Vielfalt / Diversität [1. Aufl.] 9783839424070

Diversität - Diversity - Diversité: Gesellschaftliche Vielfalt ist mehr als nur ein Modewort und wird in Unternehmen, Un

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Vielfalt / Diversität [1. Aufl.]
 9783839424070

Table of contents :
Inhalt
Einleitung: Vielfalt und Zusammenhalt
I. Vielfalt/Diversity/diversité – eine implizite und explizite Genealogie der Begriffe
II. Semantiken der Vielfalt in sozialwissenschaftlichen Theorien
III. Vielfalt in der Gesellschaft, Vielfalt in den Solzialwissenschaften — eine Antwort auf das Migrations-Integrations-Paradoxon?
IV. Orte der Vielfalt
V. Diversity Studies und Diversity Management
VI. Perspektiven zur Forschung über Vielfalt: Locating Migration und »Globaldivercities«?
Literatur
Anmerkungen

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Monika Salzbrunn Vielfalt / Diversität

2014-07-24 10-19-32 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03cc372606454774|(S.

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2) TIT2407.p 372606454782

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2014-07-24 10-19-32 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03cc372606454774|(S.

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2) TIT2407.p 372606454782

Inhalt Einleitung: Vielfalt und Zusammenhalt  5 I. Vielfalt/Diversity/diversité – eine implizite und explizite Genealogie der Begrif fe  8 1. Vielfalt/Diversity/diversité in der Sprachgeschichte  8 2. Vielfalt und Fremdheit in der Literatur: Herodot, Ovid, Lukian von Samosata, Montesquieu, Sahagún  9 II. Semantiken der Vielfalt in sozialwissenschaftlichen Theorien   13 1. Individualität und Differenzierung bei soziologischen Klassikern: Simmel, Spencer, Elias  13 2. Multiple Zugehörigkeiten: Yuval-Davis, Pfaff-Czarnecka, Kofman  16 3. Eine kritische Lektüre der Vielfalt bei Putnam, Bourdieu und Elias  21 4. Das Aufkommen des Diversitätsbegriffes im Zusammenhang mit sozialen Bewegungen – Nancy Fraser  28 5. Semantiken der Vielfalt in aktuellen soziologischen Debatten: Kymlicka, Habermas, Savidan  35 III. Vielfalt in der Gesellschaft, Vielfalt in den Sozialwissenschaften – eine Antwort auf das Migrations-Integrations-Paradoxon?  40 1. Ist Vielfalt messbar? Mikrozensus, Testing und quantitative Studien aus Frankreich und Deutschland  41 2. »Diversalität« oder die »Dekolonisierung« des Denkens in Repräsentationen von Vielfalt und Diskriminierung  46 3. Walter Benn Michaels: The Trouble with Diversity. How we Learned to Love Identity and Ignore Inequality  52 IV. Orte der Vielfalt  57 1. Migration: Parallelgesellschaft, multikulturelle Demokratie und Super-Diversity  57 2. Neue Vielfalt in der Stadtgesellschaft  71 3. Politiken der Vielfalt: Kulturpolitik und (Welt‑)Musik  82

4. Von der Chancengleichheit über Gender Mainstreaming zu Diversity Mainstreaming  96

V. 1. 2. 3. 4.

Diversity Studies und Diversity Management  114 Diversity Management im historischen Kontext: von sozialer Gerechtigkeit zur Profitmaximierung  114 Diversity Studies und Diversitätsmanagement: Anwendungsbeispiele in (Hoch‑)Schulen  119 Vielfalt in Unternehmen, Verwaltungen und im Stadtmarketing  125 Umgang mit (religiöser) Vielfalt im öffentlichen Raum und in Unternehmen: die kanadische Provinz Québec und das »accommodement raisonnable«  127

VI. Perspektiven zur Forschung über Vielfalt: Locating Migration und »Globaldivercities«?  139 Literatur  145 Anmerkungen  163

Einleitung: Vielfalt und Zusammenhalt 1 »Also ich muss gestehen, der Begriff (Diversity) als solcher reicht in meinen Augen nicht.« Ulrich Beck2 Leben wir im Zeitalter der (kulturellen) Vielfalt, oder hat sich einfach nur unser Bewusstsein für vielfältige Lebensformen verändert, sodass wir diese zunehmend wahrnehmen? Feiern wir die Vielfalt unserer Gesellschaft, indem wir unbekannte Menschen küssen3 oder unsere bunten Städte zur Musik von Pharell Williams glücklich auf YouTube4 inszenieren? Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie tagte im Oktober 2012 in Bochum und Dortmund unter dem Titel »Vielfalt und Zusammenhalt. Herausforderungen und Chancen neuer gesellschaftlicher Komplexität«5. Als Beispiele der (als wachsend) wahrgenommenen Vielfalt sozialer Lebensäußerungen und ‑formen wurden die Zunahme unterschiedlicher religiöser Glaubensgemeinschaften, die Flexibilisierung und Differenzierung von Arbeits- und Erwerbsformen, die zunehmende Bestimmung der Soziallagen von Menschen nach vielfältigen Faktoren wie kommunikativen Kompetenzen, Netzwerken und Erfahrungen, die Ausdifferenzierung kultureller Orientierungen, die vielfältige Entwicklung von Lebensstilen6 und Geschlechterorientierungen sowie die Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien betrachtet.7 Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob es sich um eine empirisch beobachtbare Zunahme dieser Formen und Muster der Vielfalt handelt oder ob sich (lediglich) deren Wahrnehmung verändert hat. Weiterhin wurden die normativen Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenhalts hinterfragt: Wird dieser durch zunehmende (Wahrnehmung der) Vielfalt gefördert, oder sind Erosionsprozesse sozialer Kohäsion zu beobachten?8 Gleichzeitig wurde postuliert, dass die zahlreichen Formen individueller, kollektiver, sozial relevanter Vielfalt immer auch gesellschaftlich hergestellte Formen der Vielfalt sind und damit nicht in einem grundlegenden Spannungsverhältnis zum Zusammenhalt stehen.9 An dieser Stelle zeigt sich, wie stark die deutschsprachige Debatte um das Thema Vielfalt von der deutschen Nachkriegsgeschich5

te10 und ihrem nationalhomogenen Dispositiv geprägt ist, wie ich anhand der Betrachtung der Migrationsforschung noch genauer zeigen werde. Ähnliches könnte mit Nuancen für die aktuellen Debatten in der Schweiz oder in Österreich gezeigt werden.11 Obgleich die zentrale Lage (wechselnder) deutscher Territorien in Mitteleuropa nicht erst seit Erfindung der Kategorie »Gastarbeiter« zu komplexen Wanderungsbewegungen geführt hat (sowohl Ein- als auch Auswanderung!), hat sich die Wahrnehmung der damit einhergehenden insbesondere religiösen Vielfalt in der Tat in den letzten zwanzig Jahren entscheidend verändert. Nimmt man staatsbürgerschaftliche Kriterien, so ist die empirisch nachweisbare Tatsache, dass die deutsche Gesellschaft aufgrund der stark differenzierten Herkunft der Einwanderer Anzeichen von »Super-Diversity« (Vertovec 2007) zeigt, nicht von der Hand zu weisen. Betrachtet man jedoch Aspekte, die etwa in der 2007 von führenden deutschen12 Unternehmen initiierten »Charta der Vielfalt« aufgelistet werden – »Geschlecht, Nationalität, ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Orientierung und Identität«13 –, so lässt sich höchstens postulieren, dass jede Gesellschaft nach Geschlecht, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität differenziert ist. Die Tatsache, dass hier das Einkommen beziehungsweise die soziale Klasse fehlt, geht einher mit dem cultural turn in den Sozialwissenschaften. Infolge dieser epistemologischen Wende werden Klassenunterschiede im Zuge der Diversity-Studien nur noch am Rande untersucht (obgleich doch »race, class, gender« die wichtigsten Elemente in der Geschichte der Diversitätsdebatte waren). Inwieweit ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung eine starke Differenzierung aufweisen, ist noch offensichtlicher eine Frage der begrifflichen Semantik. Konstruktivistische Forschungsstränge der Soziologie – insbesondere der Geschlechterforschung – würden auch vermeintlich empirisch festlegbare Kategorien (wie Geschlecht, sexuelle Orientierung oder auch Behinderung) als gesellschaftlich hergestellt betrachten (Butler 1993). Die Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Vielfalt »jenseits von ›Identität oder Integration‹« (Pries/Sezgin 2010) hängt folglich sehr stark mit der Definition von Vielfalt zusammen. Was ist also eigentlich vielfältig? Und wie wird gesellschaftlicher Zusammenhalt in der Soziologie gedacht? Die Antworten sind – wie es unter anderem der 2006 von Schwinn herausgege6

bene Band zu Vielfalt und Einheit der Moderne zeigt, vielfältig – und je nach Forschungsstrang, ‑frage und ‑orientierung verschieden. Dies wird im folgenden historischen Rückblick auf die Thematik umso deutlicher, als in der Soziologie – quasi per definitionem – von Beginn an Vielfalt implizit (als Umgang mit Differenz) thematisiert wurde. Die Begriffe »Vielfalt« und »Diversität« selbst kamen jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf und weckten dann verstärkt Interesse innerhalb der Sozialwissenschaften. Mit der Jahrtausendwende schließlich begann die Blütezeit konkreter Anwendungen und Umsetzungen von Konzepten der Vielfalt in der Wirtschaft, in der Kulturpolitik und im Stadtmarketing. Zunächst wird nun die etymologische und wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung des (implizit und explizit verwendeten) Konzeptes »Vielfalt« beziehungsweise »Diversity« und »diversité«14 dargestellt, um darauf aufbauend die aktuellen sozialwissenschaftlichen Semantiken des Begriffsfeldes skizzieren zu können. Das Konzept wird je nach sprachlicher Diskursgemeinschaft unterschiedlich diskutiert; daher werden in jedem Kapitel des Bandes international relevante Debatten und Beispiele herangezogen. Im Anschluss an die einführenden Kapitel folgt eine kritische Einordnung der diversen Anwendungen des Begriffs innerhalb der einzelnen Fachdisziplinen. Diese werden vor dem Hintergrund aktueller politischer Debatten in einen historischen Zusammenhang gesetzt. Darauf folgen Einblicke in verschiedene Orte der Vielfalt (Städte, Unternehmen, Hochschulen, Musik) aus der Perspektive sozialwissenschaftlicher Forschung, insbesondere der der internationalen Migrations- und Stadtforschung. Da frankophone Diskussionen die deutsche Leserschaft oft erst mit Verzögerung erreichen, wird hier – neben den ebenfalls skizzierten anglophonen Debatten – ein besonderer Schwerpunkt auf die Sozialwissenschaften in Frankreich und Kanada gelegt. Den Abschluss bildet die kritische Diskussion der Perspektiven für zukünftige Forschungen.

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I.  Vielfalt/Diversity/diversité – eine implizite und explizite Genealogie der Begrif fe

1. Vielfalt/Diversity/diversité in der Sprachgeschichte Der Begriff15 »Diversität« (lateinisch diversitas) stammt wie so viele Konzepte der zeitgenössischen Soziologie (etwa »Hybridität«) aus der Pflanzenbiologie. Er bezeichnet ursprünglich eine Vielfalt von Arten und Ökosystemen (»Biodiversität«) und impliziert damit zunächst einmal die rein sachliche Feststellung von empirisch nachweisbaren Tatsachen. Fast synonym ist die im Duden vermerkte Bedeutung des Begriffs »Vielfalt«: »Fülle von verschiedenen Arten, Formen o.Ä., in denen etwas Bestimmtes vorhanden ist, vorkommt, sich manifestiert; große Mannigfaltigkeit«. Auch die etymologische Geschichte des Begriffs ist interessant: Das deutsche Wort »Vielfalt« kommt im 18.  Jahrhundert auf und entsteht aus den althochdeutschen Elementen »filu« (8. Jahrhundert), welches sich mittelhochdeutsch zu »vil(e)« entwickelt und »große Menge« bedeutet, sowie dem Verb »falten«. Der Begriff »Vielfalt« entstand zunächst als Gegenbegriff zu dem älteren »Einfalt« und bedeutet hier »das Vorhandensein in vielen Arten, große Mannigfaltigkeit«. Das Adjektiv »vielfältig« weist etymologisch und inhaltlich insbesondere auf das Verb »falten« hin, von dem auch das Verb »vervielfältigen« im Sinne von »vermehren, vergrößern« (17. Jahrhundert) abgeleitet ist. Heute werden die Begriffe »Vielfalt« und »Diversität« in der Soziologie oft synonym gebraucht, um die Unterscheidung von (körperlichen und kulturellen, veränderbaren) Persönlichkeitsmerkmalen zu beschreiben. Mit »kultureller Vielfalt« – auch »Soziodiversität« – ist nach der UNESCO-Konvention von 2001 eine »Quelle des Austauschs, der Erneuerung und der Kreativität« gemeint, welche für die Menschheit ebenso wichtig ist »wie die biologische Vielfalt für die Natur« (UNESCO 2001). Der im Deutschen verwendete englische Begriff »diversity« stammt aus dem Bereich der Entwicklung antidiskriminierender Maßnahmen als Reaktion auf verschiedene Formen der Diskriminierung in Unternehmen, (Hoch‑)Schulen etc. Zunehmend wird er auch im Zusammenhang mit einem von utilitaristischem Denken der Profitmaximierung geprägten »Diversity Management« in 8

Unternehmen gefasst: Die Verschiedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird dabei als Potenzial betrachtet, welches möglichst weit ausgeschöpft werden soll. Ich werde später zeigen, dass es hier nicht mehr um soziale Gerechtigkeit geht, sondern vorwiegend um Nutzenmaximierung. Der französische Begriff »diversité« hat ursprünglich eine ähnliche Semantik wie im Deutschen: Als »biodiversité« bezeichnet er zum einen multiple Lebensformen in der Natur, zum anderen geht es bei der »diversité culturelle« um die der Feststellung der Existenz verschiedener Kulturen. Bis ins Mittelalter stand der aus dem Lateinischen stammende Begriff »diversitas«, auf den »diversité« zurückgeht, in Zusammenhang mit »divergence« (von der Norm abweichend), das heißt auch »bizarr«. Heute wird der Begriff in der Sozialwissenschaft, in den Medien und im politischen Diskurs vornehmlich benutzt, um (insbesondere im Zuge der Kolonialgeschichte) entstandene beziehungsweise (heute wieder als solche) konstruierte Minderheiten zu bezeichnen. Dazu gehören im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings vor allem sogenannte »minorités visibles« (»sichtbare Minderheiten«), das heißt durch äußere Zuschreibungen wie Hautfarbe klassifizierte Immigrantinnen und Immigranten aus Nord- und Westafrika sowie Übersee. Kritisiert wird von diesen Personen an der Verwendung des Begriffs, dass die Mehrheit dieser »sichtbaren Minderheit« bereits seit mehreren Generationen die französische Staatsbürgerschaft besitzt und durch den ethnisierenden Gebrauch von »diversité« immer wieder auf ihre lange zurückliegende Migrationsgeschichte zurückgeworfen wird – im Gegensatz etwa zu den im 19. Jahrhundert nach Nord- und Südwestfrankreich immigrierten Polen oder Belgiern. Im Kapitel über die Messungsversuche von Vielfalt komme ich noch einmal detailliert auf die Probleme der Verwendung des Begriffs »diversité« im französischen Kontext zu sprechen.

2. Vielfalt und Fremdheit in der Literatur: Herodot, Ovid, Lukian von Samosata, Montesquieu, Sahagún Die heutigen Debatten um die Begriffe »Vielfalt«, »Diversity« und »diversité« lassen sich – als die Feststellung von Differenz auf individueller und kollektiver Ebene – bis auf Schriften der Antike, 9

des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance zurückverfolgen. So schreibt Michel de Montaigne (1533-1592) in seinen Essais (1580-1588) früh über Klassenunterschiede, über verschiedene sexuelle Orientierungen, über Ethnie und Gender als differente Kriterien, wie Allemann-Ghionda (2011: 16ff.) in ihrem Aufsatz »Orte und Worte der Diversität« in Erinnerung ruft. Auch Montesquieu (1689-1755) legt in seinen Lettres Persanes (1721) einen Grundstein zur Erfindung des Fremden – und damit auch des Vertrauten. Handelt es sich bei Montesquieu, wie wir heute wissen, um imaginäre Reisen – er war nie in Persien –, so sind seine Schriften doch ein Lehrstück für die literarische Bewusstseinsbildung für vielfältige Sitten- und Sinnwelten. Ähnliche Texte zu verschiedenen gesellschaftlichen, insbesondere religiösen Gepflogenheiten finden wir bei der 1547 und 1585 entstandenen zweisprachigen Chronik des Franziskaners Bernardino de Sahagún (1499-1590), dem Codex Florentinus, wie Tzvetan Todorov (1982) schreibt. Sahagúns Erzählungen beziehen sich auf die Begegnungen zwischen den europäischen »Entdeckern« Amerikas und die daraus erwachsenden – wir würden heute schreiben: interkulturellen – Kommunikationsprobleme. Auch in der griechischen und der römischen Antike gab es bereits Vorstellungen von entfernt lebenden Fremden und deren gesellschaftlichen Distinktionsmerkmalen. Herodot (5. Jahrhundert v. Chr.) etwa beschreibt die Sitten der Ägypter wie folgt: »Ich will nun ausführlich von Ägypten erzählen, weil es mehr wunderbare Dinge und erstaunliche Werke enthält, als alle anderen Länder. Darum müssen wir es genauer beschreiben. Wie der Himmel in Ägypten anders ist als anderswo, wie der Strom anders ist als andere Ströme, so sind auch die Sitten und Gebräuche der Ägypter fast in allen Stücken denen der übrigen Völker entgegengesetzt. So gehen in Ägypten die Frauen auf den Markt und treiben Handel, und die Männer sitzen zuhause und weben. Und die anderen Völker schlagen beim Weben den Einschlag von unten nach oben fest, die Ägypter von oben nach unten. Die Männer tragen die Lasten auf dem Kopf, die Frauen auf den Schultern. Die Frauen lassen ihr Wasser im Stehen, die Männer im Sitzen. Die Entleerung macht man im Hause ab, essen tut man auf der Straße. Sie geben als Grund dafür an, daß man natürliche Bedürfnisse soweit sie häßlich sind, im geheimen, soweit sie nicht häßlich sind, öffentlich befriedigen müsse.«16

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In der Antike gab es auch zahlreiche literarische Zeugnisse für den imaginierten Fremden. So schreibt der Satiriker Lukian von Samosata (120-180/200 n. Chr.) in seinen Wahren Geschichten über die Bewohner des Mondes. Geschlechterdifferenzen tauchten hier nicht auf, da der Mond nur von Männern bevölkert sei, die untereinander heirateten, sich reproduzierten und in ihrer Wade Kinder austrügen. Abgesehen vom Alter, welches darüber entscheide, ob man geheiratet werde oder selbst heiraten dürfe (ab 25 Jahren), sei eines der wenigen Unterscheidungsmerkmale die Kleidung. Bei dieser weise Glas auf Armut und Bronze auf Reichtum hin. Aus der Überraschung über die Sitten und Gebräuche des (imaginierten) Fremden kann auch eine verachtende Wertung werden, wie das Beispiel des Begriffs »Barbar« zeigt. Homer (8.  Jahrhundert v.  Chr.) hat in der Ilias17 diese Bezeichnung für die »barbarisch« (das heißt nicht griechisch) sprechenden Karer verwendet. Ovid (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.) schreibt in seinen Tristia über einen ans Ende der Welt verbannten Dichter, der sich als Teil einer (sprachlich) unverstandenen Minderheit wiederfindet und dies so kommentiert: »Ein Barbar bin ich hier, weil ich von keinem verstanden werde.«18 Gleichzeitig zeigt er sich schockiert über die Frisuren und den Aufzug dieser Häute tragenden Menschen vom Schwarzmeer. Die Überhöhung der eigenen Kultur – auch älteren Kulturen wie der ägyptischen gegenüber – legt bei Ovid die Grundlage für ein Unbehagen in einer von vielfältigen verschiedenen Sitten und Gebräuchen geprägten Umgebung. In diesen literarisch-philosophischen Schriften (die Soziologie entstand als Wissenschaft ja erst im 19. Jahrhundert mit Auguste Comte) werden körperliche Merkmale von Differenz oder auch die Vorstellung von Validität und Invalidität noch nicht als Zeichen von gesellschaftlicher Vielfalt betrachtet. Auch in einigen heute existierenden Gesellschaftsformen wird die Frage von »Integration« nicht gestellt, da etwa Menschen mit Behinderung von vornherein nicht als außenstehende Gruppe definiert werden, sondern zur Normalität gehören, wie Brigitte Holzer über Juchitan in Mexiko schreibt: »Meine These ist, dass in der Art der Juchiteken, Behinderung als zum Alltag gehörend anzunehmen, eine Subsistenzorientierung zum Ausdruck kommt, die nicht nur die unmittelbare Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse in den Mittel-

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punkt des gesellschaftlichen Geschehens stellt, sondern auch der Bedürftigkeit und den Bedürftigkeiten und nicht zuletzt der Abhängigkeit voneinander einen Platz einräumt.« (Holzer 1999: 6)

Eine Trennung von »Behinderung« und »Nicht-Behinderung« gibt es dort somit nicht; sie existiert auch sprachlich nicht. In europäischen Gesellschaften dagegen wird diese Unterscheidung zurzeit sprachlich immer weiter variiert; konzeptuell und institutionell existiert diese Ausprägung von Vielfalt und Differenz schon lange. Allerdings hat die Definition von Differenz seit kurzer Zeit zum Ziel, die als verschieden geltenden Personen nicht auszuschließen, sondern zu inkludieren. So gibt es heute in jedem Betrieb die Auflage, Menschen mit Behinderung im Rahmen einer Quote bevorzugt einzustellen. Während Kinder mit Lernschwierigkeiten oder Behinderung lange Zeit auf sogenannte »Sonderschulen« mit speziell für sie konzipierten Programmen und spezifisch ausgebildeten Lehrkräften gehen mussten, setzt seit Verabschiedung der VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung im Jahre 2008 ein umgekehrter Prozess ein: Im Artikel 24 der Konvention wird das Recht auf inklusive Bildung festgeschrieben. Dies bedeutet, dass Kinder mit Behinderung das Recht haben, Regelschulen und Universitäten zu besuchen. Schulen sollen somit wieder inkludierende Orte der Vielfalt werden. Die Frage der Diskriminierung aufgrund körperlicher Behinderung beziehungsweise psychischer oder physischer Merkmale taucht erst in der dann explizit soziologischen Literatur des 20. Jahrhunderts wieder auf.

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II.  Semantiken der Vielfalt in sozialwissenschaftlichen Theorien

1. Individualität und Dif ferenzierung bei soziologischen Klassikern: Simmel, Spencer, Elias Auch wenn der explizite Gebrauch der Begriffe Vielfalt/Diversity/diversité relativ jung ist, so kann postuliert werden, dass sich die Soziologie und die Philosophie seit jeher mit der Frage beschäftigt haben, wie die Differenzierungsprozesse (Spencer 1998 [1860-1862]) innerhalb von Gesellschaften analysiert werden können (Pries 2013: 4-27; Wieviorka 2005). Sei es in der Frage nach der Entwicklung totalitärer Regime wie etwa bei Hannah Arendt (1951) oder des Ausbruchs von Revolutionen bei Theda Skocpol (1979), der Ausgleich divergierender Interessen – und damit die Frage nach Kohäsion – steht im Zentrum der Analyse. Bereits in der Entstehungsgeschichte der Soziologie wurde mit Émile Durkheims (1858-1917) Konzept des Übergangs von der mechanischen zur organischen Solidarität auf eine holistische Weise gefragt, wie eine mehr und mehr differenzierte Arbeitsteilung mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft in Einklang gebracht werden könne. Georg Simmel (1858-1918) wiederum ging mit seiner Idee der Kreuzung sozialer Kreise von der Entwicklung fortschreitender Individualität aus (Simmel 1890: 101ff.): »Mit fortschreitender Entwicklung aber spinnt jeder Einzelne derselben ein Band zu Persönlichkeiten, welche außerhalb dieses ursprünglichen Assoziationskreises liegen und statt dessen durch sachliche Gleichheit der Anlagen, Neigungen und Tätigkeiten usw. eine Beziehung zu ihm besitzen; die Assoziation durch äußerliches Zusammensein wird mehr und mehr durch eine solche nach inhaltlichen Beziehungen ersetzt. Wie der höhere Begriff das zusammenbindet, was einer großen Anzahl sehr verschiedenartiger Anschauungskomplexe gemeinsam ist, so schließen die höheren praktischen Gesichtspunkte die gleichen Individuen aus durchaus fremden und unverbundenen Gruppen zusammen; es stellen sich neue Berührungskreise her, welche die früheren, relativ mehr naturgegebenen, mehr durch sinnlichere Beziehungen zusammengehaltenen, in den mannigfaltigsten Winkeln durchsetzen.

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Eins der einfachsten Beispiele ist das angeführte, dass der ursprüngliche Zusammenhang des Familienkreises dadurch modifiziert wird, dass die Individualität des Einzelnen diesen in anderweitige Kreise führt; eins der höchsten die ›Gelehrtenrepublik‹, jene halb ideelle, halb reale Verbindung aller in einem so höchst allgemeinen Ziel wie Erkenntnis überhaupt sich zusammenfindenden Persönlichkeiten, die im Übrigen den allerverschiedensten Gruppen in Bezug auf Nationalität, persönliche und spezielle Interessen, soziale Stellung usw. angehören.«

Simmel spricht hier die Entstehung vielfältiger, sich durch berufliche oder ästhetische Interessen und Gemeinsamkeiten auszeichnender Bezugsgruppen an. Die These, dass kulturelle und strukturelle Veränderungen eine fortschreitende Individualisierung begünstigen, welche eine teilweise Wahl der sich vervielfältigenden sozialen Kreise ermöglicht, ist fast so alt wie die Soziologie selbst. Simmel betont hier bereits die Handlungsfähigkeit des Einzelnen und das Potenzial an sozialen Veränderungen – etwa im Familienkreis – durch ebenjenes Handeln. Zusammen mit Max Weber (1864-1920) kann Georg Simmel als einer der Väter der soziologischen Handlungstheorie betrachtet werden, welche das kreative Potenzial individueller Lebensentwürfe betonen. Heute wird oft vereinfacht das Gegensatzpaar agency vs. structure genannt, unter anderem mit Bezug auf Anthony Giddens. Die Grundidee der wachsenden Möglichkeiten, die mannigfaltigen Zugehörigkeiten, welche mit der Differenzierung des sozialen und kulturellen Lebens einhergehen, zu kombinieren, ist ebenfalls mit den ersten soziologischen Schriften erwachsen. Simmel wies jedoch schon früh auf die Widerstände hin, welche das Individuum überwinden müsse, um sich entfalten zu können: »Die tiefsten Probleme des modernen Lebens quellen aus dem Anspruch des Individuums, die Selbstständigkeit und Eigenart seines Daseins gegen die Übermacht der Gesellschaft, des geschichtlich Ererbten, der äußerlichen Kultur und Technik des Lebens zu bewahren – die letzterreichte Umgestaltung des Kampfes mit der Natur, den der primitive Mensch um seine leibliche Existenz zu führen hat. […] [In] alledem wirkt das gleiche Grundmotiv: der Widerstand des Subjekts, in seinem gesellschaftlich-technischen Mechanismus nivelliert und verbraucht zu werden.« (Simmel 1903: 185)

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In seiner historischen Abhandlung sieht Simmel nach der Befreiung des Menschen von Staat und Religion im 18.  Jahrhundert sowie der Entwicklung der arbeitsteiligen Gesellschaft des 19.  Jahrhunderts (welche neue gegenseitige Abhängigkeiten mit sich brachte) nun die nivellierende Kraft der entstehenden Industriegesellschaft als prägend für die moderne Gesellschaft an. Gleichzeitig bietet die rasch fortschreitende Verstädterung trotz der Überwältigung des Einzelnen mit zahlreichen neuen Reizen und Eindrücken diesem auch neue Möglichkeiten der Positionierung als »Unterschiedswesen« (ebd.). Heute werden diese Möglichkeiten des Einzelnen zur mentalen und physischen Verortung mit dem Begriff der »Politiken des Belonging« oder der »Positionierung« neu ausgekleidet, wie ich weiter unten zeigen werde. Mit Herbert Spencer (1820-1903) lieferte ein weiterer Gründungsvater der Soziologie fundamentale Ideen zu Differenzierungsprozessen. In seinen Ersten Prinzipien (1860-1862) formuliert er die These, dass sich in der Gesellschaft die Dinge von Homogenität zu mehr Heterogenität entwickeln. Sein deduktives Vorgehen hat zu einem »universelle[n] Postulat der kulturellen Evolution« geführt, welches ebenfalls die Idee einer fortschreitenden, von selbst gesteuerten Differenzierung von Lebensweisen, Konventionen etc. umfasst. Die damit verbundene Spezialisierung und Heterogenität führt nach Spencer zu einer Harmonie zwischen und auch innerhalb der einzelnen Komponenten. Nichtsdestotrotz ist Spencers Denken auch von der britischen Kolonialpolitik sowie vom Sozialdarwinismus geprägt. So warnt er trotz seines Liberalismus und der damit verbundenen Ablehnung staatlicher Intervention in Briefen an Kentaro Kaneko19 vor interethnischen (Liebes‑)Beziehungen, die seiner Ansicht nach verboten werden sollten. Die in der Frühgeschichte der Soziologie konstatierte Vielfalt von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen, Geschmäckern, sozialen Kreisen und Bezugsgruppen war folglich nicht immer mit wohlwollenden politischen Empfehlungen zugunsten der Gleichbehandlung von Individuen oder spezifischen Gruppen verbunden. Schließlich hat Simmel (1908) in seinen Überlegungen über den Fremden, der heute kommt und morgen bleibt, gezeigt, welche gesellschaftlichen Umbrüche und potenziellen Feindschaften mit der Erfahrung von Alterität verbunden sind. 15

2. Multiple Zugehörigkeiten: Yuval-Davis, Pfaf f-Czarnecka, Kofman Die Vernetzung des Einzelnen in verschiedene, sich zum Teil überschneidende Kreise wird in der zeitgenössischen Sozialforschung vermehrt als Phänomen multipler Zugehörigkeiten bezeichnet. Nira Yuval-Davis (2011) beispielsweise schließt gerade das subjektive Gefühl der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe in die situativen »politics of belonging« ein und betont die emotionalen Aspekte von In- und Exklusionsprozessen, seien sie selbst- oder fremdbestimmt. Yuval-Davis plädiert gemeinsam mit Kalpana Kannabiran und Ulrike Vieten für ein komplexes Verständnis von Zugehörigkeiten, welches über die simple Staatsangehörigkeit von Individuen hinausgeht: »[It] is impossible to understand the ways individual people and groupings relate to as either citizens and/or having specific ethnic, national or racial identities. Politics of Belonging encompass and relate both citizenship and identity, adding an emotional dimension which is central to notions of belonging.« (2006: 1) Joanna Pfaff-Czarnecka plädiert in diesem Zusammenhang für eine schärfere Trennung zwischen den Begriffen »Identität« und »Zugehörigkeit« (2012: 10ff.). Letztgenannter Begriff sei »besser geeignet, den gegenwärtigen Komplexitäten, Dynamiken und Feinheiten der menschlichen Beziehungen, ihrem situativen und prozesshaften Charakter, ihren Ambivalenzen und Paradoxien auf die Spur zu kommen« (ebd.). Ähnlich wie Yuval-Davis, Kannabiran und Vieten argumentiert auch Pfaff-Czarnecka für die Beachtung der »Multidimensionalität« und die Emotionsgeladenheit »sozialer Verortung« (ebd.). Floya Anthias und Ghasan Hage folgend, definiert Pfaff-Czarnecka Zugehörigkeit wie folgt: »eine emotionsgeladene soziale Verortung, die durch das Wechselspiel (1) der Wahrnehmungen und der Performanz der Gemeinsamkeit, (2) der sozialen Beziehungen der Gegenseitigkeit, und (3) der materiellen und immateriellen Anbindungen oder auch Anhaftungen entsteht« (ebd.). Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit sind nach Pfaff-Czarnecka die zwei elementaren Dimensionen der Zugehörigkeit (ebd.: 19ff.) Für die erste Dimension ist die Erfahrung des Teilens von kulturellen Formen (etwa einer gemeinsamen Sprache, einer Religion oder eines Lebensstils), Werten, Wissensvor16

räten und Erfahrungen entscheidend. Pfaff-Czarnecka unterscheidet hier zwischen der »Selbstverständlichkeit der gemeinsamen Praktiken« und der durch »soziale Grenzziehungen entstehenden Wahrnehmung eines in sozialen Hierarchien verorteten ›Wir‹« (ebd.: 21). Im Englischen wird dieses Verständnis von Gemeinsamkeit oft als »commonality« bezeichnet (Salzbrunn/Sekine 2011). Das gemeinsame Ausrichten eines Festes kann beispielsweise Ausdruck des Gefühls von »commonality« sein (Salzbrunn 2011: 71). Pfaff-Czarnecka unterscheidet weiterhin zwischen Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit. Letztgenannte sei stärker an ein kollektives Verständnis und daran anknüpfende Repräsentationen gebunden. Gerade in der Migrations- und Diversity-Forschung wird jedoch zunehmend den individuellen Positionierungen Aufmerksamkeit gewidmet, sodass die komplexen Dimensionen der individuellen Orte und Performanzen von Zugehörigkeiten besonders interessant sind (Pfaff-Czarnecka 2012: 28ff.). Zugehörigkeiten falten sich auf der diachronen und synchronen Ebene auf, sie können sich zum Teil im Verlauf des Lebens ändern, und sie weisen zu einem Zeitpunkt vielfältige Dimensionen auf. Insbesondere Migrantinnen und Migranten schaffen sich neue Räume der Zugehörigkeit – etwa durch künstlerische Ausdrucksformen, wie Walter Pfaff in seinem Projekt zu »Creating Belonging by Means of Performance« aufgezeigt hat. Auch politisches Engagement kann performativ gestaltet werden, sodass der öffentliche Raum zur Bühne für Forderungen nach Anerkennung oder rechtlicher Veränderung wird. Die Erfindung neuer politischer Ausdrucksformen ist umso bedeutsamer in Kontexten, wo Migranten jegliche formalisierte Beteiligung am politischen Leben (etwa durch die Teilnahme an Abstimmungen oder Wahlen oder durch die Möglichkeit, Versammlungen oder Vereinigungen zu bilden) verweigert wird (Salzbrunn 2013a). Der Ausdruck individueller oder kollektiver religiöser Zugehörigkeit im öffentlichen Raum durch Kleidung (zum Beispiel einen Schleier) oder Architektur (zum Beispiel durch ein Minarett) kann jedoch zu Abgrenzungsprozessen (»boundary-making«) führen. So stimmte die Schweizer Bevölkerung 2009 mehrheitlich gegen den Bau von Minaretten und 2014 gegen »Masseneinwanderung«. In der Kommune Au-Heerbrugg im Kanton St. Gallen wurde gar über das Bedürfnis zweier minderjähriger somalischer Mädchen, 17

in der Schule einen Schleier zu tragen, am 9. Februar 2014 öffentlich abgestimmt. 990 Personen stimmten dagegen, 506 dafür. Die durch Bürgerkrieg und Flucht bedingte biografische Navigation dieser beiden Mädchen stößt am neuen Residenzort auf Grenzen der Zugehörigkeit, die von der einheimischen Bevölkerung (mit Schweizer Staatsbürgerschaft) gezogen werden. Die Haltung von Individuen zu mit Performanz von Vielfalt verbundenen Konflikten ist ebenfalls starken konjunkturellen Schwankungen unterlegen. So konnten bis zum Aufkommen der Schleier- und Burka-Debatten 1989 in Frankreich in vielen europäischen Ländern Schülerinnen und (etwa in Nordrhein-Westfalen) auch Lehrerinnen unbehelligt (und unbemerkt) ihrer religiösen Zugehörigkeit durch Kleidung Ausdruck verleihen, da diese nicht als illoyal gegenüber dem Nationalstaat oder der Republik interpretiert worden war. Allerdings muss mit Jacques Rancière bemerkt werden, dass Gesellschaften nach innen differenziert sind beziehungsweise dass »dissensus« (Rancière 2011) (und die damit verbundene Infragestellung von Hierarchien) gar eine Voraussetzung demokratischer Politik ist. So stimmte in der Schweiz der Kanton Tessin 2013 für ein Verbot der Burka, während andere Kantone eine solche Abstimmung überhaupt ablehnen. Auch die bei Abstimmungen regelmäßig zu beobachtenden Unterschiede zwischen den frankophonen Kantonen der Westschweiz (die sich alle gegen die Initiative »gegen Masseneinwanderung« ausgesprochen haben) wird zum Vorwand, in innerschweizerischen politischen Diskursen Zugehörigkeit zum Nationalstaat zu (de‑)legitimieren.20 Folglich sind Zugehörigkeitspolitiken prozesshaft und mit dynamischen, komplexen Aushandlungsprozessen verbunden, die mit neuen Positionierungen enden. Wie diese »Zugehörigkeitspolitik«, fortschreitende Individualität und die zunehmenden Identifizierungsmöglichkeiten zu Konflikten führen können, analysierte in der Straßburger Tradition Julien Freund (1983), dessen Ansätze bis heute in der Soziologie der Konflikte von der Forschungsgruppe »Cultures et Sociétés en Europe« an der Universität Straßburg in Simmel’scher Tradition weitergedacht werden. Recht, Freundschaft und allgemeines Wohlbefinden sind danach Teile beziehungsweise Letztgenanntes das Ziel der Politik. Das Wesentliche der Politik jedoch entspringe 18

dem Konflikt – schließlich sei der Friede ein außergewöhnlicher Zustand der Gesellschaft (Freund 1983: 50). Ähnlich wie schon Freund hat die australisch-britische Sozialgeografin Eleonore Kofman (2005) in ihren »Figures of the Cosmopolitan« auf das gesellschaftliche Konfliktpotenzial im Kontakt von Individuen, die aufgrund ihrer vielfältigen Verortungen und Zugehörigkeiten als zu unabhängig gelten, hingewiesen: Kofman zufolge sind die optimistischen Überlegungen der Soziologen John Urry und Ulrich Beck zu Kosmopoliten aus zwei Gründen zu naiv: Erstens seien elementare Bedingungen für einen kosmopolitischen Lebensstil ein entsprechender Pass sowie ökonomische Ressourcen, von denen ein großer Teil der Menschheit ausgeschlossen seien; zweitens seien im Verlauf der Geschichte gerade unabhängige Menschen mit multiplen Zugehörigkeiten wie Juden misstrauisch beäugt beziehungsweise verfolgt worden, da man ihnen aufgrund ihres Kosmopolitismus mangelnde Loyalität – etwa zum Nationalstaat – vorgeworfen habe. Als einer der ersten Theoretiker hatte sich in den 1990er Jahren Ulf Hannerz explizit mit dem Begriff des Kosmopoliten beschäftigt. Ihm zufolge existiert eine »Weltkultur« (Hannerz 1990: 237), die nicht uniform ist, sondern erstens durch die wachsende Verbundenheit von verschiedenen lokalen Kulturen untereinander und zweitens durch die Entwicklung von Kulturen, die keine klare Verwurzelung in einem Territorium haben, geschaffen wird. Hannerz bezeichnet seine Überlegungen zum Kosmopolitismus selbst als einen Modus, Bedeutungen auszuhandeln (ebd.: 238). Als Grundlage hierfür betrachtet er manche Kulturen als territorial begrenzt und andere als räumlich weiter ausgedehnt. Beide Formen könnten sich begegnen und vermischen. Seine »Perspektive des Kosmopoliten« bedingt Beziehungen zu einer Mehrzahl an Kulturen, die als unterschiedliche Einheiten betrachtet werden: »Kosmopolitismus in engeren Sinne impliziert eine Haltung zur Vielfalt selbst, zur Koexistenz von Kulturen innerhalb der eigenen Erfahrung. Ein noch wahrhafterer Kosmopolitismus ist vor allem eine Orientierung, ein Wille, sich mit dem Anderen auszutauschen. Es ist eine intellektuelle und ästhetische Haltung der Offenheit gegenüber verschiedenen kulturellen Erfahrungen, eine Suche nach Kontrast statt nach Konformismus.« (Ebd.: 239)

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Des Weiteren sieht Hannerz Kosmopolitismus als allgemeine Kompetenz und als individuelle Fähigkeit, sich mit anderen Kulturen durch Hören, Sehen, intuitives Erkennen und Reflektieren auseinanderzusetzen. Zugleich gibt er zu, dass diese Form des Kosmopolitismus auch eine sehr selbstverliebte Seite habe, indem man sich nur die Aspekte fremder Kulturen herauspicke, die einem gefielen. Man habe jederzeit die Macht, diese autonome Erfahrung der Hingabe zu einer fremden Kultur zu beenden. Hannerz zufolge kann sich der Kosmopolit eine Zeit lang für verschiedene territoriale Kulturen engagieren und/oder Teil eines transnationalen Netzwerkes sein. Allerdings seien nicht alle geografisch mobilen Menschen auch Kosmopoliten. Touristen sieht Hannerz eher als Zuschauer, Exilanten als Menschen auf der Suche nach Sicherheit und ins Ausland entsendete Angestellte als Arbeitsmigranten auf der Suche nach einem höheren Einkommen. Daher gebe es heute auch regelrechte transnationale Berufskulturen von Bürokraten, Politikern, Wirtschaftsleuten, Journalisten und Diplomaten, die, egal, wo sie hingingen, das gleiche kollektiv vermittelte Verständnis ihrer Arbeit vorfänden (ebd.: 244). Schließlich haben Hannerz zufolge die meisten transnationalen Kulturen ihren Ausgang in »Westeuropa oder Nordamerika« genommen, sodass die Organisation von Weltkulturen als Zentrum-Peripherie-Beziehung offensichtlich geworden sei (ebd.). Intellektuelle seien besonders prädestiniert für die Fähigkeit, sich in anderen Kulturen zu Hause zu fühlen. Nichtsdestoweniger würden Kosmopoliten von den »wirklich lokalen« Einwohnern immer als unterschiedlich wahrgenommen. Aufgrund zunehmender Kommunikation und wachsender Verbindungen seien immer mehr lokale Milieus von kultureller Vielfalt geprägt (ebd.: 249), und die Kosmopoliten können auch zu Hause andere Kosmopoliten treffen. Dank der Kosmopoliten, schließt Hannerz, würden die unterschiedlichen Bedeutungsstrukturen miteinander in Verbindung gebracht. Wenn es nur »lokale« Menschen gäbe, bliebe die Weltkultur lediglich die Summe ihrer Teile. Heute hätten »lokale« und »kosmopolitische« Menschen ein Interesse an dem Überleben der kulturellen Vielfalt, denn so könnten die »Lokalen an ihrer Kultur haften bleiben« und die Kosmopoliten weiterhin die Vielfalt als solche schätzen. In den Genuss dieser Vielfalt könnten sie jedoch nur kommen, weil die 20

»Lokalen« ihre »Nische« erhielten. »Which is to say there can be no cosmopolitanism without locals.« (Ebd.: 250) Es ist fraglich, ob die dichotome Trennung der Weltbürger in »cosmopolitans« und »locals« sowohl konzeptuell als auch empirisch haltbar ist. Schließlich steht sie vor demselben Problem, das auch die Kreolisierungsforschung hat: Gab es eine ursprünglich reine, lokale Form von Kultur ohne jegliche Begegnung? Und hat nicht schon Immanuel Kant (1724-1804) mit seinem Konzept des Weltbürgers versucht, kulturelle Offenheit zu denken? Wie bereits oben erwähnt, hat Eleonore Kofman jene Sicht auf Kosmopolitismus sehr differenziert kritisiert (2005), da die hier eingenommene Perspektive einen relativ elitären, hegemonialen Blick auf bestimmte, ein wenig verklärte Figuren des Kosmopoliten einschließt.

3. Eine kritische Lektüre der Vielfalt bei Putnam, Bourdieu und Elias Alejandro Portes und Erik Vickstrom haben in einem recht beachteten Aufsatz zu Vielfalt, Sozialkapital und Kohäsion (2011) die (pessimistische) Sicht von Robert Putnam auf vielfältige Gesellschaften kritisiert. Die ursprünglich von Pierre Bourdieu (19302002) entwickelte Konzeption des Sozialkapitals hat nicht mehr viel gemein mit der Auslegung dieses Begriffes durch Putnam (2007). Für Bourdieu ist der Ausgangspunkt für soziales Kapital in der sozialen Vernetzung der Individuen zu suchen. Putnam hingegen erweitert diesen Begriff im Hinblick auf Bevölkerungsgruppen. Das Sozialkapital wird so zu einem öffentlichen Gut, welches messbar ist – etwa durch die Anzahl an Nichtregierungsorganisationen, den Anteil an Bürgern, die sich in lokalen Vereinen engagieren, oder das Vertrauensniveau in Bezug auf die Mitmenschen. Auf dieser Basis hat Putnam einen Index für Sozialkapital (SCI) entwickelt, mit dem er 50 Staaten der USA verglichen hat. Putnam geht von einer Atomisierung der Gesellschaft aus, die mit der Solidarität und dem Bürgersinn vorausgehender Generationen kontrastiert. Er setzt sich ein für eine Rekonstruktion des Sozialkapitals, um die Demokratie zu stärken, die Ungleichheit zu verringern und das persönliche Wohlbefinden zu verbessern. Seinen Studien zur Beziehung zwischen Heterogenität und so21

zialem Zusammenhang zufolge führt eine wachsende Vielfalt zu der Tendenz, sich weniger für das Zusammenleben einzusetzen (Putnam 2007). Mehrere Autoren bestreiten Putnams negative Korrelation zwischen Diversität und Kohäsion (Portes und Vickstrom 2011). Auch Putnams positive Meinung zu bürgerlichem Engagement wird als vermeintliches Allheilmittel kritisiert, zum Beispiel von Sheri Berman (1997). In Bowling Alone (2000) antwortet Putnam auf einige Kritiken, indem er seinen Begriff des Sozialkapitals noch präziser definiert. In dieser Studie stellt er eine Korrelation zwischen Sozialkapital und verschiedenen kollektiven Errungenschaften auf (im Bildungssektor, in Bezug auf das Wohlergehen der Kinder, auf wirtschaftlichen Aufschwung, auf eine sichere und produktive Umgebung, auf Gesundheit, Glück, Demokratie etc.). Er schließt aus seiner Studie, dass der Sozialkapitalindex mit diesen Errungenschaften positiv verbunden ist. Putnam unterscheidet weiterhin zwischen zwei Formen des Sozialkapitals, um auf Kritik zu der Schattenseite dieses Begriffes zu antworten. Das bürgerliche Sozialkapital plädiere für Toleranz im Hinblick auf Vielfalt und Gleichheit. Das sektiererische Sozialkapital hingegen führe zur Intoleranz – mit einer Ausnahme: Es gebe keinen Beleg für einen Zusammenhang zwischen bürgerlichem Engagement und Intoleranz, außer im Fall des religiösen Engagements, und hier insbesondere bei fundamentalistischen Kirchen (Putnam 2000: 355). Portes und Vickstrom (2011: 465) zufolge gibt es jedoch keinen empirischen Beleg für Putnams Schluss, dass Sozialkapital ausschließlich positive Folgen habe. Dies liege an statistischen Fehlschlüssen, insbesondere auf unbewiesene kausale Zusammenhänge. Beide Autoren untersuchen daher kausale Beziehungen zwischen mehreren Variablen und kommen zu dem Ergebnis, dass Sozialkapital und wirtschaftliche Ungleichheit zwar eng miteinander verbunden seien, Letztgenanntes jedoch in wechselseitigem Einfluss auf das gesellschaftliche Vereinsleben (sowie auf das generelle Vertrauen) stehe. Es handele sich also hier um einen Zirkelschluss (Portes/Vickstrom 2011: 467). Die Autoren schlagen als Ausweg aus dem Zirkelschluss vor, nach historischen und demografischen Erklärungen für die heutige wirtschaftliche Situation zu suchen. Im amerikanischen Kontext habe insbesondere die »Rasse«21 zu einer großen Kluft geführt, sodass »Nicht-Weiße 22

am Boden der ökonomischen Hierarchie« stünden und im Allgemeinen von politischen und bildungsorientierten Vereinen, die gesellschaftliche Bedeutung hätten, ausgeschlossen seien (ebd.: 468). Historisch habe dies zu großer wirtschaftlicher Ungleichheit und zu minderem Sozialkapital geführt. Daher sei die Idee, diese Bevölkerung zu stärkerer Beteiligung am kollektiven Leben aufzurufen, als Heilmittel abwegig. Soziales Kapital sei das Ergebnis komplexer historischer Prozesse. Daher sei es auch ein Fehlschluss, eine kausale Verbindung zwischen »racial diversity« und sozialem Kapital herzustellen. Putnam lobt nämlich nur die langfristigen Folgen von Immigration. Kurzfristig postuliert er, dass mehr Vielfalt eine schädliche Wirkung auf Sozialkapital habe, da Vielfalt zur Isolierung führe (Putnam 2007: 51): »Diversity brings out the turtle in all of us.« Ähnlich argumentieren Gundelach und Traunmüller (2010), auf die ich im Kapitel zur Stadtforschung zu sprechen komme. Solche negativen Effekte der Vielfalt wurden jedoch von zahlreichen Studien widerlegt, wie Portes und Vickstrom (2011) zeigen. Sie sehen den Erhalt von sozialer Kohäsion in der modernen Welt vor allem durch die bereits von Durkheim analysierte organische Solidarität. Diese funktioniere dank eines Sets an Normen, die von allen verstanden und akzeptiert würden (Portes/Vickstrom 2011: 473): »Die emotionale Identifikation, die das Individuum mit seinem Land oder seiner Metropole fühlt, hängt nicht von gegenseitiger Bekanntschaft mit allen Mitgliedern ab, sondern von dem Erkennen einer gemeinsamen normativen Ordnung, die notwendig ist, um individuelle Ziele zu erreichen. Dies ist die Art von Kohäsion, die dazu führt, dass Bürger sich als Teil einer Nation sehen, deren Pflichten ihr gegenüber erfüllen und sie in Notzeiten unterstützen.«

Organische Solidarität hänge von drei Faktoren ab: erstens Vielfalt unter den Mitgliedern einer Gesellschaft, zweitens einer komplexen Arbeitsteilung und drittens starken koordinierenden Institutionen. Wenn diese Bedingungen erfüllt seien, könnten gemeinschaftliche Netzwerke existieren oder auch nicht. Diese seien jedoch keine Voraussetzung für eine lebbare soziale Ordnung (ebd.).

23

Grad der Vergemeinschaftung Staat/private koordinierende

hoch stark

Institutionen

niedrig

A

B

Organische/

Organische

mechanische

Solidarität:

Solidaritäten: mobili-

Individualis-

sierte Bürgerschaft

mus und Universalismus

schwach

C

D

Mechanische Solidari-

System-

tät: fragmentierte

zusammen-

Gemeinschaften

bruch

Quelle: Nach Portes/Vickstrom 2011: 473ff.

Ein starker Staat mit einer starken Bürgerschaft entspricht der Idee des französischen Politikers und Publizisten Alexis de Tocqueville (1805-1859) von einer starken öffentlichen Ordnung, zusammengefasst im Fall  A. Im Fall  D hätte die Gesellschaft ein Ordnungsproblem im Hobbes’schen Sinne und würde wegen Anomie und Individualismus ohne kollektive Bande kollabieren. Fragmentierte Gesellschaften (wie im Fall C) können einen schwachen Staat teilweise durch einen hohen Grad der Vergemeinschaftung kompensieren, müssten allerdings den Preis einer Rückkehr zur mechanischen Solidarität zahlen. Im Idealfall der organischen Solidarität (Fall  B) kann eine individualistisch geprägte Gesellschaft dank eines starken reglementierenden Staates und dessen öffentlicher Institutionen funktionieren. Portes und Vickstrom sehen progressive komplexe Gesellschaften auf der Schnittstelle zwischen A und B, wo die allumfassende Kohäsion, die durch organische Solidarität geschaffen wird, durch mannigfaltige Vereinsformen (von informellen Gruppierungen hin zu nach speziellen Interessengruppen ausgerichteten Organisationen) ergänzt wird. Für sie ist die Einwanderung ein Faktor, welcher die Vielfalt erhöht und die Entwicklung homogener Gemeinschaften verändert. Sie bewerten diese Phänomene positiv, da Vielfalt notwendig sei für eine komplexe, auf organischer Solidarität beruhende Arbeitsteilung. In der heutigen Zeit seien ethnische Homogenität und alternde Gesellschaften »weit größe24

re Herausforderungen« für das langfristige Überleben von Gesellschaften als die Präsenz von Immigranten (Portes/Vickstrom 2011: 475). Den oben zitierten Studien zufolge ist der Indikator für soziale Kohäsion eine Folge von Prozessen der wirtschaftlichen Ungleichheit oder der »rassischen« Segregation. Diese Prozesse seien jedoch eher eine Bedrohung für den Zusammenhalt der Gesellschaft als die Vielfalt an sich. Das Negieren von Rechten und/ oder Möglichkeiten einer großen Bevölkerungsgruppe sei die eigentliche Bedrohung sozialer Kohäsion. Die Autoren schließen mit einer vernichtenden Kritik an Putnams Versuch, soziales Kapital als Kohäsionsfaktor zu untersuchen. Soziales Kapital sei weder aussagekräftig in der Analyse, noch seien persönliche Netzwerke und Vertrauen die grundlegende Basis von modernen Gesellschaften. »Vertrauen basiert in diesen Gesellschaften nicht auf gegenseitigen Kenntnissen, sondern auf universellen Regeln und der Fähigkeit der Institutionen, deren Befolgen zu erzwingen.« (Ebd.: 476) So sei es auch nicht überraschend, dass eine verantwortungsbewusste Regierungsführung in Regionen und Nationen Vertrauen erzeuge und die negativen Effekte von Vielfalt senke. Zudem sei Immigration aus eigennützigen Gründen (aufgrund der demografischen Entwicklung und der Bedürfnisse auf dem Arbeitsmarkt) notwendig. Für die Autoren sind die Fragen nach »Vertrauen, Vielfalt und Kohäsion« daher »Pseudoprobleme«, für deren Analyse Energie aufgewendet wurde, die besser in ökonomische und soziale Integrationsprogramme gesteckt worden wäre (ebd.). Der starke Akzent, den die Autoren auf das Befolgen von gemeinsamen Normen und Regeln setzen, erinnert an Jürgen Habermas’ Überlegungen zu einem Verfassungspatriotismus, welcher das Zusammenleben auf einer rationalen Ebene dekliniert, um eine Alternative zu kulturalistischen oder essenzialisierenden Faktoren der Zugehörigkeit zu bieten. Damit wäre es möglich, Zusammengehörigkeit auf eine rationale Weise zu definieren – wer gemeinsame Regeln befolgt, gehört zur Gemeinschaft. Die Definitionsmacht über die Regeln ist allerdings nach wie vor einer bestimmten, privilegierten Gruppe vorbehalten, die die juristische und politische Macht innehat. Ich werde später zeigen, welche neuen gesellschaftlichen Herausforderungen der Rechtspluralismus mit sich bringt. 25

Auch Norbert Elias’ (1897-1990) Gedanke der Entstehung von Machtdifferenzen aufgrund von Inklusions- und Exklusionsprozessen findet sich in der heutigen Sozialwissenschaft wieder – etwa in den aktuellen Überlegungen von Judith Butler (2009) zur Verwundbarkeit. Elias’ Studie über die Zuschreibungen von Außenseitern bietet auch heute noch eine wichtige Denkfigur zur Analyse von Wahrnehmungen gesellschaftlicher Vielfalt. Zusammen mit John L. Scotson hatte Elias zwischen 1958 und 1960 in einem englischen Vorort untersucht, wie Etablierte und Außenseiter Selbst- und Fremdzuschreibungen vornehmen. Im Gegensatz zu heutigen Studien, die oft die Hautfarbe, Religion oder Herkunft fokussieren, verlief hier die Grenzziehung zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen, welche beide zur selben sozialen Klasse der Industriearbeiter gehörten. Durch »Schimpfklatsch« wurden von der etablierten Gruppe Ressentiments über die Neuankömmlinge verbreitet, insbesondere in Bezug auf Sauberkeit und Kriminalität. Hierbei prägte die Wahrnehmung des denkbar schlechtesten Beispiels aus der Außenseitergruppe das Bild, welches die dominante Gruppe zeichnete. Umgekehrt fußte das Selbstbild der Etablierten auf den denkbar besten Beispielen eigenen Verhaltens: Das »Wir-Bild der eigenen Gruppe lesen die mächtigeren Etablierten von der Minorität der Besten, das Sie-Bild der verachteten Außenseiter von der Minorität der Schlechtesten ab.« (Elias 1990: 164) Diese Erkenntnis ist auch übertragbar auf mediale Diskurse, insbesondere solche, welche durch die Boulevardpresse übermittelt werden. Hier werden Straftaten in Zusammenhang mit Gruppenzugehörigkeit (etwa das Herkunftsland der Eltern des Straftäters) erwähnt und somit Ängste vor der Gruppe der Personen aus diesem Land geschürt. Die »Wir-Gruppe« hingegen identifiziert sich mit vorbildlichen Leistungen von Mitgliedern der eigenen Gruppe, nicht mit den Straftätern, die es in der eigenen Gruppe gibt. Diese Stigmatisierung der Außenseiter hat, wie Elias und Scotson gezeigt haben, eine Rückwirkung auf die Selbstzuschreibung der Außenseiter, welche sich unter Umständen schließlich mit dem negativen Fremdbild identifizieren, da der Widerstand gegen dieses Image aussichtslos scheint. Dieses nun negativ gewordene Selbstbild des Außenseiters hat Konsequenzen für dessen sozialen Körper und zeigt dessen Verwundbarkeit, wie Judith 26

Butler ein halbes Jahrhundert später (2009) in einem anderen Zusammenhang schreibt. Auch in den »frames of war« tragen mediale Diskurse zur Verdrängung von ganzen Völkern an die Peripherie bei. Judith Butler zufolge ist der menschliche Körper gesellschaftlichen Gestaltungskräften und Formierungen ausgesetzt. Die Prägbarkeit des eigenen Körpers durch Anerkennungsprozesse und gesellschaftliche Zuschreibungen führt zu einer sozialen Verwundbarkeit des Körpers. Jener Körper ist zugleich der »eigene« und der den anderen ausgelieferte. Die Wahrnehmung des fremden Körpers und das Wechselspiel zwischen dem Willen zur Beherrschung desselben und der Verteidigung durch den Anderen stoßen an Grenzen. Beide Mechanismen spiegeln den Umgang mit Alterität und Diversität wider. Für Ludger Pries (2013: 11ff.) lassen sich die klassischen soziologischen Theorien zu Vielfalt und Zusammenhalt »in einem idealtypischen Koordinatensystem zwischen essentialistischen und konstruktivistischen Extremen der Entstehung von Sozialräumen einerseits und substanziellen und relationalen Modellen der Inhalte von Sozialräumen andererseits verorten«. Pries sieht Tönnies’ Gemeinschaftsbegriff, dem eine essenzialistisch gedachte Entstehung von Sozialräumen zugrunde liege, als substanziell an. Simmels soziale Kreise hingegen werden als relationale Sozialrauminhalte betrachtet. Das Diversity Management bezieht sich, wie ich später zeigen werde, auf essenzialistische Vorstellungen von Sozialraumentstehung, die als besonders relational angesehen werden. Während die Unterscheidung zwischen als substanziell oder als relational gedachten Sozialräumen auch in der heutigen Sozialforschung noch sinnvoll erscheint, ist die Trennung zwischen essenzialistisch und konstruktivistisch angelegten Ideen von Sozialraum-Entstehung zunehmend unscharf (s. Kapitel  III) und kann hier eher wissenschaftsgeschichtlich gelesen werden. Im Zeitalter der »liquid modernity« (Bauman 2000), welches mit »liquid fear« (Bauman 2006) einhergeht, sind sich nicht nur Vertreterinnen und Vertreter des Poststrukturalismus der – emisch und etisch – konstruierten Konfiguration von sozialen Gruppen bewusst, sondern konstruktivistisch geprägtes Denken über die – auch von Demografen (Simon 2005) immer wieder reflektierte – Problematik der Kategorienbildung findet zunehmend 27

Eingang in den Mainstream zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen Denkens.

4. Das Aufkommen des Diversitätsbegrif fes im Zusammenhang mit sozialen Bewegungen – Nancy Fraser Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes ist die deutschsprachige Diskussion um den Begriff Vielfalt. Diese kann jedoch nicht isoliert von frankophonen oder anglophonen Debatten geführt werden, zumal diese wissenschaftsgeschichtlich stark miteinander verknüpft sind. Der Begriff Diversity selbst wurde zum ersten Mal 1978 in einem Prozess der Regents of the University of California vs. Bakke (438 U.  S.  265) verwendet. Hier haben die bedeutendsten privaten US-amerikanischen Universitäten erfolgreich die Förderung von (über race definierten) Minderheiten verteidigt. Im Kontext der während der 1960er  Jahre entwickelten Affirmative-Action-Programme wurden Mitglieder benachteiligter beziehungsweise minderrepräsentierter Gruppen gefördert. Dies kam insbesondere Frauen und/oder Native Americans, Hispanics und zum Teil Asians zugute. Der weiße Student Allan Bakke klagte daraufhin 1974 wegen Benachteiligung gegen die University of California. Im Rahmen des von den Medien intensiv begleiteten Prozesses bestätigte der Supreme Court schließlich 1978, dass die Politik positiver Diskriminierung in den Vereinigten Staaten verfassungskonform sei. Maßgeblich für das Aufkommen von Diversität als soziologisches Begriffsfeld sind die sozialen Bewegungen der Nachkriegszeit, insbesondere die schwarzen Emanzipationsbewegungen in den USA, wie Hofmann (2012: 23-26) in Erinnerung ruft. Auch andere Bürger- und Bürgerinnenrechtsbewegungen, die Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung, die Frauenbewegung und die Lesben- und Schwulenbewegung waren mit ihren Forderungen nach gleichen Rechten entscheidend für das in Wissenschaft und Politik wachsende Bewusstsein für Alterität, Differenz – und die damit verbundenen Diskriminierungsprozesse, die ein Abbild gesellschaftlicher Machtverhältnisse darstellen. Wie ich später anhand des Anwendungsfeldes Diversitätsmanagement zeigen werde, treten diese politischen und diskursgestaltenden Aspekte 28

der Diversitätstheorien und die damit verbundenen Forderungen nach Umverteilung, Gerechtigkeit etc. zugunsten von unternehmerischen Kosten-Nutzen-Rechnungen von Vielfalt zunehmend in den Hintergrund. Antke Engel (2009) hat diesen Hintergrund des »wertschätzenden Umgangs« mit Differenz mittels der queer theory für die Kulturpolitik gezeigt. Hier werden ehemals subversive Bilder und Repräsentationen von der Werbung vereinnahmt, um neue Marktsegmente zu erschließen. Ein Beispiel hierfür sind die zahlreichen Imagekampagnen von Metropolen, um schwule und lesbische Touristinnen und Touristen anzulocken und gleichzeitig ein weltoffenes Bild von sich selbst zu zeichnen, welches sich wiederum positiv auf die gesamte Stadtökonomie auswirkt. Richard Florida hat diese Programmatik der Vielfalt 2002 mit den Begriffen »talent, technology, tolerance« zusammengefasst. Seiner These zufolge ist eine tolerante und für neue Technologien aufgeschlossene Stadtpolitik erfolgreich beim Anwerben hochqualifizierter Arbeitskräfte. Die Entwicklung des Intersektionalitätsansatzes durch Kimberlé Crenshaw (1991) war bahnbrechend für Überlegungen zu Formen der Diskriminierung, die entstehen, wenn verschiedene Persönlichkeitsmerkmale eines Individuums zu Exklusion führen. Dieser Ansatz hat bereits vor mehr als zwanzig Jahren gezeigt, wie die Analyse von sozialen Tatsachen und strukturell begründeten Ungleichheiten (Durkheim) mit der von individuellen und kollektiven Emanzipationsbewegungen kreativ verbunden werden kann. Heute werden die verschiedenen Zugehörigkeiten einer Person, die je nach Situation zu unterschiedlichen Wahrnehmungen führen, unter dem Begriff des multiple belonging (Yuval-Davis 2011) analysiert, wie ich noch später zeigen werde. Theoretisch entwickeln neuere Forschungsansätze zu Vielfalt die Theorie der Praxis von Pierre Bourdieu und die Theorie der Anerkennung von Nancy Fraser (1995) weiter. Bourdieu hatte mit seinem Konzept des kulturellen Kapitals beispielsweise gezeigt, wie Individuen durch Distinktion (das heißt durch das Aushandeln feiner Unterschiede im Geschmack) Ein- und Ausschlussprozesse steuern können. Deren soziales (Netz sozialer Beziehungen), kulturelles (unter anderem aufgrund der Herkunft vermittelte Bildung, Titel, Stellung,), wirtschaftliches (Vermögen/ Erbe, Einkommen) und symbolisches (durch eine mittelbare 29

Form der Gewaltausübung zum Tragen kommendes) Kapital ermöglicht eine soziale Positionierung. Gleichzeitig sind Bourdieus frühen Arbeiten zufolge strukturelle und systemische Gründe entscheidend für die Vermittlung eines solchen Kapitals und die damit verbundenen Möglichkeiten der Positionierung innerhalb eines sozialen Feldes. Mit sozialen Feldern sind Handlungsräume (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft etc.) innerhalb eines gesellschaftlichen Gefüges gemeint, die nach spezifischen Regeln funktionieren. Die Kenntnis und das Beherrschen ebendieser »Spielregeln« gehört auch zum Kapital, welches zum großen Teil über die familiäre Herkunft und das Milieu, in dem ein Mensch aufwächst, vermittelt wird. Neben den verschiedenen Formen des Kapitals spielt bei der erfolgreichen Positionierung innerhalb eines sozialen Feldes auch der erlernte Habitus eine entscheidende Rolle. Mit dem Habitus unterscheiden Individuen sich voneinander und setzen Grenzen der In- und Exklusion. Dazu gehört insbesondere die Sprache im Sinne von langage, das heißt die Fähigkeit, sich bestimmter Sprachregister zu bedienen, die in bestimmten Kreisen erwartet werden. Das Beherrschen einer besonders gewählten Ausdrucksweise und das implizite und explizite Verweisen auf bestimmte (literarische, historische etc.) Referenzen sind beispielsweise entscheidend für den mündlichen Test zur »Allgemeinbildung«, der neben Mathematik über den Zugang zu französischen Eliteschulen entscheidet. Der Zugang zu Kapital wird auch durch strukturelle Merkmale wie Geschlecht, Alter oder Ethnizität bestimmt, die beispielsweise Einfluss auf die Berufs- und/oder Studienwahl (sowohl seitens der Schülerinnen und Schüler als auch seitens der Lehrenden) haben. Die Kombination von Selbst- und Fremdexklusion verhindert zunehmend eine Diversifizierung bestimmter Berufszweige. So trauen sich etwa bestimmte Schüler gar nicht zu, die Aufnahme in eine Eliteschule zu schaffen, und melden sich erst gar nicht zu einer zweijährigen Vorbereitungsklasse (classe préparatoire) an. Umgekehrt hat das Lehrpersonal die Tendenz, bestimmte Schüler zu fördern und andere nie zu einem solchen Schritt zu ermutigen. Im späteren Erwerbsleben werden Frauen insbesondere durch symbolisches Kapital seitens der Männer benachteiligt, da der geschlechtsspezifische Habitus Frauen von bestimmten Machtpositionen (ins30

besondere in der französischen Politik) fernhält beziehungsweise sie unbewusst dazu tendieren, Repräsentationsaufgaben Männern zu überlassen. Umgekehrt delegieren Männer bewusst oder unbewusst Reproduktionsaufgaben wie Kinderbetreuung an die Frauen und/oder überlassen diesen im Berufsleben weniger prestigeträchtige Positionen. Diese durch den unterschiedlichen Einsatz symbolischer Macht gesteuerte Aushandlungsprozesse kann man mikrosoziologisch zum Beispiel sehr gut bei der Art und Weise beobachten, wie bei öffentlichen Debatten das Wort ergriffen (und dann kommentiert oder ignoriert) wird. Personen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft bestimmte Sprachregister nicht erlernt haben, rufen dann zum Beispiel Irritationen hervor, oder deren Beiträge werden ignoriert oder belächelt. Auch wenn Bourdieu oft ein deterministischer Blickwinkel vorgeworfen wurde, so hat er in einem seiner letzten Werke, Raisons Pratiques (1994), gezeigt, wie handelnde, bewusste Akteure strukturelle Zwänge und Grenzen überwinden und damit ihre Position in einer differenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft verändern können. In seinen posthum veröffentlichen Vorlesungen im Collège de France (Bourdieu 2012: 566) kommt Bourdieu sogar explizit auf das soziologische Erbe Max Webers zurück, indem er daran erinnert, dass die politische Macht unter anderem deswegen nicht von den ausgeschlossenen Gruppen (durch eine Revolte und Ähnliches) infrage gestellt wird, weil diese von den Herrschenden domestiziert werden – unter anderem durch die Förderung von Philanthropie. Bourdieu zufolge haben Elias und Foucault den Zwang staatlichen Handelns überbetont und unterschätzt, dass der Staat ohne Hilfeleistungen nicht mehr funktionieren würde. Bourdieu schreibt folglich, dass die Strategie des Staates sei, die »Integration« der Dominierten besonders zu fördern (ebd.). Martina Avanza (2010a, 2010b) hat in ihren Arbeiten zur Vielfalt innerhalb der politischen Parteien in Frankreich gezeigt, wie dies tatsächlich oberflächlich geschehen ist. Darauf wird im Kapitel zur Vielfalt in der Politik noch weiter eingegangen. Die politische Repräsentation von Minderheiten ist Teil des Forschungsinteresses der amerikanischen Philosophin Nancy Fraser. Sie arbeitet zu der Frage, wie Individuen und Gruppen operieren, um soziale, aber auch wirtschaftliche, politische und kulturelle Anerkennung zu gewinnen (Fraser 1995). Hier wird ein Bogen 31

geschlagen zwischen interaktionistischen und strukturalistischen Ansätzen in der Sozialforschung. Fraser verbindet Überlegungen zur Umverteilung wirtschaftlicher Ressourcen und Machtressourcen zwischen den Geschlechtern mit Reflexionen über die soziale, kulturelle und politische Anerkennung von Differenz. Damit überwindet sie schon in ihrem Ansatz Gegensätze, die im Rahmen der Diversitätsdebatte aufgebrochen sind: Die Verschiebung der politischen Agenda nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zugunsten der Anerkennung kultureller Unterschiede hatte dazu geführt, dass die Sorge um soziale und wirtschaftliche Ungleichheit in den Hintergrund getreten ist. Wie ich später zeigen werde, hat insbesondere Walter Benn Michaels (2006) diese Feststellung in das Zentrum seiner Kritik an der Diversity-Debatte gestellt. Fraser jedoch verbindet diese sozialpolitische Kritik konstruktiv mit der Frage, wie der Forderung nach Anerkennung Rechnung getragen werden kann, obgleich diese konzeptuell der Forderung nach wirtschaftlicher Gleichheit entgegenzustehen scheint: Die politische Forderung, Macht und Ressourcen umzuverteilen, wird im Namen der Gleichheit (als Ziel) formuliert. Die Forderung nach Anerkennung kultureller Unterschiede wird im Namen der Anerkennung von Differenzen erhoben. Die Identitätspolitik, die mit der Anerkennung von bestimmten Gruppen verbunden ist, kann darauf hinauslaufen, die Unterschiede zwischen diesen Gruppen zu essenzialisieren. Fraser jedoch denkt die Prinzipien von Gleichheit und Differenz zusammen. Umverteilung und Anerkennung haben für sie in Bezug auf das Erreichen der Gleichheit zwischen den Geschlechtern das gleiche politische Ziel. Diese Geschlechtergerechtigkeit denkt sie intersektional, das heißt in Zusammenhang mit anderen Achsen der Ungleichheit (wie Diskriminierung oder ungleichen Zugängen zu Ressourcen aufgrund unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit). Außerdem löst sie den vermeintlichen Widerspruch in ihrem bivalenten beziehungsweise zweiwertigen Ansatz auf, indem sie die strikte Trennung zwischen Wirtschaft und Kultur aufbricht.22 Kombinierte Elemente aus beiden Bereichen führen ihr zufolge heute zu Ungleichheiten; Anerkennung kann nicht unter dem Problem der Umverteilung subsumiert werden; auch umgekehrt kann die Umverteilung nicht erreicht werden, wenn ausschließlich Anerkennung erfolgt. In letztgenanntem Punkt widerspricht sie Axel Honneth, 32

der glaubt, dass die Lösung des wirtschaftlichen Verteilungsproblems über Anerkennung möglich sei. Sowohl die ökonomische Struktur als auch die Statusordnung der Gesellschaft müssen für Fraser verändert werden, um insbesondere Frauen, die von politisch-ökonomischer Ungleichheit sowie von kulturell-evaluativen Differenzierungen (aufgrund von Ethnizität und/oder Hautfarbe) betroffen sind, zu mehr Anerkennung und zu gleichem Zugang zu ökonomischen und politischen Ressourcen zu verhelfen. Diversitäten müssen als Spiegelbild der Gesellschaft repräsentiert werden, das heißt proportional vertreten sein. Parallel dazu soll nach spezifischen Erwartungen und Bedürfnissen von Individuen und Gruppen differenziert werden. Die Gefahr der Essenzialisierung von Differenzen will Fraser durch einen situativen Ansatz ausräumen. Auch innerhalb von Kategorien – sofern diese denn zum Tragen kommen – soll differenziert werden. Die temporäre Referenz auf Identitäten wird mit dem politischen Mittel der strategischen Verwendung legitimiert – schließlich ist das Ziel, dass ebenjene Differenzen keine Rolle mehr spielen. Für Fraser ist Anerkennung eine Frage der Gerechtigkeit. Ziel sei eine »parity of participation in social life« (1998: 5), insbesondere in Bezug auf die Partizipation am politischen Leben. Hier grenzt Fraser sich klar von utilitaristischen Motiven der Diversity-Forderungen ab, die Profitmaximierung durch das Nutzen möglichst vielfältiger Potenziale zum Ziel hat (siehe unten). Einige gegenstandsbezogene Geschlechtertheorien haben ebenfalls die Frage behandelt, inwieweit Anerkennungsprozesse über die temporäre Imitation dominierender Normen funktionieren können. Zurzeit dominieren konstruktivistische Theorien bei der Analyse von Geschlechterund Diversitätsverhältnissen (Bendl/Hannapi-Egger/Hofmann 2012: 38ff.). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in der aktuellen Sozialforschung über Differenz strukturell begründete, in holistischen Ansätzen thematisierte Unterschiede und Diskriminierungen (in der Folge von Durkheims Arbeiten) mit individuellen, handlungstheoretischen und feministischen Ansätzen verbunden werden. Im frankophonen Raum kam der Begriff diversité relativ spät im Zusammenhang mit politischen Maßnahmen gegen Diskriminierung auf. Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy 33

hatte 2007 unter großer Kritik »La France de la diversité« ausgerufen und für seine Ministerinnen Rachida Dati, Fadela Amara und Rama Yade den Begriff »issues de la diversité« benutzt (etwa mit »aus der Vielfalt stammend« übersetzbar). Was bedeutet dann, nicht aus der diversité zu stammen? Ist dies überhaupt möglich? Bezieht sich diversité nur auf sichtbare Minderheiten? Verdeckt der Begriff die unsichtbare, weiße, männliche, heterosexuelle Mehrheit, die diesen in Abgrenzung zu sich selbst definiert, ähnlich der amerikanischen WASP (White Anglo-Saxon Protestants)? Wie oft in der französischen Soziologie ist auch hier der wissenschaftliche Umgang mit dem Begriff diversité hoch politisiert, wie Sénac-Slawinski (2012) und Masclet (2012) zeigen. Daher wird er als analytische Kategorie (noch?) nicht ernst genommen, allenfalls dem von allen politischen Parteien gefürchteten communautarisme als politisches Ideal vorgezogen. Dies liegt daran, dass der Idealtypus von Republik in der französischen Philosophie als eine kohärente Einheit definiert wird, der sich alle Einzelinteressen (sowie die im Namen von Interessengruppen formulierten Forderungen) unterordnen. Das Gegenmodell wird geprägt von der Vorstellung, dass eine von Einzelgruppeninteressen (und deren Forderungen nach Sonderbehandlung aufgrund von religiöser Praxis) geprägte Gesellschaft vom Zerfall bedroht sei (Sainsaulieu/Salzbrunn/ Amiotte-Suchet 2010). Réjane Sénac-Slawinski hat sich in ihrem Buch über die Erfindung der Vielfalt (2012) zum Ziel gesetzt, die Debatte um Vielfalt zu depolitisieren. Ausgehend von der Begriffsentwicklung (von der Biodiversität zur gesellschaftlichen Diversität) zeigt sie die Schwierigkeiten (insbesondere der französischen Gesellschaft) auf, das Unnennbare zu benennen, um so Diskriminierungen zu bekämpfen. Ähnlich wie die unten diskutierten Ansätze von Schiffauer und Modood bezieht sie sich auf die Leitgedanken der Französischen Revolution und fragt, ob Freiheit, Gleichheit, Diversität zu einer neuen Brüderlichkeit führen. Den drei genannten Autorinnen und Autoren gemeinsam ist der Vorschlag, Gleichheit und Vielfalt nicht gegeneinander auszuspielen, sondern – ähnlich wie Martiniello (2011) es bezeichnet – die Existenz von Differenz mit der Zuerkennung von gleichen Rechten zu kombinieren – was die Debatte nicht entpolitisiert, aber deren politisch aufgeladene Polemik auf eine konstruktive 34

Weise entschärft. Im dritten Teil dieses Bandes wird die insbesondere in Deutschland und Frankreich geführte sozialwissenschaftliche Debatte um Migration und Diversität noch einmal detaillierter aufgefächert. Zuvor sollen jedoch grundsätzliche Überlegungen zu Semantiken der Vielfalt anhand der drei Gesellschaftstheoretiker Will Kymlicka (Kanada), Jürgen Habermas (Deutschland) und Patrick Savidan (Frankreich) nachgezeichnet werden.

5. Semantiken der Vielfalt in aktuellen soziologischen Debatten: Kymlicka, Habermas, Savidan Zunächst müssen verschiedene Ebenen23 (Prengel 2006) unterschieden werden, auf denen über Vielfalt vergleichend geforscht wird, wie Allemann-Ghionda (2011: 16-23) vorschlägt: »Die erste Ebene wäre der empirisch erfasste oder historisch zu rekonstruierende Umgang mit Diversität in verschiedenen Gesellschaften. Hierbei wären wiederum zu unterscheiden zwischen der Makroebene (Welt; Gesellschaften), der Mesoebene (institutionelle Systeme, zum Beispiel Bildungssysteme oder Kommunen oder Krankenhäuser und ihre Politik gegenüber der Diversität beziehungsweise deren Umsetzung), und der Mikroebene (Interaktion zwischen Individuen und nichtinstitutionellen Gruppen). Eine weitere, übergeordnete Ebene (Metaebene) wäre der Diskurs und das Selbstverständnis der Wissenschaften über den Umgang und die Thematisierung der Diversität im historischen Wandel.«

Zu letztgenannter Gruppe könnte im weitesten Sinne auch das wissenschaftsgeschichtlich entwickelte Bewusstsein für vielfältige Konzepte – insbesondere der Moderne (unter anderem Eisenstadt) – gezählt werden. Der von Thomas Schwinn 2006 herausgegebene Band über Vielfalt und Einheit der Moderne gehört ebenfalls hierzu. Die oben beschriebenen Debatten sind gezeichnet von dem Problem, das Dilemma der Essenzialisierung vermeiden zu wollen, gleichzeitig jedoch prägnante Begriffe und Kategorien für gesellschaftliche Phänomene entwickeln zu müssen. Wenn – zu schützende – Minderheiten benannt werden, geschieht dies zwangsläufig von der Warte der Mehrheit aus, die für sich die Definitionsmacht des Normalen und des Normabweichenden beansprucht. Der kanadische Philosoph Will Kymlicka hat versucht, 35

einen juristischen Rahmen für Minderheitenschutz zu stecken. Er unterscheidet zwischen polyethnischen oder Immigrantengruppen einerseits und nationalen Minderheiten andererseits. Die folgende Liste von Kriterien soll die Gruppe von nationalen Minderheiten beziehungsweise minority nations klar abgrenzen: 1. Präsenz vor Ort bei der Nationengründung, 2. eigene Geschichte der Selbstverwaltung/eigene Regierung, 3. gemeinsame Kultur, 4. gemeinsame Sprache, 5. eigenständige Regierung/Verwaltung durch Institutionen. Dieser Definition zufolge wären in Kanada die »First Nations population« und die ersten Einwohner Québecs als minority nations zu bezeichnen; in Neuseeland beträfe es die Maori. Kymlicka zufolge sollten diesen Gruppen aufgrund ihrer einzigartigen Rolle in der Geschichte besondere Rechte zuerkannt werden. In der politischen Philosophie und in westlichen Demokratien ist diese Idee der Gruppenrechte relativ spät entwickelt worden; lange dominierten die Rechte von Individuen. Aus historischen Gründen ordnet Kymlicka die Rechte der zweiten Gruppe, das heißt der polyethnischen Gruppen, hierarchisch den Rechten der Minderheitennationen unter. In seinem Werk Multicultural citizenship (1995) argumentiert er, dass Gruppenrechte mit einem liberalen Staatsverständnis in Einklang stünden, und definiert drei gruppenspezifische Rechte: 1. spezielle Rechte von Gruppenrepräsentationen (unter anderem Politiken der Affirmative Action), 2. Rechte zur Selbstverwaltung/autonomen Regierung und 3. polyethnische Rechte (wie etwa das Recht der britischen Sikh, die als Polizeibeamte statt der Kopfbedeckung, die zur Uniform gehört, ihren Turban tragen dürfen). Kymlicka gehört ebenso wie Jürgen Habermas (1996) zu den zeitgenössischen Autoren, die über den rechtlichen Umgang mit Vielfalt in einer Gesellschaft nachdenken. Habermas’ politische, normativ geprägte Gesellschaftstheorie fragt, welche Folgen sich aus dem universalistischen Gehalt republikanischer Grundsätze ergeben. Habermas plädiert in seinen Reflexionen über »die Einbeziehung des Anderen« (1996) für die gleiche Achtung jedes Menschen und für eine gegenseitige Verantwortung. Sein Modell der deliberativen Demokratie ist auf der Vorstellung gegründet, Macht kommunikativ aushandeln zu können. Konsensfähige Beschlüsse sollen mittels einer möglichst idealen Sprechsituation gefasst werden. Dies würde jedoch voraussetzen, dass alle in 36

gleichberechtigter Weise an der Herstellung dieses Diskurses und der Aushandlung von Ergebnissen beteiligt sind. Hierfür sind jedoch die Bedingungen noch nicht erfüllt, denn de facto sind viele gesellschaftliche Gruppen von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Des Weiteren entwickelt Habermas die Idee, einer Vielfalt von Lebensformen zur Entfaltung zu verhelfen und gleichzeitig soziale Kohäsion zu erhalten beziehungsweise zu stiften. Der für ihn nur scheinbare Gegensatz zwischen Ethnonationalismus und Verfassungspatriotismus soll überwunden und eine Einheit in der Vielfalt geschaffen werden. Konkret plädiert Habermas für offene Grenzen, kulturelle Offenheit und soziale Solidarität. Es bleibt zu fragen, wie die kulturellen Ausdrucksformen faktisch repräsentiert werden können und wie eine gleichberechtigte Teilnahme am politischen Diskurs ermöglicht werden kann. Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass Habermas versucht hat, die in jener Dekade hitzig geführte politische Debatte um die Anerkennung kultureller Differenzen auf eine rationale Ebene mit konkreten Vorschlägen zurückzuführen. Patrick Savidan (2009) überträgt einige der Habermas’schen Ideen auf sein Konzept des liberalen Multikulturalismus und plädiert für eine Politik der Anerkennung, die auf der Verteidigung individueller Wahlmöglichkeiten und auf Autonomie gründet. Dieses Modell impliziert auch die Anerkennung der kulturellen Differenz (Savidan 2009: 11ff.). Drei Gründe rechtfertigten für ihn diese Anerkennung: 1.  Da die Minderheitengruppe an Unrecht leide, müsse dieses durch den Einbezug der spezifischen Charakteristika dieser Gruppe gegenüber der Mehrheit ausgeräumt werden. 2. Die Anerkennung der Minderheit könne an Verträge oder historische Abkommen gekoppelt werden, die deren relative Autonomie garantierten. 3.  Kulturelle Vielfalt sei ein Wert an sich, den es zu verteidigen gelte (ebd.). Hier müsse eine Lösung auf der Ebene der Prinzipien gefunden werden. Das »multikulturalistische Regime« unterliege jedoch der doppelten Herausforderung, einerseits Differenzen gegenüber »gastfreundlich« zu sein und gleichzeitig Gerechtigkeit und soziale Kohäsion des Ganzen sichern zu müssen. Um dies zu erreichen, müssten die dem pluralen Monokulturalismus innewohnenden Risiken vermieden werden (ebd.). Letzterer fände sich in einer Gesellschaft, in der es 37

vor lauter nebeneinander existierenden Monokulturen gar keine Gesellschaft als solche mehr gebe. Kymlicka folgend, schlägt Savidan vor, den Minderheiten im öffentlichen Raum einen Platz und eine Bedeutung einzuräumen, die deren sozialer Bedeutung entspreche. Dazu gehöre auch, dass Haltungen und Repräsentationen, die von Verachtung dieser Gruppen gegenüber geprägt seien, aus dem öffentlichen Raum verschwänden (ebd.: 26). Eine Gefahr des hegemonialen Blicks in der Definition von Minderheiten gilt für die Analyse der (Zuschreibung von) Zugehörigkeiten (belonging), wie Nira Yuval-Davis in ihrem neuesten Buch schreibt (2011): »Are nationalist politics of belonging still the hegemonic model of belonging at the beginning of the twenty-first century?« Oder treten religiöse Aspekte in Konkurrenz zu diesen, wie das Profil der Londoner Attentäter von 2005 gezeigt hat? Auch hier stellt sich die Frage, wer als »Fremder« und wer als »Zugehöriger« definiert wird beziehungsweise sich selbst – möglicherweise als Reaktion auf empfundene In- oder Exklusion – so definiert. Daraus ergeben sich Fragen zum Umgang mit Differenz. Amartya Sen (1992) hat bereits auf die Notwendigkeit hingewiesen, den (schon im Nachklang der Französischen Revolution unter anderem von Abbé Grégoire reflektierten) Widerspruch zwischen Gleichbehandlung (das heißt dem Zuerkennen universeller Rechte für das Individuum) und Sonderbehandlungen (Rechte für Kollektive) aufzulösen, indem situativ unterschieden wird, welcher Umgang mit Vielfalt politisch sinnvoll und wirksam ist. Hier unterscheidet sich das angelsächsische, auf die nordamerikanische Verfassung zurückgehende, kommunitaristische Modell, welches Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Gruppen bestimmte Rechte zubilligt und Affirmative-ActionProgramme nach sich zieht, vom französischen egalitaristischen republikanischem Denken, welches dem Individuum als Bürger Rechte verleiht, jedoch gerade nicht als Angehöriger einer Gruppe (Sainsaulieu/Salzbrunn/Amiotte-Suchet 2010: 15-20). Diese beiden (idealtypisch divergierenden) Modelle verfolgen das Ziel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Auch wenn diese Unterscheidung in der Rechtspraxis so radikal nicht mehr getroffen werden kann, da es längst auch in Frankreich Sonderrechte für zahlreiche Gruppen und Territorien gibt, so zeigt diese analytische Trennung die Widersprüche und die politische Dimension in der 38

Aushandlung von Vielfalt (Lammert/Sarkowsky 2010). Die zeitgenössischen Reflexionen in den Sozialwissenschaften reflektieren zum Teil auch europaweite gesellschaftliche Debatten – schließlich hat die Europäische Union sich am 4. Mai 2000 in variete concordia (Einheit in der Vielfalt) als Devise gesetzt, woran AnneMarie Thiesse (2011: 24) erinnert.

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III.  Vielfalt in der Gesellschaft, Vielfalt in den Solzialwissenschaften — eine Antwort auf das Migrations-Integrations-Paradoxon? Ich werde zunächst weitere Semantiken der Vielfalt auffächern, um danach aus dem »Schatten der Master-Kategorien« (Sassen 2012: 43) herauszutreten und Antworten auf das Migrations-Interaktions-Paradoxon zu finden. Letztgenanntes besteht darin, den epistemologischen Widerspruch zwischen notwendiger Kategorienbildung und darin implizierter Essenzialisierung zu überwinden. Am Beispiel der Migrationsforschung und ‑politik lässt sich dies besonders gut zeigen: Wenn die Interaktion zwischen diversen Gruppen (zwecks Analyse gesellschaftlicher Kohäsion) analysiert werden soll, müssen ebendiese Gruppen definiert werden. Eine etische Kategorie (die möglicherweise überholt ist, da sie weit von emischen Definitionen entfernt ist oder weil andere Definitionskriterien wichtiger sind für die Erklärung von Kohäsion) kann so verwendet werden, dass sie zur Tautologie wird: Wenn beispielsweise national definierte Einwanderergruppen getrennt nach Gewaltbereitschaft untersucht werden, kann dabei herauskommen, dass die Jugendlichen aus dem Land X überdurchschnittlich oft Delikte begangen haben. Hier wurde jedoch unter Umständen vergessen, eine korrigierende Variabel wie zum Beispiel die wohnräumliche Verteilung oder die sozioökonomischen Ressourcen miteinzubeziehen, die die Variable der nationalen Herkunft vielleicht als nicht signifikant gezeigt hätte. Außerdem kann es sein, dass Jugendliche aus diesem Land besonders gut überwacht und kontrolliert werden, da zum Beispiel die Polizei das Vorurteil hat, diese Jugendlichen seien besonders gefährlich. Somit werden diese auch häufiger gefasst als andere, was wiederum in den Medien berichtet wird, usf. Der Kreislauf der Reproduktion von Stereotypen kann so kaum durchbrochen werden. Ich werde später zeigen, wie die neueren Ansätze um Super-Diversity zur Nuancierung von Analysekriterien beigetragen haben, um den methodologischen Nationalismus (und die damit verbundene Wahl der nationalen Herkunft als reduktionistische Variable) zu überwinden. Zunächst gehe ich jedoch der Frage nach, ob und wie Diversität überhaupt messbar ist.

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1. Ist Vielfalt messbar? Mikrozensus, Testing und quantitative Studien aus Frankreich und Deutschland Um die Perspektive dieses deutschsprachigen Einführungsbandes zu weiten, soll im folgenden Kapitel der Fokus auf das Nachbarland Frankreich gelegt werden. Dessen Kolonialgeschichte hat auch heute noch Auswirkungen auf Selbst- und Fremdzuschreibungen von Individuen. Sowohl zivilgesellschaftliche Stimmen als auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind von der politischen Geschichte Frankreichs und einem bestimmten Verständnis von Zugehörigkeit zur Republik geprägt. Dieser Vorstellung liegt ein neutraler Staatsbürger zugrunde, der (im Sinne einer Meritokratie) durch eigene Verdienste eine gesellschaftliche Position erwirbt. In der Praxis jedoch verhindern ethnisch und/ oder religiös bedingte Diskriminierungen die theoretische Chancengleichheit, sodass die gesellschaftliche Vielfalt sich nicht auf der Ebene der politischen oder wirtschaftlichen Macht widerspiegelt. Die Frage nach Ursachen für die ungleiche Verteilung von Ressourcen ist im französischen Kontext, in dem Differenz konzeptuell ganz anders gedacht wird als etwa in föderalen Staatssystemen (mit einem säkularen Verständnis religiöser und/oder sprachlicher Pluralität) wie in Deutschland, Österreich oder der Schweiz eine besondere wissenschaftliche Herausforderung. Wie im vorhergehenden Kapitel bereits angemerkt, steckt insbesondere die französische Sozialwissenschaft zurzeit in einem epistemologischen Dilemma: Einerseits sollen Statistiken dabei helfen, Diskriminierungen bei Karriereverläufen, bei Einstellungsverfahren oder bei Eingangsprüfungen zu Eliteschulen nachzuweisen, um der Politik Maßnahmen zur verbesserten Chancengleichheit vorschlagen zu können. Auf der anderen Seite werden »ethnische Statistiken« mit dem Argument, dass sie Zugehörigkeiten essenzialisieren beziehungsweise diese durch soziologische Kriterien erst herstellen, kritisiert. Der Soziologe François Héran hat mit seinem öffentlichen Plädoyer »Statistiques ethniques – non! Mesures de la diversité – oui« (»Ethnische Statistiken – nein! Maßnahmen zur Vielfalt – ja!«, Le Monde, 26. März 2009) gezeigt, dass es sich hier auch um einen semantischen Schlagabtausch handelt. Wollen nicht die Vertreter beider Lager Ungleichheiten aufzeigen? Die Wahl der demografischen 41

und/oder soziologischen Methoden sowie die Definition der Kategorien haben allerdings einen großen Einfluss auf die Untersuchungsergebnisse und deren Interpretation, wie im Folgenden deutlich werden wird. Studien zur Messung von Diskriminierung können in drei Gruppen gegliedert werden24: 1. Öffentliche Statistiken wie Volkszählungen etc., 2. Testing, das heißt das Testen von Diskriminierungen in realen sozialen Situationen, 3. Messungen auf der Basis des Vor- und/oder des Familiennamens.

Mikrozensus und weitere öffentliche Studien In der Bundesrepublik Deutschland umfasst der Mikrozensus seit 2005 indirekt erhobene Daten zum Migrationshintergrund der Personen. Die Definition für Personen mit Migrationshintergrund umfasst »alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach  1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil«25. Die letzte Gruppe betrifft auch die Spätaussiedler und deren Kinder, obgleich diese – wie insgesamt ein Drittel der Personen mit Migrationshintergrund – keine physische Wanderungserfahrung haben. Hier tritt also durch die statistische Definition der »Hintergrund« in den Vordergrund und entscheidet über die statistisch definierte Gruppenzugehörigkeit. Seit Änderung des Mikrozensusgesetzes von  2004 dürfen Daten über Zuwanderung, Staatsangehörigkeit und Einwanderung über die befragte Person und deren Eltern erhoben werden. Das deutsche Meldegesetz (welches in dieser Form in Frankreich nicht existiert) erleichtert das Erheben von Daten ebenfalls.

Zur Problematik der französischen Studie Trajectoires et origines (»Lebensläufe und Herkünfte«) In Frankreich hat die schmerzliche Erfahrung von Datenmissbrauch unter dem Vichy-Regime (1940-1944) lange die Aufnahme bestimmter Kategorien von Personendaten verhindert. Unter Marschall Pétain konnten damals leicht die genauen Adressen der jüdischen Bevölkerung, bei der zwischen fremden und eingebürger42

ten (und zumeist aus osteuropäischen Ländern eingewanderten) einerseits und als französische Staatsbürger geborenen Jüdinnen und Juden andererseits unterschieden wurde, ermittelt werden. Die erste Gruppe wurde mehrheitlich in Vernichtungslager deportiert und ermordet; die zweite Gruppe wurde ebenfalls verfolgt, musste jedoch weitaus weniger Opfer beklagen. Aufgrund dieser Erfahrung verbot das 1978 verabschiedete Gesetz »Informatik und Freiheiten« im Absatz 8.1 die Aufnahme von Personendaten, welche direkt oder indirekt Auskunft geben über die »rassische [sic!] oder ethnische Herkunft, politische, philosophische oder religiöse Weltanschauung, gewerkschaftliche Zugehörigkeit von Personen oder (solchen Daten, welche Rückschlüsse zulassen auf) den gesundheitlichen Zustand oder die sexuelle Orientierung selbiger«26. Dennoch erlauben die bestehenden Ausnahmen, Personen nach ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe zu befragen, sofern diese schriftlich ihr Einverständnis bekundet haben. Somit konnte die große Untersuchung Trajectoires et origines (»Lebensläufe und Herkünfte«) zwischen September  2008 und Februar  2009 21.000 Personen zu ihrer Herkunft sowie der Herkunft ihrer Eltern befragen. Ziel der Untersuchung war es, die Auswirkungen der Herkunft auf die Lebensbedingungen und die sozialen Lebensläufe zu erheben. Dazu sollten auch andere soziodemografische Faktoren wie das soziale Milieu, das Stadtviertel, das Alter, die Generation, das Geschlecht und das Bildungsniveau miteinbezogen werden. Die Ergebnisse in Bezug auf Erwerbsverläufe zeigen klare Unterschiede zwischen den nach Herkunft klassifizierten Gruppen: Die Jugendarbeitslosigkeit unter Jugendlichen der »Mehrheit« (deren Eltern beide als Franzosen geboren wurden) sowie der Personen mit portugiesischen Eltern betrug sieben Prozent, die von Jugendlichen mit »afrikanischen« Eltern 21  Prozent, mit türkischen Eltern 19 Prozent und mit algerischen Eltern 17 Prozent. Dies ist umso auffälliger, als die am längsten etablierte Einwanderergruppe (die Algerier) eine etwa gleich hohe Jugendarbeitslosigkeit zeigt wie eine der jüngsten Einwanderergruppen (hier die Türken). Kann man daraus schließen, dass Portugiesen schneller assimiliert und dreimal weniger diskriminiert werden als Algerier? Oder haben Algerier mit anderen Faktoren wie räumlicher Ausgrenzung (durch Wohnen in vernachlässigten Vorstäd43

ten mit schlechter Infrastruktur etc.) oder Diskriminierung aufgrund ihres Namens oder (wie vielleicht die Türken) ihrer Religion zu kämpfen? Da es sich hier nur um Korrelationen, nicht jedoch um kausale Zusammenhänge handelt, können diese Statistiken alleine keine Antworten geben.

Testings Die Methode des »Testings« besteht im Untersuchen der Behandlung von Personen mit verschiedenen Merkmalen in realen Situationen. Ein beliebtes Beispiel ist der Versuch, junge Männer mit unterschiedlicher Hautfarbe zur selben Zeit, etwa samstagsabends, in eine Diskothek zu schicken. Meist kommt dabei heraus, dass Männer mit dunkler Hautfarbe schlechtere Chancen haben als solche mit heller Hautfarbe, in europäischen Städten in Clubs oder Diskotheken Einlass zu finden. Ist hier also seitens der Besitzer und Türsteher keine Vielfalt unter den Besuchern gewünscht? Mit dieser Methode lässt sich auch nachweisen, welche Merkmale auf dem Arbeitsmarkt diskriminierend wirken. Der dem französischen Premierminister unterstellte Thinktank Centre d’Analyse Stratégique organisierte 2007 ein breit angelegtes Testing mit dem Ziel, die Auswirkungen von Vorurteilen bei der Jobsuche nachzuweisen.27 Männliche Kandidaten schickten Bewerbungen auf eine Stelle als Buchhalter und als Kellner. Die Lebensläufe und Anschreiben waren bei allen Kandidaten ähnlich; nur vier Kriterien wurden jeweils in verschiedenen Kombinationen verändert: die Staatsangehörigkeit, der Familienname, der Vorname und der Wohnort. Ziel des Anschreibens war zunächst, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Allein bei der Betrachtung der ersten drei Kriterien zeigen sich signifikante Unterschiede. Ein Bewerber mit marokkanischer Staatsangehörigkeit und marokkanischem Namen und Vornamen (Ahmed Khali) muss 277 Bewerbungen auf eine Stelle als Buchhalter verschicken, um überhaupt eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch (und damit noch kein Stellenangebot!) zu erhalten, während ein französischer Bewerber mit marokkanischem Namen und Vornamen (Selim Charbit) 54 Schreiben verschickt, um eine Einladung zu bekommen. Die beiden Bewerber mit französischen 44

Vornamen und französischer Staatsangehörigkeit haben eine deutlich höhere Erfolgsquote; jedoch zeigt sich auch hier ein (kleiner) Unterschied zwischen dem Bewerber mit marokkanischem Familiennamen (François El-Hadj, 23 Bewerbungen) und dem mit dem französischen Nachnamen (Bruno Martin), welcher mit 19 die geringste Zahl an Bewerbungen verschicken muss. Diese Methode kann signifikante Schwierigkeiten einer bestimmten Gruppe in Bezug auf eine ganz präzise Situation testen. Auf ähnliche Weise wurden auch Benachteiligungen in Bezug auf andere Merkmale wie den Wohnort nachgewiesen (Duguet/Noam/L’Horty/Petit 2007: 10). Allerdings hatte die öffentliche Debatte zu diesem Thema auch einen »Lerneffekt« zur Folge: Nun laden die Personalmanager von Unternehmen bewusst Vertreterinnen und Vertreter von Minderheiten zum Vorstellungsgespräch ein, um sich gegen den Vorwurf28 der Diskriminierung zu schützen. Dies kann so weit führen, dass ein Alibivertreter einer Minderheitengruppe »stellvertretend« eingestellt wird, die Türen zu einer größeren Diversifizierung der Belegschaft jedoch weiterhin verschlossen bleiben. Auch die Geschlechterforschung hat gezeigt, dass die Einstellung einer »token woman« Ungleichheitsprozesse noch verstärken kann, weil bei Vorwürfen der Diskriminierung immer die »Alibifrau« als Gegenbeispiel angeführt werden kann.

Messungen auf der Basis des Vor- und/oder des Familiennamens Die dritte Möglichkeit, Vielfalt und Diskriminierung zu messen, beruht auf dem Vergleich von etisch definierten Gruppen auf Basis des Namens. Georges Félouzis (2003) hat als einer der ersten Vertreter dieser Messungsmethode 2001 eine Studie zum Vergleich von Schulleistungen von bestimmten Gruppen in der südwestfranzösischen Region Aquitanien (mit der Hauptstadt Bordeaux) durchgeführt. Hierzu hatte er die Schüler in solche mit »allochthonen« Vornamen (»arabisch« oder »afrikanisch« klingend), mit »anderen allochthonen« (in Südeuropa, Südostasien oder Osteuropa »verankerten«) Vornamen sowie mit solchen, die klar französischen Ursprungs seien, aufgeteilt. Ein Ergebnis, welches unter anderem auch mit sozialräumlichen Segregationsprozessen erklärbar ist, betrifft die Verteilung dieser drei Gruppen auf 45

die Schulen: In nur zehn Prozent der Schulen fanden sich 40 Prozent der allochthonen, das heißt eine sehr hohe Konzentration von Schülerinnen und Schülern mit als nichtfranzösisch wahrgenommenen Vornamen. Ein weiteres Ergebnis war, dass diese Schulen insgesamt ein niedrigeres Lernniveau aufwiesen, die Schüler jedoch bessere Chancen hatten, auf die Sekundarstufe II zu wechseln, da sie im Durchschnitt für dieselbe Leistung bessere Noten bekamen (was damit zu erklären ist, dass die relativ Besten einer Klasse der Schulen mit niedrigerem Niveau in einer Schule mit höherem Niveau nur im Mittelfeld oder darunter lägen). Hoch problematisch ist hier die durch den Forscher vorgenommene Klassifizierung, die auf der Einordnung von Namen, die bestimmten Ursprüngen zugeordnet werden, basiert. Ein Vorname kann jedoch in mehreren sehr verschiedenen Regionen der Welt verbreitet sein. Dazu kommt, dass bestimmte aus anderen Herkunftsregionen stammende Vornamen inzwischen zum französischen Mainstream gehören und von Eltern, die beide aus französischen Elternhäusern stammen, für ihre Kinder gewählt werden. Umgekehrt kann sich die Wahl eines als einheimisch klassifizierten Vornamens von ausländischen Eltern als Teil von deren Integrationsstrategie erweisen. In Frankreich wählen insbesondere chinesische Eltern einheimische Vornamen, um die Herkunft ihrer Kinder teilweise unsichtbar werden zu lassen. Ob der im Durchschnitt höhere Schulerfolg asiatischer Einwandererkinder im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen, insbesondere in den USA (wo diese Gruppe sogar erfolgreicher ist als der amerikanische Durchschnitt), auch mit dieser Integrationsstrategie zusammenhängt, kann durch derartige Methoden nicht geklärt werden.

2. »Diversalität« oder die »Dekolonisierung« des Denkens in Repräsentationen von Vielfalt und Diskriminierung Die drei oben genannten Messmethoden sind insbesondere in Frankreich aus mehreren Gründen umstritten: Erstens verfestigen sie Unterschiede durch etisch (das heißt von außen) vorgenommene Klassifizierungen. Zweitens tendieren sie zum Teil dazu, Diskriminierungen allein auf die Variable »Ethnizität« zu 46

stützen und damit bestehende Vorurteile zu verfestigen (etwa dass bestimmte Einwanderergruppen sich nicht »integrieren« wollten – was wiederum zu einer Debatte um die Legitimität von deren Zugehörigkeit zur Republik nach sich zieht, siehe Salzbrunn 2012b). Drittens hierarchisieren sie ethnische Gruppen und stellen die Macht der dominierenden (weißen, »rein« französischen) Mehrheit nicht infrage. Viertens lenken sie zum Teil davon ab, dass weitere (nicht immer einbezogene) Variablen, etwa der Wohnort oder insbesondere die soziale Herkunft, einen viel stärkeren Einfluss auf die Ergebnisse der Forschung (gerade in Bezug auf Bildungschancen oder Mobilität auf dem Arbeitsmarkt) haben. Ist das Konzept »Vielfalt« eine konstruktive Antwort auf diese Kritik? In einer vom kolonialen Denken geprägten Wissenschaft des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts war der Ethnizitätsbegriff lange Zeit substanzialistisch geprägt, das heißt vermeintlich allgemeingültige geistige und körperliche Merkmale wurden Mitgliedern bestimmter Gruppen zugeschrieben. Dies schlug sich auch in kulturalistisch definierten juristischen Unterschieden nieder. Das Denken des französischen Juristen Pierre Dareste (1851-1937) hat etwa dazu geführt, dass in den Kolonien geborene Kinder von einem Franzosen und einer »indigenen« Frau nur dann die französische Staatsbürgerschaft bekamen, wenn sie vom Vater aufgezogen wurden. Im umgekehrten Fall wurde ihnen dieses Recht mit dem Argument verweigert, dass sie nicht französisch erzogen würden (Salzbrunn 2012b). Auch die Religion wurde unter dem Vichy-Regime und in der Nachkriegszeit als Erklärung für eine vermeintliche Nicht-Integrierbarkeit von Juden und Muslimen vorgeschoben. In einer berühmten Rede vom 5. März 1959 sagte de Gaulle, die Tatsache, dass es schwarze, gelbe und braune Franzosen gebe, sei ein Zeichen für die »vocation universelle« (universelle Berufung) Frankreichs – unter der Bedingung, dass diese Minderheiten kleine Gruppen blieben, denn Frankreich sei schließlich ein Land mit Menschen »weißer Rasse« [sic!], griechisch-lateinischer Kultur und christlicher Religion. Hier wird suggeriert, dass nur eine bestimmte Form der kulturellen Vielfalt sozialen Kohäsionsprozessen standhalte und dass es Unvereinbarkeiten zwischen bestimmten national und religiös definierten Gruppen gebe. 47

Patrick Simon (2005: 243ff.), einer der Urheber der oben beschriebenen Studie Trajectoires et origines plädiert für eine Dekolonisierung des Denkens, da die Variable »Ethnizität« implizit zu einer Hierarchisierung führe. Nur selten würden die als »Français de souche« (also »reine« Franzosen) bezeichneten Personen auf ihre ethnische Zugehörigkeit verwiesen. Die Betonung von Ethnizität als Variable von Differenz führe nach Simon sowie nach Catherine Wihtol de Wenden (2010), die eine ähnliche Analyse vorgelegt hat, zu einer doppelten Stigmatisierung: Die Herkunft werde überzeichnet und drücke die ohnehin sozial benachteiligten aus ehemaligen Kolonien immigrierten Franzosen noch weiter in die Opferrolle. Auch die in der Politik seit der letzten Dekade positiv aufgewertete Vielfalt bezieht sich immer nur auf die nationale oder ethnische Herkunft und steht empirisch in engem Bezug zu den Kolonien: So wurden die Ministerinnen Rama Yade (mit senegalesischen Eltern) sowie Fadela Amara (mit kabylischen Eltern) und Rachida Dati (mit algerischen Eltern) als »aus der Vielfalt stammend« bezeichnet. Das Argument, »diversité« bezeichne wie »communautarisme« (ein negatives Wort für Vergemeinschaftung) oder »ethnicité« fast ausschließlich eine ohnehin schon stigmatisierte Minderheit, scheint sich hier zu bestätigen. Im Fall der seit 1989 immer wieder aufkommenden »Kopftuchdebatte« werden die stigmatisierten Personen auch in der dritten oder vierten Generation noch auf die Herkunft ihrer Familie zurückgeworfen. Implizit wird hier, wie ich an anderer Stelle historisch hergeleitet habe (Salzbrunn 2012b), die Zugehörigkeit zur französischen Republik infrage gestellt, sodass Frauen, welche aus religiöser Überzeugung etwa in der Schule oder bei ihrer Arbeit im öffentlichen Dienst ein Kopftuch tragen möchten, angelastet wird, ihre Werte seien mit den »universellen« Werten der französischen Republik unvereinbar. Interessant ist, dass die algerischen Einwanderer in Frankreich eine ähnlich lange Migrationsgeschichte haben wie Polen im Ruhrgebiet, diese heute jedoch trotz ihrer Patronyme in der öffentlichen Wahrnehmung fast unsichtbar sind (Reuschke/ Salzbrunn/Schönhärl 2013). In vielen Fällen wird Vielfalt folglich auf die nationale Herkunft und/oder die Religion reduziert. Einerseits soll gegen (empirisch nachweisbare) Diskriminierungen vorgegangen werden, andererseits verbietet das Konzept des Universalismus eine Wahrneh48

mung dieser Differenz, sodass einige französische Intellektuelle gar ein »droit à l’indifférence«, ein Recht auf indifferente Wahrnehmung des Anderen, einfordern. Der Spannungsbogen zwischen Universalismus und Partikularismus zeigt sich zum Beispiel auch darin, wie Alterität und Differenz in Museen ausgestellt werden. Nadine Pippel schreibt in ihrer Monografie zu Museen kultureller Vielfalt in Frankreich (2013), der lange dichotom verstandene Umgang mit den Begriffen »Universalität« und »Diversität« sei zur Jahrtausendwende aufgebrochen worden zugunsten einer aufwertenden Inklusion von Differenz in das (lange assimilationistisch verstandene) nationalstaatliche Modell. Der Versuch, positiv zu diskriminieren, führt jedoch auch hier zu homogenisierenden, essenzialisierenden Wahrnehmungen, die im Zuge von spektakulären Ereignissen (wie etwa der Revolte in den Pariser Vorstädten 2005) wieder in eine Stigmatisierung umschlagen können. Befindet sich die französische Sozialwissenschaft im Umbruch von sozialen zu ethnischen Fragen, wie Didier und Eric Fassin suggerieren (2009)? Paradoxerweise werden die gerade in Frankreich lange im Zentrum der Sozialforschung stehenden sozialen Ungleichheiten seit dem cultural turn nur noch peripher behandelt und religiöse und ethnisch definierte Differenzen aufgewertet. Olivier Masclets Soziologie der Vielfalt und der Diskriminierungen (2012) handelt daher ausführlich von dem politisch aufgeladenen Spannungsfeld zwischen dem Kampf gegen Diskriminierung einerseits und der Förderung von benachteiligten Gruppen andererseits. Masclet zufolge sind jedoch der Kampf gegen die Rassendiskriminierung und die Förderung von Vielfalt fundamental verschieden – sowohl in ihrem Gegenstand als auch in ihrer Zweckbestimmtheit. In keinem Falle komme die Förderung von Vielfalt einer Reduktion von Diskriminierung gleich, betont Masclet. Er greift auf eine Unterscheidung von Eric Cédiey zurück, um die Begriffe Diskriminierung und Diversität voneinander abzugrenzen. Der Begriff Diskriminierung basiere auf juristischen, für alle geltenden präzisen Definitionen. Eric Cédiey (2007: 11) weist auf den Gegenstand der Diskriminierung hin, welche in »Akten, Praktiken, Behandlungen und Anordnungen d.h. in operativen Prozessen« zu suchen sei. Für den Begriff Diversität gebe es 49

hingegen keine Definition, die Allgemeingültigkeit in Anspruch nehmen könne, da diese von Natur aus grenzenlos sei. Masclet zufolge zielen die Anwendungen des Begriffs jedoch für gewöhnlich auf die Benennung von Personen und Gruppen, die Gefahr laufen, Opfer von Diskriminierung zu sein. Der Begriff der Vielfalt beziehe sich somit auf Populationen, wohingegen der Begriff Diskriminierung unsoziale Praktiken und Mechanismen aufzeige. Der Soziologe Michel Wieviorka, der von dem französischen Bildungsminister beauftragt wurde, einen Bericht zur Frage der Vielfalt vorzulegen (Wieviorka 2008), unterscheidet darin ebenfalls Diversität als Sammlung von Differenzen, die zur Forderung nach Anerkennung führen könne und sich als Tatsache in der Politik niederschlagen solle, sowie Diskriminierung als Problem, welches auf Zuschreibungen von außen zurückgehe. In ihrer Zweckbestimmtheit unterscheiden sich ebenfalls beide Begriffe: Das Vokabular der Diskriminierung ist zunächst ein juristisches, das die Abschaffung von gesetzlich verbotenen Praktiken zum Ziel hat. Durch das Fördern von Vielfalt wird eine verstärkte Repräsentation dieser Populationen erzeugt; diese Sichtbarkeit soll einen diskriminationsfreien Raum schaffen. Dieser mit Diversität verbundene Voluntarismus kann sich jedoch als illusorisch herausstellen. Die Vielfalt innerhalb einer Organisation kann sich demnach der Diskriminierung innerhalb und außerhalb der Organisation anpassen.

Universalismus und Vielfalt = »Diversalité«? Aus der frankophonen »Peripherie« stammt der Neologismus »diversalité« als Versuch der Kombination von »universalisme« und »diversité«, das heißt einem inkludierenden Verständnis von Differenz. Allerdings gibt Pippel (2013: 14) zu bedenken, dass diese vermeintliche Öffnung gegenüber dem Anderen einerseits der »Verteidigung des ›Eigenen‹« diene und gleichzeitig eine Abgrenzung gegenüber dem US-amerikanischen Sprach- und Kulturraum intendiere. Auch Pippels Interpretation der beiden neueren französischen Orte der Repräsentation, der Cité nationale de l’histoire de l’immigration und des ethnologischen Museums am Quai Branly in Paris, bestätigt die dominante Machtposition französischer (Post‑)Kolonialpolitik sowie die hierarchisierende Sicht50

weise auf (vermeintlich nachträglich gelieferte) kulturelle Beiträge zum Erbe Frankreichs. Migranten würden im Migrationsmuseum als »an- und bereichernde Elemente einer dezidiert französischen Identität« betrachtet (ebd.: 15). Auch die Dauerausstellung im Museum am Quai Branly legt den – hier stark ästhetisierten – Akzent auf das kulturell Andere. Sozioökonomische Unterschiede oder bis heute zu beobachtende Folgen der Kolonialpolitik werden kaum erwähnt. Zusammenfassend lässt sich hier postulieren, dass die inferiorisierende Akzentuierung von Vielfalt auch das eigene Verständnis von (nationalstaatlich definierter) Identität stärken kann. Dies gilt insbesondere im Kontext von Globalisierungsprozessen und einer damit einhergehenden »liquid fear«, wie Bauman (2006) schreibt. Auch der in der weiter gefassten Frankophonie (das heißt der Gemeinschaft französischsprachiger Gebiete) entwickelte Begriff der »universalité« lehnt sich nach Pippel (2013: 24) an französisch geprägte universelle Werte an. Die deutsche Debatte um Erinnerungskulturen ist dagegen kaum von der Kolonialgeschichte geprägt. Allerdings spielt in der Diskussion um die Darstellung von Migrationsräumen wie beispielsweise Schlesien auch die Definitionsmacht (von Identifikationsprozessen, politischen Verhältnissen, Zugehörigkeiten etc.) eine wichtige Rolle. Der Migrationsraum Ruhrgebiet wird dagegen museal sehr stark von der Betonung des industriekulturellen Erbes geprägt. Im Ruhrmuseum der Zeche Zollverein in Essen wird beispielsweise die Vielfalt der Industriekulturen wesentlich stärker hervorgehoben als die große kulturelle und religiöse Vielfalt der Einwohner des Ruhrgebietes. Statt Differenzen werden hier soziale Kulturen (der Arbeiterklasse) betont. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, die unterschiedlichen Bezüge zu Kultur und Klasse in den verschiedenen sprachlichen Diskursgemeinschaften zu beleuchten. Eine aus den USA stammende kritische Reflexion zur Neubelebung der Klassentheorie wird zurzeit in Frankreich besonders rezipiert. Die Kritik von Olivier Masclet und Réjane Sénac an einer Kulturalisierung oder Ethnisierung von Differenz, welche soziale Ungleichheiten in den Hintergrund treten lässt, ähnelt nämlich der von Walter Benn Michaels vertretenen These zur fortschreitenden Ignoranz von sozialer Ungleichheit, die im Folgenden vorgestellt wird. 51

3. Walter Benn Michaels: The Trouble with Diversity. How we Learned to Love Identity and Ignore Inequality Der an der Universität von Chicago lehrende Literaturprofessor Walter Benn Michaels kritisiert in seinem 2006 erschienenen Buch The Trouble with Diversity. How we Learned to Love Identity and Ignore Inequality das Konzept der Diversity in einer Weise, die den vier oben aufgeführten Argumenten ähnelt. Seine Kritik, insbesondere an Maßnahmen zur Förderung von Diversity in amerikanischen Universitäten und Unternehmen, ist deutlich in einer grundlegenden Kapitalismuskritik verankert. Michaels’ Abriss über die steigende Popularität des Diversity-Begriffes beginnt mit einem historischen Rückblick über das Aufkommen kultureller (und im amerikanischen Fall besonders »rassisch« definierter) Differenz, die zu einer Apologie von kulturellen Unterschieden geführt habe. Diese lenke jedoch von der nach Michaels entscheidenden Frage ab: der Frage wirtschaftlicher Ungleichheiten. Um die Unterschiede zwischen dem Standpunkt, dass die reiche Klasse sich von anderen Klassen unterscheide, weil sie Geld habe, und der Auffassung, sie unterscheide sich deshalb, weil sie eine »special glamorous race« sei, zu verdeutlichen, lässt Michaels die Schriftsteller Hemingway und Fitzgerald in einen kontroversen Dialog treten. Fitzgeralds Buch The Great Gatsby »gives us a vision of our society divided into races rather than into economic classes« (Michaels 2006: 3). Diese in den USA weit verbreitete Ansicht tendiert dazu, diese Unterschiede als gegeben zu betrachten. In der Vergangenheit dominierten biologische Definitionen von »Rasse«, welche in der Sozialwissenschaft zum großen Teil dekonstruiert wurden. Heute geht man davon aus, dass »races« soziale Gruppen sind, und zelebriert die Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft. Daher sollten, wie der zuvor erwähnte Rechtsstreit zwischen Bakke und Board of Regents of the University of California von 1978 zeigt, benachteiligte Gruppen explizit gefördert werden. Ursprüngliches Ziel war die Überwindung von auf Phänotypen basierenden Differenzen, das heißt die Emergenz einer »›color-blind‹ society« (ähnlich dem französischen republikanischen Ideal von der Gleichheit der als weltanschaulich neutral definierten Bürger). Viele Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus haben nach Michaels jedoch dazu 52

geführt, eine vielfältige, das heißt »color-conscious society« (ebd.) entstehen zu lassen: »The idea is not just that racism is a bad thing (which of course it is) but that race itself is a good thing.« (Ebd.) Grund dafür sei, dass »we love race – we love identity – because we don’t love class« (ebd.: 6). Da die Unterschiede zwischen Arm und Reich sich in den USA wie auch in zahlreichen anderen Staaten der Welt vergrößert haben, ist insbesondere die politische Linke in Erklärungsnot geraten. Weltweit besitzt ein Prozent der Bevölkerung inzwischen 46  Prozent des Reichtums (zehn  Prozent besitzen 86  Prozent)29; auch das Verhältnis zwischen dem höchsten und dem niedrigsten ausgezahlten Lohn innerhalb eines Unternehmens hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Brady Dougan, der Chef des Credit Suisse, dessen Forschungsinstitut jedes Jahr auf die weltweit wachsende Ungleichheit hinweist, verdient nach Schätzungen 1820 Mal mehr als der am geringsten entlohnte Beschäftige der Bank. In der Schweiz hat sich das Volk 2013 in einer Abstimmung gegen den Vorschlag der Sozialistischen Jugend, dieses Verhältnis auf 1 : 12 zu begrenzen, entschieden. Im März desselben Jahres jedoch hatte ein konservativer Abgeordneter mit seiner »Abzockerinitiative« Erfolg, sodass von nun an die Abfindungszahlungen von Managern begrenzt werden. Michaels postuliert, dass sich die Linke insgesamt zu sehr an bestehende Ungleichheiten gewöhnt habe und nun nach kulturalistischen Argumenten suche, diese zu rechtfertigen. Die Aufwertung der kulturellen Vielfalt sei ein Mittel zur Akzeptanz von Armut und Ungleichheit. Klasse dürfe als Kategorie nicht mit »Rasse« oder Kultur gleichgesetzt werden; denn »treating them as if they were races or cultures – different but equal – is one of our strategies for managing inequality rather that minimizing or eliminating it. White is not better than black, but rich is definitely better than poor.« (Ebd.: 10) Für Michaels sind die zahlreichen Gedenktage wie der »Black History Month« oder der »Asian Pacific American Heritage Month« Teil ebendieser Strategie, von sozialer Ungleichheit abzulenken. Michaels Schätzungen zufolge ist der DiversityMarkt (mit Diversity-Trainings etc.) inzwischen auf ein Volumen von zehn Milliarden Dollar pro Jahr gewachsen. Allerdings beruht das damit verbundene Diversity Management nicht mehr auf der Grundidee von social justice, sondern hat Profitmaximierung zum Ziel. 53

Nach Michaels richtet sich Diversity letztlich gegen Gleichberechtigung (ganz im Gegensatz zu ihren Versprechen). Am Beispiel der Eliteuniversität Harvard entlarvt er die Rhetorik der Diversität als Werkzeug des Neoliberalismus, das dazu gebraucht werde, den Kapitalismus zu fördern und zu optimieren. Gleichzeitig werde der Anschein von Gerechtigkeit erweckt. Solange die Eliteuniversität Kandidaten verschiedener Herkunft und Geschlechter akzeptiere, fördere sie Diversity und setze sich demnach gegen Diskriminierung und Rassismus ein (denn es wird ja nicht aufgrund von Hautfarbe oder Geschlecht diskriminiert; Diskriminierung aufgrund von Armut ist somit nach Michaels in diesem Fall implizit zulässig). Diese Repräsentation verdecke jedoch das Kriterium der Klasse. Solange die Elite vielfältig sei, sei sie legitim. Die durch den Kapitalismus hervorgerufenen Ungleichheitsverhältnisse und Gruppen von Personen, die von Armut betroffen sind, würden also durch die Diversity-Rhetorik nicht nur außer Acht gelassen, sondern diese biete sogar regelrecht die symbolischen Ressourcen für die Harvard-Studenten, an ihren persönlichen/individuellen Wert zu glauben und sich nicht als wohlhabend und privilegiert zu verstehen. In Michaels’ Augen haben Ungleichheiten jedoch nicht alle die gleiche Ursache. Manche Bedingungen haben einen stärkeren Einfluss auf die individuelle Biografie als andere. Während die Ungleichheiten zwischen den nach Hautfarbe getrennten Gruppen hauptsächlich auf Vorurteilen und Rassismus gründen, finden Ungleichheiten zwischen Klassen ihre Ursache weder im Rassismus noch im Sexismus, sondern in den Besitzverhältnissen des Kapitalismus. Es sind diese Verhältnisse, die wirtschaftliche Ungleichheiten schaffen und nicht der Rassismus. Nach Michaels bestimmt dieser, wohin der Reichtum fließt, und ist demnach Ursache für die Armut bestimmter Gruppen, zum Beispiel der der Arbeit beraubten oder minderbezahlten Afroamerikaner. Folglich sei die Abschaffung von Rassismus nicht mit der Behebung ökonomischer Ungleichheit verbunden. Michaels sieht zudem das Überschwappen der Diversitätsrhetorik über den Atlantik (nach Frankreich) als besorgniserregend und erstaunlich an, da diese gegen die republikanische Tradition verstoße, die überwiegend Ungleichheiten zwischen den sozialen Klassen fokussiert habe. 54

Das Engagement für Diversity in den USA sei tief verbunden mit der Absicht, die (Vorstellung von) »Rasse« (race) am Leben zu erhalten, teils aufgrund eines Verständnisses von Diversität selbst als Vielfalt von Hautfarben und teils weil die Bereitschaft für Diversity anderer Gruppen davon abhänge, diese ebenfalls so zu behandeln, als wären sie Repräsentanten von nach Hautfarben gegliederten Gruppen – gleich, aber verschieden, unseres Respekts würdig. Michaels zufolge liegt dem Kampf für Diversität ein Verständnis von sozialer Gerechtigkeit zugrunde, das die fundamentalen sozialen Probleme eher als Folge von Diskriminierung und Intoleranz als von Ausbeutung betrachtet. Diese Vorstellung basiert ihm zufolge auf einer neoliberalen Idee von »sozialer Gerechtigkeit«, die die durch Vorurteile hervorgebrachten Ungleichheiten als ungerecht befindet, die vom Kapitalismus hervorgebrachten Ungleichheiten jedoch akzeptiert. Es sei für die Individuen ein Problem, wenn deren Herkunft oder ihr Geschlecht sie ihrer Erfolgschancen beraube; wenn es deren Armut ist, jedoch nicht (Michaels 2006: 10). Kulturelle Differenz werde folglich als problematisch angesehen, nicht jedoch ökonomische Unterschiede. Letztgenannte würden darüber hinaus sogar betrachtet, als handelte es sich um kulturelle Differenzen. Da es als herablassend gelte, Menschen als Opfer zu betrachten, weil dies ihnen die Möglichkeit der »agency« nehme, gelte nun die Regel, Armen mit möglichst viel Respekt zu begegnen. Michaels zufolge führt diese Veränderung nun dazu, Arme nicht mit wenig Geld in Verbindung zu bringen, sondern mit Respektlosigkeit, der es entgegenzuwirken gelte. Im Fokus stehe nun nicht mehr die Abschaffung der Klassen, sondern die der Respektlosigkeit gegenüber Menschen mit anderer Klassenzugehörigkeit. Diese implizite Verachtung wird im Amerikanischen mit dem Begriff »classism« bezeichnet. Im Allgemeinen gehe es also darum, Ungleichheit als Folge von Vorurteilen zu sehen, statt als Konsequenz des sozialen Systems: Der Trick sei, »to turn the project of creating a more egalitarian society into the project of getting people (ourselves and, especially, others) to stop being racist, sexist, classist, homophobes« (ebd.: 19ff.). Schließlich wird die (politisch) liberale Vorstellung von »Rasse« als sozialer Konstruktion nun überdeckt von der (politisch) konservativen Vorstellung von Klasse als sozialer Konstruktion (ebd.: 196). 55

Kritik an Walter Benn Michaels’ Essay zur Diversity Michaels Überlegungen zur Diversity vermischen in der Argumentation häufig die unter »race« und unter »gender« gefassten Ungleichheiten. Was Michaels nicht schreibt, ist, dass die Diversity-Debatte zu einer Ablenkung von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern führen kann; denn für ihn ist die Aufwertung afroamerikanischer Geschichte auf derselben Stufe angesiedelt wie die der Frauengeschichte – wobei diese doch keine Minderheit betrifft, sondern die Hälfte der Menschheit. Daniel Sabbagh bewertet in seiner Rezension32 der 2009 erschienenen, viel beachteten und fast durchgehend positiv rezipierten französischen Übersetzung von Michaels’ Buch diese Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit als zu engstirnig. Stattdessen schlägt er vor, die ideologische Opposition der zwei Dominationsprinzipien »Rasse« und Klasse abzulehnen und die amerikanische Struktur als doppelt ungleich anzusehen. Es handele sich um eine Struktur, welche die Afroamerikaner auf einen niederen Status als die Weißen verbanne und in allen Lebensbereichen benachteilige. Die US-amerikanische Debatte um das Paar »Rasse« und Klasse in den Sozialwissenschaften hat eine lange Tradition und wurde angestoßen von William Julius Wilson (mit dessen Idee der »underclass«) und seinem Werk The Declining Significance of Race von 1978, das eine heiße Kontroverse ausgelöst hatte. Masclet (2012) kritisiert ähnliche Aspekte von Michaels Interpretation und macht zudem auf die Performativität dieser beiden Konzepte (im Gebrauch durch Politik, Medien oder Sozialwissenschaften) aufmerksam.

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IV. Orte der Vielfalt Die konzeptuellen Debatten um Vielfalt und deren Ausprägung und Anwendung an verschiedenen Orten sind eng miteinander verknüpft. Von der Makroebene ausgehend wird Vielfalt im folgenden Kapitel zunächst im Kontext multikultureller Gesellschaften thematisiert. Da multikulturelle Gesellschaften und Demokratien zumeist in Städten entstehen, werden anschließend einzelne konkrete Versuche, Vielfalt im urbanen Raum zu untersuchen, anhand von kleinen Synthesen vorgestellt und danach Querverbindungen zur Migrationsforschung aufgezeigt. Eine ausführliche Dokumentation des Forschungsfeldes »Super-Diversity«, wie die Komplexität der neuen Vielfalt in Städten zunehmend bezeichnet wird, schließt den Bogen zwischen Migrations- und Stadtforschung. Gerade in Städten findet sich eine breite Palette kultureller Ausdrucksformen. Internationale und nationale Gremien befassen sich seit den 2000er Jahren verstärkt mit der Frage, wie die kulturelle Vielfalt geschützt und gefördert werden kann. Exemplarisch wird dies anhand der UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt und im Bezug auf die Musik dargestellt. Auch Unternehmen und (Hoch‑)Schulen sind Orte der Vielfalt. Dort entstanden mit dem Gender Mainstreaming erste Frauenförderpolitiken, die zurzeit in Diversity Management münden. Anhand von Beispielen aus Deutschland und Frankreich zeigt das abschließende Kapitel, wie durch wirtschaftssoziologische Ansätze aus dem Diversity Management das Konzept Vielfalt auf der Mikroebene umgesetzt wird.

1. Migration: Parallelgesellschaft, multikulturelle Demokratie und Super-Diversity Marco Martiniello setzt in seinem Band über die multikulturelle Demokratie31 (2011) bei dem aufkommenden Bewusstsein europäischer Gesellschaften für die multikulturelle Realität in den 1980er und 1990er Jahren an. Auch er fragt, welche politischen Antworten es auf populistische und assimilationistische Forderungen geben kann, damit kulturelle Minderheiten geachtet und demokratische Ansprüche erfüllt werden können. Martiniello plädiert für 57

eine geteilte, multikulturelle Staatsbürgerschaft innerhalb eines demokratischen Systems, welches Einheit und Vielfalt kombinieren kann. Ein ähnliches Plädoyer für Vielfalt findet sich in dem von Daniel Dettling und Julia Gerometta 2007 herausgegebenen Band Vorteil Vielfalt. Herausforderungen und Perspektiven einer offenen Gesellschaft. Dieser erschien kurz nach Verabschiedung des »Nationalen Integrationsplans« durch die deutsche Bundesregierung und will wie auch eine Publikation von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges aus dem Jahr 200031 durch das Aufzeigen der Potenziale von Vielfalt einen Beitrag zu dieser Debatte leisten. Die meisten Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes stammen aus der Praxis (Verwaltung, Bildung, Politik, Unternehmen, Sozialarbeit) und/oder aus dem Thinktank berlinopolis und schlagen konkrete Maßnahmen zur Förderung von Migrantinnen und Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedlern etc. vor. Statt sich auf die Frage zu beschränken, wie viel Vielfalt »wünschenswert« sei – als wäre dies als Desiderat relevant –, wird hier konstruktiv gefragt, wie die vielen brachliegenden Potenziale gesellschaftlicher Vielfalt vor allem ökonomisch genutzt werden können. Ähnliche, allerdings weniger funktionalistische Gedanken zur gesellschaftlichen Anerkennung (und damit zunehmender Kohäsion) haben, wie oben erwähnt, bereits Nancy Fraser (1995), Axel Honneth (2010) und Estelle Ferrarese (2009) – zum Teil mit Rückgriff auf Hegel’sche Überlegungen zur Gerechtigkeit – auf theoretischer Ebene formuliert. Neben Estelle Ferrarese beschäftigt sich in der frankophonen zeitgenössischen Soziologie insbesondere die pragmatische Soziologie um Luc Boltanski (2009) mit Fragen des Zusammenhaltes in einer flüssigen Moderne (Bauman 2000). Die Ambition, die theoretische und konzeptuelle Diskussion zu Vielfalt und Differenz in der Multikulturalismusdebatte aufzuarbeiten, hat auch der Band Multikulturalität in der Diskussion. Neuere Beiträge zu einem umstrittenen Konzept von Stefan Neubert, Hans-Joachim Roth und Erol Yildiz, der 2008 in zweiter Auflage erschienen ist. Darin werden zunächst Zygmunt Baumans liberale Ideen zu den Wahlmöglichkeiten – und damit zur Freiheit – eines Individuums mit kommunitaristischen Argumenten zur Macht von Gruppen und deren Forderungen nach Anerkennung (Fraser) kontrastiert. Ähnlich wie bei dem oben genannten Buch 58

von Bohler und Corsten werden hier die von Charles Taylor formulierten Ideen zu einer »starken Wertegemeinschaft« diskutiert. Allerdings wird in der Folge argumentiert, dass die funktionale Differenzierung und die Erweiterung der Beziehungsmöglichkeiten zu einer Bildung pluraler Lebensstile führten, die ebenso individuelle Handlungen ermögliche wie die Sozialintegration in bestimmte (sub-)kulturelle Milieus der Individuen. Schließlich möchten die Autoren die (politische) Binarität der Debatte überwinden und schlagen vor, die kursierenden Strömungen in vier Diskurse zu gliedern: 1.  den traditionellen Multikulturalismusdiskurs mit melting pot und salad bowl, 2.  den neokonservativen korporatistischen Ethnizitätsdiskurs, 3.  den linksliberalen progressiven Multikulturalismusdiskurs und 4.  den kritisch-selbstreflexiven Multikulturalismusdiskurs. Letztgenannter favorisiere »Gleichheit in der Differenz« und reihe sich in aktuelle theoretische Ansätze aus den cultural und postcolonial studies ein. Die Autoren gründen ihre einzelnen Beiträge auf ein konstruktivistisches, reflexives Verständnis von Multikulturalität und nehmen eine analytische Perspektive ein, »die den behandelten Gegenständen durchweg den Charakter von Konstrukten zubilligt und sie auf ihre soziale, biografische und politische Relevanz hin befragt, anstatt über das Wesen von Kultur, Identität oder Nation Auskunft zu verlangen« (Neubert/Roth/Yildiz 2008: 26). Die Ambition, politische Debatten zwischen »Leitkultur« und »Parallelgesellschaft« zu überwinden, hat auch Werner Schiffauer mit seinem 2008 erschienenen Buch Parallelgesellschaften. Wie viel Wertekonsens braucht unsere Gesellschaft? Für eine kluge Politik der Differenz. Er plädiert für einen »neuen Realismus« und will nachweisen, »dass gesellschaftliche Solidarität auch in Situationen kultureller Differenz entstehen und behauptet werden kann« (Schiffauer 2008: 18). Nicht eine »gemeinsame Plattform von zentralen Überzeugungen und Orientierung [sei] entscheidend für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft […], sondern die Aufrechterhaltung von kulturellen Austauschprozessen und eine damit zusammenhängende kulturelle Dynamik« (ebd.). Ähnlich sieht Pries (2013: 7) die zunehmende Beschäftigtenvielfalt in Unternehmen, welche zu einem relationalen Zusammenhalt gefügt werden könne. Schließlich reagiert Tariq Modood in seinem kürzlich erschienenen Aufsatz »Differenz und Integration« (2012) auf die politi59

sche Behauptung, der Multikulturalismus sei gescheitert. Dies liege daran, dass nur eine bestimmte Definition von Multikulturalismus zugrunde gelegt werde: »Sogar neutrale Kommentare gehen gemeinhin von einem Multikulturalismusbegriff aus, der Differenz statt Gemeinsamkeiten, Separatismus statt Austausch, partikulare statt nationale Identitäten und Relativismus anstelle demokratischer Werte betont. Jedoch werden keine wissenschaftlichen Quelltexte, politischen Reden oder konkrete Policies als Belege dafür angeführt, dass Multikulturalisten tatsächlich solche Auffassungen vertreten. Diese rhetorische Strategie ist so erfolgreich, dass sogar Verteidiger des Multikulturalismus heute lieber auf Begrifflichkeiten wie ›multiculture‹ oder ›Interkulturalismus‹ zurückgreifen.« (Modood 2012: 5)

Modood zufolge ist der Multikulturalismus ein Integrationsmodus, »der mit anderen Modi wie Assimilation, individualistischer Integration oder Kosmopolitismus kontrastiert werden kann. Ebenso wie Letztere basiere er auf den demokratischen Grundwerten der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit/Solidarität.« (Ebd.) Hier kommt er zu ähnlichen Schlüssen wie Martiniello in seinem Konzept der multikulturellen Demokratie (2011). Peter Kraus unterstreicht in seinem Beitrag zu dem von Gertrud Marinelli-König und Alexander Preisinger 2011 herausgegebenen Band Zwischenräume der Migration. Über die Entgrenzung von Kulturen und Identitäten ebenso die Komplexität des politischen Umgangs mit Vielfalt und der europäischen Identitätspolitik. Was bedeutet Vielfalt in Bezug auf politische Partizipation? Chantal Munsch zufolge muss ein »diversitätsreflexiver Begriff sozialen und politischen Engagements« nicht nur »offen sein für die Vielfalt an Themen und Engagementformen, welche sich aus unterschiedlichen Lebenslagen und ‑weisen ergeben. Vor allem muss er das Engagement im Zusammenhang mit Dominanz und sozialer Ungleichheit verstehen.« (Munsch 2010: 37) Diese Begriffsdefinition hat den Vorteil, politische In- und Exklusionsprozesse implizit als Ergebnisse unterschiedlicher Zugänge zu kulturellen und ökonomischen Ressourcen (aus denen dann ein Dominanz- und Ungleichheitsverhältnis erwächst) zu verstehen. Munsch verbindet die Agency- und die Structure-Debatte, indem 60

sie dafür plädiert, lebensweltliche und systemische Gründe für die politische Partizipation in den Blick zu nehmen (ebd.). Mit diesen allgemeingültigen Überlegungen überwindet sie konstruktiv die Dichotomie zwischen ethnisch definierten Gruppen und stellt grundsätzliche Fragen nach den Ursprüngen sozialer Ungleichheit.

Neue Perspektiven für die Migrationsforschung: Steven Vertovecs Super-Diversity Mit dem Begriff »Super-Diversity« hat Steven Vertovec seit 2007 regelmäßig auf die fortschreitende Diversifizierung von Migrantinnen und Migranten hingewiesen (Vertovec 2010a: 66ff.). Mehr und mehr Menschen migrieren zu mehr und mehr Orten. Ethnizität oder nationale Herkunft reichen längst nicht mehr als Variablen, um die Differenzierung der Migrationsgruppen zu beschreiben: Die wachsende Komplexität der juristischen Status, die Situation auf dem Arbeitsmarkt, die Muttersprache, die räumliche Verteilung und die Altersstruktur sowie der Zugang zu sozialen Diensten und finanzieller Unterstützung führen beispielsweise zu einer immer stärkeren Binnendifferenzierung innerhalb einer nationalen Gruppe: So gibt es zwischen einem kurdischen Flüchtling aus dem ländlichen Raum, welcher in einem sächsischen Asylbewerberheim Zuflucht gefunden hat, und einer in Istanbul geborenen Ingenieurin, die bei einer multinationalen Firma in München arbeitet, wohl weniger Gemeinsamkeiten als zwischen Kolleginnen und Kollegen mit demselben akademischen Abschluss oder in derselben juristischen Lage. Dennoch werden viele Forschungsprojekte und auch viele politische Maßnahmen an Nationalitäten ausgerichtet. Sprachförderprogramme in Deutschland richten sich oft pauschal an »Migrantenkinder«, obgleich diese je nach Bildungsgrad der Eltern besser deutsch sprechen als Kinder mit deutschen Eltern, die in einem sozialen Brennpunkt aufgewachsen sind. Vertovec schlägt vor, eine multidimensionale Perspektive auf Diversität zu legen, indem einerseits den Kritiken am methodologischen Nationalismus Rechnung getragen wird und andererseits die Differenzierung der Profile sowie die Diversifizierung von Faktoren, die zur Migration geführt haben, berücksichtigt 61

werden (ebd.: 67). Ein Blick auf die Datenbank »International Migration Flows« der Vereinten Nationen33 zeigt, dass sich die Zahl der Herkunftsländer der Migrantinnen und Migranten in den letzten 40 Jahren vervielfacht hat. Während dies für London in den 1960er Jahren noch in der Mehrzahl die ehemaligen Kolonien und Commonwealth-Länder waren, sinkt deren Anteil in den 2000er Jahren auf jeweils unter 20 Prozent. Allein in London leben heute Menschen aus 179 Nationen; in Helsinki sind 130, in Paris 110 und in São Paolo 70  Nationen vertreten. Innerhalb jeder nationalen Gruppe können Unterscheidungen nach Ethnizität, Mitgliedschaft in Kirchen/religiösen Gruppen und religiöser Praxis, regionalen und lokalen Identifikationsprozessen in Bezug auf Herkunftsland, Verwandtschaft, Clanzugehörigkeit, Muttersprache, Verkehrssprache, politische Parteien oder Gruppen und andere kollektive Zugehörigkeiten getroffen werden (ebd.: 72ff.). Gerade die Sprachenvielfalt wurde bislang noch nicht tiefgreifend untersucht. In London werden ca. 300 Sprachen gesprochen; die britische Language Line bietet einen telefonischen oder persönlichen Übersetzungsdienst in 150 Sprachen. Auch in Bezug auf religiöse Zugehörigkeit und/oder Praxis wird oft vergessen, dass viele nationale Migrantengruppen erhebliche Binnendifferenzierungen aufweisen, sowohl zwischen Religionen als auch innerhalb einer Religion. Ein Mitglied einer senegalesischen Sufi-Bruderschaft praktiziert seine Religion beispielsweise auf eine ganz andere Art als ein Schiit oder eine reformierte Muslimin aus demselben Herkunftsland. Dieser inneren Vielfalt wird in Migrations- und Inklusionspolitiken oft nicht Rechnung getragen. So kann es passieren, dass in einer Geburtsklinik per se davon ausgegangen wird, dass ein türkisches Kind Muslim ist, und das Verwaltungsprotokoll entsprechend läuft – auch wenn die Mutter sich als Alevitin nicht dem Islam zugehörig fühlt oder gar überzeugte Atheistin ist. Ein wichtiges Distinktionsmerkmal innerhalb nationaler Migrationsgruppen ist die Art und Weise, wie die jeweilige Person migriert ist. Sprachliche, religiöse, politische oder berufliche Netzwerke können Migrationskanäle erheblich prägen. Die Migrationen in westeuropäische Länder in den 1960er Jahren waren klar durch bilaterale Anwerbeabkommen zur Arbeitsmigration mit südeuropäischen Ländern geprägt. Auch nach dem offiziellen An62

werbestopp in den 1970er Jahren stieg die Migration aus denselben Ländern aufgrund der Familienzusammenführung an. Viele durch Familienzusammenführung migrierte Personen änderten später ihren Status, indem sie erwerbstätig wurden, tauchen in der Statistik jedoch nicht als Arbeitsmigranten, sondern als nachgezogene Familienmitglieder auf. Ein grober Überblick über die Vielzahl an Status zeigt, wie notwendig eine differenzierte Betrachtung der juristischen Situation der Migrantinnen und Migranten ist.

Differenzierungen von Migrantenstatus und deren gesetzliche Grundlagen Migrantenstatus

Grundlage/Beispiel

Arbeitsmigrant/-in

Bilaterale Anwerbeabkommen

Familienmitglied Student/-in

Abkommen zum Familiennachzug Erasmus-/ErasmusMundus-Abkommen

Asylbewerber/-in und Flüchtling

Genfer Konvention

Abgesandte/-r

Arbeitsvertrag in multinationaler Firma

Diplomat/-in

Int. Abkommen; Botschaftsangehörige

Undokumentierte/-r Migrant/-in

Gesetzeslücke

Tourist/-in

Visavertrag mit Reiseunternehmen

Aussiedler/-in

Bundesvertriebenengesetz Flucht oder Ausreise von der DDR in die BRD

Übersiedler/-in

Auch innerhalb jeder dieser Gruppen kann nach Status, Reisegrund, Kontext etc. differenziert werden. Außerdem sind die juristischen Kategorien je nach Herkunfts‑, Transit- und Ankunftsland noch einmal verschieden. Dazu kommt, dass auch internationale Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention unterschiedlich ausgelegt werden und/oder deren Interpretation konjunkturellen politischen Schwankungen unterliegen kann. Allein für dokumentierte Immigrantinnen und Immigranten in der Schweiz wird beispielsweise unterschieden zwischen den 63

Aufenthaltsgenehmigungen B (Aufenthaltsbewilligung), C (Niederlassungsbewilligung), L (Kurzaufenthaltsbewilligung), Ci (Aufenthaltsbewilligung mit Erwerbstätigkeit) und Legitimationskarten des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten. Wer eine dieser Karten besitzt, darf sich im Geltungsbereich des Schengener Abkommens maximal 90 Tage aufhalten. Davon sind Personen ausgeschlossen, welche die Aufenthaltsbewilligungen F (für »vorläufig aufgenommene Ausländer«), N (Asylsuchende) oder S (»Ausweis für Schutzbedürftige«) besitzen – jene dürfen die Grenze nicht übertreten. Manche Kategorien von Aufenthaltspapieren werden extra auf bestimmte Berufsgruppen zugeschrieben: So heißt die Schweizer Kurzaufenthaltsbewilligung L offiziell »Cabaret-Tänzerinnen-Ausweis«. Obgleich Prostitution von den Tätigkeiten ausgeschlossen ist, sind die Grenzen zwischen Cabaret-Tanz und Prostitution in der Praxis fließend. Abgesehen von EU-Ausländerinnen und ‑Ausländern, welche bis zur Umsetzung der durch die Abstimmung »gegen Masseneinwanderung« vom 9. Februar 2014 zu erwartenden Gesetze noch (relativ) frei zirkulieren dürfen, ist denkbar, dass eine nationale Gruppe aus Menschen besteht, die zu jeweils einer der oben genannten Kategorien gehören. Doch was hat ein indischer Universitätsprofessor an der ETH Zürich mit einer indischen Cabaret-Tänzerin oder einem Asylsuchenden gemein? In vielen Fällen höchstens den Reisepass. Dennoch sind viele Inklusionspolitiken implizit auf sozial, religiös und/oder sprachlich homogene Gruppen ausgerichtet, welche allenfalls als Idealtypen existieren. Gerade die »community«-orientierten Politiken in Großbritannien seien, wie Vertovec feststellt, oft unpassend und unangebracht, da sie der Komplexität und Vielfalt innerhalb von Migrantengruppen nicht Rechnung trügen (Vertovec 2010a: 80). Die sozialräumliche Verteilung von Migrantinnen und Migranten ist ebenfalls hochkomplex, sodass auch aus diesem Grund sowohl die Ansätze in der Migrationsforschung als auch die jeweiligen Politiken die lokalen Spezifika miteinbeziehen müssen. Allein die Betrachtung von juristischen Definitionen einer Minderheit und deren Schutzrechten zeigt die Komplexität der damit verbundenen Politiken.34 So definieren die Vereinten Nationen (VN) im Pakt II (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 16. Dezember 1966)35 Minderheitsrechte wie folgt: 64

»In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.«

Die VN-Unterkommission für den Schutz der Minderheiten und zur Verhinderung von Diskriminierung (Francesco Capotorti) schreibt 1979, eine Minderheit sei »eine Gruppe, die im Vergleich zum Rest der Bevölkerung eines Staates zahlenmäßig klein ist, keine Herrschaft irgendwelcher Art ausübt, besondere Charakteristika hinsichtlich ihrer Sprache, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Religionszugehörigkeit zeigt, die sie vom Rest der Bevölkerung des betreffenden Staates abheben und die zwecks Bewahrung ihrer Kultur, ihrer Traditionen, ihrer Religion oder ihrer Sprache eine versteckte Solidarität an den Tag legt.«

Schließlich schreiben die VN in der Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten angehören (1992, Art. 1): »Die Staaten schützen die Existenz und die nationale oder ethnische, kulturelle, religiöse und sprachliche Identität der Minderheiten in ihrem Hoheitsgebiet und begünstigen die Schaffung von Bedingungen für die Förderung dieser Identität.« Diesen Definitionen ist die Feststellung von Unterschieden innerhalb von Gruppen gemeinsam. Sind jedoch alle Individuen bewusst Teil dieser von außen definierten Gruppen? Der Europarat schließt eine andere Möglichkeit ein (1994, Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, Art. 3): »1. Jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, hat das Recht, frei zu entscheiden, ob sie als solche behandelt werden möchte oder nicht; aus dieser Entscheidung oder der Ausübung der mit dieser Entscheidung verbundenen Rechte dürfen ihr keine Nachteile erwachsen. 2. Angehörige nationaler Minderheiten können die Rechte und Freiheiten, die sich aus den in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätzen ergeben, einzeln sowie in Gemeinschaft mit anderen ausüben und genießen.«

Die Autorinnen und Autoren dieser Definition gehen davon aus, dass nicht jede Person als Teil einer bestimmten Gruppe betrach65

tet werden möchte. Die von außen definierte (kulturelle, sprachliche, ethnische, religiöse etc.) Vielfalt von Gruppen kann nicht problemlos auf die Ebene der Individuen übertragen werden, welche ein sehr komplexes Verhältnis zu den einzelnen Elementen jener Vielfalt haben. Diese Komplexität erklärt auch die Schwierigkeit, die Vielfalt von Minderheiten und deren Rechte zu definieren. Es fällt auf, dass in keinem der Texte eine klare Definition von Minderheiten gegeben wird. Kriterien wie Kultur, Sprache, Religion, Ethnizität oder Tradition werden genannt, jedoch nicht genauer eingegrenzt. Den Definitionen gemein ist die Verbindung objektiver und subjektiver Kriterien, das heißt, auch das Gefühl, einer Gruppe anzugehören, wird einbezogen. Interessant ist die vom Europarat 1994 genannte Möglichkeit, nicht als Teil einer Minderheit betrachtet zu werden. Diese Weigerung, als Teil einer sozialen Gruppe wahrgenommen zu werden, findet sich zwanzig  Jahre später in Forderungen nach dem »droit à l’indifférence« (»Recht auf Indifferenz«), die zunehmend in Frankreich laut werden. Für die Migrationsforschung bedeutet dies auch, dass die vermeintlich objektiven Kriterien wie Sprache oder Religion nicht zwangsläufig ein Gefühl der Zusammengehörigkeit implizieren. Hier ist es notwendig, die von den Individuen selbst als Kriterien der Zugehörigkeit erwähnten Aspekte, also die emischen Kategorien, in den Blick zu nehmen. In der Migrationsforschung wurde ebenfalls lange Zeit übersehen, dass weltweit die Hälfte der Migranten weiblich sind. Frauen galten oft als Opfer und (wirtschaftlich) Abhängige von Männern und/oder vom Sozialsystem (Salzbrunn 2013b). Lange wurden sie sowohl von der Politik als auch von der Sozialwissenschaft im Kontext des Familiennachzugs betrachtet. Dabei übersah man, dass auch die Frauen, die mit einem entsprechenden Programm einreisen konnten, später eine Arbeitserlaubnis erhielten. In vielen Fällen ist die Beschäftigungsquote von Migrantinnen, insbesondere die von osteuropäischen Frauen, höher als die der Französinnen (ebd.). Auch die unabhängig, ohne Familienbande, eingereisten Frauen wurden lange Zeit von der Migrationsforschung ignoriert.36 Obwohl die Mehrheit der ersten Einwanderergeneration – soziologisch betrachtet – tatsächlich der Arbeiterklasse angehört (Tripier/Rea 2008), gibt es auch hochqualifizierte Einwanderinnen, auf die sehr viel weniger Aufmerksamkeit gerichtet wurde. 66

Die Verteilung nach Geschlechtern ist je nach Herkunftsland höchst unterschiedlich. So sind 80 Prozent der Migranten aus der Slowakei, 72 Prozent aus der Tschechischen Republik und 71 Prozent aus den Philippinen in London weiblich (GLA 2005: 89); viele davon arbeiten im Dienstleistungssektor, insbesondere in der Kranken‑, Kinder- und Altenpflege. Umgekehrt sind der überwiegende Anteil der Migranten aus Algerien (63 Prozent), Nepal (61  Prozent), dem Kosovo (61  Prozent) und Jemen (60  Prozent) männlich (ebd.: 90). Die Altersstruktur ist eine weitere entscheidende Größe mit gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen im Migrationskontext. In vielen westeuropäischen Industrieländern ist die Mehrheit der in jüngster Zeit eingewanderten Populationen zwischen 25 und 44 Jahren alt. Diese Altersverteilung führt dazu, dass die immigrierte Bevölkerung weit mehr in die Sozialkassen einzahlt, als sie einnimmt. In der Schweiz beispielsweise kommen 201337 22 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge von Zahlungen der Ausländerinnen und Ausländer aus der Europäischen Union. Der Anteil an ausbezahlten Beiträgen an EU-Bürgerinnen und ‑Bürger beträgt jedoch nur 15 Prozent. Dies liegt einerseits an der Altersstruktur, andererseits auch an der Tatsache, dass erstens  nur ein Teil der einbezahlten Rentenbeiträge beim Wegzug aus der Schweiz mitgenommen werden können und zweitens viele ausländische Rentnerinnen und Rentner nur schlecht über ihre Rechte informiert sind und diese daher nicht in Anspruch nehmen. Die Veränderungen in der demografischen Entwicklung haben nicht nur entscheidenden Einfluss auf die Erwerbsstruktur und die Sozialsysteme; sie verändern auch kulturell die Lern- und Lehrpraktiken. In Nordrhein-Westfalen hat jede/‑r dritte Grundschüler/‑in eine »Zuwanderungsgeschichte«38; in München wurde eine »Campus-Klasse« für die Kinder ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingerichtet. Die Diversifizierung der Altersstruktur ist ein wichtiger politischer Grund für das Anwerben ausländischer Familien, da die alternden Gesellschaften (mit schwachen Geburtenraten), insbesondere die deutsche, die Sozialsysteme ohne die Immigration junger Menschen nicht mehr halten können. Auch die räumliche Verteilung von Bevölkerungsgruppen verändert sich mit zunehmender Migration. Hier gibt es starke regionale und nationale Unterschiede. Im Berliner Stadtteil Neu67

kölln-Nord etwa betrug der Ausländeranteil 2007 35 Prozent39; im Pariser Stadtteil La Goutte d’Or 32,7 Prozent40. Insgesamt gibt es jedoch in deutschen Städten im Vergleich zu Frankreich weitaus weniger Stadtviertel mit einer Ausländerdichte über 30  Prozent. Dies liegt an unterschiedlichen Wohnungsbaupolitiken und an verschiedenen regionalen Migrations- und Sedentarisierungsprozessen. Der Sozialraum hat allerdings auch nur einen moderaten Einfluss auf soziale Inklusionsprozesse, wie Studien aus Schweden, Großbritannien und den Niederlanden zeigen (Schönwälder 2007). Karsten Keller (2009) plädiert dennoch für die Durchführung qualitativer Studien, um der Komplexität sozialräumlicher Verteilung und Identifikation gerecht zu werden, da insbesondere in Paris die Identifikation mit dem »quartier« vergleichsweise hoch sei. Studien zu den Vierteln Belleville in Paris sowie Harlem in New York (Salzbrunn 2011) haben ebenfalls gezeigt, dass die Reskalierungsprozesse in Städten in Wechselwirkung mit Inkorporationsprozessen der Migrantinnen und Migranten stehen (Glick Schiller/Çağlar 2011): Migranten sind wichtige Akteurinnen der Stadtentwicklung und können zur Aufwertung einzelner Stadtviertel und Städte beitragen. Andererseits hat die Morphologie der Städte auch Auswirkungen auf Inkorporationsprozesse von Migrantinnen und Migranten. In seinen Betrachtungen über »Super-Diversity« nimmt Vertovec auch die Frage der Transnationalisierung kritisch in den Blick und argumentiert, dass die Migrantinnen und Migranten unterschiedliche Grade der Transnationalisierung aufwiesen. Sowohl Joanna Pfaff-Czarnecka (2008) als auch Janine Dahinden (2009) hatten bereits gefragt: »Are we all Transnational(ist)s now?«, als die Transnationalisierungs-Forschung im Aufschwung war. Die drei Autoren argumentieren, dass Transnationalisierung verschiedene Formen annehme: Netzwerk-Transnationalismus und transnationale Subjektivität (Dahinden 2009), außerdem gebe es auch Migranten, die sich nicht in transnationalen Netzwerken verorteten, sowie solche, die dies täten, obgleich sie nie physisch in verschiedenen Ländern gelebt hätten. Die in Migrationsstudien weit verbreitete Annahme, Verwandtschaft und gemeinsame kulturelle, sprachliche oder religiöse Praktiken führten vorwiegend zu solidarischen Handlungen, ist mit Vorsicht zu genießen, da die individuelle Einbindung in sol68

che (transnationalen) Netzwerke von Individuum zu Individuum sehr unterschiedliche Ausprägungen hat. Es gibt auch Fälle, in denen die soziale Kontrolle von Peer-Gruppen so belastend ist, dass die räumliche und emotionale Distanzierung von diesen als Gegenreaktion folgt. Betrachtet man die Makroebene, so ist jedoch ein exponentieller Anstieg von remittances, das heißt Rücküberweisungen von Geld in die Herkunftsländer, sowie eine Zunahme internationaler Telefon- und Skype-Verbindungen und ein Anstieg der Flugverbindungen zu verzeichnen. Dies kann jedoch dreierlei bedeuten: Mehr Personen greifen auf Informations- und Kommunikationstechnologien zurück, überweisen Geld und fliegen zwischen diversen Migrationspolen hin und her. Oder eine etwa gleichbleibende Zahl an Menschen greift immer häufiger auf diese Möglichkeiten zurück. Schließlich ist auch eine Kombination von beiden Faktoren denkbar. In den letzten 20 Jahren haben sich die Migrationswege, die Kommunikationsmöglichkeiten, die Herkunftsregionen und die Herkunftsländer diversifiziert. Auch die Bindungsformen gehen weit über die in klassischen Studien untersuchten Kriterien wie Verwandtschaft, Herkunftsdorf etc. hinaus. Schließlich finden sich alle in der Diversitätsforschung genannten Zugehörigkeiten auch unter den Individuen einer national definierten Gruppe: schwule, lesbische, bisexuelle, heterosexuelle und transsexuelle Menschen, Menschen verschiedener Hautfarbe, unterschiedlichen Geschlechts, mit und ohne Behinderung etc. Auch hier ist eine differenzierende Sichtweise notwendig. Denn die jeweiligen Individuen definieren sich nicht unbedingt über eine oder mehrere dieser Zugehörigkeiten. Manche fordern vielleicht das »Recht auf Indifferenz« und möchten nicht entsprechend kategorisiert oder wahrgenommen werden. Sarah Spencer argumentiert beispielsweise, dass es schwierig sei, Führungspersonen innerhalb einer Gruppe ausfindig zu machen beziehungsweise diese als repräsentative Gesprächspartner zu betrachten, wenn nicht klar sei, für wen diese Personen eigentlich sprächen. Es gehe nämlich nicht mehr um lange etablierte, homogene Gemeinschaften, sondern um sehr vielfältige und mobile Migrantenpopulationen (Spencer 2012). Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse steht die Migrationsund Diversitätsforschung vor neuen Herausforderungen.

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Herausforderungen für die Migrations- und (Super‑)Diversitätsforschung Aufgrund der Diversifizierung von Migrationswegen, Herkunftsregionen, juristischen Kategorien etc. verschieben sich ebenfalls die Machtverhältnisse innerhalb der transnationalen sozialen Räume. Auch die lokalen Verortungsprozesse weisen eine große Vielfalt an zugrunde liegenden Strategien auf. Janet Abu-Loghod spricht von veränderten Polaritäten (1999); Nina Glick Schiller und Ayse Caglar (2011) empfehlen eine stärkere Einbeziehung von lokalen Gegebenheiten und wechselseitigen Prozessen der sozialen, geografischen und wirtschaftlichen Inkorporation bei der Analyse von Migration. Vertovec sieht einen erweiterten Bedarf von quantitativen Studien, insbesondere multivariaten Analysen, welche die Interaktion von Variablen wie Herkunftsland, Ethnizität, Sprache, Immigrationsstatus (und damit verbundene Rechte, Pflichten und Beschränkungen), Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Beruf und Lokalität einschließen (Vertovec 2010a: 85ff.). Weiterhin empfiehlt er qualitative Studien zur Bedeutung von sozialen Austauschprozessen, da es bislang kaum Erkenntnisse darüber gebe, wie Vielfalt lokal ausgehandelt werde. Folgende Muster sollten hierzu stärker analysiert werden (ebd.): –– –– –– –– –– ––

Muster von Ungleichheit und Vorurteilsbildung, Segregationsmuster, neue Raum- und Kontakterfahrungen, neue Formen der Kosmopolitisierung und der Kreolisierung, neue »Brückenköpfe« der Migration, sekundäre Migrationsmuster (bedingt durch Drittländer‑/Binnen-EU-Migration), –– Transnationalismus und Integration, –– methodologische Innovation – unter anderem durch eine Neuauflage der von der Manchester-Schule (Max Gluckman; J. Clyde Mitchel) entwickelten Situationsanalyse, –– die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Politik. Insbesondere der letztgenannte Punkt stellt eine Herausforderung für den Umgang mit Super-Diversity dar. Viele auf soziale Kohäsion hin orientierte politische Maßnahmen tragen der star70

ken Differenzierung von Vielfalt nur bedingt Rechnung. Repräsentationen von Gruppen und öffentliche Dienstleistungen waren – wie auch Teile der Forschung – stark vom »methodologischen Nationalismus« beziehungsweise von dem Blick durch die »ethnic lenses« geprägt. Hiermit sind auch externe Zuschreibungsprozesse verbunden, die der Vielfalt innerhalb dieser Gruppen nicht gerecht werden. Dies führt dazu, dass viele Migranten nicht mit einer Gruppe, die sie auf einen Aspekt ihrer Zugehörigkeit reduziert, in Verbindung gebracht werden möchten. Multiple Zugehörigkeiten sollten daher auch von Praktikerinnen und Praktikern vermehrt in die Arbeit einbezogen werden. Die Entwicklung zu super-diversifizierten Gesellschaften ist folglich mit multidimensionalen Rahmenbedingungen und Prozessen auf der Mikro‑, Meso- und Makroebene verbunden. Einige der oben diskutierten Debatten setzt die Stadtforschung auf fruchtbare und konkrete Weise um. Daher stelle ich im Folgenden verschiedene Analysen der Verortung von Vielfalt im urbanen Raum vor.

2. Neue Vielfalt in der Stadtgesellschaft 49  Prozent der Bevölkerung von Toronto sind im Ausland geboren; dies gilt auch für 13  Prozent der Berliner Bevölkerung, 26,9 Prozent der Singapurer und mehr als ein Drittel der Menschen in Los Angeles, New York, Amsterdam und Sydney (Mayor of London 2013: 209ff.). Städte sind folglich Orte der Vielfalt par excellence – zumal dort der Anteil der ausländischen Bevölkerung weitaus höher ist als im nationalen Durchschnitt: Dieser beträgt in Kanada 21  Prozent, in Deutschland 8,26  Prozent und in den USA 12,7 Prozent (ebd.). In dem vom Londoner Bürgermeister 2013 herausgegebenen World Cities Culture Report haben Vertreter von weltweiten Metropolen gemeinsam über die Vielfalt in Stadtgesellschaften geschrieben: »Diversity matters to the culture of world cities for a number of reasons. Firstly, new arrivals bring their own culture with them, something that is seen most obviously in the wide variety of ethnic restaurants which characterise most world cities. Secondly, new arrivals can also act as bridges between their city and their

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land of origin, speeding the exchange of ideas and experiences. Finally, perhaps the greatest cultural benefit stems from the meeting of cultural forms.« (Ebd.: 64)

Vielfalt wird hier als Reichtum und als Chance für die Tourismusindustrie gesehen. Der Bericht bringt Vielfalt sehr stark mit Kultur in Verbindung: So wird etwa die Anzahl der Theater und Museen in Bezug zur geografisch nach Herkunftsländern definierten Vielfalt der Einwohnerinnen und Einwohner gesetzt. Die verschiedenen Kulturformen, welche sich in der Stadt begegnen und verändern, sind Thema mehrerer aktueller Forschungen zur Vielfalt im urbanen Raum. Mit »Urbanität ist Vielfalt« ist das Einleitungskapitel zu dem von Wolf-Dietrich Bukow, Gerda Heck, Erika Schulze, Erol Yildiz 2011 herausgegebenen Band Neue Vielfalt in der urbanen Stadtgesellschaft überschrieben. Dieser stellt verschiedene Beispiele für die Verarbeitung von Vielfalt durch »Komplexitätssteigerung der Stadt« vor. Dies geschehe durch die Ausdifferenzierung formaler Systeme, die Entwicklung eines Machttandems (Religion und Politik), die Ausweisung eines öffentlichen Raumes sowie die Inszenierung einer lokalen Identität (Bukow/Heck/Schulze/Yildiz 2011: 7-18), welche ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem urbanen Raum generiere beziehungsweise abbilde. Den Autorinnen und Autoren zufolge haben Städte die Komplexitätssteigerung durch die Entwicklung von formalen Strukturen erreicht: Stadtgesellschaften seien zum einen eine Reaktion auf Vielfalt. Zum anderen basiere die durch den Umgang mit Vielfalt einsetzende Dynamik auf praktischer Vernunft. Vielfalt sei durch politische, rechtliche, wirtschaftliche, bildungsspezifische, kulturelle und religiöse Systeme in eine formale Struktur eingebettet. Dies geschehe durch drei Strategien: durch additive Inkorporation (durch die Städtestruktur oder durch Ghettobildung), absorbierende Hybridisierung (durch die Entwicklung neuer urbaner Kulturen und Identitäten) oder Veralltäglichung beziehungsweise Entschärfung (Vielfalt wird konstitutiv belanglos) (ebd.). Als Gegenpol zum pragmatischen Arrangement sehen die Autorinnen und Autoren Machtdiskurse, durch welche Vielfalt verschärft und zu politischen Konflikten führen kann. Zurzeit sei ein schneller Wandel der Stadtgesellschaft zu beobachten, der durch die »Super-Diversity« (Vertovec 2010a) verstärkt werde. 72

Ähnlich wie die Autorinnen und Autoren des Themenpapiers zum DGS-Kongress zu »Vielfalt und Zusammenhalt« sehen die Verfasserinnen und Verfasser hier (das heißt vornehmlich in Europa) ambivalente gesellschaftliche Tendenzen: Einerseits würden neue hybride Wirklichkeiten geschaffen; andererseits werde die neue Vielfalt als Bedrohung betrachtet. Dies gelte insbesondere für Vertreterinnen und Vertreter gesellschaftlicher Institutionen, die noch dem Containerdenken verhaftet seien (ein Staat = eine Gesellschaft = eine Sprache = eine Kultur = eine Religion = eine Identität = eine Staatsangehörigkeit) und Vielfalt als ein temporär auftretendes, reversibles Phänomen ansähen. In dem genannten Sammelband finden sich empirische Beispiele für die Reaktionen auf Vielfalt im urbanen Alltag. Damit wird der Begriff Vielfalt auf die Komplexität städtischer Ausdifferenzierungsprozesse angewendet (und umfasst zum Beispiel Gender-Aspekte, die Disability-Problematik sowie soziale Fragen). Als Beispiele seien hier zum einen Erol Yildiz’ und Marc Hills Studie zum »No-Go-Idyll« Kärnten sowie Stephan Lanz’ Untersuchung zu Berliner Diversitäten erwähnt. Im ersten Fall wird die Diskrepanz zwischen der von gewachsener Mobilität geprägten Lebenswirklichkeit im Klagenfurter Stadtteil St. Ruprecht und hegemonialen Inszenierungen von nationaler Homogenität skizziert. Die zweite Analyse zeigt die Entwicklung Berliner Imaginationen vom national-homogenen Großstadtdispositiv – unter Einfluss der kosmopolitischen sozioökonomischen Realität – hin zu einem kosmopolitisch-diversitären Dispositiv (in dem die älteren Dispositive zum Teil noch fortbestehen). Die Aufsätze dieses Bandes öffnen die Diversitätsdebatte, indem lokale empirische Stadtforschung mit nationalen Diskursen in ein Spannungsfeld gesetzt wird und der Blick somit über die Opposition »Chancen versus Herausforderungen von Vielfalt« hinausgeht. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Caroline Wanjiku Kihato, Mejgan Massoumi, Blair A. Ruble, Pep Subirós und Allison M. Garland mit dem Band Urban Diversity. Space, Culture, and Inclusive Pluralism in Cities Worldwide, der 2010 erschienen ist. Aus den einzelnen Studien geht hervor, wie unterschiedlich der Umgang mit Vielfalt und die Lesart dieser empirisch fassbaren – und außerhalb von Mitteleuropa zumeist längst verinnerlichten – Realität weltweit ist. Während in Deutschland noch oft gefragt wird, 73

ob Vielfalt wünschenswert sei – als könnte diese gestoppt oder gar wieder rückgängig gemacht werden –, öffnen Sammelbände wie der letztgenannte den Blick, indem sie von Vielfalt als konstituierender – auch historisch gewachsener, wie Dakhlia und Vincent für den Islam in Europa41 zeigen – Tatsache ausgehen. Allerdings wird mit Ansätzen, die auf die lange Geschichte der religiösen Vielfalt hinweisen, auch eine kulturalistische Sichtweise zementiert und soziale Ungleichheit, die auf Klassenunterschieden42 fußt, außer Acht gelassen. Während Vincent und Dakhlia mit ihrer historischen Analyse eher optimistisch dafür plädieren, die lange verortete, unsichtbare religiöse Vielfalt als Beleg für gesellschaftliche Kohäsion zu betrachten, zeigt eine quantitative Studie zum Zusammenhalt in deutschen Regionen deutlich verhaltene Ergebnisse.

Vielfalt und Zusammenhalt in deutschen Regionen Als beispielhaft für quantitative Studien zur Frage nach Diversität und Zusammenhalt sei hier die von Birte Gundelach und Richard Traunmüller 2010 vorgelegte Untersuchung »Kulturelle Diversität und sozialer Zusammenhalt. Eine Mehrebenenanalyse zum Einfluss multikultureller Kontexte auf das Sozialkapital in den deutschen Regionen« erwähnt – auch wenn derartige Studien, wie oben von Portes und Vickstrom (2011) beschrieben, recht umstritten sind. Ausgehend von Putnams Überlegungen zu negativen Effekten ethnischer Diversität auf das gesellschaftliche Vertrauen und den Zusammenhalt in der US-amerikanischen Gesellschaft sowie den kontroversen Reaktionen auf dessen Thesen möchten die Autorinnen und Autoren drei neue Impulse geben: Zunächst plädieren sie dafür, den Einfluss kultureller Vielfalt auf das Zusammenleben im realen lokalen Handlungskontext der Menschen zu untersuchen. Des Weiteren betrachten sie neben ethnischer Diversität auch religiöse Vielfalt. Schließlich untersuchen sie neben dem sozialen Vertrauen als Grundlage sozialer Kohäsion auch den »Effekt kultureller Vielfalt auf die Normen der Reziprozität« (Gundelach/Traunmüller 2010: 317). Nach einer kontroversen Diskussion der Kontakt- sowie der Konflikthypothese kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Schluss, dass das liberale Dilemma auch vor der bundesdeutschen 74

Realität nicht haltmache. So sei das generalisierte Vertrauen in jenen Regionen Deutschlands geringer, wo kulturelle Vielfalt besonders groß sei (ebd.: 334). Zweitens trage »religiöse Vielfalt generell und für sich genommen zunächst nicht zur Schwächung des sozialen Zusammenhalts in den deutschen Regionen« bei. Allerdings sei die konkrete Zusammensetzung der Vielfalt maßgeblich, sodass »die sozialen Bindekräfte insbesondere dann geschwächt sind, wenn sich kulturelle Vielfalt durch große wahrgenommene kulturelle Distanz zwischen Einwanderern und sogenannter Mehrheitsgesellschaft« auszeichne (ebd.: 334f.). Schließlich widersprechen die Forschungsergebnisse der These von Hooghe (2005), wonach die zentrale Integrationsfunktion in multikulturellen Gesellschaften weniger durch generalisiertes Vertrauen als vielmehr durch eine alternative Sozialkapitalform – Normen der Reziprozität – geleistet werde. Die Autoren folgern, »dass es weniger die kulturelle Diversität an sich ist, die eine Herausforderung für die soziale Kohäsion darstellt. Der vertrauensmindernde und die Normen der Gegenseitigkeit schwächende Effekt lässt sich verstärkt dort feststellen, wo die kulturelle Distanz zwischen den sozialen Gruppen als besonders groß wahrgenommen wird« (Gundelach/Traunmüller 2010: 335). Folglich plädieren die Autorinnen und Autoren für Bemühungen, die »Interaktion zwischen kulturell heterogenen Kontexten und sozialem Austauschverhalten von Mitgliedern unterschiedlicher kultureller Zugehörigkeit« (ebd.: 336) zu fördern. Aufgrund ähnlich verhaltener Diskurse zur multikulturellen Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erneut assimilationistische Positionen vertreten. Der von Christian Lammert und Katja Sarkowsky 2010 herausgegebene Band Travelling concepts. Negotiating Diversity in Canada and Europe zeigt diese Verschiebung anhand von Beispielen aus Kanada und Europa (insbesondere Großbritannien). Ein Beispiel für die Aufwertung von Vielfalt ist das »Value Migration Project« der europäischen Migration Policy Group. Es fragt nach den Einflüssen auf den Übergang vom internationalen Studierenden zum hochqualifizierten Migranten und analysiert die europäische Wettbewerbsfähigkeit beim Halten internationaler Studierender und Graduierter.43 Die Frage, wie Gesellschaften sich mittels steigender Vielfalt entwickeln beziehungsweise wie 75

Vielfalt politisch gehandhabt wird (governing diversity), wurde, wie oben gezeigt, bereits in der Multikulturalismus-Debatte der 1980er Jahre aufgeworfen.

Begegnungen von Kulturen Ähnlich praktisch orientiert ist Karl Friedrich Bohlers und Michael Corstens Buch Begegnungen von Kulturen aus dem Jahr 2011. Die Autoren dieses Sammelbandes fragen unter anderem, ob durch kulturelle Differenzen besondere soziale Beziehungen gestiftet werden und ob gesellschaftliche Distanzen durch die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung in unterschiedlichen Kulturen größer werden. Unter dem Postulat, dass interkulturelle Begegnungen in der globalisierten Moderne nicht nur häufiger, sondern auch intensiver werden, legen die Autoren drei Fallstudien vor. Hierbei werden vor dem Hintergrund (Charles) Taylor’scher Ideen zu »starken Werten« konkrete Fragen zur Zurechnung von Zugehörigkeiten und Autoritätsregeln in den Begegnungen von Kulturen gestellt. Johanna Hess analysiert die Platzierung von drei bikulturellen Paaren im heterotopen Raum und zeigt, wie »für den jeweiligen Partner unterschiedliche Grade der Fremdheit/ Vertrautheit hergestellt« werden, an denen er/sie sich abarbeiten muss (Bohler/Corsten 2011: 12). Stefan Weyers legt eine Studie zu religiös orientierten Jugendlichen vor und deutet ein Spannungsverhältnis »unvereinbarer Perspektiven« zwischen säkularen und religiösen Weltanschauungen an (ebd.). Reserviert zeigen sich auch kürzlich erschienene Studien und Essays (Uslucan 2011) zum Spannungsfeld zwischen Vielfalt und Zusammenhalt. Hier wird beispielhaft aus der Sicht eines deutschen Wissenschaftlers mit türkischen Wurzeln gezeigt, wie bedeutend gesellschaftliche Teilhabe für einen dauerhaften Zusammenhalt ist und welche Hindernisse insbesondere im Bildungsbereich noch überwunden werden müssen. Es ist allerdings fraglich, ob diese als einflussreiche Faktoren definierten Aspekte wie Weltanschauung oder Ähnliches auch als emische Kategorien erscheinen oder ob es sich nicht um Zirkelschlüsse handelt.

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Globaldivercities: Die Erforschung von globalen Städten als Orten der Diversität Vielfalt in Städten ist oft unter der Perspektive des sozialen Zusammenhalts untersucht worden. Gleichzeitig hat die Stadtplanung selbst Diversität als abstrakte Leitlinie für urbane Entwicklung entdeckt. Mittels der Stadtpolitik wurde körperliche, kulturelle oder soziale Vielfalt gefördert, ohne jedoch zu fragen, ob dies zu einer gegenseitigen Stärkung führt, wie Vassilis Arapoglou anmerkt (2012: 223). Eine ethnische Mischung allein könne jedoch unter Umständen soziale Ungleichheiten noch verstärken, wenn das sozioökonomische Milieu bei der Wohnraumplanung nicht beachtet werde. Gerade die seit 2008 andauernde wirtschaftliche Krise habe die urbanen Landschaften von sozialer Ungleichheit noch verstärkt (ebd.). Arapoglou will der assimilationistischen Tendenz der aktuellen politischen Debatte konkrete Beispiele für die aktive Ausgestaltung von Stadträumen im Migrationskontext entgegensetzen. Hierfür erinnert er zunächst an die Anfänge der Chicagoer Schule der Stadtsoziologie, die sehr von europäischen soziologischen Traditionen, insbesondere Georg Simmel und Émile Durkheim, inspiriert ist. Robert Park, einer der wichtigsten Vertreter der Chicagoer Schule, hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits von einem »city mosaic« gesprochen, welches Vielfalt in einem Stadtgebiet verkörpere. Allerdings träfen sich die »kleinen Welten« nur, ohne sich wirklich gegenseitig zu durchdringen, sodass es sich um einen Segregationsprozess handele. Die zweite Idee Parks, der »melting pot«, wird heute oft fälschlich als Assimilationspolitik interpretiert. Park geht jedoch nicht von einem Homogenisierungsprozess aus, sondern – unter Bezugnahme auf Durkheims organische Solidarität – von einer interaktiven Herstellung von Solidarität und Zusammenhalt im urbanen Raum. Diese inklusive Gesellschaft sei auch eine Antwort auf Simmels Überlegungen zu dem Fremden, der heute komme und morgen bleibe (ebd.: 226). Auch wenn die Arbeiten der Chicagoer Schule auf widersprüchliche Weise zur Anwendung kamen, so findet sich die ursprüngliche Sicht, dass Neuankömmlinge im urbanen Raum zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten hätten, in Forschungen zu globalen Städten wieder – insbesondere bei Saskia Sassen (1991), Ayse 77

Çağlar und Nina Glick Schiller (2011). Letztgenannte haben vor allem die weltumspannenden wirtschaftlichen Veränderungen und deren Auswirkungen auf Migration und auf Reskalierungsprozesse innerhalb und zwischen Städten in den Blick genommen, wie ich später noch zeigen werde. Im amerikanischen Kontext kann insbesondere die Neubesetzung und positive Ausgestaltung des Stadtzentrums von der Peripherie her als kreatives Zeichen des Widerstandes interpretiert werden (Arapoglou 2012: 227). Allerdings gibt es gerade im nordamerikanischen Kontext zahlreiche Beispiele von ethnisch geprägter Arbeitsteilung, die mit einer räumlichen Aufteilung der Stadt einhergeht. Unter den europäischen Großstädten ist insbesondere London ein Beispiel für die Verschärfung sozialer Ungleichheiten im Stadtraum. Die transnationale Migration hat die sozialräumlichen Veränderungen noch stärker dynamisiert. Aufgrund der zunehmenden Privatisierung von Wohnraum scheitern städtische Politiken der Diversifizierung der Einwohnerinnen und Einwohner. Allerdings ist gerade in London sichtbar, dass der stärkste Graben entlang sozialer Unterschiede verläuft; denn die Diversifizierung innerhalb von ethnischen Gruppen, die Vertovec als Teil der Super-Diversity analysiert hat, ist von großen ökonomischen Ungleichheiten geprägt. Arapoglou behandelt als weiteres empirisches Feld die aktuelle Entwicklung Berlins, da hier auch Georg Simmels und Walter Benjamins (1892-1940) Arbeiten den empirischen Ausgang für Reflexionen über Vielfalt in der Großstadt genommen haben. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 wurde die kulturelle Vielfalt seitens der Stadtverwaltung und der Tourismusbranche zunehmend als Markenzeichen und Attraktion der Stadt verbreitet. Die tatsächlich praktizierte Vielfalt in der Stadt wird jedoch spontan und in alltäglichen Begegnungen gelebt, wie die Studie zeigt. Hier findet sich Benjamins Idee der Durchlässigkeit von Grenzen wieder. Diese Durchlässigkeit wird heute durch transnationale Verbindungen zu den Mittelmeerländern akzentuiert, die die Bevölkerung schon lange in ihren Alltag integriert hat (Yildiz 2013). Arapoglou zufolge ist es allerdings schwierig, amerikanisch oder europäisch geprägte Städte mit urbanen Räumen im Mittelmeerraum zu vergleichen, da diese eine sehr viel stärkere Vielfalt an Konfigurationen aufwiesen. Der Vergleich der sozialen Differenzierung zwischen verschiedenen europäischen Städten zeige, dass 78

sich die urbane Landschaft durch das Zusammenspiel globaler und lokaler Kräfte verändert habe – allerdings zulasten von neuen urbanen Formen sozialräumlicher Ungleichheiten (Arapoglou 2012: 232). In einigen Räumen würden nichtsdestoweniger neue Formen der Zugehörigkeit und der Solidarität entwickelt. London, Athen, Berlin oder Porto seien nicht in dualer Weise klassifizierbar als »melting pot« oder »dual city«, sondern eher als »meeting point«, »Arena« oder »Kaleidoskop«. Hier folgt Arapoglou (ebd.) der Sichtweise von Antonio Gramsci, Walter Benjamin und Henry Lefèbvre, die »urbane Kultur nicht als ein Feld der Desintegration« sahen, sondern als ein Terrain, auf dem Ungleichheiten und Entfremdungen widersprochen wird. Diese wissenschaftsgeschichtliche Linie der Stadtforschung erlaubt es auch heute noch, vereinfachende Nord-Süd- oder Zentrum-Peripherie-Dichotomien zu durchbrechen. Allerdings schließt Arapoglou seinen Vergleich auch mit dem kritischen, empiriegeleiteten Hinweis auf marktorientierte Ausprägungen von Vielfalt (in New York und London) oder ein (von der Stadt selbst durch ihre Politik verantwortetes) Simulacrum von Vielfalt (in Barcelona und London). Dies wird zum Teil auch durch die Eventisierung von Orten vorangetrieben, wie Doreen Jakob (2012) am Beispiel Berlin und New York City zeigt. Wie jedoch kann Vielfalt heute im urbanen Raum konkret auf mehreren Ebenen erforscht werden? Auf diese Frage gibt Steven Vertovec Antworten. Seit 2011 versucht ein Team um Steven Vertovec vom Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften zu klären, wie Migration und Vielfalt in globalen Städten komparativ erforscht und wie Vielfalt und Diversifizierungsprozesse im urbanen öffentlichen Raum konzipiert, beobachtet und schließlich visualisiert werden können. Die zentrale Forschungsfrage ist, »in public spaces compared across cities, what accounts for similarities and differences in social and spatial patterns that arise under conditions of diversification, when new diversity-meets-old diversity«? (Vertovec 2011: 12) Ausgehend von historischen Bedingungen, Ungleichheitsstrukturen, physischen Umweltfaktoren, materiellen Phänomenen und sozialen Interaktionsmustern wird untersucht, wie verschiedene Gruppen sich in unterschiedlichen Städten verorten und Differenzen aushandeln. New York, Singapur und Johannesburg wurden als empi79

rische Felder ausgewählt, da hier komplexe Interaktionsprozesse zwischen »alter« und »neuer« Vielfalt beobachtbar sind (ebd.: 15). Methodisch geht es zunächst darum zu eruieren, wie Vielfalt konzipiert wurde und wird: »conceiving diversity« (ebd.: 22ff.)44. Hier wird Repräsentationen und Imaginationen ein breiter Raum gegeben. Insbesondere Alltagswelten im Simmel’schen Sinne sollen Aufschluss darüber geben, wie Differenz in Nachbarschaften verhandelt wird. Zu den Hauptquellen und ‑techniken gehören folgende: –– Recherche in Archiven zur Sammlung von Material über Stadtplanung, öffentliche Versammlungen, Konflikte etc.; –– Sammlung statistischer Daten über sozioökonomische, kulturelle, geografische und demografische Charakteristika der Gegend; –– verschiedene Sampling-Techniken zur Erhebung qualitativer Daten (Fragebögen, Tiefeninterviews, spontane Gruppendiskussionen und ‑interviews, Fokusgruppen – insbesondere zu deren Lesart von lokaler Vielfalt und der Bedeutung des lokalen Raumes); –– Experteninterviews mit Personen, die spezifisches Wissen über die Lokalität besitzen und/oder wichtige politische/wirtschaftliche/kulturelle/religionsbezogene Entscheidungen treffen. Der zweite Schritt ist die ausführliche ethnografische Beobachtung von Vielfalt: »observing diversity« (ebd.: 23ff.). Sie steht im Zentrum des Globaldivercities-Projekt. Hierbei geht es darum, die alltäglichen Regelhaftigkeiten, Spannungen und Aushandlungsprozesse im urbanen öffentlichen Raum zu beobachten. Entsteht hier eine »community of similarity« (Sennett 1996) oder gar eine »Mixiphobia« (Bauman 2003)? Zu den wichtigsten Techniken, die hier zur Anwendung kommen, zählen: –– teilnehmende Beobachtung an besonders relevanten Orten, an denen Vielfalt ausgehandelt wird, wie beispielsweise öffentliche Parks, Geschäftsstraßen, Märkte; –– teilnehmende Beobachtung von Nachbarschaftsorganisationen und ‑gruppen sowie von öffentlichen Veranstaltungen in der jeweiligen Lokalität; 80

–– »transect walks«, das heißt mobile Interviews, während derer ein/‑e Informant/‑in eine bestimmte Laufstrecke durch das Stadtviertel wählt und über die Umgebung erzählt (diese Methode erlaubt es auch, Interaktionen der/des Informanten/‑in mit anderen Personen in dem Viertel zu beobachten); –– »behavioural mapping«, das heißt das Aufzeichnen der spezifischen Aktivitäten von Schlüsselinformanten/‑innen in einem bestimmten Zeitraum und auf einem bestimmten Gebiet. Schließlich sollen in einem dritten Schritt die Ausprägungen von Vielfalt visuell dokumentiert werden: »visualizing diversity« (ebd.: 24ff.). Hiermit sind zwei Dimensionen verbunden: Es geht einerseits um das Sammeln, Dokumentieren und Erstellen von visuellem Material, andererseits darum, Forschungsergebnisse auf eine innovative Weise sichtbar zu machen. Vertovec sieht sich hier in der Tradition der visuellen Anthropologie und der kritischen visuellen Methodologie. Folgende Schlüsseltechniken sind für den ersten Aspekt relevant: –– Fotografie und Video werden (unter Einbezug von GPS) systematisch bei der Feldforschung als Medien genutzt. –– Fotos und Videos werden als Input-Material bei der Durchführung semigeleiteter Interviews genutzt. –– Die mobilen Interviews werden mit geolokalisierten Foto- und Videoaufnahmen durchgeführt. –– Schlüsselinformantinnen und ‑informanten erhalten Fotoapparate, um eigene Repräsentationen der sozialen Welt festzuhalten und/oder kommentierte Fototagebücher zu erstellen. Dies erleichtert auch die Arbeit beim »mental mapping« von relevanten Orten. –– Schließlich wird das Drehen eines ethnografischen Films über die drei Feldstudien geplant. Der zweite Aspekt, das heißt das Sichtbarmachen der Ergebnisse, betrifft die geografische Visualisierung. Um räumliche Beziehungen sichtbar zu machen, verwendet Vertovec folgende Mittel (ebd.: 26ff.):

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–– Eine innovative Form der Kartografie, welche sozioökonomische und demografische Daten einbezieht und diese in GPSKarten einfügt. Visuelles Material aus der Feldforschung (welches sowohl von Forschenden als auch von Informantinnen und Informanten produziert wurde) soll hier ebenfalls Eingang finden. –– Es ist weiterhin geplant, »linguistic landscaping« zu betreiben, das heißt die Sprachenvielfalt an verschiedenen Orten zu dokumentieren. Hierzu gehört unter anderem das Dokumentieren von sprachlichen Zeugnissen im öffentlichen Raum (Werbung, Graffiti etc.), georeferenzierte Notizen über die Beobachtung des Sprachgebrauchs (code-switching, Musik etc.). –– Neue Methoden zur Verbindung von »mental maps, behavioural maps, physical maps and visual images«, der Visualisierung von Daten und ethnografischen Beobachtungen sollen schließlich entwickelt werden (Vertovec 2011: 26ff.). Ziele des laufenden Projektes sind zum einen die Erarbeitung von Beiträgen zur Theoriebildung (über interaktive Aushandlungsprozesse von Vielfalt im urbanen Raum) und zum anderen das Formulieren politischer Empfehlungen (für die Stadtplanung und die Sozialpolitik), die bei der Herausbildung eines gemeinsamen Modus Vivendi helfen sollen. Ein wesentlicher Bestandteil der alltäglichen Aushandlungsprozesse im urbanen Raum ist die Suche nach Anerkennung. Jene Anerkennung kann über den Ausdruck eigener Kulturen, Religionen und Sprachen erlangt werden. Daher hat sich die UNESCO im letzten Jahrzehnt verstärkt für eine vielfältige Kulturpolitik eingesetzt, wie ich nun zeigen werde.

3. Politiken der Vielfalt: Kulturpolitik und (Welt‑)Musik Hinter den Begriffen Vielfalt und Diversity stecken vielfältige Semantiken, wie die bisherigen Kapitel gezeigt haben. Politik und Wirtschaft, Verwaltungen, Behörden, Universitäten und Freiberufler wie Coacher sind Teil eines täglich größer werdenden Geschäftes mit der Vielfalt. In seinem kürzlich erschienenen Aufsatz über »›Diversity‹ and the Social Imaginary« definiert Vertovec Diversität wie folgt: »a wide-ranging corpus of normative discourses, policies and practices that specifically cite some concept of 82

diversity« (2012: 288). Diversitätsdiskurse seien Teil von »public and corporate language, activities and institutional structures that specifically invoke the notion ›diversity‹« (ebd.). Ein gutes Beispiel hierfür ist die UNESCO-Kulturpolitik. Das folgende Kapitel behandelt zunächst unterschiedliche Vorstellungen von Vielfalt, insbesondere im Kulturbereich, um dann deren Konsequenzen für die musikalische Kreativität zu zeigen. Im Zuge der sozialen Bewegungen der 1960er  Jahre, die für Bürgerrechte und Emanzipation gekämpft haben, sind Antidiskriminierungs- und spezifische Förderungspolitiken entstanden, die sich zunächst an Menschen richteten, die wegen ihrer Hautfarbe und/oder ihres Geschlechts diskriminiert wurden. Mehr und mehr spezifische Gruppen wie beispielsweise die LGBT(Lesbians, Gays, Bi, Transsexuals)‑Bewegung haben sich für den Erwerb gleicher Rechte wie zum Beispiel das Recht zu heiraten oder Kinder zu adoptieren eingesetzt. Dazu kommen im Zuge internationaler »minority rights revolution(s)« (Skrentny 2002) auch Identitätspolitiken (Bernstein 2005) von indigenen Bevölkerungsgruppen, die für den Schutz ihrer Sprache, ihres Territoriums und/oder ihres immateriellen Erbes kämpfen. Der UNESCO-Weltbericht von 2009 ist Teil der damit einhergehenden globalen Veränderungen und Zugänge zur Vielfalt (Kymlicka 2007).

Diskurse der UNESCO zur kulturellen Vielfalt 2001 hat die UNESCO-Generalkonferenz in einer Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt (UNESCO 2001) die besondere Pflicht zum Schutz kultureller Ausdrucksformen unterstrichen. Sie bekräftigt hier, »dass Kultur als Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften angesehen werden sollte, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen, und dass sie über Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen umfasst« (ebd.).

Kultur wird als wandelbare, prozesshafte Praxis betrachtet, welche untrennbar vom demokratischen Rahmen sei und eine entscheidende Bedeutung für den Zusammenhalt von Gesellschaf83

ten habe. Die Entfaltung kreativer Kapazitäten sei auch für die emotionale, intellektuelle, geistige und moralische Existenz des Einzelnen wichtig. Kultur sei nicht nur ein Entwicklungsfaktor, sondern auch ein Menschenrecht. Sprache, Bildung und die Ausübung kultureller Rechte werden als Teil dieser Menschenrechte angesehen. Der gleiche Zugang zu Kunst, wissenschaftlichen Erkenntnissen und digitalen Ressourcen müsse daher gewährleistet werden. Aufgrund von Ungleichheiten in der Weitergabe kultureller (materieller und immaterieller) Güter sei die Bewahrung derselben und die Förderung kultureller Vielfalt besonders für Entwicklungs- und Schwellenländer von Bedeutung (ebd.). Die UNESCO ruft schließlich zu internationaler Solidarität bei der Umsetzung der Erklärung auf und verabschiedet einen Aktionsplan, dessen Umsetzung noch heute als schwierig betrachtet wird. Im Jahr  2003 haben die Mitgliedsstaaten der UNESCO die Institution aufgefordert, weitere Maßnahmen zur Förderung der menschlichen Kreativität zu entwickeln. Schließlich wurde 2005 ein Abkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (Convention on the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions) verabschiedet. Dieses Abkommen soll sicherstellen, dass »artists, cultural professionals, practitioners and citizens worldwide can create, produce, disseminate and enjoy a broad range of cultural goods, services and activities, including their own« (UNESCO 2005). Kulturelle Vielfalt wird hier (ebd., Art. 4) wie folgt definiert: »›Cultural diversity‹ refers to the manifold ways in which the cultures of groups and societies find expression. These expressions are passed on within and among groups and societies. Cultural diversity is made manifest not only through the varied ways in which the cultural heritage of humanity is expressed, augmented and transmitted through the variety of cultural expressions, but also through diverse modes of artistic creation, production, dissemination, distribution and enjoyment, whatever the means and technologies used.«

Ein konkreter Versuch der Umsetzung der UNESCO-Leitlinien wurde innerhalb der Europäischen Union mittels der Studie Implementing the UNESCO Convention of 2005 in the European Union auf den Weg gebracht. Die Autoren unterscheiden zwischen der 84

Vielfalt von Menschen selbst (»living beings«) und der Vielfalt der kulturellen Existenz der Personen (»cultural beings«). Insbesondere Minderheiten sollen proaktiv gefördert werden, ihren Kulturen Ausdruck zu verleihen. Ziel der Förderung von »human diversity« ist die Vermeidung eines »cultural genocide«, das heißt eines kulturellen Völkermordes (Germann Avocats u.a. 2010a: 61-70). Künstlerinnen und Künstler werden als Schlüsselakteure für den Ausdruck kultureller Vielfalt betrachtet. Die Studie weist außerdem darauf hin, dass die Meinungs- und Pressefreiheit dann nicht mehr gewährleistet ist, wenn die öffentliche Meinung nur auf Bücher, Filme und Musik aus einer einzigen, homogenen kulturellen Quelle gestützt ist. Hier empfiehlt die Studie, beispielsweise gegen den Missbrauch von Machtpositionen im Marketing vorzugehen, da diese eine kulturelle Diskriminierung nach sich ziehen (ebd.: 89). Insbesondere die Filmindustrie leide unter der Dominanz der großen amerikanischen Firmen. Die Autoren empfehlen eine gezielte Reform von Urheberrechten und eine neue Definition von geistigem Eigentum, damit auch kleinere und mittlere Filmfirmen leichteren Zugang zu Rechten bekommen. Denn ein zu starker Schutz geistigen Eigentums habe kulturelle Diskriminierung zur Folge und verhindere eine vielfältige kulturelle (Film‑)Produktion zugunsten des wirtschaftlich dominanten Mainstreams. Außerdem wird als eine zentrale Maßnahme die Förderung der transnationalen Mobilität von Künstlerinnen, Künstlern und Kulturschaffenden empfohlen (ebd.: 267). 2006 wurde eine »Plattform für ein interkulturelles Europa« unter anderem vom European Forum for the Arts and Heritage und der European Cultural Foundation ins Leben gerufen. Kurz vor Ende des damit verbundenen »Europäischen Jahres des Interkulturellen Dialogs« 2008 wurde das »Rainbow Paper« veröffentlicht, in dem mehr als 200  Nichtregierungsorganisationen über ihre praktischen Erfahrungen berichten. Die kritische Frage, inwieweit die EU selbst kulturelle Vielfalt fördert, oder ob sie sich nur auf europaweite Netzwerke beschränkt, war Teil der Abschlussdiskussion. Schließlich kommt die Studie der Expertengruppe Germann Avocats zu dem Schluss, dass das kulturpolitische Gewicht des UNESCO-Übereinkommens begrenzt sei und konkrete Umsetzungen aufgrund der oft zu allgemein formulierten Empfeh85

lungen schwierig blieben. Gerade in Fragen der Sprachenvielfalt gebe die EU selbst ein schlechtes Beispiel, da die Hegemonie des Englischen dominiere. Der umstrittene französische Linguist Claude Hagège sieht die englische Sprache in ähnlicher Weise als prinzipiellen »Vektor des neoliberalen Denkens und der damit verbundenen Kultur« (2014: 41). Diese Kultur sei nicht »in der Vielfalt auflösbar«, sondern Teil einer fortschreitenden »Amerikanisierung« (ebd.). Ähnliche globale Veränderungen beobachtet die Literatursoziologin Gisèle Sapiro auf dem Buchmarkt: Ursprünglich war die Förderung von Übersetzungen eine Strategie zur Erhaltung von (bedrohter) kultureller Vielfalt. Diese Vielfalt misst Sapiro anhand der Zahl von übersetzten Quellensprachen. Nun sei der globale Buchmarkt jedoch von der englischen Sprache als Quellensprache dominiert. Lediglich die mittelständische Produktion (in Frankreich und den USA) zeige noch Widerstand gegen die Dominanz des Englischen, indem Bücher aus einer wachsenden Anzahl von Sprachen übersetzt würden. Dies sei Teil einer politischen Forderung zur Sicherung kultureller Vielfalt (Sapiro 2010: 419ff.). Die UNESCO-Expertengruppe fragt im Hinblick auf Sprachen, ob die Politik zur Sprachenvielfalt nicht überschattet werde von der Politik der Mehrsprachigkeit (Germann Avocats u.a. 2010a: 259). Ein zu gründendes »European Institute for Cultural Diversity« soll hier als Observatorium für die Umsetzung des UNESCOÜbereinkommens tätig werden. In dem 2010 in der Folge von der Europäischen Kommission verabschiedeten »Green Paper« wird zwar die Bedeutung der Mobilität von Künstlerinnen und Künstlern sowie künstlerischen Werken erneut unterstrichen. Nichtsdestotrotz wird bedauert, wie tief Kultur in der Hierarchie der Kommission steht. Die UNESCODiversity-Politik ist folglich Teil der in den letzten Jahrzehnten aufkommenden Diskurse, welche Vielfalt politisch und institutionell insbesondere im künstlerischen und sprachlichen Bereich fördern möchten. Die konkrete Umsetzung dieser Politik geht jedoch nur langsam voran und zeugt von großen Unterschieden zwischen den Kulturpolitiken der einzelnen Länder. Dies liegt auch an der Unschärfe der Empfehlungen, die von dem politischen Willen geprägt sind, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Auch die rechtlich bindende UNESCO-Konvention von 2005 wurde 86

mangels Sanktionen nur schleppend umgesetzt. Ursprünglich sollte der Liberalisierung der Märkte durch die Welthandelsorganisation und der damit verbundenen amerikanischen Hegemonie eine gewichtige europäische Politik, insbesondere zum Schutz des audiovisuellen Marktes und der dort vorherrschenden vielfältigen kulturellen Ausdrucksformen, entgegengesetzt werden. Im Rahmen der UNESCO waren Frankreich und Kanada treibende Kräfte bei der Entwicklung von Initiativen zum Erhalt kultureller Vielfalt, da beide Länder vor allem ein starkes Interesse am Erhalt der französischen Sprache haben. Der Deutsche Bundestag hatte sich 2008 mit der verstärkten Förderung der kulturellen Dimension bei der Einigung Europas befasst, um den »Respekt vor der kulturellen Vielfalt der Völker« zu wahren.45 Unter den Abgeordneten, die sich 2008 fraktionsübergreifend für eine aktive Gestaltung der Kulturpolitik in Europa eingesetzt hatten, war auch die damalige Abgeordnete Monika Grütters. Kurz nach ihrer Ernennung als Bundesbeauftragte für Kultur 2013 setzte sie sich explizit für den Ausbau der Berliner Museen als Orte der »Weltbürger« ein: »Wir werden viel mehr über uns selbst erfahren, als mit erhobenem Zeigefinger den anderen die Welt zu erklären. Wie viel können wir lernen, wenn wir über unseren eigenen Horizont hinaus die großen Menschheitsthemen beleuchten, Fragen nach Leben und Tod, die Bedeutung der Religion oder das Phänomen der Migration. Jeder von uns macht immer wieder Diaspora‑, also Minderheitenerfahrungen – gerade in ethnisch gemischten, kosmopolitischen Städten wie Berlin. Es gibt ganz wenige Orte auf der Welt, an denen diese Erfahrungen aufgehoben sind. Zu diesen Orten gehören die Museen. Hier bist du Weltbürger, hier kannst du es sein. Diesem Geist verdankt sich das Humboldt-Forum.«46

Vor diesem Hintergrund sollte nach Grütters auch der eurozentrische Blick auf die außereuropäischen Kulturen durch eine neue museale Konzeption überdacht werden. Grütters spricht sich ähnlich wie die Autoren der UNESCO-Studie für eine Förderung vielfältiger Kulturen aus, gibt jedoch gleichzeitig zu bedenken, dass ein verändertes Urheberrecht Kreativen weiterhin erlauben müsse, von ihrer Arbeit zu leben. Dieses Problem betrifft auch Musikerinnen und Musiker, denen die digitale Kultur neue Nischen bot, die gleichzeitig jedoch mit Problemen des Urheberrechts und 87

der Dominanz der Mainstream-Kultur konfrontiert werden. Das folgende Kapitel widmet sich daher exemplarisch der Vielfalt in der Musik.

Musik als Ort der Vielfalt Nicht nur die Soziologie, sondern auch die Interkulturalitätsforschung47, die Musikwissenschaft und die Wirtschaftswissenschaften beschäftigen sich seit etwa zwei Jahrzehnten mit der Analyse von Vielfalt. Mit der Fabrikation globaler Vielfalt in der Popindustrie setzt sich eine Studie von Andreas Gebesmair (2008) auseinander, die der Frage nachgeht, wie sich die musikalische Vielfalt mit den neuen Strukturen der Produktion und Distribution verändert hat. Eine hohe Konzentration des Mainstreams auf wenige Stars verläuft parallel zu einer vielfältigen Nischenproduktion, die Ungleichheiten immer mehr verstärkt. Damit kommt Gebesmair zu ähnlichen Ergebnissen wie der oben zitierte UNESCO-Bericht. Die Zeitschrift Musikforum/Das Magazin des deutschen Musiklebens hat sich ebenfalls vor Kurzem (Januar bis März 2010) mit einer Ausgabe dem Thema Über Grenzen hinaus. Multikulti ade – Wege in transkulturelle Welten gewidmet. Die (umstrittenen) Ideen des Philosophen Wolfgang Welsch zur Transkulturalität als Durchdringung, Verwischung und Aufhebung von Grenzen durch die Begegnung unterschiedlicher Kulturkreise stehen im Hintergrund der musikwissenschaftlichen Beschäftigung mit Vielfalt. Ihm zufolge gibt es weder eine »Globalkultur« noch eine »uniforme Weltkultur« (Welsch 2010: 8): »Die Kombination von verschiedenen vertikalen und horizontalen Elementen verschiedener Herkunft macht so jedes Individuum transkulturell.« Die transkulturelle Gesellschaft sei »eine Kultur, an der alle teilhaben, egal, aus welcher Gesellschaft sie ursprünglich kommen« (ebd.). Welschs Idee, dass jede Person »fremde« Elemente in sich erkennen soll, um durch dieses Bewusstsein die Ähnlichkeit mit äußeren Fremdheiten zu sehen, ist deshalb problematisch, weil sie als essenzialistische Sichtweise interpretiert werden kann. Sie birgt ein ähnliches Paradox in sich wie die Begriffe Hybrid, Kreolisierung, Synkretismus oder métissage (Mischung). Um die Mischung oder die Begegnung denken zu können, ist der Rückgriff auf die (vermeintlichen) Eigenheiten des jeweiligen kulturellen 88

Elements notwendig. Wenn hier – wie etwa bei dem Begriff der Integration – eine implizite oder explizite Hierarchisierung stattfindet, werden Machtverhältnisse gefestigt, wie Welsch selbst zu bedenken gibt: »In diesen offiziellen Bemühungen wollen offensichtlich die Leitkulturalisten die Nicht-Leitkulturalisten integrieren.« (Ebd.) Auch wenn Welsch sich von der Vorstellung, Kulturen wie von einander abgegrenzte Kugeln zu verstehen, abgrenzt, fußt sein Verflechtungsansatz auf der Verbindung verschiedener kultureller Elemente: »Heutige Menschen nehmen, im Gegensatz zu früher, mehr unterschiedliche kulturelle Einflüsse auf und verbinden diese zu ihrer eigenen Identität. Deshalb sind sie zunehmend in sich transkulturell. Das erlaubt ihnen auch, mit der externen Transkulturalität besser zurechtzukommen.« Konkret sieht Welsch in der Musik eine Möglichkeit zur ästhetischen Erziehung im Schiller’schen Sinne, da die Musik, »was Integration angeht, den Vorteil [hat], dass sie von der Wortsprache weitgehend unabhängig ist« (ebd.: 10). Allerdings sieht er nur wenige Beispiele für Transkulturalität in der heute aufgeführten Musik – allenfalls beim Kronos Quartett oder bei Werken von John Cage und Toru Takemitsu –, da diese oft »westlich« dominiert sei. Die dichotome Trennung zwischen dem Eigenen und dem Fremden in der Musik wird deutlich kritisiert von Hanns-Werner Heister (2010: 39ff.). Er analysiert die Wahrnehmung von Alterität in der Musik, indem er zwischen vier Formen des musikalischen Exotismus unterscheidet: 1.  dem außereuropäischen Exotismus, welcher die Form des Orientalismus annehme, 2. dem innereuropäischen Exotismus, der sich vor allem über sprachliche Unterschiede abgrenze, 3.  dem historisierenden Exotismus, der auf einer zeitlich definierten Distanz gründe, 4. dem sozialen Exotismus, der verschiedene Typen von Musik innerhalb derselben Gesellschaft unterscheide (insbesondere Volksmusik). Kann unter den Begriff des außereuropäischen Exotismus auch die Weltmusik beziehungsweise World Music oder »musique du monde« gefasst werden? Frankophone Studien zur Vielfalt in der Musik beziehungsweise musikalischer Vielfalt verweisen in diese Richtung. Gérald Arnaud (2005: 87) erinnert an das Aufkommen des Begriffs der World Music um 1987. Damals trafen sich Vertreter der Musikindustrie in London um Peter Gabriel (in seiner Funktion als Direktor des Labels RealWorld und des Festivals Wo89

mad), um einen Terminus zu finden, unter dem so unterschiedliche Bezeichnungen wie »ethnopop«, »tribal sound« oder »world beat« gefasst werden könnten. Der damals gemeinsam verbreitete Begriff »World Music« fand bereits drei Jahre später mit einer eigenen Hitparade Eingang in die für den angelsächsischen Raum maßgebliche Wochenzeitung Billboard (ebd.). Darunter wurden alle Musikrichtungen gefasst, die weder zum klassischen europäischen Erbe noch zur angelsächsischen Popmusik gehören. Danach hat sich die Semantik des Begriffs je nach Sprach- und Länderkontext differenziert. In den USA fanden sich darunter afrikanische, karibische, asiatische, nichtenglischsprachige europäische Musik sowie Musik von amerikanischen Minderheiten (Indianer, Cajuns, das heißt Nachfolger der akadischen Franzosen, Latino-Amerikaner etc.). World Music wird hier zum Ghetto der »Anderen« und umfasst so unterschiedliche Bereiche wie Flamenco, Zouk sowie Alben von Édith Piaf oder Youssou N’Dour (ebd.: 88). In Frankreich, wo »World Music« 1990 auf den in den 1980er  Jahren eingeführten Begriff der »sono mondiale« folgte, hat das Kulturkaufhaus Fnac entscheidend zur Verbreitung des Begriffs »musiques du monde« beigetragen. Zuvor wurde dessen Inhalt auch als »musiques ethniques«, »folklore« oder auch »folk music« bezeichnet. Hier findet sich übrigens eine Genealogie von Begriffen wieder, die wir bereits aus der Diskussion um Kunstund Einwanderungsmuseen kennen: Hier wird, wie beispielsweise im Musée du Quai Branly, auch zwischen dem Eigenen und dem Fremden unterschieden. In Frankreich wird »World Music« noch benutzt, betitelt jedoch eher »synkretische Produktionen, die Musik aus verschiedenen kulturellen Herkünften assoziieren« (ebd.). Die Fnac sieht sich selbst als »kulturellen Agitator« und möchte der politischen Forderung nach Vielfalt ein zentrales Gewicht geben. Sie versteht sich als universelle Sprecherin für kulturelle Vielfalt (ebd.). Im Kontext eines allgemeinen, in der französischen öffentlichen Meinung gängigen Antiamerikanismus läuft dies vor allem auf die Förderung der französischen Sprache hinaus – obwohl die Unterstützung multipler Identitäten in den Vordergrund gestellt wird. Auch hier ist die politische Förderung von musikalischer Vielfalt das Ergebnis von Überlegungen im linken und 90

rechten politischen Spektrum, die sowohl im Namen des Differenzialismus beziehungsweise Differenzparadigmas als auch des Universalismus vertreten werden. Nicht nur Präsidenten von Mitterrand bis Chirac nahmen sich dieser Sache an, sondern auch Globalisierungskritiker verteidigen die kulturelle Produktion der ehemaligen Kolonien. In der Praxis haben es Musiker aus afrikanischen Ländern beziehungsweise von anderen Kontinenten jedoch im Allgemeinen schwerer, eine Tournee-Erlaubnis für Frankreich als für die Vereinigten Staaten von Amerika zu erhalten (ebd.). Beim genaueren Hinsehen liegt die Wurzel zu »métissage musical«, das heißt zu musikalischer Mischung, auch in einer biologischen Konzeption von »reinen« Elementen, aus deren Kombinationen dann die neuen Mischungen entstanden sind. Dies ist aus heutiger Sicht umso problematischer, als die etymologischen Wurzeln eine klare (positive) Wertung dieser Reinheit (gegenüber der negativ besetzten Unreinheit) aufzeigen. Der französische Begriff »métisse« geht auf das französische Wort »mestiz« des 12. Jahrhunderts zurück, welches wiederum seinen Ursprung im lateinischen »mixtus« hat. Dieses Wort für »Mischung« wird in seiner Bedeutung jedoch 1615 mit dem portugiesischen Begriff »metice« in Verbindung gebracht, welcher »gemischtes Blut« (das heißt eine Person, deren Mutter und Vater dem damaligen Verständnis nach aus unterschiedlichen »Rassen« stammen) bedeutet. Im Zuge der portugiesischen Kolonisierung Afrikas wurde daraus die Bezeichnung »mulâtre«, die die Nachkommen von einem schwarzen Mann und einer weißen Frau oder von einer schwarzen Frau und einem weißen Mann bedeutet. Das Referenzwörterbuch der französischen Sprache Le Robert fügt als Gegenbegriff zu »mulâtre« »pur«, das heißt »rein« auf. Arnaud sieht in dieser Genealogie einen Beleg dafür, dass im französischen Denken »métis« assoziiert wird mit »impur«, das heißt »unrein« (Arnaud 2005: 89). Diese Vision der Ursprünge des Begriffs »métisse« zeugt demnach von einer impliziten wertenden Hierarchisierung, die sich auch (heute noch) in der Wahrnehmung von Musik wiederfinde. 1984 hat die Zeitschrift Revue Musicale zum ersten Mal den Begriff »musiques métisses« bei der Betitelung einer Sonderausgabe zum Thema »Un monde musical métissé« benutzt. In dieser Zeit änderte auch das bekannte Jazzfestival von Angoulême sein Programm, indem es für Musik aus Afrika, den 91

Antillen und dem Indischen Ozean geöffnet wurde. Von nun an hieß es »Festival du jazz et des musiques métisses«, später dann nur noch »Musiques métisses«. Ähnlich wie viele historischen Zusammenhängen gegenüber sensible Sozialwissenschaftlerinnen und ‑wissenschaftler einige Globalisierungstheorien wegen ihrer mangelnden Historisierung kritisiert hatten, weist Arnaud auf die Ignoranz der Ethnomusikologen, die den Begriff »métissage musical« unreflektiert übernehmen, hin: Die Verbreitung von Musikinstrumenten, insbesondere von Flöten und Pfeifen in der Frühgeschichte, sei ein Beweis für die Frühphase der »métissage musical«. Jene nachgewiesene Zirkulation von Instrumenten und deren Bautechniken werde jedoch auch heute noch ignoriert von Spezialisten des »métissage musical«. Viele als »traditionell« geltende Instrumente seien das Ergebnis von Austauschprozessen, beispielsweise im Kontext der Kolonialisierung. Um diese Phänomene analysieren zu können, bedürfe es schärferer terminologischer Trennlinien. Der Autor schlägt vor, zwischen »métissage« (einer biologischen beziehungsweise genetischen Mischung), »symbiose culturelle« (»kultureller Symbiose« als Grundlage der Beziehungsdynamik zwischen Individuen und Gesellschaften) und »évolution musicale« (»musikalischer Entwicklung«, die ihren eigenen Gesetzen folge, manchmal unabhängig von biologischen und kulturellen Austauschprozessen) zu unterscheiden (Arnaud 2005: 91). Für ihn ist daher der Begriff »métissage musical« eine widersinnige Konstruktion. Sein wichtigstes Argument ist die Feststellung gegenläufiger historischer Entwicklungen im musikalischen Bereich einerseits und in der Bevölkerungsentwicklung andererseits. So sei die heute noch am weitesten verbreitete Musikmischung in einer Gesellschaft entstanden, die extrem stark sozial und sexuell segregiert war: in der nordamerikanischen Gesellschaft des beginnenden 19. und 20. Jahrhunderts. Paradoxerweise sind hier Blues und Gospel, die heute als »Modelle für musikalische Mischung« gelten (ebd.), entstanden. Schließlich fragt der Autor, inwieweit es heute wirklich um die Verbreitung von vielfältigen Musikstilen gehe, oder ob nicht postkoloniale Exotisierungsprozesse dazu führten, dass einzelne Stile sich nach wirtschaftlichen Kriterien durchsetzten. Hierzu zitiert er den Unternehmer Patrick Zelnik, der zunächst den Kon92

zern Virgin geleitet hatte, bis er mit »Naïve« eine eigene Firma gründete: »Trotz einer intensiven musikalischen Mischung ist die Vorstellung von kultureller Vielfalt illusorisch. Im Musikbereich kontrollieren fünf Labels 75 Prozent des Weltmusikmarktes« (ebd.: 93). Obgleich sich die »métissage musical« in den letzten Jahren noch zuungunsten der amerikanischen Hegemonie verstärkt habe, dürfe nicht vergessen werden, dass der Markt sich zunehmend konzentriere und von wenigen Bestsellern dominiert werde. Diese Situation wird auch im Rahmen der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt mit Besorgnis erwähnt, wie ich oben gezeigt habe. Hier wird empfohlen, geistiges Eigentum besser zu schützen und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu fördern (siehe oben). Auch der Zugang zu einer möglichst vielfältigen Bandbreite an kulturellen Ausdrucksformen aus aller Welt soll der UNESCO zufolge gewährleistet werden. Der oben erwähnte Unternehmer Zelnik setzt sich auch für die Gründung eines Weltrates der Kulturen nach einem dem Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen ähnelnden Modell ein. Falls keine politisch wirksame Regulierung möglich sei, ende die Globalisierung der Kulturen imperialistisch, und die »dominanten Kulturen werden die Vielfalt wegfegen« (ebd.). Abschließend fragt Arnaud sich selbst ironisch, warum Vielfalt überhaupt wünschenswert sei, und prognostiziert eine mögliche Vereinheitlichung der Musikrichtungen. Diese könne jedoch verhindert werden, wenn die immer schnellere Diversifizierung der Tonlandschaften auch zu einer größeren Neugierde seitens der Hörerinnen und Hörer führe. Musik sei in ihrer ganzen Vielfalt schließlich das größte Bindeglied zwischen den Menschen. Diese Diskussion um Musik zeugt von einer ähnlichen Sorge wie die Debatte zum Erhalt der Sprachenvielfalt: Besonders in Frankreich ist die Angst vor einem amerikanisch dominierten Mainstream groß. Aufgrund dessen wurden der Schutz der französischen Sprache (durch Auflagen zur systematischen Übersetzung englischer Begriffe oder auch Werbeslogans) und die Verbreitung französischer Musik (durch Quoten im Radio) gesetzlich48 geregelt. Nicolas Jaujou hat 2002 eine interessante empirische Studie zur musikalischen Vielfalt vorgelegt. Er wollte der Frage nachgehen, wie die in Kulturkaufhäusern vorherrschende Kategorisierung von Musik zu einer Inszenierung von musikalischer Vielfalt 93

führt. Auch Jaujou geht von der Prämisse aus, dass »musiques du monde« ein Konstrukt sei. Dieser Begriff impliziere keine nationale oder geografische Differenzierung. Die Vielfalt der »musiques du monde« überlagere die nationalen oder regionalen Identitäten, das heißt eine quasikulturalistische Repräsentation von musikalischer Vielfalt. Gleichzeitig behielten die Kaufhäuser Bezeichnungen wie »Salsa« oder »Reggae« bei, die eine alternative Organisation der Vielfalt ermöglichten (Jaujou 2002: 857ff.). Zum Zeitpunkt der Untersuchung gab es in einem großen Kulturkaufhaus von Bordeaux folgende Unterkategorien für »musiques du monde«: »Spanien/Portugal/Zigeuner [sic!]/Verschiedenes Europa; Mittlerer Orient/Asien/Verschiedenes Welt; Antillen; Maghreb; Argentinien/Mexiko/Musik der Anden/Brasilien; Salsa; Reggae; Afrika«49 (ebd.). Der »musiques du monde« als Begriff wohnen mannigfaltige Möglichkeiten zum Umgang mit deren Vielfalt inne. Diese Öffnung für innere Differenzierungen wird Jaujou zufolge jedoch konterkariert durch Inkohärenzen bei der tatsächlichen Etikettierung durch die Musikhändler. Die grobe Trennung in »musiques du monde«, »classique« und »musique électronique« werde der Pluralität der musikalischen Produktion nicht gerecht. Sie reflektiere vielmehr potenzielle Möglichkeiten der Inszenierung, die in der Praxis jedoch immer den Blick des Kunden mit einbezog. So wird der Plattenhändler durch seine Klassifizierung und Benennung von musikalischen Kategorien zum Produzenten von Wissen über Musik und deren Vielfalt. Der Kunde entwickelt sein Wissen, seinen Geschmack und seine Gewohnheiten innerhalb einer semantischen Struktur, die ihn miteinbezieht: »Seine Beziehungen zur Musik sind vorgesehen und vorgefasst, um sie besser verwirklichen zu können.« Der Kunde soll auf seine Vorstellungen von Musik beschränkt bleiben. »Die vorgefundenen Marketingtechniken, insbesondere die Segmentierung der Musikproduktion in Märkte, die Ausarbeitung der musikalischen Vielfalt in Produkte und die Konstruktion einer Typologie der Klientele« werden vom Autor als »Formatierungstechniken« der jeweiligen Konstruktionsform musikalischer Praktiken angesehen (ebd.). Da der Geschmack der jeweiligen Kundschaft in den Augen der Marketingexperten nun als bekannt angesehen werde, könnten sich die Kunden selbst gar nicht mehr dazu äußern. Der jeweilige Stil94

bereich im Laden appelliere an die Einschreibung des Kunden in diese Kategorien und nicht an die Konstruktion ebendieser Kategorien seitens des Kunden. Jener Mechanismus lähme auch die Kreativität bei der Musikproduktion selbst, das heißt die aktuelle Produktion orientiere sich an den Kategorien, die für die potenzielle Kundschaft bereits eine Bedeutung hätten (ebd.: 867). In der Tat haben Marketingunternehmen längst eine Lesart für die Vielfalt musikalischer Geschmäcker entwickelt, indem die Befragten ihre Verbundenheit mit einem musikalischen Stil oder Genre beschreiben sollen. Hier werden also musikalische Geschmäcker in ein vorgefasstes Organisationsschema der musikalischen Vielfalt gepresst. Der Autor plädiert daher für eine Verschiebung der Untersuchungsperspektive »von einem Wissen über die Musiken zu einem Wissen über unsere Praktiken« (ebd.: 868). Die Produktion der Vielfalt könne untersucht werden, indem gefragt werde: »Wenn es verschiedene ›musikalische Geschmäcker‹ gibt, wie kann man deren Vielfalt benennen?« (Ebd.) Im kreativen Akt des Sich-über-Musik-Äußerns nehmen die Musikkategorien für Jaujou nämlich verschiedene Funktionen ein. Da diese zu zahlreichen Missverständnissen führen können, muss am Anfang jeder Forschung zur musikalischen Vielfalt zunächst eine Reflexion über unsere Art, Musik zu kategorisieren, stehen, sodass wir uns von dem Wissen über unsere Art, Musik zu hören, »befreien können«. Die Überlegung, wie repräsentativ unsere Praktiken sind und die »Suche nach der Vielfalt unserer ›musikalischen Geschmäcker‹ müssen ein eigenes Vokabular (wieder)finden« (ebd.: 870). Dies gilt ebenso für die Ethnomusikologie und die Anthropologie der Musik, die lange Zeit über getrennte Bereiche der Musik gearbeitet und entsprechend verschiedene Kategorien gebraucht haben. Mit dem jüngsten Forschungsinteresse an Musik im Migrationskontext nähern sich jedoch beide Forschungsstränge an (Baily/Collyer 2006). Durch Musik kann in der Migration einerseits eine Beziehung zu vergangenen Lebensorten ausgedrückt werden. Auf der anderen Seite ist die Migrationssituation geradezu prädestiniert für das Schaffen neuer Stile, die dabei helfen, verschiedene Zugehörigkeiten zu artikulieren. Musik kann auch ein Vektor von inneren und äußeren Abgrenzungsprozessen sein sowie Differenzierungsprozesse innerhalb von Gruppen ausdrü95

cken (ebd.: 175). Ebenso können musikalische Ausdrucksformen Teil einer Suche nach politischer, sozialer oder kultureller Anerkennung im Migrationskontext sein. Diese Erkenntnisse führen nach und nach zu einer Reflexion über Kategorienbildungen in der Musikwissenschaft und den Sozialwissenschaften, die sich mit Musik beschäftigen. Diese methodologischen Reflexionen über die Erforschung der Vielfalt in der Musik können gut auf andere Bereiche der Geistes- und Sozialwissenschaften übertragen werden, da sie die Notwendigkeit der Dekonstruktion von vorgefassten Kategorien unterstreichen.

4. Von der Chancengleichheit über Gender Mainstreaming zu Diversity Mainstreaming Der Band Orte der Diversität. Formate, Arrangements und Inszenierungen, herausgegeben von Cristina Allemann-Ghionda und Wolf-Dietrich Bukow, fragt nach der Anerkennung von Differenzen im Rahmen einer gesellschaftlichen Diversität. Ähnlich wie die Autorinnen und Autoren neuester Publikationen zu Diversity Management, auf die ich noch zu sprechen komme, sehen sich die Verfasserinnen und Verfasser in der Nachfolge der Minderheitenforschung, in der die Segmente Gender, Klasse, sexuelle Identität, Alter, Behinderung behandelt werden. Bereits in der Einleitung zeigt sich das oben angesprochene Problem, im politischen und akademischen Diskurs Fragen des Geschlechts mit der Diskriminierung anderer Personengruppen zu vermischen. Diese Verschmelzung beziehungsweise Verschiebung von Frauenförderung zu Diversity Management seitens der Hochschul- und Unternehmenspolitik taucht auch in der angewandten Literatur auf. Hier soll es jedoch um eine Verknüpfung mehrerer kritischer Diskurse gehen: Eine »Überwindung machtimprägnierter Differenzlinien« (Allemann-Ghionda/Bukow 2011: 8) soll in der unternehmerischen Praxis erreicht werden. Theoretisch könne dies dank des konstruktivistischen Rahmens geleistet werden. Um zu ermessen, welche Schwierigkeiten damit in der Praxis verbunden sind, wird zunächst ein Überblick über die Verlagerung der Diskurse (und der diesen innewohnenden Semantiken) von der Frauenförderung/Chancengleichheit zu Diversity Management gegeben. 96

Im deutschsprachigen Raum, insbesondere in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland, ist seit den 1980er Jahren eine Verschiebung von unternehmenspolitischen Diskursen über Frauenförderung und Chancengleichheit zu Gender Mainstreaming zu beobachten. Letztgenannter Ansatz umfasst eine Richtlinie, die durch die 1997 beschlossene Politik der Europäischen Union schrittweise umgesetzt wurde. Darauf folgte in den 2000er Jahren eine unternehmenspolitische Wende hin zu einem allgemeinen Diversity Mainstreaming, welches Frauenförderung beinhaltet, jedoch nicht auf derselben philosophischen Grundlage basiert. Da dies gerade für die Unternehmens- und Hochschulpraxis weitreichende Konsequenzen nach sich zieht, sei hier die Veränderung der Semantiken kurz beschrieben. Im Zuge früher Arbeiten zur Geschlechterforschung, insbesondere in der Sozialstrukturanalyse und der Arbeitssoziologie, wurde gezeigt, dass Frauen sowohl horizontal als auch vertikal auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Die horizontale Diskriminierung bezeichnet die Tatsache, dass Frauen für die gleiche Arbeit in gleicher Position weniger Geld verdienen. Die OECD hat in einer kürzlich veröffentlichten Statistik erneut gezeigt, dass diese Lohnunterschiede im Durchschnitt 15 Prozent betragen. In den drei deutschsprachigen Ländern ist die Schere zwischen den Geschlechtern am größten: Die Einkommensunterschiede betragen in Deutschland50 20,8 Prozent, in Österreich 19,2 Prozent und in der Schweiz 18,5 Prozent. Grundlage für die Berechnung sind mittlere Einkommen für Vollzeitkräfte.51 Das Frauennetzwerk Business and Professional Women (BPW) rechnet auf dieser Grundlage aus, wie viele Tage im Jahr Frauen länger arbeiten müssen, um das gleiche Gehalt wie Männer zu erreichen, und nennt diesen Tag »Equal Pay Day«. Dieser fiel für Deutschland 2014 auf den 21.  März. Neben dieser horizontalen Diskriminierung sind auch konstante Formen der vertikalen Diskriminierung zu beobachten. Darunter fällt die Tatsache, dass weniger Frauen in Führungspositionen sitzen. Kein DAX-notiertes Unternehmen wird 2014 von einer Frau geführt; in den Vorständen ging der Frauenanteil 2013 sogar von 7,8 auf 6,3 Prozent zurück. Dieser Rückschritt ist umso größer, als es inzwischen einen steigenden Anteil qualifizierter Akademikerinnen gibt, die derartige Positionen besetzen könnten. Ein weiteres Problem der vertikalen Diskriminie97

rung ist die ungleiche Verteilung von Arbeitszeit. Frauen sind weit überproportional auf Teilzeitstellen zu finden, was unter anderem damit zu erklären ist, dass die Kinderbetreuung weitgehend auf den Schultern der Mütter liegt. Die Tatsache, dass Frauen (und nicht Männer) in einer heterosexuellen Familie ihre Arbeitszeit reduzieren, hängt damit zusammen, dass Frauen in Berufen tätig sind, in denen sie weniger Geld verdienen. Viele Niedriglohnbranchen im Dienstleistungssektor stellen zu einer überwältigenden Mehrheit Frauen ein. Aufgrund dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse gab es in den 1980er  Jahren erste politische Maßnahmen zur Gleichstellung. Diese zielten darauf ab, Frauen und Männern (beziehungsweise allen anderen Gruppen, die benachteiligt sein können) gleiche Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu geben.52 Dies impliziert, dass zum Erreichen der Gleichstellung die Gleichbehandlung zugunsten der temporären Bevorzugung einer Gruppe zurückgestellt wird. Gleichbehandlung kann in bestimmten Fällen nämlich verhindern, dass Gleichstellung erreicht wird. Andererseits sollten mit dem Prinzip der Gleichbehandlung unmittelbare und mittelbare »Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, aber auch in Bezug auf Alter, sexuelle Orientierung, physische Fähigkeiten, ethnische Zugehörigkeit, und Religion/Weltanschauung im konkreten Handeln vermieden werden« (Bendl 2012: 238). Dazu sind auch Veränderungen der strukturellen Rahmenbedingungen, die eine (Geschlechter‑)Gruppe benachteiligen, notwendig. Diese wurden unter dem Grundsatz der Chancengleichheit gefasst: Die Geschlechterpolitik müsse so gestaltet werden, dass allen Geschlechtern »die gleichen Chancen eingeräumt werden« (ebd.). Diese strukturellen Veränderungen sollten sowohl von oben (»top-down«), das heißt mit betrieblichen Maßnahmen, insbesondere zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, als auch von unten (»bottom-up«) mit feministisch motivierten Forderungen erreicht werden. Später ist diese Programmatik noch hin zum Ziel der »Work-Life-Balance« ausgeweitet worden, um den Ausgleich zwischen Berufs- und Privatleben insgesamt stärker zu unterstreichen. Grundlage für diese Forderungen und Maßnahmen waren zunächst normative Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit und das Bewusstsein, Diskriminierungen, insbesondere Frauen und/ 98

oder Müttern gegenüber entgegenwirken zu müssen. Katharina Simone Arioli (1991: 40) schreibt in diesem Zusammenhang, »verwirklichte Chancengleichheit würde bedeuten, dass den Angehörigen beider Geschlechter die Wahl zusteht, ihren Teil in der Familienbetreuung und im Erwerbsleben zu übernehmen«, sodass Geschlechterrollen überwunden werden könnten. In den Unternehmen kam die utilitaristische Vorstellung auf, Frauenförderung helfe dem Unternehmen, breitere Personalressourcen besser und effizienter nutzen zu können. Im deutschsprachigen Raum lieferte die Definition von Camilla Krebsbach-Gnath und Ina Schmid-Jörg (1985: 9) lange Zeit die Grundlage für die Entwicklung konkreter Maßnahmen innerhalb einer unternehmensspezifischen Personalplanung, »die helfen, die vorherrschenden personalpolitischen Entscheidungsmuster ›bei gleicher Qualifikation im Zweifel für den männlichen Bewerber‹ aufzubrechen und möglicherweise für eine befristete Zeit umzukehren, die der Tatsache Rechnung tragen, daß es viele qualifizierte und motivierte Frauen gibt, deren berufliche Chancen an sozialen Vorurteilen – die vielfach die betriebliche Personalpolitik leiten – scheitern, die den Zugang zu einem größeren Spektrum an qualifiziertem Personal eröffnen, die den Entscheidungsträgern in Unternehmen helfen, bewußte oder unbewußte, willkürliche und unwillkürliche Benachteiligungen von Frauen im Arbeitsleben abzubauen. Sie umfassen Bereiche wie zum Beispiel Personaleinwerbung, ‑auswahl, ‑einstellung, Ausbildung, Weiterbildung und Beförderung sowie grundsätzliche organisatorische Bedingungen.«

Konkret wurden einerseits antidiskriminierende und frauenfreundliche Maßnahmen bei der Personalauswahl entwickelt, andererseits die Arbeitszeiten flexibilisiert, Heimarbeit sowie Universitäts- und Betriebskindergärten (welche es in der Deutschen Demokratischen Republik schon längst gab) eingeführt. Die epistemologische Grundlage hierfür war ein in der Geschlechterforschung53 der 1980er Jahre entwickelter Gleichheitsansatz, der mit dem Egalitätsfeminismus in Verbindung stand. Diese Perspektive betrachtet Unterschiede als sozial konstruiert und geht davon aus, dass Frauen und Männer grundsätzlich dieselben Eigenschaften und Fähigkeiten haben, dass Frauen allerdings aufgrund der strukturellen Benachteiligung ihre Möglich99

keiten nicht ausschöpfen können und zusätzliche Hindernisse überwinden müssen, die es mit Frauenförderungsprogrammen zu beseitigen gilt. Daneben entwickelte sich (unter anderem mit Rückgriff auf die Biologie oder die Psychoanalyse) der Differenzfeminismus, welcher die Unterschiede zwischen (zwei) Geschlechtern unterstreicht und Frauen besondere Eigenschaften wie Emotionalität, Teamfähigkeit etc. zuschreibt. Hier wurde das Argument entwickelt, Unternehmen und Organisationen würden durch weibliche Arbeitskräfte dank deren Charakteristika und Herangehensweisen auf eine spezifische Weise bereichert. Gerade diese essenzialisierende Denkweise führt jedoch zur Festschreibung von Frauen auf bestimmte Rollen und verhindert deren gleichberechtigte Teilhabe an Machtpositionen. In den USA beispielsweise wurden Frauen mit dem Argument, der Beruf des Anwalts sei zu aggressiv und das Tragen von Gesetzestexten zu schwer, vom Jurastudium ausgeschlossen. Mit diversen »protective laws« wurde Frauen unter Hinweis auf ihre vermeintlichen Schutzbedürfnisse noch im 20. Jahrhundert der Zugang zu zahlreichen Berufen verwehrt. Aus heutiger Perspektive werden weder der Gleichheitsansatz noch der Differenzansatz in seiner radikalen Form angewendet. Es geht vielmehr darum zu zeigen, wie situativ Zuschreibungen ausgehandelt werden, das heißt wie »doing gender« im jeweiligen gesellschaftlichen, historischen, ökonomischen, politischen Kontext praktiziert wird. Der Wandel von Frauenförderungsprogrammen hin zu Chancengleichheitsprogrammen vollzog sich auch mit dem Argument, den bisherigen Defizitansatz überwinden zu wollen. Daher wurde der Akzent auf die Veränderung diskriminierender Strukturen auf betrieblicher Ebene gelegt. Ende der 1990er Jahre kam mit dem Gender Mainstreaming ein neuer Input von der Europäischen Union.

Gender Mainstreaming Während der Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen 1985 in Nairobi kam zum ersten Mal international der Begriff des Gender Mainstreamings54 auf und wurde in den Kontext der Entwicklungspolitik gesetzt. Die Verbesserung der Situation von Frauen mittels Geldern der Entwicklungshilfe war das erklärte Ziel. Auf 100

der folgenden Weltfrauenkonferenz 1995 in Beijing entstand die Idee, dieses Konzept auch innerhalb der EU-Politik voranzubringen. Am 16. September 1997 wurde die Mitteilung der Kommission »Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politischen Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft«55 verbindlich verabschiedet. Hiermit sollte die »Gleichstellung, Gleichbehandlung und (Chancen-)Gleichheit zur Herstellung von egalitären Geschlechterbeziehungen für den gesamten öffentlichen Bereich und auf politischer Ebene in allen Mitgliedsländern der EU« geregelt werden (Bendl 2012: 245). Diese Direktive fand auch Eingang in den Amsterdamer Vertrag (Art. 3 Abs. 2), der am 1. Mai 1999 in Kraft trat: »Bei allen in diesem Artikel genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern.« Die Aufnahme der Gleichstellungspolitik in den Vertrag war auch damit begründet worden, dass die bisher verabschiedeten Maßnahmen der EU noch nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hatten. Grundlegend für das Verständnis von Gender Mainstreaming im deutschsprachigen Raum sind die Definitionen des Europarates von 1998: Gender Mainstreaming besteht erstens in der »(Re‑) Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung von Entscheidungsprozessen mit dem Ziel eine geschlechterbezogene Sichtweise in allen politischen Konzepten und auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle an politischen Entscheidungen beteiligten Akteure miteinzubeziehen« (Council of Europe, 1998, nach Council of Europe 2004: 12) Dies soll dazu führen, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteurinnen und Akteure den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen. Gender Mainstreaming bedeutet zweitens »die (Re‑)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Bewertung des Politikprozesses mit dem Ziel der Integration der Perspektive auf Gleichstellung der Geschlechter in alle Politiken, auf allen Ebenen und allen Stufen von politischen Akteuren« (Council of Europe, Group of Specialists on Mainstreaming). Hiermit soll die Gleichstellungspolitik als Querschnittsaufgabe in allen Politikbereichen und auf allen Ebenen verankert werden. Im Artikel 8 des Lissaboner Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union wurde die 101

Verpflichtung der EU zu Gender Mainstreaming 2008 ebenfalls festgeschrieben. Das deutsche Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend definiert Gender Mainstreaming 2012 wie folgt: »Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.«56 Es bezieht sich bei der Verpflichtung zur Umsetzung auch auf Art. 3 Abs. 2, Satz 2 des Grundgesetzes: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.« Konkret findet sich die Pflicht zur Beseitigung von Nachteilen auch in weiteren Bundesgesetzen wie dem Sozialgesetzbuch VIII (§ 9 Nr. 3 SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe: Bei der Aufgabenerfüllung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe müssen die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen berücksichtigt, Benachteiligungen abgebaut und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen gefördert werden) und im Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz für die Bundesverwaltung (§ 2 BGleiG: Alle Beschäftigten in der Bundesverwaltung, insbesondere Führungskräfte, müssen die Gleichstellung von Frauen und Männern fördern; diese Aufgabe ist durchgängiges Leitprinzip in allen Aufgabenbereichen). In Österreich wurde Gender Mainstreaming am 11.  Juli  2000 durch einen Beschluss des Ministerrates ratifiziert und in weiteren rechtlichen Schritten bekräftigt.57 Die Schweiz hat 1997 das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert.58 Gender Mainstreaming unterliegt ähnlichen Prämissen wie Frauenförderungsprogramme: Grundlegend ist ein binäres, essenzialisierendes Verständnis von Mann und Frau als etisch definierte Einheiten. Auch hier findet sich aufgrund der »Vereigenschaftung von Differenz« (Bendl 2012: 248) kein Ausweg aus dem Differenzdilemma. Des Weiteren werden über diese Dualität und Hierarchisierung hinausgehende Geschlechteridentitäten wie Transgender ausgespart. Von feministischer Seite wird argumentiert, dass die auf strukturelle, organisationelle Veränderungen ab102

zielende Top-down-Strategie des Gender Mainstreaming mit spezifischen Frauenfördermaßnahmen Hand in Hand gehen sollte. Insgesamt sind die in den 2000er  Jahren vorgelegten Bilanzen zur Umsetzung des Gender Mainstreaming ernüchternd beziehungsweise zeigen sogar einen Rückgang entsprechender Maßnahmen. Bendl (ebd.: 249) fasst die Kritik wie folgt zusammen: Da in keinem EU-Land außer Schweden signifikante Erfolge zu verzeichnen sind, kann erstens davon ausgegangen werden, dass der Kontext eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung spielt und »weitreichende Transformationen in Richtung Gleichstellung, Gleichbehandlung und (Chancen-)Gleichheit der Geschlechter aufgrund von Gender Mainstreaming nur in jenen Kontexten erreicht werden, wo diese auf einer bereits ausreichend gendersensibilisierten Gesellschaft aufgesetzt werden. Darüber hinaus ist die Umsetzung von Gender Mainstreaming sehr fragmentiert.« (Ebd.) Zweitens zeigt sich, dass sich die Machtstrukturen nicht signifikant verändert haben. Drittens ist Gender Mainstreaming zwar als Politikkonzept entwickelt, jedoch schwach in der Umsetzung. Viertens ist gerade das Ziel, den »Mainstream« zu verändern, ein Hindernis, da der Status quo des Mainstreams als diametral entgegengesetzt zu Maßnahmen zur Chancengleichheit betrachtet wird. Mangelnde Kooperation von Akteuren des Mainstreams hindert diesen, sich zugunsten der Frauenförderung zu verändern. Fünftens wird die Tatsache, dass Mainstream mit dem dominierenden männlichen Geschlecht assoziiert wird, von Feministinnen als essenzialisierend und hierarchisierend kritisiert. Sylvia Walby plädiert für die Überwindung dieser dualen Sichtweise: »Neither the assimilation of women into men’s ways, nor the maintenance of a dualism between women and men, but rather, something new, a positive form of melding, in which the outsiders, feminists, changed the mainstream« (Walby 2005: 325). Die allgemeine Veränderung der Mainstream-Normen wird seit einigen Jahren verstärkt fokussiert; denn nun wird das Gender Mainstreaming in das Diversity Mainstreaming miteinbezogen. Geht dies auch auf Kosten der Frauenförderung?

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Vom Gender Mainstreaming zum Diversity Mainstreaming In der Betriebswirtschaftslehre, in der Politik und in Unternehmen weicht das Gender Mainstreaming zunehmend dem Konzept des Diversity Mainstreamings beziehungsweise Diversity Managements. Der Begriff Diversity und das damit verbundene Mainstreaming sollen über die Variable Geschlecht hinausgehen und in einer intersektionalen Perspektive weitere Merkmale wie Alter, sexuelle Orientierung, Hautfarbe, physische und/oder psychische Fähigkeiten einschließen. Während die Programme zur Chancengleichheit und zum Gender Mainstreaming sich auf das Geschlecht begrenzt haben, nimmt das Diversity Mainstreaming nun vielfältige Persönlichkeitsmerkmale in den Blick. Allerdings ist auch hier das bereits angesprochene Dilemma zwischen Differenz (als Feststellung und Festschreibung) und Gleichheit (als Ziel) zu beobachten. Werden beide Geschlechter im Rahmen des Diversity Mainstreaming als gleich betrachtet, so unterscheiden sich die damit verbundenen Maßnahmen kaum von denen zur Chancengleichheit (Bendl 2012: 252). Geht man jedoch von einer Differenz aus, so kann es auch hier zu einer »Vereigenschaftung der Geschlechterdifferenz« (ebd.) kommen. Das gleiche Dilemma gilt für Maßnahmen zur Überwindung von Diskriminierung auf Grundlage der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung etc. Bendl schließt daraus, dass »die Binarität (Dualität und Hierarchie) der Geschlechterverhältnisse« nur dann aufgebrochen werden kann, wenn dem Diversitätsmanagement »ein dekonstruktiver ›doing gender‹ bzw. ›doing diversity‹ Ansatz« zugrunde liegt (ebd.). »Nur dieser ist im Stande, die Produktion und Reproduktion von Geschlechterdualitäten und ‑hierarchien aufzuzeigen und rekonstruktiv alternative geschlechteregalitäre Prozesse und Strukturen hervorzubringen und alternative Geschlechteridentitäten zuzulassen.« (Ebd.) In der Praxis beobachtet Bendl, dass gelegentlich ein Containerdenken vorherrscht, welches einzelne Persönlichkeitsmerkmale isoliert betrachtet (und somit dem Intersektionalitätsansatz entgegensteht): So gebe es ein Frauennetzwerk ohne Lesben oder isolierte Maßnahmen für bestimmte Altersgruppen (ebd.: 253). Zahlreiche kleine und mittelständische Betriebe seien zudem we104

der im »Managing Diversity Zeitalter« (ebd.) angekommen noch hätten sie je Maßnahmen zur Frauenförderung eingeleitet. Außerdem zeigten Unternehmen nur dann Interesse an Diversity Management in Form von Antidiskriminierungsmaßnahmen, wenn eine »Diversity Dividende« (Cox/Blake 1991) damit verbunden sei. Schließlich zitiert Bendl Michaela Judy (2003), die die notwendige Einsicht als Bedingung für den Erfolg von Diversity Management treffend zusammenfasst: »Diversity is not about the ›other‹ – Diversity is about you.« Die Debatten um Diversität geben, wie oben angemerkt, auch Aufschluss über das eigene Verhältnis zum »Anderen« oder zu als Minderheiten definierten Gruppen. So reflektieren nicht nur die Studien zu Diskriminierung, sondern auch die Debatten um eine paritätische Repräsentation der Geschlechter in Wirtschaft und Politik kulturelle und ideologische Unterschiede zwischen verschiedenen sprachlich und/oder nationalgeschichtlich geprägten Diskursräumen. Um dies zu illustrieren, wird die oben beschriebene Diskussion über Gender und Diversity Mainstreaming nun in Bezug zu konzeptuellen Debatten in Frankreich gesetzt.

Von der (Geschlechter‑)Parität zur Diversität? Konzeptuelle Debatten in Frankreich Im französischen Kontext fragt Réjane Sénac-Slawinski, wie politische Diskurse sich von der Forderung nach Parität (»parité«) zur Forderung nach Vielfalt (»diversité«) entwickeln konnten. Im ersten Fall geht es um die Gleichheit beziehungsweise Gleichberechtigung der Geschlechter, während Forderungen nach Anerkennung der Vielfalt die Idee der Gleichberechtigung aller implizieren. In beiden philosophischen Konzepten steckt eine interne Hierarchie: die alte Idee der Frauen als »zweites Geschlecht« (nach dem Essay von Simone de Beauvoir) und die Vorstellung, dass die »Vielfältigen« (»les divers«) die Verschiedenen bleiben, das heißt andauernd in Alteritätskonstruktionen verhaftet sein werden. Hier steht die französische Diskussion in einem ähnlichen Spannungsfeld wie die oben beschriebene deutschsprachige. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch in der historisch bedingten starken politischen Konnotation der französischen Debatte, in der alte Denkmuster aus der Kolonialzeit eine Fortsetzung finden. Ich 105

gehe im Folgenden genauer auf Sénac-Slawinskis Untersuchung ein, weil sowohl die unterschiedlichen historischen Dimensionen als auch die gemeinsamen Versuche, Ungleichheit durch Ungleichbehandlung auszugleichen, für eine grundlegende Einführung zum Thema interessant sind. Des Weiteren zeigt das französische Beispiel auch, wie die Frauenförderung zunehmend diskursiv (und operativ) zugunsten von Diversity Mainstreaming in den Hintergrund tritt. Grundlage für Sénac-Slawinskis Untersuchung sind qualitative Interviews mit 150 Schlüsselpersonen aus dem Diversity Management: politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, aktiven Mitgliedern von Gewerkschaften und Vereinen, Verantwortlichen in diversen Institutionen, Menschen mit leitender Funktion im religiösen Bereich und in Hochschulen sowie leitenden Angestellten in Unternehmen. Die Autorin hat diese zu zwei zentralen Themen befragt: erstens, wie es dazu kam, dass der Kampf gegen Diskriminierung – insbesondere gegen Sexismus – sekundär wurde, und zweitens, wie die Ambivalenz des Gerechtigkeitsprinzips, welches die republikanische Vorstellung von Gleichheit mit der Performanz von Differenz verbindet, in der Praxis ausgehandelt wird (Sénac-Slawinski 2010: 433). Zunächst zeigt die Autorin, wie Definitionen politischer Maßnahmen und Ziele schrittweise verschoben wurden, indem diese Thematik ausgeweitet, deplatziert und die ursprünglichen Probleme euphemisiert wurden. In ihren Augen ist die 2004 in Frankreich verabschiedete »Charta der Vielfalt« (siehe Kapitel  V) ein Wendepunkt in der Reformulierung und Verschiebung der Problematik von der Diskriminierung als Problem hin zur Chancengleichheit als Credo, welches wiederum von der Aufwertung der Vielfalt abgelöst wurde (ebd.). Diese Entwicklung wurde bereits von Regina Bendl (2012) für den deutschsprachigen Raum, insbesondere Österreich, gezeigt. Die von Sénac-Slawinski befragten Personen argumentieren mehrheitlich, dass diese semantische Verschiebung dazu führe, dass der Kampf gegen Diskriminierung, insbesondere gegen Sexismus, nun eine zweitrangige Position einnehme. Der Begriff der Vielfalt sei unklar, ambivalent und plastisch (das heißt dehnbar und vielfältig interpretierbar). Insbesondere Politikerinnen und Politiker des linken Spektrums werfen der (zur Zeit der Befra106

gung konservativen) Regierung vor, diesen Begriff zur Verschleierung der tatsächlichen Probleme zu nutzen. Françoise Laurent, Präsidentin des Mouvement Français pour le Planning Familial (Französische Bewegung für Familienplanung) argumentiert, dass der Begriff Diversität implizit negiere, dass man gegen Herrschaft kämpfen müsse, um Ungleichheiten auszumerzen (ebd.). Houria Bouteldja, Gründerin und Sprecherin der Indigènes de la République (Bewegung der Indigenen der Republik) bezeichnet Diversität gar als »Präservativ der Republik«59, da der Begriff dazu diene, die »Wirklichkeit eines Frankreich, welches nicht mehr nur ein weißes und christliches Frankreich sei, ebenso zu verschleiern wie die rassische [sic!] und koloniale Dominanz, die durch die Begriffe ›indigen‹ und ›weiß‹ übertragen werden«. Es handele sich um einen kosmetischen Begriff, der »den strukturellen Charakter der Diskriminierungen« ausblende (ebd.). Sandrine Mazetier, nationale Referentin für Immigrationsfragen bei der Sozialistischen Partei Frankreichs, meint, man suggeriere den Menschen, sie seien »keine Opfer von sozialen Ungleichheiten, sondern von rassischen [sic!] Ungleichheiten, gegen welche man angeblich kämpft, indem einige symbolträchtige Individuen hervorgehoben werden« (Sénac-Slawinski 2010: 434). Diese Kritik an der Ethnisierung sozialer Unterschiede ähnelt der bereits analysierten Sichtweise von Walter Benn Michaels (2006) sowie von Fassin und Fassin (2009), denen zufolge die soziale und ökonomische Frage im Namen der kulturellen Differenzen ausgeblendet wird. Réjane Sénac-Slawinski stellt die Kritik, die von einigen Vertreterinnen und Vertretern der Soziologie sowie von mehrheitlich linken politischen und zivilgesellschaftlichen Entscheidungsträgerinnen und ‑trägern geäußert wird, den Argumenten der damaligen konservativen Regierung gegenüber. Éric Besson, zu der Zeit Minister für Immigration, Integration, nationale Identität und solidarische Entwicklung, will sich auf die Nationalität als Aspekt der Diversität konzentrieren und sieht keinen Gegensatz zwischen dem (defensiv orientierten) Kampf gegen Diskriminierung und der (offensiv, positiv angelegten) Politik der Förderung von Vielfalt (Sénac-Slawinski 2010: 434-435). Interessant ist die nuancierte Haltung von Fadela Amara, Gründungsmitglied der Gruppe der Indigenen der Republik und als Staatssekretärin für Stadtpolitik ein linkes, zivilgesellschaftliches Mitglied in einer 107

konservativen Regierung: Amara ruft zur Vorsicht auf bei der Versuchung, den Rückgriff auf positive Diskriminierung nur mit der Benachteiligung bestimmter Gruppen zu rechtfertigen. Statt spezifischen Gruppen zu helfen, plädiert sie dafür, denen zu helfen, die weniger (Ressourcen) haben, indem beispielsweise voluntaristische politische Maßnahmen zur Stadt- und Regionalplanung ergriffen werden, um die immensen territorialen Unterschiede in Frankreich, die ihr zufolge den wahren politischen Bruch darstellen, auszugleichen. Strittig ist auch die Frage, inwieweit die Überlegungen zur Vielfalt Eingang in juristische Dispositive finden sollen oder nicht, da auch hier das Paradox zwischen Gleichheit als Ziel und Ungleichbehandlung (durch spezifische Förderungen) als Mittel nicht überwunden werden kann. Interessant ist, dass die soziale Frage von Vertreterinnen und Vertretern der Regierung als Problem unterstrichen wird. Diese in den 2000er Jahren in Frankreich geführte Debatte zeigt ebenso wie die Diskussion in den deutschsprachigen Ländern, dass die theoretische und angewandte Nutzung des Begriffs Vielfalt immer im Spannungsfeld zwischen strukturellen Fragen und akteurzentrierten Perspektiven oszilliert. Spezifisch für die französische Debatte um Gender Mainstreaming und Diversity Mainstreaming ist die diesen vorausgehende Diskussion um parité (Parität). In den 1990er Jahren haben französische Frauen gefordert, eine stärkere Repräsentation von Frauen in politischen Gremien, Versammlungen und Ämtern zu erreichen. Zwischen 1945 und 1997 schwankte der Anteil der weiblichen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung nur zwischen 1,4 und 7,3 Prozent.60 Das Gesetz vom 6. Juni 200061 zur Parität hat zum Ziel, Frauen und Männern den gleichen Zugang zu gewählten Mandaten und gewählten Funktionen zu ermöglichen. Dieses sollte durch alternierende, an Männer und Frauen vergebene Listenplätze erreicht werden. Obgleich viele Parteien eher finanzielle Sanktionen in Kauf nehmen, als diese Regel zu beachten, ist der Anteil an weiblichen Abgeordneten inzwischen (2012) auf 26,9 Prozent gestiegen. Sénac-Slawinski analysiert, ob und wie durch die Verbreitung des Konzeptes der Parität auch das Konzept der Diversität gedacht werden konnte. Ähnlich wie im deutschsprachigen Kontext, wo die Politik der Chancengleichheit zwischen den Geschlech108

tern Teil des Diversity Mainstreaming geworden ist, fürchten in Frankreich viele Feministinnen eine Verwässerung der Gleichheitsdebatte im neuen Credo der »Diversitätsförderung« (SénacSlawinski 2010: 436). Christine Villeneuve, Vizepräsidentin von »Elles aussi« sowie Vertreterin der Alliance des femmes (Verbund der Frauen), argumentiert, die Debatte um Parität habe zu einem Nachdenken über Vielfalt und damit zur Frage nach der tatsächlichen Vertretung beziehungsweise Repräsentation des Volkes geführt. Der Zugang zu politischer Macht sei stark an Netzwerke gebunden, die als Ressource je nach Geschlecht, sozialer und nationaler Herkunft sehr ungleich verteilt seien. Schließlich sieht auch Dominique Paillée, Sprecher und nationaler Referent für Diversität der konservativen Regierungspartei UMP (»Union pour un mouvement populaire«/»Union für eine Volksbewegung«) in der Parität die Chance, das Bewusstsein für Vielfalt allgemein und für die Notwendigkeit, Migrantenkinder, die sich durch »ihre Hautfarbe, ihr kulturelles Erbe oder ihre Religion« unterscheiden, zu integrieren (ebd.: 437). Hier wird deutlich, dass das Konzept der Vielfalt im kollektiven Gedächtnis vor allem ethnische Merkmale und Unterschiede in der Hautfarbe assoziiert. Strittig ist, ob die Intersektionalitätsdebatte in Frankreich dieser Debatte als Folie unterliegt oder nicht. Die französische Politikwissenschaftlerin Armelle Le Bras-Chopard bestreitet dies und kritisiert, dass mit »divers« alle diejenigen bezeichnet werden, die nicht der Norm entsprechen, das heißt nicht dem weißen, smarten, heterosexuellen Mann (ebd.). Es gehe bei der Diversität nicht um die Förderung von Gleichheit, sondern vielmehr um die einzelne Identität, das heißt um die Tugenden des Selfmademan sowie die Anerkennung von (in Frankreich negativ besetzten) Gemeinschaften. Das Konzept der Vielfalt beruhe auf der Aneinanderreihung von unterschiedlichen Zugehörigkeiten und individuellen und gemeinschaftlichen Historien und keineswegs auf der Addition oder der Intersektion von Faktoren der Diskriminierung (ebd.). Hier stellt sich nun die Frage, ob die Verschiebung von Parität zu Diversität auch eine Verschiebung von (Chancen‑)Gleichheitspolitiken hin zu Identitätspolitiken beinhaltet. Die Politikwissenschaftlerin Janine Mossuz-Lavau erinnert daran, dass parallel zum Aufkommen des Paritätsbegriffes auch der Diversitätsbegriff als 109

Schreckbild für die Risiken des communautarisme62 aufkam. Ihr zufolge hat die Diskussion um die Parität das republikanische Verständnis von Universalismus infrage gestellt und damit die Büchse der Pandora geöffnet. Beide Begriffe verkörperten ihr zufolge das Wollstonecraft-Dilemma. Dieses nach der englischen Feministin Mary Wollstonecraft benannte Dilemma besteht darin, dass Frauen im Namen der Gleichheit (zwischen den Geschlechtern) eine unterschiedliche Behandlung durch spezielle Förderung fordern, um damit das politische Ziel der gleichverteilten Repräsentation und Macht zu erreichen. Hier wird nach dem Gleichheitsgrundsatz (und nicht nach dem Differenzparadigma, vgl. das vorhergehende Kapitel) argumentiert, das heißt die Maßnahmen zur Förderung der Parität oder der Diversität werden als Umsetzungen des republikanischen Prinzips der Gleichheit und nicht des liberalen Individualismus verstanden (Sénac-Slawinski 2010: 438). Die Politologin Mariette Sineau zieht eine pessimistische Bilanz der praktischen Umsetzung dieser Konzepte: In der politischen Praxis sei noch keine Einsicht darüber zu verzeichnen, dass sexistische und rassistische Diskriminierungen eng mit sozioökonomischen Dimensionen verknüpft seien. Sineau fürchtet eine Segmentierung und Parzellierung der Sicht auf Diskriminierung, welche zur Konkurrenz (zwischen diskriminierten Gruppen) führen könnte. Auf Regierungsseite wird in dieser Zeit genau umgekehrt argumentiert, das heißt, man erhofft sich, dass die Politik der Vielfalt nicht dazu führt, Differenzen zu Spaltungen zu entwickeln, sondern dass diese Verschiedenheiten Teil der nationalen Einheit und Kohäsion werden. Éric Besson hofft gar, dass die »nationale Identität«, die er auch als »republikanisch« bezeichnet, durch das Teilen gleicher Werte, einer gemeinsamen Geschichte und durch »métissage« (»Mischung«) geprägt sei, sodass »jeder von uns gleichzeitig französischer Staatsbürger sein und seiner Herkunft verbunden sein kann« (ebd.). Dies sei »eine gegenseitige Bereicherung, sofern man nicht der Logik von »multiplen Identitäten« folge (ebd.). Hier wird deutlich, wie schwer es französischen Politikern und Intellektuellen zum Teil auch heute noch fällt, die konzeptuelle Idee (und empirische Tatsache) der multiplen Zugehörigkeiten zu denken. Ein mentales Hindernis für diese Denkfigur ist die 110

immer wiederkehrende Angst vor zu starken subgruppenorientierten Bindungen, die die Loyalität zur Republik infrage stellen könnten. So sagt auch die damalige Staatssekretärin für Familie, Nadine Morano, man dürfe kein buntes (»multicolore«) Frankreich fördern, sondern müsse zeigen, dass Frankreich aus vielfältigen (»divers«) Franzosen bestehe (ebd.: 439). Der umstrittene ehemalige Berater des Präsidenten Sarkozy, Henri Guaino, zieht gar einen Vergleich mit der religiösen Praxis und Sichtbarkeit in Frankreich, indem er sagt, dass die religiöse Laizität erlaubt habe, bei unterschiedlichem Glauben zusammenzuleben. Darauf bezugnehmend fordert er eine »ethnische Laizität« als implizite Grundlage für den gemeinsamen Sozial- beziehungsweise Bürgervertrag (ebd.). Nach Sénac-Slawinski zeigen diese Argumentationsstränge ein Paradox: Die Diversität wird von einigen Entscheidungsträgern theorisiert und legitimiert als Grundlage für einen neuen Sozialvertrag, welcher die nationale Einheit garantieren soll. Gleichzeitig wird die Diversität von anderen als potenzielles Risiko der identitären Segmentierung und als Zeichen der (unerwünschten) Anerkennung von Herkunftsgemeinschaften denunziert. Kritisch sieht Azouz Begag, ein Franzose mit algerischen Wurzeln, welcher von 2005 bis 2007 Staatsminister für die Förderung von Chancengleichheit war, die neue Politik: Er findet die Tatsache problematisch, dass die drei sogenannten »aus der Vielfalt stammenden« Ministerinnen junge Frauen waren, die einen Krieg gegen die Scharia geführt haben. Sie seien verträglich mit der französischen Mentalität, da sie keine Sonderrechte für sich beanspruchten, sondern lediglich ihr Stück vom Kuchen (ebd.: 439ff.). Andere sehen darin eine Verschiebung vom Stereotyp des arbeitslosen, faulen, gefährlichen Einwanderers zu dem der emanzipierten, befreiten orientalischen Frau (Yazid Sabeg) beziehungsweise ein Zeichen von kontinuierlichen Abhängigkeitsverhältnissen (Guénif-Souilamas). Zusammenfassend beschreibt Sénac-Slawinski die politisch-philosophischen Unterschiede zwischen Verfechtern und Gegnern der Verschiebung von Parität zu Diversität als Spiegelbild unterschiedlicher Blickwinkel auf Chancengleichheit (ebd.: 440ff.). Für die einen müsse auf diese gebaut werden, um eine repräsentative Verteilung der politischen, wirtschaftlichen, kultu111

rellen Macht zu erreichen. Für andere wiederum sind die Diversitätspolitiken ein Zeichen für die Fragmentierung demokratischer Prozesse, da Differenzen instrumentalisiert und bestimmte Gruppen infantilisiert oder exotisiert würden (Geisser/Soum 2008). Die zentrale Auseinandersetzung kreist um die Frage, ob die Politik der Vielfalt von Diskriminierungen ablenken möchte oder ob sie mehr Chancengleichheit bietet. Malek Boutih sieht in der ideologischen Debatte um Vielfalt einen Widerspruch zwischen dem Kampf gegen strukturelle Ungleichheiten und der Tatsache, dass die ersten Akteure der Diversität einen ultraliberalen, meritokratischen Diskurs über individuelle Verantwortung führten. Für ihn müsse es mehr Parität und mehr Diversität sowie mehr Kämpfe gegen Diskriminierungen geben. Parität und Vielfalt seien somit die Meilensteine einer tiefgreifenden symbolischen und sozialen Veränderung der Republik. Der Soziologe Michel Wieviorka sieht in der Vielfalt schließlich einen interessanten Ansatz, sofern dieser es erlaube, die Verbindung zwischen Anerkennung, kultureller Vielfalt und Kampf gegen Diskriminierungen zu denken (a.a.O.). Am Ende ihrer qualitativen Studie kommt Sénac-Slawinski zu dem Schluss, dass viele der befragten Expertinnen und Experten die durch den Begriff der Diversität depolitisierte Debatte wieder repolitisieren wollten. Die Institutionalisierung der Vielfalt habe nämlich dazu geführt konfliktreiche Repertoire der Anti-Diskriminierung zu verdrängen und die ethnisch-rassische Frage auszublenden, sodass die Machtverhältnisse zwischen Minderheiten und Mehrheiten verwischt würden (a.a.O.; Bereni/Jaunait 2009:10). Sénac-Slawinski fragt sich, ob die Definition und Anwendung der Begriffe der Parität und der Diversität nicht gestört worden seien von Fragen der Identität, die beide abwechselnd alimentiert haben. So seien weder die Parität noch die Diversität ein Prinzip, ein Wert oder ein Recht, sondern eine heftige Gegenreaktion auf eine Frauenförderungspolitik? Ein jüngster Vorfall im EU-Parlament scheint dies zu bestätigen. Nach eineinhalb Jahrzehnten progressiver EU-Chancengleichheitspolitik kam es 2014 zu einem überraschenden Wendepunkt. Am 11. März 2014 stimmte das EU-Parlament mit 298 Stimmen gegen den von der portugiesischen Abgeordneten Inês Cristina Zuber vorgelegten Bericht zur Gleichheit zwischen Männern 112

und Frauen63; 289  Abgeordnete stimmten dafür. Darin wurde die Notwendigkeit unterstrichen, Frauen gleiche Rechte im sozialen, familiären und beruflichen Bereich zu garantieren. Zuber unterstrich, dass Frauen in der EU heute im Schnitt noch immer 59 Tage mehr arbeiten müssen, um den gleichen Lohn wie Männer zu erzielen. Des Weiteren wies sie im Bericht auf die Notwendigkeit hin, Frauen den Zugang zu gynäkologischen Untersuchungen, zur Geburtsheilkunde sowie zu ärztlicher Hilfe im Bereich von Sexualität und reproduktiver Medizin einschließlich des Rechts auf selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch zu garantieren. Hier sollte es darum gehen, die durch konservative Lobbygruppen vorangetriebene Beschneidung von Frauenrechten zu verhindern. Es ist zu vermuten, dass die Frage der Kontrolle und Macht über Reproduktionsmedizin zur Ablehnung des gesamten Berichtes zur Geschlechtergleichheit führte. Die von einem Backlash gegen Frauenrechte geprägte Abstimmung zeigt, dass die oben beschriebenen Inhalte des Gender Mainstreaming auch heute noch aktueller denn je sind und dass der Genderaspekt ein zentraler Teil der Debatten um Diversity Mainstreaming bleiben muss. Wird er durch allgemeine Diskurse zu Vielfalt verschleiert, so bestätigt sich die Sorge von Feministinnen, dass das Gender Mainstreaming dem Diversity Mainstreaming zum Opfer fällt. Im Folgenden wird exemplarisch auf Diversity Studies und deren Anwendung im Diversitätsmanagement in Unternehmen und Verwaltungen eingegangen, um an konkreten Beispielen zu zeigen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse zum Bereich Vielfalt in der Praxis umgesetzt werden.

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V. Diversity Studies und Diversity Management

1. Diversity Management im historischen Kontext: von sozialer Gerechtigkeit zur Profitmaximierung Weiter fortgeschritten als Initiativen in der Kulturpolitik sind Versuche, eine Politik der Vielfalt in der Wirtschaft voranzutreiben. Dies liegt auch daran, dass sich der Diskurs langsam von Prämissen der »social justice« aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegungen hin zu utilitaristischen Überlegungen zur Profitmaximierung durch Ausschöpfen vielfältiger Potenziale bewegt hat.64 In der Übergangszeit zwischen diesen beiden Perspektiven, in der Lobbygruppen in allen gesellschaftlichen Bereichen eine repräsentative Vertretung für sich forderten, entstand der Begriff der »statistical proportionality« (Prewitt 2002). Dieser impliziert, dass in möglichst allen Berufsgruppen, Einkommensgruppen, Gruppen von gewählten Vertretern, im Parlament, in Bildungseinrichtungen, in der Verteilung von Wohnraum, in Unternehmen, bei Untersuchungen zum Gesundheitszustand der Bevölkerung etc. geprüft werden soll, wie weit die Verteilung der jeweiligen Gruppe in diesen Bereichen abweicht von der Verteilung in der Gesamtbevölkerung. Abweichungen können als Zeichen von Diskriminierung interpretiert werden. Die Feststellung dieser Abweichungen hatte insbesondere in den USA zu Affirmative-Action-Programmen geführt. Unter dem amerikanischen Präsidenten Kennedy wurden mit der Direktive  10925 bereits 1961 Affirmative-Action-Programme in staatlichen Unternehmen eingeführt. Das erklärte Ziel war, Diskriminierung zu beenden. In den 1970er Jahren wurde jedoch bereits deutlich, wie unklar und schwierig die konkrete Umsetzung solcher Programme war. Infolge dieser Unsicherheiten entwickelte sich langsam und stetig ein neues Berufsfeld: In den USA entstanden Equal-Employment-Opportunity(EEO)- und AffirmativeAction(AA)-Spezialistinnen und ‑Spezialisten. Deren Aufgabe war jedoch oft maßgeblich von der Vorgabe bestimmt, Maßnahmen zu entwickeln, die das jeweilige Unternehmen gegen eventuelle Klagen schützen sollten. In Deutschland und in der Europäischen Union wurde der weibliche wissenschaftliche Nachwuchs besonders gefördert, da 114

trotz seit Jahren ansteigender Promovendinnenzahlen der Anteil der Professorinnen kaum angestiegen war. Erst durch klar an Frauen gerichtete Programme und für Frauen bestimmte Professuren stieg der Frauenanteil unter den Hochschullehrerinnen und ‑lehrern signifikant, wenn auch noch nicht proportional zu der Anzahl der Geschlechterverteilung unter den Nachwuchswissenschaftlerinnen und ‑wissenschaftlern. In den 1980er Jahren unter der Reagan-Regierung wurden die Affirmative-Action-Programme zunehmend zugunsten von neuen Diversity-Management-Programmen abgebaut, sodass viele Spezialisten aus Personalabteilungen ebenfalls ihre Diskurse angepasst haben (Kelly/Dobbin 1998). Hintergrund war ein von der Reagan-Regierung 1987 beauftragter Bericht zur demografischen Entwicklung und deren Konsequenzen für den Arbeitsmarkt.65 Darin wurde auf zu erwartende Veränderungen bei der Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung hingewiesen. Insbesondere durch Einwanderung aus Lateinamerika und Asien verändert sich das Gewicht zwischen der weißen Mehrheit, deren demografische Dominanz sich zugunsten von Gruppen verschiebt, die bislang im amerikanischen Kontext noch als »rassisch« definierte Minderheiten bezeichnet werden. Diese neue Vielfalt der amerikanischen Gesellschaft hat auch Auswirkungen auf das Konsumverhalten, auf das Wahlverhalten, auf kulturelle Ausdrucksformen etc. Als dies Kräften aus Politik und Wirtschaft bewusst wird, richtet sich deren Blick auf die Frage, wie ein größtmöglicher Nutzen aus der neuen Situation gezogen werden könnte. Kelly und Dobbin (ebd.: 961) schreiben, dass die EEO- und AA-Spezialisten zunächst versucht hätten, für die Effizienz von Antidiskriminierungsmaßnahmen zu werben. »Later, they invented the discipline of diversity management, arguing that the capacity of managing a diverse workforce well would be the key to business success in the future.« Nun ging es nicht mehr darum, die bestehenden Arbeitskräfte möglichst gut zu integrieren. Die Managementrhetorik verschob sich zugunsten eines neuen Ziels: das der bestmöglichen Effizienz von vielfältig zusammengesetzten Teams, deren Arbeit dem ganzen Unternehmen zugute kommt (und damit dessen Profit maximiert). Kelly und Dobbin stellen 1998, das heißt fast vierzig Jahre nach den ersten AA-Programmen, fest, dass sich insbesondere die Geschlechterverteilung und der »racial mix of the 115

workforce« (ebd.) mit den neuen Maßnahmen kaum verändert haben. Um Vorwürfen der Diskriminierung zu entgehen, haben viele Unternehmen jedoch ihre Personalpolitik darauf ausgerichtet, möglichst steigende Anteile an Frauen und an Repräsentanten von Minderheiten zu verzeichnen. In den 1990er Jahren haben zunehmend freischaffende Berater den »business case diversity« und die damit verbundene Rhetorik von Antidiskriminierungspolitiken hin zu Pro-Diversity-Ansätzen mitbestimmt. Zentrales Argument war auch hier, dass die Produktivität, Kreativität und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens mit der Vielfalt seiner Angestellten steigt. Insbesondere neue Absatzmärkte, neue Konsumverhalten und neue potenzielle Bedürfnisse sollten durch bunt zusammengesetzte Teams besser erspürt werden. Diese Denkweise ist nicht nur in privaten Unternehmen präsent, sondern inzwischen auch im Militärbereich, in Universitäten und im öffentlichen Sektor. Auch in der Europäischen Union ist »Diversity Mainstreaming« mittlerweile zur Leitlinie geworden – teilweise zuungunsten des zuvor präsenten »Gender Mainstreaming«. Doch was bedeutet Diversity Management heute? Die in Wirtschaft, Politik und im öffentlichen Sektor angewandte Vision von Vielfalt impliziert eine Verschiebung von askriptiven, auf Gruppen bezogenen Attributen hin zu individuellen Aspekten der Zugehörigkeit, welche teilweise selbst bestimmt werden können. Vertovec (2012: 295ff.) erinnert in Rekurs auf Lituin (1997), Lorbiecki und Jack (2000) an die Art und Weise, wie in Managementhandbüchern zwischen Merkmalen, die »fixed« (das heißt angeboren oder körperlich unveränderlich wie Alter, Ethnizität, Geschlecht, »Rasse« [sic!], physische Fähigkeiten, sexuelle Orientierung) und »fluid« (das heißt veränderbar, wählbar wie Bildung, Religiosität, Berufserfahrung etc.) seien. Auf Basis dieser Kriterien wurden Trainingsprogramme für das Personal von Firmen und Behörden entwickelt. Problematisch an dieser binären Unterscheidung ist die Tatsache, dass hier entscheidende Erkenntnisse der Geschlechterforschung und der postkolonialen Theorie keine Beachtung fanden. In diesen Ansätzen werden auch die bislang als »festgeschrieben« geltenden Merkmale als gesellschaftlich konstruiert (und damit veränderbar) analysiert. Auf der anderen Seite haben die post116

kolonialen Ansätze, insbesondere auch der Intersektionalitätsansatz, gezeigt, welche Konsequenzen die von außen betriebene Festschreibung von vermeintlich »flüssigen« Merkmalen hat beziehungsweise welche unterschiedlichen Selbst- und Fremdwahrnehmungen in verschiedenen gesellschaftlichen und historischen Kontexten damit verbunden sind. In der US-amerikanischen Praxis wurde die Liste möglicher Differenzierungen später wie folgt erweitert (ebd.): »race, gender, ethnicity, culture, social class, religious beliefs, sexual orientations, mental ability, physical ability, psychological ability, veteran or military status, marital status, American state of residence, nationality, perspectives, insights, backgrounds, experiences, age, education level, cultural and personal perspectives, viewpoints, opinions«. Diese fand unter anderem in der US-Navy und im Ford-Konzern Anwendung – immer mit dem Ziel der Profitmaximierung oder der Kapitalisierung des durch die Vielfalt gewonnenen Mehrwertes (ebd.). Auch hier ist die oben beschriebene Verschiebung der Ziele des Diversity Managements zu beobachten: Während die Affirmative-Action-Programme vor allem den als benachteiligt definierten Gruppen zugute kommen sollten, wird nun argumentiert, dass der Respekt und der Einbezug der Vielfalt der gesamten Belegschaft/Studierendenschaft/Kompanie – und damit dem gesamten Unternehmen (und dessen Besitzern) zu Gewinn verhelfe. Vertovec (ebd.: 297ff.) schlägt vor, die unterschiedlichen Aspekte der Diversität in sechs (zum Teil miteinander zusammenhängende) Aspekte zu unterteilen: –– –– –– –– –– ––

Umverteilung Anerkennung Repräsentation Berücksichtigung von Bedürfnissen Wettbewerb Organisation

Die ersten beiden Aspekte sind Teil historisch gewachsener politischer Forderungen nach der Bekämpfung von Diskriminierungen. Danach haben Letztere unter anderem zu einer ungleichen Verteilung von Reichtum und Anerkennung geführt, die es zu 117

korrigieren gilt. Dazu gehört auch eine gesellschaftliche, politische und ökonomische Repräsentation, die der tatsächlichen (statistischen) Verteilung diverser Bevölkerungsgruppen Rechnung trägt. Das Bewusstsein für eine sich immer stärker differenzierende Bevölkerung ist auch mit der in der Wirtschaft generierten Tendenz zur Entwicklung von Produkten und Diensten verknüpft, welche den neuen (beziehungsweise neu entdeckten oder geweckten) Bedürfnissen entgegenkommt (und damit beispielsweise Marktlücken erschließt). Im sozialen und politischen Bereich ist zu beobachten, dass Maßnahmen für bestimmte Gruppen entwickelt werden, um deren Bedürfnisse zu befriedigen. Hierbei wurde bereits kritisch angemerkt, dass nicht alle Individuen, die zu dieser Gruppe gerechnet werden, dieselben Bedürfnisse oder Geschmäcker entwickeln. Nicht alle Muslime haben beispielsweise das Bedürfnis zu beten und/oder diese Gebete öffentlich in einer Moschee zu praktizieren. Unter Umständen möchten einige Individuen dieser Gruppe gar nicht zugerechnet werden. Oder deren Gebets- und Versammlungspraktiken entsprechen nicht den Vorstellungen der Personen, die diese spezifischen (Bau‑)Maßnahmen entwickelt haben. Bestimmte Sufi-Bruderschaften tendieren beispielsweise dazu, sich eher in Privaträumen zu treffen. Auf die vielfältigen Religionspraktiken werde ich später noch zu sprechen kommen. Diese vor allem in der Privatwirtschaft zu beobachtende Reaktion auf gesellschaftliche Vielfalt ist eng verbunden mit neuen Wettbewerbsformen. Das Erschließen neuer Märkte gilt jedoch auch für den öffentlichen Sektor. So ist beispielsweise zu beobachten, dass das Stadtmarketing verstärkt auf die Vermarktung der innerstädtischen Vielfalt setzt, um die Tourismusbranche anzukurbeln. Hochschulen betreiben ebenfalls zunehmend Diversity Management, um einerseits auf veränderte Bedürfnisse seitens der Studierendenschaft und des (Lehr‑)Personals zu reagieren. Andererseits sehen sich die Hochschulen nun auch als Teil des weltweiten Wettbewerbs um die besten Studierenden und Lehrenden, sodass das eigene Image im Hinblick auf Weltoffenheit, Toleranz, Vielfalt etc. aufpoliert und/oder verstärkt wird. Dies gilt insbesondere in nationalstaatlichen Kontexten, die eine andere politische Botschaft aussenden (wie seit dem Volksentscheid gegen »Masseneinwanderung« vom 9. Februar in der Schweiz, der mit dem 118

Einfrieren der Erasmus+- und Horizon-2020-Programme bereits materielle Konsequenzen seitens der Europäischen Union nach sich gezogen hat). Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über konkrete Anwendungsbeispiele von Diversitätsmanagement in (Hoch‑)Schulen und Unternehmen.

2. Diversity Studies und Diversitätsmanagement: Anwendungsbeispiele in (Hoch‑)Schulen Regine Bendl, Edeltraud Hanappi-Egger und Roswitha Hofmann (2012: 11) bezeichnen Diversität als »das Vorhandensein vielfältiger Lebensstile, Identitätsbezüge sowie als Sammelbegriff für gesellschaftlich als relevant angesehene Unterscheidungsmerkmale«. Diversitätsmanagement wird als »Steuerungsinstrument in Unternehmen« (ebd.) beziehungsweise als »der jeweiligen organisationalen Zielerreichung dienender multidimensionaler Managementansatz [betrachtet], welcher gezielt Vielfalt von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie für die Organisation relevanter Anspruchsgruppen (Kunden und Kundinnen, Kooperationspartner und Kooperationspartnerinnen etc.) wahrnimmt, fördert und nutzt« (ebd.: 15). Einer konstruktivistischen Perspektive folgend, werden Diversitätskategorien als die Ergebnisse von relativen, relational hergestellten Differenzsetzungen angesehen (ebd.: 16). Der Begriff Diversitätsdimension »verweist auf die Unabschließbarkeit und Variabilität von Kernbegriffen wie ›Alter‹, ›Geschlecht‹, ›sexuelle Orientierung‹, ›Behinderung‹, ›Ethnizität‹ und ›Religion/ Weltanschauung‹« (ebd.). Ausgehend von der Intersektionalitätsforschung bieten die Beiträge in dem von Bendl, Hanappi-Egger und Hofmann herausgegebenen Band anwendungsorientierte Überlegungen aus der Unternehmenspraxis – unter anderem zu Gender Mainstreaming in Österreich und zur Diversitätsdimension »sexuelle Orientierung«. Letztgenannte wird in einer 2010 veröffentlichten Dissertation von Thomas Köllen eingehend behandelt: Bemerkenswerte Vielfalt. Homosexualität und Diversity Management. Betriebswirtschaftliche und sozialpsychologische Aspekte der Diversity-Dimension »sexuelle Orientierung«. Fallstudien bei der Deutschen Bank und der Commerzbank zeigen, dass Diversity Management positive Auswirkungen auf das Arbeitsklima für Schwule und Lesben hat 119

und dass die Wahrnehmung des Arbeitsklimas wiederum einen bedeutenden Einfluss darauf hat, wie Lesben und Schwule mit ihrer Homosexualität umgehen. Allerdings wird die Diversitätsdimension sexuelle Orientierung insgesamt relativ selten in Unternehmen thematisiert, wie eine Studie des Völklinger Kreises (2011) zeigt. Positive Auswirkungen auf die Anerkennung von Vielfalt zeigt auch eine 2010 veröffentlichte Habilitationsschrift von Chantal Munsch zum Thema Engagement und Diversity. Der Kontext von Dominanz und sozialer Ungleichheit am Beispiel Migration. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass ein pluriformer Begriff sozialen und politischen Engagements entwickelt werden sollte, »der die ganze Vielfalt an Engagementsformen von formell organisierter Partizipation, subkulturellen Protestformen, informellen Solidaritätsnetzwerken und vielen anderen Möglichkeiten umfasst« (Munsch 2010: 213) und insbesondere alternative, auch künstlerische Orte einbezieht. Vielfältige Einwanderungskulturen werden in einer Studie von Eike Stratmann (2010) zur Implementierung von Diversitätspolitiken in Städten behandelt. Dabei sind die lokalen Aushandlungsprozesse zwischen Bottom-up- und Top-downInitiativen entscheidend für deren Erfolg. Wie stark die Umsetzung von Diversity in Organisationen von interaktiven Prozessen geprägt ist, zeigt Anja Lindau in ihrer 2010 veröffentlichten Dissertation Verhandelte Vielfalt. Die Konstruktion von Diversity in Organisationen. Auf Grundlage des symbolischen Interaktionismus untersucht sie die interaktive Herstellung von Diversity und Diversity-Merkmalen und zeigt, dass organisationalen Normen dabei eine zentrale Bedeutung beigemessen wird. Gertraude Krell, Barbara Riedmüller, Barbara Sieben und Dagmar Vinz haben mit ihrem 2007 erschienenen Sammelband Diversity Studies. Grundlagen und disziplinäre Ansätze Impulse geschaffen für derartige Fallstudien und Dissertationen. Da sich (Hoch‑) Schulen in neuester Zeit verstärkt am Managementmodell von Wirtschaftsunternehmen orientieren, wird im folgenden Kapitel gezeigt, auf welche Weise das Diversity Management Eingang in die (Hoch‑)Schulen findet.

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Vielfalt im Klassenraum – Diversity an der (Hoch‑)Schule »Diversity is the mosaic of people who bring a variety of backgrounds, styles, perspectives, values and beliefs as assets to the groups and organizations with which they interact« (Shore 2013). Mit dieser Definition begann Lynn Shore, eine amerikanische Spezialistin für Vielfalt und Inklusion in Organisationen, ihren Vortrag an der Universität Lausanne. Dieser war Teil einer Reihe von Workshops, Vorträgen und Fortbildungen zum Thema Diversität, den die Hochschulleitung als Teil ihres Strategiepapiers für 2012-2016 festgeschrieben hat. Was beinhalten derartige Strategiepapiere, und welche Semantik liegt hier dem Begriff Vielfalt zugrunde? Zunächst ist zu beobachten, dass Universitätsleitungen eine bestimmte Form von Vielfalt unter den Studierenden und Lehrenden feststellen und/oder beschließen, dass eine solche erreicht und/oder gefördert werden sollte. Bereits seit einigen Jahrzehnten gibt es unter der Studierendenschaft ein starkes Bewusstsein für bestimmte Formen der Vielfalt, die besondere Ausdrucksformen und ‑räume (im übertragenen wie auch im konkreten Sinne) benötigen. So wurden bundesweit Frauen- und Lesbenreferate oder ‑cafés und Schwulenreferate gegründet, die zum Teil Hand in Hand gingen mit der damit verbundenen Forderung, dieser Vielfalt auch in den Lehrinhalten, besonders in der Frauen- und Geschlechterforschung – etwa an der Universität Bielefeld – Rechnung zu tragen. Heute haben Hochschulleitungen Internationalisierungsstrategien (wie etwa die Ruhr-Universität Bochum), Ambitionen, als familienfreundliche Hochschule zu gelten (und ein entsprechendes Label zu bekommen), oder konkrete Pläne zur Umsetzung des Diversity Managements wie die Universität Duisburg-Essen oder die Eidgenössisch-Technische Hochschule Zürich. Ebenso wie in Verwaltungen und Unternehmen ist in vielen Hochschulen eine teilweise Verschiebung von der Gleichstellungspolitik (zwischen Mann und Frau) hin zum Diversity Management zu beobachten. Dies geschieht auf mehreren Ebenen: 1. Auf der pädagogischen Ebene wird zunehmend eine Vielfalt an Lehr- und Lernformen in den Blick genommen. 2. Auf der Ebe121

ne der Berufungsverfahren werden die spezifischen Bedürfnisse von Neuankömmlingen, insbesondere aus dem Ausland, berücksichtigt. Dazu gehören zum Beispiel die Eröffnung von Welcome Centern und/oder International Lounges (wie an der Universität Konstanz oder an der Ruhr-Universität Bochum), ein Angebot von Sprachkursen oder die Möglichkeit, auf Englisch zu lehren etc. 3.  Bei Stellenbesetzungen wird nicht nur die berufene Person, sondern auch der/die Partner/‑in und/oder Kinder und deren Bedürfnisse miteinbezogen. Dazu gehören Dual-Career-CouplesProgramme (das heißt ein zweites Stellenangebot oder Hilfe bei der Jobsuche), Hilfe bei der Suche nach einem Krippenplatz oder einer Schule etc. 4. Hochschulen möchten ihr Image mit Diversity-Kampagnen verbessern, indem sie sich als attraktive, weltoffene Arbeitsorte präsentieren. Dank einer verbesserten Attraktivität soll auch eine bestimmte Gruppe von Studierenden und Lehrenden angezogen werden. 5.  Schließlich liegt der Diversity-Politik bei manchen Hochschulen eine ähnliche Prämisse wie Unternehmen zugrunde: Man geht davon aus, dass Vielfalt per se Reichtum bedeute, was wiederum zu besseren Gesamtleistungen führe. Das Potenzial der Vielfalt der Menschen soll an der Hochschule also auch optimal genutzt werden. Hier ist in Teilen eine markante Verschiebung von Antidiskriminierungspolitik auf der Grundlage von Social Justice zugunsten einer Management-Perspektive zur Optimierung von Output zu beobachten. Diese geht von bestmöglicher wissenschaftlicher Innovation als Ziel aus, welches durch das Nutzen der vielfältigen Potenziale erreicht werden soll. Den Arbeiten von Lynn Shore (2013) sowie von Lee Gardenswartz und Anita Rowe (2003), die in das Diversity Management von Hochschulen Eingang gefunden haben, liegt eine schematische Vorstellung von inneren, äußeren und organisationalen Dimensionen der Vielfalt zugrunde. Zu den inneren Dimensionen werden Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, geistige und körperliche Fähigkeiten, nationale Herkunft/Ethnie und soziale Herkunft gezählt. Die äußeren Dimensionen umfassen Wohnort, Einkommen, Gewohnheiten, Freizeitverhalten, Religion/Weltanschauung, Ausbildung, Berufserfahrung, Auftreten, Elternschaft sowie Familienstand. Die organisationalen Dimensionen bestehen aus Funktion/Einstufung, Arbeitsinhalt/‑feld, Fakultät/ Institut/Studienrichtung/Dienstleistungseinrichtung, Dauer der 122

Beschäftigung/Dauer des Studiums, Arbeitsort/Studienort, Forschungsinhalt/‑feld sowie Art des Arbeitsverhältnisses. Bei dieser Trennung zwischen äußeren und inneren Dimensionen wird suggeriert, dass die inneren Dimensionen unveränderlich und die äußeren Dimensionen erlernt und veränderlich seien. Wie im Einführungskapitel bereits kritisch angemerkt, sind bei derartigen Schemata langjährige Erkenntnisse der Geschlechterforschung, der Queer Studies etc. zum konstruktiven Charakter von Kriterien wie Geschlecht, sexuelle Orientierung etc. ignoriert worden. Erstaunlich ist auch, dass die »soziale Herkunft« und die »Ethnie« hier als gemeinsam erwähnte innere Dimension festgeschrieben sind. Diese Perspektive birgt einerseits das Risiko, essenzialisierend (und damit auch stigmatisierend) zu wirken. Andererseits erlaubt sie in einigen Fällen auch, spezifische, mit einer Dimension verbundene Schwierigkeiten durch gezielte Förderung zu überwinden. So hat die Initiative Arbeiterkind.de beispielsweise zum Ziel, Menschen, die als Erste in ihrer Familie einen Studienabschluss anstreben, mit Mentoring-Programmen etc. besondere Starthilfen zu geben, die Kinder aus einem akademischen Elternhaus unter Umständen bereits mitbringen. Diese soziale Dimension der Vielfalt wird oft unterschätzt, ignoriert oder als gegensätzlich zu kulturellen Dimensionen angesehen, wie ich bereits gezeigt habe. Daher ist die Initiative Arbeiterkind.de ein wichtiges Beispiel für konkrete Anwendungsmöglichkeiten einer Politik der Vielfalt. Auch bei bestimmten äußeren Dimensionen bleibt fraglich, wie diese konkret in die Personalpolitik Eingang finden können, ohne Stigmata zu reproduzieren. Bei kulturellen Unterschieden wird oft an geografisch ferne kulturelle Einflüsse gedacht, für die ein bestimmtes Bewusstsein entwickelt werden müsse. Gerade in der Schweiz sind es jedoch die Arbeitskräfte aus den Nachbarländern, die sehr ausländerfeindlichen Kampagnen ausgesetzt sind. Dies gilt für die französischen Grenzgänger in Genf (die Zielscheibe der Wahlkampagnen 2013 waren) und für deutsche Universitätsprofessorinnen und ‑professoren in Zürich (für die der Deutsche Hochschulverband in einer offenen Erklärung Sorge trug, nachdem es in einigen Fällen zu sehr feindlichen Kampagnen gekommen war). Die ETH hat in ihrem Faktenblatt zur Diversität entsprechend vermerkt, dass sich das Diversity Ma123

nagement in drei Schritten vollziehen müsse. Zunächst sollen indirekte und direkte Formen der Diskriminierung unterbunden werden. In einem zweiten Schritt folgt die Rekrutierung von ausländischem Personal (welches in diesem Fall den beachtlichen Anteil von 60 Prozent erreicht hat). Allerdings werde dieses Personal oft unter einen gewissen Assimilationsdruck gesetzt, sodass das Unternehmen gar nicht von dessen Vielfalt profitieren könne: »Der Vielfaltsaspekt geht so der Unternehmenskultur verloren.«66 Daher müsse in einem dritten Schritt, der Inklusionsphase, die Minderheit in der Mehrheit aufgehen, »ohne jedoch dabei ihre individuellen Merkmale zu verlieren« (ebd.). So könne die von der Organisationsstruktur gewünschte Vielfalt auch in der Organisationskultur zum Tragen kommen (ebd.). In der Hochschulpädagogik wächst ebenfalls das Bewusstsein für die Entwicklung von Inklusionsmaßnahmen, da mit herkömmlichen pädagogischen Mitteln nur bestimmte Individuen angesprochen werden. Seit Gründung der ersten Reformuniversitäten Ende der 1960er  Jahre wird in hochschulpädagogischen Zentren über diese Frage nachgedacht. In jüngeren Publikationen wird versucht, Differenz weniger als Problem (wie etwa bei Fine/Handelsman 2010: 3) zu sehen, sondern die Perspektive zugunsten von Inklusionsvisionen zu wechseln. Somit werden Werkzeugkästen zur Schaffung eines inklusiven Klimas entwickelt, sodass alle Studierenden ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Lerngruppe entwickeln können. Kardia und Saunders (2013) plädieren beispielsweise dafür, durch mehr Engagement bessere Performances zu erreichen. Danach seien inkludierende Klassen solche, wo Lehrende und Lernende zusammen daran arbeiteten, eine Umgebung zu schaffen, in der sich jeder sicher fühle, unterstützt werde und angeregt werde, sich auszudrücken. Wie sieht dies jedoch in der Praxis aus? Melinda Dooly (2009) schreibt in ihrem kritischen Rückblick auf die Arbeiten der »critical pedagogy«, wie schwierig die Umsetzung derartiger Konzepte in der Praxis sei. Vielfalt und Diversity Management seien gut gemeinte Konzepte, die Wohlbefinden und Wohlstand für alle versprächen (auch unter der Berücksichtigung der Folgen des Kolonialismus, der ungleichen Entwicklung und der Globalisierung). Allerdings werde die ungleiche Verteilung von Macht, die der Unterrichtssituation per definitionem innewohne, selten in124

frage gestellt. Die historischen und soziokulturellen Hintergründe der Lehrsituation müssten ihr zufolge kritisch reflektiert werden, damit Schüler und Lehrer gemeinsam eine autonome Form des Lernens entwickeln können. Dazu gehört insbesondere die Frage, wie heute mit Sprachenvielfalt umgegangen wird. War Mehrsprachigkeit lange unterdrückt, so wird sie heutzutage als Chance begriffen und entsprechend gefördert. Von dieser Einsicht, die heute in der Vorschule gelegentlich praktisch umgesetzt wird, bis zur gleichberechtigen Berufung von Lehrkräften, die die Landessprache (noch) nicht beherrschen, an Hochschulen ist jedoch noch ein weiter Weg zurückzulegen.

3. Vielfalt in Unternehmen, Verwaltungen und im Stadtmarketing Zahlreiche Verwaltungen, Regierungen und Unternehmen haben es sich zur Aufgabe gemacht, Vielfalt zu stärken und zu fördern. So beobachten Nils Jent, Günther Vedder und Florian Krause in ihrem 2010 erschienenen Buch eine deutliche Zunahme des Diversity-Diskurses in der Unternehmenspraxis sowie in Managerhandbüchern. Eine Einschätzung, die durch Fallstudien (Vedder/Göbel/ Krause 2011) bestätigt wird. Auch Universitäten setzen Prorektorate zu Diversity ein (wie die Universitäten Duisburg-Essen – als erste in Deutschland –, Dortmund und Lausanne) oder nutzen Diversity als Schlüsselbegriff in der Eigenwerbung: »The first PhD to an African American woman. The first minority scholarship program at a business school. The city of Chicago’s first gay liberation organization. At UChicago, diversity makes history as it drives the power of ideas.«67 Der Schweizer Bundesrat hat die Anfrage von Kathrin Amacker-Amann »Potenzial kultureller Vielfalt in der Arbeitswelt nutzen« am 20. Februar 2008 wie folgt beantwortet: »Die Integration verschiedener Sprachen und Kulturen ist ein prägendes Element der Eidgenossenschaft. Die Vielfältigkeit ist ein anerkannter Wert der Schweiz, der sich auch in den Unternehmen widerspiegelt. Die erfolgreiche Zusammenarbeit unterschiedlicher Kulturen in hiesigen Unternehmen wird zudem oft auch als Konkurrenzvorteil in einem immer stärker international geprägten Marktumfeld dargestellt. Der Bundesrat betrachtet die Förderung dieser Vielfältigkeit als selbstverständliche Aufgabe.«68

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Die Stadt Lausanne stellte eine Woche gegen Rassismus (21.28. März 2012) unter das Motto »La diversité, une valeur suisse?« (Vielfalt, ein Schweizer Wert?). Die Stadt Bochum hat die »Charta der Vielfalt« unterzeichnet und in ihren Verwaltungen unter dem Leitsatz »Vielfalt als Chance – Wir tun was« zur Anwendung gebracht. »Charta der Vielfalt« im Wortlaut (Auszug): »Im Rahmen dieser Charta werden wir 1. eine Organisationskultur pflegen, die von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung jeder und jedes Einzelnen geprägt ist. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Vorgesetzte wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Werte erkennen, teilen und leben. Dabei kommt den Führungskräften beziehungsweise Vorgesetzten eine besondere Verpflichtung zu. 2. unsere Personalprozesse überprüfen und sicherstellen, dass diese den vielfältigen Fähigkeiten und Talenten aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie unserem Leistungsanspruch gerecht werden. 3. die Vielfalt der Gesellschaft innerhalb und außerhalb der Organisation anerkennen, die darin liegenden Potenziale wertschätzen und für das Unternehmen oder die Institution gewinnbringend einsetzen. […] Wir sind überzeugt: Gelebte Vielfalt und Wertschätzung dieser Vielfalt hat eine positive Auswirkung auf die Gesellschaft in Deutschland.« (www.charta-der-vielfalt.de/de/charta-der-vielfalt/die-charta-im-wortlaut.html)

In dieser Charta spiegelt sich der gesellschaftliche Wertewandel in Bezug auf Vielfalt wider: Unterschiede werden nicht mehr als Problem betrachtet, sondern als Potenzial für gegenseitige Bereicherung. Ziel ist nicht mehr die Homogenisierung von Praktiken, sondern die Nutzung komplementärer Talente, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Diese Hinwendung zu einer positiven Sichtweise ist sicherlich zu begrüßen, allerdings birgt die kulturalistische Perspektive auch hier die oben angesprochene Gefahr der Essenzialisierung. Viele Städte haben ebenfalls erkannt, dass sich ihre Migrationsgeschichte und die damit verbundene kulturelle und religiöse Vielfalt vermarkten lassen. So wirbt die Stadt Köln mit dem verbindenden Element, dass die ersten Kölner Einwanderer waren, 126

und unterstreicht heute das »südländische Flair«69 der Stadt. Auf Werbeplakaten der Stadt war in den 1990er Jahren zu lesen »Die ersten Kölner waren Ausländer.« 2004 haben Kölner Ratsmitglieder bei der Verteidigung des geplanten Moschee-Baus an diesen Slogan erinnert. Auch Diskurse über »Do-it-yourself-Biographien« (Beck/Beck-Gernsheim 2002) und die damit verbundene Aufwertung des Andersseins, auf die Antke Engel (2009) in ihrem Buch zu Bildern von Sexualität und Ökonomie ebenfalls hingewiesen hat, finden Eingang in das Stadtmarketing: »Wien ist anders, ich auch« ist das Motto der österreichischen Hauptstadt. Der Hirnforscher Jürgen Sandkühler wird mit dem Satz zitiert: »Ohne Diversität keine Kreativität und keine Identität.«70 Sowohl in Wien als auch in Köln haben die offiziellen Tourismusbüros Stadtführer für lesbische und schwule Touristen und Touristinnen herausgegeben, um diese mit dem Argument eines besonders toleranten, weltoffenen Reiseziels für sich zu gewinnen. Auch die Cittàslow-Bewegung (»langsame Stadt«), die sich 1999 in Italien gründete, zählt die Unterstützung und Hervorhebung von Diversität zu ihren Zielen. Einer von sieben Themenbereichen, die beim Mitgliedsantrag (selbst) evaluiert werden müssen, ist die Gastfreundschaft. Diese Entwicklungen des Stadtmarketings werden in neuesten Studien untersucht, die Migrations- und Stadtforschung kombinieren und nach dem aktiven Einfluss der Bewohnerinnen und Bewohner auf die Skalierungsprozesse von Städten fragen (Çağlar/Glick Schiller 2011; Salzbrunn 2011). Diese werden zu Beginn von Kapitel VI, das sich interessanten Perspektiven aktueller Forschungen über Vielfalt und Zusammenhalt widmet, behandelt. Hier soll nun abschließend als praktisches Anwendungsbeispiel der Umgang mit Vielfalt in Québec vorgestellt werden.

4. Umgang mit (religiöser) Vielfalt im öf fentlichen Raum und in Unternehmen: die kanadische Provinz Québec und das »accommodement raisonnable« Der Umgang mit (religiöser) Vielfalt in der Region Québec illustriert, wie konzeptuelle Reflexionen und empirische Studien aus der Soziologie mit politischen und zivilgesellschaftlichen Debatten interagieren. Die Debatten im öffentlichen Raum Québecs stehen an der Schnittstelle von Politik, dem Bildungswesen 127

und der Wissenschaft. Sie zeugen von Einflüssen des britischen Multikulturalismus einerseits und des französischen Laizismus andererseits, das heißt sie sind geprägt von einer Spannung zwischen der Gleichbehandlung aller und Partikularrechten für Minderheiten. Diese Spannung findet sich sowohl auf dem konzeptuellen Niveau von Debatten und Modellen als auch in der Praxis, wie die unten skizzierte Diskussion um eine »vernünftige Anpassung« der Rechtspraxis an die gesellschaftlichen Verhältnisse zeigt. In der kanadischen Provinz Québec hat sich die Zusammensetzung der Gesellschaft durch die demografische Entwicklung und durch mehr oder minder gesteuerte Migrationsbewegungen in den letzten dreißig Jahren erheblich verändert. Zwischen 1991 und 2001 ist der Anteil von Maghrebinerinnen und Maghrebinern von 18  710 auf 40  340 gestiegen und hat sich damit mehr als verdoppelt (Castel 2010: 389). Als Reaktion auf die wachsende Verbreitung der englischen Sprache wird das Beherrschen der französischen Sprache zum wichtigsten Auswahlkriterium der Einwanderer. Gleichzeitig führt die unsichere politische und wirtschaftliche Situation in potenziellen frankophonen Herkunftsländern wie den Maghreb-Staaten zu einer wachsenden Bereitschaft auszuwandern. Zwischen 1991 und 2001 ist die muslimische Bevölkerung Québecs daher um 141,7 Prozent gewachsen und liegt damit über dem Wachstumsgrad jeder anderen religiösen Gruppe (ebd.: 188).71 Unter den Musliminnen und Muslimen ist eine starke innere Differenzierung nach religiöser Affiliierung und Praxis zu verzeichnen. Insgesamt übersteigt der Anteil an Praktizierenden jedoch selten 15 Prozent. Nach einer Studie von Géraldine Mossière und Deirdre Meintel (2010) spielen religiöse Gemeinschaften eine zentrale Rolle als Anlaufstelle für Informationsvermittlung und Unterstützung bei der Aufnahme von neu ankommenden Immigrantinnen und Immigranten. Deren religiöse Praxis intensiviere sich durch diese Kontakte oft. Religiöse Gruppen haben daher einen bedeutenden Einfluss auf die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Erfahrungen der Immigrantinnen und Immigranten und bildeten eine Brücke zwischen diesen und der Aufnahmegesellschaft (Mossière/Meintel 2010: 486). In einigen Fällen führe diese starke Bindung an religiöse Gruppen zu einer Abgrenzung gegen128

über der kanadischen Gesellschaft, in anderen Fällen wiederum würden Anpassungsprozesse erleichtert. Ali Daher (1999: 155ff.) beobachtet, dass vorherige Migrationserfahrungen eine wichtige Rolle bei der Positionierung muslimischer Autoritäten spielen: So tendierten Migranten aus dem indisch-pakistanischen Raum, die zuvor in Großbritannien gelebt haben, eher dazu, das britische Multikulturalismus-Modell in Kanada zu imitieren, indem sie möglichst unabhängige Strukturen aufzubauen suchten und sich gegen den französischen Laizismus aussprechen (den sie mit dem frankophonen Québec in Verbindung bringen). Dies führe dazu, dass die Politik in Québec stark von muslimischen Interessengruppen unter Druck gesetzt werde. Auch das Schulsystem im frankophonen Kanada sei sowohl vom französischen Laizismus als auch vom britischen Multikulturalismus geprägt und habe unter anderem das Ziel, gemeinsame Werte zu vermitteln (McAndrew 2003: 134). Konflikte um die Handhabung von Vielfalt in der Schule liefen oft zwischen den Eltern ab, die sich uneinig darüber seien, wie gemeinsame Werte einerseits und Respekt vor spezifischen Erziehungsvorstellungen der Eltern andererseits in Einklang gebracht werden sollen. Insgesamt hat McAndrew für die beginnenden 2000er Jahre eine gewisse Offenheit für Anpassungsprozesse an die (neue) Vielfalt beobachtet. Schließlich sei die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern ein Grundwert der Gesellschaft. Reservierter ist die Einschätzung von Marie McAndrew und Maryse Potvin (2010: 172) zur Berücksichtigung von vielfältigen Perspektiven auf bestimmte Unterrichtsfächer seitens des Lehrpersonals. Nur wenige könnten hier ihre ethnozentrische Perspektive ablegen, insbesondere im Geschichtsunterricht. Die kulturellen Veränderungen, die mit der Entwicklung und Differenzierung der Migration einhergehen, hatten insbesondere in diesem Teil Kanadas in der Praxis pragmatische Anpassungen an die herrschende Rechtspraxis zur Folge. Dies wurde unter dem Begriff »accommodement raisonnable« beziehungsweise »reasonable accomodation« (»vernünftige Anpassung«) bekannt. Hiermit wurde in der Praxis versucht, auf die neue kulturelle, sprachliche und ethnische Vielfalt in Québec zu reagieren (McAndrew 2007). Ziel ist es, die Anwendung von Normen und Gesetzen so flexibel zu handhaben, dass das Bürgerrecht der Gleichbehandlung respektiert wird. Der oberste Gerichtshof Kanadas definiert 129

den Begriff des »accommodement raisonnable« basierend auf dem Arbeitsrecht wie folgt: »Die Verpflichtung besteht darin, im Falle der Diskriminierung und deren schädlichen Folgen, die auf der Religion oder dem Glauben gründen, vernünftige Maßnahmen zu ergreifen und sich mit dem Kläger zu verständigen, es sei denn, diese zögen exzessive Zwänge nach sich: Mit anderen Worten geht es darum, Maßnahmen zu ergreifen, um sich zu verständigen, ohne dass dies unberechtigterweise das Funktionieren des Unternehmens des Arbeitgebers beeinträchtigt und ihm exzessive Kosten verursacht.«72

Die erste Anfrage73 kam 1985 von Theresa O’Malley, einer kanadischen Adventistin, die aus religiösen Gründen weder am Freitagabend noch am Samstagmorgen arbeiten wollte und daher entlassen wurde. Die umstrittene konkrete Interpretation dieser Anpassungsprozesse in der Praxis hat schließlich in den 2000er Jahren zu einer sozialen Krise geführt. Im Jahr 2000 wurde das (lange katholisch geprägte) Schulsystem dekonfessionalisiert. Dies war das Ergebnis einer schrittweisen Entwicklung vom Respekt religiöser Freiheit zwischen Protestanten und Katholiken im 18.  Jahrhundert hin zur allgemeinen Gewissens- und Religionsfreiheit und der Verabschiedung einer entsprechenden Charta 1982 (Milot 2009). Deren konkrete Umsetzung war jedoch sehr umstritten. Zwischen 2002 und 2006 hat die Forderung eines jungen Sikh, in der Schule sein Kirpan, das heißt ein Messer, das Zeichen seiner religiösen Zugehörigkeit ist, zu tragen, für heftige Debatten gesorgt, weil dem Schüler dieses Recht, ein Symbol religiöser Zugehörigkeit zu tragen, schließlich zuerkannt wurde, obgleich in der gleichen Epoche im Namen der Dekonfessionalisierung die Kruzifixe aus den Schulen entfernt worden waren. Weitere Forderungen wie die nach Gebetsräumen haben schließlich zu einer ernsthaften inneren politischen Krise geführt. Diese erreichte 2007 ihren Höhepunkt, als bekannt wurde, dass das Dorf Hérouxville ein Führungshandbuch für eventuelle neue Immigrantinnen und Immigranten herausgegeben hatte, in dem unter anderem steht, dass es verboten sei, Frauen zu steinigen oder lebend zu verbrennen oder in der Landgemeinde Genitalverstümmelungen durchzuführen. 130

Die Regierung hat daraufhin 2007 eine »Beratende Kommission zu Anpassungspraktiken, die mit kulturellen Differenzen verbunden sind« eingesetzt, um eine sozialwissenschaftliche Studie über die Gründe für die inneren Konflikte zu erstellen und konkrete Empfehlungen zum Umgang mit der neuen Vielfalt zu erarbeiten. Die Kommission wurde nach den beiden Vorsitzenden, dem frankophonen Soziologen und Historiker Gérard Bouchard und dem anglophonen Philosophen Charles Taylor benannt. Der damalige Premierminister der Provinz Québec, Jean Charest, hat seine Erklärung zur Einberufung der Kommission am 8. Februar 2007 mit einer Erinnerung an die Grundwerte Québecs begonnen: die Gleichheit zwischen Frauen und Männern, die primäre Rolle der französischen Sprache und die Trennung zwischen Staat und Religion. Jene Werte dürften im Rahmen einer Anpassungsprozedur keinesfalls irgendeinem anderen Prinzip untergeordnet werden: »Québec ist eine Aufnahmegesellschaft. Die Neuankömmlinge, wie auch die, die ihnen zuvorgekommen sind, kommen nach Québec um unseren Erfolg zu teilen, frei zu leben und ein neues Leben zu beginnen. Sie bereichern Québec mit ihrem Wissen und ihrer Kultur, sie bauen Québec gemeinsam mit uns auf. Jeder von ihnen hat jedoch die Verpflichtung, sich in unsere Nation zu integrieren. Dies bedeutet, dass sie sich dafür engagieren müssen, unsere Grundwerte anzunehmen. Als Gegenleistung haben wir als Ankunftsgesellschaft auch eine Verantwortung: Wir müssen uns ihrer Verschiedenheit gegenüber öffnen. Unsere Vielfalt ist heute eines unserer größten Reichtümer.«74

Diese Sichtweise auf Vielfalt impliziert eine positive Haltung zu kulturellen Unterschieden – unter der Bedingung, dass diese den Grundwerten Québecs nicht zuwiderlaufen. Die Kommission Bouchard-Taylor hatte den Auftrag, der Frage der Anpassungsprozesse, die mit kulturellen Unterschieden zusammenhängen, nachzugehen und die damit verbundenen Konsequenzen und Zusammenhänge zu analysieren sowie Empfehlungen zu formulieren, damit diese Praktiken den Grundwerten Québecs entsprechen. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass diverse Anpassungsprozeduren im Rahmen des Respektes von Differenzen sowie deren Mediatisierung zu einer Identitätskrise geführt haben. Der Kommission zufolge haben insbesondere Anpassun131

gen im Namen der Religion zu der Befürchtung geführt, dass die Errungenschaften der »Révolution tranquille« (der »leisen Revolution«), insbesondere die Gleichheit zwischen Frauen und Männern und der Laizismus, infrage gestellt werden. In der Wahrnehmung einzelner Streitfälle zeigt sich auch die Spannung, in der die Provinz Québec sich heute befindet: Die Einwohner mit kanadisch-französischem Hintergrund in Québec fürchten um ihre dominante Position als Mehrheit, während sie gleichzeitig innerhalb Kanadas und innerhalb Amerikas im Allgemeinen eine sprachliche und kulturelle Minderheit darstellen. Daher ähnelt die Debatte um Vielfalt manchmal einer Argumentation zwischen konkurrierenden Minderheiten in der eigenen Lebenswelt (Bouchard/Taylor 2008: 18). Gleichzeitig ist die liberale Demokratie Québecs stark beeinflusst von dem Pragmatismus der angelsächsischen Tradition, der in der Praxis flexiblere und einfachere Konfliktlösungen (etwa im Gegensatz zur französischen Debatte) erlaubt. Demnach soll der Staat die individuellen Freiheiten und Rechte der Personen garantieren. Allerdings ist ein großer Unterschied zwischen den empirischen Befunden und den durch die Medien vermittelten, oft überzogen dargestellten Schwierigkeiten zu beobachten (ebd.). Die Kommission stellt fest, dass in Québec de facto eine multikulturelle Gesellschaft lebt. Um eine gewisse Kohäsion sicherzustellen, sei eine Politik des Interkulturalismus vonnöten, der die ethnokulturelle Vielfalt mit der Beibehaltung eines frankophonen Kerns und dem Erhalt sozialer Bindungen in Einklang bringt (Bouchard/Taylor 2008: 20ff.). So solle sowohl der kanadisch-französischen Bevölkerung als auch den »ethnokulturellen Minderheiten« von Québec Sicherheit gegeben werden, während gleichzeitig – gemäß der liberalen Tradition – die Rechte aller geschützt werden. Mit der französischen Sprache als gemeinsamer öffentlicher Sprache solle ein Rahmen für die Kommunikation und den gesellschaftlichen Austausch geschaffen werden. Gleichzeitig habe der Interkulturalismus den Vorteil, flexibel und offen für Verhandlungen, Anpassungen und Neuerungen zu sein (ebd.). Eine weitere gesellschaftliche Grundlage des Zusammenlebens in Québec besteht der Kommission zufolge in einer »offenen Laizität« (»laïcité ouverte«), das heißt in einer Trennung von Reli132

gion/Kirche und Staat. Sie unterliegt vier Grundprinzipien: der moralischen Gleichheit zwischen Personen (insbesondere zwischen den Geschlechtern), der Gewissens- und Religionsfreiheit, der Trennung von Kirche und Staat sowie der Neutralität des Staates in Bezug auf Religionen und tiefe säkulare Überzeugungen (ebd.). Konkret empfahl die Kommission beispielsweise, Unternehmen nicht zur Einrichtung von Gebetsräumen zu verpflichten. Außerdem regte sie an, das in der Nationalversammlung aufgehängte Kruzifix abzuhängen und in einem Raum auszustellen, der der Geschichte des Parlaments gewidmet ist. Außerdem solle das Gebet, welches in Ratssitzungen von zahlreichen Gemeinden gesprochen wird, abgeschafft werden. Ein Eruv (Sabbatgrenze) stünde nicht im Gegensatz zur Neutralität des Staates (ebd.). Bestimmte Essensverbote sollten respektiert und das Tragen eines islamischen Kopftuches, einer Kippa oder eines Turbans erlaubt werden, um eine Integration in die Gesellschaft Québecs zu erleichtern (ebd.). Auch die Forderung nach nichtchristlichen Feiertagen erscheine als legitim, da damit das Beheben von Ungleichheit verbunden sei. Umgekehrt dürften die Forderungen jedoch nicht die Rechte eines anderen verletzen (ebd.). Der Umgang mit religiös begründeten Kopfbedeckungen zeugt von einem interessanten Widerspruch zu einer zeitgleich in Frankreich geführten Debatte: Mit dem gleichen, aber gegensätzlich ausgelegten Argument der Integration wurde das Tragen von Kopftüchern in den öffentlichen Schulen in Frankreich verboten; dieses Verbot wurde bereits 1989 angewendet, indem drei Schülerinnen mit dem Argument, sich diesem Verbot widersetzt zu haben, einer Schule in Creil verwiesen wurden. Dieses Verbot wurde von unterschiedlichen Regierungen mehrfach bekräftigt. Zuletzt wurde mit dem Gesetz vom 11.  Oktober  2010 auch im gesamten öffentlichen Raum das Verdecken des Gesichts (zum Beispiel mit einer Burka) verboten. Die vorherrschende Sichtweise von Québec ging zu dieser Zeit davon aus, dass ein gewisser Respekt vor vielfältigen Formen der unterschiedlichen religiösen Zugehörigkeit einer Integration zuträglich sei, während die mehrheitliche öffentliche Meinung in Frankreich das Gegenteil behauptet(e). Diese Transformation von symbolischen Grenzen hin zu physischen Grenzen (das heißt des Zugangs zu Schulgebäuden und damit zu Bildung) hat sich auch konkret in der Kopf133

tuchdebatte in Frankreich (Salzbrunn 2012b), Deutschland und der Schweiz gezeigt. Der Bericht Bouchard-Taylor umfasst auch eine Liste von Bedingungen, die erfüllt werden sollten, um die Zukunft der vielfältigen, von kulturellen Unterschieden geprägten Gesellschaft Québecs zu sichern (Bouchard/Taylor 2008: 21). Dazu gehören unter anderem der Kampf gegen Ungleichheit und Diskriminierung sowie die Vermeidung von Parallelgesellschaften, die nur nebeneinander existieren. Die Autoren zeugen von einem Bewusstsein für die Gegenseitigkeit und den interaktiven Prozess, der Erfahrungen von Alterität und Diversität zugrunde liegt. Die anfangs gestellte Frage nach gesellschaftlicher Kohäsion in der Vielfalt findet in dem Bouchard-Taylor-Bericht konkrete Hinweise, wie dies in der Praxis ermöglicht werden kann. Wichtig ist auch hier die Gegenseitigkeit, zum Beispiel die Idee, Vielfalt zu lehren und aus der Vielfalt zu lernen (ebd.: 245-272). Konkrete Vorschläge zur Erleichterung der Eingliederung in die (Erwerbs‑)Gesellschaft sind die Erleichterung der Anerkennung ausländischer Diplome oder die Möglichkeit, im Krankenhaus auf die Dienste von Übersetzern zurückzugreifen. Um einen gewissen Stadt-Land-Gegensatz zu überwinden, soll die Immigration verstärkt regionalisiert werden. Umgekehrt soll zur Überwindung gegenseitiger Stereotypen auch der regionale Tourismus unter den Migrantinnen und Migranten gefördert werden. Eine weitere Idee betrifft den Aufbau einer historischen Sammlung von Lebensgeschichten von Immigrantinnen und Immigranten. Bestehende Ungleichheiten sollen bekämpft werden, insbesondere Ethnizismus, Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus. Das Tragen von Zeichen religiöser Zugehörigkeit soll klar reglementiert werden. So wird empfohlen, dieses Richtern und Staatsanwälten, Polizisten, Gefängniswärtern und dem Präsidenten und Vizepräsidenten der Nationalversammlung zu verbieten. Lehrern, Beamten, Menschen im Dienste der Gesundheit und allen anderen Staatsbediensteten soll es hingegen erlaubt sein (ebd.). Die Empfehlung, das Kruzifix aus der Nationalversammlung zu entfernen, wurde im Plenum debattiert. Dieses stimmte jedoch mit überwältigender Mehrheit gegen diese Empfehlung und schlug stattdessen vor, das Kruzifix aus historischen Gründen als Zeichen des immateriellen Erbes der Geschichte Québecs an die134

sem Ort hängen zu lassen. Die Empfehlung, die Gebete zu Beginn von Ratssitzungen abzuschaffen, wurde weitgehend befolgt. Eine Kommune hat alternativ das Gebet zwei Minuten vor den offiziellen Beginn der Sitzung verlegt. Die Autoren des Berichtes geben neben der Idee zur Verbreitung eines multikonfessionellen Kalenders schließlich noch einige Empfehlungen für Forschungsthemen, die besonders gefördert werden sollten, zum Beispiel die »doppelte Beziehung des Immigranten zu seiner Herkunftskultur und der Kultur der Ankunftsgesellschaft« (ebd.: 272), die Lage von »benachteiligten Untergruppen (Jugendliche, die aus rassialisierten [sic!] Minderheiten kommen, immigrierende Frauen und andere)«, oder die Entwicklung »sozialer Beziehungen in Vierteln mit einer hohen Konzentration von Immigranten« (ebd.). Diesen abschließenden Empfehlungen für die universitäre Forschung liegt eine Reihe impliziter Vorurteile zugrunde, die empirisch nicht immer zu halten sind. Sind Jugendliche aus »rassialisierten Minderheiten« per se benachteiligt? Gehören immigrierende Frauen auch zu einer benachteiligten Gruppe? Gerade in Québec stieg die Erwerbsquote immigrierter Frauen in den letzten fünf Jahren, über die Zahlen vorliegen, mehr als dreimal so schnell an wie die der kanadischen Frauen: zwischen 2006 und 2011 um 24,6 Prozent bei den Immigrantinnen und um 7,7 Prozent bei den Kanadierinnen.75 Des Weiteren ist das Verständnis für Anpassungsprozesse in den meisten Fällen dort am größten, wo der Anteil an Migrantinnen und Migranten am höchsten ist, das heißt in der Regel in der Stadt. Auf dem Land, wo die Bevölkerung homogener ist, sind die Vorbehalte größer. Daher ist es fraglich, ob die Forschung sich tatsächlich auf Stadtviertel mit einem hohen Migrationsanteil konzentrieren sollte. Auch wenn die tatsächliche Vielfalt innerhalb der Migrantenpopulation in den Empfehlungen des Bouchard-Taylor-Berichtes nicht durchweg berücksichtigt wurde, so ist die Arbeit der Kommission doch ein interessantes Anwendungsbeispiel für eine Politik der Diversität. Die politische Debatte in Québec hatte außerdem den Vorteil, relativ offen und transparent geführt worden zu sein, insbesondere in Bezug auf »vernünftige« Anpassungsprozesse in Fragen religiöser Vielfalt. Allerdings muss auch hier der Erfolg der Um135

setzung in der Praxis stark relativiert werden, wie die politische Initiative zur Verabschiedung eines Gesetzesentwurfes 2013 zeigt (siehe unten). In Frankreich wird oft versucht, den Laizismus gegen vermeintliche Attacken zu verteidigen, obgleich sich in der Praxis gezeigt hat, dass auch hier ein pragmatischer Umgang mit Vielfalt zu erfolgreichen Arrangements geführt hat, die den sozialen Frieden beibehalten haben. Ein aktuelles Beispiel ist der Umgang mit Feiertagen. Auch wenn die Empfehlung der von Bernhard Stasi geleiteten Kommission zur Laizität, einen jüdischen und einen muslimischen Feiertag einzuführen, nicht beachtet worden war, so werden in der Praxis mehr und mehr Feiertage bei der Planung von wichtigen Terminen berücksichtigt: Bei der Organisation von nationalen Prüfungen für den Staatsdienst oder staatliche Hochschulen beispielsweise werden nicht nur Termine ausgeschlossen, die auf katholische Feiertage fallen, sondern auch jüdische, muslimische, armenische, orthodoxe und buddhistische Feiertage. Hier zeigt die französische Regierung ein in der Praxis recht dehnbares Verständnis von Laizität. In Fragen der Kleidung ist sie jedoch relativ unflexibel, wie der Umgang mit dem Kopftuch zeigt. In Québec wurden die Probleme des »accommodement raisonnable« mit dem Bouchard-Taylor-Bericht zwar nicht endgültig gelöst, aber die öffentliche Debatte wurde durch die umfassende, dem Bericht zugrunde liegende Studie vorangebracht. Die Praxis zeigte, dass ein gewisser Rechtspluralismus beziehungsweise eine von Fall zu Fall unterschiedliche Auslegung des Rechts einerseits zu pragmatischen Lösungen führen konnte, andererseits jedoch auch zu öffentlichen Protesten geführt hat. Im September  2013 hat die Regierung von Québec daher eine spezielle Erklärung zu »accommodements religieux« vorgelegt, um die Erarbeitung eines Gesetzesentwurfes zu erklären. Dies ist ein weiterer Schritt zur expliziten Formulierung von konkreten Problemen im Umgang mit Vielfalt; denn die vorausgehenden Diskussionen sowie der Bouchard-Taylor-Bericht sprechen ganz allgemein von kulturellen Unterschieden oder von kultureller Vielfalt. In dem Gesetz wird eine Charta vorgelegt, die die »Werte der Laizität und der religiösen Neutralität des Staates sowie der Gleichheit zwischen Frauen und Männern« darlegt und die »Bitten um Anpassung« in einen Rahmen setzt.76 136

Der Tenor dieses Gesetzes ist restriktiver als die meisten Empfehlungen der Bouchard-Taylor-Kommission. Das Tragen religiöser Symbole im Staatsdienst wird beispielsweise wesentlich stärker eingeschränkt und umfasst nun ein Verbot von Kopfbedeckungen aller Art.77 Die Debatte über diese Nuancen zeigt, wie umstritten die Fragen sind und wie schwierig die Umsetzung in der Praxis ist. Während sowohl die Kommission als auch ein Teil der öffentlichen Meinung relativ liberal argumentiert hat, sah sich die Regierung nach und nach in einer Position, die eine starke Reglementierung von Zeichen religiöser Zugehörigkeit forderte. Zu den fünf Empfehlungen, die die Regierung in der Informationsbroschüre noch einmal vereinfacht zusammenfasst, gehört auch, dass niemand mit einem unkenntlichen Gesicht in den Genuss staatlicher Dienste kommen darf. Diese Maßnahme erinnert an das zuvor in Frankreich verhängte Burka-Verbot, welches mit einem ähnlichen Slogan vermittelt wurde: »La République se vit à visage découvert«, das heißt »die Republik wird mit einem unverdeckten Gesicht gelebt«. Ausnahmen gelten für das beruflich bedingte Tragen von Schutzmasken und für karnevalistische Verkleidungen. Sowohl in Frankreich als auch in Québec wird die explizite Restriktion religiös definierter Symbole mit feministischen Argumenten zum Erhalt der Gleichheit zwischen Frauen und Männern verteidigt. Es ist jedoch zu fragen, ob dies in der Praxis von Erfolg gekrönt ist; denn die Gruppe muslimischer Frauen, die implizit die Hauptadressatinnen sind, wird hiermit stark stigmatisiert. Wie ich an anderer Stelle (Salzbrunn 2012b) gezeigt habe, werden hier in historischer Kontinuität insbesondere Frauen muslimischen Glaubens von der Zugehörigkeit zur Republik symbolisch und materiell ausgeschlossen – mit dem Argument, dass deren Kleidung ein Zeichen von Unterdrückung sei. Die in empirischen Forschungen seit Langem nachgewiesene Option, dass diese Form der Kleidung in manchen Fällen auch ein selbst gewähltes Zeichen von Zugehörigkeit und Emanzipation sein kann (KleinHessling/Nökel/Werner 1999), wird hier – auf Kosten der Frauen – ignoriert. Im Fall Québecs wo ein »Manifest für ein pluralistisches Québec« für mehr Offenheit kämpfte, scheinen die nationalkonservativen und strikt laizistischen Denkströmungen zurzeit zu domininieren. 137

Nach diesem praktischen Beispiel für die Umsetzung soziologischer Studien zum Thema religiöse Vielfalt gehe ich nun abschließend auf konstruktive Anwendungen von Konzepten der Vielfalt in laufenden Projekten der Migrations- und Stadtforschung ein.

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VI.  Perspektiven zur Forschung über Vielfalt: Locating Migration und »Globaldivercities«?

Die Verbindung von Migrations- und Stadtforschung verspricht interessante Lösungsansätze zur Überwindung von Essenzialisierungen in der Forschung über Vielfalt und Zusammenhalt. Durch lokale empirische Studien kann gezeigt werden, inwiefern »Zusammenhalt durch Vielfalt« (Pries 2013) gestiftet wird. Dazu gehören der »Rescaling-cities«- beziehungsweise »Locating-Migration«-Ansatz von Ayse Çağlar und Nina Glick Schiller (2011), das Projekt GLOBALDIVERCITIES (migration and new diversities in global cities: comparatively conceiving, observing and visualizing diversification in urban public spaces) von Steven Vertovec und die IMISCOE-Gruppe zu Vielfalt, Festen und Stadt (POPADIVCIT, Popular Arts, Diversity and Cultural Policies in Post-Migration Urban Settings) um Marco Martiniello. Diese Gruppe untersucht die Bedeutung von Kunst in theoretischen und politischen Debatten um Vielfalt. Aus der Akteurperspektive wird das Paradoxon zwischen ethnisch-kultureller Segregation/ Separation einerseits und ethnokultureller Mischung/métissage andererseits analysiert. Untersuchungsfelder sind die Kunstszenen europäischer mittelgroßer Städte und ebensolche Viertel in multikulturellen Metropolen. Aus emischer Perspektive werden hier alte Kategorien dekonstruiert und neue Kategorien quer zu herkömmlichen Dichotomien gedacht. Diese Herangehensweise erlaubt es, Vielfalt beispielhaft zu untersuchen, ohne die althergebrachten Dimensionen zu essenzialisieren (Martiniello 2014a; Salzbrunn 2014). In seinen letzten beiden Publikationen zu kultureller Vielfalt geht Martiniello von Holligers (1995) Idee der Diversifizierung von Vielfalt sowie von Vertovecs (2009) Super-Diversity aus, um zu zeigen, wie diese Vielfalt sich in multikulturellen Städten künstlerisch ausdrückt (Martiniello 2014b). Insbesondere eine vom Arbeitsmarkt und/oder von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossene Population findet kreativ neue Wege, eigene Botschaften auf die Agenda zu bringen – sei es durch eine neue Semantik des Karnevals (Salzbrunn 2014) oder durch neue Formen von Street Art (Martiniello 2014b: 19). Martiniello zufolge sind die neuen Kunstrichtungen durch folgende Charakteristika definierbar: 139

1. Sie sind allgemein von der amerikanischen Hip-Hop-Kultur inspiriert, die sich dort Ende der 1960er entwickelt hat und Ende der 1970er Jahre nach Europa kam. Hierzu gehören im weitesten Sinne auch Rap, Graffitikunst, Slam und Breakdance. 2. Die Performance hat meistens abseits herkömmlicher, etablierter Kunstinstitutionen stattgefunden – insbesondere auf der Straße und im frei zugänglichen öffentlichen Raum. 3. Die Ausdrucksformen stehen Autodidakten offen und gehen nicht von einer strickten Trennung zwischen Phänomenen, die als Kunst zu bezeichnen sind, und solchen, die nicht darunter fallen, aus. 4. Ursprünglich gingen diese neuen Kunstformen von einer Exklusions- und/oder Diskriminierungserfahrung aus, wie sie oft Minderheiten, die von außen ethnisiert oder rassistisch klassifiziert werden, und/oder solche Gruppen, die wirtschaftlich schwach sind, gemacht haben. Nichtsdestoweniger haben sich urbane »Bobos«78 aus der ethnischen Mittelklasse in der Folge einige der in diesem Kontext entwickelten Stile angeeignet (ebd.). Obwohl Martiniello Ethnizität hier als Distinktionsmerkmal verwendet, geht er empirisch von einer weiter gefassten Gruppe kreativer Menschen aus, die im urbanen öffentlichen Raum Musik, Tanz, Theater, Video, Mode, Design, Malerei, Fotografie, Film, Literatur, Performance oder Installationen als Ausdrucksmittel nutzen. Mit diesen emanzipatorischen künstlerischen Ausdrucksformen werden Martiniello zufolge neue Fragen an (kultur‑)politische Machtverhältnisse gestellt. So verbindet er einen Top-downZugang über (kommunale) Kulturpolitik (in multikulturellen Städten) mit einer Bottom-up-Perspektive, die in erster Linie autonome künstlerische Ausdrucksformen von Minderheiten und/ oder soziokulturell benachteiligten Gruppen im urbanen Raum in den Blick nimmt (ebd.: 21ff.). Aus der Perspektive der bildenden Kunst und des Theaters hat das Projekt »Creating Belonging by Means of Performance« von Walter Pfaff ebenfalls auf kreative Weise gezeigt, wie Vielfalt und Zugehörigkeiten von den Akteurinnen und Akteuren selbst, die zu Schauspielerinnen und Schauspielern, Malerinnen und Ma140

lern und Bildhauerinnen und Bildhauern werden, im konkreten und im übertragenen Sinn performiert werden können. Çağlar und Glick Schiller (2011) plädieren dafür, das nationalhomogene Containerdenken in der Migrationsforschung durch eine Rückkehr zu lokalen Studien im urbanen Kontext zu überwinden. In der Vergangenheit habe es zwar zahlreiche Studien über Migranten in Städten gegeben. Diese nach nationaler Herkunft unterschiedenen Migrationsgruppen seien jedoch auch wieder als homogene Einheiten betrachtet worden. Außerdem fehlten bislang noch immer umfassende Studien über die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Migrationsgruppen und den urbanen Räumen (Çağlar/Glick Schiller 2011: 2): »Migration, when considered locally, is a part of this global restructuring and reimagining of urban life. However, because cities differ in how they participate in and are affected by these global trends, the impact of migration varies and must be assessed in relationship to specific cities.« Jene Hinwendung zur Sozialgeografie, wie sie die Autorinnen vorschlagen, erweist sich als sehr fruchtbar für die Untersuchung von urbanen Inkorporationsprozessen, welche von transnationalen sozialen (Macht‑)Feldern beeinflusst werden. Diesem Ansatz folgt auch das Schweizer Projekt »L’islam (in) visible en ville« (der [un]sichtbare Islam in Städten) um die métropole lémanique, bei dem es darum geht, glokale Aushandlungsprozesse islamischer Gemeinschaften sowie deren Einfluss auf das urbane Milieu zu untersuchen.79 Hier werden Gruppen nicht durch eine a priori vorgenommene Zuschreibung (etwa »die Muslime«) als Untersuchungsgegenstand definiert. Stattdessen werden zwei innovative Formen der Annäherung an den Forschungsgegenstand gesucht, die Essenzialisierungen vermeiden sollen: die Genferseengegend als Zirkulationsraum von (unter anderem religiös definierten) Referenzen und Ereignisse als Aushandlungs- und Konstruktionsräume von Alterität und Diversität. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass die Interaktion zwischen urbanen Räumen und den darin residierenden und zirkulierenden Akteurinnen und Akteuren ein wechselseitiger Prozess ist. Es ist also keine bestimmte, von den Forschenden definierte Population – schon gar nicht »die Migranten«, da diese Unterscheidung, wie ich oben gezeigt habe, zu reduktionistisch ist –, 141

sondern eine leitende Forschungsfrage, der in räumlich (Genfersee) und situativ (Ereignisse) bestimmten Kontexten nachgegangen wird (Salzbrunn/Schneuwly Purdie 2011). Eine sozialwissenschaftliche Forschung über Vielfalt im urbanen Raum kann durch einen territorialen und situativen Ansatz zeigen, wie sich soziale Konfigurationen in bestimmten Kontexten herausbilden, ohne von vornherein national oder ethnisch definierte Zugehörigkeiten als unabhängige, das heißt erklärende Variablen zu definieren. Religiöse Zugehörigkeiten können jedoch von individuellen und kollektiven Akteurinnen und Akteuren in bestimmten Kontexten in Szene gesetzt werden, um bestimmte Botschaften auszusenden oder politische Forderungen zu formulieren. Auch dies darf jedoch nicht als absolute Erklärung gesehen werden, sondern bedarf einer umfassenden Kontextualisierung. Ähnlich argumentieren Philippe Gazagne und Alessandro Monsutti bei der Konzeption ihres neuen Forschungsprojektes zum Genfer Stadtviertel Les Pâquis: »Viewed through the prism of Geneva, the notions of ›country of origin‹ and ›host country‹ of ›immigrants‹ and ›locals‹, of ›Global South‹ and ›Global North‹ appear singularly reductionist« (Gazagne/Monsutti 2014: 23). Stattdessen fragen Gazagne und Monsutti nach der Beziehung zwischen Diversität und sozialer Stabilität in jenem urbanen Raum. Im Gegensatz zu anderen europäischen Städten, wo ein gewisser Grad an ethnisch definierter sozialräumlicher Segregation zu beobachten sei, sei Genf eine »highly mixed social fabric« (ebd.). Daher solle hier die Binarität zwischen Migranten und Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft überwunden werden, um die Dynamiken der Kooperation und der Interdependenz, des Wettbewerbs und Konflikts zwischen Migrantengruppen verschiedener Provenienz, die denselben urbanen Raum teilen, zu analysieren (ebd.). Hierzu werden empirisch drei Dimensionen der Beziehungen untersucht, die das Nachbarschaftsleben prägen: 1. wirtschaftliche Beziehungen (Austausch, Kredit und Schulden, unternehmerische Vorhaben), 2.  Lokalpolitiken (Nachbarschafts- und Elternvereine) und 3.  soziale Bindungen (religiöse Feste, Partys, Gastfreundschaft) (ebd.). Gazagne und Monsutti beziehen sich in ihren Ansätzen und ihrer Methode auf die Chicagoer Schule, indem sie alltägliche Interaktionen fokussieren und die subjektive Dimension der Migrationserfahrung in den Blick nehmen. Migra142

tion wird hier als eine komplexe, zirkuläre Erfahrung zwischen mehreren Sozialräumen betrachtet. Monika Salzbrunn und Yasumasa Sekine haben mit ihrem Buch From Community to Commonality. Multiple Belonging and Street Phenomena in the Era of Reflexive Modernization (2011) ebenfalls gezeigt, wie durch vergleichende Stadtforschungen emische Kategorien für eine Untersuchung von lokalen Vergemeinschaftungsprozessen ohne »ethnic lenses« entwickelt werden können. Sie zeigen mittels der »street anthropology«, das heißt anhand von anthropologischen Untersuchungen auf der Straße, wie Machtverhältnisse im urbanen Raum zum Tragen kommen. Beide gehen hier nicht von a priori definierten Gruppen aus, sondern zeigen, wie Elemente von politischen, sozialen, kulturellen Zentren und deren Peripherie interagieren, das heißt wie Grenzen zwischen Inklusion und Exklusion interaktiv hergestellt werden. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Global-Young-FacultyGruppe mit ihren vergleichenden Forschungen zu den europäischen Kulturhauptstädten Istanbul und Metropolregion Ruhr, die in dem Band Ruhr Area and Istanbul. The Economies of Urban Diversity von Darja Reuschke, Monika Salzbrunn und Korinna Schönhärl veröffentlicht wurden. Anlässlich der Wahl von Istanbul, dem Ruhrgebiet (und der ungarischen Stadt Pecs) zur Kulturhauptstadt  2010 wird hier gefragt, welche Beziehungen sich zwischen Vielfalt und Ökonomie im urbanen Raum in verschiedenen historischen Kontexten beobachten lassen. Sowohl im Ruhrgebiet als auch in Istanbul leben zahlreiche nach vielfältigen Kriterien differenzierbare über Jahrhunderte gewachsene Minderheiten. Die Verbindung von diachroner und synchroner Perspektive sowie von verschiedenen interdisziplinären Ansätzen innerhalb eines internationalen Forschungsteams hat überraschende Ergebnisse hervorgebracht. Die jeweiligen Diversifizierungsprozesse haben nicht überall zu einer »Super-Diversity« im Sinne Vertovecs geführt. Das heutige Istanbul hat beispielsweise im historischen Vergleich wesentlich weniger Vertreter von ethnisch oder religiös definierten Gruppen als noch zu Zeiten des Osmanischen Reiches. Neue Grenzen von In- und Exklusion im Zuge der Gentrifizierungsprozesse verlaufen eher entlang von sozialen Klassenlinien, die im cultural turn oft vernachlässigt oder gar ignoriert werden. Im Ruhrgebiet dagegen hat sich die Migra143

tion stark diversifiziert und sozialräumlich mehr und mehr auf ganze Stadtgebiete ausgedehnt. Auch hier ist eine starke sozioökonomische Diversifizierung innerhalb von national definierten Migrantengruppen zu beobachten, etwa zwischen Unternehmern und arbeitslosen Jugendlichen der zweiten Generation (Reuschke/Salzbrunn/Schönhärl 2013: 1-24). Bei diesen Forschungsansätzen werden Alternativen zu Termini und Ansätzen der Migrationsforschung entwickelt: Es wird nicht mehr gefragt, ob der gesellschaftliche Zusammenhalt durch mehr Vielfalt bedroht wird, da diese Frage in manchen Fällen unterschwellig an nationalistische Debatten über etwaige Toleranzgrenzen anknüpft. Vielmehr wird nun von der Tatsache ausgegangen, dass gesellschaftliche Vielfalt als Faktum existiert und dass die sogenannten »Migranten« längst – juristisch, alltagspraktisch und in vielen Fällen auch historisch gewachsen – Teile der Gesellschaften sind, deren Alterisierung durch Bezeichnungen wie »Secondos« (Schweiz), »2e, 3e, 4e  génération d’immigrés« (Frankreich) oder »Menschen mit Migrationshintergrund« (Deutschland) an der tatsächlichen Verflechtung, Hybridisierung und Neuentstehung von kulturellen Praktiken vorbeigeht. Hier kann ein soziologisches Konzept der Vielfalt Abhilfe schaffen und die verschiedenen Teile einer Gesellschaft in (wenn überhaupt notwendigen, dann) neuen semantischen Hierarchien untersuchen. Allerdings decken sich die wissenschaftlich definierten Semantiken des Begriffs »Vielfalt« nicht immer mit denen des politischen Diskurses. Auch innerhalb dieser beiden Felder sind die Bedeutungen des Konzeptes komplex, wie dieser Band gezeigt hat. Diese Neuorientierungen versprechen dennoch, der Stadtforschung, der Migrationsforschung und auch der politischen Debatte um Vielfalt und Zusammenhalt fruchtbare Impulse zu geben. Insbesondere die oben dargestellten Verbindungen von Migrations- und Stadtforschung lassen eine innovative Lektüre erwarten, da sie – wie etwa das POPADIVCIT-Projekt am Beispiel der lokalen Kunstszene zeigt – mittels handlungstheoretischer Zugänge aus der emischen Perspektive neue Semantiken der Vielfalt herausarbeiten.

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Anmerkungen Die Autorin dankt Ludger Pries für wertvolle Literaturhinweise, Raphaela von Weichs für weiterführende Diskussionen sowie Serjara Aleman, Barbara Dellwo und Simon Mastrangelo für ausführliche bibliografische Recherchen und die hilfreiche Dokumentation der Literatur. 2 Interview mit Ulrich Beck (München), geführt von Karen Schönwälder (MPIMMG), www.mmg.mpg.de/de/spezielleroutput/interviews/schoenwaelder-ulrich-beck-muenchen/ (3. April 2014). 3 Das Video First Kiss, welches Küsse zwischen unbekannten hetero- oder homosexuellen Menschen inszenierte, wurde innerhalb von zwei Wochen mehr als 70 Millionen Mal angeschaut: www.youtube.com/watch?v=IpbDHxCV29A (31.  März  2014). Nach wenigen Tagen folgten auf YouTube Küsse zwischen homophoben und homosexuellen Menschen: www.youtube. com/watch?v=j1WEtFFPVBU (31. März 2014) sowie zwischen Menschen verschiedenen Alters, unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Größe etc.: www.youtube.com/watch?v=eLKmr_ aI5rg (31. März 2014). 4 Inspiriert von dem Musikvideo Happy von Pharell Williams folgten kurz darauf Inszenierungen einer glücklichen, tanzenden vielfältigen Gruppe von Menschen in verschiedenen urbanen Räumen wie Cotouno/Benin (www.youtube.com/ watch?v=bwLLbLSMMMo), Lausanne, Schweiz (www.youtube. com/watch?v=N5vKR036ix8), Boulogne-Billancourt, Frankreich (www.youtube.com/watch?v=ytZ5jK3D-ko), Jakutien, Russland (www.youtube.com/watch?v=l8_43XW4WQY), Beijing, China (www.youtube.com/watch?v=_gPPJdLL0OY) etc. (31. März 2014). 5 Im folgenden Abschnitt übernehme ich Auszüge aus meinem anlässlich des Soziologiekongresses 2012 verfassten Aufsatz »Gebietskartierung Vielfalt/Diversity/Diversité« aus der Soziologischen Revue (Salzbrunn 2012a). Einige der dort aufgeführten Beispiele werden in dem vorliegenden Band ausgeführt und aktualisiert. 6 Michel Maffesoli hat schon früh (1988) auf neue urbane »Stämme« mit dazugehörigen Fanzines, Treffpunkten, Spra-

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chen etc. hingewiesen. Ronald Hitzler, Anne Honer und Michaela Pfadenhauer (2009) haben deutlich gemacht, dass dies auch für den ländlichen Raum gilt. Auch anhand von urbanen Events sind Vergemeinschaftungsprozesse ablesbar, wie Gregor Betz, Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer gezeigt haben (2011). 7 »Vielfalt und Zusammenhalt. Herausforderungen und Chancen neuer gesellschaftlicher Komplexität«, Themenpapier zum 36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Bochum und Dortmund, 1.-5. Oktober 2012, in: Soziologie 1 (2012), S. 58-69. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Die deutsche Debatte über Vielfalt zeigt, dass die deutsche Gesellschaft (endlich) die Überlagerung von geografischem Raum mit vermeintlich kultureller Homogenität infrage stellt und insbesondere vielfältige Formen religiöser Praxis als konstituierenden Teil ihres Selbst betrachtet. Damit geht eine (nun) positive Konnotation von Differenz einher, wie ich später unter anderem anhand des Stadtmarketings zeigen werde. 11 Wie Anne-Marie Thiesse (1999; 2001; 2011) gezeigt hat, sind die europäischen Nationalstaaten in einem Bewusstsein für innere Vielfalt aus »kleinen Vaterländern« entstanden. Dies gilt insbesondere für die Schweiz mit ihrer Sprachenvielfalt. Allerdings führt das Bewusstsein dafür nicht unbedingt zu einer größeren Offenheit für die bereichernde Vielfalt durch Zuwanderung. 12 Dies geschah nach französischem Vorbild: www.charte-diversite.com/ (31. März 2012). Die französische Charta wurde von 3560 Unternehmen unterschrieben; die deutsche von 1200. 13 »Charta der Vielfalt«, www.charta-der-vielfalt.de/de/charta-dervielfalt/die-charta-im-wortlaut.html (14. März 2012). 14 Vielfalt erzeugt 144 Millionen Ergebnisse bei Google, 3,94 Millionen bei Ecosia. Diversity 224 Millionen bzw. 199 Millionen und diversité 27,2  Millionen bzw. 10,3  Millionen. Angesichts der sprachlichen Verteilung der Webseiten ist hier sichtbar, dass der Begriff im deutschsprachigen Raum überdurchschnittlich oft und im französischsprachigen Raum unterdurchschnittlich oft gebraucht wird. 164

15 In diesem Absatz folge ich dem etymologischen Wörterbuch nach Pfeifer (1997). 16 Herodot, Historien, übers. v. August Horneffer, neu hg. u. erläut. v. Hans Wilhelm Haussig, m. e. Einf. v. Walter F. Otto, Stuttgart 1979, S.  114-117 (Griechischer Text: Herodotus, Historiae, hg. v. Haiim B. Rosén, 2 Bde., Leipzig: Teubner, 1987, Bd. 1, S. 160-165). 17 Homer: Ilias, II, 867. 18 Ovid: Tristia, V, 10. 19 Duncon, David (Hg.) (1908): Life and Letters of Herbert Spencer, New York: D. Appleton and Co, S. 16, Letter to Kentaro Kaneko, 26. August 1892. 20 So warf der national-populistische Initiator der Abstimmung, Blocher, den Westschweizern »ein schwächeres Bewusstsein für die Schweiz« vor. Jene wehrten sich sogleich, indem sie Blocher als Nationalisten beschimpften und sich selbst als patriotisch bezeichneten. Hier geht die Binnendifferenzierung innerhalb von Gruppen so weit, dass sie auch zu parteiinternen Spaltungen führt. www.nzz.ch/aktuell/schweiz/konfusebetriebsamkeit-1.18241970 (13. Februar 2014); www.20min.ch/ schweiz/news/story/-Blocher-ist-Nationalist---wir-sind-Patrio ten--20856211 (13. Februar 2014). 21 Da es aus historischen Gründen schwer zu vertreten ist, das englische Wort »race« mit dem deutschen Wort »Rasse« zu übersetzen, wird letztgenanntes, wenn dessen Gebrauch unbedingt notwendig erscheint, in Anführungszeichen gesetzt. Wenn der Semantik des Wortes »race« die des Begriffs »Ethnizität« entspricht, wird der Begriff entsprechend übersetzt. Dies gilt auch für Nomen wie »racialisation« etc. 22 Für eine ausführliche Diskussion von Frasers Ansatz in der Geschlechterforschung siehe Wimbauer (2004). 23 Annedore Prengels Plädoyer für eine Pädagogik der Vielfalt stellt einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Analyseebenen her und beinhaltet Vorschläge für konkrete Anwendungen des Begriffs. Aus einer bildungstheoretischen Perspektive heraus nimmt die Autorin zunächst eine begriffsgeschichtliche Bestimmung vor, um dann auf aktuelle philosophische Diskussionen zur Dialektik von Gleichheit und Verschiedenheit einzugehen und schließlich Impulse für ihre 165

»Pädagogik der Vielfalt« aufzuzeigen. Prengel versteht Vielfalt als »ein in vielen Lebensbereichen und Wissensgebieten sich ausbreitendes Prinzip der Kultur unserer Gegenwart« (Prengel 2006: 46). Ihr zufolge wird der Zusammenhang von Verschiedenheit und Gleichberechtigung in dem Konzept der radikalen Pluralität umgesetzt, die sich »aus der unhintergehbaren Eigenart differenzierter Lebensweisen und Wissens- und Denkformen, [die] jede in ihrer Eigenart hohe Wertschätzung« (ebd.: 49) genießen, herausbilden würde. Ähnlich plädieren Melinda Madew, Graham Brotherton und Beate Aschenbrenner-Wellmann (2010) für eine integrative Ausbildungspraxis in der Sozialarbeit. 24 Diese Klassifizierung habe ich Masclet (2012, Kapitel 2: »›Statistiques ethniques‹ ou ›mesure de la diversité‹?«) entliehen. 25 Statistisches Bundesamt, 2009: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2005, Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, https://www. destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/ MigrationIntegration/Migrationshintergrund2010220057004. pdf?__blob=publicationFile (25. Januar 2014). 26 Loi »Informatique et Libertés«, article 8-1. Übersetzung von der Autorin. 27 Duguet/Leandri/L’Horty/Petit 2007: 9. Weitere kritische Beiträge zum Thema Testing finden sich in der Zeitschrift Horizons Stratégiques (2007) 5. 28 Die damalige Regierung unter Präsident Sarkozy hatte 2005 eine »Haute Autorité de Lutte contre la discrimination et l’exclusion« (das heißt eine offizielle Stelle zum Kampf gegen Diskriminierung und Exklusion, abgekürzt HALDE) gegründet. Diese sollte eine Anlaufstelle für Beschwerden sein und Ideen für Affirmative-Action-Programme sowie Maßnahmen gegen Diskriminierung entwickeln. Bereits 2011 wurde sie jedoch wieder aufgelöst – unter anderem wegen mangelnder Effizienz. 29 Credit Suisse Research Institute: Global Wealth Report 2013, https://publications.credit-suisse.com/tasks/render/file/?fileID=BCDB1364-A105-0560-1332EC9100FF5C83 (28. Januar 2014). 30 Diese ist erschienen in der Zeitschrift Mouvements: www. 166

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mouvements.info/Les-ravages-de-la-pensee-moniste-a.html (14. Juli 2014). 1993 haben Daniel Cohn-Bendit und Thomas Schmid bereits einen Band mit einem ähnlichen Untertitel vorgelegt: Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie, Hamburg: Hoffmann und Campe. Der von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges bereits im Jahre 2000 erstmals herausgegebene Band Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung beleuchtet Perspektiven einer multikulturellen Demokratie im Globalisierungsprozess. Die 2009 erschienene vierte, aktualisierte Fassung verweist auf die anhaltende Aktualität des Globalisierungsdiskurses in den Sozialwissenschaften (hier insbesondere in der Politikwissenschaft). Zudem ist das Herausgeberteam der Frage nach der Rolle der Massenmedien als wichtige Vektoren der Meinungsbildung im Integrationsdiskurs nachgegangen. In dem von denselben Herausgeberinnen und Herausgebern 2006 publizierten Band Massenmedien, Migration und Integration werden interkulturelle Medienbildung sowie eine kritische Medienpädagogik als Grundbestandteile politischer Bildung in Einwanderungsgesellschaften identifiziert und gefordert, um der Kriminalisierung bestimmter Gruppen entgegenzuwirken. http://flow.mmg.mpg.de/# (14. Juli 2014). Hier lehne ich mich in Teilen an einen von Danièle Lochak erstellten Überblick zur Definition von Minderheiten im internationalen Recht an (Lochak 2011: 21). (Die deutsche Übersetzung stammt aus Originalquellen.) Dieser Pakt ist in der Schweiz am 18. September 1992 in Kraft getreten. Mirjana Morokvasic-Müller, selbst eine aus Serbien eingewanderte, eingebürgerte Französin, hat als eine der Ersten über die weibliche Migration gearbeitet. Das von Monika Salzbrunn (Frankreich) und Eleonore Kofman (Großbritannien) geleitete GEMMA-Projekt (Gender and Migration) hat eine Synthese der Migrations- und Genderforschung in fünf europäischen Ländern erstellt und zahlreiche politische Empfehlungen hervorgebracht: http://ec.europa.eu/research/socialsciences/projects/394_en.html (4. April 2014). Quelle: Bundesamt für Statistik Schweiz. 167

38 Die genaue Zahl beträgt 31,5  Prozent. Quelle: Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Statistik kompakt 03/12, www.it.nrw.de/statistik/querschnittsveroeffentlichungen/Sta tistik_kompakt/ausgabe3_2012/ (18. Februar 2014). 39 Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin. Dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg zufolge lag der Ausländeranteil in Berlin insgesamt 2010 bei 13,23 Prozent. 40 Quelle: INSEE 1999. Nach Angaben des INSEE von 2008 liegt der Anteil im Ausland geborener Einwohnerinnen und Einwohner von Paris insgesamt bei 12,4 Prozent. 41 Jocelyne Dakhlia und Bernard Vincent haben kürzlich (2011) die historische, jedoch »unsichtbare Integration« von Musliminnen und Muslimen in Europa nachgezeichnet. 42 Wie stark zum Beispiel der Schul- und Ausbildungserfolg muslimischer Jugendlicher von sozialräumlicher Segregation und von Klassenunterschieden abhängt, wurde unter anderem für Deutschland von Salzbrunn 2007 und für Europa im internationalen Vergleich von Stellinger und Wintrebert (2008) gezeigt. 43 www.migpolgroup.com/projects_detail.php?id=57 (25. März 2012). 44 Hier und bei den nächsten Schritten folge ich den Auflistungen von Vertovec und habe diese zusammenfassend übersetzt. 45 Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/11221, 3. Dezember 2008: Antrag »Einheit in Vielfalt – Kulturpolitik in und für Europa aktiv gestalten«. 46 »Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Lasst Minderheiten blühen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. April 2014, www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kulturstaatsministerin-monika-gruetters-im-gespraech-12897300-p2. html (27. April 2014). 47 Mit dem Anspruch, an der Schnittstelle zur Philosophie, Anthropologie, Soziologie, Psychologie und zu den Philologien zu stehen, wendet auch die Interkulturalitätsforschung die Begriffe der Identität und Diversität an. Der von Carolin Fischer, Helene Harth, Philippe und Virginie Viallon 2005 herausgegebene zweisprachige Band Identität und Diversität. Eine interdisziplinäre Bilanz der Interkulturalitätsforschung in 168

Deutschland und Frankreich beleuchtet die aktuelle Forschung in beiden Ländern und zeigt Verbindungslinien auf. Ähnlich komparativ angelegt ist das Buch Migration und Interkulturalität in Großbritannien, Deutschland und Spanien. Fallstudien aus der Arbeitswelt von Ursula Birsl, Renate Bitzan, Carlota Solé, Sonia Parella, Amado Alarcón, Juliane Schmidt und Stephen French (2003). Die Autoren legen nicht nur eine empirische Studie zur Entwicklung von Migration und Interkulturalität sowie der Konstruktion des »Fremden« und des »Eigenen« unter deutschen, spanischen und angelsächsischen Unternehmen vor, sondern darüber hinaus einen Erfahrungsbericht von Interkulturalität, der die internationale Zusammenarbeit während des dreijährigen Forschungsprojekts reflektiert. 48 Das vom damaligen Kulturminister Jacques Toubon initiierte Gesetz (Loi Toubon no. 94-655) wurde am 4. August 1994 verabschiedet. 49 Im Original (S. 857): »Espagne/Portugal/Tzigane/Divers Europe; Moyen-Orient/Asie/Divers World; Antilles; Maghreb; Argentine/Mexique/Musique des Andes/Brésil; Salsa; Reggae; Afrique«. 50 Es gibt allerdings starke, unter anderem historisch bedingte Unterschiede, insbesondere zwischen dem städtischen und ländlichen Raum sowie zwischen Ost- und Westdeutschland. 51 Quelle: OECD 2012. Die USA liegen mit 17,8  Prozent auch über dem OECD-Durchschnitt von 15 Prozent. Dahinter folgen Frankreich (14,3 Prozent), Italien (10,6 Prozent), Norwegen (7,8 Prozent), Belgien (7,0 Prozent) und Spanien (6,1 Prozent). 52 Bei diesem historischen Abriss folge ich in weiten Teilen Bendl (2012: 238ff.). 53 Zu einem breiten historischen und vergleichenden Überblick über die Frauen- und Geschlechterforschung vgl. Becker/Kortendiek 2008. 54 Auch hier folge ich in Teilen zusammenfassend der von Bendl (2012: 245ff.) vorgeschlagenen Chronologie und Analyse. 55 Amtsblatt C 304 vom 6. Oktober 1997, S. 50. 56 www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=192702.html (13. März 2014). 57 Vgl. Interministerielle Arbeitsgruppe für Gender Mainstrea169

ming/Budgeting: www.imag-gendermainstreaming.at/ (13. März 2014). 58 Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (Vertrieb) (2001): Erster und zweiter Bericht der Schweiz über die Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), Bern. 59 Soweit nicht anders vermerkt, wurden alle Übersetzungen von Monika Salzbrunn vorgenommen. 60 Quelle: Assemblée Nationale. 61 Loi française du 6 juin 2000 sur l’égal accès des femmes et des hommes aux mandats électoraux et fonctions électives. 62 Zur politischen Debatte um den Begriff der »communauté« (»Gemeinschaft«) und des »communautarisme« (pej. »Kommunitarismus«) siehe Sainsaulieu/Salzbrunn/Amiotte-Suchet 2010. 63 Report on Equality between men and women in the European Union 2012, 2013/2156 (INI), Committee on Women’s Rights and Gender Equality, Rapporteur: Inês Cristina Zuber. European Parliament A7-0073/2014. 64 In diesem Absatz folge ich streckenweise der Argumentation von Vertovec 2012, unter anderem unter Bezugnahme auf eigene Quellen und Beispiele. 65 Johnston, William B./Packer, Arnold E., United States Department of Labor (1987): Workforce 2000. Work and Workers for the Twenty-First Century. 66 ETH/equal!: Diversity und Diversity-Management an Hochschulen, Faktenblatt, www.equal.ethz.ch/about/PUB_110406_ Diversity_Faktenblatt.pdf (27. März 2014). 67 http://diversity.uchicago.edu/ (1. Juni 2012). 68 Antwort des Bundesrates vom 20. Februar 2008 auf die Anfrage 07.3801. 69 www.koelntourismus.de (14. Juli 2014). 70 www.wienistanders-ichauch.at/juergen-sandkuehler.php (14. Juli 2014). 71 Der Anteil der Muslime unter den Immigrantinnen und Immigranten beträgt nun 22,5 Prozent und liegt damit über dem Anteil jüdischer Migrantinnen und Migranten (die zum Teil auch aus Nordafrika eingewandert sind). 72 Commission ontarienne des droits de la personne c. Sim170

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psons-Sears, [1985] 2 RCS 536, www.iijcan.org/fr/ca/csc/doc/ 1985/1985canlii18/1985canlii18.html (20. März 2014). Die Entscheidung in der Sache O’Malley gegen Simpsons-Sears wurde am 17. Dezember 1985 vom Obersten Gericht bekanntgegeben: Theresa O’Malley hätte nicht aus Gründen der Arbeitsverweigerung an diesen Tagen entlassen werden dürfen, www.accommodements-quebec.ca/documentation/rapports /rapport-final-integral-fr.pdf, S. 48 (6. April 2014). www.premier.gouv.qc.ca/actualites/communiques/details.asp? idCommunique=923 (20. März 2014). Direction de la recherche et de l’analyse prospective du ministère de l’Immigration et des Communautés culturelles (2012): Les immigrants et le marché de travail québecois en 2011. Les données de l’enquête sur la population active, Québec: Immigration et communautés culturelles, www.micc.gouv.qc.ca/ publications/fr/recherches-statistiques/ImmigrantsMarcheTravail2011.pdf (22. Februar 2014). Assemblée Nationale, Première Session, Quarantième Législature (2013): Projet de loi no. 60. Charte affirmant les valeurs de laïcité et de neutralité religieuse de l’Etat ainsi que d’égalité entre les femmes et les hommes et encadrant les demandes d’accommodement, présenté par M. Bernard Drainville, Ministre responsable des Institutions démocratiques et de la Participation citoyenne, Québec: Editeur officiel du Québec. Gouvernement du Québec (2013): Parce que nos valeurs, on y croit. Propositions gouvernementales, Septembre, Québec/Un Québec pour tous: Bibliothèque et Archives Canada, S. 5. Mit »Bobo« ist ein »Bourgeois Bohème« gemeint, das heißt ein »Möchtegern-Bohemien« oder ein »alternativ angehauchter jüngerer Wohlstandsbürger« (Leo-Wörterbuch). Diese Gruppe wird in der frankophonen stadtsoziologischen Literatur oft mit Gentrifizierungsprozessen in Verbindung gebracht. www.unil.ch/issrc/page80229.html (14. Juli 2014).

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