Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika im Zeitalter Bismarcks [Reprint 2019 ed.]
 9783111483795, 9783111117010

Table of contents :
Vorwort
Zur Beachtung
Inhaltsangabe
I. Teil. Der Weg zur nationalen Einheit
Einleitung
Kapitel I. Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten bis zum amerikanischen Bürgerkrieg
Kapitel 2. Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg
Kapitel 3. Preußen, Deutschland und der Sezessionskrieg
Kapitel 4. Die Auswirkungen des Sezessionskrieges auf die europäische Politik
Kapitel 5. Die Vereinigten Staaten und die Begründung des deutschen Nationalstaates
Kapitel 6. Die Vereinigten Staaten und der Deutsch-Französische Krieg 1870/71
II. Teil Der Weg zur Weltmacht
Kapitel 1. Die ersten Wirtschaftskämpfe
Kapitel 2. Deutsche Auswanderung und Auswanderungspolitik nach der Reichsgründung
Kapitel 3. Deutschland und die Vereinigten Staaten in der Südsee
Ausblick
Dokumenten-Anhang
Bücherverzeichnis
Personenverzeichnis

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OTTO GRAF ZU STOLBERG-WERNIGERODE DEUTSCH1AND UND DIE VEREINIGTEN STAATEN

Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika im Zeitalter Bismarcks

Von

Dr. Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode PriTatdozcnt für neuere Geschichte an der Universität Manchen

Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. GOschen'sche Verlagshandlung / J. Gattentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer / Karl J. Trllbner / Veit & Comp.

Berlin und Leipzig 1933

Archiv-Nr. 331383 Orack von Walter de Oruyter (k Ca.. Berlin V 10

Dem Andenken meiner

Mutter

Vorwort* Für das vorliegende Bach sind von mir in Deutschland die Archivalien des Politischen Archives des Auswärtigen Amtes, des Geheimen Staatsarchives Berlin-Dahlem und des Reichsarchives in Potsdam mit seinen Zweigstellen Berlin und Frankfurt a. M. eingesehen worden. In den Vereinigten Staaten standen die Bestände des Archives im Staatsdepartement Washington D. C., der Manuskriptabteilung der KongreßBibliothek, der öffentlichen Bibliothek in New York und die Privatpapiere von Andrew Dickson White in der Bibliothek der ComellUniversität, Ithaca, zur Verfügung. Bei der Eigenart meiner Forschungsaufgabe habe ich eine sehr große Anzahl von Aktenstücken einsehen müssen, die das behandelte Thema nur im weiteren Sinn berühren. Auch Konsularberichte wurden in weitestem Umfange hinzugezogen. Ich darf von einer Einzelaufzählung der benutzten Archivalien daher wohl Abstand nehmen. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 ist als zeitlicher Einschnitt betrachtet worden. Aus dieser mehr äußerlich begründeten Teilung ergab sich der Vorteil, den Stoff übersichtlicher gliedern zu können. Ich habe Wert darauf gelegt, die Fragenkomplexe in sich abzurunden; so z.B. von dem Karolinenkonflikt mit Spanien 1885 eine quellenmäßig aufgebaute Darstellung gegeben, obgleich dieser Streit nur peripherisch die deutsch-amerikanischen Beziehungen berührt. Nur die Samoafrage habe ich in ihrer letzten Entwicklung nach 1890 nicht mehr ausführlich behandelt, da mir bekannt war, daß diese Zeit von anderer Seite bearbeitet wird, und die deutsche Kolonialpolitik nach 1890 in einen ganz anderen politischen Zusammenhang gehört. Im ersten Kapitel sind die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten bis zum amerikanischen Bürgerkrieg im großen Zusammenhang geschildert worden. Obgleich dieses Kapitel nur an einigen Stellen Anspruch darauf erheben kann, neue Forschungsergebnisse zu liefern, so war doch eine solche Zusammenfassung um so notwendiger, als sie noch gänzlich fehlt. Auch habe ich im zweiten Kapitel den amerikanischen Bürgerkrieg und die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den europäischen Großmächten historisch entwickelt, auf die Gefahr hin, dem amerikanischen Leser nichts Neues zu sagen, da ich nicht ohne weiteres darauf rechnen durfte, daß die amerikanische

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Vorwort

Geschichte dem deutschen Leser vertraut ist. Wenn das Buch mit verhältnismäßig vielen Fußnoten belastet ist, so sollen diese andern Forschern auf dem noch wenig beschrittenen Gelände den Weg ebnen. Die Auswahl der im Anhang veröffentlichten Aktenstücke ist wegen der Raumknappheit unter den Gesichtspunkt gestellt worden, daß in erster Linie solche Stücke aufgenommen sind, die der deutschen Forschung unmittelbar nutzbar gemacht werden können. Außerdem wurden noch einige Dokumente beigefügt, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung der Öffentlichkeit vorgelegt werden sollten. In das Bücherverzeichnis haben über die für das Buch benutzte Literatur hinaus Titel solcher Bücher Aufnahme gefunden, welche die Politik der Vereinigten Staaten gegenüber europäischen Mächten behandeln. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind für den von mir behandelten Zeitraum nur in einer Schrift bisher zusammenhängend betrachtet worden, und zwar von Jeannette Keim, Forty Years of American-German Relations, Philadelphia 1919. Das Buch von Keim ist in einem unverdienten Maße in Deutschland unbekannt geblieben, weil es bereits kurze Zeit nach dem Weltkriege erschienen ist. Die Verfasserin hat die deutschen und amerikanischen Staatsarchive für ihre Arbeit noch nicht benutzen können, aber mit viel Fleiß die gedruckte Literatur zusammengestellt und aus Manuskriptsammlungen Neues hinzufügt. Ich habe mich ihres Buches mit viel Nutzen bedient, so sehr mir auch günstigere Zeitumstände gestattet haben, stofflich weit über dieses hinauszugehen. Bei den Vorarbeiten habe ich ein so ungewöhnliches Maß von Interesse und freundlichem Entgegenkommen gefunden, daß ich fast in Verlegenheit bin, nach welcher Richtung hin sich mein Dank zunächst richten soll. Für das Zustandekommen eines längeren Forschungsaufenthaltes in den Vereinigten Staaten bin ich dem Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte, Herrn Professor Coßmann, besonders verpflichtet, der mich überhaupt bei meinem Vorhaben mit Anteilnahme beraten und gefördert hat. In seiner damaligen Eigenschaft als Referent der Kriegsschuldforschung im Auswärtigen Amt hat mir der Gesandte in Riga, Herr Dr. Friedrich Stieve, für meine Arbeiten in Amerika Beihilfen vermittelt. Das Entgegenkommen der HamburgAmerika-Linie, besonders ihres leider inzwischen verstorbenen Generaldirektors Dr. Cuno, hat die Überfahrt ermöglicht. Wiederholte Forschungsstipendien der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und des Preußischen Kultusministeriums, die mir auf freundliche Vermittlung der Herren Geheimrat Oncken und Ministerialrat Windelband gewährt worden sind, haben die Durchführung des ganzen Arbeitsplanes gesichert. Mein hochverehrter Lehrer, Herr Geheimrat Erich Mareks,

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Vorwort

die Herren Geheimrat Oncken und Professor Paul Herre haben mich in der liebenswürdigsten Weise beraten; für die letzte Fassung waren Ratschläge und Anregungen der Herren Professoren Arnold Oskar Meyer und Karl Alexander von Müller sowie des Bibliotheksdirektors Wilhelm Herse in Wolfenbüttel für mich von großem Wert. In meinen Dank an die genannten Herren schließe ich auch den Grafen Albrecht zu StolbergWernigerode wegen seines betätigten Interesses ein. Auch bei den Leitern und Beamten der Archive und Bibliotheken konnte ich stets mit bereitwilligem Eingehen auf meine Wünsche rechnen. Kann ich den Bank dafür auch nur in allgemeiner Form zum Ausdruck bringen, so möchte ich doch die Herren vom Amerika-Institut Dr. Bertling und Professor Dr. Schönemann, vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes Geheimrat Saß und Legationsrat Dr. Kämpfe, Mr. Tyler Dennett vom Staatsdepartement in Washington, sowie den Bibliothekar der Kongreß-Bibliothek Mr. Putnam erwähnen, die mir meine Arbeiten in jeder erdenklichen Weise erleichtert haben. Eine Dankespflicht ganz besonders angenehmer Art habe ich der Vorsteherin des Staatsarchives in Washington, Mrs. Maddin Summers, abzutragen. Schon bei meinen Arbeiten im Staatsdepartement 1928 hat mir Mrs. Summers mit ihren großen archivalischen Kenntnissen manchen Umweg erspart und mich auf manche neue Spur verwiesen. Einen weit größeren Dienst hat mir jedoch Mrs. Summers nach meiner Rückkehr nach Deutschland geleistet. Auf jede Frage habe ich von ihr in den letzten Jahren bereitwillige und immer ausgezeichnete Auskunft erhalten; über dies hinaus verdanke ich ihr die Beschaffung eines sehr beträchtlichen Teiles desjenigen Stoffes, den ich bei der knapp bemessenen Zeit in den Vereinigten Staaten nicht mehr zusammenzubringen vermochte. Ohne die unermüdliche und ungewöhnlich verständnisvolle Mitarbeit von Mrs. Summers hätte ich das Buch in der jetzt vorliegenden Form niemals schreiben können. Sehr nützlich sind für mich auch kleinere Untersuchungen gewesen, die ihr Sohn Herr Lionel Summers sowie Herr Richard C. W. De Wolf in der Kongreß-Bibliothek übernommen haben, soweit sie nur an Ort und Stelle auszuführen waren. Abgesehen von der unschätzbaren Mitarbeit meiner Frau haben mir bei den letzten Durchsichten und Lesen von Korrekturen die Herren Studienassessor Nithack und Valjavec hilfreich zur Seite gestanden. Zum Schluß habe ich noch der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft für die Bewilligung eines Druckkostenzuschusses sehr zu danken. München, Ende Februar 1933. S t o l b e r g - W e r n i g e r o d e , Deutschland u. d. V. Staaten.

b

Zur Beachtung Häufige AbkOrzungen: Ges. W. oder G. W. = Bismarcks Gesammelte Werke, Friedrichsruher Ausgabe; F. R. = Papers relating to Foreign Relations. Im Text in Klammem gesetzte Daten ohne besondere Angabe bedeuten stets amtliche Berichte oder Erlasse

Inhaltsangabe I. Teil Der W e g zur n a t i o n a l e n Einheit

Seite v

Vorwort Inhaltsangabe

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Einleitung

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K a p i t e l i. Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten bis zum amerikanischen Bürgerkrieg

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K a p i t e l 2. Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg K a p i t e l 3. Preußen, Deutschland und der Sezessionskrieg

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K a p i t e l 4. Die Auswirkungen des Sezessionskrieges auf die europäische Politik . .

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K a p i t e l 5. Die Vereinigten Staaten und die Begründung des deutschen National* staates 98 K a p i t e l 6. Die Vereinigten Staaten und der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 121 I I . Teil Der W e g zur W e l t m a c h t K a p i t e l 1. Die ersten Wirtschaftskämpfe

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K a p i t e l 2. Deutsche Auswanderung und Auswanderungspolitik nach der Reichsgründung 190 K a p i t e l 3. Deutschland und die Vereinigten Staaten in der Südsee. I. Deutsche und amerikanische Kolonialpolitik II. Die Großmächte und Samoa

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Ausblick

«98

Dokumenten-Anhang

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Bücherverzeichnis

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Personenverzeichnis

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L Teil

Der Weg zur nationalen Einheit

S t o l b e r g - W e r n i g e r o d e , Deutachland u. d. V. Staaten.

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Einleitung. Das Buch über Deutschland und die Vereinigten Staaten ist aus dem Erlebnis des Weltkrieges entstanden. Für die jüngere Kriegsgeneration kam der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg besonders überraschend. Die Beteiligung der Amerikaner am Kriege wollte durchaus nicht in das Bild passen, das diese Generation vom Schulunterricht mitgenommen hatte. Von amerikanischer Geschichte, von den Grundlagen des amerikanischen Staates bestanden bei ihr nur ganz undeutliche Vorstellungen. Die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten für den Ausgang des Krieges so wichtig geworden sind, so verhängnisvoll für Deutschlands Schicksal, regte zum Nachdenken über die früheren Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern an. Wer sich da nicht mit oberflächlichen Erklärungsversuchen begnügen wollte, die von allen Seiten reichlich angeboten wurden, der mußte in der Vergangenheit nachforschen, um eine einigermaßen befriedigende Begründung für die Vorgänge der Gegenwart zu finden. Doppelt wachsam mußte man da allerdings gegenüber der Versuchung sein, aus den jüngsten Ereignissen Rückschlüsse auf die Vergangenheit zu ziehen und umgekehrt. Ich habe es deshalb dankbar empfunden, daß die Art des Stoffes mich zwang, die Darstellung zeitlich weit zurückzuverlegen. Gleichzeitig habe ich durch zeitliche Begrenzung den Vorteil ausgenützt, um die Persönlichkeit Bismarcks das schwer Faßbare, das sonst leicht Auseinanderfließende dieser Beziehungen zu ordnen. Es kam auf eine Gesamtdarstellung an. Der Anspruch wird nicht erhoben, daß für alle angeschnittenen Fragen schon die endgültige Antwort gefunden worden ist. Das Interesse an dem behandelten Thema ist in letzter Zeit so erfreulich gewachsen, daß sicherlich im einzelnen noch wertvolle Ergänzungen und Vertiefungen zu erwarten sind. Absichtlich wurde bei dem Titel des Buches das Wort »Beziehungen« vermieden. Denn nicht nur Beziehungen im engeren Sinne sollten geschildert, sondern ähnliche Erscheinungen in den beiden Ländern beobachtet und auf ihre tieferen Zusammenhänge untersucht werden. Aus diesem Grunde schien es mir auch gerechtfertigt, besonders in den ersten Abschnitten des Buches die andern europäischen Länder stärker mit zu berücksichtigen, als es dem Thema streng genommen entsprach. Denn das besondere Kennzeichen des deutsch-amerikani1»

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Einleitung.

sehen Verhältnisses hat für einen längeren Zeitraum in einer politischen Mittelbarkeit bestanden; es wurde durch die Politik anderer Mächte, vornehmlich Englands, wesentlich mitbestimmt. Das zeitliche Zusammentreffen bedeutungsvoller Ereignisse der deutschen und amerikanischen Geschichte ist jedoch allzu augenfällig, als daß man es übersehen könnte. Aus den Erfolgen Friedrichs II. von Preußen im Siebenjährigen Kriege entwickelte sich das neue Deutschland. Der gleichzeitige Kampf Englands mit seinen amerikanischen Kolonien gegen Frankreich entschied die Zukunft Nordamerikas. Frankreich verlor Kanada; die Vorherrschaft des Protestantismus in Nordamerika war damit gesichert. Hundert Jahre später, im Jahre 1864, standen wieder deutsche und amerikanische Soldaten auf den Kriegsschauplätzen von zwei Erdteilen. Wohl waren die Ursachen, die zu dem amerikanischen Bürgerkrieg und dem dänischen Krieg geführt haben, sehr verschieden; aber das eigentliche Endziel war doch das gleiche, hier wie auf der andern Seite des Ozeans wurde um die Wiedererlangung der nationalen Einheit gekämpft. Die Kämpfe an den Düppeler Schanzen, wie um Richmond, legten den Grundstein für den geschlossenen Nationalstaat. Nach dem Abschluß dieser Einigungskämpfe wurde für Deutschland und die Vereinigten Staaten die Aufgabe vordringlich, die Kräfte nach innen zusammenzufassen. Das Deutsche Reich hat sich früher wieder weltpolitischen Problemen zugewandt, als die Vereinigten Staaten. Die Anfänge der deutschen Kolonialpolitik fanden in der amerikanischen Union noch keinen entsprechenden Widerhall. Im Gegenteil, die siebziger und achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts zeigen die amerikanische Politik selbstgenügsam, nach innen gerichtet, ohne Fernziele. Amerika brauchte noch immer seine ganze Kraft für den großen Vormarsch nach dem Westen des Binnenlandes. Und doch handelte es sich für die Vereinigten Staaten damals um eine Vorbereitungszeit. Die Ansprüche kommender Zeiten wurden schon angemeldet, auch gegenüber Deutschland. Der Norddeutsche Bund war erst vor kurzem begründet, als schon der Vorsitzende des amerikanischen Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, Charles Sumner, die Regierung um Benachrichtigung ersuchte, falls der Norddeutsche Bund beabsichtigen sollte, eine Flottenstation in Westindien zu erwerben. Der letzte Schuß in Frankreich war noch nicht lange verhallt, als die Regierung in Washington bei ihrem Berliner Gesandten mißtrauisch anfragte, was Deutschland in Venezuela erstrebe. Vergeblich bemühte sich Carl Schurz, bei der großen Senatsdebatte 1871 über die Insel San Domingo in Westindien, die der Präsident Grant zu annektieren wünschte, seine amerikanischen Landsleute davon zu überzeugen, daß Deutschland nicht an einen Erwerb von San Domingo dächte; zu stark

Einleitung.

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war schon die Ansicht verbreitet, daß das eben geeinigte Reich mit seiner wachsenden Bevölkerung sich dorthin wenden müsse, wo noch Spielraum vorhanden sei. Wobei das Gefühl mitsprach, daß die Interessensphäre der Union dadurch berührt werden könne. Als dann Deutschland ernstlich begann, sich in den Kolonialwettbewerb einzuschalten, waren die Vereinigten Staaten mit Protesten und Einwänden sogleich zur Hand, wenn sich die Möglichkeit eines eigenen späteren Anspruches ergab. Und mochte die Überzahl der Amerikaner außenpolitischen Erwägungen noch so gleichgültig, ja fast feindlich, gegenüberstehen, in einzelnen Politikern, wie dem Staatssekretär James Blaine, in dem Diplomaten John Kasson lebte die Tradition des Imperialismus weiter, der vor dem amerikanischen Bürgerkrieg schon so lebendig gewesen war. Bismarck mußte daher bei verschiedenen Gelegenheiten, auf der westafrikanischen Konferenz (1884), im Karolinenstreit (1885), und bei der Samoa-Frage die amerikanischen Interessen mit berücksichtigen. Die Vereinigten Staaten waren zu Bismarcks Zeiten noch keine Weltmacht. Aber ihre Doppelstellung als atlantischer und pazifischer Küstenstaat wies ihren Handel auf diejenigen Wasserstraßen, auf diejenigen Inselgruppen, die von den andern großen Mächten befahren und in Anspruch genommen wurden. Sieht man aus diesem Gesichtswinkel die deutschen Angelegenheiten, so läßt sich behaupten, daß es von besonderem Vorteil gewesen wäre, wenn sich die Einigung Deutschlands zwanzig Jahre früher vollzogen hätte. In einer ruhigen Ubergangszeit würden sich die Deutschen dann auf die durch die Technik revolutionierte Wirtschaft umgestellt haben. Auch bei der Suche nach Siedlungsland für seine überzähligen Menschen wäre Deutschland aller Voraussicht nach damals noch nicht auf so starke Widerstände gestoßen, wie es nachher der Fall gewesen ist. Besonders Englands Handlungsfreiheit war wegen der inneren Neuordnung des Imperiums und der politischen Gegensätze zu Frankreich und den Vereinigten Staaten in dieser Zeit noch stark behindert. Deutschland trat außerdem zu einem Zeitpunkt in die Reihe der großen Nationalstaaten ein, in dem sich die Weltwirtschaft bereits umgebildet hatte; es mußte gewissermaßen in der Hochsaison seine Einkäufe erledigen, anstatt im Ausverkauf, jeden kleinen Vorteil auf kolonialem Gebiete durch unbequeme Reibungen, später sogar mit Entschädigungen bezahlen. Es gab keine Möglichkeit, kleinere Zusammenstöße mit den Vereinigten Staaten bereits in den achtziger Jahren zu vermeiden. Wie besonnen und vorsichtig waren Bismarcks Anfänge in der Kolonialpolitik, ein Vorwärtstasten, widerwillig aus dem Zwange geboren, der deutschen Wirtschaft, dem deutschen Kaufmann zu helfen! Wenn die

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Einleitung.

unhaltbare Herrschaft zu Dreien — Deutschland, England und die Vereinigten Staaten — in Samoa zu Streitigkeiten führte, wenn die konsularischen Vertreter, weit von ihrem Heimatstaat entfernt, auf eigene Faust Politik trieben, so konnte eine auch noch so gemäßigte Politik vorübergehende Belastung der gegenseitigen Beziehungen nicht verhindern. Die Vereinigten Staaten glaubten schließlich über Bismarck zu triumphieren, als dieser 1889 in der samoanischen Frage nachgab. In Wirklichkeit hat er keinen Augenblick an einen Krieg mit der Union gedacht. Die Pflege einer überlieferten Freundschaft, die möglichste Schonung der amerikanischen Empfindlichkeit ist ihm richtunggebend geblieben. Aber ein anderes Moment sollte dem deutsch-amerikanischen Verhältnis allmählich eim anderes Gesicht geben. Von den achtziger Jahren an tritt die Wirtschaftsrivalität zwischen den beiden Ländern immer deutlicher zutage. Vor der Reichsgründung war der Handel der Vereinigten Staaten mit den deutschen Einzelstaaten nicht entfernt so wichtig für jene, wie der Handel mit andern Ländern Europas. Nachher rückte Deutschland rasch an eine hohe Stelle. Die Entwicklung der beiden Länder zu Industriestaaten hatte für sie verschiedene Folgen. Deutschland wurde Einfuhrland für Lebensmittel und Rohstoffe, die Vereinigten Staaten blieben Selbstversorger; sie waren das große Proviantlager Europas und konnten obendrein mit billigen Industrieprodukten die Konkurrenz unterbieten. So waren die Vereinigten Staaten auch imstande, das Gesetz im Handelsverkehr willkürlich zu bestimmen; sie versagten Gegenseitigkeit, wo Deutschland solche gewährt hatte; ihre einschneidenden Schutzzolltarife in den neunziger Jahren waren für den deutschen Partner schwer tragbar. Als ersten Vorläufer dieser Wirtschaftskämpfe, die mit Unterbrechungen bis zum Weltkriege gedauert haben, muß man die Vorgänge des Jahres 1884 ansehen. Die Erregung, die damals in den Vereinigten Staaten über die deutschen Einfuhrverbote entstand und zu diplomatischen Auseinandersetzungen führte, ist ein untrügliches Zeichen, wie wichtig Deutschland bereits für für die Vereinigten Staaten als Absatzgebiet geworden war. Da gerade die Wirtschaftsfragen auch eng mit den Interessen der Auswanderer verbunden waren, so haben sie zweifellos dazu beigetragen, wenigstens in bestimmten Kreisen der Bevölkerung eine unfreundliche Stimmung aufkommen zu lassen. Die Atmosphäre gegenseitiger Gereiztheit, die Andrew Dickson White, als er 1896 zum zweitenmal als Botschafter nach Berlin kam, so sehr überraschte, ist mit darauf zurückzuführen. Die eigentliche Schlüsselstellung aber für die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ist immer England gewesen. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, diese Tatsache in meinem Buche

Einleitung.

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genügend hervortreten zu lassen. Die Meinung, die die Deutschen und Amerikaner voneinander hatten und sich fortwährend bildeten, wurde von England her auch dann noch bestimmt, als sich der amerikanische Nachrichtendienst weitgehend von dem englischen unabhängig gemacht hatte. Bereits in der Zeit Bismarcks kann man die Anzeichen einer angelsächsischen Interessengemeinschaft auf dem amerikanischen Kontinent, mehr aber noch im Räume des Stillen Ozeans erkennen; eine Interessengemeinschaft, die in dem Augenblick politisch von Bedeutung werden konnte und auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen zurückwirken mußte, als die Weltmächte das Schwergewicht ihrer Politik vom Atlantischen nach dem Stillen Ozean zu verlegen begannen.

Kapitel I.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten bis zum amerikanischen Bürgerkrieg. Zwei Tatsachen haben die Neuzeit bestimmt: die Entdeckung Amerikas und die Reformation '). Die Religionskämpfe, die das ganze sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert erschüttern, finden in dem Ringen um den Besitz Amerikas ihre Ergänzung. Die Großmächte streben nach Ausdehnung ihrer Machtsphären. Nachdem sich zwei konfessionelle Lager gebildet hatten, mußte der nationale Raum erweitert werden. Deshalb ragt Amerika so tief in das europäische Schicksal hinein. Die Bedürfnisse der Handelspolitik, das Suchen nach neuen Handelsstraßen zum Orient, führten zur Entdeckung eines neuen Erdteils. Die eigentlich kolonisatorischen Aufgaben wurden erst im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert in Angriff genommen. Nachund nebeneinander haben Portugal, Spanien, Holland, England und Frankreich sich den Besitz der neuen Welt streitig gemacht. Sieger ist schließlich England geblieben, nicht weil es stärker, sondern weil es weniger an Europa gebunden war. Die Deutschen sind an diesen weltpolitischen Entscheidungen nicht beteiligt gewesen. Deutschland hatte die Reformationsbewegung ausgelöst, aber seine nationale Form damals noch nicht gefunden. Die Glaubensspaltung konnte nur die politische Zersetzung beschleunigen. Der Aufstieg der Westmächte, schon Jahrhunderte früher beginnend, setzte sich nach der Reformation in beschleunigtem Tempo fort. Die Reformation legte die Gesamtfront von Westen nach Osten um. Größe und Macht des mittelalterlichen Reiches hatten auf dem Einheitsgedanken des christlichen Abendlandes beruht. Mochte diese Einheit schließlich eine Fiktion sein, sie hatte den Deutschen erlaubt, mit geographisch unvorteilhaften und ethnographisch verschwommenen Grenzen ihre Kulturaufgabe in Europa zu erfüllen. Je mehr aber diese Idee den aufkommenden nationalen Gewalten gegenüber an Bedeutung ') Vgl. für das Folgende A. Rein, Der Kampf Westeuropas um Nordamerika im 15. und 16. Jahrhundert.

Bedeutung der deutschen Auswanderung.

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verlor, desto deutlicher wurde offenbar, daß Deutschland kein klar umrissener Raum war. Westen und Osten trugen auf deutschem Boden ihre Gegensätze aus. Gleich Amerika wurde Deutschland für Jahrhunderte Schlachtfeld im eigentlichen und übertragenen Sinne. Die Not am eigenen Raum wurde ein entscheidender Faktor der deutschen Geschichte. Die Deutschen, die die Weite und das große Abenteuer suchten, gingen in die Fremde und in fremden Dienst. In Amerika fanden sie eine Zufluchtsstätte gegen Bedrängung und eine neue Heimat, wenn die alte sie nicht mehr ertrug. Die unmittelbaren Wirkungen des Dreißigjährigen Krieges und die Einbruchsfeldzüge Ludwigs XIV. führten die von William Penn gerufenen Pfälzer nach Pennsylvanien. Im neunzehnten Jahrhundert war die Zahl der deutschen Einwanderer zu Millionen angeschwollen. Sie kamen nicht als Soldaten unter eigener Flagge; aber mit den Angelsachsen zusammen eroberten sie die Erde Nordamerikas für die menschliche Zivilisation. Ihre Verdienste als Pioniere sind ihnen nicht abzustreiten. Sie waren besonders befähigt, unter schwierigsten Verhältnissen sich zu behaupten und auf vorgeschobenem Posten unvergleichlich; oft mehr bereit die Scholle, die sie einmal in Besitz genommen hatten, auszubauen und zu verteidigen, als es dem unruhig vorwärtsdrängenden Abenteurergeist der Angelsachsen lag. Das Gebiet, das die deutsche Einwanderung vornehmlich überflutete, zwischen Piedmont Plateau und dem Great Valley, ist ein Denkmal für deutschen Unternehmungsgeist und deutschen Fleiß geworden l ). Es ist deshalb auch nicht richtig, zu sagen, daß die Deutschen an der Entstehung der Vereinigten Staaten keinen Anteil gehabt hätten. Denn viele deutsche Kolonisten standen in den Reihen der amerikanischen Milizen, als der Krieg mit Frankreich um Kanada das Vorspiel zur Unabhängigkeitserklärung einleitete. In noch größerem Maße war dies natürlich im Unabhängigkeitskrieg der Fall. Ein deutscher Staat, Preußen, hat auch unmittelbar in das amerikanische Geschick eingegriffen. In dem jahrhundertelangen Kampf zwischen England und Frankreich war der Frieden von Aachen nur eine Atempause. Seit 1755 befanden sich die beiden Mächte faktisch wieder im Kriegszustand. Die Kolonialsysteme, auf amerikanischem Boden nebeneinander ausgebildet, waren so gegensätzlich, daß es zu fortwährenden Streitigkeiten kam. Die britischen Kolonien fühlten sich durch die mit den Franzosen verbündeten Indianerstämme in ihrer Sicherheit bedroht. Die Frage wurde zur Beantwortung reif, ob Nordamerika mehr ein protestantisches oder mehr ein katholisches Gesicht tragen solle. Denn in einem ») Vgl. A. B. Faust, Das Deutschtum in den Vereinigten Staaten, 2 Bde. 1912; ders., The German Element in the United States, 2 Bde. in einem, 1927, mit großer Bibliographie.

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Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten usw.

Strom von Blut war das protestantische Neufrankreich in Amerika kurz vor der Bartholomäusnacht den Spaniern unterlegen 3). Die Westminster Konvention, die Preußen und England am 16. Januar 1756 abschlössen, verdankte ihre Entstehung dem Wunsch des englischen Königs, Hannover vor europäischen Verwicklungen zu sichern. Eine doppelte Garantie Rußlands und Preußens schien dieses Ziel zu erreichen. Friedrich hoffte durch diese Konvention noch rechtzeitig einen Keil in die drohende Koalition zu treiben, er glaubte, daß England als Zahlmeister für eine österreichisch-russisch-sächsische Kombination notwendig sei. Beide Teile täuschten sich. Rußland entzog sich, durch den Vertrag erbost, seinen Garantieverpflichtungen gegenüber Hannover. Friedrich erreichte weiter nichts, als daß nun erst recht die feindliche Koalition zusammengeschmiedet wurde. Deswegen hat man in England das preußische Bündnis, als der europäische Krieg 1756 ausbrach, zunächst als eine sehr unerwünschte Bürde angesehen. In der Tat brauchte der äußerst bedrängte König von Preußen weit mehr Hilfe, als er zu gewähren vermochte. Wenn Georg II. durch die Konvention von Kloster Zeven, die von Friedrich II. als Verrat betrachtet wurde, die hannoverische Last abzustoßen versuchte, so war das vom britischen Standpunkt aus durchaus verständlich. Erst mit Roßbach änderte sich die Sachlage vollkommen. Die Jahre 1756 und 1757 hatten für England viele Schläge gebracht; besonders im zweiten Jahre des Siebenjährigen Krieges traf eine Hiobspost nach der anderen in London ein. Nach Kolin, Hastenbeck, Kalkutta kam am 16. August die Nachricht von der Aufgabe von Ostende und Nieuport, am 30. wurde der Verlust von Louisburg gemeldet. Nur eine gute Nachricht aus Indien stand dem gegenüber. Am 23. September kam die Nachricht, daß es dem von Madras nach Bengalen gesandten Oberst Clive gelungen war, Chandernagor, die französische Station am Hugli, zu erobern. Zu allem Unglück war auch die Flottenaktion gegen Frankreichs Küste gescheitert. Es läßt sich daher denken, was damals die frohe Kunde von Roßbach für die niedergedrückte englische Stimmung bedeutete. Mit einem Schlage wurde Friedrich zum willkommenen Verbündeten. Von diesem Zeitpunkt an begriff Pitt, daß Sieg oder Untergang Preußens auch entscheidend auf den Ausgang des Weltkrieges, den England führte, einwirken mußten 4). Wohl konnte der Krieg in Amerika 1759 mit der Einnahme von Quebec zu einem gewissen Abschluß gebracht werden. Aber schließlich ist erst durch die Erfolge, die 3) Rein S. 232. 4) The Cambridge History of the British Empire II, 460 fi.; R. Lodge, Great Britain and Prussia in the Eighteenth Century S. 74 ff. Für den Eindruck von Roßbach auf England vgl. A. v. Ruville, William Pitt II, 183.

Friedrich der Große im amerikanischen Urteil.

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über die französischen Waffen am Rhein errungen werden konnten, überhaupt durch Friedrichs des Großen unerwartet hartnäckigen Widerstand das Eingreifen Frankreichs in den europäischen Krieg zu dem großen Fehler geworden, der diesem Lande das amerikanische Kolonialreich kostete s ) . Es ist eigentümlich zu sehen, wie lebhaft man in Amerika die Wichtigkeit der preußischen Waffenerfolge für den amerikanischen Krieg empfand. Wohl war nach Roßbach der Zusammenhang der Kämpfe von England her stark unterstrichen worden. Pitt hatte die Parole des Religionskrieges ausgegeben, die auch im Parlament Widerhall fand 6 ). Es ging aber so weit, daß in den Kirchen Neuenglands für den Erfolg der friderizianischen Waffen gebetet wurde, „denn", so meinte ein Prediger in Boston, „seine Siege sind auch unsere" 7). Der Geistliche James Sterling von Kent County verherrlichte in einem Gedicht Friedrich als »royal comet«, als neuen Arminius 8 ). Besonders stark war natürlich der Eindruck bei den deutschen Kolonisten. Als Steuben zwanzig Jahre später auf seiner Reise nach dem Hauptquartier durch Pennsylvanien kam, stieß er überall auf Spuren der Bewunderung und Anhänglichkeit. Deutsche Gasthäuser in Philadelphia nannten sich »Zum König von Preußen«, in nicht wenigen Wohnungen fand Steuben das Bild seines Königs 9). Die zeitgenössische amerikanische Literatur hat dann Friedrich als Schiedsrichter, als weisesten Mann Europas und als einen Fürsten gerühmt, der schon vermöge seiner geistigen Überlegenheit auf der amerikanischen Seite stehen müsse. Washington nannte in einem Brief an Lafayette es die denkbar höchste Ehre, von einem so großen Staatsmann und Feldherrn wie Friedrich ehrenvoll empfangen zu werden I0). Die Legende, daß Friedrich Washington einen Degen 5) Den S t a n d p u n k t , d a ß es ein Fehler Frankreichs gewesen sei, in den europäischen K r i e g einzugreifen, vertritt z. B . B r a d l e y , T h e F i g h t with France for North America S. 140. 6 ) T h e Parliamentary History of England from the earliest Period t o the Y e a r 1803 X V , 785 ff. 7) Boston E v e n i n g Post, 27. Juni 1793. 8 ) Frederick Wilkens, E a r l y Influence of German Literature in America, Americana-Germanica I I I , S. 156. 9) F . K a p p , Leben des amerikanischen Generals Friedrich Wilhelm v o n Steuben S. 61. 10 ) F . K a p p , Friedrich der Große und die Vereinigten Staaten von A m e r i k a S. 12. Vgl. auch das Urteil B e n j a m i n Franklins über Friedrich: " . . . Three monarchys the most powerful in Europe besides the Swedes, on his B a c k a t once; no m a g n a m i t y (sic) b u t his own could think on bearing i t ; no Courage b u t his that would not sink under it; no a n y less B r a v e r y Skill and A c t i v i t y than his that would equal t o i t " ; an D a v i d Hall, London, 8. April 1759; M. Victory, Benjamin Franklin and Germany, Americana-Germanica Nr. 21, S. 13.

12 Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten usw.

übersandt habe, spricht ebenso für Friedrichs Ansehen in Amerika wie der vorübergehend aufgetauchte Gedanke, den Bruder des Königs, den Prinzen Heinrich, auf den Königsthron der selbständig gewordenen Kolonien zu setzen 11). Friedrichs Ruhm und Autorität waren auch der eigentliche Grund dafür, daß während des Unabhängigkeitskrieges die amerikanischen Kommissare um sein Wohlwollen, ja um die Anerkennung der aufständischen Kolonien sehr nachdrücklich warben "). Man wird sich an und für sich hüten müssen, die politische Bedeutung des Reiches und seiner Staaten für die Aufständischen zu überschätzen. Frankreich als stärkster Gegenspieler Englands hatte den unbestrittenen Vorrang; dann kamen Rußland, Spanien, Portugal und Holland; Preußen und Österreich doch erst zu allerletzt '3). Die kurzsichtige Politik der Kleinstaaten war nicht dazu angetan, die Achtung vor dem Reich zu heben. Der moralisch so verwerfliche Soldatenhandel für Englands Rechnung tat auch politisch schweren Abbruch. Es war doch keineswegs so, daß diese Verkäufe nach den damaligen Anschauungen entschuldigt werden können. Sie offenbarten so sehr die jammervolle Schwäche des Reiches, so lebhaft wandte sich inner- und außerhalb der deutschen Grenzen der Widerwille dagegen, daß die Rechtfertigungsversuche kläglich scheiterten m). Freilich war in diesen deutschen Söldnern der deutsche soldatische Ehrbegriff schon vorhanden, ihre Tapferkeit errang sich auch die Anerkennung des Feindes I S ) . Die Kommissare haben im übrigen darauf geachtet, daß von Deutschland her keine Gefahr für die französische Politik entstand. Um das Bündnis mit Frankreich ging es für sie in allererster Linie. Deshalb war auch Friedrichs Politik von Wichtigkeit. Die Aufständischen konnten sich beglückwünschen, daß der Preußenkönig, seit dem Siebenjährigen Kriege gegen die Engländer erbittert, ihnen die amerikanischen Unannehmlichkeiten gönnte. Er hat den Ernst des Aufstandes für England schnell erkannt. Trotzdem wünschte er nicht ") Vgl. darüber R. Krauel, Prince Henry of Prussia and the Regency of the United States 1786, American Historical Review XVII, 44. ") Zum Folgenden: F. Kapp, Friedrich der Große und die Vereinigten Staaten von Amerika; P. Harworth, Frederick the Great and the American Revolution, American Historical Review IX, 460 ff. 'J) So wird die Lage im Brief von John Adams an Baintree, 4. Aug. 1779 gekennzeichnet; Works VII, 99 ff. M) Z. B. Benjamin Franklin an John Winthrop, Paris, 1. Mai 1777, F. Wharton, The Revolutionary Diplomatic Correspondence of the United States II, 311. •5) Vgl. E. J. Lowell, Die Hessen und die anderen deutschen Hilfstruppen im Kriege Großbritanniens gegen Amerika 1776—1783, herausgegeben v. O. C. Verschuer.

Friedrich der Große und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg.

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sich irgendwie festzulegen. Sein vorübergehendes Verbot des Durchzuges britischer Hilfstruppen durch seine Lande war ein Gegenzug gegen die unfreundliche britische Politik in Danzig, eine ausschlaggebende Bedeutung hat dieses Verbot nicht gehabt l 6 ). Die amerikanischen Kommissare waren zu diesem Zeitpunkt wegen der deutschen Truppentransporte schon nicht mehr sehr beunruhigt. Es hatte sich ein Sturm der Entrüstung gegen den Verkauf deutscher Soldaten inner- und außerhalb des Reiches erhoben, auch durften die deutschen Kleinfürsten kaum wagen, ihr Land allzusehr von Truppen zu entblößen Freilich darf man Friedrichs starke Worte über den Soldatenhandel nicht nur als Taktik werten. Der Führer des stärksten deutschen Staates wurde das Sprachrohr der allgemeinen Kritik, ihm konnten die kleinen und eigensüchtigen Mittel der deutschen Höfe nur zuwider sein. So ist der Preußenkönig damals, wenn auch im wohlverstandenen preußischen Staatsinteresse, für politische Gesittung und das nationale Ansehen eingetreten. Es war ganz berechtigt, daß alle, die sich innerlich gegen die Schande auflehnten, Friedrich zujubelten. Im übrigen hat er sich den Lockungen der amerikanischen Kommissare zu entziehen gewußt. Es wurden unverbindliche Besprechungen über einen eventuellen Handelsaustausch angeknüpft, die aber nicht weitergediehen. Der König schrieb in einer Kabinettsorder an Schulenburg am 12. März 1777, daß ohne Flotte der Handel nicht geschützt werden könne l8 ). Die Amerikaner konnten nur die Zusage des Ministers von der Schulenburg vom 16. Januar 1778 erlangen, daß Preußen die Unabhängigkeit der Kolonien anerkennen werde, sobald Frankreich mit gutem Beispiel vorangegangen sei '9). Aber selbst diese Zusage konnte Friedrich nicht halten. Der Ausbruch des bayerischen Erbfolgekrieges 1778 lenkte seine Aufmerksamkeit stark ab. Jetzt konnte er sich eine offene Stellungnahme gegen England wegen Hannover überhaupt nicht mehr leisten, denn es kam darauf an, die hannoverische Armee von etwa 30000 Mann nicht in das feindliche Lager zu drängen.

16) Vgl. E. Reimann, Neuere Geschichte des Preuß. Staates II, 651. >7) Kapp überschätzt das Verbot in s e i n e r Bedeutung ; Friedrich der Große S 70 f. ; ders.. Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika S. 157 ff. Von Harworth in dem schon erwähnten Artikel wird zeitliche Beschränkung des Verbotes betont. Vgl. auch A. Lee an das Comittee of Foreign Affairs, Berlin, 11. Juni 1777: ". . . The consequence of the Prince of Hesse's conduct is beginning to be a lesson to the other German princes, so that it is not probable, they will draw any more supplies from them. The country of Hesse is depopulating so fast, from the apprehension of being forced into this service that the women are obliged to cultivate the lands . . ." Wharton II, 335. 18) Kapp, Friedrich der Große S. 12. >») a. a. O. S. 5 2 .

14 Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten usw.

Aus dem gleichen Grunde war jetzt auch die Wiener Politik zur äußersten Vorsicht genötigt. Der amerikanische Kommissar beurteilte die Lage richtig, wenn er im September 1778 die Wahrscheinlichkeit einer offenen Parteinahme der Berliner oder Wiener Regierung als gering ansah"). Beunruhigender war freilich vom amerikanischen Standpunkt aus die Möglichkeit, daß Frankreich durch Bündnispflicht gezwungen werden könne, in den Krieg einzugreifen und damit für die Teilnahme am amerikanischen Kriege nicht mehr in Betracht käme. Da aber Frankreich die Bundespflicht als nicht gegeben betrachtete und es trotz des Marsches Friedrichs nach Böhmen zu wirklich kriegerischen Unternehmungen nicht kam, waren die Amerikaner sehr erleichtert. „Wir haben gegenwärtig nichts von Deutschland zu fürchten", meinte John Adams J I ). Von einer Freundschaft Friedrichs für die aufständischen Kolonien Großbritanniens darf man nicht sprechen. Die wohlwollende Neutralität Preußens gegenüber Frankreich, die einzig und allein — wenn man nicht den Einfluß, den Preußen damals in Holland wegen der preußischen Gemahlin des Statthalters besaß, erwähnen will — in die Wagschale fiel, war ein glücklicher Zufall, der sich aus der allgemeinen Mächtegruppierung ergab. Es ist nicht anders, Preußens einziges, aber großes Geschenk — der Deutschen Gabe an die kämpfenden Kolonien — war ein früherer preußischer Offizier, Friedrich Wilhelm von Steuben, der sich 1777 den Amerikanern als Freiwilliger anbot"). Er hatte am Siebenjährigen Kriege teilgenommen und war bei Roßbach verwundet worden. Der König hatte ihn nach dem Kriege belohnt. Wir vermögen nicht mit Sicherheit zu sagen, weshalb Steuben den preußischen Dienst verließ. Es scheint sich um persönliche Unstimmigkeiten gehandelt zu haben, entscheidend war wohl, daß er das eintönige Garnisonsleben nicht ertrug. Wir finden ihn als Hofmarschall des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, dann am Hofe Karl Friedrichs von Baden wieder. Durch Vermittlung des französischen Kriegsministers, des Grafen St. Germain, entstand der Plan, Steuben nach Amerika zu schicken. Die amerikanische Miliz brauchte einen geschulten, bewährten Offizier; St. Germain 10 ) William Lee an Committee of Foreign Affairs, Paris, 12. Sept. 1778, Wharton II, 714 fi. ") John Adams, Works VII, 19. Den Wert, den E. F. Hanfstaengl, Amerika und Europa von Marlborough bis Mirabeau S. 68 dem Bericht beimißt, besitzt er nicht. Dagegen sprechen die ruhigen Berichte der amerikanischen Kommissare aus dem Jahre 1778. ") Zum Folgenden: F. Kapp, Leben des amerikanischen Generals Friedrich Wilhelm von Steuben. Eine neue Steuben-Biographie, die vor allem Steubens Leben in Deutschland ausführlicher behandeln würde, ist ein dringendes Bedürfnis.

Steuben.

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hatte Steuben seit dem Siebenjährigen Kriege beobachtet und hielt ihn für den geeigneten Mann. Steuben mußte in Amerika mit einem höheren Rang angekündigt werden, als er besaß. Die Verhandlungen führten zu keinem gesicherten Vertrag. Die Franzosen ließen ihn mit vielen guten Wünschen, aber ohne Versprechungen ziehen. Steubens ehrenvolle Aufnahme in Amerika galt daher nicht in erster Linie dem Offizier des großen Königs. Es war der Abgesandte Frankreichs, der gefeiert wurde. Aber immerhin lief ihm der friderizianische Ruhm voraus. Von den Amerikanern deutschen Ursprungs wurde er herzlichst begrüßt. Washington kam ihm aus dem Hauptquartier entgegen. Steubens Name war die Losung des Tages. Die militärische Lage der Aufständischen war zwar nicht geradezu verzweifelt, als Steuben im Hauptquartier von Valley Forge eintraf. Nach der britischen Kapitulation von Saratoga wird sogar Boston vom Feinde geräumt. Aber die amerikanische Miliz war in Auflösung begriffen. Es fehlte den Truppen am nötigsten und vor allem am rechten Geist. In Scharen strömten die Angeworbenen in die Heimat zurück. Im Angesicht des Feindes mußte Washington eine neue Armee sammeln. Steuben verstand kein Wort Englisch. Er hatte keine Zeit, sich an die ihm gänzlich fremden Verhältnisse zu gewöhnen. Er begann damit, die Truppe in kleinster Einheit zu schulen. Er selbst gab das Beispiel. Beispiel war hier alles. Er brachte den Amerikanern den preußischen Pflichtgedanken, das Verständnis für Disziplin. Aber er vermied preußische Methoden, die hier nicht hingehörten. So gelang es ihm, in kurzer Zeit erstaunliche Fortschritte zu erzielen. Aus einem bewaffneten Haufen wurden Soldaten einer Armee. Steuben hatte mit sehr vielen Widerständen zu kämpfen. Erst am 5. März 1778 wurde er Generalinspektor. Man neidete ihm, dem Fremden, seine Stellung. Washington wußte, was er an diesem Manne hatte. Steubens Exerzierreglement wurde allgemein eingeführt. Er bewährte sich auch an der Front unter schwierigsten Verhältnissen. Virginische Milizen wurden ihm unterstellt, mit denen er sich gegen disziplinierte englische Truppen halten mußte. Am Tage der Kapitulation von Yorktown, die den Krieg zugunsten der Aufständischen entschied, kommandierte Steuben in den Laufgräben. Im Heeresbericht wurde er besonders erwähnt. Der Enkel des Generals Greene hat Steubens militärische Verdienste im Unabhängigkeitskrieg neben denen Washingtons und seines Großvaters am höchsten bewertet J3). In der Tat wird es seiner persönlichen Leistung zuzuschreiben sein, wenn die >3) G. W. Greene, The German Element in the War of American Independence S. 85.

16 Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten usw.

Amerikaner das militärische Selbstvertrauen erhielten, das ihnen zum Erfolge fehlte. Nach dem Kriege, der für die Kolonien so erfolgreich verlief, träumte man vielfach in Europa von neuen Handelsmöglichkeiten. Besonders ließ Josef II. seine Phantasie in dieser Richtung schweifen und bereits während des Krieges mit John Adams Besprechungen anknüpfen. Triest, Fiume und die österreichischen Niederlande wurden als Basis eines ausgedehnten Handels genannt. John Adams, der sich im Haag aufhielt, befürwortete den Vertrag, obgleich das Haus Österreich Gegner der Bourbonen sei. Als Kaiser sei Josef II. ein Faktor, den man nicht übergehen könne Aber diese nebelhaften Pläne zerrannen zu Wasser. Weit erfolgreicher gestalteten sich die Verhandlungen mit Preußen. Auch Friedrich teilte den allgemeinen Optimismus. So zurückhaltend er während des Krieges gewesen war, so entschieden drängte er jetzt zum Abschluß eines solchen Vertrages, nachdem die Hemmungen der Politik gefallen waren. Erst seit kurzem im Besitz von Ostiriesland, lag ihm viel an einem Ausbau von Emden zu einem bedeutenden Handelsplatz *5). Der Austausch von schlesischem Leinen gegen virginischen Tabak war bereits während des Krieges erörtert worden. Der Kongreß, der hauptsächlich aus politischen Gründen für Handelsverträge sehr zu haben war, beauftragte seine drei in Europa befindlichen Kommissare Franklin, Jefferson und Adams, mit dem Deutschen Reich, Preußen, Dänemark, Portugal, Spanien, dem Papst und Toskana über Freundschafts- und Handelsverträge zu verhandeln. Man dachte durch eine Kette von Verträgen das feste Gefüge des britischen Handelssystems zu lockern, im Kriegsfall sich gegen die englische Seewillkür den Rücken zu decken. Friedrich hatte im November 1783 seinen Pariser Gesandten beauftragt, mit den amerikanischen Kommissaren die Verbindung aufzunehmen ä6 ). Als sich in Paris die Verhandlungen in die Länge zogen, wies er Thulemeyer im Haag zur Rücksprache mit Adams an. Die Amerikaner legten das Hauptgewicht auf die Sicherheit des Privateigentums im Seekriege, während Friedrich um der erhofften Handelsvorteile willen bereit war, auf alle amerikanischen Wünsche einzugehen, da Preußen kaum in einen großen Seekrieg verwickelt werden konnte. So kam am 24. September 1785 der Preußisch-Amerikanische Vertrag zu-

»4) Vgl. Hanfstaengl, Amerika und Europa S. 115 ff.; Adams, Works V I I I , 95 ff>5) a. a. O. Works VII, 1 0 7 ! ; B. M. Victory, Benjamin Franklin and Germany S. 14. 2) Pr. Ministerium des Inneren an Auswärtiges, 22. Aug. 1827; Erlaß an Niederstetter vom 16. Okt. 1827. Vgl. a. J . Q. Adams, Memoirs V I I , 5 1 5 fl., sowie Treaties and Conventions S. 1377 ff.

28 Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten usw.

auch dem anderen Teile zugute kommen, welcher dieselben, wenn sie ohne Gegenleistung zugestanden ist, ebenfalls ohne eine solche, wenn sie aber an die Bedingung einer Vergeltung geknüpft ist, gegen Bewilligung derselben Vergeltung genießen wird" 59). Gleichzeitig verhandelten die Vereinigten Staaten auch mit den Hansestädten. Bereits an der Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts hatten Hamburger und Bremer Schiffahrtskreise vielfache Berührungen mit Amerika 6o). Junge Amerikaner erschienen, um in Hamburg die »Handlung« zu lernen und sich auf der dortigen Handelsakademie weiterzubilden. Und viele hanseatische Kaufleute gingen damals nach Amerika. Gerade die Jahre zwischen 1795 und 1799 waren gute Zeiten für Hamburg und Bremen gewesen, da diese von ihrer Neutralität im englisch-französischen Kriege profitierten. Sie wurden die wichtigsten Stapelplätze für tropische Genußmittel. Aber diese Blüte hielt nicht an; der europäische Krieg, vor allem die Kontinentalsperre, lasteten schwer auf der Seeschiffahrt. Ende 1808 erschienen die letzten amerikanischen Segler auf der Elbe. Erst nach 1813 konnte der Seeverkehr allmählich wieder aufgebaut werden. Die frühere Blüte erreichte das transatlantische Geschäft zunächst nicht. Immerhin richtete Hamburg 1817 ein Generalkonsulat in Philadelphia ein. 1815 bekam New York den ersten Bremer Konsul. Der große Anstoß für die Neubelebung des Handelsverkehrs mit Amerika kam durch den Unabhängigkeitskampf der südamerikanischen Kolonien. ,,Hamburg hat Kolonien erhalten", sagte man damals. Stürmisch warf sich der hanseatische Unternehmungsgeist auf das lockende Geschäft. Stand auch Südamerika im Vordergrund, so wurde doch der Verkehr mit Nordamerika immer lebhafter. Von 1820 bis 1827 betrug der Totalwert des Warentransportes von deutschen Häfen nach Nordamerika 141/4 Millionen Dollar, während von drüben Stückgüter und Stapelartikel im Gesamtwert von 18 Millionen Dollar nach deutschen Häfen verschickt wurden. Als man 1827 mit Brasilien zu einem Vertrag kam, hat man auch nach längeren Schwierigkeiten, die ganz ähnliche wie die preußischen waren, mit den Vereinigten Staaten ein Wirtschaftsabkommen abgeschlossen. Der Handelsvertrag, den der hanseatische Ministerresident in Paris, Vincent Rumpff, vorbereitet hatte, kam am 20. Dezember 1827 zustande mit einem Zusatzartikel vom 4. Juni 1828. Der Vertrag enthielt ganz ähnliche Bestimmungen wie der preußische, § 2 die Meistbegünstigung in bezug auf Zölle, § 9 die Reziprozitätsklausel 61 ). 59) Kapp, Friedrich der Große und die Vereinigten Staaten S. 213 ff. 60) Das Folgende nach H. Wätjen, Aus der Frühzeit des NordatlantikVerkehrs S. 3 ff. s. Text im Hamburger Handelsarchiv 1864 S. 26 ff.

Die Hansestädte.

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Die Hansestädte traten in den Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten jetzt durchaus in den Vordergrund. Besonders im Verhältnis der Flaggenbeteiligung vollzog sich eine einschneidende Änderung. Die amerikanische Flagge wird von der deutschen überflügelt und dauernd zurückgedrängt. Waren von den aus amerikanischen Häfen nach der Elbe, Weser und Trave ausgegangenen Seglern 1829/30 14 728 Amerikaner, hanseatische Schiffe und andere 10262, so war das Verhältnis 1840/41 14123 Amerikaner, 46147 Hanseaten und andere 6 i ). Die Gründe lagen außer in amerikanischen Wirtschaftskrisen und dem Vorrang des amerikanischen Binnenmarktes für die amerikanische Wirtschaft, vor allem, wie ein neuerer Wirtschaftshistoriker festgestellt hat, in der steigenden Bedeutung, die der Auswandererverkehr gewann 63). Wichtiger als Hamburg war Bremen, da dieses vom Tabakhandel lebte, ja der wichtigste Handelsplatz für die Einfuhr von Tabak aus Nordamerika wurde. Die Ausfuhr von Tabak erhielt für die Vereinigten Staaten eine solche Bedeutung, daß sie mit dem Zollverein und auch anderen deutschen Staaten zu neuen Vereinbarungen zu gelangen trachteten. Die Vereinigten Staaten sandten jetzt zum erstenmal einen eigenen Vertreter nach Berlin, der den Auftrag hatte, mit dem Zollverein in nähere Beziehungen zu treten. Der amerikanische Markt war damals für Deutschland sehr bedeutsam. Betrug doch die Ausfuhr 1834 bis 30. September 1836 14840192 Dollar 64). Die Amerikaner wollten durch gesteigerte Tabakausfuhr die deutschen Waren bezahlen. Es kam zu einem Abkommen mit dem Zollverein vom 25. März 1844, in dem die Vereinigten Staaten sich verpflichteten, gewisse Boden- und Fabrikationserzeugnisse der Zollvereinstaaten nicht mit einem Zoll von mehr als 2 0 % zu belegen. Als Gegenleistung bewilligte der Zollverein eine Ermäßigung des Schmalz- und Tabakzolles 65). Damit begnügten sich aber die Vereinigten Staaten nicht. Sie suchten auch mit den anderen, nicht im Zollverein vertretenen deutschen Staaten zu Vereinbarungen zu gelangen. Diese Verhandlungen führte Dudley Mann, der während des Bürgerkrieges eine hervorragende Rolle auf der Seite der Konföderierten spielen sollte. Der Vertrag mit Hannover kam am 14. Mai 1845 zustande, der mit Sachsen im gleichen Jahre, mit Oldenburg am 10. März 1847, mit Mecklenburg-Schwerin am 9. Dezember 1847 und mit Mecklenburg-Strelitz am 12. Dezember 1853. Besondere Bedeutung besaß der Vertrag mit Hannover, da er die Bestimmung enthielt, daß den 6 *)

Wätjen, S. 13. a. a. O. S. 14 f. 64) Fisk, Die handelspolitischen und sonstigen völkerrechtlichen Beziehungen 63)

S. 83. '5) a. a. O. S. 89 ff. Vgl. a. The Works of D. Webster VI, 409 fi.

30 Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten usw. Schiffen der Vertragschließenden wechselseitig gestattet werden sollte, auch Produkte zu führen, die für andere Staaten als für ihre eigenen bestimmt waren. Die Amerikaner bemühten sich erfolglos, den Zollverein zum Anschluß an diesen Vertrag zu bewegen 66). Sicherlich hat auch Friedrich List, der geistige Vater des Zollvereins, persönlich ein Verdienst daran, daß sich die handelspolitischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und einzelnen deutschen Ländern in dieser Zeit enger gestalteten. List war 1825 nach Amerika gegangen. 1832 wurde er amerikanischer Konsul in Leipzig und nahm nacheinander noch verschiedene Konsularposten in Deutschland ein. E s läßt sich daher denken, welch große Hoffnung man zunächst im Jahre 1848 auf den Zusammenschluß ganz Deutschlands für den Ausbau des Handelsverkehrs setzte. E s fanden tatsächlich 1848 in Frankfurt Verhandlungen statt, die eine allgemeine deutsche Zolleinigung bezweckten. Die einzelnen Bundesstaaten hatten Kommissare nach Frankfurt entsandt. Das Reichshandelsministerium plante eine Reichszollakte und ein Reichszollgesetz 67). Man war deswegen auch gern bereit, mit den Vereinigten Staaten über den Abschluß eines Handelsvertrages zu verhandeln, an dessen Zustandekommen Amerika seines Tabaks wegen großes Interesse hatte. Die provisorische Regierung schickte den früheren preußischen Ministerresidenten in Washington, Friedrich Ludwig von Rönne, nach Amerika 68), der jedoch bis Anfang 1849 auf seine Vollmachten warten mußte, sodaß viel kostbare Zeit verloren ging. E s kam dann nicht mehr zu Verhandlungen. Die politische Lage hatte sich bereits so stark zuungunsten der provisorischen Regierung verschoben, daß das Staatsdepartement sich scheute, es mit Berlin und Wien zu verderben. Der Handel war freilich nicht der einzige Grund, weshalb die Amerikaner an der deutschen Revolution so lebhaften Anteil nahmen. Sie sahen in einem liberalen deutschen Nationalstaat eine starke Annäherung an amerikanische Ideale. Die amerikanische Regierung hatte ihren Berliner Gesandten Andrew J . Donelson zugleich in Frankfurt akkreditiert, wobei sie ausdrücklich zu verstehen gab, daß dieser Schritt sich keineswegs gegen Preußen richte. Donelson war reichlich optimistisch, wenn er zwanzig Jahre vor dem Bürgerkrieg in einer Begrüßungsnote von der Unlösbarkeit der ") Instruktion von Buchanan an Mann 27. März, 12. Aug. 1846, 9. Jan., 26. Juni, 6. Aug. 1847; Buchanan an C. T. Gevekoht, 11. Nov. 1847. Vgl. S. F! Bemis, The American Secretaries of State and their Diplomacy V, 224 f. 67) R. Delbrück, Lebenserinnerungen I, 221. Vgl. zum Folgenden: J. Hawgood, Political and Economic Relations between the United States of America and the German provisional central Government S. 38 ff. «») Rönne war 1834 Washington preußischer Ministerresident.

Die amerikanische Verfassung als Vorbild.

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Union sprach. Berechtigter war sein Stolz, daß bei den Beratungen über die Reichsverfassung die amerikanische als Muster diente. Tatsächlich beschäftigte man sich damals in der deutschen Öffentlichkeit viel mit der nordamerikanischen Verfassung 6 ?). In der Flugschriftenliteratur der Jahre 1848 und 49 findet sich häufig der Vorschlag, das nordamerikanische Staatsrecht ganz oder für bestimmte Punkte auf das zu schaffende deutsche zu übertragen. Keineswegs waren dies nur die Wünsche von mehr oder minder gefühlsmäßig eingestellten Flugschriftenschreibern, die in der Union das Vorbild eines demokratischen Staates verehrten. Auch ernsthafte Politiker haben eine solche Übertragung als nützlich empfohlen. So hat der spätere Botschafter in Paris, Graf Robert von der Goltz, in einer Denkschrift vom 18. April 1848 darauf hingewiesen, daß in der politischen Organisation der nordamerikanischen Konföderation und ihrer Glieder zahlreiche Elemente seien, welche dem deutschen Boden durchaus zusagten, und nur mit dem monarchischen Prinzip in geeignete Verbindung gebracht werden müßten, um die trefflichsten Materialien zu einem dauerhaften deutschen Verfassungsbau zu liefern. Bei den Beratungen der Nationalversammlung ist der Einfluß der amerikanischen Verfassung in den Entwürfen deutlich erkennbar. Der Verfassungsausschuß, der den sogenannten Siebzehner-Entwurf benutzte, hat diesen Entwurf noch nach amerikanischem Vorbild erweitert und in einigen Fällen verbessert und ergänzt. Ähnlich begeistert über den Einfluß amerikanischer Ideen berichtet auch Dudley Mann. Es spricht jedoch für Donelsons klaren Blick, daß er nach anfänglicher Begeisterung rasch abkühlte und die Gefahren erkannte, die von den radikalen Strömungen her dem Siege der Volksbewegung drohten. Immer weniger zuversichtlich wurden daher seine Berichte. Nach seiner Abberufung blieb nur ein Beobachter in Frankfurt 7°). Aber auch amerikanische Politiker beobachteten das Ringen der Deutschen um die nationale Einheit wegen ihres eigenen Problems, Union und Staatenrechte, sehr aufmerksam. Der preußische Gesandte Freiherr von Gerolt berichtete am 18. April, daß die amerikanischen Staatsmänner den grundgreifenden (sie) Unterschied in der Entwicklung Deutschlands und Frankreichs erkannt hätten. Der Führer der föderalistischen Bewegung, John C. Calhoun, äußerte wiederholt, daß er auf dem europäischen Kontinent die Entscheidung in dieser Frage '») Für das Folgende vgl. A. Scholl, Einfluß der nordamerikanischen Unionsverfassung auf die Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849. 7°) Von Donelsons Berichten sind folgende hervorzuheben: An Schmerling, Frankfurt, 24. Juli 1848; an Buchanan 5. Febr., 14. Sept., 21., 26. Okt., 14. Dez. 1848, 1., 8. Juli 1849. Berichte Dudley Manns von München, 13. März, Frankfurt, 25. April 1848, privat. Vgl. a. Bemis, American Secretaries V, 224 f.

32 Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten usw.

von Deutschland und nicht von Frankreich erwarte. In einem Brief an den preußischen Gesandten v. Gerolt vom 28. Mai 1848 schrieb er ausführlich über eine kommende deutsche Reichs Verfassung. Er warnte davor, dem Bund allzu viel Machtbefugnisse zu verleihen. Man solle die auswärtige Politik Deutschlands, die Verteidigung gegen Angriffe von außen, die Sicherung des Friedens und der Eintracht zwischen den einzelnen Staaten der Bundesregierung anvertrauen, ihr aber nicht mehr Machtvollkommenheit geben, als es für den einen oder anderen dieser Zwecke notwendig sei 71). Es war also zum erstenmal wieder eine lebendige, unmittelbare Beziehung zwischen den beiden Ländern vorhanden, die über das rein Wirtschaftliche hinausging. Gesteigert wurde das gegenseitige Interesse durch die zahlreichen politischen Flüchtlinge, die von Amerika aus Europa kritisierten. Aber es handelte sich doch nur um ein kurzes Zwischenspiel. Der Zusammenbruch der deutschen Bewegung brachte einen empfindlichen Rückschlag, die Pflege handelspolitischer Beziehungen mit den deutschen Einzelstaaten trat wieder stark in den Vordergrund. Immerhin begann vom Jahre 1848 ab ein neuer Abschnitt in dem Verhältnis der beiden Länder. Die nationale Krise spitzte sich scharf zu. In Amerika drohte der Gegensatz zwischen dem Norden und dem Süden die Union zu sprengen. In Deutschland hatte das Jahr 1848 bewiesen, daß die Bildung eines Nationalstaates nur dann möglich sei, wenn eine der beiden Großmächte, Preußen oder Österreich, die Führung übernahm. Diese Schicksalsverbundenheit wurde durch die vielen Deutschen vertieft, die gerade in diesen Jahrzehnten sich eine neue Heimat in Amerika suchten. Da diese Einwanderer weit überwiegend nach dem Norden kamen, verstärkten sie unaufhörlich die Antisklavereibewegung. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert waren neben den sozialen Ursachen, die zur Auswanderung geführt hatten, vornehmlich religiöse bestimmend gewesen, jetzt kamen politische Beweggründe hinzu. Man darf die politische Auswanderung zahlenmäßig nicht überschätzen, immer blieb sie hinter der sozialen natürlich weit zurück. Aber sie gab den nach Amerika Einwandernden ein neues Gesicht. Der politische Flüchtling, der aus Bitterkeit über politische Mißstände seines Heimatstaates den Aufenthalt wechselte, blieb weitaus leidenschaftlicher an den Vorgängen in seiner alten Heimat interessiert, als der soziale Auswanderer; ja, vielfach war er nicht so ohne weiteres bereit, auf seine 71) Anlage zum Bericht Gerolt an Preußisches Staatsministerium, 29. Mai 1848, s. Dokumentenanhang. Vgl. Letters of John C. Calhoun, American Historical Association Annual Report 1899 Bd. II, 748 fl.

Das deutsche Element in den Vereinigten Staaten.

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Zugehörigkeit zu Deutschland zu verzichten, wie es früher der Fall gewesen war. Das deutsche Element hatte sich in seiner Eigenart nur dort für längere Zeit behaupten können, wo es, wie in Pennsylvanien, geschlossen siedelte. Es sollte nur in Pennsylvanien eine Zeitlang scheinen, als könnten dort die deutschen Kolonisten imstande sein, dem Lande nicht nur sozial, sondern politisch das Gepräge zu geben. Benjamin Franklins besorgter Brief an den englischen Freund Peter Collinson vom 9. Mai 1753, in dem jener das Ubergewicht des deutschen Elementes in Pennsylvanien beklagte, wird immer ein merkwürdiges Zeugnis für die Stärke deutscher Kolonisation in einem Teil der Vereinigten Staaten bleiben 7^). Aber im allgemeinen vermochten die deutschen Einwanderer sich nicht als abgesonderte Kulturschicht zu halten. Die Gründe sind begreiflich: die Mehrheit der deutschen Auswanderer kam nicht wie die angelsächsische aus den Mittelschichten, sondern aus den unteren Klassen. Sie hatten kaum eine gemeinsame Sprache, zahllose Dialekte schieden sie voneinander; sie kamen nicht als Kolonisten in ein kulturell unterlegenes Land, sondern als Flüchtlinge oder von der Not Vertriebene; sie wünschten in vielen Fällen nichts mehr als sich ganz von der alten Heimat zu lösen. Die überwältigende Größe und der natürliche Reichtum des Landes trugen das ihre dazu bei •— wie übrigens auch bei den anderen Nationalitäten — ein schnelles Aufsaugen der völkischen Individualität zu vollziehen. So konnte auf die Dauer das deutsche Element den ungleichen Kampf gegen das rassisch geschlossene und zahlenmäßig weit überlegene Angelsachsentum nicht gewinnen. Es ist eine gänzlich falsche Vorstellung, daß jemals auch in einem der von Deutschen am stärksten besiedelten Staaten der Nordunion etwa die Möglichkeit bestanden hätte, die deutsche Sprache als führend durchzusetzen 73). Nicht immer hat der Verlust der deutschen Sprache auch nach zwei oder drei Generationen zu einer völligen Entfremdung vom Mutterlande geführt, ganz abgesehen davon, daß die Beherrschung der Staats7») B e n j a m i n Franklin an Peter Collinson, 9. Mai 1753, J. Sparks, T h e Works of Benjamin Franklin VII, 71 fl. Der Brief ist aus dem Ressentiment des Angelsachsen geschrieben und daher nicht ganz wörtlich zu nehmen. Aber er zeigt, d a ß das Deutschtum sich d o r t b e h a u p t e t h a t t e . 73) So h a t sich die Legende bis h e u t e gehalten, es h a b e bei einer Abstimmung in Pennsylvanien über die Sprachenfrage nur an einer Stimme gehangen, d a ß die deutsche Sprache zur Staatssprache erklärt worden sei. Diese eine Stimme habe Friedrich August Münzenberg gegen die deutsche Sprache abgegeben. Diesem Unsinn ist A. B. F a u s t in den Monatsheften für deutsche Sprache und Pädagogik J a h r g a n g X V I I , H e f t 7, Milwaukee, September 1916 S. 235 ff. entgegengetreten. Richtig ist n u r soviel, d a ß allerdings in der Mitte des 18. J a h r h u n d e r t s bei gewissen Beschlüssen der Legislatur in Pennsylvanien die deutsche Sprache paritätisch behandelt wurde. Stolberg-Wernigerode,

Deutschland u. d. V . Staaten.

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Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten usw.

spräche den deutschen Einwanderern ein andere Stellung in ihrer Wahlheimat gab. Wie groß der Anteil des deutschen Elementes an der Bildung der amerikanischen Nation gewesen ist, kann nicht leicht entschieden werden. Das deutsche Blut ging mit in die Substanz über, gerade das Unbewußte, das nicht Abgrenzbare ist dabei wichtig. Wenn man die Frage aufwirft, wie nachhaltig die deutschen Einwanderer in die Gestaltung des Staatswesens eingegriffen haben, so sind wir auf eine Fülle von Einzelbeobachtungen angewiesen, ein endgültiges Urteil ist noch nicht möglich. Der Einfluß, den einzelne Deutsche auf die Lokalverwaltung, auf die Reform einzelner Gebiete des öffentlichen Lebens, wie civil service und Forstwirtschaft, ausgeübt haben, ist unbestritten. Weniger erkennbar ist die Einwirkung auf die Staatsführung. Es hat bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keinen Präsidenten deutscher Abkunft gegeben. Auch unter den höchsten Beamten finden wir — im Gegensatz zu den Iren — nur wenige Amerikaner deutscher Abstammung. Trotz einer beträchtlichen Zahl von Parlamentsmitgliedern und Beamten mit deutschem Blut ist Carl Schurz' hervorragende Stellung ein Einzelfall geblieben. Die Deutschen haben in den beiden großen Parteien des Landes nicht den Einfluß zu gewinnen vermocht, der ihnen zahlenmäßig zugekommen wäre. Die deutschblütigen Amerikaner besaßen nicht den angelsächsischen Instinkt, der von der Treue zur Partei als der Voraussetzung zum Machteinsatz ausgeht. Die relative Unabhängigkeit des deutschen Wählers brachte ihn in den Geruch der Unzuverlässigkeit. So hören wir schon früh Stoßseufzer amerikanischer Politiker, daß das deutsche Element in der Politik versage. Henry Clay ließ sich einmal halb scherzhaft darüber aus: „Die Deutschen sind sehr ehrenhaft, ausgezeichnete Farmer und sehr fleißig. Ich betrachte sie als einen Segen für das Land, in dem sie sich niederlassen. Die einzige Sache, die ich nicht liebe", fügte er schnell gutlaunig hinzu, „ist ihre Politik" 74). Die deutsche Einwanderung wurde im allgemeinen gern gesehen. Man wußte wohl, was man an den fleißigen und zuverlässigen Arbeitern und Handwerkern hatte. Das Kapital, das die deutschen Einwanderer in Arbeit umsetzten, war für die amerikanische Wirtschaft sehr fühlbar. Aber die starke angelsächsische Rasse duldete keine Sonderbildung. Ihr war das Festhalten an Gewohnheiten, die andere als die englischen waren, nicht erwünscht. Schon in einem Brief von John Q. Adams an Maurice de Fürstenwaerther vom 4. Juni 1819, die Antwort auf eine Anfrage vom 22. April wegen der Aussichten der Einwanderer, wird 74) G. P. Körner, Memoire I, 350.

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Das deutsche Element in den Vereinigten Staaten.

dieser Gesichtspunkt sehr stark betont "5). So sah man auch ein allzu starkes Zusammenballen der Fremden an einer Stelle nicht gern. Der Gouverneur von Pennsylvanien erließ 1729 ein Gesetz gegen übermäßigen Zustrom, das sich unter den gegebenen Umständen nur gegen die Deutschen richten konnte. Zu wirklichen Unfreundlichkeiten gegen die Deutschen kam es aber erst in den dreißiger und vierziger Jahren. Die »Knownothing« Partei hatte an und für sich gesunde Beweggründe. Denn nach der Präsidentschaft Jacksons wurde das amerikanische Parteiwesen so verrottet und korrumpiert, daß dem schamlosen Mißbrauch, der mit den Stimmen der unwissenden Einwanderer getrieben wurde, entgegengetreten werden mußte. Aber diese nativistische Bewegung erhielt eine Spitze gegen die Deutschen, da diese den weitaus größten Teil der Einwanderer damals ausmachten. Es kam zu ernsthaften Zusammenstößen. Bei einem Fest für eine deutsche Sängerin in New York wurde ein Fackelzug gesprengt, die Redaktion einer deutschen Zeitung in St. Louis bedroht, als der Redakteur an der nativistischen Bewegung Kritik übte. Die von Emerson begründete Zeitschrift »The Dial« mußte sich satirisch mit der antideutschen Stimmung auseinandersetzen 76). So hatten also die Einwanderer in den dreißiger und vierziger Jahren mit mehr Schwierigkeiten zu rechnen als je zuvor. Diese Schwierigkeiten wurden aber noch bedeutend durch die andersgeartete Ideologie der Gebildeten unter den Einwanderern erhöht. Zum erstenmal, das kann nicht genug betont werden, kamen in großer Anzahl Menschen ins Land, die zu den herrschenden orthodoxen Anschauungen im Gegensatz standen. Die deutschen Achtundvierziger waren Kinder der Aufklärung, Radikale in politischer und religiöser Hinsicht. Diese Einwanderer hofften zum großen Teil bald in ihre Heimat zurückkehren zu können, sie legten an das, was sie in Amerika sahen, den europäischen Maßstab an. Die Enttäuschung konnte nicht ausbleiben. J e heftiger sie aber kritisierten, um so mehr wurden sie isoliert. Ihre ständigen Nörgeleien und ihre Zänkereien mit den Deutschen, die in den dreißiger Jahren ausgewandert waren, konnten sie nicht beliebter machen 78). Sie setzten sich dem Gespött aus, als einige von ihnen forderten, Amerika solle Europa annektieren, obwohl in dieser Forderung die gefühlsmäßige Einsicht lag, daß die Ereignisse der beiden Kontinente in einem ge75) 76) mate S. 77) 78) 1 1 2 ff.

John Q. Adams an Maurice de Fürstenwaerther, Philadelphia 4. Juni 1 8 1 9 . Körner, Das Deutsche Element S. 3 1 9 ; Bacourt, Souvenirs d'un diplo1 2 0 f. J. Goebel, Der Kampf um die deutsche Kultur in Amerika S. 86. Über diese Auseinandersetzungen vgl. Der Deutsche Pionier Bd. V I I , 3*

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Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg.

wissen Zusammenhang standen. Diese Deutschen befanden sich also in einer außerordentlich kritischen Lage, es drohte ihnen ein Leben voll unfruchtbarer Verbitterung oder das gänzliche Versinken in der breiten Masse der schon Resignierten. Da hat nun die große geschichtliche Tatsache, daß sie plötzlich hier auf fremdem Boden fast die gleichen Aufgaben vorfanden, um derentwillen sie Deutschland verlassen hatten, ihrem Leben einen neuen Inhalt gegeben. Denn von Anfang der fünfziger Jahre an tritt die Frage Union oder Sezession in ihre entscheidende Entwicklung ein, während die Sklaverei das Gerechtigkeitsempfinden Unzähliger aufgerüttelt hatte. Indem die Deutschen sich in diesen Kampf mit dem gleichen Ungestüm hineinwarfen, wie vorher in den Kampf für Einheit und bürgerliche Freiheit in Deutschland, wurden sie die sichtbaren Träger der engen Verbundenheit ihrer alten und ihrer Wahlheimat. Man hätte niemals Carl Schurz den Bedeutendsten unter ihnen, der sich von vornherein von der Menge ferngehalten hatte, den Bürger zweier Welten nennen können, wenn er nicht das Schicksal von zwei Ländern in sich erlebt hätte 79). Damit ist der Ausgangspunkt der näheren Betrachtung erreicht. Wir werden uns zunächst ein Bild von der amerikanischen Krise und ihren Auswirkungen auf die europäischen Verhältnisse zu machen haben.

Kapitel II.

Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg« Die Möglichkeiten einer Spaltung der nordamerikanischen Union waren bereits seit ihrer Entstehung gegeben. Die Kämpfe um die Verfassung, die heftigen Zusammenstöße zwischen den Anhängern einer starken Zentralgewalt und den Anwälten unabhängiger Staaten verdeckten nur notdürftig den räumlich gegebenen Zwiespalt. Die Verfassung ist schließlich ein Vergleich, ein modus vivendi, geworden. Sie gab der Zentralregierung gerade so viel Macht, daß die Union zusammengehalten werden konnte, aber doch zu wenig für die Lösung der sich immer stärker aufdrängenden nationalen Aufgaben. Wahrscheinlich ist das für die Anfänge der amerikanischen Geschichte ein Glück gewesen. Der ungehemmte Einsatz aller Kräfte war für das Werk der inneren Kolonisation notwendig. Etwas paradox ausgedrückt, ist die Union damals deswegen nicht auseinandergefallen, weil der Unionsgedanke noch zu schwach entwickelt war, um den Gegendruck parti79) Vgl. Carl Schurz, Der Deutsche und Amerikaner S. 97 fi.

Ursachen des amerikanischen Bürgerkrieges.

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kularistischer Tendenzen zu lohnen. Erst als die Nordstaaten sich für eine starke Bundesregierung einsetzten, da nur sie die Südstaaten in Schach halten konnte, wurde die Abgrenzung der Zuständigkeiten zeitgemäß. Die Freunde des Unionsgedankens haben, als es zum Bruche kam, zu beweisen versucht, daß die Sezession eines Staates nach der Verfassung ungesetzlich sei. Die Anhänger der Nullifikationstheorie konnten mit ebensoviel Spitzfindigkeit und Scharfsinn ihre These verteidigen, daß die Schöpfer des Verfassungswerkes das grundsätzliche Recht des Staates, von der Union zurückzutreten, gestattet, zum mindesten die Frage offengelassen hätten'). Solche Dinge lassen sich jedoch nicht juristisch, sondern nur machtpolitisch entscheiden. Der Sieg der südlichen Sezession hätte die politische Zukunft der Union ausgelöscht. Deshalb war die friedliche Loslösung nur so lange möglich, als der Machtinstinkt ungenügend entwickelt war. Vielleicht, aber nicht sehr wahrscheinlich, waren die psychologischen Voraussetzungen zu einer friedlichen Trennung in den vierziger Jahren noch gegeben. Dann aber war der Wille zur Einheit so stark und allgemein erwacht, daß davon keine Rede mehr sein konnte. Es kam hinzu, daß die durch die Benutzung der Dampfkraft in der Wirtschaft hervorgerufene Revolution eine wachsende Tendenz zur Zentralisierung zeigte. Wir beobachteten das gleiche in Europa. Die Technik zerstörte alte politische Bindungen; nicht die Errichtung neuer Zollschranken, das Hinwegräumen der vorhandenen mußte ihr Ziel sein. Der festgefügte Nationalstaat war ihren Bedürfnissen gemäß. Auch die äußere Politik mußte empfindlich leiden, solange zwei sich bekämpfende Machtgruppen bestanden. Für eine gewisse Zeit können wir wohl noch von einer Teilung des Aufgabenkreises sprechen; der Norden hatte die kanadische Grenze gedeckt, der Süden am Golf von Mexiko Wacht gehalten. So ähnlich hatte auch in Mitteleuropa eine Art Ausgleich zwischen Preußen und Österreich stattgefunden. Aber auch das wurde anders. Schon nach dem mexikanischen Krieg von 1848 gingen die Meinungen über die Ausnutzung des Sieges auseinander. Der Süden wollte eine Vermehrung der sklavenhaltenden Staaten, gegen die der Norden selbstverständlich heftigsten Widerstand leistete. Es zeigte sich, daß Staatspolitik nur von einem politischen Mittelpunkt aus geleitet werden kann, wenn nicht das Schiff havarieren soll. So lag es in Amerika; das gleiche beobachten wir auch im Verhältnis von Preußen und Österreich nach dem Kriege von 1864 um Schleswig-Holstein. Nur die Macht konnte entscheiden. Und wenn ') Vgl. u. a. C. F . Adams, Transatlantic Historical Solidaxity S. 27 fl.; Jeflerson Davis, The Rise and Fall of the Confederate Gouvemment I, 121 ff.; C. A. und M. R. Beard, The Rise of American Civilization II, 49 ff.

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Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg.

Bismarck das viel mißverstandene Wort von Blut und Eisen sprach, durch die allein die großen Fragen der Zeit zu lösen wären, so hat er schließlich dasselbe gemeint, was der spätere Staatssekretär William H. Seward in seiner Rede über den "irrepressible conflict between opposing and enduring forces" sagen wollte. Es war das Verhängnis für die Vereinigten Staaten, daß der wirtschaftliche und soziale Gegensatz zwischen Norden und Süden gleichzeitig ein regionaler war. Darin haben wir die eigentliche Bedeutung der Sklavenfrage zu sehen. Ursprünglich hatte die Sklaverei Norden und Süden nicht grundsätzlich voneinander geschieden. Schon in der Kolonialzeit hatte es Gegner der Sklaverei gegeben. In Virginien wurden zuerst Resolutionen gegen den Sklavenhandel gefaßt. Noch im zweiten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts betrachtete man im amerikanischen Süden die Sklaverei als ein notwendiges Übel, über dessen allmähliche Beseitigung sich wohl reden lasse. Die Erfindung der Baumwollmaschinen änderte die Lage. Ob die Entwicklung zur Baumwollproduktion für den Süden, wirtschaftlich gesehen, wirklich ein Glück war, ist stark bezweifelt worden. Aber die Entwicklung war zwangsläufig. Das ganze Land stellte sich auf die Baumwolle um. Dadurch stieg die Sklavenarbeit wieder ungeheuer an Wert, da unter den schwierigen klimatischen Verhältnissen und gerade für diese Tätigkeit die Neger vorzüglich geeignet waren. Wohl gab es am Anfang dieser neuen Entwicklung noch hin und wieder Widerstand, der von den kleineren Pflanzern und von den armen Weißen gegen die entstehende Aristokratie der großen Pflanzer ausging. Aber die neue Wirtschaftsform erwies sich als stärker. Die Sklaverei wurde jetzt geradezu die Grundlage der südlichen Zivilisation, die jedem einen bestimmten Platz anwies und auch den minderwertigen Weißen ein Selbstbewußtsein, ein Gefühl persönlicher Freiheit gab, das in den Ländern der freien Arbeit fehlen muß. „Wo es eine große Menge Sklaven gibt, sind die Freien auf ihre Freiheit am meisten stolz und eifersüchtig", schrieb Burke *). Freilich entstand keine ständisch gegliederte Gesellschaft, wie sie Europa mit seinen Traditionen herausgearbeitet hatte. Man hat den alten Süden richtiger eine demokratische Oligarchie genannt; die politische und soziale Macht lag in den Händen einer verhältnismäßig kleinen Pflanzerschicht, aber daneben bestand die Gemeinschaft der freien Weißen, die sich den Schwarzen gegenüber als privilegierte Klasse fühlte. Demokratische Ideale wurden im Süden hochgehalten, Jefferson und Jackson waren aus ihm hervorgegangen, kaum gab es irgendwo so fanatische Anhänger der Verfassung und der republikanischen Staatsform wie gerade im Süden. 3

) W . Wilson, Division and Reunion S. 105.

Die Sklavereifrage.

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Die Entwicklung im Norden war eine gänzlich andere. Hier hatte die Technik das Land im großen Ausmaß verwandelt. Die Interessen des Farmers erforderten Freiland und die des Kapitals Vermehrung der Absatzgebiete; für beide Teile war freie Arbeit mit steigendem Wohlstand gleichbedeutend. Darum konnten hier die Reste der Sklaverei verhältnismäßig rasch und reibungslos beseitigt werden. Im Norden geriet alles in Fluß, alle Kräfte wurden im freien Spiel eingesetzt. Aber die Woge brach sich am Wall des Südens, der die hemmungslose Industrialisierung nicht mitmachen wollte. So verschärften sich dauernd die sozialen und wirtschaftlichen Gegensätze. Der dynamische Druck des wirtschaftlich fortschreitenden Nordens hatte eine immer stärker werdende Abwehr des agrarischen Südens zur Folge. Er schloß sich im Gefühl der Bedrohung gänzlich gegen den Norden ab. Seine Führerschicht suchte zielbewußt die politische Machtstellung zu festigen. So hatte wieder der Norden die Empfindung einer wachsenden Gefahr. Doch mißt man die einander gegenüberstehenden Kräfte, so kann es kein Zweifel sein, daß der Süden mehr Grund hatte, sich vor dem Übergewicht des Nordens zu ängstigen als umgekehrt. Denn der Ansturm gegen die Sklaverei bedeutete doch für den Süden nichts anderes als der Angriff auf ein Nationalvermögen von etwa vier Milliarden Dollar. Das ganze Gebäude des alten Südens mußte in seinen Grundfesten erschüttert werden, wenn die politische und soziale Führung an den Norden überging. Der Süden vermochte wohl für seine Sache eine Reihe von Argumenten anzuführen. Es konnte nicht geleugnet werden, daß die Lage der Sklaven sich ständig besserte. Die hohen Preise, die für sie gezahlt werden mußten, bedingten gute Behandlung. Es herrschte im allgemeinen, besonders in den mittleren Staaten, ein patriarchalisches Verhältnis zwischen Herr und Knecht, ein ungeschriebener Treuevertrag, der sich auch in schlechten Zeiten bewährte. Vor allem aber warf der Süden die Frage auf, was nach einer plötzlichen Freilassung geschehen solle. Neben den sechs Millionen Weißen lebten drei Millionen Schwarze im Süden; die Herrschaft der Weißen könne, so sagte man, nach dem Aufhören der Sklaverei nur mit den brutalsten Mitteln aufrecht erhalten werden. Der Süden hatte dem Lande die fähigsten Führer geschenkt, von dreizehn Präsidenten waren bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges neun aus dem Süden hervorgegangen. Fast alle bedeutenden Senatoren hatten die Südstaaten gestellt. Namhafte Schriftsteller und Künstler besaß allerdings nur Neuengland. Aber die Atmosphäre im Süden war verfeinerter und wärmer als im nüchternen Norden. Das patriarchalische System verhinderte die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus; die persönliche Verantwortung für das Wohl der wirtschaftlich Schwachen hatte doch auch eine stark erzieherische Wirkung,

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Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg.

die vor allem die Entwicklung eines hochstehenden Frauentypus ermöglichte. So waren auch tief veranlagte Menschen imstande, die Sklaverei ohne persönliche Heuchelei zu verteidigen oder sie zum mindesten als Tatsache anzuerkennen. Unter dem Druck von außen entwickelte sich geradezu eine philosophische Schule, die die Sklaverei als göttliche und natürliche Einrichtung lehrte. So sehen wir im Süden nur verhältnismäßig unbedeutende Gegenströmungen, alles beugte sich vor der überwältigenden Wucht der gegebenen Tatsachen. Selbst eine so starke Organisation wie die methodistische Kirche wurde vom regionalen Gegensatz zersprengt; wie kurz vor dem Ausbruch des Krieges die demokratische Partei der Auflösung entgegenging. Die Sklavenfrage eignete sich an und für sich am wenigsten dazu, durch eine kriegerische Auseinandersetzung gelöst zu werden; aber der Kampf um die Sklaverei hatte einen solchen Abgrund aufgerissen, eine solche Atmosphäre des Nichtverstehens erzeugt, daß es am Vorabend des Krieges den Besonnenen nicht mehr gelang, den Zusammenstoß zu verhüten. Sonst wäre es gar nicht erklärlich, weshalb die Wahl von Lincoln zum Präsidenten den Bruch herbeiführte. Er hatte erkannt, wie schwierig die Sklavenfrage zu lösen war, und war nicht gewillt, in die Rechte der Einzelstaaten willkürlich einzugreifen. Aber seine Wahl war nur das letzte Signal. Beide Teile fühlten sich derart bedroht, daß die unerträgliche Spannung zu einer Lösung drängte. Der Norden hatte den Zeitgeist auf seiner Seite, aber der Süden war noch keine absterbende Form, sondern ein höchst lebendiger Organismus. Er war bereit, für seine Rechte das Äußerste zu wagen. Am Vorabend des Krieges predigte in der überfüllten Kirche von Richmond, der späteren Hauptstadt der Konföderation, einer der bekanntesten Geistlichen mit dem gleichen Ernst, mit der gleichen Überzeugungskraft über die von Gott den Weißen anvertrauten Sklaven, wie in allen Kirchen Neuenglands Sonntag für Sonntag für die Abschaffung der Sklaverei gebetet wurde 3). So vollkommen war die Versteifung, daß der Zusammenprall furchtbar werden mußte. Es sollte die größte Menschheitskatastrophe zwischen den napoleonischen Kriegen und dem Weltkrieg werden *). Wir können uns damit begnügen, die politische und militärische Entwicklung des amerikanischen Bürgerkrieges in Kürze zu skizzieren. 3) W. E. Dodd, The Cotton King S. 109, Fußnote. 4) Für die Ursachen des amerikanischen Konfliktes vgl. u. a. Wilson, Division and Reunion; J. F. Rhodes, History of the United States I, 357 ff.; Adams, Transatlantic Historical Solidarity S. 27 ff.; Beard, Rise of the American Civilization II, 3 S. Von der Spezialliteratur bes. erwähnenswert die Schriften von W. E. Dodd, The Cotton Kingdom, und Jefferson Davis, Lincoln or Lee.

Der amerikanische Bürgerkrieg.

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Der Süden hatte mit zwei Dingen gerechnet: Der Ausfall an Baumwolle müsse auf die Weltmärkte entscheidend einwirken (Cotton King), und England wie Frankreich würden zwangsläufig in den Kampf gegen die Union hereingezogen werden, oder zum mindesten im eigenen wohlverstandenen Interesse die Selbständigkeit der Sezessionsstaaten anerkennen. Er täuschte sich vollkommen. Zwar führte in der Tat die Baumwollknappheit eine schwere Krise in einigen europäischen Ländern herbei; aber der Süden hatte die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit der Weltwirtschaft ähnlich unterschätzt, wie Deutschland im Weltkriege in bezug auf die Welttonnage. Ebensowenig konnte der Süden seine Anerkennung als unabhängiger Staatenbund durch die europäischen Mächte erreichen. Nur ein durchschlagender Erfolg hätte dem Süden diese Anerkennung verschaffen können; einen solchen vermochte er trotz aller Teilsiege nicht zu erzielen. Man kann damit sagen, daß die Sezession schon nach kurzer Zeit den Krieg politisch wie wirtschaftlich verloren hatte. Da aber die Blockade die abgefallenen Staaten von der Außenwelt abschloß, entwickelte sich dort der der Besatzung einer belagerten Festung eigentümliche Glaube, durch erfolgreiche Ausfälle den Gegner von der Aussichtslosigkeit seiner Anstrengungen überzeugen zu können. Die Kräfteverteilung war von vornherein durchaus ungleich. Der Süden kämpfte mit 9 Millionen Menschen, von denen obendrein 3 Millionen Sklaven nur für die wirtschaftliche Kriegführung eingesetzt werden konnten, gegen 22 Millionen. Fast die gesamte Stahl- und Textilindustrie sowie die meisten Kriegsarsenale befanden sich im Norden, dem außerdem über zwei Drittel allen Bankkapitals zur Verfügung standen. Ebensowenig wie der Norden fand der Süden eine fertige Armee vor, er mußte sie und das dazu notwendige Kriegsmaterial aus dem Boden stampfen. Am verhängnisvollsten war die Überlegenheit der Union zur See, da die Blockade den Süden notwendiger Zufuhr beraubte. Es zeigte sich jetzt, wie abhängig dieser vom Norden war, während er umgekehrt gemeint hatte, der Norden sei wirtschaftlich ihm ganz ausgeliefert. Schon vom Jahre 1862 an wurden die Preise für so notwendige Artikel wie Butter, Tee, Kaffee und Hafer fast unerschwinglich. Beide Teile gaben sich zunächst an Opferwilligkeit nichts nach. Es galt in der ersten Zeit des Krieges bei den jungen Männern der besseren Klassen für Ehrenpflicht, sich freiwillig zum Heeresdienst zu melden. Dagegen war der Süden in der militärischen Führung bedeutend überlegen. Der Aufbau seiner Gesellschaft hatte zu einer natürlichen Auslese geführt; zwischen den Befehlenden und Gehorchenden bestanden vielfach persönliche Berührungen. Vor allem fand die Sezession in

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Robert Lee einen Mann, dessen beträchtliches strategisches Talent, dessen großangelegte Persönlichkeit eine Stetigkeit der obersten Führung sicherten, die dem Norden bei dem fortwährenden Wechsel des Oberkommandos zumal im ersten Teil des Krieges fehlte. Die Kriegslage blieb jahrelang schwankend. Es kam der Sezession zugute, daß sie gleich im Anfang bei Bull Run einen großen Sieg erfocht; dafür zeigte sich die Überlegenheit des Nordens zur See durch die Eroberung von Neuorleans, die den Konföderierten die Beherrschung des unteren Mississippi kostete. Da der Krieg auf zwei gänzlich verschiedenen Kriegsschauplätzen geführt werden mußte, war die Gesamtsituation wenig übersichtlich. Sie konnte dem außenstehenden Beobachter große Erfolge der Sezession vortäuschen, wo im ganzen genommen doch eine ständige Verschlechterung ihrer Lage eintrat. Die Niederlagen der Union bei Frederiksburg im Dezember 1862 und bei Chancellorsville im Mai 1863 waren allerdings dazu angetan, die sinkende Stimmung des Südens immer wieder zu heben und die innere Krise in der Union zu verschärfen. Nach Chancellorsville konnte Lee den Vormarsch durch Maryland antreten, einen Augenblick schienen Washington, Philadelphia und Pittsburg schwer bedroht zu sein. Seit dem Herbst 1862 waren die Widerstände gegen die Regierung Lincolns sehr stark angewachsen. Die Wahlen vom Herbst 1862 brachten fast überall den Demokraten Erfolge, die gegen eine Fortsetzung des Krieges waren. Da der Zustrom der Freiwilligen versiegte, so mußte man auch in der Union zur allgemeinen Wehrpflicht im März 1863 übergehen, deren Durchführung sich mindestens ebenso schwierig, wenn nicht bei dem Rassengemisch der Großstädte noch schwieriger als im Süden gestaltete. Schon am 22. Septemper 1862 hatte die Emanzipationserklärung alle Brücken abgebrochen. Sie war ohne Zweifel ein augenblickliches Verlegenheitsmittel, um die nationale Einheit zu sichern und auf die kritische Stimmung im Auslande günstig einzuwirken. So stand das Ringen Anfang Juli 1863, als die Kämpfenden sich bei Gettysburg (Pennsylvanien) gegenüberstanden. Ein entscheidender Sieg des Südens hätte vielleicht noch einen leidlichen Ausgang ermöglicht, der Weg nach Washington wäre dann frei, die Wiederwahl Lincolns höchst unsicher, der finanzielle Bankrott der Union so gut wie gewiß geworden. Lee hatte bei Gettysburg das beste Heer während des ganzen Krieges versammelt; fast ausschließlich kämpf- und sieggewohnte Veteranen. Er war zum ersten Mal zahlenmäßig dem Gegner gewachsen. Es wurde von ihm verabsäumt, am ersten Tage die überragende Höhe von Cementary Hill zu besetzen, so daß die Unionstruppen am Morgen des zweiten Tages die starke Stellung einnehmen konnten. Lee wagte trotz mehrfachen Abredens seiner Unterführer den Frontalangriff im

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Vertrauen auf die Stoßkraft seiner Truppen. Bis zum Abend konnte er einige Teilerfolge erzielen. Als jedoch am dritten Tage nach einer furchtbaren Kanonade der allgemeine Angriff auf Cementary Hill einsetzte, zerbrach die Division Longstreet vor dem Abwehrfeuer der Unionisten, an dem sich auch besonders das X I . Korps mit seinen vielen Deutschen beteiligte. Ebensowenig war dem Angriff Hoods auf dem linken Flügel der Schlacht Erfolg beschieden. Der Ausgang der dreitägigen Schlacht war zwar keine völlige Niederlage Lees. Aber umso größer war die moralische Wirkung auf seine Truppen, die fast die Hälfte ihres Bestandes an Toten, Verwundeten und Gefangenen nutzlos aufgeopfert hatten. Verhängnisvoll sollten auch die politischen Folgen der Schlacht sein. Die schleichende Krise innerhalb der Union war damit überwunden; mit überwältigender Mehrheit wurde im November 1864 Lincoln wiedergewählt. Der Süden hat trotzdem nach Gettysburg noch anderthalb Jahre weitergekämpft. Es zeigte sich erst jetzt so recht, welche Werte in seiner Bevölkerung steckten. Er hatte vor Ausbruch des Krieges mit seiner Überlegenheit geprahlt; aber die Konföderierten hatten ein gewisses Recht, sich stark und sicher zu fühlen. Die Leistungen der Armee und des Volkes waren, an den Schwierigkeiten gemessen, sehr groß. Die Truppen Lees schlugen sich unvergleichlich. Der Süden war in sich nicht geschlossen. Einzelne Gouverneure übten offene Sabotage, weil die allgemeine Dienstpflicht unvereinbar mit der Staatssouveränität sei. Dazu kamen große Mißstände im Innern, die in einem langen Kriege stets auftauchen müssen. Die Zahl der Deserteure schwoll gegen Ende des Krieges bedenklich an. Die Blockade beraubte das Land — ähnlich wie Deutschland im Weltkriege — notwendigster Importartikel. Da bei der verhältnismäßig geringen Bevölkerungszahl fast alle weißen Männer im wehrpflichtigen Alter im Felde standen, wurde den Frauen eine fast übermenschliche Verantwortung mit der Aufsicht über die Sklaven aufgebürdet. Trotzdem war der Opferwille aller Schichten so groß, daß der Kampf bis zum bitteren Ende durchgehalten wurde. Denn nach Gettysburg, das wird man wohl sagen müssen, wurde es ein vergebliches Ringen. Die Kräfte des Südens verbrauchten sich mehr und mehr; der Norden konnte sich bei seinen unerschöpflichen Hilfsquellen trotz mancher noch erlittenen Schlappen immer wieder erholen. Ein solcher Kampf sieht in der Rückschau wie eine selbstmörderische Geste aus, er war aber nur ein ergreifender Ausdruck für die Seelenstärke eines stolzen Volkes, das ohne äußerste Not zur Ergebung nicht bereit war. Der Größe der Anspannung entsprach der jähe Zusammenbruch, der dramatisch und schließlich doch unerwartet, durch die Kapitulation von Lee im April 1865 erfolgte. Das Volk ertrug in seinen

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Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg.

besten Teilen das Unglück nicht ohne innere Haltung. Als wenige Tage nach der Kapitulation Lee mit einer kleinen Schar von Begleitern über eine Brücke bei Richmond ritt, säumte eine Menschenmenge seinen Weg, von der teilnehmendes Murmeln, keine gehässigen Zurufe zu hören waren 5). Erst die vollkommene Niederlage des Südens hat die Vorbedingung für das moderne hochkapitalistische Amerika geschaffen. Das ethische Ziel der Sklavenbefreiung war erreicht, aber gleichzeitig das letzte Gegengewicht gegen den schrankenlosen Unternehmergeist beseitigt worden. Auch der Norden hatte sich in dem langen Krieg überanstrengt. Jedoch waren seine Industrie und Landwirtschaft erstarkt hervorgegangen. Die Besiedlung des Westens stockte keinen Augenblick, wenn auch nur im beschränkten Maße Neusiedler ins Land kamen. Durch den Krieg wurde das Bündnis zwischen den Kapitalisten des Nordens und den Farmern des Westens besiegelt. Die Gegnerschaft gegen Freiland erlosch endgültig 6 ). Ganz im Gegensatz dazu hatte der Süden nur verloren. Er hatte alle seine Hilfsmittel für die Kriegführung verbraucht. Die Zerrüttung seiner Währung mußte schon seinen Wohlstand stark erschüttern. Der katastrophale Ausgang des Krieges gab nun den Rest; die Papiere wurden wertlos, die Sklavenemanzipation kostete dem Süden ohne jede Entschädigung ein Nationalvermögen von 4 Milliarden Dollar. Es hat sich damals um die größte Vermögenskonfiskation zwischen der französischen und der bolschewistischen Revolution gehandelt. Von dem Grad der Verarmung gibt eine Seite des »North-CarolinaAdvertiser« vom 16. Dezember 1865 ein Bild. Es wurden dort nicht weniger als 26 große, herrschaftliche Güter von 1000 bis 15000 acres zum Verkauf angeboten und fast alle mit dem Zusatz, daß beliebige Parzellen auch davon zu haben seien 7). Infolge der furchtbaren Verluste und der Auswanderung von Vielen, die aus Erbitterung über den unglücklichen Ausgang nicht mehr bleiben wollten, verödeten zahlreiche Pflanzungen. Es war Hochkonjunktur für solche Spekulanten des Nordens, die schon während des Krieges mit größerer Aufmerksamkeit auf die Börse als auf die Schlachtfelder von Frederiksburg, Vicksburg und Gettysburg geblickt hatten. Es ist die große Frage, ob ohne Lincolns Ermordung am 14. April 1865 das schlimmste Unheil vom Süden noch abgewendet worden wäre. Es gab eine starke Gegnerschaft gegen Lincolns einsichtige und 5) Adams, Transatlantic Historical Solidarity S. 168. ') Vgl. Beard II, S. 114 f. 7) G. Schmoller, Nationalökonomische und sozialpolitische Rückblicke auf Nordamerika, Preußische Jahrbücher XVII, 587.

Der europäische Standpunkt.

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maßvolle Politik; die radikalen Elemente drohten angesichts des überwältigenden Sieges die Oberhand zu gewinnen. Aber Lincoln besaß im dankbaren Volke einen starken Rückhalt, er war jedenfalls der einzige, der der außerordentlich schwierigen Lage Herr werden konnte. Seine Ermordung war daher ein Unglück für den Süden. Sein Tod ermöglichte verantwortungslosen Demagogen, die Masseninstinkte aufzupeitschen. Der Süden setzte der Sklavenbefreiung passiven Widerstand entgegen. Trotzdem waren die sogenannten Rekonstruktionsgesetze von 1867 unverantwortlich. Der Süden wurde durch sie unter dem Schutz der Bajonette der Willkür seiner früheren Sklaven und charakterlosen Nutznießer des Zusammenbruches ausgeliefert. Dadurch entstand erst die Atmosphäre des Hasses und des Mißtrauens, unter der die Schwarzen am meisten zu leiden hatten. Der Süden ist dann im Augenblick der größten Gefahr, als die Korruption der Negerregierungen zum Himmel schrie, als die Sicherheit seiner Frauen durch die ehemaligen Sklaven bedroht wurde, zur Selbsthilfe geschritten. Im Ku-Klux-Klan wurde das Mittel gefunden, um den Angriff auf die weiße Zivilisation abzuschlagen. Dieser Geheimbund übte jahrelang eine Schreckensherrschaft aus, er konnte erst dann unterdrückt werden, als die Bevölkerung, die ihn eine Zeitlang offen begünstigte, seiner Auswüchse wegen sich von ihm zurückzog. Es kam zu einer rückläufigen Bewegung; durch besondere Gesetze der Einzelstaaten wurde die schwarze Bevölkerung politisch entrechtet und sozial von den Weißen geschieden. Der Norden hatte den etwas naiven Standpunkt eingenommen, daß ihm in seinem Kampf für »Recht und Freiheit« die Sympathien aller Gutgesinnten in Europa zufallen müßten. Sicherlich war damals die Sklaverei in Europa unhistorisch geworden. Die russische Bauernbefreiung von 1861 war der Schlußstrich. Der Eindruck von »Onkel Toms Hütte« war in Europa außerordentlich stark gewesen 8), aber abgesehen von der Sklaverei hatte Europa mancherlei Beschwerden gegen die Union vorzubringen. Man hatte es, auch in liberalen Kreisen, immer peinlicher empfunden, daß die Yankees die europäischen Einrichtungen dauernd vor ihren Richterstuhl zogen und sich gar unmittelbar in die europäische Entwicklung einmischten. Man empfand vor allem einen Widerspruch, der je länger desto augenfälliger wurde: die Amerikaner, die auf ihre eigne Vollkommenheit so stolz waren und mit solchem Vertrauen in ihre Zukunft blickten, wurden von der Gefahr der Zerrüttung ihres Staates bedroht, die ihre Überheblichkeit Lügen zu strafen schien. Man hatte sich daher mehr und mehr an den Gedanken gewöhnt, daß die nordamerikanische Republik auf die Länge doch nicht •) Vgl. Adams, Transatlantic Historical Solidarity S. 79.

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Die europäischen Mächte und der amerikanische

Bürgerkrieg.

zusammenzuhalten sei und fragte sich nicht ohne Erstaunen, weshalb denn die Vereinigten Staaten die Sache der politischen freiheitlichen Bewegung in Europa so stark begünstigten, wenn sie mit ihren eignen Problemen nicht fertig werden konnten. Als dann der Krieg ausbrach, war es vom europäischen Standpunkt aus schwer verständlich, daß nicht gleich die Befreiung der Sklaven als Kriegsziel offen verkündet wurde. Die schwierigen staatsrechtlichen Verhältnisse, die der Bundesregierung einen Eingriff in die Selbstbestimmung der Einzelstaaten ohne Verfassungbruch nicht gestatteten, vor allem aber auch die schwankende Haltung der Grenzstaaten, die bei einer sofortigen Emanzipationserklärung unfehlbar in das feindliche Lager übergeschwenkt wären, waren den Europäern nicht vertraut genug. Ganz besonders aber waren die Interessen einiger europäischer Mächte durchaus nicht an einen Sieg des Nordens gebunden. Amerika war für Europa nicht nur das Land, in das es seine überzähligen Menschen abgab, es war immer noch Ziel politischer und wirtschaftlicher Expansion. Sollte Europa untätig zusehen, wie sich statt eines losen, machtpolitisch noch schwachen Bundes, ein festgefügter Block mit starker Zentralregierung bildete, der im Wirtschaftskampf äußerst gefährlich werden konnte, und der, wie die Verhältnisse lagen, die Vorhand auf dem amerikanischen Festland bekommen mußte? Es kann entgegengehalten werden, daß damals die spätere Entwicklung nicht vorauszusehen war. Das ist jedoch nicht der Fall gewesen. Die Tragweite, die der Ausgang des amerikanischen Krieges für Europa bekommen konnte, wurde durchaus erkannt. Gerade in französischen Flugschriften, die während des Sessionskrieges verbreitet wurden, ist wiederholt davor gewarnt worden, den Konflikt ausschließlich unter dem Gesichtswinkel der Sklavenfrage anzusehen. Das europäische Interesse verlange die dauernde Trennimg der kämpfenden Teile; eine solche werde den europäischen Mächten Einflußmöglichkeiten in Amerika bewahren, die es nach der Wiederherstellung der Union für immer verlieren müsse 9). Aber zu einem geschlossenen Eingreifen fehlten die Vorbedingungen. Die Staaten Europas waren damals führerlos, wegen ihrer tiefen Gegen9) So z. B. S. Remont, l'Union Américaine et l'Europe, Paris 1861, und E. N. Delorme, Les États Unis et l'Europe, Paris 1863. Bernhardi schreibt in seiner Aufzeichnung vom 16. April 1865: „ D a s Interesse Europas aber machte eine Spaltung des Freistaates wünschenswert, da dieser Staat, wie er jetzt ist, mit der Zeit eine Seetyrannei üben könnte, die sehr drückend sein würde und mit der sogar bereits der Anfang gemacht worden ist. Darum scheint mir der Ausgang des Krieges nicht erwünscht" ; Aus dem Leben Theodor von Bernhardis VI, 194. Adams, Transatlantic Historical Solidarity S. 112 stellt fest, daß das europäische Interesse ein Eingreifen an und für sich gefordert hätte.

England.

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sätze ohne Wollen und Können zu einer einmütigen Tat. Keine der in Betracht kommenden Mächte hätte sich auch zugetraut, für die Sache der Sklaverei mittelbar einzutreten. Die Kriegslage war für ihre Haltung nicht allein ausschlaggebend. Wir sagten schon, daß diese wenig übersichtlich war; noch bis in die letzte Kriegszeit hinein konnte man aus der Ferne wohl zu der Auffassung kommen, daß die Union ihr Ziel nicht erreichen werde. Von einem ausgesprochenen Umschwung der europäischen öffentlichen Meinung infolge der veränderten Kriegslage melden die europäischen Unionsvertreter erst verhältnismäßig spät. Der amerikanische Gesandte in Berlin, Norman Judd, konnte nicht vor dem 18. Februar 1864 schreiben, daß man an die schließliche Unterdrückung der Rebellion glaube ,0 ). Der Londoner Gesandte, Charles Francis Adams, beobachtete den entscheidenden Umschwung gar erst im Februar 1865. Ein Blick in die Zeitungen bestätigt das Gleiche; die Möglichkeit einer Wiederherstellung der Union wurde sehr lange angezweifelt " ) . Die sklavereifeindliche Stimmimg hat die Politik mit bestimmt. Im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten standen von den europäischen Ländern England und Frankreich im Vordergrund ,2 ). Die englisch-amerikanischen Beziehungen waren seit dem Unabhängigkeitskriege widerspruchsvoll gewesen. Die Rassen Verwandtschaft, die gemeinsame Sprache und der Kampf für den Protestantismus im Siebenjährigen Krieg sicherten für alle Zukunft ein Zusammengehörigkeitsgefühl '3). Seit dem Kriege von 1812 standen sich die Mächte im offenen Felde nicht mehr gegenüber. Aber das Verhältnis blieb dauernd wegen unklarer Vertragsbestimmungen (Fischerei- und Grenzfragen) sowie der amerikanischen Hoffnung, Kanada schließlich auch noch den Vereinigten Staaten anzugliedern, gespannt. So mußte das gegenseitige Mißtrauen wach bleiben. Auch bestand eine recht ernsthafte Rivalität in Mittelamerika, die wohl durch den Clayton-BulwerVertrag vom 19. April 1850 zurückgedrängt, aber nicht beseitigt wurde. Aber die amerikanische Politik, die noch durch keine Schule der Erfahrung hindurchgegangen war, blieb in vielen Fragen von Großbritannien abhängig, sie war der überlegenen englischen Tradition nicht gewachsen. Es gelang daher England wiederholt, die Vereinigten Staaten in das Schlepptau der eignen Außenpolitik zu nehmen, ohne ••) F. R. 1864/65 T. IV, 203. " ) Vgl. Adams, Transatlantic Historical Solidarity S. 63. «) Zum Folgenden vgl. W. A. Dunning, The British Empire and the United States und R. B. Mowat, The Diplomatie Relations of Great Britain and the United States. *3) Vgl. die treffenden Ausführungen Butlers im Vorwort zu Dunning S. V I I I .

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Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg.

daß das diesen ganz bewußt wurde. Und gelegentlich sprach man schon von angelsächsischer Interessengemeinschaft m). Allmählich schwächten sich auch die psychologischen Hemmungen gegen eine Annäherung ab. Englische Literatur war in Amerika und besonders im Süden weit verbreitet, dort gab es kaum eine Bibliothek, die nicht Shakespeare vorweisen konnte. Carlyle war fast so bekannt wie in England; Byron, Scott, Smith, Ruskin, Dickens und Shelley wurden viel gelesen. Auch in England begann man sich mehr für amerikanische Schriftsteller zu interessieren. Irving, Cooper, Poe, Prescott, Emerson und Motley fanden ihren Leserkreis. Und seit den dreißiger Jahren erschienen gelegentlich Bücher auf dem englischen Markt, die sich mit Amerika ernsthaft und mit positiver Deutung auseinandersetzten. Der gesellschaftliche Boykott der Amerikaner hörte auf, einzelne Amerikaner konnten Aufnahme in exklusiven britischen Klubs finden 's). Für die Zeit unmittelbar vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges ist eine entschiedene Entspannung der Beziehungen festzustellen. Der Besuch des Prinzen von Wales im Herbst 1860 wurde im Sinne einer »good will mission« gedeutet. Die »Times« versicherten bei dieser Gelegenheit, daß zwischen den beiden größten Reichen der Welt ein neues Verhältnis hergestellt werden müsse. Der Prinz sei herübergekommen "to bridge the bloody chasm which for near a Century has gasped between them". Er bringe die Freundschaft Großbritanniens für Amerika, für die "great cognate nation" l6 ). Der amerikanische Krieg unterbrach also eine Anbahnung zum Besseren, er drängte noch einmal die Gegensätze in die Front I i). England mußte durch jeden Krieg in Mitleidenschaft gezogen werden, der seine Bewegungsfreiheit auf den Meeren beeinträchtigte. Die Blockade der Sezessionsstaaten durch die Schiffe der Union war ein empfindlicher Schlag für den britischen Handel. Ganz mit Unrecht entrüstete sich der Norden darüber, daß England und Frankreich die Südstaaten als kriegführende Macht anerkannten. Denn eine Blockade war nach internationalem Seekriegsrecht nur dann zulässig, wenn es sich um einen Krieg im völkerrechtlichen Sinne handelte ,8 ). Allerdings stand das offizielle England mit seinen Sympathien auf der Seite des Südens. M) So schrieb Jefferson an Monroe am 24. Okt. 1823: "Great Britain is the nation which can do us the most harm of any one . . . and with her on our side, we need not to fear the whole world"; P. Belmont, Survival of the Democratic Principle S. 147. •5) E . W. Dodd, Cotton Kingdom S. 62 f., Dunning, S. 83 ff. und 196 ff. «6j R. B. Mowat, S. 166 f. •7) Zum Folgenden: E. D. Adams, Great Britain and the American Civil War, 2 vols. '«) Mowat, S. 169.

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England.

Lord Russell war nicht allein mit seiner Ansicht, daß der Süden für den englischen Rechtsgedanken der Staatssouveränität eintrete, daß man den gegenwärtigen Kampf als eine Fortsetzung der 1776 begonnenen Loslösungsbewegung vom Empire zu betrachten habe. Im übrigen rühmte sich die Pflanzeraristokratie mit besonderem Stolz ihrer englischen Abkunft; der Typus des virginischen Herrenmenschen stand den englischen Traditionsschichten näher als der jetzt emporkommende Yankeegeschäftsmann des Nordens. Torykreise erhofften den Zusammenbruch der amerikanischen Demokratie, Lord Shrewsbury prophezeite, daß die Unruhen nicht ohne Errichtung einer Erbaristokratie und einer Monarchie aufhören würden T9). Vor allem wiesen die wirtschaftlichen Belange England auf den Süden an. Etwa 70% seiner Gesamteinfuhr aus den Vereinigten Staaten bestand aus Rohbaumwolle. England ließ dreimal so viel Spindeln laufen als das übrige Europa zusammen. Der Süden hätte ebenso wie der englische Handel gern eine Beseitigung des Schutzzolles gesehen. Am Anfang des Krieges freilich hatte England noch einen Überschuß an Baumwolle. Die Ernte von 1860 war mit 4 Millionen Ballen die beste je dagewesene; noch 3'/» Millionen Ballen konnten davon vor Ausbruch des Krieges nach Europa ausgeführt werden. Die Lager in Liverpool waren zunächst so gefüllt, daß sogar nach den notleidenden Distrikten abgegeben wurde. Es lag für die englische Regierung kein Grund zum Eingreifen vor, da sich die englischen Kaufleute durch Hochschrauben der Baumwollpreise außerordentlich bereicherten. Aber das Bild wandte sich bald. In den ersten Monaten des Jahres 1862 wurden nur noch 1 1 5 0 0 Ballen von Amerika eingeführt. Der Versuch, von Indien mehr Baumwolle einzuführen, war zunächst unzulänglich, da diese im Werte unter der amerikanischen stand. Die Not stieg daher in den beteiligten Industriebezirken vom März 1862 an, um im Dezember des gleichen Jahres den Höhepunkt zu erreichen. E s ist geschätzt worden, daß damals etwa 500000 Menschen von öffentlicher Hilfe abhingen, eine Zahl, die für die damalige Zeit außerordentlich hoch war. Dieser Gefahr hätte keine Regierung ruhig zusehen können. E s war nur natürlich, daß eine starke Strömung für die Beendigung des Krieges durch Intervention bestand. Wenn es schließlich doch nicht dazu gekommen ist, so war neben dem Mißtrauen gegen Frankreich und der ungeklärten europäischen Lage sicherlich die Sklavereifrage mitbestimmend. Die Union hatte sehr geschickt an die Gefühle der breiten Massen appelliert. Einige bekannte Amerikaner, unter ihnen die Verfasserin von »Onkel Toms Hütte«, Harriet Beecher J

9) Amerikanisches Konsulat, Bremen, 9 . Nov. i 8 6 0 . Vgl. auch C. F . Adams, Transatlantic Historical Solidarity S. 21 und E. D. Adams, Great Britain and the American Civil War II, 276 ff. Stolberg-Wernigerode,

Deutschland u. d. V . Staaten.

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Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg.

Stowe, versuchten seit 1862 die englische öffentliche Meinung für den Norden zu gewinnen 20). Es gelang ihnen, zu erreichen, daß die notleidende Bevölkerung von Lancashire Resolutionen gegen die Sklaverei faßte, anstatt eine Intervention der Regierung zugunsten des Südens zu verlangen. Auch in kirchlichen Kreisen war die sklavereifeindliche Strömung doch sehr erheblich. "Bondage and the lash can claim no sympathy from us. God bless and strengthen the north; give victory to their arms", predigte nach der Emanzipationserklärung der bekannte englische Pfarrer Spurgeon 1 1 ). Entscheidend war freilich, daß von 1863 an die Lage in den englischen Industriedistrikten sich bedeutend besserte. Es gelang besonders auf dem Wege über Indien einen Teil des Baumwollausfalls wieder hereinzubekommen. Und von der zweiten Hälfte des Jahres 1863 ab tat die dänische Krise das ihrige, um die britische Politik zur äußersten Zurückhaltung zu veranlassen " ) . Trotzdem wurden die Beziehungen zwischen England und der Union zeitweilig recht kritisch. Neben den Lieferungen von Kriegskonterbande, die noch in jedem Krieg eine Hauptquelle von Streitigkeiten geworden sind, setzte sich England völkerrechtlich durch den Bau eines Hilfskreuzers für den Süden in einem englischen Hafen ins Unrecht. Denn der Kreuzer »Alabama« konnte entweichen, bevor die negative Entscheidung der englischen Kronjuristen zur Stelle war. Da dieses Kaperschiff dem Handel der Union schweren Abbruch tat, entstand eine endlose Auseinandersetzung, die unter dem Namen »Alabama Claims« die britische Politik für ein Jahrzehnt belastete J3). Von einer unmittelbaren Kriegsgefahr wird man aber kaum zu sprechen haben. Sie kam am nächsten nach dem Trentfall, als der Kapitän des amerikanischen Schiffes »Trent« die beiden für England und Frankreich bestimmten Kommissare des Südens, Slidell und Mason, von einem englischen Schiff herunterholte (8. Nov. 1861). Damals erhob sich in England wegen der Verletzung der britischen Flagge ein Sturm des Unwillens. Hätte die amerikanische Regierung dem englischen Verlangen, die Agenten auszuliefern, nicht nachgegeben, so wäre es wohl zum Kriege gekommen. Aber der Staatssekretär William H. Seward, der am Anfang des Krieges die heiklen Beziehungen zu Europa nicht gerade mit übermäßigem Takt und Geschicklichkeit berücksichtigt hatte, war während des Krieges zu einem Staatsmanne von beträchtlichem Format geworden. Er lernte, von Lincoln unterstützt, auf dem Instrument der politischen «) ") ") '3)

a. a. O. I I , 33 B. Rhodes, History of the United States IV, 239. Adams, Great Britain and the Civil War I I , 203 5 . Vgl. unten Seite 78 ff.

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Frankreich.

Möglichkeiten zu spielen. Im Trentfalle hätte er es um so weniger zum Bruch kommen lassen, als alle fähigen Auslandsvertreter einen Krieg mit einer europäischen Macht für ganz unmöglich erklärten m). Die Amerikaner fürchteten sogar, daß jede Verschlechterung der Lage des Südens zu einer Intervention führen könne, da England gehofft habe, daß die Südstaaten auch ohne fremde Hilfe erfolgreichen Widerstand leisten würden J 5). Bei England war die Kriegsneigung vielleicht noch schwächer. Es ist bekannt, daß die ursprünglich scharfe Fassung der Note Russells in der Trentaffaire vom Prinzgemahl in eine sanftere Tonart gebracht wurde. England, das mit dem Ausbau seines zweiten Weltreiches genug zu tun hatte, mußte darauf bedacht sein, eine kriegerische Auseinandersetzimg zu vermeiden, die in jedem Falle eine schwere Belastung mit sich brachte. Die tiefe, durch das persönliche Leid um den verstorbenen Gatten gesteigerte Friedenssehnsucht der Königin ist dann der Ausdruck einer weitgehenden Stimmung im Lande geworden. Man kann sogar sagen, daß sich in der zweiten Hälfte des Krieges das Verhältnis umkehrte. England war wegen Kanada in wachsender Sorge vor einem Angriff der Union, eine Furcht, die sich nach dem siegreichen Ausgang für den Norden sehr steigerte j 6 ). In dem französisch-amerikanischen Verhältnis haben von vornherein die Imponderabilien eine wesentliche Rolle gespielt 17). Wenn auch die Dankbarkeit für die französische Hilfe im Unabhängigkeitskrieg schon zu Zeiten des Direktoriums stark abkühlte — ein kriegerischer Zusammenstoß schien fast unvermeidlich zu sein — so gab es doch genug, was die beiden Länder miteinander verband. Der überragende geistige Einfluß, den das Frankreich der Aufklärungszeit in der ganzen Welt ausübte, ging natürlich nicht an der amerikanischen Oberschicht vorüber j 8 ). Solange die Seeküste, die ihrem Wesen nach mit Europa wirtschaftlich und kulturell eng verbunden war, führte, beherrschte französische Bildung und Sitte die vermögenden Klassen. Doch gab es von vornherein andere Tendenzen, die einem völligen Sieg französischer Aufklärungsideen im Wege standen. Dem bürgerlich eingestellten Amerikaner lag das Radikale nicht, er empfand eine instinkJ4) So z. B. Dayton an Seward, Paris, 6. Dez. 1861: " W e cannot afford in any event and under any circumstances to go to war with Great Britain with the moral sentiment of the Great Maritime Powers of the world against us." >5) Goltz an Bismarck, 30. Aug. 1863. Auch der englische Gesandte in Washington, Lord Lyons, hat sich für den Frieden eingesetzt; Lord Newton, Lyons I, 29 ff. »«) Vgl. Seite 80 f. a7) Zum Folgenden: H. M. Jones, America and French Culture. , 8 ) Vgl. C. F. Thwing, A History of Education in the United States since the Civil War S. 132 ff.

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Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg.

tive Abneigung gegen den Jakobinergeist, gegen das, was man die französische Immoralität und Irreligiosität nannte. Das eigentümlich Amerikanische, die Frontier, die Grenze, die sich nach dem Westen vorschiebende Armee der Kolonisten, wurde nur sehr oberflächlich von dem frivolen Geist des achtzehnten Jahrhunderts berührt. Sie stieß die religionsfeindlichen Strömungen bald wieder ab. Es läßt sich auch weiterhin beobachten, daß sich in die Begeisterung für das Land der Erklärung der Menschenrechte immer wieder die Furcht vor extremen Tendenzen mischte, wie sie in fast allen französischen Revolutionen vorhanden waren J9). Die Franzosen und die Bewohner des nordamerikanischen Südens empfanden sich etwas verwandt; der lateinische und katholische Einschlag des Südens, das Temperament seiner Menschen mochte eine gewisse Begründung dafür sein. Aber die ausgesprochen sezessionsfreundliche Politik Frankreichs ist hauptsächlich auf das Konto Napoleons III. zu schreiben. Napoleon, der einen Teil seiner Verbannung in Mittelamerika verbracht hatte, griff damals den Plan eines Kanals auf, der das lateinische und germanische Amerika voneinander trennen sollte s«), Bourbonische und napoleonische Pläne feierten in seinem Kopf Wiederauferstehung, dynastische und handelspolitische Interessen sollten durch ein lateinamerikanisches Reich unter französischer Protektion vereinigt werden. So entstand der verhängnisvolle mexikanische Plan. Napoleon hatte freilich noch persönliche Gründe, daß er auf den Norden der amerikanischen Union so schlecht zu sprechen war. Seit seiner Kaiserwahl wurde er von diesem fanatisch bekämpft und mit so viel persönlichen Verunglimpfungen überschüttet, daß sich ein starkes Ressentiment bei ihm entwickelt hatte. Der preußische Gesandte in Paris, Heinrich VII. Prinz Reuß, berichtete am 29. November 1861 aus Compiegne, daß den Äußerungen des Kaisers der Franzosen nach derselbe keine besonderen Sympathien für die Sache der Vereinigten Staaten und der Washingtoner Regierung hege, und daß eine Trennung der Südstaaten der Union von denen des Nordens ihm wünschenswert erscheine, weshalb er auch die eben unternommene Expedition nach dem Süden scheitern zu sehen hoffe. Der Kaiser habe sich dahin ausgesprochen, daß die traditionelle Politik Frankreichs begreiflicherweise von jeher der Heranbildung einer außereuropäischen Macht, die dem maritimen und kommerziellen Einflüsse Englands das Gegengewicht halten könne, günstig gewesen sei. Solange die Vereinigten Staaten diese Aufgabe 29) Vgl. E. N. Curtis, American Opinion of French Nineteenth Century Revolutions und E. B. White, American Opinion of France from Lafayette to Poincaré; C. A. Beard, The Rise of American Civilization I, 363. 3°) A. Vagts, Mexiko, Europa und Amerika S. 88.

Frankreich.

B3

erfüllt und Frankreich ebenso wie dem europäischen Kontinent große Dienste erwiesen hätten, habe man sie ruhig gewähren lassen können. Seit einiger Zeit hätten diese aber die Neigung kundgegeben, sich in die Angelegenheiten Europas zu mischen, dieser Anmaßung müsse jedenfalls entgegengetreten und ihr ein Ziel gesetzt werden. Er könne deshalb auch nur wünschen, daß bei dem jetzt entbrannten Kampfe der nördliche Teil nicht über den südlichen den Sieg davontrage. Eine Lostrennung des Südens würde den Norden bescheidener machen, ohne den Interessen Europas zu schaden. England aber würde immer zu einer gleichen Rücksichtnahme gezwungen sein, und die südlichen Staaten Amerikas, einmal konsolidiert und verbunden, würden stets mächtig genug sein, Englands Oberherrschaft zur See das Gleichgewicht zu halten. Ähnliches wiederholte der Kaiser 1862: Die Teilung der Vereinigten Staaten sei ihm nicht unlieb, weil diese in jüngster Zeit angefangen hätten, sich in europäische Angelegenheiten zu mischen und dies in so brutaler Art, daß es den europäischen Mächten nur angenehm sein könnte, eine immer mehr heranwachsende transatlantische Macht geteilt und dadurch geschwächt zu sehen 31). Die mexikanische Politik Napoleons konnte nur gelingen, wenn die Union gespalten blieb. Der Süden war an und für sich durchaus nicht über Napoleons mexikanische Pläne erfreut; hatte doch gerade Mexiko in den imperialistischen Träumen südlicher Politiker eine erhebliche Rolle gespielt. Aber im Falle ihres Erfolges wären die Südstaaten allzu sehr von europäischer Gunst, besonders von Frankreich, abhängig gewesen, um Napoleons Absichten durchkreuzen zu können. Zweifellos hatte daher Frankreich ein noch größeres Interesse als England an einem selbständigen Südbund. Frankreich würde sicherlich auch militärisch interveniert haben, wenn es möglich gewesen wäre. Aber das konnte Napoleon nicht wagen. Er wünschte vielmehr, England bei der Anerkennung der Südstaaten den Vortritt zu lassen, um in Europa gedeckt zu sein. Ein alleiniges Vorgehen war ihm von Anfang an zu gefährlich. Im Oktober 1862 beteuerte er dem Kommissar des Südens, John Slidell, er habe Sympathien für die Sezession, entschuldigte aber gleichzeitig seine Untätigkeit; die Lage in Europa, besonders in Italien und Griechenland, sei unbefriedigend 3J). Vom Herbst 1863 an wurde Napoleon durch die deutsche Entwicklung stark von Amerika abgelenkt; an ein aktives Vorgehen war von diesem Zeitpunkt an noch weniger zu denken. Das Bild der amerikanischen Politik des Kaisers ist somit recht verschwommen. Napoleon konnte wohl glauben, daß 31) Reuss an Bismarck, 13. Nov. 1862, Telegramm. 3») J . Bigelow, France and the Confederate Navy S. 126 ff. Vgl. auch L. M. Sears, John Slidell S. 186 ff.

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Die europäischen Mächte und der amerikanische Bürgerkrieg.

seine Politik den Interessen des Landes am besten entspräche. Frankreich litt volkswirtschaftlich fast ebenso sehr wie England. Allein in der Zeit von 1861 bis 1863 verlor der französische Handel über 77 Millionen Dollar. Ganz besonders hatte die französische Seidenindustrie zu leiden. Zahlreiche Petitionen aus dem Lande bestärkten Napoleon in der Auffassung, auf dem rechten Wege zu sein. Andererseits waren die Widerstände in Frankreich gegen ein Eingreifen zugunsten des Südens besonders stark. Selbst Kreise, die offen mit dem Süden sympathisierten, bedauerten das Vorhandensein der Sklaverei und äußerten den Wunsch, es möchten bald Schritte für die stufenweise Abschaffimg eingeleitet werden. Die offiziöse »Revue Contemporaine« gab sogar zu, daß die Sklaverei sehr stark zur Verlängerung des Kampfes beitrage 33). Die Beziehungen zwischen Spanien und der Union waren seit den Unabhängigkeitskriegen der südamerikanischen Kolonien getrübt und seit der Mitte des Jahrhunderts wegen Kuba, dem Lieblingskind des amerikanischen Imperialismus, recht gespannt 34). Aber Spanien konnte seiner auswärtigen Schwierigkeiten und inneren Unruhen wegen sich nicht offen gegen die Union erklären. Es hatte gemeinsam mit England und Frankreich in Mexiko interveniert, sich aber ebenso wie England klug wieder aus der Sache herausgezogen, als sie zu gefährlichen Reibungen mit der Union zu führen drohte. So hatten die Vereinigten Staaten unter den europäischen Kolonialgroßmächten nur Rußland, auf dessen wohlwollende Neutralität sie sich verlassen konnten. Der latente englisch-amerikanische Gegensatz war die Hauptursache für ein freundschaftliches Verhältnis. Die Haltung Rußlands für den Norden beweist am besten, daß das politische Interesse, nicht die Sklavereifrage als solche die Politik der europäischen Staaten im Sezessionskriege bestimmt hat. Man liebte es in Amerika, auf Parallelen hinzudeuten, auf die Bauernbefreiung von 1861 und Rußlands Kampf gegen die polnische Insurrektion von 1861/62. Aber das war recht an den Haaren herbeigezogen. Nach den russischen Äußerungen konnte die Union bestimmt auf Rußlands ablehnende Haltung bei einer Vermittlungskonferenz rechnen 35). Rußland tat noch mehr: Vor der amerikanischen Küste erschien im Frühjahr 1863 ein russisches Geschwader; dieser Schritt wurde als eine Kundgebung gegen europäische Interventionsgelüste auf33) W. R. West, Contemporary French Opinion on the American Civil War S. 135. 34) In dem sogenannten »Ostender Manifest« von 1854 war der Ankauf von Kuba gefordert worden, eventuell die Annexion, falls der innere Friede und die Existenz der Union es erfordere. Vgl. L. M. Sears, A History or American Foreign Relations S. 267 f. 35) C. M. Clay an Seward, Petersburg, 19. Aug. 1862.

Preußen.

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gefaßt. Lange hielt sich das Gerücht, der Kommandant dieses Geschwaders habe versiegelte Order gehabt, sich mit der Unionsflotte im Fall einer englischen kriegerischen Aktion zu vereinigen 36).

Kapitel III.

Preußen, Deutschland und der Sezessionskrieg« Deutschland hatte, als der amerikanische Bürgerkrieg ausbrach, keine weltpolitische Geltung. Der Bund war in Auflösung begriffen. Der Zwiespalt zwischen Preußen und Österreich lähmte die beiden Großmächte. Preußens innerpolitische Krise kam hinzu. Deutschland besaß keine auswärtigen Kolonien und keine Kriegsflotte, die seinen Handel schützen konnten. Vor allem fehlte der Nation der Führer. Man muß das Jahr 1867 mit dem Jahr 1861 vergleichen, um die durch den Einsatz eines großen Mannes veränderte Lage richtig zu beurteilen. Man braucht sich nur vorzustellen, wie anders die Kriegführenden in Amerika 1867 Deutschlands Stellungnahme bewertet hätten. Die deutsch-französische Spannung hätte auf die französischamerikanischen Beziehungen zurückgewirkt, die Hansestädte würden den Rückhalt des Norddeutschen Bundes besessen haben, der ihnen vor 1866 für die Vertretung ihrer Handelsinteressen fehlte. 1861 hatten die kriegführenden Parteien keine Ursache, sich um die politische Gunst der deutschen Staaten sonderlich zu bemühen. Die Washingtoner Regierung tauschte mit Berlin höfliche Noten aus, die sich auf den ungestörten Fortgang des Handelsverkehrs bezogen. Aber gleichzeitig mit dem Amtsantritt Lincolns hatte ein Gesandtenwechsel in Berlin stattgefunden. Norman Judd gehörte nicht zu den Männern, die eine Regierung in den Stunden großer Gefahr an einen wichtigen Posten entsendet. Auch die Konföderierten zeigten für Deutschland ein verhältnismäßig geringes Interesse. Ein eigner Kommissar wurde nicht hingesandt, die politische Berichterstattung für Deutschland übernahm Dudley Mann in Brüssel, der die deutschen Verhältnisse wegen der Handelsverträge mit einigen deutschen Staaten, die er abgeschlossen hatte, und von seiner Konsularzeit in Bremen her (1842) ganz gut kannte. Nur gelegentlich berichtete er über die deutsche Entwicklung. Nach den Erfahrungen von 1848 glaubte er nicht mehr 36) Die Gründe der russischen Flottendemonstration sind niemals ganz geklärt worden. In Amerika vielfach Auffassung, daß Rußland im Augenblick drohender Kriegsgefahr mit Frankreich Kriegsschiffe aus dem Weg haben wollte. Für amerikanische Krise hatte sie jedenfalls keine praktische Bedeutung mehr. Vgl. W. F. Johnson, American Foreign Relations II, 46 ff.

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an die Fähigkeit des deutschen Volkes eine Nation zu bilden. Der Frankfurter Fürstenkongreß von 1863 gab ihm Gelegenheit, sich ziemlich geringschätzig über »Professorenträume« auszulassen '). Deutschland war damals in Washington nur durch zwei Diplomaten vertreten, den preußischen Gesandten Freiherrn von Gerolt und den Ministerresidenten von Bremen, Rudolf Schleiden. Gerolt war schon seit Anfang der vierziger Jahre auf seinem Posten, er hatte also Zeit gehabt, die amerikanischen Verhältnisse kennen zu lernen. E r war kein Mann von überragenden Gaben, aber während des Krieges vertrat er sein Land glücklich. Seine persönliche Überzeugung, daß die Union wieder hergestellt werden müsse, paßte in den Rahmen der preußischen Politik, sie trug viel dazu bei, in Washington den Eindruck zu verstärken, daß man an Preußen einen Freund habe. Bedeutender war ohne Zweifel Rudolf Schleiden'). Aus einer angesehenen Familie Schleswig-Holsteins gebürtig, hatte er seine Kindheit in Bremen und Elberfeld, seine Studienjahre in Berlin und Göttingen verbracht. Darin nicht unähnlich Bismarck, nahm er mit traditionsgebundenem Gefühl, aber mit lebendigem Geist an der Bewegung der Zeit teil. Die Welt der Burschenschaften blieb ihm als Korpsstudenten verschlossen; aber im Göttinger Professorenstreit ergriff er ungestüm für die Sache der unterdrückten Meinungsfreiheit Partei. In den Revolutionsjahren wurde Schleiden Bevollmächtigter der provisorischen Regierung Schleswig-Holsteins in Frankfurt und kämpfte gemeinsam mit Drovsen als guter deutscher Patriot um die Zukunft seines Heimatlandes. Von ') " . . . It is hardly necessary to speculate upon the preponderance that would be secured to Germany by a closer union of the various Sovereignties she comprises, and upon the change that would be wrought in European affairs b y the establishment of a compact nationality, numbering nearly 70 000 000 of inhabitants. Those who are most familiar with the German character and with the history of the times are the least inclined to believe in the realization of so ambitious a dream. Having been employed on a diplomatic mission to the various German Governments in 1848, I was an attentive observer of the efforts made at Frankfort, by the German people, in that year of Revolution, to secure liberal institutions and establish political unity. The obstacles which defeated the hopes of the patriots in 1849 have lost none of their power in 1863; the same rivalry between Austria and Prussia, the same wild schemes of dreamy Professors, the same sectional jealousy and class interests are observable now as then. Neither the habitual good fortune of the Habsburg's,«nor the apparent unanimity of the people is equal to the task of welding into one efficient political federation the separate institutions and conflicting nationalities of which distracted Germany is composed"; Dudley Mann an Staatsdepartment in Richmond, Brüssel, 28. Aug. 1863. (Pickett Papers, Kongreß-Bibliothek). ' ) Zum Folgenden: R . Schleiden, Jugenderinnerungen eines SchleswigHolsteiners Bd. I und R . H. Lutz, Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten während des Sezessionskrieges.

Schleidens Vermittlungsschritt.

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der dänischen Regierung infolge dieser Tätigkeit verbannt, nahm er mit Freuden das Angebot des ihm befreundeten Bremer Bürgermeisters Johann Smidt an, als Bremens Vertreter 1853 nach Washington zu gehen. Zur vollen Zufriedenheit seines Gönners übte er dort sein Amt aus, der ihm 1861 für seine unermüdliche Tätigkeit seinen Dank aussprach. Wegen des gefährdeten Handels sah Schleiden mit wachsender Sorge der drohenden Katastrophe entgegen. Er vermochte sich nicht unbedingt auf die Seite des Nordens zu stellen; allzu klar erkannte er, wie auf beiden Seiten entfesselte Volksleidenschaften den Gegensatz über das erträgliche Maß hinaus gesteigert hatten. Aus angeborenem Herrenbewußtsein legte er sich außerdem die Frage Machiavellis vor, ob es härter sei, Freie zu Sklaven oder Sklaven frei zu machen 3). Wie stets am Vorabend einer großen Krise wurden in Washington die verschiedensten Schritte unternommen, den Riß im letzten Augenblick zu verkleistern. Auch Gerolt begab sich mit mehr Eifer als Geschick auf diese schlüpfrige Bahn. Nach seiner Ansicht war ein Zollverein die beste Lösung (an den König, 8. April 1861). Aufdringliches Anraten eines Freundes suchte er Schleiden und den englischen Gesandten Lord Lyons für den Gedanken eines Vermittlungsversuches zu gewinnen. Aber der englische wie der französische Gesandte Mercier lehnten die Beteiligung an einem gemeinsamen Schritt ab. Daraufhin wurde Schleiden als Vermittler der Washingtoner Regierung inoffiziell angeboten. Der Präsident und sein Staatssekretär Seward lehnten dieses Angebot nicht ab, da sie zu Schleiden persönliches Vertrauen hatten. Sie wünschten aber, daß Schleiden als Privatmann mit dem Vizepräsidenten der Konföderation, Alexander Hamilton Stephens, rede. Zu bindenden Erklärungen war Lincoln nicht bereit. Am 25. April fand die Besprechung in Richmond statt. Es war Schleiden von vornherein klar, daß die allgemeine Kriegsatmosphäre die Vermittlung sehr erschwere. Stephens zeigte sich aber während einer dreistündigen Unterredung aufrichtig um die Erhaltung des Friedens besorgt, ließ jedoch durchblicken, daß er persönlich wenig Hoffnung habe und beklagte sich über mangelnden Verständigungswillen der Unionsregierung. Die wichtigsten Punkte wurden schriftlich niedergelegt. Stephens, nicht genügend autorisiert, bat sich Bedenkzeit aus, und Schleiden berichtete nach seiner Rückkehr dem Staatssekretär über das Ergebnis der Besprechung. Während dieser freundlich, aber zurückhaltend war, antwortete der Präsident Schleiden auf seinen Brief vom 27. April überhaupt nicht mehr, sodaß sich dieser in eine etwas peinliche Situation gedrängt sah. Er mußte seinen eigenmächtigen Schritt vor seiner Re3) R. H. Lutz, Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten

S. 38.

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gierung rechtfertigen, er hatte außerdem das Empfinden, Stephens gegenüber zu einer baldigen endgültigen Antwort verpflichtet zu sein, damit dieser an die Loyalität seines Vermittlungsschrittes glauben könne. Die Entwicklung der Ereignisse war indessen schon zu weit gediehen, als daß seine Bemühungen von Erfolg gekrönt sein konnten 4). Die Hauptaufgabe der deutschen Vertreter in Washington bestand im Schutz des Handels ihrer Länder während des Krieges. Anfänglich schien die Regierung in Washington zu einer großen Geste bereit zu sein. So lange dort Ungewißheit herrschte, wie die Großmächte, vor allem England und Frankreich, die Blockadeerklärung gegen die Südstaaten aufnehmen würden, hielt man es für zweckmäßig, ein möglichst großes Entgegenkommen im Handelsverkehr mit den neutralen Staaten zu bekunden. So hatte Gerolt zu Anfang des Krieges eine vielversprechende Unterredung mit Seward. Der Staatssekretär sicherte nämlich zu, daß die Regierung trotz der Blockade das neutrale Eigentum nicht antasten werde, er versprach dieses selbst für den Fall einer Verletzung der Blockadebestimmungen 5). Schleiden war beauftragt worden, die Union auf das sogenannte Marcysche Amendment von 1856 festzulegen. Die Londoner Deklaration hatte die Kaperei für abgeschafft erklärt. In einer Note des damaligen amerikanischen Staatssekretärs Marcy war gefordert worden, daß das Privateigentum der Untertanen oder Bürger einer kriegführenden Macht von der Kaperei durch den anderen kriegführenden Teil befreit sein solle. Die Londoner Deklaration erklärte Marcy für unannehmbar. Solange die Beschlagnahme von Privateigentum in irgendeiner Form bestehen bliebe, könnten Staaten ohne große Flotte auf das Recht der Kaperei nicht verzichten 6). In einer Versammlung führender Bremer Kaufleute vom 2. Dezember 1859 war die Unverletzlichkeit der Personen und des Eigentums zur See gefordert worden unter Ausdehnung auf die Angehörigen kriegführender Staaten, so weit die Zwecke des Krieges sie nicht notwendig beschränkten?). Bremen stimmte also dem Marcyschen Amendment zu undSchlei4) Die Gesandtenberichte Schleidens waren nicht zugänglich, da sie von anderer Seite bearbeitet wurden. Herr Professor Wätjen in Münster war indes so liebenswürdig, einige Auszüge zu Schleidens Vermittlungsversuch zur Verfügung zu stellen. Vgl. R. H. Lutz, Rudolf Schleiden and the visit to Richmond, 25. April 1861. Im übrigen stützen sich die vorhergehenden Ausführungen abgesehen von der dürftigen Arbeit von Lutz über die Beziehungen im Sezessionskriege auf die Briefe Schleidens an Seward, 27.; an Lincoln, 30. April 1861. 5) Gerolt an König Wilhelm, 10. Juni 1861. ') Vgl. für Pariser Deklaration und Marcysches Amendment J . Hatscheck u. K. Strupp, Wörterbuch der Diplomatie und des Völkerrechts II, 511 ff. und J . B. Moore, Digest of International Law VII, 558 ff. 7) Staatsarchiv X Nr. 6.

Schleiden.

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den erhielt den Auftrag, auf dieser Basis zu verhandeln. Bis zum Ausbruch des Sezessionskrieges war die Angelegenheit aber nicht spruchreif geworden. Nach dem Ausbruch des Krieges versuchte Schleiden mit vermehrtem Nachdruck, die Washingtoner Regierung auf das Marcysche Amendment festzulegen, das am besten geeignet schien, den Handel der Hansestädte zu schützen. Er schloß sich zunächst den Vorstellungen des englischen Gesandten an: die Union möge die Kapereierklärung der Südstaaten mit der Anerkennung des Marcyschen Amendment beantworten, um sich dadurch die Sympathien in ganz Europa zu sichern. Als dieser Versuch scheiterte, wollte Schleiden wenigstens in irgendeiner Form zu einer Konvention kommen, in der das Positive des Marcyschen Amendments seinen Platz fand. Das Staatsdepartment hatte jedoch, sobald die Konföderierten von den europäischen Großmächten als kriegführende Macht anerkannt worden waren, durch seine europäischen Vertreter erklären lassen, man werde sich an die Londoner Deklaration halten. Dies schien deshalb tunlich zu sein, weil damit die Kaperei der Südstaaten als ungesetzlich abgestempelt wurde. England, Frankreich und auch Preußen gaben sich zufrieden 8). Preußen war damit den Hansestädten gewissermaßen in den Rücken gefallen 9), alle weiteren Verhandlungen, die Schleiden führte, mußten nun ergebnislos verlaufen I0). Somit blieb nichts weiter übrig, als von Fall zu Fall die Interessen des Handels wahrzunehmen. Für den Vertreter der Hansestädte — Schleiden übernahm seit 1862 auch die Vertretung von Hamburg und Lübeck — war dies nicht einfach, da er nicht den Druck politischer Macht hinter seine Forderungen zu bringen vermochte. Schleiden ging im April 1862 auf einen längeren Urlaub nach Europa, von dem er erst am 17. Dezember zurückkehrte. Endgültig verließ er Washington am 8. April 1864. Seine Vertretung übernahm Dr. Rösing, der spätere Generalkonsul in Neuyork. Die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands, die Hunderttausende von Auswanderern, die fast ausschließlich im Norden der Vereinigten Staaten lebten, bestimmten die allgemeine Richtung, in der sich jede deutsche Politik im Hinblick auf den nordamerikanischen Konflikt damals zu bewegen hatte. Es lag kein Bedürfnis für die deutschen Staaten vor, die Spaltung der Union zu wünschen, im Gegenteil mußte gerade das englische Interesse daran zur Vorsicht mahnen »). 8

) Erlaß Schleinitz an den Gesandten in Washington, s. Staatsarchiv X. Nr. 43. 9) Preußen hatte übrigens schon 1856 der Londoner Deklaration zugestimmt. Kritik seines Verhaltens vgl. A. Lammers, Reform des Seekriegsrechtes; Preußische Jahrbücher XXVI, 669 ff. 10 ) Für die Verhandlungen Bremens vgl. »Frei Schiff unter Feindesflagge«, Beilage zum Staatsarchiv Bd. X. ") Vgl. Grenzboten 1861 II. Semester Bd. I, 464 f.

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Preußen, Deutschland und der Sezessionskrieg.

Die Baumwolleinfuhr nach Deutschland war bei weitem nicht so bedeutend wie die nach England und Frankreich. Bismarck meinte freilich am 14. Januar 1863 im preußischen Landtag, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse ein vollständig befriedigendes Bild darbieten würden, wenn nicht einzelne Industriezweige unter den Wirkungen des Krieges in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zu leiden hätten"). Auch Chlodwig Hohenlohe schrieb am 15. April 1865 an den König von Bayern, daß der amerikanische Krieg stark in materielle Interessen besonders Süddeutschlands eingreife. Die Existenz von Baumwollspinnereien sei in Frage gestellt. Die Sympathie der demokratischen Bevölkerung sei aus politischen Gründen auf Seiten der Nordstaaten »3). Je länger der Krieg dauerte, um so mehr wurde er auch in Deutschland fühlbar. Man wünschte sein baldiges Ende, da die Vereinigten Staaten für den Handel der ganzen Welt sehr notwendig seien *4). Aber die amerikanischen Kämpfe schnitten in das deutsche Wirtschaftsleben nicht tief ein. Die Meinung in Deutschland, besonders in Norddeutschland, war mehr auf Seiten der Union. Carl Schurz und der preußische Gesandte in Madrid, Graf Galen, bestimmten die Stimmung in Preußen dahin, daß ein großer Teil des preußischen Adels sowie die Armeeoffiziere instinktiv mit der südlichen Konföderation sympathisierten. „Die Demokratie war ihnen verhaßt, und sie mußten wünschen, daß die Republik der Vereinigten Staaten als stärkstes und anziehendstes Beispiel einer Republik unterliegen würde. . . . Der ganze Rest des preußischen Volkes, bei weitem der größere Teil, die intelligentesten, tätigsten und progressivsten Elemente eingeschlossen, sympathisierte jedoch entschieden mit dem Norden und der Union. Es war überdies die traditionelle Politik Preußens, freundliche Beziehungen mit den Vereinigten Staaten zu pflegen. Die Regierung und das Volk begegneten sich also in diesem gemeinsamen Gefühl. Die Stellung Preußens war daher nicht nur eine neutrale, sondern diese Neutralität entschieden freundlicher und wohlwollender Natur" J5). Solche Formulierungen sind immer überspitzt. Man wird wohl richtiger sagen, daß viele für beide Teile weder Sympathie noch Interesse hatten. Ähnlich wie in England sahen die Landbesitzer in den großen Pflanzern des Südens Angehörige einer " ) Vgl. Bismarck, Gesammelte Werke X , 149. •3) Denkwürdigkeiten I, 147. »4) Jahresbericht des amerikanischen Generalkonsulats Frankfurt, 30. Sept. 1864. '5) C. Schurz, Lebenserinnerungen II, 205. Vgl. auch Jordan and Pratt, Europe and the American Civil War S. 95 ff. Auch die Sympathien Österreichs standen vielfach auf Seiten des Nordens; Motley an Seward, 22. Juni 1862, 22. Okt. 1863.

Günstige Stimmung für die Union.

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gleichen Schicht, man konnte sich nur eine ähnliche soziale Gliederung im Süden Nordamerikas vorstellen, wie sie Europa besaß. Die Sympathien der jungen Arbeiterorganisationen gehörten selbstverständlich der Partei, die für die Sache der »freien Arbeit« kämpfte. Dem liberalen Bürgertum war die Sklaverei sehr verhaßt. In keinem Lande war vielleicht die Abneigung gegen unfreie Arbeit so tief verwurzelt und weit verbreitet wie in Deutschland; der gleiche Gerechtigkeitssinn, der Hunderttausende von den in Amerika lebenden Deutschen den Kampf gegen die Sklaverei aufnehmen ließ und in die Heere der Union trieb, veranlaßte auch in Deutschland Unzählige, für die Union Partei zu nehmen. Die amerikanische Gesandtschaft in Berlin konnte sich zu Beginn des Krieges vor Angeboten solcher kaum retten, die in die Unionsarmee eintreten wollten. Durch einen besonderen Anschlag mußte bekanntgegeben werden, daß die Gesandtschaft kein Rekrutierungsbüro sei l 6 ). Die amerikanischen Konsuln berichteten aus allen Teilen Deutschlands von unzweideutigen Beweisen des Wohlwollens. Nach der Wiederwahl Lincolns zum Präsidenten wurden sie mit Glückwünschen überschüttet '7). Freunde hatte der Süden vor allen Dingen in Offizierskreisen, der König mußte einmal ein Essen in Berlin für Offiziere der konföderierten Armee mißbilligen*8). Es gab eine größere Anzahl von preußischen Offizieren, die gern auf der Seite des Südens mitgekämpft hätten. Soweit man die Presse als Stimmungsmesser hinzuzieht, was sie damals noch weniger als heute war, können wir ungefähr sagen, daß von den wichtigsten Berliner Blättern die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« und die »Nationalzeitung« sich kritisch verhielten und die »Kreuzzeitung« dem Süden mehr geneigt war; von auswärtigen Blättern waren Frankfurter — Kölnische — Weser- und Augsburger Allgemeine Zeitung unionsfreundlich, während einige der katholischen Organe Süddeutschlands für die Sezession mehr Interesse zeigten >9). Die amerikanischen Angelegenheiten wurden in der damaligen Presse verhältnismäßig kurz abgetan. Man könnte die innerpolitische Lage in Deutschland, den preußischen Verfassungskonflikt als Erklärung anführen. Aber nach unseren heutigen Erfahrungen ist das kaum ausschlaggebend. Entscheidend waren vielmehr die Mängel der Berichterstattung; gab ) Executive Documents 1 8 6 2 S. 546 f. >7) Generalkonsulat Frankfurt an Staatsdepartement, 2 1 . Nov. 1864. l S ) Bancroft an Seward, 26. Febr. 1 8 6 9 (ausführlicher Bericht über Preußens Verhalten im Sezessionskriege). •9) Briefe der amerikanischen Konsulate aus Hamburg und Bremen, 4. Der. 1 8 6 1 , 18. J a n . 1862. Vgl. R . H. Lutz, Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten S. 49 fi. l6

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Preußen, Deutschland und der Sezessionskrieg.

es doch noch kein Kabel von Amerika nach Europa, die schnellsten Nachrichten brauchten etwa 12 Tage. Wie das gebildete Bürgertum über den Konflikt dachte, erfahren wir besser aus Broschüren und Zeitschriften. Von den ersteren kamen allerdings verhältnismäßig wenige auf den Markt. Die Abhandlung von Friedrich Kapp über die Sklaverei wurde viel gelesen. Die führenden Zeitschriften gaben sich Mühe, den Sinn der amerikanischen Katastrophe ihren Lesem zu deuten. Gegen die sklavenhaltenden Staaten wandten sich besonders scharf die »Preußischen Jahrbücher«. ,,In ihren Massen, zum Teil auch ihren selbstsüchtigen Führern bis zur Brutalität entartet", so hieß es dort, „hält die sklavenhaltende Bevölkerung an ihren die Menschheit entwürdigenden Privilegien fest, aus natürlicher Roheit mehr, als aus sozialen und nationalökonomischen Gründen, die man auch hier zum Deckmantel der sittlichen Blöße macht" 10 ). Die Sympathien Deutschlands könnten nicht irre gehen, hieß es in einem Aufsatz „Die Negerfrage und die neuesten Vorgänge in Amerika". „ E s ist der freie Boden der nördlichen Unionsstaaten, wo unzählige unserer Landsleute sich eine Heimat gegründet haben." Die südliche Aristokratie wird von dem Artikelschreiber hart mitgenommen. Sie mußte dahin streben, die ganze Union in ein Sklavereigebiet umzuwandeln: „Wenn sich der Norden nun endlich dagegen erhoben hat und für die Sache der freien Arbeit eintritt, wenn ein großes Volk das Joch einer aristokratischen Macht abschüttelt, dann kann es billigerweise nicht zweifelhaft sein, auf welcher Seite die Sympathien des zivilisierten Europa stehen sollten" J I ). Die »Grenzboten« waren wohl etwas kritischer gegen den Norden, aber die schroffe Ablehnung der Sklaverei war bei ihnen ebenso selbstverständlich wie beim »Preußischen Wochenblatt«. Auch in den konservativen Organen wurde, so weit wir sehen, die Sklaverei nicht gestützt, offene Verteidiger fand sie eigentlich nur bei einigen, die dem christlich-germanischen Kreise nahe standen, und zwar wurde ganz ähnlich argumentiert, wie von den Theoretikern des amerikanischen Südens. Keineswegs zufällig, hatte doch Thomas R. Dew, der an deutschen Universitäten studiert hatte, vermutlich manche Anregung für seine Lehre von der Ungleichheit der Menschen als Grundlage der sozialen Organisation empfangen «). Man erinnerte daran, daß die Sklaverei ausdrücklich von Paulus anerkannt worden sei. „Ham ist zum Knecht bestimmt", schrieb Graf Reichenbach in einer Broschüre 'Die Krisis in den Vereinigten Staaten', „das lehrt die Heilige Schrift wie die »») Preußische Jahrb. Bd. VIII, 2 ff. " ) a. a. O. S. 629. " ) W. E. Dodd, The Cotton Kingdom S. 49.

D e u t s c h l a n d als A r s e n a l .

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profane Geschichte, die Natur wie die Offenbarung" s3). Ohne die Sklavereifrage wäre vielleicht die Stimmung ganz anders gewesen. Ranke hat später zu dem amerikanischen Gesandten in Berlin, George Bancroft, geäußert, daß es, abgesehen von der Sklavereifrage, viel gäbe, was für die Seite des Südens gesagt werden könne J4). Jedenfalls war die Stimmung für den Norden so günstig, wie er nur wünschen konnte. Für ihn war Deutschland ein Arsenal. Die Frage war für ihn wichtig, wie weit er aus Deutschland Einwanderer, Kriegsmaterial und Geld bekommen konnte. Die Washingtoner Regierung lehnte zwar grundsätzlich ab, deutsche Untertanen zum Eintritt in die Unionsarmee aufzufordern J5), aber die Auswanderung ließ sie in jeder Weise begünstigen. Es wurde geradezu eine Hauptaufgabe der amerikanischen Konsulate, an den deutschen Hafenplätzen für deutsche Auswanderung zu werben. Das Konsulat in Hamburg wies auf die Bedeutung von Hamburg hin, es schob die Schuld, daß die Union in dieser Stadt so wenig Einfluß habe, auf die amerikanische Unart, alle europäischen Ideen von vornherein für falsch zu erklären. Außerdem übe England mit seinen Zeitungen einen beträchtlichen Einfluß aus, während die amerikanische Presse so gut wie unbekannt sei. Man müsse alles tun, um das Monopol der Einwanderung zurückzugewinnen. Das Konsulat schlug daher vor, die Öffentlichkeit für die Auswanderung durch Briefe von Deutschamerikanern an ihre Freunde in Deutschland zu bearbeiten, sie sollten über die besseren Lebensbedingungen in Amerika schreiben26). Gemessen an den Vorkriegsziffern ließ die Auswanderung während des Krieges natürlich beträchtlich nach, aber immerhin gingen jedes Jahr noch einige tausend Menschen herüber, die als Kolonisten und als Soldaten der Union wichtige Dienste leisteten J7). Es kamen auch Unregelmäßigkeiten vor. So wurden preußische Staatsbürger unter falschen •3) L u t z , D i e B e z i e h u n g e n zwischen D e u t s c h l a n d u n d d e n V e r e i n i g t e n S t a a t e n S. 63. •4) A u f z e i c h n u n g B a n c r o f t s ü b e r ein G e s p r ä c h m i t R a n k e v o m 9. N o v . 1867 (Bancroft-Collection N e w Y o r k ) . *5) E x e c u t i v e D o c u m e n t s 1862 S. 546 f. 16 ) A m e r i k a n i s c h e s K o n s u l a t H a m b u r g a n S t a a t s d e p a r t e m e n t , 10. O k t . 1 8 6 1 , 18. J a n . 5. A u g . 1862, 1 2 . F e b . , 26. N o v . 1863. Desgl. B r e m e n , 16. A p r i l 1 8 6 1 , 24. J a n . 1862. J 7) E s w a n d e r t e n a u s : 1861 31,661 Personen 1862 27,529 ,, 1863 33.162 1864 57.276 1865 83,424 S t a t i s t i c s i n Sen. D o c . 6 1 . Congress 3. Session B d . X X , 27 ff.; vgl. die Z a h l e n bei W ä t j e n , N o r d a t l a n t i k v e r k e h r S. 1 9 3 .

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Preußen, Deutschland und der Sezessionskrieg.

Vorspiegelungen für die Ausfahrt gewonnen, nach ihrer Ankunft in Amerika gewaltsam rekrutiert, um die Quote des Staates Massachusetts aufzufüllen. Der preußische Geschäftsträger, v. Grabow, erhob Einspruch beim Staatssekretär, dabei hervorhebend, daß die Einwanderer sich gern als Freiwillige melden würden, „es aber ablehnen müßten, als Substitut für amerikanische Bürger von Massachusetts verkauft zu werden, die selbst nicht den Mut haben, Schlachten für ihr Vaterland zu schlagen und jene überdies um das ihrige betrügen" j8 ). Ein amerikanisches Gesetz vom 4. Juli 1864 besserte diesen Mißstand; alle Verträge, die von den Auswanderern mit Agenten fremder Länder geschlossen wurden, sollten danach nur dann gesetzlich sein, wenn die Einwanderer freiwillig auf den Staatsbürgereid ihres Heimatstaates verzichtet und ihre Absicht ausgesprochen hätten, Bürger der Vereinigten Staaten zu werden. Die Deutschen in Boston warnten Auswanderungslustige noch besonders in einem Aufruf vom 26. August 1864 vor den ihnen drohenden Gefahren. Selbstverständlich waren es aber nicht die Neueinwandernden, die für die Auffüllung der Unionstruppen entscheidend ins Gewicht fielen. Die Union erhielt vielmehr von den bereits vor Ausbruch des Sezessionskrieges eingewanderten Deutschen eine überaus große Anzahl von Mitkämpfern J9). Die Zahlen sind verschieden geschätzt worden, sie hängen davon ab, wie weit man den Kreis der Deutschstämmigen zieht. Sicherlich aber war die Zahl der Soldaten deutscher Abstammung in der Unionsarmee weitaus größer, als es dem Verhältnis zur Gesamtbevölkerung entsprach 3°). Das mußte sich am Anfang des Krieges auswirken, als die rasche Bereitstellung von Truppen einzig und allein durch Freiwillige erfolgen konnte. Man braucht durchaus nicht so weit zu gehen und etwa behaupten, daß sich diese Hunderttausende von Deutschblütigen nur aus Idealismus zum Eintritt in die Armee gemeldet hätten. Unter Einwanderern befinden sich stets eine verhältnismäßig große Anzahl von jungen Männern ohne Anhang, für die der Kriegsdienst verlockender ist als für die Ansässigen mit Familie und unbeweglichem Besitz. Das vermag jedoch nicht die Tatsache aus der Welt zu schaffen, daß der deutsche Anteil ein sehr großer gewesen ist. E s ist ein eigentümliches Zusammentreffen, daß 1864 deutsche Krieger auf zwei ErdlS

) An Bismarck, Washington, 1 7 . Sept. 1864. *9) Zum Folgenden: W . Kaufmann, Die Deutschen im amerikanischen Bürgerkriege und Faust, Das Deutschtum in den Vereinigten Staaten I, 432 ff. 3°) Kaufmann S. 120 berechnet die Gesamtzahl der Deutschen in der Unionsarmee auf 1 7 6 8 1 7 , während ihre Pflichtzahl nur 1 1 8 402 betragen habe. Dagegen stellten die Irländer trotz ihres großen Einwandererkontigentes bei einer Pflichtzahl von 1 3 9 052 nur 144 2 2 1 Soldaten. Vgl. auch Faust I, 4 3 3 .

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Die Deutschen im Unionsheer.

teilen für die Bildung von Nationalstaaten ihr Leben eingesetzt haben. Man kann geradezu von einer Front von den Düppeler Schanzen bis zum Mississippi reden. Von nativistischer Seite ist versucht worden, die tatsächliche Leistung der Deutschen im Feldzuge möglichst herabzusetzen. Alle Arten von Fehlern, von Unregelmäßigkeiten und von Desertionen wurden nur allzu gern den Fremden und besonders den Deutschen in die Schuhe geschoben. Die große Niederlage der Unionstruppen bei Chancellorsville mußte dazu herhalten, die Deutschen ungerecht zu beschuldigen. Das von Carl Schurz befehligte X I . Korps, dem viele Deutsche angehörten, war zwar zurückgegangen, aber infolge von Fehlern der Oberführung, die anderen Korps hatten es nicht besser gemacht. Trotzdem kam es durch irreführende Nachrichten so weit, daß man verwundete Soldaten des X I . Korps in Washington niederschlug, weil sie feige geflohen seien. Es war Schurz nicht möglich, seinen Rechtfertigungsbericht anzubringen, so daß die Deutschen sich in Protestversammlungen gegen die ungerechtfertigten Vorwürfe wenden mußten 3'). Dabei war es gerade für die Unionsarmee so sehr vorteilhaft, daß sich unter den Deutschen so viele gediente Leute befanden 3J). Man berechnet die Zahl der damals im amerikanischen Süden ansässigen Deutschen nur auf etwa 72000 33). Es ist gesagt worden, daß diese Deutschen fast ausnahmslos auf Seite der Union standen. Das ist jedoch eine Übertreibung. Zweifellos hat sich ein großer Teil von ihnen loyal den Kon föderierten zur Verfügung gestellt. Auch von den Freiwilligen gingen nicht wenige nach dem Süden, wie eine ziemlich große Anzahl von deutsch geschriebenen Schilderungen der Feldzüge der Südarmee beweist. Der Ankauf von Waffen aus Deutschland war nicht schwierig. Die Angebote waren reichlich, selbst mitteldeutsche Regierungen beteiligten sich gern an einem kleinen Geschäft 34). Auch die Konföderierten hatten ihre Waffenagenten in Deutschland, aber soweit man sehen kann, vermochten sie schon wegen der scharfen Überwachung der Unionsvertreter nicht allzu viel zu erreichen. Es fehlte von der Seite der Südstaaten nicht an Versuchen, die Deutschen stärker auf die Seite des Südens herüberzuziehen, um die unbequeme Auswanderung und Waffen3') Kaufmann S. 3 6 7 0 . ; C. Schurz, Speeches, Correspondence and Political Papers I , 223 f. Vgl. auch Heusinger, Amerikanische Kriegsbilder S. 64 f., 119. 31) Kaufmann S. 131. 33) a. a. O. S. 139 ff. 34) Amerikanische Konsularberichte aus Hamburg, 7. Juni,; 2. Nov.; aus Bremen, 9. Okt. 1861. Stolbcrg.Wcrni gerode,

Deutschland u. d. V . Staaten.

5

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Preußen, Deutschland und der Sezessionskrieg.

lieferungen nach der Union zu unterbinden. Wie unangenehm diese den Sezessionisten waren, zeigt ein Brief von Henry Hotze, Handelsagent der Konföderierten Staaten aus London, 17. Dezember 1864 35). Der Schreiber spricht von seiner Absicht, in ein oder zwei Tagen nach Deutschland zu fahren. Die deutsche Sympathie sei ihm gleichgültig. Aber von Deutschland her müsse der Feind eine andere Armee im nächsten Frühjahr rekrutieren und spekuliere auf das deutsche Gold, um den Krieg fortzusetzen. Er wolle daher die Papiere der Föderierten diskreditieren und die Massen von der Auswanderung nach Amerika abbringen. So gab ein ehemaliger Legationssekretär an der amerikanischen Gesandtschaft in Berlin, E. M. Hudson, der noch eine Weile nach dem Abfall der Südstaaten heimlich an der Gesandtschaft tätig gewesen war, unter der Überschrift »Die Rechtfertigung der Südstaaten Amerikas« politische Briefe von James Williams in deutscher Übersetzung heraus, deren Aufklärungszweck in der Einleitung ausdrücklich betont wurde. Alles, was für den Süden überhaupt sprechen konnte, fand der Leser in den Briefen sehr geschickt zusammengestellt. Besonders waren diejenigen Zustände in schwarzem Licht gemalt, die nach der plötzlichen Freilassung der Neger eintreten müßten. Der »London Index«, das Propagandaorgan der Konföderierten in London, brachte gelegentlich triumphierend die Nachricht, die Stimmung in Preußen bessere sich zusehends zugunsten des Südens. So ähnlich behauptete auch 1863 eine in Berlin lebende ungenannte Persönlichkeit, daß sowohl in Österreich als in Preußen Regierung und Armee gegenüber der Sache des Südens außerordentlich günstig eingestellt seien. Er empfehle einen besonderen Kommissar zu den Regierungen von Österreich und Preußen zu schicken 36). Aber die Bereitwilligkeit, mit der die Bonds der Union in Deutschland aufgenommen wurden, bewies doch das Gegenteil. Denn die finanzielle Hilfe der Deutschen war für die Union besonders wertvoll. Deren Finanzpolitik wurde zeitweilig sehr kritisch, da Mangel an Erfahrung wie die Schwäche der Staatsautorität zu verhängnisvollen Fehlem führten. Der ungeheure Geldbedarf zwang neben der Erhöhung der Steuern und Zölle auch zum Begehen des Anleiheweges. Zunächst hatten diese Anleihen keinen übermäßigen Erfolg, da der Anreiz füi die Spekulation nicht groß genug war. Die Schulden des Landes stiegen im Kriege auf über 4 Milliarden Dollar, so daß man sich die Sorgen des Schatzamtes vorstellen kann. Sehr alarmierend wurde das Goldagio, die Geldschwiefigkeit wurde durch Rückgang der Ausfuhr sehr verschärft, ohne die kalifornische 31) Official Records of the Union and Confederate Navies in the W a r of the Rebellion S. 1209. 3s) Richardson, Messages and Papers of the Confederacy II, 4 5 5 .

Finanzielle Hilfe für die Union.

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Goldquelle wäre sie noch schlimmer geworden 37). Man sah sich daher gezwungen, auch den ausländischen Geldmarkt hinzuzuziehen, um vom Auslande Gold oder ein Äquivalent hereinzubringen. Daher wurde in einer kritischen Stunde James Robert Walker in besonderer Mission nach Europa gesandt. Er war ein Mann von großem Ehrgeiz, von unermüdlicher Arbeitskraft, aber zweifelhaftem Charakter 38). Walker sah sich zunächst außerordentlichen Schwierigkeiten gegenüber. In London wie Paris hatten die Sezessionisten mit ihrer Baumwollanleihe entschiedenen Erfolg gehabt, ihre Interessen wurden durch den rührigen Baron Raphael Erlanger in ganz Europa sehr geschickt vertreten, der mit Slidell, dem Vertreter der Konföderierten, in verwandtschaftlichen Beziehungen stand. Walker konnte nicht einmal erreichen, daß die »Times« ihm für Propagandazwecke ihre Spalten öffneten. Durch eine Flut von Flugschriften in englischer, französischer und deutscher Sprache bearbeitete er die internationale Geschäftswelt. Es gelang ihm, durch Erschütterung des konföderierten Kredits immerhin die Auflegung der zweiten konföderierten Anleihe von über 75000 Dollar zu vereiteln. Auch in Holland, wohin sich Walker der alten Tradition gemäß begab, war sein Erfolg für die Unionsanleihen zunächst nicht allzu groß. Auch abgesehen von der ungünstigen Einstellung einiger europäischer Hauptländer war das Vertrauen in die amerikanische Finanzpolitik nicht überwältigend 39). Weit besser fand er den Boden bereitet, als er nach Frankfurt kam. Die Unionsregierung hatte frühzeitig die Bedeutung Frankfurts a. M. als internationalen Handelsplatz erkannt. Lincoln warb sehr geschickt um die dortige öffentliche Meinung, indem er zahlreiche amerikanische Werke durch seinen Generalkonsul dem Frankfurter Senat überreichen ließ und in den schmeichelhaftesten Ausdrücken über die Frankfurter Gymnasialverhältnisse, die dem amerikanischen Schulwesen zum Muster dienen sollten, Erkundigungen einziehen ließ 4®). Man hatte dann auch einige Männer des Nordens 37) Durchschnittsgoldpreis: J a n . 1 8 6 2 : 102,5, J u l i 1864: 258,1 Greenbackkurs; Quarterly J o u r n a l of Economics, F e b r . 1922. Vgl. Gust. Schmoller, Preußische J a h r b ü c h e r X V I I , 188 f. 38) Ü b e r W a l k e r vgl. den Artikel W . E . Dodd in T h e Americana B d . 28 S . 229. 39) " I am sorry to say t h a t our finances which with our friends are always a subject of deep solicitude, are not regarded here with the same hopefulness t h a t seems to prevail a t home. I t is believed we want less legal tender and more t a x a t i o n . Confidence is wanting t h a t we can maintain our financial system for a n y length of time, if the existing disproportion between income and expenditures is suffered t o go o n " ; M. Pike an Seward, Haag, 27 J a n . 1864, F . R . 1864/65 T . I l l S . 308. Vgl. auch D . R . Dewey, Financial History of the United S t a t e s S . 3 5 5 . 4°) Hundert J a h r e Amerikanisches Generalkonsulat in F r a n k f u r t a m Main 1 8 2 9 — 1 9 2 9 S. 49. 5*

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Preußen, Deutschland und der Sezessionskrieg.

hingesandt, die unter der Leitung des sehr gewandten amerikanischen Generalkonsuls William Walton Murphy für die Sache des Nordens warben. Die in französischer Sprache erscheinende antibonapartistische Zeitung »L'Europe« stand ihnen zur Verfügung. An ihr arbeiteten unter anderen der Rev. Dr. John McClinstock, der frühere Präsident von Dickinson College, und E. H. Chapin, Prediger in New York, sowie der spätere Gesandte und Botschafter in Berlin Andrew Dickson White mit 41). Die Zeitung sollte in erster Linie die wohlwollenden Leser in Frankreich und Belgien unterrichten, gleichzeitig aber auch das Vertrauen der deutschen Finanzwelt in amerikanische Bonds heben. Das war um so nötiger, als anfänglich die geringen militärischen Erfolge des Nordens die Käufer amerikanischer Aktien zur Zurückhaltung veranlaßten. „Noch einige Niederlagen mehr", klagte Murphy am 15. September 1862, „und wir haben unseren Kredit in Europa für Jahre verloren." Die Arbeit für die Unionsvertreter war nicht immer leicht. Bei den fehlenden telegraphischen Verbindungen hing von der Ankunft eines Schiffes die rechtzeitige Ausgabe einer Nachricht ab, welche die Börse günstig stimmen konnte. Die »Neue Frankfurter Zeitung« setzte sich sehr entschieden für die amerikanischen Bonds ein. A m 21. Juli 1863 betonte sie besonders die vorteilhafte Anlage, da ein Stand von 100 den Frankfurtern nur auf 70 zu stehen komme und sich mit 8 % verzinse. „ D a s Volk in seiner Energie und in seinem unerschöpflichen Reichtum wird selbst die Mittel finden, um für die pünktliche Erfüllung aller Landesverbindlichkeiten Sorge zu tragen". Und auch als der Kurs auf 45 fiel, warnte sie am 10. Juli 1864 vor Panikverkäufen 4»). Während sie die Finanzlage der Südstaaten in recht schwarzem Lichte schilderte, zeigte sie starkes Vertrauen in die Zukunft der Union. Als ein Beispiel für ihre Berichterstattung mag ein Artikel vom 9. Januar 1864 über die Finanzlage der konföderierten Staaten angeführt werden. Es wurde dort von einer geradezu verzweifelten Lage der Konföderierten gesprochen, „alle Kräfte sind ausgenutzt, nur durch desperate Mittel, wie sie die Verzweiflung in ihrem letzten Stadium zu allen Zeiten eingegeben hat, hofft der Minister Memminger das kümmerliche Leben des Aufstandes noch bis Ende Juni fristen zu können". Der Schreiber spricht von der mutwilligsten Rebellion, welche die Geschichte kenne, sie werde zum Verderben ihrer Anstifter ausfallen; wenn das Ziel nicht früher erreicht wurde, so habe die Schuld mehr an der Kriegsunerfahrenheit der Nordstaaten gelegen als an dem von der englischen Presse über Gebühr gepriesenen Heldenmut des Südens. 6) Auf der Weltausstellung in Philadelphia 1876 fällte der Reichskommissar Reuleaux über die deutschen Ausstellungsgegenstände das harte, aber gerechte Urteil: „Billig, aber schlecht" ; W. Langenbeck, Geschichte des deutschen Handels S. 160. •7) Vgl. L. Zeitlin, Fürst Bismarcks sozial-, wirtschafts- und steuerpolitische Anschauungen S. 148 ff.; G. Schmoller, Vier Briefe über Bismarcks sozialpolitische und volkswirtschaftliche Bedeutung in Gustav Schmoller, Max Lenz, E. Mareks, Zu Bismarcks Gedächtnis, Leipzig 1891, S. 51; Sartorius von Waltershausen, Deutsche Wirtschaftsgeschichte S. 293 ff. j8 ) H. v. Poschinger, Bismarck-Portefeuille V, 113.

Die Handelsbeziehungen.

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wird" '9). E s ist gewiß kein Zufall, daß auch die Vereinigten Staaten gleichzeitig ihren ersten wenig beachteten Schritt zur Kolonialpolitik machten: 1878 schlössen sie mit den Samoanern einen Vertrag wegen des Hafens von Pagopago ab. Den Übergang Deutschlands zum Neumerkantilismus nahmen die Amerikaner mit mehr Verständnis als die Engländer auf. Ein englischer Konsularbericht von 1882 glaubte die schlimmen Folgen der neuen Wirtschaftspolitik in einem gelähmten Handel, in steigenden Lebensmittelpreisen und dem abnehmenden Wohlstand der arbeitenden Bevölkerung zu sehen 20). Der amerikanische Konsul in Düsseldorf beobachtete am 7. Juni 1884 als Folge der neuen Politik ein Ansteigen der Löhne J I ). Ganz natürlich stand das schutzzöllnerische Amerika dem Umschwung ganz anders gegenüber als das freihändlerische England, das sich empfindlich geschädigt glaubte. Die Amerikaner sahen sehr wohl für Deutschland die Notwendigkeit ein, bei dem starken Bevölkerungsüberschuß des Reiches nach neuen Wegen für Arbeitsbeschaffung suchen zu müssen, um allgemeine Unzufriedenheit zu verhindern «). Der Handelsverkehr zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten entwickelte sich in aufsteigender Linie. Der Handel zwischen Nordamerika und Europa hatte prozentual seit den sechziger Jahren den Handel mit den tropischen Ländern Amerikas weit überholt. Der Wert des transatlantischen Handels von Hamburg stieg von 56 Millionen Mark im Jahre 1851 auf 256 im Jahre 1877. Vor 1860 war der Löwenanteil der deutschen Ausfuhr nach Südamerika gegangen. Dann wurde das völlig anders. Von 1874 bis 1901 stieg der nordamerikanische Handelsanteil auf das Dreifache. Umgekehrt nahm auch unter den auswärtigen Märkten der Union Europa jetzt die erste Stelle ein. England blieb natürlich in vorderster Linie; aber Deutschland kam 1890 mit 1 1 , 2 0 % an den früher von Frankreich gehaltenen zweiten Platz im europäischen Gesamthandel der Vereinigten Staaten *3). Die deutsche Handelsbilanz wurde den Vereinigten Staaten gegenüber von 1874 an passiv. Damit war das vor 1840 bestehende Verhältnis wiederhergestellt ; erst seit 1840 hatte die deutsche Ausfuhr die amerikanische Ein-

•9) S. Nearing u. J. Freeman, Dollar-Diplomatie S. 364. British State Papers Bd. LXXII, Commercial Reports 1882, Appendix

30 )

I S.

455.

") 7- Juni 1884, Consular Reports S. 15. " ) Jahresbericht vom Generalkonsul Brewer in Berlin, 12. Nov. 1881, Commercial Relations 1 8 8 0 / 8 1 S. 8 2 8 ff. 2 3 ) Quarterly Report of Bureau Statistics 1 8 8 9 — 9 0 S. 7 0 8 .

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Die ersten Wirtschaftskämpfe.

fuhr eingeholt *«). 1873 hatte die amerikanische Einfuhr 60124000 Mark, die deutsche Ausfuhr 61402000 Mark betragen; 1874 kehrte sich das Verhältnis mit 61668000 Mark Einfuhr und 43110000 Mark Ausfuhr um. Viel einschneidender sollte indes Deutschlands wachsende Abhängigkeit von den amerikanischen Rohstoff- und Lebensmittellieferungen werden. Hier lag die tiefste Ursache für des Reiches Unvermögen, in handelspolitischer Hinsicht gleiche Behandlung von den Vereinigten Staaten zu erzwingen. Es war natürlich, daß amerikanische Wirtschaftskreise mit wachsendem Interesse den deutschen Markt beobachteten. Bei seiner zahlreichen Industriebevölkerung wurde Deutschland zur Einfuhr von billigen Erzeugnissen besonders geeignet, da die Arbeiter auf Massenware und preiswerte Lebensmittel angewiesen waren. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten wirkten sich seit dem Sezessionskrieg auch wirtschaftlich aus. Allerdings waren allzu großen Erfolgen des amerikanischen Handels mit Deutschland zunächst Grenzen gesetzt, die in der Zollpolitik und in den unklaren amerikanischen Währungsverhältnissen lagen. Die amerikanische Schutzzollpolitik hatte sich nach dem Siege des Nordens trotz heftigster Gegnerschaft durchgesetzt. In eine neue, verschärfte Phase trat sie allerdings erst nach 1883 ein; aber da das Deutsche Reich bis 1879 auf Freihandelsfüßen stand, mußte der gegenseitige Warenaustausch empfindlich leiden. Noch einschneidender war allerdings die Unsicherheit der amerikanischen Währung. Sie war durch den langen Krieg völlig zerrüttet worden. Die »Greenbacks« beherrschten das Feld. Die Rückkehr zu einer festen Währung wurde die Hauptaufgabe amerikanischer Wirtschaftspolitik. Infolge einer Art Überrumpelung entschied sich der Kongreß von 1873 für die Goldwährung J5). Aber der große Sturz des Silberpreises von 1875 beunruhigte die einflußreichen, an der Silberproduktion beteiligten Kreise außerordentlich — lieferte doch Amerika die Hälfte des Weltsilbers. Mit allen nur erdenklichen Mitteln wurde der Kampf um die Einführung der Doppelwährung aufgenommen; man hoffte, das Gold durch das Silber schließlich ganz zu verdrängen. Aus diesen Kämpfen entstand die Blandbill (1878). Sie war ein eigentümliches Gemisch von Gold-, Silber- und Papierwährung, ein Gesetz von einer solchen Unklarheit, daß überhaupt nur dieses begnadete Land es ohne schweren Schaden ertragen konnte. Die Goldwährung wurde zwar beibehalten, aber »hinkend gemacht«. Die Regierung hatte die Er34) G. M. Fisk, Die handelspolitischen und sonstigen völkerrechtlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika S. 75. 'S) Über Währungsfragen vgl. L. Prager, Die Handelsbeziehungen des Deutschen Reiches mit den V. St. v. A. S. 127 ff.

Der Kampf um die Doppelwährung.

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mächtigung, von Zeit zu Zeit Silber in größerem Umfang anzukaufen. Nach diesem Teilerfolg mußten die Bimetallisten vor allem darauf bedacht sein, Europa für die Doppelwährung zu gewinnen. Die europäischen Staaten hatten sich seit der Pariser Konferenz von 1868 zur Goldwährung bekannt. Auch Preußen als reines Silberwährungsland widersetzte sich nicht. Die deutschen Münzreformgesetze von 1871 und 1873 führten die Goldwährung ein. Für die Übergangszeit blieb noch der Taler gleichberechtigt. Als das Reich dann daran ging, die Taler mehr und mehr einzuziehen und umfangreiche Silberverkäufe vornahm, fiel der Silberpreis infolge amerikanischer Silberüberproduktion derartig, daß das Reich große Verluste hatte. 1879 mußte der Reichsbankpräsident den Fehler überstürzter Silberverkäufe öffentlich zugeben. Bismarck erklärte, die Verantwortung dafür nicht länger mehr tragen zu können. Die Silberverkäufe wurden eingestellt. In Deutschland entwickelte sich daher eine lebhafte Propaganda für die Doppelwährung, auf die die amerikanischen Bimetallisten große Hoffnung setzten. 1878 fand eine Münzkonferenz in Paris statt, auf der Deutschland nicht vertreten war, und die ergebnislos verlief. 1879 kam im Auftrag der amerikanischen Regierung der Finanzsachverständige William D. Kelly nach Berlin, um mit Bismarck Fühlung aufzunehmen. Die Unterredung, die uns der ehemalige Gesandte in Berlin, White, in seinen Erinnerungen überliefert hat, ist interessanter für die vertraulichen Äußerungen Bismarcks über seine Ministerkollegen, die Kelly eilig in die amerikanische Presse brachte, als für die Silberfrage. Der Kanzler gab zu, mit den Verkäufen einen Fehler gemacht zu haben, eine Auffassung, die White auch von Bleichröder und dem Reichsbankpräsidenten zu hören bekam. Ein weittragendes Ergebnis hatten jedoch diese Besprechungen nicht. Die Goldwährung wurde in keinem Land erschüttert. Die verschiedenen Konferenzen scheiterten in erster Linie am Widerstand Englands l6 ). Trotz des zeitweiligen Währungselends und des hohen amerikanischen Zolls prophezeiten die amerikanischen Vertreter in Deutschland ihrem Handel bei guter Ware und billigen Preisen günstige Aussichten. In der Tat konnte sich eine Reihe von amerikanischen Erzeugnissen vom Anfang der achtziger Jahre an auf dem deutschen Markt durchsetzen *7). Das Deutsche Reich übernahm die Handelsverträge der Union mit den Hansestädten (1827) und mit Preußen (1828). E s kam l6 ) White an Evarts, 8. Juli 1879, 7. Febr., privat, 22. März 1880, vertraulich; A . D. White, Autobiography I, 581 ff.; ders., Aus meinem Diplomatenleben S . 1 2 2 . ! 7) „ I t may be said, indeed, that a s our country is the favorite resort of the German capitalist, so our products are of all foreign kinds preeminently the favorites of the German market"; Lee an Seward, Frankfurt, 26. Nov. 1 8 7 7 , F . R. Appendix S. 47 ff.

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Die ersten Wirtschaftskämpfe.

zu einem fortgesetzten Streit über die Begriffsbestimmungen der Gegenseitigkeit und Meistbegünstigung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, da diese unbeschränkte Meistbegünstigung nicht anerkennen und gewähren wollten. Die amerikanische Haltung war aus der Geschichte und Lage des Landes zu verstehen. Während der Kriege zwischen England und Frankreich in der Zeit Napoleons hatte der Unionshandel außerordentlich gelitten. Die Vereinigten Staaten zogen sich zeitweilig ganz von der See zurück. Durch den Non-Intercourse A c t von 1809 wurde von ihnen die Bereitschaft erklärt, die Beschlagnahme zugunsten jenes Landes aufzuheben, das zuerst die Beschränkungen für den amerikanischen Handel widerrufe 2 i ). So bildete sich die Gegenseitigkeit als die Praxis amerikanischer Handelspolitik heraus. Nach dem Übergang zur Schutzzollpolitik war es für die Vereinigten Staaten noch weniger ratsam, durch bedingungsloses Gewähren der Meistbegünstigung die eigenen Vorteile aus der Hand zu geben, die durch Einzelverträge, besonders mit Mittel- und Südamerika, erzielt werden konnten. Es war eine klare Rechnung. In vielen Fällen vermochte die Meistbegünstigung bei der ungewöhnlich vorteilhaften handelspolitischen Lage des Landes als Rohstoffversorger der ganzen Welt den Nutzen unabhängiger Verträge und Tarif best immungen nicht aufzuwiegen. Wenn die Vereinigten Staaten von dieser Politik in ihrem Handelsvertrag mit Deutschland 1923 grundsätzlich abgingen, so drückte sich darin einfach die veränderte Lage aus: nicht als Rohstoffversorger, wohl aber als Großfabrikanten von Fertigwaren war die Union auf Meistbegünstigungsverträge angewiesen. Die Amerikaner nahmen also die Meistbegünstigungsklausel in ihren verschiedenen Verträgen nur in einem bedingten Sinne auf. Sie waren bereit, eine solche zu gewähren, wenn entsprechende Gegenleistung von der anderen Vertragspartei angeboten wurde. Die Form wechselte allerdings. Charakteristisch war zum Beispiel die Deckklausel, wie sie der Vertrag mit Preußen 1828, mit Österreich 1829, vorsah. Gleichfalls war die Meistbegünstigung in den sogenannten »No Higher Duties«Verträgen nur bedingt. Der Vertrag mit den Niederlanden 1782 gehört in diese Gruppe. Der Einwand der niederländischen Regierung vom Jahre 1787 gegen den Zoll auf niederländische Liköre, während die französischen davon befreit seien, wurde als unvereinbar mit dem Grundsatz der Gerechtigkeit abgelehnt. Frankreich müsse für diese Vergünstigung einen hohen Preis zahlen 29). Die von den Vereinigten 2 8 ) G. M. F i s k , D i e handelspolitischen u n d s o n s t i g e n völkerrechtlichen Beziehungen S . 47. Ü b e r die E n t w i c k l u n g der amerikanischen Zollgesetzgebung vgl. J e n n i n g , History of E c o n o m i c Progress S . 452 ff. a 9) B . H . Williams, Economic Foreign Policy of t h e United S t a t e s S . 295f.

Die Handelsbeziehungen.

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Staaten eingeschlagene Handelspolitik stieß in Europa auf Widerspruch. Hier galt die unbeschränkte Meistbegünstigungsklausel als das Kernstück der Handelsverträge. England schwang sich zum Wortführer auf. Granville protestierte in einem Erlaß an den englischen Gesandten in Washington 1885 gegen die amerikanische Auslegung: Die Meistbegünstigungsklausel sei jetzt der wertvollste Teil des Handelsvertragssystems geworden und beinahe zwischen allen Nationen der Erde in K r a f t . Mehr als jede andere Übereinkunft führe sie zur Vereinfachung der Tarife und zu immer wachsender Freiheit des Handels, während das jetzt vorgeschlagene System die Länder dazu verleite, die Märkte nach außen abzuschließen und so den Handel zu fesseln, anstatt ihn zu befreien 3°). So läßt es sich auch erklären, daß Deutschland niemals auf Grund der früheren Verträge die bedingungslose Anerkennung der Meistbegünstigung von Amerika durchsetzen konnte. Das Reich hielt jedoch an dem Anspruch fest. In seiner Reichstagsrede vom 10. Februar 1885 zählte Bismarck die Union zu den meistbegünstigten Staaten: „Nicht infolge von Reichsverträgen, aber infolge von Verträgen mit Preußen und mit mehreren deutschen Staaten, die sich aus dem Reich nicht aussondern lassen" 3>). Als die Vereinigten Staaten die Meistbegünstigung für Petroleumtarife auf deutschen Eisenbahnen forderten, bescheinigte ihnen Bismarck in einem Erlaß an Alvensleben, 3. April 1885, ausdrücklich das Recht dazu. Sie sei nicht nur durch den Vertrag mit Preußen als dem mächtigsten der deutschen Bundesstaaten, sondern in ähnlicher Weise auch durch die ähnlichen Verträge mit anderen Einzelstaaten verbürgt. „Zur Begründung jenes Rechtes würde es genügt haben, wenn auch nur der kleinste Teil des deutschen Reichsgebietes vor Errichtung des Deutschen Reiches in einem vertragsmäßigen Meistbegünstigungsverhältnis zu den Vereinigten Staaten gestanden hätte. Wir haben Verpflichtung zur Meistbegünstigung stets bereitwillig anerkannt und den diesbezüglichen Forderungen der Vereinigten Staaten entsprochen." Deutschland hoffe auf gleiches Entgegenkommen von den Vereinigten Staaten. Diese Erwartung wurde allerdings enttäuscht. Der Staatssekretär hatte schon am 27. März 1885 recht ausweichend geantwortet, als sich der kaiserliche Gesandte auf das Meistbegünstigungsrecht Deutschlands wegen Vergünstigungen für den Handel mit Cuba und Puerto Rico im spanisch-amerikanischen Vertragsentwurf berief. Ein amerikanisches Zollgesetz vom 26. Juni 1884 ermäßigte Schiffen, die aus irgend einem Hafen in Nord- und Zentralamerika, den Westindischen, Bahama-, Bermuda- und Sandwich-Inseln nach einem 3°) a. a. O. S. 298. 3') Ges. Werke XII, 591.

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D i e ersten W i r t s c h a f t s k ä m p f e .

Hafen der Vereinigten Staaten fuhren, die Tonnensteuer auf 3 Cents pro Tonne. Alvensleben verlangte am 3. August 1885 die gleiche Vergünstigung für die deutschen Schiffe, wurde aber am 7. November abschlägig beschieden. Die Vergünstigung sei geographisch begrenzt 3*). Sehr ernsthaft wurde die Auseinandersetzung freilich erst nach dem Inkrafttreten des Dingley-Tarifs (1897), der mit dem Grundsatz der Meistbegünstigung offen brach. Von diesem Augenblick an mußte sich das Reich fragen, ob man auf die früheren Verträge nicht lieber g a n z verzichten solle 33). Hätte es nun nicht nahe gelegen, die Unstimmigkeiten durch ein neues Handelsabkommen aus der Welt zu schaffen ? In der Tat sind verschiedene Anläufe genommen worden, dem Übel so zu begegnen. Es haben Besprechungen darüber stattgefunden 34). Aber die Schwierigkeiten waren zu groß. Als das Reich noch dem Freihandel huldigte, verhinderten die amerikanischen Schutzzölle, später der handelspolitische Vorsprung der Vereinigten Staaten das Zustandekommen eines neuen Vertrages. Es wurde für Amerika immer unnötiger, ein neues Abkommen einzugehen, da es mit der willkürlichen Anwendung der früheren Verträge recht gut wegkam. Ein Hindernis war auch die Frage des Grundeigentums. Deutsche Staatsangehörige hatten nicht das unbedingte Recht, Grundeigentum in den Vereinigten Staaten zu erwerben und zu veräußern. Friedrich K a p p stellte daher am 8. Mai 1883 im Reichstag den Antrag, bei künftig abzuschließenden Handelsverträgen mit den Vereinigten Staaten von Amerika dieses zu verlangen. Dieser Antrag wurde angenommen. Die Amerikaner konnten sich eine 3>) F. R. 1885, S. 443 fl. 33) Die Meinungen gehen in der Literatur auseinander, o b Meistbegünstigung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten überhaupt bestand. R . Calwer, Die Meistbegünstigung der Vereinigten Staaten v o n Nordamerika, ist der Ansicht, d a ß der Vertrag mit Preußen von 1828 ein ausgesprochener Gegenseitigkeitsvertrag war (S. 17), und daß Deutschland bei der A n w e n d u n g der Meistbegünstigungsklausel geschwankt habe. So sei zum Beispiel die Saratoga-Konvention v o n 1890 nicht auf der Meistbegünstigungsklausel aufgebaut, da sie die Vergünstigungen auf landwirtschaftliche Erzeugnisse beschränke (S. igi.). Ebenso nimmt L. Prager, Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, an, daß das Reich die früheren Verträge mit Preußen und d e n H a n s a s t ä d t e n nicht einfach habe übernehmen können. D a i m Bundesratsbeschluß v o m 24. Okt. 1883 die Vereinigten Staaten nicht unter d e n meistbegünstigten Staaten aufgezählt seien, scheine das Reich ursprünglich die Meistbegünstigung nicht anerkannt zu haben (S. 22). Bismarck h a t wohl das Vorhandensein v o n Meistbegünstigungsverträgen v o n vornherein anerkannt, die Vereinigten Staaten haben aber die Frage absichtlich i m unklaren gelassen, u m sie v o n Fall zu Fall entscheiden z u können. 34) Memorandum eines Interviews zwischen Bancroft D a v i s und d e m Staatssekretär v o n B ü l o w v o m 14. Sept. 1877; Bülow an Staatsminister H o f m a n n , Berlin, 29. Sept. 1877; Schlözer an Bülow, Washington, 2. Okt. 1877.

D i e amerikanische

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Konkurrenz.

unabhängige Tarifpolitik leisten, die weniger dem Schutz ihrer Erzeugnisse als der Selbstgenügsamkeit, der Erhaltung eines hohen Lebensstandards diente. Das Reich war genötigt, durch eine Reihe von Einzelabkommen sich gegen allzu eigenmächtige amerikanische Zollpolitik zu schützen 35). In der zweiten Hälfte des Jahres 1878 beginnt ein neuer Abschnitt in der amerikanischen Handelspolitik. Die Weltdepression ging zu Ende. Bis dahin war der innere Markt das große Betätigungsfeld der amerikanischen Wirtschaft, jetzt begann man sich für das Ausland zu interessieren „Während im vorigen Jahre", schrieb der deutsche Kbnsul in St. Louis am 30. Dezember 1878, „immer nur noch vereinzelte Stimmen laut wurden, welche auf das Gewinnreiche eines größeren auswärtigen Handels aufmerksam machten, die Angelegenheit aber mehr noch als ein neuer Gedanke behandelt wurde, ist das Interesse hieran jetzt ein allgemeines. In den Zeitungen sowohl wie in den speziellen Handelskonventionen, welche in der letzten Zeit häufig in den größten Städten abgehalten wurden, wird fast täglich dieselbe Forderung mit dem größten Nachdruck ausgesprochen." Der Schreiber weist auf die großen Gefahren hin, die dem deutschen Handel aus dieser neuen drohenden Konkurrenz erwachsen könnten. Ganz ähnlich fielen dem englischen Generalkonsul in Washington die gewaltigen Fortschritte des Landes in der Zeit zwischen 1878 und 1880 auf 36). Mit dem Augenblick, in dem Amerika sich anschickte, seine Wirtschaftskraft nach außen einzusetzen, stand vor Europa das drohende Gespenst der Preisunterbietung. E s traf sich für Amerika insofern noch besonders günstig, daß eine Reihe von schlechten Ernten und die nach dem Aufhören der Weltflaute gesteigerte Kauflust breiter Volksschichten dem amerikanischen Getreide den Einbruch in das europäische Versorgungssystem sehr erleichterten. Hatte zum Beispiel die Ausfuhr von Weizen nach Frankreich im Jahre 1878 nur 4337091 Busheis betragen, so stieg die Ziffer im folgenden Jahre auf 42147558 Busheis und erreichte 1880 den Höhepunkt mit 43601291 Busheis. Der Unterschied bei England war nicht so groß, aber doch auch sehr beträchtlich: 1878 54664732 Busheis 1879 57419292 1880 79068075 1881 82550921 Solche Zahlen kamen natürlich für Deutschland nicht in Frage.

Das

35) Ü b e r die handelspolitische Unterlegenheit D e u t s c h l a n d s gegenüber den Vereinigten

S t a a t e n vgl. die

treffenden

Bemerkungen

bei C. M. Tansill,

P u r c h a s e of t h e D a n i s h W e s t Indies S. 383 fi. 3«) British S t a t e Papers B d . L X X I I , Commercial Reports 1880 S. 159. S l o l b e r g - W e r n i g e r o d e ,

D e u t s c h l a a d u. d. V . S t a a t e n .

^\

The

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Die ersten Wirtschaftskämpfe.

Roggenbrot beherrschte den Verbrauch nach wie vor. Aber im Verhältnis waren auch hier die Sprünge außerordentlich. Weizeneinfuhr nach Deutschland: 1879 422 242 Busheis 1880 1223279 1881 3029232 ,, 37). Für Deutschland war diese Überschwemmung um so fühlbarer, als bereits seit 1875 die landwirtschaftliche Krise die bis dahin hohen Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse herunterdrückte. Der kleinere Grundbesitz wurde stark verschuldet. Kein Wunder, daß man die amerikanische Masseneinfuhr mit wachsender Sorge betrachtete. Eine Rundfrage der deutschen Regierung bei ihren Konsuln in Nordamerika ergab ein wenig hoffnungsvolles Bild. Das deutsche Konsulat in St. Louis schob Europa einen großen Teil der Schuld zu: die amerikanische Landwirtschaft muß den amerikanischen und europäischen Markt versorgen und hat sich dabei den Vorteil reserviert, den eigenen Markt fast sichtbar anwachsen zu lassen. Schlechte Ernten in Europa hatten steigende Getreidepreise zur Folge. Der Ackerbau wurde lohnender. „Und doch war es Europa, welches durch seine Nachfrage das diesbezügliche Geschäftsleben hier erzeugte und dafür froh war, wenn ihm Amerika durch einige Bestellungen, im Anfange seines Aufschwunges — Bestrebungen, die längst wieder nachgelassen haben—, eine kleine Abschlagszahlung gewährte. Dieser Vorteil der amerikanischen Entwicklung, und hier besonders der landwirtschaftlichen, wird bestehen bleiben, so lange Europa sich prohibitionistische Behandlung seitens Amerikas gefallen läßt, Amerika bedingungslos seine Kundschaft und sein Gold zuweist und sich durch eigene Zoll- und Tarifpolitik nicht nach Ländern umsieht, die Kundschaft gegen Kundschaft gewähren und gegen Lieferung von Naturalien ihren Markt den Industrieprodukten erschließen." Der Schreiber glaubt, daß durch bessere Ernten in Europa leicht ein Umschwung eintreten könne und schlägt als Gegenmittel vor, den Orient mit Zentraleuropa zu einer Art Zollverein zu verbinden (4. Mai 1881). Das Konsulat in Savannah schrieb am 4. Juli 1881 von einem Überschuß an amerikanischen Produkten, der sich auf den europäischen Märkten einen Ausweg suchen müsse. Es führte als Ursache des großen Angebots das große und fruchtbare Land, die verbesserten Maschinen, eine immer dichtere Bevölkerung und gute Transportmittel an. Auch in der Tagesliteratur wurden die Gründe der amerikanischen Konkurrenz untersucht. Max Sering, der im halbamtlichen Auftrag Nachforschungen anstellte, kam zu dem Ergebnis, daß das Hauptübel in dem Überangebot an Getreide liege. „Der Krieg (Sezessionskrieg) hatte den BT) Nach Financial Abstract of the United States 1889.

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Die amerikanische Konkurrenz.

Interessen der Nord- über die der Südstaaten ein dauerndes Übergewicht verschafft; neben dem Zollschutz, welchen sich die Industrie des Nordens nunmehr für die Dauer erzwang, traten die längst angestrebten liberalen Gesetze über kostenlose Vergebung des öffentlichen Landes an kleine Ansiedler in K r a f t , welche den nordamerikanischen Westen zum Zufluchtsorte der nach Millionen zählenden Auswanderer der beiden letzten Jahrzehnte gemacht haben. Und die Kolonisation schritt in dieser Zeit mit unerhörter Raschheit voran, weil sie sich nicht mehr im Urwalde, sondern auf dem leicht zu bearbeitenden und für Verkehrsbauten überaus günstigen Prärielande bewegte, weil sie getragen war von dem durch die Landsubventionen mächtig angeregten beispiellosen Eisenbahnbauten dieser Zeit" 38). Andere glaubten die Ursache in mangelnder Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zu sehen. Sie beklagten es, daß der Grund und Boden in Deutschland ungenügend ausgenutzt werde. Aber auch die Optimisten kamen zu Wort: Europas Niedergang sei nicht unaufhaltsam. Durch die hohe Qualität seiner Waren und durch die Intensität der Industrie, Land- und Viehwirtschaft sei es überlegen. Man machte darauf aufmerksam, daß der Konkurrenz wegen der hohen Löhne der amerikanischen Arbeiter eine Grenze gesetzt sei 39). Man solle sich zu gemeinsamer Schutzzollpolitik zusammenschließen. In diesem Stimmenchor durfte natürlich auch der vor Amerika sich grundsätzlich Verneigende nicht fehlen. Richard Meyer nannte nach seiner Rückkehr von einer österreichischen Studienreise in die Vereinigten Staaten die amerikanische Union ,,den existenten Protest der Menschlichkeit, Menschheit und Christlichkeit gegen den europäischen Bureaukraten- und Militärstaat". „Die friedfertige Union steht himmelhoch über dem in Barbarei versinkenden Europa. . . . Aber den Eindruck möchte ich hervorbringen, daß die Union den Menschen seinen gottgewollten Zweck hiernieden innerhalb ihrer weiten Grenzen besser erreichen läßt als irgendein europäischer Großstaat" 4®). Die europäischen Länder waren verhältnismäßig rasch imstande, der Getreidekrise durch Zölle die Spitze abzubrechen. Bismarck hat ausdrücklich ausgesprochen, daß der Konkurrenz in Amerika auf dem Wege des Zollschutzes begegnet werden müsse n). Außerdem hatte die amerikanische Weizenproduktion schon 1884 ihren Höhepunkt erreicht. Aber das Getreide war nicht das einzige amerikanische landwirtschaftliche Erzeugnis, das fühlbar auf den europäischen Marktpreis drückte. 38) Max Sering, Die landwirtschaftliche Konkurrenz Nordamerikas in Gegenwart und Zukunft S. 532. 39) Max Wirth, Die Krisis in der Landwirtschaft und Mittel zur Abhilfe S. 153 ff4") R. Meyer, Ursachen der amerikanischen Konkurrenz S. III f. Schlözer an Bülow, Washington, 24. Februar 1874.

11*

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D i e ersten W i r t s c h a f t s k ä m p f e .

Die amerikanische Ausfuhr von lebendem Vieh, vor allem aber von Schweinefleisch und Schweinefleisch-Waren aller Art war um so ernster zu nehmen, als die europäische Landwirtschaft unmöglich mit dieser Massenerzeugung Schritt halten konnte. Außerdem mußte hier mit einem ständigen Ansteigen gerechnet werden. Auch hier wirkte sich der Druck international aus. England schützte sich zuerst gegen die Einfuhr von lebendem Vieh durch ein Einfuhrverbot lebender Tiere von den Vereinigten Staaten nach Kanada und regelte durch Order of Council vom 10. Februar 1879 für das englische Inselgebiet den Schlachtzwang aller eingeführten Tiere. Als Vorwand diente eine in Texas ausgebrochene Rinderpest. Der wirkliche Beweggrund ist wohl in der Befürchtung vieler englischer und kanadischer Landwirte zu suchen, durch das amerikanische Viehtransportgeschäft schwer geschädigt zu werden 4»). Nacheinander erließen Frankreich, Österreich, Italien, Türkei, Griechenland und Deutschland ein Verbot der Einfuhr amerikanischer Schweine und Schweinefleischwaren 43). Ein Bericht des britischen Konsuls in Philadelphia scheint den äußeren Anstoß gegeben zu haben. Er verwechselte eine Choleraepidemie im Staate Illinois mit Trichinosis. Am 18. Februar 1881 verbot daraufhin die französische Kammer die Einfuhr von amerikanischen Schweinen 44). Bei diesen Verboten sprach sicherlich der Wunsch mit, die bedrohliche Einfuhr im Interesse heimischer Erzeuger einzuschränken. Aber es ist nicht zweifelhaft, daß die ungenügende Fleischbeschau in Amerika schon seit längerem Anlaß zu Beschwerden gegeben hatte. Die europäischen Sachverständigen erblickten eine ausreichende Sicherheit gegen Trichinosis nur in der mikroskopischen Untersuchung. Diese war in den Vereinigten Staaten nicht Zwang. Die Amerikaner verwiesen gern darauf, daß die Zahl der bei ihnen an Trichinosis Erkrankten gering, jedenfalls nicht größer als in Europa sei, und daß das Einsalzen der zum Transport fertigen Fleischwaren die Trichinen unfehlbar töte. Die europäischen Sachverständigen ließen sich nicht überzeugen. Es war in Europa vielfach Brauch, das Schweinefleisch ungekocht zu essen, die Gefahr der Erkrankung wurde dadurch erhöht. Auch der Salzhypothese gegenüber blieb man mißtrauisch. Der französische Sachverständige Paul Bert versicherte dem amerikanischen Gesandten, kein persönliches Interesse an der Aufrechterhaltung des Verbotes zu besitzen, er habe aber mit eigenen Augen 4») H.

Poschinger,

Bismarck

und die Parlamentarier

I,

132, und

Akten-

stücke zur Wirtschaftspolitik I, S. 339. 43) U b e r E i n f u h r v e r b o t e v o n Schweinen und Schweinefleischprodukten v g l . u. a. Sartorius v o n Waltershausen, D a s deutsche E i n f u h r v e r b o t Schweinefleisches, 1884; J. K e i m , J. G . Blaine S. 292 fl.