Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen: Eine Untersuchung ihrer Bedeutung im Völkerrecht sowie im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.] 9783428459803, 9783428059805

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Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen: Eine Untersuchung ihrer Bedeutung im Völkerrecht sowie im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.]
 9783428459803, 9783428059805

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FRANK MONTAG

Völkerremtlime Verträge mit vorläufigen Wirkungen

Schriften zum Völkerrecht

Band 83

Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen Eine Untersuchung ihrer Bedeutung im Völkerrecht sowie im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland

Von

Dr. Frank Montag

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Montag, Frank: Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen: e. Unters. ihrer Bedeutung im Völkerrecht sowie im Recht d. Vereinigten Staaten von Amerika u. d. Bundesrepublik Deutschland / von Frank Montag. - Berlin: Duncker und Humblot, 1986. (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 83) ISBN 3-428-05980-8

NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1986 Duncker .,. Humblot GmbH, Berlin 41

Gedruckt 1986 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05980-8

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist in leicht veränderter Form von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn im Wintersemester 1984/85 als Dissertation angenommen worden. Referent war Herr Professor Dr. Christian Tomuschat, Korreferent Herr Professor Dr. Jost Pietzcker. Meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Christian Tomuschat, möchte ich für die Anregung zu dieser Untersuchung, seinen Rat und seine stete wissenschaftliche und menschliche Unterstützung bei der Fertigstellung dieser Arbeit sehr herzlich danken. Großen Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Louis B. Sohn und Herrn Professor Dean Rusk, die mich während meines Studienaufenthaltes an der University of Georgia School of Law betreut und die Arbeit durch vielfältige Anregungen und Ratschläge entscheidend gefördert haben. Ferner bin ich Frau Elke Weyer, die die Herstellung des maschinenschriftlichen Manuskripts mit stets gleichbleib end er Freundlichkeit und großer Geduld übernommen hat, zu herzlichem Dank verpflichtet. Schließlich gilt mein Dank dem Bundesminister des Innern, der die Drucklegung durch einen großzügigen Zuschuß gefördert hat. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Frühjahr 1985 berücksichtigt werden.

Der Verfasser

Inhaltsverzeichnis

TEIL I

Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen im Völkerrecht

Kapitell Einleitung I. Das Phänomen völkerrechtlicher Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen ........................................................ 1. Die geschichtliche Entwicklung der vorläufigen Anwendung von Ver-

21

trägen.... .... ......................... ......... .. . ..... .....

23

2. Gründe für die vorläufige Anwendung von Verträgen ...............

30

3. Kategorien der vorläufig angewendeten Verträge ........ . .........

32

11. Die Probleme der vorläufigen Anwendung von Verträgen ..............

33

Kapitel 2 Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge I. Artikel 25 Wiener Vertragsrechtskonvention ......................... 11. Die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

35

........................

39

1. Ältere Theorien .......................... . ....................

39

a) Stillschweigende Ratifikation ................................

39

b) Vorläufige Zustimmung .....................................

40

c) Vorläufige Anwendung im wesentlichen ohne Bindungswirkungen .

41

aa) Immer ohne Bindungswirkungen .........................

41

bb) Rückwirkende Bindung nach der Ratifikation

42

............. .

10

Inhaltsverzeichnis 2. Moderne Theorien

43

a) Vorläufige Anwendung als grundsätzlich bindender Akt

.........

44

b) Vorläufige Anwendung als eigenständige nichtbindende Vereinbarung ...................................................

47

c) Vermittelnde Theorie .......................................

48

aal Ihre dogmatischen Vorzüge ..............................

48

bb) Ihre Übereinstimmung mit der Staatenpraxis ...............

53

cc) Ihre Übereinstimmung mit Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention ............................................

59

dd) Ergebnis ..............................................

61

111. Die rechtlichen Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge ...........

62

1. Vorläufige Anwendung und Ratifikationserfordernis

.. . ....... . ....

62

a) Verpflichtung zur Ratifikation ...............................

63

b) Verpflichtung der Regierung, einen Vertrag der Legislative zur Zustimmung vorzulegen .......................................

65

c) Die Gutglaubensverpflichtung des Art. 18 Wiener Vertragsrechtskonvention ................................................

67

2. Die Beziehung zwischen einem vorläufig angewendeten Vertrag und einem vorangegangenen Vertrag über dieselbe Materie ..............

68

3. Die Meistbegünstigungsklausel

71

4. Sanktionen für die Verletzung eines vorläufig angewendeten Vertrages.

71

5. Vorläufig angewendete Verträge und Schiedsklauseln

..............

72

6. Die völkerrechtliche Wirksamkeit eines verfassungswidrigen vorläufig angewendeten Vertrages .......................................

74

7. Beendigung der vorläufigen Anwendung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

Kapitel 3 Grundungsvereinbarungen vorbereitender Organe internationaler Organisationen I. Einleitung ......................................................

11. Vorbereitende Organe mit bloßen Vorbereitungsfunktionen 111. Vorbereitende Organe mit materiellen Funktionen ....................

83 86 90

Inhaltsverzeichnis

11

91

1. Die Organisationen

a) International Refugee Organisation ...........................

91

b) World Health Organisation ..................................

91

c) Internationalf Civil Aviation Organisation ....... . .............

93

2. Rechtliche Bewertung .........................................

94

IV. Preparatory Commission for the International Sea-Bed Authority and the International Tribunal for the Law of the Sea ........................

96

1. Einleitung ...................................................

96

2. Das Mandat des vorbereitenden Ausschusses ......................

99

a) Vorbereitende Aufgaben ............. . ......................

99

b) Materielle Aufgaben ........................................

100

c) Vorbereitender Investitionsschutz ............................

101

3. Rechtliche Probleme der Resolutionen I und 11 .....................

104

a) Verbindlichkeit des Resolutionsregimes

.......................

104

b) Verpflichtung des Zeichners zur Ratifikation? ..................

108

c) Eigenständiger Tiefseebergbau trotz Zeichnung? ................

108

d) Bewertung des Resolutionsregimes ............................

109

TEIL 11

Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen im innerstaatlichen Recht

Kapitel 4 Vorläufig angewendete Verträge im Recht der Vereinigeten Staaten von Amerika I. Einleitung ............................................... . ......

113

11. Das Vertragsschlußverfahren nach der US-Verfassung ................

114

1. Verträge ...................................... . ..............

115

2. Executive Agreements .........................................

117

a) Executive Agreements, die aufgrund eines Vertrages abgeschlossen werden ................................................... 118

12

Inhaltsverzeichnis b) Congressional-Executive Agreements .........................

119

c) Sole Executive Agreements ............................. . ....

121

3. Völkerrechtliche Vereinbarungen im innerstaatlichen Recht

124

a) Völkerrechtliche Vereinbarungen als "Law of the Land" .........

124

b) Unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vereinbarungen

125

c) Verfassungsrechtliche Einschränkungen .......................

127

In. Vorläufig angewendete Verträge im amerikanischen Verfassungsrecht ... 128 1. Die Rechtsnatur vorläufig angewendeter Verträge im Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten ........................................ 128

2. Die Befugnis des Präsidenten zur vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Vereinbarungen ......................................... 130 a) Sole Executive Agreements ..................................

130

b) Executive Agreements nach vorheriger Ermächtigung durch den Kongreß oder auf der Grundlage eines Vertrages ................ 131 c) Vorläufige Anwendung von Verträgen oder Congressional-Executive Agreements vor der Zustimmung der Legislative ................ 132 aal Rohstoffabkommen .....................................

133

bb) Das allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) ........

138

cc) Andere völkerrechtliche Vereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . ..

142

d) Schlußfolgerungen .........................................

143

3. Die Wirkungen einer vorläufig angewendeten völkerrechtlichen Vereinbarung im innerstaatlichen Recht ............................... 148

Kapitel 5 Gründungsvereinbarungen vorbereitender Organe internationaler Organisationen im innerstaatlichen Recht der Vereinigten Staaten I. Einleitung ......................................................

11. Die Kompetenz des Präsidenten

150

...................................

155

1. Praxis der Vereinigten Staaten ..................................

155

a) Vorbereitende Organe mit bloßen vorbereitenden Funktionen .....

155

b) Vorbereitende Organe mit materiellen Funktionen ..............

156

2. Die verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Präsidenten ......... . . 158 111. Die innerstaatliche Wirkung von Entscheidungen vorbereitender Organe.

162

Inhaltsverzeichnis

13

Kapitel 6 Vorläufig angewendete Verträge im innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland I. Einleitung ......................................................

164

11. Das Vertragsschlußverfahren des Art. 59 GG im einzelnen .............

166

1. Verträge (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) ..............................

166

a) Politische Verträge .........................................

167

b) Verträge, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen ....

168

2. Verwaltungsabkommen (Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG) .................

170

a) Nonnative Verwaltungsabkommen .......... . .. . .............

171

b) Administrative Verwaltungsabkommen ........................

172

3. Völkerrechtliche Abkommen im innerstaatlichen Recht .............

173

a) Innerstaatliche Geltung .....................................

173

b) Unmittelbare Anwendbarkeit ................................

175

c) Verfassungsrechtliche Schranken .............................

177

In. Vorläufig angewendete Verträge im deutschen Recht .................. 177 1. Die Rechtsnatur vorläufig angewendeter Verträge im deutschen Recht.

178

2. Die Praxis der Bundesrepublik Deutschland ......................

179

a) Vorläufig angewendete Verwaltungsabkommen .................

180

aa) Administrative Verwaltungsabkommen ....................

180

bb) Nonnative Verwaltungsabkommen ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

181

b) Vorläufig angewendete zustimmungsbedürftige Verträge .........

184

aa) Vorläufige Anwendung nach Erlaß des Zustimmungsgesetzes und nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ........... 184 bb) Vorläufige Anwendung vor Erlaß des Zustimmungsgesetzes, aber innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken ........ 187 cc) Vorläufige Anwendung vor Erlaß des Zustimmungsgesetzes, das jedoch rückwirkend in Kraft tritt ......................... 188 dd) Vorläufige Anwendung vor Erlaß des Zustimmungsgesetzes ...

190

c) Schlußfolgerungen aus der Praxis der Bundesrepubllk Deutschland 195 3. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge vor Erlaß des Zustimmungsgesetzes .... ;.... 200 a) Die Funktion der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften 202 b) Die in der Literatur geäußerten Meinungen ....................

205

14

Inhaltsverzeichnis c) Äußerungen der Verfassungsorgane ...........................

207

d) Eigene Stellungnahme .................................. . ...

209

4. Vorläufig angewendete Abkommen im innerstaatlichen Recht. . . . . . ..

218

Kapitel 7 GrüDdungsvereinbarungen vorbereitender Organe internationaler Organisationen im Recht der Bundesrepublik I. Einleitung ......................................................

224

TI. Die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in internationalen Organisationen nach dem Grundgesetz ........................................... 225 111. Vorbereitende Organe internationaler Organisationen im Lichte des Grundgesetzes .................................................. 228 1. Praxis der Bundesrepublik .....................................

229

a) Vorbereitende Organe mit reinen Vorbereitungsaufgaben .........

229

b) Vorbereitende Organe mit materiellen Befugnissen ..............

230

2. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in vorbereitenden Organen ............................. 231 a) Vorbereitende Organe mit bloßen Vorbereitungsfunktionen .......

231

b) Vorbereitende Organe mit materiellen Befugnissen ..............

233

3. Innerstaatliche Wirkungen der Entscheidungen von vorbereitenden Organen ..................................................... 240

Kapitel 8 Zusammenfassung der Ergebnisse I. Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen im Völkerrecht

1. Vorläufig angewendete Verträge

241 241

2. Gründungsvereinbarungen vorbereitender Organe internationaler Organisationen ............................................... 245

Inhaltsverzeichnis

15

11. Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen im Verfassungsrecht 247 1. Vereinigte Staaten von Amerika .................................

248

2. Bundesrepublik Deutschland ...................................

250

111. Schlußbetrachtung ..................... . ........................

252

Literaturverzeichnis

255

Abkürzungsverzeichnis

A

aaO ABl.EG Add. AFDI AJIL Anm. AöR App. ASILProc. Aufl. AVR AWG AWV BAnz. Bd. BFHE BGBl. BGHZ B.I. S.D. BMin. BPatG BT-Drs. BVerfGE BVerwGE BYbIL Cal. App. 2d C. C. P. A. chapt. Cir. Comm. Conf. Cong. Corn.L.Q. CoW D.C. D.Ct. Dept.

General Assembly am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Addendum Annuaire Francais de Droit International American Journal of International Law Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Appeal Proceedings of the American Society of International Law Auflage Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Bundesanzeiger Band EntscheidungssammIung des Bundesfinanzhofs Bundesgesetzblatt Zivilrechtliche EntscheidungssammIung des Bundesgerichtshofs Basic Instruments and Selected Documents Bundesminister Bundespatentgericht Bundestagsdrucksache EntscheidungssammIung des Bundesverfassungsgerichts EntscheidungssammIung des BundesverwaItungsgerichts British Yearbook of International Law Reporter of the Californian Court of Appeals, second series Court of Customs and Patent Appeals chapter Circuit Committee Conference Congress Cornell Law Quarterly Committee of the Whole District of Columbia District Court Department

Abkürzungsverzeichnis DGVR Diss. Doc. DÖV DVBl. EA EAS ECITO ed. E.D.N. Y. EFG ELR EuGH F.2d FAM

FAO FG Fn. Fs. F.Supp. GA J. Int'l & Comp. L. GATT George Washington L. Rev. GeschO GG GRUR Harv. Int'l L. J. Hrsg. IAEA ICAO ICJ ICJRep. ICLQ IFAD ILC Illinois L. Rev. ILM IMCO IowaL. Rev. IRO i.S.d. ITO J. Air L. & Com. JIR

J. World Tr. L.

JZ

LG MDR Mich. L. Rev. Minn. L. Rev. m.w.Nachw. NILR 2 Montag

17

Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht Dissertation Document Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Europa Archiv Executive Agreement Series European Central Inland Transport Organisation editor Eastern District of New York Entscheidungen der Finanzgerichte European Law Review Europäischer Gerichtshof Federal Reporter, second series Foreign Affairs Manual Food and Agricultural Organisation Finanzgericht Fußnote Festschrift Federal Supplement Georgia Journal of International and Comparative Law General Agreement on Tariffs and Trade George Washington Law Review Geschäftsordnung Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Harvard International Law Journal Herausgeber International Atomic Energy Agency International Civil Aviation Organisation International Court of Justice Reports of the International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly International Fund for Agricultural Development International Law Commission Illinois Law Review International Legal Materials International Maritime Consultative Organisation Iowa Law Review International Refugee Organisation im Sinne des International Transport Organisation Journal of Air Law and Commerce Jahrbuch des Internationalen Rechts Journal of World Trade Law Juristenzeitung Landgericht Monatsschrift des Deutschen Rechts Michigan Law Review Minnesota Law Review mit weiteren Nachweisen Netherlands International Law Review

18

Abkürzungsverzeichnis

N. Y. U. J. Int'l L. & Pol.

New York University Journal of International Law and Politics Official Records Permanent Court of International Justice Reports of the Permanent Court of International Justice Peters Provisional International Civil Aviation Organisation Political Science Quarterly part PublicLaw Randnummer Report Reichsgesetzblatt Zivilrechtliche Entscheidungssammlung des Reichsgerichts Reports of International Arbitral Awards Randnummer Rechtssache Randziffer siehe Seite Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Southern District of New York Session Sammlung Senate Resolution Statute Supplement Treaties and other International Agreements Series United Nations Third United Nations Conference on the Law of the Sea United Nations Conference on Trade and Development United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation United Nations Organisation United Nations Treaty Series United Nations Yearbook United States United States Code United States Law Week United States Treaty Series versus Virginia Journal of International Law vergleiche Volume Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer World Health Organisation Wiener Vertragsrechtskonvention Yale Law Journal

O.R. PCIJ PCIJRep. Pet. PICAO Pol. Sci. Q. pt. Pub.L. Rdn. Rep. RGBl. RGZ RIAA Rn. Rs. Rz. s. S. SchwJIR S.D.N. Y. Sess. Slg. S.Res. Stat. Supp. TIAS UN UNCLOSIII UNCTAD UNESCO UNO UNTS UNYb. U.S. U.S.C. U.S.L.W. UST

v.

VA. J. Int'l L. vgl. Vol. VVDStRL WHO WVK YaleL.J.

Abkürzungsverzeichnis Yb. YbILC ZaöRV ZRP

Yearbook Yearbook of the International Law Commission Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Rechtpolitik

19

TEIL I

Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen im Völkerrecht Kapitell Einleitung I. Das Phänomen völkerrechtlicher Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen Die vorläufige Anwendung von Verträgen ist ein relativ altes Phänomen, welches sich seit mindestens drei Jahrhunderten in der Staatenpraxis feststellen läßt. Es dauerte jedoch bis zum 20. Jahrhundert, bis ihr Gebrauch in den internationalen Beziehungen geläufig wurde. Seit dem Anfang dieses Jahrhunderts ist ihre Bedeutung so schnell angewachsen, daß nunmehr Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention 1 völlig ihrer Regelung gewidmet ist. Andererseits haben völkerrechtliche Literatur und Rechtsprechung sich trotz der wachsenden Bedeutung der vorläufigen Anwendung bisher noch nicht ausreichend mit ihren vielfältigen rechtlichen Problemen beschäftigt. Nur zwei Monographien untersuchen ihre Rechtsnatur2 , und nicht eine einzige beschäftigt sich mit den durch sie aufgeworfenen Fragen der Beziehung von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht. Diese Arbeit stellt den Versuch dar, einige der Probleme zu erhellen, die mit dem fortge1 UN Doc. A/Conf. 39/27, S. 289 (1969), abgedruckt in ILM 8 (1969), 679. Die Konvention ist seit dem 27. 01.1980 in Kraft, UN Chronicle XVII, Nr. 2 (März 1980), S. 91. Sie ist bisher noch nicht von den Vereinigten Staaten ratifiziert worden. In den Vereinigten Staaten wurde die Zustimmung des Senats verzögert durch eine Kontroverse zwischen einigen Senatoren und der Regierung über die interne Handhabung von Executive Agreements. Es dürfte heute allerdings unumstritten sein, daß die Regelungen der Wiener Vertragsrechtskonvention in weiten Teilen für die Vereinigten Staaten bindend sind, da es sich bei ihnen im wesentlichen um eine Kodifikation schon vorher existierenden Völkergewohnheitsrechts handelt. Eine Art. 25 WVK entsprechende Regelung findet sich in Art. 25 der Draft Articles on Treaties concluded between States and International Organisations or between International Organisations, YbILC 1981, Vol. 11, pt. 2, S.140. 2 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Diss. Heidelberg 1963; Picone, L'applicazione in via provvisoria degli accordi internazionali, 1973; vgl. auch Vignes, Une notion ambigue: La Mise en Application Provisoire des Traites, AFDI 18 (1972), 181. Saenz de Santa Maria, La applicacion provisiofial de los tratados internacionales en el derecho espanol, Revista Espanola de Derecho Internacional34 (1982), 31, beschäftigt sich nur mit den verfassungsrechtlichen Problemen in Spanien.

Kap. 1: Einleitung

22

setzten Gebrauch von Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen erwartet werden können. Wenn Regierungen untereinander Verträge abschließen, können grundsätzlich zwei Verfahrensarten unterschieden werden. Die eine Verfahrensart kann als einfaches Vertragsschlußverfahren bezeichnet werden, nämlich in dem Fall, in dem eine Vereinbarung sofort mit der Unterzeichnung in Kraft tritt. Diese Vereinbarungen werden als im vereinfachten Vertragsschlußverfahren geschlossene Vereinbarungen (agreements in simplified form) bezeichnet. Es ist augenscheinlich, daß in der Regel bei derartigen Abkommen für die vorläufige Anwendung kein Raum bleibt. Die zweite Verfahrens art tritt auf, wenn eine Vereinbarung nicht sofort mit der Unterzeichnung in Kraft tritt, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt nach einer Ratifikation, Annahme oder einem Beitritt der Vertragsstaaten. Wenn ein Vertrag in Kraft tritt, erlangt er zu diesem Zeitpunkt Geltung. Er wird dann auf alle die konkreten Lebenssachverhalte angewendet, die unter seine Bestimmungen subsumiert werden können 3 . Die vorläufige Anwendung eines Vertrages ist nun die konkrete Anwendung des Vertrages vor seinem endgültigen Inkrafttreten und folglich vor seiner allgemeinen Anwendbarkeit. Deshalb kann die vorläufige Anwendung grundsätzlich nur in der Zeit zwischen der Unterzeichnung und dem endgültigen Inkrafttreten des Vertrages auftreten. Da dies regelmäßig nur bei Verträgen, die vor ihrem endgültigen Inkrafttreten einer Ratifikation oder Annahme durch die Vertragsstaaten bedürfen, in Betracht kommt, wird das Hauptaugenmerk der vorliegenden Untersuchung auf diese Verträge gerichtet. Eine weitere Spielart völkerrechtlicher Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen bildet die Errichtung vorbereitender Organe internationaler Organisationen, die die Arbeitsaufnahme der späteren Organisationen vorbereiten sollen. Diese vorläufigen Organisationen oder vorbereitenden Ausschüsse, wie sie gewöhnlich genannt werden, fallen wohl nicht unter eine enge Definition der vorläufigen Anwendung von Verträgen, da die Rechtsakte, die die Vertragsparteien betreffen, nicht unmittelbar auf der Anwendung der Gründungsverträge der internationalen Organisation beruhen, abgesehen von bestimmten finanziellen Verpflichtungen, die zum Teil in den Gründungsverträgen festgelegt sind. Die Mitgliedstaaten werden vielmehr erst durch die Entscheidungen der vorbereitenden Ausschüsse berührt. Allerdings sind die grundsätzlichen Auswirkungen dieser vorbereitenden Ausschüsse für die Staaten häufig sehr ähnlich denjenigen, die von vorläufig angewendeten Verträgen herrühren, da die vorbereitenden Ausschüsse auch schon tätig werden, bevor die Legislativen den Gründungsverträgen der internationalen Organisationen zustimmen können. Aus diesem Grunde 3

Dazu Krenzier (Fn. 2), S. 3 - 6.

I. Völkerrechtliche Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen

23

scheint es erforderlich, die vorbereitenden Ausschüsse von internationalen Organisationen in diese Arbeit einzubeziehen. 1. Die geschichtliche Entwicklung der vorläufigen Anwendung von Verträgen

Schon im 17. Jahrhundert wurden Friedensverträge vorläufig angewendet. In diesen Verträgen einigten sich die Parteien regelmäßig auf eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten, die natürlich nicht so lange warten konnte, bis der Vertrag durch die Monarchen ratifiziert war. Der berühmteste und am meisten zitierte dieser Verträge ist der Friedensvertrag von Osnabrück, auch Westfälischer Frieden genannt, vom 14. und 24. Oktober 16484, der seine vorläufige Anwendung in Art. 16 Abs.1 vorsah. Die vorläufige Anwendung von Verträgen trat schon häufiger im 19. Jahrhundert auf, für welches beispielhaft besonders zwei Verträge zitiert werden 5. Zunächst ist dies der sog. "Quadrupie ,Alliance Treaty" vom 25. Juli 1840 6 zwischen dem Vereinigten Königreich, Österreich, Preußen und Rußland auf der einen Seite und dem Osmanischen Reich auf der anderen. Sein Ziel war die Pazifierung des Mittleren Ostens. Wie in einem Zusatzprotokoll vom selben Tage 7 vereinbart wurde, sollte Art. 2 dieses Vertrages vorläufig angewendet werden. Das zweite Beispiel ist die Konvention vom 3. Juli 18808 , mit der 12 Mächte, einschließlich der Vereinigten Staaten; Frankreich, des Vereinigten Königreiches und des Deutschen Reiches, den Schutz ihrer Staatsangehörigen in Marokko sicherstellen wollten. Art. 18 dieser Konvention sah ihre Ratifikation vor, aber bestimmte auch, daß aufgrund einer außergewöhnlichen Übereinkunft der Parteien die Regelungen der Konvention schon mit ihrer Unterzeichnung in Kraft treten sollten9 • Die Wahl der Worte "außergewöhnliche Übereinstimmung" illustriert, daß zu jener Zeit die vorläufige Anwendung noch nicht als normales Mittel des Vertragsschlusses betrachtet wurde 10 • Im 20. Jahrhundert weitete sich der Umfang der Materien, zu deren Regelung Verträge vorläufig angewendet wurden, beachtlich aus. Zwar kann die vorläufige Anwendung immer noch in Friedensverträgen festgestellt werParry 1, S.119. Z.B. Dehousse, La ratification des traites, 1935, S.103; Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 1924, S. 262, Fn.l053; Krenzler (Fn. 2), S.17. 6 Parry 90, S. 285. 7 Ebenda, S. 291. 8 22 Stat. 817; Treaty Series 246; Bevans 1, S. 71. 9 Art. 18: "La presente convention sera ratifiee ... Par consentement exceptionnel des Hautes Parties contractantes les dispositions de la presente convention entrera en vigueur a partir du jour de la signature .... " Eine englische Übersetzung findet sich in Bevans 1, S. 71. \0 So auch Krenzler (Fn. 2), S. 18. 4

5

24

Kap. 1: Einleitung

den, wie z.B. in Art. 9 des Friedensvertrages zwischen Finnland und der Sowjetunion vom 12. März 1940 11 oder in dem Friedensvertrag der Alliierten Mächte mit Italien vom 10. Februar 1947 12 • Eine andere Gruppe von Verträgen, die häufig vorläufig angewendet werden, stellen nun die BÜlldnis- und Freundschaftsverträge dar. Diese Vereinbarungen regeln die gegenseitige Unterstützung in Fällen von Aggression gegen einen der Vertragspartner oder sind Nichtangriffspakte, und deshalb wollen die Vertragsparteien die Anwendung ihrer Bestimmungen so bald als möglich sicherstellen. Derartige Verträge wurden besonders häufig zwischen den Staaten des Ostblocks abgeschlossen, z.B. zwischen Polen und der Sowjetunion l3 , Jugoslawien und der Tschechoslowakei14, sowie Polen und der Tschechoslowakei1 5 • Ebenso gehört die OAS-Charta vom 30. April 1948 16 in diese Gruppe, was sich aus ihrem Art. 1 ergibt, in dem die amerikanischen Staaten sich verpflichten, ihre Zusammenarbeit zu verstärken und ihre Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit zu verteidigen. Art. 109 der Charta sah für ihr Inkrafttreten die Ratifikation von zwei Dritteln der Unterzeichnerstaaten vor. Aber in der Resolution XL der Bogota-Konferenz l7 vereinbarten die Vertragstaaten, die Charta vorläufig anzuwenden. Sie trat am 13. Dezember 1951 endgültig in Kraft. Ein weiteres Beispiel dieser Gruppe von Verträgen bilden schließlich Abrüstungsverträge wie etwa SALT I, zu dem auch der wichtige ABM-Vertrag vom 26. Mai 1972 18 gehört. Abgesehen von der Gruppe von Verträgen, die Frieden, Freundschaft und Rüstungsbegrenzung betreffen, hat die vorläufige Anwendung ihre größte Bedeutung bei wirtschaftlichen Verträgen erlangt. Dieser Trend konnte schon in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts festgestellt werden, als die vorläufige Anwendbarkeit während der großen weltweiten Depression ihren Vorkriegshöhepunkt erreichte l9 . So wurden schon 1932 17 vorläufig angewendete Handels- und Zollabkommen im Reichsgesetzblatt veröffentlicht 20 , und 1933 wurden sogar 38 vorläufig angewendete Vereinbarungen abgeschlossen 21 • AJIL 34 (1940), Supp. S. 130. 61 Stat. 1245, TIAS No. 1648; UNTS 49, 3; 50, 1. 13 21. August 1945, UNTS 12, 399; vorläufige Anwendung in Art. 8. 14 06. Mai 1946, UNTS I, 76; vorläufige Anwendung in Art. 6. 15 12. Februar 1946, UNTS 25, 226; vorläufige Anwendung in Art. 9. 16 2 UST 2394, TIAS No. 2361; UNTS 119, 3. 17 Documentos, Novena Conferencia Internacional Americana, Acta Final, S.123. 18 Vereinigte Staaten - Sowjetunion, 23 UST 3445, TIAS No. 7503. 19 Vgl. Krenzler (Fn. 2), S. 31. 20 Ebenda. 21 Ebenda, S.32, Fn.1; für Spanien errechnete Saenz de Santa Maria (Fn.2), S. 45f., allein für den Dreijahreszeitraum von 1979 bis 1981 76 vorläufig angewendete Verträge. 11

12

I. Völkerrechtliche Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen

25

Nach dem 2. Weltkrieg wuchs die Anzahl der vorläufig angewendeten Handelsverträge noch stärker an. Schon das erste internationale Abkommen der jungen Bundesrepublik vom 15. Dezember 1949 22 über die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten wurde vorläufig angewendet. Die wichtigsten vorläufig angewendeten Wirtschaftsabkommen nach dem 2. Weltkrieg sind das Abkommen über eine europäische Zahlungsunion vom 19. September 1950 23 und das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) vom 30. Oktober 1947 24 . Obwohl Art. 31 c des Abkommens über eine europäische Zahlungsunion zum Inkrafttreten die Ratifikation erforderte, einigten sich die Vertragsparteien in einem Protokoll vom selben Tage auf die vorläufige Anwendung des Abkommens 25 • Die ursprünglichen Vertrags schließenden Parteien des GATT, unter ihnen auch die Vereinigten Staaten, wendeten das GATT ebenfalls vorläufig in Übereinstimmung mit dem Protokoll über die vorläufige Anwendung vom 10.0ktober 1947 26 an. Die Bundesrepublik sowie Österreich, Korea, Peru, die Philippinen, die Türkei und Uruguay schlossen sich der vorläufigen Anwendung des GATT im Protokoll von Torquay vom 21. April 19512 7 an. Da auf das GATT in dieser Arbeit häufig zurückzukommen sein wird, erscheint es an dieser Stelle angebracht, in einem kurzen Exkurs zu klären, ob das GATT auch heute noch als vorläufig angewendeter Vertrag betrachtet werden kann. Zwar sind bisher die Voraussetzungen des Art. XXVI des GATT für sein endgültiges Inkrafttreten noch nicht erfüllt, und es existiert nur auf der Grundlage des Protokolls über die vorläufige Anwendung. Andererseits ist aber zu bedenken, daß die Mitgliedstaaten des GATT wohl keinen Zweifel an seiner Gültigkeit und Wirksamkeit haben und auf seiner Grundlage einen Großteil des Welthandels abwickeln. Zudem haben einige Mitgliedstaaten, wie etwa die Bundesrepublik Deutschland28 , das Protokoll über die vorläufige Anwendung des GATT ihren Parlamenten zur Zustimmung vorgelegt, was, wie im einzelnen noch zu zeigen sein wird, eigentlich untypisch für eine vorläufige Anwendung ist. Man könnte deshalb möglicherweise die Auffassung vertreten, das GATT sei zwar ursprünglich nur auf einer vorläufigen Basis angewendet worden, es habe jedoch durch die 22 BGBl. 1950, 9. Die vorläufige Anwendung kann der Bekanntmachung des Inkrafttretens des Vertrages in BGBl. 1950,79, entnommen werden. 23 BGBl. 1951,11,32; Anwendungsfälle dieses Abkommens finden sich in UNTS 79, 33; 87,227; 88, 104,247. 24 61 Stat. pt. 5, A 3; TIAS No. 1700; UNTS 55, 194; BGBl. 1951, 11, 173 und Anhänge zum BGBl. 1951. 25 BGBl. 1951, 11, 56. 26 61 Stat. A 2051, TIAS No. 1700; UNTS 62, 121. 27 UNTS 64, 147; das Protokoll ist für die Bundesrepublik seit dem 01. Oktober 1951 in Kraft, BGBl. 1951,11,200. 28 BGBl. 1951,11, 173; 200.

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Kap. 1: Einleitung

nachfolgende Entwicklung den Status eines "normalen" völkerrechtlichen Vertrages erlangt. Gegen diese Auffassung sprechen allerdings entscheidende Einwände. Wie schon erwähnt, sind die Voraussetzungen für das Inkrafttreten des GATT gemäß seinem Art. XXVI niemals erfüllt worden. Soweit ersichtlich haben überhaupt nur zwei Staaten, nämlich Haiti und Liberia, diese Anforderungen je erfüllt, indem sie die erforderlichen Annahmeurkunden hinterlegten29 • Auch die GATT-Vertragsparteien gehen nach wie vor von einer vorläufigen Anwendung des GATT aus. Zwar verabschiedeten sie schon im Jahre 1955 eine Resolution zu Art. XXVI des GATT, in der sie das endgültige Inkrafttreten des GATT als wünschenswert anerkannten 3o • Um dieses zu erleichtern, sah die Resolution vor, daß eine Annahmeerklärung auch dann als wirksäm angesehen werde, wenn sie mit einem Vorbehalt zu Teil II des GATT versehen sei. Zehn Jahre später mußte der Exekutiv-Sekretär des GATT jedoch feststellen, daß die Vertragsparteien keinen Gebrauch von der Resolution gemacht hatten 31 . Er brachte weiter zum Ausdruck, daß viele Gründe für ein endgültiges Inkrafttreten des GATT sprechen und eine derartige Entwicklung in ihren psychologischen und politischen Auswirkungen die Bedeutung und Autorität sowohl des GATT als auch seiner Vertragsparteien stärken würden. Doch auch dieser Aufruf führte zu keinerlei neuen Entwicklungen. Zwar wurde nach Auskunft des GATT-Sekretariats die endgültige Inkraftsetzung des GATT erneut im Jahre 1977 von den Vertragsparteien diskutiert, jedoch später nicht weiterverfolgt 32 • Die Praxis der Vertragsparteien des GATT spricht mithin eindeutig dafür, das GATT auch heute noch als vorläufig angewendeten Vertrag anzusehen. Der Hauptgrund für das bisherige Scheitern des endgültigen Inkrafttretens des GATT ist darin zu sehen, daß diese Form der Anwendung der Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, ihre innerstaatliche Gesetzgebung mit den Bestimmungen des Teil II des GATT in Einklang zu bringen33 • Denn das Protokoll über die vorläufige Anwendung sieht vor, daß die Mitgliedstaaten Teil II des GATT, der insbesondere das Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen beinhaltet, insofern nicht beachten müssen, als ihre nationale Gesetzgebung, die zum Zeitpunkt des Beitritts bestand3 4, ent29 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary General, Status as at 31 December 1982, New York 1983, S. 273. 30 B.I.S.D., 3d Supplement (1955), S. 48. 31 GATT Doc. L/2375 vom 05. März 1965. 32 Nach der vom Verfasser eingeholten Auskunft des GATT-Sekretariats gibt es keine neueren Dokumente zu dieser Frage. 33 So auch schon Jaenicke, Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, AVR 7 (1958/59), 371, 375; ebenso der Exekutiv-Sekretär des GATT in L/2375 vom 05. März 1965. 34 Vgl. Ziff.1 (a) (ii) der Protokolle von Torquay und Annecy sowie die Entscheidung des Vorsitzenden der GATT-Versammlung vom 11.August 1949, B.I.S.D., Vol. 11, S. 35 - 36.

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gegensteht. Da die Vertragsparteien folglich nicht verpflichtet sind, ihre nationale Gesetzgebung anzupassen, wurde für viele Staaten die Möglichkeit eröffnet, das Protokoll über die vorläufige Anwendung ohne Beteiligung ihrer gesetzgebenden Körperschaft in Kraft zu setzen, was insbesondere für die Vereinigten Staaten von großer Bedeutung war 35 . Es ist allerdings wenig verständlich, warum sich die Vertragsstaaten des GATT auch heute noch nicht zu einer endgültigen Inkraftsetzung in der Lage sehen, da mit ihrem Beitritt vor zum Teil mehr als 35 Jahren die damals bestehende Gesetzgebung weitgehend überholt und durch neue Regelungen, die GATT-konform sind, ersetzt worden sein dürfte 36 . Im Hinblick auf die bestehende Rechtslage gilt jedoch, daß das Protokoll über die vorläufige Anwendung des GATT auch weiterhin seine einzige Rechtsgrundlage bildet. Diese über 35jährige vorläufige Anwendung ist zwar, wie Jaenicke es ausdrückt 37 , eine "outstanding anomaly" in der Vertragspraxis. Allerdings hat die effektive Anwendung des GATT durch diese "formal imperfection"38 nicht gelitten. Nachdem nun geklärt ist, daß das GATT weiterhin ein prominentes Beispiel für die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages ist und deshalb häufig in dieser Arbeit auf das GATT zurückzukommen sein wird, empfiehlt es sich, einen kurzen Überblick über seinen Inhalt zu geben. Das GATT ist in Wirklichkeit nicht eine einzige Vereinbarung, sondern besteht aus über 100 verschiedenen Vereinbarungen, die zum Teil die allgemeinen Artikel des GATT modifizieren und in der Hauptsache die Zolltarife enthalten39 . Diese Tarifschemata werden in Art. II des GATT in Bezug genommen. Nach ihm sind die Schemata, in denen jede Vertragspartei sich zu bestimmten Zollbegrenzungen für bestimmte Waren verpflichtet, ein integraler Bestandteil des GATT. Ein Staat ist somit verpflichtet, auf jede Ware nur einen Zoll zu erheben, der nicht höher sein darf als der in den Schemata spezifizierte. Natürlich sind niedrigere Zölle als die spezifizierten zulässig .. Eine andere wichtige Verpflichtung des GATT ist in Art. I enthalten, nämlich die Meistbegünstigungsklausel. Nach dieser Klausel muß jede Vertragspartei des GATT jede andere GATT-Vertragspartei zumindest genauso gut behandeln wie denjenigen Staat, dem sie die günstigste Behandlung hinsichtlich von importen und Exporten gewährt 4o • Diese Pflicht wird von der Dazu ausführlich unten, Kap. 4; vgl. ebenfalls Jaenicke (Fn. 33), S. 375. So auch der Exekutiv-Sekretär des GATT in L/2375 vom 05. März 1965. 37 Jaenicke, General Agreement on Tariffs and Trade, in: Bernhardt (ed.), Encyclopedia of Public International Law, Instalment 5 (1983), S. 20, 2l. 38 Ebenda, S. 2l. 39 Jackson, Legal Problems of International Economic Relations: Cases, Materials and Text, 1977, S. 399; vgl. auch Jaenicke (Fn. 37), S. 20ff. 40 Jackson (Fn. 39), S. 400. 35

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Nichtdiskriminierungsvprpflichtung des Art. TU begleitet. nach der Importe im Hinblick auf innerstaatliche Normen und Besteuerung nicht schlechter behandelt werden dürfen als im Inland hergestellte Produkte. Der Rest der GATT-Bestimmungen dient letztlich nur dazu, diese Hauptverpflichtungen der Art. I bis 111 zu sichern. So wird die Handlungsfreiheit der Regierungen hinsichtlich der Zahlung von Subventionen (Art. XVI) oder Staatshandelsgesellschaften (Art. XVII) beschränkt. Andere Verpflichtungen schränken die Bewertungssysteme für Zollzwecke ein (Art. VII) sowie die Arten von Gebühren und Formalitäten, die in Verbindung mit Importen oder Exporten verlangt werden dürfen (Art. VIII), die Arten der möglicherweise. erforderlichen Ursprungszeugnisse (Art. IX), und sehen schließlich eine Verpflichtung zur Veröffentlichung und fairen Handhabung von HandeIsregelungen vor (Art. X). Außerdem enthält das GATT auch noch ein extensives System von Ausnahmen zu den vorgenannten Verpflichtungen, von denen die wohl bedeutendste die sog. "Waiver Authority" des Art. XXV ist, die die Vertragsschließenden Parteien gemeinsam ermächtigt, eine von ihnen von jeder beliebigen Verpflichtung des GATT freizustellen 41 . Eines der interessantesten Charakteristika des GATT, welches auch nicht in den Vertragsverhandlungen vorausgesehen wurde, ist, daß das GATT mittlerweile zu einer internationalen Organisation geworden ist. Obwohl es als bloßes Handelsabkommen beabsichtigt war, sieht GATT Entscheidungen vor, die von den vertragschließenden Parteien gemeinsam nach Art. XXV getroffen werden sollen, um die Bestimmungen und Ziele des GATT durchzusetzen. Da das GATT eigentlich nur ein Zusatz zur International Trade Organisation (ITO) sein sollte, war seine Organisationsstruktur zu Anfang nicht besonders stark ausgeprägt. Aufgrund des Scheiterns der ITO entwickelte sich GATT mit der Zeit jedoch zu einer eigenständigen Organisation mit einem Sekretariat, einem Rat und einem Streitbeilegungsmechanismus 42 . Weitere wichtige Verträge, die im Zusammenhang mit der vorläufigen Anwendung genannt werden müssen, sind das Abkommen über die Errichtung einer Organisation für die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) vom 16. April 1948 43 , welches gemäß seinem Art. 24 b vorläufig angewendet wurde; ebenfalls das Europäische Währungsabkommen vom 5. August 1955 44 mit dem Zusatzprotokoll Nr. 2 vom 27. Juni 1958 45 sowie Vgl. allgemein ebenda, S. 401. Vgl. auch Dam, The GATI, Law and International Economic Organisation, 1970, S. 335 - 341; Schermers, International Institutional Law, Vol. I, 1972, S.10f.; SeidlHohenveldern, Das Recht der internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 3. Aufl. 1979, Rz. 3002ff. 43 12 UST 1728, TIAS No. 4891. 44 BGBL 1959, 11, 293. 45 BGBL 1959,11, 1484. 41

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1. Völkerrechtliche Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen

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die Konvention über die Errichtung einer Europäischen Weltraumbehörde vom 30. Mai 1976 46 • Heutzutage tritt die vorläufige Anwendung recht häufig in Luftverkehrsabkommen47 , Postabkommen48 und Rohstoffabkommen49 auf. Besonders letztere werden immer zahlreicher abgeschlossen, um Importe und Exporte bestimmter Rohstoffe den Schwankungen des Marktes zumindest teilweise zu entziehen. Man kann allerdings feststellen, daß praktisch jede Art von Vertrag vorläufig angewendet werden kann, wie etwa die Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba vom 16. Dezember 1977 hinsichtlich ihrer maritimen Grenzen 50 . Die vorbereitenden Organe internationaler Organisationen sind ebenfalls ein relativ neues Phänomen. Nach 1945 wuchs die Anzahl der internationalen Organisationen stark an, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich. Ihre Gründungsverträge erfordern häufig eine große Anzahl von Ratifikationen vor ihrem endgültigen Inkrafttreten. Deshalb einigten sich die Gründungsstaaten manchmal darauf, eine vorläufige Organisation zu errichten, die die Arbeitsaufnahme durch die spätere internationale Organisation vorbereiten sollte und zum Teil sogar Entscheidungen und Maßnahmen treffen konnte. Beispiele für derartige vorläufige Organisationen sind die vorbereitenden Ausschüsse der Vereinten Nationen 51 , der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA)52, der Internationalen Zivilen Luftfahrtorganisation (ICAO)53 BGBl. 1976, 11, 1861. z.B. Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Fidji vom 01. Oktober 1979, TIAS No. 9917; Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Papua-Neuguinea vom 30. März 1979, TIAS No. 9520,30 UST 5672; Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland vom 01. November 1978, 30 UST 7323, TIAS No. 9591; Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Jugoslawien vom 15. Dezember 1977, 30 UST 2817, TIAS No. 9364. Vgl. ebenfalls Saenz de Santa Maria (Fn. 2), S. 34. 48 z.B. Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Ungarn vom l1.Mai 1979, TIAS No. 9797; Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Deutschen Demokratischen Republik vom 04. Mai 1979, 30 UST 5751, TIAS No. 9522; vgl. ebenfalls Postal Union of the Americas and Spain vom 08. März 1976, 30 UST 327, TIAS No. 9206. 49 z.B. International Wheat Agreement 1971: Modification and Extension of the Wheat Trade Convention and Food Aid Convention vom 26. April 1978, 30 UST 4287, TIAS No. 9459, nicht im BGBl. abgedruckt; Internationales Zucker-Abkommen vom 07. Oktober 1977, TIAS No. 9664, nicht im BGBl. abgedruckt; 6. Internationales ZinnAbkommen vom 06. Juli 1981, UN Doc. TD/TIN 6/14 (1981), nicht im BGBl. abgedruckt. 50 TIAS No. 9732. 51 Interim Arrangements for the Preparatory Commission of the United Nations vom 26. Juni 1945, 59 Stat. 1411, EAS No. 461, UNYb. 1946 - 47,34, ebenfalls abgedruckt in UNCLOS III Doc. FC/8/Add.1 (1979). 52 Anhang I "Preparatory Commission" zum Grundungsstatut der IAEA vom 26. Oktober 1956,8 UST 1093, TIAS No. 3873; UNTS 276, 4; BGBl. 1957, n, 1357. Dazu allgemein Szaz, Law and Practices of the Atomic Energy Agency, IAEA Legal Series, no. 7 (1970). 46

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und der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO)54. Für die Zukunft ist von großer Bedeutung, daß die Dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen einen vorbereitenden Ausschuß ins Leben gerufen hat, dem die Befugnis übertragen wurde, vorläufige Regeln und Verfahrensweisen für die Arbeit der Meeresbodenbehörde zu schaffen55 . Die vorläufigen Entscheidungen dieses Ausschusses werden aller Wahrscheinlichkeit nach ein Eigenleben führen und vermutlich nur unter großen Schwierigkeiten später einmal abgeändert werden können, wenn man die erforderliche Zustimmung einer sehr großen Anzahl von Staaten in Betracht zieht. Auf den ersten Blick scheint es deshalb, als ob die Gründung des vorbereitenden Ausschusses fast dieselben tatsächlichen Wirkungen haben könnte, wie die vorläufige Anwendung von Teilen der Seerechtskonvention selbst. 2. Grunde für die vorläufige Anwendung von Verträgen

Die Staaten wenden Verträge zuvorderst vorläufig an, um die Vertragsanwendung zu beschleunigen und die Vorteile des Vertrages so schnell wie möglich zu nutzen. Der stark angewachsene Gebrauch von vorläufig angewendeten Verträgen ist letztlich eine Folge der geschichtlichen Veränderungen des Vertragsschlußverfahrens. Im 19. Jahrhundert und davor konnte die Ratifikation eines Vertrages relativ schnell erreicht werden, sobald der Monarch vom Vertragsinhalt in Kenntnis gesetzt wurde. Andererseits waren jedoch die Entfernungen zwischen den Orten, wo ein Vertrag ausgehandelt wurde, und den verschiedenen Hauptstädten der Vertragsparteien in der Regel so groß, daß es oft Wochen oder Monate dauerte, um einen Vertrag dem Monarchen zur Ratifikation vorzulegen und um hernach die Ratifikationsdokumente auszutauschen oder zu hinterlegen56 . Diese Konstellation änderte sich im 20. Jahrhundert durch das Aufkommen von wesentlich verbesserten Massentransport- und Kommunikationsmitteln. Zur selben Zeit vermehrte sich auch die Zahl der Demokratien stetig, deren Verfassungen in der Regel die Zustimmung der Legislative vor der Ratifikation eines Vertrages durch das Staatsoberhaupt vorsehen. Obwohl dies nicht für alle Verträge zutrifft, kommt es doch sehr häufig vor, wie spä53 Convention on International Civil Aviation vom 07. Dezember 1944, 61 Stat. 1180, TIAS No. 1591, UNTS 15, 295; EGEL 1956, 11, 411. PICAO wurde durch das Interim Agreement on International Civil Aviation vom 07. Dezember 1944, 59 Stat. 1516, EAS No. 469, UNTS 171, 345 gegründet. 54 Der vorbereitende Ausschuß der IRO wurde durch das Agreement on Interim Measures to be taken in Respect of Refugees and Displaced Persons vom 15. Dezember 1946, 61 Stat. 2525, TIAS No. 1583, UNTS 18, 122 gegründet. 55 Resolution I on the Establishment of aPreparatory Commission for the International Sea-bed Authority and the International Law of the Sea Tribunal, UN Doc. A/Conf. 62/121 (1982), abgedruckt in ILM 21 (1982), 1253. 56 Krenzler (Fn. 2), S. 20.

1. Völkerrechtliche Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen

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ter noch gezeigt werden wird. Die offensichtlichen Vorteile dieses Verfahrens im Hinblick auf die demokratische Legitimation und effektive Kontrolle der Regierungen im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten werden allerdings von dem Nachteil begleitet, daß das Zustimmungsverfahren der Legislativen sehr zeitaufwendig ist. Ein Vertrag wird regelmäßig in verschiedenen Parlamentsausschüssen beraten und schließlich in einer Plenarsitzung zur Abstimmung gestellt, Mehrheiten müssen gesichert werden usw. In Ländern mit einem Zweikammersystem müssen zum Teil sogar beide Häuser über einen Vertrag abstimmen, was die erforderlichen Verfahrensschritte verdoppelt. Um diesen zeitaufwendigen Prozeß abzukürzen, haben sich viele Regierungen insbesondere im Bereich von wirtschaftlichen Abkommen dazu entschlossen, Verträge vorläufig anzuwenden 57 • Denn in der sich schnell verändernden industrialisierten Welt können Wirtschaftsabkommen infolge wirtschaftlicher Veränderungen schon binnen Jahresfrist überholt sein. Dies trifft besonders auf Rohstoffabkommen, wenn diese bestimmte Quotensysteme vorsehen, am Beginn eines Quotenjahres ZU 58 . Darüber hinaus werden Rohstoffabkommen in der Regel für eine bestimmte Zeitspanne, Z.B. fünf Jahre, abgeschlossen und danach durch ein neues Abkommen ersetzt. Es ist deshalb von erheblicher Bedeutung, daß zwischen dem Zeitpunkt des Außerkrafttretens eines Rohstoffabkommens und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Nachfolgeabkommens keine Lücken entstehen, in denen die Staaten keinerlei Verpflichtungen unterliegen 59 • Dieser kontinuierliche Übergang von einem Abkommen auf das nächste kann allerdings kaum erreicht werden, falls alle Parlamente der beteiligten Staaten zunächst dem Rohstoffabkommen zustimmen müssen, bevor es Anwendung finden kann. Es ist andererseits auch behauptet worden, daß die wachsende Bedeutung der vorläufigen Anwendbarkeit in enger Verbindung zu den intensivierten wirtschaftlichen Beziehungen der Staaten auf internationaler Ebene steht und daß die nationalen Regierungen versuchen, Wirtschaftspolitik im Interesse des Großkapitals zu machen. Deshalb würden sie gerne auf die vorläufige Anwendung zurückgreifen, um auf diese Weise die erforderliche Zustimmung der parlamentarischen Körperschaften und damit deren Kontrolle zu entgehen und innersta~tlich ein fait accompli zu schaffen6o • Diese 57 Ebenda, S. 21; Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, 1973, S. 51; Vignes (Fn. 2), S.182; Saenz de Santa Maria (Fn. 2), S. 33. 58 Einen ausführlichen Überblick über Rohstoffabkommen und deren Probleme gibt Tomuschat, International Commodity Agreements, in: Zweigert (ed.), International Encyclopedia of Comparative Law, 1981, Vol. xm, chapt. 25.II, S. 47ff. und neuerdings auch Khan, The Law and Organisation of International Commodity Agreements, 1982, S. 344ff. 59 Vgl. Report of the Secretary-General, UN Doc. A/AC 138/88 (1973), S. 30, abgedruckt in Platzöder, Dokumente der 3. Seerechtskonferenz, 1979, Bd. 2, S. 577,606; Tomuschat (Fn. 58), S. 67; Khan (Fn. 58), S. 345. 60 Picone (Fn. 2), S. 7 - 8.

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Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Obwohl es möglicherweise in einigen Fällen den Regierungen in erster Linie darauf angekommen sein mag, der Kontrolle der gesetzgebenden Körperschaften zu entgehen, scheint es doch so, daß der Hauptgrund für die vorläufige Anwendung eines Abkommens das Bestreben ist, verzögernde Auswirkungen des zeitraubenden Ratifikationsprozesses zu vermeiden. Trotzdem ist diese Praxis zweifelhaft, zumal wenn Regierungen sich dann auf die vorläufige Anwendung einigen, wenn es ihnen unsicher erscheint, ob die Legislative einen bestimmten Vertrag annehmen wird oder nicht 6l . Es gab sogar Fälle, in denen Vereinbarungen, die der Ratifikation unterlagen, abgeschlossen, vorläufig angewendet und später beendet wurden, ohne daß die Parlamente der beteiligten Staaten überhaupt die Möglichkeit erhalten hatten, sich zu einem Abkommen zu äußern, da die Regierungen es ihnen nicht unterbreitet hatten 62 • Die innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Probleme, die aus derartigen Situationen erwachsen, werden im Teil 2 dieser Arbeit erörtert werden. 3. Kategorien der vorläufig angewendeten Verträge

Vorläufig angewendete Verträge können nicht nur nach den in ihnen geregelten Materien klassifiziert werden, wie das zuvor geschah, sondern auch nach ihrer Rechtsnatur. Diese Kategorisierung ist von größerer Bedeutung für diese Arbeit. Die erste Gruppe von Verträgen besteht aus denen, die keiner legislativen Zustimmung oder Ratifikation bedürfen. Diese im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen Vereinbarungen, die in den Vereinigten Staaten gewöhnlich "executive agreements" und in der Bundesrepublik Verwaltungsabkommen genannt werden, werden von den Regierungen innerhalb ihrer exekutiven Befugnisse, nämlich auf der Grundlage der auswärtigen Gewalt, abgeschlossen. Gewöhnlich bewegen sie sich völlig innerhalb dieser Befugnisse und betreffen keine Materien, die ansonsten nur durch Gesetze geregelt werden könnten, noch betreffen sie in der Regel Materien von höchster politischer Bedeutung, wie etwa Rüstungsbegrenzung oder die Gründung von internationalen Organisationen oder Bündnissen. Deshalb ist diese Gruppe auch nicht von großer Bedeutung für diese Arbeit, da bei ihr letztlich die Prärogative der Legislative nicht in Frage gestellt wird und so ihre vorläufige Anwendung schwerlich verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen dürfte 63 • 61 Vgl. Krenzler (Fn. 2), 8. 21; vgl. ebenfalls Waldock, 657th Meeting, YbILC 1962, Vol. 1, 8.180. 62 Vgl. Krenzler (Fn. 2), 8.19 - 23 mit Beispielen aus der 8taatenpraxis. 63 Vignes (Fn. 2), 8. 181.

11. Probleme der vorläufigen Anwendung von Verträgen

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Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit wird auf die zweite Gruppe von Vereinbarungen gerichtet werden, nämlich jene, die der Zustimmung der Legislative vor ihrer Ratifikation durch das Staatsoberhaupt bedürfen. Hier wird die Prärogative der Parlamente in Frage gestellt, und die vorläufige Anwendung dieser Verträge kann vielfältige verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen 64 . Diese Gruppe von Verträgen kann in drei Kategorien aufgeteilt werden. Die erste Kategorie besteht aus denjenigen Verträgen, die nur Rechte und Pflichtep zwischen den beteiligten Staaten begründen und für deren innerstaatliche Anwendung Durchführungsgesetzgebung erforderlich ist. Die zweite Kategorie umfaßt die sog. self-executing Verträge, d.h. diejenigen Verträge, die keiner Durchführungsgesetzgebung bedürfen und die unmittelbar Rechte und Pflichten für den einzelnen Bürger begründen können 65 • Die letzte Gruppe besteht schließlich aus den Verträgen, die vorbereitende Ausschüsse für internationale Organisationen ins Leben rufen. Die Entscheidungen dieser vorbereitenden Ausschüsse können entweder nicht bindend, nur für die Vertragsstaaten bindend oder sogar für den einzelnen Bürger bindend sein. Die verfassungsrechtlichen Aspekte dieser letzten Gruppe von Verträgen soll einer gründlichen Analyse im zweiten Teil der Arbeit unterworfen werden, wenn die Verfassungsrechtslage in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik untersucht werden wird.

n. Die Probleme der vorläufigen Anwendung von Verträgen Ein kurzer Überblick über die Probleme, die durch die vorläufige Anwendung von Verträgen aufgeworfen werden, erscheint sinnvoll, bevor eine detailliertere Untersuchung der Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen vorgenommen wird. Bis heute ist die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung im Völkerrecht nicht klar. Die Hauptfrage, die sich stellt, ist die Frage nach der Bindungswirkung eines vorläufig angewendeten Vertrages. Die Antwort zu dieser Frage wird auch für die Diskussion der vedassungsrechtlichen Aspekte dieser Verträge von großer Bedeutung sein. Ein zweites bedeutendes Problem ist, ob ein Staat verpflichtet ist, einen vorläufig angewendeten Vertrag zu ratifizieren oder ihn zumindest dem Parlament zur Zustimmung vorzulegen. Ferner fragt sich, ob das Prinzip des "estoppei" im Falle von vorläufig angewendeten Verträgen anwendbar und 64 Ebenda, 8.181 - 84; ebenso Saenz de Santa Maria (Fn. 2), 8.36; Nguyen Quoc Dinh / Daillier / Pellet, Droit International Public, 2. Aufl. 1980,8.152; Seidl-Hohenveldern (Fn. 42), Hz. 406; Wilcox, The Hatification of International Conventions, 1935, 8.39. 65 Eine gute Diskussion des Problems der self-executing Verträge findet sich bei Henkin / Pugh / Schachter / Smit, International Law, 1980, 8.149 - 157; vgl. ebenfalls ausführlich Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 1970; Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich, 1971.

3 Montag

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Kap. 1: Einleitung

wie die Meistbegünstigungsklausel zu behandeln ist. Ebenfalls unklar ist die Beziehung zwischen einem vorläufig angewendeten Vertrag und vorhergehenden Verträgen über dieselbe Materie. Schließlich muß die Frage nach Sanktionen für den Bruch eines vorläufig angewendeten Vertrages und auch seine Beendigung angesprochen werden. Der Hauptteil dieser Arbeit wird sich jedoch mit den verfassungsrechtlichen Problemen beschäftigen, die durch die vorläufige Anwendung aufgeworfen werden. Für viele Staaten erscheint es zumindest zweifelhaft, ob die vorläufige Anwendung verfassungsmäßig ist 66 • Allerdings können möglicherweise Unterscheidungen getroffen werden im Hinblick auf die verschiedenen oben dargestellten Vertragskategorien. Verfassungsrechtliche Fragen treten insbesondere bei den Verträgen auf, die unmittelbar den Einzelnen berechtigen oder verpflichten. Ferner müssen die Wirkungen eines möglicherweise verfassungswidrigen vorläufig angewendeten Vertrages im Völkerrecht untersucht werden. Die verfassungsrechtlichen Probleme vorläufig angewendeter Verträge und vorbereitender Organe internationaler Organisationen sollen beispielhaft am Recht der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik untersucht werden 67 • Die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten bieten sich als Forschungs- und Vergleichsobjekte an, da sie, obwohl beide verfaßte repräsentative westliche Demokratien, doch zwei unterschiedliche Rechtssysteme repräsentieren. Während die Vereinigten Staaten eine Präsidialdemokratie mit einem direkt gewählten Präsidenten sind, überwiegt in der Bundesrepublik das parlamentarische Element. Ferner sind die Vereinigten Staaten der anglo-amerikanischen Gruppe der Common Law-Länder zuzurechnen, wohingegen die Bundesrepublik den kontinentaleuropäisch geprägten Civil Law-Ländern angehört. Schließlich hat sich die amerikanische Verfassung im Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht für einen gemäßigten Monismus entschieden, während das Grundgesetz einen gemäßigten Dualismus vorsieht, was bei der Frage der innerstaatlichen Geltung vorläufig angewendeter Verträge von Bedeutung sein könnte. Aus den Ergebnissen der Untersuchung dieser beiden Staaten könnten sich mithin Schlüsse auf die verfassungsrechtliche Lage in anderen Ländern ergeben, deren Verfassungen ähnlich ausgestaltet sind. Allerdings wird eine pauschale Übernahme auf andere Länder wohl nicht möglich sein, da die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der hier untersuchten völkerrechtlichen Phänomene letztlich immer im konkreten Einzelfall zu prüfen ist 68 . 66 So auch die Feststellung von Saenz de Santa Maria (Fn. 2), S. 40ff., nach einer Untersuchung der Stellungnahmen der Staatenvertreter auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz. 67 Eine ähnliche Untersuchung ist in neuerer Zeit nur für Spanien von Saenz de Santa Maria (Fn. 2), S. 41 - 70 durchgeführt worden. 68 So auch Saenz de Santa Maria (Fn. 2), S. 35, 76.

Kapitel 2

Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge wirft nicht nur in der Grauzone der Wechselwirkung von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht Probleme auf. Auch die völkerrechtliche Wirkung der vorläufigen Anwendung ist noch weitgehend unklar. So gibt es Zweifel hinsichtlich ihrer Rechtsnatur, ihrer Nebenwirkungen und ihrer Beendigung. Dieses Kapitel soll versuchen, die Vielzahl von Betrachtungsmöglichkeiten der auftretenden Probleme aufzuzeigen und einige Lösungen vorzuschlagen, die später als Grundlage für die Erörterung der verfassungsrechtlichen Aspekte dienen sollen. I. Artikel 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention

Die wachsende Bedeutung der vorläufigen Anwendung von Verträgen im 20. Jahrhundert führte zur Kodifizierung dieses Rechtsinstituts in Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention 1. Zum besseren Verständnis dieser Definition der vorläufigen Anwendung erscheint es sinnvoll, in einem kurzen Überblick die Entstehungsgeschichte des Art. 25 WVK darzustellen. Denn in der Diskussion der International Law Commission (ILC) und der Wiener Vertragsrechtskonferenz wurden schon viele der durch die vorläufige Anwendung von Verträgen aufgeworfenen Probleme angesprochen und wurde die Haltung der Staaten dazu sichtbar. Die Entstehungsgeschichte dürfte auch für das Verständnis der hier vorgeschlagenen Lösungen hilfreich sein. Als die ILC begann, sich mit der Kodifikation des Vertragsrechts zu beschäftigen, wurde zunächst nicht an die vorläufige Anwendung von Verträgen gedacht. Dies ist wahrscheinlich auf Brierly, den ersten Special 1 Art. 25 WVK lautet: "1. A treaty or apart of a treaty is applied provisionally pending its entry into force

if:. (a) the treaty itself so provides; or (b) the negotiating States have in some other nianner so agreed. 2. Unless the treaty otherwise provides or the negotiating States have otherwise agreed, the provisional application of a treaty or part of a treaty with respect to a State shall be tenninated if that State notifies the other States between which the treaty is being applied provisionally of its intention not to become a party to the treaty." 3'

Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

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Rapporteur der ILC, zurückzuführen, der sich in seinem Bericht sehr eng an die Harvard Draft Convention on the Law of Treaties 1a anlehnte. Weder die Harvard Draft Convention noch die frühere Convention of Havana on the Law of Treaties 2 hatten die vorläufige Anwendung geregelt, obwohl der Gedanke der vorläufigen Anwendung im Kommentar zur Harvard Draft Convention erwähnt wurde 3 • Deshalb wohl sah Brierly's Art. 11 Abs. 14 nur vor, daß "a treaty enters into force at such time as may be indicated in that treaty". Obwohl der Kommentar zu Art. 11 5 zwischen "entry into force" und "entry into operation" eines Vertrages unterschied, war offensichtlich beabsichtigt, die Modalitäten des Inkrafttretens völlig der Vereinbarung durch die vertragschließenden Parteien zu überlassen. In Art. 5 seines zweiten Berichts6 erkennt Brierly zum erstenmal, daß ein Vertrag auch vor seiner Ratifikation in Kraft treten kann. Dieser Gedanke wurde im zweiten Bericht des Special Rapporteur Sir Hersh Lauterpacht aufgegriffen und verfeinert. Sein Art. 6 Abs. 2 bestimmte, daß ein Vertrag vor der Ratifikation keine Bindungswirkung für eine Veltragspartei hat, es sei denn, der Vertrag sehe ausdrücklich vor, daß er schon vor der Ratifikation in Kraft triW. Die Bezeichnung "vorläufiges Inkrafttreten" (provisional entry into force) wird erstmals in Art. 42 Abs.1 des Berichts von Sir Gerald Fitzmaurice erwähnt, der sich auch mit der Beendigung der vorläufigen Durchführung eines Vertrages befaßte8 • Die größte Beachtung Wurde der vorläufigen Anwendung in Sir Humphrey Waldock's Art. 20 Abs. 69 geschenkt, der die allgemeine Möglichkeit des vorläufigen Inkrafttretens AJIL 29 (1935), Supp. S. 635. Convention on Treaties adopted by the Sixth Internatiomil Conference of American States at Havana vom 20. Februar 1928, Final Act of the Sixth International Conference of American States, S. 135, abgedruckt in AJIL 29 (1935), Supp. S. 1205. Die Konvention ist am 03. September 1929 in Kraft getreten, nachdem sie von Panama und Brasilien ratifiziert worden war, Hudson, International Legislation, Bd. IV, Nachdruck 1971, S. 2378. 3 AJIL 29 (1935), Supp. S. 787. 4 YbILC 1950, Vol. II, S. 224. 5 Ebenda, S. 242. 6 Art. 5 lautet: "Where ... (b) A treaty provides that it shall be ratified by aState and does not provide for its coming into force before such ratification ... in any such case aState is not deemed to have undertaken a final obligation under the treaty until it ratifies that treaty." YbILC 1951, Vol. II, S. 72. 7 YbILC 1954, Vol. II, S.127. 8 Art. 42 Abs. 1 lautet: " ... A treaty may, however, provide that it shall come into force provisionally on a certain date, or upon the happening of a certain event, such as the deposit of a specified number of ratifications. In such cases an obligation to execute the treaty on a provisional basis will arise, but, subject to any special agreement to the contrary, will come to an end if final entry into force is unreasonably delayed or c1early ceases to be probable." YbILC 1956, Vol. II, S. 116. 9 Art. 20 Abs. 6 lautet: "Notwithstanding anything contained in preceeding paragraphs of this artic1e, a treaty may prescribe that it shall come into force provisionally on signature or on a specified date or event, pending its full entry into force in accordance with the rules laid down in this artic1e." YbILC 1962, Vol. II, S. 69. 1.

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I. Art. 25 WVK.

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vorsah, sowie in Art. 21 Abs. 210, der die rechtlichen Wirkungen und die Beendigung der vorläufigen Anwendung regelte. Die Bestimmung über die Beendigung der vorläufigen Anwendung wurde jedoch de lege ferenda vorgeschlagen, um die Kündigung der vorläufigen Anwendung in einem geregelten Verfahren zu ermöglichen 11. Die ILC entschied später, Art. 21 Abs. 2b zu streichen l2 , und entwarf einen neuen Art. 24 13 über das vorläufige Inkrafttreten eines Vertrages. Einige Regierungen stellten jedoch die Berechtigung des Art. 24 überhaupt in Frage und gaben zu bedenken, ob das Problem nicht besser in der allgemeinen Bestimmung über Ratifikation und Inkrafttreten von Verträgen geregelt werden sollte l4 . Die ILC sprach sich jedoch dafür aus, die Bestimmung über die vorläufige Anwendung beizubehalten, die dann Art. 22 der Final Draft Convention 15 wurde. Während der Konferenz in Wien wurde dagegen eingewendet, daß einige Staaten Verträge und auch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts als Teil ihres innerstaatlichen Rechts betrachteten, so daß die Aufnahme der vorläufigen Anwendung, die ein neues Element im Völkerrecht darstelle, in das Vertragsrecht möglicherweise schwerwiegende innerstaatliche Konflikte zur Folge haben könnte l6 . Einige Regierungen Art. 21 Abs. 2 lautet: "(a) When a treaty lays down that it shall come into full force provisionally upon a certain date or event, the rights and obligations contained in the treaty shall come into operation for the parties to it upon that date or event and shall continue in operation upon a provisional basis until the treaty enters into full force in accordance with its terms. (b) If, however, the entry into full force is unreasonably delayed and, unless the parties have concluded a further agreement to continue the treaty in force on a provisional basis, any of the parties may give notice of the termination of the provisional application of the treaty, and when aperiod of six months shall have elapsed, the rights and obligations contained in the treaty shall cease to apply with respect to that party." YbILC 1962, Vol. II, S. 71. 11 Ebenda. 12 657th Meeting, YbILC 1962, Vol. I, S.180. 13 Art. 24 lautet: "A treaty may prescribe that, pending its entry into force by the exchange or deposit of instruments of ratification, accession, acceptance or approval, it shall come into force provisionally, in whole or in part, on a given date or on the fulfillment of specified requirements. In that case the treaty shall come into force as prescribed and shall continue in force on a provisional basis until either the treaty shall have entered into force definitively or the States concerned shall have agreed to terminate the provisional application of the treaty." ILC Draft 1962, YbILC 1962, Vol. II, S. 182. 14 Japan und die Vereinigten Staaten, Comments by Governments, YbILC 1965, Vol. II, S.58 und Comments by Governments, Report of the ILC to the General Assembly, YbILC 1966, Vol. II, S. 303, 351. 15 Art. 22 lautet: "1. A treaty may enter into force provisionally if (a) the treaty itself provides that it shall enter into force provisionally pending ratification, acceptance, approval or accession by the contracting States; or (b) the negotiating States have in some other manner so agreed. 2. The same rule applies to the entry into force provisionally of part of a treaty." ILC Final Draft, YbILC 1966, Vol. II, S. 180. 16 Bevans (Vereinigte Staaten), 26th Meeting of the CoW, O.R. 1968,8.141. 10

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

schlugen deshalb vor, daß die Staaten in ihren internationalen Beziehungen völlig auf die vorläufige Anwendung von Verträgen verzichten sollten l7 . Neben dieser Grundsatzfrage, ob in der Vertragsrechtskonvention überhaupt eine Bestimmung über die vorläufige Anwendung aufgenommen werden sollte, wurden auch die folgenden Probleme in der ILC und auf der Konferenz diskutiert. Zunächst stellte sich die Frage, ob man von "vorläufiger Anwendung" (provision al application)18 oder "vorläufigem Inkrafttreten" (provisional entry into force)19 eines Vertrages sprechen sollte. Die rechtliche Bindungswirkung eines vorläufig angewendeten Vertrages war ebenfalls umstritten 2o . Und schließlich entbrannte eine Kontroverse über die Aufnahme einer Bestimmung über die Beendigung der vorläufigen Anwendung21 . Wenn man das Ergebnis dieser Diskussion, nämlich den heutigen Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention, betrachtet, so ist es offensichtlich, daß diese Norm eine Antwort auf die erste und die dritte Frage enthält. Die Konferenz entschied sich dafür, die Bezeichnung "vorläufige Anwendung" und nicht "vorläufiges Inkrafttreten" zu wählen, da es als logische Absurdität betrachtet wurde, vom vorläufigen Inkrafttreten eines Vertrages zu sprechen, der ausdrücklich nur nach seiner Ratifikation in Kraft treten so1l22. Darüber hinaus waren einige Staaten der Auffassung, daß es für sie leichter sei, etwaige verfassungsrechtliche Schwierigkeiten zu überwinden, wenn von vorläufiger Anwendung und nicht von vorläufigem Inkrafttreten eines Vertrages gesprochen würde 23 . Die Bestimmung über die Beendigung der vorläufigen Anwendung wurde schließlich in Art. 25 WVK aufgenommen, um den Staaten eine Richtlinie für die Lösung dieser rechtlichen Frage an die Hand zu geben, die sonst möglicherweise Probleme aufgeworfen hätte 24 . Es ist zuzugeben, daß die Entstehungsgeschichte des Art. 25 WVK nicht besonders ergiebig für seine Auslegung ist. Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge sowohl von der ILC als auch von der Wiener Konferenz nicht für ein besonders wichtiges 17

Phan Van Thinh (Republik Vietnam), ebenda.

18 Vgl. Reuter, 790th Meeting, YbILC 1965, Vol. I, S.106; Verdross, ebenda; de

Luna, ebenda, S. 107. 19 Vgl. Tunkin, 791st Meeting, YbILC 1965, Vol. I, S.l11, und insb. Waldock, ebenda, S. 113, sowie 814th Meeting, YbILC 1965, Vol. I, S. 274. 20 Vgl. die Diskussion während des 791st Meeting, YbILC 1965, Vol. I, S.108 - 113. Vgl. ebenfalls 26th and 27th Meetings of the CoW, O.R. 1968,8.141 - 145 sowie 72nd Meeting of the CoW, ebenda, 8. 427; 11th Plenary Meeting, O.R. 1969,8.39 - 44. 21 Dazu die Diskussion während der 26th and 27th Meetings of the CoW, O. R. 1968, 8.141 - 145; und das 11th Plenary Meeting, O.R. 1969,8.39 - 44. 22 Sinclair (Vereinigtes Königreich), 26th Meeting of the CoW, O.R. 1968,8.142. 23 Jimenez de Arechaga, 791st Meeting, YbILC 1965, Vol. I, 112; Bartos, ebenda, 8.110; Maresca (Italien) und Rosenne (Israel), 26th Meeting of the CoW, O.R. 1968, S.142. 24 Vgl. 27th Meeting of the CoW, O.R. 1968,8.146.

11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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Instrument gehalten wurde. Insbesondere der problematischste Aspekt der vorläufigen Anwendung, ihre Bindungswirkung, ist nur sporadisch diskutiert worden, und das Ergebnis dieser Diskussion, Art. 25 WVK, enthält keine eindeutige Antwort. Da von der Lösung dieser Frage aber auch die Lösung der später zu behandelnden verfassungsrechtlichen Probleme wesentlich abhängt, soll ihr im folgenden näher nachgegangen werden. Die dazu gefallenen Äußerungen der Mitglieder der ILC und der Staatenvertreter auf der Konferenz werden bei dieser Untersuchung an entsprechender Stelle berücksichtigt werden. 11. Die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung üb ein vorläufig angewendeter Vertrag Bindungswirkungen im Völkerrecht entfalten kann, hängt von der Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung ab. Seit sich die völkerrechtliche Literatur mit der Untersuchung des Phänomens der vorläufigen Anwendung beschäftigt hat, wurden die verschiedensten Theorien entworfen, um seine Rechtsnatur zu erklären. 1. Ältere Theorien

a) Stillschweigende Ratifikation Die ältere Literatur ging davon aus, daß jeder Vertrag ratifiziert werden muß. Für viele Autoren mußte die Ratifikation nicht ausdrücklich vorgenommen werden, sondern konnte auch implizit oder stillschweigend erfolgen 25 • Wenn ein Vertrag nun vor der Ratifikation ausgeführt wurde, so wurde dies damit erklärt, daß er durch die tatsächliche Anwendung seiner Bestimmungen stillschweigend ratifiziert worden war26 • Daraus folgte logisch, daß ein vorläufig angewendeter Vertrag, dessen Bestimmungen vor der Ratifikation angewendet wurden, für die Vertragsparteien genauso bindend war wie ein förmlich ratifizierter Vertrag. Trotzdem befürchtete man verfassungsrechtliche Probleme. Deshalb wurde vorgeschlagen, daß in den Fällen, in denen die Verfassung eines Landes die Zustimmung der Legislative vor der Ratifikation eines Vertrages verlangte, die Exekutive diese Zustimmung vor der Unterzeichnung des Vertrages sicherstellen sollte oder zumindest unmittelbar danach, wobei sie dann allerdings auch nicht mehr völlig sicher sein konnte, sie zu erhalten 27 • 25 So auch Detter, Essays on the Law of Treaties, 1967, S. 23; Quadri, Diritto internazionale pubblico, 5. Auf!. 1968, S. 160. 26 Hall, A Treatise on International Law, 8. Auf!. 1924, S. 388; Nys, Le droit international, 2. Auf!. 1912, Bd. 2, S. 512; Wilcox, The Ratification of International Conventions, 1935, S. 38. 27 Wilcox (Fn. 26), S. 39.

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

Diese Theorie muß zurückgewiesen werden, denn heute herrscht Klarheit darüber, daß die Ratifikation einen förmlichen Rechtsakt voraussetzt, der nicht stillschweigend vollzogen werden kann 28 • Daraus zog Sir Hersh Lauterpacht die Konsequenz, daß im Falle der vorläufigen Anwendung zwar keine stillschweigende Ratifikation erfolgt, sondern daß die Staaten stillschweigend den Ratifikationsvorbehalt widerrufen 29 • Diese These erscheint allerdings gleichfalls zweifelhaft. Denn es ist nicht ohne Schwierigkeiten verständlich, warum ein Vertrag, der ausdrücklich seine Ratifikation vorsieht, diese doch nicht benötigt, weil sie entweder stillschweigend erteilt wurde oder weil die Vertragsparteien das Ratifikationserfordernis stillschweigend widerriefen 30 . Darüber hinaus werden in der Praxis normalerweise auch nach dem Zeitraum der vorläufigen Anwendung noch Ratifikationsdokumente ausgetauscht, was völlig sinnlos wäre, falls der Vertrag schon stillschweigend ratifiziert worden wäre oder falls die Staaten das Ratifikationserfordernis widerrufen hätten 31 • Diese Überlegungen greifen auch dann, wenn die Parteien nicht ausdrücklich, sondern nur implizit die vorläufige Anwendung des Vertrages vereinbart haben, denn auch in diesem Fall bleibt die Ratifikation erforderlich. Es ist normalerweise nicht möglich, einen Staat, der in der Lage, aber nicht willens ist, einen Vertrag zu ratifizieren, auf irgendeine andere Art und Weise zu binden32 . Dabei soll aber nicht übersehen werden, daß in einigen Fällen das Prinzip des Estoppel es einem Staat verwehren kann, sich darauf zu berufen, daß er mangels Ratifikation nicht an einen Vertrag gebunden ist3 3 • Andererseits kann das Estoppel-Prinzip natürlich nicht soweit ausgedehnt werden, daß es jedem Vertrag schon vor seiner Ratifikation Bindungswirkungen beilegt, da in diesem Falle alle Vertragsbestimmungen, die die Ratifikation oder die Beendigung der vorläufigen Anwendung vorsehen, keinerlei Funktion hätten.

b) Vorläufige Zustimmung Es ist auch die Auffassung vertreten worden, daß das sofortige Inkrafttreten eines Vertrages oder einzelner Vertragsteile mit der Unterzeichnung, also im Falle der vorläufigen Anwendung des Vertrages, keine Beweiskraft Vgl. Lauterpacht, YbILC 1953, Vol. 11, S.117. Ebenda. 30 Picone, L'applicazione in via provvisoria degli trattati internazionali, 1973, S.91. 31 Picone (Fn.30), S. 92; KrenzIer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Diss. Heidelberg 1963, S. 53. 32 Jones, Full Powers and Ratification, 1949, S.I11; vgl. ebenfalls North-Sea Continental Shelf Cases, Bundesrepublik Deutschland gegen Dänemark und Bundesrepublik Deutschland gegen die Niederlande v. 20. Februar 1969, ICJ Rep. 1969, S. 25. 33 Jones (Fn. 32), S. 112. 28

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11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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für die Bindungswirkung des Vertrages für die Vertragsparteien habe34 . Die Regierungen sollten vielmehr durch die sofortige Ausführung des Vertrages ihre faktische vorläufige Genehmigung ausdrücken, die erst durch den späteren Ratifikationsakt ihre förmliche Wirkung erhält3 5 • Diese These ist aber letztlich nur eine Variation der Theorie der stillschweigenden Ratifikation 36 und muß deshalb aus denselben Gründen zurückgewiesen werden. Auch hier verliert der spätere Austausch der Ratifikationsinstrumente jede substantielle Bedeutung, da er schon zuvor durch die vorläufige Genehmigung der Regierung, sei sie ausdrücklich oder stillschweigend, ersetzt worden ist. Die spätere Ratifikation wäre deshalb überflüssig 37 . c) Vorläufige Anwendung im wesentlichen ohne Bindungswirkungen

Eine dritte Theorie kommt zu der Schlußfolgerung, daß die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages, unabhängig davon, ob sie in dem Vertrag selbst oder in einem separaten Abkommen enthalten ist, im wesentlichen ohne Bindungswirkungen bleibt. aa) Immer ohne Bindungswirkungen Einige Autoren sind der Ansicht, daß selbst dann, wenn die Ratifikation später erfolgt, der Vertrag während der Zeit seiner vorläufigen Anwendung keinerlei rechtliche Wirkungen entfaltet, da es nach ihnen keine Ausnahmen zu der Regel gibt, daß ein Vertrag ratifiziert werden muß38. Andere gehen wiederum davon aus, daß die Regel pacta sunt servanda nur auf in Kraft getretene Verträge Anwendung findet, so daß die vorläufige Anwendung eines Vertrages allein auf Treu und Glauben beruht und deshalb keine Rechte oder Pflichten erzeugen kann 39 • Diese Theorie widerspricht jedoch sowohl der völkerrechtlichen Praxis als auch der modernen Lehre40 . Zunächst bedeutet sie fast ein völliges Verbot der vorläufigen Anwendung, da diese keinerlei Wirkungen haben würde und sich deshalb die rechtliche Situation im Zeitraum der vorläufigen Anwendung kaum von der unterscheidet, in der keine vorläufige AnwenBittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 1924,8.262 - 63. Ebenda, 8. 263. 36 Picone (Fn. 30), 8. 18. 37 80 auch Krenzler (Fn. 31), 8. 53. 38 Z.B. Dehousse, La ratification des traites, 1935, 8.102,107. 39 Jagota (Indien), 11th Plenary Meeting of the Vienna Conference on the Law of Treaties, O.R. 1969,8.41. 40 Krenzler (Fn. 31), 8. 56. 34

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

dung vereinbart wird. Die Treu-und-Glauben-Verpflichtung des Art.l8 WVK gilt ohnehin für alle Verträge. In der Praxis wenden die Staaten jedoch eine Vielzahl von Verträgen vorläufig an und wollen auch im Regelfall, daß diese Anwendung bindend ist. Darüber hinaus steht heute außer Zweifel, daß nicht alle Verträge ratifiziert werden müssen. Es gibt eine Vielzahl von im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen Verträgen, wie etwa die Executive Agreements in den Vereinigten Staaten oder die Verwaltungsabkommen der Bundesrepublik, für die weder Ratifikation noch Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erforderlich ist. bb) Rückwirkende Bindung nach der Ratifikation Eine andere Gruppe von Vertretern dieser Theorie schreibt der vorläufigen Anwendung eines Vertrages grundsätzlich keine Bindungswirkungen zu, es sei denn, daß der Vertrag später ratifiziert wird. In diesem Fall soll die Ratifikation zurückwirken, so daß sie ex tune alle Ausführungsakte legalisiert, die während der Zeit der vorläufigen Anwendung vorgenommen wurden 41 . Für eine weitere Modifikation dieser Theorie tritt Vignes ein, nach dessen Ansicht die Ratifikation nur dann zurückwirkt, wenn der vorläufig angewendete Vertrag Rechte und Pflichten für den einzelnen Bürger begründet 42 • Diese Auffassung ist jedoch zunehmend unannehmbar geworden, da die meisten völkerrechtlichen Autoren der Ratifikation keine Rückwirkung beimessen43 , denn dies würde letztlich bedeuten, daß jeder Vertrag mit seiner Signatur vorläufig rechtlich bindend wird 44 • Diese Konsequenz mag zwar in der Geschichte nicht völlig von der Hand zu weisen gewesen sein, als die Ratifikation nur abgelehnt werden durfte, falls der Bevollmächtigte eines Monarchen seine Vollmachten überschritten hatte 45, aber sie darf in der demokratisch verfaßten Staatenwelt der Gegenwart nicht mehr gezogen werden. Im Ergebnis verleiht diese Theorie der vorläufigen Anwendung nur ex tune-Wirkkraft; vor der Ratifikation entfaltet sie hingegen keinerlei Wir41 Crandall, Treaties, Their Making and Enforcement, 1904, S.213; Heffter / Geffcken, Das europäische Völkerrecht der Gegenwart, 10. Auf!. 1888, S. 194; Kelsen, Principles of International Law, 1959, S. 355; Ross, A Textbook on International Law,

1947, S. 217.

42 Vignes, Une notion ambigue: La mise en application provisoire des traites, AFDI 18 (1972), S.181, 183. 43 Bravo, Diritto internazionale e diritto interno nella stipulazione dei trattati, 1964, S.121; Jones (Fn. 32), S. 93; Quadri (Fn. 25), 8.159; Nys (Fn. 26), S. 515; Mosconi, La formazione dei trattati, 1968; Sereni, Diritto Internazionale, Bd. 3, 1962, S.1416. Zur Praxis der Vereinigten Staaten s. Detter (Fn. 25), S. 34. U Jones (Fn. 32), S. 93. 45 Ebenda, S. 93.

11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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kung. Falls folglich die Ratifikation aus irgendeinem Grunde verweigert wird, so ist die vorhergehende Anwendung des Vertrages ohne rechtliche Wirkungen - ein Ergebnis, daß wohl kaum mit dem Willen der Vertragsparteien übereinstimmen dürfte46 . Da ein Staat nicht verpflichtet ist, einen Vertrag zu ratifizieren, wären die Parteien eines vorläufig angewendeten Vertrages in einer vollkommen destabilisierten Situation, weil ohne Ratifikation alle Ausführungsakte ohne rechtliche Basis wären und folglich zumindest schwebend unwirksam, wenn nicht gar nichtig wären 47 • Diese Schwierigkeit kann auch nicht dadurch überwunden werden, daß die vorläufige Anwendung nur auf die Fälle beschränkt wird, in denen die Ratifikation relativ wahrscheinlich ist 48 • Denn aus der Staatenpraxis ergibt sich, daß es viele Fälle vorläufig angewendeter Vereinbarungen gibt, deren Ratifikation überhaupt nicht wahrscheinlich ist 49 . Deshalb ist auch diese Konzeption abzulehnen. Die hier angeführten Ablehnungsgründe treffen ebenfalls entsprechend auf die oben diskutierte Theorie zu, nach der die vorläufige Anwendung niemals, also auch nicht rückwirkend, Bindungswirkungen entfalten kann. 2. Modeme Theorien

In der modernen Lehre sind eine Anzahl von Erklärungen für die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung eines Vertrages entwickelt worden. Einige Autoren schreiben der vorläufigen Anwendung immer Bindungswirkung zu. Andere betrachten die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung als ein eigenständiges, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenes Übereinkommen, selbst wenn die vorläufige Anwendung in einer Klausel des Hauptvertrages enthalten ist. Dieses eigenständige Übereinkommen über die vorläufige Anwendung soll regelmäßig nicht bindend sein. Schließlich unterscheiden andere Autoren zwischen den verschiedenen Arten vorläufig angewendeter Verträge und versuchen im jeweiligen Einzelfall festzustellen, ob die vorläufige Anwendung rechtliche Verpflichtungen auslöst oder nicht. Die Frage, welche dieser möglichen dogmatischen Erklärungen am besten geeignet ist, das Phänomen der vorläufigen Anwendung in Theorie und Praxis zu erklären und in Übereinstimmung mit Art. 25 WVK zu bringen, soll im folgenden diskutiert werden.

Krenzler (Fn. 31), S. 55. Picone (Fn. 30), S. 93. 46 Ebenda, S. 93. 49 Vgl. z.B. das GATT, 61 Stat. pt. 5, A 3; TIAS No. 1700; UNTS 55, 194; BGBl.I951,11, 173. 46 47

Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

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a) Vorläufige Anwendung als grundsätzlich bindender Akt

Die Autoren, die in der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages immer einen bindenden Akt sehen, stimmen darin überein, daß die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung auf der Grundlage ihres Sinn und Zwecks und des Willens der Vertragsparteien ermittelt werden muß 50 • Nach ihrer Meinung begründet jede Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages eine Verpflichtung für die Vertragsparteien, die Bestimmungen des Vertrages anzuwenden 51 • Sie erkennen allerdings an, daß das Konzept einer in jedem Fall bindenden vorläufigen Anwendung unter Umständen schwere verfassungsrechtliche Probleme auslösen kann 52 • Es wurde deshalb zu bedenken gegeben, ob die vorläufige Anwendung nicht logisch auf dem Gedanken beruhen muß, daß ein Vertrag zwar völkerrechtlich bindend sein kann, aber gleichzeitig ohne Rechtswirkungen im innerstaatlichen Recht 53 • Aus der Feststellung, daß es für viele Staaten schwierig sein könnte, vorläufig angewendeten Verträgen rechtliche Wirkungen im innerstaatlichen Recht beizumessen, ist geschlossen worden, daß es die Staaten für möglich halten, nur dann völkerrechtlich bindende Verpflichtungen einzugehen, wenn es ihnen durch ihre verfassungsrechtlichen Verfahren faktisch verwehrt ist, auf eine andere Art und Weise ihre nationalen Interessen zu schützen54 • Die meisten Rechtssysteme, unabhängig von ihrem monistischen oder dualistischen Charakter, würden die vorläufige Anwendung als ein bloßes praktisches Mittel betrachten, durch das die Bestimmungen des Vertrages keine innerstaatliche Geltung erlangen, was letztlich bedeute, daß ein vorläufig angewendeter Vertrag nicht dieselben Wirkungen habe wie der Hauptvertrag. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, ist von anderen vorgeschlagen worden, der vorläufigen Anwendung sämtliche rechtlichen Konsequenzen des Inkrafttretens beizumessen 55 . Nur auf diese Weise, so wurde argumentiert, könnten die Probleme Z.B. hinsichtlich der Anwendbarkeit der MeistbegünSo auch Krenzler (Fn. 31), S. 57. Ebenda, S. 58; Blix, Treaty-Making Power, 1960, S.298; Schwarzenberger, International Law, Bd.1, 3. Aufl. 1957, S. 433; Sibert, Traite de Droit International Public, Bd. 2, 1951, S. 225; Kommentar zu Art. 24 ILC Draft 1962, YbILC 1962, Vol. 11, S.182; Bartos, 791st Meeting ILC, YbILC 1965, Vol. I, S.110; Tunkin, ebenda, S.l11; Molina-Orantes (Guatemala), 11th Plenary Meeting of the Vienna Conference on the Law of Treaties, O.R. 1969, S.39; Werner (Polen), 29th Plenary Meeting, ebenda, S. 158. Im Ergebnis wohl auch ebenso Saenz de Santa Maria, La applicacion provisional de los tratados internacionales en el derecho espailol, Revista Espanol de Derecho Internacional 34 (1982), S. 73, nach dem das Prinzip pacta sunt servanda auch für vorläufig angewendete Verträge gilt. 52 Molina-Orantes (Guatemala) (Fn. 51), S. 39. 53 Blix (Fn. 51), S. 297. 54 Ebenda, S. 298. 55 Bartos (Fn. 51), S. 110. 50 51

11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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stigungsklausel im Falle eines vorläufig angewendeten Vertrages gelöst werden56 . Allerdings läßt auch dieser Vorschlag wie die Erklärungsversuche der älteren Lehre dem späteren Austausch der Ratifikationsdokumente keinerlei Bedeutung mehr und ist deshalb abzulehnen 57 . Einige Autoren weisen darauf hin, daß die Annahme von rechtlichen Bindungswirkungen der vorläufigen Anwendung durch die Praxis der Vereinten Nationen unterstützt werde 58 . Denn die Vereinten Nationen registrieren und veröffentlichen Vereinbarungen gemäß Art. 102 der Charta, selbst wenn diese nur vorläufig angewendet werden 59 • Andererseits soll die Bedeutung der Ratifikation durch weitestgehende Beibehaltung der traditionellen Vertragsschlußverfahren erhalten werden 60 . Deshalb erklären diese Autoren das Phänomen der vorläufigen Anwendung dadurch, daß, solange es keine ausdrückliche Begrenzung der Bindungswirkung der vorläufigen Anwendung gibt, die Vertragsparteien sich rechtlich völlig binden und der Vertrag unter dem Vorbehalt der Ratifikation steht61 . Dieser Ratifikationsvorbehalt habe den Charakter einer auflösenden Bedingung62. Falls die Ratifikation später erfolge, bleibe der Vertrag bestehen, aber der Vorbehalt bzw. die auflösende Bedingung verliere die Existenzberechtigung63. Gleichzeitig werde der vorläufige Rechtsstatus beendet und ein endgültiger Status begründet, worin die eigentliche Bedeutung der Ratifikation zu sehen sei. Um die offensichtlichen Schwierigkeiten im innerstaatlichen Recht zu überwinden, die auftreten, wenn grundsätzlich jeder vorläufig angewendete Vertrag Bindungswirkungen entfaltet, wurde eine Modifizierung der Beziehungen zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht vorgeschlagen 64 . Die Regelung dieser Beziehung hat in Art. 46 WVK ihren Ausdruck gefunden. Danach kann sich eine Regierung in den Fällen eines Verfassungsverstoßes durch einen völkerrechtlichen Vertrag nur dann darauf berufen, daß 56 Ebenda. 57 Hier gelten die gleichen Argumente wie im Falle der stillschweigenden Ratifika-

tion, vgl. oben Kap. 2 11 1 a. 58 KrenzIer (Fn. 31), S. 58. 59 s. Art. 1 Abs.2 Regulation to Article 102 UN Charter, sowie die Meinung des Sub-Committee und des 4th Committee of the 1st United Nations General Assembly, Repertory of Practice of UN Organs, Bd. 2, 1959, Supp. No. 1, S. 397. Ein Beispiel für einen veröffentlichten und registrierten vorläufig angewendeten Vertrag ist das GATT, UNTS 55 - 64. 60 KrenzIer (Fn. 31), S. 57. 61 Ebenda, S. 6I. 62 Meissner, Vollmacht und Ratifikation bei völkerrechtlichen Verträgen nach deutschem Recht, 1934, S.90; Sereni (Fn.43), S.1416; Ago, 791st Meeting, YbILC 1965, Vol. I, S.109, 111. Waldock, ebenda, S. 113 meint, daß die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung als auflösende Bedingung heute nur noch im Rahmen des Art. 24 WVK möglich ist. 63 KrenzIer (Fn. 31), S. 62. 64 Ebenda, S. 137 - 139.

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

der Vertrag auch im Völkerrecht nichtig sei, falls eine manifeste Verletzung einer innerstaatlichen Rechtsnorm von grundlegender Bedeutung vorliegt. Eine derartige Verletzung ist manifest, falls dies objektiv offensichtlich für jeden Staat ist, der seine internationalen Beziehungen in Übereinstimmung mit der normalen völkerrechtlichen Praxis und Treu und Glauben gestaltet 65 • Krenzler argumentierte nun auf der Grundlage derselben Theorie, die heute in Art. 46 WVK ihren Niederschlag gefunden hat, daß die vorläufige Anwendung nicht denselben Schutz genieße wie ein ratifizierter Vertrag, da im Falle von vorläufig angewendeten Verträgen nur die Regierungen die Anwendung der Vertragsbestimmungen versprechen würden 66 • Wann immer sich deshalb ein Staat auf die Unwirksamkeit eines Vertrages mangels Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften berufe, müsse dies zur völkerrechtlichen Unwirksamkeit des Vertrages führen. Seine Theorie begrenzt mithin die vorläufige Anwendung auf die Verträge, die von den Regierungen entweder innerhalb ihrer Exekutivbefugnisse abgeschlossen werden können oder die einen ausdrücklichen Vorbehalt hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Erfordernisses der parlamentarischen Zustimmung enthalten. Seine Ansicht findet allerdings in der Staatenpraxis keine Unterstützung. Denn grundsätzlich werden alle Arten von Verträgen vorläufig angewendet, unabhängig von den verfassungsrechtlichen Verpflichtungen der Vertragsparteien. Darüber hinaus erscheint es höchst fraglich, ob die Bestimmung des Art. 46 WVK hinsichtlich der vorläufigen Anwendung modifiziert werden kann, zumal Art. 25 WVK keinerlei Anhaltspunkt für eine derartige Modifikation liefert. Auf diese Frage wird später noch ausführlich einzugehen sein. Die Theorie, die die vorläufige Anwendung als Inkrafttreten unter der auflösenden Bedingung der Ratifikation betrachtet, wirft zusätzliche Probleme auf, z.B. in dem Fall, wenn entweder eine bestimmte Zeitspanne für die vorläufige Anwendung vereinbart ist und/oder eine Bestimmung über die Beendigung der vorläufigen Anwendbarkeit Anwendung findet 67 • In einem solchen Fall könnte man sich nämlich eine Situation vorstellen, in der der Vertrag für kurze Zeit in Kraft ist, dann zu existieren aufhört und schließlich mit der Ratifikation wieder in Kraft tritt6 8 . Darüber hinaus ist unklar, was im Falle der Verzögerung der Ratifikation gelten soll oder dann, wenn es unwahrscheinlich wird, daß die Ratifikation überhaupt erfolgen wird. Soll dann die vorläufige Anwendung automatisch beendet sein, oder wird sie fortgesetzt bis zur ausdrücklichen Verweigerung der Ratifikation 65 Art. 46 WVK; vgl. auch Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, S. 198 210; und unten Kap. 2 III 6. 66 (Fn. 31), S. 138. 67 Picone (Fn. 30), S. 97. 66 Vgl. Krenzler (Fn. 31), S. 83, 93; vgl. ebenfalls Picone (Fn. 30), S. 98.

11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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der Vereinbarung 69? Wegen dieser ungelösten Fragen und Unsicherheiten bietet diese Theorie wohl keine praktische Erklärung der Probleme der vorläufigen Anwendung.

b) Vorläufige Anwendung als eigenständige nichtbindende Vereinbarung Eine weitere moderne, von Picone entwickelte Theorie 7o geht davon aus, daß die vorläufige Anwendung von Verträgen allgemein keine Bindungswirkung entfaltet. Falls ein Vertrag vorläufig angewendet wird, existieren nach Picone in Wirklichkeit zwei Vereinbarungen: einmal der Hauptvertrag, der ratifiziert werden muß, und zum anderen eine Vereinbarung über die vorläufige Anwendung des Hauptvertrages, die die Rechtsnatur eines im vereinfachten Vertragsschlußverfahrens geschlossenen Abkommens hat 71 • Die Kategorie der im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen Abkommen ist heute im Völkerrecht durchgehend anerkannt, wobei derartige Abkommen oft in einer Beziehung zu einem Hauptvertrag stehen72 • Abgesehen von ihren strukturellen Vorteilen scheint diese Auffassung auch Theorie und Praxis zu vereinen, wenn man beispielsweise die zweifache Veröffentlichung vorläufig angewendeter Verträge in Österreich vor dem 2. Weltkrieg in Betracht zieht. Dort wurde ein Abkommen zunächst zu dem Zeitpunkt veröffentlicht, ab dem es vorläufig angewendet wurde, und ein zweites Mal, wenn es endgültig in Kraft trat. Ein ähnliches Verfahren gab es auch in Frankreich73 . Die eigenständige parallele Vereinbarung, die den dem Hauptvertrag analogen Bestimmungen vorläufige Wirkungen verleiht, weist darüber hinaus alle einem im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen Abkommen eigenen Charakteristika auf. Das wichtigste dieser Charakteristika ist nach dieser Theorie, daß die Vereinbarung nicht den völkerrechtlichen Sanktionen unterliegt, die normalerweise die Beachtung von Verträgen garantieren 74 . Nach Picone soll gerade diese Abwesenheit von möglichen Sanktionen im Falle eines Bruches der Vereinbarung der Hauptindikator für den nicht bindenden Charakter der Vereinbarung sein 75 • Weitere Indikatoren für die Picone (Fn. 30), S. 100. Ebenda. 71 Ebenda, S. 106. 72 Ebenda; s. ebenfalls Smets, La conclusion des accords en forme simplifil~e, 1969, S.127, beide m. w. Nachw. 73 Picone (Fn. 30), S. 107 - 108 m. entsprechenden Nachweisen. 74 Ebenda, S. 110. 75 Picone (Fn. 30), S. 113 - 114, 121, 126; gestützt auf Wengier, Die Abgrenzung zwischen völkerrechtlichen und nicht völkerrechtlichen Normen im internationalen Verkehr, in: Legal Essays, A Tribute to Frede Castberg, 1963, S. 332. 69

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

nicht bindende Rechtsnatur der Vereinbarung seien der Depositar, der Inhalt und die Art und Weise der Beendigung76. Ferner sollen vorläufig angewendete Verträge sich häufig nicht an den Staat selbst wenden, sondern nur an seine Regierung 77 ; oft enthielten sie auch eine Bestimmung, daß sie nur auf der Grundlage der Reziprozität anwendbar seien78 ; und schließlich seien die Staaten frei, die Vereinbarung jederzeit zu beenden79 • Daraus schließt Picone, daß die vorläufige Anwendung im Regelfall keinerlei rechtliche Bindungswirkungen entfalten könne 80 • c) Vermittelnde Theorie

Als Arbeitshypothese für die weitere Untersuchung der Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge soll hier von einer vermittelnden Theorie ausgegangen werden, die, wie noch zu zeigen sein wird, auch in der jüngeren Literatur und während der Arbeiten zur Wiener Vertragsrechtskonvention weitgehende Zustimmung erfahren hat. Diese vermittelnde Theorie greift Picones Gedanken von der vorläufigen Anwendung als eigenständiger, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossener Vereinbarung auf, mißt dieser jedoch im Regelfall Bindungswirkung zu. Da es sich bei der vermittelnden Theorie zunächst um eine noch unbewiesene Arbeitshypothese handelt, soll methodisch dergestalt vorgegangen werden, daß sie in einem ersten Schritt abstrakt-logisch auf ihre dogmatischen Vorzüge oder Nachteile hin überprüft wird. Daran anschließen soll sich die Untersuchung, ob die vermittelnde Theorie eine Stütze in der Staatenpraxis findet und zur Erklärung derselben fähig ist. Schließlich wird zu prüfen sein, ob diese Theorie auch mit der Kodifikation der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge in Art. 25 WVK in Einklang steht. Erst wenn in allen drei Prüfungsschritten ein positives Ergebnis erreicht wird, kann die Arbeitshypothese von der vorläufigen Anwendung als einer selbständigen, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen, bindenden völkerrechtlichen Vereinbarung als Theorie den weiteren Überlegungen zugrunde gelegt werden. aal Ihre dogmatischen Vorzüge Der Gedanke, daß die vorläufige Anwendung eines Vertrages eine eigenständige, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Verein76

77 78 79 80

Picone (Fn. 30), 8. 126. Ebenda, 8.123,127. Ebenda, 8. 124 und besonders 8.129. Ebenda, 8. 125, 132. Ebenda, 8. 126.

II. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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barung darstellt, leuchtet unmittelbar ein, wenn die vorläufige Anwendung des Hauptvertrages in einem Zusatzprotokoll81 oder einem anderen eigenständigen Instrument vereinbart wird 82 • Aber selbst wenn die Bestimmung über die vorläufige Anwendung im Hauptvertrag enthalten ist, erleichtert dieses Modell doch die Erklärung des Phänomens, da einsehbar wird, warum ein Vertrag schon Anwendung findet, ohne in Kraft getreten zu sein. Aus diesem Grunde wohl hat die Theorie der vorläufigen Anwendung als eigenständige, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung verbreitete Unterstützung in der Völkerrechtswissenschaft gefunden83 • Man bleibt insofern allerdings weitgehend auf Vermutungen angewiesen, da die genannten Autoren ihre diesbezüglichen Auffassungen entweder nur rudimentär oder gar nicht begründen. Jedenfalls scheint das durch die vermittelnde Theorie erreichte, erleichterte Verständnis der vorläufigen Anwendung nicht unerheblich zur Attraktivität dieser Theorie beizutragen. Es ist allerdings fraglich, ob Picones Schlußfolgerungen aus der Natur der vorläufigen Anwendung als eigenständiger, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossener Vereinbarung ebenfalls zutreffend sind. Wie oben gezeigt wurde, ist er der Ansicht, daß ein im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenes Abkommen grundsätzlich keinerlei Bindungswirkung hat, da bei seinem Bruch angeblich keine völkerrechtlichen Sanktionen zur Verfügung stehen. Ferner leitet er den nichtbindenden Charakter der vorläufigen Anwendung aus den weiteren Indikatoren des Depositars, des Inhalts und der Art und Weise der Beendigung der Vereinbarung ab. Es ist sicher richtig, daß alle diese Faktoren bei der Beurteilung der Bindungswirkung einer völkerrechtlichen Vereinbarung relevant werden können. Sie sind jedoch nicht entscheidend. Denn andere Faktoren, die Picone nicht berücksichtigt hat, sind mindestens gleichwertig. So kann es für den bindenden Charakter einer Vereinbarung sprechen, falls diese in den nationalen Vertrags sammlungen veröffentlicht wird, falls sie gemäß Art. 102 der Charta der Vereinten Nationen registriert wird, oder falls sie als Vertrag 81 Vgl. z.B. das GATT, 61 8tat. pt. 5, A 3, TIA8 No. 1700; UNT8 55, 194; BGBL 1951 II, 173. 82 s. ebenfalls Vignes (Fn. 42), 8.183; Ago, 791st Meeting ILC, YbILC 1965, Vol. I, 8.109. 83 Vignes (Fn.42), 8.191 - 92; Meissner (Fn.62), 8.90; Quadri (Fn.26), 8.159; Saenz de Santa Maria (Fn. 51),8.32; Rosenne, 668th Meeting ILC, YbILC 1962, Vol. I, 8.259; Commentary to Artic1e 24 ILC Draft 1962, YbILC 1962, Vol. II, 8.182; Fourth Report of 8pecial Rapporteur Waldock, YbILC 1965, Vol. II, 8.58; El Erian, 790th Meeting ILC, YbILC , Vol. I, 8.108; Briggs, 791st Meeting ILC, YbILC 1965, Vol. I, 8.109; Ago, ebenda, 8.110, 112; Cadieux, ebenda, 8.112; Tunkin, ebenda, 8.112. Ausdrücklich dagegen, aber ohne Begründung nur Nguyen Quoc Dinh / Daillier / Pellet, Droit International Public, 2. Aufl. 1980,8.151.

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

oder internationale Vereinbarung mit rechtlichen Wirkungen in Vorlagen der Regierungen an ihre nationalen Parlamente oder Gerichte beschrieben wird. Schließlich kann der Art und Weise, in der sich die Parteien nach dem Zustandekommen der Vereinbarung verhalten, Bedeutung zukommen84 • Wirklich entscheidend ist letztlich nur der Wille der Vertragsparteien. Eine bindende Vereinbarung erfordert immer den Willen der vertragsschließenden Staaten, Rechte und Pflichten zu schaffen und ihre Beziehungen dem Völkerrecht zu unterwerfen 85 • Nur falls dieser Wille nicht existiert, kann eine Vereinbarung als rechtlich wirkungslos betrachtet werden86 • Abgesehen von den oben erwähnten Faktoren können weitere Rückschlüsse auf die Absicht der Vertragsparteien aus dem Text der Vereinbarung und den Begleitumständen ihres Abschlusses und ihrer Annahme gezogen werden 87 • Um herauszufinden, ob eine Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages Bindungswirkungen entfaltet oder nicht, muß deshalb der Wille der Vertragsparteien ermittelt werden. Obwohl dies nur im jeweiligen Einzelfall geschehen kann, können doch einige allgemeine Aussagen über die Rechtsnatur einer derartigen Vereinbarung gemacht werden. Es ist sicher richtig, daß die Abwesenheit von Sanktionen, die möglicherweise bei vorläufig angewendeten Verträgen verzeichnet werden kann 88 , für die nicht bindende Natur der Vereinbarung spricht. Andererseits sollen nicht bindende Vereinbarungen nach allgemeiner Meinung nicht dem Völkervertragsrecht unterliegen. Dies soll sich daraus ergeben, daß nicht bindende Vereinbarung per definitionem außerhalb des Grundprinzips "pacta sunt servanda" angesiedelt sind und deshalb nicht vom Völkervertragsrecht, welches gerade auf diesem Grundprinzip aufbaut, erfaßt werden können 89 • Eine Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages unterliegt jedoch gerade dem Völkerrecht, was sich eindeutig aus ihrer Regelung in Art. 25 WVK ergibt. Ferner gibt selbst Picone 90 zu, daß es Fälle gibt, in denen eine Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages offensichtlich bindende Verpflichtungen auslöst. Darüber hinaus schreibt er dieser, seiner Meinung nach grundsätzlich nicht bindenden Vereinbarung91 eine Reihe von rechtlichen Wirkungen zu, die normalerweise nur bei bindenden Vereinbarungen auftreten, wie etwa Wirkungen im innerstaatlichen 84 SchachteT, The Twilight Existence of International Nonbindung Agreements, AJIL 71 (1977), 296, 298 m. w. Nachw. 85 Ebenda, S. 296. 86 Ebenda, S. 297; International Status of South-West Africa, Advisory Opinion v. 11. Juli 1950, ICJ Rep. 1950, 128, 140. 87 SchachteT (Fn. 84), S. 297. 88 Vgl. Picones Beispiele (Fn. 30), S.144ff. 89 SchachteT (Fn. 84), S. 301 m. w. Nachw. 90 (Fn. 30), S. 190 - 195. 91 Ebenda, S.196 - 205.

11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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Recht 92 sowie eine legalisierende Wirkung für die Maßnahmen, die zur Durchführung der Vereinbarung getroffen werden 93 • Schon nach diesen Überlegungen scheint sich die Waage zugunsten der Bindungswirkung der Vereinbarung über die vorläufige Anwendung zu neigen. Fast alle genannten Indikatoren sprechen für diese Bindungswirkung. Sie dienen aber letztlich nur dazu, Rückschlüsse auf den Willen der Vertragsparteien zu ermöglichen, welcher das entscheidende Kriterium für die Frage der Bindungswirkung einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages ist. Daß der Wille der Vertragsparteien auf eine Bindung an die vorläufige Anwendung gerichtet ist, ergibt sich weiterhin aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes sowie Sinn und Zweck der vorläufigen Anwendung. Wenn sich zwei oder mehr Staaten auf die vorläufige Anwendung eines ausgehandelten und sein endgültiges Inkrafttreten erwartenden Vertrages einigen, stellt sich die Situation wie folgt dar: Diese Staaten haben sich gerade, häufig nach langwierigen Verhandlungen, auf einen Komplex von Normen geeinigt, die in Zukunft ihre Beziehungen untereinander im Hinblick auf eine bestimmte Materie regeln sollen. Grundsätzlich darf davon ausgegangen werden, daß das frei ausgehandelte Vertragswerk allen Parteien Vorteile bringt oder sie sich diese zumindest davon versprechen. Die Unterhändler, also die jeweiligen Regierungen, sind deshalb im Normalfall daran interessiert, daß der Vertrag sobald wie möglich in Kraft tritt, um seine Vorteile wahrnehmen zu können. Sie sind aber im Regelfall aus verfassungsrechtlichen oder auch politischen Gründen gehindert, den Vertrag sofort in Kraft zu setzen, und müssen ihn zunächst den nationalen Parlamenten zur Zustimmung vorlegen. Um diese Zeitspanne bis zum endgültigen Inkrafttreten zu überbrücken und sich die Vorteile des Vertragswerks unmittelbar zu sichern oder weil die Anwendung des Vertrages aufgrund der tatsächlichen Situation keinen Aufschub duldet, wird die vorläufige Anwendung vereinbart. Diesem Zweck der unmittelbaren Sicherung der Vorteile des Vertrages kann die vorläufige Anwendung aber nur gerecht werden, falls die daran beteiligten Vertragsparteien auch rechtlich gebunden werden. Wäre dies nicht der Fall, so entstünde eine Zeit der Rechtsunsicherheit, in der kein Staat sicher sein könnte, ob sich seine Vertragspartner schon an das neue Regelwerk halten oder ob seine eigene Anwendung dieses Regelwerks möglicherweise auf eine Vorleistung hinausläuft, die von den anderen Parteien nicht honoriert wird. Die Staaten wollen und müssen sich deshalb darauf verlassen können, daß die Anwendung eines Vertrages vor seinem endgültigen Inkrafttreten nicht im unverbindlichen Raum bleibt. Dafür spricht auch schon der erwähnte Gedanke des Vertrauensschutzes. Müller hat in seiner Arbeit nachgewiesen, 92 93

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Ebenda, 8.198. Ebenda, 8. 199 - 200.

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

daß der Vertrauensschutz ein wesentliches Element auch des Völkervertragsrechts ist 94 • Das Vertrauensschutzprinzip spielt eine entscheidende Rolle in den Vorstadien des Vertragsschlusses, etwa bei der Frage, ob sich schon vor Inkrafttreten des Vertrages für die Parteien bestimmte Verhaltenspflichten, etwa das Gebot, nach der Unterzeichnung das Vertragsziel nicht zu vereiteln95 , oder Haftungstatbestände, etwa culpa in contrahend0 96 , ergeben können. Ebenso bedeutsam ist das Vertrauensschutzprinzip beim Problem der Zuständigkeit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge 97 und der clausula rebus sic stantibus98 • Obwohl man es bei der vorläufigen Anwendung eines Vertrages anders als in den genannten Bereichen in der Regel mit einer ausdrücklichen, textlichen Vereinbarung zu tun hat, kommt auch hier dem Vertrauensschutzgedanken Bedeutung zu. Zum einen setzt jeder der an der vorläufigen Anwendung beteiligten Staaten einen Vertrauensschutztatbestand durch seine Erklärung, er werde den Vertrag schon vor dem endgültigen Inkrafttreten anwenden. Auf diese Erklärung müssen sich die anderen Vertragsparteien verlassen können, falls sie überhaupt von Wert sein soll. Einen zweiten Vertrauenstatbestand setzen die Staaten durch die tatsächliche Anwendung des Vertrages vor seinem Inkrafttreten. Denn sobald eine Partei den Vertrag auf konkrete Sachverhalte anwendet und dies nicht ein ungewöhnlicher Ausnahmefall bleibt, dürfen sich die jeweils anderen Vertragsparteien darauf verlassen, daß diese Übung auch bei neuen, vergleichbaren Sachverhalten beibehalten wird. Aufgrund dieser dogmatischen und rechtstheoretischen Überlegungen gelangt man mithin zu dem Ergebnis, daß vieles für die Bindungswirkung von Vereinbarungen über die vorläufige Anwendung eines Vertrages spricht. Auch die im Sinne der Arbeitshypothese vorgenommene Unterscheidung zwischen dem Hauptvertrag und der eigenständigen Vereinbarung über die vorläufige Anwendung läßt sich in Anbetracht des durch sie ermöglichten besseren Verständnisses des Phänomens rechtfertigen. Der erste Schritt der Überprüfung der Hypothese kann folglich mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden. Ihre Allgemeingültigkeit kann aber, wie dargelegt, erst dann angenommen werden, wenn sie auch in der Staatenpraxis Rückhalt findet und mit Art. 25 WVK in Übereinklang steht.

94 (Fn. 65), Literatur. 95 Ebenda, 96 Ebenda, 97 Ebenda, 98 Ebenda,

S.104 - 133 m. umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und S. 156 - 164; dazu auch unten Kap. 2 III 1 c. S. 154 - 155. S. 191 - 209; dazu auch unten Kap. 2 III 6. S. 210 - 226.

11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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bb) Ihre Übereinstimmung mit der Staatenpraxis In der Staatenpraxis können verschiedene Kategorien99 von Vereinbarungen, die einen Vertrag vorläufig in Kraft setzen, unterschieden werden. Für die Überprüfung der bisher nur abstrakt begründeten Hypothese kommt es vor allem darauf an, die Bindungswirkung dieser Kategorien zu untersuchen.

Die erste Vertragskategorie besteht aus denjenigen Verträgen, die mit ihrer Unterzeichnung in Kraft treten, aber dennoch ratifiziert werden müssen 100 . Diese Verträge unterfallen allerdings in Wahrheit nicht der vorläufigen Anwendung, d. h. zunächst vorläufige Anwendung und hernach erst endgültiges Inkrafttreten mit der Ratifikation des Vertrages, sondern sind Fälle des sofortigen endgültigen Inkrafttretens mit einer darauffolgenden Ratifikation101, weil sie mit der Unterzeichnung endgültig in Kraft treten. Hier hat die Ratifikation nur eine deklaratorische Bedeutung, die die politische Bedeutung des Vertrages unterstreichen so1l1 02 . Ohne Zweifel sind derartige Vereinbarungen gewöhnliche internationale Verträge mit voller Bindungswirkung. Die zweite Vertragskategorie sieht für ihr endgültiges Inkrafttreten die Ratifikation vor, bestimmt jedoch gleichzeitig, daß der Vertrag vor der Ratifikation vorläufig angewendet werden S01l103. Diese Bestimmung findet sich entweder in den Schlußklauseln des Vertrages selbst oder in einem eigenständigen Instrument wie etwa einem Protokoll oder einem "memorandum of understanding". Sie stellt die gebräuchlichste Art der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung dar. Man könnte jedoch auf den ersten Blick Zweifel haben, ob diese Vereinbarung bindend sein soll oder nicht. Wie oben schon dargelegt worden ist, spricht die Vermutung für den bindenden Charakter dieser Vereinbarungen über die vorläufige Anwendung. Natürlich müssen alle Begleitumstände wie etwa Inhalt, Beendigung und Registrierung in Betracht gezogen werden, wenn der rechtliche Status einer solchen Vereinbarung ermittelt wird. Es kann aber ohne weiteres davon ausgeganVgl. auch die Kategorien von Dahm, Völkerrecht, Bd. 3, 1961, S. 80 - 8I. s. etwa den Freundschafts- und Beistandsvertrag zwischen Polen und Jugoslawien vom 12. März 1946, UNTS 1, 60. Sein Art. 5 lautet: "The present treaty shall come into force on the date of signature and shall be binding for twenty years .... The treaty is subject to ratification." Mit "Ratifikation" ist hier nicht etwa nur innerstaatliche Billigung gemeint, wie man angesichts des häufig unkorrekten Gebrauchs des Begriffs vielleicht meinen könnte, sondern wohl tatsächlich die Ratifikation im völkerrechtlichen Sinne, da Art. 5 weiter bestimmt, daß die Ratifikationsurkunden zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Belgrad ausgetauscht werden sollten. 101 Picone (Fn. 30), S. 86. 102 Diese Technik wird häufig in Freundschafts- und Kooperationsverträgen zwischen Ostblockstaaten sowie in Friedensverträgen benutzt, Picone (Fn. 30), S. 84, Fn.140; Dahm (Fn. 99), S. 80. 103 Z.B. alle in Kapitell, Fn. 36 - 38 zitierten Verträge. 99

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

gen werden, daß z.B. ein vorläufig angewendetes Rohstoffabkommen, das bestimmte Export- oder Importquoten festlegt oder einen sog. "buffer stock" begründet, nach dem Willen der Vertragsstaaten bindend sein soll, da es anderenfalls seinen Zweck nicht erfüllen könnte 104 . Deshalb kann man grundsätzlich feststellen, daß die Verträge, die zu dieser Kategorie gehören und die ohne jede Beschränkung vorläufig angewendet werden, normalerweise Bindungswirkung entfalten. Die dritte Vertragskategorie vorläufig angewendeter Abkommen enthält präzisere Bestimmungen über die Bedingungen, unter denen ein Vertrag vor der Ratifikation vorläufig angewendet werden soll. So kann ein derartiger Vertrag etwa vorsehen, daß er nur insoweit vorläufig angewendet wird, als dies mit den Verfassungen der vertragsschließenden Parteien vereinbar istl 05 , oder insoweit, als die vorläufige Anwendung innerhalb der Exekutivbefugnisse der Regierungen liegtl° 6 • Ähnlich ist eine Klausel zu werten, nach der nur jene Vertragsbestimmungen vor der Ratifikation angewendet werden sollen, die nicht der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften nach den jeweiligen Verfassungen unterliegen 107 • Derartige Klauseln müssen wohl dahin ausgelegt werden, daß es der Wille der Vertragsparteien ist, sich nur so weit zu binden, als keine verfassungsrechtlichen Beschränkungen entgegenstehen. Innerhalb dieser Beschränkungen begründen die Vereinbarungen völkerrechtliche Rechte und Pflichten. Obwohl behauptet worden ist, daß sie keine internationalen Verpflichtungen seien, sondern nur einseitige Akte der Parteien 108 , sprechen doch die meisten Umstände für ihren bindenden Charakter innerhalb der umschriebenen Grenzen. Ein weiterer Faktor, der für die Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung über die vorläufige Anwendung spricht, ist die Existenz einer Bestimmung, die die freie Beendigung der vorläufigen Anwendung ermöglicht, nach der aber diese Beendigung nur nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne nach Erhalt einer schriftlichen Note durch den Depositar wirktl 09 . Falls man nämlich eine solche Vereinbarung über die vorläufige Anwendung für nicht bindend hält, so könnte ein Staat sie durch einfache Nichtanwendung beenden, ohne dafür verantwortlich zu sein. Um diese Möglichkeit auszuschlie104 z.B. Internationales Zucker-Übereinkommen vom 07. Oktober 1977, TIAS No. 9664, die Bundesrepublik ist nicht Partei; und 6. Internationales Zinn-Abkommen vom 06. Juli 1981, UN Doc. TD/TIN.6/14 (1981), BR-Drs. 486/83, noch nicht in Kraft für die Bundesrepublik. 105 Art. 3 des Agreement relating to the International Convention for Regulating the Police of the North Sea Fisheries vom 03. März 1955, UNTS 310, 146. 106 Vgl. z. B. Art. XIV des Agreement for a Cooperative Program of Agriculture zwischen den Vereinigten Staaten und Brasilien vom 26. Juni 1953, 9 UST 1357 (1958). 107 So z.B. Art. 29 Abs.1 des GA'IT im Hinblick auf die Havana Charter.. 108 Vignes (Fn. 42), S. 185. 109 Vgl. z.B. Art. 41 des Handels- und Zahlungsabkommens zwischen Dänemark und Argentinien vom 14. Oktober 1948, UNTS 74, 68.

11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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ßen, können die Parteien gerade eine solche Beendigungsklausel vereinbaren, die wiederum nur dann einen Sinn haben kann, falls sie bindend ist. Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach der Bindungswirkung im Falle einer Bestimmung, die die vorläufige Anwendung eines Vertrages unter der Bedingung der Reziprozität vorsieht11o . Dies bedeutet, daß der Vertrag nur dann durch eine Partei angewendet wird, falls auch die anderen Parteien ihn praktisch anwenden. Die Verpflichtung zur Anwendung und damit die Bindungswirkung der Vereinbarung erlischt folglich für einen Vertragsstaat im Verhältnis zu einem anderen Staat, falls dieser sich nicht an die Vereinbarung hält. Das Erlöschen der Bindungswirkung wirkt sich bei einem multilateralen Abkommen aber nicht auf den gesamten Vertrag, sondern nur auf das Verhältnis zur vertragsuntreuen Partei aus. Doch auch in diesem Verhältnis hat die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung bindende Wirkungen für die Vergangenheit, etwa dadurch, daß sie die Ausführungshandlungen während der vorläufigen Anwendung legalisiert. Solange die Bedingung der Reziprozität erfüllt ist, dürfte an der Bindungswirkung der während dieses Zustandes vorgenommenen Handlungen kein Zweifel bestehen. Die Schlußfolgerung, die aus diesen Beispielen von Klauseln über die vorläufige Anwendung von Verträgen gezogen werden kann, ist, daß die Vereinbarung trotz der Beschränkungen für die vorläufige Anwendung innerhalb dieser Grenzen bindend sein soll. Folglich wird auch hier die Hypothese, daß Vereinbarungen über die vorläufige Anwendung von Verträgen grundsätzlich bindend sind, durch die Staatenpraxis gestützt. Die letzte Gruppe von Verträgen besteht aus denjenigen, die ein internationales Regime im weitesten Sinne, häufig in Verbindung mit einer internationalen Organisation, begründen. Allerdings gehören nicht alle der in Kapitel 1 angeführten Beispielsfälle in diese Kategorie 111 , denn zum Teil wird ein vorbereitendes Organ einer internationalen Organisation durch einen eigenständigen Vertrag, die Resolution einer internationalen Konferenz oder ein Zusatzprotokoll zum Gründungsvertrag ins Leben gerufen, ohne daß der Gründungsvertrag vorläufig angewendet wird l12 • Verträge dieser Art, die ebenfalls vorläufige Wirkungen vor ihrem endgültigen Inkrafttreten zeigen, werden unter der allgemeinen Bestimmung des Art. 24 WVK abgeschlossen l13 und sollen später näher untersucht werden 114 • 110 So beispielsweise die Erklärung des Deutschen Reiches beim Notenaustausch über die vorläufige Anwendung des Handelsabkommens mit Brasilien vom 04. Januar 1932, RGBl. 1932, 5. 111 Vgl. oben Kap. 1 I 1. 112 s. die Beispiele im Report of the Secretary-General, UN Doc. A/AC.138/88 (1973), abgedruckt in: Platzöder, Dokumente der Dritten Seerechtskonferenz, Bd. 2, 1979, S. 579 sowie unten Kap. 3. 113 Report of the Secretary-General (Fn.112), S. 581.

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

An dieser Stelle interessieren nur diejenigen Verträge, die einen vorbereitenden Ausschuß oder ein internationales Regime errichten und die auch im engen Sinne entweder durch eine Vereinbarung in ihren Schlußbestimmungen oder in einem eigenständigen Instrument vorläufig angewendet werden, da nur sie unter Art. 25 WVK fallen 115 . Diese Kategorie kann wiederum in zwei Unterkategorien unterschieden werden, nämlich erstens in die Abkommen, die ein internationales Regime ohne Organisation oder Organe errichten, wie etwa die Europäische Fischereikonvention 1l6 , und zweitens in diejenigen Abkommen, die ein internationales Regime und gleichzeitig eine internationale Organisation vorläufig ins Leben rufen, wie etwa das Internationale Zucker-Übereinkommen von 1968 117 • Die erste Gruppe kann leicht mit einer der oben diskutierten drei Kategorien assoziiert werden, normalerweise wohl mit der zweiten oder dritten, wohingegen die zweite Untergruppe einen Sonderfall bildet, da nicht nur die vorläufig angewendeten Vertragsbestimmungen selbst direkte Wirkungen erzeugen, sondern auch das internationale Organ oder die internationale Organisation durch ihre Handlungen und Entscheidungen. Während der letzten 30 Jahre haben Rohstoffabkommen für die Regelung des Welthandels mit bestimmten Rohstoffen wie Kaffee, Zucker, Zinn oder Weizen große Bedeutung erlangt. Ihr Abschluß beruht auf der Erkenntnis, daß der Marktmechanismus nicht immer zufriedenstellend arbeitet, um Angebot und Nachfrage bei diesen Grundstoffen in Übereinstimmung zu bringen. Dies liegt zum Teil an der Zeit, die im Rohstoffsektor erforderlich ist, um auf Marktsignale zu reagieren, sowie an ungenügender Information und einer Vielzahl anderer Gründe. Im Ergebnis schwanken deshalb Rohstoffpreise zum Nachteil der Erzeuger- und Verbraucherländer. Um die Preise zu stabilisieren und Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen, einigte man sich deshalb darauf, den Handel mit einigen Rohstoffen durch Abkommen zu regulieren 118 • s. unten Kap. 3. Report of the Secretary-General (Fn. 112), S. 58!. 116 UNTS 81, 57; BGBL 1969, II, 1897, mit dem Protocol of Provisional Application vom 09. März 1964, UNTS 581, 76. Die Konvention wurde vom Vereinigten Königreich und Irland vorläufig angewendet, UNTS 581, 58. 117 Errichtet durch die UN Sugar Conference 1968, meeting at Geneva April 17 to June 1, and September 23 to October 24,1968, UNTS 654, 3; ersetzt durch das Internationale Zucker-Übereinkommen von 1973, abgedruckt in Schirmer / Meyer-Wöbse, Internationale Rohstoffabkommen, 1980, S. 716, welches seinerseits durch das Internationale Zucker-Übereinkommen von 1977, abgedruckt ebenda, S.735, ersetzt wurde. 118 Vgl. allgemein Tomuschat, International Commodity Agreements, in: Zweigert (Hrsg.), International Encyc10pedia of Comparative Law, 1981, Vol. XIII, chapt. 25. II, S. 47f.; Khan, The Law and Organisation of International Commodity Agreements, 1982, S. 83ff.; Jackson, Legal Problems of International Economic Relations: Cases, Materials and Text, 1977, S. 995ff. m.w.Nachw. 114

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11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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Es gibt einen Vielzahl von Möglichkeiten, ein Regulationssystem für einen bestimmten Rohstoff zu gestalten. So kann ein Rohstoffabkommen etwa ein System über Exportquoten, einen internationalen" buffer stock", der innerhalb bestimmter Preismargen arbeitet, ein System, nach dem Verbraucherländer bei einem bestimmten Minimumpreis spezifizierte Mengen eines Rohstoffs kaufen und Erzeugerländer bei einem bestimmten Maximumpreis eine bestimmte Menge verkaufen müssen, oder eine Kombination all dieser Systeme enthalten 119 • Rohstoffabkommen werden normalerweise für einen Zeitraum von drei oder fünf Jahren abgeschlossen. Danach werden sie entweder für einen bestimmten Zeitraum verlängert1 20 oder neu verhandelt und abgeschlossen 121 • Da die nationalen Parlamente der Vertrags staaten entweder der Verlängerung oder dem neuen Abkommen zustimmen müssen, besteht die Gefahr einer Unterbrechung der Funktionsfähigkeit des Systems zwischen der Zeit der Beendigung des alten Abkommens und dem Zeitpunkt, an dem seine Verlängerung oder das Nachfolgeabkommen in Kraft treten. Um diese Unterbrechung zu vermeiden, die den Markt für einen bestimmten Rohstoff destabilisieren kann, werden das Verlängerungsabkommen oder das nachfolgende Abkommen häufig vorläufig angewendet, bis die jeweiligen Legislativen ihnen zugestimmt oder sie abgelehnt haben. Ein relativ typisches Beispiel für diese Gruppe von Verträgen bilden das Internationale Zucker-Übereinkommen von 1968 und seine Nachfolgeabkommen von 1973 und 1977. Viele andere Rohstoffabkommen funktionieren ähnlich 122 • Die Internationale Zuckerorganisation wurde als Nachfolger des Internationalen Zuckerrates gegründet, der durch das Internationale Zukker-Übereinkommen von 1958 123 ins Leben gerufen worden war, um die Bestimmung des Übereinkommens durchzuführen und sein Funktionieren zu überwachen. Während der Zeit der vorläufigen Anwendung des Übereinkommens war die Internationale Zuckerorganisation befugt, den gesamten 119 Jackson (Fn.118), S. 999; ausführlich auch Tomuschat (Fn.118), S. 56 - 64; Khan (Fn.118), S.157ff. 120 Vgl. z.B. die 3. Verlängerung des Internationalen Weizen-Abkommens von 1971, 17. März 1976, 29 UST 1715, TIAS No. 7144; BGBl. 1976, II, 1912; dazu Tomuschat (Fn.118), S. 67; Khan (Fn.118), S. 347f. 121 Vgl. z.B. das 5. Internationale Zinn-Übereinkommen vom 21. Juni 1975, 28 UST 4619, TIAS No. 8607; BGBl. 1976, II, 1581, das durch das 6. Internationale ZinnÜbereinkommen vom 06. Juli 1981, UN Doc. TD/TIN.6/14 (1981) ersetzt wurde. Dazu Tomuschat (Fn.118), S. 67; Khan (Fn.118), S. 349. 122 Vgl. das Internationale Kaffee-Übereinkomme):l von 1962, 14 UST 1911, TIAS No. 5505, UNTS 469, 169; Internationales Olivenöl-Ubereinkommen von 1956, durch ein eigenständiges Protokoll vorläufig angewendet, UNTS 336, 117 und UNTS 302, 121; 6. Internationales Zinn-Abkommen vom 06.Juli 1981, UN Doc. TD/TIN.6/14 (1981); Internationales Kakao-Übereinkommen von 1980, ABl. EG 1981 Nr. L 313/3, vorläufig angewendet durch Entsche~.dung I vom 30.Juni 1981, UNCTAD Doc. TD/ COCOA.6/8; Internationales Kaffee-Ubereinkommen 1976 vom 03.Dezember 1975, 28 UST 6400, TIAS No. 8683; BGBl. 1976, II, 1389. 123 UST 10, 189; TIAS No. 4389; UNTS 385, 137; BGBl. 1960, II, 1258.

Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

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Umfang ihrer Funktionen nach dem Übereinkommen auszuüben, einschließlich der Verwaltung eines Quotensystems und der Regulierung der Z uckerexporte 124 . Zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit während der Ubergangszeit enthielt das Übereinkommen verhältnismäßig detaillierte Vorschriften in den SchlußklauseIn seines Kapitels XVII. So sah Art. 62 grundsätzlich die vorläufige Anwendung des Übereinkommens vor, und Art. 63 spezifizierte den Zeitpunkt, ab dem das Übereinkommen angewendet werden sollte, nämlich dann, wenn sowohl Regierungen mit mindestens 60 % der Stimmen der Erzeugerländer und Regierungen mit mindestens 50% der Verbraucherländer ihre Ratifikations- oder Annahmedokumente oder ihre Zustimmung zur vorläufigen Anwendung hinterlegt hatten. Eine ähnliche Bestimmung findet sich auch in Art. 55 des 6. Internationalen Zinn-Übereinkommens 125 . Bei derartigen Übereinkommen steht der Wille der Vertragsparteien, sich schon vor der Ratifikation des Übereinkommens zu binden, außer Zweifel. Denn das gesamte Quotensystem sowie die Schutzmaßnahmen können überhaupt nur dann funktionieren, wenn die Parteien gebunden sind. Das gleiche gilt auch für die Fälle, in denen eine internationale Organisation, deren Aufgabe nicht in der Regulierung des Rohstoffhandels liegt, auf einer vorläufigen Basis ihre Arbeit aufnimmt. Ein Beispiel für einen solchen Fall ist die European Central Inland Transport Organisation (ECITO)126, die für einige Zeit auf einer vorläufigen Grundlage arbeitete 127 . ECITO war von Anfang an nicht als eine dauernde Einrichtung geplant, da Art. XIII des ECITO-Übereinkommens bestimmte, daß das Übereinkommen nur für zwei Jahre nach der Einstellung von Feindseligkeiten im 2. Weltkrieg in Kraft bleiben sollte. Es ist dennoch ein gutes Beispiel, weil ECITO aufgrund einer vorläufigen Anwendung des Gründungsvertrages schon alle im Vertrag vorgesehenen Befugnisse ausüben konnte und nicht nur als vorläufiges Organ mit beschränkten Befugnissen gegründet wurde. Nach diesem Überblick über die verschiedenen Kategorien vorläufig angewendeter Verträge kann als Ergebnis festgehalten werden, daß die zunächst als Arbeitshypothese vorgeschlagene vermittelnde Theorie auch mit der Staatenpraxis übereinstimmt. Die Staaten wenden viele Arten von Verträgen vorläufig an und betrachten die vorläufige Anwendung in der Regel als bindend. Bei allen vier untersuchten Vertragskategorien erweisen Vgl. Report of the Secretary-General (Fn.112), S. 607, 609. s. oben Fn. 116. 126 Errichtet durch das Draft Agreement concerning the Establishment of a European Central Inland Transport Organisation, welches ein Anhang zum Agreement concerning a Provisional Organisation for European Inland Transport vom 08. Mai 1945, 59 Stat. 1359, EAS No. 458 war. Gemäß Art. 1 des letztgenannten Vertrages wurde das Draft Agreement vorläufig angewendet. 127 Vgl. Report of the Secretary-General (Fn. 113), S. 614 - 15. 124

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11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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sich die oben unter Normzweck- und Vertrauensschutzaspekten angestellten theoretischen Überlegungen auch in der Praxis als tragfähig. Obwohl zugegeben werden muß, daß es einige Einzelfälle gibt, in denen eine Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages nichtbindenden Charakter haben kann, so bleiben diese doch Ausnahmen. Wenn man den Willen der vertragsschließenden Staaten und die Schlußbestimmungen der in Frage kommenden Verträge analysiert, unterfallen die meisten Verträge einer der vier untersuchten Kategorien, was jeweils einen relativ guten Schluß darauf zuläßt, ob und innerhalb welcher Grenzen eine Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages Bindungswirkung entfaltet oder nicht. cc) Ihre Übereinstimmung mit Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention Nachdem die Übereinstimmung der Arbeitshypothese mit der Staatenpraxis festgestellt werden konnte, muß nun untersucht werden, ob sie auch mit der Regelung des Art. 25 WVK übereinstimmt. Art. 25 WVK regelt in seinem ersten Absatz die Art und Weise des Abschlusses eines vorläufig angewendeten Vertrages. Er läßt den Parteien jedoch einen relativ großen Gestaltungsspielraum, wenn es heißt, daß ein Vertrag vorläufig angewendet wird, falls dies der Vertrag selbst vorsieht oder die vertragschließenden Staaten dies auf irgendeine andere Art und Weise vereinbart haben. Die hergebrachte Staatenpraxis, die vorläufige Anwendung entweder in den Schlußbestimmungen des Vertrages selbst oder in einem eigenständigen Instrument wie etwa einem Zusatzprotokoll zu vereinbaren, wird folglich von Art. 25 Abs.l WVK sanktioniert. Wie schon mehrfach ausgeführt, erklärt die zur Überprüfung gestellte Arbeitshypothese das Phänomen der vorläufigen Anwendung durch das Modell, daß es sich bei ihr in Wahrheit um zwei Vereinbarungen handelt, nämlich zunächst um den Hauptvertrag selbst und darüber hinaus um eine zusätzliche, im vereinfachten Vertragschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung, welche auf den Hauptvertrag verweist. Diese zusätzliche Vereinbarung bleibt in Kraft, bis der Hauptvertrag ratifiziert wird oder bis ein Vertragstaat notifiziert, daß er nicht Vertragspartei werden will. Dieses Modell stimmt mit Art. 25 Abs. 1 b WVK überein, nach dem ein Vertrag auch auf andere Art und Weise als durch Aufnahme einer Bestimmung über die vorläufige Anwendung in den Schlußklauseln, also etwa durch ein Zusatzprotokoll, vorläufig angewendet werden kann. Denn dieses eigenständige Instrument ist, unabhängig davon, ob es als Protokoll oder Vereinbarung oder sonstwie bezeichnet wird, genau die eigenständige, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung, die nach dem hier vorgeschlagenen Modell den Hauptvertrag begleitet.

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

Es bleibt jedoch die Frage, ob das Modell auch dann zutrifft, falls die vorläufige Anwendung in den Schlußklauseln eines Vertrages vorgesehen ist. Zunächst muß erwähnt werden, daß Art. 25 WVK keine Erklärung für die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung bereithält. Er zeigt nur die möglichen Arten der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung auf, wobei er allerdings den Staaten eine so große Gestaltungsfreiheit einräumt, daß praktisch jede Art der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung möglich bleibt. Die hier vorgeschlagene Hypothese, die die vorläufige Anwendung in zwei eigenständige Vereinbarungen unterscheidet, stellt diese Gestaltungsfreiheit nicht in Frage. Sie hat nämlich nichts mit der Art und Weise der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung zu tun, sondern betrifft ihre Rechtsnatur und rechtlichen Wirkungen. Es erscheint deshalb durchaus möglich, das Modell auch im Rahmen des Art. 25 WVK zu benutzen. Denn selbst wenn die vorläufige Anwendung in den Schlußklauseln eines Vertrages vorgesehen ist, ist es trotzdem noch denkbar, von zwei gesonderten Vereinbarungen zu sprechen, von denen eine im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossen wird und entweder sofort mit der Unterzeichnung oder zu einem bestimmten festgelegten Zeitpunkt in Kraft tritt. Auch die rechtlichen Wirkungen der im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen Vereinbarung über die vorläufige Anwendung können unter Art. 35 WVK subsumiert werden. Art. 25 WVK gibt zwar zunächst keine Auskunft darüber, ob die vorläufige Anwendung Bindungswirkung entfaltet oder nicht. Aber schon der Kommentar zur ILC Final Draft brachte die Auffassung zum Ausdruck, daß es keinen Zweifel darüber geben könne, daß Klauseln über die vorläufige Anwendung rechtliche Wirkungen haben und den Vertrag auf einer vorläufigen Basis in Kraft setzen l28 . Diese Auffassung scheint auch von den meisten der an der Wiener Vertragsrechtskonferenz teilnehmenden Staaten geteilt worden zu sein l29 • Das hier vorgeschlagene Modell schreibt der im einfachen Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen Vereinbarung, die die vorl&ufige Anwendung des Hauptvertrages begründet, grundsätzlich bindenden Charakter zu, was mithin mit der AufCommentary zu Art. 22 ILC Final Draft, YbILC 1976, Vol. 11, S. 210. s. oben Kap. 211 2a und Fn. 51; vgl. ebenfalls Memorandum von Bevans, Assistant Legal Adviser for Treaty Affairs in the Department of State, in wesentlichen Teilen abgedruckt in Digest of U.S. Practice in International Law 1974, S. 235. Hinsichtlich der vorläufigen Anwendung der Nahrungsmittelhilfekonvention von 1971, 22 UST 971, TIAS No. 7133, schrieb Bevans, S. 235, daß "it is very difficult, if not impossible, to perceive any deposit of a declaration of provisional application as being limited to 'moral implications'. There does not appear to be any basis for such an interpretation either in the provisions of the Convention itself or in generally recognized treaty law and practice." Nach einer Untersuchung von Art. 25 WVK und Art. X der Nahrungsmittelhilfekonvention kam Bevans, aaO, S. 236, zu dem Schluß, daß "it appears that under the provisions of the Food Aid Convention, 1971, both the European Economic Community and governments which deposited declarations of provisional application are on the same level as to rights and obligations as governments which deposit instruments of ratification or accession ... " 128

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11. Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung

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fassung der Väter des Art. 25 WVK übereinstimmt. Nur in Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn die Parteien des Hauptvertrages die Bindungswirkungen der vorläufigen Anwendung ausdrücklich einschränken, kann die im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung über die vorläufige Anwendung ganz oder teilweise als nicht bindend betrachtet werden. dd) Ergebnis Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, daß die Überprüfung der als Arbeitshypothese verwendeten vermittelnden Theorie in allen drei Schritten - dogmatische Vorzüge, Übereinstimmung mit der Staatenpraxis und Übereinstimmung mit Art. 25 WVK - zu einem positiven Ergebnis geführt hat. Zunächst konnte gezeigt werden, daß die Theorie, die in der Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages, unabhängig davon, ob es sich um ein eigenständiges Instrument oder eine Bestimmung in den Schlußklauseln des Hauptvertrages handelt, eine selbständige im vereinfachten Vertragschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung sieht, zum besseren Verständnis des Phänomens der vorläufigen Anwendung beiträgt. Denn es ist gedanklich weniger schwierig, sich mit einer im vereinfachten Vertragschlußverfahren abgeschlossenen Vereinbarung auseinanderzusetzen, welche als völkerrechtlicher Vertragstypus in den letzten Jahren weite Anerkennung erfahren hat, als mit dem fast paradoxen Fall eines Vertrages, der noch nicht in Kraft getreten ist, dessen Bestimmungen aber schon angewendet werden. Auch die Frage der Bindungswirkung kann mit Hilfe dieser Theorie gelöst werden. Denn genau wie jede andere im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung löst auch die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung völkerrechtliche Bindungen aus. Dieses Ergebnis stimmt insbesondere mit dem Willen der Vertragsparteien überein, die sich, wie gezeigt, im Regelfall bei der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages binden wollen. Ebenso konnten Vertrauensschutzaspekte für die Begründung der Bindungswirkung herangezogen werden, da sich die an einer vorläufigen Anwendung partizipierenden Staaten darauf verlassen können müssen, daß ihre Partner sich ebenso wie sie selber an die vorläufig angewendeten Regeln gebunden fühlen. Auch die Staatenpraxis selbst bestätigt die bindende Wirkung der vorläufigen Anwendung. Die meisten vorläufig angewendeten Verträge können nämlich ihren Zweck überhaupt nur erfüllen, wenn sie bindende Verpflichtungen enthalten. Das herausragendste vorläufig angewendete Abkommen, an dessen Rechtsverbindlichkeit kein Zweifel besteht, ist das GATT. Ferner wird diese Bindungswirkung insbesondere deutlich bei den in großer Zahl vorläufig angewendeten Rohstoffabkommen, die z.B. Export- und Import-

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

quoten festlegen oder einen "buffer stock" begründen. Das Funktionieren dieser Abkommen erscheint ohne bindende rechtliche Verpflichtungen nicht denkbar. Schließlich steht die vermittelnde Theorie auch mit Art. 25 WVK in Übereinklang. Dies gilt sowohl insoweit, als die Theorie von der Vereinbarung über die vorläufige Anwendung als einer eigenständigen, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen Vereinbarung betroffen ist, als auch insoweit als die vermittelnde Theorie dieser Vereinbarung Bindungswirkung beimißt. Denn auf der einen Seite sanktioniert Art. 25 WVK ausdrücklich jegliche Form der Ver~inbarung der vorläufigen Anwendung, und auf der anderen Seite enthält er sich einer Aussage über die Bindungswirkung der Vereinbarung. Wie gezeigt wurde, gingen aber sowohl die ILC als auch die Staatenvertreter auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz davon aus, daß die vorläufige Anwendung rechtliche Wirkungen hat und den Hauptvertrag auf einer vorläufigen Basis in Kraft setzt. Die zunächst als Arbeitshypothese untersuchte Theorie kann mithin als bewiesen gelten. Ihr Modell der vorläufigen Anwendung eines Vertrages als einer eigenständigen, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen, bindenden Vereinbarung soll deshalb im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Grundlage der Überprüfung der Wirkung der vorläufigen Anwendung sowohl im Völkerrecht als auch im innerstaatlichen Recht genommen werden.

m.

Die rechtlichen Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

Nachdem ein passendes Erklärungsmodell für die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung gefunden wurde, ist es nun möglich, die übrigen rechtlichen Aspekte der vorläufigen Anwendung, etwa ihr Verhältnis zum Ratifikationserfordernis, zu anderen Verträgen über dieselbe Materie und zur Meistbegünstigungsklausel zu prüfen. Ferner müssen die Möglichkeiten von Sanktionen im Falle des Bruchs eines vorläufig angewendeten Vertrages sowie das Estoppel-Prinzip und Art. 46 WVK für den Fall einer verfassungswidrigen vorläufigen Anwendung untersucht werden. 1. Vorläufige Anwendung und Ratifikationserfordernis

Zunächst stellt sich die Frage, ob ein Staat, der einen Vertrag vorläufig anwendet, sich dadurch verpflichtet, den Vertrag zu ratifizieren oder ihn zumindest seiner Legislative zur Zustimmung vorzulegen. Ferner sind die Auswirkungen der Gutglaubensverpflichtung des Art. 18 WVK auf vorläufig angewendete Verträge zu berücksichtigen.

III. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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a) Verpflichtung zur Ratifikation Der Ausgangspunkt der Erörterung der Frage, ob ein Staat verpflichtet ist, einen Vertrag zu ratifizieren, sind die Grundsätze über die Verpflichtungen der Vertragsparteien, die sich aus einem unterzeichneten, aber noch nicht ratifizierten Vertrag ergeben 130 . Diese Verpflichtungen haben sich jedoch mit der Veränderung der Strukturen der nationalen Verfassungen gewandelt. Während es im 17. Jahrhundert noch eine Ratifikationsverpflichtung gab, bei der als einzige Ausnahme die Überschreitung der Vertretungsmacht durch den Abgesandten des Monarchen anerkannt wurde 131 , veränderte sich die Funktion der Ratifikation mit der Entwicklung moderner Demokratien zunächst in den Vereinigten Staaten und dann in Europa. Heute dient die Ratifikation von Verträgen vor allem auch dazu, den staatlichen Legislativen die Möglichkeit zu geben, die von ihren Regierungen eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu überprüfen und so die völkerrechtlichen Beziehungen zu demokratisieren. Deshalb muß eine Vertragsbestimmung, die die Ratifikation des Vertrages vorsieht, als echter Vorbehalt gewertet werden, der das Recht zur Verweigerung der Ratifikation einschließt 132 . Obwohl in der älteren Lehre einige Autoren davon ausgingen, daß die Ratifikation nur aus schwerwiegenden Gründen verweigert werden kann 133 , führten sie eine derartige Vielzahl von schwerwiegenden Gründen an, daß in der Praxis auch diese Theorie einem uneingeschränkten Recht zur Ratifikationsverweigerung gleichkommt. Darüber hinaus findet sie in der Staatenpraxis ohnehin keine Stütze 134 • Dieses Ergebnis steht auch in Übereinstimmung mit den Travaux Preparatoires der Wiener Vertragsrechtskonvention. Obwohl die Konvention selbst keine Bestimmung enthält, die die Ratifikation in das Ermessen der Staaten stellt, war eine derartige Bestimmung zumindest in zwei Entwürfen für den jetzigen Art. 18 WVK enthalten 135 . Diese wurde jedoch später gestri130 Vgl. KrenzIer (Fn. 31), S. 70; s. ebenfalls Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, ZaöRV 18 (1957/58), 653; Lettow, Die völkerrechtliche Bindung nicht ratifizierter Verträge, Diss. Bonn 1955, S. 96; Morvay, The Obligation of aState not to Frustate the Object of a Treaty Prior to its Entry into Force, ZaöRV 27 (1967), 45l. 131 s. oben Kap. 1 I 2. 132 KrenzIer (Fn. 31), S. 7l. 133 s. z.B. Hall (Fn. 26), S. 386; Harley, The Obligation to Ratify Treaties, AJIL 13 (1919), 389, 405. 134 So auch KrenzIer (Fn. 31), S. 73; Bernhardt (Fn.130), S. 660. 135 Art. 5 Abs. 2 und 10 Abs. 4 (a) des First Report on the Law of Treaties von Special Rapporteur Waldock, YbILC 1962, Vol. II,S. 39,48. Art. 5 Abs. 2 lautet: "The participation of aState in the adoption of a text of a treaty, whether in negotiation or at an international conference, shall not place it under any obligation to proceed afterwards to sign, ratify, acceed to or accept the said treaty." Art. 10 Abs. 4 (a) lautet: "Whenever a State's signature of a treaty is subject to ratification in accordance with the provisions of the preceding paragraphs of this article, the ratification of the treaty

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

chen, da sie als selbstverständlich angesehen wurde. Deshalb steht heute wohl fest, daß im gegenwärtigen Völkerrecht keine Verpflichtung der Staaten existiert, einen abgeschlossenen und unterzeichneten Vertrag, der eine Ratifikation vorsieht, auch zu ratifizieren 136 • Allerdings bleibt die Frage zu klären, ob diese Regel für den Fall der vorläufigen Anwendung eines Vertrages modifiziert werden muß, weil hier die Verbindung zwischen den vertragschließenden Parteien sehr viel stärker ist als im Falle eines normalen, noch nicht ratifizierten Vertrages 137 • Man könnte nämlich argumentieren, daß in einem solchen Fall die Verweigerung der Ratifikation möglicherweise nach Jahren der vorläufigen Anwendung des Abkommens, Spannungen zwischen den vertragschließenden Staaten schaffen würde. Diese Spannungen könnten etwa daher rühren, daß z.B. eine Partei erhebliche Kosten auf sich genommen hat, um die Bestimmungen des Vertrages durchzuführen, und diese umsonst waren, falls die andere Partei die Ratifikation schließlich verweigert. Andererseits ist schwer ersichtlich, welchen Zweck das Ratifikationserfordernis überhaupt noch haben sollte, falls nicht den, die endgültige Entscheidung, Vertragspartei zu werden, offenzuhalten. Ferner dürften sich die verfassungsrechtlichen Probleme, die mit einem vorläufig angewendeten Vertrag entstehen, noch verschärfen, falls die Legislative überhaupt keine Wahl mehr hätte. Das demokratische Prinzip hinsichtlich der Führung der auswärtigen Angelegenheiten würde mithin in Frage gestellt, falls die Regierungen im Wege der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages die Legislativen dazu verpflichten könnten, diesem Vertrag auch zuzustimmen. Obwohl die Furcht, daß die Vertrauensbasis zwischen den Parteien im Falle einer willkürlichen Verweigerung der Ratifikation stark erschüttert werden kann, nicht von der Hand zu weisen ist, liegen diese Furcht und ihre Auswirkungen wohl mehr in der politischen Sphäre. Aus rechtlicher Sicht bleibt die Ratifikation eines vorläufig angewendeten Vertrages vollkommen im Ermessen der Vertragsparteien 138 • Dieses Ergebnis wird auch von Art. 25 Abs. 2 WVK gestützt, der die Beendigung der vorläufigen Anwendung durch die bloße Notifizierung des Willens eines Staates, nicht Vertragspartei zu werden, zuläßt. Denn Art. 25 Abs. 2 WVK setzt den Ermessenscharakter der Ratifikation voraus. shall be at the discretion of the State concerned, unless it has expressly undertaken to ratify the treaty." 136 Im Ergebnis ebenso Picone (Fn.30), S. 92; Jones (Fn. 32), S.93; Krenzler (Fn. 31), S. 73; Cahier, L'obligation de ne pas priver un traite de son objet et de son but avant son entree en vigueur, in: Melanges Fernand Dehousse, Vol. I, Les progres du droit des gens, 1979, S. 31. 137 Vgl. zu diesen Ausführungen Krenzler (Fn. 31), S. 73 - 75; vgl. ebenfalls Holloway, Modern Trends in Treaty Law, 1967, S. 79, nach dem sich die Regierungen in der Tat verpflichten, Ratifikation oder Zustimmung sicherzustellen. 138 s. ebenfalls Krenzler (Fn. 31), S. 75; Picone (Fn. 30), S. 92.

III. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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b) Verpflichtung der RegierUng, einen Vertrag der Legislative zur Zustimmung vorzulegen Falls ein Staat nicht verpflichtet ist, einen vorläufig angewendeten Vertrag zu ratifizieren, sei, so könnte man argumentieren, die Regierung, die der vorläufigen Anwendung zugestimmt hat, zumindest verpflichtet, den Vertrag der Legislative vorzulegen, um deren Zustimmung zur Ratifikation zu erhalten. Es muß folglich wiederum untersucht werden, ob eine derartige Verpflichtung im Völkerrecht für unterzeichnete, aber noch nicht ratifizierte Verträge besteht l39 . Das Ergebnis einer solchen Völkerrechtsregel würde letztlich sein, daß eine Regierung nach der Aushandlung eines Vertrages nicht mehr frei wäre in ihrer Entscheidung, ob sie den Vertrag dem Parlament zur Zustimmung unterbreitet. Diese Auffassung wurde von Special Rapporteur Lauterpacht in seinem Art. 5 Abs. 2 a)l40 und von Special Rapporteur Fitzmaurice in seinem Art. 30 Abs.1 b)Ul vertreten. Beide begründen diese Regelung damit, daß die Ansicht, die die Entscheidung über die Ratifikation völlig ins Belieben der Staaten stellt, zu unflexibel seil 42 . Ihrer Meinung nach muß nämlich verhindert werden, daß ein Staat gewohnheitsmäßig und ohne gute Gründe unterzeichnete Verträge nicht ratifiziert. Dem könne nur dadurch abgeholfen werden, daß das Gutglaubenserfordernis impliziere, daß die Unterschrift gleichzeitig die Verpflichtung enthalte, dafür Sorge zu tragen, daß der unterzeichnete Vertrag von den zuständigen Verfassungsorganen im Hinblick auf eine Bestätigung der Unterzeichnung geprüft wird. Deshalb solle eine Regierung einen Vertrag nicht unterzeichnen und sich hernach so verhalten dürfen, als habe sie mit diesem Vertrag nie etwas zu tun gehabt. Ein Anwendungsfall dieser Regel finde sich auch in Art. 19 Abs. 5 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in der Fassung von 1946 143 , der den Regierungen die Verpflichtung auferlegt, Konventionen der Konferenz den verfassungsmäßigen Organen zur Zustimmung vorzulegen.

Vgl. zum folgenden Abschnitt Krenzler (Fn. 31), S. 76 - 80. YbILC 1953, Vol. 11, S.108. Art. 5 Abs. 2 lautet in seinen relevanten Teilen: "2 .... the signature ... has no binding effect, except that it implies the obligation, to be fulfilled in good faith: (a) To submit the instrument to the proper constitutional authorities for examination with the view to ratification or rejection; ... ". 141 YbILC 1956, Vol. 11, S.133. Art. 30 Abs.1 lautet in seinen relevanten Teilen: "1. ... However, the signature: ... (b) May, in appropriate circumstances, imply that, subject to subsequent consideration, the government of the signatory State will, in the absence of any change in conditions or other unforeseen event, be willing to proceed to ratification or acceptance in due course, or to seek it from, or recommend it to, the competent constitutional organs; ... ". 142 Lauterpacht, YbILC 1953, Vol. 11, S. 108 - 110. Diese Begründung wird von Fitzmaurice aufgegriffen, YbILC 1956, Vol. 11, S.122. 143 62 Stat. 3485, TIAS No. 1868; UNTS 15, 40. 139 140

5 Montag

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

Allerdings gibt es selbst nach der Ansicht der beiden Special Rapporteurs Ausnahmen zu dieser Regel. So findet sich in Fitzmaurice's Art. 30 Abs.l b), daß die genannte Regel nur in den "appropriate circumstances" und "in the absence of any change of conditions or other unforeseen event"144 Anwendung finden soll. Lauterpacht wiederum nennt sie eine unfertige Verpflichtung ("imperfect obligation"), die von der betroffenen Regierung unter Einbeziehung aller Umstände erfüllt werden müsse 145 . Diese Einschränkungen im Hinblick auf die Gesamtumstände oder die Abwesenheit von Veränderungen oder unvorhergesehenen Ereignissen sind aber so weit, daß eine Regierung ohne besondere Schwierigkeiten argumentieren könnte, ihre Entscheidung, einen bestimmten Vertrag dem Parlament nicht zur Zustimmung vorzulegen, werde durch sie gedeckt. Die propagierte Regel wird mithin so stark verwässert, daß sie letztlich keine tatsächliche Bedeutung mehr hat 146 . Auch die Staatenpraxis gibt keinerlei Hinweis auf die Existenz einer derartigen Rechtsregel. Regierungen haben es immer als in ihrem Ennessen stehend betrachtet, ob sie bestimmte Verträge ihren Legislativen zur Zustimmung vorlegen oder nicht. Der Grund für eine solche liberale Interpretation der Verpflichtungen eines Staates vor der Ratifikation eines Vertrages ist, daß sowohl die Regierung als auch der Staat selbst eine Wahlmöglichkeit dahingehend behalten sollten, ob sie eine Verpflichtung auf sich nehmen. Dies trifft auch auf vorläufig angewendete Verträge zu, obwohl hier die Verbindung zwischen den vertragschließenden Parteien sehr viel enger ist als im Falle eines gewöhnlichen Vertrages, der nach der Unterzeichnung ratifiziert werden muß. Nach der Ansicht Krenzlers 147 zeigt sich dies etwa bei einem Regierungswechsel, der beispielsweise darauf zurückzuführen ist, daß die neue Regierung sich entschieden gegen einen bestimmten Vertrag ausgesprochen hatte. In einem solchen Falle sei es absurd anzunehmen, daß diese Regierung verpflichtet sein sollte, den Vertrag, dem sie unter keinen Umständen zustimmen will, der Legislative zur Zustimmung vorzulegen. Dieses Argument kann aber nicht völlig überzeugen, denn grundsätzlich ist ein Regierungswechsel für das Völkerrecht ohne Bedeutung. Andererseits ist das geschilderte Beispiel möglicherweise einer der Gründe dafür, daß sich in der Staatenpraxis keinerlei Anhaltspunkte für eine Vorlagepflicht bei vorläufig angewendeten Verträgen finden lassen. Der einzige Fall, in dem die Verpflichtung einer Regierung, einen Vertrag der Legislative oder einem anderen zuständigen Verfassungsorgan zur Zustimmung vorzulegen, bejaht werden kann, liegt vor, wenn die vertragschließenden Parteien dies ausdrücklich in den SchlußklauseIn des Vertrages oder in einem besonderen 144

145 146 147

s. oben Fn.141. YbILC 1953, Vol. TI, S. 109. So ebenfalls Krenzier (Fn. 31), S. 77. Ebenda, S. 79.

Irr. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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Instrument vereinbart haben 148 . Dieses Ergebnis wird auch von der Wiener Vertragsrechtskonvention bestätigt, in der die von Lauterpacht oder Fitzmaurice vorgeschlagenen Bestimmungen keinen Niederschlag gefunden haben. c) Die Gutglaubensverpflichtung des Art. 18 der Wiener Vertragsrechtskonvention

Obwohl die Regierungen frei sind in ihrer Entscheidung, einen vorläufig angewendeten Vertrag den Parlamenten zur Zustimmung zu unterbreiten, und auch die Legislative in ihrer Entscheidung keinerlei Einschränkung unterworfen ist, gibt es gleichwohl Rechtsätze für das Verhalten von vertragschließenden Parteien vor dem endgültigen Inkrafttreten eines unterzeichneten Vertrages. Diese sind nunmehr in Art. 18 WVK kodifiziert und verpflichten die Staaten, keine Handlungen vorzunehmen, die Sinn und Zweck eines Vertrages zuwiderlaufen. Bei nicht vorläufig angewendeten Verträgen richtet sich diese allgemein anerkannte Gutglaubensverpflichtung an alle Organe der vertragschließenden Staaten149 . Wenn man einmal die Meinung außer acht läßt, daß auch ein vorläufig angewendeter Vertrag in seiner Gesamtheit nur den Regeln dieser Gutglaubensverpflichtung unterliegt150, muß Art. 18 WVK für vorläufig angewendete Verträge spezifiziert werden, da die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages grundsätzlich bindend ist. Deshalb muß ein Staat und insbesondere seinen Regierung die Bestimmungen des Vertrages ausführen und ist nicht nur verpflichtet, Ziel und Zweck des Vertrages nicht zuwiderzuhandeln. In diesem Zusammenhang entsteht die Frage, ob sich die Legislative eines Staates im Hinblick auf den vorläufig angewendeten Vertrag zurückhalten muß, wenn sie das innerstaatliche Recht ändert. Dieses Problem tauchte z. B. in Verbindung mit dem GATT auf, das nur vorläufig angewendet wird und ein internationales Zoll- und Handelsregime errichtet hat. Nach § 1 des Pro148 Vgl. z.B. Art. 31a der Europäischen Zahlungsunion vom 19. September 1950, BGBL 1951, 11, 32. 149 Vgl. Case Concerning Certain German Interests in Polish Upper Silesia (Deutsches Reich ./. Polen), 25. Mai 1926, PCIJ Rep., Series A, No. 7, S. 29 ff. Vgl. ebenfalls die Entstehungsgeschichte von Art. 18 WVK und vor allem Art. 5 Abs. 3, 9 Abs. 2c und 12 Abs. 3b des First Report on the Law of Treaties von Special Rapporteur Waldock, YbILC 1962, Vol. 11, S. 34, 46, 53; Art. 17 ILC Draft 1962, YbILC 1962, Vol. 11, S.175; Art. 17 Comments by Governments und Observations and Proposals by the Special Rapporteur, Fourth Report on the Law of Treaties of Special Rapporteur Waldock, YbILC 1965, Vol. 11, S. 43 - 45; Commentary zu Art. 15 I.L.C. Final Draft, YbILC 1966, Vol. 11, S. 202; sehr kritisch aber neuerdings Cahier (Fn.136), S. 36ff., der Art. 18 WVK für überflüssig hält; ausführlich auch Morvay (Fn.130), 451ff. 150 Jagota (Indien), 11th Plenary Meeting of the Vienna Conference on the Law of Treaties, O.R. 1969,41.

5'

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

tokolls über die vorläufige Anwendung l51 stimmen die vertragschließenden Parteien darin überein, Teil II des GATT in vollem Umfang anzuwenden, insofern er mit dem zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Protokolls bestehenden innerstaatlichen Recht übereinstimmt. Das wirft die Frage auf, ob die Regel des Art. 18 WVK die Parlamente der Vertragsparteien des GATT verpflichtet, das bestehende Recht in Zukunft nicht mehr zu verändern, und sei es auch nur, um es mit dem GATT zu harmonisieren. Hinter dieser Frage steht letztlich das Problem, inwieweit die Legislative an von der Exekutive eingegangene Verpflichtungen gebunden ist1 52 • Art. 18 verpflichtet die Vertragsparteien eines Übereinkommens, Ziel und Zweck der Vereinbarung, die ja noch nicht ausgeführt wird, nicht zuwiderzuhandeln. Dies bedeutet aber wohl nur, daß von den Staatsorganen ein solches Verhalten erwartet wird, das die spätere Durchführung des ratifizierten Vertrages nicht unmöglich werden läßt. Man könnte nun argumentieren, daß daraus a fortiori folge, daß im Falle eines vorläufig angewendeten Vertrages, der ja rechtliche Bindungswirkung entfaltet, die Legislative die Durchführung des Vertrages nicht verhindern darf. Falls dies aber so wäre, dann wäre es auch möglich, daß die Exekutive für die Legislative ein fait accompli schaffen könnte, obwohl sich ~ie Legislative beispielsweise offen gegen den Vertrag ausgesprochen hat. Deshalb kann die Gutglaubensverpflichtung des Art. 18 WVK keine direkte Anwendung auf die Parlamente im Falle eines vorläufig angewendeten Vertrages finden i53 . Da die vorläufige Anwendung die Erscheinungsform einer im vereinfachten Vertragschlußverfahren abgeschlossenen Vereinbarung hat, begründet sie eine sehr viel· stärkere Verpflichtung für die Vertragsparteien als Art. 18 WVK. Folglich löst jede Handlung der Legislative oder eines anderen Organs eines Vertragstaates, die gegen die Bestimmungen des vorläufig angewendeten Vertrages verstößt, die internationale Verantwortlichkeit dieses Staates aus, da es sich um den Bruch einer bindenden Vereinbarung handelt. Auf die möglichen Sanktionen wird noch näher einzugehen sein. 2. Die Beziehung zwischen einem vorläufig angewendeten Vertrag und einem vorangegangenen Vertrag über dieselbe Materie

Ein anderes diskussionswürdiges Problem ist die Beziehung zwischen einem vorläufig angewendeten Vertrag und einem vorhergehenden Vertrag über dieselbe Materie. Diese Beziehung kann bei verfassungsrechtlicher Erörterung der vorläufigen Anwendung insofern von Bedeutung sein, als 151 61 Stat. pt. 5, A 3; TIAS No. 1700; UNTS 55, 308; BGBl. 1951,11,173; zur Frage, ob das GATT auch heute noch vorläufig angewendet wird, s. oben Kap. 1 I l. 152 Dazu auch KrenzIer (Fn. 31), S. 65 - 69. 153 Im Ergebnis ebenso Cahier (Fn.136), S. 31; KrenzIer (Fn. 31), S. 69 zur Rechtslage vor der WVK.

III. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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sich die Frage stellt, ob ein vorläufig angewendeter Vertrag einen vorher.;. gehenden Vertrag über dieselbe Materie, dem das Parlament etwa durch Gesetz zugestimmt hat, ersetzen kann. Für normal abgeschlossene Verträge, also für solche, die endgültig in Kraft getreten sind, wird diese Beziehung heute durch Art. 30 WVK geregelt1 54 . Art. 30 WVK sieht vor, daß Art. 103 der Charta der Vereinten Nationen, nach dem die Charta allen vorhergehenden oder später abgeschlossenen Verträgen vorgeht, nicht abbedungen werden kann. Darüber hinaus gewährt er den Vertragsparteien die Freiheit, in einem abgeschlossenen Vertrag zu vereinbaren, in welcher Beziehung dieser zu vorhergehenden oder späteren Verträgen stehen SOll155. Falls die Parteien keine Vereinbarung über diese Beziehung getroffen und falls sie einen vorhergehenden Vertrag nicht ausdrücklich beendet haben, sollen gemäß Art. 30 Abs. 3 WVK die Bestimmungen des vorhergehenden Vertrages nur in dem Umfang Anwendung finden, als sie mit denen des späteren Vertrages übereinstimmen. Es handelt sich hierbei letztlich um eine Wiederholung der schon aus dem innerstaatlichen Recht bekannten Regel des "lex posterior derogat legi priori". Diese Regel findet auch in dem Fall Anwendung, in dem nicht alle Parteien des späteren Vertrages auch Parteien des früheren Vertrages sind, aber nur im Hinblick auf die Staaten, die Partei beider Verträge sind. Hinsichtlich der Beziehung einer Vertragspartei beider Verträge und eines Staates, der nur Partei eines Vertrages ist, findet der Vertrag, bei dem beide Vertragsparteien sind, Anwendung l56 • Wenn man Art. 30 Abs. 4 WVK und Art. 59 WVK gemeinsam betrachtet, so kommt man zu dem Ergebnis, daß ein später abgeschlossener Vertrag regelmäßig einen vorangehenden Vertrag über dieselbe Materie zwischen denselben Parteien beendet, es sei denn, etwas anderes ist ausdrücklich vereinbart. Es fragt sich allerdings, ob diese Regel auch für vorläufig angewendete Verträge gilt. Denn die vorläufige Anwendung kann ohne Schwierigkeit beendet werden, so daß ein Vertrag möglicherweise nie endgültig in Kraft tritt. Falls der vorläufig angewendete Vertrag auch einen vorhergehenden Vertrag über denselben Gegenstand beenden würde, könnte eine Situation entstehen, in der ein Vertrag nur für eine kurze Zeitspanne vorläufig angewendet wird, in dieser Zeit der vorhergehende Vertrag beendet ist, dann die vorläufige Anwendung gemäß Art. 25 Abs. 2 WVK gekündigt wird und die Parteien der seltsamen Situation gegenüberstehen, daß es nun überhaupt keinen Vertrag gibt, der ihre Beziehungen hinsichtlich einer bestimmten 154 Dazu Commentary zu Art. 26 ILC Final Draft, YbILC 1966, Vol. II, S. 214; Elias, The Modern Law of Treaties, 1974, S. 54 - 58. Vgl. ebenfalls im Hinblick auf UNCL08 III, Rosenne, Reflections on the Final Clauses in the New Law of the 8ea Treaty, VAJIL 18 (1977/78), 8.133, 137 - 39. 155 Art. 30 Abs. 2 WVK. 156 Art. 30 Abs. 4 b.

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

Materie regelt. Es scheint deshalb, daß die Regel des Art. 30 WVK modifiziert werden muß, um auch auf vorläufig angewendete Verträge Anwendung zu finden, welche nicht in Art. 30 WVK ausdrücklich erwähnt werden. Ein Blick auf die Staatenpraxis zeigt allerdings, daß zum Teil vorläufig angewendete Verträge ihre Beziehungen zu vorhergehenden Verträgen über dieselbe Materie ausdrücklich regeln 157 , so daß das Problem nicht entsteht. Andere Verträge wie z. B. Rohstoffabkommen 158 werden in der Regel nur für eine bestimmte Zeitspanne abgeschlossen, beispielsweise für fünf oder zehn Jahre, so daß ein nachfolgender Vertrag, der vorläufig angewendet wird, das aus der Beendigung des vorhergehenden Abkommens herrührende Vakuum ausfüllt. In einigen Fällen, in denen diese Beziehung in den Schlußklauseln spezifiziert ist, wird das vorhergehende Abkommen durch den vorläufig angewendeten Vertrag unausführbar ("inoperative")159 oder ersetzt das vorhergehende Abkommen vorläufig 160 . Der vorhergehende Vertrag wird dann nur nach dem endgültigen Inkrafttreten des neuen Abkommens beendet. Es gibt allerdings seltene Fälle: in denen vorläufig angewendete Verträge vorangehende Verträge endgültig beenden 161 . Nichtsdestoweniger zeigt diese Staatenpraxis, daß normalerweise ein vorläufig angewendeter Vertrag einen vorhergehenden Vertrag über denselben Gegenstand nicht beendet, bis er endgültig in Kraft tritt. In der Zwischenzeit suspendiert er den früheren Vertrag vorläufig 162 . Das Ergebnis stimmt mit Art. 59 Abs. 2 WVK überein, nach dem ein früherer Vertrag nur dann durch einen späteren suspendiert wird, falls sich dies aus dem späteren Vertrag ergibt. Diese Auslegung gibt den Parteien auch die größtmögliche Sicherheit, zumal bei der Beendigung der vorläufigen Anwendung die Bestimmungen des früheren Vertrages wiederaufleben und erneut zur Anwendung kommen. Folglich müssen die Vertragsparteien eines vorläufig angewendeten Vertrages nicht fürchten, daß die oben beschriebene Situation, in der keinerlei Verpflichtungen bestehen, auftreten kann.

157 z. B. Art. XVIII Abs. 3 des Agreement Respecting Reciprocal Trade vom 17. November 1938, Vereinigte Staaten-Kanada, 53 Stat. 2348 (1939); Art. 17 des Luftverkehrsabkommens vom 05. Mai 1964, Vereinigte Staaten-Vereinigte Arabische Republik, 15 UST 2202, TIAS No. 5706; Art. 16 des Luftverkehrsabkommens vom 24. Oktober 1956, Vereinigte Staaten-Kolumbien, 14 UST 429, TIAS No. 5338. 158 Vgl. etwa Internationales Weizen-Übereinkommen 1971; 4. Änderung und Verlängerungvom 26.l\priI1978, 30 UST 4287, TIAS No. 9459; BGBL 1979, II, 276; Internationales Zucker-Ubereinkommen 1977 vom 07. Oktober 1977, TIAS No. 9664. 159 z.B. Art. XVIII Abs. 3 des Agreement Respecting Reciprocal Trade, Vereinigte Staaten-Kanada (Fn. 157). 160 z. B. Art. 17 des Luftverkehrsabkommens, Vereinigte Staaten-Vereinigte Arabische Republik (Fn. 157). 161 So etwa Art. 16 des Luftverkehrsabkommens, Vereinigte Staaten-Kolumbien (Fn.157). 162 Ebenso Picone (Fn. 30), S. 213.

III. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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3. Die Meistbegünstigungsklausel

Wenn ein Staat einem anderen Staat den Status eines meistbegünstigten Landes zugesteht, kann letzterer verlangen, daß ersterer ihn genauso behandelt wie den meistbegünstigten dritten Staat1 63 . Diese Verpflichtung folgt allerdings nicht aus dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, sondern muß ausdrücklich in einem Vertrag vereinbart werden l63a . Folglich stellt sich die Frage, ob die Meistbegünstigungsklausel auch im Falle vorläufig angewendeter Verträge Anwendung findet. Man könnte argumentieren, da der Vertrag nur vorläufig angewendet werde, könne auch die Meistbegünstigungsklausel keine Anwendung finden, weil der Meistbegünstigungsstatus kein vorläufiger, sondern ein endgültiger sei. Falls man allerdings die Vielzahl der vorläufig angewendeten Wirtschaftsabkommen in Betracht zieht, ist es fast schon ein praktisches Erfordernis, daß die Klausel auch in diesen Fällen Anwendung findet, da sie andernfalls bedeutungslos werden könnte. Ferner hängt die Frage der Anwendbarkeit wohl nicht vom bindenden oder nicht bindenden Charakter einer Vereinbarung ab, denn die Klausel schreibt vor, daß Staaten einander die Behandlung angedeihen lassen, die sie dem meistbegünstigten Drittstaat tatsächlich gewähren l64 • Die Klausel bezieht sich deshalb auf eine tatsächliche Situation und nicht auf abstrakte Modelle der Bindungswirkung von Verträgen. Es kommt mithin nicht darauf an, ob sie in einem vorläufig angewendeten Vertrag oder in einem anderen Vertrag, vereinbart ist, der durch einen neuen, nur vorläufig angewendeten Vertrag, welcher einem Drittstaat eine bessere Behandlung gewährt, berührt wird l65 .

4. Sanktionen für die Verletzung eines vorläufig angewendeten Vertrages

Es ist behauptet worden, daß es keine völkerrechtlichen Sanktionen im Falle der Verletzung eines vorläufig angewendeten Vertrages gebe l66 . Die Möglichkeit der Staaten, die vorläufige Anwendung jederzeit zu beenden, indem sie den anderen Vertragsparteien ihre Absicht notifizieren, nicht Vertragspartei zu werden, mache die Diskussion von Sanktionen überflüssig. Deshalb bestehe das einzig "verbotene" Verhalten eines Staates nicht darin, 163 Vgl. z.B. Wehser, in: Menzel / Ipsen, Völkerrecht, 2. Aufl. 1979, 8.202, Art. 4 Draft articles on most-favoured-nation clauses, YbILC 1978, Vol. II, pt. 2, 8.18. 163. 80 ausdrücklich die ILC in ihrem Bericht zur most-favoured-nation clause, YbILC 1978, Vol. II, pt. 2,8.12 m. w.Nachw. 164 Picone (Fn. 30), 8. 21l. 165 Ebenda; Bartos, 791st Meeting ILC, YbILC 1965, Vol. I, 8.110. 166 Picone (Fn. 31), 8.216.

Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

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sich nach einer bestimmten Periode der vorläufigen Anwendung von dem Vertrag zu befreien, sondern allenfalls darin, die Ausführungsmaßnahmen rückwirkend für ungültig zu erklären167 • Es muß jedoch daran erinnert werden, daß die Vertreter dieser Auffassung eine Vereinbarung über die vorläufige Anwendung als nicht bindend ansehen, wohingegen sie hier als im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung mit allen Konsequenzen betrachtet wird. Eine im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung ist ein "vollwertiger" Vertrag LS.v. Art. 2 Abs. la WVK. Deshalb löst auch jeder Bruch dieser Vereinbarung die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Verletzerstaates aus, was auch für den Bruch einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung zutrifft1 68 • Die von Picone 169 angesprochenen Probleme treten folglich bei dem hier vertretenen Modell der vorläufigen Anwendung nicht auf. Die Tatsache, daß die Staaten ohne Schwierigkeiten die vorläufige Anwendung beenden können, ändert nichts an diesem Ergebnis, da, wie noch zu zeigen sein wird l7o , die Beendigung nur für die Zukunft wirkt und ein Staat für seine Handlungen während der Zeit der vorläufigen Anwendung verantwortlich bleibt. 5. Vorläufig angewendete Verträge und Schiedsklauseln

Eng verbunden mit dem Problem der Sanktionen ist die Frage, ob ein vorläufig angewendeter Vertrag in die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts oder eines internationalen Gerichts fällt, die von den Parteien in einem anderen Vertrag, wie etwa einer Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, vereinbart worden ist. Auch hier ist die Auffassung vertreten worden, daß die nicht bindende Natur einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung und die mühelose Beendigung einer derartigen Vereinbarung ein Schieds- oder Gerichtsverfahren allgemein nicht zulassen l7l . Es wird allerdings zugegeben, daß es Fälle geben mag, in denen eine solche Vereinbarung einem rechtlichen Verfahren unterliegt, nämlich dann, wenn die Existenz der Vereinbarung selbst in Frage steht oder Zweifel hinsichtlich vergangener Ausführungshandlungen entstehen. Deshalb schlagen die Vertreter dieser Auffassung vor, daß ein 167 168

Ebenda, S. 216 - 218.

Im Ergebnis ebenso KrenzIer (Fn. 31), S. 65, 69; Schwarzenberger (Fn. 51),

S.433. 169 170 171

(Fn. 30), S. 216 - 218. s. unten Kap. 2 111 7. Picone (Fn. 30), S. 208.

111. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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Schieds- oder Gerichtsverfahren nur dann möglich sein soll, wenn es auch effektiv ist, d.h., wenn es nicht durch den unverbindlichen Charakter der Vereinbarung in Frage gestellt wird l72 . Es ist offensichtlich, daß man zu einem anderen Ergebnis gelangt, wenn die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung als eine im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene bindende Vereinbarung angesehen wird. Als Vertrag mit voller Bindungswirkung unterliegt diese Vereinbarung Streitbeilegungsverfahren in demselben Umfang wie andere völkerrechtliche Verträge zwischen zwei oder mehr Staaten. Die leichte Beendigungsmöglichkeit dieser Vereinbarung mag die Effektivität einer gerichtlichen Entscheidung, die beispielsweise ein bestimmtes zukünftiges Verhalten eines Staates anordnet, in Frage stellen. Andererseits ist kein Unterschied zwischen dieser Vereinbarung und irgendeinem anderen Vertrag, der schon endgültig in Kraft getreten ist, aber mit sofortiger Wirkung gekündigt werden kann, ersichtlich. Dieses Ergebnis entspricht auch der parallelen Rechtslage bei Schiedsklauseln in Verträgen zwischen Staaten oder zwischen Staaten und Privaten, deren Wirksamkeit angezweifelt wird. Es ist insofern einhellige Meinung und auch vom IGH anerkannt 173 , daß das Bestreiten der Wirksamkeit eines Vertrages nicht dazu führt, daß eine im Vertrag vereinbarte Schiedsklausel nicht zur Anwendung gelangt. Denn die Vereinbarung eines Streitbeilegungsverfahrens hat gerade zum Ziel, die Entscheidung über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Vertrages und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen einem geordneten Verfahren vor einem unabhängigen Gremium zu übertragen. Die Vereinbarung von Schiedsklauseln wäre daher ihres Sinnes beraubt, könnte sich eine Partei unter Berufung auf die Unwirksamkeit des Vertrages diesem Verfahren entziehen. Diese erst jüngst in mehreren Schiedsverfahren 174 zwischen Staaten und Privaten bestätigte Rechtsregel kann mithin aus denselben Erwägungen auf den Fall übertragen werden, in dem die Wirksamkeit einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages im Streit steht. Auch in diesem Fall bedarf folglich die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages keiner besonderen Regeln.

Ebenda, S. 209. Ambatielos Case (Greece v. United Kingdom), Urteil v. 19.Mai 1953, ICJ Rep. 1953, 5, 19. 174 BP v. Libya, ILR 53 (1979), 297, 308; LIAMCO v. Libya, ILM 20 (1981), 1, 40f.; dazu StolI, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor, 1982, 3f. 172 173

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge 6. Die völkerrechtliche Wirksamkeit eines verfassungswidrigen vorläufig angewendeten Vertrages

Wie schon oben angesprochen wurde und im folgenden näher untersucht werden SOll175, können durch die vorläufige Anwendung eines Vertrages verfassungsrechtliche Probleme auftreten, da in vielen Ländern die verfassungsmäßig gesicherte Prärogative der Legislative, Verträgen über bestimmte Gegenstände vor der Ratifikation zuzustimmen, in Frage gestellt werden kann, falls ein Vertrag, dem die Legislative noch nicht zugestimmt hat, vorläufige Wirkung erlangt. Es ist deshalb denkbar, daß die vorläufige Anwendung eines Vertrages unter bestimmten Umständen verfassungswidrig sein kann. Dies wiederum führt zu der Frage, welche Wirkung eine verfassungswidrige vorläufige Anwendung auf der völkerrechtlichen Ebene hat. Auf der Grundlage seiner Theorie der vorläufigen Anwendung ohne Bindungswirkungen hat Picone 176 freilich keine Probleme. Nach seiner Ansicht werden die Vertragsparteien ohnehin nicht rechtlich gebunden, so daß auch theoretisch die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vereinbarung gar nicht entstehen kann, weil die Zustimmungsprärogative des Parlaments hinsichtlich völkerrechtlicher Verträge nicht in Frage gestellt ist, wenn die Verpflichtungen, die die Regierung auf sich nimmt, nicht bindend sind. Trotzdem sieht Picone Raum für die Anwendung des Estoppel-Prinzips177, wenn ein Staat in gutem Glauben die Bestimmungen eines vorläufig angewendeten Vertrages ausgeführt hat und einer seiner Partner ohne ersichtlichen Grund die vorläufige Anwendung mit dem Hinweis beendet, sie sei für ihn verfassungswidrig178 • Im Hinblick auf die hier vertretene Theorie, wonach die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eine bindende Verpflichtung konstituiert, kann die dargestellte Auffassung nicht übernommen werden. Für bindende Vereinbarungen, deren Verfassungswidrigkeit behauptet wird, regelt heute Art. 46 WVK die möglichen Rechtsfolgen im Völkerrecht. Nach dieser Bestimmung kann sich ein Staat nur dann auf die Verfassungswidrigkeit eines Vertrages berufen, falls die Verletzung offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf 179 . Teil 2 unten. Oben Fn. 31. 177 Dieses Prinzip wird ausführlich erörtert etwa bei Müller (Fn. 65), S. 5 - 34. 178 Picone (Fn. 30), S. 202. 179 Art. 46 lautet: "(1) AState may not invoke the fact that its consent to be bound by a treaty has been expressed in violation of a provision of its internallaw regarding competence to conc1ude treaties as invalidating its consent unless that violation was manifest and concerned a rule of its internallaw of fundamental importance. (2) A violation is manifest if it would be objectively evident to any State conducting itself in the matter in accordance with normal practice and good faith." 175

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111. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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Obwohl an dieser Stelle die Entstehungsgeschichte der Bestimmung nicht detailliert erörtert werden kann 180 , soll erwähnt werden, daß Art. 46 WVK einen Kompromiß 181 zwischen der älteren Relevanztheorie 182 , nach der die Verletzung innerstaatlichen Rechts auch im Völkerrecht relevant ist, und der Irrelevanztheorie 183 , nach der Verletzungen innerstaatlichen Rechts völkerrechtlich irrelevant sind, darstellt. Es kann heute mit Sicherheit festgestellt werden, daß Art. 46 WVK die nun gültige und anerkannte Norm für diese Rechtsfrage ist, was auch dadurch bestätigt wird, daß Art. 46 WVK die fast einstimmige Zustimmung der an der Wiener Vertragsrechtskonferenz teilnehmenden Staat~n erhielt1 84 und nunmehr auch als Art. 46 von der ILC in ihre "Draft Articles on Treaties concluded between States and International Organizations or between two or more International Organizations" übernommen wurde 185 . Es ist nun fraglich, ob Art. 46 WVK auch im Falle einer verfassungswidrigen vorläufigen Anwendung gelten kann oder ob eine Modifikation erforderlich ist. Letztere Auffassung ist mit der Begründung vertreten worden, daß bei einem vorläufig angewendeten Vertrag nur die Regierung die Anwendung des Vertrages verspreche und sich alle Vertragsparteien darüber klar seien, daß viele Verfassungen die Zustimmung der Legislative vor der Anwendung eines Vertrages erforderten 186 • Es ist schon oben ausgeführt worden, daß dieser Ruf nach Modifizierung des Art. 46 WVK für vorläufig angewendete Verträge zweifelhaft ist, insbesondere wenn man bedenkt, daß weder der Text von Art. 46 WVK oder Art. 25 WVK noch die Entstehungsgeschichte dieser beiden Bestimmungen eine derartige Modifizierung in irgendeiner Weise andeuten 187 . Man könnte allerdings argumentieren, daß eine verfassungswidrige vorläufige Anwendung eine offenkundige Verletzung einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift LS.d. Art. 46 Abs. 2 WVK sei, weil alle Vertragsparteien von der Möglichkeit eines verfassungsrechtlichen Zustimmungserfordernisses wüßten - warum sonst sollte auch die Ratifikation vorbehalten sein? -, so daß die Verletzung innerstaatlichen Rechts objektiv erkennbar ist. Ausführliche Erörterung bei Müller (Fn. 65), S.198 - 210. Commentary to Art. 43 ILC Final Draft, YbILC 1966, Vol. 11, S. 240. 182 Vgl. z.B. Art. 21 Harvard Draft Convention, AJIL 29 (1935), Supp. S. 661; vgl. ebenfalls das Obiter Dictum im George Pinson Fall, RIAA 5 (1928), 327; dazu auch Geck, Die völkerrechtlichen Wirkungen verfassungswidriger Verträge, 1963, S. 32 ff. 183 Franco-Swiss Custom Fall, RIAA 11 (1912),411; Rio Martin Fall, RIAA 2 (1924), 724; Metzger Fall, U. S. Foreign Relations 1901, 262; obwohl nicht unmittelbar zutreffend, ähnlich Eastern Greenland Fall (Dänemark gegen Norwegen) vom 05. April 1933, PCIJ Rep., Series AlB, No. 53, S. 71; dazu Geck (Fn.182), S. 28ff. 184 Art. 46 WVK wurde durch eine 94: 0 : 3 Abstimmung angenommen. 185 YbILC 1980, Vol. 11, pt. 2, S. 74. 186 Krenzler (Fn. 31), S.137 - 140 für die vor Art. 46 WVK geltende Rechtslage. 187 Oben Kap. 2 11 2 a. 180

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

Begründen könnte man diese Auffassung damit, daß das Völkerrecht aufgrund der speziellen Ausgestaltung der vorläufigen Anwendung in diesem Bereich in besonderer Weise auf das nationale Verfassungsrecht Rücksicht nehmen müsse. Wie oben dargelegt188, beruht das Phänomen der vorläufigen Anwendung letztlich auf dem verstärkten Aufkommen des demokratischen Verfassungsstaats. Mit seinem Aufkommen setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, daß die Außenpolitik und insbesondere der Abschluß völkerrechtlicher Verträge nicht allein der Exekutive überlassen werden darf, sondern Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle sein muß. Deshalb sehen die Verfassungen fast aller Staaten zumindest bei wichtigen Verträgen die Zustimmung des Parlaments vor. Wegen der durch diese Zustimmung regelmäßig bewirkten zeitlichen Verzögerung des Inkrafttretens eines Vertrages und des gleichzeitig oft bestehenden Bedürfnisses oder gar der Notwendigkeit, einen Vertrag mit sofortiger Wirkung anzuwenden, sind die Staaten zur Verwendung der vorläufigen Anwendung übergegangen. Es ist mithin das nationale Verfassungsrecht, das zur vorläufigen Anwendung zwingt, und nicht etwa das Völkerrecht selbst. Dieses stellt mit dem Institut der vorläufigen Anwendung nur ein rechtliches Instrument zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Staaten ihre verfassungsrechtlichen Probleme überwinden können. Die vorläufige Anwendung ist mithin ein völkerrechtliches Institut, das in besonderer Weise mit dem Verfassungsrecht verknüpft ist, so daß in diesem speziellen Bereich eine besondere Rücksichtnahme des Völkerrechts auf das Verfassungsrecht durchaus denkbar erscheint. Vom Grundsatz her ist es seit langem anerkannt, daß nicht nur das Völkerrecht das nationale Recht beeinflussen kann, sondern auch eine umgekehrte Beeinflussung möglich ist 189. Dies gilt insbesondere für das Gebiet der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, unabhängig davon, ob man darunter die Grundsätze des nationalen Rechts, die Bestandteile völkerrechtlicher Verträge oder des Völkergewohnheitsrechts sind, verstehtl 90 oder sie als eine eigenständige, neben Vertrag und Gewohnheitsrecht angesiedelte Völkerrechts quelle sieht, die die von den Kulturvölkern anerkannten Prinzipien, die allen oder den meisten nationalen Rechtssystemen gemeinsam sind, umfaßt1 91 . Auch dem Völkervertragsrecht ist eine derartige Beeinflussung nicht fremd, wenn man bedenkt, daß die meisten seiner Rechtssätze nicht etwa völkerrechtsspezifisch sind, sondern in vielerlei HinOben Kap. 1 12. Vgl. etwa Dahm (Fn. 99), 8. 68; Scheuner, L'influence du droit interne sur la fonnation du droit international, RdC 68 (1939 11), 95ff.; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 1976,8. 56f. 190 Etwa Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd.1, 1948, 8.143; Tunkin, "General Principles of Law" in International Law, in: Festschrift Verdross, 1971, 8. 523 - 532; so wohl auch Scheuner (Fn.189), 8.162. 191 Vgl. Dahm (Fn. 99), 8.37; Verdross / Simma (Fn.190), 8. 322 jeweils m.w.Nachw. 188

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III. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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sicht den im nationalen Recht entwickelten Normen für Verträge entsprechen 192 • Dogmatisch und rechtstheoretisch stünden mithin einer besonderen Rücksichtnahme des Völkerrechts auf das Verfassungsrecht bei der Auslegung des Art. 46 WVK im Falle vorläufig angewendeter Verträge keine Einwände entgegen. Verfassungsrechtlich liegt ein wesentlicher Teil der Problematik der vorläufigen Anwendung darin begründet, daß unter Umständen die Exekutive nicht zu ihrer Vereinbarung befugt ist, weil dies die Zustimmungsprärogative des Parlaments unterlaufen könnte. Gerade die Frage der völkerrechtlichen Vertragsschlußkompetenz wird nunmehr durch Art. 46 WVK geregelt. Wenn überhaupt, so würde eine besondere Rücksichtnahme des Völkerrechts auf das Verfassungsrecht sinnvollerweise in einer Modifikation dieser Bestimmung im Falle der vorläufigen Anwendung eines Vertrages Platz greifen. Diese Modifikation könnte darin bestehen, daß eine mangels Zustimmung der gesetzlichen Körperschaften verfassungswidrige Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages grundsätzlich unwirksam ist, weil eine objektiv erkennbare und damit manifeste Verletzung innerstaatlicher Normen von grundlegender Bedeutung vorliegt. Es fragt sich jedoch, ob eine derartige Modifikation des Art. 46 WVK bei näherer Betrachtung sinnvoll ist. Letztlich liefe diese Modifikation nämlich darauf hinaus, die eigentlich durch Art. 46 WVK überwundene Relevanztheorie wieder zu beleben. Die Vertreter der Relevanztheorie haben zu ihrer Begründung vor allem folgende Argumente vorgetragen 193 : Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die parlamentarische Mitwirkung beim Vertragschluß seien ein nicht wegzudenkendes Charakteristikum des modernen Vertragsrechts. Sie seien auch in der Regel verhältnismäßig eindeutig gefaßt. Ein Staat könne mithin ohne große Schwierigkeiten feststellen, ob sein Partner sich im Rahmen des eigenen Verfassungsrechts bewege und insbesondere ob eine Beteiligung des Parlaments für den Vertragschluß erforderlich sei. Demgegenüber wenden die Vertreter der Irrelevanztheorie vor allem ein, die Verfassungsbestimmungen seien zu unklar, so daß ein Staat nicht in der Lage sei, mit hinreichender Sicherheit die Verfassungsrechtslage seiner Vertragspartner zu beurteilen 194 • Auch die in Art. 46 WVK kodifizierte Evidenztheorie dürfte dem zustimmen, da sie auf die Offenkundigkeit des Vertragsverstoßes abstellt. Die Wirklichkeit der Verfassungen der Welt bietet wohl eine starke Stütze für die Irrelevanztheorie und die in Art. 46 WVK niedergelegte Evidenztheorie. So gelangen sowohl Geck 195 als auch Blix196 und Wildhaber 197 nach Dazu Dahm (Fn. 99), S. 68f. Etwa Special Rapporteur Brierly, YbILC 1950, Vol. 11, S. 213; ders., YbILC 1952, Vol. 11, S. 51ff.; Jones (Fn. 32), S.134ff. 194 Etwa Fitzmaurice, YbILC 1958, Vol. 11, S. 27, 34f.; Blix (Fn. 51), S. 392ff. 195 (Fn. 182), S. 92 - 166. 196 (Fn. 51), S. 373. 192 193

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

umfangreichen Untersuchungen einer Vielzahl von Verfassungen zu der Erkenntnis, daß die Bestimmungen hinsichtlich der Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften am Vertragschluß weder einheitlich noch eindeutig sind. So sind etwa die Kriterien hinsichtlich der Zustimmungsbedürftigkeit eines Vertrages in den einzelnen Verfassungen sehr unterschiedlich 198 , was auch völkerrechtlich zu einer Interessendivergenz der Staaten führt. Staaten, deren Verfassungen keinerlei parlamentarische Billigung vorschreiben (etwa Großbritannien oder viele Mitgliedstaaten des Commonwealth) haben kein Interesse daran, die Gültigkeit ihrer Verträge von der Zustimmung eines fremden Parlaments abhängig zu machen 199 • Ebenso sind Staaten, deren Verfassungen nur wenige Vertragsgruppen für zustimmungsbedürftig erklären, wohl kaum daran interessiert, über diese Kategorien hinaus auch völkerrechtlich auf die verfassungsrechtlichen Zustimmungserfordernisse ihrer Vertragspartner Rücksicht zu nehmen200 . Diese Interessenkonstellation dürfte grundsätzlich auch bei vorläufig angewendeten Verträgen bestehen. Letztlich läuft die Relevanztheorie und mithin auch eine entsprechende Modifikation des Art. 46 WVK im Falle vorläufig angewendeter Verträge darauf hinaus, daß die Staaten Vorteile im internationalen Verkehr erlangen, deren Verfassungen Verträge in möglichst breiten Formulierungen der Zustimmung unterwerfen. Denn diese Staaten könnten gegebenenfalls immer die Ungültigkeit eines Vertrages wegen Nichtzustimmung der gesetzgebenden Körperschaften geltend machen. Schon aus diesem Gesichtspunkt erscheint eine Modifikation des Art. 46 WVK wenig glücklich. Darüber hinaus spricht auch das Erfordernis der Rechtssicherheit im internationalen Verkehr gegen eine derartige Modifikation. Schon die Interpretation des Vertragsbegriffs in den einzelnen Staaten ist recht unterschiedlich und führt zu großen Schwierigkeiten bei der Feststellung des geltenden Verfassungsrechts. Müller erinnert etwa an das Beispiel des Art. II § 2 der Verfassung der Vereinigten Staaten, der eine Verfassungsvorschrift von grundlegender Bedeutung ist, die so bekannt auf internationaler Ebene sein ,dürfte, daß angenommen werden kann, daß jeder Staat sie kennt 201 • Aber können die Vereinigten Staaten sich wirklich auf das Wissen anderer Staaten um diese Vorschrift verlassen, und ist ihre Verletzung objektiv erkennbar? Die Antwort zu dieser Frage muß negativ ausfallen. Obwohl Art. II § 2 eine Verfassungsnorm von grundlegender Bedeutung ist und obwohl sie weltweit einen 197 198 199 200 201

Treaty-Making Power and Constitution, 1971, S. 146 - 82, 18I. Geck (Fn.182), S.167. Ebenda. Ebenda, S.168. Müller (Fn. 65), S. 201; so auch schon Geck (Fn.182), S.168.

III. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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hohen Bekanntheitsgrad haben mag, muß ein Staat, der sich etwa über die Rechtmäßigkeit eines durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten abgeschlosssenen Vertrages informieren will, die Grauzone von Verträgen und executive agreements untersuchen, also eines der komplexesten und schwierigsten Gebiete des amerikanischen Verfassungsrechts. Derartige Nachforschungen können nicht von fremden Staaten im Rahmen des Art. 46 WVK verlangt oder erwartet werden 202 . Auch die Verfassungspraxis ist oft unterschiedlich und steht zum Teil im Widerspruch zu dem Wortlaut der Verfassungsbestimmungen, was gerade das Beispiel der USA belegt203. Dies gilt um so mehr für vorläufig angewendete Verträge, bei denen man bisher kaum von einer gefestigten Verfassungspraxis ausgehen kann 204 . Bei einer Anwendung der Relevanztheorie auf vorläufig angewendete Verträge müßten sich die Staaten intensiv mit Verfassungsrecht und -praxis ihrer Vertragspartner auseinandersetzen und würden selbst dann oft nicht zu halbwegs gesicherten Erkenntnissen gelangen. Die Sicherheit der internationalen Beziehungen und Verpflichtungen verlangt vielmehr, daß sich ein Staat nur in den außergewöhnlichsten Umständen auf die Verfassungswidrigkeit eines Vertrages berufen kann205 , etwa dann, wenn öffentlich bekannt war, daß der verhandelnde Vertreter der Regierung seine Stellung lange vor Abschluß des Vertrages verloren hatte. Es ist nicht ersichtlich, warum diese Regel im Falle eines vorläufig angewendeten Vertrages modifiziert werden sollte. Wie sich in der nachfolgenden Untersuchung der vorläufigen Anwendung im Verfassungsrecht noch herausstellen wird, wirft die vorläufige Anwendung verschiedene verfassungsrechtliche Probleme auf, deren Lösung in vielen Fällen ganz und gar nicht objektiv erkennbar ist. Von keinem Staat kann erwartet werden, das innerstaatliche Recht anderer Staaten zu erforschen, um herauszufinden, ob die vorläufige Anwendung eines bestimmten Abkommens möglich ist und wie und unter welchen Umständen dies getan werden kann. Ein Staat muß sich vielmehr auf das Wort der Regierung eines anderen Landes hinsichtlich der Frage, ob diese Regierung das, was sie tut, auch von Verfassungs wegen tun kann, verlassen können. Dazu kommt, daß der Zeitverlust im Falle einer 202 Müller (Fn. 65), S. 202; so auch Chinkin, The Foreign Affairs Power of the U. S. President and the Iranian Hostages Agreement: Dames and Moore v. Regan, ICLQ 32 (1983), 600, 602. 203 Geck (Fn.182), S.169; Wildhaber (Fn.197), S.181; zustimmend auch Meron, Artic1e 46 of the Vienna Convention on the Law of Treaties (Ultra Vires Treaties): Some Recent Cases, BYlL 49 (1978), 175, 177. 204 Vgl. dazu die Darstellung der Praxis der Vereinigten Staaten, unten Kap. 4, und der Bundesrepublik, unten Kap. 6. 205 Vgl. Observations and comments of the Special Rapporteur to Art. 31, Fourth Report of Special Rapporteur Waldock, YbILC 1965, Vol. 11, S. 70.

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

Prüfung des Verfassungsrechts der Vertragspartner häufig erheblich sein dürfte 206 • Es kommt jedoch gerade bei vorläufig angewendeten Verträgen darauf an, schnell zu handeln. Dieses Ziel der vorläufigen Anwendung könnte mithin unterlaufen werden, wenn den Staaten über die Modifikation des Art. 46 WVK eine intensive Prüfung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Vertragspartner über die Zustimmungsbedürftigkeit völkerrechtlicher Abkommen aufgenötigt würde. Im übrigen ist es zumindest zweifelhaft, ob die Völkerrechtsordnung überhaupt zum Schutz der Demokratie und des demokratischen Prozesses berufen ist, zumal viele Staaten diese ablehnen oder gar bekämpfen 207 • Dem Prinzip der Rechtssicherheit gebührt deshalb zumindest beim jetzigen Entwicklungsstand der Völkerrechtsordnung der Vorrang. Mithin spricht fast alles gegen und nur wenig für eine Modifikation der Regel des Art. 46 AVK im Falle vorläufig angewendeter Verträge. Insbesondere der Gesichtspunkt der Rechtssich~rheit muß hier den Ausschlag geben. Im übrigen dürfte eine derartige Modifikation schon deshalb in der Praxis kaum von großer Bedeutung sein, weil es für die Staaten wegen Art. 25 Abs.2 WVK gerade im Falle der vorläufigen Anwendung eines Vertrages besonders leicht ist, sich von ihren Verpflichtungen zu lösen. Die Kündigung wirkt zwar nur ex nunc 20B , wohingegen die Ungültigkeit der vorläufigen Anwendung mangels parlamentarischer Zustimmung von Anfang an das Verhältnis der Parteien betrifft. Aber auch hier scheint es sachgerecht, den etwa schon begonnenen Ausführungshandlungen nicht nachträglich die Rechtsgrundlage zu entziehen. 7. Beendigung der vorläufigen Anwendung

Schließlich muß auch noch die Beendigung einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages erörtert werden. Dabei ist zunächst an die Beendigung zu denken, die eintritt, wenn der Hauptvertrag ratifiziert wird und endgültig in Kraft tritt. Im selben Augenblick hat die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung ihren Zweck erfüllt und verliert ihren Geltungsgrund. Ebenso unproblematisch sind die Fälle, in denen sich die Parteien auf eine bestimmte Dauer der vorläufigen Anwendung oder auf ihre Beendigung bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses geeinigt haben 209 • Die Möglichkeit, selbst die Modalitäten der Beendigung der vorläufigen Anwendung zu vereinbaren, wird ihnen in Art. 25 Abs.2 WVK zugestanden 210 • 206 207 208 209

Dazu auch Geck (Fn.182), 8.170. s. auch ebenda, 8.172 m. w. Nachw. Vgl. unten Kap. 2 111 7. s. KrenzIer (Fn. 31), 8.93 - 96 mit Beispielen derartiger Vereinbarungen.

III. Rechtliche Wirkungen vorläufig angewendeter Verträge

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Falls die Parteien hinsichtlich der Beendigung keine besondere Vereinbarung getroffen haben, sieht Art. 25 Abs. 2 WVK vor, daß die vorläufige Anwendung mit der Notifikation der Absicht eines Staates, nicht Vertragspartei zu werden, an die anderen Parteien beendet wird. Hier muß wiederum an die relative Autonomie erinnert werden, die die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages hinsichtlich des Hauptvertrages genießt. Diese Autonomie verhindert, daß die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung beendet ist, falls der Hauptvertrag nicht in Kraft tritt oder seine Ratifikation nicht innerhalb einer angemessenen Zeitspanne erwartet werden kann 211 . Vor der Kodifikation des Art. 25 Abs. 2 WVK wurde diskutiert, ob die vorläufige Anwendung als beendet angesehen werden sollte, falls das endgültige Inkrafttreten des Vertrages unangemessen verzögert wird 212 . Deshalb wurde auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz vorgeschlagen, eine Verpflichtung für die Staaten in die Konvention aufzunehmen, innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu erklären, ob sie den Vertrag endgültig annehmen werden213 • Diese Forderung stimmt allerdings nicht mit der Staatenpraxis überein. Denn Verträge werden über Jahre oder sogar Jahrzehnte, wie im Fall des GATT, vorläufig angewendet, selbst wenn es überhaupt nicht sicher ist, ob sie je endgültig in Kraft treten werden. Aus diesem Grunde wurde der Vorschlag auch nicht in Art. 25 Abs. 2 WVK aufgenommen. Heute kann es wohl keinen Zweifel geben, daß eine Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages so lange in Kraft bleibt, bis ein Staat seine Absicht notifiziert, nicht Vertragspartei des Hauptvertrages zu werden. Es sollte jedoch nicht außer acht gelassen werden, daß wegen der Autonomie der Vereinbarung über die vorläufige Anwendung alle anderen Beendigungsgründe für einen völkerrechtlichen Vertrag nach Maßgabe der Art. 54 ff. WVK ebenfalls zur Anwendung gelangen können. Ein weiteres im Zusammenhang mit der Beendigung der vorläufigen Anwendung auftretendes Problem ist die Frage nach dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Beendigung, d.h., ob diese ex nunc oder ex tune wirkt214 • Im Verlaufe der vorbereitenden Arbeiten zu Art. 25 WVK wurde vorgeschlagen, daß die Rechte und Pflichten aus dem vorläufig angewendeten Vertrag 210 Art. 25 Abs. 2 lautet: "Unless the treaty otherwise provides or the negotiating States have otherwise agreed, the provisional application of a treaty or apart of a treaty with respect to aState shall be terminated if that State notifies the other States between which the treaty is applied provisionally of its intention not to become a party to tbe treaty." 211 So auch Picone (Fn. 30), S. 215. 212 Vgl. Krenzier (Fn. 31), S. 87 - 89. 213 Verosta (Österreich), 11th Plenary Meeting of the Vienna Conference on the Law of Treaties, O.R. 1969, 40. 214 Vgl. die Ausführungen von Maresca (Italien), O.R. 1969,42.

6 Montag

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Kap. 2: Vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge

nach Ablauf von sechs Monaten nach seiner Beendigung erlöschen sollten 215 . Dieser Vorschlag wurde de lege ferenda gemacht, um für die Beendigung ein geregeltes Verfahren zu schaffen. Obwohl er am Ende nicht angenommen wurde, weil er keine Stütze in der völkerrechtlichen Staatenpraxis fand, zeigt die Diskussion, daß die Beendigung grundsätzlich ex nunc wirken soll. Diese ex nunc-Wirkung ist auch sinnvoll, da anderenfalls die Beendigung eines vorläufig angewendeten Vertrages den vorausgegangenen Durchführungshandlungen im Rahmen der Anwendung der Vertragsbestimmungen ex tunc die Rechtsgrundlage entzöge216 • Im Ergebnis steht mithin die Beendigung der vorläufigen Anwendung völlig im Ermessen der Vertragsparteien. Sie können mit der Beendigung jedoch nicht den während der Zeit der vorläufigen Anwendung vorgenommenen Durchführungshandlungen die rechtliche Grundlage rückwirkend entziehen.

215 Wynzer (Polen), O.R. 1969,42; vgl. ebenfalls Art. 21 Abs. 2b und den Kommentar dazu, First Report of Special Rapporteur Waldock, YbILC 1962, Vol. 11, S. 71. 216 Banos, 791st Meeting ILC, YbILC 1965, Vbl. I, S.110.

Kapitel 3

Gmndungsvereinbarungen vorbereitender Organe internationaler Organisationen I. Einleitung Nach 1945 und der Gründung der Vereinten Nationen ist die Zahl der internationalen Organisationen stark angewachsen. So existierten 1979 rund 300 zwischenstaatliche und mehr als 2000 private internationale Organisationen, von denen die meisten auch heute noch ihre Funktionen ausüben l . Viele dieser Organisationen, insbesondere die Mitglieder der Familie der Vereinten Nationen, haben einen universellen Charakter. Alle Staaten können Mitglieder werden. Ihre Aufgaben reichen von meteorologischen Forschungen bis zur Erhaltung von Frieden und Sicherheit. Wegen der angestrebten Universalität dieser Organisationen sehen die Gründungsverträge, aufgrund deren die Organisationen errichtet wurden, oft eine große Anzahl von Ratifikationen für ihr Inkrafttreten vor. Gewöhnlich verstreicht allerdings einige Zeit, bis 50 oder 60 Nationen einen Vertrag ratifiziert haben, so daß sich das endgültige Inkrafttreten der Verträge und die Aufnahme der Arbeit durch die neuen Organisationen zum Teil stark verzögert. Die Staaten wollen jedoch häufig, daß eine internationale Organisation möglichst schnell ihre Arbeit aufnimmt, um etwa dringende Probleme zu lösen, für deren Bearbeitung die Organisation geschaffen wurde. Um diese aus dem Ratifikationserfordernis entstehende Zeitverzögerung zu vermeiden und das Bedürfnis nach sofortigem Funktionieren der Organisation zu befriedigen, wurden zum Teil vorläufige Organe errichtet. Diese Gremien sollten das endgültige Inkrafttreten der Gründungsverträge sowie die Arbeitsaufnahme durch die neuen Organisationen vorbereiten. Einige von ihnen konnten sogar ein mehr oder weniger breites Spektrum von funktionen der späteren Organisationen auf einer vorläufigen Basis ausüben. In diesem Kapitel soll nun eine Reihe derartiger Vereinbarungen untersucht werden. Hier interessiert besonders der Aspekt, daß diese Vereinba1 Menzel /Ipsen, Völkerrecht, 2. Aufl. 1979, S.l11; vgl. auch die in Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Instalment 5 (1983), behandelten Organisationen sowie Schermers, International Institutional Law, Bd.1 - 3, 1972; Seidl-Hohenveldern, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 3. Aufl. 1979.



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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

rungen in gewisser Weise den Gründungsverträgen der Organisationen vor deren Ratifikation und Inkrafttreten vorläufige Wirkungen verschaffen. Man kann dabei von vorläufigen Wirkungen im weiten Sinn sprechen, weil die von vorbereitenden Organen vorgenommenen Maßnahmen vom Gründungsvertrag abhängig und letztlich durch sein endgültiges Inkrafttreten bedingt sind. Diese Art von Vereinbarung teilt einige Charakteristika mit der vorläufigen Anwendung eines Vertrages und erscheint mit ihr eng verbunden, weil es sich hier wiederum um Vereinbarungen mit vorläufigen Rechtswirkungen handelt, bei denen die Parlamente keine Möglichkeit haben, ihnen in einem Ratifikationsprozeß zuzustimmen oder sie abzulehnen. Allerdings müssen die Vereinbarungen über vorbereitende Organe internationaler Organisationen auch von der vorläufigen Anwendung eines Vertrages im engeren Sinn unterschieden werden. Vorläufige Anwendung bedeutet nämlich gemäß Art. 25 WVK und nach dem oben vorgeschlagenen Denkmodell, daß der Hauptvertrag durch eine im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung, die inhaltlich auf den Hauptvertrag verweist, mit demselben Inhalt wie der Hauptvertrag anwendbar gemacht wird 2 • Vorbereitende Organe internationaler Organisationen wie etwa der International Civil Aviation Organisation (ICAO), der International Atomic Energy Agency (IAEA) oder der International Refugee Organisation (IRO), um nur einige zu nennen, wurden jedoch auf eine andere Art errichtet. Die gewöhnliche Art der Gründung eines derartigen vorbereitenden Organs vor der Errichtung der dauerhaften Organisation ist die Verabschiedung eines eigenständigen Vertragsinstruments, das entweder sofort mit seiner Unterzeichnung oder kurze Zeit später in Kraft tritt. Dieses Vertragsinstrument ruft dann das vorbereitende Organ der zukünftigen Organisation ins Leben, dem die Aufgabe zugewiesen wird, auf vorläufiger Basis einige der Funktionen der neuen Organisation auszuüben 3 • Im Gegensatz zu einer vorläufigen Anwendung des Gründungsvertrags zeichnet sich die Errichtung eines vorbereitenden Organs folglich dadurch aus, daß das Gründungsinstrument dieses Organs im Umfang begrenzt ist, weil dem Organ nur Teilfunktionen der späteren Organisation übertragen werden. Dieses Verfahren ist mithin von demjenigen zu unterscheiden, das dem Gründungsvertrag einer internationalen Organisation selbst vorläufige Wirkungen beimißt, wie z.B. im Falle des Internationalen Zucker-Übereinkommens von 1968 oder der ECIT04. Es kanndeshälb festgestellt werden, daß es in Wirklichkeit zwei Wege gibt, .auf denen man Grundungsverträgen internationaler Organisationen 2

3 4

s. oben Kap. 2 II 2 c. s. unten Kap. 3 11. s. oben Kap. 2 IIc bb.

1. Einleitung

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vorläufige Wirkungen verleihen kann, nämlich einmal durch die vorläufige Anwendung des Gründungsvertrages selbst oder durch die Errichtung eines vorbereitenden Organs der Organisation. Diese beiden Möglichkeiten spiegeln Art. 25 und 24 WVK wider 5. Die hier zu untersuchenden Vereinbarungen können als Beispiele für die Anwendung der allgemeinen Bestimmung über das Inkrafttreten von Verträgen, also Art. 24 WVK, betrachtet werden 6 , zumindest insoweit, als die Art und Weise des Inkrafttretens der Vertragsinstrumente betroffen ist, weil sie nicht im engeren Sinne vorläufig angewendet werden 7 • Bei diesen vorbereitenden Organen können wiederum zwei Gruppen unterschieden werden. In den meisten Fällen sind die vorbereitenden Organe so ausgestaltet, daß sie die notwendigen Vorbereitungen für die zukünftige Organisation und das reibungslose Funktionieren des endgültigen Regimes treffen können. Diese Gruppe, einschließlich der vorbereitenden Ausschüsse der Food and Agriculture Organisation (FAO), der International Atomic Energy Agency (IAEA), des International Fund for Agricultural Development (IFAD), der Inter-Governmental Maritime Consultative Organisation (IMCO), der Vereinten Nationen und der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation (UNESCO) soll zuerst untersucht werden. Die zweite Gruppe besteht aus jenen vorbereitenden Organen, die tatsächlich auf einer vorläufigen Basis mit der Ausübung der Funktionen der endgültigen Organisation begannen. Die vorbereitenden Organe 5 So auch Report of the Secretary-General, UN Doc. A/AC.138/88 (1973), S.4, abgedruckt in: Platzöder, Dokumente der Dritten Seerechtskonferenz, Bd. 2, New York Session 1979, S. 577, 580 ( im folgenden zitiert als Secretary-General's Report). Auf internationale Organisationen findet die WVK Anwendung, da die z. Zt. von der ILC ausgearbeitete Konvention über Verträge der internationalen Organisationen sich nicht auf deren Gründungsverträge, sondern nur auf Verträge zwischen internationalen Organisationen untereinander oder internationalen Organisationen und Staaten bezieht, Draft Articles on Treaties concluded between States and International Organisations or between International Organisations, Art. 1, YbILC 1981, Vol. 11, pt. 2, S. 120. 6 Art. 24 lautet: "1. A treaty enters into force in such manner and upon such date as it may provide or as the negotiating States may agree. 2. Failing any such provision or agreement, a treaty enters into force as soon as consent to be bound by the treaty has been established for all negotiating States. 3. When the consent of aState to be bound by a treaty is established on a date after the treaty has come iIlto force, the treaty enters into force for that State on that date, unless the treaty otherwise provides. 4. The provisions of the treaty regulating the authentication of its text, the establishment of the consent of States to be bound by the treaty, the manner or date of its entry into force, reservations, the functions of the depositary and other matters arising necessarily before the entry into force of the treaty apply from the time of the adoption of its text." 7 So auch Secretary-General's Report (Fn. 5), S. 5. Eine Ausnahme muß für den Vorbereitenden Ausschuß der IMCO und den Vorbereitenden Ausschuß des IFAD gemacht werden, die beide durch Resolutionen der Gründungskonferenzen errichtet wurden, vgl. unten Fn.ll und 12.

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

der International Refugee Organisation (IRO), der World Health Organisation (WHO) und der International Civil Aviation Organisation (ICAO) gehörten zu dieser Gruppe. Abschließend soll noch auf das neue Seerechtsregime eingegangen werden, das aus den Verhandlungen der Third United Nations Conference on the Law of the Sea (UNCLOS III) hervorgegangen ist. Obwohl die Seerechtskonvention nicht im engeren Sinne vorläufig angewendet wird, hat die Konferenz eine "Preparatory Commission for the Sea-Bed Mining Authority and the Law of the Sea Tribunal" errichtet. Ferner enthält eine Resolution der Konferenz Bestimmungen über den Schutz von Investitionen, die vor dem Inkrafttreten der Konvention getätigt werden. Durch diesen vorläufigen Investitionsschutz wird die Seerechtskonvention zumindest einige rechtliche Wirkungen schon vor ihrem endgültigen Inkrafttreten entfalten. 11. Vorbereitende Organe mit bloßen Vorbereitungsfunktionen

Zunächst sollen die Organisationen, deren vorläufige Organe bloße vorbereitende Funktionen ausübten, erörtert werden. Diese Gruppe schließt die vorbereitenden Ausschüsse von FAO, IAEA, IFAD, IMCO, UNESCO und UNO ein. Die vorbereitenden Organe dieser internationalen Organisationen hatten eine Reihe von gemeinsamen Charakteristika, die ihre Gründung, ihre Arbeitsaufnahme und den Umfang ihrer Aufgaben betreffen. Die vorbereitenden Organe wurden zum Teil durch ein von dem Hauptvertrag, der die zukünftige Organisation errichtete, unabhängiges Abkommen, wie im Fall der UN08 und der UNESC09, gegründet. Dieses Abkommen ist eine im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung, die keine formelle Ratifikation erfordert. Eine weitere Möglichkeit, eine vorbereitende Organisation zu gründen, ist ein Anhang zum Gründungsvertrag, wie etwa im Fall der IAEAlO. Ein solcher Anhang kann seiner 8 Am Tage der Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen wurde auch ein Agreement on Interim Measures for the Preparatory Commission of the United Nations abgeschlossen, 26. Juni 1945, 59 Stat. 1411, EAS No. 461; UNYb 1946/47, S. 34; vgl. auch Frowein, United Nations, in: Bernhardt (Fn.1), S. 272. 9 Am 16. November 1945 wurde die Verfassung der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation (UNESCO) angenommen, die ihre Ratifikation vorsah, 61 Stat. 2495, TIAS No. 1580; UNTS 1, 275; BGB1. 1971, II, 471; vgl. Partan, United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, in: Bernhardt (Fn.1), S.314. Um eine schnelle Arbeitsaufnahme der UNESCO sicherzustellen, verabschiedeten die auf der Konferenz anwesenden Staaten auch das Instrument Establishing aPreparatory Educational, Scientific and Cultural Commission vom 16. November 1945, 59 Stat. 1883, EAS No. 506. 10 Eine Konferenz im Hauptquartier der Vereinten Nationen legte 1956 das Statut der International Atomic Energy Agency (IAEA) zur Unterzeichnung auf, 26. Oktober

11. Vorbereitende Organe mit Vorbereitungsfunktionen

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Natur nach als eine eigenständige im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung angesehen werden, die an die Stelle einer entsprechenden Schlußklausel tritt. Es ist keine Ratifikation erforderlich, um rechtliche Wirkungen zu entfalten. Die dritte Methode, um ein vorbereitendes Organ zu errichten, ist die Verabschiedung einer Resolution auf der Gründungskonferenz für die endgültige Organisation (IMCOll, IFAD12) oder die Gründung des vorbereitenden Organs in der Schlußakte der Konferenz (FA013). Auch hier können die Resolution der Gründungskonferenz oder ihre Schlußakte wiederum als Vereinbarung zwischen den teilnehmenden Staaten betrachtet werden. Diese Staaten haben den Willen, durch die Resolution oder die Schlußakte gebunden zu werden, wollen aber den zeitraubenden Prozeß der Ratifikation umgehen. Im Ergebnis kann deshalb gesagt werden, daß die vorbereitenden Organe internationaler Organisationen gewöhnlich durch eine im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abge1956, 8 UST 1093, TIAS No. 3873; UNTS 276, 4; BGBL 1957, 11, 1357; dazu Szasz, International Atomic Energy Organisation, in: Bernhardt (Fn.1), S.52. Art. XXI Abs. E des Statuts sah für das endgültige Inkrafttreten die Ratifikation durch 18 Staaten vor. Dieses Erfordernis war am 29. Juli 1957 erfüllt, und die lAEA nahm ihre Arbeit auf. In der Zwischenzeit existierte ein vorbereitender Ausschuß, der durch Anhang I zum Statut errichtet worden war. 11 Die United Nations Maritime Conference von 1948 nahm eine Konvention an, die die Inter-Governmental Maritime Consultative Organisation (IM CO) gründete, Schlußakte der Konferenz und dazugehörende Dokumente einschließlich der IMCOKonvention vom 06. März 1948, 9 UST 621, TIAS No. 4044; UNTS 289, 3; BGBL 1965, 11,313; IMCO ist mittlerweile durch eine Satzungsänderung in International Maritime Organisation (IMO) umbenannt worden, Beschluß vom 14. November 1975, in Kraft für alle Mitgliedstaaten a~ 22. Mai 1982, vgl. Bekanntmachung, BGBL 1982,11, 649, sowie die Neufassung des Ubereinkommens in der ab 28. Juli 1982 geltenden Fassung (die Änderung des Art. 51 trat erst zu diesem Zeitpunkt in Kraft), BGBL 1982,11,873, 956; dazu Simmonds, International Maritime Organisation, in: Bernhardt (Fn.1), S.104; Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 1984, S.159ff. Die Konvention trat jedoch erst am 17. März 1948, also gut 10 Jahre nach ihrer Annahme durch die Konferenz, gemäß ihrem Art. 60 in Kraft, als 21 Staaten Vertragsparteien geworden waren. Um eine sofortige Arbeitsaufnahme durch die Organisation ohne Verzögerung sicherzustellen, hatte die Konferenz aber einen vorbereitenden Ausschuß für IMCO per Resolution gegründet, Anhang A zur Schlußakte, UNTS 289, 3, 18. 12 1976 gründete eine Konferenz der Vereinten Nationen den International Fund for Agricultural Development (IFAD), Agreement establishing the International Fund for Agricultural Development vom 13. Juni 1976, 28 UST 8435, TIAS No. 8765; BGBL 1978,11, 1405; dazu Benedek, International Fund for Agricultural Development, in: Bernhardt (Fn.1), S. 84. Die Konferenz verabschiedete eine Resolution, die in ihrem Abs. A einen vorbereitenden Ausschuß errichtete, der seine Arbeit sofort aufnehmen sollte. Der Ausschuß bestand aus 18 Mitgliedstaaten, die ausdrücklich in der Resolution benannt wurden, Anhang I zum IFAD Agreement, abgedruckt in ILM 15 (1976), 920. 13 Zwei Jahre nach der United Nations Conference on Food and Agriculture wurde die Verfassung der United Nations Food and Agricultural Organisation (FAO) angenommen, 16. Oktober 1945, 60 Stat. 1886, TIAS No. 1554; BGBL 1971,11, 1033; dazu Dobbert, Food and Agricultural Organisationof the United Nations, in: Bernhardt (Fn.1), S.15. Die Schlußakte der Konferenz sah in § 11 die Errichtung einer Interim Commission vor, die die Empfehlungen der Konferenz umsetzen sollte, 03. Juni 1943, abgedruckt in AJIL 37 (1943), Supp. 159, 164.

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

schlossene Vereinbarung gegründet werden, unabhängig davon, ob diese in der Form eines eigenständigen Vertragsinstruments, eines Anhangs zum Gründungsvertrag, einer Resolution oder der Schlußakte der Gründungskonferenz erscheint. Da diese Vereinbarungen für ihr Inkrafttreten keine Ratifikation vorsehen, erreichen die Staaten ohne weiteres ihr Hauptziel, das sie bei der Errichtung des vorbereitenden Organs verfolgen, nämlich seine sofortige Arbeitsaufnahme. Das vorbereitende Organ wird entweder mit dem Tag der Annahme seines Gründungsinstruments errichtet (IMC014, IAEA15, UN016, UNESC017, IFAD18) oder zu einem kurz danach liegenden Zeitpunkt (FA019). Auch die auf die vorläufigen Organe übertragenen Funktionen sind recht ähnlich. Sie alle hatten Befugnisse von bloß vorbereitender Natur. So wurde von ihnen etwa verlangt, die erste Sitzung der Versammlungen der endgültigen Organisationen einzuberufen (IAEA20, UN021, UNESC022, FA023, IFAD24). Auch sollten sie nach ihren Gründungsinstrumenten Vorschläge für die Tagesordnung der ersten Versammlung sowie Empfehlungen hinsichtlich der zu fassenden Beschlüsse unterbreiten (IMC025, IAEA26, UN027, UNESC028, IFAD29). Ferner sollten einige von ihnen vorläufige VerAnhang A Abs. 3 der Schlußakte (Fn. 11). Art. XXI Abs. G des Statuts (Fn. 10) sah vor, daß "the Annex to this Statute shall come into force on the first day this Statute is open for signature." 16 Abs. 9 des Agreements (Fn. 8). 17 Es war vereinbart worden, daß das Instrument (Fn. 9) als eigenständige, nicht mit der Verfassung der UNESCO zusammenhängende Vereinbarung nicht ratifiziert werden, sondern unmittelbar als Abkommen zwischen den unterzeichnenden Regierungen in Kraft treten sollte, UNESCO Comment, Drafting Committee, Final Report on UNESCO, Interim Commission E.C.O. Conf./Com. V/7 (2). 18 Anhang I des IFAD Agreements (Fn.12). 19 Abschnitt 11 Abs. 2 der Schlußakte (Fn.13) sah vor, daß die Interim Commission in Washington bis zum 15. Juli 1943 errichtet sein sollte. 20 Der Vorbereitende Ausschuß sollte die erforderlichen Vorbereitungen für die erste Sitzung der General Conference der IAEA und für die Wahl des Board of Governors treffen, Anhang, Abs. C.3 - C.4. 21 Der Vorbereitende Ausschuß sollte vorläufige Vorkehrungen für die erste Sitzung der Generalversammlung, des Sicherheitsrates, des Wirtschafts- und Sozialrats, des Treuhandrats und für die Errichtung des Sekretariats sowie den Zusammentritt des Internationalen Gerichtshofs treffen, Abs. 7 des Agreements (Fn. 8). 22 Gemäß Abs.l des Instruments (Fn. 9) war die Hauptaufgabe des Vorbereitenden Ausschusses, Vorbereitungen für die erste Sitzung der General Conference der Organisation zu treffen. 23 Abschnitt 11, Abs. 8 der Schlußakte (Fn. 13). 24 Anhang I, Abs. C.5 des IFAD Agreements (Fn. 12). 25 Anhang A, Abs. 2 (b) der Schlußakte (Fn.11). 26 Anhang I, Abs. C.5 (Fn.l0), sah vor, daß der Vorbereitende Ausschuß Studien, Berichte und Empfehlungen für die ersten Sitzungen der General Conference und des Board of Governors über wichtige, die IAEA interessierende Materien, die sofortige Aktionen verlangten, vorbereiten sollte. 27 Abs. 4 (b) des Agreement (Fn. 8). 28 Abs.2 (b) des Instrument (Fn. 9). 14

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11. Vorbereitende Organe mit Vorbereitungsfunktionen

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fahrensregeln entwerfen (IMC030, IFAD31), sowie Personalrichtlinien (IMC032, IAEA33, IFAD34) und einen Haushaltsplan für das erste Jahr erarbeiten (IMC035, IAEA36, UNESC037, IFAD38). Schließlich waren die vorbereitenden Organe von IAEA39, UNESC040 und FA041 verpflichtet, Empfehlungen für die zukünftigen Arbeitsprogramme der endgültigen Organisationen abzugeben. FAO's Interim Commission wurde darüber hinaus das sehr breite Mandat verliehen, die Vorschläge und Berichte anzufertigen und vorzubereiten, die erforderlich waren, um die Empfehlungen der Gründungskonferenz durchzuführen 42 . Dieses Mandat umfaßte allerdings keine Maßnahmen nach dem FAO-Vertrag. Obwohl einige der vorbereitenden Organe noch weitere zusätzliche Befugnisse hatten 43 , waren jenen der hier erörterten sechs internationalen Organisationen keine materiellen Exekutivfunktionen verliehen worden. Wegen der bloßen vorbereitenden Natur ihrer Befugnisse sahen die an den vorbereitenden Organen beteiligten Staaten auch keine verfassungsrechtliAnhang I, Abs. C.5 des IFAD-Agreement (Fn. 12). Anhang A, Abs. 2 (b) (iii) der Schlußakte (Fn.11). 31 Anhang I, Abs. C.2 des IFAD-Agreement (Fn.12). 32 Anhang A, Abs. 2 (b) (iii) der Schlußakte (Fn. 11). 33 Anhang I, Abs. C.3 (Fn.10). 34 Anhang I, Abs. C.2 des IFAD-Agreements (Fn.12). 35 Anhang A, Abs. 2 (c) der Schlußakte (Fn.11). 36 Anhang I, Abs. C.5 (Fn.10). 37 Abs. 2 (c) des Instrument (Fn. 9). 38 Anhang I, Abs. C.2 des IFAD-Agreement (Fn.12). 39 Anhang I, Abs. C.5 (Fn.10). 40 Abs. 2 (c) des Instrument (Fn. 9). 41 Abschnitt II, Abs. 8 (Fn. 13). Die Interim Commission war auch verpflichtet, vorläufige statistische Erhebungen und Untersuchungen von Problemen, mit denen sich die endgültige Organisation würde beschäftigen müssen, einzuleiten. 42 Abschnitt II, Abs. 8 der Schlußakte (Fn.13). 43 Der Vorbereitende Ausschuß der Vereinten Nationen sollte sich um den Transfer von Funktionen und Vermögenswerten des Völkerbundes, die aus der Errichtung der Sonderorganisationen entstehenden Probleme, der Nominierung von Kandidaten für den Internationalen Gerichtshof und die Errichtung des Sekretariats sowie den Standort des Hauptquartiers der Vereinten Nationen kümmern, Agreement (Fn. 8). Der Vorbereitende Ausschuß der IAEA war ebenfalls beauftragt, die Frage des Standorts des Hauptquartiers zu behandeln, Anhang I, Abs. C.6 (Fn. 10). In Erfüllung seiner Aufgaben gemäß Abs. C.7 des Anhangs (Fn.10) empfahl der Ausschuß den Abschluß einer Vereinbarung mit den Vereinten Nationen sowie Leitlinien für Vereinbarungen zwischen der IAEA und anderen Sonderorganisationen. Obwohl die International Convention for the Safety of Life at Sea vom 10. Juni 1948, Art. III, 3 UST 3450, TIAS No. 2495; UNTS 164, 113 und die International Convention for the Prevention of Pollution of the Sea by Oil vom 12. Mai 1954, Art. XXI, UNTS 327, 3; BGBL 1956, II, 379 (die Vereinigten Staaten sind keine Vertragspartei der Konvention) bestimmte Befugnisse auf IMCO übertrugen, wurden diese Aufgaben erst in Angriff genommen, nachdem IMCO 1958 endgültig ihre Arbeit aufgenommen hatte. Der vorläufige Ausschuß beschäftigte sich mit keiner dieser übertragenen Aufgaben, da seine Befugnisse nach der Resolution der Konferenz sich ausschließlich auf die administrativen und organisatorischen Erfordernisse zur Vorbereitung der zukünftigen Organisation beschränkten, vgl. Secretary-General's Report (Fn. 5), S.18. 29

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

chen Probleme im Zusammenhang mit ihrer Gründung. Kein vorbereitendes Organ konnte irgendwelche endgültigen oder bindenden Entscheidungen über substantielle Fragen, an denen die Mitgliedstaaten ein Interesse hatten, treffen. Die einzige Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die möglicherweise verfassungsrechtliche Probleme hätte aufwerfen können, betraf die Finanzierung der vorbereitenden Organe. Dieses Problem wurde jedoch in den meisten Fällen im Wege einer Anleihe von den Vereinten Nationen gelöst (IFAD44, IAEA45, IMC046) oder einer Anleihe von einem Mitgliedstaat (UNESC047, UN048), die entweder unmittelbar zurückzuzahlen war oder von den ersten Beiträgen der die Anleihe gebenden Regierungen zu den endgültigen Organisationen subtrahiert wurde. Folglich versuchten die Regierungen finanzielle Verpflichtungen für die vorbereitenden Organe zu vermeiden, weil diese in einigen Ländern, wie den Vereinigten Staaten, der Festsetzung durch die Parlamente bedurft hätten, was wiederum einen Verzögerungseffekt gehabt haben würde. Obwohl ein vorbereitendes Organ potentiell großen Einfluß auf die Entscheidungen der späteren Organisation nehmen kann, etwa wenn es die Tagesordnung oder die zu fassenden Beschlüsse vorbereitet, fällt es die darauf beruhenden Entscheidungen doch nicht selbst, sondern überläßt dies der späteren Organisation. Folglich gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen diesen vorbereitenden Organisationen und der vorläufigen Anwendung eines Vertrages, weil im letzteren Fall die Bestimmungen des Vertrages schon mit allen rechtlichen Konsequenzen vor der Ratifikation angewendet werden. Auf den ersten Blick ist es deshalb unwahrscheinlich, daß diese Art, einer Vereinbarung vorläufige Wirkungen zu verleihen, verfassungsrechtliche Schwierigkeiten im Hinblick auf die Zustimmungsprärogative der Legislativen im Vertragsschlußverfahren aufwirft. Ob diese Vermutung zutrifft, wird in den Kapiteln 5 und 7 untersucht werden.

ill. Vorbereitende Organe mit materiellen Funktionen

Während die oben untersuchten vorläufigen Organe internationaler Organisationen in einer kursorischen Art und Weise behandelt werden konnten, erscheint es erforderlich, diejenigen Organe, die wirkliche materielle Befugnisse ausüben konnten, näher zu betrachten.

44 45 46 47 48

Anhang I, Abs. B.I des IFAD-Agreement (Fn.12). Anhang I, Abs. 8 des IAEA-Statuts (Fn.10). Abs.5 der Konferenzresolution (Fn.ll). Abs.ll (1) - (2) des UNESCO-Agreement (Fn. 9). Abs.5 des Agreement (Fn. 8).

ill. Vorbereitende Organe mit materiellen Funktionen

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1. Die Organisationen

a) International Refugee Organisation

Der vorbereitende Ausschuß der International Refugee Organisation (IRO) wurde durch das "Agreement on Interim Measures to Be Taken in Respect of Refugees and Displaced Persons"49 gegründet. Diese Vereinbarung trat am 31. Dezember 1946 in Kraft, nachdem acht Staaten gern. Art. 9 des Agreements die Verfassung der IRO unterzeichnet hatten 5o . Der vorbereitende Ausschuß wurde nach der Wahl des Generaldirektors der IRO aufgelöst 51 . Nach Art. 2 des Agreements war der Ausschuß verpflichtet, die erste Sitzung des General Council der IRO einzuberufen, eine vorläufige Tagesordnung für diese Sitzung vorzubereiten, ein Aktionsprogramm für das erste Jahr vorzuschlagen und Haushalts-, Bediensteten- und Verfahrensvorschriften zu entwerfen. Neben diesen vorbereitenden Aufgaben sollte der Ausschuß ferner bis zur Arbeitsaufnahme der eigentlichen Organisation weitgehend dieselben Aufgaben wie die endgültige Organisation im Hinblick auf Flüchtlinge übernehmen. Diese Aufgaben betrafen u. a. die Repatriierung der Flüchtlinge, ihre Identifikation, Registrierung sowie Hilfestellung, rechtlichen und politischen Schutz sowie Transport und die Umsiedlung der Flüchtlinge in Länder, die sich aufnahmebereit erklärten. Obwohl die meisten der vom Exekutivsekretär hinsichtlich der Repatriierung vorgeschlagenen und auch vom vorbereitenden Ausschuß genehmigten Pläne nicht durchgeführt wurden, bildeten sie doch die Grundlage für die späteren bilateralen Verträge, die die IRO mit einzelnen Regierungen abschloß52. Der vorbereitende Ausschuß wurde durch eine Anleihe bei den Vereinten Nationen finanziert, weil Art. 6 des Agreements, der eine Finanzierung durch Vorschußbeiträge der Regierungen vorsah, sich in der Praxis als unbefriedigend herausstellte 53 .

b) World Health Organisation Im Juli 1946 wurde die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf der Internationalen Gesundheitskonferenz unterzeichnet 54 . 49 Vom 15. Dezember 1946, 61 Stat. 2525, TIAS No. 1583; UNTS 18, 122; dazu Jahn, International Refugee Organisation, in: Bernhardt (Fn.l), S. 171. 50 Vom 15. Dezember 1946, 62 Stat. 3027, TIAS No. 1846; UNTS 18, 3. 51 Art. 8 des Agreement (Fn. 49). 52 Secretary-General's Report (Fn. 5), S. 20. 53 Secretary-General's Report (Fn. 5), S. 21. 54 Vom 22. Juli 1946, 62 Stat. 2679, TIAS No. 1808; UNTS 14, 185; BGBL 1974, II, 43; dazu Vignes / Schlenka, World Health Organisation, in: Bernhardt (Fn.l), S. 406.

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

Gemäß Art. 79 der Verfassung sollte die WHO ihre Arbeit aufnehmen, sobald 26 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen Vertragsparteien geworden waren. Um zumindest einen Teil der Aufgaben der WHO sofort durchführen zu können, wurde am selben Tag ein "Arrangement for the Establishment of the Interim Commission of the WHO" abgeschlossen, das gemäß seinem Art. 12 für alle Unterzeichnerstaaten mit dem Tage der Unterzeichnung in Kraft trat 55 . Art. 11 des Arrangements sah vor, daß die Interim Commission durch eine Resolution der Weltgesundheitsversammlung, die diese auf ihrer ersten Sitzung verabschieden sollte, aufgelöst werden sollte. Art. 2 des Arrangements übertrug der Interim Commission einen weiten Kanon von Befugnissen. Diese schlossen die Einberufung der ersten Sitzung der Weltgesundheitsversammlung, die Vorbereitung der Tagesordnung mit entsprechenden Beschlußempfehlungen, Vorschläge für ein Programm und einen Haushalt für das erste Jahr der WHO sowie Entwürfe für Haushaltsund Bedienstetenvorschriften ein. Die Kommission sollte in Verhandlungen mit den Vereinten Nationen treten, um eine Vereinbarung gern. Art. 57 der Charta der Vereinten Nationen vorzubereiten. Ferner sollte die Kommission Schritte unternehmen, um die Aufgaben, Aktivitäten und Vermögenswerte der League of Nations Health Organisation und des Office International d'Hygiene Publique auf die WHO zu übertragen. Sie war schließlich beauftragt, in Beziehungen mit anderen Sonderorganisationen oder internationalen Organisationen, wie etwa der Pan American Sanitary Organisation, zu treten und eine wirkungsvolle Liaison mit dem Economic and Social Couneil der Vereinten Nationen zu begründen. Darüber hinaus sollte die Interim Commission Vorbereitungen für die Überarbeitung, Vereinheitlichung und Verstärkung internationaler Gesundheitsabkommen treffen. Ihre weiteste Befugnis war in Art. 2 K vorgesehen, nach dem die Kommission beauftragt war, "to consider any urgent health problem brought to its notice by any government ... , to bring urgent health needs to the attention of governments and organisations which may be in a position to assist, and to take such steps as may be desirable to coordinate any assistance so provided". Die Interim Commission existierte zwei Jahre. Während dieser Zeit übte sie alle oben genannten Befugnisse aus. Die Politiken und Arbeitsverfahren, die von der Kommission entwickelt worden waren, hatten während der ersten Jahre einen beträchtlichen Einfluß auf die Arbeitsweise der WH056.

55 56

Vom 22. Juli 1946, 61 Stat. 243, TIAS No. 1561; UNTS 9, 3. Secretary-General's Report (Fn. 5), S. 24.

111. Vorbereitende Organe mit materiellen Funktionen

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c) International Civil Aviation Organisation

Die Internationale Zivile Luftfahrtkonferenz nahm 1944 in Chicago mehrere Abkommen an. Diese schlossen die Internationale Zivile Luftfahrtkonvention 57 , das Interim Agreement on International Civil Aviation 58 , das Internationale Lufttransitabkommen59 , das Internationale Luftverkehrsabkommen 60 und Entwürfe von technischen Anhängen 61 ein. Die Konvention kodifizierte mehrere allgemeine Prinzipien und Verpflichtungen für die Durchführung der internationalen zivilen Luftfahrt und sah die Gründung der Internationalen Zivilen Luftfahrtorganisation (ICAO) vor. Gemäß Art. 91 mußte die Konvention ratifiziert werden und sollte 30 Tage, nachdem 26 Ratifikations- oder Beitrittsurkunden hinterlegt worden waren, in Kraft treten. Das Interim Agreement war angenommen worden, um den Zeitraum bis zum Inkrafttreten der Konvention zu überbrücken. Ferner errichtete es die Provisorische Internationale Luftfahrtorganisation (PICAO). Art. 1 § 1 des Interim Agreements sah vor, daß PICAO eine Organisation souveräner Staaten mit rein technischen und beratenden Aufgaben sein sollte, um die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen zivilen Luftfahrt zu stärken. Alles in allem legte das Interim Agreement auf einer vorläufigen Basis schon all das fest, was durch die Internationale Zivile Luftfahrtkonvention ausführlicher und permanenter geregelt wurde 62 . Das Interim Agreement wurde zur Unterzeichnung aufgelegt, und die beteiligten Staaten waren gem. Art. XVII des Interim Agreements aufgerufen, die Regierung der Vereinigten Staaten zum frühestmöglichen Zeitpunkt darüber zu informieren, ob ihre Zeichnung eine Annahme des Agreements und eine bindende Verpflichtung begründete. PICAO übte seine Tätigkeit vom 06. Juni 1945 bis zum 04. April 1947 aus, als die Internationale Zivile Luftfahrtkonvention in Kraft trat und ICAO ihre Arbeit aufnahm. Die Funktionen sowie die Struktur von PICAO waren ähnlich, falls nicht sogar identisch mit denen von ICAO. Abgesehen von den besonderen Aufgaben, die PICAO nach dem Interim Agreement zugewiesen wurden, sollte PICAO auch einige Befugnisse nach dem International Air Services Transit Agreement und dem Internationalen Zivilen Luftfahrtabkommen ausüben. 57 Vom 07.Dezember 1944, 61 Stat. 1180, TIAS No. 1591; UNTS 15, 295; BGBl. 1956,11, 411; dazu Hailbronner, International Civil Aviation Organisation, in: Bernhardt (Fn. 1), S. 68. 58 Vom 07. Dezember 1944, 59 Stat. 1516, EAS No. 469; UNTS 171, 345. 59 Vom 07. Dezember 1944, 59 Stat. 1693, EAS No. 487; UNTS 84, 389; BGBl. 1956, 11,442. 60 Vom 07. Dezember 1944, 59 Stat. 1701, EAS No. 488; UNTS 171, 387. 61 Final Acts and Related Documents, International Civil Aviation Conference, 1944, U.S. Government Printing Office, Washington, 1945. 62 Vgl. Secretary-General's Report (Fn. 5), S.ll.

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

Ferner beauftragten mehrere Resolutionen der Konferenz PICAO mit der Ausarbeitung von Empfehlungen über die Fragen, über die sich die Konferenz nicht hatte einigen können 63 . PICAO wurde zunächst durch eine Vorschußzahlung des Gastlandes finanziert. Alle anderen Mitgliedstaaten waren ebenfalls dazu aufgefordert, Vorschußzahlungen zu leisten, um PICAO's Anfangsausgaben zu decken. Später wurde der Haushalt durch die Interim Assembly verabschiedet und die Beitragshöhe der Mitgliedstaaten festgesetzt 64 . 2. Rechtliche Bewertung

Die drei gerade beschriebenen Organisationen, IRO, WHO und ICAO, hatten vorbereitende Organe, die gut von den sechs zuerst beschriebenen Organisationen unterscheidbar sind. Auch hier nahmen die vorbereitenden Organe eine Reihe von vorbereitenden Aufgaben wahr, was insbesondere für die IRO und die WHO zutrifft. Bedeutsamer ist jedoch, daß ihre Befugnisse von rein vorbereitenden bis zu substantiellen reichten. Obwohl die vorbereitenden Organe der IRO und der WHO nicht die volle Breite der Aufgaben der späteren endgültigen Organisationen übernahmen, führten sie doch schon eine Vielzahl ihrer Funktionen durch. PICAO hatte schließlich fast mit ICAO identische Funktionen. Es erscheint hilfreich, sich die Gründungsakte dieser vorbereitenden Organe ins Gedächtnis zu rufen. Der vorbereitende Ausschuß der IRO wurde durch das "Agreement on Interim measures to Be Taken in Respect of Refugees and Displaced Persons"65, die Interim Commission der WHO durch das "Arrangement for the Establishment of the Interim Commission of the WHO"66, und PICAO durch das "Interim Agreement on International Civil Aviation"67 gegründet. Alle diese Instrumente können als Verträge im Sinne des Art. 2 Abs. 1 a WVK qualifiziert werden, weil sie in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkünfte zwischen Staaten sind68 . Anders als die Gründungsverträge der endgültigen Organisationen sahen diese Vereinbarungen allerdings keine Ratifikation vor. Die Mitgliedstaaten wollten sich vielmehr schon durch die Unterzeichnung binden. Deshalb traten die Gründungsinstrumente sofort mit ihrer 63

Ebenda, S. 15.

6. Ebenda.

s. oben Fn. 49. s. oben Fn. 55. 67 s. oben Fn. 57. 68 Art. 2 Abs.l (a) lautet: "For the purpose of the present Convention: (a) 'treaty' means an international agreement concluded between States in written form and governed by internationallaw, whether embodied in a single instrument or in two or more related instruments and whatever its particular designation." 65

66

Irr. Vorbereitende Organe mit materiellen Funktionen

95

Unterzeichnung in Kraft, mit der Ausnahme der Gründungsvereinbarung von PICAO, nach der die Unterzeichnerregierungen ausdrücklich erklären mußten, ob sie sich bindend verpflichten wollten. Im Verlauf dieser Arbeit ist an mehreren Stellen von Vereinbarungen, die für ihr Inkrafttreten keiner Ratifikation bedürfen, gesprochen worden. Diese waren im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarungen genannt worden 69 . Die Gründungsinstrumente der vorbereitenden Organisationen der drei hier untersuchten internationalen Organisationen waren derartige im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarungen, die mehr oder weniger denselben Inhalt wie die Gründungsverträge der endgültigen Organisationen aufwiesen, zumindest insoweit, als die Ausübung von bestimmten Aufgaben betroffen war. Dieses Vertragsmuster, nach dem eine im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung, die inhaltlich auf einen Hauptvertrag verweist, sofort mit der Unterzeichnung in Kraft tritt, wurde allerdings ebenfalls als Modell benutzt, um die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung nach Art. 25 WVK zu erklären7o • Folglich kamen die Gründungsinstrumente von PICAO und den vorbereitenden Organen der IAO und WHO in ihren Wirkungen und ihrer Natur der vollständigen oder teilweisen vorläufigen Anwendung der Gründungsverträge der endgültigen Organisationen sehr nahe. Wie aber schon oben ausgeführt wurde, handelte es sich bei ihnen nicht um vorläufige Anwendung im engen Sinne des Art. 25 WVK, weil sie nicht zu einer direkten Anwendung der Bestimmungen der Gründungsverträge der endgültigen Organisationen führten. Diese Vereinbarungen bildeten eigenständige nach Art. 24 WVK abgeschlossene Verträge. Da ihre Bestimmungen zumindest teilweise mit denen der Gründungsverträge der endgültigen Organisationen identisch waren, war ihre Wirkung dieselbe wie die einer teilweisen vorläufigen Anwendung des Hauptvertrages. Es ist wahrscheinlich, daß die Vertragsparteien sich deshalb auf diese Art der Errichtung der vorläufigen Organe einigten und nicht auf die vorläufige Anwendung gern. Art. 25 WVK, weil die vorbereitenden Organe in ihrer Struktur zumindest teilweise von den endgültigen Organisationen abweichen sollten, was durch die vorläufige Anwendung im engen Sinne nicht hätte erreicht werden können. Weil diese Gründungsinstrumente aber dieselben Wirkungen im Hinblick auf die fast identischen Aufgaben, die durch die vorbereitenden und endgültigen Organisationen übernommen wurden, wie vorläufig angewendete Vertrage haben können, treten dieselben verfassungsrechtlichen Fragen auf. Wie im Fall der vorläufigen Anwendung 69

Dazu oben Kap. 2 11 2 b. oben Kap. 2 11 2 c.

70 S.

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

erscheint es zweifelhaft, ob Regierungen ihre Länder ohne Zustimmung der Legislativen verpflichten können, insbesondere dann, wenn diese Verpflichtungen unmittelbare Wirkungen für den Bürger oder finanzielle Belastungen zur Folge haben. Wegen dieser identischen Probleme werden die vorbereitenden Organe zu internationalen Organisationen in die verfassungsrechtliche Prüfung der Verfassungen der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik einbezogen. IV. Preparatory Commission for the International Sea-Bed Authority and the International Tribunal for the Law of the Sea 1. Einleitung

Die dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen (UNCLOS IU) gründete eine Preparatory Commission for the International Sea-Bed Authority and the International Tribunal for the Law of the Sea 71 • Obwohl die Verhandlungen erst im Dezember 1982 in Montego Bay beendet wurden, hat der vorbereitende Ausschuß schon seine ersten Sitzungen abgehalten und seine Arbeit aufgenommen. Wegen der Bedeutung der Seerechtskonvention und der Auswirkungen, die sie auf eine Vielzahl wirtschaftlicher Betätigungen von Bürgern der Mitgliedstaaten in Zukunft haben wird, erscheint es sinnvoll, auch im Rahmen dieser Arbeit die vorläufigen und vorbereitenden Vereinbarungen, die im Hinblick auf das Inkrafttreten dieser Konvention getroffen wurden, genauer zu analysieren. Abgesehen vom vorbereitenden Ausschuß betreffen diese Vereinbarungen auch ein System des vorläufigen Investitionsschutzes, auf das man sich während der elften Tagung der Konferenz in New York einigte72 • Zunächst war überlegt worden, die Konvention selbst vollständig oder teilweise vorläufig anzuwenden 73 • Der Hauptgrund, der auf der Konferenz 71 ILM 21 (1982), 1253; vgl. auch schon Draft Resolution I, UN Doc. A/Conf.62/ L.94 (1982). Vgl. ebenfalls Report to the Plenary on the Negotiations in the First Committee by Bamela Engo (Vereinigte Republik Kamerun), Chairman of the First Committee, UN Doc. A/Conf. 62/L. 70 (1981), S. 2 (nachfolgend zitiert als Engo's Report). 72 Resolution II, ILM 21 (1982), 1254. Vgl. auch schon Draft Resolution II Governing Preparatory Investment in Pioneer Activities Relating to Polymetallic Nodules, UN Doc. A/Conf. 62/L.132/Add.1, Annex IV (1982). Vgl. ebenfalls die ursprünglichen Vorschläge in: Informal Working Paper by the United States, An Approach to Interim Protection of Investment, UNCLOS III Doc. lA/I (1980), abgedruckt in Platzöder, Dokumente der Dritten Seerechtskonferenz, Bd. 2, New York Session, 1980, S. 686 (nachfolgend zitiert als Platzöder, Bd. 2, N. Y. 1980); überarbeitet in Informal Suggestion by the United States, An Approach to Encouraging Preparations for Early Development of Sea-Bed Resources, abgedruckt in Platzöder, Dokumente der Dritten Seerechtskonferenz, Bd. 2, Genfer Session 1980, S. 592 (nachfolgend zitiert als Platzöder, Bd. 2, Genf 1980); Oxman, The Third United Nations Conference on the Law of the Sea: The Tenth Session (1981), AJIL 76 (1982), 1, 13.

IV. Preparatory Commission UNCLOS

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zugunsten der vorläufigen Anwendung der Konvention vorgebracht wurde, war, daß so den Staaten Gelegenheit gegeben würde, die Konvention auf einer Versuchsbasis vorläufig anzuwenden, so daß sie sich erst später entscheiden müßten, ob sie sie endgültig annehmen wollen 74 • Man hoffte, daß dieses Prinzip des "try it, you may like it" zur schnelleren und umfassenden Annahme der Konvention führen würde. Denn man nahm an, daß für zumindest einige Länder die zeitraubenden Formalitäten der förmlichen Zustimmung keine Anwendung finden würden. In anderen Ländern, in denen die Exekutive nicht alleine handeln kann, dachte man daran, daß das Erfordernis der vorläufigen Zustimmung die Beratungen über die Konvention erleichtern und eine bedeutende Hilfe zur Überwindung der Furcht vor dem Unbekannten, die durch endgültige Annahme entstehen könnte, sein würde 75 • Es gab allerdings auch beachtliche Bedenken gegen diesen Kurs, weil man die rechtlichen Auswirkungen der vorläufigen Anwendung für zu unklar hielt. Insbesondere wurden die folgenden Fragen diskutiert: Sollte ein Staat etwa vorläufig das Konzept der exklusiven Wirtschaftszone akzeptieren können und dann die vorläufige Annahme mit dem endgültigen Inkrafttreten der Konvention zurückziehen dürfen? Welches sind die rechtlichen Auswirkungen, falls ein Staat nur Teile, aber nicht die gesamte Konvention vorläufig anwendet, und was würde später geschehen, falls dieser Staat nicht auch endgültig das annimmt, was er vorläufig angenommen hat? Wie sollte ein Staat seine Zustimmung, zunächst vorläufig und dann endgültig gebunden zu werden, ausdrücken? Was sollte die Beziehung zwischen einem Staat, der die Konvention vorläufig anwendet, und einem Staat, der sie endgültig anwendet, sein 76 ? Die Konferenz einigte sich deshalb schnell darauf, die Idee der vorläufigen Anwendung abzulehnen, weil man darin eine Gefährdung des "package deal" sah 77 • Darüber hinaus wurde das Bedenken geäußert, daß die vorläufige Anwendung in ihrer Tendenz möglicherweise das endgültige Inkrafttreten der Konvention verzögern würde 78 • Deshalb wurde die Idee der vorläufigen Anwendung zugunsten der bloßen Errichtung eines vorbereitenden Ausschusses fallengelassen. 73 s. President's Note, Informal Plenary on Final Clauses, UNCLOS III Doc. FC/9 (1979), abgedruckt in Platzöder, Dokumente der Dritten Seerechtskonferenz, Bd. 1, Genfer Session 1979, S. 229 (nachfolgend zitiert als Platzöder, Bd. 1, Genf 1979); vgl. ebenfalls Oxman, The Third United Nations Conference on the Law of the Sea: The Eighth Session (1979), AJIL 74 (1980), 1, 37. 74 s. Platzöder, Bd.1, Genf 1979 (Fn. 73), S. 231. 75 Oxman (Fn. 73), S. 37. 76 Vgl. Platzöder, Bd. 1, Genf 1979 (Fn. 73), S. 230. Die Konferenz stellte sich folglich dieselben Fragen, die Kapitel 2 dieser Arbeit auch als unklar betrachtet hat. 77 Platzöder, Bd.1, Genf 1979 (Fn. 73), S.231; vgl. ebenfalls President's Note, Informal Plenary on Final Clauses, UNCLOS III Doc. FC/lI (1979), abgedruckt ebenda, S. 234. 78 Ebenda, S. 230.

7 Montag

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

Da das Tiefseeregime ein integraler Bestandteil des "package deal" für eine erhebliche Anzahl von Entwicklungsländern war, war man allgemein der Auffassung, daß dieses Regime weitgehend funktionsfähig sein sollte, wenn die Konvention endgültig in Kraft tritt. Nach der Konvention soll die Behörde 6 Monate nach dem endgültigen 1nkrafttreten der Konvention die vorgeschlagenen Arbeitspläne (Schürfverträge) und Anträge zur Erteilung der Produktionserlaubnis beraten 79 • Damit diese Arbeitspläne vollständig und sorgfältig vorbereitet werden können, müssen zu dieser Zeit schon alle Verfahrensbestimmungen und Richtlinien betreffend den Meeresbodenbergbau zumindest auf vorläufiger Basis in Kraft sein. Aus diesem Grunde einigte man sich darauf, daß ein vorbereitender Ausschuß gegründet werden sollte, um die Behörde in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben sofort nach dem endgültigen 1nkrafttreten der Konvention ausüben zu können 8o • Obwohl zunächst daran gedacht war, daß der vorbereitende Ausschuß durch eine Vorschrift in der Konvention selbst, durch ein eigenständiges Protokoll oder auch durch eine Resolution der Konferenz errichtet werden sollte, fiel die Wahl schließlich auf die Resolution der Konferenz 81 • Der Präsident der Seerechtskonferenz schlug einen Resolutionsentwurf vor, der sich stark an das Modell des vorbereitenden Ausschusses der Vereinten Nationen anlehnte 82 . Die Details des Entwurfs wurden während der elften Sitzung der Konferenz ausgehandelt, und der Entwurf wurde schließlich Resolution 183 . Nach der Resolution I müssen die Mitgliedstaaten des vorbereitenden Ausschusses ihre Absicht anzeigen, durch die Konvention gebunden zu werden 84 • Dafür ist die Unterzeichnung der Konvention das Minimalerfordernis 85 • Die Länder, die sich nicht in der Lage sehen, eine derartige Bindungsabsicht auszudrücken; zu denen derzeit eine Reihe von industrialisierten Staaten einschließlich der Bundesrepublik gehören, können als Beobachter an den Sitzungen des vorbereitenden Ausschusses teilnehmen, falls sie die 79 Art. 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 des Anhangs III der Seerechtskonvention. Ausführliche Erörterung der Meeresbodenbehörde und ihrer Aufgaben bei Wolfrum (Fn.11), S. 511 - 607; vgl. ebenfalls Hauser, Die rechtliche Gestaltung des Tiefseebergbaus nach der Seerechtskonfention, 1982, und Wildberg, Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA), 1979. 80 Note by the President, Proposed Preparatory Commission, UN Doc. A/Conf.621 L.55 Annex I (1980), abgedruckt in UNCLOS III Doc. PC/1 (1980), abgedruckt in Platzöder, Bd.2, N. Y. 1980 (Fn.70), S.504. Vgl. ebenfalls Oxman, The Third United Nations Conference on the Law of the Sea: The Ninth Session (1980), AJIL 75 (1981), 211, 244. 81 Resolution I (Fn. 71). Vgl. auch Engo's Report (Fn. 71), S. 2. 82 UN Doc. A/Conf. 62/L. 55 Annex II (1980), abgedruckt in UNCLOS III Doc. PC/2 (1980), abgedruckt in Platzöder, Bd. 2, N. Y. 1980 (Fn. 72), S. 510. 83 Oben Fn. 71. 84 Zur Frage der Bindungswirkung der Resolution, s. u. Kap. 3 IV 3. 85 Resolution lAbs. 2 (Fn. 71). Vgl. auch Engo's Report (Fn. 71), S. 2 und Report of the President on the Work of the Informal Plenary on the Preparatory Commission, UN Doc. A/Conf. 62/L. 55 (1980), S. 2.

IV. Preparatory Commission UNCLOS

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Schlußakte der Konferenz zeichnen. Der Beobachterstatus gibt diesen Staaten die volle Teilhabe an den Beratungen des vorbereitenden Ausschusses, aber kein Mitwirkungsrecht bei der Fällung von Entscheidungen86 . 2. Das Mandat des vorbereitenden Ausschusses

a) Vorbereitende Aufgaben

Als die Errichtung des vorbereitenden Ausschusses zuerst auf der Seerechtskonferenz diskutiert wurde, hieß es, daß der Ausschuß nur ein vorbereitendes und kein Exekutivorgan sein solle. Es wurde die Ansicht vertreten, daß er kein Recht haben solle, die Erforschung und Ausbeutung von Meeresbodenressourcen zu autorisieren oder Schürfverträge abzuschließen, sondern daß er nur die erforderlichen Vorschriften dazu entwerfen solle, denen später das zuständige Organ zustimmen muß87. Wie noch zu zeigen sein wird, hat der vorbereitende Ausschuß letztlich aber doch ein umfangreicheres Mandat erhalten, obwohl er natürlich eine Vielzahl von vorbereitenden Aufgaben erfüllen muß. Wie in der "Resolution I Establishing the Preparatory Commission for the International Sea-Bed Authority and the International Tribunal for the Law of the Sea"88 vorgesehen ist, hat der Ausschuß die gewöhnlichen Aufgaben, die zur Vorbereitung der Arbeitsaufnahme jeder internationalen Organisation erforderlich sind89 . Gemäß den Unterabschnitten 5a - f der Resolution I soll der Ausschuß die erste Sitzung der Versammlung der Meeresbodenbehörde einberufen und für diese erste Sitzung eine vorläufige Tagesordnung sowie Beschlußempfehlungen für die Versammlung und den Rat erarbeiten. Er soll ferner Empfehlungen hinsichtlich des Haushalts für die erste Finanzperiode der Behörde abgeben und weitere Empfehlungen hinsichtlich der Anknüpfung der Beziehungen mit den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen vorbereiten. Er ist ebenfalls aufgerufen, Empfehlungen hinsichtlich des Sekretariats der Behörde zu erarbeiten und Studien über die Errichtung des Hauptquartiers der Behörde durchzuführen. Schließlich soll er Empfehlungen zur Einberufung des internationalen Seerechtsgerichtshofs abgeben (Abs. 9 der Resolution I). Mittlerweile ist der vorbereitende Ausschuß im Frühjahr 1983 zu seiner ersten Sitzungsperiode zusammengetreten und hat dort nach langen Beratungen einen Vorsitzenden gewählt und in einem "Consensus Statement of Resolution I, Abs. 2 (Fn. 71). Platzöder, Bd. 1, Genf 1979 (Fn. 73), S. 232. 88 Oben Fn. 71. 89 Vgl. Note by the President, UN Doc. A/Conf. 62/L. 55, Annex I (1980), abgedruckt in Platzöder, Bd. 2, N. Y. 1980 (Fn. 72), S. 506. 86 87

7"

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

Understanding" sowohl seine Struktur als auch seine zukünftigen Aufgaben konkretisiert 90 • Außer der Entscheidung, daß auch im vorbereitenden Ausschuß alle wichtigen Fragen im Konsensverfahren verabschiedet werden sollen, enthält dieses Statement wenig mehr als eine Aufzählung der dem Ausschuß in Resolution I zugewiesenen Aufgaben. Der Ausschuß hat seine erste Sitzungsperiode im Herbst 1983 fortgesetzt und über seine Organisationsstruktur, seine Aufgaben, ein Arbeitsprogramm, seine Verfahrensregeln sowie über das Verfahren und die Richtlinien für die Registrierung von Pionierinvestoren beraten91 . Er hat mehrere Unterausschüsse gebildet und deren Vorsitzende bestimmt92 • Über die Ergebnisse des ersten Teils der zweiten Sitzungsperiode im Frühjahr 1984 liegen noch keine Berichte vor. b) Materielle Aufgaben Abgesehen von den oben beschriebenen normalen Aufgaben eines vorbereitenden Ausschusses wird der vorbereitende Ausschuß der Meeresbodenbehörde einige besondere Funktionen auszuüben haben, die im Zusammenhang mit der Entscheidung der Seerechtskonferenz stehen, eine internationale Meeresbodenbehörde mit den Befugnissen und Pflichten aus Teil XI und Anhang III der Konvention zu errichten93 . Diese besonderen Funktionen schließen die Vorbereitung von Entwürfen für Verfahrensvorschriften und Finanzvorschriften für Versammlung und Rat ein (Abs. 5 b der Resolution I). Wichtiger ist jedoch, daß der Ausschuß gem. Abs. 5 g der Resolution I befugt ist, diejenigen Richtlinien und Verfahrensvorschriften hinsichtlich des Art. 17 des Anhangs III der Konvention zu entwerfen, die er für erforderlich hält, um die Behörde in die Lage zu versetzen, ihre Aktivitäten im internationalen Tiefseegebiet durchzuführen. Bei diesen Sonderfunktionen aus der Konvention, die der vorbereitende Ausschuß übernehmen soll, stellte sich die Frage, welchen Rechtscharakter die Entwürfe der Richtlinien und Verfahrensvorschriften für die Behörde vor der Aufnahme der Arbeit durch die Behörde selbst haben sollen94 . Gem. Abs. 9 des Resolutionsentwurfs des Konferenzpräsidenten war ein sog. "Draft Status" vorgesehen 95 • Es wird aber berichtet, daß einige Delegierte nachdrücklich der Ansicht waren, daß die Entwürfe der Richtlinien und Verfahrensvorschriften 90 UN Chronicle XX, Nr. 6 (Juni 1983), S.l1; Statement of Understanding, ebenda, S.12. 91 UN Chronic1e XX, Nr.11 (November 1983), S. 36ff. 92 Ebenda. 93 ILM 21 (1982), 1330 und 126l. 94 Vgl. auch Report of the President, UN Doc. A/Conf. 62/L. 55 (1980), S. 3. 95 s. oben Fn. 82.

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solange vorläufige Wirkungen haben sollten, bis die Behörde sie abändern würde, so daß ein gewisser Grad an Sicherheit dafür gewährleistet sei, auf welche Art und Weise das Erforschungs- und Ausbeutungssystem zumindest zu Anfang funktionieren würde 96 . Obwohl dieser Ansicht das Argument entgegengehalten wurde, daß die vorläufigen Wirkungen der Richtlinien und Verfahrensvorschriften die ausschließlichen Befugnisse und Aufgaben der Meeresbodenbehörde und ihrer Organe unterlaufen würden 97 , wurde die Frage schließlich zugunsten der vorläufigen Anwendung in Art. 308 Abs. 4 der Seerechtskonvention geregelt 98 • c) Vorbereitender Investitionsschutz

Auf Vorschlag der Vereinigten Staaten entschied die Seerechtskonferenz während ihrer elften Sitzung, ein System des vorläufigen Investitionsschutzes einzuführen, welches dann in Resolution 11 der Schlußakte in Montego Bay auch endgültig angenommen wurde99 . Die Befürworter des vorläufigen Investitionsschutzes argumentierten, daß er erforderlich sei, weil die meisten Unternehmen, die im vergangenen Jahrzehnt in die Entwicklung von Tiefseebergbausystemen investiert haben, mittlerweile einen Punkt erreichen, ab dem jede weitere Investition außerordentlich kostspielig ist und speziell auf ein bestimmtes Abbaugebiet ausgelegt sein muß100. Solange den Bergbauunternehmen nicht zumindest die Zusicherung gegeben wird, daß sie später auch Abbaukonzessionen für diese Abbaugebiete erhalten werden, sei es unwahrscheinlich, daß sie ihre Investitionstätigkeit fortsetzen werden. Es sei vielmehr damit zu rechnen, daß die interessierten Unternehmen auf eine schnelle Ablehnung der Konvention als einziges Mittel zur Klärung der Investitionssituation drängen würden, um ihre Investitionen fortzusetzen. Deshalb nennen die Befürworter des vorläufigen Investitionsschutzes insbesondere folgende Vorteile des Systems: Es würde die Fortsetzung des komplexen und teuren Entwicklungsprozesses der Technologie für den Meeresbodenbergbau ohne große Unterbrechung erleichtern; ferner würde der vorläufige Investitionsschutz sicherstellen, daß die Hälfte der ersten Abbaugebiete für die spätere Ausbeutung durch das Unternehmen der Meeresbodenbehörde reserviert werden, so daß Unternehmen der internationalen Meeresbodenbehörde schneller mit der wirtschaftlichen ProdukEbenda, S. 4. Ebenda. 98 UN Doc. A/Conf.62/122 (1982), abgedruckt in ILM 21 (1982), 1261. Art. 308 Abs.4 lautet: "The rules, regulations, and procedures drafted by the Preparatory Commission shall apply provisionally pending their formal adoption by the Authority in accordance with Part XI." 99 Resolution 11, (Fn.72 mit Hinweisen auf die US-Vorschläge); dazu Wol/rum (Fn.ll), S. 433f. 100 Platzöder, Bd. 2, N. Y. 1980 (Fn. 72), S. 686. 96

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tion beginnen könnten, als anderenfalls zu erwarten sei; vorläufiger Investitionsschutz würde weiter verhindern, daß das langwierige Vertragsschlußverfahren als Grund für den Abbruch von zur Zeit bestehenden Investitionsaktivitäten kritisiert würde, und schließlich würde durch den vorläufigen Investitionsschutz die Ratifikation der Seerechtskonvention durch die industrialisierten Staaten wahrscheinlicher 101 . Die Ergebnisse der Diskussionen der Seerechtskonferenz sind in der Resolution II der Schlußakte niedergelegt worden 102 • Gemäß dieser Resolution II soll das System des vorläufigen Investitionsschutzes wie folgt funktionieren: Die Resolution unterteilt die "Pionierinvestoren" in drei Gruppen. Die erste Gruppe besteht aus Frankreich, Japan, Indien und der Sowjetunion. Die zweite Gruppe umfaßt vier Konsortia, die entweder die Nationalität einer Reihe von westlichen Staaten einschließlich der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik besitzen oder von ihnen wirksam kontrolliert werden. Die dritte Gruppe besteht schließlich aus den Entwicklungsländern (Abs. 1 a). Abs. 5 h der Resolution I überträgt das Mandat auf den vorbereitenden Ausschuß, alle Aufgaben, die ihm nach Resolution II zugewiesen werden, zu erfüllen. Nachdem nun der vorbereitende Ausschuß seine Arbeit aufgenommen hat, kann jeder Unterzeichnerstaat der Seerechtskonvention bei ihm einen Antrag entweder für sich oder für eines der oben genannten Konsortia stellen, um als Pionierinvestor registriert zu werden. Die Kommission wird den Antragsteller registrieren, falls der Unterzeichnerstaat eine bestimmte Investitionshöhe im Tiefseebergbau bestätigt und falls die anderen Voraussetzungen, wie etwa die Zahlung einer Registrierungsgebühr von US-Dollar 250000 erfüllt werden (Abs. 2). Welche Anforderungen an Form und Inhalt der Anträge gestellt werden, hat der Ausschuß in seinen während der ersten Sitzungsperiode verabschiedeten Richtlinien für die Registrierung von Pionierinvestoren niedergelegV o3 . Streitigkeiten der Staaten über sich überschneidende Pioniergebiete werden einem obligatorischen Schiedsgerichtsverfahren unterworfen (Abs. 5c). Diese Vorschrift ist allerdings mittlerweile durch Zeitablauf obsolet geworden, da sie nur für bis zum 1. März 1983 nicht beigelegte Streitigkeiten gilt, für die das Schiedsverfahren nicht nach dem 1. Mai 1983 beginnen sollte (Abs. 5c). Zu jenem Zeitpunkt lagen aber weder Anträge auf Registrierung vor, noch gab es Streitigkeiten wegen sich überlagernder Pioniergebiete. Der Antrag muß zwei Tiefseegebiete betreffen, die ihrem potentiellen wirtschaftlichen Wert nach äquivalent sein müssen. Eines der Gebiete wird dann von dem vorbereitenden Ausschuß ausgewählt und erhält eine Priorität für das internationale Unternehmen der Meeresbodenbehörde, während 101

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Platzöder, Bd. 2, Genf 1980 (Fn. 72), S. 593. Resolution II (Fn. 72). UN Chronic1e XX, ,Nr. 11 (November 1983), S. 38.

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das andere eine Priorität für den Antragsteller erhält. Vom Zeitpunkt der Registrierung an steht dem Pionierinvestor das ausschließliche Recht zu, in dem ihm zugewiesenen Pioniergebiet Pionieraktivitäten durchzuführen (Abs. 6). Diese Pionieraktivitäten schließen alle Arten von Forschung und Experimenten hinsichtlich des potentiellen Abbaugebietes und der technischen Ausrüstung ein, nicht jedoch die Ausbeutung des Pioniergebiets (Abs.1 b). Innerhalb von 6 Monaten nach dem endgültigen Inkrafttreten der Seerechtskonvention soll der Pionierinvestor bei der Meeresbodenbehörde einen Antrag für einen Abbauplan stellen, der die in der Seerechtskonvention niedergelegten Voraussetzungen erfüllt (Abs. 8a). Die Meeresbodenbehörde wird einem derartigen Abbauplan jedoch nicht zustimmen, falls der bestätigende Staat (certifying state), d. h., der Staat, der den ursprünglichen Antrag auf Registrierung als Pionierinvestor gestellt hat (Abs. 1 c), nicht Vertragspartei der Seerechtskonvention ist. Sobald der Antragsteller die Zustimmung der Meeresbodenbehörde für seinen Abbauplan erhalten hat, hat er Priorität über alle anderen Antragsteller, ausgenommen des Unternehmens der internationalen Meeresbodenbehörde, für die Zuweisung einer Produktionserlaubnis gern. Art. 151 der Konvention und des Anhangs III (Abs.9a). Die Pionierinvestoren sind verpflichtet, auf Anforderung des vorbereitenden Ausschusses Forschungen in dem für das Unternehmen der internationalen Meeresbodenbehörde reservierten Gebiet durchzuführen. Sie sind ferner verpflichtet, das ihnen durch den Ausschuß zugewiesene Personal auszubilden. Schließlich muß der registrierte Pionierinvestor sogar schon vor dem endgültigen Inkrafttreten der Seerechtskonvention die Pflichten aus der Konvention hinsichtlich des Technologietransfers 104 erfüllen (Abs. 12 a). Allerdings sollen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes einige westliche Staaten der Auffassung sein, aus dem Wortlaut des Abs.12 aiii "every registered pioneer investor shall: ... undertake before the entry into force of the Convention to perform the obligations prescribed in the Convention relating to Transfer of Technology" ergebe sich, daß der Pionierinvestor nur eine Erklärung abgeben müsse, in der er sich verpflichtet, nach Inkrafttreten der Konvention Technologietransfer vorzunehmen. Obwohl diese Streitfrage im Rahmen dieser Untersuchung nicht vertieft werden kann, soll doch angemerkt werden, daß für den unvoreingenommenen Betrachter die westliche Auslegung kaum verständlich ist, da in Abs.12aiii von einer Verpflichtungserklärung keine Rede ist, und der Wortlaut "undertake ... to perform" auf eine klare Verpflichtung zum Technologietransfer vor Inkrafttreten der 104 Zu Begriff und Funktion des Technologietransfers Wolfrum (Fn.ll), S. 456f., 473 ff.; Hauser (Fn. 79), S.158ff.

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Konvention schließen läßt. Auch den Materialien 105 zur Resolution II läßt sich nichts für die westliche Auslegung entnehmen. Im Ergebnis kann somit gesagt werden, daß die Errichtung des Systems des vorläufigen Investitionsschutzes erhebliche materielle Befugnisse auf den vorbereitenden Ausschuß überträgt. Obwohl der vorbereitende Ausschuß im Frühjahr 1983 seine Arbeit aufgenommen hat, ist der vorläufige Investitionsschutz noch nicht zur Anwendung gekommen, so daß sich heute noch nicht absehen läßt, wie der Ausschuß seine umfangreichen Befugnisse handhaben wird. 3. Rechtliche Probleme der Resolutionen I und n

Nach diesem kurzen Überblick über die Aufgaben des vorbereitenden Ausschusses bedürfen einige rechtliche Probleme der Erörterung, die im Zusammenhang mit der Errichtung und der Stellung des Ausschusses aufgetreten sind. Für die hier untersuchte Fragestellung ist von besonderer Bedeutung, inwieweit die Resolutionen ein für die am Vorbereitenden Ausschuß beteiligten Staaten verbindliches Regime errichten und ob die Entscheidungen des Ausschusses rechtlich bindend sind. Denn nur im Falle seiner Verbindlichkeit wirft das vorbereitende Regime für den Meeresbodenbergbau ähnliche Probleme auf wie die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die später zu untersuchende verfassungsrechtliche Frage, ob die Parlamente durch die Beteiligung ihrer Regierungen an einem unverbindlichen Resolutionsregime bei ihrer Entscheidung über die Zustimmung zur Konvention selbst unzulässig präjudiziert sind. Schließlich sollen noch einige Kritikpunkte aufgegriffen werden, die hinsichtlich der Aufgaben des Vorbereitenden Ausschusses geäußert worden sind.

a) Verbindlichkeit des Resolutionsregimes Zur Frage der Verbindlichkeit des Resolutionsregimes für die daran beteiligten Staaten sind eine Reihe kontroverser Auffassungen geäußert worden. Zunächst ist bezweifelt worden, ob die Resolutionen überhaupt Bindungswirkungen entfalten können. Für die Autoren, die dies bejahen, stellt sich danach das Problem, zu welchem Zeitpunkt die Bindungswirkung eintritt. Da es sich bei den Rechtsakten, die den Vorbereitenden Ausschuß errichten und PIP ins Leben gerufen haben, um Resolutionen einer Staatenkonferenz handelt, könnte man sie für unverbindliche Empfehlungen halten 106 • s. oben Fn. 72. So Skubiszewski, Diskussionsbeitrag, in: Delbrück (Hrsg.), Das neue Seerecht, 1984, S. 75. 105 106

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Bei genauem Hinsehen muß man jedoch feststellen, daß beide Resolutionen Regelungscharakter haben. Durch Resolution I wird der Vorbereitende Ausschuß errichtet, der durchaus als eigenständige internationale Organisation betrachtet werden kann 107 , obwohl er bei Inkrafttreten der Seerechtskonvention durch die Meeresbodenbehörde abgelöst wird. Dem Ausschuß werden durch Resolution I eine Reihe von vorbereitenden Aufgaben zugewiesen und durch Resolution 11 die Handhabung des PIP. Resolution 11 enthält insofern das durch den Ausschuß anwendbare materielle RechtlOs. Aus der Darstellung der Aufgaben des Ausschusses nach den Resolutionen 109 dürfte klargeworden sein, daß es sich dabei keinesfalls um bloße Empfehlungen der Konferenz handelt, sondern daß die Resolutionen materiellrechtliche Regelungen enthalten und insofern einen kontraktuellen Inhalt besitzen 11o . Einer Verbindlichkeit des Resolutionsregimes steht mithin nichts im Wege. Jedoch gehen die Auffassungen weit auseinander hinsichtlich der Frage, wann diese Verbindlichkeit eintritt. So ist argumentiert worden, die Resolutionen seien analog Art. 9 Abs. 2, 24 Abs. 4 WVK mit ihrer Annahme durch die Konferenz verbindlich geworden 111 . Andere meinen, die Verbindlichkeit der Resolutionen entstehe bei Zeichnung der Seerechtskonvention l12 • Schließlich ist die Auffassung geäußert worden, die Bindungswirkung der Resolutionen trete erst ein, wenn sich ein Staat als "certifying state" betätige ll3 oder gar erst rückwirkend nach Inkrafttreten der Konvention, was sich aus Art. 308 Abs. 5 der Konvention ergebe l14 . Die Meinung von Eitel, die Resolutionen seien entweder durch die Schlußabstimmung der Konferenz am 30. April 1982 oder spätestens durch die Verabschiedung der nachträglichen Änderungen während der September- oder Dezembersession verbindlich geworden l15 , verkennt die Tragweite der Art. 9 Abs. 2116 und 24 Abs. 4117 WVK. Die Resolutionen können nicht so Wolfrum, Diskussionsbeitrag, in: Delbrück (Fn. 106), S. 92, 245. Ebenda, S. 92. 109 Oben Kap. 3 IV 2 a. 110 Wie hier Eitel, Die Bundesrepublik Deutschland auf der 3. UN-Seerechtskonferenz, in: Delbrück (Fn.106), S. 63, 77; Bemhardt, Der Einfluß der UN-Seerechtskonvention auf das geltende und künftige internationale Seerecht, in: Delbrück (Fn. 106), S.221, 252; Hailbronner, Diskussionsbeitrag, in: De1brück (Fn.106), S.245; Rauschning, Diskussionsbeitrag, in: Delbrück (Fn.106), S. 246; Wolfrum (Fn.107), S. 92, 245. 111 Eitel (Fn.110), S. 63, 235; ihm zustimmend wohl Simma, Diskussionsbeitrag, in: Delbrück (Fn. 106), S. 80. 112 Bernhardt (Fn.110), S.221, 252; Heilbronner (Fn.110), S.245; Rauschning (Fn.110), S. 89, 247; Wolfrum (Fn.107), S. 92, 245. 113 So eine im Auswärtigen Amt vertretene Auffassung. 114 Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes soll Jaenicke diese Meinung geäußert haben. 115 (Fn. 10), S. 63. 116 Art. 9 Abs. 2 WVK lautet: "The adoption of the text of a treaty at an international conference takes place by the vote of two-thirds of the States present and voting, unless by the same majority they shall decide to apply a different rule". 107

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behandelt werden wie Bestimmungen, die das Inkrafttreten eines Vertrages betreffen 118 , weil es sich bei ihnen nicht um Verfahrensbestimmungen, sondern um materiellrechtliche Regelungen handelt. Es ist zwar richtig, daß der Text der Resolutionen, die wie die Anhänge Bestandteile des Vertragswerkes sind, gemäß Art. 9 Abs. 2 WVK durch die Schlußabstimmung der Konferenz angenommen worden ist 119 • Daraus folgt jedoch noch keine Bindungswirkung über Art. 24 Abs.4 WVK, weil dieser als Verfahrensregel nicht geeignet ist, materielle Verhaltenspflichten in größerem Umfang zu begründen 120 . Würde man dies anders sehen, so würde man der Konferenz über Art. 9 Abs. 2, 24 Abs. 4 WVK eine Rechtsetzungsmacht, nämlich Errichtung einer internationalen Organisation durch Beschluß, zuerkennen, die sie nicht hatte 121 . Den Beginn der Bindungswirkung schon im Zeitpunkt der Verabschiedung der Resolution zu sehen, setzt mithin zu früh ein, weil in der Verabschiedung wohl noch nicht der Bindungswille (consent to be bound) der Staaten zum Ausdruck gekommen ist. Andererseits bestimmen die Auffassungen, die die Bindungswirkung mit der Betätigung eines Staates als certifying state oder erst nach Inkrafttreten der Seerechtskonvention eintreten lassen wollen, den Zeitpunkt der Verbindlichkeit zu spät. Denn zum einen ist ein Staat, der Mitglied einer internationalen Organisation ist, selbst wenn diese nur vorbereitender Natur ist, an das Gründungsinstrument der internationalen Organisation gebunden, unabhängig davon, ob er die Möglichkeiten des materiellen Rechts der Organisation, wie hier die Möglichkeiten des PIP, für sich oder seine Staatsangehörigen in Anspruch nimmt. Das gesamte organisatorische Recht des vorbereitenden Ausschusses, Teilnahme an Sitzungen, Verfahrensregeln, Finanzierung etc. ist auf jeden Fall für einen Mitgliedstaat verbindlich. Mithin kann es für die Frage der Verbindlichkeit der Resolutionen I und 11 nieht darauf ankommen, ob ein Mitgliedstaat sich als certifying state betätigt. Auch das Abstellen auf das Inkrafttreten der Seerechtskonvention für den Zeitpunkt der Bindungswirkung der Resolutionen leuchtet nicht ein. Art.308 Abs. 5 der Seerechtskonvention122 , auf den diese Auffassung gestützt wird, bestimmt nur, daß die Meeresbodenbehörde und ihre Organe 117 Art. 24 Abs. 4 WVK lautet: "The provisions of a treaty regulating the authentication of its text, the establishment of the consent of States to be bound by the treaty, the manner or date of its entry into force, reservations, the functions of the depositary and other matters arising necessarily before the entry into force of the treaty apply from the time of the adoption of its text." 118 So aber Simma (Fn.111), S. 80. 119 Ebenso Bernhardt (Fn.110), S. 22l. 120 Ebenda; Rauschning (Fn. 110), S. 89; Woltrum (Fn. 107), S. 245. 121 Rauschning (Fn.110), S. 247. 122 Art. 308 Abs. 5 lautet: "The Authority and its organs shall act in accordance with Resolution 11 of the Third Uni ted Nations Conference on the Law of the Sea relating to preparatory investments and with decisions of the Preparatory Commission taken pursuant to that resolution."

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nach Inkrafttreten der Konvention in Übereinstimmung mit Resolution II und den Entscheidungen des vorbereitenden Ausschusses nach dieser Resolution handeln soll. Über die Bindungswirkung der Resolutionen vor Inkrafttreten der Konvention sagt er nichts aus. Wie schon mehrfach betont, handelt es sich bei dem vorbereitenden Ausschuß um eine internationale Organisation, deren Gründungsinstrument während der Zeit ihres Bestehens für die Mitgliedstaaten verbindlich ist. Ebenso verbindlich sind aber auch die Bestimmungen des PIP, die ja gerade auf den Zeitraum vor Inkrafttreten der Seerechtskonvention ausgerichtet sind. Vieles deutet für den Eintritt der Bindungswirkung der Resolutionen auf den Zeitpunkt der Zeichnung der Konvention hin, mit der die Staaten ihren Bindungswillen ausdrücken. Dafür spricht wesentlich die Präambel und Abs. 1 der Resolution I. Die Präambel enthält den Satz "having decided that aPreparatory Commission should be established", was darauf schließen läßt, daß der Ausschuß nicht schon durch die bloße Verabschiedung von Resolution I errichtet wurde. Vielmehr bestimmt Abs. 1 der Resolution I, daß der Ausschuß nach der Zeichnung der Konvention durch 50 Staaten zusammentreten soll. Abs. 2 sieht vor, daß nur die Unterzeichnerstaaten der Konvention vollwertige Mitglieder des Ausschusses sind, während jene Staaten, die nur die Schlußakte der Konferenz gezeichnet haben, Beobachterstatus erhalten. Resolution I tritt mithin im Zeitpunkt der Zeichnung der Konvention durch 50 Staaten in Kraft. Resolution II wiederum verweist in der Präambel auf Resolution 1123 , so daß auch für ihre Verbindlichkeit die Zeichnung entscheidend ist 124 • Im Ergebnis ist folglich die Zeichnung der Konvention das entscheidende Kriterium, ob die Resolutionen I und lIder Seerechtskonferenz für einen Staat bindend sind. Es handelt sich bei den Resolutionen letztlich um im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarungen 125, denen entsprechende Bindungswirkungen zukommen. Der vorbereitende Ausschuß der Meeresbodenbehörde unterscheidet sich in dieser Frage nicht von den vorbereitenden Organen der anderen nationalen Organisationen, die in diesem Kapitel vorgestellt worden sind. Auch bei ihm stellen sich mithin dieselben verfassungsrechtlichen Fragen, die in Bezug auf die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik noch vertieft erörtert werden sollen.

So auch Wol/rum (Fn. 107), S. 246. Wie hier Bernhardt (Fn.110), S. 221, 252; Hailbronner (Fn.110), S.145; Rauschning (Fn. 110), S. 247; Wol/rum (Fn.107), S. 246; Jenisch, Die Zeichnung der UN-Seerechtskonvention, Außenpolitik 34 (1983), 169, 178. 125 Diese Möglichkeit sieht auch Skubiszewski (Fn. 106), S. 75. 123 124

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b) Verpflichtung des Zeichners zur Ratifikation? Auf die weiteren Probleme, die mit der Zeichnung der Konvention zusammenhängen, soll hier nur ein Hinweis gegeben werden, weil sie nicht zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit gehören. Es ist erwogen worden, ob nicht ein Zeichnerstaat der Konvention durch seine Zeichnung und über Art.l8 WVK verpflichtet ist, die Konvention später zu ratifizieren 126 • Eine solche Verpflichtung besteht jedoch nicht, wie oben 127 im Zusammenhang mit der Frage nach einer Ratifikationsverpflichtung bei vorläufig angewendeten Verträgen dargelegt worden ist. Ein Staat bleibt auch nach Zeichnung eines Vertragswerkes völlig frei in seiner Entscheidung, ob er den Vertrag später ratifizieren will oder nicht1 28 • c) Eigenständiger Tiefseebergbau trotz Zeichnung?

Eine andere Frage ist es, ob die Zeichnerstaaten neben dem durch Resolution II errichteten PIP-Regime weiterhin eigenständig Maßnahmen auf dem Gebiet des Tiefseebergbaus ergreifen können. Obwohl an dieser Stelle keine eingehende Erörterung erfolgen kann, sei darauf hingewiesen, daß vieles dafür spricht, daß dies nicht der Fall ist. Resolution II, die mit der Zeichnung der Konvention wirksam wird, sieht vor, daß alle Unterzeichnerstaa:ten an der Ausarbeitung eines seerechtlichen Regimes im Rahmen der Konvention mitwirken. Die in der Konvention niedergelegten Grundlagen dieses Regimes können dann nicht mehr in Zweifel gezogen werden 129 • Die Konvention geht davon aus, daß das von ihr errichtete System des Meeresbergbaus ausschließlich ist und daß daneben andere Formen des Meeresbergbaus nicht möglich sein sollen. Folglich kann sich ein Staat auch nicht gleichzeitig an PIP voll beteiligen, welches seinem Sinn und Zweck nach als vorläufiges Regime das Konventionsregime vorbereiten soll, und weiter das Recht haben, einseitige Maßnahmen zu ergreifen 130 . Es ist zumindest sehr zweifelhaft, ob dieser Wirkung der Zeichnung der Konvention durch eine bei der Zeichnung abgegebene gegenteilige Erklärung begegnet werden könnte 131 • 126 In diesem Sinne Kaiser und Lucas, Diskussionsbeiträge, in: Delbrück (Fn. 106), S. 71, 74. 127 s. o. Kap. 2 III 1 a. 128 Wie hier sprachen sich aus in ihren Diskussionsbeiträgen Wood, Vitzthum, Bernhardt, Ress, Bothe, Wol/rum in: Delbrück (Fn.106), S. 83f., 84, 88, 90, 92; s. ferner Wo I/rum, Die Bundesrepublik Deutschland vor der Frage der Zeichnung der Seerechtskonvention, EA 1983, 83. 129 Hailbronner (Fn.110), S. 245. 130 Bernhardt (Fn.110), S. 222, 252; Hailbronner (Fn.110), S.245; Rauschning (Fn.110), S.246; Wol/rum (Fn.107), S. 246; a.A. Ress, Diskussionsbeitrag, in: Delbrück (Fn. 106), S. 235.

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d) Bewertung des Resolutionsregimes

Abgesehen von ihren vorbereitenden Aufgaben besitzt die Preparatory Commission for the International Seabed Authority and the International Tribunal for the Law of the Sea sehr weite Befugnisse hinsichtlich der Ausarbeitung von Entwürfen für Richtlinien und Verfahrensvorschriften der Meeresbodenbehörde sowie auf dem Gebiet des vorläufigen Investitionsschutzes. Obwohl der Ausschuß den vorbereitenden Organen von ICAO, IRO und WHO sehr ähnlich ist, rechtfertigen diese weiten Befugnisse und die Bedeutung seiner Arbeit in den nächsten Jahren seine eingehende Erörterung im Rahmen dieser Arbeit. Aus rechtlicher Sicht darf wohl gesagt werden, daß die Errichtung des vorbereitenden Ausschusses einer Reihe von bedeutenden Vorschriften der neuen Seerechtskonvention in gewisser Hinsicht vorläufige Wirkungen verleihtl 32 . Obwohl die Konferenz sich nicht dazu entschlossen hat, die Seerechtskonvention selbst vollständig oder teilweise vorläufig anzuwenden, wird die Arbeit des Ausschusses, zumindest was das Arbeitsgebiet der Meeresbodenbehörde betrifft, ähnliche Ergebnisse zur Folge haben. Der vorbereitende Ausschuß ist im Hinblick auf seine Funktionen nach Resolution I letztlich nichts anderes als die Fortsetzung der Konferenz selbstl 33 • Er soll nach einem Wort von Eite11 34 als "Innenarchitekt und Dekorateur" den in der Konvention enthaltenen "Rohbau des Meeresbodenregimes bewohnbar machen". Bei der Ausgestaltung der Regeln für den Tiefseebergbau muß er zwar im Rahmen der von der Konvention gesetzten Grenzen bleiben, hat jedoch immer noch einen großen Gestaltungsspielraum. Um so mehr verwundert die Vielzahl von Unstimmigkeiten in den Resolutionen, die den Eindruck erwecken, sie seien sehr schnell und oberflächlich konzipiert worden. Wegen der sehr breiten Delegation von Befugnissen auf den vorbereitenden Ausschuß ist deshalb Kritik laut geworden 135 . Ein Teil dieser Kritik ist nicht so sehr auf die rechtliche Ausgestaltung des vorbereitenden Ausschusses gerichtet, sondern betrifft eher die wahrscheinlichen faktischen Auswirkungen der Arbeit des Ausschusses. So wird etwa vorgebracht, daß, obwohl die Empfehlungen des Ausschusses auf allen Gebieten seiner Tätigkeit die spätere Meeresbodenbehörde nicht im technischen Sinne binden werden, diese Empfehlungen doch einen bedeutenden Einfluß haben könnten, weil 131 So aber Eitel (Fn.110), S. 64; Bernhardt (Fn.110), S. 242; Ress (Fn.130), S. 89; wie hier wohl Hailbronner (Fn.110), S. 245; Wal/rum (Fn.107), S. 246. 132 So auch Jenisch (Fn. 124), S. 178. 133 Eitel (Fn.110), S. 6I. 134 (Fn. 110), S. 48. 135 s. Note, Wrapping Up the UNCLOS III "Package". At Long Last the Final Clauses, VA. J. Int'l L. 20 (1980), 247,412; s. auch Oxman (Fn. 80), S. 244ff.

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die Meeresbodenbehörde und ihre Organe zu Beginn ihrer Tätigkeit einen großen Bedarf an Sachkunde haben werden. Deshalb ist es auch wahrscheinlich, daß es einen relativ hohen Grad an Kontinuität unter den Bediensteten des vorbereitenden Ausschusses und der späteren Meeresbodenbehörde geben wird. Im Ergebnis wird deshalb die Arbeit des vorbereitenden Ausschusses jedenfalls größere Bedeutung erlangen, als aufgrund der Form bloßer Empfehlungen zunächst angenommen werden konnte l36 . Ein anderer Kritikpunkt ist die Befugnis des vorbereitenden Ausschusses, seine eigenen Verfahrensregeln aufzustellen. Dies könnte dazu führen, den wichtigen Kontrollmechanismus des Konsenses zu verlieren 137 , der auch bei bestimmten Entscheidungen der Meeresbodenbehörde nach Inkrafttreten der Seerechtskonvention Anwendung finden soll. Es ist deshalb eingewendet worden, daß die Seerechtskonferenz dadurch, daß sie dem vorbereitenden Ausschuß erlaubte, materielle Richtlinien und Verfahrensregeln für den Meeresbodenbergbau und die Details des Streitbeilegungsmechanismus zu entwerfen, in ihrem Bemühen, das Inkrafttreten der Kommission vorzubereiten, zu weit ging. Nach dieser Ansicht sollte es dem vorbereitenden Ausschuß keinesfalls erlaubt sein, über hochpolitische Rechtsprobleme, wie etwa die Zusammensetzung des Rates sowie die Finanzierung der Behörde und ihres Unternehmens, zu beraten l38 . Die Konferenz hat sich jedoch anders entschieden und sogar die Befugnisse des Ausschusses noch ausgeweitet, indem sie ihm eine bedeutende Rolle im System des vorläufigen Investitionsschutzes zuwies. Wie schon gesagt wurde, betreffen die vorgebrachten Kritikpunkte mehr die faktische politische als die rechtliche Ebene, obwohl natürlich nicht vergessen werden soll, daß es häufig auf große Schwierigkeiten stößt, zwischen diesen beiden Ebenen in den Verhandlungen der Seerechtskonferenz zu unterscheiden. Das Konsensproblem ist jedoch ein rechtliches Problem. Gemäß Art. 103 Abs.8 Satz 4 der Seerechtskonvention werden die Richtlinien und Verfahrensvorschriften, die von dem vorbereitenden Ausschuß entworfen werden, bis zu ihrer endgültigen Annahme durch die Meeresbodenbehörde vorläufig angewendet. Sobald die Konvention in Kraft getreten ist, ist allerdings in Art. 162 Abs. 20 vorgesehen, daß Richtlinien und Verfahrensvorschriften vom Rat der Versammlung der Meeresbodenbehörde vorgeschlagen werden sollen. Art. 161 Abs. 8 d erfordert Konsens im Rat für eine Empfehlung gem. Art. 162 Abs. 2n. Der vorbereitende Ausschuß kann allerdings seine eigenen Richtlinien und Verfahrensvorschriften annehmen, wozu nach der Resolution kein Konsens erforderlich ist. Folglich werden die Richtlinien und VerNote (Fn. 139), S. 413. Ebenda; zum Phänomen des Konsens bei UNCLOS III ausführlich Allott, Power Sharing in the Law of the Sea, AJIL 77 (1983), 1, 5ff. 138 Note (Fn. 135), S. 413. 136 137

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fahrensvorschriften, die der Ausschuß möglicherweise nach einer Mehrheitsabstimmung verabschiedet, gern. Art. 308 Abs. 4 der Konvention vorläufig angewendet, bis die Meeresbodenbehörde ihre eigenen verabschiedet haben wird. Wenn man diese Situation vergleicht mit der empirischen Erkenntnis, die sich in dem Satz ausdrückt, daß in der Diplomatie nichts endgültiger ist als das Vorläufige l39 , kann man sich gut vorstellen, daß die Richtlinien und Verfahrensvorschriften, die durch eine Mehrheit im vorbereitenden Ausschuß angenommen werden könnten, für sehr lange Zeit vorläufig angewendet werden, da vermutlich die zu ihrer Änderung erforderlichen Mehrheiten unter Art. 161 der Seerechtskonvention nur schwer zustande zu bringen sein werden. Andererseits ist die rechtliche Basis für die vorläufige Anwendung der Richtlinien und Verfahrensvorschriften nicht in den Resolutionen der Schlußakte niedergelegt, sondern im Konventionstext selbst, und das Recht jedes Staates, die Konvention als Ganzes einschließlich der vorläufigen Regelungen anzunehmen oder abzulehnen, bleibt unberührt 140 • Man könnte deshalb meinen, daß dieses Problem keinen Grund zur Beunruhigung bietet. Ob ein Staat letztlich die Konvention ratifiziert, wird vermutlich nicht nur von den eigentlichen Konventionsbestimmungen abhängen, sondern auch von den Richtlinien und Verfahrensvorschriften, die vom vorbereitenden Ausschuß entworfen worden sind141 • In der Praxis hat sich diese rechtliche Befürchtung mittlerweile jedoch als unbegründet herausgestellt, da der vorbereitende Ausschuß nach Abschluß seiner ersten Sitzungsperiode ein "Consensus Statement of Understanding" bekannt gab, nach dem zur Annahme der Geschäftsordnung sowie der Richtlinien und Verfahrensvorschriften zur Durchsetzung der Resolution II Konsens erforderlich sein SOll142. Trotzdem darf nicht übersehen werden, daß dieses Ergebnis rechtlich nicht durch Resolutionen I und II geboten wird. Im Gebiet des vorläufigen Investitionsschutzes wirft diese Analyse sogar noch größere Bedenken auf. Denn der vorbereitende Ausschuß gibt der Meeresbodenbehörde nicht nur Empfehlungen, sondern entscheidet abschließend darüber, wer in welchen Pioniergebieten Pionieraktivitäten durchführen darf. Es kann kaum bezweifelt werden, daß die Entscheidung, einen bestimmten Antragsteller als Pionierinvestor zu registrieren, de facto auch eine endgültige Entscheidung über die Schürfrechte des Antragstellers ist. Obwohl der Antragsteller nach Inkrafttreten der Konvention die Zustimmung der Meeresbodenbehörde für seinen Abbauplan benötigt, ist es höchst 139 140 141 142

"Ce n'est que le provisoire qui dure", zitiert nach Oxman ·(Fn. 80), S. 245. Ebenda. So auch Eitel (Fn. 110), S. 60. Statement of Understanding (Fn. 89).

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Kap. 3: Vorbereitende Organe internationaler Organisationen

unwahrscheinlich, daß ihm später das Schürfrecht in seinem Abbaugebiet verwehrt werden wird, was ja letztlich auch Sinn und Zweck des vorläufigen Investitionsschutzes ist. Durch den Schutz des Pionierinvestors ist der vorbereitende Ausschuß deshalb in der Lage, die spätere Entscheidung der Meeresbodenbehörde weitgehend zu präjudizieren. Diese präjudizierende Wirkung kommt am deutlichsten auf dem Gebiet des Technologietransfers zum Ausdruck, der schon vor dem endgültigen Inkrafttreten der Seerechtskonvention stattzufinden hat. Sobald ein Pionierinvestor seine Technologie einmal weitergegeben hat, kann er nicht mehr zum status quo ante zurückkehren. Abs. 12 a (iii) der Resolution II hat deshalb letztlich die Wirkung, die Vorschriften über den Technologietransfer der Konvention schon vor ihrer Ratifikation wirksam werden zu lassen. Diese Vorschrift könnte verfassungsrechtliche Probleme für eine Vielzahl westlicher Staaten aufwerfen, denn sie begründet eine unmittelbare Verpflichtung für die Pionierinvestoren, nachdem sie registriert worden sind. Völkerrechtlich begründen die Schlußakte mit den Resolutionen I und II sowie die späteren Entscheidungen des vorbereitenden Ausschusses ohne Zweifel rechtliche Verpflichtungen für die Unterzeichner der Konvention 143 . Deshalb muß auch im Bezug auf die Zeichnung der Konvention wiederum die Frage gestellt werden, ob hier nicht die Prärogativen der Parlamente im Vertragsschlußverfahren unterlaufen werden. Denn die Befugnisse des vorbereitenden Ausschusses sind sehr ähnlich denen der Meeresbodenbehörde, obwohl die Konferenz alle Versuche, den vorbereitenden Ausschuß zu einer vorläufigen Meeresbodenbehörde auszubauen, zurückgewiesen hat 144 • Insbesondere im Gebiet des vorläufigen Investitionsschutzes werden die Entscheidungen des vorbereitenden Ausschusses eine unmittelbare Auswirkung auf die Rechte einzelner Unternehmungen der Zeichnerstaaten möglicherweise ohne die vorherige Autorisierung durch die jeweiligen Parlamente haben.

143 S. o. 144

Kap. 3 IV 3 a. Note (Fn.135), S. 414.

TEIL II

Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen im innerstaatlichen Recht Kapitel 4

Vorläufig angewendete Verträge im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika I. Einleitung

Nachdem die Wirkungen völkerrechtlicher Verträge, die entweder vorläufig angewendet werden oder die vorbereitende Organe internationaler Organisationen errichten, im Völkerrecht diskutiert wurden, tritt nun ihre Wirkung im innerstaatlichen Recht in den Mittelpunkt dieser Untersuchung. Die Grauzone im Recht jedes Landes, wo Völkerrecht und innerstaatliches Recht sich überlappen, wird weitgehend durch die jeweiligen Verfassungen bestimmt. Im ersten zu untersuchenden Staat, den Vereinigten Staaten von Amerika, ist dies die Verfassung von 1787. Im Rahmen der Überlegungen interessiert vor allem die Zulässigkeit und die Wirksamkeit völkerrechtlicher Verträge mit vorläufigen Wirkungen im innerstaatlichen Recht der Vereinigten Staaten. Die Suche nach einer Lösung der dabei auftretenden Probleme muß auf einer Analyse der Beziehungen zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht unter der Herrschaft der US-Verfassung basieren. Da die vorliegende Arbeit sich mit völkerrechtlichen Vereinbarungen und nicht mit der Außenpolitik als Ganzem beschäftigt, werden sich die folgenden Erörterungen allein auf den Abschluß und in gewisser Hinsicht auf die Durchführung von völkerrechtlichen Abkommen in den Vereinigten Staaten beschränken. Bevor die Hauptpunkte der Diskussion in Angriff genommen werden können, ist es dienlich, die Wortwahl hinsichtlich der Verwendung der Begriffe "Vertrag" (treaty) und völkerrechtliche "Vereinbarung" (agreement) in diesem Kapitel zu klären. Zuvor wurden beide Begriffe in austauschbarer Weise im Sinne der Definition des Art. 2 Abs.1 a WVK benutztl. Im ameri1 Art. 2 Abs. 1 a WVK lautet: "'treaty' means an international agreement conc1uded between States in written form and governed by internationallaw, whether embodied in a single instrument or in two or more related instruments and whatever its particular designation;".

8 Montag

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

kanischen Verfassungsrecht hat der Begriff" Vertrag" jedoch eine besondere Bedeutung, die wesentlich enger ist als diejenige, die ihm im Völkerrecht zukommt. Um eine Begriffsverwirrung zu vermeiden, soll in diesem und im nachfolgenden Kapitel "Vertrag" nur verwendet werden, wenn es sich um ein völkerrechtliches Abkommen handelt, das vom Präsidenten der Vereinigen Staaten nach Beratung im Senat und nach Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden Senatoren abgeschlossen wurde. Der Begriff "internationale Vereinbarung" wird alle anderen internationalen Abkommen zwischen zwei oder mehr Völkerrechtssubjekten bezeichnen, die keine Beratung und Zustimmung des Senats erfordern2 . Diese Abkommen werden im amerikanischen Verfassungsrecht als "executive agreements" bezeichnet. Es scheint weiterhin als Grundlage für die Erörterung der speziellen Probleme dieser Arbeit erforderlich zu sein, mit einer kurzen Darstellung des Vertragsschlußverfahrens in den Vereinigten Staaten zu beginnen. Dabei wird die Unterscheidung zwischen Verträgen und den verschiedenen Arten der executive agreements von besonderem Interesse sein. Das Verständnis dieser Unterscheidung bildet nämlich die Basis für die Untersuchung der vorläufig angewendeten Verträge in den Vereinigten Staaten. Die Erörterung der rechtlichen Wirkungen der völkerrechtlichen Vereinbarungen, die vorbereitende Organe zu internationalen Organisationen errichten, im amerikanischen Rechtssystem bleibt einem gesonderten Kapitel vorbehalten.

ll. Das Vertragsschlußverfahren nach der US-Verfassung Die Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787 gibt anders als die Verfassungen vieler Staaten häufig keine Auskunft über die Befugnisse und Verantwortungsbereiche der verschiedenen Gewalten in der Außenpolitik. Sie schweigt ebenso über die unterschiedlichen Rechte und Verpflichtungen des Bundes und der Einzelstaaten im Bereich der auswärtigen Gewalt wie über die Beziehung zwischen Völkerrecht, Bundesrecht und einzelstaatlichem Recht. Einzig Verträge werden behandelt, allerdings nur insoweit, als geklärt wird, wer sie für die Vereinigten Staaten abschließen kann und was ihre Wirkung im innerstaatlichen Recht ist 3 . Die Verfassung selbst unter2 Diese Begriffswahl folgt der Definition des Restatement of Foreign Relations Law of the United States (revised), Tentative Draft No. 1, 1980, § 302 (im folgenden zitiert Restatement Draft No. 1). 3 Art. 11, § 2 lautet: "He (the President) shall have Power, by and with the Advice and Consent of the Senate, to make Treaties, provided two-thirds of the Senators present concur; ... ". Art. VI, § 2 lautet: "This Constitution, and the Laws of the United States which shall be made in Pursuance thereof, and all Treaties made, or which shall be made, under the Authority of the Uni ted States, shall be the supreme Law of the Land; and

11. Vertragsschlußverfahren allgemein

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scheidet jedoch nicht Verträge von anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen, die häufig in der Geschichte der Vereinigten Staaten Anwendung fanden und die in anderen Verfahren abgeschlossen werden. Es gibt drei Möglichkeiten für die Vereinigten Staaten, eine Vereinbarung mit einem anderen Staat abzuschließen: Zunächst kann der Präsident gemäß Art. II § 2 der Verfassung einen Vertrag im engeren Sinne mit der Zustimmung von zwei Dritteln der Senatoren abschließen. Dann können der Präsident und der Kongreß (Senat und Repräsentantenhaus zusammen, wobei jeder durch Mehrheitsabstimmung entscheidet) eine Vereinbarung gemeinsam abschließen, und schließlich kann der Präsident eine völkerrechtliche Verpflichtung gestützt auf seine eigene Autorität eingehen 4• Diese drei unterschiedlichen Verfahrensarten in den Vereinigten Staaten, die oft nicht nur für ausländische Betrachter ein Rätsel waren, werden in dieser Reihenfolge untersucht werden 5 • 1. Verträge

Art. II § 2 der Verfassung überträgt die Vertragsschlußgewalt auf den Präsidenten. Diese Befugnis wird jedoch als ihrer Natur nach unterschiedlich von der Ausübung anderer präsidentieller Befugnisse, wie etwa der Befehlsgewalt als Oberkommandierender der Streitkräfte, angesehen, wahrscheinlich wegen der besonderen rechtlichen Qualitäten eines Vertrages 6 • Die Vertragsschlußgewalt umfaßt Aushandlung, Abschluß, Ablehnung, Ratifikation und Beendigung eines Vertrages 7• Der Präsident selbst ratifiziert einen Vertrag imd nicht etwa der Senat, obwohl der Präsident die Ratifikation nur vollziehen darf, nachdem der Vertrag im Senat beraten wurde und zwei Drittel der anwesenden Senatoren ihm zugestimmt haben. the Judges in every State shall be bound thereby, any Thing in the Constitution or Laws of any State to the Contrary notwithstanding." ~. I, §}O lautet: "(I) No State shall enter into any Treaty, Alliance, or Confederation; ... Für eine gute Darstellung der Verfassungsgeschichte der Vereinigten Staaten hinsichtlich der auswärtigen Gewalt s. Byrd, Treaties and Executive Agreements in the United States, 1960, S. 7 - 79. Zu den Entwicklungen des 19. Jahrhunderts s. Devlin, The Treaty Power under the Constitution of the United States, 1908; vgl. ebenfalls zu früheren Entwicklungen Crandall, Treaties, Their Making and Enforcement, 1. Aufl. 1904. 4 s. Henkin, Foreign Affairs and the Constitution, 1972, Taschenbuchausgabe 1975, S.127. 5 Congressional Research Service (Majak) for the Senate Commission on Foreign Relations, 95th Congress, 1st Session, International Agreements: An Analysis of Executive Regulations and Practices, Comm. Print 1977 (im folgenden zitiert als Congressional Research Service) enthält eine gute Darstellung der Vertragspraxis der Vereinigten Staaten mit einer Aufteilung der Vertragstypen nach ihrer Regelungsmaterie, ebenda, S. 21 - 32. 6 Henkin (Fn. 4), S. 130. 7 Die Beendigung von Verträgen durch den Präsidenten wird in dieser Arbeit nicht erörtert, obwohl darauf hingewiesen werden soll, daß an der Kompetenz des Präsidenten in dieser Frage Zweifel bestehen, was erst kürzlich in Goldwater v. Carter, 444 U.S. 996 (1979) zum Ausdruck kam. 8'

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

Die Rolle des Senats im Vertragsschlußverfahren hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen. Ursprünglich hatten sich die Verfassungsväter den Senat als eine Art Exekutivrat vorgestellt8 . Aber mit der Zeit entwickelte sich die Ausübung seiner Befugnisse durch den Senat dahin, daß er einen Vertrag diskutierte und über ihn abstimmte, nachdem der Präsident ihn ausgehandelt hatte. Auf diese Weise wurde das Erfordernis der Zustimmung des Senats zu einem bedeutenden Kontrollmittel über die Macht des Präsidenten. Durch die Hinzufügung von Vorbehalten, Änderungen, Verständniserklärungen oder Auslegungserklärungen hat der Senat seine Zustimmung zu einem äußerst scharfen Kontrollinstrument entwickelt9 • Die seit langem geübte Praxis des Senats, eine Vielzahl von Verträgen entweder zurückzuweisen oder gar nicht erst zu behandeln, hat einen Präsidenten sogar dazu veranlaßt, den Senat "the grave-yard of treaties" zu nennen 10 • Nach einer Untersuchung vieler Staaten mit einem parlamentarischen Regierungssystem befand ein ausländischer Betrachter, daß in keinem anderen ihm bekannten Staat die Legislative so viele ausgehandelte Verträge zurückgewiesen habe l1 . Er schloß daraus, daß letztlich nur eine Supermacht wie die Vereinigten Staaten sich derartiges würde leisten können 12 • Selbst wenn der Senat seine Zustimmung gibt, ist der Präsident jedoch frei in der Entscheidung, ob er den Vertrag endgültig abschließen will oder nicht 13 • 8 Es scheint nicht ganz klar zu sein, welche Rolle der Senat ursprünglich einnehmen sollte. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß die Senatoren ursprünglich Repräsentanten der Regierungen der Einzelstaaten waren und nicht durch das Volk direkt gewählt wurden. Deshalb bestand eine ihrer Hauptaufgaben darin, die Einzelstaaten gegenüber Übergriffen des Bundes auch im Wege von Verträgen zu sichern. Henkin (Fn. 4), S. 131, glaubt, daß diese Aufgabe zunächst eher beratender Natur war und erst später zu einer echten Entscheidungskompetenz wurde. Wildhaber, Treaty-Making Power and Constitution, 1971, S. 61, ist dagegen der Auffassung, daß der Senat von Anfang an Entscheidungsbefugnisse im Vertragsschlußverfahren haben und sogar an den Vertragsverhandlungen beteiligt werden sollte und daß sich dies mit der Zeit zu einer bloßen Abänderungs- und Veränderungskompetenz reduziert hat. Für die Zwecke dieser Arbeit muß diese akademische Frage nicht entschieden werden. Vgl. dazu auch Staff of the Senate Committee on Foreign Relations, 95th Cong., 1st Session, The role of the Senate in Treaty Ratification, Comm. Print 1977, S. 25 (nachfolgend zitiert als Staff of the Senate F.R. Comm. 1977). 9 s. Staff of the Senate F.R. Comm. 1977 (Fn. 8), S. 45 - 46; ausführlich zum Problem der Vorbehalte Glennon, The Senate Role in Treaty Ratification, AJIL 77 (1983), 257,258 - 266. 10 Präsident Wilson zitiert nach Henkin (Fn. 4), S.132. Secretary of State Hay sagte dazu: "A treaty entering the Senate is like a buH going into the arena: no one can say just how or when the blow will fall - but one thing is certain - it will never leave the arena alive.", Thayes, The Life and Letters of John Hay, Bd. 2, 1915, S. 219; dazu auch Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der Internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 28 f. 11 Wildhaber (Fn. 8), S. 66. Er untersucht das Vertragsschlußverfahren in Australien, Österreich, Belgien, Canada, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Indien, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. 12 Ebenda. 13 Henkin (Fn. 4), S. 136.

11. Vertragsschlußverfahren allgemein

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Grundsätzlich ist der Umfang der Materien, die durch Verträge geregelt werden können, außerordentlich weit 14 • So kann ein Vertrag sogar Materien behandeln, die der Kongreß in anderer als in der Form eines Vertrages überhaupt nicht regeln dürfte 15 • Es gibt jedoch einige Begrenzungen der Vertragsgewalt, die aus dem Prinzip der Gewaltenteilung 16 , den Grundrechten 17 oder der Rechtsnatur des Vertrages selbst 18 erwachsen. Obwohl Verträge praktisch alle denkbaren Materien behandeln können, hat sich in der Praxis herausgestellt, daß bestimmte Gegenstände, wie etwa Handelsfragen, nur durch vom Präsidenten alleine auf der Basis vorheriger Ermächtigung durch den Kongreß abgeschlossener Verträge behandelt werden. Dies führt zur zweiten Art der durch die Vereinigten Staaten abgeschlossenen völkerrechtlichen Vereinbarungen, nämlich den executive agreements, die häufig auch politisch eingesetzt werden, um eine Niederlage im Senat bei einem bestimmten Vertrag zu vermeiden oder, im Falle eines sog. congressional-executive agreement, um Rücksicht auf das Repräsentantenhaus zu nehmen 19 • 2. Executive Agreements

Seit den Anfängen der Vereinigten Staaten sind Tausende von executive agreements abgeschlossen worden, ohne daß dies in der Verfassung überhaupt vorgesehen wäre. Obwohl die Literatur über executive agreements zahlreich ist 20 , bleiben viele Fragen unbeantwortet. Die einzig mögliche Vgl. Restatement Draft NO.1 (Fn. 2), § 305. Missouri v. Holland, 252 U. S. 416 (1920). Der Supreme Court entschied, daß der Kongreß durch völkerrechtlichen Vertrag auch die Materie der Zugvögel regeln konnte, die innerstaatlich innerhalb der Regelungsbefugnisse der Einzelstaaten angesiedelt ist. 16 Justice Fields in Geofroy v. Riggs, 133 U.S. 258, 267 (1890), nach dem die Vertragsschlußgewalt nicht so weit gehen kann, daß sie den "character of the government" ändern könne. 17 s. unten Kap. 4 II 3c. 18 z.B. kann ein Vertrag nur die Materien, die dem Völkerrecht unterstehen, gemäß Art. 2 Abs. 1 a WVK regeln und könnte deshalb nicht etwa ein einheitliches Scheidungsrecht für die Vereinigten Staaten errichten, Henkin (Fn. 4), S.142 - 143. 19 Congressional Research Service (Fn. 5), S.18. 20 Vgl. z.B. Borchard, Treaties and Executive Agreements - A Reply, Yale L.J. 54 (1945), 614 - 64; Byrd (Fn. 3), S.110 - 121, 148 - 179; Catudal, Executive Agreements: A Supplement to the Treaty-Making Procedure, George Washington L. Rev.10 (1942), 653 - 69; Feinrider, America's Oil Pledge to Israel: Illegal But Binding Executive Agreements, N. Y. U.J. Int'l L. & Pol. 13 (1981), 525; Gamer, Acts and Joint Resolutions of Congress as Substitutes for Treaties, AJIL 29 (1935), 482 - 88; Levitan, Executive Agreements: A Study of the Executive in the Control of Foreign Relations of the United States, Illinois L. Rev. 35 (1940), 365 - 395; derselbe, Constitutional Developments in the Control of Foreign Affairs: A Quest for Democratic Control, Journal of Politics 7 (1945), 58 - 92; Lissitzyn, The Legal Status of Executive Agreements on Air Transportation, J. Air L. & Com. 17 (1950), 436 - 53; 18 (1951), 12 - 32; Manin, Presidential Discretion in World Affairs Through Executive Agreements, ASIL Proc. 45 14

15

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

Unterscheidung zwischen einem Vertrag und einem executive agreement ist die, daß der Senat einen Vertrag berät und seine Zustimmung dazu mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gibt, während dies bei einem executive agreement nicht der Fall ist 21 . Hinsichtlich der Gegenstände erscheint es unmöglich zu zeigen, daß bestimmte Materien ausschließlich der Regelung in Verträgen und andere der Regelung in executive agreements vorbehalten sind. Die Wahl zwischen beiden Arten der völkerrechtlichen Vereinbarung scheint weitgehend von innerstaatlichen politischen Überlegungen abhängig zu sein 22 • Es ist jedoch möglich, zwischen drei Verfahrensweisen des Abschlusses eines executive agreements zu unterscheiden: Executive agreements, die aufgrund eines Vertrages abgeschlossen werden, congressional-executive agreements, die durch den Präsidenten und beide Häuser des Kongresses abgeschlossen werden, und sog. "sole" executive agreements, die vom Präsidenten allein abgeschlossen werden 23 • a) Executive Agreements, die aufgrund

eines Vertrages abgeschlossen werden

Verträge regeln manchmal nur die Grundzüge der Verpflichtungen der Vertragsparteien hinsichtlich des Vertragsgegenstandes. Diese allgemeinen Grundzüge müssen dann noch durch weitere internationale Vereinbarungen konkretisiert und durchgeführt werden. Es ist herkömmliche Praxis in den (1951), 10 - 19; Matthews, The Constitutional Power of the President to Conclude International Agreements, Yale L.J. 64 (1955), 345; McClure, International Executive Agreements, 1941; McDougal / Lans, Treaties and Congressional-Executive or Presidential Agreements: Interchangeable Instruments of National Policy, Yale L.J. 54 (1944), 181, 534, nachgedruckt in McDougal, Studies in World Public Order, 1960, S. 407 - 717; McLaughlin, The Scope of the Treaty Power of the United States, Minn. L. Rev. 42 (1958), 709; 43 (1959), 651; Moore, Treaties and Executive Agreements, Pol. Sci. Q. 20 (1905), 385; Plischke, Conduct of American Diplomacy, 3. Aufl. 1967,415 42; Simpson, Legal Aspects of Executive Agreements, Iowa L. Rev. 24 (1938), 67; Wright, The Uni ted States and International Agreements, AJIL 38 (1944), 341. In jüngster Zeit ist eine Debatte darüber entstanden, ob das SALT lI-Abkommen in der Form eines executive agreements abgeschlossen werden kann oder ob es ein Vertrag sein muß, Comment, Approval of SALT Agreements by Joint Resolution of Congress, Harv. Int'l L.J. 21 (1980), 421; Recent Development, Arms Control: SaIt 11 - Executive Agreement or Treaty?, GA J. Int'l & Comp. L. 9 (1979), 123. 21 Staff of the Senate F.R. Comm. 1977 (Fn. 8), S. 27. 22 s. Wildhaber (Fn. 8), S.110. Eine detaillierte Erörterung der verschiedenen Kriterien, die zur Unterscheidung zwischen executive agreements und Verträgen entwikkelt wurden, findet sich in Comment (Fn. 20), S. 430 - 441. Dieser Comment kommt zu dem Ergebnis, daß alle entwickelten Kriterien letztlich keinen objektiven Standard für die Entscheidung der Frage der richtigen Form einer bestimmten völkerrechtlichen Vereinbarung bietet und daß deshalb die Wahl der Vertragsform nach rein pragmatischen Gesichtspunkten getroffen wird, ebenda, S. 441 - 42. 23 Diese Unterscheidung lehnt sich an an Department of State Circular No. 175, § 721.2.b., vom 25. Oktober 1974, 11 FAM 700, abgedruckt in: Glennon & Franck, United States Foreign Relations Law: Documents and Sources, Bd. I, 1980, S. 201.

11. Vertragsschlußverfahren allgemein

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Vereinigten Staaten, daß der Präsident, nachdem der Senat seine Zustimmung zu dem Vertrag gegeben hat, die durchführenden Vereinbarungen als executive agreements, die keiner Behandlung durch den Senat bedürfen, abschließen kann24 • Das executive agreement hat dieselbe Wirkung und Gültigkeit wie der Vertrag, solange es sich innerhalb der Ermächtigungsgrundlage des Vertrages bewegt, der Vertrag vernünftigerweise so interpretiert werden kann, daß er Durchführungsabkommen erfordert oder autorisiert, und das executive agreement seiner Natur nach eine bloße Durchführungsvereinbarung ist 25 .

b) Congressional-Executive Agreements Die zweite Art der executive agreements wird auf der Grundlage der gemeinsamen Befugnisse des Präsidenten und des Kongresses abgeschlossen. Diese executive agreements tauchen grundsätzlich wiederum in drei Formen auf. Erstens kann der Kongreß den Präsidenten ermächtigen, eine Vereinbarung über eine bestimmte Materie auszuhandeln und abzuschließen 26 • Zweitens kann der Kongreß den Präsidenten ermächtigen, im Namen der Vereinigten Staaten bestimmte, schon ausgehandelte Vereinbarungen anzunehmen 27 • Drittens schließlich kann der Kongreß selbst völkerrechtlichen Vereinbarungen durch Verabschiedung eines Gesetzes oder Bereitstellung von Haushaltsmitteln zur Erfüllung der darin enthaltenen Verpflichtungen zustimmen28 • Die verfassungsrechtliche Grundlage der congressional-executive agreements ist jedoch noch völlig unklar. Obwohl die Verfassung nur Verträge im engeren Sinne direkt erwähnt, ist seit langem allgemein anerkannt, daß die Vereinigten Staaten auch andere internationale Vereinbarungen in anderen Verfahren abschließen können 29 • Fraglich ist allein der Umfang derartiger Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 306. Ebenda, Comment (a). Vgl. ebenfalls Wilson v. Girard, 354 U. S. 524 (1957). 26 Vgl. Z. B. 39 U. S. C. § 407 (a) (1976) (Ermächtigung des Posta! Service, mit Zustimmung des Präsidenten Postabkommen auszuhandeln und abzuschließen); 22 U.S.C. § 2395 (b) (1976) (Ermächtigung des Präsidenten, völkerrechtliche Vereinbarungen zum Zwecke der Wirtschaftshilfe abzuschließen); 42 U.S.C. §§ 2153 - 53d (Supp. III 1979) (völkerrechtliche Vereinbarungen über nukleare Zusammenarbeit); Trade Act of 1974, 19 U.S.C. § 2111 (1976 & Supp. IV 1980) (Ermächtigung zum Abschluß von Handelsabkommen) und Trade Agreements Act of 1979, 19 U. S. C. § 2503 (Supp. IV 1980) (Zustimmung zu Handelsverträgen, die auf der Basis vorhergehender Ermächtigungen durch den Kongreß ausgehandelt wurden). 27 z.B. die Joint Resolutions zur Mitgliedschaft der Vereinigten Staaten in der IRO, ch.185, 61 Stat. 214 (1947); FAO, ch. 342, 59 Stat. 529 (1945); UNESCO, ch. 700, 60 Stat. 792 (1946); WHO, ch. 469, 62 Stat. 441 (1948). 28 Vgl. z.B. ch.104, 48 Stat. 534 (1934). 29 B. Altman & Co. v. United States, 224 U.S. 583, 601 (1912), s. auch Weinberger v. Rossi, 50 U.S.L.W. 4354, 4355 n. 6 (1982); Dames & Moore v. Regan, 453 U.S. 654, 680 - 83 (1981); United States v. Pink, 315 U.S. 203, 230 (1942); United States v. Belmont. 301 U. S. 324. 330 - 31 (1937). 24 25

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

Vereinbarungen. So ist vorgeschlagen worden, daß der KORgreß seine Gesetzgebungsbefugnisse im Hinblick auf eine bestimmte Materie mit den Befugnissen des Präsidenten im Bereich der auswärtigen Gewalt vereinen kann 30 . Einige völkerrechtliche Vereinbarungen berühren jedoch überhaupt keine Materien des innerstaatlichen Rechts, was eine Mindermeinung zu der Schlußfolgerung geführt hat, daß auch die Kombination der Befugnisse des Präsidenten und des Kongresses nicht ausreicht, um völkerrechtliche Vereinbarungen über Gegenstände, die nicht innerhalb der Gesetzgebungsbefugnisse des Kongresses liegen, abzuschließen 31 • Daraus folge, daß bestimmte Gegenstände nur durch Verträge geregelt werden können 32 • In der Praxis scheint die Auffassung zu überwiegen, daß Kongreß und Präsident zusammen die nationale Souveränität der Vereinigten Staaten in den internationalen Beziehungen verkörpern und deshalb alle aus der auswärtigen Gewalt fließenden Befugnisse einschließlich des Abschlusses völkerrechtlicher Vereinbarungen ausüben können 33 • Es ist mittlerweile weithin anerkannt, daß das congressional-executive agreement eine vollwertige Alternative zu einem Vertrag ist, so daß der Präsident letztlich die Wahl hat, ob er die Zustimmung zu einer völkerrechtlichen Vereinbarung durch eine Joint Resolution beider Häuser des Kongresses oder durch eine ZweiDrittel-Abstimmung im Senat zu erhalten sucht34 . Die Entscheidung hinsichtlich der Wahl des Verfahrens ist eine politische Entscheidung und liegt völlig in der Hand des Präsidenten35 . Obwohl das congressional-executive agreement wesentliche Vorteile hat, da es das schwierige Senatsverfahren eliminiert und gleichzeitig auch dem Repräsentantenhaus eine Rolle bei der Führung der auswärtigen Angelegenheiten zugesteht, hat es die Verträge im engeren Sinne noch nicht vollstänWright (Fn. 20), S. 345; ähnlich Byrd (Fn. 3), S.154 - 57. Borchard (Fn. 20), S. 632 - 36; Corwin, The Constitution and World Organization, 1944, S. 44; Martin (Fn. 20), S.l1. 32 Byrd (Fn. 3), S. 159 - 60. 33 Henkin (Fn. 6), S.175 stützt sich aufUnited States v. Curtiss-Wright Export Corp., 299 U. S. 304, 319 (1936). Vgl. auch Restatement Draft NO.1 (Fn. 2), § 307 "The President may make any international agreement with the authorisation or approval of Congress dealing with any matter that falls within the power of Congress and of the President under the Constitution." 34 Henkin (Fn. 4), S. 175; Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 305, Comment b; s. auch schon McDougal/ Lans (Fn. 20), S. 255. Corwin (Fn. 31), S. 54, ist der Auffasssung, daß der Senat sich endlich mit den tatsächlichen Entwicklungen abfinden und einer Verfassungsänderung zustimmen sollte, nach der alle völkerrechtlichen Vereinbarungen der Zus~immung beider Häuser des Kongresses bedürfen. 35 Henkin (Fn. 4), s. 175: Eine ausführliche Analyse der praktischen Überlegungen und Verfahren, die dieser Wahl (insbesondere hinsichtlich State Department Circular 175) unterliegen, findet sich in Congressional Research Service (Fn. 5). In der Praxis wird die Wahl nach Maßgabe der Kriterien des Department of State Circular No. 175, § 727.3, vom 25. Oktober 1974,11 FAM 700 abgedruckt in: Glennon & Franck, United States Foreign Relations Law: Documents and Sources, Bd.1, 1980, 201 getroffen. Vgl. auch die anderen Dokumente, S. 199 - 366. 30 31

11. Vertragsschlußverfahren allgemein

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dig ersetzt36 . Nichtsdestoweniger steht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art des executive agreement außer Zweifel, was schon sein häufiger Gebrauch zeigt37. Die in diesem Verfahren abgeschlossenen völkerrechtlichen Vereinbarungen sind mithin innerstaatlich voll gültig.

b) Sole Executive Agreements Die dritte Art der executive agreements besteht aus den Vereinbarungen, die vom Präsidenten allein ohne Zustimmung des Senats oder des Kongresses und nicht auf der Grundlage eines schon vorhandenen Vertrages abgeschlossen werden. Seit jeher herrscht allerdings große Unsicherheit hinsichtlich der Frage der Befugnis des Präsidenten, derartige Vereinbarungen abzuschließen und hinsichtlich der Gegenstände, die durch sole executive agreements geregelt werden können. Es ist niemals bezweifelt worden, daß der Präsident befugt ist, zumindest einige sole executive agreements abzuschließen, wie Z.B. Waffenstillstandsabkommen auf der Grundlage seiner Autorität als Oberkommandierender der Streitkräfte38 . Die Entscheidung des Supreme Court in United States v. Belmont39 kann jedoch so verstanden werden, daß sie die alleinige Vertragsschlußbefugnis des Präsidenten sehr viel weiter ausdehnt. In dieser Entscheidung stellte der Supreme Court fest, daß die Regierungsmacht über innere Angelegenheiten zwischen der Bundesregierung und den Einzelstaaten verteilt sei. Die auswärtige Gewalt sei jedoch durch die Verfassung nicht in gleicher Weise verteilt, sondern ausschließlich der Bundesregierung übertragen worden40 . Auf dieser Grundlage befand der Supreme Court, eine völkerrechtliche Vereinbarung sei ein "compact made between two or more independent nations with view to the public welfare ... But an international compact is not always a treaty which requires the participation of the Senate. There are many such compacts, of which a protocol, a modus vivendi, apostal convention, and agreements like that now under consideration are illustrations"41. Der Belmont-Fall bezog sich auf die Anwendung einer Vereinbarung, die zuvorderst die Anerkennung der Sowjetunion betraf, die aber auch bestimmte privatrechtliche Ansprüche von US-Bürgern gegen die Sowjetunion regelte. Die Anerkennung fremder Staaten wird allgemein als ausschließlich dem Präsidenten zustehende Verantwortlichkeit betrachtet 42 • Im 36

Henkin (Fn. 4), 8. 176.

37 Ebenda, mit ausführlicher Erörterung in Fn. 10. 38 Ebenda, 8.177; Byrd (Fn. 3), 8.168. 39 301 U. 8. 324, 330 - 332 (1937). 40

41 42

Ebenda, 8.330. Ebenda, 8. 330f. Henkin (Fn. 4), 8.177.

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

Ergebnis kann deshalb dem Belmont-Fall entnommen werden, daß die besonderen und ausschließlichen Befugnisse des Präsidenten ihn zum Abschluß völkerrechtlicher Vereinbarungen ermächtigen 43 • Die Führung der auswärtigen Politik obliegt ausschließlich dem Präsidenten, und auch diese Kompetenz soll explizit in der Verfassungsbestimmung, die die Exekutivbefugnisse regelt, auf ihn übertragen seinH . Einige Stimmen in der Literatur waren der Auffasssung, daß der Präsident durch die Verfassung ermächtigt sei, völkerrechtliche Vereinbarungen über alle denkbaren Materien, die die Beziehungen mit dritten Staaten betreffen, abzuschließen 45 • Diese radikale Sicht würde allerdings das Verfahren des Art. II § 2 der Verfassung völlig obsolet werden lassen und ist deshalb abzulehnen46 • Betrachtet man aber die in Literatur und Rechtsprechung geäußerten Auffassungen zum executive agreement in ihrer Gesamtheit, so kann man letztlich nur feststellen, daß es Vereinbarungen gibt, die der Präsident allein abschließen kann, und andere, für die er die Zustimmung des Senats oder des Kongresses benötigt, daß es aber keinen sicheren Weg der Unterscheidung zwischen beiden gibt 47 • Es gibt jedoch einige Beschränkungen der Befugnis des Präsidenten, sole executive agreements abzuschließen, die aus der Praxis der Vereinigten Staaten und den wenigen Gerichtsentscheidungen, die diese Materie betreffen, entnommen werden können. So hat etwa der Kongreß die Kompetenz des Präsidenten zumindest insoweit beschränkt, als sole executive agreements im Kriegsfall und über Abrüstungsfragen stark eingeengt sind48 • Auch die Gerichte haben sich zum Teil zurückhaltend gegenüber der Vertragsschlußkompetenz des Präsidenten geäußert. Der Court of Appeals of the Fourth Circuit weigerte sich beispielsweise im Capps-Fall, ein sole Vgl. Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 308. Henkin (Fn. 4), S. 178. 45 So etwa Wright (Fn. 20), S. 355. 46 So auch Henkin (Fn. 4), S. 179. 47 Ebenda; s. ebenfalls Wildhaber (Fn. 8), S.117; Restatement Draft No.! (Fn. 2), § 307, Reporters' Note (1). 48 Vgl. etwa War Powers Resolution, 50 U. S. C. § 1541 - 48 (1976 & Supp. III, 1979); Arms Control and Disarmament Act, 22 U.S.C. § 2573 (1976). Obwohl regelmäßig Vorschläge für eine umfassende legislative Kontrolle der sole executive agreements gemacht werden, wie etwa im Case Act, 1 U.S.C. § 112b (Supp. IV 1980) oder der Commitments Resolution, 115 Cong. Rec. 3603, 17245 (1969) haben sich die meisten nicht durchsetzen können, vgl. z.B. Morgan-Zablocki Bill, H.R. 4438, 94th Cong., 1st Sess. (1976); Digest of U.S. Practice in International Law 1976, S. 242. Vgl. ebenfalls Treaty Powers Resolution: Hearings on S. Res. 486 Before the Senate Committee on Foreign Relations, 94th Cong., 2nd Sess. (1976) (die Resolution hat den Ausschuß niemals verlassen); Congressional Review of International Agreements: Hearings Before the Subcommittee on International Security and Scientific Affairs of the House Committee on International Relations, 94th Cong., 2nd Sess. (1976). Zu den Erörterungen und Empfehlungen hinsichtlich des Vertragsschlußverfahrens nach Vietnam vgl. Wilson / Franck (Hrsg.), The Constitution and the Conduct of Foreign Policy: An Inquiry by a Panel of the American Society of International Law, 1976. 43

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11. Vertragsschlußverfahren allgemein

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executive agreement, das den Export von Tomaten regelte, als rechtswirksam anzuerkennen 49 . Nach der Auffassung von Judge Parker, der das Urteil des Gerichts schrieb, stehen dem Präsidenten zwar nach der Verfassung bestimmte Befugnisse allein zu, wie etwa diejenigen, die aus seiner Stellung als Oberkommandierender der Streitkräfte fließen, oder die Verpflichtung, darüber zu wachen, daß die Gesetze durchgeführt werden, jedoch gehöre die Kompetenz, innerstaatlichen und internationalen Handel zu regeln, nicht zu den dem Präsidenten vorbehaltenen Aufgaben, sondern werde von der Verfassung ausdrücklich dem Kongreß übertragen 5o • Diese sehr enge Auslegung der Befugnisse des Präsidenten hat allerdings keine weite Anerkennung erfahren und besteht auch nicht den Test der Übereinstimmung mit der PraXiS 51 • Andere von der Literatur vorgeschlagene Einschränkungen der Abschlußkompetenz für sole executive agreements, wie etwa, daß derartige Vereinbarungen nur von kurzer Dauer sein dürfen, nur für die Wahlperiode des Präsidenten, der sie abschließt, gelten oder daß wichtige Vereinbarungen dem Senat vorgelegt werden müssen 52 , stimmen ebenfalls nicht mit der Praxis überein. Möglicherweise ist es sinnvoll, die von Justice Jackson im Youngstown Sheet-Fall 53 für die innerstaatlichen Befugnisse des Präsidenten entwickelten Kriterien auch zur Lösung des Problems, ob der Präsident eine bestimmte Vereinbarung als sole executive agreement abschließen kann, fruchtbar zu machen 54 • Der Supreme Court hat insoweit jedoch noch keine Klarheit geschaffen, und die vorherrschende Ansicht der amerikanischen Verfassungsliteratur scheint dahin zu tendieren, daß es letztlich gar keine rechtliche, sondern nur eine politische Lösung dieses Problems gebe, da zu bedenken sei, daß jeder Präsident mit dem Kongreß auskommen müsse und daß es deshalb seine politische Entscheidung sei, bestimmte Vereinbarungen dem Senat oder dem Kongreß zur Zustimmung vorzulegen 55 • Entscheidendes Kriterium für die Zustimmungsbedürftigkeit ist mithin die politische Bedeutung eines Vertrages, obwohl auch dies nicht immer sicher ist, wenn man bedenkt, daß etwa das Potsdamer Abkommen als executive agreement abgeschlossen wurde 55a • Jedenfalls dürfte es aber Verträge geben, wie etwa 204 F. 2d 655 (1953); bestätigt mit anderer Begründung in 348 D. S. 296 (1955). 204 F. 2d 655, 659 (1953). Zustimmend Byrd (Fn. 3), S. 159 - 160. 51 Henkin (Fn. 4), S. 186. 52 Dazu ebenda, S. 181 - 182. 53 Youngstown Sheet & Tube v. Sawyer, 343 D.S. 579, 634, 635 - 638 (1952). 54 So Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 131, Reporters' Note (3); Feinrider (Fn. 20), S. 542; in diesem Sinne wohl auch Glennon (Fn. 9), S. 273; Trebesch, Stellung und Funktion des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten, Der Staat 12 (1973), 23, 27f. 55 Wie hier auch Henkin (Fn. 4), S. 183 - 184; Wildhaber (Fn. 1), S. 110. 55. Dept. State BuH. 13 (1945), 153; Dept. of State Press Realease No. 238 v. 24. März 1947. 49

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, denen die Vereinigten Staaten ohne Zustimmung des Senats oder des Kongresses keinesfalls beitreten können. 3. Völkerrechtliche Vereinbarungen im innerstaatlichen Recht

Sobald eine Vereinbarung abgeschlossen worden ist, sei es als Vertrag oder als executive agreement, stellt sich die Frage nach ihren Wirkungen im innerstaatlichen Recht. Dabei ist der erste zu erörternde Punkt, ob eine völkerrechtliche Vereinbarung dieselbe Wirkung wie ein vom Kongreß verabschiedetes Gesetz hat. Damit verbunden ist auch die Antwort zu der Frage, ob die Vereinbarung unmittelbar anwendbar, also self-executing, ist oder ob sie die Vereinigten Staaten nur auf der internationalen Ebene verpflichtet. Schließlich können die Verfassung selbst und insbesondere die darin enthaltenen Grundrechte Auswirkungen auf die Gültigkeit einer völkerrechtlichen Vereinbarung haben.

a) Völkerrechtliche Vereinbarungen als "Law of the Land" Gemäß Art. VI § 2 der US-Verfassung sind alle Verträge "supreme Law of the Land". Diese Bestimmung wird allgemein so ausgelegt, daß Verträge Bestandteil des innerstaatlichen Rechts sind, ohne daß es eines Umsetzungsaktes des Kongresses bedürfte56 • Verträge haben denselben Rang wie Gesetze des Kongresses und gehen älteren Gesetzen über dieselbe Materie vor. Da die Verfassung aber die executive agreements nicht erwähnt, ist zweifelhaft, ob diese auch unter die sog. "Supremacy Clause" des Art. VI § 2 der Verfassung subsumiert werden können. Zur Beantwortung dieser Frage ist beispielsweise vorgeschlagen worden, daß executive agreements nur hinsichtlich der in ihnen enthaltenen völkerrechtlichen Verpflichtungen den Verträgen gleichstünden, so daß es für ihre innerstaatliche Geltung immer eines Umsetztingsaktes des Kongresses bedürfe57 • Diese Ansicht ist jedoch vom Supreme Court im Belmont-Fall zurückgewiesen worden 58 • Heute ist es 56 Chief Justice Marshall führt aus: "A Treaty is in its nature a contract between nations, not a legislative act. It is carried into execution by the sovereign power of the respective parties to the instrument. But the United States is different because of article VI, § 2. Consequently, a Treaty has to be regarded as equivalent to an act of the legislature, whenever it operates of itself without the aid of any legislative provision.", Foster v. Neilson, 27 U. S. (2 Pet.) 253, 314 (1829); United States v. Schooner Peggy, 5 U. S. (1 Cranch) 103,109 (1801). Vgl. auch Henkin (Fn. 4), S.156; Byrd (Fn. 3), S. 8 - 86. 57 Dazu Henkin (Fn. 4), S. 184 und Fn. 35. 58 301 U.S. 324, 330 - 31 (1937), s. auch United States v. Pink, 315 U.S. 203, 230231 (1942), Baldwin-Lima-Hamilton Corp. v. Superior Court, 208 Cal. App. 2d 803, 820 (D. Ct. App. 1962).

H. Vertragsschlußverfahren allgemein

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eine gesicherte Erkenntnis, daß congressional-executive agreements wie Verträge unmittelbar innerstaatliche Geltung erlangen und älteren Gesetzen über dieselbe Materie vorgehen 59 • Obwohl einiges dafür spricht, daß dies ebenfalls für sole executive agreements, zumindest im Verhältnis zu einzelstaatlichen Gesetzen gilt, ist die Rechtslage hier noch unklar59a • So wurde etwa behauptet, daß sole executive agreements nur einzelstaatlichen Gesetzen über dieselbe Materie, aber nicht bundesstaatlichen Gesetzen vorgingen 60 . Der über die Rangproblematik herrschende Streit wird wohl bis zu einer abschließenden Entscheidung des Supreme Court nicht beizulegen sein, so daß es für diese Untersuchung nicht dienlich ist, eine tiefere Erörterung vorzunehmen.

b) Unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vereinbarungen Nicht alle internationalen Vereinbarungen sind als innerstaatliches Recht unmittelbar anwendbar. Einige Vereinbarungen, unabhängig davon, ob es sich um Verträge oder executive agreements handelt, richten sich nur an die Vereinigten Staaten als solche und erfordern Durchführungsgesetzgebung. Derartige Vereinbarungen sind nicht unmittelbar anwendbar (self-executing) , da sie eines Gesetzgebungsaktes bedürfen, der ihnen diese Anwendbarkeit erst verleihen S01l61. Wie gesagt, kann dies sowohl auf Verträge im engeren Sinne62a.!s aUch auf executive agreements 63 zutreffen. 59 Henkin (Fn.4), S.185 - 187; Wildhaber (Fn. 8), S.l11. s. ebenfalls Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 131 Abs.1: "Internationallaw and international agreements of the Uni ted States are law of the United States and supreme over the law of the several states."; vgl. ebenfalls Corwin (Fn. 31), S. 42. 59. So ausdrücklich Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 135 Comment a. 60 United States v. Guy W. Capps, Inc., 204 F. 2d 655, 659 (1953), bestätigt mit anderer Begründung, 348 U.S. 296 (1955); dazu auch Feinrider (Fn. 20), S. 541- 542 und Jackson, The General Agreement on Tariffs and Trade in United States Domestic Law, Mich. L. Rev. 66 (1967), 249; Lissitzyn (Fn. 20), S. 444; McDougal / Lans (Fn. 20), S. 343; ausführlich neuerdings Lesser, Superseding Statutory Law By Sole Executive Agreement: An Analysis of the American Law Institute's Shift in Position, VA. J. Int'l L. 23 (1983), 671; dagegen Goldklang, Correspondence: The President, the Congress and Executive Agreements, VA. J. Int'l L. 24 (1983), 755. 61 Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 131 Abs. 3 und Abs. 4, die lauten: "(3) Courts in the United States are bound to give effect to internationallaw and international agreements of the United States, except that a 'non-self-executing' agreement will be given effect only after necessary implementing legislation has been adopted." "(4) An international agreement is non-self-executing if the agreement manifests an intention that it shall not become effective as domestic law without the enactment of implementing legislation, or in those rare cases where implementing legislation is constitutionally required." Es gibt zahlreiche Beiträge der Literatur zum Problem der self-executing-Verträge, s. etwa Claudy, The Treaty Power and Human Rights, Corno L. Q. 36 (1951), 699, 713 728; Evans, Some Aspects of the Problem of Self-Executing Treaties, ASIL Proc. 45

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

Beim Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vereinbarungen müssen zwei Aspekte unterschieden werden 64 • Der völkerrechtliche Aspekt betrifft die Frage, ob eine Vereinbarung auf die unmittelbare Begründung von Rechten oder Pflichten für die einzelnen Bürger, die direkt durchsetzbar sein sollen, abzielt. Die Antwort zu dieser Frage hängt vom Willen der Vertragsparteien, der durch Auslegung der Vereinbarung zu ermitteln ist, ab. Auch Erklärungen des Präsidenten beim Abschluß einer Vereinbarung oder in der Botschaft, mit der er eine bestimmte Vereinbarung dem Kongreß vorlegt, sowie Erklärungen des Senats oder des Kongresses können Hinweise darauf enthalten, ob eine Vereinbarung unmittelbar anwendbar sein soll oder nicht 65 • Der innerstaatliche Aspekt betrifft die Frage, ob und unter welchen Umständen Durchführungsgesetzgebung erforderlich ist, um eine völkerrechtliche Vereinbarung auch für den Einzelnen innerstaatlich durchsetzbar zu machen. Die Antwort zu dieser Frage wird allein vom innerstaatlichen, nämlich vom Verfassungsrecht gegeben. In den Vereinigten Staaten haben eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen die Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vereinbarungen herausgearbeitet66 • Danach ist eine Bestimmung einer Vereinbarung, die nach ihrem Inhalt und Zweck auf die unmittelbare und nicht nur fortschreitende Begründung von Rechten und Pflichten für den einzelnen (1951), 66; ders., Self-Executing Treaties in the United States of America, BYbIL 30 (1954), 178; Preuss, The Execution of Treaty Obligations Through Internal Law System of the United States and of Some Other Countries, ASIL Proc. 45 (1951), 82; ders., On Amending the Treaty Power, A Comparative Study of Self-Executing Treaties, Mich. L. Rev. 51 (1953), 118; Rein, The Enforcement of Multipartite Administrative Treaties in the United States, AJIL 34 (1940), 661, 668 - 679; Riesenfeld, The Doctrine of Self-Executing Treaties and U. S. v. Postal: Win at Any Price?, AJIL 74 (1980), 892. 62 Chief Justice Marshall: "But when the terms of the stipulation import a contract, when either of the parties engage to perform a particular act, the treaty addresses itself to the political, and not the judicial department; and the legislature must execute the contract before it can become a rule for the Court.", Foster v. Neilson, 27 U.S. (2 Pet.) 253,314 (1829); dazu Henkin (Fn. 4), S.157. 63 Henkin (Fn. 4), S. 185. 64 So Riesenfeld (Fn. 61), S. 896 - 98. 65 Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 131, Comment (h); Henkin (Fn. 4), S. 157 - 59. 66 Vgl. z.B. Ware v. Hylton, 3 U.S. (3 Dall.) 199 (1976); Fairfax's Deviseev. Hunter's Lessee, 11 U.S. (7 Cranch) 603 (1813); Hauenstein v. Lynham, 100 U.S. 483 (1880); Neilson v. Johnson, 279 U. S. 47 (1929); Clark v. Allen, 331 U. S. 503 (1947); Kolovrat v. Oregon, 366 U. S. 187 (1961);. Asakura v. Seattle, 225 U. S. 332 (1924); Uni ted States v. Rauscher, 119 U.S. 407, 418 (1886); Chew Heong v. United States, 112 U.S. 536 (1884); Bacardi Corp. v. Domeneck, 311 U. S. 150 (1940); Cook v. United States, 288 U.S. 102, 119 (1933); United States v. Forty-Three Gallons of Whiskey, 93 U.S. 188, 196 (1876). In allen diesen Entscheidungen wurden Verträge für self-executing gehalten. Unmittelbare Anwendbarkeit von Verträgen wurde abgelehnt in Cameron Septic Tank Co. v. Knoxville, 227 U. S. 39 (1913); Holden v. Joy, 84 U. S. (17 Wall.) 211, 246 (1872); Robertson v. General Electric Co., 32 F. 2d 495 (4th Cir. 1929); Sei Fujii v. California, 38 Cal. 2d 718, 242 P. 2d. 617 (1952), bestätigt aus anderen Gründen 217 P. 2d. 481 (1950); United States v. Postal, 589 F. 2d 862 (5th Cir. 1979), cert. denied 444 U. S. 832.

IT. Vertragsschlußverfahren allgemein

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Bürger ohne weitere Konkretisierung ausgerichtet ist, über Art. VI der Verfassung unmittelbar anwendbar67 • c) Verfassungsrechtliche Einschränkungen

Schließlich muß noch darauf eingegangen werden, daß die Verfassung selbst Einschränkungen für völkerrechtliche Vereinbarungen vorsehen kann 6s • Diese Einschränkungen ergeben sich insbesondere aus den Grundrechten 69 . Es ist wiederholt festgestellt worden, daß die Vertragsschlußgewalt durch das Konzept der Gewaltenteilung begrenzt wird. So könnte etwa eine völkerrechtliche Vereinbarung nicht so weit gehen, daß sie den Charakter der Regierung der Vereinigten Staaten ändert 70 • Darüber hinaus kann eine völkerrechtliche Vereinbarung keine Haushaltsmittel bereitstellen, da dies allein dem Kongreß vorbehalten ist 71 • Ein executive agreement ist sogar deshalb für verfassungswidrig gehalten worden, weil es den Export von Tomaten regelte, welcher nach Meinung des Gerichts allein der Regelungsbefugnis des Kongresses unterliegt72. Schließlich ist allgemein anerkannt, daß durch völkerrechtliche Vereinbarungen nicht die Grundrechte der Bürger der Vereinigten Staaten weiter eingeschränkt werden dürfen, als dies der Kongreß durch ein innerstaatliches Gesetz könnte 73 •

Riesen/eId (Fn. 61), S. 901 m.w.Nachw. Byrd (Fn. 3), S.127 - 132 in Bezug auf die Vertragsschlußgewalt. 69 s. den "leading case" Reid v. Covert, 354 U. S. 1 (1957). 70 Geofroy v. Riggs, 133 U. S. 258, 267 (1890); dazu Byrd (Fn. 3), S. 13l. 71 Henkin (Fn. 4), S. 149 - 50, 159. 72 U. S. v. Capps, Inc., 204 F. 2d 655 (1953), bestätigt mit anderer Begründung 348 U. S. 296 (1955). Diese Entscheidung ist heftig kritisiert worden, da es nicht leicht einsehbar ist, warum die Legislativkompetenz des Kongresses als Ganzes unter der "Commerce Clause" für die Bestimmung der Befugnisse des Präsidenten hinsichtlich executive agreements relevanter sein soll als hinsichtlich von Verträgen, weil die fragliche Materie ohne weiteres in einem Vertrag hätte geregelt werden können, welcher das Repräsentantenhaus von der Beteiligung ausgeschlossen hätte; Henkin (Fn.4), S.18l. 73 Vgl. Henkin (Fn. 4), S.187; Byrd (Fn. 3), S. 86 und die ausführlichen Erörterungen auf S. 83 - 110. Einige Strömungen im Kongreß versuchten die Vertragsschlußgewalt weiter zu beschränken. So sollte das sog. Bricker Amendment die unmittelbare Anwendbarkeit aller Verträge verhindern und die Rechtslage nach der Entscheidung Missouri v. Holland, 252 U.S. 416 (1920) verändern. Das Amendment wurde jedoch nicht angenommen. Mit starken, aber letztlich nicht überzeugenden Argumenten für das Amendment plädierte MacBride, Treaties versus the Constitution, 1955. 67

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

ID. Vorläufig angewendete Verträge im amerikanischen Verfassungsrecht Nach diesem kursorischen Überblick über das Vertragsschlußverfahren in den Vereinigten Staaten wird sich die Untersuchung nun auf völkerrechtliche Vereinbarungen mit vorläufigen Wirkungen konzentrieren. Wenn die Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen im Verfassungsrecht erörtert wird, ist es wiederum hilfreich, zwischen zwei Gruppen zu unterscheiden, nämlich der Gruppe der vorläufig angewendeten Verträge gemäß Art. 25 WVK und der Gruppe der Vereinbarungen, die vorbereitende Organe zu internationalen Organisationen begründen. Diese letzte Gruppe soll in Kapitel 5 näher behandelt werden. 1. Die Rechtsnatur vorläufig angewendeter Verträge im Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten

Das amerikanische Verfassungsrecht unterscheidet wie gerade dargelegt grundsätzlich zwischen zwei Arten völkerrechtlicher Vereinbarungen, nämlich Verträgen und executive agreements. Je nachdem, welche Art für den Abschluß einer bestimmten völkerrechtlichen Vereinbarung gewählt wird, sind die Verfahren nach der Verfassung unterschiedlich. Da die anwendbaren Rechtsregeln hinsichtlich der verschiedenen Arten der Vereinbarungen variieren, wenn sie auf gewöhnliche Art und Weise abgeschlossen werden, steht zu vermuten, daß dies auch dann der Fall ist, wenn es sich um vorläufig angewendete Vereinbarungen handelt. Der vorläufigen Anwendung einer Vereinbarung ist in dieser Arbeit völkerrechtliche Bindungswirkung zugemessen worden. Der Abschluß einer vorläufig angewendeten Vereinbarung wurde als eine eigenständige im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung mit demselben Inhalt wie der Hauptvertrag erklärt. Diese im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung hat dieselbe Gültigkeit und dieselben Wirkungen im Völkerrecht wie jede andere unter Art. 2 Abs.l a WVK fallende Vereinbarung. Aus völkerrechtlicher Sicht besteht der einzige Unterschied zum Hauptvertrag darin, daß die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung, also die im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung, nicht ratifiziert werden muß. Ferner ist sie in der Regel nur von begrenzter Dauer und kann ohne besondere Beschränkungen beendet werden 74 • Die Vereinigten Staaten waren an einer ganzen Reihe vorläufig angewendeter Vereinbarungen beteiligt75 • Sie waren es auch, die sich im Frühsta74 75

Vgl. oben Kap. 2 III 7. Vgl. unten Kap. 4 III 2b.

IH. Vorläufige Anwendung im Verfassungsrecht

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dium der Verhandlungen der Dritten Seerechtskonferenz für die vorläufige Anwendung der Seerechtskonvention aussprachen 76 • Die Vereinigten Staaten sind ebenfalls der Auffassung, daß die vorläufige Anwendung Bindungswirkung entfaltet. So hat etwa das State Department in Übereinstimmung mit den Ergebnissen dieser Arbeit festgestellt, daß die vorläufige Anwendung einer Vereinbarung nicht nur bloße moralische, sondern rechtlich bindende Verpflichtungen auslöst 77 . Diese Ansicht wurde jedoch nUr hinsichtlich der völkerrechtlichen Seite des Problems geäußert. Im innerstaatlichen Recht der Vereinigten Staaten steht die Beantwortung der Frage nach der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Präsidenten, die vorläufige Anwendung zu vereinbaren, noch aus 7B • Diese Problematik stellt sich mit besonderer Schärfe, wenn eine bestimmte Vereinbarung der Zustimmung des Senats oder des Kongresses für ihr Inkrafttreten bedarf. In diesem Fall besteht nämlich die Gefahr, daß das Zustimmungserfordernis durch die vorläufige Anwendung einer völkerrechtlichen Vereinbarung umgangen werden kann, wenn der Präsident z.B. damit rechnet, daß die Vereinbarung im Kongreß keine Mehrheit finden würde. Selbst wenn man dem Präsidenten aber die Befugnis zugesteht, die Erklärung über die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Vereinbarungen vor ihrem Inkrafttreten und VOr der Zustimmung der Legislative abzugeben, so bleibt noch die Wirkung der vorläufigen Anwendung im innerstaatlichen Recht zu klären. Es fragt sich mithin, ob auch eine vorläufig angewendete Vereinbarung schon innerstaatliche Geltung erlangen kann, ob sie unmittelbar anwendbar ist und im Rang früheren Gesetzen über dieselbe Materie vorgeht. Im folgenden soll untersucht werden, ob die konzeptionelle Unterscheidung zwischen dem Hauptvertrag, der ratifiziert werden muß, und der Vereinbarung über die vorläufige Anwendung, die eine im vereinfachten Ver76 Statement hy Ambassador Stevenson, UN Doc. A/AC.138/SR.101, S. 2 - 4 (1973), abgedruckt in: Digest of U.S. Practice in International Law 1973, S. 254; s. ebenfalls Statement by Moore, UN Doc. A/AC.138/SC.I/SR.62 - 68, S. 20 - 25 (1973), teilweise abgedruckt in: Digest of U. S. Practice in International Law 1973, S. 268 69. 77 Memorandum von Bevans, Assistant Legal Adviser for Treaty Affairs in the Department of State, in wesentlichen Teilen abgedruckt in: Digest of U.S. Practice in International Law 1974, S. 235. Hinsichtlich der vorläufigen Anwendung der Nahrungsmittelhilfekonvention von 1971, 22 UST 971, TIAS No. 7133, schrieb Bevans, S. 235, daß "it is very difficult, if not impossible, to perceive any deposit of a dec1aration of provisional application as being limited to 'moral implications'. There does not appear to be any basis for such an interpretation either in the provisions of the Convention itself or in generally recognized treaty law and practice." Nach einer Untersuchung von Art. 25 WVK und Art. X der Nahrungsmittelhilfekonvention kam Bevans, aaO, S. 236, zu dem Schluß, daß "it appears that under the provisions of the Food Aid Convention, 1971, both the European Economic Community and governments which deposited dec1arations of provisional application are on the same level as to rights and obligations as governments which deposit instruments of ratification or accession ... " 78 Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 317, Reporters' Note 1.

9 Montag

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

tragsschlußverfahren abgeschlossene Vereinbarung mit demselben Inhalt wie der Hauptvertrag ist, nicht nur im Völkerrecht, sondern auch im innerstaatlichen Recht gilt. Die Gegenstücke zu diesen beiden völkerrechtlichen Vereinbarungen sind im Recht der Vereinigten Staaten der Vertrag bzw. das congressional-executive agreement und das sole executive agreement. Verträge und congressional-executive agreements bedürfen der Zustimmung der Legislative, genau wie der Hauptvertrag der Ratifikation für sein endgültiges Inkrafttreten im Völkerrecht bedarf. Das sole executive agreement ist andererseits der Prototyp einer im vereinfachten Vertragsschlußverfahren abgeschlossenen Vereinbarung, die keine legislative Zustimmung benötigt. Nach diesem Vergleich drängt sich die folgende dogmatische Erklärung der vorläufigen Anwendung im innerstaatlichen Recht der USA auf: Wenn der Präsident der vorläufigen Anwendung einer völkerrechtlichen Vereinbarung zustimmt, schließt er ein mit dem Hauptvertrag inhaltsgleiches sole executive agreement ab. Wenn der Hauptvertrag später von der Legislative angenommen wird, sei es in Form eines Vertrages im engeren Sinne oder als congressional-executive agreement, und daraufhin in Kraft tritt, tritt das sole executive agreement über die vorläufige Anwendung des Hauptvertrages automatisch außer Kraft, und die Vereinigten Staaten werden sowohl völkerrechtlich als auch innerstaatlich nur durch den Hauptvertrag verpflichtet, der den Platz des sole executive agreement einnimmt. 2. Die Befugnis des Präsidenten zur vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Vereinbarungen

Die gerade vorgeschlagene Theorie erkärt das Phänomen der vorläufigen Anwendung und ist, wie im Teil I dieser Arbeit gezeigt, mit dem Völkerrecht vereinbar. Die Befugnis des Präsidenten der Vereinigten Staaten, sich an der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Vereinbarungen zu beteiligen, muß jedoch im Verfassungsrecht gesucht werden 79 • Bei der Suche nach der Ermächtigungsgrundlage können verschiedene Fallgruppen unterschieden werden. a) Sole Executive Agreements

Der erste Fall betrifft die vorläufige Anwendung von sole executive agreements. Es ist zugegebenermaßen schwierig sich vorzustellen, warum ein Präsident überhaupt derartige Vereinbarungen vorläufig anwenden sollte, weil er ja ermächtigt ist, diese Vereinbarung mit sofortiger Wirkung abzuschließen. Aus diesem Grunde liegt wohl auch, soweit ersichtlich, keine 79 Restatement Draft No. 1 2), § 317, Comment (a) geht ebenfalls davon aus, daß die vorläufige Anwendung allein auf der Kompetenz des Präsidenten beruht;

III. Vorläufige Anwendung im Verfassungsrecht

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diesbezügliche Praxis vor. Es ist aber immerhin denkbar, daß auf die vorläufige Anwendung eines sole executive agreements in einem Einzelfall zurückgegriffen wird, entweder aus politischen Gründen oder weil für eine andere Vertragspartei möglicherweise die Zustimmung der Legislative erforderlich ist. Diese Fallkonstellation ist jedoch wenig problematisch. Falls der Abschluß einer völkerrechtlichen Vereinbarung als sole executive agreement ohnehin durch die verfassungsrechtlichen Befugnisse des Präsidenten, etwa als Oberkommandierender der Streitkräfte, gedeckt wird, kann der Präsident das sofortige Inkrafttreten des agreements vereinbaren. Falls er dazu jedoch berechtigt ist, dann muß er auch die Befugnis haben, die Vereinbarung zunächst nur vorläufig anzuwenden und die Vereinigten Staaten erst später endgültig zu binden.

b) Executive Agreements nach vorheriger Ermächtigung durch den Kongreß oder auf der Grundlage eines Vertrages Die zweite Fallgruppe besteht aus den völkerrechtlichen Vereinbarungen, zu deren Abschluß der Präsident durch vorangegangene Gesetzgebung des Kongresses ermächtigt ist, und bei denen er dann ihre vorläufige Anwendung vor dem endgültigen Inkrafttreten vereinbart 80 . Der Fall, daß der Präsident ein executive agreement zur Durchführung eines schon bestehenden Vertrages abschließt, ist als gleichwertig zu behandeln, da in diesem Fall der Vertrag die Ermächtigungsgesetzgebung ersetzt. In der Praxis werden häufig Transport- und Postabkommen vorläufig angewendet. Es ist eine alte Tradition, daß der Postmaster General befugt ist, internationale Vereinbarungen abzuschließen. Die erste Ermächtigungsgrundlage findet sich im "Act to Establish the Post Office and Post Roads within the United States"80. Auch heute noch ist der Postmaster General ermächtigt, mit Zustimmung des Präsidenten Postabkommen für die Vereinigten Staaten abzuschließen 81 . Beispiele für den Gebrauch dieser Ermächtigungsgrundlage aus jüngerer Zeit sind etwa das "Agreement on the Postal Union of the Americas and Spain"82 sowie die Paketpostabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der DDR83 und Ungarn 84 . Alle diese Abkommen sind eine Zeitlang vorläufig angewendet worden. Auf dem Gebiet des Verkehrswesens sind insbesondere Luftverkehrsabkommen vorläufig angewendet worden. Beispiele aus neuerer Zeit bilden hier die Luftverkehrsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und 80

81 82

83 84

9'

Ch. 7, 126, 1 Stat. 232 (1792). 39 U. S. C., § 407 (a) (1976). Vom 18. März 1976, 39 UST 337, TIAS No. 9206. Vom 04. Mai 1979, 30 UST 5750, TIAS No. 9622. Vom 11. Mai 1979, TIAS No. 9797.

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

Jugoslawien 8 5, Papua-Neuguinea86 , Elfenbeinküste87 und Fidji88 • Zunächst herrschte allerdings Unklarheit über die Frage, ob der Präsident derartige Abkommen allein aufgrund seiner Exekutivgewalt abschließen konnte oder ob er dazu einer besonderen Ermächtigung des Kongresses bedurfte. Lissitzyn 89 hat jedoch nachgewiesen, daß diese Ermächtigung, wenn auch nicht explizit, so doch zumindest implizit in den damaligen §§ 801, 802 und 1002 des "CiviI Aeronautics Act" VOn 1938 90 enthalten war, so daß es in der Praxis auf diese Streitfrage nicht ankommt. Auch heute gelten entsprechende Bestimmungen91 • Was die Frage der Befugnis des Präsidenten zur vorläufigen Anwendung anbetrifft, so könnte man argumentieren, daß der Präsident zwar ermächtigt sei, in diesen Fällen völkerrechtliche Vereinbarungen endgültig abzuschließen, aber daß er nicht ausdrücklich ermächtigt sei, ihrer vorläufigen Anwendung vor ihrem endgültigen Inkrafttreten zuzustimmen. Ein solches Argument ist jedoch zu weit hergeholt. Falls ein Gesetz oder ein Vertrag den Präsidenten ermächtigt, bestimmte völkerrechtliche Vereinbarungen abzuschließen, ohne sie dem Kongreß zur Zustimmung vorlegen zu müssen, muß in einer derartigen Ermächtigung impliziert sein, daß der Präsident das Abkommen zunächst auch nur vorläufig anwenden kann und die Vereinigten Staaten erst später endgültig bindet92 • Dieses argumentum a maiore ad minus zeigt, daß es bei dieser Fallgruppe letztlich keinen Anlaß zur verfassungsrechtlichen Sorge hinsichtlich der vorläufigen Anwendung gibt. c) Vorläufige Anwendung von Verträgen oder Congressional-Executive Agreements vor der Zustimmung der Legislative

Wirklich problematisch wird die hier zu erörternde Frage erst, wenn der Präsident eine völkerrechtliche Vereinbarung aushandelt, die entweder der Zustimmung des Senats oder des Kongresses bedarf, und wenn er sich entscheidet, die Vereinbarung vor ihrem endgültigen Inkrafttreten und vor der erforderlichen Zustimmung der Legislative vorläufig anzuwenden. Hier könnten nämlich die Zustimmungsprärogativen des Kongresses unterhöhlt werden, falls der Präsident auf diese Weise den Kongreß vor ein fait Vom 15. Dezember 1977, 30 UST 2817, TIAS No. 9364. Vom 30. März 1979, 30 UST 5672, TIAS No. 9520. 87 Vorn 28. Februar 1978, TIAS No. 9766. 88 Vom 01. Oktober 1979, TIAS No. 9917. 89 (Fn. 20), S. 446. 90 52 Stat. 973 (1938). 91 49 U.S.C. §§ 1461, 1462, 1502 (1976 & Supp. III, 1979). 92 Restatement Draft No. 1 (Fn. 2), § 317, Comment (a) lautet: "it may sometimes be plausible to infer also consent to provisional application of the agreement if there has been already Senate (or Congressional) consent to the agreement." 85

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IIr. Vorläufige Anwendung im Verfassungsrecht

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accompli stellen kann. Es wäre sogar eine Situation denkbar, in der der Präsident sich dazu entscheiden könnte, den Kongreß überhaupt zu umgehen und eine bestimmte völkerrechtliche Vereinbarung unter dem Deckmantel der vorläufigen Anwendung in Wirklichkeit endgültig anzuwenden, obwohl dazu eigentlich die Zustimmung der Legislative erforderlich ist. Denn auf der völkerrechtlichen Ebene macht es letztlich keinen Unterschied für die Verpflichtungen der Vereinigten Staaten, ob ein bestimmtes Abkommen vorläufig angewendet wird oder schon endgültig in Kraft getreten ist, abgesehen von dem weniger bedeutsamen Punkt, daß ein vorläufig angewendetes Abkommen leichter beendet werden kann. Um sich insoweit Klarheit über die verfassungsrechtliche Lage der Vereinigten Staaten zu verschaffen, erscheint es geboten, zunächst die Praxis der Vereinigten Staaten zu analysieren. aa) Rohstoffabkommen Wie schon mehrfach in dieser Arbeit angesprochen, werden Wirtschaftsverträge besonders häufig vorläufig angewendet. Der Hauptgrund besteht zumeist darin, daß die vertragschließenden Staaten eine möglichst schnelle Anwendung des Wirtschaftsabkommens für erforderlich halten, diese aber wegen der langwierigen verfassungsrechtlichen Zustimmungsverfahren auf normalem Wege nicht erreichbar ist. In der Zwischenzeit können sich die wirtschaftlichen Bedingungen schon so verändert haben, daß das Abkommen gar nicht mehr in die neue Landschaft paßt, wenn es schließlich in Kraft tritt. Die Vereinigten Staaten haben sich an einer Reihe von vorläufig angewendeten Wirtschafts abkommen beteiligt, die nun am Beispiel einzelner Rohstoffabkommen untersucht werden sollen. Vier verschiedene Arten der Beteiligung an vorläufig angewendeten Rohstoffverträgen können unterschieden werden. (1) Das charakteristische Merkmal der ersten Untergruppe ist die Beteiligung der Vereinigten Staaten an der vorläufigen Anwendung eines Abkommens, nachdem zuvor innerstaatlich die Zustimmung des Kongresses eingeholt worden ist. Dies traf z. B. im Fall des Internationalen Kaffee-Übereinkommens von 1962 ZU 93 . Das Internationale Kaffee-Übereinkommen von 1962 sah in Art. 64 Abs. 2 vor, daß es vorläufig in Kraft treten kann. Zu diesem Zweck wurde die Notifizierung eines Unterzeichnerstaats, daß er die Ratifikation oder Annahme in Übereinstimmung mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften anstreben werde, in der Wirkung als gleichwertig mit einer Ratifikation oder Annahme betrachtet. Ein Unterzeichnerstaat, der eine derartige Notifikation abgab, sollte vorläufige Vertragspartei des Übereinkommens sein. Am 04. Oktober 1962 übersandte der Präsident das Internationale Kaffee-Über93

Vom 28. September 1962, 14 UST 1911, TIAS No. 5505; UNTS 496, 169.

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

einkommen dem Senat mit der Bitte um Beratung und Zustimmung. Der Senat gab seine Zustimmung am 21. Mai 1963, jedoch wurde die Ratifikation bis zum Erlaß der Durchführungsgesetzgebung zurückgestellt. Am 24. Juni 1963 notifizierten die Vereinigten Staaten jedoch den Vereinten Nationen gemäß Art. 62 Abs. 2 des Übereinkommens, daß sie die Ratifikation so schnell wie möglich vornehmen würden. Die überreichte Note wies darauf hin, daß es für die Vereinigten Staaten erforderlich sei, zunächst Durchführungsgesetzgebung zu erlassen, um den Verpflichtungen aus dem Übereinkommen nachkommen zu können. Bis zur Verabschiedung dieser Gesetzgebung sähen sich die Vereinigten Staaten nicht in der Lage, die Verpflichtungen des Übereinkommens, für die Durchführungsgesetzgebung erforderlich war, zu übernehmen 94 • Aufgrund der Notifikation wurde das Übereinkommen vom 01. Juli 1963 an vorläufig angewendet. Da das Übereinkommen ohne die Ratifikation der Vereinigten Staaten nicht endgültig in Kraft treten konnte, trat es erst am 20. Dezember 1963 nach der Ratifikation durch die Vereinigten Staaten in Kraft 95 . Folglich wurde das Internationale Kaffee-Übereinkommen von 1962 in den Vereinigten Staaten in der Zeit vom 01. Juli bis zum 20. Dezember 1963 vorläufig angewendet, aber nur nachdem zuvor die Zustimmung des Senats eingeholt worden war. Eine ähnliche Situation entstand beim Internationalen Kaffee-Übereinkommen von 1976, das ab dem 01. Oktober 1976 vorläufig angewendet wurde 96 • Obwohl wiederum Durchführungsgesetzgebung erforderlich war, hatte der Senat seine Zustimmung schon am 23. August 1976 gegeben. Der Präsident ratifizierte das Übereinkommen schließlich am 21. September 1976 97 • Auch diese Art der Beteiligung der Vereinigten Staaten an der vorläufigen Anwendung einer völkerrechtlichen Vereinbarung wirft keine schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken auf. Denn der Präsident wird in diesen Fällen schon vor Beginn der vorläufigen Anwendung durch die Zustimmung des Senats ermächtigt, das Übereinkommen zu ratifizieren. Seine Befugnis zur vorläufigen Anwendung kann mithin aus der Zustimmungsresolution des Senats abgeleitet werden 98 • Die einzig bleibende Frage ist die nach dem Umfang, in dem sich die Vereinigten Staaten ohne die erforderliche Durchführungsgesetzgebung durch das Übereinkommen binden können. Dies ist jedoch keine spezifische Frage der vorläufigen AnwenVgl. Whiteman, Digest of International Law, Bd.14, 1970, S. 91 - 92. Ebenda, S. 92. 96 Vom 03. Dezember 1975, 28 UST 6400, TIAS No. 8683. Message from the President of the United States transmitting the Agreement, S. Ex. H., 94th Cong., 2dSess. (1976); Comm. Rep., S. Ex. Rep. No. 94-30, 94th Cong., 2d Sess. (1976). 97 Digest of U. S. Practice in International Law 1976, S. 486. Durchführungsgesetzgebung findet sich im International Coffee Agreement Act von 1980, Pub. L. 96-599, 94 Stat. 349l. 98 So ebenfalls Whiteman (Fn. 94), S. 92. 94

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III. Vorläufige Anwendung im Verfassungsrecht

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dung, denn sie taucht immer dann auf, wenn ein Abkommen vor Erlaß der erforderlichen Durchführungsgesetzgebung für die Vereinigten Staaten in Kraft tritt. Hier finden mithin die allgemeinen Regeln Anwendung. (2) Die zweite Fallgruppe der Beteiligung der Vereinigten Staaten an der vorläufigen Anwendung eines Rohstoffabkommens kann durch das Internationale Zucker-Übereinkommen von 1958 illustriert werden 99 • Dieses Übereinkommen sah in seinem Art. 41 Abs.6 (ii) vor, daß zum Zwecke seines Inkrafttretens die Notifikation einer Regierung, die Ratifikation in Übereinstimmung mit ihren innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Vorschriften so schnell wie möglich sicherzustellen, in der Wirkung einer Ratifikation gleichgestellt werde. Nach Art. 41 Abs. 6 (ii) konnte eine derartige Notifikation auch den Hinweis enthalten, daß die betroffene Regierung das Übereinkommen vorläufig anwenden werde. Falls die Notifikation einen solchen Hinweis nicht enthielt, erlangte die betreffende Regierung einen Beobachterstatus. Um das Inkrafttreten des Internationalen Zucker-Übereinkommens von 1958 zu erleichtern, gaben die Vereinigten Staaten eine Erklärung nach Art. 41 Abs. 6 (ii) ab. Allerdings stellten sie darin ausdrücklich fest, daß sie nur einen Beobachterstatus einnehmen wollten. Am 09. Oktober 1959 wurden die Vereinigten Staaten endgültig vollwertige Vertragspartei, nachdem der Senat dem Übereinkommen am 28. Juli 1959 zugestimmt hatte 100 . Auch diese Art der Beteiligung an der vorläufigen Anwendung einer völkerrechtlichen Vereinbarung, welche der Zustimmung der Legislative bedarf, wirft keine verfassungsrechtlichen Probleme für die Vereinigten Staaten auf. Obwohl in diesem Fall der Präsident die Notifizierung nach Art. 41 Abs. 6 (ii) vor der Zustimmung des Senats zum Internationalen Zukker-Übereinkommen abgab, kann doch gesagt werden, daß er dies allein aufgrund seiner eigenen Befugnisse tun konnte. Denn er verpflichtete die Vereinigten Staaten nicht etwa unmittelbar aus dem Übereinkommen, sondern sicherte ihnen nur einen Beobachterstatus. Die endgültige Bindung an das Übereinkommen wurde erst nach der Zustimmung des Senats erreicht. (3) Eine weitere Möglichkeit der Beteiligung an der vorläufigen Anwendung einer völkerrechtlichen Vereinbarung, für deren Inkrafttreten die Vom 01. Dezember 1958, 10 UST 2189, TIAS No. 4389; UNTS 385,137. Vgl. Whiteman (Fn. 94), S. 88 - 89. Der Botschaft des Präsidenten, mit der er das Abkommen dem Senat zur Beratung überwies, war eine Erklärung des Acting Secretary of State beigefügt, die in ihren wesentlichen Teilen lautet: "This notification (under Article 41 (6) (ii) of the agreement) was given in order to facilitate the entry into force of the agreement, since it was foreseen that certain countries, including the United States, could not complete their constitutional procedures of ratification or accession before January 1, 1959 (Art. 41). The notification does not obligate the United States to do more than seek accession to the agreement. Until accession is accomplished the United States will have the status of non-voting observer. ", abgedruckt in: Whiteman (Fn. 94), S. 89. 99

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Kap. 4: Vorläufig angewendete Verträge in den USA

Zustimmung der Legislative erforderlich ist, zeigt sich im Fall des Internationalen Zucker-Übereinkommens von 1977 101 . Am 28. Dezember 1977 notifizierten die Vereinigten Staaten dem Generalsekretär der Vereinten Nationen gemäß Art. 74 Abs.1 des Übereinkommens, daß sie das Übereinkommen vorläufig anwenden würden "within the limitations of Uni ted States nationallegislation and budgetary process"102. In gleicher Weise hinterlegten die Vereinigten Staaten am 17.Juni 1976 Erklärungen über die vorläufige Anwendung "within the limitation of the United States internallegislation and budgetary process"103 der Protokolle von 1976 über die Dritte Verlängerung des Weizenhandels-Übereinkommens und des NahrungsmittelhilfeÜbereinkommens, die zusammen das Internationale Weizen-Übereinkommen von 1971 bilden 104 . Hierzu wurden schließlich am 17. August 1977 nach der Zustimmung des Senats die Ratifikationsurkunden hinterlegtl 05 . Die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten beide Übereinkommen nur innerhalb der Grenzen ihrer nationalen Gesetzgebung und des Haushaltsverfahrens vorläufig anwendeten, vermeidet die Frage nach der Kompetenz des Präsidenten, die vorläufige Anwendung zu vereinbaren. Denn die abgegebenen Erklärungen besagen im wesentlichen, daß die Übereinkommen nur insoweit vorläufig angewendet werden können, als keine Handlungen der Legislative, sei es des Senats oder des gesamten Kongresses, hinsichtlich des Haushalts oder hinsichtlich etwa erforderlicher Durchführungsgesetzgebung, erforderlich sind. Folglich hatten die Übereinkommen sowohl völkerrechtlich als auch innerstaatlich nur insofern Bindungswirkung für die Vereinigten Staaten, als der Präsident sie aufgrund seiner eigenen Kompetenzen verpflichten konnte. Die Verfassungsmäßigkeit der Handlungen des Präsidenten steht mithin nicht in Zweifel. (4) Die vierte Art der Beteiligung an der vorläufigen Anwendung einer völkerrechtlichen Vereinbarung ist schließlich die problematischste, denn es handelt sich hier um eine unbedingte Beteiligung vor der erforderlichen legislativen Zustimmung. Diese Fallgruppe kann exemplarisch am Beispiel des Fünften Internationalen Zinn-Übereinkommens 106 dargestellt werden. Bei diesem Übereinkommen entschieden sich die Vereinigten Staaten zum 101 Vom 07. Oktober 1977, TIAS No. 9664. Message of the President of the United States transmitting the agreement to the Senate, S. Ex. A, 95th Cong., 2d Sess. (1978); Comm. Rep., S. Ex. Rep. No. 96-15, 96th Cong., 1st Sess. (1979). 102 UN Doc. LE 221/1 (19-18) (1978); vgl. auch Digest of U.S. Practice in International Law 1977, 737. 103 Digest of U. S. Practice in International Law 1976, S. 486. 104 Protocols for the Third Extension of the Wheat Trade Convention and the Food Aid Convention vom 17. März 1976, 29 UST 1715, TIAS No. 8902; Internationales Weizen-Übereinkommen von 1971, vom 29. März 1971, 20 UST 820; TIAS No. 7144. 105 Digest of U.S. Practice in International Law 1977, S. 737. 106 Vom 21.Juni 1975, 28 UST 4619, TIAS No. 8607. Message from the President transmitting the Fifth International Tin Agreement, S. Ex. J, 94th·Cong., 2d Sess. (1976).

IH. Vorläufige Anwendung im Verfassungsrecht

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erstenmal, sich an dem Internationalen Rohstoffsystem für Zinn, das schon seit über 20 Jahren funktionierte, zu beteiligen. Am 29. Juni 1976 notifizierten sie ihre Absicht, die Ratifikation des Übereinkommens herbeizuführen, den Vereinten Nationen gemäß Art. 50 (a) (i) des Übereinkommens 107 . Daraufhin trat das Übereinkommen am 01. Juli 1976 vorläufig in Kraft. Der Senat stimmte jedoch erst am 15. September 1976 zu, und die Ratifikationsurkunde der Vereinigten Staaten wurde am 28. Oktober 1976 hinterlegtl 08 • Das Fünfte Internationale Zinn-Übereinkommen trat schließlich am 14. Juni 1977 endgültig in Kraftl° 9 . Folglich wurde das Übereinkommen zwischen dem 01. Juli und dem 15. September 1976 von den Vereinigten Staaten vorläufig angewendet, ohne daß vorher die Zustimmung des Kongresses eingeholt oder eine Erklärung, die die Wirkungen der vorläufigen Anwendung mit Rücksicht auf die erforderlichen verfassungsrechtlichen Verfahrensschritte und das Haushaltsverfahren eingeschränkt hätte, abgegeben worden wäre. Da die Vereinigten Staaten hier das erstemal Vertragspartei eines Zinn-Übereinkommens wurden, kann die Kompetenz des Präsidenten, sich an der vorläufigen Anwendung des Übereinkommens zu beteiligen, auch nicht aus der Zustimmung des Senats zu vorhergehen