Verwandlungen in Hofmannsthals Lyrik: Zur sprachlichen Bedeutung von Genese und Gestalt 9783110913903, 9783484320703

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Verwandlungen in Hofmannsthals Lyrik: Zur sprachlichen Bedeutung von Genese und Gestalt
 9783110913903, 9783484320703

Table of contents :
Einleitung - Voraussetzungen und Begriffsklärungen
Voraussetzungen
Zu Hofmannsthals Idee des Ganzen
Zu Hofmannsthals Idee des Lebens
Zum Begriff Erscheinung
Zum Begriff Sprachlichkeit
Zum Begriff Entsprechung
Offene Themen
I Die Frage nach dem möglichen Gedicht
II Haltenkönnen des Dynamischen: Möglichkeit und Problematik des Symbols
III Wirkung und Bewirktes - Umschreibungen des Seelenlebens
IV Das problematische Verhältnis von Natur und Kunst
V Selbstbegegnung
VI Das Ideal des lebendigen Wortes
VII Einheit - Grund: Gestaltungsmöglichkeiten eines Aufgehobenseins
VIII Einheit und Trennung - Wissen und Verwirrung
IX Zeit und Vergänglichkeit
X Bleibendes und Vergehendes in der Kontinuität
XI Spiegelung im Gedicht
XII Aufhebung in der Erinnerung
Literaturverzeichnis

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Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Band 70

Andreas Thomasberger

Verwandlungen in Hofmannsthals Lyrik Zur sprachlichen Bedeutung von Genese und Gestalt

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1994

Für M und M

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Thomasberger, Andreas: Verwandlungen in Hofmannsthals Lyrik : zur sprachlichen Bedeutung von Genese und Gestalt / Andreas Thomasberger. - Tübingen : Niemeyer, 1994 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte ; Bd. 70) NE:GT ISBN 3-484-32070-2

ISSN 0083-4564

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1994 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Einleitung - Voraussetzungen und Begriffsklärungen

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Voraussetzungen

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Zu Hofmannsthals Idee des Ganzen

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Zu Hofmannsthals Idee des Lebens Zum Begriff Erscheinung

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Zum Begriff Sprachlichkeit

21

Zum Begriff Entsprechung

31

Offene Themen

32

I Die Frage nach dem möglichen Gedicht II Haltenkönnen des Dynamischen: Möglichkeit und Problematik des Symbols

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55

III Wirkung und Bewirktes - Umschreibungen des Seelenlebens . 79 IV Das problematische Verhältnis von Natur und Kunst V Selbstbegegnung VI Das Ideal des lebendigen Wortes

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VII Einheit - Grund: Gestaltungsmöglichkeiten eines Aufgehobenseins

177

VIII Einheit und Trennung - Wissen und Verwirrung

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IX Zeit und Vergänglichkeit

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X Bleibendes und Vergehendes in der Kontinuität XI Spiegelung im Gedicht XII Aufhebung in der Erinnerung Literaturverzeichnis.

VI

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Einleitung - Voraussetzungen und Begriffsklärungen

Voraussetzungen Die vorliegenden Interpretationen gehen aus der editorischen Arbeit am gesamten lyrischen Werk Hofmannsthals hervor; diese Arbeit, die sich auf alle Teile der beiden Gedichtbände der Kritischen Ausgabe (seit 198l)1 bezog, wobei die Gestaltung des Variantenapparats den Schwerpunkt bildete, ist integraler Bestandteil der Untersuchungen. Auf der Grundlage des kritisch edierten Textes, worunter nicht nur Reinschriftfassungen, sondern ebenso Entwurfsfassungen verstanden werden, bemühen sie sich um ein Begreifen dieser lyrischen Sprache, das sich aus der Deutung des Entstehungsverlaufs und derjenigen der Werkgestalt gleichermaßen konstituiert. Die mit der Edition in Gestalt des konstituierten Textes - im Text- wie im Apparatteil - vorliegenden Ergebnisse der Deutung der Werkgenese werden hier, anhand besonders komplizierter und für den Werkzusammenhang spezifischer Beispiele, erläutert und damit explizit begründet. Der wechselseitige Zusammenhang von editorischer Textkonstitution und interpretatorischem Verstehen zeigt sich dabei besonders deutlich dann, wenn der interpretierend erarbeitete Begriff des jeweiligen lyrischen Werkes sich kritisch auf den editorisch erarbeiteten Text auswirkt, so daß eine andere Konstitution des Textes vorgeschlagen werden kann. Das Verhältnis des Text- und Werkbegriffs erweist sich mit der vorliegenden Arbeit als eines der wechselseitigen Begründung und Kritik zugleich, woraus sich ergibt, daß der Zusammenhang des Verstehens an keiner Stelle abstrakt verlassen werden sollte, was z.B. mit der unkritischen Zugrundelegung des edierten Textes für die Interpretation stattfände. Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke I - Gedichte 1. Hrsg. v. Eugene Weber. Frankfurt am Main 1984 (SW I), Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke II - Gedichte 2. Hrsg. v. Andreas Thomasberger und Eugene Weber. Frankfurt am Main 1988 (SW II). l

Eine andere Abstraktion bedeutete es, die zu untersuchenden Fragen und Themenstellungen lediglich von der inhaltlichen Bedeutungsebene her zu gewinnen, anstatt sie - wie es im Folgenden durchgeführt werden wird - mit der Untersuchung der sprachlichen Gestaltung des lyrischen Werks zu erarbeiten. Das interpretierende Verstehen, das sich auf Genese und Gestalt der jeweiligen Textstadien, auf die Bewegung in der dichterischen Gestaltung und die distinkten Gestalten der Fassungen gleichermaßen richtet, soll sich somit in dem Zusammenhang bewegen, der sich mit dem Erkennen der bedeutungskonstituierenden Elemente der jeweiligen Sprachgestaltung herstellt, und damit eine Antwort auf die entscheidende Frage versuchen, welche nicht auf anderem Wege zu erreichenden Erkenntnisse die Wahrnehmung dieser Lyrik ermöglichen kann. Das Verfahren der Interpretation eines kritisch edierten lyrischen Textes schließt fortwährend die Reflexion der Bedingungen ein, unter denen sein möglicher Gegenstand sich für es herstellt, was zugleich die Frage nach dem besonderen Objektcharakter dieses >Gegenstandes< bedeutet. Wenn das Verstehen des Textes nicht von einem Gegebenen ausgehen kann, das nach bestimmter Methode in bestimmten Hinsichten zu untersuchen wäre, sondern der mögliche Gegenstand sich im Prozeß des Verstehens erst herstellen könnte, zeigt sich dies umso deutlicher bei der Berücksichtigung der gesamten überlieferten Textgenese, da hierbei einerseits sichtbar wird, daß der Verstehenszusammenhang auch nur bei der Entzifferung eines Graphems nicht auf fraglos Gegebenes hin unterbrochen werden kann, andererseits, daß der Vergleich mehrerer Textfassungen, der nicht von vorneherein eine Richtung unterstellt, erst diejenigen Themen erarbeiten kann, die sich mit den Bemühungen der sprachlichen Gestaltung zeigen.2 Diesen Themenstellungen, die sich aufgrund der Untersuchung des gesamten lyrischen Textes auf die Bedeutung seiner Sprachgestaltung hin als die entscheidenden Bewegkräfte der Hofmannsthalschen Lyrik erweisen ließen, ist je eines der folgenden Kapitel gewidmet, wobei im Mittelpunkt immer die Interpretation der Fassungen eines Gedichts steht, um

Die Bedingungen der verstehenden Konstitution des Textes in ihrem dynamischen Verhältnis hat Hermann firings in bisher unübertroffener Klarheit dargestellt in dem Aufsatz: Historisch-kritische Methode und die Idee des Zwecks. Editorische Tätigkeit als Wissenschaft. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 38, Heft l, 1984, S. 56-60.

die Komplexität der Erkenntniszusammenhänge, die der Fassungsvergleich bietet, möglichst weitgehend darstellen zu können. Daneben wird in knapperer Form auf diejenigen Gedichte verwiesen, mit denen die jeweilige Thematik ebenfalls, wenn auch nicht in derart konzentrierter Gestalt, wie im Hauptbeispiel, Ausdruck gefunden hat. Dabei gilt als Kriterium für die Möglichkeit der Parallelsetzung nicht die Ähnlichkeit auf nur einer bestimmten Bedeutungsebene: »Ob eine Stelle als Parallelstelle anzusehen ist, kann [...] nicht einer [...] Faktizität, sondern ausschließlich dem Sinn der Stelle entnommen werden.«3 Die Konstituentien dieses Sinnes werden noch darzustellen sein. Der Zusammenhang der im Folgenden notwendigerweise einzeln untersuchten Fragestellungen, wobei der gesamte Kontext des lyrischen Werkes immer den Hintergrund bildet, besteht in dem grundlegenden Problem der Möglichkeit dichterischen Sprechens, das allerdings nicht als abstrakt selbstbezügliches Problem immanenter Kunstreflexion einen nahezu belanglosen Sonderraum einnehmen muß, sondern das in der Frage nach dem möglichen künstlerischen Ausdruck des Menschen und seiner Welt in ihrer nicht abschließend bestimmbaren Begründung insofern Gültigkeit beanspruchen kann, als diese Frage sich auf eine Gestaltung richtet, der als Ausdruck des Menschen Wahrheit zukommen soll. Dieser Anspruch zeigt sich bereits mit dem chronologisch frühesten Beispiel, mit dem die Frage nach der Möglichkeit einer erscheinenden Gestalt, die in vermittelter Darstellung als Ausdruck des lebendigen >Eigenen< und seines Anderen zugleich begriffen werden könnte, sich stellt und damit die Frage nach dem möglichen Gedicht. Diese Problemstellung motiviert weiterhin die sprachgestaltende Arbeit, wie sie mit unterschiedlichen Akzentuierungen an den folgenden Beispielen untersucht wird, wobei die Werkentwicklung insofern als Entwicklung im Umgang mit der Sprache angesehen werden kann, als sich ein Bedeutungszusammenhang dieses lyrischen Werkes entwickelt, in dem die Bildlichkeit, neben aller geschichtlichen Bedingtheit, eigene Bedeutungen zeigt, die nicht ohne den sich entwickelnden Werkkontext zutreffend gedeutet werden können. Aus diesem Grund wurde eine chronologische Reihenfolge der Hauptbeispiele nötig, die allerdings in Vor- und Rückgriffen das jeweilige Problem mit Belegen aus dem lyrischen Gesamtwerk darstellt. Kriterium für die Wahl der Peter Szondi, Über philologische Erkenntnis. In: Hölderlin-Studien. Frankfurt amMain 2 1970,S.29.

Hauptbeispiele ist das Vorliegen einer umfangreichen Textgenese, da der Fassungsvergleich und die Untersuchung der Gestaltungsbewegung in den einzelnen Fassungen erst die Bedeutung des jeweiligen Gedichts erreichen können und damit die Thematik des Kapitels entwickeln lassen. Erwies sich diese für die ersten drei Kapitel als die mit der Sprachgestaltung sich zeigende Frage nach dem möglichen Gedicht, nach der Problematik des Symbols und derjenigen von Bildern der Seele, wobei gemeinsam die Frage nach dem Haltenkönnen der als dynamisch angesehenen Wirklichkeit, ohne diese abstrakt stillzustellen, ist, stellt sich mit dem Verhältnis von Natur und Kunst im vierten Kapitel dieses Problem negativ als Zuviel des künstlichen Fixierens und als Zuwenig der ungestalteten Empfindung dar. Ebenso in der Negation erscheinen die Grundprobleme von Auflösen des Vorgegebenen und gleichzeitigem Rückhalt an ihm (Kapitel V), lebendiger Entsprechung des Wortes im nur ahnbaren begründenden Wissen des »Weltgeheimnisses« (Kapitel VI) und sprachlicher Gestaltung eines angenommenen Aufgehobenseins in einem problematischen, geahnten sinngebenden Ganzen (Kapitel VII). In diesem Verhältnis von sprachlicher Gestaltung und begründender Einheit, der diese Gestaltung als notwendig auch endliche nur in zu beschreibender Weise der Negation entsprechen kann, stellt sich weiterhin die Frage nach dem Verhältnis von Einzelnem und Ganzem, unter dem Aspekt von Einheit und Trennung (Kapitel VIII), Unvergänglichkeit und sukzessiver Zeit (Kapitel IX), erkennbarem Bleibenden in der allgemeinen Bewegung (Kapitel X) und Reflexion und Begreifen vermittels des Bildes des Spiegels (Kapitel XI). Diese zusammengehörenden Momente, die in der Untersuchung jeweils hervorgehoben, nicht absolut dargestellt werden sollen, können als aufgehoben in der Bewegung der Erinnerung begriffen werden, der deshalb das abschließende Kapitel gewidmet ist (Kapitel XII). Die Probleme dichterischer Sprachgestaltung, die sich mit den genannten Themen zeigen, dürfen allerdings nicht ungeschichtlich begriffen werden, auch wenn sie sich in ihren Hauptmomenten vergleichbar ebenfalls bei anderen Künstlern und zu anderen Zeiten aufweisen lassen. Zu dem Versuch, mit dem Zusammenhang der Interpretationen einen Begriff der lyrischen Sprache Hofmannsthals zu erarbeiten, gehört es auch, Voraussetzungen und Vorgegebenes mit zu berücksichtigen, um unter Beachtung der Geschichtlichkeit dieser Lyrik den spezifischen Umgang mit Problemstellungen beschreiben und gegenüber anderen Umgangs-

•weisen mit den vergleichbaren Grundproblemen in seiner Eigenart charakterisieren zu können.

Zu Hofmannsthals Idee des Ganzen Deren Fundierung möchte ich einleitend dadurch erläutern, daß ich Hofmannsthals Auffassung einer begründenden, sinngebenden Instanz nachgehe, ohne damit eine >Weltanschauung< rekonstruieren zu wollen, für die die Gedichte nur verschiedenartige Ausgestaltungen wären, sondern in der Absicht, das diskursiv in Aufsätzen, Reden und Briefen Geäußerte als vorbereitende Ergänzung vorzutragen, während der in seiner Komplexität und Exaktheit möglicherweise zutreffende Ausdruck des Verhältnisses von Wahrzunehmendem und Begründendem erst mit der künstlerisch gestalteten Sprache zu untersuchen sein wird. Eine Zeitdiagnose hinsichtlich der Frage der Letztbegründung äußert sich in Sätzen der Rezension »Maurice Barres« (1891): »Uns pflegt Glaube und Bildung, die den Glauben ersetzt, gleichmäßig zu fehlen. Ein Mittelpunkt fehlt, es fehlt die Form, der Stil. Das Leben ist uns ein Gewirre zusammenhangloser Erscheinungen; [...] Erstarrte Formeln stehen bereit, durchs ganze Leben trägt uns der Strom des Überlieferten.« (I 118).4 Damit sind entscheidende Einsichten genannt, die als Herausforderung der künstlerischen Arbeit wirksam bleiben werden. Im Januar 1893 schrieb Hofmannsthal an Marie Herzfeld über den »Mangel eines Centrums, einer Weltanschauung, die trägt und formt«5; die Möglichkeit der Kunst, trotz ihrer Teilhabe am Endlichen, Begrenzten, deutet eine Aufzeichnung aus dem Dezember 1893 an: »Alle Wahrheiten, die formulierten und die nur dunkel gefühlten, verhalten sich zur Wahrheit wie die Trümmer eines Spiegels zu dem ganzen großen Spiegel: sie sind dasselbe« (RuA III 369). Der Feststellung des fehlenden Mittelpunkts gegenüber steht demnach bisher die Idee der Wahrheit, nach deren Begreifbarkeit weiter zu fragen sein wird. Die Möglichkeit der Intuition, deren Charakter in den Gedichten genauer

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Hugo von Hofmannsthal, Gesammelte Werke - Reden und Aufsätze I-III. Frankfurt am Main 1979-1980 (RuA I-III). Briefe an Marie Herzfeld. Hrsg. v. Horst Weber. Heidelberg 1967, S. 36; auch in: Briefe 1890-1901. Berlin 1935, S. 72 (B I).

zum Ausdruck kommen wird (vgl. Kapitel V)6, nennt ein Brief an Edgar Karg von Bebenburg: »der Sinn des Daseins (,) ist aus jeder einzelnen tiefsinnig erfaßten Erscheinung des Lebens [...] zu verstehen, d.h. in einer blitzartigen Offenbarung für den Moment zu erhäschen und mit den eigenen tiefen Ahnungen und dumpfen Vermutungen der Seele in Beziehung zu setzen«.7 Es folgt ein Satz, der im Zusammenhang der Hofmannsthalschen Symbolauffassung wieder zu nennen sein wird: »Alle toten und lebenden Dinge sind und bedeuten* (ebd. , vgl. Kapitel VI) und ein weiterer Hinweis, wie der Zusammenhang aller Menschen und Dinge aufgenommen werden könne: »Daß aber alle [...], auf einander zu beziehen, ja wesensgleich sind, jeder Einwirkung auf einander fähig, und in einem gewissen, geheimnisvollen moralischen Zusammenhang stehend [...], das mit der Seele zu spüren, nicht mit dem Verstand, das nenn ich ungefähr das Begreifen des Lebens.« (BW 58/59). Ein Begreifen, das ein Spüren mit der Seele sein soll, bildet den Ausgangs- und Mittelpunkt der künstlerischen Fähigkeit, »mir meine Welt in die Welt hineinzubauen«, denn eben dazu »gehört ein Centrumsgefühl, ein Gefühl von Herrschaftlichkeit und Abhängigkeit, ein starkes Spüren der Vergangenheit und der unendlichen gegenseitigen Durchdringung aller Dinge« (an Richard Beer-Hofmann, 13. Mai 1895).8 Daraus und aus dem für die Zeit festgestellten Mangel eines Zentrums ergibt sich das Interesse für »solche Bücher, wo von dem Großen die Rede ist, das zugrunde liegt« (an Hermann Bahr, 15. Juni 1895).9 Hofmannsthal nennt an dieser Stelle Schopenhauer und Häckel;10 eine Wirkung dieser Lektüre deutet sich in einem Brief an den Vater an: »In der Kunst ist dieses ideale Gleichgewicht wirklich hergestellt: es giebt darin nichts unbedeutendes (ebensowenig als im Traum) und die Erscheinungen haben in all ihrer Flüchtigkeit doch als Ideen ewigen Bestand« (SW I 249, 19-21; vgl. dort die ganze Stelle, 6 7 8 9 10

Zum Begriff der Intuition vgl. Josef König, Der Begriff der Intuition. Halle 1926. Briefwechsel Hrsg. v. Mary E. Gilbert. Frankfurt am Main 1966, S. 58. Briefwechsel. Hrsg. v. Eugene Weber. Frankfurt am Main 1972, S. 47f. (B 1130). B1141. Es handelt sich nachweislich um Schopenhauers »Parerga und Paralipomena«, daraus »Transzendente Spekulation über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen« (vgl. SW I 251 und 257, 12-18) und »Versuch über das Geistersehen und was damit zusammenhängt« (SW I 256, 9-29). Von Ernst Häckel war die »Natürliche Schöpfungsgeschichte« 1868 erschienen (BW BeerHofmann, S. 220 ErL zu S. 51); den Spuren dieses biologisch begründeten Monismus wäre, ohne allerdings den Einfluß überzubewerten, nachzugehen.

Orthographie der Handschrift; auch B I 148). Die über Schopenhauer auf Platon zurückverweisende Vorstellung des Verhältnisses von Erscheinungen und Ideen wird bezüglich der dichterischen Sprachgestaltung zum Problem werden; ebenso besteht eine Spannung zwischen den theoretischen Konzeptionen »von dem Großen«, die Hofmannsthal in den genannten Büchern fand, und dem eigenen Gedankenzusammenhang (»meine Gedanken gehören alle zusammen, weil ich von der Einheit der Welt sehr stark durchdrungen bin«, an Arthur Schnitzler, 9. August 1895),11 der sich, in seiner unableitbaren Fundierung, immer in bildlicher Gestalt äußert, auch wenn auf Begriffliches Bezug genommen wird: »Die Ideen sind vermöge der Realitäten für uns existent. (= für uns geweckt entbunden, weil in uns wie Granatapfel all in eins) aber nicht in den Realitäten zu finden.« (SW I 253, 3032). Diese Aufzeichnung vom 14. Juli 1895, die zu den Vorarbeiten gehört, welche dann in das Gedicht »Ein Traum von großer Magie« aufgenommen wurden, kann als Beispiel für das Verfahren gelten, von dem Hofmannsthal acht Jahre später überzeugt war: »geistige Vorgänge [...] kann man nur durch Vergleiche, durch Spiegelbilder des Naturlebens ausdrücken.« (An Edgar Karg von Bebenburg, 11. Juli 1903, BW 203). Den Unterschied zwischen den Worten, »die zur Verständigung dienen« und denjenigen, »aus denen die Gedichte zusammengesetzt sind«, betont er im Sommer 1895 in bezug auf das Begründende: »diese sind unzerstörbare Symbole des ewigen Daseins« (22. August 1895, ebd. 92). Ob dies als Beteuerung, als Forderung oder als begründete Feststellung zu lesen sei, wird bei der Untersuchung der Gedichte zu fragen sein. In einem Kontrast zu dieser, in privater Mitteilung geäußerten Ansicht vom Bestehen der Worte im Kunstwerk bewegt sich die Auffassung der Wirklichkeit, die den Aufsatz »Englischer Stil« (Erstdruck: 3. April 1896) beschließt: »Nichts umgibt uns als das Schwebende, Vielnamige, Wesenlose, und dahinter liegen die ungeheuren Abgründe des Daseins. Wer das Starre sucht und das Gegebene, wird immer ins Leere greifen. Alles ist in fortwährender Bewegung, ja alles ist so wenig wirklich als der bleibende Strahl des Springbrunnens, dem Myriaden Tropfen unaufhörlich entsinken, Myriaden neuer unaufhörlich zuströmen,« (RuA I 572). In diesem Bewegten der Wirklichkeit, das einer begrenzten Sicht als Verworrenheit erscheinen kann 11

Briefwechsel. Hrsg. v. Therese Nicki u. Heinrich Schnitzler. Frankfurt am Main 1983,5. 58 (B II65).

(vgl. Kapitel VIII), hat sich eine Situation entwickelt, in der »der Begriff des Ganzen in der Kunst überhaupt verlorengegangen ist.« (»Poesie und Leben«, Erstdruck: 16. Mai 1896, RuA I 15). Hiermit stellt sich die Herausforderung für die Kunst in dieser Zeit, die als Ziel und Beweggrund das Erreichen eines Ganzen hat, wobei das Durchdrungensein von der Einheit des Weltganzen, gegen das Abhandengekommensein eines Zentrums in der Zeit, fundierend wirkt, und die Ansicht des Wirklichen als absolut Dynamisches das Problem stellt, ein Erkennbares zu gestalten, das nicht ausschließlich in endlicher Verworrenheit sich in Auflösung oder Erstarrung verliert. Damit wird auch eine erste Antwort auf die Frage nach der Wahrheit des Kunstwerks möglich, denn die Gestalten der dichterischen Sprache sollen nicht in der Unwahrheit eines unmittelbar Gegebenen bestehen und damit nur der Augentäuschung verfallen, die das sich Bewegende, das auch als Festes angeschaut werden muß, völlig fixiert; sondern sie sollen insofern Sinn zur Erscheinung bringen, als sie die fortwährende Bewegung in ihrer Einheit begreifbar werden lassen: sie sollen wahr erscheinen, weil sie der Wirklichkeit entsprechen. Dies wird bei jeder Interpretation mitzudenken und differenziert auszuführen sein; hier möchte ich noch Äußerungen Hof mannsthals nennen, die sich in späteren Jahren mit der erörterten Problematik befassen. Aus dem Vortrag »Der Dichter und diese Zeit« (1906) ist in diesem Zusammenhang nur hervorzuheben, daß der Dichter »aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Tier und Mensch und Traum und Ding, aus Groß und Klein, aus Erhabenem und Nichtigen die Welt der Bezüge« schaffen soll (RuA I 68), womit er dem allgemeinen Schwebenden entsprechen kann. Daß eine gültige Orientierung in der Zeit fehle, stellt wiederum der Aufsatz »Shakespeare und wir« aus dem Kriegsjahr 1916 fest: »Nach oben hin ist die Idee der Freiheit in den Äther entschwunden, nach innen zu die Idee der Tugend leer und wesenlos geworden.« (RuA II111). Dem steht gegenüber ein Satz, der nach dem Krieg in der Antwort auf einen Aufruf von Henri Barbusse und anderen erschien und die eigene Einsicht nennt: »die Sprachen sind der Träger des Lebens, sie sind der eigentliche geistige Leib der Nationen, aber ohne Ehrfurcht, ohne eine Scheu [...] gebraucht, sinken sie herab« (RuA II 463). Auf den Einzelnen bezogen lautet die analoge Ansicht: »Im Gebrauch, den einer von der Sprache macht, enthüllt sich der ganze Mensch.« (»Ferdinand Raimund« 1920, RuA 120). Kann dies nicht

mehr auf den dichterischen Sprachgebrauch ausschließlich bezogen werden, so kommt mit diesem doch >der ganze Mensch< nicht nur in seiner Endlichkeit, sondern zugleich über seine notwendigen Grenzen hinaus zur Erscheinung. Eine Betrachtung aus dem Jahr 1921, »Der Ersatz für die Träume«, die dem Kino gewidmet ist, nennt wieder den »ganze(n) Mensch(en)« (RuA II144), um dann von dessen »dunkelsten Wurzelgrund« zu sprechen: »dieser dunkle Wurzelgrund des Lebens, er, die Region wo das Individuum aufhört Individuum zu sein, er, den so selten ein Wort erreicht, kaum das Wort des Gebetes oder das Gestammel der Liebe, [...]. Von ihm aber geht das geheimste und tiefste aller Lebensgefühle aus: die Ahnung der Unzerstörbarkeit, der Glaube der Notwendigkeit und die Betrachtung des bloß Wirklichen, das nur zufällig da ist. Von ihm, wenn er einmal in Schwingung gerät, geht das aus, was wir die Gewalt der Mythenbildung nennen. Vor diesem dunklen Blick aus der Tiefe des Wesens entsteht blitzartig das Symbol: das sinnliche Bild für geistige Wahrheit, die der ratio unerreichbar ist.« (»Drei kleine Betrachtungen« RuA II 145). Diese Sätze können geradezu als parallele Erläuterung zu einem Gedicht wie »Weltgeheimnis« (vgl. Kapitel VI) gelesen werden. Von der Wahrheit dichterischen Sprechens handelt weiterhin eine Stelle in dem Aufsatz über »C. F. Meyers Gedichte« (1925): »das sind die wahrhaft poetischen Gedanken: wenn wir das Seiende so groß anschauen, daß sich uns dahinter der Abgrund des wahrhaft Seienden entschleiert.« (RuA III64). Seine Ansicht von der Relativität und Dynamik des Wirklichen spricht Hofmannsthal in Äußerungen nach 1925 bestimmt aus: »Wirklichkeit ist geistige Schöpfung« (»Vermächtnis der Antike« 1926, RuA III14), wobei er gegenüber einer Wirklichkeit, die nicht mehr ist, als »Reflex des inneren Seelenschwindels einer Menschheit, die zur Schöpfung nicht mehr die Seelenkräfte in sich trägt« (ebd.) die fundierte Gesamtheit stellt, deren Bezug zum Begründenden im Glauben besteht: »Wo geglaubte Ganzheit des Daseins ist - nicht Zerrissenheit-, dort ist Wirklichkeit.« (»Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation« 1926, RuA III 27). Welche Geltung dieser im Glauben begründeten geistigen Schöpfung der Wirklichkeit zukommen soll, geht aus dem Satz hervor, »daß ohne geglaubte Ganzheit zu leben unmöglich ist« (ebd. , RuA III 39). Aus der Konsequenz, »daß das Leben lebbar nur wird durch gültige Bindungen« (ebd.), Zuordnungen zu bestimmten

Glaubensformen ableiten zu wollen, schiene mir zu kurz greifend; auch an dieser Stelle kann stattdessen noch eine Warnung stehen, die Hofmannsthal 1898 Ria Schmujlow-Claassen gab: »Hüten Sie sich vor allem was eine Form hat, ob es der Katholicismus ist oder die socialistischen Ideen. Man verfängt sich in den Formen, sie sind entsetzliche Netze.«12 Im Kontrast zu einem solchen Sichverfangen in positiv gewordenen Glaubensformen wird das in dem Gedicht »Ich gieng hernieder [...]« gestaltete Bild vom Gefangensein in Gottes Netz begreifbar werden (vgl. Kapitel VII). Daß die Wirklichkeit des Menschen, in ihrer geglaubten Begründung und als geistige Schöpfung, ihre wahre Gegenwart in der Sprache haben kann, geht aus Sätzen der Vorrede zu dem Buch »Wert und Ehre deutscher Sprache« (1927) hervor, die sich zunächst auf Kierkegaard berufen: »das Ewige ist das Gegenwärtige und dieses das Inhaltvolle. [...] Nur mit dieser wahren Gegenwart hat die Sprache zu tun. Der Augenblick (als endlicher Zeitpunkt ohne Vergangenheit und Zukunft, Zusatz A. T.) ist ihr nichts. Aber das Dahingegangene zu vergegenwärtigen, das ist ihre wahre Aufgabe. Das was nicht mehr ist, das was noch nicht ist, das was sein könnte; aber vor allem das was niemals war, das schlechthin Unmögliche und darum über Alles Wirkliche, dies auszusprechen ist ihre Sache. Sie ist das uns gegebene Werkzeug, aus dem Schein zu der Wirklichkeit zu gelangen, und indem er spricht, bekennt der Mensch sich als das Wesen, das nicht zu vergessen vermag. Die Sprache ist ein grosses Totenreich, unauslotbar tief; darum empfangen wir aus ihr das höchste Leben.« (RuA III 132).13 Gerade die gegenüber eindimensionalen Bestimmungen paradox erscheinenden Wendungen, in denen Hofmannsthal die Sprache als Ausdruck menschlicher Wirklichkeit zu umschreiben versucht, werden in Formen, die ich im Einzelnen darstellen werde, in den Gedichten dergestalt anzutreffen sein, daß an ihnen die Unmöglichkeit erkennbar wird, ein tragendes Zentrum unvermittelt zu benennen, daß aber zugleich in der sich sprachlich bestimmenden Negation die »geglaubte Ganzheit« begreifbar werden kann. Die Bemühung, angesichts des Mangels eines sinngebenden Zentrums zu seiner Zeit, eine Ganzheit mit dem Kunstwerk wirklich wahrnehmbar werden zu lassen, wird 12

Briefe, Aufsätze, Dokumente. Hrsg. v. Claudia Abrecht. Mit einem Nachwort von Martin Stern. Marbach a.N. 1982, S. 17 (B I 243). *' Wert und Ehre deutscher Sprache. In Zeugnissen hrsg. v. H. v. H. Verlag der Bremer Presse. München 1927, S. 11. 10

Hofmannsthals Arbeit mit der Sprache der Gedichte letztlich motivieren, wobei die Problematik, die in der Interpretation deutlich werden soll, darin besteht, daß die Idee der Ganzheit sich nicht nur gegen die Zeittendenzen bewegt, sondern daß sie zugleich die fundamentale Herausforderung an die dichterische Sprache, die auch den Bedingungen der Endlichkeit folgen muß, darstellt.

Zu Hofmannsthals Idee des Lebens Im Rahmen der bisher wiedergegebenen Äußerungen Hofmannsthals zu seiner historischen Situation, der Bemühung um den angemessenen Ausdruck des ganzen Menschen, der Einsicht in den nicht nur rationalen Charakter eines möglichen Begreifens des Lebens, der Auffassung der Wirklichkeit als in fortwährender Bewegung befindlich und der Unterscheidung eines erscheinenden von einem wahrhaften Seienden, möchte ich hier auf die allgemeine Bedeutung seiner Idee des Lebens eingehen, die dann hinsichtlich der besonderen Gestaltung im einzelnen Gedicht in den folgenden Kapiteln zu differenzieren sein wird. Diese Idee kann bekanntlich für die in den bisher angezogenen Belegstellen genannte Ganzheit stehen;14 sie wurde von Hofmannsthal aus dem zeitgenössischen Denken aufgenommen: »Von Schopenhauer aus hat sich der Lebensbegriff als Bezeichnung der Totalität durchgesetzt, weil dieser Name die Weltwirklichkeit als dynamische, werdende, als Prozeß kennzeichnet.«15 Die Unterscheidung und Abwägung der möglichen Quellen ist hier nicht beabsichtigt;16 vielmehr möchte ich 14

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Dazu: Werner Schwan, Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer. In: Seltene Augenblicke - Interpretations of Poems by H. v. H. Ed. by Margit Resch. Columbia 1989, S. 166L Wolfdietrich Rasch, Aspekte der deutschen Literatur um 1900. In: Zur deutschen Literatur seit der Jahrhundertwende. Stuttgart 1967, S. 42. Karl Pestalozzi weist in seiner Rezension des Buches von H. Jürgen MeyerWendt (siehe unten) auf die diesbezüglich bestehenden offenen Fragen hin (Nietzsche-Studien 6, 1977, S. 333). Ein außerordentlich perspektivenreiches Expose einer Geschichte des Übergangs vom Natur- zum Lebensbegriff, worin die Bedeutung bei Hofmannsthal in mannigfaltigen Hinsichten historisch und systematisch umrissen wird, liegt seit 1930 mit dem Aufsatz »Loris« von Rudolf Kassner vor (Klaus E. Bohnenkamp, Ein wenig bekannter Aufsatz von Rudolf Kassner über die Prosa des jungen Hofmannsthal. In: Für Rudolf Hirsch. Frankfun am Main 1975, S. 295-395). Kritisch zu den »lebensphilosophischen Voraus11

die Bedeutungsaspekte dieser Idee, so wie sie in der Forschung für Hofmannsthal herausgearbeitet wurden, in knapper Zusammenfassung nennen. Otto F. Bollnow untersucht den »Lebensbegriff des jungen Hugo von Hofmannsthal« im Rahmen einer »Darstellung der Möglichkeiten und Grenzen der Lebensphilosophie«,17 indem er den Gedichten und frühen Dramen inhaltliche Aussagen entnimmt. Dabei beobachtet er »die Wandlung der Lebensidee zu einem Gefühl der Schwermut und der müden Traurigkeit« (S. 51), das »Leben wird als die aus dem Unbewußten schaffende Kraft genommen. Ihm eignet eine gewisse Dumpfheit« (S. 52) und das »Schreckliche« (S. 53), vor allem »der Tod (wird) als ein unablösbarer Bestandteil des allmächtigen Lebens erlebt« (S. 54). Der Mensch »erschaudert vor den verborgenen Abgründen« und fühlt sich zugleich »getragen von diesem alles durchwaltenden Leben« (S. 53). Der fremd erscheinende Tod werde vom Lebensenthusiasmus im »Gefühl der Verschmelzung« überwunden (S. 55), eine »Trunkenheit des Todes« bewirke ein »sanftes und passiv hingegebenes Verhältnis« (ebd.), so daß sich für Bollnow ergibt: »Diese Müdigkeit und diese eigentümliche Süße bezeichnen am deutlichsten die besondere neue Wendung« der Idee des Lebens bei Hofmannsthal (S. 56). Die hier »rein verkörperten) Form rauschhafter Einswerdung« (S. 61) und die Fassung des Schöpferischen »nur vom Subjektiven her« (S. 62) sind Momente des weiteren Ergebnisses: »Leben ist der gestaltensmächtige Untergrund, der alle Formen aus sich heraustreibt, aber diese Formen sind abgelöstes, bedeutungslos gewordenes Erzeugnis, nicht mehr das Leben selbst. Dieses bleibt vielmehr selber gestaltlos. Damit verblaßt die gestaltete Lebenswirklichkeit, d.h. die ganze geistige Welt, zum belanglosen Hintergrund.« (S. 62)18 Diese in geistesgeschichtlicher Fragestellung den Gedichten abgelesenen Eindrücke können der Bedeutung, die der Sprachgestaltung über den Inhalt hinaus zukommt, nicht gerecht werden und bezeichnen diese

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Setzungen von Hofmannsthals Denken«: Wolfram Mauser, Hugo von Hofmannsthal - Konfliktbewältigung und Werkstruktur - Eine psychosoziologische Interpretation. München 1977, S. 142f. und S. 164-173 (Zitat: S. 164). Allgemein zum Thema: Joachim Lieber, Kulturkritik und Lebensphilosophie - Studien zur deutschen Philosophie der Jahrhundertwende. Darmstadt 1974. In: Archiv für Literatur und Volksdichtung I, 1949, S. 50-62 (auch in: O. F. B. , Unruhe und Geborgenheit im Weltbild neuerer Dichter. Stuttgart 1953). Vgl. die Kritik von Got third Wunberg, Der frühe Hofmannsthal. Stuttgart 1965, S. 43, Anm. 4. 12

auch folgerichtig als kontingent; zugleich sind die beschriebenen Stimmungen nur ein Teil dessen, was bereits auf inhaltlicher Ebene zu erarbeiten wäre, Bollnow kann damit nur eine Bedeutungsmöglichkeit der Hofmannsthalschen Lebensidee darstellen. Diese Möglichkeit nennt Karl Pestalozzi »das große umgreifende Leben«19 und hebt diese Bedeutung des »allumfassenden« Lebens (ebd.) durch die Schreibweise »Leben« hervor, um eine graphisch sichtbare Unterscheidungsmöglichkeit vom anderen Hauptaspekt, dem »individuelle(n) Leben« (S. 16) zu geben. In der nicht erschöpfend bestimmbaren Wirklichkeit des »Lebens« bewegt sich demnach das bestimmte, abgegrenzte, einzelne und endliche Leben des Individuums, woraus sich für die Vermittlung ergibt, daß es »im Wesen des >Lebens< (liegt), daß es nur >verhüllt und verschleiert ganz< zur Darstellung gebracht werden kann« (S. 18), denn das »Bewusstsein löst den Menschen aus dem >Leben< heraus und stellt ihn diesem als selbständiges Ich gegenüber« (S. 22), wohingegen vermittels der Schönheit wiederum Ganzheit »in die Endlichkeit hinein« rage. (S. 24)20 Die Unterscheidung Pestalozzis »zwischen >Leben< (großes Leben) und Leben (gewöhnliches Leben)«21 konnte von der nachfolgenden Forschung übernommen werden, Tarot gibt eine noch genauere Unterscheidung: »Zunächst heißt Leben zeitliches Dasein des Menschen in der empirischen Welt der Erscheinungen schlechthin, das >gewöhnliche Leben< [...]. Ferner bezeichnet Leben den umfassenden Grund aller Wirklichkeit, die unbewußte Tiefe, den unbewußten, tragenden Grund des Lebens, den >Quell des Lebens< (GLD 307)« (S. 70). Diese Beschreibung der beiden Sphären, die Hofmannsthals Idee des Lebens ausmachen, kann in ihrer Allgemeinheit hier zunächst genügen, zumal sie in den Bezügen gedacht werden muß, die zuvor bereits hinsichtlich der Idee des Ganzen skizziert worden sind. Die bestimmte und komplexe, im Lauf der Werkgeschichte sich verändernde Wahr-

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Karl Pestalozzi, Sprachskepsis und Sprachmagie im Werk des jungen Hofmannsthal. Zürich 1958, S. 17; vgl. auch Erika Hahn, Leben, Traum und Tod. Erlangen (Dissertation) 1962, S. 26-32. Die Vorstellung vom >Hineinragen< in die Endlichkeit geht zurück auf ein Bild Baudelaires, das Hofmannsthal übersetzte mit »die scharfe Spitze der Unendlichkeit« (SW 1281,5 und die Anm. dazu). Rolf Tarot, Hugo von HofmannsthaL Tübingen 1970, S. 72.

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nehmung des allgemeinen und einzelnen Lebens, die mit den Gedichten vorliegt, wird in den einzelnen Interpretationen darzustellen sein.22

Zum Begriff Erscheinung Mit dem problematischen Ergebnis Bollnows, daß die erscheinenden Formen gegenüber dem »Leben« bedeutungslos seien, wobei umgekehrt das Bedeutende gestaltlos bleiben müsse, deutet sich immerhin eine Gefahr an, die der vorgebliche Platonismus Hofmannsthals in den neunziger Jahren mit sich bringen kann.23 Die Rede von Erscheinungen gegenüber Ideen kann dazu führen, die erscheinende Sprache als kontingent gegenüber dem notwendig unaussprechbaren Begründenden anzusehen. Damit wäre der dichterischen Sprachgestaltung jede Möglichkeit, Sinn darstellen zu können, abgesprochen und ein abstraktes Gegenüber von gestaltlosem Leben und leblosen Gestalten angenommen, von dem her das menschliche Bewußtsein nicht zu begreifen wäre. Daß selbst scheinbar explizite Wendungen Hofmannsthals, die in diese Richtung deuten könnten, nicht derart abstrakt Idee und Erscheinung gegenüberstellen, zeigt sich am Schluß des Gedichts »Ein Traum von großer Magie« (SW I 52f.), wo zwar ein womöglich transzendenter Geist (»Wohnt nicht in uns« Vers 41) sich andeutet, aber im paradoxen Gegenzug als Lebendiges genannt ist, das zugleich in den »obern Sterne(n)« (Vers 41) und »in mir, wie ich in meiner Hand« (Vers 46) lebt. Die Vermittlung von lebendigem Ganzen und lebendigem Teil deutet sich hier gegenüber einer abstrakten Trennung an; ähnlich komplex nennt eine Skizze zu einem »Scenische(n) Gedicht« (SW II 136; 1897?) das Verhältnis von idealem Ganzen, dynamischer Wirklichkeit und Erscheinung: »ein Zauberer, eine von ihm der Wirklichkeit nachgeschaffene Gestalt, das Urbild dieser Gestalt: die Wirklichkeit nur der feurige Rauch, aber die Erscheinung ein Kind des feurigen Rauches.« Wiederum deutet sich lebendige Verwandtschaft an (s. dazu

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Eine knappe Darstellung, geordnet nach Werkphasen und basierend auf statistischem Material, legt Steven P. Sondrup, The Contexts and Concepts of »Leben« in the Poetry of Hugo von Hofmannsthai (in: Colloquia Germanica 11, 1978, S. 289-297) vor. Vgl. den Vortrag von Rene Breugelmans, Hofmannsthal im Platonismus der Jahrhundertwende. In: Hofmannsthal-Forschungen 1,1971, S. 16-35.

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die Erläuterungen SW II 417); ohne das Problem des in unbestimmter Negation verbleibenden Sinngebenden und der dann nur kontingenten Erscheinungen, mit dem die Gedichte sich auseinanderzusetzen haben, übersehen zu wollen, begründet sich dennoch der entscheidende Einspruch gegen ein derart abstraktes Gegenüber in den als sinnvoll zu erweisenden sprachlichen Erscheinungen der Gedichte selbst, oder, auf Hofmannsthal als Dichter bezogen, in der fortwährenden Bemühung um das Erreichen eines nicht nur beliebigen Ganzen mit der sprachgestaltenden Arbeit. Unter diesen Voraussetzungen erläutere ich die Bedeutung der Begriffe »Erscheinung«, »Sprachlichkeit« und »Entsprechung«, die ich in den folgenden Kapiteln fortwährend verwenden werde. Mit diesen Erläuterungen möchte ich die gedanklichen Grundlagen der vorliegenden Arbeit entwickeln und damit zugleich Antworten auf die Frage nach einer möglichen Methode der Untersuchungen in ihrer Problematik beschreiben. Wenn der dichterisch gestalteten Sprache der Anspruch zukommen können soll, Wahrheit zum Ausdruck zu bringen, mit ihrer Anschaulichkeit Erkenntnisse zu ermöglichen, die nur in dieser Gestalt zugänglich werden können, dann muß in die Frage nach der Sprache einer Dichtung die Problematik des Erkennens überhaupt einbezogen werden. Der Begriff der Erscheinung kann deshalb nicht ohne Berücksichtigung seiner Bedeutung in der Erkenntniskritik Kants verwandt werden. In dessen »Transzendentaler Ästhetik«24 lautet die allgemeine Bestimmung: »Was gar nicht am Objekte an sich selbst, jederzeit aber im Verhältnisse desselben zum Subjekt anzutreffen und von der Vorstellung des ersteren unzertrennlich ist, ist Erscheinung« (S. 94, B 70). Kant versuchte zu beweisen, »daß alles, was im Räume oder der Zeit angeschauet wird, mithin alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung, nichts als Erscheinungen, d.i. bloße Vorstellungen sind, die, so wie sie vorgestellt werden, als ausgedehnte Wesen, oder Reihen von Veränderungen, außer unseren Gedanken keine an sich gegründete Existenz haben.« (S. 460, B 518f./A 490f.). Aus der Einsicht, daß dem menschlichen Erkennen ein unvermittelter Zugang zu seinen Gegenständen ebenso unmöglich ist, wie die Annahme von bestimmten, gegebenen Gegenständen - an dieser Stelle kann der bereits zitierte Satz Hofmannsthals erinnert werden: »Wer das Starre sucht und das Gege24

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. In: Werke in zehn Bänden. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Bd. 3 und 4. Darmstadt 1975. 15

bene, wird immer ins Leere greifen.« (RuA I 572) -, folgt für die Möglichkeit des gültig Sagbaren: »Demnach werde ich nichts von dem ganzen Gegenstande der Erfahrung (der Sinnenwelt), sondern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung, ihrem Gegenstande angemessen, angestellt und fortgesetzt werden soll, sagen können.« (S. 480, B 548/A 520). Bereits an dieser Stelle wird deutlich, daß Aussagen, die dergestalt auftreten, als ob sie unvermittelt etwas über die Erfahrung Hinausliegendes benennen könnten, Behauptungen bleiben müssen, die dem Anspruch auf Wahrheit nicht genügen können. Zugleich wird die Sprache der Dichtung nicht mit Begriffen für Gegenstände der uns möglichen Erfahrung in eins zu setzen sein, wenn sie einen eigenen Sinn vermitteln können soll. Welche Möglichkeiten für sie unter den Voraussetzungen der Kantischen Kritik bestehen können, habe ich in meinem Buch »Von der Poesie der Sprache«25 in dem Kapitel »Zur Möglichkeit des Dichtens nach Kant« (S. 21-36) zu erörtern versucht. Hier füge ich noch einige weitere Zitate zur Beschreibung des Problems an. Die Frage nach der Wirkung einer intelligiblen Ursache, nach einer möglichen Kausalität aus Freiheit, führt zu der notwendigen Paradoxie: »Die Wirkung kann [...] in Ansehung ihrer intelligiblen Ursache als frei, und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Notwendigkeit der Natur angesehen werden« (S. 491, B 565/A 537). Hier deutet sich eine Identität von Identität und Nicht-Identität an, die mit dem Begriff der Sprachlichkeit zu entfalten sein wird. In eben diesem Verhältnis der Entsprechung, was zunächst Übereinkunft und Nichtübereinkunft zugleich heißen kann, wird die Einbildungskraft (»das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen« B 151) zu denken sein, die Kant nach Spontaneität und Abhängigkeit unterscheidet: »So fern die Einbildungskraft nun Spontaneität ist, nenne ich sie [...] die produktive Einbildungskraft, und unterscheide sie dadurch von der reproduktiven, deren Synthesis lediglich empirischen Gesetzen, nämlich denen der Assoziation, unterworfen ist« (S. 149, B 152). Wenn die produktive Synthesis der Einbildungskraft unabhängig von aller Erfahrung gedacht werden soll, die reproduktive als beruhend auf Bedingungen der Erfahrung (vgl. S. 174f., A 117), zeigt die Sprache als eines 25

Andreas Thomasberger, Von der Poesie der Sprache. Gedanken zum mythologischen Charakter der Dichtung Hölderlins. Frankfurt am Main, Bern 1982, bes. der Abschnitt »Die symbolische Konstruktion«, S. 29-31. 16

ihrer konstituierenden Momente die nicht aufzulösende Spannung von Produktion und Reproduktion, Spontaneität und Assoziation. Dies wird mit der Frage nach der gleichzeitigen Abhängigkeit und Eigenständigkeit der lyrischen Sprache Hofmannsthals ausgeführt werden. Kant spricht von der produktiven Einbildungskraft allerdings nicht schon explizit hinsichtlich einer Kausalität aus Freiheit, sondern nur, »so fern sie in Ansehung alles Mannigfaltigen der Erscheinung nichts weiter, als die notwendige Einheit der Synthesis derselben zu ihrer Absicht hat« (S. 178, A 123). Die Frage nach einer sinngebenden Instanz, die Einheit stiften könnte, beantwortet er dagegen bekanntlich problematisierend: »Das Ideal des höchsten Wesens ist nach diesen Betrachtungen nichts anderes, als ein regulatives Prinzip der Vernunft, alle Verbindung in der Welt so anzusehen, als ob sie aus einer allgenugsamen notwendigen Ursache entspränge, um darauf die Regel einer systematischen und nach allgemeinen Gesetzen notwendigen Einheit in der Erklärung derselben zu gründen, und ist nicht eine Behauptung einer an sich notwendigen Existenz.« (S. 547, B 647/A 619). Daß wir letztere glauben, aber nicht wissen können, geht bereits aus den genannten Äußerungen Hofmannsthals zum Problem der Einheit hervor - ohne diese Äußerungen direkt auf Kant beziehen zu wollen -, es geht noch deutlicher aus seiner Bemühung um die in diesem Sinn >wahre< Formulierung hervor, die der Arbeit an der Sprache der Gedichte abzulesen ist.26 Bemerkenswert in dem Zusammenhang ist Kants Anmerkung in der »Kritik der ästhetischen Urteilskraft«27 zur Möglichkeit einer »Darstellung des Unendlichen«, die »niemals anders als bloß negative Darstellung sein kann, [...] aber doch die Seele erweitert.« (Bd. 8, S. 365, B 124/A 123). Wieder ist zu bedenken, daß das Kunstwerk ebensowenig Vorstellungen eines Unendlichen behaupten sollte, wie es, als Anschauliches, im rein Negativen verbleiben kann; Kant weist selbst auf die Gefahr hin, »über alle Grenze der Sinnlichkeit* hinaus etwas sehen, d.i. nach Grundsätzen träumen (mit Vernunft rasen) zu wollen; eben darum, weil die Darstellung [...] bloß negativ ist.« (S. 366, B 125/A 124; *A: Sittlichkeit). Zugleich deutet sich damit hinsichtlich der Anschaulichkeit das Bedürfnis an, über die gezogenen 26

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Ich spreche von einer >wahren< Formulierung im Anschluß an Krings (a. in Anm. 2 a.O.), der den Begriff >wahrer Text< als Begriff eines Zwecks im Sinne Kants entwickelt. Werke (wie Anm. 24) Bd. 8. 17

Grenzen hinaus etwas sehen zu wollen, dem das Kunstwerk sich ebenso stellen muß, wie der notwendigen Negativität. Diese Spannung wird in den Gestaltungsversuchen Ausdruck finden, die ich besonders im VII. Kapitel untersuche. Bezogen auf die Möglichkeit der Darstellung von Ideen kommt dem Begriff der Analogie Bedeutung zu, wie er im folgenden Satz auftritt: »Also sollen sie an sich selbst nicht angenommen werden, sondern nur ihre Realität, als eines Schema des regulativen Prinzips der systematischen Einheit aller Naturerkenntnis gelten, mithin sollen sie nur als Analoga von wirklichen Dingen, aber nicht als solche an sich selbst zum Grunde gelegt werden.« (S. 586, B 702/A 674). Das Denken nach der Analogie (vgl. »Kritik der ideologischen Urteilskraft« S. 594, B 448/A 443 und Anmerkung B 449/A 444)28 wird für den noch zu erläuternden Begriff der Entsprechung wichtig sein. Zunächst gehört zu den von der Sprache her denkbaren Paradoxien noch die wechselseitige Bedingtheit von bestimmender und reflektierender Urteilskraft, die Kant danach unterschied, daß jene »das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen« denken kann, diese bei einem gegebenen Besonderen »das Allgemeine finden soll« (S. 251, B XXVf./A XXIIIf.).29 Es wird den Begriff der Sprachlichkeit mitkonstituieren, daß mit ihm Allgemeines und Besonderes nicht getrennt gedacht werden, sondern in wechselseitiger Vermittlung. Die Bedeutung der produktiven Einbildungskraft im Zusammenhang der »Kritik der ästhetischen Urteilskraft« (S. 414f., B 193f./A 190f.) möchte ich hier nur insofern heranziehen, als sie über die wirkliche Natur hinaus eine ästhetische Idee geben könne, die »eine einem gegebenen Begriffe beigesellte Vorstellung [...] (ist), welche mit einer solchen Mannigfaltigkeit der Teilvorstellungen in dem freien Gebrauche derselben verbunden ist, daß für sie kein Ausdruck, der einen bestimmten Begriff bezeichnet, gefunden werden kann, der also zu einem Begriffe viel Unnenn28

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Zum Denken nach der Analogie vgl. Dieter KimpeL, Begriff und Metapher. Zur Stellung des philosophischen Gedankens zur Metapher bei Aristoteles und Kant (in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie 4, 1982, Heft 2, S. 82-89) und ders., Ethos und Nomos als poetologische Kategorien bei Platon-Aristoteles und das Problem der substantiellen Sittlichkeit in Goethes »Iphigenie auf Tauris« (in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. Bd. 33, 1983, Heft 4, S. 367-393 (bes. S. 375f.) sowie Jörg Villwock, Metapher und Bewegung. Frankfurt am Main, Bern 1983, S. 276ff.. Dazu: Bruno Liebrucks, Sprache und Bewußtsein. Band 3: Wege zum Bewußtsein im Raum von Kant, Hegel und Marx. Frankfurt am Main 1966. Abschnitt »Bestimmende und reflektierende Urteilskraft« S. 289-293.

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bares hinzu denken läßt, dessen Gefühl die Erkenntnisvermögen belebt und mit der Sprache, als bloßem Buchstaben, Geist verbindet.« (S. 417, B 197/A 195). Die Verbindung von Geist und Buchstaben ist vom Entziffern der Handschrift bis zur Deutung eines Gedichts die Problematik, nach der hier gefragt wird und die die Möglichkeit dieses Fragens zugleich konstituiert. Die Fähigkeit, »den Ausdruck zu treffen« (S. 417, B 198/A 196), die nach Kant das glückliche Verhältnis des Genies ausmacht, wobei der Ausdruck derjenige für Ideen zu einem gegebenen Begriff sein soll, wird in der konkreten Arbeit an der Sprache der Gedichte zu untersuchen sein, wobei der Begriff, für den der Ausdruck getroffen sein könnte, sich erst mit dieser Untersuchung entwickeln kann, nicht als eindeutiges Resultat zu bestimmen ist. Die Sprachlichkeit dieses Ausdrucks deutet sich schon bei Kant damit an, daß durch ihn »die dadurch bewirkte subjektive Gemütsstimmung, als Begleitung eines Begriffs, anderen mitgeteilt werden kann.« (S. 418, B 198/A 196), womit sich weiterhin die Verschränkung von Subjektivität (Einheit) und Allgemeinheit (Mannigfaltigkeit) in der Sprache zeigt. Der Dichtkunst kommt nach der »Vergleichung des ästhetischen Werts der schönen Künste untereinander« (S. 429, B 215/A 212) der oberste Rang zu, was Kant vor allem folgendermaßen begründet: »Sie stärkt das Gemüt, indem sie es sein freies, selbsttätiges und von der Naturbestimmung unabhängiges Vermögen fühlen läßt, die Natur, als Erscheinung, nach Ansichten zu betrachten und zu beurteilen, die sie nicht von selbst, weder für den Sinn noch den Verstand in der Erfahrung darbietet, und sie also zum Behuf und gleichsam zum Schema des Übersinnlichen zu gebrauchen.« (S. 429, B 215/A 213). Der Unterschied zwischen einer Erscheinung in der Erfahrung und demjenigen, was ich im folgenden Wahrnehmung des Gedichts - in dem Doppelsinn des Genitivs - nennen werde, ist hier angelegt, wobei anstelle des »gleichsam zum Schema [...] gebrauchen« schon von Kant her der Begriff des Symbolischen eingesetzt werden könnte: »Alle Hypotypose (Darstellung sub adspectum), als Versinnlichung, ist zwiefach: entweder schematich, da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken, und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch, d.i. mit ihm bloß der Regel dieses

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Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach, übereinkommt.« (S. 459, B 255/A 251f.)· Bezogen auf das Intuitive der Erkenntnis, das in den folgenden Kapiteln immer wieder zu untersuchen sein wird, gilt der Unterschied, daß es »entweder schematisch, durch Demonstration; oder symbolisch, als Vorstellung nach einer bloßen Analogie* sei (S. 459, B 256/A 252). Damit sind die Begriffe des Symbolischen und der Analogie bereits in große Nähe gebracht; es wird der Bedeutung des Symbols bei Hofmannsthal nachzufragen sein (besonders Kapitel II) und dem Begriff der Entsprechung, der die Bedeutung des Analogieverständnisses Kants in sprachliches Begreifen aufnehmen könnte. Dabei wird das Verhältnis der allgemeinen Sprache zu der besonderen Sprache des Gedichts wiederum selbst nach der Analogie zu denken sein, so, wie Kant es für die bildende Kunst andeutet: »Wie aber bildende Kunst zur Gebärdung in einer Sprache (der Analogie nach) gezählt werden könne, wird dadurch gerechtfertigt, daß der Geist des Künstlers durch diese Gestalten von dem, was und wie er gedacht hat, einen körperlichen Ausdruck gibt, und die Sache selbst gleichsam mimisch sprechen macht: ein sehr gewöhnliches Spiel unserer Phantasie, welche leblosen Dingen, ihrer Form gemäß, einen Geist unterlegt, der aus ihnen spricht.« (S. 426, B 210f./A 208). Die Gestalten der Gedichte werden in ihrer Sprachlichkeit zu interpretieren sein, die, wie andere Kunstgestalten, in Analogie zu demjenigen begriffen werden kann, was ein Denken der Sprache wieder im doppelten, subjektiven und objektiven Sinn des Genitivs für das menschliche Bewußtsein bedeutet. Um von Kants Begriff der Erscheinung zu dem hier gemeinten der Sprachlichkeit oder der sprachlichen Erscheinung gelangen zu können, ist es zunächst erforderlich, Hegels Kritik zu erinnern, daß »Kant [...] insofern noch auf halbem Wege stehengeblieben (ist), als er die Erscheinung nur im subjektiven Sinn aufgefaßt und außer derselben das abstrakte Wesen als das unserem Erkennen unzugängliche Ding an sich fixiert hat.«30 Dies richtet sich nicht gegen die unmittelbare Unzugänglichkeit, sondern gegen die Subjektivität, als nur eine Seite, und die Fixierung von Etwas, das an sich dem menschlichen Denken unzugänglich bleibt, aber zugleich in der Vermittlung erscheint: »Das Wesen ist daher nicht hinter 30

Georg Wilh. Friedr. Hegel, Werke in zwanzig Bänden. Hrsg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus MicheL Band 8: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I. Frankfurt am Main 1970, S. 263. 20

oder jenseits der Erscheinung, sondern dadurch, daß das Wesen es ist, welches existiert, ist die Existenz Erscheinung.« (S. 262).31

Zum Begriff Sprachlichkeit Der Weg durch die Philosophie Kants zu dem Begreifen der Sprachlichkeit des menschlichen Denkens über die Logik Hegels ist in den Bänden zu »Sprache und Bewußtsein« von Bruno Liebrucks zu finden.32 Ihm verdanke ich den Begriff der Sprachlichkeit, den ich in den folgenden Kapiteln zugrundelegen werde. Die Entwicklung des Erkenntnisproblems von Kant her zur Einsicht in die Sprachvermitteltheit menschlichen Erkennens habe ich als Thema der theoretischen Schriften Hölderlins in meinem genannten Buch dargestellt. Besonders auf die Abschnitte »Über einige Eigenschaften von Dichter und Dichtung« (S. 109-114), »Die poetische Sprache« (S. 157-159) und »Sprache« (S. 200-214) möchte ich hier verweisen und dabei die Vermittlung von Bestimmtheit und Unbestimmtheit in der Sprache hervorheben: »Deshalb möchte ich die Sprache als ebenso bestimmten Ausdruck der Vereinigung von wirkendem Lebendigen und trennender und fixierender idealer Erinnerung verstehen, wie der sprachliche Ausdruck zugleich in sich die Unendlichkeit erinnern kann, die in ihm zur Bestimmung kam.« (A. in Anm. 25 a.0., S. 201). Das hier genannte wirkende Lebendige, als spekulativ Angenommenes, wird im Folgenden Wirklichkeit genannt, das bestimmte und abgegrenzte Behandelbare Realität, womit ich wieder dem Sprachgebrauch Liebrucks' folge (vgl. ebd. S. 126). Sprache, als »Einheit von Fixierung und Offenheit (,) kann [...] den Grund begreifen, der alles besondere Bewußtsein begleitet« (S. 201). Dies wird angesichts der Gedichte zu konkretisieren 31

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Vgl. in Hofmannsthals dichtungstheoretischem Prosastück »Bildlicher Ausdruck« (1897): »Die Leute suchen gern hinter einem Gedicht was sie den eigentlichen Sinn< nennen. Sie sind wie die Affen, die auch immer mit den Händen hinter einen Spiegel fahren, als müsse dort ein Körper zu fassen sein.« (RuA 234). - Der Hinweis auf diese Parallele soll nicht im Sinne Hartmut Zelinskys, Brahman und Basilisk - Hugo von Hofmannsthals poetisches System und sein lyrisches Drama »Der Kaiser und die Hexe«. München 1974, als die Behauptung verstanden werden, hinter Hofmannsthals Äußerungen sei die Philosophie Hegels verborgen, vielmehr verdankt die Vergleichbarkeit sich der Nähe der gemeinten Problematik. Bruno Liebrucks, Sprache und Bewußtsein. Band 1-7. Frankfurt am Main 1964 Bern, Frankfurt, Las Vegas 1979. 21

sein. Die sprachliche Gestalt soll »als sich bestimmender Ausdruck des menschlichen Bewußtseins, der immer ein Werdender und Gewordener ist, begriffen werden können« (S. 205), aus Einsicht in die »Sprachvermitteltheit jeder Wahrnehmung des Menschen«, womit »eine Selbstbestimmung möglich wird, die, gerade weil sie ihr Anderes nicht zu beherrschen sucht, sich selbst aus der Herrschaft entlassen hat.« (S. 207). Als entsprechendem Ausdruck (vgl. S. 208) kann der Sprache in diesem Sinn Wahrheit zukommen, sie kann als Ort der Wirklichkeit des Menschen begriffen werden, gerade wenn sie hinsichtlich der Gesamtheit ihrer bedeutungskonstituierenden Elemente, wozu im Gedicht Klang, Rhythmus, Metrum, Reimschema sowie Syntax, Semantik etc. gehören, und nicht nur bestimmter Bedeutungsmomente gedacht wird. Sprachliche Bedeutung konstituiert sich dem Denken der Sprache danach nicht lediglich durch abstrakte Beachtung eines scheinbaren Inhalts, sondern immer in der Vermittlungsbewegung von Anschaulichem und Begrifflichem, Sinnlichem und Nichtsinnlichem, denn: »Die Sprache ist nicht nur die Kraft der Urteilung, sondern auch die Kraft der Ineinsbildung von Anschauung und Begriff, von Individuellem und Allgemeinem.«33 Neben den bereits genannten Begriffspaaren kann hier noch hinzugefügt werden: von Äußerung und Erinnerung, Sichtbarem und Unsichtbarem, natürlicher und geschichtlicher Zeit (vgl. Wohlfart, a.a.O., S. 28). Diese Konstituentien bewegen sich in der Sprache im Verhältnis der Entsprechung, das ich noch erläutern werde. Die Bedeutung des Begriffs Sprachlichkeit und sein Verhältnis zur Sprache der Gedichte möchte ich anhand der Gedanken Liebrucks' darstellen. Schon das Wort weist auf die Komplexität des Gemeinten hin: »Das deutsche Wort >Sprachlichkeit< hat in >Sprache< das ganze Problem, [...] in >lich< die leibhafte, in >keit< die abstrakt allgemeine Seite.«34 Beide Seiten werden bei der Frage nach den bedeutungskonstituierenden Elementen der dichterischen Sprache immer zu beachten sein. Die reflektierende Distanz umschreibt Liebrucks wie auch Hofmannsthal (vgl. Kapitel XI) - mit dem Bild des Spiegels: »Sprache ist Spiegel der Welt. [...] Der Spiegel der Sprache ist vermittelte Reflexion. Er zeigt, ob etwas ist oder nicht ist. Das geschieht mit einem Zeigestab, der jedes Einzelne als seiend und nichtseiend zugleich zeigt.« (S. 23). 33 34

Günter Wohlfart, Denken der Sprache. Freiburg, München 1984, S. 27f. Bruno Liebrucks (wie Anm. 32) Band l, S. 396, auch S. 14 und 19.

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Die Paradoxien der Sprache heben das sich geradlinig Widersprechende in sich auf, im bekannten Sinn von Wegnehmen, Hinaufheben und Aufbewahren (Hegel) zugleich. Die Äußerungen zur Sprache enthalten deshalb immer scheinbar Entgegengesetztes im vermittelnden Bezug, der allerdings auch die Momente nicht verwischt: »Zwischen den leiblichen Gestalten, die solche der Seele sind, und dem Geist stehen die seelischen Gestalten, die solche des Geistes sind. Diesen Geist werden wir als Sprache kennenlernen.« (S. 24) Daß es sich hierbei nicht um einen Begriff des Geistes handelt, der dem Verdacht des Idealismus im pejorativen Wortsinn, oder anderer Einseitigkeit, ausgesetzt werden muß, zeigt spätestens die hohe Bedeutung der Artikulation: »Sprache ist Artikulation. Der gegliederte Organismus hilft bei der ganz andersartigen Gliederung der Sprache mit.« (S. 28) »Auch die Lautung (wird) nicht als sinnfreies Artikulationsgebilde erfahren, sondern im Zusammenspiel mit der Bedeutung.« (S. 33) »Es geht auch bei der Artikulation um ein Strukturmoment der Sprache, das immer im Ineinander ihrer subjektiven und objektiven >Seiten< besteht«. (S. 236) Die Andersartigkeit der Sprachgliederung gegenüber dem Organismus, das Zusammenspiel und das Ineinander der »Seiten« wird im Folgenden zu befragen sein; eine Relation, diejenige von Mittel und Zweck (vgl. den Anfang von Kapitel VI, S. 149), nennt Liebrucks unter Einbezug der Dichtung: »Sprache ist Mittel und Werkzeug, aber auch Zweck. Der Dichter schreibt seine Verse nicht, um anderen Menschen Mitteilungen zu machen. [...] Hier (in der Dichtung, A. T.) ist das Mittel so gut Zweck, wie der Zweck Mittel. Hier ist das Leben zu Hause, hier ist es Geist. Es zeigt, wo wir in Wahrheit wohnen.« (S. 29). Ist damit der Wahrheitsanspruch der dichterischen Sprache bereits erhoben, wird dies deutlicher mit der Beschreibung des Symbolcharakters der Sprache: »Die Sprachlaute symbolisieren nicht das Zeigen oder das Gezeigte, sondern immer die Bewegung, in der beides zugleich entsteht. Diese dialektische Bewegung ist der Mensch, und so ist die Sprache das wahre Symbol des Menschen. Die Handlung bleibt auch darin Moment.« (S. 99) Demnach entspricht die Sprache bereits der als dynamisch gedachten Wirklichkeit, wie Hofmannsthal sie im oben genannten Zitat (vgl. S. 7) beschrieb, wobei zu der symbolisierten Bewegung um der Erkennbarkeit willen aber auch »das Gezeigte« als objektiviertes, sprachlich zur Erscheinung gebrachtes gehört: »Innerhalb der Sprachlichkeit erfährt sich der Mensch über seine Objektivationen. Die

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Sprachlichkeit selbst kann er von ihnen her nicht in den Gedanken bringen« (S. 170), weil dazu die Bewegung, in der die Objektivationen und »das Zeigen« zugleich entstehen, gehört. Die Betrachtung des Kunstwerks nur als Gebilde kann eben darum dessen Sprachlichkeit nicht begreifen. Diese besteht darin, »daß Selbsterkenntnis, Gotteserkenntnis und Erkenntnis des Nächsten nicht getrennt zu gewinnen sind« (S. 305), daß die Reduktion dieser Bewegung auf ein Moment, sei es Subjektivität, Begründendes oder Objektivität, weder das Ganze, noch diese angenommenen Teile wirklich begreifen kann. So wird auch der Ausdruck nicht nur als der eines Subjekts allein begriffen: »Wir setzen an die Stelle der problematischen Stationierung des Ausdrucks auf der subjektiven Seite den Satz: Die Sprache ist der Ausdruck des Eindrucks, sofern dieser bedeutend ist.« (S. 357, auch Band II S. 501 u.ö.). In diesem Sinn verwende ich das Wort Ausdruck. Das Gegebensein des so gedachten menschlichen Ausdrucks denkt Liebrucks für alle Künste analog zur Sprache: »Nicht nur in jeder sprachlichen Bedeutung, sondern in jedem mythischen Bild, in jedem musikalischen Werk, in jeden Dichtwerk, in jedem Gemälde erscheint ein geistiger Gehalt in der Form der Sinnlichkeit. Die Sinnlichkeit ist dabei nicht eine entgegenkommende Zutat. Es handelt sich hier um die einzige Gegebenheitsweise, in der so etwas wie Geist für den Menschen ist.« (S. 375). Die Bewegung der Sprache hat die intentio obliqua und die intentio recta in sich aufgehoben, sie »zeigt dadurch auf die Dinge, daß sie auf sich zeigt. Sie zeigt, aber in meinem Bewußt-Sein.« (S. 444). Von diesen Voraussetzungen her kann die Bedeutung der Metapher gedacht werden. Hierbei ist »Sprache als Metapher [...] von der sprachlichen Metapher zu unterscheiden. Sprache selbst ist zunächst die dauernde Übersetzung aus der Realität in die Idealität, aus dieser in jene. Sie ist darüber hinaus sowohl extramundan wie mundan. Nur solche Wesen sprechen, die in dieser Welt nicht ganz in ihr stehen.« (S. 481, auch S. 23). Die Analogie von Sprache und sprachlichem Kunstwerk besteht auch hinsichtlich dieser Bestimmtheit und Unbestimmtheit von Einzelnem und Gesamtheit zugleich.35 Sie bleibt jedoch Analogie und wird nicht zur Identität, weil die sprachliche Metapher sich selbst reflektiert: »Wenn die Sprache dann noch in Metaphern spricht, so 35

Vgl. Eckhard Lobsien, Das literarische Feld - Phänomenologie der Literaturwissenschaft. München 1988, S. 66f. und das dort aufgenommene Zitat aus Villwock (l 983) S. 101 f.

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zeigt sie in diesen Bildern ihrer selbst, in den Metaphern, nicht so offen auf sieb wie in der Anaphora, aber dafür ist dieses Zeigen bedeutender. Die Metapher ist die Reflexion des Tuns der Sprache innerhalb der Sprache.« (S. 482)36 Diese Metapher wird im Folgenden, von Hölderlin her,37 als das ganze Gedicht verstanden, das seine Übertragungsbewegung zugleich reflektiert. Daher begründet sich die Notwendigkeit, ein jeweiliges Gedicht immer als ganzes zu interpretieren, um möglicherweise das Bedeutungsgefüge seiner sprachlichen Gestalt begreifen zu können. Dies ist insofern mehr als ein immanentes Vorgehen, als die Sprachlichkeit des Gedichts nicht ungeschichtlich und voraussetzungslos gedacht werden kann, zugleich aber ihrem eigenen logischen Status gemäß verstanden werden und deshalb von den Bereichen, die neben ihr die Welt ausmachen, unterschieden werden muß. Als Ausdruck des sprachlichen Wesens Mensch ist die Dichtung Ausdruck seiner Bewegung »in der Identität der Identität und Nichtidentität von Mensch und Welt« (S. 482), mit dieser »sich erst in der Sprache konstituierende^) Außerweltlichkeit des Menschen« ist erst »die Bedingung der Möglichkeit seiner Freiheit« (S. 483) wirklich: »Das metaphorische Wesen der Sprache ist deshalb die Bedingung der Möglichkeit der Freiheit des Menschen, weil es das Moment innerhalb der Freiheit, das Extramundaneität heißt, konstituiert.« (S. 483). Die sprachliche Bewegung der Metapher des Gedichts (Kunstwerks) darf aber nicht als Weltflüchtigkeit mißverstanden werden, sondern wird zu denken sein als Aufhebung der Gegenteile von Idee und Material ebenso, wie von Einzelnem und Gesellschaft. »Nur indem die Sprache den Menschen von den Ideen zu den sinnenfälligen Dingen trägt, trägt sie einen Sprechpartner zum anderen* (S. 484), wobei die Bewegung ihre gegenläufige Richtung immer in sich hat, wie die Metapher zeigt, die auch die »Übersetzung von der Vieldeutigkeit in die Eindeutigkeit und die von der Eindeutigkeit in die Vieldeutigkeit« (S. 482) ist. In dieser Offenheit und Konkretheit zugleich, die dem »Sprachlaut als [...] etwas bedeutende(m) Naturlaut« (S. 482) zukommen, kann das Problem des Erscheinens der Freiheit gedacht werden: »Freiheit erscheint hier innerhalb der Sprache als bewegtem Gebilde. Diese Erscheinung der 36 37

Lobsien (l 988) S. 69 kommentiert diesen Satz. Vgl. Thomasberger (1982) S. 108 und ders., »Abendphantasie« - Über Schönheit und Fremdheit der Sprache Hölderlins. In: Uvo Hölscher (Hrsg.), Turm-Vorträge 1985/86. Tübingen 1986, S. 97. 25

Freiheit weist auf den dialektischen Charakter der Bedingung der Möglichkeit aller Freiheit in der Selbstauffassung des Menschen.« (S. 490). Dieses allgemeine und grundlegende Problem kann ohne Zwang verknüpft werden mit dem scheinbar speziellen eines Denkens der dichterischen Sprache, wie sie mit den Gedichten Hofmannsthals in besonderer Gestaltung erscheint, denn: »Es muß alles darauf ankommen zu zeigen, daß die Sprache - und in hohem Maße die dichterische -dadurch Begriffist, daß sie in der Allgemeinheit [...] beim Einzelding ist.« (S. 499) Das hohe Maß der dichterischen Sprache besteht in der Reflexion ihrer eigenen Sprachlichkeit in Analogie zu der Bewegung der Sprache überhaupt, in der unser Bewußtsein wirklich ist. Das Thema »Sprache und Kunst« steht am Ende des Bandes über Wilhelm von Humboldt;38 ich ziehe daraus noch einige Gedanken heran, die das bisher Gesagte erweitern sollen. Zunächst erinnert Liebrucks die »Dreistrahligkeit der semantischen Relationen« (S. 407), mit der die Sprache immer auf Sprecher, Hörer und Sache zugleich deutet, für die Künste, sie »muß in jedem Gebilde der Kunst, ob es sich um Architektur, bildende Kunst, Malerei, Musik oder Dichtkunst handelt, erscheinen.« (ebd.) Dadurch enthält das Kunstwerk, wie oben gesagt, als Gebilde die Sprachbewegung des Menschen und läßt sie anschaulich werden; mit ihm erscheint »seine sprachliche Vermittlung mit aller Wirklichkeit.« (S. 408) Erkennbar wird die Reichweite des menschlichen Erkennens, insofern Kunst darin wahr ist, »als sie, die sich scheinbar schon mit dem Schein begnügte, zeigte, bis wohin der Mensch als erkennender bisher gelangt ist, nämlich nicht bis zum Sein, sondern nur bis zum jeweiligen Schein.* (S. 410) Deshalb war auf den Charakter des Kunstwerks als Erscheinung ausführlich einzugehen; zugleich läßt sich von hier aus ein Kriterium für die Wahrheit einer sprachlichen Gestaltung gewinnen, das darin besteht, zu fragen, ob sie ein Sein behauptet oder ihren eigenen Status des Scheins zum Ausdruck bringen kann. Die Welt der Sprache ist »Hegels zweite übersinnliche Welt«, •wobei die Kategorien Humboldts mitzudenken sind: »die Gegenwart der Vergangenheit in der Sprache, die Realidealität, ihre Subjekt-Objekt-Einheit in der Verschiedenheit« (S. 416). Gerade die erste Kategorie wird für Hofmannsthal ein zentrales Anliegen sein, wozu noch die mögliche Gegenwart der Zukunft im Augenblick der 38

Bruno Liebrucks (wie Anm. 32) Band 2 Sprache »Wilhelm von Humboldt«. Frankfurt am Main 1965. 26

Sprache kommt (vgl. besonders Kapitel X). Die Verschränkung von Subjekt und Objekt erläutert Liebrucks mit einem Satz Humboldts über die Sprache, »daß sie gerade insofern Objekt und selbständig, als sie Subjekt und abhängig sei« - »das Kunstwerk (präsentiert) diese seine Sprachlichkeit im Gebilde.« (S. 417) Die Zweck-Mittel-Relation wird nun mit dem Begriff der unendlichen Zweckmäßigkeit gefaßt, »in der jedes ihrer (der Kunst, A. T.) Teile zugleich Zweck und Mittel ist.« (S. 432).39 Die Sprachlichkeit der Kunst unterscheidet von der Sprache hier wie immer die Sichtbarkeit: »In der Kunst ist also die Einheit von Form und Inhalt durchsichtig.* (S. 433f.) Ob diese Durchsichtigkeit erst mit der deutlichen Selbstreflexion einer Kunst auftritt, die sich damit als modern charakterisiert,40 oder ob sie in mehr oder weniger expliziter Weise ein notwendiges Kriterium für Kunst überhaupt darstellt, scheint mir eher in letzterer Richtung beantwortbar zu sein. Dazu ist nochmals der Hinweis auf den Unterschied in der Übereinkunft mit der nichtkünstlerischen Sprache nötig, auch um triviale Mißverständnisse zu vermeiden: »Die Künste, die die Wahrheit in der Form der Vorstellung enthalten, also vor allen das literarische Kunstwerk, werden nicht sprachlich genannt, weil in ihnen gesprochen oder gelesen oder auf dem Theater vorgetragen wird. Ihre Sprachlichkeit besteht darin, daß sie innerhalb der Sprache die stumme Sprachlichkeit noch einmal haben. [...] die Sprachlichkeit in der stummen Gebärde der Töne, Farben, Steine und der Sprache« (S. 441) vortragen. Die Analogie wird noch deutlicher akzentuiert, wenn die Sprache der Kunst der Alltagssprache gegenübergestellt und zugleich im Wechselverhältnis mit ihr beschrieben wird: »Die Dichtung ist stumme göttliche Sprache innerhalb der menschlichen. Sie ist mehr als die menschliche Alltagssprache des nachkünstlerischen Weltzustandes, weil sie zeigt, wie stumm die Alltagssprache ist. Die dichterische Sprache ist immer zugleich bei ihrem Anderen, der Alltagssprache. Indem die dichterische Sprache als stumme Sprache zeigt, zeigt sie auch auf die 39

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Zum entsprechenden Hegeischen Begriff des unendlichen Urteils in bezug auf die poetische Sprache vgL Thomasberger (1982) S. 222. Sehr bedenkenswerte Thesen zu »Moderne und Kunst« bei Lobsien (1988) S. 1118, für Hofmannsthal besonders zutreffend: »Die von Max Weber »entzaubert< genannte Welt der Moderne erzwingt auch von der Kunst eine Eigenlegitimation; diese aber gewinnt sie sich im Zuge einer sich beständig radikalisierenden Selbstreflexion.« (S. 12). Siehe weiterhin Uwe Japp, Literatur und Modernität. Frankfurt am Main 1987, schon die Überlegungen zur Verwendung des Begriffs S. 9f.

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Alltagssprache, die der göttlichen Zeigestäbe entbehrt. Sie zeigt damit innerhalb ihrer selbst die bestimmte Stummheit der Alltagssprache. Alle Kunst ist darin der Dialektik verwandt, daß sie nicht nur Gebilde gibt, sondern mit ihnen zugleich die Entstehung.« (S. 444) Die Unterschiedenen sind demnach als solche voneinander abhängig und ermöglichen in diesem Verhältnis erst Einsichten in den Charakter von Sprache und Kunst; die Methode, in der diese sich darstellen können, wird nicht nur in Resultaten (Gebilden), sondern zugleich in deren Entstehung entfaltet werden müssen, wenn sie dem Darzustellenden entsprechen können soll. Diesem wird traditionsgemäß die Eigenschaft zugesprochen, schön zu sein, was hier heißen kann, daß dasjenige Wirkliche schön ist, »was in sich selbst den Gestus hat, auf den Gegensatz seiner selbst so hinzuweisen, daß auch das endliche Bewußtsein den Zeigestab zur Idee darin hat. [...] In dieser Gebärde besteht das Wesen des Schönen.« (S. 446). »Darin erscheint sinnlich die Wahrheit alles Wirklichen.« (S. 448). Die Wirklichkeiten, welche die Kunstwerke sind, würden nicht vollständig in ihrer Sprachlichkeit gedacht, ließe man außer acht, »daß der Künstler ein Gebilde hervorbringt, das von anderen betrachtet oder gehört werden soll« (S. 455), das also in der sprachlichen Relation von Künstler und Betrachter überhaupt nur sich konstituiert, das »zu seiner Existenz die Erzeugung durch den Künstler und die Wiedererzeugung durch den Hinblickenden« braucht. (S. 456)41 Als vorhandenes Objekt ist das Kunstwerk nicht existent, als Wirklichkeit ist es mögliches Objekt,42 das in Analogie zum Sprechen erzeugt werden muß, wobei es nicht im Status des Objekts erschöpft wird. Wiederum kann das Sprechen in »Analogie zum Hervorbringen und Aufnehmen eines Kunstwerkes« gedacht werden (S. 461). Der Objektcharakter relativiert sich dadurch, daß relativ »zum Wesen des Menschen als sprachlichem [...] jedes Ding als solches einen Unbestimmtheitshof um sich« trägt (S. 463), weshalb im Kunstwerk »nicht 41

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Vgl. Liebrucks, Bd. 2, S. 514: »diese Bilder (haben) nicht nur den Prozeßcharakter der Verwandlung in sich aufbewahrt, sondern Zeigestäbe zum Künstler zurück, zum Betrachter und zu der in der Phantasie vermittelten Welt [...]. Damit rückt alle Kunst aus dem Bildcharakter in den Sprachcharakter.« Diesen Begriff übernehme ich von Josef König, Die Natur der ästhetischen Wirkung. In: Vorträge und Aufsätze. Freiburg, München 1978, S. 306f. (vgl. Thomasberger, 1982, S. 203 und ders., Goethes Übersetzung des Aristotelischen Katharsis-Begriffes im Kontext der philosophischen Ästhetik seiner Zeit. In: Goethe et les arts du spectacle. Hrsg. v. M. Corvin. Bron 1985, S. 234f.). 28

eindeutige Bestimmtheit vorgetäuscht (wird), wie in der von technischpraktischen Impulsen geleiteten Wahrnehmung unseres modernen Alltags. Das Kunstwerk ist durch die Unausschöpfbarkeit seiner Deutungsmöglichkeiten charakterisiert.« (S. 465) und präsentiert damit »die Unausschöpfbarkeit jeder menschlichen Erfahrung« (S. 467). Insofern bewegt sich die Sprache der Kunst immer auf der Grenze von Bestimmtem und Unbestimmtem, »Ja, man könnte ein Kriterium für die künstlerische Kraft eines einzelnen Verses darin sehen, daß in ihm immer die Einheit des Gehegten und Ungeheuren erscheint, daß er immer die Grenze zwischen beiden ist.« (S. 48l)43 Mit anderen Worten: »Die Einheit des Schönen und Erhabenen ist zugleich die Einheit des Ungemeinen und des Allgemeinen.« (S. 510)44 Diese Bewegung zwischen Bestimmtem und Unbestimmtem läßt das Kunstwerk immer wieder ursprünglich sein, es »muß sinnlich sein, es muß zugleich sprachlich gemacht sein. So wiederholt sich in jeder Herstellung eines Kunstwerkes der Ursprung der Sprache,* (S. 485). Dies ist kein Ursprung, mit dem nur eine sukzessive Zeitreihe anfinge, obwohl dies auf das Kunstwerk als Objekt auch zutrifft, sondern derjenige, der in jedem Augenblick der Sprache wirklich ist. Aufgrund der Mißverständnisse, in die ein Denken der Sprache immer gerät, wenn es mit verstandesgemäßen Vorstellungen angesehen wird, ist weiterhin auf Unterschiede hinsichtlich der Dichtkunst hinzuweisen: »Sie muß ihre Erzeugnisse im Kampf gegen die Alltagssprache und gegen die der Wissenschaften hervorbringen. Auch sie darf nur durch und auf die Einbildungskraft wirken. Sie darf nicht formallogische Begriffe in uns erwecken, sondern unser bildnerisches Vermögen muß von ihr zur Aktualität gebracht werden.« (S. 487). Dies steht nicht im Widerspruch zu dem Satz, daß Dichtung immer zugleich bei ihrem Anderen (Alltags-, Wissenschaftssprache) sei, hebt doch die Sprache diese Widersprüche in sich auf, so wie auch den von Lauten und Formen, welche nach Humboldt Kolorit und Umriß geben, wobei an Hofmannsthals Idee des Ganzen erinnert werden kann: »Alles, was aus dem Ganzen des Menschen hervorgeht, hat die Einheit von Form und Farbe.« (S. 491) - als sprachliche Einheit, was zugleich Distinktion bedeutet. Die Formen der Kunst sind deshalb Gestalten, die zugleich 43

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Vgl. Villwock (1983) Abschnitt »Auf der Grenze. Kritische Begründung des Vernunftsinnes der Analogie«, S. 272-279. Dazu Thomasberger (l 982) »Das Erhabene«, S. 31-36.

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»in der Einheit von abstrakten sogenannten Ideen und sinnlich geschauter Wirklichkeit« leben (S. 499). Damit ist der Einspruch der Kunst gegen die abstrakte Trennung von Idee und Erscheinung nochmals betont, denn »es handelt sich bei den Gestalten der Kunst um solche Formen, deren Äußeres das Innerste der Sache selbst ist.« (S. 500). Der Anspruch auf Wahrheit, der mit dem Ausdruck des Innersten bereits begründet werden kann, läßt sich noch weiter fundieren damit, daß die Kunst »darin ihren Wahrheitscharakter (erweist), daß sie uns ermöglicht, auf dem Umwege über die Bilder mehr von der Wirklichkeit zu sehen als in der Empirie« (ebd.). Dieses Mehr zeigt sich in der sprachlich konstituierten Schönheit, »weil an ihr das Geheimnis des ganzen Prozesses hängt, weil sie, wie ein Hauch über den Dingen schwebend, nicht nur von ihnen kündet, sondern der Zeigefinger auf die Totalität der Weltbegegnung ist.« (S. 503). In Aufhebung der berühmten Hegeischen Formulierung gesagt: »das Schöne bestimmt sich als das Scheinen des sprachlichen Weltbegegnungsprozesses des Menschen.* (ebd.). Diese Schönheit, um weitere Sprachkategorien zu nennen, »liegt im Widerspruch [...] von Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit, [...] im Gleichgewicht von Form und Stoff [...] Spannung und Verschmelzung« (S. 509), »Einheit des Schönen und Erhabenen« (S. 510). Der epochale Unterschied, mit dem die Frage nach der Moderne verbunden werden muß, deutet sich schließlich doch mit dem Satz an: »es ist ein anderer Weltzustand gewesen, in dem die Sprachlichkeit der Kunst in ihrer stummen Sprache erschien, als der, der jetzt eröffnet wird, in dem sie erkannt wird.« (S. 512f.) In den folgenden Kapiteln wird die Lyrik Hofmannsthals deutlich dem letzteren Zustand zugehörig erwiesen, weshalb die Themen, welche die Kapitelüberschriften nennen, nicht zufällig Problembereiche betreffen, die alle zu denjenigen Kategorien gehören, in denen Sprachlichkeit der Kunst sich konstituiert und begriffen werden kann. Einige nennt Hofmannsthal in der schlichten Wendung eines Briefes, in der er davon spricht, anderen gegenüber die Sprache voraus zu haben, »die gefährliche und doch schöne Gabe, das vielfach Unbestimmte, das uns umschwebt, bald quälend, bald lockend, zu nennen, so daß ein anderer, der ähnlich fühlt, sich und mich verstehen kann.« (an Georg Freiherrn zu Franckenstein, 12. Juli 1900).45

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Briefe 1900-1906. Wien 1937, S. 38 (B II). 30

Zum Begriff Entsprechung Im Begriff der Entsprechung sind die bisher genannten Relationen, in denen sich Sprachlichkeit konstituiert, aufgehoben gedacht, was wieder nur heißen kann, in ihren unterschiedlichen Momenten und ihren gemeinsamen Beziehungen zugleich erhalten. Vom Begriff der Erscheinung bei Kant her ist bereits deutlich, daß mit Entsprechung hier nicht die Übereinkunft und Nichtübereinkunft eines Zweiten mit einem gegebenen Ersten gemeint sein kann, sondern die Bewegung der sich konstituierenden Vorstellung in der Spannung von Auflösung und Bestimmung, sich bestimmender Negation des Unbestimmten und Bestimmten zugleich. Sollte bei Kant das Verfahren der Versinnlichung eines Vernunftbegriffs analog hinsichtlich der Form der Reflexion sein, ist die sprachliche Entsprechung diejenige von Sprache und Kunstwerk in ihrer Sprachlichkeit. Entsprochen wird der dem menschlichen Denken notwendigen Fixierung und Offenheit zugleich, damit dem Verstand und der ihn begründenden Wirklichkeit. Indem das Gedicht als werdend und geworden erscheint, wird weder seine Bestimmtheit aufgelöst, noch die lebendige Offenheit stillgestellt. Entsprechung bedeutet die Bewegung zwischen Subjekt, Objekt und Subjekt, in der diese drei Momente zugleich entstehen und wirklich sind, wie zwischen Selbst, Gott und dem Nächsten, worin auch diese für uns Wirklichkeit erreichen. Es handelt sich um die Übertragungsbewegung, die die Metapher ist, aus dem Schweigen in das Sprechen und umgekehrt. Das Wort >Entsprechung< kann deshalb auch in seinem Wortsinn verstanden werden. Das Kriterium für die Wahrheit der Entsprechung gewinnt die Frage, ob die genannten Momente der Sprachlichkeit in ihr aufgehoben erscheinen, oder abstrakt aus ihren Relationen gelöst, womit sie auch ihre Distinktionen verlieren. In dem Sinn kann Dichtung begriffen werden als »in Zeit und Raum erscheinende Identität der Identität und Nichtidentität von Subjekt und Objekt« (Liebrucks).46 Der Begriff der Entsprechung, als Aufhebung der dargestellten Kategorien der Sprachlichkeit, schließt bei Bruno Liebrucks den Gang durch die Hegeische Logik ab; damit ist die absolute Idee oder der Mensch, als existierender Begriff, erreicht. Mit seiner Anwendung im Bruno Liebrucks (wie Anm. 32) Band 6.3 Der menschliche Begriff. Sprachliche Genesis der Logik, logische Genesis der Sprache. Frankfurt am Main und Bern 1974, S. 472.

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Bereich der Dichtkunst wird der Begriff der Entsprechung nicht einem Sondergebiet zugeordnet, sondern erweist er sich als umfangreich und komplex genug, um die erscheinende Sprachlichkeit des Menschen fassen zu können, was hier immer zugleich offenlassen bedeutet. Die Momente, die einander entsprechen, so wie Liebrucks sie im Raum der absoluten Idee nennt, wiederhole ich hier nicht, da sie mit denjenigen der Sprachlichkeit bereits genannt wurden, dennoch verweise ich auf die Ausführungen des genannten Abschnitts (Bd. 6.3, S. 581-632), da sie in größter logischer Präzision formuliert sind. Entspricht die Sprache des Gedichts somit der Bewegung und den Relationen, in denen sich unsere Vorstellungen sprachlich konstituieren, kann sie der Wirklichkeit, nicht nur der Realität, im erläuterten Sinn, entsprechen. Als Gebilde, das zugleich seine Entstehung anschaulich reflektiert, entspricht das Gedicht der Wirklichkeit menschlichen Erkennens und kann dergestalt begriffen werden. Dabei wäre es allerdings hinsichtlich meiner Thematik ein Fehlschluß, Entstehung und Gebilde mit Genese und Gestalt gleichsetzen zu wollen. Vielmehr zeigt die Genese der Fassungen eines Gedichts oftmals das umgekehrte Verhältnis, daß nämlich im Verlauf der Genese erst diejenige Gestalt erarbeitet wird, die das Verhältnis von Bestimmtheit und Offenheit ausdrücken kann, das als Entsprechung zu denken ist.

Offene Themen Einige Themenkreise sind in der vorliegenden Arbeit offen geblieben. Dazu gehören diejenigen Gedichte bis 1891, "welche in direkter, meist didaktisch gemeinter Aussage über bestimmte Probleme sprechen. Dieser belehrende Zug wird, vorwiegend in der Form des Epigramms, im gesamten lyrischen Werk zu finden sein. Ebenso nicht explizit behandelt werden einige Gedichte, die >im Volkston< und in Personifikationen Gestalten auftreten lassen. Hierher gehören »Mutter hilf mir [...]« (SW II23) und »Ballade vom kranken Kind« (II80) aus dem Dezember 1893, möglicherweise nach »Die Beiden« (I 50, 1895?) und »Der Schiffskoch, ein Gefangener, singt« (1102, August 1901). Diese Gedichte gehören wohl zu den Kunstwerken, in denen die Sprachlichkeit in stummer Sprache erscheint; Hofmannsthal nennt dies: »vages personificieren (sie) in Gestalten pressen moderne Mythenbildung ist

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die Arbeit des jungen Dichters (meine Gestalt des Todes in der Ballade vom kranken Kind)« (SW II 319, 3-5). Dem Thema wäre weiter nachzugehen, vielleicht zudem anhand der Prosaentwürfe, die hier ebenfalls nicht interpretiert wurden. Dies sind vor allem »Idyllen« (II 123ff.; 1897), »Verse zum Ged(ächtnis) der Kaiserin« (II142; 1898), »Der Frohe und der Schwermütige« (II 170; 1901-1917), »Dämon von außen Dämon von innen« (II 179; 1912) und »Lebenspyramide« (II 181; 1912). Sie wären, als Skizzen in Prosa mit gelegentlich auftretenden Versen, in ihrer eigenen Sprachlichkeit, nicht nur als Vorarbeiten, zu untersuchen. Nicht ausführlich interpretiert werden weiterhin die Gedichte aus dem Jahr 1899, die auf »Des Knaben Wunderhorn« zurückgehen (vgl. I 94ff.; II 145f.)47 bzw. auf Gedichte von Browning (I 99) und Verlaine (II 148). Diese explizite Aufnahme von vorhandenen Kunstwerken bedürfte einer eigenen Darstellung; der Umgang mit >Quellen< wird sonst jeweils bei der Interpretation eines Gedichts in seiner je besonderen Weise erörtert. Dabei läßt sich zeigen, daß die Aufnahme von Überliefertem in das eigene sprachliche Gefüge einen jeweils unterschiedlich zu bestimmenden Sinn hat und nicht dem Verdikt verfallen muß, bloßer >Wortprunk< zu sein. Da der Sinn von Bildern und Wendungen nur unter Berücksichtigung des gesamten sprachlichen Bedeutungszusammenhangs eines Gedichts begreifbar werden kann, habe ich darauf verzichtet, scheinbare Parallelen aus Dramen und Prosatexten heranzuziehen. Wenn auch Hofmannsthal einige Wendungen in verschiedene Kontexte mehrfach aufnahm, wäre die Bedeutung immer erst mit der Untersuchung der sich im jeweiligen Zusammenhang konstituierenden Sprachlichkeit zu erreichen. Insofern stellt die vorliegende Arbeit insgesamt einen ersten Versuch dar, der nicht nur zum ersten Mal mit dem Gesamtkorpus des lyrischen Werkes Hofmannsthals arbeiten kann, sondern der mit der Frage nach dessen sprachlicher Bedeutung, im oben entwickelten Sinn, bemüht ist zu begreifen, welche besonderen Erkenntnisse die Wahrnehmung dieses Werkes eröffnen kann. Das Gespräch mit der vorliegenden Forschung

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Dazu die Aufsätze von Leonard Forster, Hofmannsthals Art of Lyric Concentration. In: German Studies. Presented to Walter Horace Bruford. London 1962, S. 218-234; Heinz Rölleke, Hugo von Hofmannsthal und »Des Knaben Wunderhorn«. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1976, S. (439)-453; Martin Stern, Zu Hofmannsthals »Drei kleinen Liedern«. Hofmannsthal-Blätter 15,1976, S. 113-128. 33

fasse ich hier nicht einleitend zusammen, sondern führe es in bezug auf die jeweilige Stelle in den Anmerkungen zu den folgenden Kapiteln. Die interpretierten Fassungen des Textes der Hauptbeispiele sind nach jedem Kapitel eingefügt. Um des besseren Überblicks willen gebe ich diese Fassungen ganz, und nicht, wie in der Kritischen Ausgabe, lemmatisiert auf den Textteil hin. Die hier gedruckten Texte wurden an den Handschriften überprüft und bieten diese vollständig. Die Verse sind einfach durchgezählt, wenn m. E. eine eigene Fassung vorliegt; Streichungen sind mit runden Klammern gekennzeichnet. Die Frage der Ersetzung ungestrichener Stellen wird bei der Interpretation erörtert. Ist eine Abfolge von Ersetzungen bestimmbar, wird sie mit (1), (2), etc. gegenüber der ersetzten Stelle gestuft, unsicher entzifferte Buchstaben sind unterpunktet, nicht entzifferte durch möglichst ebensoviele vertreten. Eventuell bei der interpretatorischen Arbeit gefundene Neulesungen gegenüber der Kritischen Ausgabe und dort nicht aufgenommene Textabschnitte sind in Anmerkungen genannt. Der Ort des jeweiligen Textes in den Bänden der Kritischen Ausgabe ist angegeben. Die übrigen Informationen zu den Handschriften (Eigentümer, Aufbewahrungsort, Beschreibung) sind im Apparat dieser Bände (»Überlieferung«) verzeichnet. Für die freundlich gegebene Genehmigung, die Texte in der vorliegenden Form abdrucken zu dürfen, danke ich Herrn Dr. Rudolf Hirsch sehr herzlich. Ebenso danke ich den Handschrifteneigentümern, dem Freien Deutschen Hochstift (Frankfurt am Main), dem Stefan George-Archiv (Stuttgart), dem Deutschen Literaturarchiv (Marbach am Neckar), der Houghton Library (Cambridge, Massachusetts) und der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien).

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I Die Frage nach dem möglichen Gedicht

Die frühesten lyrischen Versuche Hofmannsthals aus der Zeit vom Winter 1887/88 bis zum Oktober 1891 stellen mit etwa 90 Gedichten und Ansätzen zu Gedichten mehr als ein Viertel des lyrischen Gesamtwerkes, um 350 Texte, dar. Neben Übersetzungen - Lukrez, 1887/88; Chenier, vmtl. 1888- treten Formen, Inhalte und eine Wortwahl auf, die, neben weitgehender Abhängigkeit von Vorbildern aus der Dichtung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Gestaltungsweisen, Problemstellungen und Wendungen erkennen lassen, die im weiteren Verlauf der Werkgeschichte das Besondere dieser Lyrik ausmachen werden. Auf sie werde ich gelegentlich der folgenden Interpretationen zurückkommen, da eine allgemeine Zusammenfassung die Gestaltungsweise des einzelnen Gedichts zu wenig berücksichtigen kann und die jeweilige Wendung ihre Bedeutung nur im Kontext des jeweiligen Gedichtes gewinnt. Dennoch ist es möglich, die Mehrzahl der frühen Gedichte dadurch zu charakterisieren, daß sie ihre Thematik unvermittelt aussprechen, eine Sprachgestaltung, die dem Inhalt entspräche und darum erst den Schritt von der Alltagssprache zur poetischen Sprache vollzöge, nur ansatzweise vorliegt. Dies begründet sich in der ebenso hinsichtlich der Inhalte wie der Sprachformen weitgehend bestehenden unvermittelten Abhängigkeit von Vorgegebenem. Gerade damit aber stellt sich ein grundlegendes Problem, das die dichterische Arbeit immer begleitet, und bei Hofmannsthal durchgängig begleiten wird, das aber schon und mit Dringlichkeit in der frühen Zeit auftritt: die Frage nach der möglichen Objektivierbarkeit des Eigenen, welche wiederum die Frage einschließt nach der Gültigkeit der Gestalt, in der das unmittelbar ungreifbare Eigene in Erscheinung treten soll.1 Die damit ver1

Zum Begriff Erscheinung s. Einleitung, S. 14ff. Die meisten Anmerkungen zu diesem Kapitel geben Parallelstellen aus der Zeit von 1887/88 bis Ende 1891, um die für diesen ersten Abschnitt der Hofmannsthalschen Lyrik charakteristische Wortwahl sowie die sich entwickelnde Bedeu-

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bundenen Fragen nach der Möglichkeit eines lebendigen Gebrauchs der Sprache, nach der Situation des passiven Erben, nach dem Gestaltenkönnen und Festhalten, ohne von vorneherein der Entfremdung zu unterliegen, werden in den frühen Gedichten ausgesprochen, ohne schon konsumtiv für die gesamte Sprachgestalt des Gedichts zu sein.2 In dieser Hinsicht bedeutet der Winter 1891, die Begegnung mit Stefan George und der im Zusammenhang damit wohl anzusetzende Einfluß des französischen Symbolismus, einen deutlichen Schritt im lyrischen Schaffen Hofmannsthals, der m. E. die oben genannte Einteilung rechtfertigt. Die Änderungen der lyrischen Sprache, die sich von der Zeit vor dem Dezember 1891 bis gegen Ende dieses Monats vollziehen, wird die Interpretation der Fassungen des Gedichts »Wolken« deutlich werden lassen (Kapitel II). Zunächst gehe ich auf »Siehst du die Stadt?« und die erste Fassung davon, »Es schläft die Stadt«, ein, da dieses Gedicht, entstanden im Oktober 1891, zugleich typisch für die genannte frühe Werkphase, wie herausragend in seiner Sprachgestaltung, im Sinne des genannten Grundproblems, ist.3 Charakteristisch für Hofmannsthals lyrische Sprache ist die metrische Form der beiden Fassungen, der fünfhebige Jambus, der im Gesamtwerk der Gedichte überwiegen wird und der in mehr als zwanzig dieser ersten neunzig Gedichte bereits auftritt. Für die Arbeitsweise ebenso charakteristisch ist, daß dieser Vers von Anfang an und auch angesichts aller Änderungen verwandt wird. Hatte Hofmannsthal in der Zeit um 1888 balladenartige Formen in trochäischen oder jambischen Maßen versucht, 1889 und 1890 zudem einige Gedichte in Hexametern oder Distichen geschrieben, erprobte er 1890 und 1891, unter dem Einfluß beispielsweise von Lenau, Eichendorff, Platen

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tung bestimmter Worte im Werkkontext zu belegen. Dies kann nur zum Teil als exemplarisches Verfahren vorgestellt werden, da für die Gedichte von 1892 an zwar ebenfalls eine große Anzahl von Parallelstellen- über Gattungsgrenzen hinweg - zu nennen wäre, diese Hinweise dann aber gegenüber der Eigenbedeutung im jeweiligen Gedicht an Gewicht verlieren. Die hier vorgenommene Auflistung der Wortbedeutungen entspricht somit dem suchenden Charakter dieser frühesten Werkphase. Zum Begriff Sprachlichkeit s. Einleitung, S. 21ff. Diese Sonderstellung des Gedichts hebt auch Werner Derungs, Form und Weltbild der Gedichte Hugo von Hofmannsthals in ihrer Entwicklung. Zürich 1960, hervor: »Es sticht nicht nur durch die Klarheit seiner Thematik und Durchführung hervor aus den anderen dieses Jahres, sondern auch durch seinen äusseren Bau« (S. 13).

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und Rückert, die Gedichtformen des Gkasels und des Sonetts bis hin zu Zyklen von sieben Ghaselen und ebensovielen Sonetten. Diesen übernommenen Formen gegenüber verläßt die Form der hier untersuchten beiden Gedichtfassungen zwar nicht das traditionell Vorgegebene, ist aber mit dem fünfhebigen jambischen Metrum, der vierzeiligen Strophe und dem Kreuzreim relativ wenig vorbestimmt und läßt somit Raum für das Bestreben, einen eigenen Ton zu erreichen. Das Ideal des >eigenen Tones< nennt Hoffmannsthal in dem Vortrag »Poesie und Leben« (1896): »Der eigene Ton ist alles; wer den nicht hält, begibt sich der inneren Freiheit, die erst das Werk möglich machen kann. Der Mutigste und Stärkste ist der, der seine Worte am freiesten zu stellen vermag; denn es ist nichts so schwer, als sie aus ihren festen, falschen Verbindungen zu reißen. Eine neue und kühne Verbindung von Worten ist das wundervollste Geschenk für die Seelen und nichts Geringeres als ein Standbild des Knaben Antinous oder eine große gewölbte Pforte.«4 und in seiner Besprechung der »Gedichte von Stefan George« (1896), wenn er feststellt, »daß die in Rede stehenden Gedichte einen eigenen Ton haben, was in der Poesie und mutatis mutandis in allen Künsten das einzige ist, worauf es ankommt und wodurch sich das Etwas vom Nichts, das Wesentliche vom Scheinhaften, das Lebensfähige vom Totgeborenen unterscheidet.« Zur näheren Bestimmung des Gemeinten zitiert er Walter Pater: »>Es ist Stil darin. Ein Geist hat das Ganze bestimmt; und alles, was Stil hat, was in einer Weise gearbeitet ist, wie kein anderer Mensch, keine andere Zeit es hätte hervorbringen können und wie es mit dem wahrsten Bemühen nicht wieder fertigzubringen wäre, hat seinen wahren Wert.«5 Der eigene Ton wäre demnach mit einer, eingedenk aller Abhängigkeiten vom Vorhandenen, autonomen Gestaltung auf allen Ebenen der Sprache zu erreichen und könnte als der entsprechende Ausdruck6 des sonst nur sogenannten Eigenen gelten.7 Inwieweit dies gelingt, kann nur angesichts der gesam4

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Hugo von Hofmannsthal, Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze I. Frankfurt am Main 1979, S. 17. RuAI, S. 214. Zum Begriff Entsprechung s. Einleitung, S. 31 ff.. Hofmannsthal nimmt aus der umfangreichen Bedeutungsgeschichte des Wortes »Ton« (vgl. DWB, Band 21, Sp. 681-751) nicht nur die Zuordnung zu einer bestimmten Person und den technischen Ausdruck der Minnesänger und Meistersinger auf, sondern sowohl die Bedeutungserweiterung zu »Ausdruck und Inhalt einer Rede«, die die Gleichsetzung mit »Stil« erlaubt, wie den Aspekt der

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ten Sprachgestalt des Gedichts beurteilt werden, die im Fassungsvergleich zur Darstellung kommen soll. Die Frage, die »Siehst du die Stadt« in beiden Fassungen eröffnet, bringt Distanz und Nähe zugleich zum Ausdruck. Das »da drüben« Ruhende soll durch sie in den Blick genommen werden. Die Hinsicht richtet sich auf die Qualität des Ruhens (»wie«) und zugleich, was vom Gedicht als Ganzem her erst sichtbar wird, auf die des Sehens. Zu beiden Qualitäten trägt die leicht angedeutete Personifikation* des zweiten Verses mit der deutenden Aufnahme der Bewegung des Schmiegens und der Äußerung des Flüsterns' Differenzierungen bei. Mit dem dritten Vers ändert sich die Wahrnehmungsrichtung von der Horizontalen zur Vertikalen - ich folge zunächst der ersten Fassung -: der Mond »gießt [...] die weiche Strahlenfluth / Auf sie herab in schimmernd (kühler) feuchter Pracht.« Das natürliche Bild der Mondesstrahlen, wozu auch das Adjektiv »schimmernd« noch gehört, wird metaphorisch in den Bereich des Fließenden übertragen10 mit den Wendungen »gießt«, »-fluth« und »feuchter«, wodurch das Sichtbare um ein taktil Fühlbares erweitert wird, dazu gehört auch das Adjektiv »weiche«. Das Bild, das die erste Strophe evoziert, entsteht somit aus zwei Hauptbewegungen der Wahrnehmung, der horizontalen und der vertikalen,11

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Vermittlung von Überliefertem und Neuem, Einzelnem und Allgemeinem, Individuellem und Gesellschaftlichem. Das Wort kann deshalb in einem Umfang gedeutet werden, der von den Grundbedeutungen »Schall« bzw. »Melodie« (a.a.O., Sp. 681) bis zu den philosophisch-poetologischen Bemühungen Hölderlins um eine >Lehre vom Wechsel der Töne< reicht (vgl. dazu in meinem Buch »Von der Poesie der Sprache«, Frankfurt am Main, Bern 1982, S. 231). Personifikationen werden ebenfalls versucht in »Die Brautwerbung in Byzanz« II 14, Vers 1-15 und Vorstufen zu Vers 1-12 (II 206) sowie »Wo wir einander gefunden [...]« II19, Vers 10-12. »Flüstern« als leises, aber artikuliertes Sichäußern an folgenden Stellen: »Ein Reiter sprengt [...]«II10, Vers 21 »Nachtlüftchen flüstern«, »Ideen zu Gedichten« II 67 »Stadt, flüsternder tausend Seelen«, »Einem, der vorübergeht« II 60, Vers 4 »der [..·] flüsternde Wind« (auch II 283), »Vorfrühling« I 26, Vers 22 »flüsternde Zimmer«, »Leben« I 28, Vers 17-22 »flüstern, die Dryaden« (auch I 168), »Psyche« I 33, Vers 49 »Den flüsternden [...] Teich« und »Melusine« I 36, Vers 2lf. »der Waldfrauen / flüsternde Schar«. »Silberflut« für das Mondlicht ebenfalls in »Ein Reiter sprengt [...]« II 9, Vers 19 »Durch klaffende Sprünge die Silberflut bricht«. Diese beiden Richtungen sowie die Übereinstimmungen in Rhythmus und Klang erinnern das Gedicht Goethes: »Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, / Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, [...]« (»Mignon«, Goethe, Berliner Ausgabe, Band I, Berlin 1976, S. 111). 38

die qualifiziert werden durch den Einbezug von hörbaren (»flüsternd«) und sichtbaren (»schimmernd«) sowie in der Distanz der Metapher gehaltenen fühlbaren (»weiche«, »feuchter«) Eigenschaften. Der mit der Frage des Anfangs hervorgerufene Bezug bleibt allerdings bisher problematisch, da das Bild der im Mondlicht ruhenden Stadt in sich geschlossen dem Betrachter gegenüber bleibt (»da drüben«). Dies ändert sich mit dem ersten Vers der zweiten Strophe, da nun durch das »her« gewehte »Athmen« eine Verbindung genannt wird. »Der laue Nachtwind« deutet auf den Charakter dieser Bezug herstellenden Bewegung: das Wort »lau« gehört dem Bereich des aufkommenden Lebens, das sich aus Erstarrungen befreit, zu,12 der »Nachtwind« erscheint hier bereits in der Bedeutung des Verbindungstiftenden, die er im künftigen Werk immer wieder haben wird.13 Wie im ersten Vers der Blick nach »drüben« gerichtet war, so kommt nun das Geräusch des »Athmen(s)« von dort her, und wie im zweiten Vers qualifiziert sich auch im sechsten die Wahrnehmung, hier allerdings zur Undeutlichkeit hin: »So geisterhaft, verlöschend leisen Klang.«. Das scheinbar deutliche Bild der ersten Strophe erweist sich bei näherer Beachtung des Bezuges als nahezu inkommensurabel (»geisterhaft«) und am äußersten Rand des Wahrnehmbaren befindlich (»verlöschend leise(n)«). Die personifizierte Stadt erhält im Vers 7 weitere Eigenschaften, die ihre Gestalt als menschliche erscheinen lassen. Ihre bisherigen Tätigkeiten, »schmieget« und »Athmen«, erweitern sich um das »weint« und den »Traum«, ihr Atmen wird deutend charakterisiert als

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Die Entsprechungen, die Paul Requadt, Die Bildersprache der deutschen Italiendichtung von Goethe bis Beim, Bern 1962, mit Eicheudorffs Gedicht »Die Heimat« sieht, finden sich auf weitaus weniger Ebenen der Sprachgestaltung: »Denkst du des Schlosses noch auf stiller Höh?« (S. 217). Die meisten der folgenden Belegstellen haben das Won »lau« im Zusammenhang mit dem Aufleben im Frühling gegenüber der winterlichen Erstarrung: »Ein Reiter sprengt [···]« II 202, Vorstufe zu Vers 17 »lind und lau«, »Verheissung« II 30, Vers 5 »laue Mahnung«, II 230 »lauer Hauch«, »Vorgefühl« II 43, Vers 10 »Der Mond zieht laue Kreise« (II 246, Vorstufen zu Vers 10-12), Vers 23 »Zukunft lauer Duft« (II 247 Vorstufe dazu), »Blüthenreife« II 54, Vers 5 »lauen Regen«, »Sonne« II 57, Vers 4 »jung und lau«, »Einem, der vorübergeht« II 282 »lauen«, 283 »berauschend und lau«, »Mein Garten« I 20, Vers 12 »feucht und lau« (I 136, Vorstufe zu Vers 12), »Wolken« 1146, 6 u. 20 »Luft die laue«. VgL Eckhart Krämer, Die Metaphorik in Hugo von Hofmannsthals Lyrik und ihr Verhältnis zum modernen Gedicht. Marburg 1963, S. 208-210, auf Parallelen weist hin: Rolf Tarot, Hugo von Hofmannsthal - Daseinsformen und dichterische Struktur. Tübingen 1970, S. 388f.

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»tief und schwer«. Dadurch erscheint das Wahrzunehmende, die personifizierte Stadt, als nicht nur des Traumes fähig, sondern zugleich als Ausdruck einer bisher unerkennbaren, aber als sorgenvoll sich andeutenden Problematik, deren ungreifbare Mehrdeutigkeit mit den Eigenschaften des Lispeins in Vers 8 ihren Ausdruck findet. Dieses erscheint ebenso »rätselvoll« wie »verlockend« und »bang«, wodurch sich ein Verhältnis zu dem Wahrzunehmenden charakterisiert, das in der Ambivalenz von Anziehung und Abstoßung besteht, wie sie in den Deutungen des Wahrgenommenen in den Versen 7 und 8 ihren Ausdruck findet. Im ersten, gestrichenen Ansatz zur dritten Strophe dieser Fassung sollten die Bereiche des Hörbaren und des Sichtbaren deutlicher wahrnehmbar werden, indem sich von dem »verworrenen) Murmeln« unterscheiden sollte »ein Laut« und in dem »blaue(n) Dunkel« sichtbar werden »ein Schein«. Diese abstrakte Differenzierung des diffusen Allgemeinen und des distinkten Einzelnen ersetzte Hofmannsthal mit einer Strophe, die erst die Distanz betonend einsetzt (»Da drüben«, wieder aufgenommen aus Vers 1), um dann das zunächst ununterscheidbare »blaue Dunkel« näher zu qualifizieren. Das Bild der personifizierten Stadt wird zugunsten von Wahrnehmungen der Realität verlassen, die als sichtbare Bewegung (»(zuckt) (loht) glimmt«) Ausdruck von »Wollust« sein sollen, metaphorisch genannt mit dem Wort »Phosphorglut« (aus »(glänz)« und »(schein)«),14 realistisch angedeutet zunächst mit dem Vers 11: »Da zuckts umschlungen stammelnd schwindelnd roth«, dann mit der ambivalenten Wendung: »Da schäumt das Blut, da schäumt das heiße Blut«, die den Bereich der »Wollust« nicht mehr von dem tödlicher Gewalt unterscheiden läßt.15 Deutet man den erneuten Einsatz - im Unterschied zu SW II - mit »Da drüben« 14

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Die Änderung ergibt sich aus der Zuordnung von »Glut« und »Glanz« zu deutlich unterscheidbaren Bereichen im Werkkontext, vgl. dazu Anm. 24. Die Nähe oder Überschneidung beider Bereiche zeigt sich mit Wendungen, die nahezu austauschbar erscheinen: »Ein stummer Todesschrei« (»Der starke Herr, [...]« II 37, Vers 32), »Ein stummer Wonneschrei« (»Vorgefühl« II 43, Vers 20; »Ich fühl es [...]« II 55, Vers 3). Deutlich wird die Komplementarität in »Gedankenspuk« II 34, Vers 66 »Die Lebenswelle, die Todeswelle« (auch II 234, Vorstufen zu den Versen 66-70). Requadt spricht von einer »Identifikation von Tod und Leben«, die »die äußerste Gefährdung in sich (schließt), welcher Kunst sich aussetzen muß, um nach Hofmannsthals Sinn Kunst zu sein« (a.a.O., S. 218). Dieses mit dem Tod identische Leben sei es, »in dem alles durch Form Gesicherte an seine Grenze stößt« (ebd., S. 219).

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nun nicht als Ersetzung der Verse 9 bis 12 der Fassung »Es schläft die Stadt« sondern als Erweiterung, dann läßt sich von einer vierten Strophe (Verse 13-16) sprechen, die weitere Inhalte nennt. Dem bisher beschriebenen Körperlichen treten nun in erneuter Personifikation geistige Bereiche hinzu, die »Phantasie« (ansatzweise vielleicht gemeint »der (freie) Wille«?), deren Bewegung als »taumel(n)« und »fort(werfen)« der »Ketten« beschrieben wird, nachdem sie zuvor in »tausend Herzen« gefangen war, und der Gegenbereich der »Feigheit«, der in Vers 15 genannt wird, um schließlich im Vers 16 das Ziel der befreiten Phantasie, das »trunkne(n) Wort« zu erreichen, das sich - ganz im Sinn der Tradition - dem »(b)ackchantisch(en)« Taumel verdankt.14 Die Bewegung der so gedeuteten Strophen 3 und 4 dürfte als durch die folgenden beiden Strophen ersetzt zu betrachten sein. Erneut beginnt die erste mit »Da drüben«; hier jedoch ist keine Erweiterung der bisher genannten Wahrnehmungsbereiche feststellbar, sondern eine wiederaufnehmende Neuformulierung bisher schon vorhandener Themen. Das »da drüben« sich Ereignende erscheint verhaltener als: »regt sich jetzt die Leidenschaft« und wird auf einen Beweggrund zurückgeführt: »Vom blauen Strom der Nacht emporgespült«17 (das zunächst verwandte »emporgewühlt« dürfte zugunsten der Konsistenz des Bildes ersetzt worden sein). Die Äußerungen der nun genannten »Leidenschaft« kommen mit der pars pro toto hervorhebenden Wendung »die Adern schwellen« sowie der außergewöhnlichen Zusammenstellung »es kreischt die Kraft«18 zum Ausdruck, wobei die »Kraft« die Stelle der »Phantasie« aus Vers 13 einnimmt, da auch sie »bei Tag ins Herz zum Schlaf gewühlt« war. Hinzu kommt der Aspekt des Unterschiedes

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Aufnahmen vorgegebener Vorstellungen zum Thema »Bacchanal« ebenfalls in: »Der starke Herr [...]« II 38, Vers 67 »bacchantischen Schalls« und II 240, Vorstufe zu Vers 66 »bacchischem Chor«, »Gedankenspuk« II 34, Vers 43 »Bacchanal von Gespenstern«, »Zukunftsmusik« II 263, Vorstufe zu Vers 10 »in bachisch(em) Rausche«, »Es schläft das Gute [...]« II 64, Vers 13 »Backchisch taumelnd«; mit der distanzierenden Form des Vergleichs in »Die Töchter der Gärtnerin« I 22, Vers 9 »Ein duftend Bacchanal [...]« wird die Bezugnahme auf Tradiertes im Gedicht explizit und damit eine reflektiertere Stufe des Bezugs, als die unmittelbare Aufnahme der früheren Beispiele erreicht. Der Beweggrund als überendlicher wird mit dem Adjektiv »blauen« angedeutet. Vgl. dazu die Darstellung der Bedeutungsmöglichkeiten des »Blau« in Hofmannsthals Lyrik im folgenden Kapitel. Eine ähnliche Wendung in »Der starke Herr« II 38, Vers 41 »Die Kraft schrie auf«. 41

zum »Tag« und die Veränderung von einem Akt der Befreiung (»(wirft) die Ketten fort«) zu einem des Erwachens. Dieser Tendenz zur verhalteneren Formulierung entspricht die distanzierende Rede von »dem fernen Riesenbackchanal« (»fernen« aus »ungeheuren«), das nicht mehr realistisch beschrieben erscheint, wie in den Versen 9 bis 16. Der Bezug zu einem Wahrnehmenden verundeutlicht sich wieder, auch in der Änderung des folgenden Verses von »Dringt wie ein leises Murmeln an dein Ohr« zu dem allgemeineren und unbestimmteren »ein verworrnes Murmeln durch die Nacht«. Der nebeneinander und in nur undeutlichem Bezug bestehende Unterschied von wahrnehmbarer Erscheinung und Realität wird mit den beiden letzten Versen hart gesetzt: »Es schläft die Stadt. Es wacht der Rausch die Qual / Der Hass, der Geist, das Blut. Das Leben wacht«, wobei die Gegenüberstellung auch syntaktisch betont erscheint, wenn Hofmannsthal das zunächst erwogene »Doch« nach dem ersten Satz streicht. Zwischen die Erscheinung (»Es schläft die Stadt«) und die innere Realität (»Das Leben wacht«) sind die Elemente des Lebens19 gefügt, die sich als unterschiedliche Qualitäten erweisen: »Rausch [...] Qual [...] Hass [...] Geist [...] Blut«, wobei deren Unfaßbarkeit im ruhigen Bild der schlafenden Stadt eben durch den Gegensatz des wach vorhandenen Lebens sich andeutet, aber im Unbestimmten (»verworrnes Murmeln«) und Allgemeinen bleibt (»durch die Nacht«). Das Thema der Faßbarkeit des Lebens im Bild deutet sich bereits im Vers 16 an, wenn noch konventionell davon die Rede ist, daß die sich befreiende Phantasie »uns« »Backchantisch krönt [...] im trunknen Wort«. Die Möglichkeit des »trunknen Wort(es)« begründet sich in der Befreiung von überkommenen Erstarrungen (»(wirft) die (Kleider ab) Ketten fort«), die im Bereich des bacchantisch-dionysischen Taumels angesiedelt wird und damit in ihrer Gestaltung selbst auf eine traditionelle Vorstellung zurückgreift. Dies kann einer der Gründe dafür sein, 19

Angesichts dieser Stelle kann nicht schon von dem Lebensbegriff Hofmannsthals im Ganzen gesprochen werden, vielmehr bietet sie einige Momente, die diesen Begriff, der sich mit dem Werk entwickelt, gemeinsam mit anderen konstituieren und Differenzierungen ermöglichen. Die Verschiedenes einbegreifende Lebendigkeit, die hier dem ruhenden Äußeren gegenüber dargestellt wird, ist allerdings ein möglicher Ausdruck des »Lebenspathos«, von dem Wolfdietrich Rasch spricht (»Aspekte der deutschen Literatur um 1900«, in: Zur deutschen Literatur seit der Jahrhundertwende. Stuttgart 1967, S. 18). Zu Hofmannsthals Idee des Lebens s. Einleitung, S. llf..

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daß hier der Selbstbezug des »trunknen Wort(es)« auf das Gedicht zwar nennend angedeutet, aber nicht sprachlich eingelöst erscheint. Die Wiederaufnahme in den Versen 17 bis 24 betont deutlicher die Distanz zwischen Wahrnehmung und Wahrgenommenem, benennt dieses mit abstrakteren Wendungen und erweitert das Bedeutungsgefüge um den Bereich des Beweggrundes (Vers 18) und die, allerdings ebenfalls der überlieferten Entgegensetzung entsprechende, Unterscheidung von »bei Tag« und »jetzt [...] der Nacht«, wobei in Umkehrung die konventionelle Unterdrückung der lebendigen Kraft bei Tag als »Schlaf« und ihre nächtliche Befreiung als Erwachen gedeutet wird. Auch jetzt ist die Rede von einem »fernen Riesenbackchanal«, somit einer nicht nur in dieser Situation, sondern auch historisch entfernten und künstlerisch überlieferten Vorstellung, die nicht in eigener Sprache artikuliert werden, sondern nur als »ein verworrnes Murmeln durch die Nacht« dringen kann. Die Selbstdeutung des Bildes, das in den ersten beiden Strophen gegeben ist und das ebenso die Verse 9 bis 16 wie die Verse 17 bis 24 zugunsten der Auslegung verlassen, bleibt auch in den Versen 23 und 24 sprachlich uneingelöst, da lediglich der Gegensatz (»schläft« - »wacht«) genannt, nicht aber die Möglichkeit einer Vermittlung erreicht wird. Das damit sich stellende Problem ist die Frage, ob die äußere Erscheinung als entsprechender Ausdruck des vieldeutigen inneren Lebens überhaupt geeignet sei, oder ob diese Unvermitteltheit unumgänglich bestehe. Auf ein komplementäres Moment hinsichtlich des Sichausdrückenkönnens deutet im Zusammenhang der Verse 13 bis 16 die in Vers 15 auftretende »Feigheit« hin, gegen die sich die Bewegung der Phantasie mit einem »Doch jauchzend« durchsetzen sollte.20 Dieses einen Entscheidungspunkt in der Sprachbewegung andeutende »doch« wird im Vers 23 zwischen »Stadt« und »Leben« gesetzt, aber wieder gestrichen (s.o.), und erlangt im Vers 11 der Fassung »Siehst du die Stadt?« entscheidende Bedeutung. Bei dieser Fassung - der ich nun folge - fällt die Änderung in den Versen 3 und 4 zunächst auf. Die Metapher des Mondlichtes »die wei-

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Dem Verhältnis von Phantasie und Feigheit entspricht in »Gedankenspuk« (II 33) das von Kunst und Handwerk, das mit dem homerischen Mythos von »Chans« und »Hephästos« dargestellt wird (Vers 16-23). In der Bildlichkeit von »heißem) Wein« und »kühle(m) Becher« erscheint es in den Entwürfen zu den Versen 11-14 von »Sunt animae rerum« (II 222f.). Das Problem des Haltenkönnens des Lebendigen stelle ich in Kapitel II dar.

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ehe Strahlenfluth [...] in schimmernd (kühler) feuchter Pracht« wird in Vers 3 konzentriert zu »der (Silberstrahlen) Silberseide Flut«, wobei die letzte Wendung die Momente des Sichtbaren und des Fühlbaren in knappster Form ausdrückt. Die Konzentration erlaubt somit zugleich eine Bedeutungserweiterung, indem Bereiche aufgenommen werden, die in der ausführlicheren und meist konventionelleren Formulierung nicht enthalten waren. Hier tritt nun auch noch das Adjektiv »zauberisch(er)« in Vers 4 hinzu, das die jetzt in dem Wort »Silberseide« versammelten Bedeutungsaspekte »schimmernd feucht(er)« ablöst und damit nicht nur einen weiteren Bereich hinzufügt, sondern die Konsistenz des mit der ersten Strophe gegebenen Bildes in der Hinsicht erhöht, daß das in sich Ruhende der Erscheinung als vieldeutig und ebenso anziehend wie inkommensurabel qualifiziert wird. Der lebendige Bezug zwischen Wahrnehmendem und Erscheinung bleibt in der sprachlichen Gestaltung der zweiten Strophe von »Siehst du die Stadt?« der ersten Fassung gleich; die beiden gestrichenen Verben »flüstert« (Vers 7 und 8) können für die Interpretation vernachlässigt werden, da ihre Streichung und Ersetzung durch das schon vorhandene »athmet« bzw. »lispelt« nicht mehr andeuten, als daß »Flüstern« seinen Ort in der ersten und letzten Strophe hat, während die Artikulation der Erscheinung, an dieser Stelle des Gedichts, im Undeutlichen gehalten bleibt: die Tätigkeiten »athmet« (Vers 7) und »lispelt« (Vers 8) bezeichnen die erscheinende Stadt als zwar wahrnehmbar, aber unverständlich. So charakterisiert sie auch der Beginn der nun gänzlich neuen dritten Strophe, wo von der »dunkle(n) Stadt« (Vers 9) die Rede ist. In symmetrischer Entsprechung zur ersten Strophe - was auch für die Reime »Pracht / Nacht« gilt - erfolgt nun mit den Versen 9 und 10 die Antwort auf die Frage der Verse l und 2. Die Stadt erscheint als Chiffre des eigenen Lebens, sie wird als ruhend im eigenen Lebensmittelpunkt ausgesagt.21 - Der Begriff »Chiffre« läßt sich an dieser Stelle soweit bestimmen, daß das verwandte Wort oder die Wendung seine bzw. ihre Bedeutung im Zusammenhang des

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Das Herz als On des Unbewußten auch in »Sünde des Lebens« 115, Vers 41 »Im Herzen [...] das träumende Streben« (zuvor »(1) unklare (2) dämmernde« I 127, 20) und »Künstlerweihe« II 48, Vers 2 »bergen scheu, was wir im Herzen hegen«. - Die Vorstellung eines im Inneren Schlafenden: »Denkmal-Legende« I 12, Vers 19 »was in mir schläft« und »Es schläft das Gute in uns [...]« II 64, Vers l und Vers 8: »Es schläft das Schlechte in uns«.

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Gedichts hat, ohne daß diese auch aus Traditionen ableitbar oder mit anderen Worten vollständig faßbar wäre. Die Chiffre ist dabei auch eine deutliche Setzung, die als solche erscheint und damit auf ihren Versuchscharakter selbst verweist. Die Bedeutung, die sich über die Vorstellungen einstellt, die das jeweilige Wort (z. B. »Stadt«) für sich weckt, wird zwar nicht ausgeschlossen, kann aber die Bedeutung im Gedicht nur ergänzen.22 - Die distanzierte und als ungreifbares Bild evozierte Erscheinung der ersten Strophe sowie die Verbindung zu ihr, die in der zweiten Strophe in ihren ambivalenten Eigenschaften, aber letztlich in ihrer Undeutbarkeit erschien, wird jetzt in das eigene Innere gewendet, womit sich als Problemstellung des Gedichts die Frage nach der Möglichkeit zeigt, das eigene, unmittelbar unbegreifliche Leben in einer Erscheinung anschaulich und damit für das Bewußtsein wirklich werden zu lassen. Daß die Wendung »dunkle Stadt« als Chiffre des eigenen Lebens zu deuten ist, wird klarer erkennbar unter Berücksichtigung der ersten Fassung, wo zunächst die »Phantasie« (Vers 13), dann die »Kraft« (Vers 19) als im Herzen ruhend dargestellt wurde. Die bacchantische Bewegung der Befreiung bzw. des Erwachens mit ihrer ebenso konventionellen wie scheinbar realistischen Bildlichkeit der ersten Fassung erscheint nun in den beiden letzten Versen »Gedämpft« (Vers 12), nachdem die mehrdeutigen Qualitäten des Lebens im Vers 10 konzentriert wurden. Die formelhafte Wendung »Glanz und Glut«23 bringt die Spannung und Gleichzeitigkeit eines von Oben und eines von Unten Kommenden in knapper Form zum Ausdruck: »Glanz« steht auch für das himmlische Licht, während »Glut« den unbewußten Bereich benennt;24 hier wirkt zudem nachdrücklich der Vokalklang 22

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Vgl. zum Thema und zu Hofmannsthals Darstellung im »Gespräch über Gedichte« die Ausführungen von Krämer, a.a.O., S. 197-206. In dieser formelhaften Zusammenstellung noch in »Blüthenreife« II 54, Vers 12 und 20 »Glut und Glanz und Duft«. »Glut« als »glosende(r), flammenlose(r) brand« von »hohe(r) temperatur« (DWB Band 8 Spalte 482ff.) findet »übertragene anwendung auf das seelische leben« (Spalte 483). Von den mehr als dreißig Belegstellen aus Hofmannsthals Lyrik nenne ich nur die nahestehendsten aus dem Zeitraum Mine 1890/Anfang 1891: »Sunt animae rerum« II 223, Vorstufen zu Vers 11-14 »glüht die Seele«, »Fühlens Glut«, »Alles lächelt [...]« II 35, Vers 9 »quellende Gluth«, »Keine der Zeiten, [...]« II 35, Vers 7 »Schwüle und sengende Glut«, »Verse, auf eine Banknote geschrieben« II28, Vers 5 »tief im Herzen glüht«, Vers 21 »im Gedächtnis glüht«, »Gedankenspuk« II 33, Vers 4 »Glüht uns im Innern«, »Buch des Lebens« II 39, Vers 8 »Gesungen in Rausch und Glut«. »Glanz« - »das licht der gestirne« (Spalte

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von »a« und »u«. Wiederum in Parallele zur ersten Strophe erscheint das Wort »Pracht«,25 wobei der Bedeutungsunterschied sich in den Adjektiven ausdrückt: die distanzierte Erscheinung liegt »in zauberischer Pracht«, während die nun ins Eigene genommene, wenn auch immer noch »dunkle Stadt« sich in der Zweideutigkeit »qualvoll bunter Pracht« charakterisiert. Der mehrdeutige Inhalt der Verse 9 bis 24 der ersten Fassung erscheint in der zweiten somit konzentriert in einem Vers, der mit knapper Zusammenstellung entsprechender, übereinkommender und unterschiedener Eigenschaften das in der Chiffre der dunklen Stadt genannte Leben beschreibt, ohne daß bisher noch die Bewegung des nach außen Tretens, die die erste Fassung ebenfalls enthält, aufgenommen wurde; bisher geben die Verse 9 und 10 noch den Zustand des Schlafens (Vers 9). War schon der Unterschied zwischen den Versen 13 bis 16 und den übrigen Versen der ersten Fassung als Tendenz zu verhaltenerem Ausdruck zu beschreiben, so setzt sich diese Tendenz mit den Versen 11 und 12 der zweiten Fassung noch fort. Nach einem Doppelpunkt folgt auf die Bewegung der Hereinnahme eine nach außen, eingeleitet durch die adversative Konjunktion »doch«, die als Hinweis auf einen Wendepunkt in der Vorstellung, der zugleich Beziehung und Gegensatz bedeutet, stets Aufmerksamkeit verdient. Sichtbar wird nun der »Wiederschein«2' der bisher ungreifbaren

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7601), »die Helligkeit des Himmels, der Atmosphäre« (Spalte 7602), »im religiösen bereicH das attribut alles himmlischen, göttlichen, des christlichen Himmels überhaupt; das den Himmel erfüllende licht« (Spalte 7604). Auch hierfür Belegstellen im gesamten lyrischen Werk, aus der Umgebung von »Siehst du die Stadt ?« folgende: »Gespräch« II 22, Vers 17 »ihr Glänzen«, »Und stündlich steigt [...]« II 27, Vers 15 »Glück und Glanz«, »Denkmal-Legende« I 12, Vers 18 »einen Glanz«, »Frühe Liebe« II 41, Vers l, 3, 36, 4o »Glanz der frühen 'Tage«, Vers 11 »Glanz der jungen Tage«, »Vorgefühl« II 43, Vers 21 »(Am Himmel) glänzt die weiche Luft«. Das Wort »Pracht« bringt, schon vom Klang her, die alte Bedeutung »tumult, lärm, geschrei [...] lärm und aufsehen machendes glanzvolles wesen« (DWB Band 13 Spalte 2042) mit sich, neben der geläufigen »glänzende erscheinung, groszartige Schönheit, glanzfülle, Herrlichkeit« (Spalte 2043). Der negative, abweisende Aspekt zeigt sich auch an der vorhegenden sowie an weiteren Belegstellen: »Er war mein Freund [...]« II 214, Vorstufe zu Vers 9-10 »in bleicher Pracht«, »Verheissung« II 30, Vers 3 »Eiscrystalle Pracht« (auch II 230, Vorstufe zu Vers 1-6), »Sünde des Lebens« I 14, Vers 21 »Frühlingspracht«, »Blüthenreife« II 54, Vers 4 »feuchte Pracht«, »Blühende Bäume« II 66, Vers 12, 16, 23 »Blüthenpracht«, »O gieb dich [...]« II 70, Vers 2 »blendenden Pracht«. Die wechselnde Schreibweise (»wider-Xwieder-«) läßt sich deuten als »schwanken in der auffassung des ersten kompositionsgliedes (im sinne von >zurück, abermals«

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Erscheinung, im Zustand des Schwebens27 und charakterisiert als »Gedämpft zum Flüstern« (Vers 12). Die inkommensurable Unmittelbarkeit des Lebens erscheint in der Vermittlung des Sichtbaren als »Wiederschein« und des Hörbaren als »Flüstern«, nicht in den lauten und grellen Tönen und Farben der ersten Fassung. Das »flüsternd« des in sich abgeschlossenen Bildes der ersten Strophe (Vers 2) hat sich im Verlauf des Gedichts bis zum letzten Vers zu einer »Gedämpft(en)« Artikulation des in seiner Unmittelbarkeit nicht Faßbaren entwickelt, wobei weiterhin fraglich bleibt, ob eine wirklich begreifbare sprachliche Gestalt erreicht ist. Der »Wiederschein« des Eigenen schwebt »schmeichelnd« (Vers 11) um das- offensichtlich noch zu gewinnende - »dich«, das nicht weitergehend benannt werden kann, denn als ein Wahrzunehmendes, das die Möglichkeit einer begreifbaren Erscheinung bieten könnte. So, wie in der zweiten Strophe ein Bezug zwischen Wahrnehmendem und Wahrzunehmendem durch den »Nachtwind« (Vers 5) hergestellt wurde, erscheint hier ein versuchter Bezug zu einem Wahrzunehmenden, der sich immerhin von dem »verlöschend leisen Klang« (Vers 6) artikuliert hat hin »zum Flüstern« (Vers 12). Die Möglichkeit der Erscheinung im »Wiederschein« von »Glanz und Glut« und »qualvoll bunter Pracht« des eigenen Lebens

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oder >gegenHerzen mein« Vers 9), in Erscheinung treten zu können. Der harte Bezug des Gegensatzes der ersten Fassung wird in der zweiten abgelöst durch die zwar immer noch auch gegensätzliche Vorstellung der Verse 9 und 10 sowie 11 und 12, aber doch eine Möglichkeit solcher Erscheinung andeutende Vermittlung, die in ihrer Problematik in den letzten beiden Versen genannt ist. Die sich im Zusammenhang der jeweiligen Fassung konstituierende Bedeutung läßt folglich auch die »Stadt«31 je andere Bedeutung gewinnen. Die Fassung »Es schläft die Stadt« deutet in ihren beiden versuchten Schlußstrophenpaaren die Stadt als Bild, das mit seiner Erscheinung das darin beschlossene Leben gegensätzlich verdeckt, das als Ruhendes die Bewegung des Lebens nicht von Innen nach Außen, in eine erkennbare Erscheinung treten läßt.32 Deutlich andere Bedeutung kommt dem Wort »Stadt« zu, wenn es in der zweiten Fassung zur Chiffre wird und damit die Möglichkeit erhält, Ausdruck des eigenen Lebens zu werden, das zwar mit dieser Chiffre nicht zur entsprechenden Äußerung gelangt, womit aber das Problem der möglichen Wahrnehmbarkeit des Eigenen erkennbar wird. Die in der ersten Fassung nebeneinander bestehende Gegebenheit von visueller Erscheinung (schlafender Stadt) und bewegter Realität (wachendem Leben) wird in der zweiten Fassung begreifbar als einer Vermittlung bedürftig, die als schwebender »Wiederschein« das Leben nicht unmittelbar ist, sondern vermittels der Sprache wirklich wahrnehmbar werden lassen kann. Spricht die erste Fassung über die Vorstellung der schlafenden Stadt, hebt die zweite sie auf in das poetische Bild, indem sie nach dessen Möglichkeit - schon im Titel - zugleich fragt. 31

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Ein Wechselverhältnis zwischen dem Zustand des Eigenen und der Stadt auch in folgenden Versen: »Cromwell« II 46, Vers 8 »Und auch die Stadt kommt heute nicht zur Ruh.«, II 257, Vorstufe dazu: »Die Stadt ist heut in Gährung wie mein Sinn«, »Sonne« II 57, Vers l »Die Sonne ist versunken, da leuchtet die Stadt allein«, »Nacht ist es [...]« II 65, Vers 2 »Ich wandre allein durch die brausende Stadt«, »Ideen zu Gedichten« II 67 »Stadt, flüsternder tausend Seelen«. Das Verhältnis von sichtbarem Äußeren und ahnbarem Inneren erscheint wieder in den Versen, wie sie in das Drama »Der Tod des Tizian« aufgenommen wurden: »Ich ahnt in ihrem steinern stillen Schweigen /[...]/ Des roten Bluts bacchantisch wilden Reigen, / Um ihre Dächer sah ich Phosphor glimmen, / Den Widerschein geheimer Dinge schwimmen« (SW III 45,14-18).

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Der Vergleich der beiden Fassungen, ohne daß die frühere lediglich als Vorstufe der späteren gelesen wurde, eröffnet Möglichkeiten des Erkennens, die ohne ihn nicht oder undeutlicher zu erreichen wären. In der ersten Strophe zeigt sich, wie die sprachliche Konzentration ein Bild in sich konsistenter werden läßt und wie, noch weiter gehend, mit der dichten Zusammenstellung von Wahrnehmungsbereichen die Bedeutungsvielfalt sich erhöhen kann (Vers 3 und 4). Insofern ist von der frühen zur späteren Fassung hinsichtlich der ersten Strophe durchaus eine Entwicklung der Sprachgestalt zu bemerken, die hier allerdings nicht gewertet werden soll, sondern in ihrem Zusammenhang mit der bzw. den Schlußstrophen gedeutet. Dem Bild der unter der »weiche(n) Strahlenfluth [...] in schimmernd feuchter Pracht« liegenden Stadt stellen die Schlußstrophen der ersten Fassung zunächst die Vorstellungen des Bacchanals, das sich in ihr abspielt, gegenüber, um dann mit den Versen 17 bis 24 diese Vorstellungen distanzierter zu formulieren. Die Richtung der Bedeutung geht in beiden Fällen auf den unmittelbaren Unterschied von Erscheinung und Realität. Diese Richtung wird in der zweiten Fassung in sich reflektiert und damit die Frage nach den Konstitutionsbedingungen des Bildes gewonnen. Insofern besteht ein Verweiszusammenhang zurück auf die erste Strophe, als deren Neufassung den Bildcharakter der Stadt »in zauberischer Pracht« distanzierter von realistischen Vorstellungen erscheinen läßt. Diese Bewegung zur vermitteiteren Ausdrucksweise, zur reflektierten Sprachgestaltung hin, würde allerdings nicht erkennbar ohne die Möglichkeit des Vergleichs mit der ersten Fassung. Ebenso bliebe undeutlicher, daß die dritte Strophe der zweiten Fassung Vorstellungen in reflektierter Form gibt, die, mit anderer Bedeutungsrichtung, aber vergleichbaren Inhalten, zuvor unvermittelter genannt worden waren. Verbunden durch das »schläft im Herzen« lassen sich die Wendungen des Verses 10 als konzentrierter, in Gegensätzen das Ganze zu umfassen suchender Ausdruck alles dessen deuten, was zuvor in den Strophenpaaren der ersten Fassung als Bestandteile des Lebens genannt worden war. Der Vergleich rückt somit eine Vielschichtigkeit der Bedeutungen in den Blick, die zwar möglicherweise eine Interpretation nur der zweiten Fassung annähernd hätte erarbeiten können, die so aber in ihrer Spannweite bestimmbarer wird. Unterschied und Übereinkunft in der sprachlichen Gestaltung der beiden Fassungen lassen zudem erkennbar werden, wie zunächst konventionell erscheinende

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Wendungen oder Einzelworte dadurch, daß sie ihren Ort im Gedicht erhalten, zum Moment dessen werden, was als eigener Ton sich entwickelt. Diesem dürfte Hofmannsthal mit der Fassung »Siehst du die Stadt?« näher gekommen sein, als mit »Es schläft die Stadt« - gerade weil in der zweiten Fassung die Möglichkeit, das Eigene sichtbar werden zu lassen, befragt und diese Frage konsumtiv für die Gestaltung der Sprache wird. Damit erweist sich bereits dieses frühe Gedicht als Beleg einer Entwicklung, die Richard Brinkmann angesichts des Briefes des Lord Chandos als »entscheidende(n) Umbruch zur Moderne«33 benennt, wobei die Parallelen darin bestehen, daß im Brief »der Beobachtungsakt selbst zum Objekt der Beobachtung gehört«34 und im vorliegenden Gedicht die Frage nach seiner Möglichkeit, nach der Möglichkeit des Wahrnehmens des poetischen Bildes, mithin die Reflexion des Gedichts in sich auf die Konstitutionsbedingungen des Bildes, als selbstreflexive Frage konstitutiv für die Gestaltung der Sprache wird. Das Moment der Selbstreflexion, wenn es auch ein bedeutendes Kriterium darstellt, kann nur als ein erster Hinweis auf eine im Folgenden zu konkretisierende >Modernität< gelten; »Siehst du die Stadt?« läßt deutlich werden, daß es mit »objektiver Aussage subjektiver Empfindungen, Stimmungen, d.h. vor allem Lyrik im herkömmlichen Sinn vorbei« war35 und zwar bereits in den ersten Jahren des lyrischen Schaffens Hofmannsthals.3' 33 34

35 36

Richard Brinkmann, Hofmannsthal und die Sprache. In: DVjS 35, 1961, l, S. 80. ebd. Brinkmann, a.a.O., S. 80f.. Die Interpretation von Rudolf Schier, »Hofmannsthals >Siehst du die Stadt< und Words worths >Composed upon Westminster Bridge, September 3, 1802als ob< - Formulierung auf (»(Mir ist als könnt ich schauen)«), die jedoch von einer mehr beschreibenden Strophe abgelöst wird: »Sie wogen in dunklem Gewimmel / Sie jagen einander nach / Aus gräulich bleichem Himmel / Das Mond(licht) verwirrend brach.«. Auch hier enthalten wenigstens die Adjektive, besonders aber das Adverb »verwirrend« Deutungen, die den Anteil des Wahrnehmenden am Gesehenen bemerkbar werden lassen. Die zweite Entwurfsfassung beginnt mit einer in sich gelungenen Strophe: »Die Wolken ziehen nieder / Die Luft ist feucht und schwer / Nachtathem wühlt im Flieder / Schwülduftig weht es her.«, die mit der Ersetzung des Verbs »hängen« durch »ziehen« den Aspekt der Bewegung hervorhebt, wenn auch unter Übernahme eines Verses von Eichendorff: »Die Wolken ziehn hernieder« (»Der wandernde Musikant«, Nr. 6, Vers 2l),3 und den Bezug zum Wahrnehmenden mit Elementen herstellt, die bereits in der zweiten Strophe von »Siehst du die Stadt?« begegneten: »Nacht(wind)athem [...] weht es her.« Dieser Bezug wird verstärkt gegeben mit den nächsten Ansätzen, wenn es von der »Nachduft« heißt, sie »streichelt«, der eigene Zustand angedeutet wird (»meine heißen Wangen«) und die Wirkung der ziehenden Wolken genannt: »Sie wecken ein leises Verlangen«. Die übertragene Deutung kann nun scheinbar objektiv werden (»Es liegt ein solches Sehnen / In diesem hastenden Zug«) und der wahrgenommenen Naturerscheinung Erfahrungen zuschreiben, die sie mit menschlichen Zügen und Fähigkeiten ausgestattet erscheinen lassen. Die personifizierten Wolken werden folglich auch differenziert (»Durch Zweige sah (die eine) [...] Die andre lüftet« bzw. »streifte«),

3

Joseph von Eichendorff, Werke in einem Band. Darmstadt 1984, S. 17. 56

und ihnen wird die Möglichkeit übertragen, nicht nur in fortwährender Bewegung zu sein, sondern als >Darüberschwebende< mehr zu sehen, als der an andere Bedingungen Gebundene (»Sie sahen soviel des Schönen«).4 In dem Zusammenhang deutet die letzte Strophe dieser Entwurfsfassung (»Die Wolken müssen nicht rasten / Nur immer weiter wehen / Sie dürfen wogen und hasten / Und immer (neues) (sehen)«) darauf hin, daß der eigene Zustand im Gegensatz zu dem der beschriebenen Erscheinung als eingeschränkter gedeutet wird, demgegenüber die Ungebundenheit als Ziel der Wünsche, die von den ziehenden Wolken zugleich geweckt werden, erscheint. Diese Verbindung und Trennung von Ich und Naturerscheinung tritt mit der dritten Entwurfsfassung noch deutlicher als Thema in den Vordergrund. Die Beschreibung der ersten Strophe ist nun kaum noch als nur vom Wahrgenommenen bestimmt zu lesen, sie ist nahezu in jedem Wort mit Deutungen verbunden, die auf den Wahrnehmenden zurückgehen (»jagen«, »ohne Rast«, »herzlichsüßer Hast« - vermutlich aus dem Ansatz zu »schmerzlichsüßer« -). Mit der zweiten Strophe folgt die explizite Deutung (»Mir ist als [...]«), die an dieser Stelle zugleich die deutlichste Trennung zwischen »ich« und »Mein Leben« vornimmt. Die ersten beiden Verse (»Mir ist als sah ich treiben / Mein (ganzes) Leben vorbei«) trennen das als dynamisches Bild gefühlte eigene Leben vom realen Zustand, den die folgenden beiden nennen: »Und ich müsst zu hause bleiben / Und wäre nicht mit dabei«. Der vermittelte Charakter der Deutung kommt mit der Form der >Als obx- Wendung sowie des Konjunktivs zum Ausdruck und läßt dadurch den Abstand zu einer unmittelbaren Äußerung bemerkbar werden. Die Wirkung des Wolkenziehens auf die eigenen Empfindungen, Gesehenes und Bewirktes, werden in etwa sechs kürzeren Ansätzen aufzunehmen versucht, ohne daß eine weitere Strophe zustande käme, mit Ausnahme der einen, die in deutlicher Anlehnung an mehrere Elemente der Lyrik Eichendorffs eine weitere Deutung gibt, unter Aufnahme eines neuen Vergleichs: »Es ist (ein) unendliches Sehnen / In diesem Wolkenziehn / Als flöge Geigentönen / Verlockend über mich hin«. Gerade das Offenbleiben dieser drei Entwurfsfassungen läßt die Problematik deutlich werden, mit der Hofmannsthal sich hier sprachlich auseinandersetzt und die der Anlaß war, auf diese Entwürfe später im selben Jahr zurückzugreifen Vgl. das Gedicht »Glückliches Haus« (1900): »- gleich jener Abendwolke / Entschwebend, über stillem Fluß und Wald -< (1101, Vers 14-15), dazu Kapitel XII. 57

und eine neue Gestaltung zu versuchen. Das Thema des Festhaltens von Bewegung im Wort ist ein Aspekt, der in den bisher beschriebenen Versuchen erscheint, der umfassendere Gesichtspunkt ist die Frage sie wurde bereits in eigener Weise mit »Siehst du die Stadt?« gestellt -, inwieweit das Wahrgenommene in Korrespondenz mit dem Eigenen erscheinen kann. Darauf weist in vermittelter Form die hier genannte Trennung von Gesehenem, sich Bewegendem, das immerhin als »Mein ganzes Leben« bezeichnet wird, und Realem, Bleibendem, Bedingtem (»müsst«), das dagegen als »ich«, das beim eigenen Leben »nicht mit dabei« wäre, erscheint, hin. Die wahrzunehmende dynamische Gestalt (»Wolkenziehen«) wird bisher nur insofern zum Bild des Ich, als dieses darin alles das erblicken kann, woran es ihm zu mangeln scheint. Die Vermittlung von Wahrnehmendem und Wahrgenommenem stellt sich wiederum in der Negation dar; trotz der deutenden Übertragung in die scheinbar objektiven Beschreibungen ist noch kein dichterisches Bild erreicht, in dem das Ich sich im Verhältnis zum Erscheinenden erkennen könnte. Die Frage nach dieser Möglichkeit wird die "weiteren Fassungen des Gedichts bewegen. Der Entwurf der zweiten Fassung entstand wahrscheinlich erst gegen Ende des Jahres 1891, denn er enthält bereits alle Verse, die dann in die erste Reinschrift (und Druckvorlage) des Gedichts aufgenommen wurden und - was mir bedeutsamer erscheint - die sprachlichen Merkmale, die das Gedicht von den drei früheren Entwurfsfa$sungen unterscheiden. Formal übernommen wird lediglich die vierzeilige Liedstrophe und der Kreuzreim, verändert erscheinen Syntax, gewählte Wortart und Metrum. Es ist zu fragen, welche Bedeutung dem hinsichtlich der sprachlich gestalteten Themen zukommen kann. Die erste Strophe gibt die tageszeitliche Situation (»Am nächtigen Himmel«) und in eher abstrakter Formulierung das wahrzunehmende Phänomen (»Drängen und Dehnen«), um dies dann zu benennen (»Wolkengewimmel«) und in Übertragung eigener Empfindungen zu deuten (»In hastigem Sehnen«). Der Gedichtanfang spricht nun nicht mehr in direkter Weise über die Naturerscheinung, wie in den drei Entwurfsfassungen, sondern gewinnt die Vorstellung, indem er ihr Werden für den Wahrnehmenden mitvollzieht. Die Schritte gehen vom Allgemeinen über die abstrakte Bewegung zum Namen dafür und zur subjektiv begründeten Deutung. Zugleich sorgt die Ablösung des gleichförmigen dreihebigen Maßes durch ein alternierend daktylisch/trochäisches zweihebiges

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(»Wolkengewimmel«) für eine dem Darzustellenden angemessenere Sprachbewegung. Diese wird noch befördert durch die Ersetzung der konventionellen Konstruktion von Urteilssätzen (Subjekt, Prädikat, etc.) durch eine Reihung substantivierter Verben, wie insgesamt die in den Entwurfsfassungen häufig auftretenden Tätigkeitswörter in der zweiten Fassung weitgehend ersetzt werden durch ihre substantivierte Form.5 Inhaltlich kommt mit den folgenden Versansätzen und der daraus entstehenden zweiten Strophe der Bereich des Hintergrundes bzw. des allgemeinen Grundes hinzu. Verweist »Silberumflossen« auf das Mondlicht, wird mit dem »Wille(n)« ein Beweggrund genannt und mit der »bläuliche(n) Stille« die allgemeinste und höchste Ebene, innerhalb derer sich das wahrnehmbare Geschehen abspielt. Diese begründenden Momente erscheinen jedoch in unmittelbarer Behauptung und somit sprachlich bisher unbegründet; die Verse werden gestrichen und durch die spätere zweite Strophe ersetzt, die den »Flug« der Wolken als »in lautloser Hast« gleitend deutet und diese Deutung durch eine Parenthese unterbricht, die nun das Thema des Beweggrundes in dem menschlichen Erkennen angemessenerer Weise ausspricht: als Frage (»Von welchem Zug / Gebietend erfasst?«). Das Wahrgenommene kann zwar als bewegt durch eine Macht angesehen werden, diese ist aber nicht positiv zu benennen, jedenfalls nicht an dieser Stelle des Gedichts. Der bisher nur in Deutungen aufscheinende Bezug zur eige-

Eckhart Krämer, Die Metaphorik [...], sieht darin einen Beleg für die >impressionistische Gestaltungsweise< des Gedichts: »Die >nominale< Verwendung der verbalen Formen offenbart nachdrücklich die impressionistische Stiltendenz.« (a.a.O., S. 23). Dagegen kommt Sondrup aufgrund einer Untersuchung der Fassungen zu dem Ergebnis: »Although the earlier version has some symbolist traits, the later version with its technical refinements and more subtle use of suggestion points unmistakably toward Hofmannsthals growing mastery of symbolist techniques.« (a.a.O., S. 62). Bereits Key zitierte das Gedicht als »Beleg für das impressionistische Zeitgefühl« (William H. Rey, Die Drohung der Zeit in Hofmannsthals Früh werk. In: Euphorien 48,1954. Zitiert nach: Sibylle Bauer (Hrsg.), Hugo von Hofmannsthal - Wege der Forschung, Darmstadt 1968, S. 176f.), auch Kovach schreibt: »this is one poem which does convey a specifically Impressionist sense of evanescence and motion« (Thomas A. Kovach, Hofmannsthal and Symbolism - Art and Life in the Work of a Modern Poet. New York, Berne, Frankfurt 1985, S. 67). Vgl. ferner die knappen Beschreibungen von Derungs (I960), S. 48f. und Tarot (1970), S. 31f. - Zum Impressionismus s. die Begriffsklärungen und differenzierte Darstellung von Wolfgang Nehring, Hofmannsthal und der österreichische Impressionismus. In: Hofmannsthal-Forschungen II, Freiburg 1974, S. 57-72.

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nen Seele wird mit den Ansätzen zur dritten Strophe explizit (»(In meiner Seele) / Es (fällt ein zerrissen«), damit aber keineswegs geradlinig aufgenommen. Die Seele (Vers 11) erscheint als Fläche, die vom >Wiederschein< des »Mondesglanz(es)« (Vers 10) beleuchtet ist, während sich zwischen dieser indirekten Lichtquelle und der Projektionsfläche die Wolken bewegen. Sie fügen sich nun nicht zu einem bestimmten Bild, sondern das sich auf der Seele Abzeichnende wird genannt: »Es schwankt gigantisch [...] Ihr Schattentanz«. Gerade im Moment der expliziten Nähe von Wahrzunehmendem und Seele wird die Ungreifbarkeit am intensivsten ausgedrückt; nicht zufällig sind die Verse 9 (»gigantisch«6) und 11 (»Seele«) die einzigen nicht reimenden im ganzen Gedicht. Hier scheint die Möglichkeit einer Übereinkunft, die in einem entsprechenden Bild ihren Ausdruck finden könnte, höchst problematisch. Den Versuch, in einer nächsten Strophe die Wolken sprechen zu lassen (»Wir wimmeln [...] müssen fliehen.«), markiert Hofmannsthal als dem bisher Erreichten offensichtlich unangemessen. Stattdessen kommt die Problematik des Nichthaltenkönnens, der Unerreichbarkeit einer Gestalt zum Ausdruck. Ansatzweise folgt die Andeutung eines Bezugs (»Hernieder sie streuen«), die abgelöst wird durch die Wendung der Bewegung auf das eigene Innere (»Ein Treiben und jagen [...] Durchweht die Brust«), welche aber auch wieder, als übereilt und zu unmittelbar übertragen, aufgegeben wird. Stattdessen kommt mit der späteren vierten Strophe die Vermittlung des Wahrgenommenen mit der Leistung der Wahrnehmung in dem Wort »Bilder« hinzu. Deren Konstitution im Wechselbezug deutet das Wort »besonnen« an, wobei die Möglichkeit des Bildes angesichts der Flüchtigkeit der Eindrücke als kaum faßbar im Problematischen verbleibt. Weitere Ansätze lassen erkennen, daß dies zugleich für die Faßbarkeit scheinbar äußerer Erscheinungen, wie für diejenige des scheinbar eigenen Seelenlebens zutrifft (»(Altes Begehren) / (Wünsche tauchen / Auf und nieder / Und verhauchen / flüchtig wieder)«). Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß mit der Fraglichkeit der faßbaren Gestalt diejenige der Korre-

Zu den Bedeutungsaspekten des Wortes vgl. DWB, Band 7, Spalte 7474-7476. Die Riesengröße der Erscheinung ist seit dem Gigantenmythos mit der nichtgöttlichen Herkunft verbunden, so daß »im religiösen bereich >gottfeindlich, gegen gott sich stellend, hochmütig, vermessen< (Spalte 7475) zu der Wortbedeutung hinzukommen konnte.

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spondenz eines wahrnehmbaren Bildes zum Irrationalen des eigenen Lebens zum Thema wird. Gerade die Unlösbarkeit scheint die zutreffende Lösung dieser Problematik zu bedeuten, die nur »flüchtig« zu ergreifende Gestalt in ihrer der Besinnung »kaum« einzuordnenden Dynamik scheint der Wirklichkeit zu entsprechen. Damit ist zugleich eine Perspektive erreicht, die die Einschränkungen des endlichen Daseins überwinden kann, indem mit einem »Sehnen [...] nach der (Weite) Bewegung« der menschliche »Geist« seine Zugehörigkeit zum Unbeschränkten ahnt. Jenseits der »Schranken« ordnet er sich einem kosmischen Geschehen zu, das ihm, auf höchster Ebene, schließlich doch die Übereinkunft mit der Außenwelt ermöglicht: »In wehendem Ahnen / Durchfliegt der Geist / Unendlicher Bahnen / Die alles durchkreist«. Die abstrakte Höhe, auf die das Problem verschoben wird, läßt eine wahrnehmbare Gestalt allerdings nicht zu, sondern ist lediglich einem »wehende(n) Ahnen« gegeben. Daß diese Auflösung das Gedicht als Sprachgestalt überschreitet, wird anhand der Reinschrift zu begründen sein. Hier entwirft Hofmannsthal ansatzweise noch die späteren Verse 17 bis 20 und 21 bis 24, wobei schon im Entwurf der Verzicht auf jede explizite Nennung des eigenen Seelenlebens sichtbar wird. Nach der Gestaltung des Verhältnisses von Seele und Erscheinung in den Versen 9 bis 12 (»Es schwankt gigantisch [...] Ihr Schattentanz«) und der Flüchtigkeit der »kaum noch besonnen(en)« Bilder, ist die Ambivalenz der nun auftretenden Wendungen nicht mehr zu trennen in Zuordnungen zu Wahrnehmendem oder Wahrgenommenem »Ein (irrendes) loses Schweifen / In flüchtiger / Ein halbes Ergreifen / Es ist ein Wehen«. Diese Wendungen deuten auf die Vermittlung beider Seiten hin. Gänzlich ununterscheidbar werden die scheinbar Getrennten in den Versen 21 bis 24 aufgehoben: »Ein lautloses Gleiten / Ledig der Schwere / Durch aller Weiten / Blau(dunkle) Leere«, wobei auch hier die Entfernung von endlichen Bedingtheiten (»lautlos«, »ledig der Schwere«, »Leere«) zugleich die Entfernung vom möglichen Bild andeutet. Aus der bisher interpretierten zweiten Entwurfsfassung übernimmt Hofmannsthal die sieben Strophen der Reinschrift, die er an Stefan George als Vorlage für den Erstdruck in den »Blättern für die Kunst« sandte. Die letzte Strophe ist gestrichen, so daß eine sechsstrophige Fassung erschien, die seither als das Gedicht »Wolken« der Öffentlich-

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keit vorliegt.7 Die ersten drei Strophen weisen lediglich die Hinzufügung des unbestimmten Artikels zu Vers 2 auf (»Ein Drängen und Dehnen«), in der vierten Strophe wird der Vers 13 von »Hastige Bilder« zu »Wogende Bilder« verändert. Beide Änderungen werden im Gesamtgefüge des Gedichts ihren Sinn haben. Ausgearbeitet erscheint nun die fünfte Strophe, die im zweiten Entwurf noch sehr flüchtig notiert war. Die Verschränkung von wahrnehmbarer Bewegung und dem Versuch, sie wahrnehmend festzuhalten, ist gestaltet in vier nominalen Wendungen, die alle denselben unbestimmten Artikel voranstehen haben. Insofern verweist die Strophe zurück auf den zweiten Vers, der in dieser Fassung den substantivierten Verben »Drängen und Dehnen« ebenfalls den unbestimmten Artikel »Ein« voranstellt. Die in ihrer Kaumfaßbarkeit gedeutete und mit der eigenen Seele in Beziehung gebrachte Bewegung des Wahrgenommenen rahmt nun in der fünften Strophe die entsprechend unbestimmten Versuche des Verstehens und Ergreifens ein: »Ein loses Schweifen ... / Ein Halb-versteh'n. . / Ein Flüchtig-Ergreifen ... / Ein Weitcrweh'n ...«. Ist für den Vers 17 bereits nicht zu entscheiden, ob er auf Wahrnehmung oder Wahrgenommenes zu beziehen ist (»Ein loses Schweifen ...«), gilt dies, wie schon angesichts des Entwurfs gesagt, vollständig für die sechste Strophe. Sie spricht wiederum von der Aufhebung im Grenzenlosen, wobei die nun verwandte Formulierung »Blauende Leere« diesem Inhalt eher entsprechen dürfte, als die zuvor gewählte, realistischer wirkende »Blaudunkle Leere«. Die Abfolge der Strophen erscheint keineswegs beliebig.8 Das Gedicht beginnt mit der vertrauten Vorstellung, die als hastiges Sehnen gedeutet wird. Das Wort »Hast« nimmt die zweite Strophe auf (Vers 5), um die Frage nach dem Beweggrund zu stellen, sie aber notwendig Aufgrand einer Verlesung der Reinschrift wurde seitdem der Vers 14 als »Kaum noch begonnen« (I 23) gedruckt. Die Reinschrift und der zweite Entwurf haben dagegen das Verb »besonnen«. Nach der Darstellung von Hans Steifen, Hofmannsthals Übernahme der symbolistischen Technik (in: Reinhold Grimm und Conrad Wiedemann (Hrsg.), Literatur und Geistesgeschichte - Festgabe für Heinz Otto Burger. Berlin 1968), der die 2.-4. Strophe als Beispiel »für das Formgesetz vieler frühen Gedichte« (S. 275) vor der Aufnahme symbolistischer Technik dem Gedicht »Einem, der vorübergeht« gegenüberstellt, sind »die Strophen der >Wolken wogen« wird aufgenommen aus dem ersten Entwurf, Zeile 14.

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die Gerichtetheit und Bemühtheit des Versuches deutlich werden läßt. Die Ersetzung von »Ein Weiterweh'n« durch das Wort »Vorüberweh'n« betont die Perspektive des Beobachtenden auf die wahrgenommene Bewegung. Die Erhebung der letzten Strophe wird durch ein »und« mit der vorhergehenden mehr verbunden, als dies zuvor der Fall war, während das »Gleiten« nun nicht einmal mehr negativ charakterisiert wird, weil das Adjektiv »lautloses« weggefallen ist. Damit entfällt zugleich die Korrespondenz mit dem gleichen Adjektiv in Vers 5, die in der ersten Reinschrift noch in der Übereinstimmung auf die Entwicklung von »lautloser Hast« zu »lautloses Gleiten« (Vers 21), somit auf den Unterschied aufmerksam machen konnte. Die Themen des Gedichts, besonders die Problematik einer Übereinkunft von Seele und Gestalt, eines entsprechenden Haltenkönnens des Dynamischen, scheinen mit der kürzeren Reinschriftfassung noch mehr in die Sprache gebracht. Weg fällt die Strophe, die noch von Bildern, nicht in Bildern sprach, und dadurch entsteht ein zentrierter Aufbau, der die Strophe in der Mitte hat, in der die problematische Begegnung von Äußerem und Innerem beschrieben wird. Auch die einzelnen Wortänderungen konturieren die Gestaltung der Themen deutlicher und lassen somit die kürzeste Fassung zur bedeutungsreichsten werden. Hier erscheint die letzte Strophe, trotz der Konjunktion »und« zu Beginn, mit ihrer Aussage einer völligen Loslösung von endlichen Bedingungen ebenfalls noch rätselhafter als zuvor, so daß die Frage nach der Bedeutung dieser Aufhebung wenigstens versuchsweise gestellt werden soll. Entscheidend scheint mir dafür zu verstehen, welche Bedeutung den beiden letzten Worten, »Blauende Leere«, zukommen kann. Zu diesem Zweck gehe ich auf diejenigen Stellen im lyrischen Werk ein, an denen »Blau« in einer Weise verwandt wird, die über die des konventionellen Gebrauchs (»blaue Blitze / Ist's der blauen Augen heller Strahl?« »Träumend, sehnend [...]« II13, Vers 15f.) hinausweist. Schon die Tatsache, daß diese Stellen anzahlmäßig und von der Entstehungszeit her überschaubar und eingrenzbar sind, weist auf eine besondere Wortverwendung hin, in deren Zusammenhang ich dann den Schluß des Gedichts »Wolken« stellen möchte. Das Gedicht »Sonne« (März 1891) hat bereits in einem ersten Ansatz die nominale Wendung »Heute vergoldet sie alles [...] Athmend feuchtes Blau« (II 273, 18), um dann den zweiten Vers zunächst ähnlich zu entwerfen: »Im Blau in dämmernd feuchten« (273, 28) und

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schließlich die Wendung in den offenen Vergleich der Ausrufe des dritten Verses aufzunehmen: »Und wie die Farben siegen! das helle starke Blau!« (II 57). Im Zusammenhang des Gedichts, das die gehobene Stimmung eines glücklichen Moments, einer >guten Stunde< gestaltet, steht die nominale Wendung, die einzige Farbe, als Ausdruck eben der Erhebung in die Unendlichkeit. Aus der ersten Hälfte des Jahres 1891 stammt wahrscheinlich auch das Sonett »Rechtfertigung«, das in einem vergleichbaren Sinn das Kompositum »Atherblau« (II 67, Vers 6) verwendet. Hier ist von der Wirkung des Äthers die Rede, also die der Erhebung entgegenkommende Richtung akzentuiert. Zeitlich und in der Bedeutung »Wolken« am nächsten liegt »Einem, der vorübergeht« (II 60), in dessen letzter Strophe die Überwindung »enge(r) Nähe« (Vers 10) »Zu weicher blauer Weite« (Vers 9) ausgesprochen ist. In früheren Fassungen lautete der Vers: »Zu zauberisch blauer Weite« (II 285, 21) und »Zu rätselhafter Weite« (II 285, 30). Damit lassen sich Bedeutungsrichtungen erkennen, ohne die ausführliche Interpretation hier vorwegzunehmen (vgl. Kapitel III). Im Jahr 1892 wird das Adjektiv »dunkelblau« in zwei Gedichten dem (Meer-)Wasser zugeordnet, erhält aber durch den Kontext einen sehr genau bestimmbaren, geradezu ikonographisch ableitbaren Inhalt. In »Leben« (April/Mai 1892) stehen neben »goldnen Fluten« (I 28, Vers 26) »dunkelblaue Wogen« (Vers 33), in »Erlebnis« (Juli 1892) wird den »gelben Riesensegeln« (131, Vers 21) gegenübergestellt »Auf dunkelblauem Wasser« (Vers 22) und zwar zwei Mal (Vers 30/31). Mit welcher deutlichen Absicht dies geschieht, zeigt sowohl bei »Leben« die Vorstufe »dunklen Wogen« (I 170, 8), wie ebenso bei Vers 3o von »Erlebnis« der erste Ansatz »Auf dunklem Mee(r)« (I 178, 2). Der Aufnahme des »Blau« in die genannten Wendungen kommt hier zu, die Bedeutung an der jeweiligen Stelle um den Aspekt der Unendlichkeit, des Himmlischen zu erweitern, wie es der Farbbedeutung in der Ikonographie entspricht; dies wird die Interpretation von »Erlebnis« im Zusammenhang begründen (vgl. Kapitel V). Im Kontext der Werkentwicklung wird deutlich, daß die scheinbar realistische Wendung »Der Himmel war so dunkelblau« im Gedicht »Spaziergang« (März 1893) über die irdisch-endliche Vorstellung der Farbe hinausweist, wie der darauf folgende Vers weiterhin zeigt: »So glänz- und wunderschwer« (II 83, Vers 13/14). Die Farbe hat sich hier bereits im Bedeutungszusammenhang des Werkes so weit als dichteri-

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sches Element von unmittelbarer Realitätsvorstellung entfernt, daß ihr Auftreten in schlichter Wendung eben den bisher konstituierten Bedeutungszusammenhang evoziert. Dies gilt auch für die vermutlich im Sommer 1893 geschriebenen Verse »Andre Wälder [...]« (II 96), wo im Ansatz zunächst die Wendung »In blauen Tiefen« (II 347, 2), dann die Verse »Die Sterne am Himmel erschimmern / Sie hängen im dunk• · ·V· · len Blau« (Vers 7/8) auf Dimensionen jenseits aller endlichen Himmelsvorstellungen deuten. Entfernung von artikulierter Wahrnehmbarkeit drückt ebenfalls der Vers »Auf leerem, blauem, schweigendem Meer« aus dem Gedicht »Dichter, nicht vergessen« (II 90, Vers 18; Dezember 1893) aus. Ähnliches dürfte mit dem Konzept »(Lyrik)« aus der selben Zeit beabsichtigt gewesen sein, wo notiert ist »Meer blau schwer l Land leicht wie Traum / schimmernder weisser schwerloser Strand« (II 93). Die bisher genannten Aspekte finden sich versammelt in dem Gedicht »Wo ich nahe, wo ich lande [...]« vom 26. Juli 1894 (I 47) und zwar am Schluß der vierten Strophe (I 237 und 238). Die Wirkung des Gedichts wird ebenso mit der Bewegung der Erhebung (»Und sie fühlen sich erhoben« 237, 21; »Fühlen sich emporgehoben« 237, 27; 238, 19), wie mit der, im Fühlen der Teilhabe am »Geheimnis« (238, 15 u.ö.) möglichen, Wahrnehmung »Und den Himmel tiefer blauen!« (237, 29) bzw. »und den Himmel dunkler blauen!« (238, 17) umschrieben. Das verbal verwandte »blauen« bezeichnet somit hier die mögliche Antwort auf die Erhebung aus dem Zusammenhang der »Dinge die sie kennen« (238, 3 - vgl. dazu weiterhin Kapitel VII). Am 30. Juli 1894 steht die nominale Wendung im Bereich des verlassenen Lebens, was ähnlich schon für »Erlebnis« zutrifft, am Anfang des Gedichts »Die Stunden! Wo wir auf das helle Blauen / Des Meeres starren und den Tod verstehn« (149, Vers 1/2);10 dies wird deutlicher unter Beachtung der Entwurfsformulierungen: »ertrinken im blauen leuchtenden Meer« (244, 8f.) und »Im hellen blau ein stilles untergehen« (244, 12). Vermutlich im gleichen Monat entstand das Gedicht »Dies alles ist bevor ich schlafen gehe [...]« (II 108f.), in dem der aus dem »Dunkel« (Vers 10) herniederdringende »ungeheure(n) Schwärm von grossen Pfauen« (Vers 8) mit »dunkelblauen Schweifen« charakterisiert 10

Vgl. Stephen P. Sondrup, »Terzinen« (in: Resch, Seltene Augenblicke. 1989): »This transformation of the adjective into a verbal form powerfully evokes a primal and ongoing process radically different from the cosmic emptiness reminiscent of Mallarme.« (S. 192).

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ist und die ebenso nicht nur real gesehene Insel Scheria »Die mit dem Duft, die blaue« (Vers 47) heißt. Die wenigen Belegstellen nach 1894 weisen eine noch stärkere Entfernung von vorbestimmten, gegenständlichen Vorstellungen konventioneller Art auf. Das Wort >blau< kann nun als schlichtes Adjektiv verwandt werden und deutet doch auf Inkommensurables hin, so im Vers 28 von »Nox portentis gravida« (Februar 1896), der erst lautete »Die Wolke [...] / Mit blauem Lichte stärker als drei Sonnen« (279, 2), dann »Die Wolke [...]/ Mit Donnerschlag von lausenden Gewittern / Und blauem Lichte stark wie nahe Sonnen / Und schauerlichem Sturz von heißen Steinen« (I 59, Vers 2629). Im Kontext des Gedichts und zugleich der Werkgeschichte, die auch den sparsamen Gebrauch sichtbar werden läßt, erhält das geläufige Farbadjektiv hier seine durchaus eigene Bedeutung.11 Gleiches gilt, unter Berücksichtigung des anderen Gedichtzusammenhangs, für »Wir gingen einen Weg [...]« (August 1897), wo der Aufschwung der Götter in ihr Element mit der Wendung »Ins Blaue tretend« gestaltet ist (I 76, Vers 31). Schließlich kann auch die ins Ungreifbare übergehende Vergangenheit - wenigstens in einem ersten Entwurf- diesem Bereich zugehören: »wie schöne Ketten ferner blauer Berge / so blickt die frühre Zeit zu uns herüber« (»Prolog zu einer nachträglichen Gedächtnisfeier für Goethe [...]«, September 1899, I 392, 26f.), wobei die Wendung »ferner blauer Berge« wohl zu nah an konventionellen Vorstellungen war, um die im Werkkontext entwickelte eigene Bedeutung bemerkbar werden lassen zu können.12 In diesen knapp skizzierten Werkzusammenhang der Lyrik kann die Verwendung des >Blau< in den Fassungen von »Wolken« in bestimmt unterschiedlicher Weise eingesetzt werden. Das gebräuchli11

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Zu »Nox portentis gravida« vgl. die Interpretation von Martina Lauster, »Die problematische Mitte« (in: Die Objektivität des Innenraums. Stuttgart 1982, S. 222-239) und von Janette C. Hudson, »Nox portentis gravida« (in: Resch, Seltene Augenblicke. 1989, S 57-77). Letztere weist für dieses Gedicht ebenfalls eine »auf sich selbst zurückweisende(n) Gebärde« auf (S. 74), wie sie in unterschiedlicher Ausprägung jedes der hier untersuchten Beispiele zeigt, sowie das Problem der Sprachgestaltung zwischen möglicher Erstarrung und Auflösung (S. 76), dazu besonders Kapitel IV. Mglw. wollte Hofmannsthal auch eine zunächst erwogene Anspielung auf eine Goethestelle vermeiden. Goethe nennt in »Aus meinem Leben - Dichtung und Wahrheit«, zweiter Teil, achtes Buch »die geliebten Alten, die noch immer wie ferne blaue Berge [...] den Horizont meiner geistigen Wünsche begrenzten.« (Goethe, Berliner Ausgabe. Berlin 1976, S. 361). 67

ehe Adjektiv findet sich ansatzweise im ersten Entwurf, wo es aber sofort ersetzt wird (»Aus (blau) gräulich bleichem Himmel«). Im dritten Ansatz der frühesten drei Entwurfsfassungen entwickelt sich bereits eine eigene Bedeutung, zunächst in einem fragmentarischen und gestrichenen Vers der ersten Strophe (»Es jagen [...] Die Wolken (In blau nachtfarben Sehnsucht)«), dann aber vor allem in einem der Ansätze zum Bezug von Gesehenem und eigenem Gefühl: »Mir ist bei diesem Wehen / Bei diesem (wogenden) rätselhaften Blau / Als hätt ich im Flug«. Die nominale Wendung mit ihrem Adjektiv bringt den Aspekt des Überrationalen mit sich. Diese Tendenz setzt die zweite Entwurfsfassung fort, wenn zuerst in einer gestrichenen Strophe das dem sinnlich Wahrnehmbaren Übergeordnete ausgedrückt wird: »Die bläuliche Stille / lauschet dem Flug.«, dann die kosmische Höhe angedeutet: »Durch blaue (Kreise) Bahnen / Die Erde kreist« und schließlich die Wendung der späteren Schlußstrophe sich zu entwickeln beginnt: »Durch aller Weiten / Blau (dunkle) Leere«. Diese gewinnt ihren besonderen Charakter dadurch, daß aus dem erwogenen Adjektiv »Blaudunkle« die Verbform »Blauende« wird und damit bei aller Entfernung von Begrenzungen und sinnlich erfahrbaren Bestimmungen eine vor jeder Bestimmung wirksame Tätigkeit angedeutet erscheint. Kann der Weg des Gedichts »Wolken« als mündend in diesen unfaßbaren Bereich jenseits aller »Schwere« gedeutet werden, so zeigt sich damit der bereits genannte Einfluß der durch Stefan George vermittelten französischen Dichtung. Die Wendung »Blauende Leere« legt nahe, an Mallarme zu denken, von dem George herkam, und neben der großen Anzahl von >BlauInnen< und >Außen< (»Thüre«) wird somit in der beibehaltenen Fassung des Verses ersetzt durch die umfassende Chiffre des eigenen Ich, den »Brunnen«. Als weiteres Bild des Bestehenden im eigenen Garten des Lebens erscheint in dem Gedicht »Botschaft« (August 1897, vgl. Kapitel XII) und dem im gleichen Monat entstandenen »Der Beherrschte« der Turm. Die Vorstellung des Haltens eines nicht nur Endlichen ist in letzterem Gedicht wiederum mit einem entsprechenden Bild des Festbindens gestaltet: »mit Laubgewind / Am Turm in meinem Garten festgebunden.« (I 75, Vers 3/4). Auch hier läßt die Ersetzung im Entwurf: »Laubgewind« aus »Bastgewind« (I 331, 12) deutlich werden, daß die Vorstellung der Flüchtigkeit der der Festigkeit des Gebundenseins wenigstens gleichgewichtig sein sollte. Haben diese Bilder das Paradox von Bindung und Freilassen gemeinsam, erscheint mit vier Versen aus dem Frühjahr 1896 die Augenblicklichkeit, in der Bewegung und Ruhe vermittelt sein können, wobei der Zustand dieses Vermittlungsmoments mit dem Wort »Schwebe« benannt ist, das im Werkkontext das wirkliche Dasein des Kunstwerks umschreibt (vgl. Kapitel I, Anm. 27). Deshalb gibt das Bild von Luft und Hügel diese zugleich in ihrem Bildcharakter und nennt dessen Augenblicklichkeit im Vergleich, um damit ein weiteres Bild für die Aufhebung von Ruhe und Bewegung im Gedicht zu geben: »und die Luft ihr Licht und Weite / Und der Hügel seinen Glanz / Nur wie in der Schwebe bändigt / Wie ein Stillestehn im Tanz« (II 118).23

23

Zum Thema dieses Kapitels vgl. die Beobachtung von Erika Hahn: »Bewegtes unabhängig davon, ob die Bewegung äußerlich sichtbar ist oder mehr im Innern vor sich geht - taucht in den Bereichen von Leben und Tod auf [...], während in der Sphäre des Traumes eine gewisse Beruhigung oder gar Verfestigung oder aber eine ganz besondere, nahezu schwerelose Bewegung der zu Symbolen erhobenen Dinge zu beobachten ist.« (Leben, Traum und Tod - Ihre symbolische Gestaltung in den Gedichten Hugo von Hofmannsthals. Erlangen 1962, S. 146) 74

Wolken (Was zu)1 1 Die Wolken hängen nieder 2 Die (Luft) Nacht ist duftig (und) schwer 3 (Gelöste Wolken gleiten 4 Und schaukeln leise (heran) vorbei) 5 Nachtwolk 6 (Gelöste Wolken (jagen)* ziehen 7 Vorbei) 8 Der Wind ist (eingeschlafen)' schlafen gangen 9 (Und schaukelt die) 10 (Nur droben ist keine) Ruh 11 Nachtathem umspielt meine Wangen 12 Ich schau den Wolken zu. 13 (Mir ist ab könnt ich schauen) 14 Sie wogen in dunklem Gewimmel 15 Sie jagen einander nach 16 Aus (blau) gräulich bleichem Himmel 17 Das (erste) Mond verwirrend brach.

42 Die andre streifte im Wehen 43 (Viel)7 An duftiges Frauenhaar 44 (Sie müssen so von)' 45 Die Wolken müssen nicht rasten 46 Nur immer weiter wehen 47 Sie dürfen wogen und hasten 48 Und immer (neues) 49 Es jagen am dunklen Himmel 50 Die Wolken ohne Rast 51 (In blau' nachtfarben Sehnsucht) 52 In wechselndem Gewimmel 53 In (sc)'herzlichsüßer Hast 54 Mir ist als (jagte)' zöge da droben 55 als sah ich treiben 56 Mein (ganzes) Leben vorbei 57 Und ich müsst zu hause bleiben 58 Und wäre nicht mit dabei 59 (Und wie die Luft die laue) 60 (Streicht) SWI144-146 EII167; FDH20038 ' nicht in SW I

18 Die Wolken (hängen) ziehen nieder 19 Die Luft ist (schwül)' feucht und schwer 20 (Der)' Nacht (wind)'athem wühlt im Flieder 21 (Und)'(Trägt die feuchten Düfte her.) 22 (BeraX (Feucht)' Schwülduftig weht es her. 23 (Die Nachtluft ist gegangen,) 24 Sie (streichelt) 25 (Gelöste Nebelstreifen 26 (So weich)' um meine heißen Wangen 27 Gelöste Wolken ziehen 28 Sie (athmen)' wecken ein leises Verlangen) 29 Es liegt ein solches Sehnen 30 In diesem (Wolkenflug) hastenden Zug 31 Sie sahen soviel des Schönen 32 Auf ihrem hastenden Zug. 33 (Sie blickten durch die (Äste)' Zweige) 34 Durch Zweige sah 35 Auf manchen stillen Teich 36 Da (lagen)' blinkten im Silberscheine 37 Seerosen still und bleich 38 (Die andre lüftet im Wehen 39 Den Vorhang, 40 Und in die Kammer gesehen 41 Der schönsten jungen Frau) 61 Und wie die Luft (xxxh) (finstre) 62 Nachtathem 63 Das Fxxxhte 64 Mir ist bei diesem Wehen 65 Bei diesem (wogenden) rätselhaften Blau 66 Als hätt ich im Flug 67 Und wie ihr Wehen 68 streifte weht 69 Mir' (Es liegt) ein Sehnen 70 In meinem Herzen 71 (Ihr ha)' Mich hat bei ihrem Gewimmel 72 Ein schmerzliches Sehnen erfasst 73 Es ist (ein) unendliches Sennen 74 In diesem Wolkenziehn 75 Als flöge Geigentönen 76 Verlockend über mich hin 77 Es spielt die (Luft) die laue 78 Leis über meine Wangen 79 Nachtathem spielt feucht und

75

/* / 3 2 2 3 4 4 5 6 7 S 9 10 5 11 12 6 13 714 811 16 17 9 18 1019 11 20 1221 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 1340 1441 l i 42 1643

Am nächtigen Himmel Wolkengewimrnel Drängen und Dehnen2 In hastigem Sehnen (Silberumflossen Gleiten sie zu) (Es treibt sie ein Wille Ein mächtiger Zug. Die bläuliche Stille Lauschet dem Flug.) In lautloser Hast (In (gleite)' endlosem Zug) Von weichern Zug' (Mächtig) Gebietend'erfasst? Gleitet ihr Flug (In meiner Seele) Es (fällt ein zerrissen) schwankt gigantisch Im Mondesglanz Auf meiner Seele Ihr Schattentanz(?) (Das ist der)' (Nichts)'Wir wimmeln und treiben Wir wogen und (fliehen) Wir können nicht bleiben Wir müssen fliehen. (Sie nahen und weichen Da ist kein Halt (Sie) Sie dunklen, erbleichen (Traum ist G) Zerwühlen (die Gestalt) gar bald) (In flüchtigem Wehen) Hernieder sie streuen Ein Treiben und Jagen Halbunbewusst Von wimmelnden Fragen Durch(stre)'weht die Brust Hastige Bilder Kaum noch besonnen Wachsen sie wilder Sind sie zerronnen

44 Es'(xxxx) 45 (Altes Begehren) 46 (Wünsche tauchen (auf) 47 Auf und nieder 48 Und verhauchen (f) 49 flüchtig wieder) 50 (Und durch)' 51 (Unverständlich) 52 (Nach)'Undnachder(Weite)Bewegung 53 (Fer)' Entzündet ein Sehnen 54 (Durch die Schranken 55 Unsre Ewigen 56 Geht der Ge) 57 (Im)' (Durch blaue (Kreise) Bahnen 58 Die Erde kreist 59 Des geht ein)' 60 In wehendem Ahnen 61 Durchfliegt der Geist 62 Unendlicher Bahnen 63 Die alles dur kreist 17 64 Ein (irrendes) loses Schweifen 1865 In flüchtiger 19 66 Ein halbes Ergreifen 2067 Es ist ein Wehen 681 xxxxxxx Flüchtiger und wieder 69' Es ist ein treiben 70' Ein wan und (fliehen) flü 71' Ein trei 72' Ewiges Fliehen 21 73 Ein lautloses Gleiten 2274 Ledig der Schwere 2375 Durch aller Weiten 24 76 Blau(dunkle) Leere

VgL SW 1146-148 E II174C; FDH 20043

* Verszählung der gedruckten Fassung (SW 123) ' nicht in SW I 2 Umstellung durch Linie angedeutet

76

Wolken: / 2 3 4

Am nächtigen Himmel Ein Drängen und Dehnen: Wolkengewimmel In hastigem Sehnen.

5 6 7 8

In lautloser Hast - Von welchem Zug Gebietend erfasst? Gleitet ihr Flug ...

9 10 11 12

Es schwankt gigantisch Im Mondesglanz Auf meiner Seele Ihr Schattentanz,

13 14 li 16

Wogende Bilden Kaum noch besonnen' Wachsen sie wilder, Sind sie zerronnen.

17 18 19 20

Ein loses Schweifen .. Ein Halb-versteh'n.. Ein Flüchtig-Ergreifen.. Ein Weiterweh'n...

21 22 23 24

Ein lautloses Gleiten, Ledig der Schwere, Durch aller Weiten Blauende LeereQ.

2f 26 27 28

(Und ein Ahnen Im stillen Geist Unendlicher Bahnen Die Alles durchkreist.)

SW 123 Stefan George-Archiv; Württembergische Landesbibliothek

begonnen (123) 77

Wolken.. 1 2 3 4

Am nächtigen Himmel(,) Ein Drängen und Dehnen: Wolkengewimmel In hastigem Sehnen..

5 6 7 *

In lautloser Hast Von welchem Zug Gebietend erfasst? Gleitet ihr Flug.

9 10 11 12

Es wogt gigantisch Im Mondesglanz Auf meiner Seele Ihr Schattentanz..

13 14 15 16

Ein flüchtig Schweifen, Ein Halbversteh'n Ein hastig Ergreifen, Vorüberweh'n,

17 18 19 20

Und ein Gleiten Ledig der Schwere Durch aller Weiten Blauende Leere.

SW 1148 EII166; FDH20038

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Ill Wirkung und Bewirktes - Umschreibungen des Seelenlebens

Das Gedicht »Einem, der vorübergeht« ist durch den biographischen Kontext bisher als Gedicht eher verdeckt worden. Es kann nicht einmal mehr darum gehen, Vermutungen über das Zusammentreffen Hofmannsthals mit Stefan George vorzutragen, noch, in der Absicht der sachlichen Einordnung, das Thema des Vorübergehens einer Tradition zuzuordnen.1 Schon die bisher untersuchten Beispiele aus dem Zusammenhang des lyrischen Werkes lassen darauf aufmerksam werden, daß dem Problem der Wirkung eines dynamischen Äußeren hohe Bedeutung zukommt, daß demnach gefragt werden muß, wie die Wirkung des »Vorübergehenden« sprachlich aufgenommen erscheint. Damit zusammen hängt, wie schon bei »Wolken«, die Frage nach der Seele, die sich im Aufnehmen der Wirkung und im Antworten darauf möglicherweise charakterisiert. Die Problematik des unmittelbar ungreifbaren Inneren und Äußeren - die Worte werden hier und an allen weiteren Stellen als vorläufige Metaphern2 problematischer Bereiche, die mit diesen räumlichen Vorstellungen noch nicht zutreffend umschrieben sind, verwandt-, deren Wirkung aufeinander und das sich darin konstituierende Bild stellen somit die Hauptmomente der Fragestellung dar, die bei der Untersuchung von »Einem, der vorübergeht« gegenwärtig bleiben soll. Bereits die Wahl des Titels, auch wenn damit Assoziationen von Gedichten Baudelaires und Hugos3 verbunden sind, weist auf die Vgl. Michael Winker, Hofmannsthal, George, and Poems by Baudelaire: »Herrn Stefan George / einem, der vorübergeht,« In: Modern Austrian Literature, VoL 16, No. 2, 1983, S. 37-45. S. auch die in der Erläuterung SW II 286, 6-16 genannten Stellen. Vgl. Erich Heintel, Die beiden Labyrinthe der Philosophie. Wien und München 1968, S. 60. Charles Baudelaire, A une passante. In: Les Fleurs du Mal, Nr. XCIH (s. Anm. 4); Victor Hugo, A un passant. In: Ödes et Ballades. Paris 1882, S. 355f. - S. die lesenswerten Vorträge von Gilben Ravy, Hofmannsthal und Victor Hugo, mit

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besondere Problematik hin, um die es in diesem Gedicht geht. Der unbestimmte >Eine< wird bestimmt als >Vorübergehender< (erste Fassung) und, noch deutlicher mit dem bestimmten Artikel »der«, als »der vorübergeht«. Die einzige Charakterisierung des Anderen ist die des Vorübergehens und zwar in diesem Moment. Damit ist bereits ein Unterschied zu Baudelaire genannt, denn bei diesem spricht das Gedicht über »une passante«,4 hat also bereits, wie der weitere Text zeigt, mit dem zeitlichen Rückblick die Möglichkeit der Erinnerung erreicht. Dies wird bei Hofmannsthals Gedicht so nicht zutreffen; trotz des vergehenden Moments des >Vorübergehens< wird hier versucht, die augenblickliche Wirkung möglichst vor ihrer Fassung im rationalen Rückblick zur Sprache zu bringen. Der Moment des Vorübergehens soll, im Bewußtsein der Paradoxie, zur Dauer gebracht, d.h. sprachlich entfaltet werden. In der ersten Strophe, die bis auf eine Änderung (»nächtliche« zu »nächtige« Vers 4) in allen Fassungen gleich bleibt, steht zusammen mit der genauen sprachlichen Gestaltung im Sinn des eigenen Werkes die Verwendung des überlieferten Bildes »Saiten der Seele« (Vers 3). Die nähere Betrachtung zeigt, wie dieses in den Zusammenhang der Sprachgestaltung eingesetzt ist. Zuerst ist zu bemerken, daß der thematische Moment in den ersten drei Worten bereits konzentriert erscheint. Die Pronomina »Du« und »mich« stehen hier in der größten Nähe zueinander, dazwischen das die Zeit angebende Hilfsverb »hast«: Vergangenheit, die in der Gegenwart wirksam bleibt. Das Bewirkte erhält nun eine seiner Ungreifbarkeit (»heimlich in mir«) hart gegenüberstehende, aber gerade damit Aufmerksamkeit evozierende Bezeichnung: »Dinge«. Die mahnende Erinnerung »an Dinge« verliert ihre greifbare Wirkung mit dem zweiten Vers beinahe wieder, wenn auch die Wendung »heimlich in mir sind« die Möglichkeit nicht ausschließt, daß diese »Dinge« sich zeigen könnten. Ein erster Vergleich* deutet

besonderer Betonung des Interesses beider Dichter am Wort, und von Dominique Jehl, Hofmannsthal und Baudelaire (beide in: Hofmannsthal Forschungen 9, Hofmannsthal und Frankreich. Freiburg 1987, S. 103-116 bzw. 117-133). Charles Baudelaire, Sämtliche Werke / Briefe. Band 3 Les Fleurs du Mal / Die Blumen des Bösen. München, Wien 1975, S. 244/245. Derungs (1960) spricht vom »Vergleich als erweiterte^) Metapher« und von der »Wendung von der Metapher zum Vergleich« (S. 36), womit das Subjekt durch die Beziehung ersetzt werde. Dies erweitert sich in meiner Interpretation um den Aufweis der Aufnahme des Vergleichs in die Sprachbewegung (s. S. 89).

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jedoch ihren nichtdinglichen Charakter an: die Wirkung des »Du« erscheint als die des Windes »für die Saiten der Seele« (Vers 3/4). Die deutliche Aufnahme des traditionellen Bildes »Saiten der Seele« weist geradezu darauf hin, daß ein eigenes Bild nicht vorhanden ist und deshalb offensichtlich eine überlieferte, formelhafte Wendung eingesetzt wird. Auch zeigt die Verwendung des Imperfekt (»warst«) im Unterschied zum anfänglichen Perfekt (»hast«), daß nun ein erinnertes Bild auftritt. Daß der Äolsharfentopos von »Saiten« und »Wind« zugleich Bedeutung aus dem Werkkontext erhält, wird durch das Adjektiv »nächtlich(e)« und das Partizip »flüsternd(e)« (Vers 4) sichtbar. Wie die besprochenen Beispiele belegen, ist die »nächtlich(e)« Situierung des Windes mit der Bedeutung von angesammelten Erfahrungen - wenn auch geheimnisvoller Art - verbunden sowie der des Hersteilens eines Bezugs;' »flüsternd(e)« fügt den Aspekt der Mitteilung eines von Außen Kommenden hinzu. Die Bewegung des derart mit eigenen Bedeutungen charakterisierten Windes bewirkt eine Bewegung der »Seele«, als deren Ausdruck, wie das Bild der »Saiten« nahelegt, Töne zu erwarten sind. In der Spannung von gegenwärtiger Wirkung des >Vorübergehenden< und ihrer Erinnerung als einer vergangenen mit dem traditionellen Bild konstituiert sich somit in der ersten Strophe die Möglichkeit eines Ausdrucks des »heimlich(en)« Inneren, ohne allerdings diesen Möglichkeitscharakter zum Wirklichen hin zu überschreiten. Die erste Fassung setzt zu einer zweiten Strophe mit mehreren »wie«-Vergleichen an, die das »Vorübergeh(en)« (Vers 9) als Vergangenes zu beschreiben bemüht sind. Auf der Ebene sinnlicher Wahrnehmung, Bestimmtes auflösend, liegt der Vergleich »Wie eines verwirrenden Duftes / (Verwirrend Vorüberwehen)«, in dem Wirkendes und Bewirktes sich wörtlich entsprechen, dessen zweite Hälfte jedoch durch einen weiteren, rational gefaßteren Vergleich ersetzt wird: »Wie einer Erinnerung Wehen«. Die Unbestimmtheit betont der dritte Vergleich: »Wie irgend eine Ahnung«, womit insgesamt nicht mehr zum Ausdruck kommt, als die Vorstellung, daß ein sinnlicher Eindruck Erinnerung und Ahnung geweckt hat. Die spätere zweite Strophe beginnt hier nicht mit dem unbetonten »Und« (»Und wie«), sondern mit einer weiteren Anrede und der Vergangenheitsform, die zudem die

VgL Tarot (1970) S. 132 und 388. 81

Betonung hat (»Du warst«). Der Vergleich besteht jetzt in einem Bild, das die angedeutete Personifikation der Nacht aus vorhergehenden Gedichten aufnimmt und deren Äußerung zugleich als wahrnehmbar (»Rufen«) und schwer deutbar (»rätselhaft(e)«) benennt. Die »athmende(n) Nacht« erhält danach weitere Beschreibungen, die zunächst realistisch scheinen: »Wenn draußen die Wolken gleiten / Und man aus dem Traum erwacht«. Durch das Gedicht »Wolken« vorbereitet läßt sich bemerken, daß eben solche Bildelemente gewählt wurden, die eine äußere Bewegung darstellen und die einen Übergangsmoment vom Unbegrenzten, Unwillkürlichen zum Wachen in allgemeinster Form nennen. Sie entsprechen damit genau der problematischen Situation von >äußerer< Bewegung und Wirkung auf ein >InneresEigene< (»meine Sehnsucht«) sind benannt. Damit aber, ebenso wie mit »das Bild [...] das alte«, werden Fassungen des Äußeren und Inneren ausgesprochen, die der Problematik nicht genügen können. Die folgende Strophe kehrt nun die Perspektive von Vorübergehen und Wirkung um, wenn die Vorübergehenden jetzt »Wir« sind und das »fremde(s) Leben« nicht als dynamisches wirkt, sondern »wir« es »Zuweilen secundenlang ein(saugen)«. Diese Fassung wurde gestrichen und gab Anlaß zu einer Reihe von Versuchen, die noch zu untersuchen sind. Der vorläufige Schluß der ersten Fassung des Gedichts sollte zunächst den Anfangsvers wieder aufnehmen, ersetzt ihn dann aber mit einer Wendung in die Gegenwart: »Jetzt bist du wie andere Dinge / Die heimlich in mir sind / Und an dein Vorübergehen / Gemahnt mich der flüsternde Wind«. Die Bemühung um einen Abschluß ist deutlich, nicht nur aufgrund der

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zahlreichen Wiederaufnahmen aus der ersten Strophe, so des Reimes »sind / Wind«. Mit der Trennung von Bewegung und Bewirktem wird die Problematik entschieden: die Wirkung ist »jetzt« greifbar »wie andere Dinge«, wenn auch »heimlich in mir«, die Bewegung ist ebenso zur feststehenden Erinnerung geworden, an sie gemahnt entsprechend »der flüsternde Wind«. Daß diese Fixierung der Problematik eine zu kurz greifende Lösung ist, die noch keine angemessene sprachliche Gestaltung erreicht hat, zeigen die weiteren Bemühungen, bestimmte Momente zu formulieren. Ausgangspunkt dafür ist zunächst die gestrichene Strophe »Wir sehen in offene Fenster [...]«, für deren zweiten Vers zuerst erwogen wird »Einsam am Wege zu nacht«, um dann die ganze Strophe mit dem einleitenden »Du warst« in Einklang mit den übrigen Strophenanfängen zu bringen. Das Thema des »offene(n) Fenster(s)« wird beibehalten, auch wenn ein Versuch zuerst den Vergleich aus einem anderen Bereich nimmt: »Du warst wie das Frühlingsahnen / Das Wehen berauschend und lau«. Damit kommt der im vorhergehenden lyrischen Werk vorbereitete Aspekt des aufkeimenden Lebens, des sich Befreiens von Erstarrtem hinzu, worauf auch hier das Wort »lau« verweist. Als entsprechender Vergleich schließt sich an: »Ein Lied aus dem offenen Fenster«, ohne daß ein weiterer Vers die Strophe vervollständigte. Mit der Wirkung des Liedes ist allerdings ein Thema angerührt, das erst »Weltgeheimnis« gestalten wird (vgl. Kapitel VI). In einem weiteren Versuch entsteht eine vollständige Strophe: »Du warst was aus offenem Fenster / Zuweilen am Weg quillt / Ein Laut wie erheischtes Verlangen / Ein etwas, das niemand stillt«. Damit ist bereits der Reim der späteren Schlußstrophe vorhanden (»quillt /stillt«), dazu ein Vergleich, der den Wechselbezug deutlich werden läßt mit der Wendung »erheischtes Verlangen« (»erheischtes« nicht völlig sicher entziffert) und die kontinuierliche Unstillbarkeit. Dadurch wäre die Dynamik der Problematik in den Vordergrund gerückt und die zuvor gefundene Schlußstrophe mit ihren Fixierungen bedürfte der Änderung. Ein Ansatz dazu ist vorhanden mit dem Vers »Du bist das flüchtige Rätsel«, der auch Gegenwärtiges feststellt, jetzt aber in der bewegten Ungreifbarkeit, die das in Frage stehende Problem angemessener charakterisiert, als eine voreilige Fixierung. Der Schluß der ersten Fassung wird im Folgenden über drei Strophen neu entworfen, wobei die Abfolge der Neufassungen nur ver-

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suchsweise zu ordnen ist, besonders weil Hof mannsthal auch auf zuvor gestrichene Wendungen wieder zurückgreift. Die drei Strophen mit ihren Überarbeitungen, die auf der Rückseite des ersten Entwurfsblattes stehen, sehe ich als die früheren, die auf einem weiteren Blatt entworfenen als die etwas späteren an. Vermutlich sollten sie auf die künftige zweite Strophe folgen und somit die zuerst entworfenen und überarbeiteten drei letzten Strophen ersetzen. Dem Einsatz mit »Du warst« folgt jetzt als Bild für die Wirkung des Vorübergehenden das »Leuchten«, während der >innere< Bereich unvermittelter, räumlich benannt wird: »die tiefsten Tiefen / der Seele«. Der dynamische Vorgang des Leuchtens wirkt demnach auf ein anschaulich Vorgestelltes, dessen Qualitäten sich im nächsten Versuch andeuten: »Da rauschen verborgene Quellen / Da lodert Feuerschein«. Diese Vorstellung der Seelentiefen als bewegte Landschaft aus Wasser und Feuer löst ein anderes Bild ab (»Zerstäubte Gedanken (steigen) / [...] Und schweben im zitternden Schein«), das mit der Wirkung des von außen kommenden Leuchtens die Vorstellung der sich in einem unbewußten Grund bildenden, als »Gedankenstäubchen« noch nicht faßbaren, Gedanken verbindet. Der äußeren Dynamik entspricht so ein inneres Werden. Die nächste Strophe erweitert das Bild um die Vorstellung von schwirrenden Vogelflügen, deren Wirkung mit Wendungen aus dem Gegenbereich von Metall und Maschine benannt werden soll: »(klirrt) [...] blinkt [...] (dröhnt) stampft«, ohne daß dies zur Ausführung kommt, und um die nächste Vorstellung von »gährend Wurzel Getriebe«, die den Bereich der »heimlichen Tiefen« in seiner untergründigen Rätselhaftigkeit und zugleich als Grund des Werdens weiter beschreiben soll. Die Überarbeitung nimmt den Vers »Es rauschen verborgene Quellen« wieder auf, fügt dazu den neu entwickelten »Es schwirrte Vogelflug«, um die Strophe mit einem ebenso höchst bewegten, wie aus dem Werkkontext vertrauten Bild abzuschließen: »Es jagten durch lodernde Feuer / Rothglühender Wolken Zug«. Zeigt sich damit die Bemühung, den Seelenbereich mit Vorstellungen außerordentlicher Dynamik und sich abzeichnender Möglichkeiten zu umschreiben, kommt mit der Schlußstrophe in überdeutlicher Wendung der Gedanke des Auflebens hinzu (»Lebendige Leichen quellen / Aus blühenden Särgen hervor«) und die zusammenfassende Nennung der Wirkung nach außen: »Und (von) über dem allen webet / Ein mystisch erhabener (lautloser) Chor«. Das von außen einfallende Leuchten evoziert in den Tiefen der Seele

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eine umfassende Äußerung, die, in Korrespondenz zur Wirkung des Windes auf die Saiten der Seele, ertönt als »mystisch erhabener Chor«, wobei diese Artikulation geheimnisvoll und unfaßbar bleibt.7 Die Überarbeitung der letzten beiden Verse (»Und davon dränget nach oben / mystisch verworrener Chor«) hebt die Richtung der undeutlichen Antwort (»verworrener«) auf die von oben in die Tiefen fallende Wirkung als Gegenrichtung »nach oben« hervor.8 Eine weitere Fassung der drei Strophen nimmt zuerst das Bild des offenen Fensters »am Wege« auf, aus dem etwas hörbar und zufällig »aufgefangen(er)« wird. Die zunächst noch einmal erwogene Fortsetzung »Wir (saugen ein fremdes) Leben / lautlos, (secundenlang) ein Athem lang« wird gestrichen und damit der gesamte Bereich des verbal gefaßt (»Ein aufgefangenes Wort«) oder ungefaßt (»Laut Klang Ton«) Hörbaren aufgegeben. An die Stelle tritt die visuelle Vorstellung »Schein« und die Fortsetzung der Strophe mit der inzwischen vorliegenden Wendung von den »tiefsten Tiefen / Der tiefsten Seele«, wobei nun die Tiefe noch mehr betont erscheint. Die zweite Strophe greift auf das Bild der >Gedankenstäubchen< zurück und schließt sich damit an die vorhergehende an: im »Schein« »steigen« sie »Sanftschimmernd auf und ab«. Der Bereich eines Werdens von Bewußtem erscheint weiterhin charakterisiert mit »gährende Wurzel Getriebe«, hinzu kommt jetzt der Aspekt des Begrabenen, das durch die Wirkung des von außen Einfallenden aufgewühlt wird: »Und gährende Wurzel (und Quellen) (Treiben) Getriebe / Erschüttert das heimlichste Grab«. Daran kann sich das schon vorliegende Bild der lebendigen Leichen und blühenden Särge anschließen, wenn auch zuvor stattdessen abstraktere Wendungen erwogen werden (»Verborgene Kräfte schwellen«, »Gestorbene Dinge treten«). Die Schlußverse heben sich jetzt auch sprachlich vom Vorhergehenden ab, können dabei aber wiederum als das letztlich Bewirkte nennend angesehen werden: »Die Harmonien der Dinge / Singt wogend ein mystischer Chor«. Die Erhebung zu einem sphärischen Einklang, wie sie die Schlußstrophe von »Wolken« darstellte, Vermutlich Anfang Januar 1892 notierte Hofmannsthal: »Won ist der Windhauch, der an die Saiten der Seele schlägt, berauschende Wirkung der Lecture, einreine Schwingungen und Chor« (II 286, 19—21). Zum Thema >Korrespondenz< vgl. Kapitel U. Damit ist bereits diejenige Richtung vorhanden, die in der ersten Niederschrift (»Die Kehle aufwärts quillt«) und mehr noch in der zweiten Reinschrift (»ein Zittern aufwärts quillt«) die Bewegung der Erhebung andeuten wird.

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liegt auch hier nahe. Der den Harmonien entsprechende Chor erscheint in seiner Rätselhaftigkeit und Grenzenlosigkeit als ein gestalthaft Bewegtes, das aber nicht in die artikulierte Einzelgestalt gefaßt werden kann. Mit diesem Schluß wären somit die »Dinge« des Gedichtanfangs erhoben in den größten Zusammenhang und jenseits aller endlichen Unstimmigkeit. Den zeitenthobenen Charakter läßt auch die erwogene Ersetzung des Wortes »Harmonien« durch »ewige Ehr« erkennen. Gegenüber der dinglich fixierenden Fassung der Schlußstrophe im ersten Entwurf stellen die beiden weiteren Entwürfe geradezu das andere Extrem, die ungreifbare Allgemeinheit, dar. Als Antwort auf die von außen kommende Wirkung entsteht in dieser Weise keine sprachliche Gestalt, die der Bewegung von Wirkung und Bewirktem entsprechen könnte, sondern die Beschreibung des Rätselhaften, das zuletzt aufgehoben ist in grenzenloser Harmonie. Das Problem des Zusammentreffens von Außen und Innen, wobei beide Bereiche nicht ihres dynamischen Charakters in der Darstellung sich begeben sollten, war auch auf diese Art zu unmittelbar gelöst, so daß weitere sprachliche Arbeit daran nötig blieb. Die erste Reinschrift des ganzen Gedichts weist noch vier Strophen auf, wobei die ersten beiden mit den künftigen Fassungen identisch sind, danach drei Entwürfe zu einer Strophe und schließlich erstmals den Ansatz, aus dem die künftige Schlußstrophe sich entwickeln sollte. Mit der Änderung von »nächtliche« zu »nächtige« in Vers 4 wird ebenso der Klang artikulierter, wie die Bedeutung über die Zeitangabe hinaus stärker den Aspekt der gesammelten Erfahrungen gewinnt.9 Die zweite Strophe setzt mit »Und wie« ein, wodurch der Vergleich weniger zusammengesetzt (mehrfacher Anfang mit »Du warst« in der ersten Fassung), als erweitert erscheint, zumal jetzt das »wie« betont ist. Die Bewegung geht damit mehr in die Sprache über, als dies zuvor möglich war. Die folgenden Strophenentwürfe nehmen Bilder der vorher mehrmals versuchten Schlußstrophen auf. Das bereits vorhandene »In stille riefe Tiefen / Fiel [...]« wird mit neuen Bedeutungsaspekten verbunden, wenn jetzt der Vers anschließt: »Warfst du den sausenden Stein«. Nicht nur die Intensität der Einwirkung ist gesteigert; besonVgl. die Belege im Deutschen Wörterbuch: »nächtig« (Bd. 13 Spalte 188), »nächtlich« (Spalte 196-198). »nächtige« bezieht sich auch als Adverb auf »flüsternde«, womit die Äußerungsweise des Windes, nicht nur dieser direkt, charakterisiert wird. Vgl. zu diesem Verfahren Kapitel XI.

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ders ihre Benennung, nicht mehr aus dem hörbaren oder sichtbaren Bereich allein genommen, verbindet mit höchster Bewegung (»sausenden«) harte Körperlichkeit (»Stein«). Damit kommt ein Moment des Gewalttätigen hinzu, dessen Wirkung das weitere, teilweise auch schon vorliegende Bild ebenfalls verändert: »Da schwirren Vögelflüge / Erschreckt im blassen Schein«. Die innere Bewegung (»Vögelflüge«) bekommt die Qualität des Erschreckens und wird damit, entsprechend der Einwirkung von außen, konkreter. Im Ansatz zum nächsten Entwurf der Strophe wird das Bild des offenen Fensters aufgegriffen und das daraus fallende Licht mit der Wendung »beim blassen Schein« benannt. Die zuvor für das von außen Kommende gewählten Vorstellungen des nahezu Immateriellen ersetzen somit wieder den »Stein« mit allen seinen Implikationen. Die letzte Fassung dieser Strophe nimmt das Moment der gemessenen Zeit aus der früheren Fassung (»secundenlang«) auf: »Es tickt die fremde Uhr / Ein Fenster offen steht«. Der Augenblick der Wirkung des Äußeren bekommt dadurch seine Konkretisierung als kurze Zeitspanne, wobei das Maß nicht die Fremdheit nehmen kann. Diese vertieft noch die nahezu Trakl'sche10 Wendung der nächsten beiden Verse: »Ein Hauch von fremdem Leben / Die Stirn vorüberweht«. Das fremde Leben erscheint in der Kaumfühlbarkeit des Hauches - in Korrespondenz zum Wind der ersten Strophe -, und der Ort seiner Wirkung ist nun nicht mehr die tiefste Seelentiefe, sondern die »Stirn«. Dies dürfte als Hinweis auf rationalere Bewußtseinsebenen und eine nach außen abgegrenzte Person zu lesen sein. Das Fremde erscheint in diesem Bild nur noch als Befremdendes; die Vorstellung des »sausenden Stein(s)« ist damit durch eine gemilderte, aber auch außen bleibende abgelöst worden. Mit den Versen »Zu zauberisch blauer Weite / Die enge Nähe schwillt« nähert sich die Schlußstrophe ihrer späteren Fassung und nimmt die Bedeutungsaspekte auf, die sich im Werkkontext mit >blau< verbunden haben. Die Erhebung in die Sphärenharmonie, wie sie die zuvor entworfenen Schlußstrophen mit der Vorstellung des mystischen Chores andeuteten, wird hier mit den beiden Adjektiven und dem abstrakten Nomen genauer benannt, als dies die scheinbar konkreteren Wendungen zuvor konnten. Der »enge(n) Nähe« der alltäglichen Endlichkeit steht die »blaue(r) Weite« 10

»Fledermaus die Stirn umweht« Georg Trakl, »Beim jungen Wein« Vers 12 (Dichtungen und Briefe. Hrsg. von Walther Killy und Hans Szklenar. Band I. Salzburg 1969, S. 340). 87

nicht unvermittelt gegenüber, sondern jene erscheint in den beiden Versen als übergehend in diese (»schwillt«). Der Aspekt der Befremdung oder Bedrohung durch das von außen Wirkende deutet sich in einem gestrichenen Vers an (»Ein leidend banges Grauen«), der aber nach dem vorhergehenden zu handgreiflich erscheinen mußte. Deshalb nimmt mit dem Adjektiv »weites« der vorletzte Vers die entwickelte Erhebung auf und läßt damit das »leise(s) Bangen« begründet sein im Unendlichen, das die Mahnung von außen erst zur Wirksamkeit gebracht hat. Der konkrete Schlußvers »Bangen / Die Kehle aufwärts quillt« gibt die Antwort auf diese Wirkung in ihrem Entstehen. Dies stellt sich jetzt nicht mehr in der unmittelbaren Dinglichkeit oder Allgemeinheit dar, wie zuvor, sondern in der Vieldeutigkeit angedeuteter Möglichkeiten. So erhält der nun gefundene Schluß über die Befremdung hinaus den Aspekt der Furcht vor dem Unbestimmten und zugleich die noch ungreifbare Bewegung zur konkreten und damit wieder endlichen Äußerung. Die Korrespondenz der Wirkung von außen und der Antwort darauf ist im Zustand der Bewegung mit dieser Fassung des Schlusses bisher am ehesten gestaltet. Die erste Reinschrift der dreistrophigen Fassung ändert die ersten beiden Strophen nicht mehr, läßt die zuvor noch entworfene dritte Strophe weg und behält die beiden ersten Verse der Schlußstrophe bei, um lediglich das Adjektiv »zauberisch« durch das sinnfälligere »weicher« zu ersetzen. Ganz verändert erscheinen die beiden letzten Verse: »Durch Pappeln vor dem Monde / Ein leises Zittern quillt, [...]«. Die Komplexität des Bildes, das selbst wieder ein in sich vermitteltes ist die Pappeln sind sichtbar im >Widerschein< des Mondes -, läßt ununterscheidbar werden, ob »Ein leises Zittern« noch dem Bereich der Wirkung zugehört oder als die Antwort darauf anzusehen ist: beides scheint möglich. Die Übereinkunft von Wirkung und Bewirktem gibt dieses Bild somit in der unscheinbaren Bewegung, die Außen und Innen nicht mehr getrennt hält. Das Rätselhafte und Nichtdingliche dieser Bewegung findet im objektiv erscheinenden Bild seinen Ausdruck, ohne daß noch davon gesprochen werden müßte; es ist sprachlich verwirklicht. Den Bewegungen der ersten Strophen - Mahnung, Wind, Rufen, Wolken, Erwachen -, die mit dem Beginn der dritten die höchste Allgemeinheit erreichen, korrespondiert schließlich die Übereinkunft von Fremdem und Eigenem in der »leise(n)« Bewegung des letzten Bildes. Die Änderungen der zweiten Reinschrift, mit der Hof-

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mannsthal das Gedicht in seinem Tagebuch festhielt, scheinen mir bedeutend genug, um von einer weiteren Fassung sprechen zu können. Sie betreffen die zuletzt hinzugekommenen beiden Schlußverse. In Vers 11 wird das »Durch« ersetzt mit »Die«, was eine Parallele zum Beginn des vorhergehenden Verses ergibt und eine engere Bindung an den folgenden, der jetzt lautet: »ein Zittern aufwärts quillt«. An Stelle des Adjektivs »leises« steht jetzt die Angabe der Richtung, die in der vorherigen Fassung noch im Unbestimmten geblieben war. Unbestimmt bleibt jetzt das Zittern hinsichtlich seiner Eigenschaften, bestimmt erscheint seine Bewegungsrichtung. Die beiden Wortänderungen haben sowohl eine Betonung der Parallele zu den horizontalen Bewegungen (»Die enge Nähe schwillt / Die Pappeln vor dem Monde«) bewirkt, wie eine der vertikalen Richtung, in der sich die Antwort auf das Wirkende des Vorübergehens bewegt. Das Problem der Wirkung eines dynamischen Äußeren, die im Augenblick des Vorübergehens gefaßt werden soll, ohne sie nur endlich stillzustellen, erscheint in den Bewegungsrichtungen der Sprache dieser Fassung angemessen ausgedrückt. Nicht eine unvermittelte Verdinglichung bzw. Auflösung wird vorgestellt, sondern das vermittelte Bild, das diejenige Bewegung in sich hält, die die Sprache des Gedichts selbst darstellt. Der Fassungsvergleich zeigt hier nicht nur wiederum die Tendenz zur kurzen, konzentrierten Formulierung und das Zurückgreifen auf teilweise schon früh und in anderem Kontext gefundene Wendungen, sondern vor allem die Entwicklung einer anderen Art des Vergleichens. Werden in der ersten Fassung noch vielfältige Möglichkeiten bemüht, um mit dieser Vielfalt das Phänomen versuchsweise zu fassen und führt dies auch dazu, in mehrfachem Neuansetzen den Bereich der Seele umschreiben zu wollen, so wird der bestimmende Vergleich (»Du warst wie [...]«) in der zweiten Fassung bereits nicht mehr verwandt. An seine Stelle treten nebeneinander gestellte Bilder, die die Analogien erweitern, deren Unbestimmtheit und Fremdartigkeit aber nicht feststellend übergehen. Der Vergleich behält in seinen Bildern das Moment der Bewegung und entspricht derart eher dem Vorübergehen, dessen Wirkung er fassen soll. In der ersten Reinschriftfassung ist dann eine Bewegung durch alle drei Strophen erreicht, die nicht mehr vom Abschluß eines Satzes unterbrochen wird, sondern mit dem Rückbezug des »Und wie« die zweite mit der ersten, mit dem Doppelpunkt

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»erwacht:« die dritte mit der zweiten Strophe verbindet. Der Zusammenhang erscheint nicht in diskursiver Folgerichtigkeit; die Bilder von Bewegungen werden ebenso unverbunden nebeneinander gesetzt, besonders in der dritten Strophe, wie sie die sprachliche Bewegung des Gedichts vereinigt.11 Dies zeigen die Satzzeichen der letzten Fassung noch einmal deutlicher, wenn die erste Strophe mit einem Punkt abschließt, die zweite dennoch mit »Und wie« neu ansetzt und mit »erwacht ..« ins Unbestimmte verläuft sowie die dritte Strophe mit einem Schlußpunkt wieder als Setzung erscheint. Die Paradoxie, einen flüchtigen Augenblick zur Dauer bringen, sprachlich entfalten zu müssen, wird somit konstitutiv für das gegenstrebige Zugleich von Bewegung und Setzung der Sprache in der letzten Fassung. Der Vergleich läßt demnach auch bei diesem Gedicht erkennen, wie eine zunächst in umfangreicheren Entwurfsversuchen ausgesprochene Problematik zur sprachlichen Gestaltung kommt, die nicht mehr darüber redend, sondern entsprechend erscheint. Zugleich weisen die verschiedenen Fassungen Aspekte auf, die nicht alle beibehalten werden, so den des Bedrohtseins, der in der zweiten Fassung deutlich hervortritt. Der in der ersten Fassung umfangreich, in der zweiten dann noch kurz vorkommende Versuch, Bilder für den Bereich der »Tiefen der Seele« zu finden, kann zwar für dieses Gedicht als mit den Reinschriftfassungen überwunden angesehen werden, ist aber im übrigen lyrischen Werk noch öfter anzutreffen und soll deshalb anhand weiterer Beispiele dargestellt werden. Bereits in der Lukrez-Übersetzung aus dem Winter 1887/88 steht der Satz: »Undurchdringlich liegt ein Schleier, der uns wehret zu erkennen / Was die Seele sei,« (II 7, Vers llf.). Die Frage, was die Seele sei, wird, auf eigene Weise gestellt und zu beantworten gesucht, eines der Hauptthemen des Hofmannsthalschen Werkes sein. Im Gedicht »Gespräch« aus dem Mai 1890 werden verschiedene Erscheinungen deshalb als geliebt dargestellt, »Weil sie in meiner Seele den Wiederhall 11

Vgl. die Beobachtung von Hans Steifen, der »einzelne Bewegungselemente« feststellt, »die ihre Eigenart nicht ohne weiteres an einen Vorstellungszusammenhang abgeben: Der Zusammenhang muß erst hergestellt werden, die dissonanten Elemente müssen nach ihrer inneren Stimmigkeit befragt werden.« (Steifen 1968, S. 276). Es handelt sich um »eine ganz andere Metaphernsprache als bisher« (S. 277), die im Sinne Baudelaires »mit Hilfe von Analogien und Korrespondenzen ein eigentümliches, zum gedanklichen Nachvollzug einladendes Bewegungsspiel« entfaltet (S. 279). 90

erwecken / Und Melodien rufen aus dämmernden Verstecken« (II 22, Vers 18f.)· Die Wirkung von außen, das unbewußte Dämmern und die vermittelte Antwort im Widerhall, in Melodien sind hier bereits vorhanden. In »Fronleichnam« (Juni 1890) wird als »Der Seele Inhalt« genannt: »der Träume bunte Menge« (II 24, Vers 5f.), in dem zur gleichen Zeit entstandenen Sonett »Sunt animae rerum« kommt der wichtige Aspekt des Gegensatzes von »deinem Selbst, dem starren, kalten« (II 25, Vers 9) und »Des Weltalls Seele« (Vers 10) hinzu. Die Seele erscheint nicht lediglich als unbewußter Grund des Individuums, sondern als Allverbundenes vor den rationalen Trennungen. Als Zugang zur Bewegung des Lebens ist die Seele zugleich Grund des möglichen Gedichts: »Lass dir des Lebens wogende Gewalten / Genuss und Qualen durch die Seele rauschen / Und kannst du eine Melodie erlauschen, / So strebe ihren Nachhall festzuhalten!« (ebd., Vers 11-14). Im Entwurf zu diesen Versen wird das gegensätzliche Zusammenwirken von glühender Seele und kalten Worten mehrfach variiert (II 222f.). In »Frage« (Juni 1890) erscheint der Blick als mögliche Pforte zu »Deiner Seele« (I 8, Vers 11), in »Sturmnacht« (Oktober 1890) eröffnet er den Zugang zu dem, »Was unsere Seelen sich lange verhehlt« (I 9, Vers 3), ebenso in »Für mich« (Oktober 1890): »Die Seele les1 ich aus dem stummen Blick« (I 10, Vers 7). »Gedankenspuk« (Dezember 1890) spricht von »unsrer Seele enger Zelle« (II 33f., Vers 30) und »unsrer Seele bebende(n) Saiten« (Vers 63), »Denkmal-Legende« (Dezember 1890) gibt das Bild des geflügelten Wesens (»die einst flügelschlagend ausgeflogen, / Die Seele« (I 12, Vers 23f.) und »Frühe Liebe« (Januar 1891) wieder das der »Seele Saiten« (II 41, Vers 18), die eine Wirkung aufnehmen und als »Ahnung / Über meine Seele gleiten« lassen (Vers 19f.) sowie als vermitteltes »Dämmern« (Vers 33) »in meiner Seele« bleiben (Vers 35). In »Sünde des Lebens« (Januar 1891) wird die Fähigkeit des Dichters, »das dämmernde Leben« (I 15, Vers 40) zu deuten und zu wissen, warum »Deine Seele weinet« (Vers 46) in Zweifel gestellt. Das Gedicht »Schönheit« (Anfang 1891) gibt das neue Bild »der Seele / Schmachtende Kelche« (II 62, Vers 48) aus dem Bereich der Pflanzen und »Ghaselen II. (A)« (Januar / Februar 1891) das der Seelenhüllen (II 44, Vers 5), die, wie »Jede Seele« (Vers 1), »der Dichtergeist« (Vers 6) nachbildend durchwandert. In »Ghaselen II. Verse« werden die Verse mit Quellen verglichen, welche »die Seele entführen auf ihren singenden Wellen« (II 44, Vers 2), wobei diese Bewegung in

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Wendungen beschrieben wird, die Momente der Erhebung in »Einem, der vorübergeht« vorwegnehmen: »Die Seele schließt die Augen und lässt sich träumend gleiten / Und fühlt ein mystisches Sehnen, ein süss geheimes Schwellen.« (Vers 3f.). Die hier personifizierte Seele nennt ein gestrichener Vers von »Ghaselen VII« »Mancher Leidenschaften) Herd« (II 254), während sie im Sonett »Künstlerweihe« (Januar 1891) als »vergraben und erstickt« (II 48, Vers 5) in kulturkritischer Perspektive erscheint und im Gegenzug dazu in »>ZukunftsmusikSaiten der Seele< sind genannt: SW II 234, 34-235, 5 und SW III 766, 26-767,15.

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Ganz dem Thema gewidmet ist wiederum »Psyche« (Juli 1892),13 das hier aber nur auf die Bildlichkeit hin betrachtet werden soll, die für den unbewußten Bereich verwandt wird. In Entwürfen zu den Versen ist von »Larven des Fühlens die schattenhaft weben« die Rede, von deren Verbeben »dämmernd im Unbewußten« (I 183, 32f.). Diese ungreifbaren Bewegungen versuchen weitere Bilder zu umschreiben: »Die wesenlosen Gestaltenheerden / (Die nie von der Seele) Die in dem Unbewussten gespiegelt werden« (I 184, Zeile 2-4). »Was im Grunde der Seele zusammendrängt / Sein flüchtiges Schattenleben empfängt / Wenn ein Wetterleuchten hinunterfällt / Vom Blitz der die obere Seele durchgrellt« (ebd., Zeile 6-9) und in weiterem Ansatz: »Die Schatten die in tiefen Verstecken / Zusammenschauern wenn wir erschrecken / Die dunkle Musik und der Sturm in der Nacht / Und Grauen und Angst zum Leben entfacht / Dass sie mit unbestimmten irren / Gestalten und Tönen vorüberschwirren« (ebd., Zeile 11-16). Diese Versuche der Annäherung an die unteren Tiefen der Seele werden jedoch in den weiteren Entwürfen aufgehoben in die vermitteitere Gestaltung, die sich schon in der Form des Gesprächs zwischen »Psyche« und »ich« zeigt, die dann aber vor allem in Wendungen erscheint, die in diesem Bereich zuvor schon ähnlich verwandt wurden: »Mit wunderbar nie vernommenen Worten [...] monddurchsickerten mächtig webenden, / Wie fiebernde Blumenkelche bebenden; / Mit grünen, rieselnden, kühlen, feuchten [...] Mit trunkentanzenden, dunkeln, schwülen [...] grosser, nächtiger Vögel Schwirren [...] metallener Flüsse grellblinkende Wellen« (I 33, Vers 29-42). Die Ansammlung nahezu aller Worte, die zur Umschreibung des Seelenlebens bis dahin bemüht worden waren, kann allerdings allzu leicht als Aggregat erscheinen, das noch nicht so weit Gestalt geworden ist, daß die Einzelversuche sich zum Ganzen fügten.14

13

14

Vgl. zu dem Gedicht Karl Pestalozzi, Sprachskepsis und Sprachmagie im Werk des jungen Hofmannsthal. Zürich 1958, S. 95f., Derungs (1960), S. 55f. und Sondrup (1976), S. 66f. und 72. Vgl. den Brief Rudolf Borchardts vom 7. Dezember 1911: »Dass Sie >Psyche meine Seele< heut mit Unbehagen lesen, weiss ich aus Ihrem eigenen Munde, aber die Wirkung des Gedichtes auf die Produktion ist eine ungeheure gewesen« (BW 56).

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Die- allerdings traditionell vorgegebene15- Möglichkeit, mit der personifizierten Seele ein Gespräch zu führen, nimmt das Gedicht »Spaziergang« (März 1893) auf, wenn in der vorletzten Strophe eine Frage beginnt: »Sag, meine Seele [...]« ( 83, Vers 25); »Bild spricht« (März/April 1893) stellt die offene Frage: »Warum kann man aus Menschenaugen / Die grenzenlose Seele saugen?« (II 94, Vers 33ff.) und im Gedicht »Wenn kühl der Sommermorgen [...]« (Oktober 1893) ist eine Situation gestaltet, in der eine Wirkung von außen (»Die jüngsten Träume« II 84, Vers 8) nicht aufgenommen wird, denn »Auf Deine Seele sie horchen bang / Die siedet und nicht ruht.« (Vers 19f.). Das Vorübergehen bleibt hier unbemerkt und als Möglichkeit vertan. Dagegen gibt in »Nach einer Dantelectüre« (1893 oder 1894) ein Wort dem Ausdruck, was »Deine Seele oft geahnt« (II100, Vers 8; vgl. Kapitel VI), während in dem im gleichen Themenkreis stehenden »Brief an Lili« (1893/94) das Erscheinen der Seele und ihre Benennung problematisiert werden: »nicht läche(lnd) tritt die Seele hin vor einen / Und Psyche ist ein dunkler Göttername / Den nur die Eiteln zu begreifen meinen.« (II 350). Im Juli 1894 kommen in dem Gedicht »Zuweilen kommen niegeliebte Frauen [...]« in der Wirkung des Traumes in immer erweiterten Vergleichen auch »Die Seelen« (I 46, Vers 13) als Antwortende auf »alle(n) leise(n) Worte(n), alle(s) Schweben / Der Abendluft und erstem Sternefunkeln« (Vers llf.) zum Ausdruck im »schwesterlich und tief erbeben«, das Trauer und Triumph, Ahnung und »das grosse Leben« (Vers 15) einbegreift. Hier ist die Wirkung von außen in ihrem Bewirken eines umfassenden Begreifens genannt. In noch grösserer Dimension steht die »erschrockenen) Seele« in »Manche freilich ...« (1895,1 54, Vers 17), auf die unabwendbar »Stummes Niederfallen ferner Sterne« (Vers 18) wirkt (vgl. dazu ausführlicher Kapitel X). Ein Entwurf der Verse 17/18 von »An eine Frau« (Februar 1896) spricht von »den namenlosen Spalten / (Des (Daseins) Seins) (Der (Seelen) Menschen)« (I 284, 19-23), in denen »noch andere Gewalten« wohnen, ähnliche Vorstellungen von den »Spalten« finden sich in den Entwürfen zu

15

Beispielsweise Angelas Silesius, Heilige Seelenlust oder geistliche Hirten-Lieder der in ihren Jesus verliebten Psyche (in: Sämtliche poetische Werke, Band 2, München 1924).

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»Lebenslied«.16 Das Verhältnis von Seele, Leben und Bild, welches in den Versen »Das Bild« (Februar/Oktober 1896) ausgesprochen ist, werde ich unter dem Thema des Spiegels (Kapitel XI) darstellen. In dieser Zeit entstand eine Aufzeichnung, die in den hier vorgetragenen Zusammenhang gehört: »Der Dichter: an eine von ihm selbst geschaffene Gestalt (im Tone Jesaia). Ihre Hilflosigkeit, Füße von Lehm und doch intensive Liebe: sie ist die erste Keimzelle; in ihr regt sich sein Leben; dadurch daß sie ist, ist sie doch großen edelmütigen Fürsten verwandter als Gold, Bäume und Sterne es sind: nimmt an Schmerzen teil entsiegelt ihm das Dasein, trägt einen Teil von seiner Seele mit in die Ingründe des Lebens hinein.«17 Die Vorstellung vom Zurücklassen eines Teils der Seele steht ebenfalls am Schluß des Gedichts »Vom Schiff aus« (Ende August 1898,1 88), das im Zusammenhang des Themas >Einheit, Grund< (Kapitel VII) ausführlicher zur Sprache kommen wird. In den Gedichten »Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller« (vor April 1899), »Prolog zu einer nachträglichen Gedächtnißfeier für Goethe [...]« (September 1899) und »Josef Kainz zum Gedächtnis« (Oktober 1910) erscheint die Seele, dem Anlaß und dem Publikum entsprechend, in gewohnten Wendungen (»Seele der erdichteten Geschöpfe«, I 89, Vers 11; »seine arme Seele« Vers 37), die die Bekanntschaft der Bedeutung des Wortes voraussetzen. Von außen bewußt in den eigenen Werkzusammenhang gestellt wird der aus zwei Goetheversen zusammengezogene und leicht abgewandelte Vers »Öffnet mir die Seele ganz« in »Großmutter und Enkel« (Juli 1899, I 91, Vers 15), zunächst sogar mit demselben Verb: »löset [...]« (I 376, 23).18 Im Entwurf zu diesem Gedicht steht auch der Gedanke: »unsre Seele altert nicht« (377, 17), auf den Hofmannsthal noch öfter zurückkommen sollte.19 Das Bild der Seele als flügelschlagendes Wesen war bereits im Dezember 1890 in »Denkmal-Legende« verwandt worden; 16

17

18 19

Eine »Notiz zu den eigenen Gedichten« (vermutlich Ende Februar 1896) lautet: »ein zweimal wiederkehrender Ausdruck: von den Falten und Spalten unserer Seele scheint anzudeuten, dass ein heidnischer Zustand für uns nur als etwas erobertes herzustellen ist, das andere, problematische dem Tod verwandte Gesinnungen erst hinunterschlucken, durch seine Poren und Spalten hindurchlassen musste.« (SW I 291, 5-9). Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze III / Aufzeichnungen. Frankfurt am Main 1980, S. 425. Goethe, Berliner Ausgabe, Band I, Berlin 1976, S. 69f. Dazu die ausführliche Interpretation von Karl Pestalozzi in: Resch, Seltene Augenblicke (1989), S. 121-138.

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in den Entwürfen zu »Glückliches Haus« (April 1900) steht das zum gleichen Vorstellungsbereich gehörende von den »Klauen seiner Seele« (I 404, 11; 405, 5), das allerdings auch noch eine andere Entwicklung im Werk aufnimmt (vgl. dazu Kapitel XII). Die spätesten Versuche, die Thematik der Seele zu gestalten, liegen mit nur teilweise ausgeführten Entwürfen vor, die einer gründlichen Interpretation bedürfen und hier nur genannt sein sollen. Als ein dieser Thematik gewidmetes, nicht ausgeführtes Gedicht kann »Dämon von aussen Dämon von innen« (Juli 1912, II 179f.) gelten, und auch die Aufzeichnungen unter dem Titel »Ganz kleine Gedichte« (1919 oder 1920) verweisen mit der historischen und gegenwärtigen Verbundenheit auf das Thema der Seele, für die hier das Bild der Uhr steht (II 187). In dem Entwurf zu einer Nachdichtung des »Sommernachtstraum«-Epilogs, gesprochen von »Puck« (Januar 1925), lautet Vers 7: »Eures eignen Hirnes Dichten« (II 188) zunächst: »was in euch die Tropfen dichten / eures Bluts die jung geblieben« (II 485,2f.), womit ebenso der Gedanke des Nichtalterns der Seele aufgenommen wird, wie von ferne die Vorstellungen, die das unbewußte Seelenleben in frühen Gedichten und Versen benennen sollten, noch einmal erscheinen. Die Versuche, die Tiefen des Seelenlebens mit sprachlichen Bildern zu umschreiben, waren so lange von vorneherein zum Mißlingen verurteilt, wie sie eine unmittelbare Benennung gaben. Dazu gehört auch noch die Zusammenstellung von Vergleichen mit Bewegungen aus unterschiedlichen Bereichen (Vögel, Feuer, Wasser). Übrig blieb die bewußte Setzung eines überlieferten Bildes (»Saiten der Seele«, Zitate), die eine originelle Wendung nicht anstrebt und als Setzung erscheint, oder die eigene Gestaltung der Sprache des ganzen Gedichts - wie das Beispiel »Einem, der vorübergeht« zeigt -, die dann nicht mehr über die Tiefen der Seele spricht, sondern sie entsprechend zur Erscheinung bringt. Damit weitet sich das Thema allerdings aus zur begründenden Aufgabe für jedes Gedicht.20

20

Vergleichbare Ausführungen auf historisch-politischer Ebene bei Carl E. Schorske, Die Seele und die Politik - Schnitzler und Hofmannsthal. In: Wien - Geist und Gesellschaft im Fin de Siecle Frankfurt am Main 1982, S. 3-21, besonders 1719.

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Einem Vorübergehenden. 1 Du hast mich an Dinge gemahnet 2 Die heimlich in mir sind. 3 Du warst für die Saiten der Seele 4 Der nächtliche flüsternde Wind (Wie wenn) 5 (Wie laues) Wie eines verwirrenden Duftes 6 (Verwirrend Vorüberwehen) 7 Wie einer Erinnerung Wehen 8 Wie irgend eine Ahnung 9 War Dein Vorübergehen 10 Du warst wie das rätselhafte 11 Das Rufen der athmenden Nacht 12 Wenn draußen die Wolken gleiten 13 Und man aus dem Traum erwacht 14 Du warst wie das Bild, (das) wie das alte 15 Das wo im Dunklen hängt 16 Und sich zuweilen seltsam 17 In meine Sehnsucht drängt 18 (Wir sehen in offene Fenster Einsam2 zu nacht 19 Zuweilen am Wege hinein 20 Und saugen ein fremdes Leben 21 Zuweilen secundenlang ein) 22 (Du hast mich an Dinge gemahnet) (Du bist) 23 Jetzt bist du wie andere Dinge 2¥ Die heimlich in mir sind 25 Und an dein Vorübergehen _„ , . , , „.. · ™,. < 26 Gemahnt mich der flüsternde Wind

ISO * Du warst was aus offenem Fenster Zuweilen uns * Am Weg zuweilen j)u warst wie das Du warst wie jas Friihlingsahnen Das Wehen berauschend und lau 19( ) (Ein aufgefangenes) Das aufgefangene Ge 2OO Ein Lied aus dem offenen Fenster „„,,.» „ „ „ l K2) Du warst was aus onenem Fenster .„,,,* 19(2) * Zuweilen am Weg quillt 20(2) * Ein Laut wie erheischtes (Sehnen) Verlangen 21(2) Ein etwas, das niemand stillt 23O * Du bist das flüchtige Rätsel Ein xx1

* am linken Rand entworfen t fehlt in SW II 2 SW II: Einfach

98

27 28 29 30 31 32

Du warst in die tiefsten Tiefen 29(1) Zerstäubte Gedanken (steigen) Der Seele ein Leuchten hinein (Gedankenstäubchen) (Da rauschen verborgene Quellen 30t1) Und schweben im zitternden Schein Da lodert Feuerschein) 3lW Es rauschen verborgene Quellen 32(1) Da (schwirren) (rauschen) Vögelflüge * «bwinte Vogelflug^ 33(1) Von ihnen (Wirrt) es und blinkt & J^«1durcb lodernde Feuer 34

Gedankenstäubchen steigen Sanftschimmernd auf und ab Und gährende Wurzel (und Quellen) (Treiben) Getriebe Erschüttert das heimlichste Grab

3iW 36(t) 37(2) 38(2)

(Verborgene Kräfte schwellen) (Gestorbene Dinge treten) Lebendige Leichen quellen Aus blühenden Särgen hervor Die Harmonien (ewige Ehr) der Dinge (Wogt) Singt wogend ein mystischer Chor

SW II284 nach: Harvard Library Bulletin, VIII, l, 1954 Tafel I

100

1 2 3 4

Du hast mich an Dinge gemahnet Die heimlich in mir sind Du warst für die Saiten der Seele Der nächtige flüsternde Wind

5 6 7 S

Und wie das rätselhafte Das Rufen der athmenden Nacht Wenn draußen die Wolken gleiten Und man aus dem Traum erwacht

27d) (In (tief) stille tiefe Tiefen Fiel (hall) (rollend) sausend 28t1) Warfst du den sausenden Stein 32(2) Da schwirren Vögelflüge 30(2) Erschreckt im blassen Schein) 1&) 19(3) 2(X3> 18(4) /9W 20(4) 2lW

(Es of) (Am Weg) Es steht ein Fenster offen Am Weg, beim (dunstigen) blassen Schein Saugt ein Es tickt die fremde Uhr Ein Fenster offen steht Ein Hauch von fremdem Leben (Durch) Die Stirn vorüberweht

1S(}) Zu zauberisch blauer Weite 19C) Die enge Nähe schwillt (Ein leidend banges Grauen) s 20( ) Ein weites leises Bangen 21C) Die Kehle aufwärts quillt

SW II285 EII37; FDH19962

101

Einem, der vorübergeht. 1 2 3 4

Du hast mich an Dinge gemahnet Die heimlich in mir sind, Du warst für die Saiten der Seele Der nächtige, flüsternde Wind

5 6 7 8

Und wie das rätselhafte Das Rufen der athmenden Nacht Wenn draußen die Wolken gleiten Und man aus dem Traum erwacht:

9 10 11 12

Zu weicher blauer Weite Die enge Nähe schwillt Durch Pappeln vor dem Monde Ein leises Zittern quillt...

Stefan George-Archiv; Württembergische Landesbibliothek

Einem der Vorübergeht 1 2 3 4

Du hast mich an Dinge gemahnet die heimlich in mir sind du warst für die Saiten der Seele der nächtige flüsternde Wind.*

5 Und wie das rätselhafte

6 Das2 (Athmen) Rufen der athmenden Nacht 7 Wenn draußen die Wolken gleiten 8 und man aus dem Traum erwacht.. 9 10 11 12

Zu (rätselhafter) weicher blauer Weite die enge Nähe schwillt (Durch) Die Pappeln vor dem Monde ein Zittern aufwärts quillt.

HoKghton Library; Harvard University H VII 9.32

SW II60

SW H: Wind SW II: das

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IV Das problematische Verhältnis von Natur und Kunst

Die bisher dargestellten Themen und Problemstellungen, die Frage nach der Möglichkeit des Gedichts, des Symbols und der Entsprechung, können auch als Momente des umfassenden Themas >Natur und Kunst< angesehen werden. Am Beispiel des Gedichts »Mein Garten« möchte ich in diesem Kapitel zeigen, wie das spannungsreiche Verhältnis von Natur und Kunst eine sprachliche Gestaltung gefunden hat. Ein derart grundsätzliches Thema kann mit einem oder mehreren Beispielen nicht erschöpft werden; es stellt einen Gesichtspunkt dar, unter dem das gesamte Werk zu untersuchen wäre. Deshalb sind hier diejenigen Beispiele herangezogen, die das Thema mehr oder weniger explizit nahelegen. Aus dem gesamten lyrischen Werk erwähne ich zunächst die Gedichte und Entwürfe, für die dies zutrifft, um dann die Fassungen des Gedichts »Mein Garten« zu interpretieren. Die »Verse, auf eine Banknote geschrieben« (Oktober 1890) stellen in kritischer Absicht der Herrschaft des Geldes entgegen »Was Kunst und was Natur im Wettkampf schafft« (II 29, Vers 58). Die gleichberechtigten, schaffenden Kräfte von Kunst und Natur haben ihr Gewicht verloren angesichts der Tatsache, daß »alles feil« (Vers 59) ist, stehen also in diesem Gedicht für diejenige Seite ein, von der her sich seine Zeitkritik begründet. Der Gegensatz kommt am Schluß noch einmal zum Ausdruck, wenn die Verse mit »Bildwerk und Gezweig« (Vers 63), die Banknote mit »einer Klinge tödtlich blankem Stahl« (Vers 64) verglichen werden. Einen anderen, von Hofmannsthal noch öfter genannten Aspekt, spricht ein Distichon, geschrieben im Mai 1891, aus: »Selber erzeugt und erzieht und verschönt und erhöht die Natur sich / Aber gemessen sich selbst, lernet sie erst durch die Kunst.« (II 47). Die Reihe der der Natur zugeschriebenen Tätigkeiten in bezug auf sich selber versteht sich nicht unbedingt von selbst; »erzieht«, »verschönt« und »erhöht« würde auf der Seite der Kunstwirkungen eher den Erwartungen entsprechen. Wenn diese Bildungs-

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möglichkeiten der Natur zugeordnet werden, folgt daraus eine umso deutlichere Betonung des »geniessen sich selbst«, das als einzige Wirkung der Kunst übrig bleibt. Die Vermittlungsleistung, die das sich selbst Gegenübertreten ermöglicht, scheint danach die entscheidende Bedeutung der Kunst zu sein. Die geradlinige Selbstentwicklung der Natur wird durch die Kunst in eine reflektierte Erkenntnis umgekehrt, die den Selbstgenuß darstellt. Mehr als fünf Jahre später zeichnete Hofmannsthal einen Plan auf, der in einen ähnlichen Gedanken mündet: »Gedichte, folgendes: das Durcheinanderspielen von allem: ich dichte über Richards Geliebte, wir gehen im Salzburger Museum, wo die Wiesen, die Wasserfälle, die Abende in Kunst umgesetzt liegen. Triumphierender Grundgedanke: alles kann dazu gebracht werden sich selbst zu genießen.« (II 114). Der Selbstgenuß ist die in der Kunst unter Aufhebung des reflektierenden Auseinandertretens wieder erreichte Natur, da er die sinnliche Ebene des Erkennens einbezieht. In anderer Weise erscheinen Kunst und Natur in einem Konzept »Ideen zu Gedichten« (Sommer 1891), wo der Natur die Stadt gegenüber steht: »Blume mit Lied, diese das Product der Natur, Mondnacht, Waldweben, jene der Stadt, flüsternder tausend Seelen etc.« (II 67). Die Naturelemente (Blume, Mondnacht, Waldweben) sind denen der Kunst (Lied, Stadt, tausend Seelen) allerdings nicht eindeutig gegenübergestellt, zumal aus dem Beispiel »Siehst du die Stadt?« bekannt ist, daß »Mondnacht« und »flüsternde Seelen« Bildbestandteile des Liedes darstellen können.1 Das parallel zu »Mein Garten« entstandene Gedicht »Die Töchter der Gärtnerin« (Dezember 1891) stellt in seinen beiden Hälften dem Bild des natürlichen Lebens (»Ein duftend Bacchanal« I 22, Vers 9) das eines Kunstbereichs gegenüber, das mit »starre(n) Orchideen« (Vers 11) eine Tendenz andeutet, die im letzten Vers Ausdruck findet: »Die tödten wollen [...]« (Vers 18). Die entsprechende Gegenüberstellung wird bei »Mein Garten« ausführlich zu untersuchen sein; hier ist noch eine Aufzeichnung zu nennen, die dem Gedicht »Die Töchter der Gärtnerin« vorausging und den genannten Bedeutungsaspekt der zweiten Hälfte vergleichend erhellt: »Künstler sind wie die

Hinzu kommt, daß die der Natur zugeordneten Vorstellungen deutlich auf literarisch Überliefertes anspielen oder es sogar zitieren: »Waldweben« ist bekanntlich ein Wort Richard Wagners aus »Siegfried«, Zweiter Aufzug (in: Richard Wagners gesammelte Dichtungen, Zweiter TeiL Der Ring des Nibelungen. Hrsg. v. Julius Kapp. Leipzig o.J., S. 183; vgl. II296,12f.).

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Orchideen: sie berauschen die Insecten durch ihren Duft, locken sie in ihren leuchtenden Kelch und saugen ihnen den Saft aus.« (I 142, 7-10). Die so illustrierte Aufnahme des natürlichen Lebenselements in die Kunst führt zu der Frage, in welcher Gestalt es dort wiederum zur Erscheinung kommen kann. Eine weitgehende Übereinkunft von Kunst und Natur stellt das Gedicht »Prolog zu dem Buch >Anatolinnere< Natur des Menschen, deren »Gewühle« der Ahnung des Gefühls zugänglicher scheint, als dem verständigen Begreifen. Die Schritte zu einer Gestaltung dieser Problematik im Gedicht sind an dem Abstand zu ermessen, der zwischen dieser ersten Formulierung und dem Wortlaut des »Reiseliedes« liegt. Die Aufhebung der elementaren Natur in der Sprachgestalt, die diesen Vorgang selbst zum Ausdruck bringt, kann - so zeigt die frühe Fassung - jene Natur nicht in äußere und innere trennen, sondern muß ausgehen von einer gemeinsamen Grundlage, innerhalb derer sich Äußeres und Inneres konstituieren können. In der Form des Monodistichons kommt mit »Grosse« (Ende August 1898) ein weiterer Aspekt des Verhältnisses von Kunst und Natur zum Ausdruck: »Nennt Ihr die Alpen so gross? Leicht könnt ich viel grosser sie denken: / Aber den Markusplatz nicht, niemals den Dom von Florenz« (II 141; zuerst: »Gross sind die Alpen nicht sehr, leicht (könnt) ich (mir) (grosser) sie höher mir denken« II 425). Das Epigramm gibt den Unterschied in der Bedeutung von »Grosse«, wenn es der extensiven Größe des Naturgegenstands die intensive des Kunstgebildes gegenüberstellt. Angesehen als physischer Gegenstand ist die Naturerscheinung gegen eine schlechte Unendlichkeit nicht abgrenz-

Ich nenne nur Pestalozzi (1970), S. 283-309 und Hoffmann (1987), S. 209-213. 110

bar, während das Kunstwerk mit seiner Selbstbezüglichkeit und in sich Vermitteltheit als Ganzes erscheint. Der Unterschied entsteht auch daraus - und dies ist die Gemeinsamkeit mit den anderen Beispielen -, daß die reduziert auf Gegenständlichkeit angesehene Natur ihren Sinn außer sich hat, die Kunst sich dagegen in sich sinnvoll und damit selbständig äußert. Die bisher genannten Aspekte des Verhältnisses von Natur und Kunst können in einem Gedicht aus dem Dezember 1891 nicht alle versammelt sein, zumal die Beispiele zur Hälfte erst in den folgenden sieben Jahren entstanden sind. Dennoch müssen sie bei der ausführlichen Interpretation von »Mein Garten« auch berücksichtigt werden, da mit der Untersuchung der Fassungen dieses Gedichts das Thema exponiert werden soll. »Mein Garten« liegt in einem Entwurf vor, der bereits alle späteren Verse, in modifiziertem Wortlaut, aufweist und so weit überarbeitet wurde, daß danach die Reinschrift angefertigt werden konnte. Die Bewegung von einer ersten zur späteren Fassung ist hier somit der Entwurfsfassung abzulesen. Unter dem Titel »Der Garten« stehen die ersten beiden Verse im künftig beibehaltenen Wortlaut. Die Verse 3 und 4 dagegen weisen in der Entwurfsfassung andere Bildelemente auf, als in der Überarbeitung: »Dem Teich der blinkt und mit den Wappengittern / Dem Klang des Gong, mit dem Brunnen schäumen«. Vermutlich erfolgte die Ersetzung (»Dem Diamantenthau« für »Dem Teich der blinkt« und »Löwen träumen« für »Brunnen schäumen«) gleich an dieser Stelle und nicht erst nach Fertigstellung des Entwurfs, denn der anschließende Vers 5 (»die ehernen [...]«) kann nur auf »Löwen« zurückbezogen werden. Danach steht hier bereits der spätere Vers 8, »So schön, ich sehn mich kaum nach jenem ändern«, was auf seine besondere Bedeutung für das Gefüge des Gedichts hinweist. Die Bestandteile des Gartens sollten zunächst noch um »(Die rococo) Den barocken Fasanen« erweitert werden; an Stelle dieses Ansatzes tritt »Den (Goldfasanen) edlen Reihern, die (metallisch)«, schließlich der spätere Vers 6 und 7: »Und der Voliere wo die Vögel blinken / Die niemals aus dem Silberbrunnen trinken«. Daran schließt der spätere Vers 9 an, der den >anderen< Bereich des Verses 8 aufnimmt: »Dem ändern Garten wo ich früher war«. Der Entwurf führt diesen Bereich im folgenden über zehn Zeilen hinweg aus, denen eine Überarbeitung folgt, die die späteren Verse 10 bis 14 erreicht. Die Beschreibung des >anderen Gartens< beginnt mit dem Vers »Da lag ich oft im feuchten

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kühlen Thau«, nennt den Duft der Erde, der das Haar durchsickerte und ersetzt den Ansatz »Die Sonne dampfte« durch »Die Wiese dampfte und die Flur ertrank / In einem«, um zunächst in dem unvollständigen Vers zu enden: »Dann stand ich auf und«. Zwei Neuansätze (»Da lag ich oft am Teich«, »Da floh ich oft zum Teich die«) werden ersetzt durch die drei Verse: »Da trieb mich oft zum Bach die Mittagsgluth / Die kühlen Tropfen sprühten auf mein Haar / Die Arme ließ ich hängen in die Fluth«. Das Gedicht erreicht auf diese Weise den Umfang von 12 Versen, bleibt aber noch in sich unabgeschlossen. Die folgende Formulierung der späteren Verse 10 bis 14 nimmt Elemente aus dem zuvor Entworfenen auf und schließt mit dem Rückbezug des Verses 14 auf Vers 9: »In jenem Garten wo ich früher war« das Gedicht. Die ersten beiden Verse geben den Kunstbereich des Gartens mit Bestandteilen, die eine künstlich nachgebildete Natur erscheinen lassen. Das Adjektiv »goldnen« steht in der traditionellen Bedeutung des Schweigens der leichtangedeuteten Äußerungsform des »Silbersäuseln(s)« gegenüber, wobei insgesamt der Eindruck einer stillgestellten Natur überwiegt. Deren Seinsstatus ist einzig in dem zu Beginn gesetzten Wort »Schön« ausgesagt.4 Demgegenüber kommt dem im Entwurf folgenden Bildelement »Dem Teich der blinkt« noch zu weitgehend die Bedeutungsmöglichkeit lebendiger Naturerscheinung zu, so daß die Ersetzung »Dem Diamantenthau« den Bereich des Flüssigen mit der Vorstellung außerordentlicher Festigkeit verbindet und in dieser Wendung künstlich fixiert. Dem sich herstellenden Bild aus »goldnen Bäumen«, »Blättern [...] mit Silbersäuseln« und »Diamantenthau« wird als weiteres, Fassung und Abgrenzung andeutendes Moment, die ganz im künstlich-kulturellen Bereich angesiedelte Vorstellung von »Wappengittern« hinzugefügt. Diese visuell wahrnehmbaren Elemente erhalten mit dem vierten Vers eine unerwartete akustische Erweiterung, die zugleich einen anderen Kulturbereich andeutet: »Dem Klang des Gong«. Die zweite Hälfte dieses Verses enthält zunächst wieder eine vertraute und allzu lebendige Vorstellung: »mit dem Brunnen schäumen«, die ersetzt wird durch eine außergewöhnlichere von in sich

Derungs hebt in seiner kurzen Interpretation das Adjektiv »Schön« hervor, um daran seine These anzuknüpfen: »das WIE der Welt ordnet diese dem ICH, dem Individuum zu« (S. 39); den Gegensatz von Natur und Kunst sieht er als einen möglichen Ausdruck der antithetischen Welt des Dichters an (Derungs, 1960).

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gekehrter Tätigkeit mit der Wendung: »Löwen träumen«.5 Könnte das noch auf lebendige Wesen verweisen, wird diese Möglichkeit durch das nachgestellte Adjektiv »Die ehernen« aufgehoben zugunsten des Gesamtbildes von künstlich festgestellter Natur. Dazu kommt die fixierte Bewegung der »Topasmäander(n)«. Mit der Verbindung von Kunstepochen nennenden Adjektiven und Lebewesen sollte diese Art der Aufzählung von Bildelementen fortgesetzt werden; der Ansatz wird ersetzt durch die erneute Kombination von (Edel-)metallen mit Lebewesen, die dadurch künstlich gebildet erscheinen: »Den (Goldfasanen) edlen Reihern, die (metallisch)«,' um schließlich abgelöst zu werden durch das doppelte Fixierung ausdrückende Bild von »der Voliere wo die Vögel blinken / Die niemals aus dem Silberbrunnen trinken«. Den in der Voliere gehaltenen künstlichen Vögeln gegenüber steht der künstliche »Silberbrunnen«, der nicht nur den Tätigkeiten natürlichen Lebens (»trinken«) verschlossen ist, sondern auch keinen Einblick gewährt, da er als »Silberbrunnen« den Blick nur spiegelnd zurückwirft (vgl. dazu Kapitel XI). Das im Zusammenhang der Seelentiefen mehrfach verwandte Bild von den Vogelflügen (vgl. Kapitel III), als Ausdruck kaumfaßbarer Bewegung, erhält mit diesen Versen sein extremes Gegenbild vollkommener Fixiertheit. Mit dem bereits vorher geschriebenen Vers »So schön, ich sehn mich kaum nach jenem ändern« erscheint der künstliche Bereich zusammengefaßt (»So schön«) und die Überleitung zu »jenem ändern« gegeben, der jetzt entfaltet wird. Auch im Entwurf geschieht dies mit einem Wechsel aus Gegenwart (»ist« Vers 1) in Vergangenheit: »Dem ändern Garten wo ich früher war« (Vers 9, im Entwurf 11) und einer auffallend häufigen Verwendung des Pronomens »ich«. Gegenüber den bestehenden Elementen des künstlichen Gartens erscheinen jetzt Tätigkeiten und Empfindungen (»Da lag ich oft im feuchten kühlen Thau /

Vgl. Helen Frink, Animal Symbolism in Hofmannsthal's Works. New York, Bern, Frankfurt, Paris 1987: »the lions in the poem >Mein Garten< have lost their vitality and no longer roar, but only dream« (S. 50). Vgl. Hahn (1962): »Die Kunst erstarrt zu lebloser Künstlichkeit, die Hofmannsthal meist in Metallen symbolisiere PSYCHE; MEIN GARTEN,« (S. 151) Werner Vordtriede schreibt: »Der künstliche Garten ist lebensfeindlich geworden.« (Novalis und die französischen Symbolisten - Zur Entstehungsgeschichte des dichterischen Symbols. Stuttgart 1963, S. 85). - Die Künstlichkeit war vermutlich trotz der Verbindung von Edelmetall und Lebewesen mit dem realen Tier >Goldfasan< nicht angemessen zum Ausdruck gebracht.

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Der Erde Duft durchsickerte mein Haar«), die einen Austausch von Mensch und Natur andeuten. Das wohl zu intensive Bild »Die Wiese dampfte und die Flur ertrank«, dem zunächst noch die größte Aktivität des Ich in diesem Zusammenhang folgen sollte (»Dann stand ich auf und«), führt zum Unterbrechen des Entwurfs und zum Neuansatz mit »Da lag ich oft (stiller) am Teich«. Dieser wird wieder durch eine größere Bewegtheit ersetzt (»Da floh ich oft zum Teich die«), bis im dritten Ansatz die drei bereits zitierten vorläufigen Schlußverse entstehen. Die Bewegung des Ich ist jetzt eine Reaktion auf natürliche Einwirkung (»trieb mich [...] die Mittagsgluth«), die einen ebenso natürlichen Ausgleich findet (»kühlen Tropfen«). Ein weiteres realistisches Bild deutet das vertraute sich der Naturbewegung Überlassen an: »Die Arme ließ ich hängen in die Fluth«. Gegenüber den ersten acht Versen, die den künstlichen Garten beschreiben oder den Übergang darstellen, hätten die vier bisher fertiggestellten Verse schon von der Anzahl her wenig Gewicht gehabt. Dies könnte ausgeglichen worden sein durch die Intensität der evozierten Vorstellungen oder es könnte gar nicht beabsichtigt gewesen sein, um dem künstlichen Garten das Übergewicht in der Vorstellung zukommen zu lassen. Ob eine derartige Gewichtung von dem Gedicht überhaupt zu erwarten ist, soll noch gefragt werden. Bisher zeigt schon der Umfang der Bemühungen, daß der Bereich des >anderen< Gartens sich sprachlich schwieriger gestalten läßt, als der des künstlichen. Deshalb erfolgte eine neuerliche Formulierung der letzten fünf Verse, die an den späteren Vers 9 anschließt und damit die Versanzahl des ganzen Gedichts auf 14 erweitert. Der Vergangenes nennenden Wendung »wo ich früher war« folgt die gegenwärtige Aussage: »Ich weiß nicht wo.« (Vers 10). Die Unkunde des Ortes wird ersetzt durch die gegenwärtige Wahrnehmung: »Ich rieche nur den Tau«, die das Vergangene (»Den Thau der früh an meinen Haaren hieng« Vers 11) anwesend sein läßt, nicht in wissender Erinnerung, sondern in sinnlicher Gegenwart. Im folgenden Vers kann das Verb »weiß« deshalb bereits als Ausdruck sinnlicher Erfahrung verwandt werden (»Den Duft der Erde weiß ich«), wobei allerdings das zuerst erwogene »noch genau« gerade diese Wahrnehmungsebene in Richtung auf Verstandesmäßiges verlassen hätte und deshalb durch Adjektive, die Fühlbares andeuten (»feucht und lau«), ersetzt wurde. Die in der Gegenwart wirkenden Erfahrungen der Vergangenheit werden in den Zusammenhang

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einer Tätigkeit gestellt (»Wenn ich die weichen Beeren suchen gieng«), die sowohl weitere Empfindungen (»weichen«), wie Offenheit (»suchen«) und Bezug zu Lebendigem (»Beeren«) andeutet, letzteres gerade im Kontrast zu den Vögeln, die »niemals [...] trinken« (Vers 7). Mit dem letzten Vers scheint der andere Garten jedoch in zeitliche und räumliche Ferne zu rücken (»In jenem Garten«, »früher war«) und wird zugleich der Kreis geschlossen, zurück zu den Versen 9 (»Dem ändern Garten wo ich früher war«) und 8, dessen letzte beiden Worte, die aus dem künstlichen Garten hinausweisen, jetzt aufgenommen und mit Vorstellungen erfüllt sind (»jenem ändern« Vers 8, »Dem ändern« Vers 9, »In jenem« Vers 14). Der nachträglich vermerkte Titel »Midas Garten« (für »Der Garten,«) hebt das Moment des Erstarrten, das in den ersten sieben Versen beschrieben ist, hervor. Unter diesem Titel zunächst- »Midas« wird später ersetzt durch »Mein« - steht die Reinschriftfassung des Gedichts, die in der Form des Sonetts gegliedert ist. Die ersten sieben Verse sind dem künstlichen Garten gewidmet, Vers 8 dem Übergang und die übrigen sechs Verse die beiden Terzette- dem >anderen GartenGartens< in Hofmannsthals eigenem Werk vgl. Roger C. Norton, Hofmannsthals Garden Image. In: The German Quarterly, 31, 1958, S. 94-103. Zum weiteren kulturgeschichtlichen Umkreis: Carl E. Schorske, Die Verwandlung des Gartens. In: Wien - Geist und Gesellschaft im Fin de Siecle. Frankfurt 1982, S. 265-303.

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derheit charakterisiert sich mit der Aufzählung seiner in Künstliches umgesetzten, auf Lebendiges nur verweisenden Bestandteile, die nahezu bewegungslos erscheinen, denen eine scheinbare Lebendigkeit angesonnen wird (die Löwen wirken, als ob sie »träumen«) bzw. die das Licht nur reflektieren können (»blinken«). Die einzige lebendige und lebenserhaltende Tätigkeit (»trinken«) soll für alle Zeit ausgeschlossen sein (»niemals«). Der eigene Garten erscheint somit als stillgestellte und künstlich ersetzte Natur, die alle lebendige Bewegung verlassen hat, zugunsten ihres Zustande« »schön« zu sein. Dabei fällt aber auf, daß dieser unbewegte Zustand immer auch mit Elementen dargestellt ist, die gerade Bewegung andeuten. Bäume, Blätter, Tau, Klang, Tiere und Vögel wären Bestandteile eines natürlichen Gartens, ebenso die gefaßte Natur des Brunnens und die Bewegung der Mäander. Diesen Bewegungselementen entspricht ebenfalls der fließende Übergang der ersten acht Verse, der durch die klingenden Reimendungen bewirkt wird. Der scheinbar erstarrte Garten das Midas charakterisiert sich somit sprachlich gerade unter ständigem Einbezug seines Anderen. Die im Gedicht bisher gestaltete Vorstellung wird mit dem nochmals aufgenommenen »schön« qualifiziert und damit zugleich der Übergang zu ihrem Gegenbild begründet: »So schön, ich sehn' mich kaum [...]« (Vers 8). Schon hier treten zwei Pronomina für das Ich auf, gegenüber dem einen »mein« in den ersten sieben Versen. Zum ersten Mal wird auch eine Empfindung des Ich genannt (»sehn'«), die sich hinbewegt »nach jenem ändern«. Das »kaum« wirkt angesichts des beteuernden »So schön« nahezu in sich selbst widerlegt. In den folgenden Versen tritt das Pronomen »ich« sechs Mal auf, zudem noch »meinen« (Vers 11). Der Zustand erscheint nun nicht durch nominale Bestandteile, sondern durch Verben ausgedrückt, die allerdings eher Wahrnehmungen, als eingreifendes Tun nennen. Wie in Vers 7 mit dem Wort »trinken«, erscheint in Vers 13 mit »gieng« die einzige äußere Tätigkeit; Die Aufnahme der Vergangenheit in die Gegenwart durch gegenwärtig Empfinden des Vergangenen wurde bereits am Entwurf beschrieben. Die Bewegung der Wahrnehmungen in den Versen 10 bis 13 ist sprachlich - in umgekehrtem Verfahren gegenüber dem ersten Bereich - streng gefaßt. Die Verse 9 und 14 umschließen den zweiten Bereich zyklisch, was auch auf der Ebene des Reims Geschlossenheit bewirkt. Die Reimsilben sind nun durchgehend betont, wodurch der einzelne Vers einen Abschluß erhält. Die Satzzeichen (zwei Punkte,

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Komma) deuten zwar Offenheit an, diese erscheint jedoch nicht als sprachlicher Ablauf, sondern in auftauchenden Momenten, die kaum Zusammenhang erreichen. Damit kommt in entsprechender Weise die Mühsamkeit der sinnlichen Vergegenwärtigung des Vergangenen zum Ausdruck, die ein Wares Wissen nicht erreicht, sondern im Übergang bleibt. Dies deuten die Wiederholungen besonders suggestiv an, ebenso die des Verses 9 mit 14, wie das zweimalige »den Thau« über die Versgrenze hinweg (Vers 10/11). Die bewegte Unbestimmtheit des sinnlich Wahrgenommenen erscheint demnach in deutlicher abgrenzender Sprachform, als die unbewegte Bilderfolge des künstlich Festgestellten: Inhalt und Sprachform gestalten sich wechselseitig im Übereinkommen des Verschiedenen. Deutet sich mit diesem Chiasmus von Form und Inhalt die Zusammengehörigkeit der beiden Gedichthälften und der in ihnen jeweils gestalteten >Gärten< an, ist nach dem Verhältnis, in dem sie zueinander stehen, noch weiter zu fragen. Der Unterschied von Gegenwart und Vergangenheit muß keine Trennung bedeuten, ebensowenig der von Besitz (»mein«) und Sehnsucht (»ich sehn mich«). Die Bestimmtheit des künstlichen Gartens kann als gewonnen aus der Unbestimmtheit »jene(s) ändern« erscheinen, wenn die Vergangenheit der zweiten Gedichthälfte als Voraussetzung der Gegenwart der ersten angesehen wird. Der feste Besitz des künstlichen Gartens muß nicht als zeitenthobene Gegenwart gedeutet werden, wenn die Irritation des »ich sehn' mich kaum« Beachtung findet. Nur die vielfältige Spannung von Bestimmtheit und Unbestimmtheit, Kunst und Natur konstituiert das Gedicht als Ganzes und läßt es weder in abstrakte Künstlichkeit, noch in ebenso abstrakte Sinnlichkeit zerfallen. Dennoch weist es mit seinen beiden Hälften, wenigstens inhaltlich, auf diese gegensätzlichen Möglichkeiten hin. Das wird weiterhin deutlich durch die Veränderungen des Titels. Sollte das Gedicht zuerst »Der Garten« überschrieben sein, hob der zweite Titel »Midas' Garten« den Aspekt des Erstarrtseins von Lebendigem hervor, den der Name Midas evoziert.8 Dies hätte jedoch

Sondrup (1976): »Hofmartnsthal had serious doubts about the aestheticism that in a broad sense characterizes symbolist thought. [...] His early poems, >LehreMidas Gartens >Die Töchter der Gärtnerins and >Der Prophet«, [...] all poems that Hofmannsthsl used to define symbolism - express his misgivings about aestheticism and its attendant isolation from life.« (S. 49). Sondrup zitiert den Titel »Midas Garten« nach Hofmannsthals Aufzeichnung zu »Symbolismus

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die Aufmerksamkeit zu sehr auf den Inhalt der ersten sieben Verse gelenkt und nicht der Sprachgestalt des ganzen Gedichts entsprochen. Bezieht man eine Tagebuchaufzeichnung vom 21. Oktober 1891 ein: »Dichter ein umgekehrter Midas: was er erstarrtes berührt, erweckt er zum Leben« (I 135, 12), wird deutlich, daß erst dar Titel »Mein Garten« sich auf das Gedicht als Ganzes beziehen läßt, da auch die sprachliche Gestaltung des ersten Bereichs nicht vollständig der Vorstellung von Erstarrtem eingeordnet werden kann. Die dem »König Midas Gefühl« zugehörige »Sehnsucht nach Erdgeruch« (I 138, 15) verweist auf die wechselseitige Bedingtheit der beiden >Gärten< ebenso, wie die in einer weiteren Aufzeichnung vorgenommene Zusammenstellung: »>Midas Gartens Preislied Tannhäuser im Venusberg« (1138,22f.). Der Aspekt des Ersterbens in der zur Künstlichkeit gewordenen Kunst, der den völligen Ausschluß von im weitesten Sinne >erlittenen< Wahrnehmungen mit sich bringt, ist mit der Erwähnung des Liedes Tannhäusers auch für das Gedicht angedeutet. »Mein Garten« auf das ganze Gedicht bezogen, läßt es als Ausdruck dichterisch gestalteten Lebens erscheinen, wobei zunächst die Nachbildung der Natur, mit ihrer Gefahr, zur glatten Oberfläche zu werden, vorgestellt wird. Das in gefaßten Gestalten auftretende Eigene (»mein«) scheint bewegungslos, Klang und Rhythmus der Sprache lassen es dennoch als Lebendiges fühlbar werden. Der scheinbar unmittelbarere Ausdruck des Ich in den Versen 8 bis 14, nahegelegt durch das neun Mal verwandte Pronomen und die auf das Ich bezogenen Verben, erscheint im Entwurf in abstrakter Natürlichkeit, die dann der bestimmenderen sprachlichen Fassung bedarf, um in ihrer Problematik gestaltet werden zu können. Trotz der Verbundenheit der beiden Bereiche, die sich gerade bei Beachtung der Sprachgestalt zeigt, gelangt das Gedicht nicht über Möglichkeiten hinaus. Das Bild des Gartens für das Leben, wie es hier aus der Tradition aufgenommen wird, legt den Vergleich mit der Chiffre >Stadt< nahe, die in »Siehst du die Stadt?« diese Stelle einnahm. Der Widerschein, als der das Leben in der vermittelten Gestalt des Kunstwerks möglicherweise Ausdruck finden kann, kommt in »Mein Garten« als mögliches Zu-viel und Zu-wenig zum Ausdruck. Das Problem, Lebendiges um der Wahrnehmung willen festhalten zu müssen, erscheint entsprechend im Extrem des Fixierens auf Kosten meine Definitionen« (SW 1134,18-23), die mit der Aufnahme dieser Titelvariante die genannten Zweifel hervortreten läßt.

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des Lebendigen und im Extrem der sinnlichen Eindrücke auf Kosten des Festhaltens. Auch angesichts der sprachlichen Gestaltung, die dem Inhalt seine Eindeutigkeit nimmt und das Gedicht als ein Ganzes erscheinen läßt, stehen diese Möglichkeiten mehr nebeneinander, als daß sie zu sprachlicher Wirklichkeit in ihrer Vermittlung gelangt wären.9 »Mein Garten« läßt das Verhältnis von Natur und Kunst eher in seiner Problematik erscheinen, als darauf eine Antwort zu geben. Auch die Frage nach einer Gestaltung des eigenen Seelenlebens bleibt offen angesichts der Alternative künstlicher Fixierung oder unverbundener Einzelempfindungen.10 Die Gegenbewegungen der Sprache, zur Auflösung des Fixierten bzw. zur Bindung des Vereinzelten, bleiben letztlich in ihrer Wahrnehmbarkeit hinter der Intensität der inhaltlichen Vorstellungen zurück. Die Fragestellungen, die für das Thema Natur und Kunst anhand der anderen Beispiele genannt worden sind, kennen, auf »Mein Garten« bezogen, die Bedeutung dieses Gedichts weiterhin erläutern. Der Aspekt des >todten GesteinsErlebnis< and >Vor Tag« (in: Modern Austrian Literature 7, 3/4, 1974) beschreibt die Welt des Gedichtanfangs wie folgt: »It is an indefinite world of >Dämraerungs a world in which everything

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wenn der erste Vers aufgenommen wird und das Tal nun in seiner Undeutlichkeit als »dunkle(s)« (Vers 4) genannt sowie die »dämmernden Gedanken« (Vers 5) des Ich mit dem silbergrauen Duft in Unbestimmtheit »Verschwammen« (ebd.). Der Entwurf fährt fort mit einem Bild, das im Zusammenhang der Suche nach Bildern für die Seele bereits begegnete: war in »Ghaselen II. Verse« (Januar/Februar 1891) die Rede davon, daß Verse die Seele auf singenden Wellen entführen und sie sich geschlossenen Auges träumend gleiten läßt (II 44), so wird jetzt »Duft und Dämmern« in die Vorstellung des Meeres zusammengefaßt, auf dem »trieb / Geschlossnen Auges (schlafend) still athmend meine Seele.«. Daß sich gegenüber dem zuvor Gestalteten damit zu direkte Gegenständlichkeit andeutet, dürfte die vermutlich sofortige Streichung der zwei Verse erklären. Ungestrichen stehen im Entwurf die Worte: »Und alles wogte trieb und trank die Formen / Der festen Dinge ringsumher«, die allerdings auch nicht mehr zum Ausdruck bringen, als in den ersten fünf Versen bereits gesagt ist. Der dritte Ansatz mit »Und« geht weiter, wenn nun nicht nur »meine dämmernden Gedanken« (Vers 5) verschwimmen, sondern das »ich« in dem »dämmernden / Durchsicht'gen Meer« versinkt.5 Die Vorstellung des Meeres wird aus dem ersten Ansatz zu der Stelle aufgegriffen und erhält die ambivalence Eigenschaft, dämmernd6 und durchsichtig zu sein, womit es der Ungreifbarkeit der ersten drei Verse näher kommt Die Aufgabe des Ich samt seiner Äußerungen (»still«) erscheint im traditionellen Bild des Versinkens im Unbegrenzten, in dem die Identität des Individuums sich auflöst. Der Entwurf hat noch nicht die Wendung »und verließ das Leben« (Reinschrift Vers 7). Die Wahrnehmungen, die nach dem Versinken des Ich möglich werden, erinnern wiederum an Bestandteile der Bilder, die bereits

merges imperceptibly with everything else, a world whose very topography is uncertain, a non-static world whose fluidity is enhanced by a whole arsenal of technical devices« (S. 88). Sondrup (1976) vergleicht »Erlebnis« mit Rimbauds »Bateau ivre« und deutet das Versinken: »hi both poems, sinking into an ocean becomes a metaphor for aesthetic experience.« (S. 83). Frink (1987), die das Wasser als Todessymbol versteht, sagt zu der Stelle, daß »a passive sinking into death forms a central image of the poem Erlebnis« (S. 98). Das Won >dämmern< steht im frühen lyrischen Werk für das unbewußte Vorhandensein von etwas in den Tiefen der Seele (vgl. Kapitel III, S. 90ff.).

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zuvor für die Tiefen der Seele versucht -worden waren.7 Dies gilt ebenso für die »Blumen [...] Mit Kelchen« (Vers llf.; vgl. »Schönheit« Vers 48 II 62), wie für deren Eigenschaft »dunkelglühend« (Vers 12). Die Landschaft erscheint als »Pflanzendickicht« (vgl. »Lehre« II 59) und erhält einen weiteren gemischten Farbeindruck mit dem »gelbroth(en) Licht« (Vers 13), das aus einer unbekannten Quelle dringt, die wieder nur der Vergleich mit Bekanntem versuchsweise benennt (»wie von Topasen« Vers 13). Dem visuellen Eindruck wird eine Wärmeempfindung und die Bewegung des Lichtes (»In warmen Strömen« Vers 14) hinzugefügt, um die gesamte Vorstellung schließlich mit dem Bildelement abzuschließen, das ebenfalls aus mehreren frühen Gedichten8 bekannt ist: »und welche Flüge / Von schweren dunkeln Vögeln!«. Die »wunderbare« (Vers 11) Landschaft, die mit offen bleibenden Vergleichen (»Wie«, »welche«) als unvergleichlich charakterisiert wird, ist demnach eine Landschaft der Seelentiefen, die zu erreichen das Verschwimmen der Gedanken und das Versinken des Ich voraussetzt. Daß Hofmannsthal mit dem Bild von den »dunkeln Vögeln« in diesem Zusammenhang nicht zufrieden war, zeigt die Notiz: »Klang wie dionysisch war der Tod das Wesen des Todes ist Musik«, die später für die Stelle des Gedichts zur Ausführung kommen sollte. Ich folge vorerst dem Ablauf des Entwurfs. Die Besinnung mit »Aber seltsam« (Vers 16) nimmt zunächst das Ich unmittelbar wieder auf (»Ich fühlte«), um dann die distanziertere Vorstellung »Ein namenloses Heimweh« (Vers 17) dafür zu setzen und auch die Wendung »weinte lautlos / In mir nach der« objektivierter mit »In meiner Seele« auszudrücken. Das unbestimmte Heimweh richtet sich in einem ersten Ansatz recht naheliegend auf die »Heimat«, dann entsprechend der bisherigen Bewegungsrichtung nach >unten< - auf die »ober(e) Welt«, um zuletzt nach dem »Leben« zu weinen, wobei die Handschrift nicht deutlich entscheiden läßt, ob diese Formulierung erst mit der Aufnahme der Todesthematik hinzu kam. Dieser Ausdruck der Seele wird in den folgenden Versen nochmals objektiviert, indem in einem Vergleich an die Stelle von »meiner Seele« die unbestimmte dritte

Hartmut Müller, Gestalt und Bedeutung des Todes im Werk Hugo von Hofmannsthals. Tübingen (Ms. Diss.) 1957, spricht geradezu von einem »Fest der Seele« (S. 7). »Sonett der Seele« (Mai 1891), »Einem, der vorübergeht« (Dezember 1891) und »Psyche« (Juli 1892, etwa eine Woche nach »Erlebnis«). 127

Person »einer« tritt: »Wie einer weint«.' Der Vergleich erhält seine Begründung in immer konkreteren Bildern, zunächst weint einer, »wenn er auf grossem Seeschiff / Mit (riesig) gelben Riesensegeln gegen Abend / Am dunkelblauen Wasser an der Stadt / Der Vaterstadt vorüber fährt«. Die Elemente dieses Bildes zeigen in objektivierter Form die Entfernung vom Leben, nicht zuletzt durch die Wahl der aufgenommenen Farben. Das Gelb der Segel deutet gemäß ikonographischer Tradition auf die aus der Gesellschaft Ausgestoßenen hin, entsprechend bedeutet das Dunkelblau des Wassers Unendlichkeit, wie bereits oben dargestellt (vgl. Kapitel II).10 Diese bewußt gesetzten Farbelemente ergänzt die Zeit »gegen Abend«, als Zeit der Zusammenfassung und des rückwärtsgewandten Überblicks. Die Bewegung aus dem Leben ins 9

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Die Vorstellung einer »Spaltung des ICH« findet sich bei Derungs (1960) (»Spaltung [...] in ein Fliessendes und ein Stehendes« S. 52) und ausführlich bei Wunberg (1965), der von »Depersonalisation im Sinne einer Ich-Spaltung« (S. 43) spricht, die der antithetisch konstruierte Text dokumentiere, woraus er folgen: »was hier formal sozusagen synonym ist mit schizophren« (S. 46f.). Dieses Verständnis ist Ausdruck der Lektüre des Gedichts als »lyrische(s) Dokument« (S. 54), mit dem sich psychologisch bestimmbare Sachverhalte zeigen, nicht aber der Deutung dichterischer Sprachgestaltung. Mauser (1969) spricht von einer »doppelten Ich-Perspektive« (S. 125), die sich in einem »Zugleich von sensitiver Lust am Schönen und der Skepsis allem Schön-Erscheinenden gegenüber« (S. 124) herstellt und in ihrer Spannung das Gedicht konstituiert, während Gabriele Inacker, Antinomische Strukturen im Werk Hugo von Hofmannsthals - Die beiden Antinomien Hofmannsthals »vergehende Zeit - Dauer« und »Einsamkeit Gemeinschaft« in ihrem Verhältnis zu den dichterischen Gattungen. Göppingen 1973, lediglich feststellt: »Diese Trennung des Ich stellt sich als der eigentliche Inhalt dieses Gedichtes heraus« (S. 112). Porter (1974) spricht davon, daß die Entfremdung zwischen Selbst und Objekt in einer völligen Objektivierung des Selbst kulminiere (S. 94), während Lauster (1982) den >einen< als Gestaltung der »reflexive(n) Existenz des >Schiffersdunkle< Bereich der Seelentiefen wird damit noch einmal genannt, um dann aber übertragen in den Eigenschaften der Musik zu erscheinen - entsprechend der Auflösung jedes dem versunkenen Ich Zugehörigen: »Gewaltig sehnend, (süss) (schwer) süss und dunkelglühend / Verwandt der tiefsten Sehnsucht«. In der Deutung der Musik kommen Bestrebungen der Seele (»sehnend«) und vorher für ihre Tiefen verwandte Beschreibungen (»dunkelglühend«) zum Ausdruck, wobei das Deuten nicht im Unausgesprochenen bleibt, sondern mit dem Wort »Verwandt« in die Aufmerksamkeit rückt. Im Entwurf heißt es von der »schwermütige(n) Musik« noch, sie sei »Verwandt der tiefsten Sehnsucht.«. Im Unterschied zu der später an diese Stelle gesetzten »Schwermut« erscheint hier somit noch ein Sehnen, eine unbestimmte, gefühlte Bestrebung, die möglicherweise gedeutet werden kann als Aktivität der Person beim auflösenden Versinken im Todeselement.12 11

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Die Verbindung von Musik und Tod gab Anlaß zur vergleichenden Interpretation von »Erlebnis« und »Der Tor und der Tod«: Franz Norbert Mennemeier, Die Gedichte Hugo von Hofmannsthals. Münster (Ms. Diss.) 1948, S. 33f.; Wunberg (1965),S.47f. Porter (1974) sieht den Grund der Ersetzung von »Sehnsucht« durch »Schwermut« (1903) darin, »to make the emotion more precise in terms of Hofmannsthals later emblematic language« (S. 90). Das Thema der Selbstkonfrontation werde dadurch hervorgehoben, da mit »schwer« im Sprachgebrauch Hofmannsthals die Bedeutung einer Selbstbewußtheit verbunden sei, »which is frequently accompa-

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Die Bewegung des Versinkens und die dabei erfolgende Auflösung erscheint unter dem Titel »Tagebuchblatt« und angesichts der in den ersten zwanzig Versen gewählten Zeitform als vergangenes Erlebnis, was der spätere Titel aufnimmt. Dieses Verlassen der eigenen Gedanken und der als Ich begriffenen Person, das in wunderbare Landschaften des überindividuellen Seelenlebens sinkt, erscheint nun aber nicht als Lösung des Problems der Fixierung des Lebens, sondern führt zu der komplementären Besinnung, die mit den Worten »Aber seltsam« einsetzt. Die Auflösung aller greifbaren Vorstellungen, in denen die Seele sich selbst fassen könnte, bringt mit sich ein »namenloses Heimweh« (Vers 17), das, wenn es nach dem Leben weint, das Vertraute in der völligen Aufgabe wieder sucht, damit es ihm einen Anhaltspunkt ermöglicht. Die Bilder der ersten Verse hatten in ihrer Konstellation jede Zuordnung zu Bekanntem auszuschließen versucht, was sprachlich nur wieder in der gleichzeitigen Setzung von Position und Negation möglich war. Die inhaltlich ausgesagte Ort- und Zeitlosigkeit der ersten drei Verse erscheint durch das betonte Schlußwort jedes Verses außerdem gehalten.13 Die Streichungen im Entwurf weisen auf die Absicht hin, jede direkte Nennung der Seele und jedes zu unmittelbare Bild sowie ebenso unmittelbare deutende Äußerungen zu vermeiden. Bei den Änderungen nach den Worten »Aber seltsam« zeigt sich entsprechend die Bemühung, die Gegenrichtung zur Auflösung des Bekannten nicht mit allzu unmittelbaren Setzungen zu gestalten. Deshalb die Objektivierungsstufen über »Heimweh« und »in meiner Seele« bis hin zu der mit dem Vergleich aufgenommenen dritten Person »Wie einer«. Erst diese dritte Person spielt in der Szene der Selbstbegegnung die Rolle dessen, der »sich selber« sieht.14 Der Blick auf das Vertraute und zugleich Fremde, wie die Irritation angesichts des Kindes zeigt, ist demnach erst über Vermittlungsstufen, nicht direkt möglich. Darüber hinaus deutet der Vergleich15 eine Gefahr an, die nicht als Tatsache für

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nied by some mention of death« (ebd.). Diese Beobachtung weist darauf hin, daß es sich dabei um ein Selbstbewußtsein als endliches Wesen handeln muß. Zu Form, Wortwahl und Klang vgl. Müller (1957) S. 8ff. und Sondrup (1976) S. 77f.. Porter (1974) spricht davon, daß »the constitutive feature of the artist's >Erlebnis< is in fact the awareness of a fictitious self.« (S. 98). Dazu Krämer (1963): »Das Gedicht schließt mit einem Bild, dem eigentlich ein ausgedehnter Vergleich, [...] zugrunde liegt, dessen Vergleichsfunktion aber verloren geht und bildliche Selbständigkeit erlangt« (S. 53). Diese »Verselbständi-

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das Ich ausgesagt wird: die Unumkehrbarkeit der Bewegung in das grenzenlose Element, die nicht rückgängig zu machende Auflösung der Person.16 Auch die hierfür zuerst entworfene direkte Benennung (»seine Glieder / Sind todt«) wird mit ihrem eindeutigen Realismus aufgegeben. Stattdessen erscheint die Spannung von Selbstbegegnung und deren Flüchtigkeit mit dem dagegengesetzten Bild des unaufhaltsam im Unbegrenzten gleitenden Seeschiffs. Rückwirkend wird es jetzt möglich, den visuellen Wahrnehmungen, die sich dem Versinkenden eröffnen, die Bewegungen des Klangs hinzuzufügen und innerhalb deren Unfaßbarkeit das intuitive Wissen: »Das ist der Tod der ist Musik geworden« auszusprechen. Die Auflösungsbewegung der ersten Gedichthälfte erhält damit schon den Hinweis auf ihre Unumkehrbarkeit, die in der zweiten Hälfte im Vergleich noch deutlicher erscheinen soll. Die Anordnung der Bildelemente und ihre Verhältnisse zueinander werden allerdings erst an der Reinschrift sichtbar. Diese, die Druckvorlage für den Erstdruck in den »Blättern für die Kunst«, weist wenige, aber bedeutungsvolle Änderungen auf. Unter dem nun gewählten Titel »Erlebnis«17 erscheint das Gedicht in seiner

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gung«, mit der sich ein »selbständiger Bildzusammenhang« entwickelt, beschreibt auch Hans Henrik Krummacher, Das >als ob< in der Lyrik - Erscheinungsformen und Wandlungen einer Sprachfigur der Metaphorik von der Romantik bis zu Rilke. Köhi, Graz 1965, S. 140, und kommentiert: »Die Unabhängigkeit ist so groß, daß erst in dem ganzen Umfang dieses selbständigen Bild Zusammenhangs mittelbar das Heimweh der Seele greifbar wird.« (ebd.). Er kommt zu dem Ergebnis: »daß hier aus dem Raum eines eigentümlich sich entziehenden und verfremdenden Gefühls gesprochen wird, dem auch das Außen nicht mehr selbstverständliches Medium der Selbstaussprache ist.« (S. 142) Dies konnte hier von den frühesten Beispielen an gezeigt werden. - Zum Thema des Vergleichs gehört die Beobachtung Wilhelm Höcks (Das Problem von Formen und Form bei Hugo von Hofmannsthal, München, Ms. Diss., 1954), daß in »Erlebnis« »die Verwandlungen im Vergleich Schritt für Schritt vollzogen werden« (S. 36). Mennemeier (1948) nennt diese Gefahr ein »tragisches Zu-spät« (S. 39), bezogen auf die »richtige(n) Schicksalserfüllung« (S. 37). Er geht allerdings bei seiner Deutung von einer »Welthaltung« (S. 36) eines »hinter diesem Gedicht« (S. 35) stehenden Ich aus, »die durch die polaren Gegensätze von Ich und äusserem Leben bestimmt ist« (S. 36). Damit wird das Gedicht zur Aussage über existierende Tatsachen, nicht zur Gestalt von Etwas, das nur mit ihm >existiertErlebnis< im 19. Jhdt. eingeht. Hofmannsthal verwendet es in seiner Rezension »Eine Monographie« (1895) bezüglich des Künstlers: »für ihn [...] ist dieses Wissen um sich selbst das einzige Erlebnis; wahrhaftig ist es ein Erlebnis, denn es ist ein Wissen in allen

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nicht mehr veränderten Gestalt, in 31 Blankversen mit dem Absatz in Vers 17, der die Richtungsänderung hervorhebt. Im ersten Teil wurde in Vers 6 das »dämmernden« mit Bezug auf das Meer durch das Wort »webenden« ersetzt; zum Teil wohl, weil in Vers 5 bereits »dämmernden« den Gedanken zugeordnet war, zum anderen Teil, um die unbegrenzte Bewegung des Meeres zu betonen.18 In Vers 7 steht nun, nach dem Verschwimmen der Gedanken und dem stillen Versinken des Ich die Aussage: »und verließ das Leben«. Damit ist die zuvor beschriebene Bewegung im Sinne des in den folgenden Versen Kommenden gedeutet, wobei schon die Ungreifbarkeit, welche die ersten Verse zum Ausdruck bringen, verbietet, dieses Verlassen des Lebens eindeutig zu interpretieren. Gerade in der direkten Aussage zeigt sich an dieser Stelle mehr die Evokation von Fragen, als eine endliche Deutung des Vorzustellenden.19 Nach dem Verlassen des Lebens erscheint die Landschaft

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Gliedern, ein inneres Wissen, und, wie jedes tiefe Wissen um sich selbst, den Worten und Begriffen völlig, völlig entzogen.« (RuA I, S. 481). Auf die Wassermetaphorik als »Bildfeld des Traumhaften« weist Krämer (1963) hin (S. 52), auf das Meer als Symbol des Lebens Porter (1974) S. 88 (genau gegenteilig deutet Frink (l 987), vgl. hier, Anm. 5). Die Interpretationen charakterisieren sich deshalb am deutlichsten mit ihrer jeweiligen Auffassung des Todes. Nach Müllers (1957) Deutung wird er erlebt »als ein Fest der Seele« (S. 14), womit »das Grauen vor dem Tode [...] aufgehoben (erscheint) [...] Tod und Leben [...] nahtlos ineinander« übergehen (ebd.). Hahn (1962) sieht den Tod in »Erlebnis« »ganz als ein Wesen der Traumwelt« (S. 113); nach Tarot (1970) gehören »Musik und Tod [...] in die Symbolik reiner Seinsverbundenheit« (S. 392); Inacker (1973) spricht von einem »Akt der Selbstwahrnehmung angesichts des Todes [...] (hier eines Traum-Todes)« (S. 111). Porter (1974) macht als Einziger darauf aufmerksam, daß in dem Gedicht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Tod als Teil einer »all-embracing harmony« (S. 92) und als »the ultimate reality as finality itself« (S. 93) besteht, das nicht aufgehoben wird; dies ist ein weiteres Moment der auch von mir herausgearbeiteten Spannung, in der das Gedicht als Ganzes steht. Dagegen scheint mir die Gleichsetzung Michelsens (in: Peter M., Zeit und Bindung. Göttingen 1976, darin: Abend - Zu einigen Gedichten Hugo von Hofmannsthals): »Dieser Tod, die Sphäre der dem Leben feindlichen Kunst« (S. 29) nicht im Gedicht begründbar wie ebensowenig seine Wendung vom »Totenschiff der Kunst« (ebd.). Nach Sondrup (1976) besteht das zentrale ästhetische Problem des Gedichts darin, »to create the atmosphere, the mood, or the dream-like state that suggests the essence of the experience of death« (S. 77). Jäger-Trees (1988) stellt fest: »Das grundsätzlich Neue in diesem Gedicht äussert sich darin, dass der Tod nicht mehr gleichzeitig höchste Lebenssteigerung mit sich bringt, sondern dass die Lebenssehnsucht und -fülle von (sie) Todeserlebnis getrennt erscheinen.« (S. 162), womit die von Porter vorgetragene Differenzierung nicht berücksichtigt wird.

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der wundervollen Blumen, wobei dem Licht »wie von Topasen« noch ein Verb »und glomm« (Vers 11) zugeordnet wird, das mit einem dunklen Laut inhaltlich zugleich das Visuelle des Phänomens beschreibt. Darauf folgt jetzt die im Entwurf zuletzt entstandene Stelle, die Musik und Tod verbindet. Im Zusammenhang der vorhergehenden Verse ändert Hofmannsthal die Zeitform: »Das Ganze / war angefüllt« (Vers 11/12), dies allerdings erst, nachdem auch in der Reinschrift schon die Präsensformen standen. »War« (Vers 12) und »wußt« (Vers 13 und 14) werden jedoch vermutlich nicht nur aus Gründen der Anpassung an die vorhergehende Zeitform verändert, sondern mehr noch um der Hervorhebung des jetzt im Präsens Erscheinenden willen. Das vergangene Wissen des an dieser Stelle wieder genannten »ich« (»Und dieses wußt ich« Vers 13) erscheint doppelt betont: »doch ich wußt es« (Vers 14) und schließt die nach wie vor in der Gegenwart stehende Unbegreiflichkeit ein: »Obgleich ich's nicht begreife« (Vers 14). Dem Erlebnis gehört nicht nur das Verschwimmen der Gedanken und das Versinken des Ich zu, sondern auch dieses unableitbare und unbegründbare Wissen des Ich, das sich somit offenbar zwar von einem »Leben« entfernt hat, dem aber die Möglichkeit intuitiven Wissens eröffnet worden und erhalten geblieben ist.20 Der Inhalt dieser im Überschreiten der endlichen Grenzen möglichen Erkenntnis steht folgerichtig im Präsens: »Das ist der Tod. Der ist Musik geworden« (Vers 15). In der wunderbaren Landschaft erscheint dies als einzige positive Setzung: die auflösende Macht des Todes, die sich hier in Gestalt der Musik zeigt. Daß die in diesem Erlebnis zuteil gewordene Erkenntnis als Erfahrung von Etwas, das als mehr anzunehmen ist, als sukzessive Zeit, verstanden werden muß, zeigt der Wechsel der Zeitform, wenn im Raum des Vergangenen ein Gegenwärtiges auftritt. Der hier genannte Tod steht dem bestimmten Leben nicht auf der Ebene von Sachverhalten gegenüber, sondern begleitet es als grenzenlose Sphäre. Seine Erscheinungsweise kann deshalb die fließende Bewegung der Musik sein, die in Entsprechung zu Stimmungen der Seele als »schwermütig«

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Unter Voraussetzung des Hofmannsthalschen Lebensbegriffs in seinen unterschiedlichen Bedeutungsmöglichkeiten (vgl. die Einleitung) sagt Tarot: »Das Aufgehen im Ganzen muß mit dem Verzicht auf konkretes Leben bezahlt werden. Das >Leben< verschlingt das Leben.« (S. 132). Im ersten Teil zahlt das »Ich, das der paradiesischen Zcitlosigkeit (dem Erlebnis der Allverbundenheit) teilhaftig wird, [...] den Preis [...]: Verzicht auf Leben.« (S. 131).

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(Vers 13), »sehnend, süss und dunkelglühend« (Vers 16) bezeichnet wird, als Bewegung, die den Vorstellungen nur unbestimmten Halt bietet und deshalb die Auflösung des Denkens bewirkt. Die Änderung des Wortes »Sehnsucht« in Vers 17 zu »Schwermut« nahm Hofmannsthal erst für den Druck der Gedichtausgabe von 1903 vor. Das unbestimmte Streben der »Sehnsucht« wird damit abgelöst durch eine Vorstellung des trauernden in sich Gekehrtseins, mit der sich zugleich der Kreis zurück zu Vers 13, »Schwermütiger Musik«, schließt. Dieser Aspekt der Trauer angesichts des Versinkens in unfaßbaren, überindividuellen Tiefen der Seele bereitet die Gegenbewegung schon vor, die mit den Worten »Aber seltsam« im selben Vers 17 einsetzt. Das in der Reinschrift hinzugefügte Ausrufungszeichen hebt die damit beginnende Besinnung21 aus der Bewegung der Auflösung noch mehr heraus und gibt dem Folgenden eine besondere Betonung. Die Objektivierungsschritte, in denen das Ich eine Begegnung mit sich selbst erreicht, werden mit dem Ausruf »Aber seltsam« noch deutlicher als Bemerkenswertes in die Aufmerksamkeit gehoben und erhalten durch kleine Änderungen im Wortlaut weitere sprachliche Konkretheit.22 Parallel zu »auf grossem Seeschiff« (Vers 20) steht nun »Auf dunkelblauem Wasser« (Vers 22; wohl auch anstelle des Austriazismus »Am [...] Wasser«) und der Blick im Moment des Vorüberf ahrens erscheint bestimmter auf diesen Moment bezogen mit dem »Da sieht er« (Vers 23, statt »Er sieht«), wobei das »Da« in Korrespondenz zu dem betonten »da« des Verses 8 steht. Zugleich wird der Inhalt der Wahrnehmung erweitert, wenn statt »hört den Brunnen« der Plural »hört die Brunnen« (Vers 24) Verwendung findet und jene damit deutlicher von der Einzelanschauung »sieht sich selber« (Vers 25) abgesetzt sind. Die entscheidende Konzentration findet mit dem Vers 28 statt, der jetzt lautet: »Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer - «, womit dieser Blick zwar die Möglichkeit offener Vorstellungen gibt, diese aber nicht mit weiteren Inhalten füllt. Der Rückblick des Vorüberfahrenden, der über 21

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Vgl. Müller (1957): »der Hingabe an den Tod folgt plötzlich die Besinnung« (S. 10). Perl (1936) weist auf die Wiederholung des Wortes »weinte« bzw. »weint« hin (S. 74), ebenso Müller (1957) S. 10; vgl. weiterhin die Ausführungen Krämers (1963) und Krummachers (1965) zur Verselbständigung des Bildzusammenhangs (oben, Anm. 15) sowie Porters (1974) zum fiktiven Selbst des Künstlers: »the artist's >inspiration< exists only in a fictitious, created self, a self created expressly for the purpose of having that inspiration.« (S. 98).

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immer Vertrauteres, Gassen, Brunnen, Duft, ein Kind (er selber), den Raum des vergangenen eigenen Lebens zu erreichen schien, wird nach diesem Vers, der in einen Gedankenstrich ausläuft, umso unabänderlicher von der bestimmten Lebensrealität getrennt, je unausgesprochener dasjenige bleibt, was alles »in seinem Zimmer« (Vers 28) zu sehen sein könnte. Das Heimweh findet dergestalt keinen Ort, mit dem es übereinkommen könnte und wird mit der knappen Setzung der gesehenen Szenerie umso intensiver erfüllt hinsichtlich seiner Eigenschaft, »namenlos(es)« (Vers 18) zu sein. Das in dem Gedicht gestaltete »Erlebnis« soll durch den Titel und die Form betont beiläufig erscheinen und ist doch offensichtlich von jedem vorbestimmten Erwartungen entsprechenden Erlebnis weit entfernt. Gerade dadurch wird die eigene Bedeutung bemerkbar, daß es sich hier um ein charakteristisches Erlebnis des Menschen als Künstler handelt. Die Grundbedingungen künstlerischer Gestaltung, das Auflösen des vorgegeben Vertrauten und die gleichzeitige Suche nach eigenen Erscheinungsformen des Empfundenen, kommen in den Bewegungen des Gedichts zum Ausdruck. Wieder- ähnlich wie bei »Mein Garten« - erscheinen die Bewegungen für sich genommen problematisch: das Versinken des Ich kann unumkehrbar sein, das Heimweh kann sich in unangemessenen Gestalten fixieren. Zugleich eröffnet sich mit ihnen zum einen das intuitive Wissen davon, was jenseits des bestimmten Lebens zu ahnen ist, und wird die »seltsam(e)« (Vers 17) Erfahrung möglich, daß es einer vermittelten Gestalt bedarf, um »sich selber« (Vers 25) sehen zu können. Beide Bewegungen zusammen erscheinen als sich wechselseitig komplementär, und diese Einheit in der Verschiedenheit gestaltet das Gedicht insgesamt. Daß mit der Selbstbegegnung in der Szene der Verse 23 bis 28 keine entsprechende Gestalt erscheint, sondern eine unbestimmte und vergangene (»Ein Kind« Vers 26), zeigt, daß mit dieser Szene die Problematik mehr hervorgehoben, als gelöst ist. Genauso bleibt die Spannung zwischen Auflösung und Gestaltung bestehen, wenn der Vergleich die Bewegung im Unbegrenzten gegen die Rückkehr ins Vertraute setzt und diese letztlich nicht stattfinden kann. Diese Spannung ist es aber gerade, die das Kunstwerk als sprachliches konstituiert und in der es mit jedem Wort steht. Auf anderer Ebene erscheint sie in den Zeitformen, wenn die Vergangenheit des Erlebnisses zugleich mit der Gegenwart des intuitiven Wissens besteht, ohne daß hier ein Verhältnis der Sukzession denkbar wäre. Dieses

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Versinken und zugleich an der Oberfläche Bleiben kommt zur gleichen Zeit mit demselben Vergleich von Musik und Tod, nun aber erweitert um die Andeutung der mythischen Vorstellung von Tod und Aufleben, in einem Briefgedicht zum Ausdruck: »Schwermutsvoll wie traurig-schöne / Dunkelglühende Musik: der / Tod der Griechischen Tragödie / Ein Verwandter des Adonis.« (II 77, Vers 69-72). Dem Adonismythos23 entspricht die Gleichzeitigkeit von Vergehendem und Gegenwärtigkeit, die mit dem Gedicht »Erlebnis« erscheint. Die Selbstbegegnung in einer bestimmten Gestalt enthält demnach auch die Fremdheit, das Nicht-Übereinstimmen, und damit verweist die Szene, in der sie stattfindet, auf das ganze Gedicht, als diejenige Gestalt, in der die Selbstbegegnung, unter Einbezug ihrer Bedingungen und ihrer Problematik, wirklich sein kann, gerade als höchst flüchtige und immer durch Einseitigkeiten gefährdete. Diese Möglichkeit, eine grundlegende Problematik dichterischer Sprachgestaltung zum Ausdruck zu bringen, greift Hofmannsthal mit drei Gedichten und einem Entwurf wieder auf. Das im Januar 1894 entstandene Gedicht »Fremdes Fühlen« (II 102) geht zwar von den Empfindungen des »Ich« (Vers 1) aus, überträgt sie dann aber in ein vergleichendes Bild »Wie einer« (Vers 5) und schreibt das Fühlen schließlich einem zweiten zu, »Der andere« (Vers 10), der Bilder aufnimmt und mit Erinnerungen verbindet.24 Über den rückwärts gehenden Vergleich, »Der neben mir [...] Er bebte wie [...]« (Vers 21 und 23) zu »ich war [...] Wie einer« (Vers 25 und 27), nähert sich die in Objektivierungsschritten distanzierte Vorstellung wieder dem Ich, das dergestalt die beschriebenen Empfindungen und Erinnerungen nicht als unmittelbar eigene ausspricht. Die Ambivalenz von Eigenem und Fremdheit in der gleichen Wahrnehmung wird in diesem Gedicht somit auch in einer Vermittlungsbewegung gestaltet, die das Ich in weiteren Personen erscheinen läßt (vgl. dazu auch Kapitel XII). In einem Entwurf aus dem Juni 1895 wird eine Traumvision beschrieben: »Höchst seltsam hab ich meine Welt gesehn [...]« (II110), die eine offenere Ansicht der eigenen Welt, als im Wachen, gibt, in der Gleichzeitigkeit von unterschiedlichsten Aufenthaltsorten möglich erscheint, das Bekannte »Seltsam durcheinandergemischt« auftaucht, 23

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Ein früher Gesultungsversuch liegt mit den Versen »Der starke Herr [...]« (l 890?) vor (SW II 37f.). VgL zu dem Gedieht Wunberg (1965) S. 54.

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und am Ende die Begegnung mit sich selbst steht: »schließlich überall Ich selbst / mir begegnend, ohne auf mich zu achten, in tausend Verwandlungen, niedrig und höh (sie)«. Das Spannungsverhältnis von Auflösung des Bekannten und seltsamer Wahrnehmung sowie von Selbstbegegnung und Fremdheit ist in diesem Gedichtansatz sehr ähnlich angedeutet, wie es in »Erlebnis« zum Ausdruck kam. Bemerkenswert ist die Wendung »in tausend Verwandlungen«, da sie auf dramatische Vorgänge ebenso verweist, wie auf lyrische Gestaltung. Vorbereitet durch die mit den herangezogenen Gedichten entwickelten Möglichkeiten mußte die Nachdichtung »Verwandlung« (SW I 103) des Gedichts »Phantom or Fact« von Samuel Taylor Coleridge naheliegen, da es eine Selbstbegegnung darstellt, die in mehrfacher Hinsicht Bedeutungen aufweist, wie sie in Hofmannsthals Werk ähnlich entwickelt waren. In diesem Zusammenhang ist kein Vergleich von englischem und deutschem Gedicht beabsichtigt, sondern vor allem die Beachtung der Sprachgestaltung Hofmannsthals, die in ihrer Genese mit dem Entwurf sichtbar wird. Dieser entstand im April 1902, hat also seit »Erlebnis« die Entwicklung des dichterischen Umgangs mit der Sprache über zehn Jahre zur Voraussetzung. Schwierigkeiten bei der Formulierung bestimmter Stellen weisen demnach auf ein Erproben der sprachlichen Wendung hin, mit dem problematische Bedeutung ihren Ausdruck findet. Der doppelte Einsatz mit »Auf einmal« (Vers l und 2) hebt die Überraschung durch die Erscheinung hervor, was besonders deutlich wird unter Rückbesinnung auf einen ähnlichen Gedichtanfang mit dem Auftreten einer »fremd vertrauten« Erscheinung: »Leise tratest an mein Bette / Lieblich rätselhafte Stunde« (»Gute Stunde« Januar 1894, II 103). Das »liebliche(s) Gebild« (Vers 1) in »Verwandlung« wird in Nähe und Abgrenzung zum eigenen Bereich wahrgenommen (»an meines Bettes Rand« statt »an meinem Bette«) und ist in seiner Wirkung zweideutig: »süßer Schauer« durchläuft das Ich im Innersten (Vers 5). Wie in »Erlebnis« folgt dem als Vergangenes Erzählten die Wendung in die Gegenwart mit dem intuitiven Begreifen: »dies ist mein wahres Ich« (Vers 6). Diese Erkenntnis scheint in der Zeit nicht bestehen zu können, denn die Gegenwart des wahren Ich bricht mit einem »Doch ach!« (Vers 9) ab, da ohne merkliches Dazutun des »ich« das wahre Ich sich von ihm kehrt und »auf einmal fremde Züge trägt« (Vers 11). Diese Parallele zum ersten Auftauchen der Erscheinung mit dem wieder verwendeten »auf einmal«

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entwickelte Hofmannsthal erst über drei Ansätze, die das Problem des Fremdwerdens eines wenigstens Liebenswürdigen nennen (»entfremdet, lieber Gast aus fremdem Land« I 412, 18) und dann die Wirkung des eigenen Blickes: »wie es vor meinem rweifelnd-müd unstetem Blick« (I 412, 19), »wie es vor dem Blick ausweicht« (I 412, 20). Der schließlich entwickelte offene Vergleich: »Wie es auf einmal fremde Züge trägt«, wird konkret im folgenden Vers: »Versteinernd unter meinem müden Blick!« (Vers 12, »müden Blick« aus »Zweifelblick«). Während das wahre Ich »mit tiefen Blicken mich ernährt« (Vers 8), also wohl teilhaben läßt am unbegrenzten Lebenszusammenhang, führt der zweifelnde müde Blick des alltäglichen »ich« zur nur gegenständlichen Fixierung: »Versteinernd« (Vers 12). Eine nächste Wendung der Wahrnehmung leiten die Worte »Und nun« (Vers 13) ein, die mit »Und dennoch« (Vers 14) verstärkt aufgenommen werden. Obwohl dem Gebilde »sein Antlitz [...] nicht zurück« kam (Vers 13),25 bleibt dem Ich bei aller Befremdung die Gewißheit, sich selbst zu begegnen. Diese Spannung zwischen eigen und fremd, die in den Versen 14 bis 17 gestaltet ist, entwarf Hofmannsthal in einer außergewöhnlichen Vielzahl von Formulierungsansätzen, die alle den gleichzeitig bestehenden Gegensatz von »fremd« und doch »mein« auszudrücken versuchen (I 412, 24—33 und 413, 1-4). Die Verse 14 bis 17 geben dann den übereinkommenden Gegensatz unter äußerster Betonung seiner auseinanderstrebenden Bestandteile: »Fremde auf ein Fremdes starrend« (Vers 14) und »Dies ist nichts Fremdes« (Vers 17) schließt mit dreimaliger Nennung des Fremden die Gewißheit (»Fühlt ich [...] / [...] nicht wich« Vers 15f.) ein: »dies bin ich!« (Vers 17). In der hier gestalteten Selbstbegegnung scheint die Identität proportional gleich der Entfremdung zuzunehmen, was in der Spannung zwischen nach außen gerichtetem Starren und innen beharrendem Wissen sich zeigt.26 Der aus der Realität sprechende Freund kann diese Identität von Identität und Fremdheit nur als »Rätsel« ansehen (Vers 18) und fragt nach dem »Zeitraum« (Vers 20), in dem sich das »entsetzliche Verwandeln« (Vers 21) zutrug.

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David E. Jenkinson (in: Resch, Seltene Augenblicke. 1989) macht darauf aufmerksam, daß das Wort »Antlitz« nur hier, neben »Dein Antlitz ...«, verwandt wird. »Ein Antlitz ist ein Gesicht, das mit den Augen der Poesie gesehen wird, wie es im >Gespräch über Gedichte heißt, also eher symbolhaft als in seiner Wirklichkeit wahrgenommen wird.« (S. 83). Derungs (1960) spricht von »Bewahrtsein trotz gegenteiliger Erfahrung« (S. 174).

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Die Antwort gibt die Ambivalenz von Augenblicklichkeit und Dauer, die dem Verhältnis von Vergehen und Gegenwärtigkeit entspricht, das ein derartiges >Erlebnis< charakterisiert. Als Augenblick ist die Erscheinung ein räum-zeitliches »Nichts vom Land der Träume« (Vers 23), in der unbegreiflichen Wirkung (»dunkel« Vers 24), in der das Leben steht, ist dieses wahre Ich immer gegenwärtig, wenn auch unerkannt, durch die »Jahre« (Vers 24). Die problematische Berührung von sukzessiver Zeit und Unendlichkeit kommt mit dem Gedicht vom ersten Wort an zum Ausdruck, womit es Bedingungen seiner Konstitution vorträgt, in denen das Problem, im Anderen sich selbst zu erblicken, begründet ist. Die augenblickliche Identität >verwandelt< sich mit dem Entfalten des Augenblicks in die Zeitreihe zur Fremdheit, die jedoch auch als konstituierende Bedingung einer möglichen Darstellung in Raum und Zeit angenommen werden muß.27 Dann kann die fremd erscheinende Gestalt (»Versteinernd unter meinem müden Blick« Vers 12) dennoch als Erscheinung des Ich gewußt werden, ohne daß die Spannung der Nichtidentität vollständig aufgehoben werden müßte. Der Dialog von Dichter und Freund zeigt mit diesen beiden Personen den Unterschied zwischen einer Erfahrung, die erst ein Kunstwerk begründen kann, und der realistischen Weltauffassung, der dies unwirklich erscheint. Die Übereinkunft und Distanz im Verhältnis zur Alltagsrealität kommt mit »Verwandlung« auf der Ebene der sprechenden Personen des Ich und des wahren Ich sowie von Augenblick und zeitlicher Abfolge zum Ausdruck. Die Flüchtigkeit und irritierende Fremdheit der Selbstbegegnung entspricht, noch differenzierter gestaltet als zuvor, in diesem Gedicht wieder den es selbst begründenden Bedingungen, in denen es sich dennoch als sprachliche Gestalt von Ich und wahrem Ich zugleich konstituiert. Ein weiteres Mal nahm Hofmannsthal eine Szene der Selbstbegegnung in ein Gedicht auf, in »Vor Tag« (August 1907). Mit diesem Gedicht ist eine Stufe der Sprachgestaltung erreicht, die es erlaubt, mit einfachen Worten und der Erfahrung entnommenen Vorstellungen nicht weniger, als die Berührung von Himmel und Erde zum Ausdruck zu bringen. Ich interpretiere deshalb nicht die einzelnen Bildelemente 27

Mennemeier (1948) sieht zwar, daß »das Thema der Verwandlung [...] im Kern der Hofmannsthalschen Weltanschauung« steht (S. 49), geht aber bezogen auf das Gedicht zu weit, wenn er sagt: »Was an Verwandlung da an ihm vorgeht, ist ein Mysterium, aber ein Mysterium des Grauens.« (S. 48).

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des Gedichts hinsichtlich aller Bedeutungsaspekte, die sie darstellen, sondern beschränke mich auf die in der Sprachbewegung erscheinende Zeitlichkeit und auf die Objektivierungsschritte, in denen die Selbstbegegnung hier gestaltet ist.28 Bereits der Titel »Vor Tag« weist auf eine Situation hin, die zugleich außerhalb und in der vergehenden Zeit zu denken ist. Diese Deutung kann zwar erst aus dem Gesamtzusammenhang des Gedichts gewonnen werden, dürfte aber die augenblickliche >Zwischenzeit< zwischen Nacht und Tag eher begreifen, als die nur realistische Vorstellung des Dämmerns. Der Schnittpunkt von sukzessiver Zeit und Ewigkeit »Vor Tag« erscheint im Gedicht in Gestalt des »Nun« (Vers l, 3, 4, 6,12, 22, 26 2mal, 38 2mal). Dieses Wort, das »die schnell hinschwindende zeit der gegenwart« (Deutsches Wörterbuch) bezeichnet, wird sprachlich entfaltet und steht damit in der Spannung von Dauer und Flüchtigkeit. Die Gegenwärtigkeit des Moments, den das Gedicht ausbreitet, kommt in der Zeitform des Präsens zum Ausdruck, in der alle jene Verben stehen, welche die Tätigkeiten bezeichnen, die gleichzeitig in diesem Moment geschehen und, obwohl vermutlich räumlich weit auseinander geschehend, in einen Blick zusammengefaßt erscheinen (vgl. »Höchst seltsam [...]« II 110). Der räumlichen Verteilung des Geschehens entspricht die des Gedichts, dem gleichzeitigen Moment die wiederkehrende Verwendung des »Nun«, das alle Geschehnisse zusammen nimmt. Bei den einzelnen Bildelementen handelt es sich um Bewegungen des Erwachens oder Zur-RuheKommens. Das Gewitter klingt ab, der Kranke schließt die Augen, um zu schlafen, während die junge Kuh und der Landstreicher erwachen. Mit dem »sich selber« (Vers 11) ist eine Selbstbegegnung angedeutet, die das eigene Tun wahrnimmt und seine Folge, »wie der Stein so dumpf / Und schwer zur Erde fällt« (Vers llf.), mit Grauen (»graust« aus »schreckt«), also auch hier das verwirklichte Eigene als Befremdendes erfährt.29 Danach treten in dem Gedicht Bereiche auf, die sich dem 28

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Ausführliche Gesamtinterpretationen liegen vor von Mennemeier (1948) S. 143160 und in: Die deutsche Lyrik II, Hrsg. v. Benno v. Wiese. Düsseldorf 1957, S. 292-302, Porter (1974), Erwin Kobel, Magie und Ewigkeit - Überlegungen zu Hofmannsthals Gedicht »Vor Tag«. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 21/1977, S. 352-392 und Werner Schwan, Hugo von Hofmannsthals Gedicht »Vor Tag«: kein Blick in den Zauberspiegel. In: Hofmannsthal-Forschungen 8/1985, S. 277-290. Vgl. Mennemeier (1948): »Die mit scheulos-spielerischer Unbedenklichkeit hinausgeschleuderte Tat hat sich nicht als etwas nunmehr gleichgültig-Selbständiges 141

Menschlichen immer mehr entfernen: das Wasser erscheint »unteilnehmend« (Vers 14) und so, als ob es der Nacht »nach / Ins Dunkel stürzen« (Vers 13f.) wolle, womit sich eine Bewegung in Unbegrenztes und in tödliche Tiefen (»kalten Hauches« Vers 15) andeutet, die aber mit einem »indessen droben« (ebd.) sofort aufgefangen wird.30 Dieses »droben« ist zuerst schlicht das »Brücklein« (Vers 17) über dem Wasser, auf dem die einfache Darstellung von Heiland und Mutter steht (ein Marterl), die sich »leise leise« (Vers 16) unterreden. Zugleich erscheint dieses »droben« in der Sphäre des Ewigen und Unzerstörbaren, »wie die Sterne droben« (Vers 19), hebt sich also von dem nach unten stürzenden Element in das Erhaltende, das mit Leiden und Liebe in der *kleine(n) Rede« seinen Ausdruck findet (Vers 20 bis 22). In der unscheinbaren Zusammenstellung des Verses 18 von »kleine Rede« und »ewig« kommt auf engstem Raum die Thematik der sprachlichen Verwirklichung und ihrer Begründung in das Zentrum des Gedichts. Dieses menschlich-göttliche Gespräch wirkt auf die Bereiche, die sich gemäß ältester Vorstellungen gegenüber stehen, »Himmel« und »Erde« (Vers 22), und »Nun« (ebd.), im ewigen Augenblick der kleinen Rede, »Ein stumm beklemmend Zwiegespräch« (Vers 23) haben. Im Unterschied zu dem Gespräch zwischen Mutter und Sohn ist das zwischen Himmel und Erde wortlos und erscheint nicht ewig, sondern »beklemmend«, da es als ins Endliche strebender Moment vor der zeitlichen Entfaltung in sich gehalten steht. Damit zeigt sich erneut das Zusam-

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von ihm abgelöst, sondern kommt zu ihm zurück und sagt gegen ihn als einen Schuldigen aus.« (S. 145) und Porter (1974): »his (des >einen< der Verse 27-35, Zusatz A.T.) feeling of guilt is prefigured in the first part of the poem in the reaction of the tramp who has thrown a stone at a dove [...]. That the tramp's action affects himself, that the normal subject-object relationship is momentarily reversed, produces that sense of isolation, of self-objectification, which Hofmannsthal normally expresses by the word >schwergrausenVorals obVor Tag< - auslösen« (S. 111) und Schwan (1985): »Die Liebesbegegnung wird als Schuld und angstauslösende Entfremdung des Jünglings von sich selbst erlebt. Das biblische Bild vom Hände-Waschen in Unschuld verschärft die Leidenssituation durch den Beiklang von Hohn und Zynismus, den der Jüngling sich selber unterschiebt.«(S. 283). Schon Günter Freudenberg, Die Zeit als dichterische Erfahrung im Werke Hugo von Hofmannsthals. Freiburg (Ms. Diss.) 1951, hatte die Verse mit der Heimkehr des >einen< als Beleg für »die Verschuldung [...] welche [...] mit dem Verlassen der Kindheit zusammenhängt« (S. 53) zitiert. Mennerneier (1957) weist zuerst darauf hin, »daß geheime Konfigurationen das Gedicht >Vor Tag< bestimmen« (S. 296, vgl. auch S. 294), Kobel (1977) nimmt dies auf und führt einige der Verbindungen an (S. 356-361X Schwan (1985) stimmt den 144

findens einer täglichen Identität besteht in diesem >Nun< -Moment, den das Gedicht entfaltet, und damit ebenso zu keiner wie zu aller Zeit. Mit zwei weiteren Ereignissen innerhalb des »Nun« deutet sich der Schritt aus dieser Gefahr an: »Nun geht die Stallthür. Und nun ist auch Tag.« (Vers 38). Das alltäglich gewohnte Geräusch der scheinbar von selbst gehenden Stalltür, zu dessen Hervorbringung es einer eigens genannten Person nicht bedarf, ermöglicht den Schritt aus dem beklommenen Moment in den Tag. Alltäglich Gewohntes gibt die beruhigende Gewißheit, weiterhin in der endlichen Zeit zu sein, wobei mit dem »auch« der Rückverweis auf die Ungeheuerlichkeit des überstandenen Moments anklingt. Diesem Moment folgt der Tag nicht, sondern er erscheint »auch« in ihm, als wahrnehmbares Ereignis begründet im unbegrenzten Zusammenhang. Das Gedicht spricht mit diesen Bildern der Ambivalenz von unendlichem Augenblick und endlichem Zeitpunkt aus dem Moment von Auflösung und Konstitution heraus seine eigenen Bedingungen aus. Wiederum ist die Szene der Selbstbegegnung in mehreren Objektivierungsschritten gestaltet und drückt zugleich mit dem Erblicken seiner selbst die Erfahrung von Fremdheit aus. Die hierin liegende Beklommenheit erfährt jedoch ihre überindividuelle Rechtfertigung mit der Entsprechung, die das »stumm beklemmend(e) Zwiegespräch« (Vers 23) von Himmel und Erde andeutet. Der Schritt, der grenzenloses Schweigen in den artikulierten Ausdruck trägt, dagegen geschieht in der Entsprechung zu der kleinen Rede von Mutter und Sohn, die ebenso leise wie ewig ist. Dazu gehört die Annahme der vorhergehenden Interpreten zu, »wenn sie die von Hofmannsthal oft benutzte Technik der Konfiguration in dieser Reihung von Gestalten erkennen« (S. 283). Porter (1974) interpretiert das Verhältnis des ersten Teils des Gedichts zum zweiten im Sinne Erich Auerbachs nach dem Begriff der figure »the events of the second pan of the poem recall those of the first, and [...] the events of the first part anticipate those of the second« (S. 104), wodurch die Zeit zwischen den beiden Teilen konstirutiv für die Gedichtstruktur werde. Auch wenn die Rolle der Zeit für die übrige Lyrik Hofmannsthals nicht derart weitgehend abgestritten werden kann, wie Porter es zugunsten von »Vor Tag« tut (S. 103), ist sein Hinweis auf die Tradition der Allegorie bedenkenswert, ebenso sein Ergebnis: »>Vor Tag< asserts the possibility of figurative expression, but only if that expression is in a mode whose constitutive element is time« (S. 105). Hock (1954) hebt die Komposition des Gedichts aus musikalischer Perspektive hervor: »Diese Verse sind eine gross angelegte Fuge über das Thema >Nun geht die Stalltür. Und nun ist auch TagNun< mit dem Ergebnis, daß am Schluß »der Augenblick restlos in Ewigkeit, die Ewigkeit restlos in Augenblick verwandelt« sei (S. 33).

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Fremdheit des Eigenen in der Erscheinung, der ebenso Flüchtigkeit wie Bestehen zukommt, wie es für die Sprachgestalt des Gedichts zutrifft. Die Unmittelbarkeit der Selbstbegegnung führt, je dringlicher sie gesucht wird, zu umso größerer Befremdung, die als beklemmende Empfindung stumm bleibt oder als >versteinerter< Gegenstand die Sprache verlassen hat. Auf diese Möglichkeiten weisen die Szenen der Selbstbegegnung in den Gedichten hin, um dabei sprachlich in der Spannung zwischen Selbst und Fremdheit, Ungreifbarkeit und Bestimmtheit sich bewegend zu erscheinen.

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Mit silbergrauem Dufte war das Thal Der Dämmerung erfüllt, (als wäre) wie wenn der Mond Durch Wolken sicken. Doch es war nicht Nacht. Mit silbergrauem Duft des dunklen Thaies Verschwammen meine dämmernden Gedanken (Und (füllten in) auf dem Meere von Duft und dämmern trieb Geschlossnen Auges (schlafend) still athmend meine Seele.) Und alles wogte trieb und trank die Formen Der festen Dinge ringsumher Und still versank ich in dem dämmernden Durchsichten Meer. Wie wunderbare Blumen waren da Mit Kelchen dunkelglühend, Pflanzendickicht Durch das ein gelbroth Licht wie von Topasen (drang) In (dichten) warmen Strömen drang und welche Flüge Von schweren dunkeln Vögeln! Klang wie dionysisch war der Tod Aber seltsam das Wesen des Todes ist Musik (Ich fühlte) Ein namenloses Heimweh weinte lautlos In (mir nach der) meiner Seele nach der (Heimat) (obern Welt) Leben weinte Wie einer weint wenn er auf grossem (See) Schiff Mit (riesig) gelben Riesensegeln gegen Abend Am dunkelblauen Wasser an der Stadt Der Vaterstadt vorüber fährt. Er sieht Die Gassen, hört den Brunnen rauschen, riecht Den Duft der Flieder(lauben)büsche sieht sich selber (Mit (Kinder) grossen Augen, die geängstigt sind)' Ein Kind am Ufer stehen mit Kinderaugen Die ängstlich sind und weinen wollen sieht (Sein) Durchs offne Fenster in sein kleines Zimmer (Wo Lampenlicht) (Das Bett ist) (Das kleine Bett ist offen und es liegt Ein Buch am Polster und am weissen Ofen) (Er möchte schrei'n und kann nicht seine Glieder Sindtodt) (Er) Das grosse Seeschiff aber (gleitet lautlos) trägt ihn weiter Auf dunkl(em Meer) blauen Wasser (wogen weiter) (gleitend) lautlos gleitend Mit gelben fremdgeformten Riesensegeln Und das Ganze Ist angefüllt mit einem (tiefen) heissen Schwellen Schwermütiger Musik. Und diese (Worte) weiss ich Obwohl ich's nicht begreife doch ich weiss es Das ist der Tod der ist Musik geworden.

VgL die Korrektur SW II530. 147

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Schwermütige ((sehnende) Musik) (gewaltig strömend) (mit Sehnsucht str) Durch (alle Sehnsucht d) alles dunkle sehnende der Seele. (Schwe) So süsse, sehnen Gewaltig sehnend, (süss) (schwer) süss und dunkelglühend (Süss tönend) Verwandt der tiefsten Sehnsucht.

VgL SW 1176-178 EII40; FDH19964

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VI Das Ideal des lebendigen Wortes

Das lebendige Wort steht als reales Mittel und ideales Ziel zugleich im Zentrum der dichterischen Bemühung um die Gestaltung der Sprache (hierzu und zum Folgenden vgl. die Erörterungen zum Begriff der Sprachlichkeit in der Einleitung, S. 2 Iff.). Im vermittelten Status des Widerscheins soll es die wahrgenommene innere und äußere Bewegung dergestalt halten können, daß sie, wenn auch nicht unmittelbar, lebendig erhalten bleibt. So kann es Ausdruck des Lebens sein, das überindividuell und individuell gestalthaft im Kunstwerk erscheint und damit dem sogenannten inneren Leben, dem Seelenleben, ebenso entspricht, wie dem als Äußeres wahrgenommenen. Als lebendiges Wort bewegt es sich in der Spannung von unausgesprochenem Ganzen und entsprechendem Teil, in einer Spannung, die es zu einer der beiden Möglichkeiten, dem Unbestimmten oder dem künstlich Fixierten, hin nur unter Vernachlässigung seines Sprachcharakters, nicht in Wahrheit verlassen kann. Seine im selben Moment als identisch und nichtidentisch erfahrbare Wirklichkeit erreicht das Ich in dem sich in dieser Spannung konstituierenden Kunstwerk, das als Ganzes dem Ideal des lebendigen Wortes zu entsprechen strebt. Auf dieser grundlegendsten Ebene angesehen wäre jedes Gedicht unter dieser Thematik zu untersuchen; hier wird es darum gehen, diejenigen Beispiele heranzuziehen, die deren Bedeutungsaspekte in Hofmannsthals Lyrik erkennbar werden lassen, wobei im Mittelpunkt das Gedicht »Weltgeheimnis« stehen soll. Davor und danach untersuche ich Gedichte und Entwürfe, die das Thema des Wortes explizit aufnehmen. Eine frühe Andeutung der lebendigen Wirkung eines Kunstwerks enthalten die Verse »Wie unwahr [...]« (II18, vermutlich 1889 entstanden). Durch »Zufall [...] Glück [...] Laune« (Vers 19f.) soll dem Leser eines Buches der Schlüssel zugeworfen werden, »Zu einer Welt voll niegeahntem Wunder / Die man nicht ausliest wohl sein ganzes Leben« (Vers 21f.). Die Abhängigkeit dieser Eröffnung von unberechenbarem

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Entgegenkommen und die sich dann zeigende Unerschöpflichkeit sind Aspekte, die hier zwar durchaus unoriginell übernommen werden, die aber im Bereich dieser Thematik weiterhin eine Rolle spielen. Das Gedicht »Sunt animae rerum« Quni 1890) geht aus von der Aufforderung: »Ein gutes Wort musst du im Herzen tragen« (II 25, Vers 1), um dann wieder die glückliche Zufälligkeit des Sich-Eröffnens zu nennen. Die in Vers 2 betonte » e i n e Stunde« deutet voraus auf das Thema der guten Stunde, in der ein mehr als alltägliches Bewußtsein möglich ist (vgl. Kapitel VII). Zu den Bedingungen, die dazu führen, »Von Herzen, die in todten Dingen schlagen« (Vers 6) Kunde zu erhalten, gehört allerdings nicht nur das Vertrauen auf Glück und Zufall, sondern, nach der hier geäußerten weiteren Aufforderung, das Verlassen des Selbst, des »starren, kalten« (Vers 9) und das Aufnehmen von »Genuss und Qualen« (Vers 12) des überindividuellen Lebens. Das hier Geforderte wird zwei Jahre später die in »Erlebnis« gestaltete Bewegung verwirklichen (vgl. Kapitel V). Der tönenden Äußerung dieser Gewalten des Lebens (»Melodie« Vers 13) soll der »Nachhall« (Vers 14) entsprechen, den festzuhalten das Bestreben sein soll. Damit ist- ähnlich der in »Siehst du die Stadt?« entwickelten Problematik des >Widerscheins< (vgl. Kapitel I) - das Thema des Wortes angesprochen, das als »gutes Wort« (Vers 1) den mittelbaren Status des Nachhalls zur lebendigen, aber sprachlosen Melodie hat. Der Entwurf der letzten vier Verse des Gedichts läßt das Problem des Festhaltens in einer Reihe von versuchten Bildern noch sinnfälliger erscheinen. Dem Bereich des Lebendigen (»Herz der Welt«, »heißer Wein«, glühende Seele) steht der der stillstellenden Fassung zuerst gegenüber (»kühle(r) Goldpokal«, »kalte(r) Kelch«, starre Hülle), der sich, direkter genannt, als der der »leere(n) Worte [...] und Formeln« erweist (II 222). Im Verlauf der Entwurfsstufen verändert sich die Gegenüberstellung zur Komplementarität, wenn »Becher«bzw. »Worte« und »Formeln« als »Für (unsrer Seele) Fühlens Glut, die heilsam kalten« (II 223, 3) erkannt werden, die als dem Lebendigen nicht nur entgegengesetzt anzusehen sind. Auf diesem Weg entsteht die Vorstellung von »Melodie« und »Nachhall«, mit der das vermittelte Verhältnis, nicht das unmittelbare Entgegenstehen, angedeutet ist. Das Ghasel »Für mich [...]« (Herbst 1890) unterscheidet das »Gewohnte, [...] alltäglich Gleiche« (I 10, Vers 1), welches der nichtkünstlerischen Vorstellung erscheint, von dem durch »Mein Auge«

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(Vers 2), das Auge des Dichters Wahrgenommenen. In dem Zusammenhang nennt es auch zwei mögliche Auffassungsweisen des Wortes: »Das Wort, das Ändern Scheidemünze ist, / Mir ist's der Bilderquell, der flimmernd reiche.« (Vers llf.). Die Lebendigkeit des Wortes in dichterischer Wahrnehmung umschließt unerschöpflichen Reichtum der angeregten Vorstellungen, bewegt sich damit aber nicht neben dem oder jenseits des alltäglichen Anderen: »Und einen gold'nen Reigen schlingt um mich / Das längst Gewohnte, das alltäglich Gleiche.« (Vers 19/20). Die künstlerische Wahrnehmung begreift das scheinbar identische Wort, »das Ändern Scheidemünze ist«, in Zusammenhängen, die seine Wirksamkeit lebendig werden lassen. In diesem Sinn erscheinen die Worte auch in dem Gedicht »Verheissung« (Dezember 1890), das in Bildern von Winter und Eis sowie lauem Wehen und Aufkeimen das Sich-Befreien des Lebendigen aus Erstarrtem gibt: »Hörst du aus der Worte Hall, / Wie sie kühn und trotzig klettern, / Und mit jugendlichem Prall / Klirrend eine Welt zerschmettern: / Hörst du nicht die leise Mahnung, / Warmen Lebensfrühlings Ahnung?« (II 30, Vers 1318). Worte können demnach in beiderlei Hinsicht wirken: als starre Formel, die lebensleer geworden ist, oder, dichterisch begriffen, als entsprechender Ausdruck lebendiger Bewegung. Das Gedicht »Frühe Liebe« (Januar 1891) unterscheidet den »Glanz der frühen Tage« (II 41, Vers 1), mit dem ein »du« empfunden wurde, von der Möglichkeit, ein »Bild« (Vers 4) davon zu behalten. Dies führt zu der Beschränkung auf den »Abglanz jenes Glanzes« (Vers 15), also wieder einer Andeutung der Mittelbarkeit des möglichen Bildes, und über die Vorstellung der Wirkung auf die Seele (Vers 17-20, vgl. Kapitel III) - zu dem Wunsch: »Manchmal möcht ich (mein Verlangen) schönheittrunken / All in eine Silbe pressen / und mir ist als war wie keiner / Mir dein Name längst vergessen« (Vers 21-24, im Entwurf: »[...] als war die Silbe wieder / War dein Name längst vergessen«). Der Drang, mit einer Silbe das Bild des Empfundenen ausdrücken zu wollen, führt demnach zur Auflösung des möglicherweise entsprechenden Wortes, zu der Erfahrung: »Doch dann bist du mir entfremdet / Und ich kann dich nicht mehr halten.« (Vers 31f.). Diese Erfahrung sollte später mit den Szenen der Selbstbegegnung in ihrer Problematik entfaltet werden (vgl. Kapitel V). Das vorliegende Gedicht nennt - ähnlich »Siehst du die Stadt?« - als mögliche erreichbare Annäherung an das Bild bzw. das entsprechende Wort, in Parallele zu dem »Abglanz«, das

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»Dämmern« (Vers 33), das den Glanz der frühen Tage erinnert. Auch damit ist die Mittelbarkeit und Verhaltenheit des Wortes gegenüber der wortlosen Empfindung als einer Bedingung menschlicher Erkenntnisund Ausdrucksfähigkeit angedeutet und anerkannt. Einen anderen Aspekt des »Unsterbliche(n) Wort(es)« (I 15, Vers 56) nennt das Gedicht »Sünde des Lebens« (Januar 1891). Hier erscheint die Warnung vor der Vieldeutigkeit, die ebenso »bethöret« (Vers 60) wie »zerstöret« (Vers 61) und vom Dichter hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht vorherbestimmt werden kann. Als »Deines Geist's verfluchtes Kind« (Vers 68) bleibt in der pessimistischen Perspektive dieses Gedichts das Wort »Ewig unverstanden« (Vers 66) und wird »Nachempfunden, nachgehallt, / Seellos« (Vers 64f.), was bereits auf »Weltgeheimnis« vorausweist, zumal wenn im Entwurf von »Sünde des Lebens« das »Unsterbliche Wort« (Vers 54) erst das »Verzaub(erte)« genannt wurde, dem das nachgehallte gegenüber steht. Das Thema der Ambivalenz des Wortes spricht auch das Gedicht »Ghaselen I.« (Januar 1891) aus, wenn es eine Reihe von unscheinbaren Gegebenheiten (Geige, Stein, Wort) in den übergegenständlichen Zusammenhang des durch sie in der Möglichkeit zu Bewirkenden stellt. Wie in der Geige die Harmonie des Alls, im Stein der weltentzündende Funke, so liege »In dem Wort, dem abgegriffnen« (Vers 5) eine lang gesuchte Wahrheit verborgen. Zuerst hieß die Wendung im Entwurf: »In dem Wort liegt eine Seele« (II 251), dies wurde ersetzt durch die Vorstellung des mühsam gesuchten Naheliegenden. Mit dem letzten Vers dieses Gedichts kommt ein Aspekt hinzu, der für die Einordnung der in den Gedichten genannten Bedeutungen des Wortes bestimmend bleiben wird: »Unsern Blicken ist Vollkomm'nes seit dem Tag des Sündenfalls verborgen.« (Vers 8) Die endliche Erscheinungsweise des Wortes, die in mittelbarer Abschwächung das unmittelbar Überwältigende zum wirklich Wahrnehmbaren für uns werden lassen kann, findet damit auch ihre religiöse Begründung und Dimension, die in den späteren Gedichten sprachlich konstituierend werden wird. Das Sonett »>ZukunftsmusikAnatolLebenBezaubertreisst an sichbezwingts es hat Kraft, >den Leib zu rührenichUmkreisen< wird im Folgenden näher zu untersuchen sein. »Als das leerste aller Worte vermag es noch am ehesten, die Allheit jenseits aller Dinge zu fassen.« Karl Pestalozzi, Sprachskepsis und Sprachmagie [...] Zürich 1958, S. 31. Vgl. dazu allgemein Anneliese Bach, Das Motiv des Brunnens in der deutschen Lyrik vom 17. Jhdt. bis zur Gegenwart (GRM 37, 1956, S. 213-231), die den Brunnen in »Weltgeheimnis« als »symbolischen Ort, an dem Erfahrung geschieht« (S. 227) versteht. - Pestalozzi (1958) stellt Bedeutungsmöglichkeiten des Brunnens bei Hofmannsthal dar (S. 29f.) mit dem Ergebnis: »dass sich im Verhältnis zur Brunnentiefe (die) Bewegung Einheit - Entfremdung - Rückkehr abspielt« (S. 30). - Krämer (1963) nennt den tiefen Brunnen »eine jener >primären< Metaphern Hofmannsthals« (S. 115), wobei er von >primär< spricht, »da (die primäre Metapher, Zusatz A.T.) keinem bekannten Bildschatz, keinen wissensmäßigen Dimensionen entnommen ist und da (sie) der hieroglyphische Ausdruck seiner irrationalen Gesamtstimmung [...] ist« (S. 227f.), weshalb sie gleichbedeutend mit Chiffre verstanden werden kann (S. 229). - Zum Brunnensymbol vgl. auch Marianne Hector, Die Wesensbestimmung des lyrischen Gedichtes durch Hugo von Hofmannsthal. Erlangen (Ms. Diss.) 1954, S. 19. - In einem Entwurf zu »Epigramme(n)« aus dem Jahr 19o3 nahm Hofmannsthal die Chiffre nochmals auf: »Der Greis, in welchem der tiefe Brunnen einer Jugenderinnerung springt« (II165).

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Ausdruck bringen soll.5 Die Vorstellungen, die sich mit dieser Chiffre einstellen, müssen anhand des Gedichts differenziert werden; zunächst ist von der Dimension der Tiefe, der gefaßten Natürlichkeit und einer möglicherweise spiegelnden Oberfläche auszugehen. Der Gegenwärtigkeit des im ersten Vers Genannten, dessen Aussage mit dem »wohl« zur Vermutung wird, steht gegenüber die Vergangenheit des »Einst«, deren Inhalt in Entsprechung zu dem tiefen Brunnen steht: alle wußten um etwas und waren »tief und stumm« (Vers 2). Offen bleibt dabei nicht nur der Inhalt des Wissens, sondern auch die Identität derer, die wußten. Sie sind lediglich charakterisiert hinsichtlich der mit dem Brunnen gemeinsamen Tiefendimension und ihrer Stummheit. Es wird zu fragen sein, wie die Vergangenheit dieses stummen Wissens zu denken ist. Die zweite Strophe steht wieder in der Zeitform der Gegenwart, doch ist dies nicht die dauernde Gegenwart des ersten Verses, sondern die gegenwärtige Zeit, die mit dem »jetzt« (Vers 6) genannt ist. Übereinstimmung und Unterschied der beiden Gegenwartsebenen deuten sich mit dem »es« des Verses 6 an, das auf das »es« des ersten Verses beziehbar ist, und mit dem Vergleich, der die Art, wie »es jetzt von Mund zu Mund« (Vers 6) geht, näher beschreiben soll. Das stumme Wissen scheint in entsprechenden »Zauberworte(n)« (Vers 4) Ausdruck gefunden zu haben, die jetzt »nachgelallt« (ebd.) von Mund zu Mund gehen, ohne »in den Grund« begriffen zu sein (Vers 5), ohne also rückbezogen auf die Tiefe und Stummheit des umfassenden Wissens zu erscheinen. In den ersten beiden Strophen kommen somit die beiden Gegenwartsbereiche, das Wissen des tiefen Brunnens und das unbegriffene von Mund zu Mund Gehen, zum Ausdruck, während der vermittelnde Schritt der »Zauberworte«, die aus dem Grund des Wissens sprechen und die »jetzt« unbegriffen nachgelallt werden, nur im Vergleich angedeutet erscheint (»Wie [...] So« Vers 4-6). Eben dieser Vermittlungsschritt wird in den folgenden Strophen gestaltet. Deshalb muß der erste Vers erneut aufgenommen werden, da die Gegenwärtigkeit des grenzenlosen Wissens der Grund sein soll, in dem die weiteren Schritte möglich sind. Der Neuansatz stellt zugleich eine rückwärtsweisende Verbindung zum Gedichtanfang her, die auch im Den Bezug stellt Hofmannsthal in »Ad me ipsum« her »>der tiefe Brunnen weiß es wohl· - wobei der tiefe Brunnen das eigene Ich.« (Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze III. Frankfurt am Main 1980, S. 60t).

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scheinbaren Reim der Verse l und 7 Ausdruck findet, •wobei angesichts des wiederaufgenommenen Verses mehr von Identität als von Entsprechung, die erst wirklich von einem Reim sprechen ließe, die Rede sein kann. Das Bild des tiefen Brunnens wird im Entwurf ausgeführt, wenn es zunächst heißt »Auf dessen Spiegel«, dann »Nach dessen Grund«. Damit kündigen sich rwei Bedeutungsmöglichkeiten an, die im Zusammenhang des Themas der Spiegelung (Kapitel XI) noch ausführlich dargestellt werden sollen: die reflektierende Spiegelung oder der Blick in den Grund. An der vorliegenden Stelle bleibt diese Alternative unausgesprochen, wenn Hof mannsthal stattdessen die Wendung wählt: »In den gebückt« (Vers 8) und damit nicht das Gesehene, sondern die Haltung des Wahrnehmenden nennt. In den tiefen Brunnen gebückt, »begriffs ein Mann / Begriff es und verlor es dann« (Vers 8/9).6 Die Wendung in die das Individuelle mit dem allgemeinen Leben verbindende Tiefe des eigenen Seelenlebens - wenn dies an Stelle der Chiffre des Brunnens hier versuchsweise gesagt werden kann -, läßt das Geheimnis begreifen und sofort wieder verlieren. Damit deutet sich auch an dieser Stelle die Flüchtigkeit des begreifenden Haltenwollens an. Das begriffene »es« kann offensichtlich nicht aufbewahrt werden, sondern Begreifen und Verlieren scheinen zusammen zu gehören. Dennoch folgt aus diesem flüchtigen Zugang zum allgegenwärtigen Wissen des tiefen Brunnens eine wahrnehmbare Wirkung: der Mann »(irrte) (redete irr) redet1 irre (und ersann) / ein (Märchen) Lied; (wunderbar entrückt)« (215.17-20). Dieses andere Reden muß nicht im konventionellen Sinn als Ausdruck von Irrsinn gedeutet werden,7 vielmehr scheint es zunächst ganz allgemein auf ein Reden, anders als das »nachlallende« Sprechen, zu deuten, dessen Erscheinungsform dann mit »Märchen« bzw. »Lied« bestimmter benannt wird. Die gestrichene Wendung »und ersann« läßt anklingen, daß es sich hierbei durchaus um besonnenes, wenn auch zugleich aus der Gewohnheit »Auf gewollt doppelsinnige Weise wird daran durch die Auflösung in Einzelphasen der Akt des Schöpfens dargestellt, der schöpferische Akt, dessen Ergebnis das ist, was der Dichter nachher redet und singt.« Pestalozzi (1958) S. 36. Abwegig ist der Einfall Mennemeiers (1948): »die Gestalt des späten Hölderlin taucht auf!« (S. 80), bedenkenswerter die Anmerkung Wolfs (1957) zu der »idea of madness« (S. 177): »The man lost the secret and >redet irr< must be interpreted in a slightly negative way; [...] >in Gefahr sich zu verlieren, zu verirren< [...] he still shows the impact of that secret once possessed which makes him different from other people.« (S. 180, Anm. 14).

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»entrückt(es)« Sprechen handelt. Der Vers lautet schließlich: »Und redet irr und sang ein Lied« (Vers 10), womit die Besonnenheit der vorhergehenden Wendung in die Dimension des Gesangs erweitert wird, die als Entsprechung zu dem Begreifen und Verlieren des Geheimnisses gelten kann. Der Übergang von Vers 9 zu Vers 10 läßt die Ambivalenz der Vermittlungsschritte sichtbar werden. Die dritte Strophe ist nach dem »verlor es dann« in sich abgeschlossen, so daß der Vorgang des Begreifens und Verlierens folgenlos für sich bestehen könnte. Gegen diese Abgeschlossenheit nimmt das erste Wort der vierten Strophe über die Strophengrenze hinweg den Zusammenhang wieder auf, »und verlor es dann // Und redet' irr«, womit Verbundenheit und Getrenntheit zugleich Ausdruck finden. Konsumtiv für den hier gestalteten Vermittlungsschritt sind somit die vier Elemente: »Begriff es« - »verlor es« - »redet1 irr« - »sang ein Lied«, ohne daß in ihrem wechselseitigen Bedingungsgefüge besondere Zuordnungen hervorgehoben werden könnten. Im Entwurf lauteten die nächsten Worte erst »Über den dunklen Spiegel«, um später geändert zu werden: »Auf dessen dunklen Spiegel«. Im Zusammenhang der Strophe und durch die Änderung scheint deutlich zu werden, daß der Bezug sich auf >Lied< richtet. Die erste Formulierung »Über den« ließ dies im Unklaren und konnte auch auf den Brunnen zurückbezogen werden. Die Zweideutigkeit erhöht sich noch durch die Parallele des Verbs »bückt« (Vers 8 und Vers 11). Diese Entsprechung in der Bewegung muß aber nicht zu einer Entscheidung hinsichtlich des Bezuges führen, da der Bezug auf den »dunklen Spiegel« (Vers 11) des Liedes zugleich der auf den Brunnen sein könnte.8 Allerdings ist die Vermittlungsebene zu beachten, die auch darin ihren Ausdruck findet, daß der Mann sich »In den« Brunnen bückt (Vers 8), wobei ein Wahrzunehmendes nicht genannt wird, und erst in der Folge ein Erscheinendes, das Lied, hervorbringt. Wenn mit dem »dunklen Spiegel« (Vers 11) ein Vorstellbares zum Ausdruck kommt, dann dürfte sich dieses Bild auf das Lied beziehen, das der Tiefe und Stummheit des Brunnens auf der Ebene der Sprache entspricht: analog entspricht sich die Bewegung des Bückens. Aus der weiteren Werkgeschichte wird zudem - auch wenn das für das vorliegende Gedicht nicht entscheidend sein kann - deutlich, daß mit der Wendung >dunkVgl. Hahn (1962): »wie der Brunnen, so ist dieses Lied ein >dunkler Spiegel· und die Bewegung des Hinabbeugens in den Brunnen wird nun wiederholt.« (S. 77).

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ler Spiegel< ein Bild für das Gedicht gefunden war (vgl. Kapitel XI). Die Bedeutung dieses Bildes an der vorliegenden Stelle ist einerseits die der erscheinenden Oberfläche, im Unterschied zur unabsehbaren Tiefe des Brunnens, dann die Doppeldeutigkeit, die sich aus der Zusammenstellung der Worte ergibt. Während >dunkel< im bisherigen Werkkontext dem Bereich des Unverständlichen, nicht klar Sichtbaren zugehörte, deutet >Spiegel< auf deutliche Reflexion und Selbstansicht im Undurchsichtigen. Mit der Wendung »dunkler Spiegel«, die möglicherweise als contradictio in adjecto, nicht völlig als Oxymoron, gelten kann, werden die beiden im Entwurf zu Vers 8 angedeuteten Möglichkeiten zusammengenommen: der Blick in den Spiegel ist zugleich, als Blick in den dunklen Spiegel, derjenige in den Grund. Mit der Selbstreflexion durch die Spiegeloberfläche wird im selben Moment der Blick durch diese Fläche in das Unbegrenzte, Dunkle des Grundes möglich, das dem Blick inkommensurabel ist: erkennbar wird im dunklen Spiegel eben die gleichzeitige Identität und Fremdheit, die mit dem Lied erscheint. Das Bild des >dunklen Spiegels* gibt mit der in ihm enthaltenen Widersprüchlichkeit genau der Spannung Ausdruck, in der sich das Gedicht als Erscheinendes und ideal dem Grund Entsprechendes bewegt, als Zauberwort, wie die tradierte Wendung in Vers 4 lautet, die an der Stelle als Zitat gesetzt ist.9 Auf den »dunklen Spiegel bückt / Sich einst ein Kind und wird entrückt« (Vers 11 f.). Die entsprechende Bewegung des sich Bückens führt jetzt zu einer anderen Auswirkung: das Kind wird entrückt. Dies wäre annähernd vergleichbar mit dem »redet1 irr« (Vers 10), hier aber ist von Anfang an die passive Sprachlosigkeit des Kindes hervorzuheben. Es redet oder singt nicht, sondern wird - aus den vorgefügten Zusammenhängen - entrückt. Damit entspricht es dem Zustand sowohl des Mannes wie auch des Liedes, der - wenigstens erwägungsweise - ebenfalls

Über das bekannte Gedicht Eichendorffs (»Wünschelrute« Eichendorff, 1984, S. 103) hinaus weist Resch (1980) auf Novalis hin und kommentiert: »Im Zauberwort - [...] Hofmannsthal (zählt) dazu das Symbol, die Metapher, die Chiffre, den uneigentlichen Ausdruck im - Zauberwort also kristallisiert sich das symbolische Erlebnis.« (S. 86). Wolf (1957) nennt eine Reihe von Vorstellungen der Romantik, die im Gedicht anklingen (S. 175, 176, 178), schließt aber: »The poem >Weltgeheimnis< shows the gap between Romantic past and the present world but does not bridge it.« (S. 179). H. Jürgen Meyer-Wendt, Der frühe Hofmannsthal und die Gedankenwelt Nietzsches. Heidelberg 1973, hebt den fiktionalen Charakter des Ideals des Zauberwortes hervor (S. 120).

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als »wunderbar entrückt« bezeichnet worden war. Auch an dieser Stelle sind Distanz und Zusammenhang der Strophen mit einem »Und« zu Beginn der fünften Strophe ausgedrückt, nachdem die vorhergehende vierte mit »und wird entrückt« zu einem Abschluß gefunden hatte. An entsprechender Stelle von »Und redet« (Vers 10) steht jetzt »Und wächst« (Vers 13), womit die wortsprachliche Stummheit der nun beschriebenen Wirkung angedeutet ist. Während der Mann in Begreifen und Verlieren das lebendige Wort des Liedes fand, wird das Kind entrückt und befindet sich zugleich weiterhin in der natürlichen Bewegung des Wachsens. Die Wirkung des Liedes, die in stummer Sprache weiterbestehen soll, sprachlich zu gestalten, führt zu mehrfachen Formulierungsversuchen für die spätere fünfte Strophe. Der erste Ansatz zu den Versen 13/14 lautet: »Und wächst zu einem wundervollen Weib / Und (ihrer Liebe Flut) stiller Liebe Fluten giebt«. Damit ist die >stille< Sprache der Liebe angedeutet, in der das aufgenommene Geheimnis weiterlebt. Die Vorstellung »wundervolle(s) Weib« erschien vermutlich zu allgemein und vorbestimmt zugleich, so daß sie durch »zu süsser Weiblichkeit« ersetzt wurde, womit aber an die Stelle des allgemeinen Adjektivs und bestimmten Substantivs lediglich das Umgekehrte getreten war. Eine erwogene Formulierung versucht den Blick auf den Spiegel und die Wirkung mehr als Wechselverhältnis auszudrücken: an Stelle von »und wird entrückt« steht »herab entzückt« in Vers 12, woran sich anschließt: »Und (ahnt und wird wie Träume schön) ahnt's und wird (ein Weib) geliebt«. Hier begegnet ein bereits vorhandener Zustand (»entzückt«) dem Wahrzunehmenden, welches die Ahnung bewirkt. Daß damit die wortlose Wirkung nicht deutlich genug ausgesprochen war, zeigt die Veränderung, mit der diese erwogene Formulierung in der ersten Reinschrift Aufnahme fand: »herab entzückt / Und schauert still«. Das Wort »ahnt«, mit dem sich womöglich noch zu viel aktive Bewußtheit andeutet, wird ersetzt durch den Ausdruck einer Regung (»schauert«), deren Wortlosigkeit noch explizit betont ist. In der zweiten Reinschrift kehrt Hofmannsthal zu »und wird entrückt« zurück und findet dann auch den angemessenen Schluß des Verses 13: »Und wächst und weiß nichts von sich selbst«. Damit ist die Parallele zu »Und redet' irr und sang ein Lied« genau erreicht, dem »und sang ein Lied« entspricht das »und weiß nichts von sich selbst«, mit dem die Einheit und Unreflektiertheit des natürlichen Wachstums im Unterschied zu dem Lied hervorgehoben

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ist. Im Entwurf bleibt der Vers 13 unvollständig, während die folgenden beiden nahezu ihren späteren Wortlaut erreichen: »Und wird ein Weib das einer liebt / Und wundervoll die Liebe giebt!«. Die zuvor bemühten Vorstellungen löst das unbestimmte »ein [...] einer« ab, mit dem Allgemeinstes ausgesagt wird. Vers 15 ist hier noch konkret auf »ein Weib« bezogen, dies wird sich mit dem Gedankenstrich »Und -« sowie dem folgenden Ausruf in den späteren Fassungen ins Allgemeine auflösen. Das stumme Weitergeben der Liebe erhält mit der sechsten Strophe seine genauere Charakterisierung, wenn es heißt, daß »Liebe (dunkle Dinge) tiefe Kunde giebt« (Vers 16) und damit einen Zugang ermöglicht zu dem tiefen und stummen Wissen, welches dem tiefen Brunnen »wohl« zukommt. Den Bereich des Stummen und Tiefen nennen auch die Verse 17 und 18, die nun die Wirkung der Liebe beschreiben: »Der wird an Dinge (nie) dumpf geahnt / In ihren Küssen tief gemahnt«. Der Weg, von dem sich in den Brunnen bückenden Mann, über das Lied, dessen dunklen Spiegel, das sich auf diesen bückende Kind, dessen natürliches Wachstum und die wortlose Liebe, führt zu der dumpfen und tiefen Ahnung, die wieder den Zugang zum geheimnisvollen Wissen »wohl« hat. Der zeitliche Verlauf dieses Weges geht von der Gegenwart des tiefen Brunnens aus (Vers 7), über die in der Vergangenheit situierte Vermittlungsleistung des Mannes (Vers 8-10), mit der das jederzeit gegenwärtige tiefe Wissen auch in die vergehende Zeit eintritt, zu der immer möglichen Gegenwart des »einst« (Vers 12), in der das Kind natürlich lebt. Der Gegenwärtigkeit des grundlegenden Wissens korrespondiert somit die unreflektierte Gegenwart des naiven Lebens, während die reflektierte Vermittlung im Lied auch das Wissen um den historischen Zeitpunkt einbegreift. Die wortlose Gegenwart der Liebe »gemahnt« (Vers 18) an die Gegenwärtigkeit des unmittelbar ungreifbaren tiefen Wissens, das dem tiefen Brunnen »wohl« zukommt.10 Als stumme Sprache gibt die Liebe einen Zugang zu dieser »Tiefe«; ähnlich deutete sie der »Brief an Lili«: »im Küssen [...] / Ists eines heil'gen Geist(e)s Gleichnissweben« (II97, Vers 33f.).n 10

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Mennemeier (1948) bemerkt zu dem Verhältnis Vergänglichkeit - Gegenwärtigkeit: »Durch die Zeit hält sich aber etwas hindurch, und das ist der tiefe Brunnen.« (S. 83). Wolf (1957) spricht von »remote manifestations of that secret in a world which has separated from the primitive unity. These are: madness, song, and, above all,

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Der Entwurf nimmt nach Vers 18 ein drittes Mal den grundlegenden Vers >Der tiefe Brunnen weiß es wohl« (Vers 22) auf; die spätere siebente Strophe ist noch nicht vorhanden. Für den Zeitraum »Einst« sollte zuerst auch der zweite Vers wiederholt werden: »Einst (aber) waren alle tief und stumm«, dann folgt eine unvollständige Formulierung »Einst aber wußten alle deutlich«, die das allgemeine Wissen, entsprechend dem des tiefen Brunnens, nennt, wobei das Adverb nicht sicher genug entziffert ist, um es interpretieren zu können. Die Gegenwart des »jetzt«, die in Vers 6 mit dem »So geht es jetzt von Mund zu Mund« beschrieben war, erscheint in einem fremderen Bild: »Jetzt zuckt im Kreis ein Traum herum« (Vers 24), das möglicherweise den flüchtigen Zugang, der mit dem Begreifen und Verlieren schon genannt war, zum Ausdruck bringen soll. Der auch in der Gegenwart des »jetzt« vorhandene Traum, der die Grenze zu dem tiefen Wissen überwindet, ist nicht allgemein und gewiß, sondern außen sich nur gelegentlich und unvorhersehbar: »zuckt [...] herum«.12 So gedeutet stellt er den Status des Kunstwerks selbst dar, das in Begreifen und Verlieren aufgenommen werden und den Traum des Weltgeheimnisses vermitteln kann.13

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love.« (S. 177); Mauser (1961) geht auf das Won >stumm< ein: »Tiefe, Stummsein und Wissen sind dem frühen Dichter die bestimmenden Merkmale jenes Zustandes, in dem der Mensch (Kind, Dichter) auf magische Weise Anteil hat am All.« (S. 63) und Tarot (1970) bemerkt: »Auch in der Liebe stellt sich also das Einssein mit allem Seienden wieder her.« (S. 123). Mennemeier (1948) kommentiert, mit umgekehrter Deutung des Traumes,: »Dies alles aber - das irre Lied des Sängers, die Unbewusstheit des Kindseins und die dumpfen Ahnungen der Liebe - sind nur zuckende Blitze, die die Traumnacht menschlicher Unverbundenheit für Augenblicke erhellen.« (S. 82). Wolf (1957) sieht den Kreis des Verses 24 in Parallele zu der Form des Gedichts »The circle, mentioned in the final line as something distinctly negative, is also implicit in the form of the poem, which links the end with the beginning.« (S. 178). Hahn (1962) nennt den Aufbau des Gedichts »bis zu einem gewissen Grade symmetrisch« (S. 80) und stellt erste und letzte, zweite und vorletzte Strophe nebeneinander. Krämer (1963) deutet den Aufbau wieder als Kreis: »Das inhaltliche Umkreisen des geheimnisvollen Wissens spiegelt sich in der äußeren Form des Ringschlusses, indem die letzte Strophe die erste wörtlich wieder aufnimmt, d. h. zum Anfang zurück und damit im Kreise herumführt und dann in der direkten Vorstellung des Kreisens endet (>Nun zuckt [...]vor< jeder Bewußtheit des Menschen in der Zeit, als Teilhabe am »Wissen«, die »tief und stumm« ist. Insofern ist hier nicht von endlicher Vergangenheit die Rede, sondern dieser vorbewußte Zustand gilt für »alle« auch künftig (»Einst«). Zu ihm scheint das Ich, als tiefer Brunnen, der in Unbewußtes hinabreicht, die Verbindung zu bewahren, deren Paradox in der Berührung von Vergänglichkeit und Gegenwärtigkeit besteht. Die zeitliche Gegenwart des »jetzt« scheint diese Verbindung nur noch in entferntester Form zu haben, was mit dem pejorativen »nachgelallt« ausgedrückt wird. Die dennoch, auch in der Vergänglichkeit, bestehende Möglichkeit des Begreifens, zeigt sich mit dem Mann, der die begriffene Gegenwärtig-

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seiner Gestalt als dem Dritten« vereinigt (Andreas Thomasberger, »Abendphantasie« - Über Schönheit und Fremdheit der Sprache Hölderlins. In: Uvo Hölscher (Hrsg.), Turm-Vorträge 1985/86. Tübingen 1986, S. 105). Diese Vorstellungen herrschen in den Interpretationen vor. Mennemeier (1948) setzt >einst< gleich mit »früher« (S. 79) und sagt: »Diese Zeiten, in denen alle um das Grosse, Befreiende wussten sind jedoch vorbei.« (S. 82). Wolf (1957) spricht in bezug auf das Kind von dem »problem of returning to one's real home« (S. 176) und nach Pestalozzi (1958) ist das >einst< »nicht nur eine mythische Vorzeit, sondern zugleich die Kindheit.« (S. 30). Krämer (1963) ordnet das >einst< der Präexistenz, die in biographischen und geistesgeschichtlichen Zeiträumen angesiedelt wird, zu (S. I16f.), auf dieser Linie bewegt sich auch Inacker (1973): »Mit dem > Einst« klingt ein phylo- wie ontogenetisch früher Zustand eines ursprünglichen Einsseins an« (S. 59). Einzig Tarot (1970) faßt die von ihm beschriebene Daseinsform des >Noch< zeitlich als die des >Nie-und-ImmerWeltgeheimnis< angedeutet« (ebd.). Das Vergangene ist damit in seiner Notwendigkeit dargestellt und der Grenzbegriff der Präexistenz wird nicht unvermittelt mit positiven Vorstellungen gefüllt (zu diesem immer wieder naiv angewandten Begriff das systematisch Nötige bereits bei Hock, 1954, S. 4 und 13).

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keit in der vergehenden Zeit augenblicklich verlieren muß und dennoch in dieser Spannung ein Lied singen kann, das Begreifen und Verlieren aufbewahrt. Mit ihm tritt die Gegenwärtigkeit des Grundes in eine wahrnehmbare, aber sich selbst in Frage15 stellende Erscheinung, für die das Bild des dunklen Spiegels steht, die das Wissen um das Weltgeheimnis in geschichtlich vermittelter Form, d.h. aber in der Negation, da jede Fixierung diesem Wissen direkt nicht entsprechen kann, wahrnehmbar werden läßt.1' Die Aufnahme dieses Liedes ist wieder in zeitlicher Hinsicht mit »einst« (Vers 12) bestimmt. Im Unterschied zu dem notwendig vor-zeitlichen »Einst« des Verses 2 steht dieses »einst« in der Gegenwart und korrespondiert so der Gegenwärtigkeit des geahnten Wissens. Dennoch gehört das »einst« des Kindes der in der endlichen Zeit immer möglichen Gegenwart an, wie mit dem vorhandenen Lied die Möglichkeit besteht, sich »Auf dessen dunklen Spiegel« zu bücken. Der unvergänglichen Gegenwärtigkeit dessen, was der tiefe Brunnen wohl weiß, entspricht somit in der vergänglichen Gegenwart des Lebens das naive Dasein, das als stumme Sprache dennoch an das Geheimnis gemahnen kann. Gegenwärtigkeit, Vor-Zeitlichkeit und vergängliche Gegenwart erscheinen noch einmal auf engstem Raum in der Schlußstrophe, wo das »wohl« Wissen des tiefen Brunnens, das »Einst« Gewußthaben aller und die »Jetzt« herumzuckende Flüchtigkeit des Traumes, die das Gedicht dem möglichen Begreifen bietet, nebeneinander und zusammen stehen. Von den Änderungen der ersten Reinschriftfassung wurde bereits der Übergang von Vers 12 »herab entzückt« zu Vers 13 »und schauert still« erwähnt, der das Erlebnis des Kindes als Zeitpunkt erscheinen läßt, nach dem folgt: »und wächst dann fort« (Vers 13). Die enge Verbindung der Strophen 5 und 6, die in der Wiederaufnahme auch das Fürsichbestehen der Strophen deutlich bleiben läßt, wird jetzt mit der über die Strophengrenze reichenden Parenthese hergestellt. Die Beschreibung »Und wird ein Weib, das einer liebt / Und« (Vers 14f.) unterbricht der Ausruf »- wunderbar wie Liebe giebt! // Wie Liebe 15

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Vgl. dazu Brinkmann (1961): »Fragwürdigkeit der Sprache für Hofmannsthal Fragwürdigkeit im doppelten Sinne, d. h. des Fragens würdigen und des Problematischen, Zweifelhaften, [...] Würde und Grenze, Macht und Ohnmacht, Vermögen und Unvermögen der Sprache« (S.70). In Bezug auf den Mann sagt Pestalozzi (1958): »Was er tut, ist durch das Vergangenheitstempus deutlich als einmalige geschichtliche Handlung gekennzeichnet.« (S. 34).

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tiefe Kunde giebt! -« (Vers 15f.), mit dem die Art des Mitteilens der Liebe im offenen Vergleich (»wie«) als unvergleichlich angedeutet, der Inhalt dieses Mitteilens als »tiefe Kunde« benannt wird. Die Allgemeingültigkeit des Beschriebenen (»Und wird ein Weib [...]«) wird mit diesem Ausruf, der die mögliche Gegenwart der Liebe noch über die unbestimmten Gestalten hinaus hebt, noch mehr betont. Mit dem »Der« des Verses 17 wird der Bezug zu »einer« (Vers 14) aufgenommen, wobei nun in der ersten Reinschrift das Mahnende der Liebe mit dem blasseren Ausdruck »Von ihrem Wesen« (Vers 18) benannt ist, den Hofmannsthal jedoch in den weiteren Fassungen wieder durch »In ihren Küssen« ersetzte. Die Unnennbarkeit der dumpfgeahnten Dinge kommt am Strophenende mit den drei Punkten zum Ausdruck, die nach Vers 18 das Sichverlaufen im Unbestimmten andeuten. Das Verhältnis von »Zauberwort« und »nachgelallt«, das die zweite Strophe im Vergleich damit nannte, wie »es jetzt von Mund zu Mund« geht (Vers 6), erhält in der ersten Reinschrift mit zwei weiteren Strophen konkreteren Inhalt.17 Die stumme Mahnung der Liebe bewirkt, daß der »eine« »halb im Schlaf ein Wort« redet, das als »Zauberwort« »in sich allen Sinn der Welt / Wie Samenkern den Baum enthält«. Das Zustandekommen aus der Mahnung der Liebe und im halbwachen Zustand charakterisiert dieses Wort als dem tiefen Wissen entsprechendes. Die Entfernung von dieser Begründung tritt dann ein, wenn andere das Wort »nach«-reden, ohne daß es für sie aus dem Grund entstanden wäre: »Doch nicht begriffen in den Grund« (Vers 5). Dem folgt das auch später beibehaltene Bild: »So treten Bettler auf den Kies / Der eines Edelsteins Verliess [...]«, mit dem die wechselseitig bedingte Armut von Bettier und Kies, die sich bei wirklichem Begreifen in ihr Gegenteil wandeln könnte, Andeutung findet.18 Die Vorstellung des 17

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Brian Keith-Smith, Hugo von Hofmannsthals >Weltgeheimnis< and the Theme of Love reinterpreted with the help of manuscript material. In: New German Studies, Volume II, Number 1,1974, S. 48-59, vergleicht diese Reinschrift unter dem Gesichtspunkt der Liebesthematik mit der später beibehaltenen Fassung. Auf einen ähnlichen Vergleich bei Nietzsche weist Pestalozzi in seiner Rezension des Buches von Meyer-Wendt hin (in: Nietzsche-Studien 6, 1977 S. 331). Nietzsche, Richard Wagner in Bayreuth (Unzeitgemäße Betrachtungen, Viertes Stück): »so wie immer das große Problem dem edlen Gesteine gleicht, über welches Tausende wegschreiten, bis endlich einer es aufhebt.« (Schlecht! I, S. 387). Vergleichbare Stellen in der Lyrik: »Gefühle im Alltagsstaub erstickt« (1889 oder 1890, II 19. 18) und »Es schläft das Schlechte in uns [...] Aber wir decken sie (seine Flamme, A. T.) sorglich mit Staub« (1891 ?, II 64.8 und 10).

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halb im Schlaf geredeten Wortes dürfte, angesichts des in den Versen 8 bis 10 bereits Gestalteten, als einfachere Wiederholung erschienen sein, weshalb sie in die weiteren Fassungen nicht übernommen wurde. Das Wort, welches »in sich allen Sinn der Welt« enthalten soll, war mit dem zitierten »Zauberwort« (Vers 4) bereits genannt und in seinem möglichen Zustandekommen mit dem Begreifen und Verlieren weitaus treffender charakterisiert, als mit der Vorstellung »halb im Schlaf«. Das Nachreden des Wortes war ebenfalls bereits, und mit weitaus mehr Prägnanz, in der zweiten Strophe ausgesprochen worden. Die Änderungen der zweiten Reinschrift werden deshalb diesen und andere Umwege der ersten vermeiden. Dies zeigt sich mit der schon erwähnten Wiedereinsetzung des »und wird entrückt« in Vers 12, das die Strophe in sich abschließt und der Passivität des Kindes angemessen ist. In eben dem Sinn erscheint jetzt die Ungetrenntheit des naiven Lebens in Vers 13: »Und wächst, und weiß nichts von sich selbst«; für Vers 16 wird statt »Kunde« erwogen »Träume«, aber wohl als zwar zutreffend aber zu wenig bestimmt wieder verworfen. Die bisher nicht oder in zwei Strophen versuchte siebente Strophe beginnt nun: »Zustunden sind wir ihm so nah« (Vers 19). Damit ist im Sinn des Schlußverses das Herumzucken des Geheimnisses aufgenommen, das »(z)ustunden« nahe ist, so wie dem Bettler der Edelstein, den er im Kies nicht bemerkt. Die Nähe des Geheimnisses wird mit dieser Wendung als besonders groß in den Stunden angedeutet, die an anderer Stelle >gute Stunden< heißen werden (vgl. Kapitel VII). Dennoch ist mit dieser Wendung nur eine unbestimmte Behauptung aufgestellt, die mit der endgültigen Formulierung erst eingelöst werden sollte. Die Änderungen, mit denen der beibehaltene Wortlaut erreicht wird, lassen deutlich werden, wie das Wissen um das Weltgeheimnis in der Gegenwart des vergänglichen >Jetzt< vorstellbar ist. Dazu ist der Rückblick auf die zweite Strophe nötig, wo der Zeitraum des >Jetzt< beschrieben war: »So geht es jetzt von Mund zu Mund« (Vers 6), d.h. »es« ist ebenfalls in diesem Zustand vorhanden, wenn auch unbegriffen, wie der Vergleich zeigt, auf den sich das »So« bezieht. In diesem Vergleich ändert sich die Konjunktion von »nachgelallt / Doch nicht begriffen« zu »nachgelallt / Und nicht begriffen«, womit der Zusammenhang sinnvoller ausgedrückt wird. Die Ambivalenz des >JetztLeben< repräsentiert.« (S. 41), während Derungs (1960) eine Trennung annimmt: »das Aussprechen der Worte begreift das Geheimnis nicht mehr ein.« (S. 90), wie ähnlich auch Mauser (1961): »das Meinende an ihnen (den Worten, A. T.) liegt hinter der schönen, wertvoll anmutenden Hülle« (S. 56). Hahn (1962) geht auf den Edelstein als Symbol des dichterischen Wortes näher ein (S. 79), nachdem sie zu Recht den Möglichkeitscharakter hervorgehoben hat: »Es sind die Worte, die nicht mehr begriffen werden, in denen das Geheimnis liegt [...]· Wichtig ist hierbei die Bedeutung der Möglichkeit: jedes dieser Worte kann wieder zur Offenbarung werden, kann aber auch verschüttet bleiben.« (S, 78). Krämer (1963) geht wiederum von der Trennung aus: »Das Wissen hat sich aus den Worten zurückgezogen« (S. 115), während Tarot (1970) die notwendige Mittelbarkeit der Darstellung hervorhebt (S. 161, s.o. Anm. 14) und damit die Komplexität des Verhältnisses von Geheimnis und Wort andeutet. Dagegen versteht Meyer-Wendt (1973) das Gedicht als Ausdruck einer sublimen Sprachkritik, die den unbegriffenen Worten die unmittelbare Mitteilung der Liebenden gegenüberstelle. »Eindeutig wird sie (die Sprache, A.T.) als das Hindernis der Verständigung von Mensch zu Mensch herausgestellt: >In unseren Worten liegt es drin.< Was das Wort vermitteln soll, geht an den Begriff verloren, der es als versteinerte Hülle fest verschließt.« (S. 123). Der zitierte Vers gibt keinen Anlaß für die daran geknüpfte Behauptung, mit der das Problem allzusehr vereinfacht wird. 170

»begriffen in den Grund« erscheinen sie nicht mehr als »Kies«, sondern als »Edelstein«, womit wir auch nicht mehr Bettler sind. Eben diese Möglichkeit gestaltet das Gedicht, indem es die Möglichkeiten des Entsprechens entfaltet und damit das Verhältnis der Worte zum Weltgeheimnis, das zugleich sein eigenes ist, ausspricht. In der Folge muß das Gedicht sich auch als nur zufällig und flüchtig Wahrgenommenes verstehen, was mit dem letzten Vers Ausdruck findet. Dessen erstes Wort änderte Hofmannsthal von »Jetzt« zu »Nun« was der Definition des »Jetzt« als »gegenwärtiger, dauernd gedachter zustand« (Deutsches Wörterbuch), der in Vers 6 seinen Ort hat, und des »Nun« als Wort für die »schnell hinschwindende zeit der gegenwart« (ebd.) entspricht. Als Endliches bietet das Kunstwerk den Traum zu unberechenbaren Zeitpunkten und entspricht mit dieser Flüchtigkeit dem gleichzeitigen Begreifen und Verlieren des Geheimnisses. Der Fassungsvergleich läßt bei diesem Gedicht das Bemühen erkennbar werden, die Ebene des Vermittlungsschrittes, der jeweils beschrieben wird, genau einzuhalten. Deshalb vermeidet der Vers 8 noch ein Wahrnehmbares, das erst mit dem dunklen Spiegel erreicht ist. Die wortlose Sprache der Liebe bereitet die umfangreichsten Formulierungsprobleme: hier werden Vorstellungen von zu weitgehender Vorbestimmtheit und von Selbstreflektiertheit immer mehr ausgeschlossen, um des unbestimmten und ungebrochenen Gegenwärtigseins willen. Dieses zu gestalten bedarf offensichtlich einiger sprachlicher Bemühung, bis der am einfachsten erscheinende Ausdruck erreicht ist. Dies zeigt sich ebenfalls mit den Versuchen, die der letztlichen Fassung des Verses 19 vorausgehen. Die Gestalt, die das Gedicht mit seiner achtstrophigen Fassung erreicht, läßt besonders deutlich das bereits an einigen Stellen erwähnte Verhältnis von Zusammenhang und Getrenntsein der Strophen erkennen. Alle Strophen erscheinen in sich abgeschlossen, was die Satzzeichen (sechs Punkte, ein Ausrufungszeichen, einmal drei Punkte) noch bestärken. Durch die Anspielung auf Terzinen wird ein Zusammenhang nahegelegt, der in der gewohnten Weise jedoch nicht vorliegt. Stattdessen stellt er sich über die Zeitangaben (»Einst«, »Jetzt«), die Wiederaufnahmen des ersten Verses und vor allem durch die Gegenwärtigkeit des »es« her. Die Strophen 4 und 5 greifen auch mit der Konjunktion »Und« auf das Vorhergehende zurück, obwohl davor jeweils ein Punkt den Abschluß markiert. Zwischen den Strophen 5 und 6 wird der Zusammenhang am engsten, wenn dem auch der

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offene Ausruf widerspricht, der von der sechsten Strophe wiederholt wird. Die Offenheit der Ahnung schließlich wird mit den drei Punkten am Schluß der sechsten Strophe anschaulich. Die Wiederaufnahme der Worte mit Strophe 7 erlaubt erneut Geschlossenheit, ebenso die Zusammenfassung der letzten Strophe. Die Erscheinungen stehen einzeln und in sich geschlossen nebeneinander, jeder konventionelle Zusammenhang ist weitgehend vermieden. Zugleich muß mit den Worten Vorbestimmtes aufgenommen werden, dies aber nicht nur im Zustand des Nachlallens, sondern unter ständiger Bemühung um das Begreifen »in den Grund« (Vers 5). Dieser erscheint als nicht unmittelbar zu fassende Einheit, die gleichwohl als gegenwärtig angenommen ist. In der Spannung von vermuteter Gegenwärtigkeit des geahnten Sinnes und vergänglicher Gegenwart des Nun bewegt sich die Sprache des Gedichts und bringt diese Bewegung mit ihrer Gestalt zum Ausdruck, die im Einzelnen erscheint, aber zugleich auf das Bedürfnis verweist, ein zugrundeliegendes, Verbindung saftendes Geheimnis anzunehmen. Das symmetrisch gebaute Gedicht »An eine Frau« (23. Februar 1896) stellt ein »verworrenes Gespräch« (I 61, Vers 7) und ein »königlich(es)« Reden (Vers 26) als Vergängliches und Bleibendes nebeneinander; jenes kennzeichnet ein Zuviel des Redens in Abstraktion vom lebendigen Zusammenhang, dieses ein Wissen »was das Leben meine« (Vers 27; vgl. die ausführliche Interpretation in Kapitel X). Das Übermaß der »allzusehr beredten Lippen« (»An eine Frau« Vers 9) nennen nochmals Verse aus diesem Zeitraum und leiten daraus als Aufgabe für »die klugen Dichter« (II 117, Vers 6) ab, der Zeit die Lippen zu versiegeln, zum Beispiel mit einem »Theaterstück / In dem kein einziges Wort geredet wird« (Vers 1/2). Weitere drei Verse aus diesem Zusammenhang deuten die Auswirkungen des übermäßigen, unbegründeten Redens an: »Die Leute haben mehr von Redensarten / Als sie aufbrauchen zwischen früh und abend / Und das verdirbt zuletzt das ganze Leben.« (II 117, Vers 3 zuerst: »Und das ist häßlich wenn das einen hat.« II 394). Darin außen sich die Kritik am Reden, die aus dem im Dezember 1895 erschienenen Aufsatz »Eine Monographie- >Friedrich Mitterwurzer< von Eugen Guglia«20 bekannt ist.

20

Reden und Aufsätze 1,5.479-483. 172

Der im Dezember 1896 geschriebene »Prolog zu >Mimi. Schattenbilder aus einem Mädchenleben. Von Bob.Zauberwortes< zugeordnet werden: »Goethe! // Welch Zauberwort, von dem ein starker Schein / In dieses Daseins großes Dunkel fällt« (Vers 60-62). Das lebendige Wort ist demnach nicht nur dasjenige, das sprachlich Ungefaßtem zu entsprechen vermag, sondern auch das Synonym für ein im Wechsel mit dem Aufnehmenden lebendig wirksames Werk: »Sie werden uns, an ihnen wir lebendig!« (Vers 72). Diese Wechselwirkung kommt ebenfalls mit Versen »(Zu Heinrich Heines Gedächtnis)« (Herbst 1899, I 100) zum Ausdruck, wenn die bleibenden Gebilde »unverweslicher als Perlen / Und leuchtender« (Vers 4/5), mit den Aufbewahrenden im Zusammenhang genannt werden: »Das traget am lebendigen Leib, und nie / Verliert es seinen innern feuchten Glanz.« (Vers 6/7). Der Perlenvergleich läßt sich hier auf das lebendige Auf-

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nehmen und Aufbewahren ausdehnen21 und deutet zugleich auf den Edelsteinvergleich in »Weltgeheimnis« zurück. Zwei Entwürfe aus dem August 1901 haben das Versagen der Worte zum Thema. Der Dialog »Der Unglückliche und die Landschaft« (II 156) geht von der Erinnerung des jetzt Unglücklichen an den erfüllten Zusammenhang aus: »hier waren die herrlichen Kindertage, hier flog der Falk, hier war so vieles Liebliche«. Einbezogen wird ein Bildelement aus dem Gedicht »Ich gieng hernieder [...]« (II 104, Januar 1894), »Hoch flog ein Falk« (Vers 7), das eben diesem Zusammenhang zu entsprechen versuchte (vgl. Kapitel VII). Die antwortende Landschaft weist dagegen hin auf die Gegenwärtigkeit dessen, was dem Unglücklichen »entschwunden« scheint, sowie auf die weiter bestehende Möglichkeit: »ist doch in Dir blieben doch die Worte es auszusprechen, Lauter es hervorzurufen, stärker dringender glühender als es war«. Diese gesteigerte Möglichkeit des Aussprechen- und Hervorrufenkönnens »versagt sich« dem Unglücklichen, der seinen Zustand, der nicht zur sprachlichen Verwirklichung gelangt, zusammenfaßt: »Trage Erfüllung in mir und sie versagt sich mir«. Die >innere< Erfüllung erreicht demnach nicht das lebendig erfüllte Wort, dessen Idealität und Problematik der nur knapp skizzierte Dialog andeutet. Ein Entwurf, der nach etwa fünfzehn Versen in Prosanotizen übergeht, spricht die »Bühne meiner Träume« (II 157) an als »liebes Land / Du mehr als Landschaft Du Zusammenklang / von Nah und Fern« (Vers 1-3) und fragt nach der Möglichkeit, wie dieses »Land« aus Worten aufzubauen sei (Vers 6). Nicht das Sichversagen der Worte ist hier das Thema, sondern ihr Versagen, das Nahe und Ferne zugleich in Einem auszusprechen. Der poetologischen Reflexion in Versen (Vers 6-13) folgen fragmentarische Sätze, die das Aussprechenkönnen der verschiedensten Bedeutungen schließlich doch beteuern. Der Entwurf kehrt damit zum real ortlosen sprachlichen Ort der »Bühne meiner Träume« zurück: »ich lasse die Worte fliegen ausathmend Wunderkraft, unglaubliche Gestalten einen unbegreiflichen Ort bevölkern«, wobei über dieses mit Worten zu gewinnende Land in der vorbereitenden Notiz zu dem Entwurf gesagt worden war: »liebes Land / Das mir im Sturz des Lebens (fest) doch besteht« (II 44S).22 21 22

VgL die Erläuterung SW I 400L Vgl. dazu meinen Aufsatz »Englische Maske und tiefer Brunnen«. In: Hofmannsthal-Blätter Heft 31/32, S. 72-82, hier S. 80f.. 174

Weltgeheimnis 1 Der tiefe Brunnen weiss es wohl 2 (Und) Einst waren alle tief und stumm 3 Und alle wussten drum 4 Wie Zauberworte nachgelallt i Doch nicht begriffen in den Grund 6 So geht es jetzt von Mund zu Mund (Der tiefe Brunnen weiss es wohl) 7 Der tiefe Brunnen weiss es wohl 8 (Auf dessen Spiegel) Nach dessen Grund In den gebückt begriffs ein Mann 9 Begriff es und verlor es dann

10 11 12 13

14 15

Und (irrte) (redete irr) redet' irre (und ersann) Ein (Märchen) Lied; (wunderbar entrückt) Und redet* irr und sang ein Lied Auf dessen Über den dunklen Spiegel bückt Wenn's sich (nieder) herab entzückt Sich einst ein Kind und wird entrückt (Und wächst zu (einem wundervollen Weib) süsser Weiblichkeit) (Und (ahnt und wird wie Träume schön) ahnt's und wird (ein Weib) geliebt) Und wird ein Weib das einer liebt (und (ihrer Liebe Flut) stiller Liebe Fluten giebt) (Mit stiller Liebe Fluten giebt) Und wundervoll die Liebe giebt!

16 Wie Liebe (dunkle Dinge) tiefe Kunde giebt 17 (Der) wird an Dinge (nie) dumpf geahnt 18 In ihren Küssen tief gemahnt 22 Der tiefe Brunnen weiss es wohl 23 (Einst (aber) waren alle tief und stumm) aber wußten alle deutlich 24 Jetzt zuckt im Kreis ein Traum herum

swnisf. Privatbesitz

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1. Reinschrift

2. Reinschrift

Weltgeheimniss.

Weltgeheimnis

1 Der tiefe Brunnen weiss es wohl 2 Einst waren alle tief und stumm 3 Und alle wussten drum.

drum....

4 Wie Zauberworte nachgelallt, 5 Doch nicht begriffen in den Grund 6 So geht es jetzt von Mund zu Mund 7 Der tiefe Brunnen weiss es wohl: 8 In den gebückt, begriffs ein Mann, 9 Begriff es und verlor es dann 10 Und redet irr und sang ein Lied: 11 Auf dessen dunklen Spiegel bückt 12 Sich einst ein Kind herab entzückt 13 Und schauen still und wächst dann fön 14 Und wird ein Weib, das einer liebt 1} Und, - wunderbar wie Liebe giebt! 16 Wie Liebe tiefe Kunde giebt! 17 Der wird an Dinge, dumpfgeahnt, 18 Von ihrem Wesen tief gemahnt... 19 Und redet halb im Schlaf ein Won 20 Das in sich allen Sinn der Welt 21 Wie Samenkern' den Baum enthält

nachgelallt Mund.. gebückt

Mann

irr, Lied; dunkeln (herab entzückt) und wird entrückt Und wächst, und weiß nichts von sich selbst Weib (Wie Liebe tiefe Träume giebt! -) dumpf geahnt, In ihren Küssen Zustunden sind wir ihm so nah So tritt 2 Kies Der eines Edelsteins Verliess

Dies Wort, das reden andre nach, So treten Bettler auf dem Kies Der eines Edelsteins Verliess.... 22 Der tiefe Brunnen weiss es wohl 23 Einst (waren) aber wussten alle drum 24 Jetzt zuckt im Kreis ein Traum herum.

drum....

SW 1216 1. Reinschrift im Besitz des Deutschen Literaturarchivs, Marbach am Neckar, Signatur A: Flaischlen/Pan, Zugangsnummer 32113. 2. Reinschrift nach Faksimile in Corona I, 4, Januar 1931, Seite 422-23.

' SW /.-Samenkorn Stenographie

2

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VII Einheit - Grund: Gestaltungsmöglichkeiten eines Aufgehobenseins

Das Thema des lebendigen Grundes, der als unendliche Einheit sinngebend die einzelnen Erscheinungen und ihre Verhältnisse zueinander ermöglicht, ist in den bisher untersuchten Gedichten mehr oder weniger deutlich immer schon zum Ausdruck gekommen. Die frühen Beispiele- bis Ende 1891 - gaben den Bezug zu diesem Grund entweder in der Form der Frage nach einem unbegreiflichen Beweggrund (»Wolken«) oder, überwiegend, in der Form des Aufschwungs aus den Grenzen des Erfahrbaren in die Sphäre kosmischer Bewegungen, die als unbegrenzter Raum die Übereinkunft des in der Endlichkeit getrennt Erscheinenden erlaubt (»Siehst du die Stadt?«, »Wolken«, »Einem, der vorübergeht«). Diese Erhebung in das Grenzenlose ist eine ebenso durch vorliegende Kunst vorgegebene Möglichkeit (französische Dichtung, insbesondere Baudelaire und Mallarme), wie sie mit der Übereinkunft zugleich zur Auflösung führt und das in der Sprache Gestaltete verläßt. Diese Gefahr der Auflösung im Überindividuellen, die aber auch eine Voraussetzung für künstlerische Gestaltung ist, erscheint in dem Gedicht »Erlebnis«, das die gegenstrebige Bewegung zum Vertrauten auch gestaltet und in der paradoxen Einheit von Identität und Fremdheit die sprachlich wirkliche Entsprechung des lebendigen Grundes andeutet. Dieser Grund, als Weltgeheimnis bezeichnet, findet in dem gleichnamigen Gedicht negativ seinen Ausdruck, wenn es den Status des Wissens um ihn als Ahnen und immer vor der endlichen Zeit anzunehmenden ausspricht, dann aber auch die möglichen Schritte nennt, mit denen der Grund mittelbar erscheinen und das Geheimnis mitgeteilt werden kann. Das Getragensein in dieser begründenden Wirklichkeit kommt in weiteren Gedichten mit anderen sprachlichen Gestaltungsweisen zum Ausdruck, die im vorliegenden Kapitel dargestellt werden sollen. Daneben stehen direkte Aussagen, die das Begründende in Vorstellungen fassen; sie werden hier ebenfalls erwähnt. Im Mittelpunkt stehen aber diejenigen Gedichte, in denen das

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Begründetsein sprachlich eingelöst, nicht nur behauptet, erscheint, und dafür wird das ausführlich interpretierte Beispiel »Ich gieng hernieder [...]« sein. Das Gedicht »Sonne« (Februar 1891) kann als frühes Beispiel für das Getragensein1 der einzelnen Erscheinungen in einem gemeinsamen Grund angesehen werden. Ausdruck findet dies mit den offenen Vergleichen »wie [...] / Wie [...]« der Verse 3 und 4 und mit der Feststellung: »Ein starker neuer Wille durch alle Adern braust« (II 57, 6). Der Einklang, direkt ausgesagt mit »es klinget jeder Reim« (Vers 7), verdankt sich der in einer >guten Stundet erfüllten Ahnung (»Ich ahne neue Farben und junge Lieder viel« Vers 10), die das Einzelne in harmonischer Zusammenstimmung aufgehoben erfährt: »Die Straßen führen heute all zu dem rechten Ort / Und jegliches Geläute klingt heut im Herzen fort« (Vers 11/12). Der Unvergleichliches andeutende offene Vergleich, der Rhythmus und die häufende Aufzählung der harmonischen Einzelheiten (»Es [...] es [...]/ Es [...] es [...]« Vers 7/8) wird an den weiteren Beispielen ebenfalls zu beobachten sein. Das Gedicht »Blühende Bäume« (Anfang 1891?) gibt in seinen Sprachformen dem Getragensein ebenso Ausdruck, wie es inhaltlich nach dem Grund, der dieses bewirkt, fragt. Die offen bleibenden Fra1

Zum Thema des Getragen- bzw. Aufgehobenseins im Ganzen spricht Mennemeier (1948) von der »Hochgestimmtheit eines unirdischen Glückszustandes« (S. 63), wobei allerdings die Seite der Erscheinungen zu kurz kommt, wenn sich darin »alles Vereinzelte, alles konturig gegeneinander Abgesetzte hinweg« heben soll (S. 62). Hector (1954) schreibt: »Das Tal trägt den Wasserspiegel und dieser Eindruck des Getragenseins greift über das gegebene Bild hinaus, er wird bestimmend für die Zuständlichkeit des Gedichtganzen. Die Daseinsweise des lyrischen Ich nähert sich einem Getragenwerden von der Bewegung des Lebens, einem Geborgensein in den weiten Räumen des Daseins.« (S. 66; vgl. auch die Untersuchung der Form von »Ich gieng hernieder [...]« S. 65 und die Gegenüberstellung mit Georges »Urlandschaft« - aus: »Der Teppich des Lebens [...]«. Berlin 81919, S. 43 - S. 67-69). Vgl. auch Hahn (1962): »Wie in anderen Dichtungen Hofmannsthals, die Augenblicke traumhafter Erhöhung gestalten (Lebenslied, Ein Traum von großer Magie) wird die Eigenart dieses ZuStandes symbolisiert in einem Getragenwerden, das voller Ruhe, Sicherheit, Schwerelosigkeit und doch auch voll mächtig pulsierender Bewegung ist. Aber nicht nur das Ich wird getragen, sondern auch die Dinge, die ihm begegnen.« (S. 144) und Tarot (1970) bezüglich »Der Jüngling und die Spinne«: »Die Welle des Gefühls trägt ihn in den Zustand paradiesischer Zeitlosigkeit zurück, in ein Getragensein, das >über alle Worte< ist« (S. 208), wobei »Der Hinweis auf die wachsende Trunkenheit verbietet, dieses Getragensein als Selbsttäuschung, als künstlich-trügerische Retrospektive in den paradiesischen Zustand aufzufassen.« (S. 209).

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gen der ersten beiden Strophen (»Was singt [...]« II 66, Vers 1; »Was drängt [...]« Vers 5) deuten auf den tragenden Grund hin und umschreiben ihn mit dem Wort »Herzensgrund(e)« (Vers 5), wie sie mit der Wiederaufnahme des Verbs im Partizip den Einklang ausdrücken (»singt [...] singend« Vers 1/2, »träumen [...] träumend« Vers 8/9). Die parallele Erscheinung der Blüten und des Singens, die sich auch darin zeigt, daß die Bezeichnungen für sonst unterschiedene Bereiche vertauscht werden können (»An Ästen, die [...] schweigen« Vers lOf. , »der Bäume Schweigen« Vers 14), führt zurück auf den gemeinsamen Grund, der aus der Erkenntnis seiner Allgemeinheit nun benannt wird: »Aus dunklem, tiefem Erdengrund« (Vers 19) und aus dem die Erscheinungen hervorgehen: »Und öffnet singend mir den Mund / Und macht die Bäum1 erbeben« (Vers 21/22). Durch Frage (Strophe l und 2) und Antwort (Strophe 3 und 4) ergibt sich die Möglichkeit der Wiederholung (Vers 2 und Vers 21), die zugleich Veränderung ausdrückt, oder die eine besondere Betonung bewirkt: hier wieder der außergewöhnlichen Stunde (»zu dieser Stund« Vers l, »Zu dieser stillen Stunde« Vers 7, »zu dieser sullen Stund« Vers 18). Das wirksamste sprachliche Mittel, um dem Einklang des Begründeten Ausdruck zu geben, ist in diesem Gedicht der Reim, der, ohne eintönig zu klingen, mit wenigen Silben auskommt. Der Reim auf »Stund« verbindet die Verse l, 2 (»Mund«), 18 (»Stund«), 19 (»Grund«) und 21 (»Mund«); er nimmt die auch inhaltlich bedeutungsvollsten Nomina auf, besonders wenn man die leichte Abwandlung »Grunde« und »Stunde« (Vers 5, 7) hinzunimmt. Die zweite Gruppe von Worten, die ein Reim zusammenhält, ist die der bedeutenden Tätigkeiten oder Bewegungen; sie finden sich mit den reinen Reimen »schweigen« und »neigen« (Vers 3/4), die die erste Strophe mit der dritten gemeinsam haben (»neigenIch lösch das Licht [...]< portrays the fusion of the internal world with the external world in such a way that the very same unity becomes apparent« (S. 65). Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung. (Sämtliche Werke Band I. Frankfurt am Main 1986): »die uralte Weisheit der Inder spricht: >Es ist die Maja, der Schleier des Truges, welcher die Augen der Sterblichen umhüllt und sie eine Welt sehn läßt, von der man weder sagen kann, daß sie sei, noch auch, daß sie nicht sei: denn sie gleicht dem Traume, gleicht dem Sonnenglanz auf dem Sande, welchen der Wanderer von ferne für ein Wasser hält, oder auch dem hingeworfenen Strick, den er für eine Schlange ansieht.» (S. 37, vgL die Hinweise auf weitere Belegstellen im Register, Bd. V, S. 964). 180

ausgeblasen, sondern gelöscht wird »Mit purpurner Hand« (Vers 2). Mit der Farbsetzung ist die Außerordentlichkeit der Handlung hervorgehoben, denn das Adjektiv »purpurn(er)« bringt die Bedeutung eines Höchsten mit sich, als Farbe der Könige und in christlicher Ikonographie Gottes und Christi. Damit deutet sich bereits ein Bereich jenseits des Alltäglichen an. Das Wegwerfen des Schleiers der Maia erscheint übertragen in den Versen: »Streif ab die Welt / Wie ein buntes Gewand« (Vers 3/4).4 Das Eintauchen in »Das tiefe Reich« (Vers 7), in dem sich die weltliche Individualität auflöst, führt in eine überendliche Sphäre, die im Entwurf mit Worten benannt wird, die dem Wortschatz der Mystik entstammen und entweder daher direkt oder vermittelt durch Goethe aufgenommen worden sind: »Im Sinn des Seins / Im (Haupt) Schoos des Herrn« (II 334, Vers 15/16).5 Diese überlieferte Wortverwendung wird ersetzt durch die Wendung »Ins Herz der Welt / Allem nah, allem fern« (Vers 15/16), wobei die Antithese des letzten Verses wiederum in Anlehnung an Goethe gebildet ist (vgl. II 333, ). Das Versinken im grenzenlos Tiefen, mit dem das erscheinende Ich sich auflöst, ist in diesem Gedicht ohne die Gegenbewegung zum Vertrauten hin, wie in »Erlebnis«, beschrieben, stattdessen aber mit Wendungen, die zur Benennung des Ungreifbaren bereits vorgeprägt vorhanden waren. Die Bedeutung konstituiert sich in antithetischen Setzungen, sei es explizit im Schlußvers »Allem nah, allem fern« (Vers 16), sei es mit der Verwendung überlieferter Vorstellungen für das unmittelbar nicht Faßbare.

Requadt zitiert das Gedicht in seinem Aufsatz »Sprachverleugnung und Mantelsymbolik im Werke Hofmannsthals« (in: DVjS 29, 1955, S. 255-283; jetzt in Bauer 1968): »Im Zusammentreffen mit dem ganz Anderen versinkt die Welt und vereinsamt das Ich« (S. 56); »Das Gedicht [...] hatte zuerst diesen Vorgang der Weltentäußerung im Abstreifen des >bunten Gewandes< wiedergegeben« (S. 63). Das »Haupt« der Seele ist nach Eckehart »eines Wesens mit dem göttlichen Seinsgrund« Qosef Quint, Mystik und Sprache. DVJS XXVII, Heft l, 1953, S. 66) Die Vorstellung »Schoos des Herrn« ebenfalls bei Eckehart, Das Buch der göttlichen Tröstung: »in des Vaters Schoß und Herzen« (Deutsche Predigten und Traktate. Hrsg. u. übers, v. Josef Quint, Zürich 1979, S. 127) und Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann. Erstes Buch, Distichon 107: »Es ist noch alles in GOtt [...] Ists/ daß die Creatur auß GOtt ist ausgeflossen: / Wie hält Er sie dannoch in seiner Schoß beschlossen?« (Stuttgart 1984, S. 43), schließlich in Goethes Wolken-Gedicht »Cirrus«: »So fließt zuletzt was unten leicht entstand, / Dem Vater oben still in Schoß und Hand.« (Berliner Ausgabe, Band l, Berlin 1976,5.552). 181

Der Lebensgarten, als kultivierte Natur, wird in dem Gedicht »Besitz« (Dezember 1893) mit einer Vorstellung gegeben, die in »Ich gieng hernieder [...]« ähnlich aufgenommen werden wird: »Weite schweigende Terrassen« (II 89, Vers 2). Das Wissen um das Ganze, das hier zunächst als Forderung genannt ist, kommt vermittelt im Spiegelbild des »Weiher(s)« (Vers 9) zur Wahrnehmung, die die »ganze Freude« (Vers 11) in der Sphäre des Traumes und im darin möglichen Zusammensein des Gegenstrebigen hat: »Träumerisch vereint entriegelt« (Vers 12). Wie im wenig später entstandenen Gedicht »Weltgeheimnis« werden derartige »Tiefe Blicke« (Vers 14) als der nur-endlichen Zeit nicht zugehörig bezeichnet und dem Augenblick »Zwischen Finden und Verlieren« (Vers 15) zugeschrieben. Folgerichtig fragen die letzten beiden Verse: »Tief begreifen und besitzen! / Hat dies wo im Leben Raum? ...« (Vers 19/20). Der Ausdruck des »Glück(s)« (Vers 18), »All in einem, Kern und Schale« (Vers 17) zu begreifen, kommt hier nicht zur sprachlichen Gestaltung, sondern wird in seiner Problematik beschrieben, die insbesondere darin besteht, den »Traum« (Vers 18) im Raum einer auch endlichen Sprachgestalt zu fassen.6 Das frühere der beiden Gedichte unter dem Titel »Gute Stunde« (Januar 1894) gibt diesen außerordentlichen Zeitpunkt, in dem das Begründende begegnet, als personifizierte Erscheinung, die mit antithetischen Wendungen beschrieben wird: »Mit so fremd vertrauten Augen / Mit so süßem herbem Munde« (II 103, Vers 3/4). Unter diesem Blick wird eine verwandelnde Traumwahrnehmung möglich, die als Grund der vertrauten Oberfläche »ein wundervolles Leben« (Vers 10) spüren läßt und die Einzeldinge des Alltags als in einem lebendigen Zusammenhang begründet erfährt. Der Grund des Wahrnehmbaren wird direkt benannt, wenn es in der siebenten Strophe heißt: »Aus dem zauberhaften Grund / Glühts und zuckts« (Vers 26/27); seine Wirkung auf die Wahrnehmung führt dazu, daß die gesehenen »Morgenwolken [...] erst unsäglich« (Vers 30/31) verwirren. Das Gedicht bleibt in der Beschreibung der in einer >guten Stunde< möglichen Wahrnehmung

Vgl. die Interpretation des Gedichts bei Lauster (1982), S. 168-179, mit dem Ergebnis: »Es zeichnet sich in Hofmannsthals früher lyrischer Verarbeitung des Traummotivs schon ab, was später nicht nur in der Lyrik zu seinem >poetischen System< wurde: der stets problematische >ÜbergangBesitzs an der er in dem so betitelten Gedicht noch völlig scheiterte.« (S. 179).

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und damit der Voraussetzung des Kunstwerks. Die Paradoxien dieses Moments, der nicht nur als Zeitraum vorzustellen ist, werden hier erzählend entfaltet, während sie in der Sprachgestalt des wirklich entstehenden Gedichts zum Ausdruck kommen müßten. Die Absicht »reden will ich / Große Dinge mit kindischem Mund« (Vers 27/28) bedarf noch der sprachlichen Verwirklichung, deren Bedingungen mit dem Verhältnis »Große Dinge« - »kindische(r) Mund« (Vers 28) angedeutet sind. Das Gedicht »Ich gieng hernieder [...]« (Januar 1894) nimmt sprachliche und bildliche Elemente auf, die in den herangezogenen Beispielen bereits begegneten. Der Entwurf, datiert »29 I 94«, erreicht zunächst die ersten sieben Verse, teilweise nur in Ansätzen, und wird dann mit einer Überarbeitung weitgehend zu dem Wortlaut gebracht, den die Reinschriften aufnehmen. Die Vorstellung, die im Gedicht dann Gestaltung finden sollte, ist bereits zuvor in Notizen knapp festgehalten: »Bergbecken hält See«7 und »Wie hält der See« (II 361, Blatt vom 8. Januar 1894). Der bewegende Gedanke des Getragen- bzw. Gehaltenseins deutet sich damit bereits an und wird in einer ausführlicheren Aufzeichnung in drei Bereiche verteilt: »Gedicht, wie trägt der See den Berg / ein königlich kreisender Falke / ich alles gleiche Gemütsstimmung« (II 366, 22. Januar 1894). In diesem Konzept sind die Bildelemente genannt; der Entwurf versucht, sie im Zusammenhang zu gestalten. Er geht aus von einer Vorstellung des Zusammenfassens und Zuendekommens, die zuerst wieder mit dem diesen Bereich bezeichnenden Wort »Den Abend« gegeben werden sollte; dies wird im Zusammenhang des Verses 7 mit »Abendraum« weder aufgenommen. Den Anfang bildet dann die Beschreibung einer Bewegung, die ebenfalls die Vorstellung des abendlichen Zurückkehrens mit sich bringt: »Vom Berg nieder bin ich gestiegen«; aus metrischen Gründen wird »nieder« in »herab« geändert, womit zwar der sonst verwandte fünfhebige Vers noch nicht erreicht, aber wenigstens das jambische Maß eingehalten ist. Diese Bewegung des Herabsteigens wird begleitet von einem Gefühl, das der zweite Vers zuerst sehr allgemein benennt: »Und fühlt in Wundern«, um dann das Bild des »•wundervollen Netz(es)« dafür zu setzen. Dieses Netz charakterisiert der Anfang des dritten Verses als »Gottes Netz«, das also denjenigen, der in der Bewe-

Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze III. Frankfurt am Main 1980, S. 375. 183

gung begriffen ist, zugleich trägt: »fühlt [...] mich liegen« (Vers 2). Mit anderer Wendung wird das Netz gedeutet als »im Leben tief«, was ersetzt wird durch »Lebensnetz« und schließlich »Lebenstraum«. Dieses Unbegrenzte des Lebens, das in seiner überendlichen Dimension durch das Adverb »tief« und dann noch deutlicher das Wort »-träum« genannt ist, erhält sein Gegengewicht mit dem Verb »gefangen«, das in antithetischer Setzung zu »Lebenstraum« das Gehaltensein im Lebendigen ausdrückt. Die Gleichzeitigkeit von Offenheit und Gebundensein, die mit dem Wort »Netz« bereits nahegelegt wird - die Vorstellung geht möglicherweise zurück auf Hesekiel 12,13: »Und ich will mein Netz über ihn werfen, daß er in meinem Garn gefangen werde«, was von Meister Eckehart allgemeiner gedeutet wurde: »Gott hat seine Netze und Stricke über alle Kreaturen ausgespreitet«8 -, hat ihre Parallelen in der Gleichzeitigkeit von Steigen und Liegen sowie der von Überendlichkeit (wundervoll, Gott, Lebenstraum) und bestimmter Gefaßtheit (abendliche Heimkehr, gefangen). Der Beschreibung einer Bewegung und ihres Aufgehobenseins folgt mit Vers 3 die Deutung, mit Vers 4 wieder eine Beschreibung, die sich nun der natürlichen Umgebung zuwendet. In der engen Zusammenfügung mit der vorhergehenden Deutung erscheint allerdings die einfache Aussage: »Die Winde liefen und die Vögel sangen« (Vers 4) ebenfalls aus der vorbestimmten Wahrnehmung herausgehoben und im Sinn des Gedichts »Gute Stunde« »verwandelt« (II 103, Vers 7), verselbständigt als einzelne Elemente in einem sonst von Vorstellungen leeren Raum. Dazu trägt neben dem Kontext die sich mit dem Verb »liefen« andeutende Personifikation der Winde bei sowie der losgelöste Klang, der zuerst den Wassern zugeschrieben war: »und die Wasser klangen«, dann aber dem scheinbar ganz Vertrauten: »die Vögel sangen«. Die Bewegung in ihrer ungreifbaren, aber doch sicheren Getragenheit läßt die vermeintlich gewohnten Vorstellungen fremd erscheinen und sich ebenfalls in Bewegungen auflösen, die sich bei größter Einfachheit (»die Vögel sangen«) nicht bestimmt greifen lassen. Dazu kommt die syntaktische Gestaltung der Zusammenhänge, die bei den ersten drei Versen - in Gegenbewegung zu den Inhalten - in gewohnter Weise Verbindungen herstellt (»Und« Vers 2, Relativsatz Vers 3), die Naturerscheinungen des vierten Verses aber parataktisch nebeneinander setzt, so daß als

8

Meister Eckehart, Deutsche Predigten [...]. A.a.O., S. 324,17. 184

Verbindendes mit dem Vorhergegangenen nur der Reim (»fangen / sangen« Vers 3/4) übrig bleibt. Der in Bewegung aufgelöste Raum,9 der als einzigen Halt das Gefangensein im Lebenstraum hat, das in seiner Umfänglichkeit nicht vorstellbar, sondern vor aller Bestimmung fühlbar ist, wird in den folgenden Versen wieder mit konkreteren Bildern gestaltet, immer jedoch in der Sphäre des Aufgehobenseins im Göttlichen. An dieser Stelle erscheint das anfängliche Bild des Sees, im ersten Ansatz: »wie trug den See«, dann: »Wie trug das Becken seinen Wasserspiegel«, womit zum einen die Form des offenen Vergleichs verwandt wird, die Unvergleichlichkeit andeutet, zum ändern im Verhältnis von Becken und Wasser dasjenige von Gehaltensein und Unbegrenztem aufgegriffen. Letzteres sollten adverbiale Ergänzungen noch betonen: »gebändigt«, »stolz« und »prunkend«, die jedoch wieder aufgegeben wurden, vermutlich weil die schlichteste Wendung den angemessenen Ausdruck bereits erreicht hatte, wie auch das Verb »trug« zeigt, mit dem die Thematik des Gedichts in unscheinbarer Form anklingt. Dieses Tragen des Wasserspiegels, das dem allgemeinen Getragensein korrespondiert, sollte in Änderung der Bezugsrichtung ersetzt werden durch die Wendung »Wie bot«, mit der die Perspektive sowohl des Wahrnehmenden wie des Tragenden der Möglichkeit nach sich auf den Wasserspiegel beziehen läßt, womit die damit auch gebotene Möglichkeit der reflektierenden Spiegelung mehr hervorgehoben ist10. Diese Erwägung wird bei der Überarbeitung durch die Wiederholung »Wie trug, wie trug« ersetzt, die im Zusammenhang noch zu deuten sein wird. Eine entsprechende Doppelung des offenen Vergleichs ist mit dem sechsten Vers bereits im Entwurf vorhanden: »Wie rauschend stand der Wald wie schwoll (der) Hügel«. Der damit aus dem vorhergehenden Vers wieder aufgenommene »Wie«-Vergleich läßt die Naturerscheinungen, See, Wald und Hügel, in der Sphäre des Lebenstraums als Unvergleichliche erscheinen.11 Die nun evozierten Vorstellungen legen entsprechend das 9

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11

Derungs (1960) spricht einseitig von einer »völlige(n) Subjektivierung des Raumes« (S. 61). Der spiegelnde Teich wird, so Günther Erken, Hofmannsthals dramatischer Stil Untersuchungen zur Symbolik und Dramaturgie. Tübingen 1967, »in den Gedichten >Ich gieng hernieder [...]< und >Besitz< zum Bild allumfassender Einheit.« (S. 79). Hahn (1962): »Die Intensivierung wird vor allem erzielt durch das viermalige Einsetzen mit >wie< und die emphatische Wiederholung.« (S. 143).

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Wahrzunehmende nicht in gewohnten Bildern fest, sondern halten es in der Spannung von Bewegung und Ruhe, die in den ersten vier Versen bereits auf allen Ebenen der Bedeutung zum Ausdruck kam. So konstituiert sich die Vorstellung des Waldes aus dem Unbewegtheit andeutenden Verb »stand« und dem auf Bewegung und Geräusch hinweisenden Adverb »rauschend«, zugleich erscheint der üblicherweise unbewegte »Hügel« in einer Bewegung begriffen, die mit dem Verb »schwoll« Ausdruck findet. Ein weiteres Bildelement sollte im ersten Entwurf mit einem nochmaligen »Wie« hinzugefügt werden: »Wie (glitt) (flog) der (Adler dur) Abendraum / (Ein) fremdes Thier / Vom See gespiegelt, (lebend) spiegelt«. Die Dimension von Ruhe und Bewegung, bisher vorwiegend angesiedelt in der Horizontalen, wird damit um die Vertikale ergänzt, die einen Punkt der Höhe (»Adler«) und der Tiefe (»See«) verbindet, wobei die Verbindung noch in der Spiegelung sichtbar wird. Im Flug des Adlers ist Getragensein und Bewegung vorstellbar; mit dem Wort »Abendraum« wird in Rückbezug auf den Gedichtanfang das Moment des Zusammenfassenden als Raum des Gedichts betont. Der Entwurf endet an dieser Stelle mit unvollständigen Ansätzen. Lediglich der spätere Vers 7 wird in dieser Arbeitsphase noch geändert und erreicht etwa den Wortlaut: »Wie kreist der Falke überm (schroffen) Saum« (es ist nicht eindeutig zu entscheiden, ob auch das Wort »Abendraum« erst jetzt, oder bereits als Vornotat nach »Adler dur(ch)« hingeschrieben wurde; unter »Abendraum« steht »letzten«). Mit der Wendung »schroffen Saum« kommt zu den bisher genannten Bedeutungen des abendlichen Raumes die des Lebensendes hinzu, was mit dem erwogenen »letzten Raum« noch deutlicher wird. Die Vorstellung des »schroffen Saum(es)«, die in natürlicher Sicht den oberen Rand eines steil abfallenden Felsenhangs nahelegt, deutet im Zusammenhang des Gedichts auf ein Abbrechen des Vorstellbaren und Sichöffnen des Grenzenlosen, womit sich der Übergang von bestimmtem Leben zur Auflösung im Tode verbindet, der in der weiteren Gestaltung des letzten Verses bedeutend bleiben wird. Die Überarbeitung des Entwurfs bringt den ersten Vers in das Metrum der folgenden: »Ich kam hernieder weite Bergesstiegen« und nimmt in die Wendung »weite Bergesstiegen« sowohl das Umfängliche der folgenden Vorstellungen, wie die menschliche Deutung der Natur auf. Das Verb, das die Tätigkeit des Menschen bezeichnete (»bin ich gestiegen«), geht als Teil in die Wendung ein, die für die Naturerschei-

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nung steht (»Bergesstiegen«). Die Wortstellung läßt die dem »Ich« zugeschriebene Bewegung sich bereits von diesem entfernen auf das im folgenden Vers genannte Gefühl des Gefangenseins im »wundervollen Netz« hin. Die durch »kam« nahegelegte stärkere Gerichtetheit der Bewegung wird angesichts der dritten Reinschrift zu beachten sein. Für den künftigen Vers 5 ist die Wiederholung des »Wie trug« notiert, ohne daß er darüber hinaus seinen Wortlaut erreichte. Die umfangreichsten Überarbeitungen erfuhren die Ansätze zu den beiden Schlußversen, wobei durch zwei Änderungen der Vers 7 den Wortlaut erhält: »Hoch kreist der Falke wie leuchtet alle Luft«. Damit ist die Erstreckung der Vertikalen betont und der »wie«-Vergleich in die zweite Vershälfte übernommen, die den bisher erwogenen Raum durch die wieder ungreifbare Vorstellung »alle Luft« ersetzt. Mit dem Verb »leuchtet« erhält dieser allgegenwärtige Luftraum jedoch eine sinnlich wahrnehmbare Qualität, die das Abendliche weiterhin nahelegt. Der nun zum ersten Mal auftretende Vers 8 faßt das Bisherige mit einer weiteren Tätigkeit des Ich, nach »Ich kam hernieder«, zusammen: »Da schaut ich tief in Leben Traum und Gruft«. Die Wahrnehmung wird hier als aktives Schauen bezeichnet, was in den weiteren Fassungen des Verses sich verändern wird, und der Umfang des Erfahrenen mit der Worttrias12 genannt, die mit den umfangreichsten Möglichkeitsbereichen das Ganze fassen soll. Leben und Auflösung des Lebens im Tod verbindet der Traum, der die Grenzen und Konstellationen des Alltags verlassen kann und deshalb den Zugang zur »tiefen« Wahrnehmung des Ganzen eröffnet.13 Der räumlich tiefste Punkt ist mit dem Wort »Gruft« am Ende von Vers 8 dem höchsten am Anfang von Vers 7 gegenüber gestellt. Der »königlich kreisende(r) Falke« (II 366), den schon die Notiz nannte, ist an die Stelle des Adlers getreten, als dem Menschen eher vertrautes Tier, während zuvor der Adler als »(Ein)

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Weitere Belegstellen bei dem Gedicht »Leben, Traum und Tod [...]«, Entstehung, SW II 326, 16-24. Dazu: Hahn (1962), besonders die Interpretation von »Ich gieng hernieder [...]« (S. 142-145), mit dem Hinweis auf eine »vollkommene Identifikation von Leben, Traum und Tod [...] in die das Gedicht mündet« (S. 143). Dazu Key (1954): »Dieses Gedicht [...] spricht die selige Erfahrung des Geborgenseins in der großen Einheit des Lebenstraumes aus.« (S. 179) und Hahn (1962): »Die Symbole dieses Gedichtes gehören fast ausschließlich dem Bereich >Traum< an. [...] Der Traum ist - wie in anderen Gedichten - außerdem Symbol des erhöhten Daseins überhaupt.« (S. 144).

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fremdes Thier« erwogen worden war. Im Sinne der Notiz soll der Falke die »Gemütsstimmung« ebenso zum Ausdruck bringen, wie der See, somit die Vorstellung des Aufgehobenseins evozieren.14 Dies wird durch den hoch kreisenden Flug nahegelegt, der als Sichtragenlassen von einer Kraft erscheint. Dazu kommt mit dem Falken der Bedeutungsaspekt des Überblicks (vgl. »Brief an Lili«) und zugleich des dem Jagdvogel möglichen Blicks auf kleinste Einzelheiten. Die mit diesen Bildern Ausdruck findende »Gemütsstimmung« erscheint in der Spannweite von Bewegung und Gehaltensein, hoher und umfassender Getragenheit und schließlich in dem grenzenüberschreitenden Einblick in die menschenmöglichen Bereiche Leben, Traum und Tod. Die zweite Fassung der Verse 7 und 8 ersetzt die Vorstellung der leuchtenden Luft durch das abstraktere Bild des »stillen Raum(es)«. Auch der offene »wie«-Vergleich ist weggefallen; jetzt findet der Aspekt des Allgegenwärtigen mit dem Bild des »Hoch [...] überm stillen Raum« kreisenden Falken Ausdruck. Die Möglichkeit, über den gesamten Raum zu sehen, wird nicht mehr direkt genannt, sondern ist als eine Bedeutung in diesem Bild enthalten. Die Abendlichkeit und die damit möglicherweise verbundene Todesnähe ist in dem Adjektiv »still(en)« konzentriert, durch das der Raum zum alle Vorstellungen umfassenden, aber ungreifbaren wird. Die deutende Aussage des Verses 8 schreibt dem Ich nun nicht mehr die distanzierte Aktivität des Schauens zu diese ist bereits mit dem Falken angedeutet -, sondern nennt stattdessen »mein Herz«, als den Mittelpunkt der Empfindungen, das teilhabend »Im Leben lag [...] in Tod und Traum«. Das Herz erscheint als getragen im Ganzen, das wieder in die drei möglichen Bereiche unterteilt ist, die es gemeinsam konstituieren. In Spannung zu dem hoch darüber kreisenden Falken liegt es darin und empfindet den Zusammenhang.15 Dies korrespondiert mit dem zweiten Vers »Und fühlt im wundervollen Netz mich liegen«, der über die folgenden Verse bis zum achten an Bedeutung gewonnen hat und jetzt auf umfangreichster Ebene gedeutet werden kann. Wenn auch Hofmannsthal in den späteren Reinschriften 14

15

»Die Erhöhung der Seele wird symbolisiert durch den hochfliegenden Falken,« Rey (1954) S. 179, ähnlich Sondrup (1976): »The ecstasy of the soul is symbolized by the rather typical but nonetheless appropriate image of the flight of a falcon« (S. 64), wobei die eindimensionale Gleichsetzung dem Bedeutungsgefüge des Gedichts nicht vollständig gerecht wird. »Die Bezüge des Seins treten hervor, und das Ich gibt sich an ihre Wunder hin« Mennemeier (1948) S. 62. 188

diesen Wortlaut des Verses 8 beibehielt, erwog er zunächst im Entwurf noch eine andere Fassung der beiden Schlußverse: »Hoch kreist ein Falk still leuchtete der Raum / Mein Herz war voll mit Leben Tod und Traum«. Die beiden Hälften des Verses 7 bleiben syntaktisch unverbunden. Der benannte Vogel der ersten Hälfte wird mit dem unbestimmten Artikel ungreifbarer und den Raum der zweiten Hälfte beschreiben die beiden bisher getrennt erwogenen Charakteristika. Die bereits genannten Bedeutungsaspekte sowohl des Falken wie des Raumes erhalten aufgrund dieser Änderungen noch mehr Betonung; durch die parataktische Anordnung entsteht eine Korrespondenz mit dem vierten Vers. Vers 8 beginnt in dieser Fassung mit den Worten »Mein Herz«, was dem Gedichtanfang »Ich kam« entspricht, und deutet den Zustand nun nicht als anteilhabendes Getragenwerden, sondern als einschließendes Angefülltsein. Das Herz umfaßt in dieser Wendung die drei Bereiche des Ganzen, womit allerdings die Vorstellung des Aufgehobenseins durch die eines einbegreifenden Gefühls abgelöst wird. Während in der vorhergehenden Fassung der Falke »überm stillen Raum« kreiste, kommt diese Ebene über allem nun dem Herzen zu, das damit am Schluß des Gedichts als das alles Andere Einschließende erscheint. Diese Überordnung des Eigenen (»Mein Herz«) konnte den zuvor gestalteten Wahrnehmungen der im Göttlichen getragenen Erscheinungen nicht entsprechen und wurde in keine der Reinschriftfassungen übernommen. Die Komposition des ganzen Gedichts läßt sich an der ersten Reinschriftfassung betrachten. Sie nimmt die acht Verse aus den verschiedenen Entwurfsfassungen auf, wobei nicht immer der zuletzt gefundene Wortlaut gewählt wird. Der erste Vers erhält nun das Verb »gieng« und ist damit ganz auf den Klang von »i« und »e« gestimmt. Die Bewegung wird mit »Ich gieng« einfach benannt und noch nicht als Richtung bestimmt, wie zuvor mit dem Wort »kam«. Die Gleichzeitigkeit von Bewegung und Getragensein, Weite und Gefangensein, Vorstellung und Auflösung des Vertrauten führt mit der sich bildenden außerordentlichen Wahrnehmung der ersten Strophe zu der Emphase der zweiten, die jetzt mit dem doppelten »Wie trug, wie trug« einsetzt (Vers 5). Dem hernieder Gehenden, der sich getragen fühlt, erscheint der Wasserspiegel in entsprechend unvergleichlicher Weise getragen, wie der doppelte offene Vergleich zum Ausdruck bringt. Der Bewegung nach unten über Bergesstiegen kommt »das Thal« entgegen, wie

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die nun verwandte Wendung lautet. Das unbegrenzte Element des Wassers ist mit der Vorstellung eines Spiegels bereits gehalten genug, so daß anstelle des zuvor erwogenen Beckens als Einfachstes und Weitestes das »Thal« stehen kann. Diese allgemeine Raumvorstellung zentriert sich auf den »Wasserspiegel«, der als Getragener möglicherweise auch als Entgegengetragener und die Spiegelung bietender verstanden werden kann. Dem doppelten »Wie« des Verses 5 folgen im selben offenen Vergleich die beiden Bildelemente des Verses 6. Mit dem vierfach verwandten »Wie« liegt das Stilelement der Häufung vor, das ebenso als Steigerung angesehen werden kann. Die nebeneinandergesetzten Bilder erscheinen dadurch in einer Bewegung, die Ausdruck der begründenden tragenden Kraft sein soll. Die Antithesen von Bewegung und Stillstand, die in Vers 6 zweimal auftreten, setzen sich auch in Vers 7 fort, wo der Bewegung des kreisenden Falken die Ruhe des still leuchtenden Raumes gegenüber steht. Mit der Emphase des offenen Vergleichs und dem Umfang, dessen äußerste Punkte die Antithesen nennen, erscheint der nicht nur endliche Raum, in dem eine Erfahrung des Begründenden wirklich wird. Die Aufhebung des endlich Wahrnehmbaren kommt mit dem Adverb »still« (Vers 7) zum Ausdruck. Die Bewegung der Verse hin zu diesem Raum wird ebenfalls durch die fließenden Übergänge der Reime sichtbar, die mit dem betonten »Räum« aufgehalten werden. Die Deutung, das Liegen des Herzens in den drei Bereichen der Gesamtheit, wird dann entsprechend mit »Träum« abgeschlossen gegeben. Die Umfassendheit des Raumes zeigt sich schließlich durch den bestimmten Artikel, der den Raum dem Einzelwesen »ein Falk« gegenüberstellt und überordnet. Mit der Verteilung des wahrnehmenden Ich auf Einzelnes und zugleich das Ganze bringt das Gedicht seine eigene Bedeutung zum Ausdruck, die darin besteht, mit endlichen Einzelheiten zugleich die begründende Gesamtheit erkennbar werden zu lassen.16 Die Übereinkunft der Unterschie16

Die Äußerungen der Interpreten heben vorwiegend die Einheit, die in dem Gedicht Ausdruck finde, hervor, ohne gleichermaßen die komplementäre Verschiedenheit der Einzelheiten zu betonen. Perl (1936): in dem Gedicht wird »die innerste Einheit im Sinne einer magischen Immanenz« erreicht (S. 82). Key (1954) sieht eine »ungeschiedene Einheit des Seins, in der Leben, Tod und Traum verschmolzen sind, [...] in der seligen Einheit der Präexistenz« (S. 179). Sondrup (1976) spricht von der »idea of the unity of existence [...] some poems affirm the existence and centrality of this unity« (S. 63), das Gedicht »illustrates one important sense in which Hofmannsthal saw the world as a great cosmic unity«

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denen ist nicht mehr in eine höchste Sphäre erhoben, in der sie sich auflöst, sondern in die Bilder einer menschlich geordneten und zugleich offenen Natur hineingenommen, mit denen sie im Getragensein wirklich erscheint. Diese Bilder werden sowohl inhaltlich direkt genannt, wobei die Vorstellung des Netzes der Thematik am vielfältigsten entspricht, wie in ihrer Zusammenstellung und Anordnung im Gedicht Ausdruck des Begründenden. Die Teilhabe des eigenen Lebenszentrums, das sich dabei in seiner Eigenheit bewahrt (»Mein Herz«), am Ganzen wird darum mit dem letzten Vers nicht nur behauptet, sondern in der Sprache des gesamten Gedichts gestaltet. Im Raum der endlichen Sprachgestalt erscheint deshalb der stille Raum des Begründenden, in dem das Endliche sich nicht nur auflösen muß, sondern der es zugleich faßt und ebenso zuläßt, das Getragensein, wenn auch nicht unmittelbar, sondern sprachlich zu begreifen. Dergestalt kann der Traum, den das Gedicht als letztes nennt, im Leben Raum finden und zugleich auch die Wahrnehmung des im Tod aufgelösten Lebens mit sich bringen. Die einzige Änderung der zweiten Reinschrift, die Hofmannsthal für eine Veröffentlichung vorgesehen hatte, betrifft den Anfang des Verses 7, der nun lautet: »Hoch flog ein Falk«. Unabhängig von empirischen Gründen17 dürfte die Wahl des Verbs »flog« statt »kreist« zum einen durch den Klang begründet sein, der sich mit »Hoch flog« ergibt,

17

(S. 64), er weist aber darauf hin, daß »Unlike more conventional mystical experiences, objects retain their individual identity« (ebd.) Vgl. auch Sondrup (in: Resch, Seltene Augenblicke, 1989): »the boundaries between life, death, and dreams have been dissolved, and [...] they are a unity [...] all phenomena are interconnected rather than separate, distinct, and isolated.« (»Terzinen«, S. 195). Lauster (1982) weist gegen Rey (1954) auf »das Form- und Geschieht sbewußtsein« Hofmannsthals hin, das »der Vermittlungs- und Problemfaktor zugleich« sei (S. 179), und betont »das Entliehene« in dem Gedicht: »Im Tieckscheu Ton romantisch gerät hier noch der Abstieg aus Zarathustras lebensferner Gipfelregion.« (S. 178). Diese Assoziationen bleiben gegenüber dem Gedicht, das notwendig Entliehenes aufgenommen hat, willkürlich, zumal der »Tiecksche(n) Ton« sowohl in den Gedichten (vgl. Ludwig Tieck, Gedichte. Drei Teile, Dresden 1821-23. Faksimiledruck mit einem Nachwort von Gerhard Kluge. Heidelberg 1967) wie in dem genannten Märchen »Der blonde Eckbert« (Ludwig Tieck, Werke in vier Bänden. Hrsg. v. Marianne Thalmann. Band 2. München 1978) ein anderer ist. Diese hätten gerade das »kreist« erlaubt: »Auf dem Zuge und während der Zeit der Liebe steigen die Edelfalken zu unermeßlichen Höhen empor und schweben dann lange in prächtigen Kreisen« (A. E. Brehm, Die Raubvögel. Hrsg. v. Carl W. Neumann. Leipzig o.J. (1924) S. 12).

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zum ändern durch den damit noch deutlicheren Unterschied zwischen den beiden Vershälften. Während dem Bild des endlichen Einzelwesens der offene Flug angemessener ist, als das in sich geschlossene Kreisen, kommt eben diese Geschlossenheit und Allgegenwärtigkeit des Raumes in der zweiten Vershälfte zum Ausdruck. Die korrespondierende Antithetik ist damit in diesem Vers noch konsequenter gestaltet, als dies zuvor mit »kreist« gelungen war. Ähnliches kann möglicherweise auch als Grund für die Änderungen in den beiden ersten Versen der dritten Handschrift gelten. Hier wird mit »Ich kam« die Wendung für die zielgerichtetere Bewegung aus dem Entwurf wieder aufgenommen, mit der das Endliche größere Bestimmtheit aufweist, als mit dem allgemeineren »Ich gieng«. Auch lautlich dominiert das »kam« den ersten Vers, zumal der Vokal im zweiten aufgenommen •wird mit »und fand«. Das Verb »fand« anstelle von »fühlt« läßt den Übergang von aktiver Wahrnehmung zur intuitiven Erkenntnis des Aufgehobenseins deutlich werden, der hier nicht, wie in anderen Gedichten, mit einem Wechsel der Zeitform erscheint. Dabei ist die Gleichzeitigkeit von endlicher Bewegung (»kam«) und überendlicher Intuition (»fand«) durch die Übereinstimmung des Vokals der beiden Verben noch zusätzlich betont. Das Ich findet sich jetzt nicht »im wundervollen Netz« liegen, sondern »im wunderbaren Traum«,18 wodurch das Tragende zuerst in einer ungreifbareren Vorstellung gefunden und dann mit dem Vers 3 in der konkret-unfaßbaren Wendung »Gottes Netz« ausgesagt wird. Die Umschreibungen des »wunderbaren Traum(es)« erhalten in der Perspektive auf Gott die größere Konkretheit, in der Perspektive auf das Leben mit der parallelen Wendung »Lebenstraum« die größere Offenheit. In der Weise werden mit den Änderungen die bestimmbaren und die unbestimmbaren Bereiche, die das Gedicht gemeinsam konstituieren, noch konsequenter und damit zutreffender in eine entsprechende Sprache gebracht. Diese Tendenz läßt sich insgesamt bei dem Vergleich der Fassungen feststellen. Die umfangreichen Änderungen im Entwurf belegen die

18

Zum Bild des Netzes schreibt Sondrup (in: Resch, Seltene Augenblicke, 1989): »The image of a net - indeed a divine net - emphasizes the notion of an interlocking system of impressions, and it is precisely to this concept of a network that >Lebenstraum< stands in apposition suggesting they are essentially the same thing.« (S. 195) - die Ersetzung kann somit auch von dieser Deutung her begründet werden.

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Suche nach dem einfachsten und zugleich dem jeweiligen Bereich angemessensten Wort. Dabei werden bestimmte Wendungen nicht nur durch andere ersetzt, sondern zum Ausdruck der Bedeutung stellenweise eine andere syntaktische Form gewählt (besonders in Vers 5). Wie schon bei vorhergehenden Beispielen konzentrieren sich Bedeutungsebenen in der dichtesten Formulierung. Die Richtung des Gedichts ändert sich vermutlich mit dem Aufgeben des zuerst erwogenen Ansatzes um das Bild des gespiegelten Adlers. Eine weitere Konzentration und dadurch Bedeutungszunahme ist an den Fassungen der Schlußverse zu beobachten, wo die Aktivität des Schauens, als dem Ich auf der Stufe des Verses 8 unangemessen, in das Bild des Falken aufgehoben wird und zugleich durch die zutreffendste und engste Zusammenstellung der Worte der Raum in seiner unendlichen Eigenschaft erscheint. Die in den Reinschriften noch veränderten Worte lassen nicht nur auf semantischer Ebene die zutreffendere Bedeutung sichtbar werden, sondern ebenfalls durch genau komponierte Klangsetzungen. Die Bedeutendste ist die durch den Vokal »a« gegebene Parallele der drei Verben »kam«(Vers 1), »fand« (Vers 2) und »lag« (Vers 3) in der dritten Reinschriftfassung. Bewegung und Getragensein kommt damit zugleich getrennt und in Einem zum Ausdruck, wie es den Bedingungen des Gedichts entspricht. Gemeinsam ist allen Fassungen von Anfang an die Zeitform des Imperfekt. Das >Erlebnis< des sich getragen Fühlens bzw. Findens wird nicht als vorzeitliche Gegenwärtigkeit ausgesprochen, sondern als Vergangenes gegenüber der notwendigerweise auch endlichen Sprache des Gedichts.19 Dies entspricht dem »Einst« der ersten Strophe von »Weltgeheimnis« und dem dort beschriebenen in die Zeit Bringen des geahnten Wissens um das Ganze durch den Dichter, das vom Verlorengehen nicht zu trennen ist. Die in den Zusammenhang der hier dargestellten Thematik gehörenden Entwürfe und Gedichte aus der Zeit zwischen 1894 und 1901 möchte ich in knapper Beschreibung nennen. Das Gedicht in Terzinen »Zuweilen kommen niegeliebte Frauen [...]« (Juli 1894) stellt die 19

Während Hahn (1962) bemerkt: »Der Dichter verwendet die Vergangenheitsform wie bei anderen Gestaltungen des Traumgeschehens.« (S. 142), abstrahieren andere Interpreten von der Zeitlichkeit des Gedichts: Rey (1954) behauptet eine »zeitlose Gegenwart des All-Einen« (S. 178), »in verklärte Zeitlosigkeit erhoben« (S. 179), »dem Strom der Vergänglichkeit entrückt [...] Ruhe in der ewigen Gegenwart« (ebd.) und Derungs (1960) nicht weniger, als den »Ausschluss der Zeit« (S. 63).

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Bedingungen in mehrfachen Vermittlungsschritten dar, unter denen »Zuweilen« (I 46, Vers 1) die »tiefe(r) Ahnung« (Vers 15) möglich ist, »die das grosse Leben / Begreift und seine Herrlichkeit und Strenge.« (Vers 15/16). Das grenzenlose Leben, das hier dem bestimmten übergeordnet ist, charakterisiert sich diesem Begreifen als »Herrlichkeit und Strenge«, weshalb die Ahnung zugleich »traurig [...] und voll Triumpfgepränge« (Vers 14) ist, entsprechend der Ambivalenz von Offenheit und Gehaltensein, die mit der Wendung »Gottes Netz« zum Ausdruck kam. Gemäß dieser doppelten Richtung wird die Wirkung des Gedichts in der letzten Strophe von »Wo ich nahe, wo ich lande [...]« (Juli 1894), für die zwei Entwurfsfassungen vorliegen, beschrieben. Die bewirkte Erkenntnis hebt ebenso empor, wie sie zu »(geheimem) verhaltnem Grauen« (I 238) führt, das sich mit der Selbsterkenntnis als »Von Geheimniss ganz durchwoben« (ebd.) einstellt. Auch dies deutet auf die Eröffnung der nicht trennbaren Bereiche von Leben, Traum und Tod in der Wahrnehmung des Gedichts. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Gedicht »Als unser Hund im Corner See ertrank [...]« (September 1894), in dem der Wahrnehmung des scheinbar selben Sachverhalts zwei Deutungen gegeben werden, von denen die zweite diejenige des Dichters ist. Die Auflösung des bestimmten Individuums, das »ganz zergieng in goldner Bleiche« (II107, Vers 5), läßt »Dieselbe Sache [...] / ganz anders in den Sinn« (Vers 16/15) kommen und den Zusammenhang von Leben, Schönheit und Tod aufscheinen als »Einigkeit von alledem im Sein« (Vers 22). Die Verse, die diese dichterische Wahrnehmung beschreiben sollen, wurden, im Unterschied zu den vorhergehenden 16 Versen, mehrfach überarbeitet, bis das Getriebenwerden zur schönen Uferbank (Vers 17/18), die dort gesehenen zwei Menschen und der süsse, zarte Wind (Vers 19/20) sowie die Erfahrung alles dessen als Schönheit und einig im Sein (Vers 21/22) als zugleich nebeneinander angeordnet (»Und« als Versanfang von 19-22) und miteinander Eines Ausdruck gefunden hatte. Die Entwurfsfassungen stellen gegenüber dem beibehaltenen Wortlaut noch konventionelle Verbindungen her: »2 Menschen [...] / Einschlürfend diesen süssen zarten Wind / Und Traum des Daseins mit halboffnem Mund«, »Und dann: sie sterben einmal wie der Hund« (II 376), während die schließlich erreichten Wendungen das Gesehene nebeneinander stellen und die zunächst unausgesprochene Verbindung in der zusammenfassenden Deutung

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des letzten Verses (»Und dann:«) als übergreifende Erkenntnis aussprechen. Dieses Verfahren, die gegebenen Bilder am Schluß des Gedichts zu deuten, liegt in besonders exponierter Weise mit »Ein Traum von grosser Magie« (Juli/Oktober 1895) vor, wo die Traumwahrnehmungen der ersten dreizehn Terzinenstrophen nach einer Unterbrechung unvermittelt noch sieben Verse der Deutung erhalten. Die erste Terzine dieser Deutung zitiert Paracelsus: »Cherub und hoher Herr ist unser Geist [...]«(Vers 40), um den Abstand einer transzendenten Geistwelt zu betonen, während die zweite Terzine die Verbindung des Nächsten und Fernsten dagegen stellt: »Doch Er ist Feuer uns im tiefsten Kerne / [...] / Und redet mit den Feuern jener Ferne« (Vers 43, 45), um dann das Leben des Geistes im Naheliegendsten zu finden: »Und lebt in mir, wie ich in meiner Hand.« (Vers 46). Die Wahrnehmung des Aufgehobenseins im Ganzen, die sich als Ahnung mit dem gefundenen Traum einstellt, charakterisiert sich in der Spannung von Fremdheit und Vertrautsein, größter Distanz und Nähe, was sich auch mit der Übernahme fremder Aussagen zu »unser(em) Geist« (Vers 40) zeigt. Die Aufhebung der endlichen Unterschiede, die der Traum ahnen läßt, wird in der angefügten Deutung durch die Betonung größter Entfernung ergänzt, und erst mit dieser Ambivalenz ist die im Unendlichen begründete Endlichkeit des menschlichen Lebens von der Beschreibung des Gedichts erreicht.20 Im Frühjahr 1896 entstanden einige Gedichte, die das Getragensein im Ganzen mit ihrer Sprachgestalt und zugleich explizit zum Ausdruck bringen. Dies trifft auf Rhythmus und Reimform des Gedichts »Lebenslied« (Februar 1896) zu, das mit den Versen endet: »Die schwebend unbeschwerten / Abgründe und die Gärten / Des Lebens tragen ihn!«(I 63, Vers 30-32); es trifft ebenfalls zu für das Gedicht »Gute Stunde« (Ende Februar 1896), dessen Titel schon auf die Thematik hinweist, und das mit seinem ersten Vers das Liegen im Lebenszusammenhang sowie das Erhöhtsein nennt: »Hier lieg ich, mich dünkt es der Gipfel der Welt« (I 64, Vers 1; vgl. Kapitel X). Hinweischarakter

20

Interpretationen bei Mennemeier (1948) S. 84-90, Lauster (1982) S. 210-217, Frink (1987) S. 29-40 sowie der ganz dem Gedicht gewidmete Aufsatz von Martin Stern, Zu einem Gedicht Hugo von Hofinannsthals: >Ein Traum von großer Magie· (in: H. O. Burger, Hrsg., Festschrift für Gottfried Weber. Bad Homburg 1967,5.265-298).

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hat auch bereits der Titel »Glückliches Land« (Frühjahr 1896), wo sich dann in vier Versen Bewegung und Aufgehobensein, Nähe und Ferne verbinden: »Nun rudern wir den leichten Buchten zu, / Wie Amethysten schwimmen sie im Fernen. / Sie helfen uns mit Wind und innerer Ruh / Und Kräftigung in den geliebten Sternen.« (II 116). Ähnliches deutet sich mit einem Gedichtentwurf an, der nur die folgenden drei Verse erreichte: »Du stilles Thal, den stillen Gipfeln nah / an der(en) Rand die hohen Sterne rasten / Du athmest noch wie einst und ich bin wieder da« (II121, Mai 1897). Das Gedicht »Der Jüngling und die Spinne« (Juni/Juli 1897) gibt in der Rede des Jünglings verschiedene Auffassungsweisen des Aufgehobenseins im Ganzen.21 Während der Enthusiasmus der ersten sieben Verse sich »von ungeheurem Traum erfaßt« (I 70, Vers 5) empfindet, im Entwurf stand zuerst: »so trägt mich der Lebenskahn« (I 319, 31), kommt mit dem Bewußtsein der Verbindungen zu anderen Menschen das der Verwandtschaft mit dem Ganzen auf, das angesichts der ihre Beute umklammernden Spinne in Entsetzen und Enttäuschung umschlägt. Die Selbständigkeit und Fremdheit anderer Lebewesen wird bewußt, im Entwurf heißt es »sich selber (trägt die widrige Gestalt) trägt der Lauf der schönen Sterne«, und erst mit der Aufnahme auch des Befremdenden kommt es zum Begreifen des Zusammenhangs: »und bin umrahmt vom grossen gros(sen) Leben«, »ich bin sein Theil es ist das gros(se) Leben« (I 320, 25f.) bzw. in der Reinschrift: »Und hebt mich fort mit sich: es ist das Leben« (321, 8), das schließlich unter Einbezug des Übergangs von Fremdheit zu Bekanntwerden formuliert ist: »Und seinen Namen weiß ich nun: das Leben« (Vers 59; vgl. Kapitel VIII). Die offenen Möglichkeiten in Raum und Zeit erhalten in dem Gedicht »Verse auf ein kleines Kind« (August 1897) vom Vertrauen in das Ganze getragenen Ausdruck. Die Unerschöpflichkeit der Elemente und der Zeiten wird mit der zweimal verwandten Wiederholung »immer noch, immer noch« (I 79, Vers 7 und 22) als gegenwärtig benannt und offen für die künftigen Möglichkeiten des Kindes. Die Dimension des mehr als endlichen Ganzen erscheint zudem wieder mit einem Bild von Nähe und Ferne, Kleinstem und Grossem: »Willst du aus der hölzernen Schale / Die Milch mit der Unke dann teilen? / Das

21

VgL Tarot (1970) S. 205-212, besonders S. 208f.. 196

wird eine fröhliche Mahlzeit, / Fast fallen die Sterne hinein« (Vers 912). Das Aufgehobensein im mehr als Endlichen - gegenüber dem Bestehenden - spricht auch die zweite Strophe von »Reiselied« (August 1897 / August 1898) aus, wenn davon die Rede ist, daß das unten liegende Land Früchte »ohne Ende« (I 84, Vers 6) spiegelt »In den alterslosen Seen.« (Vers 7), wozu das gegenüber der ersten Strophe ruhigere trochäische Metrum noch beiträgt. Das Gedicht »Vom Schiff aus« (Ende August 1898) redet Zeiträume an, in denen eine Erfahrung von mehr als endlichem Zusammenhang scheinbar nicht gegeben war. Die Sprachgestalt der Strophen widerspricht dieser Aussage und hebt somit die Negation auf. Eine der schon fünf Jahre zuvor aufgenommenen Wendungen im Bereich der Erfahrung des Göttlichen steht im Entwurf des späteren Verses 8: »und nie den Kopf (in) Gottes Schoos« (I 366, 24). Diese Wendung aus mystischer Tradition (vgl. »Ich lösch das Licht [...]«) wird ersetzt durch die eher sich an antike Vorstellung anlehnende: »dass an mein Ohr / Nie der versteckten Götter Anhauch traf!« (Vers 7/8). Die Form der Verneinung zeigt im Getrenntsein die Bezogenheit auf das Begründende. In der ebenfalls bereits mehrfach verwandten Form der antithetischen Setzung ist in einem kleinen Gedicht aus dem August 1899 die Empfindung eines nahe Gespürten, aber nicht Sichtbaren gestaltet. Das Wissen um Richtung und Ort ist nicht möglich, das Hörbare nicht zu bestimmen: »Ich weiß nicht, gehts hinauf hinan, / Ist Wald, ist Wasser meine Bahn, / Ist was ich hör' ein Auerhahn, / Ist's einer Sense Schleifen,«(II 146, Vers 1-4). Ebenso ist der Zeitraum nicht festzulegen: »Wird Sonne oder Mond aufgehn, / Wird Frühwind oder Nachtwind wehn,« (Vers 5/6) und schließlich nur das Paradox von Spürbarkeit und Unsichtbarkeit auszusagen: »Und was ich spür, ich kann's nicht sehn / Und spür's doch nah zum Greifen!«(Vers 7/8). Dem nicht möglichen Wissen um Bestimmtes steht ein beinahe greifbares Gespürtes gegenüber, das nicht zu sehen ist, aber vermittels der antithetischen Setzungen als Allgegenwärtiges angedeutet werden kann. In einem Entwurf aus dem August 1901, der zur Ausarbeitung als »Lyrisches« (II 156) vorgesehen war, verbindet sich die Erinnerung »hier waren die herrlichen Kindertage« mit einem Bildelement des Getragenseins aus »Ich gieng hernieder [...]«: »hier flog der Falk, hier war so vieles Liebliche« (ebd.; vgl. Kapitel VI).

197

Der Ausdruck dieses Getragenseins im Ganzen konnte, wie die herangezogenen Beispiele zeigen, in der Vermittlung von Negationen erscheinen, wobei diesen gemeinsam das Vermeiden einer positiven Benennung des Tragenden ist, sie sich aber auf verschiedensten Bedeutungsebenen zeigen können. Der Unvergieichlichkeit nahelegende offene Vergleich gehört hierhin ebenso, wie die explizite Verneinung, die sich sprachlich zugleich aufhebt. Die Spannung zwischen sprachlicher Gestaltung, bis hin zum lautlich gegebenen Einklang, und expliziter Aussage wird bedeutungskonstituierend und ist eine mögliche Form der immer wieder feststellbaren Antithetik, die scheinbar sich Ausschließendes in Korrespondenzen dergestalt setzt, daß damit das Ganze in seinem vermittelten Ausdruck erscheint, ohne den Anspruch, daß es sich darin erschöpfte. Hierzu kann auch die weiterhin festzustellende Spannung zwischen überlieferter Vorstellung oder Dichtungsform und genanntem Unvorstellbarem oder der Auflösung von Vorstellbarem gehören.22 Die Sprachformen des Gedichts »Ich gieng hernieder [...]«, aber auch anderer Beispiele, weisen Parallelen zum mystischen Sprechen auf, ohne daß damit die Zuordnung zu einer bestimmten Tradition behauptet sein soll.23 Analog zu den Bemühungen der Mystik erscheint diejenige um sprachlichen Ausdruck des direkt Unaussprechbaren.24 Die Veränderung der Wahrnehmung und der entsprechenden Sprachgestaltung im offenen Raum des Getragenseins im Ganzen wird entsprechend nicht als Ablösung eines bestimmten durch einen anderen endlichen Zustand dargestellt, sondern erscheint in der Sprache des Gedichts als Verwandlung begriffen (dazu ausführlich das folgende Kapitel).

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23

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Ein deutliches Beispiel hierfür gibt das Gedicht »Leben«, in dem die beschriebene Auflösung in der Strophenform der italienischen Stanze gefaßt ist (I 28f. und 166, 23-25). Zu Hofmannsthal vgl. Werner Metzeier, Ursprung und Krise von Hofmannsthals Mystik. München 1956, wo drei Hauptbedeutungen des Wortes »mystisch« unterschieden werden (S. 18-24, u.ö.). Josef Quint (1953) nennt Paradoxie, Antithese und negierende 'Wortbildungsmittel bei Eckehan (S. 63) sowie die Stilmittel Häufung, Steigerung und Hyperbel (S. 75), die in »Ich gieng hernieder [...]« ebenfalls festzustellen waren (vgl. hier S. 190).

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1 2 3 4 5 6 7

7(3) 8(J) 8(2) 8(3)

lW Ich kam hernieder weite Bergesstiegen (Den Abend) herab Vom Berg nieder bin ich gestiegen Und fühlt i(nXm Wunder(n)J vollen Netz mich liegen In Gottes Netz im Leben(tief) (netz) straum gefangen Die Winde liefen und die (Wasser klangen) Vögel sangen prunkend (das Becken) stolz (gebändigt) Wie trug (den See) seinen Wasserspiegel bot fW wie trug Wie rauschend stand der Wald wie schwoll Hügel 7(1) Hoch kreist Falke überm (schroffen) Saum Wie (glitt) (flog) der (Adler dur) Abendraum 7(2) stillen Raum (Ein fremdes Thier) letzten spiegelt 7W wie leuchtet alle Luft Vom See gespiegelt, (lebend) o Hoch kreist ein Falk still leuchtete der Baum Da schaut ich tief in Leben Traum und Gruft Im Leben lag mein Herz in Tod und Traum Mein Herz war voll mit Leben Tod u Traum

DieVerse 7 und 8 ordne ich folgendermaßen: 1) Hoch kreist der Falke wie leuchtet alle Luft Da schaut ich tief in Leben Traum und Gruft 2) Hoch kreist der Falke überm stillen Raum Im Leben lag mein Herz in Tod und Traum 3) Hoch kreist ein Falk still leuchtete der Raum Mein Herz war voll mit Leben Tod u Traum EII66; FDH19979 1. Reinschrift 1 2 3 4

Ich gieng hernieder weite Bergesstiegen Und fühlt im wundervollen Netz mich liegen In Gottes Netz im Lebenstraum gefangen Die Winde liefen und die Vögel sangen

i 6 7 8

Wie trug wie trug das Thal den Wasserspiegel Wie rauschend stand der Wald wie schwoll der Hügel (Still) Hoch kreist ein Falk still leuchtete der Raum Im Leben lag mein Herz in Tod und Traum

2. Reinschrift

Hoch flog

Entwurf SW II367 1. Reinschrift SW II368 1. Reinschrift SW II104 ' nicht in SW II

199

3. Reinschrift 1 2 3 4

Ich kam hernieder weite Bergesstiegen und fand im wunderbaren Traum mich liegen: In Gottes Netz, im Lebenstraum gefangen. Die Winde liefen und die Vögel sangen.

5 6 7 8

Wie trug, wie trug das Thal den Wasserspiegel! Wie rauschend stand der Wald, wie schwoll der Hügel! Hoch flog ein Falk, still leuchtete der Raum: Im Leben lag mein Herz in Tod und Traum. -

SW II368 Privatbesitz

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VIII Einheit und Trennung - Wissen und Verwirrung

Das Wissen um die sinngebende, begründende Einheit des Ganzen war in den bisher untersuchten Gedichten als in der Unmittelbarkeit einer Intuition gegeben dargestellt worden, wobei diese die Berührung von jenseits zeitlicher Vorstellungsräume Ahnbarem und räum/zeitlich vorgestellter Realität darstellen sollte. Die Trennung, mit der die tragende Einheit sich in die Einzelheiten aufteilt, kann als Verwirrung erscheinen, wenn der Bezug auf das Begründende nicht mehr in der Wahrnehmung aufbewahrt ist. Dieses Verhältnis von Einheit und Trennung, Wissen und Verwirrung kommt in einigen Gedichten, die hier untersucht werden sollen, zur Darstellung. War mit dem Thema des Getragenseins im sinngebenden Grund die mehr als endliche Begründung der dichterischen Sprache zum Ausdruck gekommen, so ist in den folgenden Kapiteln die Frage in den Vordergrund zu rücken, wie die endlichen Bedingungen der selben Sprache zur Geltung kommen können, ohne daß der Bezug auf das Begründende in der Sprachgestalt unkenntlich würde. Das Thema des Übergehens aus der Einheit in die Trennung, aus dem intuitiven Wissen in die Reflexion, die zur Verwirrung werden kann, möchte ich an Beispielen untersuchen, in denen es bildlichen oder direkten inhaltlichen Ausdruck findet; der Schwerpunkt wird auf der Interpretation der Fassungen von »Ein Knabe« liegen. Das Gedicht »Stille« (Dezember 1891) ist unter der Überschrift »Ebbe« auf dem gleichen Blatt entworfen wie »Mein Garten« (vgl. Kapitel IV).1 Hier steht das Bild des Bootes an der Stelle, die in dem anderen Entwurf der Garten einnimmt - beides traditionelle Bilder des eigenen Lebens. Im Zustand der weitgehenden Unbewegtheit erscheint Als Ausdruck für »innere Verworrenheit« (vgl. Hugo von Hofmannsthal - Edgar Karg von Bebenburg, Briefwechsel. Frankfurt am Main 1966, S. 45) verwendet Hofmannsthal in seinen Briefen häufig das Wort »Ebbe«, was dem Thema des vorliegenden Gedichts entspricht (vgl. dazu Tarot, 1970, S. 147f. und 210). 201

das Boot »Hässlich«(I140, 5), »Alt und morsch« (140, 6; vgl. Vers 3/4). Der erste Entwurfsansatz bemüht sich, die Situation der Verwirrung in drei versuchten Formulierungen zum Ausdruck zu bringen: »(Und die Knoten alle verwirren sich) (Netze verwirren sich) Leinen verwirren sich und Knoten« (140, 7-9). Wahrnehmbar ist nur noch das vergangene Tote (140, lOff.), während die lebenserhaltende Tätigkeit angesichts der verwirrten Leinen und Netze nicht mehr möglich scheint. Im Entwurf zur zweiten Strophe geht dies sogar auf die umgebende Natur über: »die todten Fische schwimmen« (140, 16), was dann in die Bewegung des nahezu stehenden Wassers aufgenommen wird: »Gleichgetöntes Wellenplätschern« (Vers 5). Entsprechend dem beinahe zum Stillstand gekommenen Leben des Wahrnehmenden zeigt die Natur sich fast unbewegt. Der diesem Zustand offensichtlich zugehörige der Verwirrung ist in der Überarbeitung des ersten Ansatzes in die Wendung »mit wirren Netzen« (Vers 4) zusammengefaßt, wobei zuerst noch der Bezug zur Wahrnehmung hervortrat, wenn an Stelle des Adjektivs »wirren« das Partizip »verwirrend« (140, 14) erwogen wurde. Das entfernte Gegenbild der »Schweben(den) graziöse(n) Schatten« (Vers 10) zeigt die Teilhabe am lebendigen Zusammenhang mit Verben, die auch sonst im Werkkontext in diesem Bedeutungsbereich stehen: »Schweben« (Vers 10) und »Gleiten« (Vers 12). Eine Bezugnahme dieser Erscheinung zum Wahrnehmenden kommt nicht zustande (erwogen: »Sehen sie denn nicht / Und sie denken« 140, 32f.), da sie in ihrem eigenen Bereich bleibt. Dieser ist der Bereich des Lebenszusammenhangs, der im Zustand der Verwirrung nahezu stillgestellt scheint; er wird aus der Perspektive des gefährdeten Lebens als Dunst beschrieben, der ungeklärt (»Trüb(em)« Vers l, »schwer(en) grau(en)« Vers 16) gegenüber liegt und zwar die Möglichkeit der Belebung enthält (»Stürme schlafen dort im Dunste« Vers 17), ihre Verwirklichung aber (noch) nicht zuläßt. Im Unterschied zu den bisher herangezogenen Gedichten, die Beschreibung oder Ausdruck einer >guten Stunde< gaben, erscheint mit den Bildern von »Stille« der entgegengesetzte Zustand, das nahezu Abgerissensein des Bezuges im lebendigen Grund, das den sinnfernen Zustand der Verwirrung mit sich bringt. Diese gehört dem nur-endlichen Bereich an und ist nicht mit dem Irr-Reden in »Weltgeheimnis« ineins zu setzen. Weitere Beispiele für dieses Wortverständnis geben der »Prolog und Epilog zu den lebenden Bildern« (Februar 1893), wo von den harmonischen Kunstgestalten gesagt wird: »Sie kennen nicht

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Verworrenheit, den Bann / des dunklen, ängstigenden Lebens nicht« (I 206, 25f.) und das Gedicht »Bild spricht« (März/April 1893), in dem der sprechende »Herr, der liebe Gott« (II 94, Vers 4) die Menschen ansieht: »Wie sie verworren stehen gehen / Sich selber und Leben nicht verstehen« (Vers 7/8). Beide Beispiele zeigen allerdings auch, daß das verworrene Nichtverstehen von dem auch endlichen Wesen Mensch nicht trennbar zu sein scheint. Entsprechend ist in dem Gedicht »Brief an Lili« (Ende Dezember 1893) von dem »wirren Lebensgarten« (II 97, Vers 6) die Rede, im Entwurf noch unbildlich genannt: »meines Lebens Wirrniss« (II 349), der erst von einer höheren Position aus als sinnvoll erfahren werden könnte (vgl. Kapitel VI). In diesen Zusammenhang gehört auch die Vorstellung von »den Wurzeln des verworrenen Lebens« (I 54, Vers 6) im Gedicht »Manche freilich ...« (2. Halbjahr 1895; vgl. Kapitel X). Der Verwirrung gegenüber steht das Wissen, das in einigen der bisher interpretierten Beispiele bereits die ihm eigentümliche Charakterisierung erfuhr, so daß an dieser Stelle eine Zusammenfassung genügt. Mit der Auflösung der bestimmten Vorstellungen einher geht in »Erlebnis« das intuitive Wissen um den Tod, das als unbegreiflich gegenwärtig ist (vgl. Kapitel V). In »Weltgeheimnis« erscheint ein ahnbares, vor-zeitiges Wissen, das im Begreifen zugleich verloren wird und für uns in der zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit sich bewegenden Ambivalenz der Worte liegt (vgl. Kapitel VI). Das Gedicht in Terzinen »Die Stunden! wo wir auf das helle Blauen [...]« (Juli 1894) gibt für das Verstehen des Todes den Vergleich des stummen Wissens um den Zusammenhang des Menschen mit der Natur und das Übergehen des Lebens in diesen Zusammenhang (I 49). Die Herkunft aus eben dieser begründenden Sphäre deutet ein Versentwurf »Wie Zauberwort die Zauberwelt [...]« (Sommer 1894) an, der von einer »einst vertraute(n) fremde(n) Welt. / Darin wir Götter waren, nun Gespenster sind.« (II 109, Vers 7/8) spricht. Den Zugang zu dieser Welt eröffnet auch hier der Traum, »das Gesicht der Nacht« (Vers 6), im Zeitmodus des Augenblicks (»plötzlich« ebd.). Das intuitive Wissen, »daß / Auf ihn die Weltgeschicke sich bezogen« (I 65, Vers 10/11) entsteht in »Der Jüngling in der Landschaft« (Februar/März 1896) aus dem Gefühl der Macht, die die Landschaft auf den Gehenden ausübt. So lautete die Stelle im Entwurf noch: »Und fühlte dass die Weltgeschicke sich / Auf ihn bezogen« (I 303, 5f.), worauf das intuitive Wissen an drei Stellen

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genannt wird: »Wie einer der sich ausgesendet weiss / Und weiss er kehrt auch nimmermehr zurück« (Vers 13-14; 303, 7f.) und »Er wusste aus der Erde gehet dies / Hervor« (Vorstufe zu Vers 18; 303, 15f.). Derjenige, der den unreflektierten Zusammenhang mit dem Ganzen verloren hat, kann sich dennoch in diesem Gefühl, das intuitives Wissen bewirkt, darin aufgehoben wissen, ohne in Verwirrung zu geraten, auch wenn die Rückkehr nur unter Aufgabe der menschlichen Endlichkeit möglich ist. Eine erwogene Fortsetzung nach Vers 11 deutet diese Aspekte an, indem sie den Bezug von Gott und Welt nennt: »Und fühlte sich als einen der da geht / Als einen Menschen Gottes in der Welt« (303, 28f.). Das Gefühl, mit dem die intuitive Erkenntnis sich einstellt, sollte in einem weiteren Bild geradezu als instinkthafte Notwendigkeit erscheinen: »so stark dass von der Stärke des Erkennens / sein Haar sich sträubte wie bei einem Thier« (303, 36f.). Dieser weitgehende Vergleich war im ersten Ansatz noch ausgeführter: »Sobald es sieht dass kein Entrinnen ist. / So Hund als Katze, Otter Lux und (Dachs) Marder« (303,34f.) und wurde zwar in den Druck nicht aufgenommen, aber in den Reinschriften mehrfach erwogen (vgl. 303, 38f.). Dennoch scheint mit ihm der Bereich des menschlichen Erkennens, auch als intuitives und notwendiges, zu weit überschritten, als daß er es hätte entsprechend illustrieren können.2 In ähnlich extremer Weise soll die eigene Bestimmung nach dem Gedicht »Inschrift« (April 1896) erkennbar werden: »Vor dem Dich schaudert, dieses ist das Deine« (I 67, Vers 2). Das Wissen darum, »was (das Leben) meine« (Vers 3), teilt sich in diesem überwältigenden Gefühl mit und ist unausweichlich, jede Verwendung der eigenen Kräfte außer zu dem sich darin zeigenden »einzigen Geschäfte« (Vers 1) verfällt dem »Chaos« (Vers 4). Die »Inschrift« gibt keine Regel, nach der die Bedeutung des Lebens zu verstehen wäre, sondern erklärt das unabweisbare Gefühl als Ausdruck, dem das intuitive Wissen um die eigene Bestimmung entspricht. Ein spätes Beispiel für die Nähe der Bedeutung von Wissen und Fühlen sind die Verse »Und sie weiss von allen Dingen (1900-1902 möglicher Entstehungszeitraum), in denen das Wissen um Natürliches und Menschliches dem Mitfühlen aller inneren und äußeren Regungen der Mitmenschen gleichgestellt wird. Dieses mitwissende-leidende Leben erscheint, als die Grenzen überschreitendes, »wie in Träumen« (II 158, VgL die Interpretation von Martin Stern, Der Jüngling in der Landschaft (in: Resch, Seltene Augenblicke, 1989, S. 200-217).

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Vers 6) und bleibt weitgehend »stumm« (Vers 12), seine Mitteilung scheint vergebens: »und wir hören nicht.« (Vers 20). Das Verhältnis von Begreifen, Irritation und »Wissen, das vom tiefsten Platz nicht wich« (I 103, Vers 16), das in der Nachdichtung »Verwandlung« (April 1902) zum Ausdruck kommt, wurde bereits dargestellt (vgl. Kapitel V). Das Gedicht »Ein Knabe« (Februar 1896) zeigt das Heraustreten aus dem unmittelbaren Wissen in die Trennungen der Endlichkeit im Bild einer Gestalt. Diese erscheint in den zwei Teilen des Gedichts in zwei vergangenen Haltungen zur umgebenden Welt und zu sich selbst, die zu untersuchen und zu unterscheiden sein werden. Der Entwurf, datiert auf den 14. Februar 1896, setzt mit den ersten beiden Versen und einer Notiz für den künftigen dritten ein, um dann die zweite und dritte Strophe bereits weitgehend zu erreichen. Ein zweiter Ansatz bemüht sich um die erste Strophe und entwirft die vierte bis sechste. Der aufschlußreichste Unterschied zu den Reinschrift- und Druckfassungen ist hinsichtlich des ersten Verses die gewählte Zeitform: »Lang hatte er die Muscheln nicht erkannt / Für schön«. Während die Gestalt des Knaben insgesamt als Vergangene erscheint, liegt der Zustand des Nicht-Erkennens demnach noch vor dieser Vergangenheit, möglicherweise vor dem Eintreten in die geschichtlich vergehende Zeit. Dieser Zustand wird negativ von den Trennungen her umschrieben, denen er zugrundeliegt. Das Erkennen »Für schön« setzt bereits die Distanz zu den Gegenständen und sich selbst voraus, die »lang« nicht vorhanden gewesen war. Der Zustand der Einheit wird mit dem Wort benannt, das in den zuvor zitierten Beispielen für die Intuition, nicht für Rationalität stand: »er wusste viel zu viel von ihnen«. Das natürliche Einssein war nicht aus dem vollständigen, aber unreflektierten Wissen in das begrenzende und reduzierende Erkennen von Gegenständen übergegangen und damit auch nicht in das selbstreflexiv gebildete Urteil von deren Schönheit. Für den Bereich dieser Gegenstände sind hier noch die beiden Naturerscheinungen notiert, die in die erste Strophe Aufnahme finden sollten: »Die Blumen und die Muscheln«. Damit ist schon auf die Bedeutungsaspekte des Schönen, einerseits in eher kurzlebiger, andererseits in fester gehaltener Form, hingewiesen.3 Die zweite Strophe setzt gegen das bisher genannte Einssein mit Allem mit einem »Doch« ein und gibt eine zeitliche Einteilung: »Doch »Symbol eines vielgestaltig, zarten Schönen [...] sind die Mitschein» (Hahn, 1962, S. 32).

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alle seine Tage waren so / Geöffnet wie ein leierförmig Thal«. Die Vollständigkeit und Gleichheit der Tage deutet auf einen Zustand jenseits endlicher Unterscheidungen hin, der als offener benannt wird. Dieses Geöffnetsein erhält durch den Vergleich mit dem »leierförmig(en) Thal« weitere Charakterisierungen, die es nicht bestimmen, sondern beschreiben, wobei sich, im Kontrast zum Ufer des zweiten Teils, Harmonie sowohl hinsichtlich der räumlichen Form wie eines möglichen Wohlklangs andeutet.4 Die Vereinigung der endlichen Gegensätze (»Herr zugleich und Knecht zugleich«) wird bezogen auf das Ganze: »des Lebens war« und weiterhin als ununterscheidbar und nicht wertbar benannt: »und kannte keine Wahl«, wobei letzterer Zustand wiederum einer des Bewußtseins in diesem Status der Einheit ist. Die erste Fassung des Verses 8, »des Lebens war, und kannte keine Wahl«, wird durch die Einfügung des Adjektivs »weissen« verdeutlicht und die Ersetzung des »kannte keine« durch »ganz ohne« bzw. »ohne« in ihrer Perspektive verändert. Das »weisse(n) Leben« ist vor jeder Aufteilung in bestimmte Farben zu denken und entspricht als solches dem Moment vor der trennenden Erkenntnis;5 die Wendung »ohne Wahl« bringt die unabänderliche Abwesenheit von Entscheidungsmöglichkeiten zum Ausdruck und verzichtet auf das mehr auf verständiges Bewußtsein zu beziehende »kannte«. Die Haltung gegenüber der Umgebung ist mit einer Zeile angedeutet, bevor die dritte Strophe entworfen wird: »Nichtachtung war sein Gruss an die Natur«. Der weitere Entwurf setzt mit einem Vergleich ein: »Wie einer, der so lebt wie ihn nicht ziemt«, um darüber den Zustand, jenseits des menschlich endlichen Lebens veranschaulichen zu können. Die Gestalt des Knaben soll erfahrbar werden über eine VerPerl (1936) zu den Versen: »hier wird ein abstrakter Zeitbegriff in ein sinnliches Gleichnis von starker Eindruckskraft gebracht« (S. 89), Derungs (1960): »Die Einheit von Welt und ICH ist ausgesagt in dem Bild des Tales« (S. 113) und Kovach (1985): »a lyre-shaped valley, a strange metaphor which suggests both musical harmony and the fusion of the natural and artificial realms«(S. 37). Es scheint mir nicht abwegig, Hölderlins Wendung »Weiß ist der Augenblick« aus der letzten Fassung von »Brod und Wein« in diesem Zusammenhang zu erinnern (Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke - Frankfurter Ausgabe, Band 6 Elegien und Epigramme. Frankfurt am Main 1976, S. 260, Vers 88). Zu Hofmannsthal schreibt Hahn (1962): »Das Adjektiv >weiß< symbolisiert die ganze Unberührtheit, das gleichsam Paradiesische dieses vorbewußten Zustandes [...] auch der ganze Lebensreichtum, der potentiell schon in der Jugend des Knaben enthalten ist« (S. 33). 206

haltensweise, die im endlichen Bereich möglich ist.6 Mit der Überarbeitung zu »der noch thut was ihm nicht ziemt« kommt das Moment der vergehenden Zeit hinzu, um den dem realen Menschen unangemessenen Zustand (»was ihm nicht ziemt«) als dem sukzessiven Zeitablauf vorgängig (»noch«) zu bezeichnen. In der Perspektive dieses Vergleichs gibt der spätere Vers 10 die Bewegung im Raum: »Gieng er [...] auf allen Wegen«, der, wie die Zeit in Vers 5 (»alle [...] Tage«), ein allgemeiner und unbestimmter ist, auch wenn mit »Wegen« die Vorstellung von Richtungen möglich wird. Das Adverb zu »Gieng«, das, die vornotierte Zeile aufnehmend, die Haltung gegenüber der Umgebung bezeichnen soll, wurde mehrfach geändert. Die erste Wendung »verachtungsvoll« ersetzt »gleichgültig«, den Versuch »achtlos und« das Unterschiedliches zusammenfassende »geduldig fremd«. Damit dürfte die Passivität und Unverbundenheit der Bewegung am treffendsten benannt sein, ohne eine Bewußtseinshaltung nahezulegen, die dem Bereich des Nicht-Erkennens unangemessen wäre. Die späteren Verse 11 und 12 deuten in der Entwurfsfassung die Bewegung aus dem Leben in den unendlichen Bereich im Tod direkter an, als die Reinschriftformulierungen: »Der grossen Heimkehr und Rechtfertigung / Hob seine Seele einsam sich entgegen«. Das Adjektiv »grossen« verweist auf die überendliche Bedeutung, das Wort »Rechtfertigung« auf die Lebensrechtfertigung nach dem Tod, vielleicht auf das Jüngste Gericht. Diese Rechtfertigung kann für »seine Seele« jedoch nicht stattfinden, da sie nicht in die Verschuldung der Erkenntnis übergegangen ist.7 Dem entspricht ihre Einsamkeit, die schon in dem »geduldig fremd« angedeutet war und dem gesamten Bewußtseinsstatus der Gestalt vor dem auch endlichen Leben eigentümlich scheint. »Rechtfertigung« wird ersetzt durch »verwandterem Gespräch«, womit die Zugehörigkeit der Seele zu der begründenden, »grossen« Sphäre eher hervorgehoben ist, als mit der ihr unangemessenen Vorstellung, sich rechtfertigen zu müssen. Dies kann auf sie noch nicht zutreffen. Ausgehend von den bisher gewonnenen Umschreibungen des Zustandes vor der erkennenden Trennung kann jetzt die erste Strophe

»Das Gedicht behilft sich weitgehend mit negativen Umschreibungen. (Hofmannsthal sieht den) Zustand von aussen« (Pestalozzi, 1958, S. 21). Mit dem Wort »Heimkehr« kommt allerdings bereits der Aspekt der Trennung in diesen Teil des Gedichts; Pestalozzi (1958): »Heimkehr kann erst stattfinden, wo eine Entfremdung vorausgegangen ist.« (S. 22).

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weiter entworfen werden. Die vorhandenen beiden Anfangsverse werden zunächst wörtlich aufgenommen, um dann das Ungetrenntsein von den Naturbereichen anders zu fassen. Die Wendung »er wusste viel zu viel von ihnen« sollte zuerst ersetzt werden durch: »zu vertraut mit«, was aber wohl immer noch einen zu hohen Anteil von Reflexion nahelegen konnte und weiterhin ersetzt wurde durch »er war zu brüderlich«. Die sich damit andeutende Verwandtschaft geht aus dem Bereich menschlicher Vorstellungen in den des Materiellen über mit der letzten Variante des Entwurfs: »er war zu sehr ein Stoff mit ihnen«. Damit ist die Gemeinsamkeit weitestgehend aus dem Bereich des Bewußtseins entfernt zugunsten der materiellen Identität, die allerdings Möglichkeiten der Differenzierung offen hält.8 Die bereits andeutungsweise genannten Blumen erscheinen jetzt im Entwurf des Verses 3: »Der Duft der Hyacinthen sagte ihm / So (wenig) nichts«. Reduziert auf die am stärksten wirksame sinnlich wahrnehmbare Qualität, den Duft, erhalten die Hyazinthen an dieser Stelle noch keine andere Bedeutung, als die einer Naturerscheinung. Entsprechend der nicht vorhandenen sinnvollen Bedeutung, »sagte ihm / So nichts«, wird auch das Nichtssagen verändert zu einem Nichtssein: »war ihm nichts«, da mit der ersten Wendung immerhin die Negation einer bedeutenden Mitteilung naheliegen konnte. Mit dem vierten Vers erhält der Status der Reflexionslosigkeit den direktesten Ausdruck: »war ihm nichts, / Ganz wie das Spiegelbild der eignen Mienen.«. Dieses scheint zwar möglich zu sein, aber nicht als Spiegelbild wahrgenommen, d.h. nicht auf die eigene Person bezogen zu werden. Die Bedeutungsleere sollte durch eine weitere Ersetzung betont werden: »nichts / öd, wie das Spiegelbild«, die aber vermutlich immer noch zu viele Alternativen nahelegte und deshalb nicht in die Reinschriften übernommen wurde, wo gerade diese Stelle noch einen anderen Wortlaut als der Druck aufweist. Der Übergang in den Status des bewußten menschlichen »Geschick(s)« wird in den Schritten, die der zweite Teil des Gedichts darstellt, beschrieben.' Vor dem Begreifen findet eine Aufnahme des Kovach (1985): »another example of the totally >openEin Knabe« (S. 42). »Das Gedicht, [...] sucht, [...] >Die Verwandlungen eines Ichs [...] ins Bild zu heben [...] Der Verwandlungsvorgang selbst bleibt [...] in Geheimnis getaucht« (Mennemeier, 1948, S. 127), »Die beiden Teile [...] bezeichnen den Ausgangspunkt und den Endpunkt einer Verwandlung [...]. Diese wird so indirekt, nur in ihren Auswirkungen, sichtbar.« (Pestalozzi, 1958, S. 20).

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umgebenden Elements in einem besonderen Zustand statt: »Eh er begreifen lernte sein Geschick / Trank er viel Flut, die bitter war und schwer«. Dies geschieht immer noch vor dem Eintritt in die endliche Welt der Trennungen, weshalb die Vorstellung »begreifen lernte« diesem Stadium noch unangemessen war. Die Ersetzung »gebändigt war für« drückt das Eingrenzen der offenen Möglichkeiten auf weiterreichender Ebene aus, indem sie auch nahelegt, daß der Übergang in ein zivilisiertes Bewußtsein zugleich derjenige vom wilden Tier zum gezähmten Menschen ist10. Die in diesem Zwischenstadium aufgenommene Flut war »bitter [...] und schwer«. Sie bringt Eigenschaften mit sich, die sich dem endlichen Dasein nähern, Voraussetzungen für es anlegen. Dies gilt besonders für die Eigenschaft der Schwere, die im Werkkontext immer für den Bereich des Endlichen steht, von dem die Dichtung sich als Leichtes abhebt. Die Eigenschaft »bitter« kann einerseits im Sinn der Vorstellungen von Leid und Schmerz gedeutet werden, die sich allgemein mit dem Adjektiv verbinden, andererseits ist nicht auszuschließen, daß damit ein Anklang an den ersten Schritt des Einen in die Teilung vorliegt, wie er in Jakob Böhmes »Von der Gnadenwahl« beschrieben wird: »Ihre Erste gestalt ist herbe / als die fasligkeit seiner selber«.11 Im Zusammenhang des Gedichts folgt darauf die Bewegung, die als spezifisches Charakteristikum des Menschen, wieder in seinem Zusammenhang mit der Tierwelt, gilt: »Dann richtete er sonderbar sich auf« (Vers 15). In dieser aufrechten Haltung befindet die Gestalt sich an der Grenze von unendlichem Meer und endlichem Land, somit immer noch im Stadium des Übergangs: »Und stand am Ufer seltsam leicht und leer« (Vers 16). Die Adjektive korrespondieren den der Flut zugeordneten und zeigen an, daß mit »bitter [...] und schwer« zwar Dispositionen geschaffen sind, dies aber noch »Eh er gebändigt war«, und daß nun an der Grenze zur Endlichkeit weiterhin bisher ungreifbare Möglichkeiten offen stehen. Waren im ersten Teil des Gedichts »die Muscheln« und »Hyacinthen« in der bestimmten Vertrautheit genannt worden, mit der Naturerscheinungen als Gegenstände angesehen werden, erscheinen sie nun 10

Kovach (1985) schreibt hinsichtlich des Wahnsinnigen aus dem »Kleinen Welttheater«: »He is described almost as s force of nature which cannot be restrained.« (»Nicht vermag er, seinen Sohn zu bändigen.«) (S. 41, der Vers SW III143,1). 1 ' Jakob Böhme, Von der Gnadenwahl. Stuttgart 1988, S. 32.

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allgemeiner und fremder, da im Gedicht die reflektierte Wahrnehmung darwischen getreten ist: »Zu seinen Füssen rollten Muscheln hin / Und Hyacinthen hatte er im Haar«. Die erste Vorstellung ist noch mit dem gewohnten Bild eines Ufers zu vereinbaren, die rweite setzt Eingriffe in die Natur und den kulturellen Vorgang des Schmückens voraus. Die zunehmende Distanz deutet sich damit an und wird im nächsten Vers ausgesprochen: »Und traurig lächelnd wusste er sie schön«. Mit dem Wissen um die Schönheit geht dasjenige um den Verlust des Zusammenhangs und um die distanzierende Trennung einher.12 Das traurige Lächeln entspricht diesem Wissen und letztlich dem um die Endlichkeit und Sterblichkeit der Dinge. Im folgenden Vers, »Und dass dies der Trost des (kühlen) Lebens war«, ist gerade letzteres angedeutet, wenn auch das Adjektiv »kühlen« nicht stehenbleiben sollte. Das Bewußtsein der Schönheit, das vom endlichen Selbstbewußtsein nicht zu trennen ist, ist zugleich Bewußtsein des Herausgetretenseins des Einzelnen aus dem Gesamtzusammenhang.13 Die Erscheinungen werden in ihrer Schönheit als »Trost« angesehen, da sie für diesen Zusammenhang, die Gesamtheit des »Lebens« (Vers 20), stehen. Im Unterschied zu dem Duft der Hyazinthen, der im ersten Teil ausschließlich genannt ist, umfaßt das Wissen darum, »dass dies der Trost des (kühlen) Lebens war« ebenfalls eine überlieferte Bedeutung, ist es Wissen um Vergangenes und tradierte Kultur. Die Wendung nimmt in unscheinbarer, aber genauer Form den Mythos von Hyakinthos, das Sterben des schönen Knaben und das Entstehen der Blumen aus seinen Blutstropfen, auf. Die Hyazinthen sind »Trost des (kühlen) Lebens«, weil sie anstelle des Verstorbenen seine Dauer darstellen, wie es bei Ovid heißt: »qua licet, aeternus tarnen es«,14 im Zyklus der Vegetation immer wieder aufleben. Für die göttliche Schönheit, das unendliche Leben, stehen sie in ihrer endlichen Schönheit als Trost und mit ihnen lebt die Klage Apollos fort: »flosque novus scripto gemitus imitabere 12

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»Indem jedoch der Knabe die eigene Schönheit verliert, gewinnt er die Fähigkeit, die anderen Dinge in ihrer Schönheit zu erkennen.« (Pestalozzi, 1958, S. 24). Dies kann gedeutet werden im Sinn der »Verbannung aus dem Paradies (als) ein wirkliches Verhängnis« (Pestalozzi, 1958, S. 22), so auch Tarot (1970): »Die Größe des bevorstehenden Verlusts wird nur dann richtig eingeschätzt, wenn er in Analogie zur Vertreibung des Menschen aus dem Paradies gesehen wird [...]. Mit dem Heraustreten aus der Phase paradiesischer Zeitlosigkeit steht das Ich unter dem Verhängnis des Bewußtseins.« (S. 117). Ovid, Metamorphosen. Buch X, Vers 164. 210

nostros«.15 Ähnlich läßt sich der Vers auf die Muscheln beziehen, die als feste Formen nicht lebendig sind, in ihrer Schönheit aber an lebendige Schönheit erinnern. Die Vergänglichkeit der Blumen und das Erstarrtsein der Muscheln entsprechen den Bedingungen, unter denen Schönes in der Endlichkeit vorhanden sein kann und erinnern zugleich das begründende Leben, ohne es unmittelbar greifbar werden zu lassen. Von der Veränderung des Verses 19 zu »und ihre Schönheit wusste er und auch« hängt die Möglichkeit ab, das Lächeln in den ersten Vers der letzten Strophe aufzunehmen: »Doch mit unsichrem Lächeln Hess er sie / Landeinwärts gehend aus den Fingern gleiten«. In dieser Entwurfsfassung ist an eine Bewegung von der Grenze des Unbestimmten und Bestimmten hinein in dieses (»landeinwärts«) gedacht, wobei die Erinnerungszeichen der Blumen und Muscheln, die Unsicherheit bewirken, zurückgelassen werden. Diese räumliche Bewegung wird ersetzt durch eine Zeitveränderung: »Bald wieder alle aus den Fingern fallen«, zu deren Begründung der Blick genannt wird: »denn ein böser Blick / Enthüllte ihm in diesen schönen Kerkern / Das eigne unbegreifliche Geschick«. In der Perspektive des »böse(n) Blick(s)« erscheinen die schönen Naturgegenstände als »Kerker«,16 in deren Formen das Leben fixiert bzw. gestorben ist. Damit wird die »unbegreifliche« Übereinkunft von Unendlichkeit und Endlichkeit im menschlichen »Geschick« bewußt, wodurch die zuvor in sich ruhende Bewußtseinslage zu einer der Unsicherheit wird.17 Schon im Entwurf steht die Fassung des späteren Verses 23: »auf diese schönen Kerker zeigte ihm«, die mehr Distanz und Befremdung angesichts der in sich geschlossenen Gegenstände zum Ausdruck bringt. Die zweite Hälfte des Gedichts erreichte in der Entwurfsfassung bereits ihren später beibehaltenen Wortlaut mit Ausnahme der Adjek15 16

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Ebd., Vers 2o6. Das von Hofmannsthal in diesem Sinn noch öfter verwandte Won Kerker (z.B. I 278, 7 und 281, 20) geht in der vorliegenden Bedeutung auf ein Epigramm Hebbels zurück, das Hofmannsthal sich wohl im Dezember 1893 notiert hatte: »Hebbel. Epigramme. /Jede Form ist ein Kerker,« (1182, 27f. und 182, 33-37). Das Problem der Vermittlung von endlich Einzelnem und unendlichem Begründenden zeigt sich mit den Versuchen, diese paradoxe Übereinkunft zu umschreiben: Pestalozzi (1958): »in den schönen Dingen (ragt) das Unendliche in die Endlichkeit hinein« (S. 24), Derungs (1960) spricht von »Erkenntnis der unbegreiflichen Individualität« (S. 113): »Das Geschick übersteigt das ICH unendlich; dennoch kann man behaupten, es sei das eigentliche ICH« (S. 114); Tarot (1970): »Das Ich erkennt das Seiende als Gefäß eines Allgemeinen, als Symbol.« (S. 121). 211

tive zu »Lebens« in Vers 20 und zu »Blick« in Vers 22, auf die ich im Zusammenhang eingehen werde. In den Reinschriften und im Erstdruck trägt das Gedicht den Titel »Die Verwandlungen«, der erst 1905 durch »Ein Knabe« ersetzt wurde. Nach diesen >Verwandlungen< wird bei der Gesamtbetrachtung noch weiter zu fragen sein. Für die erste Reinschrift, den Erstdruck, die Abschrift 1905 und den Druck in »Die Dichtung« 1918 verwandte Hofmannsthal als Motto einen Vers von Leopold Andrian: »und sie welken dahin in ihrer unendlichen Schönheit«, mit dem eben die Spannung von Vergänglichkeit und Unendlichkeit Ausdruck findet, um deren gestalthafte Darstellung das Gedicht sich bemüht. Die Änderungen in den Reinschriften gegenüber der Entwurfsfassung gelten bis zu dem Erstdruck in »Blätter für die Kunst«, Dritte Folge 1896, danach wurde nur noch der Anfang des Verses 4 anders gefaßt. Wenn nun anstelle der Plusquamperfekt-Form »lang hatte er« das Imperfekt »lang kannte er« (Vers 1) steht, wird damit dieselbe Zeitstufe eingenommen, wie im weiteren Verlauf des Gedichts. Dies deutet darauf hin, daß hier keine verschiedenen Zeiträume vorgestellt werden sollen, sondern unterschiedliche Wahrnehmungsweisen seiner selbst und der Welt, die nicht in einer linearen Abfolge stehen müssen, sondern gleichzeitig gedacht werden können.18 Der Zustand des Nicht-Kennens wird im zweiten Vers, nachdem zuvor die Wendung »er war zu sehr ein Stoff mit ihnen« gebraucht worden war, mit dem umfangreicheren Ausdruck »aus einer Welt« benannt, der Subjektivität und Objektivität dieser Bewußtseinshaltung einschließt. Über ihre Zeitlichkeit gibt nur noch das Wort »Lang« (Vers 1) Auskunft, das einen Zeitpunkt des Übergangs nicht nahelegt. Die Reihe der genannten Wahrnehmungen, Muscheln, Hyazinthen und Spiegelbild, steht in den ersten Reinschriften und dem Erstdruck noch in der vergleichenden Verbindung, die ein »So wie« zu Beginn des vierten Verses herstellt. Das Nebeneinanderstehen der Nichts seienden Momente 18

Dagegen finden sich Deutungen, die die Sphäre des ersten Teils des Gedichts zeitlich der des zweiten Teils vorordnen. Derungs (1960): »Der erste Teil schildert das vergangene Leben des Knaben.« (S. 113), Hahn (1962): »am Beginn des Neuen kann er überhaupt keine Verbindung mit dem Hinter-ihm-liegenden mehr aufrecht erhalten.« (S. 34). Die zeitlichen und sprachlichen Verhältnisse nennt zutreffender Tarot (1970): »In >Ein Knabe« war die Daseinsform des Nie-und-Immer nicht aus der Ichperspektive dargestellt, deshalb konnten wir dort den Aspekt des noch bevorstehenden Aufbruchs feststellen, der in der Ichaussage immer schon vollzogen ist.« (S. 138).

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kommt mit dem dafür eingesetzten »Und nichts« (seit der Reinschrift für Andrian, 5 H4) konsequenter zum Ausdruck. Die zweite Strophe wird unverändert aus dem Entwurf übernommen, erst der Vergleich in der dritten erfährt weitgehende Überarbeitungen. Dem Vers: »Wie einer, der noch tut, was ihm nicht ziemt« folgt die Begrenzung der Zeitdauer dieses Zustandes, was nur im Raum des Vergleichs möglich scheint: »Doch nicht für lange«. Das »noch« dieses Stadiums deutet auf eine >Verwandlung< hin, die bald erfolgen muß.19 Das Gehen »auf allen Wegen«, von dem im Entwurf die Rede war, erscheint bestimmter als »auf den Wegen«, womit die Einzelheit bereits Eingang findet und der Zustand des Gehens zwar als teilhabend am Ungeteilten angedeutet ist, sich aber in der räumlichen Vorstellung bereits im Bestimmten befindet. Dieser Zustand, als Bewußtseinsstatus, der noch nicht zur Erkenntnis seiner selbst und des Anderen gelangt ist, erhält mit den Versen 11 und 12 eine weitere Beschreibung: »Der Heimkehr und unendlichem Gespräch / Hob seine Seele ruhig sich entgegen«. Die Heimkehr in den das Endliche begründenden Gesamtzusammenhang und das wortlose »unendliche Gespräch« können die Seele in diesem Status nicht erschrecken, da sie noch nicht die Verwirrungen der Endlichkeit angenommen hat. Die Abwesenheit der Todesfurcht deutet möglicherweise bereits Vers 4 an, denn mit dem Spiegelbild kann sich nach griechischer Tradition auch die Bedeutung des Sterbens verbinden. Der Zustand des Ungetrenntseins von sich und der Welt erscheint in der zweiten Strophe als Geöffneter, der endliche Gegensätze in Eins faßt, in der dritten Strophe als Vorläufiger, der aber nicht objektiv vor einer anderen Zeit liegt, und als gegenüber der Auflösung im Ganzen Ruhiger, der keine Furcht um Etwas kennt.20 19

20

Hahn weist auf den Bezug der Zeitangaben im ersten Teil hin: »Die Zeit wird spürbar in ihrem Hingleiten, das gemessen werden kann (>Doch nicht für langelangnoch< wird bereits das baldige Verlassen der Präexistenz angedeutet.« (1962, S. 34). Die Perspektive des Vergleichs kommt damit zu wenig zur Geltung. Der erste Teil wird mehrfach als dichterische Gestaltung dessen gedeutet, was der Begriff >Präexistenz< bezeichnen soll: nach Pestalozzi (1958) sind in »Ein Knabe« Stufen eines dreitaktigen Schemas gestaltet, deren erste als »Einheit mit der unendlichen Schönheit« zu denken ist (S. 25). Szondi (in: »Hofmannsthal: >Ad me ipsunv«. In: Das lyrische Drama des Fin de siecle. Frankfurt am Main 1975): »Hofmannsthal (zeichnet) in dem Gedicht >Ein Knabe< den Anfang« im Sinne des

213

Die einzige Wendung im Gedicht, die auf einen Zeitraum vor einem Zustand hinweist, ist das »Eh«, das den zweiten Gedichtteil eröffnet. Dies scheint aufgrund des besonderen Charakters einer Disposition, die die Verse 13 und 14 beschreiben, möglich. Sonst erscheint die Gestalt weiterhin in der Zeitebene der Vergangenheit, in der die Bewußtseinshaltungen nebeneinander bestehen. Mit der Änderung des Adjektivs in Vers 20 von »kühlen« zu »schönen Lebens« kommt die doppelte Bedeutung angemessen zum Ausdruck. Die Schönheit der Muscheln und Hyazinthen erscheint im Einzelnen für den Gesamtzusammenhang des schönen Lebens, in dem das erkennende Bewußtsein sich in Trennungen bewegt, und zugleich trifft die Wendung für die Bedeutung der Hyazinthen als Trost für das verlorene schöne Leben des Hyakinthos zu. Auch die zweite Änderung erreicht größere Angemessenheit, wenn nicht ein »böser«, sondern ein »grosser Blick« auf die schönen Kerker das unbegreifliche Geschick zeigt. Der Blick ist damit nicht auf den negativen Aspekt eingeengt, sondern nimmt über das Endliche hinaus wahr und damit die Bedeutung von Vergänglichkeit im Unvergänglichen, auf die das Motto bereits verwies. Die Gestalt, die in der Sprache des Gedichts erscheint, erweist sich als Vergängliche im Unvergänglichen und kann nur als Vergangene wahrgenommen werden, da dies den auch endlichen Bedingungen des menschlichen Bewußtseins entspricht. Die möglichen Verwandlungen eben des wahrnehmenden Bewußtseins im Unbegrenzten erweisen sich als nichtseiend in der Ungetrenntheit, die als Geöffnetsein und Vorläufigkeit angedeutet werden kann, wobei nur der Vergleich vom bestimmten Vorstellen her möglich ist. Die Eingrenzung für ein besonderes »Geschick« (Vers 13) hat zur Voraussetzung die Aufnahme des Unbegrenzten in Hinsicht auf Trennung und endliche Gegenständlichkeit und kann sich als Bestimmtes doch an der Stelle des Zusammentreffens von Unendlichem und Endlichem halten (»Ufer« Vers 16). Die gegebenen schönen Erscheinungen sind in dieser Wahrnehmung zugleich Hinweis auf das unbegrenzte Leben wie auf die Sterblichkeit, denn als Gegenstände angesehen liegt mit ihnen Schönheit nur in ver-

Satzes »Der Anfang ist pure Magie« {S. 344), Szondi (1978): »Was aber Magie, was Präexistenz ist, sagt Hofmannsthals Dichtung, so die Verse aus dem Gedicht >Ein KnabePraeexistenz< is expressed« (S. 36).

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gangener Gestalt vor. Der Blick auf das Unbegrenzte begreift mit dem in bestimmten Formen gefangenen Leben (»Kerker« Vers 23) das eigene »Geschick« (Vers 24), das als Unbegreifliches eben diesen Zustand des Vergänglichen im Unvergänglichen hat. Die Gestalt des Gedichts befindet sich an der ungreifbaren Berührungsstelle dieser beiden Konstituentien des menschlichen Geschicks und kann sie zwar umschreiben, wird damit aber selbst zum »schönen Kerker« (Vers 23) des Lebendigen, in dem das Begründende fixiert erscheint. Zugleich kann es, in der Wahrnehmung eines »große(n) Blick(s)« (Vers 22), mehr zeigen, als nur Gegenständlichkeit, und dergestalt die zugrundeliegende, unmittelbar ungreifbare Lebendigkeit zum Ausdruck bringen. Dieser Ausdruck, sobald er mit Bewußtsein wahrgenommen wird, erscheint als Vergänglicher und somit in seiner Geschichtlichkeit, die mit dem trennenden Erkennen einhergeht. Während für das unmittelbare Bewußtsein Zeit nur als offene vorhanden, unterschiedslos »alle seine Tage« (Vers 5) sein könnte, erscheint für das trennende und getrennte Wissen das Einzelne als Vergangenes im Unvergänglichen.21 Diese Erscheinungsweise kommt ebenso dem Gedicht zu, das als sprachliche Gestalt nicht von realen Zuständen berichtet, sondern das Bewußtsein ausspricht, dessen Bedingungen es selbst darstellt. Derart kann seine Wahrnehmung als »schöne(r) Kerker« (Vers 23) dem Wahrnehmenden zugleich »Das eigne unbegreifliche Geschick« (Vers 24) zeigen. Das Gedicht hebt somit die Trennungen des Wissens in sich auf, ohne in Verwirrung überzugehen, da es den Bezug in der Einheit nicht verliert. Es thematisiert die Trennung nicht als reale Vorstellung, sondern als ungreifbaren Moment, der sich in Einheit und Trennung zugleich bewegt.

21

Hahn (1962) macht aufmerksam auf den unterschiedlichen Zusammenhang in den beiden Gedichtteilen: »Die Bilder des ersten Gedichts [...] werden nicht jeweils besonders ausgeführt, sondern aneinandergereiht und im Symbol des >weißen Lebcns< zusammengefaßt und mit einander verbunden [...]. Im zweiten Gedicht folgen nicht verschiedene Bilder aufeinander, sondern nach dem Rückblick im ersten Teil (1,1/2) wird eine kleine Szene aufgebaut (I, 3 - III, 4).« (S. 35). 215

(I)

1 2 3 5 6

Lang hane er die Muscheln nicht erkannt Für schön er wusste viel zu viel von ihnen Die Blumen und die Muscheln doch alle seine Tage waren so Geöffnet wie ein leierförmig Thal darin er 7 (und) Herr zugleich und Knecht zugleich weissen er ganz ohne 8 des Lebens war, (und) kannte keine Wahl AM des weissen Lebens war und ohne Wahl Nichtachtung war sein Gruss an die Natur 12 (Hob seine Seele einsam sich entgegen) noch thut was ihm nicht ziemt 9 Wie einer, der so lebt wie ihn nicht ziemt gleichgiltig 10 Gieng er verachtungsvoll auf allen Wegen achtlos und geduldig fremd verwandterem Gespräch 11 Der grossen Heimkehr und Rechtfertigung seine Seele einsam sich entgegen

(II) l 2 3

4

Lang hatte er die Muscheln nicht erkannt er war zu sehr ein Stoff mit ihnen zu vertraut mit er war zu brüderlich Für schön, er wusste viel zu viel von ihnen war ihm nichts, Der Duft der Hyacynthen sagte ihm So (wenig) nichts öd, Ganz wie das Spiegelbild der eignen Mienen.

13O Eh er gebändigt war für sein Geschick 13 Eh er begreifen lernte sein Geschick 14 Trank er viel Fluth, die bitter war und schwer l i Dann richtete er sonderbar sich auf 16 Und stand am Ufer, seltsam leicht und leer 17 Zu seinen Füssen rollten Muscheln hin 18 Und Hyacinthen hatte er im Haar Und ihre Schönheit wusste er und auch 19 Und traurig lächelnd wusste er sie schön 20 Und dass dies der Trost des (kühlen) Lebens war

216

21

Doch mit unsicherm Lächeln liess er sie

denn ein böser Blick 22 landeinwärts gehend aus den Figern (f)gleiten 22C) Bald wieder alle aus den Fingern fallen auf diese schönen Kerker zeigte ihm 23 Enthüllte ihm in diesen schönen Kerkern 24 Das eigne unbegreifliche Geschick SWI273f. EII 82.1-2; FDH19988

217

Ein Knabe 1 2 3 4

l Lang kannte er die Muscheln nicht für schön: Er war zu sehr aus einer Welt mit ihnen, Der Duft der Hyazinthen war ihm nichts Und nichts das Spiegelbild der eignen Mienen.

i 6 7 8

Doch alle seine Tage waren so Geöffnet wie ein leierförmig Tal, Darin er Herr zugleich und Knecht zugleich Des weißen Lebens war und ohne Wahl

9 10 11 12

Wie einer, der noch tut, was ihm nicht ziemt, Doch nicht für lange, ging er auf den Wegen: Der Heimkehr und unendlichem Gespräch Hob seine Seele ruhig sich entgegen.

13 14 15 16

2 Eh er gebändigt war für sein Geschick, Trank er viel Flut, die bitter war und schwer. Dann richtete er sonderbar sich auf Und stand am Ufer seltsam leicht und leer.

17 18 19 20

Zu seinen Füßen rollten Muscheln hin, Und Hyazinthen hatte er im Haar, Und ihre Schönheit wußte er, und auch, Daß dies der Trost des schönen Lebens war.

21 22 23 24

Doch mit unsicherm Lächeln ließ er sie Bald wieder fallen, denn ein großer Blick Auf diese schönen Kerker zeigte ihm Das eigne unbegreifliche Geschick.

Erster TiteL· Die Verwandlungen (2 *- W) Motto: "und sie welken dahin in ihrer unendlichen Schönheit Vers von Leopold Andrian ( 2 f f i Vers 4 Und nichts So wie (3 W, 4 D', geändert in 6 t'H) Sowie (7 D*)

SWIiS/274f. Stefan George-Archiv; Württembergische Landesbibliothek

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IX Zeit und Vergänglichkeit

Das Thema der Zeit und der Vergänglichkeit, dem das vorliegende Kapitel gewidmet ist, kommt in den Gedichten Hofmannsthals nicht losgelöst von der begründenden Unvergänglichkeit zur Darstellung.1 Als sprachliche Gestalten gehen die Gedichte nicht in die Vorstellung einer Seite der Problematik über, sondern bemühen sich darum, ihr mittelbar zu entsprechen. Sie selbst haben teil an der vergänglichen Zeitreihe ebenso, wie an der augenblicklichen Ahnung des Begründenden und können erst dann als sprachliche Gestalten gelten, wenn diese Ambivalenz in der Art ihrer Verwendung der Sprache nicht einseitig überschritten wird. Dieses Problem zeigte sich bereits mit der Frage nach dem Haltenkönnen des Bewegten (Kapitel II), auf dessen Wirkung zu antworten gerade nicht mit Fixierungen in bestimmten Vorstellungen gelingen konnte (Kapitel III). Dies wurde noch deutlicher ausgesprochen mit dem Bild des stillgestellten Lebens im künstlichen Garten (Kapitel IV), der mit der Vergänglichkeit auch die Lebendigkeit verlassen hatte. Die Spannung von vergänglichem Wissen und gegenwärtiger Gewißheit führt in »Erlebnis« nicht zu einer Aufgabe des Endlichen, sondern dazu, daß das Bedürfnis nach dem vertrauten Halt sich in der Auflösung umso stärker zeigt. Im Verhältnis des allem Zeitlichen zugrundeliegenden, stummen Wissens, das in »Weltgeheimnis« genannt wird, zu den abgeleiteten Zuständen in der Zeit, erscheint der Dichter als die einzige Gestalt, die mit dem Wissen zugleich die Vergänglichkeit begreift, durch die das Begriffene immer ebenso Verlorenes ist. Dennoch kann in der vergänglichen Gestalt der Liedes das unvergängliche Wissen aufgehoben erscheinen und sich vermittelst ihrer als direkt Ungreifbares mitteilen. Im Folgende wird es darum VgL zu dem Thema, das eines der zentralen im Gesamtwerk ist, beispielsweise die Ausführungen von Mennemeier (1948) über Vergänglichkeit und Gleichbleibendes (S. 41) und von Brinkmann (1961) über wandelnde Zeit und Zeitlosigkeit (S. 74).

219

gehen, an Beispielen, die Zeit und Vergänglichkeit explizit thematisieren, zu untersuchen, in welcher Weise dieser Problematik die Sprache des Gedichts entspricht, inwiefern sie die Bewegung des Gedichts in Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit zugleich zum Ausdruck bringen kann, oder diese einseitig festlegt. In der spielerisch ausgemalten Phantasie eines frühen Briefgedichts, »Und stündlich steigt der See [...]« (August 1890), gehört zu der Entfernung aus allem Irdischen auch das Vergessen der Zeit: »Und Nacht wird Tag und Tag wird Nacht, die Zeiten sind vergessen / Das ist der Minne Zaubermacht, die hat noch keiner ermessen.« (II 27, Vers 13/14). Wenn auch eine weitergehende Interpretation hier nicht beabsichtigt ist, ist doch bemerkenswert, daß der Aufschwung über die Welt in den Machtbereich der Liebe führt und deren Wirkung vornehmlich in der Auflösung der Zeit besteht. Eine andere Erscheinungsweise zeigt sich im Raum des Ghasels »Gülnare« (Dezember 1890). In die märchenhafte Szenerie wird auch die Zeit einbezogen, die nicht als Einteilung wahrgenommen ist, sondern eher ein Moment des Traumes bildet, ohne ihn zu stören: »Und die Uhr auf dem Kamine, die barocke, zierlich steife, / Tickt die Zeit, die süßverträumte, wohlgewogen um Dich her.« (I 11, Vers 7/8). In der realitätsfernen Sphäre dieses Gedichts steht die Aufnahme der Zeit, die sich »wohlgewogen« dieser Sphäre einordnet, für die Möglichkeit der Aufnahme auch noch des scheinbar Fernstehendsten in den Bereich des Schönen. Den Aspekt der historisch begriffenen Zeit nimmt das Ghasel »>EpigonenAbendreflektierenden< Charakter3 der Verse begründet sein, die Gedanken vortragen, indem sie Probleme nebeneinanderstelIn einem Brief an Elsa Bruckmann-Cantacuzene vom 10. August 1894 nennt Hofmannsthal die zuvor entstandenen Gedichte »reflectierend(e) Terzinen« (SW I 231, 9f.). 222

len, die ausdrücklich als nicht vollständig begreifbar (»das keiner voll aussinnt« Vers 4) bezeichnet sind, und diesen mit der kontinuierlichen Form der Terzinen einen unauffälligen Zusammenhang geben. Der Beschreibung des offenen Problems gegenüber tritt hier die Sprachgestaltung zurück und gibt das Thema letztlich als Frage. Das Gedicht »Unendliche Zeit« (Sommer 1895) spricht von der Möglichkeit, das Unvergängliche im Vergänglichen zu erfahren. Im gehobenen Ton der Distichen wird eine »selige(n) Zeit« (I 51, Vers 1) in Erinnerung gerufen, die in der vergangenen Zeit und zugleich über die in der alltäglichen Wahrnehmung vergangene Zeit hinaus möglich war. Die abendliche Situierung (»Über dem dunkelnden Thal zogen die Sterne herauf« Vers 2) bringt die Bedeutung des Zusammenfassenden und der Sphäre des mehr als Endlichen mit sich. In diesem Raum erfährt die schlichte Tatsache des im Schatten Stehens (Vers 3) eine Erweiterung über das Alltägliche hinaus, die zuerst als Wirkung genannt ist: »und bebten« (Vers 3). Der Baum scheint »wie im Traum« (Vers 4), was ebenfalls das Überschreiten der gewöhnlichen Grenzen andeutet, und erinnert zugleich mit »einem Schauer [...] / lärmender Tropfen« (Vers 4/5) an die Realität des vergangenen Regens. Dieser Wiedereintritt der Realität beendet den Traumzustand und läßt aus dem Blickwinkel der Endlichkeit die Zeit bestimmen: »Es war keine Stunde vergangen / Seit jenem Regen! Und mir schien es unendliche Zeit.« (Vers 5/6). In dieser Anschauung steht neben der objektiven Angabe der vergangenen Zeiteinheiten die subjektive Wahrnehmung, die aus dieser Objektivität entrückt war. Die Möglichkeit dieser Parallele von meßbarem und in endlichen Maßen nicht faßbarem Zeitraum wird in den folgenden beiden Versen begründet mit der Beschreibung dieses außerordentlichen Zustandes des Erlebens: »Denn dem Erlebenden dehnt sich das Leben, es thuen sich lautlos / Klüfte unendlichen Traums zwischen zwei Blicken ihm auf.« (Vers 7/8). Die entgrenzende und grenzenlose Wahrnehmung des Traumes kann danach die Zeitreihe von »zwei Blicken« (Vers 8) hinter sich lassen und jenseits der Endlichkeit (»lautlos« Vers 7) eine nicht der Vergänglichkeit und Gemessenheit unterworfene Zeit finden. Darin scheint vollständiges Aufnehmen eines Gegenüber möglich: »In mich hätt ich gesogen Dein zwanzigjähriges Dasein« (Vers 9), während die Realität nur einen begrenzten Zeitraum wahrnehmbar werden läßt (»indessen der Baum noch seine Tropfen behielt« Vers 10). Die Möglichkeit des Erlebens der

223

Zeit als unendlicher Zeit wird in den Distichen neben den endlichen Bereich gestellt und von ihm her als die besondere Wahrnehmungsweise des »Erlebenden« (Vers 7) beschrieben. Die Wendungen »mir schien es« (Vers 6) und »War mir« (Vers 10) deuten auf eine ahnende, andere Wahrnehmung, als die objektive, so wie sie in Vorstellungen der gemessenen Zeit angenommen wird. Das >Erlebnis< der unendlichen Zeit erscheint in diesem Gedicht auf der Ebene der Beschreibung, in subjektiver Aussage, die dem Erfahrenen als Unbegreiflichem gegenüber steht und gerade deshalb auf eine traditionelle Form zurückgreift, um es umschreibend fassen zu können.4 Das Gedicht »Nox portentis gravida« (Februar 1896) spricht für die Seele des Dichters deren unbestimmbaren Zeitraum als »Dasein von keiner sichern Frist« (I 59, Vers 18) aus. Die im Entwurf zuerst gebrauchte Wendung von »keiner wahren Frist« (278) wurde als geradewegs unzutreffend verworfen, da es hier nicht um die Wahrheit des Zeitraums, sondern um seine nicht mögliche Festlegung in endlicher Bestimmtheit geht, die dennoch wahr sein kann.5 Im Raum des Enthusiasmus des ersten Teils von »Der Jüngling und die Spinne« (Juni/Juli 1897) erscheint das Vergangene als aufsteigend aus dem Endlichen in die Unvergänglichkeit, während zugleich das Künftige sich herauf bewegt: »zu den Sternen steigt, was längst geschah, / Empor, und andre, andre Ströme führen / Das Ungeschehene herauf« (I 70, Vers 30-32). Auch hier ist der im Grenzenlosen schwebende Zustand des endlichen Zeitpunkts in der Wahrnehmung des Gedichts angedeutet. Dieser dem Dichter aufgegebene Zeitzustand findet ebenfalls Ausdruck mit dem Epigramm »Dichter und Gegenwart« (August 1898): »>Wir sind dein Flügel, o Zeit, und halten dich über dem Chaos. / Aber, verworrene Zeit, tragende Kralle wir auch?Denk, wie ich im Sterben glich / Jungen, jungen Fraun.« (Vers 43/44). Der nur im Entwurf ausgesprochene Grund für die Teilhabe am Unvergänglichen ist die Alterslosigkeit der Seele, »unsre Seele altert nicht« (377, 17), die die Gleichheit in der Vergänglichkeit ermöglicht. Das Gedicht spricht mit seinen paradoxen Wendungen diejenige Zeitsituation aus, in der der Mensch sein eigenes Geschick (vgl. »Ein Knabe«, Kapitel VIII) erkennen kann.6 Im Bild der »Bühne meiner Träume« (II 448) wird die Dichtung im August 1901 gefaßt und als Bestehendes »im Sturz des Lebens« (ebd.) angesprochen. Der Unterschied zur Vergänglichkeit des Lebens kommt in einer gestrichenen Stelle des dazugehörigen Versentwurfs deutlicher zum Ausdruck: »Bestehest nur im Sturz (der Zeiten) des Lebens dauernd« (449). Das Beständige der Dichtung wird nicht jenseits der vergehenden Zeit, sondern in ihr gedacht und wird sich nur insofern in der Sprachgestalt auffinden lassen, als diese zugleich vergänglich und nicht vollständig reduzierbar auf endliche Vorstellungen erscheint (vgl. auch Kapitel VI). Das gemeinsame Bestehen von vergehender Zeit und Unvergänglichkeit ist das Thema der Nachdichtung »Aufschrift für eine Standuhr« (April 1902), der das Gedicht »Inscription for a Time-Piece« von Samuel Taylor Coleridge zugrunde liegt.7 Der mehrfach überarbeitete Entwurf Hofmannsthals läßt den Weg von einer nahe am Original 6 7

Hinweis auf Pestalozzis Interpretation des Gedichts in Kapitel III, Anm. 19. Das Gedicht ist bisher nicht ausführlich untersucht worden, nicht zuletzt wegen der unzutreffenden Einordnung in das Jahr 1892 in dem Band »Gedichte und Lyrische Dramen«. Key (1954) erwähnt es als Beleg für das »Bedürfnis, aus der Flüchtigkeit des Moments das Unvergängliche zu gewinnen«, wobei nicht gesagt werde, »(w)elcher Art dieses unsterbliche Jetzt eigentlich sei« (S. 181); letztere Auskunft entwickelt Key anhand von »Der Tor und der Tod« mit den Begriffen Freiheit und Treue (S. 189). Derungs (196o) spricht vom »ICH (als) Maßstab und Gefäss der verinnenden Zeit. Die Stunden sind aktiv, sie wirken auf das beharrende ICH.« (S. 48), wobei wenigstens die erste Feststellung nur schwer mit dem Gedicht zu belegen sein dürfte. 225

befindlichen Übersetzung zur eigenen Sprachgestalt sichtbar werden. Den ersten Vers: »Now! it is gone. - Our brief hours travel post,« übersetzt er zunächst: »Vorbei! Die kurzen Stunden gleiten hin« (II 451). Der Unterschied von Zeitpunkt und Vergangensein (»Now! it is gone«) kommt mit dem nur das letztere nennenden »Vorbei« noch nicht wie im englischen Original zum Ausdruck, dagegen zeigt sich schon im ersten Ansatz, daß Hofmannsthal distanzierter von >den< Stunden, nicht von >unseren< Stunden (»Our [...] hours«) spricht. Das Verb »gleiten« deutet auf die Bewegung der Stunden im Grenzenlosen hin, wie die Wortbedeutung im Werkkontext nahelegt. Die Gegenwärtigkeit der Zeiteinteilung im Ungetrennten erscheint mit dem ersten Vers in allgemeiner, unbezogener Wahrnehmung. Der zweite Vers nennt die Qualitäten jeder einzelner der Stunden, die sie für den Menschen haben, mit denen er sie für sich füllt: »Traum jede oder That, Qual oder Ruh'n«. Auch hier ist die sprachlich sich zeigende Distanz zur Wahrnehmung gegeben, während das Original mehr den Bezug, sowohl im Sprachgefüge, wie zur menschlichen Vorstellung, hervorhebt: »Each with its thought or deed, its Why or How: -«. Der Inhalt der Stunden erstreckt sich über Aktivität und Passivität, grenzenüberwindendes inneres und eingreifendes äußeres Tun sowie Leiden und Ruhen. Im Unterschied zu der allgemeinen Vorstellung der gleitenden Stunden, die der erste Vers gab, erscheinen sie im zweiten in konkreter Einzelheit, die zugleich die Möglichkeiten der Gesamtheit menschlich erfüllter Zeit einzubeziehen versucht. Dieser Aspekt des Erfülltseins kommt in einer zweiten Fassung des Verses zum Ausdruck: »voll Traum, voll (wirrer) Wirrnis, (Sehnsucht) (Sehnen) oder Ruhn«, die zugleich nur noch >innere< Zustände in den nominalen Wendungen nennt. Der überrationalen Klarheit des Traums steht jetzt der endliche Zustand der »Wirrnis« gegenüber, der Passivität des Ruhens die Bestrebung des Sehnens. Diese Erfüllungen der Stunden erscheinen nicht mehr verteilt (»jede«), sondern in ihrer Unterschiedlichkeit zugleich vorhanden. Möglicherweise im Zusammenhang mit dieser Änderung des zweiten Verses erfolgte auch die Streichung des Adjektivs im ersten und die Neufassung des Anfangs: »Nun und vorbei!«, die sich dem Original näher befindet als das bloße »Vorbei!«. Der Zeitpunkt des »Nun« ist im Aussprechen schon in eine vorübergegangene Ausdehnung geraten, die mit dem »und vorbei« sinnfällig werden soll. Das »und« deutet auf die Gleichzeitigkeit von Zeitpunkt und verge-

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hender Reihe, während das »it is gone« den Status des »Now!« als vergangenes Vernommenes erklärt. Das »Doch« zu Beginn des dritten Verses weist wieder auf eine Änderung der Richtung des Gedankens hin. Jetzt werden die Stunden als einzelne (»jede«) aufgenommen in der Bewegung ihres immerwährenden Vergehens (»scheidend«). Im ersten Ansatz des Entwurfs lautet die zweite Vershälfte: »läßt dir (ihren) einen Geist«. Die Entgegensetzung des Gleichzeitigen in den Verbformen »scheidend, läßt«, mit der Vergehen und Gegenwärtigkeit Ausdruck findet, ist hier bereits vorhanden, ebenso die Wendung aus dem Allgemeinen an das Du (»dir«); verändert wird noch der Ausdruck für das Bleibende. Die erste Formulierung »ihren Geist« konnte noch zuviel endliche Bestimmtheit nahelegen, die Ersetzung »einen Geist« ist der Ungegenständlichkeit des Gemeinten und der Wendung des Originals »a ghost« näher. Der Schlußvers erläutert diesen Geist als denjenigen, »(Der) in dir wohne ein unsterblich Jetzt!«. In dieser Fassung bilden die beiden letzten Verse eine dem englischen Original nahe Übersetzung, die in Wortwahl und Satzbau noch keinen eigenständigen Umgang mit der Problematik aufweist. Eine konkrete Vorstellung wird mit der Ersetzung des Verbs in Vers 3 von »lässt« zu »pflanzt in« und dann »senkt in Deinen Geist« zu erreichen versucht, wobei die erwogene Fortsetzung immer noch den aufnehmenden Geist und den Geist der Stunde gegenüber hat: »senkt in Deinen Geist / Dir ihres Geistes«. Das Wort Geist stellt in dieser Wendung nicht mehr dar, als das sinnleer gewordene Zitat eines vergangenen Wortgebrauchs, weshalb die Formulierung als Ausdruck der Thematik noch nicht genügen konnte. Die Ersetzung lautet: »senkt in deinen Geist / Dass es dort wohne ein unsterblich Nun!«. Auf die Rede vom Geist der Stunde ist damit ganz verzichtet zugunsten des letztlich nicht benennbaren Inhalts, des unvergänglichen Augenblicks, der im Geist des auch Endlichen möglicherweise »wohne«, wobei der Konjunktiv die Offenheit dieser Möglichkeit hervorhebt. Die bisher gewonnene Fassung ist durch das »Nun« zu Beginn und Ende in sich geschlossen, hat mit der Verbform »gleiten« im ersten Vers die Gegenwärtigkeit des Allgemeinen, den Nomina im zweiten Vers die endlichen Möglichkeiten der Zeiterfüllung, mit dem Partizip Präsens und der Präsensform »senkt« im dritten Vers die Gegenwärtigkeit von Bewegung und Zeitpunkt und mit dem Konjunktiv im Schlußvers die mögliche Teilhabe am Unvergänglichen

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angedeutet. Die Problematik von Vergänglichkeit und dauernder Gegenwärtigkeit erhält bisher schon den ihr entsprechenden Ausdruck mit den gewählten Verbformen. Der einzige Vers, der noch nicht von ihnen bestimmt wird, Vers 2, erfährt deshalb eine Änderung hinsichtlich der Wortwahl und lautet zuerst: »verträumt, (verspielt), verjubelt hingehetzt«. Diese auf gedankenlose Verschwendung der Zeit deutenden Partizipien werden ersetzt durch: »verträumt (verathmet) ferner hingehetzt«, um schließlich den beibehaltenen Wortlaut »verthan verhaucht in Sehnsucht hingehetzt« zu erreichen. Von den nominalen Wendungen der zweiten Entwurfsfassung wird diejenige aufgenommen, die am meisten eine Bewegung des Gefühls nahelegt, »in Sehnsucht«; sonst bilden den Vers drei Verbformen, die Vergangenes, aber in der Gegenwart noch Wirkendes ausdrücken. Wieder sind Aktivität und Passivität aufgenommen, diese in der Wendung »hingehetzt«, mit der sich im Getriebensein »in Sehnsucht« die Passivität auch auf den Menschen zu beziehen beginnt, jene mit »verthan, verhaucht«, womit noch der Gegensatz von gedankenlosem Verschwenden und flüchtigen Vergehen erscheint. Im Sinn einer Mahnung, die die »Aufschrift für eine Standuhr« geben soll, kommt durch die Vorsilbe »ver-« der Bedeutungsaspekt des sinnlosen Umgangs mit der Zeit hinzu. Dadurch wird der Kontrast der beiden Gedichthälften schärfer. Die im Partizip enthaltene Bedeutung des Vergangenen, aber noch Wirksamen, entspricht dem Nachwirken des unbesonnenen Verschwendens der Zeit und bringt in der Sprachform das Verhältnis von Vergehen und Gegenwärtigkeit zum Ausdruck. Auch die über den jeweiligen Zeitpunkt immer hinausstrebende »Sehnsucht«, in deren Raum die Stunden »hingehetzt« sind, gehört zu diesem Verfehlen des Sinns der Zeit. Durch die Änderung des Verses 2 ist die Thematik nicht nur genannt, sondern hat sie die entsprechende Gestaltung gefunden, die als sprachliche Zeitform das Problem anschaulich werden läßt. Bedingt durch das Schlußwort des Verses 2 »hingehetzt« endet der Vers 4 mit »Jetzt!«, was um der Geschlossenheit des Gedichts willen ebenfalls das »Jetzt -« für den Anfang nötig werden läßt. Gegenüber dieser Fassung, die das Gedicht im Entwurf erreicht, ändern sich in der Reinschrift nur zwei Stellen. An den Gedichtanfang wird wieder das Wort »Nun,« gesetzt und damit die durch gleiches Anfangs- und Endwort bewirkte Geschlossenheit aufgegeben. Dafür ist die Wortbedeutung genau berücksichtigt, wenn man davon ausgeht,

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daß das »Nun« »die schnell hinschwindende zeit der gegenwart« (Deutsches Wörterbuch) bezeichnet. Die allgemeine, Gegenwärtigkeit eines fortwährenden Zustande bedeutende Aussage des ersten Verses »Die Stunden gleiten hin«, wird mit den subjektlosen Partizipien des zweiten um die Aspekte der sinnleeren Endlichkeit im Zeitmodus in der Gegenwart wirkender Vergangenheit ergänzt, um über den Wendepunkt des »Doch« die Konkretheit »jede(r) Stunde« (Vers 3) in die Wahrnehmung zu rücken. Das Zugleich von immerwährendem Vergehen (»scheidend«) und Gegenwärtigkeit der Wirkung (»senkt«) richtet sich jetzt auf »deinen Sinn«. Damit ist nicht nur gegenüber der allgemeinen Fremdheit des Vergehens, die die beiden ersten Verse geben, die einzelne Stunde auf den Wahrnehmenden bezogen, sondern die Wahrnehmung mit dem Wort »Sinn« auch komplexer und konkreter benannt. Die Verwirklichung des Gegenwärtigen im eigenen »Sinn« bleibt in der Möglichkeitsform des Konjunktivs »wohne«, und gegenüber dem flüchtigen »Nun« des Anfangs steht das »Jetzt« als Bezeichnung eines »gegenwärtigen, dauernd gedachten« Zustands (Deutsches Wörterbuch). Das Gedicht bildet so nicht die in sich kreisende Form des Augenblicks ab, wie dies mit dem gleichen Wort an Anfang und Ende geschah, sondern gibt die Bewegung der Zeitauffassung vom vergänglichen Moment zur sinnerfüllenden Gegenwärtigkeit. Die Formen der Verben entsprechen dem jeweils darzustellenden Zeitcharakter, wodurch nicht über die Zeitauffassung gesprochen, sondern ihre sprachliche Gestalt ausgesprochen wird. Darin erscheint das nur Endliche in grundloser Sinnferne dem Menschen fremd, während das letztlich ungreifbare Unsterbliche in Besonderheit und im wirklichen Bezug der Möglichkeit nach gegenwärtig wird. Diese Bewegung vollzieht sich zwischen dem vergänglichen »Nun« und dem dauernden »Jetzt« als die Bewegung, die in der sprachlichen Gestalt des Gedichts wahrnehmbar wird. Das Thema der Zeit verbindet mit dem der überindividuellen Kontinuität eines Gefühls eine Aufzeichnung aus dem Jahr 1919 oder 1920 unter der Überschrift »Ganz kleine Gedichte« (II187). Das Gefühl, das sich in einem bestimmten Zeitraum, »Herbst [...] Nachmittagsstunde«, einstellt, enthält ein entsprechendes Gefühl aus der Kindheit, dieses das Gefühl des Lebens der Eltern. Die Folge aus dieser Einsicht in die Verbindung der Generationen auf der Ebene des Fühlens ist die Selbstdefinition: »so bin ich eine Uhr es ist kein Wunder wenn die Zeit mei-

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nes Grossvaters in mir schlägt« (ebd.). Die Wahrnehmung löst Empfindungen aus, die in einem Zusammenhang gegeben sind, der über die eigene Person zurück in der Zeit reicht und der zum Ausdruck in einer Weise kommt, die hier mit dem Bild der Uhr illustriert ist: »ich zeige nur etwas an: jede Landschaft in der ich stehe löst einen Schlag meines Schlagwerkes aus.« (ebd.). Damit erscheint das über die einzelne Person hinausreichende Gefühl ganz auf einen Mechanismus reduziert, der in der Wahrnehmung nur reagiert. Die Gestaltung der überendlichen Kontinuität in der auch endlichen Sprache das Gedichts ist diesem späten Prosaentwurf nicht abzulesen, wohl aber anderen, ausgeführten Gedichten, die im folgenden Kapitel untersucht werden. Der vorliegende Entwurf stellt der Verbundenheit die Vorstellung der Uhr als unvermitteltes Bild gegenüber, dessen Gestalt als gedichtete sich mit dem zu erwartenden Klang des »Schlagwerkes«, der der zugrundeliegenden Kontinuität entsprechen könnte, nur andeutet.

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Aufschrift einer Standuhr.

ST Coleridge

Jetzt / (Nun) und Vorbei! Die (Kurzen) Stunden gleiten hin 2 Traum jede oder That, Qual oder Ruh'n 2 2( ) verträumt, (verspielt), verjubelt hingehetzt Wirrnis Sehnen 2(}) voll Traum, voll (wirrrer) (Sehnsucht) oder Ruhn (Sehnsu) 2W verträumt (verathmet) fernher hingehetzt verhaucht, ver einen 3 Doch jede, scheidend, (lässt) dir (ihren) Geist (pflanzt in) senkt in deinen (Nun) 4 (Der) in dir wohne ein unsterblich (Jetzt!) Jetzt 4Ü) (Dir ihres Geistes) 4(2) Dass es dort wohne ein unsterblich (Nun)! Jetzt than 2W * verträumt verhaucht in Sehnsucht hingehetzt

SW H 451 EII 11.2; FDH19942

Aufschrift für eine Standuhr 1 2 3 4

(Jetzt) Nun, und vorbei! Die Stunden gleiten hin veithan, verhaucht, in Sehnsucht hingehetzt: Doch jede, scheidend, senkt in deinen Sinn dass es dort wohne - ein unsterblich Jetzt.

S W Hl 59 E II 11.3; FDH 19942

* am linken Rand neben Zeile 4

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X Bleibendes und Vergehendes in der Kontinuität

Das Thema der Kontinuität ist bereits im Zusammenhang mit dem der Vergänglichkeit als physische Kontinuität genannt worden. Diese Idee der Verwandtschaft über Zeit und Raum hinweg kommt an weiteren Stellen des lyrischen Werkes zum Ausdruck und bringt das Problem mit sich, in diesem Kontinuum des Lebendigen ein Bleibendes zu gestalten, das zugleich Anteil an der Kontinuität hat und doch nicht in ihr völlig aufgeht. Der lebendige Zusammenhang wird als stummes Leben angenommen, das in der Äußerung gewöhnlich vereinzelt und ohne den Bezug zum ungeteilten Lebendigen erscheint. Das Gedicht dagegen soll die Sprache dieses stummen Zusammenhangs sein und ihm mit dem Widerklang seiner Erscheinung entsprechen. Das überindividuell jedem bewußten Einzelnen zugrundeliegende Kontinuum läßt sich aufgrund der im Folgenden darzustellenden Beispiele als lebendiger Zusammenhang beschreiben, der über die endlich bestimmten Grenzen in Raum und Zeit unendlich hinausreicht. Von den überlieferten Bedeutungsmöglichkeiten des Begriffs >Kontinuität< stimmt die bei Hofmannsthal zu erarbeitende am ehesten mit der Begriffsverwendung bei Plorin und im Neuplatonismus überein. Kontinuität bezeichnet dort den »Zusammenhang des Körperlich-Stofflichen« und bezieht sich auf das »All-Leben(s), welches das ganze Dasein als quantitativ nicht bestimmte, unendliche Kraft erfüllt«.1 Dabei tritt die »Rolle des subjektiven Bewußtseins [...] in den Hintergrund gegenüber der kos1

Historisches Wörterbuch der Philosophie, Hrsg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Band 4, Spalte 1048. Vgl. einen Brief aus dem Jahr 1895: »Wir bewegen uns in dem ungeheueren Element des Lebens leicht und ahnungslos wie die Tiere am Meeresgrund unter dem ungeheuersten Druck, der auf ihnen lastet [...] alle Elemente sind uns offen, und wir sind Tod und Leben, sind Ahnen und Kinder, sind unsere Ahnen und unsere Kinder im eigentlichsten Sinn, ein Fleisch und Blut mit ihnen. So kann nichts kommen, nichts gewesen sein, was nicht in uns wäre.« (An Felix Baron Oppenheimer, dat. Coding, 26. Juli. In: Briefe 1890-1901. Berlin 1935, S. 155f.) 232

mologischen und ontologischen Dimension.«2 Dieses Begriffsverständnis wird aufgenommen in lebensphilosophische Konzeptionen des 19. Jahrhunderts, wenn sie »der aus Zuständen (statisch) konstruierenden Wissenschaft die ursprüngliche Kontinuität des Lebens« gegenüberstellen.3 Hierfür kann der Name Bergson stehen, aber auch Simmels Auffassung des Lebens »als grenzenlose Kontinuität, die als kontinuierliches Strömen, als absatzloses Fließen vorgestellt werde«,4 ist mit Hofmannsthals Idee der >physischen Kontinuität zu vereinbaren. Wie der Lebensbegriff (vgl. die Einleitung) ist auch der Kontinuitätsbegriff Hofmannsthals hinsichtlich seiner Herkunft nicht eindeutig bestimmbar, sondern in seiner Bedeutung mit verschiedenen anderen überlieferten Möglichkeiten zu vergleichen.5 Das Verhältnis der Sprache des Kunstwerks zu dem stummen Zusammenhang des Lebens kommt in dem Gedicht »Blüthenreife« (Ende Februar 1891) mit dem Vergleich der Lieder und Blüten zum Ausdruck. Die schlafenden Blüten nehmen Regen und Mondlicht in sich auf, um dann »die schweigende Hülle« (II 54, Vers 9) zu sprengen und nach außen zu treten. Mit ihnen erwachen auch die Lieder und gehen von Schweigen in die Sprache über. In der zweiten Hälfte des Gedichts wird das Verhältnis von schnellem Werden des Liedes zu der aufbewahrten Gegenwart und Vergangenheit des Lebens, das mit »Grübeln«, »Träumen« und »Gedanken« (Vers 29, 31) »Bunt und seltsam in sie mündet« (Vers 28), in Frage gestellt und mit dem Vergleich beantwortet. Wie die Blüten »in einer weichen / Heißen, einz'gen Nacht erblühten // Und im Kelche dennoch tragen / Eines ganzen Lebens Währen« (Vers 35-38), so sollen auch die Lieder vergangenes Lebendiges in sich aufgehoben haben und deshalb mehr ausdrücken können, als bestimmtes Einzelnes. Das Aufbewahrtsein einer Kontinuität, die über den Zeitraum des eigenen Lebens hinausreicht, deutet 2 3 4 5

Hist. Wb.,Sp. 1049. Hist. Wb., Sp. 1054. Hist. Wb., Sp. 1055. In der Einleitung zu der Auswahl »Deutsche Erzähler« (Leipzig 1912) schreibt Hofmannsthal: »Im einzelnen Menschen gibt es nichts schlechthin Gegenwärtiges, Entwicklung ist alles, eins wirkt sich ins andere, spreche ich mit einem neunzigjährigen Freund, den ich habe, befrage ich ihn nach einer Zeit seines Lebens, den Vierziger- oder Sechzigenahren des verflossenen Jahrhunderts, so werde ich gewahr, wie für ihn eins ins andere eingeht, der hingeschwundene Zeitraum im nächsten weiter lebt und alles ein und dasselbe Wesen bleibt: so für den einzelnen, so für das ganze Volk.« (RuA I, S. 428). 233

sich in den beiden Schlußversen an: »Sonne von versunk'nen Tagen, / Ferner Frühlingsnächte Gähren.« (Vers 39/40). Der Zusammenhang, in den die Lieder mit diesem Vergleich gestellt werden, erscheint in diesen Wendungen noch im Charakter einer Forderung, die darüber spricht, daß die Gedichte diesem stummen Kontinuum des natürlichen Lebens entsprechen sollen. Damit ist eine Bedingung genannt, die die Möglichkeit begründet, in der Wahrnehmung des Gedichts einen weiterreichenden Zusammenhang erkennen zu können, als vermittels anderer, außerkünstlerischer Erscheinungen. Auf diese Verwandtschaft verweist der Monolog des >lieben GottesSeele< (17) gleicherweise nah und gegenwärtig. [...] Worauf es in >Manche freilich ...< ankommt, ist diese Totalität der Daseinserfahrung und dichterischen Weltschau.« (S. 38). Derungs (1960) nennt dagegen die im Gedicht genannten Dinge in ihrer Schönheit ganz isoliert (S. 123) und bleibt damit an der äussersten Oberfläche. Sondrup (1976) vergleicht »Dein Antlitz ...« mit Verlaines »Ciaire de lune« auf die Gestaltung von Stimmungen hin (S. 80ff.), Kovach (1985) nimmt dazu Stellung (S. 63) und geht auf Szondis Gegenüberstellung mit »Frage« (in: Szondi, 1975, S. 272-276) ein (S. 79f.). Die ausführlichste Interpretation, von David E. Jenkinson (in: Resch, Seltene Augenblicke, 1989), untersucht das zum Ausdruck kommende zwischenmenschliche Verhältnis und versteht dabei den »Traum« als »mystisches« Einssein mit der Natur (S. 82) wie den »Glanz« als die Einzelheiten überstrahlend (S. 93).

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Das Gedicht »An eine Frau« (Februar 1896) spricht die Bewegung des Vergehens in der Kontinuität und das zugleich darin Bleibende in deutenden Vergleichen aus und begründet den Unterschied zwischen Bleibendem und Vergehendem mit Bildern des unwahren und des wahren Sprechens. Die grundlegende Vorstellung des Ausruhens im Beweglichen wird auf einem Blatt mit ersten Ansätzen, zum Teil noch in Prosa, in mehreren Bildern zu gestalten versucht. Das erste lautet: »der aufgeworfnen Welle langes Blinken / Das andre ist nur da um wegzusinken«. Die sich in dem beweglichen Element hebende Welle vergeht wieder spurlos;10 das Bleibende ist in diesem Bild nur der Widerschein des Lichtes, das sich in der Welle spiegelt. Dessen Dauer deutet die Wendung »langes Blinken« an, womit das Bleibende als auf dem beweglichen schwebendes Phänomen vorgestellt ist, das im mittelbaren Zusammenwirken der Elemente Wasser und Licht besteht. Das Leben des Geistes wird in einem zweiten Vergleich weitergehend gestalthaft festgehalten: »So lebt unser Geist: auf fremdem Thuen / Dem beweglichsten Ding auszuruhen, wie (Vögel) Meeresvögel auf dem Kamm der Wellen. / Wie Meeresvögel ruhen auf den Wellen« (I 283). Die Dynamik des menschlichen Tuns wird hier mit dem Meer verglichen, dessen Wellenkämme nun aber nicht mehr das Licht spiegeln, sondern in ihrer unendlichen Bewegtheit dennoch die Möglichkeit zum Ruhen bieten, wobei das Bleibende in der konkreten Gestalt des Meeresvogels erscheint, der schwebend auf den Wellenkämmen ruht. Das »fremde(m) Thuen [...] (das) beweglichste(n) Ding« wird in einer weiteren Aufzeichnung als die Gebärden sichtbar: »der Geist ruht auf (G)leitendem der Lebensgarten besteht aus dem Überschauen solcher einzelner Geberden: die Schülerin, die Trinkende, George« (ebd.). Wie das Ausruhen des Geistes auf Gleitendem, so besteht danach der »Lebensgarten« nicht in gegenständlich Vorstellbarem, sondern in den verschiedenen Bewegungen, mit denen Menschen sich charakterisieren und die dem Geist in seinem »Überschauen« zu einem Bild werden, das ihm als sein »Lebensgarten« erscheint. Eine der Gebärden wird hier 10

Ähnliche Ausführungen zum »Meeressymbol« bei Rasch (1967): »Der Anblick des Meeres scheint fast die Anschauung des nicht sinnlich wahrnehmbaren Gesamtlebens zu ersetzen [...] das Verhältnis der Welle zum Meer (bildet) in unvergleichlicher Genauigkeit das Verhältnis des Individuums zur Lebensganzheit ab.« (S. 25). Werner Schwan (in: Resch, Seltene Augenblicke, 1989) zitiert diese Stelle in seiner Interpretation des Gedichts »Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer« (S. 167f.).

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noch beschrieben, sie sollte dann in veränderter Weise in das Gedicht Aufnahme finden: »Und wie Du spielend mit der Freundin Haar / Aufbindest und (hin) verschwendest Deinen Stolz / Ja alle innre Angst und Niedrigkeit / Wie Gold und Silberbäche hinter Dir / Die Ebne niederziehen lächelnd ahnst« (ebd.). In diesem Bild tritt das an sich ungreifbare Innere (»Stolz«) in der spielenden Bewegung in die Erscheinung und kann deshalb in dieser Gebärde wahrgenommen werden. Die Ahnung des sich Entfernens der negativen inneren Zustände (»Angst und Niedrigkeit«), zeigt sich mit dem Lächeln, das auf die in einem Vergleich gegebene Bewegung dieser Entfernung verweist: »Wie Gold und Silberbäche hinter dir / Die Ebne niederziehen«. Die Deutung dieses Vergleichs bedarf der Untersuchung der weiteren Fassungen des Gedichts. Bisher ist nur hervorzuheben, daß die spielende Gebärde dem Ausdruck des Stolzes gewidmet ist, der sich im Aufbinden verschwendet und in einem damit die im Inneren gebundenen »Angst und Niedrigkeit« nach Außen treten und »niederziehen« läßt, wobei sie in dieser Bewegung schönen Vorstellungen vergleichbar werden: »Wie Gold und Silberbäche«. Diese werden im Entwurf und in der Reinschrift wieder aufgenommen. Der Entwurf setzt ein mit einem weiteren Bild des Bleibenden im Vergehenden: »Die wahre Ernte eines Jahres bleibt / Im stillen Lichte fortzublinken« (über »Jahres« steht »Lebens«, nach »stillen« ist eingefügt »hohen«). Das Vergehende ist hier mit der gemessenen, endlichen Zeit eines Jahres genannt, während für das Bleibende das Bild der »wahre(n) Ernte« steht, das dieses als Herausgelesenes und Gesammeltes andeutet, das gegenüber dem Kontingenten als wahr gelten kann, wobei durch das Wort »Ernte« ein lebendiger Bezug nahegelegt wird, der von dem besonderen Aufzunehmenden zur lebendigen und lebenserhaltenden Aufnahme durch den Menschen reicht.11 Mit dem zweiten Vers wird das Bild des Blinkens der Welle hinsichtlich der Spiegelung des Lichtes aufgenommen, diese geschieht nun aber im nicht nur endlichen Raum des »stillen Lichte(s)«. Die Adjektive (»stillen« und »hohen«, letzteres als Ergänzung, nicht als Ersetzung zu lesen) deuten an, daß diese Sphäre des Lichtes die endlichen Raum- und Zeitvorstellungen in sich aufgehoben hat (vgl. »Ich gieng hernieder [...]« Kapitel VII), so daß das Bleibende im Widerschein des unendli11

Derungs (1960) schreibt zur siebenten Strophe des Gedichts: der »Wertunterschied der Dinge [...] liegt im Menschlichen« (S. 117).

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chen Lichtes erscheint und sich dergestalt vom Vergehenden unterscheidet. Neben der so erscheinenden »wahren Ernte« gibt es im zeitlichen Verlauf des Lebens noch anderes, von dem im dritten Vers gesagt wird: »Das Andre war nur da um wegzusinken.«. Auch die gewählte Zeitform verweist auf den Unterschied von Bleiben (»bleibt«) und Vergänglichkeit (»war«), wobei das Zugleich der beiden Bewegungen im Reimwort Ausdruck findet: »fortzublinken / wegzusinken«. Die weitere Deutung hinsichtlich des Verhältnisses von Ruhe und Bewegung für den Geist erscheint zuerst als nicht zu stellende Frage: »Nur keiner frage dieses: Wie erträgt / Denn unser Geist nur immer auszuruhen / Auf Wellenrücken, wie die Meervögel thuen?«, dann in der nur unbestimmt möglichen Antwort auf diese Frage: »Und irgendwie geheimnissvoll erträgt / Es (auch) wohl [...]«. Die fortwährende Spannung von Ruhe und Bewegung ist dem menschlichen Geist zu ertragen gegeben, ohne daß zu erklären wäre, wie dies möglich sei. Das Bild der Wellenrücken, auf denen Meervögel ruhen können, wird durch das der Vorstellung fernere des »Gleitende(n)« ersetzt, so daß der Vergleich mit den Meervögeln nur noch indirekt die Vorstellung des Meeres nahelegt. Das Ausruhen des Geistes auf Gleitendem evoziert den mehr als endlichen Lebenszusammenhang, wie die Bedeutung des Wortes »gleiten« im Werkkontext nahelegt. Das ohne Verwirrungen und Hemmungen Gleitende des grenzenlosen Lebendigen ist das Element, in dem der menschliche Geist lebt und gleichwohl auch Ruhe im Bleiben finden kann. Dafür legt der Vergleich mit den Meervögeln wieder den Zustand des Schwebens nahe. Von dieser Beschreibung des Grundlegendsten wendet sich der Entwurf zu dem Verhältnis zwischen bestimmten Menschen: »Auch zwischen uns ist dieses, dünkt mich, wahr:« und gibt nach diesem verbindenden Vers, der später wegfällt, die bestimmte Situation: »Das verworrene Gespräch verwirrter (Augen) Lippen / und verstellter Augen«. Die Eigenschaft der Verworrenheit, die im Werkzusammenhang für das nichtverstehende Befangensein in Endlichkeiten steht (vgl. Kapitel VIII), wird gleich zweimal genannt und noch ergänzt durch das weitere Adjektiv »verstellter)«. Dieses Gespräch ist unwahr, weil es den Zusammenhang mit dem ganzen Lebendigen nicht einbezieht und sich im unbegriffenen Einzelnen verliert, wodurch auch nur der unwahre Blick »verstellter Augen« möglich ist. Entsprechend erscheint »eins dem Ändern«: »immer nur die Bucht / So wie sie ein Ertrinken-

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der erblickt / Mit Kälte, die fast Hass zu nennen ist«. Im Versinken im unbegriffenen beweglichen Element kann das Feste nur mit dieser Empfindung erblickt werden, ebenso der nur endlich gesehene andere Mensch, wenn die grundlegende Spannung von Ruhen und Gleitendem nicht mit in der Wahrnehmung ist.12 Diesem Entwurf des verworrenen Gesprächs< folgt unvermittelt die bereits im ersten Entwurf vorhandene Vorstellung: »Das fliesst fort wie Gold und Silberbäche«, von der aus dann erneut der spätere Gedichtanfang aufgenommen wird. An dieser Stelle ist allerdings nicht auszuschließen, daß an eine Wiederaufnahme am Ende des Gedichts gedacht war, zumal hier das Bild der »Gold und Silberbäche« mit dem der hohen Luft vom Anfang zusammen steht: »(Das) bleibt in hoher Luft wie lichte Zinken / (Das Andre war nur da, um wegzusinken) / In Gold und Silberbächen wegzusinken«. Das Bild des Bleibenden ist damit wieder an eine konkretere Naturerscheinung geknüpft, wenn im Vergleich von »lichte(n) Zinken«die Rede ist,13 in deren Zusammenhang die »hohe(r) Luft« ebenfalls wieder einen Bedeutungsaspekt in endlicher Vorstellung erhält. Die Lichtreflexion ist in dem Bild der hellen Bergesspitzen erhalten; seit dem ersten Entwurf dieses Bildes hat sich der Ort des Bleibenden vom Wellenkamm, auf dem das Blinken des Widerscheins schwebt, zu den »lichte(n) Zinken« höchster Berge verlagert, die einen anderen außerordentlichen Punkt des Übergangs ins Unendliche darstellen. Das »stille(n) hohe(n) Licht(e)« der mittleren Fassung erscheint nun wieder im vermittelten Status des Widerscheins, den das Adjektiv »lichte« nahelegt. Der Neuansatz des Entwurfs nimmt das Thema des »verworrene(n) Gespräch(s)« wieder auf, das nun im offenen Vergleich steht: »Wie führte uns verworrenes Gespräch / (Verstellter Augen) über starke Klippen / (Den schlechten Weg am Rande starker Klippen)« (über 12

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Derungs (1960) zur fünften Strophe: »das DU-Erlebnis ist unerträglich, weil es nicht ein summarisches Verhältnis will, sondern eine gegenseitige Perspektive [...] Die >wahre £rnte< der Dinge ist nicht ihr Bezug zu einem anderen Ding, sondern der Bezug zum >Lebens also zum All-Raum« (S. 117). Zinken in der Bedeutung »>der spitze, hervorragende teil eines berges, felsens« (DWB, Bd. 31, Sp. 1406) verwendet Hofmannsthal ebenfalls in einem Vergleich, der auf das vorliegende Gedicht zurück verweist, in den nachgelassenen Aufzeichnungen »Vom dichterischen Dasein« (1907): »Wie hohe Zinken fernen Gebirges, blühend im Lichte und genährt von der reinen Atmosphäre, liegen diese (Goethe, Hölderlin, Novalis; A.T.) vor uns und unser Auge läuft zu ihnen und so haben wir Anteil an ihrem Leben.« (Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze I. Frankfurt am Main 1979, S. 83). 241

»starke« steht »öde«). Dem Gespräch entspricht die angedeutete Landschaft starker bzw. dann öder Klippen, die sich schroff und versteinert gegenüber dem beweglichen Element vorstellen läßt.14 Das Bewegende in dieser erstarrten Landschaft ist das »verworrene(s) Gespräch«, dessen Richtung in den folgenden Versen beschrieben wird: »Und unsre allzusehr beredten Lippen / Begierig vielen Göttern recht zu thun!« (über »recht« steht »Dienst«). Das Übermaß der Beredtheit verliert sich in diesem Bestreben, das sich verworren auf zu vieles richtet. Dies zeigt sich in dem Bild der von diesem Gespräch hervorgerufenen »Welten«, die auf der Ebene des Klangs die wirkliche Welt verdecken (»Wie war da Welt von Welten überklungen«), oder in dem anderen der Schatten, die nicht lebendig werden, sondern im Verworrenen bleiben: »Zuviele Schatten schwebten da verschlungen«. Es folgt das bereits angedeutete Bild von Ertrinkendem und Bucht, um das in diesem Gespräch mögliche Verhältnis damit am prägnantesten zu charakterisieren: »Und so sind wir einander zugedrungen / Wie dem Ertrinkenden das schöne Bild / Der weissen Bucht das er (mit kaltem Hassen) nicht mehr gelassen / Aufnimmt, (vielmehr erniedrigt) zu schwach schon anfängt es zu hassen«. Demjenigen, der im unbegrenzten Element versinkt, ist der Anblick des nicht mehr möglichen Haltes nicht ein »gelassen« wahrzunehmendes »schöne(s) Bild«. Die Unmöglichkeit, eine Änderung herbeizuführen, entspricht der übermäßigen Passivität des Verhältnisses (»sind wir einander zugedrungen«), das gegenüber einem »gelassen(en)« ein »erniedrigt(es)« und »schwach(es)« Getriebensein der Beteiligten darstellt. Dieses vollständige der Endlichkeit Überlassensein deutet der folgende Vers als das Vergängliche neben dem Bleibenden: »Um wegzusinken war dies alles da«, worauf dann die unerschöpften Möglichkeiten genannt werden: »Es wohnen in den ungesehnen Spalten / Des Daseins namenlosere Gewalten«. Die scheinbar unbewegliche Fixierung des Endlichen hat nach diesem Bild dennoch »Spalten«, die zwar im Raum des Endlichen nicht wahrnehmbar sind, aber die Wirkung des Unbestimmten zulassen. Anstelle von »Daseins« erwog Hofmannsthal das noch umfänglichere »Seins«, um die Wendung dann auf den Menschen zu beziehen: »Der Seelen«, 14

Derungs (1960): »Wir müssen das doppeldeutige >verstellt< eher räumlich auffassen: im Gegensatz zum freundlichen >Garten ohne Klippen< ist hier der Raum mit Klippen >verstelltverworrenen Gesprächs< deutlich unterscheidet. An die Stelle des Geführtseins tritt eine aktive, wenn auch nicht geplante Handlung: »So fand ich Dich«, die sich bereits in der Sphäre von Gelassenheit vollzieht. Die Landschaft wird explizit von der vorherigen abgesetzt: »im Garten ohne Klippen«. Der im ersten Entwurfsansatz genannte Lebensgarten, der aus dem Überschauen von Gebärden bestehen soll, ist hier aufgenommen in seiner Beweglichkeit, die nicht in der Weise erstarrt ist, die im anderen Gespräch als »öde Klippen« Ausdruck fand. Der »Garten ohne Klippen« legt zwar die Vorstellung kulturell gefaßter Lebendigkeit, nicht aber deren absolute Fixierung nahe. Entsprechend erscheint die Miene der Redenden schon im Ausdruck des Bezuges zum unbegrenzten Lebendigen: »Und alles (vieles) grosses Leben hieng um Deine Lippen«. Die Änderung des Adjektivs zeigt deutlich, daß nicht nur vom endlichen Leben, auch in seiner Vollständigkeit, sondern von dem es begründenden »grossen Leben«, das das Unbestimmte einbegreift, die Rede sein soll. Die Parallele zu der Strophe, in der das »verworrene(s) Gespräch« beschrieben wurde, wird durch den gleichen Reim (»Klippen / Lippen«) sinnfällig. Der Grund für die hier erscheinende Auffassung des Lebensgartens und der wahrnehmenden Bewegungen in ihm wird von den folgenden drei Versen genannt: »Weil Du an Deiner Freundin losem Haar / Zu reden wusstest Königlich wie eine / Die wissen lernte was das Leben meine«. Die Gebärde des Aufbindens des Haares, mit der sich die Lösung im ersten Entwurf zeigen sollte, erscheint hier nicht mehr, sondern das »lose(m) Haar« ist der scheinbar unbedeutende Gegenstand, der in diesem Reden »Königlich« wird.16 Das Einzelne, begriffen 16

Denings (I960), der das Gedicht als eine der Gestaltungen einer »aperspektivischen Welt« ansieht, nennt als die beiden darin möglichen Haltungen »die königliche oder die kindliche« (S. 117); das »Königliche« deute dieses Gedicht »als Macht, den Raumbezug des Individuums zu beschwören«, wobei das lose

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im Sinnzusammenhang des Lebens, kann entsprechend Bedeutung erlangen, und damit kann die Fixierung als nur Endliches sich lösen, was in der »Königlich(en)« Rede Ausdruck findet. Das Wissen um den Sinn wird allerdings nicht direkt behauptet, sondern mittelbar an der Rede begriffen, die dergestalt erscheint, »wie eine [...]«. Im Unterschied zu dem >verworrenen Gesprächverworrene Gesprächum Deine Lippen« (Vers 24). Das königliche Reden ist in Vers 25 ein Reden »von«, nicht mehr »an«, womit noch deutlicher wird, daß der Gegenstand in diesem Reden aus den Begrenzungen der Endlichkeit in eine Wahrnehmung gehoben wird, die dem Wissen entspricht, »was das Leben meine« und damit nicht mehr nur auf seine Gegenständlichkeit reduziert bleibt. Schließlich lautet das Adjektiv zu »Gold- und Silberbäche« (Vers 29) nicht mehr »grosse«, sondern »stille«. Beide Adjektive stehen im Werkkontext für den überendlichen Bereich; das nun gewählte trifft eher das Verstummen der endlichen Verwirrung in der an dieser Stelle des Gedichts erreichten Aufhebung. Die dreizeilige Strophenform war schon in dem Gedicht »Weltgeheimnis« (vgl. Kapitel VI) verwandt worden und unterschied sich auch dort von der üblichen Form der Terzinen durch das Reimschema, in dem jeweils einer Waise zwei reimende Verse folgen. Dadurch erscheint jede Strophe in sich geschlossen; der Fortgang, den das sonstige Reimschema der Terzinen darstellt, ist hier auf dieser Ebene nicht vorhanden. Dennoch lassen sich im vorliegenden Gedicht bezüglich der Verbundenheit der Strophen untereinander Unterschiede feststellen. Die beiden ersten Strophen, durch Querstriche von den folgenden abgesetzt, können jede für sich stehen, sind aber durch ein »Und« (Vers 4) parataktisch verbunden. Sie sprechen von dem Thema des Bleibenden und Vergehenden, des Bleibens des Geistes im Gleitenden, in grundlegenden Feststellungen, die im Vergleich mit einzelnen Bildern erläutert werden. Die Strophen 3 bis 5 geben ein zusammenhängendes Bild, das des »verworrenein) Gespräch(s)«, und hängen untereinander durch fortlaufende Sätze, in einem hypotaktischen Verhältnis, zusammen. Das Bild dieser drei Strophen enthält den offenen Vergleich, der mit »Wie« einsetzt und von Vers 7 bis 10 reicht, und den mit einem weiteren Bild ausgestalteten Vergleich der Verse 13 bis 15, in dem, als unerträgliches Element in dieser Sphäre, »das schöne Bild« (Vers 13) direkt genannt wird. Der Gestaltung des vergänglichen Gesprächs folgt, nachdem Vers 15 einen Abschluß bildet, wieder eine Gruppe von zwei Strophen, parallel zu den Strophen l und 2, die grundsätzliche Aussagen geben und in deren Zusammenhang'einzeine Bilder nebeneinander stellen; die Parallele verstärkt die Aufnahme des Verses 3 in den Vers 16. Die Strophen 6 und 7 können jede für sich stehen, der Satzzusammenhang der Verse

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17 bis 21 zählt inhaltlich Heterogenes nebeneinander auf. Die letzte Gruppe von drei Strophen steht zunächst in Parallele zu den drei Strophen des »verworrene(n) Gespräch(s)«, zumal die Verse 23/24 den Reim der Verse 8/9 wörtlich aufnehmen (»Klippen« / »Lippen«). Das Bild verbindet auch hier die drei Strophen; ebenso verbindet die Begründung »Weil« die achte mit der neunten Strophe. Die Bildelemente, die die zehnte Strophe hinzufügt, werden allerdings eher parataktisch gesetzt (»Und [...]« Vers 28) und mit dem Vers 22 (»Und nur die Ernte aller Dinge bleibt:«) wird nicht der Vers 7, sondern Vers l erneut aufgenommen. Der parallele Bau von jeweils 2 und 3 Strophen, die inhaltlich und in der Form ihrer Verbundenheit zusammengehörend erscheinen, weist somit im Fortgang des Gedichts auch Übernahmen aus dem jeweils anderen Bereich auf, so die syntaktische Verbundenheit der Strophen 6 und 7 und die parataktische Reihung der letzten beiden Strophen, und erscheint dergestalt als fortschreitende Aufhebung des bisher Gestalteten in der Bildlichkeit und sprachlichen Gestaltungsweise der drei Schlußstrophen. Das Thema der Kontinuität und des Bleibenden kommt somit durch den Sprachbau ebenfalls zum Ausdruck. Zusammenhang gibt nicht die überlieferte Reimfolge der Terzinen, sondern die Setzung und Wiederaufnahme der Themen sowie der parallele Bau des Gedichts. Während das Vergängliche im Ablauf hypotaktischer Setzungen erscheint, findet das Bleibende Ausdruck in parataktisch gesetzten Bildern. Die zu Beginn des Gedichts stehende Aussage über das Bleiben erreicht im weiteren Verlauf ihre sprachliche Begründung und Einlösung, wozu nicht nur das Bewußtsein um die lebendige Kontinuität (»Gleitendes«) gehört, sondern auch die Aufnahme dessen, das »nur da (war,) um wegzusinken«(Vers 3 und 16). Dem Bild desjenigen, der im beweglichen Element versinkt, steht gegenüber das der Auflösung von Niedrigkeit und Schwäche des Getriebenseins im nur Endlichen mit dem Aufheben des Einzelnen in den Zusammenhang der Rede, die um den Sinn des Lebendigen wissen lernte. Das kontinuierliche Physische hat demnach ein Bleibendes in der Vermittlung von Reden und Schweigen, die die dichterische Sprache darstellt und deshalb erscheint »königlich wie eine / Die wissen lernte was das Leben meine« (Vers 26/27). Während die stumme Mitteilung des sinngebenden Geheimnisses im Gedicht »Weltgeheimnis« als Gabe der Liebe »In ihren Küssen« (Vers 18) erschien (vgl. Kapitel VI), ist die am häufigsten wiederkehrende

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Bildlichkeit des Aufbewahrtseins überendlicher Zusammenhänge und der physischen Möglichkeit, sie aufzunehmen, diejenige der Früchte, in denen das ununterbrochene All-Leben, über den Abschnitt der jeweiligen Lebenszeit hinausreichend, sich versammelt hat. Ein Entwurf aus dem Juni 1894, geplant für einen »Prolog zu meinen Jugendsachen« (II 101, N 4), gibt dieser Idee in ekstatisch-bacchantischer Vorstellung Ausdruck: »der den grünen Reben den Kopf abbeisst: saugt alle Kraft der Erde in sich und fühlt sich ([...] allem Tiefsten und Geheimnissvollsten verwandt« (ebd.)· Für die eher eigenständigen Gestaltungen dieses Bildbereichs wurden bereits Beispiele genannt (»Nach einer Dantelectüre«, »Kindersommer«); ihnen ist vor allem das Gedicht »Gute Stunde« (Ende Februar 1896) hinzuzufügen, das der Gestaltung der Kontinuität des Lebens und des Getragenseins in ihr gewidmet ist. »Die Früchte« (I 64, Vers 8) gehören im Umfang des Offenseins in der Natur, den das Gedicht darstellt, zu den »Waare(n)« (Vers 5), von denen, dem Alltagsvorstellen unbewußt, »jede mein Leben enthält« (Vers 6). Über sie, namentlich »Die Feige« (Vers 9), stellt sich der Zusammenhang mit dem lebendigen Kontinuum wieder her, der für den Wahrnehmenden abgerissen war, »Doch lebte der lange vergessene fort!« (Vers 10). Der Erkenntnis und dem Spüren, die sich der Frucht verdanken, eröffnet sich das mehr als nur endliche »Leben, das schöne« (Vers 11) wieder, das in »Meer« und »Land« (Vers 12) sich ununterbrochen gehalten hat. Die letzten beiden Verse des Gedichts, die das »entwandt«-Sein des Lebens für das Ich (Vers 11), bei gleichzeitigem Sichhalten in Meer und Land (Vers 12) aussprechen, wurden im Entwurf mehrfach neu formuliert, wobei als Problem die Wendungen für das Halten des Lebens erscheinen (vgl. Kapitel II). Der erste Versuch »Und fiel das Leben auch mir aus der Hand / Es lebte im Meer und es hielt sich im Land« (I 299), setzt gegen das Verlorenhaben aus der Hand die Unterscheidung von Leben im Meer und sich Halten im Land, also verschiedener Zustände des fortbestehenden Lebendigen. Der zweite Ansatz erprobt ein Verb, das sonst dem Bereich der Kunst zugeordnet ist: »Und schwebte das Leben aus mir heraus« (ebd.), um dann die Perspektive zu wechseln und das Verlieren durch ein Ausbleiben zu ersetzen: »Und blieb mir im innern das Leben aus«. Dem steht eine Vorstellung des Gefaßtseins gegenüber, die auf den nichtmenschlichen Bereich deutlich Kulturelles überträgt: »Es hatte im Land und im Meere sein Haus«. Die neuerliche Eröffnung des Zusammen-

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hangs mit dem schönen Leben sollte danach ausgestaltet werden (»Und nun geht es hervor [...] Vögel hängen im Abendwind« 299, 22-28), was sich aber vermutlich als derart problematisch erwies, daß die Andeutungen der später beibehaltenen Verse angemessener erschienen, als die erwogenen positiven Bilder des erfüllten Schönen. Der Entwurf ändert in Vers 11 noch das Verb: »war [...] entwandt«, dem er die beiden »hielt«, bezogen auf Land und nun auch Meer, gegenüber stellt. Mit »war mir [...] entwandt« ist die zutreffendste Formulierung erreicht, denn damit deutet sich die Unterbrechung der Verwandtschaft, das Weggenommensein und die zugefügte Abwendung ebenso an, wie die sie wiederum überwindende Möglichkeit der Verwandlung. Die scheinbare Entfernung von dem Zusammenhang des schönen, unbegrenzten Lebens erscheint in der »Gute(n) Stunde« als Vergangene, da nun ebenso der Zusammenhang als Aufbewahrter in der »Feige« erkannt wird, wie das Bleibende im Kontinuierlichen in einer wahren Erfahrung aufgenommen: »nun spür ich den Ort« (Vers 9). Diese Verwandlung führt aus dem endlichen Vergessen in den Zusammenhang der überendlichen Verwandtschaft des Lebendigen, in dem das Gedicht seinen Ort finden kann.19 Das Thema der Verwandtschaft und des Nichtvergessens, vermittelt über das Essen der Früchte, wird weiterhin in den Versen unter dem Titel »Gedichte« (Ende Februar 1896, II119) ausgesprochen, die ich im folgenden Kapitel ausführlich interpretiere. Die wohl früheste Notiz (Sommer 1901) aus dem Zusammenhang einer geplanten Dichtung »Der Frohe und der Schwermütige«, die ein »Analogen zu dem köstlichen leicht-schweren Element [...], woraus Miltons Allegro und Penseroso gemacht sind« (II 464, 7f.) darstellen sollte, nimmt in der Perspektive des Schwermütigen (»il Pensieroso« II 170) die Vorstellung der Erfahrung des Kontinuums im Essen von Früchten nochmals auf: »bald mit schwerem Blick trübsinnig essen, bald in der Traube den Hügel die Landschaft so spüren, dass es als unglaubliches Wunder erscheint sie essen zu dürfen« (ebd.). Dieses Essen ist nicht das achdose der endlichen Bedürftigkeit, sondern die Zuwendung zum Begreifen der Lebenseinheit, die über das endlich Bestimmte unendlich hinaus19

Derungs (1960) interpretiert die »Gute Stunde« als Ort in der Zeit, der Übersicht gewähn und im Gedicht in einen räumlichen Höhepunkt übersetzt sei; »hier liegt das ICH auf einem Berg-Gipfel im Grenzenlosen, Offenen, sogar ohne Haus und ohne Zelt« (S. 120f.).

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reicht und als die bewegende Kraft erkannt wird, in der, als dem Gleitenden, die Einzelheiten erscheinen: »ja es ist die gleiche Gewalt die mit den Jahreszeiten ihr grosses Spiel treibt, die Brombeerduft schafft, die nun aus Klüften den Herbst heraufführt jene Winternächte erzeugt die einem Schlaflosen wie Jahre vorkommen.« (ebd.). Das bisher dargestellte Problem des Bleibenden im fließend Beweglichen bildet ebenfalls den Hintergrund einer Wendung, die, bezogen auf den Schauspieler Josef Kainz, zunächst sehr offensichtlich in ihrer Bedeutung scheint: »Ein Unverwandelter in viel Verwandlungen« (»Josef Kainz zum Gedächtnis«, Oktober 1910, I 108, Vers 18). Daß hier mehr, als die naheliegendsten Vorstellungen, zum Ausdruck kommen soll, zeigt aber bereits die Wendung im Entwurf: »o Reigen des Lebens das ihn haben wollte mit dem wohllüstigen (Mysterium) Geheimnis der Verwandlung« (1422, 13f.), die in das Gedicht dann erweitert um den bestehenden Ort des Künstlerischen im Kontinuum des Lebens aufgenommen ist: »O wie das Leben um ihn rang und niemals / Ihn ganz verstricken konnte ins Geheimnis / Wollüstiger Verwandlung ! Wie er blieb! l Wie königlich er standhielt! Wie er schmal, / Gleich einem Knaben, stand!* (Vers 47-51). Erst das Aushalten dieser Spannung von Bleiben in der Verwandlung läßt den Künstler zu dem Boten werden, als der er in den folgenden Versen des Gedichts gerühmt wird (vgl. Kapitel XI).20 Der Gedanke von Kontinuität und Steigerung deutet sich in einer kurzen Aufzeichnung unter der Überschrift »Gedichte, zwei in eines« (Juli [?] 1912) im Unterschied von getrenntem Nichtwissen an: »Deutsche Landschaften von einander kaum wissend. Desgleichen wissen nicht die Lebenden voneinander. Aber es lebt, was je gelebt hat und ringt um immer höheres Leben.« (II 184). Das ununterbrochene Kontinuum des Lebendigen, dessen Idee die anderen Belegstellen bereits vorgestellt hatten, wird hier in einer Entwicklung zu »höhere(m) Leben« befindlich angesehen, ohne daß diese Vorstellung konkreter ausgeführt würde. Ebenso in der Andeutung verbleiben Aufzeichnungen überschrieben »Ganz kleine Gedichte« (1919 oder 1920), deren

20

Hilde D. Cohn, Hofmannsthals Gedichte für Schauspieler (in: Monatshefte 46/1954), geht auf die Bedeutung der Verwandlung, nicht aber auf die des Gegengewichts des Bleibens ein (S. 90); Richard Exner, Hofmannsthals >Verse zum Gedächtnis des Schauspielers Josef Kainz< (in: Für Rudolf Hirsch - Zum siebzigsten Gebunstag. Frankfurt am Main 1975), auf das Standhalten unter Hinweis auf Rilkes »Duineser Elegien« (S. 215f.). 251

erste ein weiteres Mal die Kontinuität des Gefühls nennt, das über die endlichen Grenzen der eigenen Person hinaus eine lebendige Verbindung des Einzelnen mit dem Ganzen bedeutet (II 187; vgl. dazu Kapitel IX). Dieser Idee entsprechen konnten allerdings nur diejenigen Gedichte, in denen die Ambivalenz von Bleibendem und Kontinuität sich sprachgestaltend verwirklichte.

252

Lebens / Die wahre Ernte eines Jahres bleibt hohen 2W Und blüht in hoher Luft wie lichte Zinken 2 Im stillen Lichte fortzublinken 3 Das Andre war nur da um wegzusinken Und Und irgendwie geheimnissvoll erträgt 4 Nur keiner frage dieses: Wie erträgt Es (wohl) auch 5 Denn unser Geist nur immer auszuruhen Gleitendem 6 Auf Wellenrücken, wie die Meervögel thuen? (Auch zwischen uns ist dieses, dünkt mich, wahr)' 7 Das verworrene Gespräch verwirrter (Augen) Lippen 8 und verstellter Augen 13 war2 eins dem Ändern immer nur die Bucht 14 So wie sie ein Ertrinkender erblickt If Mit Kälte, die fast Hass zu nennen ist. Das fliesst fort wie Gold und Silberbäche (Das) blinkt·1 in hoher Luft wie lichte Zinken 16 (Das Andre war nur da, um wegzusinken) In Gold und Silberbächen wegzusinken weiteres Blatt: 7 Wie führte uns verworrenes Gespräch öde S (Verstellter Augen) über starke Klippen (Den schlechten Weg am Rande starker Klippen) 9 Und unsre allzusehr beredten Lippen Dienst 10 Begierig vielen Göttern recht zu thun! Wie war da Welt von Welten·* überklungen Schwebend von vielen sah 11 Zuviele Schatten schwebten da verschlungen 12 Und so sind wir einander zugedrungen Verschlungen 13 Wie dem Ertrinkenden das schöne Bild nicht mehr gelassen 14 Der weissen Bucht das er mit kaltem Hassen zu schwach l i Aufnimmt, (vielmehr erniedrigt) schon anfängt es zu hassen (Erträgt)

1

Streichung durch Unterpunkten rückgängig gemacht. 2 SW/.-War 3 SWI: blüht < SWI: Wellen

253

16 17 18

19 20 21

Dies Viele So drangen wir einander zu Um wegzusinken war dies alles da namenlosen Es wohnen in den ungesehnen Spalten E.w.n.g.a. Gew. Seins noch In unsrer T. namenL F. Des Daseins namenlosere Gewalten. Der Menschen Seelen Von unsren Tänzen noch andere Gewalten Ganz anders sind wir Die Lider unsrer Augen sind nicht gleich jungen Dem Fleisch der Früchte und der Menschen Mienen Nicht einerlei mit Lämmern und Delphinen

22 Allein die Ernte aller Dinge bleibt 23 So fand ich Dich im Garten ohne Klippen 24 Und alles (vieles) grosses Leben hieng um Deine Lippen 25 Weil Du an Deiner Freundin losem Haar 26 Zu reden wusstest Königlich wie eine 27 Die wissen lernte was das Leben meine 28 Die (Ebne niederziehen hinter Dir) 29 Sah ich wie grosse Gold u(nd) Silberbäche 30 (Und)* Die Wege Deiner Niedrigkeit und Schwäche

SWI283f. E II 1*4; FDH 20029 EII 9.1-2; FDH18940

fehlt SW I

254

An eine Frau 1 Die wahre Ernte aller Dinge bleibt 2 und blüht in hoher Luft wie lichte Zinken:' 3 das andre war nur da um wegzusinken 4 und irgendwie geheimnissvoll erträgt 5 es unser Geist nur immer auszuruhen 6 auf gleitendem, wie die Meervögel thuen. 7 Wie führte uns verworrenes Gespräch 8 verstellter Augen über öde Klippen! 9 und unsre allzusehr beredten Lippen 10 begierig vielen Göttern Dienst zu thu'n! 11 Zuviele Schatten schwebten da verschlungen, 12 und so sind wir einander zugedrungen 13 wie dem Ertrinkenden das schöne Bild 14 der weissen Bucht, das er nicht mehr gelassen l i erträgt, vielmehr schon anfängt es zu hassen. 16 Dies alles war nur da um wegzusinken. 17 Es wohnen noch ganz andere Gewalten 18 In unsrer Tänze namenlosen Falten, 19 Die Lider unsrer Augen sind nicht gleich 20 dem Fleisch der Früchte und die jungen Mienen 21 nicht einerlei mit Lämmern und Delphinen! 22 (Allein) und nur die Ernte aller Dinge bleibt: 23 so fand ich Dich im Garten ohne Klippen 24 und grosses Leben hieng um Deine Lippen 25 weil Du von Deiner Freundin losem Haar 26 zu reden wusstest Königlich2 wie eine 27 die wissen lernte was das Leben meine 28 und hinter Dir die Ebne niederziehn 29 sah ich wie stille Gold- und Silberbäche 30 die Wege Deiner Niedrigkeit und Schwäche.

SW 161 (hier nach der Reinschrift 3 H3) SW I: Zeilenanfänge durchgängig mit Majuskel. Stefan George-Archiv; Württembergische Landesbibliothek

S W /.-Zinken 2 SW I: königlich 255

XI Spiegelung im Gedicht

Der Vergleich des Gedichts mit dem Spiegel gehört zu den traditionellen Vorstellungen,1 die im Kontext des Hofmannsthalschen lyrischen Werkes eine besondere Bedeutung gewinnen.2 Das Verhältnis von gespiegeltem Ganzen und sich im Spiegel reflektierenden Ich läßt dieVgl. August Langen, Zur Geschichte des Spiegelsymbols in der deutschen Dichtung. (GRM 28, 1940, S. 269-280), Christiaan L. Hart Nibbrig, Spiegelschrift Spekulationen über Malerei und Literatur. Frankfurt am Main 1987 (beide ohne Erwähnung Hofmannsthals). Schopenhauer verwendet das Bild des Spiegels mehrfach: »die Erkenntnis, [...] als bloßer, klarer Spiegel der Welt, woraus die Kunst hervorgeht« (Die Welt [...], SW Band I, S. 225), »Selbsterkenntnis des Willens im Ganzen aber ist die Vorstellung im Ganzen [...]. Sie ist [...] sein Spiegel.« (ebd., S. 241), »ruhige Kontemplation [...] als reines Subjekt, als klarer Spiegel des Objekts« (ebd., S. 257), auf den Dichter bezogen: »Er ist der Spiegel der Menschheit und bringt ihr, was sie fühlt und treibt, zum Bewußtsein.« (ebd., S. 349). Pestalozzi (1958) betont den Aspekt des sich reflektierenden Ich: der Spiegel ist »das Wahrzeichen der Diskursivität [...]. Im ganzen Werk kennzeichnet (er) diejenigen Menschen, die sich in einem gebrochenen Verhältnis zum >Leben< befinden.« (S. 22f.). Daran anknüpfend nennt Hahn (1962) Bedeutungsmöglichkeiten des Spiegels (S. 42f.). Manfred Hoppe, Literatentum, Magie und Mystik im Frühwerk Hugo von Hofmannsthals. Berlin 1968, verwendet das Bild des nur reflektierenden Spiegels bezüglich der Bedeutung von Kunststilen: »bei Hofmannsthal sind die Stile Spiegel, die dem Ich keinen Durchblick, sondern nur die Reflexion erlauben.« (S. 54) - Die genaueste Einordnung in den Zusammenhang der Hofmannsthalschen Metaphorik legt Krämer (1963) vor (S. 211-216), mit dem begründeten Ergebnis: »Im Symbol des Spiegels werden Vorstellungen von Oberfläche und Tiefe miteinander verknüpft.« (S. 213). Erken (1967) geht in seinem Kapitel über Begriff und Problematik der Spiegelung (S. 69ff.) auch auf das Spiegelsymbol in der Lyrik (S. 78ff.) ein: »Der Spiegel, der Entferntestes vereint und die Zeit überwindet, der eine Ganzheit des Lebens verwandelnd in sich faßt« (S. 83). Tarot (1970) hebt die »doppelte Funktion des Spiegels« hervor: »Erstens bringt er Erkenntnis (Reflexion), aber zugleich auch Sehnsucht und Erinnerung, die ein Sichausschließenwollen aus der Wirklichkeit implizieren; zweitens zeigt der Spiegel jenseits seiner spiegelnden Oberfläche einen Bereich, in den hineinzugelangen mit dem Erreichen des Zustande des mythischen Bewußtseins identisch ist.« (S. 339f.).

256

sen Vergleich für das im Gedicht zu Erkennende und die Art dieses Erkennens außerordentlich zutreffend erscheinen. Die problematischen Bereiche, die sich damit dennoch verbinden, werden an den Stellen, an denen Hofmannsthal das Bild des Spiegels in Entwürfe und Gedichte aufnimmt, im Einzelnen zu untersuchen sein. Dabei komme ich auch auf Probleme zurück, die in den vorhergehenden Kapiteln bereits, aber mehr am Rande, berührt worden sind. Dazu gehört das der Künstlichkeit, wie es sich mit dem Gedicht »Mein Garten« (Kapitel IV) zeigen ließ, wo die Spiegelung als lebloses Zurückwerfen des Bildes künstlich erstarrter Gestalten erschien. Mehr noch wird auf das Problem der Irritation angesichts der eigenen Erscheinung im Spiegel zurückzukommen sein, das sich bereits im Zusammenhang des Themas der Selbstbegegnung, vor allem mit den Gedichten »Erlebnis« und »Vor Tag« (Kapitel V), zeigte. Der Schwerpunkt liegt für Hofmannsthal bei dieser Thematik allerdings in der Unterscheidung des zu Erkennenden in dem vom Spiegel reflektierten Bild und dessen, das mit dem »dunklen Spiegel wahrnehmbar wird, den er als Bild des Gedichts erstmals in »Weltgeheimnis« (vgl. Kapitel VI) aufnimmt. Die Bedingungen des dichterischen »Vollbesitzes« (II 89, Vers 13) des Lebensgartens werden in den fünf Strophen des Gedichts »Besitz« (Dezember 1893) sowohl in ihrer Endlichkeit, wie in ihrer überendlichen Begründung genannt. Der vorbereitende Charakter dieses Gedichts zeigt sich auch mit Wendungen, die dann wenig später im Zusammenhang anderer Gedichte gestaltet erscheinen: »Weite schweigende Terrassen« (Vers 2), »Niederwandeln sanfte Neige« (Vers 8) wurde in den ersten Vers von »Ich gieng hernieder [...]« (vgl. Kapitel VII) aufgenommen, die Situation »Zwischen Finden und Verlieren« (Vers 15) erscheint in »Weltgeheimnis« im Zusammenhang des Bildes des Dichters. Das Kennen und durch die Kunst vermittelte Genießen aller Teile des Lebens, das die Dimensionen von Höhe und Weite einbezieht, versammelt sich »in stiller Mitte« (Vers 10), wobei das Adjektiv wiederum das Aufgehobensein des Endlichen andeutet. Die Spiegelung des Ganzen, die hier möglich sein soll, bedarf zu ihrer Verwirklichung der zuvor genannten Bedingungen und zugleich deren Stillwerden, um in dem ihr eigenen Status des Erkennens erscheinen zu können: »Träumerisch vereint entriegelt« (Vers 12). Die grenzenüberwindende Zusammenstellung des endlichen Ganzen erscheint dann zugleich offen im mehr als Endlichen und kann dergestalt »im Leben

257

Raum« (Vers 20) finden, der als vermittelter in der Spiegelung zugleich ein »stiller« (Vers 10) ist. Die mit diesen Versen gegebene Beschreibung der Bedingungen des Kunstwerks nimmt die Spiegelung somit nicht nur als eine auf, in der sich endlich Gegenständliches reflektiert, sondern in der »des Gartens ganze Freude« (Vers 11), die in Bestimmtheit und Offenheit zugleich besteht, erkennbar werden soll. Dies wird in der sprachlichen Gestaltung zu verwirklichen sein.3 Die Vermittlungsschritte, die in dem Gedicht »Weltgeheimnis« (Januar 1894) zu dem Bild des »dunklen Spiegel(s)« (I 43, Vers 11)« führen, habe ich an der entsprechenden Stelle bereits dargestellt (vgl. Kapitel VI). Hier ist noch einmal hervorzuheben, daß das Begreifen des Mannes, des Dichters, sich nicht bereits auf den sichtbaren Brunnenspiegel richtet, wie ansatzweise zuerst erwogen worden war (I 215, 15), sondern aus dem Nichtwahrnehmbaren (»In den gebückt« Vers 8) das wahrnehmbare Bild, das in der Spannung von Begreifen und Verlieren steht, mit dem Lied (Vers 10) gibt. Die Wahrnehmung des »dunklen Spiegel(s)« und deren Wirkung wird in den weiteren Strophen von »Weltgeheimnis« beschrieben. Die Wahrnehmungsbewegungen gegen-

Derungs (1960) sieht die Vergleichbarkeit der Landschaft mit derjenigen von »Ich gieng hernieder [...]« und bemerkt, daß das »Nebeneinander des Räumlichen im Symbol des Weihers zusammengefasst« sei (S. 64); als »Eigenschaft des Spiegelbildes« beschreibt er, daß es »keine Distanz« aufweise, »alles ist Fläche und Kontur« (ebd.). Auch Erken (1967) spricht von der »Funktion des >einenden SpiegelsSchatten< bedeutet das Dunkle, viele Gestalten Enthaltende, aber nicht Bestimmbare des Grundes.« (ebd.). Damit wird das Unbestimmte gegenüber dem auch Bestimmten der »Schatten« zu einseitig betont. - In »Shakespeares Könige und grosse Herren« (1905) steht die deutlichste Erläuterung zu der Stelle: »in jedem Gedichte (spielen) auch die Dinge mit [...], die nicht in ihm vorkommen, indem sie rings um das Ganze ihre Schatten legen« (RuA I 37).

261

Rückbezüge ist nur denkbar, daß diese Strophe an die spätere zweite anschließen sollte, Hofmannsthal hier aber erwog, sie wegzulassen und stattdessen die spätere Schlußstrophe als dritte, eine weitere, auf der Rückseite des Blattes entworfene Strophe, als vierte einzusetzen. Die dann doch in die Reinschrift als dritte aufgenommene Strophe erweitert den Inhalt des nicht zu Vergessenden, das die Früchte wachrufen, um den Gedanken der allgemeinen Verwandtschaft: »(Und nicht) dass sie vom Blut Geschwister sind / Mit uns und all den anderen Geschöpfen«, der hier aber zugleich im Raum der Vergänglichkeit genannt wird, wenn von »Geschöpfen / Des Großen Grabes« die Rede ist.8 Die Endlichkeit in der ihr eigenen Schwere im beweglichen Element des Windes, der in diesem Zusammenhang des Vergehenden wieder der »Abendwind« ist, zeigt sich zudem mit dem im Kontext des Bildes außerordentlichen Verb: »die im Abendwind / Mit Flügeln drücken oder Menschenköpfen« (in der Reinschrift erscheint der Aspekt der Schwere wörtlich: »die den Abendwind / Mit Flügeln drücken oder schweren Köpfen [...]«). Im Entwurf zeigt sich die Absicht, mit der letzten Strophe die Hinsicht der Selbsterkenntnis in der Wahrnehmung des Gedichts einzubeziehen. Hofmannsthal ordnete die Strophen in der Reihenfolge »Ich will den Schatten [...]«, »Erst wollen wir [...]« und »Und wenn wir dann [...]«, um an den Vers: »Ein übermenschlich Schicksal herzutragen« erneut anzuschließen mit: »Darin wir unser eigenes erkennen«. Die Erkenntnis des eigenen, mehr als endlichen Geschicks im Kunstwerk wird danach in einer Strophe mit dem Bild der Spiegelung und einem Vergleich gestaltet: »In diesen werden wir uns selbst erkennen / Gespiegelt in so schauerlichem Frieden / Wie es vollbracht die Ahnen herzunennen / Die Jungfrau nachgeboren den Tantaliden«. Das Kunstwerk spiegelt »uns selbst« in der Mittelbarkeit seiner Gestaltung, die das unmittelbare Leben in ihren »Frieden« aufgehoben hat, zugleich aber das Eigene in der Bewirkung der Regung des Schauders zu erkennen gibt (vgl. »Inschrift«, Kapitel VIII). Die Aufhebung in den Frieden der Kunstgestalt9 läßt das Eigene nicht bedeutungs- und wirkungslos werden; im Vergleich nennen die Verse das prägnante Beispiel der Iphigenie, die ihre Ahnen und deren 8

9

»Die Welt als Grab« deutet Derungs (1960) als »Symbolgrund der Gedichte« (S. 106f.). Vgl. dazu mein Kapitel »Hölderlins Beschreibung des poetischen Geistes« (Thomasberger, 1982, S. 161 ff.), besonders den Schluß S. 219.

262

»schauerlich(e)« Taten aufzählt, um am Ende dieser Reihe sich selbst zu erreichen.10 Damit kommen zu der Selbsterkenntnis die Konstituentien von Ursprung und Herkunft, die bereits in der zweiten Strophe bezogen auf die Früchte genannt waren. Das übermenschliche Schicksal, das in der Kunstgestalt wahrnehmbar wird und in dem »wir uns selbst erkennen«, reicht somit über das endliche Leben zurück in die Vergangenheit und zugleich über die bestimmten Grenzen in die Unbestimmbarkeit des Ursprungs. Dies deutet sich in der bisher untersuchten Fassung zwar an, aber wohl zu vage, so daß gerade die Gestaltung der Thematik der Selbsterkenntnis im Spiegel des Kunstwerks weiterer sprachlicher Bemühung bedurfte. Während in die vierstrophigen Reinschriften des Gedichts diese Thematik, zugunsten der der Verwandtschaft aller endlichen Geschöpfe, nicht aufgenommen wurde, sollte sie in der zweistrophigen Fassung neben der Grundlegung der Gedichte, von der die erste Strophe spricht, gleichgewichtig in der zweiten stehen. Die Niederschrift der ersten vier Verse (»Ich will den Schatten [...] die den Sinn bewegen«) schließt mit einem Doppelpunkt und richtet sich damit auf die Wirkung, die in der zweiten Hälfte beschrieben wird. Für deren vier Verse lassen sich wenigstens drei Fassungen unterscheiden, wovon die erste lautet: »Dass deine Schönheit, im Darüberneigen, / Verloren in den Anblick, jener Werke / Nur (gegen) völlig deutlich mit verlegnem Schweigen / Ihr (dunkelklares) Spiegelbild bemerke«. Wahrgenommen im Anblick der Werke wird die eigene Schönheit, mit der die wahrnehmende Person in Entsprechung mit dem Angeblickten steht. Die Wahrnehmung gehört einer sich hinwendenden Bewegung an (»im Darüberneigen«) und verbleibt nicht in der Distanz zum Gegenstand, sondern ist »Verloren in den Anblick«. Die Auflösung der eigenen Person in den Anblick und die Identifikation als Schönheit tritt mit dem Bemerken des Spiegelbildes wieder in Distanz; die Art dieses Bemerkens ist im dritten Vers dieser Fassung bloß ansatzweise benannt, wobei neben der Betonung der adverbialen Wendungen »völlig deutlich« die Beschreibung der Unfähigkeit zu einer Antwort steht: »mit verlegnem Schweigen«. Das Adjektiv »dunkelklares« verweist auf die Ambivalenz des Spiegelbildes, das ebenso klar reflektiert, wie es als dunkles die Ahnung des Grundes möglich werden läßt. Die Selbsterkenntnis im Spiegel der Gedichte 10

Iphigenie auf Tauris - Ein Schauspiel. Versfassung, Vers 300-432. In: Goethe, Berliner Ausgabe. Band 7, Berlin 1977, S. 649-453. 263

erhält in dieser Fassung der Strophe somit den Charakter einer Bewegung, die über eine Identifikation zum Bemerken der Entsprechung gelangt, womit sich eine Irritation einstellt, die auf diese Erkenntnis nur mit Schweigen antworten kann (für »verlegnem« ist erwogen »verwirrtem«). Anstelle des »dunkelklare(n) Spiegelbild(es)« sollte stehen »auf und nieder spiegelnd Bild«, womit die Bedeutung von Näherung und Entfernung aufgenommen worden wäre, wie sie sich in den Versen »Das Bild« (s.o.) findet. Das Moment der Irritation wäre mit dieser Wendung in den Vordergrund getreten, dabei aber die in mehrere Richtungen gehende Wahrnehmungsmöglichkeit angesichts des dunkelklaren Spiegels aufgegeben worden. Die rweite Fassung der Strophe lautet: »Dass deine Anmuth übern Rand sich neigend / Und (trunken) von dem Anblick jener Werke / Am Ende erst ihr schwebend Bild bemerke / Demüthig und verwirrt, mit langem Schweigen«. An die Stelle der »Schönheit« ist die Bewegung des Ausdrucks der Person getreten, die Gebärde der »Anmuth übern Rand sich neigend«, wobei mit dem Wort »Rand« das Bild des Brunnens evoziert wird. Der Anblick der Werke bewirkt in dieser Fassung den eingenommenen Zustand, den das erwogene Adjektiv »trunken« ausdrückt, wobei der Wahrnehmungsvorgang in eine Zeitdauer auseinander tritt, an deren »Ende« erst die Gebärde der Anmut »ihr schwebend Bild« bemerkt. Die Spiegelung wird hier nur noch mittelbar angedeutet und das Wahrgenommene erscheint in Entsprechung zum Status der Gedichte als »schwebend Bild«. Der Bewegung der Anmut, in der sich die Person charakterisiert, entspricht das zugleich endliche und nichtendliche Bild in der Bewegung des Schwebens, das nur als solches als »ihr« Bild erscheinen kann. Die adverbialen Wendungen weisen auf die Wirkung des Bemerkten hin: »Demüthig und verwirrt«, was auf ein Inkommensurables deutet, das die endlichen Bestimmungen aus ihrer Ordnung bringt. Deshalb scheint auch hier eine Antwort auf das Wahrgenommene, über die stumme Haltung der Demut und Verwirrung hinaus, nicht möglich; das Bemerken vollzieht sich »mit langem Schweigen«. Die dritte Strophe setzt ein mit einer Aufforderung, die in Parallele zu dem »Ich will« zu Beginn der ersten Strophe steht: »Dann sollst du über ihren Rand dich neigen / Und völlig hingegeben jenen Werken / Demüthig und verwirrt, aus langem Schweigen / Spät nur dein schwebend Spiegelbild bemerken«. Das Gedicht erscheint als Aufforderung an die wahrnehmende Person, sich ihm zuzuwenden, wobei jetzt keine

264

Eigenschaft mehr, weder »Schönheit« noch »Anmuth«, von vorneherein genannt wird. Das somit unbestimmte »du« soll nicht mehr »trunken« vom Anblick, sondern den Werken »völlig hingegeben« sein, was die in der ersten Fassung genannte Identifikation noch übertrifft, da hier die Distanz des »Anblick(s)« überschritten scheint.11 Im Zustand der Demut und Verwirrung soll »aus langem Schweigen« doch wieder eine Wahrnehmung hervorgehen, die das Aufheben des völligen Hingegebenseins in einen Abstand voraussetzt, wozu es offenbar einer Zeitdauer bedarf, denn das Bemerken soll »Spät« erfolgen. Im Unterschied zu der Objektivierung, die in der ersten Fassung mit »Schönheit« und »Ihr [...] Spiegelbild«, in der zweiten mit »Anmuth« und »ihr Bild«, Ausdruck gefunden hatte, steht hier, entsprechend dem »du« des ersten Verses, »dein schwebend Spiegelbild«. Sichtbar wird nicht die Entsprechung in einer bestimmten Eigenschaft, sondern das reflektierte Bild, das in Analogie zu den Gedichten wieder in der Bewegung des Schwebens besteht. Das hinsichtlich seines Charakters unbestimmte Spiegelbild des Wahrnehmenden zeigt sich, als Wirkung des Gedichts, in seiner Auswirkung auf den Charakter des Bemerkens. Dieser ist mit den adverbialen Wendungen »Demüthig und verwirrt« offensichtlich noch nicht angemessen umschrieben, weshalb die letzten beiden Verse eine weitere Fassung erhalten: »Spät nur dein gleitend Bild darin bemerken / Mit ein(em) wundervoll erschrocknen Schweigen«. Das in den Werken zu bemerkende Bild ist in dieser Fassung wieder nur indirekt, über den angedeuteten Bildzusammenhang des Brunnens, ein Spiegelbild. Wichtiger scheint die Betonung der Bewegung, die nun »gleitend« genannt wird, womit dem auch endlich wahrnehmbaren Bild zugleich die vom Endlichen ungehinderte Bewegung zugeschrieben ist. Als gleitendes ist das Bild nicht in bestimmten Grenzen gehalten, als Bild ist es nicht nur unbestimmte Bewegung. Die Wirkung des Bemerkbaren, in der es zum Ausdruck kommt, ist im letzten Vers nun gefaßt als: »Mit ein(em) wundervoll erschrocknen Schweigen«. Das Unvorhergesehene führt zu »erschrockne(m) Schweigen«, das aber nicht Ausdruck der Wahrnehmung einer endlichen Bedrohung, sondern der des überendlichen Zusammenhangs ist, in dem das eigene Bild sich gleitend bewegt. Das Schweigen, als Wirkung des Bemerkens, steht deshalb in der Spannung von Erschrecken angesichts des Unerwarteten 11

Vgl. »Das Gespräch über Gedichte« (1903): »wir lösen uns auf in den Symbolen« (Gesammelte Werke, Erzählungen etc. Frankfurt am Main 1979, S. 503).

265

und Ahnung des Wundervollen, das sich als grenzenloser Bewegungsraum des gleitenden Bildes zeigt. Die Eigenschaften des Schweigens sind nicht als nebeneinander bestehende anzusehen, sondern schon vom Satzbau her nicht trennbar: es heißt nicht >wundervollen (und) erschrocknendunklen Spiegels< erscheint. Hinsichtlich dessen und der Bewegungen des Bildes nehmen diese Verse in knapper Form die Verse »Das Bild« (Februar/Oktober 1896) auf. Wie dort ist das Spiegelbild nicht die gegenständliche Reflexion des eigenen Bildes, 13

Freudenberg (1951) interpretiert das Gedicht als unmittelbaren Ausdruck von Existenzstufen (zur Stelle S. 79), Erken (1967) zitiert die Verse ohne Berücksichtigung ihres Orts im Gedicht und sieht »die Dimensionen der Spiegelung geradezu exemplarisch vereint« (S. 81). Tarot (1970) bezweifelt die dichterische Gestaltetheit der Trunkenheit und nennt die Verse als Beispiel für das Durchsetztsein der Sprache »mit reflektierenden Elementen bis in die Sphäre reiner, unbildlicher Begrifflichkeit« (S. 209).

267

sondern die Selbsterkenntnis im Einbezug der lebendigen Erinnerung an eine zweite Person und des unbestimmbaren Grundes, der das Spiegelbild als »feuchte(s) Dunkel« ermöglicht. Das Bild des »dunkle(n) Spiegel(s)« steht ebenfalls in einem Entwurf unter der Überschrift »Erwartung« (Juli 1898), in der Aufforderung: »jetzt komm zu mir dass Dich der dunkle Spiegel auffängt« (II 423). Das mögliche Bild, das der dunkle Spiegel auffangen könnte, wird dann in der versifizierten Fassung als Bestreben einem bebenden Spiegel zugeschrieben: »Die Kerze flackert und ein Spiegel bebt / ein Bild zu haschen von uns beiden« (II 140, Vers 3/4). Die Bewegung läßt den Spiegel nicht nur Züge des Lebendigen annehmen, sondern betont auch die Ungesichertheit des nicht eindeutig festlegbaren Bildes, entsprechend dem nicht festzuhaltenden glücklichen Augenblick, den die weiteren Verse als Möglichkeit nennen. Die Selbstspiegelung ist in dem Gedicht »Vor Tag« (August 1907) der Moment höchster Befremdung (vgl. dazu Kapitel V). Dies wird durch die Sprachgestaltung so weit ausgedrückt, daß der Spiegel als schlichter Gebrauchsgegenstand, als »Wandspiegel« (I 106, Vers 30) in das Gedicht aufgenommen werden kann, ohne daß in diesem Kontext die Außergewöhnlichkeit der Wahrnehmung verloren ginge. Die zuvor dem Spiegel zugeschriebenen Charakteristika erscheinen nicht mehr in Adjektiven, sondern werden in der hier gestalteten sprachlichen Bewegung evoziert. Ein dem Gebräuchlichen entferntes Bild beschließt das Gedicht »Josef Kainz zum Gedächtnis« (Oktober 1910), es ist bereits in einer Notiz angedeutet: »o Sperber der im Licht schweben(d) / einen Spiegel trug / darauf von irgendwoher / weißes Licht fiel« (I 422, 22-25). Der Schauspieler wird damit als Vermittler eines überendlichen Lichtes gesehen, wobei der Spiegel dieses Licht auffängt und reflektiert in den Bereich des Endlichen strahlt. Die Bemühungen im Entwurf weisen darauf hin, daß dieses Licht als von allen endlichen Vermischungen rein beschrieben werden sollte, wie auch dem Spiegel diese Eigenschaft zugeschrieben wird: »einen reinen Spiegel / darauf von irgendwo ein geistig Licht / von unerhörter Weiße« (424, 12-14). Erwägungsweise wird der Spiegel »Zauberspiegel« (424, 22) genannt, um dann die Qualität des weissen Lichtes hervorzuheben: »o Spiegel der ein weißes Licht herabwirft / ein Licht des Weiße ohne Gleichen ist [...] weißer als Schwanweiß, weißer als Blüten / u(nd) weißer Mond, und weißer

268

denn / der weißeste der Sterne« (424, 25-31). Die Abgrenzung gegenüber aller Endlichkeit hinsichtlich des Lichtes, das der Spiegel vermitteln soll, erhebt den Träger des Spiegels ebenfalls in eine unfaßbare Höhe, wie aus der schließlich erreichten Fassung der Verse hervorgeht: »Du bist empor und wo mein Auge dich / Nicht sieht, dort kreisest du, dem Sperber gleich, / Dem Unzerstörbaren, und hältst in Fängen / Den Spiegel, der ein weißes Licht herabwirft, / Weißer als Licht der Sterne: dieses Lichtes / Bote und Träger bist du immerdar« (I 109, Vers 64-69). Während der Sperber im Vergleich genannt wird, ist das Halten des Spiegels als gegenwärtiges ausgesagt, so daß die Vermittlung des Lichtes als »Bote und Träger« (Vers 69) nicht an die endliche Lebenszeit des Künstlers gebunden vorgestellt ist. Diese Vermittlung erscheint hier noch einmal im Bild des Spiegels, der das Überendliche nun aber nicht als dunklen Grund ahnen läßt, sondern als Licht vor aller möglichen Schattierung reflektiert.14

14

Cohn (1954) spricht von »der Form des dem Barock so unentbehrlichen Spiegels« (S. 90), dazu Exner (1975) S. 217 und weiterhin 219.

269

Grosse Kunst. 13 14 15 16

Und wenn wir dann in unsre Hände schlagen Wie Könige und Kinder thu'n So werden Sclaven der Musik geruhn (Uns) Ein übermenschlich Schicksal herzutragen (Das wir) Worin wir unser eigenes erkennen

5 Erst wollen wir von diesen Früchten essen 6 Sie kommen aus den Bergen aus dem Meer schlummerlosen 7 Aus Ungeheuern Königsgräbern her 8 Wir wollen ihren Ursprung nkht vergessen / 2 3 4 9 10 11 12

ewiger Ich will den Schatten riesiger Geschicke Gross an den Boden der Gedichte legen Der jungen Helden ungeheu're Blicke Und andre Götter die den Sinn bewegen (Und nicht) dass sie vom Blut Geschwister sind (Die) Mit uns und all den anderen Geschöpfen Des Grossen Grabes die im Abendwind Mit Flügeln drücken oder Menschenköpfen Rückseite: Darin wir unser eigenes erkennen Dies werden wir für unseres beken In diesem werden wir uns selbst erkennen Gespiegelt in so schauerlichem Frieden (Wie es vollbracht die Ahnen herzunennen Die Jungfrau Nachgeboren den Tantaliden)

SWII398f./119 EII51; FDH19966

Nachträgliche Strophenbezifferungen 270

Hofm&nmthals.

1 2 3 4

Ich will den Schatten einziger Geschicke Groß an den Boden der Gedichte legen Der jungen Helden ungeheure Blicke Und andre Götter, die den Sinn bewegen:

5(2) 5W

Dsnn sollst du über ihren Rand dich neigen übern Rand sich neigend

Anmuth 5 Dass deine Schönheit, im Darüberneigen. 6(2) Und völlig hingegeben, jenen Werken 6(1) Und (trunken) von dem* 6 Verloren in den Anblick jener Werke verwirrtem 8 (Nur (gegen) völlig deutlich mit verlegnem Schweigen auf und nieder spiegelnd Bild 7 Ihr schwebend) (dunkelklares) Spiegelbild bemerke. 7(3) Spät nur dein gleitend Bild darin bemerken 7(2) Spät nur dein schwebend Spiegelbild bemerken. 7C) Am Ende erst ihr schwebend Bild bemerke ftfV Demüthig und verwirrt, (mit) aus langem Schweigen 8(3) Mit einem wundervoll erschrocknen Schweigen

Entwicklung der letzten beiden Fassungen der Verse 5-8: 5 6 8(2) 7(2) 7(3) 8(3)

Dann sollst du über ihren Rand dich neigen Und völlig hingegeben jenen Werken Demüthig und verwirrt aus langem Schweigern Spät nur dein schwebend Spiegelbild bemerken. Spät nur dein gleitend Bild darin bemerken Mit einem wundervoll erschrocknen Schweigen

SW II119/399 EIIi3.1;FDH19968

SW II: den

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XII Aufhebung in der Erinnerung

Der abendliche Rückblick hebt zusammenfassend die Einzelheiten des Tages im Bild auf, das in der Erinnerung entstehen kann. Die Momente der zeitlichen Situierung am Abend, des zusammenfassenden Rückblicks und des Aufhebens im Bild des Kunstwerks haben deshalb diejenigen Gedichte gemeinsam, die das Thema der Erinnerung entweder explizit nennen oder die konsumtive Bedeutung der Erinnerung für das Gedicht selbst zum Ausdruck bringen. Dabei geht es nicht nur um die endliche Ansammlung bestimmter Einzelheiten im Gedächtnis, die als endliche immer auch von Vergessen begleitet ist, sondern um das Erinnern von Ursprung und Herkunft des Erscheinenden, wobei dieses Erinnern über den endlich überschaubaren Zeitraum hinaus die Ahnung des Begründetseins in dem lebendigen Gesamtzusammenhang aufnehmen muß.1 Erkennbarer Ausdruck davon kann nur sein, daß das erinnerte Bild in der Sprache des Gedichts nicht gegenständlich festgelegt erscheint, sondern in einer den Bewegungen seiner Konstitution in der Wahrnehmung entsprechenden sprachlichen Gestalt. Dies konnte in den vorhergehenden Kapiteln hinsichtlich der dort untersuchten Themenstellungen bereits gezeigt werden; hier soll das grundlegende Thema der Erinnerung selbst im Vordergrund stehen.2

Vgl. meine Darstellung der Problematik im Hinblick auf Hölderlins »Fragment philosophischer Briefe«: »Die Erinnerung begreift die Erfahrung des Göttlichen in der Sphäre; sie wiederholt demnach nicht nur das in der Zeitreihe zurückliegende Fixierte, sondern zugleich damit den unendlichen Zusammenhang, in dem diese besonderen Vorstellungen sich für uns konstituiert haben.« (Andreas Thomasberger, Mythos - Religion - Mythe. In: Christoph Jamme, Otto Pöggeler (Hrsg.), »Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde« - Das Schicksal einer Generation der Goethezeit Stuttgart 1983, S. 296). Das Verhältnis von augenblicklichem Anstoß und Erinnerung stellt Krämer (1963) dar (S. 58); Resch (1980) geht unter dem Thema der »Vergegenwärtigung« (S. 63) auf die Erinnerung ein, um von einem distanzierten Vorstellen das in Hofmannsthals Sinn wahre Erinnern zu unterscheiden: »Ein Verknüpfen und

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Ein frühes Beispiel für den Zusammenhang der genannten Bildmomente im Rahmen des Themas der Erinnerung geben Verse, die vermutlich 1887/88 entstanden. Der Zeitraum wird im ersten Vers genannt: »Sink ich des Abends auf mein Lager nieder« (II 12), das übergreifende Thema im dritten: »Doch bebt der Geist in der Erinnerung Genüssen«. Das sich im Rückblick der Erinnerung herstellende Bild kommt kurz danach zur Beschreibung: »Und ein ruhig Bild vor meinen Blicken / Liegt des Tages Lauf und mit Entzücken / Seh ich dich in Bildes Mitten stehen / Und ich sehe hundert Zauber(faden) / Die geheimnisvoll Verbindung laufen« (Vers 7-11). Bei aller subjektiven Direktheit dieser Verse ist bemerkenswert, daß das erinnerte Bild sich als ruhiges aus dem Lauf des Tages hervorhebt und daß es in Bezügen gesehen wird, die nicht unmittelbar greifbar sind. Der aufhebende Rückblick, in dem das Bild sich konstituiert, wird hier bereits mit den Bestandteilen beschrieben, die in den späteren Gestaltungen wirksam werden sollten. Den ungegenständlichen Ort der Erinnerung zwischen Vergangenheit und Zukunft nennt das Gedicht »Fremdes Fühlen« (Januar 1894) mit der Beschreibung der Empfindung eines Übergangs, »Halb künftiger Schmerzen süßdumpf bewußt / Halb sehnend um eine Zeit die floh« (II 102, Vers 3/4), die dem Zeitraum des Abends zugeordnet ist (»spät abends« Vers 1). Über zwei Vergleiche erreichen die Verse das Thema der Erinnerung. Zuerst erscheint das Ich objektiviert im Bild: »Wie einer der eine Laute trägt« (Vers 5), womit das traditionelle Bild von den Saiten der Seele in einer der Hofmannsthalschen Lyrik eigenen Vorstellung anklingt. Die Laute nimmt die Bewegung des Windes auf, und aus dieser Vermittlung von Wirkung und Bewirktem entsteht auf der nächsten Vergleichsstufe die Empfindung: »Dass es ihm wie Erinn'rung das Herz bedrängt« (Vers 8). Erinnerung ist hier nicht Aufhebung eines bestimmten Vergangenen in das gegenwärtige Bewußtsein, sondern steht lediglich ganz unbestimmt im Vergleich für das Unfaßbare, das »das Herz bedrängt«. Ein weiterer Objektivierungsschritt folgt in der dritten Strophe, die nicht mehr dem Ich vergleichend dritte Personen zuordnet, sondern eine zweite Person auftreten läßt: »Wir giengen den Weg spät abends zu zweit« (Vers 9). Die distanzierte Gestalt »Der andere« (Vers 10) kann hinsichtlich ihrer gleichzeitiges Erleben von Vergangenem, Gegenwärtigem und, so paradox es auch erscheint, von Zukünftigem geht darin vor sich.« (S. 64).

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Erfahrungen entsprechend objektiver beschrieben werden, wobei diese Erfahrungen sich als zahlreiche (»schon vielemal« Vers 10), bekannte (»Er kannt ihn (den Weg; A. T.) so gut« Vers 11) und einzeln bestimmte (»fast bei jedem Baum« Vers 11) herausstellen, die das Erinnern, das ambivalente Empfindungen einschließt, auslösen (»Befiel ihn Erinnern mit süßer Qual« Vers 12). Erst auf dieser Stufe der mehrfach distanzierten Objektivierung scheint die Wahrnehmung eines Bildes möglich, das die vierte Strophe beschreibt. Der nicht realistische Bildcharakter zeigt sich mit dem seltsamen Schauen (Vers 15/16) der auftauchenden Paare, das in einem weiteren Vergleich in der fünften Strophe gedeutet wird: »Wie Menschen schauen, die ihre Welt / So trunken und traumhaft umfangen hält, / Sie schauen auf einen als träten sie ein / Aus Dämmerung in einen grellen Schein« (Vers 17-20). Das Bild wird mit seinem Grund wahrgenommen, der sich durch die Adverbien »trunken und traumhaft« als grenzenlos offener andeutet. Aus dieser dämmernden Wirklichkeit tritt das Bild in den »grellen Schein« der bestimmten Realität, in der das Schauen dieser Gestalten des künstlerischen Bildes »seltsam« erscheinen muß. Dieses Auftauchen von wahrnehmbaren Gestalten, wie es sich in den beiden Strophen darstellt, gehört zu demjenigen, das dem >Anderen< bekannt ist: »Der neben mir kannte das alles so gut« (Vers 21) und sich mit der Empfindung des Erinnerns verbindet: »Sehnsücht'ge Erinnerung erregte sein Blut« (Vers 22). Die Möglichkeit des Bildes bewirkt das Gefühl der Sehnsucht, die Erinnerung dieser Möglichkeit wirkt zunächst noch auf der stummen Ebene des Blutes. Mit einem weiteren Vergleich wird auch »der neben mir« (Vers 21) objektiviert und nähert sich zugleich damit dem Ich, da auch er nun mit der Laute verglichen wird: »Er bebte wie eine Laute bebt / Wenn durch ihre Leere der Nachtwind schwebt« (Vers 23/24). Die Wirkung der äußeren Bewegung (»Nachtwind«) hat erst eine stumme Bewegung des Instruments zur Folge, da sie »durch ihre Leere [...] schwebt« und damit nicht im Sinne der ÄolsharfenVorstellung ein Tönen hervorruft. Der Zustand des »ich«, das nach diesen Distanzierungen wieder direkt genannt wird (Vers 25), ist deshalb ein unentschiedener (»nicht froh / Nicht traurig« Vers 25/26) der Möglichkeit (»ahnend« Vers 26), in dem es sich »ergriffen« (Vers 26) fühlt, aber ein der Erinnerung entsprechendes Bild, mit dem das Ich zugleich selbst Ausdruck fände, noch nicht erreicht hat. Der Zustand wird noch einmal im Vergleich distanziert und mit der dritten Person

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(»wie einer« Vers 27) objektiviert, wobei jetzt die gefühlte Wirkung bereits hörbare Gestalt anzunehmen begonnen hat: »der eine Laute trägt / Die leise stöhnend das Herz ihm bewegt.« (Vers 27/28). Das Herz erscheint an dieser Stelle nicht mehr »bedrängt« (Vers 6), sondern bewegt sich in der Wirkung der durch die Laute vermittelten äußeren Bewegung, so daß hier die Möglichkeit einer Antwort nahe zu liegen scheint. Das im Gedicht beschriebene »Fühlen« ist nicht deshalb ein »fremdes«, weil in den Vergleichen und der zweiten Person distanzierende Objektivierungsschritte vorgestellt werden, sondern weil es noch nicht zur >eigenen< Wirklichkeit in der entsprechenden Gestalt gelangt.3 Der Zustand der Empfindung kommt trotz der genannten Vermittlungsschritte über den Modus der Möglichkeit nicht hinaus, so daß die erinnerten Gefühle noch nicht in einem sprachlichen Bild aufgehoben, sondern als die Voraussetzung dafür angedeutet erscheinen. Die Bedingungen der Aufhebung von Erinnertem im sprachlichen Bild des Gedichts gibt das Gedicht »Botschaft« (August 1897) in Reflexionen und Bildern, die im unscheinbaren Metrum des Blankverses vorgetragen werden. Der in der Reinschrift erwogene Untertitel »Brief« (I 338, 22) läßt den Mitteilungscharakter der Botschaft noch gebräuchlicher erscheinen, wovon sich dann das Gedicht umso deutlicher entfernt in Richtung seiner eigenen Konstituentien als Gedicht. Ich folge auch hier zuerst dem Entwurf, da er durch manche der erwogenen Wendungen, die aus dem Werkkontext in ihrer Bedeutung bekannt sind, den Bereich, der an der jeweiligen Stelle zum Ausdruck kommen soll, leichter faßbar werden läßt, wenn er ihn auch nicht schon zutreffend sprachlich gestaltet. Die einleitende Selbstreflexion (»Ich habe mich bedacht«) stellt bereits ein Moment der Erinnerung dar. Ihr Inhalt ist das Hervorheben »schönste(r) Tage« aus dem vergänglichen Zeitlauf, der Grund für die hervorhebende Benennung wird zuerst mit einer Bewegung gegeben, deren Ort ambivalent ist: »da wir redend / Die Landschaft uns vor Augen in ein Reich / Der Seele wandelten«. Im Reden wird die Landschaft Reich der Seele; die Verwandlung des vor dem Blick Liegenden in ein insofern Angeeignetes, als sich

Hector (1954) zitiert das Gedicht im Zusammenhang der Thematik des Mitempfindens: »Gleich einer Laute wird das eigene Innere Resonanz aller Schwingungen, wie sie aus vergangenen und zukünftigen Zeiten Gegenwärtiges durchweben.« (S. 28). Nach Wunberg (1965) zeigt das Gedicht »eine eigene Form des Doppelgängertums« (S. 54).

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die Seele darin wiederfindet, bedarf der Aufhebung in die Sprache.4 Diese ist nicht als distanzierte Aussage gemeint, sondern geht in das vor Augen Liegende ein, wie sich mit der doppelten Bedeutung von »wandelten« andeutet. Die Aufhebung der gesehenen Landschaft in die dichterische Sprache wird am Ende des Gedichts erneut genannt werden (Vers 25ff.).5 Weitere Bedingung für die Benennung als »schönste Tage« ist die Annäherung an Vergangenes: »da hügelan / Dem Schatten zu wir stiegen in den Hain / Der uns umfin(g) wie schon einmal erlebtes«, mit dem sich das Gefühl von etwas zu Erinnerndem einstellt; die Stufe der Möglichkeit, die das Gedicht«Fremdes Fühlen»beschrieb. Das Umfangensein wird nur im Vergleich auf unbestimmtes Erlebtes bezogen, die wirkliche Erinnerung des Vergangenen ist hier noch nicht erreicht. Ein drittes »Da« leitet eine dritte Bedingung ein, deren Besonderheit sich bereits mit dem ersten ihr gewidmeten Vers zeigt: »Da wir auf (stillen) abgetrennten Wiesen still«. Das erwogene Adjektiv »stillen« und das dann verwandte Adverb »still« deutet auf die Entfernung dieses Raumes von den endlich bestimmten, gegenständlichen Raum Vorstellungen. In diesem Sinn deute ich auch das »abgetrennten«, nicht in der Bedeutung voneinander abgegrenzt«, sondern als Hinweis auf das Abgetrenntsein des hier gemeinten Raumes vom endlich überschaubaren.6 Auf diesen »abgetrennten Wiesen« fanden die Wandelnden »still / Den Traum vom Leben«, somit ebenfalls etwas nicht vollständig Eingrenzbares, mit nur endlichen Bestimmungen Faßbares. Im Entwurf ist nicht vom Leben unbestimmter »Wesen« die Rede (Vers 8), sondern hier werden zunächst die Möglichkeiten erwogen: »junger Adler«, »schöner Hirten« und »alter Zeiten«. Auch mit diesen Wen-

Wunberg (1965) bemerkt, daß in diesem Gedicht »die Möglichkeiten der Sprache ein einziges Mal positiv formuliert« worden seien (S. 124, Anm. 35), was sich in den Gedichten »sonst nirgends« finde, »jedenfalls nicht expressis verbis.« (ebd.). Exner (in: Resch, Seltene Augenblicke, 1989) beschreibt die Verwandlung: »(wir verwandeln), was wir sehen, in ein >Reich der Seele«, das nur für den Sprechenden (oder nur für ihn und den Angesprochenen) in diesem Gehen und Reden existiert.« (S. 19) und verweist auch auf den Schluß: »So wird in den letzten sieben Zeilen des Gedichts eine Art von mythischer Landschaft beschrieben, deren Entstehung im Gedicht selbst dokumentiert ist.« (S. 21). Diese Bedeutung wird konkret vorstellbar vermittels des Bildes, das ein »Fragment« (II135,1897?) gibt: »Als ich erwachte dacht ich meinen Freund / Zu suchen und zu ihm dies Wort zu sagen: / Auf Bergen stehen ist ein gutes Ding. / durch Wolken war ein grünes Inselland / im Lichte schaukelnd ringsum abgeschnitten«. 276

düngen deutet sich das über den Zeitraum des Gedächtnisses hinaus Zurückliegende an, was aber deutlicher wird mit der nächsten Erwägung: »niegeahnter junger (Völker) Hirten«. Das Auffinden des Zusammenhangs über das im Gedächtnis Vorhandene hinaus weist auf das Thema der Kontinuität hin, wovon hier die »ganz vergessene(n) Völker« aus »Manche freilich ...« erinnert werden (vgl. Kapitel X). Der Zusammenhang mit »niegeahnte(n)« Lebendigen wird hier aufgefunden, und zwar auf der nicht eingrenzbaren Ebene des »Traum(s) vom Leben«. Die Reinschriftfassung wird mit der Wendung »nie geahnter Wesen« die Ungreifbarkeit dessen, womit hier der Zusammenhang gefunden ist, am zutreffendsten ausdrücken. Dagegen kommt mit dem folgenden Vers die >physische Kontinuität zum Ausdruck: »Ja ihre (Spuren) Gehen(s) u(nd) Trinkens Spuren fanden«. Der aufgefundene überendliche Zusammenhang bezieht die lebendigen und lebenserhaltenden Bewegungen vermittels ihrer Spuren ein, ohne damit den Abstand zu diesem Vergangenen auf bestimmte Maße zu verkürzen, ohne aber auch die Kontinuität der Verwandtschaft leerer Unbestimmtheit zu überlassen. Im Entwurf folgen an dieser Stelle die Fassungen der künftigen Verse 13-16, die, parallel zu den bisher genannten drei Bedingungen für den Namen »schönste Tage«, drei Wünsche für ein Leben das »frommt« nennen. Ich gehe auf diese Verse an ihrer künftigen Stelle im Gedicht ein, da sie sich durch die Umstellung in ihrer Bedeutung nicht ändern. Die anschließenden künftigen Verse 10 und 11 entstanden aus dem Ansatz: »ein gleitendes Gespräch / Noch tiefre Wölbung spiegelt als der Himmel«. Der gefundene überendliche Lebenszusammenhang wird ergänzt um das »gleitende Gespräch«, das, wie die Einfügung »und überm Teich« sichtbar werden läßt, ebenfalls in einem nicht festgelegten Raum gefunden wurde. Als Gleitendes ist dieses Gespräch nicht von Grenzen eingeschränkt,7 es soll mit dem in seiner Vermittlung Erscheinenden die in der Vorstellung weiteste kosmische Dimension übertreffen, wenn es »Noch tiefre Wölbung spiegelt als der Himmel«. Der Zusammenhang mit diesem Gespräch wird ebenso gefunden, wie Die Bedeutung, die sich aus dem Werkkontext ergibt, ist wenigstens einseitig gefaßt, wenn das Wort »gleitendes« »deutlich mit allem Vergehenden verbunden« sein soll (Exner, in: Resch, Seltene Augenblicke, 1989, S. 19). Zur Wortbedeutung vgl. hier S. 48, Anm. 29. 277

der mit dem lebendigen Kontinuum, womit zu den Voraussetzungen, die die künftigen ersten elf Verse nennen, eine vierte hinzugekommen ist. Im Entwurf sollte, nachdem das Wort »Wölbung« gestrichen worden war, für »der Himmel« eingesetzt werden: »das Gewölbe / an dem der Wagen wandelt und«. Die kosmische Vorstellung erweitert sich damit zum einen um die Bewegung des wandelnden Sternbildes, zum anderen in der Weite ihrer Dimension, denn mit dem Wagen oder der Bärin ist dasjenige Sternbild genannt, das nach antiker Vorstellung als einziges nicht am Bad im Weltstrom teil hat.8 Das entfernteste Sichtbare soll demnach noch näher sein, als dasjenige, das von dem gleitenden Gespräch gespiegelt wird.9 In der Vermittlung seiner Spiegelung soll es das Weiteste, noch jenseits der endlich wahrnehmbaren äußersten Wölbung, geben.10 Diesem unendlichen Gespräch verbinden sich die redend Wandelnden. Den vier Bedingungen dafür, daß Tage als schönste hervorgehoben werden dürfen, folgen vier Wünsche für das Leben. Der künftige Vers 12: »Ich habe mich bedacht auf solche Tage«, schließt zuvor den Zusammenhang der Reflexion über die Bedingungen *schönste(r) Tage« ab, ohne daß aber das Folgende unverbunden daneben gestellt würde, denn die späteren Verse 13 bis 16 hängen mit der Wendung »Und dass nächst diesen drei [...] Nur eines frommt« ab von dem Hauptsatz »Ich habe mich bedacht«. Die folgenden vier Wünsche »gesund zu sein / Am eignen Leib und Leben sich zu freuen / Und an Gedanken [...]/ [...] gesellig sein mit Freunden« - gehen auf ein griechisches Skolion zurück (vgl. I 340); Hofmannsthal zitiert sie als die scheinbaren »Güter des Lebens« (III 839, 7) in einem fiktiven Brief an eine Person, für die »die sich mit dem Zusammenstellen von Dichtungen abgeben, [...] keinen rechten Platz unter den Lebenden zu haben« scheinen (III 838, 23ff.). In diesem Zusammenhang steht anstelle der

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Ilias 18, 487-489. Vgl. Wolf gang Schadewaldt, Sternsagen. Frankfurt am Main 1976, S. 23f.. Hier kann an die Wirkung des Niederfallens ferner Sterne (»Manche freilich ...« gedacht werden (vgL Kapitel X). Erken (1967) bemerkt zu der Stelle: »Die kühne Wendung wird aus der symbolischen Konstruktion des Gedichts verständlich, das mit der >Landschaft< zugleich ein >Reich der Seele< erinnert und so in die Vorstellung des spiegelnden Teiches die des >spiegelnden< Gesprächs aufnimmt, was den sinnbildlichen Charakter der Spiegelung (ihre >Vielstrahlsinnigkeit< wird der des Gesprächs gleichgeachtet) um so stärker hervorhebt.« (S. 81). 278

Gedanken »Reichthum« (839,10), wie auch bei Platon (Gorgias 451 e: »reich sein ohne Falsch«) und in dem anonymen Skolion.11 In das Gedicht übernommen sind somit die Güter »gesund zu sein« und »gesellig sein mit Freunden«, während das zweite und dritte, Schönheit und Reichtum, verändert erscheinen. »Am eignen Leib und Leben sich zu freuen« übersetzt das Wort Schönheit in eine selbstreflexive Bewegung, die sich auf Physisches ebenso wie Moralisches richtet und dieses distanziert genießt. Ebenso richtet sich die Freude auf die bildgewordenen »Gedanken«, die die Stelle des >Reichtum ohne Falsch< einnehmen, und als einziges der vier Güter mit einem Bild in ihrer Dynamik anschaulich vorgestellt werden: »Flügeln junger Adler«.12 Den vier Bedingungen des ersten Abschnitts, die aufgenommen werden müssen, folgen somit vier »Güter des Lebens«, von denen sich das erste zum Teil, die übrigen weitestgehend der eigenen Haltung verdanken und die deshalb nicht als unmittelbar vorhanden, sondern in distanzierter Wahrnehmung gegeben sind. Diese im Raum der Selbstreflexion und Betrachtung genannten Bedingungen - sie werden in der Reinschrift die erste Hälfte des Gedichts ausmachen - führen, explizit mit der letzten: »gesellig sein mit Freunden«, über den gedanklichen Rückblick hinaus zum Wunsch künftiger Verwirklichung. Die Einladung: »So will ich dass Du kommst und mit mir trinkst / aus jenen Krügen« richtet sich nicht nur auf die Geselligkeit mit Freunden, sondern damit zugleich auf die Aufnahme eines lebendigen Bezugs mit dem Überlieferten. Dieser deutet sich in dem künftigen Trinken aus den Krügen an, wobei die Krüge überlieferter Kultur angehören, die das Lebendige in bestimmten Formen gefaßt hat. Dies sollte im Entwurf zuerst mit der erklärenden Wendung Ausdruck finden: »die ein (starker) todter Meister / Geschmückt mit Laubwerk und dem (Leib von Kindern) Thieren«. Damit ist die Herkunft aus endlicher Vergangenheit betont, die ebenso die Lebensdauer des Menschen überschreitet, wie das Dauerhafte das Bild des Lebendigen als Schmuck aufbewahrt. Die zur Dauer gewordene Vergangenheit, die in den Krügen besteht, sollte mit dem erwogenen Adjektiv »schweren« noch sinnfälliger werden. An die Stelle der Betonung des Vergangenen und dauerhaft Gewordenen setzen die schließlich gewählten Wendungen die 11

12

E. Hiller, O. Crusius (Hrsg.), Anthologia Lyrica. Leipzig 1911, S. 329. Vgl. SW I 340, 1-12. Zum Wortfeld »Adler« vgl. Mauser (1961) S. 40f.. 279

des Bezuges in die Gegenwart hinein (»die mein Erbe sind«) und der Bewegung, die als schmückendes Gegengewicht den Krügen einen Teil ihrer Schwere nimmt (»Geschmückt mit Laubwerk und beschwingten Kindern«). Der Bezug zum Überlieferten erscheint mit dem nun erreichten Wortlaut der Verse vorwiegend als lebendige Bewegung, die diesen Bezug in ihren Zusammenhang aufnimmt und zugleich damit ihre Lebendigkeit erhält. Das Verhältnis von Bewegtem und Festem bestimmt auch das folgende Bild: »Und mit mir sitzest in dem Gartenthurm«. Der Lebensgarten, als die zu überschauenden Gebärden, war in der Notiz zu »An eine Frau« (vgl. Kapitel X) genannt worden und wird auch an dieser Stelle als Zusammenhang der Lebensbewegungen zu deuten sein. Das darin Ruhende, das zugleich die Verbindung mit dem Begründenden nicht verliert, war bisher mit der Chiffre des Brunnens benannt worden. Hier scheint als weitere mögliche Chiffre der Turm hinzu zu kommen, der an der vorliegenden Stelle das Bestehende im Bewegten des eigenen Lebenszusammenhangs bedeuten könnte.13 In dieses gebildete Zentrum des eigenen Lebens soll die eingeladene Person einbezogen werden. Die Bedeutung des Bestehenden im Lebendigen, das zu diesem zugleich offen ist, läßt auch die der »2 Jünglinge« einordnen, die die Türe des Turmes »bewachen«. Ihre Beschreibung, die nicht in die Reinschrift übernommen wurde, nennt sie »zwei fre(md) und xx wie Gefesselte« bzw. »von riesenhafter Trauer und gefesselt«. Dies verweist auf die beiden Gefangenen oder Sklaven von Michelangelo als reales und zugleich künstlerisch gestaltetes Vorbild für die zwei Jünglinge.14 Die beiden erwogenen Verse beschreiben und deuten die Plastiken, ohne noch den Einbezug in das Sinngefüge des eigenen Bildes herzustellen. Dies versucht der Entwurf der folgenden Verse: »in deren Köpfen mit gedämpften Blick / ein ungeheueres Geschick (dich fremd / und steinern ansieht) dass du ahnend schweigst.« Die Wendung »mit gedämpften Blick« kann noch annähernd auf die Vorbilder bezogen werden; sie deutet aber viel mehr auf 13

14

Derungs spricht von »einem neuen ICH-Symbol« (S, 134), dem Turm »als Grenze und Form des Individuums« (S. 135) und zeichnet die Entwicklung dieser Symbolik nach. In der von Hofmannsthal im Sommer 1895 gelesenen Michelangelo-Monographie von Hermann Knackfuß (Bielefeld und Leipzig 1895) befinden sich die Abbildungen der beiden Statuen gegenüber, den dazwischenliegenden Text einrahmend, auf den S. 56 und 57, s. d. folgende Abbildung. (Vgl. zu der Michelangelo-Rezeption auf diesem Weg SW I 256, 30-257, 5).

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die Mittelbarkeit dieses Blicks, der vermutlich als direkter nicht zu ertragen wäre. Damit rücken die Jünglinge in die Sphäre der Kunst und zwar in den eigenen Zusammenhang der Bildlichkeit, nicht nur als vorgefundene Bilder, die allerdings auch als solche nicht nur gegenständlich erscheinen. Der eigene Bildzusammenhang wird durch die Wendungen »ungeheueres Geschick« und »ahnend schweigst« noch deutlicher herangezogen, denn eben dies war in »Ich will den Schatten [...]« als Grundlage und Wirkung der Gedichte genannt worden (vgl. Kapitel XI). Die Wirkung des Ansehens hat wiederum den Gegenpol des Festen (»steinern«) und vermittelt so den Zusammenhang mit dem »ungeheuere(n) Geschick«, in dem sich der lebendige Garten und der festgefügte Turm befinden, das aber unvermittelt überwältigend wäre. Darauf verweist schon die Stummheit der Ahnung, die der »gedämpfte(n) Blick« der Gestalten bewirkt. Eine Überarbeitung der künftigen Verse 23 und 24 führt zu dem Wortlaut: »Halbabgewandt ein ungeheueres / Geschick Dich steinern anschaut, daß du schweigst«. Mit »Halbabgewandt« ist ebenso die Kopfhaltung der Plastiken getroffen, wie der Sinn des vermittelten Blicks des Kunstwerks, das zugleich zuund abgewandt erscheinen muß, um das »ungeheuere(s) Geschick« anschaulich werden lassen zu können. Die Jünglinge, als Kunstgestalten, nehmen somit die Grenze zwischen Beweglichem und Festem, Garten und Turm, ein, sie befinden sich an der Stelle, an der das Bestimmte zum Unbestimmten hin offen ist und verbinden das Gefasste mit dem lebendigen Ungefaßten, indem sie die Vermittlung beider bedeuten.15 Aus dem durch die Gestalten der Kunst bewirkten Schweigen soll der Blick der eingeladenen zweiten Person zunächst »jenen Strom vorübereilen« sehen und es soll eine Antwort erfolgen: »Dass dann vielleicht ein Vers von Dir / den Anblick«, überarbeitet zu: »[...] ihn mir / Veredelt künftig in der Einsamkeit / Und mir sein Rauschen deine Stimme lügt«. Die Bewegung des Stromes soll aufgehoben -werden in einen Vers, unter Voraussetzung der zuvor genannten Bedingungen. Die Aufbewahrung der Situation schönster Tage und eines frommen-

Es scheint mir im Text nicht begründet, daß »die bewachenden Jünglinge, die entweder den Eintritt verwehren oder die Bewohner des Gartens schützen sollen, Engel-Figuren (sind)« (Exner, in: Resch, Seltene Augenblicke, 1989, S. 20), Diese Deutung folgt vielmehr der vorhergehenden des Garten-Turmes als »einer Art Doppel-Bild von Paradies und Gefängnis« (ebd.).

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den Lebens im Vers ermöglicht künftige Erinnerung, wenn diese außerordentliche Situation in der Zeit vergangen ist und das Zusammentreffen ihrer Konstituentien sich wieder aufgelöst hat (»in der Einsamkeit«): Mit der erwogenen Vorstellung »Und mir sein Rauschen deine Stimme lügt« war die Erinnerung allzu realistisch an das Geräusch des Stromes gebunden und beruhte auf einer Täuschung. Die Orte der Erinnerung werden in den letzten fünf Versen noch gestaltet werden. Die eher neutrale Wendung »jenen Strom« ersetzte Hofmannsthal durch »meinen Fluß«, womit die in bestimmter Bahn vorübereilende Bewegung auf den eigenen Bereich von Garten und Turm bezogen wird. Die zuletzt gewählte Fassung »Und meine Landschaft hingebreitet siehst« ersetzt die Bewegungsmomente von Strom und Fluß durch die Vorstellung eines Mannigfaltigen, das aus dem Schweigen heraus gesehen werden soll als »hingebreitet«. Die Landschaft erscheint bereits als Gemachtes, wobei die sie bewirkenden Kräfte nur zu ahnen sind, die Erscheinungsweise in dieser besonderen Hinsicht sich aber bereits als Bild abzeichnet. Auf den eigenen Lebenszusammenhang bezogen wird die Landschaft »meine« genannt. Der Unterschied zu dem eigenen Lebensgarten dürfte in der größeren Dimension liegen, um die die Landschaft den Garten übertrifft. Das Überschauen der konstituierenden Bewegungen gilt für den Garten wie für die Landschaft. Die Landschaft, als weiterer Raum, scheint aber nicht so weit angeeignet zu sein, daß sie ganz dem eigenen Lebensbereich zugehörte; sie umgibt ihn vielmehr in ihrer Vielfältigkeit. Aus dem ahnenden Schweigen, das durch die Vermittlung eines »ungeheuere(n) Geschick(s)« bewirkt wurde, kann ein Vers die im Rahmen dieser Bedingungen gesehene Landschaft »Veredel(n)« und damit in der Vergänglichkeit aufbewahren. Die Orte und Wege der Erinnerung geben die letzten Verse als ungegenständliche, nicht in erdgebundenen Bahnen verlaufende. Sie sind im Bereich von Schatten und Dämmerung angesiedelt, wobei das Nisten der Erinnerung im Schatten noch als festestes Einnehmen von Orten erscheint, diese Orte aber »da und dort« unbestimmt verteilt sind. Erhoben von der Erde, aber noch in ihrem Bereich, bewegt sich die Erinnerung, wenn sie »zur Dämmerung / Die Strasse zwischen dunklen Wipfeln rollt«, ganz aus dem Bereich endlicher Begrenzungen hat sie sich erhoben, wenn sie »schattenlose Stras-

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sen in der Luft / Dahinrollt«.16 In dieser grenzenlosen Sphäre nimmt sie den weitesten Zusammenhang auf und kann Entferntestes einbeziehen, wie der Vergleich nahelegt: »wie ein fer(ner) goldner Donner«. Damit klingen überlieferte Vorstellungen von Unendlichkeit, Vorzeitlichkeit und Göttersprache an, die die Erinnerung aufgenommen hat, wenn sie sich auch im Bereich jenseits des endlich Begrenzten bewegt.17 Die Aufhebung der Erinnerung von Bestimmtem und Unbestimmbarem in »ein(em) Vers«, mit dem auch die Geselligkeit von »Dir« und »mir« (Vers 26) bewahrt wird, entwickelt das Gedicht »Botschaft« mit den Bedingungen, die zur Verwirklichung dieser Aufhebung in der Sprache wahrgenommen werden müssen. Dazu gehört die Sprachbewegung, die das gegenständlich vor Augen Liegende als Reich der Seele wandelnd erkennt, die Empfindung des Vergangenen als vergangenes Vertrautes, das Sicheinordnen in die überendliche physische Kontinuität sowie das »gleitende(s) Gespräch«, in dem sich das Begründende vermittelt, ebenso, wie die vier Güter eines besonnenen Lebens, um in lebendigem Bezug mit dem Vergangenen im eigenen bewegten und gehaltenen Lebensbereich, dessen Offenheit zum Unbestimmbaren hin die Gestalten der Kunst vermittelt erkennen lassen, eine sprachliche Antwort zu finden, die alle genannten Bereiche erinnernd aufgehoben hat. Damit hat die Erinnerung wiederum wirklichen Anteil am Endlichen und der überendlichen Bewegung sowie dem unendlichen Gespräch, das in ihrer Sprachgestalt nachklingt, »wie ein ferner goldner Donner« (Vers 32).

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17

Die Wendung ebenfalls in zwei Handschriften zu »Lebenslied« (SW I 287, 25 u. 290, 14), s. die Erläuterung dazu SW I 297, 23-38 mit dem Hinweis auf Hölderlins »Patmos«. Der Bezug der Verben »nistet«, »rollt« und »dahinrollt« auf »Erinnerung« wird von Exner (im Resch, Seltene Augenblicke, 1989) in Frage gestellt: »>NistetSchatten< und >Erinnerungrollt< zu >Strasse< und >dahinrollt< zu >Wege< und allenfalls zu >StrasseRosenlorbeer< und seiner Eigenschaft, höchst giftig zu sein.20 Die aufwärtslaufende Richtung des Zitterns führt zu der Krone des Oleander-Baumes und damit zu einem weiteren Bildelement, das sich nun auf das bisher Gesehene zurück richtet: »allein der Vogel / verborgen ganz im Blüthevollen Schatten / der Krone blieb und lauschte dem Gesang.«. Wie der Schaft des Oleanders die Kraft der Fechtenden aufnimmt, so der lauschende Vogel den Gesang des Orgelspielenden. Das Bild erscheint somit in sich geschlossen, die Wirkungen werden aufgenommen, wenn auch ohne eine Antwort zu bewirken. Die Wahrnehmung ihrer Äußerungen bleibt zudem den sich Äußernden verborgen. Als drittes Bildelement kommt eines der lebendigen Verbundenheit hinzu, wobei diese ebenso zwischen Menschen vorhanden ist, wie zwischen ihnen und dem lebendig Begründenden: »Auf dem Stirnrand des Brunnens aber sass / die junge Frau gab ihrem Kind die Brust«. Der Brunnen, als Zugang zum unmittelbar unfaßbaren Grund, ist von Menschen gestaltet (»Stirnrand«, darüber der Ansatz zu »behauenen«) und stellt die Grenze von gefaßtem und unfaßbarem Leben dar. An dieser Stelle setzt sich die Kontinuität des Lebens in der Verbindung von Mutter und Kind fort. Zugleich mit der lebenserhaltenden Nahrung dem Kind sollte die »junge Frau« dem umliegenden Tal »einen friedevollen Blick« geben, der ebenfalls die Räume und kultivierenden Formen des Lebens umfaßte: »Die Häuser rings am grünenden Gesenke, / die Brunnen, die Fruchtbäume und die Tennen / (und dort die vier und dort die sieben Scheunen)«. Charakteristisch für diesen Blick ist aber seine Antithetik, die in der Realität sich Ausschließendes umfaßt: »sah sie, und sah sie nicht die Glückliche / (mit dem wunschlosen Äug des Glückes) /(dem mehr jede Gegenwart 20

Vgl. »Die Rede Gabriele D'Annunzios« (1897): »einer von euch hat mir mit weißen Zähnen lächelnd einen Oleander hingehalten, der ein Lorbeer mit Rosenblüten ist.« (GW, RuA I, S. 599).

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vielfältig) / das sieht und doch nicht sieht was vor ihm liegt«. Deshalb wird die Beschreibung des Gesehenen in einem weiteren Ansatz erweitert um Bereiche, die real nicht vor Augen lagen: »sah was da war und sah was nicht da war / die kühle Sternennacht die sanfte Dämmerung / die Heimkehr Stund und die / denn dem wunschlosen Äug des Glükkes dient / vielfältige sehnsuchtvolle Gegenwart«. Dieser Ansatz ist gestrichen, vermutlich weil er das Gesehene mehr in subjektiver Sehnsucht begründet, als in Bildern gestaltet gibt. Ein weiterer Versuch, diesen »friedevollen Blick« und sein Gesehenes in das Gedicht aufzunehmen, wird in der zweiten Fassung zeigen, welche Teile dieser Ansätze dafür am ehesten erwogen werden konnten. Das »Jedoch« zu Beginn des späteren Verses 11 kündigt einen anderen Bereich an. Es ist der der explizit werdenden Aufhebung des bisher Beschriebenen in ein bleibendes Bild. Dafür tritt zuerst die vorübergehende Bewegung des »Wanderer(s)« auf, der mit einer Ersetzung »der Fremde« genannt wird. Er bewegt sich auf einer ihm vorgegebenen Straße am Bereich des Vergänglichen entlang: »dem die Strasse sich / um eine (halbverfall(ne) Mauer) verfallendes Gemäuer bog«. Sein Blick kommt als eine dritte Art der Wahrnehmung zu dem Zittern im Oleanderschaft und Lauschen des Vogels sowie dem »friedevollen Blick« der jungen Frau hinzu: »der fasste mit dem Blick des Wanderers / dies alles in die Klauen seiner Seele«. Der besondere Blick des Vorübergehenden erhält seine Charakterisierung mit dem im Werkzusammenhang vorbereiteten Bild von den >Klauen seiner Seeletiefen Brunnens«, in deren Sinn der Brunnen ebenfalls an dieser Stelle in das Gedicht aufgenommen ist. Der Blick der jungen Frau wird in fünf Versen beschrieben: »und einen friedevollen Blick dem Thal: / die Häuser rings im buschigen Gesenke, / die Brunnen die Fruchtbäume und die Tennen / sah sie mit dem wunschlosen Äug des Glücks / das sieht und doch nicht sieht was vor ihm liegt«. Von den zuvor erwogenen Möglichkeiten sind nur die realen Gegebenheiten in die beiden Verse »die Häuser [...] Tennen« eingegangen. Die übrigen Verse charakterisieren den Blick als »friedevollen« des »wunschlosen Aug(es) des Glücks«, dessen Wahrnehmung zugleich im und jenseits des Realen ist. Diese Verse sind gestrichen, und es wird angesichts der Gesamtkomposition des Gedichts zu fragen sein, warum dieser Blick nicht beibehalten wurde. Der andere Bereich des Wanderers wird in dieser Fassung zuerst mit der Wendung »Der Fremde aber« eröffnet, um dann auf »Jedoch der Wandrer« zurückzukommen. Die vorangestellte Konjunktion läßt den Neueinsatz deutlicher werden, ist aber noch nicht die zutreffendste Möglichkeit. Die Besonderheit des Blicks des Wanderers sollte durch die Hinzufügung des Adjektivs »langen« weiter charakterisiert werden, was aber wieder aufgegeben wurde, vermutlich, weil dadurch die Hervorhebung als »den einen Blick« an Deutlichkeit verloren hätte. In dieser Fassung steht noch das Bild von den »Klauen seiner Seele«, deren Gebrauch zuerst als »ansetzend alle«, dann als »ausholend mit den« beschrieben wird. Der Vers wurde nicht in die

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Reinschriften und Drucke übernommen und damit die Aufnahme einer im eigenen Werkkontext entwickelten Vorstellung vermieden. Im künftigen Vers 15 sind nun »Fluß und Wald« in den überendlichen Bereich gerückt, da das Adjektiv »stillen« beide umfaßt: »entschwebend über stillen Fluß und Wald«. Die Aufhebung des Gesehenen in ein erinnertes Bild wird erst mit den Änderungen des Wortlauts, die zur endgültigen Fassung führen, hinsichtlich der Beziehungen ihrer Bedeutungsaspekte sichtbar. Dazu gehört vor allem die Änderung der wahrnehmenden Tätigkeit des Vogels zu »und äugte klugen Blicks herab« (Vers 8). Zu dem erwogenen »friedevollen Blick« der jungen Frau und dem »einen Blick« des Fremden (Vers 13) kommt der >kluge Blickkluge Blick< mehr als ein Überblick von oben sein kann, der noch nicht zu einer aufhebenden Gestaltung des Wahrgenommenen führt. Entsprechend wird zu Beginn von Vers 11 die Abgrenzung wieder mit »Allein« begonnen werden. Der unbestimmte Vogel, dessen Entfernung von endlicher Wahrnehmbarkeit bereits mit dem Wort »Still« (Vers 7) angedeutet war, erhält einen noch ungreifbareren Ort, wenn er sich nun »in der Krone blüthevollem Schein« befinden soll. Im Schein der Blütenkrone des Oleander vereinigt sich Erscheinen und Leuchten, was nun anstelle der Vergänglichkeit eher nahelegenden Vorstellung des Schattens steht. Beide Wendungen, Schatten und Schein, weisen zugleich auf den Bildcharakter des Beschriebenen hin.23 Mit einem dritten »Auf« wird die Vorstellung der jungen Frau hinzugesetzt und zugleich mit dem »aber« (Vers 9) vom Vorhergehenden unterschieden. Dies dürfte seinen Grund in der sichtbaren Teilhabe am lebendigen Kontinuum haben, die sich 22

23

»In >Glückliches Haus< sind die räumlichen Gegensätze aufeinander bezogen« (Derungs>1960,S. 177). Vgl. dazu aus dem Werkkontext besonders »Nox portentis gravida«: »Dort streut er ihr die Schatten und die Scheine / Der Erdendinge hin und Edelsteine.« (I 59, Vers 20/21) und die Erläuterung zu der Stelle (I 280,18-24). 290

mit dem Brunnen einerseits und dem trinkenden Kind andererseits zeigt. Diese Teilhabe und Weitergabe kann - wie im Gedicht »Weltgeheimnis« dargestellt - auch in der stummen Sprache der Liebe geschehen, so daß, über das Bild von Brunnen, junger Frau und Kind hinaus, weitere Äußerungen dieser Ebene nicht angemessen sind. Der Friedevolle Blickklugen< und dem >einen< stünde, wäre eine solche, die stumme Sphäre überschreitende Äußerung, und deshalb wurde seine Beschreibung nicht im Gedicht behalten. Zu den genannten Richtungen des ersten Bildes kommt mit dem von junger Frau und Kind die der lebendigen und lebenserhaltenden Verbindung sowie der Bezug zum unabsehbaren Grund, der sich mit dem Brunnen andeutet. Erst nach diesen Voraussetzungen des Bildes kann seine Aufhebung selbst zum Thema werden. Der Bereich des Wanderers wird mit einem weiteren »Allein« (Vers 11) vom zuvor Beschriebenen abgesetzt und zugleich in Parallele zu dem des Vogels gestellt, den das gleiche Wort eröffnete (Vers 6). Der Wanderer, im Unterschied zu dem Vogel mit dem bestimmten Artikel gegeben, bewegt sich nun im näheren Bezug zu der Szenerie: »Entlang der Tenne ums Gemäuer« (Vers 12), der Aspekt des Verfalls ist aus den beiden ersten Fassungen nicht übernommen worden. Beibehalten ist die Vorstellung des vorgegebenen Weges: »dem die Straße sich / [...] bog« (Vers 11/12) und der zurückgewandte eine Blick: »warf hinter sich den einen Blick des Fremden« (Vers 13). Die Entscheidung, in Vers 11 »Wanderer« und in Vers 13 »des Fremden« einzusetzen, liegt erst mit der endgültigen Fassung vor und betont an der ersten Stelle den Aspekt des Vorbeigehens, an der zweiten das Unvertrautsein des Rückblicks gegenüber dem Wahrgenommenen. Damit wird der »eine Blick« weiterhin charakterisiert und unterschieden von dem klugen Blick des Vogels. Gerade der Blick des Fremden vermag das den Beteiligten Vertraute als bedeutendes Bild aufzufassen. Anstelle des erwogenen Bildes von den Klauen der Seele steht nun zu Anfang des Verses die von konkreten Vorstellungen freie Wendung »Und trug in sich«, der in Parenthese und als Vergleich das Bild der »Abendwolke« folgt.24 Mit diesem Vergleich erscheint das Tragen in Entsprechung, nicht in Identität, mit der entschwebenden Wolke, die als abendliche Gestalt »Der fremde, einsame Wanderer ist eine Gestalt aus Hofmannsthals Erinnerung. Aber indem er in sich das Bild des mythischen Friedens fortträgt, wird auch ihm eine mythische Qualität zugewiesen.« (Derungs, 1960, S. 174).

291

den endlichen Bereich überschauend zusammenfaßt und »über stillen Fluß und Wald« die endlichen Begrenzungen aufhebt. Dieser Wolke gleich trägt der Fremde in sich das Wahrgenommene fort, das jetzt in einer entscheidenden Änderung nicht mehr das »Thal« sondern »Das wundervolle Bild des Friedens« (Vers 16) genannt wird. Das im Rückblick Gesehene ist zum »wundervollen Bild« geworden, womit die zutreffende direkte Benennung in das Gedicht aufgenommen ist. Dieses Bild ist das Bild »des Friedens«, das in sich die zuvor beschriebenen Bewegungen dergestalt aufgenommen hat, daß sie nicht als sich ausschließende, sondern als begründete in einem wechselseitigen Zusammenhang erscheinen.25 Die Realität als im Bild aufgehobene wird »fort« getragen, von ihrem vergänglichen Raum- und Zeitpunkt entfernt, zugleich aber im Bild als Bedeutende bewahrt. Diese Bedeutung kommt in dem Adjektiv des Titels »Glückliches Haus« und des letzten Verses »Das wundervolle Bild« explizit zum Ausdruck. In der Vergangenheitsform, in der das ganze Gedicht steht, zeigt sich die Vergangenheit des Beschriebenen, aus der »fort« das Bild in dem Gedicht getragen wurde, mit dessen Wahrnehmung das Vergangene als bedeutendes Bild gegenwärtig ist. Das Thema der Erinnerung steht nicht nur deshalb am Schluß der vorliegenden Untersuchungen, weil es in den späteren Gedichten Hofmannsthals, besonders denjenigen nach der Jahrhundertwende, deutlich in den Vordergrund tritt. Dies zeigt sich mit den Rückblicken auf Situationen aus der eigenen Lebensgeschichte, die allerdings im Entwurfsstadium verbleiben, und mit der Aufnahme von Bildern und Chiffren aus dem eigenen Werkzusammenhang, die jedoch im Kontext der Genese des jeweiligen Gedichts zumeist von neuen, diesem Bildgefüge entsprechenden Gestaltungen ersetzt werden. Erinnerung als Bewegung, die in der Sprachgestalt ihren Ausdruck finden kann, die Aufhebung der Wahrnehmung in einem sprachlich gestalteten Bild faßt darüber hinaus alle Problembereiche zusammen, die einzeln in den vorhergehenden Kapiteln dargestellt worden sind. Die immanente poetologische Reflexion in den Gedichten »Botschaft« und »Glückliches 25

Derungs (1960) spricht dagegen von einer »ICH-DU-Beziehung«, die »zeitlos und mythisch ist. Der Bezug ist mit dem Wesen identisch gesetzt. Die Gegensätzlichkeit in den Gedichten ist durch Verabsolutierung zur Dualität geworden.« (S. 177). Dies dürfte mit der Sprache der »Gedichte nach 1900« (ebd.) schwer zu belegen sein.

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Haus« läßt lediglich Bedingungen und Verlauf dieser Aufhebungsbewegung explizit werden; konstituierende Bedeutung kommt ihr für jedes Gedicht zu, wobei sich die historische Situierung der hier interpretierten Beispiele mit den Problemstellungen zeigt, die in besonderer Weise im Vordergrund stehen. Dazu gehört von Anfang an die selbstreflexive Frage nach der Möglichkeit einer sprachlichen Erscheinung, die dem unmittelbar nicht erreichbaren Lebendigen entsprechen könnte, die Frage, ob eine solche sprachliche Gestalt Bewegungen halten kann, ohne sie stillzustellen und damit immer zu verfehlen, wie also einem dynamisch Wirkenden ein sprachliches Gebilde dergestalt antworten könne, daß die Wahrnehmung in seiner Bedeutung aufgehoben erscheint. Das Bewußtsein um die Problematik wird sichtbar mit den gegenübergestellten Gefahren eines Zuviel oder Zuwenig an gestaltender Fassung des Empfundenen, mit den gleichzeitigen Bewegungen von Auflösung des Gegebenen und Orientierung an ihm, wobei die erscheinende Gestalt umsomehr Irritation bewirkt, je identischer sie mit dem >Eigenen< sein soll, schließlich mit der Frage nach dem Ideal des lebendigen Wortes, das als Umschreibung dem geahnten Begründenden nur in der Vermittlung und der selbstbezüglichen Problematisierung Ausdruck geben kann. Das nicht fraglos gegebene Aufgehobensein in einem sinngebenden Grund, dessen lebendige Wirksamkeit dennoch angenommen wird, erscheint wiederum in sprachlichen Gestaltungen, die ihre Mittelbarkeit und Problematik selbst erkennbar werden lassen. Momente dieser in die Sprache der Gedichte aufgehobenen Selbstreflexivität konstituieren die Spannung von Einheit und Trennung in ihr, von Dauer und vergehender, sukzessiver Zeit, von Bleiben und Vergehen im geahnten Kontinuum des All-Lebens sowie von Reflexion und Ahnung eines unabsehbaren Begründenden angesichts des Spiegels, der als »dunkler Spiegel« diese doppelte Bedeutung der Wahrnehmung des Gedichts selbst darstellen soll. Die Erinnerung muß alle diese Momente aufgenommen haben, um diejenige Bewegung des Bewußtseins darstellen zu können, deren sprachliche Wirklichkeit in der Wahrnehmung des Gedichts erscheint.

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Botschaft. 1 2 3 4 5 6 7 8

9 13* 14 15 16 10 11

12 17(J) ISt1) 19(1)

I

Ich habe mich bedacht dass schönste Tage Nur jene heißen dürfen da wir (sprechen:) redend Die Landschaft uns vor Augen in ein Reich Der Seele wandelten, da hügelan Dem Schatten zu wir stiegen in den Hain Der uns umfin wie schon einmal erlebtes Da wir auf (stillen) abgetrennten Wiesen still (Des)' Den Traum vom (xxx) Leben (junger Adler) (schöner Hirten) (alter Zeiten) fanden niegeahnter junger (Völker) Hirten Ja ihre (Spuren)* Gehen (xxx) u. Trinkens Spuren fanden Und dass (es frommt) nächst diesen 3, gesund zu sein Am eignen Leib und Leben sich zu freuen an Gedanken Flügeln junger Adler Und (am Denken) (xxz) Adlerflügeln Nur eines2 frommt: gesellig sein mit Freunden Und überm Teich ein gleitendes Gespräch Noch tiefre (Wölbung) spiegelt als der Himnel das Gewölbe (an dem der Wagen wandelt und) Ich habe mich bedacht auf solche Tage So will ich dass du kommst und mit mir trinkst Aus jenen Krügen die mein Erbe sind Geschmückt mit Laubwerk und beschwingten Thieren Und mit mir sitzest in dem Gartenthurm

SW 1337f. EII22; FDH19949

* Mit einer Linie sind die Verse 13-16 an ihre Stelle zwischen den folgenden 12 und 17 gestellt. 1 nicht in SW I 2 Nur eines SW I: Uns nur

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Botschaft.

II

Ich habe mich bedacht dass 23W Halbabgewandt ein ungeheueres 24W Geschick Dich steinern anschaut, daß du schweigst 17 So will ich dass du kommst und mit mir trinkst die mein Erbe sind 18 aus jenen schweren Krügen die (ein starker) todter Meister 19 Geschmückt mit Laubwerk und dem (Leib von Kindern) (Thieren) beschwingten Kinderrn 20 Und mit mir sitzest in dem Ganenthurm 21 2 Jünglinge bewachen seine Thür zwei fre und xx wie Gefesselte von riesenhafter Trauer, und gefesselt 22 in deren Köpfen mit gedämpften Blick 23 ein ungeheueres Geschick (dich fremd 24 und steinern ansieht) dass du ahnend schweigst.

25 26 27 28 29 30 31 32

meine Landschaft hingebreitet meinen Fluss Und jenen Strom vorübereilen siehst mir sie Dass dann vielleicht ein Vers von dir (ihn)7 mir (den Anblick) Veredelt künftig in der Einsamkeit (Und mir ein Rauschen deine Stimme lügt) Und da und dort Erinnerung an Dich und Im Schatten nistet (wie um) zur Dämmerung Die Strasse zwischen (dunkeln) Wipfeln rollt und andre schattenlose Straßen in der Luft Dahinrollt wie ein fer goldner Donner

SW 1337f. EII22; FDH19949

nicht in SW I

295

Das Thal. / 2 J 4 5 6 7 S 9 10

* * * * * * * // 12

13

Auf einem offenen Altane sang (der Vater) ein Greise orgelspielend gegen Himmel indess auf einer Tenne unter ihm der schlanke mit dem bärtigen (Sohne) Bruder focht. so dass den (xxx) Oleanderstamm' reinen Schaft ein Zittern aufwärts lief, allein der Vogel verborgen ganz im Blüthevollen Schatten der Krone blieb und lauschte dem Gesang. bebauen Auf dem Stirnrand des Brunnens aber sass die junge Frau gab ihrem Kind die Brust und einen friedevollen Blick dem Thal grünenden Die Häuser rings am (grünlichen) Gesenke, die Brunnen, die Fruchtbäume und die Tennen (und dort die vier und dort die sieben Scheunen sah sie, und sah sie nicht die Glückliche (mit dem wunschlosen Äug des Glückes.) (dem mehr jede Gegenwart vielfältig) das sieht und doch nicht sieht was vor ihm liegt (sah was da war und sah was nicht da war die kühle Sternennacht die sanfte Dämmerung die Heimkehr Stund, und die denn dem wunschlosen Äug des Glückes dient vielfältige sehnsuchtvolle Gegenwart) Fremde Jedoch der (Wandrer) dem die Strasse sich verfallendes Gemäuer um eine (halbverfall Mauer) bog warf hinter sich den einen warf (über alles dies) (der fasste mit dem) Blick des Wanderers und lautlos wie die runde Abendwolke dies (alles in die Klauen seiner Seele) es fassend alle ansetzend (enttr) (trug) (mit) den Klauen seiner Seele (über Klüfte und spiegelnde Wasser)

* Dieser Abschnitt am rechten Rand entworfen. 1 SW I: reinen Schaft Oleanderstamm

296

mit jener Abend 14 trug er, lautlos (wie eine) Wolke stille Flüsse If entschwebend über Wald und grosse (Wasser) 16 das wundervolle Thal des Friedens fort.

SW 1403f. Houghton Library; Harvard Umversity, HII 17S.7

297

(3D')

Glückliches Haus Das Thal und der Wanderer. 1 2 3 4

5 6 7 8 9 10

11 12 13

14 li 16

Der Wanderer

Auf einem offenen Altane sang ein Greise orgelspielend gegen Himmel, indess auf einer Tenne, ihm zu Füßen, der schlanke mit dem bärtigen Sohne focht Enkel (sodass von ihrer Klinge Funken stoben,) und (so)dass den reinen Schaft des Oleander Daß durch Zittern ein (Schwanken) aufwärts lief; allein ein Vogel, still in der Krone blüthevollem Schatten, Schein lautlos und äugte klugen Blicks herab floh nicht und lauschte (aufwärts) jenem Lied; Doch auf tiefen (auf) dem behau'nen Rand des Brunnens (aber) die junge Frau gab ihrem Kind die Brust, (und einen friedevollen Blick dem Thal: die Häuser rings im buschigen Gesenke, die Brunnen die Fruchtbäume und die Tennen sah sie mit dem wunschlosen Äug des Glücks das sieht und doch nicht sieht was vor ihm liegt.) Allein Fremde Gedoch) der Wandrer (Der Fremde aber), dem die Straße sich Wandrer Jüngling Entlang der Tenne ums um tin verfallendes Gemäuer bog (langen)' warf hinter sich den einen B 1kk des Wanderers; Fremden (mit den) (ansetzend alle) Klauen seiner Seele ausholend mit den und trug (er) in sich lautlos mit jener Abendwolke - gleich jener entschwebend über stillen Fluß und Wald, Walddas wundervolle Thal des Friedens fort. (Abends) Bild Friedens

SW!404f. EII59; FDH19973

nicht in SW I 298

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