, unificata e nella quale ci si possa tutti riconciliare. La storia è ricerca, conflitto che si ripresenta con fasi di oblio e di riproposizione, di revisione, di riscoperta. I luoghi della memoria ci consentono di verificare questo asserto non solo in saggi e libri, ma appunto in determinate parti del territorio che sono (o che diventano) funzionali all’oggettivizzazione della memoria e alla sua trasmissione ai posteri. L’Italia unita celebrò il Risorgimento anche attraverso la trasformazione in luoghi della memoria delle località ove si erano svolte le (poche) battaglie conclusesi vittoriosamente, in particolare Solferino e San Martino. Ancora oggi un flusso di visitatori si dirige verso quelle mete: soprattutto scolaresche elementari e anziani in gite organizzate dagli assessorati all’assistenza. L’ondata monumentale che negli anni Venti e Trenta valorizzò la Grande guerra fu preceduta nel 1919–1921 da una diffusa micro-conflittualità in paesi e villaggi, oltre che nelle grandi città, attorno a monumenti e lapidi con epigrafi pacifiste laddove l’amministrazione era socialista o belliciste se a gestire il comune era una giunta di centro-destra. In questi scontri persero la vita sostenitori delle fazioni contrapposte, particolarmente socialisti e camicie nere. Gli squadristi volevano imporre nella memoria pubblica un’immagine della guerra sulla falsariga nazionalista e protofascista. Un luogo della memoria entrato stabilmente nella cultura italiana è il «Vittoriale» di Gabriele D’Annunzio, plasmato da una personalità d’eccezione nella prospettiva di un mausoleo personale. Meno nota la villa «Il Cardello» di Alfredo Oriani, abitazione dell’intellettuale trasformato post mortem da Mussolini nell’antesignano del fascismo: la sua casa, nel Ravennate, divenne luogo identitario del regime. Saccheggiata dopo la liberazione e lasciata in stato di degrado, è stata poi recuperata e oggi funziona come biblioteca e centro culturale d’indirizzo antifascista. Per illustrare la memoria della guerra e della guerra civile in Italia, porterò due esempi che ritengo significativi: uno di memoria antifascista e l’altro di natura opposta. In via preliminare è da rilevare che i luoghi antifascisti della memoria commemorano quasi sempre una sconfitta: tale caratteristica dà un’idea della resistenza quasi come di un movimento di tipo difensivo, costantemente incalzato e vulnerato dai nazifascisti. La dinamica degli eventi dimostra che, in diversi casi, centinaia di partigiani e di renitenti sono stati sconfitti da un numero assai inferio-

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re di rastrellatori dotati di una diversa concezione strategica e di mezzi molto più potenti. In provincia di Alessandria la memoria resistenziale si è recentemente aggregata attorno alla strage della Benedicta, nell’area del monte Tobbio, l’Appennino tra la Liguria e il Piemonte dove dal 6 al 9 aprile 1944 un rastrellamento di reparti tedeschi e della Guardia nazionale repubblicana sconfisse, volse in fuga e intrappolò folti gruppi di partigiani e di renitenti. Secondo fonti tedesche, i «banditi» uccisi furono circa 150, i prigionieri 368, mentre le perdite dei rastrellatori furono 4 morti e una decina di feriti gravi. A resistere furono in pochi; tra i combattenti più strenui vi furono alcuni russi (la presenza dei russi nella Resistenza italiana andrebbe meglio indagata, poiché, dal punto di vista operativo, si è rivelata importante sia negli scontri a fuoco sia nell’istruzione militare dei partigiani). Incalzati dai tedeschi, partigiani e renitenti si concentrarono sul colle della Benedicta, trincerati dentro un grande edificio costruito secoli addietro dai benedettini; debellata ogni resistenza, si procedette a un centinaio di fucilazioni sul posto, cui seguirono altre uccisioni nei giorni successivi. Del caseggiato, fatto saltare dai tedeschi con le bombe, restarono i ruderi, segmenti di pareti affumicate. Conclusa la guerra nessuno si è preoccupato dell’elaborazione di un progetto di recupero e di salvaguardia di quel luogo. In tempi recenti, verso la fine degli anni Novanta, si sono manifestati segnali di attenzione e all’oblio si è sostituito il risveglio della memoria. Lo spartiacque è costituito dall’avvio del processo contro i presunti responsabili del massacro, in particolare il colonnello delle SS Siegfried Engel, cui il tribunale militare di Torino infliggerà l’ergastolo in contumacia (ma la Germania rifiuterà l’estradizione del criminale). A quel punto la memoria si rafforza e nasce un progetto del quale l’Istituto storico della Resistenza di Alessandria diviene parte trainante. L’iniziativa si scontra con forti difficoltà, considerato l’avanzato degrado dell’edificio: mura pericolanti, macerie e rovine annerite. Decenni di maltempo hanno accresciuto le devastazioni belliche. Avviatisi i lavori di consolidamento dei ruderi, si scatena la lotta della memoria. La località è isolata, il paese più vicino dista una dozzina di chilometri, su malagevoli rotabili montane. Nel 2002 un raid neofascista danneggia e scalza il grande crocifisso da poco posizionato, spezza la lapide commemorativa, imbratta le pareti con scritte filonaziste. All’iniziativa teppistica, percepita come una profanazione dagli antifascisti, si è risposto con un pellegrinaggio di riconsacrazione alla presenza della massima autorità civile, il presidente della Repubblica Carlo Azeglio Ciampi. Ora il progetto di recupero è alle ultime fasi. La Benedicta si appresta così a entrare nel novero delle «località sacre» della Resistenza italiana. Veniamo alla memoria «nera». La destra nostalgica sogna Predappio, località forlivese che diede i natali a Benito Mussolini. Sino alla metà degli anni Venti si trattava di una borgata campagnola, ma nel giro di un decennio una serie di interventi straordinari trasformarono Predappio nel prototipo della città fascista. L’odierno visitatore vi ritroverà tutti gli elementi canonici dell’urbanistica littoria: un’imponente casa del Fascio, la casa della GIL e una scuola materna intitolata a Santa Rosa in onore della madre del duce, Rosa Maltoni. Nel salone dell’asilo

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campeggia un grande mosaico con la Madonna del Fascio. Piccolo interludio: a quanto mi risulta esistono in Italia almeno altre due madonne fasciste, ovvero la Madonna del Manganello (riprodotta nell’inserto fotografico del mio libro Squadristi)1 e la Madonna della Disperata (patrona di un gruppo di squadristi livornesi). All’asilo di Predappio una suora novantenne mi ha raccontato l’irruzione, nel maggio 1945, di quattro partigiani decisi ad asportare con martello e scalpello il fascio dal mosaico; la religiosa riuscì a farli desistere, poi, con valutazione prudente, disegnò a tempera dei fiori sull’emblema politico, restituito alla piena visibilità in anni recenti. Predappio è la «Betlemme fascista», dove è nato il padre della nuova Italia. Luogo rinomato della memoria nera negli anni del regime, dopo il crollo del fascismo si trasformò in simbolo negativo della memoria nazionale. La fase del silenzio e della rimozione è durata quasi un quarto di secolo. Dalla fine degli anni Sessanta si è registrata una forte ripresa di visitatori motivati ideologicamente. A contrastarli si mobilitarono gli antifascisti locali, maggioritari nell’opinione pubblica (tanto è vero che nel dopoguerra la cittadina è sempre stata amministrata da giunte di sinistra). Il principale strumento di dissuasione si è rivelato il controllo della rete viaria, con stradini e volontari adibiti alla segnalazione di pullman e di automobili sospette dirette verso Predappio; fermati i veicoli, li si rimandava indietro in caso di evidenti segnali «destrorsi» (gagliardetti o altro): nessuna ospitalità, a Predappio, per i nostalgici della «buonanima». Gli anni Settanta sono stati costellati da episodi, spesso gustosi, di questo tipo. Negli anni Ottanta la situazione si è tranquillizzata e il turismo ha mutato connotati: da «militante» a «nostalgico». Negli anni Novanta è intervenuta un’ulteriore trasformazione, con un flusso di curiosi, che potremmo definire – con un po’ di malignità – «voyeur della storia». Oggi Predappio è entrata in una nuova fase, strettamente legata alle trasformazioni in corso nella destra italiana. Il passaggio dal Movimento sociale ad Alleanza nazionale e la scelta compiuta dal congresso di Fiuggi (condanna del fascismo, accettazione della democrazia) hanno scontentato una parte della base del partito, indisponibile a separarsi dal mito mussoliniano. L’on. Fini – che pure in gioventù era solito visitare Predappio e salutare con la mano tesa – è giudicato un traditore. Gli scontenti della linea moderata hanno riscoperto il luogo natale del duce e vi si recano ancora oggi in modo massiccio, particolarmente nelle due date canoniche del calendario nero: 29 luglio e 28 ottobre, data di nascita di Mussolini e dell’Italia fascista. Da alcuni anni nessun esponente di Alleanza nazionale si reca a Predappio il 28 ottobre; nelle ultime visite i politici «voltagabbana» sono stati fortemente contestati, al limite del pestaggio (è passato attraverso questa spiacevole esperienza anche l’on. Teodoro Bontempo, uno che vestiva di preferenza in camicia nera). Il nuovo corso di Fini ha dunque determinato un contraccolpo e riacceso il culto di Mussolini, con la conferma di un punto-cardine dell’ideologia fascista: il mito del tradimento; dopo Badoglio, Fini. 1

Cfr. M. Franzinelli, Squadristi. Protagonisti e tecniche della violenza fascista. 1919–1922, Mondadori, Milano 2003.

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Di recente la creatività fascista ha partorito novità sul genere della Guardia d’onore a Mussolini, nella cripta di famiglia, da parte di ausiliarie nerovestite (camicia nera, mantello e basco dello stesso colore), imbalsamate in posa statuaria e assistite da nerboruti giovani in abbigliamento paramilitare e col capo rasato a zero. Dietro al folclore vi è l’intuizione di alimentare un circuito di turismo «culturale» con risvolti commerciali non indifferenti. Un industriale della provincia di Lodi ha acquistato la residenza della famiglia Mussolini e l’ha trasformata in luogo della memoria privata con adeguato punto-vendita; inoltre lungo le strade della cittadina si trovano negozi con l’intero campionario degli oggetti-simbolo fascisti: dal duce cucinato in tutte le salse (manifesti, posacenere, fazzoletti, ecc.) alle pubblicazioni filofasciste e filonaziste. L’abitazione natale di Mussolini appartiene al comune e ciò le ha evitato di entrare a pieno titolo nella partita di giro del circuito nostalgico. In un salone spicca la bandiera rossa acquistata a fine Ottocento per iniziativa di Alessandro Mussolini, padre di Benito, e tenuta nascosta per un ventennio dai vecchi socialisti per il timore di sequestri. Questa sovrapposizione di simboli e di memorie rispecchia le contraddizioni di un Paese che non riesce a superare la tradizionale divisione in fazioni, alla maniera dei guelfi e dei ghibellini. Dal paese natale, veniamo al luogo di morte di Mussolini, non tanto Dongo (morte fisica, ma località che, per la memoria fascista, testimonia la fuga e quindi è poco presentabile), ma piazzale Loreto a Milano, dove il cadavere del duce fu esposto in maniera barbara, che certamente non ha onorato né l’antifascismo né l’Italia. Poche fotografie hanno acquisito la popolarità delle immagini di Mussolini, di Claretta Petacci e dei gerarchi appesi per i piedi alla tettoia di un distributore di benzina. Piazzale Loreto non ha serbato nulla di quel momento storico, se non la denominazione e l’ubicazione geografica. È divenuto caotico centro di smistamento di automobili e snodo delle linee metropolitane. Il passaggio della storia è scivolato via senza lasciare traccia. Un passaggio, peraltro, di otto mesi precedente al 29 aprile 1945. A piazzale Loreto, infatti, il 10 agosto 1944 si è perpetrato l’eccidio di quindici antifascisti tratti dalla prigione. Di questo sanguinoso episodio esiste una straordinaria documentazione fotografica rinvenuta negli archivi tedeschi e pubblicata dalla rivista «Italia contemporanea».2 Si tratta di immagini scattate da un ufficiale tedesco che mostrano in tempo reale la scena creatrice di un luogo della memoria, oltre a mostrare il volto barbaro del collaborazionismo: la fucilazione, ordinata dal comando di piazza germanico, è stata eseguita dal plotone d’esecuzione della Brigata Muti, mentre sull’esposizione dei cadaveri – essa pure imposta dai tedeschi – ha vigilato il servizio d’ordine delle Brigate Nere. In quel contesto macabro, un ufficiale delle forze occupanti ha scattato un servizio fotografico, quasi volesse testimoniare l’essenza della guerra civile e assolvere, in un certo senso, le proprie responsabilità. Anche il luogo della fucilazione dei 15 partigiani è stato ingoiato dall’enorme crocevia automobilistico 2

C. Gentile, Piazzale Loreto 10 agosto 1944. Dai fondi fotografici degli archivi tedeschi, «Italia contemporanea», 205/1996, pp. 749–753.

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ed è di fatto scomparso dalla memoria cittadina, con l’eccezione dell’appuntamento annuale del 10 agosto, per i parenti, le autorità e pochi altri. La memoria neofascista si è trasferita da piazzale Loreto a Predappio. Uno studioso tedesco qui presente si è detto stupito di alcuni manifesti neofascisti notati in zona. Quando andrà a Roma si accorgerà che in molte edicole, insieme ai giornali, si vendono manifesti-calendario di Mussolini, esposti in bella mostra; se poi visiterà Predappio noterà lungo il viale centrale della cittadina due enormi supermarket di cattivo gusto, distinguibili immediatamente per lo sventolio di grandi drappi tricolori (ennesima appropriazione da parte della destra estrema del tricolore, tramutato in simbolo di fazione). Oggi Predappio è amministrata da una giunta di centro-sinistra, il sindaco è dei Democratici di sinistra, l’assessore alla cultura è repubblicano (in Romagna i repubblicani hanno una tradizione popolare), nonostante che a livello nazionale il Pri sostenga il governo di centro-destra. Gli amministratori cercano di elaborare una loro strategia di luogo della memoria attenta al valore della democrazia: progettano la costituzione di un centro studi sulla crisi della democrazia. Il gemellaggio di Predappio con due cittadine tedesche dai trascorsi antinazisti è il segno di un’opzione culturale ben definita, rispetto al passato come al presente. Parrebbe di notare oggi in Italia una memoria forte del fascismo e una crisi dell’antifascismo. A destra manca però una cultura della memoria, sostituita dal culto della memoria. La sinistra paga gli errori di anni di retorica, di esagerazioni, di enfatizzazioni della Resistenza; adesso è il momento dell’afasia, tanto è vero che nell’autunno 2003, a Milano, ad un convegno sul comunismo organizzato dalla Fondazione «Micheletti» erano presenti studiosi di ogni ascendenza ideologica tranne quelli di area comunista, che hanno declinato gli inviti dei promotori del convegno. La revisione ideologica di Fini ha legittimato pienamente Alleanza nazionale come forza politica democratica in Italia e all’estero, ma credo che buona parte della base e degli stessi dirigenti del partito accettino questa linea più per convenienza che per convincimento. Speriamo di non sentire più in parlamento, come nel gennaio 2002, l’on. Ignazio La Russa all’epoca portavoce di Alleanza nazionale – vantare in un intervento sulla politica estera parlamentare il grande contributo offerto dall’Italia alla costruzione della moderna Europa da Filippo Anfuso, già braccio destro del ministro Ciano (e sospettato di essere tra i mandanti dell’uccisione dei fratelli Rosselli) e ambasciatore della Repubblica sociale a Berlino. Queste affermazioni sono state pronunziate in Parlamento, sottacendo che in Italia le radici dell’europeismo furono gettate da due personaggi confinati dal fascismo a Ventotene, Ernesto Rossi e Altiero Spinelli. Rossi, anticomunista; Spinelli, ex comunista. È tempo di svecchiare e innovare gli studi sull’antifascismo, perché è esaurita ogni rendita di posizione, come del resto è giusto.

Hubert Laitko

Eine Akademie sieht ihre Vergangenheit: Das Beispiel der Akademie der Wissenschaften der DDR

Im Frühsommer 1945, als der kleine Kreis der in Berlin verbliebenen Mitglieder der Preußischen Akademie der Wissenschaften (PAW) gerade eine neue Leitung – mit dem Altphilologen Johannes Stroux als Präsidenten und dem Historiker Fritz Hartung und dem Botaniker Ludwig Diels als Klassensekretaren – gewählt hatte, tauchte wie ein Deus ex machina ein bis dahin unbekanntes historisches Dokument auf, dem es beschieden war, in den Diskursen um die Zukunft der Akademie Furore zu machen. Diels hatte das Schriftstück lanciert. Es handelte sich um einen vertraulichen Brief, den sein Vater, der namhafte Gräzist Hermann Diels, vor mehr als dreißig Jahren, im Oktober 1912, von dem prominenten Kirchenhistoriker Adolf von Harnack erhalten hatte.1 Beide waren Mitglieder der PAW. Während aber Diels als Sekretar ihrer philosophisch-historischen Klasse in dieser Konstellation für die Akademie stand, vertrat Harnack eine ganz junge, gerade erst in der deutschen Wissenschaftslandschaft erschienene Institution: die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (KWG). Hauptthema des Briefes waren Gedankenspiele über das künftige Verhältnis der beiden Institutionen, die auf keinen Fall an die Öffentlichkeit dringen sollten. Harnack versicherte darin, es habe ihm von Anfang an nahe gelegen, die KWG »von vornherein und ausschließlich mit der Akademie der Wissenschaften zu verbinden…« Dies sei zwar nicht zu machen gewesen, doch der eingetretene Zustand müsse nicht auch der definitive sein. Vielmehr sah Harnack »zwei konvergierende Linien, die sich notwendig einst schneiden müssen«. Er stilisierte die beiden Institutionen zu zwei komplementären Wesenheiten, die zu gegenseitiger Ergänzung geradezu geschaffen wären und dieser Ergänzung auch dringend bedürften: »Kurz zusammengefaßt: was die Akademie nicht hat und braucht, hat die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, und was diese nicht hat und braucht, hat jene!« Die KWG verfüge über das nötige Kapital, um Forschungsinstitute in rascher Folge Eine Akademie sieht ihre Vergangenheit

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Im vollen Wortlaut ist dieser Brief erstmals 1998 von Peter Nötzoldt im Dokumentenanhang seiner Dissertation veröffentlicht worden (P. Nötzoldt, Wolfgang Steinitz und die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Zur politischen Geschichte der Institution (1945–1968). – Diss. Humboldt-Universität zu Berlin 1998, S. 275–277). Er wurde wieder abgedruckt in: Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, hg. von J. Kocka unter Mitarbeit von R. Hohlfeld und P. Th. Walther, Berlin 1999, S. 460–463. Das Original ist verschollen; wie Nötzoldt mitteilt, hat nach dem Tod von Ludwig Diels am 30. November 1945 dessen Witwe den Akademiepräsidenten Stroux davon in Kenntnis gesetzt, daß sie alle Papiere ihres Mannes an einen Altwarenhändler gegeben hätte.

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Hubert Laitko

zu gründen und zu unterhalten, die Akademie hingegen über die Köpfe, deren es bedarf, um solche Institute zu leiten: »Ist es da nicht einfach das Gewiesene, daß sie sich verschmelzen, bez. auf das engste kooperieren!« 2 In einer Situation, in der die Akademie die Chance sah, sich mit eigenen Forschungsinstituten auszustatten, und den dringenden Wunsch hatte, diese Chance zu nutzen, war der Harnack-Brief ein Werkzeug von unschätzbarem Wert. Es geschieht nicht oft im Leben einer wissenschaftlichen Institution, daß sich in einer für sie kritischen Lage die Schatztruhe ihrer Geschichte unverhofft öffnet und ein Papier freigibt, das zu den Absichten der maßgeblichen Akteure punktgenau paßt (oder mindestens zu passen scheint) und diese Absichten gleichsam mit den höheren Weihen eines historischen Auftrages versieht. Hier war dieser seltene Fall eingetreten. Die Akademie nutzte das Instrument, das ihr der Zufall zugespielt hatte, und ließ Abschriften des Briefes sowohl ihren Verhandlungspartnern in dem von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzten Berliner Nachkriegsmagistrat als auch dem mit Kriegsende aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden befreiten und von der Volksbildungsabteilung des Magistrats mit der Leitung der in Berlin-Dahlem gelegenen Kaiser-Wilhelm-Institute betrauten Physikochemiker Robert Havemann zukommen.3 Zwar gelang es der Akademie nicht, sich irgendwelche der im amerikanischen Sektor Berlins befindlichen Kaiser-WilhelmInstitute tatsächlich einzugliedern, doch ihr Grundanliegen – die Gewährung des Rechtes auf eigene Forschungsinstitute und der effektive Gebrauch dieses Rechtes – wurde in jenen turbulenten Monaten auf verschlungenen Wegen erfüllt. Während des ersten Nachkriegsjahres veränderte sich unter den Bedingungen des Besatzungsregimes und der beginnenden Teilung Deutschlands der Rahmen für die Existenz einer Wissenschaftsakademie in Berlin wesentlich. Diese Zeit, die in den nachfolgenden Jahrzehnten, ehe sie selbst zum Gegenstand historischer Untersuchung wurde, vielen als wissenschaftshistorisch nahezu leer erschien, da die Bewohner der Großstadt vor allem mit dem nackten Überleben befaßt waren, oder aber als eine Stunde Null des voraussetzungslosen Neubeginns aufgefaßt wurde, war tatsächlich eine Periode fieberhafter Aktivitäten, mit denen die Weichen für die nachfolgenden Dezennien gestellt wurden.4 Die PAW hatte zwar mit dem Untergang des Deutschen Reiches ihren staatlichen Träger und damit ihren offiziellen Status verloren, der ihr unter den gegebenen Verhältnissen nur besatzungsrechtlich wiedergegeben werden konnte, doch sie existierte in einer Art rechtlicher Grauzone als zunächst dem Nachkriegsmagistrat zugeordnete Körperschaft mit Duldung der sowjetischen Besatzungsmacht und unter deren diskreter Aufsicht5 de facto weiter und wurde auch finanziert, bis diese Interimsphase am

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Adolf von Harnack an Hermann Diels, 28. 10. 1912, in: Die Königlich… (wie Anm. 1), S. 460, 461. Nötzoldt, Wolfgang Steinitz (wie Anm. 1), S. 20. Peter Nötzoldt, Wissenschaft in Berlin – Anmerkungen zum ersten Nachkriegsjahr 1945/46, in: Dahlemer Archivgespräche Bd. 1., hg. von E. Henning, Berlin 1996, S. 115–130. Es scheint, daß diese Aufsicht ausgedehnter gewesen ist, als den damals agierenden

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1. August 1946 endete. An diesem Tag erfolgte auf der Grundlage eines Befehls der sowjetischen Militäradministration6 die feierliche Wiedereröffnung der früheren PAW als nunmehr Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW). Die erneuerte Akademie hatte das verbriefte Recht auf eigene Forschungsinstitute. So konnte Präsident Stroux in seiner Festansprache ausdrücklich und zufrieden auf den Brief Harnacks an Diels Bezug nehmen. Anders als bei der KWG würden, so Stroux, die Forschungsinstitute nicht mehr aus Stiftungsmitteln, sondern aus den Mitteln der Akademie selbst unterhalten werden, und sie unterständen nicht mehr einem Kuratorium aus Industriellen und Privaten, sondern der Selbstverwaltung der Gelehrten: »Ein Gedanke, den Adolf von Harnack, der Begründer der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, schon in vertraulicher Darlegung dem Sekretar der Akademie Hermann Diels vorgetragen hatte, daß zwischen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit ihren Forschungsinstituten und der Akademie auf die Dauer eine Vereinigung eintreten müsse, wird, soweit es die Verhältnisse erlauben, seine Verwirklichung finden. Dadurch aber, daß die Akademie mehr als bisher durch die Form der Forschungsinstitute ihre wissenschaftlichen Aufgaben erfüllen wird, werden sich ihr äußerer Aufbau wie auch ihre innere Arbeitsweise modernisieren«.7 In Stroux’ Sicht war die historische Kontinuität perfekt: Ein seit der Gründung der KWG virulentes Desiderat der Berliner Akademie wurde nun endlich erfüllt – was Harnack zugesagt hatte, aber nicht halten konnte, fand seine Realisierung. Bereits im Herbst 1946 kamen die ersten Institute zur Akademie, und dieser Prozeß setzte sich zwar mit wechselnder Intensität, doch ununterbrochen fort, bis – mit den Worten Jürgen Kockas – aus der Akademie ein »Forschungskombinat« geworden war, »das eine Vielzahl von außeruniversitären Forschungsinstituten vor allem in den Natur- und Technikwissenschaften neben der herkömmlichen, in Klassen organisierten Gelehrtengesellschaft beherbergte und auch Funktionen wahrnahm, die in der Bundesrepublik von der Max-Planck-Gesellschaft und anderen Wissenschaftsorganisationen erfüllt wurden und werden«.8 Die Forschungsbasis der Akademie rekrutierte sich aus drei Quellen – der Angliederung von Institu-

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Akademikern bewußt war und als sich in den überlieferten Akademieakten jener Zeit spiegelt. Siehe dazu: Natalja P. Timofeeva, Die Vertretung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Deutschland 1945 –-1949, in: Die Berliner Akademien der Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945–1990, hg. von J. Kocka unter Mitarbeit von P. Nötzoldt und P. Th. Walther, Berlin 2002, S. 25–38. Befehl Nr. 187 des Obersten Chefs der SMA und Oberkommandierenden der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland zur Wiedereröffnung der Akademie vom 1. Juli 1946, in: Werner Hartkopf, Gert Wangermann, Dokumente zur Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1700 bis 1990, Berlin/Heidelberg/New York 1991, Dokument Nr. 136, S. 467–472. Ansprache des Präsidenten der Akademie, Johannes Stroux, auf der Festveranstaltung am 1. August 1946, in: Hartkopf, Wangermann, Dokumente (wie Anm. 6). Dokument Nr. 138, S. 473–476, hier S. 475. Jürgen Kocka, Einleitung, in: Die Berliner… (wie Anm. 5), S. IX–XI, hier S. IX–X.

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ten, die zuvor in anderen Bindungen bestanden hatten; der Umwandlung akademischer Kommissionen in Institute; schließlich der völligen Neugründung. Nach den Anfangsjahren wurde die Neugründung zum Hauptweg der Expansion. Die Idee des genuinen Anspruchs auf eigene Forschungsinstitute war das Zentrum der »corporate identity«, die die Ostberliner Akademie in ihrem jedes akademiegeschichtlich vorgeprägte Maß überschreitenden Wachstum mental zusammenhielt, die historische »Meistererzählung«, auf die sie sich bis zu ihrem Ende 1990/91 stützte und die auch noch in Kraft blieb, als sich mit immer weiter fortschreitender Ausdifferenzierung des »Forschungskombinats« die Wechselbeziehungen zwischen der Masse der Institute und der Gelehrtengesellschaft der gewählten Akademiemitglieder irreversibel zu lockern begannen. Gewiß hätte auch ohne das Auftauchen des Harnack-Briefes die Entwicklung zu einem ähnlichen Resultat geführt. So geschichtsmächtig war dieses Dokument nicht, daß sein Einsatz etwa einen akademiehistorischen Pfadwechsel hätte erzwingen können. Aber befördern konnte es eine angestrebte Weichenstellung jedenfalls, indem es die Meinungsbildung der in der Weimarer Republik wissenschaftlich sozialisierten und gegenüber jedem äußeren Oktroi der sowjetischen Besatzungsmacht oder der allmählich an wissenschaftspolitischer Handlungskompetenz gewinnenden SEDFunktionäre skeptisch gegenüberstehenden Akademiker in eine erwünschte Richtung lenkte. Wessen Ratschlag hätte da unverfänglicher sein können als der Adolf von Harnacks? Inzwischen herrscht weitgehend Einverständnis darüber, daß man den Übergang von der PAW zur DAW nicht nach dem schlichten Schema der »Sowjetisierung« behandeln darf. Aus der unleugbaren Tatsache, daß die mit Forschungsinstituten ausgestattete Berliner Akademie in dieser Hinsicht Strukturähnlichkeiten mit der Akademie der Wissenschaften der UdSSR aufwies, läßt sich nicht der Schluß ziehen, die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) bzw. ihre deutschen Beauftragten hätten diese Ausstattung widerstrebenden und auf dem Ideal einer »reinen«, von Forschungseinrichtungen freien Gelehrtengesellschaft beharrenden Akademikern aufgenötigt. Man muß dabei weder ein Interesse der sowjetischen Vertreter an der Gestaltung der Berliner Akademie nach dem ihnen vertrauten Strukturmuster noch eine Präferenz des Funktionärsapparates der SED und der von diesem dominierten Verwaltungsorgane für das sowjetische Institutionenschema in Frage stellen. Aber vor allem aufgrund der sorgfältigen Untersuchungen von Nötzoldt ist heute bekannt, wie hoch die in eben diese Richtung zielende Eigenaktivität der Berliner Akademiker in dieser kritischen Phase tatsächlich war. Solche Aktivität schien schon aus taktischen Erwägungen geboten. Nach dem Ende des Dritten Reiches standen alle überkommenen Institutionen auf dem Prüfstand, keine von ihnen hatte eine Garantie für ihr Überleben, auch nicht die Akademie. Den Zeitgenossen dürfte einsichtig gewesen sein, daß auch unter Bedingungen allgemeiner Unsicherheit eine zur organisatorischen Basis »herrenloser« Forschungseinrichtungen aufgewertete Akademie immerhin größere Überlebens- und Finanzierungschancen hatte als eine bloße Gelehrtenvereinigung.

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Ferner suggerierten die Umstände, daß es in der Viermächtestadt Berlin am aussichtsreichsten wäre, sich an die sowjetischen Behörden zu halten. In der Interimsphase wies die Alliierte Kommandantur zweimal – im Oktober 1945 und im März 1946 – an, das Budget der Akademie zu annullieren.9 Bei den Vertretern der SMAD suchten und fanden, wie Nötzoldt bemerkt, die Akademiker Unterstützung, sogar »nicht selten gegen die Interessen der deutschen Administration«, in der damals noch eine starke Tendenz bestand, die frühere deutsche Forschungslandschaft mit ihrer eingeschliffenen Rollenverteilung wiederherzustellen.10 Zudem stand ab Dezember 1945 als Ansprechpartner und Berater ein Mann zur Verfügung, mit dem man auf gleicher intellektueller Ebene verhandeln konnte: Generalmajor Viktor S. Kulebakin, kein in wissenschaftlichen Angelegenheiten unerfahrener Berufsmilitär, sondern technischer Physiker und Regelungstechniker, selbst Akademiemitglied und Leiter der sowjetischen Akademievertretung in Ostdeutschland. Indes wäre es verfehlt, das Bemühen um eine institutionelle Fusion von Gelehrtengesellschaft und Forschungsbasis (für die später die Bezeichnung »Forschungsakademie« in Umlauf kam) für ein bloß taktisches, allein aus der Nachkriegsnot geborenes Manöver zu halten. Das Verlangen nach eigenen Forschungseinrichtungen wurzelte tief in der Geschichte der PAW, es war eine Art Glaubensartikel, an dem man von Generation zu Generation festhielt und der, wenn die Gelegenheit günstig schien, in konkrete Vorschläge und Forderungen übersetzt wurde. Im 18. Jahrhundert hatte die Berliner Akademie, so wie andere auch, einige Forschungseinrichtungen – von einer Sternwarte über verschiedenartige Sammlungen bis hin zu einem kleinen chemischen Laboratorium – aufgebaut, die als Protoinstitute gelten konnten. Im Fall Berlins gingen diese Einrichtungen während des frühen 19. Jahrhunderts, im Gefolge der korreliert mit der Universitätsgründung durchgeführten Reorganisation der Akademie, jedoch faktisch in die alleinige Zuständigkeit der Universität über – eine Umverteilung der Ressourcen, die man durchaus als eine Amputation der ursprünglichen Akademie werten kann, ungeachtet dessen, daß zwischen dem universitären Lehrkörper und der Mitgliedschaft der Akademie zunächst ein hohes Maß an Personalunion bestand.11 Als hätte die Akademie auf diese Amputation mit dem Nachwachsen neuer Organe antworten wollen (auch wenn hier keine direkte actio-reactio-Beziehung bestand), hob sie bereits unmittelbar danach mit dem 1815 von August Boeckh begründeten »Corpus Inscriptionum Graecarum« einen neuen Institutionentyp aus der Taufe: die 9

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Nötzoldt, Wolfgang Steinitz (wie Anm. 1), S. 27, 32. – Es ist bisher nicht recherchiert worden, wie sich der sowjetische Vertreter in der Alliierten Kommandantur verhalten hat; auf jeden Fall aber muß die Streichung mit westalliierter Mehrheit erfolgt sein. Peter Nötzoldt, Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Gesellschaft und Politik. Gelehrtengesellschaft und Großorganisation außeruniversitärer Forschung 1946– 1972, in: Die Berliner (wie Anm. 5), S. 39–80, hier S. 42. Rüdiger vom Bruch, Gelehrtes und geselliges Berlin. Urban-elitäre Zirkel als kommunikative Schnittpunkte für Akademiemitglieder und Universitätsprofessoren, in: Die Königlich… (wie Anm. 1), S. 85–100.

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akademischen Unternehmen (Unternehmungen) – Vorhaben kollektionierenden und systematisierenden oder auch editorischen Charakters, auf lange Sicht – oft über Generationen hinweg – angelegt und überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, auf geisteswissenschaftlichem Gebiet angesiedelt.12 Mit diesen Unternehmen war ab 1900, als an der PAW die ersten vier Stellen für »wissenschaftliche Beamte« eingerichtet wurden,13 sogar eine bescheidene Form von Professionalisierung verbunden, so daß man durchaus von institutsartigen Gebilden sui generis sprechen kann. Harnack verband an der Schwelle des 20. Jahrhunderts mit diesen Unternehmen gar die Idee vom »Großbetrieb der Wissenschaft«; in der Tat formten sich in ihnen prototypisch jene forschungsorganisatorischen Strukturen, die später in den Instituten der KWG regulär institutionalisiert worden sind.14 Nichtsdestoweniger erwies sich die Konjunktur akademischer Unternehmen als ein ambivalentes Phänomen. Ihr eigentlicher Sinn bestand in der Schaffung akribisch geprüfter Datenbasen für weitere (wiederum im wesentlichen historischgeisteswissenschaftliche) Forschungen, und ihre Mitarbeiter erwarben auf diesem Feld höchste Kompetenz und Meisterschaft; um die Ausbildung neuer Ideen und Theorien aber ging es bei ihnen gerade nicht. Damit konnten sie der Akademie nur in geringem Maß dazu verhelfen, mit eigenen Beiträgen in das Zentrum der zeitgenössischen Forschung vorzustoßen. Die PAW unternahm daher, als mit Friedrich Althoffs Plänen für die Ansiedlung wissenschaftlicher Einrichtungen auf dem Gelände der Domäne Dahlem die Errichtung außeruniversitärer Institute für die Grundlagenforschung akut wurde, weitere Versuche, sich mit Instituten zu versehen. Bekanntlich verlor die Akademie das Rennen, die Institute entstanden im Rahmen der neu gegründeten KWG;15 inwieweit die PAW dabei überhaupt reale Chancen hatte, wird weiterhin kontrovers erörtert.16 Mit der Gewöh12

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Liane Zeil, Die wissenschaftlichen Unternehmen der Berliner Akademie der Wissenschaften, in: Berliner Wissenschaftshistorische Kolloquien III. Die Entwicklung Berlins als Wissenschaftszentrum (1870–1930), Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaft, Kolloquien H. 24, Berlin 1981, S. 51–66. Allgemeine Bestimmungen für die Anstellung wissenschaftlicher Beamten bei der Akademie (Von 1900), in: Hartkopf, Wangermann, Dokumente (wie Anm. 6). Dokument Nr. 57, S. 287–288. Conrad Grau, Genie und Kärrner – zu den geistesgeschichtlichen Wurzeln des HarnackPrinzips in der Berliner Akademietradition, in: Die Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute. Studien zu ihrer Geschichte: Das Harnack-Prinzip, hg. von B. vom Brocke und H. Laitko, Berlin/New York 1996, S. 139–144; Hubert Laitko, Persönlichkeitszentrierte Forschungsorganisation als Leitgedanke der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: Reichweite und Grenzen, Ideal und Wirklichkeit, in: Ebd., S. 583–632, hier S. 590–594. Bernhard vom Brocke, Die Kaiser-Wilhelm Gesellschaft im Kaiserreich. Vorgeschichte, Gründung und Entwicklung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in: Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/ Max-Planck-Gesellschaft. Aus Anlaß ihres 75jährigen Bestehens hg. von R. Vierhaus und B. vom Brocke, Stuttgart 1990, S. 17–162. Bernhard vom Brocke, Verschenkte Optionen. Die Herausforderung der Preußischen

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nung daran, Unternehmungen der beschriebenen Art (heute »Langzeitvorhaben« genannt) als akademiespezifischen Forschungstypus zu betrachten, fanden die Akademien eine Nische, die ihnen niemand mehr streitig machte, und gerieten damit unweigerlich an die Peripherie der Forschungslandschaft. Die Berliner Akademie begehrte gegen diese Beschränkung auf und hatte damit zwar noch nicht 1930, als sie einen strategisch besonders sorgfältig durchdachten Vorstoß unternahm,17 wohl aber 1945/46 Erfolg. Doch auch dieser Erfolg blieb eine historische Episode. Mit der Auflösung der Akademie der Wissenschaften der DDR kehrte man zur Normalität zurück: Die Institute wurden abgewickelt, die Langzeitvorhaben traditionellen Typs aber wurden, da als legitime Akademiespezifika anerkannt, bewahrt und in der neu gegründeten Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) weitergeführt. Die Situation, die im Berliner Wissenschaftsgefüge mit der Errichtung der KWG entstanden war, kennzeichnet Bernhard vom Brocke mit folgenden Worten: »Zwischen Akademie, Universität und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wurde damals ein Spannungs- und Konkurrenzverhältnis begründet, das trotz aller personellen Verflechtungen der drei Institutionen bis heute nachhallt«.18 Harnacks Brief aus dem Jahre 1912 war wohl nicht zuletzt ein Versuch, die entstandene Spannung abzubauen. Wie Grau meint, wollte er durch seine Argumente den Akademiesekretar Diels »ganz offensichtlich versöhnen«.19 Auch eine solche, weniger spektakuläre und mehr diplomatische Interpretation des Briefes ist möglich. Harnack hatte zwar die Vereinigung von Akademie und KWG expressis verbis als Ziel bestimmt, zugleich aber betont, daß dieses Ziel noch keineswegs auf der Tagesordnung stünde; als Voraussetzung dafür, es einst erreichen zu können, käme es zunächst darauf an, »daß die beiden Gesellschaften in Frieden nebeneinander stehen und zusammenarbeiten«.20 Vielleicht war Harnack allein an der friedlichen Koexistenz und einem gedeihlichen Miteinander der beiden Organisationen gelegen, und die verheißene Vereinigung war nicht mehr als ein Stück unverbindlichen visionären Zuckerbrotes für Diels. Aber Stroux befand sich, als er sich des Briefes bediente, nicht in der Situation des Interpreten, der mögliche Deutungen gelassen abwägt, sondern in der Situation des Handelnden, der eine und nur eine Deutung braucht und gelten

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Akademie durch neue Organisationsformen der Forschung um 1900, in: Die Königlich (wie Anm. 1), S. 119–147; Hubert Laitko, Die Preußische Akademie der Wissenschaften und die neuen Arbeitsteilungen. Ihr Verhältnis zum »Kartell« der deutschsprachigen Akademien und zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, in: Ebd., S. 149–173. Denkschrift der Preußischen Akademie der Wissenschaften über die Erweiterung ihrer Tätigkeit. Von 1930 (gekürzt), in: Hartkopf, Wangermann, Dokumente… (wie Anm. 6). Dokument Nr. 66, S. 301–310. B. vom Brocke, Verschenkte Optionen (wie Anm. 16), S. 123. Conrad Grau, »… daß die beiden Gesellschaften in Frieden nebeneinander stehen und zusammenarbeiten«. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin, in: Dahlemer Archivgespräche Bd. 1., hg. von E. Henning, Berlin 1996, S. 34–46, hier S. 43. Adolf von Harnack an Hermann Diels (wie Anm. 2), S. 462.

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läßt. Diese Deutung ging als kanonisches Kulturgut in das Selbstverständnis der Ostberliner Akademie ein und erlaubte ihr, im Bewußtsein der Übereinstimmung mit der gesamten Berliner Akademiegeschichte zu agieren. Zum 250jährigen Bestehen der Akademie 1950 brachte die Deutsche Post der DDR eine Briefmarkenserie mit Bildnissen berühmter Mitglieder heraus. Während sich der geniale Mathematiker Leonhard Euler mit dem kleinsten Wert von einem Pfennig (grau) begnügen mußte, wurde Adolf von Harnack mit einer 50-Pfennig-Marke (blau) der höchste Wert dieser Serie zuerkannt.21 Wer mag, kann dies als symbolische Gratifikation für den identitätsstiftenden Brief deuten. Der Befehl der sowjetischen Militärverwaltung zur Eröffnung der DAW erging am 1. Juli 1946 und damit an einem akademiehistorisch bedeutsamen Tag: Es war der 300. Geburtstag des Philosophen und Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, der nicht nur Gründungspräsident der Berliner Akademie, sondern zugleich auch wesentlicher Anreger der 1724 errichteten Russischen Akademie der Wissenschaften gewesen ist. Zar Peter I. hatte über seine Akademiepläne mit Leibniz persönlich diskutiert und ausführlich korrespondiert. In der Person von Leibniz verbanden sich somit die deutsche und die russische Akademietradition. Dank ihrer von vornherein großzügigen Ausstattung mit Forschungseinrichtungen, die ihr auch in ihrer weiteren Geschichte nicht wieder entzogen wurden, entsprach die Petersburger Gründung dem Leibnizschen Akademiekonzept in wesentlichen Zügen vollständiger als die Berliner Akademie.22 Die Berliner Eröffnungsfeier 1946 stand ganz im Zeichen des Leibniz-Jubiläums. So ordnete sich dann auch der Bezug auf Harnack, den Stroux hier herstellte, in einen größeren und tiefer in die Geschichte zurückreichenden Zusammenhang ein. Die Erwähnung Harnacks verwies zurück auf Leibniz als Schöpfer umfassender Akademiekonzepte, und zugleich wurde Leibniz’ Rolle bei der Gründung der Akademie 1700 mythisch überhöht. Diese Überhöhung entsprach im wesentlichen dem Leibniz-Bild, das Harnack in seiner berühmten Akademiegeschichte gezeichnet hatte,23 und sie wurde unkritisch weitergeführt. Während der gesamten Lebens-

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Josef Naas, Bericht über die Arbeit der Akademie in den Jahren 1950–1951, in: Jahrbuch der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1950–51, Berlin 1951, S. 47–153, hier S. 53–54. Gennadij D. Komkov, Boris V. Levšin, Lev K. Semenov, Geschichte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, hg. und bearbeitet von C. Grau, Berlin 1981, S. 39–86. Grau bemerkt, daß Harnack die Entstehung der Berliner Akademie »nahezu ausschließlich mit dem Wirken von Leibniz« verbunden hätte, und kommentiert dieses Faktum so: »Diese These, die sich in dieser Form weder nach dem Stand der damaligen noch der heutigen Leibnizforschung aufrecht erhalten läßt, war 1900 Harnacks Tribut an das zeitgenössische Selbstverständnis der Akademie […] Die unbestreitbare und bis heute unbestrittene Leistung von Leibniz als Akademiegründer wurde durch seine partielle Isolierung aus dem Gesamtumfeld seiner Zeit in Wirklichkeit jedoch eher unterschätzt.«, in Conrad Grau, Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Eine deutsche Gelehrtengesellschaft in drei Jahrhunderten, Heidelberg/Berlin/Oxford 1993, S. 56, siehe dazu ausführlich: Conrad Grau, Leibniz und die Folgen – Zur Wirkungsgeschichte des Leib-

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dauer der Akademie in Ostberlin gab es kaum eine repräsentative Rede, in der Leibniz’ Vermächtnis nicht rituell beschworen worden wäre. Alljährlich wiederkehrende Höhepunkte im Leben der Akademie waren, wie schon seit 1812, die weiterhin regelmäßig begangenen Leibniztage.24 Die fortlaufend wiederholte Bezugnahme auf Leibniz diente zunächst und vor allem dazu, den Anspruch der DAW zu Berlin, die 1972 in Akademie der Wissenschaften der DDR umbenannt worden war, auf legitime Nachfolge der PAW zu betonen. Für diesen Standpunkt sprach die ununterbrochene Zuwahlkontinuität der sich durch Wahlen selbst ergänzenden Gelehrtengesellschaft. Es gab jedoch kritische Punkte, insbesondere den umstandslosen Übergang vom Trägerstaat Preußen (einem Teilstaat des bundesstaatlich konstituierten Deutschen Reiches) auf den Trägerstaat DDR (der ausdrücklich zentral und nicht föderal konzipiert war).25 Diese juristische Unschärfe berührte zwar die praktische Arbeit der Akademie nicht, doch sie spielte im Kalten Krieg eine gewisse politische Rolle: Nach der Spaltung Berlins akzeptierte der Senat von Berlin (West) die Rechtsnachfolge von der PAW zur DAW nicht und benannte einen Westberliner Anwalt als »Notvertreter« für die nach seiner Ansicht juristisch weiterhin bestehende PAW. Diese Finesse erwies sich als ein weitsichtiger Schachzug, da sie es nach der deutschen Vereinigung erleichterte, die Gelehrtengesellschaft der DDR-Akademie ohne weiteres fallen zu lassen und für die 1993 auf der Grundlage eines 1992 geschlossenen Vertrages zwischen den Bundesländern Berlin und Brandenburg errichtete BBAW zu postulieren, sie sei unmittelbare Rechtsnachfolgerin der PAW, die von 1945 bis 1993 als eine Körperschaft ohne Mitglieder juristisch weiterbestanden habe.26

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nizschen Akademiekonzepts, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät (Berlin), Bd. 38, Jg. 2000, H. 3, S. 5–26. Conrad Grau, Zur Geschichte des Leibniz-Tages der Akademie der Wissenschaften in Berlin – Rezeption und Würdigung des Leibnizschen Werkes, in: Leibniz – Werk und Wirkung, Hannover 1983, S. 886–893. Der Staat Preußen wurde 1947 durch alliierte Entscheidung förmlich aufgelöst, doch das Plenum der PAW beschloß bereits am 20. Dezember 1945 ihre Umbenennung in »Akademie der Wissenschaften zu Berlin«; damit erfolgte innerhalb eines Jahres ein zweifacher Namenswechsel. Der Abschied vom Adjektiv »preußisch« war vermutlich damit begründet, daß in jener Zeit die preußische Tradition überwiegend mit Militarismus und Aggressivität assoziiert wurde. Immerhin waren auch damals schon Stimmen vernehmbar, die eine differenzierende Sicht anmahnten und an die Kulturleistung Preußens erinnerten. Auf der Plenarsitzung der PAW vom 6. Dezember 1945 sagte der Berliner Oberbürgermeister Arthur Werner in seiner Begrüßungsansprache: »Wohl in keinem anderen Zusammenhang hat das Wort ›Preußen‹ überall in der zivilisierten Welt so beifälliges Wohlwollen und Bewunderung erweckt wie in der Bezeichnung ›Preußische Akademie der Wissenschaften‹. Hier – in diesem Zusammenhang – ist das Wort ›Preußen‹ über sich selbst hinausgewachsen und hat sich aus der ihm sonst anhaftenden Atmosphäre des territorialstaatlichen Soldatentums in die Bezirke des weltweiten Geistes erhoben«. – Protokoll der Sitzung der Gesamt-Akademie vom 6. Dezember 1945, in: Hartkopf, Wangermann, Dokumente (wie Anm. 6). Dokument Nr. 130, S. 461–463, hier S. 461. Werner Thieme, Fortbestand und Erneuerung der Preußischen Akademie der Wissenschaf-

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Die Bezugnahme auf Leibniz war mit bestimmten inhaltlichen Vorstellungen befrachtet, die den von der politischen Führung der DDR mit dem Ausbau der Akademie zum »Forschungskombinat« verbundenen Erwartungen entsprachen. Insbesondere auf naturwissenschaftlichem Gebiet sollte die Akademie zum strategischen Forschungszentrum des Landes werden, das praxisnah zu arbeiten und Erkenntnisgrundlagen für wirtschaftliche Innovationen zu liefern hatte. Dies entsprach keineswegs dem Ideal eines praxisfernen, der »reinen« Wissenschaft ergebenen Akademismus, das sich im 19. Jahrhundert durchgesetzt hatte. Leibniz hingegen war dafür der geeignete Gewährsmann. Die Akademie, wie sie ihm vorgeschwebt hatte, war keine unverbindliche Gelehrtenvereinigung, sondern das praxiswirksame geistige Zentrum eines wirtschaftlich aufstrebenden absolutistischen Staates. In seinen Briefen und Denkschriften aus der Gründungszeit der Berliner Akademie sind ausdrücklich die verschiedensten Arten praktischer Nutzanwendung der Wissenschaft benannt, die man sich zu seiner Zeit vorstellen konnte. Die entsprechenden Stellen bei Leibniz sind so eindeutig, daß sie kaum Spielraum für stark abweichende oder gar konträre Interpretationen lassen. In der wahrscheinlich für Daniel Ernst Jablonski bestimmten Variante seiner Denkschrift vom März 1700 beschrieb Leibniz das Aufgabenprofil der zu gründenden Sozietät mit folgenden Worten: »Wäre demnach der Zweck theoriam cum praxi zu vereinigen, und nicht allein die Künste und die Wissenschaften, sondern auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Commerzien und, mit einem Wort, die Nahrungsmittel zu verbessern…«.27 Vermutlich ist dies die in der DDR am meisten zitierte Leibniz-Stelle, doch auch andere Passagen, in denen er die Orientierung der Wissenschaft auf den »gemeinen Nutzen« hervorhob, wurden häufig angeführt.

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ten, Köln/Berlin/Bonn/München 1992, S. 77. – Die BBAW trägt den vollständigen Namen »Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (vormals Preußische Akademie der Wissenschaften)«. Sie wurde auf der Grundlage eines im Mai 1992 zwischen Berlin und Brandenburg abgeschlossenen Staatsvertrages gegründet und im März 1993 konstituiert. In Art. 1, Abs. 1 des Staatsvertrages heißt es: »Die im Jahre 1700 als Kurfürstlich-Brandenburgische Sozietät gegründete Akademie der Wissenschaften wird neukonstituiert und als gemeinsame Einrichtung der Länder Berlin und Brandenburg errichtet«. – Staatsvertrag über die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften vom 21. Mai 1992, in: BBAW (vormals PAW): Jahrbuch 1992/93, S. 328–333, hier S. 328. – In der vom Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und dem Senator für Wissenschaft und Forschung Prof. Dr. Manfred Erhardt am 26. Mai 1992 für die Beschlußfassung über den Staatsvertrag im Berliner Abgeordnetenhaus eingereichten Gesetzesvorlage wird zur Begründung von Art. 1 ausgeführt: »Die Preußische Akademie der Wissenschaften ist nach einem Gutachten des Verwaltungs- und Verfassungsrechtlers Professor Dr. Werner Thieme (Universität Hamburg) als Körperschaft weder aufgelöst worden noch rechtlich in eine Nachfolgeeinrichtung in der DDR eingegangen […] Sie besteht als Körperschaft des öffentlichen Rechts ohne Mitglieder fort.« – Auszug aus der Gesetzesvorlage für das AbgeordnetenHaus von Berlin zum Staatsvertrag über die BBAW, in: Ebd., S. 334–341, hier S. 336. Leibnizens Denkschrift in Bezug auf die Einrichtung einer Societas Scientiarum et Artium in Berlin vom 24./6. März 1700, in: Hartkopf, Wangermann, Dokumente… (wie Anm. 6). Dokument Nr. 17, S. 216–218, hier S. 217.

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Die dem brandenburgischen Kurfürsten übermittelte Version der Denkschrift vom März 1700 enthält zudem die Überlegung, daß – in heutiger Terminologie ausgedrückt – die zu schaffende Sozietät nur eine Start- oder Anschubfinanzierung benötige, während sie sich im weiteren durch den Nutzen, den sie der Praxis erweist, selbst refinanzieren würde: »Also daß es nur auf den guten Anfang ankomt, welcher mittelmäßig und doch also gefaßet sein muß, daß das Werck mit dem sich ereignenden Nutzen wachsen könne«.28 Der Sinn des Appellierens an die Akademietradition wird hier vordergründig deutlich. Ein politischer Text, in dem die DDR-Führung eine Wirtschafts- oder Produktivkraftorientierung der akademischen Forschung verlangte, konnte von den angesprochenen Wissenschaftlern – auch wenn sie sich öffentlich einer zustimmenden Rhetorik bedienten – stillschweigend als äußere Einmischung in ihre kognitive Autonomie betrachtet und ignoriert werden. Eine analoge Überlegung aus der Feder von Leibniz indes mußte man zunächst einmal ernst nehmen, auch wenn man natürlich versuchen konnte, sie aus den spezifischen Bedingungen des frühen 18. Jahrhunderts zu erklären und ihre Geltung auf jene ferne Zeit zu beschränken. Traditionen können von vielen Akteuren mobilisiert und in ihrem jeweiligen Interesse genutzt werden. Während die Praxisorientierung der Wissenschaft im Verständnis von Leibniz eher den Interessen der politischen Führung als denen der Akademiewissenschaftler entgegenkam, gab es einen anderen, komplementären Zug in den Leibniztexten, auf den die Akademie pochen konnte, um ihr wissenschaftliches Eigeninteresse zu verfechten. So praxisnah Leibniz die Akademie auch gestaltet wissen wollte – ihre Struktur sollte nicht durch eine pragmatische Personalauswahl gekennzeichnet sein, sondern die Gesamtheit der »realen« Wissenschaften systematisch vertreten; hinzu kamen, ursprünglich initiiert durch das Verlangen des brandenburgischen Kurfürsten nach Berücksichtigung der Sprachpflege, die Humaniora als zweite Säule des akademischen Tableaus. Damit konnte sich das praxis- oder wirtschaftsbezogene »Forschungskombinat« zugleich als eine »Universitas« auffassen, in der das Ensemble der modernen natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen mit möglichst großer Vollständigkeit systematisch betrieben werden sollte. Sogar im Grundsatzdokument für die Akademiereform der späten sechziger Jahre,29 des durch eine erdrückende Dominanz der Wirtschaftsorientierung gekennzeichneten folgenreichsten Einschnittes in der Geschichte der Akademie seit der DAW-Eröffnung, heißt es: »Im Geiste des Gründers der DAW, Gottfried Wilhelm Leibniz, verkörpert das Plenum in Theorie und Praxis die universitas litterarum«.30 Auch dies entspricht der Berliner Akade-

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Ebd., 26. März 1700, S. 219–221, hier S. 219. Hubert Laitko, Das Reformpaket der sechziger Jahre – wissenschaftspolitisches Finale der Ulbricht-Ära, in: Naturwissenschaft und Technik in der DDR., hg. von D. Hoffmann und K. Macrakis, Berlin 1997, S. 38–57, hier S. 53–55; Nötzoldt, Wolfgang Steinitz… (wie Anm. 1), S. 239–248; Nötzoldt, Die Deutsche… (wie Anm. 10), S. 74–78, Grundkonzeption und Struktur der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin;

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mietradition. So bemerkt Walter Rüegg zu der 1812 erfolgten Reorganisation der Akademie: »Universitati litterariae war nicht nur die neue Universität gewidmet, wie es die Inschrift über dem Portal des Prinz-Heinrich-Palastes proklamierte, sondern auch die Akademie der Wissenschaften…«.31 Utilitas- und Universitas-Orientierung, beide in deutlicher Spannung zueinander und doch miteinander mannigfach verflochten, bildeten die zwei Koordinaten, von denen aus die Akademie in Ostberlin die akademiehistorische Tradition von Leibniz bis Harnack aufrief und im Wechselspiel von Selbstbehauptung und politischer und wirtschaftlicher Inanspruchnahme selektiv nutzte. Rüdiger vom Bruch bescheinigt den akademischen Akteuren der Nachkriegszeit, daß sie »virtuos in sorgsam zu unterscheidenden Bezügen mit konstruierten Kontinuitäten hantierten«.32 Menschliches Erkennen, zumal historisches, ist stets konstruktiv, und die Identität einer Institution stützt sich wesentlich darauf, wie sie die historische Kontinuität ihrer Herkunft zu konstruieren vermag. Freilich, auch auf diesem Feld verlief der Wettstreit zwischen Ost und West, und ganz so, wie die westliche Seite den Systemwettstreit generell für sich entschied, tat sie es auch auf dem speziellen Feld der Akademiegeschichte. Die Kontinuitätskonstruktion, die die Entwicklung einer Akademie zum Institutsverbund akademiehistorisch rechtfertigte, war zaghaft und schüchtern, verglichen mit jenem kühnen Wurf,33 der zwischen 1945 und 1993 einen unmittelbaren Übergang herstellte und das knappe halbe Jahrhundert kalendarischer Zeit zwischen diesen beiden Daten zu einem historischen Nichts schrumpfen ließ.

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beschlossen vom Plenum der Akademie am 25. Juli 1968, in: Hartkopf, Wangermann, Dokumente… (wie Anm. 6). Dokument Nr. 170, S. 544–555, hier S. 547. Walter Rüegg, Ortsbestimmung. Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften und der Aufstieg der Universitäten in den ersten zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts, in: Die Königlich… (wie Anm. 1), S. 23–40, hier S. 30. Rüdiger vom Bruch, Zwischen Traditionsbezug und Erneuerung. Wissenschaftspolitische Denkmodelle und Weichenstellungen unter alliierter Besatzung 1945–1949, in: Die Berliner (wie Anm. 5), S. 3–23, hier S. 3. – Der Begriff der »konstruierten Kontinuitäten« ist von Ash in die wissenschaftshistorische Literatur eingeführt worden; Mitchell G. Ash, Verordnete Umbrüche, konstruierte Kontinuitäten. Zur Entnazifizierung von Wissenschaftlern und Wissenschaften nach 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 43 (1995), S. 203–223. Mitchell G. Ash zieht sogar den Begriff der Fiktion heran, wenn er über den historischen Anspruch der BBAW folgendermaßen urteilt: »In Wirklichkeit ist diese – von außen gesehen – eine Neugründung, die mittels juristischer Fiktionen als eine Art Rechtsnachfolgerin der Preußischen Akademie, jedoch nicht als Rechtsnachfolgerin der Akademie der Wissenschaften der DDR, in die Welt gesetzt wurde«. – Podiumsdiskussion: Vergangenheit und Zukunft der Wissenschaftsakademie – ein Blick ins 21. Jahrhundert, in: Die Berliner… (wie Anm. 5), S. 339–361, hier S. 346–347.

Bernhard vom Brocke

»Vergangenheitsbewältigung« als politische Instrumentalisierung: Das Beispiel der Preußischen Akademie der Wissenschaften Ein Kommentar

»Vergangenheitsbewältigung« als politische Instrumentalisierung

Hubert Laitko hat in seinem Beitrag einen konzisen Überblick über die Entwicklung von Deutschlands ältester Akademie gegeben – sehen wir einmal von dem Sonderfall der Leopoldina ab: einen Überblick von der Entwicklung der Kurfürstlich-Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften von 1700 und der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften zur Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1945 und mit gesamtdeutschem Anspruch zur Deutschen Akademie der Wissenschaften 1946, von der Akademie der Wissenschaften der DDR 1972 bis zu ihren Nachfolgerinnen: der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit dem Untertitel »vormals Preußische Akademie der Wissenschaften« und der Leibniz-Sozietät e.V. mit dem Untertitel »begründet 1700 als Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften«. Leibniz-Sozietät und Berlin-Brandenburgische Akademie erheben heute den Anspruch, die legitimen Nachfolgerinnen der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu sein. Hubert Laitkos Überblick faßt den Forschungsstand zusammen, der im letzten Jahrzehnt von Historikern und Wissenschaftshistorikern aus der früheren DDR und der alten Bundesrepublik erarbeitet wurde. Laitkos Beitrag hat in verschiedenen Epochen der Berliner Akademiegeschichte illustriert, wie sehr die Geschichte zur Legitimation/Rechtfertigung staatlicher Wissenschaftspolitik instrumentalisiert werden kann. Ich möchte das an vier Zäsuren noch einmal verdeutlichen und ergänzen: 1909/11, 1929/30, 1946, 1989/93. 1909 berief sich Adolf Harnack in seiner berühmten Denkschrift zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für den Kaiser und die Öffentlichkeit und dann 1910 der Kaiser in seiner Rede ausgerechnet zum 100jährigen Jubiläum der Berliner Universität auf angeblich unausgeführte Pläne Wilhelm von Humboldts in einer Denkschrift von 1809, um die Gründung der neuartigen Trägerorganisation von Forschungsinstituten neben Universität und Akademie historisch zu legitimieren. Humboldts Denkschrift, 1896 von Bruno Gebhardt aufgefunden, war damals eigentlich nur Harnack bekannt.1

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Bernhard vom Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kaiserreich. Vorgeschichte, Gründung und Entwicklung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in: Forschung im

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Bernhard vom Brocke

Die Berliner Akademie hatte im Zusammenhang mit Althoffs Plänen in Dahlem2 1906 in einer Immediateingabe an den Kaiser3 und dann wiederholt4 eigene Forschungsinstitute gefordert, nachdem ihre Protoinstitute des 18. Jahrhunderts durch die Gründung der Berliner Universität 1810 entgegen Humboldts Absichten im frühen 19. Jahrhundert an diese verlorengegangen waren. Und ihr einziges Forschungsinstitut, das Preußische Historische Institut in Rom, war gerade 1903 in den Etat der preußischen Archivverwaltung übernommen worden, da es unter Aufsicht der Akademie nicht recht gedieh. Die Akademie war mit Harnacks Geschichtskonstruktion keineswegs einverstanden. Es kam zu einem schweren Zerwürfnis mit dem gefeierten Historiker zu ihrer 200-Jahr-Feier von 1900. Harnack wurde bei der von ihm erwarteten Neuwahl zum Sekretar auf Lebenszeit bewußt übergangen, statt seiner der Klassische Philologe Hermann Diels gewählt. Das Zerwürfnis konnte durch Althoffs Nachfolger im Preußischen Kultusministerium Friedrich Schmidt-Ott – dem eigentlichen Gründer der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft neben dem Theologen Harnack und dem Chemiker Emil Fischer – unter Bezug auf den kaiserlichen Willen nur mühsam beigelegt werden. Die Gründung der neuen primär naturwissenschaftlichen Forschungsorganisation zwar durch Akademiemitglieder, aber an der Akademie vorbei, sollte, wie damals Schmidt-Ott als Vertreter der Staatsmacht gegenüber den aufgebrachten und ohnmächtigen Wortführern der Akademie in naiver Offenheit eingestand, keine Konkurrenz zur Akademie sein, sondern dieser die fehlenden Institute ersetzen.5 In dieser Situation schrieb Harnack als erster Präsident der neuen Gesellschaft den erst 1946 bekannt gewordenen beschwichtigenden Brief an Diels.6

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Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm/ Max-Planck-Gesellschaft. Aus Anlaß ihres 75jährigen Bestehens hg. von R. Vierhaus und B. vom Brocke, Stuttgart 1990, S. 17–162, hier S. 26ff., 138ff. Acten betr. das Dr. Althoff’sche Project betr. Ausnutzung der Domäne Dahlem für staatliche Zwecke (Begründung einer durch hervorragende Wissenschaftsstätten bestimmten vornehmen Kolonie, eines deutschen Oxford), gedruckt mit den wichtigsten Voten in: Idee und Wirklichkeit einer Universität. Dokumente zur Geschichte der Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin, hg. von W. Weischedel et al., Berlin (West) 1960, S. 483–524, 531–534. Abschrift der Eingabe vom 8. 3. 1906. in: GehStA Dahlem, Rep. 92 Althoff A I Nr. 123, Bl. 21–31. Nernst an Althoff, 1. 4. 1908, Geh.StA Dahlem, Rep. 92 Althoff A I Br. 124, Bl. 143–147. Dazu Hubert Laitko, Die Preuß. Akademie der Wissenschaften und die neuen Arbeitsteilungen, in: Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, hg. von J. Kocka unter Mitarbeit von R. Hohlfeld und P. Th. Walther, Berlin 1999, S. 164f. Zitat: F. Schmidt-Ott, Anfänge der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (Aufzeichnung für Max Planck, 1935), in: 50 Jahre Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1911–1961. Beiträge und Dokumente, Göttingen 1961, S. 63; ähnlich Ders.: Erlebtes und Erstrebtes 1850–1960, Wiesbaden 1952, S. 120. Bernhard vom Brocke, Im Großbetrieb der Wissenschaft. Adolf von Harnack als Wissenschaftsorganisator und Wissenschaftspolitiker – zwischen Preußischer Akademie und Kai-

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1929, als in der wirtschaftlichen Scheinblüte der Republik von einer »Reorganisationskommission« der Akademie dem Kultusministerium eine »Denkschrift über die Erweiterung ihrer Tätigkeit«7 unterbreitet und von ihrem Sekretar und Nachfolger Harnacks in der Leitung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Max Planck am Leibniztag 1930 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, wünschte man sich wieder für »dauernde umfassende Unternehmungen die Form des Instituts« anstelle der Kommissionen. Man erstrebte die Angliederung bestehender außeruniversitärer Staatsinstitute in Berlin und die Begründung eines Forschungsinstituts für theoretische Physik. Die Denkschrift blieb ohne Auswirkungen, da nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise bereits eine Finanzierung der laufenden Arbeiten nicht mehr gesichert war. Bis in die späten 1930er Jahre finden wir die Akademie in einem permanenten Ringen um eigene Institute, sei es durch Umwandlung von Kommissionen, sei es durch Neugründungen. Dagegen gelangen der KaiserWilhelm-Gesellschaft in den »goldenen« zwanziger und dreißiger Jahren unter Leitung der Akademiemitglieder Harnack und dann Max Planck mit Mitteln des Reiches, der Länder, der Wirtschaft, auch der Gewerkschaften der Ausbau zu einer über Preußen hinaus expandierenden gesamtdeutschen Forschungsorganisation und die Gründung der Mehrzahl ihrer Institute. 1946 berief sich wiederum Johannes Stroux, der letzte Präsident der Preußischen und erste der Deutschen Akademie der Wissenschaften, auf Harnacks Brief, um die Wiedereröffnung der Akademie mit den jetzt endlich erlangten Forschungsinstituten zu begründen. Erst der Deutschen Akademie der Wissenschaften, die 1946 mit gesamtdeutschem Anspruch an die Stelle der Preußischen trat, und zu deren Mitgliedern Gelehrte aus ganz Deutschland und dem Ausland gehörten, ist es gelungen, die Forderungen nach zeitgemäßeren Organisationsformen und Forschungsinstituten zu realisieren. Es bedurfte also keineswegs der Orientierung am Vorbild der sowjetischen Akademie, die Ende der 20er Jahre nach dem Vorbild der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von einer Gelehrtensozietät zur Trägerorganisation von Forschungsinstituten umgewandelt worden war,8 als die Akademie nach

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ser-Wilhelm-Gesellschaft. Auch ein Beitrag zur vergeblichen Reform der deutschen Akademien seit 1900, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät (Berlin), Bd. 45, Jg. 2001, H. 2, S. 59–144. Denkschrift der Preußischen Akademie der Wissenschaften über die Erweiterung ihrer Tätigkeit. Als Broschüre gedr. in der Reichsdruckerei (Berlin 1930), S. 12f.; Auszug in: Dokumente zur Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1700 bis 1990, hg. von Werner Hartkopf, Gert Wangermann, Berlin 1991, S. 301–310. Dazu Peter Nötzoldt, Strategien der deutschen Wissenschaftsakademien gegen Bedeutungsverlust und Funktionsverarmung (Kap. »Forschungsinstitute an der Akademie«), in: Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1914–1945, hg. von W. Fischer unter Mitarbeit von R. Hohlfeldt und P. Nötzoldt, Berlin 2000, S. 237–277, hier S. 252–259. Loren R. Graham, The Formation of Soviet Research Institutes: A Comparison of Revolutionary Innovation and International Borrowing, in: Social Studies of Science 5 (1975), S. 309–329.

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dem Zweiten Weltkrieg die Chance ergriff, die zwischen 1909 und 1911 getroffenen Entscheidungen zu korrigieren und endlich eigene Institute zu bekommen. Der »Sündenfall« begann nicht, wie ich es noch 1996 in meiner Einführung zu dem von mir und Hubert Laitko herausgegegebenen Band »Die Kaiser-Wilhelm-/ Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute. Studien zu ihrer Geschichte. Das Harnack-Prinzip« dargestellt habe,9 mit der Akademiereform von 1968, sondern wie Peter Nötzoldt 1998 in einem Vortrag korrigiert hat, bereits vor der Akademiereform mit der schrittweisen Errichtung der von Größenwahn und Gigantomanie bestimmten Zentralinstitute mit 200 bis 800 Mitarbeitern, in welche die bisherigen Institute und Kommissionen eingingen.10 Die Akademiereform fand mit der Umbenennung in Akademie der Wissenschaften der DDR im Oktober 1972 dann ihren äußeren Abschluß.11 Der Glaube an das Zauberwort »Großforschung« entsprach allerdings dem Geist der Zeit und war im Westen nicht weniger verbreitet.12 Auch hier entstanden als Antworten auf die amerikanische Herausforderung in den 70er Jahren in und außerhalb der Max-Planck-Gesellschaft und in der Fraunhofer-Gesellschaft Großforschungseinrichtungen mit 900 und mehr Mitarbeitern.13

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B. vom Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute zwischen Universität und Akademie, in: Die Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute. Studien zu ihrer Geschichte. Das Harnack-Prinzip, hg. von B. vom Brocke und H. Laitko, Berlin 1996, S. 1–32. Peter Nötzoldt, Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Gesellschaft und Politik. Gelehrtengesellschaft und Großorganisation außeruniversitärer Forschung 1946– 1972, in: Die Berliner Akademien der Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945–1990, hg. von J. Kocka unter Mitarbeit von P. Nötzoldt und P. Th. Walther, Berlin 2002, S. 39–80. Aus westdeutscher Sicht: Rudolf Landrock, Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1945–1971. Ihre Umwandlung zur sozialistische Forschungsakademie, 3 Bde., Erlangen 1978 (Analysen und Berichte aus Gesellschaft und Wissenschaft, hg. vom Institut für Gesellschaft und Wissenschaft, 5/1978); Werner Scheler (ehem. Präsident der AdW), Von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin zur Akademie der Wissenschaften der DDR. Abriss der Genese und Transformation der Akademie, Berlin 2000; dazu die Rezension von Dieter Simon (Präsident der BBAW), in: Neues Deutschland, 17. 11. 2000, S. 13. Siehe das aus einem Vortrag zum 20-jähr. Bestehen der »Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen« 1990 hervorgegangene Buch von Gerhard A. Ritter, Großforschung und Staat in Deutschland. Ein historischer Überblick, München 1992 (mit Lit.); ferner: Großforschung in Deutschland, hg. von M. Szöllösi-Janze und H. Trischler, Frankfurt/M., New York 1990 (Studien zur Geschichte der deutschen Großforschungseinrichtungen, Bd. 1). Antworten auf die amerikanische Herausforderung. Forschung in der Bundesrepublik und in der DDR in den »langen« siebziger Jahren, hg. von G. A. Ritter, M. Szöllösi-Janze, H. Trischler, Frankfurt/M., New York 1999 (Studien zur Gesch. dt. Großforschungseinrichtungen, Bd. 12); H. Trischler, R. vom Bruch, Forschung für den Markt. Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft, München 1999.

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1989/93, nach der deutschen Vereinigung, wurden die Auflösung der Akademie der Wissenschaften der DDR und die Neugründung der Berlin-Brandenburgischen Akademie als reine Gelehrtensozietät mit der Tradition der deutschen Akademien als Gelehrtenvereinigungen begründet. Ihr gegenüber erschien nach dem schlichten Schema der »Sowjetisierung« die Deutsche bzw. die Akademie der Wissenschaften der DDR als Trägerorganisation von Forschungsinstituten ein Sündenfall, eine Abirrung vom wahren Akademiegedanken nach dem Muster der Sowjetischen Akademie und der osteuropäischen Staatsakademien. In der BerlinBrandenburgischen Akademie wurden die von den Instituten betreuten geisteswissenschaftlichen Langzeitvorhaben unter den bisherigen Arbeitsstellenleitern in Kommissionen nach dem Muster der westdeutschen Akademien rückverwandelt. Den Kommissionsvorsitz übernahmen mit einer Ausnahme (Manfred Bierwisch) Gelehrte aus Westberlin und Westdeutschland. Es wurden Strukturen der Preußischen Akademie wiederhergestellt, die bereits ihre führenden Vertreter vor den Weltkriegen für überholt gehalten hatten. Die Leibniz-Sozietät hat sich nach der deutschen Vereinigung als reine Gelehrtenvereinigung der in- und ausländischen Mitglieder der aufgelösten DDR-Akademie ohne staatliche Gelder als e.V. konstituiert und sich seither durch zahlreiche Mitglieder aus Westdeutschland und dem Ausland ergänzt. Sie betrachtet sich als rechtmäßige Nachfolgerin der Preußischen Akademie und ihrer Nachfolgerinnen und sieht sich durch die Neugründung der Berlin-Brandenburgischen Akademien um ihr Vermögen, ihre Immobilien, Institute, Kommissionen, ihr Archiv und ihre Bibliothek gebracht. Auch sie hat wie die Berlin-Brandenburgische Akademie14 ihre Kontinuität mit einem historisch argumentierenden Rechtsgutachten begründet.15 Akademien waren immer primär Gründungen der Fürsten, des Staates, der sie unterhielt. In Berlin hat der Staat mit der Neugründung der BBAW politisch entschieden. In der Forschungslandschaft der Bundesrepublik erschien für eine zweite große Trägerorganisation von Forschungsinstituten mit mehr Wissenschaftlichen Mitgliedern und Mitarbeitern als die Max-Planck-Gesellschaft kein Platz. Die Akademie der Wissenschaften der DDR verfügte zuletzt über 72 Institute und Einrichtungen, darunter 53 Forschungsinstitute, mit rund 23 000 Beschäftigten, von diesen 8000 Wissenschaftler. Sie bildete bis zur deutschen Vereinigung als nationale Akademie das DDR-Pendant zur Max-Planck-Gesellschaft, die 1946/48 durch Umbenennung aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hervorgegangen war. Diese unterhielt im 75. Jahre ihres Bestehens 1986: 63 Institute und

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Werner Thieme (Hamburg), Rechtsgutachten über den Fortbestand und die WiederIngang-Setzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften, April 1991. Bodo Pierroth (Marburg), Bernhard Schlink (Bonn, Frankfurt/M.), Fortbestand und Umfang der Gelehrtensozietät der Akademie der Wissenschaften der (ehemaligen) Deutschen Demokratischen Republik. Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Gelehrtensozietät der Akademie der Wissenschaften der (ehem.) Deutschen Demokratischen Republik, November 1991.

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selbständige Forschungsgruppen mit 8500 Mitarbeitern, von ihnen waren 2400 Wissenschaftler und Ingenieure, dazu kamen rund 3000 Stipendiaten und Gastwissenschaftler.16 Der vorschnelle Ausspruch des Präsidenten der Max-PlanckGesellschaft zur Zeit der »Wende«, daß die DDR eine einzige wissenschaftliche Wüste sei, ist längst widerlegt. Forschungsinstitute der DDR-Akademie wurden in andere wissenschaftliche Institutionen eingegliedert. Die meisten Mitglieder und Mitarbeiter jedoch wurden mit ihrer Auflösung – trotz teilweiser positiver Evaluierung durch den Wissenschaftsrat – entlassen, in den Vorruhestand oder die Arbeitslosigkeit geschickt. Sie sind die Opfer des »kalten Krieges« in der deutschen Vereinigung. Heute und hier geht es nicht darum zu entscheiden, wer das historische Recht hat. Es geht um intellektuelle Redlichkeit und historische Gerechtigkeit, um die Abweisung »konstruierter Kontinuitäten« und pseudohistorisch legitimierender juristischer Fiktionen.

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Zahlenangaben nach: Max-Planck-Gesellschaft. Jahrbuch 1986; ferner: B. vom Brocke, Die KWG/MPG und ihre Institute zwischen Universität und Akademie., in: Die KaiserWilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute (wie Anm. 9), S. 17.

Monika Boll

Die Zukunft der Erinnerung – Anmerkungen zur neuen Gedenkkultur in Mahnstätten, Kunst und Medien

I.

Epochenwechsel 1989

Die Zukunft der Erinnerung

Die politischen Veränderungen seit 1989 bestätigen zunehmend, daß die Frage nach dem Umgang mit der eigenen Vergangenheit angesichts Millionen Ermordeter, Verschleppter und an Hab und Gut Geschädigter in keiner der posttotalitären und postdiktatorischen Gesellschaften mehr abzuweisen ist. Der Begriff der Vergangenheitsbewältigung hat in den letzten Jahren eine erstaunliche Verallgemeinerung erfahren. Lange Zeit auf den deutschen Kontext begrenzt und polemisch umkämpft, findet er heute eine zunehmend umfassende und deskriptive Verwendung. Soviel läßt sich bereits feststellen: Mit einer weiter fortschreitenden politischen Institutionalisierung der Menschenrechte auf internationaler Ebene wird auch der herkömmliche Umgang mit der Vergangenheit, der auf Amnestie und Vergessen setzte, immer öfter von einer neuen Politik der Erinnerung abgelöst werden. Dafür steht nicht zuletzt auch eine Art nachholender Aufarbeitung in denjenigen Ländern, die wie Österreich, Italien und Japan in engem Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland standen und einen kritischen Umgang mit der Geschichte lange erfolgreich vermeiden konnten. Selbst in ehemals neutralen oder von der Wehrmacht besetzten Ländern wie der Schweiz, Frankreich oder den Niederlanden hat die gesellschaftliche Debatte die sichere Deckung von Neutralität und überdehnter Widerstandslegende verlassen und wendet sich der Geschichte der Kollaboration und des Antisemitismus im eigenen Land zu. Mittlerweile existiert eine vergleichende historische Erfahrung, in der die jüngeren auf die älteren Bewältigungsversuche rekurrieren. Dabei übernimmt die Bundesrepublik aufgrund ihrer der Dauer nach einzigartigen Erfahrung oftmals den Status einer allgemeinen Vergleichsgröße. Die Bundesrepublik prägt eine seit fast sechzig Jahren geführte, in steter Wandlung begriffene Auseinandersetzung mit ihrer NS-Vergangenheit. Auch hier befand man sich 1989 an einem markanten Wendepunkt. Die Wiedervereinigung führte bei nicht wenigen zu der Befürchtung, die Berliner Republik strebe eine Rückkehr in den nationalgeschichtlichen Kontext an und würde auf dem Weg der Lockerung aus der Westintegration auch ihre Verpflichtung den Opfern des NS gegenüber aufkündigen. Ein Widerhall davon findet sich noch in der breiten öffentlichen Debatte um das Berliner Holocaust-Mahnmal zu Beginn der neunziger Jahre. Indes wurden die Befürchtungen wie die Hoffnungen, die an

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eine solche Rückkehr in die Nationalgeschichte gebunden waren, nicht zuletzt durch die fortschreitende europäische Einigung zu einer leeren historischen Reminiszenz verurteilt. Auch von einem Ende der Politik der Erinnerung kann keine Rede sein. Im Gegenteil, die neunziger Jahre verzeichneten nochmals gesteigerte Bemühungen auf breiter gesellschaftlicher Ebene, ablesbar etwa an der Vielzahl neu gegründeter Dokumentationszentren und Gedenkstätten. Eine freilich ganz neue Qualität im Umgang hat sich mit der Entdeckung der NS-Vergangenheit durch die Medien als einem quotenträchtigen Sendeformat ergeben.

II. Mahn- und Gedenkstätten in Deutschland Historisierung oder Politik der Erinnerung? – Zwei Optionen, die lange Zeit ideologisch streng getrennte Lager repräsentierten und sich kategorisch auszuschließen schienen, treten zur Zeit in ein neues Verhältnis zueinander. Sechzig Jahre nach Kriegsende leben nicht mehr viele Menschen, die über eine persönliche Erinnerung an den Nationalsozialismus verfügen. Das Ende der Zeitzeugenschaft ist absehbar geworden. Damit rückt die vormals »jüngste« Vergangenheit aus der Achse der Zeitgeschichte in die distanziertere Perspektive der Geschichte ein. Die umstrittene Historisierung wird zu einer nicht mehr aufzuhaltenden Tatsache. Andererseits bildet die Auseinandersetzung mit dem NS mehr denn je einen integralen Bestandteil der politischen Kultur in Deutschland. Womit wir also heute und in nächster Zukunft konfrontiert sein werden, läßt sich beschreiben als eine paradox anmutende Situation, in der eine ansteigende Beschäftigung mit einer gleichzeitig fortschreitenden Historisierung des Nationalsozialismus einhergeht. Mit der Einsetzung der »Gedenkstättenförderkonzeption des Bundes« im Jahre 2000 hat sich auch diese Art von Einrichtungen im Kanon politischer Kultur fest verankert. Seit den achtziger Jahren kam es zur Etablierung zahlreicher Gedenkstätten und Dokumentationszentren etwa Neuengamme, Wewelsburg, das Informationszentrum Emslandlager, die Alte Synagoge Essen, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das Gestapo-Haus in Köln, das Gelände des Reichssicherheitshauptamts an der einstigen Prinz-Albrecht-Straße in Berlin oder das Haus der WannseeKonferenz. Die Initiatoren gehörten meist den Jahrgängen 1940–1960 und damit den Nachgeborenen an. Mitte der achtziger Jahre existierten ein Dutzend Gedenkstätten und ca. 100 Initiativen, die bis zur Jahrhundertwende auf 18 solcher Stätten und an die 200 Initiativen angestiegen waren. Die Entwicklung der Gedenkstättenförderung in Deutschland spiegelt indes den allgemeinen Umgang mit der Vergangenheit wider: Nach Kriegsende stellten überlebende Häftlinge für sich und ihre toten Mitgefangenen erste Erinnerungszeichen wie Inschriften, Kreuze, Klagemauern oder Obelisken auf. Einer Dokumentation bedurfte es nicht, das Grauen war noch unmittelbar anwesend. Aus der Sicht der Alliierten galt es zunächst, die befreiten Konzentrationslager als

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Tatorte im juristischen Sinn zu sichern. Zeugenaussagen und vor Ort gesammelte Fundstücke dienten der Beweisaufnahme zur Prozeßvorbereitung. Gleichzeitig gaben die Alliierten die Lager, um die Bevölkerung mit den Verbrechen zu konfrontieren, zur Besichtigung und zur öffentlichen Berichterstattung in Zeitung und Rundfunk frei. Einige der Konzentrationslager wie Dachau, Buchenwald und Neuengamme wurden nach 1945 zur Unterbringung von displaced persons genutzt. Bezeichnenderweise, weil den vergangenheitspolitischen Bedürfnissen dieser Zeit entsprechend, galt die erste Gedenkstätte 1952 in Berlin Plötzensee dem deutschen Widerstand. Andere Lager erfuhren gleichfalls Umwidmungen in Namen neuer Legitimationsansprüche. So wurde Buchenwald bis auf das Eingangstor abgerissen, zur Ermordungsstätte Ernst Thälmanns erklärt und mit dem Leitwort »Durch Sterben und Kämpfen zum Sieg« in das Geschichtsbild der DDR integriert. In Dachau besetzte die Rechristianisierung der Adenauerära das Gelände symbolisch und stellte den Judenmord unters Kreuz Christi: katholische Holzkirche 1945, Todesangst Christi Kapelle 1960, Sühnekloster Heilig Blut 1964, eine jüdische Gedenkstätte und die erste Dauerausstellung kamen schließlich 1965 hinzu.

III. Von der Mahnstätte zum Museum – von der Pädagogik zur Didaktik Seitdem Fortbestand und Pflege der Einrichtungen gesichert erscheinen, treten Fragen der Ausstellungspraxis als solcher zunehmend in den Vordergrund. Pädagogik und Didaktik des Holocaust stehen heute vor neuen Herausforderungen. Selbstverständnis und Auftrag der Initiatoren und Betreiber der gerne auch als »Lernzentren« bezeichneten Mahnstätten definierten sich bis weit in die achtziger Jahre fraglos pädagogisch. Politische Bildung und Empathie mit den Opfern sollten vor jedweder Form der Wiederkehr immunisieren. Erinnerungsgebot und Betroffenheitspädagogik wandten sich an ein Publikum, dessen guter Wille durch Anwesenheit hinreichend bekundet war. Heute stößt der alte pädagogische Imperativ auf Indifferenz, gelegentlich auch auf Abwehr. Der überwiegende Teil der Besucher rekrutiert sich aus Jahrgängen, die den Nationalsozialismus allein aus Unterricht und Fernsehen kennen, die nicht einmal mehr über die Generation der Großeltern eine persönliche Erfahrung mit der Zeit verbindet. Bekenntnisse aber sind denjenigen, die faktisch nicht mehr betroffen sein können, nur als moralische Nötigung abzuringen, die oft ins Gegenteil umschlägt. Die Jüngeren trennt eine ganze Lebenswelt vom Nationalsozialismus, der Holocaust gehört für sie in die Geschichte des letzten Jahrhunderts. Damit verändern sich notwendigerweise auch Anspruch und Funktion einer Gedenkstätte, die sich zusehends in ein Museum verwandelt. Das umreißt aber nur eine der Herausforderungen, vor der die Museumsdidaktik heute steht.

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Eine weitere betrifft eine neue Ausstellungspraxis, die sich bereits als Antwort auf die Musealisierung versteht und dabei ins andere Extrem umzuschlagen droht. Das Beispiel des United States Holocaust Memorial Museum in Washington zeigt, zu welchen Konsequenzen die zunehmende Ineinssetzung des Holocaust mit dem NS-System als Ganzem schlechterdings führen könnte. Das Konzept des Gründungsdirektors Shaike Weinberg »One exposition, one narrative« lädt ein zu einer Ausrichtung der Exponate unter eine Generalerzählung. Im Vordergrund stehen immer weniger Information und Dokumentation als leichte Zugänglichkeit und die Erzeugung eines affektiven Habitus beim Besucher. Diese Herangehensweise impliziert eine Komplexitätsreduktion, in der dem Holocaust Ort und Zeit entzogen werden. Der Holocaust wird dabei auf merkwürdige Art entrealisiert, er gerät zu einem universellen Paradigma des Bösen, zu einem Ereignis aus einer anderen Zeit auf einem anderen Stern. Das Gegenteil aber wäre in Zeiten anwachsender Historisierung vonnöten. Eine verantwortungsbewußte Museumsdidaktik hätte sich um eine Aufladung mit Realität zu bemühen, beispielsweise durch Hinzunahme der Sozial- und Alltagsgeschichte des NS oder seiner Bevölkerungs- und Umsiedlungspolitik vor dem Hintergrund eines Europas der Nationalitätenkonflikte.

IV. Die Rezeption in der bildenden Kunst Eine Auseinandersetzung mit ästhetischen Rezeptionsformen des Holocaust hat zunächst einmal danach zu fragen, inwiefern Kunst überhaupt eine Reflexionsform für das Thema bereitstellt. Die Funktionen eines wissenschaftlichen, politischen oder pädagogischen Diskurses wird sie weder übernehmen können, noch wollen. Das Feld der eigenen Formensprache bleibt ohnedies ein weites: Kunst kann tröstender Trauerflor sein, Agitprop oder ein Agent des Nichtrationalisierbaren. Ein Grund für die Zustimmung zur Errichtung des Berliner Holocaust-Mahnmals ergab sich aus der allgemeinen Unzufriedenheit mit der wenige Jahre zuvor aufgestellten Pietà in der Neuen Wache. Die Skulptur stellt die Vergrößerung eines von Käthe Kollwitz ursprünglich für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges entworfenen Denkmals dar, das nun ganz allgemein den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gewidmet ist. In der Berliner Pietà scheint noch einmal die narrative Denkmalskunst der späten vierziger und fünfziger Jahre auf. Christliches Motiv und Widmung zitieren eine Gedenkkultur, in welcher der Holocaust nicht vorkam oder aber von einer überformenden Sinnstiftung in Dienst genommen wurde. Käthe Kollwitz steht in einer – auch ästhetischen – Tradition mit Fritz Cremers berühmter Figurengruppe in Buchenwald oder mit dem ebenfalls von Cremer gestalteten Mahnmal des Faschismus auf dem Wiener Zentralfriedhof, dessen Hauptfigur einen nackten Mann darstellt, vor dem sieben Stufen liegen, welche – der österreichischen Legende gemäß – die sieben Jahre deutscher Fremdherrschaft symbolisieren.

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Es sind aber nicht bloß die religiösen und politischen Aneignungsversuche, die diese Kunst obsolet erscheinen lassen, allein ihre Formensprache, ihr gegenständlicher Expressionismus macht sie in den Augen des heute herrschenden Kunstdiskurses indiskutabel. Das Jüdische Museum von Daniel Libeskind, das HolocaustMahnmal von Peter Eisenman wie auch die Mehrzahl der Wettbewerbsentwürfe treffen sich in dem Bemühen um einen ungegenständlichen Ausdruck für das vermeintlich Unvorstellbare, für die Abwesenheit jeden Sinns. Es scheint, als arbeiteten sich all diese Entwürfe an der Auschwitz-Metapher der sechziger und siebziger Jahre ab. Mithin entsteht der Eindruck, als seien die Erfahrung des Holocaust und ihre künstlerische Vermittlung endlich in eine organische Verbindung getreten. Eine kritisch ästhetische Reflexion hätte zu prüfen, ob das von »Auschwitz« ausgehende Bilderverbot im Mimesistabu der klassischen Avantgarde tatsächlich seinen natürlichen Ausdruck oder eher eine zufällige Koinzidenz zweier semantischer Systeme gefunden hat.

V. Die Rezeption in den Medien Folgenreichere Veränderungen als in der E-Kunst aber spielen sich im gesellschaftlichen Bereich ab. Die Mediengesellschaft konfiguriert natürlich auch das kollektive Gedächtnis medial. Der Holocaust ist längst talkshowtauglich geworden. Verschiedene Sendeanstalten konkurrieren in der Sparte »history« um ein Publikum, das der negativen Faszination Hitlers aus der gelassenen Distanz des Fernsehsessels neugierig folgt. Besonders in den Medien macht sich die neue Rezeptionsregel eines steigenden Interesses, einer proportional erhöhten Sendefrequenz bei entsprechend abnehmender persönlicher Betroffenheit bemerkbar. Für eine erste, damals als solche noch deutlich empfundene, Erschütterung des Bilderverbotes sorgte 1979 die Ausstrahlung des amerikanischen Dreiteilers Holocaust im deutschen Fernsehen. Der Film hielt kaum irgendwelchen wissenschaftlichen oder cineastischen Ansprüchen stand, stellte aber ein sozialpsychologisches Ereignis dar. Nach mehr als dreißig Jahren hatte sich plötzlich, mithilfe einer konfektionierten Dramaturgie und sentimentaler Identifikationsangebote, in der deutschen Gesellschaft eine breite Empathie mit den Opfern eingestellt. Im Nachklang des Films folgte der berühmte Metaphernwechsel, der den Begriff des Holocaust bis heute, auch in der Wissenschaft, in Anwendung hält. Anstelle des befürchteten Vergessens stellte sich im Verlauf der achtziger und neunziger Jahre eine wahre Explosion der Bilder und Narrative ein. Claude Lanzmann hatte in Shoa (1985) versucht, die historische Relativierung des Holocaust noch einmal zu unterlaufen, indem er dem Leiden der Opfer Gesichter, Stimmen und Geschichten, aber keine Bilder gab. Rekordzahlen spielte statt dessen Steven Spielbergs Schindlers Liste ein; 25 Millionen Amerikaner sahen ihn in den Kinos und noch einmal 65 Millionen bei der Ausstrahlung auf NBC. Für Roberto Benignis Das Leben ist schön hat sich umstandslos die Genrebezeichnung »Holocaustkomödie« etablieren können.

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Die Entwicklung scheint offenkundig auf eine Globalisierung des Holocaust zu einer transkulturellen Metapher zuzulaufen. Abzuwarten bleibt, ob dabei am Ende ein neuer politischer Gründungsmythos oder eine Disneyfizierung des Bewußtseins herauskommen wird.

Bibliographie Tim Cole, Selling the Holocaust: From Auschwitz to Schindler. How History is Bought, Packaged, and Sold, New York 1999. Christoph Cornelißen (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Japan, Italien, Frankfurt a.M. 2003. Michael Jeismann, Auf Wiedersehen Gestern. Die deutsche Vergangenheit und die Politik von Morgen, München 2001. Volkhard Knigge, Norbert Frei (Hg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002. Helmut König, Michael Kohlstruck, Andreas Wöll (Hg.), Vergangenheitsbewältigung am Ende des 20. Jahrhunderts, Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Sonderheft 18/1998. Daniel Levy, Natan Sznaider, Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt a.M. 2001. Peter Märthesheimer, Ivo Frenzel, Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm Holocaust. Eine Nation ist betroffen, Frankfurt a.M. 1979. Ulrike Puvogel, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 245. Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, München 2001. Gary Smith, Arvishai Margalit (Hg.), Amnestie oder die Politik der Erinnerung in der Demokratie, Frankfurt a.M. 1997. James E. Young, Formen des Erinnerns. Gedenkstätten des Holocaust, Wien 1997.

Christoph Cornelißen

Historische Landesausstellungen als Instrumente zur Förderung regionaler Identität: Das Beispiel Nordrhein-Westfalen In den vergangenen Jahren ist die Beschäftigung mit Erinnerungsorten beziehungsweise Erinnerungskulturen zu einem weithin beachteten Thema der deutschen Geschichtswissenschaft aufgestiegen. Betrachtet man jedoch die bisherigen Ergebnisse dieser Debatten, so sticht zum einen ins Auge, wie sehr die international vergleichende Perspektive bei der Untersuchung kollektiver nationaler Gedächtnisformen zu kurz gekommen ist. Diese Tatsache muß eigentlich überraschen, stand doch am Anfang der Forschungsarbeiten Pierre Noras das Ziel einer vergleichenden Geschichte der Erinnerungen nationaler Gemeinschaften.1 Tatsächlich jedoch haben weder er selbst noch die von ihm angeregten Folgeprojekte zu nationalen Erinnerungsorten in anderen Ländern diesen Schritt vollzogen. Die Historiographie der Erinnerungskulturen ist in einem Ausmaß national verfaßt geblieben, wie dies für andere Forschungsbereiche kaum mehr festgestellt werden kann. Ausnahmen hierzu bestätigen die Regel: Dazu zählen etwa die Arbeiten des Grazer Historikers Moritz Csáky über Ostmitteleuropa sowie die neueren Bemühungen der Osteuropa-Historie insgesamt, die im Zweiten Weltkrieg zerstörten ethnischen Mischkulturen Ostmitteleuropas und ihre Gedächtnisstätten grenzübergreifend in Erinnerung zu bringen.2 Zum anderen sind in der – räumlich betrachtet – gegenläufigen Forschungsrichtung bislang ebenfalls nur wenige substanzielle Untersuchungen auszumachen. In der Konzentration auf Typen gemeinschaftlicher Großgedächtnisse von Nationen oder auch Religionsgemeinschaften sind sogar oftmals die differierenden Gedächtniskonstruktionen auf regionaler und lokaler Ebene oder – die noch tiefer angesiedelten – »privaten« Erinnerungen ausgeblendet worden: zum Schaden der historiHistorische Landesausstellungen

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Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Die Gedächtnisorte, Berlin 1991, vor allem S. 7–33. Siehe dazu und zur weiteren Diskussion über Erinnerungskulturen Christoph Cornelißen, Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspektiven, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003), S. 548–563. Vgl. auch Ders., Lutz Klinkhammer,Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a. M. 2003. Vgl. dazu Jacques Le Rider, Moritz Csáky, Monika Sommer (Hg.), Transnationale Gedächtnisorte in Zentraleuropa, Innsbruck 2002, sowie Jan Kusber, Ludwig Steindorff (Hg.), Gedächtnisorte in Osteuropa, Frankfurt a. M. 2003, sowie Andrea Corbea-Hoisie, Rudolf Jaworski, Monika Sommer (Hg.), Umbruch im östlichen Europa, Innsbruck 2004. Siehe jetzt auch Christoph Cornelißen, Roman Holec, Jirˇí Pešek (Hg.), Diktatur – Krieg – Vertreibung. Erinnerungskulturen in Tschechien, der Slowakei und Deutschland seit 1945, Essen 2005.

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schen Forschung und ihrer Erkenntnismöglichkeiten. So manches Mal wurden Erinnerungen dieser Art allzu rasch für übergeordnete Kollektivgedächtnisse vereinnahmt.3 Nicht nur die deutsche Geschichte, sondern gerade auch die italienische bieten jedoch sowohl für die Jahre vor als auch nach 1945 vielfältige Beispiele dafür, daß die Regionalität oder Lokalität spezifischer Erinnerungskulturen scheinbar homogene Gedächtnisnationen aufbrechen konnten und auch tatsächlich aufgebrochen haben. Angesichts der Tatsache, daß nach dem Zweiten Weltkrieg die Entstehung der Bundesländer der Begründung des westdeutschen Staates vorangegangen ist, erscheint es darüber hinaus geradezu zwingend, nach der Funktion von historisch begründeten Regionalidentitäten und regionalen Erinnerungsgemeinschaften sowie ihren Verflechtungen mit der übergeordneten nationalen Ebene zu fragen.4 Weiterhin sollten Anregungen der neueren Landes- und Regionalgeschichte gebührend Rechnung getragen werden, denn nicht alle Formen regionaler Identität mußten mit Nationalismen und nationalen Identitäten harmonieren, auch wenn dies gelegentlich doch der Fall sein konnte.5 Daraus entstanden Spannungsverhältnisse, denen es lohnt, im einzelnen nachzugehen. Um diesen Zusammenhang an einem Fallbeispiel näher zu eruieren, verdienen kulturhistorische Ausstellungen in der Region, wie sie seit den 1970er Jahren in verschiedenen Bundesländern aufgelegt wurden, besondere Aufmerksamkeit.6 Selbst in dem 1946 neu begründeten Bindestrichland Nordrhein-Westfalen, das sich im wesentlichen als das Ergebnis der britischen Besatzungspolitik begreifen läßt, verfielen Politiker und Experten aus verschiedenen akademischen Disziplinen im Laufe der 1970er Jahre auf die Idee, eine große historische Landesschau 3 4

5

6

Siehe dazu Clemens Wischermann, Wettstreit um Gedächtnis und Erinnerung, in: Westfälische Forschungen 51 (2001), S. 1–18. Vgl. Arno Mohr, Politische Identität um jeden Preis. Zur Funktion der Landesgeschichtsschreibung in den Bundesländern, in: NPL 35 (1990), S. 222–274, sowie zur verfassungsrechtlichen Problematik des Bund-Länder-Verhältnisses Hans Boldt (Hg.), NordrheinWestfalen und der Bund, Köln 1989. Vgl. Dazu Thomas Kühne, Die Region als Konstrukt. Regionalgeschichte als Kulturgeschichte, in: James Retallack (Hg.), Sachsen in Deutschland. Politik, Kultur und Gesellschaft, Bielefeld 2000, S. 253–263. Siehe auch Jürgen Reulecke, Von der Landesgeschichte zur Regionalgeschichte, in: GiW (1996), S. 202–208; Bernd Weisbrod, Region und Zeitgeschichte. Das Beispiel Niedersachsen, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Geschichte 68 (1996), S. 91–105; mit zahlreichen weiteren Verweisen zuletzt Celia Applegate, A Europe of Regions, Reflections on the Historiography of Sub-National Places of Modern Times, in: American Historical Review 104 (1999), S. 1157–1182. Im weiteren folge ich im wesentlichen den Ausführungen meines Beitrages: »Uns fehlen Könige und ihr Schmuck«: Zum Scheitern der Pläne für eine historische Landesausstellung in Nordrhein-Westfalen (1977–1982), in: Geschichte im Westen 18 (2003), S. 226–239. Der weitere Rahmen der geschichtspolitischen Initiativen findet sich abgehandelt in: Christoph Cornelißen, Der lange Weg zur historischen Identität. Geschichtspolitik in Nordrhein-Westfalen seit 1946, in: Thomas Schlemmer, Hans Woller (Hg.): Bayern im Bund, Bd. 3: Politik und Kultur im föderativen Staat 1949 bis 1973, München 2004, S. 411–484.

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in Gang zu bringen, um tatsächliche oder vermeintliche Identitätsdefizite im Verhältnis der Bevölkerung zu ihrem Land und seinen Institutionen auszugleichen. Die geplante Landesausstellung sollte über eine geschichtspolitische Großveranstaltung einen positiven emotionalen Bezug zur Vertiefung oder überhaupt erst zur Begründung einer nordrhein-westfälischen Landesidentität schaffen und gleichzeitig Differenzen zwischen den historisch gewachsenen Geschichtslandschaften ausgleichen. Gemeint waren damit vor allem das Rheinland und Westfalen. Die Genese der Pläne und ihr Scheitern werden im folgenden zunächst in den Kontext der museumshistorischen Debatten während der 1970er Jahre eingebettet. In einem zweiten Teil kommen die Vorläufer der geplanten Historischen Landesausstellung zur Sprache. Abschließend wird das geplante, wenn auch gescheiterte Großprojekt näher in Augenschein genommen.

I.

Die Museumseuphorie der 1970er Jahre

Die 1970er Jahre bilden kulturhistorisch eine wichtige Schnittstelle. Denn während zur Mitte des Jahrzehnts einerseits noch skeptisch nach dem Stellenwert der Geschichte in der modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft gefragt wurde, zeigt sich andererseits in der Rückschau auf das gesamte Jahrzehnt sehr deutlich, wie stark die Hinwendung zur Vergangenheit damals in Gang gekommen ist. Kaum ein Gegenstand und kaum ein Ereignis entging seit dieser Zeit dem Zugriff der Museums- und Ausstellungsmacher. Die für viele überraschende Entwicklung erreichte solche Ausmaße, daß die »Musealisierung« der Geschichte sogar zur Signatur der zeitgenössischen Gegenwartskultur erklärt worden ist. Im Zuge dieser Wende entwickelten sich kulturhistorische Großausstellungen in Deutschland zu einer populären Ergänzung des traditionellen Museumsbetriebs. Den Anfang machte 1977 eine Ausstellung über das schwäbische Kaisergeschlecht der Staufer, mit dem sich das noch junge Bundesland Baden-Württemberg erfolgreich ein Denkmal durch Geschichte setzte: Immerhin 670 000 Besucher besuchten die zehnwöchige Ausstellung.7 Andere Bundesländer knüpften erfolgreich an dieses Modell an, darunter der Freistaat Bayern, wo 1980 den Wittelsbachern eine ebenfalls publikumswirksame Ausstellung gewidmet wurde. Ähnlich wirkungsvoll war die Großausstellung »Preußen – Versuch einer Bilanz« in Berlin aus dem Folgejahr.8 Überhaupt erlebten Museen und historische Ausstellungen in diesem Zeitraum einen bislang unbekannten Zuschaueransturm. War vorher noch von einer Museumskrise die Rede gewesen, so sprach man danach vielfach von einer Museumseuphorie oder sogar von einem Museumsfieber.9 Allein für die Zeit zwischen 1975 7 8 9

Württembergisches Landesmuseum, Die Zeit der Staufer, Stuttgart 1977. Siehe dazu Ekkehard Mai, Geschichte und Kritik des Ausstellungswesens, München 1986, S. 65–72. Ausstellung Preußen, Versuch einer Bilanz, Berlin 1981. Gottfried Korff, Aporien der Musealisierung. Notizen zu einem Trend, der die Institution, nach der er benannt ist, hinter sich gelassen hat, in: Wolfgang Zacharias (Hg.): Zeitphä-

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und 1980 sind 600 historische Ausstellungen, für die Jahre 1985 bis 1990 sogar 1400 Ausstellungen dieses Typs im gesamten Bundesgebiet gezählt worden.10 Als allgemeine Gründe für den Trend zur Musealisierung diagnostizierte der Philosoph Hermann Lübbe den progressiven Reliktanfall in Zeiten einer beschleunigten Veralterung von Konsumgütern, aber auch eine um sich greifende Zivilisationsmüdigkeit in den Industriestaaten des Westens.11 Mit seiner Analyse verwies er auf eine grundlegende mentalitätsgeschichtliche Wende seit Mitte der 1970er Jahre, genauer: seit der ersten Ölkrise 1973, deren vielfältige Wirkungen erst heute nach und nach untersucht werden.12 Es kam so ein Klima verbreiteter Krisenangst auf, das bei Kurt Sontheimer schon bald den Eindruck provozierte, man lebe in »mutloser gewordenen Zeiten«. Er äußerte sogar das Empfinden, die »Rolltreppe des Fortschritts« laufe von nun an eher rückwärts.13 Insgesamt geht somit der Eindruck wohl nicht fehl, wonach in diesem Zeitraum allmählich eine Abkehr von zuvor optimistischen Aufstiegs- und Fortschrittserwartungen einsetzte und sich diese durch vergleichsweise düstere Zeitdiagnosen und Zukunftsprojektionen abgelöst fanden. Am eindrucksvollsten verdeutlicht das die Resonanz auf den Bericht des »Club of Rome« über die »Grenzen des Wachstums«. Von den Kosten des Fortschritts zu reden, vor allem des technologisch bedingten, entwickelte sich damals zu einem äußerst wirksamen Topos in der öffentlichen Diskussion. Im Einklang hiermit stellte sich eine flächendeckende Neubewertung der Vergangenheit ein. Viele betrachteten sie nun erneut als ein nützliches Mittel zur Orientierung sowohl in der Gegenwart als auch für die Zukunft. Denn im beschleunigten Prozeß sozialer Veränderungen wollte man, wie Hermann Glaser konstatierte, den Zusammenhang mit dem Herkommen nicht ganz verlieren, sondern vielmehr den Versuch unternehmen, »in den vielschichtigen Überlieferungen behaust zu bleiben, einen Rest von geschichtlicher Identität festzuhalten«.14 Das ausgeprägte Interesse an der Historisierung der Gegenwart beseelte nicht nur die Wissenschaft und die Ausstellungsmacher, sondern vor allem auch die Politik.15

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14

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nomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung, Essen 1990, S. 57–71. Vgl. Rainer A. Müller (Hg.), Historische Ausstellungen 1960–1990. Eine Bibliographie der Kataloge, bearb. v. Stefan Schuch, Paderborn usw. 1992, S. VII. Vgl. Hermann Lübbe, Zeit-Verhältnisse. Zur Kulturphilosophie des Fortschritts, Graz u.a. 1983, S. 9f. Siehe Jens Hohensee, Der erste Ölpreisschock 1973/74. Die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der arabischen Erdölpolitik auf die Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa, Stuttgart 1996, sowie zuletzt Pierre Nora, Gedächtniskonjunktur, in: Transit 22 (2001/2002), S. 18–31. Siehe dazu Axel Schildt, »Die Kräfte der Gegenreform sind auf breiter Front angetreten«. Zur konservativen Tendenzwende in den Siebzigerjahren, in: Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 449–478, hier S. 459. Hermann Glaser, Ausstellung und Forschung am Beispiel kulturhistorischer Präsentationen der letzten Jahre betrachtet, in: Hellmuth Flashar u.a. (Hg.), Geisteswissenschaft als Aufgabe, Berlin 1978, S. 86–98, hier S. 89. Vgl. allgemein Hermann Lübbe, Die Aufdringlichkeit der Geschichte, Graz 1989.

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Aus diesem Zeitklima heraus entstanden Pläne für die Umsetzung einer nordrhein-westfälischen Landesausstellung. Einen weiteren, sehr viel konkreteren Anlaß hierzu boten die wiederholt aufflackernden Interessendivergenzen zwischen den Regionen des westlichen Bundeslandes, wobei insbesondere die Gegensätze zwischen Rheinländern und Westfalen einen großen Anteil ausmachten. Das Zusammenwachsen des Landes, dem die stabilen Identitätsbezüge eines Traditionszusammenhangs wie beispielsweise im Freistaat Bayern fehlten, wurde dadurch in vielfacher Hinsicht gehemmt.16 Aber nicht nur aus diesem Grund schien eine bessere Fundierung des Landesbewußtseins notwendig, sondern auch, weil ab Mitte der 1970er Jahre höchstrichterlich die bestehenden Grenzen der ehemals elf Bundesländer in der Bundesrepublik festgeschrieben worden waren. Es bot sich daher damals an, nach neuen Wegen zu suchen, um die Identifikationsmöglichkeit der Bürger mit ihrem Land zu verbessern. Naturgemäß gerieten hierbei auch historische Argumente zur Begründung und Verankerung der gewünschten Landesidentität in das Visier der Politik.17 In diesem Zusammenhang brachten erstmals Ende 1977 einige Abgeordnete der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag die Idee einer großen Landesausstellung auf, deren Niveau und Attraktion das der Vorgängerausstellungen anderer Bundesländer erreichen, wenn nicht sogar übertreffen sollte.18 Fraglich war allerdings schon bald, wie das Ziel konkret umgesetzt werden sollte, wurde doch schon in einem frühen Stadium der Planungsdiskussion lapidar konstatiert: »Uns fehlen Könige und ihr Schmuck«.19 Was sollte an ihre Stelle rücken? Welche Personen und Ereignisse aus der Geschichte des Landes boten sich an, in die Ehrengalerie der nordrhein-westfälischen Geschichtsschau einzugehen beziehungsweise welche Themen mußten aufgegriffen werden und welche nicht, um das Ziel einer Stärkung der Landesidentität zu erreichen? Konnte es überhaupt noch darum gehen, die Herrschaftsgeschichte der älteren Territorien im gleichen Raum im traditionellen Stil zur Grundlage zu machen, oder sollte man nicht vielmehr den neuen Tendenzen in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte nachgehen,

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Vgl. hierzu Cornelißen, Der lange Weg. Siehe auch Habbo Knoch, Einleitung zu: Ders. (Hg.), Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945, Göttingen 2001, S. 9–26. Zur neueren kulturwissenschaftlichen Debatte über »Erinnerung« und Fragen der historisch begründeten Identitätsfindung vgl. Jörn Rüsen, Sinnverlust und Sinnbildung im historischen Denken am Ende des Jahrhunderts, in: Wolfgang Küttler, Jörn Rüsen, Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 5: Globale Konflikte, Erinnerungsarbeit und Neuorientierungen seit 1945, Frankfurt a.M. 1999, S. 360–377, hier S. 371f. Siehe auch Wolfgang Kaschuba, Menschen-Landschaften: Kultur als zentrale Identitätsdimension, in: Ute Canaris, Jörn Rüsen (Hg.), Kultur in Nordrhein-Westfalen. Zwischen Kirchturm, Förderturm & Fernsehturm, Stuttgart 2001, S. 18–28. Siehe hiezu den Bestand im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (hiernach HStA), NW 711, Nr. 1–7. HStA Düsseldorf, NW 711–1, Feststellung des Leitenden Ministerialrates Deselaers aus dem nordrhein-westfälischen Finanzministerium vom 9. 12. 1977.

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die im gleichen Zeitraum im Vordergrund des geschichtswissenschaftlichen Interesses standen? Damit war allerdings noch nicht im einzelnen die Frage beantwortet, auf welche Vor-Vergangenheiten sich die Suche nach historischen ›Vorläufern‹ erstrecken sollte.

II. Historische Vorläufer der »Landesausstellung Nordrhein-Westfalen« Auch schon vor der Museumseuphorie der 1970er und 80er Jahre ist die Frage nach der historischen Identität des Bundeslandes NRW wiederholt ausgiebig diskutiert worden. Sowohl Politiker als auch Historiker wählten hierbei immer wieder den Bezug auf die gemeinsame Vergangenheit der preußischen Westprovinzen seit 1815/1822. Gleichermaßen rekurrierten sie auf die Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert und stilisierten diese zu einer historisch begründeten Klammer für die Landesgeschichte, obwohl die Nordrheinprovinz und Westfalen von der englischen Besatzungsmacht 1946 tatsächlich gegen starke Widerstände vor Ort miteinander verschmolzen worden waren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das ausgesprochen antipreußische Ressentiment schon der frühen geschichtspolitischen Initiativen. Ähnlich wie in Bayern rührte man nach dem Krieg an Rhein und Ruhr gerne diese Trommel, um von den eigenen Versäumnissen und Verantwortlichkeiten im »Dritten Reich« ablenken zu können. Kennzeichnend für den Tenor dieser Bemühungen ist eine Broschüre der Staatsbürgerlichen Bildungsstelle der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vom 2. Oktober 1946. Hierin heißt es: »Nordrhein-Westfalen! Ein neuer Begriff, ein neues Land! […] Auf dem Ruinenfeld, das die zwölfjährige Nazidiktatur als trostloses Erbe der deutschen Gegenwart hinterließ, erhebt sich nunmehr in den westlichen Bezirken Deutschlands ein Land, das ebenso sehr in den positiven Werten der Vergangenheit wurzelt, als gegenüber den Einflüssen und Zivilisationstendenzen des westlichen Europas geöffnet ist. Wenn irgendwo in den deutschen Ländern die Demokratie ein Heimatrecht besitzt, dann in diesem Gebiet an Rhein und Ruhr, weil hier schon immer der Pulsschlag demokratischen Lebens spürbar war und der Geist der Menschlichkeit die Herzen von Millionen erfüllte. Mit diesem geschichtlichen Gründungsakt wird ein Schlußstrich unter ein Kapitel deutscher Geschichte gezogen, in dessen Verlauf Preußen vorherrschend den Gang der Dinge bestimmte.«20 Rudolf Amelunxen, der von den Briten ernannte erste Ministerpräsident des neuen Landes, aber auch seine Nachfolger haben danach wiederholt ähnlich argumentiert. Sie beförderten damit einen Weg zeithistorischer Amnesie. Konkret bedeutete das: Die Beschäftigung mit der Landesund Regionalgeschichte wurde zu einem Rettungsanker, um den »düsteren Sei20

Baustein zum neuen Reich. Landtagseröffnung Nordrhein-Westfalen. 2. Oktober 1946, Düsseldorf 1946, S. 5; ausführlich zitiert auch in der Vorbemerkung in: Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen. Britische, französische und amerikanische Akten, bearb. von R. Steininger, Düsseldorf 1988, S. 9.

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ten« der nationalen Vergangenheit aus dem Weg gehen zu können. Die Region, die Bundesländer wurden so zu einer – wie sie zeitgenössisch meist genannt wurde: Heimat ohne NS-Vergangenheit. Sehr früh trat diese Tendenz in den historischen Ausstellungen im Bundesland Nordrhein-Westfalen zutage. Eine der ersten größeren historischen Ausstellungen im Jahr 1956 trug den bezeichnenden Titel »Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr«.21 Damals wurde in der »Villa Hügel« in Essen eine Vielzahl von Exponaten zur Christianisierung Nordwestdeutschlands gezeigt, wobei im Rückblick die Absicht zur Verbreitung einer antikommunistisch aufgeladenen AbendlandIdee hervortritt. Außerdem diente die Ausstellung einem handfesten landesgeschichtspolitischen Ziel: Indem sie die geistigen und kulturellen Verbindungen zwischen der Kölner Kirchenprovinz und weiten Teilen Westfalens bereits seit dem Mittelalter betonte, sollte die Gemeinsamkeit der Bevölkerung der beiden historischen Hauptregionen gestärkt werden. Das Bestreben, Traditionsstränge sichtbar zu machen und diese zur Begründung historischen Bewußtseins einzusetzen, trat noch sehr viel deutlicher in einer Ausstellung des Jahres 1961 über den Kölner Kurfürsten Clemens August zutage.22 Obwohl es sich hierbei primär um eine kunsthistorische Ausstellung mit Exponaten aus dem Herrschaftsbereich des Barockfürsten handelte, stand die Berufung auf eine »ältere Vergangenheit«, eben eine vornationalsozialistische Zeit, erneut im Dienst der geschichtspolitischen Konsolidierung der Gegenwart. Die Landespolitiker, zumal der in den 1960er Jahren dezidiert als Geschichtspolitiker hervortretende Ministerpräsident Franz Meyers, erlegten sich in diesem Zusammenhang kaum eine Zurückhaltung auf. Vor allem Meyers bediente sich frei aus dem Arsenal der schon lange untergegangenen Vergangenheit: So erklärte er im Juni 1965 bei der Eröffnung einer in Aachen gezeigten Ausstellung »Karl der Große«, daß Nordrhein-Westfalen »allen Anlaß« habe, »in diesen Ausstellungen mit Dankbarkeit gegenüber dem geschichtlichen Werden des Landes immer wieder hervorzuheben, wie zahlreich hier die Stätten waren, welche einen wichtigen Beitrag zu dem geleistet haben, was wir heute als deutsche, ja europäische Geschichte anzusehen berechtigt sind«. Doch diese Mahnung war dem Ministerpräsidenten nicht genug; denn ebenso mutig wie ungelenk stellte er seine Arbeit in die Tradition des berühmten Karolingers: »Die gewissenhafte Erfüllung der Kulturverpflichtungen, die uns die Geschichte der eigenen Heimat als besonders unveräußerliches Vermächtnis auferlegt, ist seit der Gründung NordrheinWestfalens eines unserer großen landespolitischen Ziele gewesen. Dabei darf

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Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr. Ausstellung in der Villa Hügel, Essen, 18. 5.– 15. 9. 1956, Essen 1956. Siehe dazu auch Kurt Böhner, Victor H. Elbern (Hg.), Das erste Jahrtausend. Kultur und Kunst im werdenden Abendland an Rhein und Ruhr, 3 Bde., Düsseldorf 1962–1964. Franz Meyers, Vorwort zum Ausstellungskatalog »Kurfürst Clemens August. Landesherr und Mäzen des 18. Jahrhunderts. Ausstellung in Schloß Augustusburg zu Brühl 1961«, Köln 1961.

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auch nicht vergessen werden, was Karl der Große für dieses Land – vielleicht noch mehr für den westfälischen als für den rheinischen Landesteil – im rechten Sinne des Wortes nicht nur als Landesvater, sondern darüber hinaus als Landesplaner getan hat.«23 Vom Nationalsozialismus in der Region zu sprechen, konnte Meyers bei derart weit gewählten Zeitläufen wohlweislich unterlassen. Der hier geäußerte politische Anspruch auf die Popularisierung einer historisch begründeten Landesidentität und ihre tatsächliche Durchsetzung klafften aber an dieser Stelle, wohl nicht zum letzten Mal, weit auseinander. Denn die Exponate der Clemens-August-Ausstellung vermittelten primär einen Einblick in das »kunstgeschichtliche Gelände des 18. Jahrhunderts«, während die Anknüpfung der Landeszeitgeschichte an diese Epoche den meisten Besuchern mit aller Wahrscheinlichkeit verborgen geblieben sein dürfte.24 Ähnliches gilt für die Ausstellungen der 1960er Jahre, denn sowohl eine Europaratsausstellung über »Karl den Großen« in Aachen (1965) als auch eine Ausstellung über »Kunst und Kultur im Weserraum« in Corvey (1966) offenbarten mit aller Deutlichkeit, daß die primär kunsthistorisch ausgerichteten Ausstellungen dieses Typs kaum dazu geeignet waren, die emotionale Verbundenheit der Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens mit ihrem Land zu vertiefen.25 Fraglos mußte man nach neuen Wegen suchen. Einen ersten Niederschlag fand dieses Bemühen in Ausstellungen der Staatsarchive, darunter beispielsweise einer vom Staatsarchiv Detmold 1969 veranstalteten Ausstellung aus Anlaß der Wiederkehr des 200. Geburtstages der Fürstin Pauline. Zwei Jahre danach widmete das gleiche Staatsarchiv dem lippischen Staatspräsidenten Heinrich Drake (1881– 1970) eine Sonderausstellung.26 Nach und nach rückte so auch die jüngere und jüngste Geschichte des Bundeslandes zum Ausstellungsgegenstand auf. Ganz auf dieses Thema war eine gemeinsame Ausstellung der staatlichen Archive Nordrhein-Westfalens ausgerichtet, die anläßlich des 25jährigen Jubiläums die »Entste23 24

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HStA Düsseldorf, NW 158–431, Ansprache von Ministerpräsident Franz Meyers bei Eröffnung der Europaratsausstellung »Karl der Große« am 23. 6. 1965 in Aachen. Joseph Hoster, zum Ausstellungskatalog, in: ebd, S. 7f.; vgl. auch Max Braubach, Kurfürst Clemens August, in: ebd, S. 17–22, und Kristiane Schäfer, Clemens August, Kurfürst von Köln, in: Neues Rheinland vom Juni/Juli 1961, S. 18–21. Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Vom Heimatmuseum zur Geschichtsschau. Museen und Landesausstellungen als Ort der Erinnerung und der Identitätsstiftung, in: Westfälische Forschungen 46 (1996), S. 429–448. Siehe hierzu die Kataloge von Günter Engelbert (Hg.): Fürstin Pauline. Ihr Leben und Wirken, Detmold 1969; Martin Sagebiet, Herbert Stöver (Hg.): Landtagspräsident Heinrich Drake 1881–1970, Detmold 1971. Jüngere Beispiele für Historische Ausstellungen aus Jubiläumsgründen sind, 1993 die 1200-Jahr-Feier der Stadt Münster; 1994 der 150. Todestag des Freiherrn vom Vincke; 1995 der 300. Geburtstag des Barockbaumeisters Johann Conrad Schlaun; 1997 der 200. Geburtstag von Annette Droste-Hülshoff; 1998 die 300. Wiederkehr des Friedens von Osnabrück und Münster. Vgl. hierzu Hans-Joachim Behr, Mehr als ein Mythos. Westfalenbewußtsein heute. Landschaftliche Identität im geeinten Europa, in: Wolfram Köhler (Hg.), Nordrhein-Westfalen. Fünfzig Jahre später, 1946– 1996, Essen 1996, S. 69–87, hier S. 78.

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hung des Landes Nordrhein-Westfalen« als eigenständiges Thema auswählte. Besonders aktiv trat hierbei das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf hervor.27 Als die Ausstellung im April 1972 von Ministerpräsident Heinz Kühn eröffnet wurde, wandte sich dieser dezidiert gegen den Spott über sein »Bindestrichland«.28 Denn Nordrhein-Westfalen verfüge über eine Klammer, die vor ihm existierte, seine Gründung bestimmte und auch heute eine lebendige Realität darstellt. NordrheinWestfalens Bindestrich ist die Ruhr. Durch sie ist das Land, wenn auch vielleicht nicht verschmolzen, so doch zusammengeschweißt. Nordrhein-Westfalen sei außerdem ein Land, das sich »mit dem gesamten rheinisch-westfälischen Industriegebiet gleichgesetzt« habe, aber auch ein Land, das über eine »gute demokratische Tradition« verfüge. Darauf aufbauend habe man seit 1946 an der Ruhr eines der »fortschrittlichsten Gesellschaftssysteme« der Welt verwirklicht.29 Die öffentliche Resonanz der Ausstellung blieb freilich gering,30 und Kühns Ausführungen konnten auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es um den begleitenden Katalog großen Streit gegeben hatte, der einmal mehr zeigte, wie lebendig die Regionalismen in den alten Provinzen des neuen Bundeslandes noch immer waren. Schon damals deutete sich an, daß Nordrhein-Westfalen als Thema einer Landesausstellung ein schwieriges Pflaster werden konnte.

III. Ideen und Pläne zur Umsetzung einer »Großen Landesausstellung« Ungeachtet der zuvor bekannt gewordenen Schwierigkeiten in der »Zurschaustellung« einer historisch begründeten Landesidentität brachten erstmals Ende 1977 einige Abgeordnete der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag die Idee einer großen historischen Landesausstellung auf. Deren Niveau und Attraktion sollte das von Vorgängerausstellungen anderer Bundesländerländer erreichen, wenn nicht sogar übertreffen. Das Gesamtprojekt stand freilich von Beginn an unter keinem guten Stern. Angesichts der finanziellen Nöte im Landeshaushalt, sah sich die Landesregierung nach vielfachen Vorarbeiten tatsächlich schon im Laufe des Jahres 1982 gezwungen, den laufenden Planungen Einhalt zu gebieten. Dennoch: Die Initiatoren der Fraktionsvorlage vom Dezember 1977 ließen sich von diesen Schwierigkeiten zunächst nicht abschrecken. Sie verfolgten vielmehr ein sehr ambitioniertes Projekt, wonach das Land Nordrhein-Westfalen zur Stär27 28 29

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HStA Düsseldorf, NW 393–516, Rundschreiben Helmut Dahms an die Archive in Düsseldorf, Münster, Detmold und Lippe vom 9. 10. 1970. HStA Düsseldorf, NW 393–517, Entwurf für die Eröffnungsrede des Ministerpräsidenten von Helmut Dahm vom 26. 4. 1972. HStA Düsseldorf, NW 393–517; das Vorwort Heinz Kühns im Katalog der Ausstellung verweist nur nüchtern auf den Nutzen der Ausstellung für den »politischen Unterricht an unseren Schulen«. HStA Düsseldorf, Hausakten, B 3/1, Landesmuseum »Volk und Wirtschaft« an das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf vom 20. 10. 1972.

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kung seiner Identifikationsmöglichkeiten für die Bürger dieses Landes Aspekte der eigenen kultur- und sozialgeschichtlichen Entwicklung von der Römerzeit bis in die Gegenwart bewußt machen sollte. Für eine »große repräsentative Landesausstellung« sprachen in ihren Augen folgende Gründe:31 1. Nordrhein-Westfalen als größtes und sowohl wirtschaftlich als auch politisch bedeutsamstes Bundesland bedarf einer kontinuierlichen Selbstdarstellung. Wichtig hierfür wäre die Darstellung seiner sozialgeschichtlichen und kulturellen Entwicklung. BadenWürttemberg mit der Staufferausstellung, Berlin mit der großen Ausstellung über die 20er Jahre […] und Bayern mit seiner ohnedies traditionell starken Affinität zur eigenen Geschichte sind dafür sinnfällige Beispiele. 2. Das Land Nordrhein-Westfalen mit seinen verschiedenartigen historischen Zugehörigkeiten und seiner nachhaltigen Prägung durch industrielle Produktions-, Arbeits- und Lebensweisen sollte zur Verdeutlichung seiner Geschichte nach außen und auch zur Stärkung seiner Identifikationsmöglichkeiten für die Bürger dieses Landes die damit zusammenhängenden Aspekte der eigenen kulturund sozialgeschichtlichen Entwicklung von der Römerzeit bis heute bewußt machen.

Die entsprechende Anregung traf auf breite Zustimmung in den Regierungsfraktionen von SPD und FDP, aber auch bei den Mitgliedern des nordrheinwestfälischen Kabinetts. Die dann eingeschalteten Fachhistoriker, darunter federführend Kurt Düwell und Wolfgang Köllmann, sowie die Museumsexperten setzten dagegen in den folgenden Planungsrunden eine Konzentration auf die Geschichte der letzten zweihundert Jahre durch. Angesichts der industriellen Geschichte des Bundeslandes, aber auch wegen der neuen geschichtswissenschaftlichen Tendenzen, wollten sie der Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte des Rhein-Ruhr-Raumes ein besonderes Augenmerk schenken. Auffallend ist allerdings dabei, daß die Geschichte der Jahre 1933–1945 kaum als eine eigenständige, darstellungswürdige Epoche in der Geschichte des Landes definiert wurde. Es bedurfte erst einer Intervention des Düsseldorfer Zeit- und Landeshistorikers Peter Hüttenberger, um den Politikern und auch seinen Fachkollegen klarzumachen, daß das 20. Jahrhundert, zumal die Geschichte des »Dritten Reiches«, im Konzept der Planer nicht hinreichend berücksichtigt werde. Kurt Hackenberg, der Hauptverantwortliche der Landesausstellung, hat damals sehr lapidar darauf geantwortet, daß die Darstellung des Dritten Reiches für Nordrhein-Westfalen nur eine »Randfrage« darstelle. Es handelte sich für ihn außerdem nicht um ein spezielles »Landesproblem«. Diese Begründung war 31

HStA Düsseldorf, NW 711–1, Vorlage Jürgen Büssows, Manfred Dammeyers und Christoph Zöpels für die Sitzung der SPD-Fraktion am 7. 12. 1977; zum weiteren vgl. die Vorgänge in der gleichen Akte. Im Auftrag der SPD-Fraktion hatten bereits am 17. 11. 1977 Josef P. Kleihues und Landeskonservator Günther Borchers vom Landschaftsverband Rheinland einen Entwurf für eine Landesausstellung zum Thema »Das Revier« vorgelegt, in dem sie apodiktisch feststellten, daß eine »geschichtliche Darstellung des Landes« kaum zu bewerkstelligen sei. Statt dessen unterbreiteten sie Vorschläge zur Darstellung des Industrie- und Siedlungsbaus im Ruhrgebiet sowie der städtebaulichen und infrastrukturellen Leistungen. Alle weiteren Zitate erschließen sich aus meinen Ausführungen in: Cornelißen, Uns fehlen Könige.

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symptomatisch, nicht nur für die Ausstellungsplaner in Düsseldorf, sondern auch für die Macher der bereits zuvor abgehaltenen historischen Landesausstellungen. In ihnen stand, vor dem Hintergrund der Krisenerfahrungen der 1970er Jahre, der geschichtspolitische Versuch im Vordergrund, die Menschen zu »beheimaten«, ihnen Identitätsangebote mit einer positiv verstandenen Vergangenheit zu unterbreiten. Die NS-Vergangenheit dagegen spielte bei diesen Vorhaben keine Rolle, ja, sie verfiel sogar der Abwehr. Einer der Promotoren der »kulturellen Großdemonstration« in Form der Landesausstellung, Manfred Dammeyer, formulierte in einer ergänzenden Stellungnahme weitere allgemeine Zielsetzungen: Die Ausstellung biete die Möglichkeit, unterschiedliche Aspekte einer säkularen Epoche darzustellen. Außerdem müsse die Historie, ein damals gängiges Argument, nicht personenzentriert erscheinen, und es biete sich eine Konzentration auf die Industrialisierung an. Gegebenenfalls sei aber auch an eine Darstellung der Arbeits- und Lebensweisen aller vorindustriellen Epochen zu denken. Neben einer zentralen Ausstellungsstätte, die etwa in den Messehallen Düsseldorf oder in der Gruga Essen aufgebaut werden könne, ließen sich dezentrale Aspekte in den bereits bestehenden Technik- und Industriemuseen des Landes einbinden.32 Die Anregungen trafen auf breite Zustimmung in den Regierungsfraktionen von SPD und FDP, aber auch bei den Mitgliedern des nordrhein-westfälischen Kabinetts. Offensichtlich wirkte hierbei auch die Kritik Günther Borchers’ vom November 1977, wonach man über die Römer im Rheinland bald mehr wissen werde als über die Arbeits- und Lebensverhältnisse während der industriellen Revolution.33 Dennoch erreichten die Planer bald erste Einwände. Zum einen bezogen sich diese auf die knapp gefaßten Zeitvorstellungen, zum anderen auf die inhaltlichen Vorgaben der Initiatoren. Im Bezug auf Letztere sprachen Vertreter des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung davon, daß das Konzept viel zu schillernd ausgefallen sei. Man könne nicht die Landesgeschichte »vom Neandertaler bis zum modernen Menschen« als Thema bearbeiten, und eine »Arbeiter-KulturAusstellung« sei nicht attraktiv genug für das breite Publikum. Außerdem könne das Ausstellungskonzept in Wahlzeiten möglicherweise als unzulässige Öffentlichkeitsarbeit angegriffen werden.34 Die Fraktionsvorsitzenden von SPD und FDP, Hans Schwier und Hans Koch, ließen sich aber nicht beeindrucken, nachdem sich bereits am 12. Dezember der Fraktionsvorstand der SPD einstimmig zugunsten einer Landesausstellung ausgesprochen hatte. Am 10. April 1978 forderten Schwer und Koch Ministerpräsident Kühn und die Landesregierung auf, noch in der laufenden Legislaturperiode in

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HStA Düsseldorf, NW 711–1, Manfred Dammeyer, Entwurf für ein Konzept zu einer umfassenden Ausstellung zum Thema »Industrialisierung«, Ohne Datum. Vgl. Stefan Klein, Der Tod der mächtigen Zeugen, in: »Süddeutsche Zeitung« vom 2. 11. 1977, S. 3. HStA Düsseldorf, NW 711–1, Protokoll der Beratungen des Fraktionsvorstands vom 9. 12. 1977.

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Düsseldorf eine »große Ausstellung von überregionaler landespolitischer und kulturhistorischer Bedeutung« nach dem Modell anderer Bundesländer ins Werk zu setzen. Gedacht sei hierbei primär an die Darstellung der sozialgeschichtlichen und kulturellen Entwicklung. Nur acht Tage später beschloß das Kabinett auf Anregung Heinz Kühns, die Voraussetzung für eine Landesausstellung prüfen zu lassen. Die Federführung des Projekts sollte das Kultusministerium übernehmen. Als möglicher Beginn der Ausstellung wurde der 30. Jahrestag der Verfassung am 30. Mai 1980 ins Auge gefaßt. Die ersten Stellungnahmen der Gutachter, zu denen die Historiker Kurt Düwell (Trier) und Wolfgang Köllmann (Bochum) sowie die Architekturprofessoren Josef Paul Kleihues und Hartwig Suhrbier bestellt wurden, machten jedoch rasch deutlich, daß sowohl in zeitlicher als auch inhaltlicher Hinsicht noch erheblicher Klärungsbedarf bestand. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, wo die Forschung schon weit fortgeschritten sei, so argumentierten die Gutachter, bewege man sich beim Thema der nordrhein-westfälischen Landesausstellung auf unsicherem Terrain. Insbesondere Wolfgang Köllmann forderte daher schon früh eine Konzentration auf die Geschichte der letzten zweihundert Jahre. Darüber hinaus legte Kurt Düwell am 21. Mai 1978 einen Arbeitsplan für das Projekt unter dem Titel »Arbeit und Kultur« vor, das in drei Stufen umgesetzt werden sollte. Es müsse jedenfalls das Ziel angestrebt werden, »charakteristische Züge der Gesamtregion herauszustellen«, was Düwell im übrigen mit dem Wunsch verband, die Einrichtung eines Forschungsinstituts zu betreiben, das sich speziell mit der Erarbeitung der Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte des Rhein-RuhrRaumes beschäftigen sollte. Sowohl Düwell als auch Köllmann zielten im Zuge der weiteren Arbeiten darauf ab, die vielfältigen rheinisch-westfälischen Gemeinsamkeiten der Vergangenheit sichtbar zu machen, Verbindungslinien von den alten rheinischen Provinziallandtagen zum Landtag des neuen Bundeslandes zu ziehen und diese für den Durchschnittsbürger verständlich zu machen. Am Beispiel der Verkehrsverhältnisse des 19. Jahrhunderts wollte man außerdem den Besuchern die Möglichkeit eröffnen, sich mit ihren aktuellen Erfahrungen in der Ausstellung wiederzufinden. In den Reihen der Regierung und Ministerialbürokratie hob man allerdings vor allem auf die landespolitischen Ziele der geplanten Ausstellung ab. Es gehe darum, so hieß es in der Staatskanzlei, »die Integration der Regionen NordrheinWestfalens« zu bewerkstelligen und »im Bewußtsein der Bürger Identifikation zu ermöglichen«. Konkret konnte aber zunächst weder eine Einigung über den Ausstellungsort noch über die Frage erzielt werden, ob eine zentrale oder eine dezentrale Ausstellungskonzeption vorzuziehen sei. Außerdem kam es auch über inhaltliche Fragen zu Differenzen, plädierten die Gutachter doch für eine Berücksichtigung der politischen Entwicklung Nordrhein-Westfalens, während man in den Reihen der Ministerialbürokratie eher davon abriet, weil dies gerade wegen der Jahre zwischen 1933 und 1945 »zu außerordentlichen Schwierigkeiten führen könne.« So war man sich in diesen Kreisen insgesamt Ende 1978 nicht sicher, ob nur die schönen Seiten Nordrhein-Westfalens gezeigt werden sollten, oder ob auch kritisch

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mit der Vergangenheit des Landes verfahren werden müsse. Obwohl sich »der Impetus« hinter dem Ausstellungsgedanken bereits gegen Ende des Jahres 1978 »stark abgeschwächt« zu haben schien, stimmte das Kabinett am 8. März 1979 dem Vorhaben einer überregionalen Landesausstellung zu und beauftragte das Kultusministerium, die von den Gutachtern vorgeschlagenen organisatorischen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Außerdem wurden Mittel in den Haushalt des Landes eingestellt und Vorkehrungen zur Errichtung eines ständigen Ausstellungssekretariats getroffen, das für die Umsetzung der ersten Pläne sorgen sollte. Eine der treibenden Kräfte war in dieser Phase der ehemalige Wuppertaler und Kölner Kulturdezernent Kurt Hackenberg, der im August 1980 zum Generaldirektor der Landesausstellung berufen wurde. Schon zuvor arbeitete er mit den wissenschaftlichen Gutachtern das Konzept der Ausstellung aus, die unter dem Titel »Landesausstellung Rheinland Westfalen. Politik – Arbeit – Gesellschaft – Kultur 1813–1983« die breite Öffentlichkeit mit der Geschichte des rheinisch-westfälischen Raums, seinen Regionen und seinen internationalen Verflechtungen bekannt machen sollte. Die Gemeinsamkeit des Raumes solle nicht nur in seinen politischen Gliederungen begründet werden, sondern vor allem auch in seiner Entwicklung zu einem industriellen Schwerpunkt Deutschlands. In Verbindung mit umfangreichen Werbemaßnahmen und zweckdienlichen Publikationen werde Nordhein-Westfalen so zum ersten Mal seit fünfzig Jahren nach der Gesolei in Düsseldorf und der Preussa in Köln, meinten die Gutachter, zum Standort einer international beachteten Ausstellung werden. Die Ausstellung ermögliche außerdem »ein Fazit der selbständigen Entwicklung von NordrheinWestfalen«. Danach jedoch stagnierte die Arbeit, während zugleich kritische Stimmen immer lauter wurden. So meinte Karl Friedrich Fromme in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, nachdem ihm das Memorandum Hackenbergs und seiner Mitstreiter zugespielt worden war, daß Nordrhein-Westfalen es schwerer als Bayern mit seinen Wittelsbachern haben werde, seine Identität zu beweisen. Den konzeptionellen Anschluß an die »Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen (GESOLEI)« aus dem Jahr 1926 wertete er als Ausdruck der allgemeinen Unsicherheit, auf was man sich überhaupt beziehen wolle. Schwerer aber noch wog für Fromme, daß »›sozialistische Komponenten‹ in den Ausstellungsplan« eingeflossen seien, womöglich ohne Absicht der Autoren des Konzepts. Entscheidend aber war der politische Widerspruch, wie er namentlich von Innenminister Hirsch (FDP) vorgebracht worden ist. Insbesondere auf einer Kabinettssitzung im Dezember 1979 stemmte er sich gegen eine »historisierende Ausstellung«. Hirsch befürchtete sogar, das ganze Projekt könne in eine »Arbeiterbewegungsausstellung« abgleiten. Noch im Mai 1980 sandte er einen Gegenentwurf an Rau für eine »gegenwartsbezogene« alternative Ausstellung unter dem Titel »Nordrhein-Westfalen heute«. Gedacht war hiermit primär an eine werbende Selbstdarstellung vor allem der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Die internen Konflikte im Kreis der Gutachter und Experten wurden jedoch von der Politik überspielt. Namentlich Christoph Zöpel, der seit Februar 1978 als

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Minister für Bundesangelegenheiten amtierte, hielt beharrlich am Grundgedanken der Ausstellung fest. Nicht zuletzt seiner Unterstützung war es zu verdanken, daß die Landesregierung im August 1980 ihre Beschlüsse aus dem Vorjahr bekräftigte: Sie stimmte der Durchführung einer Landesausstellung zu und beauftragte den Kultusminister, hierfür ein Planungssekretariat einzurichten. Als Ausstellungsort wählte man einen Freizeitpark zwischen Essen und Gelsenkirchen; in der geographischen Mitte des Landes und auf der Grenze zwischen dem Rheinland und Westfalen sollten die Arbeitswelt, die soziale Frage sowie das Revier als Keimzelle des Landes thematisiert werden, wobei bereits der Ausstellungsort selbst in die Themensetzung einbezogen war. Skeptisch merkte dazu der Journalist Wolfgang Köhler bereits 1980 an: »Ob da die Leute von weither angereist kommen? Eine alte Zeche gegen ein Wittelsbacher- oder Welfenschloß. Bei allem neuen Geschichtsbewußtsein – Bayern hat es da leichter.«

IV. Das Scheitern der Projektplanungen und ein Ausblick Trotz bester Vorsätze nicht weniger Politiker und Berater geriet das Projekt einer Landesausstellung NRW im Laufe des Jahres 1981 ins Stottern. Es fehlte vor allem an Geld, weil die Ausstellungskonzeption und die Erschließung des Ausstellungsorts deutlich mehr Mittel in Anspruch nahmen, als ursprünglich veranschlagt worden waren. Während erste Pläne für die Ausstellung von Kosten in Höhe von zwei bis drei Millionen DM ausgegangen waren, beliefen sich die Finanzplanungen im Jahr 1981 auf über 90 Millionen DM. Angesichts dieser Entwicklungen verdeutlichte die Staatskanzlei bereits Ende Juli 1981, daß die Durchführung der Landesausstellung schwierig geworden sei.35 Doch in der Öffentlichkeit waren Stimmen zu vernehmen, die eine Realisierung des Projekts für unbedingt notwendig erachteten. Hierzu zählte vor allem der in der Landespolitik weithin bekannte Redakteur des Westdeutschen Rundfunks, Walter Först, der Ende September 1981 in drängenden Worten darauf aufmerksam machte, daß Nordrhein-Westfalen jetzt unbedingt in einer gut gemachten Ausstellung »einiges zur Befriedigung des Nachholbedarfs an Geschichte« tun müsse.36 Aber die Frankfurter Allgemeine Zeitung vermutet gleichzeitig zu Recht, daß angesichts der desolaten Finanzlage an Rhein und Ruhr es kaum verwundern dürfe, wenn der Ministerpräsident den Plan jetzt geräuschlos in der Versenkung verschwinden lassen werde.37 Tatsächlich machte Johannes Rau im Oktober 1981 intern deutlich, daß sein Herz nicht länger an der Landesausstellung hänge.38 Außerdem mußte Finanz35 36 37 38

HStA Düsseldorf, NW 711–4, Tischvorlage des Kultusministers für das Kabinett vom 28. 9. 1981. Kommentar Walter Försts im Westdeutschen Rundfunk am 21. 9. 1981, »Landesausstellung gefährdet«. »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 21. 9. 1981, »Gefährdete Selbstdarstellung«. HStA Düsseldorf, NW 711–4, Kabinettsakten vom 7. 10. 1981.

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minister Diether Posser (SPD) eingestehen, daß der breiteren Öffentlichkeit die Konzeption einer Ausstellung nicht mehr zu vermitteln sei, die bei geschätzten Gesamtkosten von über 90 Millionen Mark bei manchen nicht ganz zu Unrecht den Eindruck eines »etwas gigantomanischen Konzepts« hinterließ.39 Das hieß konkret, die Ausarbeitungen des kommissarischen Leiters des Planungsbüros, Helmut Klausch, vom Vormonat hatten somit keine Chance mehr auf eine Realisierung.40 In einer Kabinettssitzung am 11. Mai 1982 wurde schließlich das gesamte Unternehmen der Landesausstellung gewissermaßen offiziell »begraben«. In der vereinbarten Sprachregelung für die Öffentlichkeit bekannte man sich zwar erneut zur Notwendigkeit einer Stärkung des Landesbewußtseins, und selbstverständlich fand man auch viel Lob für die Arbeit des wissenschaftlichen Lenkungsausschusses.41 Aber die Idee, die einige zeitweilig beflügelt hatte, »in einem spezifisch sozialdemokratischen Verständnis von Kultur eine Aufmerksamkeit und das Bewußtsein […] für die Rolle des arbeitenden Menschen in seiner Geschichte und in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen« zu wecken, war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich gescheitert.42 Man kann es jedoch als einen Teilerfolg der zahlreichen Planungsarbeiten für die Landesausstellung werten, daß im Juni 1982 eine wissenschaftliche Großveranstaltung unter der Leitung von Kurt Düwell und Wolfgang Köllmann zustande kam, in der die weit in das 19. Jahrhundert zurückreichenden sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Traditionsstränge Nordrhein-Westfalens eingehend thematisiert wurden. Ein vierbändiges Tagungswerk dokumentiert die Essener Verhandlungen, die aber naturgemäß nicht das Publikumsinteresse fanden, das sich die Protagonisten der Landesausstellung erwartet hatten.43 Das geschichtspolitische Kernziel der Gesamtveranstaltung wurde im Vorwort der Tagungsbände jedoch nochmals klar benannt: Seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts habe sich das Bindestrich-Adjektiv »rheinisch-westfälisch« zunehmend verfestigt. Nordrhein-Westfalen sei zwar gewiß eine Neuschöpfung der Nachkriegszeit, aber das Land sei »eben kein künstliches Gebilde ohne Vorgegebenheiten, sondern ist ebenso geschichtlich verortet und geformt wie die beiden Provinzen«.44 Das wurde gewissermaßen zum Ausgangsmotto aller folgenden Ausstellungsprojekte mit landeshistorischem Bezug. So griffen führende Politiker, darunter nicht zuletzt Johannes Rau, in den Folgejahren die Argumente verschiedener 39 40 41 42

43 44

HStA Düsseldorf, NW 711–4, Vorlage vom 20. 11. 1981. HStA Düsseldorf, NW 711–5, »Mappe »Landesausstellung NRW 1815–1984«. HStA Düsseldorf, NW 711–6, »Sprechzettel« der Landesregierung. HStA Düsseldorf, NW 711–5, Wilhelm Godde an Diether Posser und Ministerpräsident Rau vom 8. 12. 1981 sowie Manfred Dammeyer an Johannes Rau vom 27. 11. 1981. Dammeyer bedauerte ausdrücklich, daß nun der Versuch torpediert werde, eine Ausstellung aufzulegen, in der »die hart arbeitende Bevölkerung unserer Region sich in den Entwicklungen dieser Region wiederentdeckt, weiß, daß sie diese Region gestaltet hat und daß diese Region ihr, der arbeitenden Bevölkerung, als die ihr eigene präsentiert wird«. Kurt Düwell, Hans Köllmann (Hg.): Rheinland-Westfalen, 4 Bde., Wuppertal 1983–1985. Düwell, Köllmann (Hg.): Rheinland-Westfalen, Bd. 1, S. 11–19, hier S. 12 und S. 18.

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Historiker für eine Landesausstellung erneut auf. Sehr deutlich wurde dies 1986 bei einer aus Landesmitteln finanzierten und von der Landeszentrale für politische Bildung organisierten Landesausstellung, die den Titel »Im Westen was Neues« trug und schon damit den Wunsch nach einem neuen Selbstbewußtsein des Landes signalisierte.45 Ministerpräsident Rau sprach aus diesem Anlaß von Nordrhein-Westfalen als einem jungen, aber eben nicht geschichtslosen Land. Der bislang eher abfällig gebrauchte Begriff Bindestrich-Land solle daher keine Verwendung mehr finden. Denn tatsächlich hätten das Rheinland und Westfalen viele gemeinsame Wurzeln. Im Zuge der Industrialisierung, vor allem aber in der Weimarer Republik, hätten sich die ehemaligen preußischen Westprovinzen als ein »Bollwerk der Demokratie« erwiesen.46 Die Idee einer ständigen Landesausstellung konnte aber nicht wiederbelebt werden. Selbst beim 50. Geburtstag des Landes 1996 war davon keine Rede mehr, sondern statt dessen ging man den Weg eines dezentralen »NRW-Festes«, das allerdings nach dem Willen seiner Veranstalter durchaus weiter die Stärkung des Landesbewußtseins fördern sollte.47 Man wählte nun aber bewußt die Regionen anstelle der Landesgrenzen als Orientierungspunkte für eine Selbstschau des Landes. Offensichtlich entsprach dies mehr dem Selbstverständnis des Landes zwischen Rhein und Weser, wofür ein Urteil der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 5. Oktober 1981 über das Scheitern der großen Landesausstellung charakteristisch sein dürfte: »Glanz und Gloria bei der Staufer- und Preussenschau«, so hieß es an dieser Stelle, »paßt sowieso nicht zwischen Essen und Gelsenkirchen«. Obwohl sich die Landesgeschichtspolitik nicht so recht vom herben Niederschlag des gescheiterten Großprojekts hat erholen können, zeigten die Stellungnahmen der Vertreter aller Parteien aus Anlaß des vierzigjährigen Staatsgründungsjubiläums am 2. Oktober 1996 eindrucksvoll auf, daß die Existenz Nordrhein-Westfalens von keiner Seite mehr ernsthaft in Zweifel gezogen wurde. Im Gegenteil: Die Entscheidung zur Bildung des Landes galt nun als selbstver-

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Zur Ausstellung vgl. den Katalog der Landeszentrale für politische Bildung unter dem Titel Im Westen was Neues, in dem die Berichterstattung der nordrhein-westfälischen Presse, darunter die des »Kölner Stadtanzeigers«, der »Westfälischen Rundschau« und der »Rheinischen Post« vom 20. 6. 1986 ausführlich wiedergegeben wird. Johannes Rau: 40 Jahre Nordrhein-Westfalen, in: Im Westen was Neues, S. 9f. Die Ausstellung selbst wurde in weniger als einem halben Jahr vorbereitet. Ihre Konzeption beschränkte sich bewußt nicht auf die große Politik, sondern die Ausstellungsmacher hatten als Ort eine Zeche, das Industriemuseum Zollern II/IV, in Essen gewählt. Hiermit sollte deutlich gemacht werden, daß »die ersten Jahre Nordrhein-Westfalens durch die Arbeit und die Welt der Arbeit« bestimmt worden seien (Informationen zur Ausstellung, in: Im Westen was Neues, S. 105–162, hier S. 109). Über 50 000 Besucher sahen diese Ausstellung, die danach im Düsseldorfer Ehrenhof in veränderter Form wieder aufgebaut wurde (vgl. Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 21. 8. 1986). Landtag intern. NRW vom 13. 2. 1996, »NRW besteht 50 Jahre – Großes Fest gemeinsam mit der Landeshauptstadt« (immerhin 2,8 Millionen Menschen nahmen an den Feierlichkeiten teil).

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ständlich oder sogar als eine »glückliche Lösung«.48 Dieses politische Willensbekenntnis hatte sich letztlich auch ohne eine historische Landesausstellung eingestellt. Freilich zeigt die historische Rückschau ebenso, daß sich die Landesgeschichtspolitik nur sehr zögerlich der nationalsozialistischen Vergangenheit in der eigenen Region angenommen hat. Tatsächlich hatten die älteren historischen Landesausstellungen sogar ein vornehmlich affirmatives Bild der regionalen Vergangenheit verbreitetet. Heute ist jedoch tendenziell ein gegenläufiger Prozeß zu beobachten. Fast in allen Bundesländern – und dazu zählt Nordrhein-Westfalen – gehört inzwischen die Unterstützung lokaler Geschichtsinitiativen zur Geschichte des »Dritten Reiches« zum Repertoire der Landes-Geschichtspolitik. Noch weitergehender formuliert: Die historische Identität der Länder begründet sich heute, wenn auch sicher nicht allein, durch den beständigen Rekurs auf die NS-Vergangenheit in der eigenen Region. Historische Ausstellungen, meist an »authentischen Orten« der NS-Verbrechenspolitik, dienen als stumme und beredte Zeugen dieser Zeit. Standen Nation und Region für lange Zeit in Dissonanz zueinander, so ist in der Vergangenheitspolitik heute ein relativ harmonischer Einklang in der Erinnerungspolitik beider Instanzen zu beobachten.

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Landtag intern. NRW, Sonderausgabe zum 2. 10. 1996: »50 Jahre Landtag NordrheinWestfalen«.

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Das Fürstentum Liechtenstein und der Zweite Weltkrieg

Mit Beschluß der liechtensteinischen Regierung vom 22. Mai 2001 wurde eine sechsköpfige Kommission zur Untersuchung der Rolle Liechtensteins im Zweiten Weltkrieg eingesetzt: die Unabhängige Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg (UHK). Sie umfaßte neben Peter Geiger vom Liechtenstein-Institut als Präsident und dem Vizepräsidenten Arthur Brunhart (Historisches Lexikon für das Fürstentum Liechtenstein und Liechtensteinisches Landesmuseum) Erika Weinzierl (Universität Wien), David Bankier (Hebräische Universität Jerusalem), Dan Michman (Bar Ilan Universität Ramat-Gan) und Carlo Moos (Universität Zürich) als Mitglieder. Das Gesetz vom 17. Oktober 2001 »betreffend die historische Untersuchung zu infolge der nationalsozialistischen Herrschaft in das Fürstentum Liechtenstein gelangten Vermögenswerten« räumte der Kommission einen privilegierten Aktenzugang ein.1 Die ihr gesetzte Frist betrug zwei Jahre ab Beginn der Forschungsarbeiten, und im September 2001 wurde ein Kredit von zwei Millionen Franken gewährt. Indessen zeigte sich sofort, daß der Kreditrahmen zu eng und die Frist zu kurz war. Deshalb mußten in zwei Anläufen Verlängerungen und Kreditaufstockungen beantragt werden, welche beide Male vom Landtag bewilligt wurden, beim zweiten Mal aber mit hörbarem Murren. So belief sich die Gesamtdauer der Forschungen schließlich auf rund drei Jahre, und die ausgegebene Summe betrug etwa 3,5 Millionen Franken. Die offizielle Übergabe des Berichts fand 2005 statt.2 Im Folgenden wird zunächst auf die Gründe zur Schaffung der Kommission eingegangen, die anschließend mit der seinerzeitigen Schweizer Kommission zum gleichen Thema verglichen wird. Sodann werden verschiedene ihrer Schwierigkeiten erläutert und schließlich einige (wenige) zentrale Resultate skizziert. Dabei ist – wie bei allen vergleichbaren Historikerkommissionen – zu berücksichtigen, daß es keineswegs um die Erarbeitung einer »Prozeßwahrheit« im Sinne eines Das Fürstentum Liechtenstein und der Zweite Weltkrieg

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2

Gesetz vom 17. Oktober 2001 betreffend die historische Untersuchung zu infolge der nationalsozialistischen Herrschaft in das Fürstentum Liechtenstein gelangten Vermögenswerten, Art. 7: Pflicht zur Gewährung der Akteneinsicht. Für den vorliegenden Beitrag konnte das Gesamtpaket (Schlußbericht und Einzelstudien) in der veröffentlichten Fassung noch nicht berücksichtigt werden; vgl. P. Geiger, A. Brunhart, D. Bankier, D. Michman, C. Moos, E. Weinzierl, Fragen zu Liechtenstein in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg: Flüchtlinge, Vermögenswerte, Kunst, Rüstungsproduktion. Schlussbericht der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg, Vaduz, Zürich 2005.

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Rechtsprechungsverfahrens gehen konnte, sondern lediglich um die Annäherung an eine »historische Wahrheit«, im Bewußtsein, daß es »die« historische Wahrheit ebensowenig geben kann wie ein Recht des Historikers auf Richterschaft.

I.

Weshalb kam es zur Schaffung der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein – Zweiter Weltkrieg?

Die in Zürich erscheinende jüdische Wochenzeitung »tachles« interpretierte am 24. Mai 2001 die Schaffung der liechtensteinischen Kommission als »Befreiungsschlag«.3 In der Tat entstand die UHK im wesentlichen als Folge eines kurzen Interviews von Elan Steinberg, damals Exekutivdirektor des Jüdischen Weltkongresses (World Jewish Congress, WJC), der im »Spiegel« vom 24. Juli 2000 ausgeführt hatte, Liechtenstein sei als verlängerter Arm der Schweizer Finanzinstitute zu verstehen (was nicht falsch ist), und es gehe bezüglich des Zweiten Weltkriegs beim Fürstentum um Gold, Geld und gestohlene Kunst (was nicht zutrifft), wofür der WJC (nie gelieferte) Beweise präsentieren und Kompensationen verlangen wolle.4 Die liechtensteinische Regierung reagierte rasch und – verglichen mit dem zögerlichen Vorgehen der Schweiz einige Jahre früher5 – nicht ungeschickt. Sie stieß allerdings bei der Bildung der Kommission auf einige Kritik an den Personen, die als Mitglieder vorgesehen waren, und insbesondere am gleichzeitig mit der Kommission berufenen sogenannten Beratungs- und Koordinierungsausschuß. Dieser sollte die Regierung – nicht die Kommission – beraten, als Ansprechpartner für Organisationen und Interessengruppen fungieren und die Arbeit der Kommission nötigenfalls unterstützen.6 Als Präsident wurde ein ehemaliger Regierungschef, Hans Brunhart, als Mitglieder der amtierende Regierungssekretär Norbert Hemmerle, der Leiter des Amtes für auswärtige Angelegenheiten, Botschafter Roland Marxer, und ein wichtiger Exponent der Schweizer Wirtschaft und ehemaliger Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, Michael Kohn, berufen. Nachträglich stieß noch Israel Singer als Vertreter des WJC dazu. 3 4 5

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Yves Kugelmann, Mit der Vergangenheit aufräumen, in: tachles. Das jüdische Wochenmagazin, 24. Mai 2001. Elan Steinberg, Raubgut. »Liechtenstein half den Nazis«, Interview mit Elan Steinberg, Exekutivdirektor des World Jewish Congress, in: Der Spiegel, 24. Juli 2000. Vgl. Unabhängige Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg [UEK], Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg. Schlußbericht, Zürich 2002, u.a. S. 29ff., 33ff., 40f. Vgl. Historische Untersuchung von Fragen zur Rolle Liechtensteins im Zweiten Weltkrieg. Mandat des Beratungs- und Koordinierungsausschusses vom 22. Mai 2001, in: Peter Geiger, Arthur Brunhart, David Bankier, Dan Michman, Carlo Moos, Erika Weinzierl, Fragen zu Liechtenstein in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg: Flüchtlinge, Vermögenswerte, Kunst, Rüstungsproduktion. Schlussbericht der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg [UHK], 2005, Anhang B.

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Gerade mit Blick auf den WJC erwies sich die Existenz des Gremiums als segensreich, indem es mit seiner Hilfe gelang, die Forderung des WJC nach Einsitznahme in die Kommission aufzufangen und erfolgreich abzubiegen. Gleichermaßen nützlich war es im Zusammenhang mit den unvermeidlich gewordenen Verlängerungs- und Nachtragsgesuchen der Kommission. So verflog die Skepsis, die sich auch in der Kommission diesem Gremium gegenüber geregt hatte. Ebenso verstummte die öffentliche Kritik allgemein, zum einen weil die Breite und Ernsthaftigkeit des Unterfangens erkannt wurde, zum anderen, weil bald andere Themen ins Blickfeld der politischen Öffentlichkeit und der Exponenten des Finanzplatzes rückten, so die Steuerfluchtdiskussion, das Geldwäschereiproblem und vor allem die Verfassungsfrage, die eine empfindliche Störung des Verhältnisses zwischen dem gegenwärtigen Fürsten und einem Teil der Bevölkerung zur Folge hatte. Insgesamt waren mehr als 20 Personen in die Forschungen über Liechtensteins Rolle im Zweiten Weltkrieg involviert: sechs Kommissionsmitglieder, fünf Mitglieder des Beratungsausschusses, sieben Forscherinnen und Forscher für die Bereiche der Flüchtlinge, der Kunst, der Industriebetriebe sowie der Finanzen und Versicherungen, weiter drei Beauftragte in ausländischen Archiven (Washington, London, Jerusalem), eine wissenschaftliche Assistentin und eine Leiterin des Sekretariats. Außerdem wurde für die Abklärung des Umgangs mit der Nachrichtenlosigkeit in den zwei während der Kriegszeit in Liechtenstein bestehenden Bankinstituten eine Revision durch eine externe Revisionsgesellschaft in Auftrag gegeben.

II. Die Unabhängige Historikerkommission (UHK) Liechtensteins im Vergleich zur Schweizer Unabhängigen Expertenkommission (UEK) Weil Liechtenstein seit dem Zollvertrag von 1921 und der 1924 erfolgten Übernahme der Frankenwährung in einem engen Wirtschaftszusammenhang zur Schweiz stand und diese auch für die Vertretung der ausländischen Interessen und für alle Grenz- und Fremdenpolizeifragen Liechtensteins zuständig war, war die Abhängigkeit des kleinen Fürstentums vom größeren Nachbarn außergewöhnlich eng. Es ist deshalb wohl geboten, in aller Kürze auf die Beziehungen zwischen der liechtensteinischen UHK und der schweizerischen UEK, die sich beide mit demselben Zeitraum und mit den gleichen Problemen befaßten, einzugehen. Die Liechtenstein-Kommission konnte von der 1996 eingesetzten älteren schweizerischen Schwester, deren Schlußbericht 2002 der Regierung abgeliefert wurde, in mehrfacher Hinsicht profitieren, so allein schon, weil sie sechs von ihren sieben Forscherinnen und Forschern von der UEK übernehmen konnte. Es waren dies Hanspeter Lussy und Rodrigo Lopez für den Bereich der Vermögenswerte, Stefan Karlen für die Versicherungen, Esther Tisa Francini für die Kunstfragen, Ursina Jud für das Flüchtlingswesen und Christian Ruch für die Rüstungsgüter. Lediglich für Fortsetzungsarbeiten im Rüstungsbereich sowie für

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die Finanzeinbürgerungen, eine spezifisch liechtensteinische Sonderheit, wurde eine einheimische Historikerin, Veronika Marxer, eingesetzt, die zugleich als wissenschaftliche Assistentin der Kommission fungierte. Im Personalbereich erwies sich der Umstand, daß die UEK-Arbeiten mehr oder weniger abgeschlossen waren, als die UHK die ihren aufnahm, als eminenter Glücksfall, weil eine Einarbeitung der Forschenden, die von der UEK »geerbt« wurden, weitgehend entfiel, diese vielmehr ihre in der Schweizer Kommission gesammelten Erfahrungen in die Arbeit in Liechtenstein einbringen konnten. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so würden sich die Zeitprobleme, welche die UHK wegen der zu engen Terminierung ihres Auftrags von Anfang an hatte, als erheblich dramatischer entpuppt haben. Die Liechtenstein-Kommission profitierte aber noch viel allgemeiner von der Schweizer Vorläuferin, weil bereits ihre Einsetzung nach Schweizer Muster und auf einer vergleichbaren Rechtsbasis erfolgte und deshalb zahlreiche Anfangskonflikte und Ausgangsschwierigkeiten der UEK vermieden werden konnten. Auch das von der Regierung des Fürstentums erlassene Mandat der UHK war in den Grundzügen dem schweizerischen ähnlich, wenngleich im Einzelnen umständehalber etwas anders. Es umfaßte, in Vorwegnahme und Ausweitung der vom Landtag gegebenen gesetzlichen Grundlage vom 17. Oktober 2001, im wesentlichen drei große Bereiche: prioritär denjenigen der Vermögenswerte mit Abklärungen zu Raubgut, Tätervermögen, Fluchtgut, Opfervermögen, Arisierungen, Zwangsarbeit und Nachrichtenlosigkeit von Vermögenswerten; weiter denjenigen der Flüchtlinge mit den Problemen ihrer Aufnahme, Abweisung oder Durchreise; schließlich denjenigen der Produktion von Rüstungsgütern und anderer kriegswichtiger Gegenstände für das nationalsozialistische Deutschland.7 Im Gegensatz zur UEK, die neben Historikern auch einen Juristen umfaßte (deshalb die Bezeichnung »Expertenkommission«), mußte die UHK keine rechtliche Beurteilung vornehmen, sondern war eine reine Historikerkommission.8 Andererseits war sie auch für den Bereich der nachrichtenlosen Konten von Opfern des Nationalsozialismus zuständig, für den die Schweiz das nach seinem Vorsitzenden, dem ehemaligen US-Notenbankgouverneur Paul Volcker, VolckerKomitee genannte Independent Committee of Eminent Persons eingesetzt hatte.9 Freilich spielte das Problem der Nachrichtenlosigkeit in Anbetracht der Kleinheit der beiden während des Zweiten Weltkriegs in Liechtenstein bestehenden Banken, der Liechtensteinischen Landesbank (LLB) und der seit 1930 dem Fürstenhaus gehörenden Bank in Liechtenstein (BiL), eine bescheidene Rolle. In der Tat hat die von der UHK in Auftrag gegebene Revision bei den zwei Banken insgesamt

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Mandat der Historikerkommission zur Untersuchung von Fragen zur Rolle Liechtensteins im Zweiten Weltkrieg vom 22. Mai 2001, in: Schlussbericht der UHK, Anhang A. Vgl. Schlussbericht der UEK, S. 31f. Vgl. Independent Committee of Eminent Persons (ICEP), Report on Dormant Accounts of Victims of Nazi Persecution in Swiss Banks. Bericht über nachrichtenlose Konten von Opfern des Nationalsozialismus bei Schweizer Banken, Bern 1999.

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nur sechs Konten bzw. Sparhefte mit einem möglichen und ein einziges Kontokorrentkonto mit einem wahrscheinlichen Opferbezug zum Vorschein gebracht.10 Vertieftere Abklärungen durch die Kommission haben bei letzterem den 1949 in Jerusalem verstorbenen Besitzer eindeutig als aus rassischen Gründen verfolgtes Opfer identifizieren und eine Erbberechtigte ausfindig machen können.11 Wenn die UEK angesichts der Fülle von verfügbarem Material nur mit »Exempla« operieren konnte,12 machte die UHK gleichsam »alles«. Gemäß dem Bericht der Regierung an den Landtag vom 14. August 2001, der dem Gesetzgebungsprozeß zugunsten der UHK zugrunde lag, sollten ihre Abklärungen zu »einer umfassenden Aufarbeitung der liechtensteinischen Geschichte während der relevanten Zeit [2. Weltkrieg] beitragen«.13 Angesichts der Kleinheit des Landes erschien dies einigermaßen realisierbar und wurde in gewisser Weise denn auch zum Charakteristikum, das die von der UHK erzielten Resultate – trotz deutlicher Vergleichbarkeit der Übungsanlage – zu guter Letzt doch erheblich von denjenigen der UEK unterscheiden sollte. Verschiedene Rahmenbedingungen beeinflußten die Arbeit der liechtensteinischen Kommission. Einmal spielte generell die Kleinheit des Landes (160 km2) und im besonderen die geringe Einwohnerzahl während des Kriegs (rund 11 000, d.h. ein Drittel der heutigen) sowie die noch vornehmlich agrarisch und kleingewerblich ausgerichtete Lebensweise der Bevölkerung eine Rolle. Neben den zwei erwähnten Banken gab es nur rund ein Dutzend Rechtsanwälte und Treuhänder, die im Untersuchungszeitraum von 1933 bis 1945 insgesamt etwa 2500 Domizilgesellschaften gründeten, von denen bis Kriegsende allerdings mehr als die Hälfte bereits wieder gelöscht war. Daß einzelne dieser Treuhänder ihre Unterlagen aufbewahrt hatten, war die große Chance der UHK, die auf dieser Basis einen Bereich erschließen und vertiefen konnte, der von der UEK für die Schweiz nicht bearbeitet worden war.14 Weiter wurden während des Kriegs drei Industriebetriebe gegründet, die indirekt über die Schweiz oder direkt für das »Dritte Reich« arbeiteten: die Preß- und Stanzwerke in Eschen (Presta), welche 20-mm-Hülsen für die in Zürich-Oerlikon hergestellten Fliegerabwehrkanonen produzierte, das heißt für ein Unternehmen des Schweizer Waffenindustriellen Emil Bührle, welches die Wehrmacht belieferte; die Maschinenfabrik Hilti in Schaan, die dem rabiaten NS-Sympathisanten und 10

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Vgl. Untersuchung zu nachrichtenlosen Vermögenswerten bei liechtensteinischen Banken in der NS-Zeit, durchgeführt durch Ernst & Young AG, Financial Services, Zürich, im Auftrag der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein-Zweiter Weltkrieg, 2005. Vgl. Schlussbericht der UHK, Kap. 5.8. Vgl. Schlussbericht der UEK, S. 35. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein zur historischen Untersuchung von Fragen zur Rolle Liechtensteins im Zweiten Weltkrieg, 14. August 2001, S. 5. Vgl. Hanspeter Lussy, Rodrigo Lopez, Liechtensteinische Finanzbeziehungen zur Zeit des Nationalsozialismus, UHK-Studie, 2005.

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Herausgeber eines antisemitischen Hetzblattes Martin Hilti gehörte und Bestandteile für deutsche Kriegsfahrzeuge herstellte; die Präzisions-Apparatebau Vaduz (PAV), welche Präzisionsgeräte in die Schweiz lieferte, die von da nach Deutschland gelangten.15 Schließlich gab es den Fürsten, der 1938 seinen Wohnsitz von Wien nach Vaduz verlegt hatte, und es gab seine Kunstsammlung von Weltrang, die Ende 1944/Anfang 1945 unter abenteuerlichen Umständen von Wien nach Vaduz evakuiert wurde und bis 2004 dort verblieb, als das Liechtenstein Museum in Wien wieder eröffnet wurde. Der Fürst spielte auch als großer Grundbesitzer in Österreich und in der Tschechoslowakei eine Rolle, weil seine Güter mit dem »Anschluß« Österreichs oder nach der Besetzung des Sudetenlandes und der Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938/39 ins »Dritte Reich« zu liegen kamen. Außerdem gehörte – wie erwähnt – die Bank in Liechtenstein seit 1930 dem Fürstenhaus. Insofern war der Fürst in alle Problembereiche, welche die UHK interessierten, als Landesherr direkt und indirekt als bedeutender Wirtschaftsexponent verwickelt. Zentral war im gesamten Untersuchungszeitraum und vor allem während des Zweiten Weltkriegs die große Abhängigkeit Liechtensteins von der Schweiz, als deren verlängerter Arm es zumindest im Finanzbereich in der Tat gesehen werden muß. Insofern war – besonders in wirtschaftlicher Hinsicht, aber auch etwa in Bezug auf die Fremdenpolizei-Belange – die Souveränität des Fürstentums stark eingeschränkt. Dies alles ergibt fast zwangsläufig – trotz mancher Vergleichbarkeit – große Unterschiede in den Problemstellungen und in den Resultaten der UHK gegenüber jenen der UEK, auch wenn sich die UHK bei der Präsentation der Resultate stark an das Schweizer Vorbild anlehnt, indem neben dem von der Kommission erarbeiteten Schlußbericht die Serie von Studien der Forscherinnen und Forscher zu den von ihnen untersuchten Einzelthemen separat erscheint. Einmalig war der Fürst, wenngleich er in der Integrationsrolle, die ihm institutionell zukam und die er sehr erfolgreich spielte, in gewisser Weise dem Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, General Henri Guisan, glich, der seinerseits zu einer Art Widerstandsmythos wurde. Auch die Flüchtlingsfrage war insofern anders, als Liechtenstein wegen der permanenten Anschlußgefahr keine primäre Destination von Flüchtlingen sein konnte und durch die Fremdenpolizeiabkommen mit der Schweiz von 1923 und 1941 in seiner Selbständigkeit stark eingeschränkt wurde. Anders und einmalig war insbesondere das Phänomen der liechtensteinischen Finanzeinbürgerungen, welches sehr begüterte Personen jüdischer Abstammung und andere Verfolgte vor dem Zugriff des NS-Regimes retten konnte, was bei gegen 150 Personen der Fall war.16 15 16

Vgl. Veronika Marxer, Christian Ruch, Liechtensteinische Industriebetriebe und die Frage nach der Produktion für den deutschen Kriegsbedarf 1939–1945, UHK-Studie, 2005. Vgl. Ursina Jud, Liechtenstein und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, UHK-Studie, 2005.

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Liechtenstein war außerdem – im Gegensatz zur Schweiz – kein Kunstmarkt,17 und auch der systematische Absatz von Gold war hier nicht zu erwarten und konnte auch nicht festgestellt werden.18 Dafür konnte – wie erwähnt – der außergewöhnlich vielschichtige Bereich der Treuhänder und Anwälte mit den über sie gegründeten oder von ihnen betreuten Domizilgesellschaften untersucht werden.

III. Besondere Schwierigkeiten für die Arbeit der UHK Wie es in der Natur solcher Recherchen liegt, waren die Probleme, mit welchen sich die UHK konfrontiert sah, teilweise ähnlich wie diejenigen, mit denen auch die UEK konfrontiert gewesen war. Deutlich anders war das Verhalten der Öffentlichkeit. Diese war gegenüber der liechtensteinischen Kommission erheblich weniger kritisch eingestellt, als es bei der schweizerischen der Fall gewesen war. Auf der einen Seite gab es in Liechtenstein, das keine Armee kannte und kennt, keine Aktivdienst-Generation, das heißt keine Wehrleute, die den Krieg an den Grenzen oder in AlpenWiderstandsdispositiven verbracht hatten und deren Vertreter mit beträchtlicher Vehemenz den Sinn des Opfers an Zeit und Energie, das sie der Heimat durch jahrelangen Militärdienst gebracht hatten, zu verteidigen versuchten. Sie ganz besonders ertrugen es schlecht, daß in der Optik der UEK nicht primär die Armee, sondern die Finanzdienstleistungen und die Rüstungslieferungen ins »Dritte Reich« die Schweiz vor einem Einmarsch der Wehrmacht bewahrt hatten. Andererseits gab und gibt es in Liechtenstein, welches zur Zeit der UHK-Untersuchungen – wie erwähnt – durch mancherlei andere Streitfälle absorbiert war, die mit der Kleinheit des Landes zusammenhängende besondere Schwierigkeit der »Verbandelung«: alle kennen im Fürstentum alle, und es sieht fast so aus, als ob nichts läuft, wenn man niemanden kennt. Ein gewisses Korrektiv dazu war freilich die Zusammensetzung der Kommission, indem den zwei aus Liechtenstein stammenden Mitgliedern (Präsident und Vizepräsident) vier andere gegenüberstanden, die mehr oder weniger weit weg von Liechtenstein verortet sind. Selber bin ich zwar in Zürich tätig, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur rund zwei Stunden vom jeweiligen Tagungsort der UHK im liechtensteinischen Triesenberg entfernt liegt, hatte aber vor meiner Ernennung keine Ahnung von der Geschichte des Landes und war auch nie dort gewesen. Für die beiden liechtensteinischen Mitglieder wie für die wissenschaftliche Assistentin und die Sekretariatsleiterin hatte und hat die große Nähe zweifellos auch gewichtige Nachteile, weil sie nach

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18

Vgl. Esther Tisa Francini, Liechtenstein und der internationale Kunstmarkt 1933–1945. Sammlungen und ihre Provenienzen im Spannungsfeld von Flucht, Raub und Restitution, UHK-Studie, 2005. Vgl. Lussy/Lopez, Finanzbeziehungen, Kap. 5.6.

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dem Abschluß der UHK-Arbeiten weiter im Land leben müssen, während sich die auswärtigen Kommissionsmitglieder und Forscherinnen und Forscher nie mehr dort zeigen müssen, wenn sie es nicht selber wollen. Die »Personalia« waren im übrigen generell verschieden von jenen der Schweizer Kommission. Die UHK war als reine Historikerkommission nicht nur fachlich, sondern auch altersmäßig bedeutend homogener; fünf der sechs Mitglieder haben fast denselben Jahrgang. Wenn bei der Schweizer Kommission der Präsident anfänglich vom Untersuchungsgegenstand wohl allzu weit entfernt war, so war es in der liechtensteinischen Kommission genau umgekehrt, indem der Präsident lange vor Beginn der Kommissionsarbeiten schon ein anerkannter Fachmann für die liechtensteinische Geschichte des Untersuchungszeitraums war19 und an einem eigenen Buch über Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg arbeitete. Obwohl dieses Werk erheblich breiter angelegt ist, als es die Untersuchungen der UHK sein konnten, und im Sinne einer Gesamtdarstellung auch Wirtschaft und Innenpolitik des Landes einbezieht, war die Doppelrolle als Präsident einer international zusammengesetzten Kommission und als Autor eines Buches über den gleichen Zeitraum nicht immer von Vorteil, auch wenn seine profunde Kenntnis der zu behandelnden Probleme der Kommissionsarbeit in der Regel zugute kam. Durchaus vergleichbar mit jenen der UEK waren dagegen die Zeit- und Geldprobleme der UHK, wobei im Falle Liechtensteins das seltsam kurzatmige »Timing« nach den einschlägigen Erfahrungen in der Schweiz doch etwas erstaunt. In dieser Beziehung haben sich bei beiden Kommissionen auch dieselben Zielkonflikte eingestellt, indem die Auftraggeber – wie die meisten Politiker – primär an klaren Resultaten interessiert sind (welche sich bei diffizilen Themen kaum je einstellen und auf jeden Fall nicht erzwingen lassen) und aus Unkenntnis der Arbeitstechniken und insbesondere des für Archivrecherchen nötigen Zeitaufwands rasch den Eindruck gewinnen, die ganze Übung koste zu viel. Ähnlich (schwierig) waren bei beiden Kommissionen die Beziehungen zu betroffenen Firmen und Personen, so etwa bezüglich der Verpflichtung zur Rückgabe von Arbeitskopien, die im Entwurf zum liechtensteinischen Gesetz nicht vorgesehen war, dann aber in Anlehnung an die Schweizer Lösung auf Druck der Rechtsanwaltskammer und der Treuhändervereinigung ins Gesetz aufgenommen wurde.20 Allerdings hatte die UHK während der Arbeit – anders als bei den Stellungnahmen einzelner Betroffener zu den ihnen vorgelegten Entwürfen – weniger mit liechtensteinischen Anstalten und Institutionen Schwierigkeiten als mit schweizerischen. Im Fürstentum selber waren die Probleme in dieser Hinsicht bescheiden und bestanden im wesentlichen darin, daß ein Treuhänder wegen des Umzugs in einen Neubau Akten entsorgen oder ein Anwaltsbüro Akten aus Rück-

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20

Vgl. nebst einer Unzahl von Einzelaufsätzen insbesondere das große Werk Peter Geiger, Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreißigerjahren 1928–1939, 2 Bände, Zürich 2000 (2. Auflage). Gesetz vom 17. 10. 2001, Art. 8 (Verfügung über die Untersuchungsmaterialien), Abs. 2.

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sicht auf das Anwaltsgeheimnis nicht einsehbar machen wollte. In beiden Fällen spielte der »Filz« eine positive Rolle und konnten die Probleme mittels der persönlichen Beziehungen des Präsidenten behoben werden. Schwieriger waren die angesichts der engen Wirtschaftsbeziehungen zur Schweiz potentiell besonders wichtigen Kontakte zu schweizerischen Ansprechpartnern. Sowohl die Eidgenössische Bankenkommission wie die Schweizerische Bankiervereinigung öffneten der UHK zwar ihre eigenen Archive, nicht aber diejenigen der Mitgliederbanken, weil Liechtenstein »Ausland« ist und die seinerzeitigen Zugangsregelungen der UEK entsprechend nicht Anwendung finden konnten. Hier wäre freilich zu bedenken gewesen, daß die beiden im Untersuchungszeitraum operierenden liechtensteinischen (ausländischen!) Banken ebenfalls Mitglieder der Schweizerischen Bankiervereinigung waren und weiterhin sind. Ein besonders trauriger Fall war derjenige des Kunsthauses Zürich mit dem der UHK verweigerten Zugang zu den Akten über den Berliner Wirtschaftsanwalt Josef Steegmann. Steegmann war Ende 1944/Anfang 1945 in die Evakuierung der fürstlichen Kunstsammlung nach Vaduz involviert gewesen und anschließend vom Fürsten mit einer »Ehrenstaatsbürgerschaft« ausgezeichnet worden. Nach dem Krieg hatte er eine eigene Kunstsammlung aufgebaut, die bis zu seinem Tod 1988 im Kunsthaus Zürich deponiert war und sich seither in Stuttgart befindet. Interessant wäre für die UHK die Erforschung der Provenienzen und der Mittel zum Erwerb dieser Sammlung gewesen, doch das zuständige Direktionsmitglied des Zürcher Kunsthauses verweigerte der UHK-Forscherin die Einsichtnahme in die Steegmann-Akten, weil er von ihr die Herausgabe ihrer einige Jahre früher für die UEK erstellten Exzerpte erpressen wollte, die er für eine Gegendarstellung zum UEK-Kunstband zu verwenden gedachte. Nicht nur wurden damit unterschiedliche Sphären vermischt, denn die UHK war keineswegs eine Emanation der UEK, sondern es wurde eine Forderung erhoben, die weltweit einzigartig sein dürfte, zumindest in demokratischen Systemen. Außerdem waren die UEK-Papiere zum Zeitpunkt dieser Auseinandersetzung bereits im Schweizer Bundesarchiv in Bern deponiert und der Verfügungsgewalt der Forscherin ohnehin entzogen.

IV. Zentrale Resultate der UHK-Arbeit Es kann hier natürlich nicht auf die Ergebnisse der UHK-Arbeit im einzelnen eingegangen werden. In dieser Beziehung sei vielmehr auf das im Laufe des Jahres 2005 erschienene Gesamtwerk der Kommission (Schlußbericht und Einzelstudien) verwiesen. Vieles von dem, was die Kommission zu Tage gefördert oder vertiefend aufgearbeitet hat, war – zumindest in großen Zügen – einigermaßen bekannt, so bezüglich der Flüchtlingsfrage oder bei den Rüstungsbetrieben, wobei aber auch in diesen Bereichen an sich Bekanntes vertieft werden konnte. Der Neuigkeitswert der UHK-Arbeit liegt indessen vor allem auf zwei Gebieten, die bislang nicht oder nur rudimentär erforscht waren. Zum einen gilt dies für den

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Bereich der Domizilgesellschaften, zum anderen betrifft es die Rolle des Fürsten.21 Das Fürstentum Liechtenstein ist von dem Moment an dank einem wirtschaftsfreundlichen Steuer- und Gesellschaftswesen für Kapitalien und Vermögenswerte aus dem Ausland attraktiv geworden, als im Zuge der Weltwirtschaftskrise neben anderen Staaten insbesondere das Deutsche Reich unter Reichskanzler Brüning zur Devisenzwangswirtschaft überging. Waren ursprünglich vor allem Steuerflüchtlinge an liechtensteinischen Gesellschaften interessiert, so waren es nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der vom Hitlerregime sukzessive bis hin zur Todesstrafe verschärften Devisenbestimmungen vor allem jüdische Opfer der NS-Verfolgung, die das Fürstentum indessen weniger als Fluchtdestination benützten, als daß sie bereits aus dem Reich herausgeschaffte Vermögenswerte mit Hilfe liechtensteinischer Gesellschaften dem Zugriff des NS-Systems zu entziehen versuchten. Darin waren sie meistens nicht erfolgreich, aber vielen von ihnen gelang es, mit Hilfe eines teuer bezahlten liechtensteinischen Bürgerrechts wenigstens ihr Leben zu retten, weil ein solches Bürgerrecht die Einreise in ein sichereres Land, zum Beispiel in die Schweiz oder in die USA, erleichtern konnte. Was umgekehrt die Involvierung liechtensteinischer Gesellschaften in Transaktionen zugunsten des »Dritten Reichs« oder zugunsten von regimenahen Personen sowie den Handel mit Wertpapieren unsicherer Provenienz, die möglicherweise in den besetzten Gebieten geraubt worden waren, anbelangt, so wurden von Schweizer Intermediären oder Schweizer Banken in einigen Fällen liechtensteinische Gesellschaften dazu benützt, um solche Geschäfte gegenüber den Alliierten zu tarnen oder Besitzverhältnisse zu verschleiern und damit einer Aufnahme in die Schwarzen Listen zu entgehen. In diesem Sinne konnten liechtensteinische Gesellschaften unter Umständen für Transaktionen benützt werden, die den Schweizer Instituten zu riskant erschienen. Deshalb und allgemein in Anbetracht der engen wirtschaftlichen Verflechtung mit der Schweiz ist es durchaus angebracht, das Fürstentum als verlängerten Arm des schweizerischen Finanzplatzes zu interpretieren, an den es auf Gedeih und Verderb gekoppelt war. Wäre die Schweiz von den Achsenmächten besetzt worden, wäre auch das Schicksal Liechtensteins besiegelt gewesen, während das Fürstentum umgekehrt vom deutschen Interesse am Schweizer Finanzplatz zu profitieren vermochte.22 Eine besondere Bedeutung spielte in Bezug auf die Verteidigung der Unabhängigkeit seines Landes der Fürst selber, der in dieser Hinsicht unbestritten als Integrationsfigur diente und darin auch erfolgreich war, wenngleich um den Preis eines bisweilen reichlich anpasserischen Verhaltens, welches sich in Gruß- und

21 22

Es ist hier allgemein auf den Schlußbericht der Kommission (s. Anm. 6) sowie im besonderen auf die Finanzstudie Lussy/Lopez zu verweisen. Vgl. neben der Finanzstudie Lussy/Lopez insbesondere Kap. 5 des Schlussberichts der UHK.

Das Fürstentum Liechtenstein und der Zweite Weltkrieg

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Gratulationstelegrammen, Geschenken, Spenden, Jagdeinladungen usw. gegenüber Größen des NS-Systems zeigte.23 Anders als bei seinem trotz den wohl unvermeidlichen Beschwichtigungsgesten insgesamt doch geradlinigen politischen Verhalten erscheint Fürst Franz Josef II. in den von ihm entfalteten Wirtschaftsaktivitäten seltsam ambivalent. Nicht nur versuchte er, mit Hilfe von Kontakten zu NS-Größen die Rückgabe der nach dem Ersten Weltkrieg von der tschechoslowakischen Republik enteigneten Güter zu betreiben, worin er erfolglos blieb, sondern er beteiligte sich auch an verschiedenen »Arisierungen« in der »Ostmark« und im »Sudetengau«, deren Ziel die Rettung des defizitären Elbemühl-Konzerns war, über den der Fürst seine holzwirtschaftlichen Aktivitäten industriell nutzbar machte. Im Kontext der österreichischen Historikerkommission wurde er deshalb geradezu als »erfolgreichster Groß-Ariseur im Papiersektor« bezeichnet,24 eine Qualifizierung, die angesichts der dürftigen Quellenlage allerdings nicht wirklich überprüfbar ist. Auch beschäftigte er auf seinen Gütern in Niederösterreich zeitweilig ungarische Zwangsarbeiter aus einem Durchgangslager in der Umgebung Wiens.25 Wirtschaftlich gesehen scheint beim Fürsten das Interesse als Konzernchef vor anderen Überlegungen gekommen zu sein, womit er sich nicht sehr von anderen wichtigen Wirtschaftsprotagonisten seiner Zeit, auch schweizerischen, unterschied. Gemäß dem »Arisierungs«-Spektrum, das Lothar Gall in seiner Biographie des Bankiers Hermann Josef Abs skizziert und welches von schamloser Bereicherung bis zur Treuhandschaft für jüdisches Eigentum reicht, müßte Franz Josef II. wohl irgendwo in der Mitte angesiedelt werden.26 Im Laufe des Jahres 2005 wurden alle Resultate der UHK-Arbeiten gedruckt. Sie sind – entgegen vielen Erwartungen – kaum spektakulär, aber sie ergeben ein erheblich vielseitigeres und differenzierteres Bild, als es bisher von Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg bestand. Dies gilt – wie erwähnt – insbesondere im Finanzbereich und bezüglich der Rolle des Fürsten.

23 24 25 26

Vgl. Geiger, Krisenzeit, Band 2, S. 227ff. und 342–45. Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller, Berthold Unfried, Fritz Weber, Eigentumsänderungen in der österreichischen Industrie 1938–1945, Wien 2002, S. 467. Vgl. Schlussbericht der UHK, Kap. 7. Lothar Gall, Der Bankier Hermann Josef Abs. Eine Biographie, München 2004, S. 63.

Wolfram Pyta

Die Formung des kulturellen Gedächtnisses am Beispiel der Bundesrepublik und Italiens

Die Formung des kulturellen Gedächtnisses

Die Beschäftigung mit den vielfältigen Formen der Aneignung der Vergangenheit durch die Gegenwart hat derzeit Hochkonjunktur – und dementsprechend groß ist auch die Begriffsverwirrung. Als zentrale Begriffe haben sich dabei die Termini »Gedächtnis« und »Erinnerung« herausgeschält, die beide das Phänomen begrifflich markieren sollen, daß die Deutung vergangenen Geschehens ein Prozeß ist, der von Orientierungsbedürfnissen der Gegenwart gesteuert wird. Ohne an dieser Stelle einen umfassenden Überblick über diese begrifflichen Offerten und deren spezifische Leistungen bieten zu können,1 soll gleichwohl der Versuch unternommen werden, mit einem Oberbegriff zu operieren, der die auf der Tagung angesprochenen Phänomene erfaßt, ohne seine analytische Trennschärfe einzubüßen. Gewiß wäre es möglich, die leitenden Termini »Gedächtnis« und »Erinnerung« synonym zu verwenden, wie es sich vielfach eingebürgert hat. Doch damit würde der geschichtstheoretisch untermauerte Ansatz der »Erinnerungsgeschichte«2 unterbelichtet, der unter Aufgreifung älterer phänomenologischer Traditionen die lebensgeschichtlich strukturierte Erinnerung des Subjektes zum archimedischen Punkt erhebt und damit ausdrücklich einen anderen Ansatz als die »Gedächtnisgeschichte« verfolgt, welcher die Existenz einer sozialen Aneignung des Vergangenen postuliert und der auch dieser Tagung zugrunde lag. Beiden Ansätzen ist die methodologisch fest verankerte Position gemein, daß unter »Geschichte« in beiden Fällen eine retrospektive Konstruktion vergangenen Geschehens unter Sinnaspekten zu verstehen ist. Wenn »Geschichte« also nicht gewissermaßen a priori vorhanden ist, sondern aus der Synthetisierung des geschichtlichen Rohmaterials erwächst,3 dann rückt die Frage nach den Voraussetzungen dieses Konstruktionsprozesses in den Mittelpunkt. Die Tagung hat sich dafür entschieden, nicht in der subjektiven Erinnerung den Königsweg zur sinnhaften Erschließung der Vergangenheit zu erblicken, sondern diesen Prozeß als einen kollektiv 1 2

3

Präzise Übersicht bei Christoph Cornelißen, Was heißt Erinnerungskultur?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (54) 2003, S. 548–563. Zum Ansatz der »Erinnerungsgeschichte« vgl. vor allem: Katja Patzel-Mattern, Geschichte im Zeichen der Erinnerung. Subjektivität und kulturwissenschaftliche Theoriebildung, Stuttgart 2002; Clemens Wischermann (Hg.), Vom kollektiven Gedächtnis zur Individualisierung der Erinnerung, Stuttgart 2002. Geschichtstheoretisch maßgeblich hierzu: Hans Michael Baumgartner, Kontinuität und Geschichte. Zur Kritik und Metakritik der historischen Vernunft, Frankfurt/Main 1972; Kurt Kluxen, Vorlesungen zur Geschichtstheorie I, Paderborn 1974.

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geformten Vorgang anzusehen. Daher bietet es sich an, sich des Begriffs des »kulturellen Gedächtnisses« zu bedienen, um dieses Deutungsgeschehen kategorial zu ordnen. Das »kulturelle Gedächtnis« zeichnet sich in Anlehnung an Jan Assmann dadurch aus, daß die Vergegenwärtigung der Vergangenheit sich in festen Formen vollzieht und einen institutionalisierten Rahmen gefunden hat – als Ergebnis eines sozialen Prozesses, in dessen Verlauf zunächst fluide Deutungsangebote verfestigt werden und sich am Grund des kollektiven Gedächtnisses absetzen.4 Insofern ist der Begriff der »Gedächtnisgeschichte« am besten geeignet, die Konstruktionsprozesse und kommunikativen Abläufe zu erfassen, in denen kollektive Entitäten auf die Vergangenheit zugreifen.5 Das kulturelle Gedächtnis besitzt vor allem eine identitätsstiftende Funktion.6 Mittels einer spezifischen Verarbeitung der Vergangenheit formen sich Gemeinschaften zu einer Gedächtnisgemeinschaft, die ihre Kohäsionskraft nicht zuletzt aus einer solchen Gedächtnispflege bezieht. Daraus ergibt sich die leitende Fragestellung, die an dieser Stelle an die hier versammelten Beiträge angelegt wird. Welchen Beitrag hat in Italien und Deutschland die Deutung der faschistischen bzw. nationalsozialistischen Vergangenheit bei der Herstellung einer kollektiven Identität7 gespielt? Inwieweit kam es zur Herausbildung daraus resultierender »kultureller Gedächtnisse«, die spezifische Impulse bei der politisch-kulturellen Vergemeinschaftung im nachdiktatorischen Italien und Deutschland lieferten? Die Ergebnisse der Tagung lassen sich unter diesem Aspekt so verdichten, daß in beiden Fällen Faschismus bzw. Nationalsozialismus tatsächlich zu kulturellen Kristallisationskernen für die Konstruktion einer nationalen Gedächtnisgemeinschaft geworden sind. Allerdings darf dieses Resultat nicht darüber hinwegtäuschen, daß zumindest in Deutschland mehr als zwanzig Jahre vergingen, ehe sich ein bestimmtes Deutungsmuster herausbildete, das die deutsche Geschichte systematisch auf alle Traditionsbestände abklopfte, die tatsächlich oder vermeintlich zum Nationalsozialismus hingeführt hatten, und daraus Sag- und Zeigbarkeitsregeln formulierte, wie mit der jüngeren deutschen Vergangenheit öffentlich umzugehen sei. Kerstin von Lingens eindrücklicher Beitrag arbeitet heraus, wie hartnäckig sich die Konstruktion des Bildes eines von der deutschen Wehrmacht vermeintlich sauber und fair geführten Krieges auf italienischem Boden zu behaupten vermochte. Damit schärft sie unseren Blick für die generationellen Momente von Gedächtnisgemeinschaften:8 Solange eine Generation ehemaliger 4 5

6 7 8

Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 1992. Tendenziell ähnlich ist die Argumentation von Harald Welzer, Gedächtnis und Erinnerung, in: Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 3, hg. von F. Jaeger und J. Rüsen, Stuttgart 2004, S. 155–174. Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungsorte, in: Konzepte der Kulturwissenschaften, hg. von Ansgar und Vera Nünning, Stuttgart 2003, S. 156–185. Hierzu grundlegend Bernhard Giesen, Kollektive Identität, Frankfurt/Main 1999, vor allem S. 42f. Hierzu auch Cornelißen, a.a.O., S. 556f.; siehe auch Bernhard Giesen, Triumph and Trauma, Boulder 2004.

Die Formung des kulturellen Gedächtnisses

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Wehrmachtssoldaten in Westdeutschland in politischer und gesellschaftlicher Führungsverantwortung stand, herrschte das Bedürfnis vor, die sinnhafte Verarbeitung des Kriegsgeschehens nicht durch Infragestellung des Bildes von der rein in ihren soldatischen Pflichten aufgehenden Truppe zu stören. Eine andere Konkurrenz zu nationalen Gedächtnisgemeinschaften bestand in der gerade in Deutschland äußerst lebendigen Regionalkultur. Hier bestand die Tendenz, die »Region« zum kulturellen Gegenentwurf zur vom Nationalsozialismus ideologisch kontaminierten »Nation« aufzuwerten und damit regionale Traditionspflege zu betreiben, die sich von der nationalen Gedächtnispolitik bewußt abkoppelte. Christoph Cornelißens Beitrag zeugt allerdings auch davon, daß zumindest in einem historisch so disparaten »Bindestrichland« wie Nordrhein-Westfalen solche Versuche aufs Ganze gesehen wenig erfolgreich waren und die Region damit keinen bequemen Zufluchtsort bot, an dem sich kulturelle Vergemeinschaftung ohne Rekurs auf die NS-Vergangenheit auszubilden vermochte. In Italien bot der Faschismus hingegen seit der Gründung der Republik den negativen Fluchtpunkt für die politisch dominierenden Kräfte von der Christdemokratie bis hin zu den Kommunisten. Die Abgrenzung vom Faschismus fiel all diesen Kräften leicht, weil sie die soziale und kulturelle Verwurzelung des Faschismus als Massenbewegung nicht thematisierten. Indem der Faschismus zum Elitenphänomen verniedlicht wurde und als ausführendes Organ der Interessen des Großkapitals erschien, konnte sich ein antifaschistischer Gründungskonsens der jungen italienischen Republik bilden, der sich bis in die 1980er Jahre hielt. Erst dann verlor mit der intellektuellen Erosion des Marxismus auch in Italien diese holzschnittartige Faschismusdeutung viel von ihrer Dominanz. Statt dessen tauchte – vor allem durch Renzo de Felice angestoßen – nun die bohrende Frage auf, wie stark Mussolini und seine Bewegung tatsächlich in der Gesellschaft und Kultur Italiens der 1920er bis 1940er Jahre verankert gewesen waren. Die Beiträge von Pombeni, Focardi und Belardelli beleuchten diese Wandlungen, indem sie die Entwicklungen in der italienischen Historiographie als Seismograph für die Erschütterungen der Tektonik des kulturellen Gedächtnisses betrachten. Zugleich werfen diese Beiträge die Anschlußfrage auf, mit welchen Inhalten nach dem vermutlichen Ende dieser antifaschistischen Gedächtnisgemeinschaft das kulturelle Gedächtnis in Italien gefüllt werden kann. Der Ansatz des »kulturellen Gedächtnisses« weist der Symbolisierbarkeit erinnerungswürdigen Geschehens einen zentralen Stellenwert zu.9 Vergemeinschaftende Selbstverständigungsprozesse speisen sich nicht zuletzt aus dem beständigen Rekurs auf eine symbolträchtige Manifestation der Vergangenheit. Die Herausbildung solcher symbolischer Kristallisationskerne trägt maßgeblich zur Stabilität kultureller Gedächtnisse bei. Die symbolische Ordnung des kulturellen Gedächtnisses hat in der Bundesrepublik allerdings unter einer verwirrenden Vielfalt von Gedenkstätten zur NS-Zeit gelitten, wie der Beitrag von Monika Boll 9

Vgl. Erll (wie Anm. 6), S. 171f.; Habbo Knoch, Die Tat als Bild, Hamburg 2001, vor allem S. 14–23.

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verdeutlicht. Zwar gingen von diesen Orten vielfältige Impulse für eine lebendige Gedächtniskultur aus, durch welche sich die Beschäftigung mit dem »Dritten Reich« tief in das kollektive Gedächtnis der meisten Deutschen eingrub. Doch das Synonym für die NS-Menschheitsverbrechen – Auschwitz – lag nicht auf deutschem Boden und konnte nur als imaginativer Code für den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus angeeignet und damit zugleich universalisiert werden. Das kulturelle Gedächtnis der Bundesrepublik kam jahrzehntelang ohne eine symbolische Verdichtung der Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus aus, die zu einem zentralen nationalen Gedächtnisort geworden wäre. Ob das jüngst errichtete Holocaustmahnmal in Berlin diese Funktion eines zentralen Gedächtnisspeichers übernehmen kann, sei dahingestellt. Die mediale Verfaßtheit des kulturellen Gedächtnisses ist von der Forschung bislang eher unterbelichtet worden und stand auch nicht im Zentrum der Tagung. Dabei sind Medien keine neutralen Transporteure des kollektiven Gedächtnisses, sondern präformieren durch ihr »gedächtnismediales Leistungsvermögen«10 vielmehr die Art und Weise, wie Erinnerungsströme fließen und das Vergangene lebendig gehalten wird. Zu fragen wäre also verstärkt danach, inwieweit die von Pierre Nora beschriebenen »lieux de mémoire«11 eine bestimmte Form der Materialisierung aufweisen müssen, damit ihre sinnhafte Aneignung zum Zwecke der Formung eines kulturellen Gedächtnisses überhaupt möglich wird. Insofern erlauben künstlich geschaffenen Erinnerungsorte wie Denkmäler und Mahnmale die Verstetigung einer gezielten Gedächtnispflege gerade zu einer Zeit, in der die natürliche Erinnerungsgemeinschaft durch das Wegsterben der letzten Zeitzeugen im Erlöschen begriffen ist.12 Doch bedürfen solche Orte der Erinnerung immer der verbalen Sinnstiftung, damit ihnen die gewünschte Bedeutung zugewiesen wird – räumliche wie bildliche Manifestationen sind stets an das Wort gebunden, weil nur über diskursive und narrative Formen der Bedeutungsgehalt erschlossen und kommuniziert werden kann.13

10

11 12 13

Astrid Erll, Medium des kollektiven Gedächtnisses: Ein (erinnerungs-)kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff, in: Medien des kollektiven Gedächtnisses, hg. von A. Erll und A. Nünning (Medien und kulturelle Erinnerung 1), Berlin/New York 2004, S. 3–22, Zitat S. 6. Pierre Nora (Hg.), Les lieux de mémoire, 3 Bände, Paris 1984–1992. Aleida Assmann, Erinnerungsorte und Gedächtnislandschaften, in: Erlebnis – Gedächtnis – Sinn, hg. von H. Loewy und B. Moltmann, Frankfurt/New York 1996, S. 13–29. Wulf Kansteiner, Postmoderner Historismus – Das kollektive Gedächtnis als neues Paradigma der Kulturwissenschaften, in: Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 2: Paradigmen und Disziplinen, hg. von F. Jaeger und J. Straub, Stuttgart 2004, S. 119–139.

Namensregister

Abele, Christina 151 Abs, Hermann Josef 263 Achenbach, Michel 12 Adenauer, Konrad 1, 2, 20–22, 94, 102, 104, 131 Aga Rossi, Elena 108 Agosti, Aldo 2 Agosti, Giorgio 41 Albanese, Giulia 190 Albrecht, Dieter 133, 149 Alexander, Harold 69, 118, 119 Algardi, Zara 67, 73 Almirante, Giorgio 191 Altgeld, Wolfgang 146 Althoff, Friedrich 216, 224 Amelunxen, Rudolf 240 Anderson, Margaret Lavinia 62 Andrae, Friedrich 95 Andreucci, Franco 180 Anfuso, Filippo 209 Angiolillo, Renato 186 Antonicelli, Franco 122 Applegate, Celia 236 Aquarone, Alberto 123, 124 Arendt, Hannah 125 Arminius 179 Arnold, Klaus Jochen 63 Aron, Raymond 156 Ascarelli, Attilio 171 Ash, Mitchell G. 222 Assmann, Aleida 92, 268 Assmann, Jan 92, 266 Attlee, Clement Richard 69, 118 Augstein, Rudolf 13 Baadte, Günter 153 Badoglio, Pietro 31, 33, 34, 38, 87, 121, 184, 207 Bald, Detlef 92, 96 Baldassini, Cristina 6 Bärsch, Claus-Ekkehard 157

Battaglia, Achille 67, 73 Battaglia, Roberto 33 Battini, Michele 87, 95 Baumgartner, Hans Michael 265 Baumgärtner, Raimund 148 Becker, Winfried 135, 139, 150–153, 156 Bedeschi, Lorenzo 161 Behr, Hans-Joachim 242 Belardelli, Giovanni 5, 10, 267 Bell, George 101 Bellenger, Friedrich John 100, 101 Benigni, Roberto 233 Berg, Nikolaus 129 Bergen, Doris L. 158 Bergonzini, Luciano 7 Bering, Dietz 93 Berlusconi, Silvio 1, 15, 27, 177, 189, 191– 193 Berning, Hermann Wilhelm 150 Besier, Gerhard 150, 151 Beveridge, William Henry 64 Bevin, Ernest 100, 101 Bianchi Bandinelli, Ranuccio 181 Bidussa, David 188 Bierwisch, Manfred 227 Blaschke, Olaf 146, 158 Blet, Pierre 143, 149, 168 Bloxham, Donald 74 Boberach, Heinz 134, 151 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 137, 138 Boeckh, August 215 Böhner, Kurt 241 Bohrer, Karl Heinz 92 Boldt, Hans 236 Boll, Monika 267 Bollati, Giulio 5 Bonomi, Ivanoe 41, 63 Bontempo, Teodoro 207 Borchers, Günther 244, 245 Boyens, Arnim 132 Bracher, Karl Dietrich 1, 27

270 Brandmüller, Walter 150 Braubach, Max 242 Braun, Hannelore 151 Brechenmacher, Thomas 140, 146 Brecht, Bertold 17 Brochhagen, Ulrich 94 Brockmeier, Peter 28 Broszat, Martin 151, 152 Brunhart, Arthur 253, 254 Brunhart, Hans 254 Brüning, Heinrich 262 Buchheim, Hans 138 Buchheim, Karl 138 Buchstab, Günter 153, 155 Bührle, Emil 257 Buscher, Frank 72 Büssow, Jürgen 244 Buttigieg, Joseph A. 153 Cafagna, Luciano 5 Calamandrei, Piero 122 Calcagno, Carlo 170 Campanini, Giorgio 161 Campi, Alessandro 183, 188 Canali, Mauro 190 Canaris, Ute 239 Canavero, Alfredo 154 Canosa, Roberto 67, 73 Capogreco, Carlo Spartaco 76, 190 Carlo Magno, siehe Karl der Große Carpi, Daniel 193 Cassese, Antonio 69, 72 Cavour, Camillo Benso di 58, 180 Cervi, Mario 189 Chabod, Federico 123, 124 Chadwick, Owen 144 Chamberlain, Arthur Neville 101 Chiavazza, Carlo 171 Christ, Günter 151 Christenberry, Charles Wilkes 73 Churchill, Winston 59, 69, 99, 101, 118 Ciampi, Carlo Azeglio 15, 31, 34, 206 Ciano, Galeazzo 82, 188, 209 Cole, Tim 234 Collotti, Enzo 189 Colonge, Paul 151 Contini, Giovanni 95 Conway, John Seymour 133 Conze, Eckart 1, 63 Conzemius, Viktor 139, 144

Namensregister Coppenrath, Albert 133 Corbea-Hoisie, Andrea 235 Cornelißen, Christoph 2, 129, 234–236, 239, 244, 265–267 Cornwell, John 140, 141, 145 Corsini, Umberto 2 Corsten, Wilhelm 133 Crasemann, Eduard 94 Cremer, Fritz 232 Crispi, Francesco 58, 77 Croce, Benedetto 6, 56, 59, 63, 88, 122, 179, 180–182 Crollalanza, Araldo di 191 Csáky, Moritz 235 Cunning, J.E.M. 73 Dahm, Helmut 243 Dal Lago, Maurizio 108 Dammeyer, Manfred 245, 249 D’Angelo, Lucio 73 D’Annunzio, Gabriele 205 De Bernardi, Alberto 178 De Felice, Renzo 5, 6, 122–126, 188–190 De Gasperi, Alcide 2, 15, 20, 21, 63, 166 De Gaulle, Charles 61 De Giorgi, Fulvio 172 De Grazia, Victoria 189 De Vecchi, Cesare Maria 122 Déak, Istvan 70, 72 Dehler, Thomas 107 Del Boca, Angelo 6 Desbuquois, Gustave 147 Deutsch, Harold C. 62 Di Maio, Tiziana 2 Di Sante, Costantino 190 Diels, Hermann 211–213, 217, 224 Diels, Ludwig 211 Diepgen, Eberhard 220 Dierker, Wolfgang 157 Dinzelbacher, Peter 151 Dipper, Christof 2, 5, 7, 13, 24 Doering-Manteuffel, Anselm 136 Dollmann, Eugen 108, 113, 114 Domenico, Ralph P. 67, 73, 143, 147 Dönhoff, Marion 63 Doyle, Kevi M. 142 Drake, Heinrich 242 Dschingis Khan 182 Dulles, Allen 107, 108, 116 Durand, Jean-Dominique 2, 154

Namensregister Duve, Freimut 197 Düwell, Kurt 244, 246, 249 Echternkamp, Jörg 105 Eckhart, Dietrich 157 Eichmann, Adolf 51 Eisenman, Peter 233 Elbern, Victor H. 241 Elz, Wolfgang 132, 144 Engel, Sigfrid 206 Engelbert, Günter 242 Erhardt, Manfred 220 Erll, Astrid 266–268 Euler, August-Martin 102 Euler, Leonhard 218 Evans, Richard J. 55 Fandel, Thomas 150 Farinacci, Roberto 122 Farrell, Nicolas 177 Felber, Ulrike 263 Feldkamp, Michael F. 58, 140, 145 Fermi, Enrico 122 Ferraresi, Franco 61 Ferrari, Paolo 178 Ferretti, Vasco 75 Ferro, Marc 204 Fest, Joachim 53 Fincato, Giovanni 170 Fini, Gianfranco 15, 191, 207, 209 Fiori, Simonetta 190 Fischer, Anke 12 Fischer, Carolin 28 Fischer, Emil 224 Fischer, Fritz 55 Fischer, Heinz-Joachim 19 Fischer, Wolfram 225 Fleischner, Eva 145 Flores, Marcello 67, 73 Focardi, Filippo 5–7, 10, 12, 15, 22, 87, 100, 181, 183, 185, 186, 267 Foerster, Roland G. 98, 102 Fogarty, Gerald P. 145 Formigoni, Guido 63 Först, Walter 248 Förster, Christina M. 156 Forster, Karl 149 Francesco Giuseppe II, siehe Franz Josef II. Franchi, Paolo 177 Francillon, Chrystèle 161

271 Francini, Esther Tisa 255, 259 Franco, Francisco 70, 143 Franz Josef II. 263 Franzinelli, Mimmo 10, 73, 103, 190, 207 Frei, Norbert 3, 14, 93, 102–105, 107, 117, 234 Frenzel, Ivo 234 Fried, Johannes 129 Friedländer, Saul 141 Frings, Josef 150 Fröhlich, Elke 152 Fromme, Karl Friedrich 247 Gadamer, Hans Georg 25 Galante Garrone, Alessandro 26, 67 Galfrè, Monica 190 Gall, Lothar 263 Galli della Loggia, Ernesto 5, 10 Gandin, Antonio 31, 32 Garibaldi, Giuseppe 77, 181 Gariglio, Bartolo 154 Garneri, Giuseppe 161 Garton Ash, Timothy 73 Gati, Charles 73 Gebhardt, Bruno 223 Gehler, Michael 154 Geiger, Peter 253, 254, 260, 263 Gentile, Carlo 30, 208 Gentile, Emilio 190 Gentile, Giovanni 6, 190 Gerlach, Christian 63 Gervaso, Roberto 189 Geßler, Otto 156 Gestrich, Andreas 151 Giese, Friedrich 145 Giesen, Bernhard 266 Ginsburgs, George 74 Giolitti, Antonio 184 Giolitti, Giovanni 77 Giovagnoli, Agostino 180 Giovanni Paolo I, siehe Johannes Paul I. Giovanni Paolo II, siehe Johannes Paul II. Giusti, Claudio 192 Giustolisi, Franco 103 Gladstone, William 65 Glaser, Hermann 238 Gobetti, Pietro 182 Godde, Wilhelm 249 Goebbels, Joseph 53, 108, 157 Goglia, Luigi 123 Goldberg, Kate 194

272 Goldhagen, Daniel Jonah 3, 140, 141, 145, 151, 158 Golzio, Silvio 161 Goschler, Constantin 3 Gotto, Klaus 152, 153 Graham, Loren R. 225 Graham, Robert A. 143 Grandi, Dino 64 Grass, Günther 25 Grau, Conrad 216–219 Graziani, Rodolfo 76, 78, 81 Green, Julian 51 Greschat, Martin 132 Greven, Michael T. 98 Gross, Jan Tomasz 70, 72 Grosser, Alfred 141 Grossmann, Anton 152 Grosso, Giuseppe 171 Gruber, Hubert 134, 135 Gründler, Gerhard E. 72 Guderzo, Giulio 7 Guglielmo II, siehe Wilhelm II. Guiotto, Maddalena 1 Guisan, Henri 258 Gundlach, Gustav 147, 148 Gurian, Waldemar 134 Gutman, Roy 72 Habermas, Jürgen 13 Hackenberg, Kurt 244, 247 Haffner, Sebastian 140 Hahn, Karl Josef 153 Hailé Selassié 79 Halbwachs, Maurice 92 Halse, Richard 97 Hammermann, Gabriele 18 Hankey, Maurice 101, 103 Hannot, Walter 147 Harrison, Ted 62 Hartkopf, Werner 213, 216, 217, 219, 220, 222, 225 Hartung, Fritz 211 Hattenkofer, Peter 108 Hausmann, Friederike 7 Havel, Vaclav 71 Havemann, Robert 212 Heinrichs, Werner 204 Hemmerle, Norbert 254 Henning, Eckart 212, 217 Hesse, Hermann 158

Namensregister Heuss, Alfred 45 Hiemer, Alfons 91 Hildebrand, Klaus 130, 157 Hilti, Martin 257, 258 Hirsch, Burkhard 247 Hitler, Adolf 9, 29, 42, 49, 53, 55, 58, 61– 63, 70, 80, 85, 88, 108, 111, 137–140, 142, 145, 147, 148, 152, 153, 155, 157, 158, 164, 168, 177, 180, 182, 183, 187, 189, 193, 233 Hobsbawn, Eric J. 65 Hochhut, Rolf 139, 140, 142, 168 Hockerts, Hans Günter 132, 144, 152, 156, 157 Hofer, Franz 114, 115 Hoffmann, Dieter 221 Hoffmann, Peter 62 Höfner, Karlheinz 102 Hohensee, Jens 238 Hohlfeld, Rainer 211, 224, 225 Holec, Roman 235 Hollerbach, Alexander 139 Höpfl, Bernhard 156 Horkheimer, Max 25 Hosenfeld, Wilm 158 Hoster, Joseph 242 Hudal, Alois 147 Hudemann, Rainer 2 Huizinga, Johan 203 Hummel, Karl-Joseph 145, 151, 158 Hürten, Heinz 132, 134, 147, 148, 150, 154, 155 Hüttenberger, Peter 152, 244 Imbriani, Angelo Michele 187 Ionescu, Ghita 73 Isensee, Josef 198 Ismay, Hastings Lionel 103 Jablonski, Daniel Ernst 220 Jaeger, Friedrich 266, 268 Jarausch, Konrad H. 129 Jaworski, Rudolf 235 Jeismann, Michael 234 Jemolo, Arturo Carlo 121 Jenninger, Philipp 197 Jochimsen, Jess 129 Johannes Paul I. 141 Johannes Paul II. 154 Johnson, Boris 177 Jud, Ursina 255, 258

Namensregister Judt, Tony 70, 72 Junk, Nikolaus 134 Kaas, Ludwig 138 Kaff, Brigitte 153, 155 Kansteiner, Wulf 268 Kappler, Herbert 19, 26, 107 Karl der Große 241, 242 Karlen, Stefan 255 Keller, Hans 91, 98 Kelsen, Hans 71 Kempner, Robert 144 Kerl, Katharina 12 Kershaw, Ian 130 Kersten, Kurt 73 Kesselring, Albert 18, 19, 22, 68, 69, 81, 91–102, 104–106, 107–119 Kettenacker, Lothar 73, 158 Kißener, Michael 156 Klausch, Helmut 249 Kleihues, Josef Paul 244, 246 Klein, Armin 204 Klein, Stefan 245 Kleinmann, Hans-Otto 153, 155 Klemperer, Viktor 52 Klotz, Johannes 92 Kluxen, Kurt 265 Knab, Michael Otto 134 Knaut, Rudolf 30 Knigge, Volkhard 234 Knoch, Habbo 239, 267 Knoop-Graf, Anneliese 156 Knopp, Guido 53 Koch, Hans 245 Kochmann, Klaus 140 Kocka, Jürgen 211, 213, 224, 226 Kögler, Walter 7 Kohl, Christiane 11, 103 Kohl, Helmut 197 Köhler, Wolfram 242, 248 Kohlstruck, Michael 234 Kohn, Michael 254 Köllmann, Wolfgang 244, 246, 249 Kollwitz, Käthe 232 Kolmer, Lothar 151 Komkov, Gennadij D. 218 König, Helmut 234 Korff, Gottfried 237 Kortzfleisch, Siegfried 146 Kreis, Georg 108

273 Krieger, Wolfgang 102 Krohn, Claus-Dieter 135 Kselman, Thomas 153 Kugelmann, Yves 254 Kühn, Heinz 243, 245, 246 Kühne, Thomas 98, 105, 236 Kulebakin, Viktor S. 215 Kuntz, Eva Sabine 26 Küppers, Heinrich 150 Kuropka, Joachim 150 Kusber, Jan 235 Küttler, Wolfgang 239 Kvaternik, Eugen 78, 79 La Rovere, Luca 190 La Russa, Ignazio 209 Labanca, Nicola 77 Ladurner, Ulrich 194 LaFarge, John 147 Laitko, Hubert 216, 217, 221, 223, 224, 226 Lamb, Richard 100 Lamberts, Emiel 154 Lammer, Norbert 204 Lanaro, Silvio 5 Landrock, Rudolf 226 Langdon, John W. 56 Langer, Richard 101 Lanz, Hubert 32 Lanzmann, Claude 233 Laternser, Hans 95–97, 106, 114 Le Rider, Jacques 235 Ledeen, Michael A. 124 Legnani, Massimo 6 Leiber, Robert 168 Leibniz, Gottfried Wilhelm 218–222 Lener, Salvatore 164, 168 Levai, Jenö 144 Levi, Primo 28, 29 Levšin, Boris V. 218 Levy, Daniel 234 Lewy, Guenter 133 Ley, Michael 156 Libeskind, Daniel 233 Liddell Hart, Basil 101 Lill, Johannes 1 Lill, Rudolf 148, 151 Lincoln, Abraham 141 Loewy, Hanno 268 Longo, Luigi 184 Lönne, Karl-Egon 151

274 Lopez, Rodrigo 255, 257, 259, 262 Lübbe, Hermann 158, 238 Luciani, Albino, siehe Johannes Paul I. Lücker, Hans August 153 Luckmann, Thomas 92 Luckner, Gertrud 148 Luks, Leonid 158 Lupo, Salvatore 178 Lussy, Hanspeter 255, 257, 259, 262 Luzzatto, Sergio 189 Luzzi, Giovanni 177, 193 Macksey, Kenneth 119 Macrakis, Kristie 221 Maguire, Peter 72 Mai, Ekkehard 237 Maier, Hans 11, 156, 157 Maletti, Pietro 76 Malgeri, Francesco 161 Maltoni, Rosa 206 Mältzer, Kurt 69, 94, 99, 100 Mantelli, Brunello 5, 6, 12, 24, 87 Maraviglia, Mariangela 161 Margalit, Arvishai 234 Maritain, Jacques 180 Marrus, Michael R. 144, 145, 155 Marshall, Bruce 140 Martens-Schöne, Birgit 143 Märthesheimer, Peter 234 Martini, Angelo 143, 149, 165, 167, 168 Martino, Gaetano 103 Marxer, Roland 254 Marxer, Veronika 256, 258 Masaniello, Tommaso 183 Massignani, Alessandro 108 Mastropaolo, Alfio 6 Matthias, Erich 131 Mayer, Hans 25 Mayeur, Jean-Marie 151, 154 Mazzini, Giuseppe 181 Mazzolari, Primo 161, 166, 169, 170 Mc Geagh, Forster 68 Melichar, Peter 263 Melograni, Piero 123 Mende, Erich 102 Mercuri, Lamberto 67, 73 Messineo, Antonio 165 Meyer, Georg 98, 115 Meyers, Franz 241, 242 Miccoli, Giovanni 5

Namensregister Michman, Dan 253, 254 Mietta, Luigi 163 Mignemi, Adolfo 80 Mira, Giovanni 122 Missiroli, Antonio 17 Mleinek, Elisabeth 133 Mohr, Arno 236 Moll, Helmut 154, 155 Moll, Josef 111–113, 115 Möller, Horst 130, 131 Moltmann, Bernhard 268 Mommsen, Hans 62 Mommsen, Wolfgang J. 8, 9, 27, 58, 61 Montanelli, Indro 113, 114, 187, 189 Montini, Giovanni Battista, siehe Paul VI. Moos, Carlo 253, 254 Morley, John F. 143, 145 Moro, Aldo 57 Moro, Renato 123 Morsey, Rudolf 131, 138, 139, 149, 153 Muckermann, Friedrich 134 Muktar, Omar al 77 Müller, Rainer A. 238 Mussolini, Alessandro 208 Mussolini, Benito 6, 7, 9, 16, 17, 38, 58, 59, 61, 63, 76–80, 82, 85, 89, 97, 121, 124–126, 139, 162–165, 173, 177, 182–185, 187–189, 191–194, 205–209, 267 Naas, Josef 218 Nenni, Pietro 67, 73, 183 Neppi Modona, Guido 5 Neuhäusler, Johann 133 Nicolai, Karl 145 Nicolaisen, Carsten 151 Nolte, Ernst 2, 27, 65 Nolte, Paul 3 Nora, Pierre 235, 238, 268 Noschka-Roos, Annette 204 Novick, Peter 72 Nünning, Ansgar 266, 268 Nünning, Vera 266 Nützenadel, Alexander 2, 24 Omodeo, Adolfo 122 Opitz, Peter J. 157 Oriani, Alfredo 205 Orlando, Vittorio Emanuele Ortega y Gasset, José 203 Ottaviani, Alfredo 148

56, 59, 64

Namensregister

275

Pacelli, Eugenio, siehe Pius XII. Paggi, Leonardo 75 Paolo VI, siehe Paul VI. Parker, Robert A. C. 59 Parri, Ferruccio 5, 15, 33, 39, 55, 56, 59 Passelecq, Georges 147 Patzel-Mattern, Katja 265 Paul VI. 142 Pavelić, Ante 78 Pavone, Claudio 41, 118 Paxton, Robert O. 144 Pehle, Walter H. 24 Peli, Santo 89 Perlasca, Giorgio 192 Persch, Martin 150 Pešek, Jiří 235 Petacci, Claretta 188, 208 Petacco, Arrigo 189 Peter I. 218 Peters, Hans 138 Petersen, Jens 2, 194 Pethes, Nicolas 93 Pezzino, Paolo 7, 95 Phayer, Michael 141 Pierroth, Bodo 227 Pietro I, siehe Peter I. Pio XI, siehe Pius XI. Pio XII, siehe Pius XII. Pius XI. 139, 147, 148, 162, 167, 168, 170 Pius XII. 140–145, 148, 155, 159, 162, 167, 168, 170 Planck, Max 225 Pleven, René 98, 102 Pombeni, Paolo 1, 5, 64, 132, 267 Portmann-Tinguely, Albert 132 Posser, Diether 249 Poulat, Emile 147 Prantl, Heribert 20 Priebke, Erich 95 Pupo, Raoul 86 Puvogel, Ulrike 234 Quagliariello, Gaetano Quaroni, Pietro 23 Quazza, Guido 126

61

Raab, Heribert 132 Raddatz, Fritz J. 140 Ragionieri, Ernesto 125 Rahn, Rudolf 108, 111–113

Ratti, Achille, siehe Pius XI. Ratzinger, Joseph 146 Rau, Johannes 8, 34, 247–250 Rauscher, Anton 147, 153 Rauschning, Hermann 182 Rawls, John 72 Recker, Klemens August 150 Reichardt, Sven 2 Reichel, Peter 3, 234 Rendtorff, Trutz 156 Rengstorf, Karl Heinrich 146 Repgen, Konrad 2, 138, 140, 147–149, 152, 155 Retallack, James 236 Reulecke, Jürgen 236 Revelli, Nuto 30, 31 Riccardi, Luca 59 Riefenstahl, Leni 26 Rieff, David 72 Rienzo, Cola di 183 Ritter, Gerhard A. 226 Roatta, Mario 68, 87, 185 Rodogno, Davide 76, 190 Romijn, Peter 72 Rommel, Erwin 118 Roosevelt, Franklin D. 141 Rosenberg, Alfred 148, 157 Rosselli, Carlo 182, 209 Rosselli, Nello 182, 209 Rossi, Ernesto 209 Rossi, Mario G. 6 Rossini, Giuseppe 63 Roth, Heinrich 133, 141, 143, 144 Rothfels, Hans 198 Rotta, Angelo 143 Röttiger, Hans 106–116 Ruch, Christian 255, 258 Ruchatz, Jens 93 Rüegg, Walter 222 Rumschöttel, Hermann 156 Rusconi, Gian Enrico 1, 3, 5, 6, 10–14, 18, 28, 31, 118 Rüsen, Jörn 239, 266 Rychlak, Ronald I. 145 Sabrow, Martin 3, 129 Sagebiet, Martin 242 Salvatorelli, Luigi 122 Sánchez, José M. 145 Sani, Roberto 161

276 Santarelli, Enzo 126 Santarelli, Lidia 190 Sarfatti, Michele 82, 181 Scalfari, Eugenio 26 Schäfer, Hermann 204 Schäfer, Kristiane 242 Schäfer, Michael 157 Schäfers, Bernhard 156 Scheler, Werner 226 Schieder, Wolfgang 1, 2, 4–6, 24, 194 Schildt, Axel 238 Schindler, Oskar 233, 234 Schlemmer, Thorsten 82, 236 Schlink, Bernhard 227 Schmelz, Hans 115 Schmidt, Helmut 203 Schmidt-Bergmann, Hansgeorg 28 Schmidt-Ott, Friedrich 224 Schmidt-Pauli, Edgar 115 Schmiechen-Ackermann, Detlef 156 Schmitz van Vorst, Josef 19 Schneider, Burkhart 140, 143, 149, 150 Schoeps, Julius H. 156 Scholder, Klaus 138, 139, 150 Schönberger, Christoph 62 Schreiber, Gerhard 18, 29, 95 Schröder, Gerhard 198 Schuch, Stefan 238 Schüler, Barbara 156 Schulin, Ernst 239 Schulte, Carl Joseph 150 Schultz, Kenneth W. 111 Schulz, Hagen 133 Schumacher, Martin 135 Schwaiger, Georg 156 Schwentker, Wolfgang 2, 129, 235 Schwier, Hans 245 Scoccimarro, Maurizio 71, 73 Searle, Alaric 93, 103, 110 Sedlaczek, Markus 147 Serena, Adelchi 191 Sforza, Carlo 63 Silvestri, Carlo 165, 166 Simon, Dieter 226 Simon, Max 69, 94 Singer, Israel 254 Smith, Bradley F. 108 Smith, Gary 234 Sofri, Adriano 73 Sommer, Monika 235

Namensregister Sonnenschein, Carl 134 Sösemann, Bernd 12 Spazzali, Roberto 86 Sperr, Franz 156 Spielberg, Steven 233 Spinelli, Altiero 209 Spinelli, Barbara 7 Spinosa, Antonio 189 Spriano, Paolo 180 Sprondel, Walter 92 Staron, Joachim 7, 15, 18, 19 Stasiewski, Bernhard 149 Steegmann, Josef 261 Stehlin, Stewart A. 155 Steigmann-Gall, Richard 157, 158 Stein, Edith 148 Steinbach, Peter 153 Steinberg, Elan 254 Steinberg, Jonathan 193 Steindorff, Ludwig 235 Steininger, Rolf 102, 240 Steinitz, Wolfgang 211, 212, 215, 221 Sternhell, Zeev 125 Stiegler, Bernd 129 Storchi, Massimo 67 Stöver, Herbert 242 Stratmann, Franziskus Maria 134 Straub, Johannes 268 Strauß, Franz-Josef 116 Strohm, Christoph 151 Stroux, Johannes 211, 213, 217, 218, 225 Sturzo, Luigi 162, 164 Suchecky, Bernard 144, 147 Suhrbier, Hartwig 246 Syberberg, Hans Jürgen 26 Sznaider, Natan 234 Szöllösi-Janze, Margit 226 Tardini, Domenico 143, 147 Taviani, Paolo Emilio 103 Taylor, Telford 72 Thälmann, Ernst 231 Thamer, Hans-Ulrich 13, 242 Theil, Edmund 108 Thieme, Werner 219, 220, 227 Thoß, Bruno 94 Timofeeva, Natalja P. 213 Tindemans, Leo 153 Togliatti, Palmiro 20, 40, 42, 67, 71, 123, 125, 127, 180

Namensregister

277

Ueberschär, Gerd R. 18, 95 Uertz, Rudolf 153 Ulbricht, Walter 221 Unfried, Berthold 263

von Mackensen, Eberhard 69, 94, 99, 100 von Manikowsky, Arnim 72 von Manstein, Erich 70, 101, 102 von Preysing, Konrad 133 von Schulze-Gaevernitz, Gero 108, 116 von Senger und Etterlin, Frido 107 von Thadden, Rudolf 132 von Trotta, Margarethe 25 von Vietinghoff-Scheel, Elfriede 112 von Vietinghoff-Scheel, Heinrich 105–109, 111–116 von Weizsäcker, Carl Friedrich 195 von Weizsäcker, Ernst 22, 141, 144 von Weizsäcker, Richard 52 von Wrochem, Oliver 98 Vondung, Klaus 156

Valiani, Leo 1 van Laak, Dirk 129 Varga, Lucie 156 Varus 179 Venturi, Franco 122 Vierhaus, Rudolf 216, 224 Viktor Emanuel III. 76 Villa, Roberto 64 Vittoria, Albertina 123 Vittorio Emanuele III, siehe Viktor Emanuel III. Vivarelli, Roberto 6 Voegelin, Eric 157 Vogel, Thomas 158 Volcker, Paul 256 Volk, Ludwig 138, 149 Volkmann, Hans-Erich 94 Vollmer, Bernhard 133 Volpini, Valerio 169 vom Brocke, Bernhard 216, 217, 223, 224, 226, 228 vom Bruch, Rüdiger 79, 88, 215, 222, 226 von Bismarck, Otto 1, 55, 58, 64, 85, 180 von Faulhaber, Michael 133, 135, 150 von Galen, Clemens August 133, 150 von Harnack, Adolf 211–214, 216–218, 222–226 von Harnier, Adolf 156 von Hehl, Ulrich 133, 150–152 von Humboldt, Wilhelm 211, 223, 224 von Lingen, Kerstin 18, 93, 94, 96, 100, 101, 104, 266

Wagener, Ulrich 150 Waibel, Max 108 Walther, Peter Th. 211, 213, 224, 226 Walzl, August 108 Wangermann, Gert 213, 216, 217, 219, 220, 222, 225 Warszawski, Giuseppe 168 Weber, Fritz 263 Weber, Max 58, 61, 64, 65 Wehberg, Hans 134 Weinberg, Shaike 232 Weinrich, Harald 204 Weinzierl, Erika 253, 254 Weisbrod, Bernd 236 Weischedel, Wilhelm 224 Welzer, Harald 266 Wengst, Udo 130, 131 Wentker, Hermann 62 Wentzell, Fritz 111, 114, 116 Werfel, Franz 156 Werner, Arthur 219 Westphal, Max 108, 116 Wette, Wolfram 20, 92 Wiggershaus, Norbert 102 Wilhelm II. 58, 180 Windthorst, Ludwig 146 Wischermann, Clemens 236, 265 Wistrich, Robert Salomon 144 Wohnout, Helmut 154 Wojtyla, Karol, siehe Johannes Paul II. Wolf, Hubert 147 Wolff, Karl Friedrich Otto 68, 107, 111– 113, 115

Tranfaglia, Nicola 2, 87, 126 Traniello, Francesco 4, 12, 63, 161 Treinen, Heiner 204 Trincia, Luciano 161 Trippen, Norbert 150 Trischler, Helmuth 226 Troeltsch, Ernst 56 Trossarelli, F. 167 Truffelli, Matteo 161 Truman, Harry S. 132 Turi, Gabriele 4, 6, 9

278

Namensregister

Wolffsohn, Michael 140 Wöll, Andreas 234 Wollasch, Hans-Josef 148 Woller, Hans 1, 3, 6, 10, 11, 14, 18, 20, 67, 73, 236 Young, James E.

234

Zacharias, Wolfgang 237 Zeil, Liane 216 Ziegler, Walter 156 Zöpel, Christoph 247, 244 Zoppi, Ottavio 23 Zuccotti, Susan 141, 142 Zunino, Pier Giorgio 6, 10